HipHop zwischen Istanbul und Berlin: Eine (deutsch-)türkische Jugendkultur im lokalen und transnationalen Beziehungsgeflecht [1. Aufl.] 9783839429105

Between identification and distancing: a well-informed study about Hip Hop culture in Berlin and Istanbul among German-T

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HipHop zwischen Istanbul und Berlin: Eine (deutsch-)türkische Jugendkultur im lokalen und transnationalen Beziehungsgeflecht [1. Aufl.]
 9783839429105

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
1.1 Methode der Feldforschung
1.2 Aufbau der Arbeit
2. Forschungsstand zur deutschtürkischen HipHop-Kultur in Deutschland und der Türkei
3. Theoretische Konzepte zur Analyse von deutschtürkischem und türkischem HipHop in Berlin und Istanbul
3.1 Klasse und Subkultur in den klassischen Studien des CCCS
3.2 Bourdieu – Klasse und Geschmack
3.3 Cultural Studies: kulturelle Identität als Positionierung
3.4 Modernisierungstheoretische Ansätze: Stil und Individualismus in Deutschland
3.4.1 Individualisierung und Milieubildungsprozesse in der deutschen Gesellschaft
3.4.2 Modernisierungstheoretische Ansätze und deutschtürkische Subkulturen
3.4.3 Modernisierungstheoretische Ansätze und Subkulturen in der Türkei
3.5 Stil im Beziehungsgeflecht: Norbert Elias’ Begriff der Figuration
3.6 Verknüpfung und Auswahl theoretischer Ansätze
4. Ethnizität und Nationalismus im (deutsch-)türkischen HipHop in Berlin und Istanbul – ein historischer Abriss im Vergleich der beiden Städte
4.1 Berlin: HipHop als eine etablierte Kultur der Aussenseiter
4.1.1 Die 1980er Jahre: HipHop kommt nach Deutschland
4.1.2 Die erste Hälfte der 1990er Jahre: Ethnisierung der Rap-Musik als Antwort auf den deutschen Rassismus in der Nachwendezeit
4.1.3 Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Battle-Rap und die Pluralisierung der Rap-Musik
4.2 Istanbul: HipHop als eine Aussenseiterkultur der Etablierten
4.2.1 Eine transnationale Brücke: Der große Erfolg von Cartel in der Türkei
4.2.2 Die Türkische Rap-Musik in Istanbul entwickelt sich
4.2.3 Rap-Musik als politische Protestkultur mit ihren Grenzen
4.2.4 Istanbuler Rap und die städtische Identität
4.2.5 Musikstile im türkischen HipHop in der Türkei
5. Authentizität, Klasse und Männlichkeit im deutschtürkischen und türkischen HipHop
5.1 Berlin – Männlichkeit, Härte und Ghetto als Distinktionsmerkmal im HipHop
5.1.1 Frauen im deutschtürkischen HipHop
5.1.2 HipHop und Distinktion in Berlin
5.2 Istanbul – Werte und Diskurse in der Rap-Musik der Mittelschicht
5.2.1 „Underground“ und Wissen versus Kommerz und „özenti“
5.2.2 Selbstpräsentation: Straße, Härte, aber nicht Maganda
5.2.3 Der Trend zum harten Rap
5.2.4 HipHop und Distinktion in Istanbul. Der „Feind“: die türkische Pop-Musik
5.2.5 Frauen im HipHop
6. HipHop und Gesellschaft
6.1 Berlin: Jugendkulturen in den 1980er und 1990er Jahren in einer von der Mittelklasse geprägten Stadt
6.1.1 Die Heterogenität der innerstädtischen Wohngebiete
6.1.2 Eine Jugendkultur der ethnischen und sozialen Marginalität wird populär
6.1.3 Institutionelle Einbettung der HipHop-Kultur als Katalysator im Individualisierungsprozess
6.2 Istanbul: Das Image der HipHop-Kultur und ihre Ablehnung seitens der Etablierten
6.2.1 Soziale und kulturelle Heterogenität in der Türkei und das Abgrenzungsbestreben der Eliten in Istanbul
6.2.2 Starre soziale Klassengrenzen werden gesprengt
6.2.3 Westliche Jugendkulturen in Istanbul
6.2.4 Das Image der Almancı
6.2.5 Bodrum: Ein transnationales Verhältnis im lokalen Kontext
7. Zusammenfassung der Forschungsergebnisse für den Zeitraum 1998-2000
8. Epilog
8.1 Rap-Musik in Berlin und Istanbul zwischen 2000 und 2014: Eine Darstellung aktueller Entwicklungen
8.2 Berlin – die Weiterentwicklung der Rap-Musik
8.2.1 Stile und Positionierungen unter deutschtürkischen Rappern in Berlin
8.3 Türkischer Rap in Istanbul nach 2000
8.3.1 Eminem, Ceza und Sagopa Kajmer werden populär
8.3.2 Sultan Tunç und Tahribad-ı İsyan – Die Verbindung von Kommerz und engagierter Jugendarbeit
8.3.3 Rap der Gezi-Proteste und Rap der AKP
8.3.4 Arabesk Rap
8.3.5 „Organize oluyoruz“ – Das Bedürfnis nach Imagewechsel und Zusammenhalt
8.4 Möglichkeiten und Grenzen der transnationalen Zusammenarbeit
Glossar
Interviewliste
Verwendete Dokumentarfilme
Diskographie
Literatur

Citation preview

Verda Kaya HipHop zwischen Istanbul und Berlin

Kultur und soziale Praxis

2015-01-27 10-15-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 019a388753011438|(S.

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4) TIT2910.p 388753011446

Für meine Eltern Ahmet und Kâfiye Kaya

Verda Kaya (Dr. phil.) lebt in Berlin und promovierte im Fach Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Migration, Ethnizität, Lebensstile, Urbane Anthropologie, Musik sowie Transnationalismus.

2015-01-27 10-15-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 019a388753011438|(S.

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Verda Kaya

HipHop zwischen Istanbul und Berlin Eine (deutsch-)türkische Jugendkultur im lokalen und transnationalen Beziehungsgeflecht

2015-01-27 10-15-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 019a388753011438|(S.

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Das vorliegende Buch ist eine erweiterte und aktualisierte Fassung der Dissertation »(Deutsch-)Türkischer HipHop in Berlin und Istanbul – Entstehung, Aneignung und Ablehnung einer Jugendkultur in einem lokalen, nationalen und transnationalen Beziehungsgeflecht«. Disputation am 9. April 2014 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Gutachter(in): Prof. Dr. Werner Schiffauer und Prof. Dr. Regina Römhild. Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs »Gesellschaftsvergleich« gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Andrea Mester Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2910-1 PDF-ISBN 978-3-8394-2910-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2015-01-27 10-15-31 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 019a388753011438|(S.

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Danksagung

Zahlreiche Personen haben zur Entstehung dieses Buches beigetragen, denen ich an dieser Stelle meinen Dank sagen möchte. Einen ganz herzlichen Dank an all meine Interview- und Gesprächspartner, die sich die Zeit nahmen, meine Fragen zu beantworten, mir einen Einblick in ihre Aktivitäten gewährten und Kontakte vermittelten. Danken möchte ich insbesondere in Berlin Ünal Yüksel, Sultan Tunç, Aziza A., Fuat, Erci E., Bektaş, Taner Bahar (DJ Cut’em T), Tamer, Volkan T., Dog (Megalomaniax), Zafer Kuruş (Beathoavenz), Ethem Bozkurt (Kanacks with Brain), Cemil, Willi und Maxi (Mosaik), Metin (Naunynritze), Wolfhard Schultz (Antenne), Crok, Emine Demirbüken, DJ H-Khan, DJ Altay, Mehmet Zağlı (Merhaba), Jale, Erdal Çelik, Çüneyt Çelik, DJ Ipek, Kurtuluş, Savaş, Gökmen G., Atilla Cihan und Stefan Wetzler (Visum), Frau Bethge, Frau Busse, Turgay Ayaydınlı und dem Frankfurter DJ Mahmut. In der Türkei danke ich Ceza und Dr. Fuchs, Tunç Dindaş, Ulaş Demiröz, Tahribad-ı İsyan (Zen-G, V.Z., Asil Slang), Ayben, Elif, Yunus Özyavuz (Sagopa Kajmer), Yücel Yolcu, Orhan, Sultana, Alev Çağlar, Necati (KOD Müzik), CemAli, Tespihh, Radyah und auch allen weiteren Interviewund Gesprächspartnern in Bodrum, Ankara und Kuşadası. Auch wenn nicht alle Interview- und Gesprächspartner direkt in dieser Arbeit zitiert werden und ich von vielen den Namen nicht kenne, so haben ihre Aussagen doch dazu beigetragen, mir ein Verständnis für jugendkulturelle Phänomene in Berlin und Istanbul zu ermöglichen, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Die Idee, eine Dissertation über (deutsch-)türkische Jugendkulturen in Berlin und Istanbul zu schreiben, stammt von Prof. Dr. Ayşe Çağlar, der ich hier ganz besonders danken möchte. Ihre akademische Betreuung und die Unterstützung während der Feldforschungszeit und ihre zahlreichen Literaturtipps haben diese Arbeit entscheidend geprägt. Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Werner Schiffauer für wertvolle Kommentare, Literaturtipps und seinen akademischen Rat. Danken möchte ich auch

für den großzügigen Freiraum, den er mir in der Dissertation gewährte, für sein Vertrauen und seine Geduld. Mein Dank gilt weiterhin Prof. Dr. Georg Elwert, der das Projekt von Anfang an förderte und im Rahmen des Graduiertenkollegs „Gesellschaftsvergleich in historischer, soziologischer und ethnologischer Perspektive“ betreute. Auch in seiner schwerkranken Phase nahm er sich Zeit, gab mir wertvolle Ratschläge und motivierte mich mit einer Freude, die ich nicht vergessen werde. Besonders danken möchte ich Katja Günther, die sich die Zeit nahm, die Arbeit ausführlich zu lesen und zu kommentieren. Ihre kritischen Rückmeldungen und Hinweise waren mir eine große Hilfe, ebenso ihre herzliche Art, mich zum Beenden der Arbeit zu motivieren. Frau Dr. Sonja Hilzinger danke ich ganz herzlich für ihre sorgfältige und genaue Korrekturarbeit. Ebenso einen ganz herzlichen Dank an die Lektorin Andrea Mester für ihre hilfreichen Anmerkungen und Korrekturen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft der Freien Universität Berlin möchte ich für die finanzielle Unterstützung danken. Und schließlich gilt mein ganz persönlicher Dank meinen Eltern, meinem Mann und meinen Kindern für den Rückhalt, ihre Geduld und ihr Verständnis.

Inhalt

Danksagung | 5 1. Einleitung | 11 1.1 Methode der Feldforschung | 15 1.2 Aufbau der Arbeit | 17 2.

Forschungsstand zur deutschtürkischen HipHop-Kultur in Deutschland und der Türkei | 21

3.

Theoretische Konzepte zur Analyse von deutschtürkischem und türkischem HipHop in Berlin und Istanbul | 25

Klasse und Subkultur in den klassischen Studien des CCCS | 27 Bourdieu – Klasse und Geschmack | 33 Cultural Studies: kulturelle Identität als Positionierung | 41 Modernisierungstheoretische Ansätze: Stil und Individualismus in Deutschland | 44 3.4.1 Individualisierung und Milieubildungsprozesse in der deutschen Gesellschaft | 45 3.4.2 Modernisierungstheoretische Ansätze und deutschtürkische Subkulturen | 51 3.4.3 Modernisierungstheoretische Ansätze und Subkulturen in der Türkei | 54 3.5 Stil im Beziehungsgeflecht: Norbert Elias’ Begriff der Figuration | 56 3.6 Verknüpfung und Auswahl theoretischer Ansätze | 63

3.1 3.2 3.3 3.4

4.

Ethnizität und Nationalismus im (deutsch-)türkischen HipHop in Berlin und Istanbul – ein historischer Abriss im Vergleich der beiden Städte | 67

4.1 Berlin: HipHop als eine etablierte Kultur der Aussenseiter | 67

4.1.1 Die 1980er Jahre: HipHop kommt nach Deutschland | 68 4.1.2 Die erste Hälfte der 1990er Jahre: Ethnisierung der Rap-Musik als Antwort auf den deutschen Rassismus in der Nachwendezeit | 76 4.1.3 Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Battle-Rap und die Pluralisierung der Rap-Musik | 109 4.2 Istanbul: HipHop als eine Aussenseiterkultur der Etablierten | 129 4.2.1 Eine transnationale Brücke: Der große Erfolg von Cartel in der Türkei | 131 4.2.2 Die Türkische Rap-Musik in Istanbul entwickelt sich | 137 4.2.3 Rap-Musik als politische Protestkultur mit ihren Grenzen | 144 4.2.4 Istanbuler Rap und die städtische Identität | 150 4.2.5 Musikstile im türkischen HipHop in der Türkei | 153 5.

Authentizität, Klasse und Männlichkeit im deutschtürkischen und türkischen HipHop | 157

5.1 Berlin – Männlichkeit, Härte und Ghetto als Distinktionsmerkmal im HipHop | 159 5.1.1 Frauen im deutschtürkischen HipHop | 169 5.1.2 HipHop und Distinktion in Berlin | 174 5.2 Istanbul – Werte und Diskurse in der Rap-Musik der Mittelschicht | 190 5.2.1 „Underground“ und Wissen versus Kommerz und „özenti“ | 191 5.2.2 Selbstpräsentation: Straße, Härte, aber nicht Maganda | 200 5.2.3 Der Trend zum harten Rap | 208 5.2.4 HipHop und Distinktion in Istanbul. Der „Feind“: die türkische Pop-Musik | 210 5.2.5 Frauen im HipHop | 215 6. HipHop und Gesellschaft | 221 6.1 Berlin: Jugendkulturen in den 1980er und 1990er Jahren in einer von der Mittelklasse geprägten Stadt | 222 6.1.1 Die Heterogenität der innerstädtischen Wohngebiete | 224 6.1.2 Eine Jugendkultur der ethnischen und sozialen Marginalität wird populär | 226 6.1.3 Institutionelle Einbettung der HipHop-Kultur als Katalysator im Individualisierungsprozess | 230 6.2 Istanbul: Das Image der HipHop-Kultur und ihre Ablehnung seitens der Etablierten | 241

6.2.1 Soziale und kulturelle Heterogenität in der Türkei und das Abgrenzungsbestreben der Eliten in Istanbul | 243 6.2.2 Starre soziale Klassengrenzen werden gesprengt | 245 6.2.3 Westliche Jugendkulturen in Istanbul | 246 6.2.4 Das Image der Almancı | 260 6.2.5 Bodrum: Ein transnationales Verhältnis im lokalen Kontext | 267 7.

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse für den Zeitraum 1998-2000 | 277

Epilog | 285 8.1 Rap-Musik in Berlin und Istanbul zwischen 2000 und 2014: Eine Darstellung aktueller Entwicklungen | 285 8.2 Berlin – die Weiterentwicklung der Rap-Musik | 286 8.2.1 Stile und Positionierungen unter deutschtürkischen Rappern in Berlin | 295 8.3 Türkischer Rap in Istanbul nach 2000 | 306 8.3.1 Eminem, Ceza und Sagopa Kajmer werden populär | 306 8.3.2 Sultan Tunç und Tahribad-ı İsyan – Die Verbindung von Kommerz und engagierter Jugendarbeit | 315 8.3.3 Rap der Gezi-Proteste und Rap der AKP | 325 8.3.4 Arabesk Rap | 327 8.3.5 „Organize oluyoruz“ – Das Bedürfnis nach Imagewechsel und Zusammenhalt | 332 8.4 Möglichkeiten und Grenzen der transnationalen Zusammenarbeit | 337 8.

Glossar | 345 Interviewliste | 347 Verwendete Dokumentarfilme | 349 Diskographie | 351 Literatur | 355

1. Einleitung

Die in den 1970er Jahren in der New Yorker Bronx entstandene HipHop-Kultur ist längst nicht mehr Ausdruck der schwarzen und lateinamerikanischen Jugendlichen aus dem amerikanischen Ghetto. HipHop ist nicht nur weltweit zu einer der bedeutendsten Jugendkulturen avanciert, sondern hat lokale Ausprägungen erfahren oder, wie es Mitchell ausdrückt: „It has become a vehicle for global youth affiliations and a tool for reworking local identity all over the world“ (Mitchell 2001:2). HipHop ist eine vielseitige und kreative Jugendkultur, die ihren Anhängern die Möglichkeit bietet, ihre Gruppenzugehörigkeiten, Meinungen und Emotionen entsprechend ihrer spezifischen Lebenssituation auszudrücken und Anerkennung zu erhalten. Die unterschiedlichen Formen des HipHop wie Rap, MCing, DJing, Graffiti und Breakdance1 eröffnen Jugendlichen ein großes und vielseitiges Feld. Rapper schreiben ihre eigenen Texte und verarbeiten darin ihre Wut, ihre Wünsche, ihren Kampf oder einfach ihr Verlangen nach Spaß oder Provokation. DJs sampeln, das heißt, sie kombinieren Anteile bereits vorhandener musikalischer Stücke zu HipHop Rhythmen. Ihnen steht dabei ein grenzenloses Repertoire unterschiedlichster Musikrichtungen zur Verfügung, von Folklore bis Klassik

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Zur kurzen Erklärung der Richtungen im HipHop: Mit Rap-Musik ist der charakteristische Sprechgesang gemeint und Rapper sind die Vortragenden. Als MC wird im HipHop derjenige Rapper bezeichnet, der ein Publikum gut unterhält. Für den heutigen gebräuchlichen Begriff „rappen“ wurde ursprünglich „MCing“ verwendet (Krekow et al. 1999:208). Ich verwende sowohl den Begriff Rapper als auch MC. Der Begriff DJ steht für Discjockey und bezeichnet damit eine Person, die Musik auflegt. Breakdance ist die spezielle, zumeist akrobatisch ausgeführte Tanzform der HipHopKultur und Graffiti sind Malereien aus Spraydosen, zumeist großflächig an Wänden angebracht. Sie werden mit einem Schriftzug signiert und machen so den Urheber kenntlich, der gelegentlich erhebliche Bekanntheit erlangen kann. Siehe dazu außerdem das Glossar der vorliegenden Arbeit.

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und darüber hinaus auch einzelne Geräusche oder Klänge. Graffiti-Sprüher entwerfen ihre eigenen Werke, wobei sie sich dabei nicht nur der Technik und der Symbole aus der HipHop-Kultur bedienen, sondern auch lokale oder ethnische Symbole verarbeiten. Breakdancer erfinden ihre eigenen Choreographien und Bewegungen im Stile des HipHop. Kurz: HipHop stellt einen Rahmen zur Verfügung, die Jugendlichen füllen ihn. Diese Vielfältigkeit macht den HipHop nicht nur in seiner zeitlichen Dimension wandelbar, sondern auch anpassungsfähig an lokale Lebensformen. Werte, Diskurse, Machtverhältnisse und andere gesellschaftliche Besonderheiten kommen zum Ausdruck und machen diese Kultur als Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Forschung besonders spannend. Meine Feldforschung, die ich besonders intensiv von 1998 bis 2000 in Berlin, Istanbul und Bodrum durchführte, umfasste ursprünglich einen breiteren thematischen Rahmen. Ausgehend von dem Arbeitstitel „Deutschtürkische Jugendkultur in Berlin im Vergleich zur Jugendkultur in Istanbul“ beschäftigte ich mich mit der Pop-Szene, der Schwulen- und Lesbenszene, der HipHop-Szene und mit anderen subkulturellen Phänomenen in Berlin und Istanbul. Die Entscheidung für die Städte Berlin und Istanbul resultierte aus der Tatsache, dass diese die Hauptimpulse in der Entwicklung der türkischen bzw. der deutschtürkischen Jugendkultur liefern und daher auch vergleichbar sind. Zudem besteht gerade zwischen diesen beiden Städten eine intensive transnationale Bindung. Zusätzlich führte ich in diesem Zeitraum eine Feldforschung in Bodrum durch, wo im Sommer türkische und deutschtürkische Jugendliche aus Berlin und Istanbul ihren Urlaub verbringen. Schon bald kristallisierte sich der Vergleich der türkischen bzw. deutschtürkischen HipHop-Kultur in Istanbul und Berlin als mein eigentliches Forschungsthema heraus. Ausschlaggebend für die Fokussierung auf die HipHop-Kultur war die Tatsache, dass der gesellschaftliche Diskurs um HipHop, die institutionelle und mediale Unterstützung, die Verbreitung und ihre Ablehnung in beiden Städten nicht gegensätzlicher hätten sein können. Dabei schien mir Rap-Musik besonders interessant zu sein, weil darin im Vergleich zu anderen Jugendkulturen gesellschaftliche Positionierungen noch offensichtlicher geäußert werden. Kennzeichnend ist dabei die besondere Fokussierung auf das „Ich“ und auf „den/ die Andere(n)“. Der Rapper verkündet in seiner Musik, wer er ist, zu welcher Gruppe, welchem Menschenbild er gehört, sei dies subkulturell, ethnisch, politisch, national oder sozial, und wen er ablehnt. Lokale Zugehörigkeiten wie beispielsweise zu einem Stadtteil oder einer Stadt werden so eindeutig wie in keiner anderen Jugendkultur geäußert. Rapper thematisieren bestimmte Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen oder Situationen und bestimmten Gruppen oder Personen. So sind Rap-Texte besondere

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Zeugnisse einer Identitätskonstruktion und gesellschaftlichen Positionierung der Jugendlichen und ihrem Lebensgefühl. Außerdem unterscheidet sich HipHop von anderen Jugendkulturen dadurch, dass die Jugendlichen keine passiven Konsumenten von Musik sind, die von wenigen Produzenten für den globalen Markt produziert wurde, sondern aktiv ihre Kultur gestalten und ihre Persönlichkeit darin zum Ausdruck bringen. In diesem Buch geht es um die Frage, wie eine globale Jugendkultur in zwei unterschiedlichen Städten in zwei voneinander sehr verschiedenen Ländern von türkischen und türkischstämmigen Jugendlichen im jeweiligen kulturellen Kontext angenommen wurde, sich entwickelte und ihre lokalen Eigenheiten hervorbrachte. Zeitlich beschränke ich mich in meiner Untersuchung vor allem auf die zwei Jahre von 1998 bis 2000. Wo es mir sinnvoll erschien, fließen auch Daten aus anderen Jahren ein, um das Bild abzurunden. Aufgrund der Wandelbarkeit von Jugendkulturen gehe ich im Nachwort auf die weitere Entwicklung der RapMusik zwischen 2000 und 2014 in beiden Städten ein. Dieser Zeitraum gehört nicht zum eigentlichen Untersuchungszeitraum und wird daher nicht in der Intensivität analysiert wie der Zeitraum von 1998 bis 2000. Eine komparative Studie bietet mir vor allem die Möglichkeit, Auswirkungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Phänomene wie z.B. den Umgang mit sozialen Klassen und Minderheiten-Mehrheiten zu analysieren, zu kontextualisieren und zu vergleichen. Das heißt für dieses Buch, dass HipHop der primäre Untersuchungsgegenstand ist, jedoch möchte ich am Beispiel dieser Jugendkultur den Blick auf allgemeine gesellschaftliche Unterschiede lenken und deren Auswirkungen auf eine Jugendkultur analysieren. Aus dieser forschungsleitenden Fragestellung entwickelten sich im Verlauf meiner Forschung folgende spezifische Fragestellungen: •





Wie wird eine Kultur, die dem Image nach eine Kultur der ethnisch und sozial marginalisierten Jugendlichen ist, in der jeweiligen Stadt ausgelebt? Wie kommt ihre recht unterschiedliche gesellschaftliche Position – als Minderheit in Deutschland und Mehrheit in der Türkei – in der Rap-Musik zum Ausdruck? Welche unterschiedlichen Interpretationen des Authentizitätskonzeptes sind für die HipHop-Szene in den beiden Städten vorhanden? Sind Gemeinsamkeiten erkennbar? Welche Ausprägungen von Abgrenzungsverhalten innerhalb der HipHopSzene, aber auch zwischen HipHop-Aktivisten und anderen Gruppen lassen sich beobachten?

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Welche gesellschaftlichen Faktoren fördern, oder schränken die Verbreitung von HipHop in den beiden Städten ein? Welche Rolle spielen dabei Institutionen, Medien und Klassenstrukturen und der Umgang mit ethnischen Minderheiten? Welche Unterschiede zwischen türkischen Jugendlichen aus Istanbul und Jugendlichen aus Berlin lassen sich im Hinblick auf Musikgeschmack und Abgrenzungsverhalten in der kulturellen Begegnung des Ferienorts Bodrum beobachten? Welche Rolle spielt die transnationale Verbindung zwischen Berlin und Istanbul?

Zur Erklärung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten wird der städtische, nationale und transnationale Kontext in Betracht gezogen, dabei werden relevante Phänomene wie Migration, Institution, Nationalismus und Klassenunterschiede thematisiert. Im Laufe der vielschichtigen empirischen Feldforschung und Auswertung stellte sich heraus, dass die unterschiedliche Entwicklung von HipHop in beiden Städten, die jeweiligen gesellschaftlichen Diskurse, die unterschiedlichen medialen und institutionellen Unterstützungen, die Jugendliche erfuhren, nur erklärt werden können, wenn die gesellschaftliche Struktur und Position von HipHoppern in beiden Städten berücksichtigt wird. Daher greife ich zur Analyse der kontextabhängigen Aneignung, Verbreitung und Ablehnung der HipHopKulturen in Berlin und Istanbul auf Theorien zurück, die meines Erachtens besonders relevant sind, um die spezifische Situation in beiden Städten erklären zu können. Ich nutze die klassentheoretischen Konzepte von Bourdieu und den Cultural Studies und deren sehr brauchbare Ansätze bezüglich Ethnizität und Identität. Außerdem beziehe ich mich auf die modernisierungstheoretischen Ansätze, die sich dem Phänomen der Individualisierung in Deutschland zuwenden. Zusätzlich stütze ich mich auf die Theorie der Etablierten-Außenseiter-Figuration von Elias und Scotson. Diese Theorien werden nicht konträr, sondern komplementär für die Analyse herangezogen. Dieser breitere theoretische Rahmen resultiert zum einen aus der Komplexität des Themas und den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen in Berlin und Istanbul. Zum anderen wirft gerade eine Jugendkultur wie HipHop Fragen zu ethnischen und sozialen Ungleichheiten auf, die nicht mit einer einzigen Theorie bearbeitet werden können. Die Verbreitung und Ablehnung von HipHop begreife ich als Ausdruck eines großen und komplexen Beziehungsgeflechts zwischen ethnischen und sozialen Gruppen und gleichzeitig auch als ein Mittel, mit dem sich gesellschaftliche Positionen erhalten oder verändern lassen. Ich gehe außerdem davon aus, dass

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sich solche Individualisierungsprozesse innerhalb einer Gesellschaft exemplarisch am HipHop beobachten lassen, die dazu führen, dass unveränderbare Kriterien wie soziale und ethnische Herkunft in den Hintergrund rücken. HipHop ist meines Erachtens deshalb ein besonders geeignetes Forschungsfeld, um gesellschaftliche Beziehungen zu analysieren, da diese Kultur aufgrund ihrer Herkunft aus dem armen New Yorker Stadtteil Bronx lange Zeit als Ausdruck der ethnisch und sozial Marginalisierten galt und der gesellschaftliche Diskurs über HipHop immer noch Themen anschneidet, die weit über diese Jugendkultur hinausreichen. Der Schwerpunkt meiner Feldforschung liegt auf den drei Jahren 1998, 1999 und 2000. Zusätzlich fließen Biographien von Interviewpartnern und schriftliche Quellen ein, die die Anfänge und Entwicklung von HipHop in beiden Städten aus der Retrospektive beleuchten. Dies ist von Bedeutung, um die kulturellen Kontexte zu verstehen, in denen sich HipHop entwickelte und schließlich in der spezifischen Konstellation Ende der 1990er mündete. Die klare Begrenzung auf den zeitlichen Rahmen erschien mir notwendig, um der Komplexität des Themas gerecht werden zu können. Der Zeitraum zwischen den beiden Popularitätsschüben, die der HipHop in Istanbul erfahren hat, und in dem die Entwicklung der Musik in beiden Städten so unterschiedlich verlaufen ist, steht daher im Mittelpunkt der Arbeit. Auch nach der Jahrtausendwende habe ich die Entwicklungen weiter verfolgt und sowohl in Berlin als auch in der Türkei Interviews und Gespräche durchgeführt. Diese Entwicklungen fließen ebenfalls immer wieder ergänzend in die Arbeit mit ein, um zu zeigen, welche Faktoren wiederum zum nächsten Wandel führten. Im Epilog widme ich mich schließlich in etwas geraffter Form der Entwicklung dieser Kultur in beiden Städten von 2000 bis 2014.

1.1 M ETHODE DER FELDFORSCHUNG Meine Feldforschung war von großer Vielfalt geprägt. Sie umfasste 52 auf Kassette aufgezeichnete und anschließend mehrheitlich transkribierte Interviews mit einer Länge zwischen 30 Minuten und 3½ Stunden. Eine weitaus größere Anzahl von Interviews und Gesprächen hielt ich darüber hinaus in Feldtagebüchern fest. Meine Interview- und Gesprächspartner habe ich aus verschiedenen Bereichen gewählt: • •

Jugendliche aus verschiedenen Szenen Rapper, Breakdancer, Graffiti-Sprüher, die in ihrem lokalen Umfeld aktiv waren

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in der Szene bekannte Rapper DJs aus der HipHop-Szene und außerhalb der HipHop-Szene Musiklabel-Besitzer Sozialarbeiter Senatsangestellte aus dem Bereich Jugend und Sport Ausländerbeauftragte Konzertveranstalter Lokalbesitzer Journalisten und Herausgeber einschlägiger Zeitschriften CD- und Kassetten-Verkäufer Verkäufer aus HipHop-Läden Personen, die im HipHop und anderen jugendkulturellen Bereichen transnational aktiv waren.

Nicht alle Interview- und Gesprächspartner stammten aus der HipHop-Szene. Gerade in Istanbul und auch in Bodrum richtete ich mein Augenmerk auch auf junge Menschen und Akteure aus dem jugendkulturellen Bereich, die HipHop ablehnten. Diese Auswahl diente dazu herauszufinden, welche Faktoren zur geringen Verbreitung dieser Kultur in der Türkei führten und auf welchen gesellschaftlichen Hintergründen dieses Distinktionsverhalten beruhte. Die Interviews wurden nach einem Interviewleitfaden durchgeführt, der je nach der spezifischen Rolle des Interviewpartners variierte. Mit Jugendlichen, die direkt aus der Szene kamen, führte ich biografisch-narrative Interviews. So erhielt ich Aufschluss darüber, aus welchem Hintergrund die Person kam, welche Faktoren wie beispielsweise gesellschaftliche Position und familiäre, institutionelle und mediale Unterstützung oder auch Netzwerke das Interesse am und Aktivitäten im HipHop weckten und förderten, aber auch, welche Faktoren das Ausleben der Kultur erschwerten. Außerdem wollte ich in Erfahrung bringen, welchen spezifischen Aktivitäten meine Interviewpartner nachgingen, um Einblicke in ihre Position im lokalen, nationalen und transnationalen Beziehungsgeflecht zu gewinnen. Über ihre Aktivitäten, ihrer Meinung zum HipHop und gegenüber anderen jugendkulturellen Stilen bekam ich Informationen über die identitätsstiftende Rolle der HipHop-Kultur. Den Personen, die sich nicht explizit der HipHop-Szene zugehörig fühlten, aber als Jugendliche oder auch berufsbedingt die Kultur unterstützen bzw. ablehnten, stellte ich vor allem Fragen über ihre Beweggründe und nach dem Image von HipHop. Auf eine Anonymisierung der Interview- und Gesprächspartner wurde verzichtet, da es sich teilweise um sehr bekannte Personen handelt, deren Identität trotz Anonymisierung rekonstru-

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ierbar wäre, denn meine noch Ende der 1990er Jahre unbekannten Interviewpartner sollten später zu den bekanntesten Stars der Türkei werden. Da Rapper negative Meinungen meistens direkt und teilweise auf eine provokative oder gar beleidigende Art in ihrer Musik zum Ausdruck bringen, wurden auch solche Interviewpassagen nicht anonymisiert wiedergegeben, wenn diese Meinung bereits in Form von Rap veröffentlicht worden war. Bei Äußerungen, die zu Konflikten führen könnten, verzichtete ich auf den Namen des Interviewpartners. Aufgrund meiner Zweisprachigkeit konnten die Interviewpartner selbst die Interviewsprache bestimmen, was der Natürlichkeit der Gespräche zugutekam. So fanden die Interviews mit türkischen Interviewpartnern in der Türkei ausschließlich auf Türkisch statt. Die Interviews mit Deutschtürken in Berlin und auch in der Türkei führte ich in der vom Interviewpartner gewünschten Sprache, wobei seitens der Interviewpartner oftmals beide Sprachen genutzt wurden. Zu Beginn der Interviews und auch bei einigen Gesprächen ließ ich Fragebögen ausfüllen, in denen Geburtsjahr, Wohnort, Ausbildung, Beruf der Eltern, Mediennutzung, Musikgeschmack und Auslandserfahrungen erhoben wurde. Damit erhielt ich wichtige Daten schon zu Beginn des Interviews zusammengefasst in der Hand. Außerdem ersparte mir dieses Vorgehen entsprechende Fragen während des Interviews zu stellen, die gelegentlich eine verunsichernde Wirkung gehabt hätten. Diese Fragebögen verstehen sich lediglich als Ergänzung der Interviews, sie verfolgten keinen quantitativen Forschungsansatz. Auch eigneten sich diese Fragebögen manches Mal, um Kontakte mit jungen Menschen zu knüpfen und ein Gespräch über HipHop anzufangen. Des Weiteren verfolgte ich Medien wie Zeitschriften und das Internet und nutzte Video- und DVD-Aufzeichnungen über die HipHop-Szene oder HipHopVeranstaltungen als Informationsquellen.

1.2 A UFBAU DER A RBEIT Im nachfolgenden Kapitel gebe ich einen kurzen Überblick über die Literatur zur (deutsch-)türkischen HipHop-Kultur in Deutschland und der Türkei. Dabei erläutere ich die Forschungsfelder, die meines Erachtens Lücken aufweisen, um Aneignungs- und Ablehnungsprozesse in beiden Ländern zu verstehen. Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, diese Lücken zu schließen. Anschließend stelle ich die theoretischen Konzepte vor (Kap. 3), auf die ich die empirische Studie aufbauen werde. Mit der Untersuchung sollen die Fragen bearbeitet werden, wie eine globale Jugendkultur, die lange Zeit als eine Kultur

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der sozial und ethnisch Marginalisierten galt, von Deutschtürken in Berlin und von Jugendlichen in Istanbul aufgenommen und in den spezifischen lokalen, nationalen und transnationalen Kontexten weiterentwickelt wurde, und welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu so unterschiedlichen Formen der Aneignung geführt haben. Zunächst widme ich mich den klassentheoretischen Ansätzen der in Birmingham gegründeten Cultural Studies (CCCS), die Jugendkulturen ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellen, und subkulturelle Phänomene im Kontext sozialer Klassenbildung analysieren (3.1). Wie Bourdieus Ansatz der Kapitalsorten das Verständnis dieser migrantischen Jugendkultur informieren kann, obwohl er weder dem Phänomen der Ethnizität noch dem des Migrantenstatus eine gesonderte Kapitalsorte zuweist, wird Gegenstand der weiteren theoretischen Diskussion sein (3.2). Es gilt zu klären, wie der Kapitalbegriff für Jugendkulturen fruchtbar gemacht werden kann. Ich halte beide klassentheoretischen Konzepte für notwendig, um den Zusammenhang zwischen dem Image einer sozial marginalisierten Kultur und dem damit einhergehenden Authentizitätsdiskurs analysieren zu können. Da HipHop nicht nur das Image einer Kultur der sozial, sondern auch der ethnisch Marginalisierten trägt, und über diese Musik ethnische Identitäten zum Ausdruck kommen, werde ich explizit auf das Thema Ethnizität und Identität eingehen und mich dabei besonders an den Veröffentlichungen orientieren, die von Stuart Hall im Rahmen des Forschungszentrums in Birmingham verfasst wurden (3.3). Modernisierungstheoretische Ansätze werden darauf hinterfragt, was sie über Individualisierungsprozesse von jungen türkischen Migranten in Deutschland aussagen können (3.4). Zentral sind dabei die Fragen, inwieweit auf Heterogenität und Individualisierungsprozesse in der türkischen Migrantengruppe eingegangen wird und wie diese in die Forschung einbezogen werden müsste. Mein besonderes Interesse gilt der Frage, inwieweit Individualisierungsprozesse im Kontext von HipHop erkannt und analysiert werden können. Abschließend ermöglichen Einblicke in die ethnischen und sozialen Spannungen in der Türkei eine Diskussion darüber, ob die soziale Anerkennung bzw. Ablehnung einer Jugendkultur wie HipHop auf einen verminderten oder gestärkten Individualisierungsprozess hinweisen kann. Im Laufe der Feldforschung stellte sich heraus, dass die Form der Ablehnung bzw. Aneignung von HipHop in beiden Städten Folge und Ausdruck eines komplizierten Beziehungsgeflechts auf städtischer, nationaler, aber auch transnationaler Ebene war. Dieses Beziehungsgeflecht war von Spannungen geprägt, die auf der räumlichen und sozialen Mobilität unterschiedlicher Gruppen basierten. Klassentheoretische und modernisierungstheoretische Ansätze können diese Beziehungen nur begrenzt erklären. Um diese komplexe soziale Wirklichkeit aufzuarbeiten und in der empirischen Studie beschreibbar zu machen, beschäftige

1. E INLEITUNG

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ich mich im Abschnitt 3.5 mit der Theorie der Etablierten-AußenseiterFiguration von Elias und Scotson. Dieser Ansatz ist meines Erachtens ein besonders hilfreiches Instrument, um die Dynamik von Machtbalancen zu analysieren, die sich aus sozialer und räumlicher Mobilität ergeben. Der theoretische Teil dieses Buches schließt mit einer Darstellung, wie sich diese scheinbar gänzlich unterschiedlichen theoretischen Ansätze in Rahmen meines Forschungsinteresses ergänzen (Kap. 3.6). Kapitel vier gibt einen historischen Abriss von den Anfängen der HipHopKultur in Berlin und Istanbul und beschreibt, wie in den folgenden Jahren eine globale Jugendkultur ihre lokalen Eigenheiten entwickelt hat. Da HipHop zeitversetzt in beide Städte kam, wird die Entwicklung für Berlin seit den 1980er Jahren und in Istanbul seit Mitte der 1990er Jahre skizziert. Dabei gehe ich folgenden Fragen nach: In welchem politischen Kontext kam HipHop in beide Städte? Wie wurde seit den Anfängen über Rap-Musik die eigene ethnische Position ausgedrückt? Stehen in der Selbstpräsentation über Rap-Musik stets die ethnische und die soziale Herkunft im Vordergrund oder können Individualisierungsprozesse beobachtet werden, in denen diese Aspekte in den Hintergrund rücken? In welcher Form wird das Thema Nationalismus in beiden Städten behandelt? In diesem Kontext untersuche ich die Texte und charakteristischen musikalischen Eigenheiten der Rap-Musik. Darüber hinaus gehe ich in Bezug auf Berlin der Frage nach, wie türkischstämmigen Jugendlichen über HipHop der Zugang zur Etabliertengruppe möglich wurde, und ob bzw. in welcher Form sich der Aktionsradius für professionelle HipHop-Aktivisten dadurch geändert hat. Löst eine Jugendkultur die Probleme der Akteure tatsächlich nur imaginär? In Istanbul skizziere ich den Einfluss, den die deutschtürkische Rap-Formation Cartel auf den Umgang mit Nationalismus im türkischen HipHop nahm, und die unterschiedlichen Interpretationen der türkischen Identität in Berlin und Istanbul. Im Kapitel fünf gehe ich auf die Frage ein, ob und in welcher Form HipHopAktivisten bestimmte Authentizitätsmerkmale der Kultur übernahmen. Welche Werte bezüglich überzeugender Rap-Musik herrschen im lokalen Kontext? Welche Form von Männlichkeit und Härte repräsentieren HipHop-Aktivisten in beiden Städten? Die Darstellung des Umgangs mit sozialer und ethnischer Position im HipHop und der damit einhergehenden Vorstellung von Authentizität und Selbstpräsentation fokussiert den Blick zunächst auf die HipHop-Aktivisten und die HipHop-Kultur an sich. Da Identifizierungen mit einer Jugendkultur mit Abgrenzungen gegenüber anderen Jugendkulturen einhergehen, befasse ich mich in diesem Kapitel mit der Frage, gegenüber welchen Gruppen und in welcher Form sich die HipHop-Aktivisten abgrenzen.

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Im Kapitel sechs werden nun zusätzlich die gesellschaftsrelevanten Faktoren in den Blick genommen, die zu einer spezifischen Form der Förderung oder auch Ablehnung von HipHop in beiden Städten geführt haben. Im Zentrum dieses Kapitels stehen die juristischen, institutionellen, ökonomischen und städtebaulichen Rahmenbedingungen und die damit einhergehenden spezifischen Klassensysteme in Berlin und Istanbul. In diesem Kapitel widme ich mich außerdem dem Verhältnis zwischen Deutschtürken und Türken. Dieses Verhältnis beschreibe ich auf der Mikroebene am Beispiel des Ferienortes Bodrum. Abschließend folgt eine zusammenfassende Schlussbetrachtung und ein umfänglicher Epilog zur späteren Entwicklungen der HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul.

2. Forschungsstand zur deutschtürkischen HipHop-Kultur in Deutschland und der Türkei

Die Populärkultur von deutschtürkischen Jugendlichen wurde von der Forschung und in den Medien bis Mitte der 1990er Jahre stark vernachlässigt. Bis zu dieser Zeit dominierte eine problemorientierte Sichtweise auf Jugendliche türkischer Herkunft und die Darstellung der inneren Zerrissenheit dieser jungen Migranten1. Selbst allgemeine Literatur über die Jugendkulturen der 1980er Jahre in Deutschland fokussierte ihren Blick auf Jugendbewegungen wie Punks, Rocker, Skins und Popper und schenkten dem HipHop in Berlin und dem Musikgeschmack von deutschtürkischen Jugendlichen keine Beachtung2. Dabei zeigten deutschtürkische Jugendliche schon in den 1980er Jahren starkes Interesse am HipHop. Von Passanten wahrgenommen wurden deutschtürkische Breakdancer in Berlin mit ihrem Ghettoblaster3 auf der Haupteinkaufsstraße Kurfürstendamm, tanzend auf dem Bürgersteig. Die Aktivitäten verlagerten sich bald in Jugendzentren, fern von medialem und wissenschaftlichem Interesse. Mit der Anfang der 1990er Jahre zunehmenden breiten Popularität der deutschsprachigen RapMusik und wachsender Popularität der deutschtürkischen Rap-Formation Cartel Mitte in den 1990er Jahren, wuchs auch das Interesse an Forschungen über diese 1 2

3

Siehe unter anderem Kühlmann und Mayer (1983), Reiss (1983), Abadan-Unat (1985), Mushaben (1985) und Straube (1987). Siehe unter anderem Klempnauer (1988); Languth und Weyrauch (1999); Kabel, Sönnichsen und Splanemann (1987); Kramer (1983). Mehler und Wartenberg (1984) bemerken in ihrem Aufsatz am Rande, dass deutschtürkische Jugendliche im HipHop besonders aktiv sind, gehen allerdings nicht ausführlicher auf dieses Phänomen ein. Als Ghettoblaster wurden in den 1980er Jahren große tragbare Kassettenrekorder bezeichnet, die Breakdancer mit sich trugen und zu deren Musik sie auf der Straße tanzten.

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Kultur. Schon 1991 veröffentlichte Dufresne das Buch „Rap Revolution“, er gehörte zu den Ersten, die sich mit Rap-Musik auch innerhalb Deutschlands beschäftigten und ausführlicher auf die Aktivitäten von Immigrantenkindern in dieser Jugendkultur aufmerksam machten. Nohls Feldforschung zwischen 1994 und 1999 bei einer deutschtürkischen Breakdance-Gruppe lieferte die Grundlage mehrerer Veröffentlichungen über die spezifische Situation von Migrantenjugendlichen und ihren Umgang mit der Diskrepanz zwischen Familie und Gesellschaft4. In einer ähnlich detaillierten und analytischen Form rekonstruiert Weller (2003) die „kollektiven Orientierungen und Erfahrungshintergründe“ (ebd.:8) von HipHop-Aktivisten in São Paulo und Jugendlichen türkischer Herkunft in Berlin. Ihr geht es insbesondere um die Fragestellung, wie die Jugendlichen mit Diskriminierungen umgehen und welche „habituellen Bewältigungsstrategien“ (ebd.:9) sie dabei entwickeln. Sowohl Elflein (1998) als auch Cheeseman (1998) betonen das Integrative an der HipHop-Kultur, sie gehen davon aus, dass die Betonung der nationalen oder ethnischen Identität im Kontext der Kulturindustrie gesehen werden muss. Soysal (2004) distanziert sich von der gängigen Sichtweise, dass türkische Jugendliche, wie beispielsweise HipHop-Aktivisten, in essentialistischer Weise ihre türkische Identität zur Schau stellen und ausleben. Stattdessen geht Soysal davon aus, dass diese Jugendlichen eine eigene, im Kontext ihrer Lebensweise entstandene Kultur produzieren und damit ein Teil der Berliner Kulturlandschaft werden, die von Diversität geprägt ist. Eine besonders ausführliche Darstellung der HipHop-Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen im Berliner Bezirk Kreuzberg ist das Buch von Ayhan Kaya „Sicher in Kreuzberg – Berlin’deki küçük Istanbul“ (2000). Unter dem Gesichtspunkt des „Ghettos“ betrachtet, geht Ayhan Kaya davon aus, dass Rapper zeitgenössische Volksliederdichter (çagdaş ozanlar) sind und einen Weg gefunden haben, ihre Identität in der Diaspora zum Ausdruck zu bringen. Statt von „Zerrissenheit“ und „Zwischen-den-Kulturen“ zu sprechen, sollte besser von einer „dritten Kultur“ oder von einer „diasporischen Jugend“ die Rede sein. Diese Kultur ist eine Folge der Globalisierung und sie ist synkretistisch, d.h. sie vereint verschiedene kulturelle Elemente zu einer neuen Form5. Dementsprechend ist die diasporische Identität Kayas Auffassung nach dynamisch und veränderbar, nicht aber essentialistisch. Sich von dem „Ghetto“-Ansatz distanzierend, stellt Çağlar (1998) in seiner Studie fest, dass Institutionen wie Jugendzentren und Jugendtreffs einen erheblichen Einfluss auf die neue HipHop-Kultur der Deutschtürken besitzen, und hinterfragt damit die gängige Auffassung, dass Rap eine marginale und rebellische Kultur ist. Selbst aus der HipHop-Szene kommend, haben Murat Güngör und Hannes 4 5

Siehe u. a. Nohl (2000; 2003; 2004). Siehe auch Ayhan Kaya (2003).

2. F ORSCHUNGSSTAND

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Loh (2002) die Studie „Fear of a Kanak Planet“ verfasst, in dem sie die Entwicklung der HipHop-Kultur in Deutschland beschreiben und die Akteure vorstellen. Dabei hinterfragen sie die Spaltung der HipHop-Szene kritisch, in der zunehmend nationalistische und rassistische Tendenzen zu beobachten sind. Eine besonders umfassende Forschung über türkische Musik in Deutschland sind die Veröffentlichungen des Musikethnologen Martin Greve (1997a; 1997b; 2000; 2003), der sich auch mit deutschtürkischem HipHop befasst hat. Sein Schwerpunkt liegt bei der umfangreichen Vorstellung der türkischstämmigen Musiker in Deutschland und der Analyse von Medien und Markt in diesem Bereich. Zusammen mit Ayhan Kaya macht er in einem Artikel (2004) auf die transnationale Beziehung und die gegenseitige Beeinflussung im türkischen HipHop aufmerksam. Die Autoren geben einen kurzen Überblick über die HipHop-Aktivisten in Deutschland und der Türkei und thematisieren die lokale, transnationale und globale Identität, die dabei zum Ausdruck kommt. Auch Claudia Lübcke weist in ihrem Aufsatz „Jugendkulturen junger Muslime in Deutschland“ (2007) auf verschiedene jugendkulturelle Phänomene unter anderem bei türkischstämmigen Jugendlichen hin, wobei sie nicht die türkische Herkunft, sondern die Religion als gemeinsames Merkmal versteht. Sie stellt fest, dass jugendkulturelle Phänomene unter muslimischen ähnlich wie bei westlichen Jugendlichen heterogen und pluralistisch sind. Doch im Unterschied zu den westlichen Jugendlichen beobachtet sie, dass in den spezifischen Szenen der muslimischen Jugendlichen „nicht nur die Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft bearbeitet und damit kulturelle Wandlungsprozesse forciert, sondern – in zahlreichen Schattierungen – Bezüge hergestellt [werden] zur Kultur, den Werten und Traditionen der Elternund Großelterngeneration, die sich von den kulturellen Bezugssystemen westlicher Jugendszenen unterscheiden“ (2007:313). Das akademische Interesse gilt auch der populären Kultur in der Türkei, wie beispielsweise dem Arabesk (Güngör 1993, Stokes 1994), der Entwicklung der Folklore in Bezug auf die Entwicklung des Nationalismus (Öztürkmen 1998) und der islamischen populären Kultur (Navara-Yashin 1998, Saktanber 1994, 1998). Für die vorliegende Arbeit sind die Veröffentlichungen von Kozanoğlu (1995, 1995a) von besonderem Interesse. Er betrachtet die Entwicklung der verschiedenen Musikstile und Images seit Anfang der 1980er Jahre in ihrem politischen und sozialen Kontext. Ali Akays (1995) Studie zur Rockkultur in Istanbul bietet einen soziologischen Blick auf die wohl einflussreichste westliche Subkultur in Istanbul. HipHop in der Türkei scheint dagegen weniger auf akademisches Interesse zu stoßen. Soweit mir bekannt ist, ist das Buch „HipHop kültürü“ (HipHop-Kultur) des Rappers Jöntürk (2003) das einzige in der Türkei erschienene Werk über türkischen HipHop. Es handelt sich dabei allerdings eher um eine Art

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Vorstellung der eigenen Persönlichkeit als Rapper und der eigenen Band Barikat und enthält eine Abrechnung mit anderen Rappern, von denen Barikat verbal erniedrigt – in der HipHop-Sprache ausgedrückt: „gedisst“ – worden ist. Die wissenschaftlichen Aufsätze des Musikethnologen und Ethnologen Thomas Solomon gehen detaillierter auf einzelne Aspekte der Rap-Musik in Istanbul ein. Solomon verfolgt den Diskurs über Authentizität, der in Istanbul unter dem Begriff „Underground“ geführt wird (Solomon 2005b). In einem im gleichen Jahr erschienenen Aufsatz untersucht Solomon (2005a) anhand des Rap-Songs „Istanbul“ der Gruppe Nefret, wie eine Identität durch eine globale Jugendkultur zum Ausdruck gebracht wird. In einem weiteren Aufsatz stellt er den unterschiedlichen Umgang einiger türkischer und deutschtürkischer Rap-Formationen mit dem Thema „Nationalismus“ vor (Solomon 2008). Darüber hinaus widmet er einen Aufsatz der Istanbuler Rapperin Ayben und analysiert ihren Rap (Solomon 2009). In seinem 2011 erschienen Aufsatz vergleicht Solomon zwei islamisch orientierte deutschtürkische Rap-Bands mit der islamisch orientierten Rap-Musik in Istanbul. Er unterscheidet die ethnisierte islamische Identität in Deutschland, die er als „ethnicized ‚cultural Muslim identity‘“ bezeichnet, von Istanbuler Rappern, die mit ihrer Musik den Diskurs über den Islam in der Türkei verarbeiten. Bedirhan Karakurluk schrieb 2012 seine Abschlussarbeit „Storytelling technique in Turkish Rap Music: A Music Video“ im Fach Graphic Design an der Bilkent Universität in Ankara. Neben einer Analyse des inhaltlichen Aufbaus von Rap-Stücken und einer umfassenden Bestandsaufnahme aller türkischsprachigen Rap-Videos, die bis dahin auf YouTube veröffentlicht worden waren, stellt er einen Videoclip vor, den er für die Rap-Musiker Farazi & Kayra produzierte. Bemerkenswert ist, dass es an intensiven empirischen Studien zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten wie auch der gegenseitigen Beeinflussung zwischen der populären Kultur der Deutschtürken und der populären Kultur in der Türkei mangelt, obwohl diese Fragen in einzelnen Arbeiten thematisiert werden. Bis auf Çağlar (1998) behandeln Studien über türkischen bzw. türkischstämmigen HipHop nicht dessen Verhältnis zu anderen Stilen. Es fehlen vergleichende Studien, die die unterschiedlichen Klassensysteme, das Distinktionsverhalten und den Umgang mit Jugendkultur ins Zentrum stellen. Mit meiner Untersuchung möchte ich einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen.

3. Theoretische Konzepte zur Analyse von deutschtürkischem und türkischem HipHop in Berlin und Istanbul

HipHop ist eine global verbreitete Kultur, die lokal unterschiedlich angenommen und entsprechend dem sozialen wie kulturellen Kontext transformiert wurde. Deshalb bezeichnen Klein und Friedrich HipHop als eine „glokale Kultur“ (2003:10): „Die globale Verbreitung von US-amerikanischem HipHop hat zwar einerseits zur Kommerzialisierung des afroamerikanischen HipHop geführt, andererseits nahezu überall auf der Welt die Bildung lokaler HipHop-Szenen angeregt, die wiederum ihre eigenen Stile entwickelt haben. Es ist dieses Spannungsverhältnis von Globalisierung und Lokalisierung, in dem sich das popkulturelle Feld des HipHop so erfolgreich und beständig entfalten kann.“ (Klein und Friedrich 2003:85f.)

Der Vergleich der vorliegenden Studie von (deutsch-)türkischer HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul verdeutlicht zwar diesen Prozess, doch zeigt sich auch, dass der Begriff „Glokalisierung“ nicht vollständig die Dimension erfasst, in der sich diese Kultur entwickelt hat, beachtet er doch nur die vertikale Richtung des kulturellen Flusses. Ich möchte deshalb den Blick auf die horizontale Perspektive lenken, und zwar auf die Bedeutung der transnationalen Beziehung in der Entwicklung dieser Kultur. Wie Glick Schiller und Çağlar feststellen, vernachlässigen Migrationsstudien die Beziehung zwischen Migranten und dem Land ihrer Herkunft (2009). Sie vernachlässigen auch den Blick auf Unterschiede innerhalb eines Staates: „Much of migration theory consistently disregards both the social and cultural divisions within each nation-state, as well as the experiences, norms and values migrants and na-

26 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN tives share because they are embedded in social, economic and political processes, networks, movements and institutions that exist both within and across state borders.“ (Glick Schiller & Çağlar 2009:180)

Der transnationale Ansatz dagegen nimmt grenzüberschreitende Praktiken und Beziehungen in den Fokus1. Faist et al. sprechen von einem transnationalen sozialen Raum, einer eigenen Welt, die sich durch grenzübergreifende Aktivitäten und Strukturen bildet (2014:21f.). In dieser Welt formieren sich „relativ dauerhafte und dichte soziale Beziehungen, soziale Netzwerke oder Sozialräume“ (Pries 2010:13). In der vorliegenden Studie ist der Fokus auf den transnationalen Raum mit seinen spezifischen sozialen Beziehungen gleichwertig zum lokalen und globalen Kontext. Statt des Begriffes glokal verwende ich den Begriff transglokal, um auf transnationale, globale und lokale Beziehungen hinzuweisen. In diesem transglokalen Feld nahmen bestimmte Gruppen die HipHop-Kultur an und imitierten oder transformierten sie entsprechend ihren Bedürfnisse und Kompetenzen. Andere wiederum lehnten die Kultur vehement ab, teilweise erschwerten oder hinderten sie deren Verbreitung, gelegentlich begründet mit dem negativen Verhältnis zu anderen Gruppen und deren Abgrenzungsbedürfnis im transglokalen Raum. So erfordert der Vergleich der deutschtürkischen HipHop-Kultur in Berlin mit der in Istanbul nicht nur empirisch, sondern auch theoretisch eine komplexe Herangehensweise, um die spezifischen Besonderheiten der Kultur in beiden Städten und ihre wechselseitigen Beziehungen zu analysieren und zu kontextualisieren. Dass die HipHop-Kultur ihre Werte und Authentizitätsansprüche aus einer marginalen gesellschaftlichen Position herleitet und dadurch Fragen bezüglich Ethnizität, Klasse und Repräsentation von Stilen aufwirft macht es erforderlich, sich dem Forschungsinteresse der vorliegenden Studie über recht unterschiedliche theoretische Ansätze zu nähern. Die im Folgenden erörterten theoretischen Ansätze halte ich für unverzichtbare Instrumente, um die Entwicklung des türkischen HipHop in Berlin und Istanbul zu analysieren. Sowohl der klassentheoretische Ansatz des französischen Wissenschaftlers Bourdieu wie auch die klassischen Ansätze des in Birmingham gegründeten klassenkulturell orientierten Forschungszentrums für Contemporary Cultural Studies sehen einen engen Bezug zwischen Stil und Klasse. Zusätzlich ziehe ich den Ansatz von Ethnizität und Identität im Rahmen der Cultural Studies in meine Untersuchung mit ein. Die modernisierungstheoretischen Ansätze unter anderem von Beck und Schulze aus Deutschland, die den Prozess der Indi1

Faist, Fauser & Reisenauer (2014:21). Siehe u.a. Römhild (im Internet 2010; 2011) Glick Schiller und Çağlar (2009) und Pries (1997; 2008; 2010).

3. T HEORETISCHE K ONZEPTE

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vidualisierung im Gegensatz zu Klassenunterschieden hinsichtlich des Stils in den Vordergrund rücken, sollen den Blick im Weiteren auf neuere gesellschaftliche Prozesse lenken. Schließlich nutze ich die Theorie der EtabliertenAußenseiter-Figuration von Elias und Scotson, die am Beispiel einer englischen Vorortgemeinde das Beziehungsgeflecht zwischen Außenseitern und Etablierten analysieren. Zwar geht es bei Elias und Scotson nicht um Stil, sondern um die Analyse eines Beziehungsgeflechts, doch kann der Blick auf ein größeres Beziehungsgeflecht meines Erachtens auch Formen der Aneignung und Ablehnung eines Stils treffend erklären. Der Vergleich der HipHop-Szene in Berlin und Istanbul zeigt, wie unterschiedliche ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen zu Klassenstrukturen führen können, die spezifische Emotionen und Abgrenzungswünsche hervorbringen. HipHop wird von Jugendlichen ausgelebt, die in beiden Städten unterschiedliche soziale Positionen einnehmen: in Berlin eher untere soziale Klasse und ethnisch marginal, in Istanbul eher Mittelschicht und ethnische Mehrheit. So verstehe ich die oben genannten theoretischen Ansätze nicht als gegensätzlich, sondern verwende sie komplementär für die vorliegende Untersuchung. Sie ermöglichen mir, das Thema aus verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Schwerpunkten anzugehen. Ich werde jeden Ansatz kurz erläutern und klären, wie ich ihn in der empirischen Studie einsetze, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von HipHop in Berlin und Istanbul herauszuarbeiten und das Aneignungs- und Abgrenzungsverhalten der Akteure zu kontextualisieren.

3.1 K LASSE UND S UBKULTUR IN DEN KLASSISCHEN S TUDIEN DES CCCS Die international als Cultural Studies verbreitete Forschungsrichtung hatte ihren Ursprung in den 1960er Jahren in dem von Richard Hoggarts gegründeten Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) an der University of Birmingham. Stand noch zu Beginn die Alltagskultur der Arbeiterklasse im Zentrum des Forschungsinteresses, so verlagerte sich mit der Übernahme der Leitung des Zentrums durch Stuart Hall im Jahre 1969 das Interesse auf Subkulturen, Medien, Populärkultur, Genderstudies und Kulturtheorien. Die Cultural Studies arbeiteten mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen z.B. aus der Semiotik, dem Strukturalismus oder der Frankfurter Schule. Inzwischen sind unzählbare, internationale Forschungen mit Ansätzen der Cultural Studies erschienen. Die Fülle der Themen und Forschungsinteressen lassen sich nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Cultural Studies sind eher ein Feld, das Diskussionen zu Feldern wie Jugend,

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Kultur und Identität aufmacht. Johnson sieht gerade hier eine „prägnante Eigenschaft“ der Cultural Studies: „Offenheit und theoretische Vielseitigkeit, reflexive, wenn nicht gar befangene Haltung und vor allem den kritischen Impetus“ (Johnson 1999:140). Im Folgenden möchte ich auf einige klassische Ansätze der Cultural Studies eingehen, die für meine empirische Arbeit geeignet sind. Ein wichtiges Charakteristikum der Cultural Studies ist die Betonung von Kontexten: „[D]er Kontext wird als Ermöglichungsbedingung für das Entstehen bestimmter kultureller Phänomene und Praxen gesehen“ (Klausegger 2009:74). Unterschiedlichste kulturelle Phänomene und Stile wurden daher in ihrem sozialen, politischen und ökonomischen Kontext analysiert. Auch in der vorliegenden Studie ist der Kontext von zentraler Bedeutung. Ich richte meinen Blick nicht auf den HipHop oder eine bestimmte Szene als isoliertes Phänomen, sondern analysiere die Art des Annehmens dieser Kultur seitens der Jugendlichen in beiden untersuchten Städten, ihre persönlichen Interpretationen und Ausdrucksformen im jeweiligen Kontext. Der Vergleich zweier Städte wird herausarbeiten, ob und in welcher Form eine Jugendkultur in zwei verschiedenen Kontexten ihre kulturellen Eigenheiten und unterschiedliche gesellschaftliche Diskurse hervorbringt. Gerade HipHop als eine Kultur der sozial und ethnisch Benachteiligten erfordert die Betrachtung des politischen, sozialen, ökonomischen und institutionellen Kontextes. Diese Jugendkultur wirft Fragen auf, die in den klassentheoretischen Ansätzen der vom Birminghamer Zentrum inspirierten Cultural Studies thematisiert wurden. Die Vertreter der Cultural Studies verstanden Subkultur als eine Form des Widerstands, der einen Klassenkampf reflektiert (Williams 2007:575). Subkulturen sind demnach Versuche, Probleme einer sozialen Schicht zum Ausdruck zu bringen und zu lösen. Kennzeichnend für die Arbeiten waren ihre kulturtheoretischen Ansätze, die sie in Zusammenhang mit ihrem klassentheoretischen Interesse untersuchten. Williams und auch die anderen Vertreter der Birminghamer Schule gingen von einem anthropologischen Kulturbegriff aus: „Mit dem Wort ‚Kultur’ meinen wir jene Ebene, auf der gesellschaftliche Gruppen selbständige Lebensformen entwickeln und ihren sozialen und materiellen Lebenserfahrungen Ausdrucksform verleihen. Kultur ist die Art, die Form, in der Gruppen das Rohmaterial ihrer sozialen und materiellen Existenz bearbeiten. (…) Kultur ist die Art, wie die sozialen Beziehungen einer Gruppe strukturiert und geformt sind; aber sie ist auch die Art, wie diese Formen erfahren, verstanden und interpretiert werden.“ (Clarke et al. 1979:40f.)2 2

„Die ‚Kultur‘ einer Gruppe oder Klasse umfasst die besondere und distinkte Lebensweise dieser Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Beziehungen, in Glaubenssystemen, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Leben verkörpert sind. Kultur ist die

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Hier wird deutlich, wie eng die Vertreter der Cultural Studies die Verbindung zwischen Kultur und Klasse fassen. Nach ihrer Auffassung sind in modernen Gesellschaften soziale Klassen die fundamentalsten Gruppen „und die wichtigsten kulturellen Konfigurationen sind folglich in einer fundamentalen, wenn gleich oft vermittelten Weise ‚Klassenkulturen’“ (Clarke et al. 1981:44). Ihre Forschung und ihre Erkenntnisse waren eng mit Theorien zum kapitalistischen Staat verbunden (vgl. auch Schäffer 1996:30), denn Klassenkulturen „arise through definite struggles over time with other groups, institutions and tendencies“ (Willis [1977] 1997:121). Auf Basis des Hegemonie-Konzepts von Gramsci gingen die Vertreter der Cultural Studies davon aus, dass es in modernen Gesellschaften dominante und untergeordnete Gruppen gibt. Die Autorität der dominanten Gruppe wird allerdings nicht durch Zwang erreicht und aufrechterhalten, sondern in einer Form, die es der dominanten Gruppe möglich macht, ihre Macht als legitim, permanent und natürlich erscheinen zu lassen (Hebdige 1997:16)3. Diese Vormachtstellung ist „das Ergebnis eines Prozesses, in dem ein beträchtliches Maß an Zustimmung im Volk gewonnen wurde“ (Hall 1979:71). Die intellektuelle und moralische Führung wird durch die Zivilgesellschaft mit ihren Institutionen beispielsweise in der Erziehung und Religion aufrechterhalten (Femia 1981:24, in Cowan 1990:12). In der aus dominanten und untergeordneten Gruppen4 bestehenden

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besondere Gestalt, in der dieses Material und diese gesellschaftliche Organisation des Lebens Ausdruck findet. Eine Kultur enthält die ‚Landkarten der Bedeutung‘, welche die Dinge für ihre Mitglieder verstehbar machen. Diese ‚Landkarten der Bedeutung‘ trägt man nicht einfach im Kopf mit sich herum; sie sind in den Formen der gesellschaftlichen Organisationen und Beziehungen objektiviert, durch die das Individuum zu einem ‚gesellschaftlichen Individuum‘ wird.“ (Clarke et al. 1981: 41) Siehe hier hierzu auch Clarke et al. (1979:83). Für die Vertreter der Cultural Studies waren Subkulturen Subsysteme von einer „Stammkultur“ (parent culture), von der sie sich zwar unterschieden, mit der sie aber gleichzeitig über Gemeinsamkeiten verbunden waren, wie beispielsweise eine Gang (Subkultur) und die Arbeiterklasse (Stammkultur) (Clarke et al.1979:45). Selbst wenn Jugendsubkulturen auf den ersten Blick über einen eigenen unabhängigen Stil verfügen, so wird dennoch bei genauerer Betrachtung deutlich, dass Ansichten durch die Stammkultur strukturiert sind. Dies zeigt sich beispielsweise auf der Ebene der Vorstellung von Territorialität, aber auch in der Auffassung von Männlichkeit und männlicher Dominanz (Clarke et al. 1979:103). Cohen sieht in der Entstehung der Subkultur eine Kompromisslösung zwischen zwei widersprüchlichen Bedürfnissen: „The need to create and express autonomy and difference from parents and, by extension, their culture and the need to maintain the security of existing ego defences and the parental identifications which support them.” (Cohen 1997:96) Innerhalb der Arbeiterkultur können sich verschiedene Subkulturen bilden, sie leiten sich

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Gesellschaft sind Subkulturen Orte („sites“) des Widerstandes gegen die kulturelle Hegemonie (Williams 2007:575). Gerade HipHop gilt als eine rebellische Jugendkultur, die provoziert, Missstände thematisiert und bestehende gesellschaftliche Regeln verletzt. In der vorliegenden Arbeit gehe ich der Frage nach, gegen welche gesellschaftlichen Phänomenen und Gruppen die HipHop-Aktivisten der beiden untersuchten Städte rebellieren. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden dabei sichtbar? Welche klassenspezifischen Diskurse existieren in beiden Städten sowohl seitens der HipHop-Aktivisten als auch seitens derjenigen, die HipHop fördern oder ablehnen? Dabei ergibt sich die Frage, welche Funktionen Differenzierung und Widerstand innerhalb einer Jugendkultur tatsächlich haben. Nach den klassischen Cultural Studies bedeutet Differenzierung und Widerstand nicht die Lösung von Konflikten oder Veränderungen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, da die Jugendlichen, nachdem sie in ihrer Freizeit ihre Zugehörigkeit zur Subkultur ausgelebt haben, im Alltag wieder ihrer Arbeit nachgehen5 (Willis 1981 in Williams 2007). Probleme, die widerständig thematisiert werden, werden imaginär gelöst, der Widerstand verbleibt in symbolischen Formen: „Es gibt keine ‚subkulturelle Karriere’ für den jugendlichen Arbeiter; im subkulturellen Milieu gibt es keine ‚Lösung’ für Probleme, die durch die großen strukturierenden Erfahrungen der Klasse aufgeworfen werden.“ (Clarke et al. 1981:95)6

Diesen Ansatz fasst Gelder zusammen: „subcultural empowerment is empowerment without a future“ (Gelder 1997:87). Dennoch ermöglicht die Zugehörigkeit zu einer Jugendsubkultur den Jugendlichen, sich einen Raum zu verschaffen – sowohl kulturell als auch territorial –, in dem sie ihre kollektive Identität ausleben können (Hebdige 1997:92f.). In

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dennoch von der „Stammkultur der Arbeiterklasse“ ab (ebd.). Mit dem klassentheoretischen Konzept im Hintergrund sollen die Subkulturen in Bezug auf ihr Verhältnis zu ihrer Stammkultur und zur dominanten Kultur analysiert werden. „Subcultural youth formed sites of resistance on the street corners, in the dance halls, on the open road, and in the weekend holiday spots. But while these sites offered space and time for youth to do their own thing, the subcultures failed to offer them anything more. At the end of the weekend, working-class youths likely had only vocational school on their dead-end jobs to which to return.” (Willis 1981 in Williams 2007:575) „It seems to me that the latent function of subculture is this: to express and resolve, albeit ‚magically’, the contradictions which remain hidden or unresolved in the parent culture” (Cohen 1997:94), siehe hierzu auch Hebdige (1997:80).

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meiner Forschung gehe ich der Frage nach, ob HipHop tatsächlich ein Raum ist, in dem Rebellion lediglich symbolisch ausgelebt wird. Welche Möglichkeiten bietet HipHop den Jugendlichen, um Benachteiligungen zu mindern? Welche Möglichkeiten hat HipHop den Jugendlichen in ihrer Biographie eröffnet? Zur Bearbeitung der Fragen hinsichtlich der gesellschaftlichen Positionierung von HipHop-Aktivisten und der biographierelevanten Bedeutung dieser Jugendkultur steht die Analyse der Interviews mit den Aktivisten im Vordergrund. Eine Studie über eine Jugendkultur erfordert aber auch den Blick auf den Stil, auf die Kleidung, die Art sich zu bewegen und sich visuell zu präsentieren. Den Cultural Studies zufolge kommt kollektive Identität innerhalb einer Subkultur und auch der Widerstand gegen die Stammkultur am offensichtlichsten im Stil zum Ausdruck7. In diesem Zusammenhang bezeichnet Hebdige den Stil als „intentional communication“ (Hebdige 1997:100), der semiotisch analysiert werden muss. Der Stil der Arbeitersubkulturen visualisiert, nicht zum Mainstream zu gehören, und ist ein Zeichen für die signifikante Differenz (ebd.:102). Ihr besonderer Konsum, aber auch ihre bewusste Ablehnung bestimmten Konsumverhaltens und ihre besonderen Rituale zeigen, wie Hebdige sich ausdrückt, ihre geheime Identität („secret identity“) (ebd.:103). Obgleich sich Subkulturen visuell vor allem durch Kleidung oder Frisuren etc. unterscheiden, entsteht Stil erst durch „aktive Stilisierung“, d.h. die Bedeutungen, die den Objekten zugeschrieben werden, und die Art, diese zu benutzen. Diese Objekte formen schließlich die Identität einer subkulturellen Gruppe (Clarke et al. 1981:104f.). Für den Prozess der Stilschöpfung in Subkulturen verwenden die Vertreter der Cultural Studies die auf Lévi-Strauss zurückgehenden Konzepte „Bricolage“ (franz. Bastelei) und „Homologie“. Bricolage beschreibt die Verwendung von Objekten in anderer Art und Weise und anderem Kontext als ursprünglich vorgesehen, sodass sie eine neue Botschaft vermitteln. Diese Transformation von Bedeutungen drückt sich in Subkulturen vornehmlich in der Mode aus, wie beispielsweise dem Gebrauch von Sicherheitsnadeln bei Punks, und kann als „Ausdruck einer partiellen Opposition zu den Werten der größeren Gesellschaft lokalisiert werden“ (Clarke et al. 1981:137). Die Auswahl der Objekte geschieht nicht zufällig, sondern ergibt sich aus der Notwendigkeit der Gruppe, sich in den symbolischen Objekten wiederzuerkennen (ebd.:139). In diesem Zusammenhang verwenden Clarke et al. den Begriff Homologie: „Die Selektion der Objekte, durch die der Stil geschaffen wird, richtet sich also nach den Homologien zwischen dem Selbstbewusstsein der Gruppe und den mögli7

„I have interpreted subculture as a form of resistance in which experienced contradictions an objections to this ruling ideology are obliquely represented in style.“ (Hebdige 1997:133)

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chen Bedeutungen der vorhandenen Objekte“ (ebd.)8. Dabei wird ein Objekt nicht nur zu einem Teil des eigenen Stils transformiert, sondern eine ganze Reihe von Konsumgütern, Werten und Einstellungen (Hebdige 1997:116). Die Stilschöpfung objektiviert das Selbstbild. Wie andere Jugendkulturen hat HipHop seinen entsprechenden Kleidungsstil und eine bestimmte Art der körperlichen Repräsentation. Durch den Vergleich zwischen Istanbul und Berlin möchte ich herausfinden, wie ein Stil in unterschiedlichen Kontexten interpretiert wird. Das Konzept der Bricolage deutet darauf hin, dass Objekte in einem neuen Kontext andere Bedeutungen gewinnen. Das Prinzip der Homologie bedeutet, dass sich die Jugendlichen in der Umdeutung von Objekten wiedererkennen müssten. Doch ist die Bedeutung eines bestimmten Stils in Berlin und Istanbul gleich? Welche Aussagen treffen die Jugendlichen, wenn sie durch ihre Kleidung und ihre Art sich zu bewegen, HipHop ausleben? Wie positionieren sie sich durch ihren Stil in der Gesellschaft? Generell entstehen Identitäten in Jugendkulturen durch Grenzziehungen gegenüber anderen Gruppen. Die Frage, der ich in meiner Forschung nachgegangen bin, ist, wie über Aneignung und auch Ablehnung der HipHop-Kultur Grenzen gegenüber anderen Gruppen gezogen werden. Es geht demnach um die Kommunikation über einen Stil, in der gleiche Zeichen in beiden Städten unterschiedliche Bedeutungen haben können. Die klassischen Cultural Studies haben eine Grundlage in der Subkulturforschung geschaffen, auf die sich in den nachfolgenden Jahren zahlreiche Studien beziehen sollten. Subkulturelle Stile wurden seither unter dem Aspekt von Klasse, Medien, Authentizität, dem Genderaspekt u.v.m. untersucht, die Überbetonung des Klassenaspekts wurde dabei oft kritisiert. In der vorliegenden Arbeit gehe ich auf die erwähnten klassischen Ansätze der Cultural Studies ein, ohne dabei das vordergründige Ziel zu verfolgen, diese gänzlich zu widerlegen oder zu bestätigen. Es geht mir eher darum, diese Ansätze als Diskussionsgrundlage zu verstehen und mit den folgenden theoretischen Ansätzen zu kombinieren. Bei der Analyse einer Jugendkultur, in der die soziale Randposition der Ausgangspunkt der Entstehung war und diese Randposition durch den Stil ausgelebt wird, ist es unumgänglich, klassentheoretische Ansätze einzubeziehen. Allerdings betonten die Studien des Birminghamer Zentrums zu stark ein starres vertikales Klassenkonzept (Thornton 2001). Ich schließe mich Thorntons Kritik an und beziehe den klassentheoretischen Ansatz von Bourdieu in meine Untersuchung mit ein. 8

Hebdige weist bei den Punks auf die homologe Beziehung zwischen der zerfetzten Kleidung, den spitz gegelten Haaren, dem Spucken und ihrer Musik hin. „The punks wore clothes which were the sartorial equivalent of swear words, and they swore as they dressed.“ (Hebdige 1997:114)

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3.2 B OURDIEU – K LASSE UND G ESCHMACK In seinem 1979 im Original erschienenem Werk „Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ behandelt Bourdieu auf Basis einer groß angelegten empirischen Studie den Geschmack und Lebensstil von Klassen in Frankreich. Er stellt einen engen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, dem Geschmack, dem Lebensstil und der Konsumstrategie her. Seine aus der Soziologie und Ökonomie stammenden Grundbegriffe wie Klasse, Kapital und Habitus entwickelt er dabei in einer Form weiter, die eine begriffliche und konzeptionelle Grundlage für die Analyse von Geschmack und Klasse bietet und seitdem den akademischen Diskurs entscheidend geprägt hat. Bourdieu geht nicht explizit auf das Phänomen der Jugendkulturen ein, doch halte ich seine Kategorisierungen für ein nützliches Instrument, um Abgrenzungsverhalten und gesellschaftliche Positionierungen zu analysieren, unabhängig davon, ob es sich um Jugendliche handelt, die sich mit HipHop identifizieren, oder um Personen, die HipHop ablehnen. Im Folgenden werde ich Bourdieus Grundbegriffe kurz referieren und im Anschluss daran darstellen, wie ich diese in meiner Studie verwende. Anschließend gehe ich darauf ein, wie Thornton den Ansatz von Bourdieu weiterentwickelte und diesen in der Analyse einer Jugendkultur anwendete. Nach Bourdieu ist eine soziale Klasse weder durch ein bestimmtes Merkmal wie etwa die Höhe des ökonomischen Kapitals definiert, noch durch Merkmale wie beispielsweise Bildungsniveau, ethnische Herkunft oder Alter. „Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht“ (Bourdieu 1997:182). Nach Bourdieu entwickeln soziale Klassen einen je eigenen Habitus, der sich in Geschmack, Wohnform, Sprache und Verhalten äußert. Der Habitus bewirkt, dass in allen Praxisformen einer Person bzw. einer Gruppe, die ähnliche Existenzbedingungen haben, ein Schema angewendet wird, das einen systematischen Charakter trägt. Dieser kann deutlich von einem anderen Lebensstil, d.h. dem Lebensstil von Personen oder Gruppen, die andere Existenzbedingungen haben, unterschieden werden (1997:278)9.

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Der Habitus, von Bourdieu definiert als „Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystem dieser Formen“ (ebd.:277), wird schon im Kindesalter durch interaktive Praktiken und die damit einhergehende Übernahme des elterlichen Wertesystems geprägt. Es handelt sich demnach um eine strukturierte Struktur, da der Habitus von den Bezugspersonen übernommen wurde, und durch die

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Der Habitus entwickelt sich nach Bourdieu durch die Verinnerlichung von unterschiedlichen Ressourcen, die er mit dem Begriff des Kapitals kategorisiert. Er analysiert Kapital in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, die über die wirtschaftswissenschaftliche Verwendung weit hinausgehen: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Diese Kapitalformen sind die Grundlage bzw. die Ressource, aus denen sich der Habitus formiert, der wiederum den Stil mitbestimmt. Das kulturelle Kapital Das kulturelle Kapital unterscheidet Bourdieu in drei Zustände: den inkorporierten, den objektivierten und den institutionalisierten Zustand10. Das inkorporierte Kulturkapital bezeichnet die Fähigkeiten und das Wissen, das sich die Person im Laufe der Zeit angeeignet hat und das nun zu ihrem Habitus geworden ist. Wie der Begriff impliziert, ist inkorporiertes Kapital körpergebunden und von der Person verinnerlicht, d.h. es kann nicht wie ein Gegenstand einer anderen Person weitergegeben werden, sondern nur langfristig auf dem Wege der sozialen Vererbung, beispielsweise in Form von Erziehung. Kulturelles Kapital kann in seiner offenen Form über Bildung und Erziehung erworben werden, was Investitionen in Form von Zeit und Energie, z.T. auch den Einsatz finanzieller Ressourcen bedeutet. Es kann ebenfalls unbewusst weitergegeben oder erworben werden, so beispielsweise die Sprechweise einer sozialen Klasse oder einer Region (Bourdieu 1983:187). Objektiviertes Kulturkapital existiert in Form von Gegenständen wie Instrumente, Bücher oder Gemälde. Gegenstände können zwar im Gegensatz zum inkorporierten Kapital unmittelbar weitergegeben werden, vergleichbar dem ökonomischen Kapital, doch bestimmt sich ihr Wert insbesondere aus seiner Beziehung zum inkorporierten Kapital. Demzufolge ist nicht nur der Besitz entscheidend, sondern die kulturelle Fähigkeit, das Objekt auszuwählen, es zu genießen oder anzuwenden (ebd.:188). Mit dem institutionalisierten Kulturkapital meint Bourdieu die „Objektivierung von inkorporiertem Kulturkapital in Form von Titeln“ (ebd.:189). Ein durch Bildung erworbener Titel ist in diesem Sinne ein Zeugnis für die kulturellen Fähigkeiten einer Person und verleiht besondere Anerkennung seitens der Anderen. Das soziale Kapital Das soziale Kapital ist eine Ressource, die auf Netzwerken und Beziehungen beruht und auf die Zugehörigkeit zu einer sozialen, institutionellen, ethnischen Praxis wiederum strukturierend wirkt (ebd.:279). Zur Praxis gehört auch das Konsumverhalten sozialer Klassen. 10 Siehe Bourdieu (1983: 85ff. und 2001:112-120).

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oder familiären Gruppe hinweist (Bourdieu 1983:18). Der Wert des sozialen Kapitals eines Individuums wird von der Gemeinschaft vor allem daran gemessen, wie hoch das ökonomische oder kulturelle Kapital von Personen oder Gemeinschaften ist, mit denen es in Beziehung steht oder mit denen es verbunden wird. Im weiteren Sinne beinhaltet das soziale Kapital auch die Umgangsformen eines Individuums, da Benehmen und Sprechweise auf die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft hinweisen, und dementsprechend gedeutet und gewertet werden können. Das symbolische Kapital Des Weiteren führt Bourdieu den Begriff des symbolischen Kapitals ein, mit dem er gesellschaftliche Anerkennung bezeichnet, genauer den „Erwerb des Rufs von Kompetenz und des Prestiges von Ansehen und Ehrbarkeit“ (Bourdieu 1984:456). Diese Wertung der Anderen folgt aus ihrer Wahrnehmung der drei Kapitalformen, wie beispielsweise eine distinguierte Sprache oder den Kauf von Kunstwerken als Zeugnis für den gehobenen Geschmack (ebd.:440f.). Dabei kommt dem symbolischen Kapital eine besondere Funktion zu „als mehr oder minder dauerhaft verbürgte Anerkennung von bestimmten Akteuren und Gruppen – im Kontext der alltäglichen Legitimation gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse“ (Schwingel 2005:94). Um die soziale Position und den Bezug zur Praxis zu analysieren, geht Bourdieu über den üblichen starren Klassenbegriff hinaus und führt die Kategorie des „Feldes“ ein. Mit den unterschiedlichen Kapitalformen als Ressource haben Individuen ein Feld11, das ihre Praxis, ihren Geschmack mitbestimmt. Es kann hier auch von Praxisfeldern gesprochen werden (Schwingel 2005:82). Das Konzept des sozialen Feldes unterscheidet sich von den bis dahin üblichen Klassenkonzepten, wie sie auch von den Cultural Studies verwendet werden insofern, als Klassen nicht vertikal und linear differenziert werden, sondern soziale Gruppen sich im komplexen multi-dimensionalen Raum einordnen (Thornton 2001:10). Vergleichbar mit den Cultural Studies führt Bourdieu weiterhin aus, dass zwischen dem Raum der Soziallagen und dem Raum des Lebensstils eine Homologie besteht. So entwickeln sich die Praxis und ihre Klassifikationen nicht unab-

11 „Die Konstruktion eines recht komplexen Modells des sozialen Raumes erfolgt in einem ersten theoretischen Schritt entlang einer vertikalen und einer horizontalen Achse, gemäß den Kriterien Kapitalvolumem, Kapitalstruktur und soziale Laufbahn.“ (Schwingel 2005:106) Der Raum der Lebensstile wird „wie eine Folie auf den Raum der sozialen Position gelegt“ Tieben (2003, im Internet). Bourdieu fasst dies in einer Formel zusammen: [(Habitus) (Kapital)] + Feld = Praxis (Bourdieu 1997:175).

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hängig von der Struktur, sondern stehen in einer homologen Beziehung zueinander (Bourdieu 1998:286f.). Auffällig an Bourdieus Kapitalbegriffen ist, dass er die nationale oder ethnische Herkunft nicht als eine eigenständige Kategorie verwendet. Somit rückt ein auf den ersten Blick bedeutendes Kriterium der Analyse von sozialen Räumen in einer Gesellschaft in den Hintergrund, obwohl in vielen Gesellschaften Menschen aufgrund ihrer ethnischen oder nationalen Herkunft nicht über die gleichen Möglichkeiten verfügen wie die Mehrheitsgesellschaft. Doch für Bourdieu ist die ethnische Zugehörigkeit kein eigenständiges strukturbildendes Merkmal (Juhasz und Mey 2003:71f.). Er geht davon aus, dass die Klassenzugehörigkeit primär durch Merkmale wie Beruf, Einkommen oder Bildungshintergrund bestimmt wird. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass andere Merkmale „als reale und doch nie förmlich genannte Auslese- oder Ausschließungsprinzipien funktionieren können“ (Bourdieu 1997:176f.). Zu solchen „Nebenmerkmalen“ gehört unter anderem die ethnische Zugehörigkeit (ebd.). Bourdieu geht wenig auf die Bedeutung der ethnischen Zugehörigkeit in Bezug auf die sozialen Felder ein, dennoch betont er, dass auch wenn die ethnische Zugehörigkeit kein zentrales Thema ist, diese doch berücksichtigt werden müsse: „Kurz, das zur Kennzeichnung einer Gruppe, in der Regel eines Berufs, bevorzugte Merkmal führt leicht zur Verschleierung all jener sekundären Merkmale, die, obschon konstitutiv für die damit abgegrenzte Gruppe, ausdrücklich nicht erwähnt werden. Zu groben Irrtümern führt es auch, bei der Einschätzung der weiteren Entwicklung einer sozialen Position (die am Beruf festgemacht wird) nur eines der relevanten Merkmale – und sei es auch das wichtigste – in Betracht zu ziehen und damit die Substitutionseffekte außer Acht zu lassen, in denen diese Entwicklung gleichfalls manifestiert wird.“ (Bourdieu 1997: 177f.)

An einer anderen Stelle weist Bourdieu darauf hin, dass die Differenzierung einer Gesellschaft lediglich in Einheimische und Fremde bzw. in Eingeborene und Eingewanderte die Kategorie Arm und Reich verschleiert, da diese sowohl die Einheimischen als auch die Fremden einschließt (Bourdieu 1992:170). In der vorliegenden Studie geht es nicht um die Frage, ob die soziale Position oder die ethnische Zugehörigkeit entscheidender für die gesellschaftliche Positionierung und Auswahl des Stiles ist. Ich sehe die Stärke bei Bourdieu darin, dass Menschen mithilfe der unterschiedlichen Kapitalformen nicht nur aufgrund ihres ökonomischen Kapitals, aber auch nicht ausschließlich aufgrund ihrer nationalen Herkunft wahrgenommen werden. Die Differenzierung in Kapitalsorten und der sich daraus ergebenden sozialen Felder ermöglicht es sowohl, auf die

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Heterogenität innerhalb einer ethnischen Gruppe einzugehen, als auch auf die ungleichen Möglichkeiten, die einzelne Gruppierungen einer ethnischen Gruppe in der Mehrheitsgesellschaft haben. Aspekte, die die besondere Lage von Migranten prägen, sortieren sich meines Erachtens unter die Kapitalsorten. So kann beispielsweise die Staatsangehörigkeit oder die Sprachkompetenz das kulturelle Kapital bestimmen. Negatives Kapital folgt aus ungenügenden Deutschkenntnissen und erschwert den Zugang zu bestimmten Kreisen oder Arbeitsmöglichkeiten. Zusätzliche Türkischkenntnisse können dagegen bei bestimmten Berufen wie beispielsweise Sozialarbeiter, Bankangestellter, Sprechstundenhilfe, Wissenschaftler etc. ein wichtiges Kapital sein, ebenso bei Berufen, die innerhalb der türkischen Community entstanden sind, so z.B. Verkäufer in einem türkischen Geschäft. Eine andere ethnische Zugehörigkeit kann in bestimmten Kreisen ein Ausschlusskriterium, in anderen Kreisen dagegen ein positives symbolisches Kapital sein. Die ethnische Herkunft nicht als ein gesondertes Kapital, sondern als sekundäres Merkmal zu kategorisieren, erlaubt es, in der Analyse eine Fluidität (in der zeitlichen Dimension) von Kapitalsorten und ebenso die Heterogenität auch innerhalb von Migrantengruppen zu erfassen. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der Bourdieus Ansatz für meine Forschung besonders relevant macht, ist die besondere Fokussierung auf das Körperliche. Gerade in den jugendlichen Subkulturen werden Geschmack, soziale Positionierung und Identitätskonstruktionen über den Körper ausgelebt, visualisiert und „gelesen“. In der Migrationsforschung stellt das Werk von Bröskamp „Körperliche Fremdheit – Zum Problem der interkulturellen Begegnung im Sport“ (1994) eine besonders detaillierte Analyse dar, die Sport unter türkischen Jugendlichen auf der Theorie von Bourdieu aufbauend behandelt. Bröskamp ist der Auffassung, dass sich Bourdieus Theorie besonders eignet „zur Erforschung des Körper-Aspekts von Sportpraxis, Fremdheit und Ethnizität, weil sie eine Konzeption von Gesellschaft entwirft, in der das Körperliche von Anfang an im Zentrum der Theorie des Sozialen steht“ (ebd.:105). Hier finden sich zu meiner Forschung Parallelen, da Sport ebenso körperbezogen ist wie jugendliche Subkulturen. Allerdings geht Bröskamp davon aus, dass „die jeweils untersuchte ethnische Minorität innerhalb des sozialen Stratifikationssystems der deutschen Gesellschaft relativ homogenen Existenzbedingungen unterworfen ist“ (Bröskamp 1994:162). Türkische Migranten gehören laut Bröskamp generell zur untersten sozialen Schicht, auch wenn sich innerhalb der Migrantengruppe eine kleine Mittelschicht gebildet hat (ebd.). Auf die Heterogenität innerhalb der türkischen Migranten geht er somit nicht ein. In den letzten Jahren ist zwar vermehrt auf die Heterogenität von Migrantengruppen hingewiesen worden, doch Differenzie-

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rungsprozesse innerhalb der türkischen Community stehen nur selten im Vordergrund von Forschungen12. Wie ich im Kapitel vier erläutere, hat die Entwicklung der HipHop-Kultur unter türkischstämmigen Jugendlichen einen direkten Bezug zu ihrer Lebenssituation in Deutschland als Angehörige einer ethnischen Minderheit und der unteren sozialen Schicht. Doch möchte ich im Abschnitt 4.1.2 auch darstellen, dass sich die Jugendlichen mit dieser Kultur nicht nur eine bestimmte Position innerhalb der deutschen Gesellschaft schaffen, sondern gleichzeitig von anderen türkischstämmigen Gruppen abgrenzen. Die Abgrenzung erfolgt entlang eines klassenspezifischen Denkens, das Grenzziehungen und Authentizitätsansprüche über Klassenzugehörigkeit, genauer, Repräsentation einer sozialen Klasse, definiert. Bourdieus Konzept des Habitus und der unterschiedlichen Kapitalsorten stellt nicht nur ein Werkzeug dar, um Stil und Geschmack zu untersuchen, sondern auch, um Gründe für die Ablehnung eines Stils zu analysieren. Gerade im Hinblick auf die Ablehnung von HipHop in der Türkei sind Bourdieus Kapitalsorten ein hilfreiches Instrument, das Abgrenzungsverhalten seitens der Mittelund Oberschicht zu skizzieren. Die Fragen, die ich im Abschnitt 6.2 zu beantworten versuche, richten sich auf dieses Abgrenzungsverhalten. Welche Hintergründe verbergen sich dahinter? Welches Image hat HipHop? Von welchen ethnischen oder sozialen Gruppen distanzieren sich die Personen, die HipHop ablehnen? Bourdieus Arbeit bietet eine theoretische Grundlage für die Untersuchung und das Verständnis von Geschmack, Stils und Distinktionsverhalten in sozialen Räumen, ohne allerdings speziell auf die Kategorie Jugend und Subkultur einzugehen. Sarah Thornton13 ergänzt diese Grundlage auf eine sinnvolle Weise. Zur Analyse der subkulturellen Ideologien in den Club Cultures stützt sie sich auf Bourdieu und fügt seinem Konzept der Kapitalsorten einen weiteren Kapitalbegriff hinzu, der meines Erachtens einen wichtigen Beitrag zur Analyse von Subkulturen leistet: das „subkulturelle Kapital“, das sie definiert als „means by which young people negotiate and accumulate status within their own social worlds“ (Thornton 2001:162). Wie das kulturelle Kapital kann auch das subkulturelle Kapital inkorporiert (Verhalten, Wissen, Tanzart etc.) und objektiviert 12 Ausnahmen sind hier speziell Çağlar (1998) und die Sinus Studie 2006-2008. 13 Sarah Thornton bezeichnet ihre Arbeit „Club Cultures“ als „Post-Birmingham“. Es ist zwar eine Arbeit über eine Subkultur und die Wirkung der Medien, doch geht es dabei nicht um die Trennung von dominanten Ideologien und der subversiven Subkultur. Im Gegensatz zu den klassentheoretischen Werken der Birmingham-Schule liegt ihr Fokus in der Erforschung von subkulturellen Ideologien und deren Wandel, ebenso den Hierarchien innerhalb einer Subkultur.

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(Frisur, Plattensammlung etc.) sein (Thornton 2001:11f.). Es bestimmt nicht nur, wie sich eine Jugendkultur von anderen abgrenzt, sondern ist auch ein Distinktionsmerkmal innerhalb einer Jugendkultur. Thorntons Blick auf die Dynamik und Heterogenität innerhalb einer Jugendkultur, auf das Bedürfnis der Jugendlichen, sich innerhalb einer Szene von den anderen abzusetzen und die damit verbundene Wandelbarkeit, steht dem statischen Homologie-Konzept der klassischen Werke der Cultural Studies entgegen (Calmbach 2007:46). Das subkulturelle Kapital unterscheidet sich vom kulturellen Kapital insofern, als es nicht so leicht in ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann wie kulturelles Kapital. Doch auch in der Subkultur besteht die Möglichkeit, sich zu professionalisieren und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie beispielsweise als DJ, Designer, Journalist u.a. (Thornton 2001:12). Außerdem ist das subkulturelle Kapital nicht in dem Maße an die Klasse gebunden wie kulturelles Kapital (Thornton 2001:12). Thornton weist darauf hin, dass in Subkulturen die soziale Differenzierung stärker durch Alter und Geschlecht als durch Klassenzugehörigkeit vollzogen wird (Thornton 2001:13). Eine weitere Kapitalsorte, die ich in meine Analyse einbeziehen werde, ist das „natürliche Kapital“, womit ich mich auf Männlichkeit und Weiblichkeit als Ressourcen beziehe. Diesen Begriff führte Karrer (2000) ein, um auf das Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzept von Unterschichten hinzuweisen, die aufgrund mangelnden ökonomischen und kulturellen Kapitals geschlechtsspezifische Rollen einnehmen oder ihre Männlichkeit bzw. Weiblichkeit besonders betonen. Er fasst dies zusammen mit den Worten: „Wo Ungleichheit drückt, muss Natur her“ (ebd.:130). Juhasz und Mey verwenden diese Kategorie auch für die ethnische bzw. nationale Herkunft (2003:318f.). Ich werde in der vorliegenden Studie die Kategorie „natürliches Kapital“ ausschließlich für die Männlichkeit bzw. Weiblichkeit der Person einsetzen. Ethnische und nationale Herkunft verstehe ich als einen Teil des sozialen Kapitals. Gemeinsamkeiten von Bourdieu und den klassischen Werken der Cultural Studies Sowohl Bourdieu als auch die Vertreter der Birminghamer Cultural Studies vertreten den Ansatz, dass unterschiedliche Lebensstile bzw. die Entstehung von Subkulturen nicht von der Klassenzugehörigkeit zu trennen sind. Sie gehen davon aus, dass die soziale Lage bestimmte Lebensstile bzw. Jugendkulturen hervorbringt. Wie oben beschrieben geht Bourdieu davon aus, dass die Praxisfelder objektiv strukturiert sind und die Grenzen von Praktiken festlegen. Das Individuum hat keine vom sozialen Umfeld unabhängige Wahlfreiheit, seinen Lebensstil zu bestimmen. Wahlfreiheit existiert nur innerhalb eines Feldes. Ganz ähn-

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lich gehen auch die Vertreter der Cultural Studies davon aus, dass Klassenzugehörigkeit die Erfahrungen und auch Lebenschancen von Jugendlichen strukturiert. Die Klasse prägt Jugendliche in einer besonders sensiblen Phase durch materielle und kulturelle Bedingungen, persönliche Erfahrungen und Beziehungen, die letztendlich die kulturellen Rahmenbedingungen stellen (Clarke et al. 1981:96). Clarke et al. betonen dabei die besondere Rolle von Familie und Nachbarschaft: „Familie und Nachbarschaft sind die spezifischen Strukturen, die den frühzeitigen Übergang der Jugend in eine Klasse prägen. So etwa werden die für eine Klasse charakteristischen geschlechtstypischen Rollen und Pflichten nicht nur durch Sprache und Rede in der Familie, sondern auch durch die täglichen Interaktionen reproduziert und ‚vorgelebt’“ (ebd.). Über die Netzwerke, die über die Nachbarschaft geschlossen werden, werden „Relationen, Distanzen, Interaktionen, Orientierungen in Bezug auf die weitere Welt und ihre Sozialtypen bei den Jugendlichen ausgebildet und reproduziert“ (Clarke et al. 1981:97). Beide klassentheoretischen Ansätze verwenden das Konzept der Bricolage und der Homologie für ihre Analysen. In meiner Forschung werde ich einen Schritt weiter gehen als die klassischen Cultural Studies, die Studie von Thornton und auch Bourdieu. Wie die Cultural Studies betrachte ich HipHop unter dem Aspekt seiner Relation zur dominanten Kultur in Bezug auf seine Entstehung im jeweiligen ökonomischen, politischen und institutionellen Kontext. Die Frage in diesem Zusammenhang wäre, wie und von wem die HipHop-Kultur, und hier insbesondere Rap-Musik, in Berlin und Istanbul angenommen wird, und ob, in welcher Form und gegen wen Jugendliche tatsächlich rebellieren. Ist es möglich, eine Trennlinie zwischen der dominanten und der subversiven Kultur zu ziehen? Die von den Birminghamer Cultural Studies inspirierten Studien gehen davon aus, dass Subversivität von Jugendkulturen nur über Stil und Aussehen ausgedrückt wird, die zugrundeliegenden Probleme aber letztlich nicht lösbar sind. Ich schaue in meiner Forschung jedoch auf das Potenzial, das der HipHop mit sich bringt, und gehe der Frage nach, ob und inwiefern gesellschaftliche Probleme von einer Jugendkultur tatsächlich nur imaginär gelöst werden. Worin unterscheidet sich HipHop von anderen Jugendkulturen? Wie Thornton geht es mir dabei auch um den Wandel der HipHopKultur und den internen Diskurs über Authentizität, um das Distinktionsverhalten innerhalb der Szene und die Abgrenzungen zu anderen Szenen. Gleichzeitig gehe ich zusätzlich der Frage nach, warum HipHop in Istanbul so stark von der Mehrheit abgelehnt wurde, und lenke damit den Blick auf die hindernden gesellschaftlichen Faktoren. Sowohl für die Analyse des Distinktionsverhaltens innerhalb der Szene als auch des Distinktionsverhaltens der Istanbuler Bevölkerung

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gegenüber HipHop halte ich das Konzept der Kapitalsorten, die von Bourdieu und auch Thornton entworfen wurden, für ein besonders hilfreiches Instrument.

3.3 C ULTURAL S TUDIES : KULTURELLE I DENTITÄT ALS P OSITIONIERUNG Im Vergleich der türkischen und deutschtürkischen HipHop-Kultur von Berlin und Istanbul geht es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer Jugendkultur in der Diaspora und im Herkunftsland. Die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit und der gesellschaftlichen Positionierung und die Frage nach nationalen Zugehörigkeiten und nationaler Repräsentation stehen neben den klassenrelevanten Phänomenen im besonderen Fokus der vorliegenden Arbeit. Es geht demnach auch um einen Begriff, den ich in dieser Arbeit zu vermeiden suche, der allerdings in Forschungen und Berichten über türkische Migranten ein gängiger und oft unreflektiert angewandter Begriff ist: die Identität, genauer die Frage nach der ethnischen und der nationalen Identität. Im Laufe der 1980er Jahre rückten kulturelle Identität und Ethnizität in den Cultural Studies verstärkt in den Vordergrund, Fragen, mit denen sich besonders Stuart Hall als ehemaliger Direktor des Birminghamer Forschungszentrums beschäftigte. Seine zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema, sein Umgang mit dem Begriff der Identität und seine Ablehnung von essentialistischen Konzepten sind meines Erachtens eine hilfreiche Quelle, die Begriffe Identität und nationale Zugehörigkeit zu erfassen. Wie Stuart Hall begreife auch ich Identität nicht als etwas Abgeschlossenes, Stabiles oder Einheitliches, vielmehr als etwas, das stets Veränderungen unterworfen ist: „Perhaps instead of thinking of identity as an already accomplished fact, which the new cultural practices then represent, we should think, instead, of identity as a ‚production’, which is never complete, always in process, and always constituted within, not outside, representation.“ (Hall 1990:222)

Hall (1993) plädiert daher dafür, weniger von „Identität“ als von „Prozess der Identifizierung“ zu sprechen. Dieser Prozess steht laut Hall in einer direkten Verbindung zur Wahrnehmung von außen: „Identity arises, not so much from the fullness of identity which is already inside us as individuals, but from a lack of wholeness which is ‚filled’ from outside us, by the ways we imagine ourselves to be seen by others“ (ebd.:287). Das bedeutet, dass Identität, die Wahrnehmung dessen, was man ist, erst durch die Relation zu anderen, durch Diffe-

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renz entsteht: „Es gibt keine Identität, die ohne eine dialogische Beziehung zum Anderen existiert.“ (ders. 1999b:93)14 Beispielsweise kann die schwarze Hautfarbe jemanden erst dann eine Identität geben, wenn ein Kontakt zu Menschen mit anderer Hautfarbe besteht und die Person von außen als „Schwarzer“ kategorisiert wird. „Das Andere ist nicht draußen, sondern ebenso im Selbst, in der Identität. Daher ist Identität ein Prozess, Identität ist Spaltung. Identität ist kein Fixpunkt, sondern ein ambivalenter Punkt. Identität ist auch die Beziehung des Anderen zu einem selbst“ (Hall 1999b:93). Durch Identität werden die Dichotome „Wir“ und „Sie“, „Gleichheit“ und „Andersartigkeit“ kreiert (Gilroy 1997: 302). Identität und somit auch Ethnizität basiert demzufolge auf Differenz, genauer auf einer Konstruktion von Differenz (Hall 1999b:94). Ausgehend von der Erkenntnis, dass Identitäten nicht fixiert sind, sollten diese als situationsbedingt betrachtet werden (Hall 1999a:103), d.h., in einer bestimmten Situation kann sich eine Person einer Gruppe zugehörig fühlen, die ihren Zusammenhalt durch ihre gemeinsame ethnische Herkunft definiert, in einer anderen Situation kann Identität aus der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht oder einer sexuellen Orientierung resultieren. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Identität eine Positionierung ist: „Cultural identities are the points of identification, the unstable points of identification or suture, which are made, within the discourses of history and culture. Not an essence but a positioning“ (Hall 1990:228). In meiner Forschung werde ich nicht von „der“ türkischen Identität sprechen. Wenn die türkische Herkunft seitens der deutschtürkischen Interviewpartner besonders betont wird, dann begreife auch ich dies als Positionierung innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Ich gehe der Frage nach, wie die nationale und ethnische Zugehörigkeit über HipHop repräsentiert wird und ob und wie weit diese Zugehörigkeit im HipHop tatsächlich im Vordergrund steht. Der politische Kontext in Deutschland und der Umgang mit Rassismus werden in der Darstellung der Entstehung und Entwicklung von deutschtürkischer Rap-Musik (siehe Kapitel 4.1) besonders thematisiert. Mit dem Vergleich einer Jugendkultur in der Diaspora und im Herkunftsland richtet sich der Blick auf den Nationalstaat als Quelle für Identitätskonstruktion. Doch kann tatsächlich von „der“ nationalen Identität gesprochen werden? Hall beruft sich auf Gellner, der den Nationalstaat als „political roof“ bezeichnet, unter dem moderne kulturelle Identitäten entstehen (Gellner 1983 zit. in Hall 1993:292). Diese Bedeutung des Nationalstaates sieht Hall allerdings zuneh14 Ähnlich formulierte es Gilroy: „The theme of identification as a social process rather than as the property of individual subjects enters here and adds further layers of complexity to deliberations about how selves – and their identities – are formed through relationships with others, of conflict and exclusion.” (Gilroy 1997:315)

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mend durch zwei entgegengesetzte Tendenzen geschwächt: durch den Prozess der Globalisierung und gleichzeitig einer wachsenden Bedeutung des Lokalen. Das bedeutet, dass Identitäten einerseits über nationale Grenzen hinweg in größeren Gemeinschaften aufgehen, und andererseits beobachtet werden können, dass lokale Identitäten innerhalb einer Nation, beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Region oder einer Ethnie, an Bedeutung gewinnen (Hall 1999b:89). Gerade Migration hat zur Entstehung von „ethnic-minority ‚enclaves’“ in Nationalstaaten beigetragen und zu einer Pluralisierung von nationalen Kulturen und nationalen Identitäten geführt (Hall 1993:307). In der Charakterisierung von Identität erwähnen die Vertreter der Cultural Studies stets drei Eigenschaften: Sie ist konstruiert, sie befindet sich stets in einem Prozess und – insbesondere im Falle der kulturellen Identität – sie ist hybrid. Die Begriffe „Hybridität“ oder auch „Synkretismus“ weisen auf eine gemischte bzw. kombinierte Wesensart hin. Am Beispiel der Sklaverei betont Gilroy, dass kulturelle Mischungen eine reine Identität hinterfragen: „This transcultural mixture alerts us not only to the syncretic complexities of language, culture and everyday modern life in the areas where racial slavery was practised but to the purity-defying metamorphoses of individual identity. Identity is the compound result of many accretions. Its protean constitution does not defer to the scripts of ethnic, national, ‚racial’ or cultural absolutism.“ (Gilroy 1997:323)

Dass eine Kultur oder auch eine Identität hybrid ist, beschränkt sich nicht auf die Situation von Einwanderern, die durch den Kontakt zu mindestens zwei Kulturen die Möglichkeit haben, unterschiedliche Merkmale oder Zugehörigkeiten zu kombinieren. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass auch einheimische Kulturen, die auf den ersten Blick einheitlich erscheinen oder sich als Einheit präsentieren, im Grunde hybride Kulturen sind. Nach Hall erfolgt die Vermischung allerdings nicht beliebig: „Hybride Identitäten beruhen nicht auf einer freien Wahl oder Kombinationsmöglichkeit, sie sind immer von ganz bestimmten Strukturen mit eingeschränkt.“ (Hall 1999a:106) Die Fragen, denen ich in diesem Buch nachgehe, beziehen sich auf die unterschiedlichen Zugehörigkeiten von HipHop-Aktivisten im globalen, nationalen, transnationalen und lokalen Kontext. HipHop scheint mir ein besonders interessantes Feld zu sein, in dem verschiedene Zugehörigkeiten zum Ausdruck kommen. Zum einen ist HipHop eine globale Kultur, durch die sich Jugendliche und Musiker verschiedenster Länder verbunden fühlen können. Zum anderen kann hier eine Minderheitenposition auf lokaler Ebene ausgedrückt werden. Ebenso kann die Zugehörigkeit von deutschtürkischen Jugendlichen zur Türkei formu-

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liert und damit eine nationale Identität präsentiert werden. Die Fragen, die sich hier stellen, sind: ob und wie in Deutschland und in der Türkei die nationale Identität Homogenität präsentiert und politisch gefördert wurde, wie sich dies auf den Umgang mit Minderheiten auswirkte und welche Folgen es für die Entstehung und Entwicklung der jeweiligen HipHop-Kultur hatte. Wie präsentierten HipHop-Aktivisten ihre ethnische bzw. nationale Zugehörigkeit über diese Jugendkultur? Generell versuche ich, den Begriff „Identität“ zu vermeiden. Selbst wenn anfänglich der Begriff kritisch hinterfragt und entsprechend definiert wird, so impliziert doch dessen Verwendung das Bild eines greifbaren Zustandes, was meines Erachtens nicht zutrifft. Übereinstimmend mit Hall bevorzuge ich eher Begriffe wie Positionierung und Identifikation.

3.4 M ODERNISIERUNGSTHEORETISCHE A NSÄTZE : S TIL UND I NDIVIDUALISMUS IN D EUTSCHLAND Konträr zu den bereits erwähnten klassentheoretischen Ansätzen haben sich seit den 1980er Jahren auch in Deutschland modernisierungstheoretische Ansätze etabliert, die sich – nicht nur in Stilfragen – um das Individuum zentrieren und nicht die Klassenstruktur in den Vordergrund stellen. Gleichzeitig wurde zunehmend darauf hingewiesen, dass die Merkmale Geschlecht, Alter und ethnischer Status neben das klassische Konzept der Klasse getreten sind und möglicherweise sogar eine bedeutendere Rolle in der sozialen Schichtung spielen (Zapf 1993:188)15. Diese modernisierungstheoretischen Ansätze befassen sich mit Individualisierungsprozessen innerhalb der deutschen Gesellschaft, ohne genauer auf die spezifische Situation von Migranten einzugehen. Dennoch möchte ich im Folgenden eine kurze Zusammenfassung dieser Ansätze geben, weil damit auch der gesellschaftliche Kontext angesprochen wird, in dem türkische Jugendliche aufgewachsen sind. Dies ist der Kontext, in dem sich HipHop entwickelt hat. Anschließend werde ich auf die Fragen eingehen, die ich mir in meiner Forschung zu Individualisierungsprozessen stelle, dann die Situation der deutschtürkischen und türkischen HipHop-Kultur und ihre Verbreitung skizzieren.

15 Siehe hierzu Beck (1986), Baacke (1987), Heitmeyer & Olk (1990), Sünker & Volkmer (1990), Ferchhoff & Neubauer (1989), Zinnecker (1987), Schulze (1995), Ferchhoff (2006), Farin (2001).

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3.4.1 Individualisierung und Milieubildungsprozesse in der deutschen Gesellschaft Noch in den 1950er Jahren produzierten in Deutschland Lebensstandard, Arbeit und Umgebung bestimmte Zeichen, die auf ein Milieu hindeuteten. Ähnlich wie Bourdieu es für Frankreich darstellte, konnte auch hierzulande aus Konsumgütern wie Autos oder Einrichtung die Schichtzughörigkeit abgeleitet werden (Schulze 1995:532f.). Zugehörigkeit war nicht das Ergebnis eigener, freiwilliger Positionierung: „Zum letzten Mal spielte Beziehungsvorgabe, das Hineingeborensein in einen sozialen und räumlichen Kontext, eine wichtige Rolle für die Konstitution sozialer Milieus, wenn sich auch schon die Auflösung dieser Form der Milieuentstehung durch Mobilisierung, Massenkommunikation und Massenkonsum abzeichnete“ (Schulze 1995:532f.). Parallel zur gesellschaftlichen Hierarchie wurde in höhere und niedere Kultur unterschieden, wie beispielsweise „Kunst und Kitsch, Kultiviertheit und Unbildung, Niveau und Primitivität, Apollo und Gartenzwerg, Klavierkonzert und Schlager“ (Schulze 1995:533)16. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen in der Nachkriegszeit wie Wohlstand und Medien waren auch die Ursache für die Entwicklung von Jugendkulturen. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie fern von erzieherischem Charakter der Vorkriegs- und auch der Nazizeit waren, sondern ihren Stil in den Vordergrund stellten (Baacke 1987:12). „An die Stelle ererbter Rituale trat ein sozialemotionales Interesse an Gleichaltrigen mit starker Betonung des Spielraums von Freizeit, Freundschaft und Liebe.“ (ebd.:12) Allerdings bestimmte die Klassenzugehörigkeit bis in die 1950er Jahre die Werte der Jugend17. Wohlstand und Bildungschancen in den 1960er und 1970er Jahren führten in der Bundesrepublik zur Veränderung der Sozialstruktur. Von Becks Veröffentlichungen (1983, 1986) verstärkt in Gang gesetzt, prägte das Konzept der Indivi-

16 „Das Korrespondenzprinzip war im bipolaren Raum der Alltagsästhetik problemlos umzusetzen: Für die Bildungsbürger gab es das Kultivierte und das Geschmacklose, für die ‚einfachen’ Menschen die heile Welt und die Frostregion der Hochgestochenheit.“ (Schulze 1995:534) 17 „Während mittelständische Jugendliche, die das Gymnasium besuchen, den Akzent legen auf Pünktlichkeit, Gepflegtheit, persönliche Attraktivität, Respektierung der Individualität, tiefere Sympathiebindungen und gleiche Interessen, bevorzugt die Arbeitersubkultur Männlichkeit, Rauhbeinigkeit, Tapferkeit, Mut und Stärke als Prestigemittel; direkte Aktion wird vorgezogen. Die jugendlichen Peer-Groups reproduzieren also die Standards der sozialen Verortung, wobei neben der Bildungsinstitution die Herkunftsfamilie ausschlaggebend ist.“ (Baacke 1987:13)

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dualisierung und Pluralisierung den theoretischen Diskurs, der die gesellschaftliche Modernisierung aufgriff. Im Fokus stand dabei die deutsche Bevölkerung, während den in großer Zahl einwandernden sogenannten Gastarbeitern und ihren Kindern keine Beachtung geschenkt wurde. Den modernisierungstheoretischen Ansätzen zufolge führten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu einem Prozess der Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen (Schulze 1995:536, Beck 1986:122). Der Grundtenor dieser Arbeiten war, dass nun nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse oder die familiäre Herkunft über „Gegenwart und Zukunft, über die Lebensgestaltung“ bestimmt, „sondern das Individuum selbst“ (Moser 2000:34)18. Milieu- und Lebensstilkonzepte galten nun als die „neue Schule“, die die bekannten Klassen- und Schichtungsansätze ablösen sollten (Zerger 2000). Metaphorisch bezeichnet Beck die sozialstrukturelle Entwicklung in der Bundesrepublik als einen „Fahrstuhl-Effekt“, der sich darin ausdrückt, dass die Klassengesellschaft „eine Stufe höher gefahren“ ist (1983, 1986). Nach seiner These sind die Verteilungsrelationen sozialer Ungleichheit in der Bundesrepublik weitgehend konstant geblieben. Verändert haben sich nach seiner Feststellung die Lebensbedingungen der Menschen durch „Verschiebungen im Niveau“, durch den Wirtschaftsaufschwung und die Bildungsexpansion, d.h. es gibt „ein Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum“ (1986:122). Diese Niveauverschiebungen, aber auch Faktoren wie sozialstaatliche Sicherungs- und Sozialsysteme, wirken sich nach Beck insbesondere bei den „unteren Regionen sozialer Ungleichheit“ aus, die nun „in den Genuss bestimmter individueller Entfaltungsmöglichkeiten in der Privatsphäre kommen“ (ebd.:37). Die Lebensführung ist nicht mehr unbedingt an die soziale Klasse gebunden. Es entsteht vielmehr, wie Beck es ausdrückt, eine „Tendenz nach individualisierten Existenzformen und Existenzlagen“ (1983:42). Der mit der Modernisierung einhergehende Wohlstand, aber auch die Risiken, von denen alle Klassen betroffen sind, führen Beck zufolge zu veränderten sozialen Stratifikationen, wobei sich die Grenzen zwischen ihnen verwischen. Während sich in den Jahrzehnten zuvor 18 Der Prozess der Individualisierung hat eine historische Dimension, da schon in der Renaissance die Vorstellung von der Aufwertung des Individuums besonders thematisiert wurde. Auch Marx, Weber, Simmel und Durkheim thematisierten das Phänomen der Individualisierung, das sich im Zuge der Arbeitsteilung und Modernisierung entwickelte. Doch konnte die damit verbundene Vorstellung von Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung des Individuums erst mit der Modernisierung ab Mitte des 20. Jahrhunderts möglich werden (Ferchhoff & Dewe 1994:437).

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auch in der Freizeit öffentliche Räume wie Wirtshäuser und Jugendeinrichtungen noch nach „Klassenwelten“ differenzierten, wurden diese „unkenntlich oder aufgehoben. An ihre Stelle treten ungleiche Konsumstile (Einrichtung, Kleidung, Massenmedien, persönlicher Inszenierung usw.), die aber – bei aller demonstrativen Unterschiedlichkeit – die klassenkulturellen Attribute abgelegt haben“ (1986:125). Insbesondere Alter und Stil traten nun als Zeichen für die neuen Milieus hervor (Schulze 1995:536). Wie Beck betont auch Schulze die individuelle Komponente bei der Wahl der Lebensführung in der Wohlstandsgesellschaft. Schulze konstatiert, dass nun eine Vielzahl von Lebensstilen herrscht, die zu Folge haben, dass ein Individuum verschiedene Lebensstile kombinieren, also „Nähe oder Distanz zu verschiedenen alltagsästhetischen Schemata simultan und unabhängig voneinander bestimmen“ kann (ebd.:538). Daher ist es nach seiner Meinung fragwürdig, in Großgruppen-Kategorien wie Stände, Klassen oder Schichten zu denken und zu forschen (ebd.:139). Schulze plädiert dafür, die Existenz von sozialen Schichten als „historischen Spezialfall“ zu verstehen. Stattdessen hält er es für sinnvoller allgemeinere Kategorien wie soziokulturelles Segment, Subkultur oder Milieu einzuführen (ebd.:21). Es herrscht weitgehend Konsens im theoretischen Diskurs, dass sich die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Nachkriegszeit auch auf die Phase der Jugend ausgewirkt haben (Zinnecker 1987). Die Dauer des Besuchs einer Bildungseinrichtung nahm zu und verschob die Berufsausbildung und den Berufseinstieg auf einen späteren Zeitpunkt, mit der Folge, dass Jugendliche nun mehr Freizeit zur Verfügung hatten. Gleichzeitig führte der Wohlstand dazu, dass fast alle Bevölkerungsgruppen über die finanziellen Mittel verfügten, um am kommerziellen Freizeitmarkt teilzunehmen. Zinnecker beobachtet „eine Unterwanderung und Auflösung traditioneller soziokultureller Milieus und Nahräume“ (Zinnecker 1987:173), da nun kirchliche und nachbarschaftliche Bindungen und auch die Kontrolle der Arbeitsorganisationen schwinden. Die soziale Kontrolle verlagert sich zum einen auf die Bildungseinrichtungen, zum anderen haben nun Medien und die Freizeitindustrie großen Einfluss auf Jugendliche (ebd.:311). Besonderen Stellenwert nimmt dabei Musik ein: „Worum es heutigen Jugendlichen in der Mehrheit zu tun ist, ist eine spezifische Mediennutzung: nämlich die, die Musikkonsum ermöglicht. Rechnet man die erhebliche Zunahme aktiven Musikmachens oder den gesamten Tanzbereich mit hinzu, so erscheint die Aussage gerechtfertigt, dass sich die Freizeitpräferenzen heutiger Jugendgenerationen maßgeblich um musikalische Ereignisse und Erfahrungen gruppieren“ (ebd.:180). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Musikgeschmack von Jugendlichen in den 1950er Jahren noch in die Gesamtkultur eingebunden war. Diese war klassenspezifisch und der Geschmack

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von Älteren und Jugendlichen unterschied sich nicht (ebd.:86). Ob klassische Konzerte und Volksmusik bevorzugt wurden, differenzierte sich nicht zwischen den Generationen aus, sondern entlang sozialer Schichten (ebd.:200). Erst in den folgenden Jahrzehnten führten der Musikgeschmack und die Fan-Kultur zu einer Alterssegregation (ebd.:86,192). Beck (1983) ist der Auffassung, dass sich „die Jugendkultur als ‚Klasse’ quer zu den ‚Klassen’“ entwickelt hat (ebd.:56). Vollbrecht spricht von Freizeitszenen, die sich losgelöst von sozialen Herkunftsmilieus bilden (1997:22); gleichzeitig konstatiert er, „besondere soziale Lebenslagen können zwar die Disposition für oder gegen bestimmte Jugendkulturen verstärken – Vorhersagen des biographischen Verlaufs von Szene-Zugehörigkeiten sind dennoch wenig verläßlich“ (ebd.:27). So sehr sich heute die Jugend in ihrem Stil von Erwachsenen unterschied, so heterogen konnte sie auch in sich werden. Als in den 1980er Jahren HipHop in Deutschland einen Boom erlebte, war allgemein eine Zunahme an unterschiedlichsten Jugendkulturen mit ihrem eigenen Musikgeschmack und -konsum und Orientierungen zu verzeichnen. Ein Trend, der sich in den folgenden 20 Jahren sehr dynamisch entwickeln sollte. Bezugnehmend auf eine Marketingstudie der Industrie stellt Farin fest, dass inzwischen allein in Deutschland über 400 Jugendkulturen existieren. Charakteristisch ist allerdings, dass die Übergänge inzwischen fließend geworden sind und, obgleich für Außenstehende nicht erkennbar, Insider starke Grenzziehungen vornehmen können (2001:72). Der Zunahme von Jugendkulturen steht in einem direkten Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung (Farin 2001:72). Ferchhoff beobachtet in der Vielfalt der Jugendkulturen eine „Pluralisierung, Individualisierung und Vermischung der jugendlichen Eigenwelten, Gesellungsformen und Selbst-Konzepte“ (Ferchhoff 2006:125). Ein Gesamtbild zu beschreiben oder auch zu klassifizieren, wird zunehmend schwierig. So beschreibt Ferchhoff die Situation als „entsubstantialisierten und entmaterialisierten Plural eklektizistischer, gemixter, modisch stilbezogener und lifestyleaffiner Jugendkulturen“ und spricht von „Crossover von Moden, Medien und Ideologien“ (ebd.:124). Dieser Ansatz unterscheidet sich maßgeblich von den klassischen Werken der Cultural Studies, die in der Mittelklasse individualistische und weniger gruppenzentrierte Gegenkulturen beobachten und bei den Arbeitersubkulturen von „deutlich artikulierten kollektiven Strukturen“ sprechen (Clark et al. 1981:109f.). Doch selbst wenn in der Mittelklasse ein gewisses Maß an Individualität vorhanden ist, so gehen Clarke et al. davon aus, dass die Lebensläufe innerhalb von Strukturen und Kulturen stattfinden, sie demzufolge nicht individuell und losgelöst davon sind (ebd.).

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Diese Kritik an der klassentheoretischen Betrachtung von Jugendphänomenen führte dazu, dass sich der Begriff der Subkultur in Deutschland nicht in dem Maße verbreitete wie der Begriff der Jugendkultur. Subkultur deutet auf die sozialen und kulturellen Unterschiede hin. Der Begriff der Jugendkultur dagegen bezeichnet „die Gesamtheit der in der Kulturindustrie und Warenästhetik synthetisch produzierten Bilder und Deutungen über einen vermeintlich klassenlosen jungen Menschen und dessen Verhaltensorientierung“ (Mehler 1986:307). Gerade in einer individualisierten Gesellschaft, die einem sozialstrukturellen und kulturellen Wandlungsprozess unterliegt, erscheint es nach Ferchhoff sinnvoll, statt des Subkultur-Begriffes die offeneren Begriffe Jugendkultur und Szene zu verwenden (2006:124). Nach Baacke vermittelt der Terminus Subkultur den Eindruck, es handele sich um eine Kultur „unterhalb der akzeptierten elitären Kultur“ (1987:95). Nohl sieht eine enge Verbindung mit dem Bildungsbegriff: „Eine solche Abwertung ‚populärer Kultur‘ unterläuft selbst deren akademischen Sympathisant(inn)en, die ihr zwar eine Bedeutung für ‚ungebildete’ bzw. ‚bildungsferne’ Bevölkerungsgruppen, nicht aber einen ästhetischen Wert zugestehen“ (2003:297). Die Vertreter der Cultural Studies in England hatten den Begriff Subkultur geprägt. Rückblickend weist Hall auf die zeitliche Dimension hin: „Nicht, dass es damals falsch war, ‚Subkultur’ zu sagen, aber heute sind die Formationen viel flottierender und stärker miteinander verschmolzen. In den sechziger und siebziger Jahren waren sie noch sehr klar voneinander getrennt und es fiel nicht leicht, von einer zur anderen überzuwechseln“ (1999a:116). Meines Erachtens reflektiert die Ablehnung einer hierarchisierenden Kategorie wie Subkultur nicht nur einen gesellschaftlichen Zustand, sie ist auch ein Zeichen für den egalisierten Blick von Wissenschaftlern auf gesellschaftliche Gruppen. Das Verständnis der modernisierungstheoretischen Ansätze, dass sich Jugendkulturen klassenunabhängig bilden, steht den Ansätzen der klassischen Cultural Studies diametral entgegen: „Ein einheitlicher Bezugspunkt einer Mainstream-Kultur, Hochkultur oder Stammkultur, auf den sich in der Vergangenheit der Jugendsubkulturbegriff in seinem widerständigsubversiven, oppositionell-rebellisch-konfliktträchtigen und asymmetrischen Anderssein oder auch qua Bricolage stets beziehen konnte, scheint nicht nur im globalisierten, kommerzialisierten und pluralen kulturellen Schmelztiegel des weitverbreiteten anything goes der Stilmixe abhandengekommen zu sein; Das Andere, Abweichende, Besondere, Fremde, Andersartige und Auffällige ist mittlerweile auch viel normaler, als es meistens (re-)präsentiert und (re-)konstruiert wird.“ (Ferchhoff 2006:124)

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Terkessidis und Holert weisen darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen Mainstream und Minderheit inzwischen nicht mehr möglich ist, da der Mainstream selbst als Minderheit auftritt (1997:6f.). An drei Kernpunkten hinterfragt Mehler (1986) die unreflektierte Anwendung der Forschungsergebnisse der britischen Cultural Studies auf die bundesdeutsche Situation. Abgesehen davon, dass die Arbeiterkultur in Deutschland durch den Faschismus kein so klares Verhältnis zu Arbeiterjugendlichen hat wie in Großbritannien, kritisiert er vor allem, dass in den Veröffentlichungen der Cultural Studies die „Authentizität“ jugendlicher Subkulturen fetischisiert wird, und dass der Einfluss der Kulturindustrie und der Medien von den Cultural Studies unterschätzt wird: „Die ‚authentische’ Praxis einer jugendlichen Subkultur scheint es im Spätkapitalismus kaum zu geben, weil Kulturindustrie und Werbebranche ständig bemüht sind, ‚Echtes’ aus der Jugend-Szene aufzunehmen und als Innovation dem jugendlichen Konsummarkt zur Verfügung zu stellen“ (1986:308). Die Vermarktung eines subkulturellen Stils bedeutet, dass der Stil aus dem Kontext, in dem er sich entwickelt hatte, herausgerissen und „unterschiedlichen Zuschreibungs- und Verwendungsinteressen zur Verfügung gestellt“ wird (ebd.:308). In den Worten von Sünker und Volkmer: „Es handelt sich also nicht um eine ideologische Annäherung, sondern um eine ästhetische Affinität.“ (1990:72) Unverändert bleiben aber – und das insbesondere beim HipHop – Diskurse über Authentizität innerhalb von Jugendkulturen. Autoren wie Klein und Friedrich (2003), Grimm (1998) und Menrath (2001) verwenden in dem Authentizitätsdiskurs nun Begriffe wie Repräsentation, Inszenierung, Performanz19 und Performativität. Diese Begriffe weisen darauf hin, dass nicht die Herkunft, sondern die glaubwürdige Inszenierung ein überzeugendes Zeichen für Authentizität innerhalb der Szenen ist. In der empirischen Studie werde ich der Frage nachgehen, inwieweit die Herkunft die Sympathie und Aneignung der HipHop-Kultur und auch die Form des Auslebens beeinflusste und die Kriterien für das subkulturelle Kapital in der jeweiligen Stadt mitbestimmte. Der Diskurs um soziale und ethnische Herkunft, Inszenierung und Authentizität bildet einen bedeutenden Teil dieser Arbeit.

19 Performanz ist die Übersetzung des englischen Begriffs „performance“, der nach Grimm „die konkrete Realisierung einer Darstellungsabsicht“ (1998:9) bedeutet. Der Begriff Performativität deutet auf den prozesshaften Charakter der Repräsentation hin.

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3.4.2 Modernisierungstheoretische Ansätze und deutschtürkische Subkulturen Die erwähnten Ansätze zur Individualisierung und Milieubildung konzentrieren ihren Blick auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft. In Zusammenhang mit meiner Forschung stellt sich nun die Frage, inwieweit türkischstämmige Jugendliche in Berlin und auch die Situation in Istanbul von Prozessen der Individualisierung betroffen sind, und wie sich diese auf die Entwicklung und Verbreitung des HipHop in Berlin und Istanbul ausgewirkt haben. Beck erwähnt nur beiläufig die Situation der Gastarbeiter und geht von dem von Hoffmann-Nowotny geprägten Begriff der „Unterschichtung“ aus. Demnach würden Gastarbeiter im Aufnahmeland die untersten Positionen einnehmen, was eine Unterschichtung der Sozialstruktur mit sich bringt.20 Dieser Umstand würde gleichzeitig den einheimischen Arbeitskräften der unteren Schichten soziale Mobilität ermöglichen (Beck 1983:50, Hoffmann-Nowotny 1973). Diese können aufsteigen, obwohl sie nicht über eine höhere Bildung oder bessere Qualifikation verfügen als die Eingewanderten. Wie Hoffmann-Nowotny es am Beispiel der italienischen Einwanderer in der Schweiz ausführlich darstellt, bleiben den Einwanderern solche Aufstiegschancen verwehrt. Denn aus Angst, die bessere Position zu verlieren, würden neue Kriterien für die Verteilung von Positionen aufgestellt. Statt der erwerbbaren Kriterien, also Bildung oder Qualifikation, treten zugeschriebene, in diesem Fall die Nationalität, in den Vordergrund – ein Umstand, den Hofmann-Nowotny als „neofeudale Absetzung“ (1973:23) bezeichnet. Vergleichbar mit der Situation der italienischen Einwanderer in der Schweiz gehörte auch ein großer Teil der ersten Generation der sogenannten türkischen Gastarbeiter in Deutschland zu einer bildungsfernen Schicht, die zum größten Teil aus benachteiligten Regionen in der Türkei stammte. Sie übernahmen unqualifizierte Tätigkeiten in Dienstleistungs- und Produktionsbereichen. Mit dem Ziel, Geld zu sparen und wieder in die Türkei zurückzukehren, lernten viele von ihnen kaum Deutsch und kümmerten sich wenig um die formelle Bildung ihrer Kinder. Ihre von der Türkei geprägte Lebensform, klassische türkische Gemüse20 „Mit dem Begriff ‚Unterschichtung’ wird ausgesagt, dass die Einwanderer in die untersten Ränge der Beschäftigungsstruktur eintreten und damit hier eine Expansion ermöglichen. Das hat eine Expansion insbesondere auf den mittleren Rängen dieser Struktur zur Folge, weil hier mit zunehmender Unterschichtung zusätzliche Positionen geschaffen werden müssen. Mit anderen Worten ergibt sich für die Statuslinie ‚Beschäftigung’ eine größere Offenheit und Zugänglichkeit, woraus sich auf individueller Ebene erhöhte Mobilitätschancen auftun, und zwar primär für die einheimische, den unteren Schichten angehörende Bevölkerung.“ (Hoffmann-Nowotny 1973:24)

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läden und Döner-Läden prägten das Bild von Türken in Deutschland, mehr noch, sie prägten das gesamte Türkei-Bild. Auch nach der Jahrtausendwende bedienten sich Medien bei Berichterstattungen über türkische Migranten gern der Bilder von kopftuchtragenden Frauen, die seit Beginn des Gastarbeiterstroms türkische Migranten symbolisieren. Es wurde das Bild einer homogenen Gruppe konstruiert. Verhaltensweisen und Konflikte der türkischen Migranten wurden in den Medien und in der Wissenschaft vornehmlich auf kulturelle Faktoren zurückgeführt, soziale Faktoren dagegen standen und stehen noch heute nicht im gleichen Maße im Vordergrund. Dagegen stand der differenzierte Blick auf die deutsche Gesellschaft im wissenschaftlichen Diskurs dem kulturalistisch undifferenzierten Blick auf die türkischen Migranten diametral entgegen. Diesen Blick auf die Kultur bezeichnet Çağlar als „prison of culture“: „While the actions or beliefs of the individuals on the Turkish side acquire meaning only with reference to the presumed inherent culture, ‚the culture‘ of the other pole [Anm. der Autorin: gemeint ist die deutsche Gesellschaft] is not used to explain the actions or beliefs of its members. It is as if the former has ‚culture‘ and the latter has psychology or individual idiosyncrasies. As a result, the desired analysis of the complex psycho-social processes is usually impeded by this overculturalisation. (…) There is no place for personal idiosyncrasies or for problems arising from individuals’ personal histories, but only for the manifestations of the culture the members unavoidably possess.“ (Çağlar 1990:14)

Sie kritisiert die Haltung, Erfahrungen der türkischen Migranten aus dem Heimatland nicht als „a repertoire, a store of knowledge“ (Çağlar 1990:20) zu sehen. In Anlehnung an Levi-Strauss’ Konzept plädiert sie dafür, die Kultur der Deutschtürken als eine Art Bricolage zu verstehen, durch die Praktiken und Objekte ständig in unterschiedlicher Weise zusammengesetzt werden (ebd.). Dieser Ansatz ermöglicht es, den Synkretismus und die soziale Dynamik der türkischen Migranten zu verstehen. Erst in den 1990er Jahren wurde die Öffentlichkeit zunehmend darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei türkischen Migranten nicht um eine homogene soziale und kulturelle Gruppe handelt. Die Veröffentlichungen des Musikwissenschaftlers Martin Greve über die Musik türkischer Migranten in Berlin leisteten dazu einen bedeutenden Beitrag. Seine Artikel in der Berliner Stadtzeitschrift Zitty wie auch seine beiden 1997 erschienenen Veröffentlichungen „Alla Turca“ und „Das türkische Berlin“, die von der Ausländerbeauftragten des Senats Barbara John herausgegeben wurden, zeigten die kulturelle und soziale Vielfalt türkischer Migranten in Berlin. Die 1990er Jahre markieren generell eine Zeit, in der türkische Migranten zunehmend in der Öffentlichkeit auftraten. Reportagen

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über erfolgreiche türkischstämmige Deutsche erhielten zunehmend Raum in der Medienlandschaft neben den Berichterstattungen über problematische, kriminelle oder nicht integrationswillige Menschen gleicher Herkunft. Im wissenschaftlichen Diskurs verdeutlicht die Studie von Sinus Sociovision, „Migranten-Milieus in Deutschland“ (2006-2008), dass die türkischstämmige Bevölkerung keine soziokulturell homogene Gruppe ist, sondern eine „vielfältige und differenzierte Milieulandschaft“ (2008, im Internet). Das Besondere an dieser Studie ist ihre ganzheitliche Herangehensweise, mit der sie die „subjektiven Orientierungen und objektiven Lebensbedingungen (Werte, Lebensstile, soziale Lage) von Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund“ (2009, im Internet) untersucht. Ähnlich wie Schulze in seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ die deutsche Gesellschaft in unterschiedliche Milieus einteilt, so kristallisierte sich in der dieser Studie heraus, dass auch die türkischstämmige Bevölkerung aus unterschiedlichen Milieus besteht. Das Fazit der Studie ist: „Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft als nach ihren Wertvorstellungen und Lebensstilen. Dabei finden sich gemeinsame lebensweltliche Muster bei Migranten aus unterschiedlichen Herkunftskulturen. Mit anderen Worten: Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichem Migrationshintergrund verbindet mehr miteinander als mit dem Rest ihrer Landsleute aus anderen Milieus. Man kann also nicht von der Herkunftskultur auf das Milieu schließen. Man kann auch nicht vom Milieu auf die Herkunftskultur schließen. Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und Zuwanderungsgeschichte beeinflussen zwar die Alltagskultur, sind aber nicht milieuprägend und auf Dauer nicht identitätsstiftend.“ (2009, im Internet)

Die Ergebnisse der Sinus-Studie verdeutlichen, dass es den gesellschaftlichen den Tatsachen in der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht wird, die türkischstämmige Bevölkerung lediglich im Sinne einer „Unterschichtung“ zu konzeptualisieren und Individualisierungstendenzen nur bei der deutschen Bevölkerung zu verzeichnen. Auch wenn der Großteil der türkischen Migranten der ersten Generation aus ländlichen Gebieten stammte und nur über eine geringe Schulbildung verfügte, so waren diese, schon als sie einwanderten, keine soziokulturelle homogene Gruppe, wie oft unterstellt. Da es an einer frühen, ähnlich ganzheitlich orientierten Studie der türkischstämmigen Bevölkerung fehlt, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse über die Entwicklung der Milieus unter türkischen Migranten. Aber die Sinus-Studie zeigt, dass auch die türkischstämmige Bevölkerung vom gesamtgesellschaftlichen Individualisierungsprozess betroffen ist.

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Die Sinus-Studie wirft methodisch einen individualisierten Blick auf Migranten. Die Autoren der Studie schreiben über ihre Herangehensweise: „Ein wichtiges konzeptionelles Element war es, Migranten nicht aufgrund ihrer Ethnie vorab einem Segment zuzuordnen und davon ausgehend auf ihre Orientierungen zu schließen. Ebenso wurde systematisch der ‚Kurzschluss’ vermieden, von einer objektiven sozialen Auffälligkeit (z.B. geringe Bildungsabschlüsse) auf anomische Werte, mangelnde Motivation oder gar Integrationsweigerung zu schließen. Ziel war vielmehr, ein möglichst vorurteilsfreies, authentisches Kennenlernen und Verstehen der Alltagswelt von Migranten, ihrer Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftserwartungen.“ (ebd.)

Damit ragt diese Untersuchung aus der Vielzahl von Studien heraus, die einen eingeschränkten kulturalisierten Blick auf die türkischstämmige Bevölkerung werfen oder sich nur mit einer bestimmten Personengruppe beschäftigen. Die Studie ist ein deutliches Zeugnis des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses auch im akademischen Diskurs. Aufgrund der Heterogenität der türkischen Migranten in Deutschland und der vielfältigen Möglichkeiten, die auch untere soziale Schichten haben, halte ich es für notwendig, ebenfalls innerhalb einer deutschtürkischen Jugendkultur Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf der Metaebene herauszuarbeiten. Daher habe ich in dieser Arbeit bewusst darauf verzichtet, die Feldforschung auf eine kleine Gruppe von Jugendlichen zu begrenzen und meinen Blick auf verschiedene HipHop-Aktivisten aus unterschiedlichen Bezirken in einer Stadt und ihre differente Form der Darstellung von Ethnizität, Nationalismus und Aktionsradius auf der nationalen und transnationalen Ebene erweitert. Gerade weil im HipHop soziale und ethnische Herkunft als ein Authentizitätsmerkmal gilt, eignet sich diese Jugendkultur, um den Umgang mit Herkunft und den Prozess der Individualisierung zu untersuchen. Darüber hinaus werde ich der Frage nachgehen, ob und in welcher Form Institutionen Individualisierungsprozesse fördern können. 3.4.3 Modernisierungstheoretische Ansätze und Subkulturen in der Türkei Im Gegensatz zu Deutschland drehen sich in der Türkei modernisierungsbezogene Diskurse in erster Linie um die Themen Kemalismus, Staat, Verstädterung, Gender und Religion. Im populärkulturellen Bereich gilt die Aufmerksamkeit der Arabesk-Musik21, einer Musikform, die sich in türkischen Großstädten unter

21 Siehe insbesondere Özbek (1997).

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der zugezogenen Landbevölkerung verbreitet hatte. Theoretische Diskurse über Individualisierungsprozesse in Jugendkulturen sind mir nicht bekannt. Insofern können die Ansätze in Deutschland und in der Türkei nicht auf der theoretischen Ebene verglichen werden, ebenso ist eine unreflektierte Anwendung der Individualisierungstheorien aus Deutschland auf die türkische Situation nicht möglich. In dieser Studie gehe ich der Frage nach, inwieweit in Istanbul der größere gesellschaftliche Kontext von Sympathie und Abneigung den HipHop beeinflusste. War HipHop für türkische Jugendliche in der Türkei eine subversive Kultur, mit der sie Normen und Einstellungen der Erwachsenen infrage stellen konnten? Festzuhalten ist, dass die Bildung von Subkulturen und die Trennung der Kulturen zwischen unterschiedlichen Generationen in der Türkei zeitverzögert einsetzten und anders verliefen als in Deutschland. Noch in den 1980er Jahren stellte Murat Belge (1986 in: Solmaz 1996:18) fest, dass Jugendliche in der Türkei keine eigene, sich von der Mehrheit absetzende, autonome Subkultur geschaffen hatten, was in angelsächsischen Ländern dagegen längst üblich war. Er führt dies darauf zurück, dass traditionelle Werte weiterhin im Verhalten eine große Rolle spielen. Nach Metin Solmaz hat sich seit den 1980er Jahren ein Wandel vollzogen, der dazu führte, dass sich junge Menschen zunehmend autonome, von der Erwachsenenwelt getrennte Lebenswelten aufbauten und von traditionellen Werten trennten. Allerdings vollzog sich diese Trennung nicht in Form von Auflehnung und offenem Ausleben anderer Werte, sondern inoffiziell durch geheimes Ausleben. Damit unterschied sich diese Situation gänzlich von der in den USA. Dort brachte der Rock’n’Roll in den 1950er Jahren nicht nur einen neuen Musikstil, sondern löste gesellschaftliche Veränderungen aus: Junge Menschen lehnten sich gegen die Werte der Erwachsenen auf und lebten eigene Verhaltensformen offen aus. Dieser Prozess lieferte die Basis für unterschiedlichste Subkulturen (Solmaz 1996:19f.). Nach Solmaz ist diese Auflehnung auf der Konsumebene in die Türkei gekommen und nicht als eine Gegenkultur im Lande selbst entstanden (Solmaz 1996:20). In der vorliegenden Arbeit werde ich nachvollziehen, wie HipHop in der Türkei aufgenommen und interpretiert wurde und in welcher Form die Auflehnung gegen vorhandene Werte ausgelebt wurde. Dabei stellen sich die Fragen, wessen Sprachrohr der HipHop tatsächlich war, wie frei junge Menschen diese Kultur ausleben konnten und in welcher Form der Diskurs über HipHop gesellschaftliche Spannungen widerspiegelte, die auf Klassenunterschieden und ethnischen Spannungen beruhten. Können Parallelen zu Deutschland gezogen werden, wo junge Menschen über ihrer Vorliebe für den gleichen Stil zusammenkommen und wo Klassenzugehörigkeit kaum noch eine Rolle spielt?

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Das Interesse der gängigen Studien an der Wahlfreiheit des Stils und der Lebensform fokussiert das Individuum und sein Handeln im gesellschaftlich vorgegebenen Rahmen. Sie beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit Wohlstand und institutionelle Rahmenbedingungen dazu führen, dass Menschen ihren Lebensweg weitgehend frei wählen können. In meiner Untersuchung fokussiere ich nicht nur den Individualisierungsprozess, in dem Menschen selbst ihren Stil aussuchen können. Mich interessiert vor allem die Frage, inwieweit Andere das Individuum als von seiner Herkunft unabhängig wahrnehmen und inwieweit sich dies auf die Entwicklung der HipHop-Kultur in den beiden Städten auswirkt. Die Frage nach Herkunft und Individualität und die damit einhergehende Frage nach Förderung und Ablehnung, kristallisierte sich erst während der Feldforschung heraus, als ich mit der unterschiedlichen Entwicklung von HipHop unter türkischen bzw. türkischstämmigen Jugendlichen in Berlin und Istanbul konfrontiert wurde.

3.5 S TIL IM B EZIEHUNGSGEFLECHT : N ORBERT E LIAS ’ B EGRIFF DER FIGURATION In der vorliegenden Analyse der türkischen HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul stellen die Darstellung vom Selbstbild der HipHopper und ihr Abgrenzungsverhalten gegenüber anderen Gruppen einen wichtigen Aspekt dar. Während der Feldforschung kristallisierte sich heraus, dass der alleinige Blick auf das Abgrenzungsverhalten dieser Jugendkultur den Kontext, in dem sie sich entwickelt hat, nicht ausreichend erklären würde. Die Entstehung, ihre Form und die Verbreitung der HipHop-Kultur in beiden Städten sind auf das Abgrenzungsverhalten unterschiedlicher Gruppierungen zurückzuführen, die politischer, sozialer und ökonomischer Natur sind und nicht direkt mit der Musik zu tun haben. Es geht demzufolge um die Analyse von Beziehungen zwischen Gruppen in einem größeren nationalen und transnationalen Beziehungsgeflecht, das sich im Diskurs um HipHop, in seiner Form der Verbreitung, der Unterstützung und Ablehnung widerspiegelt. Es geht um einen Stil in einem nationalen und transnationalen Beziehungsgeflecht. Hier zeigen sich die Grenzen der modernisierungstheoretischen Ansätze, die das Individuum und die Gesellschaft getrennt betrachten. Wie Norbert Elias feststellt, ist die Trennung (nicht die Unterscheidung) von Mensch und Gesellschaft in soziologischen Theorien fragwürdig (1981:139): „Was man durch zwei verschiedene Begriffe als ‚Individuum’ und ‚Gesellschaft’ bezeichnet, sind nicht, wie es der heutige Gebrauch dieser Begriffe oft erscheinen lässt, zwei getrennt

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existierende Objekte, sondern verschiedene, aber unabtrennbare Ebenen des menschlichen Universums.“ (ebd.:140 und ders. 1990:262ff.). Mit dem Ziel, diese fragwürdige Trennung von Individuum und Gesellschaft zu umgehen und die Interdependenzketten von Menschen in den Vordergrund zu rücken, führt Elias den Begriff „Figuration“ ein. Dieser Begriff und seine zugrundeliegende Theorie, die ich im Folgenden ausführen werde, bilden schließlich einen letzten Grundbaustein für die Analyse meiner Feldforschung. Aber zunächst noch eine Erklärung des Begriffs: „Das Geflecht der Angewiesenheiten von Menschen aufeinander, ihre Interdependenzen, sind das, was sie aneinander bindet. Sie sind das Kernstück dessen, was hier als Figuration bezeichnet wird, als Figuration aufeinander ausgerichteter, voneinander abhängiger Menschen. Da Menschen erst von Natur, dann durch gesellschaftliches Lernen, durch ihre Erziehung, durch Sozialisierung, durch sozial erweckte Bedürfnisse gegenseitig voneinander mehr oder weniger abhängig sind, kommen Menschen, wenn man es einmal so ausdrücken darf, nur als Pluralitäten, nur in Figurationen vor.“ (Elias 1977:LXVII)

Dieses Beziehungsgeflecht kann sowohl eine überschaubare mikrosoziale Einheit sein –wie beispielsweise „Lehrer und Schüler einer Klasse, Arzt und Patienten in einer therapeutischen Gruppe“ – als auch für „Bewohner eines Dorfes, einer Großstadt oder einer Nation“ gelten, auch wenn die Figuration dann nicht direkt wahrnehmbar ist, „weil die Interdependenzketten, die die Menschen hier einander binden, sehr viel länger und differenzierter sind“ (ebd.:143). In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um ein größeres und komplexes Beziehungsgeflecht, dessen räumliche Dimension national und transnational ist und gleichzeitig die Beziehung unterschiedlicher sozialer und ethnischer Gruppen in die Analyse einbezieht. Was Elias und Scotson mit den Konzepten von Bourdieu und den Cultural Studies verbindet, ist ihr Verständnis des Individuums, das nicht völlig losgelöst von der Meinung einer Gesellschaft existiert. Ebenso stimmen sie darin überein, dass die Autonomie von Menschen nicht in einem „Kollektiv von Robotern aufgehen könne“ (Elias & Scotson 1990:41). Stattdessen beschreiben sie die Situation des Individuums als „Elastizität der Fäden (…), mit denen die eingebaute Selbstregulierung eines Menschen an den regulativen Druck einer Wir-Gruppe gebunden ist“ (ebd.). Aber der Begriff der Figuration geht weiter als in klassentheoretischen Konzepten, da hier die Beziehungen zwischen Gruppen nicht nur hinsichtlich ihrer Klasse untersucht werden. Elias interessieren vor allem die Beziehungsverflechtungen von Gruppen und die ungleiche Machtbalance, die sich durch den Prozess von räumlicher und sozialer Mobilität ergibt.

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In der vorliegenden Studie werde ich den Begriff der Figuration verwenden, um die Aneignung und Ablehnung und die Art des Auslebens von HipHop in beiden untersuchten Städten zu analysieren. Dabei schaue ich zunächst auf den gesellschaftlichen Kontext und die Position, die Deutschtürken in Deutschland einnehmen sowie auf den Einfluss dieser Position für Aneignung und Ausleben der HipHop-Kultur. In der Türkei gilt mein Augenmerk ebenso dem gesellschaftlichen Kontext, wobei ich hier speziell die Beziehungen zwischen der alten Elite in Istanbul und den aus ländlichen Gebieten zugezogenen Gruppen, aber auch zwischen Türken und Deutschtürken skizziere. Das heißt, ich richte meinen Blick auf der Metaebene auf zwei Städte und auf die Beziehungen zwischen Gruppen unterschiedlicher nationaler und ethnischer Herkunft, aber auch unterschiedlicher sozialer Herkunft. Gleichzeitig berücksichtige ich das Verhältnis von Deutschtürken in Deutschland und der Türken in der Türkei auf der transnationalen Ebene. Trotz der differenten sozialen und ethnischen Gruppen zeigten sich im Laufe der Feldforschung auch ähnliche Muster der Wir-Gruppenbildung, der Überlegenheitsbekundungen und Ablehnungsprozesse. Dieses Grundmuster lässt sich meines Erachtens durch die Theorie der Etablierten und Außenseiter von Elias und Scotson erklären. Die Theorie der Etablierten und Außenseiter stützt sich auf eine Fallstudie aus dem Jahr 1960 in einer englischen Vorortgemeinde, die das Pseudonym „Winston Parva“ trägt. Die Studie liefert entscheidende Erkenntnisse über zwischenmenschliche Beziehungsgeflechte, die auf Macht und sozialer Ungleichheit beruhen. Sie ist ein Beispiel dafür, dass Zusammenhalt und Abgrenzung von Gruppen auf Ebenen stattfinden können, die keinen klassenbezogenen oder ethnischen Hintergrund haben. Im Folgenden werde ich diese Studie ausführlicher referieren und dabei bewusst Verweise auf meine Forschung auslassen. Dies halte ich für sinnvoll, da ich – wie bereits erwähnt – auf ein komplexes Beziehungsgeflecht unterschiedlichster Gruppen eingehen werde, sodass Bezüge dazu an dieser Stelle eher verwirrend wären. So werde ich zunächst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung von Elias und Scotson referieren und im empirischen Teil darauf zurückgreifen, um zu vergleichen und Parallelen aufzuzeigen. „Winston Parva“: Theorie der Etablierten und Außenseiter Elias und Scotson untersuchten das soziale Leben der Bewohner von Winston Parva und beobachteten dabei eine tief greifende Trennung zwischen Alteingesessenen und später Zugewanderten, in den Begriffen von Elias und Scotson: zwischen Etablierten und Außenseitern. Zu den Etablierten gehörten die in der Zone 1 lebende Mittelschicht und ebenso die Arbeiter aus der Zone 2. In der Zone 3 lebten ebenfalls Arbeiter, die allerdings erst vor Kurzem hingezogen wa-

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ren und somit zu den Außenseitern gehörten. Das Besondere an diesem Fall ist, dass zwischen den Gruppen in Zone 2 und 3 keine sozialen Unterschiede bestanden. Sie waren gleicher nationaler und ethnischer Herkunft und hatten den gleichen Bildungshintergrund, auch unterschieden sie sich nicht durch ihre Berufe oder Einkommen. Allein die Wohndauer unterschied die Etablierten, die nun schon seit zwei oder drei Generationen zusammenlebten, von den neu Hinzugezogenen (Elias & Scotson 1990:10). Das Werk gibt eine detaillierte Beschreibung des Spannungsverhältnisses innerhalb der Ortschaft. Elias zufolge ist das Beziehungsschema charakteristisch für Etablierten-Außenseiter-Beziehungen, es ist sozusagen ein „empirisches Paradigma“ (ebd.:10). Die Beziehung ist gekennzeichnet durch ein Überlegenheitsgefühl seitens der Etablierten und der Stigmatisierung von Zugezogenen, die nach Auffassung der Etablierten von geringerem Wert sind: „Immer wieder lässt sich beobachten, dass Mitglieder von Gruppen, die im Hinblick auf ihre Macht anderen, interdependenten Gruppen überlegen sind, von sich glauben, sie seien im Hinblick auf ihre menschliche Qualität besser als die anderen“ (ebd.). Äußerungen über die eigenen, angeblich positiven Eigenschaften und die angeblich negativen Eigenschaften der Zugezogenen bezeichnen Elias und Scotson als (eigenes) Gruppencharisma und (fremde) Gruppenschande, wobei beide ergänzend auftreten (ebd.:16). Diese starke Grenzziehung und die ablehnende Haltung gegenüber den Neuzugezogenen basiert auf dem Gefühl, im „Wir-Bild und WirIdeal“ angegriffen worden zu sein, und der Angst, Machtpositionen zu verlieren. Der Verlust von Macht würde das Selbstbild von der eigenen menschlichen Überlegenheit infrage stellen (ebd.:49). Es stellt sich die Frage, welche Mittel eine bestimmte Gruppe - hier Etablierten - verwendet, um das negative Bild von Außenseitern zu produzieren und ihre eigene Macht aufrechtzuerhalten. Ein Instrument, von Elias und Scotson sogar als „Waffe“ bezeichnet, ist der „Schimpfklatsch, abschätzige Kennworte, stigmatisierende Glaubensannahmen über die ganze Gruppe, die von Beobachtungen an ihrer schlechtesten Teilgruppe abgeleitet sind und soweit machbar, Ausschluss von sämtlichen Machtchancen“ (ebd.:249). Typische Etablierten-Außenseiter-Beziehungen treten laut Elias und Scotson infolge von Industrialisierungsprozessen und die damit einhergehende räumliche und soziale Mobilität verstärkt auf. Menschen wechseln nicht nur ihren Wohnort, sie wechseln zugleich auch „von einer Gesellschaftsgruppe in eine andere über. Sie müssen immer Beziehungen zu bereits vorhandenen Gruppen aufnehmen“ (ebd.:248). Dies führt, so Elias und Scotson, dazu, dass die Neuzugezogenen versuchen, ihre Position zu verbessern. Gleichzeitig versuchen die Etablierten, ihre Position zu halten: „Die ersteren stoßen sich an dem ihnen zugewiese-

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nen niedrigeren Status und streben oft nach oben, während die letzteren ihren höheren Status, den die Zuwanderer anscheinend bedrohen, zu wahren suchen“ (ebd.:249) Diese charakteristische Eigenschaft einer Etablierten-AußenseiterBeziehung tritt bei unterschiedlichen Gruppen auf. Laut Elias und Scotson werden diese Probleme fälschlicherweise meist als „Rassismus“ oder als „Klassenprobleme“ bezeichnet, doch gerade das Beispiel von Winston Parva zeigt, dass sich entsprechende Beziehungen auch zwischen Gruppen gleicher ethnischer Herkunft, Religion und sozialem Status entwickeln und Etablierte die gleichen negativen Gefühle gegenüber Außenseitern hegen. Elias und Scotson sehen eine universale strukturelle Regelmäßigkeit von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen. Das Beziehungsgeflecht zwischen Gruppen, die auch zusätzlich durch ethnische Herkunft oder Hautfarbe beeinflusst sind, bezeichnen sie als „Varianten derselben Grundfiguration“ (ebd.:247). Die Autoren distanzieren sich somit eindeutig von dem Begriff „Rassenbeziehungen“: „Dass sich die Mitglieder der beiden Gruppen in ihrem körperlichen Aussehen unterscheiden oder dass eine von ihnen die Sprache, in der sie kommunizieren, mit einem anderen Akzent und anderer Flüssigkeit spricht, dient lediglich als ein verstärkendes Schibboleth22, das die Angehörigen der Außenseitergruppe leichter als solche kenntlich macht.“ (Elias & Scotson 1990:26)

Herkunftsbedingte Merkmale wie beispielsweise die unterschiedliche Hautfarbe sind ihrer Meinung nach nur „Nebenaspekte dieser Figuration“. Der Kern einer Figuration liegt in den Machtunterschieden und der Art der Verflechtung zwischen Außenseitern und Etablierten (ebd.:27). Die soziale Funktion der Grenzziehungen seitens der Etablierten liegt in der Aufrechterhaltung der eigenen Machtposition (ebd.:18). Gerade in der heutigen Zeit, in der Außenseiter bessere Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs haben, wird deutlich, dass Figurationen keine starren Beziehungsgeflechte sind, sondern eigene Dynamiken besitzen. Aus diesem Grunde erfordert die Analyse einer Figuration Elias und Scotson zufolge die Berücksichtigung historischer Dimensionen: „Die Konzentration auf kurzfristige Tagesprobleme und eine Tendenz, die LangfristEntwicklung von Gesellschaften als ein unstrukturiertes historisches Vorspiel der Gegenwart zu sehen, blockieren heute noch das Verständnis langer Sequenzen der Gesellschafts22 Schibboleth bedeutet soviel wie Erkennungszeichen. Es kann anderen Personen Auskunft über die Gruppenzugehörigkeit oder die Nichtgruppenzugehörigkeit einer Person geben.

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entwicklung in ihrer Gerichtetheit. Zu ihnen gehört also auch die Bewegung auf- und absteigender Gruppen oder die Dialektik von Unterdrückung und Gegenunterdrückung, die Entwertung der Größenvorstellungen einer Etabliertengruppe durch die einer vormaligen Außenseitergruppe, die an Macht gewinnt und ihre Vertreter in die Position eines Establishments neuer Stufe emporträgt.“ (ebd.:34)

Ferner ist nach Elias und Scotson der Blick auf die zeitliche Dimension notwendig, um die Bildung des Wir-Gefühls der Etablierten zu verstehen. Die Gruppe der Etablierten in ihrer Untersuchung verfügte über gemeinsame Erinnerungen, Erfahrungen und Werte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine homogene Gruppe mit gleichgestellten Mitgliedern war. Unter den Etablierten und auch den Familien gab es eine „Rang- und Hackordnung“, Freundschaften und Feindschaften. Die Gruppe hatte einen Prozess durchlebt, der den Mitgliedern das Gefühl des Zusammengehörens gab. Aus diesem Grunde unterschieden sie klar zwischen „Wir“ (Etablierte) und „Sie“, die Neuankömmlinge (ebd.:38). In einem Beziehungsgeflecht, in dem sich die Gruppe der Alteingesessenen überlegen fühlt, stellt sich die Frage, wie die Zugezogenen auf diskriminierende Erfahrungen reagieren. In der Untersuchung sahen sie selbst zu Beginn keinen Unterschied zwischen sich und den Familien, die schon über Generationen in Winston Parva lebten. Wie Elias und Scotson ausführen, übernehmen Außenseiter aber die von den Etablierten gestellte Rangordnung und fühlen sich minderwertig, da sie Stigmatisierungen ausgesetzt sind, diskriminiert werden und ihnen der Zugang zu Machtpositionen verwehrt bleibt (ebd.:22). Die Folge ist, dass Außenseiter sich dem Bild anpassen, das von ihnen bei den Etablierten herrscht: „Gib einer Gruppe einen schlechten Namen, und sie wird ihm nachkommen“ (ebd.:24). In Winston Parva verhielt sich der Großteil der Bewohner zwar unauffällig, aber die Kinder und Jugendlichen der „ungeordneten Familien“23 benahmen sich so, wie es von ihnen erwartet wurde. Sie benahmen sich bewusst schlecht, ärgerten die Etablierten absichtlich, „sie taten mit Gusto eben die Dinge, die ihnen vorgeworfen wurden, um es denen heimzuzahlen, die sie ihnen vorwarfen“ (ebd.:215). In der Ablehnung seitens der Etablierten sehen Elias und Scotson den Grund für die Delinquenz von Kindern und Jugendlichen der Außenseitergruppe: „Sie wurden von ihrer Gemeinde abgelehnt, weil sie sich 23 Elias und Scotson erwähnen einen Jugendclub, in dem sich drei Gruppen ausdifferenzierten: die Gruppe der Jugendlichen aus dem Dorf (Etablierte), die Gruppe der „respektable“ Jugendlichen aus der Siedlung (Außenseitergruppe) und die Gruppe der Jugendlichen aus ungeordneten „Siedlungs“familien (Elias & Scotson 1990:207). Die Autoren stellen allerdings klar, dass die besonders auffälligen Jugendlichen eine Minorität waren.

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schlecht benahmen, und benahmen sich schlecht, weil sie abgelehnt wurden“ (ebd.:216ff.). Daher reicht eine psychologisch orientierte Diagnose nicht aus, um Delinquenz unter Jugendlichen zu fassen. Delinquenz steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Struktur insbesondere in der Gemeinde (ebd.:195). Die Jugendphase stellt hinsichtlich Identitätsentwicklung und Selbstachtung eine besonders sensible Zeit dar. Instabile Familienkonstellationen und Ausgrenzungen der eigenen Familie gehören zu den Erfahrungen, die sich negativ auf das Selbstbild auswirken können wie im Beispiel Winston Parva: „Wenn sie anfingen, sich auf eigene Füße zu stellen und eine persönliche Identität unabhängig von ihrer Familienidentität zu entwickeln, blieben ihre Selbstachtung und ihr Stolz besonders verwundbar und unausgewogen, weil sie immer abgelehnte Außenseiter gewesen waren und es weiter blieben.“ (Ebd.:201)

Als Folge dessen nahm die Bedeutung von Freundschaften und auch Banden für die betroffenen Jugendlichen zu. Als Gruppe konnten sie anderen gegenüber stärker auftreten. Gleichzeitig wirkten sich Freundschaften positiv auf die Selbstachtung aus. Einige Jugendliche bildeten Banden und versuchten durch Gewalt und Diebstahl ihre eigene Selbstachtung zu steigern (ebd.:202). Der Etablierten-Gruppe standen sie „kriegerisch“ gegenüber: „Permanent versuchten sie, die ordentliche Welt, von der sie, ohne zu wissen, warum, ausgeschlossen waren, zu provozieren, zu stören, anzugreifen und soweit wie möglich zu vernichten.“ (ebd.:203). Mit ihrer Haltung und ihren Aktionen boten sie gleichzeitig neuen Nährstoff für ihre Ablehnung seitens der Etablierten-Gruppe, die ihre Wertung bestätigt sah. Ein Teufelskreis zwischen Ablehnung und Angriff bildete die Beziehung zwischen Etablierten und den Außenseitern24.

24 Weiterhin führen Elias und Scotson aus, dass Erfahrungen, die eine Generation macht, nicht nur diese prägt, sondern dass auch sozial vererbt werden: „Das Verhalten der Eltern in ungeordneten Familien, das zu ihrer Ablehnung und ihrem niedrigen Rang in der Statushierarchie führte, erzeugte bei den Kindern Verhaltenstendenzen, die dann auch zu deren Ablehnung führten, wenn sie sich auf eigene Füße zu stellen begannen.“ (Elias & Scotson 1990:204) Aus diesem Grunde entsteht in der nächsten Generation keine gänzlich andere Figuration.

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3.6 V ERKNÜPFUNG UND A USWAHL THEORETISCHER A NSÄTZE Im Folgenden werde ich nun ausführen, wie ich die bisher diskutierten theoretischen Ansätze als gegenseitige Ergänzungen für meine Analyse nutzbar mache. Ungeachtet der Frage, ob Stilbildungen klassenabhängig oder Ausdruck einer individuell gewählten Lebensführung sind, herrscht Konsens unter klassentheoretischen und modernisierungstheoretischen Ansätzen darüber, dass das Selbstbild und Gruppenidentität durch Abgrenzung erzeugt und aufrechterhalten wird (Moser 2000:44). Clarke et al. sprechen in diesem Zusammenhang von negativen und positiven Reaktionen auf Gruppen oder Ereignisse, die der Formierung einer Gruppenidentität zugrunde liegen: „Eine der wichtigsten Funktionen eines eigenen subkulturellen Stils ist es, die Grenzen der Gruppenmitgliedschaft gegenüber anderen Gruppen zu definieren.“ (1981:141) Ähnlich wie die Vertreter der Cultural Studies zieht Schulze eine Parallele zwischen der Kommunikation der Stile und der sprachlichen Kommunikation: „Eine der potentiellen Bedeutungsebenen dieser Kommunikation ist Distinktion: die Unterscheidung des Subjekts von den anderen“ (1995:109)25. In Anlehnung an Bourdieu betont Schulze die negative Ausrichtung von Distinktion, die darauf zielt, darzustellen, was man nicht ist (ebd.:111). So schreibt Bourdieu: „Der Geschmack ist die Grundlage alles dessen, was man hat – Personen und Sachen –, wie dessen, was man für die anderen ist, dessen, womit man sich selbst einordnet und von den anderen eingeordnet wird. Die Geschmacksäußerungen und Neigungen (d.h. die zum Ausdruck gebrachten Vorlieben) sind die praktische Bestätigung einer unabwendbaren Differenz. Nicht zufällig behaupten sie sich dann, wenn sie sich rechtfertigen sollen, rein negativ, durch die Ablehnung und durch die Abhebung von anderen Geschmacksäußerungen. Mehr noch als anderswo ist in Sachen des Geschmacks omnis determination negatio; so ist wohl auch der Geschmack zunächst einmal Ekel, Widerwille – Abscheu oder tiefes Widerstreben (‚das ist zum Erbrechen‘) – gegenüber dem anderen Geschmack, dem Geschmack der Anderen.“ (Bourdieu 1997:104f.)

Wie in Jugendkulturen allgemein üblich, geschieht die Grenzziehung über den Stil, der sich in erster Linie im Körperlichen bemerkbar macht. Kleidungsstil, Haltung, Bewegungen im Alltag und beim Tanzen und die Gestik zeigen den anderen nicht nur, „wer“ man ist, sondern auch, wer man „nicht“ ist. In der Hip-

25 Zum Ansatz, Stil als eine Kommunikationsform zu verstehen, siehe Hebdige (1987:100ff.).

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Hop-Kultur kommt diesbezüglich ein verstärkender Aspekt hinzu, der in keiner anderen Jugendkultur vergleichbar klar geäußert wird: über die Rap-Musik. In den Texten betonen Rapper ihre Position, sei es politisch, ethnisch, sozial oder jugendkulturell. Was sie gut finden, wer und was sie sind, gegen was sie kämpfen und was sie verabscheuen, bildet die inhaltliche Basis ihrer Texte. Juhasz und Mey weisen darauf hin, dass die Kapitaltheorie von Bourdieu und die Theorie der Etablierten-Außenseiter-Figuration eine gute Basis bilden, „um sowohl klassen- als auch migrationsspezifische Ungleichheiten“ zu erfassen (2003:80). Die Verknüpfung beider Theorien ist auch für meine Forschung sinnvoll, weil es sich bei HipHop um eine Jugendkultur handelt, die in ihrem Ursprung beide Ungleichheiten repräsentierte. Beide theoretischen Richtungen bieten eine Grundlage, um gesellschaftlicher Phänomene zu fassen, ohne auf eine spezielle Jugendkultur einzugehen. Die klassentheoretischen Werke, die im Kontext der Cultural Studies entstanden sind, beschäftigen sich darüber hinaus explizit mit jugendlichen Subkulturen, die entsprechend der theoretischen Grundannahmen über ihren Stil eine Art Widerstand gegenüber einer höheren Klasse leisten und dabei die Probleme ihrer sozialen Schicht zum Ausdruck bringen. Bourdieu lenkt den Blick auf die Kapitalsorten eines Individuums, die den Rahmen für seine oder ihre Lebensform bestimmen. Elias und Scotson dagegen schauen auf die gesellschaftliche Seite, demzufolge die Gesellschaft über Möglichkeiten und Grenzen eines Individuums bestimmt, je nachdem ob es zu der Gruppe der Außenseiter oder der Etablierten gehört. Die Position innerhalb der gesellschaftlichen Figuration bestimmt demnach die Machtposition, die ein Individuum einnehmen kann, ebenso sein Selbstwertgefühl, seine Berufschancen etc. Somit legen Elias und Scotson und die klassentheoretischen Werke der Cultural Studies den Schwerpunkt auf das, was Bourdieu als soziales Kapital bezeichnet: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und das Netzwerk, über das ein Individuum verfügt. Laut Bourdieu wird der Wert des sozialen Kapitals, über das ein Individuum verfügt, daran gemessen, wie hoch die Kapitalsorten sind, über die andere Personen oder die Gruppe verfügen, mit der das Individuum in Beziehung steht. Elias und Scotson formulieren den gleichen Tatbestand in ähnlicher Weise: Es sei davon auszugehen, dass das Ansehen und die Chancen von Menschen von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abhängen, genauer: ob sie zu den Etablierten oder den Außenseitern gehören. Dabei legen Elias und Scotson ihren Schwerpunkt auf die Grenzen, die Menschen von außen in Form von Ausschluss, Stigmatisierungen etc. gesetzt werden. Wie sie am Beispiel Winston Parva dargestellt haben, gab es bezüglich des ökonomischen und kulturellen Kapitals keinerlei Unterschiede zwischen Etablierten und Außenseitern. Allein die Tatsache, neu zugezogen zu sein, bestimmte die Grenzen ihrer

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Möglichkeiten. Wenn man es in den Kategorien von Bourdieu ausdrücken würde, so erhielte das soziale Kapital im Ansatz von Elias und Scotson den wichtigsten Stellenwert in der gesellschaftlichen Figuration. Sowohl Bourdieu als auch Elias und Scotson behandeln die ethnische Herkunft nicht als ein eigenständiges Kriterium. Bei Bourdieu ist sie ein Teil des sozialen Kapitals, bei Elias und Scotson kann die ethnische Herkunft ein Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Außenseitergruppe sein (s. Kap. 3.5). Elias und Scotson geben Beispiele, wie die gesellschaftliche Position einer Außenseitergruppe nicht nur die nächste Generation prägt, sondern teilweise sogar über Jahrhunderte die gesellschaftliche Position einer Gruppe beeinflussen kann. Gleichzeitig betonen sie, dass Figurationen keine starren Gebilde sind, sondern sich in der heutigen Zeit leicht verändern können. Bei abnehmendem Machtgefälle könnte es beispielsweise zu Gegenstigmatisierung kommen, die Autoren sprechen von der „Dialektik von Unterdrückung und Gegenunterdrückung“ (Elias & Scotson 1990:34). Außenseitergruppen können nach einer gewissen Zeit aufsteigen, Macht generieren und ihre Mitglieder mitziehen. Vormals etablierte Gruppen können zu Außenseitern werden, Grenzen können verschwinden (ebd.:33f.). Allerdings gehen Elias und Scotson nur peripher auf solche Veränderungsprozesse ein. Ihr Schwerpunkt liegt in der Analyse einer Figuration und wie diese die nächsten Generationen prägt. Einer detaillierten Bearbeitung der Auflösung von Gruppengrenzen wird kaum Beachtung geschenkt. An diesem Punkt der Überlegung können meines Erachtens Individualisierungstheorien die Lücke füllen, ohne dem Konzept der Figuration gänzlich zu widersprechen. Für meine Forschung interessierte es, in welcher Form Gruppengrenzen durchlässig werden und inwieweit die Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe an Bedeutung abnimmt. Es geht deshalb in der vorliegenden Arbeit um die Frage, inwieweit die soziale und ethnische Herkunft über Sympathie und Antipathie gegenüber der HipHop-Kultur entscheidet und in welcher Form innerhalb der HipHop-Kultur die soziale und ethnische Herkunft zum Ausdruck kommt oder auch in den Hintergrund gerückt wird.

4. Ethnizität und Nationalismus im (deutsch-)türkischen HipHop in Berlin und Istanbul – ein historischer Abriss im Vergleich der beiden Städte

Nachdem ich meine methodische Herangehensweise und den theoretischen Rahmen vorgestellt habe, möchte ich nun im empirischen Teil die HipHopKultur mit dem Schwerpunkt Rap-Musik in Berlin und Istanbul analysieren. Im Kapitel 4 werde ich die Entwicklung der HipHop-Kultur in beiden Städten bis zum Jahr 2000 beschreiben und genauer darauf eingehen, in welchem politischen Kontext HipHop-Kultur in beide Städte kam und in welcher Form Ethnizität und Nationalismus damit ausgelebt oder auch negiert wurde. Im Fokus der Arbeit steht die zweite Hälfte der 1990er Jahre. Dennoch möchte ich über den historischen Abriss hinaus auch auf aktuelle Entwicklungen, auf die Prozesshaftigkeit und Wandelbarkeit von subkulturellen Phänomenen hinweisen. Ein kurzer Exkurs auf die deutschtürkische Pop-Kultur in Berlin soll den Blick für subkulturelle Phänomene unter deutschtürkischen Jugendlichen weiten.

4.1 B ERLIN : H IP H OP ALS EINE ETABLIERTE K ULTUR DER A USSENSEITER Es ist allgemein bekannt, dass sich in Berlin Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders stark im HipHop-Bereich engagieren. Einige namhafte Vertreter sind inzwischen überaus erfolgreich aktiv und gestalten die Welt des HipHop in Deutschland. Im folgenden Kapitel möchte ich herausarbeiten, wie der politische und gesellschaftliche Kontext in Berlin die Form der Aneignung und des Auslebens der HipHop-Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen beeinflusst

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und zu dieser massiven Verbreitung geführt hat. Es geht dabei um Fragen, die sich speziell auf die Etablierten-Außenseiter-Beziehung zwischen Deutschen und Deutschtürken und auf den Umgang mit Ethnizität und Nationalität richten. Hier gehe ich explizit auf die Frage ein, in welchem politischen Kontext sich die HipHop-Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen verbreitet hat und was charakteristisch für die Art und Form der Rap-Musik unter ihnen war. Dabei geht es mir explizit um die Frage, wie Jugendliche über Rap-Musik ihre gesellschaftliche Position, ihre ethnische und soziale Herkunft sowohl vor als auch nach der deutschen Wiedervereinigung zum Ausdruck brachten. In welcher Form konnten sie dabei ihre kulturellen und sozialen Ressourcen einbringen? Wie haben sich gesellschaftliche und politische Veränderungen in der Nachwendezeit auf die Rap-Musik unter ihnen ausgewirkt? Um die deutschtürkische HipHop-Szene in Berlin Ende der 1990er Jahre zu verstehen und zu analysieren, ist ein Blick auf die historische Entwicklung notwendig. Für einen Zeitraum von ca. 20 Jahren erscheint der Begriff „historisch“ übertrieben, doch gemessen an der Kurzlebigkeit jugendkultureller Phänomene, Stile und Modeerscheinungen ist es mehr als berechtigt, von einer historischen Perspektive zu sprechen. Nicht nur die Situation der türkischen Einwanderer, sondern auch die HipHop-Kultur an sich hat sich seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren verändert. 4.1.1 Die 1980er Jahre: HipHop kommt nach Deutschland HipHop entwickelte sich in den 1970er Jahren im New Yorker Stadtteil Bronx unter der ärmeren afroamerikanischen Bevölkerung, nicht zufällig in einer Phase zunehmender Jugendkriminalität, sinkender Realeinkommen und Jugendarbeitslosigkeit (Grimm 1998:13). Die legendären Block Partys, zu deren Initiatoren Kool DJ Herc, Afrika Bambaata oder Grandmaster Flash gehörten, gelten als der Beginn der HipHop-Kultur. Block Partys fanden spontan organisiert an öffentlichen Orten wie Straßen und Parks oder leer stehenden Gebäuden statt, ihre Teilnehmer waren aus der Umgebung, aus der Bronx oder von der Straße. Verfeindete Jugendgangs und andere Jugendgruppen kamen hier zusammen, um ihre Wettkämpfe in Form von Breakdance und Rap auszutragen, statt über körperliche Gewalt1. So bot die HipHop-Kultur schwarzen Jugendlichen „eine Alternative zu den gewalttätigen Bandenkriegen, die in den späten 60ern wieder aufgeflammt waren“ (Toop 1992:19)2. Durch bestimmte Leistungen als Sprüher, Breakdancer, Rapper bzw. als MC (Master of Ceremony) oder als DJ konnten 1 2

Siehe auch Verlan (2001), Niemczyk (2001). Siehe auch Loh & Verlan (2000), Klein (2003), Steffensmeier & Streifel & Harer (1987).

4. E THNIZITÄT

UND

N ATIONALISMUS

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Jugendliche die Anerkennung finden, die sie ansonsten in der Gesellschaft nicht erhielten. Rap-Musik war schon von Anfang an ein synkretistisches Phänomen, das verschiedene Stile und Ausdrucksformen zusammenbrachte. Ein aus afrikanischen Traditionen weiterentwickelter Sprechgesang begleitet von einer Musik, in der zwei Platten miteinander gemischt wurden. Getragen wurde die Musik von Beats, teilweise inspiriert von den Electro-Beats und Melodien der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Funkelemente waren ebenso charakteristisch wie eingespielte Geräusche. Diese Kombinationsmöglichkeiten, die die Rap-Musik ausmachte, führten dazu, dass sie in den folgenden Jahrzehnten weltweit unzählige verschiedene Stilmischungen hervorbringen sollte. Enthielt Rap-Musik zunächst als Party-Musik keine spezifisch politischen Aussagen, so sollten die Rapper von Grandmaster Flash & the Furious Five mit der Veröffentlichung der Single „The Message“ im Jahre 1982 der Rap-Musik eine politische Richtung weisen – einer Musik, die zum Sprachrohr von Minderheiten wurde. In diesem Song beschreiben die legendären Rapper das harte Leben in der Bronx, das von Kriminalität, Drogen und Gewalt geprägt ist. Nach Dufresne ist es diesem Song zu verdanken, dass HipHop keine Mode, sondern eine Bewegung geworden ist (1997:45). Dass sich diese Bewegung in den nächsten Jahrzehnten weltweit zu einer bedeutenden Jugendkultur mit unterschiedlichen Strömungen und Stilen entwickeln würde, war in den Anfangsjahren kaum vorhersehbar. Vier Jahre nach der Veröffentlichung der ersten populären Platte „Rapper’s Delight“ von Sugar Hill Gang im Jahre 1979 in Amerika, tanzten Berliner Jugendliche Breakdance auf dem Kurfürstendamm und in einigen ausgewählten Diskotheken und die ersten Jugendlichen begannen, Graffitis auf die Berliner Mauer zu sprühen. Ihre Vorbilder waren Grandmaster Flash, DJ Kool Herc, Rock Steady Crew und andere New Yorker HipHop-Künstler, die stellvertretend für diese Kultur standen. Für Jugendliche in Berlin waren amerikanische Filme wie „Wild Style“ (1982) und insbesondere „Beat Street“ (1984) der Einstieg in die Welt des HipHop. Es waren Filme, die mit der Darstellung der HipHop-Kultur in der Bronx die Vorstellung von Werten und Authentizität im HipHop geprägt haben. Auch deutsche Medien beteiligten sich an der Verbreitung dieser Jugendkultur: In den staatlichen Fernsehprogrammen von ARD und ZDF liefen HipHop-Musikvideos, Eisi Gulp moderierte einen Breakdance-Kurs, in der damals bedeutendsten Jungendsendung „Formel Eins“ bekamen US-amerikanische Rapper einen Gastauftritt. Der Berliner Radiosender SFB brachte wöchentlich ein vom Sender Kiss

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FM3 übernommenes Format, das sich auf Blackmusic und Dance konzentrierte. Printmedien wie die Jugendzeitschrift BRAVO widmeten dem neuen Stil ganze Sonderausgaben4. Darüber hinaus wurde der Zugang zur HipHop-Kultur durch die Anwesenheit der US-amerikanischen Streitkräfte in Berlin gefördert. Nicht nur wurde HipHop in den von den Soldaten frequentierten Diskotheken bevorzugt gespielt, sondern auch von ehemaligen Soldaten unterstützt, die nach ihrer Dienstzeit in Deutschland geblieben waren und als DJs arbeiteten oder Plattengeschäfte betrieben. Mehrere Interviewpartner haben zudem bestätigt, dass sich das Interesse einiger Berliner Jugendlichen an der HipHop Kultur durch ihren direkten Kontakt mit Kindern von GI’s entwickelt hat, die HipHop Musik hörten5. Politische Situation der deutschtürkischen Jugendlichen im Deutschland der 1980er Jahren Ähnlich wie in den USA entwickelte sich HipHop unter deutschtürkischen Jugendlichen in einer besonderen Situation. Diese sogenannte zweite Generation der türkischen Migranten hatte als erste größere deutschtürkische Gruppe ihre Kindheit und Jugend in Deutschland verbracht6. Im Gegensatz zu ihren Eltern erfuhren sie ihre Sozialisation in einem für ihre Eltern fremden Land. Mit Eltern, die zum Großteil als Gastarbeiter mit geringer Bildung nach Deutschland gekommen waren, kann die Mehrheit der deutschtürkischen Jugendlichen in diesem Zeitraum als zu einer benachteiligten Bevölkerungsschicht zugehörig bezeichnet werden7. Wie Hoffmann-Nowotny für die Schweiz feststellte, können „die vom Einwanderer mitgebrachten geringen Voraussetzungen hinsichtlich der Bildung, der beruflichen Qualifikation und der sozialen Herkunft dazu beitragen, einen finanziellen und/oder beruflichen Aufstieg zu bremsen“ (HoffmannNowotny 1973:196). Am Beispiel der Italiener in der Schweiz stellte er fest, dass „eine im Auswanderungsland marginale Gruppe zu einer im Einwanderungsland wiederum marginalen Gruppe geworden“ ist (Hoffmann-Nowotny 1973:265). Allerdings waren die sozialen Verhältnisse der damals sogenannten „Gastarbeiter“ nicht mit den Schwarzen in Amerika aus der Bronx zu vergleichen gewesen. In Zeiten des Wirtschaftswunders und auch nach dem Abebben des Nachkriegs3 4 5 6 7

Kiss FM ist eine auf Blackmusic und Dance spezialisierte, internationale Radiokette (vgl. Krekow et al. 1999:184). Zu den Anfängen der HipHop-Kultur in Deutschland siehe unter anderem Verlan und Loh (2000), Güngör und Loh (2002), Klein und Friedrich (2003), Klausegger (2009). DJ Mahmut machte mich bei einem Gespräch am 5.6.2000 auf dieses Phänomen aufmerksam. Vgl. hier Elflein (1998:261). Vgl. Hoffmann-Nowotny (1973).

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booms waren sie nicht arbeitslos und ihre familiären Verhältnisse waren eher durch Stabilität gekennzeichnet, wenngleich räumliche Trennungen (Türkei/ Deutschland) zu Kindern oder zwischen Ehepartnern in Kauf genommen wurden. Drogen waren damals nicht das Thema unter den sogenannten Gastarbeitern und ihren Kindern. Die aus dem Zuzug der türkischen Migranten entstandene Figuration, das Verhältnis zwischen der deutschen und der türkischen Bevölkerung, weist deutliche Parallelen zu der von Elias und Scotson beschriebenen Etablierten-Außenseiter-Beziehung in Winston Parva auf. Elias und Scotson illustrierten an ihrem Beispiel deutlich, dass das Modell der Etablierten-Außenseiter-Figuration als ein „empirisches Paradigma“ zu verstehen ist, das sich unabhängig von sozialer, ethnischer oder religiöser Herkunft durch die Mobilität von Menschen entwickelt (1990:10f.). Das heißt, dass allein der Zuzug und nicht die Herkunft der Zugezogenen ausschlaggebend für eine Etablierten- oder Außenseiterposition ist. Die kulturellen Unterschiede zwischen der türkischstämmigen und der deutschen Bevölkerung sind in den Worten von Elias und Scotson ein „verstärkendes Schibboleth“, also ein auffälligeres Erkennungszeichen. Durch äußere Unterschiede, die türkische Sprache, den offensichtlich türkischen Namen und die geringere deutsche Sprachkompetenz konnte auf die Herkunft geschlossen werden, ohne die Personen persönlich zu kennen. Stigmatisierungen und Diskriminierungen gehörten zum Alltag vieler türkischen Migranten, trotz der Größe und der Anonymität Berlins. Gleichzeitig änderten sich politische Maßnahmen und Diskurse bezüglich der nationalen Identität in negativer Form gemäß der wirtschaftlichen Situation. Wegen des Arbeitskräftemangels in den Zeiten des Wirtschaftswunders wurden Arbeiter aus verschiedenen Ländern angeworben. Bereits 1961 wurde der Anwerbevertrag für Arbeitskräfte mit der Türkei geschlossen. Doch mit dem Ende des Wirtschaftswunders setzen 1973 durch den Anwerbestopp Bemühungen ein, die steigende Zahl von Gastarbeitern zu drosseln, wobei Familienzusammenführungen allerdings weiterhin zugelassen waren. Während die nationale Identität zuvor auf dem Phänomen des Wirtschaftswunders basierte, mussten nun neue Identifikationsmuster geschaffen werden. Die kulturelle Differenz trat verstärkt in den Vordergrund: „Deutschsein wurde also in erster Linie wieder ethnisch-kulturell definiert.“ (Antirassistische Gruppe Leipzig 2002, im Internet) Zuschreibungen wie „Gastarbeiter“ oder „Ausländer“ prägten den politischen und gesellschaftlichen Diskurs über deutschtürkische Jugendliche, Begriffe, die eine klare Grenzziehung zwischen den „Deutschen“ und Kindern mit Eltern türkischer Herkunft verdeutlichen. Schon 1980 machte die NPD bei ihrem Bundestagswahlkampf unter der Parole „Ausländerstop – Deutschland den Deutschen“

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von sich reden, ein Satz, der noch häufig auch von weniger rechtsradikalen Personen im Alltag und auf Demonstrationen wiederholt wurde. Die 1983 gegründete rechtsextreme Partei „Republikaner“ warnte vor „Überfremdung“. Hinzu kam, dass in den 1980er Jahren eine größere Anzahl von Flüchtlingen und Asylanten in Deutschland ihr neues Zuhause fanden. In einer Phase der gestiegenen Arbeitslosigkeit instrumentalisierten einige Parteien bevorzugt das Thema „Ausländerpolitik“. Wirtschaftliche Probleme begründeten sie mit der hohen Zahl der „Ausländer“ und eine „emotional geführte Debatte in der Politik wuchs“ (Butterwegge 2005, im Internet). Dies wiederum verstärkte die Angst vor dem „Anderen“. Der politische und gesellschaftliche Diskurs basierte auf einer Zweiteilung der Gesellschaft, gezogen entlang der Linie nationaler Herkunft in „Wir“ und „Sie“. Nationalistisch orientierte Deutsche produzierten ein überlegenes Bild von sich, während sie türkischen zugezogenen Menschen einen hohen Wert ihres kulturellen und sozialen Kapitals absprachen. Das symbolische Kapital der Deutschtürken, also die Anerkennung des kulturellen und sozialen Kapitals seitens der Gesellschaft, war gering, die Heterogenität der türkischen Migranten wurde nicht beachtet oder thematisiert. Wie Hall bemerkt, sind nationale Identitäten nicht etwas, womit wir geboren werden, sondern etwas, was sich auf der Ebene der Repräsentation formiert und transformiert. Nationen sind, laut Hall, nicht nur als politische Einheit zu verstehen, sondern als Einheit, in der Bedeutungen produziert werden: „A system of cultural representation. People are not only legal citizens of a nation; they participate in the idea of the nation as represented in its national culture. A nation is a symbolic community.“ (Hall 1993:292)

Eine vermeintliche Homogenität, die jegliche Differenz innerhalb der deutschen Bevölkerung ignorierte, präsentierte zunehmend die in der Öffentlichkeit produzierte nationale deutsche Identität. Nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch im Alltag wurden türkischstämmige Kinder und Jugendliche mit Diskriminierungen und rassistischen Bemerkungen und Handlungen konfrontiert. Während die breitere Öffentlichkeit erst in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen Anschlägen in Solingen und Rostock auf den gewalttätigen Rassismus in Deutschland aufmerksam wurde, waren Diskriminierungen schon in den 1970er und 1980er Jahren ein allgegenwärtiger Bestandteil im Leben türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher in Berlin8. 8

Schon in den 1980er Jahren berichteten Medien über rassistische Demonstrationen und die Partei der Republikaner, doch thematisierten sie kaum rassistische Übergriffe.

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Die Begeisterung der deutschtürkischen Jugendlichen für HipHop Von Anfang an auffällig war die Begeisterung für diese Jugendkultur auf der Seite vieler Migrantenjugendlicher, nicht zuletzt auch seitens deutschtürkischer Jugendlicher. Nach Beobachtungen von Wolfhard Schulze, Lehrer und Gründer der „Kreuzberger Musikalischen Aktion“, ermöglichte erst HipHop vielen türkischen Jugendlichen in Berlin einen Zugang zu westlicher Musik. Schulze beobachtete, dass türkische Jugendliche vor ihrer Begeisterung für HipHop nur etwas mit 7/8 Takten anfangen konnten und es daher schwierig war, mit ihnen Viervierteltaktübungen durchzuführen: „Ganz, ganz schwierige Geschichte, das Moderne, also europäische Rockrhythmen, so körperlich, motorisch zu übertragen“ (Schulze im Interview am 7.10.1999). Nach seiner Beobachtung war Rap-Musik der „Durchbruch“. Die für Jugendliche mit Migrationshintergrund spezifische Situation untersuchte Nohl ausführlich anhand von türkischstämmigen HipHop-Aktivisten. Nach Nohl erfahren Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Phase der Adoleszenz eine besondere Differenz zwischen der „… inneren Sphäre des Elternhauses und der Einwanderungscommunity einerseits und der äußeren Sphäre der Gesellschaft und ihrer Institutionen andererseits. Die äußere Sphäre ist durch gesellschaftlich-abstrahierte Beziehungsformen geprägt, wie sie vor allem in Form von institutionalisierten Ablaufmustern (Schule, Ausbildung), aber auch in ethnischer Diskriminierung Niederschlag in den jugendlichen Erfahrungen finden. Die innere Sphäre umfasst einen – bisweilen unvermittelt – aus dem Herkunftsland der Eltern tradierten Sozialitätsmodus.“ (Nohl 2003:305)

Aufgrund seiner Forschung über türkischstämmige Breakdancer spricht Nohl von der dritten Sphäre, die sich zwischen den inneren und äußeren Sphären entfaltet: dem Breakdance (ebd.:307). Durch diesen Tanz und allgemein durch die Aktivitäten im HipHop grenzen sich Jugendliche von beiden Sphären ab und schaffen so einen Raum, in dem sie biographische Perspektiven entfalten können (ebd.:312). Diesen Raum bezeichnet Nohl auch als ein „generationsspezifisches Milieu“ (ebd.). Eine solche dritte Sphäre könnte jede Jugendkultur einnehmen. Doch im Gegensatz zu anderen Musikrichtungen nahm HipHop nicht die Stellung einer vorübergehenden Modewelle an. Diese leistungsorientierte Jugendkultur stellte eine Möglichkeit dar, sich selbst zu verwirklichen und Anerkennung unter Altersgenossen zu erlangen. Gleichzeitig konnten die Jugendlichen ihre gesellschaftlich marginale Position positiv präsentieren, ihre Außenseiterposition äsErst mit der Eskalation der Gewalt Anfang der 1990er Jahre rückte das Thema in den Mittelpunkt des medialen Interesses.

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thetisieren und dadurch zumindest in diesem Bereich ihr soziales Kapital aufwerten. Diese Jugendkultur gab ihnen die Möglichkeit, aus der Unsichtbarkeit herauszutreten9. Das starke Interesse an HipHop unter deutschtürkischen Jugendlichen kann als ein Beispiel für den Ansatz der Cultural Studies verstanden werden, Subkulturen als einen Bereich zu sehen, in dem Jugendliche die Probleme ihrer sozialen Schicht zum Ausdruck bringen können. Der Widerstand gegen die gesellschaftlichen Missstände erfolgte in den 1980er Jahren durch die Imitation dieser amerikanischen Subkultur noch symbolisch. Dass insbesondere HipHop von Anfang an unter türkischstämmigen Jugendlichen einen so breiten Anklang fand und nicht beispielsweise Punk, der sich zur gleichen Zeit entwickelte und ebenso als Kultur einer unterprivilegierten Schicht galt, hängt unter anderem mit den Identifikationsmöglichkeiten zusammen, die HipHop als eine Jugendkultur der Afroamerikaner mit sich brachte. Während Punk die soziale Randposition ästhetisiert, repräsentiert HipHop eine Kultur der sowohl sozial als auch ethnisch Marginalisierten. Treffend beschreibt Jacob den Unterschied zwischen Punk und Rap: „Punk kokettierte mit einer Armutskultur, was sich nur Leute erlauben können, die das Gefühl haben, dass ihr Außenseitertum frei gewählt ist, dass sie also notfalls von der Gesellschaft wieder aufgenommen werden. Für die Zwangsausgegrenzten ist eine solche Praxis nicht verlockend. Sie stehen schon ohne ihr Zutun draußen. Armutskultur, Konsumfeindlichkeit und symbolische Verlierergesten können sie sich nicht leisten.“ (Jacob 1997:431)

HipHop dagegen bot den deutschtürkischen Jugendlichen besondere Identifikationsmöglichkeiten: „Wir konnten es nachvollziehen und fühlten uns repräsentiert“, meint der Rapper Erci E. aus Berlin. Auch wenn nach seiner Auffassung die Situation der Migranten in Deutschland nicht identisch mit derjenigen der Afroamerikaner in den USA war, so zeigt der Vergleich aber, „dass Diskriminierung auch immer ähnliche Gesichter hat“ (Erci E. im Interview am 18.10.1999). Im Gegensatz zu anderen jugendlichen Subkulturen entstand HipHop aus ethnischen Benachteiligungen und brachte in Berlin Jugendliche unterschiedlicher ethnischer Herkunft zusammen, die eine gesellschaftliche Randposition einnahmen. Güngör und Loh (2002:23) weisen in diesem Zusammenhang auf die kulturelle und soziale Integrationskraft von HipHop hin. Zu Beginn entsprang das Interesse an dieser Jugendkultur unter deutschtürkischen Jugendlichen nicht ausschließlich aus deren Protestpotenzial, sondern auch

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Siehe auch Jacob (1996:178).

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aus den Möglichkeiten der Identifizierung mit den US-amerikanischen Schwarzen und dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Bestätigung. Allein die Tatsache, dass die Jugendlichen durch Breakdance einen Zugang zur HipHopKultur fanden, macht deutlich wie sehr ihre Identifizierung mit der gesellschaftlichen Position afroamerikanischer HipHop-Aktivisten und deren Repräsentation eines bestimmten Männlichkeitsbildes sowie ihre Suche nach Anerkennung von Bedeutung war. Die große Popularität von Michael Jackson in der ersten Hälfte der 1980er Jahre unter deutschtürkischen Jugendlichen und die Kopie seines Tanzes belegen diese Wurzeln. Michael Jackson wurde für seine Musik und seinen Tanz berühmt, ohne eine Protestkultur auszudrücken. Gesprächs- und Interviewpartner gaben an, dass sie über Freunde oder durch Konzerte auf HipHop gekommen sind. Breakdance-Auftritte in der Naunynritze spornten Jugendliche zur Nachahmung an. Freunde in der Schule schrieben RapTexte und weckten damit das Interesse bei weiteren Freunden. Bektaş wurde von Freunden aus seiner Umgebung angestiftetet: „komm mal, mach mal mit, lass uns mal Bilder malen“ (Bektaş im Interview am 14.10.1999). Einige Jugendliche, die sich zunächst mit Breakdance oder mit Graffiti beschäftigt hatten, fanden später zur Rap-Musik und schrieben selbst Texte. Dazu Bektaş: „Ich habe auch draußen nicht viel gesprüht. Ich habe mehr zu Hause gemacht. Auf Papier so. Ja, wie gesagt zur Musik bin ich durch Freunde gekommen, die haben auch pausenlos gerappt. Und ich habe Beatbox10 dazu gemacht, obwohl ich’s gar nicht konnte, einfach so. Und die haben mich angesprochen, ‚mach mal, schreib mal Texte’. Auf Englisch haben wir zuerst angefangen. Ich habe damals schon mit Erci Musik gemacht, Erci E. von Cartel (…). Das waren eigentlich nur Türken. Damals war es aber eher so spaßeshalber, eigentlich nur Freizeit, kein Hobby gar nicht. Wenn man Bock hatte, hat man sich getroffen, Texte geschrieben mit Wörterbüchern, englischen, so. Damals haben wir noch keinen deutsch-türkischen Rap gemacht.“ (Bektaş im Interview am 14.10.1999)

Es waren vornehmlich Migrantenjugendliche, die weiter im HipHop-Bereich aktiv blieben, als Mitte der 1980er Jahre die große Popularität der HipHop-Kultur in Deutschland schlagartig abnahm. Im privaten Bereich und in Jugendzentren wurde weiter getanzt und Partys veranstaltet. Mit zahlreichen HipHop-Veranstaltungen und Workshops versuchten Jugendeinrichtungen, dem Phänomen zunehmender Jugendgewalt und Gangbildung, deren Ausmaß Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, entgegenzuwirken (siehe Kapitel 6.1.3). 10 Beim Beatbox werden Melodie und Rhythmus von einer Person ausschließlich durch den Mund produziert (siehe Glossar).

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Während die Jugendlichen in der Anfangsphase insbesondere im Breakdance-Bereich aktiv waren und sich zum Teil zu professionellen Tänzern entwickelt hatten, gewann Rap als ein Teil der HipHop-Kultur erst Ende der 1980er Jahre in Berlin an Bedeutung. 1989 veröffentlichte die Berliner Band Rock Da Most die erste deutsche HipHop-Platte „Use the Posse“ in englischer Sprache. Ihr DJ Derezon (väterlicherseits spanischer, mütterlicherseits deutscher Herkunft), der zwischenzeitlich als DJ in Brooklyn Erfahrungen gesammelt hatte, war später eine zentrale Figur in der Entwicklung der HipHop-Kultur in Berlin (Elflein 1998:257). Der Rap orientierte sich zunächst stark an US-amerikanischen Vorbildern, die Sprache war ausschließlich Englisch. Waren diese Veröffentlichung und auch die sonstigen Aktivitäten im Bereich der HipHop-Kultur nur einer kleineren Szene vorbehalten, so erweckte das Projekt Snap von Frankfurter Produzenten mit ihrem internationalen Hit „The Power“ das breitere Interesse am HipHop. Auch dieser Song mit seiner englischen Rap-Musik und den ausschließlich schwarzen Sängern, Sängerin und Tänzern vermittelte den Eindruck einer US-amerikanischen Musik. Für die Zeit bis Ende der 1980er Jahre lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Beziehung zwischen Deutschen und Türken in Berlin eine charakteristische Etablierten-Außenseiter-Figuration repräsentierte, in der Machtverhältnisse über den politischen Diskurs und entsprechende Maßnahmen und ebenso über Stigmatisierungen im Alltag aufrechterhalten wurden. Gerade die Anfangszeit der HipHop-Geschichte in Berlin zeigt, dass das Interesse an HipHop seitens deutschtürkischer Jugendlicher vornehmlich auf der kapital- und figurationsbedingten Ungleichheit basierte. Sie konnten sich mit der Kultur aus der Bronx identifizieren, die ihnen vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten bot. Wie die Cultural Studies in anderen Fällen analysiert haben, kann auch hier davon ausgegangen werden, dass diese Jugendlichen ihre gesellschaftlichen Probleme über einen Stil in ästhetischer Form zum Ausdruck brachten. Wie ich im Folgenden darstellen werde, sollte der alltägliche und politische Rassismus im Zuge der Wiedervereinigung eskalieren und dies führte dazu, dass der HipHop zeitgleich unter deutschtürkischen Jugendlichen eine besondere Stellung einnahm. 4.1.2 Die erste Hälfte der 1990er Jahre: Ethnisierung der Rap-Musik als Antwort auf den deutschen Rassismus in der Nachwendezeit Im Laufe der 1990er Jahre entwickelten deutschtürkische Jugendliche in Berlin zunehmend ihren eigenen Stil, der nun nicht mehr eine reine Kopie der USamerikanischen Rap-Musik war. Sie nutzten Rap, um ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Kritik auf lokaler Ebene in ihrer Sprache auszudrücken und sam-

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pelten orientalische Melodien zu HipHop-Beats. Rap-Musik in Deutschland entwickelte sich zunächst in zwei Richtungen, die sich nicht nur in ihrem Stil, sondern in erster Linie durch die herkunftsbedingte Zugehörigkeit unterschieden: Deutsch und Nichtdeutsch, oder in den Worten von Elias und Scotson: Etablierte und Außenseiter. Um die Entwicklung dieser beiden Richtungen zu verstehen, ist der politische Kontext dieser Zeit von Bedeutung. Mit dem Fall der Mauer und dem damit einhergehenden vermehrten deutschen Nationalbewusstsein wurde „ein Feld für die Vermarktung einer neuen, national codierten Jugendkultur“ geöffnet (Elflein 1996, im Internet). 1990 wurde auf der Titelseite der Musikzeitschrift Spex ein Artikel zu HipHop in Deutschland mit „Krauts with Attitude“ angekündigt und ein Jahr später erschien ein Album mit dem gleichnamigen Titel „Krauts with Attitude – German HipHop Vol. 1“. Auf dem Cover ist der Schriftzug entsprechend der deutschen Fahne in Schwarz-Rot-Gold gefärbt. Nach Elflein wurde mit dieser Veröffentlichung ein neues nationales Genre geschaffen: „Aus Hip Hop in der BRD wird über den noch etwas verschämten Zwischenschritt ‚100% German Hip Hop’ ‚Deutscher Hip Hop’. Mittels des kurze Zeit später einsetzenden Erfolges der auf ‚Krauts with Attitude’ vertretenen ‚Fantastischen Vier’ kann dann der pur nationalistische Begriff ‚Neuer deutscher Sprechgesang’ oder auch ‚Neue deutsche Reime’ durchgesetzt werden. Einem kopierten, adaptierten Stil wird so eine nationale Identität aufgepfropft, die viele der Mitwirkenden faktisch aussperrt.“ (Elflein 1996)

Loh macht darauf aufmerksam, dass „deutscher Rap“ oder „deutscher Sprechgesang“ auch anders hätte bezeichnet werden können, beispielsweise als „deutschsprachig“ oder „Rap aus Deutschland“ (Loh 2002:109). Dies hätte alle Rapper nichtdeutscher Herkunft miteinbezogen11. Stattdessen repräsentierten Jugendliche, die teilweise selbst nicht aus der Szene kamen, nun die deutsche RapMusik, während Jugendliche nichtdeutscher Herkunft, die sich jahrelang mit dieser Kultur beschäftigt hatten und sie auslebten, von der Öffentlichkeit nicht beachtet wurden. Rap-Musik von deutschtürkischen Jugendlichen entwickelte sich parallel dazu in eine andere Richtung. War die Identifikation mit der marginalen Situation von Afro-Amerikanern eine wichtige Basis für die langfristige HipHopBegeisterung, so nahm in den 1990er Jahren diese Jugendkultur die Stellung eines Mediums ein, die eigene Ethnizität auf lokaler Ebene darzustellen und auszuleben. Es entstanden Rap-Stücke, die speziell die Probleme, Sehnsüchte und

11 Eine ausführliche Schilderung dieser Spaltung findet sich in Güngör und Loh (2002).

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Gefühle der türkischstämmigen Bevölkerung thematisierten. Ethnizität bezieht sich in diesem Kontext auf die türkische Herkunft. Wie Solomon treffend feststellt, wurden dagegen konkrete ethnische Kategorien, wie beispielsweise die kurdische Zugehörigkeit, aus Angst vor Konflikten bei Türkeibesuchen nicht erwähnt (Solomon 2008:79). Das heißt, dass sich die in der Türkei propagierte nationale Einheit auf die Präsentation der eigenen Herkunft in der Diaspora auswirkte. Wenngleich die Betonung der türkischen Herkunft in den Zeiten des zunehmenden Rassismus der Musik eine besondere Protestkomponente gab, hatte die Idee eine solche Musik zu produzieren, einen anderen Ursprung. Der Protagonist der Rap-Musik mit türkischen Elementen Taner Bahar (DJ Cut’em T), beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Kontakt zu US-Soldaten und der Entstehung der Idee einer türkischen Rap-Musik folgendermaßen: „Wir waren auch oft in Clubs gewesen, mit Bobby (Anm. der Autorin: Boe B.), ja. Privat so. Haben uns angehört, was die da für Musik spielen. In den Diskotheken. (…) Da gab es zum Beispiel ein Club in Zehlendorf, der hieß ‚Future’. Das war ein Laden, der von amerikanischen Soldaten oft besucht wurde. Und – das, was heute ‚Far out’ ist, war damals auch HipHop-lastig, teilweise. (…) Oder es gab mal so HipHop-Abende. (…) wir haben uns vorgestellt, dass es für die Türken geil wäre, wenn ein HipHop-Song kommt, wo türkische Musik drin ist. Denn, wir haben uns schon so ein bisschen ausgeschlossen gefühlt, von dieser schwarzen Kultur. Wir waren halt – unsere Haut ist halt heller, als die von Afroamerikanern und wir konnten auch nicht so gut englisch sprechen. Wir haben uns auch anders bewegt und anders gegeben und wir haben gesehen, dass es Unterschiede gibt, zwischen denen und uns. Und am Anfang hatten wir auch keine Freunde aus dieser Gruppe von Menschen. Es kam erst später. Und wir dachten, dass das was wir haben, unsere Kultur und Identität, so wie wir uns definiert haben, wichtig und stark genug ist, um das einfließen zu lassen. Und genau das hat funktioniert. Wenn 16-, 17jährige Kids in einen Club gegangen sind und plötzlich kam ein Song von einer Kreuzberger Gruppe mit türkischen Beats und englischem Rap, dann konnten die sich sofort damit identifizieren. Es war halt so der soziale Aspekt.“ (Interview mit Taner Bahar am 3.1.1999)

Entsprang die Idee, Rap-Musik mit türkischen Elementen zu mischen, noch dem Kontakt zu US-amerikanischen Soldaten, so wurde Rap-Musik mit Betonung der türkischen Herkunft zu einem bedeutenden Medium, um verbal gegen den vermehrten Rassismus in Deutschland anzugehen. Die Jahre nach dem Mauerfall von 1989 markierten eine Phase verstärkter Marginalisierung (Landeskommission Berlin gegen Gewalt 2007). Mit der Wiedervereinigung erhöhte sich das Arbeitskräftepotenzial aus der DDR mit der

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Folge, dass die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zunahm. In dieser besonderen Situation gerieten Migranten verstärkt in die Rolle der „Sündenböcke“ (Landeskommission Berlin gegen Gewalt 2007:86). Als mit den Anschlägen in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen die Aggression gegenüber sogenannten Ausländern ein erschreckendes Ausmaß annahm, war Rap ein bedeutendes Medium, mit dem Jugendliche unterschiedlicher Herkunft ihre Wut und ihren Schock verarbeiten konnten12. „Jetzt ging es um Selbstverteidigung und um Selbstbehauptung“, beschreibt Güngör die damalige Situation (Güngör 2002: 105). Mit ihren Texten gegen ausländerfeindliche Gewalttaten und Rechtsextremismus reagierten sie direkt auf die Übergriffe. Den ersten türkischsprachigen HipHop-Song veröffentlichte die Nürnberger Gruppe King Size Terror 1991 in ihrem Album „The World is Subversion“. Der Song „Bir yabancının hayatı“ („das Leben eines Fremden“) beschrieb die Situation von Türken in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt fanden die meisten türkischstämmigen Rapper Deutsch im Vergleich zu Türkisch ungeeignet für ihre Songs, dennoch war Hannes Loh zufolge der 1991 in deutscher Sprache erschienene Song „Ahmet Gündüz“ der Gruppe Fresh Familee mit türkischen, marokkanischen, mazedonischen und deutschen Jugendlichen aus Ratingen die erste Veröffentlichung von deutschem Rap, die im Übrigen noch vor der ersten Platte der äußerst erfolgreichen deutschen Band Die Fantastischen Vier veröffentlicht wurde (Loh 2000:134). In ihrem Song „Ahmet Gündüz“ schildern sie zunächst in gebrochenem Deutsch die ausgegrenzte Situation eines männlichen Gastarbeiters und fordern anschließend auf Hochdeutsch Frieden und Respekt. Den Text möchte ich im Folgenden wiedergeben, da dieser Song exemplarisch ist für die Rap-Musik in Deutschland, die sich gegen den Rassismus in Deutschland positionierte. „Ahmet Gündüz (Fresh Familee) Mein Name ist Ahmet Gündüz. Lass mich erzählen euch! Du musst schon gut zuhören ich kann nicht sehr viel deutsch! Ich komm von die Türkei, zwei Jahre her und ich viel gefreut, doch Leben hier ist schwer. In Arbeit Chef mir sagen, Kanake hey wie gehts? Ich sage ‚Hastir lan‘ doch Arschloch nichts verstehn. Mein Sohn gehen Schule kann schreiben jetzt. Lehrer ist ein Schwein, er gibt ihm immer sechs. Gestern ich komm von Arbeit. Ich sitzen in der Bahn. Da kommt ein besoffen Mann und setzt sich nebenan. Der Mann sagt: ‚Öff, du Knoblauch stinken!‘. Ich sage: ‚Ach egal, du stinken von Trinken!‘ Nun den Spaß beiseite hör gut zu was ich meine. Lass und jeden jeder sein, lass jedem doch das Seine. Ich kann das gut verstehn, wir haben andere Sitten. Ich weiß, du magst es

12 Elflein (1998:259), (Güngör 2002:104-107) und Solomon (2008:205).

80 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN nicht. Ich möchte dich doch bitten, das alles zu verstehen – in den Spiegel mal zu sehen und wenn du siehst du bist perfekt, dann werd ich es verstehen. Wenn du sagst Ausländer sind peinlich, Ausländer sind dreckig. Vorurteile hin und her – nur Deutsche sind sympathisch? Falsch Falsch – Fahr in unser Land, lern uns erst mal kennen, wirst du falsch behandelt, dann darfst du mich Kanake nennen. Ist doch alles Scheiße, ich liebe meine Heimat und dieses Land noch mehr. Wir alle bauen Kacke und das betrübt mich sehr. Du bist nicht besser als ich, ich bin nicht besser als du. Lass uns Frieden schaffen jetzt, heute hier im Nu. Das macht doch alles gar nichts ob Kopftuch oder nicht. Bruder gib mir deine Hand und lass uns leben friedlich! Falsch, Falsch, total Falsch! Was ich damit sagen will, ist doch völlig klar. Jeder Mensch hat Rechte, manche nehmen das aber nicht wahr. Es gibt halt dumme Menschen, die denken nicht so klar. Ob du oder ich – es gibt keine Differenz: Du bist ein Mensch, ich bin ein Mensch. Vertragt euch gibt euch eure Hände. Ich laber nicht zum Spaß, das ist ʼne Botschaft, die ich euch sende. Tief aus meinem Herzen, tief aus meinem Innern. Nehmt wahr, was ich euch sage, hilft mir die Feindschaft zu verringern. Ich weiß, es nützt nicht viel, geht euch am Arsch vorbei. Was ich sage ist Realität keine dumme Laberei. Jeder weiß, Kriege sind für niemand ein Gewinn. Brüder morden Brüder hin – ein Sterben ohne Sinn. Fang mal an zu denken, schau wir sind gleich. Wir haben jetzt die Neunziger und nicht das Dritte Reich. Fühlt euch jetzt nicht angegriffen – ich will doch nur bezwecken, dass man sich drauf konzentriert: Andere Welten zu respektieren!“ (Gündüz o.J., im Internet)

In diesem Rap-Stück nimmt Fresh Familee die Klischees über Türken in Deutschland auf und kritisiert den Rassismus gegen die sogenannten Ausländer. Er erwähnt die türkische Herkunft positiv, doch positioniert sich Fresh Familee eindeutig zu Deutschland und ruft in Hochdeutsch zu Freundschaft, Frieden Gleichheit und Respekt auf. Der rassistischen Gewalt wird hier friedlich in verbaler Form entgegengetreten. Mit der direkten Kritik am deutschen Rassismus erfüllte Rap zu dieser Zeit tatsächlich die Funktion, die ihm seit den gesellschaftskritischen Songs von Grandmaster Flash & the Furious Five zugeschrieben wurde: das Sprachrohr von Marginalisierten zu sein. Rap bietet dem Künstler eine besondere Möglichkeit, verbal Protest zu bekunden und auch die eigene Identität und gesellschaftliche Position auszuleben, zu konstruieren und zu verhandeln, da in der Rap-Musik der Text neben dem Beat im Vordergrund steht13. Die nun verwendete deutsche 13 In der Rap-Musik werden zwar neben den Beats verschiedene Instrumente und Samples eingesetzt, doch ist diese Begleitung im Vers stark verdünnt, um die Verständ-

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Sprache anstelle des Englischen erleichterte dabei das Erstellen und das Verständnis der Texte. In diesem Zusammenhang wendet Ayhan Kaya die von Antonio Gramsci und Walter Benjamin geprägten Zuschreibungen „organische Intellektuelle“ beziehungsweise „storyteller of their own community“ auf Rap-Musiker an14. Mit ihren Stücken versuchten die deutschtürkischen Rapper in Berlin einen Beitrag dazu zu leisten, ein Teil der einheimischen Gesellschaft zu werden und einen Gegensatz zu der vorherrschenden Situation der Exklusion und Segregation zu konstituieren. Als „Storyteller“ konnten sie ihre eigenen Erfahrungen durch den Rap artikulieren15 (Ayhan Kaya 1997:2). Eine weitere Band, die ihren Protest über Rap bekundete, hieß Kanacks with Brain (K.W.B). 1997 produzierte sie ihre Kassette in der Türkei. In einem Interview beschreibt der MC Ethem, Mitglied dieser Band, die damalige Situation aus seiner Sicht wie folgt: „Das war 1991, ja, so 91, 92 – es ging mal kurze Zeit, da hießen wir Power of Frightness – Macht über die Ängstlichkeit, die Geschichte hängt damit zusammen mit den politischen Verhältnissen in Deutschland, dass die Übergriffe zu den ausländischen Mitbürgern an Brutalität immer mehr zunahm und die haben mehrere Opfer gebracht. Mete Ekşi, Ufuk Sahin, auch andere Menschen aus anderen Nationen, halt, die umgebracht wurden und –

lichkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen. Erst im Refrain werden alle Instrumente wieder eingesetzt. Zur genauen musikalischen Analyse von Rap-Musik siehe Welge und Neumann (1996). 14 Für afroamerikanische Rapper, die politischen Rap produzieren, verwendet Decker die Bezeichnung „organic cultural intellectuals“: „HipHop nationalists are organic cultural intellectuals to the degree that their activities are directly linked to the everyday struggles of black folk and their music critically engages the popular knowledge of which they are a part“ (Decker 1994:102), siehe hierzu auch Mitchell (2001). 15 „Organic Intellectual presupposes the existence of a dominant class or group, exercising hegemony and domination on the subaltern classes or groups, through the State and juridical government. The organic intellectual serves to raise the interests of his/her newly organised class or group, who aim to be incorporated into the system and to take their place in the process of distribution of resources. (…) Hence, the rapper is an intellectual storyteller who has counsel for his/her audience, and who wishes to mobilise his/her local community against the power of the hegemonic and/or the ‚communicability of experience’ which is destined to decrease. In this sense, rap turns out to be a critique of the modern urban way of life which disrupts the ‚communicability of experience’. In other words, rap helps to communicate symbols and meanings articulating inter-subjectively the lived experience of social actors.” (Ayhan Kaya 1997:2; 2000:163)

82 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN das spiegelt sich natürlich auch rein in die Freizeit des Menschen, weil wir auch in unserer Freizeit Musik gemacht haben, haben wir das natürlich auch mitbearbeitet.“ (Ethem im Interview am 29.5.1999)

Nach Ethems Meinung ist Rap ein Medium, das die Menschen besonders gut erreicht: „Ich bin ja hier in Neukölln, Kreuzberg aufgewachsen und derzeit waren auch viele Demonstrationen und politische Aktionen und eines sah ich daraus, dass z.B. gab’s Demos über die neuen Ausländergesetze, und wenn ich zum Beispiel auf Demonstrationen geguckt habe, das waren 70 Prozent Deutsche, also Menschen, die es eigentlich direkt überhaupt gar nicht betrifft, aber sie haben sich mit der Angelegenheit beschäftigt, für ihre ausländischen Mitbürger. Und Türken, die hier, die ältere Generation, also auch von der neuen Generation, haben nur zugeguckt, was für eine spannende Sache auf der Straße läuft, aber diese Menschen wollten und wussten auch nicht irgendwie, was der Sinn und Zweck dieser Demonstrationen war. Und bei uns war dieser Tick, dieser Effekt eben so, dass wir, weil die türkische also die ausländische Szene hört halt auch viel HipHop und Rap und so. Dass man die Sachen den Leuten auf HipHop-Ebene, auf Parties rüberbringt. Weil, bei Demonstrationen kamen die meisten nicht, hat man Flugblätter in die Hand bekommen, hat man es nicht durchgelesen, somit, ja, hat man sich irgendwo gar nicht mit der Sache beschäftigt. Und wenn man es dann auf der musikalischen Ebene gemacht hat, erstmal mit dem Beat und alles Mögliche, da hört man ja zu. Und tanzt dazu. Und dann kann ja auch der Effekt da sein, ‚ah, was sagt der denn eigentlich die ganze Zeit‘ und wir wollten mit dem HipHop unsere Message rüberleiten und ja, es hat geklappt, also die Wirkung ist da und es kann nur besser werden.“ (Ethem im Interview am 29.5.1999)

Ethems Band änderte bald ihren Namen in Kanacks with Brain. Dazu Ethem: „Seit ʼ92, also es ging kurze Zeit Power of Frightness und danach wurde die Gruppe unbenannt, weil, Power of Frigthness, also Macht über die Ängstlichkeit, das hat irgendwie auch mit dem – hat ʼnen gewaltigen Touch gegeben. Und Gewalt – mit Gegengewalt auf Dauer zu bekämpfen, ist auch ein bisschen unsinnig. Und da muß man halt bewußt an die Sache herangehen, daher auch ‚with Brain‘. Und Kanake – als Schimpfwort, o.k. wir stehen dazu, was wir sind – und diesen negativ auf uns gestellten Begriff haben wir positiv umgewandelt und somit hat man eine kräftigere Lobby, also, ist der Faustschlag größer. Und daher halt der Name: Kanacks with Brain. Kanaken mit Hirn. (…) Es war keine bewusste Handlung, sage ich mal. Das ist, das war etwas, was aus dem Bauch, was diesen ganzen Zorn im Bauch irgendwie aufgebracht hat, durch die ganzen Übergriffe der Fa-

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schisten an die ausländischen, sage ich mal, oder nicht deutschen Menschen.“ (Ethem im Interview am 29.5.1999)

Wie Elias und Scotson feststellen, kursieren in allen Gesellschaften eine Reihe von unterschiedlichen Ausdrücken, die andere Gruppen stigmatisieren: „Alle diese Ausdrücke symbolisieren die Tatsache, dass Mitglieder einer Außenseitergruppe beschämt werden können, weil sie den Normen der höherstehenden Gruppe nicht gerecht werden, weil sie gemessen an diesen Normen anomisch sind“ (Elias & Scotson 1990:20). Der Begriff „Kanake“ hatte sich in pejorativer Form als Zuschreibung für Türken etabliert. Elias und Scotson beobachten eine „Unfähigkeit der Außenseiter, es der Etabliertengruppe mit einem gleich stigmatisierenden Ausdruck heimzuzahlen (…), weil eine Außenseitergruppe die Angehörigen einer Etabliertengruppe nicht beschämen kann: solange das Machtgefälle zwischen beiden sehr steil ist, bedeuten ihre Schimpfnamen den anderen nichts“ (Elias & Scotson 1990:20).

Im Falle der stigmatisierenden Ausdrücke im Bereich des HipHop ist festzustellen, dass diese keinen Gegenangriff durch abschätzige Bezeichnungen für die Etablierten in den Vordergrund stellen, sondern die ihnen zugeschriebenen abschätzigen Ausdrücke selbstbewusst verwenden. Ähnlich wie die Nutzung des Begriffs „Nigga“ seitens einiger schwarzer Rapper, kann auch die Verwendung des Begriffes „Kanake“ als eine Strategie gegen die verbale Herabwürdigung seitens einer in weiten Teilen diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft aufgefasst werden. „Das pejorative Vokabular des sozialen oder politischen Antagonisten wurde mit Selbstgewissheit übernommen, die semantischen Implikationen von Beschimpfungen werden in ihr Gegenteil verkehrt“ (Möbius 1998:55)16. Wie Möbius treffend feststellt, erhalten Wörter wie „Nigga“ für Afroamerikaner oder „Asoziale“ für Punkrocker nur bei der Selbstzuschreibung eine positive Komponente. Von der Mehrheitsgesellschaft als „Nigga“ oder „asozial“ bezeichnet zu werden, ist dagegen ein Ausdruck der Beleidigung. Die Konnotation ist somit vom direkten sozialen Kontext abhängig (Möbius 1998:55). Der Begriff 16 Zur Verwendung des Begriffes „Kanake“ siehe auch Ayhan Kaya (1997:8), (Cheeseman 1998:211), Greve (2003:452-453) und insbesondere Zaimoĝlu (1998), der diesen Begriff und auch die spezifische Sprache der deutschtürkischen Jugendlichen in seinem Buch „Kanak Sprak“ manifestiert hat. Zaimoĝlu gehört auch zu den Mitbegründern der bundesweiten Gruppe Kanak Attak, deren Mitglieder Schriftsteller, Künstler DJs, Rapper etc. unterschiedlicher Herkunft waren und sich für soziale und rechtliche Belange einsetzten. Siehe hier Güngör (2002:36-40), selbst ehemaliger Rapper und Mitglied der Kanak-Attak-Bewegung.

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verdeutlich nicht nur eine selbstbewusste Haltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, sie gewährt, wie Ayhan Kaya feststellt, „den türkischen Jugendlichen im Ghetto eine Art Arbeiterklassenbewusstsein in dem Sinne, dass es die urbane türkische Arbeiterklassenjugend von den türkischen Mittelklassenjugendlichen, die sich beim Gebrauch des Wortes verleumdet fühlen, unterscheidet“ (Ayhan Kaya 2003:254). Das heißt, dass im Begriff „Kanake“ sowohl die figurationsbedingte als auch die kapitalbedingte Ungleichheit zum Ausdruck kommt. Durch die Art, wie deutschtürkische HipHop-Aktivisten diesen Begriff verwendeten, werteten sie ihre soziale und ethnische Herkunft auf. Der Begriff „Kanake“ impliziert ein besonderes subkulturelles Kapital. Im Gegensatz zu anderen Formen des subkulturellen Kapitals, wie beispielsweise die Kleidung oder besonderes Wissen, kann die Herkunft nicht erworben werden. Somit konnten deutschtürkische Jugendliche damit eine gewisse Authentizität für sich beanspruchen. Die ansonsten schwache Position in der spezifischen Figuration konnte über RapMusik als Stärke präsentiert werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf ein anderes Abgrenzungsverhalten hinweisen, das ich zuzeiten des Mauerfalls beobachten konnte. Gerade in der Innenstadt von Berlin äußerten sich einige Westberliner negativ gegenüber den Ostdeutschen, nicht selten gekoppelt mit positiven Bemerkungen über türkische Migranten. Einige Westberliner empfanden die sogenannten Ausländer als vertrauter und fühlten sich mit ihnen eher verbunden als mit den nun nach WestBerlin strömenden Ostdeutschen. Gesamtgesellschaftlich gesehen nahmen Migranten eine Außenseiterposition ein, doch bei einigen, die den Umgang mit türkischstämmigen Berlinern gewohnt waren, gehörten „Ausländer“ nun zu den Etablierten, während Ostdeutsche jetzt für sie die Außenseiter waren17. Die ablehnende Haltung gegenüber Ostdeutschen äußerte sich in Stigmatisierungen oder auch in Form von Machtkämpfen in der Arbeitswelt. Vereinzelte positive Äußerungen gegenüber den türkischen Migranten gingen allerdings im öffentlichen politischen Tenor unter, der die deutsche Einheit feierte. Doch gerade in diesem, wenn auch nur in einem kleinen Umfeld vorherrschenden Diskurs wurde das Bild von Etablierten (Deutsche) und Außenseitern (Türken) infrage gestellt. Die Rap-Musik an sich, aber auch bestimmte Veranstaltungen, ermöglichten es den Jugendlichen, ihre Solidarität mit den Opfern der Anschläge zu bekunden und ihre Wut zu verarbeiten. 1993 veranstaltete beispielsweise InterNation HipHop Berlin e.V. vier Konzerte in Berlin. Unter dem Motto „Halt – keine Gewalt!“ traten unterschiedlichste Rap- und Breakdance-Gruppen aus Berlin und 17 Zum Wert des „Alters“, in diesem Zusammenhang nicht das Alter eines Menschen, sondern die Dauer, die ein Mensch oder eine Familie an einem Ort gewohnt hat, siehe Elias und Scotson (1991:238f.).

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Westdeutschland in Jugendeinrichtungen auf. Mit diesen Veranstaltungen wollten die Mitglieder von InterNation zum einen den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen bei HipHop-Konzerten ein Ende setzen und ihnen die Möglichkeit geben, diese Kultur in friedlicher Form auszuleben. Zum anderen nutzten sie diese Konzerte, um gegen Rassismus und die rassistische Gewalt Stellung zu beziehen. In ihren Texten konnten Rapper den Rassismus kritisieren und gleichzeitig die Gleichheit unterschiedlicher Menschen betonen, wie beispielsweise Islamic Force18 bei ihrem Auftritt in der Jugendeinrichtung Weiße Rose in Schöneberg am 16. Oktober 1993: „It really doesn’t matter where you’re from I want to see the whole world as one nation All brothers and sisters That is why we come together, come together, come together“ 19

Auf der gleichen Veranstaltung gab es eine Gedenkminute für die Menschen, die bei den rassistischen Anschlägen gestorben waren. Generell wurde auf diesen Konzerten Gewalt stark verurteilt. Deutschtürkische Jugendliche antworteten auf die rassistische Gewalt nicht mit Gegengewalt. Sie zündeten weder Häuser von Deutschen an, noch äußerten sie deutschfeindliche Parolen. Ihre Reaktion fand auf der Ebene des Stils und der positiven Darstellung von Ethnizität statt. Ein weiteres Beispiel, wie über RapMusik gegen Rassismus aufgerufen und die eigene ethnische Herkunft positiv dargestellt werden konnte, ist der türkischsprachige Rap-Song „Gurbetçi20 Çocukları“ von Islamic Force: Islamic Force – Gurbetçi Çocukları (Album Mesaj 1996) Türkiye’de Almancı Almanya’da Yabancı

In der Türkei Deutschländer (Almancı), in Deutschland Fremder

Gurbetçi Çocuğuyum Ben

Ich bin das Kind von Gurbetçi

Almancı Diyorlar Yabancı Oluyoruz

Sie sagen Deutschländer (Almancı) zu uns und wir werden Fremde

Biz Perde Arkası Yolumuzu Buluyoruz …

Versteckt finden wir unseren Weg

18 Der Name Islamic Force ist an den Namen einer amerikanischen Band aus den 1980er Jahren angelehnt, die sich Soulsonic Force nannte. Hinter dem Namen stecken keine religiösen Ambitionen. 19 Quelle: Originalvideo „Do you remember 93 – InterNation HipHop Konzerte“ von Claudia Rhein. 20 Gurbetçi bedeutet übersetzt „ein in der Fremde Lebender“.

86 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Almanya’da yaşıyorum

Ich lebe in Deutschland

Çoğu Almanlarda kalp yok bunu biliyorum

Ich weiß, viele Deutsche haben kein Herz

Şaşmıyorum dazlaklar içimi kinle doldurdu-

Ich weiche nicht ab, die Skins haben mich mit

lar

Hass gefüllt

Taşıyorum savaşıyorum

Ich trage es mit mir, ich kämpfe

Şiddete değil müziğe baş vuruyorum başlıyo-

Ich widme mich nicht der Gewalt, sondern der

rum

Musik, ich beginne

Bulaşıyorum bu işe bu işin içindeyim

Ich verwickle mich in diese Sache, ich bin in dieser Sache

Uğraşıyorum Molotof kokteylleri peşimde

Ich strenge mich an, ihre Molotowcocktails sind hinter mir her

Yinede size ulaşıyorum

Trotzdem erreiche ich euch

Çünkü sizlere bir ´orjinal rap´im var

Denn ich habe für euch einen „Original Rap“

Gurbet denen yer insanlığınıza zarar

Das, was man als den Ort der Fremde bezeichnet, schadet eurer Menschlichkeit

U-Bahn´da saldırıya uğrayana kadar

Bis zum Überfall in der U-Bahn

Ama iş işten geçtikten sonra isyan neye ya-

Aber warum eine Rebellion, wenn alles zu spät

rar?

ist?

Hey Hop Hans! Bizde sizin moruklarınız

Hey Hop Hans! Wir sind auch von euch Alten

Ne yalancı ne yabancı ne almancı

Weder Lügner noch Fremder noch Deutschländer (Almancı)

Sadece Gurbetçi çocuklarıyız evet Türkiye’de Almancı Almanya’da yabancı

Wir sind nur Kinder der Gurbetçi, ja. In der Türkei Deutschländer (Almancı) in Deutschland Fremder

Gurbetçi çocuğuyum ben…

Ich bin ein Kind von Gurbetçi

Almancı diyorlar yabancı oluyoruz

Sie sagen Deutschländer (Almancı), wir werden Fremde

Biz perde arkası yolumuzu buluyoruz (İsla-

Versteckt finden wir unseren Weg“21

mic Force o.J., im Internet)

Der Song ist ein Beispiel dafür, wie eine globale Jugendkultur im lokalen Kontext angenommen und umgewandelt wird. In diesem Rap-Stück wehrt sich Islamic Force gegen Rassismus und Gewalt in Deutschland und „kämpft“ mit Rap dagegen. Der Text ist in Türkisch gehalten. Nellie singt den Refrain in einer orientalischen Art, begleitet wird der Song mit einer elektronischen Hinter-

21 Übersetzung durch die Autorin.

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grundmelodie aus „The Message“ von der legendären Band Grandmaster Flash & The Furious Five. Auffällig an diesen Beispielen ist die politische Korrektheit der Songs. Sie rufen generell gegen Rassismus auf und wehren sich eindeutig gegen Gewalt. Ihre türkische Herkunft, bzw. die Identifikation mit Menschen türkischer Herkunft, wird positiv, aber ohne Überlegenheit präsentiert. Überlegen präsentieren sich die Rapper nicht gegen Deutsche, sondern gegen Rassisten. Der türkische Nationalismus im umstrittenen Projekt Cartel Die eigene ethnische bzw. nationale Herkunft zu betonen, kann allerdings auch eine Gratwanderung sein, wie das umstrittene Projekt Cartel zeigt. Die Nürnberger Gruppe Karakan, der Rapper Erci E. aus Berlin und Da Crime Posse aus Kiel hatten sich 1994/95 kurzzeitig zum Projekt Cartel zusammengeschlossen und mit ihrem Manager Ozan Sinan eine gleichnamige CD herausgebracht. Der Kontakt unter den Rappern verschiedener Städte ergab sich durch ein Netzwerk, das beim Radio-Sender Kiss FM entstand. Erci E. beschreibt diese Zeit folgendermaßen: „Ich hatte schon Musik gemacht und bin ja eigentlich mit der Absicht zu Kiss FM gegangen, meine Musik und die richtigen Kontakte zu bekommen (…) und dann habe ich da angefangen zu moderieren. (…) Kiss FM hat mit Cartel insofern viel zu tun, ich hab da angefangen zu moderieren. Ich hab eine Sendung gehabt, die hieß Turkish Kisses am Wochenende. Sie hat darauf Wert gelegt, dass am Wochenende alle Ausländer-Sender passieren, also griechisch, türkisch was weiß ich. Aber da hab ich auf Deutsch moderiert natürlich, nur die Musik war gemischt. (…) Da habe ich den zukünftigen Cartel-Manager kennengelernt. Der war da am Marketing neu. Dann hab ich gesagt, ich mache Musik. Er wollte mich managen. Ja wir machen das. Und dann hab ich gesagt, o.k., wir können ja meine Sachen aufnehmen in einem Studio von einem Kumpel, den ich kenne, bei Ünal. Ich habe die beiden connected, die kannten sich nicht. Dann habe ich Ünal gesagt, ich möchte aber türkisch rappen. Da meinte Ünal, ja ich hab schon mal ein Demo bekommen aus Nürnberg, die rappen türkisch. Ich so, ‚das kann nicht sein‘. Weil es gab so etwas nicht. ‚Doch, doch‘ und hat das Demo gefunden und das war Karakan. Dann haben wir die angerufen, dann sind die gekommen. Und dann hat der eine von denen gesagt, ‚im Fernsehen hab ich so eine Breakdance-Gruppe gesehen, die haben mit Zurna und so Breakdance gemacht‘. ‚Ja, wer sind denn die?‘ ZDF angerufen. Ja, das sind die und die. Und so hat sich Cartel formiert. Da war also Kiss FM die Plattform zum Sichkennenlernen. So kam eigentlich Cartel zusammen. Dann hieß es, ej wir haben alle dasselbe vor, dann machen wir zusammen. Machen wir ʼnen Sampler. Das war die Idee, deswegen hießen wir auch Cartel – Zusammenschluss. So ist es damals gewesen.“ (Erci E. im Interview am 12.10.2009)

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Im November 1995 schmückte ihr Foto das Titelblatt der Musikzeitschrift Spex mit ihrem Motto: „Wir sind die Deutschen von morgen – Cartel“. Die Projekt-Mitglieder hatten schon vor ihrer gemeinsamen Arbeit HipHopRhythmen mit orientalischen Melodien kombiniert und rappten Texte, die ihre Situation in Deutschland beschrieben, in türkischer und in deutscher Sprache, ohne jedoch ein breiteres Publikum zu erreichen. Dies änderte sich mit ihrem gemeinsamen Projekt Cartel, das mit massivem Werbeaufwand gefördert wurde und der Band zu Auftritten in den Musiksendern MTV und VIVA verhalf. Die Zielgruppe des Projekts waren türkischstämmige Jugendliche in Deutschland, d.h. ausschließlich der deutsche Musikmarkt. Dementsprechend konzentrierten sich die Musiker in ihren Liedtexten auf die Situation von türkischen Migranten und deren Kinder in Deutschland. In einer Zeit der besonders gewalttätigen ausländerfeindlichen Übergriffe „antworteten“ die Rapper mit einer bewusst positiven Darstellung der eigenen Herkunft22. Wie bereits der Name der Band andeutete, schlossen sich die Musiker zu einer Vereinigung zusammen, die eine harte, sich aktiv wehrende Haltung gegenüber der äußeren, diskriminierenden Welt einnahm. Ihr vornehmlich türkischsprachiger Song „Türksün“ (übersetzt: „Du bist ein Türke“) vom CartelMitglied Erci E. illustriert diese Haltung beispielhaft: „20 Uhr 30 an einem Samstagabend,

Saat 20:30 cumartesi akşamında,

Ich steig’ in ein Auto und schalte das Radio Arabaya binip radyomu açarım yolumda, an, Die Nachrichten machen mich fertig,

Haberlerde söylenenler moralimi bozar,

Noch ein junger Türke tot, sie haben noch

Yine bir türk genç ölür, daha doyamadılar,

nicht genug. Ich nehme einen anderen Weg, fahr’ ich zu Aniden yolumu değistirip arkadaşa, meinem Freund, Gut, dass es die Gruppe gibt, ‚Cartel’ lebe

İyiki grup var: ‘Cartel’ çok yaşa,

lange! Wir haben hin- und herüberlegt, wir haben Düşünüp, taşınıp, konuşup karar verdik, uns entschieden, Heute Nacht sind wir dran, ja, soweit sind

Bu gece bizde sıra; evet bu duruma geldik,

wir schon gekommen, Wir sind bereit uns genauso zu verteidigen, Tam şekilde karşılık vermeye hazırız, biz wir sind bereit!

hazırız!

Ich habe es nicht verstanden!

Duyamadım! Hazırız!

Wir sind bereit!

22 Siehe auch Solomon (2008:209).

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Egal wie wir arbeiten, wie wir es anfangen, Nasıl çalışsak, nasıl yapsak, nasıl yaşasak, wie wir leben, Wir sind Ausländer, das werden sie nie ver- Yabancıyız bunu onlar unutmayacak (2x) gessen (2x).

Check it out!

Du bist ein Türke

Sen Türk’sün

Deutschländer (3x)

Almanyalı (3x)

Verstehe das, das darf nicht vergessen wer- Bunu anla, bunu unutmamalı (2x) den (2x) Ein Anruf, eine Nachricht an die Freunde,

Telefon edip arkadaşlara bir haber,

Heute Nacht versammeln wir uns und zei-

Bu gece toplanıp göstereceğiz, bu ülke bi-

gen, dass dieses Land unseres ist.

zim ya,

Wer uns auf der Straße sieht, hat große

Bizi sokakta görenlerin korkuları çok

Angst. Kein Vergleich mit der Angst von unseren

Bizden ölenlerin korkularına mukayese yok,

Leuten, die starben, Dieses Spiel haben wir nicht begonnen, aber Bu oyunu biz başlatmadık ama biz bitirece-

wir werden es beenden,

ğiz

An diejenigen, die Unschuldigen Böses an- Suçsuza kötülük yapanlara kan yedireceğiz getan haben, werden wir uns blutig rächen An jenem Abend stehen 70 Türken bereit

O gün yetmiş Türk genç hazır sokakta,

auf der Straße Nicht mal fünf Minuten, die Polizei war

Beş dakika sürmedi, polis arabası yolda

unterwegs Nicht zu den wirklichen Mördern, zu uns

Hakiki katillere değil, bize geldiler

sind sie gekommen Mit Knüppel und Schlagstöcken haben sie

Çoblarla, sopalarla bizi dövdüler

uns verprügelt Egal, wie wir arbeiten, wie wir es machen,

Nasıl çalışsak, nasıl yapsak, nasıl yaşasak

wie wir leben, wir sind Ausländer, das werden sie nie ver- Yabancıyız, bunu onlar unutmayacak (2x) gessen (2x) […] Messing around with my homeboy fighting for peace make your choice, we’re gonna be able to get the beast wicked motherfucker don’t make us angry we are some big hardcore rap fans gee our nice hot homeland is far away here we have to fight against the KKK devil you killed to many Turkish brothers

90 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN I can’t understand, no I can’t understand now we are able to kill a man murder you made us hard, you made us strong now we hit back, don’t matter if it’s wrong.“ 23

Mit Texten dieser Art erlangte Cartel eine breite Medienpräsenz in Deutschland. Ihre Musikvideos liefen in den deutschen Musikkanälen, unzählige Artikel über die Band erschienen in diversen Printmedien und sie selbst gaben zahlreiche Konzerte innerhalb kürzester Zeit. Wie hoch die Verkaufszahlen in Deutschland tatsächlich waren, lässt sich nicht genau bestimmen, weil das Album zuerst in Deutschland bei Polygram, dann aber in der Türkei bei der Plattenfirma Raks herauskam. Nach Aussagen von Erci E. wurde das Album in Deutschland auch in türkischen Lebensmittelläden als Kassette verkauft, die weitaus günstiger war als die CD. Diese Verkaufszahlen wurden allerdings nicht registriert. Obwohl offiziell von 20.000 verkauften Alben in Deutschland gesprochen wurde, geht Erci E. von einer Verkaufszahl von über 150.000 aus. Doch auch diese Zahl ist gemessen an dem Erfolg in der Türkei vergleichsweise gering. Auf diesen Erfolg gehe ich im Kapitel 4.2.1 genauer ein. Die selbstbewusste Betonung der eigenen türkischen Herkunft steht im engen Zusammenhang mit der politischen Situation von Deutschtürken und rechtsradikalen Anschlägen. Doch, wie schon erwähnt, wurde auch im Bereich des deutschsprachigen HipHop in Deutschland durch eine CD mit dem Titel „Krauts with Attitude – German HipHop Vol. 1“ und eine Bezeichnung wie „Deutscher Rap“ eine ethnische Segmentierung vollzogen (Elflein 1996, im Internet). Entsprechend der deutschen Nationalfahne auf der CD „Krauts with Attitude“ verwendete Cartel auf dem Cover ihrer CD eine der türkischen Nationalflagge ähnelnde Abbildung: rotes Cover und ein weißer Halbmond als Umrahmung des „C“ von Cartel. Elias und Scotson stellen fest, dass Außenseiter bei abnehmendem Machtgefälle oft anfangen, sich zu rächen, indem sie zur Gegenstigmatisierung greifen (1990:15). Das Album von Cartel kann als Beispiel der Gegenstigmatisierung und symbolischen Aufwertung der eigenen Position verstanden werden. Die Verwendung der türkischen Nationalflagge auf dem Album, die Betonung der türkischen Herkunft und die homogene Darstellung von „den“ Deutschen kommt als türkische Spiegelung des deutschen Nationalismus daher. Die CD erschien nicht gleich nach der Wiedervereinigung und den Anschlägen von 1991 und

23 Exil Club (o.J., im Internet). Von der Autorin überarbeitete Fassung.

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1992, sondern erst 1995. Der Erfolg von Cartel ist eindeutig auf ihre Haltung zur nationalen und sprachlichen Identität zurückzuführen (Güngör 2002:154). Stark kritisiert wurde dabei insbesondere der Rapper Alper, der sich mit dem Symbol der faschistischen „Grauen Wölfe“, den drei Halbmonden, hatte ablichten lassen (Greve 1997a:26). Generell zeichnen sich nationale Kulturen dadurch aus, dass sie ihre Mitglieder unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit und ethnischen Ursprungs als eine kulturelle Einheit präsentieren (Hall 1993:296). Sowohl der nationalistische Diskurs in Deutschland als auch die nationalistischen Töne von Cartel spiegeln diese Form von Präsentation wider. Auffällig ist, dass sich Cartel dabei am nationalistischen Diskurs in der Türkei orientiert. Historisch bedingt herrscht in der Türkei ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein, das Minderheiten per se als Bedrohung der nationalen Einheit erlebt. In der Folge ist der Alltag davon geprägt, die auf der nationalen Herkunft basierende türkische Identität zu festigen (siehe Kapitel 4.2.1). Bei Cartel wird der nationale Raum allerdings von seinen geographischen Grenzen getrennt. Die Einheit der Türken wird über nationale Grenzen hinweg propagiert und die türkische staatliche Ideologie und ihre Werte werden in einen transnationalen Raum transferiert. Der von Anderson geprägte Begriff „imagined community“ wird damit zu einer Gemeinschaft, die sich nicht nur durch das alltägliche Leben innerhalb nationaler Grenzen verbunden fühlt. Vielmehr wird die Herkunft der Eltern als Bezugspunkt herangezogen, ohne dass die Sprechenden selbst in diesem Land leben. Diese Einheit wird als das Gegenstück bzw. als Antwort zur deutschen Einheit und deren erstarktem Rassismus eingefordert. Die Trennung in „Wir“ und „Sie“ zieht somit eine Linie zwischen Deutschen und Türken und nicht mehr zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten. Ayhan Kaya warnt allerdings davor, diese Betonung der türkischen Identität allzu schnell als „regressive racist or exclusionist“ zu verurteilen, weil mit dieser Einschätzung der Rassismus des deutschen Nationalismus unterschätzt würde. Stattdessen befürwortet er den von Hennayake gebrauchten Ausdruck von „interactive nationalism“, um den Nationalismus seitens der Minderheiten zu verstehen (Ayhan Kaya 1997:5f.). Seiner Auffassung nach hat Cartel den türkischen Jugendlichen eine Möglichkeit geboten, eine positive Identität auszubilden (ebd.). Während er den positiv gerichteten Ausdruck „interactive nationalism“ für den türkischen HipHop gebraucht, kritisiert Cheeseman im HipHop türkischer Jugendlicher den kulturellen Essentialismus und spricht von „inverse racism“ und „counter-nationalism“ (Cheesman 1998:193). In diesem Kontext weist Özgün darauf hin, dass Cartel Identität über die Kategorie Ethnie konstruiert, die mit der offiziellen türkischen Staatsideologie übereinstimmt, in der unter

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„Türkisch-Sein“ auch ethnische Minderheiten eingeschlossen sind24 (vgl. auch Kapitel 4.2.1). Für Jacob ist der „Oriental HipHop“ „das Ergebnis deutscher Ausgrenzungspolitik und das Zusammenwirken des deutschen und türkischen Staates. (…) Etliche Rap-Fans unter ihnen waren dazu übergegangen, auf die Zwangsethnisierung mit Strategien der Selbstethnisierung zu antworten und das Ergebnis hieß nun ‚Oriental HipHop’“ (Jacob 1997:431f.). In der Diskussion, inwieweit es legitim ist, im HipHop die eigene nationalistische/ethnische Identität so stark in den Vordergrund zu stellen und damit auf der Differenz zur deutschen Gesellschaft zu beharren, ist zu beachten, dass hier auch kommerzielle Interessen zugrunde liegen können (Çağlar 1998:144f.). Ruth Mayer betont, dass sich im HipHop seit den 1980er Jahren ein Wandel vollzogen hat, der es nicht mehr ermöglicht, vom „subversiven Geheimcode der Ausgegrenzten“ auszugehen und den Rap eindeutig als „schwarzen Nachrichtensender CNN“ (Chuck D) zu feiern (Ruth Mayer 1997:154). Am Beispiel von Arrested Development zeigt sie, dass „offenbar gerade subversive Images und die Betonung von Differenz sich hervorragend verkaufen“ lassen (ebd.). Die Kommerzialisierung von Cartel könnte hier zwar als ein Beispiel dafür verstanden werden, aber es ist zu berücksichtigen, dass die Mitglieder der Band schon vor ihrem Zusammenschluss und der Kommerzialisierung diese Form der Musik produzierten. Zu berücksichtigen sind ebenso die zahlreichen anderen Musiker, die unbemerkt von der Öffentlichkeit Texte schrieben, in denen sie ihre Wut auf die Anschläge verarbeiteten. Trotz der Kommerzialisierung des damals sogenannten „Oriental HipHop“ sollte auch die Tatsache nicht außer Acht gelassen werden, dass die Betonung der ethnischen Differenz unter deutschtürkischen Jugendlichen stattfand, als sich die Etablierten-Außenseiter-Figuration von ihrer brutalsten Seite zeigte. Distanzierung der deutschtürkischen Rapper vom türkischen Nationalismus Nicht jeder Rapper betonte die eigene türkische Herkunft auf eine so ausgeprägt nationalistische Art und Weise wie die Band Cartel. Selbst innerhalb der CartelFormation gab es unterschiedliche Ausprägungen. Das Image, besonders nationalistisch zu sein, wurde durch den Nürnberger Rapper Alper geprägt. Andere Teilnehmer des Cartel-Projektes und andere deutschtürkische Rapper oder Bands stellten ihren türkischen Hintergrund „gemäßigter“ in den Vordergrund und legten teilweise großen Wert auf „political correctness“, wie beispielsweise die Gruppe Kanacks with Brain, deren sozial-kritische Texte nicht nur den Rassis-

24 Özgün in Birikim, Dezember 1995, No. 80. Vgl. hier auch Ayata in Spex 8/97:34.

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mus in Deutschland, sondern auch gesellschaftspolitische Probleme in der Türkei thematisieren, wie beispielsweise das Schicksal von Straßenkindern und Samstags-Müttern25. Im Gegensatz zu anderen deutschtürkischen Rap-Gruppen beinhaltet dieses Album auch einen Song in der Sprache einer kurdischen Minderheit in der Türkei (Zaza-Kurdisch) und ebenso ein aserbeidschanisches Gedicht aus dem Mittelalter (Solomon 2008:83). Doch selbst wenn ein Rap-Stück keine unmittelbare politische Aussage enthält, kann die Betonung der eigenen türkischen Identität und Herkunft eine Gratwanderung sein. Ein Beispiel hierfür ist ein weiteres Projekt, eine Single von Erci E. aus dem Jahre 1998 mit dem Titel „Weil ich’n Türke bin“. Der bereits erwähnte Song „Türksün“ von Cartel stammte von Erci E. In seinem drei Jahre später erschienen Song greift er das Thema Rassismus erneut auf, doch diesmal in einem ganz anderen, ironisierend-humorvollen Ton. Hier nur ein Auszug, um den Unterschied zu dem kämpferischen Ton zu Cartel deutlich zu machen: Fast in allem bin ich Schuld, man nennt mich liebevoll Kanake Dein größtes Problem, dein Pickel an der Backe, das ich packe Und geh, darauf kannst du lange warten Solange ich da bin guck ich weiter böse und mach ʼnen harten Auch wenn’s nicht so wär, du würdest es weiterhin so sehen Es war schon immer sehr schwer, dein Verhalten zu verstehen Ich nimm dir deine Frau weg, danach mach ich dich arbeitslos Deutschland tut mir so gut was machen wir da bloß Und überhaupt, deine Frau weggenommen Soll ich dir was sagen, sie ist von ganz alleine mitgekommen Natürlich bin ich Schuld an euren Arbeitslosenzahlen Ich kriege haufenweise Jobs und alle wollen mir viel bezahlen

Das Lied, in dem es darum geht, wie die Deutschen die Türken sehen, und über das, laut Erci E., eigentlich beide Seiten lachen können sollten26, erschien zufällig in derselben Woche, in der das Thema der kurdischen Separatistenorganisation PKK mit einer Coverstory des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ über den 25 Die Samstags-Mütter sind Mütter und Ehefrauen, die sich in Istanbul jeden Samstag vor einem Gymnasium versammelten und so stillen Protest gegen das ungeklärte Verschwinden ihrer Söhne, meist während des militärischen Einsatzes des türkischen Staates im Kurden-Gebiet, ausübten. 26 Erci E. im Interview mit Tunç Dindaş in der Zeitschrift Blue Jean (2004/9).

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PKK-Führer Öcalan in den Mittelpunkt des deutschen Medieninteresses rückte. Um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, wurde daraufhin für die Single keinerlei Werbung betrieben. Auch Killa Hakan, der Rapper von Islamic Force, distanziert sich klar vom türkischen Nationalismus: „In den neunziger Jahren spiegelte sich in der türkischen Popmusik eine nationalistische Stimmung – eine Folge des Kurdenkrieges, aber was den türkischen HipHop aus Deutschland anbetrifft, auch eine Folge der rassistischen Angriffe hier. Im Gegensatz zu anderen türkischen Rappern hat Islamic Force jedoch nie Anknüpfungspunkte für Nationalismus oder Islamismus geliefert. Diese nationalistische Kacke hat uns immer angekotzt. Wo ist das HipHop? Was wir erzählen, hat keinen Nationalstolz, sondern Straßenstolz. Ich bin türkischer Kreuzberger. Islamist bin ich nicht. Ich glaube an Gott, das ist alles. Man muss aber die Zusammenhänge kennen: Stell dir vor, die Türken leben in Deutschland, und kein deutsches Kind will mit uns reden. Und da haben wir gesagt: jetzt machen eine Mauer gegen die – Islamic Force.“ (Killa 2003, im Internet)

Es soll jedoch nicht der Eindruck erweckt werden, dass HipHop die einzige subkulturelle Erscheinung war, in der die jungen Deutschtürken ihre Herkunft zum Ausdruck brachten. Ein weiteres bedeutsames jugendkulturelles Phänomen trat in der der türkischstämmigen Community von Berlin in den 1990er Jahren auf und bot deutschtürkischen Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Herkunft in positiver Form ausleben und selbstbewusst nach außen zu tragen: die deutschtürkische Pop-Szene. Durch den nun folgenden kurzen Exkurs über dieser Szene im Berlin der 1990er Jahren möchte ich den Blick auf deutschtürkische subkulturelle Phänomene weiten und Parallelen im Umgang mit Ethnizität aufzeigen. Der Blick auf die Pop-Szene in eine Studie über HipHop ist meines Erachtens notwendig, um nicht nur den Umgang mit Ethnizität zu verstehen, sondern auch, um im Weiteren das Selbstverständnis und die Positionierung seitens der HipHopAktivisten zu analysieren. Denn wie ich im fünften Kapitel darstellen werde, distanzierten und wehrten sich die meisten HipHop-Aktivisten nicht nur gegen den Rassismus in Deutschland, sie zogen zumindest auf der diskursiven Ebene auch eine klare Trennlinie zur deutschtürkischen Pop-Szene. Exkurs: Die deutschtürkische Pop-Szene und Ethnizität nach der Wende Die 1991 von dem Song „Hadi bakalım“ von Sezen Aksu in der Türkei ausgelöste „Pop-Manie“ hatte auch ihre Auswirkungen auf den Musikgeschmack der Deutschtürken. Auch in Deutschland hörten Jugendliche wie Erwachsene diese

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Musik, die westliche Pop-Musik mit orientalischen Melodien und Instrumenten kombinierte. Nach der Eröffnung der ersten türkischen Diskothek Hadigari (1994) in Berlin folgten bundesweit zahlreiche Bars, Diskotheken und Cafés, in denen türkische Pop-Musik gespielt wurde27. In Berlin fiel die Lage solcher Einrichtungen besonders auf: Diese Diskotheken und Bars lagen in innerstädtischen, besser situierten Bezirken, die nicht zu den klassischen Wohngebieten der türkischen Einwanderer zählten. Teilweise handelte es sich um sehr beliebte Berliner Etablissements der 1980er Jahre, wie beispielsweise das Space am U-Bahnhof Deutsche Oper, das sich nun Limon nannte, oder den legendären Night-Club Dschungel in der Nürnberger Straße, der dann Nostalji hieß und türkische Live-Musik anbot28. Diese Läden unterschieden sich optisch nicht von anderen Berliner Lokalitäten, es entstand aber eine eigene Welt türkischstämmiger Besitzer und Gäste, basierend auf der türkischen Herkunft: Bestimmte DJs wie DJ H-Khan, der in unterschiedlichsten Diskotheken auflegte, genossen Kultstatus, bestimmte Songs wie Tarkan’s „Şımarık“ brachten stets eine gute Stimmung, einmal am Abend tanzten die jungen Menschen den Volkstanz Halay29. In der Diskothek Limon liefen Kemal Sunals Filme; Sunal war ein türkischer Komiker aus den 1970er Jahren, dessen Filme in Berlin unzählbar in türkischen Videotheken ausgeliehen wurden. Neben den etablierten Einrichtungen fanden an unterschiedlichsten Orten regelmäßig Pop-Partys und Konzerte statt, die türkische Sponsoren ermöglichten und für die in diesen Diskotheken und in türkischen Medien geworben wurde. Obwohl Pop-Musik keinen eigenen Kleidungsstil hervorbrachte, konnte doch ein spezieller Stil bei den jungen Deutschtürken beobachtet werden, die diese Einrichtungen besuchten. Gerade junge Frauen fielen durch ihren besonders femininen Stil auf: feminine Frisuren, stärkeres Make-up, viel Schmuck, teilweise die Figur betonende, meist schwarze Kleidung mit dem Stil entsprechendem, die Weiblichkeit betonendem Verhalten. Ein Stil, der in anderen Ländern weniger auffallen würde. Doch gerade in Deutschland, wo zu dieser Zeit geschlechtsspezifische Kleidung unter jungen Menschen nicht favorisiert wurde, fiel die betont feminine Kleidung der Frauen und der Ricky-Martin-ähnliche Stil 27 Zur türkischen Pop-Szene in Berlin siehe Çağlar (1998) und Greve (1997a; 1997b). 28 Nach der Wiedervereinigung verlagerte sich das Nachtleben vieler junger Westberliner in den Ostteil der Stadt. Daraufhin schlossen zahlreiche Läden in Westberlin oder wurden in einigen Fällen von der deutschtürkischen Pop-Szene übernommen. 29 Halay ist ein folkloristischer Tanz aus der Türkei, bei dem die Tänzer im Kreis oder in einer Reihe mit eingehakten Fingern einen bestimmten Schritt tanzen. Halay wird in Berlin nicht nur auf Hochzeiten und Festen getanzt, sondern auch in den türkischen Diskotheken.

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der Männer auf. Selbstbewusst traten deutschtürkische Frauen in der Öffentlichkeit auf, betonten ihre türkische Herkunft, in dem sie sich auffallend laut auf Türkisch unterhielten. Dieses Verhalten steht meines Erachtens ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem Erstarken des deutschen nationalen Einheitsgefühls und der Ausländerfeindlichkeit. Die Pop-Szene fand darauf ihre eigene selbstsichere Antwort. Yücel Yolcu, ein Berliner Deutschtürke, der sowohl in der HipHop- als auch in der Pop-Szene von Berlin Erfahrungen gesammelt hatte und seit Ende der 1990er Jahre in der Türkei Musikclips und Werbungen dreht, beschrieb die Situation folgendermaßen: „Früher, – und es war – ja – 1984, 1985 sind ja nicht alle Jugendlichen, ausländischen Jugendlichen, in deutsche Diskotheken reingekommen. Die haben sie einfach nicht reingelassen. (…) heute immer noch nicht. Die Sachen, die man immer erlebt. Und dann musst du dir vorstellen, was passiert mit all den Jugendlichen, die nicht in die Diskotheken reinkommen, (…), Die machen sich ʼne (…) eigene Diskothek. Aber nicht, weil – die Diskothek entwickelt sich nicht, weil irgendjemand aus Deutschland kommt und sagt: ‚Jungs, lasst uns jetzt mal eine türkische Disco machen’. Darauf haben die gar keinen Bock. Sondern, die merken erst – sie sind überall unerwünscht. Und dann fragen sie sich: Was kann ich machen. Und danach geht’s erst los.“ (Yücel Yolcu im Interview am 21.3.1999)

Diskriminierungserfahrungen erlebten junge türkische Männer unabhängig von ihrem Auftreten. Mein Interviewpartner Savaş aus der Pop-Szene beispielsweise sprach ein hervorragendes Deutsch, war modisch gekleidet und zeichnete sich durch ein höfliches Benehmen aus. Als besonders talentierter Tänzer war er ein gern gesehener Gast, doch deutsche Einrichtungen verwehrten ihm oft den Eintritt, wenn sie ihn nicht kannten: „Wenn ich als Türke irgendwohin gegangen bin in eine deutsche Diskothek, da hat man erstmal gesagt: ‚Du kommst hier nicht rein.’ Und wenn man dann gesagt hat ‚warum’, ‚weil, du bist Türke’, wollte man nicht direkt sagen, (…), einige Diskotheken haben’s direkt gesagt, einige hat man nur gesagt, ‚hast du den deutschen Paß?’ Ja, das ist leider so, aber es ist so. Es ist so, ‚hast du den deutschen Paß’, da hat man gesagt ‚nein’, da sagt man halt: ‚Du kommst nicht rein’. Oder man hat immer ne Ausrede gefunden, Hauptsache man läßt diese Türken nicht rein. Aber, wenn man des Öfteren auch hingegangen ist, dann läßt man dich auch irgendwie auch rein. Zum Beispiel habe ich ein gutes Beispiel: ‚Blonds’. Als Blonds damals aufgemacht hat, das ist mittlerweile jetze 4 Jahre her, 3 Jahre (…) Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten gehabt, reinzukommen, (…) jetzt kann ich hingehen, ich kann 10 Leute mitnehmen, türkische Freunde, und die kommen alle mit. Warum? Die

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Leute haben mich einfach kennengelernt als den Türken, der in Ordnung ist. Und wenn er mit Freund kommt, der ist in Ordnung, und der, entschuldige, läßt Geld hier und tut was für das Publikum, er tanzt gerne und amüsiert die Leute gerne und er – von ihm haben wir keinen Schaden erlitten. Und wenn ich dort hingehe, die Türvorsteher umarmen mich und küssen mich auf die türkische Art und Weise an den Backen und dann gehe ich rein. Und keiner fragt ‚eh, wie siehst du aus?’ Ich kann mit Jeanshosen hingehen, ich kann mit zerrissenen Turnschuhen hingehen, keiner sagt mir was, weil man mich halt kennt, weil man sieht, man sieht nicht mehr das Äußerliche, man sieht nur noch das Menschliche – und dadurch kommt man da rein.“ (Savaş im Interview am 16.7.1999)

Interviews und Gespräche zeigten aber auch, dass Rassismuserfahrungen nicht der alleinige Grund für den Besuch einer türkischen Diskothek waren. Gerade die Suche nach einem Partner oder die familiäre Stimmung in diesen Diskotheken, wo sich junge Menschen untereinander schnell kennenlernten, der Humor, die Wärme, die sie dort fanden, und die Möglichkeit, zur türkischen Pop-Musik zu tanzen, machen die Attraktivität dieser Einrichtungen aus. Mein Interviewpartner Gökmen beispielsweise gehörte zu den aktivsten Protagonisten der PopSzene und auch er fiel durch sein besonderes tänzerisches Talent auf. Er selbst war erst im Alter von 15 Jahren nach Deutschland gekommen und verkehrte vornehmlich unter deutschen Jugendlichen. Trotz seiner modischen Kleidung und seinem freundlichen Verhalten erlebte er stets Diskriminierungen, wenn er deutsche Diskotheken besuchte. Als er beispielsweise ein Jahr vor unserem Interview mit seinen deutschen Freunden ausging, wurde er als einziger nicht hineingelassen. Dennoch gab er während des Interviews nicht Diskriminierungserfahrungen als ausschlaggebenden Grund für den Besuch deutschtürkischer Einrichtungen an, sondern seine Sehnsucht nach der Türkei („Türkiye özlemi“): „Wenn wir Türken irgendwo jemanden sehen, der grüßt den, der grüßt den. Einen Bekannten sehen wir immer. Wenn Sie in eine deutsche Einrichtung gehen, dann ist dort so eine Kälte. Das gibt es nicht in einem türkischen Ort, oder ich empfinde es nicht. Da wir uns nach der Türkei sehnen, lieben wir es mehr, in einem türkischen Ort mit der Wärme zu sein. Die Deutschen sind normalerweise kalt. Die Deutschen können ihre Gefühle nicht zeigen. Ich bin schon seit Jahren hier, ich habe das gelernt.“ (Gökmen, Interview am 21.07.1999)

Auch mein Interviewpartner Savaş gab die warme Atmosphäre als gravierenden Unterschied zwischen deutschen und deutschtürkischen Einrichtungen an:

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Zu den Rassismuserfahrungen der Nachwendezeit kam eine altersbedingte „Reife“ der zweiten Generation, die in Deutschland aufgewachsen war. Dazu Erci E.: „Wir kamen in ein Alter, wo wir selber Sachen bewegen, bewirken konnten. Und weil wir ein ganz anderes Selbstverständnis über unser Hiersein haben, war es auch naheliegend, ‚da mach ich halt ʼne türkische Disko, da mach ich halt ʼne türkische Sendung, da mach ich halt ein türkisches Album’. Und das war dann unsere Zeit, und dann kam alles Schritt für Schritt, aber ziemlich zeitgleich.“ (Erci E. im Interview am 17.10.1999)

Eine eigene Infrastruktur aus Diskotheken, Medien und Netzwerken können zwar als Rückzug der Community gedeutet werden und damit eine weitere Marginalisierung oder Verstärkung der Figuration markieren, doch zeigte gerade die selbstbewusste Präsentation auf der körperlichen Ebene und gleichzeitig die Lage der Diskotheken und Bars vornehmlich in zentralen Berliner Bezirken gleichzeitige Öffnung eine gegenüber der Gesellschaft, allerdings nicht in einer unterwürfigen, die Herkunft versteckenden Form. Dass meine Interviewpartner auch Diskotheken besuchten, die nicht zur deutschtürkischen Pop-Szene gehörten und ebenso Freundschaften zu deutschen Jugendlichen pflegten, zeigt, dass diese Szene mit ihren Lokalen zwar einen wichtigen Teil ihres Lebens ausmachte, aber nicht ausschließlichen dafür standen. Mein Interviewpartner Savaş aus Spandau verglich deutschtürkische Etablissements mit den klassischen türkischen Cafes und stellte hier eher eine Haltung fest, die der deutschen Gesellschaft offen gegenüberstand: „z.B. ich komme jetzt hierher zu Binbir, ich komme rein, hier sind Türken, es sind aber auch Deutsche hier dadrunter, man hört unterschiedliche Musik, wie jetzt, man hört türki-

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sche und Black Musik, durcheinander, das gibt mir mehr, anstatt wenn ich in türkische Cafés gehe, türkische alte Cafés gehe, wie z.B. nur Teehäuser (…), Lieber gehe ich dort hin wo Deutsche, Türken alles zusammengemischt ist, da hat man mehr Spaß, da lernt man auch neue Leute kennen. Nur so kommt man vorwärts, weil man lernt heutzutage nicht nur durch Bücher, nicht nur durch Medien, man lernt sehr viel von anderen Leuten.“ (Savaş im Interview am 16.7.1999)

Mit hauptsächlich türkischer Pop-Musik, aber auch Blackmusic, mit den deutschtürkischen Angestellten, der Anwesenheit deutschtürkischer Medien und dem entsprechenden Angebot zielten diese Einrichtungen auf ein deutschtürkisches Publikum. Dies schloss allerdings Menschen anderer Herkunft nicht aus. In keinem Interview oder Gespräch und auch nicht in eigenen Beobachtungen konnte ich eine deutschfeindliche Haltung erkennen, die annährend dem Rassismus gegenüber türkischstämmigen Menschen vergleichbar gewesen wäre. In den 1990er Jahren waren zwischen der HipHop- und der deutschtürkischen Pop-Szene Parallelen im Umgang mit der Ethnizität zu beobachten. In einer Phase, in der die spezifische Figuration verstärkte Gewalterfahrungen und Diskriminierungen mit sich brachte, waren beide Jugendkulturen ein Vehikel, um mit dem alltäglichen und politischen Rassismus umzugehen. Beide Szenen ermöglichten es den Jugendlichen, ihre persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse und ihren kulturellen Hintergrund auf subkultureller Ebene auszuleben. Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Kulturen lag weniger im Umgang mit Ethnizität, als vielmehr in der sozialen Position, die sie präsentierten. Während HipHop die soziale Randposition verkörperte, distanzierte sich die Pop-Szene unabhängig von der tatsächlichen Herkunft auf der jugendkulturellen Ebene von der zugewiesenen Randposition (siehe Kapitel 5.1.2). Diskriminierung der Deutschtürken in der Türkei und der Einfluss auf die Rap-Musik in Deutschland Mit Rap-Musik konnten türkischstämmige Jugendliche ihre Position innerhalb der deutschen Gesellschaft beschreiben, kämpferisch verbal auf soziale und rassistische Probleme reagieren und die türkische Herkunft positiv dagegenhalten. Darüber hinaus kommt ein weiterer Aspekt gesellschaftlicher Positionierung in der Rap-Musik zum Ausdruck, der sich nicht auf die deutsche Gesellschaft bezieht, dies ist die Positionierung von Deutschtürken in der Türkei. Wie ich im Kapitel 6.2.4 genauer beschreiben werde, ist das Ansehen von Deutschtürken in der Türkei sehr negativ. Die Zuschreibung „Almancı“ (Deutschländer) ruft bei vielen Türken in der Türkei negative Bilder hervor: Gastarbeiter, ungebildete Eltern ländlicher Herkunft, sehr religiös, politisch radikal, neureich, schlechtes Be-

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nehmen etc. Ihr schlechtes Image und die entsprechende Diskriminierung bekommen Deutschtürken bei ihren Aufenthalten in der Türkei zu spüren. Islamic Force verarbeitete diese Erfahrung in dem bereits erwähnten Song „Gurbetçi Çocukları“. In dem Song betiteln sie sich nicht mit dem negativ besetzten Begriff Almancı (Deutschländer), sondern umschreiben ihre Situation mit dem Konzept des Kindes von „Gurbetçi“. Gurbet bedeutet „die Fremde“ und weckt Assoziationen von der Zugehörigkeit zum Herkunftsland, Sehnsucht und Trennung. Damit ziehen sie zum einen eine Grenze zwischen Deutschen und Deutschtürken, da sie sich selbst als Kinder in der Fremde betiteln, zum anderen verdeutlicht die Aussage „Wir sind auch von euch, ihr Alten“, dass sie sich ebenso zu Deutschland gehörig fühlen. Gurbet betont die Zugehörigkeit zum Herkunftsland, gleichzeitig bezieht sich der Satz „Sie sagen wir sind Almancı, wir werden zu Fremden“ auf die Ablehnung von Deutschtürken in der Türkei. In diesem Text kommen demnach sowohl multiple Zugehörigkeiten als auch multiple Diskriminierungserfahrungen zum Ausdruck. Diskriminierungserfahrungen als Almancı in der Türkei problematisieren die deutschtürkischen Rapper allerdings nicht im selben Ausmaß, wie den deutschen Rassismus. Verwendung türkischer Musikelemente in der Berliner Rap-Musik HipHop bot deutschtürkischen Jugendlichen ein geeignetes Feld, auf dem sie ihre gesellschaftliche Position und Identität verhandeln, definieren und manifestieren konnten. Eine besondere Komponente erhielt HipHop dabei, als RapGruppen wie die Berliner Formation Islamic Force Ende der 1980er Jahre in Deutschland begannen, orientalische Melodien zu sampeln. Schon von Anfang an war die Technik des „Sampelns“ für Rap-Musik charakteristisch. Bereits existierende Musikteile und (Alltags-)Geräusche wurden nicht live eingespielt, sondern aus anderen Aufnahmen kopiert und in die eigenen eingefügt. Durch diese als „postmodern“ zu bezeichnende Vorgehensweise werden schon vorhandene Zeichen und Texte neu zusammengefügt und dem „‚Text’ durch die Rekontextualisierung ein neues Umfeld und eine neue Bedeutung“ gegeben (Grimm 1998:77). Dieser neue zusammengebastelte (Bricolage) Stil, steht in einem homologen Zusammenhang mit den Lebenswelten und Werten der Jugendlichen. Mithilfe des Sampelns türkischer Melodien, insbesondere türkischer Arabesk-Musik und der Musik des türkischen Rock-Musikers Barış Manço, erhielt der HipHop in Deutschland eine neue Bedeutung. Während beispielsweise Polizeisirenen in der amerikanischen Rap-Musik die soziale Situation im Ghetto widerspiegelten, kann die Verwendung von orientalischen Melodien als Ausdruck der kulturell synkretistischen Lebensform deutschtürkischer Jugendlicher gese-

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hen werden. Die meisten meiner Interviewpartner hörten gern türkische Musik oder hatten Verwandte, die türkische Musik hörten. Teilweise hatten HipHopAktivisten auch Unterricht genommen, wie beispielsweise Bektaş: „Und dann bin ich irgendwann, da war ich 12, habe ich angefangen, Saz [Anm. d. Autorin: türkische Langhalslaute] zu spielen. Ich komme aus einer alevitischen Familie, da ist Tradition, weißt du vielleicht, dass man das vom Vater, von seinen Vorfahren vererbt sozusagen. Also mit 12 habe ich angefangen, Saz zu spielen, eigentlich nur türkische Volksmusik, Volksliteratur.“ (Interview mit Bektaş am 14.10.1999)

Deutschtürkische Jugendliche besuchten deutsche Schulen und sprachen zuhause Türkisch. Sie hörten gern türkische Musik und interessierten sich gleichzeitig für die internationale Jugendkultur des HipHop. Bezug nehmend auf Mike Featherstone verwendet Ayhan Kaya dafür den Ausdruck „dritte Kultur“, um die spezifische kulturelle Identität der deutschtürkischen HipHop-Aktivisten zu beschreiben (Ayhan Kaya 2000:156f.). Nach Ayhan Kaya sind die „authentische“ anatolische Kultur, die aus Amerika stammende globale HipHop-Kultur und die deutsche Kultur die Quellen ihrer Identitätskonstruktionen (ebd.). Das Ergebnis ist eine synkretistische Kultur – eben eine „dritte Kultur“ (ebd.). Mit der Verwendung türkischer Elemente im HipHop konnte die türkische Herkunft in der deutschen Diaspora in kulturelles Kapital umgemünzt werden (Ayhan Kaya 2000:33). Auf lokaler Ebene fand ein Prozess der Aneignung und Umwandlung einer globalen Jugendkultur statt, die Elemente aus der transnationalen Beziehung einbrachte. Rap-Musik wurde zum Ausdrucksmittel für eine spezifische Situation und Herkunft. Die Verwendung von türkischen Melodien sollte allerdings gerade in der Anfangsphase nicht ausschließlich als bewusste Handlung zur Darstellung der kulturellen Identität verstanden werden, sie beruhte auch auf der Möglichkeit des Sampelns. Die schon 1986 gegründete Gruppe Islamic Force verwendete als erste Band türkische Musik in ihren Rap-Songs. Ihre 1992 erschienene erste Veröffentlichung „My Melody“ bleibt in der deutschtürkischen HipHop-Community unvergessen. Die Musik ist von den Beats, von Scratches30 und sprachlich der Old School, also dem Stil der Anfangszeit des HipHop, zuzuordnen. Gesampelt wird zusätzlich ein sehr bekannter türkischer Song „Leylim Ley“ von Zülfü Livaneli aus den 1970er Jahren. Dieser Song wurde unter anderem auch in den 1980er Jahren von dem bekannten Arabesk-Sänger Ibrahim Tatlıses neu interpretiert. 30 Bei Scratchen bewegt der DJ die Platte in einem improvisierten Rhythmus hin und her und macht damit Kratzgeräusche.

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Der bereits erwähnte Interviewpartner Taner Bahar (DJ Cut’em T) von Islamic Force gab zwar an, dass er und seine Freunde bei Besuchen in amerikanischen Clubs das Bedürfnis hatten, HipHop mit türkischer Musik zu kombinieren, doch die Umsetzung dieser Idee war eher ein spontaner Akt: „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, wenn ich damals diese Musik von Barış Manço [Anm. der Autorin: ein türkischer Rock-Musiker] nicht gehört hätte, dann wäre das gar nicht so gekommen, wie es gekommen ist. Ich habe das nicht in allererster Linie bewusst gemacht, weil ich es mir vorgenommen hatte, ich muss da jetzt türkische Musik reinmachen, sondern ich hab’ einfach die Musik von Barış Manço gerne gehört und hab’ eines Tages die Idee bekommen, einen HipHop-Beat dazu einzuspielen. In meinem Zimmer. Da habe ich mir gar nix dabei gedacht, eigentlich. Also, ich wollte da gar nix erfinden. An Barış Manços Musik gefielen mir die 70er Jahre Einflüsse und die funkigen Bass-Läufe, funkige Schlagzeugrhythmen, die mit türkischen Melodien kombiniert wurden.“ (Interview mit Taner Bahar am 3.1.1999)

Wenn auch Rap-Musik mit türkischen Melodien oder Instrumenten nicht „bewusst“ zur Darstellung der eigenen Identität kreiert wurde, so gab die Kombination der vom Elternhaus gewohnten Musik mit der Musik einer amerikanischen Jugendkultur den Zuhörern eine bis dahin nicht da gewesene Identifikationsmöglichkeit. „Mann, alle Türken, alle Orientalen, die da waren, auch Albaner und so, die sind alle ausgeflippt“, erzählt Deniz Bax über die Situation, als er das erste Mal My Melody von Islamic Force in einer Diskothek hörte. „Als das Lied kam, haben sich alle bei den Händen gefasst und Halay miteinander getanzt“ (Deniz Bax in Güngör 2002:174). Diese Beschreibung der Situation von Deniz Bax legt nahe, dass die Musik zur Bildung eines Wir-Gefühls beigetragen hat. Mittels der orientalisch angereicherten HipHop-Musik konnte sich die Gruppe der „Orientalischen“ als zusammengehörig auffassen und den allen gemeinsam bekannten Halay tanzen. Rückblickend zeigt die gute Erinnerung einzelner HipHopAktivisten an die Anfänge der Rap-Musik mit orientalischen Elementen, wie sehr diese Musik ihr Lebensgefühl ausdrücken konnte. Neben der türkischen Rock-Musik von Barış Manço bedienten sich deutschtürkische HipHopper einer speziellen türkischen Musikform, des sogenannten Arabesk. Arabesk ist ein in den 1960er Jahren entwickelter Musikstil, der sich in den Gecekondu genannten Stadtteilen türkischer Großstädte verbreitet hat, in denen vor allem Menschen ländlicher Herkunft wohnen (vgl. Kapitel 6.2.1). In ihren Texten thematisierten die Arabesk-Sänger das Leid, den Pessimismus, die Verzweiflung und die Enttäuschung der Menschen, die vom Land in die Stadt migriert waren. Trotz verbesserter Lebensbedingungen konnten sie den erhofften

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sozio-ökonomischen Aufstieg nicht erreichen (Hieronymus 2000, im Internet). Arabesk verbindet westliche und orientalische Instrumente mit arabischen Rhythmen31. In Berlin ließ sich eine Verbreitung von Arabesk insbesondere unter den Jugendlichen beobachten, deren Eltern aus ländlichen Regionen stammten. In Gesprächen mit türkischstämmigen Jugendlichen im Kreuzberger Jugendzentrum Naunynritze betonten sie ihre HipHop-Begeisterung, während sie gleichzeitig erwähnten, mehr Arabesk als HipHop zu hören. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass eine Musik, die beide Stile kombiniert, dem sozio-kulturellen Hintergrund der Jugendlichen auf ganz natürliche Weise entspricht. Für die Vermischung beider Stile verwendet Ayhan Kaya den von Gilroy geprägten Ausdruck „double diasporic consciousness“: „This consciousness stems from the double migration experience which the migrants had both in Turkey and in Germany. Before migrating to Germany, most of the migrant parents had already lived a diasporic experience (gurbet) by leaving their villages to work in the big industrial cities of Turkey.“ (Ayhan Kaya 1997:10)

Blieben Veröffentlichungen, die orientalische Musikelemente enthielten, anfangs noch weitgehend unbemerkt in der deutschen Öffentlichkeit, so erreichte das Projekt Cartel 1995 mit diesem Musikstil und, wie bereits beschrieben, nicht zuletzt aufgrund seiner Texte und des erheblichen Werbeaufwands überaus großes Medieninteresse und Popularität. Eine weitere Vertreterin dieses Musikstils ist Aziza A., die damals einzige deutschtürkische Rapperin, die einem größeren Publikum bekannt war. In ihrem 1997 erschienen ersten Album „Es ist Zeit“ rappt sie in rebellischem Ton über Sexismus in der türkischen Gesellschaft, die türkische Migration, aber auch über andere persönliche Themen. Wichtig ist ihr in diesem wie auch in ihren nächsten Alben nicht ein gemeinsamer Kampf, sondern der individuelle selbstbewusste Weg, der von gesellschaftlichen und persönlichen Konflikten geprägt ist. Neben den kämpferischen Songs zeichnet sie sich durch sinnliche Texte über Körper, Beziehungen u.a. aus, ebenso durch humorvolle Darstellung der türkischen Männlichkeit. Begleitet werden ihre Texte mit türkischer folkloristischer Musik. In zahlreichen Berichten und Interviews mit den oben genannten Künstlern wurde ein neuer Begriff geprägt: „Oriental HipHop“. Obgleich sich viele meiner Interviewpartner von diesem Begriff distanzierten, etablierte sich in den 1990er Jahren die Bezeichnung Oriental HipHop

31 Zu Arabesk-Musik und den sozio-kulturellen Aspekten siehe insbesondere (Güngör 1993) und Göle (2008).

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für Rap-Musik mit orientalischen Klängen in der Öffentlichkeit. Erst später setzten sich Begriffe wie Türkçe Rap, Turkish Rap oder Turkrap international durch. Rap und Multikulturalität Deutschtürkische Rapper haben unabhängig davon, ob sie ihre türkische Herkunft betonten oder in welcher Sprache sie sangen, mit Migranten anderer Herkunft und auch mit Deutschen zusammengearbeitet. HipHop schien einer der wenigen Bereiche zu sein, in dem Mehrsprachigkeit und ethnische Pluralität als selbstverständlich galten (Cheeseman 1998:198f.). Dass es Rap-Musik von türkischstämmigen Musikern gab, einige ihrer Vertreter – wie beispielsweise Boe B. und Killa Hakan – in der Kreuzberger Szene einen besonderen Starkult genossen und nicht zuletzt orientalische Elemente in den HipHop eingebaut wurden, sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sowohl ein Großteil der Rapper als auch ihre Fans in erster Linie US-amerikanische RapMusik hörten. Von türkischstämmigen Musikern produzierte Rap-Musik mit orientalischen Elementen machte für die Mehrheit der türkischstämmigen HipHop-Anhänger nur einen Teil ihres Musikkonsums aus. Allein die Tatsache, dass HipHop die Jugendlichen türkischer Herkunft von Anfang an besonders ansprach, und nicht erst als orientalische Elemente in die Musik aufgenommen wurden, zeigt deutlich, dass die Identifizierung mit Afroamerikanern die Basis für die HipHop-Begeisterung war. Mithin war nicht die türkische Herkunft entscheidend, sondern die Zugehörigkeit zu einer Minderheit, die in der Diaspora lebt und die damit verbundene Figuration. Wie oben beschrieben, schließt diese Tatsache allerdings nicht aus, dass Jugendliche im Laufe der Zeit nationalistische Haltungen in ihrer Rap-Musik in den Vordergrund stellten. Die Dominanz der amerikanischen HipHop-Kultur zeigte sich im Übrigen auch im Kleidungsstil, der sich an amerikanischen HipHop-Vorbildern orientierte. Während die Jugendlichen eine gewisse lokale Zugehörigkeit durch T-Shirts mit großflächigem Aufdruck der ehemaligen Kreuzberger Postleitzahl („36“) ausgedrückten, spielten im Vergleich T-Shirt-Aufdrucke oder Accessoires, die eine türkische Herkunft betonten, lediglich eine untergeordnete Rolle. In diesem Sinne distanzierten sich meine Interviewpartner auch vom türkischen Nationalismus, wie er vor allem von der Band Cartel vertreten wurde. Für Cemil, einen deutschtürkischen HipHop-Aktivisten aus dem Umfeld des Royal Bunker (s.u.), steht die Multikulturalität im Vordergrund: „Ja wir sind die Türken und die Türken sind die Besten, ungefähr so. Das hat mich sehr groß gestört bei Cartel – ich finde, es hat einfach was Multikulturelles, so, HipHop kommt nicht aus der Türkei oder kommt nicht aus Deutschland, sondern kommt von überall her

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und es wird von überall gemacht, so. Und es sollte auch weiter so sein. Und – also, weiß ich nicht. Es kam aus dem Politischen. Also, ist ja aus dem Politischen entstanden, dass man politisch gegen Polizei oder – gegen irgendwas – aufgetreten ist. Und deswegen finde ich es ganz wichtig, dass es immer noch so bleibt und nicht, also dass ʼne Minderheit gegen jemanden kämpft, von dem man unterdrückt wird, und nicht – und nicht noch mehr unterdrückt, damit, also, das finde ich falsch.“ (Cemil im Interview am 22.10.1999)

Da auch diejenigen Bands, die in türkischer Sprache sangen und sich orientalischer Elemente bedienten, oft multikulturelle Zusammenschlüsse waren, kann nach Daniel Bax das Türkische als Metapher für Dissidenz angesehen werden, Titulierungen wie „Ausländer“ und „Türke“ können quasi als Synonyme verwendet werden (etap 1998)32. Das Video zu Cartels Song „Cartel“ ist ein Beispiel dafür: Während die Rapper Oberteile mit der türkischen Flagge tragen und „Cartel sind Blutsbrüder“ („Cartel’ dekiler Kankardeşler“) singen, rappt zwischendurch auch der Kubaner Babalu auf Spanisch mit einem T-Shirt seiner Band Cinayi Şebeke, das mit einer türkischen Flagge bedruckt ist. Auch die Mitglieder der legendären Band Islamic Force waren unterschiedlicher Herkunft. Killa Hakan und Boe B. türkisch-alevitisch, Nellie deutsch-albanisch und Derezon deutsch-spanisch. Die heterogene Herkunft der Bands bei der gemeinsamen Inszenierung der türkischen Zugehörigkeit fasst der deutsch-spanische DJ Derezon im folgenden Satz zusammen: „Wir sind alle Ausländer, wir sind alle Türken“33 (Ayhan Kaya 2000:180). Der Begriff Oriental HipHop In den 1990er Jahren wurde die Öffentlichkeit auf deutschtürkische Rapper aufmerksam, als das Projekt Cartel unter dem Begriff „Oriental HipHop“ seine Musik vermarktete. Bis kurz nach dem Millennium verwendeten Medien diesen Begriff, um die Musik aller deutschtürkischen HipHopper zu beschreiben. Wie eingangs beschrieben, zeichnet sich auch die HipHop-Szene der deutsch-türkischen Migranten jedoch durch starke Heterogenität aus. Nicht alle Rapper betonten in ihren Texten ihre türkische Herkunft, nicht alle Rapper untermalten ihre HipHop-Rhythmen mit orientalischen Melodien. Zwar bedienten sich die meisten deutschtürkischen Rapper und Produzenten türkischer Melodien und Instrumente, doch nur wenige von ihnen verwenden den Ausdruck „Oriental HipHop“ zur Bezeichnung ihrer Musik. Auch wenn einzelne Musiker selbst Mitte der 1990er Jahre noch diesen Begriff gebrauchten, so standen sie dieser Kategorisierung schon in den 1990er Jahren überweigend ablehnend gegenüber, wie beispiels32 Siehe hier auch Elflein 1996, im Internet. 33 Übersetzung durch die Autorin.

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weise die Kreuzberger Rap-Gruppe Islamic Force. Noch in ihrer Veröffentlichung „Mesaj“ von 1996 schrieben sie im Booklet: „Kan ak formerly known as Islamic Force invented the oriental HipHop. Too much Turkish groups jumped on the Bandwagon without paying Islamic Force the right respect. So Kan Ak strikes back and makes their position clear.“

Diese Positionierung bezieht sich eindeutig auf Cartel, die kurz davor von den Medien als Vertreter des Oriental HipHop präsentiert wurden. Bezeichneten sie sich Mitte der 1990er Jahre noch als die Erfinder von Oriental HipHop, so stand gerade das Umfeld von Islamic Force Ende der 1990er Jahre dem Begriff Oriental HipHop sehr ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung drückte Tamer im Interview mit klaren Worten aus: „Das ist so Scheiße. Was ist denn das? Oriental – es gibt nur HipHop und kein Oriental HipHop oder Hardcore oder sonst was. HipHop ist HipHop. Wenn Leute hier ankommen mit Oriental HipHop oder Oriental Rap, das ist alles Scheiße. Es gibt Rap-Musik, und wenn du halt mit orientalischen Sachen mitarbeitest, dann ist es halt Rap-Musik mit orientalischer Beeinflussung.“ (Tamer im Interview am 24.7.1999)

Dass sich Rapper von dem Begriff „Oriental HipHop“ distanzierten, ist insofern verständlich, als sie lediglich eine für die Rap-Musik gängige Technik, nämlich die des Sampelns, anwendeten, und sich dabei der türkischen Musik als Quelle bedienten. Bektaş führt dazu aus: „Wenn man Türke ist, ist es automatisch, ‚du machst Oriental HipHop’. Irgendein Begriff ist das, den auch irgendjemand erfunden hat. Ich bin kein Oriental HipHop oder ich mach kein Oriental HipHop, ich mach HipHop, mal auf Deutsch, mal auf Türkisch, aber es ist kein Oriental HipHop, oder Preußen HipHop oder irgendwas. Ist einfach so, wie ich es fühle, wie ich Lust drauf hab. Wenn wir gute Sachen finden, aus dem Türkischen zum Beispiel, zum Sampeln, wir arbeiten ja meistens mit Samples, wir spielen es nicht live rein, dann gern auch türkische Sachen. Also, es kommt mehr drauf an, wie’s klingt. Ob’s klingt für mich, so wie ich’s hören will. Ob ich’s spüre, also kann auch Türkisch sein, kann auch spanische Sachen drin sein. Da sind auch italienische Samples drin, da ist alles Mögliche drin. Wir nehmen auch Samples aus Filmmusik, Samples von Computerspielen, wo man nie denken würde, dass man da was rausnehmen kann, so. Also, die Quelle ist eigentlich weltweit. Ich hab auch keine Lust, mich einzuschränken auf ‚du bist jetzt Oriental HipHop, du musst jetzt türkische’, das erwarten sie meistens. Die erwarten das meistens. ‚wie wär’s, wenn wir noch so’n paar türkische Elemente reinmachen, verkauft sich

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doch besser, die Leute, kennste doch’.(…) Der Deutsche erwartet das einfach, ja das is halt so, wenn man Türkisch rappt, dann sollte auch da was Orientalisches drin sein. Und Türken, ist mehr so, hm, sie hören das lieber. Sie würden gern türkische Samples hören, weil die kennen das so. Ihr Ohr ist darauf irgendwie geschult.“ (Bektaş im Interview am 14.10.1999)

Bektaş distanzierte sich deutlich von den Kategorisierungen, die im Laufe der 1990er Jahre Grenzen zwischen Sprachen und Kulturen markieren sollten: „Deutsch-Rap zum Beispiel ist auch so’n Begriff. Irgendeiner erfindet das, weißt du? Deutsch-Rap, was ist Deutsch-Rap? Ok, ich rappe deutsch, aber ich kann nicht sagen, Deutsch-Rap ist ja wie, ist ja wie der Rest der Gesellschaft dann auch, weißt du, was ich meine. Das ist ja eigentlich nicht unser Ziel. Du bist Türke, du bist Jude, du bist der, du bist der, du machst Deutsch-Rap, du machst Oriental HipHop, du machst Latin-HipHop, die macht New Yorker HipHop. Also, ich mach’s so, wie ich’s fühle, wie ich Bock hab, so, wie’s mir grad in meinen Kopf kommt, oder wie’s raus kommt.“ (Bektaş im Interview am 14.10.1999)

Die Texte und seine Musik basieren auf biographische Erfahrungen, Wissen, Meinungen und Geschmack. Sie können, müssen aber nicht migrationsspezifische Elemente erhalten: „Also ich mach Musik aus der Selbstverständlichkeit, weil ich Bock hab, Musik zu machen, mich mit Freunden hinzusetzen und zu sagen ‚he, lass mal ʼnen Beat machen, was dazu schreiben’, weißt du, das is normal. Für mich normal. Ich mach’s nich, weil ich Türke bin oder weil ich ’n Berliner Türke bin oder ʼn Berliner oder ʼn Reinickendorfer bin oder irgend so was bin, sondern, weil es normal is, weil ich Bock drauf hab. So wie es normal is, wenn einer raus geht, Fußball spielt, weißt du. Der spielt nicht Fußball, weil er Türke ist, oder weil der Deutscher ist, hat Bock drauf. Ich hab keinen Bock, mich darüber irgendwie auszulassen, das haben schon zehn Tausend andere gemacht vor mir, die haben mir den Weg vorbereitet. Ich danke ihnen dafür, weißt du. Das brauche ich nicht noch mal zu sagen, das ist nicht mein Thema. Ich bin auch kein Politiker, weißt du, der nur erzählt. Weil das was wir machen schon Politik genug ist, weißt du. Wenn du Leute erreichst und du das sagen kannst, was du sagen möchtest. Dies ist auch meine Hauptmotivation, warum ich das mache, so. Anfangs war das noch ein anderer Grund, warum ich Musik gemacht hab. Das war Spaß, du hast Leute kennengelernt, das war Kommunikation. Aber jetzt, es ergibt immer mehr Sinn, warum ich’s mache. Immer neue Seiten entdecke ich dabei. Weißt du, um noch mal auf das Politische zu kommen. Ich hab ʼnen türkischen Pass. Ich kann nicht wählen. Ich hab das erst Mal gewählt dieses Jahr in der Türkei. Im Frühjahr.

108 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Weißt du, wenn man 24 Jahre nicht wählt, dann verpeilt man das halt. Dann hab ich halt ʼne Partei gewählt, die hat die Hürde nicht geschafft. Weil man sich damit nicht beschäftigt. (…) Jetzt habe ich endlich ʼne Gelegenheit, mich auszukotzen über die ganze Scheiße, weißt du, um das mal auf Deutsch zu sagen. Ich hatte nichts zu sagen. Ich hatte 24 Jahre nichts zu sagen. Ich hatte schon in der Schule nichts zu sagen, weißt du. Ich war ein guter Schüler, aber ich hab nicht die Noten gekriegt, die ich verdient hab zum Beispiel. (…) das ist die beste Vergangenheitsbewältigung, die besten Zukunftspläne kannst du mit Musik machen.“ (Bektaş im Interview am 14.10.1999)

Die Abneigung gegenüber dem Begriff Oriental HipHop stand zugleich im engen Zusammenhang damit, dass dieser Begriff ein zentraler Teil der Vermarktungsstrategie von Cartel bzw. später von Aziza A. war. Dieser Begriff wurde mit diesen Musikern in Verbindung gebracht und ebenso mit Medien, die sich in den Augen einiger Rapper nur oberflächlich mit ihrer Musik befassten. Die Kommerzialisierung von Rap-Musik mit türkischem Text bzw. mit orientalischen Melodien und die Tatsache, dass Aziza A. nicht selbst aus einer HipHopSzene stammte, stand den Vorstellungen von Authentizität, Glaubwürdigkeit und „Echtheit“ vieler türkischstämmiger Rapper diametral entgegen (siehe Kapitel 5.1). In den Interviews betonten Rapper ihre Multikulturalität und machten deutlich, dass sie sich nicht ausschließlich in die „türkische Ecke“ drängen lassen wollten. Fragen zum Oriental HipHop empfanden sie als einschränkend und nicht der Realität entsprechend, da sie sich – wie bereits erwähnt – verschiedener musikalischer Elemente und unterschiedlicher Stile bedienten. Dennoch hatte sich Ende der 1990er Jahre der Begriff Turkish Rap/Türkçe Rap unter türkischen Rappern etabliert. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung vor allem von sehr engagierten HipHoppern in der Türkei und durch die enge Zusammenarbeit zwischen türkischen und deutschtürkischen Rappern. Über die Grenzen hinweg, über Internet und soziale Netzwerke, entstand eine transnationale türkische HipHop-Community, die derzeit über ihre nationale Herkunft definiert wird. Auffällig ist, dass sowohl im gesellschaftlich-politischen Diskurs als auch aufseiten der deutschtürkischen HipHop-Szene die Themen Nationalismus und Herkunft immer wieder aufgegriffen wurden. Obwohl viele Songs von RapGruppen von anderen persönlichen Erfahrungen handeln oder reine Party-Lieder sind, sollte Rap auch nach der erhitzten Debatte um „die Ausländer“ weiterhin als Mittel genutzt werden, um die Herkunft positiv darzustellen und gegen Rassismus anzugehen.

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4.1.3 Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Battle-Rap und die Pluralisierung der Rap-Musik Schon Mitte der 1990er Jahre zeichnete sich ein neuer Trend ab, der noch um das Millennium herum zunächst einer kleineren Szene vorbehalten war, doch nach 2000 richtungsweisend für die Rap-Musik in Deutschland werden sollte: der Battle-Rap. Auf das Charakteristische dieser Richtung, ihre Protagonisten und den Umgang mit der ethnischen Herkunft werde ich im Folgenden eingehen. Der Battle-Rap am Beispiel von Kool Savaş und Fuat Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich eine Szene in Berlin, deren Rap einen radikalen Bruch mit der politisch korrekten und auch der nationalistisch orientierten Rap-Musik vollzog und sich an dem Gangsta-Rap der US-amerikanischen Westküste orientierte. In erster Linie ging es dabei um den Battle-Rap34, in dem der Rapper seinen „Gegner“ in Form von homophoben, sexistischen und sehr aggressiven Texten beleidigte und sich selbst als besonders überlegen darstellte. Wegbereiter dieser Tendenz im deutschsprachigen Rap von Berlin war unter anderem der türkischstämmige Rapper Kool Savaş aus Kreuzberg und im türkischsprachigen Rap Fuat, ein damaliger Freund von Kool Savaş35. Diese beiden sollten noch eine große Karriere vor sich haben, womit damals sicher niemand gerechnet hat. Kool Savaş wurde zu einem der bedeutendsten Rapper Deutschlands. Er gründete 2002 sein eigenes Label, eroberte die Charts, ist seit Langem in den Medien präsent und erhielt Auszeichnungen. Auf Fuat wartete eine große Karriere in der Türkei, wo er später leben und arbeiten sollte. Doch Ende der 1990er Jahre lebten beide in Berlin und waren nur unter Insidern bekannt. Kool Savaş (eigentlicher Name Savaş Yurderi) wurde in 1975 Aachen geboren. Seine Eltern zogen mit ihm in die Türkei, als er ein Jahr alt war. In den folgenden Jahren musste Savaş als Kind eine politisch instabile Zeit in der Türkei erleben. Zu dieser Zeit lieferten sich rechte und linke Extremisten blutige Auseinandersetzungen, die ihren Höhepunkt in einem Militärputsch erreichten. In der rechtsorientierten Militärdiktatur wurden zahlreiche linke Aktivisten inhaftiert, darunter auch der Vater von Savaş, dessen Druckerei u.a. linksorientierte Bücher druckte (GQ o.J., im Internet). Seine Mutter floh daraufhin mit ihm zurück nach 34 Schon 1994 hatte die Frankfurter HipHop-Crew Konkret Finn ein Battle-Rap-Stück unter dem Titel „Ich diss dich“ veröffentlicht, das für die Berliner Battle-Rap-Szene inzwischen Kult-Status besitzt. 35 Einen differenzierten Einblick in die Anfangsjahre dieser Musik mit Interviews und Originalaufnahmen aus der Zeit gibt der Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ von Stefan Pethke und Nicole Rother von 2005.

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Aachen. 1987 sollte die wiedervereinte Familie in den Berliner Bezirk Kreuzberg ziehen (Krekow und Steiner 2000:255ff.). In Berlin wurde er mit einer Welt konfrontiert, die sich grundlegend vom idyllischen Aachen unterschied. Seinen ersten Eindruck beschrieb Savaş in einem Interview mit der Zeitschrift Juice: „In Berlin war allein der Umgangston ganz anders. Als ich nach Kreuzberg kam, ging es gerade los mit der Abzieherei. Jeder auf der Straße hat dich dumm angeguckt oder dich konfrontiert, wenn er dich nicht kannte. Manche waren auch cool, die fanden es teilweise auch lustig, dass ich so wenig Türkisch konnte. Viele waren am Anfang aber voll anti. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man aus einer behüteten Welt kommt.“36

In Kreuzberg hatte er mit mehrheitlich türkischstämmigen Kindern Umgang. „Prinzipiell war Kreuzberg alles Türkenpower“37 erzählt Savaş aus der Retrospektive. Später in der Gesamtschule befreundete er sich mit deutschen Jugendlichen und verkehrte mit Punks in besetzten Häusern. Seine HipHop-Wurzeln liegen in Kreuzberg 36. Hier begann Savaş zuerst mit Graffiti und später, Anfang der 1990er Jahre, mit Rap. Rückblickend in einem Interview bei rapgenius.com bezeichnet Kool Savaş Boe B. von Islamic Force als seinen Rap-Mentor: „Das war meiner Meinung nach der für mich der einflussreichste deutsche Rapper für das, was ich mache. Der hat auf Englisch gerappt. Kam aus Kreuzberg. Der war für uns alle ein Idol. Und was er gemacht hat, war dass er mich als komplett ahnungslosen Idioten, der aus Spaß bisschen rumgerappt hat, er hat mich zu sich nach Hause gerufen, der hat mit mir zusammen Lyrics geschrieben, der hat mir Sachen erklärt, wie man die Sätze konstruiert.“38

Diese Prägung brachte Kool Savaş in seinem 2011 erschienen Song „Und dann kam Essah“ in der Zeile „Boe B. gab mir den Style“ zum Ausdruck. Waren seine Texte zu Beginn noch in Englisch gehalten, so begann er später, aufgrund seiner Erfahrungen in einer Jugendeinrichtung (HipHop-Haus) und nach einer Reise an die US-amerikanische Westküste, auf Deutsch zu rappen. Fuat wurde 1972 als Kind einer türkischen Arbeiterfamilie in Berlin geboren. Nach dem Besuch der ersten Klasse in Kreuzberg zog er mit seinen Eltern nach Reinickendorf. Hier erlebte er massive Ausgrenzungserfahrungen in der Schule, was dazu führte, dass in ihm, wie er es selbst beschrieb, „aggressive Seiten“ aufkamen. Gleichzeitig bekamen seine weitaus älteren Schwestern Kinder und be36 Juice.de 2010, im Internet. 37 Juice.de 2010, im Internet. 38 Kool Savaş in Rapgenius.com (2014), im Internet.

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anspruchten seine Eltern sehr. Lange Zeit drängte Fuat seine Eltern, in die Türkei zurückzugehen. Als er in der 5. Klasse war, zogen er und seine Eltern nach Istanbul und hier erlebte Fuat seine schönste Zeit, bis sein Vater 1986 starb und kurz darauf auch seine Mutter. In Istanbul brachte Fuat hervorragende Schulleistungen und ließ sich dort von türkischer Literatur und osmanischen Gedichten begeistern: „Lyrik war sowieso das Faszinierendste. Deine Umgebung, dein Umfeld kommt zu dir und dann drückst du’s hinaus so. Du presst es mit deinen Gefühlen hinaus so. Was auf dich einwirkt. Das ist Lyrik.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999)

Gleichzeitig arbeitete Fuat neben der Schule als Taucher. Die Fähigkeiten, die er sich durch seine Beschäftigung mit Lyrik und die Atemtechnik beim Tauchen aneignete, wurden später zur Grundlage seiner Rap-Musik. Als nicht nur seine Eltern, sondern auch fast zeitgleich sein Großvater starb, entschloss sich Fuat, inzwischen 15 Jahre alt, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Er beantragte eine Rückkehroption nach Deutschland zu seinen Schwestern, die bewilligt wurde. In Berlin zog er wegen familiärer Probleme aus der Wohnung seiner Schwestern aus, zunächst in ein Männerwohnheim und nach einem Jahr in eine eigene Wohnung. In Deutschland musste er erneut Deutsch lernen und die 10. Klasse wiederholen. Diese Zeit verbrachte er nur mit türkischstämmigen Jugendlichen, deren deutschfeindliche Haltung er allerdings verurteilte: „Zuerst war ich mit Türken so, introvertiert so, ohne Deutsche so. Die Türken ernsthaft, mit denen ich zusammen war, ‚guck mal, die Mischas, ich will kein Mischa’ (…) Mischa sind die Deutschen. Die Mischas (…) Wie sie zum Türken Ali sagen, so genelleme (Verallgemeinerung) so weißt’e? Mischa so. Und das hat mich voll angeekelt. Weil das war’n so Leute, die haben andere Leute in den Discos geschlagen, weil sie schlecht getanzt haben, weil sie deren Tanzstil nicht gepasst haben, so. So ne thirtysix [Anm. der Autorin: gängige Bezeichnung für Jugendliche aus Kreuzberg 36], irgendwelche Abzöglinge, unbekannte Leute, die irgendwas beweisen wollten, weißt du, so unverschämt.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999)

Er selbst wohnte in dieser Zeit am Kottbusser Tor. Nach seiner SchleiferAusbildung beschloss er, sein Fachabitur zu machen. Schon als Kind hatte Fuat den New Yorker Graffiti-Film „Wildstyle“ gesehen, doch sprach dieser ihn damals noch nicht an: „Ich konnte den Sinn null erkennen und ich war auf keinen Fall von Leuten umgeben, die auch ansatzweise das mir vermitteln konnten“ (Fuat im Interview am 4.8.1999). Sein Interesse für die HipHop-Kultur begann,

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als ihm ein Freund aus Deutschland 1988 ein Tape mit Ice T, Run DMC und Doug E. Fresh gab. Zu Beginn tanzte er gern zu der Musik, wenn auch nicht akrobatisch. Später rappte er Texte von Ice T nach und machte Beatbox. Für seine durch das Tauchen erlernte Atemtechnik bekam Fuat als Rapper besonderes Lob: „dann kam auf einmal Props39 so und die Leute so, wo kommt dein Atem her, so halt und ich so, vom Tauchen halt.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999) Er selbst hörte Anfang der 1990er Jahre N.W.A. (Niggaz with Attitude), eine der ersten Gangster-Rap-Gruppen aus Los Angeles. Im Männerheim lernte er durch einen Freund „undergroundige“ Rap-Musik und Michael Kostevc, den Herausgeber der HipHop-Zeitschrift Mik’s X-S.I.D.E. news kennen. Fuat machte für ihn Interviews mit Goats und anderen Bands aus der HipHop-Szene. 1993 begann er schließlich selbst, Rap-Texte zu schreiben, zu dieser Zeit noch in Englisch: „Weil, ich hab’ gesehen, was auf Deutsch da war, hat nicht geflowt und das hat mich null überzeugt so was. Ein bisschen vom Inhalt fand ich’s cool, so einige Sachen so ausländermäßig und so, haben sie ein bisschen verarbeitet und dann halt. Irgendwie fand ich es cool, so weißt du so, weil, die wollten ja auch ein bisschen rausbrechen und das haben die schon irgendwie geschafft auf jeden Fall. Aber die Leute haben im Endeffekt, finde ich, für Rap selber nichts getan, kommt es mir vor, so. Das hat sich nicht entwickelt. Dass da nichts Spektakuläres passiert, wenn man die hört. Man kann so viel machen, auf so viel Betonungen achten, so viele Flows kann man machen. Die machen immer nur so diesen ‚nemenemeneme’ [Anm. der Autorin: imitiert den Rap anderer]. Oh Gott, was soll das? Ich meine, alles entwickelt sich doch, verdammt noch mal. Ob es in Zyklen ist, ob es sich selber zerstört aber im Endeffekt gibt es Sachen, die immer weiterentwickelt werden und die Bestand haben, auf jeden Fall. Und das ist auch zum Beispiel Rap. Dadurch dass die unsere Gedanken materialisieren können hat es einfach Bestand in der Zeit, es besteht. Und dadurch kann man etwas Zeitloses schaffen sowie man kann es entwickeln. Man kann immer einen Zahn zulegen, immer. Man muss es nur wollen.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999)

1996 gründete Savaş zusammen mit Fumanschu und Justus die Crew M.O.R (Masters of Rap), zu der auch bald andere MCs wie Fuat gehörten. Später machte sich Kool Savaş unter der Rap-Formation Westberlin Maskulin, die er mit Taktloss gegründet hatte, einen Namen. Bildeten zunächst nur einzelne Pioniere des Battle-Raps eine kleine Szene, so wurde durch das besondere Engagement einiger Aktivisten in den nächsten Jahren der Grundstein für den späteren Erfolg

39 Props steht hier für Respekt, Lob und Anerkennung für die eigene Leistung.

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auf nationaler Ebene geschaffen, was nicht zuletzt neben den MCs allen voran Marcus Staiger zu verdanken war. Als Journalist mit besonderem Interesse an HipHop lernte er Savaş kennen, der ihm von seinen Erfahrungen in Amerika erzählte. Daraus entstand Marcus Staigers Idee, sich in einer Kellerkneipe in der Mittenwalder Straße im Bezirk Kreuzberg wöchentlich zu treffen und nach USamerikanischem Vorbild Battle zu liefern. MCs hatten hier eine Möglichkeit, neue Texte zu präsentieren und sich zu beweisen, und es kamen MCs aus unterschiedlichen Bezirken zusammen. Aus der Retrospektive beschreibt Marcus Staiger dieses Zusammenkommen in der Zeitschrift tip folgendermaßen: „Scheiß auf Ruhrpott. Scheiß auf Hamburg. Wir sind Berliner. West-, West-, West-Berlin! Berliner sind ganz einfach die Härtesten. Mit dieser Einstellung gingen wir damals ans Werk, zerstörten deutschen Rap und veranstalteten später unsere Freestyle-Abende in einem Musikcafé namens Royalbunker. Auch wenn keiner von uns (außer Savas) direkt etwas mit den Gangs zu tun gehabt hatte und wir aus Zehlendorf, Steglitz, Wittenau, dem Wedding, aus dem Märkischen Viertel oder, wie ich, sogar aus Stuttgart kamen, wir verstanden uns als die echten Erben der Berliner Schnauze und als einzig legitime Vertreter der Battle-Rap-Kultur.“40

Diese Einrichtung, genannt Royal Bunker, aus dem später das gleichnamige Label entstehen sollte, steht inzwischen symbolisch für die Anfangszeit des Berliner Battle-Raps. Eine weitere Idee war es, Tapes nach US-amerikanischem Vorbild herzustellen und diese auf Jams in anderen Städten zu verkaufen. Da sich kein Label für diesen Rap interessierte, gründeten die Akteure selbst das Label Mikrokosmos, das später kurzzeitig Monopol, dann schließlich Royal Bunker hieß. 1998 kam das erste Tape „Nr. 1 Berlin“ heraus, auf dem unter anderem Kool Savaş und Fuat zu hören sind. Ein Jahr später veröffentlichte Fuat sein Tape „Hassickdir?“ bei Monopol. Schließlich schaffte es Kool Savaş, 1999 beim Aachener Label Put da Needle to da Records eine LP mit wiederaufgenommenen Songs zu veröffentlichen und damit auch einen größeren Bekanntheitsgrad zu erreichen. Der Battle-Rap von Fuat und Savaş unterschied sich eindeutig von der bis dahin verbreiteten Rap-Musik in Berlin. Die Texte zeichneten sich durch sexistische und aggressive Angriffe aus, wie beispielsweise der Song „Ihr müsst noch üben“ von Kool Savaş. Hier ein exemplarischer Ausschnitt: „Nigga, lass die Faxen, deine Crew sind alles Punker, ich spritz einmal in die Luft und Nutten lichten ihren Anker, 40 Staiger (2014:35).

114 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN du bist weak, Nigga Kool Savaş bedeutet Krieg, du machst auf Pimp, doch Partner, deine Nutten sind antik, niemand hat es nötig, meine Demos auch zu hören.“ (Kool Savaş o.J., im Internet)

Am Markt, der sowohl von politisch korrektem Rap als auch vom „Gute-LauneRap“ gesättigt war, nahm nun dieser Rap eine neue Stellung ein. Diese Haltung beschreibt Marcus Staiger in der Zeitschrift tip folgendermaßen: „Wir waren hardcore. Wir waren Untergrund. Wir hatten recht. Punkt.“ (Staiger 2014:36)

So aggressiv, homophob und sexistisch die Texte auch waren, sie riefen nicht zu Gewalt oder irgendwelchen Aktionen auf. Im Vordergrund stand – und das ist für Außenstehende schwer zu verstehen – das Humorvolle daran. Kool Savaş betonte den Spaß, den die Rapper bei diesen Texten hatten. Dass andere die Texte „wörtlich nehmen oder sich darüber Gedanken machen“, haben sie damals nicht in Erwähnung gezogen41. Justus, einer der Mitbegründer von M.O.R., beschreibt diesen Rap als „alles verarschungsmäßig“42. Dieser eigensinnige Humor verband die Pioniere ebenso, wie er Feindschaft bei vielen Außenstehenden hervorrief. Die Szene, die sich um Royal Bunker gebildet hatte, stellte den Rap und nicht die Herkunft in den Vordergrund. Wichtig war es, provokative, humorvolle, übertrieben sexistische und aggressive Texte mit einem guten Flow zu liefern und besser zu sein als der andere. Die jungen MCs kamen aus unterschiedlichen Berliner Bezirken und waren vornehmlich deutscher, vereinzelt auch türkischer Herkunft. Obwohl gerade Fuat und Kool Savaş zu den wichtigsten MCs in dieser Szene gehörten und Fuat zudem auf Türkisch rappte, stand die türkische Herkunft nicht im Vordergrund. Fuats Rap wirkte überzeugend durch den Flow und seine harte Art, Rap zu präsentieren. Kool Savaş und Fuat präsentierten in erster Linie sich selbst und nicht eine ethnische Gruppe. Wenn sie von einem „Wir“ sprachen, dann bezogen sie dies auf die Zugehörigkeit zu den beiden von Savaş mitgegründeten Rap-Crews M.O.R. (Masters of Rap) und Westberlin Maskulin, die sich anderen MCs gegenüber als überlegene Einheit präsentierten. Identitätsstiftend war nicht vordergründig der Bezirk Kreuzberg, obwohl die Battles in der Kreuzberger Kellerkneipe Royal Bunker stattfanden, dieser Bezirk als Ghetto stilisiert und damit für einige HipHop-Aktivisten identitätsstiftend war. Egal ob türkischer oder deutscher Herkunft, die städtische Zugehörigkeit, genauer die Westberliner Zugehörigkeit, nahm eine vorrangige Stellung ein, die sie anderen gegenüber als überlegen präsentierten. Erst zehn Jahre später sollte Sido „zuge41 Kool Savaş im Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ (Pethke & Rother). 42 Im Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ (Pethke & Rother).

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ben“, ostdeutscher Herkunft zu sein, eine Tatsache, die er zu Zeiten des Royal Bunkers verheimlicht hatte. Das heißt, im Vordergrund stand das „Ich“ beziehungsweise das „Wir“ auf der Ebene einer überzeugenden Performance, das sich über einen bestimmten Stil und besondere Fähigkeiten in der Rap-Musik definierte. Hier kann meines Erachtens eine Tendenz zur Individualisierung beobachtet werden. Es zeigt sich, dass erworbene Kapitalsorten, wie beispielsweise sprachliche Kompetenz und die überzeugend innovative Präsentation des Stils ein hohes symbolisches Kapital innerhalb der Szene bedeuteten. Die ethnische Zugehörigkeit als unveränderliches herkunftsbedingtes soziales Kapital dagegen rückte in den Hintergrund. Marcus Staiger, der die Berliner Zugehörigkeit forcierte und damit eine identitätsstiftende Funktion übernahm, kam selbst aus Stuttgart. Anerkennung oder in der Sprache der HipHop-Szene ausgedrückt „Respekt“ erhielten die MCs für den Flow und die Wortspiele. Dazu Savaş: „Für mich gibt es keine Grenzen beim Battle und ich denke einfach, man sollte, auch wenn man persönlich wird, manche Leute haben Probleme damit, wenn es so anfängt in die sexistischen Bereich zu gehen, wenn man über die Mutter von anderen anfängt zu sprechen. Mir ist das scheißegal, ich finde einfach, der Flow muss stimmen, der Style muss stimmen43.“

Kool Savaş und Fuat bedienten sich nicht orientalischer musikalischer Elemente und grenzten sich anderen gegenüber auch nicht über ihre türkische Herkunft ab. Nun hatte Savaş durch seinen Aufenthalt in der Türkei in einer politisch extremen Zeit die Schattenseiten der militärischen und rechtsorientierten Staatsform erlebt. Fuat beschrieb seinen Aufenthalt bei seinen Eltern in Istanbul als eine besonders schöne Zeit, doch stand er einigen Aspekten der Türkei sehr kritisch gegenüber. Beide hatten sowohl die negativen Seiten von Deutschland als auch der Türkei kennengelernt. Gleichzeitig fand Fuat in Berlin nicht den Anschluss an die türkische Community und hielt sich von religiösen oder auch anderen rein türkischen Einrichtungen fern: „Weil ich mit purer türkischer Gesellschaft nicht klarkomme“ (Fuat im Interview am 4.8.1999). Während andere türkischstämmige MCs die politische Situation in Deutschland anfeindeten, präsentierte Fuat 1998 bei Radio Eins zum Thema „Ausländer und HipHop“ eine differenzierte Sichtweise:

43 Im Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ (Pethke & Rother).

116 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Es gibt so viele kriminelle türkische und arabische Jugendliche hier, die unfassbar kriminell abgehen, die mit Drogen dealen, die andere Leute grundlos einfach abziehen, zusammenschlagen, ständig in den Knast kommen, wieder rauskommen, aber nicht abgeschoben werden. Da sind’n paar, die unfassbar kriminell sind, sich nicht anpassen wollen, die weder die Sprache lernen wollen, weder arbeiten gehen wollen. Diese Leute [haben] meiner Meinung nach auch hier nichts verloren. Die sollten in ihr eigenes Land gehen, und da am besten Krieg führen, gegen wen sie das auch machen möchten.“44

In seinem Rap und in Interviews sticht Fuat besonders dadurch hervor, dass er seine Meinung offen und radikal äußert und sich jedem Klischee verweigert. Ein Grund, weswegen er sowohl Bewunderung als auch Feindschaft erlebt. Pluralisierung und Erweiterung des Handlungsspielraums der HipHop-Aktivisten Rapper und auch HipHop-Aktivisten aus den Bereichen Graffiti und Breakdance hatten sich unterschiedlich intensiv mit HipHop auseinandergesetzt. Einige überaus Engagierte, die als junge Erwachsene im HipHop ihren eigenen Lebensbereich sahen, professionalisierten sich derart, dass sie nicht nur ihren Lebensunterhalt damit finanzieren konnten, sondern auch überregionale Popularität erlangten. Wie ich im Kapitel 6.1.3 genauer zeigen werde, boten insbesondere vom Senat finanzierte Jugendeinrichtungen und Projekte eine Einkommensmöglichkeit für professionelle Breakdancer und Rapper, die hier Kurse anbieten konnten. Ünal Yüksel arbeitete inzwischen als Produzent und brachte unter anderem das Album von Aziza A. heraus. Erci E. und Bektaş arbeiteten zwischenzeitlich beim Radio-Sender Kiss FM. Zu den erfolgreichsten HipHop-Aktivisten Ende der 1990er Jahre zählt die Breakdance-Gruppe Flying Steps, eine von dem türkischstämmigen Breakdancer Amigo und dem im Libanon geborenen Vartan gegründete multikulturelle Breakdance-Gruppe. Sie gewannen mehrmals den ersten Platz in den Battle of the Year Weltmeisterschaften. Unzählbar sind ihre nationalen und internationalen Auftritte, nicht nur in jugendkulturellen Bereichen, sondern auch in klassischen Kulturinstitutionen, wie beispielsweise in der Deutschen Oper Berlin, in der Berliner Nationalgalerie, in Theatershows in Frankreich und Belgien. Später veröffentlichten sie ihre eigenen Singles und Alben und gründeten die Tanzschule Flying Steps Academy. Murat Güngör, ein Frankfurter Rapper, schrieb im Rahmen seines kulturwissenschaftlichen Studiums seine Magisterarbeit über kulturelle Ausdrucksformen im HipHop und veröffent-

44 Fuat am 21.01.1998 bei Radio Eins. Im Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ (Pethke & Rother).

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lichte anschließend das Buch „Fear of Kanak Planet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap“. Mit ihren Aktivitäten haben einige HipHop-Aktivisten bestimmte Grenzen überschritten und ihren Handlungsspielraum sowohl räumlich als auch gesellschaftlich erweitert. HipHop war in den 1990er Jahren nicht mehr eine Subkultur, die isoliert in einigen Jugendhäusern als reine Freizeitaktivität ausgelebt wurde, sondern ein Medium, mit dem sich junge Menschen einen Platz in der Gesellschaft schufen und Anerkennung auch außerhalb der HipHop-Szene erlangten. Die Kultur ist im Laufe der 1990er Jahre ins Zentrum gerückt, durch mediale Präsenz, aber auch im klassischen Sinne der Hochkultur in Form von performativer Präsenz. Grenzziehungen zwischen Populärkultur und Hochkultur kritisierten Vertreter der Cultural Studies schon in ihren Anfangsjahren, da dies eine begrenzende Wertung mit sich brachte. Im HipHop ist diese Form von Grenzziehung ohnehin nicht möglich, da er auch in der Hochkultur angekommen ist. Ethnische Grenzen und Identitäten können über HipHop konstruiert und ausgelebt werden, doch am Beispiel der deutschtürkischen HipHop-Kultur wird deutlich, dass diese Musik auch die Rolle eines Mediums einnahm, um ethnische Zugehörigkeiten in den Hintergrund zu drängen und die Leistung in den Vordergrund zu stellen. Gleichzeitig fällt es auf, dass sich der Aktionsradius einiger deutschtürkischer Rapper und HipHop-Aktivisten nicht nur gesellschaftlich (sozial und ethnisch), sondern auch räumlich erweitert hat. War dies noch bis Mitte der 1990er Jahre vor allem eine lokale Kultur, so entwickelte sich mit Cartels Erfolg unter Rappern und DJs ein Interesse am türkischen Musikmarkt. Wie ich später ausführlicher darstellen werde, stieß Rap-Musik nach Cartel zwar zunächst auf Desinteresse und Ablehnung, doch HipHop-Aktivisten knüpften erste Netzwerke und brachten erste Veröffentlichungen in der Türkei heraus. Diese Entwicklung lenkt den Blick auf einzelne Akteure, die transnationale Erfahrungen und Bindungen aktiv auslebten, ihren Aktionsradius damit erweiterten und die Kultur in unterschiedlichen Ländern beeinflussten. Wie Glick Schiller et al. feststellen, können Immigranten heutzutage generell nicht als „entwurzelt“ charakterisiert werden (1995:48). Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass viele von ihnen „Transmigranten“ sind, die, auch wenn sie in einem neuen Land fest verwurzelt sind, doch gleichzeitig die Bindung zur Heimat aufrechterhalten: „They are not sojourners because they settle and become incorporated in the economy and political institutions, localities, and patterns of daily life of the country in which they reside. However, at the very same time, they are engaged elsewhere in the sense that they

118 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN maintain connections, build institutions, conduct transactions, and influence local and national events in the countries from which they emigrated.“ (Glick Schiller et al. 1995:48)

In einem transnationalen Raum nehmen bestimmte Akteure eine Schlüsselposition ein, die von Meinhof als „Human hubs“45 bezeichnet werden. In ihrer Studie zu Musikern in Madagaskar und Europa macht sie deutlich, dass diese Schlüsselfiguren Musikern aus einem anderen Land besonders in der Anfangszeit helfen, Fuß zu fassen und Kontakte zu schließen. Diese „human hubs“ sind transnational vernetzt und halten ihre Netzwerke unter Musikern aktiv aufrecht, beispielsweise durch gemeinsame Konzerte. Die Erweiterung des Aktionsfeldes der türkischen Rap-Musik auf transnationaler Ebene ist einigen „Human hubs“, zu verdanken, die ihre HipHop-Leidenschaft und Professionalität mit ökonomischem Interesse und einer Karriere von transnationaler Dimension verbunden haben. Diese Brückenfunktion übernahm zu Beginn der Deutschtürke Ozan Sinan, als der Akteur, der hinter dem Erfolg von Cartel in der Türkei stand. Er wurde allerdings später wegen Ungereimtheiten bezüglich der Bezahlung der Cartel-Mitglieder von der HipHop-Szene abgelehnt und hatte keinen Einfluss mehr auf die weitere Entwicklung von transnationaler Dimension. Langfristig einflussreich war meines Erachtens der in dieser transnationalen Beziehung führende, in Berlin geborene Musikproduzent Ünal Yüksel mit den eigenen Plattenlabels Plak Music und Ypsilon. Auch als Familienvater pendelt er noch heute zwischen Berlin und Istanbul. Seinem Vorbild folgend starteten auch andere Musiker große Karrieren in Istanbul. Seinen Weg zur Gründung eines eigenen Labels beschrieb er im Interview folgendermaßen: „Ich bin ja zweite Generation Türke und mein ganzes Leben lang habe ich gependelt eigentlich. Ich wurde mit 6 eingeschult in der Türkei und dann bin ich mit 13 hierher. Also ich gehöre zu den Leuten, die die deutsche Sprache und die türkische Sprache zwei Mal lernen mussten. (…) Nach meinem Studium (Audioingenieur) habe ich ein Jahr bei Kiss FM als technischer Leiter gearbeitet. Das war mein einziges Arbeitsverhältnis, und dann habe ich mich sofort selbstständig gemacht. Und während meiner Studienzeit habe ich auch schon Musik gemacht, auch immer in der Türkei und in Deutschland immer Leute produziert. Der Transfer war immer da für mich. Zum Beispiel kamen Leute hierher zu mir und haben das in der Türkei veröffentlicht. Ich habe sie produziert. Ich habe die Aufnahme gemacht, die Songs geschrieben, ich habe Texte geschrieben, ich habe sie produziert. Wenn du als Türke hier Produzent warst in den 80ern, da kamen halt viele Türken zu dir, die Musik produziert haben wollten. (…) Dann kam es in der Türkei raus und dann 45 Vortrag von Ulrike Meinhof auf der Konferenz: „Music and Migration – Third international conference”, University of Southampton, UK, 15.-17. Oktober 2009.

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wurde es nach Deutschland importiert. Über die Gemüseläden wurde es dann verkauft. (…) Ich habe dann meine eigene Firma aufgemacht. Das war eigentlich aus der Notsituation heraus. Das war nie meine Idee, ein eigenes Label zu machen oder Verlag oder Management. Eigentlich war ich ein Musiker und mehr oder weniger der Kreative, der im Studio saß und Sachen produziert hat. Aber wenn man selber Musik macht und keiner glaubt dran und du glaubst fest dran, dann, o.k., machst du das halt selber. Dann kam es halt zur eigenen Firma. Und eines meiner Projekte war dann auch Can-Kat und Cartel und Islamic Force.“ (Ünal Yüksel im Interview am 23.9.2009)

Ünal Yüksel übertrug den Aktionsradius, den er als Kind erfahren hatte, auf seinen Beruf und nutzt sein soziales und kulturelles Kapital, das er durch den Aufenthalt in beiden Städten erworben hatte, für eine Karriere als Musikproduzent. Dies zeigt sich unter anderem an dem später von ihm entwickelten Musikstil R’nBesk. Dieser neue Musikstil verbindet orientalische Melodien des Arabesk mit dem afroamerikanischen Musikstil R’n’B und ist mit dem Sänger Muhabbet bekannt geworden, dessen Alben und Single Ünal Yüksel produzierte. Seine Musik schaffte es in die deutschen, österreichischen und Schweizer Charts. Darüber hinaus erstellte Ünal Yüksel 2006 auch einen orientalischen Remix für die inzwischen international bekannte Berliner Band Seeeds. Nach seinen Aussagen arbeitet er in 80% seiner Projekte mit Deutschtürken: „Also wir sind das Label für die Deutschtürken. Immer wenn jemand was mit Musik zu tun hat oder hier in Deutschland was machen will, dann landen die irgendwie über drei Ecken immer bei uns. Sei es Film, Vertrieb, Verlag, irgendwelche Compilation, die zusammengestellt werden sollen, müssen. Also wir sind schon eine Anlaufadresse.“ (Ünal Yüksel im Interview am 23.9.2009)

Ünal Yüksel ist ein Beispiel dafür, dass viele HipHop-Aktivisten ihren Aktionsradius im Laufe der 1990er Jahre und noch verstärkt nach 2000 sichtlich erweitert haben, und das nicht nur räumlich auf transnationaler Ebene, sondern auch gesellschaftlich durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen innerhalb eines Landes. In diesem großen, vielschichtigen Feld kann nicht von einer in sich geschlossenen deutschtürkischen HipHop-Szene gesprochen werden. Vielmehr gab es schon Ende der 1990er Jahre eine Reihe von aktiven türkischstämmigen HipHoppern, die in ihren eigenen, oft multikulturellen Kreisen rappten, Graffitis sprühten und Breakdance tanzten und – wie im Fall von Ünal Yüksel – unterschiedliche Musikstile produzierten und mit unterschiedlichsten, auch deutschen Interpreten zusammenarbeiteten.

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Deutschtürkische HipHop-Aktivisten machten in unterschiedlicher Weise von dem erweiterten Handlungsspielraum Gebrauch. Während Ünal Yüksel gerade von diesem transnationalen Raum profitierte, so reizte die Arbeit in der Türkei beispielsweise den in Kreuzberg lebenden Frankfurter Rapper Volkan T. weniger, weil er enttäuscht feststellen musste, dass er dafür zu viel in der Türkei präsent sein müsste und sich das finanziell für ihn nicht lohnen würde. Das Desinteresse am türkischen Markt begründete er auch mit der unterschiedlichen Position, die türkische Rapper in Berlin und in Istanbul einnahmen – die differente Position als Etablierte und Außenseiter: „Wir schreiben wirklich andere Texte (…). Ich mein, wir schreiben halt Texte über unser Leben hier, ja. Das ist eine ganz andre Problematik als in der Türkei. Wir leben hier ein Leben als Ausländer. Ja, ich mein, das ist was ganz andres als in der Türkei als Türke zu leben.“ (Volkan im Interview am 30.7.1999)

Wie auch für andere Rapper aus der Szene waren für Volkan der Ausdruck der eigenen Meinung, der eigenen gesellschaftlichen Position und die Verarbeitung eigener biographischer Erfahrungen untrennbare Elemente seiner Rap-Musik. Daher weitete er seinen Handlungsspielraum nicht vorrrangig transnational aus wie manch andere Künstler. Stilistisch ging er ebenfalls seine eigenen Wege, indem er sich intensiv mit Heavy Metal, Noisecore, experimentieller Musik und Jazz beschäftigte, aber auch gern türkische klassische und auch Saz-Musik hörte. Generell zeichnete sich der Stil der deutschtürkischen MCs durch Heterogenität aus. Im Laufe der 1990er Jahre haben sich unterschiedliche Arten der RapMusik entwickelt, das Spektrum reichte vom türkischsprachigen Rap mit orientalischen Klängen und nationalistisch politischem Inhalt – wie beispielsweise von Bands wie Cartel –, den betont politisch korrekten Bands wie Kanacks with Brain oder dem MC Bektaş über den türkischen Rap eines Kreuzberg-bezogenen Killa Hakan bis hin zum Battle-Rap von Kool Savaş und Fuat. Unterstützung, aber auch klare Abgrenzung, prägte das Verhältnis der Einzelnen innerhalb der Szene. Fuat beispielsweise distanzierte sich klar von der deutschtürkischen HipHop-Szene: „Ich find’s weak auf jeden Fall. Ich find’s weak. Also was soll ich sagen, schwach, super schwach. Inhaltslos, abgeguckt, abgelesen, abgeguckte attitudes, alles abgeguckt, alles von irgendwoher. (…) Ich schäme mich so, wenn ich sie höre, weißt du. Ich schäme mich fürs Türkisch, ich schäme mich für die Flows, ich will nicht mit denen zu tun haben. Nichts, ich möchte niemals eine Spur mit den Leuten teilen, niemals.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999)

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Durch seinen langjährigen Türkei-Aufenthalt, der Beschäftigung mit türkischer Literatur, seiner Kompetenz als Rapper und seiner harten Lebenserfahrung erfüllte er die Kriterien, die in der HipHop-Szene als authentisch und überzeugend galten (siehe Kapitel 5.1). Trotz der Heterogenität ihres Stils und ihres Umfelds, sei dies ethnisch oder sozial, fällt es auf, dass die HipHop-Aktivisten doch alle Teil eines Netzwerkes waren, das auf ihrer türkischen Herkunft basierte. So kam es zu Treffen oder gemeinsamen Arbeiten und Veröffentlichungen von Rappern mit unterschiedlichen politischen und kulturellen Einstellungen, die aufgrund ihrer türkischen Herkunft an einer Zusammenarbeit interessiert waren. Aufgrund von größeren Differenzen brachen sie jedoch des Öfteren die Zusammenarbeit ab, denn zu unterschiedlich war die Vorstellung von Rap-Musik wiederum. Bei einem Treffen mit einem Deutschtürken aus der Musik-Szene, mit dem Fuat „gemeinsame Geschäfte“ machen wollte, erwartete dieser beispielsweise, dass Fuat seine Texte ändere: „Der ist immer zu mir gekommen und hat gesagt so, ‚ej’, willst du immer ʼn kleiner Imbissverkäufer bleiben’, so. ‚Du musst deine Texte umstellen’. Fuck you, Alter.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999) Zu dieser Zeit hatte Fuat am Flughafen gearbeitet, dort Karren geschoben und war nicht in einem Imbiss tätig. Der Imbissverkäufer steht in diesem Kontext symbolisch für jemanden, der erfolglos geblieben ist. 1999 veröffentlichte der Heidelberger deutschtürkische Rap-Produzent Boulevard Bou das „Türkçe HipHop Mixtape“ mit deutschtürkischen und türkischen Rappern. Die Interpreten waren zwar türkischer Herkunft, doch unterschieden sie sich durch ihre politischen Einstellungen. Karakan beispielsweise, ein ehemaliges Mitglied von Cartel, hatte eine eher rechtsgerichtete türkisch-nationalistische politische Einstellung, die Mitglieder von Islamic Force bezogen ihre Identität dagegen auf ihre Kreuzberger Zugehörigkeit und ehemalige Gang-Herkunft, DJ Mahmut und Murat G. waren eher Vertreter des politisch korrekten Rap. Die Rapperin Aziza A. brachte insbesondere frauenspezifische Themen. Bei den Interviews dieser Studie fiel auf, dass die Rapper, auch wenn sie nicht unbedingt ihre türkische Herkunft in den Vordergrund stellten oder sich teilweise bewusst davon distanzierten, doch früher oder später mit anderen türkischstämmigen Rappern zusammenarbeiteten oder sich für eine Veröffentlichung in der Türkei interessierten. Ein Beispiel hierfür ist der Produzent und DJ Zafer, bekannt als DJ Smolface und auch als DJ Binichja. Er ist in BerlinWedding geboren und in Berlin-Reinickendorf aufgewachsen. Von seinem Vater hörte er recht früh Blackmusic und übte am häuslichen Plattenspieler das DJing und scratchen. Mit seinem Taschengeld kaufte er sich die ersten Platten, später während seiner Ausbildung und während er als Industrie-Elektroniker arbeitete,

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wuchs seine Plattensammlung beträchtlich. Schon mit 14 Jahren legte DJ Smolface auf Parties Platten auf, später arbeitete er als professioneller DJ in Clubs und bei Parties in Einrichtungen. Ende der 1980er Jahre begann er Musik zu produzieren und erwarb die ersten Geräte dafür. Zafer beeindruckte mich, wie auch andere aus der HipHop-Szene, durch seinen ausgeprägten Glauben an eine Mission, und durch die Investition von Zeit und Geld in eine Laufbahn, die nicht einem alltäglichen Schema der Lebensgestaltung folgte. Er nahm einen hohen Kredit auf, baute damit ein Studio auf und tilgte seine Schulden durch einen Job am Flughafen im Sicherheitsbereich. In den 1990er Jahren gründete er das DJund Produzententeam Tripple X mit. Er war Mitglied einer HipHop-Gruppe namens KMC (Kinzmen Clikk), die wiederum aus den Gruppen und Rappern Harleckinz, Kinzmania, KC Da Rookee und dem DJ- und Produzententeam Triple X bestand, dem Zafer dazugehörte. Zusätzlich gründeten sie eine zweite Formation mit zwei MCs, darunter auch Bektaş. Unter den Mitgliedern von KMC waren Deutsche, Afroamerikaner, Berliner Halbägypter, ein Brite jamaikanischer Herkunft und, mit Zafer und Bektaş, zwei Deutschtürken. Die Gruppe war also in jeder Hinsicht sehr international. Sie rappten generell in Englisch, weniger in Deutsch, Bektaş rappte zusätzlich auch in Türkisch. Die Produktion von türkischer Rap-Musik machte für Zafer allerdings nur einen geringen Teil seiner Arbeit aus. Besonders erfolgreich wurde er als DJ Smolface durch seine Arbeit im Produzententeam Beathoavenz, das sich aus ihm und seinem Freund DJ Perez zusammensetzt 1998 gegründet, haben sie sich in den folgenden Jahren zu den erfolgreichsten Produzententeams Deutschlands hochgearbeitet und produzieren inzwischen nicht nur die Musik von Berliner Rappern, sondern auch von internationalen Stars. Zusätzlich wurde Zafer als DJ Binichja mit seinem Freund Harris alias DJ Binichnicht, als das Berliner DJTeam G.B.Z. Babbasoundz bekannt. Zusammen legten sie auf zahlreichen Parties und Veranstaltungen auf, unter anderem auch auf der MTV European Music Award Aftershow Party. Zafer lebt nach wie vor für die Musik. Weder privat noch beruflich steht dabei seine türkische Herkunft im Vordergrund. Er hatte zahlreiche deutsche Freunde, drei enge türkischstämmige Freunde, sein bester Freund war zur Zeit der Feldforschung der in Berlin geborene MTV Moderator Patrice, der deutschkongolesischer Herkunft ist. Zafer war als DJ und Produzent von HipHopMusik, aber auch anderen Musikrichtungen sehr erfolgreich. Er hört viel „Orchestermusik“, asiatische und auch sehr gern schottische Musik, die ihm als „Inspirationsquellen“ dient. Die Zusammenarbeit mit türkischen Musikern wie Mustafa Sandal, dem deutschtürkischen Sänger Muhabbet und deutschtürkischen Rappern wie Bektaş bildet nur einen peripheren Teil seiner sehr multikulturell

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ausgerichteten professionellen Tätigkeit. Hier verwendet er einen Teil seines kulturellen Kapitals, das er durch seine Herkunft mitbekommen hat. Bezirkszugehörigkeit als Identitätsfaktor Die Ethnisierung der Rap-Musik in Form des Sampelns von orientalischen Melodien und die Betonung einer türkischen Zugehörigkeit im Text, verstärkte sich nach Anfang der 1990er Jahre. Zu dieser Zeit waren nicht nur die AußenseiterPosition, die Zugehörigkeit zur HipHop-Kultur oder die türkische Herkunft identitätsstiftende Bezugspunkte. Insbesondere die Bezirkszugehörigkeit innerhalb Berlins erhielt einen hohen Stellenwert in der Konstruktion von Identität und Zusammengehörigkeitsgefühl. Dabei ist zu beachten, dass HipHop eine Straßenkultur ist und schon von Beginn an im öffentlichen Raum, wie beispielsweise auf der Straße oder in Jugendeinrichtungen, ausgelebt wurde (Henkel & Wolff 1996: 42). Die Zugehörigkeit zu den Berliner Bezirken Kreuzberg bzw. Schöneberg mit den damals gültigen Postleitzahlen 36 oder 61 bzw. 30 oder 62 schürte Emotionen, die teilweise in offen ausgetragenen Kämpfen zwischen Gangs mündeten. Gerade mit HipHop versuchten Jugendeinrichtungen, den Gang-Rivalitäten unter den Bezirken Grenzen zu setzen und Kämpfe friedlich auszutragen. Gleichzeitig konnten über HipHop die Bezirkszugehörigkeiten verstärkt werden, wie beispielweise über Graffitis, indem neben dem anonymen Namen die Bezirkszugehörigkeit gesprüht wurde, wie beispielsweise „Poet 62“ und damit symbolische Territorialansprüche manifestiert oder auch Grenzen verletzt wurden. Rapper betonten in ihren Texten oder Auftritten „ihre“ Postleitzahl, d.h. die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bezirk. Die bereits im Kapitel 4.1.2 erwähnten von InterNation organisierten HipHop-Jams im Jahre 1993 in den Berliner Bezirken Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten können exemplarisch für den Umgang mit unterschiedlichen Bezirkszugehörigkeiten der HipHop-Aktivisten Anfang der 1990er Jahre betrachtet werden. Auf diesen Jams traten insgesamt ca. 30 Breakdance-Gruppen, RapGruppen und DJs aus unterschiedlichen Berliner Bezirken und vornehmlich türkischer Herkunft auf. Besondere Gäste waren Da Crime Posse und Fresh Familiy aus Westdeutschland. So gab es beispielsweise in der Jugendeinrichtung Weiße Rose in Schöneberg am 16. Oktober 1993 unter anderem eine Gedenkminute für die Opfer der rassistischen Anschläge auf von Türken bewohnte Häuser. Als drei Wochen später auf einer anderen Jam von InterNation unter den Zuschauern Spannungen auftraten, wurden die Jugendlichen auf die Bühne geholt. Man versuchte sie zu beruhigen, indem betont wurde, dass „Battle die coolste Sache der Welt ist“. Es ging dabei aber um den friedlichen Battle: „Rockers of Harmony

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und The Battle Moves sollten battlen, nicht Tiergarten gegen Kreuzberg“46. Damit wurde auf die Anfänge der HipHop-Kultur in Berlin hingewiesen: „Damals, wo wir 1982 angefangen haben, hieß es die Kunst des Kampfes ohne zu kämpfen, nicht die Faust, wenn ihr mit der Faust redet, seid ihr nicht besser als die Nazis, die unsere Schwestern und Müttern verbrennen.“47 Trotz dieses Vergleiches und dem Bedürfnis, sich gemeinsam gegen Gewalt zu positionieren, ließ es sich ein Jugendlicher von Battle Moves nicht nehmen, auf der Bühne zu sagen: „36er sind immer die Besten.“48 Bei den vier HipHop-Jams von InterNation in Berlin ging es in erster Linie darum, eine US-amerikanischen Jugendkultur auszuleben und um die Anerkennung der eigenen Leistung als guter Breakdancer, Rapper oder DJ. Türkische Instrumente und orientalische Melodien kamen nur bei Straight Poetry vor, auch die Pioniere der türkischen Rap-Musik Islamic Force rappten auf Englisch ohne orientalische Melodien und forderten dazu auf, alle Menschen auf der Erde als gleich anzusehen, sie selbst betonten nicht ihre eigene türkische Herkunft. Zwar tanzte in der Jugendeinrichtung JCH in der Dessauer Straße eine Breakdance-Gruppe zu Beginn ihrer Show einige Takte den türkischen Tanz Halay, doch war auch diese Form des Ausdrucks von Ethnizität eine Randerscheinung, denn alle Breakdance-Gruppen tanzten im klassischen US-amerikanischen Stil. Die Gedenkminute für die türkischen Opfer der rassistischen Anschläge und die Aussage „unsere Mütter und Schwestern“ bildeten einen kurzen Moment, in dem die Jugendlichen ihre türkische Herkunft thematisierten. Im Gegensatz dazu kam unter einigen Jugendlichen die Zugehörigkeit zu Kreuzberg auffällig emotional zum Ausdruck. Hinter den auf der Bezirksebene gezogenen Grenzziehungen konnten sich allerdings auch ethnische oder religiöse Gründe verbergen49. Der Mitbegründer von Islamic Force Taner Bahar (Cut’em T) beschrieb die früheren Gangrivalitäten zwischen unterschiedlichen Bezirken im Lichte innertürkischer kultureller und religiöser Differenzen: „Wenn du siehst, dass in Kreuzberg, also die Türken, die hier in Kreuzberg leben, oder die Menschen mit den türkischen Pässen, die in Kreuzberg leben, größtenteils auch Kurden und Aleviten sind und die wiederum, die im Wedding leben, anderen türkischen Völkern angehören – kommen eher aus dem westlichen Teil in der Türkei und sind auch Sunniten, 46 Originalvideo „Do you remember 93 – InterNation HipHop Konzerte“ von Claudia Rhein. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Zu den ethnischen Gruppierungen in Kreuzberg siehe insbesondere Ayhan Kaya (2000:84;100ff.).

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größtenteils –, dann ist da eigentlich die Trennung, die damals war. Das war ein Konflikt zwischen Aleviten, Sunniten, Kurden, Türken, Erzincanlı, Izmirli (…) das war die Ursache und die Folge war, das dadurch, dass die auf die Bezirke aufgeteilt waren, die Bezirke dann miteinander Probleme hatten. (…) Also der – weiß ich nicht, Ali aus Kreuzberg, der irgendwie aus Erzincan kommt, Alevite ist, hat halt ein Problem mit Mesut aus Wedding, weil der aus Istanbul kam. Und Sunnite war.“ (Taner Bahar im Interview am 3.01.1999)

Seiner Schilderung nach hielten sich die Konflikte mit Jugendlichen aus einem anderen Bezirk, aber mit gleichem religiösem Hintergrund in Grenzen: „Mit denen gab’s ja dann diese Probleme nicht. Weil, gerade die Jungs tragen ja auch dieses Schwert, dieses alevitische Schwert. Und ich weiß zum Beispiel von Boe B., der selber Alevite ist, der hat mir gesagt, wenn er zum Beispiel mit irgendjemandem Stress hat auf der Straße, weil Boe B. war auch jemand, der sich oft geprügelt hat, – also im Vergleich zu mir oft (…), wenn ich sehe, der hat so ein alevitisches Schwert, sagt er, dann versucht er diesen Konflikt noch irgendwie mit Worten zu regeln. Weil er doch irgendwie das Gefühl hat, bizden (von uns). Und das war eigentlich das, was mich so traurig gemacht hat, dass eigentlich die Konflikte aus der Elterngeneration noch auf die Generation der Kinder übertragen werden.“ (Taner Bahar im Interview am 3.11.1999)

Im Laufe der 1990er Jahre nahm die Bedeutung der Bezirkszugehörigkeit ab. Ende der 1990er Jahre bestanden zahlreiche Graffiti-Crews und BreakdanceGruppen aus Jugendlichen unterschiedlichster Bezirke. Auch Rapper stellten weniger eine besondere Bezirks-Identität in den Vordergrund. Bei Veröffentlichungen oder Auftritten präsentierten deutschtürkische Rapper die Stadt Berlin und nicht einen bestimmten Bezirk auch auf transnationaler Ebene. Doch die HipHop-Szene um die Jugendeinrichtung Naunynritze hielt weiterhin deutlich an ihrer Zugehörigkeit zu Kreuzberg 36 fest. So auch der Rapper Volkan T. aus Frankfurt, der zum Interviewzeitpunkt erst seit 10 Monaten in Berlin wohnte. Mit DJ Mahmut und Murat G. war Volkan ein Pionier der deutschtürkischen Rap-Szene aus Frankfurt. Der Umzug nach Kreuzberg war eine bewusste Entscheidung: „Die Berliner Szene kenn’ ich nich so gut. Also, ich kenn die Kreuzberg-Szene. Das is’ warum ich eigentlich hierhergekommen bin. Ich mein, um nach Kreuzberg zu gehen. (…) ich war immer in Kreuzberg, wenn ich hier war in Berlin. Ich war sehr viel woanders. Und es war irgendwie schon immer das Einzige, was mich interessiert hat. Wenn ich in Deutschland woanders hingehe, dann hierher.“ (Volkan T. im Interview 30.7.1999)

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Das besondere kulturelle Angebot in Kreuzberg lockte ihn in diesen Bezirk, bis heute gehört Volkan T. zu den kulturell engagiertesten Kreuzberger HipHopAktivisten. Wie Eksner in ihrem Buch über Ghetto-Ideologien in Kreuzberg 36 beschreibt, spielt sich das Leben der Jugendlichen in diesem Gebiet aufgrund von begrenzten Indoor-Angeboten vornehmlich auf der Straße, auf dem Fußballplatz und in Jugendeinrichtungen ab (Eksner 2006:36). Erlebte oder gefühlte Diskriminierung seitens der Gesellschaft fürte bei einigen Jugendlichen dazu, dass sie sich bevorzugt in Kreuzberg 36 aufhielten, wo sie zur Mehrheit gehörten (Eksner 2006:35). Dieser im Alltag eingeschränkte räumliche Aktionsradius, aber auch, wie im Kapitel 6.1 genauer erörtert, die Besonderheit Kreuzbergs innerhalb der deutschen Gesellschaft, führte zu einer besonderen emotionalen Bindung und Identifizierung mit diesem Bezirk. Bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten betonte und betont auch heute noch Killa Hakan seine Zugehörigkeit zu Kreuzberg 36. Selbst in seine zunehmend intensivierten Auftritten und Arbeiten auf transnationaler Ebene repräsentiert Killa Hakan in erster Linie den Rapper aus Kreuzberg. Als ein weiteres Fallbeispiel für den Umgang mit ethnischen und lokalen Identitätskonstruktionen möchte ich in diesem Zusammenhang eine besondere Veranstaltung erwähnen: den „Turkish HipHop Jam“ in der Naunynritze am 3.11.2001, die ich selbst besucht hatte und über den ich später eine Videodokumentation erhielt. Zu diesem Jam kamen türkische und türkischstämmige Rapper und DJs aus Berlin, Ulm, Nürnberg, Frankfurt, Offenbach und Istanbul zusammen. Ein lokales, nationales und transnationales Netzwerk, basierend auf der türkischen Herkunft und dem HipHop, wurde an diesem Abend öffentlich sichtbar. Durch den Veranstaltungsort Naunynritze und Killa Hakan von Islamic Force als Hauptfigur dieser Veranstaltung erhielt der Jam allerdings einen starken Kreuzberg-Bezug. Auf dem Video-Tape der Naunynritze stellt Deniz Bax zu Beginn die Rapper vor. Die Vorstellung Killa Hakans von Islamic Force soll als Beispiel dienen, wie die Zugehörigkeit zu Kreuzberg, die türkische Herkunft und die HipHop-Kultur präsentiert wurden: „Islamic Force ist Naunynritze, Islamic Force ist Kreuzberg, Islamic Force sind wir, Islamic Force ist die erste Rap Gruppe auf Türkisch überhaupt auf der ganzen Welt gewesen. Deswegen Kreuzberg Islamic Force, Kreuzberg 36, Kreuzberg Islamic Force. Gehört alles zusammen.“50

50 In dem Dokumentarfilm „In the Lab“ (Regie Engin Altınova) stellt sich Hakan als „reinrassiger Kreuzberger“ vor.

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Innerhalb des Jams löste der Name Kreuzbergs besondere Begeisterung unter den Jugendlichen aus. Bei der bloßen Erwähnung von Kreuzberg 36 machten sie stets ein bestimmtes Handzeichen, das die Zahl 36 symbolisierte: Dabei werden Daumen und Zeigefinger zu einer Null geformt, die restlichen drei Finger sind ausgestreckt. Auch beim Auftritt von Tunç Dindaş, genannt Turbo, dem HipHop-Pionier aus Istanbul, war seine Kreuzberg-Zugehörigkeit der bedeutendste Identitätsfaktor. Diesen besonderen Gast kündigte Hakan auf Türkisch an, was ich übersetzt wiedergeben möchte: „Der Freund ist 3.000 km gekommen, um in Kreuzberg Rap zu machen. Er ist gleichzeitig einer der berühmtesten Graffiti-Sprüher. Alle zusammen ich sage Willkommen Turbo (Killa Hakan macht das Handzeichen für Kreuzberg 36) (…). Er ist 3.000 km gekommen. Er hat euch was zu erzählen. Wir werden es uns zusammen anhören.“

Tunç begrüßte das Publikum auf Türkisch in einer Form, die die transnationale Bindung, die Zugehörigkeit zur Türkei aber auch den Kreuzberg-Bezug betont: „Erstmal Hallo an alle. Ich bin einen etwas weiten Weg gekommen. Ich habe jedem aus der Heimat (vatan), aus Istanbul Grüße mitgebracht. Aber ich habe gesehen, dass es kaum einen Unterschied hier zu meinem vatan gibt. Es sei euch gegönnt (helal olsun size)! Kreuzberg, ich will dich hören, Kreuzberg.“51

Hier jubelten die Jugendlichen. Während seines Auftrittes, bei dem DJ Mahmut aus Frankfurt – ebenfalls einer der wichtigsten Pioniere in der türkischsprachigen Rap-Musik – begleitete, sprang ein Junge auf die Bühne und hielt ein TShirt mit der Aufschrift „Kreuzberg 36“ hoch. Das Publikum jubelte. Kurz darauf bildete sich unter den Jugendlichen ein Kreis von Breakdancern. Turbo wurde so weitgehend ignoriert, dass er aufhörte zu Rappen. Die lokale Bindung zu Kreuzberg, hier symbolisiert in der ehemaligen Postleitzahl 36, schürte unter den Jugendlichen die größte Begeisterung und das, obwohl es sich bei Turbo um den zu dieser Zeit bedeutendsten HipHop-Aktivisten Istanbuls handelte. Obgleich die zweitstelligen Postleitzahlen im Jahre 1993 durch fünfstellige und eine neue Bezirkszeinteilung ersetzt wurde, hält sich in Kreuzberg, insbesondere im Umfeld der Naunynritze, noch heute die Zahl 36 als symbolischer Ausdruck für die Zugehörigkeit. Außerhalb des Umfeldes der Naunynritze verwendeten Rapper Ende der 1990er Jahre kaum noch die alte Postleitzahl. Die

51 Übersetzung durch die Autorin.

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Bezirkszugehörigkeit rückte in den Hintergrund, nahm jedoch erneut Mitte der 2000er Jahre für eine kurze Zeit an Bedeutung zu. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass sich die Bedeutung und Art der Rap-Musik in Berlin unter deutschtürkischen Jugendlichen zwischen den Anfängen in den 1980er Jahren und dem Millennium gewandelt hat. Aus der anfänglichen Modeerscheinung wurde recht bald eine etablierte Kultur von Jugendlichen, die aufgrund ihrer Migrationsgeschichte zu den Außenseitern gehörten. Innerhalb dieser Figuration bot die Kultur ein Feld, in dem sie ihre Außenseiterposition als positive Orientierung nutzen konnten, in den besonders schwierigen Zeiten zunehmender Ausländerfeindlichkeit, konnten sie sich damit Gehör verschaffen. Es zeigt sich also, dass Rap-Musik ein Medium sein kann, die eigene Herkunft zu präsentieren. Es zeigt sich aber auch, dass deutschtürkische Jugendliche – zumindest im Bereich der Populärkultur – in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein Teil des Individualisierungsprozesses wurden, der den Stil und nicht die Herkunft als Bewertungskriterium in den Vordergrund stellt. Aufgrund der starken Verbreitung der HipHop-Kultur sowohl unter deutschstämmigen Jugendlichen als auch solchen mit Migrationshintergrund, auch angesichts der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der HipHop-Szene und ihrer Präsenz in unterschiedlichsten Institutionen und Medien verfügten die Jugendlichen über ein weites und differenziertes Feld, in dem sie ihre Kultur auslebten. Deutschtürkische Jugendliche waren in diesem heterogenen Feld sehr unterschiedlich integriert. Gleichzeitig griffen sie mit unterschiedlicher Intensität auf ein Netzwerk zu, das sich aus der türkischen Herkunft gebildet hatte. So konnten sie sowohl das soziale Kapital, als auch das kulturelle Kapital in positiver Weise als subkulturelles Kapital auf der lokalen, nationalen und transnationalen Ebene in diese Kultur einbringen. Die vielfältigen Dimensionen der Kontakte, des Einflusses und der Handlungsräume zeigen, dass der Begriff glokal zu kurz greift, und sich für diese Kultur am treffendsten durch den Begriff transglokal ersetzen lässt52. Nach dieser Darstellung der Entwicklung der HipHop-Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen in Berlin möchte ich im Folgenden die Entwicklung der HipHop-Kultur in Istanbul nachvollziehen.

52 Das Sampeln von Musikstücken, die aus dem Heimatland der Eltern stammen, ist kein für die Deutschtürken spezifisches Merkmal oder Unikum. Die Vorgehensweise ist beispielsweise ebenso bei Franzosen maghrebischer Herkunft zu beobachten, die arabische Elemente in den Rap integrieren, oder auch bei den Kreolen in den Niederlanden.

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4.2 I STANBUL : H IP H OP ALS EINE A USSENSEITERKULTUR DER E TABLIERTEN Verglichen mit der langen Geschichte der HipHop-Kultur in Berlin und ihrer besonderen Verbreitung, ihrer Vielfalt und differenzierten Strukturen, war HipHop Ende der 1990er Jahre in Istanbul noch relativ neu und im Gegensatz zu anderen Jugendkulturen, wie z.B. Rock, kaum verbreitet. Bevor die deutschtürkische Rap-Formation Cartel mit ihren Mitgliedern aus Berlin, Nürnberg und Kiel Mitte der 1990er Jahre ihren großen Erfolg in der Türkei verzeichnete, beschäftigten sich nur vereinzelt Jugendliche mit HipHop. Dies waren vornehmlich Rückkehrerkinder aus Deutschland oder Jugendliche, die Verwandte oder Freunde in Deutschland hatten, von denen sie in den Sommerferien mit Tonträgern und Informationen versorgt wurden. Ein Beispiel für diesen „Cultural flow“ über ein transnationales Netzwerk ist mein Interviewpartner Tunç Dindaş, der zu den wichtigsten Pionieren der türkischen HipHop-Kultur gehört und seine Geschichte vor der Zeit von Cartel folgendermaßen beschreibt: „Aus dem Ausland kamen damals die Kinder von meinem Onkel. Die machten damals Breakdance, so ungefähr 82, 83. Sie haben mir damals Breakdance gezeigt. Sie haben mir Kassetten gegeben. Ich wusste damals nicht, was es ist (…) so habe ich angefangen, die Gruppen kennenzulernen. Dann kam Rap. Grandmaster Flash und Sugarhill Gang. Als ich anfing Platten zu kaufen, waren auf den Covern Graffiti. Diese gefielen mir. Dann habe ich Beat Street angeschaut und habe dabei gelernt, wie man Graffitis und Scratches macht. So hat es angefangen. Zu dieser Zeit haben meine Freunde sich für Heavy Metal interessiert, aber ich habe HipHop nicht gelassen. Das war so 85, 86. Ich mochte Heavy Metal nicht. Ich habe weiterhin die alten Sachen gehört und habe versucht, aus dem Ausland etwas zu finden. (…) Damals habe ich angefangen, Graffitis und Tags zu machen. Dann habe ich von hier und da Kassetten erhalten. Dass ich weiter Rap-Musik hörte, hing damit zusammen, dass Run DMC „Raising Hell“ veröffentlichte, als Kassette, das war 87. Zu der Zeit kam auch Acid House heraus. Das teilte sich dann. Manche hörten Metal, manche Acid House. Ich habe nachdem Run DMC herauskam weiter gemacht. Dann kam Beastie Boys. (…) Ein Freund brachte 89 aus Berlin Bücher mit. Subway Art und andere. Dann hat er von der Berliner Mauer Fotos gebracht. Ganz schön viele, vielleicht 100 Fotos hat er mir gebracht. So habe ich mich beim Graffiti weiterentwickelt. Ich habe die Styles gesehen. (…) Das hat mir sehr geholfen. Ich habe mit Graffiti weitergemacht. So um 90 habe ich angefangen für Computer-Zeitschriften zu arbeiten. Und ich habe angefangen, Comics zu machen. Ich habe Comics im Graffitistil gemacht. Dann hatte ich meine Seiten. Ich habe gefragt ob es welche gibt, die Rap hören. So habe ich ein zwei Leute kennenge-

130 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN lernt. Weil damals kannten sich die Leute nicht untereinander. Manchmal war es so, dass wir, wenn wir auf der Straße gelaufen sind, schauten, ob jemand ein Rap T-Shirt trägt. Um uns zu finden. Oder wenn jemand etwas trug, dass nach Rap aussah, haben wir ihn angesprochen. Haben gefragt, ob derjenige Rap hört, und ob wir Kassetten tauschen können. So habe ich durch die Zeitschrift ein Umfeld geschaffen. Ich habe dort Graffitis veröffentlicht. Ich habe Rap-Musik vorgestellt. Das erste Mal, dass ich türkische Rap-Musik hörte, das war Cartel. Vorher hatte ich mal Karakan gehört, aber ich besaß keine Kassette. Nach Cartel ist hier sowieso die Bombe geplatzt.“ (Tunç Dindaş im Interview am 18.5.2000)

Tunçs vielseitiges Engagement im HipHop ist sicherlich selten anzutreffen. Bekannt wurde er für seine HipHop-Seiten in der Jugendzeitschrift Blue Jean, wo er ab Juli 1997 regelmäßig Konzertankündigungen, Neuveröffentlichungen und allgemein Informationen über HipHop verfasste. Weil er selbst ein GraffitiKünstler war, widmete er stets eine ganze Seite dem Graffiti und half den Sprühern aktiv bei ihrer „Ausbildung“. Eine eigens am Kopierer hergestellte Zeitschrift Istanbul Style mit Bildern von Graffitis verteilte er zunächst unentgeltlich, die zweite Ausgabe verkaufte er auf einer Jam. Schon Ende der 1990er Jahre hatte er eine Internetseite und konnte die damals 700 Mitglieder der MailList in der Türkei und auch in anderen Ländern mit Informationen versorgen. Tunç Dindaş war in Istanbul nicht nur für mich „die“ Anlaufadresse für HipHopInteressierte. Aufgrund seiner Aktivitäten bekam er stets als erster Demo-Tapes, erhielt Fotos und Skizzen von Graffitizeichnungen und kannte alle Vertreter der HipHop-Kultur in Istanbul. Tunç pflegte Kontakte zu HipHop-Aktivisten in Deutschland und arbeitete intensiv mit den Frankfurtern DJ Mahmut und Düşman, von denen er sehr viel Unterstützung bekam. Mit Cartel kam zwar ein transnationales Verhältnis zu Vorschein, doch wie die Beschreibung von Tunç Dindaş deutlich macht und auch von anderen HipHop-Aktivisten bestätigt wurde, existierten – von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen – schon vor Cartel transnationale Bindungen, über die HipHop in die Türkei kam. Dieser Weg verlief zunächst noch über persönliche Verwandtschaft und Bekanntschaft. Dr. Fuchs von der Gruppe Nefret war ein Rückkehrerkind und hatte schon in Deutschland in der Grundschule Breakdance-Unterricht gehabt. Ceza, der spätere erfolgreichste Rapper der Türkei, bekam über einen in Deutschland lebenden Bruder eines Freundes Kassetten. Den bedeutenden Schritt zur Entwicklung der HipHop-Kultur in der Türkei machte schließlich Cartel. Zwar war HipHop nach ihrer großen Popularität in der Versenkung verschwunden, doch hochmotiviert, mit großem Idealismus widmeten sich einige junge Menschen der Rap-Musik, ohne von der Öffentlichkeit annerkannt zu werden. Einzelne Rapper veröffentlichten ihre ersten Songs für ein

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relativ kleines, jugendliches Publikum. Noch waren sie nicht professionell. Ihre Musik orientierte sich in Rhythmus und Sprache noch stark an dem Vorbild Cartel. Es hatten sich noch keine Strukturen entwickelt, die ihnen ein Einkommen über HipHop hätten ermöglichen können. Medien räumten Rap-Musik nur einen Platz ein, wenn es sich um popähnliche Partymusik handelte, wie beispielsweise die Musik von MC Ender, Umut Ertrek und Fresh. 1999 konnte Fuat durch die Unterstützung von Ünal Yüksel in Istanbul auftreten. Sein Battle-Rap voller Wortspielereien sollte in den nächsten Jahren die türkische Rap-Musik stark beeinflussen. Obgleich Rap-Musik Ende der 1990er Jahre auf Ablehnung stieß, war diese Phase für die spätere Verbreitung in der Türkei von Bedeutung. In dieser Zeit wurden dank des Engagements einiger deutschtürkischer HipHop-Aktivisten und des Internets transnationale Netzwerke und Strukturen geschaffen, die der späteren Karriere einzelner türkischer Rapper dienlich sein sollten. Ein transnationales, auf der türkischen Herkunft und dem Interesse an HipHop basierendes Netzwerk entwickelte sich. Über diese transnationale Bindung erhielten die Istanbuler Rapper Informationen und das Know-how aus Deutschland. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, professionalisierten sich in dieser Zeit die jungen türkischen Rapper, bevor sie nach 2002 zu großem Ruhm kommen sollten. Schon in der Anfangsphase zeichnete sich ab, dass HipHop in der Türkei von einer anderen gesellschaftlichen Schicht getragen wurde als in Berlin. Während HipHop in Deutschland für türkischstämmige Jugendliche ein besonderes Feld bot, in dem sie ihre unterschiedlichen Identitäten als „Nicht-Deutsche“, später als türkischstämmige „Ausländer“/“Migranten“ aushandeln und gerade in einer politisch heiklen Situation ihren Protest als diskriminierte Minderheit ausdrücken konnten, so hatte Rap-Musik in der Türkei der 1990er Jahre einen anderen Stellenwert. HipHop – und damit auch Rap-Musik – war keine Kultur einer benachteiligten Minderheit oder einer Gruppe von Außenseitern, sondern von Jugendlichen der Mehrheitsgesellschaft – den Etablierten. Um diese differente Annahme der Kultur zu verstehen, möchte ich im Folgenden genauer auf den Erfolg von Cartel eingehen und dessen Gründe diskutieren. 4.2.1 Eine transnationale Brücke: Der große Erfolg von Cartel in der Türkei Nachdem Cartel 1994 schon in Deutschland ein hohes mediales Interesse genossen hatte, ging die Band begleitet von einer massiven Werbekampagne in der Türkei auf Tournee. Doch der in ihren Texten propagierte Protest sowie die Be-

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tonung türkischer Zugehörigkeit und Einheit bekamen im türkischen nationalen Kontext eine gänzlich andere Bedeutung als in Deutschland. Dies bekamen die Cartel-Mitglieder schon bei ihrer Ankunft am Flughafen in der Türkei zu spüren. Das folgende Zitat des Cartel-Mitglieds Taner Bahar (DJ Cut’em T) möchte ich in fast voller Länge wiedergeben, da es die besondere Situation, in der deutschtürkische Rapper in der Türkei standen, beispielhaft wiedergibt. Zum besseren Verständnis sei angemerkt, dass die Abkürzung MHP (Milliyetçi Hareket Partisi) für die Partei der Nationalistischen Bewegung steht, die auch als die „Grauen Wölfe“ (Bozkurtçular) bekannt ist. „Also, das war richtig beeindruckend. Wir sind am Flughafen angekommen, in Istanbul, und waren erst mal erstaunt, dass fast keiner da war. Da waren nur Leute, die geputzt haben, ein paar Sicherheitsbeamte waren da. Wir waren auch enttäuscht, wir dachten, wir hatten gehofft, dass zumindest ein Fotograf da ist, der irgendwie ein Foto von uns macht, dachten, ‚hmm, sind wir doch wohl nicht so wichtig’. Wir hatten schon Posen im Flugzeug eingeübt, so spaßeshalber, wir waren auch richtig gut drauf. Dann haben wir uns gewundert, dass wir unsere Pässe gar nicht zeigen mussten. Wir haben die einfach nur so hoch gehalten, dass man gesehen hat, wir haben einen Pass, also, ich hätte denen auch ‘n Fahrschein von der BVG hochhalten können. Haben uns einfach durchgewunken ‚geç, geç’, kapılar bir açıldı (‚geh weiter, geh weiter’, die Türen wurden geöffnet). Wir standen irgendwie, also plötzlich stand eine Meute von bestimmt. (…) Es waren zwischen 50 und 70 Leute. Kamen mir aber vor, wie 200. Alles Männer. Und die fingen plötzlich an, kaum hatten sie uns gesehen, fingen die an, alle im Chor zu rufen: ‚Türkiye, Türkiye, Türkiye!’ (Türkei, Türkei, Türkei) Und wir sind erstarrt. Acayip korktuk (wir haben richtig Angst bekommen). Also, şaşırdık (waren erstaunt). Die Scheiben im Flughafen sind ja so, dass du nicht rausgucken kannst (…). Plötzlich gehen die auf und du stehst da vor 70 Leuten, die alle brüllen. Und die hatten MHP-Fahnen, Türkei-Flaggen, BozkurtZeichen. Plötzlich gingen die Lichter von Fernsehkameras an und die sind ja total hell, diese Scheinwerfer, die sie haben. (…) die sind alle auf uns raufgestürmt, wir wussten auch nicht, was die von uns wollten. Şasırdık (wir waren erstaunt). Haben uns nur aneinander festgehalten. Weil, hinter mir zum Beispiel, waren noch Ole und Babalu von Cinai Şebeke. Babalu ist Kubaner, Ole ist Deutscher, keiner spricht ein Wort Türkisch, hätten wir uns da verloren, wären wir erledigt gewesen. (…) wir wurden von zwei Sicherheitsleuten abgeholt, von der Plattenfirma Raks. Die wir auch gar nicht erkannt haben, weil in dem Pulk große Probleme da entstanden, ortalık karıştı (es gab ein großes Durcheinander) (…). Irgendwie sind wir dann in so ʼnen Minibus reingekommen, saßen drin und sind dann weggefahren. Und wir waren erst mal mindestens, also fünf Minuten, waren wir still. Keiner hat irgendwas gesagt. Weil es uns noch in den Gliedern saß, der Schock. (…) Nachdem ich dann Alper darauf hingewiesen hatte, dass ich das Gefühl hatte, dass es auch

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ein bisschen was mit seinen Texten zu tun hat, ist dann später mit der Zeit rausgekommen, dass ich wohl Recht gehabt habe, die haben das wirklich fehlinterpretiert, die Texte. Wenn die hier (Anm. in Deutschland) gesagt haben, wir sind Türken und stolz darauf, dann hat das eigentlich in dem Zusammenhang – muss man das in dem Zusammenhang sehen, dass wir hier – oder dass sie, die das geschrieben haben, – meinen, dass sie ʼne Kultur haben, die sich von der deutschen Kultur teilweise abhebt, aber trotzdem wichtig ist und erhalten bleiben sollte. Sagst du aber so was in der Türkei, ‚bist du stolz, Türke zu sein’, kommen gleich Fragen wie: ‚Sind denn Kurden schlechter; was ist mit den Lasen, was ist mit den Tscherkessen und so weiter’. Diese Vielvölker-Situation. Und das haben die irgendwie zum einen falsch verstanden und zum anderen wurde dieses falsche Verständnis natürlich geschürt im Interesse der MHP, die das für sich benutzt haben, für Propagandazwecke. (…) Wir haben eine Pressekonferenz gegeben im Hotel (…). Und während dieser Pressekonferenz hat eigentlich Ozan die meiste Zeit gesprochen und wir haben uns nur kurz vorgestellt. Und – da waren vielleicht 20, 30 Journalisten, basın toplantısında (auf der Pressekonferenz), und da war einer, der hat mich richtig genervt. Der hat alle richtig genervt, weil, der hat uns diese nationalistischen Fragen gestellt, aber wir hatten keine Lust (…). ‚Atatürk’ü seviyormusunuz’ (liebt ihr Atatürk) (…) Sachen, die uns eigentlich gar nicht interessiert haben. Und dann hat er irgendwas gefragt, ich weiß nicht mehr was, ich bin einfach aufgestanden vom Stuhl und ich hatte auch ʼne Sonnenbrille auf und hab einfach so meine Sonnenbrille runtergezogen und hab ihm ganz fest in die Augen geguckt – und da hat er mitten im Satz aufgehört zu reden und hat sich wieder hingesetzt und hat auf den Boden geguckt. Ich glaube schon, dass ich schon, dass ich durch dieses Outfit, wir hatten ja auch alle ein ziemlich militantes Outfit: Wir hatten Armyhosen, Armystiefel und halt diese Cartel-T-Shirts. Und – es war für uns nicht schwer, Leute einzuschüchtern. In dieser Formation. Es war schon – es war schon eine gewisse Macht. Machtgefühl so, was da war. Aber – keiner von uns hat das wirklich benutzt, das finde ich auch im Nachhinein gut.“ (Taner Bahar im Interview am 3.11.1999)

Dieses Zitat zeigt, wie Texte in zwei unterschiedlichen kulturellen Kontexten verstanden und in der Türkei zu Propagandazwecken genutzt wurden. Es zeigt auch die anfängliche geschockte Reaktion von Cartel auf dieses Missverständnis. Cartel verkauften über 700.000 Alben, ihre Konzerte füllten Fußballstadien und ihr Erfolg in der Türkei überstieg sogar den von Michael Jackson. Yunus Özyavuz, einer der bedeutendsten Rapper – in dieser Zeit bekannt als „Silahsız kuvvet“ und als DJ Mic Check, später als „Sagopa Kajmer“ – beschrieb die damalige Situation folgendermaßen: „Nicht einmal Tarkans Konzert war so voll. Die Mädchen und Jungs drehten durch: ‚Erci, Erci’. Durch den Nationalismus haben sie natürlich an Bedeutung gewonnen. Sie waren

134 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN überall im Fernsehen zu sehen, zur gleichen Zeit, egal welches Programm, von Nachrichten bis zum Konzert, Cartel war immer zu sehen. (…) Das Besondere war, dass sogar in den Nachrichten ihr Videoclip gezeigt wurde. In allen Radiokanälen waren sie Gast. Sie waren Gast im Number OneFM, die nur ausländische Musik spielen. (…) Wir haben die erste Rap-Platte in der Türkei bei Cartel gesehen. Die haben die erste Rap-Platte veröffentlicht. Die DJs haben ihre Platte gespielt.“ (Yunus Özyavuz, Interview am 15.5.2000)

Der Erfolg überwältigte auch Elif, eine weibliche Rapperin aus Istanbul: „Das kann man sich gar nicht vorstellen. Du läufst auf der Straße, von 20 Leuten tragen 10 oder 15 Cartel T-Shirts. In Farbe. Das war anders. Das war eigenartig.“ (Elif im Interview am 17.5.2000)

Die massive mediale Präsenz und die politische Situation führten zu diesem großen Erfolg von Cartel. Allerdings basierte ihr Erfolg in Deutschland und in der Türkei auf unterschiedlichen Interpretationen ihres Stils, ihrer Texte, ihrer gesellschaftlichen Position und ihres Images. In Deutschland galten sie als Repräsentanten einer unterdrückten Minderheit, die sich durch die selbstbewusste Betonung ihrer türkischen Herkunft gegen einen erstarkten gewalttätigen deutschen Rassismus im wiedervereinigten Deutschland wehrten. Somit war die Musik von Cartel „die“ Musik der Außenseiter. In der Türkei trafen Texte und Stil auf einen anderen politischen Kontext. Der von der PKK angeführte bewaffnete Guerillakampf für einen eigenen kurdischen Staat hatte sich besonders in den Jahren 1992/93 mit der Folge verschärft, dass die türkische Armee in einer Großoffensive in der Südosttürkei zahlreiche kurdische Dörfer zerstörte. Gleichzeitig prägten Schreckensmeldungen über Anschläge seitens kurdischer Terroristen die mediale Berichterstattung. Der die Gesellschaft stark polarisierende Kampf führte in der breiteren Öffentlichkeit zu einer nahezu panischen Angst vor Separatisten und dem drängenden Bedürfnis nach der türkischen Einheit. Dabei gewann der türkische Nationalismus eine neue Dimension, die nicht nur die populäre Kultur stark beeinflusste, sondern auch von dieser mitgetragen wurde. Musikkanäle, ihre Moderatoren und Pop-Stars betonten die türkische Einheit und ihre Liebe zum Vaterland: „Ja, hier kommt unsere Fahne, wir sehen die türkische Fahne, wie lieben unsere Fahne sehr, wir lieben euch sehr und jetzt hören wir Hakan Peker“53 waren, wie Koza-

53 Übersetzung durch die Autorin.

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noğlu (1995)54 schreibt, typische Ansage von Moderatoren in Funk und Fernsehen. In der Phase, in der die Konflikte zwischen kurdischen Separatisten und dem türkischen Militär eskalierten, fanden türkische Flaggen als Zeichen für die Einheit und Liebe zum „Vaterland“ besondere Verbreitung. Sowohl an privaten als auch an öffentlichen Orten hingen unzählige kleine oder auch überdimensionale, mehrere Quadratmeter große Fahnen. Selbst in den Fernsehkanälen wehte stets an der oberen rechten Bildschirmecke eine eingeblendete türkische Fahne. Nach terroristischen Anschlägen, auch solchen, deren Urheber unklar blieben, dominierten die türkischen Nationalfarben Rot und Weiß auf den Straßen. Genau in dieser Zeit, als die Angst vor dem Zerfall der Türkei besonders groß war, die Medien emotional über die Anschläge kurdischer Separatisten berichteten und türkische Fahnen den Alltag prägten, kamen Cartel in ArmyHosen, mit einer CD, deren rotes Cover ein weißer Halbmond schmückte, und mit Texten, die in einem kämpferischen Ton von der türkischen Einheit handelten. Wenngleich ihre Songs bis auf wenige Ausnahmen die Situation der türkischstämmigen Migranten in Deutschland thematisierten, so entsprach ihr Ton doch dem vorherrschenden nationalistischen Denken. Beispiele hierfür sind Textzeilen wie „die in Cartel sind Blutsbrüder“ (Carteldekiler kan kardeşler, im Song „Cartel“), „Wie Brüder ein neues Leben beginnen“ (Kardeşçe beraber yeniden yaşamaya) oder „Bruder und Freund sind ums Leben gekommen“ (Kardeş ve dost, hayatını verdi!, im Song „Yetmedi mi“). Zwar kommt im letztgenannten Song der Satz vor: „In der Heimat Deutschländer, hier Fremder, glaube mir, dieses Gefühl schmerzt sehr“ (Vatanımızda Almancı burada Yabancı, bu duyguyu sersmek inanki çok acı), der die Situation der Almancı (Bezeichnung für Deutschtürken) in der Türkei anspricht, doch geht er im Gesamttext völlig unter, da ihm eine Strophe folgt, die den Konflikt zwischen dem Staat und der PKK behandelt: „Türke und Kurde sind Brüder. Diejenigen, die diese trennen wollen, sind Verräter. Erziehe die, die kommen. Vereine nicht die Kalten, sondern die mit warmem Blut [Anm. der Autorin: warmherzig]. Bruder, wenn wir zusammen sind, kann uns keiner unterdrücken, uns nicht übergehen, uns besiegen, uns schlagen, uns niemals die Rechte nehmen.“55 (Song „Yetmedi mi“)

54 Das Buch „Pop Çağı Ateşi“ von Can Kozanoğlu (1995) stellt besonders anschaulich die Zusammenhänge zwischen der Populärkultur und dem Nationalismus in den 1980er und 1990er Jahren dar. 55 Übersetzung durch die Autorin.

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Wie die weiteren Songs ihres Albums „Cartel“ beschreibt auch der schon oben erwähnte Song „Türksün“ (Du bist ein Türke) die Situation von Türken in Deutschland. Doch der Refrain „Du bist ein Türke (…) Deutschländer (…) verstehe das, vergiss es nicht!“ erhielt im politischen Kontext der Türkei eine gänzlich andere Bedeutung. In ihrem Videoclip mit dem gleichnamigen Song „Cartel“ rappen die Bandmitglieder in schwarzen Sweatshirts mit der Aufschrift Cartel, wobei das C, wie auf dem Cover, einen Halbmond darstellt. In der zweiten Hälfte des Videoclips tragen die Mitglieder von Cinai Şebeke in Sweatshirts mit der Aufschrift ihres Bandnamens und der türkischen Nationalflagge. Zwischendurch werden Szenen von Brandanschlägen in Deutschland eingeblendet, mit der türkischen Flagge bedeckte Särge, die in Deutschland von türkischen Landsleuten und in der Türkei von türkischen Soldaten getragen werden. Diese Symbolik bot sich für nationalistische Interpretationen an. Es war insofern nicht verwunderlich, dass sich besonders MHP-Anhänger für diese Musik begeisterten. Ihr Führer Alparslan Türkeş, der den Satz: „Unsere Mitbürger, die kurdisch sprechen, und die Türken sind Brüder“ (Solmaz 1996: 19) mitprägte, machte 1994 den Kampf gegen Separatismus zum zentralen Wahlkampfthema seiner Partei56. Darüber hinaus hatte die MHP längst die Populärkultur für Propagandazwecke entdeckt und feierte ihren Nationalismus erfolgreich bei Konzerten oder Fußballkonvois etc. (Kozanoğlu 1995:140). Die Partei übte deshalb auf Jugendliche einen großen Reiz aus und konnte mithilfe von Jungwählern in den Metropolen 20% der Wählerstimmen gewinnen57. Die sich in ihren US-amerikanischen Ursprüngen gegen Rassismus und Unterdrückung wehrende Rap-Musik wurde in diesem lokalen Kontext von einer rechtsnationalistischen Partei zu Propagandazwecken genutzt. Der nationalistische Tenor, der sich auf Separatismus und den Kampf gegen Terrorismus bezog, beschränkte sich allerdings nicht nur auf die MHP, sondern wurde auch von anderen Parteien und einer breiten gesellschaftlichen Schicht mitgetragen. Mitte der 1990er Jahre wurde Cartel in der Türkei von den Etablierten gehört, die eine Minderheit als Bedrohung ansahen und mit gewaltsamen Mitteln den Kampf gegen militante Separatisten aufgenommen hatten. Cartel distanzierte sich deutlich vom Faschismus- und Nationalismus-Vorwurf und wies stets daraufhin, dass die Band für Brüderlichkeit einstehe und die Suche nach der türkischen Identität etwas mit ihrer Situation in Deutschland zu tun hatte. Das Image, eine nationalistische und faschistische Gruppe zu sein, blieb dennoch bestehen.

56 Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen 2004:5. 57 Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen 2004:14f.

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Allerdings muss zugleich gesagt werden, dass sich in der Türkei auch weniger nationalistisch orientierte Jugendliche für diese Musik begeisterten. Für diese Jugendlichen repräsentierte Cartel eine neue ‚westliche’ Musikrichtung (Çağlar 1998:49). 4.2.2 Die Türkische Rap-Musik in Istanbul entwickelt sich Nach Cartels Riesenerfolg verschwand HipHop in der Türkei weitgehend von der Bildfläche. Im Vergleich zu Cartel waren die folgenden Veröffentlichungen von Ex-Cartel-Mitgliedern nur ansatzweise erfolgreich und das mediale Interesse vollkommen erloschen. Trotz des gesellschaftlichen Desinteresses und der teilweise massiven Ablehnung wurden in den nächsten Jahren ab Mitte der 1990er Jahre bis 2000 vereinzelt türkische Rapper aktiv, die von Cartel inspiriert ihre ersten Songs in türkischer Sprache produzierten. „Cartel ist der Hauptgrund, warum HipHop in die Türkei gekommen ist. ´95 gab es diesen Knall (patlama). Alle haben Cartel gekauft. Als ich das so im Fernsehen gesehen habe, habe ich auch Lust bekommen, ganz ehrlich. Ich will das auch machen, habe ich gesagt (…). Alle haben sich einen Computer gekauft.“ (Yunus Özyavuz, Interview am 15.5.2000)

Angeregt von Soul-Alben und den Old-School Rap-Platten seiner Mutter, die bis 1985 in Deutschland wohnte, und von dem Film Beat Street, hatte sich Yunus Özyavuz (Sagopa Kajmer) schon recht früh für Black-Music interessiert. Der in der Nähe von Samsun aufgewachsene Rapper tanzte zwischen seinem neunten und achtzehnten Lebensjahr Breakdance. Mit 13 fing er mit dem DJing an, legte allerdings wegen der hohen Nachfrage nur solche Platten auf, die nicht zur harten Rap-Musik gehörten, wie beispielsweise De la Soul. Als er 1997 mit 19 Jahren zum Studium der persischen Sprache und Literatur nach Istanbul zog, fing er durch Cartel angeregt an, selbst Rap-Musik zu machen und entsprechende Kontakte zu knüpfen. Sein Vater kaufte ihm einen Computer und Yunus produzierte die Musik stets zu Hause. Später knüpfte er über das Internet Kontakt zu Fuat, von dem er Platten aus Deutschland bekam. 1998 gründetete er das Musikstudio Kuvvetmira. Seine frühen Songs erinnern sehr an Cartel, sowohl musikalisch als auch sprachlich. Zwischenzeitlich beeinflusste Fuats Battle-Rap mit seiner harten vulgären und gewalttätigen Sprache auch den Rap von Yunus Özyavuz. Wie schon erwähnt, ist Yunus Özyavuz unter mehreren Künstlernamen bekannt, wie beispielweise als DJ Mic Check. 1998 legte er sich den Künstlernamen Silahsız

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Kuvvet zu, später den Namen Sagopa Kajmer. Die englische Ausgabe der Zeitschrift Time Out Istanbul fasst seine Arbeit unter unterschiedlichen Namen folgendermaßen knapp zusammen: „Sagopa for music with deeper meanings, Silahsız Kuvvet for that which is a bit closer to the surface, and DJ Mic Check as a continuum of undergroundness“ (Time Out Istanbul 6/2006:20). Er selbst sagt später in einem Interview in der Zeitschrift Dream (8/2006), dass er als Silahsız Kuvvet nur harten Rap machen machen wollte („Ben sadece sert rap yapmak istiyordum“). Sein Vorbild war stets die amerikanische Gruppe Public Enemy58, die seiner Meinung nach die wahre Rap-Mentalität („gerçek Rap mentalitesi“, persönliches Interview am 15.5.2000) bewahrt hatte. In den folgenden Jahren wurde er bekannt für einen Rap, der sich durch eine düstere, hoffnungslose Stimmung auszeichnet. Charakteristisch für seine Texte sind außergewöhnliche Wortspielereien und die Verwendung von osmanischen Begriffen. Sein Literaturstudium brachte Yunus ein besonderes kulturelles Kapital ein, das er in seine Musik brachte. Noch Ende der 1990er Jahre nur unter den HipHop-Aktivisten bekannt, gehört er mit Ceza und Fuat zusammen auch viele Jahre später zu den erfolgreichsten Rappern der Türkei. 1999 kam die erste Rap-Compilation „Yeraltı Operasyonu“ mit Interpreten aus Istanbul, Izmir und Frankfurt in der Türkei heraus. An ihr nahmen neben Yunus Özyavuz alias Silahsız Kuvvet auch die Istanbuler Rapper Ceza und Dr. Fuchs teil, die sich „Nefret“ nannten, ebenso Tunç Dindaş und Jemy alias „Statik“. Nach Cartel ist es gerade diesen Istanbulern und ihren Kontakten nach Deutschland zu verdanken, dass sich Rap-Musik später in der Türkei etablierte. Ein Jahr danach veröffentlichte Nefret ihre erste eigene CD „Meclis-i ala“. Beide Rapper lernten sich 1997 auf einer Party kennen, bei der die Berliner Breakdance-Gruppe Flying Steps aufgetreten war, und beschlossen zusammen zu rappen. Dr. Fuchs kam als Kind aus Deutschland zurück in die Türkei, wo sein Vater kurze Zeit darauf verstarb und er bei seiner alleinstehenden Mutter aufwuchs. Er hatte – wie schon erwähnt – als Kind in Deutschland Breakdance-Kurse besucht und sich schon vor Cartel für HipHop und für US-amerikanische RapMusik interessiert. Ceza, gebürtiger Istanbuler und Sohn eines Beamten, interessierte sich ebenso als Kind für US-amerikanische Rap-Musik und trug dementsprechend weite Hosen und verkehrt herum getragene Baseball-Mützen. Von türkischer Seite bekamen Ceza und Dr. Fuchs keine Unterstützung, doch knüpf58 Public Enemy war eine New Yorker HipHop-Gruppe, die Ende der 1980er Jahre mit ihren aggressiven politischen Texten zu den wichtigsten Vertretern des amerikanischen HipHop gehörte. Die Rapper waren Afroamerikaner, die die Universität besucht hatten und in ihrem Rap die Missstände, unter denen die Schwarzen zu leiden hatten, thematisieren.

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ten sie schon Kontakte nach Deutschland. Sie finanzierten sich zunächst durch bodenständige Jobs bei Black und Decker bzw. bei der Elektrizitätsverwaltung. Ihre Musik enthält kaum orientalische Elemente, doch der Gebrauch der Sprache erinnert sehr an Cartel, wobei sich Ceza durch besonders schnellen Rap auszeichnet. Einige Jahre später sollte sich Ceza zu einem Mega-Star in der Türkei avancieren und sowohl mit deutschtürkischen (Fuat und Killa Hakan) als auch mit internationalen Interpreten zusammenarbeiten. Der dritte Vertreter auf der CD Yeraltı Operasyonu und gleichzeitig ihr Organisator ist der bereits vorgestellte Istanbuler Tunç Dindaş, bekannt als Turbo und einer der beiden Rapper von Statik. Wie die anderen jungen Menschen begann Tunç auch nach Cartel, auf Türkisch zu rappen: „Als wir früher Rap-Musik machen wollten, haben wir überlegt, wie wir Türkisch verwenden können. Also wie können wir Türkisch verändern, wie teilen. Die türkische Sprache ist anders. Bei uns sind die Prädikate ganz am Ende. Aber im Englischen, und im Deutschen ist das Prädikat im Allgemeinen am Anfang. Wir wussten nicht, wie wir Türkisch umformen sollten. Als sie [Anm. der Autorin: Cartel] das gemacht haben, haben wir das gesehen. Wir haben gelernt, wie man türkischen Rap machen kann.“ (Tunç Dindaş im Interview am 18.5.2000)

Cartel prägte nicht nur die Verwendung der türkischen Sprache, sondern auch das Image von Rap-Musik und insbesondere deren politische Ausrichtung. Dass Rap-Musik in der Türkei zu dieser Zeit von jungen Menschen produziert und gehört wurde, die zur Mehrheitsgesellschaft gehörten, zeigen die Songs, die in den darauffolgenden Jahren auf den Markt kamen. Teilweise entsprach der nationalistische Ton der Interpretation der Cartel-Texte wie beispielsweise im Song „Vatan“ (Vaterland) von Nefret, in dem neben Ceza und Dr. Fuchs auch Turbo (Tunç Dindaş), Yener und Dus-Man (SES aus Frankfurt) rappten. Diesen Song veröffentlichten die Rapper nicht offiziell, sondern verbreiteten ihn nichtkommerziell in „Underground“, der Sprache der Istanbuler Jugendlichen. Doch erlangte die Band Nefret insbesondere in Istanbul damit einen gewissen Bekanntheitsgrad. In den nächsten Jahren wurde die Band stets auf diesen Song angesprochen, da sie den Eindruck erweckte, eine nationalistische Orientierung zu vertreten. Denn mit ausgeprägt nationalistischem Tenor sprachen die Rapper die von Separatisten begangenen Morde an und bestätigen ihre Liebe zum Vaterland, wie der folgende Ausschnitt aus dem Song zeigt:

140 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Dr. Fuchs: Çalışan Türkiye gözümün önünde

Vor mir die arbeitende Türkei

Atam sen rahat ol yerinde

Mein Vater (Atatürk) sei unbesorgt

Mehmetçik tepede bekler nöbette

Der kleine Mehmet schiebt Wache auf dem Hügel

Türk bayrağı

Im Himmel weht die Türkische Flagge

dalgalanır göklerde Türkiye için ölürüm ben sözümde

Ich würde für die Türkei sterben, halte mein Wort

Kimse duramaz Türk’ün önünde

Niemand kann vor dem Türken stehen bleiben

Ben varsam bu dünya üzerinde Kimse bölemez bu vatan göklerde

Solange ich auf dieser Erde bin Kann niemand dieses Vaterland teilen im Himmel

Her zaman ilerleme hedefinde

Immer mit dem Ziel weiterzukommen

Sözünü tutan ve namusun peşinde

Ich halte mein Wort und achte auf Ehre

Bu vatanın üstünde herkes kardeştir

In diesem Vaterland sind alle Brüder

Bunu beynine iyi yerleştir.

Steck das in dein Hirn

Alle zusammen: Her şey vatan için

Alles für das Vaterland (8x)

Yener: (…) Gökler benim, Ayyıldız benim simgem,

Der Himmel ist meins, Halbmond und Stern sind meine Symbole

Afferdermiyim, vatanıma yanlış yapanı,

Ich kann nicht verzeihen, was meinem Vaterland angetan wurde

Otuzbin askerin canını alanı,

Denen, die das Leben von 30.000 Soldaten genommen haben

Hatırası var şehidimin unutmadim,

Die Gefallenen haben eine Erinnerung, habe ich nicht vergessen

Yapılanların hepsini hatırladım“ (Nefret

Ich erinnere mich an alles was passiert ist

o.J., im Internet)

Der militärische Charakter wird dadurch verstärkt, dass die Zeile „Her şey vatan için“ (Alles für das Vaterland) nicht gerappt, sondern in militärischer Manier gebrüllt wird. Die Popularität von Cartel und der Song „Vatan“ waren zwar Reaktionen auf die aktuelle politische Situation in der Türkei, doch ist der türkische Nationalismus eher aus dem historischen Kontext des türkischen Nationalstaates heraus zu verste-

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hen. Mit dem Vertrag von Lausanne vom 24.7.1923 wurde die Souveränität der Türkei in ihren heutigen Grenzen anerkannt, wobei die Unabhängigkeitsbestrebungen seitens der Kurden nicht berücksichtigt wurden. Drei Monate später rief Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, die türkische Republik aus. Er selbst war der Präsident der zentralistischen Republik, die auf seine Person fokussiert war (Bellér-Hann & Hann 2001:36). Seine als „Kemalismus“ bezeichnete Ideologie beinhaltete zahlreiche, an westlichen Vorbildern ausgerichtete Reformen59, die das endgültige Ende des Osmanischen Reiches bedeuteten. Gleichzeitig propagierte er die türkische nationale Identität, die sich allerdings erst neu bilden musste. Denn die Mehrheit der Menschen in dieser Republik verstanden und sprachen zwar türkisch, doch empfanden sie sich nicht als Türken (Güvenç 1997:236). Die neu zu bildende Identität sollte nicht auf Blutsverwandtschaft und Religion, sondern auf gemeinsamer Sprache und Geschichtsbewusstsein aufbauen (ebd.:225)60. Die ethnische Kategorie „Türke“ wurde zur nationalen Kategorie, die auch Menschen anderer Volkszugehörigkeit wie beispielsweise die Kurden und Lazen miteinbezog. War die Bezeichnung „Türke“ zu Zeiten des Osmanischen Reiches seitens der osmanischen Elite eine pejorative Kategorie für Bauern und Hirten61, so sollte diese nun mit Stolz und Liebe zum türkischen Staat die Identität der Menschen in der Türkei bilden. Der von Atatürk geprägte Satz „Wie glücklich derjenige, der sagen kann ‚Ich bin ein Türke’“ („Ne mutlu Türküm diyene“) stellte das zentrale Glaubensbekenntnis dieser neuen nationalen Identität dar. Das Türkisch-Sein wurde symbolisch aufgewertet. Wie Anderson feststellt, rufen Nationen Liebe hervor, auch selbstaufopfernde Liebe (1998:122ff). Begrifflichkeiten aus der Verwandtschaft wie Vaterland sind ein Teil dieser politischen Liebe (ebd.:124). Die besondere Emotionalität der türkischen Identität und Vorstellung von Verwandtschaft macht sich im Falle der Türkei an dem Namen Atatürk (Vater der Türken) fest, dem eine besondere, fast heilige Verehrung zuteil wird. Die Liebe zum Vaterland wird alltäglich in

59 Zu den Reformen gehörten u.a. die Einführung des lateinischen Alphabets, einer nach westeuropäischen Grundsätzen ausgerichteten Gesetzgebung, die Einführung des Frauenstimmrechts, die international übliche Jahreszählung sowie die Abschaffung des Islams als Staatsreligion (Bundeszentrale zur politischen Bildung 2002: Heft 277). Das Konzept „Kemalismus“ steht für Nationalismus, Säkularismus, Republikanismus, Etatismus und Reformismus. Darüber hinaus sollten Bürger unterschiedlicher Volkszugehörigkeit, Religion und Sprache vor dem Gesetz gleichgestellt sein (ebd.). 60 Dieses Ziel wurde durch die Einführung eines bestimmten Erziehungswesens verfolgt, in der Staat und Religion getrennt und „alle anderen als die Nationalsprache systematisch aus dem Erziehungssystem verbannt“ werden sollten (Pries 2008:38). 61 Ebd.

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den Schulen, den Medien, mittels Plakaten und Bildern im öffentlichen Raum gepriesen. Sie äußert sich zudem in einem stärkeren Maße als in vielen anderen Ländern in Form einer besonderen Verehrung der Nationalfahne. Der Text des Songs „Vatan“ greift durch die Verwendung der Schlüsselbegriffe „Vatan“ (Vaterland), „Türk“ und „Millet“ (Nation/Volk) das nationalistische Denken auf62. Mit seiner Verherrlichung des Vaterlandes, einer einseitigen Darstellung türkischer Soldaten als Opfer in den Auseinandersetzungen mit den Kurden, dem direkten Bezug zu Atatürk, seinem Anti-Separatismus und der Verehrung der Nationalfahne ist dieses Rap-Stück eine Wiedergabe der über Jahrzehnte geprägten staatlichen Ideologie und ihrer Politik. Rap ist hier zwar Protestmusik, aber es ist der Protest der Mehrheit gegen eine die Einheit bedrohende politische Minderheit. Der hohe gesellschaftliche Stellenwert des nationalen Themas wird unter anderem daran deutlich, dass sich nicht lediglich Jugendliche mit ihm auseinandersetzen, sondern als Thema einer Subkultur wie der Rap-Musik aufgegriffen wurde. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung empfanden 1998 die türkischen Jugendlichen in der Türkei Terrorismus als ihr zweitgrößtes Problem und die politische Situation im Südosten der Türkei als ihr siebentgrößtes Problem63. Ein weiterer Song, der in seinem Text das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Patriotismus in einer pantürkischen Art verherrlicht, ist „Türk Türk’e destek“ (Türken unterstützen Türken) von Maho-B, in welchem die aserbaidschanische Gruppe Dayırman gefeatured wird. Mit Aussagen wie „Tarihimiz eynidir, dinimiz eyni, kanimiz da dilimiz de eynidir eyni“ (Aserbaidschanisch: Unsere Geschichte ist gleich, unsere Religion ist gleich, unser Blut und unsere Sprache sind gleich) wird eine türkische Einheit dargestellt, und zwar nicht nur zwischen Aserbaidschanen und Türken, sondern auch zwischen anderen turksprachigen Gebieten: „An Kirgisien, Kasachstan, Usbekistan, Aserbaidschan, Tatschikistan, Zypern, Türkei und all unsere Brüdern auf der Welt geht unsere Message.“ („Kirgistan, Kasachistan, Usbekistan, Aserbaidschan, Tatschikistan, Kibris, Türkiye ve dünyadaki bütün kardeşlere mesajımız gider şimdi her yere“). Die „Message“ ist hierbei, dass man sich als eine Einheit von Niemandem unterdrü-

62 Diese drei Begriffe waren die neuen Schlüsselbegriffe der politischen Kommunikation zum Ende des Osmanischen Reiches seitens der Jungtürken. Später entstand daraus der kemalistische Nationalismus, allerdings ohne pantürkische Vorstellungen (Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen 2004:5). 63 Der Studie zufolge gaben Jugendliche Folgendes als ihre größten Probleme an: Arbeitslosigkeit (67%), Terrorismus (42,7%), Bildung (40,8%), Lücke zwischen Arm und Reich (29,9%), Korruption und Bestechung (19,5%), Drogen (18,7), KurdenProblem in der Südosttürkei (18,5%), Umweltverschmutzung (11.4%) (KonradAdenauer-Stiftung 1998:89).

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cken lassen will (kimseye boyun eyemeyiz). Die aserbaidschanische Band Dayırman ist bekannt für ihre patriotischen Texte, die sich zum Beispiel gegen den Einmarsch der Sowjets im Jahre 1990 oder im Karabach-Konflikt gegen Armenier richten. Sie wenden sich an die junge Generation und appellieren an das Einheitsgefühl für das gemeinsame „Mutterland“64. Diese Texte sind ein Beispiel für eine pantürkische Einstellung, die einige Turkvölker in Asien seit der Befreiung von der sowjetischen Herrschaft wiederentdeckt haben65. Auf die von Jöntürk gestellte Frage, warum Maho-B mit einer rassistischen Band wie Dayırman eine Zusammenarbeit eingegangen ist, antwortete er, dass diese Band nicht rassistisch, sondern nationalistisch (milliyetçi) sei und sich gegen die Unterdrückung seitens der Russen und die Besetzung seitens der Armenier richtet. Unerwähnt bleibt dabei allerdings, dass die Texte von Dayırman sehr wohl rassistische Tendenzen aufweisen, wie etwa der Song „Ya Karabağ, ya ölüm“, in dem Armenier als Hunde und Bastarde beschimpft und als Vampire dargestellt werden, die das Blut der Aserbaidschaner trinken. Dennoch argumentierte Maho-B, die Zusammenarbeit sei lediglich ein Aufruf dazu, als Brüder zusammenzukommen und die kulturellen Bindungen zu stärken. Gleichzeitig wiederholte er in diesem Interview den von Atatürk geprägten Satz: „Wie glücklich derjenige ist, der sagen kann, ‚Ich bin ein Türke’„ („Ne mutlu Türküm diyene“) und betonte seine Liebe zur türkischen Fahne (Maho-B in Jöntürk 2003:163). Mit dem Image von Cartel im Hintergrund hat Nefret Ende der 1990er Jahre das nationalistische Bild von HipHop in der Türkei geprägt. Weil sie mit ihrem nationalistischen Song „Vatan“ Kritik geerntet hat, hielt sich der Rapper Ceza, der den Song mitproduziert hat, allerdings nicht nur mit der eigenen politischen Positionierung zurück, sondern meinte Jahre später, dass er einen derartigen Song nicht noch einmal herausbringen würde. In den Interviews betonte er stets, dass er Freunde unterschiedlicher Herkunft hat und er kein Faschist oder Rassist sei, sondern sich ausschließlich gegen Separatismus und Terrorismus wende66. Diese beiden Themen sind weiterhin wichtig in seinem Rap, wie beispielsweise im Song „Terörün Damlaları“ (Die Tropfen des Terrors), den er mit Yunus Özyavuz auf der CD „Bir ihtiyar heyeti“ (2002) produzierte. Der Song „Önce Kendine Bak“, den Ceza 2006, also 8 Jahre später, veröffentlichte, greift er das Thema Terrorismus wieder auf, allerdings in einer Form, mit der er sich klar gegen Faschismus und Rassismus abgrenzt. 64 Zu Dayirman Rap und deren Patriotismus siehe Azerbajan International (Hrsg.) (Spring 2001, im Internet). 65 Über die Wiederentdeckung dieser pantürkischen Einstellung in der ehemaligen Sowjetunion siehe Tibi (1998:126-154). 66 Jöntürk (2003:138).

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4.2.3 Rap-Musik als politische Protestkultur mit ihren Grenzen Überhaupt ist hier eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig. HipHop war in den 1990er Jahren ein neues Phänomen und die Grenzen offener Kritik in der Türkei noch nicht erprobt. Zweifellos stimmten diese Rapper mit der offiziellen Staatsideologie überein, so bestätigten sie beispielsweise mit dem Rap-Stück „Vatan“ die seit Jahrzehnten sehr emotional propagierte türkische Einheit. Allerdings scheuten sie noch davor zurück, direkte politische Kritik zu äußern, die unangenehme Konsequenzen zur Folge hätte haben können, wie beispielsweise ein Verbot ihrer CDs oder andere juristische und gesellschaftliche Sanktionen: „Ceza: Weil wir die Demokratie nicht in dem Maße haben, haben wir das in diesem Album nicht gemacht [Anm. der Autorin: offen Probleme ansprechen], aber ab jetzt … Dr. Fuchs: Ich bin genau seiner Meinung. Also wir haben Probleme, was die Demokratie angeht. Ceza: Na, man sagt was und das wird gleich falsch verstanden. Dr. Fuchs: Das Volk neigt dazu, alles falsch zu verstehen – mit Volk (millet) meine ich die Medien. Ceza: Ja, da macht man was. Die sind von vornherein bereit, es falsch zu verstehen. Da müssen wir nichts sagen.“ (Interview Ceza und Dr. Fuchs am 16.05.2000)

Auch Tunç Dindaş alias Turbo, der im Song „Vatan“ mitrappte, legte im Interview Wert darauf, nicht als Systemkritiker angesehen zu werden: „Das fragen sie in allen Interviews: ‚Macht ihr eine Rebellion‘, ‚Ist das, was ihr macht, Protest?‘, Nein, wir rebellieren nicht. Das, was wir hier machen, ist etwas anderes als die Schwarzen. Die Schwarzen haben viele Jahre Schlimmes erlebt und sie rebellieren. Sie äußern sich gegen das System. Hier ist das beim Rap nicht so. Hier hat niemand ein Problem mit dem System. Es gibt nur Probleme, seien es soziale Probleme, der Lebensstandard. Wir haben nur Probleme, also wir haben kein Geld, wir haben keine Disko, oder die Mädchen schauen uns nicht an, weil wir uns so anziehen. Diese Probleme bringen wir zur Sprache. Wir sagen nicht, wie möchten keine Demokratie, wir zerstören es und gründen einen anderen Staat. So etwas sagen wir nicht. Weil diese Frage jedes Mal in den Interviews kommt, muss ich mich verteidigen. Ich darf keine offene Tür lassen.“ (Tunç Dindaş im Interview am 18.05.2000)

Seine Darstellung im Interview der von türkischen Rappern aufgegriffenen Themen hatte meines Erachtens eher das Ziel, keinen Verdacht zu erzeugen und ohne Probleme als HipHopper weiter aktiv sein zu können. Diese Haltung ist in-

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sofern verständlich, als die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei nicht in dem Maße gewährleistet war und ist wie in europäischen Ländern67. Jede CD musste eine Genehmigung seitens des Hohen Radio- und Fernseh-Rates (RTÜK) erhalten, bevor sie am Markt erscheinen durfte68. Ein allzu kritischer Text hätte ein Veröffentlichungsverbot oder sogar strafrechtliche Konsequenzen für die Künstler bedeuten können. Zum Schutz vor Gefängnisstrafen sollen sich beispielsweise Graffiti-Sprüher ein rotes T-Shirt mit Halbmond und Stern angezogen und stets einen Koran mitgenommen haben, um im Falle einer Verhaftung belegen zu können, dass sie weder zur PKK noch zu den Satanisten gehören69. Wie dargestellt besaß die türkische Rap-Musik in Istanbul in ihrer Frühphase, d. h. Mitte der 1990erJahre bis 2000, verglichen mit späteren Rap-Stücken eine andere politische Protestkomponente. Die Grenzen des politisch Erlaubten wurden erst in den Folgejahren ausgelotet. Eine kritische politische Haltung nahm Ende der 1990er Jahre und Anfang 2000 zum Beispiel der Rapper Yunus Özyavuz (Silahsız Kuvvet/Sagopa Kajmer) ein. Er bekam des Öfteren gesellschaftlichen Grenzen zu spüren. Allerdings blieb er seinem Standpunkt treu, mittels Rap Protest auszudrücken: „Einmal hat ein Fan von mir eine Mail geschickt. ‚Ich mag Sie sehr, können Sie in unserer Schule ein Konzert geben’, schrieb er. (…) In Bağcılar [Anm. der Autorin: Stadtteil von Istanbul], und ich habe so richtig gern zugesagt. Bevor ich zum Konzert gegangen bin, habe ich gefragt, ob er meine Sachen denen schon vorgespielt hat, also ob er weiß, der Direktor und so. Da schrieb er, dass er natürlich vom Direktor eine Erlaubnis haben muss und dass er die CD Yeraltı Operasyonu dem Direktor vorspielen wird. ‚Dann können wir den Tag des Konzertes festlegen’. Dann hat der Direktor gesagt ‚geht nicht’, hat er gesagt. ‚Wenn er Party-Lieder hat, dann kann er kommen. Aber diese Lieder kann er nicht vortragen, die können

67 1998 gab es in der Türkei „152 Gesetze, 11 Rechtsverordnungen und 703 Artikel, die die Meinungsfreiheit einschränkten oder behinderten. Nach Informationen des Friedensforums befanden sich 1998 150 Menschen als ‚Gesinnungstäter’ in Haft, weitere 4.638 Personen warteten auf den Beschluss des Revisionsgerichtes. Darüber hinaus dauern die Verfahren gegen mehr als 5.000 Personen wegen ‚Meinungsdelikten’ bei den Staatssicherheitsgerichten noch an“ (Netzwerk Friedenskooperative (Hrsg. 1/1998, im Internet). 68 Seit 1980 haben Mitglieder der rechtsextremen und rechtskonservativen Organisationseinheit „Aydınlar Ocaĝı” zunehmend wichtige Positionen in der Regierung und den Institutionen eingenommen, durch die sie die ideologische Orientierung der Bevölkerung kontrollieren konnten. Dazu gehörte u. a. auch der Hohe Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) (Verfassungsschutz 2004:13). 69 Kage, Jan (2013): Wir tanzen auch beim Militär. Berliner Morgenpost, 27.07.2013, im Internet.

146 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN die Minderjährigen beeinflussen.’ Also der Direktor hat gesagt, er kann kein Konzert geben. Dann hat der Junge mich angerufen. ‘Abi (Großer Bruder), der Direktor hat so und so gesagt, wenn Sie Party-Lieder haben, so bum bum Party-Lieder singen, dann können sie einen Konzert geben’. Ich habe gesagt, ‚ich bin keine Party-Gruppe. Ich bin Protest’. ‘Abi, Ihre Worte waren ihm zu hart und es würde die unter 18 Jährigen beeinflussen’. ‚Grüß deinen Direktor von mir’, habe ich gesagt. Ich gebe kein Konzert. Ja, also warum soll ich einen Konzert geben, warum soll ich Party-Lieder singen? (…) Wir geben keinen Ersatz (ödün). Ich ersetze keinen Stil. Ich mache Rap, denn meine Worte sind Waffen. Wenn ich dahin gehe, bum bum, ‚alle Hände nach oben, los Kinder wir alle zusammen, wir tanzen’, sage, dann gibt es kein Silahsız Kuvvet mehr.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Als ehemaliger Student der Literaturwissenschaften hat Yunus Özyavuz die Fähigkeit, anspruchsvollere Texte zu verfassen. In den nächsten Jahren sollte er diese nutzen, um philosophische, stark in Metaphern gehaltene Texte mit einem reichhaltigen Wortschatz zu schreiben. Seine im Rap geäußerte Form von Protest ist allerdings nicht so direkt und offen, wie seine im Interview vorgebrachte Kritik gegenüber dem Staat. Er sieht sich dennoch als Vorreiter für politischkritischen Rap in der Türkei: „Du musst wissen, dass ich in der Türkei damit angefangen habe. Silahsız Kuvvet hat damit angefangen. Ich habe türkische Motive und türkische Volksmusik verwendet. Ich habe die türkische Kultur eingebracht, die türkischen Probleme behandelt. Also die Gruppe, die als erstes die türkischen Probleme eingebracht hatte, ist Silahsız Kuvvet. (…) Es gab ohnehin eine Gruppe, die die Erniedrigungen in Deutschland behandelte, das war Cartel, aber die haben über Deutschland erzählt. Ich habe als erster über die Türkei erzählt. Zum Beispiel gab es die Gruppe Nefret noch vorher, aber die haben immer nur von sich erzählt, ‚Istanbul ist unsers’, ‚wir sind die Nummer eins’, solche Texte haben sie geschrieben. Aber ich habe in meinen Songs über die Türkei geschrieben. Ich habe nie über mich erzählt. Ich werde nicht von mir erzählen. Ich werde von der Türkei erzählen. Rap ist absolut Protest (Rap tamamıyla protestdir).“ (Yunus Özyavuz, im Interview am 15.5.2000)

Mit Ausnahme der türkischen Society (im Song „Inkar Boşuna“) beziehen sich seine Texte allerdings auf kein bestimmtes eindeutiges Feindbild und schaffen auch kein Wir-Gefühl. Er selbst ist in seinem Rap nicht der Repräsentant einer protestierenden Minderheit, sondern jemand, der Ausweglosigkeit, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Drogen, Hilflosigkeit durch Armut und andere gesellschaftliche Probleme thematisiert. Hier ist anzumerken, dass Rapper in Istanbul generell aus der Mittelschicht kamen. Einige von ihnen, wie Yunus Özyavuz, hatten

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die Universität besucht oder übten einen geregelten Beruf aus. Diese soziale Position in der Gesellschaft spiegelte sich letztendlich in ihren Texten wider. Während der Rapper Maho-B (gebürtiger Berliner, der in Bursa aufgewachsen ist), wie bereits oben erwähnt, in seinem Song mit Dayırman (2002) eine pantürkische und nationalistische Position vertrat, so waren seine vorangegangenen Veröffentlichungen als Rapor 2 (mit Ozzy, 1998) und Hedef 12 (zusammen mit Hell-M und Tex, 1999) Beispiele für eine Rap-Musik mit politischem Protestanspruch. In seinem Song „Kral Çıplak“ (der König ist nackt) beschreibt er beispielsweise die historische Unterdrückung des Volkes durch seine Herrscher und zieht Parallelen zur heutigen Situation: „Zaman makinasında atlayıp gidiyoruz geçmişe

Wir sitzen in einer Zeitmaschine und gehen in die Vergangenheit

1400 yılına ortaçağ denen o devire

Zum Jahr 1400, eine Zeit, die man Mittelalter nennt

Krallar, şatolar, oklar ve balolar

Könige, Schlösser, Pfeile und Bälle

Sabaha kadar süren müzik ve danslar

Musik und Tänze, die im Schloss bis morgens dauern

Şatoda devam ederken halk dışarda aç sefil

Draußen das Volk arm und hungernd

Rezil bir hayat çekilir gibi değil

Das unwürdige Leben ist kaum zu ertragen

Eğil kralın önünde çünkü kanun o

Verbeuge dich vor dem König, denn das ist das Gesetz

Ona karşı çıkarsan kelle uçuyor

Wenn du dich auflehnst, rollt der Kopf

Kuru ekmek çorba sabah akşam çabala

Trockenes Brot und Suppe am Morgen, abends dein Ziel

Halk isyanda ama değil kralın umrunda

Das Volk will rebellieren, aber der König kümmert sich nicht

Köylüler ve asiller birbirinden nefret eder

Die Dörfler und die Adligen hassen sich

İşte böyle parça parça günler gelir geçer Büyük balık küçük balığı yutar bu felsefe bu!

Solche Tage kommen und gehen Die großen Fische schlucken die kleinen Fische, das ist die Philosophie

İnsanlığın tarihindeki acı kanunu

Das ist in der Menschheitsgeschichte das schmerzende Gesetz

İnsanlar her zaman kahramanını bekler durur

Die Menschen warten stets auf ihren Helden

Hayal kurmak bize tek kurtuluş yoludur

Der einzige Ausweg ist für uns, Luftschlösser zu bauen

Korkudur bize asırlardır yerilen

Es ist die Angst, die uns seit Jahrhunderten diffamiert

Çekilen biziz ve menfaat için sömürülen

Wir sind diejenigen, die sich zurückziehen

148 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN und die, die zum eigenen Wohl ausgebeutet werden Çekilen yıllar karşısında ne değişti? Ne?

Was hat sich in den Jahren geändert? Was?

Güçlüler karşısında hep zayıflar ezildi70

Die Schwachen wurden immer von den Starken unterdrückt“

Ende der 1990er Jahre wurde eine Band namens Barikat bekannt, die bewusst Rap als Protest-Musik ausgewählt hatte und sich entsprechend vermarktete. Die Band entwickelte sich in Bursa aus einer Organisation, die sich Güneşin Cocukları (Die Kinder der Sonne) nannte. Nachdem sie anfangs in der HipHopCommunity von Istanbul noch keinen besonderen Stellenwert besaß, erlangte sie mit ihrer ersten Veröffentlichung 2002 eine gewisse Popularität. Wenngleich ihr Erfolg beschränkt blieb, sei die Band an dieser Stelle erwähnt, weil sie mit ihrer dezidiert politischen Ausrichtung eine Besonderheit in der türkischen HipHopGemeinde darstellt. Unabhängig davon, ob die türkischen Rapper eine oppositionelle Position einnahmen dem Staat gegenüber oder nicht, gemeinsam war ihnen doch meist ihr rebellischer Charakter, den sie sich bewahrten. Diese Protesthaltung verknüpften sie allerdings mit Themen und Positionen, die zum größten Teil von der Mehrheitsgesellschaft mitgetragen wurden. Typische Beispiele hierfür sind Themen wie Drogenmissbrauch, Gewalt, Medien, Jugend, Straßenkinder, Umweltzerstörung, Machismo, die türkische Society oder Krieg. Das letztere Thema ist seit dem 2003 begonnenen Irak-Krieg durchweg eines der wichtigsten Motive in der türkischen Rap-Musik. In ihren Texten bestätigten die Musiker die Grundhaltung der Mehrheitsgesellschaft, doch trugen sie ihre Positionen in einer härteren und direkteren Form vor, als dies bei anderen Jugendbewegungen und Medien üblich war. Auch die Namen der Rapper, ihrer Formationen sowie die Titel ihrer CDs sollten ihren rebellischen Geist widerspiegeln, wie dies beispielsweise bei Silahsız Kuvvet (waffenlose Gewalt), Barikat (Barrikade), Yeraltı Operasyonu (Untergrund-Operation), Ceza (Strafe), Dr. Fuchs (hergeleitet vom Panzer „Fuchs“) oder Nefret (Hass) zum Ausdruck kommt. Auf die Frage, warum Ceza und Dr. Fuchs ihre Band Nefret nannten, antworteten sie: „Ceza: Nefret (Hass) ist, wie wir schon gesagt haben, wie beispielsweise Liebe, ist seit Jahrhunderten eine Sache, die immer in den Menschen war. Liebe ist genauso reell wie Hass. Hass ist nicht, jetzt einen Menschen zu hassen, sondern zum Beispiel hassen wir, wenn Wälder abgebrannt werden. Also, also Völkermord hassen wir.

70 Hedef 12 – Kral Çıplak Şarkı Sözü, im Internet. Übersetzung durch die Autorin.

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Dr. Fuchs: Das ist also ein Gefühl. Ceza: Gegen solche schlimmen Sachen. Dass die Erde zerstört wird. Kriege. (…) Die Menschen leben mit Hass. Jeder Mensch hat es in sich. Zum Beispiel, wenn Wasser, Strom gesperrt wird, glaube mir, das produziert ein Hass-Gefühl. Daher ist Hass (nefret) eine wahre Sache (gerçek sey).“ (Ceza und Dr. Fuchs im Interview am 16.5.2000)

Das verbindende und identitätsstiftende Element ist in den Texten vorherrschend, es gilt, ein „Protestierender“ zu sein und gegen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu rebellieren. Oder, wie es Maho-B zusammenfasst: „Wir sind die modernen Robin Hoods.“ (Jöntürk 2003:162) Das Wesen von HipHop, nämlich eine Kultur von marginalisierten Gruppen zu sein und sich über Rap zur Wehr zu setzen, ist, wie hier deutlich wird, in die türkischen Verhältnisse übersetzt worden. Westliche Subkulturen wie Rock, Punk und HipHop wurden in Istanbul von westlich orientierten Jugendlichen der Mittel- und Oberschicht ausgelebt, nicht von den tatsächlich sozial und ethnisch benachteiligten Gruppen. Das subversive Potenzial der Subkulturen wurde auf der Stil-Ebene innerhalb der Ober- und Mittelschicht ausgelebt und nicht, wie unter den Klassikern der CCCS in Großbritannien, von der Arbeiterklasse. Mit ihren Texten positionierten sich die Rapper ethnisch und ideologisch eindeutig als Teil der Mehrheitsgesellschaft. Mit anderen Worten: Wie in der Rap-Musik Berlins war auch in der Türkei die ethnische bzw. nationale Herkunft Basis der Selbstpositionierung. Der gravierende Unterschied zwischen beiden Städten lag dabei in der gesellschaftlichen Position der Rapper. In Berlin gehörten Rapper ethnisch zur Gruppe der Außenseiter, in Istanbul dagegen zu den Etablierten. Gleichzeitig gehörten die Istanbuler Rapper unter türkischen Jugendlichen aufgrund ihres Stils zu den Außenseitern, da HipHop gegen Ende der 1990er Jahre auf starke Ablehnung stieß. Zu dieser Zeit war HipHop also eine Außenseiterkultur der Etablierten, wobei die Positionierung selbst gewählt war. Die Art, wie die Akteure dennoch das Image „Rap als Protest-Musik“ auf die türkischen Verhältnisse übersetzen und damit eine gewisse Authentizität beanspruchen, werde ich im Kapitel 5.2 genauer skizzieren. Gleichzeitig ist es auffällig, dass die Rapper, die als Kinder aus Deutschland gemeinsam mit ihren Eltern in die Türkei gezogen waren, ihre Verbindung nach Deutschland nicht in Texten thematisierten, sondern sich eindeutig als Türkei-Türken präsentierten. Kontakte nach Deutschland erwähnten sie nur, wenn sich diese auf HipHop bezogen. Verwandtschaftliche Bindungen und Erfahrungen dagegen wurden weder in Texten noch in Interviews erwähnt. Das negative Image von Deutschtürken in der Türkei – das dafür ausschlaggebend war – werde ich im Kapitel 6.2.4 genauer darstellen.

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4.2.4 Istanbuler Rap und die städtische Identität In Istanbul gibt es, vergleichbar mit Berlin einen wichtigen Identifikationsfaktor, mit dem sich die Istanbuler Rapper abgrenzen, nämlich ihre Zugehörigkeit zu der Stadt, in der sie wohnen. Gerade Nefret forcierte diesen Identifikationsfaktor mit ihrer im Jahr 2000 erschienen CD „Meclis-i ala Istanbul“. Auf die Frage, warum sie diesen Titel ausgewählt haben, antworteten Bilgin (Ceza) und Tarık (Dr. Fuchs) folgendermaßen: „Ceza: Meclis [Anm. der Autorin: eigentliche Übersetzung ist Parlament] ist, wie Sie wissen, eine Institution, eine Art Gemeinschaft. Und „ala“ bedeutet „der Beste“. Es ist die alte Istanbuler, die osmanische Sprache. Es bedeutet die beste Gemeinschaft, also die beste Gruppe, die gegründet worden ist. Dr. Fuchs: Wir haben das für Rap genommen, Istanbul ist bei dieser Sache der Beste. Ceza: Sowohl Istanbul, als auch Nefret, als auch wir. Dr. Fuchs: Unser Ziel war eigentlich, die Leute zu provozieren. ‚Na, die sind doch nicht gut, wir sind doch besser, wir machen das auch’ und so, und damit es mehr Alben gibt.“ (Ceza und Dr. Fuchs im Interview am 16.5.2000)

Auch im Breakdance-Bereich zeigten die Namen Lords of Istanbul, Istanbul Street B-Boys oder Takim 34 (34 ist die Städtenummer der Autokennzeichen von Istanbul) die Zugehörigkeit zur Stadt. Die Betonung der Istanbuler Zugehörigkeit seitens Nefret und die Darstellung von Überlegenheit zielten nicht nur auf Nicht-Istanbuler innerhalb der Türkei, sondern auch auf die Deutschtürken, die in arroganten Weise nach Istanbul kamen und sich als Istanbuler fühlten: „Dr. Fuchs: Es kamen Rap-Gruppen aus Deutschland in die Türkei. Wir waren damals Underground und wollten eigentlich kein Album veröffentlichen. Als sie kamen, in den Ferien, nur um ein Album zu veröffentlichen, haben sie gesagt, Istanbul ist unsere Stadt. Ceza: Das hat uns aufgeregt. Dr. Fuchs: Wenn wir in dieser Stadt leben, dann ist das unsere Stadt. Ceza: Wir haben allen Gruppen gegenüber Respekt, aber Istanbul ist unseres. Dr. Fuchs: Wenn wir hier leben, wenn wir die Probleme der Stadt ertragen, dann gehört die Stadt uns.“ (Ceza und Dr. Fuchs im Interview am 16.5.2000)

Die Betonung der Istanbuler Zugehörigkeit und der damit einhergehende Stolz zielten auch auf Rapper, die in anderen türkischen Städten lebten. Dies ist allerdings kein HipHop-spezifisches Phänomen, sondern historisch bedingt und wird auch von anderen gesellschaftlichen Schichten getragen. Istanbul war die Haupt-

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stadt des Osmanischen Reichs, die trotz der Ernennung Ankaras zur Hauptstadt im Jahre 1923 von ihrer Stellung als kulturelle Hauptstadt nichts eingebüßt hat. Mit über 8 Millionen Einwohnern im Jahre 2000 war Istanbul nicht nur unschlagbar die größte Metropole der Türkei. Ihren hohen Wert verdankt die Stadt ihrer kulturellen Geschichte und der Elite, die noch heute vornehmlich in Istanbul wohnt, und das, obwohl der rapide städtische Wachstum durch massive Landflucht bedingt ist und somit ein großer Teil der städtischen Bevölkerung ländlichen und teilweise bildungsfernen Ursprungs ist. Bedeutende Universitäten, bekannte Privatschulen, hochmoderne Shopping Malls und zahlreiche kulturelle Einrichtungen befinden sich in dieser Stadt. Die wichtigsten Konzerte und internationale Events finden hier statt. Istanbul setzt Trends und ist nicht nur im kulturellen Bereich richtungsweisend. Die Istanbuler Zugehörigkeit als ein besonderes symbolisches Kapital veranlasst Menschen, die entweder selbst oder deren Eltern auch nur wenige Jahre in der Stadt gelebt haben, dazu, sich als Istanbuler auszugeben. Mit der zunehmenden Verbreitung der HipHop-Kultur in der Türkei sollte sich in den nächsten Jahren die Betonung der Zugehörigkeit zu dieser Stadt, der damit einhergehende Stolz und die Arroganz noch verfestigen, was die HipHop-Aktivisten aus anderen Städten durch herablassende Bemerkungen zu spüren bekommen sollten. Wie oben dargestellt, war unter den deutschtürkischen jungen HipHopAktivisten insbesondere Anfang der 1990er Jahre der Wohnort oder ein bestimmter Bezirk ein bedeutender Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Positionierung und Grenzziehungen. Meine Istanbuler Interviewpartner dagegen verneinten solch starker Grenzziehungen innerhalb bestimmter Viertel. Eine Spaltung der HipHop-Szene verlief allerdings auf der geographischen und politischen Trennungslinie zwischen dem asiatischen und dem europäischen Teil der Stadt, den sie teilweise analog zu den USA als East Coast und West Coast bezeichneten. Da sich die HipHop-Kultur insbesondere im europäischen Teil Bakırköy und im asiatischen Teil Kadıköy abspielte, verwendeten die Jugendlichen beide Bezirksnamen auch als Synonym für diese geographische Grenzziehung. Diese Trennung ist allerdings nicht allein auf die HipHop-Kultur in Istanbul zu beschränken. Nach Mutlukan gab es in früheren Zeiten auch innerhalb der RockSzene eine Trennung zwischen der Szene in Bakırköy und Kadıköy, die mit der Zeit jedoch weniger scharf wurde (Mehmet Mutlukan in Ali Akay 1995:55f.). Die Stärke und Dauer der Grenzziehungen über die Kontinentallinie innerhalb der HipHop-Szene ließ sich schwer rekonstruieren, da sich die Aussagen teilweise widersprachen. Nach Yunus Özyavuz repräsentierten er (als Silahsız Kuvvet) und Nefret beide Teile Istanbuls und beeinflussten damit auch Sympathie und Antipathie gegenüber ihrer Musik:

152 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Beispielsweise konnte jemand, der nach Bakırköy kam, nicht von Nefret erzählen. Die mochten alle Nefret nicht. Bakırköy war der Ort von Silahsız Kuvvet. Kadıköy war der Ort von Nefret. Alle in Kadıköy waren Nefret-Anhänger, alle auf dieser Seite Silahsız Kuvvet. Aber jetzt haben wir die Probleme zwischen uns gelöst, haben wir uns vereint.“ (Yunus Özyavuz im Interview 15.5.2000)

Ceza und Dr. Fuchs von Nefret dagegen betonen ihre Rolle in der Zusammenführung beider Teile, denn entgegen der Aussagen von Yunus Özyavuz kam Dr. Fuchs von der West- und Ceza von der Ost-Seite. Dazu Dr. Fuchs (Tarık): „Damals waren wir so unter dem Einfluss von Amerika, dass wir Istanbul in West und Ost geteilt haben. Ost- und West-Istanbul. Es ist sogar so, dass uns viele als Nefret nicht mögen, da wir beide Teile zusammengebracht haben. Wir haben Istanbul vereint.“ (Dr. Fuchs im Interview am 16.5.2000)

Nach Elifs Aussage kam es in der Vergangenheit auch zu Gewalthandlungen und Diebstahl, doch gingen diese Aggressionen von Akteuren aus, die sie als „kabadayı“ (grobe Männer, Angeber) bezeichneten, die nicht zur HipHop-Szene gehörten und sich in die Szene eingeschlichen hatten. Tunç Dindaş bestritt einen Konflikt beider Seiten und betonte, dass sie in Istanbul eine Territorieneinteilung wie im Ausland nicht haben wollten. Wenn es solch eine Einteilung gäbe, würde sich die Kultur nicht entwickeln. Musiker aus unterschiedlichsten Bezirken geben gemeinsame Konzerte und es würde nicht zu Streitereien kommen. Trotz widersprüchlicher Darstellung vergangener Konflikte und Bezirksidentitäten waren Gesprächs- und Interviewpartner einig, dass diese Konflikte bei Weitem nicht mit den Zuständen in Berlin vergleichbar waren und Ende der 1990er Jahre ohnehin keine Rolle mehr spielten. Zu klein war die HipHopSzene, als dass sich Gruppen bildeten, die ihre Identität ausschließlich aus der Zugehörigkeit zu einem Bezirk bezogen. Zwar würden Breakdance-Gruppen teilweise ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Ort betonen, aber die Territorialeinteilungen über Graffiti war laut Elif nicht in dem Maße vorhanden, wie sie in Berlin existierte, weil es weniger Sprüher gab. HipHop-Veranstaltungen würden inzwischen auch außerhalb der Stadt stattfinden und die Zugehörigkeit zu einem der beiden Teile Istanbuls keine Rolle spielen. Erst in den darauffolgenden Jahren trat eine Bezirksidentität in den Vordergrund, die meines Erachtens mit der zunehmenden Zusammenarbeit von deutschtürkischen Rappern und türkischen Rappern in Berlin und Istanbul in Verbindung stand. Ceza und Killa Hakan arbeiteten eng zusammen. Gleichzeitig betonten Ceza und seine rappende Schwester Ayben in Interviews und in ihren Texten zunehmend ihre Zugehörig-

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keit zur asiatischen Seite Istanbuls, wo sie in den Bezirken Üsküdar und Kadıköy aufgewachsen waren. Dass die Territorialeinteilung innerhalb der HipHop-Szene Ende der 1990er Jahre nicht so ausgeprägt war wie in Berlin, lässt sich sicherlich damit erklären, dass sich diese Kultur in Istanbul in der Anfangsphase nicht unter den gesellschaftlichen Außenseitern entwickelte. Wie ich später darstellen werde (Kap. 5.1), gab es in Berlin u.a. einen direkten Zusammenhang zwischen der Außenseiterposition von Deutschtürken und Gangbildungen mit entsprechend delinquenten Handlungen. In Istanbul wurde diese Kultur Ende der 1990er Jahren dagegen noch von innerstädtischen Jugendlichen aus der Mittelschicht getragen, die nicht in armen Vierteln lebten. Mir sind keine Gangs aus dieser Zeit bekannt, die eine besondere Bezirkszugehörigkeit und gleichzeitig eine Vorliebe zu HipHop auslebten. 4.2.5 Musikstile im türkischen HipHop in der Türkei Wie im vorherigen Kapitel genauer erläutert, kombinierten Deutschtürken HipHop-Rhythmen mit orientalischen Melodien und schufen mittels dieses Musikansatzes ein auf der kulturellen Herkunft basierendes Wir-Gefühl, mit dem sich die Hörer gegenüber der deutschen Gesellschaft abgrenzen konnten. Interessanterweise spielte Rap-Musik mit orientalischen Melodien in der Türkei eine sehr untergeordnete Rolle. Dort bestand die Rap-Musik in erster Linie aus klassischen HipHop-Beats, die mit Streichern, Klavier, E-Gitarren oder Alltagsgeräuschen versetzt wurden. Yunus Özyavuz (Silahsız Kuvvet/Sagopa Kajmer) kombinierte als erster türkischer Rapper beide Stile in Cartel-ähnlichem Duktus. Bei den Rappern von Nefret, die neben Silahsız Kuvvet zu den wichtigsten Vertretern des HipHop in Istanbul gehörten, spielten orientalische Einflüsse ebenfalls von Anfang an nur eine untergeordnete Rolle. Nur 3 von 18 Songs von ihrem ersten offiziellen Album „Meclis-i ala“ enthielten türkische Elemente. Auf die Frage, ob sie ihren Stil als Oriental HipHop bezeichnen würden, antworteten sie: „Ceza: Nein, es ist mehr westlich. Dr. Fuchs: Nein, ist sehr weit weg davon, weit. Ceza: Mehr westlich. Wir haben kein Oriental HipHop uns angeeignet, nur ein wenig. Dr. Fuchs: Das ist ein sehr ferner Begriff für uns. Ceza: Natürlich haben wir bei ein zwei Stücken Oriental HipHop verwendet. Weil wir es respektieren und weil wir es mögen. (…)

154 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Dr. Fuchs: Also, bei Oriental HipHop denke ich an Erci E., sonst an niemanden.“ (Ceza und Dr. Fuchs im Interview am 16.5.2000)

Ihr Stil konnte bei jungen Menschen, die erst durch Cartel mit Rap-Musik vertraut wurden, zu Missverständnissen führen: „Diejenigen, die erst mit Cartel türkischen Rap gehört haben, sagen zu dem, was wir machen, Techno. Da gibt es etwas Ungebildetes (cahillik). Die sagen ‚Nefret macht Musik wie Techno’. (…) Nur weil es türkisch ist, muss es ja nicht Oriental HipHop sein. Was wichtig ist, wie soll ich es Ihnen sagen, wenn sie Volkstanz vom Schwarzen Meer tanzen, dann ziehen sie ein Kostüm vom Schwarzen Meer an. Das Besondere an Rap-Musik ist, es ist Westen, also es ist aus dem Westen gekommen. Bei uns ist der Text, die Meinung wichtig. Wir haben die Musik entsprechend unserer Persönlichkeit gemacht.“ (Ceza im Interview am 16.5.2000)

Die Verwendung von orientalischen Instrumenten und Melodien wäre in der Türkei kein außergewöhnliches kulturelles Kapital gewesen, mit dem man sich von anderen Gruppen hätte absetzen können, wie dies in Deutschland für die Deutschtürken der Fall gewesen war. Im Gegenteil, die Verbindung „westlicher“ und orientalischer Stile hat in der Türkei eine lange Tradition, die von Klassik71 über Rock bis zur türkischen Pop-Musik reicht. Auch in Bezug auf HipHop wäre dieser musikalische Mix keine eigene Erfindung gewesen, sondern lediglich eine Kopie dessen, was deutschtürkische Rapper aus Deutschland bereits vorgemacht hatten. Darüber hinaus positionieren sich Ceza und Dr. Fuchs von vornherein als westlich und die starke Verwendung von folkloristischen Elementen würde nicht ihrer Persönlichkeit entsprechen. Dies verweist auf eine homologe Verbindung zwischen der Form ihrer Bastelei (Bricolage) in der Rap-Musik und ihrem Selbstbild (s. Kap. 3.1). Schon in der Frühphase der türkischen Rap-Musik zeichnete es sich ab, dass sich HipHop in der Türkei thematisch spezifisch türkisch ausrichtete, aber musikalisch weniger folkloristisch, sondern, wie Nefret es ausdrückte, westlich orientierte. Die Rhythmen, der Gebrauch der Sprache und der Akzent erinnern bei den Werken der Anfangsphase allerdings stark an Cartel. Dementsprechend fand die in Deutschland gängige Bezeichnung „Oriental HipHop“ in der Türkei keinerlei 71 Schon in den frühen Jahren der Republikgründung gab es türkische Komponisten, die türkische folkloristische Elemente und türkische Instrumente mit westlich-klassischer Musik kombinierten. Die Gruppe der „Türkischen Fünf“, zu denen Ahmet Adnan Saygun, Ulvi Cemal Erkin, Cemal Reşid Rey, Necil Kazım Akses und Ferid Alnar gehörten, sind die bekanntesten Komponisten dieser Zeit.

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Verbreitung. Dahingegen waren Türkçe Rap bzw. Turkish Rap/HipHop diejenigen Begriffe, die durchweg von allen Rappern benutzt wurden und Einzug in die türkischen Medien und ins Internet gehalten haben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Rap-Musik über transnationalem Wege von Deutschland in die Türkei kam und damit ein über Stil und türkischer Herkunft definierter transnationaler Raum entstanden ist. Der Vergleich Entwicklung der HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul zeigt, wie sehr die lokalen Beziehungen, aber auch die transnationalen Bindungen zur Entwicklung dieser Kultur geführt haben, sodass man tatsächlich von einer „transglokalen“ Kultur sprechen kann. Ende der 1990er-Jahre existierte ein starkes Ungleichgewicht in der Form und Verbreitung dieser Jugendkultur in Berlin und Istanbul. Während deutschtürkische Rapper sich schon über Jahre professionalisiert hatten, auf etablierte Strukturen zurückgreifen konnten und diese aktiv mitgestalteten, war Rap-Musik in Istanbul noch relativ neu, ihre Protagonisten noch nicht professionalisiert und auf Unterstützung aus Deutschland angewiesen. Der Vergleich der gesellschaftlichen Position in Berlin und Deutschland zeigt, wie unterschiedlich Identitäten über einen Stil und gesellschaftliche Positionierungen in spezifischen politischen Kontexten ausgehandelt und interpretiert wurden. Ende der 1990er Jahre war die HipHop-Kultur sowohl in Berlin als auch in Istanbul ein Bestandteil der Etablierten-Außenseiter-Beziehung. Der Vergleich zeigt, dass HipHop nicht zwangsläufig eine Protestmusik von Außenseitern sein muss, sondern wie Rap-Musik in ihrer Anfangszeit in der Türkei zum Träger einer nationalistischen Staatsideologie wurde. Nachdem ich in diesem Kapitel den politischen Kontext und die Aneignung der HipHop-Kultur entsprechend der Position in der jeweiligen Figuration beschrieben habe, möchte ich im folgenden Kapitel einen genaueren Blick auf die Rap-Szene in beiden Städten werfen und darstellen, wie Werte, Authentizität und Abgrenzungen entsprechend der spezifischen gesellschaftlichen Position zu anderen subkulturellen Phänomenen im HipHop zum Ausdruck kamen.

5. Authentizität, Klasse und Männlichkeit im deutschtürkischen und türkischen HipHop

HipHop ist eine auffällig leistungs- und wettbewerbsorientierte Jugendkultur mit besonderem Authentizitätsanspruch. Vor allem Filme wie „Wild Style“ und „Beat Street“ und auch Musikvideos haben den Jugendlichen außerhalb New Yorks das Wesen von HipHop vermittelt, dessen Werte und Authentizität stets mit den Bildern des Ghettos, mit Härte und Männlichkeit in Verbindung gebracht wurden. Ausdrucksformen sind in der HipHop-Kultur dann „real“, wenn sie diesem Bild entsprechen. Im Gegensatz zu anderen Jugendkulturen kleiden sich Jugendliche aus der HipHop-Szene in unterschiedlichsten Ländern nicht nur entsprechend diesem Bild und leben das Lebensgefühl nicht nur über Musik und Konsum aus. Viele HipHop-Aktivisten üben und trainieren über Jahre hinweg Breakdance, Graffiti und Rap, um besondere Anerkennung zu erhalten. Breakdancer verbringen viel Zeit damit, einzelne Bewegungen zu beherrschen. Einfallsreiche Choreographien, der körperliche Einsatz und der Krafteinsatz für bestimmte Bewegungen entscheiden über Respekt und Anerkennung seitens anderer HipHop-Aktivisten. Ihr Können messen sie dann in Wettbewerben, die inoffiziell im kleinen Kreis, spontan auf Konzerten oder auch im großen internationalen Rahmen stattfinden können. Sprüher üben intensiv, um Graffitis in bestimmter Qualität zu produzieren. Dabei ist nicht nur die Originalität ihres Werkes entscheidend, sondern auch die Gefahr1, in die sich der Sprüher begeben hat.

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„Im Gegensatz zu Breakdance, Rap oder DJing ist Writen illegal und somit die einzige HipHop-Disziplin, die ein echtes Risiko mit sich bringt“, schreibt Loh (2000:227) und zitiert Toch (Torch), für den die nächtliche Bemalung eines Zuges das Echteste ist, was es heute im HipHop noch gibt (ebd.). Welches Risiko die Jugendlichen eingehen, wird an der Kriminalstatistik ersichtlich: 1994 hat die Berliner Polizei die ‚Er-

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Sie riskieren, strafrechtlich verfolgt zu werden, im Extremfall riskieren sie sogar ihr Leben. DJs üben eine gewisse Zeit, um mit Plattenspielern und Mixern gut umgehen zu können. Sie brauchen ein gutes Rhythmusgefühl und ein Repertoire an unterschiedlichen Musikstilen, um Anerkennung zu erlangen. Auch erarbeiten sich Rapper die Kompetenz, mit Sprache umzugehen und überzeugend zu rappen. Gute und spontane Reime, die Originalität der Texte und Wortspiele bilden einen wichtigen Teil ihres subkulturellen Kapitals. Diese über lange Zeit angeeigneten Qualifikationen zielen darauf, Ruhm und Respekt von anderen HipHopAktivisten zu erhalten. Gerade für Außenseitergruppen bietet der HipHop mit seinem internen Wettbewerbscharakter, in dem die Akteure sich beweisen können, „ein Moment des Ruhmes und der Individualität einzuführen und damit Anerkennung in der eigenen Bezugsgruppe zu erhalten sowie in der gruppeninternen Hierarchie aufzusteigen“ (Elflein 1996, im Internet). Breakdancer, Graffitisprüher und DJs erreichen diesen Ruhm durch ihre Leistungen, die trainiert werden können. Ihre Biographie, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe stehen weniger im Vordergrund oder sind gar nicht erst bekannt. Einzelne Breakdancer eignen sich, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, Decknamen oft englischen Ursprungs an oder stellen sich nur unter ihrem Vornamen vor. Es sind die Preise, die Battles, die sie gewinnen, oder ihre Zugehörigkeit zu einer erfolgreichen BreakdanceGruppe, die das subkulturelle Kapital erhöhen. Graffitisprüher sind infolge der Kriminalisierung von Graffitis im öffentlichen Raum ohnehin unter einem Pseudonym aktiv, der richtige Name oder Herkunft ist oft nur wenigen bekannt. Im Gegensatz zum anonymen Ruhm von Graffitisprühern stellen die Persönlichkeit des Rappers, seine Biographie und seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe einen besonderen Teil des subkulturellen Kapitals dar. Wie bereits dargestellt, gehörten die Rapper in Istanbul und in Berlin allerdings zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Ihre Biographien und ihre Erfahrungen unterscheiden sich stark voneinander. Für die vorliegende Arbeit stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die in Medien vermittelten Werte bezüglich der Authentizität von Rapmittlungsgruppe Graffiti‘ mit insgesamt 33 Mitarbeitern eingerichtet. Von den 2.800 Fällen, die pro Jahr bearbeitet werden, gelingt in 55,8 Prozent die Aufklärung. Graffiti kann bei „Substanzbeschädigung“ mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahre geahndet werden. Jugendlichen Wiederholungstätern droht Jugendarrest. „‚Erziehung statt Kriminalisierung‘ heißt zunächst einmal die Strategie der Polizei bei Ersttätern. Sind die erwischten Jugendlichen geständig und bereit, ihren Schaden wiedergutzumachen, wird eine Anzeige im Allgemeinen wieder zurückgezogen.“ (Mietermagazin 10/01:20f.)

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Musik in Berlin und Istanbul auf lokaler Ebene in der jeweils spezifischen Figuration adaptiert oder neuinterpretiert und abgewandelt wurden. Wie präsentierten sich Rapper in den beiden Städten? Welche Wertvorstellungen vermittelten sie in ihren Rap-Texten und in den Interviews? Inwieweit und in welcher Form stellten sie ihre Persönlichkeit, ihre Herkunft und ihre Biographie vor? Zur Analyse der Unterschiede werde ich genauer auf die Komponenten des subkulturellen Kapitals eingehen. Es geht demnach um die Fokussierung auf das kulturelle und soziale Kapital, um erworbene und herkunftsbedingte Ressourcen und deren Einfluss auf das subkulturelle Kapital innerhalb der Szene. Neben der Darstellung und Analyse der internen Bewertungskriterien möchte ich das Abgrenzungsverhalten der HipHop-Aktivisten gegenüber anderen jugendkulturellen Szenen herausarbeiten. Gegen welche Szenen grenzten sich die HipHopAktivisten besonders stark ab? Auf welchem Selbstverständnis und welchen Werten beruhten die spezifischen Formen ihres Abgrenzungsverhaltens?

5.1 B ERLIN – M ÄNNLICHKEIT , H ÄRTE UND G HETTO ALS D ISTINKTIONSMERKMAL IM H IP H OP In Berlin waren die wesentlichen Distinktionsmerkmale eines Rappers seine Persönlichkeit, sein Auftreten, seine Biographie und die Herkunft bzw. die Herkunft, die er präsentierte. Von der Straße zu sein, ein hartes Leben gehabt zu haben, Gefängnisaufenthalte, sich in Gefahr zu begeben, stark zu sein und einer ethnisch oder sozial benachteiligten Gruppe anzugehören, waren Kriterien, die gerade in der Rap-Szene Anerkennung und Ruhm nach sich zogen. Das subkulturelle Kapital und der damit verbundene Authentizitätsanspruch setzten sich somit nicht nur aus dem erwerbbaren kulturellen Kapital zusammen, wie dies in anderen subkulturellen Szenen der Fall ist – wie beispielsweise das Wissen um Songs oder Bands – Rapper wurden, wie ich im Folgenden genauer darstellen werde, vor allem nach ihrem sozialen Kapital bewertet. Im Gegensatz zu gesamtgesellschaftlichen Wertekriterien erhielt hier die Zugehörigkeit zu einer benachteiligten, unteren Schicht ein höheres symbolisches Kapital. Diese Außenseiterposition in der spezifischen Figuration wurde wiederum mit einem bestimmten Männlichkeitsbild in Zusammenhang gebracht. Dieses Bild sollte Härte, Mut, Stärke, Risikobereitschaft und eine kämpferische, überlegene Haltung suggerieren. Am anderen Ende der Wertungsskala standen dagegen der Weiblichkeit zugeordnete Eigenschaften wie beispielsweise Weichheit, Ängstlichkeit und Schwäche und auch die Zugehörigkeit zu einer höheren sozialen Schicht.

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In den mit Rappern und DJs geführten Interviews wiederholten sich Adjektive wie „ehrlich“, „persönlich“, „knallhart“ oder „straight“ in den Beschreibungen für gute Rap-Musik. Rapper, die es im Leben schwer hatten, wurden ernst genommen. Sie erzählten „wahre Geschichten“, sie waren „von der Straße“. Fehlende negative Erfahrungen in der Biographie konnten dagegen die Glaubwürdigkeit des Rappers diskreditieren und damit das subkulturelle Kapital deutlich mindern. So können negative biographische Erfahrungen als inkorporiertes Kapital kategorisiert werden. Sie steigern letztendlich den symbolischen Wert des subkulturellen Kapitals, denn allein die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit musste nicht zwangsläufig einen höheren Authentizitätsanspruch mit sich bringen. Fuat beispielsweise äußerte sich im Interview sehr negativ gegenüber anderen deutschtürkischen Rappern. Als Ausnahmen ließ er lediglich vereinzelte Personen zu, die nach seiner Auffassung im Leben gelitten haben: „Mann ej, diese ganzen Typen, Mann, diese ganzen Motherfucker, die da rappen, die sind alle gesund, die haben alles, den fehlt es an gar nichts eigentlich. Deswegen, die sind so weak Alter. Aber Leute man, denen etwas entrissen is, weißt du. Mann, du siehst einfach, ein Wrack kann es einfach besser. Es ist so, verstehst du. Ein Wrack kann diese Scheiße, Rap-Scheiße, kannst du’s besser. Wenn du dich damit beschäftigt hast und wenn du auf Rap schwingst, sage ich mal ganz deutlich, dann bist du der Beste, Mann. Dann kannst du der Beste werden, sage ich mal. Schmerzen so auf einem so hohen Niveau zu zeigen, dass der andere nicht weiß, ob er atmen soll oder schlucken oder heulen so. So weißt du, das muss erzielt werden so.“ (Fuat im Interview am 4.08.1999)

Nach seiner Meinung kann er über Musik viel erreichen („müzik ile yapabileceĝin o kadar çok şey var ki“). Daher sind seine Symbole der Halbmond und die Feder: „Für die Lyrik diese Feder. Sie haben doch früher mit Feder geschrieben. Und der Mond für den Einfluss. Symbol. Alter, schreiben und beeinflussen.“ (Fuat im Interview am 4.08.1999)2

Sehr ablehnend äußerte er sich über Themen, die mit starker Religiosität und Nationalismus, mit Ungerechtigkeit und Unterdrückung in Verbindung stehen. Er selbst bezeichnete sich im Interview als „starker Anarcho“. Seine Texte drücken seine auflehnende Haltung in einer sehr sexistischen, vulgären und gewalttätigen Art und Weise aus, was er damit begründete, dass er in seinem Leben „zu viel 2

Anm. im Original: „Lirik için bu Feder. Hani eskiden yazarlarmış ya tüyle. Mond’da Einfluss için. Sembol. Alter, Schreiben und beeinflussen.“

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aggressiven Stoff gesehen“ habe. Diese negativen Lebenserfahrungen, in Form seiner Selbstpräsentation und harten Rap-Musik zum Ausdruck gebracht, trugen ihm ein hohes subkulturelles Kapital ein. Weichheit wurde bei vielen Anhängern dieser Szene nicht ernst genommen. Weichheit galt nicht als ehrlich. In entsprechend negativer Art äußerte sich Kool Savaş über andere Rapper: „Die sind zu weich für den Shit, die sind nicht konsequent, einfach nicht ehrlich zu sich“; über seine Rap-Musik und die im Umfeld von Royal Bunker meinte er, „unser Shit ist so authentisch wie nur möglich“ (MKZwo 15/99). Besonders für HipHop-Aktivisten, die sich um die Jugendzentren gruppierten, waren Werte, die für Straße, Härte und Gewalt standen, ein wichtiger Aspekt des eigenen Selbstverständnisses. Diese Jugendlichen verbrachten den größten Teil ihrer Freizeit gemeinsam auf den Straßen ihres Wohnortes. Angelehnt an die Beobachtung von Henri Lefebvre beschreibt Ayhan Kaya, dass die Jugendlichen den öffentlichen Raum durch ihre lauten Unterhaltungen, ihre Art Fremde anzuschauen und ihre laute Musik zu eigenen sozialen Orten machten. Dadurch setzten sie sich nicht nur Fremden gegenüber ab, sondern distanzierten sich auch von familiären Zwängen (Ayhan Kaya 2000:14). Auffällig an der HipHop-Kultur ist, dass der Umstand, „von der Straße“ zu sein, assoziativ als eine Art „Ghetto-Herkunft“ verwendet wird. HipHop entstand in den ärmeren Gegenden der Bronx und galt von Beginn an als „Ghettomusik“ (Möbius 1998:54). Bezugnehmend auf Nelson George spricht Scharenberg bezüglich des afro-amerikanischen HipHop von „Ghettozentrizität“, die dazu führt, dass „insbesondere junge Männer aus den schwarzen ‚Unterklassen‘, vom Rand ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden“ (Scharenberg 2004:24). RapMusik fungiert in diesem Sinne als ein Mittel, die spezifische Figuration auf der subkulturellen Ebene zum Ausdruck zu bringen und dabei die Außenseiterposition mitsamt ihren negativen Ausprägungen positiv zu werten. Generell erhebt Rap den Anspruch auf Authentizität. Rap kommt aus dem Ghetto und sein Anspruch ist, das Leben im Ghetto realistisch darzustellen (Grimm 1998:79). Obgleich die Zustände in den sogenannten Problemvierteln Berlins nicht denen in der Bronx entsprachen, identifizierten sich in den 1980er Jahren Jugendliche aus Kreuzberg mit dem Leben in der Bronx. Das Bild des Ghettos und die Identifikation mit ihm sind hier eher in einem historischen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten3. Ende der 1960er Jahre standen in Berlin zahlreiche alte Gründerzeit-Häuser im Zuge der geplanten „Kahlschlagsanierung“ leer. Sie sollten neuen modernen Häusern weichen. Zwischen dem Weg-

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Siehe hierzu Lanz (2007:65-71).

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zug der alten Bevölkerung und dem Abriss des Hauses wurden diese Wohnungen an türkische Arbeitsmigranten vermietet, denn noch ging man davon aus, dass diese sogenannten Gastarbeiter nach zwei Jahren in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Die Folge dieser Wohnungspolitik führte zur starken Konzentration türkischer Arbeitsmigranten in verfallenen Stadtbezirken mit Häusern mit schlechter Ausstattung, wie Außentoiletten und Ofenheizungen und nach meinen eigenen Erinnerungen übersät von Einschusslöchern aus dem zweiten Weltkrieg. Die 1975 verhängte Zuzugssperre für türkische Migranten für die Bezirke Kreuzberg, Schöneberg und Wedding sollte die Konzentration türkischstämmiger Bewohner nicht minimieren. Schon bevor HipHop nach Berlin kam, wurden bestimmte Gebiete wie Kreuzberg in der Öffentlichkeit als Ghetto kategorisiert. So schreibt der Spiegel 1973 ein Artikel mit der Überschrift „Die Türken kommen – rette sich wer kann“ folgenden Absatz: „Wie selbstverständlich gehört das ‚Türkengetto‘ schon zum Sprachschatz von Stadträten und Sozialpolitikern. Noch zu Amtszeiten als Oberbürgermeister von München glaubte Hans-Jochen Vogel, jetzt Bundeswohnungsbauminister, erkannt zu haben, daß es ‚kleine Harlems auch schon bei uns‘ gäbe.“4

Die Selbststilisierung von Jugendlichen ausländischer Herkunft in Kreuzberg als Ghetto-Bewohner ist untrennbar mit den Fremdzuschreibungen verbunden, die sie erlebten. Allerdings waren die sozialen Missstände entsprechender USamerikanischer Wohnquartiere kaum vergleichbar mit denen in Berlin. Die Gastarbeiter der ersten Stunde waren Arbeitsmigranten, keine Sozialhilfeempfänger oder Obdachlose. Vom Staat festgelegte Sozialleistungen wie Krankenversicherung und auch die differente Situation in türkischen Familien führten dazu, dass sich die sozialen Probleme in den sogenannten Problemvierteln im Vergleich zu den amerikanischen in Grenzen hielten. Dass in Kreuzberg ein Berliner Szene-Café, eine Moschee und eine Einrichtung für Schwule und Lesben in direkter Nachbarschaft existieren können und dieser Bezirk weitaus heterogener ist als manch anderer Berliner Bezirk, wird in dem Ghetto-Bild ignoriert – unabhängig von Fremdzuschreibungen oder der Selbstpräsentation von HipHopAktivisten. Das Ghetto ist auch in Deutschland „die wichtigste Bildfigur des HipHop“ (Klein/Friedrich 2003:22). Eine vermeintliche Ghetto-Herkunft und das Image, von der Straße zu sein, sind herkunftsrelevante Ressourcen, die Rappern die ge-

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Der Spiegel 31/1973.

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wünschte Glaubwürdigkeit verleihen. Dieses Bild vermittelten sie in ihren Musikclips, in ihren Rap-Texten und auch in den Interviews. Ein weiterer bedeutender Anteil des subkulturellen Kapitals, das mit der „Ghetto“-Erfahrung und dem Leben auf der Straße verbunden wurde, war der Kontakt zu Kriminalität oder auch Gang-Erfahrung. Das Risiko, auf die Straße zu gehen, selbst gewalttätig gewesen zu sein, einer bestimmten Gang angehört und möglicherweise im Gefängnis gesessen zu haben, steigerten den Status eines Rappers5. Vergleichbar mit manch anderen deutschen Großstädten entwickelte sich in den 1980er Jahren auch in einigen Berliner Bezirken wie Kreuzberg und Wedding die Straße zu einem gefährlichen Ort. Die Internetpräsentation der ehemaligen Gang 36boys beschrieb die Entstehung von Gangs folgendermaßen: „Was am Anfang noch kindlicher Wettbewerb war, schlug relativ schnell in Revierkämpfe um. Die ursprünglich losen Zusammenschlüsse mussten sich Auseinandersetzungen mit Neonazis und Skinheads stellen, die oft von Gewalt begleitet waren. Erste Organisationsstrukturen entstanden Mitte der 80er Jahre in den Gangs, in denen immer mehr Jugendliche Zuflucht suchten, um Gegnern nicht schutzlos ausgeliefert zu sein und um eine Zugehörigkeit zu finden, in der sie ihre familiäre Geborgenheit wieder fanden.“ (36Boys o.J., im Internet)

1987 wurde die wohl bekannteste Gang in Berlin unter dem Namen 36Boys gegründet; die Mitglieder trafen sich im Kreuzberger Jugend- und Kulturzentrum Naunynritze. Die Entstehung von Gangs und die damit verbundene Delinquenz unter Jugendlichen ist ein Phänomen, das sich nicht in essentialistischer Weise durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe erklären lässt. Wie Elias und Scotson im Fall von Winston Parva beschreiben, haben es Kinder und Jugendliche von Außenseitern schwer, aus ihrer gesellschaftlichen Position herauszukommen. Sie sind alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt, gleichzeitig können sie in ihren eigenen Familien nicht die Vorbilder finden, die sie brauchen. Ihr Selbstbild, ihr Stolz und ihre Identität sind geprägt von der Randposition, die ihre Familien einnehmen. In einer solchen Situation gewinnen Freundschaften eine besondere Bedeutung, sie bieten Unterstützung, die von anderer Seite nicht geboten werden:

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Siehe hierzu Eksner (2006).

164 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „In Gruppen von ihresgleichen konnten sie sich höher schätzen, als es ihnen allein möglich gewesen wäre, und sich beweisen, wie stark sie doch waren. Sie konnten eine Bestätigung ihres Selbstwerts finden, gegen ihre eigenen Zweifel, die durch die Haltung der ordentlichen Mehrheit dauernd bekräftigt wurden.“ (Elias & Scotson 1990:202)

Diese Freundschaften können auch Banden sein, deren Mitglieder ihr Selbstwertgefühl durch delinquente Handlungen erlangten: „Banden bildeten einen Ersatz-Regelkreis wechselseitiger Bewunderung für Jugendliche, die keinen Zugang zu der wechselseitigen Bewunderung und Bestätigung der Etabliertengruppen hatten“ (Elias & Scotson 1990:202).

Auch Hermann Tertilt sieht einen engen Zusammenhang zwischen den alltäglichen Diskriminierungen, die türkischstämmige Jugendliche spürten, und dem Aufkommen der Jugendgangs: „Dabei vertrete ich die These, dass die Entstehung einer sich ethnisch definierenden Bande mit ihren delinquenten Praktiken auf der Erfahrung eines kollektiven Status- und Anerkennnungsdefizits in der Gesellschaft beruht und dass die Bande als subkulturelle Gemeinschaft der Bewältigung migrationsspezifischer Schwierigkeiten dient.“ (Tertilt 1996:171)

Rolf Hiemer weist darauf hin, dass die soziale Herkunft und die unzureichende Bildung von Menschen in Problemgebieten und Ghettos dazu führen, dass ihnen kaum die Möglichkeit gegeben wird, „einen differentiellen Umgang mit den vielfältigen identitätsbildenden Umweltangeboten zu erlernen“, und sie wenig Chancen am Arbeitsmarkt haben. „Damit bleiben ihnen eigentlich nur überholte, aber gleichwohl bekannt und medial massiv reproduzierte Ausdrucksformen einer hegemonialen Männlichkeit, die sich am besten in Jugendgruppen ausleben lassen.“6 Dem sozialen und kulturellen Kapital von Migrantenjugendlichen mit geringem Bildungshintergrund wurde ein geringer Wert zugemessen, d.h. sie verfügten über ein geringes symbolisches Kapital in der Mehrheitsgesellschaft. Mit der Betonung von Männlichkeit griffen diese Jugendlichen auf eine Ressource zurück, die von Karrer als das „natürliche Kapital“ bezeichnet wird: „Wo Ungleichheit drückt, muss Natur her“ (2000:130f.). So ist HipHop eine Jugendkultur, die nicht nur eine ethnisch und sozial marginale Position mit geringem sym6

Er weist auch darauf hin, dass sich das Gang-Phänomen inzwischen nicht nur auf die Unterschicht und Großstadt beschränkt (Hiemer 2001, im Internet).

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bolischem Wert in ein hohes subkulturelles Kapital umwandelt, es ist auch eine Jugendkultur, in der Jugendliche über das „natürliche Kapital“ ihrer Männlichkeit Anerkennung erhalten können. Dieses Überlegenheitsgefühl kann, wie ich später darstellen werde, über Abgrenzungen von anderen Szenen produziert werden. Aber auch der interne Wettbewerbscharakter innerhalb der HipHopSzene kann den Jugendlichen eine Möglichkeit geben, über bestimmte Aktionen und Verhaltensweisen, die mit einem bestimmten Männlichkeitsbild in Verbindung gebracht werden, Anerkennung zu erlangen. Nach Elflein basiert das besondere Interesse an HipHop unter deutschtürkischen Jugendlichen auf dem internen Wettbewerbscharakter, der in anderen Jugendkulturen nicht gleichermaßen zu finden ist: „Hier finden sich Gleichwertigkeiten, die besonders für männliche türkische Jugendliche in der BRD Anknüpfungspunkte bieten. Das bei diesen Jugendlichen verbreitete Männlichkeitskonzept hängt stark mit dem türkischen Konzepten der ‚Ehre‘ und ‚Anerkennung‘ zusammen“. (Elflein 1996, im Internet)

Obwohl die klassentheoretischen Werke der Birminghamer CCCS nicht die ethnische Herkunft berücksichtigen, können doch Parallelen zu deren Erkenntnissen hinsichtlich der britischen Arbeiterklasse gezogen werden, handelt es sich bei den deutschtürkischen Jugendlichen doch auch um eine Gruppe aus einer sozial benachteiligten Schicht. Vorstellungen von Ehre, Anerkennung und Männlichkeit und der damit verbundene Wettbewerbscharakter innerhalb der türkischstämmigen, sozial benachteiligten Schicht können in der HipHop-Kultur wiedergefunden werden, was auf eine homologe Beziehung hinweist. Dabei widerspricht eine delinquente Vergangenheit nicht unbedingt dem Konzept von Ehre und Männlichkeit. HipHop-Aktivisten, die sich in den Jugendzentren aufhielten, erzählten gern aus ihrer Vergangenheit, oft mit „reumütiger“ Haltung gegenüber ihren kriminellen Taten. Eine gewisse Gratwanderung zwischen Kriminalität und Reue zeigte sich allerdings darin, dass Rapper wie Killa Hakan von der ehemaligen Band Islamic Force, aber auch andere Rapper ihre kriminelle Herkunft verurteilten und Jugendliche aufforderten, nicht diesen Weg zu gehen, gleichzeitig aber ihre kriminellen Erfahrungen und mehr noch ihre Gefängnisaufenthalte dazu nutzten, um bei eben diesen Jugendlichen Respekt zu gewinnen. Auf Konzerten und in Interviews in verschiedensten Medien erwähnte beispielsweise Killa Hakan stets seinen Gefängnisaufenthalt und auch sein Umfeld legte auf seine diesbezügliche Erfahrung besonderen Wert. Nicht nur die eigene Gefängniserfahrung konnte das subkulturelle Kapital erhöhen. Kool Savaş erwähnte seine türkische Herkunft stets mit der Information, dass

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sein Vater in der Türkei aus politischen Gründen im Gefängnis saß. Ihr Selbstverständnis, von der Straße zu sein, eine harte Vergangenheit oder gar einen Gefängnisaufenthalt hinter sich zu haben, nutzen HipHop-Aktivisten als ein Distinktionsmerkmal gegenüber anderen HipHop-Aktivisten und anderen deutschtürkischen Szenen7. Es sind Erfahrungen, die gemeinhin einen eindeutig negativen symbolischen Wert in der Gesellschaft haben, in diesem Zusammenhang aber in einen herausragend positiven symbolischen Wert umgewandelt werden. Die Außenseiterposition mit ihren negativen Folgen kann zumindest innerhalb der Szene aufgewertet werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Frauen in einer solchen Atmosphäre strukturell ausgegrenzt werden, auch wenn einige Bands wie Kanacks with Brain in ihren Texten Sexismus mit Faschismus gleichsetzen und ein Lied den Samstags-Müttern gewidmet haben. In der generell männlich geprägten Musikbranche ist HipHop weltweit die Jugendkultur, die am offensichtlichsten die Werte und das Image der heterosexuellen Männlichkeit auslebt und das teilweise in einer sehr sexistischen und homophoben Weise. Insbesondere Musikvideos reproduzierten die Geschlechterhierarchie, in der Männer eine eindeutig überlegene Position einnahmen (Klein/Friedrich 2003:125). Während der HipHop in den USA diesen Sexismus in Texten und Videos auf eine sehr offene und oft vulgäre Art auslebte, waren die Darstellungen in Deutschland vergleichsweise moderat – zumindest bis Mitte der 1990er Jahre hinein. Ein Trend in die US-amerikanische Ausrichtung zeichnete sich erst seit dem Erfolg von Kool Savaş ab. Mit seinen vulgären, sexistischen und homophoben Texten erregte er allgemein Aufsehen, gleichzeitig galt er bei einem Teil der HipHop-Szene als jemand, der „ehrlich“ war, da seine harten Texte ihn als besonders authentisch erscheinen ließen. Seine provokativen Texte, in denen er die Männlichkeit seiner „Gegner“ durch die Zuweisung, „schwul“ zu sein, angriff, führten zu Drohungen seitens junger Männer, doch wehrte er sich dagegen mit dem Verweis, dass er als Rapper Kool Savaş nicht gleichzusetzen ist mit der Privatperson. Damit gab er der Vorstellung von Authentizität im HipHop eine neue Nuance. Denn dass im HipHop Authentizität konstruiert wird, ist bekannt. Diese Konstruktion wird von den HipHop-Aktivisten allerdings bewusst als „echt“ dargestellt. Dagegen trennt Kool Savaş seine Persönlichkeit im Privaten offen und bewusst von der des Rappers. Gerade in seinem Battle-Rap der 1990er Jahre ging es Kool Savaş um seine Repräsentation Westberlins und seine Zugehörigkeit dazu, um den Untergrund, 7

Vgl. Ayhan Kaya (2000:115). Die Betonung der kriminellen Vergangenheit verdeutlicht in diesem Zusammenhang auch eine Position, die der gesellschaftlich als Norm entgegengesetzt ist. Siehe hierzu auch Nohl (2000:239).

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den Rap und eine heterosexuelle, harte Männlichkeit, was er im Song „Tape Untergrund Platin“ auf der Platte „Westberlin Maskulin – Battlekings“ in einer einzigen Zeile rappt: „W-B-M (Westberlin Maskulin) ist Untergrund pur und die Steigerung von männlich“. Seine vulgären, sexistischen, homophoben und brutalen Texte waren keine ernstgemeinten Aussagen. In erster Linie ging es ihm um den Humor: „Wir hatten alle Spaß am Rappen und so, wir haben teilweise übertriebene Texte geschrieben, weil es einfach für uns interessant und lustig war und weil man nicht davon ausgegangen ist, dass es andere wörtlich nehmen oder sich darüber Gedanken machen. (…) Wir hatten eine Phase, da hatten wir Gangsta Rap gemacht, so keiner von uns war ein Gangster. Das war wirklich, wir haben im Grunde den Shit, den wir selber gehört haben, auf Deutsch übersetzt, so bisschen auf die Schippe genommen, so uns auch selber verarscht. (…) Nicht jeder hat den gleichen Humor, so nicht jeder konnte nachvollziehen, dass es eigentlich nur witzig gemeint ist8.“

Obwohl auch Fuats Battle-Texte einen ausgeprägt sexistischen, brutalen und vulgären Ton haben, verhielt er sich Frauen in der Öffentlichkeit gegenüber nicht respektlos. Er distanzierte sich im Interview deutlich davon, Frauen als Besitz von Männern anzusehen, und bemerkt zu seiner Erfahrung mit der islamischen Gemeinschaft Milli Görüş, zu der er über eine Frau Kontakt bekommen hatte, Ablehnung wegen ihres Umgangs mit Frauen: „Das war’n alles Leute, die wollten, dass sich Frauen bedecken, so (…) Neid. Rechthaberisch sein, so meins so. Die Frau so, meins, nur mein, so. Karın sadece sana helal (deine Ehefrau sei nur dir gegönnt), so. Warum darf denn jemand anders die schönen Haare deiner Frau nicht sehen, oder ihre schönen Arme oder ihre schönen Beine oder keine Ahnung, was soll das?“ (Fuat im Interview am 4.6.1999)

Schon sein Vater hatte durchgesetzt, dass die Töchter keine Kopftücher trugen. Kool Savaş und auch andere Rapper im Umfeld von Royal Bunker fielen durch ihre homophoben Texte auf, in denen „schwul“ als Schimpfwort benutzt wurde. Doch zu Beginn ging es dabei nicht eindeutig um eine tatsächlich gelebte sexuelle Orientierung, wie Marcus Staiger, der Organisator der Battle-Raps im Royal Bunker, es darstellt:

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Kool Savaş im Dokumentarfilm „Gegen die Kultur“ (Pethke & Rother).

168 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Damals haben das Wort auch schwule Freunde von mir benutzt: ‚Du bist ja schwul‘. Damit war ‚tuntig‘ oder ‚tuckig‘ gemeint. Das war zunächst gar nicht pauschal auf die Gruppe der Homosexuellen bezogen. Auch die meisten Rapper haben das anfangs als neutrales Schimpfwort verwendet, ohne an Schwule zu denken. Aber je massiver es in der Szene benutzt worden ist, desto mehr hat sich die Bedeutung geändert. Dabei haben die Protagonisten die aggressive amerikanische Homophobie übernommen. Das hat sich dann in den Berliner Bezirken mit dem Schwulenhass aus dem arabisch-türkischen Raum gemischt. So dass man mittlerweile sagen muss: Das bezieht sich durchaus auch auf das Sexuelle. Die Leute kennen allerdings oft gar niemanden, der offen schwul ist. Das ist ein bisschen wie mit dem Ausländerhass – der ist auch da am größten, wo es gar keine gibt.“9

Sexismus und die Homophobie auf die HipHop-Kultur zu beschränken, würde allerdings die Tatsache ignorieren, dass Sexismus in fast allen Bereichen des Lebens – und in der Kulturindustrie ohnehin – vorhanden ist. Nach Günther Jacob beginnt Sexismus nicht erst durch herabsetzende Aussagen, sondern bereits bei der Definition eines Menschen über seine sexuelle Orientierung, und hierzu gehört ebenso die Vermarktung der sexuellen Orientierung in der Pop-Industrie der 1980er Jahre wie beispielsweise bei Boy George und Bronski Beat: „Die Gesellschaft, in der wir leben, ist sexistisch. Genauer: Sie ist patriarchalisch. Patriarchat bedeutet, dass Männer (eine via ‚Sex’„ definierte Gruppe also) in dieser Gesellschaft eine ökonomische, mediale, juristische, symbolische etc. Vormachtstellung über Frauen haben, die die Grenzen zwischen sozialen Schichten und ethnisierten Gruppen übergreift. Und diese Vormachtstellung funktioniert nur durch eine strikte Unterscheidung zwischen heterosexuellen und homosexuellen Männern, weil der schwule Mann die männliche Machtstellung gefährdet (weshalb z.B. frauenfeindliche Positionen immer mit schwulenfeindlichen Positionen einhergehen).“ (Jacob in Backspin 5, 1995/96, S. 5)

Die Frage wäre dementsprechend, ob der HipHop letztlich sexistischer ist als beispielsweise Pop. Nach Jacob ist die Thematisierung sexueller Praktiken nicht der Grund dafür, dass man beim HipHop von sexistischen Positionen sprechen kann, vielmehr ist es die Zuschreibung respektabler und nicht akzeptabler Verhaltensattribute. Frauen gelten entweder als „Anständige“ und „Nutte“, d.h. das sexuelle Verhalten einer Frau gilt Wertekriterium. Allerdings ist diese Einteilung „nicht antitraditionalistisch, antiautoritär und libertär, sondern sie ist Konsens bei der Mehrheit der Bevölkerung“ (Jacob in Backspin 5, 1995/96, S. 7). Die Art sexistischer Präsentation steht vielmehr in einem engen Zusammenhang mit Klas-

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Interview mit Marcus Staiger in stern.de vom 29.08.2008, im Internet.

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senbewusstsein und dem damit einhergehenden Authentizitätsanspruch: „Sie müssten möglichst eine Lower Class Sprache sprechen, damit sie vom Publikum als harte Kerle akzeptiert werden, die vom Ghettoleben erzählen können“ (ebd.: S. 8). Jacob betont den konformistischen Charakter der HipHop-Kultur, da sie letztendlich die bürgerliche Moral nicht infrage stellt, sondern vielmehr bestätigt10. Das Image von HipHop als besonders sexistische und homophobe Jugendkultur resultiert sicherlich aus der übertriebenen Art und Weise, den ohnehin existierenden gesellschaftlichen Sexismus zu präsentieren. Die extremen Texte von Kool Savaş sollten allerdings aus dem Kontext heraus gesehen werden, dass in Deutschland seit den 1980er Jahren „political correctness“ den kulturellen Bereich beherrschte. Extrem vulgäre, homophobe und sexistische Texte waren ein Tabubruch, eine Provokation, die in Deutschland neu war. Die provokativen und zu Beginn nicht ernst gemeinten Texte sollten allerdings in den nächsten Jahren mit der zunehmenden Popularität einiger Rappern zu offen homophoben Verhaltensweisen seitens vieler Jugendlichen führen und den Begriff „schwul“ als Beleidigung unter ihnen etablieren. Gleichzeitig ist seit 2000 eine Tendenz zu beobachten, an die sicherlich nur die wenigsten vor dem Millennium gedacht haben: 2004 hatte ein homosexueller Rapper namens Caushun Erfolg und RapMusik erlangte zunehmend Popularität in der Schwulen- und Lesbenszene, Queer-HipHop-Partys wurden veranstaltet und homosexuelle Rapper traten auf und es entstand der Begriff „Homo-Hop“. Doch Ende der 1990er Jahre war diese Entwicklung noch nicht das Thema. 5.1.1 Frauen im deutschtürkischen HipHop Die Werte, nach denen in der HipHop-Kultur Anerkennung ausgesprochen wird, liegen in der Definitionsmacht von Männern (Loh 2000:260). Auch in RapTexten wurden mit Weiblichkeit verbundene Eigenschaften als Schimpfwörter eingesetzt. So wurde beispielsweise Weichheit nach alter, stereotyper Vorstel10 Schon Angela McRobbie machte 1979 darauf aufmerksam, dass die Medien bei Motorrad-Mädchen eine neue sexuelle Freizügigkeit mystifizierten, doch „dieses subkulturelle Image war nur um Haaresbreite entfernt von der neuen Sexualität der Werbung und der neuen Modeindustrie und andererseits vom klassischen Fetischismus der Porno-Branche“ (McRobbie 1981:228). Bezugnehmend auf Hunter Thompsons Buch über die Hells Angels, stellt Angela McRobbie fest, die „Art, wie die Hells Angels die Frauen dieser Welt in ‚Mädels mit goldenem Herzen, die was für einen tun‘ und ‚Prostituierte‘ unterteilen, ist ein binärer Gegensatz, so alt und traditionell wie nur etwas“ (McRobbie 1981:299).

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lung mit Weiblichkeit gleichgesetzt und beinhaltete in diesem Zusammenhang eine negative Konnotation. Den Begriff „Frauenrap“ verwendeten einige HipHop-Aktivisten als Synonym für schlechten Rap (Güngör 2002:273). Der erfolgreichen amerikanischen Rapperin und Produzentin Missy Elliot11 wurde die Ehre erwiesen, indem man sie mit einem der erfolgreichsten Rapper Amerikas, mit „Puff Daddy“ verglich und sie als „Puff Mama“ bezeichnete. Amerikanische HipHop-Stars saßen wegen Vergewaltigung im Gefängnis oder verherrlichten diese in ihren Texten. Frauen kamen und kommen eher in einer lasziven Form und als Dekoration in Musikvideos oder bei Konzerten vor, in denen Männer, die nicht unbedingt dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, ihre heterosexuelle Männlichkeit präsentieren. Dass im HipHop weltweit nur wenige Frauen aktiv sind, begründet sich in der Tatsache, dass diese aufgrund einer vorherrschenden sexistischen Grundeinstellung kaum ernst genommen wurden und einige Bewertungskriterien in den einzelnen Bereichen der HipHop-Kultur wie Graffiti und Breakdance für sie kaum zu erfüllen waren. Auch in Deutschland war HipHop ein männerdominiertes Terrain, sowohl unter deutschen als auch unter deutschtürkischen Jugendlichen. Generell fanden sich kaum Frauen unter den Sprühern. Zum einen ist die Gefahr, in die man sich durch illegales Sprühen begibt, abschreckend, zum anderen sind nächtliche Aktivitäten nur für ganz wenige junge Frauen türkischer Herkunft realisierbar: „Jungen wird von der frühen Sozialisation an mehr Bewegungsfreiraum und Außenaktivität zugestanden. Sie haben ein größeres Repertoire, sich auszuprobieren und Hemmungen abzubauen“ (Turhan 1995:96). In den Jugendzentren besuchten auch Mädchen und junge Frauen Breakdance-Kurse, doch ihre Aktivitäten beschränkten sich auf den Freizeit-Bereich und sie führten ihr Hobby nicht professionell weiter. Auch hier hatten sie es schwerer, Anerkennung zu finden und ihr Können offen darzustellen. Sie beklagten sich, nicht ernst genommen zu werden und daher nicht zum Battle aufgefordert zu werden. Zudem erfordern bestimmte Posen, wie zum Beispiel breitbeinig auf dem Rücken liegen, viel Mut sich darzustellen (Turhan 1995:96). Be-

11 Die Rapperin Missy Elliot produzierte nicht nur Rap-Musik, sie schrieb auch Songs für andere Stars und brachte darüber hinaus eine neue Ästhetik in ihre Musikvideos. Zugleich unterstützte sie Frauen im HipHop, indem sie beispielsweise in ihren Videos junge Mädchen in Sportkleidung tanzen und rappen ließ. Einige Rapperinnen nahmen in ihren Texten klaren Bezug auf den vorherrschenden Sexismus und wehrten sich teilweise in einer ähnlich harten und aggressiven Art. Eine andere Gruppe von Rapperinnen wie beispielsweise Foxy Brown und Lil’ Kim, erlangten Ruhm, indem sie den stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit entsprechend halbnackt in Luxuskleidung vor Luxuskulissen in erotischen Stellungen posierten.

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stimmte Bewegungen können ohnehin nicht oder nur selten von Frauen ausgeführt werden, da sie besonders viel Kraft erfordern. Zwar entstand in den 1980er Jahren eine HipHop-Tanzform, die ausschließlich jungen Frauen vorbehalten war – der Double Dutch –, aber dieser mit Springseilen durchgeführte Tanz war nur eine vorübergehende Modeerscheinung. Nur wenige Rapperinnen in den USA und in Großbritannien erhielten breite Anerkennung. In den 1990er Jahren war die HipHop-Kultur in Deutschland weniger misogyn geprägt, doch mit dem Battle-Rap im Umfeld von Royal Bunker zeichnete sich Ende der 1990er Jahre eine frauen- und schwulenfeindliche Tendenz ab, die später mit dem Label Aggro Berlin fortgeführt wurde. Wie in anderen Ländern und Städten war diese Jugendkultur auch in Berlin ein männer- bzw. jungendominiertes Terrain, in dem Frauen kaum eine Rolle spielten. In den 1990er Jahren erreichte die deutschtürkische Rapperin Aziza A. einen gewissen Bekanntheitsgrad. Der Erfolg von Aziza A. drückte sich weniger in den Verkaufszahlen ihrer CDs aus, als in der Rolle, die sie in deutschen Medien einnahm. Als Vertreterin der modernen selbstbewussten Deutschtürkin, die sich gegen türkischen Machismo und Frauenunterdrückung wehrte, war sie ein gern gesehener Gast in unterschiedlichsten Sendungen, Printmedien und Veranstaltungen. Auch als Moderatorin sollte sie erfolgreich sein. Als erste deutschtürkische Moderatorin arbeitete sie 1996 in der ZDF-Sendung „Dr. Mag“ und in den nächsten Jahren moderierte sie ihre eigene Radio-Sendung bei SFB Multikulti. 1998 schmückte sie die Titelseite der Zeitschrift „Emma“ und trat häufig bei multikulturellen Veranstaltungen in deutschen Institutionen auf. Ihr Album „Es ist Zeit“ erreichte Platz zwei der World Music Charts. Der breite gesellschaftliche Erfolg von Aziza A. stand allerdings ihrer Akzeptanz innerhalb der männlich dominierten deutschtürkischen HipHop-Szene diametral entgegen. Der Grund hierfür lag weniger in ihrem Geschlecht als in ihrer Herkunft, ihrer Selbstpräsentation und Texten. Im Gegensatz zu männlichen Rappern stammt sie nicht aus der HipHop-Szene. Sie ist im bürgerlichen Berlin-Steglitz aufgewachsen, besuchte eine Gesamtschule in Berlin-Schöneberg und erst später ein Oberstufenzentrum in Kreuzberg. Offen und ehrlich erwähnte Aziza in den Medien und bei Veranstaltungen, dass sie über den Produzenten Ünal Yüksel (alias Soft G.) zum Rap gekommen ist. In ihrer Biographie „fehlt“ die harte Straßen- bzw. Ghetto-Vergangenheit, die innerhalb der HipHop-Szene zu Anerkennung hätte führen können. Gerade ihre Selbstpräsentation, ihre Wahrnehmung und Bewertung durch andere verdeutlicht die Doppeldeutigkeit der Kriterien „echt“ und „ehrlich“. Rückblickend beschreibt Aziza A. die Reaktionen auf ihre Herkunft und ihre Erfahrungen Ende der 1990er Jahre folgendermaßen:

172 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Ich war ein gut behütetes Kind. Ich bin in Steglitz aufgewachsen und habe mit meinen Freundinnen gespielt. Also ich bin nie in Jugendhäuser gegangen. Die, die viel in Jugendhäusern waren und viel wirklich auf der Straße gespielt haben, weil sie keine andere Möglichkeit hatten, für die ist das auch o.k. Das ist dann die Straße.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012)

Dass sie nicht eine harte „Ghetto-Vergangenheit“ oder Straßenerfahrung vorweisen konnte, war „für viele ein Dorn im Auge“ – sie zweifelten an ihrer Authentizität und ihrem Können: „Hm, ‚was willst du mit HipHop, du hast doch keine Ahnung und dir schreiben sie die Texte‘. Was ich nicht am Anfang alles zu hören bekommen habe. Und das ich nicht echt sei. Und ich so ‚Oh Gott, wie echter soll ich denn noch sein, wenn ich sage ich komme, ich komme aus Steglitz‘. (Lacht) Ich bin Zuzügler! Bin erst mit 28 nach Kreuzberg. Was soll ich denn noch sagen? Obwohl mit 18 bin ich ja hier auf die Schule, also war ich mehr in Kreuzberg, aber mit 28 bin ich erst hergezogen.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012)

‚Echt sein‘ bedeutet für Aziza A., ihre Erfahrungen und ihre Herkunft offen und ehrlich zu erwähnen. Nach einigen Jahren stellte sie allerdings fest, dass hinter den negativen Reaktionen, die sich beispielsweise als Beleidigungen zeigten – in der Rap-Szene als „dissen“ bezeichnet – andere Gründe als ihre Herkunft liegen konnten: „Aber nach Jahren bin ich manchmal auf die Leute zu und hab erst mitgekriegt, was hier dumme Missverständnisse hier waren. Und dass sie teilweise nur beleidigt waren, dass ich nicht an ihre Tür geklopft habe und gesagt habe ‚Komm, lass uns was machen‘, oder wie macht ihr denn das? Da kein Austausch da war, sondern dass ich einfach nur mein Ding gemacht habe. So, da dacht ich ‚Mann, könnt ihr doch auch auf mich zukommen. Ej, was wartet ihr hier 7 Jahre‘.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012)

Sie selbst praktizierte das „Dissen“ anderer Rapper und Rapperinnen nicht: „Ist nicht mein Stil, würde ich sagen, im HipHop, so aber es ist nie meine Sache, einen runterzumachen, um mich hochzupushen. Das ist eine Kunst im Rap, das ist aber nicht meine Kunst. Ich habe sie nie benutzt. So. Ich habe nie das Bedürfnis gehabt, weil ich ganz andere Sachen im Kopf habe. […] Ich bin auch nicht wütend auf Leute, die das machen, oder die mich dissen. Das ist o.k., das ist die Kunst, das gehört dazu, aber wir müssen uns trotzdem die Hand schütteln, das ist nämlich die wahre Kunst. Aber wenn du da

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einen Hass auf mich schiebst und mich nicht richtig kennst, dann ist es peinlich.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012)

Teilweise erinnert sie sich auch an positive Reaktionen männlicher Jugendliche auf sie: „(…) haben mir extra immer das Mikro in die Hand gedrückt. Weil sie dachten, oh, cool, eine Frau. Mal gucken, was sie drauf hat. Hast du nichts drauf gehabt, hm, vergessen. Hast du was drauf gehabt, uah, super. Noch besser. Aber du hast immer ein Vorrang gekriegt eigentlich als Frau. So machoistisch es rüber kommt und viele auch sind. Aber im Endeffekt geht es darum, was du eigentlich sagst und wie du es sagst und nicht, ob du eine Frau bist oder ein Mann.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012)

Nicht ihr Frau-Sein, sondern ihre Art der Präsentation und ihre Herkunft entschied über ihr subkulturelles Kapital. Einige standen ihr diesbezüglich ablehnend gegenüber, wie beispielsweise Tamer aus dem Umfeld der Naunynritze: „Der Unterschied ist einfach: HipHop-Kultur ist halt eine Kultur. Man muss dafür was geben, man muss aus der HipHop-Szene entstammen. Man muss – man kann nicht einfach Rap-Musik machen – einfach rumrappen, blabla und sagen: ‚Ich bin jetzt HipHop‘. Das geht nicht. Die Leute reißen dir den Arsch auf. Deswegen kriegt Aziza A. auch nie ihren Respekt.“ (Tamer im Interview am 24.07. 1999)

In der Szene traf ich auch auf die Einstellung, es sei sogar begrüßenswert, wenn es mehr Frauen in der Rap-Musik gäbe, die sich gegenseitig puschen und voneinander lernen. Letztlich geht es darum, ob eine Frau Rap-Musik überzeugend präsentiert, nicht nur in ihren Texten und ihrer Musik, sondern auch hinsichtlich einer überzeugenden Performanz. Azizas Auftreten unterschied sich maßgeblich von dem ihrer männlichen Kollegen: Sie gab sich fröhlich und trug statt der bunten sportlichen HipHop-Kleidung, eine der allgemeinen Mode entsprechende schwarze Kleidung. Für einige männliche HipHop-Aktivisten war sie eine „Intellektuelle“, obwohl Aziza nicht über mehr schulische Bildung verfügt als manch anderer anerkannter, „authentischer“ Rapper. Dennoch entsprach ihr Auftreten für einige HipHop-Aktivisten dem Bild einer Intellektuellen. Darüber hinaus hat Aziza A. in ihrem Album „Es ist Zeit“ einen Rap-Song mit dem Titel „Maganda baba“, in dem sie den türkischen Macho mit seinem sexistischen Verhalten lächerlich darstellt, so z.B. in der folgenden Strophe, der das Klischee-Bild eines Magandas beschreibt:

174 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Stolz streichelt er seinen Oberlippenbart Bo hey, was für ein Mann! In der Hand einen Rosenkranz. Sein Hemd aufgeknöpft bis zum Bauch Die Brust behaart, sein Blick wie Bär Er rülpst und spuckt auf die Straße. Wenn es um dicke Sprüche geht, ist er der Größte! Wenn es darauf ankommt, haut er einfach ab! Macht sich eine Zigarette an, schlürft seinen Tee12.“

Mit ihren Songs unterschied sich Aziza A. besonders von den männlichen Kollegen aus dem Umfeld der Jugendzentren, die durch ihre Texte und Auftreten das männliche Verhalten der unteren Schicht und damit die nach ihren Vorstellungen authentische HipHop-Kultur repräsentierten. Die Selbstpräsentation der männlichen Rapper, ihr Ansehen und das Ansehen von Aziza machten deutlich, dass „ehrlich“ als Wert für Authentizität nicht wörtlich zu nehmen war, sondern sich ausschließlich auf die Präsentation bezog. Die Ablehnung Azizas beschränkte sich allerding ausschließlich auf ihr Auftreten und auf ihre Rap-Musik, sie war nicht persönlich gemeint: „Aziza weiß es, ich bin nett zu Aziza, so ‚Hey Aziza, alles klar? Du bist Klasse‘, aber wer zum Rap geht Alter, da hört die Freundschaft auf, muss ich sagen so direkt. Ja, bei Rap da hört’s auf.“ (Fuat im Interview am 4.8.1999)

Während männliche Berliner Rapper türkischer Herkunft in unterschiedlichen Formationen zusammenarbeiteten und teilweise gemeinsam auftraten, ging Aziza ihre eigenen Wege, auch außerhalb der Berliner Rap-Szene. Sie arbeitete eng mit deutschen und deutschtürkischen Jazzmusikern zusammen, die für die Werkstatt der Kulturen aktiv waren, und trat des Öfteren mit dem deutschtürkischen Rapper Murat G. aus Frankfurt auf. Murat G. gehörte zu den ersten, bekannteren deutschtürkischen Rappern aus Frankfurt, studierte – wie bereits erwähnt – Kulturwissenschaften, Er schrieb gemeinsam mit Hannes Loh das Buch „Fear of a Kanak Planet“.

12 Übersetzung des türkischsprachigen Songs aus dem Booklet des Albums.

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5.1.2 HipHop und Distinktion in Berlin Wie in Jugendkulturen allgemein üblich, verlief die Grenzziehung gegenüber anderen Gruppen über den Stil, der sich in erster Linie im Körperlichen bemerkbar machte. Der Kleidungsstil, die Haltung, Bewegungen im Alltag und beim Tanzen und die Gestik ließen erkennen, zu welcher Gruppe die jeweilige Person gehörte oder mit welcher Gruppe sich die Person identifizierte. Diese Identifizierung und das Selbstbild gingen einher mit einer klaren Distinktion anderen Gruppen gegenüber. Clarke et al. sprechen in diesem Zusammenhang von einer „impliziten Opposition (wenn nicht gar ein aktiver und bewusster Widerspruch zu ihnen) gegenüber anderen Gruppen, gegen welche die Identität definiert wurde“ (Clarke et al. 1981:108f). In der HipHop-Kultur kommt ein verstärkender und deutlicherer Aspekt im Prozess der Identifizierung und der Abgrenzung hinzu, der in keiner anderen Jugendkultur vergleichbar präsent ist. In ihren Texten betonten die Rapper eindeutig die Position, politisch, ethnisch, sozial oder jugendkulturell zu sein. Was sie gut fanden, wer und was sie waren, gegen was sie kämpften und was sie verabscheuten, bildete die inhaltliche Basis ihrer Songs. Im Folgenden möchte ich auf Abgrenzungshaltungen der HipHop-Aktivisten in Berlin gegenüber zwei Gruppen eingehen, die in den Interviews und teilweise in den Songs besonders markant geäußert wurden. Genauer: Auf die Ablehnung und klare Abgrenzung – zumindest auf der diskursiven Ebene – von Intellektuellen und der Pop-Szene. Abgrenzung der HipHop-Aktivisten von Intellektuellen In den Interviews äußerte sich ein Teil der HipHop-Aktivisten ablehnend gegenüber Intellektuellen. HipHop und Intellektuelle schienen diesen jungen Menschen gegensätzlich nicht zu vereinende Gruppen zu sein: „Intellektuelle, die haben nichts mit HipHop zu tun. HipHop ist HipHop. Das ist von der Straße – ist für die Straße, nicht für Intellektuelle.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Bei genauerer Betrachtung der Herkunft und des Bildungsniveaus der Kreise, in denen „street credibility“ als oberstes Kriterium für Glaubwürdigkeit diente, stellte sich jedoch heraus, dass auch einige HipHop-Aktivisten einen höheren Schulabschluss – d.h. Abitur – besaßen oder ein Studium zumindest angefangen hatten, dieses allerdings in der Öffentlichkeit unerwähnt ließen. Ein Interviewpartner, der sich in einem Interview Intellektuellen gegenüber sehr ablehnend geäußert hatte, erzählte später im informellen Gespräch über seine Erfahrungen während seines Studiums. Auf meine erstaunte Reaktion hin rechtfertigte er sei-

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ne Haltung. Seiner Meinung nach können „Kanaken“ studieren, doch was ihn zum „Kanaken“ machte, war, „dass er von der Straße kommt“. Ausschlaggebend für die Echtheit eines Rappers war offensichtlich nicht sein wahrer Bildungshintergrund, sondern das Image, das er konstruierte13. Das Bild, dass Rap nur authentisch ist, wenn der Rapper hart und von der Straße ist, hält sich gerade unter den Gangster-Rapper, die studentische Rapper als „schwule Rapper oder Studentenrapper“ stigmatisieren (Tiemann 2010). Bildung schien mit der Außenseiterposition und mit Härte nicht vereinbar zu sein. Der Anspruch auf Authentizität, die auf einem konstruierten Image basiert, ist kein für diese Kreise spezifisches Merkmal. Generell spielt im Rap „die Inszenierung von Authentizität und die Konstruktion einer unwandelbaren Identität eine wichtig Rolle“ (Grimm 1998:80). Klein und Friedrich verwenden dafür den Ausdruck „Inszenierungsstrategie“ (2003:9). Auch in den Texten afroamerikanischer Rapper wird durch Begriffe wie ‚Niggaz for life‘ und ‚Bein’ and Stayin’ Real‘ eine Identität geschaffen, „die stark von Schwarzsein und von einer dominierenden, die Situation kontrollierenden Männlichkeit geprägt ist, die vor allem im urbanen Kontext überlebenswichtig ist“ (Grimm 1998:80). Diese Ausdrucksform ist ebenfalls in der deutschtürkischen HipHop-Szene von Bedeutung. „Real“, „immer real“ sind häufig zu findende Attribute, die den wahren glaubwürdigen HipHopper ausmachen. Was allerdings „real“ und authentisch ist, zeigt sich im Performativen und nicht in der tatsächlichen Herkunft. Allerdings zeichnet sich die HipHop-Szene durch eine gewisse Heterogenität aus. Als Indikatoren für Glaubwürdigkeit galten Ghetto-Vergangenheit und das Straßen-Image insbesondere bei den HipHop-Aktivisten, die sich um Jugendzentren gruppierten oder generell sehr Kreuzberg-bezogen waren. Im Vergleich hierzu verherrlichten die aus dem Berliner Bezirk Reinickendorf stammenden Rapper Bektaş und Erci E., der Produzent Zafer Kuruş oder auch Taner Bahar (DJ Cut’em T), der in Schöneberg gewohnt hat und in Kreuzberg aktiv gewesen ist, weder die Straße noch eine Ghetto-Herkunft. Sie erwähnten ihre höhere Schulbildung (Abitur oder abgebrochenes Studium) zwar nicht selbst, doch bauten sie auch kein dazu im Widerspruch stehendes Image auf.

13 Vgl. Ayhan Kaya (2003:254): „Außer der Tatsache, dass sich türkischer Rap im Rahmen des binär-kodierten Kampfes gegen die Hegemonie des deutschen Nationalstaates und der Zunahme an rassistisch-motivierten Übergriffen entwickelt hat, hat er sich auch als relativ unabhängiger Ausdruck eines türkisch-männlichen künstlerischen Ausdrucks gegen die neu aufkommende türkische Bourgeoisie und den türkischen Medien entwickelt, indem er das Ghetto als fruchtbare Wurzel der kulturellen Identität und Authentizität romantisiert.“

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Eine eher abweichende Position nahmen die Kreise ein, die sich um das islamisch geprägte Jugendzentrum in der Geßlerstraße (Bezirk Schöneberg) gruppierten. Hier wurde Bildung generell großgeschrieben, wobei weniger die Schulbildung als vielmehr Bildung überhaupt gemeint war. Ben Mansour, ein deutschpalästinensischer HipHop-Aktivist und Besitzer des ersten HipHop-Ladens in Berlin Wild Style, plädierte in einer Veranstaltung in diesem Jugendzentrum für Bildung. Für ihn war HipHop auch eine Schulung, ebenso wie der Islam: „Rap ist die höchste Schulung von HipHop. Ein MC ist wie ein Imam. Er weiß, was er singen muss. (…) HipHop soll dich zu einem besseren Menschen machen, egal welcher Religion, welcher Herkunft du bist.“14 Als Mitglied der Zulu Nation betonte er, „Zulu Nation steht für Wissen, Mathematik und Gott“. Hier wird eine Atmosphäre geschaffen, die Bildung und Straße nicht als konträre Qualifikationen begreift. Der aus dem Bezirk Wedding stammende deutschtürkische Breakdancer Crok wurde als positives Beispiel für einen angeführt, der von der Straße kam und eine Gang-Vergangenheit hatte, es aber zu einem guten Breakdancer geschaffen hatte. Crok war Mitglied der Flying Steps, einer schon in den 1990er Jahren besonders erfolgreichen Breakdancegruppe aus Berlin. Ähnlich wie im Kreuzberger Umfeld wurde zwar der härteren Vergangenheit eine positive Eigenschaft zugewiesen, gleichzeitig aber nahmen hier Jugendliche keine „AntiIntellektuellen“-Position ein, sondern stellten Bildung als ein hohes Gut dar. Trotz der unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Intellektuellen wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass gerade HipHop eine leistungsorientierte Jugendkultur ist und Rapper letztendlich über eine gewisse – wenn auch nicht unbedingt formelle – Bildung verfügen müssen. Ihre Erfahrungen, die sie durch die „harte Schule“ der Straße erlangt hatten, ihre Überlegungen zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Themen gaben sie in Texten wieder, die teilweise tiefgründig sind und Wortspiele beinhalten. Ihnen ging es um die „Message“, das Vermitteln von Gedanken und Erfahrungen in originellen Texten. Das Männlichkeitskonzept innerhalb der deutschtürkischen Pop-Szene Generell setzten sich meine Interviewpartner intensiv mit der HipHop-Kultur auseinander. Sie gab ihnen ein Lebensgefühl, eine Tiefe und hier konnten sie ein bestimmtes Männlichkeitsbild ausleben, das sie in anderen Jugendkulturen nicht fanden. Aus diesen und anderen Gründen distanzierte sich der Großteil der

14 Ben Mansour in der Talkrunde „HipHop… und was nun?“ im Interkulturellen Haus in der Geßlerstraße (Schöneberg) am 27.9.1999. Quelle: handschriftliches Protokoll der Autorin.

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Interviewpartner von der deutschtürkischen Pop-Szene15 und türkischen PopStars. Zum besseren Verständnis dieses Abgrenzungsverhaltens möchte ich im Folgenden nochmals kurz auf die Pop-Szene und das dort herrschende Männlichkeitsbild eingehen. Während die HipHop-Szene eindeutig ein männerdominiertes Terrain war, überwog in der türkischen Pop-Szene der weibliche Anteil. Der MusikGeschmack war der hauptsächliche, doch nicht der alleinige Grund dafür, denn Rap-Musik war hier ebenso beliebt. Noch mehr Gefallen fanden deutschtürkische junge Frauen an R&B (Rhythm and Blues), eine afroamerikanische Musikform, die sich seit den 1990er Jahren mit dem HipHop-Stil vermischt hatte. In türkischen Diskotheken in Berlin und auf türkischen Partys gehörte R&B zu einem festen, wenn auch kleinen Bestandteil des Repertoires von DJs und füllte stets die Tanzflächen. Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, überwog ein Kleidungsstil, der keiner subkulturellen Gruppe zuzuordnen war, doch gleichzeitig etwas Spezifisches aufwies: Frauen kleideten sich besonders modisch und auffällig feminin. Der Stil der Männer erinnerte stark an Ricky Martins Stil: schwarze, den meist durchtrainierten Körper betonende Kleidung, die Haare gegelt. Turnschuhe waren in den Diskotheken tabu. Selbst etwas sportlich gekleidete Männer trugen feste Schuhe. Interessant fand ich die Tatsache, dass einige Gesprächspartner – sowohl Frauen als auch Männer – gern die deutsche Zeitschrift „Men’s Health“ lasen, eine Zeitschrift, die den männlichen Körper in den Vordergrund stellt. Die Diskotheken, Cafés und Bars waren stets auf einen hohen Frauenanteil bedacht, der auch für den Wert dieser Orte als Maßstab diente. Besonders abgelehnt, genauer gefürchtet wurden Männer, die als Maganda oder Kro (Prolls) bezeichnet wurden, ein Männertyp, den man mit türkischen Männercafés und Arabesk-Musik in Verbindung brachte (siehe Aziza A.’s Songtext Kap. 5.1.1). Es ist allerdings anzumerken, dass sich die negative Zuschreibung „Arabesk“ auf den Männertyp und nicht auf den tatsächlichen Musikgeschmack bezog. Die Arabesk-Musik war unter Deutschtürken so stark verbreitet, dass die deutschtürkische Moderatorin Jale im Interview meinte: „Unsere Seele ist Arabesk geworden.16“ (Jale im Interview am 25.01.1999) Es ging vielmehr um die Ablehnung

15 Diese Abneigung gegenüber Pop ist kein türkischspezifisches Phänomen. Schon in den Anfangsjahren des HipHop standen HipHopper in der Bronx der DiscoBewegung ablehnend gegenüber (siehe hier u.a. Toop 1992:79). 16 Als Radiomoderatorin bei KissFM erlebte sie den ausgeprägten Wunsch der Hörer nach Arabesk-Musik.

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eines aggressiven Männertyps. Über bestimmte Einlasspolitik17 und Angebote versuchten die Betreiber der Diskotheken Männer, die dem Typ Maganda entsprachen, fernzuhalten. Männliche und weibliche Interviewpartner, die diese Einrichtungen besuchten, standen dem Bild des aggressiven Mannes sehr ablehnend gegenüber und mieden aus diesem Grund Diskotheken oder Veranstaltungen in Kreuzberg oder Neukölln. Eine türkische Diskothek namens Yeni Bodrum, die Ende der 1990er Jahre betrieben wurde, fiel etwas aus dem Rahmen, denn sie lag in Tempelhof, einem an Kreuzberg angrenzenden Bezirk und nicht in den vornehmeren innerstädtischen Bezirken in Kurfürsten-Damm-Nähe. Dementsprechend stammte das Publikum aus den neuköllner und kreuzberger Gebieten. Ein Interviewpartner namens Savaş aus der Pop-Szene pflegte beispielsweise enge Kontakte zu Kreuzberger Freunden, doch stand auch er dem männlich aggressiven Verhalten und den dementsprechenden ablehnend gegenüber: „Ich bin der Meinung, Limon hat ʼne Atmosphäre, da sind sehr viele Spandauer. Das ist vielleicht einigen nicht aufgefallen, aber sind eine ganze Menge Spandauer dabei. Einige Neukölln, Charlottenburg, – Kreuzberg weniger, aber wiederum im Yeni Bodrum da sind sehr viele aus Kreuzberg und Neukölln. (…) Das macht was aus. Das macht was aus, weil ich weiß nicht, vielleicht ist der Eindruck von mir so – die Leute vielleicht dort sind ein bisschen aggressiver sich gegenüber eingestellt, als die Leute vielleicht von hier. Ich möchte nicht sagen, dass wir was Besseres sind, ganz im Gegenteil, jeder ist das Gleiche, ohne Frage, aber ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die Leute, die türkischen Jugendlichen in Kreuzberg, in Neukölln mehr aggressiver gegenüber sich sind, als die Jugendlichen anderer Regionen. Kommt mir so vor. (…) Ich habe es mir des Öfteren überlegt, weil, einfach wahrscheinlich dadurch ist: Jeder will sich dem anderen was beweisen. Weil, um dort weiterzukommen, muß man eine gewisse Härte zeigen, man muss eine gewisse Härte zeigen, in denen Regionen, wo man dort groß wird, man muss eine gewisse Härte zeigen, nicht nur im privaten Bereich, auch im freundschaftlichen Bereich, auch in der Schule. Man muss sich da was beweisen und da hat man auch eine gewisse Abneigung gegen andere Leute. Man sieht dann, man läuft dann auf der Straße und man wird schief angeguckt. Man wird einfach schief angeguckt, ja, deswegen, man wird einfach schief angeguckt, ja so ist es mir aufgefallen, man wird einfach schief angeguckt, es sind verdammt viele Freunde von mir in Kreuzberg, es sind alle sehr liebe und nette Leute, und wenn man 17 Um zu starke Männerpräsenz und Belästigungen zu vermeiden, erhielten Männer nur in weiblicher Begleitung Einlass. Frauen dagegen unterlagen dieser Regel nicht, sodass sie in Gruppen eingelassen wurden, während einzelne Männer draußen bleiben mussten, es sei denn, sie waren in der Szene oder den Betreibern persönlich bekannt. Türsteher achteten auf das Aussehen und Auftreten von Männern.

180 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN sich mit denen unterhält, sind das alle phantastische Superleute, aber einige sind dermaßen aggressiv gegenüber sich eingestellt, dass ich es mir manchmal nicht erklären kann, aber ist einfach, das ist Kreuzberg. ‚Ich bin Kreuzberger, ich bin Kreuzberger‘. So, vor allem die ersten Gruppenbanden haben sich in Kreuzberg verbündet, z.B. thirtysix boys. 36, Kreuzberger Zahl, es hat sich aus diesem Klischee herausgejagt – und Jacken abziehen oder Schuhe abziehen, das hat dort alles angefangen. In Berlin hat alles dort angefangen, in Kreuzberg – Kreuzberg, Neukölln. Und da sind die Leute aggressiv. Das finde ich sehr schade eigentlich. Wenn man die Person, die aggressive Person selber kennenlernt, an einem Tisch, man kann mit ihnen über alles unterhalten, genauso wie Sie und ich uns unterhalten, kann man sich mit ihnen unterhalten, aber sobald sie mit anderen Leuten unterwegs sind, dann, sehen Sie, ich komme mit deren Person nicht klar.“ (Savaş im Interview am 16.7.1999)

Auch meine Interviewpartnerin Kurtuluş mied die Diskothek Yeni Bodrum (Neues Bodrum) wegen des Verhaltens der männlichen Gäste: „Yeni Bodrum, das in Tempelhof und zu dem neuen, das sind ganz andere Menschen. Also wenn ich persönlich sagen muss, im Yeni Bodrum sind mehr so – nicht Machos, sondern so bisschen Schlägerjungs so. Da eskaliert es sehr schnell unter den Jungs, dass die sich schlagen. Da ist da so eine gereizte Luft unter den Jungs, weiß ich nicht. Da sind auch sehr viele Jungs – das letzte Mal, wo ich da war und das sind dann auch alles so – ich denke mal, vorwiegend Kreuzberger sind da – so, was ich gesehen habe. Aber halt immer so Schlägerleute so, die nur Ärger im Kopf haben. Und im Limon sind – ich sage mal jetzt, ein bisschen zivilisiertere Leute. Was man – na ja, kann man nicht unbedingt sagen, aber so, es ist angenehmere Luft.“ (Kurtuluş im Interview am 14.7.1999)

Beurteilungen von Diskotheken, Cafés und ihrer Lage fanden innerhalb der PopSzene eindeutig auf der Linie des Männlichkeitskonzeptes statt, ein Männlichkeitskonzept, das direkt in Verbindung mit einer sozialen Klasse stand. Abgelehnt wurde das männlich aggressive Verhalten, die Schnurrbärte, das Folkloristische, ganz allgemein ein Männerbild, das mit türkischen Teehäusern in Verbindung gebracht wurde. Positiv bewertet wurde ein Ort, wenn sich dort besonders viele Frauen ungestört amüsierten, keine Aggression herrschte, es „zivilisiert“ zuging und türkische Pop-Musik und westliche Musik wie R&B gespielt wurde. In keinem Interview und in keinem Gespräch wurde eine Diskothek nach Aussehen oder Verhalten der Frauen beurteilt, sondern ausschließlich nach dem Verhalten von Männern und dem Maß an Freiheit, das Frauen dort hatten. Betreiber von Diskotheken gaben an, dass sich viele Studenten im dem Publikum befanden. Zwar habe ich keine statistische Erhebung dazu angefertigt,

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doch meine Gespräche und Interviews mit vielen jungen Menschen zeigten, dass sich sowohl Akademiker unter ihnen befanden, als auch Menschen ohne jegliche formelle Ausbildung. Entscheidend war lediglich das Verhalten, das mit einer bestimmten sozialen Klasse in Verbindung gebracht wurde: kein Maganda oder Kro zu sein, sich „anständig“ verhalten, keine Aggressivität zeigen, Frauen nicht belästigen. Unter den Gästen waren junge Menschen ohne Arbeit oder auch solche, die an einem Abend bis zu 1.500 DM (ca. 750 Euro) für sich und ihre Gäste ausgaben. Während die HipHop-Aktivisten ihre „Straßen-Vergangenheit“ und soziale Herkunft thematisierten, erwähnten die Interview- und Gesprächspartner aus der Pop-Szene kaum ihre soziale Herkunft. Ablehnung des Männlichkeitskonzeptes der Pop-Szene seitens deutschtürkischer HipHop-Aktivisten Das Verhalten und die Werte, die in der Pop-Szene ausgelebt wurden, standen dem Selbstverständnis vieler HipHop-Aktivisten diametral entgegengesetzt. Tamer aus der HipHop-Szene beispielsweise beschrieb das Café „Binbir“ in der Nürnberger Straße als „pseudo-europäische Türkenbetreiber-Kneipe“. Er hatte dieses Café nur einmal besucht: „Da sind alles solche Pseudo-Typen, alles so komische Türken; da war mir so unwohl. (…) Mein Problem mit solchen Leuten ist einfach – für die sind wir Deppen, solche – für die sind wir solche Kros, weißt Du, so Straßen-Kanaken. (…) Das merke ich, weil sie einfach denken, wir sind irgendwelche komischen Leute. Die denken, sie sind cool, weil sie studieren – irgendwie so nicht mehr so türkisch oder sonst was; also schon türkisch. Aber die wollen so wie die Türken in Istanbul sein, so modern und so ein Scheiß; ich merke das. (…) Ich merke es an ihrem Aussehen; die sind alle ziemlich hässlich. Die Typen, alles solche – entweder machen sie einen auf Mafiosos oder so Popper. Und es gibt welche, die machen eine Mischung zwischen Mafioso und Popper; das ist ganz schlimm.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Tamer gehörte zur Kreuzberger HipHop-Szene, die ihren Ursprung in der Naunynritze hatte und ihre Kreuzberg-Identität, das Ghetto und die Zugehörigkeit zur Unterschicht klar betonte. Er verurteilte die Pop-Szene aufgrund ihrer Repräsentation einer höheren Schicht, die er nicht mit dem Türkisch-Sein in Berlin in Verbindung bringen konnte. Darin zeigen sich Parallelen zur Ghettozentrizität afroamerikanischer Rapper, die ihre gesellschaftliche Außenseiterposition als besonders hohen Wert darstellen: „Als ‚richtige‘ Schwarze gelten dann nur Angehörige der ‚Unterklassen‘ in den Gettos“ (Scharenberg 2004:26). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Tamer die Pop-Szene nicht mit einer deut-

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schen Szene, sondern mit Türken in Istanbul verglich und davon ausging, dass diese Berliner Türken so modern sein wollten wie die dortigen Türken. Türkisch-Sein in Berlin hieß für ihn aber, zur Unterschicht zu gehören. Tamer hielt sich lieber im Kreuzberger Männer-Café seines Vaters auf. Dieses Café ist nach seiner Auffassung so, wie türkische Cafés wirklich sein sollten. „Türkische Cafés sind für mich türkische Cafés: Männer, Karten, Fußball, viel, viel Fluchen … Hässliche Plakate, Scheiß Farben – alles Neon und grün, also grell. Aggressive Typen, kaputte Zähne. (…) Da hänge ich mich lieber in so einem ‚Psycho‘ [Anm. d. Autorin: englisch ausgesprochen] Kanaken-Café, wo sich die Leute die Köppe einschlagen, dafür sind sie aber ehrlich.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Wie bereits erwähnt, baut die Positionierung als Kanake nicht nur eine Gegenposition zur deutschen Gesellschaft auf, sondern richtet sich auch gegen die türkische Mittelklasse. Diese Positionierung verstärkte Tamers Bewusstsein, zur Arbeiterklasse zu gehören18. Gerade bei deutschtürkischen Rappern, die sich dementsprechend positionierten, war der Begriff „Kanake“ verbreitet. Tamer verbrachte seine Freizeit vornehmlich mit Freunden in Kreuzberg: „Das sind halt so Typen, die sind halt nicht so wie ich. Die sind halt alles solche GangsterTypen, aber ich hänge mit denen ab. Das sind meine Homeboys, also das sind meine Jungs. Es ist mir egal, was die machen.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Seine radikale Abgrenzung gegenüber der Pop-Szene ist nicht unbedingt die Regel, doch ist sie zumindest beim Großteil der HipHop-Aktivisten zu beobachten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Einige stehen der Pop-Szene besonders wegen ihrer Musik ablehnend gegenüber. Wie Çağlar feststellte, betonen einige HipHop-Aktivisten den gesellschaftskritischen Aspekt ihrer Musik, während sie Pop für banal und kommerziell halten (Çağlar 1998:43). Sie kritisierten, dass Pop-Musik oft gleich klingt, seit vielen Jahren existiert und die Texte in der Regel lediglich von Liebe handeln. Beispielsweise begrüßte Fuat den Ruhm des türkischen Pop-Stars Tarkan, weil er dem Publikum die türkische Sprache näher brachte, „aber was er sagt, ist Bullshit“ (Fuat im Interview 4.08.1999). Ebenso wie die Pop-Musik galt die Pop-Szene als oberflächlich und zu sehr auf Äußerlichkeiten fixiert. Ihr hingen Attribute wie „schickimicki“ und „aufgesetzt“ an, das „Party-Gehabe“ stieß in HipHop Kreisen auf Ablehnung, ebenso das Konsumverhalten. Dazu Fuat:

18 Siehe Ayhan Kaya (2000:174f).

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„Ich hab keine Angst vor den Leuten, weißt du, ich hasse die ja nich so, aber ich hab, ich hab’s ja gesehen. (…) wie die sich ´ne halbe Stunde und ´ne Stunde über ʼnen Schuh unterhalten haben und so, weißt du, die dann 280 Mark kosten und da vielleicht 239 Mark. Und, ich weiß nicht, was sonst noch für Scheiße es war, man. Das hat mir einfach gezeigt, dass das echt Kotze ist so. Das geht nicht klar so, das is. Wieso beschränken die sich nur auf das, was sie anfassen können? Was fühlen diese Leute so? Und dann habe ich auch gesehen, diese Leute können ihre Gefühle gar nicht ausdrücken.“ (Fuat im Interview 4.08.1999)

Nach Fuat gab es auch unter Poppern Rebellen, „aber die sind dann so schleimig. Die haben dann irgendwelche künstlichen Werte, ziehen sich dann, machen sich dann schön und so, mit Ohrringen und so Rebellen wollen die sein so, aber so was hab ich nie gebraucht, weder Ohrring noch Tattoos und so’n Scheiß“. Er findet die Szene „künstlich, alles aufgesetzt“. Künstlich deshalb, wie sie „nur mit Äußerlichkeiten die Entwicklung erreicht haben“ (Fuat im Interview 4.08.1999). Darstellungen und Formulierungen in Interviews machen deutlich, dass ein Großteil der Gesprächspartner die Pop-Szene ablehnte, weil diese eine andere Form von Männlichkeit repräsentierte. Während in der HipHop-Szene Härte, Straße, Ghetto und Gewalt verherrlicht wurden und als männliche Attribute galten, stellte die Pop-Szene dieses Männlichkeitsbild infrage. Die HipHop-Szene sprach in ihrer Abgrenzung nicht direkt die Frauen der Pop-Szene an, sondern grenzte sich auf der Ebene der Männlichkeitskonstruktion ab. Wie generell in Jugendkulturen üblich, wird auch in der HipHop-Kultur die Gruppenzugehörigkeit durch bestimmte Kleidungen und Bewegungen manifestiert. Dabei ist der Körper „nicht nur Träger, sondern auch Produzent von Zeichen“ (Bourdieu 1997:310). Werte, die mit einem bestimmten Männlichkeitsbild in Verbindung gebracht werden, wie Härte, street-credibility und Stärke, werden am Körper visualisiert und bekräftigt. Das Männlichkeitsbild entspricht – wie schon erwähnt – dem Image der unteren Klasse: „In diesem Sinne ist etwa auch die in den unteren Klassen herrschende Aussprache über Haltung und Bewegung des Mundes beim Sprechen durch den hohen Geltungswert der Männlichkeit bestimmt“ (Bourdieu 1997:310). Die Kleidung der HipHop-Kultur ist allerdings nicht zwangsläufig charakteristisch für die untere Klasse oder für Männlichkeit. Kleidungsformen wie beispielsweise der „Blaumann“ eines Arbeiters oder die in der Skinhead-Szene verbreiteten Arbeiter-Schuhe der Firma Doc Martens waren nie Teil der HipHop-Mode. HipHop hat seine eigene Ästhetik hervorgebracht, deren Ausdrucksformen als Zeichen für street-credibility und Männlichkeit interpretiert werden.

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Weite Hosen oder Sporthosen, lässige T-Shirts oft mit Aufdruck, die das Selbstbild bestärken, Sportschuhe (genannt Sneakers) und verkehrt herum getragene Baseballcappies (Sonnenschutzschild nach hinten) oder Wollmützen waren und sind die typischen Bekleidungsformen eines HipHop-Aktivisten. Dieser Stil begründet sich in dem Umstand, dass sich die Mode in ihren Anfängen an den praktischen Bedürfnissen der Breakdancer orientiert hat. Ihr akrobatischer Tanz machte bequeme und robuste Kleidung notwendig, ebenso Wollmützen, auf denen die Headspins (auf dem Kopf gedrehte Pirouetten) ausgeführt werden können, wobei Wollmützen auch von Sprayern zur Tarnung bei ihren nächtlichen, illegalen Aktivitäten gern getragen werden. Diese bequeme und sportliche Kleidung symbolisiert, von der Straße zu sein. Die Beweglichkeit suggeriert Stärke und damit eine bestimmte Männlichkeit, was durch die Kombination mit Armeekleidung besonders zum Ausdruck kommt (Grimm 1998:104). Der Kleidungsform der HipHop-Kultur wird symbolisch eine Männlichkeit zugeschrieben, die sich aus ihrem Kontext ergibt. Herunterhängende weite Hosen sind nicht grundsätzlich Ausdruck von harter Männlichkeit, sondern Zeichen, die erst mit den Adjektiven männlich und hart und der Herkunft „von der Straße“ besetzt wurden und im Laufe der Zeit zum festen Bestandteil der HipHop-Kultur geworden sind. Die Kleidung und die Ästhetik der deutschtürkischen Männer aus der Pop-Szene dagegen lehnten viele HipHop-Aktivisten ab. Auf die Frage, wie er denn diese beschreiben würde, antwortete Tamer: „Na, super enge Hosen, komische Stiefel, komisch gelackte Haare und so; immer so ekelhaft. Scheiß. Ich hasse solche Leute.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Der Kleidungsstil der Pop-Szene schien für einige HipHop-Aktivsten nicht kompatibel mit der türkischen Herkunft zu sein, wie Metin, ein Breakdancer aus Kreuzberg, ausführt: „So Lederhose und so schon ein bisschen so komische Richtung, muss man ganz ehrlich sagen, Ohrringe und was-weiß-ich, so. Aber ist schon ganz verändert also, weiß nicht, also, wenn man die sieht, glaubt man nicht mehr, dass es irgendwelche Türken sind.“ (Metin im Interview am 12.10.1999)19

19 Hier zeigen sich Parallelen zu den afroamerikanischen Rappern. Gerade bei islamistischen und nationalistischen Rappern werden Fragen nach der Geschlechteridentität aus der ‚rassischen‘ Identität abgeleitet, sodass die „männliche Identität in direkter Abhängigkeit zur afroamerikanischen Identität steht“ (Grimm 1998:128).

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Die generelle Ablehnung der Ästhetik der von Männern der Pop-Szene aufgrund ihrer engen Hosen, die teilweise aus Leder waren, sollte jedoch nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass lockere Kleidung an sich einen männlichen Charakterzug und eine besondere Arbeiterklassenidentität beinhalten und enge Hosen Zeichen für Weiblichkeit, schwul-sein oder eine intellektuelle Haltung sind. Es sind vielmehr Kennzeichen, die in diesem Kontext entstanden sind und den Anschein erheben, enge Hosen seien ein essentialistisches Zeichen für das „Schwul-Sein“. Breakdancer waren – wie erwähnt – von Anfang an wegen ihrer Tanzform lockerer und sportlich gekleidet, doch Rapper haben nicht zwangsläufig diesen Kleidungsstil von Beginn an übernommen. Gerade Grandmaster Flash & The Furious Five trugen Anfang der 1980er Jahre auf dem Platten-Cover und im Musikclip von „The Message“ oder auch bei anderen Anlässen enge Hosen, teilweise Leder, kombiniert mit Lederstiefeln oder Lederjacke. Teilweise trugen sie Kostüme, die eher an die schwule Band Village People erinnerte. Inzwischen ist sportlich lockere Kleidung unter Rappern jedoch nicht mehr wegzudenken. Die Kleidung von Grandmaster Flash & The Furious Five aus den 1980er Jahren würde inzwischen nicht mehr als HipHop-Kleidung kategorisiert werden. Die Ablehnung der Pop-Szene begründete sich nicht nur in ihrem anders gearteten Männlichkeitsideal, sondern auch in den Stars, wie beispielsweise dem international bekannten türkischen Pop-Star Tarkan: „Tarkan, der benimmt sich wie ʼne Schwuchtel, weißte. Aber dann sage ich mal so …‚Oynama şıkıdım‘ [Anm. der Autorin: Refrain seines besonders populären Hits] (…). Ey, ich meine, ich habe nichts gegen die Erziehung vielleicht, aber man soll schon ein bisschen männlich sein, weißt du, was ich meine. Weil, der macht Superknete damit. Du kannst männlich sein, aber gefühlsreich sein, weißt du was ich meine? Bei Barış Manço ist einfach dieser Stolz (…) Aber vielleicht auch, weil er noch von der alten Garde ist, der steht halt noch voll auf die alte Zeit, weißte. Eski zamanlar (in den alten Zeiten), gab’s noch erkeklik (Männlichkeit) weißte, so Ehre, Mehre20 und Respekt.“ (Crok im Interview am 8.10.1999)

Generell geht es bei der Ablehnung solcher Stars nicht um eine gelebte sexuelle Orientierung, sondern um die Präsentation der Männlichkeit. Tarkan ist ein Synonym für das neue Männlichkeitsbild der Pop-Stars geworden. Sowohl in ausländischen als auch in türkischen Medien wurde er mit Elvis verglichen, der zu seiner Zeit selbst durch eine neue Präsentation des Körpers Aufsehen erregte: 20 Bei Betonungen von nur einem Wort wird dieses im Türkischen gern wiederholt und der Anfangsbuchstabe durch ein M ersetzt oder bei Vokalen ein M vorgesetzt. „Mehre“ ist hier die Wiederholung von „Ehre“.

186 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Tarkan und Elvis haben eine weibliche Schönheit, gleichzeitig sind sie männlicher als andere Männer je zuvor. Sie haben – und tun es noch heute – ein neues Männlichkeitsbild geschaffen.“ (Cebenoyan in: Roll 2000/3:26, Übersetzung aus dem Türkischen durch die Autorin)

Die Ablehnung richtete sich sowohl gegen Homosexuelle als auch gegen Männer, die mit dem Begriff Metrosexuelle bezeichnet wurden: Heterosexuelle Männer, die eng anliegende Kleidung und Schmuck21 tragen, sich parfümieren und am Körper rasieren und dennoch nicht homosexuell sind. Genau dieses Männlichkeitsbild lehnten HipHopper ab. Im folgenden Auszug des Songs 5:0 „disste“ Fuat den Sänger Tarkan. Auch wenn er ihn nicht namentlich erwähnt, macht der Text „şıkıdım, şıkıdım“ (Refrain eines Songs von Tarkan), der erwähnte Erfolg22 und der Hüftschwung (hier auf Türkisch vulgär ausgedrückt als „kıç kıvırtarak“/mit dem Arsch wackeln) unmissverständlich deutlich, dass sich der Song auf Tarkan bezieht. „Oynadığını görürsem şıkıdım şıkıdım,

Wenn ich dich tanzen sehe şıkıdım, şıkıdım

Omurganı tutar vucüdundan ayırırım (çı-

Nehm ich deine Wirbelsäule und reiss es

tır çıtır!)

aus deinem Körper (knack, knack)

Evet iyi bildin yine ben

Du hast es erfasst, ich bin es wieder

Asan kesen, ham yapıp yutan!

Der dich aufschlitzt und aufhängt, der dich auffrisst/

Yat yere lan! a/k/a 47 bende

Leg dich hin lan! Ich habe (bin) die AK/a 47

Istık gibi öter kurşun şimdi çenende.

Die Kugel pfeift jetzt in deinem Maul/

Gördükçe beynime kan sıçrıyo;

Immer wenn ich es sehe, läuft das Blut in mein Gehirn (= ich werd sauer)

Herif bir ay içinde bir milyon kaset satıyo

Der Typ verkauft in einem Monat, eine Million Kassetten (Alben)

Memlekette bu kadar dert varken,

Es gibt doch so viele Probleme in der Heimat

21 Auch Rapper tragen Schmuck, allerdings sind es eher dicke Goldketten oder Ringe, die Macht repräsentieren und nicht mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. 22 Tarkan erreichte mit seinen Hits einen weltweiten Erfolg, seine Lieder wurden in vielen anderen Ländern gecovered, wie beispielsweise von Holly Valance im „Kiss kiss“, Philipp Kirkorow in „Potzeluy“ (Russland) und auch im Song „Shikdum“ im Bollywood-Film „Dhoom! – Die Jagd beginnt“.

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Problemleri kıç kıvırtarakmı çözeceksin?

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Willst du sie lösen, indem du mit deinem Arsch wackelst?

Gebereceksin seni ben yakalarsam

Du wirst verrecken wenn ich dich erwische

BONOBO´ların cehennemini tadacaksın!

Du wirst die Hölle der BONOBOs erleben!“23

Die Ablehnung dieser Pop-Szene erfolgte auch aus Gründen, die vom Männlichkeitsbild unabhängig waren. Auch wenn einige Interviewpartner neben Rap auch türkischen Pop hörten, so distanzierten sie sich dennoch von der deutschtürkischen Pop-Szene. Zafer erlebte beispielsweise – wie er es nannte – einen „Kulturschock“, als er das türkische Café Binbir besuchte. Gerade HipHop-Aktivisten waren ein multikulturelles Umfeld gewohnt. Zu ihren Freunden gehörten Deutschtürken, Deutsche und Menschen anderer ethnischer Herkunft. Das verbindende Element war ihr Engagement im HipHop, ihr Stil. Eine Szene, die ihr Selbstverständnis aus ihrer nationalen Herkunft ableitete und einen gänzlich anderen Musikgeschmack besaß, blieb dagegen zumindest einem Teil der HipHopAktivisten fremd. Darüber hinaus fällt bei einigen Interviewpartnern auf, dass sie in ihrer Ablehnung der Pop-Szene davon ausgingen, selbst von der Pop-Szene abgelehnt zu werden, weil sie sich nicht entsprechend schick kleideten oder nicht für entsprechend gebildet gehalten wurden. Die Ablehnung entwickelte sich also auch aus der eigenen Unsicherheit heraus. Trotz der klaren Abgrenzung gegenüber der deutschtürkischen Pop-Szene auf der diskursiven Ebene kann die Trennung beider Szenen bei genauerem Hinsehen nicht widerspruchslos aufrechterhalten werden. Einige Interviewpartner gaben an, schon mehrmals Bars und Diskotheken der Pop-Szene besucht zu haben, besonders wenn sie auf der Suche nach einer Freundin waren, um „einmal etwas Türkisches zu erleben“ oder, weil sie dort einfach Spaß hatten. „Ich meine, ich biz türküz (wir sind Türken), weißte. Das sollte man auch nicht verbergen, wie Mehmet Scholz oder so“ (Crok im Interview am 8.10.1999). Hier entschied dann nicht der Stil oder der Geschmack, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl auf der Linie der Herkunft. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem die Tatsache, dass es sozusagen auf der Arbeitsebene diverse Berührungspunkte zwischen beiden Szenen gab. So arbeitete beispielsweise der Rapper Erci E. in der ersten deutschtürkischen Diskothek Hadigari als DJ, während DJ Hakan, der damals bekannteste 23 Forumsbeitrag auf der Website des Mzee-Shops für HipHop Fashion von DonMega am 17.03.2004.

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Pop-DJ aus Berlin, vor seiner Karriere als DJ Breakdance tanzte. Ünal Yüksel alias Soft G., selbst aus der HipHop-Szene stammend, brachte in den 1990er Jahren unter seinem Label Ypsilon Recordz türkische Pop- und Rap-Musik heraus. In bestimmten Veranstaltungen kamen unterschiedliche Szenen wegen ihrer türkischen Zugehörigkeit zusammen, so beispielsweise bei einer türkischen Schwulen- und Lesbenveranstaltung im SO 36, wo nicht nur Aziza A. und Murat G. aus Frankfurt auftraten, sondern auch im Publikum deutschtürkische HipHopAktivisten anwesend waren. Auch wenn sich die Jugendlichen aus der PopSzene nicht der HipHop-Szene zuordneten, sie selbst hörten neben türkischer Pop-Musik auch gern US-amerikanischen Rap. HipHop-Aktivisten über Rock und Arabesk Wurde auf der diskursiven Ebene eine klare Abgrenzung gegenüber der türkischen Pop-Musik und der deutschtürkischen Pop-Szene gezogen, so standen die Interviewpartner anderen Stilen weitaus positiver gegenüber, wie beispielsweise der Rock-Musik, der Hardcore und auch der türkischen klassischen Musik oder Arabesk. Zwischen Rock- bzw. Hardcore-Musik und der Rap-Musik sah Tamer Ähnlichkeiten: „Hardcore und Rap haben halt Ähnlichkeiten; musikalisch nicht so sehr, weil, Hardcore ist halt Krach und Rap-Musik ist irgendwie Computer.“

Auf die Frage, worin die Ähnlichkeiten bestehe, antwortete Tamer: „Von der Einstellung. Hardcore ist auch Straßenmusik und man kann auch nicht sagen unbedingt, wenn man irgendwie in einer Band spielt, dass man Hardcore (…) Ich kann es auch nicht definieren, ehrlich gesagt. Hardcore ist irgendwie politisch, aber auch nicht unbedingt richtig politisch. Aber es gibt viele Bands, die nicht unbedingt politisch sind, aber so halt so persönlich sind sie dann, also Straßentexte- viele Straßentexte. (…) Jeder in meiner Firma, der mit mir arbeitet – auch in anderen Bands, die fahren so beidseitig. Zum Beispiel Volkan, der ist selber Rapper und spielt Bass in einer Death-Metal-Band, weißt du. Und Death-Metal-Band ist ja noch extremer als Hardcore. Und Devrim z.B., weißt du, der Sänger von einer Death-Metal-Band, der hat ja auch nebenbei mit Rap-Musik zu tun. Das ist alles für uns nicht so extrem; das ist alles, es geht. Man sieht es ja auch mir, also so – ich kenne ja auch Hardcore, ich spiele Rap; es geht. Sie sind verwandt, die beiden Musikstile.“ (Tamer im Interview am 24.07.1999)

Tamers Sympathie für Rockmusik und die Vorstellung, dass beide Stile kompatibel sind, kam bei HipHop-Veranstaltungen zum Ausdruck. Als DJ Rakeem legte er

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auf HipHop-Jams auf. Die Musik war zwar reine HipHop-Musik, doch hielt er zwischendurch einen Teil des Equipments, wie eine E-Gitarre. Diese Haltung, die Körpersprache an sich, seine Kopfbewegungen, die Art wie er sich „gehen“ ließ, waren eindeutig der Rock-Musik zuzuordnen, während die Musik reine HipHopMusik war. Trotz der ästhetischen und musikalischen Differenz widersprach das Image von Rock-Musik und auch Hardcore nicht dem Männlichkeitsbild der HipHopAktivisten. Selbst wenn Rapper oder HipHop-Aktivisten aus anderen Bereichen Rock-Musik nicht hörten, so standen sie dieser nicht ablehnend oder verurteilend gegenüber, weder der englischen noch der türkischen Rock-Musik. Wie bereits erwähnt, fanden insbesondere Interviewpartner in Kreuzberg besonderen Gefallen an der Musik des türkischen Rock-Sängers Barış Manço. Trotz seiner langen Haare präsentierte dieser Sänger ein Männlichkeitsbild, mit dem sich HipHopAktivisten identifizieren konnten. Die starke Ablehnung der Pop-Musik und Szene und die Sympathie für Rock oder Hardcore fanden insbesondere auf der Linie des Männlichkeitsbildes statt. Das Image, dass Rock als männlich und Pop als weiblich klassifizierte, war kein auf die deutschtürkische Szene beschränktes Phänomen: „Die ernsthafte Rockmusik (wie etwa der Progressive Rock der 1970er Jahre, der sehr instrumenten- und damit technikorientiert war oder auch Musik mit politischen Inhalten) wurde als männlich, kommerzielle und ‚seichte‘ Popmusik hingegen als ‚weiblich‘ klassifiziert (…) Das Muster lässt sich sowohl bei der Produktion als auch der Rezeption von Pop- und Rockmusik beobachten.“ (Grimm 1998:42)

Gleichzeitig standen Akteure aus der Hardcore-Szene in Deutschland dem HipHop nicht ablehnend gegenüber, sondern arbeiteten schon Anfang der 1990er Jahre bewusst mit Rappern zusammen. Gründe dafür waren die politischen Inhalte, insbesondere in der Zeit, als die rassistischen Anschläge verübt wurden (vgl. Loh 2000:168). Auffällig war allerdings, dass der Großteil meiner Interview- und Gesprächspartner gern türkische Musik hörte und schon seit den 1980er Jahren Rap-Musik gern mit orientalischen Melodien oder mit Arabesk-Musik kombinierte. Der Frankfurter DJ Mahmut hörte gern Arabesk-Musik und meinte im Gespräch, dass sowohl HipHop als auch Arabesk aus dem Herzen käme und keine Mode-Musik sei. Islamic Force veröffentlichte sogar in ihrer CD einen Song mit dem Titel Arabesk Rap. Arabesk widersprach nicht dem Selbstverständnis und der Authentizitätsvorstellung der HipHopper in Berlin. Auch die ArabeskKultur mit ihrer Musik und ihren Filmen symbolisierte die Kultur der Unter-

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schicht. Sie entstand in den türkischen Gecekondu-Gebieten, wo das Männlichkeitsbild im klassischen Sinne sehr männlich und hart ist. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die HipHop-Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen und auch die türkische Pop-Szene in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext entwickelt hat. In beiden Jugendkulturen verarbeiteten Jugendliche ihre ethnische Außenseiterposition und brachten ihr kulturelles Kapital auf unterschiedliche Art und Weise ein. In beiden Jugendkulturen fand symbolisch eine Aufwertung des kulturellen und des sozialen Kapitals statt, das die türkischstämmigen Jugendlichen durch ihre Biographie einbrachten. Der gravierende Unterschied zwischen beiden Kulturen lag in der sozialen Position, die sie präsentierten. Während soziale Marginalität im HipHop durch die bewusst stolze Zugehörigkeit zu einem Bezirk wie Kreuzberg ausgelebt und das „von der Straße“-sein oder auch eine bestimmte Form des Benehmens nach außen präsentiert wurde, lagen türkischen Diskotheken bewusst in besser situierten innerstädtischen Bezirken. Die Grenzziehung zwischen den Szenen fand besonders auf der Ebene des jeweiligen Männlichkeitsbildes statt. Auch innerhalb der beiden Szenen bestimmten das Verhalten und die Präsentation von Männlichkeit den Status der Person oder der Diskothek. Das subkulturelle Kapital eines Rappers wurde innerhalb der HipHop-Szene nicht nur über bestimmte Leistungen bewertet – wie beispielsweise die Fähigkeit, mit der Sprache umzugehen – oder seinem „Flow“, sondern vor allem nach seinem sozialen Status, den er über ein bestimmtes Männlichkeitsbild präsentierte: hart und von der Straße.

5.2 I STANBUL – W ERTE UND D ISKURSE IN DER R AP -M USIK DER M ITTELSCHICHT Auf den ersten Blick produzierten die HipHop-Aktivisten in Istanbul durch ihre Kleidung und teilweise durch ihre Texte ein ähnliches Konzept von Authentizität und Männlichkeit wie in Berlin. Doch verglichen mit der deutschtürkischen HipHop-Kultur stellten sich bei genauerer Untersuchung einige aus dem gesellschaftlichen Kontext resultierende Unterschiede heraus, die sich mit der unterschiedlichen gesellschaftlichen Position der HipHop-Aktivisten begründen lassen. Rapper kamen nicht aus den ärmsten Bezirken Istanbuls, die als „Gecekondu“ oder „Varoş“ bezeichnet werden, sondern aus den innerstädtischen Wohngebieten der Mittelschicht. Sie gehörten sowohl ethnisch als auch sozial nicht zu einer Außenseitergruppe. Verglichen mit deutschtürkischen HipHop-Aktivisten in Berlin verfügten die Rapper in Istanbul aufgrund ihrer Herkunft, einer gere-

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gelten Arbeit oder eines Studiums über ein höheres symbolisches Kapital in der Gesellschaft. Die Frage, der ich deshalb in diesem Abschnitt nachgehen werde, ist, wie eine Jugendkultur, in der die Authentizität über eine Außenseiterposition oder Repräsentation einer Randgruppe definiert wurde, im lokalen Kontext angenommen umgewandelt und ausgelebt wurde, ohne den Authentizitätsanspruch infrage zu stellen. Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu Berlin lassen sich beobachten? 5.2.1 „Underground“ und Wissen versus Kommerz und „özenti“ Ein zentraler Begriff im Diskurs über ernstzunehmende Rap-Musik war die Kategorie „Underground“, der eine besonders positive Konnotation nicht nur unter HipHoppern genoss und mit der sich die Rapper in dieser Stadt identifizierten. Thomas Solomon verwendet den Begriff „subkulturelles Kapital“ mit Bezug auf Sarah Thornton, um auf den Wert des „Underground“ in Istanbul hinzuweisen24. Mit dieser Klassifizierung unterstrichen Rapper ihre Glaubwürdigkeit und distanzierten sich gleichzeitig vom Kommerz. Sarah Thornton weist darauf hin, dass diese Kategorie eine unklare Konstruktion („nebulous construction“) ist und verschiedene Aspekte, wie Ort, Stil, Klasse und auch andere Kategorien mit einbeziehen kann (Thornton 2008:384): „The underground espouses a fashion system that is highly relative; it is all about position, context and timing. Its subcultural capitals have built-in obsolescence so that it can maintain its status not only as prerogative of the young, but the ‚hip‘.“ (Thornton 2008:384)

Schon der erste in der Türkei veröffentlichte Sampler mit türkischen Rappern aus der Türkei und Deutschland trug den Titel Yeraltı Operasyonu (UntergrundOperation). Die Bands und Rapper, die daran teilgenommen haben, wurden als „Underground grupları“ (Underground-Gruppen) bezeichnet. In der 2000 erschienenen CD von Nefret trägt ein Song den Titel „Yeraltında Yaşamak“ (das Leben im Untergrund), in dem ihr Leben im Untergrund als hart beschrieben wird, ihre eigenen Texte aber ehrlich seien und wie Gewehrkugeln in das Gehirn dringen würden. Einen Rapper nicht oder nicht mehr dem „Underground“ zuzuordnen, kam und kommt heute noch in einigen Kreisen einer Disqualifizierung gleich. Obgleich sich Diskurse um Werte und Anerkennung in Istanbul stets um diese Kategorie drehten und der Begriff entsprechend häufig für die Klassifizierung von

24 Solomon 2005b:3.

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HipHop-Musik und Bands verwendet wurde, so herrschte dennoch keine einheitliche Definition. Charakteristisch war eher eine willkürliche und auch widersprüchliche Verwendung des Begriffs „Underground“. Anfang 2000 wurde der Begriff für die Beschreibung von Rappern und Bands verwendet, die noch keine offizielle CD (bandrollü) veröffentlicht hatten bzw. trotz einer veröffentlichten CD keine besondere Popularität genossen. Nicht bekannt zu sein, nicht für den großen Markt zu veröffentlichen, fern von jeglichem Kommerz zu sein, gab den Rappern eine gewisse Identität, mit der sie ihre Glaubwürdigkeit und „Echtheit“ unterstreichen konnten. „Die Menschen müssen erst einmal selbst das mögen, was sie machen. Sonst ist das kein Underground, denn Underground zu machen heißt, wir mögen das, was wir machen. Wir machen das, weil wir es mögen, das heißt wir machen es nicht, damit die Leute uns mögen.“ (Ceza im Interview am 10.5.2000)

Hiermit distanzierte sich Ceza klar von anderen Musikern bzw. Musikstilen, die ausschließlich für den Markt produzierten. Die Rapper verwendeten dabei den Begriff „piyasa“ (Markt), der das Gegenteil von „Underground“ bezeichnete. Diese Positionierung gestaltete sich Ende der 1990er Jahre noch recht einfach, denn trotz großem Engagement der HipHop-Aktivisten stieß diese Kultur beim Großteil der Gesellschaft auf Ablehnung. Zwar hatten MC Ender und eine satirische Band Namens Vitamin 25 in den 1990er Jahren mit Rap-Musik einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, doch forderten die Musiker keinen Anspruch auf Authentizität ein und produzierten ausschließlich für den Markt. Diese Situation änderte sich grundlegend mit der zunehmenden Popularität und Medienpräsenz von MCs in der Türkei, die sich tatsächlich mit der HipHopKultur identifizierten und als Vertreter dieser Kultur sahen. Ceza beispielsweise, der mit Dr. Fuchs unter dem Namen Nefret die CD „Meclis-i ala“ herausbrachte, erreichte nach 2002 mit seiner Solo-Karriere großen Ruhm. Seine zahlreichen Auftritte im Fernsehen, die Teilnahme an Werbespots und sein Duett mit Burcu Güneş stellten seine Glaubwürdigkeit innerhalb der Rap-Szene allerdings infrage. Ceza sah sich stets mit der Frage konfrontiert, ob er noch Underground sei oder nur noch für den Kommerz produziere. Er selbst bekräftigte, dass er für den 25 In der Musikzeitschrift Maviology antwortete MC Ender auf die Frage, ob er sonst wie ein Rapper lebt: „Eigentlich nicht. (…) Natürlich höre ich kein ‚Metal‘, aber eigentlich identifiziere ich mich mehr mit einem Musiker oder Produzenten.“ [Anm.: Übersetzung durch die Autorin] Die Zeitschrift erschien vermutlich 1998. Da die Titelseite dieser Zeitschrift inzwischen beschädigt ist, ist das Erscheinungsdatum nicht mehr lesbar.

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Underground Türkisch Rap Markt (underground Türkçe Rap piyasası) produziert: „Nur unsere Stimme wird mehr gehört, mehr nicht.“26 Im persönlichen Interview betonte die Rapperin und Cezas Schwester Ayben, dass der Underground Rap sich nicht unterscheidet, wenn er vermarktet wird. „Der Rap verändert sich überhaupt nicht. Es wird der gleiche Rap gemacht. Der einzige Unterschied ist das Geldverdienen. Sie lassen den gleichen Rap hören, sie rappen die gleichen Texte und hierfür verdienen sie Geld. Manche verbrauchen das Geld der Eltern und können daher Underground-Rap machen, […] weil sie das Geld ihrer Väter verbrauchen. Nur Menschen wie Ceza, die aus eigener Kraft so weit gekommen sind, diejenigen, die nicht woanders arbeiten, diejenigen, die ihr Leben dem Rap gewidmet haben, für die gibt es nichts Natürlicheres, als mit Rap Geld zu verdienen. Nach deren Auffassung kann es sein, das Ceza kein Underground ist, aber Ceza ist auch Underground. Wenn letztendlich Underground Rap-Qualität bedeutet, dann ist er Underground.27“ (Ayben im Interview am 6.1.2006)

In den Interviews mit Rappern, auf den Chat-Seiten im Internet und auch in dem Buch des Rappers Jöntürk (2003) kamen zunehmend unterschiedliche Ansichten bezüglich der Definition von Underground auf. Jöntürk beispielsweise übersetzte den Begriff „alt kültür“ mit Underground und nicht mit „subculture“ (2003:59), was seiner Meinung nach sinngemäß keinen Unterschied darstellen würde. Er kritisiert gleichzeitig die starre Einteilung einiger, für die Underground nur für solche Rapper steht, die noch nicht für den Markt produziert haben: „In der Türkei ist eine Definition [Anm. der Autorin: für den Begriff Underground] verbreitet, die falsch ist. Diejenigen, die noch nicht bei einer Firma ein Album produziert haben, sind Underground, diejenigen, die bei einer Firma veröffentlicht haben, gehören nicht mehr zum Underground. Das ist sehr komisch und ist eine falsche Wertung. Was sie im Grunde damit sagen, ist, dass sie keine Amateure mehr, sondern Professionelle sind. Underground zu sein, heißt ‚alt kültür‘ (underground, subculture) zu sein und hat etwas mit der Einstellung zu tun.“28 [Anm.: Übersetzung durch die Autorin)

Für ihn heißt Underground, gegen die herrschende Kultur (egemen kültür) zu sein. Andere wiederum verstanden unter Underground, einen Rap voller Be26 Ceza im Interview mit Tunç Dindaş im Blue Jean (2004/9), Übersetzung durch die Autorin. 27 Übersetzung aus dem Türkischen durch die Autorin. 28 Jöntürk im Interview mi ihbark.tk, veröffentlicht in Jöntürk 2003:225.

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schimpfungen (küfürlü rap)29. Besonders harte Texte werden aufgrund der in der Türkei herrschenden Zensur nicht veröffentlicht und lassen sich daher eindeutig dem Underground zuordnen. Zwar betonte Skyfun30, dass er bei dem Begriff Underground an Rap denkt, doch wurde ich auch in anderen Kreisen Istanbuls mit diesem Begriff konfrontiert. Viele Cafés, Bars und Nachtclubs, die sich im Stadtteil Beyoğlu befanden, wurden als Underground beschrieben, auch wenn deren Stilvielfalt von Pop-ArtCafé bis Rock-Café reichte. Obgleich dort ein Publikum aus höheren Schichten mit höherer Bildung verkehrte, distanzierten sie sich von den High-SocietyLäden wie beispielsweise in Etiler. Diese Einrichtungen wurden oft von Stars frequentiert und standen daher im Mittelpunkt des Medieninteresses. Im Gegensatz zu diesen, einer breiten Schicht bekannten Läden, waren viele öffentliche Orte, die sich um Beyoğlu und Kadıköy gruppierten, etwas für Insider und daher auch etwas Besonderes, vom Mainstream Abweichendes. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Begriff, der in Istanbul ohnehin ein zentrales subkulturelles Kapital beschrieb, auch von HipHop-Aktivisten in positiver Weise verwendet wurde, um ihre Besonderheit zu unterstreichen. Der Diskurs innerhalb der Rap-Szene über Authentizität, Underground und Kommerz reflektiert den Diskurs auf der wissenschaftlichen Ebene. In dem subversiven, von der dominanten Kultur abweichenden Charakter sehen die Vertreter der CCCS die Authentizität von Subkulturen begründet. Subkulturen sind dann authentisch, wenn sie fern von Medien und Kommerz ausgelebt werden. Durch mediale und kommerzielle Vereinnahmung kann sich ein Stil allerdings auflösen: „Vom Standpunkt der Subkultur betrachtet, die den Stil schuf, existiert er als totaler Lebensstil; durch den kommerziellen Nexus wird er in einen neuen Konsumstil verwandelt“ (Clarke 1981:152). Das führt dazu, dass die Objekte eines Stils ihren Klassenbezug verlieren und nur noch „Jugendlichkeit“ präsentieren (Clarke 1981:152f.). Im Gegensatz zu Bourdieu betrachtet Thornton die Nutzung der Medien nicht nur als ein Mittel, um seine Distinktion zu anderen zu manifestieren. Sie distanziert sich auch von der Annahme der klassischen Cultural Studies, dass Subkulturen nur solange authentisch sind, wie sie von Medien und Kommerz unentdeckt bleiben. Vielmehr weist sie auf die komplexe Wechselwirkung zwischen Medien und Populärkultur hin: „The difference between being in or out of fashion, high or low in subcultural capital, correlates in complex ways with degrees of media coverage, creation and exposure.“ (Thornton 2001:14f.)

29 Siehe auch Buldozer in Jöntürk 2003:194. 30 Skyfun in Jöntürk 2003:180.

5. A UTHENTIZITÄT , K LASSE UND M ÄNNLICHKEIT

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So sehr die Bezeichnung „Underground“ dem Rapper auch eine gewisse Authentizität verlieh, bewertet wurde er insbesondere durch seine Texte und seine Art zu rappen. Auf den Chat-Seiten, in Interviews und Gesprächen drehte sich die Diskussion vornehmlich darum, welcher Rapper die bessere Leistung erbrachte. Dem Begriff Underground standen Begriffe gegenüber, die das Gegenteil ausdrücken sollten, bzw. mit dem einem Rapper oder einem HipHop-Aktivisten jede Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Overground Rap bzw. im Türkischen „Yer üstü“ weist darauf hin, dass der MC eine offizielle CD herausgebracht hat und daher keine Beschimpfungen erhält. Ebenso weist der Begriff „piyasa“ (Markt) auf das Kommerzielle hin, das dem Underground entgegensteht. Ein weiterer Begriff ist „özenti“, was so viel bedeutet wie ,,Nachahmung, nacheifern, pseudo“. Mit diesem Begriff bezeichneten einige HipHop-Aktivisten andere Akteure, die sich zwar entsprechend der HipHop-Mode kleideten und behaupteten, HipHopper oder Rapper zu sein, aber letztendlich kaum über Kenntnisse von dieser Kultur verfügten. Hier liegt eine klare Unterscheidung der Bewertungsskala zwischen objektiviertem und inkorporiertem Kapital vor. Solange HipHop-Aktivisten ihre Zugehörigkeit zur HipHop-Kultur lediglich über die Kleidung ausdrückten, wurden sie als unglaubwürdige Nachahmer angesehen. Erst die Kenntnis und Wertschätzung, d.h. die Verinnerlichung der Kultur, die als inkorporiertes subkulturelles Kapital gelten kann, machten einen HipHopAktivisten glaubwürdig. Ähnlich wie Yunus Özyavuz (Silahsız kuvvet/Sagopa Kajmer) in den folgenden Zitaten das „özenti“-Phänomen kritisierte, bemängelten auch andere Interviewpartner das Problem der „özentilik“ (das Pseudo-Sein) in der türkischen HipHop-Szene. Yunus Özyavuz machte auf die Unterschiede in der sozialen Position der HipHopper in Deutschland und der Türkei aufmerksam: „Du denkst, ach ist der gut angezogen. Also hier „havalı“ (angeberisch, protzig), in Deutschland „havasız“ (nicht protzig). Dort untere Klasse. Hier sind die Jugendlichen so. Zum Beispiel tragen sie Ohrringe und an ihre Hose hängen sie Ketten und sagen, ich bin ein HipHopper.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Seine Kritik an diesen Jugendlichen galt der Aneignung dieser Kultur, die sich vornehmlich auf einer oberflächlichen Konsumebene abspielt: „Du kannst dich mit denen nicht über HipHop unterhalten, weil sie eine Null sind. Sie wissen nichts. Sie haben seit 1996 bis 2000 alles mitverfolgt. Sie haben vielleicht die CD gekauft, aber sie haben keine Ahnung von diesen CDs. Es gibt so eine „özenti“ Jugend.

196 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Wenn du hier gegenüber zu diesem Einkaufszentrum gehst, frage zwei Mädchen und zwei Jungs, ob sie HipHop hören, sie werden mit Sicherheit die Frage verneinen. Also sie werden antworten, dass sie nicht HipHop hören. Oder du suchst zwei verschiedene Menschen aus. Sie fragen einen gut angezogenen Menschen und einen, der so paçoz (Dirne, Hure, Weibsstück) mit weiten Sachen. Der mit den weiten Sachen wird mit Sicherheit nicht HipHop hören. Er würde sagen, ich höre auch HipHop, bin aber ein Heavy Metal. Hier kommt es zu einer Kulturvermischung. Also man denkt, alle die weite Hosen tragen, sind HipHopper. Aber der Grund, warum jetzt viele weite Hosen tragen, ist, dass in vielen europäischen Videos oft weite Hosen getragen werden. (…) Nur 10 – 15 Menschen hören wirklich gern HipHop. Und diese sind über 18 Jahre alt. Bei den unter 18-Jährigen gibt es ein „özentilik“. Natürlich fängt alles mit „özentilik“ an. Aber es reicht nicht, wenn es nur bei „özenti“ bleibt.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Als oberste Kriterien für glaubwürdige HipHop-Aktivisten galten nach Yunus Özyavuz Wissen, Bildung und eine damit einhergehende Wertschätzung für die Pioniere der Rap-Musik: „Ich sage den Leuten, informiert Euch über HipHop, lest etwas darüber, kauft Magazine, hört Euch alte CDs an. Die Antworten sind immer gleich: ‚Ich mag kein Old School, das schränkt mich ein. Was bringt mir Grandmaster Flash? Die Zeit dieser Typen ist vorbei. Ja, das sagen sie. Ich unterhalte mich nicht mehr mit diesen Menschen, weil sie dem HipHop schaden. Wenn sie sagen, ich bin ein türkischer HipHopper, dann würden die in Deutschland darüber lachen. Wenn du nichts von Grandmaster Flash kennst, bist du kein HipHopper. Wenn du dir Africa Bambaata nicht angehört hast, bist du nichts. Selbst wenn du James Brown nicht kennst, bist du kein HipHopper. Du musst den alten Funk kennen. Es ist nicht einfach, ein HipHopper zu sein. Das einfachste Beispiel sind die Leute, die gestern zur Party gekommen sind. Die Leute, die du gestern auf der Party gesehen hast, sind keine HipHopper. Sie alle sind „özenti“. Auf meinem Konzert waren nur zwei bis drei HipHopper. In meinen Augen sind Tunç Dindaş und Ceza die HipHopper. Stell dir vor, wir waren auf einer Party, auf einer Party, wo Fuat war. Auf die Bühne kam Eastern Frequency, Fuat und Nefret. Dazwischen hat DJ Mahmut Musik gemacht. Während er aufgelegt hat, haben die Leute gesagt, dass er was anderes auflegen soll. Das, was er nicht mehr spielen sollte, war Public Enemy. Damit ist der Fall erledigt. Seit diesem Tag habe ich es verstanden. Ich liebe die türkische HipHop Szene nicht und ich glaube nicht, dass so etwas existiert. Das gibt es zurzeit nicht. Es gibt zurzeit eine Özenti-Szene (özenti camiası).“ (Yunus Özyavuz31 im Interview am 15.5.2000)

31 Seine Kritik an dem „Özenti“-Phänomen thematisiert Yunus Özyavuz (Sagopa Kajmer) unter anderem auch in seinem Song „Tek Yürek“.

5. A UTHENTIZITÄT , K LASSE UND M ÄNNLICHKEIT

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Nefret thematisierte die fehlende Wertschätzung, das özenti-Phänomen und die Unkenntnis von Rap-Musik in ihrem Song „İstediklerim ve Yapamadıklarım“ auf ihrer CD „Meclis-i ala“: Ortamızdaki özentiler HipHopu karalay-

Die özenti’s unter uns, die HipHop ver-

anlar

unglimpfen

Geçici heves sahipleri

Die, die nur vorübergehend begeistert sind

Yok olun!

Verschwindet!

Kafayı dansa takanlar saygıyı geri plana

Diejenigen, die nur an das Tanzen den-

atıp gösterisi düşünen

ken, keinen Respekt haben und nur angeben

Öğrenmek istemeyenler Cep telefonundan breakdance seyredenler

Diejenigen, die nichts lernen wollen Diejenigen, die auf ihrem Handy Breakdance anschauen

Ama Murat G. konser verirken kafasını

Aber wenn Murat G. ein Konzert gibt,

bile kaldırmayan ahmaklar

ihre Köpfe nicht erheben, die Idioten

Bilmemek ayıp değil ögrenmemek ayıp

Es ist keine Schande nicht zu wissen, aber eine Schande ist es, nicht zu lernen32,

Necati, ein Istanbuler, der zwischenzeitlich in Deutschland gelebt hatte und mit seinem Label Kod Müzik versuchte, HipHop in der Türkei zu verbreiten, beschrieb diese Art von HipHop-Begeisterung als eine „Dusche“: „Wissen Sie was passiert? Eine Dusche! Was passiert, wenn Sie duschen? Das Wasser fließt von hier runter, geht zu den Füßen und fließt weg. Genauso fließt es weg.“33 So kritisierte er die Haltung vieler junger Menschen in der Türkei, die sich für eine Musikrichtung begeistern, aber ihre Kultur nicht verinnerlichen und kurz darauf eine völlig andere Musikrichtung bevorzugen. Ähnlich wie Maho-B teilten meine Interview- und Gesprächspartner die HipHop-Szene in zwei Gruppen: „Ich teile sie [Anm. der Autorin: gemeint sind HipHopper] in zwei Gruppen. Die einen verstehen etwas davon, verfolgen alles mit, gehen auf Konzerte, kaufen Original-Alben [Anm. d. Autorin: d. h. keine Raubkopien], legen Wert auf den Text und die Message, schauen nach der Qualität.“ (Maho-B in Jöntürk 2003:161f.)34.

32 Übersetzung durch die Autorin. KOD Müzik brachte unter anderem die CD „Yeraltı Operasyonu“ heraus. 33 Necati Tüfenk im Interview Mai 1999. Übesetzung aus dem Türkischen durch die Autorin. 34 Übersetzung durch die Autorin.

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Die andere Gruppe würde seiner Meinung nach nur aus „özenti“-HipHoppern bestehen und würden, nur um Mädchen anzumachen, weite Kleidung tragen, nur Eminem und Nas hören, sich türkische Musik kopieren und auf Konzerten die MCs wie Rinder anschauen Ebenso wie „Underground“ ist „özenti“ kein spezifischer Begriff aus der HipHop-Szene35. Auch in anderen Szenen wie beispielsweise Rock oder Heavy Metal (Metalcı) wurden diejenigen, die über kein Wissen von dieser Kultur verfügten und sich nur entsprechend der jeweiligen Mode kleideten, mit diesem Begriff disqualifiziert. Besonders die teilweise verfeindeten Metal-Anhänger und die HipHopper lieferten sich in zahlreichen Leserbriefen in Jugendzeitschriften eine Schlammschlacht, wobei der Begriff özenti regelmäßig auftauchte, um den jeweils anderen ihre Echtheit abzusprechen36. Generell verlieh das Wissen über die Kultur und Einstellung zu bestimmten Themen diese „Echtheit“. Auffällig ist dabei, und darin liegt ein großer Unterschied zu den meisten deutschtürkischen Rappern in Berlin, dass nicht die Persönlichkeit, die Biographie, eine kriminelle Vergangenheit und die Herkunft eines Rappers über das Maß des subkulturellen Kapitals bestimmte. Ende der 1990er Jahre stammten Rapper in Istanbul vornehmlich aus MittelklasseFamilien und Bezirken wie Kadıköy oder Bakırköy, die hauptsächlich von Mittelklasse-Familien bewohnt wurden. Im Gegensatz zu Berlin hat sich die HipHop-Kultur nicht in Bezirken entwickelt, die einen ghettoähnlichen Charakter haben und in der Türkei mit Varoş oder Gecekondu bezeichnet werden. Sie ist auch nicht aus der Gang-Bewegung entstanden und war nicht Bestandteil sozialpädagogischer Maßnahmen in Problemvierteln. Im Gegenteil, die HipHopBewegung war das Ergebnis von großem Engagement seitens einiger weniger Aktivisten, die teilweise über höhere Bildung verfügten oder einer festen Arbeit nachgingen. Viele hatten Auslandserfahrungen, sei es als Rückkehrerkinder aus Deutschland oder als Konzertveranstalter oder sie hatten Auslandsbeziehungen zu Verwandten in Deutschland. So konnten Rapper ihre Echtheit nicht über eine

35 Sogar unter den lesbischen Frauen, die ich während der Forschungsarbeit kennenlernte, kursierte dieser Begriff. So benutzte beispielsweise eine lesbische Frau diesen Begriff für junge Mädchen, die eine Beziehung zu anderen Mädchen eingingen, ohne wirklich lesbisch sein: Sie täte dies nur aus özenti Gründen. 36 Statt des Begriffs özenti benutzt Kutlukan den Begriff takılmak, was sinngemäß mit „sich anhängen an“ übersetzt werden kann, um Grunge-Anhänger, die von der Kultur keine Ahnung haben (Grunge takılan) vom wahren Grunge (Gerçek Grunge) zu unterscheiden (Kutlukan in Ali Akay, 1995:172). Seiner Meinung nach haben die meisten Grunge in Istanbul keine Ahnung davon, dass Grunge auch etwas mit Feminismus, Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus zu tun hat (ebd.:174).

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kriminelle oder Ghetto-Herkunft bestärken, wohl aber mit ihrem Wissen über die HipHop-Kultur, indem sie besonders anspruchsvolle Texte und außergewöhnliche Wörter verwendeten – wie beispielsweise Yunus Özyavuz/Sagopa Kajmer – oder besonders schnell rappten – wie im Falle von Ceza und Ayben. Auch ihre Einstellung zu gesellschaftlichen, politischen oder ökologischen Problemen, die sie in ihrem Rap thematisierten, und ihre Performance auf der Bühne, waren Kriterien, nach denen sie bewertet wurden: „Das wichtige beim MC ist, dass alles einzeln verständlich ist, die Haltung der Person, die Bühnenshow besonders. Denn im Studio können sie das Album so oft wiederholen, wie sie wollen, und je nach Qualität aufnehmen. Auf der Bühne kommt allerdings alles zum Vorschein. Bühne ist eine ganz andere Sache, und wenn sie dort einen Fehler machen, haben sie keine Chance, es wieder zu korrigieren. Sie stehen Auge in Auge mit den Zuschauern, es ist wie ein Krieg und daher ist die Bühne sehr wichtig für den MC, den Rapper.“ (Interview mit Ayben am 6.1.2006)

Kompetenz und gute Allgemeinbildung waren nach Ayben wichtige Kriterien für Anerkennung: „Er muss begabt sein, um Rap zu machen, muss man begabt sein. Also es kann nicht jeder machen, leider. Das geht also nicht mit Nachmachen. Außerdem muss er entschlossen („kararlı“) sein, er muss wissen, was er machen möchte, er muss sicher sein, er muss konsequent sein, muss sich weiterbilden, kann viele Bücher lesen, kann viele Wörter kennen, er muss forschen („araştırma“), soll alle möglichen Musikarten hören. Die Musikarten sind wichtig. Für den, der Rap macht, genauso für den, der Rock macht. Der Horizont muss für alle Musikarten offen sein, darf nicht so geschlossen sein. Es ist wichtig in Bezug auf Musik nicht zu trennen („bölmemek“), sie müssen offen für alle Musikarten sein und sie auch kennen.“ (Ayben im Interview am 6.1.2006)

Im Gegensatz zu Berlin sahen Rapper in Istanbul Rap und formelle Bildung nicht als etwas Gegensätzliches, sich Widersprechendes. Im Gegenteil: Gerade weil keine harte Vergangenheit und persönliche Erfahrungen den wahren Rapper ausmachten, sondern die Texte und die Performance, wurde Bildung eher im positiven Sinne verstanden. Dementsprechend standen die MCs Akademikern oder Intellektuellen nicht ablehnend gegenüber, sondern erwähnten die eigene formelle oder informelle Bildung als eine besondere Form ihres kulturellen und hier sogar des subkulturellen Kapitals, um die eigene Glaubwürdigkeit oder Qualität zu unterstreichen.

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Jöntürk von Barikat unterstrich seine Glaubwürdigkeit, indem er sein Studium stets erwähnte und ebenso, dass er der Verfasser eines Buches ist: „Ein Rapper muss stets lesen. Ihr müsst euch bilden und auch ändern, dann könnt ihr andere ändern“37. Auch Ceza erwähnte in zahlreichen Interviews, dass er zwar weniger Bücher, dafür aber sehr oft Enzyklopädien liest und dass ein Rapper „kültürlü“ (gebildet) sein muss38. Dass Yunus Özyavuz Literatur studiert hat, verlieh ihm Kompetenz und brachte ihm Anerkennung ein und führte nicht zum Authentizitätsverlust. Aufgrund der höheren sozialen Herkunft der Rapper in Istanbul entwickelte sich im HipHop eine andere Vorstellung von Authentizität, die nicht auf einer Ghetto-Vergangenheit, dem Leben auf der Straße oder Gewalterfahrungen basierte, sondern auf Kompetenz, Wissen und der Frage, ob Veröffentlichungen ausschließlich für den Markt oder eher für den Underground produziert worden sind. Hier stellt sich nun die Frage, welche Kultur in den ärmeren Wohngebieten der Stadt mit einem ghettoähnlichen Charakter – als Gecekodu oder Varoş bezeichnet (s. Kap. 6.2.1) – ausgelebt wurde und in welchem Verhältnis HipHopAktivisten zu einer Gecekondu-Kultur standen. Gerade Rapper hätten mit einer Gecekondu-Kultur sympathisieren bzw. sich mit dieser eindeutig identifizieren müssen, liegen doch die Wurzeln dieser Kultur in der Bronx. Doch Ende der 1990er Jahre war das Gegenteil der Fall. Seit Jahrzehnten ist in den GecekonduGebieten die Musikform „Arabesk“ verbreitet, mit der in der türkischen Gesellschaft auch ein bestimmter Lebensstil verbunden wird, insbesondere der Lebensstil der Männer: dem Maganda. 5.2.2 Selbstpräsentation: Straße, Härte, aber nicht Maganda Unterschiedliche Schichten konsumierten in der Türkei Arabesk-Musik, doch aus den höheren Schichten würde sich niemand als der Arabesk-Kultur zugehörig bezeichnen. Arabesk ist eine Musikform, die arabische Melodien mit westlichen Instrumenten kombiniert, und sich seit den 1960er Jahren vor allem in den städtischen Gebieten verbreitet hat, die im Zuge der Landflucht besiedelt wurden. In den Texten wird das Leid der Menschen ausgedrückt, die ihre Heimat verlassen haben und nun in einer Großstadt leben, ohne wirklich dazuzugehören. Die Selbstpräsentation der Sänger ähnelt stark denen der Rapper: Sie betonen ihre Bindung zum Volk, aus dem sie stammen und dessen Sorgen sie verstehen. Sie kommen von der Straße, aus der armen Schicht der Bevölkerung und sind 37 Turkcerap.com (o.J.): Interview mit Jöntürk. Übersetzung aus dem Türkischen durch die Autorin. 38 Siehe auch Aktüel Feb. 2005, im Internet.

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einen dornenreichen und felsigen Weg gegangen39, so der Grundtenor. Bezugnehmend auf Tansu Şenyapılı stellt Nazife Güngör fest, dass ein Großteil der Arabesk-Hörer provinzieller Herkunft ist, in den Gecekondus lebt und nur über ein geringes Einkommen verfügt (Nazife Güngör 1993:32). Die GecekonduBewohner waren aus verschiedenen türkischen Provinzen in die Stadt gekommen, brachten also ihre unterschiedlichen Kulturen in die Stadt und Arabesk vereinte all ihre Sorgen in der Musik. Die Stars, oder wie die Anhänger sagen „Kral“ (König), wie Orhan Gencebay, Ibrahim Tatlıses und Ferdi Tayfur und das Verhalten und das Aussehen der Hörer in den Gecekondu-Gebieten schufen ein Männerbild, das – wie bereits erwähnt – von der Mittel- und Oberschicht als Maganda40 oder Kro bezeichnet wird und dort auf starke Ablehnung stößt: Er trägt Schnurrbart, ist aggressiv, führt eine Pistole und eine Gebetskette mit sich, hat kein Benehmen, kann sich der Stadt nicht anpassen etc. Treffend beschreibt Öncü die gesellschaftliche Einstellung gegenüber „dem Maganda“: „Es ist eine abfällige Bezeichnung und gleichzeitig ein Stereotyp, das eine Reihe sozial und moralisch anstößiger Attribute auf eine einzige Formel bringt – ein Maganda. Als diskursiv-ideologisches Konstrukt aktiviert es sämtliche Akzente und Nuancen von Hierarchie und Distinktion und vereint sie zu einer totalen und totalisierenden AusschlussKategorie – der Maganda. Die Resonanzen des Begriffs sind stark vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend – man ‚kennt‘ den Maganda aus eigenen Erfahrungen und versteht ohne weitere Erklärungen, dass Magandalık (die Bedingung oder der Zustand Maganda zu sein) ein eindeutig männliches Syndrom beziehungsweise Elend ist.“ (Öncü 2005:397)

Die Gruppe Vitamin, die selbst nicht aus der HipHop-Szene stammt, aber unter anderem mit satirischer Rap-Musik bekannt wurde, widmete dem Maganda ein Stück. Dem Klischee entsprechend spricht ein Mann mit ländlichem Dialekt und gibt das Bild eines bildungsfernen dörflichen „Volltrottels“. Begleitet wird die Musik von unterschiedlichsten unappetitlichen Geräuschen wie Nase hochziehen und Ausspucken, die nach dem Klischee von den Magandas im Alltag öffentlich produziert werden. Auch die Rap-Formation Hedef 12 widmet sich in ihrem Song „Erkek Adam Sert takılır“ diesem Männlichkeitstyp, wobei das Wort Maganda nicht fällt. „Erkek Adam“ lässt sich schwer übersetzen, da beide Wörter im Türkischen 39 „Sokaktan, halkın yoksul kesimlerinden çıkmış, hayatın dikenli ve sarp yollarından geçmiş“ (Nazife Güngör 1993:29). 40 Der Begriff Maganda wurde Ende der 1980er Jahre von einer Gruppe junger Karikaturisten erfunden (Öncü 2006:135).

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„Mann“ bedeuten, in der Kombination allerdings die Männlichkeit des Mannes betonen. Der Titel und der Song beziehen sich auf das harte Verhalten des männlichen Mannes und kritisieren die Gewalttätigkeit von Männern. Diesen Männlichkeitstyp beschimpft Hedef 12 mit Ausdrücken wie „schmutzig, schändlich und eklig“. Dass der Adressat ein Maganda ist, wird in der Beschreibung des Männlichkeitstyps deutlich: Er trägt Waffen, sitzt im Kaffee, verstößt Männer ohne Gebetskette, er schießt mit der Pistole nach einem Fußballspiel und ballert im Hochzeitssalon damit herum. Gleichzeitig macht Hedef 12 auch klar, dass sie alle, also auch sie selbst, männliche Männer sind („burada herkes erkek adam“), aber eben nicht Magandas. Das Musikgenre Arabesk und der Stereotyp Maganda sind ein untrennbares Phänomen in den Augen vieler Mittelschicht- und Oberschichtkinder. „Arabesk ist der HipHop der Türkei. Das ist ein sehr wichtiges Detail. Die türkische Version von den amerikanischen Gangs ist Arabesk. Das wird im Arabesk ausgelebt. Wenn du einen Maganda auf der Straße laufen siehst, der wie Gang aussieht, dann ist er mit Sicherheit ein Müslümcü41. Du kannst mit Sicherheit zu ihm Müslümcü, Ibocu oder Mahsuncu sagen. Denn er ist ein Ghetto-Kind. Varoş sagt man hier zu den Ghettos. Das Ghetto hier ist Varoş. Aber beim HipHop gibt es das nicht. Die HipHopper gehören zurzeit zu einer wohlhabenden Schicht.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Rapper distanzierten sich eindeutig vom Maganda-Image, obwohl das Männlichkeitsbild des Maganda an sich kein Widerspruch zu den Werten im HipHop ist, sondern diese eher bestätigt. Stattdessen nutzten Rapper den Begriff Maganda bzw. das Synonym Kro/Kiro, um andere zu „dissen“, wie beispielsweise in der ersten Compilation „Yeraltı Operasyonu“, wo Ceza im Song „Ceza“ den MC Maho-B. disst und sich dabei auch auf dessen Gruppe Hedef 12 bezieht: „Mein Ziel42 (hedefimi) löchere ich durch, man nennt mich nicht Kiro-B.43, mein Name ist Ceza.“ Dass die MCs dennoch eine Kultur der Straße und die Kultur rebellischer Unterdrückter repräsentierten, konstruierten sie durch ihre Texte, indem sie über die Hoffnungslosigkeit und das Elend in den Straßen rappten. Das Wort „sokak“ (Straße) fiel des Öfteren im Rap, ohne allerdings den Eindruck zu erwecken, dass der Rapper selbst aus der Armut kommt. Statt der Beschreibung der Trost41 Müslüm Gürses, İbrahim Tatlıses alias İbo und Mahsun Kırmızıgül gehören zu den wichtigsten Arabesk-Sängern. Die jeweiligen Endungen (-cü, -cu) zeigen, dass die Person ein Anhänger dieses Sängers ist. 42 Anspielung auf die Band Hedef 12. 43 Anspielung af den Rapper Maho-B. Übersetzung durch die Autorin.

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losigkeit in den Ghettos, wie es US-amerikanischem Rap entspricht, wurde eher die negative Verstädterung von Istanbul oder das Leid der Straßenkinder thematisiert. Der Song „Istanbul“ von Nefret mit dem gleichnamigen Videoclip zeigt sehr deutlich, wie sich Rapper durch den Text und die Aufnahmen präsentieren: Städtisch, hart, ernst, Straße, aber gleichzeitig nicht Maganda. Der Song „Istanbul“ von Nefret Gel gelen gördü Istanbul’un çilesini

Die, die gekommen sind, haben die Not Istanbuls gesehen

Çek çek Istanbul’lu olasın

Ertrage es, damit du ein Istanbuler wirst

Dolan taşan sokaklarda binalar

An den Straßen häufen sich die Häuser

Hani nerede o altın olan topraklar

Wo ist die goldene Erde geblieben

Yalan yalan olan tek şey rüya

Lüge, nur der Traum ist eine Lüge

Rüyalarda gelen tek şey ise para

Die Träume handeln nur von Geld

Şu Istanbul’un eşsiz Boğaz’ında

Istanbuls einzigartiger Bosporus

Ne kadar gizemli esrarengiz bir hava

Was für eine geheimnisvolle mysteriöse Atmosphäre

Güneşin batısından taa ki doğusuna

Vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang

İster Asya ister Avrupa’da dolaş

Egal, ob du in Asien oder Europa spazierst

Burası bizim işte Türk toprakları

Das hier ist unser türkisches Land

Bak ta gör atalarının miraslarının

Schau dir das Erbe unserer Vorfahren an

Ne kadar acımasız olsa da bu şehir

Auch wenn die Stadt so erbarmungslos ist

Senelerdir burada katlandık bu olanlara

Seit Jahren haben wir das ertragen

İstanbul bizimdir bizim kalacak

Istanbul ist unseres und wird unser bleiben

İstanbul’u dinliyorum gözlerim kapalı

Ich höre Istanbul, meine Augen sind geschlossen

Majesteleri ve ekselansları

Ihre Majestäten und Ihre Exzellenzen

Nefret Istanbul’un şu an türkçe rapin kra-

Nefret ist zurzeit der König des Raps in



Istanbul

Istanbul bizimdir bizim kalacak

Istanbul ist unseres und wird unser bleiben

Istanbul’u dinliyorum gözlerim kapalı

Ich höre Istanbul, meine Augen sind geschlossen

204 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Istanbul’da yaşamak zor evet çok zor Saf olan adama kor evet hemde çok kor

Es ist hart, in Istanbul zu leben Für den Naiven ist es eine Glut, starke Glut

Başka şehir görmeden Istanbul’u tanıyo-

Ich kenne Istanbul, ohne eine andere Stadt

rum

gesehen zu haben

Rahatı ve çilesi Istanbul’u dinliyorum

Die Ruhe und das Leid, ich höre Istanbul

Gözlerim kapalı bazen görmek istemiyor

Meine Augen sind geschlossen, manch-

Gözlerimden süzülen iki damla yaş

Aus meinen Augen kommen zwei Tränen

Aynada bana ağlayan Istanbul’u hatırlatı-

Im Spiegel sehe ich das weinende Istanbul

mal möchten sie nichts sehen

yor Ve Istanbul ağlıyor

Und Istanbul weint

Mavi Marmaram’da o yakadan bu yakaya

Wenn ich über mein blaues Marmarameer

geçerken

von einem Ufer zum anderen fahre

Booyaka booyaka (bu yaka bu yaka) silah

Booyaka, booyaka (dieses Ufer, dieses

sesi duymak istemem

Ufer), möchte keine Gewehrschüsse hö-

Magandanın elinde Istanbul’un çiğliği

Istanbuls Rohheit liegt in den Händen der

ren Magandas Arabanın kornası

Die Hupe des Autos

Artık bıktım bunları duymaktan görmek-

Ich habe es satt, das zu hören und zu se-

ten

hen

Mavi denize akan o simsiyah pislikten

Der schwarze Dreck, der in das blaue Meer fließt

Yeter artık yeter !

Es reicht!

Yeter artık yeter !

Es reicht!

Bu pisliği yapan artık sen artık sen geber

Der diesen Dreck macht, du verrecke

Majesteleri ve ekselansları

Ihre Majestäten und Ihre Exzellenzen

Nefret Istanbul’un şu an türkçe rapin kra-

Nefret ist zur Zeit der König des Raps in



Istanbul

Istanbul bizimdir bizim kalacak Istan-

Istanbul ist unseres und wird unser blei-

bul’u dinliyorum gözlerim kapalı

ben Ich höre Istanbul, meine Augen sind geschlossen

İskeleden uzaklaşan bir gemi

Das Schiff, das sich vom Steg entfernt

Hatırlatır bana mazide kalan günlerimi

Erinnert mich an die vergangene Zeit

Gördüğüm su mavi deniz ufkumu aydınlatır

Das blaue Meer erhellt meinen Horizont

5. A UTHENTIZITÄT , K LASSE UND M ÄNNLICHKEIT

Uçup giden bir marti yitirdiklerimi

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Ich verliere es wie eine Möwe, die wegfliegt

Boş sokaklar kimisinin dostu oldu Kimisi de buldu aynı sokaklarda sonunu

Die Straße wurde von einigen der Freund, In den gleichen Straßen fanden andere ihr Ende

Sokak çocukları kapanmaz yara

Die Straßenkinder, eine offene Wunde

Her yer beton oldu her yer kara

Alles ist Beton geworden, alles ist düster

Nerede Sultanahmet, Ortaköy, Beykoz

Wo sind Sultanahmet, Ortaköy, Beykoz

Üsküdar, Emirgan, Çamlıca, Haliç

Üsküdar, Emirgan, Çamlica, Haliç

Anlatmış zamanında neyi istediğimi

Hat seinerzeit erzählt, was ich wollte

Kapadı gözlerini Orhan Veli

Orhan Veli hat seine Augen geschlossen44

Dieser Text verdeutlicht die unterschiedlichen Facetten ihrer subkulturellen, sozialen, regionalen und nationalen Selbstpositionierung45. Sie selbst bezeichnen sich als die Könige der Rap-Musik in Istanbul, demonstrieren damit Macht und Überlegenheit innerhalb der Rap-Szene. Der Satz „Istanbul ist unser und wird unser bleiben“ positioniert sie dabei eindeutig räumlich in Istanbul, da sie die Stadt als ihren Besitz darstellen. Dies gilt ebenso für die nationalistische Haltung in der Textzeile „burası bizim türk toprakları“ (Das ist hier unser türkisches Land). Das Wort „Booyaka“ ist ein Wortspiel, es vereint die afroamerikanische Jugendkultur mit der Istanbuler Zugehörigkeit. Es stammt aus Jamaika und ist ein onomatopoetischer Ausdruck, der den Knall eines Gewehrschusses imitiert. Hier hat es allerdings eine Doppelbedeutung, da Booyaka genauso ausgesprochen wird wie „Bu yaka“ („dieses Ufer“). Dieser Ausdruck wird in Istanbul für die jeweilige Seite des Kontinentes, also die asiatische oder europäische, benutzt. Die Zeilen „Booyaka Booyaka, ich möchte keine Gewehrschüsse hören“ und „In den gleichen Straßen fanden andere ihr Ende“ verleiht dem Bild von Istanbul eine gewisse Härte, was sich durch den jamaikanischen Ausdruck „Booyaka“ verstärkt und somit den Rapper glaubwürdig macht. Der Satz im Refrain „Ich höre Istanbul, meine Augen sind geschlossen“ stammt aus dem Gedicht „Istanbul’u dinliyorum“ von Orhan Veli, auf den sie sich in der Zeile „Orhan Veli hat seine Augen geschlossen“ direkt beziehen. Dass sie einen so berühmten türkischen Dichter zitieren und den historischen Orten nennen, verleiht ihrem Text eine gewisse Tiefe und Bildung. Die Darstellung des harten Lebens in Istanbul zeigt, dass sie selbst Großstadtkinder sind, die das Leid der Großstadt ertragen müssen. In verschiedenen Zeilen kommt das Wort

44 Übersetzung durch die Autorin. 45 Zu einer Analyse dieses Song-Textes und der Musik siehe auch Solomon (2005).

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Straße (sokak) vor, doch positionieren sie sich selbst nicht als Menschen, die von der Straße kommen, sondern als Beobachter der harten Lebenssituation, die auf den Straßen herrscht. Straßenkinder sind andere, nicht sie. Sie distanzieren sich auch von den Magandas in der Zeile „magandanın elinde Istanbul’un çığlığı“ (die Rohheit von Istanbul liegt in den Händen der Magandas). Das rohe Verhalten dieser zur Unterschicht gehörenden Männer ist nicht cool oder nachahmenswert. Diese Positionierungen in unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, Straße, Gewalt, Unterschicht, Stadt und Nation zeigen, wie Authentizitätskriterien der HipHop-Kultur im lokalen Kontext angenommen und entsprechend der sozialen Position der Rapper umgewandelt werden können. Dem Image entsprechend, das im Text produziert wird, rappt Nefret im Videoclip vor einem alten Auto im Neonlicht einer trostlosen Garage. Folgende Sequenzen werden eingeblendet: Im Vordergrund rappen beide, im Hintergrund sind verschiedene Aufnahmen von Istanbul zu sehen: Moscheen (Wahrzeichen von Istanbul), stark befahrene Straßen bzw. Autobahnen und trostlose Hochhäuser. Andere Seiten von Istanbul werden nicht eingeblendet, wie beispielsweise die Wohnorte und die Shopping-Malls der Superreichen bzw. die ärmliche und dörfliche Bebauung der Neuzugezogenen. Die Auswahl der Bilder entspricht, auch wenn sie nicht alle Facetten Istanbuls wiedergibt, doch der Realität, denn der Großteil der türkischen Großstädte besteht aus trostlosen Neubauten, das historische Flair gehört vielerorts der Vergangenheit an. Der Stil dieser Repräsentation ist nicht türkeispezifisch. Es ist allerdings auffällig, dass sich die Videoclips der verschiedenen auch späteren RapFormationen aus anderen türkischen Städten stark ähneln. Drehorte sind bevorzugt leere Garagen, Lagerhallen oder auch Tunnel. Istanbuls Wahrzeichen werden gern eingeblendet oder bilden den Hintergrund. Zwar zeigten die Rapper in ihren Videoclips zu dieser Zeit noch keine reale Gewalt, dafür demonstrierten entsprechende Körperhaltungen, wie beispielsweise breitbeiniges Stehen, ihre Bewegungen und der ernste Gesichtsausdruck eine gewisse Stärke und Härte. Kamerapositionen und -einstellungen unterstützen dieses Image dadurch, dass die Kamera den Rappern besonders nahe kommt oder aus der Froschperspektive gedreht wird. Rapper schauen in die Kamera, als würden sie ihrem Gegner gegenüberstehen oder gerade in einen Streit verwickelt sein. Damit wird Macht und Überlegenheit seitens der MCs suggeriert46. Persönliche Erfahrungen wie beispielsweise eine kriminelle Vergangenheit oder das Leben auf der Straße wa-

46 Zu dieser Form der medialen Präsentation der HipHop-Kultur siehe Klein und Friedrich (2003:122). Zu einer detaillierteren Analyse von Videoclips türkischsprachiger Rap-Musik siehe Karakurluk (2012, im Internet).

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ren nicht ausschlaggebend für die Glaubwürdigkeit47 beziehungsweise wurden zunächst gemieden. Dass dennoch eine harte Selbstpräsentation von Bedeutung war, wurde an Karakans Misserfolg mit seiner Soloplatte nach dem CartelProjekt deutlich. „Der größte Fehler, den Karakan gemacht hat, war, ein Liebeslied zu produzieren. (…) Dann ist es bei Karakan auf einmal mit dem harten Image vorbei. (…) Karakan hat sein Image verändert, hat Anzug getragen, Liebeslied gesungen und unsinnige Wörter benutzt. Dann hat das keiner mehr in der Türkei gekauft:“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Erci E. veröffentlichte nach dem Erfolg von Cartel ein Solo-Album unter dem Titel „Sohbet“, womit er sich von dem harten und politisch-nationalistischen Image von Cartel distanzierte und popähnlichen Rap mit softeren Texten produzierte. Diese Titel wurden auch in den Diskotheken gespielt. Sie war nicht repräsentativ für die türkische Rap-Szene in Istanbul, wohl aber für die Breakdancer, da er in seinem Videoclip Breakdancer tanzen ließ und anschließend ein Austausch zwischen den Breakdancern in Istanbul und Berlin stattfand.

47 So betonte beispielsweise Barikat, dass ihre Musik für die Menschen von der Straße gemacht worden ist: „Barikat ist keine gewöhnliche Musik-Gruppe; sie ist der Schrei von der Straße; sie gibt den unterdrückten Menschen, den Menschen ohne Rechte eine Haltung. Wir möchten nicht nur für uns, sondern für alle Gerechtigkeit und Freiheit.“ So sieht Barikat keinen Widerspruch in der Tatsache, dass sie HipHop bewusst für ihre Ziele ausgewählt haben und nicht selbst von der Straße sind. Sie gründeten zuerst eine Gruppe mit dem Namen „Güneşin Çocukları“ (Kinder der Sonne) und führten Projekte und Veranstaltungen zum Thema Umweltverschmutzung, Drogen, Straßenkinder, Gewalt und Terrorismus durch. Ihre Ideen und Aktionen wollten sie in eine musikalische Form bringen: „Wir haben uns gefragt, mit welcher Musikart wir das machen können. Es gab drei Musikarten, die für unsere Weltauffassung infrage kamen: die türkische Volksmusik, Rock-Musik und HipHop. In der Türkei lehnen die HipHop-Gruppen Rockmusik ab. Nach meiner Auffassung unterscheiden sich die drei Musikarten nicht in Bezug auf ihr inneres Wesen, Ziele, Lebensform. Dann haben wir uns gegen die Volksmusik entschieden, weil wir in der Stadt wohnen. Wir haben uns auch gegen Rock-Musik entschieden, weil sie keine breite Schicht anspricht, sie ist eine elitäre Musik. Dann blieb nur noch HipHop übrig. Mit HipHop können wir leichter die Menschen in den Ghettos (varoş) erreichen. Unser Stil ist anatolischer HipHop. Wenn du mit Rockmusik hingehst, dann glauben die Menschen dort, dass du ein Satanist bist. Aber wenn du mit HipHop hingehst und insbesondere Breakdance einfügst, dann sind sie dir wohlgesonnnen. Wir haben es ausprobiert und haben uns für HipHop entschieden.“ (In Jöntürk 2003:243, Übersetzung durch die Autorin)

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War noch Ende der 1990er Jahre die Herkunft der Rapper unbedeutend bzw. auf seinen Wohnort beschränkt, so erwähnte Ceza mit der breiteren Akzeptanz der HipHop-Kultur in der Gesellschaft in den nächsten Jahren zunehmend eine Straßenvergangenheit: „Das hat etwas mit dem Ort zu tun, wo ich aufgewachsen bin. Mit dem harten Leben in Üsküdar [Anm. der Autorin: Stadtteil von Istanbul]. Sowohl vom Konservatismus her als auch vom Leben auf der Straße. (…) Als ich ein Kind war, gab es unter den Freunden ständig Schlägereien. Einige Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin, sind andere Wege gegangen; durch die Angelegenheiten, in die sie verwickelt waren, haben sie ihr Leben verloren. Ich habe mich aus diesen Sachen herausgehalten, habe mich mit Sport und Musik beschäftigt, aber es gab dennoch Reibereien.“48

Dass die Rapper noch Ende der 1990er Jahre sich nicht mit dem Image der Straße rühmten, lässt sich nicht nur damit erklären, dass kaum jemand unter ihnen auf eine solche Lebenserfahrung zurückgreifen konnte, sondern ist aus einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu erklären. Zweifelsohne war Rap ein Musikgenre, das auf Ablehnung stieß, zum einen, weil das Almancı-Image an ihm haftete, und zum anderen, weil Rap als eine Musik der unterdrückten unteren Klasse galt und sich die meisten Menschen, die „yabancı müzik“ (ausländische Musik) hörten, nicht damit identifizieren wollten. Die starke Betonung einer Straßenherkunft bzw. einer kriminellen Vergangenheit hätte HipHopper weitaus mehr marginalisiert, als sie es Ende der 1990er Jahre ohnehin waren. Sie hätten sich selbst eine Position geschaffen, die eher dem Image der in Varoş/ Gecekondu lebenden Arabesk hörenden Jugendlichen geähnelt hätte, also den Magandas, von denen sie sich klar abgrenzten. Aufgrund dieser Tatsachen waren Erwähnungen von Gewalterfahrungen widersprüchlich. Ein Istanbuler Writer erwähnte beispielsweise in einem Gespräch seinen Gefängnisaufenthalt, weil er beim Sprühen erwischt worden war. Bei einem anderen Treffen sprach er dann von einem Bußgeldverfahren ohne Gefängnisstrafe. Rapper erzählten von Schlägereien, in die sie involviert waren. Später stellte sich heraus, dass sie selbst nie geschlagen haben. Die Konstruktion eines einheitlichen Images schien sich dadurch zu verkomplizieren, da HipHopper nach Anerkennung seitens der Gesellschaft strebten und selbst über eine gewisse Bildung verfügten, einen unauffälligen Erfahrungshintergrund hatten, gleichzeitig aber versuchten, bestimmten Authentizitätskriterien gerecht zu werden.

48 Quelle: Picus (2005), im Internet. Übersetzung durch die Autorin.

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5.2.3 Der Trend zum harten Rap Das Image der HipHop-Kultur mit dem harten, ernsten Männlichkeitsbild bekräftigten Rapper durch ihre Texte und die mediale Performance einer exzessiv vulgären Darstellung. Durch den staatlichen Hohen Radio- und Fernseh-Rat (RTÜK) wurden ihnen aber Grenzen gesetzt. Ohne eine Genehmigung vom RTÜK konnte eine CD nicht auf dem Markt erscheinen. So konnten und können CDs mit besonders „unsittlichen“ oder politisch riskanten Texten nicht offiziell veröffentlicht werden. Ebenso stehen Video-Clips wie auch Fernsehsendungen unter der Kontrolle von RTÜK. Allerdings bot das Internet HipHoppern die Möglichkeit, fern von staatlicher Kontrolle Musik, Texte und Videoclips zu veröffentlichen, die sonst von RTÜK keine Genehmigung erhalten hätten. Yunus Özyavuz beispielsweise veröffentlichte im Internet unter dem Namen Sagopa Kajmer die Rap-Songs „Tek yürek“ und „S*kt*r*n gidin“ (s. Kap. 5.2.4.) voller vulgärer Ausdrücke im Stil von Fuat. Aufgrund der Zensur hielten sich die Rapper in ihren Veröffentlichungen von allzu riskanten Texten zurück. Doch schon die ersten Veröffentlichungen beinhalteten einige Schimpfwörter und hatten, verglichen mit den Texten anderer Musikstile, eine teils herbe Sprache und teilweise einen kämpferischen Grundton. In dieser Anfangszeit der türkischen Rap-Musik ließen sich die Reaktionen auf vulgäre oder beleidigende Texte schwer einschätzen. Zum einen mussten Rapper damit rechnen, durch den RTÜK zensiert zu werden und damit ihre RapKarriere aufs Spiel zu setzen. Ebenso wünschten sie sich die Anerkennung ihrer Kultur seitens der Gesellschaft. Sie konnten ebenfalls nicht einschätzen, welche Reaktionen Beschimpfungen und Beleidigungen innerhalb der HipHop-Szene auslösen würden. Aus Angst vor körperlicher Gewalt scheuten sich Rapper deshalb vor allzu beleidigenden Texten. Die Grenzen des Möglichen mussten erst erprobt werden. So entwickelten sich erst mit zunehmender Akzeptanz immer gewagtere Texte in späteren Veröffentlichungen. Unverkennbar konnte dabei der Einfluss von deutschtürkischer Rap-Musik verfolgt werden. Verglichen mit deutschtürkischen Rappern waren die MCs in Istanbul Ende der 1990er Jahre weitaus weniger innovativ und professionell und orientierten ihren Stil her an der Musik der Deutschtürken. Während Cartel nicht nur RapMusik in die Türkei importierte, sondern dieser auch bewusst oder unbewusst einen nationalistischen Ton gab, so verlagerte sich der Stil mit Fuat zum „BattleRap“. 1999 gab Fuat ein Konzert in Istanbul und knüpfte Kontakte zu Rappern in der Türkei. Zu dieser Zeit, als die Szene noch sehr klein und von gegenseitiger Unterstützung geprägt war, wurden intensive Kontakte zwischen den Rappern

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gepflegt. Fuat, der später eine Karriere in der Türkei machen und, wie mir später HipHop-Aktivisten erzählten, als „usta“ (Meister) der Rap-Musik angesehen werden sollte, beeinflusste den Underground-Rap in der Türkei mit seinem Battle-Rap. Feindschaften zwischen Rappern sollten in den folgenden Jahren die Folge davon sein (s. Kap. 8). Ein Beispiel hierfür ist der von Thomas Solomon beschriebene Fall von Fresh B., einem Rapper, der mit seinem Party-Rap außerhalb der Rap-Szene bekannt wurde und dessen Videoclip im Fernsehen lief. Nach der Veröffentlichung seines Albums brachte Fuat kurze Zeit darauf einen Song heraus, der sich auf einen Song von Fresh B. bezog und Fresh B. in der vulgären und sexistischen Form seines Battle-Rap „disste“, ihn als schwul bezeichnete und seine eigene Zugehörigkeit zu Berlin West als überlegen darstellte. Während sich Sultana, eine türkische Rapperin aus New York, die im gleichen Song „gedisst“ wurde, mit Reaktionen zurückhielt, lieferte Fresh B. mit „Gereken Cevap“ eine Antwort auf diesen Song, in dem er Fuat in gleicher Form und mit der gleichen homophoben Sprache verbal erniedrigte (Thomas Solomon 2005b:14f.). Daraufhin sind zahlreiche Songs von mehreren MCs erschienen, in denen sie sich in einer sehr harten und vulgären Form gegenseitig erniedrigen. Der respektvolle Umgang der Anfangsphase veränderte sich in den folgenden Jahren und aus Freundschaften wurden Feindschaften, die in den Medien über das „Dissen“ in den Shows öffentlich ausgetragen wurden. Nach einigen Jahren distanzierte sich Yunus Özyavuz/Sagopa Kajmer von dem „Küfürlü Rap“, dem Rap mit Beleidigungen und Erniedrigungen. Aus dem ursprünglich kopierten Stil der Deutschtürken entwickelten die MCs in Istanbul zunehmend ihren eigenen Stil teilweise in sehr professioneller Form. 5.2.4 HipHop und Distinktion in Istanbul. Der „Feind“: die türkische Pop-Musik Ähnlich wie bei deutschtürkischen MCs konnte auch unter den Istanbuler MCs eine ablehnende Haltung gegenüber der türkischen Pop-Musik beobachtet werden, allerdings mit einigen aus dem gesellschaftlichen Kontext resultierenden Unterschieden. Während die Pop-Szene in Berlin mit bestimmten Cafés und Diskotheken verbunden wurde und die Ablehnung von türkischer Pop-Musik auf der Ablehnung des Männlichkeitskonzeptes seiner Stars und der Berliner PopSzene und auf der Banalität der Lieder beruhte, galt die Kritik der Pop-Musik in Istanbul in erster Linie der massiven Verbreitung und medialen Präsenz in der Türkei und, zumindest noch zu Beginn, eher dem Weiblichkeits- als dem Männlichkeitskonzept.

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Türkische Pop-Musik war und ist in der Türkei, ähnlich wie Arabesk, sehr verbreitet. Abgesehen vom privaten Konsum ertönt diese Musik in verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens. Fernsehen und Radio-Sender verbreiten und vermarkten diese Musikform und präsentieren dabei ein Gender-Konzept, das von HipHoppern angefeindet wurde. Zahlreiche Sendungen, in denen leicht bekleidete weibliche Stars nicht unbedingt tiefgründige Konversation führen, Sendungen, in denen private Skandale der Pop-Stars beziehungsweise der PopMusik hörenden Society (sosyete) ausführlich thematisiert werden, locken Massen von Zuschauern vor die Fernseher. „Es gibt so etwas wie einen türkischen Pop-Markt. Also so Clips mit Tänzerinnen, Klips mit teuren Autos, banalem Text, eine Musik, die die Menschen leicht verstehen und schnell wieder vergessen. Und das ist Pop-Musik. Die Musik, die ich hasse.“ (Ozzy im Interview am 23.5.2000)

Ozzy (Orhan) kritisierte das Gender-Konzept und die Banalität der Musik. Der Unterschied zu HipHop liegt seiner Meinung nach vornehmlich in der Langlebigkeit und Tiefe der Rap-Musik: „Du gehst und kaufst eine Kassette von einem Pop-Musiker, du hörst es dir an, ein Monat später erscheint etwas Neues von ihm. Das Alte wird dann weggeschmissen und das Neue gekauft. Immer Konsum. Ich habe noch von 1985 ein Rap-Album. Das höre ich mir immer noch an. Also wenn Sie etwas Gutes machen, wird es immer gehört. Es wird also nicht so schnell verbraucht.“ (Ozzy im Interview am 23.5.2000).

In seinem Album „Sonun geldi“, das er mit Maho-B 1999 unter dem Namen Rapor 2 veröffentlichte, erschien der Song „Populär“, der genau dies thematisiert. Hier soll nur ein kurzer Ausschnitt zitiert werden: „Pop, pop, pop popüler pop

Pop, Pop, Pop populär Pop

Soruyom acaba bu popçular kimler

Ich frage mich, wer sind diese Pop-Stars

İyileride var ama genelde kötüler

Es gibt auch gute, aber meistens schlechte

Midemi bulandırıyor yaptıkları müzikler

Die Musik, die sie machen, erzeugt bei mir Übelkeit

Ama hepside maşallah manken gibiler Bacaklar çok güzel, iridir göğüsler

Aber alle sind wunderbar wie Models Die Beine sind sehr schön, riesig die Brüste

İki cümle nakarat ve boş sözler

Zwei Sätze Refrain und leere Texte

Bir klip cek yayınlat televizyonda

Dreh ein Klip und sende es im Fernsehen

212 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Hergün çıkar karşına karşına çünkü o po-

Dann siehst du es jeden Tag, denn es ist

püler

populär49“

Die Rap-Texte, aber auch die Interviewaussagen von MCs über Pop-Musik, ähnelten sich stark und wurden von Beginn der türkischen Rap-Musik an in der Türkei stets in unterschiedlichster Form thematisiert. Die Kritik galt stets der Banalität, der Freizügigkeit, der Künstlichkeit, der Oberflächlichkeit. Oft wurde die Kritik an Pop mit Kritik an der sosyete in Zusammenhang gebracht, einer Szene von zahlreichen wohlhabenden Prominenten aus der Pop-Branche, die im Mittelpunkt des medialen Interesses standen. Während die Kritik seitens Rapor 2 noch zurückhaltend war, veröffentlichte Yunus Özyavuz als Sagopa Kajmer inoffiziell, also Underground, einen Song unter dem Titel „S*kt*r*n gidin“ (Verpisst euch), in dem der Einfluss des Berliners Fuat sowohl in der Betonung der Wörter als auch im Text unverkennbar ist. Der Text setzt sich abwertend mit der Popmusik auseinander: Auszug aus Sagopa Kajmer – S*k*ir*n Gidin50 Album Pesimist ep (Underground 2000) „Pop kültürü sardı korkularımı eritti rüya-

Die Pop-Kultur macht mir Angst und

larımı binlerce genç paçoz dinledi bu

vernichtet meine Träume, Tausende junge

am*n*

Penner hören auf diese Gef****kten

Koduklarımı ne alaka var sözlerinde nede

die haben keine Bedeutung in ihren Tex-

ritimlerinde bir temel

ten und keinen Rhythmus in ihrem Beat

Şerefsiz 3 kağıtçı köpekler

Ehrlose, betrügende Hunde

Ticari işler s*km*ş sizin g*t*n*zü

der Handel hat euch in den Ar**h gef***kt

İmaj makerlar uzatmış ömrünüzü

Die Image-Maker haben euer Leben verlängert51

Der Inhalt unterscheidet sich diesem Text kaum von anderen popkritischen Texten anderer Rapper. Auch hier werden die Bedeutungslosigkeit der Texte, die Kommerzialität, die Künstlichkeit und der Mangel an Geist in der türkischen Pop-Musik abgeurteilt. Der Unterschied liegt aber in der besonders vulgären und sexistischen Form, die schon für den Rap von Fuat charakteristisch war. 49 Übersetzung durch die Autorin. 50 Songtext auf der Website sarki.alternatifim.com (Hrsg., o.J.): Sagopa Kajmer – S*kt*r*n Gidin. 51 Übersetzung von DonMega (2001), überarbeitet durch die Autorin.

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Interessanterweise kritisierte Yunus Özyavuz die Pop-Musik im Interview wegen ihrer zu freizügigen Texte und verband dies mit dem „Magandalık“, dem Maganda-Sein: „Solche Songs wecken bei den Menschen das Interesse. Warum? Weil in unserer Kultur zurzeit unter den jungen Menschen ‚Magandalık‘ herrscht (…) Die Konversation geht unter die Gürtellinie (bel altında muhabbetleri vardı). Also in der Türkei ist das wichtigste der Sex. Immer. (…) das sind sehr wichtige Sachen für die türkische Jugend. Wenn du auf der Straße läufst und ein Mädchen siehst, denkst du nur an schlechte Sachen. Die türkische Jugend ist so. Aber, dass das Mädchen hübsch ist, wird nicht erwähnt. Sie denken nur Schlechtes über sie.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Er kritisierte die ständigen sexuellen Anspielungen in Shows und die freizügigen Texte in Pop-Songs scharf, weil sie von kleinen Kindern nachgesungen wurden und diese negativ beeinflussten: „Der türkische Pop hat die Menschen sehr beeinflusst. Die Familie hat er in einer schlechten Weise beeinflusst. Kleine Kinder, acht, neun Jahre alte Grundschulkinder haben diese Lieder nachgesungen.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Verglichen mit seinem Song „S*kt*r*n Gidin“ ist aber sicherlich jeder Pop-Song kinder- und jugendfreundlicher. Der Unterschied, den er macht, ist jedoch die Verbreitung einer Musikform, die über die Medien auch Kinder erreicht, im Gegensatz zur Verbreitung seiner ausnehmend vulgären, sexistischen Rap-Songs über das Internet, die eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. Seine harten Texte voller vulgärer Beschimpfungen wie auch ähnliche Texte, die nach 2000 von anderen MCs produziert worden sind, sollten allerdings stets vor dem Hintergrund gesehen werden, dass diese sich in der Türkei nicht eigenständig entwickelt haben, sondern eindeutig eine Imitation von Fuats Rap-Musik aus Berlin sind, also ein Ausdruck transnationaler Bindung, in der die eine Seite den Stil der anderen Seite kopierte. Während die türkische Pop-Musik in Berlin wegen des Männlichkeitsbildes abgelehnt wurde, stand dies in Istanbul zunächst gar nicht im Mittelpunkt des Interesses. Kritisiert wurde stets die freizügige Kleidung der Frauen, die durch ihr erotisches Auftreten berühmt wurden. Doch diese Abgrenzung über die Präsentation des Frauenbildes war nur ein Aspekt der Einstellung gegenüber der PopMusik und wurde in den Songs nur in einer Zeile erwähnt. Die Ablehnung der Sensationslust, die Banalität und ganz allgemein die sensationshungrigen Medien standen weitaus stärker im Vordergrund. Mit Fuat wurde der Blick stärker

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auf das Männlichkeitsbild in der Pop-Branche gelenkt, sodass nach 2000 nicht nur die Sprache der türkischen Rap-Musik härter und vulgärer wurde, sondern auch das Männlichkeitsbild in der Pop-Branche negativ dargestellt wurde52. Der Homophobie, die in der Türkei ohnehin besonders ausgeprägt vorhanden ist, erhielt über den Einfluss des Battle-Raps aus Deutschland eine neue Plattform, um sich auszudrücken. Ende der 1990er Jahre konnte die Grenze zwischen Pop und HipHop noch klar gezogen werden, war HipHop doch tatsächlich eine marginale, von den Medien und der Gesellschaft ignorierte beziehungsweise abgelehnte Kultur. HipHop und Underground standen dem Pop und den Medien diametral gegenüber. In den nächsten Jahren sollte diese Grenze verschwimmen. Ceza arbeitete mit den PopSängerinnen Candan Erçetin und Burcu Güneş zusammen, rappte für die Werbung im Funk und Fernsehen. Fuat und Ceza traten gemeinsam in einer türkischen Werbung für eine Süßigkeit auf (s. Kap. 8). Mit ihrer steigenden Popularität traten die Rapper zunehmend in Shows auf, in denen sie nicht nur sich und ihre Musik vorstellten, sondern auch Konflikte und Anfeindungen innerhalb der Rap-Gemeinschaft medial präsentierten. Rock: eine paradoxe Beziehung Die seit den 1980er Jahren zunehmend in Istanbul verbreitete Rockmusik prägte das subkulturelle Leben der jungen Menschen in dieser Stadt in einem besonderen Maße. Zahlreiche Rock-Cafés, Veranstaltungen, Festivals, Zeitschriften, Läden und auch Musik-Labels ermöglichten den jungen Menschen, diese Kultur auszuleben. Das Verhältnis zwischen der etablierten Rock-Kultur und der damals relativ neuen und weitgehend abgelehnten HipHop-Kultur war gespalten. Die Trennlinie verlief in beiden Kulturen wider Erwarten nicht zwischen beiden Jugendkulturen, sondern zwischen Professionellen und Fans. Rock-Labels wie Hammer-Müzik und Zihni Müzik unterstützten die HipHop-Kultur, Konzertbetreiber gaben MCs die Möglichkeit, auf Rock-Festivals aufzutreten, die RockZeitschrift Roll berichtete regelmäßig über HipHop-Gruppen und MCs, die Fans kauften in den gleichen Läden ein. Die Rapper, mit denen ich Interviews führte, 52 In einem 2005 veröffentlichen Interview in der Rockzeitschrift Roll bemerkt Ceza, dass er die Begriffe, die mit Homosexualität in Verbindung stehen, metaphorisch als Schimpfwörter benutzt, ohne dass es eine tatsächliche Feindschaft gibt. Gleichzeitig distanziert er sich klar von Homosexuellen: „Ehrlich gesagt, mag ich Homosexualität nicht. Letztendlich habe ich Respekt, aber ich habe leider nicht solche Freunde. Nicht leider, also keine. Ich sage auch nicht, hätte ich doch welche und würde sie mögen.“ (Dogsbark.blogcu.com, o.J., im Internet) Übersetzung aus dem Türkischen durch die Autorin.

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gaben an, selbst früher Rock-Musik gehört und Freunde aus der Rock-Szene zu haben. Ozzy (Orhan) erwähnte beispielsweise zuerst Rock (Hard Core) gehört, und erst später mit Rap angefangen zu haben. Auch Ceza ist im häuslichen Umfeld mit Rock-Musik aufgewachsen. Die MCs selbst waren an Cross-over-Produktionen interessiert. Ozzy und Ceza waren mit den Musikern der türkischen Rock-Gruppe Radical Noise befreundet, Ozzy hatte schon mit ihnen eine Single veröffentlicht. Die Feindschaft zwischen den Fans bzw. die offene Ablehnung und Anfeindungen der MCs seitens der Rock-Fans konnten Rapper nicht nachvollziehen. Ozzy beispielsweise zählte im Interview die weltweit bekannten Cross-over-Produktionen von Rock und Rap auf und kritisierte die Anti-Haltung der Rock-Fans gegenüber Rappern auf Rock-Konzerten in Istanbul: „Das ist etwas Absurdes (saçma). Wie können Rocker und Rapper Feinde sein, (…) Das sind professionelle Musiker. Sie sind weltweit bekannt.“ (Ozzy im Interview am 23.5.2000)

Auch Ceza verurteilte die Feindschaft eindeutig: „Unser Verhältnis zu Underground-Gruppen ist gut. Es gibt zum Beispiel eine HardGruppe Radical Noise. Die wollen mit uns ein Projekt machen. Es gibt zum Beispiel eine Gruppe Raşit, eine Punk-Gruppe. Das sind auch unsere Freunde. (…) Die Musik-Gruppen sind zwar untereinander befreundet, aber die Masse (kitle) ist, weiß nicht, alle sind Feinde. Die streiten sich. Zum Beispiel kam zum Metallica Konzert Megalomaniax [Anm. d. Autorin: deutschtürkische Crossover-Band]. Wie nah sind sie doch an Rock. Wie nah sind sie an Metal. Was haben die nicht auf die Männer geworfen. Flaschen, Wasser, alles haben sie auf die Bühne geworfen, aber in Deutschland kann eine Rap-Gruppe und eine RockGruppe auf die gleiche Bühne gehen. Da können Festivals organisiert werden. In der Türkei gibt es sofort Streit, also es passiert etwas. Daher müssen wir die Tabus brechen.“ (Ceza im Interview am 10.5.2000)53

Während die MCs sich in ihren Rap-Texten und in Interviews klar von Pop abgrenzten, betonten sie zugleich in den Interviews die Nähe zum Rock, trotz der Anfeindungen von dieser Seite. Im Kapitel 6.2.3 werde ich genauer auf dieses Phänomen eingehen.

53 Im Kapitel 6.2.3 gehe ich genauer auf das Konzert von Megalomaniax ein.

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5.2.5 Frauen im HipHop Wie generell im HipHop, so war und ist auch in der Istanbuler HipHop-Szene der Anteil an aktiven weiblichen HipHoppern sehr gering. Die bekanntesten aus Istanbul stammenden Rapperinnen Kolera, Elif und Ayben erhielten von den wichtigsten Vertretern der türkischen Rap-Musik Unterstützung: Kolera von ihrem späteren Ehemann Yunus Özyavuz (Sagopa Kajmer), Ayben und Elif von Ceza, dem Bruder von Ayben. Bevor sie selbst Alben veröffentlichten, wurden sie durch die Beteiligung an anderen Alben bekannt. Ayben wurde beispielsweise in den Alben von Nefret „Meclis-i ala“ und „Anahtar“ später im Solo-Album ihres Bruders Ceza „Rapstar“ gefeatured, aber auch von Fuat und Narcotic. Auch Elif sollte in den nächsten Jahren zunehmend mit Rap und ihren Beats professionell aktiv sein. Ende der 1990er Jahre standen die weiblichen MCs in Istanbul noch am Anfang ihrer Karriere und hatten noch keinen Einfluss auf die HipHopSzene. Dennoch möchte ich kurz auf diese Frauen eingehen. Generell äußerten männliche Rapper den Wunsch nach mehr weiblichen Rapperinnen. Tarık (Dr. Fuchs) betonte im Interview, dass sie im Album „Meclis-i ala“ bewusst weibliche „vokaller“ (Stimmen) eingesetzt haben, um Frauen zu unterstützen. Trotz der Unterstützung seitens der Rapper lockte die harte, kämpferische Selbstpräsentation von Rapper kaum Frauen an, sich aktiv in die Kultur einzubringen. Dennoch konnte Rap auch für Frauen ein Medium sein, gegen gesellschaftliche Missstände zu rebellieren. Der MC Ozzy (Orhan) aus Gemlik, der 2000 in Istanbul wohnte und einer der beiden MCs von Rapor 2 war, wehrte sich im Interview gegen Sexismus und wies auf einen von Rapor 2 veröffentlichten Song54 hin, in dem sich ein weiblicher MC (Zeynep Yavuzer) im Song „Hayır, hayır“ (Nein, Nein) gegen die Unterdrückung von Frauen wehrt. Während Zeynep die eingeschränkte Freiheit von Mädchen und die häuslichen Aufgaben von Frauen kritisiert und mit dem Refrain „hayır, hayır“ dagegen protestiert, rappt im Hintergrund eine Stimme zunächst Klischees, wie beispielsweise „Saçın uzun aklın kısa“ (deine Haare sind lang, dein Verstand kurz), doch anschließend geht es darum, dass Frauen und Männer nicht getrennt werden sollten, und darum, die Unterdrückung von Frauen nicht stillschweigend hinzunehmen. Die männliche Stimme im Hintergrund klingt sowohl im ersten als auch im zweiten Teil, wenn der Rapper aufruft, sich gegen dagegen zu wehren, sehr machohaft, sodass das harte, kämpferische und männliche Wesen des HipHop nicht angetastet wird.

54 Der Song wurde 1999 im Album „Sonun geldi“ (Dein Ende ist gekommen) veröffentlicht.

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Einen klaren feministischen Ansatz verfolgte Sultana, eine türkischstämmige Rapperin aus New York, die mit ihrem Rap-Song „Kuşu kalkmaz“ im Jahre 2000, einige Monate nach meiner intensiven Feldforschungszeit in Istanbul, für Aufsehen in der Türkei sorgte, und das weniger innerhalb der HipHop-Szene als in der breiteren Gesellschaft. Der Titel „kuşu kalkmaz“ (Sein Vogel erhebt sich nicht) ist eine Metapher für „er bekommt keine Erektion“. Im Song beschreibt Sultana einen Mann, der zuhause eine Frau und Kinder hat, diese allerdings vernachlässigt und stattdessen sein Geld und seine Zeit im Bordell für eine andere Frau bzw. im Striptease-Lokal und mit Alkoholkonsum verschwendet. Der Song handelt von der männlichen Doppelmoral, selbst sexuelle Freiheiten auszuleben und gleichzeitig die sich aufopfernde Ehefrau zu vernachlässigen. Die Reaktion seitens RTÜK hätte diese Doppelmoral nicht deutlicher bestätigen können. Drei Fernsehsender mussten nach der Ausstrahlung des Videoclips vorübergehend wegen der freizügigen, „jugendgefährdenden“ Aufnahmen schließen. Gleichzeitig liefen seit Jahren Videoclips und Shows mit freizügigen Frauen ohne strafrechtliche Konsequenzen für die Sender. Sultana war sich bewusst, dass im HipHop ein gewisser Machismo herrscht, dennoch nutzte sie Rap-Musik, um gegen gesellschaftliche Missstände zu rebellieren: „Also meine Perspektive ist mehr ‚female perspective‘, sie enthält mehr soziale Themen. (…) ich schaue mehr auf die sozialen Themen, auf die politische Themen, ich schaue mit Humor. (…) Der amerikanische HipHop ist ‚gun‘, also mit Waffen, ein Gangsterstil. Also nicht ganz Gangster, aber Straße und das Elend auf der Straße. Du musst immer stark sein, mit Gewehr und so was. Das ist nicht meine Sache. Aber das ist nicht die einzige Art von HipHop. Sie können sehen, dass der HipHop aus Atlanta eher eine Party-Stimmung hat, das, was aus dem Westen kommt ist ‚relax‘. Also letztendlich ist es eine Form, sich auszudrücken (ifade biçimi). (…) Wenn du Ungerechtigkeiten siehst, kannst du das sagen, es ist wie ein Schrei (haykırı), HipHop.“ (Sultana im Interview im Mai 2000)

Den Sexismus sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene lehnte sie ebenso ab, wie innerhalb der HipHop-Kultur, wobei sie sich auf den HipHop in Amerika bezog, da sie zur Zeit meiner Feldforschungszeit noch über keine Erfahrungen in der Istanbuler HipHop-Szene hatte. „Also ich schaue auf HipHop, sehr Macho, kommt von der Straße, sehr hart. Weil das Leben, wenn Sie an New York denken, sehr hart ist. Hier gibt es Armut, Gewalt und natürlich Machismo. Für schwarze Frauen ist es natürlich schwer, in so einem Umfeld anerkannt zu werden. (…) Die Männer tragen weite Hosen, tragen hässliche Sachen, eigentlich mag ich die Kleidung, Trainingsanzüge. Dann schauen sie die Frauen an, die Brüste

218 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN sind draußen, machen komische Posen, der Po ist draußen, letztendlich sind die Sexobjekte. Und ich bin dagegen.“ (Sultana im Interview im Mai 2000)

Sie selbst hatte in New York keinerlei Benachteiligungen als weibliche MC erfahren. Istanbuler Rapperinnen thematisierten Sexismus Ende der 1990er Jahre dagegen noch nicht in ihrem Rap. Dennoch präsentierten sie selbstbewusst den weiblichen Part, wobei Ayben im Interview betonte, keine Feministin zu sein. Erst später sollte auch ein Begriff wie „bitch“ im Rap der Frauen auftauchen. Obgleich die Präsentation von Härte und Männlichkeit dem HipHop eine gewisse Authentizität verlieh und es für Mädchen und Frauen nicht besonders attraktiv war, sich aktiv an dieser Kultur zu beteiligen, waren Frauen in der Rap-Szene nicht unbedingt benachteiligt. Eine Frau konnte in so einem Kreis sogar den Vorteil der Andersartigkeit nutzen. Elifs Erfahrungen zufolge ist es in der Türkei als Frau sogar einfacher, mit HipHop in die Öffentlichkeit zu treten. Sie selbst machte durch ihre HipHop-Kleidung und ihre vielen langen, geflochtenen Zöpfe, die sie Anfang 2000 trug, einen interessanten Eindruck und wurde zu Gesprächen in den Medien eingeladen. „Mein Aussehen gefiel ihnen. Sie schauten mich genauer an, meine Kleidung, meine Frisur, es gefiel ihnen. Sie interessieren sich nicht so sehr für die Musik, sondern für meinen Typ. Ich denke, dass ein Mann sicherlich nicht zu den Gesprächen eingeladen worden wäre.“ (Interview mit Elif am 17.5.2000)

Elif und Ayben wussten die Exotik, die eine weibliche Rapperin mit sich brachte, zu schätzen: „Hier [Anm. d. Autorin: in Deutschland] können die gar nicht glauben, dass so etwas aus der Türkei kommt, dass du als Frau Rap machst. Die Bewunderung in den Gesichtern und der Gesichtsausdruck, es nicht glauben zu können, haben mich so stolz gemacht. (…) Die Leute schauten mich mit offenem Mund an und ich war sehr glücklich. In der Türkei ist das auch so.“ (Ayben im Interview am 6.01.2006)

Weiblichen MCs sollten in Istanbul erst nach 2000 zunehmend in die Öffentlichkeit treten. Von Beginn an präsentierten sie ein bestimmtes Frauenbild: selbstbewusst, weiblich, aber nicht freizügig oder moralisch skandalös wie in der PopSzene. Sie trugen weite Hosen, wie ihre männlichen Kollegen, ihre Bewegungen und Gesten ähnelten denen der männlichen MCs. Mit ihren langen Haaren, den engeren Oberteilen und ihren Stimmen brachten sie zwar eine weibliche Nuance in den HipHop, doch unterschied sich ihr Auftreten und Stil nicht in dem Maße

5. A UTHENTIZITÄT , K LASSE UND M ÄNNLICHKEIT

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von dem der Männer wie in der türkischen Pop-Kultur oder im amerikanischen HipHop. Statt ihre Besonderheiten auszunutzen und weibliche Loyalität oder Solidarität zu präsentieren, „dissten“ sich die Frauen. Die spätere Feindschaft zwischen Ceza und Yunus Özyavuz zog eine offene Feindschaft zwischen Ayben und Kolera nach sich. Doch auch die New Yorkerin Sultana und die Berlinerin Aziza A. sollten noch von Ayben „gedisst“ werden. Sympathie und Antipathie, gemeinsame Veröffentlichungen oder Feindschaft zwischen den Rapperinnen wurden eindeutig über die Beziehungen der männlichen Rapper untereinander bestimmt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Vergleich von Wertungskriterien, der gesellschaftlichen Positionierung und Grenzziehungen gegenüber anderen Gruppen zeigt, wie unterschiedlich die Werte einer Jugendkultur in beiden Städten angenommen und neuinterpretiert werden können. In Berlin waren HipHop und damit auch Rap-Musik eine sehr weit verbreitete Kultur unter deutschtürkischen Jugendlichen, die eine gesellschaftliche Außenseiterposition einnahmen. Neben der Fähigkeit zu rappen bestimmten herkunftsbedingtes soziales Kapital, negative biographische Erlebnisse bzw. die Inszenierung einer Außenseiterherkunft weitgehend das subkulturelle Kapital. Das inkorporierte Kapital innerhalb der deutschtürkischen Szene wurde nicht nur über Kompetenz, sondern auch über das Lernen durch die „harte Schule der Straße“ gemessen. In Istanbul drehte sich der Diskurs um ernstzunehmenden Rapper oder HipHop-Aktivisten insbesondere um die binären Begriffe „Underground“ und „Kommerz“ sowie um „Wissen“ und „Kompetenz“ versus „özenti“, den Nacheiferern, denen es an inkorporiertem subkulturellen Kapital fehlte, das allerdings nicht von den biographischen Erlebnissen bestimmt war. Denn im Gegensatz zu Berlin bewerteten Rapper in Istanbul das subkulturelle Kapital eines Rappers nicht nach seiner Herkunft oder einer harten Lebenserfahrung, wie beispielsweise „von der Straße zu sein“ oder Gefängnisaufenthalte. Sie selbst gehörten ethnisch und auch sozial zu den Etablierten. Das subkulturelle Kapital eines Rappers, aber auch eines ernstzunehmenden HipHop-Aktivisten, wurde an seiner Leistung, seiner Kompetenz und Wertschätzung gegenüber den Rap-Klassikern gemessen. Kulturelles Kapital in Form von institutioneller Bildung widersprach nicht den Wertmaßstäben der Rapper, sondern konnte das subkulturelle Kapital eher steigern. Trotz der andersgearteten gesellschaftlichen Position von Rappern und den damit einhergehenden Wertungskriterien vermittelten ihre Texte doch eine gewisse Authentizitätsvorstellung. Sie handelten von der Straße, von Leid und vom harten Leben in Istanbul. Die Unterschiede der Wertungskriterien sind dabei eindeutig auf die differente gesellschaftliche Position zurückzuführen.

220 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN

Dies bestimmt nicht nur die Selbstpräsentation und Wertungen innerhalb der HipHop-Szene, sondern auch Grenzziehungen zu anderen Gruppen. Dementsprechend wurde Authentizität nicht über das Bild vermittelt, zu einer sozialen Unterschicht oder zu Außenseitern zu gehören. Durch die Abgrenzung sowohl zum unteren sozialen Raum – beispielsweise durch die Verwendung des negativ besetzten Begriffs Maganda und des Begriffs Straßenkinder in der dritten Person – als auch durch die Abgrenzung zu den Bezirken, in denen die Reichen wohnen, positionierten sich diese jungen Menschen im mittleren Feld des sozialen Raumes. Die HipHop-Kultur erhält zwar einen subversiven und kämpferischen Charakter durch negative Darstellungen und Beschimpfungen, doch handelt es sich nicht um einen von einer benachteiligten Gruppe ausgelösten Kampf gegen eine selbst erlebte Diskriminierung und Unterdrückung. Die Rapper repräsentierten weder ethnisch noch sozial eine marginale Gruppe mit geringem symbolischen Kapital. Teilweise handelte es sich um Rückkehrerkinder aus Deutschland oder Kinder aus Familien, die zwischenzeitlich in Deutschland gelebt hatten. Aufgrund des schlechten Images der Deutschtürken verheimlichten oder thematisierten sie dieses biographische Detail jedoch kaum. Im nachfolgenden Kapitel werde ich genauer auf die negative Einstellung gegenüber Deutschtürken und ihre Hintergründe eingehen.

6. HipHop und Gesellschaft

Wie eingangs beschrieben ging der vorliegenden Studie über türkischen/ deutschtürkischen HipHop in Berlin und Istanbul eine größere Feldforschung über verschiedene Jugendszenen wie die Pop-Szene und die Schwulen- und Lesbenszene in beiden Städten voraus. Mein Entschluss, mich auf HipHop zu konzentrieren, resultierte aus der Tatsache, dass diese Kultur nicht nur Unterschiede aufwies, sondern dass über den gesellschaftlichen Diskurs über HipHop und die Art der Förderung bzw. Ablehnung in den Städten gesellschaftliche Phänomene wie Nationalismus, Ethnizität, Klasse und Männlichkeitskonzepte in besonderer Weise zum Ausdruck kommen und im Vergleich analysiert werden können. Zum tieferen Verständnis der HipHop-Kultur in den beiden Städten reicht es meines Erachtens nicht aus, sich ausschließlich dieser Jugendkultur zu widmen und die Rahmenbedingungen nur beiläufig zu erwähnen. Eine Subkultur ist, wie auch andere gesellschaftliche Phänomene, untrennbar mit dem Kontext verbunden, der ebenso beachtet und analysiert werden muss. Sie ist untrennbar mit der Figuration verbunden, in der sie sich entwickelt hat und in der sie weiterhin existiert. Wie ich im Kapitel 4 dargestellt habe, war der politische Kontext in Deutschland und der Türkei eine Art „Zünder“ für die Annahme der Rap-Musik unter deutschtürkischen und türkischen Jugendlichen, mit dem sie ethnische und nationale Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen konnten – in Deutschland als Außenseiter, in der Türkei als Etablierte. Zum Verständnis der ungleichen Entwicklung in den darauffolgenden Jahren und der spezifischen Situation Ende der 1990er Jahre ist es meines Erachtens notwendig, den Blick auf den gesellschaftlichen Kontext zu weiten und zusätzlich die institutionellen, ökonomischen und städtebaulichen Parameter sowie ihre Auswirkungen auf die jeweiligen Klassensysteme in beiden Städten zu spezifizieren und zu analysieren. Diese sind, wie ich in diesem Kapitel darstellen werde, neben den politischen Bedingungen die Grundlage für die daraus entstandene komplexe Figuration von unterschiedlichen Gruppen mit ihrer lokalen, nationalen und transnationalen Dimension. Der

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türkische und deutschtürkische HipHop seiner ganz besonderen Art und Verbreitung ist ein Teil und ein Produkt dieser vielschichtigen Figuration, in der unterschiedliche Gruppen ihre gesellschaftliche Position über Aneignung, Förderung oder aber auch Ablehnung und Hinderung der HipHop-Kultur ausdrücken. Nach der Darstellung dieser komplexen Figuration werde ich abschließend die Ergebnisse einer im Jahre 1999 von mir durchgeführten Feldforschung in Bodrum aufrollen und dabei nachvollziehen, wie diese Figuration mit ihrer nationalen und transnationalen Dimension innerhalb einer Ortschaft zum Ausdruck kommt. Diese soll als eigener Mikrokosmos in meine Untersuchungen einbezogen werden. Zusätzlich fließen in dieses Kapitel eigene Erfahrungen und Beobachtungen ein, die ich seit meiner Jugend in Berlin und Istanbul gemacht habe. Doch zunächst ein Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen in Berlin der 1980er und 1990er Jahre, auf die institutionellen, ökonomischen und städtebaulichen Konzepte dieser Zeit und damit auch auf das dort vorherrschende Lebensgefühl.

6.1 B ERLIN : J UGENDKULTUREN IN DEN 1980 ER UND 1990 ER J AHREN IN EINER VON DER M ITTELKLASSE GEPRÄGTEN S TADT HipHop kam Anfang der 1980er Jahre nach Berlin, zu einer Zeit, in der trotz steigender Arbeitslosigkeit ein gewisser Wohlstand herrschte und soziale Sicherungssysteme die Folgen der sozialen Ungleichheit verringerte (s. Kap. 3.4). Der gesamtgesellschaftliche Wohlstand führte dazu, dass die Bedeutung des ökonomischen Kapitals für die Lebensführung, für Stilwahl und Milieubildungen abnahm: „Man kann wählen, mehr noch; man muss wählen, wenn man überhaupt noch irgendwo dazugehören möchte“ (Schulze 1995:177). Im Gegensatz zu einer Metropole wie London waren weder Luxuslimousinen oder Luxusläden noch besondere Armut auf den Berliner Straßen präsent. Aufgrund der politischen Insellage der Nachkriegszeit war die Zahl der Großindustriellen in Berlin stark minimiert. Trotz steigender Arbeitslosigkeitszahlen führten vergleichsweise günstige Mieten, Lohnfortzahlung für kranke Arbeitnehmer und eine großzügige Arbeitslosenunterstützung, die sich nach dem Einkommen bemaß, zu einer relativ stabilen Mittelschicht. Auch aus Westdeutschland zugezogene NeuBerliner waren finanziell abgesichert oder fanden schnell eine bezahlte Tätigkeit. „Wer keinen [Anm. der Autorin: Job] findet, kennt zumindest das Lied: ‚Morgen geh ich zum Sozialamt. Da gibt es Geld‘“, schreibt Waltraud Schwab in der Ta-

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geszeitung (TAZ)1 rückblickend über das Leben im Berlin der 1980er Jahre. In diesem weitgehend von der Mittelklasse geprägten Stadtleben wurde nicht vordergründig das Ziel verfolgt, sich in die Oberschicht hochzuarbeiten oder ihre Lebensform zu imitieren. Die abnehmende Bedeutung des ökonomischen und sozialen Kapitals für die Lebensführung prägte auch jugendkulturelle Stile in Berlin. In den 1980er Jahren galt zwar das Interesse der Medien solchen Jugendkulturen wie Punk oder Rock, doch gehörte die Mehrheit der Jugendlichen nicht zu einer besonderen Jugendkultur2. Ein Großteil der Jugendlichen trug bezahlbare Sweatshirts, selbstgestrickte Pullover, T-Shirts und Turnschuhe. In zahlreichen Second-hand Geschäften konnten Jugendliche billige Kleidung erwerben, teilweise zu einem günstigen Kilopreis. Auf den ersten Blick scheint die damals für eine kurze Zeit aufgekommene Jugendkultur, die sich Popper nannte, eine Ausnahme gewesen zu sein. Doch ihre teure Marken-Kleidung mit Kaschmir-Pullovern und CollegeSchuhen, der Seitenscheitel mit dem ausrasierten Nacken und das arrogante, bewusst unpolitische Benehmen waren weniger auf soziale Unterschiede zurückzuführen. Diese Jugendlichen rebellierten gegen die Stillosigkeit der 68er und anderer Jugendkulturen wie Punks, Teds, Alternativen etc.3 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subkultur erforderte mit Ausnahme der Popper geringes ökonomisches Kapital. Jugendkulturen wie Punks, Hausbesetzer und Rocker präsentierten sich vorsätzlich anti-bürgerlich und positionierten sich bewusst als Randgruppen. Punks lebten die „Ästhetik des Hässlichen“ (Baacke 1987:62) aus, ihr Aussehen erforderte zwar viel Kreativität, einige Haarmodelle brauchten Zeit und Mühe, doch imagepflegende Accessoires wie Sicherheitsnadeln, Buttons und Haarfarbe waren auch für die untersten Einkommensgruppen erschwinglich. Eine gewisse Individualität konnte beobachtet werden, denn Jugendliche bewerteten sich gegenseitig in erster Linie nach ihrem Stil und nicht nach dem Beruf der Eltern. Eine neue Form von Vergemeinschaftung fand statt, die sich über den Stil definierte (Schulze 1995). In Bourdieus und Thorntons Kategorien: Jugendliche beurteilten sich untereinander in erster Linie nach dem kulturellen Kapital bzw. nach dem subkulturellen Kapital, das daran gemessen wurde, welcher Geschmack, welche Kenntnisse bezüglich des Stils der 1 2

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Schwab in der TAZ 2005, im Internet. Diese Aussage stützt sich auf eigene Beobachtungen und Umfragen aus der Zeit in Deutschland, die sich allerdings nicht speziell auf Berlin beziehen (vgl. Zinnecker 1987:192 und Kabel u.a. 1987:15, bezogen auf Allerbeck und Hoag). Siehe auch Krause, Patrick (2004): 25 Jahre „Popper“-Bewegung. Die Frisur, die hinten nicht hält, was sie vorne verspricht. In: Süddeutsche Zeitung, 21.06.2004 und Ulf Poschardt (2004): Die Rebellion der Kaschmir-Kinder, im Internet.

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Kleidung und Musik und der Wahl öffentlicher Räume (Diskotheken, Bars, besetzte Häuser etc.) ausgedrückt wurde. Das soziale Kapital wurde in diesem Kontext über die Repräsentation der Zugehörigkeit zu einem Stil gewertet und nicht über die tatsächliche soziale Herkunft. Das heißt, dass eher erworbene Kapitalien als herkunftsbedingte Kapitalien ausschlaggebend in der Vergemeinschaftung waren. Bis auf das kostenintensive Ausleben der Popper-Zugehörigkeit (Markenkleidung, häufiger Friseurbesuch u.a.) spielte das ökonomische Kapital keine besondere Rolle beim Ausleben einer Jugendkultur. Dies wurde dadurch gefördert, dass das Ausschlusskriterium in den Diskotheken und Clubs nicht hohe Eintrittsgelder waren, sondern ein Türsteher die Jugendlichen oft nach ihrem Stil aussiebte. In den 1990er Jahren verstärkte sich die Tendenz zur Individualisierung in dem Sinne, dass sich die starren Einteilungen in nur wenige bestimmte Jugendkulturen lockerten und verschiedenste Variationen von Jugendkulturen auftauchten. Zudem eröffnete die Wiedervereinigung Deutschlands jungen Menschen ein großes städtisches Gebiet zum Experimentieren mit alternativen Lebensformen. Zahlreiche junge Menschen besetzten in Ost-Berlin leer stehende Gebäude, eröffneten Lokale in Kellern und anderen leer stehenden Orten, ohne Komfort oder Sicherheitsvorkehrungen. Nicht das Teure, für Ärmere Unbezahlbare, sondern das „Verfallene“, das Improvisierte war „in“. Mit dabei waren diejenigen, die über das Insiderwissen verfügten, welches Lokal gerade angesagt war, und vor allen Dingen, wo sich dies befand, denn von außen waren die Lokalitäten oft nicht erkennbar. Hinter der von außen unscheinbaren Kellertür eines verfallenen Hauses konnte sich eine der angesagtesten Bars befinden. Nicht die ökonomischen Verhältnisse der Eltern, sondern das Kennen dieser Orte brachte junge Menschen zusammen. Die Begeisterung für das „Verfallene“ kann als Ausdruck für den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand der 1980er und 1990er Jahre interpretiert werden. Die Gesellschaft teilte sich nicht in zwei Gruppen, die sich durch extreme Armut oder extremen Reichtum auszeichneten. Stattdessen prägte die Mittelschicht das Leben in Berlin. Die Repräsentation der sozialen Außenseiterposition fand auf freiwilliger Basis statt und nicht aus dem Zwang der sozialen Lage heraus. Armut und Verfall konnten exotisch, cool und originell sein. 6.1.1 Die Heterogenität der innerstädtischen Wohngebiete Der gesamtgesellschaftliche Wohlstand machte sich auch dadurch bemerkbar, dass selbst die Wohngebiete der ärmeren Bevölkerung keinen echten GhettoCharakter besaßen. Trotz der großen Unterschiede zwischen den wohlhabenden Wohngebieten wie Zehlendorf und Westend und den ärmeren Bezirken wie

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Wedding und Kreuzberg zeichneten sich die Berliner Innenstadtbezirke in den 1990er Jahren durch eine gewisse Heterogenität aus, die sich unter anderem aus der besonderen historischen Stadtplanung und Bebauung ergeben4. Die typischen Gründerzeitbauten mit ihren Vorder- und Hinterhäusern ermöglichen das Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Schichten innerhalb eines Hauses5. Die Politik der behutsamen Stadterneuerung in den 1980er Jahre führte dazu, dass auch nach der Renovierung alter Häuser in ärmeren Bezirken die Mieten moderat stiegen, sodass sie für weniger begüterte Personen bezahlbar blieben. Darüber hinaus wurde die Heterogenität in der Stadt schon vor dem Mauerfall gefördert, weil Berlin ein Magnet für junge Menschen aus Westdeutschland war, die hier studieren, dem Militärdienst entgehen, oder auch als Künstler oder Musiker tätig sein wollten. Diese jungen Menschen fanden günstigen Wohnraum in den Altbauten Kreuzbergs oder im Wedding, also in Bezirken, die nicht nur als Arbeiterbezirke bekannt waren, sondern auch als Gebiete mit einem hohen Anteil an ausländischer Bevölkerung. Unterschiedlichste Gruppen, sowohl sozial als auch ethnisch, lebten hier auf engem Raum zusammen. Das Ghetto-Image, das nicht nur von medialer Seite konstruiert wurde, sondern auch von einigen Jugendlichen aus der Kreuzberger HipHop-Szene, entsprach trotz eines hohen Anteils an Menschen nichtdeutscher Herkunft nicht der Realität. Auch die klassischen Kategorien wie „bürgerlich“ oder „Arbeiterbezirk“ waren nicht mehr zutreffend, da die Studenten und Künstler, die in Kreuzberg oder in einem anderen innerstädtischen ärmeren Bezirk lebten, eher dem Kleinbürgertum zugeordnet werden konnten, wenngleich ihr Einkommen niedriger war als das der Arbeiter6. In Kreuzberg zu wohnen, wenig oder keine Miete zu zahlen, in besetzten Häu4

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Der Generalbebauungsplan von 1862 von Hobrecht bot die Grundlage für die Entstehung der Berliner Mietskasernenstadt. Siehe unter anderem Axthelm-Hoffmann (1993). Ein großer innerstädtischer Teil der Stadt besteht aus Gründerzeitbauten, bei denen der Wohnkomplex typischerweise über ein Vorderhaus, mindestens ein Hinterhaus und einen Seitenflügel mit je unterschiedlicher Ausstattung verfügt. Während die Vorderhäuser repräsentativ und komfortabel sind (Innentoilette, Stuck, Doppelfenster, Parkett etc.), haben die Wohnungen der Seitenflügel und im Hinterhaus oft nur ein oder zwei Zimmer und bis in die 1990er Jahre oft noch eine Außentoilette sowie Einfachverglasung. Die Miete entspricht auch heute noch der Ausstattung und fördert somit soziale Nähe von wohlhabenderen und ärmeren Schichten. Trotz der massiven Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg und dem Abriss vieler Altbauten in den 1960er und 1970er Jahren prägt diese Bebauung weiterhin Berlins Innenstadt, sodass in Altbauten auch heute noch unterschiedliche soziale Schichten nebeneinander wohnen können. Kaak 1988:18-20.

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sern bei teilweise sehr schlechten Wohnverhältnissen zu leben, musste nicht unbedingt aus sozialer Armut geschehen, sondern konnte auch eine freiwillige Entscheidung sein, konnte „cool“ sein. So war Kreuzberg7 bundesweit nicht nur wegen des hohen Anteils der türkischen Bevölkerung als „Klein-Istanbul“ bekannt, sondern auch für alternative, teilweise rebellische Lebensformen junger Menschen. Entlang der Oranienstraße etablierten sich Cafés, Kneipen, alternative Verlage und das SO36, ein Club, in dem Anfang der 1980er Jahre die „Einstürzenden Neubauten“ und die „Dead Kennedys“ auftraten. Durch seine Straßenschlachten am 1. Mai zwischen der Polizei und den „Autonomen“ (eine politisch extrem links angesiedelte Gruppierung) wurde Kreuzberg auch außerhalb Berlins zum berühmt-berüchtigten Bezirk. Kreuzberg gab jungen Menschen eine besondere lokale Identität und sein Ghetto-Image minderte nicht unbedingt sein Ansehen. Noch spezifischer identifizierten sich zahlreiche junge Menschen mit einem lokalen Bezugspunkt: „dem Kiez“. Ob nun im Wrangelkiez oder im Bergmannkiez, das Leben in einem Kiez, einem überschaubaren Gebiet mit einem Zentrum, in dem sich das öffentliche Leben abspielte, gab den Menschen ein Gefühl dazuzugehören. Die vielen Möglichkeiten, die ein Kiez den Menschen eröffnet, konnten dazu führen, dass sich auch junge Deutsche kaum außerhalb des Bezirkes aufhielten. Der Roman „Frank Lehmann“ kann exemplarisch für das Leben in Kreuzberg herangezogen werden. Wenngleich die Handlung keine reale Geschichte schildert, so zeigt der Autor doch, wie ich es selbst in den 1980er und 1990er Jahren erlebt habe: Die echte Kreuzberg-Verbundenheit vieler deutscher Kreuzberger und auch ihr räumlich eingegrenztes Leben in diesem Bezirk. Der Autor Sven Regener, gleichzeitig auch Musiker der Band Elements of Crime, verfügte selbst zwischenzeitlich über einen Übungsraum in der Naunynritze, in der sich ebenfalls die kreuzbergbezogenen Mitglieder von Islamic Force aufhielten. 6.1.2 Eine Jugendkultur der ethnischen und sozialen Marginalität wird populär Die soziale Herkunft im jugendkulturellen Bereich kann verstärkt in den Hintergrund rücken, wenn die Ausübung einzelner Stile geringes ökonomisches Kapital erfordert, die soziale Herkunft in der Anonymität der Großstadt nicht bekannt und sich das Aussehen nicht allzu stark voneinander unterscheidet. Auf dieser Basis können sich Individualisierungsprozesse entwickeln, in denen Jugendliche

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1982 betrug der sogenannte Ausländeranteil in Kreuzberg 27%, zwei Drittel davon waren türkischer Herkunft (Zumkeller 1984:66,83).

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selbst aussuchen, welcher Szene sie zugehören wollen, um bei ausreichendem subkulturellem Kapital, überzeugendem Verhalten und entsprechendem Aussehen, auch aufgenommen werden. Ein verlangsamender oder auch ein hindernder Faktor im Individualisierungsprozess ist das unveränderbare Aussehen der deutschtürkischen, insbesondere männlichen Jugendlichen. Die ethnische Herkunft konnte und kann noch heute ein Ausschlusskriterium in Diskotheken und Klubs sein, unabhängig vom Stil und Benehmen. Das heißt, auch bei ähnlichen ökonomischen Ressourcen und ähnlichem subkulturellen Kapital, wie beispielsweise der Kenntnis bestimmter Songs, dem Beherrschen eines bestimmten Tanzstils, entsprechendem Benehmen und Kleidungsstil, können deutschtürkische Jugendliche am Ausleben eines Stils gehindert werden. Das geringe symbolische Kapital der Herkunft der insbesondere männlichen deutschtürkischen Jugendlichen lässt sich somit nicht ohne Weiteres über den Stil aufwerten. Ethnische Merkmale wie Aussehen und Akzent sind in diesem Zusammenhang ein „verstärkendes Schibboleth“ (Elias & Scotson 1990:26), die eine Auflösung einer Etablierten-Außenseiter-Figuration auch im subkulturellen Bereich erschweren. Das Ausleben eines Stils und die Zugehörigkeit zu einem Milieu waren besonders in den 1990er Jahren in deutschtürkischen Einrichtungen vergleichsweise einfach möglich. Innerhalb dieser Einrichtungen konnte eine gewisse Individualisierungstendenz festgestellt werden. Die Jugendlichen fanden eher nach ihrem Stil und Auftreten als nach ihrer tatsächlichen sozialen Herkunft zusammen. Sie repräsentierten zwar zwei unterschiedliche soziale Klassen – HipHop eher die untere soziale Klasse und Pop eher die Mittelschicht –, doch zeigten meine Erfahrungen während der Feldforschung, dass in beiden Szenen am ehesten die Präsentation und das Verhalten und nicht die soziale Herkunft Ausschlusskriterien sein konnten. Für deutschtürkische Jugendliche waren Selbstethnisierungen wie beispielsweise über Rap-Musik, aber auch über die Eröffnung türkischer Diskotheken eine selbstbewusste Antwort auf die Ethnisierung und Diskriminierung von außen, auf die Grenzen, die ihnen wegen ihrer Herkunft und ihres niedrigen symbolischen Kapitals gesetzt wurden. Sowohl die Herkunft betonende RapMusik als auch die deutschtürkische Pop-Szene können als subkulturelle Ausdrucksformen einer Etablierten-Außenseiter-Beziehung interpretiert werden, als bestimmte Figurationen, durch die soziale und ethnische Benachteiligungen ins Positive umgedeutet und die Herkunft aufwertend in einer Jugendkultur ausgelebt wurden. Anfang der 1990er Jahre wurde deutschsprachiger Rap unter deutschen Mittelschichtskindern schlagartig populär. Durch die Betonung ihrer ethnischen

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Zugehörigkeit in der Rap-Musik der Nachwendezeit konnten sich deutsche Jugendliche, die sich vormals in der Kultur der ethnisch und sozial Marginalen nicht wiederfanden, mit der neuen Musik identifizieren. Rap wurde kommerziell sehr erfolgreich8. Obgleich deutschtürkische junge Menschen und auch solche anderer nationaler Herkunft schon zu diesem Zeitpunkt über mehr Erfahrungen im HipHop-Bereich verfügten, galten nicht sie als Vorreiter der deutschen RapMusik, sondern eine ethnisch deutsche Rap-Gruppe wie die Fantastischen Vier, die mit Rap kommerziell erfolgreich wurde. „Die Ausgrenzung der Migranten beginnt mit dem Erfolg von Deutschrap“, schreibt Güngör über diese Unterscheidung (2002:42). Dennoch führte meines Erachtens die Ethnisierung der Rap-Musik in deutsch und nichtdeutsch langfristig dazu, dass Stigmatisierungen und Grenzziehungen innerhalb dieser Kultur gelockert wurden. Der nun über 20 Jahre anhaltende Erfolg des deutschen Rap mit den damit entstandenen Strukturen und dem öffentlichen Interesse hat deutschtürkischen Jugendlichen auch langfristig die Möglichkeit gegeben, im HipHop erfolgreich zu sein. In keiner Jugendkultur waren und sind so viele junge Menschen türkischer bzw. nichtdeutscher Herkunft vertreten wie im HipHop. Ohne das mediale Interesse am HipHop wären beispielsweise Cartel und Rapper wie Kool Savaş und Eko Fresh kaum beachtet worden. Dass auch Einrichtungen, die sonst nicht viel mit Jugendkulturen zu tun haben, HipHop in ihr Programm aufnahmen, wie beispielsweise die Berliner Neue Nationalgalerie, ist sicherlich der großen Popularität und dem kommerziellen Erfolg von HipHop zu verdanken. Wie im Kapitel 4.1.3 dargestellt haben diese kommerziellen und kulturellen Möglichkeiten auch den Handlungsspielraum der deutschtürkischen HipHop-Aktivisten erweitert. Die Kultur der Marginalisierten ist ins Zentrum der Gesellschaft gerückt und dabei sind nach wie vor viele junge Menschen nichtdeutscher Herkunft, so auch türkischstämmige HipHop-Aktivisten. Jugendgruppen wie Punks und Rocker leiteten ihre Identität von einer subversiven Gegenpositionierung zum Mainstream und zum Bürgerlichen oder aber auch, wie im Falle der Popper, von der Stillosigkeit anderer Jugendkulturen ab. Diese Positionierungen geschahen freiwillig und waren nicht zwangsläufig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse bestimmt. Bis auf rechte SkinHeads zogen die Jugendlichen ihre Identität nicht aus der Betonung ihrer ethnischen Herkunft. HipHop dagegen repräsentierte zunächst nicht nur die soziale Unterschicht, sondern auch die ethnische Marginalität und zog schon in den 8

Nach dem Millennium sollte sich dieser Trend verstärken. Sogar die inzwischen nicht mehr existierende Krankenkasse BKK warb mit Rap gegen Karies. 2008 erschien eine Audio-CD mit „Raps zur lateinischen Grammatik“. Mit einer CD von „Dichter und Denker“ kann „Der Zauberlehrling“ von Goethe in Rap-Form gelernt werden.

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1980er Jahren zahlreiche türkischstämmige Jugendliche an, die sich aufgrund ihrer Herkunft in dieser Kultur repräsentiert fühlten. Später verlagerte Deutschrap das Image von HipHop von einer Kultur der Außenseiter zu einer Kultur der Etablierten. Während zu dieser Zeit innerhalb der HipHop-Kultur eine Spaltung entlang des ethnischen Außenseiter- bzw. Etabliertenstatus zu beobachten war (Güngör/ Loh 2002), trat spätestens mit Battle-Rap die Herkunft in den Hintergrund. In den Texten der in Berlin initiierten Battle-Rap-Musik ging es vornehmlich darum, den anderen auf eine obszöne Weise zu erniedrigen und die eigene Überlegenheit darzustellen. Die Grenzen zwischen nichtdeutsch und deutsch wurden zunehmend durchlässiger. Ende der 1990er Jahre erhielten Fuat und Kool Savaş aufgrund ihrer Leistung in der deutschen HipHop-Szene in Berlin viel Anerkennung. Feindschaft schlug Kool Savaş wegen seiner beleidigenden Texte und nicht wegen seiner ethnischen Herkunft entgegen. Von staatlicher Seite wurde den Jugendlichen eine große Freiheit eingeräumt, ihre gesellschaftlichen Positionen und ihren Protest auszudrücken. Die Betonung der türkischen Herkunft und der politische Protest waren über RapMusik möglich, ohne juristische Konsequenzen befürchten zu müssen. In dieser Etablierten-Außenseiter-Figuration, die auf ethnischer Zugehörigkeit basierte, konnte Rap-Musik eine Ausdrucksform von Außenseitern werden, die sich Gehör verschaffen wollten. Etablierte – in diesem Fall der Staat – bedienten sich keiner undemokratischen Mittel, um den Protest von Außenseitern zu unterdrücken. Eine Grenze dieser Freiheit wurde allerdings beim Battle-Rap gesetzt. So musste der Musiksender Viva ein Video von Kool Savaş absetzen, weil seine Texte zu pornographisch waren9. Es scheint, als habe im Laufe der 1990er Jahre eine Art Pluralisierung und ein Individualisierungsprozess in der HipHop-Kultur stattgefunden, was dazu führte, dass sich unterschiedlichste Stile entwickelten und diese Kultur, die ursprünglich das unveränderliche soziale Kapital der sozialen und ethnischen Herkunft repräsentierte, nun ihre starren Grenzen sprengte. Die Repräsentation bzw. die Inszenierung stand zunehmend im Vordergrund, nicht die Herkunft. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Herkunft grundsätzlich ignoriert wurde. Tatsächlich konnte ein Rapper noch 2010 wegen seines Studiums „gedisst“ werden. Dennoch hat sich im Laufe der Jahre Rap ebenso unter Studenten verbreitet wie neuerdings auch in der Schwulen- und Lesbenszene. Durch die uniforme Kleidung, die gleiche Körperhaltung und deutsche Sprache sowie Imitation des deutschtürkischen Akzents seitens einiger deutscher Rapper und der englischen

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Beitrag auf scr”nshine.net vom 15.10.2002: viva kool savas. Im Internet.

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Künstlernamen kann kaum auf die Herkunft geschlossen werden. Die ethnische Herkunft kann im HipHop weiterhin stark präsentiert werden und gleichzeitig kann diese gerade hier in den Hintergrund rücken. Zu diesem Individualisierungsprozess kommt noch hinzu, dass individuellen Lebensentwürfen in Berlin aufgrund der vergleichsweise leichten Lebensbedingungen eher nachgegangen werden konnte. Im Gegensatz zu Istanbul waren die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zu den Gehältern verhältnismäßig niedrig. Es bestand die Möglichkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden, von einer Hilfsarbeit zu leben und sich gleichzeitig intensiv mit HipHop zu beschäftigen. Fuat beispielsweise konnte seiner Leidenschaft für den Rap nachgehen und finanzierte dies durch eine Hilfsarbeit bei einer Berliner Zeitschrift10. Der später erfolgreiche Produzent Zafer Kuruş nahm in den 1990er Jahren einen hohen Kredit auf, um ein Studio in seiner Mietwohnung einzurichten, und zahlte diesen Kredit durch einen Hilfsarbeiterjob am Flughafen ab11. Die Frage, der ich im Folgenden nachgehen werde, ist, wie es dazu kam, dass deutschtürkische junge Menschen ohne familiäre Unterstützung und mit geringen ökonomischen Ressourcen schon im Jugendalter im HipHop sehr aktiv waren und sich professionalisieren konnten, bevor diese Kultur zum Massenphänomen wurde? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich im Folgenden auf die institutionelle Einbettung der HipHop-Kultur in Berlin eingehen. 6.1.3 Institutionelle Einbettung der HipHop-Kultur als Katalysator im Individualisierungsprozess Bis Mitte der 1990er Jahre scheint es auf den ersten Blick möglich zu sein, eine klare Linie zwischen Außenseitern und Etablierten zu ziehen, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Deutschen und Türken. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass zwar das Interesse seitens der deutschtürkischen Jugendlichen für diese Kultur tatsächlich einer gesellschaftlichen Randposition entspringt, das Ausleben allerdings institutionell eingebunden war, und ist12. HipHop war und ist ein wichtiger Teil der städtischen Jugendarbeit13. Nach dem die Modewelle in den 1980er Jahren abgeebbt war, lebten türkischstämmige Jugendliche den HipHop in städtischen Jugendzentren aus, nicht etwa in ethnischen Organisationen oder Vereinen, die zu dieser Zeit folkloristische und traditionelle musikalische Kurse anboten. 10 11 12 13

Gespräch mit Fuat am 4.8.1999. Informationen aus dem Interview mit Zafer am 6.10.1999. Vgl. Çağlar (1998). Siehe auch Cheeseman (1998:198).

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Um diese Form der institutionellen Einbettung von HipHop und ihre Auswirkung zu verstehen, möchte ich im Folgenden einen Blick auf die kulturpolitische Seite der Mehrheitsgesellschaft werfen. Wie kam es, dass Jugendliche Möglichkeiten erhielten, ihre eigenen Interessen institutionell eingebunden auszuleben, und warum ist ausgerechnet HipHop über so viele Jahre durchweg ein wichtiger Teil der Jugendarbeit? Historisch bedingt existiert in Berlin eine vergleichsweise hohe Zahl an Jugendeinrichtungen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von den Alliierten in der Nachkriegszeit unterstützt, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die jungen Menschen der ‚Frontstadt‘ zu einer ‚demokratischen Jugend‘ umzuerziehen14. Seit dieser Zeit haben sich als Folge veränderter gesellschaftlicher Strukturen und zunehmenden Wohlstands in der institutionellen Jugendarbeit entscheidende Veränderungen durchgesetzt. Noch bis in die 1960er Jahre bestimmte das Wertesystem der Nachkriegszeit die Kulturpolitik, die eine Hochkulturpolitik zu sein hatte und das Ziel „Bildung und Kultur für alle“ vertrat (Schulze 1995:534f.). Die Alternativbewegung distanzierte sich Ende der 1960er Jahre vom Kommerz, auch von der Hochkultur und beeinflusste in den folgenden Jahren die Kulturpolitik, die nun Ideen wie Stadtteilzentren, Festivals etc. übernahm und förderte (ebd. 540). Angeregt von der in den 1970er Jahren erhobenen Forderung von Hermann Glaser, jegliche Kultur als Soziokultur15 zu bezeichnen, wurden zahlreiche soziokulturelle Zentren gegründet oder Jugendfreizeitheime in solche umgewandelt, wo seither unterschiedlichste Gruppen zusammenkommen. „Magische Worte dieser kulturpolitischen Diskussionsphase sind etwa ‚Kreativität‘, ‚Selbstverwirklichung‘, ‚Autonomie‘, ‚Identität‘, ‚Selbermachen‘, ‚Aktivierung‘, ‚Animation‘. Der ‚Kulturarbeiter‘ der siebziger und achtziger Jahre versteht sich als Auslöser kultureller Eigendynamik: Er will Denkanstöße geben, Initiativen in Bewegung bringen, schlummernde Potentiale wecken, aus der Passivität herausreißen, zum Mitmachen stimulieren“ (Schulze 1995:540). Die heutige Jugendarbeit findet ihre gesetzliche Grundlage im Kinder- und Jugendhilfegesetz. So besagt § 1 (1): „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“16. Dieser und die folgenden Paragra14 Konzeption und Selbstdarstellung – Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum Naunynritze & Naturspielplatz Civilipark (1999:6). 15 Siehe hierzu den Beitrag von Bundesvereinigung Kultureller Zentren e.V. (Hrsg., o.J.): Begriff Soziokultur. Im Internet. 16 Kindex. Kinder- und Jugendthemen (Hrsg., o.J.): Gesetzestexte: KJHG – Kinder- und Jugendhilfegesetz. Im Internet. Siehe auch „Konzeption und Selbstdarstellung Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum Naunynritze & Naturspielplatz Civilipark“ (1999:12).

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phen verdeutlichen, wie weitgehend gesellschaftliche Individualisierungsprozesse nun von staatlicher Seite gefördert wurden: § 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe „(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere 1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. (…)

§ 11 Jugendarbeit (1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“17

Laut dem Wegweiser „Dschungel Info 98“18 für junge Musiker in Berlin gab es 1998 über hundert lokale Jugendeinrichtungen in der Stadt mit Übungsräumen, Veranstaltungen und Kursangeboten, die von qualifizierten Fachleuten betreut wurden. „Wer Partizipation junger Menschen an der gesellschaftlichen Öffentlichkeit wirklich will, der muss sich zur Förderung der Musikkultur Jugendlicher bekennen“, schreibt Ingrid Stahmer, die damalige Senatorin für Schule, Jugend und Sport (Dschungel Info 98, Seite 2). Die für die Entwicklung der deutschtürkischen Rap-Musik besonders bedeutende Kreuzberger Einrichtung Naunynritze wurde 1987 zu einem soziokulturellen Zentrum umgebaut und nach einem bestimmten Konzept betrieben. Unter der Devise „Kultur selbermachen“ sollen soziokulturelle Zentren ein größeres Verständnis von Kultur fördern: „Dies geschieht durch Präsentation anderer als der traditionellen Kulturformen. Hier ist alles nebeneinander zu finden: Musik von Klassik bis Rock, Theater von Brecht bis zu selbstgeschriebenen Stücken.“19 Charakteristisch für soziokulturelle Zentren sind ihre basisdemokratischen Organisationsmodelle: „Selbstverwaltung (Mitbestimmung) unter Beteiligung mög17 Ebd. 18 Veröffentlicht von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e.V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Populäre Musik/Kultur Berlin e.V. 19 Jugendarbeit in Kreuzberg – Behördliche Dokumentation der Entwicklung. Bezirksamt Kreuzberg von Berlin. Abteilung Jugend und Sport (1990: 19).

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lichst vieler gehört zum Selbstverständnis soziokultureller Zentren“20. So ist in der Naunynritze die Eigeninitiative der Nutzer ausdrücklich erwünscht: „Wir gehen bei dem wesentlichen Ziel von Mitbestimmung davon aus, dass alle Beteiligten ihre jeweiligen Bedürfnisse am besten kennen und sie deshalb am besten selbst formulieren und einfordern können.“21

Darüber hinaus arbeiten in der Naunynritze neben Sozialarbeitern auch ehemalige Nutzer der Einrichtung. Rückblickend ist die Entwicklung der deutschtürkischen Rap-Musik untrennbar verbunden mit der institutionellen Jugendarbeit und den Möglichkeiten, die diese anbietet. Unzählbar sind die Workshops, die Kurse und HipHop-Veranstaltungen, die mit öffentlichen Geldern finanziert worden sind. Es stellt sich die Frage, warum besonders HipHop für die Jugendarbeit geeignet zu sein scheint. Welches Interesse besteht auf gesellschaftlicher Seite, diese Kultur zu unterstützen? HipHop bietet Jugendlichen eine kreative Beschäftigung und ist generell eine sehr leistungsorientierte Jugendkultur. Die friedlichen Wettstreits, die in dieser Kultur „battles“ genannt werden, ermöglichen es dem HipHopper, Anderen seine Fähigkeiten („skills“) zu zeigen und somit auf eine gewaltfreie Weise Anerkennung und Respekt zu erhalten. Jugendliche können ohne Gewalt Aggressionen abbauen, ihre Energie auf kreative Weise, motiviert von dem Drang, der Bessere zu sein, d.h. besser zu tanzen, zu scratchen, zu rappen oder zu sprühen. Schon in den 1970er Jahren gründete Africa Bambaata eine Gruppe namens Zulu-Nation als Gegenpol zu der Ganggewalt in der Bronx. Er selbst war Mitglied einer Gang, doch als sein bester Freund vor seinen Augen erschossen wurde, verließ er die Gang und widmete sich der Musik. Das Ziel der Zulu Nation war es damals: „Die negative Energie der Kämpfe in positive und konstruktive Energie durch diese neue Straßenkultur um(zu)wandeln: den HipHop“ (Dufresne 1997:48)22. Seitdem haben sich HipHopper aus vielen Ländern dieser gewalt- und drogenfreien Bewegung angeschlossen, so auch in Berlin. Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika verlagerten sich Anfang der 1990er Jahre auch in Berlin die Gangrivalitäten und -kämpfe in gewaltfreie „battles“ (Bohnsack/Nohl 2000), eine Entwicklung, die Berliner Institutio20 Jugendarbeit in Kreuzberg – Behördliche Dokumentation der Entwicklung. Bezirksamt Kreuzberg von Berlin. Abteilung Jugend und Sport (1990: 19f.). 21 Konzeption und Selbstdarstellung Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum Naunynritze & Naturspielplatz Civilipark (1999:25). 22 Vgl. auch Hebdige: Hiding in the Light (in Ayhan Kaya 2000:153).

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nen wie beispielsweise Jugendzentren unterstützten. Henkel und Wulff weisen allerdings darauf hin, dass die Ganggewalt und Konkurrenz zwischen den HipHop-Aktivisten fließend waren und es letztlich immer wieder zu Gewaltausbrüchen kam, wenn Jugendliche Regeln nicht einhielten, indem sie beispielsweise Graffitis übersprühten, andere HipHop-Aktivitäten beleidigten oder Andere kopierten23. Dennoch ist zu beobachten, dass sich zahlreiche ehemals gewalttätige Jugendliche im HipHop neue Formen suchten, um Anerkennung zu erlangen. Nohl untersuchte diesen Aspekt unter Breakdancern: „Während auf dem Höhepunkt der Adoleszenzkrise der Breakdance noch einer neben anderen (kriminalisierungsfähigen) Aktionismen war, wird den Jugendlichen später klar, dass kriminalisierungsfähiges Handeln ihnen nur eine ‚Akte‘ bei der Polizei, aber keine biographische Zukunft bringt. Im Unterschied hierzu erfahren die Jugendlichen im Breakdance die positive Reaktion ihrer näheren und weiteren Umgebung: Sie werden nicht nur von den Jugendlichen ihres Stadtviertels bewundert, sondern man lädt sie auch zu (bezahlten) Auftritten im In- und Ausland ein. (…) wird zum Medium neuer berufsbiographischer Perspektiven.“ (Nohl 2003: 309)24

Charakteristisch für den Großteil der Jugendlichen türkischer Herkunft ist nach wie vor das geringere Bildungsniveau und der hohe Anteil an Schulabgängern ohne Abschluss (Gesemann 2001:20). Die HipHop-Kultur gibt ihnen die Aussicht auf Anerkennung und sogar Karriere, die ihnen in anderen sozialen Bereichen wegen ihrer geringeren schulischen Bildung vorenthalten bleibt. Die Qualifikationen zum guten Rapper, Tänzer und Sprüher können sich Jugendliche in Jugendeinrichtungen aneignen, ohne dafür hohe Kosten aufbringen zu müssen. Nicht jeder hatte wie Tamer die Möglichkeit, sich im Keller des türkischen Männercafés seines Vaters einen Übungsraum einzurichten. Ein eigenes Studio können sich nur solche jungen Erwachsenen zuhause einrichten, die einer bezahlten Arbeit nachgehen. Für Jugendliche aus Arbeiter-Familien wäre dies nicht möglich, da sie in engeren Wohnverhältnissen leben und wenig finanzielle 23 „Andererseits liegt im Konkurrenzkampf immer noch das höchste Konfliktpotential der Szene. Ursache vieler Gewaltakte ist die unreflektierte Identifikation der Berliner HipHop mit New Yorker Gangster-Rappern wie Public Enemy und Snoop Doggy Dog, die in ihren Texten zum Drogenkonsum und zur bewaffneten Gewalt aufrufen, und dabei übersehen, dass selbst Bezirke wie Kreuzberg wenig mit der Lebenswelt der amerikanischen Ghettos gemein haben.“ (Henkel & Wolff 1996:16) Siehe auch Nohl (2000 und 2004). 24 Siehe dazu auch Nohl (2000).

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Unterstützung für ihre Freizeitgestaltung zur Verfügung haben. Ihnen kommen die Kurse, Übungsräume mit entsprechender Ausstattung und Graffiti-Projekte, in denen Farbdosen zur Verfügung gestellt werden, entgegen. Dazu Volkan T.: „Also für uns war das die einzige Möglichkeit, halt, ich mein, wir hatten überhaupt kein Geld. Wir konnten es uns nicht leisten, irgendwie im Monat (…) in irgendwelchen Bungalows, irgendwie drei bis vierhundert Mark im Monat zu bezahlen. Die Möglichkeit haben wir nicht gehabt.“ (Volkan im Interview 30.7.1999)

Darüber hinaus hatten und haben Jugendliche in den Jugendeinrichtungen Auftrittsmöglichkeiten außerhalb des kommerziellen Drucks. Gerade Ende der 1980er Jahre und in den 1990er Jahren ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung, weil sich damals einige private Veranstaltungsorte aufgrund zahlreicher Gewaltakte weigerten, HipHop-Konzerte zu veranstalten. Denn in dieser Zeit besuchten sowohl friedliche HipHop-Aktivisten als auch gewalttätige Jugendliche, die nicht im HipHop aktiv waren, HipHop-Konzerte. „Wir hatten halt nicht die superkommerziellen Gruppen. Wenn du zu einem privaten Partyveranstalter gehst, kommt gleich kommerzieller Druck. ‚Ich muss gucken, dass viele Leute kommen, damit meine Kasse stimmt. Ich muss meine Kosten decken, Werbung machen‘. Damals war’s so, dass wir, wenn wir zum Beispiel im Chip geprobt haben, sind wir dann zu den Heimleitern gegangen, haben gefragt, wann gibst du mal wieder ʼne Fete. Die haben das auch von sich aus organisiert, haben gesagt, 11. November gibt’s wieder ʼne Party. Sie haben paar Graffiti-Writer genommen, die haben irgendwie Plakate gemalt mit richtig guten Graffitis teilweise und die wurden dann richtig Ghetto-Style in der Stadt geklebt. Und dann sind halt die ganzen Leute gekommen und wir haben unsere Party gefeiert.“ (Taner Bahar im Interview am 3.1.1999)

Mit dem Ziel, Jugendlichen eine friedliche Alternative zu dieser Gangbewegung zu bieten, unterstützten staatlich geförderte Institutionen HipHop-Aktivitäten. Der Verein InterNation e.V. beispielsweise arbeitete mehrere Jahre an einer HipHop-Pädagogik, die das Zusammenleben der multikulturellen Jugendgesellschaft fokussierte. Es ging darum, „die ‚Gangbewegung‘ in eine gewaltlose Oppositionsbewegung gegen Ausländerfeindlichkeit und soziale Diskriminierung zu verwandeln“25. Nach dem Tod von Mete Ekşi, dem Opfer eines rechtsradikalen Angriffs, gründeten HipHop-Aktivisten in der Naunynritze eine weitere bedeutende Initiative. Unter dem Motto „To stay here is my right“ organisierten sie

25 Vgl. die Satzung des InterNation, § 2, Abs. 2. Siehe auch Turhan (1995:84).

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Benefizveranstaltungen, Graffiti- und Breakdance-Wettbewerbe26. Darüber hinaus gaben Senatsprojekte den Jugendlichen die Möglichkeit, diese Jugendkultur ganz legal auszuüben27. Ein türkischstämmiger Gesprächspartner aus dem Interkulturellen Haus in der Geßlerstraße sprühte beispielsweise grundsätzlich nicht illegal, weil er studieren wollte und befürchtete, dies bei einer Vorstrafe nicht mehr tun zu können. Die damalige türkischstämmige Ausländerbeauftragte von Schöneberg Emine Demirbüken unterstützte HipHop-Projekte: „HipHop kann ein Medium sein, das zur Gewalt aufruft, HipHop kann aber auch ein Medium sein, das als Instrument Frieden schafft und schon kreative Potentiale in die Gesellschaft wiedergibt. Denn wenn Jugendliche sprühen, ist das für sie eine neue Form von Kunst. Und das ist schon kreatives Potential, was eigentlich wir als Verantwortliche in der Politik oder in der Verwaltung nutzen sollten. Und nicht diese Jugendliche als kriminelle Jugendliche behandeln sollten. Insofern ist HipHop schon etwas Befreiendes. HipHop ist schon etwas Zusammenführendes und in der HipHop-Szene ist es einfach so, dass sich viele Jugendliche als eine große Familie verstehen. Und da ist ein Zusammenhalt. Aber nicht ein Zusammenhalt in Form von ‚Nischen entwickeln‘, sondern ein Zusammenhalt in Form von ‘in die Gesellschaft hineingehen‘ und die Gesellschaft in Frage stellen. Ja, die Gesellschaft zur Auseinandersetzung zwingen. Und Frieden zu stiften! Als solches habe ich in meinem breiten Bekanntenkreis HipHop erlebt.“ (Emine Demirbüken, Interview am 15.7.1999)

Die Unterstützung des Berliner Senats beschränkte sich nicht nur auf Jugendzentren wie Naunynritze, Chip, Weiße Rose oder das Jugendheim Wetzlar. Im Rahmen der U-Musik-Förderung seitens des Senats wurden zahlreiche bezahlbare Übungsräume ausgebaut28, Tonstudios, Veranstaltungsreihen und teilweise Tourneen gefördert (Fischer 2001:88f.). 1993 wurde das HipHop-Mobil vom Verein für Medienpädagogik ins Leben gerufen und konnte von Einrichtungen wie Schulen gebucht werden. Kinder und Jugendliche lernen im HipHop-Mobil, ihre Rap-Musik zu produzieren und auch das Tanzen und Sprühen. Die Mitarbeiter stammen selbst aus der HipHop-Szene und vermitteln den Jugendlichen die Grundlagen der HipHop-Kultur29. Taner 26 Vgl. Neues Deutschland 25.11.93, Berliner Zeitung 15.11.1993. 27 Sogar die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, die 44 000 Wohnungen in Berlin verwaltet, stellte den Jugendlichen Bauzäune und Hauseingänge zum Besprühen mit Graffitis zur Verfügung (Mietermagazin 10/01). 28 Bis 2001 wurden dafür 3,6 Mio. DM ausgegeben (Fischer 2001:88). 29 Turhan 1995:92 (sie zitiert Zitty 3/95).

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Bahar (DJ Cut’em T) war - wie bereits erwähnt - ein ehemaliges Mitglied von Islamic Force und Cartel. Er hat dort ehrenamtlich als DJ-Dozent und StudioDozent hauptsächlich mit türkischen Jugendlichen gearbeitet und zeigte den Jugendlichen unter anderem, wie sie Rap-Musik mit türkischen Sampels produzieren konnten. Darüber hinaus gründeten HipHop-Aktivisten mit Hilfe von Senatsgeldern das HipHop-Haus in Steglitz, wo sie Workshops veranstalteten und das zeitweilig von dem später sehr populären Rapper Kool Savaş geleitet wurde. Nach einem Einbruch strich der Senat 1997 jedoch die Gelder. Zu erwähnen sind auch die zahlreichen von Senatsgeldern finanzierten Veranstaltungen, wie beispielsweise die SWAT-Parties und die Partys vom Verein InterNation e.V., die Workshops und Diskussionsforen und auch das Lehrmaterial für Lehrer, die HipHop im Musikunterricht behandeln wollten. In diesem Zusammenhang weist Çağlar auf den Widerspruch hin, dass diese Kultur, die als eine spontane Widerstandsbewegung ‚von der Straße‘ gilt, letztendlich vom Senat unterstützt und auch gesteuert wurde (1998:46). Denn im Gegensatz zu Pop wird beim HipHop generell die Marginalität betont, die sich oppositionell zum Zentrum positioniert und frei von kommerziellem Interesse ist (ebd.:44). Çağlar stellt fest, dass durch die massive institutionelle Unterstützung dieser Jugendkultur die Dichotomie von Zentrum und Peripherie nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Darüber hinaus bemerkt sie, dass sich der deutschtürkische HipHop nicht nur in Zusammenarbeit mit Jugendzentren und Sozialarbeitern entwickelt hat, sondern darüber hinaus sogar das Selbstverständnis vieler Rapper geprägte (ebd.:47). Diese sehen sich selbst als eine Art ‚Sozialarbeiter‘, die in ihren Texten gegen Rassismus und Gewalt aufrufen (ebd.): „Der deutschtürkische Rap übernimmt die Terminologie und die Konzepte der öffentlichen und sogar der akademischen Diskurse über (ethnische) Minderheiten.“ (ebd.) Tatsächlich war der Großteil der HipHop-Aktivisten, die ich im Rahmen meiner Forschung kennengelernt habe, zeitweise in Jugendzentren oder HipHopProjekten aktiv. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sie zu Beginn an Kursen oder Projekten teilgenommen haben oder Übungsräume im Jugendzentrum nutzten und ihr Wissen und Können später als Professionelle anderen Kindern und Jugendlichen weitergaben, oder dies noch immer tun. Dazu der türkischstämmige Breakdancer Crok: „Zum Beispiel, wenn ich jetzt ʼn Raum brauche zum Tanzen, dann helfen sie mir, vermitteln sie mich weiter und so und dies und das. Oder, wenn ich jetzt echt mal Geldprobleme habe, dann sagen sie, o.k. Sie haben doch – der Staat kürzt extrem, aber wir machen das, wenn du einen Workshop gibst, oder so, Unterricht geben kannst.’ (…) Weil, das Ding ist,

238 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN wenn du zu den großen Firmen gehst, die wollen dich nur abzocken, das habe ich auch gemerkt.“ (Crok, Interview am 8.10.1999)

Seitens der jungen HipHop-Aktivisten herrschte ein gewisses Grundvertrauen zu den Einrichtungen, von denen sie uneigennützige Unterstützung bekamen. Professionelle HipHop-Aktivisten waren auch weiterhin in Jugendzentren aktiv, selbst wenn sie es finanziell nicht mehr nötig hatten. Die weltweit erfolgreiche Breakdance-Gruppe Flying Steps beispielsweise trainierte weiterhin im Jugendzentrum am Nauener Platz in Wedding, um den Kontakt zur Szene zu behalten und Breakdance an Jüngere weiterzugeben. Jugendzentren waren zudem Anlaufstellen für professionelle HipHop-Aktivisten, die ein Label aufgebaut haben und nach Talenten suchten. Es sollte allerdings nicht der Eindruck vermittelt werden, dass die Vorliebe deutschtürkischer Jugendlicher für die HipHop-Kultur ausschließlich auf institutionelle Unterstützung zurückzuführen ist. Die Jugendhäuser bieten seit vielen Jahren Kurse zu unterschiedlichsten Musikrichtungen oder Tanzstilen an. Die Naunynritze in Kreuzberg bot beispielsweise 1998/99 auch Kurse im Bereich Keramik, Theater, Bauchtanz, Stepdance, lateinamerikanische Tänze und anderes an, doch HipHop-Kurse sind in den Berliner Einrichtungen nach wie vor unabhängig von allen Jugendtrends die meistbesuchten Kurse. Die Beweggründe wurden in den vorigen Kapiteln dargelegt. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass es die institutionellen Rahmenbedingungen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft ermöglicht haben, diese Kultur zu lernen und auszuleben. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass HipHop ohne die institutionelle Unterstützung kaum Chancen gehabt hätte, sich bei deutschtürkischen Jugendlichen so weitgehend und über eine solch lange Zeit zu etablieren. Dies gilt nicht nur für die Zeit von Mitte der 1980er- und Anfang der 1990er Jahre, als HipHop vorübergehend von der Bildfläche verschwand, sondern auch für die darauffolgenden Jahre, als HipHop mit dem deutschsprachigen Rap kommerzialisiert wurde. Interviewpartner aus dem Breakdance-Bereich betonten, dass sie über Veranstaltungen in Jugendeinrichtungen zum Breakdance gekommen sind und an entsprechenden Kursen teilgenommen haben. Rapper, die über Freunde in der Schule oder über Medien zum HipHop gekommen waren, nutzten zeitweise öffentliche Einrichtungen oder das HipHop-Mobil, um Demos zu produzieren, hatten ihre Übungsräume in öffentlichen Institutionen oder besuchten dort regelmäßig Konzerte. Viele knüpften die Netzwerke in den Institutionen, die sich für ihre zukünftige Karriere als sehr nützlich erweisen sollten. Kool Savaş beispielsweise rappte mit seinem Freund in der Naunynritze unter dem Namen Rhyme Guns (RGS) und „vergötterte“ Islamic Force, deren Mitglieder sich

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ebenfalls in der Naunynritze aufhielten (Krekow/Steiner 2000:257). Er leitete Workshops im HipHop-Haus in Steglitz und war mit dem HipHop-Mobil aktiv. Über diese beiden Einrichtungen lernte Marcus Staiger die spätere Band M.O.R. kennen, zu der auch Kool Savaş und Fuat gehören sollten. Wie im Kapitel 4.1.3 ausführlicher beschrieben, haben Marcus Staiger und die Mitglieder von M.O.R. Ende der 1990er Jahre als junge Erwachsene mit langjähriger Erfahrung in der Rap-Musik schließlich außerhalb von Institutionen und Kommerz ein eigenes Label gegründet und mit Veranstaltungen im Royal Bunker ihren eigenen Raum geschaffen, um mit Battle-Rap ihren eigenen Stil zu kreieren und später die Entwicklung der Rap-Musik in Deutschland maßgeblich zu beeinflussen. Schon 1999 plädierte Marcus Staiger auf der HipHop-Konferenz „East meets West“ dafür, „HipHop-Kultur insgesamt vor einer Vereinnahmung zu beschützen“, und zwar sowohl vor dem Kommerz als auch vor der Jugendarbeit: „Mir geht es in erster Linie um die vollkommene Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der HipHop-Kultur, die ich dadurch gefährdet sehe, dass gesellschaftlich heute alles, was Jugendliche tun, unter marktwirtschaftlichem oder kriminalistischem Standpunkt gesehen wird.“ 30 Tatsächlich machte es die Verwobenheit der HipHop-Kultur mit den Institutionen kaum möglich, eine klare politische Trennung zwischen gesellschaftlichem Zentrum und oppositioneller Marginalität zu ziehen. Die Trennung erfolgte teilweise auf der ökonomischen Ebene: Kommerz und Marginalität. Projekte und Übungsräume wurden und werden zwar weiterhin staatlich finanziert und organisiert, doch entstand hier ein Freiraum für Jugendliche, um eigene Stile unabhängig vom Kommerz zu kreieren, zu experimentieren, Erfahrungen zu sammeln, aufzutreten und sich zu professionalisieren, bevor einige von ihnen später kommerziell erfolgreich wurden31. Darüber hinaus möchte ich auf die familiäre Stimmung in den Jugendzentren hinweisen. Zwar wird im öffentlichen Diskurs über Sozialarbeit und deren Einfluss auf den HipHop stets das Bild vermittelt, Jugendliche würden von Sozialarbeitern lernen. Doch zeigten persönliche Erfahrungen, dass in den Jugendzentren Kompetenzen innerhalb der HipHop-Szene, d.h. von älteren erfahrenen HipHop-Aktivisten an Jüngere, weitergegeben wurden. Junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder schufen hier eine generationsübergreifende eigene Welt, in der die Älteren über Kompetenz und Autorität verfügten und gleichzeitig fürsorglich mit Jüngeren umgingen. 30 Von der Autorin transkribierter Ausschnitt aus seiner Rede in der Konferenz „East meets West“ in der Kulturbrauerei Prenzlauer Berg (Berlin) im April 1999. 31 Die Trennlinie zwischen Kommerz und Marginalität konnte allerdings bei größerer Popularität und Medienpräsenz hinterfragt werden.

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Zudem waren die Jugendlichen in ihren Aktivitäten unabhängig von der ökonomischen Lage und den räumlichen Möglichkeiten ihres Elternhauses. Diese Situation unterschied sich, wie ich später aufzeigen werde, maßgeblich von den Bedingungen in Istanbul. Zinnecker weist darauf hin, dass Jugendliche im Westen und Nordwesten Europas einen „Sonderstatus als junge BürgerInnen“ haben. Aufgrund einer längeren schulischen Laufbahn würde „die relative Autonomie der Jugendphase“ wachsen: „Jugendliche durchleben eine längere Lebensphase eingeschränkter Verpflichtungen gegenüber den Lebensbereichen Arbeit, Familie und bürgerliche Öffentlichkeit“ (Zinnecker 1991:10,16). Für diesen Zustand verwendet Zinnecker den Begriff „Bildungsmoratorium“. Zudem weist er darauf hin, dass Karrieren im westlichen Europa auch außerhalb der Schule stattfinden können wie beispielsweise im Bereich des Sports und der Populärmusik (ebd.). Für zahlreiche HipHop-Aktivisten entwickelte sich eine Karriere auf der Grundlage von Aktivitäten im institutionellen Rahmen, teilweise im Freizeitbereich, teilweise aber auch im schulischen Rahmen wie beispielsweise über das HipHop-Mobil. Als professionelle junge Erwachsene konnten sie auch außerhalb der Institutionen aktiv und teilweise auch erfolgreich werden. Wie schon im Kapitel 3.4.2 erwähnt, kann seit den 1960er Jahren in Deutschland ein gesellschaftlicher Wandel beobachtet werden, der es jungen Menschen ermöglicht, sich unabhängig von ihrer sozialen Klasse individuell zu entfalten und ihr Leben zu gestalten. Bezieht man die ethnische Kategorie in diese Entwicklung ein, so sollte es darum gehen, inwieweit deutschtürkische Jugendliche, die nicht nur eine soziale, sondern auch ethnische Außenseiterposition einnehmen, ihr Leben individuell gestalten und ebenso aufsteigen können wie deutsche Jugendliche. Die institutionellen Rahmenbedingungen im Freizeitbereich ermöglichten es den Jugendlichen, ihre Kultur unabhängig vom sozialen und ethnischen Hintergrund auszuleben und sogar Karrieren im subkulturellen Bereich zu verwirklichen. Deutschtürkische Jugendliche aus bildungsfernen Schichten können sich im institutionellen Rahmen professionalisieren, also informelles kulturelles Kapital erwerben, und dabei gleichzeitig von Delinquenz ferngehalten werden, die eine Außenseiterposition mit sich bringen kann. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der politische, ökonomische, institutionelle und städtische Kontext sich als besonders förderlich für die Entwicklung von HipHop unter deutschtürkischen Jugendlichen erwies. Andere, ausschließlich soziale Randpositionen repräsentierenden Subkulturen, stießen kaum auf Sympathie unter türkischstämmigen Jugendlichen. Die ethnische und soziale Randposition und Diskriminierung seitens der Etablierten führten recht

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früh zur Sympathie für den HipHop. Über HipHop kann die türkische Herkunft zumindest innerhalb dieser Subkultur mit symbolischem Kapital aufgewertet und als Authentizitätskriterium eingesetzt werden. Ungünstige Bedingungen innerhalb der Familie wurden über institutionelle Unterstützung ausgeglichen, sodass die Professionalisierung in dieser Kultur jenseits kommerzieller Trends, unabhängig vom eigenen ökonomischen Kapital und räumlicher Ausstattung stattfinden konnte. Gleichzeitig konnte in Berlin das Leben in heruntergekommenen Wohnbezirken ein höheres positives subkulturelles Kapital bedeuten, sodass schließlich selbst solche Bezirke, die nicht mit US-amerikanischen Ghettos vergleichbar waren, als Ghetto kategorisiert wurden, um auf diese Weise ein höheres subkulturelles Kapital für sich zu beanspruchen. Die sozial und ethnisch marginale Position betonende Jugendkultur ist zu einer klassenübergreifenden multikulturellen Kultur geworden, sowohl unter Etablierten als auch unter Außenseitern. Entgegen der Annahme der klassischen Cultural Studies, dass gesellschaftliche Probleme innerhalb einer Subkultur nur symbolisch oder imaginär gelöst werden können, zeigt die Entwicklung der HipHop-Kultur in Berlin, dass Außenseiter darüber von der marginalen Position ins Zentrum rücken können. Für manche HipHop-Aktivisten führte ihre Professionalisierung zum sozialen Aufstieg. Die türkische Herkunft muss für Personen mit symbolisch niedrig bewertetem sozialem und ökonomischem Kapital nicht zwangsläufig eine Außenseiterposition bedeuten.

6.2 I STANBUL : D AS I MAGE DER H IP H OP -K ULTUR UND IHRE A BLEHNUNG SEITENS DER E TABLIERTEN Im Gegensatz zu Berlin stieß die HipHop-Kultur in Istanbul Ende der 1990er Jahre mehrheitlich auf Ablehnung. Die wenigen HipHop-Aktivisten in Istanbul versuchten aus eigener Kraft, teilweise mit Unterstützung weniger Akteure aus dem jugendkulturellen Bereich (Medien, Konzertveranstalter, Label) oder auch über Kontakte zu deutschtürkischen Aktivisten in Berlin und anderen deutschen Städten ihre Kultur auszuleben, zu verbreiten und sich zu professionalisieren. Um die Ablehnung und die so anders gelagerte Situation zu analysieren, werde ich im Folgenden auf den politischen, ökonomischen und städtischen Kontext eingehen, unter dem sich HipHop in Istanbul entwickelte. Es geht dabei um die Frage, inwieweit ökonomische Bedingungen in Istanbul zu spezifisch klassenrelevanten Phänomenen führten und bei der Förderung oder Hinderung von Rap-Musik eine Rolle spielten. Dabei stellt sich auch die Frage, welches Image in dieser Stadt arme, ghettoähnliche Siedlungsgebiete besaßen. Des Wei-

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teren werde ich kurz auf die politischen Rahmenbedingungen eingehen und eine Antwort darauf geben, ob auch in Istanbul eine mit Berlin vergleichbare institutionelle Unterstützung figurationsspezifische Benachteiligungen der Außenseiter kompensieren und das individuelle Ausleben von Jugendkulturen ermöglichen konnte. In diesem Istanbul-Teil der Studie schaue ich verstärkt auf die Dynamik des Abgrenzungsverhaltens zwischen den Etablierten, zu denen die alteingesessene städtische, teilweise elitäre Ober- und Mittelschicht gehörte, und den später aus anatolischen Gebieten Hinzugezogenen, also zwischen Etablierten und Außenseitern. Eine andere Klassifizierung, die seit Mitte der 1990er Jahre in der Türkei zunehmend für Selbst- und Fremdzuschreibung verwendet wird, lautet zwischen „weißen Türken“ (städtisch, alte Elite) und „schwarzen Türken“ (ländlicher Herkunft, aus dem Osten, ungebildet oder neureich). Es geht um das Abgrenzungsverhalten entlang der Linie sozialer und ethnischer Zugehörigkeit auf städtischer Ebene und auch – und das ist hier das Entscheidende – um das Abgrenzungsverhalten junger Menschen der Istanbuler Mittel- und Oberschicht von den „Almancı“, den Deutschtürken, die zum großen Teil aus bildungsfernen ländlichen Schichten in der Türkei stammen und in Deutschland leben. Hier liegt demnach eine komplexe Figuration auf städtischer, nationaler und transnationaler Ebene vor. Die Grundlage für diesen Teil meiner Studie bilden nicht nur Interviews und Gespräche mit HipHop-Aktivisten, sondern auch mit Menschen aus dem innerstädtischen jugendkulturellen Bereich, die HipHop ablehnten. Darüber hinaus werde ich auch schriftliche Quellen, aber auch Beobachtungen und Erfahrungen einfließen lassen, die ich schon vor der Feldforschungszeit in Istanbul gemacht habe, und die den gesellschaftlichen Rahmen näher beleuchten können. Wie ich im Laufe der Feldforschung feststellte, war das negative Image von HipHop innerhalb der Istanbuler Mittel- und Oberschicht unter anderem auch auf das negative Image der Deutschtürken in der Türkei zurückzuführen. Aufgrund dieser Tatsache werde ich abschließend im Kapitel 6.2.5 meine Beobachtungen und Analysen aus der Feldforschung wiedergeben, die ich 1999 zusätzlich in der Ferienstadt Bodrum gemacht habe und die mir für mein Forschungsthema sehr relevant scheinen. Bodrum ist eine Stadt mit regem Nachtleben, ein beliebtes Reiseziel der Istanbuler und auch vieler Deutschtürken aus Berlin. Die Stadt Bodrum als ein ganz besonderer Mikrokosmos bietet sich also geradezu an, um das Verhältnis zwischen jungen Menschen aus der Türkei und jungen Menschen türkischer Abstammung aus Deutschland an einem Ort beobachten zu können, um über das dortige Ausgehverhalten und den Musikgeschmack Selbstpositionierungen zu analysieren.

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6.2.1 Soziale und kulturelle Heterogenität in der Türkei und das Abgrenzungsbestreben der Eliten in Istanbul Zunächst werde ich in diesem Kapitel einen kurzen historisch-politischen Abriss geben, damit die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens in einer Großstadt wie Istanbul deutlich werden. Im Vergleich zu Berlin war das Leben in Istanbul von weitaus mehr Klassenunterschieden geprägt. Die alten städtischen Eliten und die Mittelklasse grenzten sich gegenüber den Zugezogenen ländlicher Herkunft ab, die Herkunft spielte dabei eine besondere Rolle. Diese Situation und Dynamik auf der städtischen Ebene reflektierte die von Dichotomien geprägte Gesellschaft auf der nationalen Ebene entlang der Extreme arm/reich32, dörflich/städtisch, Bildungselite/Analphabeten, westlich modern/religiös konservativ. Istanbul war zu einer Megametropole angewachsen, in der Menschen aus der gesamten Türkei mit unterschiedlichsten sozialen und auch ethnischen Hintergründen zusammen- bzw. nebeneinander lebten. Die Jugend der gebildeten Ober- und Mittelschicht besuchte westlich geprägte Cafés, Bars und Diskotheken, in denen vor allem Frauen die Freiheit genossen, sich relativ ungestört zu amüsieren. Die Lebensform der säkularen urbanen Ober- und der Mittelschicht unterschied sich kaum von anderen Gruppen gleicher sozialer Herkunft in westlichen Ländern. Für diese Schichten wurden Begriffe wie „Euro-Türke“ (Euro-Türkler) oder „weiße Türken“ (Beyaz Türkler) verwendet (Kozanoğlu 1995:132f.). Im Gegensatz zu Berlin präsentierten Einzelne ihre Herkunft und ihren Reichtum bewusst auf der Stilebene. Das höhere soziale Kapital wie beispielsweise der Beruf der Eltern, höhere soziale und kulturelle Herkunft und das Wissen über berühmte oder reiche Menschen gab der Mittel- und Oberschicht eine gewisse Identität und das Gefühl von Überlegenheit, das sie durch bestimmte Verhaltensweisen, auf die ich später eingehen werde, auslebten. Im krassen Gegensatz zu den wohlhabenden Gebieten wuchsen seit den 1950er Jahren Siedlungen, deren Einwohner meist aus ländlichen Gebieten stammten und die sich in der Großstadt ein besseres Leben erhofften. Diese 32 Die ungleiche Einkommensverteilung innerhalb der Türkei fasst Steinbach folgendermaßen zusammen: „1995 hat Istanbul 21,2% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, das ist so viel wie die 51 der 79 am unteren Ende der Liste zusammen. Auf die 10 reichsten Provinzen fallen 59,4% des Bruttoinlandsprodukts, auf die 10 ärmsten, die alle in Ostanatolien liegen, zusammen 1%. Von den 10 reichsten der damals 79 türkischen Provinzen liegen 7 am Marmarameer und 2 an der Ägäis, als alle im Westen des Landes, hinzu kommt die Hauptstadt Ankara. Andererseits befinden sich alle der 10 ärmsten Provinzen in Ostanatolien.“ (Steinbach 2003:118)

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Siedlungen werden als Gecekondu („in der Nacht gestellt“) bezeichnet, was darauf hinweist, dass diese Häuser illegal gebaut worden sind. Diese Praxis wurde mehr oder minder akzeptiert, auch wenn hin und wieder illegal gebaute Häuser von staatlicher Seite niedergerissen wurden und werden. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation, aber auch infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit kurdischen Separatisten und den massiven Angriffen seitens des türkischen Militärs33 in den 1990er Jahren suchten viele Vertriebene Zuflucht in türkischen Großstädten, so auch in Istanbul. Mit der Landflucht nahm auch der Anteil der Gecekondu-Gebiete in den Großstädten massiv zu (u.a. Esen 2005, Keyder 2006). Inzwischen haben sich zwar viele der früheren Gecekondu-Gebiete zu dicht besiedelte Wohngebiete entwickelt, in denen auch Angehörige der Mittelschicht leben, doch stand der Begriff Gecekondu stets stellvertretend für ein Gebiet, dessen Bewohner ländlicher Herkunft sind und ihre ländliche Lebensformen und Denkweisen beibehalten haben. Ländliche Lebensform bedeutet dabei konservativ, religiös, ungebildet und beispielsweise auch rückständigere Hygienevorstellungen. Hierzu zählen ebenso die Männer, die aufgrund ihres Macho-Verhaltens als Maganda bezeichnet wurden, deren Image ich ausführlich in Kapitel 5.2.2 beschrieben habe. Diese Lebensweisen waren mit der Lebensform der alteingesessenen Städter nicht vereinbar. Seit den 1990er Jahren prägte nun ein weiterer Begriff den Diskurs über die armen Siedlungen der Stadt: „Varoş“. Dieser Begriff wurde meist diskriminierender verwendet als Gecekondu. Während mit dem Begriff Gecekondu Menschen assoziiert werden, die ihre ländlichen Werte ausleben, beschreibt Varoş ein Gebiet der „gefährlichen Klassen“ (Bozkulak 2005). Varoş ist alles, was nicht städtisch mittelschichtspezifisch ist, d.h. es ist islamistisch, alevitisch, kurdisch, politisch extremistisch etc. (ebd.). „Varoş ist da, wo Civitas aufhört und unsere Sicherheit in Gefahr ist“, schreibt Esen über die Einstellung der gebildeten Mittelschicht gegenüber den ärmeren Siedlungen (Esen 2005:50). So galt es Ende der 1990er Jahre unter den jungen Menschen der Mittel- und Oberschicht als nicht besonders attraktiv oder cool, in heruntergekommenen oder armen Gegenden zu wohnen34. Damit traf ein bedeutendes Authentizitätsmerkmal 33 Bis 1997 wurden 3100 kurdische Dörfer zerstört. Dabei wurden 370.000 Menschen obdachlos (Kaygısız 2010:25). Siehe auch Yükseker (2005, im Internet). 34 Kurz nach der Wiedervereinigung betreute ich einige Tage eine Studentengruppe aus dem Institut für Stadt- und Regionalplanung der Middle-East-Technical Universitı (Ankara) auf ihrer Europareise. Ich studierte neben Ethnologie auch Stadt- und Regionalplanung und ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die türkischen Studenten und Studentinnen sich besonders für die besetzten Häuser in Berlin-Mitte interessieren

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mit hohem symbolischem Wert innerhalb der HipHop-Kultur – nämlich das Leben in einem harten, gefährlichen und heruntergekommenen Gebiet – auf einen besonders niedrigen symbolischen Wert innerhalb der Etabliertengruppe. 6.2.2 Starre soziale Klassengrenzen werden gesprengt Distanzierte sich die alteingesessene Mittel- und Oberschicht mit dem kategorischen Begriff Varoş eindeutig von der Unterschicht der Gecekondus, so musste sich diese alteingesessene städtische Gruppe noch von einer weiteren Gruppe distanzieren: den Neureichen, die oft ländlicher Herkunft waren und die (ihre Eltern eingeschlossen) nicht der städtischen Bildungselite angehörten. Der Wohlstand der Menschen dörflicher Herkunft basierte weniger auf institutioneller Unterstützung oder einem gut ausgebauten Sozialsystem, denn wie Steinbach feststellt, ist die Arbeitslosenversicherung „erst im Entstehen begriffen; unzulänglich funktionierende Sozialversicherungen gibt es für Arbeitnehmer, Staatsbedienstete und Selbständige. Ausgeprägt sind auch noch immer starke Unterschiede in der Einkommensverteilung“ (Steinbach 2003:118). Erst wirtschaftspolitische Bedingungen, wie beispielsweise die Legalisierung von illegal errichteten Häusern auf teuren Grundstücken in Istanbul, konnte einen aus dem Dorf zugezogenen armen Menschen zu Hauseigentümern auf wertvollem Boden machen, aus einem Gecekondu-Gebiet konnte ein Wohnquartier der Mittelklasse werden35. Mit der Hinwendung zur Marktwirtschaft, der Förderung des privaten Sektors seitens des Ministerpräsidenten Turgut Özal (1927-1993) vollzog sich eine schnelle Industrialisierung des Landes, die große gesellschaftliche Veränderungen nach sich zog. Die Gewinner dieser Wirtschaftspolitik, die auch eine hohe Inflationsrate mit sich brachte, waren insbesondere Personen aus der Wirtschaft, die nicht unbedingt städtischer, gebildeter Herkunft waren. Im Gegensatz zu diesen Neureichen gehörte die städtische Mittelklasse mit ihren Bildungsbürgern eher zu den Verlierern (Esen 2005:49). „Die Ohnmacht, die man den neuen Oberschichten gegenüber empfindet, äußert sich in einem Gemisch aus Verachtung und Berührungsangst“, schreibt Esen (2005:50). Das Distinktionsverhalten würden, sodass ich den Schwerpunkt der Stadtrundfahrt auf die Straßen mit einem besonders hohen Anteil an besetzten Häusern verlagerte. Entgegen meinen damaligen Erwartungen stieß dieses Phänomen unter den jungen Studenten und Studentinnen der Mittel- und Oberschicht jedoch auf Ablehnung und Desinteresse. Ihr Interesse galt – im Gegensatz zu dem Interesse anderer junger Touristen in Berlin – den modernen sauberen geplanten Siedlungen. 35 Esen verwendet für solche Siedlungen den Begriff „Postgecekondu“ (2005).

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dieser zu Wohlstand gekommenen Schicht unterschied sich von dem der Etablierten: „Die Neureichen, unfähig sich wie ihre Vorgänger durch geübt kultivierten Klassengestus auf engen Raum abzugrenzen, distanzieren sich mit Jeeps und Siedlungsmauern und sind daher auf aggressiven Landkonsum in der Peripherie angewiesen“ (Esen 2005:49). Nun stand die Mittelschicht den „freiwilligen Ghettos“ und den „unfreiwilligen Ghettos“ gegenüber (Kuruş 2005). In diesem dynamischen Spannungsfeld mussten die städtische Mittelschicht und die alte Elite eine neue Position für sich finden und absichern. Unterschiedliche Strategien, wie beispielsweise die Betonung der Herkunft, Nutzung kostenintensiver Bildungsmöglichkeiten, oberschichtspezifisches Verhalten und entsprechender Geschmack, wurden von den alten Eliten eingesetzt, um eine gewisse Abgrenzung ihrer Lebensräume, die ursprüngliche Figuration und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten36. Das Verhältnis zwischen den alteingesessenen Istanbulern, den neu zugezogenen Armen und den Neureichen wies deutliche Parallelen zu der Etablierten-Außenseiter-Studie in Winston Parva von Elias und Scotson auf. Die Türkei stand am Anfang einer Entwicklung, die zu einer pluralistischen Gesellschaft führen sollte, in der die soziale Herkunft nicht zwangsläufig den Lebensweg entscheidet. Die starren Grenzen zwischen gebildet und ungebildet, dörflich und städtisch, modern und traditionell konnten immer weniger klar gezogen werden. Die Angst der Etablierten vor dem Verlust ihrer gesellschaftlichen Position spiegelte sich auch im Ausleben von jugendkulturellen Phänomenen wider – und in ihrer Ablehnung der HipHop-Kultur. 6.2.3 Westliche Jugendkulturen in Istanbul Während HipHop Ende der 1990er Jahre in Istanbul auf Ablehnung stieß, waren türkische Pop-Musik, Rock-Musik und Techno dort weit verbreitet. Um das Umfeld dieser Zeit darzustellen, sollen hier auch kurz die anderen Jugendkulturstile benannt und in ihrer Bedeutung erwähnt werden. Die besonders beliebte türkische Pop-Musik wurde alters- und auch schichtübergreifend gehört. Wie Kozanoğlu feststellt, brachte türkische Pop-Musik unterschiedlichste und widersprüchlichste gesellschaftliche Komponenten in ihrem Stil zusammen: Westlichkeit, das Ostanatolische, den Laizismus und die Religiosität, das Freie und das Konservative, Nationalismus. Gewalt und Gegengewalt usw. (Kozanoğlu 1995:127). Sendungen in Funk und Fernsehen mit türkischer Pop-Musik und Berichten über Pop-Stars wa36 Zu diesem Spannungsfeld, das sich auch auf die Populärkultur auswirkte, siehe Kozanoğlu (1995:132f.). Zu der ablehnenden Haltung der etablierten Istanbuler gegenüber den Neureichen aus der Provinz und dem Image des schlechten Geschmacks, siehe Öncü (2006).

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ren stets präsent. Die Mode und Musik der Pop-Kultur war, wie in anderen Ländern auch, Trends unterworfen. Mal stärker orientalisch, mal mehr rockig oder mit Technorhythmen mischten sich unterschiedlichste Stile saisonal oder sogar auf ein und derselben CD, ja, teilweise innerhalb eines Songs. Die Pop-Kultur war ein Massenphänomen. Selbst die Arabesk-Musik nahm zunehmend popartige Züge an. Gleichzeitig verbreitete sich Pop-Musik unter den Arabesk-Hörern, den Zugewanderten, den Neu-Städtern37. Nach Kozanoğlu war Pop-Musik für Menschen, die aus dem Arabesk kamen, ein Mittel, um sich an die Stadt anzupassen und modern zu werden (1995:146)38. So sprach diese Musik sowohl den Arabesk-Hörer als auch den westlich orientierten Städter an. Eine andere subkulturelle Strömung machte sich in Istanbul Anfang der 1980er Jahre bemerkbar, als sich einige Jugendliche aus der gebildeten Mittelschicht an der westlichen Rock-Kultur orientierten. Inzwischen hat sich in Istanbul und auch in anderen türkischen Großstädten eine große Rock-Gemeinde mit eigenen subkulturellen Strukturen gebildet. Ihre öffentlichen Orte wie Rock-Bars und Rock-Cafés befanden sich in den Bezirken Kadıköy (Akmar Passage), in Beyoğlu und Ortaköy. Regelmäßig fanden große Rock-Festivals statt, wo nicht nur einheimische, sondern auch internationale Bands auftraten. Zudem erschienen regelmäßig Rock-Zeitschriften wie Yüxexes und Roll. Aus sozialer Sicht waren die Anhänger der Rock-Szene der städtischen Mittelschicht zuzuordnen. Ihre Eltern waren städtischer Herkunft und hatten das Gymnasium (lise) und die Universität besucht (Kutlukan 1995:147f.). Auch die Rock-Musiker selbst besuchten das Gymnasium bzw. die Universität (Göktürk 1995:190). Der Verlauf der Rock-Geschichte weist einige Parallelen zur Entwicklung der HipHopKultur auf und hat ihr an manchen Stellen sogar den Weg geebnet, darum gehe ich an dieser Stelle etwas ausführlicher darauf ein. Auch die Rock-Anhänger stellten mit ihrem neuen Aussehen bestehende Werte infrage. Dies betrifft insbesondere das Männlichkeitsbild in der türkischen Gesellschaft. Lange Haare, Ohrringe und Ketten, enge Jeanshosen, T-Shirts mit befremdlichem Aufdruck (Kutlukan 1995:151) passten weder in das Wertesystem der eigenen Eltern noch der Unterschicht. Ähnlich wie bei den HipHoppern wurden sie der Homosexualität „verdächtigt“. Eltern machten sich Sorgen um ihre Kinder, verboten ihnen, die Haare wachsen zu lassen. Von der Unterschicht drohte Gewalt und sogar Mord39. Ende der 1990er Jahre waren sowohl Anhänger der Rock-Musik, die sich schwarz kleideten und T-Shirts mit Aufdruck der Metal-Musik trugen, als auch HipHop-Aktivisten mit dem Problem konfrontiert, für Satanisten gehalten 37 Siehe Güngör (1993:133f.). 38 Siehe hier auch Solmaz (1996:38). 39 Vgl. dazu das Interview in Akay (1995:158).

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zu werden. Ein Mord auf einem Istanbuler Friedhof innerhalb einer bestimmten subkulturellen Jugendszene, die als Satanisten bezeichnet wurden, führte dazu, dass sich die allgemeine Stimmung gegen Jugendliche mit fremdartigem Aussehen aufheizte40. Dennoch hat sich die Rock-Kultur in den 1990er Jahren etabliert und ist zu einem wichtigen Bestandteil der Istanbuler Jugendkultur geworden. Sie hat Wege geebnet und Strukturen geschaffen, die überhaupt erst die Entwicklung von Subkulturen in der Türkei ermöglichten. Die Plattenfirmen Zihni Müzik (seit 1992) und Hammer Müzik (seit 1991) produzierten zuerst Rock und Heavy Metal und waren später mit ihren Veröffentlichungen von Istanbuler Rappern maßgeblich an der Entwicklung der HipHop-Kultur der Stadt beteiligt. In einer Zeit, wo HipHop noch von der Mehrheit der Jugendlichen abgelehnt wurde und daher in den öffentlichen Räumen keinen Platz fand, konnten die damals noch weitgehend unbekannten Rapper Ceza, Dr. Fuchs, Mic Check/Silahsız kuvvet (Yunus Özyavuz) etc. in der berühmten Rock-Bar Kemancı auftreten. Wie ich später im Kapitel „Die Dominanz der Rock-Kultur“ noch genauer aufzeigen werde, hat die „Feindschaft“ zwischen Rock-Anhängern und HipHoppern zwar eine ausgeprägte Tradition, aber auch eine sehr schillernde und zwiespältige Komponente. Neben der weitverbreiteten Rock-Kultur hat sich im Laufe der 1990er Jahre eine Techno-Szene etabliert, die ebenso der Mittel- und Oberschicht zuzuordnen war. Nach eigenen Erfahrungen pflegten hier die Betreiber von Diskotheken und Event-Veranstalter einen stärkeren Kontakt ins Ausland. Ausländische DJs wurden regelmäßig eingeflogen und legten in den oft überdimensional großen Veranstaltungen oder Diskotheken auf. Während türkische Rockmusiker auch orientalische Elemente in ihre Rock-Musik aufnahmen, zeichneten sich TechnoMusik und -Konzerte dadurch aus, dass sie sich ausschließlich an den USA und England orientierten, fern von folkloristischen und nationalen kulturellen Elementen. Obgleich Deutschland und gerade Berlin auch im Ausland wegen seiner Techno-Szene, der Love-Parade, den extravaganten Diskotheken wie Tresor in der Nachwendezeit einen gewissen Ruhm genoss, bestand in Istanbul ein absolutes Desinteresse an Deutschland. Das Vorbild war stets New York. Förderung und Ablehnung von Rap-Musik nach Cartel In den Gesprächen mit jungen Menschen unterschiedlicher Stilrichtungen wurde mir oft das Bild vermittelt, dass Istanbul eine Art zweites New York sei. Bewunderung und Verehrung der amerikanischen Stadt und das Bild, dass Istanbul das New York der Türkei sei, war stets präsent. Mit großem Stolz wurde mir mitge-

40 Siehe hierzu auch Hecker (2005:61).

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teilt, dass sich Trends aus New York zuerst in Istanbul und erst später in anderen Ländern verbreiten würden. Europa und damit auch Deutschland seien im Gegensatz zu New York, und somit auch Istanbul, sehr rückständig. Dabei handelte es sich um ein Wunschbild, dass die jungen Menschen von ihrer Stadt konstruierten und nach außen hin vermittelten. Die Frage, ob sie Personen aus dem jugendkulturellen Bereich kannten, die direkte Kontakte zu New York pflegten oder zwischen den Städten pendelten, wurde verneint, aber die Gesprächspartner gingen davon aus, dass es starke Verbindungen zwischen den beiden Städten gab und sie gingen schlicht auch davon aus, dass Istanbul der Stadt New York ähnelte, ohne selbst jemals in New York gewesen zu sein. Meine Frage, warum dann HipHop, eine Kultur, die tatsächlich aus New York stammt, in Istanbul gar nicht beliebt war, führte zumeist zu einer kurzen Pause im Gespräch. Denn, wie mir später bewusst wurde, hatte HipHop in der Türkei Ende der 1990er Jahre durch Cartels Erfolg in erster Linie das Image, eine Kultur der eher negativ angesehenen Deutschtürken zu sein, auch wenn der New Yorker Ursprung dieser Kultur bekannt war. Eine häufige Antwort war dann, dass HipHop eine Musik des Protestes („başkaldırı“) sei. Die westlich orientierten jungen Menschen selbst sahen sich selbst nicht in der Position einer unterdrückten Minderheit. Nach Cartels Riesenerfolg war in der Türkei schon bald offensichtlich, dass HipHop rein kommerziell aufgenommen und die HipHop-Kultur mit den Werten und der Ideologie, die sich dahinter verbergen, entweder kaum verstanden wurde oder auch auf Ablehnung stieß. Necati Tüfenk von Kod-Müzik beschrieb die Situation folgendermaßen: „Cartel wurde von einer großen Plattenfirma lanciert. Von Raks lanciert und die wurden sehr aufgepumpt, unglaublich aufgepumpt („pompaladılar, inanılmaz pompaladılar“). Ich habe mich mit Murat und Mahmut [Anm. d. Autorin: Rapper und DJ aus Frankfurt] unterhalten, warum Cartel so erfolgreich war und sie ihr Album nicht verkaufen konnten. Dies hat einige Gründe. Erstens war der Inhalt leicht und außerdem haben sie viel Türkisches verwendet. Eigentlich war Cartel Pop. (…) Und außerdem wurden sie von einer großen Plattenfirma richtig gut vermarktet. Unglaublich, überall.“ (Necati Tüfenk im Interview im Mai 2000)

Auch der im HipHop-Bereich besonders aktive Ulaş Demiröz erinnert sich an diese außergewöhnliche Vermarktung: „Als Cartel kam, war ich in Izmir. Cartel hat eine Werbung gemacht, die wir sonst bei keiner Musik gesehen haben. Die Zeitungen verteilten Konzerttickets. Du kaufst eine Zei-

250 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN tung für 5 Kuruş und die gibt dir ein Konzertticket. Radioprogramme haben Tickets verteilt. Dann fuhren Werbe-Fahrzeuge herum für das Cartel-Konzert. Sie haben zwei Konzerte an einem Tag gegeben. Eins tagsüber und ein abends. Das war etwas Großartiges. Damals standen die Wahlen bevor. Als sie in die Türkei kamen, gab es ein nationalistisches Gefühl in der Türkei.“ (Ulaş Demiröz im Interview am 28.6.2014)

Der Erfolg ging somit ausschließlich über Medien und Kommerz, was seine Schattenseiten mit sich brachte. Rapper, die daraufhin ihre Musik veröffentlichen wollten, stießen bei den Plattenfirmen auf Ablehnung mit dem Argument, dass solche Musik bereits veröffentlicht wurde – gemeint war Cartel – und sie nicht noch ein Rap-Album produzieren wollten. Bei Cartel ging es nicht um die Etablierung einer Subkultur, sondern um den Geschmack der Massen. Um aus der Modewelle eine Kultur zu etablieren, fehlte der entsprechende Nachschub. Die folgenden Solo-Veröffentlichungen der Ex-Cartel-Mitglieder Karakan („Al sana Karakan“, 1997) und Erci E. („Sohbet“ 1997) konnten bei Weitem nicht an den Erfolg von Cartel anknüpfen. Nach ihrer Erfahrung mit Cartel vermieden sie allzu riskante politische Texte. Karakans Texte behandelten Themen, mit denen sich die jungen Menschen in der Türkei kaum identifizieren konnten. Sie knüpften weder an die von Cartel propagierte türkische Einheit und Nationalgefühl an, noch behandelten sie andere spezifische Themen, die die Menschen in der Türkei betrafen, die spezifische Sorgen oder Themen mit denen sich Türken in der Türkei identifizieren konnten. Im Gegenteil, die Texte handelten unter anderem von der schwierigen Situation der Deutschtürken in Deutschland und in der Türkei, von Liebe und von der Reaktion auf Cartel. Die Sprache dazu war zwar teilweise noch hart, doch für viele Jugendliche, die sich wirklich für Rap-Musik interessierten, waren die Texte über Liebe enttäuschend. Erci E.’s Texte zur eher poppigen Rap-Musik handelten in erster Linie von Frauen, von der Bedeutung der türkischen Rap-Musik und nur peripher von der türkischen Herkunft. Erci E. verwendete dabei kaum harte Worte, die sonst für Cartel charakteristisch waren, doch der Klang und der Akzent der Sprache ähnelten weiterhin dem Stil von Cartel. Abgesehen von ihrem neuen Image fehlte ihnen eine Werbekampagne, um ihre Musik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Besonders Erci E. wurde weiterhin als ein Star gefeiert, allerdings mehr als ein Pop-Star denn als Rapper und Repräsentant einer subversiven Subkultur. Konnten Erci E. und Karakan noch von ihrem Ruhm von Cartel profitieren, so wurden die Veröffentlichungen der türkischen Rapper in den nächsten Jahren kaum registriert. Diese Alben erinnerten stark an die Musik und Sprache von Cartel. Aber, für die Mehrheit war es keine interessante Mode mehr und es fehlte eine kaufkräftige HipHop-Szene. Umso erstaunlicher waren die Motivation und

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das Engagement der Rapper und einzelner Akteure, die die HipHop-Kultur in der Türkei ohne kommerzielle und institutionelle Unterstützung verbreiten wollten. Dazu zählte in erster Linie der Sprüher und Rapper Tunç Dindaş, der seit 1997 in jeder Ausgabe der Jugendzeitschrift Blue Jean drei Seiten über die HipHop-Kultur und -Szene im Ausland und in der Türkei schrieb. Auch einzelne Personen von den Labels KOD-Müzik, Hammer Müzik und Zihni Müzik, der Rock-Zeitschrift Roll und dem Konzertveranstalter Hip-Production waren, obgleich sie nicht selbst aus der HipHop-Szene stammten, an der Verbreitung von HipHop interessiert. Zu den von Hip-Production organisierten Festivals wurde stets ein DJ aus der HipHop-Szene eingeladen: „Wir [Anm. d. Autorin: Hip-Production] verfolgen ernsthaft die Musikrichtung HipHop, mit der Philosophie, der Politik und in allem, was wir machen, forcieren wir HipHop. Wir arbeiten daran, dass HipHop von den Menschen gehört wird. Ich sage mal, wenn fünf DJs kommen, dann ist einer von denen auf alle Fälle Techno, der eine Garage, House, einer Trance, aber einer ist auf alle Fälle HipHop.“ (Alev Çağlar, Hip-Production, Interview 1999)

Auffällig an den Personen, die selbst nicht aus der HipHop-Szene kamen, aber die Verbreitung dieser Kultur in der Türkei forcierten, waren deren Auslandserfahrungen (USA und Deutschland) und transnationale Netzwerke. Diesem Engagement auf der professionellen Ebene stand noch Ende der 1990er Jahre eine gesellschaftliche Ablehnung gegenüber, auf deren genauere Gründe ich im Folgenden eingehen werde. Politische und institutionelle Rahmenbedingungen Als eine Kultur der sozial und ethnisch benachteiligten Jugendlichen hätte sich HipHop theoretisch in erster Linie in armen Siedlungen verbreiten müssen. Wie in Berlin hätte HipHop auch hier für sozialpädagogische Aktionen und Arbeiten eingesetzt und gefördert werden können. Doch Ende der 1990er Jahre unterschied sich die Situation in Istanbul maßgeblich von der in Berlin. In der von massiven Klassenunterschieden geprägten Stadt war es nicht „cool“, aus dem Varoş oder der sozialen Unterschicht zu stammen. Das Männlichkeitsbild, das die HipHopper auslebten, schien zu dieser Zeit mit dem Männlichkeitsbild der türkischen unteren Schicht nicht kompatibel zu sein. Angesichts der Tatsache, dass Rap-Musik mit Cartel eingeführt wurde, hatte HipHop das Image einer Kultur der Deutschtürken, und der nationalistische Tenor ihrer Texte prägte auch die politische Ausrichtung der Rap-Musik in der Türkei.

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Generell verfügte die Mehrheit nicht über detaillierte Kenntnisse bezüglich der HipHop-Kultur. Den Jugendlichen der unteren Schicht fehlte der Zugang, waren doch die Inhalte dieser Kultur über Cartel nicht wirklich vermittelt worden. Der massiven institutionellen Förderung in Berlin stand hier einer Situation gegenüber, deren juristische Rahmenbedingungen die Verbreitung dieser Jugendkultur verhinderten. Als Ausgangspunkte der gesetzlichen Grundlagen möchte ich auf das deutsche Grundgesetz und die türkische Verfassung hinweisen. Der erste Satz des deutschen Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ macht den Stellenwert des Individuums in Deutschland deutlich. Juristische Grundlagen, aber auch der gesellschaftliche Wandel seit den 68ern führten zu einem Individualisierungsprozess, der auch das kulturelle Leben beeinflusste. Unter diesen rechtlichen Voraussetzungen war und ist es möglich, den ethnischen Hintergrund trotz gesellschaftlicher Diskriminierungen selbstbewusst über die Rap-Musik zu präsentieren. Cartel lief in Deutschland mit einem Musik-Clip auf dem Musiksender Viva, in dem die türkische Nationalflagge zu sehen war und die Rapper ihre türkische Zugehörigkeit selbstbewusst und kämpferisch zum Ausdruck brachten. Solche institutionellen Rahmenbedingungen können nicht nur ethnisch, sondern auch sozial Marginalisierten eine Möglichkeit bieten, aktiv zu werden und sich in unterschiedlichen Bereichen – eben auch der Populärkultur – zu professionalisieren. In der Türkei dagegen wurde der individuellen Entfaltung von juristischer Seite Grenzen gesetzt. Mit der Gründung der türkischen Republik im Jahre 1923 wurde auf der politischen, kulturellen und religiösen Ebene das Ziel einer kulturellen Homogenität angestrebt: „Die Gründer der Republik oktroyierten der Gesellschaft, die zweifellos unterentwickelt und rückständig war, ihre Vision einer ‚zeitgemäßen Zivilisation‘ auf. Dazu setzten sie alle Mittel des Staatsapparats ein, die ihnen zur Verfügung standen, auch dessen Gewaltmonopol. Vom Einzelnen forderten sie Gehorsam, nicht Individualität41“, schreibt Rainer Hermann (2008:15) über die politische Situation in der Türkei nach der Staatsgründung. Sogar der folgende vollständig wiedergegebene Artikel 58, mit dem sich die Verfassung speziell der Jugend widmet, zielt auf die Erhaltung der Einheit des Staates und nicht auf individuelle Entfaltung: „Der Staat trifft die Maßnahmen zur Gewährleistung der Entwicklung und Erziehung der Jugend, welcher unsere Unabhängigkeit und unsere Republik anvertraut sind, im Lichte 41 Erst 2005 wurde ein neues Strafgesetz eingeführt, das „die Grundrechte des Einzelnen vor dem Staat“, und nicht „den Staat vor dem Einzelnen“ schützte (Hermann 2008:54).

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der Naturwissenschaft, im Sinne der Prinzipien und Reformen Atatürks und gegen Anschauungen, welche die Aufhebung der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk zum Ziel haben. Der Staat trifft die notwendigen Maßnahmen, um die Jugendlichen vor Alkoholismus, Betäubungsmitteln, Kriminalität, Glücksspiel und ähnlichen schädlichen Gewohnheiten und vor Unwissenheit zu schützen42.“

Eine dem Deutschen Kinder- und Jugendhilfegesetz ähnliche Gesetzesgrundlage gab es in der Türkei nicht. Trotz einer neuen Verwaltungsordnung im Jahre 1999 verhinderte ein Vereinsgesetz43 weiterhin die Gründung und Verbreitung von Vereinen und freien Organisationen: „Dieses Gesetz unterwirft die Gründung von freien Organisationen sehr strengen Kontrollen und Prozeduren, macht eine gründliche Gesinnungsprüfung möglich und verbietet den Vereinen fast jegliche Meinungsäußerung, Parteinahme und Aktivität politischer Art.“44 In der staatlichen, primär auf Einheit hinzielenden, Politik fehlte es an einer institutionellen Struktur, die Jugendlichen ein Feld bot, kreativ, rebellisch, individuell und frei, unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft zu sein. Noch heute wäre ein Musikclip im türkischen Fernsehen in ähnlicher Form wie das von Cartel nicht denkbar, wenn es von kurdischen, armenischen, christlichen, alevitischen oder anderen ethnischen oder religiösen Minderheiten produziert worden wäre, ohne dass diese als Separatisten angesehen würden. Unter diesen Umständen war Rap-Musik nicht das Sprachrohr von diskriminierten Minderheiten, sondern von Etablierten, die zwar einzelne Umstände oder Miss-

42 Die Verfassung der Republik Türkei vom 7. November 1982, im Internet. 43 So besagt Artikel 13: „Die Grundrechte und -freiheiten können zum Schutz der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, der nationalen Souveränität, der Republik, der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit der Allgemeinheit, des öffentlichen Interesses, des Sittengesetzes und der öffentlichen Gesundheit und aus besonderen Gründen, welche darüber hinaus in den entsprechenden Artikeln der Verfassung vorgesehen sind, in Einklang mit Wort und Geist der Verfassung durch Gesetz beschränkt werden. Die allgemeinen und besonderen Beschränkungen im Zusammenhang mit den Grundrechten und -freiheiten dürfen den Erfordernissen einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht entgegenstehen und außerhalb des bestimmungsgemäßen Zweckes nicht gebraucht werden. Die allgemeinen Beschränkungsgründe in diesem Artikel gelten für alle Grundrechte und -freiheiten.“ Die Verfassung der Republik Türkei vom 7. November 1982, im Internet. 44 IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeitder Bundesrepublik Deutschland e.V. (Hrsg.): DIJA.de: Länderinfo – Türkei – Kinder- und Jugendpolitik – Gesetzliche und finanzielle Grundlagen, im Internet.

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stände in der Türkei kritisierten, allerdings ohne die Meinung und den politischen Tenor der Mehrheitsgesellschaft zu hinterfragen. Staatliche Kontrolle und juristische Konsequenzen wie beispielsweise bei offenem Protest oder illegalen Graffitis hemmten die Entwicklung einer HipHopKultur, wie sie in Berlin zu finden war: „In der Türkei ist Graffiti verboten. Wenn du Graffiti machst, kommst du ins Gefängnis. Ich erzähle dir mal was. Meine Freunde aus Samsun sind mal nach Istanbul zum Urlaub gekommen. Sie wollten ein Graffiti von einer Bombe machen. Sie haben Bombe geschrieben. Sie haben ein Bild von einer Bombe gemacht. Sie wurden eingesperrt, weil sie als militant galten. Sie wurden einen Tag lang geschlagen. ‚Militant‘ haben sie gesagt, also‚ ihr habt dort Bombe geschrieben. Ihr seid ‚Terroristen‘, haben sie gesagt. Ich war Zeuge davon.“ (Yunus Özyavuz, Interview am 15.5.2000)

Wegen dieser Gefahren bevorzugten es Jugendliche, ihre Zeichnungen in einem sogenannten Black Book45, und nicht als Graffiti an einer Wand zu machen. Die Ablehnung der HipHop-Kultur konnte auf der gesellschaftlichen Ebene auch auf Missverständnissen beruhen. Während „Underground“ für die Jugendlichen der Ober- und Mittelschicht, die sich für westliche Subkulturen interessierten, ein gängiger und positiv besetzter Begriff war und mit Authentizität gleichgesetzt wurde, konnte dies von Anderen falsch verstanden werden: „In der Türkei empfinden die Menschen ‚Underground‘ als abstoßend. Genau wie unser Name Suikast (Anschlag, Attentat). Die, die es zum ersten Mal hören, bekommen einen Schock. Die, die es wörtlich nehmen, denken bei ‚yer altı‘ (Untergrund), dass es etwas mit der Mafia zu tun hat und halten sich fern. Das klingt merkwürdig, sogar lustig, aber ich war oft Zeuge dessen, sogar sehr oft.“ (Erdener und Özcan in Jöntürk 2003:184, Anm.: Übersetzung durch die Autorin).

Gerade in einer heiklen politischen Situation kann ein Wort wie „Underground“ von unterschiedlichen Gruppen antagonistisch aufgenommen werden (Bourdieu 2005:45). So wirkte zu diesem Zeitpunkt ein weiteres wichtiges Authentizitätsmerkmal innerhalb der HipHop-Szene bei der Verbreitung dieser Musik eher hinderlich.

45 In der HipHop-Kultur wird ein Buch als Black Book bezeichnet, das von den Writern für ihre Entwürfe, aber auch für Fotos von Graffitis anderer benutzt wird (Krekow et al. 1999:56).

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Ablehnung einer neuen Musikform Trotz des kurzlebigen Erfolgs von Cartel empfanden viele Menschen Rap-Musik als fremd. Ihnen fehlten Melodien und Hits zum Mitsingen, dem „Gerede“ standen viele ablehnend gegenüber. Aus diesem Grund weigerte sich Yunus Özyavuz, seine Stücke anderen vorzuspielen: „Es ist so, ich spiele meine Stücke anderen nicht vor. Sei es meinen Nachbarn, meinen Schulfreunden, denn es ist klar, wie sie reagieren: ‚Diese Musik wird nicht in der Türkei ankommen, was ist das für eine Musik! Das ist doch nur Gequatsche (boş laf).‘ Als ich meiner Familie das zum ersten Mal vorspielte, fragten sie mich ‚Bist du verrückt?‘“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Die wenigen Rapper aus Istanbul wurden zunächst nicht ernst genommen. Ihr Musikstil wirkte auf Jugendliche nicht überzeugend, war doch vielen westlich orientierten Jugendlichen bekannt, dass Rap „başkaldırı“ (Protest-Musik) ist und die deutschtürkischen Rapper damit gegen ihre Unterdrückung in Deutschland rebellierten. Doch die Rapper in der Türkei gehörten eher der Mittelschicht an. Sie fühlten sich mit ihrer Musik als eine Minderheit, aber keineswegs als Angehörige einer politischen, sozialen oder ethnischen Minderheit. Da sie die bedeutenden Authentizitätskriterien nicht erfüllten, wurden sie von vielen nur als ein „ÖzentiPhänomen“ (Nachahmer) betrachtet und nicht ernst genommen. Die Mittel- und Oberschicht, die sich für westliche Subkulturen interessierte, verfügte über das ökonomische und das kulturelle Kapital, um sich diese Kultur anzueignen. Sie gaben ihr Geld für Zeitschriften, CDs, für Computer und Internet, für entsprechende Kleidung, Diskotheken, Bars und Konzerte aus. An einer Kultur, die die Unterschicht repräsentierte, und mehr noch an einer Kultur der unbeliebten Almancı konnten sie verständlicherweise kaum interessiert sein, auch wenn diese ursprünglich aus New York kam. Die Dominanz der Rock-Kultur Obwohl in westlichen Ländern schon seit Langem Crossover Produktionen von Rap und Rock-Musik, also eine Mischung beider Stile, erfolgreich war, erfuhren Rapper in Istanbul die größte Ablehnung vonseiten der Rock/Metal-Fans. Auch die Anstrengungen seitens der Konzertveranstalter und der Zeitschriften Blue Jean und Roll, beide Gruppen zusammenzubringen, scheiterten. Die massive Ablehnung von Rap-Musikern fand ihren Ausdruck während ihrer Gastauftritte bei Rock-Festivals, so wurden sie beispielsweise auf der Bühne mit Gegenständen beworfen. Diese Erfahrung musste auch die Frankfurter Band Megalomaniax bei

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ihrer Tournee in der Türkei machen. Ihre Mitglieder bestanden, wie ein deutsches Bandmitglied erwähnte, der sich Dog nannte, aus: „Vier Alman (Deutsche) und zwei Almancı (Deutschtürken)“ (Dog im Interview am 13.10.1999). Ihre Musik bezeichneten sie selbst als Hardcoriental, eine Mischung aus Metal, HipHop und türkischer Folklore mit türkischen Texten. Die Schilderung des Schlagzeugers Dog zeigt, in welcher zwiespältigen Position Bands waren, die HipHopMusik spielten, auch wenn sie diese mit Rock kombinierten. Zum einen erlebten sie massive Ablehnung seitens der Rock-Anhänger, zum anderen aber auch ein allgemeines Interesse an Subkultur, an neuer Musik und Andersartigkeit. „Es war so, als wir ankamen und da waren gleich das Fernseh-Team, und das war so richtig Empfang und dann gleich überall rumgereicht und Leute – und Händeschütteln und ‚Hallo‘ und so weiter, obwohl da ja noch gar nichts passiert war. Und dann, das Erste, was wir gemacht haben, war halt im Vorprogramm von Metallica [Anm. d. Autorin: MetalBand aus den USA] im Ali Sami Yen-Stadion zu spielen und die Nummer lief im Radio und wir hatten so den Eindruck, dass eher ʼne positive Stimmung ist und wir gehen auf die Bühne und ab dem Moment steht die Hälfte vom Publikum, die ersten 20.000 stehen da mit hochgestreckten Mittelfingern und schreien uns an, wir sollen uns verpissen, so ungefähr. Ja, und dann haben wir noch die erste Nummer angefangen mit ʼnem DJ, mit so ʼnem HipHop-Loop und ab dem Moment an haben sie die ganze Show – wir haben noch ʼne halbe Stunde gespielt – alles auf die Bühne geworfen, was sie gefunden haben. Flaschen und Kleingeld und weiß der Teufel. Und – dann bin erst mal noch ʼne Woche nach Deutschland zurück, weil ich hier noch ʼnen Studiojob hatte, hab’ so die direkte Reaktion dann gar nicht mitbekommen. Und als ich wiederkam, zurück, war dann schon Presse und ganz viele positive Reaktionen, Konzertkritiken und die Leute haben – irgendwie so – die da waren, die kamen dann: ‚Ich stand zwar so da, aber ihr ward total klasse‘ (…) Ich hab’s nicht so richtig verstanden, also es war so, dass man das Gefühl hatte, die Leute wollten nur Metallica sehen – und alles, was nicht Metallica war, fanden sie grundsätzlich scheiße. Und dass dann auch so die Leute, die es gut fanden, sich nicht getraut haben, sich zu äußern, weil so die Masse – wir haben auch so mitgekriegt am Rande, dass die Leute, die es gut fanden und applaudiert haben und gesprungen sind und wie die dann von den anderen geschubst wurden und geschlagen wurden, weil sie uns gut fanden. Ganz seltsam. (…) Und danach haben wir ganz viel Fernsehen gemacht und Radio und hatten auch einige Zeitungsinterviews und haben dann unser erstes eigenes Konzert gemacht in Istanbul und das war im Rockhouse. (…) Wir haben in Taksim gewohnt und das Rockhouse ist auf der europäischen Seite direkt unter der Bosporus-Bridge. Wie heißt das da, Ortaköy. Wo auch der schöne Platz da vorne ist und die Moschee von Ortaköy, da ist das Rockhouse. Und da war es richtig voll und die Leute sind völlig auf uns abgefahren und es waren ja auch alles Leute, die uns nicht vorher kannten, wir haben ja auch praktisch bei null angefangen. Und

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die auch viele auf dem Metallica-Konzert waren und uns da gesehen haben und daraufhin dahingekommen sind. (…) Ja, und wir haben dann, wir waren dann ja fast zwei Monate unten, am Schluss war es wirklich so, dass ganz viele Leute uns auf der Straße erkannt haben, wir mussten Autogramme geben. (…) Das fand ich schon enorm, weil – ich war hier auch schon oft im Fernsehen, da hat mich noch nie jemand erkannt. Und sind so in ganz viele, so in die Clubs usw. immer umsonst reingekommen, weil die Leute uns von den Gesichtern her kannten und so. Ganz seltsam. So was habe ich auch noch nicht erlebt. So dieser Umschwung innerhalb von kurzer Zeit. Von absoluter Abneigung auf – Zuneigung. War schon beeindruckend.“ (Dog im Interview am 13.10.1999)

An diesem Zitat wird deutlich, wie stark die Ablehnung seitens der MetalAnhänger ihren Ausdruck im Konzert fand und mehr noch, wie sehr Einzelne unter dem Druck standen, sich dem Geschmack der Gruppe anzupassen und nicht ihren persönlichen Gefallen auszudrücken. Die Publikumsreaktionen während des Konzerts und der spätere Umschwung zeigen, wie innerhalb kurzer Zeit Verschlossenheit gegenüber dem Neuen, Intoleranz gegenüber „Verrätern“ und Abneigung gegenüber HipHop einem besonderen Interesse an neuen Trends und Andersartigkeit weichen kann. Trotz der Anerkennung, die Megalomaniax später erfuhr, hielt die „offizielle“ Feindschaft seitens der Rock-Anhänger gegenüber HipHop an. Noch auf weiteren Rock-Festivals sollten Rap-Musiker wie Ceza beschimpft und mit Gegenständen beworfen werden und die massive Ablehnung seitens der Rock-Anhänger zu spüren bekommen. Diese Feindschaft zu durchbrechen, war Ende der 1990er Jahre das Ziel der Rapper. Die von mir interviewten Rapper hatten entweder selbst vormals Rock gehört oder standen dieser Musikrichtung wohlwollend gegenüber. Rock- und Rap-Musik galten bei ihnen als kompatible Musikrichtungen. Ende der 1990er Jahre schienen die Grenzen zwischen HipHop, Rock und Pop noch sehr starr zu sein, obwohl auf der professionellen Ebene, d.h. zwischen Bands, Veranstaltern und Medien, Freundschaften und Offenheit bestand und sie gemeinsam versuchten, diese Grenzen zu durchbrechen. Dazu Dogs Beobachtung: „Ja, das waren so diese – was es in der Türkei noch nicht so gibt, ist dieses Stilübergreifende, die denken unheimlich in Kategorien. Und wir sind halt so eine Band, die bei allen credible ist. (…) Wir sind aufgetreten zusammen mit einer reinen Hardcore-Band, ‚Radical Noise‘, und einer reinen HipHop-Band, Rapor 2, und haben aber das beides dann in uns vereint. Sowohl die harte, als auch die HipHop-Seite. (…) Und das waren auch viele Leute, die jetzt so schon da drin sind in dieser Hardcore-Szene, die dann, oder auch im HipHop, ‚wie könnt ihr mit Metallica spielen, wie könnt ihr das machen? Das ist ja Ver-

258 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN rat!‘ So wurden wir angemacht dafür. Also, die denken unheimlich in Kategorien. Und da merkt man auch so im Nightlife, so die Clubs sind ganz streng nach Musikrichtungen oder nach Stilen sortiert. Da gibt’s so Metal, da gibt’s Rock, da gibt’s Pop, da gibt’s House, es gibt ganz wenige Sachen, wo es dann mal übergreifend wird.“ (Dog im Interview am 13.10.1999)

Kontaktanzeigen und auch Lesermeinungen in der Jugendzeitschrift Blue Jean stießen im Jahre 2000/2001 noch auf deutlich negative, teilweise mit Beschimpfungen oder Beleidigungen einhergehende Abgrenzungen gegenüber der jeweils anderen Kultur. Gerade an dieser Zeitschrift kann die Differenz zwischen Fans und Professionellen nachvollzogen werden: Den Leserbriefen mit starken Grenzziehungen stand 2000 eine CD-Beilage mit der Musik des Rappers Eminem und der Nu-Metal-Band Limp Bizkit unter dem Motto: „Rock meets HipHop“ gegenüber. Die Frage nach der Herkunft Stil und der Geschmack waren Zeichen, mit denen man sich einer Gruppe zuordnen konnte und dann von anderen als Repräsentant eines Stils akzeptiert wurde. Doch entgegen meiner Erfahrung in Berlin, wo die soziale Herkunft unter Jugendlichen als Bewertungskriterium in den Hintergrund rückte und der Stil, die Art sich zu geben, das Wissen oder Können bewertet wurde, beeinflusste in Istanbul die Herkunft nicht nur die Möglichkeiten, einen Stil auszuleben, sondern auch die Akzeptanz unter jungen Menschen. Selbst finanzieller Wohlstand, Bildung und der gewünschte Stil reichten nicht aus, um wirklich von einer Szene aufgenommen zu werden, denn man trug die Last der sozial schwächeren Herkunft als unveränderliches soziales Kapital mit sich. Um ein Beispiel zu nennen: Ein Gesprächspartner aus der Techno-Szene verbrachte seine Kindheit als Gastarbeiter-Kind in Deutschland. Seine Eltern waren ostanatolischer Herkunft. Die Familie kehrte in den 1980er Jahren in die Türkei zurück. Der Gesprächspartner hatte inzwischen seinen MBA in England absolviert, sprach fließend Englisch, Türkisch und Deutsch und verdiente hervorragend. Er war ein weltoffener und gebildeter Mensch. Aufgrund seiner Herkunft erlebte er dennoch Ausgrenzungen und Stigmatisierungen in der Techno-Szene und fühlte sich nicht in die Szene aufgenommen. Das geringe symbolische Kapital seiner Herkunft konnte letztlich nicht durch seine individuelle Leistung, sein erworbenes kulturelles und ökonomisches Kapital kompensiert werden. Diskriminierungen aufgrund der Herkunft waren ein Mittel, die Figuration, und somit bestimmte Machtverhältnisse und eine gewisse Überlegenheit auf der symbolischen Ebene aufrechtzuerhalten.

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Öffentliche Orte wie Bars und Diskotheken repräsentierten gewöhnlich nur einen Musikstil und wurden dementsprechend nur von einem bestimmten Publikum frequentiert, das sich für diesen Stil interessierte oder diesen auslebte. Die Entscheidung für einen Musikstil führte somit zum Aussieben von Personen, die nicht erwünscht waren, Menschen, die das Wir-Gefühl in einer Einrichtung infrage stellen würden. Eine weitere Methode, unerwünschte Gäste fernzuhalten, waren die teilweise außergewöhnlich hohen Eintrittspreise von bis zu 100 DM (ca. 50 Euro). Solche von nur von sehr wohlhabenden Personen frequentierten Läden konnten von ärmeren Personen, auch wenn sie lange dafür gespart hätten, kaum besucht werden. Angestellte hatten die Aufgabe, das Auto des Gastes zum Parkplatz zu fahren. Dies war nicht nur eine Form der Dienstleistung zur Bequemlichkeit des Gastes, sondern es gab der Diskothek auch die Möglichkeit, den Status des Gastes zu erfahren. Gäste, die mit billigen Autos oder dem Taxi kamen, warteten vergeblich auf Einlass. Auch die für die Mittelschicht ausgelegten Läden mit niedrigeren Preisen hatten Türsteher, die ungebetene Gäste nicht hineinließ. Die von der Mittel- und Oberschicht abgelehnten und abgewerteten Magandas mit Schnurrbart hatten keine Möglichkeit, eine Rock-Bar oder einen Techno-Laden zu besuchen. In einer Stadt, in der auch unter jungen Menschen die Herkunft ein entscheidendes Thema war und wo Almancıs darüber hinaus als Menschen zweiter oder gar dritter Klasse galten, konnte sich eine Kultur, die von den Almancı importiert worden war, zunächst nicht in der Mittel- und Oberschicht etablieren. HipHop galt bis Anfang der 2000er Jahre als die Kultur der Deutschtürken: „Nun, weil er [Anm. d. Autorin: HipHop] mit Cartel gekommen ist, wissen sie es nicht. Sie glauben, dass das nur die Musik der in Deutschland lebenden Gurbetçi ist.“ (Elif im Interview am 17.5.2000)

Der türkische Rapper MC Ender antwortete bei einem Interview in einer Zeitschrift auf die Frage, ob er ein Almancı sei: „Nein. Das ist die Frage, die ich am meisten mag. Denn jeder fragt mich diese Frage. Niemand kann sich vorstellen, dass ich in der Türkei geboren und aufgewachsen bin. Aber ich bin noch nie im Ausland gewesen.“46

Schon vor der Feldforschung in der Türkei waren mir entsprechende Stigmatisierungen und Diskriminierungen in der Türkei gegenüber Almancıs bekannt. Dass 46 Interview in der Zeitschrift Maviology (vermutlich 1998 erschienen, Titelseite beschädigt, Übersetzung durch die Autorin).

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sich diese Haltung so grundlegend auch auf den Musikgeschmack auswirkte, stellte sich allerdings erst während der Feldforschung heraus. Zum Verständnis des gesellschaftlichen Diskurses über HipHop ist es somit notwendig, auf das Image der Deutschtürken in der Türkei und das Abgrenzungsverhalten seitens der Istanbuler Mittel- und Oberschicht einzugehen. 6.2.4 Das Image der Almancı Die Bezeichnung Almancı für Deutschtürken enthält eine abwertende Konnotation. Sie drückt nicht nur aus, dass der Bezeichnete türkischer Herkunft und in Deutschland geboren oder aufgewachsen ist. Der Begriff impliziert weitere Bedeutungskomponenten wie „Eltern aus einem anatolischen Dorf“, „ungebildeter Herkunft“, „nichtstädtisch“, „unterdrückt“ (ezilmiş), „zwischen zwei Stühlen sitzend“, „neureich“ (sonradan görmüş), „schlechtes Benehmen“, „Angeber“ etc. Der Zugehörigkeit zu Almancı wird im Wertesystem der Istanbuler Mittel- und Oberschicht geringes symbolisches Kapital zugemessen. Diese negativen Zuschreibungen sind in einem historischen und sozialen Kontext zu betrachten. Mit dem am 31. Oktober 1961 zwischen der Türkei und Deutschland geschlossenen „Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“ sollten junge Menschen aus der Türkei kommen, die überwiegend für unqualifizierte Stellen im Bergbau, der Metallverarbeitung, der Automobilindustrie etc. gebraucht wurden. Insbesondere Türken ländlicher Herkunft mit geringer Bildung erhofften sich eine bessere Zukunft durch einen Arbeitsaufenthalt in Deutschland, sie sahen darin einen Weg, der Armut in der Türkei zu entkommen. Die türkischen Gastarbeiter der ersten Generation verband eine besondere Beziehung mit der Türkei. Regelmäßige Telefonate und alljährliche Heimatbesuche erhielten den engen Kontakt aufrecht. Es sprach sich allerdings in der Türkei herum, dass die Geschichten, die Verwandte aus Deutschland erzählten, nicht unbedingt der Wahrheit entsprachen. Es wurde bekannt, dass sie entgegen ihren Erzählungen kein wohlhabendes Leben in Deutschland führten und teilweise als gesamte Familie in Einzimmerwohnungen unter ärmlichen Verhältnissen lebten. Gleichzeitig berichteten Zeitungen zunehmend von den problematischen gewalttätigen türkischstämmigen Jugendlichen in Deutschland. Es wurde ebenso bekannt, das die „Gurbetçi“47 oft konservativer und islamistischer als die Menschen in der Türkei waren, sich in Deutschland nicht anpassten und eine besondere Schuld am schlechten Image der Türken im Ausland trugen.

47 Wie bereits erwähnt, bedeutet „Gurbetçi“ „der in der Fremde Lebende“.

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Deutschtürken wurden auch als eine Bedrohung für den inneren Frieden in der Türkei gesehen, denn im Gegensatz zur Türkei konnten religiöse und politische Gruppen in Deutschland ihre Arbeit weitgehend ungestört ausüben und mit ihrem Geld bestimmte Gruppen in der Türkei unterstützen. Die Aussagen der türkischen Mittel- und Oberschicht über Deutschtürken waren und sind ähnlich negativ pauschalisierend wie teilweise die der deutschen Medien und rassistischen Deutschen. Bei der von den Neureichen „bedrohten“ alteingesessenen Mittel- und Oberschicht in Istanbul nahmen junge Deutschtürken eine besondere Position ein. Die zweite und dritte Generation der türkischen Migranten verfügte über Erfahrungen im europäischen Ausland und Fremdsprachenkenntnisse, die im klassischen Sinne eher der gebildeten Schicht zuzuordnen sind. Ebenso konnten sich Deutschtürken mit geringerer Bildung Produkte, Hotels etc. leisten, die in der Türkei sonst nur von der Mittel- und Oberschicht konsumiert oder genutzt werden konnten. In der ohnehin schwierigen ökonomischen Situation der türkischen Mittelschicht spielte in Istanbul die Frage nach der Herkunft auch bezüglich der Almancı eine wichtige Rolle, mit der die Figuration, das Verhältnis zwischen den Etablierten und den Außenseitern, aufrechterhalten werden sollte. Trafen beispielsweise ein deutschtürkischer Student und ein Istanbuler aus der Mitteloder Oberschicht zusammen, so war es normal, schon zu Beginn des Gesprächs zu fragen, ob der Almancı in Deutschland aufgewachsen oder erst zum Studium nach Deutschland gegangen war. Im ersteren Fall ging der Istanbuler davon aus, dass der Almancı anatolische Eltern ohne Schulbildung hatte und es trotzdem bis zum Studium geschafft hatte. Dies wurde allerdings nicht als eine besondere Leistung zu Kenntnis genommen, sondern als ein Zeichen für eine niedere soziale Position infolge der Herkunft. Erst zum Studium nach Deutschland gegangen zu sein, war dagegen ein Zeichen, dass es sich die Familie leisten konnte, das Kind ins Ausland zu schicken, was wiederum von einer gebildeten Herkunft zeugte. Erfuhr der Istanbuler, dass der in Deutschland aufgewachsene Almancı Eltern mit akademischem Hintergrund hatte, so wurde das teilweise mit Freude oder Erleichterung wahrgenommen und die Konversation auf einer freundlicheren, gleichwertigeren Ebene geführt, teilweise allerdings mit einem Konkurrenzdenken, indem die Überlegenheit von Istanbul gegenüber europäischen Städten betont wurde. Die unveränderlichen Komponenten des sozialen Kapitals, nämlich bildungsferner Hintergrund der Eltern, aber teilweise auch die ethnische Herkunft – denn die dörfliche Herkunft wurde mit den Ostprovinzen in der Türkei, und damit auch mit kurdischer Herkunft in Verbindung gebracht –, waren ein besonderes Distinktionsmerkmal, ein Zeichen für die Überlegenheit der Istanbuler Ober- und Mittelschicht gegenüber Deutschtürken.

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Neben dem herkunftsrelevanten Abgrenzungskriterium stellte die ungenügenden Sprachkenntnisse des Türkischen unter Deutschtürken für die türkische Mittel- und Oberschicht ein besonderes Distinktionsmerkmal dar. Bourdieu klassifiziert die Sprachkompetenz generell als inkorporiertes kulturelles Kapital, das Auskunft über die soziale oder regionale Herkunft geben kann (1983:187)48. Dieses generelle Distinktionsmerkmal beeinflusste die Sympathie bzw. Antipathie der Istanbuler Mittel- und Oberschicht gegenüber der Rap-Musik in besonderem Maße, da die Sprache beim Rap im Vordergrund steht und mit Cartel eine bestimmte verbale Ausdrucksform in der Rap-Musik geprägt wurde, die von einfachem Türkisch mit einer eher groben Aussprache geprägt ist. Sprachkompetenz als Distinktionsmerkmal Tatsächlich weist das Türkisch der Deutschtürken zunehmend größere Unterschiede zum Türkischen in der Türkei auf. Zwar mögen gebildete Deutschtürken einen größeren Wortschatz und besseren sprachlichen Ausdruck haben als ein Türke in der Türkei aus einer bildungsfernen Schicht, doch vergleicht man Personen gleicher sozialer Herkunft und mit gleichem Bildungsniveau, so zeigen sich mehrheitlich Unterschiede in der Sprachkompetenz. Deutschtürkische Jugendliche verfügen generell über einen begrenzten aktiven türkischen Wortschatz, was unter anderem auch dazu führt, dass deutsche Wörter in die türkische Sprache übernommen werden49. Nach eigenen Beobachtungen unter türkischstämmigen Jugendlichen bestehen nicht selten die einfacheren Teile der Sätze aus Wörtern in türkischer Sprache. Sobald eine differenziertere Aussage angestrebt wird, schalten viele in die deutsche Sprache um. Ein weiterer Unterschied im Wortschatz besteht darin, dass die Sprache in der Türkei permanenten Veränderungen unterworfen ist. Ehemals ins Türkische übernommene arabische bzw. persische Wörter werden zunehmend durch alttürkische bzw. neu konstruierte türkische Wörter ersetzt. Die Verwendung ganz bestimmter neuer Wörter kann in der Türkei auch unter den dort lebenden Türken ein Zeichen für Bildung

48 Zur Bedeutung der Sprache als ein Distinktionsmerkmal siehe auch Elias (1977). 49 Gründe hierfür liegen zum Beispiel darin, dass das entsprechende Wort nicht bekannt ist bzw. das deutsche Wort geläufiger scheint. Selbst Medien übernahmen bevorzugt deutsche Wörter, wenn das deutsche Wort verständlicher war. Die türkischsprachigen Werbungen des inzwischen geschlossenen türkischen TV-Senders TD1 und auch des Radiosenders Metropol FM enthalten gelegentlich deutsche Wörter, wenn diese für Deutschtürken verständlicher oder geläufiger sind, wie beispielsweise das Wort Gutachten.

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sein50. Deutschtürkische Jugendliche lernen das Türkisch ihrer Eltern oder ihrer deutschtürkischen Erzieher/Erzieherinnen, die ihre Sprache kaum den neuesten Entwicklungen in der Türkei anpassen konnten. Die etwas veraltete türkische Sprache kombiniert mit deutschen Wörtern oder Satzteilen unterscheidet sich zunehmend vom modernen Türkisch. Diese Sprachdefizite, die die Entwicklung mit sich bringt, werden noch offensichtlicher, wenn sich Deutschtürken in der Türkei mit den dort lebenden Türken unterhalten und teilweise türkische Wörter nicht korrekt verwenden, da sie Deutsch wörtlich ins Türkische übersetzen. Darüber hinaus sprechen Deutschtürken oft den Dialekt ihrer Eltern, der auf eine ländliche ostanatolische Herkunft hinweisen kann. Deutsch-Kenntnisse wurden in der Türkei nicht unbedingt gewürdigt, da Medienberichte das Image verbreiteten, dass die Sprachkenntnisse von Deutschtürken defizitär seien. Darüber hinaus konnte davon ausgegangen werden, dass selbst Deutschtürken mit hervorragenden Deutschkenntnissen ihr kulturelles Kapital durch das Leben in Deutschland und nicht über den Einsatz von hohem ökonomischem Kapital erworben haben. Die pejorative Haltung gegenüber Deutschtürken und ihren Türkischkenntnissen wurde des Öfteren offen geäußert, wie der Rapper Erci E. aus eigener Erfahrung berichten konnte. Als eine Moderatorin des Senders Genç-TV sich in einem spontanen Interview humorvoll in einer pejorativen Form über seine Türkischkenntnisse äußerte, antwortete er, wie er mir im Interview berichtete: „Wenn es dich stört, können wir auch gern in Englisch weiterreden. Und sie ‚ach nee, nee…‘. Ich meine, in Deutschland treten so viele Leute auf, im Fernsehen, die sprechen wirklich supergebrochen Deutsch, aber kein Mensch kommt auf die Idee zu fragen, ‚hä, wie redest denn du?‘. Und das ist also in der Türkei so. (…) Ich habe doch viel mehr zu bieten, als du da fragst. Und anstatt das irgendwie auszuschöpfen. (…) Sie konnte weder Deutsch noch Englisch, muss sie ja auch nicht, aber dann piek doch nicht rum.“ (Erci E. im Interview am 17.10.1999)

Erci E. beherrscht die deutsche, die türkische und die englische Sprache. Doch seine Sprachkenntnisse wurden weder von der Moderatorin gewürdigt, noch stellte Erci E. sich selbst als überlegen dar. Er selbst redete offen über die Sprachdefizite von Deutschtürken und bedauerte es, dass türkische Rapper in der Türkei das schlechte Türkisch imitierten:

50 Die Gebildeten verwendeten mehrheitlich für den Ausdruck „zum Beispiel“ „örneğin“ statt „mesela“ oder für „Natur“ „doğa“ statt „tabiyat“.

264 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Die jungen Leute, die Rap machen, sollen nach ihrem Geschmack Rap interpretieren. Es gibt immer noch türkische Rap MCs und Gruppen, die Cartel nachahmen. Das wird deutlich, wenn sie, obwohl sie ein gutes Türkisch sprechen, wenn sie rappen, wie Deutschtürken, wie Cartel ein etwas falsches Türkisch sprechen. Sie rappen so grob. Das ist nicht notwendig. Nas und Jaz-Z rappen in einem sehr guten Englisch. Wenn du gut Türkisch kannst, dann musst du das in deinem Rap zeigen. Sie wollen härter, sie wollen wie Cartel sein. Das ist nicht notwendig, finde ich. Denn es gibt sehr viele talentierte Leute.“ (Erci E. im Interview mit Tunç Dindaş in Blue Jean 2004/9, Anm.: Übersetzung durch die Autorin)

Das Abgrenzungsverhalten über die Sprachkompetenz spürten auch der Rapper Tespihh (Hakan Utar) und der DJ Seskat (Necip Altun) in Istanbul innerhalb der Rap-Szene. Beide Rückkehrerkinder aus Deutschland leben seit 1993 in der Türkei, lernten sich in Istanbul auf der Marmara Universität kennen und beschlossen zusammenzuarbeiten. Beide studierten zu dieser Zeit in der gleichen Klasse Deutsch als Fremdsprache. Rückblickend beschreibt Tespihh ihre Aktivitäten folgendermaßen: „Seskat produzierte damals für B-Boys in Istanbul, Samsun und Izmir nur Breakbeats. Ich malte in diesen Jahren illegal auf Straßen mit dem Namen MoG (More Gangsta). Nachdem ich zwei Mal wegen illegaler Graffiti mit der türkischen Polizei Probleme hatte, habe ich aufgehört, illegal zu malen, und fing an, legal zu sprühen. Ich schrieb gleichzeitig sehr viel über aktuelle Themen, was in der Türkei so eben passierte; generell über deutschtürkische Kultur, über Migranten in Deutschland. Über das Leben, was wir als Mensch eigentlich verdienen, aber durch Politik von uns weggenommen wird und wurde.“ 51

Sie selbst lebten eine gesellschaftliche Offenheit über ihre Musik aus: „Wir habe keine politische Sicht, Musik ist etwas Globales und diesbezüglich haben wir, obwohl wir in Türkisch rappen, Leute in Frankreich, Österreich, Holland, Polen, Italien, Finnland, Schweiz und natürlich in Deutschland erreicht, die auch untergroundmässig rappen.“52

1999 gründeten der Rapper Tespihh und der DJ Seskat die Gruppe Eurasiatische Kanaken (EAK) und bauten ein kleines Studio in Istanbul/Kadıköy auf. 2001 erschien ihr erstes Album „Eurasiatische Kanaken – EAK“, das allerdings in der Türkei auf wenig Interesse stieß:

51 Persönliche E-Mail vom 4.2.2013. 52 Ebd.

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„Der Grund dafür ist, dass wir aus Deutschland waren, und deshalb hatten wir auch Konflikte mit ein paar Rappern, die heutzutage bekannt sind, Sie nannten uns Deutsche und behaupteten, dass die deutschtürkischen Rapper nichts drauf haben, das wir keine Türken sind und die türkische Sprache nicht beherrschen und dennoch auf Türkisch rappen.“53

Die Sprache als ein wichtiges Distinktionsmerkmal ist im historischen und nationalen Kontext zu betrachten. Das Türkisch in der heutigen Form ist ein „Produkt des Zerfalls des Osmanischen Reiches“54. Mit der Gründung des türkischen Staates wurden politische und kulturelle Maßnahmen eingeleitet, die unter anderem auch eine Sprach- und Schriftreform beinhalteten. Die arabische Schrift wurde durch die Lateinische ersetzt, ebenso arabische und persische Lehnwörter durch alttürkische oder neukonstruierte Wörter. Das heutige Türkisch ist somit eng an die nationale Identität der Türkei geknüpft55. Eine Folge davon ist, dass Minderheiten in der Türkei ihre Sprache über Jahrzehnte nicht in gleichberechtigter Form in den Medien bzw. in öffentlichen Einrichtungen nutzen konnten, da die nationale Einheit durch andere Sprachen infrage gestellt wurde. Trotz der Zweisprachigkeit vieler kurdischstämmiger Türken wurde diese Kompetenz von der gebildeten Mittel- und Oberschicht nicht Form als kulturelles Kapital gewürdigt. Ein perfektes, modernes Türkisch mit in elitären Institutionen erworbenen Fremdsprachenkenntnissen ist dagegen Zeugnis eines inkorporierten kulturellen und sozio-ökonomischen Kapitals mit hohem symbolischem Wert. In diesem Wertesystem der gebildeten Mittel- und Oberschicht erlangten Deutschtürken, deren Türkisch nicht die Qualität eines in der Türkei aufgewachsenen Türken aufweist und deren Deutsch nicht das Ergebnis des Besuchs einer teuren Bildungsinstitution ist, keine Anerkennung. Obwohl Deutschtürken zu einer Minderheit in Deutschland gehören und die Beherrschung der Nationalsprache im Sinne des türkischen nationalstaatlichen Denkens von besonderer Wichtigkeit ist – hier also der deutschen Sprache – werden deutsche Sprachkenntnisse von Deutschtürken in der Türkei nicht in entsprechender Form gewürdigt. Stattdessen verurteilte die Bildungsschicht die Sprachdefizite von Deutschtürken und thematisierte dies stets in einer pejorativen Art. Abgesehen von dem Umstand, dass ungenügende Sprachkenntnisse einen sensiblen Bereich der türkischen nationalen Identität treffen, ist Sprache zudem – wenn auch nicht so unveränderlich wie die soziale Herkunft – ein sicheres Distinktionsmerkmal und sichert den von den Neureichen bedrohten elitären Status der alteingesessenen städtischen Mittel- und Oberschicht in Istanbul. 53 Persönliche E-Mail vom 4.2.2013. 54 Hieronymus (2000). Im Internet. 55 Ebd.

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Die Sprachkompetenz als inkorporiertes kulturelles Kapital hat nach Bourdieu einen besonderen sozialen Wert: „Sprechen heißt, sich einen der Sprachstile anzueignen, die es bereits im Gebrauch und durch den Gebrauch gibt und die objektiv von ihrer Position in der Hierarchie der Sprachstile geprägt sind, deren Ordnung ein Abbild der Hierarchie der entsprechenden sozialen Gruppen ist.“ (Bourdieu 2005:60)

Die defizitäre türkische Sprachkompetenz der Deutschtürken mit den häufig aufzufindenden Merkmalen wie begrenzter Wortschatz, einfacher Satzbau, deutscher Akzent, ostanatolischer Dialekt und falsche Verwendung von Wörtern und Grammatik erhält aufgrund des niedrigen symbolischen Kapitals von Deutschtürken ein besonders gering bewertetes kulturelles Kapital und fungiert als ein Zeichen für die Zugehörigkeit zur unteren sozialen Schicht. Ähnlich wie in der Mittel- und Oberschicht war die Sprachkompetenz innerhalb der Rap-Szene ein zentrales Bewertungskriterium. Obgleich Rapper in Istanbul ein einwandfreies Türkisch sprachen, imitierten sie die Sprache der Deutschtürken, die trotz ihrer Gewandtheit durch Reime, den Flow und Wortspiele insgesamt doch die Sprache der unteren Schicht blieb und Deutschtürken repräsentierte. In Gesprächen über HipHop, die ich mit jungen Menschen in Istanbul führte, die nicht der HipHop-Szene angehörten, ahmten diese in einer pejorativen Form die Körperhaltung und auch die Sprache von Cartel nach, eine Sprache, auf die sie herabsahen. Die Figuration und die damit verbundenen Spannungen zwischen Türken und Deutschtürken und das Distinktionsverhalten entlang des Geschmacks, das ich in Istanbul erfahren habe, möchte ich im Folgenden anhand meiner 1999 durchgeführten Feldforschung in der Ferienstadt Bodrum erläutern. In diesem Ort kamen junge Menschen aus Istanbul und Deutschland zusammen und lebten ein reges Nachtleben in Diskotheken und Cafés aus. Das transnationale Verhältnis konnte hier in einem eigenen Mikrokosmos auf der lokalen Ebene beobachtet werden. 6.2.5 Bodrum: Ein transnationales Verhältnis im lokalen Kontext Die Stadt Bodrum ist nicht nur als Badeort am Ägäischen Meer bekannt, sondern auch für ihr Nachtleben und die Freiheit, die die jungen Menschen dort genießen. Gesprächs- und Interviewpartner beschrieben Bodrum als eine verrückte Stadt (çılgın şehir) und als das Zentrum des Amüsierens (eğlencenin püf noktası). Zahlreiche Bars, Cafés und Diskotheken liegen in der Fußgängerzone, die

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von der Altstadt zum Cumhuriyet Caddesi führt und als Barstraße56 (Barlar sokağı) bezeichnet wird. Hier flanieren junge Menschen aus Deutschland und der Türkei und auch Touristen aus anderen europäischen Ländern dicht an dicht. Auffällig am Nachtleben der Deutschtürken und Türken war 1999 aus meiner Sicht der deutlich voneinander abweichende Geschmack und das Verhalten beider Gruppen – eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen. Der differente Musikgeschmack Auch wenn Türken und Deutschtürken zum größten Teil die Bars und Diskotheken am Anfang der Barstraße besuchten, so war der Anteil an deutschtürkischen jungen Menschen in Diskotheken, in denen vornehmlich türkische Pop-Musik gespielt wurde, besonders hoch, wie beispielsweise in den Läden Sokak, Kestane und Varil57. Einheimische Touristen besuchten eher Bars und Diskotheken, die internationale Chartmusik, Rock oder Techno/House-Musik spielten. Auch der Musikgeschmack und der Musikkonsum unterschieden sich. Dazu der Besitzer eines CD-Ladens in der Barstraße: „Was die Musik angeht, ist die türkische Gesellschaft (türk toplumu) – also ich meine nicht die aus dem Osten (doğulu) –, die in den Großstädten lebenden Menschen sind, was Musik angeht, sehr gut entwickelt (güzel gelişmiş). Wenn ein Almancı beispielweise

56 Der offiziellen Straßenbezeichnungen sind Dr. Alim Bey Caddesi und Cumhuriyet Caddesi. 57 Dicht an diesen Läden befanden sich Hadigari, M & M und Yettigari, die verstärkt von einheimischen Touristen besucht wurden. In Hadigari wurde am frühen Abend hauptsächlich lateinamerikanische Musik und später auch House und Hits aus den internationalen Charts gespielt. Türkische Musik wurde gemieden, nur Hits von Athena, einer bei der Mittel- und Oberschicht beliebten Istanbuler Ska-Band, wurden regelmäßig aufgelegt. Früher auf dem Festland – nun zusätzlich auf einem Katamaran – befand sich der außergewöhnliche Club M & M, der für 5 Millionen Dollar nach einem weitaus kleineren Vorbild in den USA nachgebaut worden war. Auffällig waren die edle Designer-Einrichtung, eine aufwendige Lichtanlage und eine aus Glasplatten gebaute Tanzfläche, die den Besuchern den Eindruck vermittelte, auf dem Wasser zu tanzen. Im M & M wurde nur House-Music gespielt. Halikarnas gehört zu den berühmtesten Diskotheken der Türkei. Direkt am Ende der Bucht gelegen, machte die Open-Air-Diskothek mit ihrer zum Himmel und zur Burg ausgerichteten Lasershow und ihrer dem Ruinentempel des Apollo ähnlichen Kulisse auf sich aufmerksam. Halikarnas lebte nur zum geringeren Teil von Stammkundschaft, und eher von einmaligen Besuchen der Touristen. Während mittwochs der Anteil englischer Touristen sehr hoch war, wurde der Laden in den restlichen Tagen vornehmlich von Türken und Deutschtürken besucht.

268 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN kommt, dann kauft er hier Rap. Einige kaufen auch House, was anderes habe ich noch nicht erlebt. Wenn hier 3000 Almancıs gekommen sind, dann haben 2900 davon Rap gekauft. Ja, die mögen so eine Musik. Sie hören nichts anderes. Sie kaufen auch von türkischen Musikern. Sie kaufen alle Sorten von türkischer Musik. Sie kaufen Arabesk und Pop. Aber was fremde Musik angeht, sind sie nicht so. (…) Wenn sie reinkommen, fragen sie als erstes nach Rap. Frauen kaufen eher einheimischen Pop (yerli pop). Unsere türkischen jungen Menschen [Anm. d. Autorin: die in der Türkei wohnenden] sind, was Musik angeht, besondere Experten (uzmanlar). Die türkischen jungen Menschen haben sich sehr gut entwickelt (Türk gençleri çok güzel gelişmiş).“ (Interview im August 1999)

Bei dieser Beschreibung des Musikgeschmacks beider Gruppen kommen verschiedene Werte und Images zum Ausdruck. So unterteilte er die türkische Gesellschaft in Ost und West, in Großstadt und Land und nahm schließlich die türkischen Großstädter als Repräsentanten der türkischen Gesellschaft. Er geht nicht nur davon aus, dass diese einen anderen Musikgeschmack haben, sondern auch, dass ihr Geschmack höherwertig ist als der der Almancıs58. Seine Darstellung und Wertung des Musikgeschmacks repräsentierte die Einstellung vieler meiner türkischen Gesprächs- und Interviewpartner in Bodrum. Sie betonten das differenzierte Wissen und auch den guten Geschmack von einheimischen Türken bezüglich der einheimischen und auch ausländischen Musik. Einheimische Türken kauften keine Arabesk-Musik, sondern wählten bestimmte Interpreten und Musikstile aus. Dass Almancıs sowohl Pop, Rap und auch Arabesk hörten, stieß bei allen auf Ablehnung. Die in Deutschland von verschiedenen Wissenschaftlern gefeierte „Hybridität“ in Bezug auf Identität und Geschmack von Deutschtürken wurde hier als ein Zeichen für „keinen Stil“, „schlechten Geschmack“ und als Unfähigkeit, einen differenzierten Musikgeschmack zu entwickeln, interpretiert. Kulturelle Stilmischungen, Kombinationen von Lebensstilen und Geschmack entsprachen nicht dem Reinheitsbedürfnis der Oberschicht. Der in Deutschland sehr bekannte und beliebte deutschtürkische DJ Hakan (DJ H-Khan) aus Berlin, der früher selbst Breakdancer war und inzwischen erfolgreich in Berliner Pop-Diskotheken als DJ arbeitete, legte zwischenzeitlich in 58 Elias und Scotson weisen darauf hin, dass das Selbstbild der Etablierten generell auf der Basis der Eigenschaften ihrer „besten“ Mitglieder produziert wird, wohingegen die schlechtesten Eigenschaften ihrer eigenen Gruppe Außenseitern zugewiesen werden (Elias & Scotson 1990:13). In diesem Fall wird deutlich, dass der Interviewpartner die massive Verbreitung von Arabesk und türkischem Pop in der Türkei nicht erwähnt oder ignoriert und ausschließlich den Musikgeschmack einer bestimmten Gruppe der Istanbuler Mittel- und Oberschicht stellvertretend für türkischen Musikgeschmack nimmt.

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der bodrumer Diskothek Kestane auf. Sein markantes Zeichen war unter anderem die Kombination von unterschiedlichen Musikstilen, was in Berlin sehr positiv aufgenommen wurde. Seiner Meinung nach lieben Deutschtürken in Berlin die Arabesk-Musiker Emrah und Özcan Deniz. Diesen Musikstil beschrieb er als „Doğu-Müzik“ (Musik aus Ost-Türkei). Er kombinierte gern den Rhythmus von House-Musik mit Musik von berühmten Arabesk-Sängern wie Ibrahim Tatlıses oder Ferdi Tayfur. Für ihn war diese Kombination ein „Gag“, mit dem er beabsichtigte, die Zuhörenden zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Bei dieser Musik würden Deutschtürken in Berlin schreien und brüllen, in Bodrum würden sie auch schreien und brüllen, aber nicht aus Begeisterung, sondern um sich zu beschweren59. Ein differenzierter Musikgeschmack äußerte sich nach Aussagen der Gesprächs- und Interviewpartner auch in der Wahl der ausländischen Musikrichtungen. Während die türkische Mittel- und Oberschicht im Sommer 1999 Speed Garage bevorzugte und einheimische Touristen in Bodrum die Musikrichtungen Garage, House und Speed Garage unterscheiden konnten und bei anderen Musikstilen bestimmte Interpreten bevorzugten, interessierten sich Deutschtürken laut meinen türkischen Gesprächs- und Interviewpartnern bezüglich ausländischer Musik nur für HipHop. Während der Gespräche fiel mir auf, dass einheimische Türken Black Music generell als HipHop-Musik kategorisierten und weniger Unterscheidungen in Soul, Funk, R&B und Rap machten. Dass sich innerhalb der Rap-Musik unterschiedliche Richtungen entwickelt hatten und Deutschtürken in Bezug auf Rap-Musik über ein detailliertes Wissen verfügen konnten, wurde ignoriert, ebenso ihr tänzerisches Können. Rap wurde von Einheimischen abgelehnt, er galt als die Besessenheit/Krankheit der Almancıs (Almancıların hastalığı). Sie selbst hörten oder spielten diese Musik nicht. Rap galt als Musik, die sich gegen Unterdrückung richtet (başkaldırı müzik). Da Rap-Musik auf Sprache aufgebaut ist, war sie nach Meinung eines DJs langweilig, mehr noch, er meinte, es wäre keine Musik (müzik bile değil). Die positive Darstellung des Geschmacks von Türken im Gegensatz zu dem schlechten Geschmack der Deutschtürken macht deutlich, wie über das Ausleben eines bestimmten Stils nicht nur die eigene Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sondern auch Gruppengrenzen definiert werden: „Wählen impliziert Nichtwählen, soziale Annäherung impliziert soziale Distanzierung“ (Schulze 1995:178f.). DJs, mit denen ich sprach, meinten ausnahmslos, dass Almancıs sie stets nach RapMusik fragten, sie aber diese Musik nicht auflegen würden. Im Gegenzug amüsierten sich HipHop-Begeisterte, indem sie Breakdance zur House-Musik tanz59 „Burada bağırıyorlar cağırıyorlar. Orada da bağırıyorlar, çağırıyorlar, ama şikayetten.” (DJ H-Khan Interview in Berlin am 8.1.1999)

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ten. Als mehrere Breakdancer in der Diskothek Halikarnas einen Kreis bildeten und Breakdance tanzten, meinte ein DJ zu mir: „Genau diese Eigenschaft mag ich an den Deutschtürken nicht.“ Seiner Meinung nach würden sich diese Kreise oft bilden und eher stören, als die Stimmung zu steigern. Nur ein kleiner Teil auf der Tanzfläche könnte sich den Breakdance anschauen, der Rest würde aufhören zu tanzen und vergeblich versuchen, den Tänzern zuzuschauen. Der differente Musikgeschmack wurde mir unter anderem auf dem Katamaran M & M deutlich, als der DJ nach einer Techno-Nacht zum frühen Morgen hin ein HipHopLied spielte. Die Tanzfläche füllte sich mit den wenigen Deutschtürken, die vorher zur Techno-Musik nicht getanzt hatten. Diese verliehen ihrer Enttäuschung deutlich Ausdruck, als es bei einen HipHop-Lied blieb. Techno-Musik war in der deutschtürkischen Szene weniger verbreitet, obgleich in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre viele Technoläden eröffnet haben, die Love-Parade in Berlin geboren wurde und international bekannte DJs aus Deutschland kamen. Die einzelnen türkischstämmigen Techno-Anhänger, zu denen auch der international berühmte DJ Quiksilver (Orhan Terzi aus Bochum) gehörte, bildeten keine größere türkische Techno-Szene in Deutschland, die mit der deutschtürkischen Pop- oder HipHop-Szene vergleichbar gewesen wäre. 1999 legte DJ Hakan (DJ H-Khan) in der Berliner deutschtürkischen Diskothek Limon nach der Love Parade Technomusik auf, doch blieb dies eine AusnahmeErscheinung in der türkischen Berliner Pop-Szene. Stereotypen Die Art, wie sowohl Türken als auch Deutschtürken ein bestimmtes Bild von sich und von den anderen produzierten, ist ein Beispiel für eine EtabliertenAußenseiter-Beziehung, in der die Außenseiter mehr Macht erhalten und beide Gruppen ihre Positionen über Schimpfklatsch und Lobklatsch zu schützen versuchen. Wie bereits geschildert, war der Großteil der türkischen Gastarbeiter der ersten Generation ländlicher und bildungsferner Herkunft. Ihre inzwischen erwachsenen Kinder und Enkelkinder verfügten über ausreichendes ökonomisches Kapital, um ihren Urlaub in Bodrum zu verbringen, sich Konsumgüter zu leisten und beherrschten mindestens eine Fremdsprache, ohne einen elitären Hintergrund zu haben. Gleichzeitig hat sich auch in der Türkei ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Das Bild vom rückständigen Agrar-Staat traf um die Zeit des Millenniums für die Großstädte und Ferienorte längst nicht mehr zu. Deutschtürken, die von klein auf mit dem Bild aufgewachsen sind, im Vergleich zu den Türken in der Türkei fortschrittlicher, wohlhabender und damit überlegen zu sein, in einem wirtschaftlich weiter entwickelten Land zu leben, wurden in Bodrum mit einem sehr modernen Nachtleben und Arroganz konfrontiert.

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Die „unsichere“ Position beider Seiten und die Angst, symbolisch unterlegen zu sein – symbolisch, da beide über gleiche Möglichkeiten verfügten, ihren Urlaub zu verbringen und sich nur über ihr Ansehen unterscheiden – führte zu einer betont positiven Selbstdarstellung und einer pejorativen Haltung den anderen gegenüber. In den Interviews und Gesprächen mit jungen Türken in Bodrum wurden Deutschtürken als „Kro“ oder „Maganda“ kategorisiert und als neureich („sonradan görmüş“) beschrieben, während einheimische Türken mit dem Adjektiv „kaliteli“ (mit Qualität) charakterisiert wurden. Nach ihrer Auffassung kämen Türken in Bodrum aus türkischen Großstädten, Deutschtürken dagegen hätten Eltern ländlicher Herkunft. Auch das Verhalten würde sich unterscheiden. Deutschtürken wären eher aggressiv und streitsüchtig. Sie würden Frauen belästigen mit der Ausrede, dass dies in Deutschland so üblich sei. Sie hätten keinen Stil (tarz) und würden immer nur in Diskotheken gehen, die voll sind (kalabalık). Sie würden nicht wie Türken denken. Sie würden die Menschen von oben herab behandeln (aşağlama). Dieses Verhalten würde zeigen, dass sie sich den Deutschen angepasst hätten (Alman milletine bayağı yakınlaşmışlar). Zum Verhalten von Deutschtürken bemerkte ein DJ: „Sie glauben, dass sie hier alles machen können. Das hier ist doch kein Irrenhaus (tımarhane).“ Meine türkischen Interview- und Gesprächspartner meinten, Deutschtürken seien schon an ihrem Aussehen erkennbar. Männer hätten stets durchtrainierte muskulöse Körper, würden dicke Goldketten tragen, ihre Haare wären abstehend. Sie würden entweder nur schwarze Kleidung und muskelbetonende Oberteile oder weite Hosen tragen wie die Schwarzen (gemeint ist hier der HipHop-Stil). In der Barstraße amüsierten sich die Angestellten über die HipHop-Kleidung und riefen einem Berliner deutschtürkischen HipHopper hinterher: „Deine Hose rutscht“ (donun düşüyor). Frauen hätten stets Plateau-Schuhe, teilweise hätten sie Tatoos, wären übertrieben geschminkt, trügen schwarz-weiße Kleidung und hätten einen schlechten Geschmack. Sowohl die Frauen als auch die Männer seien Snobs, weil sie woanders lebten. Sie würden stets Deutsch sprechen, obwohl sie Türken sind, und das nur, um zu prahlen. Alles in allem seien sie das Ergebnis der Unterdrückung (ezilmişliğin neticesi) in Deutschland. Der Besitzer des CD-Ladens räumte ein, auch Deutschtürken zu kennen, die er schätze, doch das typische Bild von Deutschtürken fiel nach einem bestimmten, negativen Stereotyp aus. Er äußerte sich abfällig über die regionale Herkunft von Deutschtürken, da sie eher aus dem Osten der Türkei kämen oder arabischer Herkunft seien. Er ging davon aus, dass Deutschtürken von früh bis spät besonders hart arbeiteten: „Der Mann arbeitet dort wie ein Hund, verdient das Geld, kommt hierher und gibt mit seinem BMW an. Ich weiß, wie er das Geld verdient

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hat.“ Er hat erfahren, dass es Deutschtürken gibt, die noch auf dem Boden essen, und die Ehefrauen haben, die „şalvar“ (dörfliche Pumphose) tragen: „Du [Anm. er Autorin: gemeint ist ein „typischer“ Deutschtürke] bist seit Jahren in Deutschland, deine Frau läuft mit şalvar herum, also (…) du tust alles, um uns zu blamieren.“ (Interview im August 1999) Nach Meinung der Einheimischen seien einheimische Touristen ruhiger, würden kaum Probleme bereiten und seien sehr geschmackvoll angezogen. Sie würden sich an der italienischen Mode orientieren und das tragen, was ihnen steht. Der Diskurs um Selbstbild und Distinktion bezog sich seitens der einheimischen Türken neben dem sozialen Kapital auf körperbezogene Kapitalsorten in Form von objektiviertem kulturellem Kapital durch Auswahl eines bestimmten Kleidungsstils und des Weiteren auf inkorporiertes kulturelles Kapital in Form von Benehmen und Musikgeschmack. Tatsächlich unterschied sich die Körpersprache beider Gruppen. Schon in Istanbul fiel mir auf, dass ausgeprägte Mimik und heftiges Gestikulieren seitens der Mittel- und Oberschicht gemieden wurden. Differenzierter sprachlicher Ausdruck in geringerer Lautstärke mit eher ausdruckslosem Gesicht vermittelte den Eindruck, einer höheren Schicht anzugehören. Deutschtürken brachten ihre Gefühle dagegen sowohl in ihrer Körpersprache (z.B. durch Armbewegungen) als auch durch Mimik erheblich freier zum Ausdruck. Sie schienen nicht unter dem Druck zu stehen, aufgrund ihrer körperlichen Kommunikationsform als primitiv zu gelten. Die Dichotomie zwischen lautem Reden mit starker Gestik als Zeichen einer niederen sozialen Schicht und kontrollierter Körpersprache mit differenziertem sprachlichem Ausdruck als Zeichen für die Oberschicht ist dabei kein auf die türkische Gesellschaft begrenztes Merkmal60. Die körperbezogenen kulturellen Kapitalformen begründeten einheimische Gesprächspartner mit der sozialen Herkunft und belächelten sie. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Berliner Deutschtürken bei längerem Istanbul-Aufenthalt diese Form der Affektkontrolle nach meinen Beobachtungen übernehmen und umgekehrt, Angehörige der gebildeten Schicht Istanbuls nach einem längeren Aufenthalt in Berlin ihre körperliche Kontrolliertheit lockern. Etwa seit Mitte der 1990er Jahre erfreute sich lateinamerikanische Musik in der Türkei zunehmender Beliebtheit. Abgesehen von Interpreten wie Ricky Martin, der auch jüngere Menschen ansprach, wurde lateinamerikanische Musik von älteren Personen aus der Oberschicht gehört. Der Besitzer eines Etablissements 60 Das Phänomen, soziale Überlegenheit über Affektkontrolle zum Ausdruck zu bringen, beschreibt Elias detailliert in seinem Buch „Über den Prozess der Zivilisation II“ (1997). Siehe hierzu auch Bourdieu (1997:288).

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in Bodrum, in dem nur lateinamerikanische Musik gespielt wurde, betonte das hohe Niveau seiner Gäste, die seiner Meinung nach nur aus der Türkei kämen. Deutschtürken würden nicht zu seiner Stammkundschaft gehören, da sie seines Erachtens kulturell nicht auf diesem Niveau seien. Sie würden in diesem Laden einen Kulturschock bekommen, weil sie zu Hause Ibrahim Tatlıses (ArabeskMusiker) und hier Salsa hörten. Sie würden wenn, allenfalls einmal und dann nie wieder kommen. Das Wissen über Musik, die eigene internationale Orientierung und die damit einhergehende „Aufwertung“ der Türken erwies sich bei genauerer Betrachtung teilweise als widersprüchlich. So waren beispielsweise die Vertreter lateinamerikanischer Musik, die ich in diesem Etablissement kennengelernt hatte, selbst nie in Lateinamerika gewesen. Als ich mich mit einem DJ unterhielt und er mir eine CD mit dem Titel „Casa de la Trova“ zeigte, wurde in dem Gespräch deutlich, dass er keine Vorstellung von der kubanischen Einrichtung Casa de la Trova hatte, gleichzeitig aber das mangelnde Wissen der Deutschtürken kritisierte. Das angeblich geringe Niveau von Deutschtürken könnte gerade in diesem Fall aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Zwei Berliner Deutschtürkinnen hatten sich aufgrund des schlechten Images von Deutschtürken als Türkinnen aus Land „X“61 ausgegeben und sich gleichzeitig über die Einheimischen amüsiert. Sie wurden, wie sie mir erzählt haben, in diesem Laden besonders herzlich behandelt und allen anderen Gästen als „die“ Frauen aus dem Land „X“ vorgestellt, um zu zeigen, wie international es hier zuging. Allein die vorgetäuschte Tatsache, in „X“ zu wohnen, gab den beiden Deutschtürkinnen ein höheres Ansehen, obwohl sie sich in ihrem Kleidungsstil, Verhalten und ihrer Bildung nicht von anderen Deutschtürkinnen unterschieden. Dabei spielte das wirtschaftliche Niveau und das Image des Landes keine Rolle, denn das Land „X“ ist ein Schwellenland ohne besonderes Image. Hier wird deutlich, dass die einheimischen Türken in ihrer negativen Darstellung der Almancıs dem inkorporierten kulturellen Kapital weniger Bedeutung zumaßen, wenn das soziale Kapital – hier die Herkunft aus dem Land „X“ – höherwertig war. Beurteilung und Verurteilung entsprachen dem Bedürfnis, eine bestimmte Figuration aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu meinen türkischen Gesprächspartnern gingen Deutschtürken nicht auf das Aussehen der Einheimischen ein, wenn ich sie nach Unterschieden fragte. Auch die soziale oder regionale Herkunft stand nicht zur Diskussion. In der Beschreibung der Eigenschaften von Türken verwendeten sie jedoch in ähnlich pejorative Weise die Begriffe neureich (sonradan görmüş) und Kro bzw. Maganda bei ihren Beschreibungen der Einheimischen. Frauen fühlten 61 Um Konflikte zu vermeiden, erwähne ich die Namen der Personen und das Land nicht.

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sich ständigen Belästigungen ausgesetzt, da Deutschtürken ihrer Meinung nach „normale“ Freundschaften zwischen Frauen und Männern kennen würden, türkische Männer dagegen bei engeren Freundschaften sexuelle Absichten hätten. Elias und Scotson stellen fest, dass Außenseiter zu Gegenstigmatisierungen neigen, sobald Machtunterschiede geringer werden. Deutschtürken gehörten zwar aufgrund der sozialen Herkunft ihrer Eltern in der Türkei zu den Außenseitern, doch konnten sie in Deutschland ökonomisches und kulturelles Kapital erwerben, das zu einer Minimierung von Machtunterschieden führen konnte und damit der Figuration eine neue Dynamik gab. Sie grenzten sich zwar über Gegenstigmatisierungen von den Einheimischen ab, allerdings fielen ihre Äußerungen über Türken weitaus milder und weniger emotional aus. Es kursierte kein Begriff mit einer negativen Konnotation, um den einheimischen Türken einen niederen Status zuzuweisen oder sie zu stigmatisieren, der mit dem Begriff Almancı vergleichbar gewesen wäre. Bodrum war nicht ihr Terrain, das von Fremden bedroht wurde, sondern sie selbst waren Gast im Herkunftsland ihrer Eltern. Sie konnten zwar durch erworbene Kapitalsorten einen höheren Status ausleben, doch das herkunftsbedingte soziale Kapital wies ihnen kein höheres symbolisches Kapital zu. Die Figuration wurde also symbolisch aufrechterhalten. Die Arroganz, die Deutschtürken in der Türkei erlebten, die damit verbundenen negativen Erlebnisse und das Gefühl, nicht dazuzugehören, verarbeiteten deutschtürkische Rapper teilweise in ihren Songs. Beispielsweise beginnt das 1997 erschienene Album von Karakan mit dem Song „Alamancı Yabancı“, der den folgenden Refrain enthält: Vatanda almancı burada yabancı

In der Heimat Almancı, hier Fremder

Almancı yabancı bunları yaşamak inan ki

Almancı, Fremder, glaube mir, das zu er-

çok acı

leben tut weh

Yabancımısın yoksa almancı?

Bist du ein Fremder oder Almancı

Vatanda almancı burada yabancı

In der Heimat Almancı, hier Fremder

Bunu inkar eden yalancı

Derjenige der das leugnet ist ein Lügner

Vatanımızda almancı burada yabancı

In der Heimat Almancı, hier Fremder

Erst mehrere Jahre später verwendeten Deutschtürken den Begriff Almancı als Selbstzuschreibung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Frage nach den unveränderlichen Komponenten des sozialen Kapitals in Istanbul und auch in Bodrum in einer Figuration, die die alten Machtverhältnisse hinterfragte und veränderte, und in der die Mittel- und Oberschicht zunehmend ihre Privilegien aufgeben musste, im Fokus stand. Die Distanzierung junger Menschen aus der Mittel- und Ober-

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schicht von Armen, Neureichen, aber auch von den Almancı prägte die Verbreitung von Subkulturen. Eine Jugendkultur wie HipHop, deren Authentizitätskriterien auf ethnischer und sozialer Marginalität beruhten, wurde seitens des Großteils der Mittel- und Oberschicht abgelehnt. Durch dieses Distinktionsverhalten konnten soziale Hierarchien auch innerhalb der Jugendkultur symbolisch aufrechterhalten werden. Der unteren Schicht fehlte der Zugang, um ihre benachteiligte Position in ein höheres symbolisches Kapital auf der Stilebene umzumünzen und die Kultur zu verbreiten. Juristische Grundlagen verhinderten eine pädagogische Jugendarbeit, die Jugendlichen aus unterschiedlichen Schichten Möglichkeiten geboten werden konnten, rebellisch, kreativ und individuell subkulturelle Phänomene unabhängig von ihrer familiären Situation auszuprobieren und auszuleben. Der gesellschaftliche Individualisierungsprozess war weitaus weniger fortgeschritten als in Berlin.

7. Zusammenfassung der Forschungsergebnisse für den Zeitraum 1998-2000

Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, den Prozess von Aneignung und Ablehnung der Rap-Musik unter deutschtürkischen Jugendlichen in Berlin und türkischen Jugendlichen in Istanbul im Zeitraum von 1998 bis 2000 hinsichtlich des gesellschaftlichen Kontextes zu skizzieren und zu analysieren. Drei zentrale Fragestellungen haben die Forschung bestimmt. Als Erstes stand die Frage im Zentrum der Aufmerksamkeit, in welcher Form Jugendliche aus beiden Städten Rap-Musik lokal adaptierten. Welche Besonderheiten prägten ihre Texte und ihre Musik? In der zweiten Fragestellung ging es darum, nach welchen Kriterien diese Jugendlichen Rap-Musik bewerteten, durch welche Besonderheiten sie sich bezüglich ihrer Selbstpositionierung innerhalb der Rap-Szene auszeichneten und mit welchen Abgrenzungsmechanismen sie sich von anderen Szenen distanzierten. Diese zunächst stärker auf die HipHop-Szene fokussierten Fragestellungen sollten in der dritten Fragestellung den Blick auf den gesellschaftlichen und transnationalen Kontext erweitern. Dabei wurde der Frage nachgegangen, warum eine Jugendkultur, die in Deutschland unter deutschtürkischen Jugendlichen sehr verbreitet war, in der Türkei zur selben Zeit auf Ablehnung stieß. Welche fördernden und hindernden gesellschaftlichen Faktoren führten zu diesen spezifischen Konstellationen? Ziel der vorliegenden Studie war es, den Kontext nicht nur beiläufig zu erwähnen, sondern dezidiert in die Forschung einzubeziehen. Um diese komplexe Situation auf der Metaebene empirisch zu erfassen, wurde eine methodisch vielschichtige Feldforschung durchgeführt, die neben Interviews und Gesprächen mit HipHop-Aktivisten auch Personen einbezog, die strukturell an der Entwicklung dieser Jugendkultur beteiligt waren, wie beispielsweise Akteure aus den Medien, Konzertveranstalter, DJs, Jugendsozialarbeiter, Senatsangestellte etc. Zum Verständnis der schwierigen Situation von

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Rap-Musik in der Türkei wurden ebenfalls Teilnehmer anderer Szenen zum Image von Rap-Musik befragt. Darüber hinaus wurden Printmedien, das Internet und TV-Sendungen verfolgt, Video-Aufnahmen und DVDs aus der HipHopSzene ausgewertet. In meiner Forschung habe ich somit unterschiedliche gesellschaftliche Phänomene betrachtet, die mit Migration, Ethnizität, Klasse und Stil zusammenhängen. Im Laufe der Studie stellte sich heraus, dass diese gesellschaftlichen Aspekte und ihr gegenseitiges Wirken nur angemessen analysiert werden können, wenn angemessene Theorien in einer komplementären Weise gebracht werden. So vertrete ich den Ansatz, dass für ein tieferes Verständnis und eine genaue Analyse der (deutsch-)türkischen HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul die Kapitaltheorie von Bourdieu sowie die auf Bourdieu basierenden Konzepte des natürlichen Kapitals (Karrer 2000) und des subkulturellen Kapitals (Thornton 2001) herangezogen und mit der Etablierten-Außenseiter-Theorie von Norbert Elias (1990) verknüpft werden sollten. Dadurch gelang es, detailliert zu verfolgen und zu analysieren, in welcher Form Individualisierungsprozesse die Bedeutung einzelner Kapitalsorten und die der Etablierten-Außenseiter-Beziehung beim Ausleben von Subkulturen verringern oder verstärken. Wie in der komparativen Studie aufgezeigt werden konnte, hatte der Aneignungsprozess von Rap-Musik einen direkten Bezug zur Position, die die Jugendlichen der Rap-Szene in Berlin und Istanbul einnahmen – also einen direkten Bezug zu einer spezifischen, komplexen Figuration. Als HipHop in den 1980er Jahren nach Berlin kam, wurde er besonders von türkischstämmigen Jugendlichen angenommen, die sozial und ethnisch eine Außenseiterposition einnahmen. In Istanbul dagegen kamen die türkischen Rapper aus der Mittelschicht und nahmen weder sozial noch ethnisch eine Außenseiterposition ein. Sie gehörten zu den Etablierten. Die Werte bezüglich Authentizität, Glaubwürdigkeit und Anerkennung und entsprechendes Distinktionsverhalten leiteten sich in beiden Städten aus der jeweiligen Position innerhalb der jeweiligen sozialen Figuration aus. Rap-Musik von Deutschtürken wurde zum Ausdrucksmittel dieser Außenseitergruppe, die Benachteiligungen und – insbesondere in der Nachwendezeit – die rassistischen Übergriffe auf ihre Gruppe verbal kämpferisch anging. Die herrschende Figuration wurde mit Rap-Musik nicht nur hinterfragt, es wurde auch versucht, die vorhandenen gesellschaftlichen Werte zu verändern. Dies geschah durch die symbolische Aufwertung der den Rappern zur Verfügung stehenden Kapitalarten. Die türkische Herkunft als Teil ihres sozialen Kapitals wurde in der HipHop-Kultur symbolisch aufgewertet. Das in der spezifischen Figuration ansonsten nicht anerkannte kulturelle Kapital, wie beispielsweise die türkische

7. Z USAMMENFASSUNG

DER

FORSCHUNGSERGEBNISSE

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Sprache und entsprechende Musikkenntnisse, bot den Jugendlichen eine besondere Ressource, auf die sie zurückgreifen und mit der sie den symbolischen Wert ihres subkulturellen Kapitals erhöhen konnten. Zudem konnten negative Folgen ihrer spezifischen Außenseiterposition, wie das Leben in sozial benachteiligten Stadtbezirken, durch die Konstruktion eines „Ghetto“-Bildes und krimineller Erfahrungen wie z.B. Gefängnisaufenthalte in der HipHop-Kultur positiv besetzt und symbolisch aufgewertet werden. Mit der Inszenierung eines bestimmten Männlichkeitsbildes, das mit der sozialen Position in Verbindung gebracht wurde, konnten sie ihr „natürliches Kapital“ einbringen. Am konkreten Beispiel der deutschtürkischen Pop-Szene konnte aufgezeigt werden, wie sich entlang des sozialen Status, der Ethnizität und des Konzepts von Männlichkeit ein neues Selbstverständnis der Rap-Szene in Abgrenzung zum Pop herausbildete. Ein Großteil der HipHop-Aktivisten lehnten das Aussehen und Verhalten von deutschtürkischen Männern aus der Pop-Szene und deren Stars ab, das sie als nicht männlich genug verstanden und mit Zuschreibungen wie „schwul“, „nichttürkisch“ und „obere Klasse“ belegten. Der Arabesk-Musik dagegen standen sie positiv gegenüber, ebenso der türkischen Rock-Musik. Beide Musikformen stellten nicht das Männlichkeitsbild infrage, das sie selbst produzierten. Darüber hinaus waren vereinzelte HipHop-Aktivisten in multikulturellen Kreisen aktiv. Ein rein auf Herkunft basierendes Zusammenkommen von deutschtürkischen Jugendlichen fanden sie einschränkend. In der vorliegenden Studie wurde auch der Battle-Rap im Umfeld des Royal Bunker untersucht, denn hier trat das herkunftsbedingte soziale und kulturelle Kapital als subkulturelles Kapital in den Hintergrund. Der Flow, die Fähigkeit spontan originell sein Gegenüber zu „dissen“ und ein überzeugender Auftritt dienten der Bewertung der Persönlichkeit als Rapper. Rap-Musik war hier nicht Ausdruck einer benachteiligten Minderheit, sondern ein ethnisch und sozial unabhängiges Ausdrucksmittel von Jugendlichen, die bewusst eine Gangster/Porno-Rap-Kunstfigur schufen, ohne den Anspruch, eine besondere Wahrheit zu erzählen oder gegen soziale Missstände anzukämpfen. So vertrete ich den Standpunkt, dass innerhalb dieser Subkultur, die zunächst die ethnische Herkunft bzw. die Außenseiterposition in den Vordergrund stellte, ein Individualisierungsprozess beobachtet werden kann, der das erworbene, leistungsbezogene kulturelle Kapital und nicht das herkunftsbedingte soziale Kapital zur Bewertung des subkulturellen Kapitals heranzieht und in der schließlich deutschtürkische und deutsche Rapper unabhängig von ihrer Herkunft erfolgreich sein konnten. Mit dieser Studie konnte darüber hinaus aufgezeigt werden, wie sich bis zum Millennium einzelne deutschtürkische HipHop-Aktivisten so weit professionalisiert hatten, dass sie ihren Handlungsspielraum sichtlich erweitern konnten. Ei-

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nige konnten soziale und auch kulturelle Grenzen überschreiten und erfolgreich in der HipHop-Branche dabei sein. Sowohl die Situation der zweiten und dritten Generation türkischer Einwanderer als auch ihre spezifische Verwobenheit in der HipHop-Szene lässt es längst nicht mehr zu, eine klare Linie zwischen Etablierten und Außenseitern auf der Ebene der ethnischen Zugehörigkeit zu ziehen. Die Geschichte des HipHop in der Türkei setzte zeitverzögert, erst Mitte der 1990er Jahre ein, also über 10 Jahre später als in Deutschland – ausgelöst von der deutschtürkischen Rap-Formation Cartel. Cartels selbstbewusste und kämpferisch propagierte türkische Einheit angesichts des zunehmenden deutschen Rassismus der Nachwendezeit wurde in der Türkei für Propaganda-Zwecke gegen den kurdischen Separatismus umgemünzt. Die gleiche Musik, die gleichen Videos wurden dem nationalen Kontext entsprechend umgedeutet und von der Mehrheit der Hörer eher wie Pop-Musik aufgenommen. Von Cartel angeregt, beschäftigten sich nun einzelne Jugendliche mit Rap-Musik, die die nationale politische Situation erhalten wollten und alle Veränderungsbestrebungen bekämpften. Die Musik von Cartel wurde in der Türkei interessanterweise von Etablierten angenommen. Um das Millennium herum herrschten in Istanbul andere Kriterien als in Deutschland, nach denen Rapper und ihre Rap-Musik bewertet wurden. Das subkulturelle Kapital wurde nicht über das herkunftsbedingte soziale Kapital bestimmt und auch nicht über kriminelle Erfahrungen und Benachteiligungen. Der Rapper wurde in Istanbul ausschließlich über seine Art zu rappen und seine Texte beurteilt. Rapper nahmen die Position von Sprechern für soziale Außenseiter und Opfer ein, zu denen sie sich allerdings nicht zugehörig positionierten. Sie inszenierten keine Außenseiterposition. Die Fokussierung auf erworbene Leistungen als Bewertungskriterium führte auch dazu, dass über eine Bildungsinstitution erworbenes kulturelles Kapital, wie beispielweise ein Studium, Rapper hier nicht symbolisch abwerteten. Wegen der starken Ablehnung ihrer Musik und ihrer Szene konnten sie Ende der 1990er Jahre allerdings im Bereich der Jugendkultur noch als Außenseiter bezeichnet werden. Aufgrund ihrer eigenen sozialen Stellung, aber auch aufgrund des Druckes seitens der Mittel- und Oberschicht lebten Rap-Musiker nicht das Männlichkeitsbild der unteren Schicht aus den Gecekondu/Varoş-Gebieten. Sie distanzierten sich nicht nur modisch von Angehörigen der unteren Schicht, sondern auch im Rap und in den Interviews meiner Feldforschung. Wie viele Beispiele zeigen, lehnten auch sie analog zu Berlin Ende der 1990er Jahre Pop-Musik eindeutig ab, allerdings nicht auf der Linie des Männlichkeitsbildes, sondern über die Präsentation eines bestimmten Weiblichkeitsbildes in der türkischen Pop-Branche.

7. Z USAMMENFASSUNG

DER

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Zur Analyse und genaueren Erklärung der differenten Entwicklung von RapMusik in beiden Städten wurde der Fokus der Studie auf den gesellschaftlichen Kontext erweitert. Es galt, die fördernden und hindernden gesellschaftlichen Phänomene in der Entwicklung der Rap-Musik herauszuarbeiten. Zum einen ging es in beiden Städten um den gesellschaftlichen Umgang mit sozialen Unterschieden und dem Image des „Ghettos“. Zum anderen wurde besonderes Augenmerk auf eine komplexe Figuration gelegt, die durch inländische Migrationsströme in der Türkei, die Migration nach Deutschland und die dadurch entstandene transnationale Beziehung zwischen Deutschtürken und Türken bedingt war. In der von der Mittelklasse geprägten Stadt Berlin, in der soziale Unterschiede weniger ausgeprägt waren als in Istanbul und das Leben der unteren Einkommensgruppen nicht durch dramatische Armut geprägt war, verringerte sich die Bedeutung des ökonomischen und sozialen Kapitals im Ausleben von jugendkulturellen Stilen. Dieses als „Individualisierungsprozess“ bezeichnete Phänomen erlaubte es Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft, ihren Stil selbst zu wählen und auszuleben. Viele junge Menschen bürgerlicher Herkunft wählten bewusst heruntergekommene Bezirke wie Kreuzberg und Wedding als Wohnorte, und das nicht immer aus einer finanziellen Notsituation heraus, sondern auch, um einen bestimmten Lebensstil ausleben zu können. Dieser Umgang mit dem „Verfallenen“, die historischen städtebaulichen Bedingungen und wohnungspolitischen Maßnahmen erlaubten auch heruntergekommenen innerstädtischen Wohngebieten, eine gewisse Heterogenität beizubehalten und für junge Menschen attraktiv zu sein. Die vorliegende Studie weist darauf hin, dass sich der Individualisierungsprozess für deutschtürkische Jugendliche mit dem geringen symbolischen Kapital ihrer sozialen und ethnischen Herkunft insofern erschwerte, als ihr Aussehen und ihre Sprachdefizite einer von ihrer Herkunft unabhängigen Wahrnehmung seitens der Etablierten im Wege standen. Jedoch, in einer Atmosphäre, in der es „cool“ war, in Kreuzberg oder im „Ghetto“ zu wohnen, und in der auch deutsche junge Menschen mit höherem symbolischem und ausreichendem ökonomischem Kapital einen gehobenen Lebensstil mit Spießigkeit verbanden, stellte die Repräsentation einer sozialen Randlage nicht die Werte junger Menschen infrage. Rückblickend fällt auf, dass deutschtürkische Jugendliche in Berlin unabhängig von Mode und Kommerz kontinuierlich im HipHop aktiv waren, sich professionalisiert haben und teilweise sogar noch heute damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Diese Kontinuität ist nicht nur mit dem Image und der Bedeutung der HipHop-Kultur für deutschtürkische Jugendliche zu erklären, sondern auch mit der zunehmenden institutionellen Einbettung. Die vorliegende Studie lenkt den Blick deshalb auch auf verbesserte gesetzliche Grundlagen in

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der Jugendarbeit und vielfältige Angebote, in denen Jugendlichen ihre Interessen unabhängig von ihrer Herkunft ausleben und mitbestimmen können. Gerade HipHop mit seinem kreativen Potenzial, Gewalt zu verhindern und über Battles leistungsorientiert Konflikte zu lösen, entwickelte sich zu einem bedeutenden Teil der Jugendarbeit. Diese herkunftsunabhängige Förderung von Jugendlichen bietet Schutz vor den negativen Folgen einer sozialen und ethnischen Außenseiterposition, die sich z.B. in einer kriminellen Karriere äußern können. Durch ihre spezifischen Organisationsformen ermöglichen es Jugendeinrichtungen jungen Erwachsenen selbst Kurse anzubieten oder sich hier soweit zu professionalisieren, dass sie sich ohne institutionelle Unterstützung eigene Strukturen schaffen und ihren Lebensunterhalt mit HipHop zu verdienen. Die empirische Studie konnte zeigen, dass die ihre institutionelle Einbettung der HipHop-Kultur als ein bedeutsamer Katalysator im Individualisierungsprozess bezeichnet werden kann. Im Gegensatz zum Berlin Ende der 1990er Jahre macht diese komparative Studie zudem die massiven sozialen Unterschiede deutlich, die das Leben in Istanbul prägten. Die sozialen Ungleichheiten, die ungenügende soziale und rechtliche Absicherung der armen Bevölkerung und die Dynamik des sozialen Wandels führten zum ausgeprägten Drang vieler Bewohner nach höheren sozialen Positionen und gleichzeitig zur verstärkten Grenzziehung seitens der etablierten Mittel- und Oberschicht. Diese Grenzziehungen waren dadurch geprägt, dass Personen mit ausreichend kulturellem und ökonomischem Kapital aufgrund ihres symbolisch gering beurteilten, herkunftsbedingten sozialen Kapitals von der etablierten Mittel- und Oberschicht ausgegrenzt wurden. Dieselbe Grenzziehung konnte im jugendkulturellen Bereich beobachtet werden. Während die türkische Pop-Musik eine schichtunabhängige Verbreitung fand, galt Arabesk-Musik aus den Gecekondu-Gebieten als die Musik der unteren Klassen. Grenzziehungen zu den unteren Schichten seitens der etablierten Mittel- und Oberschicht verliefen unter anderem über die Ablehnung eines bestimmten Menschentyps statt, der mit der Siedlungsform „Gecekondu“ oder „Varoş“, dem Männlichkeitsbild des „Maganda“ oder „Kro“ und der Musikform „Arabesk“ in Verbindung gebracht wurden. In der Analyse der gesellschaftlichen Akzeptanz von Rap-Musik konnte festgestellt werden, dass, obgleich sich einzelne professionelle Akteure dieser Musikbranche für die Verbreitung von Rap-Musik einsetzten, Rap in Istanbul dennoch Ende der 1990er Jahre auf starke Ablehnung stieß und dies nicht nur bei der etablierten Mittel- und Oberschicht, sondern auch in der Unterschicht. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie ist allerdings auch, dass Rap-Musik in Istanbul Ende der 1990er Jahre kein Ausdrucksmittel von Außenseitern war. Dies lag einerseits daran, dass Rap von der Band Cartel importiert wurde und die Mu-

7. Z USAMMENFASSUNG

DER

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sik der türkischen Mehrheit mit ihrem nationalistischen Tenor repräsentierte, ohne die ursprünglichen Werte der HipHop-Kultur zu vermitteln. Zum anderen konnte gezeigt werden, dass um das Millennium herum in Istanbul noch keine Jugendarbeit existierte, die mit Berlin vergleichbar gewesen wäre. In den für die Jugendarbeit relevanten Paragraphen stellt der türkische Staat nicht die individuelle Entwicklung in den Vordergrund, sondern die Nation, ihre Unabhängigkeit und ihre Einheit sowie den Schutz vor „schädlichen Gewohnheiten“ der Jugend. HipHop bot Jugendlichen deshalb zu dieser Zeit keine Möglichkeit, eine eigene Ausdrucksmöglichkeit zu entwickeln. Mehr noch, Graffiti und kritische RapMusik konnten als Aktionen geahndet werden, die die nationale Einheit gefährdeten. Cartels Erfolg prägte für eine gewisse Zeit das Image von HipHop, eine Kultur der Deutschtürken, der sogenannten „Almancı“ zu sein, die sich mit ihrem Rap gegen die Unterdrückung in Deutschland wehrten. In der ohnehin von Neureichen „bedrohten“ Istanbuler Mittel- und Oberschicht konnte eine die Unterschicht repräsentierende, das Ghetto-Leben verherrlichende und noch dazu von den Almancı importierte Musikform zunächst nicht angenommen werden. Zu diesem Abgrenzungsverhalten kam verstärkend hinzu, dass Rap-Musik die sprachliche Kompetenz in den Vordergrund stellt. Doch gerade eine kultivierte Sprache prägte das Selbstverständnis der Etablierten in der Türkei und fungierte als bedeutendes Distinktionsmerkmal. Cartels Sprache dagegen war durch Einfachheit und Grobheit geprägt. Dass Rapper in der Türkei Ende der 1990er Jahre diese Sprache kopierten, stieß auf Ablehnung. Das Abgrenzungsverhalten seitens der Etablierten zeigte sich besonders in der Feldforschung in Bodrum. Generell zeigte es sich, dass Rapper in Istanbul zwar innerhalb der RapSzene unabhängig von ihrer Herkunft nach ihren Leistungen bewertet wurden, doch zeigt die gesamtgesellschaftliche Perspektive, dass gerade die Form der Ablehnung von Rap-Musik davon zeugt, dass das herkunftsbedingte soziale Kapital ein vordergründiges Ausschluss- und Bewertungskriterium war, sodass der Individualisierungsprozess innerhalb der Jugendkulturen nicht mit dem in Berlin vergleichbar war. Der spezifische Beitrag dieses Buches besteht somit zum einen darin, mithilfe einer zeitlich eingegrenzten komparativen Studie aufgezeigt zu haben, wie und warum Rap-Musik in Berlin und Istanbul trotz einer direkten transnationalen Beziehung so unterschiedlich angenommen wurde und sich unterschiedlich entwickelt musste. Zum anderen wird deutlich, wie Theorien in komplementärer Weise als Instrumentarium zur Analyse herangezogen werden können, um die Besonderhei-

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ten einer Jugendkultur aufzuzeigen – einer Jugendkultur, die sich immer weiterentwickeln wird. Der nachfolgende Epilog widmet sich in geraffter Form der Entwicklung der deutschtürkischen HipHop-Kultur während der vergangenen 14 Jahre, um diesen im Licht meiner Forschungsfragen zu beleuchten. Da der Fokus der Forschung auf dem Zeitraum zwischen 1998 und 2000 lag, habe ich diese Entwicklung zwar kontinuierlich beobachtet, allerdings mit deutlich geringerer Intensität. Dieser Nachtrag erhebt nicht den Anspruch, eine detaillierte Analyse zu sein, sondern bietet einen Überblick, an den sich spannende weitere Forschungen anschließen können.

8. Epilog

8.1 R AP -M USIK IN B ERLIN UND I STANBUL ZWISCHEN 2000 UND 2014: E INE D ARSTELLUNG AKTUELLER E NTWICKLUNGEN Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die türkische und deutschtürkische RapMusik in Berlin und Istanbul in einem abgegrenzten Zeitraum (1998-2000) zu vergleichen, um die spezifischen gesellschaftlichen Kontexte empirisch zu erfassen, die zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden geführt haben. Das Interesse an dieser zeitlich eingegrenzten Fallstudie lag darin, dass Rap-Musik in dieser Phase unter deutschtürkischen Jugendlichen in Berlin sehr verbreitet und auch etabliert war, während diese Musik in Istanbul mehrheitlich auf Ablehnung stieß. Gleichzeitig existierte in Istanbul eine kleine sehr engagierte HipHop-Szene, die mit transnationaler Unterstützung versuchte, diese Kultur in der Türkei zu verbreiten. Anhand einer zeitlich eingegrenzeten Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede, der Sympathie und Antipathie vonseiten unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gegenüber der Rap-Musik konnte ein komplexes Beziehungsgeflecht dargestellt und dessen Auswirkungen auf diese Jugendkultur nachvollzogen werden. Rap-Musik wird allerdings nicht nur lokal unterschiedlich angenommen, ihre Wandelbarkeit zeigt sich auch in der diachronen Dimension. Schon nach einer kurzen Zeit können gleiche kulturelle Merkmale und Zeichen andere Bedeutungen implizieren. Besonderes gesellschaftliches Interesse gegenüber einem jugendkulturellen Phänomen kann nach einer kurzen Phase abebben, wie dies beispielsweise in der Türkei nach Cartels Erfolg geschehen ist. Ebenso können umgekehrt jungendkulturelle Phänomene zu Beginn abgelehnt, dann aber zum Mainstream werden. Rap-Musik kann durch seine musikalische und sprachliche Wandelbarkeit dem gesellschaftlichen Kontext entsprechend umgeformt und neuinterpretiert werden.

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In diesem Nachtrag möchte ich einen knapp gefassten Überblick darüber geben, wie sich die türkische/deutschtürkische Rap-Musik in Berlin und Istanbul seit dem Millennium bis heute verändert hat. Es soll aufgezeigt werden, wie Jugendliche die Rap-Musik seither entsprechend ihrem aktuellen Lebensgefühl, ihrem Bedürfnis nach Provokation oder auch gemäß ihrer Reifung umgeformt und neu gedeutet haben. Dabei werde ich auf einzelne markante Stilvermischungen eingehen und die Bedeutung des transglokalen Feldes erörtern.

8.2 B ERLIN – DIE W EITERENTWICKLUNG DER R AP -M USIK Das Jahr 2000 markierte eine Zeit in Deutschland, in der Rap-Musik kommerziell einen Höhepunkt erreicht hatte. Die für die HipHop-Kultur in Deutschland bedeutende Zeitschrift Juice verglich den kommerziellen Erfolg von HipHop in diesem Jahr mit einem Virus, mit dem eine ganze Nation infiziert war, und macht rückblickend auf die wirtschaftliche Bedeutung von HipHop aufmerksam (Szillus 2003): ausverkaufte HipHop-Veranstaltungen und Konzerte, das Aufkommen von HipHop-Magazinen und das Interesse des Musikfernsehens an der HipHop-Kultur. Einige der kurz zuvor noch unbekannten Rapper erhielten Plattenverträge bei größeren Labels und genossen mediales Interesse. Der im Royal Bunker forcierte Stil des Battle-Raps und später der spezifische Battle-Rap von Aggro Berlin sollten nach 2000 richtungsweisend für Rap-Musik in Deutschland werden. Aus Subkultur wurde Mainstream. Die beiden aktivsten deutschtürkischen Rapper des Royal Bunker, Fuat und Kool Savaş, prägten in den nächsten Jahren die Rap-Musik – Kool Savaş in Deutschland, Fuat in der Türkei. Auch andere der vorgenannten deutschtürkischen Rapper sollten nach dem Millennium besonders aktiv und teilweise erfolgreich werden, sei es in Deutschland oder der Türkei. Kool Savaş und Royal Bunker – von der Subkultur zum Mainstream Schon Ende der 1990er Jahre hatte Kool Savaş als Mitbegründer des Zusammenschlusses von Masters of Rap (M.O.R.) und Westberlin Maskulin mit seinem Battle-Rap unter Insidern in Berlin einen gewissen Ruhm erlangt (siehe Kap. 4.1.3). Im Gegensatz zu dem damals verbreiteten Gute-Laune-Rap oder der RapMusik mit politisch korrekten Inhalten ging es – wie bereits erwähnt – dabei noch um verbal vulgäre, homophobe und aggressive Attacken und um die übertriebene Darstellung der eigenen Überlegenheit. Wegweisend für den Battle-Rap in Deutschland sollte das 2001 erschienene Album NLP von M.O.R. sein, in

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dem sowohl die Mitbegründer von M.O.R. als auch andere aus dem Umfeld des Projekts einen harten Battle-Rap in deutscher Sprache lieferten. Der in diesem Album erschienene Song „Fremd im eigenen Land II“ kann als symbolischer Richtungswechsel verstanden werden, entstammt er doch dem Titel von Advanced Chemistry, die sich in ihrem 1992 erschienenen Song „Fremd im eigenen Land“ mit politisch korrekten Texten gegen den Rassismus in Deutschland wehrten. Bei M.O.R ging es nun darum, die eigene Überlegenheit gegenüber anderen Rappern auf eine harte und beleidigende Art und Weise zu thematisieren. Neben anderen Rappern wie Justus und Jack Orsen rappt Kool Savaş: Ich hab kein Interesse mit euch Bitchez zu recorden, Statt zu Fronten müsst ihr euch noch ein paar Beats von uns besorgen, Ich spring los wie Jordan überfliege eure Cypher, und kill Rapper bis es heißt es gibt in Deutschland keine Biter mehr1

Auffällig an dem von Marcus Staiger geführten Independent-Label Royal Bunker war die Unterstützung von Rappern unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft aus Berlin, die einen härteren Rap produzierten. Die Veröffentlichungen konnten rein deutscher Battle-Rap sein, oder auch gemischtsprachig mit mehrheitlich türkischen Texten. Ein Beispiel für die letzteren ist das Album „Fettfleck Sampler Volume One“, das von dem deutschtürkischen Team Fettfleck produziert und bei Royal Bunker veröffentlicht wurde. Auf dem Album finden sich vornehmlich Songs von Berlins bedeutendsten deutschtürkischen Rappern, allen voran Fuat, aber auch Azra, Kid Kobra, Asek, Stress Sırtlan und Killa. In dem Song „Berlin/Frankfurt/Istanbul“ rappen neben diesen Berliner Szene-Pionieren auch der Istanbuler Rapper Turbo (Tunç Dindaş) und der Frankfurter Düşman. Sogar ein Rap-Teilstück des im Jahr 2000 verstorbenen Boe B. von Islamic Force wird in einen Song eingebracht. Ebenso vertreten ist deutschsprachige Rap-Musik von Berliner Rappern wie Meyah Don oder Ben Salomo. Trotz der vornehmlich türkischen Sprache und den türkischen Rappern sind die Stücke fern von orientalischen oder folkloristischen Elementen, die in den 1990er Jahren für türkischsprachigen Rap charakteristisch waren. Kool Savaş, der ebenfalls aus dem Umfeld des Royal Bunker stammte, sollte eine außergewöhnliche Karriere vor sich haben und in Deutschland zum „King of Rap“ werden – ein Titel, den er sich 2000 in einem gleichnamigen Song zulegte und unter dem er viele Jahre später auch in der Öffentlichkeit anerkannt

1

Royal Bunker 1998. Im Internet.

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war2. Von 2002 bis 2008 führte er sein Label Optik Records, zuerst mit einem Vertrag bei Subword/BMG, später unabhängig davon. Sein Stil änderte sich allerdings in den nächsten Jahren insofern, als seine Texte nicht mehr nur vulgäre Battles waren, sondern auch ernstere, persönliche Reflexionen und sozialkritische Statements enthielten, ohne dabei den Battle-Charakter zu verlieren. In seinem ersten, besonders erfolgreichen Song „Der beste Tag meines Lebens“ schlägt er beispielsweise vor, Vegetarier zu werden und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, und thematisiert die Bedeutung von Menschen, auf die man sich verlassen kann. Seine folgenden in hohen Auflagen erschienenen Alben, Songs und Videos erlangten obere Plätze in den Charts. Er unterstützte andere Rapper und wurde selbst in vielen Songs gefeatured. Vom Musiksender Viva wurde er zum besten deutschen „HipHop-Artist“ gewählt. Eine besondere Auszeichnung erhielt er 2009 durch die Wahl zum besten MC Deutschlands seitens des deutschen HipHop-Magazins Juice. Ein öffentlich ausgetragener Konflikt mit dem deutschtürkischen Rapper Eko sollte sein Können und seine Beliebtheit eher manifestieren als infragestellen. Auf die Veröffentlichung des Songs „Die Abrechnung“ von Eko, in dem dieser unter anderem auch Kool Savaş „disste“, reagierte Kool Savaş mit dem Song „Das Urteil“. Im hierzu gedrehten Videoclip rappt Kool Savaş seine verbale Abrechnung mit Eko. Dieser Clip brachte Kool Savaş als ersten noch lebenden Musiker (neben Tupac) die Auszeichnung „TRL GoldenTape“3 ein. Die hohen Verkaufszahlen seiner nächsten Veröffentlichung „Aura“ sowie die später in Zusammenarbeit mit Xavier Naidoo unter dem Namen XAVAS veröffentlichte „Gespaltene Persönlichkeit“ brachten ihm Gold und für die Singleauskopplung Platin. Laut HipHop.de gehört das Album „Gespaltene Persönlichkeit“ sogar „zu den zehn erfolgreichsten HipHop-Alben, gemessen an den Erstwochenverkäufen, des letzten Jahres weltweit“4 (Jansen 2013). Ihr gemeinsamer Sieg im 2012 veranstalteten Bundesvision Song Contest macht deutlich, wie sehr Kool Savaş die Grenzen der HipHop-Community gesprengt hat. Kool Savaş zeichnet sich darin aus, dass er stets seinem Battle-Rap vom Royal Bunker treu bleibt, wenn auch oft in abgeschwächter Form, und dabei einen eigenen Humor und neue Stile einbringt. Abgesehen von seinen Wortspielereien bringt er, wie bereits am Beispiel des Songs „Fremd im eigenen Land“ dargestellt, alte und bewährte Klassiker von gesellschaftlichen Außenseitern in einer ichbezogenen Battle Form neu heraus. In seinem letzten Solo-Album „Aura“ sollte er 2 3 4

Noch 2014 erhielt Kool Savaş bei einer Umfrage in der Internetseite HipHop.de darüber, wer der King of Rap ist, den ersten Platz (Unrau 2014). Im Internet. Kool Savaş Official Website (o.J.): Biografie. Im Internet. Jansen (2013) im Internet.

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dies im Song „Ein Wunder“ noch überspitzen, in dem er im Refrain zur Hintergrundmusik des Songs „The Message“ von Grandmaster Flash folgenden Text rappt: „Es is’ ein Wunder, denn sie kriegen mich nich’ unter. Ich bin immer noch die Nummer eins5“. Damit konstruiert er einen Gegensatz zum Originaltext, der sich auf das harte Leben in der Bronx bezieht: „It’s like a jungle sometimes, it makes me wonder how I keep from going under“6. Kool Savaş geht inhaltlich und musikalisch stilistisch neue Wege und arbeitet mit Menschen zusammen, die sozial und ethnisch unterschiedlicher Herkunft sind. Seine türkische Herkunft ist ein Teil von ihm, den er in Interviews erwähnt und teilweise in seiner Musik verarbeitet, wie beispielsweise in seinem 2003 mit Illmat!c produzierten Song Hellas (Türkiye), in dem es um die Verbrüderung von Türken und Griechen geht, oder auch im Song „Nichts bleibt mehr“ im Album Aura, in dem sein Vater ein Gedicht auf Türkisch vorliest, das er im Gefängnis für seinen Sohn geschrieben hatte. „Ich mach weiter, was Boe B. begann“, rappt Kool Savaş im Song „Neuer Wind“ des Albums John Bello Story und in Interviews erwähnt er Dankbarkeit seinem „Mentor“ gegenüber, der ihm in seinen Kreuzberger Zeiten Rap-Musik näher gebracht hat. Wenngleich er seine türkische Herkunft gelegentlich erwähnt, so stellt er sie nicht als ein besonderes subkulturelles Kapital in den Vordergrund. Auch das Leben in Kreuzberg, das Bild vom Ghetto und den Straßenerfahrungen nutzt Kool Savaş nicht als Ressource für Glaubwürdigkeit. Er verkörpert keine Außenseiterposition. Seine besondere Art mit der deutschen Sprache umzugehen und seine spezifische Selbstpräsentation sind der wesentliche Grund dafür, dass Kool Savaş seit über 10 Jahren erfolgreich von Menschen unterschiedlicher Herkunft gehört wird. Aggro Berlin – ein neues Berliner Label als Aushängeschild des deutschen Rap Kamen ab 2000 bedeutende Impulse aus dem Berliner Umfeld des Royal Bunker, so sollte in den nächsten Jahren mit der Gründung des Independent-Labels Aggro Berlin eine weitere Quelle entscheidenden Einfluss auf die HipHop-Kultur nehmen und zum „Aushängeschild des deutschen Raps“ (Leopoldseder 2011) werden. Auffallend an den Veröffentlichungen von Aggro Berlin sind ihre aggressiven Texte, die teilweise von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als jugendgefährdend eingestuft und indiziert wurden. Doch gerade der Battle- und der Gangsta-Rap mit provokanten, homophoben, gewaltverherrlichenden und sexistischen Texte sollten ihnen Erfolg bescheren. Der Erfolg von Aggro Berlin motivierte auch andere aus dieser Branche, ihr eigenes Label zu gründen. 5 6

Rapgenius.com (Hrsg., 2014): King of Rap – Ein Wunder. Songtext im Internet. Stanley (1992:150).

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Aggro-Berlin wurde von drei HipHop-Aktivisten gegründet, die unterschiedlicher Herkunft waren. Einer der Gründer war Halil Efe, der damalige deutschtürkische Besitzer des HipHop-Ladens Downstairs in Berlin-Schöneberg. Dieser Laden verkaufte nicht nur Markenartikel aus der HipHop-Branche, sondern unterstützte auch Rapper aus dem Untergrund, die hier ihre Tapes verkaufen konnten. Zusammen mit Spaiche, einem sehr aktiven Breakdancer ostdeutscher Herkunft und dem Graffiti-Künstler Specter nahmen sie als Erstes die später sehr erfolgreichen Rapper Sido und B-Tight unter Vertrag. Bald darauf sollte Bushido seine Karriere mit Aggro Berlin starten. Die Zusammensetzung von Aggro Berlin kann ebenso wie die des Royal Bunker als ein Beispiel eines Individualisierungsprozesses verstanden werden, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, um mit einer ganz bestimmten Form der Rap-Musik erfolgreich zu sein. Doch gerade hier, in diesem Umfeld, sollte eine Tendenz zum Ausdruck kommen, die nicht dem Geist der HipHop-Kultur entsprach: Provokant vorgetragene ethnische Kategorien und deutscher Nationalismus als Bezugspunkte, ein rassistisches Image, all dies in höchst widersprüchlicher Mischung. Auch der afroamerikanische Rap verwendete den rassistisch besetzten Begriff „Nigga“ als Selbstzuschreibung, doch in seinem Song „Neger, Neger“ verwendet B-Tight den Begriff in einer Form, die auf den ersten Blick nicht der HipHop-Mentalität, sondern an vielen Stellen eher dem Denken von rassistischen Weißen ähnelt. Es rappt allerdings kein Weißer, B-Tight ist vielmehr väterlicherseits afroamerikanischer Abstammung und spielt damit auf vulgäre Art und Weise mit den Klischeevorstellungen von Schwarzen. Eine weitere AggroBerlin-Veröffentlichung, die für eine spannungsgeladene Diskussion sorgte, enthielt einige Songs von Fler, einem weißen Berliner Rapper, der seine deutsche Identität so vortrug, dass er als Nazi angesehen wurde. Dazu ein Beispiel aus dem Song „Deutscha Bad Boy“: „Ich bin deutsch, bin drauf stolz Leute sagen Fler is proll Leuten sagen, ich bin Nazi Mir egal, sagt was ihr wollt Blaue Augen, weiße Haut, tätowiert, breit gebaut Jeder hat kapiert, ein deutscher badboy7“

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SongtexteMania (Hrsg., o.J.) Deutscha Bad Boy Songtext. Im Internet.

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Dieser Song wie auch der Song „Ich bin Deutscha“ erschien in dem Album „Fremd im eigenen Land“. Der Titel des gleichnamigen Songs von Advanced Chemistry wird hier abermals wiederverwendet, doch nicht wie bei Advanced Chemistry als Antwort auf den deutschen Rassismus und auch nicht wie bei M.O.R. als Ausdruck der Überlegenheit bestimmter Rapper gegenüber anderen Rappern, sondern vielmehr als Aussage eines Deutschen, der sich in seinem eigenen Land fremd fühlt8. Auch der Song „Neue Deutsche Welle“ mit Zeilen wie „Schwarz-Rot-Gold, hart mit Stolz“ rückte sein Image in die rechte Ecke9, womit er auch ganz bewusst spielte. Auch Bushido, der sich 2004 von Aggro-Berlin trennte und sich selbstständig machte, verschaffte sich mit Sätzen wie „Ihr Tunten werdet vergast“ und „Salutiert, steht stramm, ich bin ein Leader wie A.“, die er als „willkommene Provokationsmöglichkeit“ bezeichnet, ein rechtsradikales Image. Doch seine Provokationen gingen auch in andere Richtungen, wie in dem 2006 im Internet erschienenen Song „11. September“, in dem man ihn politisch eher der islamistisch-antiamerikanischen Richtung zuordnen würde. Spätestens mit diesen Veröffentlichungen um die Jahre 2005/2006 veränderte sich das Image von Rap-Musik im Allgemeinen in einer Form, die das HipHop-Magazin Juice folgendermaßen beschreibt: „In Rekordzeit veränderte sich das Klischee vom verkifften, aber kreativen und deshalb irgendwie netten Rapper hin zum echt bösen Buben, der in besonders hysterischen Kommentaren plötzlich gewalttätig, frauenfeindlich, rassistisch, antisemitisch und am besten noch Kokainhändler, Nazi, Vergewaltiger und Islamist in einer Person war.“ (Leopoldseder 2011)

Der so widersprüchlich verwendete Rassismus und die Betonung der ethnischen Herkunft sind somit nur Teil der Provokation, mit der ein kommerzieller Erfolg angestrebt wurde, denn multikultureller hätte das Umfeld von Aggro Berlin und Bushido nicht sein können So förderte beispielsweise Fler den deutschtürkischen Rapper G-Hot, der ebenfalls bei Aggro Berlin unter Vertrag genommen wurde und ebenfalls im Album „Neue Deutsche Welle“ im Song „Eine Bombe du 8

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Loh macht darauf aufmerksam, dass die Heidelberger HipHop-Gruppe zu der am häufigsten gesampelten HipHop-Band gehört. Ihr Refrain „Fremd im eigenen Land“ wurde auch von der ostdeutschen HipHop-Gruppe ANTI übernommen, um auf das Fremdheitsgefühl von Ostdeutschen in Deutschland hinzuweisen (Güngör & Loh 2002:310). Zu rassistischen Elementen im deutschen Battle-Rap siehe Güngör & Loh 2002:311315.

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liegst“ gefeatured wird. Bushido hat einen tunesischen Vater, seine Freundschaft zu einem Berliner libanesischen Clan ist bekannt. Dennoch erfreut er sich trotz seiner Herkunft besonderer Beliebtheit unter Neonazis, die ihn wegen seiner Musik und seinen Texten schätzen. Toni D., ein weiterer Künstler von Aggro Berlin, ist Deutschlibanese. Sido wuchs bei seiner alleinerziehenden indischen Mutter auf und förderte den deutschtürkischen Rapper Alpa Gun. Seine ostdeutsche Herkunft verschwieg er allerdings, da er Diskriminierungen befürchtete. Der provokant aggressive Stil, den Aggro Berlin vorantrieb, erreichte seinen Höhepunkt im Jahre 2007 mit dem Song „Keine Toleranz“ von G-Hot, in dem er zur Gewalt gegen Homosexuelle aufruft. Nachdem der Song auf der Internetseite YouTube ohne sein Wissen veröffentlicht worden war, verbreitete G-Hot im Internet eine Entschuldigung an die Adresse von Homosexuellen, beschrieb sich selbst als „übelst tolerant“ und betonte, dass er kein Nazi sei und sein Vater aus der Türkei stamme. Aggro Berlin distanzierte sich von G-Hot und gab bekannt, dass die Zusammenarbeit mit ihm in Zukunft ausgeschlossen ist10. Auch diese Aktion ist widersprüchlich, da Aggro Berlin gerade diesen Stil gefördert hatte. Mit den äußerst provokanten und tabu-brechenden Texten vollzogen die Musiker eine Abkehr vom politisch korrekten Rap und dem Gute-Laune-Rap, sie überspitzten den harten und vulgären Stil von Royal Bunker. Die Frage nach der Authentizität von Rap-Musik stand nun zunehmend auf der kommerziellen und medialen Ebene im Fokus: Ein Konzept von Authentizität, das auf GhettoHerkunft und Straßenerfahrung basierte, in Anlehnung an den Ursprung der HipHop-Kultur aus der Bronx. Im Gegensatz zum deutschen Mainstream wie beispielsweise den Fantastischen Vier prägte dieses subkulturelle Kapital schon in den 1990er Jahren das Selbstverständnis der deutschtürkischen Rapper in Kreuzberg und Wedding und die damit verbundene Bezirkszugehörigkeit (s. Kap. 4.1.3). Nun zog dieses Selbstverständnis größere Kreise innerhalb Berlins. Sido aus dem Märkischen Viertel, einer 70er Jahre Hochhaus-Siedlung im NordenBerlins, betonte in seinem Rap stets seine Ghetto-Vergangenheit. Bushido, der Prototyp eines Gangsta-Rappers, erwähnte des Öfteren seine Herkunft aus dem Berliner Bezirk Tempelhof und sorgte damit für Verwirrung, da Tempelhof ein kleinbürgerliches Image hat, also keinem Ghetto zuzuordnen ist und Berliner diesen Bezirk nicht als „hartes Pflaster“ kategorisieren würden. Doch Textstellen wie „Viele meiner Freunde sind in den Knast gewandert, das ist meine Hood, Tempelhof ist so geil (…) Tempelhof, Gangsterflows, Skyline oder Bordstein“11 oder „Wir sind in Tempelhof, hier gibt es kein Tempolimit, undercover-drogenkickbox (…) wir sind in Tempelhof, hier gibt es kein Tempolimit, wenn ich 10 Siehe hierzu auch Wittmann (2007). 11 Aus dem Song: „Gheddo feat. Bushido“.

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einmal sterbe, komme ich in den Gangsterhimmel“12 geben den Anschein einer harten Vergangenheit in diesem ruhigen Berliner Bezirk. Vielleicht aus diesem Grund gab Bushido in einem Interview an, dass es in Tempelhof keine „harte Straße“ gibt, aber ganz Berlin ein Ghetto sei13. Auch der Tempelhofer Rapper Frauenarzt bedient sich des Ghettos als Authentizitätsmerkmal, in dem auch er die ganze Stadt als Ghetto darstellte: „Berlin ist einfach Ghetto, Berlin hat eine Ghetto-Optik, Ghetto-Atmosphäre“14. Die Heterogenität der vermeintlichen Ghettos und öffentliche Diskurse über Gentrifizierung der Berliner Innenstadt werden in der Konstruktion eines Ghetto-Bildes außer Acht gelassen. Wie Saied feststellt „gibt es in der Bundesrepublik Deutschland lediglich imaginierte Ghettos, die fiktiv konstruiert werden“ (2012:131). So zeigen diese Überspitzungen, die einen bürgerlichen Bezirk oder gar ganz Berlin als Ghetto charakterisieren, wie unwichtig die realen Bedingungen sind und wie stark im Gegenzug das Bedürfnis ist, sich ein Lebensgefühl und ein eigenes Bild mittels einer fiktiven Authentizität zu konstruieren. Die in den 1990er Jahren vom Umfeld des Royal Bunker forcierte Westberliner Zugehörigkeit entwickelte sich zu einem besonderen symbolischen Kapital, dessen sich inzwischen zahlreiche Rapper rühmen. Die alten Berliner Postleitzahlen – immer noch ein Identifikationsfaktor bei einigen Rappern Rückte mit der überbezirklichen Zusammenarbeit verschiedener HipHopAktivisten und dem Battle-Rap um Royal Bunker die Bezirkszugehörigkeit als Identifikationsfaktor für eine gewisse Zeit in den Hintergrund, so griffen mit der zunehmenden Kommerzialisierung einer (angeblichen) Straßenvergangenheit einige Rapper ihre lokalen Zugehörigkeiten innerhalb Berlins wieder auf. Interessanterweise gelten fast zwanzig Jahren nach der Einführung der neuen Postleitzahlen bei einigen Rappern die alten Postleitzahlen weiterhin als Symbol für ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bezirk. Und das gilt nicht nur im ehemaligen Kreuzberg 36, wo die Zugehörigkeit zu diesem Ort stets besondere Emotionen hervorrief, sondern auch für Wedding 65, Schöneberg 30 oder Friedenau 41. Eine neue Kombination entstand gar aus dem Zusammenschluss der beiden Rapper türkischer-kurdischer Abstammung, Murdoc und Monstar, die ihre Zugehörigkeit zu Kreuzberg 36 und Kreuzberg 61 in den Namen Massaka 361 verbanden und damit ganz Kreuzberg repräsentieren wollten. Im 2012 erschienenen Album „Blutbeton 2“ nennen sich die Rapper Monstar 361 und Massaka. Mir ist 12 Aus dem Song „Knightrider“. 13 Berliner Morgenpost (Hrsg.): Berlin-ist-Ghetto-nur nicht-in-Tempelhof. Im Internet. 14 Im Dokumentarfilm „Rap City Berlin II“ (von Henrik Regel, Stephan von Gumpert u. a.).

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kein Rapper bekannt, der die inzwischen seit 1993 existierenden neuen Postleitzahlen als Identitätsbezugspunkt verwendet. Dies ist sicherlich damit zu erklären, dass HipHop nach Deutschland kam, als das alte System gültig war und Postleitzahlen damals unter den Jugendgangs zum Identitätsmerkmal einer Straßenvergangenheit wurden (s. Kap. 4.1). Rap als ein Ausdrucksmittel unterschiedlichster Strömungen Ghetto, Straße, Kriminalität, ein hartes Leben und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten problematischen Bezirk sind, wenn auch inzwischen mit deutlich abnehmender Tendenz noch immer verbreitete Authentizitätskriterien in der Rap-Szene, insbesondere unter vielen deutschtürkischen Rappern in Kreuzberg 36. Diese Kriterien zeichnen das Bild des gesellschaftlichen Außenseiters und ermöglichen es, das damit verbundene subkulturelle Kapital zu nutzen. Das Umfeld von Royal Bunker und Aggro Berlin hat nach dem Jahr 2000 Maßstäbe für Musik, Texte und Selbstdarstellung gesetzt und damit den Rap in Deutschland maßgeblich richtungsweisend repräsentiert. Die Jahre zwischen 2000 und 2014 markieren eine Zeit, in der Rap-Musik zu einem Ausdrucksmittel von divergierenden Strömungen, Stilen und politischen Richtungen geworden ist, sodass eine einfache Kategorisierung kaum noch möglich ist. Stile und Zugehörigkeiten überschneiden und mischen sich. Rechtsradikale deutsche Jugendliche verwenden diese von Afroamerikanern entwickelte Jugendkultur, um ihre Ideologie in Form von Rapmusik zu vermitteln, wie beispielsweise die Dessauer Band Dissau Crime15 oder der Sänger Makks Damage, der 2011 aus der linken in die rechte Szene übergetreten ist. Gleichzeitig steht die radikale linke HipHopSzene im Visier des Berliner Landeskriminalamts16. Optisch sind beide Szenen jedoch kaum voneinander zu unterscheiden. Ähnlich wie in den USA nutzen vereinzelte Rapper in Deutschland ihre Texte, um mit islamischen Botschaften Menschen von Drogen und Kriminalität fernzuhalten, wie beispielsweise der aus Äthiopien stammende Ammar 114 und Sayfoudin, Sohn italienisch-marokkanischer Eltern. Andere wiederum halten sich bewusst von religiösen Aussagen fern. Anhänger der „Grauen Wölfe“ (Bozkurt) veröffentlichen im Internet antikurdischen Bozkurt-Rap17. Kurdische Rapper dagegen rappen kämpferisch auf 15 Siehe auch Politische Bildung Brandenburg (Hrsg.): Nazirap, im Internet. Außerdem Netz-gegen-nazi (Hrsg.), im Internet und Financial Times Deutschland (Hrsg., 2011): Nazi Rap, im Internet. 16 Siehe hierzu Berliner Morgenpost (Hrsg.): Polizei nimmt linke Hip-Hopper ins Visier, im Internet. 17 Siehe hierzu Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen Düsseldorf (2009): Internetaktivitäten der Ülkücü-Bewegung – „Graue Wölfe“.

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Deutsch oder Kurdisch für ein selbstbestimmtes Kurdistan. Mit zahlreichen staatlich finanzierten sozialen Projekten versuchen engagierte Menschen weiterhin Jugendliche über die Arbeit mit HipHop von der Kriminalität fernzuhalten. Andere wiederum produzieren einen Arabesk-Rap, in dem sie schmachtende Liebeslieder in einer musikalischen Mischung von Rap und Arabesk kombinieren, inzwischen auch auf deutscher Sprache. Auf das Phänomen des ArabeskRap werde ich später noch eingehen. Auffällig ist dabei, dass die in den 1990er Jahren imaginär gezogene Trennlinie zwischen deutschem Rap und dem Rap von Migranten noch durchlässiger geworden ist. Deutschtürkische Rapper haben einen bedeutenden Anteil an dieser Vermischung. Anhand einiger Beispiele möchte ich diese Mischung im Folgenden skizzieren. Dabei werde ich versuchen, die Frage zu beantworten, in welcher Form deutschtürkische Rapper mit ihrer Musik, ihren Texten und ihrer Selbstdarstellung gesellschaftliche Positionen und Zugehörigkeiten repräsentieren. 8.2.1 Stile und Positionierungen unter deutschtürkischen Rappern in Berlin Wie in Kapitel 4.1.2 dieser Arbeit ausführlich dargestellt, protestierten deutschtürkische Rapper in den 1990er Jahren mit ihrer Musik gegen Rassismus. Dabei verwendeten sie oft orientalische Melodien und Instrumente, rappten häufig in türkischer Sprache und verwendeten teilweise, wie im Falle von Cartel, türkischnationale Symbole. In dieser Zeit hatte sich die globale Jugendkultur mit lokalen und türkischen Phänomenen gemischt und eine neue Richtung geschaffen. Trotz der Betonung der ethnischen Herkunft war sie multikulturell. Obwohl ethnische Kriterien weiterhin in den Texten und teilweise auch auf der symbolisch-ästhetischen Ebene auftauchen, ist doch zu beobachten, dass inzwischen folkloristische, orientalische oder türkische Melodien und Instrumente aus der Rap-Musik wenn nicht ganz verschwunden, so doch immer mehr in den Hintergrund gerückt sind. Beats nach US-amerikanischem Vorbild, wenig Samples und die zunehmende Verwendung der deutschen Sprache kann als neuer Trend zwischen 2000 und 2014 beobachtet werden. Auffällig ist dennoch, dass weiterhin die türkische bzw. nichtdeutsche Herkunft und die damit verbundenen rassistischen Erfahrungen thematisiert werden, auch wenn diese nicht in dem Maße zentral sind, wie in den 1990er Jahren. Gleichzeitig intensivierte sich die transnationale Kooperation zwischen Berlin und Istanbul in den Jahren nach 2000 in Form von gemeinsamen Veröffentlichungen, Features und Projekten. Anhand von Fallbeispielen möchte ich im Fol-

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genden auf die Aspekte der Kulturvermischung und Stilvielfalt eingehen, die inzwischen für deutschtürkische Rapper charakteristisch ist. Killa Hakan, Gekko G und der Zugehörigkeitsmythos zu Kreuzberg 36 Der Kreuzberger Rapper Killa Hakan stellt mit einem extrem fokussierten lokalen Identitätsbezugspunkt ein Phänomen unter den Rappern dar. Zum HipHop kam Killa Hakan, als er im Gefängnis einen Song von Islamic Force hörte und nach seiner Entlassung in die Band von Boe B. aufgenommen wurde. Wie Kool Savaş bezeichnet auch Killa Hakan Boe B. als seinen Mentor18. Doch mit dem plötzlichen Tod von Boe B. im Jahre 2000 endete die gemeinsame Arbeit. Seitdem führt Killa Hakan das Erbe von Boe B. fort. Er startete eine Solokarriere als Rapper und ist weiterhin seinem Kreuzberger Kiez am Kottbusser Tor treu geblieben. Kein Interview oder Auftritt, ohne dass er seine Herkunft aus Kreuzberg 36 mit besonderem Stolz betont, seine Mitgliedschaft zur berüchtigten Kreuzberger Gang 36boys und seine Gefängnisaufenthalte – und dies nicht nur im lokalen Rahmen, sondern auch in der Türkei. Der kämpferische Ton seiner 36boys kommt in dem ersten Soloalbum im Song „Çakallara: Alem buysa“ vor allem im Refrain zum Ausdruck, in dem sich mehrere Männer in kriegerischem Ton gegen unechte Rapper wenden: Alem buysa kral biziz19

Wenn das die Welt ist, dann sind wir die Könige

Önümüze geçeni ezerde geçeriz

Den, der sich uns in den Weg stellt, zerquetschen wir und übergehen ihn

Kan, şeref, piçler, hedef semt 36, yerlerde

Blut, Ehre, Bastarde, Ziel ist der Bezirk

kanlı

36, die Böden sind blutig

In seinen folgenden Alben nimmt Killa Hakan das Thema Ghetto wieder auf. Und sein 2014 erschienenes Album enthält den Song „Ghetto Insider“ mit einem Videoclip, der dem von Monstar 361 und Massaka „36 Clan“ stark ähnelt. Im schwarzweiß gehaltenen Clip treten die Mitglieder der 36boys in kämpferischer Haltung mit ernstem, teilweise bedrohlichem Gesichtsausdruck auf. Massaka ist hier ebenso zu sehen wie auch Muzaffer Tosun, ein ehemaliges Mitglied der 18 Doris Akap 2003: Interview mit Killa Hakan. In: Jungle World Nr. 9, 19. Februar, im Internet. 19 Der Ausdruck „Alem buysa kral biziz“ erinnert an den Songtitel „Alem buysa kral benim“ des Arabesk-Sängers Mahsun Kırmızıgül, den der Sänger für einen Fußballspieler der Mannschaft Galatasaray im seinem Song „Alem Buysa Kral Cimbom“ neu interpretierte.

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36boys und inzwischen Weltmeister im Kickboxen. Mitschnitte von seinem Box-Training untermauern die kämpferische Haltung dieses Songs. In seinen Videoclips und in den Aufnahmen auf den CD-Booklets visualisiert Killa Hakan seine Zugehörigkeit zu Kreuzberg 36 durch die Verwendung von urbanen Motiven, die symbolisch für Kreuzberg sind. Hierzu zählen vor allem die U-Bahn Haltestellte Kottbusser Tor, der über die Adalbertstraße gebaute Wohnkomplex aus den 1970er Jahren, bestimmte Läden und die Naunynstraße, in der sich das Jugendzentrum „Naunynritze“ befindet. Killa Hakans Texte sind persönliche Texte, die oft von einem schweren Leben handeln. Sie erzählen davon, wie sich Menschen in schwierigen Situationen verhalten, wie sie sich fühlen und was sie tun sollten. Dies kann direkt mit den Erfahrungen auf der Straße zu tun haben, wie beispielsweise die Zeilen: Sokaklar adamı zorluyabilir kötüye doğru yollayabilir sende savaş Aşağıdan yukarıya çıkabilirsin ama yavaş yavaş Die Straßen können einen Mann anstrengen, zum schlechten Weg bringen. Und du kämpfe, Du kannst von unten nach oben aufsteigen, aber langsam, ganz langsam20

Der Vortragsstil ist dabei nach wie vor ein scharf gesprochener Rap, der oft einen wütenden und kämpferischen Klang hat, unabhängig davon, ob der Text tatsächlich Härte vermittelt oder weichere Emotionen ausdrückt. Im Gegensatz zu anderen deutschtürkischen Rappern rappt Killa Hakan ausschließlich auf Türkisch, mit gelegentlich eingestreuten englischen Textstellen. Wie bei vielen professionell arbeitenden deutschtürkischen Rappern fällt auch bei Killa Hakan auf, dass er nicht nur einen lokalen Bezugspunkt hat, sondern auch mit Rappern aus der Türkei und den USA zusammenarbeitet. So gilt auch für ihn die Feststellung von Lanz, dass „Berliner Bezirke Kreuzberg oder Neukölln, die oft als traditionalistische ‚Parallelgesellschaften‘‚ nicht-integrierten’ Einwanderer stigmatisiert werden, eher als transnationale und transkulturelle Laboratorien einer alltäglichen Globalisierung ‚von unten‘“ funktionieren (2008:13). Killa Hakans ursprünglich auf Kreuzberg 36 beschränkter Aktionsraum nahm nach 2000 eine transnationale Dimension an, als er seine Alben21 teils in 20 Übersetzung durch die Autorin. 21 Nach dem plötzlichen Tod des engen Freunds von Killa Hakan und Gründers von Islamic Force Boe B. im Jahr 2000 erschien 2002 Hakans Solo Debüt-Album „Çakallar“ (Schakale). Gemeinsam mit Fuat brachte er 2003 das Album „Rapüstad“ heraus, was sinngemäß „Meister des Raps“ bedeutet. 2005 folgte das Album „Semt Semt So-

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Berlin, teils in Istanbul veröffentlichte. Durch die Zusammenarbeit mit Ceza in einem gemeinsam produzierten Album, bei Features und gemeinsamen Konzertund TV-Auftritten konnte Killa Hakan seinen Bekanntheitsgrad in der Türkei steigern und Fans in der dortigen Rap-Szene gewinnen. Killa Hakan vertritt sowohl in Berlin als auch in der Türkei nicht den Geburtsort seiner Eltern in der Türkei, auch nicht ganz Berlin oder Deutschland, sondern in erster Linie den Bezirk Kreuzberg 36, speziell die Gegend um das Kottbusser Tor herum. Selbst in der Türkei trägt er Kleidung mit Aufdrucken von „36boys“, aber auch T-Shirts mit dem Aufdruck des Labels „Königsrasse“ in Frakturschrift. In der türkischen Sendung Mavi Şeker grüßt er seine Leute in Kreuzberg 36 und schenkt der Moderatorin ein T-Shirt mit dem Aufdruck „36girls“. In Interviews in der Türkei wurde er gefragt, ob er „zurück“ in die Türkei ziehen würde, doch er betont stets loyal und treu seine Zugehörigkeit zu Kreuzberg 36 und die Einzigartigkeit dieses Bezirks, den er nicht ernsthaft verlassen möchte. Wie sehr die ehemalige Kreuzberger Gang 36boys und die Zugehörigkeit zu diesem Stadtteil junge Menschen geprägt hat, zeigt auch der Rapper Gekko, der in einem englischen Feature bei G Unit Kreuzberg 36 erwähnt und damit dieses Identitätsmerkmal nicht nur transnational, sondern auch global durch die gemeinsame Arbeit mit einem prominenten amerikanischen Rapper repräsentiert. Auffällig an den Rappern aus Kreuzberg 36 ist ihre besondere Betonung der Außenseiterposition, sowohl ethnisch als auch sozial. Trotz der Ressentiments der türkischen Gesellschaft gegenüber sozialen Außenseitern betonen sie auch in der Türkei ihre Erfahrungen mit Gewalt und Gefängnis. Monstar 361 und Massaka aus Berlin und ihr Label Königsrasse: Ein Spiel mit Symbolen Aus Kreuzberg und dem Umfeld von Killa Hakan mit seinen 36boys sind auch die Rapper Monstar 361 und Massaka hervorgegangen. Sie verwenden eine harte, düstere Sprache, wobei sie nicht mit dem Battle-Rap von Kool Savaş oder dem üblichen Gangsta-Rap zu vergleichen sind. Monstar betont in einem Interview von www.rap.de:

kak“ (Bezirk, Bezirk, Straße), 2007 das Album „Kreuzberg City“, 2008 das gemeinsame mit Ceza produzierte Album „Bomba Plak“. 2009 folgte das Album „Volume Maximum“, 2012 das Album „Orijinal“ und schließlich 2014 das Album „Son Mohakan“.

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„Wir wollen niemals mit Gangsterrap oder so einem Scheiß in Verbindung gebracht werden, denn Massaka zeigt euch was ganz anderes. Massaka ist neu und echt. Wir haben etwas Neues aus Berlin-Kreuzberg erschaffen mit dem Namen Königsrasse.“22

Den Namen Königsrasse verwendeten sie in ihrem ersten Videoclip und nannten ihr Label in der Folge ebenso. Ihr Rap wird im Internet als Psychedelic oder auch als Gothic kategorisiert. Obwohl sie in ihrer Selbstpräsentation klaren Bezug zu Kreuzberg und der Straße nehmen, sind ihre Texte vor allem metaphorisch gehalten. Ihre Texte thematisieren das Düstere, die Macht, den Tod und das eigene tapfere Leiden: „Grelle das Licht, schwarz wie die Nacht, tritt in mein Reich, wenn der Teufel erwacht“23

oder „Hier im Block sind Soldaten tödlich, Köpfe die Straße, mein Rang erhöht sich, Kreuzberg ist der Ort, wo die Brut wächst, der Horizont verdunkelt bei meinem Album, Blut schmeckst, bin bereit, mein Schmerz ist verschwunden, schlitze meine Arme auf und lecke meine Wunden“24.

Düster sind auch ihre Videoclips, die teilweise in Schwarzweiß gedreht sind. Klassische orientalische oder türkisch-nationalistische Ästhetik beziehungsweise Symbolik ist hier nicht vorhanden. Der Einfluss der Arabesk-Kultur ist dennoch unverkennbar: Die betonte Auseinandersetzung mit dem Tod, eine Art Todessehnsucht25, emotionale, das Leid beschreibende Texte, sich selbst Schmerzen zufügen, sich aufschlitzen und Rasierklingen – ein selbstzerstörerischer Kult, der insbesondere mit dem Arabesk-Sänger Müslüm Gürses verbunden ist. Bei diesen Rappern vermischt sich HipHop/Gangster-Stil mit der Gothic-Ästhetik und einer Arabesk-Kultur, sich selbst Schmerz zuzufügen. Sowohl im Booklet von „Blutbeton II“ als auch in den Video-Clips werden so disparate Symbole wie Rasierklingen, Pistolen, Comic-Zeichnungen, Blut, Friedhöfe, Garagen, Ruinen und Graffiti kombiniert. Mit provokantem Verweis auf die Neonazi-Szene nennen sie ihr in Frakturschrift geschriebenes Label „Königsrasse“. Diese Schrift ist zwar ein Merkmal 22 Rap.de (Hrsg., 2007): Interview mit Massaka36. Kreuzberger Blutbeton, vom 19.07.2007, im Internet. 23 Aus dem Song Dornenreich im Album „Dämmerung“, erschienen 2010. 24 Song „Das Kartell“. 25 Zur Todessehnsucht in der Arabesk-Kultur siehe Güngör (1993:186ff.).

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verschiedener subkultureller Stile wie Gangsta-Rap, Hardcore und Gothic, doch wird sie im Booklet nicht nur im Sinne des Gothic als „Grabaufschrift“ verwendet. Der Name „Königsrasse“ in Frakturschrift wird vielmehr im Videoclip „36 Clan“ (Album „Blutbeton II“) genutzt, um nicht nur die Bezirkszugehörigkeit zu Kreuzberg 36 zu betonen, sondern auch die Überlegenheit gegenüber den Neonazis zu bekunden. Die in der HipHop-Kultur weit verbreitete Frakturschrift erhält in diesem Kontext eine provozierende politische Aussage und verdeutlicht das seit dem Millennium aufkommende, bewusst oder auch unbewusst eingesetzte Spiel mit Werten, Zugehörigkeiten und politischen Statements. Der besagte Videoclip zeigt die „Jungs“ aus Kreuzberg in starken, Macht ausdrückenden und bedrohlich wirkenden Posen und Blicken. Sie tragen Tätowierungen des Labelsymbols „Königsrasse“ und T-Shirts mit dem Aufdruck „36 Clan“ in Frakturschrift. Der Song ist ein Kampflied gegen Nazis, in dem Monstar rappt: „Wir sind Königsrasse, fick auf die Nazis“. Der Song ist zwar überwiegend in deutscher Sprache gehalten, doch die Stelle, in der der Zusammenhalt des Kreuzberger Clans betont wird, ist in türkischer Sprache verfasst: „Türk yada Kurmancı

Ein Türke oder ein Kurmancı

Laz yada Çerkez

Ein Laze oder ein Tscherkesse

Yada Arabi

Oder auch ein Araber

Şii yada Sunni yada Alevi

Schiite oder ein Sunnite oder ein Alevite

Senin derdin versa, (…) söyle neyki

Wenn du ein Problem hast (…) dann sag, was für eins“

Auch Monstar 361 und Massaka arbeiteten mit Ceza und Dr. Fuchs zusammen, den Pionieren der türkischen Rap-Musik in Istanbul. Der Videoclip „Soğuk mevsim“ ist in dunkel gehaltenen türkischen Straßen vermutlich in Istanbul gedreht worden. Auf türkisch-nationalistische Parolen wird hier verzichtet, doch im Interview bei www.Rap.de redet Murdoc, der sich inzwischen Massaka nennt, von seinen Volksleuten aus Kreuzberg und bezeichnet Killa Hakan und Ceza als seine und Monstars Brüder26. 2014 erweiterte Massaka von Izmir aus seine transnationale Arbeit und veröffentlichte den Song Hodri Meydan (Herausforderung) zusammen mit Kodes (Gefängnisstrafe). Während Ceza und Dr. Fuchs ganz andere Stile verfolgen, ähneln sich Kodes und Massaka stilistisch, denn auch Kodes betont auf bedrohliche Art und Weise seine Zugehörigkeit zu einem Ghetto, zur Straße und der Bereitschaft zu kämpfen.

26 Rap.de (Hrsg., 2007): Interview mit Massaka36. Kreuzberger Blutbeton, vom 19.07.2007, im Internet.

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Alpa Gun – ein bekannter Rapper aus Schöneberg Alpa Gun gehört zu den bekannteren Rappern aus Berlin. Mit seinen Freunden aus der Schöneberger Steinmetzstraße gründete Alpa Gun die Rap-Crew AK (Außer Kontrolle). Zum professionellen Rapper mit hohem Bekanntheitsgrad konnte Alpa Gun unter anderem durch seine Freundschaft mit Sido werden. Alpa Gun war Mitglied des Labels Sektenmuzik27, das Sido zusammen mit B-Tight gegründet hatte28. Neben seiner musikalischen Karriere betätigte sich Alpa Gun als Schauspieler im Film „Blutzbrüdaz“ und in der ZDF-Serie „Verbrechen“. Unter AlpaGunTV veröffentlicht er über YouTube Interviews mit verschiedenen Personen, nicht nur aus der Rap-Szene. Gerade in der Anfangszeit seiner Karriere stellte Alpa Gun sein Aufwachsen im tendenziell eher rauen Schöneberger Norden, seine Straßenvergangenheit und kriminellen Erfahrungen in den Vordergrund seiner Selbstpräsentation. Aufgewachsen ist Alpa Gun in der Schöneberger Steinmetzstraße. Diese Straße wurde in den 1970er Jahren im Zuge der Kahlschlagsanierung in eine Fußgängerzone umgestaltet. Die Familien aus den umliegenden Gebieten, deren Häuser saniert werden sollten, zogen hier ein. Die autofreie Zone wie auch die angelegten Höfe ermöglichten den Kindern oft unterschiedlicher Herkunft ein freies, multikulturelles Aufwachsen. Dies führte bei vielen Kiezbewohnern zur Identifikation mit dieser Straße. Die unmittelbare Nähe zur parallel verlaufenden Potsdamer Straße, dem Zentrum für Drogen und Prostitution und der verstärkte Zuzug sozial schwächerer Familien verwandelten die Steinmetzstraße jedoch im Laufe der 1990er Jahre in einen Ort mit hoher Kriminalitätsrate. Die prägenden Erfahrungen in diesem Umfeld stehen in seiner von Alpa Gun selbst veröffentlichten Biographie im Internet an oberster Stelle und tragen zu seiner Selbststilisierung bei: „Der Asphalt ist hart. Und so sind die Menschen. Vielleicht noch härter. Berlin. Schöneberg. Steinmetzstraße. Ghetto. Wirst du hier groß, Caney29, gibt’s zwei Wege, die du einschlagen kannst. Hartz IV. oder Drogen. Die meisten entscheiden sich für beide.“30

27 Zur Entstehungs-Geschichte dieses Labels siehe Feige & Sido (2009). 28 Auf diesem Label veröffentlichte er 2007 sein erstes Soloalbum „Geladen und entsichert“. Sein zweites Soloalbum „Almancı“ kam 2010 bei Universal und das dritte Album mit dem Titel „Ehrensache“ 2012 bei Major Movez heraus, im April 2013 seine CD „Alles kommt zurück“. 29 Caney kann hier als „mein Freund“ übersetzt werden. 30 AlpaGun (Hrsg.) im Internet. Kurze Zeit später wurde der letzte Satz gestrichen. Inzwischen (Juni 2013) wurde diese Seite völlig neu gestaltet und diese Beschreibung der Gegend herausgenommen.

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In dieser von ihm als Ghetto kategorisierten Umgebung ist Rap für ihn eine Art Waffe: „Ich wollte viele Sachen loswerden, was Leute nicht sehen, was auf der Straße passiert. Und das war dann für mich halt so die Waffe, die ich benutzen kann. Mit Wörtern mich zu verteidigen oder den Leuten ein Message zu geben.“31

Seine lokale Zugehörigkeit ist eindeutig das ehemalige Schöneberg 30 und die Steinmetzstraße. In seinen früheren Videoclips verwendete er in erster Linie den sogenannten „Sozialpalast“ als Kulisse, ein architektonisch auffälliges, über die Straße gebautes Hochhaus in der Schöneberger Pallasstraße. Viele seiner Songs handeln einerseits von zwischenmenschlichen Enttäuschungen, die er in Schöneberg erfahren hat, andererseits aber auch von Stolz und Identifikation mit diesem Ort. Ebenso von Bedeutung ist die Darstellung seiner gesellschaftlichen Position im Hinblick auf seine türkische Herkunft. Alpa Gun bezeichnet sich als Deutscher mit Migrationshintergrund32. Obwohl er seine türkische Herkunft thematisiert, betont er in einem Interview 2012 der Sendung Oriental Night auch sein multikulturelles Umfeld und die Facetten seiner Selbstpositionierungen: „Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen als Türke, meine Wurzeln sind natürlich türkisch, ich hab türkisches Blut, aber ich seh’ mich jetzt nicht so türkisch deutsch, deutsch türkisch, ich hab genauso viele deutsche Freunde wie türkische Freunde, oder arabische oder kurdische, weißt du, ich bin genau in diesem Kreis Multikulti, also ich seh’ mich nicht immer als so fremd, also da habe ich mehr Probleme in meiner eigenen Heimat. Da sieht man mich eher als Deutscher, nicht mal als Türke, das ist mein Problem. Deswegen kann ich auch nicht sagen, ob da meine Heimat ist oder hier. Ich würde sagen, hier ist meine Heimat, weil ich hier geboren und aufgewachsen bin. Nach deutschem System.“33

In seinem Song Almanya, der 2012 im Album „Ehrensache“ veröffentlicht wurde, thematisiert er die Situation der türkischen Einwanderer und ihrer Kinder. Dieser Song beginnt mit den ersten Takten der türkischen Nationalhymne. Im Text geht es zum einem um die Einstellung und Erfahrungen der ersten Genera-

31 Alpa Gun im Interview in der Sendung Oriental Night, gesendet am 15.4.2012 im Kanal TVB. 32 Interview in der Sendung Oriental Night, gesendet am 15.4.2012 im Kanal TVB. 33 Interview in der Sendung Oriental Night, gesendet am 15.4.2012 im Kanal TVB.

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tion türkischer Migranten und zum anderen darum, wie er die jüngeren Generationen sieht: Die dritte Generation ist multikulturell Mit Hasan machst du schnelles Geld und Cem ist intellektuell Redet besser Deutsch als seine eigene Muttersprache Doch ist ihnen egal, sie seh’n doch nur die dunklen Haare Fatma legt ihr Kopftuch ab, denn das passt nicht zu ihrem Outfit Miniröcke und Oberteile mit tiefem Ausschnitt Sie ist verwirrt mit ihr’m Glauben und den westlichen Werten Sie hat Sex mit dem ersten und das schon vor der Ehe Wo liegt das Problem? Wir passen uns doch den ander’n an Genau wie Nuri Şahin, Mesut Özil oder Alpa Gun Ich bin seit Anfang an hier und ende als alter Mann Ach Almanya, ach Deutschland, Deutschland34

Das Booklet der 2010 erschienenen CD „Almancı“ steht exemplarisch für die visuelle Darstellung seiner gesellschaftlichen Positionierung. Alpa Gun lässt sich hier mit einem roten Türkei-T-Shirt vor einer riesigen deutschen Fahne ablichten. Im Song „Almancı“ rappt er: „Sogar als Türke trag ich gerne ein Deutschland-Trikot.“35 Türkisches Blut oder Heimat sind weiterhin unter Jugendlichen mit türkischer Herkunft persönliche Identitätsmarker, jedoch nun auch gleichgestellt mit der Zugehörigkeit zu Deutschland. Die Verwendung der stigmatisierenden Kategorie Almancı (siehe auch Kapitel 6.2.4) zeugt von dem Bewusstsein einer besonderen Stellung sowohl in der Türkei, als auch in Deutschland: ein Bewusstsein, das auf transnationalen Erlebnissen beruht. Der spielerische und situationsbedingte Umgang mit der ethnischen Identität kommt in dem erwähnten Album „Almancı“ auch auf der sprachlichen Ebene zum Ausdruck, wenn Sido im Song „Sor bir bana“ auf Türkisch rappt und Alpa Gun auf Deutsch. Mal bezeichnet Alpa Gun sich als Türke, mal als Deutscher, mal als Almancı, je nach Kontext. Mal ist Deutschland seine Heimat, mal benutzt er den Begriff „unser Land“ für die Türkei.

34 Rapgenius.com 2014 (Hrsg.): Alpa Gun: Almanya Songtext, im Internet. 35 Dieser Umgang mit der deutschen Fahne und die Betonung der türkischen Herkunft konnten in diesen Jahren bei zahlreichen Jugendlichen türkischer Herkunft auch bei Fußballspielen beobachtet werden, wenn sie große Deutschlandfahnen mit sich trugen und gleichzeitig „Türkiye, Türkiye“ riefen.

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In seinem 2014 erschienen 5. Album CD dagegen fehlen die vormals verwendeten deutschen und türkischen nationalen Symbole. Der Titel „Geboren, um zu Sterben“ kann als Hinweis gesehen werden, dass er nun als zweifacher Vater einen neuen Lebensabschnitt begonnen hat und vermehrt über das Leben und den Tod nachdenkt36. Trotz des ernsten Titels zeugt dieses Album von seinen vielfältigen Seiten. Zwischenmenschliche Enttäuschungen ziehen sich wie ein roter Faden durch all seine Alben, ebenso die Erfahrungen vom Leben auf der Straße, das in diesem Album teils als in der Vergangenheit abgeschlossene Phase präsentiert wird, teils spielt Alpha Gun dennoch die Rolle eines Gangsters, so z.B. im Song „Lass ma“, wenn er im Hook rappt: Junge, heute gibt es Schellen, diese Kombo f***t die Welt Berlin, Emmertsgrund, Frankfurt, multikriminell

Dabei entsteht ein Spiel von Selbst-Positionierungen unterschiedlicherster Facetten, die sein Aufwachsen in Berlin-Schöneberg widerspiegeln. Im Gegensatz zu den Rap-Stücken der Deutschtürken in den 1990er Jahren enthalten Alpa Guns eigene Songs kaum noch orientalische Elemente und sind zudem gewöhnlich in deutscher Sprache abgefasst. Der Song „Annam için“, den er in seinem ersten Album „Geladen und entsichert“ seiner Mutter widmete, gehört zu den wenigen Ausnahmen. Hier beschreibt er das Leid seiner Mutter als Ehefrau und Gastarbeiterin, die Tapferkeit und Güte, mit der sie ihr Schicksal ertragen hat. Es ist ein sehr emotionaler Song voller Dankbarkeit. In diesem Song verwendet er musikalische Samples des türkischen Sängers Ahmet Kaya. Der „Song Macho Türke“ im Album „Geboren, um zu Sterben“ gehört ebenso zu den wenigen Ausnahmen, in die er türkische Musik eingebaut hat. In dem Text stellt er sich und Mustafa Alin – ein Star der Fernsehserie „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“, der in diesem Song gefeatured wird – als die klassischen türkischen Proto-Machos dar. Der Hook (Refrain) ist die Melodie des alten, überaus populären Volkslieds „Ben sana yandım Zühtü“ des Volkssängers Ali Riza Gündoğdu. Die Zugehörigkeit zu Deutschland erwähnt er allerdings nicht unkritisch. Eigene Erfahrungen mit Rassismus sind wiederholt ein wichtiges Thema für Alpa Gun. Der Song „Bevor ich geh“ in seinem 2012 erschienenen Soloalbum „Ehrensache“ ist ein Beispiel hierfür. Im Videoclip wird ein rassistischer Mord an einem Gemüsehändler dargestellt, der an die NSU-Morde erinnert. Das Bedürfnis, diesen Song zu schreiben, entstand in dem Moment, als er selber von einem Neonazi mit einem Messer verletzt wurde und nicht wusste, ob er überleben 36 Siehe Interview mit Alpa Gun in der Sendung Oriental Night, ausgestrahlt am 17.09.2014 bei TVBerlin.

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würde. Im gleichen Album geht er dann gemeinsam mit Fler im Song „Sind wir nicht alle ein bisschen …“ selbstkritisch mit dem Thema Rassismus um. Während Alpa Gun sich an den umstrittenen Berliner Politiker Sarazzin wendet und über den deutschen Rassismus rappt, rappt Fler hier über den Rassismus gegenüber den Deutschen. Der Refrain, bei Rappern auch Hook genannt, lautet schließlich folgendermaßen: „Sind wir nicht alle ein bisschen Sarazzin Sie sagen scheiß Kartoffel, sie sagen scheiß Kanaken Sind wir nicht alle ein bisschen Sarazzin Doch wir leben hier gemeinsam unter einer Flagge.“37

Alpa Gun präsentiert sich damit als einen Menschen, den auch Humor und Selbstironie auszeichnen, was unter anderem in seinem 2014 erschienen Clip „Ich und meine Glatze“ zum Ausdruck kommt, wenn er rappt: Hallo allerseits, Tachschen oder Merhaba Ich bin’s euer bester Freund, Alpa Gun der kel kafa (Anm. Glatzkopf) Ihr macht euch lustig über mich und meine Frisur Doch sind wir ehrlich, so passt sie perfekt zu der Figur38

Die bei Auftritten und Interviews zu beobachtende Gestik und die Art zu sprechen zeugen von einem multikulturellen Umfeld, in dem Härte und Humor kombiniert vorkommen. Killa Hakan und noch mehr Alpa Gun, Monstar 361 und Massaka können als Beispiele für eine kaum klassifizierbare Form der Bricolage verstanden werden. Sie kombinieren unterschiedliche Stile und entwickeln einen eigenen, ihrem persönlichen Lebensgefühl entsprechenden Rapstil. Als Rap-Musik nach 2000 in der Türkei populärer wurde, verlegten einzelne deutschtürkische Rapper aus Berlin ihre Aktivitäten in die Türkei, teilweise zogen sie vorübergehend oder sogar ganz nach Istanbul. Ihre Zugehörigkeit zu Deutschland, Berlin oder einem Bezirk in Westberlin repräsentieren sie in Istanbul auf verschiedene Weise. Im Folgenden möchte ich auf die Entwicklung der türkischen Rap-Musik in der Türkei eingehen und skizzieren, in welcher Form türkische wie auch einzelne deutschtürkische Rapper ihren Handlungsspielraum auf der transnationalen 37 SongtexteMania 2014 (Hrsg.): Alpa Gun: Sind wir nicht alle ein bisschen… , im Internet. 38 Rapgenius.de 2014 (Hrsg.): Alpa Gun: Ich und meine Glatze, im Internet.

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Ebene erweitert haben. Darüber hinaus werde ich aufzeigen wie sich Rap-Musik in der Türkei nach dem Millennium verändert hat und welche vielfältigen Stilvermischungen sich entwickelt haben.

8.3 T ÜRKISCHER R AP IN I STANBUL NACH 2000 Aufgrund des Erfolges von Cartel und infolge der Aktivitäten junger Deutschtürken galt Rap-Musik noch 2000 als die Musik der „Almancı“ und US-amerikanischer Schwarzer, die gegen ihre Unterdrückung protestierten („başkaldırı“). Zudem erhielt türkische Rap-Musik durch den Erfolg von Cartel bei türkischen Nationalisten ein rechtes nationalistisches Image. Das damit verbundene Abgrenzungsverhalten seitens der Gesellschaft wurde im Kapitel 6.2.3 besprochen. Wie bereits erwähnt, war die korrekte Beherrschung der türkischen Sprache in der Türkei ein wichtiges Distinktionsmerkmal gegenüber Deutschtürken. Dieses Distinktionsmerkmal verwendeten auch türkische Rapper in Istanbul, um gegenüber Deutschtürken eine überlegene Position zu beziehen und türkische Rap-Musik für sich zu beanspruchen. Gleichzeitig ahmten einige die grobe Sprache von Cartel nach und stießen damit auf Ablehnung seitens der türkischen Gesellschaft. Dieses Spannungsverhältnis wurde im Hauptteil des Buches empirisch erfasst. 8.3.1 Eminem, Ceza und Sagopa Kajmer werden populär Nach 2000 änderte sich in der Türkei das Image der Rap-Musik. Der weltweite Erfolg des weißen US-amerikanischen Rappers Eminem erreichte Ende 2000 mit dem Album „The Marshall Mathers“ auch die Türkei und eroberte auch mit folgenden Veröffentlichungen in den nächsten Jahren die oberen Plätze der türkischen Charts. Mit Eminem wurde Rap-Musik „weiß“, das Image war nicht mehr ausschließlich mit einer ethnisch und sozial unterdrückten Minderheit verbunden. Und Rap-Musik wurde türkisch. Rapper in Istanbul wie Ceza, Dr. Fuchs und Yunus Özyavuz/Sagopa Kajmer professionalisierten sich und entwickelten ihre eigenen Stile. Ceza und Dr. Fuchs brachten 2001 unter dem Namen Nefret das Album „Anahtar“ heraus, dessen Sprachstil zwar noch an Cartel erinnert, sich aber musikalisch erheblich unterschied, denn es fehlten die orientalischen Melodien. Produziert wurde das Album von Sirhot39, der nach einem längeren

39 Der in Ankara geborene Sirhot lebte zwischendurch 5 Jahre in Deutschland. Mit 19 Jahren verließ er Istanbul und lebte 7 Jahre in den USA, bis er 2000 nach Istanbul zurückkehrte. Siehe auch Jöntürk (2003:202ff.).

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Aufenthalt in den USA das Rap-Studio Digital Mix in Istanbul gegründet hatte. Features mit den Berliner Rappern Bektaş und Erci E. zeugten weiterhin von transnationalen Beziehungen der Istanbuler Rap-Musik. Die transnationale Dimension türkischer Rap-Musik wird auch im 2001 erschienenen Sammelalbum „Yeraltı Operasyonu 2“ deutlich. Hier, wie auch im „Vol. 1“, veröffentlichten Rapper aus der Türkei ihre Songs gemeinsam mit deutschtürkischen Künstlern wie Volkan, Islamic Force, Sultan Tunç und DJ Mahmut. Im gleichen Jahr kam das Album „Kendi Dünyam“ der Berliner Rapperin Aziza A. in Istanbul heraus. Als Kommunikationsbasis und Informationsquelle der immer dichter werdenden transnationalen HipHop-Gemeinde dienten nach 2000 vor allem zwei bedeutende HipHop-Internetseiten. In der ersten Hälfte der 2010er Jahre war dies die deutschtürkische Seite suikast.de40, und ab der zweiten Hälfte bis heute die Seite HipHoplife.com.tr. Laut Ulaş Dermiröz, dem Urheber der Seite HipHoplife.com.tr und ehemaligem Mitarbeiter von suikast.de, soll suikast.de auf Platz 60 der meistbesuchten Internetseiten in der Türkei gestanden haben. Einen eigenen Weg, unabhängig von transnationaler Zusammenarbeit, ging der türkische Rapper Yunus Özyavuz, der später als Sagopa Kajmer bekannt wurde. Er veröffentlichte zunächst unter dem Namen „Silahsız kuvvet“ (Kraft ohne Gewehr) die Alben „Sözlerim silahım“ („Meine Worte sind mein Gewehr“) und „Ihtiyar Heyeti“ („Das Dorfkommitee“). Ab 2002 folgten unter dem Namen „Sagopa Kajmer“ weitere zahlreiche erfolgreiche Alben – teils im Internet, teils offiziell als CD. Mit seinen Rückgriffen auf osmanische und persische Begriffe in Texten, in denen er vor allem Leid, Enttäuschung und Ungerechtigkeit ausdrückt, prägt Sagopa Kajmer nun einen neuen, vornehmlich melancholischen Rap-Stil, den er selbst Pesimist-Rap nannte. Diesen Stil visualisiert er auf den CD-Covern und Booklets durch schwarz-graue, traumähnliche Fantasie-Motive, wie beispielsweise im Album Romantizma, Kafile, Saydam Odalar oder İkimizi anlatan Şey und auch in seinen Videoclips. Im Jahr 2002 veröffentlichte er das erste Soloalbum von Ceza „Med Cezir“ (Flut und Ebbe). Nach 2000 wuchs nun auch der Bekanntheitsgrad von Ceza. Mit Auftritten bei Rock-Festivals und gemeinsamen Veröffentlichungen mit türkischen Musikern außerhalb der Rap-Szene überschritt er subkulturelle Grenzen. Der langersehnte breitere Erfolg von türkischer Rap-Musik in der Türkei verwirklichte sich schließlich 2004, als Ceza das Album „Rap-Star“ herausbrachte und tatsächlich über die Gemeinde der HipHop-Begeisterten hinaus ein türkischer Rap-Star 40 Suikast bedeutet im Türkischen Attentat. Laut dem Gründer Özcan verwendeten sie diesen Namen, weil sie damit ein Attentat auf geistlose Musik („anlamsız müziklere suikast“) ausdrücken wollten (Erdener und Özcan in Jöntürk 2003:182).

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wurde. Das Album verkaufte sich laut der eigenen Internetseite von Ceza41 150.000-mal, eine beträchtliche Zahl, wenn man die übliche Verbreitung von Raubkopien in der Türkei mit in Betracht zieht. Cezas Markenzeichen ist es, besonders schnell und deutlich zu rappen – ein Stil, der in Amerika „chopper“ genannt, in der Türkei dagegen als „flex“ bezeichnet wird. Viele Nachahmer übten sich nun darin, in schnellem Tempo zu rappen, und so entstand das nach wie vor verbreitete Image, Rap-Musik sei vor allem ein schnell gesprochener Text. Somit bleibt Ceza vielleicht die schillerndste stilprägendste Persönlichkeit der türkischsprachigen Rap-Musik. Sein Ende 2012 erschienener Song „Türk Marşı“, ein Rap auf das Klavierstück „Rondo alla Turca“ (Klaviersonate Nr. 11) von Mozart, erregte breites mediales Interesse in der Türkei. Auch außerhalb der Türkei erhält er Anerkennung, wie beispielsweise durch das Feature in dem Song „Worldwide Choppers“ (2011) des amerikanischen Rappers Tech9ne. 2008 leitete Ceza im Berliner Theater „Hebbel am Ufer“ Rap-Workshops und arbeitete mit unterschiedlichen Rappern in Deutschland zusammen. In den Jahren seiner aufsteigenden Karriere wurde Ceza des Öfteren mit einem rechten Image konfrontiert, das er durch den Song „Vatan“ („Vaterland“) erhalten hatte. Er betonte stets seine Unabhängigkeit, so zum Beispiel in einem Interview mit Aktüel (2005, im Internet) auf die Frage nach seiner politischen Einstellung: „Ich habe natürlich eine Ideologie und eine politische Meinung, aber ich möchte das nicht mit meiner Musik vermischen. (…) Ich gebe meine wahren Gefühle in meiner Musik wieder. Jeder kann das so interpretieren, wie er es möchte. Letztendlich denken wir demokratisch. (…) Ich denke eher individualistisch und oppositionell. Ich möchte nicht Rechte und Linke trennen. Wenn du schaust, dann sprechen wir mehr die Linken an. Weil das freiheitliche Denken ist mehr auf dieser Seite. Aber ich wiederhole: Wir sind absolut unabhängig“ [Anm.: Übersetzung durch die Autorin].

Darauf verweisend, dass er im multikulturellen Stadteil Üsküdar aufgewachsen ist, in dem er Kontakt zu Menschen unterschiedlicher Herkunft hatte, auch zu vielen Christen, distanziert sich Ceza in einem weiteren Fernsehinterview eindeutig vom nationalistischen oder gar faschistischen Denken42. Wie bereits erwähnt veröffentlichte Ceza 2006 den Song „Önce Kendine Bak“, in dem er sich mit dem Thema Terrorismus auseinandersetzt, allerdings mit der Betonung seiner Toleranz und Zusammenhalt mit Menschen unterschiedlicher Herkunft:

41 Ceza.com o.J. (Hrsg.): Offizielle Website, im Internet. 42 Dokumentarfilm CNN Türk Hip-Hop Belgeseli, Teil 2.

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„Türk yada kürt, alevi yada sünni, laz yada çerkez, fener yada cimbom, biz puzzle’ız, biz anadolu’yuz, biz bölünemeyiz, bak bu plaka yerli, ermeni, rum komşumda çoktur ama aramızda hiçbir problem yoktur, politikada savaş olsa bile geçinip gideriz bize göre hava hoştur, bizde akıl var benim gibi düşünen çok, bizi bölmek isteyen var, bizi bölebilecek olan yok, bizi gömmek isteyen varsa bu imkansız, biz birlikle özgürlüğün tadını almış bir toplumun torunuyuz, yaşasın barış, yaşasın özgürlük“43 „Türke oder Kurde, Alevit oder Sunnit, Laz oder Tscherkese, Fener [Anm. der Autorin: Istanbuler Fußballmannschaft] oder Cimbom [Anm. der Autorin: bekannter Fußballspieler], wir sind ein Puzzle, wir sind Anatolien, uns kann man nicht trennen. Schau, das Kennzeichen ist einheimisch. Ich habe viele armenische und griechische Nachbarn, aber wir haben keine Probleme. Auch wenn es in der Politik Kriege geben sollte, wir kümmern uns nicht darum. Wir haben Hirn, und es gibt viele, die so denken wie ich. Es gibt Menschen, die uns trennen wollen, aber keinen, der es schafft. Wenn es jemanden gibt, der uns begraben möchte, der schafft es nicht. Wir sind die Enkel des Volkes, die Freiheit genossen haben. Es lebe der Frieden, es lebe die Freiheit.“44

Seine Sprache und die Betonung der ethnischen Vielfalt in diesem Text stehen dem Song „Vatan“ diametral entgegen, den er Ende der 1990er Jahre produziert hatte. Sein Image und generell das Image von Rap-Musik hatte sich gewandelt. Mitte der 2000er Jahre wurden Ceza und der Rapper und Produzent Sagopa Kajmer (Yunus Özyavuz) die führenden Vertreter türkischer Rap-Musik. Cartel hatten inzwischen bereits den Ruf einer Legende. Diese neue Ära der türkischen Rap-Musik bezeichnet Karakurluk nun als New School – eine Kategorisierung in Anlehnung an die US-amerikanische HipHop-Geschichte und ihrer Trennung in Old und New School (2012:14, im Internet). Kommerzialisierung Mit wachsendem öffentlichem Interesse an türkischer Rap-Musik zog Fuat 2004 von Berlin nach Istanbul. Zwar war Fuat in Berlin innerhalb der deutschen RapSzene ein geschätzter und respektierter Akteur, doch der Wunsch, von seinen Hörern auch inhaltlich verstanden zu werden, bewog ihn zu dieser Entscheidung45. Ziel türkischer und deutschtürkischer Rapper wie Fuat war es, die Musik in der Türkei zu verbreiten. Wie es allerdings generell für Subkulturen in westlichen Ländern charakteristisch ist, stellte nun auch in der Türkei die Popularität 43 Text aus sarkisozleri.sitesi.web.tr (Hrsg. 2014), im Internet. 44 Song „Önce Kendine Bak“, Ceza 2006, Album „Yerli plaka“) [Anm.: Übersetzung durch die Autorin]. 45 Rap-Basis (Hrsg. 2012): Interview: Fuat antwortet, im Internet.

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einzelner Rapper und die Kommerzialisierung der Musik die Werte innerhalb der HipHop-Szene infrage. Obwohl sich Ceza vormals in seinen Rap-Texten und im persönlichen Interview radikal von der türkischen Pop-Kultur abgegrenzt hatte (siehe Kapitel 5.2.4), rappte er nun in einem Liebeslied der türkischen PopSängerin Burcu Güneş, welches weder hinsichtlich seines Musik-Stils noch bezüglich der Strand-Aufnahmen im Video-Clip den ursprünglichen Werten der HipHop-Kultur entsprach. Der Song „Şehir“ mit der Pop-Sängerin Candan Erçetin dagegen ist eine Art Synthese von Pop und Rap, die schon eher dem Stil von Ceza entsprach. In „Şehir“ werden die negativen Seiten der Verstädterung und die dazu widersprüchliche emotionale Bindung an Istanbul zum Ausdruck gebracht, ähnlich wie in seinen früheren Rap-Texten. Die Zusammenarbeit mit Pop-Künstlern führte zu harscher Kritik seitens der Underground-Rapper, mit der Begründung, dass Rap-Musik dadurch kommerzialisiert würde (piyasa/ Markt). Zudem bauten nun auch Pop-Stars Rap-Einlagen in ihre Lieder ein. Obgleich noch Ende der 1990er Jahre radikal abgelehnt, sollte gerade die Zusammenarbeit mit Pop-Stars türkischen Rappern den Weg zu größerer Popularität ebnen. In einem Interview meint Ceza rückblickend, dass er durch die Zusammenarbeit mit Pop-Stars auch ältere Menschen – und zwar insbesondere die Eltern seiner jugendlichen Fans – erreicht hat, die nun Rap-Musik nicht mehr ablehnten46. Vormals deutliche Grenzen zwischen Pop und Rap, zwischen Underground und Kommerz verschwammen, wodurch das subkulturelle Kapital der Rapper in stärkerem Maße infrage gestellt wurde. Besonders negativ wurden in der Rap-Szene die Auftritte einzelner Rapper in der Werbebranche aufgenommen. Die türkische Werbung hatte Rap-Musik für sich entdeckt, weil sie junge und in der Regel konsumfreudige Menschen anspricht und zudem innerhalb weniger Sekunden Werbebotschaften präsentieren kann: ein klarer Vorteil angesichts hoher Werbungskosten im Fernsehen47. Kontrovers wurde der Auftritt von Ceza und Fuat in einer Lutscher-Werbung für die Firma Rocco aufgenommen und auch eine Werbung für World Card, an dem Fuat neben der Pop-Sängerin Pamela rappte, stellte ursprüngliche Authentizitätskriterien der türkischen Underground-Szene infrage. Nachdem der Rapper Ogeday die Musik für eine besonders populäre Werbung für die Extra Card des Mobilfunknetzanbieters Aria48 und auch für andere Produkte produzierte und schließ-

46 Fernsehdokumentation Turkish HipHop von Cengiz Özkarabekir. 47 Siehe hierzu Akyol in Milliyet Internet (2002): Cumartesi: Reklamlarda RAP, im Internet. 48 Siehe hierzu Akyol in Milliyet Internet (2002): Cumartesi: Reklamlarda RAP, im Internet.

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lich ein Album für einen größeren Markt herausgab, wurde er mit negativen Reaktionen aus der HipHop-Szene konfrontiert. Wie andere Rapper auch rechtfertigte er seine Vorgehensweise in einem Interview bei Blue Jean damit, dass er die HipHop-Kultur in der Türkei verbreiten wolle: „Ich halte die Reaktionen eigentlich für falsch. Ich habe im Gemeinsinn gehandelt, um türkische Rap-Musik zu verbreiten. Damit in der Türkei Rap-Musik einer breiteren Masse zugänglich wird, musste es ein Sound sein, der alle anspricht. Alle profitieren nun von der Tür, die ich geöffnet habe. Als ich noch nicht Ogeday war, also in der Zeit von Respotrap [Anm. d. Autorin: eine ehemalige Rap-Gruppe] konnte ich nicht im Fernsehen auftreten. Türkischer Rap war noch nicht in dieser Lage.“ (Ogeday im Blue Jean 9/2006)49

Der HipHop-Pionier und Journalist Tunç Dindaş machte in der Zeitung Hürriyet darauf aufmerksam, dass einzelne Rapper inzwischen in Feldern aktiv sind, die sie zuvor radikal abgelehnt haben, um berühmt zu werden oder Geld zu verdienen. Er kommt allerdings zu dem Schluss, dass sie dennoch weiterhin den wahren Geist der HipHop-Kultur ausleben („gerçek rap ruhu yaşıyor“) (Dindaş 2005, im Internet). In den Jahren 2004 bis 2007 war nun US-amerikanische und türkische RapMusik in der Türkei so populär geworden, dass Zeitungen und Zeitschriften über Rap-Stars mit Schlagzeilen und Fotos auf ihren Titelblättern berichteten. Im Radio und Fernsehen wurde Rap-Musik in die Musikprogramme aufgenommen. Sagopa Kajmer produzierte einige Songs für den überaus erfolgreichen türkischen Science-Fiction-Film G.O.R.A., während Ceza und Fuat einen Song für den türkischen Film „Pardon“ lieferten. Ganz im Gegensatz zur Situation Ende der 1990er Jahre forderten Betreiber von Diskotheken die DJs nun auf, auch Rap-Musik aufzulegen. Auffällig an der Popularität der türkischen Rap-Musik war die Fokussierung auf wenige Rapper und hier insbesondere auf Ceza. Das englischsprachige Magazin Time out Istanbul schrieb zu dieser Zeit (und ich denke, dass diese Aussage noch heute gültig ist): „When people say ‚HipHop‘ in Turkey, they also say Ceza“ (Time Out 6/2006). Obgleich die Musik von Ceza und Sagopa Kajmer in unterschiedlichen sozialen Milieus gehört wurde, gehörten sie selbst der Mittelschicht an. Beide maßen Bildung einen hohen Wert zu. So verwendete beispielsweise Sagopa Kajmers komplizierte, mit osmanischen und persischen Wörtern gespickte Texte, was auf sein Literaturstudium zurückzuführen ist. Obgleich Ceza zu verstehen

49 Anm.: Übersetzung durch die Autorin.

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gab, dass er nicht viele Bücher, aber dafür sehr gern Enzyklopädien lese, betonte er weiterhin die Bedeutung von Bildung in der Rap-Musik: „Diejenigen, die in diesem Land Rap machen, müssen gebildet (kültürlü) sein. Sie müssen die Universität abgeschlossen haben.“50 Battles, Konflikte, Trennungen und Neuorientierungen Diese Popularität hatte auch ihre Schattenseiten, die sich in Form von Feindschaft, Spaltung und starkem Konkurrenzdenken äußerten und damit langfristig auf die Popularität von Rap-Musik hemmend wirkten. Der Rap-Markt wurde von Cezas schnellem Rap (flex) und Sagopa Kajmers melancholischem Rap geprägt. Jedoch nicht nur der differente Stil sollte die Fans in Ceza-Fans und in Sagopa Kajmer-Fans teilen. Die vormals befreundeten Rapper und Kollegen trugen nach 2003 ihre persönlichen Konflikte sogar an die Öffentlichkeit. Dabei blieb es nicht allein beim „Dissen“51, es gab auch öffentliche, direkte Verbalattacken. Zum Thema Konflikte unter Rappern erzählt beispielsweise Fuat in der Zeitung Milliyet über seine Erfahrungen in Deutschland: „Wenn wir in Deutschland auf die Bühne gegangen sind, haben Rapper, die sich nicht kannten, über die Mütter und Schwestern der anderen geschimpft. Aber dann haben sie umarmt die Bühne verlassen.“52

Fuat brachte seine Erfahrungen mit den Spielregeln des Battle-Rap aus Berlin nach Istanbul. Auch in kommerziellen Sendungen ließ er nicht davon ab, andere hart zu „dissen“. Wie sehr er den Battle-Rap als Ausdrucksform verinnerlicht hat, verdeutlicht die Erzählung des Rappers Shaman von der Rap-Formation Karagah in einem Interview mit Tunç Dindaş in Blue Jean: „Neulich haben wir Fuat getroffen. Wir haben ihm gesagt, dass wir ihn in unserem Album gedisst haben. Und er sagte ‚Oh, das habt ihr sehr schön gemacht. Ich werde auch ein Stück für euch machen, dann sind wir quitt‘.“53

50 Aktüel 2005, im Internet. Übersetzung durch die Autorin. 51 Nach einem Streit auf einem Konzert in Schweden veröffentlichte Ceza im Internet mit dem Song „Mürrekkebi Doldurdum“ ein „Diss“ gegen Sagopa Kajmer und seine Frau Kolera, der von Sagopa Kajmer wiederum in dem über 20-minütigen Song „Disstortion EP“ gegen Ceza beantwortet wurde. Siehe auch Milliyet (Hrsg., 2007) im Internet. 52 Milliyet Internet (Hrsg., 2007): Fuat: „Biz Almanya’da sahneye çıkarken yabancı rap’çiler birbirlerinin analarına, bacılarına küfrederdi. Ama sonra sahneden sarılarak inerlerdi.“

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Nach Fuats Aussagen ist der Battlerap in der Türkei allerdings gescheitert. Dies führt er auf den Stolz und das „Gefühl von Ehre“ der Türken zurück54. So forderte Sagopa Kajmer beispielsweise auf juristischem Weg eine hohe Entschädigungssumme von Ceza, weil dieser ihn und seine Frau Kolera in seinem Rap gedisst hatte. Er rechtfertigte diese juristische Aktion in einer Fernsehsendung: “Kolera ist nun meine Frau und wir sind jetzt eine Familie. Die Beschimpfungen von Ceza gegen mich und meine Frau sind nun eine Sache der Ehre (namus)“55. In dem Dokumentarfilm „Naber Kanka“ weisen mehrere bedeutende Rapper aus Istanbul auf die Unvereinbarkeit des westlichen Battle-Raps mit der türkischen Kultur hin, denn in der Türkei haben Mütter und Schwersten den höchsten Wert und beleidigende Texte verletzen die Ehre (namus) des Sohnes bzw. Bruders. Verbale Attacken im Rap können nicht nur zu juristischen Maßnahmen führen, sondern auch körperlich gewalttätige Reaktionen hervorrufen. So ist der BattleRap in der Türkei ein transglokales Phänomen, das im Lokalen andere Gefühle und Werte verletzt und dadurch auch andere Verhaltensweisen als in Deutschland hervorruft. Fuats Attacken sind ausschließlich verbal. Selbst einen körperlichen Angriff beantwortete er in der Türkei mit einem – wenngleich aggressiv gehaltenen – Rap. Seine offene, auf Provokation abzielende Art, kombiniert mit seiner ausgeprägten sprachlichen Kompetenz, machten ihn neben Ceza und Sagopa Kajmer zu einem der bekanntesten Rapper, wenngleich er aufgrund seiner harten Texte in der Türkei kontrovers beurteilt wird 56. Während Ceza und Fuat ihrem Stil treu blieben und weiterentwickelten, zeugt Yunus Özyavuzs/Sagopa Kajmers Weg von Brüchen. Schon Ende der 1990er Jahre, aber auch nach dem Millennium, arbeitete er unter verschiedenen Namen. Nach seinen juristischen Maßnahmen gegen Ceza, aber auch nach seiner

53 „Geçen gün Fuat’la karşılastık, ona albümde diss attığımızı söyledik. O da ‚Ohh çok güzel yapmışsınız. Ben de size bir parça yaparım, ödeşiriz’ dedi“ (Rapper Shaman im Interview mit Tunç Dindaş Blue Jean 7/2005). Sie haben ihn im Album „Hayallerin Ötesinde…“ offen „gedisst“. 54 Dokumentarfilm „Naber Kanka“ – Türçe Rap in Istanbul“ (Schmenger/Schmenger 2011) 55 Hürriyet (Hrsg., 23.06.2007). Übersetzung durch die Autorin 56 Zahlreich sind seine Alben und Features, die seit dem Jahr 2000 erschienen sind, unter anderem auch mit RZA von Wu-Tang Clan. 2009 war er Jurymitglied in der türkischen Rap-Sendung Rapstar und gibt inzwischen Workshops in der Türkei. Im Gegensatz zu den Alben von Ceza und Sagopa Kajmer eroberte er allerdings trotz seines Bekanntheitsgrades nicht die Charts – vielleicht wegen seiner sehr provokativen Art. Für junge Rapper in der Türkei übernimmt er dennoch eine Vorbildfunktion.

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öffentlichen Hinwendung zum Islam, verlor er in der Rap-Szene einen Teil seiner Fans, die seine Glaubwürdigkeit infrage stellten. Denn von Fuats Battle-Rap inspiriert, schrieb Yunus Özyavuz/Sagopa Kajmer Ende der 1990er die vulgärsten, sexistischsten und aggressivsten Texte in der Türkei voller küfür (Beschimpfungen). Seine Hinwendung zum Islam stieß bei den früheren Fans auf Ablehnung, da sie Religion und Musik trennen und davon ausgehen, dass seine religiöse Ausrichtung lediglich dazu dienen soll, seine Popularität und mediale Reichweite zu steigern. Andere wiederum schätzen seine Texte, da er über einen sehr großen Wortschatz verfügt und seine ernsten Texte sowie die melancholische Grundstimmung seiner Songs den Rezipienten ein Gefühl von Tiefe gibt. Hier ein kurzes Beipiel des 2014 veröffentlichten Songs Bir Çok Kez Öldüm, um die Grundstimmung seiner heutigen Texte zu verdeutlichen, die sich gänzlich von seinen früheren Battle-Texten unterscheiden: Bir çok kez öldüğümü biliyorum, Ruhum üzerimdeyken öldürüldüğümü, Gözüm açık bakarken dünyaya körlüğümü, Katillerimi bizzat gözümle gördüğümü cinayetin örtüldüğünü, Biliyorum aslında her bir şeyin gerçek yüzünü. İnsanların yüzsüzlüğünü, her şeye rağmen bendeki güçsüzlüğümü, Eksik kelimeli sözlüğümü, karanlığımın güneşime karşı üstünlüğünü57 Ich weiß, dass ich sehr oft gestorben bin, dass ich umgebracht worden bin, während meine Seele bei mir war, meine Blindheit der Welt gegenüber, während meine Augen offen sind dass ich meine Mörder persönlich mit den Augen gesehen habe, dass der Mord verborgen wurde Ich kenne das wahre Gesicht von allem Die Unverfrorenheit der Menschen, und trotz allem meine Machtlosigkeit Mein Lexikon, dem Wörter fehlen, die Überlegenheit meiner Dunkelheit gegenüber meiner Sonne

Cartel – die Wiederkehr Mit dem Selbstbewusstsein, eine legendäre Rap-Formation zu sein, traten Cartel 2011 ihr Comeback in der Türkei an. Ihr Album „Bugünkü Neşen Cartel’den“ ist allerdings weit entfernt vom kämpferisch-nationalistischen Charakter, für den

57 Rapsozler.com 2014 (Hrsg.): Bir Çok Kez Öldüm. Songtext, im Internet. Übersetzung durch die Autorin.

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Cartel noch in den 1990 Jahren stand. Dies begründeten sie mit dem Wandel der Situation türkischer Migranten in Deutschland: „Heute sind die Cartel-Mitglieder reifer und das, was wir als Lebensbedingungen der ‚Almancı‘ bezeichnen, hat sich sehr verändert. Alles ist heute offener zu sehen und die alte Lebensform der Gurbetçi ist anders geworden. Jemand, der in Deutschland unglücklich ist, kann leichter in die Türkei ziehen oder in beiden Ländern leben. Zwar sind die rassistischen Übergriffe nicht verschwunden, aber in Deutschland gibt es viele Organisationen und auch politisch Mächtige, die die türkische Minderheit repräsentieren. In diesem Sinne hat man eine richtige Erleichterung erlebt.“58

Ihr Album erreichte kurzfristig Platz drei der türkischen Charts. Dieser Erfolg ist weder mit ihrem Mega-Erfolg der 1990er Jahre noch mit dem Erfolg von Ceza und Sagopa Kajmer vergleichbar, die wenige Monate zuvor über einen längeren die beiden oberen Plätze der türkischen Charts Zeitraum belegten59. Dazu Ulaş Demiröz: „Zurzeit kennt die neue Generation Cartel nicht. Wenn ich neue Generation sage, dann meine ich, dass jemand, der Justin Biber hört, die Gruppe Nefret nicht kennt. Er kennt nicht Cartel. Sie hören die neue Generation der Rapper“. (Ulaş Demiröz im Interview am 28.6.2014)

8.3.2 Sultan Tunç und Tahribad-ı İsyan – Die Verbindung von Kommerz und engagierter Jugendarbeit 2003 veröffentlichte Sultan Tunç, ein deutschtürkischer Rapper aus dem hessischen Stadtallendorf, sein erstes und sofort erfolgreiches Soloalbum „Saygı değer şarkılar“ in der Türkei. Aufgrund der Tatsache, dass Sultan Tunç noch heute zwischen Berlin und Istanbul pendelt und in der Türkei nicht nur kommerziell tätig, sondern auch in einem sehr speziellen Jugendprojekt aktiv ist, möchte ich ihn und das Projekt im Folgenden näher vorstellen. Sultan Tunç wuchs in einem Stadtteil auf, der durch einen hohen Anteil von Migranten geprägt ist, die, wie auch seine eigenen Eltern, zum größten Teil in Fabriken arbeiteten. Sultan Tunç kann auf eine Familiengeschichte zurückbli-

58 Erci E. im Interview mit Özge Boz in bugunbugece.com (2013) im Internet. Übersetzung durch die Autorin. 59 Siehe Blue-Jean-Ausgaben zwischen 7/2010 und 4/2011.

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cken, die von Musikalität und politischer Aktivität geprägt ist60. Angeregt von den Platten seines Bruders beschäftigte er sich recht früh mit Rap-Musik61 und gründete an seiner Schule eine 20-köpfige HipHop-Band, deren Mitglieder unterschiedlicher Herkunft waren. Wie auch andere deutschtürkische Rapper in verschiedenen Städten, rappte Sultan Tunç noch Mitte der 1990er Jahre über den Rassismus in Deutschland. Unterstützung bekam er von Pädagogen, die ihn und seine Freunde auf der Straße angesprochen hatten, als sie Breakdance machten. Sie ermöglichten ihnen, in einer Jugendeinrichtung aktiv zu sein und organisierten Konzerte. Die Hilfe, die er auf diese Weise erhalten hat, und seine Dankbarkeit den Pädagogen gegenüber62, sollte später seine sozialpädagogischen Aktivitäten in Deutschland und Istanbul beeinflussen. Ablehnungen in Deutschland seitens der Plattenfirmen wegen seiner türkischen Herkunft und zugleich der große Erfolg türkischer Popmusik in der Türkei veranlassten ihn dazu, in der Türkei aktiv zu werden63. Wegen des großen Erdbebens von 1999 und des kommerziellen Desinteresses gegenüber Rap-Musik in der Türkei konnte er sein Projekt zunächst nicht verwirklichen. Sultan Tunç kehrte nach Deutschland zurück, studierte Soziologie und engagierte sich in Jugendsozialprojekten. Im Jahr 2008 erschien in der Türkei sein zweites Album „Oriental Rap’n Roll“. Im Unterschied zu den Rap-Texten anderer deutschtürkischer Rapper thematisieren die Lieder in diesem Album die Situation in der Türkei. Dies begründet Sultan Tunç damit, dass die sozialen und ökonomischen Probleme in der Türkei weitaus gravierender sind als in Deutschland, und die Menschen in Deutschland im Gegensatz zur Türkei juristisch mehr für ihre Rechte tun können64. Da sich Sultan Tunç sehr mit der Türkei, der türkischen Sprache und Literatur auseinandergesetzt hatte und seine Erfahrungen in Deutschland in seinen

60 Sein Vater spielte Zurna (eine türkische Klarinette) und türkischen Dudelsack, und auch seine Onkel waren musikalisch tätig. Sultan Tunç wuchs mit türkischer/alevitischer Volksmusik auf, mit teilweise sehr poetischen Texten aus dem 12./13. Jahrhundert. Er begleitete seinen Vater mit Darbuka und Davul (türkische Schlaginstrumente), bis er ein Keyboard von seinem Vater geschenkt bekam. Sein Onkel, ein politischer Flüchtling aus der Türkei, lebte vier Jahre bei Sultan Tunçs Familie. 61 „Ich konnte mich sehr schnell in die Lage des schwarzen Mannes in Amerika versetzen, obwohl es hier keine Ghetto-Verhältnisse gab.“ (Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013) 62 „Ich vergesse auch nie diese deutschen Pädagogen, die gekommen sind und uns gefördert haben. Wie wichtig das ist.“ (Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013) 63 Tempo 42/2003. 64 Tempo 42/2003, Roll 9/2003.

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Texten nicht thematisiert, halten ihn nach eigenen Aussagen noch heute viele Menschen für einen Rapper aus Istanbul65. Schon Anfang der 2000er Jahre beabsichtigte er, ähnlich wie in Deutschland auch in der Türkei HipHop-Projekte zu organisieren und zwar mit der Begründung, dass sich Menschen in den Varoş mit HipHop besser ausdrücken können als mit Arabesk66. So ist es sicherlich kein Zufall, dass sich Sultan Tunç seit einigen Jahren in einem außergewöhnlichen Jugendprojekt im Istanbuler Stadtteil Sulukule engagiert. In der Türkei entwickelt sich zurzeit ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Jugendarbeit, denn schließlich sind 50% der Bevölkerung unter 30 Jahre alt67. Mit der Gründung eines Ministeriums für Jugend und Sport im Jahre 2011 trat eine Wende in der Jugendpolitik ein, die auch die Grundlage zur Förderung von Jugendprojekten bildet. Zwar ermöglicht und unterstützt die Stadtverwaltung Istanbuls Festivals und größere Veranstaltungen, doch meinen Gesprächs- und Interviewpartnern zufolge machen sich diese Aktivitäten im HipHop-Bereich kaum bemerkbar. Es ist allerdings zu bemerken, dass sich einzelne junge Akademiker ehrenamtlich im Jugendbereich engagieren. So wurden beispielsweise in Istanbul in den letzten Jahren vereinzelt HipHop-Workshops von jungen Menschen aus den städtischen Universitäten angeboten. Diese Workshops wurden oft in Zusammenarbeit mit deutschtürkischen HipHop-Aktivisten wie Fuat, Sultan Tunç oder dem Kölner Ahmet Sinoplu organisiert, die ihre Erfahrungen aus Deutschland einbringen konnten. Gemessen an der Größe der Stadt und ihren sozialen Problemen ist die Zahl dieser Aktionen allerdings als sehr gering einzuschätzen. Dazu Sultan Tunç im Interview: „Aber die Türkei wird demnächst mit sehr vielen Problemen konfrontiert werden. Weil sie keine Sozialarbeit, keine Jugendhäuser haben, aber eine Megacity haben, wo Drogen konsumiert werden, wo Jugendliche ohne Perspektive aufwachsen. Auf der anderen Seite muss sich die Türkei öffnen. Früher konnte man diese ganzen Jugendlichen unterdrücken, mit Riesenpolizeiapparat, mit Religion. Mit irgendwelchen politischen Sachen konnte man die Jugendlichen in Schach halten. Oder sie gegeneinander aufhetzen. Kurden gegen Türken oder so. Und diese Spielchen werden demnächst nicht mehr da sein, weil die Jugendlichen auch angefangen haben, diese Pubertätszeit durchzumachen, auch diese Zeit, wo sie gar nichts machen. Früher mussten sie, wenn sie gar nicht in die Schule gingen, irgendwo 65 Sultan Tunç im Interview am 29.8.2014. 66 „Varoştakiler, arabesk yerine HipHop’la kendilerini daha iyi ifade edebilir“ (Roll 9/2003). 67 Reinholz-Asolli (2013:3).

318 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN arbeiten. Da gibt es so eine Mittelschicht. Und auch die Dincis [Anm. d. Autorin: die Religiösen] sind reicher geworden. Die haben auch Bedürfnisse.“ (Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013)

Nach eigenen Aussagen hat ihm die Musik in seiner Jugendzeit geholfen, keine Drogen zu nehmen68. Seine positiven Erfahrungen mit HipHop und der pädagogischen Arbeit in Deutschland veranlassten ihn zu besonderem Engagement in dem ehrenamtlich geführten Istanbuler Projekt „Sulukule Çocuk Sanat Atölyesi“. Sulukule wird als die älteste Roma-Siedlung Europas bezeichnet (Popp 2008). Die Istanbuler Stadtverwaltung setzte 2007 eigene Pläne zum Umbau dieses Gebiets durch, wodurch ca. 3.500 Menschen enteignet, verdrängt und umgesiedelt wurden. Ihre alten Häuser wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die für die Roma-Bevölkerung unbezahlbar geworden sind. Ein türkisches Gericht erklärte diese Zerstörung im Kontext der Stadtentwicklung zwar für illegal, doch für viele der Betroffenen kam der Abrissstopp zu spät. Diejenigen, deren Häuser abgerissen wurden, leben heute verstreut in anderen Istanbuler Bezirken oder sind zurückgekehrt, um in Baracken am Rande der mit Blech umzäunten Luxusneubauten zu leben. Die Ungerechtigkeit, die den in der Türkei ohnehin benachteiligten und diskriminierten Roma widerfahren ist, ihre Hilflosigkeit und ihre einzigartige Musikalität veranlassten eine Gruppe von Studenten und Musikern, die verdrängten Roma zu unterstützen. Auf Initiative einzelner Unterstützer aus dem Istanbuler Konservatorium und einem Verein zur Erhaltung der Roma-Kultur entstand 2010 in Sulukule das Kinder- und Jugendzentrum „Sulukule Çocuk Sanat Atölyesi“. Das Zentrum bietet jungen Roma verschiedene Bildungsmöglichkeiten, darunter vor allem Musik- und Tanzunterricht, aber beispielsweise auch Englischunterricht, der von ehrenamtlich unterrichtenden Muttersprachlern abgehalten wird. Ziel dieser Bildungsangebote ist es, jungen Menschen trotz der belastenden Umstände eine Möglichkeit zu geben, weiterhin musikalisch aktiv zu sein und den Schulbesuch nicht abzubrechen. So konnten Roma-Jugendliche eine Ausbildung in klassischer Musik von Konservatoriumsstudenten und –absolventen erhalten oder auch an HipHop-Workshops teilnehmen. Obwohl zu Beginn des Projekts nicht vorgesehen, sollte HipHop zu einem festen und sogar bedeutenden Teil der Jugendarbeit in Sulukule werden, da ähnlich wie 68 „Als ich dann älter wurde, fing es mit den Drogen an. Mit Jugendlichen, mit Kiffen, mit Kokain. Freunde von mir sind auch Junkies geworden. Sind davon gestorben. Und nur die Musik hat mir geholfen, da rauszubleiben. Auch weil dieser Kodex von HipHop damals keine Drogen war. Das war die Message.“ (Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013)

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in Berlin (siehe Kapitel 6.1.3) eine große Nachfrage seitens der Kinder und Jugendlichen an HipHop-Workshops bestand. In der Anfangszeit wurde der HipHop-Bereich von Sultan Tunç geleitet: „Ich habe in der Türkei fast überall Workshops gemacht. Und diese Kinder, die dort waren, sind hammerbegabt, wo ich gleich gesagt habe: ‚Ej, ich will in Zukunft mit euch arbeiten‘. Die Jungs haben so in sich selber gelebt, dass sie noch nicht mal türkische Freunde hatten, weil sie ausgegrenzt wurden. Und die haben sich noch nicht mal auf die HipHop-Jams getraut. Aber es gibt in der Türkei zum ersten Mal Sozialarbeit. Leute, die ehrenamtlich arbeiten wie beispielsweise Funda, die das in Sulukule macht. Das sind so mehrere Mädchen aus der Boğaziçi Üniversitesi69 […] Die haben so ein dreistöckiges Haus, wo die Kinder Workshops machen. Und nur weil sich irgendwelche Leute dafür, karşılık beklemeden yapmaları. Türkiye’ de böyle bir şey yoktu (Anmerk.: Sie machen das, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. So etwas gab es noch nicht in der Türkei). Das sind so Sachen, die mich in der Türkei festhalten. Wo ich mir denke, ich bin selber Pädagoge.“ (Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013)

Verantwortungsbewusst und stolz spricht Sultan Tunç von „seinen Kindern“, die nun als Rap-Gruppe „Tahribad-ı İsyan“ („Rebellion gegen Zerstörung“) das Leid und die Ungerechtigkeit ihrer Verdrängung in selbstbewusst-kämpferischer RapForm und in Videoclips70 zur Sprache bringen. Damit unterscheidet sich diese Gruppe sehr von herkömmlichen Istanbuler Rappern. Sie rappen nicht ganz allgemein über Benachteiligungen, sondern konkret über die Zerstörung eines Viertels und die Vertreibung seiner Bewohner, also von Geschehnissen, von denen sie zum Teil selbst betroffen sind. Am Beispiel dieser Band wird exemplarisch deutlich, wie die junge Generation von Rappern in der Türkei zum HipHop kam, welche Rolle die Medien dabei gespielt haben und nicht zuletzt welchen Einfluss das sozialpädagogische Engagement von Akademikern auf die Lebensverläufe und die weltanschaulichen Einstellungen der jungen Künstler haben kann. Die Band Tahribad-ı İsyan besteht aus den Mitgliedern Zen-G (Burak Kaçar, geb. 1994), V.Z. (Veysi Özdemir, geb. 1993) und Asil Slang (Asil Koç, geb. 1996). Zen-G wurde in Istanbul geboren, seine Eltern stammen aus Van und Edirne. Seine Identifikation mit US-amerikanischen Schwarzen kommt bereits in seinem Künstlernamen zum Ausdruck, denn Zen-G wird im Türkischen wie zenci ausgesprochen, was übersetzt Schwarzer/Neger bedeutet. Allerdings muss ange69 Die Boğaziçi Universität ist eine sehr angesehene Universität in Istanbul. 70 Siehe hierzu ihre offizielle Website von Tahribad-ı İsyan, im Internet.

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merkt werden, dass der Begriff zenci im Türkischen nicht dieselbe negative Konnotation wie Neger im Deutschen besitzt. Gegenüber der Wochenzeitung Jungle World äußerte Zen-G: „Die Kurden sind die Neger der Türkei. Ob in Van oder Sulukule, abgerissen werden immer nur die Häuser der Schwachen“.71 Als sie die Band gründeten, wohnte Zen-G im Stadtteil Zeytinburnu, nicht weit von Sulukule entfernt. Auch das Haus seiner Familie war vom Stadtumbau betroffen. V.Z. ist ursprünglich aus Adana und lebte zu Zeiten der Bandgründung in Fatih. Asil ist Roma und wohnt in Sulukule. Kurz bevor sein Wohnhaus zerstört werden sollte, wurde der richterlich angeordnete Abrissstopp verhängt. Zu Beginn der Band gehörte noch Hasan dazu, der sich allerding schon 2009 für Schauspielerei entschied und aus der Gruppe ausschied. Auch er wohnte im gleichen, vom Abriss bedrohten Haus, in dem Asil wohnt. Ähnlich wie die legendäre Band Islamic Force aus Berlin, sind hier Jugendliche unterschiedlicher kultureller Herkunft zusammengekommen, die nun einen Bezirk repräsentieren und ihren Protest über Rap-Musik ausdrücken – bei Islamic Force ging es gegen den Rassismus gegenüber türkischen Migranten, in Sulukule gegen die Zerstörung und Vertreibung der Roma. Gerade in einem sozial engagierten Umfeld entsteht leicht der Eindruck, dass das Interesse von Jugendlichen an der HipHop-Kultur lediglich auf sozialpädagogische Maßnahmen beruht. Dass dieser Eindruck nicht immer richtig ist, wird in den Aussagen der Bandmitglieder schnell deutlich: „Als ich Rap zum ersten Mal gehört habe, war ich, glaube ich, in der vierten oder in der fünften Klasse. Mich hat das angesprochen, da er so lebhaft war und so andere Rhythmen hatte. Denn wir hörten allgemein die Musik, die unsere Familien hörten: Pop, Rock, türkische Volksmusik (…). Als ich das hörte, kam mir das interessanter vor, es hat mehr Energie.“ (Interview mit Zen-G am 30.6.2014)

Zunächst verfolgte Zen-G im Fernsehen ausgestrahlte Videoclips. Erst mit der Einrichtung einer Internetverbindung im Jahr 2006 sollte er sich ernsthaft mit HipHop auseinandersetzen. Nachdem er im Internet anfangs vor allem nach amerikanischem Rap suchte, wurde er später durch einen Freund auf Ceza und Sagopa Kajmer aufmerksam und begann auch türkische Videoclips zu verfolgen. Gleichzeitig recherchierte er über das Internet die Hintergründe der HipHopKultur und ihre Aussagen. Aktiv wurde Zen-G zunächst als Breakdancer, doch weil er bestimmte Bewegungen nicht ausführen zu konnte, entschloss er sich, Rap-Musik zu machen.

71 In Küper-Büsch (2013), im Internet.

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Auch die anderen Mitglieder der Band, V.Z. und Asil Slang, begannen zuerst mit Breakdance im HipHop Bereich aktiv zu werden. Nach seinem Umzug 2006 von Adana nach Istanbul hatte V.Z. Schwierigkeiten Freunde zu finden, was er u.a. auch auf seinen Adana-Akzent zurückführte. Als er auf der Straße seines Bezirks beobachtete, wie Fatih (IMÇ Blokları in Unkapanı) eine BreakdanceGruppe trainierte, schloss er sich dieser an. Zu Rap-Musik kam er, als er 2009 Zen-G und Asil Slang kennenlernte: „Ich erzähle Ihnen mal, warum mich Rap so anspricht. Ich habe eine Kindheit verbracht, wo ich innerlich sehr verschlossen war. Ich habe alles, wie soll ich sagen, das was ich erlebt habe in mir behalten. Und mein Rap-Stil ist schreiend, schreiend. Wenn ich das mache, merke ich wie erleichtert ich dann bin. Alles, was ich in mir behalten hatte, haue ich raus. Dann gab es eine Zeit, wo ich von Ceza so begeistert war, als ich damals angefangen hatte Rap zu hören. Weil er so schnell rappte. Ich habe seine Sachen wiederholt. Ich habe seine Lieder auswendig gelernt. Ich habe sie vor Zen-G vorgetragen. Dann habe ich gemerkt, dass ich selbst etwas machen muss“. (Interview mit V.Z. am 30.6.2014)

Die Vorbilder der Band waren Ceza, Yener aus Izmir, Fuat und die USamerikanischen Rapper Eminem und 50 Cent. „Von Ihnen haben wir Rap gelernt“, betont Zen-G im Interview. Zen-G und Asil Slang sammelten Geld für ein billiges Mikrofon, das sie allerdings nicht wirklich gebrauchen konnten. Dann stieß V.Z. zu ihnen. Als die Band gegründet wurde, engagierte sich die Akademikerin Funda Oral bereits in Sulukule, um mittels des von ihr mitgegründeten „Sulukule Çocuk Atölyesi“ die Kultur und Musikalität der Roma zu bewahren. Als sie sah, dass sich die Jungs mit Rap-Musik beschäftigten, unterstütze sie auch diese Aktivität und organisierte für die Band ein Tonstudio. Alles was Tahribad-ı İsyan erreicht haben, ist nach Aussagen der Mitglieder die „Knospe von Funda“ („Funda ablanın tomurcuğu“). Der Unterstützung von Funda und anderer Aktiven stand die Skepsis der Eltern gegenüber, die HipHop-Musik und den damals modischen weiten Kleiderstil befremdlich fanden. Doch Tahribad-ı İsyan nutzten Rap-Musik als Ausdruck der tragischen Situation in Sulukule und als Protest gegen die Baumaßnahmen: „Jemand, der aus Sulukule kommt, kann nicht von ‚laylaylom‘-Sachen [Anm. Ausdruck für Unterhaltungsmusik] erzählen“ (Interview mit Zen-G am 30.6.2014). Ihre Texte sind radikal und in ihrem Protest offen und radikal, so auch ihr Videoclip zum Song „Ghetto Machines“, der von Nejla Osseiran gedreht wurde, einer Angestellten aus der Boğaziçi Universität. Mit ihrer Musik und ihren Auf-

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tritten überschritten Tahribad-ı İsyan soziale, kulturelle und lokale Grenzen. 2012 erschien ihr Song Ghetto Machines auf dem von Amnesty International organisierten und veröffentlichten Album „Listen to Roma Rights“, an dem unterschiedlichste Musikgruppen aus verschiedenen europäischen Ländern teilnahmen. Seit 2013 steht die Band nicht nur für den Protest gegen die städtebauliche Zerstörung im Stadtteil Sulukule, sondern auch stellvertretend für den allgemeinen Widerstand gegen undemokratische massive städtebauliche Veränderungen, wie sie die derzeitige türkische Regierung im Rahmen großer Bauvorhaben in Istanbul vornimmt. So wurde die Band beispielsweise im Mai 2013, als sich die sogenannte „Gezi Park“-Protestwelle gegen ein Bauvorhaben der türkischen Regierung am gleichnamigen Istanbuler Park aufbaute, von „Taksim Dayanışması“, einem Zusammenschluss verschiedener Gegner des Bauvorhabens, angefragt, auf dem zentralen, für Kundgebungen genutzten Taksim-Platz aufzutreten. Soziale Grenzen innerhalb der Türkei überschritt die Band, als der Künstler Halil Altındere das Video „Harikalar Diyarı“ („Wonderland“) mit Tahribad-ı İsyan und Fuat drehte und es 2013 auf der Biennale in Istanbul präsentierte. Dieser Film zeigt in ungewohnter Härte und Offenheit die Gefühle der Jugendlichen, ihre Wut auf die Zerstörung des Gebiets. In diesem Videoclip rennt Zen-G von der Polizei verfolgt an zerstörten Häusern vorbei, während Luftaufnahmen die Luxusneubauten zeigen, die hier für wohlhabende Menschen gebaut worden sind. Kämpferisch rappen die Jungs in die Kamera, ein Polizist tanzt Breakdance. Später wird der Polizist geschlagen und rennt in Flammen gesetzt entlang der historischen Stadtmauer von Sulukule. Die Rapper werden im Clip erschossen, doch sie rappen weiter. Am Ende zünden sie das Schild der TOKI, der Istanbuler staatlichen Wohnungsbaubehörde, an. Der Film kann für türkische Verhältnisse als außergewöhnlich hart und politisch direkt bezeichnet werden. Vor den Gezi-Park Demonstrationen soll dieser Film laut Altındere den Zuschauern als zu brutal erschienen sein, doch mit den Erfahrungen aus der Gezi-Park Bewegung änderten sich die Einstellungen72. Hier ein Textausschnitt aus dem Videoclip: Asil Slang

Asil Slang

Yo! Benimde yıkılacak evim

My home will be torn down too

Sulukule artık bi burjuva yeri

Sulukule now belongs to the bourgeoisie

Devir değişti tabi romanlara kötü gözle

The times have changed, those looking

bakana

down on Romani

72 Siehe Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 29.09.2013 und das Interview mit Halil Altındere in Milliyet Internet (2014).

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Irkçı denmez aga mustafa denir

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Are not called racist, they’re called Mustafa73

Adını koydunuz kentsel dönüşüm

They call it urban regeneration

Bu aslında bu kentin Çöküşü

It’s the downfall of the city

Beş senedir önümde semtimin ölüsü

The corpse of my quarter in front of me for five years

Hadi seviyemize çıkın ve bizimle dö-

Raise to our footing and do start fighting

vüşün Parası olanı çıkarmak kolay

Easy to move ones with money

Fakir için naptınız esas bu olay

What did you do for those in poverty

toki tarihi yenilemek yerine

Instead of restoring the past TOKI

bi ara gidip devletin beynini onar.

We should repair the mind of the state

Çünkü onun yanında benim ona verdiğim

Cause the damage I do is nothing in com-

hasar az

parison

Ne korkucam evimi sudan başka bişey

I’m not frightened only water could flood

basamaz

into my home

Mustafa ** .konuşmanla gelmem imana

Mustafa **your words can’t convince me

Sömürdüğün

Hire a rapper with the dirty money that

kirala74

parayla

karşıma

rapçi

you exploited

Die Biennale öffnete Tahribad-ı İsyan vorher ungeahnte Möglichkeiten: „Für uns war das Beste, dass wir außerhalb der Rap-Gemeinschaft noch andere Menschen erreicht haben“, meinte Asil Slang im Interview (am 30.6.2014). Abgesehen von Konzerten in Istanbul, hatten sie beispielsweise die Möglichkeit, in der deutschtürkischen Galerie Tanas in Berlin aufzutreten oder auf Einladung des Rappers Jonzi D London zu besuchen. Für Aufregung sorgte schließlich die Nachricht, dass das Video im Frühjahr 2014 im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) PS1 gezeigt werden sollte. Seit der Biennale erlaubt das renommierte Tonstudio Babajim ihnen, das Studio unentgeltlich zu nutzen. Die Mitglieder von Tahribad-ı İsyan verfolgen zum einen das Ziel, sich musikalisch weiterzuentwickeln, Roma-Einflüsse in den Rap einzubringen und mit ihrer Musik mehr Menschen zu erreichen. Zum anderen bezwecken sie mit ihrer Musik, sozialpädagogisch tätig zu sein, ihr Wissen an Kinder weiterzugeben und ihnen ein gutes Vorbild zu sein. Ihr soziales Engagement unterscheidet sich da73 Gemeint ist hier der verantwortliche Bezirksbürgermeister. In einer der nachfolgenden Textzeilen wird der Nachname zwar erwähnt, aber durch einen Piep-Ton übertönt, sodass lediglich der Vorname zu hören ist. 74 persönliche E-Mail von Zen-G vom 20.07.2014. Die Übersetzung wurde vom Original-Clip übernommen.

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bei grundlegend von dem anderer Rapper in Istanbul. Schon seit drei Jahren unterrichten sie Kinder und Jugendliche in Sachen Rap-Musik und hoffen, Jugendliche damit von Drogen fernzuhalten und ihnen eine Ausdrucksmöglichkeit für ihre Probleme zu anzubieten. „Die Rapper müssen gerade in der Türkei folgendes machen. Es geht nicht darum, ‚ich kann das, ich kann schnell reden und schöne Reime machen‘, sondern es geht darum, den Menschen die Augen zu öffnen. (…) Und wir wollen diesen Weg weitergehen. Wir wollen solche Texte schreiben, die mehr mit den Problemen des Staates zu tun haben. Weil wir in der Stadt wohnen, auch über die Probleme dieser Stadt, über die Probleme, die wir durch diese Stadt bekommen oder über diesen Stadtumbau (kentsel dönüşüm). Das zeige ich auch in meiner Tätowierung.“ (Zen-G im Interview am 30.06.3014)

Zu ihren Workshops kommen inzwischen Kinder und Jugendliche auch aus anderen Stadtteilen Istanbuls. Allerdings sind dem Projekt praktische Grenzen gesetzt. Die Veranstaltungsräume sind mit auf drei Stockwerken verteilten und mit ihren 35-40 Quadratmetern viel zu klein für größere Aktivitäten. Darüber hinaus fehlen finanzielle Mittel, da sich das Projekt auf private Sponsoren und ehrenamtliche Arbeit stützt und keinerlei staatliche Förderung genießt. Das Fallbeispiel „Sukulele“ verdeutlicht, wie Rapper der neuen Generation zu Rap-Musik gekommen sind und wie sie diese als Ausdruck für ihre lokalen Probleme als Außenseiter oder für ihre Loyalität mit diesen nutzten. Das Beispiel zeigt zudem, wie sich die Beteiligten bei der Unterstützung von jungen Menschen aus sozial benachteiligten Gebieten über soziale, kulturelle und nationale Grenzen hinwegsetzen. Während US-amerikanischen Rappern eine stilbildende Vorbildfunktion zukam, leisteten deutschtürkische Rapper vor allem in der Anfangsphase konkrete Unterstützung. Sultan Tunç brachte seine musikalischen, technischen und sozialpädagogischen Erfahrungen aus Deutschland ein und finanzierte darüber hinaus einzelne Aktivitäten mit privatem Geld. Auch Fuat setzte sich für Tahribad-ı İsyan ein und rappte mit ihnen im Song „Wonderland“. Gleichzeitig erhielten und erhalten die Beteiligten technische und musikalische Unterstützung von türkischen Musikern wie beispielsweise vom Rapper Yener aus einem Gecekondu in Izmir sowie von Akademikern und Künstlern wie Funda Oral oder Halil Altındere und vom Tonstudio Babajim. „Sukulele“ wird damit zu einem Projekt von Außenseitern und Etablierten, das im Ergebnis als ein transglokales Phänomen verstanden werden kann. Sultan Tunç beabsichtigt, diese Form der pädagogischen Arbeit auszuweiten. Sein Ziel ist es, in Analogie zu seinen Erfahrungen in Deutschland eine Einrichtung in der Türkei zu gründen, in der junge Menschen von der Straße zu Street-

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workern und/oder Sozialarbeitern ausgebildet werden können. Im Sommer 2013 holte Sultan Tunç die Mitglieder von Tahribad-ı İsyan nach Berlin und ließ sie an einem Workshop in Kassel teilnehmen. Für 2015 beabsichtigt er, ein mehrwöchiges HipHop-Camp in Istanbul auf den Prinzen-Inseln zu organisieren: „Das, was die Jugendlichen brauchen, ist mehr Austausch mit dem Ausland. Damit sie sehen, dass es ein anderes Leben außer der Türkei gibt und wie es da läuft.“75 8.3.3 Rap der Gezi-Proteste und Rap der AKP Im Gegensatz zur Situation Ende der 1990er Jahre bringen Rapper ihren politischen Protest heute selbstbewusster zum Ausdruck. Allerdings fiel der Protest in der Zeit vor den Gezi-Demonstrationen im Sommer 2013 noch bei weitem nicht so radikal und offen aus wie bei Tahribad-ı İsyan. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass die Künstler juristische Gegenmaßnahmen fürchteten. Der Rapper Pit10 beispielsweise schrieb als 17-Jähriger einen Song mit dem Titel „Uyan Tayyip Erdoğan“, der im Refrain die Textzeile enthält: „Tayyip wach auf, das Land gleitet Dir aus den Händen, lan“76. Mit dem Begriff „lan“, das mit „Alter!“ übersetzt werden kann, bezieht sich Pit10 auf einen Vorfall im Jahre 2006 in der Stadt Mersin, bei dem der damalige Ministerpräsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, zu einem Bauern gesagt haben soll: „Lan, sei nicht unanständig (…) Nimm deine Mutter und geh weg!“77. Nach der Veröffentlichung des Songs im Internet verklagte Recep Tayyip Erdoğan den Rapper und forderte eine drei bis fünfjährige Gefängnisstrafe für ihn. Das Gerichtsverfahren dauerte 5 Jahre und schloss mit einem Urteil über 5 Jahre auf Bewährung78. Solche Maßnahmen und auch die allgemeine politische Stimmung in der Türkei führten dazu, dass auch kritische Rapper ihre Meinung nicht in dem Maße öffentlich äußern konnten, wie sie es eigentlich wollten. Mit den teils gewaltsamen Protesten im Gezi-Park und am Taksim-Platz scheint jedoch ein Haltungswandel eingetreten zu sein. Richteten sich die Demonstrationen zunächst lediglich gegen das Fällen von Bäumen im Gezi Park und den geplanten Neubau eines Einkaufszentrums, so schlug der Protest innerhalb kurzer Zeit um in eine allgemeine Bewegung gegen die Politik der islamisch-konservativen Regierung 75 Sultan Tunç im Interview am 29.4.2013. 76 Übersetzung durch die Autorin. Im Original heißt es „Tayyip uyan, ülke elden gidiyor lan“. 77 Im Original: „Lan terbiyesizlik yapma (…) Ananı da al git!“ (Erel 2009, im Internet). 78 Siehe Dokumentarfilm „Naber Kanka“ (2011).

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des Ministerpräsidenten Tayyip Erdoğan, d.h. gegen seinen autoritären Führungsstil, die zunehmende Islamisierung und gegen Eingriffe in persönliche und politische Rechte. Die gewaltsame polizeiliche Räumung des Parks bzw. des nahegelegenen Taksim Platzes mit Wasserwerfern, Knüppeln und Tränengas, ließ den Protest eine nationale Dimension annehmen und führte darüber hinaus zu weltweiten Solidaritätsaktionen unter dem Motto „Her yer Taksim, her yer direniş“ („Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“). Im Protest kamen allerdings nicht nur Wut, Frustration und zunehmende Risikobereitschaft seitens der Demonstranten zum Vorschein, sondern auch die künstlerische und musikalische Kreativität, mit der die Menschen in Istanbul kämpferisch, aber auch teilweise ironisch-humorvoll auf polizeiliche Gewalt reagieren. So werden beispielsweise auf der Internetseite gezimusic.tumblr.com/ list 372 Songs als Gezi-Lieder genannt, deren Stilvielfalt ein Spektrum von Jazz, Rock, orientalischer Klassik, Ballade bis hin zur Rap-Musik abbildet. Der GeziProtest begann am 28. Mai 2013, bereits am 2. Juni veröffentlichten der Rapper FlowArt den Song „Gezi Parkı“ und die Gruppe Anonymous Turkey Occupy Gezi Park den „Revolutionary Rap-Song“ auf der Internetseite YouTube.com. Es folgten weitere, teils sehr kämpferisch gehaltene, Raps wie beispielsweise der Song „Guerilla Warfare“ von Şanışer und Alef High. Im Song bezeichnen sie die Polizei als faschistisch, Tayyip Erdoğan als den verantwortlichen Mörder eines Opfers des Protests und behaupten, dass 50% aller Türken ihn hassen würden. Der Text ist für türkische Verhältnisse ausgesprochen offen und provokant, im Videoclip werden Auszüge aus Reden von Tayyip Erdoğan und Szenen gewalttätiger Polizeieinsätze mit deren Opfern aufseiten der Demonstranten gezeigt. Die Rapper stehen am Rande des Geschehens, und unterhalb dieser Bilder ist die Zeile „passive resistance“ eingeblendet. Fuats Song „Karar bizim – Gezi Parkı“ („Unsere Entscheidung – Gezi Park“) ist dagegen ein Protest-Rap mit metaphorisch gehaltenem Text, bei dem es im Refrain darum geht, dass die Entscheidung über die Zukunft des Gezi-Parks den Bürgern der Stadt zukommen sollte. Einen humorvollen Umgang mit der Situation zeigt Can Kazaz mit seinem im Internet veröffentlichen Album „MC Recep ve Gaz Arkadaşları“79 („MC Recep und seine Tränengas-Freunde“), in dem er viele kurze Ausschnitte aus Reden von Recep Tayyip Erdoğan und dem Oberbürgermeister von Ankara Melih Gökçek neu zusammenfügt und einen Beat unterlegt. Bereits zu Beginn der Proteste schloss die für die HipHop-Szene in der Türkei wichtigste Internetseite HipHoplife.com.tr ihren Auftritt mit der Bemerkung: „Wir sind in Taksim, wo seid ihr?“

79 Can Kazaz (2013); im Internet.

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Zu diesem Zeitpunkt war Rap-Musik in der Türkei allerdings nicht zwangsläufig eine Musik, die ausschließlich der Opposition zugerechnet werden konnte. Im Sommer 2013 fanden sich im Internet auch Rap-Songs gegen die GeziBewegung und für Recep Tayyip Erdoğan, wie beispielsweise „Capulling in Taxim“. Es existieren auch Rap-Songs, die Tayyip Erdoğan verherrlichen, wie beispielsweise „Dik Duruşlu lider“ („Der strammstehende Führer“) von Grup Durhan oder „Bir numara“ („Nummer eins“) von Kaptan Argo. Den Zahlen von YouTube nach zu urteilen, wurden diese Videoclips jedoch vergleichsweise selten abgerufen, sodass sie nicht als repräsentativ für die Rap-Szene in der Türkei gelten können. Interessanterweise nutzte die Regierungspartei des Tayyip Erdoğan (AKP) Rap für ihre Zwecke: Im Jahre 2014 veröffentlichte sie eine CD mit unterschiedlichen Wahl-Songs, unter anderem auch den Rap „Haydi şimdi bir daha“ („Los, jetzt noch einmal“). Die AKP wird darin als eine Partei dargestellt, die für Gerechtigkeit, Fortschritt, Unabhängigkeit, Frieden (adalet, kalkınma, istiklal ve huzur) und Demokratie steht, ja, für Frieden und Brüderlichkeit (demokrasi, barış ve kardeşlik). Der Satz „Haydi şimdi bir daha Türkiye“ (Los, jetzt noch einmal Türkei) wird fortwährend in militärischer Manier gerufen und die Chorbegleitung zeichnet sich durch einen hymnenartigen Charakter aus80. Inhaltlich, politisch und musikalisch könnte die Rap-Musik der Gezi-Sympathisanten und der AKP kaum gegensätzlicher sein. Ihr gemeinsamer Nenner besteht lediglich darin, dass sie Rap-Musik als Ausdruck von politischen Meinungen und Zielen nutzen. Auch hier zeigt sich wieder die Wandelbarkeit der Rap-Musik und das breite Spektrum der sozialen Gruppen, die sich ihrer bedienen können. 8.3.4 Arabesk Rap Wie bereits geschildert entwickelte sich Rap-Musik in Istanbul in den 1990er Jahren zu einem Mittelschichtsphänomen, das allerdings nach dem Erfolg der Band Cartel für einige Jahre von der Mehrheit des jungen Publikums abgelehnt wurde. HipHop war nicht in den Gegenden verbreitet, die sich als „Ghetto“ hätten stilisieren lassen können, d.h. vor allem in den sogenannten Gecekondu- oder Varoş-Gebieten. Das Image der Bewohner dieser Bezirke wurde vielmehr massiv von der hoch-emotionalen Arabesk-Musik geprägt, die mit spezifischen Geschmacksstilen und Verhaltensweisen in Verbindung gebracht wird. Ich möchte hier noch einmal das Zitat von Yunus Özyavuz aus einem Interview im Jahre 2000 verwenden (Kapitel 5.2.2), um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen:

80 Istanbul Tanıtım Medya auf YouTube.com. (2014, im Internet).

328 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Arabesk ist der HipHop der Türkei. Das ist ein sehr wichtiges Detail. Die türkische Version von den amerikanischen Gangs ist Arabesk. Das wird im Arabesk ausgelebt. Wenn du einen Maganda auf der Straße laufen siehst, der wie Gang aussieht, dann ist er mit Sicherheit ein Müslümcü. Du kannst mit Sicherheit zu ihm Müslümcü, Ibocu oder Mahsuncu sagen. Denn er ist ein Ghetto-Kind. Varoş sagt man hier zu den Ghettos. Das Ghetto hier ist Varoş. Aber beim HipHop gibt es das nicht. Die HipHopper gehören zurzeit zu einer wohlhabenden Schicht.“ (Yunus Özyavuz im Interview am 15.5.2000)

Auch der Rapper MC Ender ging Ende der 1990 Jahre davon aus, dass RapMusik in Amerika die gleiche Rolle spielte wie Arabesk in der Türkei. „In der Türkei ist Mahsun Kırmızıgül das gleiche wie LL Cool J in Amerika“, meint er in einem Interview81. In der Zwischenzeit ist in der Türkei jedoch ein neues Phänomen zu Vorschein gekommen, das diese Trennung aufgeweicht hat: der Arabesk-Rap. Schon die Band Islamic Force verwendete diese Bezeichnung als Titel für einen sommerlichen Party-Song im Album „Mesaj“. Es ist ein türkischsprachiger Rap auf HipHop-Beats mit musikalischen Arabesk-Einlagen ohne Arabesk-Gesang. Inzwischen ist Arabesk-Rap in der Türkei ein Genre geworden, das unterschiedlich definiert und angenommen wird. Der Rapper Yener beispielsweise bezeichnet seine Musik als Arabesk-Rap. Er wuchs in einem Gecekondu-Gebiet in Izmir mit Arabesk-Musik auf, der Musik, mit der seiner Meinung nach Außenseiter aufwachsen82. Auch er verwendet Ausschnitte aus Arabesk-Musik, auf die er dann ernstere sozio-politische Themen rappt. Sein 2014 erschienener Song „Çocuk“ beispielsweise beschreibt die hoffnungslose Situation eines armen Kindes. Hier ein kleiner Textaussschnitt: İki eli cebinde gezen çocuk

Das Kind, das mit beiden Händen in der Tasche läuft

Baba anneyle tartışır ağlayan çocuk

Das Kind, das weint, der Vater streitet mit der Mutter

Bi’ tek bayramlarda sevinen çocuk

Das Kind, das nur auf Festen glücklich ist

Bununla sakın oynama denilen çocuk

Das Kind, über das andere sagen, spiel bloß nicht mit ihm

Yener ist sich der abfälligen Haltung der, wie er sie nennt, Bourgeoisie gegenüber den Gecekondu und Arabesk-Menschen bewusst und steht selbstbewusst zu 81 MC Ender im Interview in Maviology (1998?). Da das Titelblatt beschädigt ist, ist das Veröffentlichungjahr nicht mehr eindeutig rekonstruierbar. 82 Siehe Interview im Dokumentarfilm „Naber Kanka“.

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seiner Herkunft, deren Ausdruck diese Musik ist. Allerdings verzichtet er bewusst darauf, in der emotionalen Arabesk-Manier rührselige Zeilen wie „Ach, ich bin gestorben – ach, ich bin gegangen“83 zu rappen. In der musikalischen Öffentlichkeit spielt der Rap von Yener jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Mit Arabesk-Rap, der sich über das Internet schnell und weit verbreitet hat, wird vielmehr eine Spielform bezeichnet, bei dem innerhalb eines Songs typischer Arabesk-Gesang und Rap abwechseln oder über eine Arabesk-Begleitung gerappt wird. Die Texte handeln zumeist von Liebe, Leid und Trennung, die Sprache ist sehr emotional. Vorgetragen wird der Song traurig leidend bis verzweifelt in Form von Arabesk-Gesang oder wütend in Rap-Form. Die Person, an die sich die Sehnsucht, Verzweiflung, Liebe oder Wut richtet, ist die Geliebte, die den Sänger verlassen haben soll. Entsprechend sind ArabeskSänger und Arabesk-Rapper in erster Linie Männer. Ihre Songs ähneln sich thematisch und musikalisch stark, hier ein Ausschnitt von einem Song von Arsız Bela: Nerdesin ne baharlar gelipte geçti görmedin Ölmedim ardın da yaşlı gözlerimle bekledim Külleri kalmıştı bu yangının senin gözün de Elleri kalmıştı elimde giderken öylece Sen sıkıntı yapma mutluluğunu yaşa bi başkasıyla Ben yıkılmışım takma devam et ve durma.84 Wo bist du, welche Jahreszeiten sind vorbeigegangen und du hast es nicht gesehen Ich bin nicht gestorben, ich habe mit meinen tränenden Augen gewartet In deinen Augen blieb die Asche des Feuers Die Hände sind in meinen Händen geblieben, als sie einfach ging Mach dir keine Sorgen, sei glücklich mit jemand anders Ich bin zusammengebrochen, denk nicht daran, mach weiter, bleib nicht stehen

Musikclips sind im Arabesk-Rap eher selten und zumeist selbstgedreht. Anstelle eines klassischen Videos tritt häufig eine Kombination von hintereinander eingeblendeten Fotos. Diese Videoclips bzw. Fotomontagen sind Visualisierungen der musikalischen Bricolage. Typische Bildelemente sind Herzen, mit Tau bedeckte Rosen, Sonnenuntergänge, Porträts von Menschen, die leiden, traurig, träumerisch oder sehnsüchtig wirken, Frauen mit einer fließenden Träne über der 83 Siehe Dokumentarfilm „Naber Kanka“ und auch yenercevik.net (im Internet, o.J.). 84 Ausschnitt aus dem Song Nerdesin in arsizbela.com (2014, im Internet). Übersetzung durch die Autorin.

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Wange. Es sind romantische, emotionale Fotos, die nicht kulturspezifisch sind. Seltener sind Bilder, in denen Leid, Liebeskummer oder Selbstzerstörung thematisiert wird, überweigend in Form von blutenden Selbstverletzungen, die mittels Rasierklingen verursacht werden – ein Kult, der nicht nur in der Arabesk-Kultur zu finden ist, sondern ebenso bei den bereits erwähnten Kreuzbergern Monstar 361 und Massaka. Während Arabesk-Rap diese Form der Selbstzerstörung mit tief verzweifeltem Liebeskummer verbindet, kombiniert Massaka das martialische Ritual mit dem Image einer harten Gang. Die Liebhaber von Arabesk-Rap bewerten einen Song nicht danach, ob er kommerziell oder „Underground“ ist, ob er die Realität widerspiegelt, ob der „Flow“ überzeugt oder gute Wortspiele vorhanden sind, sondern danach, wie sehr man von der Musik emotional ergriffen wird. Hierfür wird der Begriff „damar“ verwendet, der wörtlich übersetzt „Ader“ bedeutet, aber von den Fans des Arabesk bzw. Arabesk-Raps im Sinne eines „das geht ins Herz“ oder „trifft mitten ins Herz“ verwendet wird. Ein Song ist dann damar, wenn er besonders reich an Gefühlen ist und den Zuhörer emotional tief bewegt. Der massiven Verbreitung von Arabesk-Rap im Internet steht die Rap-Szene in Istanbul, die sich für politisch tiefgründigen, sprachlich anspruchsvollen Rap oder für Battle-Rap interessiert, ablehnend und zwiespältig gegenüber. Zum einen herrscht das Bewusstsein, dass Arabesk-Musik der Emotionalität der Menschen in der Türkei entspricht, zum anderen lehnen sie diese Form ab, da Arabesk-Texte ihrer Meinung nach nichts mit Rap zu tun haben. Beispielsweise meinte der Rapper Haydar alias Radyah aus Istanbul85 „Unser Volk ist Arabesk“ („toplumuz arabesk bir toplum“). Nach seiner Meinung wäre Rap in der Türkei weitaus verbreiteter, wenn sie mit Arabesk-Rap angefangen hätte, obwohl er sich selbst eindeutig davon distanziert. Als die Gruppe Tahribad-ı İsyan Wohltätigkeitsveranstaltungen in der osttürkischen Stadt Van für die Opfer eines Erdbebens gab, mussten sie feststellen, dass die Jugendlichen der Stadt ausschließlich Arabesk-Rap hörten. Arabesk-Rap verbreitet sich vor allem im Internet, aber auch über andere Medien. So wird dieser Rap nach Aussage von Tahribad-ı İsyan u.a. über Fernsehsendungen wie die Wettbewerbsshow „Yetenek Sizsiniz“ verbreitet, in der regelmäßig Arabesk-Rapper auftreten, darunter sogar Kinder und Jugendliche, die trotz ihres Alters bereits über die üblichen Themen des Arabesk wie Liebe, Enttäuschung und Trennungsschmerz singen bzw. rappen. Für Tahribad-ı İsyan ist Arabesk-Rap daher keine Kultur der „Ghettos“:

85 Gespräch am 29.6.2014.

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„Wenn sie rappen würden ‚mein Bezirk ist so‘ oder ‚in meinem Bezirk passieren schlimme Sachen‘, wenn sie die Wahrheit erzählen würden! Wenn sie so etwas sagen würden, dann wäre es kein Arabesk-Rap mehr.“ (V.Z. im Interview am 30.6.2014)

Gerade die Texte des Arabesk-Rap stoßen bei den Mitgliedern von Tahribad-ı İsyan wie auch vielen anderen Rappern auf Ablehnung. Als am 30.11.2011 in einer Sendung von Dream TV der Rap-Sampler „Organize Oluyoruz“ („Wir organisieren uns“) von Ulaş Demiröz, Da Poet und Karacalı vorgestellt wurden, organisierte die Rap-Szene innerhalb von wenigen Tagen Demonstrationen in verschiedenen Städten mit der Forderung, türkische Rap-Musik in den Medien und der Gesellschaft anzuerkennen. Im von Fuat vorgelesenen Pressetext hieß es unter anderem: „Wir gehören nicht zu den Menschen, die Arabesk-Musik mit einfachen Texten hören, so wie sie im Fernsehen gezeigt wird. Wir sind fest verbunden mit der Kultur, die etwas erzählt und mit der wir unsere Schmerzen, unsere Freude, unser Glück, unseren Protest, kurz gesagt unsere ganzen Gefühle ausdrücken können“86. Aus einer Demonstration, die sich für die Anerkennung der türkischen Rap-Kultur aussprach, wurde jedoch schnell eine Veranstaltung gegen Arabesk-Rap, mit der sich die HipHop-Szene von etwas abzugrenzen versuchte, was ihrer Meinung nach dem Image des türkischen Rap schadet. Obgleich die Musik von Sagopa Kajmer offiziell als Pesimist Rap oder melancholischer Rap gilt und seine offizielle Internetseite melankolia.com.tr lautet, so kursiert innerhalb der HipHop-Szene auch die Einstellung, er würde Arabesk Rap produzieren. Der Begriff Pesimist Rap ist auf die melancholische Stimmung seiner Texte und die Gesangseinlagen zurückzuführen, die dem Arabesk ähneln (siehe auch den bereits erwähnten Song Bir Çok Kez Öldüm). Doch hinter der Art, wie er zu Arabesk-Rap zugeordnet wird, verbirgt sich auch eine Ablehnung seiner Musik und seiner Persönlichkeit von einem Teil der HipHop-Szene; denn mit Arabesk in Verbindung gebracht zu werden, kommt bei diesem Teil der Szene einer Disqualifizierung gleich. Arabesk-Rap stellt die gängigen Vorstellungen von Rap und Authentizität infrage. Auf den ersten Blick wird die Musik von und für Menschen gemacht, die aus prekären Wohnbezirken bzw. ghettoartigen Stadtteilen stammen, was dem Ursprung des HipHop gerecht wird. Allerdings widersprechen die zumeist hoch emotionalen Liebeslieder des Arabesk-Rap den subkulturellen Werten des HipHop wie er in der Türkei von den zumeist der Mittelschicht entstammenden Jugendlichen gelebt wird, die damit gesellschaftlichen und politischen Protest ausdrücken. Dementsprechend widersprüchlich ist der Diskurs über Arabesk-Rap.

86 Siehe hierzu haberler.com (2001, im Internet). Übersetzung durch die Autorin.

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Manche empfinden diese Musik als lächerlich und ahmen sie in ironischer Art und Weise nach, andere wiederum ärgern sich über den Erfolg dieses Stils und sehen die Werte der HipHop-Kultur infrage gestellt. Und noch andere sehen gerade im Arabesk-Rap den ehrlichen Rap, weil es die Musik des türkischen Ghettos ist und ihrer Meinung nach die Arabesk-Rapper wahre Gefühle ausdrücken. So wie sich Rapper Ende der 1990er Jahre von der Pop-Kultur distanzierten, so ist es 15 Jahre später der Arabesk-Rap, von dem viele glauben, sich abgrenzen zu müssen. Doch gerade die Verbindung der türkischen Rap-Musik mit Pop in den Jahren nach dem Millennium und die Vermischung von Rap und Arabesk in jüngster Zeit scheint zu einer größeren Verbreitung von Rap-Musik in der Türkei beigetragen zu haben. 8.3.5 „Organize oluyoruz“ – Das Bedürfnis nach Imagewechsel und Zusammenhalt Obgleich Rap wie oben dargestellt in seiner US-amerikanischen Spielart und in der Adaption des Arabesk mittels Internet, Funk und Fernsehen weite Verbreitung in der Türkei erfahren hat, hat türkischsprachiger Rap mit unterlegten HipHop-Beats und wenigen Samples bis heute keinen vergleichbaren Stellenwert erlangt. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sein Image durch Konflikte belastet ist, die teils offen als Battle-Rap, teils auf juristischem Wege innerhalb der Szene ausgetragen werden. Ulaş Demiröz fasst die Situation zudem als Mangel an Qualität zusammen: „Derjenige, der Rock-Musik hört, geht zur Schule, dann arbeitet er oder geht zur Universität und hört weiterhin Rock. Aber jemand von uns [Anm. Rap-Hörer], geht zur Schule, beendet die Oberschule, und wenn er dann zur Universität geht, hört er nicht mehr RapMusik. So ist es in der Türkei. Solange die Qualität nicht steigt und diese Musik weiterhin so aggressiv ist, kann sich dieser Mensch nur dafür schämen. Es könnte sein, dass der Song küfür [Anm. Beschimpfungen] enthält und das wird mit Kinder-Musik in Verbindung gebracht. So ein Image hat es.“ (Ulaş Demiröz im Interview am 28.6.2014)

Nach Karakurluk sind die Zuschauer von türkischsprachigen Rap-Videos auf YouTube überwiegend Teenager oder sehr junge Erwachsene (Karakurluk 2012:32, im Internet). Darüber hinaus wirkte sich das mediale Interesse am Drogenkonsum einzelner Rapper ungünstig auf das Image der Rap-Musik aus.

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Schuld daran sind nach Meinung von Pit10 auch Rapper, die in ihrer Musik Drogen verherrlicht haben87. Um das Ressentiment in der Öffentlichkeit abzubauen, setzen sich Mitglieder der türkischen HipHop-Szene aktiv für eine Verbesserung des Images der türkischen Rap-Musik ein. Hier sei an erster Stelle Ulaş Demiröz erwähnt, der in diesem Sinne das Erbe von Tunç Dindaş angetreten hat. Noch vor Cartels Erfolg hatte Ulaş Demiröz in Izmir über einen DJ aus Deutschland türkischsprachigen Rap kennengelernt und sich später mit Graffiti beschäftigt. Mithilfe von Werbung bei Blue Jean konnten er und sein Freund 800 Stück eines selbst produzierten Graffiti-Fanzine verkaufen. Nachdem er für suikast.de gearbeitet hatte, eröffnete Ulaş Demiröz 2005 die Internetseite HipHoplife.com.tr. Gemeinsam mit 8 Mitarbeitern veröffentlicht er auf dieser Seite aktuelle HipHop-Nachrichten, stellt Interviews mit HipHop-Aktivisten ein und bietet die Möglichkeit, Musik herunterzuladen und HipHop-Videos anzuschauen. Daneben vertreibt er über das Internet HipHop-Kleidung, Alben und Accessoires – ein HipHop-Geschäft ist in Planung. Neben den Aktivitäten im Internet engagiert sich Ulaş Demiröz als Manager für die zurzeit bekanntesten türkischsprachigen Rapper wie Sansar Salvo, Kamufle und Anıl Piyancı. 2011 gründete er zusammen mit der Plattenfirma Pasaj Müzik das Label HipHoplife.PRO und arbeitet seit 2013 mit der Produktionsfirma Dokuzsekiz zusammen. Das Ziel von HipHoplife.PRO ist es, Rapper herauszubringen, die ihre Musik seit Jahren im Internet veröffentlichen, ohne bisher auf den Markt gegangen zu sein. Um einen Neustart der Rap-Kultur zu initiieren, veröffentlichen Ulaş Demiröz und Pasaj Müzik zwischen 2011 und 2013 drei Sammelalben unter dem Titel „Organize Oluyoruz (1-3)“ („Wir organisieren uns“). Die Alben enthalten unentgeltlich zu Verfügung gestellte Songs der bekanntesten türkischen Rapper, in denen bewusst auf gegenseitige Beschimpfungen verzichtet und die ritualisierte Feindschaften unter den Beteiligten nicht thematisiert wird. Anstelle der üblichen Battle-Raps enthält insbesondere das dritte Album Texte mit sozialkritischer, teilweise politischer Ausrichtung. So rappt beispielsweise Kamufle in seinem Song „Neyin Farkındasın“ über die weitverbreitete Blindheit gegenüber Ungerechtigkeiten: Neyin farkındasın?

Was nimmst du wahr?

Doğru ya da yanlışın mı?

Das Richtige oder das Falsche?

Haklının mı? Haksızın mı?

Den, der Recht hat? Den, der Unrecht hat?

Yoksa yok sayılan halkının mı?

87 Dokumentarfilm Naber Kanka (2011).

Oder das Volk, das nicht beachtet wird?

334 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Neyin farkındasın?

Was nimmst du wahr?

Katilin mi ? Adilin mi?

Den Mörder? Die Gerechtigkeit?

Haklarını 1 kömüre feda eden halinin mi?

Den Zustand, für ein Stück Kohle auf Recht zu verzichten?

Neyin farkındasın?

Was nimmst du wahr?

Tecavüzcü adinin mi?

Die Gerechtigkeit dem Vergewaltiger?

Küçük bi kızın hayatını yok sayan adale-

Die Justiz, für die das Leben eines klei-

tin mi?

nen Mädchens nicht zählt?

Neyin farkındasın?

Was nimmst du wahr?

Taksim’in mi Silivri’nin mi?

Taksim oder Silivri?

Sözde adaleti savunan bi kibirlinin mi?

Den Prahler, der von Gerechtigkeit spricht?

Neyin farkındasın?

Was nimmst du wahr?

Yanlı medyanın mı?

Die einseitigen Medien?

Bezüglich der Gezi-Proteste ist der Text von Sayedar feat. Orçun Tha Leo (of Sattas) im Song „Sen, Ben Yok“ Noch kritischer und offener: Her cümle meşale, bu kelimelerin direnmesi Tüm dünya Taksim artık, Diren Gezi! Diren sen ol, diren ben ol Jeder Satz ist eine Fackel, der Aufstand der Wörter Die ganze Welt ist jetzt Taksim, Aufstand Gezi! Sei du Widerstand, ich sei Widerstand!88

Nicht rebellisch, sondern poetisch und nachdenklich sind die Texte von Farazi V Kayra, die sich ebenfalls auf dem dritten Album „Organize Oluyoruz“ finden und laut Ulaş Demiröz auch bei Schriftstellern beliebt sind. Hier ein Ausschnitt aus dem Song „Emekli Kahvesi“, der vom Leben eines einfachen alten Menschen handelt: „İnatla bitmeyen bütün yokuşların taa en başında, öyle mutlu yürüyorsun ki alkışlanır ayakta, Elinde var birkaç lira, çevir avuçlarında, sokağa girmeden bir çay mermer avlularda, Rengi atmış evlerin yarı açık camından şarkılar sızar bir rivayet anlatan, Şarkı der ki bak bekleyince kimse gelmez, öyle maziyiz ki kimse görmez,

88 Übersetzung durch die Autorin.

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Kaldırımlar, altı katlı hanlar, önlerinde yevmiye bekleyen yorgun hamallar, O dakika istedim heykelin dikilsin, heykelin dikilsin istedim sen ses etmedin“ Du läufst so glücklich den ganzen Hang entlang, der trotzig nicht enden will, man könnte im Stehen applaudieren. In deinen Händen einige Lira, dreh’ sie in deinen Händen, bevor du in die Straße einbiegst, ein Tee in den Höfen aus Marmor. Die Häuser sind verblasst, aus ihren Fenstern dringen Lieder, die Märchen erzählen. Das Lied sagt: ‚Schau, wenn du wartest, kommt niemand’. Wir sind uns selbst überlassen, keiner bemerkt es. Die Bürgersteige, sechsstöckige Herbergen, davor warten die erschöpften Lastträger auf ihr Tagegeld. In dem Moment war es mein Wunsch, dass eine Statue von dir errichtet wird, ich wollte, dass deine Statue errichtet wird, du hast nichts gesagt.89

Die Orientierung der Songs der drei Alben ist vielgestaltig: Mal politisch, mal soziakritisch, mal erzählen sie in kodierter Form von persönlichen Erlebnissen oder über die Situation des HipHop in der Türkei. Gemeinsam sind allen Songs allerdings eine ausgesuchte Ernsthaftigkeit und die inhaltliche Tiefe der Texte. „In diesem Album gibt es keinen Mainstream-Song“, meint Ulaş Demiröz. Der bereits erwähnte Song „Çocuk“ von Yener, ist der einzige Arabesk-Rap, der aber wie weiter oben geschildert, nicht mit dem sonst üblichen Arabesk-Rap zu vergleichen ist. Wie in anderen Ländern existiert auch in der Türkei das Problem, dass Musik illegal aus dem Internet heruntergeladen wird. Obgleich sich deshalb Rap-CDs in der Türkei kaum verkaufen lassen, erreichte das erste Album der „Organize Oluyoruz“-Serie eine Verkaufszahl von ca. 8.000 Stück. Darüber hinaus fanden die Alben ein verhältnismäßig großes Echo in den türkischen Medien. Mithin hat Ulaş Demiröz damit sein Ziel, die Akzeptanz des türkischsprachigen Rap in der türkischen Öffentlichkeit zu steigern, erreicht. Neben diesem Imagewechsel geht es HipHop-Aktivisten wie Ulaş Demiröz auch darum, die persönlichen Konflikte innerhalb der Szene zu lösen und dem Freestyle und Battle-Rap eine Plattform zu geben, die den Verhaltensnormen in der Türkei gerecht wird. So organisierte er in den letzten Jahren FreestyleWettbewerbe mit entsprechenden Regeln. Es darf zwar gedisst werden, der Rap darf Beschimpfungen (küfür) enthalten, aber diese sollen nicht über „ich“ und „du“ hinausgehen („benden senden dışarıya çıkamaz“), d.h. Familienmitglieder

89 Übersetzung durch die Autorin.

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oder Angehörige müssen verschont bleiben. Wie bereits geschildert, führte gerade die Beleidigung von Müttern, Schwestern und Partnerinnen zu unüberwindbaren Konflikten innerhalb der Szene. Weiterhin gibt es die klare Regel, dass sich die teilnehmenden Rapper nach dem Battle umarmen und verabschieden müssen. Gegenseitige Beleidigungen und Konflikte können auf der Bühne ausgetragen werden, aber nicht abseits davon im täglichen Leben. Oder wie Ulaş Demiröz es im Interview ausdrückte: „Was dort anfängt, soll auch dort bleiben.“ Das Engagement scheint sich auszuzahlen: Wenngleich TV- und RadioSender weiterhin US-amerikanischer Rap-Musik den Vorrang geben, wird laut Ulaş Demiröz in jüngster Zeit auch türkischsprachigen Rap ausgestrahlt. Inzwischen gibt es in Istanbul zahlreiche Diskotheken, die US-amerikanischen Rap auflegen. Der erste und immer noch bekannteste ist der Riddim Club in den Räumen des ehemaligen Rock-Club Kemancı. Traten im Jahre 2000 in diesen Räumen noch die damals unbekannten Rapper Ceza, Dr. Fuchs und Yunus Özyavuz (vormals Silahsız Kuvvet) vor einem relativ kleinen Publikum auf, so ist diese Einrichtung heute ein nobles Etablissement für HipHop und R&B geworden, das sowohl türkische als auch internationale Besucher anzieht. Seit Juni 2014 wird dienstags probeweise auch türkische Rap-Musik aufgelegt. Die erwähnten Beispiele von Bands und Stilen zeigen, wie vielfältig und vielschichtig Rap-Musik in der Türkei in den letzten 10-15 Jahren geworden ist. Karakurluk geht nach einer intensiven Internetrecherche davon aus, dass es inzwischen mehr als 800 Underground MC’s oder Gruppen gibt, die türkische Rap-Musik produzieren (2012:15, im Internet). Das Internet bringt Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen und dient als kulturelle Ressource, als Aktionsfeld, als Plattform, um sich oder die eigene Leistung darzustellen. Räumlich und ökonomisch unabhängig voneinander können Interessierte an ihren Computern lernen, wie man Rap-Musik oder auch Arabesk-Rap macht, wobei sich die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten verwischen. Die unbegrenzte Vielfalt des Internets führt auch innerhalb der türkischen Rap-Musik zu unterschiedlichen Stilen und Kombinationsmöglichkeiten, die nur vage Kategorisierungen zulassen. Englischsprachiger beziehungsweise US-amerikanischer Rap, türkischsprachiger sozio-politischer Rap, Battle Rap, Cezas Flex-Stil, Sagopa Kajmers Pesimist Rap oder Arabesk-Rap sind grobe Einteilungen der in der Türkei verbreiteten Rap-Musik, die Grenzen sind oft fließend. Diese Pluralisierung führte dazu, dass nicht mehr wie Ende der 1990er Jahren die Frage dominiert, ob man überhaupt Rap-Musik hört, sondern vielmehr welcher Form der Rap-Musik man anhängt.

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8.4 M ÖGLICHKEITEN UND G RENZEN DER TRANSNATIONALEN Z USAMMENARBEIT Bei der Betrachtung der Stile und unterschiedlichen Phasen der Annahme und Ablehnung der HipHop-Kultur in Berlin und Istanbul stellt sich die Frage, welche Entwicklung die transnationale Bindung zwischen Deutschland und der Türkei genommen hat. So engagiert einzelne deutschtürkische HipHop-Aktivisten in der Türkei auch nach der Zeit von Cartel waren, so nahm ihre Bedeutung in der Türkei in den letzten Jahren deutlich ab. Noch 2006 veröffentlichte die englische Ausgabe des Time Out Magazines eine Liste mit „Quintessential listening“ der türkischen Rap-Musik, auf der ungefähr die Hälfte aller Titel deutschtürkischer Herkunft war. Inzwischen haben sich weitaus mehr Rapper aus der Türkei soweit professionalisiert und sind in die Öffentlichkeit getreten, dass Rapper aus Deutschland in der türkischen Rap-Szene eine Minderheit geworden sind. Istanbuler Rapper wie beispielsweise Da Poet, Pit10, Sansar Salvo, Ayben, Rapozof oder Kamufle avancierten in den letzten Jahren neben Ceza und Sagopa Kajmer zu anerkannten, wenn auch nicht ganz so populären Rappern in der Türkei. Die Ursache der abnehmenden transnationalen Bindung liegt zum einen darin, dass Aktivitäten in der Türkei für Deutschtürken finanziell nicht lukrativ erscheinen, da der türkische Markt im Vergleich zum deutschen zu klein ist, um den Aufwand einer Karriere in der Türkei zu rechtfertigen. Lediglich Ceza und Sagopa Kajmer können es sich leisten, von ihrer Musik zu leben. Transnational aktive Rapper bevorzugen es, in Deutschland zu arbeiten, weil sich dort Aufnahmen in der Regel schneller organisieren lassen. Zudem mussten Rapper wie zum Beispiel Aziza A. feststellen, dass sich der Geschmack in der Türkei vom eigenen unterscheidet: „Das interessante war, dass sie dort nicht diese traditionellen Klänge einbauen wollten, sondern sie wollten eher moderne Sachen einbauen, […] Europa Sound, Elektro“. Da derartige Stilelemente in Deutschland allgegenwärtig sind, entschied sich Aziza A. dagegen, „weil ich das tagtäglich habe, und für mich diese leicht orientalischen Klänge interessant kommen und das originell machen.“ (Aziza A. im Interview am 25.6.2012) Der unterschiedliche Musik-Geschmack und unterschiedliche Produktionsweisen wirken sich offensichtlich hemmend auf die Intensität der transnationalen Zusammenarbeit aus. Weitaus größere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang jedoch der Sprache und Sprachkompetenz der Akteure zu. Wie im Hauptteil der vorliegenden Arbeit erläutert, steht die Sprache in der Rap-Musik im Vordergrund. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Sprachkompetenz, ein großer Wortschatz, der womöglich im Freestyle spontan angewandt wird, der sogenannte „Flow“ und die Fähigkeit mit der Sprache spielerisch umzugehen, sind

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die Kriterien und Werte, mittels derer sich ein Rapper Anerkennung verschaffen kann. Für das Verständnis von Rap, sowohl auf der Produzenten- als auch der Konsumentenseite, ist daher die Beherrschung der Sprache in all ihren Feinheiten eine unabdingbare Voraussetzung. Darüber hinaus bezieht Rap sich inhaltlich oft auf die persönliche oder gesellschaftlich-politische Situation, in der sich der Interpret bewegt, sodass Außenstehende, die mit dem landes-, stadt- oder bezirksspezifischem Kontext nicht vertraut sind, kaum in der Lage sind, die Texte vollumfänglich zu verstehen. Ein Song kann beispielsweise ein einziger Diss gegen eine Person sein, die allerdings namentlich noch nicht einmal erwähnt wird. Insider verfolgen diese Beziehungsattacken mit Interesse und verstehen den Text ohne weitere Erläuterungen. Sympathie und Antipathie können mitgefühlt, eigene Positionen bezogen werden. Demjenigen, dem dieses Insider-Wissen fehlt, wird der Text jedoch nichtssagend und irrelevant erscheinen. Dieser für die Rap-Musik spezifische Aspekt erschwert die transnationale Zusammenarbeit über das Problem der Sprachkompetenz hinaus. Können deutschtürkische Rap-Hörer noch von ihrer Zweisprachigkeit profitieren und Rap-Musik aus beiden Ländern verstehen – wenn auch gerade durch die kodierte, zum Teil komplizierte Sprache inhaltlich begrenzt – so wird deutschsprachiger Rap in der Türkei gar nicht erst verstanden. Der Erfolg von Kool Savaş in Deutschland wird zwar von HipHop-Aktivisten in der Türkei positiv aufgenommen, doch fehlt ihnen die Sprachkompetenz, um die Inhalte seines deutschsprachigen Rap zu erfassen. Die Zweisprachigkeit der Deutschtürken erlaubt ihnen in der transnationalen Welt der HipHop-Kultur soweit aktiv zu sein, dass sie deutsche, türkische und deutschtürkische Internetseiten verfolgen und auf diese Weise vielfältige Informationen erhalten oder auch eigene Beiträge oder Kommentare schreiben können. Die Kommentare werden von anderen Deutschtürken verstanden, unabhängig davon, ob sie in Türkisch, in Deutsch oder in beiden Sprachen vermischt verfasst wurden. In der Produktion von türkischsprachigem Rap sind Deutschtürken wiederum im Nachteil, denn nur wenige Rapper wie Fuat, Summer Cem, Sırtlan oder Killa Hakan beherrschen die türkische Sprache in der erforderlichen Weise. Fuat beispielsweise konnte sich mit seinen sprachlichen Fähigkeiten in der Türkei behaupten, da er im Gegensatz zu den meisten anderen deutschtürkischen Rappern seine Teenager-Zeit in der Türkei verbracht hat und sich schon damals mit türkischer Lyrik beschäftigte. Schon Ende der 1990er Jahre rappte er professionell auf Türkisch, noch bevor sich türkische Rapper diese Fähigkeiten angeeignet hatten. Hinzu kommt, dass der in Deutschland verbreitete Stil des Gangster-Rap, wie er vor allem von dem Label Aggro Berlin vertreten wurde, aufgrund der

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Sprachdefizite der jüngeren deutschtürkischen Künstler ein Glaubwürdigkeitsproblem in der Türkei hat. Die deutschtürkische Aussprache und die Ausdrucksschwierigkeiten deutschtürkischen Gangster-Rapper rufen in der Türkei geradezu Belustigung hervor, die ihren Authentizitätsanspruch konterkariert. Es ist festzustellen, dass die meisten transnational aktiven deutschtürkischen Rapper der zweiten Generation von türkischen Einwanderern in Deutschland angehören. Die Zukunft des türkischsprachigen Rap aus Deutschland wird mit Sicherheit in erheblichem Maße von der Sprachkompetenz der darauffolgenden Generationen abhängen. Geht man davon aus, dass die Sprachkompetenz abnimmt und gleichzeitig im Rap dem Verständnis der Inhalte hohe Priorität zugemessen wird, so muss angenommen werden, dass der transnationale Austausch zwischen Deutschland und der Türkei beziehungsweise Berlin und Istanbul in der Zukunft weiter abnehmen wird. Für deutschtürkische Rapper mit guten Türkischkenntnissen hingegen bietet die Bindung an beide Länder weiterhin größere Handlungsspielräume, insbesondere wenn der Rap ein tanzbarer Song ist und die Sprache weniger im Vordergrund steht, wie beispielsweise bei Aziza A. oder Erci E. Beide nutzen insofern weiterhin die Möglichkeiten, die Berlin und Istanbul bieten, sie veröffentlichen ihre Songs sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. Texte von Aziza A. handeln inzwischen seltener von ihrer kulturellen Herkunft. Persönliche und frauenspezifische Themen, wie beispielsweise der Schönheitswahn oder die Doppelmoral der türkischen Gesellschaft, sind in den Vordergrund gerückt, und dies teilweise in sehr selbstbewusster, ironisch-provozierender Form90. Transnationale Aktivitäten und die Reflektion über nationale Zugehörigkeiten Von zweigleisigen transnationalen Aktivitäten zeugen die voneinander unabhängigen Veröffentlichungen des deutschtürkischen Rappers Erci E. in Deutschland und der Türkei. Zwischenzeitlich lebte er in Istanbul, seit 2007 wohnt er wieder hauptsächlich in Berlin, wo er als Moderator für verschiedene Radiosender wie beispielweise KissFM, Fritz, Radio Multikulti (RBB), You FM und Metropol FM tätig ist. Die Arbeit in zwei Ländern wirkt sich darauf aus wie Erci E. über die eigene Herkunft und Identität reflektiert. Dies wird exemplarisch an drei seiner Songs deutlich, an denen sich der Wandel seiner Haltung zu Deutschland und seiner türkischen Herkunft ablesen lässt. Diese Veränderungen sind eng mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland, aber auch mit seinen Erfahrungen in der Türkei verwoben.

90 Siehe hier auch die 2013 erschienene CD „Kulak Misafiri“.

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Nach den rassistischen Anschlägen in Deutschland Anfang der 1990er Jahre rappte Erci E. als Mitglied von Cartel den Song „Türksün“, in dem er sich mit dem Aufruf: „Du bist ein Türke, vergiss es nicht“ kämpferisch gegen Rassismus wandte. Wie bereits geschildert (Kapitel 4.1.2) unterstrich zusätzlich die Verwendung der türkischen Fahne die türkische Herkunft der Band und ihre couragierte Gegenposition zum deutschen Nationalismus. Drei Jahre später veröffentlichte Erci E. den Song „Weil ich ein Türke bin“, in dem er das Thema Rassismus diesmal humorvoll aufgriff und mit vorhandenen Klischees spielte. 2013 erschien dann schließlich der Song „Deutschland sensin“ („Du bist Deutschland“). In diesem poppigen, fröhlich gehaltenen Rap-Song hört man des Öfteren in kurzen Ausschnitten die deutsche Nationalhymne, die jedoch in einer orientalischen Art gesungen wird. Der Song verdeutlicht das Gefühl der Zugehörigkeit zu Deutschland, trotz des nach wie vor empfundenen Rassismus. Im Folgenden die erste Strophe und der Refrain: Zu viele leben ohne Plan Wissen nur sie wollen fort Ich liebe dieses Land Das Deutschland hier, mein Heimatort Es will mich nicht so wirklich Bin ihnen immer noch viel zu türkisch. Es passt nicht, wenn ich sage, dass ich noch ‚ne Sprache habe Dann noch die Glaubensfrage Haare, Art und Augenfarbe Da hat der Deutsche Sorge wegen der Kanakenhorde Die hier bald alles übernimmt Paranoia Hirngespinst Man hat dich voll auf Angst getrimmt. Du bist von Wahn und Hass bestimmt [Refrain:] Deutschland ich denk an dich in der Nacht Hab mit dir viel durchgemacht Mein ganzes Leben hier verbracht Deutschland ich bin hier aufgewacht Du bist ein Teil von mir geworden Für immer vereint mit Liebe und Sorgen

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Diese drei Songs klingen in erster Linie persönlich, doch spiegeln sie meines Erachtens die Entwicklung der gesellschaftlichen Stimmung und die persönliche Einstellung vieler Menschen mit türkischem Hintergrund in Deutschland wieder. Im Hauptteil dieser Studie bin ich auf das erstarkte Nationalgefühl und den Rassismus der Nachwendezeit eingegangen, der dazu führte, dass deutschtürkische junge Menschen gerade im populären Kulturbereich selbstbewusst und mit Stolz auf ihre Herkunft antworteten. Der teils institutionelle Rassismus überdauerte die Nachwendezeit, was sich unter anderem an den ca. ein Jahrzehnt später begangenen Morden an türkischen und griechischen Migranten, die dem später sogenannten NSU-Trio zugerechnet werden, und dem darauffolgenden Versagen deutscher Behörden manifestiert, die die Täter im Umkreis der Angehörigen der Opfer vermuteten und Hinweisen auf einen rechtsextremistischen Hintergrund nicht nachgingen. Allerdings entwickelte sich Deutschland in dieser Zeit politisch als auch gesellschaftlich weiter: Im Vergleich zur Nachwendezeit ist heute eine weitaus größere Weltoffenheit zu beobachten. Deutschland ist insgesamt pluralistischer geworden. Vor diesem Hintergrund haben deutschtürkische Rapper wie Erci E. oder Alpa Gun angefangen, ihre Zugehörigkeit, auch emotionale Zugehörigkeit, zu Deutschland als Menschen mit türkischem Hintergrund zu betonen. Wie bei Alpa Gun tut dies auch Erci E. durch entsprechende Aussagen im Rap und die gleichzeitige Verwendung der deutschen und der türkischen Nationalflagge in seinem Videoclip. Erci E. wurde während seines längeren Aufenthalts in Istanbul bewusst, dass Deutschland seine Heimat ist: „Es ist viel schlimmer, dass deine Denkweise anders ist, als die dort. Dass man halt merkt, wie sehr man eigentlich schon anders drauf ist, als die, die ständig dort leben. Es ist nichts, was man nicht überwinden kann, aber es ist eine Frage, was bringt es. Also, wenn man weiß, wie es dort läuft und wie man selber denkt, dann kriegt man das hin.“ (Erci E. im Interview am 12.10.2009)

Der Song „Deutschland sensin“ ist somit nicht nur als Folge von Erfahrungen im deutschen Kontext zu interpretieren, sondern auch als Folge von Erfahrungen, die er in der Türkei gemacht hat, d.h. als Folge transnationaler Erfahrungen, die zu einer Art Re-Lokalisierung geführt hat. Die drei Songs von Erci E. thematisieren die türkische Herkunft, den erlebten Rassismus und die eigene Positionierung gegenüber Deutschland. Es muss aber betont werden, dass sich Erci E. in seinem Rap in erster Linie durch tanzbare, poppige Musik auszeichnet. Mit dem Song „Deutschland sensin“ hat er das Thema der Zugehörigkeit für sich zunächst abgeschlossen:

342 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN „Ich habe überhaupt keine Lust mehr auf dieses gurbetçi dertleri (die Sorgen der gurbetçi). Weißt du, dieses vatandan uzak und so, also dieses weit weg von der Heimat. Das werfe ich keinem vor. Das ist aber vorbei. Man muss sich bekennen, wo man lebt, dazu muss man stehen. Dazu muss man sich bekennen. Und in diesem Bekennen zu dem, wie es ist, stecken auch die paar Körnchen Probleme. Das sind auch ernste Probleme, die man auch ruhig benennen sollte. Damit es immer besser wird und besser zusammen funktioniert einfach. (…) Auf jeden Fall habe ich große Lust darauf deutschsprachig zu bleiben. Punkt eins ganz wichtig. Ich habe jetzt große Lust nach langer Zeit nur noch auf Deutsch erstmal Sachen zu machen und da wird auch thematisch endlich mal viel mehr passieren. ‚Weil ich ein Türke bin‘ und ‚Deutschland sensin‘ geben so den Eindruck, als ob wenn ich auf Deutsch rappe, singe, dann immer nur über dieses Thema. So war das nie gemeint. Weil auch mit türkischen Texten beschreibe ich das ganze Leben und nicht nur irgendwelche Integrationsthemen oder Herkunftssachen. Das ist doch nur ein Teilbereich und deswegen freue ich mich eigentlich auf die nächste Single. Es gibt da schon was und ja, es geht da um Liebe.“91

Im Sommer 2014 veröffentlichte Erci E. zusammen mit dem Istanbuler Yalçın Aşan schließlich in der Türkei eine Single mit dem Namen „Rakkas“, der auf dem gleichnamigen, bekannten Tanzlied der Pop-Sängerin Sezen Aksu basiert. Ihr Song und die weiteren mitveröffentlichten vier Remixe sind in erster Linie Songs zum Tanzen. Erci E. gehört wie Summer Cem und Sırtlan zu den wenigen deutschtürkischen Rappern, die noch einen Song im ersten oder im zweiten Volume von der CD-Reihe Organize Oluyoruz veröffentlicht haben. „Sie haben sich zurückgezogen“, meinte Ulaş Demiröz. „Sie sind älter geworden und die Möglichkeiten von heute gab es ihrer Zeit nicht.“ Ulaş Demiröz plant einzelne wenige transnationale Projekte zwischen der Türkei und Deutschland, doch die Intensität der Anfangsjahre wird sich sicherlich nicht wiederholen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Alpa Gun der Premium Edition seines Albums „Geboren, um zu Sterben“ eine DVD beigelegt hat, die seinen einwöchigen Aufenthalt in Istanbul dokumentiert. Dabei wird seine Verbundenheitet zur Türkei und insbesondere mit Istanbul deutlich. Obgleich er den Videoclip zum Song Alper Abi in Istanbul gedreht hat, so rappt er dort nicht mit türkischen Rappern, ausschließlich auf Deutsch und featured Menschen unterschiedlicher Herkunft, die in Deutschland leben. Die Zeit zwischen 2000 und 2014 zeichnet sich darin aus, dass sich HipHopAktivisten in Berlin und Istanbul innerhalb ihrer jeweiligen Stadt, aber auch auf

91 Erci E. im Interview bei Çılgın im Funkhaus Europa, WDR, am 5.10.2013.

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transnationaler und globaler Ebene größere Handlungsspielräume geschaffen haben, die abwechselnd von Sympathie, aber auch von Ablehnungen, von Distanzierungen und auch von Re-Lokalisierungen geprägt sind. Gefördert wurde diese Entwicklung in erster Linie durch das Internet, aber auch durch die Unterstützung von Medien und einzelnen Institutionen und die persönlichen Erfahrungen der HipHop-Aktivisten in und zwischen Deutschland und der Türkei. Festzustellen ist, dass Rap-Musik unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft sowohl von Außenseitern als auch von Etablierten ausgelebt und weiterentwickelt werden kann. Sie kann sowohl Gruppengrenzen markieren, als auch den Individualismus fördern – im Internet weitgehend frei von kommerziellen Interessen, in der Jugendarbeit, in Freundeskreisen oder in selbst geschaffenen Strukturen. Die unendlich vielfältigen Möglichkeiten, die der HipHop als Kunstform bietet, seine Wandelbarkeit, seine Stilvielfalt, seine Ausdrucksmöglichkeiten machen ihn zu einer besonderen Jugendkultur, die unabhängig von Modetrends höchstwahrscheinlich noch für längere Zeit existieren wird. Es bleibt abzuwarten, welche neuen Stile, Stilvermischungen und Formen nach Gangster-Rap, Flex, Battle-Rap, Politischem Rap, melancholischem Rap und Arabesk-Rap entstehen werden. Mit zunehmendem Abstand zur ersten Einwanderer-Generation von Türken in Deutschland und der damit einhergehenden Auflösung der türkischen Sprachkompetenz unter Deutschtürken ist jedoch – wie weiter oben dargestellt – davon auszugehen, dass transnationalen Bindungen innerhalb der Rap-Szene schwächer werden. Generell lässt sich sagen, dass die (deutsch-)türkische HipHop-Kultur zwar ein transglokales Phänomen ist, aber die Bedeutung der transnationalen Verbindungen im Rap in den letzten Jahren spürbar nachgelassen hat. Langfristig ist aus dem transglokalen Fundament eine Kultur entstanden, die ihren Schwerpunkt im Lokalen hat und gleichzeitig nicht nur bi-laterale Bindungen zwischen Deutschland und der Türkei eingeht, sondern verstärkt auch international. Davon zeugen die vermehrten Features mit US-amerikanischen Rappern. Anders scheint sich die Entwicklung in den Bereichen Breakdance und Graffiti zu gestalten. Wie im Rap waren auch in diesen HipHop-Disziplinen deutschtürkische Jugendliche in Deutschland früh aktiv und professionell. Diese beiden Kunstformen bauen nicht auf Sprache, sondern auf Tanz und Graphik auf. In internationalen Projekten wie dem „Graffiti Festival Meeting of Allstars“ oder dem „Red Bull Anadolu Break“ werden weiterhin intensive transnationale Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei gepflegt. Die vorliegende Studie möchte ich mit einer Zeile aus einem aktuellen Song der Istanbuler Rapper Pit10 schließen, das die lange Geschichte der türkischsprachigen Rap-Musik in Deutschland und der Türkei – vom Beginn in Kreuz-

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berg mit Islamic Force über Cartels transnationale Brücke bis hin zu den vielfältigen Interpretationen und Stilen der Rap-Musik in Berlin und in Istanbul – in wenigen Worten zusammenfasst: Yaşasaydı, benle gurur duyardı Boe-B92 Wenn Boe-B noch lebte, würde er stolz auf mich sein

Ich denke, dass dies für viele türkische und türkischstämmige Rapper in Berlin und Istanbul gilt.

92 Letzte Zeile des Songs „Nehir gibi“ im Album Organize Oluyoruz 3. Übersetzung durch die Autorin.

Glossar

Almancı

Türkische Bezeichnung für eine in Deutschland lebende Person türkischer Herkunft, oft in pejorativer Form genutzt. Ein im Deutschen äquivalenter Begriff wäre „Deutschländer“.

Arabesk-Musik

Musikform, die arabische, türkische und westliche Klänge miteinander verbindet. Arabesk-Lieder handeln in erster Linie von Sehnsucht, Schmerz, Leid und unerfüllter Liebe. Diese Musikform wird mit dem Leben in den Gecekondu-Bezirken der Städte in Verbindung gebracht, in denen Zugezogene ein sehr einfaches Leben führen und ihre traditionellen, in den Augen der Städter „primitiven“ Lebensgewohnheiten beibehalten. Der Begriff Arabesk wird oft von der städtischen Mittel- und Oberschicht zur Beschreibung für „primitive Stillosigkeit“ und „unkultiviertes Benehmen“ verwendet.

Battle-Rap

Friedlicher Wettkampf, in dem ein „Feind“ (anderer Rapper) verbal durch den eigenen, besseren Rap „besiegt“ wird. Dieser Rap ist charakterisiert durch aggressive und demütigende („dissende“) Texte. Gleichzeitig wird die eigene Überlegenheit zum Ausdruck gebracht.

Beatbox

Beim Beatbox wird der Rhythmus ausschließlich mit dem Mund erzeugt.

booklet

Ein dem Audio-CD zugefügtes Heftchen, das Informationen zu den Musikern und dem Verlag enthält.

Cartel

Deutschtürkische Rap-Formation, deren Mitglieder aus Berlin, Kiel und Nürnberg kommen. Ihren größten Erfolg verzeichneten sie Mitte der 1990er Jahre in der Türkei und gelten seitdem als Wegbereiter der Rap-Musik in der Türkei.

dissen

Beim Dissen wird das Gegenüber mit beleidigenden und demütigenden Aussagen verbal attackiert.

DJ

Abkürzung für den englischen Ausdruck Discjockey, eine Person, die Platten auflegt.

Feature

Gastauftritt bei einem Musikstück.

346 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Flow Gecekondu

Der Sprachfluss im Rap. Städtische Wohngebiete, die von Menschen aus ländlichen Gebieten über Nacht illegal errichtet worden sind.

Graffiti

Eine aus Sprühdosen gefertigte Bemalung und Beschriftung von Wänden im Stile der HipHop-Kultur.

Gurbet

Die Fremde, „Gurbetçi“ ist eine Person, die in der Fremde lebt.

Halay

Türkischer Volkstanz, bei dem händehaltend in einer Reihe getanzt wird. Dieser Tanz ist bei türkischen Festen sehr verbreitet.

HipHop

Oberbegriff für eine Jugendkultur, die in die kulturellen Bereiche Rap, Graffiti, DJing und Breakdance unterschieden wird.

Kro Maganda

Synonym für Maganda. Bezeichnung eines Männlichkeitstyps mit unkultiviertem, unhygienischem Macho-Verhalten und bestimmtem Aussehen: Schnurrbart, Schlaghosen. Die Begriffe Maganda, Gecekondu und Arabesk bezeichnen Phänomene, die durch die Landflucht und Beibehaltung ländlicher Werte in der Stadt entstanden sind.

MC

Abkürzung für „Master of Ceremony“ und ein anderer Ausdruck für einen Rapper, der die Menschen unterhält.

Message Özenti

Die Botschaft im Rap-Text. Wird im Allgemeinen mit Nachahmung übersetzt. Salopp formuliert beschreibt es den Zustand des „Möchte-gern“. Beispielsweise gilt eine Person, die sich entsprechend der HipHop-Kultur kleidet, allerdings kein Wissen über Rap-Musik hat, als jemand bezeichnet, der HipHopper aus „özenti“ ist. In Istanbul wird dieser Begriff in einer pejorativen Form benutzt, um anderen ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Piyasa

Die gängige Übersetzung ist Markt. Im subkulturellen Bereich wird der Begriff auch für Kommerz und im Sinne von kommerzialisiert verwendet.

Rap

Der für die HipHop-Kultur typische rhythmische Sprechgesang.

Sampeln/

Beim Sampeln werden Teile eines anderen Musikstückes oder Auf-

samplen

nahmen in ein Musikstück eingespielt.

Varoş

Städtische slumähnliche Gebiete in der Türkei.

Interviewliste

Name

Datum

Ort

Interviewsprache

DJ H-Khan

8.1.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

Jale (Kiss FM/Metropol FM)

25.1.1999

Berlin

Türkisch

Erdal Çelik (Club Nostalji)

26.2.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

Alev Çağlar (Hip-

März 1999

Istanbul

Türkisch

21.3.1999

Istanbul

Deutsch & Türkisch

Production) Ünal Yüksel und Yücel Yolcu Necati Tüfenk (KOD Müzik)

März 1999

Istanbul

Türkisch

Ethem Bozkurt (Kanacks

29.5.1999

Berlin

Deutsch

with brain) 14.7.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

Emine Demirbüken (Berzirk- 15.7.1999

Kurtuluş (Pop-Szene)

Berlin

Deutsch

samt Schöneberg) Savaş (Pop-Szene)

16.7.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

Gökmen G. (Pop-Szene)

21.7.1999

Berlin.

Türkisch

Tamer Yiĝit (DJ Rakeem)

24.7.1999

Berlin

Deutsch

Volkan (Volkan T.)

30.7.1999

Berlin

Deutsch

Fuat Ergin (Royal Bunker)

4.8.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

DJ Zeki (Club Hadigari)

28.8.1999

Bodrum

Türkisch

Besitzer eines CD-Ladens in

August

Bodrum

Türkisch

Bodrum

1999

Zafer Kuruş (KMC, DJ

6.10.1999

Berlin

Deutsch

Wolfhard Schulze

7.10.1999

Berlin

Deutsch

Crok (Flying Steps)

8.10.1999

Berlin

Deutsch & Türkisch

Smolface, DJ Binichja. Beathoavenz)

348 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN Metin (Naunynritze)

12.10.1999 Berlin

Deutsch

Dog (Megalomaniax)

13.10.1999 Berlin

Deutsch

Bektaş

14.10.1999 Berlin

Deutsch

Erci E. (Cartel)

18.10.1999 Berlin

Deutsch

Cemil (Royal Bunker)

22.10.1999 Berlin

Deutsch

Taner Bahar (DJ Cut’em T,

3.1.1999

Deutsch & Türkisch

Berlin

Islamic Force, Cartel) Sultana

Juni 2000

Berlin

Türkisch

Yunus Özyavuz (Mic Check,

15.5.2000

Istanbul

Türkisch

18.5.2000

Istanbul

Türkisch

Silahsız Kuvvet / Sagopa Kajmer) Tunç Dindaş (Turbo, Statik, S2K, Blue Jean) Ceza und Dr. Fuchs (Nefret)

10.5.2000

Istanbul

Türkisch

Orhan (Rapor 2)

23.5.2000

Istanbul

Türkisch

Elif

17.5.2000

Istanbul

Türkisch

Ayben

6.1.2006

Berlin

Türkisch

Erci E. (Cartel)

12.10.2009 Berlin

Deutsch

Ünal Yüksel

23.9.2009

Berlin

Deutsch & Türkisch

Aziza A.

25.6.2012

Berlin

Deutsch

Sultan Tunç

29.4.2013

Berlin

Deutsch & Türkisch

Ulaş Demiröz (Hip-

28.6.2014

Istanbul

Türkisch

30.6.2014

Istanbul

Türkisch

Hoplife.com.tr) Zen-G, Asil Slang, V.Z. (Tahribad-ı İsyan)

Aufgelistet sind die Interviewpartner, die in der vorliegenden Studie direkt zitiert werden. Türkischsprachige Interviews und Teile in zweisprachigen Interviews wurden in dieser Arbeit von der Autorin ins Deutsche übersetzt.

Verwendete Dokumentarfilme

Filme auf DVD Alpla Gun (2014): Geboren um zu Sterben. Dokumentationsfilm auf DVD als Beilage zur gleichnamigen CD, Premium Edition. Veröffentlicht bei Major Movez. Beat Street (2008): von Harry Belafonte & David V. Picker. Ursprüngliche Veröffentlichung 1984 bei Orion Pictions Engin Altınova (2009): In the Lab – eine HipHop Dokumentation. Regel, Henrik; Gumpert, Stephan von u. a. (2008): Rap City Berlin II. Royalbunker Präsentiert: Gegen die Kultur. Ein Film von Stefan Pethke und Nicole Rother (2005) Wild Style (2009); von Charlie Ahearn, erschienen bei ZYX Music. Ursprüngliche Veröffentlichung 1982 bei Wild Style Productions VHS-Videos Claudia Rhein (1994): Do you remember 93 – InterNation HipHop Konzerte Turkish HipHop Jam. Ein Film aus der Naunynritze (2001). TV-Beiträge Cengiz Özkarabekir 2007: Turkish HipHop, ausgestrahlt am 9.11.2007 (Teil 1) und 16.11.2007 (Teil 2) bei CNN Türk Interview mit Alpa Gun in der Sendung Oriental Night bei TVBerlin am 15.4.2012 Interview mit Alpa Gun in der Sendung Oriental Night bei TVBerlin am 17.9.2014

Diskographie

Alpa Gun (2007): Geladen und entsichert. Sektenmuzik Alpa Gun (2010): Almancı. Sektenmuzik Alpa Gun (2012): Ehrensache – Premium Edition. Major Movez Alpa Gun (2014): Geboren, um zu sterben – Premium Edition. Major Movez Ayben (2010): Sensin O. Pozitif Müzik Aziza A. (1997): Es ist Zeit. BMG Aziza A. (2002): Kendi dünyam. Doublemoon Aziza A. (2013): Kulak Misafiri. On sanatsal Etkinlikler Azra (2002): Azrabesk. Royal Bunker B-Tight (2007): Neger Neger. Aggro Berlin Bektaş (2001): Was Lousn? Jive Cartel (1995): Cartel. Universal Ceza (2002): Med-Cezir. Hammermüzik Ceza (2004): Rapstar. Hipnetic Records Ceza (2006): Yerli Plaka. Hammer Müzik Ceza (2006): Feyz Al. Hammer Müzik Ceza (2012): Türk Marşı. Esen Entertainment Ceza & Killa Hakan (2008): Bomba Plak. Dolunay Müzik & Orijinal Müzik DJ Boulevard Bou (1999): Türkçe Hip Hop Mixtape. Various Artists. 360̊ Records Erci E. (1997): Sohbet. Raks Müzik Yapım Erci E. (1998): Weil ich’n Türke bin. BMG Erci E. (2013): Deutschland sensin. Boogie Down Berlin Fettfleck Sampler Volume One (2002): Various Artists. Royal Bunker Fler (2008): Fremd im eigenen Land. Aggro Berlin Freunde der Sonne (2003): Nur noch 24 Stunden. FDS Records Fuat (1999): Hassickdir? Monopol Tapeproduktion Fuat (2001): Hassickdir? II. Ypsilon Recordz

352 | HIPH OP ZWISCHEN I STANBUL UND B ERLIN

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D ISKOGRAPHIE

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Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 April 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2364-2

Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Jugendbewegungen Städtischer Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt 2014, 400 Seiten, Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb. , 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2130-3

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Kultur und soziale Praxis Martina Kleinert Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung 2014, 364 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2882-1

Marion Schulze Hardcore & Gender Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur April 2015, ca. 400 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2732-9

Nadja Thoma, Magdalena Knappik (Hg.) Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis Mai 2015, ca. 300 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2707-7

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Kultur und soziale Praxis Jens Adam, Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen Anthropologie politischer Felder 2014, 392 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2263-8

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Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.) Fußball. Macht. Politik. Interdisziplinäre Perspektiven auf Fußball und Gesellschaft 2014, 192 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2558-5

Naime Cakir Islamfeindlichkeit Anatomie eines Feindbildes in Deutschland 2014, 274 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2661-2

Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.) Kämpfe um Migrationspolitik Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung 2014, 304 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2402-1

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Christa Markom Rassismus aus der Mitte Die soziale Konstruktion der »Anderen« in Österreich 2014, 228 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2634-6

Wiebke Scharathow Risiken des Widerstandes Jugendliche und ihre Rassismuserfahrungen 2014, 478 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2795-4

Yasemin Shooman »... weil ihre Kultur so ist« Narrative des antimuslimischen Rassismus 2014, 260 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2866-1

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