HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie 3515090797, 9783515090797

Rap-Musik betont – mehr als andere Genres populärer Musik – geographische Bezüge. Neben Beschreibungen konkreter Orte de

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HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie
 3515090797, 9783515090797

Table of contents :
Danksagung
Inhalt
Abbildungen
1 Einleitende Bemerkungen
2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie
2.1 Anfänge wissenschaftlicher Rede über Klang: Musik- und Sozialwissenschaften
2.2 Geographische Traditionen in Musik
2.3 Peopling the soundscape: Humanistische Geographie und New Cultural Geography
2.4 Musik Macht Politik: die neue Agenda
2.5 Auralität und Räumlichkeit
2.6 Zusammenfassung
3 HipHop in Raum und Zeit
3.1 The rap on rap music
3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung
3.3. Diffusionen
4 Raum und Zeit in HipHop-Musik
4.1 Räume, Orte und die Rhythmen des Alltäglichen
4.2 Rap in den USA: representing race, space and place
4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland
5 HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit
6 Literatur, Quellen, Diskographie
6.1 Literatur- und Quellenverzeichnis
6.2 Auswahldiskographie und Filme
6.3 Übersicht der Interviews
Index

Citation preview

Christoph Mager

Geographie Franz Steiner Verlag

HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie

Sozialgeographische Bibliothek – Band 8

Christoph Mager HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie

Sozialgeographische Bibliothek ---------------------------------Herausgegeben von Benno Werlen Wissenschaftlicher Beirat: Matthew Hannah Peter Meusburger Peter Weichhart

Band 8

Christoph Mager

HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie

Franz Steiner Verlag 2007

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09079-7

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2007 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: Printservice Decker & Bokor, München Printed in Germany

Danksagung

Als sich die Ideen zur vorliegenden Arbeit konkretisierten, war es alles andere als eine Selbstverständlichkeit, in der deutschsprachigen Humangeographie ein Thema zur Promotion anzunehmen, das sich mit Musik und populärer Kultur beschäftigt. Mein besonderer Dank gilt deshalb Herrn Professor Peter Meusburger, der das Thema nicht nur interessiert aufnahm und die Arbeit mit wertvollen Ratschlägen und ermunterndem Zuspruch begleitete, sondern auch die nötigen Freiräume zuließ, HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie zu bearbeiten. Alle wissenschaftliche Praxis ist an spezifische räumliche Kontexte gebunden. Das Umfeld am Geographischen Institut der Universität Heidelberg diente mir nicht nur als Arbeitsplatz und Ort der Inspiration, sondern konnte über die Ausrichtung verschiedener Vorlesungs- und Seminarreihen bedeutende wissenschaftliche Impulse vermitteln, welche über die lokalen und disziplinären Kontexte hinausreichen. Neben den Anregungen der Symposienreihe Knowledge & Space sowie der Tagung Neue Kulturgeographie III übte insbesondere die Teilnahme an mehreren Hettner-Lectures nachhaltigen Einfluss auf das eigene Geographie-Machen aus. Zudem bin ich vielen ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Diskussionen, Anregungen und vielfältige Unterstützung verbunden. Besonders danken möchte ich Michael Hoyler und Tim Freytag, die den Weg zu dieser Arbeit auf ihre je eigene Art kritisch begleiteten und unterstützten. Die vorliegende Arbeit wurde durch ein Stipendium der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg ermöglicht, das es gestattete, dem Thema meine ganze Aufmerksamkeit zu widmen und grundlegende Teile der Arbeit abzuschließen. Im Verlauf der Bearbeitung hatte ich Gelegenheit zu Forschungs- und Vortragsaufenthalten in den USA und Großbritannien, die mit Mitteln der Hiehle-Stiftung der Universität Heidelberg sowie der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung kofinanziert wurden. Diese erlaubten unter anderem die Spurensuche im musikalischen Zentrum New York, Besuche des Schomburg Center for Research in Black Culture in Harlem sowie die kritische Diskussion einiger der hier formulierten Ideen und Thesen im Rahmen von Tagungen in New Orleans und Manchester. Dank geht schließlich raus an die HipHop-Künstlerinnen und HipHopKünstler, die sich bereitwillig die Zeit genommen haben, mir außerhalb des

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Danksagung

öffentlichen Medieninteresses Rede und Antwort zu stehen. Die Arbeit und das eigene Verständnis von HipHop haben immens profitiert von den Gesprächen mit Ade Odukoya, Christian Stieber, Cooké, Cora E., Cutmaster GB, Felix Felixine, Katmando, MC René, Rick Ski, Textor, Torch und Zeb.Roc.Ski. Viele ihrer Aussagen und Einschätzungen dienten als wichtiges Korrektiv und wertvolle Ergänzungen der akademischen und medialen Wahrnehmung von Räumlichkeit im HipHop in den USA und in Deutschland. Heidelberg, im Mai 2007

Christoph Mager

Inhalt

Danksagung

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Inhalt

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Abbildungen

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1

Einleitende Bemerkungen

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2

Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

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2.1

2.4 2.5 2.6

Anfänge wissenschaftlicher Rede über Klang: Musik- und Sozialwissenschaften Geographische Traditionen in Musik Peopling the soundscape: Humanistische Geographie und New Cultural Geography Musik Macht Politik: die neue Agenda Auralität und Räumlichkeit Zusammenfassung

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HipHop in Raum und Zeit

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3.1 3.2

The rap on rap music Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung 3.2.1 Oralität und Literalität 3.2.2 Race, essentialism and the changing same: Musik in der ‚schwarzen‘ Diaspora 3.2.3 Technologie 3.2.4 Wissen Können: die frühen HipHop-DJs 3.2.5 Musikökonomie 3.2.6 Deindustrialisierung, Stadtentwicklung und Urbanität

72 79 80

2.2 2.3

25 28 37 43 56 64

90 99 110 118 127

8

Inhalt

3.2.7

Fazit

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3.3

Diffusionen 3.3.1 New York: Going all-city 3.3.2 All over the map: Hip Hop America 3.3.3 Planet Rock: HipHop allerorten? 3.3.4 ‚One, two , three... from New York to Germany‘ 3.3.5 Fazit

141 144 148 158 168 182

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Raum und Zeit in HipHop-Musik

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4.1 4.2

Räume, Orte und die Rhythmen des Alltäglichen Rap in den USA: representing race, space and place 4.2.1 HipHop-Genres und die Prozesse der Regionalisierung von Produktionsstilen 4.2.2 ‚The World is a Ghetto‘? Die Repräsentation von city, street, ’hood und nation 4.2.3 Fazit: Repräsentationen von Raum und die Räume der Repräsentation HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland 4.3.1 Geographie der Alten Schule 4.3.2 Representing (in) Deutschland: Neue Schule und die Räume von HipHop in den 1990er Jahren

192 206

265

5

HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit

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6

Literatur, Quellen, Diskographie

288

6.1 6.2

Literatur- und Quellenverzeichnis Auswahldiskographie und Filme 6.2.1 Auswahldiskographie 6.2.2 Filme Übersicht der Interviews

288 310 310 311 311

4.3

6.3

Index

207 225 245 251 253

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Abbildungen

Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7:

Frühe Veranstaltungsorte von HipHop-DJs in New York City 120 Ethnizität und Bevölkerung in New York und der Bronx, 1950–1990 131 Veröffentlichung von Rapalben in ausgewählten westeuropäischen Ländern 165 Rap auf Tonträgern in Deutschland 1986–1996: räumliche Herkunft der Künstler 175 Die Regionalisierung von Rap in den USA: räumliche Herkunft der Künstler und Gruppen bis 1994 209 Die Vernetzung der Alten Schule: Das Beispiel des Breakers Storm aus Hamburg 259 Sprache der Titel von in Deutschland veröffentlichten Rap-Tonträgern, 1988–1996 273

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Einleitende Bemerkungen

Am Anfang steht normalerweise die Faszination der Musik. Danach einsetzende Reflexionen sind nur Versuche zu verstehen, was auch schon unverstanden gefallen hat. (Jacob 1993, 15)

De La Soul Is Dead war 1991 meine erste HipHop-Schallplatte. Ein Rap-Album aus den Vereinigten Staaten, das in musikalischer, ästhetischer und textlicher Hinsicht alles mir bis dahin Bekannte erweiterte und übertraf. De La Soul, das Trio Posdnous, Trugoy the Dove und Pacemaster Mace aus Long Island, New York, produzierten zusammen mit Prince Paul eine Musik, deren Beats zunächst eine zuvor nicht gekannte Intensität, Tiefe und Dumpfheit vermittelten und zugleich mit vielleicht 90 teils trällernden, teils schwerfälligen und feuchtwarmen Schlägen die Minute zu einem gespannten und wohligen Dahinhören verpflichteten. Um und über diese Beats formten sich eklektische Melodieschnipsel, Radiojingles, wundersame Sprachfetzen und Ausrufe verschiedener Personen, verschachtelte, nicht näher zu definierende Geräusche und eine komplizierte Wortakrobatik zu einer teils psychedelisch-anästhesierenden (Posdnous heißt rückwärts gelesen sound sop), teils mitreißenden, schrägen und unzumutbaren Soundmischung, die sich zu den bis dahin bekannten melodiösen StropheRefrain-Mustern zeitgenössischer Volks-, Pop- und Rockmusik so verhielten wie vielleicht der Kontext New York/USA zum Kontext Rottweil/ Schwarzwald. Das offensichtliche Bedürfnis von De La Soul, mich als Hörer an der Vielzahl ihrer musikalischen Ideen, am Suchen von, am Basteln und am Abarbeiten an Klang frei „von der Seele“ weg teilnehmen zu lassen, schafft bis heute immer wieder die Bereitschaft, sich auf diese Musik einzulassen. Und natürlich der immens intensive Bass als bestimmendes treibendes/ bremsendes Rhythmuselement eines sich ständig überlagernden und brechenden Fließens, das sich aus verschiedensten Klangquellen speist. Deutlich wird die schiere Menge an musikalischen Verweisen und Zitaten durch einen Blick auf die Angaben zur Urheberschaft der einzelnen Stücke. Neben unzähligen Alltagsgeräuschen finden Samples von über 100 Künstlern verschiedener musikalischer Genres bei der Produktion der Platte Verwendung. Gleichzeitig scheint das verbale Mitteilungsbedürfnis der Rapper immens zu sein (Posdnous kann auch gelesen werden als pass the news). Auf dieser Schallplatte wird unglaublich viel gesungen, geredet, gesagt, erzählt, dialogisiert. Nicht immer ist alles beim ersten Hören zu erfassen, und manche Passagen enthalten Slang, Witzchen und Neologismen, die für Nicht-Eingeweihte gar vollkommen

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1 Einleitende Bemerkungen

unverständlich bleiben. Es werden Geschichten erzählt, die sich im Alltag der Künstler zutragen können oder zugetragen haben und die von ihrer Herkunft berichten: historisch, sozial, räumlich. Geschichten, die von Hoffnungen, Wünschen und Träumen erzählen oder die einfach nur gute Laune vermitteln wollen. Ein Titel handelt beispielsweise von Begegnungen in einer lokalen Burger King-Filiale, ein anderer von einer samstäglichen Party in der städtischen Rollschuhbahn. Persönliche Stücke berichten etwa vom Schwangerschaftsabbruch der Freundin eines Bandmitglieds oder vom Traum, den Radiosender WRMS einzurichten, der nur De La Souls Lieblingsmusik spielt. Die einzelnen Stücke der Platte sind nicht wie üblich durch kurze geräuschlose Standardpausen von einigen Sekunden Dauer unterbrochen, sondern durch kleine Szenen – skits – welche die Platte in eine Rahmenhandlung einbetten: Kinder finden in einer Mülltonne ein Tonband der neuen De La Soul-Platte, das ihnen von drei bösen Buben gewaltsam entrissen wird. Die Freude über den Fang legt sich aber bald, nachdem das Band in einem tragbaren Kassettenrekorder abgespielt wird. Nach den üblichen Bewertungsmaßstäben der B-Boys fällt die Musik gnadenlos durch: Wo denn die Zuhälter seien und die Pistolen und die expliziten Flüche, fragt der Anführer der Bande, nachdem er einen seiner Kumpane, der die Musik eigentlich nicht schlecht findet, mit kräftigen Faustschlägen zur Ruhe gebracht hat. Am Ende muss er gar selbst zurückgehalten werden, das Band mit der unerträglichen Musik nicht zu zertrümmern. Mit den Worten „De La Soul is dead!“ landet das Band schließlich wieder an seinem ursprünglichen Platz, in der Mülltonne. Diese Geschichte wird auf der Innenhülle der Platte zusätzlich noch als Comic in schwarzweiß visualisiert. Spätestens hier wird auch klar kontextualisiert. Die Szenen spielen sich ab in einer Straße vor einer großstädtischen, US-amerikanischen Hochhauskulisse, die merkwürdig durch einen Bretterzaun von der Szenerie abgetrennt scheint. Die Protagonisten sind Jugendliche und junge Erwachsene, die modische Haarschnitte, Klamotten und Turnschuhe tragen. Sie begrüßen sich mit bestimmten Gesten, kommunizieren mittels für Außenstehende unverständlicher Umgangssprache und unterhalten sich über aktuelle populärkulturelle Themen und Personen. Sie verbringen ihre Zeit gemeinsam mit Gleichaltrigen in mehr oder weniger abgegrenzten Gruppen auf der Straße. Hier stehen einige Kinder, die ihre Lektüre einer Rap-Zeitschrift nur unterbrechen, als eines von ihnen das De La Soul-Tape findet, dort die drei bösen Buben mit ihrem cholerischen und rechthaberischen Anführer, und schließlich kommt eine Gruppe älterer Jugendlicher ins Bild, zwei Männer und eine Frau, die merkwürdig afrikanisch anmutende Kopfbedeckungen tragen, „natürliches Mineralwasser“ trinken und sich lieber von einem De La Soul-Tape unterrichten lassen wollen als an diesem Tag zur Schule zu gehen. Das alles wirkte im heimischen Jugendzimmer seltsam deplaziert. Das hochkomplexe Sprach- und Zeichensystem der Platte blieben ebenso wie die musikalischen Zitate und Andeutungen zunächst fremd und exotisch. Die mannigfachen Verweise führten zu einer gewissen Überforderung beim Nachvollziehen der Texte und beim Hören der Musik. Zugleich allerdings bereitete das

1 Einleitende Bemerkungen

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Vielfältige und mir Neue von De Las Musik Spaß und Erstaunen. Spaß am Zuhören, beim Mit- und Nachsummen einzelner Passagen, beim Wiederholen kleiner Sätze, bei der eigenen Bewegung zum Rhythmus der Musik. Erstaunen über die Möglichkeiten der musikalischen Verwendung unterschiedlichster Klänge, über das Beherrschen von und Spielen mit Musiktechnologie, über die wiederholte Rückkehr zu dieser ‚schwierigen‘ Platte, über das Hochpersönliche und Alltägliche dieser Musik, die von Menschen nicht viel älter als ich selbst in einer großen Stadt weit weg gemacht wurde. Die musikalische, soziale und geographische Reichweite der eigenen Wahrnehmung schien sich durch diese Musik zu vervielfachen. Die Möglichkeit, diese Platte in einem kleinen Musikgemischtwarenladen einer 20.000-Seelen Gemeinde im Süddeutschen erwerben zu können, verkürzte diese räumliche Distanz freilich auf die Zeitspanne, nach der die Plattenfirma Tommy Boy Music den Tonträger auch in Europa veröffentlichen und in welcher der global agierende Time Warner-Vertrieb ihn an alle angeschlossenen Geschäfte bundesweit verteilen konnte. Diese Mediation durch musikindustrielle Prozesse der Produktion und Distribution wurde multimedial ergänzt durch die Rotation des Videoclips zu DeLas Single-Auskopplung von Ring Ring Ring (Ha Ha Hey) auf dem Musikkanal MTV und in dessen US-amerikanischer HipHop-Show Yo! MTV Raps. Das in einer weichen schwarzweiß Atmosphäre gehaltene Video zeigt abwechselnd geschnitten unter anderem die rappenden Künstler in Maskerade, Tänzer, die sich zur Musik bewegen, Personen, die Kopfhörer tragen und im Takt der Musik nicken sowie in Nahaufnahme eine transparente Tonbandkassette, welche den Refrain des Liedes als Anrufbeantworteransage abspielt. Der letztendliche Grund diesen Tonträger zu kaufen, war die Wahl zur „Platte des Monats“ in der Musikzeitschrift Spex, die zwei Ausgaben später mit einer Titelgeschichte über De La Soul nachlegte (Scheuring 1991). Auf diesen fünf Zeitschriftenseiten mischte der Autor Schilderungen der eigenen Hörerfahrung mit Passagen eines Interviews, das er mit De La Soul auf Long Island hatte führen können sowie mit allgemeinen Ansichten darüber, wie HipHop-Musik zu Beginn der 1990er Jahre gefasst werden sollte. Der Beitrag verwies auf ein ganzes Universum anderer Gruppen und Genres mit je eigenen Ansichten zu und Herangehensweisen an Rap-Musik und orientierte sich dabei an den zentralen Koordinaten der Berichterstattung über HipHop: Musikindustrie, Subkultur, Politik, Ethnizität, Differenz / Identität, Spaß, Technologie und Herkunft. Um diese Koordinaten herum entspinnen sich zwei Hauptfragen, an denen sich die HipHop-Rezeption allgemein abzuarbeiten versucht: So beziehen sich What time is it? oder What’s up? auf das Wissen darüber, was passiert, was abgeht: to know what is happening oder to know what’s going on. Ob und wie man sein Leben meistert hängt ab von den ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen, die man mobilisieren kann. Das verfügbare Wissen über sich selbst, seine soziale Gruppe, seine Klassen- und Schichtzugehörigkeit, über größere gesellschaftliche Zusammenhänge, über historische Kontexte und materielle Lebensumstände ermöglicht, Identität zu reflektieren, sich zu positionieren und (politische) Strategien abzuleiten. Mit diesen Fragen und den möglichen musikalischen

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1 Einleitende Bemerkungen

Antworten positionieren sich Rapper und DJs in ihren eigenen musikalischen Zeitzonen, außerhalb der offiziellen Zeitrechnung der Kalender und Chronometer. Auch die zweite zentrale Fragestellung im HipHop bezieht sich auf die Positionierung der Sprecher und der Hörer: Where are you from? und Where you are at? fordern auf, sich selbst sozial, historisch und räumlich zu verorten. Stärker als in anderen musikalischen Genres werden im HipHop Ort und Räumlichkeit, das gegenseitig konstitutive Verhältnis von Gesellschaft und Raum, betont und artikuliert. Die Künstler stellen insbesondere immer wieder Bezüge her zu den kulturellen Ursprüngen von HipHop und verorten sich in den verschiedenen sozialräumlichen Kontexten der US-amerikanischen Großstadt. Für De La Soul ist Amityville, eine suburbane Siedlung auf Long Island in Sichtweite zur Hochhauskulisse Manhattans, der geographische Ort ihrer Musik. Sozial verorten sie sich innerhalb eines größeren musikalischen Gruppenzusammenhangs. Die Gäste auf der Platte tragen Namen wie Black Sheep, Jungle Brothers oder Q-Tip von A Tribe Called Quest. Zusammen sind sie die Native Tongue Familie, ein loser Zusammenschluss von Künstlern, denen es in erster Linie um Respekt gegenüber sich selbst und den anderen, um Toleranz und ein menschliches Miteinander geht. Mit Hilfe von HipHop lokalisieren sie ihr eigenes Leben selbstbewusst in einer sozialen Umwelt, die wahrgenommen wird als entlang ökonomischer, ethnischer und räumlicher Linien unterteilt und separiert. Als erfolgreiche afroamerikanische Künstler im HipHop nutzen die Native Tongues ihre Möglichkeiten zur Positionierung, indem sie ein politisches und geschichtliches Bewusstsein propagieren, das sich auf das einzelne Individuum und die eigene soziale und ethnische Gruppe ebenso bezieht wie auf die US-amerikanische Gesellschaft als Ganzes. Gegen den zeitgenössischen Ökonomismus im HipHop der frühen 1990er Jahre, dessen Protagonisten häufig durch die Anhäufung und das Zur-Schau-Stellen materiellen Reichtums und das Streben nach individuellem Erfolg das Modell einer weißen Mittel- und Oberschicht nachzuahmen suchen, setzen die Native Tongues ein ‚schwarzes‘ Bewusstsein, eine Haltung, welche sich den historischen Wurzeln der Afroamerikaner verpflichtet sieht und den Einzelnen als Teil einer Gruppe (tribe) begreift, die strukturelle und systematische Benachteiligungen zu erdulden hat und diesen nur gemeinsam erfolgreich begegnen kann. Where you’re from? und Know where you’re at? sind die entscheidenden im HipHop verhandelten Fragen, die auch den Weg in die vorliegende Arbeit weisen. Als persistente Inhalte und Themen von HipHop beziehen sich die Künstler immer wieder auf unterschiedliche Ebenen von Räumlichkeit: von Empfindungen und Aussagen des eigenen Selbst über lokale Gruppen der Zugehörigkeit wie Familie, Freunde oder die Gang der Nachbarschaft, das infrastrukturelle Umfeld der eigenen Stadt, über Reisen, die Netzwerke zu Personen in anderen Städten, das Leben als marginalisierte und sozialräumlich segregierte ethnische Gruppe, bis hin zu global zirkulierenden medialen Musik- und Bilderwelten. Denn Popmusik hat ein höchst eigenartiges Verhältnis zur Poesie wie zur Politik des Ortsspezifischen, der Lokalität. Aufgezeichnete Musik überbrückt physische und zeitliche Barrieren ohne Probleme, sie verändert unseren Begriff des Lokalen und des Unmittelbaren und macht den vertrauten Kontakt zu weit entfernten Kulturen möglich. Aber gerade weil aufge-

1 Einleitende Bemerkungen

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zeichnete Musik so beweglich ist, erhöht sie auch unsere Wertschätzung des Lokalen. (Lipsitz 1999, 41)

Durch ihre musikalischen Praktiken schreiben sich die Künstler in unterschiedliche physische und imaginierte Räume ein. Dies gilt auch für die verschiedenen anderen Ausdrucksformen, die mit HipHop in Verbindung stehen: Graffiti hinterlassen in urbanen Umwelten visuelle Markierungen einer Suche nach selbstbestimmten bildnerischen Gestaltungsmöglichkeiten, dem Bedürfnis nach Abgrenzung und kreativer Identitätsfindung, inspiriert von der eigenen Fantasie, durch Arbeiten von Vorbildern, aus Büchern oder Filmen. Auseinandersetzungen und Diskussionen darüber, ob es sich bei Graffiti um verbotene Schmierereien krimineller Subjekte in öffentlichen und privaten städtischen Räumen oder um ästhetisch goutierbare Wandbilder kreativer Jungkünstler auf der Suche nach Identität handelt, die es lohnen, in Galerien ausgestellt zu werden, verdeutlichen Werte und Bedeutungen, die Graffiti seit den 1970er Jahren an unterschiedlichen Orten zugeschrieben werden. Auch durch die raumgreifenden Gesten und Bewegungen von Breakdance-Darbietungen und die häufig kompetitiv ausgetragenen Begegnungen, bei denen sich Tänzer messen und von einer sie umringenden Zuschauermenge angefeuert werden, besetzen Räume durch verkörperlichte, performative Handlungen und Artikulationen im Hier und Jetzt. Die Texte zu Rapsongs sind voll von impliziten wie expliziten geographischen Bezügen, Benennungen bestimmter Örtlichkeiten, mehr oder weniger ausführlichen Beschreibungen von Lokalitäten. In keinem Interview fehlt die Frage nach Herkunft, Geschichte und den Vorbildern der Künstler, und in vielen Plattenrezensionen wird hervorgehoben, wie sehr die Texte der Rapper verwurzelt sind in ihrer Stadt, in ihrer Nachbarschaft oder in ihrer sozialen Gruppe. Die geläufige HipHop-Phrase to put it on the map meint mehr, als seine Herkunft zu benennen und sich selbst auf einer topographischen Landkarte zu positionieren. Auf Photos und Plattenhüllen präsentieren sich die Künstler in situ, an dem (sozialen) Ort, vor dem und für den sie stehen wollen, der für sie stehen soll. Die Künstler repräsentieren. Aber nicht nur die ganz konkreten Orte und Räume der eigenen Lebenserfahrung werden dargestellt, verbalisiert und vertont, sondern es geht auch darum, die eigenen Gedanken und Ideen auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen. So sind neben der materiellen Umwelt unterschiedliche, verhandelbare Vorstellungen und Ideen von Orten und Räumen von besonderer Bedeutung. Die (neighbor)hood, das eigene Viertel, die Straße, das großstädtische Ghetto, HipHop America oder Planet Rock sind Beispiele geographischer Realitäten und Imaginationen auf verschiedenen Maßstabsebenen, die zumindest im US-amerikanischen HipHop zentral sind für die Organisation von Werten, Bedeutungen und Handlungen. Auch in Deutschland sind Begriffe wie Block, Szene oder Jam wichtiger Bestandteil der Artikulationen von Künstlern und Hörern, die nur zu einem Teil als adoptierte und adaptierte Rhetorik des US-amerikanischen HipHop interpretiert werden können. Diese räumlichen Bezugspunkte und Imaginationen sind keineswegs persistent, sondern Künstler, Publikum und Medien ändern ständig deren Bedeutungen und erzeugen neue Kartographien mit eigenen Maßstäben, sozialen Topographien und thematischen Inhalten. Damit bieten sie

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1 Einleitende Bemerkungen

immer wieder räumliche Referenzpunkte und Grenzlinien, die eine Verortung am richtigen oder falschen, am guten oder schlechten, am echten oder unechten, am authentischen oder nicht authentischen Ort implizieren. Wo ist der geeignete Ort von und für HipHop in den USA, wo in Deutschland? Kann und darf ein Künstler aufgrund seiner Herkunft über bestimmte Themen berichten? Ist sein Ort und damit er selbst authentisch und real? Rap-Musik kann aber nicht allein auf die gereimten textlichen Inhalte reduziert werden. Entscheidend ist, dass lyrics hier nicht wie Lyrik oder Prosa funktionieren, sondern gerade die Musik und das Wie des Sprechens den Liedertexten zu ihrer umfassenden Wirkung verhelfen. Als typisches stilistisches Element von HipHop-Musik gilt ein auf Rhythmik angelegtes Klangmuster, das auf einem Wechselspiel von Schlagzeug, Perkussion und beweglichen Basslinien beruht. Dazu verwenden DJs insbesondere Breakbeats, instrumentale Überleitungsphasen bereits veröffentlichter Musiktitel mit dominantem Rhythmus, um neue Stücke zusammen zu mischen und zusammen zu schneiden. Dazwischen werden häufig Klangphrasen geschoben, die sich den rhythmischen Grundmustern anpassen. Zusätzlich werden verschiedenste Klangquellen wie Straßenszenen, Teile von Werbespots, Mitschnitte von Telefonaten, das Heulen von Polizeisirenen oder Töne aus Computerspielen beim Musizieren rekontextualisiert. Unterstützt durch rhythmisierte und häufig gereimte Sprechpraktiken geht von der Musik eine motorisch, körperlich stimulierende Wirkung aus (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 418). Zwar wird in der Regel der Rapper oder MC (Master of Ceremony, Microphone Controller) als die zentrale Figur im Rap stilisiert, welche zunächst ihre eigenen Botschaften verbalisiert. Zugleich aber wird den Fähigkeiten der Musikproduzenten Respekt gezollt und den DJs etwa auf Live-Konzerten ganz bewusst Zeit eingeräumt, in der sie ihre Fähigkeiten an den Plattenspielern, Mixern und Rhythmusgeräten demonstrieren können. Rap-Musik ist so nicht nur verbale Reflexion eines Standpunktes, sondern umfasst den reflexiven und durch Produktionstechnologien vermittelten Gebrauch von Geräuschen und zuvor aufgenommener Musik. Das musikalische Zitat verweist räumlich, zeitlich und sozial auf die Ursprünge der verwendeten Klangmaterialien und rekontextualisiert sie im aktuellen Schaffen der Musiker. Welche Samples werden ausgewählt, mit welchen werden sie kombiniert? Wie war der ursprüngliche Entstehungskontext, wie werden sie neu gefasst? Spielen Musiker auf Instrumenten oder werden Klänge aus Synthesizern und Samplern eingespeist? In welchem Verhältnis stehen Liedertexte und klangliche Elemente der Musik? Welche Rolle spielen Rhythmik, Melodie und Harmonie? Die Wahrnehmung von Rap-Musik als ‚Krach von Negern, die um eine brennende Mülltonne hüpfen‘ – in nur wenig unsympathischeren Fällen von einem Augenzwinkern begleitet – zeigt, wie sehr die Musik als in räumliche (das verfallende US-amerikanische Großstadtghetto), zeitliche (Neger als historisch spezifische Rassenklassifikation ‚schwarzer, wilder und gefährlicher Untermenschen‘) und soziale (Mitglieder einer deprivierten und verarmten städtischen Arbeiterklasse) Kontexte verankert wahrgenommen werden kann. Gleichzeitig verdeut-

1 Einleitende Bemerkungen

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licht diese Formulierung, wie scharf die Grenzen zwischen Musik und NichtMusik, zwischen angemessenen und unangemessenen Lauten, zwischen eigenen und fremden Klangräumen verlaufen können. Hier wird die Möglichkeit der individuellen wie kulturellen Übertragung und Übersetzung einer Musik verneint, der heute längst ‚globale‘ Verbreitung zugesprochen wird. Dabei sind es in der Regel weniger die Botschaften und Inhalte der Liedertexte, als vielmehr die Eigenschaften musikalischer Klänge, auch jenseits von Schriftsprache zu funktionieren, welche soziale, geographische und zeitliche Grenzen überwinden helfen (Frith 1996a, 236). Genau auf diese transgressiven Eigenschaften von Musik spielen die Mitglieder der Münchner HipHop-Gruppe Main Concept an, wenn sie über die RapRezeption in Deutschland sagen: „Niemand hat angefangen HipHop zu hören, weil er die Texte geil fand“ (Hülsmann 1997). Für sie sind die ausgeprägten Rhythmusmuster, enervierenden Basslinien und sich überlagernden Schichtungen von Rap ein erster Anknüpfungspunkt, HipHop-Musik außerhalb des historischen Entstehungszusammenhangs der US-amerikanischen Großstadt der 1970er Jahre zu konsumieren, zu rezipieren und schließlich zu adaptieren. Die Attraktivität von Rap-Musik in verschiedenen geographischen Kontexten speist sich demnach vor allem aus der Faszination von und dem Spaß an diesen Klängen und Rhythmen, die in die Magengrube fahren, Köpfe nicken und Ärsche wackeln lassen, die zum Mitsummen der Schleifen auffordern und gleichzeitig häufig so banal repetitiv, dumpf und simpel konstruiert wirken. „HipHop begann ausdrücklich als Tanzmusik, die durch Bewegung und nicht durch bloßes Hören gewürdigt werden sollte“ (Shusterman 1991, 616). Rhythmus ist im HipHop ein zentrales Mittel musikalischer Kommunikation. Gleichzeitig bieten die verschiedenen thematischen Erzählinhalte der durch Klang und Rhythmus gestützten Raptexte sozialräumliche Anknüpfungspunkte an das eigene Alltagsleben. Die ausdrückliche Betonung eines räumlichen Bewusstseins und eines Identität stiftenden Ortsbezugs gilt als einer der entscheidenden Unterschiede zwischen HipHop und anderen Formen populärer Kultur (Forman 2000). Zwar werden auch in Liedertexten von Blues, Schlager oder Rockmusik Städte und Regionen explizit benannt, Rap bezieht sich aber intensiver auf einzelne Lokalitäten, Plätze, Straßenzüge, Häuserblocks oder Viertel. Die rhythmischen Erzählungen der Protagonisten werden innerhalb der eigenen sozialen und räumlichen Lebensumwelten verortet. Wie ‚wahr‘ und ‚real‘ die geschilderten Erfahrungen des Künstlers erscheinen, hängt entscheidend davon ab, ob und in welchem Maße ein Ortsbezug hergestellt werden kann, wie der Verweis gelingt auf die „grundlegenden thematischen Anliegen von Rap: Identität und Ort“ (Rose 1994, 10). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll im Mittelpunkt stehen, wie die Dynamiken von Ort und Raum durch unterschiedliche Akteure aufgenommen und verarbeitet werden und wie diese sich verändernden Organisationsprinzipien von HipHop in anderen geographischen Kontexten thematisiert, verändert und an die nationalen und lokalen sozialräumlichen Verhältnisse und Diskurse angedockt werden. Welche Räume sind für HipHop in den USA, welche für HipHop in Deutschland besonders bedeutsam? Wie werden von wem bestimmte Raumbilder

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1 Einleitende Bemerkungen

adaptiert, perpetuiert und neu erzeugt, und weshalb ändern sich ihre Bedeutungen in Raum und Zeit? Welche (subversiven) Potenziale verbergen sich hinter verschiedenen Artikulationen, Repräsentationen und Modalitäten der sozialen Produktion von Raum? Was bedeutet es, wenn im HipHop marginale Orte zentral werden, Problemviertel zu kreativen Milieus, Straßen zu authentischen Räumen, Jugendzentren zu Mittelpunkten innovativer Lebensgestaltung und Kinderzimmer zu 16-Spur-Tonstudios? Wie reflektiert Rap-Musik dies musikalisch? Wie verändert sich der Klang von HipHop, entstanden an den „Rändern des postindustriellen städtischen Amerika“ (Rose 1994, 21), in Raum und Zeit? Wie werden Orte und Räume kulturell produziert und reproduziert? Obwohl seit den 1980er Jahren eine Fülle journalistischer und wissenschaftlicher Literatur unterschiedlicher Fachdisziplinen zu HipHop in verschiedenen räumlichen Kontexten entstanden ist, blieben diese Fragen bislang weitgehend unbeantwortet. Dies hat mindestens drei Gründe: Zum einen erschien und erscheint die quantitativ größte Zahl der Publikationen zu HipHop in englischer Sprache und thematisiert das Thema bis weit in die 1990er Jahre beinahe ausschließlich als angloamerikanisches Phänomen mit sehr starken Bezügen zum kulturellen Erbe der Afroamerikaner. Eine Romantisierung der geokulturellen Ursprünge ist ebenso eine Folge dieser sozialräumlichen Fokussierung wie die Etablierung eines Kanons entscheidender geschichtlicher Daten und Listen ‚großer‘ (das heißt häufig: erfolgreicher) Künstler und Rap-Stücke. HipHop außerhalb der USA gilt in der Regel als exotisches Derivat oder als passive Adoption der reinen US-amerikanischen Formen (Mitchell 1996, 22–39). Der zweite Punkt betrifft die Obsession von Text und Vision. Das Sprechen und Schreiben über Rap-Musik wird in aller Regel reduziert auf inhaltliche und linguistische Textanalysen, ethnologische Beschreibungen des Beobachteten oder auf die analytische Darstellung der die Musik begleitenden visuellen Intertexte wie Mode, Videos oder Plattencover: „der text steht im zentrum“ (Androutsopoulus 2003a, 16). Eine kontextsensitive Bewertung der Klänge scheint sich aufgrund einer häufig unterstellten Universalität tonaler Eigenschaften zu erübrigen. Ausgeblendet bleibt, dass die musikalischen und rhythmischen Qualitäten ebenso kraftvoll wirken können wie die textlichen Elemente. Hier scheint das traditionelle Instrumentarium der Sprach-, Literatur-, Sozial- und Kulturwissenschaften an seine Grenzen zu stoßen. Der dritte Kritikpunkt schließlich bezieht sich auf eine unzureichende Konzeptionalisierung von Räumlichkeit. Zum einen verhärtet sich der soziale und lokale raum-zeitliche Ursprung von HipHop im New York der 1970er Jahre zum essentiellen und authentischen Ort kultureller Produktion, ohne den diskursiven Zusammenhang von Rap-Musik und den multiskalaren Entstehungskontexten anzuerkennen und herauszustellen. Zum anderen geht auch und gerade nach dem spatial turn in den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften die räumliche Rhetorik häufig nicht über die Erkenntnis ‚Global? Lokal? Glokal!‘ hinaus. Es finden sich selten Bestrebungen, unterschiedliche räumliche Maßstabsebenen sowie verschiedene Artikulationen, Repräsentationen und Modalitäten der sozialen Produktion von Raum zu explizieren und analytisch abzugrenzen. Häufig kommt

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ein räumliches Vokabular zur Anwendung, ohne dass die Konzepte von Raum und Räumlichkeit theoretisch fundiert oder raumimmanente Logiken und Codes dechiffriert werden würden. Räumlichen Begrifflichkeiten sind aber stets zu hinterfragen, ihre Beschränkungen und Unzulänglichkeiten aufzudecken und jene Machtbeziehungen zu identifizieren, die bei der musikalischen Produktion von Räumlichkeit wirksam werden (Connell, Gibson 2003). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diesen Defiziten aus geographischer Perspektive zu begegnen und einen Beitrag zum Verständnis der Artikulation von Räumlichkeit im HipHop zu leisten. Artikulation meint dabei nicht nur ‚klar und deutlich aussprechen‘ oder ‚formulieren‘, sondern umfasst die verschiedenen Arten des Herstellens von Sinn und Bedeutung im kommunikativen Prozess unterschiedlicher Akteure. Es geht um die gelebten Formen der Mitteilung und des Ausdrucks etwa in schriftlicher, verbaler, klanglicher oder performativer Form. Artikuliert werden unterschiedliche soziale Konstellationen, die durch strukturelle Determinanten der jeweiligen historischen und sozialen Kontexte produziert und reproduziert werden. Klassischerweise formuliert für Wirtschaftsformen, die durch eine kapitalistisch organisierte Produktion dominant strukturiert werden, können auch andere soziale Konstellationen wie Ethnizität, Klasse, Geschlecht oder Räumlichkeit artikuliert werden (Hartley 1998). In der vorliegenden Arbeit soll das Konzept von Artikulation verwendet werden, um Verbindungen aufzudecken, welche in historisch, politisch und räumlich divergierenden Kontexten Räumlichkeit musikalisch produzieren. Dazu werden die als getrennt und sequentiell konzeptionalisierten Bereiche von Produktion, Mediation und Konsumtion zusammen gedacht. Nicht ein linearer Kommunikationsfluss musikalischer Bedeutungsgehalte steht im Mittelpunkt, sondern die Frage nach räumlichen Bedeutungen von Musik und musikalischen Texten im Prozess der Artikulation zwischen Musikern, institutionellen Kontexten und Konsumenten. „Die Bedeutung von Musik für ihre Beziehung zu kultureller Identität und für ihre sozialen Effekte erwächst aus einem Prozess, in dem Musiker, Industrie und Hörer miteinander und mit der sie umgebenden Kultur und dem sozio-politischen System ‚artikulieren‘“ (Negus 1999a, 135; vgl. auch Middleton 1990, 16–33). Neben Deutschland bilden die USA als Ursprungsland von HipHop die geographischen Schwerpunkte der Untersuchung. Fokussiert wird dabei auf zwei Fragekomplexe. Einerseits: Wie kann (eine traditionelle, akademische) Geographie HipHop artikulieren? Wie kann sich Geographie auf (populäre) Kultur und Musik einlassen? Welche Methoden und Arten der Darstellung können zum Einsatz kommen? Die geographischen Basiskonzepte Innovation und Diffusion weisen einen ersten Weg, HipHop als kulturelle Neuerung der 1970er Jahre zu begreifen, deren geo-kultureller Ursprungsort lokalisiert und deren Ausbreitung in Raum und Zeit nachvollzogen werden kann. Das Aufspüren raum-zeitlicher Muster ist ein erster und wesentlicher Schritt, die komplexen Zusammenhänge kultureller Veränderung und Übersetzung zu fassen. I would […] define the theory of culture as the study of relationships between elements in a whole way of life. The analysis of culture is the attempt to discover the nature of the organization which is the complex of these relationships. [...] A key-word, in such analysis, is pattern: it is with the discovery of patterns of a characteristic kind that any useful cultural

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analysis begins, and it is with the relationships between these patterns, which sometimes reveal unexpected identities and correspondences in hitherto separately considered activities, sometimes again reveal discontinuities of an unexpected kind, that general cultural analysis is concerned. (Williams 1971, 63)

Ist ein solcher struktureller Verständnisrahmen geschaffen, soll der zweiten Leitfrage nachgegangen werden: Wie artikuliert HipHop Geographie? Räumlichkeit als zentrales Organisationsprinzip von Werten, Bedeutungen und Handlungen im HipHop ist nicht konstant zu fassen, sondern wird fortwährend durch soziale, ökonomische und technologische Vermittlungsprozesse perpetuiert und transformiert. Räumliche Denkmuster und Artikulationsweisen entfalten sich dabei auf unterschiedlichen Maßstabsebenen mit unterschiedlichen Reichweiten. Der zweite Hauptteil der Arbeit soll entsprechend klären, wie die Besonderheiten von Raum und Ort immer wieder lyrisch und musikalisch im HipHop aufgenommen, verhandelt, reimaginiert und neu kartiert werden, kurz: wie populäre Rap-Musik Geographie artikuliert. Der Bedeutungswandel räumlicher Schlüsselkategorien und Begrifflichkeiten wie ghetto, inner city, ’hood, Hip Hop Nation, Straße, Block oder Jam lässt Rückschlüsse zu, wie bedeutsame Orte und Räume im HipHop in unterschiedlichen geographischen und historischen Kontexten kulturell produziert werden. In die vorliegende Arbeit fließen Arbeitsweisen und Lernerfahrungen der eigenen akademischen Sozialisation in Geographie und Soziologie an der Universität Heidelberg ein. Kulturgeographie war dabei bis weit in die 1990er Jahre hinein nicht mehr als ein Oberbegriff für eine in Subdisziplinen wie Wirtschafts-, Bevölkerungs-, Stadt- oder Sozialgeographie untergliederte Humangeographie. Auch wenn einzelne deutschsprachige Geographen bereits seit den 1970er und insbesondere in den 1980er Jahren räumliche Aspekte von Identität und Ethnizität thematisiert haben, so lässt sich erst zu Beginn des laufenden Jahrzehnts ein breites Interesse an diesen Forschungsthemen erkennen, die durch Untersuchungen zu Geschlecht, Macht und Subversion, Körper, Emotion oder Ästhetik ergänzt werden. So wurde einerseits eine Öffnung gegenüber neuen (populär)kulturellen Themen vollzogen und andererseits das klassische Methodenspektrum um Anleihen aus anderen kultur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen erweitert. Traditionelle anthropogeographische Arbeitsweisen wie Beobachten, Beschreiben, Klassifizieren, Kartieren, Verorten und Visualisieren von Artefakten sowie das Interpretieren von mehr oder weniger offensichtlichen Korrelationen im Raum werden ergänzt durch Methoden beispielsweise der Textanalyse, Ikonographie, Semiotik oder Dekonstruktion, welche die Produktion von Raum und Räumlichkeit als sozialen Prozess anerkennen. Die hier vorgestellte Herangehensweise an HipHop-Musik reflektiert das persönliche Abarbeiten an diesem Übergang von Kulturgeographie zu einer „Geographie des Kulturellen“ (Sahr 2003). Entsprechend beschränkt sich die vorliegende Arbeit nicht auf den einen theoretischen oder methodischen Ansatz, sondern will versuchen, durch die Verbindung unterschiedlicher Wissensquellen und Arten der Interpretation zum Verständnis kultureller Praktiken im HipHop beizutragen. Explizit stehen dabei Ort, Raum und Räumlichkeit im Mittelpunkt der Überlegungen.

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Ein zweiter wichtiger Einfluss auf HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie ist das Studium von Publikationen, die zu HipHop und aus HipHop heraus entstanden sind. Diese Berichterstattung wurde bereits sehr früh geprägt von Journalisten und Musikkritikern, die zum Teil im direkten Umfeld der Künstler agierten und zunächst in etablierten, später auch in neu entstehenden und spezialisierten Zeitungen, Magazinen und auf Internetseiten publizierten. Die akademischen Diskurse wurden bis weit in die 1990er Jahre dominiert von englischsprachigen Publikationen zu HipHop in den USA, wo sich unterschiedliche Fachbereiche von Cultural und Black Studies über Geschichte und Anthropologie bis hin zu Musikwissenschaften und Theologie stark interdisziplinär mit HipHop beschäftigten. Ein nennenswerter eigenständiger Beitrag der Humangeographie zu musikalischen Themen allgemein und HipHop im Besonderen lässt sich erst in den vergangenen etwa 10 Jahren ausmachen. Die vorliegende Untersuchung reflektiert zudem die Positionierung der eigenen Person als Fan vor allem zunächst US-amerikanischer HipHop-Musik. Ohne selbst aktiver Teil einer HipHop-Szene zu sein, speist sich das individuelle Reservoir an Erfahrungen, Beobachtungen und Vorlieben seit rund 15 Jahren aus eher konsumtiven Praktiken des Musikhörens, gelegentlichen Besuchen von Konzerten und Festivals sowie aus der Rezeption zeitgenössischer massenmedialer Angebote in gedruckter oder virtueller Form. Als ‚weißer Deutscher‘, der in den 1980er und frühen 1990er Jahren vor einem kleinstädtischen Hintergrund die Kinder- und Jugendzeit verlebt hatte und anschließend in Heidelberg seiner akademischen Sozialisation unterzogen wurde, blieben Erfahrungen ethnischer Marginalisierung aus. Wie HipHop selbst schöpft diese Arbeit aus unterschiedlichen Informationskanälen, Quellen, Texten, Erzählungen und Erfahrungen. Neben der Analyse und Visualisierung des nur spärlich vorhandenen statistischen Datenmaterials zur Produktion und Konsumtion von HipHop-Musik sowie der Transkription etlicher Rap-Stücke und der Auswertung verschiedener Intertexte wie Plattencover, Internetseiten, Rap-Videos und Dokumentationen fließen hier die Rezeption wissenschaftlicher Abhandlungen und journalistischer Berichterstattung (mit klarem anglophonen Bias) über (Rap-)Musik in den USA und in Deutschland ein. Als besonders wertvolle Quelle erweisen sich Gespräche und Leitfadeninterviews mit HipHop-Künstlern, Produzenten und Labelbetreibern aus ganz Deutschland, deren Meinungen und profunde Kenntnisse ein detailliertes Wissensreservoir zu HipHop darstellen. Die Analyse dieser Texte nach der Methode des verstehenden Interviews, welche sich an einem Leitfaden orientiert und sich einer offenen Interpretation des gewonnenen Materials bedient (Kaufmann 1999), liefert eine der wichtigsten Grundlagen zum Verständnis der Artikulation von Geographie im HipHop. Schließlich wird versucht, auch Rhythmen und Klänge als Erkenntnisquelle zu erschließen und kontextsensitiv zu bewerten (Sheppard 2000, Walser 2004). Was dabei nicht geleistet werden kann, ist der häufig geforderte Nexus zwischen theoretischer, das heißt notationsbasierter Musikanalyse und einer eher raum- und gesellschaftswissenschaftlichen Sicht auf Musik als sozialem Text. Die Thematisierung von Klang und Rhythmus als

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Erkenntnisobjekt erfolgt in erster Linie aufgrund der subjektiven Hörerfahrungen; die Interpretationen bedienen sich deshalb eher metaphorischen Darstellungen und Beschreibungen denn einer vermeintlich objektiven musikwissenschaftlichen Analyse (vgl. auch McClary, Walser 1990, 288–289). Der Fokus der Untersuchung ist gerichtet auf die komplexen geographischen Beziehungen von Mimesis und Differenz, von kultureller Adoption und Adaption, von populärmusikalischer Produktion, Reproduktion, Mediation und Konsumtion. Es geht dabei weder um eine umfassende Historie von HipHop oder RapMusik in den USA oder in Deutschland noch um die lokale Geschichte einer Stadt oder einer Szene. Vielmehr soll anhand einer Auswahl von Fragestellungen und Quellen untersucht werden, wie Räumlichkeit im HipHop kulturell produziert und artikuliert wird und wie Geographie zu einem erweiterten, spezifischen und räumlich sensitiven Verständnis populärkultureller Formen beitragen kann. Fünf Hauptbereiche stehen im Mittelpunkt des Interesses: (1) die geokulturellen Ursprünge und raum-zeitlichen Ausbreitungswege von HipHop und Rap-Musik, (2) die Bedeutung physisch-materieller Räume für die Entwicklung von HipHop und die Artikulation von Räumlichkeit, (3) imaginierte Geographien im HipHop als Resultat sich gegenseitig beeinflussender Prozesse musikalischer Produktion, Distribution, Mediation und Konsumtion, (4) die Bedeutung von Rhythmus als musikalisches Kommunikationsmittel von Räumlichkeit sowie (5) die Bedeutung des Wissens um die räumliche Dimensionen von Rap-Musik. Kapitel 2 stellt einige musikalische Interventionen innerhalb des wissenschaftlichen Kanons der Geographie vor und fragt, wann welche Ideen aus Musik-, Kultur-, Sprach- und Sozialwissenschaften aufgegriffen wurden und welche eigenständigen Impulse sich innerhalb einer Geographie des Klangs und der Musik ergeben haben. Es wird deutlich, dass geographische Epistemologien häufig auf Methoden zur Gewinnung von Erkenntnissen visueller Natur rekurrieren und sich entsprechend keine eigenständige Theoriebildung oder wissenschaftliche Tradition einer Geographie der Klänge entwickeln konnten. Als besonders fruchtbar erweisen sich in den vergangenen etwa zehn Jahren vielmehr solche Arbeiten, welche interdisziplinär sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze räumlich informiert erweitern und ergänzen. In Kapitel 3 bildet die Suche nach einem möglichen Ursprungsort von HipHop die Grundlage für die folgenden Diskussionen um die Artikulationen von Räumlichkeit im HipHop. Erst ein historisch informiertes Verständnis der Entwicklungsmuster lässt Rückschlüsse zu auf aktuelle kultureller Praktiken. Zunächst bildet ein zeitlich strukturierter Abriss der journalistischen und wissenschaftlichen Rezeption von HipHop einen einführenden Hintergrund, vor dem einige zentrale sozialräumliche Dimensionen der Entstehung und Entwicklung von HipHop herausgearbeitet werden. Was häufig als subversive Reaktionen ‚schwarzer‘ Jugendlicher auf eine verfallene und gettoisierte Großstadtlandschaft im New York der 1970er Jahre interpretiert und als lokale Formen einer genuin afroamerikanischen Kulturtradition analysiert wird, stellt sich bei genauer Betrachtung dar als vielfältige Ausdrucksform, die von Anbeginn an vielschichtig, hybrid und sozialräumlich mobil mannigfache raum-zeitliche Variation hervor-

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gebracht hat. So sind es nicht nur Traditionen afrikanischer Oralität und ‚schwarzer‘ Musik, die sich als zeitgemäße kulturelle Ausdrucksformen Ende der 1970er Jahre in der segregierten amerikanischen Metropole manifestieren, sondern auch technologische und ökonomische Interventionen, welche auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen Einfluss auf die geographische Formierung der kulturellen Neuerung zeitigen. Unter Rückgriff auf die geographischen Basiskonzepte von Innovation und Diffusion werden anschließend die raumzeitlichen Pfade der Verbreitung auf nationaler und transnationaler Ebene nachgezeichnet. Kapitel 4 untersucht Räume und Räumlichkeiten im HipHop und fragt, welche Orte zu welchem Zeitpunkt für die geographische Konstitution der kulturellen Formen entscheidend waren oder als entscheidend erachtet wurden. Im Verlauf des Kapitels wird ein geographischer Analyserahmen populärer Musik aufgespannt, der neben textualen Elementen auch Musik und (musikalische) Rhythmen als Kommunikationsmedien und Bedeutungsträger anerkennt. Es geht um die Beeinflussung von Raum durch Klang und von Klang durch Räumlichkeit. Dabei rücken neben Räumen der Repräsentation auch imaginierte und konstruierte Repräsentationen von Räumen in den Blickpunk, die nach ihren Bedeutungen, Aneignungen und Nutzungen befragt werden können. Auch wenn sich der städtische Kontext als zentral erweist, zeigt sich doch, dass eine Bewertung dieser Räumlichkeiten abhängig von sozialen, historischen und ökonomischen Kontexten gewissen Veränderungen unterliegt. Welche Räume zu welchem Zeitpunkt für wen eine ‚authentische‘ und ‚reale‘ Sprecher- und Musikerposition festlegen und gegenüber welchen Räumen diese Position mehr oder weniger klar differenziert abgegrenzt wird, lässt Rückschlüsse zu auf die sozialen Prozesse und politischen Machtkonstellationen im HipHop. Ein historischer Vergleich exemplarischer Antworten auf die Fragen Where are you from? und Where you’re at? in den USA und in Deutschland trägt bei zum besseren Verständnis der geographischen Artikulationen von HipHop-Musik.

2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

For twenty five centuries Western knowledge has tried to look upon the world. It has failed to understand that the world is not for beholding. It is for hearing. It is not legible, but audible. Our science has always desired to monitor, measure, abstract, and castrate meaning, forgetting that life is full of noise and that death alone is silent: work noise, noise of man, and noise of beast. Noise bought, sold, or prohibited. Nothing essential happens in the absence of noise. Today, our sight has dimmed; it no longer sees our future, having constructed a present made of abstraction, nonsense, and silence. Now we must learn to judge a society more by its sounds, by its art, and by its festivals, than by its statistics. [...] All music, any organization of sounds is then a tool for the creation or consolidation of a community, of a totality. It is what links a power center to its subjects, and thus, more generally, it is an attribute of power in all of its forms. Therefore, any theory of power today must include a theory of the localization of noise and its endowment with form. Among birds a tool for marking territorial boundaries, noise is inscribed from the start within the panoply of power. Equivalent to the articulation of a space, it indicates the limits of a territory and the way to make oneself heard within it. (Attali 1999, 3ff.)

Musikgeographie beschäftigt sich mit der räumlichen und kulturellen Organisation von Musik, Klängen und Stille. Laute werden dabei als integraler Bestandteil des Lebens aller Menschen interpretiert und auf die interdependenten Aspekte Konsumtion, Performanz, Produktion, Verbreitung und Mediation hin analysiert. Ziel dieses Kapitels ist es zu zeigen, welche Bedeutung Musik und Klängen innerhalb der historischen Entwicklung der Wissenschaftsdisziplin Geographie zugebilligt wurde und wird. Diese historische Herangehensweise will einerseits unterschiedliche Epistemologien, Ontologien und die damit verbundenen Methodologien des Fachs herausarbeiten und andererseits das sich wandelnde Verhältnis von Geographie gegenüber anderen Wissenschaftsdisziplinen thematisieren. Geography of Music (Carney 1994a), Soundscape (Smith S 1994), The Place of Music (Leyshon, Matless, Revill 1998a), Sonic Geographies (so der Titel von insgesamt fünf Sitzungen im Rahmen des 97th Annual Meeting of the Association of American Geographers in New York im März 2001), Sound Tracks (Connell, Gibson 2003) oder gar Sonorous Geographies (Ingham, Purvis, Clarke 1999) sind einige der Bezeichnungen für dieses szientistische Unternehmen, welche die gegenseitige Abhängigkeit von theoretischen Ansätzen, wissenschaftlichen Fragestellungen und Studienobjekten unterstreichen. Nachfolgend wird versucht, die zugängliche Literatur zu Musik und Klang mit geographischen Bezügen aufzuarbeiten und zu systematisieren. Um zu klären, wie, wann und warum sich unter-

2.1 Anfänge wissenschaftliche Rede über Klang: Musik- und Sozialwissenschaften

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schiedliche theoretische Ansätze innerhalb der Wissenschaftsdisziplin Geographie entwickeln konnten, wird insbesondere eingegangen auf die jeweiligen historischen Kontexte (was wurde innerhalb der Disziplin untersucht und wie?), die institutionellen Rahmenbedingungen (welche universitären Strukturen, sozialen Netzwerke oder Publikationsmöglichkeiten waren entscheidend?) sowie individuelle Aspekte (wie haben einzelne Wissenschaftler Ideen und Interpretationen in die Geographie eingebracht und wie beeinflussen räumliche Perspektiven die zunehmend transdisziplinär ausgerichteten Arbeiten?).

2.1 Anfänge wissenschaftlicher Rede über Klang: Musik- und Sozialwissenschaften Nicht die Geographie ist bei einem Song oder einem Album relevant, das wichtigste ist immer noch die Musik! (Gebhardt 1998, 49)

Der raum-zeitliche Entstehungskontext der Musikwissenschaft führt zurück ins Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts und verweist auf eine starke Verbindung zur zeitgenössischen musikalischen Praxis. In ihrer Entwicklung verfolgte diese Wissenschaft zunächst pädagogische und historiographische Ansätze, um Musik zu erforschen und zu systematisieren (Silbermann 1979, 186–188). Die Kodifizierung einer Tradition klassischer Musik rückte die ‚großen‘ Komponisten österreichischer und deutscher Provenienz in das Zentrum der kanonisierten Repertoires für die Konzertsäle des neu entstandenen Bürgertums. Vor dem Hintergrund der ästhetischen und historischen Ideen des Deutschen Idealismus’ wurde zunehmend eine Vision des transzendenten, nicht-repräsentativen Charakters von Musik legitimiert. Dahinter verbirgt sich ein Evolutionsgedanke, der Fortschritt definiert als Zunahme struktureller Komplexität und Steigerung des ‚intellektuellen Niveaus‘. Der geniale Virtuose sollte der Fokus historischer Erklärungen sein, Hörerfahrungen wurden verwiesen in den Bereich des Kontemplativen, des Rückzugs aus der realen Welt. Das methodologische Instrumentarium der konservativen Musikwissenschaft blieb entsprechend ausgerichtet an der Analyse musikalischer, notationsbasierter Texte. So wurden ‚ideale‘, vom Aufführungskontext möglichst abgehobene Musikformen tradiert und die in den Partituren notierten musikalischen Parameter überbetont. Blue Notes, Polyrhythmik und andere Elemente improvisierter Musik müssen hier ebenso unzureichend erfasst bleiben wie etwa Klangfarbe oder die Hüllkurvenformen elektronischer Musik. Hinzu tritt eine ideologische Aufladung der entsprechenden musikwissenschaftlichen Terminologie: Die Entwicklung eines Motivs wird höher gewertet als die Komposition von Melodien, Synkopen unterlaufen die ‚rhythmischen Normen‘, gepfiffen und gesummt wird allenfalls in ‚primitiven Volksliedern‘ (Middleton 1990, 103–107). Als Vertreter einer New Musicology resümieren Richard Leppert und Susan McClary: [T]he disciplines of music theory and musicology are grounded on the assumption of musical autonomy. They cautiously keep separate considerations of biography, patronage, place and dates from those of musical syntax and structure. (Leppert, McClary 1987, xiii)

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

Bereits die zum Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Sozialwissenschaften stellten die konstatierte ästhetische Autonomie von Musik zumindest implizit in Frage. Georg Simmel verfasste mit dem Aufsatz „Psychologische und ethnologische Studien über Musik“ (1882) den ersten rein auf Musik bezogenen Beitrag der Soziologie, in dem er die sozialen Funktionen von Klang analysierte und den Zusammenhang von musikalischem Verhalten und spezifischen kulturellen Kontexten betonte. Deutlich wird die Interdisziplinarität dieses frühen Ansatzes, wenn Simmel unter Bezugnahme auf zeitgenössische ethnologische und psychologische Studien ein Konzept vorlegt, das die Geschichte von Musik beschreibt als die der Entwicklung von einer affektiven und spontanen Tätigkeit hin zu einer reglementierten, objektiven und künstlerischen Kulturleistung. Als weiterer „Klassiker der Musiksoziologie“ (Inhetveen 1997, 26) legt Max Weber (1972) mit dem Fragment „Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik“ von 1921 einen universalhistorisch angelegten Versuch vor, Musik – insbesondere die Mehrstimmigkeit und das Intervallsystem – unter dem Gesichtspunkt seines allgemeinen Arguments einer fortschreitenden Rationalisierung der abendländischen Gesellschaft zu analysieren. Zentral sind dabei die Rolle der Notation und des Instrumentenbaus. Es geht Weber darum, mit Hilfe historischer Vergleiche musikalischer Praktiken den grundsätzlich sozialen Charakter von Musik aufzuzeigen und die Bedeutung verschiedener Gesellschaftsgruppen herauszuarbeiten (Silbermann 1979, 189–193). Das musiksoziologische Werk von Theodor Adorno schließlich ist deutlich umfangreicher als die entsprechenden Arbeiten von Simmel und Weber. Es reicht von allgemein gehaltenen Abhandlungen zur Aufklärung bis zu kulturkritischen Detailstudien. Besondere Beachtung findet Musik dabei im Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen (etwa Adorno 1989, 258–269). Es geht Adorno um die Frage, wie kulturelle Formen und Institutionen ökonomische, politische und ideologische Dominanz sichern helfen. Kulturelle Güter werden dazu im Rahmen der Theorie des Warenfetischismus von Karl Marx interpretiert, welche eine Unterscheidung zwischen Gebrauchswert – dem Nutzwert für den Konsumenten – und dem Tauschwert – dem Wert auf dem Markt – vornimmt. Für Adorno werden durch die Unmittelbarkeit der kulturellen Erfahrung Tausch- und Gebrauchswert von musikalischen Waren identisch. Musik wird als Teil einer umfassenden Kulturindustrie (Horkheimer, Adorno 1993) gefasst, die, basierend auf technologischen Entwicklungen sowie ökonomischen und administrativen Konzentrationen, der Befriedigung „falscher Bedürfnisse“ diene. „Reale Bedürfnisse“ nach kreativer, autonomer und freier Gestaltung des eigenen Lebens würden durch die Standardisierung kulturindustriell produzierter Musik verdeckt. Kulturindustrielle Vermittlung weist in diesem Verständnis jedem musikalischen Produkt eine einzigartige Eigenschaften zu, welche den Hörern lediglich ein Gefühl von Individualität vermittelt. Die Manipulationen von Liedern werden im Bewusstsein der Konsumenten vertuscht, die auf ein nur regressives, passives und die fordistische Realität verschleierndes Hören zurückgeworfen sind (Adorno 1941). Diese Prozesse der Standardisierung und Pseudo-Individualisierung allerdings dominieren nicht alle Formen von Musik.

2.1 Anfänge wissenschaftliche Rede über Klang: Musik- und Sozialwissenschaften

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Entscheidend wird für Adorno die Unterscheidung zwischen Leichter, populärer Musik und Ernster Musik der Klassik und Avantgarde (Held 1980, 99–104). Während die Stücke ersterer aus ähnlichen musikalischen Strukturen und tendenziell austauschbaren Teilen zusammengesetzt seien, böten letztere Möglichkeiten, durch Authentizität, Originalität und intellektuelle Stimulation Prozesse kulturindustrieller Vermittlung herauszufordern. Wichtige Bezugspunkte von Adorno waren zum einen der Nationalsozialismus in Deutschland, der ihn als jüdischen Intellektuellen zur Flucht in die USA zwangen. Dort lernte er die Auswüchse des Monopolkapitalismus der 1930er und 1940er Jahre sowie die Entwicklung des durch neue Kommunikationstechnologien vermittelten Massenkonsums kennen. Diese spezifischen geographischen, sozialen und historischen Kontexte trugen zu einer relativ rigiden Formulierung seiner Theorien bei, die in der Folgezeit zu kritischen Anmerkungen führten: Die „immanente Methode“ Adornos geht davon aus, dass die essentielle Wahrheit in einem musikalischen Werk durch kritische Analyse zu finden sei (Middleton 1990, 61). Die Charakteristika dieser Analyse stammen allerdings aus der Kenntnis nur einer bestimmten musikalischen Tradition. So neigt Adorno zu einer Übertragung der Analysekriterien westlicher klassischer Musik auf die populäre Musik seiner Zeit. Die Analyse überhöht zudem den historischen Moment der Entwicklung einer spezifisch US-amerikanischen Form des medienvermittelten Massenkonsums. Roger Behrens argumentiert demgegenüber, dass eine Bindung der Kulturindustriethese an die Person Theodor Adornos unzureichend ist. Das Theorem hätte zwar die entscheidende Prägung durch Adorno erfahren, sollte „allerdings vorrangig als Werkzeug kritischer Theorie begriffen werden“ (Behrens 1997, 78). Die kontextgebundene Rigidität der Argumentation ändere dabei nichts an den grundlegenden Mechanismen kulturindustriell vermittelter Produktion und Reproduktion. Die Konzeptionen einer monolithischen Kulturindustrie, der Standardisierung musikalischer Formen und der erzwungenen Passivität der Hörer reflektieren in gewissem Maße eine modernistische Perspektive, die ein statisches ‚entweder / oder‘ gegenüber einem dynamischen ‚sowohl als auch‘ favorisiert (Middleton 1990, 61–63). Kulturelle Artefakte lassen sich analytisch beispielsweise in ‚funktionale Artefakte‘, etwa Automobile oder Kühlschränke, und ‚textliche Artefakte‘, dazu zählen populäre Kulturformen, trennen. Technologische Neuerungen führen zwar bei ersteren zu Standardisierungen im Produktionsprozess, bei letzteren aber eher zu neuen Ausdifferenzierungen, wie etwa zur stilistischen Dynamik von Musik. Ein populäres Musikstück liefert nicht zuletzt deshalb Vergnügen, weil es eine gewisse Austauschbarkeit innerhalb eines Genres aufweist und zugleich eine Individualität als spezifischer Song besitzt (Gendron 1986). Adornos Theorie teilt mit der traditionellen Musikwissenschaft einen gewissen Elitismus, der sich in einer Hierarchisierung von Musik und ihrer Konsumenten widerspiegelt: Populäre Musik befriedigt „falsche Bedürfnisse“ von zu Kindern regredierter Konsumenten, Ernste Musik dagegen „reale Bedürfnisse“, die als abstrakte, ahistorische und utopische Aspekte des menschlichen Daseins gefasst werden. Solange allerdings die spezifischen historischen, sozialen und geographi-

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

schen Produktionsbedingungen dieser Kategorien nicht expliziert werden, muss eine empirische Nachvollziehbarkeit scheitern (Strinati 1996, 77–81). Adorno eröffnet der Musikanalyse mit seinen Schriften die Perspektiven der politischen Ökonomie und der Semiologie. Er betont den sozialen Aspekt von Musik und die systematische Natur kultureller Produktion, deren industrielle Standardisierung im Kapitalismus die entscheidende Eigenschaft populärkultureller Formen bei einer politischen Bewertung war und ist. Dass aber eine solche theoretische Konzeption zur Erfassung der Phänomene Musik und Klang ausreicht, stellt etwa Edward Said in Frage, dessen Gegenthese „auf einem geographischen oder räumlichen Grundgedanken beruht“, welche „der Vielgestaltigkeit und großen Spannweite menschlichen Handelns gerecht werden soll“ (Said 1995, 13). Musikalisches Leben folgt eben nicht nur einem zeitlichen Modell (dem universalhistorischen und dialektischen Hegelianischer Tradition), nur einem ökonomischen Modell (dem des Fordismus) oder den musikalischen Produktions- und Konsumtionsformen nur einer Hemisphäre (der des Westens), sondern der – durch die Produktionsverhältnisse dominant strukturierten – Vielfältigkeit kultureller Ausdrucksformen (vgl. auch Krims 2004).

2.2 Geographische Traditionen in Musik Die Anfänge der geographischen Beschäftigung mit Klang und Musik reflektieren drei grobe Entwicklungslinien: (1) die Interessen der Regionalen Tradition der entstehenden Wissenschaftsdisziplin Geographie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, (2) die sich in den 1920er Jahren formierende Berkeley School of Cultural Geography sowie (3) den Fokus traditioneller Kulturgeographie auf Formen bürgerlicher Hochkultur (Kong 1995, 183–185). Die frühe Geographie sah in der Region ihr zentrales Erkenntnisobjekt, deren physische und kulturelle Landschaften beschrieben werden sollten. In dieser Konzeption war es möglich, einen abstrakten Raum nach unterschiedlichen Kriterien in fest umgrenzte Territorien aufzuteilen, welche nach Belieben zu größeren räumlichen Totalitäten aggregiert werden konnten. Ein bekannter Vertreter dieser Tradition ist der französische Geograph Paul Vidal de la Blache, der versuchte, ‚Identität‘ oder ‚Persönlichkeit‘ französischer Regionen (pays) als das Resultat bäuerlicher Kultur (paysan) zu fassen, die sich in der lokalen Landschaft (paysage) ausdrückt (Claval 1995, 22–27). Diese pays stehen in Verbindung mit anderen Regionen und bilden zusammen das größere System der Nation Frankreich. Hier stehen menschliche Praktiken in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer Umgebung, sondern die Natur eröffnet den Akteuren verschiedene Handlungsspielräume, die zu nutzen ihnen offen stehen (Possibilismus). Das Ziel der Beschreibung differenter Raumeinheiten teilte die zeitgenössische Regionale Geographie mit der Anthropologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit Hilfe von Feldforschung und teilnehmender Beobachtung sollten zunächst in der Tradition des europäischen Kolonialismus insbesondere nichtwestliche Regionalkulturen systematisiert und das Verhalten ihrer Vertreter doku-

2.2 Geographische Traditionen in Musik

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mentiert werden. Die Aufgabe der Musikanthropologie war entsprechend eine Suche nach überdauernden musikalischen Praktiken und Klängen, das öffentliche Zur-Schau-Stellen indigener Instrumente sowie die wertschätzende Erhaltung und Archivierung traditioneller Musik. Dieses Forschungsprogramm fußt auf Konzepten von Homologie und Authentizität musikalischer Kultur. Homologie meint eine enge strukturelle oder funktionale Verbindung zwischen Klängen und ihren kulturellen Kontexten, was Musik zu einer direkten Reflexion von Gesellschaft werden lässt. Besondere Wertschätzung wird hier authentischen musikalischen Ausdrucksweisen entgegengebracht, bei denen Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit gegenüber lokalen kulturellen Erfahrungen zu entscheidenden Kriterien musikalischer Bewertungen werden (Middleton 1990, 146–147). Als weitere Einflusslinie der geographischen Beschäftigung mit Klang wirkte die Berkeley School of Cultural Geography, welche Carl Sauer, seine Kollegen und Schüler seit den 1920er Jahren in Kalifornien etablieren konnten. Die Ansätze dieser Schule bezogen sich auf zwei Entwicklungslinien in Deutschland: (1) kritisch auf die Geographie Friedrich Ratzels, dessen „Politische Geographie“ und zweibändige „Anthropogeographie“ im Rahmen kapitalistischer Imperialpolitik Ende des 19. Jahrhunderts als ideologische Konzeptionalisierungen von Raumwissenschaft funktionieren konnten; und (2) affirmativ auf die zeitgenössischen Ausführungen von Otto Schlüter über die historischen Morphologien und Physiognomien von Kulturlandschaften sowie auch hier auf die klassische Anthropologie. Die Arbeiten der Berkeley School sind geprägt durch eine gewisse Skepsis gegenüber vermeintlich homogenisierenden Tendenzen einer sich modernisierenden Welt. Fortschritt, so die feste Überzeugung, übt zunehmend zerstörerischen Einfluss auf gewachsene, stabil und ökologisch nachhaltig konzipierte Kulturen aus. Die Erfahrungen der dramatischen und unüberschaubaren Entwicklungen US-amerikanischer Städte sowie die daraus resultierende Modernitätskritik lassen das Erkenntnisinteresse insbesondere auf rurale und historische, vornehmlich US- und lateinamerikanische Landschaften (landscapes) fokussieren. Drei grundsätzliche Themen dominieren die Arbeiten: Zum ersten geht es um die historische Rekonstruktion von Prozessen der Landschaftsformung durch materielle Abläufe und menschliche Handlungen. Die Entwicklung von Kulturen wird dabei hauptsächlich durch die raum-zeitliche Ausbreitung und Adoption physischer und kultureller Artefakte wie Pflanzen oder Tiere beziehungsweise Siedlungsformen, architektonische Gestaltungselemente, Ortsnamen, Sprache oder Religion bestimmt. Zweitens lassen sich über die räumliche Verteilung dieser Artefakte in sich scheinbar homogene Kulturregionen identifizieren, die voneinander zu unterscheiden und abzugrenzen sind. Das dritte Hauptinteresse gilt dem Studium wechselseitiger kulturökologischer Prozesse und damit der Frage, wie menschliche Wahrnehmung und Nutzung verschiedener Landschaften kulturell vermittelt sind. Die Formung von Landschaften wird in den Arbeiten der Berkeley School allerdings weniger menschlichen Akteuren zugeschrieben, als einer abstrakt formalisierten Kultur, die als superorganisches Konzept die Handlungen von Menschen an einem Ort bestimmt (Mikesell 1978; McDowell 1994, 149): Kultur ist der

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Agent, die natürliche Umgebung das Medium, und die Formen der Kulturlandschaft sind die Resultate. Dies impliziert eine ethnologische Annahme, nach der einzelne geographische Gebiete – die Landschaften – aufgrund der Kartierung sichtbarer, materieller Artefakte, die von einheitlichen kulturellen Gruppen geschaffen worden sind, identifiziert und gegeneinander abgegrenzt werden können (Cosgrove, Jackson 1987, 96). Weniger das handelnde Subjekt, sondern das resultierende Objekt steht im Mittelpunkt, was der Schule den Vorwurf des Objektfetischismus‘ einbrachte. Allgemein werden diese Ansätze für das Außer-AchtLassen umfassender sozialer, ökonomischer und politischer Gesellschaftsstrukturen ebenso kritisiert wie für eine Kulturkonzeption, die kaum Raum für (individuelle) Interpretation, soziale Bedeutungskonstruktion und die Berücksichtigung sich wandelnder sozialkultureller Normen lässt. Die außerordentlich starke Beeinflussung der Kulturgeographie durch die kalifornische Schule zeigte sich insbesondere in den Arbeiten an Geographischen Instituten im US-amerikanischen Westen und Süden bis in die 1980er Jahre. Im Folgejahrzehnt erlebte die ökologische und ethnographische Tradition US-amerikanischer Kulturgeographie eine Neubelebung durch Theorien des Postkolonialismus sowie durch Versuche, den epistemologischen Dualismus von Natur und Kultur aufzubrechen (Cosgrove 2000a). Diese Herangehensweise an Kultur findet im amerikanischen Journal of Cultural Geography, verlegt am Geographischen Institut der Oklahoma State University, ein prominentes Sprachrohr, in dem in den letzten rund 20 Jahren auch ein Großteil der entsprechenden musikgeographischen Forschungsartikel publiziert wurde. Hier wird regelmäßig die Existenz einer eigenständigen Disziplin „Musikgeographie“ als ein „Subfeld der Kulturgeographie“ behauptet, das seinerseits in „eine Anzahl konzeptueller Untereinheiten“ aufgeteilt werden kann (Carney 1994b, 3). Mit Artikeln zu (1) perception (image of place, sense of place, place perception, place consciousness, and place-specific); (2) cultural hearth and cultural diffusion (diffusion agents, diffusion processes, diffusion paths, and diffusion barriers); (3) culture region (formal and functional, nodes and cores, and macro and micro); (4) spatial interaction (migration, connectivity, transportation routes, and communication networks); and (5) human environment relationships (cultural ecology) (Carney 1994a, 28)

vereint auch die Anthologie The Sounds of People and Places: a geography of American music from country to classical and blues to bop, die 2003 in vierter Auflage erscheint (Carney 2003a), Forschungsansätze, die überwiegend in der Tradition der Berkeley School stehen und einer Regionalen Geographie der Vereinigten Staaten zuarbeiten. Andere Annahmen einer als traditionell zu bezeichnenden angelsächsischen Kulturgeographie soll folgendes Beispiel verdeutlichen. Rolf Sternberg schreibt 1998 (!) in The Geographical Review über Richard Wagners Opern: The idea of modernizing the stage scenery for Wagner’s operas at the end of the twentieth century introduces artistic and aesthetic inconsistencies that may distract audiences. Moreover, myths are in some essential ways unalterable, as are scores. The only changes readily available are in the setting and the staging. Vision and thought have to be in harmony for the event to be memorable; otherwise, a listener is better off staying home and listening to a recorded performance.

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Wagner created a spatial order based on myth and fantasy. He grappled with the orderly arrangement of human action in space in order to harmonize the aural with the visual action and to impart plausibility and understanding in order to ensure the audience’s acceptance and support. Similarly, in the real world of the marketplace, producers of goods and services must both attract and hold customers if they wish to remain economically viable. (Sternberg 1998, 339)

Und in einer Endnote entrüstet er sich über eine Lohengrin-Inszenierung in der Metropolitan Opera in New York City: Each of the three acts has basically the same props: a large, red cloth; an unusable chair; a seatless throne; six large, light boxes set horizontally and vertically; and a white curtain. Has the setting anything to do with Lohengrin? No! [...] The production can be described as a concert performance. (Sternberg 1998, 346)

Der Autor fokussiert auf das Opus Richard Wagners, eines ‚großen‘, ‚genialen‘ Komponisten des 19. Jahrhunderts, dessen Opern zum Kanon klassischer europäischer Hochkultur zählen. Er argumentiert, dass die von Wagner schriftlich fixierten Bühnenbildinstruktionen, welche häufig Landschafts- und Ortsbeschreibungen umfassen, bei einer Opernaufführung mit unabänderbar fixierten Partituren in Einklang stünden. Der Gestaltungsspielraum einer Wagner-Inszenierung dürfe einen Rahmen nicht überschreiten, der die „Harmonie“ zwischen Visuellem und Aurealem sicherstelle. Sie ist Sternberg Garant von Authentizität, Plausibilität und Verständlichkeit der Opern. Harmonie wird hier abgeleitet aus der ursprünglichen Setzung von Wagner, die als Raum und Zeit übergreifend, als universell, als ein für allemal gültig konzipiert wird und keinen Spielraum für performative und konsumtive Interpretationen lässt. Der Wert einer (Wagnerschen) Opernaufführung bemisst sich hier nach den subjektiven ästhetischen Ansichten des Kritikers, der seine interpretative Autorität und publizistische Macht als Akademiker nutzt, die eigenen Vorstellungen musikalischer Authentizität zu propagieren und diese anderen Opernbesuchern gleichfalls zu unterstellen. Dass sich die Wertigkeit von Kunstwerken für den Autoren nicht nur nach einer authentischen künstlerischen Erfahrung bemisst, sondern auch nach der Rentabilität und dem ökonomischen Erfolg kultureller Institutionen, verdeutlicht zudem die spezifische Verquickung ästhetischer, ethischer und ökonomischer Urteile: Was ‚im Rahmen‘ bleibt, ‚richtig‘ und ‚harmonisch‘ ist, das ist ökonomisch rentabel, und was Gewinn abwirft muss schließlich ‚gut‘ sein. Das hier propagierte Verständnis von Musik gründet sich auf den bürgerlichen Hochkulturbegriff des 19. Jahrhunderts, der kulturelle Äußerungen eines ‚genialen‘ Künstlers affirmativ über soziale Alltagspraktiken stellt. ‚Richtige‘ Produktion und ‚angemessene‘ Konsumtion dieser Musik sind abhängig von einer bestimmten Art der Musikkennerschaft, einem spezifischen Wissensschatz. Dieser ist zudem organisiert um klar definierte und reglementierte Räumlichkeiten, in denen das Erleben musikalischen Könnens transzendentale Erfahrungen ermöglicht. Mit den Geisteswissenschaften und der Soziologie teilte die Kulturgeographie lange Zeit die Ausrichtung auf Formen der Hoch- oder Elitekultur, insbesondere auf Malerei und Ernste Literatur. Diese haben sich im Verlauf des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses in verschiedene Symbolbereiche und For-

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men der Weltgestaltung ausdifferenziert. Kunstwerke sind von ‚genialen‘ Einzelpersonen geschaffen, die in einem besonderen Kulturbetrieb objektivierter, repräsentativer und institutionalisierter Teil westlicher Kultur geworden sind. Mit der Etablierung von Hochkultur endet die Gleichsetzung von Alltag und Gesellschaft zugunsten einer normativ-idealistischen Konzeption von Kultur, deren Besitz dann Basis sozialer Differenzierung werden kann. Bestimmte kulturelle Formen werden gegenüber anderen aufgewertet, indem reflektierte Kultur, etwa als Ästhetik, gegenüber ‚unreflektierter‘, ‚undistanzierter‘ Kultur alltäglicher Lebenspraxis oder gegenüber populärer Kultur abgehoben wird (Müller 1994; vgl. Williams 1984, 87–93). Während der 1970er Jahre entwickelten sich innerhalb der angelsächsischen Geographie humanistische Strömungen, welche die mit der Quantitativen Revolution der 1950er Jahre zunehmend vernachlässigte Bedeutung menschlicher Handlungen und menschlicher Kreativität wieder in den Mittelpunkt stellen wollten. Die Versuche, geographische Bedeutungen kultureller Produkte mit Hilfe ikonographischer und anderer hermeneutischer Methoden zu fassen, beschränkten sich zunächst charakteristischerweise auf Artefakte der Hochkultur, insbesondere auf literarische Werke und Landschaftsgemälde. Dabei wurde implizit angenommen, dass solche Studien einige essentielle Merkmale der Bindung von Menschen an Orte und Landschaften aufdecken können (Cosgrove, Daniels 1988). Auch Versuche, Landschafts- und Ortsbeschreibungen in musikalischen Werken zu analysieren, rekurrieren häufig auf kanonisierte Musik der europäischen Klassik oder der Avantgarde (etwa Smith S 2000a). Insgesamt aber spielten Musik- und Klanganalyse lange Zeit – der allgemeinen Kunstanalyse nicht unähnlich – innerhalb des geographischen Fachkanons eine untergeordnete Rolle. Als Hauptgründe für die erst spät einsetzende Analyse von Musik innerhalb der Kulturgeographie und in den Sozialwissenschaften lassen sich anführen: (1) eine problematische Quellen- und Datenlage über die vielfältigen musikalischen Stile und über häufig nur oral tradierte musikalische Geschichte (Nash 1975, 1), (2) die Tradition einer stark am Visuellen orientierten Disziplin Geographie sowie (3) eine relativ schwierige analytische Zugänglichkeit des Auralen (Smith S 2000b). Eine der ersten Beschreibungen klanglicher Phänomene findet sich bei Johann G. Granö, der durch „die Verwendung eines zweckgemäss generalisierenden deskriptiven Systems nebst einer exakten Terminologie sowie die kartographische Darstellungsweise“ (1929, III–IV) versuchte, Objekte der agrarischen Landschaft der ostfinnischen Insel Valosaari im „geographischen Nahbereich“ zu bestimmen und abzugrenzen. Die Kartierung der Gehörserscheinungen menschlicher Stimmeinwirkungen, von Vogelgesang und Viehglocken (Granö 1929, 130–133) nahm, ebenso wie die darauf aufbauenden Arbeiten weiterer finnischer Geographen über die Lautsphären mechanischer Landbearbeitungsmaschinen und Kirchglocken, die soundscape-Forschungen der 1970er Jahre vorweg (Porteous 1990, 50). Auch aus Großbritannien sind in den 1920er und 1930er Jahren Ausführungen zu Klang als Element einer normativen Geographie bekannt, die unter anderem der Frage nachgingen, welche Töne in bestimmten Landschaften als angemessen zu betrachten sind (vgl. Leyshon, Matless, Revill 1995, 423–424).

2.2 Geographische Traditionen in Musik

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Fokussierungen auf die regionale und lokale Betrachtungsebene, auf den Zusammenhang von Natur und Kultur sowie auf die agrarischen Lebensformen reflektieren dabei freilich die ethnographische Ausrichtung der zeitgenössischen Geographie. Arbeiten, die sich hauptsächlich mit musikalischen Phänomenen beschäftigen, entstehen erst zum Ende der 1960er Jahre und erreichen Mitte der 1970er Jahre in den USA einen quantitativen Höhepunkt. Insbesondere drei Faktoren tragen zur wachsenden Popularität bei: In dieser Zeit wirkte Musik stark ein auf die populäre Massenkultur und beeinflusste entscheidend die neuen sozialen (etwa Frauenbewegung, Black Power!-Movement, Vietnamkriegsgegner) und ökologischen (Anti-Atomkraft-Bewegung) Bewegungen der 1950er und 1960er Jahre. Hierauf gründen die Interessen des wissenschaftlichen Nachwuchses der baby boomer-Generation der Nachkriegszeit. Auch das Aufkommen von Rock ’n’ Roll in den 1950er Jahren, die Folk Music Renaissance und ein gesteigertes Interesse an Traditionen der Black Music in den 1960er Jahren stehen in diesem Zusammenhang. Zum zweiten vollzog die US-amerikanische Kulturgeographie zu jener Zeit die Abkehr von ihrer starken Konzentration auf die Erforschung materieller Artefakte in ländlichen Räumen oder in präindustriellen Gesellschaften. Neben Bildender Kunst, Literatur, Sport, Mode oder Ernährung rückte auch Musik als nicht ausschließlich materielles Kulturelement auf die Liste der Forschungsobjekte. Zumindest ansatzweise wurde damit dem sich erweiternden Kulturbegriff der 1960er Jahre sowie der damit verknüpften Formierung der Disziplin Cultural Studies in Großbritannien Rechnung getragen. Differenzierungsbestrebungen jüngerer Geographen gegenüber konservativen Professoren und ihren tradierten Forschungsfeldern sowie eine im Zuge der Bildungsexpansion als erforderlich erachtete Kompartimierung des Faches resultierten in einer zunehmenden Spezialisierung geographischer Subdisziplinen. Die Etablierung musikalischer Forschungsobjekte verlief dabei nicht ohne Konflikte, wie etwa George Carney dokumentiert: „Einige Kollegen haben [musikgeographische Forschungen] als ‚frivol‘, ‚so ein Blödsinn‘ oder einfach als ‚nicht traditionell‘, [...] ‚radikal‘ [und] ‚unwissenschaftlich‘ charakterisiert.“ Und weiter: „Um als Geograph ernst genommen zu werden, sollten Forschungen zu ‚Homosexuellen und Country Musik‘ vermieden werden.“ (Carney 1994a, 22). Schließlich bot sich auch Einzelnen die Möglichkeit, aus einem privaten Interesse am Musizieren und Musik Konsumieren eine berufliche Aufgabe zu machen. Viele der frühen Arbeiten zur Musikgeographie resultieren aus den außeruniversitären musikalischen Aktivitäten der jeweiligen Forschenden (Carney 1994a). Dass diese Wissenschaftler fast ausnahmslos Männer mit ‚weißem‘ Mittelschicht-Hintergrund waren, spiegelt einerseits die persistente strukturelle Benachteiligung von Frauen, ethnischen Minderheiten und sozioökonomischen Randgruppen an den Universitäten wider und verweist andererseits auf die typische Figur des Rockkritikers und -journalisten in Musikmagazinen und den Publikationen der Unterhaltungsindustrie. Die Analyse der räumlichen Verbreitung musikalischer Formen und Instrumente sowie der Aktivitäten einzelner Musiker oder Musikgruppen (vgl. etwa Stockmann 1992) stellt einen ersten Ausgangspunkt der aufkeimenden geogra-

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phischen Fragestellungen im Hinblick auf Klang und Musik dar. Die Frage „Was ist ‚kartierbar‘ an Musik?“ (Nash, Carney 1996, 70) steht dabei im Mittelpunkt. Es geht zunächst nicht darum, ein theoretisches Argument zu entwickeln oder zum tieferen Verständnis räumlicher Verteilungsmuster beizutragen, sondern idiographisch möglichst detailliert und umfassend Informationen zu kartieren. Dazu werden Mitgliederverzeichnisse musikalischer Vereinigungen, Muster der Herkunft von Teilnehmern an Musikwettbewerben oder, wie etwa bei Carney (1987) dargestellt, die enzyklopädischen Einträge zu Geburtsorten bekannter Musiker ausgewertet, diese Daten räumlich aufgetragen und über einen Zeitverlauf hinweg miteinander verglichen. Diese Arbeiten bleiben inhaltlich, räumlich und historisch auf amerikanische Volks- und Country Musik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1970 beschränkt. Ausnahmen bilden einige musikhistorische Arbeiten (Kisby 2002) oder beispielsweise der „Atlas of Bells“, der Kirchen mit vier oder mehr Glocken im heutigen Großbritannien und in den ehemaligen britischen Kolonien verortet und diese in den kulturhistorischen Kontext des virtuosen Läutens einbettet (Johnston et al. 1990). Musikalische Innovations- und Diffusionsforschung sucht nach Ursprungsregionen bestimmter, als neu identifizierter musikalischer Formen, Praktiken oder Instrumente. Im Vergleich zur Musikethnologie liegt der spezifische Beitrag der Geographie darin, die Wege der raum-zeitlichen Ausbreitung zu rekonstruieren und den Einfluss materieller und immaterieller Barrieren auf Diffusionsprozesse zu evaluieren. Die räumliche Dynamik der Entwicklung von Blues in den USA arbeitet etwa Thomas Arkell (1991) auf, der ausgehend vom ruralen Raum um Memphis an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert eine Ausbreitung zunächst entlang der Kommunikationsrouten Eisenbahn, Mississippi und highways nachzeichnet und schließlich die Entwicklung des Urban Blues in den städtischen Zentren des Nordens und Westens (New York, Chicago; Los Angeles, San Franzisko, Oakland) dokumentiert. Als cultural hearth des Rock ’n’ Roll, so das Vokabular der Berkeley School, gelten die urbanen Agglomerationen des Mittleren Westens und insbesondere Cleveland, wo um 1950 Traditionen der ‚weißen‘ uptempo Country Musik aus Nashville und des ‚schwarzen‘ Rhythm & Blues aus Kansas zusammentrafen und hauptsächlich über Radio-Discjockeys und Tonträger entlang vor allem ethnisch differenzierter Linien Verbreitung fanden (Ford 1971). Einige andere Arbeiten beschäftigten sich mit Reisen von Volksmusikgruppen (Ling, Stockmann, Stockmann 1992) oder der Ausbreitung musikalischer Stile und Innovationen entlang der mitteleuropäischen Reiserouten klassischer Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts (Nash 1968; Sternberg 1998). Die Stärke dieser historisch-genetischen Beschreibungen musikalischer Genres und der musikalischen Ausbreitungswege liegt in der Anschaulichkeit ihrer kartographischen Darstellungen, die auch in einzelnen geographischen Überblicks- und Einführungsschriften Verwendung finden (etwa Claval (1995) für populäre Musik im Allgemeinen; Francaviglia (1973) für Rock; Knox, Marston (2001) für Rap). Ein drittes Anliegen früher musikgeographischer Forschungen war die Abgrenzung von Gebieten, welche gewisse musikalische ‚Charakterzüge‘ teilen. Die

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Unterteilung der Welt in distinkte musikalische Regionen auf verschiedenen Maßstabsebenen erfolgte zunächst innerhalb der Musikethnologie nach unterschiedlichen Kriterien wie der Verbreitung von Musikinstrumenten oder dem Stellenwert von Klang in den jeweiligen Gesellschaften (Nettl 1985, 155–161). Innerhalb der Geographie wurden diese Arbeiten Ende der 1960er Jahre aufgegriffen und kartographisch umgesetzt (Nash 1968 und 1975). Auf der Grundlage der tonalen Organisation wurden dabei zunächst global drei musikalische Großregionen mit fließenden Übergängen identifiziert, die durch ‚kultivierte‘, im wertenden Sinne ‚komplexe‘ Musik in ihren jeweiligen Zentren und durch ‚primitive‘ oder Volksmusik in den Peripherien gekennzeichnet sind. Aufgabe der Geographie ist es dann, über Vergleiche kartierter Sachverhalte to relate musical phenomena to various geographical elements, especially in terms of music production and consumption. There are correlations between music and climate, terrain, latitude, altitude and other fundamental elements of geographical concern. (Nash 1975, 1)

Genau dies versuchte etwa auch Manfred Büttner, einer der wenigen Geographen, welche sich im deutschsprachigen Raum mit musikalischen Phänomenen und der Praxis des Musizierens beschäftigten, als er 1958 „über einen Zusammenhang zwischen Tonraum-Amplituden und Thermo-Isoplethen“ promovierte und mit Hilfe der Auswertung historischer Quellen und klimatischer Rahmendaten zu einer mathematischen Ausformulierung dieser Relation gelangte (Büttner 1990; ähnlich argumentierte der Schweizer Musikwissenschaftler Fritz Gysi bereits in den 1920er Jahren (Nash 1968, 21)). Besonders deutlich in der Tradition Regionaler Geographie stehen auch die Arbeiten zu musikalischen Subregionen vor allem im Süden der Vereinigten Staaten (Carney 1980), die in den letzten Jahren verstärkt Eingang finden in die regionalisierenden Länderkunden der USA. Mit einem als cantometrics bezeichneten musikanthropologischen Projekt stellte Alan Lomax in den 1960er Jahren einen Versuch vor, unterschiedliche Aspekte von Liedern zu quantifizieren und eine gerasterte Weltkarte der „LiedAreale“ traditioneller Lieder zu generieren. Neben den Stilen musikalischer Darbietung wurden etwa auch der tonale Umfang, die melodische Komplexität und die rhythmische Vielfalt klassifiziert und computergestützt verarbeitet. In einem zweiten Schritt erfolgte die Bestimmung typischer kultureller Artefakte, der Moral- und Wertvorstellungen sowie des Grads der sozialen Schichtung und der politischen Organisation. Die beiden Datenbestände wurden schließlich in einem Modell zusammengeführt, das in die Ausweisung von sechs globalen und 56 regionalen Stileinheiten mündete. Je komplexer die soziale, politische und ökonomische Organisation einer Gesellschaft entwickelt ist, so die Auffassung Lomax’, desto komplexer, dichter und spezifischer stellen sich ihre musikalischen Ausdrucksweisen dar (Lomax, Erickson 1978). Mehrere Punkte verdienen hier kritische Beachtung: Zum einen wird ein kausaler Zusammenhang zwischen umfassenden sozialen Strukturen und dem Grad melodischer und rhythmischer Variablität konstruiert, ein Charakteristikum von auf Homologien gestützte Theorien (Middleton 1990, 150): Artefakte werden als typisch für eine anthropologisch gefasste Kultur erachtet, die zuvor aufgrund eben dieser (und anderer) Artefakte identifiziert und abgegrenzt worden ist. Eine

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direkte Verbindung von Musik und kulturellem Kontext wird von Anfang an unterstellt und lässt keinen Raum für soziale und kulturelle Mediationen. Hinzu tritt zum anderen eine rein quantitative Herangehensweise an die gewonnenen Daten, die dem klassischen Empirismus verpflichtet ist. Ein als objektiv gefasster Raum beeinflusst als fundamentale Variable sowohl die Organisation von Gesellschaften als auch die Handlungen Einzelner, welche als atomistische, voneinander unabhängige Prozesse auf der Erdoberfläche konzipiert werden. Region ist für Musikgeographie in diesen Fällen selten mehr als die geeignete Ordnungseinheit eines abstrakten Raumes, mit Hilfe derer sich die Welt nach unterschiedlichen Faktoren in klar abzugrenzende, aggregierbare Areale aufteilen lässt. Ergebnisse musikalischer Forschungen auf regionaler Ebene sind so eher beschreibende und inventarisierende Darstellungen raum-zeitlich fixierter kultureller Landschaften denn Versuche der Erklärung und Analyse kulturhistorischer Prozesse. Auch die Identifizierung des ‚Charakters‘ oder der ‚Persönlichkeit‘ von Orten durch die Analyse von Liedertexten, Melodien, Instrumentierungen oder gefühlsbezogener Eindrücke, die Musik hinterlassen kann, steht in der Regionalen Tradition. Typische Musikstile werden einzelnen Städten zugeordnet, die das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren wie musikalische Traditionen, kulturelle Wertvorstellungen, lokale Institutionen, Siedlungsmuster oder Ethnizität reflektieren sollen. Bekannte Beispiele solcher „ortsspezifischer Musik“ (Curtis, Rose 1987) sind der Miami Sound, New Orleans Jazz, Detroits Motown Sound, Grunge aus Seattle oder Gangsta Rap aus Los Angeles. Entsprechenden Betrachtungen bleiben jedoch räumlich stark begrenzt, argumentieren häufig nur mit endogenen Potenzialen und finden ihre Fortschreibung in Diskussionen um populärkulturelle Szenen einzelner Metropolen oder in Studien zu urbanen Subkulturen. Schließlich befasst sich Geographie mit in Liedertexten und musikalischen Strukturen verarbeiteten Wahrnehmungen verschiedener Aspekte menschlicher Umwelt. Für den Großteil dieser Arbeiten reflektiert Musik zunächst die durch den Komponisten eingeschriebenen Bedeutungen, die es etwa durch einfaches Auszählen von Schlüsselworten zu identifizieren gilt: Benennungen von Bergen und Flüssen, Aufzählungen von Städtenamen oder Erwähnungen von Landschaften (Byklum 1994). Für Städtebilder in US-amerikanischer Top 40-Musik lassen sich beispielsweise Verschiebungen nachweisen, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts überaus positiv auf urbane Umfelder als befreiend, fröhlich und kulturell vielgestaltig beziehen, sich aber in den späten 1960er Jahren dem traditionellen US-amerikanischen Anti-Urbanismus anschließen, der (Innen-)Städte als dichte, schmutzige und gefährliche Kompaktheiten imaginiert, deren Bewohner sozial wie räumlich immobil, unterprivilegiert oder gar kriminell erscheinen (Ford, Henderson 1987). Diese Beschreibungen, so die implizite Annahme, reflektieren die räumliche Wahrnehmung verschiedener Orte und Räume durch die Produzenten und beeinflussen jene der Konsumenten von Musik.

2.3 Peopling the soundscape: Humanistische Geographie und New Cultural Geography Bereits diese frühen Arbeiten verdeutlichen die Relevanz musikalischer Praktiken für geographische Analysen, die aber bis in die 1970er Jahre theoretisch wie methodologisch stark beschränkt bleiben. Musikalische Beispiele werden vor allem zur Illustration einiger geographischer Basiskonzepte wie der Diffusion von Ideen und Artefakten, zur Abgrenzung von cultural areas oder zur Untersuchung der Umweltwahrnehmung herangezogen. Die Stärke dieser Studien liegt in der Einsatzmöglichkeit als anschauliche pädagogische Werkzeuge (Kong 1995, 186). Eine grundsätzliche Kritik zielt auf die fehlende Thematisierung der sozialen, politischen und ökonomischen Kontexte, in denen Musik produziert und konsumiert wird. Wird eine Region als abgeschlossen, umgrenzt und zellular gefasst, gelingt es nicht, die vielfältigen Beziehungen zwischen Menschen und Strukturen, Handlungen und Objekten als Ergebnis lokaler, translokaler, nationaler und globaler Prozesse zu fassen. Die Konzepte von Raum und Ort werden hier in absoluten Begrifflichkeiten als unveränderlich gegeben thematisiert und beschränken sich auf ein Verständnis physischer Territorien als Sammelbecken menschlicher Lebensäußerungen. Ausgeblendet bleiben hier sowohl Aspekte der sozialen Konstruktion von Orts- und Raumerfahrungen als auch individueller, gruppenspezifischer oder nationaler Identitäten (Blotevogel 1995). Der Fokus auf musikalische Produktion überbetont die Leistungen eines Individuums als Quelle kulturellen Schaffens. Zusammen mit der Suche nach dem Ursprungsort musikalischer Stile tragen solche Analysen bei zur Perpetuierung einer kulturellen Hegemonie, die in Anlehnung an die romantische Konzeption von Kunst einzelne Komponisten, musikalische Stile und die mit ihnen in Verbindung stehenden Orte als entscheidende Landmarken kultureller Entwicklung bestimmt. Konsumtion von Kultur wird, so überhaupt thematisiert, auf ein einfaches Kommunikationsmodell reduziert, das eine unvermittelte Übertragung der Bedeutungsgehalte vom Sender zum Empfänger unterstellt und von einer kausalen Verbindung zwischen Liedertexten und Hörerfahrungen ausgeht. Eine Analyse von Liedertexten sollte aber nicht versuchen, to discuss the intentions of the composers, lyricists and performers or the environmental meanings and images that their work might have for any audience, but [to] suggest that there are some coherent patterns which are worth following up in geographically-based research. (Jarvis 1985, 98)

Bis in die 1980er Jahre ist Musik Untersuchungsgegenstand einer konsequenterweise als „Musikgeographie“ bezeichneten Subdisziplin innerhalb der traditionellen Kulturgeographie. Musik und Klang werden abgehandelt als ein „Mehr desselben“ (Smith S 1997, 504), als Artefakte, die sich kartieren lassen, deren Ausbreitung in Raum und Zeit nachvollzogen und die mit Landschaften verknüpft werden können. Ausgehend von einer Kritik traditioneller geographischer Epistemologien und Methodologien erwuchsen bis in die 1980er Jahre im angelsächsischen Kontext zunächst die zwei interdependenten Entwicklungslinien einer

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humanistische Geographie und einer new cultural geography. Humanistische Geographie bezeichnet einen approach to human geography distinguished by the central and active role it gives to human awareness and human agency, human consciousness and human creativity. Humanistic geography [...] was advertised as offering ‘an expansive view of what the human person is and can do’ [...] and as an attempt at ‘understanding meaning, value and (the) human significance of life events’ (Gregory 2000a, 361)

Humanistische Geographie versucht, Menschen in all ihrer Komplexität in den Mittelpunkt der Humangeographie zu stellen. Es geht zum einen darum, die entscheidende Rolle des Menschen als interpretierendes und formendes Wesen herauszustellen und zum anderen den geographisch Forschenden als Individuum zu begreifen, das sich mit eigenen Wertvorstellungen, Hoffnungen und Ängsten einem Untersuchungsgegenstand nähert (positionality) (Cloke, Philo, Sadler 1991, 58). Das Aufdecken quantifizierbarer Gesetzmäßigkeiten wird zugunsten einer interpretativen und reflexiven Suche nach sozialen und kulturellen Bedeutungen zurückgedrängt. So werden Wahrnehmung und Erkenntnis in einer behaviouristischen Phase auf das menschliche Umweltverständnis angewendet, das nie umfassende, perfekt oder allgemein gültig sein kann, sondern immer nur ein beschränkt und kontextsensitiv bleiben muss. Menschen bewohnen keine konkreten empirisch-physischen Räume, sondern schaffen eigene „Landschaften der Gedanken“ (Porteous 1990) aus ihren Sinneseindrücken des Fühlens, Schmeckens, Riechens, Sehens und Hörens, die durch Prozesse des menschlichen Gehirns vermittelt werden. Geht die behaviouristische Geographie noch von einem nur unzureichenden, mechanistischen Verständnis menschlichen Verhaltens aus, so wird in der Folgezeit mit Hilfe der philosophischen Ideen des Existentialismus und der Phänomenologie eine epistemologische Erweiterung versucht (Cloke, Philo, Sadler 1991, 68–80; Peet 1998, 34–66). Menschen kreieren demnach die Welt durch die geistige Projektion von Bedeutungen auf physische Phänomene – Objekte, Orte, andere Menschen –, die sie auf ihrer Reise durch den geographischen Raum antreffen. Das Wissen über die Welt wird so vom Menschen selbst geschaffen im Prozess des geistigen und körperlichen Zusammentreffens mit anderen Dingen und anderen Menschen. Erkenntnistheoretisch stehen entsprechend das Anerkennen und Verstehen der menschlichen Beziehungen zur Welt im Mittelpunkt, was durch Methoden der intensiven Beschreibung menschlicher Erfahrungen zu leisten versucht wird. Aufgrund des Unvermögens, die Perspektive anderer einnehmen zu können, werden qualitative Methoden wie Textinterpretation oder Hermeneutik herangezogen, um sich menschlichen Bedeutungs- und Gefühlszuschreibungen anzunähern. Fraglich bleibt allerdings, ob allein mittels Interviews, Textanalysen oder teilnehmender Beobachtung geeignete Instrumente zur Rekonstruktion häufig unbewusster Vorgänge zur Verfügung stehen. Das oberflächliche Bild eines bewusst handelnden Individuums lässt kaum Spielraum für komplexe Prozesse der Konstruktion menschlicher Subjekte und der Formierung von Rollen und Identitäten. Im vorliegenden Zusammenhang spielen vor allem die Thematisierung der Sinneswahrnehmungen und hier insbesondere der Wahrnehmung von Klang und

2.3 Peopling the soundscape: Humanistische Geographie und New Cultural Geography

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Musik eine bedeutende Rolle (Pocock 1993). Die Intention des 1970 in Vancouver initiierten World Soundscape Project beispielsweise war es, möglichst alle sich verändernden Aspekte der klanglichen Umwelt hinsichtlich eines möglichen Einflusses auf menschliche Wahrnehmung und soziale Aktivität zu bewerten (Porteous 1990, 52–65). Auf der Basis des theoretischen Konzepts von „Lautsphären“, deren englische Entsprechung soundscapes analog zu landscapes verstanden wird, entwickelte die Umweltpsychologie Fachtermini und wissenschaftliche Techniken des Studiums von Klang. So entstanden Arbeiten zur Wahrnehmung urbaner Tonlandschaften, zur akustischen Differenzierung von Räumen sowie historische Analysen der Klangproduktion (Schafer 1988). So können etwa die musikalischen Beschreibungen von Landschaften während der Romantik und des Impressionismus’ dieser humanistische Tradition zugeordnet werden. Stadt und Land, Wälder, Flüsse oder die See gehören zu den häufig thematisierten Landschaftselementen, die in konkreter wie abstrakter Weise über die Imitationen von Natur (Meeresrauschen, Vogelstimmen etc.) oder durch Symbolik kompositorisch charakterisiert werden sollen. Musik wird dabei in oberflächliche ‚geographische‘ und ethische Kategorien wie Schönheit, Fremdheit, Heimat und Exil oder Mobilität und Stasis eingeteilt, die sich an einem hochkulturellen Verständnis von gut und schlecht, angemessen und unangemessen orientieren. Ein Verständnis der Dynamik von Klang im Raum bedarf allerdings einer Kontextualisierung des Hörens und Klang Schaffens, welche die sozialen und politischen Bedeutungen von Musik berücksichtigen (Smith S 1994; Ingham, Purvis, Clarke 1999). Eine zweite Entwicklungslinie, die sich gegen die materielle und kulturökologische Ausrichtung der traditionellen angelsächsischen Kulturgeographie wendet, ist eingebettet in eine als cultural turn bezeichnete Verschiebung innerhalb der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die auch innerhalb öffentlicher Debatten Wirkung zeigt (etwa Blotevogel 2003). Dabei manifestiert sich Kultur nicht wie bislang ausschließlich in materiellen und statischen Artefakten vornehmlich der Hochkultur, sondern wird als Prozess der Sinnzuschreibung durch sich verändernde Systeme von Bedeutungen gerade im Alltagsleben verstanden. In Anlehnung an Kulturgeschichte, Literaturtheorie und die in den 1960er Jahren entstehenden britischen Cultural Studies fokussiert diese Kulturkonzeption auf die Rolle von Sprache und Text bei der Zuweisung von Bedeutungen sowie auf die Frage, wie diese Sinngehalte in die materielle und soziale Welt eingebettet sind. Text meint dabei mehr als geschriebene Sprache, der Begriff bezieht sich allgemein auf ein ganzes Set von Bedeutungszuschreibungen kultureller Produkte, die etwa Gemälde, Skulpturen, Filme, Bücher, Fernsehprogramme, Zeitungen, Magazine oder Musik umfassen. Verschiedene soziale Akteure entwerfen unterschiedliche Bedeutungssysteme, die sie im Spannungsfeld hegemonialer und subversiver Diskurse zu artikulieren und zu platzieren versuchen. In diesem Sinne ist Kultur ein dynamisches und historisch wie räumlich spezifisch zu fassender Prozess, mit dessen Hilfe Gesellschaft und Raum bedeutungsvoll konstruiert werden, der Menschen mit Identität ausstatten kann und der soziale und räumliche Machtbeziehungen sichtbar werden lässt.

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Innerhalb der Humangeographie spiegelt sich die „kulturelle Wende“ wider in der Entstehung einer new cultural geography (Natter 2003), deren Haupteinflüsse zunächst in der britischen Kulturtheorie der ausgehenden 1960er Jahre liegen. Einerseits betont der kulturelle Materialismus die Bedeutung spezifischer sozialer, politischer und historischer Kontexte, in denen kulturelle Produktion stattfindet. Dieser Zusammenhang von Kultur und lokalen Lebensweisen, die sich etwa nach Auffassung von Raymond Williams auf der Basis eines gemeinsamen sozialen Klassenhintergrundes in einem Gefühl der Verbundenheit mit einem bestimmten, räumlich abgegrenzten Gebiet ausdrücken, konnte als ein Ansatzpunkt geographischer Interessen dienen. Andererseits entwickelte das Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham seit Mitte der 1960er Jahren unter Leitung von Stuart Hall ein theoretisches Gerüst, das Konsumtion in den Mittelpunkt von Kulturforschung rücken wollte. Gemeinschaften sind demnach nicht notwendigerweise an denselben räumlichen Ort oder an dieselbe Klassenlage gebunden, sondern können über Konsumtionsprozesse und affirmative wie subversive Aneignungen von Bedeutung (Gruppen)Identitäten auch jenseits räumlicher Nähe schaffen. Wie Konsumtion Möglichkeiten eröffnen kann, ‚oppositionelle Kultur‘ zu praktizieren, wurde insbesondere anhand der bewussten Aneignung und Umbewertung ausgesuchter kultureller Artefakte (bricolage) durch jugendliche, teilweise musikalisch definierte Subkulturen wie die der Beatniks, Mods oder Punks nachzuweisen versucht. Kultur wird hier verstanden als whole way of life (etwa Clarke, Hall, Jefferson et al. 1981), als umfassender, humanistisch geprägter Begriff. Großen Einfluss auf die Arbeit des Centre entwickelten die Schriften Antonio Gramscis, der vor dem Hintergrund des italienischen Faschismus in den späten 1920er und in den 1930er Jahren versuchte, mit Hilfe eines Konzeptes von Hegemonie die Etablierung und Durchsetzung von Ideologien und kultureller Standards zu fassen. Zur Erklärung von Unterdrückung und sozialer Ungleichheit reiche, so Gramsci, die Thematisierung rein ökonomischer Abhängigkeitsverhältnisse nicht aus, die Macht ideologischer Beeinflussung gründe sich vorrangig auf materielle Institutionen und kulturelle Praktiken. Hegemonie bezieht sich auf die Macht dominanter Gruppen, ihre präferierten moralischen, politischen und kulturellen Werte durch das Erzielen ‚spontaner Konsense‘ mit subordinierten Gruppen zu sichern oder diese Werte als eine ‚natürliche‘, selbstverständlich erscheinende Ordnung zu installieren. Politischer und ideologischer Konsens würden immer so ausgehandelt, dass dominante wie subordinierte Gruppen beteiligt seien und die Interessen beider ausdrückten. Hegemonie ist das Resultat der Arbeit von Schlüsselpersonen, die in die Institutionen der Zivilgesellschaft eingebunden und mit der Produktion, Verteilung und Interpretation von Wissen betraut sind (Strinati 1996, 165–171). Über die Einbeziehung kultureller und politischer Faktoren leistet das Hegemonie-Konzept einen Beitrag zur Analyse von Herrschaft und Widerstand außerhalb des ökonomischen Determinismus klassischer marxistischer Prägung (Williams 1984, 145). Die Arbeiten der sich seit den 1960er Jahren formierenden Cultural Studies und ihre Konzeption von (Sub-)Kultur bleiben nicht ohne Kritik. Die Kulturanthropologie beispielsweise wirft den Vertretern der Cultural Studies die Ver-

2.3 Peopling the soundscape: Humanistische Geographie und New Cultural Geography

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wendung eines unterkomplexen Kulturbegriffs vor, der in einer nur flüchtigen, oberflächlichen und ethnologischen Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand fußt. Die literaturwissenschaftliche Tradition des Faches mit starken Fokussierungen auf kulturelle Texte und Repräsentationen verhindere die angemessene Thematisierung sozialer Prozesse. Zudem verstelle das Augenmerk auf übermäßig politisierte Konsumtionsprozesse von Subkulturen oder Individuen den Blick auf gesamtgesellschaftliche (Re-)Produktionsbedingungen. Die Kategorien von (rituellem) Widerstand oder politischer Ermächtigung (empowerment) blieben in diesem Zusammenhang häufig banal und blass und ließen keinen Platz für ästhetische Beurteilungen. Schließlich beschäftigten sich die Cultural Studies gerne mit sich selbst. Die Exegese reiche häufig nicht über ein spielerisches Abarbeiten an Texten anderer Wissenschaftler hinaus (Frith 1992a; Handler 1993; Lindner 2000). Trotz dieser Kritik finden die neuen thematischen Schwerpunkte populäre Kultur, Konsumtion, Hegemonie und Widerstand über die Rezeption der britische Kulturtheorie ihren Weg in die Geographie, wo sie auf eine zweite bedeutende Strömung innerhalb der new cultural geography treffen. Die so genannte landscape school steht in der Tradition der Landschaftsanalysen US-amerikanischer Kulturgeographie und nimmt Anregungen aus der humanistischen Geographie auf. Allerdings beschäftigt sich diese Mitte der 1980er Jahre etablierende ‚Schule‘ weniger mit dem Einfluss materieller Artefakte auf die Welt, als vielmehr mit der Frage, wie Landschaften als Kunstwerke oder Texte interpretiert und repräsentiert werden. Materielle Landschaften zeichnen sich nicht durch Neutralität und Objektivität aus, sie reflektieren vielmehr soziale Machtverhältnisse und Betrachtungsweisen (ways of seeing) der Welt (Jackson 1992). Die Konstruktion von Landschaften in spezifischen Kontexten findet Ausdruck in unterschiedlichen Repräsentationen und Symbolisierungen wie beispielsweise Gemälden, Literatur, Kartenwerken oder wissenschaftlichen Abhandlungen. Es wird möglich, eine Landschaft als Text, kulturelles Image oder soziales Dokument zu verstehen und mittels Semiotik, Ikonographie oder anderer qualitativer Methoden zu lesen und zu interpretieren (McDowell 1994, 161–164). Denis Cosgrove und Peter Jackson resümieren die Gemeinsamkeiten der neuen Ausrichtungen zu einem frühen Zeitpunkt wie folgt: If we were to define this ‘new’ cultural geography it would be contemporary as well as historical (but always contextual and theoretically informed); social as well as spatial (but not confined exclusively to narrowly-defined landscape issues); urban as well as rural; and interested in the contingent nature of culture, in dominant ideologies and in forms of resistance to them. [...] Culture [...] is the very medium through which social change is experienced, contested and constituted. (Cosgrove, Jackson 1987, 95)

Im Gegensatz zur traditionellen Kulturgeographie fasst die new cultural geography Kultur und Kulturen als mannigfaltige Prozesse, als sich ständig verändernde Bedeutungssysteme, mit deren Hilfe Menschen aus ihrer Umwelt Sinn gewinnen. Das neue Kulturverständnis erfordert sowohl die Erweiterung des auf Quantifizierung und Kartographie beschränkten methodologischen Instrumentariums als auch eine Ausweitung und Vertiefung des Spektrums geographischer Erkenntnis-

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objekte. Der so genannte spatial turn – die wachsende Anerkennung der Bedeutung räumlicher Dimensionen für das Verständnis sozialer und kultureller Prozesse – bringt diese umfassende Konzeptionalisierung des Räumlichen etwa innerhalb der Soziologie, der Cultural Studies und der Wirtschaftswissenschaften zum Ausdruck. Das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen einzelnen geographischen Subdisziplinen wie Kultur-, Wirtschafts- und Stadtgeographie einerseits und eine verstärkt interdisziplinäre Ausrichtung innerhalb verschiedener Human- und Geisteswissenschaften andererseits sind zugleich Voraussetzung und Resultat dieser Neuorientierung. Seit Beginn des laufenden Jahrzehnts entwickelte sich auch innerhalb der deutschsprachigen Anthropogeographie eine vor allem von jüngeren Geographen getragene Strömung, die eine Neuorientierung der Kulturgeographie anstrebt (Gebhardt, Reuber, Wolkersdorfer 2003). Auf einer bislang vierteiligen Tagungsreihe wurde seit 2004 im Jahresrhythmus ein mögliches Spektrum dieser Neuorientierung ausgelotet. Diese Initiativen lösten fruchtbare thematische und methodische Diskussionen aus, die vor einem spezifisch nationalen und fachbezogenen Hintergrund angestoßen wurden (Blotevogel, Meusburger, Weichhart 2004; vgl. auch Blotevogel 2003 und die Rezensionen von Freytag, Jahnke (2003) und Klüter (2005)) und auch Fachvertreter außerhalb der Neuen Kulturgeographie mit einschloss. Die Anmerkungen zur Neuen Kulturgeographie bezogen sich dabei unter anderem auf (1) methodologische Fragen und eine mögliche De-Materialisierung und De-Sozialisierung des Forschungsgegenstandes durch eine starke poststrukturalistische, dekonstruktivistische und textzentrierte Ausrichtung, die soziale Systeme und Strukturen sowie physisch-materielle Artefakte aus dem Fokus zu verlieren drohe, (2) eine Vielfalt von Themen und Forschungsfragen, die schnell in eine Beliebigkeit umschlagen könnte, (3) neue interdisziplinäre Anschlussmöglichkeiten, die zugleich den Graben zwischen Human- und Physiogeographie vertiefe, (4) einen Kulturrelativismus, der entweder in einen Werterelativismus oder in eine Essentialisierung noch der partikulärsten Kulturen umschlagen könne, (5) Fragen des Anwendungsbezugs von Forschung und Lehre sowie (6) die Gefahr einer blinden Imitation und eines selektiven Theorieimports aus dem angloamerikanischen Wissenschaftsbereich. Im Verständnis der Neuen Kulturgeographie im deutschsprachigen Raum deutet sich in den vergangenen Jahren bereits ein Wandel vom Theorieimport hin zu einer eigenständigen Theorie(fort)entwicklung an, vor deren Hintergrund sich eine Identitätsfindung des Fachgebietes abzeichnet. Zudem deutet sich eine stärkere interdisziplinäre und internationale Anbindung kulturgeographischer Forschung in Deutschland an, wie sie in ähnlicher Weise beispielsweise schon mit der Vorlesungs- und Seminarreihe der Hettner-Lectures in Heidelberg vollzogen wurde (Meusburger 2006a). Weiterhin wichtig erscheinen innerhalb der deutschsprachigen Geographie Studien zu Kultur und Kulturen, die an konkrete empirische Forschungen geknüpft sind.

2.4 Musik Macht Politik: die neue Agenda In Bezug auf Musik und Klang formierten sich innerhalb einer sich neu orientierenden angelsächsischen Kulturgeographie ab Mitte der 1980er Jahre verschiedene Analyseschwerpunkte, die sich in vier thematische Gruppen gliedern lassen: (1) Kulturökonomie, (2) kulturelle Kommunikation, (3) kulturelle Politiken (cultural politics) und (4) die damit verbundenen Fragen nach Identität. Musikindustrien als Teile einer umfassenden Kulturökonomie werden in der seit Beginn der 1990er Jahre relativ umfangreichen Literatur häufig anhand mehrerer Dichotomien charakterisiert. Eine erste binäre Opposition bezeichnet die zwischen Kreativität (meist gelesen als die eines Künstlers) und Kommerz (als dem Gewinnstreben einer übermächtigen Industrie). Verknüpft mit dieser Diskussion ist eine Gegenüberstellung von kleinen, als unabhängig, flexibel und kreativ agierend gedachten Plattenfirmen (independents oder minors) sowie großen, finanziell und infrastrukturell zwar gut ausgestatteten, aber unflexiblen majors. In der Regel wird dabei unterstellt, dass durch eine zunehmende Unternehmenskonzentration auf transnationaler Ebene musikalische Diversität abnähme und eine verstärkte Technologisierung im Studio zu Rationalisierung der Produktion sowie zu Standardisierung und Kommodifizierung von Musik führe. Tatsächlich aber bilden minors und majors ein Netz gegenseitiger organisatorischer Abhängigkeiten: Independents können als lokal verankerte Talentsucher der Musikindustrie gesehen werden, die ihrerseits für das eigene ökonomisches Überleben auf die Vermarktungs- und Distributionssysteme der großen internationalen Unternehmen angewiesen sind (Negus 1992, 16–19). Plattenfirmen entwickeln aufgrund einer gewissen Unsicherheit bezüglich des potentiellen Erfolges eines unter Vertrag genommenen Künstlers unterschiedliche Strategien, welche die spezifischen Kontexte verschiedener Märkte reflektieren (Goodwin 1992; Negus 1995). Ein weiterer Dualismus kann mit Hilfe der beiden räumlichen Maßstabsebenen global und lokal konstruiert werden. Kultur im Allgemeinen und populäre Musik im Besonderen seien – so die Argumentation im Rückgriff auf die Kulturindustriethese von Theodor Adorno und das Hegemoniekonzept von Antonio Gramsci – in den vergangenen Jahrzehnten verstärkten Homogenisierungstendenzen ausgeliefert gewesen, die stark von angloamerikanischer politischer und kultureller Vormachtstellung geprägt seien (vgl. Slater, Taylor 1999). Die globale Produktion und Konsumtion populärer Musik wird allerdings nicht allein durch kulturelle Artefakte des angloamerikanischen Raums dominiert, sondern ist beispielsweise auch abhängig von Kapital und Technologie aus Europa und Südostasien. Die Eigentumsverhältnisse der drei majors, die den musikalischen Weltmarkt nach unterschiedlichen Schätzungen zu 70 bis 90% beherrschen, spiegeln diese Verteilung auf alle drei Globalisierungsarenen Amerika, Europa und pazifisches Asien wider: Warner Music Group/EMI (Firmensitz in New York City) als Teil des AOL Time Warner-Konzerns, Universal Music Group/Polygram (Los Angeles) als Teil des Seagram-Konzerns sowie Sony BMG Music Entertainment

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(New York) als Teil der Bertelsmann- und Sony-Konzerne (vgl. auch Prokop 2000, 177–184). Mittlerweile verschwimmen die organisatorischen Grenzen der Musik- und Plattenindustrien zunehmend, da sie Teil umfassender Medien- und Medien-Misch-Agglomerate geworden sind. Dass deren globale Vernetzungen nicht mehr nur in rein ökonomischer Terminologie gefasst werden können, versuchen Thesen wie die einer flexiblen Spezialisierung (flexible specialisation) oder einer reflexiven Akkumulation (reflexive accumulation) zu fassen, die auf den Zusammenhang von wirtschaftlich-monetären und kulturell-symbolischen Prozessen hinweisen (Lash, Urry 1994). Vor diesem Hintergrund werden die Musikindustrien als Wissens- oder Informationsindustrien interpretiert, deren Strategien gekennzeichnet sind durch Konzentration und vertikale Integration innerhalb einer typischerweise vierstufigen Unternehmensgliederung: (1) Produktion / Innovation, (2) Reproduktion / Verlag, (3) Distribution / Transmission und (4) Marketing / Dienstleistungen. Konzentration heißt die horizontale Integration innerhalb einer Stufe, wenn etwa große Plattenfirmen versuchen, mit anderen Labels zu fusionieren oder diese vertraglich an sich zu binden, um einerseits Produktions- und Reproduktionskosten einzusparen und sich andererseits regionales Wissen und Insider-Wissen spezifischer Genres zu sichern. Über vertikale Integration wird versucht, verschiedene Stufen der Informationsindustrien innerhalb eines Unternehmensagglomerats zusammenzuführen, um möglichst alle Dienstleistungen ‚aus einer Hand‘ anbieten zu können. Seit einiger Zeit zeichnet sich ab, dass die zweite und dritte Stufe dieses Modells für die Unternehmen der Musikindustrie immer wichtiger werden (Sadler 1997). Eine Schlüsselrolle spielt dabei auf der zweiten Stufe der Besitz von Urheberrechten (Copyright), welche die Interessen bei der Verwertung und Nutzung schöpferischer Leistungen schützen. Einkünfte werden dabei auf internationaler Ebene erzielt aus Aufführungstantiemen, mechanischen Rechten bei der Reproduktion von Tonträgern sowie Synchronisationstantiemen bei der Wiederverwertung der Werke. Erst durch gesetzlich verbürgte Urheberrechte werden musikalische Titel zu intellektuellem Eigentum und zu Waren, deren Zirkulation und Verbreitung auf der dritten Modellstufe möglich wird (Lash, Urry 1994, 111–144). Kapital und Macht konzentrieren sich vor allem auf dieser dritten Stufe, wo hohe Investitionskosten für Telekommunikationsmedien anfallen und Entscheidungen über die Verbreitung kultureller Güter gefällt werden. Neben diesen betriebswirtschaftlichen Strategien wenden die Musikindustrien volkswirtschaftliche Strategien räumlicher Marktsegmentierung an (Smudits 1998, 34–35): Zunächst erfolgt die Aufteilung der Welt in die Großräume Nordamerika, Südamerika, Europa, Südostasien/ pazifischer Raum und die restliche Welt, für die in den Konzernzentralen globale Richtlinien und Strategien einiger weltweit verkaufenden Megastars festgelegt werden. In den jeweiligen Großräumen und für einige lohnende nationale Märkte (wie etwa Japan, Frankreich oder Deutschland) werden Zentralen eingerichtet, die zum einen global nachgefragte Musik national und regional vermarkten und zum anderen lokal Künstler rekrutieren und nationale Repertoires aufbauen. Für Europa ist außerdem bekannt, dass sich verschiedene Nationalvertreter eines Unternehmens regelmäßig treffen, um inter-

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nationale Potenziale einzelner nationaler Künstler zu bewerten und auf dieser Grundlage eine entsprechende pan-europäische Prioritätenliste zu erstellen (BMG goes Europe 2002). Hinter all diesen Entscheidungen stehen Klassifizierungen und Typologisierungen nationaler Märkte anhand quantitativer Faktoren wie der absoluten Größe des ‚einheimischen‘ (domestic) Marktes gemessen in Umsatzzahlen, dem Anteil ‚nationaler‘ Musik am Gesamtumsatz sowie der Bedeutung ‚heimischer‘ Musik auf internationaler Ebene (Rutten 1991, 297–299). Aufgrund der Schwächen musikwirtschaftlicher Quellen und Statistiken allerdings bleiben hier Grenzziehungen, die Definitionen ‚nationaler‘ Repertoires sowie deren Vergleichbarkeit undurchsichtig (Harker 1997, Gebesmair 2001). Unterstellten Homogenisierungstendenzen populärer Musik wird häufig die Vielfältigkeit musikalischer Ausdrucksweisen gegenübergestellt, die sich entweder im Amateurbereich ohne unmittelbare industrielle Beeinflussung entfalten könnten oder die in bewusster Abgrenzung zu einer ‚übermächtigen‘ Musikindustrie produziert und vermarktet würde (vgl. Robinson et al. 1991). Zwar ist alle musikalische Praxis an eine spezifische Lokalität gebunden, musikalische Produktion und Konsumtion findet aber nie außerhalb industriell organisierter Räume statt (Lovering 1998, 32). Wie sehen die Zusammenhänge zwischen der internationalen Bewegung musikalischer Waren und den kulturellen Formen lokaler Produktion und Konsumtion aus? Welche Einflüsse und Ergebnisse sind noch lokal, welche schon global? Vor dem Hintergrund empirischer Studien zur Musikindustrie in kleinen Ländern entwickeln Krister Malm und Roger Wallis (1992, 208–215) vier idealtypische Vermittlungsmodi des multidirektionalen Flusses von Musik zwischen Ländern und (Volks-)Kulturen: Kultureller Austausch (cultural exchange) beschreibt Situationen des gegenseitigen Gebens und Nehmens, die ohne Einräumung musikalischer Eigentumsrechte und ohne finanzielle Austauschbeziehungen auskommen können. Im Rahmen einer kulturellen Dominanz (cultural dominance), die sich in der Regel auf politische oder militärische Vormachtstellung stützt, werden musikalische Normen der dominanten Kultur einer untergeordneten Kultur aufgezwungen. Wenn die politische und kulturelle Dominanz durch ein Netz ökonomischer Abhängigkeiten überlagert und verstärkt wird, kann dies zur Entwicklung eines kulturellen Imperialismus’ (cultural imperialism) führen (vgl. Laing 1986). Transkulturation schließlich bezeichnet die Kombination stilistischer Elemente verschiedener Formen lokaler Musik, die vor dem Hintergrund einer industriell organisierten Musikökonomie Elemente internationaler Musik aufgreifen. Diese vier Arten des kulturellen Flusses betonen implizit die Bedeutung der politischen Sphäre für die Produktion und Konsumtion populärer Musik auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen. Wo, wie in vielen westlichen Industrieländern, hauptsächlich Städten und Kommunen die Aufgabe zukommt, Kultur zu fördern und zu reglementieren, eröffnen sich mehrere Formen der Einflussnahme (Street 1993, 44–45; Gnad 1994, 106–127): die Bereitstellung kultureller Infrastruktur, Regelungen zum Betrieb lokaler Veranstaltungsorte (Lizenzvergabe, Öffnungszeiten, Lärmemissionsverordnungen etc.), die Subventionierung einzelner Veranstaltungen, finanzielle und legislative Steuerung von Verkaufsflächenent-

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wicklungen für Tonträger, Schaffung von Investitionsanreizen und Organisationsstrukturen in den Bereichen Musik und Unterhaltung sowie die allgemeine Stärkung eines stadtkulturellen Images als Standortfaktor für Unternehmen und Anreiz für touristische Besucher. Der Einfluss nationalstaatlicher Kulturpolitik in Bezug auf Musik zeigt sich beispielsweise in der Bereitstellung von Ressourcen, Räumlichkeiten und Ausbildungsmöglichkeiten für Musiker, in Schutz und Förderung nationaler Musikmärkte durch legislative Regelungen der Quoten ‚einheimischer‘ und ‚ausländischer‘ Musik in Rundfunk- und Fernsehprogrammen sowie in der Subventionierung einer als national gefassten Musikkultur (Frith 1996b, 160–162). Kunst und Kultur sollten auf der Suche nach möglichen Antworten auf den urbanen Strukturwandel der 1980er Jahre eine entscheidende Rolle bei der Stadtentwicklung spielen. In der geographischen Literatur wurde insbesondere der Einfluss von Kulturquartieren (cultural quarters) thematisiert, die als Keimzelle lokaler Musikszenen und zugleich als ökonomische Mediatoren zwischen lokalen und globalen Prozessen der Musikindustrien dienen sollten (Hudson 1995; Brown, O’Connor, Cohen 2000; Gibson, Homan 2004). Insgesamt brechen die Studien zur Musikökonomie zunehmend Dichotomien wie Ökonomie versus Kultur, Kommerz versus Kreativität oder global versus lokal auf und reflektieren mediative Prozesse in einem Kreislauf kultureller Produktion, Distribution und Konsumtion (vgl. Shields 1999a). Gleichzeitig wird deutlich, dass Musik und musikalischen Waren unterschiedliche Bedeutungen zukommen können, die nach politischen, ökonomischen, sozialen und technologischen Kontexten variieren. Um zu klären, wie es zu Zuschreibung und Vermittlung unterschiedlicher Bedeutungsgehalte kommt, bedarf es der Analyse von Musik als Kommunikationsprozess. Musik und Klang werden verstanden als Texte, deren Bedeutungen und Sinngehalte kulturell kommuniziert werden. In der Tradition der Inhaltsanalyse werden die musikalischen Bedeutungen ausschließlich über Worte zugeschrieben, die gesungen Klänge begleiten oder als Liedertitel namengebend für einzelne Stücke oder Kompositionen sind (Frith 1996a, 158–159). Innerhalb der Geographie weist eine solche Studie beispielsweise das persistente Element der nostalgischen Suche nach dem ländlichen Paradies in US-amerikanischer Country Musik nach (Woods, Gritzner 1990). Nachdem die Hoffnungen der Land-Stadt-Migranten auf ein freies Leben in den Städten enttäuscht wurden, so die Autoren, sind musikalische Idealisierungen des verlorenen ruralen Lebens Symbol und Ausdruck einer Sehnsucht nach der Einfachheit des Lebens der Vergangenheit. Andere Arbeiten betonen einzelne symbolische Elemente menschlicher Umwelt wie die Stadt (etwa als Eldorado oder als Dschungel) oder die Straße (als Fluchtweg ins Paradies oder Endstation sozialen Abstiegs). US-amerikanische highways beispielsweise stellen einerseits in Liedern der 1920er Jahre vor dem Hintergrund des Dust Bowl Fluchtrouten nach Westen dar (Gold 1998), andererseits symbolisieren sie im Wohlstand der Nachkriegsjahre die Möglichkeit meist weißer und männlicher Jugendlicher, sich suburbaner Kontrolle und Beschränkung zu entziehen (Jarvis 1985). Hier werden symbolisch Bedeutungen in Genres eingeschrieben, die auf eine Verbindung zwischen Kultur, Zeit und Ort rekurrieren.

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Die Bedeutungen musikalischer Texte sind allerdings nie statisch, sondern können in Anlehnung an die Soziolinguistik als fortwährende soziale Dialoge konzeptionalisiert werden, die in spezifische historische, soziale und räumliche Kontexte eingebunden sind (Hirschkop 1989, 284). Zum Verständnis dieser Dialoge finden unterschiedliche Kommunikationsmodelle Anwendung, die in einer simplen Form von einer Sender-Text-Empfänger-Linearität ausgehen. Der Sender schreibt oder kodiert Bedeutungen ein, und der Empfänger liest oder dekodiert diese Sinngehalte. Entscheidend sind Codes, die es ermöglichen, über einen Zeichenvorrat und über Regeln die interne Struktur eines Kommunikationssystems zu erfassen und Zeichen zu einem sinnbehafteten Signal zu formen (Meusburger 1998, 68–71). Geht man davon aus, dass diese Prozesse nicht abstrakt vorhersagbar, sondern kulturell situiert sind, wird die Frage nach der Kompetenz entscheidend, mit der ein Empfänger abhängig von Biographie und persönlichem Vorwissen Signale zu dekodieren und zu verstehen weiß. Da Kodieren und Dekodieren keine symmetrischen Momente von Kommunikation sind, kann die Konsumtion kultureller Nachrichten selbst ein Aspekt kultureller Produktion werden. Richard Johnson schlägt gar Kreisläufe der Produktion, Zirkulation und Konsumtion kultureller Objekte vor (circuits of culture). In jedem Stadium dieser Kreisläufe werden Bedeutungen unter Berücksichtigung der Produktions- und Konsumtionsprozesse sowie von Faktoren wie Ethnizität, Geschlecht oder sozialer Schichtung transformiert und üben Rückkopplungseffekte auf die anderen Stadien aus (Johnson 1986). Die Analyse von konstruierten und installierten Referenzcodes lässt Rückschlüsse auf gesellschaftliche Ordnung, ökonomische Machtverhältnisse und politische Ideologien zu (Hall 1987). Wenn eine Nachricht in Bezug auf den eingeschriebenen Referenzcode dekodiert wird, verbleibt Konsumtion innerhalb einer idealtypischen dominant-hegemonialen Position. Erfolgt Dekodierung allerdings mittels einer Mischung adaptiver und oppositioneller Elemente, verfolgt sie eine verhandelnde Position, die zwar dominante Codes präferiert, sich gleichzeitig aber die Möglichkeit vorbehält, „eine Anwendung eher im Rahmen ‚lokaler Bedingungen‘ auszuhandeln“ (Hall 1987, 137). Zuschreibungen innerhalb oppositioneller Codes schließlich entledigen sich der präferierten Bedeutungen und interpretieren Nachrichten innerhalb eines alternativen Referenzrahmens. Ein solches Kommunikationsmodell setzt allerdings voraus, dass die Referenzcodes allgemein bekannt sind und die eintreffenden Informationen beim Empfänger nur noch affirmativ oder subversiv übersetzt werden müssen. Dies ist aber nur bei Jedermanns– oder Alltagswissen möglich, das nicht an individuelles oder spezifisches Vorwissen gebunden ist. Musikalische Kommunikation aber funktioniert komplexer, wenn Musik verstanden wird als a unique form of symbolic expression that can exist alone as a cultural event or product (concert, street performance, private singing and playing, records, tapes, compact discs, and so on); serve as the content focus for another medium (radio, music video, some movies); or contribute to the overall aesthetics and meaning of another content display (background music for television and film, accompaniment for rituals such as church services, weddings, funeral ceremonies, sporting events, and so forth). It is the soundtrack for shopping, driving, studying, and partying, among other activities. Music is sometimes accompanied by extreme

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physical movement (for instance, dance, aerobics) and is also often experienced in pensive, inactive moments. (Lull 1992, 19)

Deshalb muss ein geeignetes musikalisches Kommunikationsmodell auch Möglichkeiten der Interpretation affektiver, emotionaler, referentieller und kognitiver Bedeutungen bieten. Bei einem Klangstück wirken eine Reihe teils musikalischer, teils allgemeiner kultureller Codes in unterschiedlich starker Weise, welche die Beziehungen zwischen syntaktischer und semantischer Ebene, zwischen musikalischem Ausdruck und Inhalt beschreiben. Populäre Musik ist in der Regel überkodiert, das heißt jedes Detail ist mit einem Netzwerk expliziter Codes abgedeckt, die in enger Verbindung zu anderen sozialen Codes stehen. Unterschiedliche, miteinander verbundene musikalische Codes können Hierarchien repräsentieren, die sich an folgenden Ebenen orientieren: Langue bestimmt den allgemeinen Code von Musik, der in westlichen Ländern als funktionale Tonalität wirkt, norms geben die vorherrschenden Konventionen bestimmter historischer Epochen an, dialects ihre internationalen Spielarten, die auf den nächsten Code-Ebenen in styles wie Tin Pan Alley, country, Rock, Punk, Rap etc., in genres und sub-codes – für Rap beispielsweise Party Rap, Message Rap, Gangster Rap etc. – und schließlich in einzelne works und performances bestimmter Künstler ausdifferenziert werden können (Middleton 1990, 172–174; vgl. Barthes 1979, 13–20). Die Idee der kulturellen Kreisläufe mit einer Abfolge und gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Stadien der kontextgebundenen Ein- und Dekodierung von Bedeutungen kann in Verbindung mit hierarchischen Code- und unter Beachtung verschiedener räumlicher Maßstabsebenen dazu beitragen, Fragen nach politischen, ökonomischen und kulturellen Ideologien und Interessen involvierter Akteure zu klären. Kulturelle Politiken (cultural politics) von Musik greifen auch in der Geographie diese komplexen Prozesse der Bedeutungskonstruktion und –vermittlung auf und versuchen, in Musik, Klang und Stille politische Beziehungen von Dominanz und Subordination, Wert und Ästhetik zu analysieren (Smith S 2000a, 615–616). Einen wichtigen Referenzpunkt bilden dabei die Ausführungen des französischen Ökonomen Jacques Attali zum Verhältnis von Lärm (bruits) und Musik in historischer Perspektive (Attali 1999). Die Grenzen zwischen Lärm und Musik sind für ihn nicht unverrückbar, sondern erfahren je nach Kontext unterschiedliche Artikulationen. Demnach sind ökonomische, soziale und politische Prozesse westlicher Gesellschaften in die Beziehungen musikalischer Produktion eingebettet und dadurch sowohl ex post zu analysieren als auch ex ante zu ahnen. Eine politische Ökonomie von Lärm und Musik beginnt für Attali mit der sozial konstruierten Unterscheidung von Natur und Kultur und anerkennt die Rolle von Musik bei der Schaffung und Aufrechterhaltung dieser wie anderer Dichotomien, die fundamental sind für die Konstruktion von Moderne: Ordnung versus Chaos, Mensch versus Nicht-Mensch, Zivilisation versus Barbarei etc. Die sich kontextspezifisch verschiebende Grenze zwischen Lärm und Musik – einer in strukturierte Ordnung kanalisierte Form von Lärm – lässt Aussagen über ideologische Gehalte von Klang und über gesellschaftliche Machtverhältnisse zu (McClary 1999, 153). Attali unterscheidet vier Netzwerke politischer Ökonomie, die, als histo-

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risches Stufenmodell konzipiert, durch jeweils verschiedene Auffassungen von Ordnung sowie durch bestimmte Technologien und sozioökonomische Strukturen charakterisiert werden können: Im Zeitalter der Opferung (sacrificing) schafft Musik rituelle Ordnungen und ist eher Zentrum spirituellen Lebens denn Wirtschaftsgut. Gewalt und Macht werden durch zeremonielle Handlungen verschleiert. Im Netzwerk der Repräsentation (representing) ordnet und harmonisiert Musik die Welt und ihre sozialen Strukturen für ein bürgerliches Publikum. Musik wird im 19. Jahrhundert zum Spektakel, dem an bestimmten Orten beigewohnt werden kann, und zur Ware, deren Produktion und Aufführung entlohnt werden will und deren Konsumtion nur gegen Bezahlung möglich ist. Die sozialräumliche Verankerung und die Kommodifizierung dieser Klänge finden ihren Ausdruck in der Konstruktion universalästhetischer Klassischer Musik, welche zu einer politischen und ökonomischen Kraft auf globaler, geradezu ortloser Ebene aufsteigen konnte. Elektronische Reproduktions- und Telekommunikationsmedien ermöglichen eine dritte Ära der Wiederholung (repeating), die es Individuen ermöglicht, in der privaten Sphäre eine eigene Beziehung zu Musik einzugehen. Solchermaßen reproduzierte Musik verkommt zur Ware und zur reinen Reflexion von Tonträgern zunehmend außerhalb kollektiver sozialer Räume. Der drohenden sozialen Fragmentierung und passiven Konsumtion steht allerdings ein viertes Netzwerk des Komponierens (composition) gegenüber, in dem Individuen musikalische Elemente verwenden, um zu improvisieren und sie nach eigenen Präferenzen neu zu arrangieren. Musik ist nicht länger Ausdruck kultureller Hegemonie als vielmehr ein Raum für das kritische Neuordnen von Klang (Herman, Swiss, Sloop 1998, 16–20). ‚Komponieren‘ hat hier weniger mit dem mystifizierten Schaffen eines genialen Individuums zu tun, sondern verweist als ‚Zusammensetzen‘ von Klängen auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes. Die Dynamik musikalischer Produktion, Distribution und Konsumtion ist für Attali eine Quelle der Formierung von Identitäten und der Bildung sozialer Gruppen. Die Geschichte von Musik im Allgemeinen und von populärer Musik im Besonderen wird von ihm gelesen als die der Auseinandersetzung zwischen dem Lärm marginaler Gruppen und der hegemonialen Musik der dominanten Kultur. Seine historische Betrachtungsweise verdeutlicht die ökonomische Macht von Musik und verweist auf deren soziale und symbolische Bedeutungsgehalte. Entscheidend sind hier räumliche Prozesse, durch die Klänge differenziert werden, welche ihrerseits über musikalische Praktiken zur sozialen Produktion von Räumen und Orten beitragen können. So existieren gegenseitig konstitutive Beziehungen von Musik und Ort, „Raum produziert und Raum wird produziert“ (Leyshon, Matless, Revill 1998b, 4). Auf Ebene der Nationalstaaten werden für das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts Funktionen von Musik für die politische Sozialisation und eine Herausbildung nationaler Identitäten betont. Insbesondere Stoffe aus der Mythologie und Beschreibungen von als typisch wahrgenommenen oder symbolbeladenen Örtlichkeiten fanden Eingang in eine ‚nationale‘ Musik, die das ‚Wesen‘ eines Staates oder die ‚Seele‘ eines Staatsvolkes charakterisieren und die Menschen zu einer ‚imaginierten Gemeinschaft‘ zusammenschweißen sollte. Die Hymne als of-

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fizielle musikalische Repräsentation eines Territorialstaates übernimmt diese Funktion bis heute. Auch bei stärker lokal bezogenen Ritualen und Feierlichkeiten unterstützten Musik und musikalische Praktiken die spektakuläre Präsentation von religiöser, politischer und ökonomischer Macht, die damit zugleich reflektiert und perpetuiert wurde (Smith S 2000a). Innerhalb der (angelsächsischen) Geographie nehmen außerdem Fragen nach der Rolle von Kultur bei den historischen Beziehungen zwischen Imperialstaaten und ihren Kolonien sowie zwischen ‚entwickelten‘ und ‚unterentwickelten‘ Ländern eine prominente Stellung ein. Musik, so wird argumentiert, trägt zu hegemonialen Bestrebungen imperialistischer Politik bei, indem sie dem Anderen der afrikanischen oder orientalischen Kolonien einen Platz in zeitlicher und räumlicher Distanz zu den Imperialmächten zuweist. Dies geschieht häufig mit Hilfe der Konstruktion von Stereotypen, die im Falle ‚schwarzer‘ Musiker auf unterstellte Eigenschaften wie animalisch, wild, ursprünglich, spontan, emotional, unzivilisiert oder technologiefeindlich rekurrieren und bis heute fortgeschrieben werden (Smith S 1994, 234–236). Hegemoniale Tendenzen werden auch in jüngerer Zeit ausgemacht, als ein vornehmlich US-amerikanischer Kulturimperialismus nationale und lokale Kulturen zu zerstören drohe. Gleichzeitig wird die Rolle populärer US-amerikanischer Musik bei der Artikulation subversiver Bestrebungen und bei der Schaffung alternativer Räume betont (Pratt 1994). Live-Konzerte etwa eröffnen Musikern Möglichkeiten der Improvisation jenseits stärker technologisch und ökonomisch determinierter Studiosituationen und geben dem Publikum Gelegenheit, auch an internationaler Musik in lokalen Kontexten aktiv zu partizipieren. Die Punk-Bewegung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre gilt als ein Beispiel, wie lokale subkulturelle Praktiken politische Auffassungen von Nation und die musikalische Ästhetik zeitgenössischer Popmusik unterminieren können (Leyshon, Matless, Revill 1998b, 19–20). Vor dem sozioökonomischen Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit und fehlender Zukunftsperspektiven entwickelte sich aus den Londoner Pub-Szenen ein Musikstil, der mit Hilfe eines provozierenden Sprachgebrauchs und dem Kult des musikalischen Dilettantismus die bis dato gültigen technischen und klanglichen Standards einer weißen, transatlantischen Rockmusik ablehnte und in einem „Sound der einstürzenden Stadt“ (Marcus 1995, 14) kulminierte. Die längerfristige Bedeutung von Punk liegt insbesondere darin, ein Konzept der lokalen Rockentwicklung anzubieten, das auf Musizieren im Amateurbereich, der Herausbildung neuer nationaler und lokaler Entwicklungsformen von Rockmusik sowie dem Aufbau unabhängiger ökonomischer Produktions- und Distributionssysteme von Tonträgern basiert. Diese Einflüsse zeigen sich vor allem in Nordamerika, in Japan sowie in verschiedenen europäischen Ländern, wo sich im Laufe der 1980er Jahre Mischformen und Subgenres teilweise in der jeweiligen Landessprache herausbilden konnten (Hardcore, Metal Punk, Punkabilly etc.) und wo kleine Labels die populärmusikalischen Entwicklungen mitgestalten. Die einfache Gleichsetzung von kommerziell gleich global und subversiv gleich lokal allerdings romantisiert, wie mehrfach ausgeführt, die Widerstands-

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potenziale von Musik und verdeckt die Komplexität ökonomischer, sozialer und technologischer Zusammenhänge einer sich globalisierenden Welt. Prozesse der konstatierten Zunahme sozialer Isolation und der Entankerung von Individuen aus traditionellen Sozialbindungen, die diagnostizierte Beschleunigung von Kommunikationsprozessen sowie die Mobilisierung von Menschen-, Waren- und Informationsströmen in bislang nicht bekanntem Ausmaß werfen Fragen nach den sich wandelnden Formen kollektiver und individueller Identifizierungen auf. ‚Wo bin ich?‘, ‚Wer bin ich?‘, ‚Zu wem gehöre ich?‘ sind einige der Fragen, auf die Konzepte von Identität Antwort zu geben versuchen. Identitäten als individuelle oder kollektive Selbstentwürfe ermöglichen Orientierung und Verortung von Subjekten in ihrer Umgebung beispielsweise mit Hilfe von Kategorien wie soziale Klasse und Geschlecht, durch Kultur und Traditionen sowie durch Projektionen des Selbst in verschiedene räumliche Maßstabsebenen. Aus der Perspektive des Sozialkonstruktivismus entwickeln sich Identitäten durch Imitation von (Mimesis) und als Abgrenzung gegenüber (Differenz) etwas Anderem, Fremdem, NichtEigenem. So verbleiben sie nie essentiell oder fest an eine oder mehrere der vorgenannten Kategorien gebunden, sondern befinden sich in einem fortwährenden dynamischen Prozess des Werdens und Erneuerns (Freytag 2003). Das Abarbeiten an einer veränderlichen Umwelt, die zugleich Rahmen wie Resultat dieses performativen Handelns darstellt, findet seinen Ausdruck auch im menschlichen Körper, der vermittelt zwischen den subjektiven Gefühlen und Bedeutungszuschreibungen auf der einen und den sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontexten der individuellen Verortung auf der anderen Seite. Entscheidend ist, dass Identität nicht Ergebnis von Automatismen ist, sondern bewusst oder unbewusst handelnd erworben werden und verloren gehen kann. Identitäten sind eingebunden in Machtstrukturen und politische Repräsentationen und werden Teil dessen, was verschiedentlich als ‚Differenzpolitiken‘ (politics of difference) bezeichnet wird. Auch der Begriff ‚Identitätspolitiken‘ (identity politics), welcher ideengeschichtlich auf die neuen sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre zurückgeht und deren Protagonisten eine gewisse einheitliche Identität zuspricht, verweist auf die politischen Gehalte individueller und gruppenspezifischer Selbstentwürfe (Hall 1995). Darüber hinaus sind Aneignungs- und Lernprozesse, welche durch Personen, soziale Gruppen oder Institutionen laufend vermittelt werden, wichtige Einflussgrößen auf die Ausgestaltung von Selbstentwürfen. Wie entscheidend das Produzieren, Hören und Interpretieren von Musik als Aspekte performativen Handelns zur Konstruktion von Räumen, zur Verortung von Menschen in ihrer Umgebung und zur Bildung kollektiver wie individueller Identitäten sein kann, verdeutlicht folgendes Zitat: Amongst the countless ways in which we ‘relocate’ ourselves, music undoubtedly has a vital role to play. The musical event, from collective dances to the act of putting a cassette or CD into a machine, evokes and organises collective memories and presents experiences of place with an intensity, power and simplicity unmatched by any other social activity. The ‘places’ constructed through music involve notions of difference and social boundary. They also organise hierarchies of a moral and political order. (Stokes 1994, 3)

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Auch wenn unklar bleibt, in wieweit das Hören der Auswahl aus einer persönlichen Tonträgersammlung kollektive Identitäten stiften und den Ort des Hörens transzendieren kann, wird deutlich, dass Musik bei der Konstruktion kollektiver und individueller Selbstentwürfe Gewicht beigemessen werden kann. Die Analyse von Musik als einer Form kultureller Kommunikation kann dazu beitragen, häufig als gegeben und ‚natürlich‘ wahrgenommene Kategorien wie Ethnizität, Ort oder Nation als Produkte sozialer Prozesse zu identifizieren (Jackson, Penrose 1993). Die nachfolgende Übersicht soll zeigen, wie insbesondere anhand von Genreanalysen reziproke Verbindungen von Musik und Identitäten nachgewiesen werden und wie zentral dabei die Rolle räumlicher Fragestellungen ist (vgl. auch Cohen 1994). Musikalische Praktiken etwa, die unter der (nicht unumstrittenen) Bezeichnung World Music zusammengefasst werden, vermögen die vermeintlich homogenen Räume der Nationalstaaten zu durchbrechen und sich aus den Ressourcen sowohl der lokalen Traditionen wie der transnationalen Musikindustrien zu bedienen (Guilbault 1993). Auch die kulturellen Praktiken innerhalb einer Diaspora können Identitäten stiften, die jenseits nationalstaatlicher Territorien liegen. Eines der bekanntesten Beispiele bietet die Musik der ‚schwarzen‘ Bevölkerung in Amerika und Europa, die als Ergebnis sowohl der tradierten Erfahrungen des Zusammentreffens von Afrikanern und Europäern wie den bewussten Abgrenzungsbestrebungen afrikanischer Sklaven gegenüber einer westlichen Modernität interpretiert werden kann. Ethnizität und ‚Rasse‘ (race) können dabei sowohl mit nationalistischen Diskursen verbunden werden als auch gegen sie gerichtet sein. Musik erfüllt als zentraler symbolischer Bedeutungsträger für beide Diskurse entscheidende Funktionen (Gilroy 1996, vgl. auch Kapitel 3.2.2). Legt man eine Gliederung der Bevölkerung in Klassen oder sozioökonomische Schichten zugrunde, lassen sich auch hier Beispiele der Konstruktion kollektiver Identitäten nennen. Blasmusikkapellen waren gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein integraler Teil populärer Unterhaltung in England, deren Angebote sich aufgrund steigender Löhne und zunehmend frei verfügbarer Zeit auf breiter Basis etablieren konnten. Musiker und Hörer rekrutierten sich in aller Regel aus der Bevölkerung einer Gemeinde oder aus Arbeitern eines Industrieunternehmens, die sich mit Hilfe ihrer musikalischen Praktiken lokal situierten. Das Musizieren auf Blechblasinstrumenten kann als eine Alltagspraxis der Arbeiterklasse interpretiert werden, die sich damit Räume der Selbstentfaltung und des Widerstand jenseits der ideologischen Vormachtstellung des Bürgertums schuf. Diese Form des Musizierens eröffnete neue kulturelle Ausdrucksmodi und Klänge, die auf eine eigene, klassenspezifische Geschichte und Geographie verweisen konnten. Werke der Hochkultur funktionierten durch die Bearbeitung für Blechinstrumente nun auch außerhalb der glamourösen, bislang den Bürgern vorbehaltenen Kontexten (Smith S 1997, 510–514). Die Versuche, das Verhältnis von populärer Musik und Geschlechterbeziehungen theoretisch zu fassen, arbeiten zunächst innerhalb von Rockmusik Subgenres heraus, die verschiedene Formen sexuellen Ausdrucks und sexueller Kontrolle signifizieren. Hard Rock, eine Ende der 1960er Jahre entstandene, im

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Vergleich zu älterer Rockmusik extrem laute und aggressive Spielform, die durch harte Rhythmen, das Durchschlagen des 4/4-Beats, kurzen Melodien mit geringem Tonumfang sowie dem Liedschema Strophe–Refrain–Strophe–Refrain–(Gitarren) Solo–Strophe–Refrain charakterisiert ist, gilt dabei als stark von männlicher Sexualität, männlichem Narzissmus und Selbstmitleid geprägt. Auf der Live-Bühne werden diese Eindrücke durch die prahlerische Selbstpräsentation und einen Phallozentrismus der Protagonisten verstärkt, was die Exklusion von Frauen aus dem unmittelbaren Produktionszusammenhang von Hard Rock auch visuell verdeutlicht. Als ein Gegenpol werden die durch eine ruhige, leise und wärmere Spielweise der Musik sowie durch reichere und resonanzstärkere Klangstrukturen charakterisierten Stücke des Soft Rock identifiziert. Die sentimentalen Balladen des Genres weisen den Geschlechtern unterschiedliche gesellschaftsstrukturelle Positionen zu. Frauen sind ‚natürlich‘ attraktive und visuell stimulierende Objekte sexueller Begierde und erfüllen zugleich Funktionen einer fürsorglichen Partnerin, die sich auf den verletzlichen Mann einzulassen hat (vgl. Shepherd 1987). Im HipHop sind Genres wie Gangster Rap oder Mack Rap stark von männlicher Symbolik und Ausdrucksweise geprägt. Die verbale Darstellung von Frauen als Objekte männlicher Dominanz, als Flittchen oder Schlampen findet Parallelen in visuellen Darstellungen der Musikvideos oder bei Live-Auftritten, wo weibliche Körper häufig zur bewegten Staffage verkommen. Auch hinter diesen Interpretationen stehen Annahmen bezüglich einfacher homologer Beziehungen zwischen dem musikalischen Ausdruck von Sexualität und den kulturellen Kontexten der Musiker und des Publikums. Vermittelnde Einflüsse wie beispielsweise die Segmentierung von Konsumentengruppen nach Genres bleiben unberücksichtigt. Konsumenten wie Produzenten sind eingebunden in die aktive, kontextspezifisch vermittelte Konstruktion von Identitäten, die eine essentielle Verbindung von Sexualität und bestimmten klanglichen Eigenschaften, von Körpern und kulturellen Formen in Frage stellen. Ein Beispiel hierfür bietet die Musik von k.d. lang. Ihr gelingt es, innerhalb des sich häufig an traditionellen geschlechterspezifischen Rollenverteilungen und an patriotischen Referenzen orientierenden Genres Country Musik neue Konsumtionsräume zu schaffen und Möglichkeiten der Artikulation lesbischer Identitäten zu eröffnen (Valentine 1995). Besonders betont wird in den letzten Jahren der dynamische Charakter musikalischer Identität durch Arbeiten, die auf Prozesse temporär begrenzter Gruppenbildung abheben. Musikalische Praktiken können demnach zur Herausbildung ‚postmoderner Stammesgemeinschaften‘ (neo-tribes) beitragen, die sich als kurzlebige und zerbrechliche soziale Formationen erweisen. Durch geteilte soziale Erfahrungen und das soziale Handeln innerhalb eines gemeinsamen Feldes oder Territoriums formt sich kollektive Identität. Es entsteht ein Solidaritäts- und Zugehörigkeitsgefühl, das sich von den traditionell als klassenbasiert gefassten subkulturellen Identitäten vor allem durch eine weniger rigide stilistische Abgrenzung von hegemonialen Deutungsmustern und durch eine größere Freiheit hinsichtlich der individuellen Auswahl stilistischer Elemente auszeichnet. Aus dieser Perspektive eröffnet die marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaft Mitgliedern von neo-tribes Gelegenheit, auf dem Wege der individuellen Aneignung

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und des neu interpretierenden Gebrauchs von Waren kollektive ästhetische Erfahrungen zu machen. Zur Illustration von neo-tribes wird auf das Beispiel von Raves verwiesen, Massenpartys, die außerhalb formaler Clubstrukturen in leer stehenden Lagerhallen, Hangars oder im Freien stattfinden und auf denen unterschiedliche Formen von Tanzmusik wie House, Techno, Drum ’n’ Bass oder Trip Hop zur Aufführung kommen. Konsumtion und Distinktion dienen hier der Konstruktion von Identitäten, die sich etwa in Tanzformen, Sprache, Kleidung, Rauschmittelkonsum oder Werthaltungen ausdrücken (Brookman 2001, vgl. Jacob 1998). Neo-tribes sind nicht notwendigerweise an physische Kopräsenz gebunden, sondern können durch moderne Telekommunikationsmedien imaginierte Räume auch auf internationaler Ebene konstituieren. Der Bestand eines Stammeskollektivs hängt davon ab, ob es gelingt, längerfristig materielle Räume zu schaffen, in die sich Handlungen ritualisiert und routinisiert einschreiben können (Halfacree, Kitchin 1996, 52–53). Die angeführten Beispiele der Konstruktion verschiedener, sich gegenseitig in der Regel überschneidender kollektiver wie individueller Identitäten verweisen mehrfach auf die Bindung von Selbstkonzeptionen an unterschiedliche materielle und imaginierte Räume. Mit Hilfe von Konzepten eines Ortsbewusstseins (sense of place) wird versucht, diese komplexen Beziehungen zwischen sozialen Prozessen und physischen Gegebenheiten zu eruieren (Cosgrove 2000b). Einerseits wird dabei die Identität eines Ortes herausgearbeitet, dessen essentieller Charakter als lokalisierte, begrenzte und materielle geographische Einheit gesehen wird. Anderereits geht es um die Empfindungen, die Menschen in Bezug auf bestimmte Orte ausrücken, erfahren und verhandeln, um soziale Interaktionen und ihre Artikulationen also, die außerhalb der direkt sichtbaren und materiellen Qualitäten der Orte liegen. Um eine subjektive Ortsbezogenheit zu entwickeln, ist es nicht unbedingt notwendig, die entsprechende Lokalität jemals persönlich zu besuchen. Sie konstituiert sich auch durch ‚imaginierten Geographien‘, schriftliche oder mündliche Schilderungen, Gemälde, Photographien oder durch massenmedial vermittelte Bilder und Musik. In der deutschsprachigen Geographie wird in der Regel auf ein Bewusstsein bezüglich einer Region fokussiert. Ein entsprechendes Bewusstsein kann sich aber auch auf Orte, Nationalstaaten oder transnationale Bündnisse wie die Europäische Union beziehen. Das Zugehörigkeitsgefühl macht sich an physisch-materiellen Eigenschaften und Landmarken ebenso fest, wie an sozial strukturierten Räumen und den sozial konstruierten Symbolen des jeweiligen Gebietes. Zu ein und demselben Raum können sich darüber hinaus ganz unterschiedliche, teilweise konträre emotionale Bindungen entwickeln. Die humanistische Tradition innerhalb der Humangeographie versuchte, unterschiedliche Ortserfahrungen als Konstruktionen zu fassen, die auf Erinnerungen an und Affekten gegenüber der erfahrbaren Umwelt beruhen. Spezifische Orte können so sowohl als Furcht einflößend, beunruhigend und abstoßend erfahren werden (topophobia) als auch als positiv, beruhigend und angenehm (topophilia) (Tuan 1974). Ein sense of place ist allerdings mehr als nur die Summe der Gefühle eines Individuums gegenüber einer Lokalität, sondern beinhaltet immer auch eine Interpreta-

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tion dieses Ortes von einem sozialen Standpunkt aus, der innerhalb eines spezifischen historischen und räumlichen Kontextes verortet ist. Identität kann mit Orten auf grundsätzlich drei unterschiedliche Weisen in Verbindung stehen: Eine Möglichkeit ist, sich einem Ort zugehörig zu fühlen, sich mit einem Ort aufgrund seiner spezifischen Qualitäten zu identifizieren. Dass ein solcher sense of place, ein Gefühl heimatlicher Zugehörigkeit, gar existentiell und quasi natürlich für die menschliche Existenz ist, behauptet etwa Edward Relph, wenn er schreibt: „Mensch zu sein heißt, in einer Welt zu leben, die voller bedeutsamer Orte ist: Mensch zu sein heißt, seinen Ort zu kennen“ (Relph 1976, 1). Sich gegen einen Ort zu identifizieren stellt die zweite Möglichkeit der Konstruktion eines identitätsstiftenden Ortsbewusstseins dar. Das Gefühl, ein Ort sei grundverschieden im Vergleich zu seinem eigenen, bezieht sich auch auf Differenzen von Klasse, Geschlecht, Ethnizität, Kultur oder sozialer Gruppenzugehörigkeit. Das Abstecken von Grenzen erzeugt dabei Dichotomien zwischen einem zugehörigen Innen und einem anderen Außen. Schließlich kann auch Gleichgültigkeit gegenüber Orten Teil des eigenen Ortsbezuges sein, etwa wenn man sich als Fremder, als Tourist, als Durchreisender oder als Migrant mit ganz anderen Örtlichkeiten als dem temporären Aufenthaltsort emotional verbunden fühlt. Besondere Beachtung fand die Erfahrung von Heimat, die besondere emotionale Bindung an den Ort, an dem man sich wohl fühlt, der einem familiär erscheint. Damit verknüpft wird in der Regel ein ‚authentischer‘ Ortsbezug, der oft mit idealisierten Vorstellungen von traditionellen und solidarischen Sozialgemeinschaften einhergeht, welche tendenziell vor entankernden und anonymisierenden Prozessen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels schützen. Bis heute finden sich solche Elemente eines nostalgisch verklärten Bezugs auf ‚authentische‘ Lokalitäten auch in volkstümlicher und populärer Musik. Eingebunden in soziale, historische und ökonomische Kontexte entwickelt sich ein Ortsbewusstsein nie neutral, sondern reflektiert Strukturen von Macht und die Möglichkeiten, Kontrolle über Räume und Territorien auszuüben. Besonders deutlich zeigt sich diese Definitions- und Kontrollmacht in der Raum- und Stadtplanung, wenn etwa versucht wird, in der Auseinandersetzung unterschiedlicher sozialer Gruppen Orten durch bauliche Maßnahmen spezifische Nutzungsmuster zuzuweisen. Eine direkte Beziehung zwischen gebauter, materieller Umwelt und einem Ortsbewusstsein lässt sich freilich nicht ableiten: „Den kausalen Konnex zwischen Öffentlichkeit und Gestaltung, es gibt ihn nicht“ (Kaltenbrunner 2003, 35). Selbst wenn Orte mit einem bestimmten Bewusstsein dominant verbunden sein sollen, kann sich ein alternativer Ortsbezug formen, der gemeinsame Basis für (subversive) Strategien und Handlungen sein kann (Shields 1991; Cresswell 1996). Einen entscheidenden konzeptionellen Schritt weiter geht ein Verständnis von Ort als relationaler geographischer Spezifität, die sich konstituiert durch Differenzen, durch Vielfältigkeit und durch die Koexistenz relativ unabhängiger Linien (trajectories). Orte werden dabei (re-)imaginiert als the sphere of the juxtaposition, or co-existence, of distinct narratives, as the product of power-filled social relations; it would be a view of space which tries to emphasise both its

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social construction and its necessarily power-filled nature. Within that context, ‘places’ may be imagined as particular articulations of these social relations, including local relations ‘within’ the place and those many connections which stretch way beyond it. And all of these embedded in complex, layered histories. This is place as open, porous, hybrid – this is place as meeting place [...] This is a notion of place where specificity (local uniqueness, a sense of place) derives not from some mythical internal roots nor from a history of relative isolation – now to be disrupted by globalisation – but precisely from the absolute particularity of the mixture of influences found together there. (Massey 1999, 21–22)

Diese Ortskonzeption wendet sich explizit gegen die moderne Vorstellung eines kompartimentierten Raumes als Bestandteil einer Gesellschaftsorganisation, bei der Kultur homolog gedacht wird als an einen fest umgrenzten Ort gebunden. Die essentialisierende Dichotomie eines Innen gegenüber einem Außen wird aufgegeben zugunsten einer Imagination von Ort als potentiell offen, konstruiert und produziert durch die vielfältigen Beziehungen zu anderen Orten. So sind es neben den materiellen und sichtbaren Qualitäten, deren gefühlsmäßiger Durchdringung durch den Menschen auch politische, ökonomische und soziale Strukturen sowie die mannigfachen Verbindungen zu anderen Orten, welche ein solches globales Ortsbewusstsein (global sense of place) prägen (für eine vertiefende Diskussion von Raum- und Ortskonzepten sowie ihrer Bedeutung für musikalische Praktiken und Prozesse vgl. Kapitel 4.1). Die Artikulation von Identitäten erfolgt über unterschiedliche Repräsentationen der Welt, über Prozesse und Medien wie Alltagskonversationen, Erzählungen, die Gestaltung urbaner und ruraler Landschaften, Politik, Werbung, Filme, Romane, Gemälde oder Musik (Rose 1995, 96–97). Allerdings signifizieren diese unterschiedlichen Repräsentationen nicht auf dieselbe Art und Weise. Insbesondere das Aurale weist im Vergleich zum Visuellen ganz eigene Eigenschaften und Qualitäten auf. Das folgende Kapitel soll eruieren, was das Besondere der Beziehungen von Klängen und Räumen ausmacht. Wie stehen Musik und Ort in Verbindung? Schafft Musik Bedeutungen? Und wie genau kommuniziert Musik?

2.5 Auralität und Räumlichkeit Any mobilization of ‘private life’ would be accompanied by a restoration of the body, and the contradictions of space would have to be brought out into the open [...] The restoration of the body means, first and foremost, the restoration of the sensory-sensual – of speech, of the voice, of smell, of hearing. In short, of the non-visual. (Lefebvre 2002, 363) Aaah yeah

all the spaces and places out there can you feel it? (Pete Rock & C.L. Smooth: Spaces and Places [Elektra, 1994])

We believed that music is nothing but organized noise. You can take anything – street sounds, us talking, whatever you want – and make it music by organizing it. (Hank Shoklee, zitiert von Walser 1995, 198)

Menschliche Emotionalität, Gefühle und Sinneswahrnehmungen werden seit einigen Jahren verstärkt innerhalb humangeographischer Literatur thematisiert (Porteous 1990; Hasse 1997 und die Kritik von Hard 2000; Schmitz 1999; Anderson,

2.5 Auralität und Räumlichkeit

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Smith 2001). Eine seit der Aufklärung zunehmend um gefühlsmäßige Empfindungen verkürzte Konzeption des Menschen und die damit verbundene Reduktion der Komplexität menschlicher Wahrnehmung auf visuelle Sinneseindrücke zielt darauf ab, „einen wissenschaftstheoretisch beherrschbaren Menschen“ (Hasse 1999, 64) zu konstruieren, der weniger natürliches und soziales Wesen denn funktionale und mechanische Einheit ist. Dem zugrunde liegen einerseits die aufgeklärte Idee eines rational handelnden, vernunftbegabten Subjekts und andererseits die zeitlich lineare und visuelle Perspektive moderner Wissenschaften, die seit der Renaissance auf Beobachtung von Tatbeständen sowie auf das Überblicken und Beherrschen von Raum ausgerichtet sind. Geographie geht es dann darum, die Welt zu betrachten, zu beschreiben und kartographisch zu repräsentieren, sie auf einem Gitternetz zu positionieren und Grenzlinien zu ziehen. Das Visuelle ist hier zentral für die Konstitution von räumlicher Wirklichkeit und (geographischem) Wissen: sehen heißt glauben, und sehen heißt wissen. Umfassende und spontan interagierende sensorische Erfahrungen von Raum und Ort allerdings stimulieren ganz andere emotionale Eindrücke, die neue und alternative Geographien zutage fördern können (Smith S 2000a, 615). Gefühle und Sinneswahrnehmungen können dazu beitragen, sich an Orte zu erinnern und sie wiederzuerkennen, sie abzugrenzen und sich mit ihnen zu identifizieren. Riechen, Schmecken, Sehen, Tasten, Fühlen und Hören eröffnen ebenso wie das Einlassen auf Emotionen Zugang zu neuen Wegen des Erkennens und Lernens, zu neuem Wissen über sich, die anderen und die Welt. Die Wahrnehmung von Sinnesreizen und emotionalen Befindlichkeiten vollzieht sich nie universell, ‚neutral‘ und quasi-natürlich, sie steht in Verbindung zu spezifischen ästhetischen, ethischen und ideologischen Wertungen im jeweiligen Kontext. Im Folgenden soll, ohne die Bedeutung einer umfassenden sensorischen Wahrnehmung in Frage stellen zu wollen, auf diejenigen Sinneseindrücke näher eingegangen werden, die mit Geräuschen, Stille und Musik verbunden sind. Wird eine Dichotomie von visuellen und aurealen Informationen zugrunde gelegt, so kann argumentiert werden, dass die sichtbare Welt die der Objekte und der Artefakte ist, die Klangwelt hingegen eine Ereigniswelt, eine Welt voller Aktivitäten und Sensationen. Geräusche entstehen nur, wenn etwas passiert. Sie deuten hin auf Existenz und Dynamik, auf ein (Innen-)Leben, das jenseits der visuellen Oberfläche liegt (Pocock 1989, 193–194). Während sichtbare Objekte zentripetal im Sinne der Konzentration der Wahrnehmung auf einen zentralen, physisch verorteten Gegenstand wirken, sendet eine Schallquelle zentrifugal Reize aus, die durchdringend und nur schwer abzublocken sind. Diese physikalischen und phänomenologischen Eigenschaften von Klang sind ein Grund, weshalb Musik lange Zeit keinen Eingang in die Agenden sozial- und geisteswissenschaftlicher Forschung finden konnte. Analysen von Partituren als raum-zeitlich fixierte Anleitungen der musikalischen Aufführung sowie Untersuchungen zu mess-, zähl- und kartierbaren Artefakten und musikalischen Handlungen mussten genügen. Ein weiterer Grund ist die Schwierigkeit, sich den Bedeutungen von Musik zu nähern. Musik scheint vollkommen transparent zu sein, direkt, unmittelbar und ungefiltert auf den Körper zu wirken. Ein Verständnis dieser Wirkungen oder eine

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

Dekodierung möglicher Bedeutungsgehalte beispielsweise mit Hilfe linguistischer Methoden scheint weder möglich noch nötig. Durch ihre Unmittelbarkeit verschließen sich Klänge einer klaren, eindeutigen Einordnung in ein Zeichen- und Codesystem. Es steht kein gewöhnliches semiotisches Instrumentarium zur Verfügung, mit dessen Hilfe Musik als Bedeutendes (Signifikant) zu bedeuteten Konzepten und Ideen (Signifikate) in Beziehung gesetzt werden könnte. Musik haften fast mystische, nicht fassbare Eigenschaften an. „Es gibt keine einleuchtende Beziehung zwischen menschlicher Erfahrung und musikalischen Klängen, zwischen dem, was wir als Menschen fühlen und dem, wie wir diese Gefühle als Mitglieder bestimmter Gesellschaften ausdrücken und evozieren“ (Frith 1996a, 102). Die verschiedenen sozialen Funktionen von Musik und die unterschiedlichen Reaktion von Hörern auf ein und dasselbe Stück schließen ein einfaches biologistisches Stimulus-Response-Modell der menschlichen Bedeutungszuschreibung aus. Klang wird sozial organisierter als Musik, beim Musizieren und beim Hören. Eine mögliche Annahme lautet, dass Klang und Musik nur durch das signifizieren, was Menschen mit ihnen tun und verbal über sie äußern. Eine entsprechende Analyse hat sich demnach mit Musik als sozialem Text zu befassen, mit ihren Repräsentationen in der sozialen Welt. Es sind weniger die Klänge selbst, die in Betracht gezogen werden, als vielmehr die Tätigkeiten, die mit Musik in Verbindung stehen. Hierzu zählen die Kontexte der musikalischen Produktion, Distribution und Konsumtion sowie die massenmedial vermittelten Intertexte wie Musikvideos oder Publikationen der Musikpresse (McClary, Walser 1990; Shepherd 2000). Solche Analysen populärer Musik folgen in der Regel einer recht einfachen Logik der Form Produktion – Text – Konsumtion, die sich auch in der Arbeitsteilung akademischer Disziplinen widerspiegelt: Musiksoziologie – Musikwissenschaft – Musikethnographie. Populäre musikalische Texte werden in diesem Verständnis als institutionell produzierte Waren gesehen, die als kulturelle Artefakte, in die Bedeutung eingeschrieben wurde, vom Publikum konsumiert und interpretiert werden. Kontext und Text sind hier zwei verschiedene, voneinander getrennt zu analysierende Aspekte von Musik (Herman, Swiss, Sloop 1998, 4–5). Zugleich aber geschieht Musik auf einer phänomenologisch-klanglichen Ebene mit einer Vielzahl sensorischer Reize und potentieller Bedeutungsgehalte (Melodie, Rhythmus, Harmonie, Tonlage, Stimmmodulation, Klangfarbe etc.), die relativ große Interpretationsspielräume belassen. Aufgrund der direkt körperlich wirkenden Eigenschaften von Musik, die jenseits einer symbolisch oder sprachlich fassbaren Signifikation liegen, bleibt immer ein Überschuss, ein Mehr an kommunizierten Inhalten, die das Dekodierbare von Bedeutung übersteigen. Susan Smith (2000a, 632) argumentiert, dass Musik Qualitäten besitze, die außerhalb des sprachlich Artikulierbaren liegen und beispielsweise Vergnügen, Erfüllung, Zartgefühl und Feinheit vermitteln. Musik als körperlich wahrnehmbarer Klang ist in der Lage, Sprache und Schrift als Kommunikationsmedium zu ergänzen oder gar zu ersetzen und Orte neu und unerwartet erfahrbar werden zu lassen. Musikalische Räume sind – als sozial produzierte Räume – in unterschiedlichem

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Maße diskontinuierlich, dynamisch und zufällig. Sie besitzen Eigenschaften, die materielle wie imaginäre, räumliche wie zeitliche Grenzen zu transzendieren vermögen (Frith 1996a, 145–157; Ingham, Purvis, Clarke 1999, 287–288). Musik ist nicht einfach ein Objekt, das mit anderen Dingen in Beziehung steht, sondern ein Medium, durch das soziales Leben erfahren und produziert werden kann. Nicht Medium kommunikativer Praktiken, sondern selbst Mittel direkter, affektiver Kommunikation, wird Musik konzipiert „als ein Referenzmodell für (statt als ein Signifikant von) Handlung, Gefühl und Gedanke“ (DeNora 2001, 10258). Musik reflektiert oder repräsentiert nicht nur Erfahrungen, sondern ist Praxis und Erfahrung, die Identität stiften kann. Simon Frith schreibt: „In der musikalischen Praxis drücken sich keine Ideen aus, sie stellen (!) eine Möglichkeit her, diese Ideen zu leben“ (Frith 1999, 154), und er verdeutlicht dieses Verständnis von Musik durch einen Vergleich mit Identität: Identität ist keine Sache, sondern ein Prozess – ein Prozess der Erfahrung, der sich am deutlichsten als Musik erfassen lässt. Musik scheint der Schlüssel für Identität zu sein, denn sie bietet eine hochgradig ausgeprägte Empfindung für das Selbst und die Anderen gleichermaßen, für das Subjektive im Kollektiven an. (Frith 1999, 153)

Musizieren wie Musik hören sind gleichzeitig Kreation, Erfahrung und Verständnis der Welt im Hier und Jetzt. Schlüsselbegriffe dieser Konzeption sind Performanz und Handlung. Nicht nur in der retrospektiven Textanalyse erfolgt die Interpretation von Musik, sondern durch aktive Teilnahme, durch Musizieren und Hören. Musikalische Performanz öffnet den menschlichen Körper für die Wahrnehmung unmittelbarer Sinneseindrücke und Gefühle, für das Erleben von Ruhe und Bewegung, Spontaneität und Subjektivität, Flüssen und Brüchen, von Wiederholungen und von Rhythmen. Unter geographischen Gesichtspunkten betont das Konzept von Performanz einen dynamischen, fluiden, nie abgeschlossenen Charakter von (musikalischen) Orten, die miteinander in Verbindung stehen. Die Welt entsteht durch eine Vielzahl und Vielfalt von Begegnungen, und ihre Räume werden relational durch Performanz konstituiert: „Performanz erzielt viele ihrer Effekte durch die spekulative Manipulation von Raum und Zeit. [Performanz] ist deshalb schon an sich und bei sich geographisch“ (Thrift 2000, 577). Auch Gillian Rose argumentiert, dass „Raum eine […] Tätigkeit (doing) ist, dass er nicht vor dieser Tätigkeit existiert, und dass diese Tätigkeit eine Artikulation relationaler Performanzen ist“ (Rose 1999, 248). Raum ist deshalb aber nicht willkürlich formbar. Er entfaltet sich in dieser Vorstellung nach sich wiederholenden Handlungsmustern, er wird produziert durch performative Zitate von Beziehungen zwischen dem Selbst und dem Anderen. Die Wiederkehr von Strukturen und Formen, das häufigere Zitat bestimmter sozialer Konstellationen und Abgrenzungen verweisen auf die Machtsättigung aller sozialer Beziehungen. Auch klanglicher Raum wird verstanden als eine machtgeladene Beziehung zwischen Musikern und Hörern, die beide performativ an der Gestaltung dieser sozialen Räume mitwirken. Für populäre Musik steuern insbesondere Genre-Regeln und die kulturindustrielle Vermittlung musikalischer Warenförmigkeit die Handlungsmuster von Künstlern und Hörern. Welcher Stellenwert den Eigenschaften von Klang bei der Formierung imaginativer und materieller Geographien zukommen

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kann, soll nun beispielhaft anhand einer Auswahl verschiedener Ansätze und Umsetzungen erläutert werden, die Wege weisen wollen zum Verständnis der reziproken Beziehungen klanglicher, räumlicher und sozialer Produktion. Wie das Zitat von Jacques Attali zu Beginn des zweiten Kapitels verdeutlicht, nimmt Musik einen Platz ein zwischen dem Mythos der Stille und der Bedrohung durch Lärm. Ihre Position innerhalb dieses Differenzials ist nicht fixiert, sondern verhandelbar und beweglich. Für Attali findet die soziale Dichotomie von Musik und Lärm ihre Entsprechung in den Zweiteilungen von Ordnung und Chaos, von Zivilisation und Barbarei, von Kultur und Natur. Sie ist somit fundamental für die Entwicklung der Subjekte der westlichen Moderne, für die Formierung von Nationalstaaten sowie der zugehörigen nationalen Identitäten. Attali geht es insbesondere um die Frage, wie es möglich war, dass die zunächst regional und lokal begrenzte westliche, bürgerliche Klassik als Repräsentation von Hochkultur, als universeller Diskurs und als ästhetisch-politische Kraft auf globaler Ebene mobilisiert werden konnte. Er betont dabei einerseits die Rolle räumlicher Prozesse bei der Differenzierung musikalischer Formen und Ausdrucksweisen und anerkennt andererseits den Stellenwert von Musik bei der Produktion von Raum und Räumlichkeit: Die sich innerhalb des Romantizismus im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierende Dichotomie zwischen Kultur / Geist und Natur / Körper wurde in eine hierarchische Unterscheidung musikalischer Artefakte und Praktiken einer ‚bürgerlichen, zivilisierten, weißen‘ Kultur und einer ‚primitiven, vormodernen, unschuldigen, essentiell humanen, schwarzen‘ Kultur projiziert. Damit in Verbindung steht die Konstruktion von Europa als das historische und räumliche Zentrum der kolonialen, modernen Welt, welches eine selbstlegitimierende Definitionsmacht über andere Räume wie Asien als „sekundären Raum der Opposition“ oder Afrika als „tertiären Raum des Gegensatzes“ (Gregory 1998, 18) ausübt. Diese Verabsolutierung von Raum, Geschichte und Kultur weist ‚schwarzer‘ Kultur und ‚körperbezogener‘ Musik auf einer Metaebene den exotischen, anderen Raum Afrika zu. Die angeblich direkter physisch wirkende ‚schwarze‘ Musik hat allerdings weniger mit den phänomenologischen Eigenschaften von Klang zu tun, als vielmehr mit der Konstruktion des Afrikaners als das primitive und natürliche Andere des Europäers. Afrikanische Musik muss, folgt man dieser Logik, näher in Verbindung stehen zum Körper und zu unvermittelten Emotionen. Da sich afrikanische Musik aber am deutlichsten von europäischer durch eine starke rhythmische Betonung unterscheidet, muss Rhythmus jene musikalische Qualität sein, die dem Primitiven und Körperbezogenen ihren Ausdruck verleiht. „Kurzum: Kulturelle Ideologie produziert die Art und Weise, wie Musik gehört wird, es ist nicht Musik selbst, welche die Ideologie erschafft“ (Frith 1996a, 127). Die seit dem 19. Jahrhundert etablierten Dichotomien Geist / Körper, Rationalität / Emotionalität und Öffentlichkeit / Privatheit wirken auch in musikalischen Diskursen fort, wenn etwa zwischen ästhetisch-respektabler Ernster und hedonistisch-populärer Unterhaltungsmusik unterschieden wird. Diese Gegensatzpaare beinhalten einerseits ästhetische und hierarchisierende Werturteile und verfestigen andererseits die Unterscheidung zwischen mental- und physischkörperlichen Reaktionen auf Musik. Während die Qualität der Aufführung eines

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klassischen Werkes an der Intensität der Konzentration des Publikums auf die Musik abzulesen ist, bemisst sich der Erfolg eines populärmusikalischen Konzertes am Maß der physischen Bewegung des Publikums. Dabei findet sich die Dichotomisierung von Geist und Körper keineswegs nur als Unterscheidungsmerkmal zwischen klassischer und populärer Musik, sondern wirkt auch innerhalb des populärmusikalischen Bereichs. Ist der Zuschauerraum eines Rock– oder Jazz–Konzertes bestuhlt, so wird erwartet, dass dieser nun Ernsten Musik ohne physische (Tanz–)Bewegungen beigewohnt wird (Frith 1996a, 124–125). Auch für die sich wandelnden Beziehungen zwischen Klang und Subjektivität im Verlauf gesellschaftlicher Modernisierung lässt sich die Rolle von Musik nachzeichnen. Waren die ländlichen, vormodernen Klangwelten typischerweise HiFiLautsphären (high fidelity, hohe Klangtreue), bei denen akustische Signale aufgrund des umgebenden niedrigen Geräuschpegels als Vordergrundtöne deutlich hörbar hervortraten, sind in städtischen, modernen LoFi-Lautsphären (low fidelity) einzelne Laute vor dem Hintergrund eines dichten Schallnetzes weit schwieriger wahrzunehmen (Schafer 1988, 59). In der Moderne sind Menschen zunehmend von diffusen Klängen menschgemachten Lärms umgeben, deren Quellen keineswegs immer einfach zu bestimmen sind. Die Lautstärke von Industrieanlagen, Verbrennungsmaschinen, Elektrogeräten oder elektronisch verstärkten und vervielfältigten Lauten aller Art verweist klangliche Erfahrungen häufig in Bereiche jenseits bedeutungsvoller Praktiken und Interpretationen. Klang, der sowohl offensichtlich von Menschen erzeugt als auch für keinen Menschen im Besonderen geschaffen ist, wird wahrgenommen als bedeutungsloser Lärm, als eine Art sozial produzierte Klangumwelt. Neben der Unterscheidung von Musik und Lärm zeigt sich auch jene zwischen Stille und Klang kontextspezifisch konstruiert. Der US-amerikanische Avantgarde-Komponist John Cage beispielsweise betont: Falls sich jemand als Beschützer des Wortes ‚Musik‘ fühlt, schütze er es und finde ein andres Wort für alles übrige das durch die Ohren eindringt. Es ist eine Zeitvergeudung sich mit Wörtern zu mühn, Geräuschen. Was es ist ist Theater und wir sind drin und mögen es, machen es. [...] Es gibt nicht so etwas wie Stille. Etwas geschieht immer, das einen Klang erzeugt. (Cage 1987, 152–154)

Er zeigt sich überzeugt, dass die Gegensatzpaare von musikalischen und nichtmusikalischen, zweckgebundenen und nicht zweckmäßigen Klängen soziale Konstrukte sind und fordert die Gleichberechtigung zufälliger Geräusche und absichtlich erzeugter Töne. Ein konsequentes Ergebnis seiner Klangstudien ist die bekannte Komposition 4‘33“ für jedes beliebige Instrument aus dem Jahre 1952. Bei der Aufführung steht oder sitzt der Musiker vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden an seinem Instrument, ohne auch nur einen Ton zu spielen. Das Klang-

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

ergebnis ist dabei aber keineswegs absolute Stille, sondern die Öffnung einer klassischen Konzertsituation für nicht-musikalische Geräusche, für Ambient Sounds: Getuschel, das Husten einzelner Konzertbesucher, das Knarren der Sitze, Wind, der um das Konzertgebäude weht, gegen eine Scheibe prasselnde Regentropfen oder Verkehrsgeräusche, die von Ferne in den Saal dringen. All diese Geräusche zwingen die Zuhörer, am zufälligen Klang der ‚Stille‘ teilzuhaben. Cage überwirft so die Konventionen hergebrachter Rezeptions-, Kompositions- und Aufführungstechniken und betont die Kontextabhängigkeit musikalischer und klanglicher Erfahrung (Graves, Schmidt-Joos 1990, 131–132; Ingham, Purvis, Clarke 1999, 285). Kanalisierungen von Lärm in eine strukturierte, geordnete Formsprache Musik reflektieren die historisch und räumlich spezifischen gesellschaftlichen Machtkonstellationen. Aus Klängen und Lauten wird durch soziale und räumliche Ordnungen Musik. Sei es im Konzertsaal mit der klaren räumlichen Trennung von Bühne und Zuschauerraum, sei es durch ordnungspolitische Eingriffe bei Aufführungen, sei es in Musikkritiken, akademischen Abhandlungen, der Werbung oder der musikalischen Erziehung. Überall, wo ästhetische Entscheidungen darüber getroffen werden, ob es sich um gute oder schlechte, angemessene oder unangemessene, autorisierte oder verbotene, richtige oder falsche Töne handelt, findet eine Beurteilung hinsichtlich der Verortung von Klängen statt (Revill 2000, 601). Die Antwort auf die Frage, welche Klänge wo, wie, von wem und für wen erzeugt werden oder eben nicht, gibt Aufschluss darüber, wie Musik als Teil einer politischen Ökonomie funktioniert. Im Zusammenhang mit der Thematisierung von Musik als politischer Kraft wird häufig auf die gemeinschaftlich verbindenden, kollektivierenden Eigenschaften von Musik verwiesen, die jenseits einer rein ästhetischen Erfahrung und jenseits einer primär auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Nutzung musikalischer Warenförmigkeit liegen. Lawrence Grossberg entwickelt mit Affekt ein Konzept, das einen gemeinsamen Raum für das Publikum populärer Musik aufspannt. Affekt bezeichnet die Bereitschaft, für etwas Interesse und Energie aufzubringen und umrahmt emotionale Reaktionen auf bestimmte Situationen. Affekte resultieren aus der Wirkung kultureller Effekte auf alle unsere Sinne und werden entsprechend der subjektiven Erfahrungen und Wertvorstellungen organisiert. Sie sind aber nicht nur physische oder emotionale Reaktion, sondern dienen etwa in Form kulturellen Kapitals oder der Herausbildung von Anhängerschaft und affektiven Allianzen als Instanz der sozialen Strukturierung (Grossberg 1992; vgl. Kapitel 4.1). Edward Said (1995) konzipiert musikalische Bedeutung als räumlich, zeitlich und sozial transgressiv. Musik kann aufgrund ihrer klanglichen Qualitäten reisen, ihre Position und Funktion innerhalb einer Gesellschaft wechseln und von Ort zu Ort ziehen (Said 1995, 14–15). Seine „Grenzüberschreitungen in der Musik“ meinen nicht nur die physischen Möglichkeiten von Musik, zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten zu sein, sondern auch ihre Fähigkeit, differierenden Zwecken zu dienen und eine entsprechende Offenheit symbolischer Codes zuzulassen. Ob Musik mit dominanten oder subversiven Implikationen verbunden ist

2.5 Auralität und Räumlichkeit

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hängt davon ab, welche Potenziale mobilisiert werden können und welche Begrenzungen wirksam sind (Revill 1998, 211–212). Simon Frith plädiert in diesem Zusammenhang für eine Verkehrung des üblichen akademischen Arguments in sein Gegenteil: Nicht die Frage ist entscheidend, wie Musik als Text Wert- und Normvorstellungen reflektiert, sondern wie Musik diese Vorstellungen im performativen Prozess produziert (Frith 1996a, 270). Soziale, räumliche und zeitliche Transgressionen erweisen sich als entscheidende musikalische Eigenschaften: [W]hat makes music special – what makes it special for identity – is that it defines a space without boundaries. Music is the cultural form best able both to cross borders – sounds carry across fences and walls and oceans, across classes, races, and nations – and to define places: in clubs, scenes, and raves, listening on headphones, radio, and in the concert hall, we are only where the music takes us. (Frith 1996a, 276)

Musikalische Räume sind in dieser Vorstellung nur schwer abzugrenzen und stets eingebettet in Netzwerke, die stets über das mystifizierte Lokale hinausweisen und die vielfältigen Beziehungen zwischen einzelnen Orte mit beinhalten. Zugleich hilft Musik, Räume und Orte zu kreieren und abzugrenzen. Diese Kreations- und Konstruktionsprozesse sind dabei nicht ausschließlich Resultate von Gedankenspielen, sondern eingebettet in soziale und materielle Settings. Deutlich formuliert diesen Zusammenhang Jody Berland, wenn sie argumentiert, dass kulturelle Formen innerhalb der Produktion und Reproduktion kapitalistischer Räumlichkeit zu verorten seien. Sie fragt: How does one produce the other: the song, the car, the radio station, the road, the radio, the town, the listener? [...] [L]ittle writing about music addresses the meanings that might be produced in these spaces, or by them, or for them, or between them. Why is music so rarely conceived spatially, not as meaningful text or meaningful event (both still dominantly temporal constructs), but in relation to the changing production of spaces for listeners, and thus as an extension of the changing technologies that follow or draw their subjects into these spaces? (Berland 1992, 39)

Rhythmus und Musik stehen in einem gegenseitig konstitutiven Verhältnis zu sozialen Räumen und Orten. Die Produktion musikalischer Bedeutung ist an die soziale Produktion von Räumen gebunden und umgekehrt. Menschen hören nicht einfach nur Klang oder produzieren ihn, sondern sie helfen, dadurch dass sie Räume besetzen und schaffen, bestimmte Bedeutungen, Effekte, Ökonomien, kurz: Kontexte zu kreieren. Hier wird wiederum die Logik des Produktion–Text–Distribution–Konsumtion–Modells durchbrochen, da das Hauptaugenmerk weniger auf einzelnen, sequentiell konzipierten Prozessen denn auf der Vermittlung zwischen diesen Prozessen innerhalb verschiedener räumlicher Kontexte liegt. Populäre Kultur wird verstanden als Repräsentation einer Mediation zwischen Technologien, Ökonomien, Musikern und Hörern, zwischen dem Modus der Ansprache, der Situation und Örtlichkeit der Rezeption sowie der sozialen und materiellen Konsolidierung als Technologie. Wenn Walter Benjamin schreibt: „Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Ort, an dem es sich befindet“ (Benjamin 1991, 352), also sein ‚authentischer‘ sozialer und räumlicher Ort der Produktion, so

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

trägt er diesen verschiedenen vermittelnden Prozessen reproduzierbarer Artefakte Rechnung, die etwa Technologien der Telekommunikation, soziale Beziehungen oder die kulturindustrielle Mediationen umfassen (Negus 1999a, 66–98). Dennoch geht diese Auffassung von „Musik im Zeitalter ihrer elektronischen Reproduzierbarkeit“ nicht weit genug (Mowitt 1987). Die Annahme, dass je stärker die technologische Vermittlung von Musik ist, desto stärker die Momente der Reproduktion und des Hörkontextes dem der Produktion vorangehen und bei seiner Organisation und Strukturierung immer schon mitgedacht werden, lässt John Mowitt unter gegenwärtigen Bedingungen von einer „radikalen Priorität der Rezeption“ sprechen (Mowitt 1987, 177). Musik ist so nie nur Produkt der Handlungen eines autonomen Subjektes oder gar eines ‚genialen‘ Künstlers, sondern trägt immer auch Aspekte der Planung von Veröffentlichungen auf unterschiedlichen Medien, der Technologien der Distribution, der journalistischen Rezeption, unterschiedlicher Arten des musikalischen Geschmacks potentieller Zielgruppen oder der Anerkennung verschiedener Praktiken, Situationen und Strategien des Hörens in sich. Musikalische Bedeutung kann daher nie allein durch die Dechiffrierung musikalischer Texte entschlüsselt werden, sondern muss die Schaffung neuer Bedeutungen durch die sich ändernden Modalitäten technologischer Reproduktion und durch entsprechend neu produzierte Räumlichkeiten mitdenken. Ausgehend von den phänomenologischen Qualitäten, die Musik als ein transgressives Kommunikationsmedium ausweisen, das direkt körperlich und affektiv wirkt und das nur bedingt einer Übersetzung mit Hilfe formaler symbolischer Codes zugänglich scheint, wurde argumentiert, dass sich das kontextspezifisch wandelnde und sozial verhandelte Verhältnis von Musik, Lärm und Stille auf die soziale und räumliche Organisation von Klang beziehungsweise auf die klangliche Produktion von Raum auswirkt. Um Schallreize jeglicher Art in Musik zu verwandeln bedarf es rhythmischer, metrischer, tonaler, melodischer, harmonischer, instrumentaler und akustischer Strukturierung. Oder anders gesagt: Musikalische Organisation bedarf sozialer Organisation bedarf räumlicher Organisation und umgekehrt.

2.6 Zusammenfassung Eine Beschäftigung mit der räumlichen und kulturellen Organisation von Klang, Musik und Stille innerhalb der Wissenschaftsdisziplin Geographie hat keine eigene Tradition etwa mit einem Kanon bedeutender Autoren und Werke oder einer Abfolge verschiedener Entwicklungsphasen und paradigmatischer Wechsel hervorgebracht. Einerseits ist die reine Quantität der publizierten Arbeiten zum Thema bis in die 1980er Jahre verschwindend gering, andererseits wird das Erkenntnisobjekt Klang lange Zeit als ein kulturelles Artefakt unter vielen konzipiert. Im Unterschied zu den im ausgehenden 19. Jahrhundert entstehenden Musikwissenschaften, die zunächst ästhetische, pädagogische und ethnographische Ansätze verfolgten, um Musik als zentralen Untersuchungsgegenstand historisch und systematisch zu erforschen, wird Klang innerhalb der Geographie mit

2.6 Zusammenfassung

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den zeitgenössischen Methoden der faktischen Darstellung als Bestandteil einer ‚natürlichen Raum-Ordnung‘, später auch einer ‚menschgemachten Raumordnung‘ regionalisiert situiert. Die Frage was denn kartierbar sei an Musik (Nash, Carney 1996, 70) zeigt, wie sehr sich das Erkenntnisinteresse lange Zeit der Methodologie und dem Instrumentarium der Disziplin unterordnet. Zu einem Zeitpunkt ist es gar erklärte Aufgabe der Geographie, quasi-natürliche Kausalbeziehungen zwischen topographisch-klimatischen Eigenschaften von Gebietseinheiten, vorherrschenden Wertvorstellungen und musikalischen Praktiken heraus zu stellen. In der angelsächsischen Kulturgeographie dominiert bis in die 1970er Jahre die Tradition der Berkeley School of Cultural Geography, welche allgemein die Entstehung und Veränderung von in der Regel ruralen Landschaften (landscapes) kulturökologisch zu verstehen suchte. In Bezug auf Musik umfasst diese Forschungsagenda die Kartierung der räumlichen Verteilung und Diffusion musikalischer Aktivitäten, Formen und Instrumente, die Abgrenzung kulturell ‚homogener‘ Gebiete mit charakteristischen Musiktraditionen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen sowie die Identifizierung spezifischer ‚Charaktereigenschaften‘ räumlicher Einheiten mit Hilfe von Inhaltsanalysen meist populärer Lieder. Musik wird hier verstanden als volkskulturelle, traditionelle Praxis, die typische Eigenschaften eines Gebietes und seiner Bewohner repräsentiert. Nicht Musik selbst steht im Mittelpunkt, sondern die mit ihr verbundenen Personen, Instrumente, Liedertexte und Artefakte. Das Erkenntnisinteresse gilt der idiographischen Illustration bereits bekannter geographischer Prozesse und Gesetzmäßigkeiten, und die Argumentation ist gekennzeichnet durch relative Theorieferne (zur allgemeinen Kritik an der traditionellen cultural geography vgl. Natter 2003). Die Fokussierung innerhalb der angelsächsischen Kulturgeographie auf Werke großer Meister der Klassischen Musik aber auch der Malerei und Literatur wirkt bis in die Gegenwart hinein. So wird beispielsweise nach wie vor bestimmten, als autonom imaginierten populären Musikern und einzelnen kanonisierten Stücken ein übergroßes Gewicht bei der Entwicklung musikalischer Genres zugewiesen. Historische Kontingenz sowie technologische und ökonomische Mediationen bleiben weitgehend unbeachtet. Die Erweiterung des elitären Kulturbegriffs durch die Einbeziehung umfassender humaner Lebensäußerungen, gleich ob ritualisierter, institutionalisierter oder alltäglicher Art, rückt Menschen in ihrer Vielfältigkeit und Kreativität in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Neben Volks- und Hochkultur werden auch die verschiedenen Formen der Alltags- und Populärkultur zum Untersuchungsgegenstand. Eine humanistische Wissenschaft versucht zunächst, nicht zuletzt in Abgrenzung zur ‚quantitativen Revolution‘ der 1950er und 1960er Jahre, mit Hilfe phänomenologischer Methoden die Perzeption und das Verhalten von Erforschten und Forschenden stärker zu berücksichtigen. Im Zuge einer Etablierung der angelsächsischen Cultural Studies verschiebt sich der Fokus zunehmend von Prozessen der Produktion hin zu solchen der Konsumtion populärer kultureller Formen. Unter Einbeziehung menschlicher Wahrnehmungen und Interpretationen werden Analysen durchgeführt, die sich auf gemeinsame kultu-

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

relle Erfahrungen stützen und sich am Modell sozialer Klassen orientieren. Verschiedene, meist jugendliche (Sub)Kulturen werden identifiziert, die sich durch subversive Konsumtion und Aneignung hegemonialer Bedeutungen konstituieren und neue Formen der Lebensgestaltung wählen. Bis zu diesem Zeitpunkt verbergen sich hinter allen drei musikalischen Diskursen – Volksmusik, Klassik und populäre Musik – Prinzipien von Homologie, also Annahmen, nach denen kulturelle Artefakte zugrunde liegende Strukturen reflektieren, wiederholen und damit reproduzieren. Die traditionellen ethnographischen und kulturgeographischen Arbeiten gehen davon aus, dass Volksmusik Ausdruck der gesellschaftlichen Norm-, Moral- und Wertvorstellungen sei, die ihrerseits Ergebnisse des Abarbeitens an einer physisch-materiellen Umwelt darstellten. Der musikwissenschaftliche Diskurs hebt die in klassische Musik eingeschriebenen Bedeutungen und Gefühlsregungen des Komponisten auf die Ebene zeitlich wie räumlich universeller Normativität. Der Kulturalismus schließlich, für den die Erfahrung des alltäglichen Lebens die entscheidende Erkenntnisquelle darstellt, sucht nach regelhaften Übereinstimmungen zwischen Handlungen, Wertvorstellungen und musikalischen Präferenzen. Gruppenstrukturen, (kollektive) Identitäten, Moden oder das Lokale stehen in direktem Zusammenhang mit kulturellen Praktiken und (angeeigneten) Artefakten, die ihrerseits zentrale Werte und Meinungen der Akteure reflektieren. All diese Auffassungen von Homologie machen sich an Vorstellungen von Authentizität fest, nach denen Ursprünglichkeit, Verwurzelung, Überschaubarkeit und Echtheit die herausragenden Bewertungsmerkmale musikalischer Erfahrung sind. Aus anthropologischer Sicht argumentiert aber etwa Charles Keil: „Musik muss, um subjektiv attraktiv und sozial wertvoll zu sein, ‚unzeitgemäß‘ und ‚verstimmt‘ sein“ (Keil 1994, 96) und, so könnte man hinzufügen, deplaziert. Seit den 1980er Jahren führen im Rahmen eines cultural turn das wachsende Interesse an populärer Kultur, die Diversifizierung und quantitative Ausweitung akademischer Tätigkeiten sowie die poststrukturalistisch motivierte Neuorientierung der Musik-, Sozial- und Geisteswissenschaften (vgl. Shweder 2001) zur institutionellen Etablierung musikalischer Forschung innerhalb der Geographie in Form von wissenschaftlichen Tagungen, Buchprojekten und Publikationen in international angesehenen Periodika. Im Zuge eines spatial turn gehen gleichzeitig räumliche Fragestellungen in die stärker interdisziplinär durchdrungenen Analysen der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ein. Die Identifizierung ontologischer und methodischer Schwachstellen führt zu einer entsprechenden Erweiterung des Spektrums von Forschungsfragen und -methoden. Fehlten bislang weitgehend eine Einordnung in soziale und politische Kontexte, die Anerkennung der Rolle von Musik, Klängen und Stille bei der Konstruktion von Räumlichkeit, die Thematisierung von Identität jenseits homologer Raum / Mensch-Beziehungen sowie eine angemessene Berücksichtigung der Konsumtionsseite von Musik, gewinnen nun insbesondere drei Ideen an Relevanz: Erstens kann Musik als Kommunikation von Bedeutungen verstanden werden, die beim Produzieren und Konsumieren kontextspezifischen Hör- und Lesarten musikalischer Texte unterliegen. Zweitens wird die politische Bedeutung von Musik be-

2.6 Zusammenfassung

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tont, die durch Ideologien und konkurrierende Machtkonstellationen affirmativ wie subversiv in unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen instrumentalisiert werden kann. Musik artikuliert soziale Hierarchien, Abhängigkeitsverhältnisse und Differenzen, die besonders deutlich hervortreten, wenn die kulturökonomischen Kontexte und Mediationen musikalischer Produktion, Distribution und Konsumtion herausgestellt werden. Drittens fungieren Klänge als Mittel der Konstruktion und Dekonstruktion von individuellen wie kollektiven Selbstentwürfen. Nicht nur Liedertexte und (musikalisch) produzierte Räume und Orte, sondern zunehmend auch medial und spektakulär vermittelte Produkte wie Videoclips, Images oder Kleidung können dabei identitätsstiftende Bezugspunkt darstellen. Parallel zur Ausweitung der Forschungsagenda erfolgt eine Erweiterung des wissenschaftlichen Methodenspektrums. Als fruchtbar erweist sich dabei die reflektierte Auswahl sowohl quantitativer wie qualitativer Methoden. Für musikökonomische Analysen wird hauptsächlich auf statistisches Datenmaterial zurückgegriffen, um Trends der Absatzzahlen von Tonträgern und elektronischen Geräten, die Zahl professioneller und nicht-professioneller Musiker oder Verschiebungen der Hörerpräferenzen in regionaler Differenzierung erfassen zu können. Bezogen auf die Produktion und Konsumtion musikalisch vermittelter Bedeutungen kommen Textinterpretationen auf semiotischer oder hermeneutischer Grundlage zum Einsatz, ergänzt durch Untersuchungen zu Musikvideos, Tonträgerhüllen, Postern, Fotos und Moden. Mit Hilfe persönlicher Gespräche mit Konsumenten, Künstlern, Produzenten, Komponisten, Textern, Musikkritikern, Bookern, Talentscouts, Führungskräften von Tonverlagen oder Discjockeys lassen sich ebenso neue Einblicke in Strukturen und Prozesse der Produktion, Distribution und Konsumtion von Musik gewinnen wie durch Feldmethoden der teilnehmenden Beobachtung. Die interdisziplinäre Ausrichtung musikalischer Forschung verhilft einerseits der Geographie zur Einsicht, dass Formen populärkulturellen Ausdrucks für imaginäre wie materielle Räume und Orte von entscheidender Bedeutung sein können. Andererseits setzt die geographische Fokussierung auf Räumlichkeit auch entscheidende neue Impulse für andere Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Identität des Faches beruht allerdings weiterhin darauf, „dass sich Geographie von den anderen Sozialwissenschaften durch ihre explizite Fokussierung auf Raum und Ort unterscheidet“ (Hubbard, Kitchin, Bartley, Fuller 2002, 62). Dass (soziale) Räume und Orte (soziale) Konstrukte sind und dass diese Räume und Orte ihrerseits auf die Konstruktion des Sozialen wirken, scheint mittlerweile axiomatische Erkenntnis innerhalb der Humanwissenschaften zu sein. Die Inkonsistenzen eines recht willkürlichen Gebrauchs räumlichen Vokabulars allerdings, dessen inhaltliche Bedeutung häufig nicht über die eines Isomorphismus zwischen Ort und Gesellschaft / Kultur hinausweisen und dessen maßstäbliche Bezugsebenen in der inflationären Rhetorik des ‚Globalen‘ und des ‚Lokalen‘ verschwimmen, lassen deutlich werden:

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2 Music non stop: Geräusche, Geschichte, Gesellschaft und Geographie

We must be clear about the differences between really theorizing spatially and more casually wielding a spatial vocabulary. And we must, in turn, examine that spatial vocabulary for its own assumptions and incipient fixities. (Massey with the collective 1999, 11)

Eine Möglichkeit, den traditionellen Raumbegriff als defizitär offen zu legen und zu erweitern, eröffnet die umfassende Konzeption des Menschen als sensibles und emotionales Wesen. Die Überbetonung der visuellen Perspektive moderner Wissenschaften verkürzt die Komplexität räumlicher Wirklichkeit um die Sinneseindrücke des Fühlens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Hörens und damit um die emotionalen und affektiven Formen der Erfahrung und der Wissensvermittlung. Die Bedeutung des visuellen Überblickens und Beherrschens wird relativiert durch die Anerkennung beispielsweise von Klang und Rhythmus als komplementären Kommunikationsformen, die ein neues Mehr an analytischen Möglichkeiten bieten. Da aber viele klangliche Eigenschaften wie Lautstärke, Tonhöhe, Tonfärbung oder Rhythmus direkt und unvermittelt auf den Körper wirken, scheint es relativ schwierig, Reflektionen anstellen oder Interpretationen ableiten zu wollen. Das Sprechen und Schreiben über musikalische Erfahrungen wird sich deshalb immer zu gewissen Teilen einlassen müssen auf metaphorische Umschreibungen, auf Versuche, Gefühle und Emotionen zu artikulieren (McClary, Walser 1990, 288–289; Smith S 2000a, 617). Insofern zeigt sich Geographie mit ihren visuellen Darstellungsformen Karte, Tabelle und Diagramm methodisch relativ schlecht gerüstet, Laute analytisch adäquat zu fassen. Das Hören und Erzeugen von Musik (etwa in Abgrenzung zu reinem Lärm) sind kulturelle Praktiken. Was Musik ist, wie Klang erzeugt wird, ob und wie Klänge als Musik gehört werden, ist immer abhängig von Vorwissen, Hörgewohnheiten, Verhaltensregeln, Ansichten über Ästhetik und Angemessenheit, Aufführungssituationen, Klangtechnologien, Materialitäten, Örtlichkeiten etc. Die technologischen, ökonomischen und räumlichen Kontexte – Fundament und Ergebnis machtgesättigter sozialer und kultureller Beziehungen – beeinflussen die Bedeutung von Klängen jenseits rein materieller und körperlicher Wirkungen. Musik als sozial, ökonomisch und kulturell vermittelte Praxis kann damit eine weitere Perspektive auf das sich gegenseitig bedingende Produktionsverhältnis von Räumlichem und Sozialem aufzeigen. Diese Überlegungen bergen nach wie vor die Unsicherheit, Musik nur als homologe Reflektion der Kultur eines Raumes zu konzeptionalisieren und von einer linearen Kausalität auszugehen zwischen der im Prozess des Musizierens eingeschriebenen, im Laufe der Übertragung vermittelten und im Prozess des Hörens decodierten Bedeutungen. Musik gilt hier als eine abstrakte Repräsentation sozialer Organisation, als das Ergebnis sozialer Strukturen. Zugleich aber ist Musik selbst sozialer Prozess, der seinerseits als Kontext für andere soziale Praktiken dient, neue Räume schaffen und Bedeutungen durch die Unmittelbarkeit musikalischer Performanz kommunizieren kann (Revill 2000; DeNora 2001). Musikalische Performanzen konstruieren einen Sinn für Identität, indem sie unterschiedliche Erfahrungen von Körper, Zeit und Raum zulassen und damit ermöglichen, sich innerhalb imaginierter kultureller Formationen, sozialer Orte und affektiver Allianzen zu platzieren. Geographies of Music, Soundscapes und

2.6 Zusammenfassung

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Sonic Geographies können so gedacht werden als transgressiv, dynamisch, diskontinuierlich, vieldeutig, fluid und ephemer. Grenzenlos und beliebig sind diese Räume allerdings keineswegs. Zwar umfassen musikalische Praktiken eine große Bandbreite historisch wechselnder und sozial variierender Erfahrungen und Aktivitäten, sie produzieren in ihren jeweiligen Kontexten allerdings diskursiv und performativ je eigene, spezifische Formationen imaginärer und materieller Geographien. Musik, Klang und Stille schaffen nicht nur Kontexte für soziales Handeln, sondern sind selbst Ergebnis der Artikulation sozialer Beziehungen und spielen eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion und Vermittlung von Bedeutung hinsichtlich politischer Machtverhältnisse von Dominanz, Hegemonie und Subordination auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen. Musikalische Bedeutungen umfassen damit sowohl Repräsentation und Text als auch Nicht-Repräsentation und Affekt, beides historisch wie kulturell situiert innerhalb spezifischer sozialer und räumlicher Formationen interdependenter Prozesse musikalischer Produktion, Zirkulation und Konsumtion.

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HipHop in Raum und Zeit

Ain’t nothin’ new in what I do (Fatback Band: King Tim III (Personality Jock) [Spring Records, 1979]) Es wäre nicht so wie es ist, wär’ es damals nicht gewesen wie es war (Cora E: Schlüsselkind [MZEE, 1996])

Am 12. November feiert HipHop ‚offiziell‘ Geburtstag. So wollen es jedenfalls die Mitglieder der Universal Zulu Nation, die diesen Tag des Jahres 1974 auf ihrer Website als Wiegenfest von HipHop festschreiben (Hip-Hop History o.J.). Genau ein Jahr zuvor hatte Afrika Bambaataa, ein früher Protagonist von HipHop und ehemaliges Mitglied der Straßengang Black Spades, diese Vereinigung des community activism im Umfeld des Bronx River Housing Project in New York City gegründet. Seither tritt die Zulu Nation insbesondere durch die Propagierung einer internationalen HipHop-Bewegung in Erscheinung, die mittlerweile in über 20 Untergruppen (chapters) in verschiedenen Ländern organisiert ist (Davey D 2000). Explizit wirbt die Organisation um ein Verständnis von HipHop, bei dem es neben DJing, rapping, break dancing und graffiti writing um ein fünftes Element geht, „nämlich WISSEN […], um die Volksmassen über Geschichte und Gründungselemente der wahren HipHop-Kultur zu unterrichten“ (Hip-Hop History o.J.). Bereits in diesen Statuten der Vereinigung wird deutlich, als wie wichtig im HipHop die Suche nach den raum-zeitlichen Grundlagen und die Perpetuierung von historischem Wissen erachtet werden. Die Bewertung kultureller Aktivitäten bemisst sich zu großen Teilen an der Geschichte und der Geographie des Genres, die darüber entscheiden können, was als wahrhaft und real und was als falsch und unecht angesehen wird. Die Geschichte noch keines anderen musikalischen Genres ist bislang in solchem Umfang dokumentiert und beschrieben worden wie die von Rap-Musik. Neben wissenschaftlichen Monographien existiert mittlerweile eine Fülle akademischer Abhandlungen und publizistischer Erzeugnisse zum Thema, die durch unzählige Websites zur Entstehung und Ausbreitung von HipHop ergänzt werden. Selbst Texte, die sich mit speziellen Aspekten von HipHop beschäftigen, erklären in aller Regel in ein oder zwei Absätzen, was HipHop ist und wo HipHop aus welchen Gründen entstehen musste. Diese Beobachtung gilt nicht nur für den US-amerikanischen Kontext, sondern lässt sich auch in der Berichterstattung und Aufarbeitung in anderen Ländern beobachten. So legen beispielsweise Sascha Verlan und Hannes Loh „die Geschichte der einflussreichsten Jugendbewegung“

3 HipHop in Raum und Zeit

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vor (Verlan, Loh 2000, Umschlagsseite; eigene Hervorhebung), welche nach Unmutsäußerungen aus der Szene in Deutschland, einige der zentralen Orte und Akteure seien nicht benannt worden (Interview mit Cutmaster GB, Frankfurt, Mai 2002), nur wenige Jahre später durch ein ähnlich umfangreiches Werk ergänzt und erweitert wird (Loh, Güngör 2002, vgl. auch Verlan 2003, 80–85). Auch das deutschsprachige „HipHop-Lexikon“ versucht, „die Kultur wirklich umfassend und in all ihren Einzelheiten zu erfassen“, und fragt: „Wann ist das alles entstanden?“ (Krekow, Steiner, Taupitz 1999, 4). Als zentrale Fragen im HipHop verweisen Where are you from? und What time is it? auf dieses ausgeprägte historische, soziale und räumliche Bewusstsein. Geschichte kommt eine entscheidende Rolle für individuelle und gruppenbezogene Identifizierungen zu, indem sie Ideen und Wissen darüber liefert, wer für welche Positionen steht, wer welche Orte repräsentiert, wer welche Musik macht. Künstlern und Zuhörern wird es möglich, sich in einem historischen Kontinuum zu verorten, ihre eigene Position zu reflektieren und ihren Platz zu artikulieren. Offenkundig besteht ein Bedürfnis, die eigene Geschichte immer und immer wieder neu zu erzählen, sich seiner Ursprünge und Entwicklungslinien zu versichern und daraus Orientierung für Gegenwart und Zukunft abzuleiten. Die zentrale HipHop-Praktiken des Sampling, der elektronischen Speicherung, Verwertung und Rekontextualisierung zuvor aufgenommener Klänge, können als musikalischer Ausweis dieses historischen Bewusstseins verstanden werden. Die Bedeutung von Geschichte und Geschichtsschreibung im HipHop ist daher kaum zu überschätzen. Musik entsteht in der Gegenwart aus historischen Erfahrungen und dem Wissen über die Vergangenheit. HipHop ist, wie populäre Musik allgemein, „nichts, wenn nicht dialogisch, das Produkt einer fortwährenden historischen Konversation, bei der keiner das erste oder das letzte Wort hat“ (Lipsitz 1990, 99). Popmusik steht demnach im Austausch mit verschiedenen Narrativen, die von Künstlern, Hörern, Journalisten, Massenmedien und den Marketingabteilungen der Musikfirmen auf unterschiedliche Weise erzählt, perpetuiert und verändert werden. Diese Erzählungen stehen nie neutral nebeneinander, sondern sind eingebettet in Machtkonstellationen, welche die Möglichkeiten zur Positionierung entscheidend beeinflussen: Der Kampf um ‚die gute Platte‘ als Distinktionsstrategie von Konsumenten, um die genealogische Position eines ‚wahren‘ Vertreters von HipHop oder um den ‚Meilenstein in der Musikgeschichte‘ als Versuch, Musik zu bewerben, zu kanonisieren und möglichst hohe Absatzzahlen zu erzielen; all das sind Beispiele, wie unterschiedliche Ansichten und Interpretationen in die historischen Diskussionen um HipHop eingebracht werden. Die Suche nach dem konkreten raum-zeitlichen Ursprung, von dem aus sich die kulturellen Formen ausbreiten konnten, ist dabei von herausragender Bedeutung. Hier kann definiert werden, um welche Art von Projekt es sich bei HipHop in räumlicher, sozialer und politischer Hinsicht handelt. Und hier entscheidet sich, wie Räumlichkeit historisch und aktuell verhandelt werden kann. In diesem Kapitel soll geklärt werden, wo dieser Ursprungsort gefunden werden könnte und welche Implikationen mit dieser Suche verbunden sind. Zunächst wird davon aus-

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3 HipHop in Raum und Zeit

gegangen, dass insbesondere journalistische und wissenschaftliche Texte zur Bestimmung und diskursiven Verfestigung des einen Moments in Raum und Zeit beigetragen haben, der im Allgemeinen als Ursprung von HipHop gilt. Mit der Festschreibung der South Bronx in New York City als Ausgangspunkt werden Annahmen über bestimmte soziale, ethnische und politische Kontexte getroffen, die sich auf die weltweite Rezeption und Adaption auswirken. Seit Mitte der 1990er Jahre wird diese Standardnarrative durch alternative Arten der Geschichtsschreibung von HipHop nicht zuletzt außerhalb des USamerikanischen Kontextes erweitert und verfeinert. Das Herausarbeiten einiger zentraler Dimensionen dieser HipHop-Literatur leitet im zweiten Teil über in eine Diskussion um Prozesse, die auf unterschiedlichen, interdependenten Maßstabsebenen ihre geographische Bedeutsamkeit entfalten. Hier soll eruiert werden, welche Akteure und welche strukturellen Rahmenbedingungen für die Entstehung von HipHop als einem eigenständigen musikalischen Genre von Bedeutung waren und worin deren Einfluss auf Diffusion und Adaption außerhalb des lokalen Ausgangskontextes bestand. Der alltagsweltliche Bezug einzelner Akteure wird dabei ebenso thematisiert wie ausgewählte Aspekte der Entwicklung nordamerikanischer Großstädte, der Zusammenhang von Raum und Ethnizität sowie übergreifende wirtschaftliche Prozesse von Deindustrialisierung und technologischem Wandel. Ein dritter Teil versucht schließlich unter Rückgriff auf die geographischen Basiskonzepte von Innovation und Diffusion die raum-zeitliche Ausbreitung der kulturellen Formen anhand kartographischer Darstellungen auf nationaler und internationaler Ebene nachzuzeichnen. Die Abbildungen legen Muster offen, welche für das Verständnis der Transformation von Räumlichkeit im Laufe kultureller Übersetzung in den USA und in Deutschland unabdingbar sind.

3.1 The rap on rap music Ähnlich wie HipHop seinen Charakter und seine Anziehungskraft aus der Zusammenwirkung der vier Elemente bezieht, demonstriert die HipHop-Forschung Transdisziplinarität in Aktion. An ihr sind die Ethnologie und Soziologie, Literatur- und Sprachwissenschaft, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, Medien- und Erziehungswissenschaft beteiligt. (Androutsopoulos 2003, 13) [H]ip-hop doesn’t always feel the need to be validated by the academy. Hip-hop is for, by, and about the people, while the university assumes elitism. Hip-hop is about keeping it real and being true to experience while the university regards ‘realness’ and truth as mere social constructions. (Hsu 2003)

Die Publikationen zu HipHop im Allgemeinen und Rap-Musik im Besonderen sind seit vielen Jahren kaum zu überblicken. Hier wird fokussiert auf einen Ausschnitt von Publikationen aus dem angelsächsischen und deutschen Sprachraum, die sich mit der Sozialgeschichte von HipHop auseinandersetzen. Es handelt sich in keinem Fall um eine umfassende bibliographische Darstellung, sondern um ein Aufzeigen grober Argumentationslinien in einem Feld, dessen Eckpunkte durch die Koordinaten Kultur, Ökonomie, Politik, Ethnizität und Raum abgesteckt wer-

3.1 The rap on rap music

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den. Ergänzend erfolgt eine grobe Einordnung in disziplingeschichtliche und wissenschaftspolitische Zusammenhänge. Der etymologische Ursprung der Wortes HipHop verweist auf so unterschiedliche Dinge wie die Bezeichnungen eines Tanzstils („Hüftschwung“; Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 231), einer jugendlichen Tanzparty seit den 1940er und 1950er Jahren (Fernando 1994, ix), für manuelle Mix- und Spieltricks der Diskjockeys an den Plattentellern („Hip Hoppin’“; Kuster o.J.) oder für Ausrufe von wahlweise DJ Hollywood („to the hip-hop the hippy hippy hippy hippy hop and you don’t stop“, Fab Five Freddy 1992, 32) oder Lovebug Starski Mitte der 1970er Jahre (Small 1992, 11). Von Bedeutung für die Verbreitung des Begriffes war die rasche Übernahme im weiteren kulturellen Umfeld. KRS-One beispielsweise, ein prominenter Künstler, der seit Mitte der 1980er Jahre Platten veröffentlicht und sich selbst als philosopher oder teacher positioniert, sieht HipHop umfassend: Well, well, today hip-hop, we are advocating that hip-hop is not just a music, it is an attitude, it is an awareness, it is a way to view the world. So, rap music is something we do, but hip-hop is something we live. And we look at hip-hop in its nine elements; which is: breaking, emceeing, graffiti art, dee-jaying, beatboxing, street fashion, street language, street knowledge, and street entrepreneurialism – trade and business. And uhh, that’s where – y’know – that’s the hip-hop that we’re about. [...] All of this goes to the idea of living this culture out and taking responsibility for how it looks and and acts in society. (KRS-One: HipHop Knowledge [In the Paint/Koch, 2001])

Heute bezeichnet der Begriff HipHop häufig aktuelle Formen von Rap-Musik. Das englische to rap kann mit schlagen oder klopfen übersetzt werden und ist wohl seit dem 17. Jahrhundert in Gebrauch. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erlangte zunehmend die Wortbedeutung eines (rhythmisierten,) selbstbewussten Sprechens Geltung, das von Radio-DJs ebenso ausgeübt werden kann wie von Sängern oder Politikern. Im afroamerikanischen Sprachgebrauch wurde to rap ursprünglich von Männern benutzt, um weibliche Aufmerksamkeit zu erregen oder romantischsexuelle Interaktionen anzubahnen (Dalby 1972; Smitherman 2000a, 269). Seit den 1960er Jahren findet das Verb vor allem in subkulturellen Kontexten Verwendung und verweist auf den Austausch von Meinungen, (informelle) Kommunikation oder wohlwollende Übereinstimmung (Safire 1995). Ein Rap ist aber auch „vielleicht verbunden mit Schlagfertigkeit (repartee), vielleicht mit Bericht (rapport), vielleicht mit schnell (rapid)“ (Chapman 1987, 353). Als Genrebezeichnung setzte sich Rap-Musik erst in den 1980er Jahren gegenüber Breakbeat-Musik durch und wird bisweilen explizit zur Betonung eines afroamerikanischen Hintergrundes (Gilroy 1996, 107) oder zu Identifikation einer frühen Phase der musikalischen Entwicklung (Old School) gebraucht (Poschardt 1997, 153–154). Auch wenn die Bezeichnung HipHop im heutigen Sinne erst seit Ende der 1970er Jahre allgemein gebräuchlich ist, wird die Entwicklung einzelner kultureller Aspekte bereits seit Ende der 1960er Jahre publizistisch begleitet. Zunächst erfahren die sich aufgrund verbesserter Farbstift- und Sprühfarb-Techniken auf ganz New York City und die angrenzenden Bundesstaaten ausdehnenden Graffiti-Aktivitäten verstärkt Aufmerksamkeit. Neben mehreren journalistischen Beiträgen in Tages- und Wochenzeitungen innerhalb und außerhalb der USA

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3 HipHop in Raum und Zeit

(The New York Times, Time, New Society, vgl. Hager 1984, 13–27) sind es einzelne Arbeiten etwa von Linguisten (Kohl 1972) und Geographen, die sich dem Phänomen aus wissenschaftlicher Perspektive nähern. Ganz im Sinne einer frühen humanistischen Geographie interpretieren etwa die beiden Stadtgeographen David Ley und Roman Cybriwsky kurze Namens- und Schriftzüge auf Bauwerken und Fahrzeugen (graffiti tags) als lokale territoriale Markierungen und als „Indikatoren für Haltungen, Wahrnehmungsdispositionen und soziale Prozesse“ jugendlicher Gangs in Philadelphia (Ley, Cybriwsky 1974, 491). Die Berichterstattung über HipHop-Musik setzt 1979 mit dem Erscheinen erster Tonträger ein, die dem neuen Stil rap zugeordnet werden können. Kritiker wie Nelson George (zunächst vor allem im US-amerikanischen Musikindustriemagazin Billboard; vgl. auch George 1985) und Greg Tate (besonders in den New Yorker Wochenzeitungen Village Voice und SoHo Weekly News, vgl. Tate 1992) gehen dabei über eine simple Besprechung von Tonträgern hinaus und verorten HipHop-Musik als ghetto street culture innerhalb der soziopolitischen Kontexte einer ‚schwarzen‘, urbanen und jugendlichen Unterklasse. Zwar liegen bereits 1984 mit Publikationen von Steven Hager und dem britischen Musiker und Autoren David Toop zwei historische Darstellungen von HipHop und Rap-Musik vor (Hager 1984, Toop 1991), bis zu Beginn der 1990er Jahre sind es aber fast ausschließlich journalistische Beiträge, die sich dem Thema widmen. Wie stark das Interesse der Printmedien in diesen Jahren wächst, verdeutlicht eine bibliographische Zusammenstellung publizistischer Referenzen zu HipHop: Beschäftigen sich bis 1984 jährlich nicht mehr als 40 Artikel in überregionalen US-amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften mit Rap-Musik, so sind es 1990 bereits über 350 (McCoy 1992). Eine neue Generation von Autoren wie Harry Allen oder Michael B. Cooper entwächst direkt der HipHop-Szene und kann aus erster Hand berichten (Allah 2004). Parallel zum wachsenden Erfolg des Genres entstehen in einzelnen Städten Spezialmagazine und Newsletter, die häufig nur regional Verbreitung finden. Der Fokus auf einzelne Rap-Künstler und -Gruppen wie LL Cool J, Public Enemy oder Run DMC verdeutlicht seit Mitte der 1980er Jahre zudem die wachsende Kommerzialisierung der Musik und die zunehmend erfolgreiche Suche nach ‚Super-Stars‘. Mit provokativer Haltung und entsprechenden Samples verbuchen diese einen gewissen Erfolg bei Rockfans und gelangen damit bis auf Titelblätter und in die Hitlisten der etablierten Musikpresse. Angeheizt vor allem durch Kontroversen um einige gewalttätige Übergriffe bei Rap-Konzerten, die Zensurbestrebungen gegen Gewalt verherrlichende, sexuell explizite und Frauen verachtende Raptexte, einen unterstellten Zusammenhang von gewalttätigen Ausschreitungen (etwa die Aufstände in Los Angeles im April und Mai 1992) mit radikalen und radikalisierenden Äußerungen von Künstlern sowie die beiden Morde an 2Pac Shakur und The Notorious B.I.G. steigt das Medieninteresse zumindest bis Mitte der 1990er Jahre weiter an. Der Herausgeber einer Sammlung rapbezogener Artikel berichtet 1995 von 9.000 bis 10.000 Dokumenten, aus denen er auszuwählen hatte (Sexton 1995, 3). Anfang der 1990er Jahre erscheinen einige Interview- und Bildbände (etwa Beckman, Adler 1991; Eure, Spady 1991; Small 1992) sowie eine erste umfangreiche Sammlung von Liedertexten in gedruckter Form (Stanley 1992).

3.1 The rap on rap music

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Zusammen mit verschiedenen Lexika und Wörterbüchern, welche die Sprache des Rap als Sonderform des African American Slang ausweisen (Fab Five Freddy 1992, Stavsky, Mozeson, Reyes Mozeson 1995), werden die verbalen Äußerungen der Rapper damit einer (akademischen) Textanalyse auch für bislang Außenstehende zugänglich gemacht (Jacob 1997, 456–457). Ein Großteil von Forschenden und Lehrenden an Hochschulen, die sich HipHop aus sprachwissenschaftlichen, historischen und kulturwissenschaftlichen Perspektiven annähern, wächst bereits mit der Kultur auf. Die Arbeiten dieser ersten Generation von African American hip-hop scholars, zu der neben den beiden Historikern Tricia Rose (1994) und Robin Kelley (1996) etwa auch der Literaturwissenschaftler Russell A. Potter a.k.a. Professa R.A.P. (1995) gezählt werden können, lassen sich in der Tradition der Black Studies verorten. Diese entstehen, als vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Free Speech Movement und der ‚schwarzen‘ Bürgerrechtsbewegung ab Mitte der 1960er Jahre zunehmend Studierende ethnischer Minderheiten an die Universitäten drängen, die bis dato ein ruhiges und ‚weißes‘ Projekt darstellen. Die neue Hybridität an US-amerikanischen Universitäten bezieht sich aber nicht nur auf die ethnische Zusammensetzung der Studentenschaft, sondern auch auf die Etablierung einer neuen Weise wissenschaftlichen Arbeitens, die Houston Baker als spezifisch ‚schwarze‘ Art der Signifikation fasst, Stile zu mischen und Forschungen eine Synthese aus Kitsch und Retro, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde zu legen. Im Zuge der Bildungsexpansion und der Ausdifferenzierung des akademischen Fächerkanons im Laufe der 1970er Jahre gelingt es schließlich, die interdisziplinär angelegten Black Studies auch teilweise gegen den Widerstand universitärer Establishments institutionell zu etablieren und mit dauerhaften Stellen auszustatten (Baker 1993, 1–32). Die neuen ‚schwarzen‘ Intellektuellen mussten sich mit einer doppelten Außenseiterrolle auseinandersetzen, da sie sich sowohl außerhalb ihres sozialen Herkunftsmilieus als auch außerhalb der etablierten Wissenschaftslandschaft positionieren mussten (Lindner 2000, 90). Die akademischen Versuche, HipHop akademisch als spezifisch afroamerikanische Kulturform zu interpretieren oder ihr gar paradigmatische Bedeutung für das Verständnis sozialer, politischer und kultureller Erfahrungen einer Generation ‚Schwarzer‘ zuzusprechen, welche die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre nicht mehr aktiv miterlebt hat, geht auf diese Gruppe zurück (Boyd 2003; vgl. Kitwana 2004). In der ersten Hälfte der 1990er Jahre lassen sich Interpretationen von HipHop als Positionen innerhalb eines Kontinuums zwischen verschiedenen thematischen Dualitäten bestimmen: Some analysts see hip hop as a quintessentially postmodern practice, and others view it as a present-day successor to premodern oral traditions. Some celebrate its critique of consumer capitalism, and others condemn it for its complicity with commercialism. To one enthusiastic group of critics, hip hop combines elements of speech and song, of dance and display, to call into being through performance new identities and subject positions. Yet, to another equally vociferous group, hip hop merely displays in phantasmagorical form the cultural logic of late capitalism. (Rose 1994, 21–22)

Zunächst werden seit Ende der 1980er Jahre die theoretisch und methodologisch eng mit den Cultural Studies verbundenen Popular Music Studies sowie die Kul-

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3 HipHop in Raum und Zeit

tursoziologie, Anthropologie, Kommunikations- und Musikwissenschaften im angelsächsischen Sprachraum auf Rap-Musik aufmerksam. Dabei folgt die methodologische Ausrichtung der Kulturanalyse zunächst den erprobten Modellen, die bereits für Blues- und Rockmusik Anwendung fanden und die Rap als zeitgenössischen musikalischen Ausdruck innerhalb einer Tradition ‚schwarzer‘ populärer Kultur sehen. Der wachsende kommerzielle Erfolg von Rap-Musik, welcher zunehmend durch eine ‚weiße‘, häufig bereits erwachsene Käuferschicht außerhalb der US-amerikanischen Innenstädte getragen und in geringerem Maße auch durch steigende Absatzzahlen außerhalb der USA unterfüttert wird, regt die Einbindung von HipHop in kulturwissenschaftliche Fragestellungen zum Verhältnis von (‚schwarzer‘) künstlerischer Kreativität und (‚weißer‘) kommerzieller, sich globalisierender Kulturindustrien an (George 1990; Garofalo 1994; Cashmore 1997). Es ist aber vor allem die Wucht der politischen Botschaften, die eine Wiederbelebung der akademischen Diskussionen um den Zusammenhang von Ethnizität und Kultur sowie von Sozialstruktur und Lebensstil erzwingt. Diese kulturellen Politiken beziehen sich beispielsweise auf die Machtverhältnisse innerhalb kulturindustriell vermittelter Produktion und Konsumtion, auf sozioökonomische, ethnische und geschlechterspezifische Ungleichheiten beim Zugang zu Ressourcen oder auf Selbstentwürfe von Individuen und Gruppen in urbanen Kontexten (Lusane 1993). So gewinnt Anfang der 1990er Jahre auch die Interpretation von HipHop als jugendlicher Subkultur an Bedeutung, wobei Rap-Musik als subversive, zunehmend von Kommerzialisierung bedrohte Form kulturellen Ausdrucks gewertet wird (Berry 1990; Blair 1993; Fenster 1995a). Konzipiert als exotisiertes Anderes des weißen Mainstream-Rock und des Pop wird Rap-Musik in eine lange historische Kontinuität genuin ‚schwarzer‘ musikalischer Traditionen eingeordnet, die während der Zeit der Versklavungen von Afrika nach Amerika transportiert worden seien (George 1992a). Ausgehend von Bildern und Schilderungen eines verfallenden, zu großen Teilen unbewohnbaren Stadtteils, dessen Bevölkerung überwiegend ethnischen Minoritäten angehört und dessen jugendliche Bewohner zu großen Teilen in gewaltbereiten Gangs ihrem kleinkriminellen Tagewerk nachgehen, rücken spezifische urbane Räume als Basis dieser kulturellen Produktion in den Mittelpunkt. Der raum-zeitliche Ursprung von Rap-Musik wird in den südlichen Teil des New Yorker Stadtbezirks Bronx während der 1970er Jahre gelegt. HipHop stammt, folgt man dieser Argumentation, aus dem ‚schwarzen Ghetto‘ der South Bronx, eine nach ethnischen Merkmalen segregierte und systematisch verarmte Lokalität in New York City. Der Stadtteil ist geprägt durch ökonomischen, sozialen und städtebaulichen Niedergang (Berman 1997): wachsende Armut einer städtischen Arbeiterschicht, deren Jobs sich durch Prozesse der Deindustrialisierung mehr und mehr reduzieren, die Flucht von Haushalten der Mittelschicht nach Suburbia, einschneidende Bauprojekte im Rahmen groß angelegter Programme der Stadterneuerung (urban renewal). Die Akteure von HipHop sind hier jugendliche ‚Schwarze‘, die sich von ihrem bisherigen Gangleben abwenden und ihren Existenzkampf nun in friedliche, subkulturelle Praktiken des HipHop projizieren konnten.

3.1 The rap on rap music

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Bis weit in die 1990er Jahre wird der Großteil der Studien zu HipHop und RapMusik im und für den US-amerikanischen Kontext verfasst. Die wenigen Darstellungen von HipHop außerhalb Nordamerikas (etwa Jones 1994, 105–113; Bernard 1995; McGregor 1998; Haskins 2002, 101–114; Henderson 2003) zeichnen sich häufig durch eine Auswahl von Künstlern und Szenen aus, die in der jeweiligen nationalen Perspektive als eher unbedeutend und nicht repräsentativ wahrgenommen werden. Der Australier Tony Mitchell unterstellt diesen Autoren eine Tendenz, Rap-Produktionen aus Europa, Südostasien, Australien oder Afrika als Abkömmlinge spezifisch afroamerikanischer kultureller Formen zu begreifen, die einer Bewertung nach Maßstäben US-amerikanischer Musik bedurften. Er identifiziert dabei in anti-amerikanischer Diktion gar einen „vorherrschenden kolonialen Blick auf HipHop als einer US-eigenen musikalischen Subkultur“ (Mitchell 2001a, 11; vgl. auch Mitchell 1996, 36–39). Dahinter steht, so Mitchell, die kulturökologische Annahme, HipHop-Produktion sei das Ergebnis des Abarbeitens einer einheitlichen sozialen oder ethnischen Gruppe – der Afroamerikaner – an ihrer autochtonen Umwelt – den innerstädtischen Ghettos US-amerikanischer Großstädte. Die Spezifität des konkreten Lokalen und Historischen werden zum universellen Bewertungsmaßstab von HipHop. Die vielen Attribute und Details des lokalen Entstehungsortes verdecken den Blick auf geschichtliche Kontinuitäten und strukturelle Zusammenhänge auf anderen Maßstabsebenen. Wenn die Analyse bei dieser Form der räumlichen Repräsentation stehen bleibt und HipHop als ortsgebundene Musik fasst, die als black thang das Leben und Denken nur einer ethnischen Gruppe reflektiert, so fällt sie auf eine homologisierende Perspektive zurück, durch die Mobilität und Adaption musikalischer Formen ausgeblendet werden (Leyshon, Matless, Revill 1998b, 18–19). Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Suche nach den ‚Gründervätern‘ von HipHop (George 1993 in The Source, einem überregional und transnational bedeutenden New Yorker magazine of hip-hop music, culture & politics), die Definition bedeutender HipHop-Ereignisse in den USA (Dennis 1993) sowie die Etablierung von Kanons der besten (oder bestverkaufenden) Platten, die – durchgängig in den USA veröffentlicht – in keiner Sammlung fehlen dürfen (etwa Nelson, Gonzales 1991, 297; Black & white beatz 1999, 22–24). Hier ist die Imitation der journalistischen Geschichtsschreibung von Rock-Musik offenkundig, die häufig mehr über die Distinktionsstrategien der Autoren aussagt als über musikalische Qualität und Bedeutung der Werke (Jacob 1998, 39–40; vgl. Negus 1999a, 140–160). Am Ende steht hier die Installation eines hegemonialen Rap-Diskurses durch hip-hop scholars. Weiter verfestigen konnte sich die Standardnarrative der Entstehung von HipHop dadurch, dass die spärliche und zeitverzögerte Rezeption außerhalb der USA HipHop zunächst hauptsächlich als US-amerikanisches, ‚schwarzes‘ und subkulturelles Projekt wahrgenommen und verhandelt hat. Erst Ende der 1980er Jahre wächst auch außerhalb der USA zunächst das journalistische, wenig später auch das wissenschaftliche Interesse an HipHop. In Westdeutschland setzt nach frühen Reportagen aus New York City in der Musikzeitschrift Sounds (Keller 1981a und 1981b) und einigen Berichten über Breakdance und Rap-Musik in den

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3 HipHop in Raum und Zeit

Jugendzeitschriften Bravo und Pop Rocky in verschiedenen Lifestyle-, Stadt- und Musikmagazinen wie der Hamburger Network Press die Berichterstattung ab etwa 1987/88 ein. Mit einem HipHop-Special beginnt eine regelmäßige Abdeckung von anfangs vor allem US-amerikanischen HipHop-Themen mit Interviews und Plattenbesprechungen in der in Köln herausgegebenen Spex (Big beats 1988). Diese Musikzeitschrift steht in einer Tradition, die im stilistischen Bruch der PunkMusik Ende der 1970er Jahre eine neue Motivation für Musikjournalismus erkannte und Vertreter wie beispielsweise Rainald Goetz, Olaf Dante Marx, Diederich Diederichsen oder Günther Jacob mit hervorgebracht hat. Aus Sicht sowohl eines Fans als auch eines Kulturanalytikers schreiben diese Autoren in der ersten Hälfte der 1990er Jahre Artikel und Bücher, die sich an Vorgaben aus den USA orientieren und die Entstehung und Geschichte von HipHop-Musik entsprechend als ‚schwarzes‘, urbanes und subkulturelles Projekt thematisieren. Gleichzeitig gelingt es, Fragen nach der Rezeption und Adaption von HipHop im europäischen Kontext zu stellen und zu einer nicht-essentialistischen Sichtweise auf HipHop beizutragen (Diederichsen 1993a; Jacob 1993). Auch die Entwicklungen einer Szene in Deutschland und ihr Verhältnis zur Geschichte des US-amerikanischen HipHop werden dabei mehr und mehr thematisiert. Neben diesen nicht-institutionalisierten Pop-Intellektuellen mit einem betont anti-akademischen Gestus und dem Anspruch, Wissen möglichst unabhängig in Magazinen zu vermitteln oder über kleinere Verlage zu vertreiben, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre mit der Etablierung der akademischen Disziplin Cultural Studies auch an deutschsprachigen Universitäten ein Akademiker neuen Typs herausgebildet. Die neuen Kulturwissenschaften bedürfen eines Personals, das sich zugleich als Fan, Kulturanalytiker und Popstar positionieren kann und dessen „auctoritas im Feld der Cultural Studies durch die Homologie von Thema und Person hergestellt wird“ (Lindner 2000, 108). Dadurch verschränken sich Kulturanalyse und Kulturproduktion zusehens. Auch Arbeiten zu HipHop zeugen von dieser Homologie sowie von einer zunehmenden gegenseitigen Beeinflussung journalistischer und kulturanalytischer Herangehensweise (etwa Holert, Terkessidis 1996). Allgemein vollzieht sich ein Paradigmenwechsel in den Kulturwissenschaften von einer traditionell eher biologisch-evolutionistischen Sichtweise hin zu kulturell-relativierenden Analysen der Beziehungen zwischen Kultur und sozialem Wandel (Holert 1995). Ein frühes Beispiel ist eine von Anglisten und Amerikanisten herausgegebene Anthologie, die deutsch- und englischsprachige Arbeiten unter anderem zu afroamerikanischer Geschichte, zum Sprachgebrauch im Rap sowie zu aktuellen Tendenzen im US-amerikanischen HipHop enthält (Karrer, Kerkhoff 1996). Rap wird hier als politische Ausdrucksform interpretiert, die es vor allem Minderheiten ermöglicht, sich zu artikulieren. Dies gelte vor allen Dingen für marginalisierte Gruppen in verschiedenen Ländern der Welt, die Rap kulturell erweiterten, ohne seine Wurzeln zu verleugnen. In dieser Interpretation wird HipHop als jugendliche Subkultur durch die kommerzielle Vereinnahmung einer globalen Musikindustrie bedroht (Karrer 1996). Dieses Themenspektrum wird bis in die Gegenwart im deutschsprachigen Raum erweitert um (Feld)Studien etwa zu Performanz und Repräsentation vor allem von Jugendlichen,

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deren Eltern nach Deutschland migriert waren, um sprach- und literaturwissenschaftliche Analysen sowie um Studien zum Geschlechterverhältnis im HipHop (Verlan 2000; Kaya 2001; Menrath 2001; Androutsopulous 2003b; Klein, Friedrich 2003). HipHop-Sprache und -Musik fließen zunehmend auch in schulpädagogische Literatur ein (Schudack 1996; Loh, Verlan 2000). Zugleich steigt die Zahl der Berichte in den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen langsam an und stabilisiert sich im Laufe dieses Jahrzehnts auf einem im Vergleich zu Rockmusik eher niedrigen Niveau. Kommerzielle HipHop-Magazine wie Juice oder Backspin erzielen hohe Reichweiten im deutschsprachigen Raum und widmen sich, gerahmt von Anzeigen der Plattenfirmen und Bekleidungshersteller, musikalischen Neuerscheinungen und Interviews mit Rap-, Graffiti- und Breakdance-Künstlern. Seit den späten 1990er Jahren erscheinen einige wissenschaftliche Aufsätze zu HipHop in Deutschland auch im angelsächsischen Raum, welche die Geschichte teils exemplarisch an einzelnen städtischen Szenen, teils anhand einzelner sozialer Gruppen aufarbeiten (Cheeseman 1998; Elflein 1998; Bennett 1999; Pennay 2001; Kaya 2002; Templeton 2006).

3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung HipHop ist die Musik einer allgegenwärtigen Segregation auf allen Ebenen [...]. Und es ist die einzige Musik, die manchmal diese Segregation überspringt. (Diederichsen 1993a, 11)

HipHop entsteht in den Vereinigten Staaten während der 1970er Jahre in einer Phase sozialer und ökonomischer Umbrüche, die sich auf unterschiedlichen, interdependenten Maßstabsebenen auf die Alltagswelten einzelner Akteure auswirken. HipHop ist zugleich Träger, Symptom und Resultat dieser Umbrüche. Konnte die ‚schwarze‘ Bürgerrechtsbewegung während der 1960er Jahre zumindest formal eine Gleichstellung mit der ‚weißen‘ Mehrheitsbevölkerung erstreiten, sind die Folgejahre geprägt durch ein Wiederaufleben rassistisch motivierter Benachteiligungen von ethnischen Minderheiten etwa bei der Vergabe von Wohnraum und Arbeitsplätzen, im Schulwesen oder in der Strafverfolgung. Die Hoffnungen auf Beseitigung sozialer Missstände durch räumliche Desegregation und sozioökonomischen Aufstieg breiter Bevölkerungsschichten werden in den 1970er und 1980er Jahren weitgehend enttäuscht. Vielmehr kommt es zu einer (Re-)Segregation entlang sozioökonomischer Linien jenseits ethnischer Zugehörigkeit. Der grundlegende ökonomische Wandel von einer auf Güterproduktion und -konsumtion ausgerichteten Wirtschaftsweise hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft setzt nicht nur eine große Zahl von Arbeitskräften frei, sondern hat in vielen Städten die unumkehrbare Erosion der industriellen Basis zur Folge. Die Verarmung trifft dabei aber nicht nur einzelne Angehörige der Arbeiterschicht, sondern wirkt sich nachhaltig negativ auf die kommunalen Haushalte der Großstädte aus. Diese Deindustrialisierung der Stadtökonomien trifft zusammen mit einem Globalisierungsschub, in dessen Rahmen zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte Produktionsstandorte in großem Stil verlagert werden. Eine neue internationale Arbeitsteilung ermöglicht die Relokation arbeitsintensiver Produktion und Montage in so genannte Billiglohnländer und setzt Arbeitskräfte,

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Industriestandorte und ganze Nationalökonomien einem wachsenden Wettbewerbsdruck aus. Im kulturellen Bereich ermöglichen die anwachsenden Waren-, Informations- und Migrationsströme einen stärkeren Austausch von Traditionen und stilistischen Einflüssen auf internationaler Maßstabsebene. Was sich als lokale Subkultur in New York City in den 1970er Jahren entwickelt hat, kann bereits nach wenigen Jahren als globale kulturelle Strömung verstanden werden. Im Folgenden werden sechs Dimensionen herausgearbeitet, die vor diesem allgemeinen Hintergrund als entscheidend für die Entstehung und Entwicklung von HipHop erachtet werden. Jede dieser Dimensionen eröffnet eigene komplexe Geschichtlichkeiten und Räumlichkeiten. Zunächst rekurriert das Konzept von Oralität in Abgrenzung zu Literalität auf als spezifisch ‚schwarz‘ konzeptualisierte Praktiken der Kommunikation, welche sich im Laufe einer Geschichte von Unterdrückung, Gewalterleben und räumlicher Dispersion erhalten und immer wieder erneuern konnten. Die Perspektive einer ‚schwarzen‘ Diaspora wirft aber Fragen auf nach Essenz und Authentizität spezifisch ethnischer Erfahrungen und verbalmusikalischer Ausdrucksweisen in einer schon immer sozial vernetzten Welt. Die neuen Formen der Artikulation werden nicht zuletzt durch elektronisch gestützte Technologien vermittelt oder gar erst ermöglicht. Vor dem Hintergrund des lokalen urbanen Kontexts in New York City erlangen die Fertigkeiten einzelner Akteure, mit Technologien und musikalischen Artefakten kreativ umzugehen, zentrale Bedeutung. Die rasche räumliche Ausbreitung von HipHop-Musik war von Beginn an verbunden mit kommerziellen Überlegungen der einzelnen Akteure sowie mit marktstrukturierenden geographischen Abgrenzungen. Als eine grundlegende Voraussetzung der Verbreitung innerhalb der USA wie außerhalb soll auch die musikindustrielle Organisation der Produktion und Distribution von HipHop seit Ende der 1970er Jahre beleuchtet werden.

3.2.1 Oralität und Literalität Die Bezeichnung Rap unterstreicht die im Vergleich zu anderen Formen populärer Musik herausragende Stellung von Sprache im HipHop. Rap als rhythmisiertes Sprechen zu Musik ist keine Entwicklung, die sich erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vollzog, sondern der vorläufige Endpunkt einer langen Tradition ‚schwarzer‘ Sprachpraxis: Over a period of nearly four hundred years, the artful use of words has evolved into a variety of speech genres within the African-American community. These genres include the creation of plantation tales, work songs, and unique preaching styles; the telling of rhyming jokes, riddles, singing games, and jump-rope rhymes; and the use of more creative rhetorical devices such as sounding, woofing, jiving, signifying, rapping, playing the dozens, telling toasts, boasting, and bebop talk. (Stephens 1991, 25)

Diese Genealogie reicht historisch mehrere Jahrhunderte zurück und verweist auf Diffusions- und Adoptionsprozesse in Raum und Zeit. Ein Ursprung wird im westafrikanischen Savannengürtel im Gebiet der heutigen Staaten Senegal, Ghana

3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung

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und Nigeria verortet, wo sich (semi-)professionelle Sänger und Geschichtenerzähler – die Griots – als eigene Kaste innerhalb traditioneller Gesellschaften etablieren konnten. Einige dieser Barden standen im Dienst von Feudalherren, andere reisten umher, sammelten neben aktuellen Nachrichten und Gerüchten auch historische Informationen über die Familiengeschichte von Stammesoberhäuptern und gaben dieses Wissen als eine Mischung aus lebendem Geschichtsbuch, mündlicher Zeitung und aktuellem Kommentar musikalisch und verbal wieder (Toop 1991, 31–32). Einerseits konnten diese räumlich mobilen Bewahrer historischen Wissens durch die geschickte Verwendung und Manipulation von Informationen ein gewisses Maß an Macht und Nimbus erwerben, andererseits blieben sie Teil einer tendenziell entankerten und unterprivilegierten sozialen Schicht. Mit ihrer prekären Stellung als gleichermaßen gefürchtete, geächtete und geachtete Musiker und in ihrer Funktion als Träger und Fortentwickler von Geschichte und Geschichten lassen sich die Griots als Vorgänger ‚schwarzer‘ Rapper in den Vereinigten Staaten reklamieren. Eine andere Spur weist zurück auf die Mythologie des Yoruba-Reiches in den heutigen Staaten Nigeria und Benin, die mit Èsù eine Figur hervorgebracht hat, welche als trickreiche und wortgewandte Vermittlerin zwischen profaner und göttlicher Welt auftritt. Èsù ist der göttliche Linguist, der meisterhafte Interpret des göttlichen Willens und der Überbringer menschlicher Wünsche an die Götter. Als charakteristisch für seine Handlungen und Äußerungen gelten Magie, Unbestimmtheit, Unbegrenztheit, Ungewissheit, Zufall, Satire, Individualität, Sexualität, Zerrissenheit und Einklang, Betrug und Loyalität, Verhüllung und Enthüllung, Solidarität und Bruch (Gates 1988, 6). Diese Charakteristika widersprechen sich nur scheinbar, sie sind Teil einer Ganzheit der Figur, die am Schnittpunkt zweier Welten schlau und redegewandt operiert. Es ist üblich, diese orale Tradition in Abgrenzung zu schriftlich vermittelter Kultur zu fassen. Ein entscheidender Unterschied der beiden Pole ist die Art und Weise, wie Informationen gespeichert und wiedergegeben werden. Indem literarische Kulturen Informationen schriftlich fixieren und durch eine visuelle Präsenz zugänglich machen, ist eine Überlieferung in Raum und Zeit unabhängig von einzelnen Personen möglich. Informationen und bestimmte Wissensbestände werden durch Schrift überindividuell archivier- und recherchierbar. Orale Kulturen hingegen bedürfen einer kontinuierlichen Übermittlung dieser Bestände durch ihre Träger, einer direkten, personalisierten und performativen Darbietung des Gewussten. Wissen ist hier in Körpern und Gedächtnissen gespeichert. Das Memorieren erfolgt insbesondere durch den Gebrauch von Betonungen, Rhythmen, Reimen, Sprichwörtern und Wiederholungen, die formelhaft zu bestimmten Gelegenheiten und Ritualen rasch erinnert und mündlich wiedergegeben werden können (Ong 1987, 37–41). Im nordamerikanischen Kontext kommt dem Gegensatz zwischen oraler und schriftlich vermittelter Tradition eine besondere Bedeutung zu. Mit der Verschleppung von afrikanischen Sklaven in die Neue Welt seit dem 17. Jahrhundert traf deren orale Kultur auf die dominante andere Kultur des literarischen, ‚weißen‘ und europäischen Amerika. Aufgrund der rigiden Unterdrückung und der gewalt-

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samen Christianisierung afrikanischer Sklaven durch ihre Halter konnten die oralen Traditionen zunächst hauptsächlich in religiösen Ritualen und Gesängen überleben. Prediger und Gläubige übten sich bei Gospels und Spirituals im Gebrauch doppeldeutiger Anspielungen auf ihre Peiniger und die angestrebte Befreiung. Im Laufe der Zeit vermischte sich das Standard-Amerikanisch mit linguistischen Mustern westafrikanischen Ursprungs, und es entwickelte sich eine spezifisch afroamerikanische Form der Verwendung der englischen Sprache. Dieses black vernacular konnte sowohl als Sprache des Widerstands gegenüber der ‚weißen‘ Mehrheitsgesellschaft funktionieren als auch kulturelle und ethnische Identität innerhalb der ‚schwarzen‘ Bevölkerung stiften (Levine 1977; Köhlings 1995). Damit gelang es der marginalisierten Bevölkerungsgruppe, ihr symbolisches Wissen zumindest rudimentär zu bewahren, über Generationen hinweg weiterzugeben und auf der Basis ähnlicher Erfahrungen eine ‚schwarze‘ Diaspora zu begründen (vgl. Kapitel 3.2.2). Auch nach der Emancipation Proclamation von 1863 zur Befreiung aller Sklaven verbesserte sich die soziale und ökonomische Situation der rund viereinhalb Millionen ‚Schwarzen‘ im agrarisch geprägten Süden der Vereinigten Staaten nicht. Als im Zuge des Ersten Weltkriegs der Bedarf an Arbeitskräften in den Industriestädten des Nordens anstieg, wanderten bis Ende der 1920er Jahre rund zwei Millionen African Americans nach Detroit, Chicago, St. Louis oder New York, um dort eine neue Anstellung zu finden (Jones 1994, 27–28). Im Zuge dieser großen Wanderungsströme erreichten die musikalischen und verbalen Praktiken des Blues und des Jazz die Städte des Nordens, wo in den Folgejahren neue Stile und Subgenres entstanden. So entwickelte sich die vokale scat-Tradition, welche die Stimme als ein eigenständiges Instrument präsentiert, aus den Spirituals und dem New Orleans Jazz des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und fand mit Louis Armstrong und Ella Fitzgerald prominente Vertreter. Der Kapell- und Zeremonienmeister (Master of Ceremony) Cab Calloway erschuf mit dem jive-scat gar eine Art Kauderwelsch, welches, stark vom reimenden Slang beeinflusst, zur Einführung nachfolgender Künstler gegen den musikalischen Hintergrund seines Orchesters gesungen und gesprochen wurde (Toop 1991, 36– 37). In den 1940er und 1950er Jahre griffen auch populäre, meist ‚schwarze‘ Radio-DJs mit Namen wie Dr. Jive oder the Chief Rocker diese Sprechpraktiken auf und reimten während oder zwischen einzelnen Musikstücken ihre Kommentare oder kurze Nachrichten live auf Sendung (Jones 1994, 30). Schließlich stehen auch die Soul Raps in dieser oralen Tradition. Basierend auf den Gospel-Songs des Südens stellen Soul und Funk in den 1960er und 1970er Jahren intime, fast religiöse Verbindungen zwischen Sängern und Zuhörern her, die auch in den städtischen Zentren des Nordens von Emotionalität und Spiritualität zeugen. So verkörpert James Brown, der Soul Brother Number One, für den Musikhistoriker David Toop „die mit Abstand deutlichste Verbindung zwischen dem Bezeugen im Soul (soulful testifying) und der Poesie der Bronx“ (Toop 1991, 53). Im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre formierten sich in den Vereinigten Staaten zwei politische Grundpositionen hinsichtlich einer anhaltenden, systematischen Benachteiligung der ‚schwarzen‘ Bevölkerung.

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Während eine bürgerliche Strömung unter der Führung von Martin Luther King die christlich fundierten, demokratischen, republikanischen und egalitären Idealen propagierte und letztendlich eine kleine ‚schwarze‘ Mittelschicht hervorbringen konnte, setzte sich eine radikalere Version für den kollektiven Befreiungskampf gegen die Unterdrückung ein. Hier waren es vor allem jüngere Mitglieder einer ‚schwarzen‘ Arbeiterschicht, die teilweise unter Rückgriff auf marxistische Theorien oder auf eher wirre und eklektische Ansichten der Sekte Nation of Islam einen separatistischen, ‚schwarzen‘ Nationalismus propagierten. Eine wichtige Organisation war von 1966 bis zu ihrer vollständigen Zerschlagung durch die Bundespolizei im Jahre 1970 die in Oakland, Kalifornien gegründete Black Panther Party (for Self Defense). Die Ausrichtung dieser militanten, in verschiedenen Großstädten organisierten Bewegung wandelte sich im Laufe ihres Bestehens von einem kulturellen Nationalismus zu einem Marxismus-Leninismus, welcher Rassendiskriminierung, ethnische Segregation, schlechte Bildungschancen, Armut und eskalierende Gewalt in den Städten der Vereinigten Staaten in direkten Zusammenhang mit dem (weltweiten) kapitalistischen Produktionsregime brachte. Vor diesem Hintergrund etablierten sich Autoren und Poeten wie The Last Poets, The Watts Prophets oder Gil Scott-Heron, welche die Zustände in den ‚schwarzen‘ Ghettos literarisch zu dokumentieren und zu radikalisieren suchten. Stücke wie White Man’s Got a God Complex oder The Revolution Will Not Be Televised wurden als Mischung aus Poesie, ‚schwarzer‘ Alltagssprache und politischem Kommentar vorgetragen und waren in der Regel mit Trommel oder Bass musikalisch untermalt (Rose 1994, 55; Lindemann 2003). Politische und religiöse Führer wie Martin Luther King, Malcolm X oder Louis Farakhan sind neben den Straßenpoeten bis heute wichtige Bezugspunkte für Rapper in den Vereinigten Staaten. Ihre Ansprachen, Reden, Gedichte und Lieder zählen zum häufig genutzten Klangarchiv von HipHop-Musik (Jacob 1993, 63–68; Jones 1994). Der Wandel von Poesie zu HipHop allerdings vollzog sich erst, als Rapper nicht nur musikalisch begleitet wurden, sondern deren Stimme mit den restlichen Klängen der Musik dynamisch interagierte (Walser 1995, 204). Sprache und Sprachvirtuosität genießen innerhalb der ‚schwarzen‘ Gemeinschaft bis heute besondere Wertschätzung (Kage 2002, 18–24). In ihrer aktuellen Form zeichnen sich diese linguistischen Praktiken unter anderem aus durch ein spezifisches Vokabular, syntaktische Besonderheiten, eigene tonale Semantiken, Signifikation und die Charakteristika einer sequentiellen Erzählung des Konkreten (Keyes 1984; Buß 1996; Karrer 1996; Smitherman 2000a). Zu den bekanntesten grammatikalischen Eigenheiten des African American English zählt der Gebrauch des Verbes to be in der Grundform, um kontinuierliche oder unterbrochene Wiederholung anzuzeigen, etwa in The sista be lookin‘ fly. Soll dagegen auf einen statischen Zustand hingewiesen oder eine ewige Wahrheit unterstrichen werden, wird auf dieses Verb häufig ganz verzichtet (This my brother). Andere Eigenheiten umfassen zum Beispiel den Einsatz von go, um Futur anzuzeigen oder den Gebrauch von they anstatt their als besitzanzeigendes Fürwort. Einzelne Buchstaben werden häufig ganz weggelassen oder durch andere ersetzt (nigga statt nigger oder flowin statt flowing).

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Ein prominentes Beispiel für die Zuweisung einer neuen Wortbedeutung ist bad, das im afroamerikanische Sprachgebrauch eben nicht schlecht bedeutet, sondern im Gegenteil good oder exceptional. Im Kontext von Rap-Musik wurde bad seit den 1980er Jahren mehr und mehr durch Worte wie def, dope oder phat (fat) abgelöst, um auf etwas Außergewöhnliches hinzuweisen (Fab Five Freddy 1992). Die sprachliche Inversion oder das flippin’ the script konnotiert das despektierliche, biologistisch aufgeladene Wort nigger als nigga(z) positiv, im Sinne von bester Freund oder Mitglied der eigenen sozialen Gruppe. Nigga wird beispielsweise auch dazu verwendet, kulturell verwurzelte von kulturell assimilierten Afroamerikanern zu unterscheiden. Wenn beispielsweise N.W.A, eine Rap-Formation aus Compton, Los Angeles, ihr Album von 1991 EFIL4ZAGGIN nennen (niggaz 4 life rückwärts gelesen), so tun sie das auch aus kulturellem Stolz und zur Affirmation ihrer Herkunft aus dem ‚schwarzen‘ Ghetto (Smitherman 2000a, 281). Diese und andere Abweichungen vom Standardgebrauch werden zusätzlich durch divergierende Betonungen bestimmter Silben erzeugt, welche die Worte in den rhythmischen Vortragsfluss einbetten. Wiederholung einzelner Buchstaben, Silben oder Worte finden ebenso Verwendung wie die Sprachform der Alliteration. Die resultierenden Rhythmusmuster besitzen dabei musikalische Qualitäten und betonen in der Regel stärker den Wortklang als die Wortbedeutung. Die Erzählform wird als typische Eigenschaft des African American English identifiziert. Alltagsgespräche tragen häufig narrativen Charakter, wenn der Sprecher versucht, seinen eigenen Punkt durch allgemeine Beobachtungen und Lebensweisheiten deutlich zu machen. Die inhaltliche Fokussierung auf die reale Welt der Alltagserfahrungen und auf eine gemeinsame, tradierte Wissensbasis ermöglicht die Identifizierung der Zuhörer mit dem Sprechenden und umgekehrt. Die Klammer zwischen Interpret und Publikum wird durch Ruf / Antwort-Muster der Kommunikation verstärkt. Hier wechselt die Solostimme des Sprechers mit Äußerungen der Zuhörer ab, oder beide vermischen sich. Die Grenzen zwischen Hörer und Sprecher, zwischen Konsument und Produzent verwischen, als der Einzelne Teil eines artikulierenden Kollektivs wird. Diese orale Tradition findet sich typischerweise bei sakralen Sprachpraktiken im ländlichen Süden der Vereinigten Staaten. In einer eher informellen Art des Gottesdienstes werden Aussagen des Geistlichen oder eines Vorsängers durch spontane, emotionale Zurufe der Gläubigen oder des Chors begleitet. Auch im säkularen Sprachgebrauch ist dieser Ruf / Antwort-Modus weit verbreitet. In einer im Vergleich zum sakralen Gebrauch emotional eher zurückhaltenden Art finden sich solche Muster auf politischen Veranstaltungen etwa der Bürgerrechtsbewegung, in der coolness der Alltagssprache oder in (Live-)Musikstücken, wenn die Zuhörer ihre Antwort auf eine Aussage des Sprechers oder Sängers in der Form Oh yeah, nigger, Git it up oder Go ahead, brother manifestieren (Smitherman 2000b). Die Spontaneität, mit der diese Kommunikation stattfindet, kann als ein weiteres Charakteristikum des African American English angesprochen werden. Die Performanz der Sprecher beruht zu großen Teilen auf Improvisation, die sich direkt aus der Interaktion zwischen den beteiligten Personen ergibt. In diesem Sinne ist Kommunikation als Prozess zu verstehen. Die Äußerungen sind weder

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geplant noch beliebig, sondern re-agieren kontextsensitiv und kreativ auf die Präsenz des Gegenübers. Diese Unmittelbarkeit verhindert allerdings nicht das Zitat. In den ‚schwarzen‘ Erzählungen etwa der Rapper finden sich ganz bewusste Verbindungen zu literarischen und musikalischen Vorläufern, was eine künstlerische Kontinuität wahren will und als Perpetuierung des kulturellen Gedächtnisses interpretiert wird (Gates 1988). Die Praktiken des ‚schwarzen‘ Sprachmodus lassen sich unter dem Begriff Signifyin(g) fassen, für Henry Louis Gates „die schwarze Trope für alle anderen Tropoi, die Trope der Tropoi, die rhetorische Figur aller Figuren“ (Gates 1988, 81). Signifying bezeichnet allgemein rhetorische Spiele, in denen es um die Revision formaler Strukturen in der Wiederholung geht. Das ‚schwarze‘ signifyin(g) versucht, über Anspielungen, Andeutungen und Implikationen Worte aus der Eindeutigkeit des ‚weißen‘ Sprachgebrauchs zu reißen und ihnen im eigenen Sprachkontext Bedeutungen in Differenz zu schon Vorhandenem zuzuweisen. Signifyin(g) ist entstanden aus der Entfremdung der ‚Schwarzen‘ und ihrer Sprachtradition während der Verschleppung und Unterdrückung als Sklaven. Es geht dabei um die (parodistische) Nachahmung der aufgezwungenen Sprache der Unterdrücker, welche sich dem Sprachverständnis und -gebrauch der Mehrheitsgesellschaft entzieht. Man sagt etwas anderes, als man meint. Als eine Art Geheimsprache der Unterdrückten war und ist diese Sprache metaphorisch ausgestaltet und spielt mit doppelten Bedeutungen, Metaphern, Hyperbeln, Illusionen, Symbolen und Sprachsurrealismus. „Die schwarzen rhetorischen Tropoi, die unter signyfying zusammengefasst werden, umfassen etwa ‚marking‘, ‚loudtalking‘, ‚specifying‘, ‚testifying‘, ‚calling out‘ (of one’s name), ‚sounding‘, ‚rapping‘ und ‚playing the dozens‘“ (Gates 1984, 286). Klassifizierungen und Unterscheidungen dieser Sprechakte verlaufen meist entlang der Dimensionen Unterhaltung / Information (sigynifying / running it down), Spaß / Ernst (talking shit / talking smart) oder Aggression / Spiel (putting down, sounding / playing), die sich in der verbalen Praxis kontinuierlichen abwechseln können (Karrer 1996). Mit testifying werden auch religiöse Praktiken des speaking in tongues mit einbezogen, wenn während eines ‚schwarzen‘ Gottesdienstes der Priester oder die Gläubigen in einem erhabenen Moment der Jenseitigkeit das Wort Gottes verkünden. Die beiden bekanntesten rhetorischen Beleidigungsspiele in Duellform sind playing the dozens und the signifying monkey. Ersteres zielt auf eine recht deutliche und pointierte Herabwürdigung der Vorfahren des Beleidigten, in der Regel als yo momma-Witze auf dessen Mutter. Da es sich um ein verbales Spiel handelt, gibt es grundlegende Regeln: Die Beleidigungen müssen improvisiert, lustig und originell sein oder sich in neuer Weise auf altbekannte Sätze beziehen. Außerdem darf das Gesagte nicht buchstäblich mit der Realität übereinstimmen, sondern muss den Schlagabtausch fiktiv anregen. Zwei Beispiele: Your moms is so old that she knew Central Park when it was just a little tree. (Rapper Biz Markie, zitiert von Jones 1994, 32) Iron is iron, and steel don’t rust But your momma got a pussy like a Greyhound Bus. (Labov 1986, 308)

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The signyfying monkey, die Parabel vom (an)deutenden, nachahmenden oder zum-Ausdruck-bringenden Affen und dem dümmlichen Löwen, richtet sich im Gegensatz zu the dozens direkt an die verbal angegriffene Person. In unterschiedlichen Versionen erzählt die Geschichte, wie ein Affe versucht, dem König des Dschungels nach dessen Schmähungen eine Lektion zu erteilen. Er behauptet, ihr gemeinsamer Bekannter, der Elefant, hätte den Löwen beleidigt oder gar hinterrücks mit dessen Verwandten kopuliert. Der Löwe glaubt den Worten des Affen, stellt den Elefanten zur Rede und verlangt eine Entschuldigung. Der Elefant weigert sich und zettelt einen Zweikampf an, dem der Löwe nicht gewachsen ist. Da der Löwe die Geschichte des Affen wörtlich verstanden hat, wurde er ausgetrickst und letztlich besiegt. Durch vorsichtige und geschickte rhetorische Manipulation stellt the signifying monkey die Hierarchie des Dschungels auf den Kopf. Die figurative Sprache des Affen bleibt für den Löwen unverständlich, ihm sind die metaphorischen Codes nicht geläufig. Der Affe ist hier der trickster, der geschickte Beherrscher des Spiel mit Bedeutungen. Übertragen berichtet die Parabel von den Machtverhältnissen einer rassistischen US-amerikanischen Gesellschaftsordnung, die durch gegenkulturelle Sprachpraktiken unterlaufen wird. Aktuelle Rap-Musik reflektiert die kulturelle Entwicklung einer oralen Tradition und einer zeitgenössische Form der ‚schwarzen‘ Widerstandsrhetorik (Smitherman 2000a). Wichtigtuerei und Aufschneiden sind zentrale Bestandteil der Alltagskommunikation des African American English. Ritualisiert ist der Vortrag in toasts, teilweise sehr langen, gereimten Erzählgedichten, in denen es oft um Prahlerei mit Männlichkeit, sexueller Potenz und Kampfeskunst geht. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich diese Sprachspiele zu einer beliebten Form des Zeitvertreibs auf der Straße im Ghetto. Eine klare Verbindung von Geschichtenerzählen, Tricksen und Beleidigen findet sich etwa bei Bo Diddley, der seit Mitte der 1950er Jahre die Straßensprache des badman oder Stackolee/Staggalee in seinen Aufnahmen aufgriff. Mit Ironie, Sarkasmus und Verrücktheit unterläuft diese Figur die gültigen Normen und zelebriert ihr abweichendes Verhalten verbal. Auch der Black Power!-Aktivist H. ‚Rap‘ Brown legt in seiner Autobiographie mit dem bezeichnenden Titel Die Nigger Die! dar, was es hieß, Mitte des 20. Jahrhunderts als ‚Schwarzer‘ in Baton Rouge, Louisiana, aufzuwachsen und sich im verbalen (und physischen) Kampf auf der Straße gegenüber anderen zu behaupten (Brown 1972). Der Protagonist imaginiert sich dabei stets als übermächtigen, allwissenden Helden, der mit allen Wassern gewaschen ist. Als Ziel seiner verbalen Attacken dienen ihm andere umstehende (meist männliche) Personen, die ihrerseits mit gleicher Münze auf die Beleidigungen und Angebereien reagieren und eine erneute Antwort herausfordern. Wer Sieger ist, entscheidet sich durch das Maß an coolness und Souveränität sowie aufgrund des härteren, klügeren und schlagfertigen Einsatzes von Worten und gereimten Sprachspielen ohne Rücksicht auf Höflichkeit und politisch korrekte Sprache. Diese Tradition findet sich wieder in den Wettbewerben der MCs (battles), bei denen es darum geht, einen anderen Rapper oder dessen Gruppe direkt oder auf einer Plattenaufnahme zu ‚dissen‘ (von to disrespect, jemanden heruntermachen, demoralisieren oder verbal besiegen). Dabei wird um Stolz und Ehre gekämpft

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(Poschardt 1997, 155). Fragen nach dem Where you’re from? spielen eine entscheidende Rolle: Hat der Gegenüber die richtige Hautfarbe, genügend Erfahrung oder den richtigen, ‚realen‘ sozialen und geographischen Hintergrund? Die boastingPraktiken im HipHop beziehen sich häufig auch auf die Verbindung von sexuellem (und materiellem) Erfolg und den verbalen Fähigkeiten des Rappers, dem flow und dem style des Vortrags. LL Cool J (was für „Ladies Love Cool James“ steht) rappt beispielsweise in seinem Song Mama Said Knock You Out mit klaren Referenzen zum Boxer Cassius Clay, der vor seinen Kämpfen durch lautstarke Angeberei und selbst entworfene Gedichte seine Gegner zu demoralisieren und verbal zu besiegen suchte: Shotgun blasts are heard When I rip and kill at will The man of the hour, tower of power, I’ll devour I’m gonna tie you up and let you understand That I’m not your average man When I got a jammy in my hand Daaaaam! Ooooooh! Listen to the way I slaaaaay, your crew Damage [uhh] damage [uhh] damage [uhh] damage Destruction, terror, and mayhem Pass me a sissy so suckas I’ll slay him Farmers [what?!] Farmers [what?!] I’m ready [we’re ready!] I think I’m gonna bomb a town [get down!] Don’t you never, ever, pull my lever ’Cuz I explode And my nine is easy to load I gotta thank God ’Cuz he gave me the strength to rock hard! Knock you out, mama said knock you out I’m gonna knock you out [huuuh!] Mama said knock you out [huuuh!] (LL Cool J: Mama Said Knock You Out [DefJam/CBS, 1990])

Welchen Sinn eine Aussage letztendlich macht, hängt weniger von der buchstäblichen Bedeutung ab, sondern erschließt sich erst im Zusammenhang mit komplexen kommunikativen Praktiken. HipHop liegt weniger ein literarisches oder poetisches Verständnis von Sprache als Schriftsprache zugrunde, sondern eine Ableitung vom musikalischen Gebrauch gesprochener Sprache. Sprache wird im HipHop über die Stimmmodulation des Sprechers und dessen verbale Betonungen als Sound organisiert. Rhythmus und Klang der Sprache sind wichtiger als musikalische Harmonien oder Melodien. Die Stimme selbst wird zum Instrument, sie wird in einem doppelten Sinne instrumentalisiert. Über James Brown, einen der häufig gesampleten Künstler im HipHop, schreibt David Toop: „Viele seiner besten Auftritte stellten einen einzigartigen Vokalraum her, irgendwo zwischen Sprechen und Schreien“ (Toop 1991, 53). Das Hervortreten der tonalen, melodischen, rhythmischen und akustischen Charakteristika der Stimmführung eines Rappers betont den körperlich-performativen Akt des Musizierens. Die gespro-

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chene Sprache steht direkt für eine Person im Hier und Jetzt; und selbst bei aufgezeichneter und wiedergegebener Musik versucht der Hörer stets, der Stimme einen menschlichen Körper zuzuordnen. Über die Praxis verbaler Äußerungen in der Musik kann auf sozialkulturelle Attribute des Rappers wie Geschlecht, Alter, Ethnizität, räumliche Herkunft oder Schichtzugehörigkeit geschlossen werden. Ein Ansatz, der lediglich auf linguistische Merkmale einer ‚schwarzen‘ oralen Kultur rekurriert und nicht klären kann, warum die Betonung einer Äußerung im Rap gerade so und nicht anders ausfällt, scheint nicht ausreichend. Da beim Musizieren Worte Klängen angepasst werden und umgekehrt, bedingen auch die musikalischen Regeln von HipHop die Auswahl der Worte und die Wahl der verhandelten Themen (Frith 1996a, 172). Nichtsprachliche Codes von Gestik, Mimik und Körperhaltung tragen zudem zur Vieldeutigkeit des Sprechens bei (Cooke 1972) und finden sich etwa in der Art des Gangs oder ausgedehnter Grußzeremonien im Kontext von HipHop wieder. Auch über Kleidung und modischen style können Aussagen über Zugehörigkeit zu und Abgrenzungen gegenüber ethnischen, religiösen oder subkulturellen Gruppen getroffen werden (Flinker 1985). Die Performativität von HipHop bleibt daher nicht bei Sprache stehen, sondern umfasst musikalische, tänzerische, gestalterische und andere Praktiken, welche soziale Interaktion und Gruppenkohäsion intensivieren können (Norfleet 1997; Menrath 2001). Viele dieser Praktiken und Moden können als Ablehnung ‚weißer‘ Praktiken (acting white) durch Jugendliche ethnischer Minderheiten interpretiert werden (vgl. Messow 2003, 83–84). Der Gegensatz zwischen ‚schwarz‘ und ‚weiß‘, dessen Nachweis durch eine Dichotomisierung von oraler und schriftlicher Kultur oder durch eine Überhöhung ‚schwarzer‘ rhetorischer Praktiken als Beleg für eine eigenständige afroamerikanische Kulturentwicklung erbracht werden soll, scheint bei genauer Betrachtung problematisch. Auch wenn die Bedeutung oral übermittelter Tradition und Geschichte kaum überschätzt werden kann, so spielt doch seit Ende des 18. Jahrhunderts auch die literarische Produktion von ‚schwarzen‘ Autoren eine wichtige Rolle beim (Selbst-)Verständnis der African Americans. Zeitgenössische Texte verbinden stets Merkmale einer oralen, afrozentrischen Kultur mit denen einer schriftlichen, euroamerikanischen. Zudem ist es wenig hilfreich, Sprache zu verstehen als ein sich ausschließlich innerhalb einer ethnischen Gruppe über Zeit und Ort hinweg entwickelndes Kommunikationssystem. Sprache funktioniert vielmehr als kontextsensitiver Dialog zwischen Sprechern und Rezipienten. Diese Formen populärkulturellen sprachlichen Ausdrucks können deshalb nie reine Formen afrikanischer oder europäischer Sprachmuster abbilden, sondern sind immer gekennzeichnet durch gegenseitige Befruchtungen in historischer Dimension (Stephens 1992, 63). Wenn etwa argumentiert wird: „Die metaphorische Bildung, die darin besteht, zu lernen, wie vielschichtige Codes entschlüsselt werden, ist wohl das Schwärzeste an der schwarzen Tradition“ (Diederichsen 1993b, 167), so werden die angeblich besonderen kulturellen Merkmale der Sprachpraxis ‚Schwarzer‘ hervorgehoben und damit abermals konstruiert, anstatt sie zu dekonstruieren. Wer spricht ‚schwarz‘? Und wer hört ‚schwarz‘? Und gibt es das ‚Schwärzeste‘ einer Tradition? Sind die sozialen und kulturellen Unterschiede

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zwischen Nigerianern und ‚schwarzen‘ US-Amerikanern nicht größer als jene zwischen African Americans, Whites und Hispanics in den USA? Haben African Americans in den Südstaaten kulturell nicht mehr mit ‚weißen‘ Südstaatlern gemein als mit African Americans in New York City? Die Zuweisung einer oralen Kultur zu einer ‚schwarzen‘ und afrikanischen Tradition sowie einer schriftlichen Kultur zu einer europäischen und ‚weißen‘ Kultur birgt, für sich allein genommen, die Gefahren des Essentialisierens kultureller Deutungen. Die Bewegung und Veränderung einer Tradition durch Raum und Zeit und das Aufeinandertreffen verschiedener Menschen in differierenden Kontexten, so scheint es, ändert hier wenig an den ‚wahren‘ Eigenschaften der Sprache aller Menschen einer Ahnenreihe. The Signifying Monkey emerges from his mysteriously beclouded Afro-American origins as Esu’s first cousin, if not his American heir. It is as if Esu’s friend, the Monkey, left his side at Havana and swam to New Orleans. The Signifying Monkey remains as the trace of Esu, the sole survivor of a disrupted partnership. Both are tropes that serve as transferences in a system aware of the nature of language and its interpretation. (Gates 1988, 20)

Dieses Zitat beschreibt den Ausbreitungsprozess in Form rhetorischer Figuren. Zugleich rekurriert der Autor aber auf geokulturelle Referenzen, die der Diffusion konkrete Orte zuweisen: Die Mythologie des Èsù verweist auf einen spezifischen geographischen Ursprungsraum, das Gebiet der Yoruba im Savannengürtel Westafrikas, von wo aus die Ausbreitung der Tradition zunächst in Richtung westindische Inseln verlief und schließlich in säkularisierter Form den nordamerikanischen Kontinent in New Orleans erreichte. Diese Vorstellung blendet mindestens drei Aspekte aus: Zunächst bezieht sich „Afro“ in „Afro-American“ nicht auf den ganzen Kontinent Afrika, sondern auf einen kleinen Ausschnitt vielfältiger kultureller Traditionen. Hier ist ein ganz spezifisches Afrika gemeint, welches sudanesische Gebietsteile einschließt, aber beispielsweise die Bantu-Traditionen Zentralund Ostafrikas ebenso ausblendet wie die Zulu-Traditionen des südlichen Kontinents. Diese Überbetonung Westafrikas als Ursprungs- und der Vereinigten Staaten von Amerika als Kerngebiet der afroamerikanischen Sprache und Kultur besitzt eine lange Tradition innerhalb der US-amerikanischen Kulturwissenschaften (Günther 1982). Zudem verkennt eine als lineare Serie gefasst Ausbreitung von Westafrika in die Karibik und schließlich an die Golfküste Nordamerikas die komplexen Historien und Geographien einer Sklavenwirtschaft, die ihre ‚menschlichen Rohstoffe‘ nicht nur aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten deportierte, sondern je nach Bedarf und kolonialem Machtgefüge zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert in die portugiesischen, spanischen, holländischen, französischen, englischen oder amerikanischen Gebiete in Europa, Brasilien, der Karibik oder in Nordamerika lieferte. Sozialstruktur der Sklaven, lokale Ökonomien, die unterschiedliche Rigidität der Unterdrückung, Religion und das vorherrschende Wertesystem führten zu vielfältigen kulturellen Äußerungen der Sklaven, die sich durch Migrationsströme innerhalb Amerikas und über den Atlantik hinweg weiter veränderten. Dies alles soll nicht bedeuten, dass sich keine typischen Muster afroamerikanischer Sprachpraxis und Kultur in der Gegenwart identifizieren ließen oder dass

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ein black oral-Ansatz mit starker US-amerikanischer Fixierung simpler kultureller Homologisierung zu überführen sei. Allein zum Verständnis der Entstehung von Rap-Musik allerdings reicht dieser Ansatz nicht aus, da er weder der Komplexität der Bewegung von Menschen durch Raum und Zeit gerecht wird noch das Musikalische in Rap-Musik anzuerkennen vermag. Die Beziehungen zwischen der Dispersion von ‚schwarzen‘ Menschen in Raum und Zeit, deren Orientierungen an einem realen oder imaginierten Herkunftsort Afrika sowie den aktiven Abgrenzungsprozessen der Identitätsbildung sollen im Zentrum stehen, wenn es im Folgenden um den Einfluss verschiedener musikalischer Traditionen auf die Entstehung von Rap-Musik geht.

3.2.2 Race, essentialism and the changing same: Musik in der ‚schwarzen’ Diaspora I don’t do white music, I don’t do black music, I make rap music, for hip-hop kids. (Masta Ace feat. Greg Nice: Don’t Understand [JCOR, 2001])

Die liberale US-amerikanische Wochenzeitung The New Republic publizierte im November 1991 einen provokativen Artikel zu HipHop mit dem Titel The Rap on Rap: the ‘Black Music’ that isn’t either. Der Autor argumentiert, dass sich die Musik zu Beginn der 1990er Jahre längst von ihren geographischen, musikalischen und literarischen Ursprüngen verabschiedet hätte (Samuels 1995). Als Beleg dienen ihm erste Daten, die ein neu eingeführtes, computergestütztes System zur flächendeckenden Erfassung von Plattenverkäufen und zur Neubestimmung der Billboard-Charts in den Vereinigten Staaten liefern konnte. Soundscan – so der Name des Systems – ermittelte, dass nicht, wie durch die herkömmliche Methode der Aggregierung von Plattenverkäufen aus großstädtischen Musikgeschäften errechnet, eine Platte der alternden Rocker von R.E.M. die Verkaufslisten anführte, sondern ein Album der Niggaz With Attitude, einer Gangster Rap-Gruppe aus Compton, Los Angeles. Ausschlaggebend waren nicht die Verkäufe in den hauptsächlich von ‚Schwarzen‘ bewohnten innerstädtischen Gebieten, sondern die Absätze in den ‚weißen‘ Vororten der Großstädte. Als weiteres Indiz führt Samuels an, dass die musikalische Produktion von HipHop mittlerweile in den Händen einer kleiner Gruppe ‚schwarzer‘ Künstler aus suburbanen Haushalten der Mittelschicht liege, die ihre Platten zusammen mit ‚weißen‘ Produzenten, Verlegern und Angestellten von Plattenfirmen auf die Bedürfnisse dieser neuen Kundengruppen zuschneiderten. Der Fokus auf den ‚schwarzen‘ Alltag im innerstädtischen Ghetto als Beleg authentischer kultureller Ausdrucksweisen wird dabei als diskursive Strategie der Plattenfirmen aufgedeckt, das rassistische Bild vom wilden, gefährlichen und kriminellen ‚Schwarzen‘ aus dem Ghetto zu perpetuieren und zu instrumentalisieren. Das alles spreche dafür, dass Rap nicht (länger) Black sei. Und warum ist Rap keine eigenständige Musik? Je stärker sich Rap-Musik einer ‚weißen‘ Hauptströmung anpasse, desto stärker werde sie „wie Rock ’n’ Roll, eine Feier der Pose gegenüber Rhythmen“ (Samuels 1995, 246).

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In der Folgezeit äußerten verschiedene Autoren kritische Einwände gegen diese und ähnliche Versuche, die ‚schwarze‘ Essenz von HipHop zu negieren (zur Terminologie ethnischer Minoritäten in den USA vgl. Gamerith 2002, 15–48). Auf der Seite musikalischer Produktion wird angeführt, dass kulturelle Ausdrucksformen und Manifestationen auf die Aussagen und Gesten weniger, eher atypischer Vertreter des Genres reduziert und dadurch selbst rassistische Stereotype reproduziert werden (Potter 1995, 104). HipHop ist durch mehr charakterisiert als nur durch die kulturindustriell vermittelten Produkte einzelner Künstler. Rücken der Umgang mit und die Rezeption von Musik in den Blickpunkt, so bedeutet, dass eine Mehrheit der Konsumenten zwischenzeitlich ‚weiß‘ ist, nicht per se, HipHopMusik hätte ihren ursprünglichen Charakter verloren. „Zu behaupten, HipHop hätte keine kulturellen Ursprünge in Afrika ist so, als ob man sagte ‚Rock, Jazz, Blues und Gospel haben nichts mit schwarzer Kultur zu tun – weil sie universell sind und jeder sie hört‘“ (Banjoko o.J.). „HipHop ist vornehmlich von Schwarzen für Schwarze“ schreibt der Autor eines Artikels, der mit „It’s a Black thing: hearing how whites can’t“ untertitelt ist (Allinson 1994, 442). Er geht davon aus, dass sich im HipHop musikalisch wie lyrisch eine bewusste Negierung ‚weißer‘ Erwartungen vollzieht und damit der kolonialisierende Blick auf das alltägliche Leben im ‚schwarzen‘ Ghetto empfindlich gestört wird. Allgemein geht es diesen Kritikern darum, an einer gewissen historischen Kontinuität von Black Music festzuhalten und aktuelle Entwicklungen aus der Geschichte heraus verstehen zu wollen. Black Music wird in der Regel als konträrer Pol zu ‚weißer‘, europäischer Musik verstanden (Craddock-Willis 1991). Als musikalische Charakteristika gelten: Ruf / Antwort-Techniken, Improvisation, Wiederholung sowie die Verwendung von Blue Notes und off beat / on beat-Verschiebungen (Tagg 1987). Ähnlich dem Ruf / Antwort-Prinzip in der sprachlichen Kommunikation gelten call and response-Muster als grundlegende Elemente afroamerikanischer Musik. Dem Rufenden, der entweder durch vorgegebene melodisch-rhythmische Modelle oder durch improvisierte musikalische Phrasen Dramatik aufbaut, respondiert der Antwortende mit Wiederholung, Bestätigung oder Ergänzung, um die Spannung zu lösen. Im Blues geschieht dies durch die klassische Vokal- und Instrumentalformel Anrufung – Anrufungswiederholung – Beantwortung, und im New Orleans Jazz antwortet die Klarinetten- oder Posaunenstimme auf den Ruf der führenden Trompete. Improvisation als ein weiteres grundlegendes Gestaltungsmittel von Black Music meint weniger ein zufälliges, ungebundenes Phantasieren oder ein sich eng am Vorgegebenen orientierendes Variieren, sondern ein relativ spontanes und kreatives Erfinden auf der Basis eines vorhandenen musikalischen Themas oder Refrains. Improvisation setzt Einfallsreichtum, instrumentelles Können und die Kenntnis gewisser musikalischer Regeln und Zusammenhänge voraus (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 243). Der Improvisierende kann dabei durchaus auf vorbereitete und eingeübte Figuren, Motive und Phrasen zurückgreifen, ohne dass seine individuelle musikalische Leistung gemindert würde. Entscheidend ist die Wiederholung im Sinne eines Aufgreifens von und Abarbeitens an vorgefundenen Melodien, Harmonien und Rhythmen. Präferiert die europäische Tradition die kumulative musikalische Durchführung und die zielgerich-

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tete Entwicklung eines musikalischen Themas, gelten abrupte Schnitte (cuts) zurück zum Anfang und scheinbar unmotivierte Brüche (breaks) als Kennzeichen ‚schwarzer‘ musikalischer Praxis. Black music sets up expectations and disturbs them at irregular intervals: that it will do this, however, is itself an expectation. This peculiarity of black music – that it draws attention to its own repetitions – extends to the way it does not hide the fact that these repetitions take place on the level of sound only. (Snead 1984, 69)

Bestimmt wird dieser Sound häufig durch einen unreinen Gebrauch von Melodien und die unsymmetrischen Schichtungen von Rhythmen, weshalb Black Music immer wieder mit Attributen wie schmutzig (dirty) oder schmierig (smeary) charakterisiert wird. Die Verwendung von in der europäischen Musiktradition der Dur-Moll-Kadenzen unbekannten Tonstufen, den so genannten Blue Notes insbesondere im Jazz und im Blues, kann den Eindruck einer harmonischen Verschleierung, eines schwankenden oder schwebenden musikalischen Charakters vermitteln, der Spannungsmomente aufbaut und löst. Diese Techniken sind aus der traditionellen westafrikanischen Musik bekannt und stellen einen gewissen, wenn auch in seiner raum-zeitlichen Entwicklung kaum analytisch nachzuvollziehenden Einfluss auf aktuelle Formen dar (Tagg 1987). Rhythmische Abweichungen von charakteristischen Betonungsverhältnissen taktgebundener europäischer Musik bedürfen eines Beats, der entlang gleichmäßig akzentuierter Zählzeiten verläuft und vom Tempo des Musikstücks bestimmt wird. Off beatVerschiebungen bezeichnen die von diesem beat abweichend platzierten Schläge oder Töne, die der Musik eine gewisse Spannung verleihen. Sind sie dem Grundschlag vorangestellt, scheint sich die Intensität der Musik zu steigern, sind sie nachgestellt, wirkt der musikalische Fluss eher schleppend und gehemmt. Eine andere Art rhythmischer off beat-Figuren prägt die traditionelle westafrikanischen Trommelmusik, bei der verschiedene Perkussionisten meist als Begleitung zu Gesängen und Tänzen sich überlagernde Beats mit jeweils unterschiedlich akzentuierten Schlägen erzeugen. Diese Schichtung (layering) unterschiedlicher Schlagmuster resultiert in einer eigentümlichen Polyrhythmik, die insbesondere afrikanische und lateinamerikanische Tanzmusik charakterisiert (Chernoff 1979; Günther 1982). Insgesamt, so die musikwissenschaftlich informierte Argumentation, resultiert der unverwechselbare Klang von Black Music aus einer den westlichen musikalischen Traditionen unbekannten kreativen Manipulation von stimmlicher und instrumentaler Klangfarbe sowie der melodischen und harmonischen Strukturen. Spannung wird aufgebaut über verschiedene musikalische Techniken: die Schichtung perkussiver und lyrischer Elemente, die Gegenüberstellung vokaler und instrumentaler Strukturen, Änderungen von Tonhöhe und musikalischer Dynamik, der Wechsel von klaren und unreinen Tönen, das Einweben und Samplen von Krach und Alltagsgeräuschen. In engem Zusammenhang mit diesen musikalischen Eigenschaften stehen der grundsätzlich performative Charakter von Black Music sowie eine rhythmische und melodische Unmittelbarkeit, die ein besonderes Maß an Emotionalität zu transportieren scheint. Im Gegensatz zu europäischer Musik, welche die Zuhörenden eher in eine private Konversation mit Klang zwingt, vermittelt die dialogische

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Form des Ruf / Antwort-Modus zwischen den Mitgliedern eines Kollektivs aus Musikproduzenten und -konsumenten. Außerdem ermöglicht der unreine, intensive und emotionale Klang ‚schwarzer‘ Musik den unmittelbaren körperlichen Ausdruck, während ‚weiße‘ Musik durch ihre formalisierten Rhythmen Kontrolle über Bewegung und Sexualität signifiziert. Folgt man dieser Argumentation, besitzen Menschen mit unterschiedlicher Hautfärbung natürlicherweise spezifische Fähigkeiten des Musizierens, welche ganz bestimmte klangliche Formen hervorbringen. ‚Schwarze‘ sind demnach sozio-biologisch natürlicher, spontaner, körperbetonter und sexuell aktiver, ‚Weiße‘ dagegen handeln überlegt, interpretieren, formalisieren und ziehen klare, nachvollziehbare Strukturen vor. Black Music verweist allgemein auf eine Verbindung zwischen Menschen mit dem spezifischen biologischen Merkmal einer relativ dunkleren Hautfärbung und einer bestimmten Art von Musik. In einem engeren Sinne wird Black Music auf afroamerikanische Musik aus den USA verkürzt und damit zusätzlich beschränkt auf musikalische Praktiken dunkelhäutiger Menschen in einem nationalen räumlichen Kontext während einer spezifischen historischen Epoche. Zurückgeführt wird diese eigene Art des Musizierens dann auf die gemeinsamen, essentiellen Erfahrungen „einer schwarzen Gemeinde, wie sie durch die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und geographischen Bedingungen zusammengeschweißt worden war“ (George 1990, 10). Hier scheinen einige der Charakteristika wieder auf, welche der Dichotomie von Oralität und Literalität zugrunde liegen und welche die im 19. Jahrhundert etablierten Gegensatzpaare von Geist / Körper, Rationalität / Emotionalität oder Hoch- / Populärkultur widerspiegeln. Der Musikwissenschaftler Philip Tagg wendet sich Ende der 1980er Jahre mit einem „offenen Brief“ gegen diese Essentialisierungen (Tagg 1987). Seiner Meinung nach gibt es keine Musik, die in irgendeiner Weise essentiell ‚schwarz‘ sei. „Schwarz ist eine Farbe: Musik ein bestimmte Art und Weise, Klang zu organisieren“ (Negus 1999a, 103). Der entscheidende Punkt sind nicht die musikalischen Eigenschaften, sondern die soziale Gestaltung von Musik. Schwärze lässt sich nicht in Klang finden, sondern wird mit Merkmalen von Musik verbunden, die durch Menschen kreiert wird, welche als ‚schwarz‘ bezeichnet werden (Sundermeier 2004). Die oben erwähnten Eigenschaften finden sich zwar häufig in Black Music, sind aber keine essentiellen musikalischen Elemente, die sich nur dort nachweisen ließen. Musikalische Praktiken sind zudem weitaus komplexer, als dies durch eine Reduzierung und Vereinfachung auf nur einige wenige Charakteristika mit universeller Gültigkeit impliziert wird. Polyrhythmik beispielsweise lässt sich in mittelalterlicher und barocker Musik nachweisen und Improvisation war und ist ein entscheidendes Merkmal von Volksmusik in verschiedenen Teilen der Welt. Je stärker sich die Betrachtung musikalischer Eigenschaften von der Klassischen Musik des Bürgertums im Zentraleuropa des ausgehenden 19. Jahrhunderts abwendet, desto undeutlicher werden die historischen Pfade und die klaren Unterschiede zu anderen musikalischen Formen. Das heißt freilich nicht, dass sich keine Differenzen feststellen ließen, wohl aber, dass die sozialen, kulturellen und räumlichen Kontexte stets mit zu bedenken sind. Um welche Art von Improvisation geht es? Welche rhythmischen und melodischen Praktiken finden

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Verwendung? Wie ist der Ruf / Antwort-Modus ausgestaltet? Tagg schlussfolgert aus seinen Überlegungen: [S]cepticism towards the supposed pair of opposites ‘African’ or ‘Afro-American music’ versus ‘European music’ has two main grounds: (1) musicological, because no satisfactory definitions of any terms are provided, and (2) ideological. The latter is particularly important because not only does the implied dichotomy preordain certain sets of feeling and behaviour for one race and deny them to the other, it also turns the overriding question of class into a matter of race or ethnicity. (Tagg 1987, 18)

Trotz dieser anti-essentialistischen Kritik gibt es gute Argumente für die weitere Verwendung des Begriffs Black Music. Die Entstehung von Rap-Musik beispielsweise war zu großen Teilen getragen von ‚schwarzen‘ Jugendlichen in marginalisierten und nach ethnischen Merkmalen segregierten städtischen Räumen. Dieses Bild einer musikalischen Black Community ist strategisch nutzbar, wenn es etwa um die Dokumentation der systematischen Benachteiligung und Ausbeutung ‚schwarzer‘ Musiker durch eine von ‚Weißen‘ dominierte Musikindustrie oder um die Verteilung und Allokation räumlicher und finanzieller Ressourcen geht. Mit Hilfe von Kategorien wie Black Music werden ethnische Definitionen von ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ erst verhandel- und dekonstruierbar. Eine blinde, rein wissenschaftliche Kritik der essentialistischen Formulierungen verkennt zudem den Reiz der populären Affirmation ‚schwarzer‘ Kultur. Der Begriff wird von vielen Konsumenten und Musikern innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft identitätsstiftend genutzt, um sich ihrer primären Kategorisierung entlang ‚rassischer‘ Merkmale bewusst zu bleiben (Kastner 2004). Für schwarze populäre Kultur allgemein konstatiert Stuart Hall: Wie deformiert, vereinnahmt und unauthentisch die Formen sein mögen, in denen Schwarze, schwarze Gemeinwesen und Traditionen erscheinen und in der popularen Kultur dargestellt werden, wir erkennen in ihnen, in den Figuren und den Repertoires, aus denen die populare Kultur schöpft, dennoch die in ihnen enthaltenen Erfahrungen. In ihrer Expressivität, ihrer Musikalität, ihrer Betonung des Verbalen, in ihren reichen, tief greifenden und vielfältigen Formen des Sprechens, in ihrem lokalen und mundartlichen Tonfall, in der reichen Produktion von Gegenerzählungen und vor allem in dem metaphorischen Gebrauch des musikalischen Vokabulars hat die schwarze populare Kultur, selbst innerhalb der gemischten und widersprüchlichen Formen der populären Mainstream-Kultur, Elemente eines anderen Diskurses an die Oberfläche gebracht – andere Lebensformen, andere Traditionen der Repräsentation. (Hall 2002, 104–105)

Auch Paul Gilroy argumentiert gegen ein anti-essentialistisches Denken, allerdings nicht, indem er in einen neuerlichen Essentialismus zurückfällt oder den Begriff Black Music als bedeutungsleer erachtet, sondern indem er zwischen der exzeptionellen und der konstruktivistischen Position von blackness zu vermitteln versucht. Er fragt, wie ein kritisches Denken über kulturelle Produkte möglich ist, deren Ursprung sich vielleicht an einen konkreten Ort zurückverfolgen lässt, die sich aber durch Verbreitung und Verlagerung in Raum und Zeit starken Mediationen ausgesetzt sahen. ‚Schwarze‘ Identität und ‚schwarze‘ kulturelle Artikulationen gehen für ihn weder auf einen ethnischen Absolutismus des Selbst (racial self), der letzten, afrikanischen Quelle einer spezifischen Ästhetik und körperlichen Sensibilität, noch auf einen sozialen Konstruktivismus, der durch alltägliche

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Praktiken und die verbundenen Codes multiple, in Raum und Zeit variierende Identitäten hervorbringt. Für ihn sind es zwei zentrale Konzepte, mit deren Hilfe black music (bei ihm konsequenterweise mit kleinen Buchstaben b und m) verstanden werden kann: Einerseits das Konzept einer Diaspora der black Atlantic world, andererseits die Idee eines changing same, des sich ändernden Immergleichen (Gilroy 1991a und 1996; für eine allgemeine Diskussion des Diaspora-Konzeptes vgl. Brubaker 2005). Die Menschen der black Atlantic world – ein Raum, der Afrika, die Karibik, die USA und Europa verbindet – leben mit der Erfahrung von und Erinnerung an die gewaltsame Verschleppung als Sklaven über den Atlantik in die Neue Welt (Arkell 1991; Spörk 2001). Die historischen Wurzeln einer ‚schwarzen‘ Identität liegen daher in Afrika. Diese räumlich gebundene und nationalistische Perspektive auf Identität vermag allerdings nicht die unterschiedlichen transnationalen Lebenswege der Menschen und die resultierenden interkulturellen Formationen zu berücksichtigten. Die ‚schwarze‘ Diapora des black Atlantic muss als System des ständigen kulturellen Austauschs verstanden werden, das durch Prozesse von Mobilität und Mediation hervorgebracht, verändert und perpetuiert wird (vgl. auch Hannerz 1987). So ist ‚schwarze‘ Identität weder eine rein soziale oder politische Kategorie noch eine vage zufällige Konstruktion, sondern sie resultiert aus alltäglichen Praktiken von räumlich dispers lokalisierten Menschen. Musik ist für Gilroy ein besonders gutes Beispiel, kulturelle Artikulationen von ‚Schwarzen‘ nicht als ein essentiell stabiles Immergleiches, sondern als ein changing same zu verstehen. Er folgt damit der Argumentation von Amiri Baraka (2003), der nachvollzieht, wie afrikanische Sklaven zu US-Amerikanern wurden. Innerhalb eines selbst erschaffenen „Blues-Kontinuums“ entwickelten die Afroamerikaner in den USA ein doppeltes Bewusstsein (double consciousness), das ihre Situation als Africans und Americans reflektiert. Paul Gilroy findet damit „anti-anti-essentialistische Argumente“, welche weder die Kategorie Black Music ablehnen, noch diese mit polarisierenden musikalischen, ethnischen und sozialen Essentialismen aufladen (Gilroy 1996, x). Er fasst Musik als diskontinuierlichen Prozess, der kulturelle Traditionen immer wieder neu produziert und hybride Identitäten kreiert. Funk und Disco sind zwei der Genres von Black Music, die als musikalischer und stilistischer Katalysator in der frühen Phase von HipHop dienten. Funk wurde zunächst Mitte der 1950er Jahre als Bezeichnung für Jazz-Musik eingeführt, welche einer gewissen Kühle und Komplexität der vorherrschenden Stile eine wieder stärker am Blues orientierte, expressive und gefühlvollere Spielweise entgegensetzte (Shaw 1986). Der Begriff leitet sich ab von funky, „eine Gemütsverfassung, Musik, Kleidung oder Haltung, die von einer vollkommenen Einlassung auf schwarze Musik und Kultur herrühren kann“ (Fab Five Freddy 1992, 28). Funk will das spezifische Lebensgefühl der Afroamerikaner, ihre soziale Situation in den USA und eine Verwurzelung in der afrikanischen Tradition musikalisch zum Ausdruck bringen. Ende der 1960er Jahre etablierte sich Funk als ein eigenständiges Genre innerhalb der populären Musik, das durch einen federnden Beat, flexible, perkussive Basslinien und die Verschachtelung von kurzen, melodischen, oft von Blechbläsern eingespielten Floskeln charakterisiert wird. Zu den bekann-

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ten Vertretern zählen neben James Brown (Funky Drummer, Funky President) und Larry Graham Gruppen wie Kool & The Gang, Commodores und Earth, Wind and Fire. George Clinton von Parliament und Funkadelic prägte den party-orientierten P-Funk oder pure / uncut funk, der mit Hilfe von im Synthesizer manipulierten Klangeffekten und einem lockeren, rappenden Vortragsstil entspannte Atmosphäre schaffen und coolness definieren wollte. Viele Elemente von George Clintons Live-Shows wie die extravagante Kostümierung oder eine aufwendige Bühnenausstattung mit Anleihen aus galaktisch-futuristischen Comics fanden später Eingang in den Stil früher HipHop-Musiker wie Afrika Bambaataa oder Grandmaster Flash and the Furious Five (Keyes 1996, 226). Überdies zählt George Clinton zusammen mit James Brown zu den häufig zitierten und gesampleten Künstlern im HipHop. Disco greift zum Teil auf die abgehackten, springenden Basslinien des P-Funk zurück und verschmelzt sie mit orchestralen (Streicher-)Arrangements des Philadelphia Sounds sowie weiblichen Soulstimmen der Motown-Ära. Ein vorwärts treibender, durchweg betonter 4/4-Beat, Rhythmuseffekte und ausgedehnte Instrumentalpassagen sollten mitreißen, zum Tanzen animieren und einen Endlos-Mix für die wieder auflebenden Diskotheken bereitstellen (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 138–139). Mit zum Disco-Erlebnis Mitte der 1970er Jahre gehörten auch vielfarbige Lichteffekte, Kunstnebelschwaden und gewagte Innenarchitektur, mit deren Hilfe aus der Diskothek ein phantastischer Raum mit sinnlicher Atmosphäre jenseits der Alltagswelt geschaffen wurde (Thornton 1997, 51–57). Frank Farian in Deutschland und Giorgo Moroder in Italien produzierten DiscoMusik beispielsweise für Boney M und Donna Summer, die auch in Übersee Erfolge feierten. Selbst der synthetische Elektropop der Düsseldorfer Formation Kraftwerk fand in den USA Anklang und wurde von Afrika Bambaataa als HipHop-Soundquelle aufgetan. Aufgrund einer musikalischen Erstarrung in formelhaften Produktionen und einer zu deutlichen kommerziellen Öffnung für eine ‚weiße‘ Mittelschicht in Nordamerika und Westeuropa fand der Erfolg von Disco Ende der 1970er Jahre ein vergleichsweise abruptes Ende (Shaw 1986, 250). Für die Entwicklung von HipHop-Musik hinterließ Disco aber zwei entscheidende Erbstücke: Einerseits blieb die Diskothek noch viele Jahre einer der wichtigsten Orte für die Produktion und Konsumtion populärer Musik, andererseits lösten DJs und Produzenten in dieser Zeit die Sänger und Instrumentalisten als entscheidende Figuren der Musikproduktion ab. Während die DJs ihre Fertigkeiten, Tempo, Lautstärke und Atmosphäre zu manipulieren und die Menge auf der Tanzfläche zu begeistern, verfeinern und optimieren mussten, lieferten die Produzenten perfekt abgemischte Stücke und stellten damit ihre Beherrschung der neu entwickelten Aufnahme- und Produktionstechnologien unter Beweis. Karibische Musik galt lange Zeit als im Vergleich zu Rhythm & Blues, Funk und Soul weniger wichtiger Einfluss auf die Entwicklung von HipHop. Die Praktiken im Reggae allerdings, eine Mischung aus religiösen, afrikanischen Rhythmen und europäischen Melodien und Harmonien anzustreben sowie aus bereits aufgenommenen und auf Tonträger veröffentlichten Liedern eigene Stücke zu produzieren, lebt bis heute im HipHop fort. Im Reggae zeigt sich die wechselseitige

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Beeinflussung nordamerikanischer und karibischer Musik, die sich mit Hilfe des Konzeptes von Diaspora interpretieren lässt. Bereits seit den 1940er Jahren gelangte US-amerikanische Musik entweder durch den lebhaften Handel mit Second Hand-Schallplatten von während des Zweiten Weltkriegs auf den Inseln stationierten Soldaten oder über die Radiosender der Südstaaten nach Jamaika. Da die wenigsten Jamaikaner aber Zugang zu Elektronik, musikalischem Equipment und Instrumenten hatten, wurde die Musik durch große, mobile Diskotheken, die sound systems, verbreitet. Mit riesigen Lautsprechern und wattstarken Verstärkern bespielten die DJs Tanzveranstaltungen und mussten sich dann und wann gegenüber konkurrierenden systems behaupten. In den späten 1950er Jahren gelang es einzelnen sound system men, selbst Platten mit einfachen Rhythm & Blues-Instrumentalstücken zu produzieren. Diese so genannten specials orientierten sich wieder stärker an den traditionellen Trommelrhythmen der jamaikanischen Sklavenzeit. Für die Vokalbegleitung der A-Seiten sorgten talentierte Sänger, die direkt von der Straße rekrutiert wurden. Zu einer instrumentalen Rhythmusversion desselben Stückes auf der B-Seite konnte dagegen live rhythmische Reimsprache wie toasts und scats vorgetragen werden. Bis Mitte der 1960er Jahre dominierte dieser so genannte Ska die jamaikanische Musik, bevor im Rocksteady der rude boys die Vokalteile in den Hintergrund gedrängt und der polternde Bass durch eine stärkere Betonung von Gitarre und Keyboard weiter hervorgehoben wurde (Hebdige 1987). Zugleich erfolgte eine Uminterpretation von Rocksteady als Ausdruck des concrete jungle, der Lebensumstände in den armen ländlichen und städtischen Arealen auf Jamaika. Ende der 1960er Jahre verstärkte sich der Einfluss der sozialen und religiösen Ideale des Rastafari-Kults, der Friede, Solidarität und ‚schwarzen‘ Stolz vermitteln und aus den Fesseln des kapitalistischen ‚Babylon‘ ausbrechen wollte. Dieser neue Reggae, für den Bob Marley international bekannt wurde, wirkte leichter, war weniger bedrohlich und klang melodiöser (Wynands 1995). Mit einer stärkeren Fokussierung auf die afrikanischen Wurzeln und der Abkehr von den kommerziellen Spielarten des Reggae rückte in den 1970er Jahren ein bassbetonter, langsamerer Instrumentalstil in den Vordergrund: der Dub. Der Gesangspart wird dabei durch überlaut hinzu gemischte Instrumentalteile zugedeckt, die, häufig durch Echo- und Halleffekte verstärkt, einen besonders intensiven Rhythmus und starken Bassdruck erzeugen (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 147). Kennzeichen der musikalischen Produktion war weiterhin die instrumentale B-Seite der Tonträger, die als Soundtrack für neue Dub Poeten wie den Briten Linton Kwesi Johnson als Hintergrund zum talk over im Radio oder auf mobilen Diskotheken einzusetzen war. Bis heute stellt das sound system den zentralen Ort des Austausch und der Rückkopplung zwischen Künstlern, Produzenten und Konsumenten jamaikanischer Musik dar. Migrationsbewegungen waren entscheidend für die Ausbreitung der Technik und der musikalischen Praktiken der sound systems von den Westindischen Inseln in die USA und nach Großbritannien. Hauptgrund für die diasporischen Wanderungen in den 1950er und 1960er Jahren war die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften in den boomenden Industrien Westeuropas und Nordamerikas. Viele der musikalischen und kulturellen Traditionen wurden von den ‚schwarzen‘

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Immigranten in den Zielländern fortgeführt und weiterentwickelt. Russel Potter argumentiert: the Jamaican connection is hip-hop’s strongest claim to specifically African roots, since not only the narratives and the basic technology, and the concept of talking over recorded music arrive via this route, but also the rhythmic, cut’n’mix sound that is at the very heart of the hiphop aesthetic. (Potter 1995, 39)

Das Beispiel des Jamaikaners Clive Campbell, der in den 1970er Jahren als Kool DJ Herc die grundlegenden HipHop-Techniken in New York City einführte, belegt diesen wichtigen Einfluss (vgl. Kapitel 3.2.4). In England entstand eine eigene sound system-Kultur, die, nachdem sie zunächst auf importierte jamaikanische Schallplatten angewiesen war, spezifische Versionen von Reggae aus England (inna Inglan) produzierte. Zu Beginn der 1970er Jahre begannen ‚weiße‘ Jugendliche, die mod(ernist)s, Partys der afrokaribischen rude boys zu besuchen und deren Stile zu imitieren. Aus diesen Kontakten heraus entstanden die britische Skinhead-Szene sowie die Ska- und Punk-Bewegungen der späten 1970er Jahre. War Reggae ursprünglich ein Weg, sich auf die spezifischen Erfahrungen des ‚Schwarzseins‘ in der Karibik zu beziehen, wurde die Musik jetzt von ‚Weißen‘ genutzt, um sich einer eigenen Identität zu versichern, die sich über das Verhältnis zu Black Music definierte. Das schwarzweiße Karo-Modell des britischen Ska symbolisiert die ‚weiße‘ Übersetzung ‚schwarzer‘ Ethnizität, die sich aus Kontakten zwischen Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer und räumlicher Herkunft in einem diasporischen Raum ergab. Für HipHop-Musik, die in ihrer frühen Phase Einflüsse von Funk und Disco verarbeitete, lassen sich essentialistische Positionen noch schwieriger aufrecht erhalten als für frühere Genres von Black Music. So nimmt HipHop unter anderem Bezug auf karibische Vokaltechniken, das jamaikanische sound system, afrikanische Polyrhythmik, Rhythm & Blues Derivate, Funkstile, (Euro-)Disco und elektronische Soundschnipsel japanischer Spielkonsolen (Toop 1991, 19). All diese Klänge und Stile sind eingebettet in musikalische Austauschbeziehungen über den Atlantik (und den Pazifik), die nicht ausschließlich getragen werden von ‚schwarzen‘ Künstlern oder von Künstlern aus den USA. HipHop war von Anbeginn an keine Form ethnisch homogenen Ausdrucks von und für African Americans, sondern kannte den Austausch mit African-Carribeans, Whites und Hispanics (Flores 1994; Keyes 1996; Rivera 2003). Wenn Rap-Musik ihre ‚schwarzen‘ Wurzeln priorisiert und auf ihre Entstehung als Black Music pocht, so kann sie doch die Beteiligung anderer nicht leugnen, denn „die wichtigste Lektion, die uns Musik immer noch vermitteln kann, ist, dass ihre inneren Geheimnisse und ethnischen Regeln vermittelt und erlernt werden können“ (Gilroy 1991a, 134). ‚Schwarze‘ musikalische Formen sind nicht nur Ergebnis musikalischer Praktiken innerhalb einer ‚schwarzen‘ Diaspora, sondern Teil von Ruf / Antwort-Mustern mit großer räumlicher, sozialer und ethnischer Reichweite. Auf einer transnationalen Bühne überschneiden sich verschiedene diasporische Räume, hier wird Musik an Orten produziert und konsumiert, die nicht homolog, sondern relational und ephemer funktionieren. Eine zentrale Dimension dieses Austauschs sind die Möglichkeiten und Beschränkungen der Herstellung, Verbreitung und Reproduktion

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von Klang. Ein Blick auf die technologischen Mediationen und musikökonomischen Prozesse im 20. Jahrhundert soll nun zeigen, was (und wie wenig) HipHop dabei verändern konnte.

3.2.3 Technologie Der Plattenspieler ist ein Ding,–

kein Musikinstrument (Cage 1987, 33)

Die Maschine rotiert auf der gleichen Stelle. (Horkheimer, Adorno 1993, 142)

Two Turntables and a Microphone sind, so die gängige Auffassung, die technologischen Mindestanforderungen für Live-HipHop. Es sind dies die grundlegenden ‚Instrumente‘ der kleinstmöglichen Produktionseinheit von Rap: des Duos aus DJ und Rapper. Mit Hilfe zweier Plattenspieler und eines Mikrophons werden die charakteristischen Klänge erzeugt, welche Rap konstituieren und die als Unterscheidungsmerkmale gegenüber anderen musikalischen Genres dienen. Hier wird die zentrale Stellung von elektronischen Artefakten und Maschinen bei der Produktion und Konsumtion von HipHop-Musik betont und zugleich auf die umfassende soziale und räumliche Organisation der Herstellung, der praktischen Bedienung, der Diffusion und der Rede von Apparaten zur Aufzeichnung, Verbreitung und Wiedergabe von Klang verwiesen (Théberge 2000). Deutlich wird dies am Beispiel der Verwendung des Plattenspielers: Eigentlich als ein zum Abspielen zuvor aufgenommener und auf Vinyl gepresster Musik konzipiertes Gerät, entdeckten DJs in den 1970er Jahren, dass er zu mehr zu gebrauchen war als zur seriellen Wiedergabe vorgefertigter Klangkonserven. Das Spielen mit der Maschine entlockte den Vinylscheiben neue, bislang unbekannte Geräusche und transformierte den Plattenspieler „vom Reproduktionsgerät zum Instrument“ (Poschardt 1997, 365). Der Ausdruck Two Turntables and a Microphone verweist aber noch auf weitere Aspekte der Diskussionen um die Rolle von Musiktechnologien im Laufe des 20. Jahrhunderts. Zum ersten: Wie sieht das Verhältnis von Instrumenten und Instrumentalisten aus? Sind die Möglichkeiten der Klangproduktion wichtiger als die kreativen Fähigkeiten der Maschinisten? Wer oder was beeinflusst wen? Wer spricht in der Musik, wer ist Autor? Zweitens legt diese Charakterisierung der ‚idealen‘ technischen Ausstattung einer HipHop-Aufführung ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen den Musikern, der Technologie und ihrer Verräumlichung nahe. Die Körper erscheinen entweder selbst als Instrument oder die Instrumente dienen als eine Art Erweiterung der Körper. So nutzen HipHop-Musiker ihre Stimme für den elektronisch verstärkten Sprechgesang und konfigurieren ihre Körper für die Bedienung der Plattenteller – they speak with their hands. Drittens schließlich verkürzt eine solche Charakterisierung die tatsächlichen technologischen Zusammenhänge. Damit HipHop-Musik technisch funktioniert bedarf es neben den erwähnten Plattenspielern und einem Mikrofon zumindest Elektrizität, Vinylplatten, crossfader auf dem Mischpult zum Hin- und Herwechseln zwischen zwei Kanälen, Kopfhörer, Verstärker und Lautsprecher. Noch deutlich komple-

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xere Prozesse stehen hinter der Produktion von HipHop-Musik für eine Veröffentlichung auf Tonträgern. Hier kommen etwa Mehrspuraufnahmegeräte, Sampler, Steuergeräte, Drum-Machines, Keyboards, Computer oder Live-Instrumente zum Einsatz, deren Klangergebnisse abgemischt, gemastert, vervielfältigt und schließlich verbreitet werden. Selbst die minimalistische Ausstattung mit Geräten zur Klangerzeugung ordnet HipHop ein in die Geschichte von Soundtechnologien und ihre ökonomischen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge. Im Verlauf dieses Kapitels werden die Grundzüge der Entwicklung von Musiktechnologien der Produktion, Konsumtion und Verbreitung im 20. Jahrhundert kurz erläutert und nach deren reziproken Einflüssen auf das Verständnis von Raum und Räumlichkeit auf unterschiedlichen Maßstabsebenen befragt. Musikgeschichtlich lässt sich das Zeitalter der populären Musik im 20. Jahrhundert mit Hilfe der Modi von Verbreitung und Kontrolle, anhand von sich ändernden Beziehungen zwischen Körpern und Instrumenten sowie den daraus resultierenden Mediationen zwischen Technologie und Ökonomie grob gegenüber den vorangegangenen Zeitabschnitten der Volksmusik und der klassischen Kunstmusik abgrenzen. Traditionell wird das Wissen um Klänge und Klangerzeugung in den Körpern der Musiker gespeichert und gelangt nur in konkreten Aufführungssituationen zum Einsatz. Musik konnte, entweder vollkommen in soziale Alltagspraktiken integriert oder aber als Ritual und Zeremonie vom Alltäglichen abgehoben, eine unmittelbare Verbindung zwischen den verwendeten Instrumenten und ihren Klängen herstellen. Buchdruck, Alphabetisierung und veränderte Kommunikationstechnologien machten insbesondere seit dem späten 18. Jahrhundert die Speicherung, Übermittlung und Standardisierung der Spielanweisungen in Form gedruckter Notenblätter möglich. Die an die Massenvervielfältigung von Noten gebundene Warenform hatte allerdings zur Folge, dass das Wissen und die Erwartungen der potentiellen Konsumenten förmlich den klanglichen Strukturen vorweggenommen und einkomponiert wurden. Auch während des klassischen Zeitalters bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Musik nur als Aufführung zu hören, welche den Klängen mit den Körpern der Musiker ganz konkrete Ursprungsorte zuweisen konnten. Musik auf Notenblättern verhalf Klängen zu einer eigenen, imaginären Existenz, die einer abstrakten und transzendentalen Sphäre jenseits der alltäglichen Erfahrung zugewiesen werden konnte. Musizieren und das Konsumieren dieser Musik konzentrierte sich zur selben Zeit immer stärker auf das neu entstehende, wohlhabende und literate Bürgertum. Die bereits sehr früh internationalisierte Verbreitung der Notation setzte in dieser Phase Debatten um den Schutz von Autorschaft und um die Kontrolle der Verwertungsrechte in den aufkeimenden nationalen Musikökonomien in Gang, welche sich im Zeitalter populärer Musik weiter verstärken und bis heute anhalten sollten. Im Rahmen der Invention neuer Kommunikationstechnologien vollzog sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts zudem eine Integration von Musik in den umfassenden Zusammenhang von Massen- und Freizeitkultur, welche auf die Befriedigung der Rekreationsbedürfnisse in ausreifenden urbanen Industriegesellschaften zielten (Attali 1999; Wicke 2001).

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Die Speicherung von Musik zunächst auf mechanischen Zylindern (seit 1877), später auf elektromagnetischen Bändern (seit etwa 1933) und in digitaler Form, entkoppelte musikalische Produktion und Konsumtion in räumlicher und in zeitlicher Hinsicht (Connell, Gibson 2003, 45–70). Musik konnte nun praktisch überall produziert werden, und die Möglichkeiten der Reproduktion machten aus einem einmaligen und ephemeren Hörerlebnis vor Ort eine wiederholbare, tendenziell ‚ortlose‘ Erfahrung. Das musikalische Original war nicht länger ein Ereignis der Kopräsenz, sondern wurde zur Idee, zum konstruierten Ideal in Distanz. Aufnahmen eröffneten emotional komplexe Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Menschen, deren Lebenswege sich nicht unbedingt kreuzen mussten. Schellackplatte und Grammophon waren die ersten Medien, welche Musik in Cafés, auf Bürgersteigen, in Geschäften und Tanzlokalen während der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einer musikalischen Öffentlichkeit massenhaft zugänglich machen konnten. In dieser frühen Phase der Aufnahmetechnik blieben die traditionellen Ansichten hinsichtlich musikalischer Authentizität allerdings weiter dominant: Tonträger sollten möglichst originalgetreu Intensität, Präsenz und Ereignischarakter der aufgezeichneten Aufführung dokumentieren und diese möglichst rein reproduzieren. Mit verschiedenen Mitteln wurde versucht, verfälschende Nebengeräusche zu minimieren, um so einem Verlust authentischer musikalischer Interaktion durch Speicherung und Wiedergabe entgegenzuwirken. Der Aufstieg der Liedform im frühen 20. Jahrhundert hängt, neben der technisch begrenzten Aufzeichnungsdauer durch die mechanische Klangspeicherung, unmittelbar mit diesen ästhetischen Anforderungen zusammen. Die Singstimme eines Liedes schien am besten dazu geeignet, den unreinen und unrealen Klang rauschender Grammophonplatten mit der Wirklichkeit der physischen Körper der Musiker kurzzuschließen und die Geräusche wieder lebendig zu machen. Mit der Verbreitung von Schallplatten ging so eine fundamentale Reorganisation musikalischer Praktiken einher: „Textualität, worin Klang in der Funktion eines Bedeutungsträgers erscheint, ist in Technizität, die Klang zur Funktion medialer Individualisierungstechniken macht, aufgehoben“ (Wicke 2001, 23). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte in Nordamerika und Europa der Aufstieg von race oder negro music zu einer bedeutenden Form populärer Musik ein. Unterstellte Spontaneität und der Improvisationscharakter von Black Music schienen der unausgereiften Aufnahmetechnik eher entgegenzukommen als die kühlen und dynamisch stark variierenden Kompositionen europäischer Klassik oder die nur als für einen lokalen Markt rentabel erachtete Volksmusik. Insbesondere im zweiten und dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts war der wachsende kommerzielle Erfolg der Klangaufzeichnung in den USA getragen von ‚schwarzer‘ Blues-, Instrumental- und Sakralmusik, die für den ‚schwarzen‘ Massenmarkt im ländlichen Süden und in den urbanen Zentren des Nordens produziert wurde. Race records waren nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten von großer Bedeutung, sondern verhalfen unterschiedlichen Genres und Stilen zu ihrer Entwicklung und Verbreitung. „Entscheidend ist, dass die massenhafte Verbreitung von Schallplatten eine neue Art der Mündlichkeit vermittelte, wodurch junge Musiker ihr Handwerk durch das Plattenhören im selben Maß erlernten wie

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durch das Studium von Noten oder dem Beiwohnen von Live-Auftritten“ (Toynbee 2000, 74). Die Imitation und Weiterentwicklung bestehender Stile auf Grundlage eines intensiven Hörens von Aufnahmen ließ neue Genres gerinnen, die weniger durch notenblattbasierte Liedstrukturen als vielmehr durch Klangnuancen – durch Sound – zu unterscheiden waren. Radioübertragungen, zunächst in den 1920er Jahren in den USA entwickelt und in den folgenden 30 Jahren praktisch weltweit eingeführt, waren ein weiterer wichtiger Schritt zur massenhaften Verbreitung von Musik. Zusammen mit der Einführung des Mikrofons im Jahre 1925 markierte Radio den Übergang von der akustisch-mechanischen hin zu einer elektrischen Stufe der Klangaufnahme und -wiedergabe. Erst durch das Mikrofon und die elektrische Verstärkung wurden die Voraussetzungen des gefühlvollen klanglichen Ausdrucks geschaffen, welche die Möglichkeiten zur Intimisierung von Musik enorm erweiterten. Crooning, der sanfte, verhauchte, oft schmalzige Gesang direkt am Mikrofon machte Sänger wie Frank Sinatra oder Bing Crosby zu Stars, die sowohl im Radio als auch auf Schallplatte und im Film eine neue affektive Qualität von Gefühl und Empfindung vermitteln konnten (Frith 1986). Dem entsprach seit den 1920er Jahren auch eine ausgeprägte Vokalisierung der Instrumente etwa im Jazz, wo musikalische Intensität und Klangfarbe zu definierenden Charakteristika der zunehmend als Einheit wahrgenommenen Dualität von Musiker und Instrument erwachsen waren. Die Aufzeichnung musikalischer Praxis vollzog eine deutliche Abkehr von der Dokumentation einer idealen Aufführung hin zum reflexiven Gebrauch von Technologien und Instrumenten als Erweiterung der Möglichkeiten des menschlichen Körpers. Stärker noch als über den Besitz von Schallplatten wurde mit Hilfe der Radiowellen Musik zu einer privaten Angelegenheit, die sich immer mehr in den intimen Bereich der eigenen vier Wände verlagerte. Die Möglichkeit zur Beschallung des Wohnraums rund um die Uhr überführte Musik in ein alltägliches Gebrauchsmedium, das sowohl zur affektiven Steuerung und politischen Kontrolle der Hörer missbraucht werden wie auch als Begleitmusik zum rasch voranschreitenden Modernisierungsprozess funktionieren konnte. Verbreitung, Personalisierung und Privatisierung von Klang eröffnete sowohl neue künstlerische Freiheiten als auch kommerzielle Möglichkeiten der Produktverwertung innerhalb der immer stärker integrierten Musikindustrien. So löste Mitte der 1940er Jahre der synthetisch hergestellte Vinylkunststoff den biologisch gewonnenen Schellack als Material für Schallplatten ab, was längere Laufzeiten pro Plattenseite, schmalere Rillen und ab Mitte der 1950er Jahre die Stereowiedergabe erlaubte. Ende der 1940er Jahre wurde zusätzlich zum Langspielplatten-Format (LP) mit 30 Zentimetern Durchmesser und 33 Umdrehungen die Minute das Single-Format eingeführt, eine Schallplatte mit 17 Zentimetern Durchmesser, die mit 45 Umdrehungen abgespielt wird. Hier findet meist nur ein einzelnes Musikstück pro Plattenseite mit maximal vier Minuten Spielzeit Platz. Bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre blieb der Verkauf von Singles der wichtigste Gradmesser für den kommerziellen Erfolg populärer Musik. Ein weiteres Ergebnis der Innovationstätigkeiten war die Erfindung und Markteinführung des Magnettonbandes, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug in die Studios

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hielt und zu einer „kopernikanischen Wende in der Musikproduktion“ (Wicke 2001, 32) führte. Die Kosten der Musikaufnahmen, die bislang direkt auf teueren Plattenmatrizen gespeichert werden mussten, konnten durch die Verwendung von relativ kostengünstigen Geräten zur mehrfachen Bespielung und das anschließende Zusammenschneiden von Magnetbändern enorm reduziert werden. Aus einer ehedem extrem kostspieligen und zentralisierten Dienstleistung großer Studios wurde ein preiswerter Service, der dezentral von kleineren Plattenfirmen in vielen Städten angeboten werden konnte. Diese Diffusion von Geräten zur Tonbandaufnahme wird von Musikhistorikern als entscheidend für die Herausbildung von Rock ’n’ Roll betrachtet (Gillett 1996). Neben den Veränderungen der sozialen und geographischen Basis der Produktion populärer Musik waren es vor allem die Möglichkeiten der Schaffung eines neuen musikalischen und zeitlichen Klangverständnisses, welche diese ‚Revolution‘ begleiteten. Mit dem vorläufigen Ende der Suche nach hoher Wiedergabetreue, nach einer qualitativ hochwertigen Wiedergabetreue der Originaleinspielungen, begannen neue musikalische Experimente, synthetische Klangwelten, sonische Atmosphären und aurale Illusionen von Zeit und Raum zu konstruieren. Durch Verzerrungen, Tremolo, Echo- und Halleffekte sowie ein gesteigertes Maß an Lautstärke neuer elektrisch verstärkter Instrumente erlangte aufgezeichnete Musik Qualitäten einer klanglich-virtuellen Architektur, die auf einer Konzertbühne nicht mehr ohne weiteres live – ein Begriff, der bezeichnenderweise erst im Laufe der 1950er Jahre gebräuchlich wurde (Thornton 1997, 34–51) – zu reproduzieren war. Künstler, Toningenieure, Magnetbänder und Effektgeräte verschmolzen zu einer Einheit im Studio, die Aufnahme löste den Auftritt als idealen Ort musikalischer Praktiken ab (Toynbee 2000, 84–87). Wenn die Verbreitung von Magnettonbändern in den 1950er Jahren zu einer gewissen sozialen und geographischen Öffnung des Zugangs zu Musiktechnologie beigetragen hatte, so wurde der Produktionsprozess bereits in den 1960er Jahren durch die Einführung von aufwendigen Mehrspur-Aufnahmeverfahren (multitracking) und den kapitalintensiven Aufbau von Großstudios wieder stärker mit den Instanzen der Musikindustrie gekoppelt. Noch stärker als bislang konnten Klänge nun additiv, das heißt auf verschiedenen Spuren zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus mannigfachen Quellen in differierenden räumlichen Kontexten, akkumuliert werden. Jede der 4 bis zu 64 Spuren einer Aufnahme konnte separat an komplex vernetzten Schaltpulten im Studio kopiert, manipuliert oder nachträglich abgemischt werden. Diese Möglichkeiten der Kontrolle über musikalische Texturen und der Erzeugung illusionärer Klänge waren die Voraussetzung für die Entstehung einer neuen Form von Rockmusik, des bombastischen Album Oriented oder Art Rock. Angelehnt an ein bürgerlich-romantisches Kunstverständnis schufen Gruppen wie Genesis, Yes oder Pink Floyd sinfonische Werke jenseits gängiger Songstrukturen, die häufig in Zusammenarbeit mit klassischen Orchestern intoniert und durch gigantische technische Anlagen auf der Bühne reproduziert wurden. Da die Aufführung der Kompositionen nicht mehr denkbar war ohne zuvor abgespeicherte Musik, rückten das Studio und das angehäufte technische Material in den Mittelpunkt der Rockproduktion. Die ästhetisch wie tech-

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nisch literaten Musiker konnten sich als eine Art Elite betrachten, deren musikalische Experimente durch routinisierte, enorm kapitalintensive und hochgradig zentralisierte Produktionsprozesse allerdings wenig mit den ursprünglichen sozialen und musikalischen Grundlagen von Rock zu tun hatten. Parallel zu ausgefeilten und immer aufwendigeren Produktionsprozessen wurden neue Wiedergabesysteme entwickelt. Neben der Vinylplatte etablierte sich im Laufe der 1970er Jahre die Stereokassette als das Tonträgerformat, welches den Markt für neue mobile Anwendungen wie das Kassettendeck im Auto, den tragbaren Kassettenrekorder (boom box) oder zu Beginn der 1980er Jahre den Walkman erschließen sollte. Die Kassettentechnologie war sowohl ein Medium zur Homogenisierung und Standardisierung der Wiedergabe als auch ein Katalysator für Dezentralisierung, Demokratisierung und die Entwicklung neuer regionaler und lokaler Musikstile. Die relativ geringen Kosten eigener Kassettenaufnahmen beförderten zusammen mit den Möglichkeiten des einfachen Überspielens und Mischens die Ausweitung musikalischer Produktionen im Amateur- und im semiprofessionellen Bereich, häufig für ein spezialisiertes oder lokales Publikum (Connell, Gibson 2003, 58–60). Insbesondere auf informellen Märkten wurde die Kassette zum Hauptmedium der Distribution internationaler Musik (Wallis, Malm 1984). Das Tape war auch eine entscheidende Technologie der Diffusion im frühen Stadium der HipHop-Produktion. So wählt Nelson George als Titelblatt seines Buches Hip Hop America nichts anderes als das Photo einer (weißen) Stereokassette (auf schwarzem Grund), um die Bedeutung der Weitergabe und Zirkulation von Live-Mitschnitten auf Tonband und Mixtape für die lokale und regionale Ausbreitung der Musik in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hervorzuheben (George 1998). In den späten 1970er Jahren reagierte eine weitere Marktinnovation auf die neuen Bedürfnisse der Tanzgenres Disco und Reggae. Die twelve-inch oder Maxisingle mit der Größe einer normalen 30 Zentimeter-LP und der Abspielgeschwindigkeit einer Standardsingle von 45 Umdrehungen pro Minute ermöglichte durch die erweiterten Rillen eine optimierte Nutzung des oberen und unteren Frequenzbereichs der Musik. Die Maxi verlängerte außerdem die Tonträgerspielzeit im Vergleich zu einer normalen Single um das Drei- bis Fünffache, was es DJs leichter macht, einen möglichst kontinuierlichen Musikfluss für die Tanzfläche zu gewährleisten (Keyes 1996, 236–237). Zudem wird die einzelne Platte beim Auflegen und Manipulieren handlicher, da das Justieren der kleinen Single auf dem Plattenteller mit Hilfe eines Zentrierstückes entfällt. Mit der Maxi-Single entstanden Veröffentlichungen, die eine ganze Anzahl verschiedener Mixe ein und desselben Stückes enthalten konnten: dance mix, bass mix, a capella mix, dub mix, instrumental mix, house mix, radio mix etc. Jeder dieser Mixe ist für verschiedene Zwecke und unterschiedliche Orte gedacht und reflektiert, dass Konsumtionsmuster integrale Aspekte musikalischer Produktionsprozesse geworden sind (Théberge 1997, 242). Frühe Ansätze einer rein elektronischen Klangerzeugung mündeten in den 1960er Jahren in die Entwicklung erster kommerzieller Synthesizer, deren Oszillatoren meist mit Hilfe von Klaviaturen spiel- und konfigurierbar waren. Über Bear-

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beitungseinheiten wie Filter, Verstärker und Modulationsgenerator werden Oszillatoren manuell angesteuert, deren Klänge durch Rauschgeneratoren, Misch- und Effektgeräte weiter verändert werden können. Trotz der anfänglichen Beschränkung auf einstimmige Klänge und der fehlenden Möglichkeiten einer dauerhaften Programmierung spezialisierten sich Gruppen und Künstler wie Kraftwerk, Tangerine Dream oder Jean Michel Jarre früh auf diese Art der elektronischen Klanggestaltung, die sowohl im Studio wie live auf der Bühne nutzbar war. Programmierbare und digitale Synthesizer, die mit Bauelementen von Computern bestückt waren und durch externe Steuerungsgeräte einfacher und variabler angesprochen werden konnten, fanden Ende der 1970er Jahre nicht zuletzt durch eine aggressive Marktpolitik der Elektronikhersteller rasch Verbreitung (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 522–529). Die sequentielle Programmierbarkeit der Geräte stimmte überein mit dem Bedürfnis, gleichförmige Klangwelten zu erschaffen und so dem Starrummel und der Aura der Ernsten Konzertmusik oder der Rockmusik eine klare Sprache musikalischer Visionen entgegenzustellen. Zusammen mit dem relativ unpersönlichen Zugang zu musikalischer Produktion in den anonymen und versteckten Studios hat hier die Konnotation von elektronischer Klangerzeugung als modern, rationell, maschinell und mechanisch ihren Ursprung. Neben avantgardistischen Rock- und Popmusikern, für die experimentelle elektronische Klangerzeugung zu einem Stil prägenden Element ihrer Arbeit in den späten 1970er und den 1980er Jahren werden sollte, wussten vor allen Dingen P-Funk- und Disco-Musiker die perkussiven Möglichkeiten der intensiven Wiederholungen kurzer rhythmischer Takteinheiten bei konstantem Tempo zu nutzen. Die Möglichkeiten der Musiktechnologie standen so in einem gegenseitig reziproken Verhältnis zu den ästhetischen und formalen Kriterien zeitgenössischer Tanzmusik. Wer ernsthaft behauptet, hier habe die Maschine den Menschen geschluckt, hat noch nichts gespürt von dem Gefühl, in eben genau diesem Gleichmaß sich zu verlieren, konturlos zu werden, ganz unanfällig gegenüber jeglichem Pathos, unanfällig dafür, auf ein Finale hin zu hören. (Büsser 2002, 18)

Eine Weiterentwicklung des digitalen Synthesizers ist der Sampler, ein Gerät, das Analogsignale in digitale Werte umwandelt. Vom eingehenden Amplitudenverlauf werden dabei in extrem kurzen und gleichmäßigen Zeitabständen Messproben gezogen, die ein Wandler zu Digitalinformationen verarbeitet. Der Sampler speichert diese digitalen Werte und hält sie für eine musikalische Nutzung oder die spätere Bearbeitung verfügbar. So können die gespeicherten Samples durch Programmierung beispielsweise beschleunigt, transponiert oder verfremdet werden. Häufig eingesetzt wird die Schleifenfunktion (loop), bei der ein oder mehrere Samples wiederholt ausgelesen werden, um einen kontinuierlichen Klangfluss zu gewährleisten. Die Speicherung von Steuerbefehlen für den Sampler und verschiedene andere Geräte übernimmt ein Sequenzer, der die digitale Programmierung, Automatisierung und Synchronisierung der elektronischen Klangerzeugung ermöglicht. Mit der Einführung des Musical Instrument Digital Interface (MIDI)Standards im Jahre 1983 wird die Kommunikation zwischen verschiedenen elek-

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tronischen Musikinstrumenten (Keyboards, digitale Rhythmusgeräte, Sampler, Effektgeräte etc.) und Aufnahmeapparaturen über Steuerspannungen standardisiert. Es wird möglich, von einem einzelnen Steuerpult aus komplexe elektronische Kompositionen einzuspielen und aufzuzeichnen. Für den musikalischen Produktionsprozess hat dies weit reichende Konsequenzen. Zum einen gewinnen Produzenten- und Technikerfunktionen weiter an Bedeutung. Im HipHop beispielsweise ist es gängige Praxis, neben den Künstlern auch die Produzenten der einzelnen Stücke einer Platte aufzuführen, da sie es sind, die einem Stück die entscheidenden musikalischen Grundstrukturen einkomponieren. Zum anderen hat sich der musikalische Produktionsprozess wieder weiter dezentralisiert und demokratisiert (Toynbee 2000, 94–95). Mittlerweile lassen sich auf Software-Basis nicht nur professionelle MIDI-Architekturen für Heimcomputer realisieren, sondern seit der Einführung von Festplattenaufnahmen in den 1990er Jahren auch vollständige Musikproduktionen. So steht heute das homerecording der bedroom producer für eine Privatisierung der musikalischen Produktion, der eine Intimisierung der musikalischen Konsumtion an der heimischen Stereoanlage, zwischen den Kopfhörerschalen des Walk- oder Discman oder vor den Multimedialautsprechern des internetfähigen Heimrechners entspricht (Bull 2000; Lincoln 2005). Die neuen elektronischen und digitalen Weiterentwicklungen seit der Einführung der Mehrspurtechnik wurden als Zeichen einer zunehmend rationalen Kontrolle oder gar der technologischen Determiniertheit des musikalischen Produktionsprozesses interpretiert. Die hyperkorrekte arithmetische Funktionsweise der Technologie, die Programmierbarkeit und Manipulierbarkeit jedes einzelnen Tones sowie die graphische Darstellung einzelner Klangverläufe, die per Software bis auf Sekundenbruchteile genau auf dem Bildschirm eingefroren werden können, sprechen für die vollkommene Herrschaft des nurmehr einzelnen, technisch versierten Computernutzers über die Musik. Die Beschränkungen der fehlerfreien Reproduktion exakter musikalisch-mathematischer Abläufe gegenüber einer organischen Live-Einspielung mit traditionellen Instrumenten allerdings wurden früh in der Konstruktion und Anwendung der Klangerzeuger reflektiert. Synthesizer beispielsweise wurden mit Prozeduren ausgestattet, die, wenn die entsprechenden feel, humanize oder funkiness Knöpfe betätigt wurden, kleinere Unregelmäßigkeiten in Geschwindigkeit oder Tonhöhe ausgaben. Entscheidend für die weitere ästhetische Entwicklung von populärer Musik war allerdings die Möglichkeit, neben musikalischen Tönen traditioneller Instrumente auch die verschiedensten ‚nichtmusikalischen‘ Klänge zu samplen und nutzbar zu machen (Goodwin 1992, 78–79). Im HipHop fließen gesamplete Alltagsgespräche, Ausschnitte aus Nachrichtensendungen, Versatzstücke aus politischen Reden, Erkennungsmelodien von Fernsehserien, Teile persönlicher Nachrichten auf Anrufbeantwortern, Babyschreie, Schüsse, Töne von Polizeisirenen oder Alarmsignalen in die Stücke mit ein. Der technologische Wandel seit den 1970er Jahren macht deutlich, dass es sich bei Musik und Musiker um wandelbare, soziale definierte Begriffe handelt, die sich je nach Kontext veränderbar zeigen. Bevor ab etwa 1981 DJs wie Marley Marl den Sampler nutzten, wurden dessen Möglichkeiten bereits von den frühen HipHop-DJ in den 1970er Jahren anti-

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zipiert. Die Techniken des manuellen Ineinandermischens zweier identischer Schallplatten mit dem Ziel, einen kontinuierlichen Fluss der als besonders attraktiv und stimulierend empfundenen rhythmischen Stellen (Breakbeats) eines Musikstücks zu gewährleisten, entsprechen den im Sampler programmierbaren Schleifen. DJs nutzten den Plattenspieler zunächst als Musikapparat, den sie in traditioneller Weise als eine Art technische Extension des Körpers instrumentalisierten, der aber zum Klingen auf andere, zuvor aufgenommene Musik zurückgreifen musste: „HipHop ist [...] Meta-Musik – Musik aus und über andere Musik“ (Mudede 2003). Der Plattenspieler (turntable) „spielt an auf seine Fähigkeit, ‚die Platten zu drehen’ (‘turn the tables’) [...], eine Zukunft aus den Fragmenten des Archivs der Vergangenheit zu gestalten, indem Konsumtion zu Produktion wird“ (Potter 1995, 18). Was DJs bis zu Beginn der 1980er Jahre nur manuell an zwei Plattenspielern und einem Mischpult mit großer Konzentration zuwege brachten, erledigte der Sampler nun auf Knopfdruck. Gleichzeitig eröffnete die neue Musiktechnologie Möglichkeiten, mit anderen Geräten zu experimentieren und sich aus einem digitalen Tonarchiv zu bedienen, das aus den verschiedenen Musikstilen und Klangquellen der Vergangenheit und der Gegenwart zusammengesetzt sein konnte. Dabei geht es nicht darum, möglichst perfekte Übergänge zwischen klar abgegrenzten und wieder erkennbaren Passagen herzustellen, sondern ein gewisses Maß an Fehlern, an Unvollkommenheit, Lärm und Unordnung zuzulassen und einzukomponieren: the rupture (which is not unlike a deep wound on a beautiful face), the incidental noise (which works like a stroll through a city street with its sudden sounds: the siren of an ambulance in the distance, beats booming from a passing car, some madman screaming in a dark and echoing alley), and the wreck (a technological orgasm, a messy attempt to make machines more erotic, vital, human, or ‘full of love’ [...]) are the best blunders of this ‘imperfect art.’ (Mudede 2000)

Diese Praktiken der „Techno-Rebellen aus der Bronx“ (Poschardt 1997, 367) werden voll technologischer Euphorie häufig gelesen als ideale ‚postmoderne‘ Phänomene. Mit Sampling im HipHop kollabierten endlich Unterscheidungen von Hoch- und Popularkultur, zwischen Ernst und Spiel, zwischen von der Realität abgehobenen und alltäglichen Praktiken der Klangerzeugung. Die Neukontextualisierung bereits aufgezeichneter Musik im Sampling könne überkommene Vorstellungen von Original, Autorschaft und linearer Geschichtlichkeit herausfordern, welche mit der formalen und rationalen Ästhetik der Moderne in Verbindung stehen (Shusterman 1994, 157–207). Auch die bewusste Thematisierung des eklektischen Borgens und Klauens im Sampling sowie die Benennung konkreter Orte und Personen im HipHop werden als Selbstreferentialität gedeutet, welche die Hierarchie von Zentrum und Peripherie musikalischer Produktion in einer ‚nachmodernen‘ Welt offenbar gleichrangiger kultureller Differenzen aufgehoben sieht. Abgesehen davon, dass solchen Überlegungen allgemein eine gewisse Geschichtsvergessenheit und die Affirmation der zeitgenössischen Umstände anhaften, bleiben weiterhin drängende Fragen zum Verhältnis von Gesellschaft, Ökonomie und Kultur verdeckt (Eagleton 1997; Behrens 2002). Wenngleich neue Musiktechnologien dazu beitragen konnten, herkömmliche Definitionen von

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Musiker, Musizieren und musikalischer Originalität zu verändern, so bleiben die nach wie vor musikindustriell vermittelten Prozesse von Produktion und Konsumtion zentral. Die Bedeutung musikalischer Authentizität beispielsweise ist ungebrochen: Der Musiker muss seine Kompetenz am Mikrofon, an seinem Instrument oder an den elektronischen Klangerzeugern beweisen. Dazu dient insbesondere die visuelle Darstellung auf der Bühne, in Printmedien, im Fernsehen oder Internet, wo Präsenz und Fähigkeiten des kompetenten Musikers als Autor multimedial konsumiert werden können. Selbst wenn auf der Bühne die Musik zu einem Rap-Track komplett von einem digitalen Tonträger per Knopfdruck abgerufen wird, bleibt die Bedienung des Rekorders doch immer einem sichtbaren DJ vorbehalten, der sich hinter seinen Instrumenten, den Plattenspielern, aufgebaut hat. Autorschaft und kreative Eigenleistung der Musiker (‚Hört und seht her, ich starte den von mir produzierten oder von mir ausgesuchten Track, zu dem mein MC jetzt seinen Text rappt! ‘) finden weiterhin ideologische und ökonomische Anerkennung. „Pop frisst sich vielleicht auf, die alten Ideologien und die alte Ästhetik stehen aber weiter auf der Speisekarte“ (Goodwin 1990, 272). Zusammenfassend stehen einige wichtige sozialräumliche Effekte von Musiktechnologie am Anfang der Entwicklung eines eigenständigen Genres HipHopMusik: (1) Musik kann (und muss) an den unterschiedlichsten Orten gehört werden. Die Mobilität von Musik, welche politische und soziale Grenzen zu überbrücken scheint und nicht länger zwingend von besonderen Räumen oder Zeiten einzurahmen ist, bleibt jedoch weiterhin durch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse des Zugangs zu technologisierten Produktions- und Konsumtionsmaterialen eingeschränkt. Musikproduktion wird nach wie vor warenförmig vermittelt und ist nie frei von ökonomischen Bindungen an bestimmte Zwecke, Orte und Zeiten. (2) Technik aber determiniert keineswegs die gesellschaftliche Entwicklung, sondern Erfindung und konkrete Nutzung von Klangapparaten stellen sozial vermittelte Praktiken dar. Welche Techniken auf welche Weise tatsächlich praktische Anwendung finden und welche Funktionalitäten in unterschiedlichen Kontexten ausgespart werden, bleibt relativ schwierig vorherzusagen. Der Gebrauch von Techniken in Raum und Zeit erfolgt zwar entsprechend des Zwecks, der jeweiligen Marktbedingungen und der gesellschaftlichen Konventionen. Zugleich aber werden kreative und subversive Potenziale der Klangerzeugung eröffnet, die Geräte nie genau zu dem Zweck und in exakt dem Umfang zu nutzen, für die sie ursprünglich konzipiert wurden. Musiktechnologie ist in vielen Fällen reversibel, ein Radioempfänger ist ein potentieller Radiosender, ein Kopfhörerlautsprecher ein Mikrofon, ein Kassettenspieler ein Kassettenrekorder. (3) Die Quantität musikalischer Klänge steigt rasant an, da vermehrt neue, elektronisch speicherbare Klänge akkumulieren und Musik selbst aus räumlich und zeitlich entfernten Kontexten immer wieder erfahren werden kann. Die Ubiquität von Musik lässt die aurale Erfahrung stärker in den Hintergrund der eigenen Wahrnehmung treten. Musik verliert ihren traditionellen Ritualcharakter, sie wird zu etwas, was nicht gegen das Alltägliche definiert wird, sondern einen Teil des Alltäglichen ausmacht. (4) Durch neue Reproduktionsgeräte wird musikalische Erfahrung zunehmend individualisiert. Der Hörer kann häufig entscheiden, was er wo und wann hört. In

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ihrer Warenförmigkeit wird Musik dann ganz individuell besessen, sie gehört dem Hörer und fließt zu einem bedeutenden Teil in seine Selbstentwürfe ein, die sich immer häufiger über die Nutzung und Umnutzung von Klängen anderer ausdrücken (Frith 1996a, 235–237). Durch technologisch vermittelte Klänge setzen sich Menschen zu sich selbst, zu anderen und zu ihrer Umwelt in Beziehung (Bull 2004). (5) Musiktechnologie hat die Qualität musikalischer Klänge verändert. Die elektronisch verstärkte Produktion von Musik als more than human oder bigger than life verweist auf neue Klangbilder, die außerhalb bisheriger Erfahrungen liegen. Erhöhte Lautstärke, Detailschärfe, Geschwindigkeit und Heterogenität von rhythmischen, melodischen und harmonischen Aspekten verschmelzen zu komplexen virtuellen Klangumwelten. Lautsprechersysteme, Hochleistungswiedergabegeräte und digitale Medien ermöglichen ein Klangerleben, das zugleich Möglichkeit des privaten Rückzugs in eine umhüllende Klangwelt und eine Anbindung an musikalische Netzwerke und Ströme bieten kann (Middleton 1990, 95). (6) Technologie hat nicht nur den Klang, sondern auch den Sinn einer Live-Darbietung verändert. Jede Aufführung in Kopräsenz des Musikers wird mit der Erinnerung an eine Aufnahme abgeglichen. Die Erfahrung eines Stückes auf der Bühne misst sich an einem Aufzeichnungs-Bewusstsein (recording consciousness) des Publikums und der Musiker, einem Sinn dafür, wie es optimalerweise klingen sollte. Zugleich kristallisieren sich Genres nicht länger nur über Klang, sondern zusätzlich über das Zur-Schau-Stellen, Ästhetisieren und Beherrschen von technologischem Material heraus. So verdrängten in den 1980er Jahren DJs mehr und mehr Live-Bands in den Clubs und Diskotheken (Thornton 1997). (7) Im Laufe des 20. Jahrhunderts verschob sich das Verhältnis von Musiker, Produzent und Techniker bei der Erstellung einer Aufnahme immer wieder graduell, bis sich diese funktionalen Grenzen im kompakten Heimstudio gänzlich aufzulösen scheinen (Hein 2001). Parallel zu dieser Entwicklung verlieren Fragen nach der menschlichen oder maschinellen Herkunft der Klänge tendenziell an Bedeutung, da Musik ohne Technik und Technologie nicht länger denkbar ist. Authentizität wird immer weniger mit schöpferischer Einzigartigkeit und musikalischer Aura in Verbindung gebracht, sondern macht sich fest am kreativen Abarbeiten an Kopien und der Beherrschung des „instrumentellen Instruments“ (Toynbee 2000, 68). (8) Musiktechnologie fragmentiert musikalische Konsumtion und Produktion. Seit dem Disco-Sound der 1970er Jahre werden populäre Musikstücke immer weniger in ihren Liedstrukturen als songs gedacht und immer häufiger in ihren Klangstrukturen als tracks (Wynands 1995, 10). Musik wird in Teilen eines musikalischen Referenzfeldes mit elektronischen Spuren, historischen Fährten und sozialräumlichen Fluchtlinien gehört. Der Gedanke eines historischen Fortschritts in der Musik muss hier enden, als sich jede Art des Musizierens immer auf bereits vorhandene Klänge bezieht (Frith 1983, 164). Musiktechnologien verändern in diesem Sinne Auffassungen von Zeit und Raum grundlegend (Berland 1998). (9) Technologische Entwicklungen und die Veränderungen der Organisation ihrer Nutzung führen zu Prozessen von Zentralisierung und Dezentralisierung. Durch relationale Abhängigkeitsbeziehungen und Kontrollmöglichkeiten auf unterschiedlichen Maßstabsebenen werden so immer wieder neue Zentren und Peri-

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pherien konfiguriert (Meusburger 2006b). Jeder Tendenz der Demokratisierung oder Verbreitung von Technologie stehen zentralisierende und standardisierende Prozesse entgegen, die ihrerseits an der räumlichen, sozialen oder ökonomischen Peripherie untergraben werden. Im HipHop fällt die Bewertung von Technologie abhängig von der konkreten Fragestellung, vom zeitlichen Horizont und von der gewählten räumlichen Maßstabsebene unterschiedlich aus. Werden die technologischen Mediationen im Hinblick auf die Geschichte von Black Music und der oralen Tradition kultureller Kommunikation thematisiert, kann ein reziprokes Verhältnis von Technologie und kulturellem Wandel unterstellt werden: „HipHop macht Technologie menschlich und technologisiert Mündlichkeit“ (Rose 1989, 41). Wird stärker auf Aspekte von Performanz fokussiert, werden two turntables and a microphone zu Instrumenten einer puren und puristischen, auf die grundlegenden Techniken reduzierten Rap-Musik, deren Protagonisten mit einfachen und ehrlichen Mitteln Technologie für ihre Praktiken ge- und missbrauchen. Fragen nach Subversion, Authentiziät und Kreativität musikalischer Produktion bleiben hier entscheidend (Bärnthaler 1998; Snapper 2004). Rücken dagegen stärker musikökonomische Mediationen in den Blickpunkt, gewinnen die Kontexte musikalischer Produktion und Konsumtion an Bedeutung. Zugang zu und Verfügbarkeit von Technologie sind sozial wie räumlich ungleich verteilt. Die musikindustrielle Verwertung von Musik bleibt angewiesen auf die Produktion von Musikinstrumenten, Reproduktionsgeräten und physischen Tonträgen, auf die Vermarktung von Rechten und damit auf Autorschaft und Verlag sowie auf multimediale Distributionssysteme. The detailed effects of technology may be unpredictable (nothing is used in the way the industry expected), but the general trend is undeniably conservative. What is most startling about the history of twentieth-century sounds is not how much recording technology has changed music, but how little is has. (Frith 1996a, 245)

In den folgenden Kapiteln soll auf die die musikalischen Praktiken der frühen DJs und auf musikökonomische Mediationen eingegangen werden. Auf der geographischen Mikroebene stehen zunächst die konkreten Handlungen und Praktiken einiger früher Protagonisten im Zentrum, der Party-DJs der 1970er Jahre in New York City. Anschließend wird der frühe Einfluss musikökonomischer Überlegungen auf die Entstehung und Verbreitung von HipHop thematisiert.

3.2.4 Wissen Können: die frühen HipHop-DJs [H]ip-hop constitutes itself as a knowledge, complete with its own discursive forms, both citing and siting its own tradition(s). (Potter 1995, 22) Ich höre nicht auf, nach Harlem zu gehen, um zu lernen. (Keller 1981b, 39)

Popgeschichtsschreibung wird in der Regel an Personen und ihren musikalischen Leistungen festgemacht. Die Identifizierung der wichtigsten Zeitschnitte, zu denen ein kreatives Individuum musikalische Innovationen geschaffen hat, die ein Genre verändern oder gar neu begründen, die Auflistung der entscheidenden Ent-

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stehungsorte und -zusammenhänge sowie die Etablierung eines Kanons wegweisender Aufnahmen sind die üblichen Ergebnisse pophistorischer Dokumentation. Dies gilt für Jazz, Country, Rhythm & Blues und Rock ebenso wie im HipHop. Der Zeitraum zwischen 1973 und 1978 wird im Allgemeinen als frühe Ära der HipHop-DJs identifiziert, während der die „Gründungsväter“ mit ihren Fähigkeiten an Plattentellern und Mikrofon den Grundstein für die Entwicklung des Genres legen konnten (George 1993). Obwohl durchaus unterschiedliche Auffassungen bezüglich des konkreten Einflusses einzelner Personen bestehen und mehrere, sich teilweise widersprechende Erzählungen Anspruch auf Gültigkeit erheben (Toop 1991, 69), konnten sich im Laufe der Zeit zumindest drei Künstler eine historische Stellung sichern. Kool DJ Herc, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa trugen auf ihre je eigene Weise zu den grundlegenden Techniken von HipHop-Musik bei (Morley 1992, xxi–xxii; Poschardt 1997, 163– 186). Hinzu treten noch mehrere andere DJs wie Grandwizzard Theodore, DJ Hollywood, Grandmaster Caz, DJ Breakout oder Charlie Chase, die an der einen oder anderen Stelle der verschiedenen kursierenden Geschichten als weitere zentrale Figuren auftauchen. Aufgrund des jungen Alters von HipHop kann sich die Geschichtsschreibung bis heute direkt auf aktuelle Aussagen der zentralen Personen, auf Tonaufnahmen und Filmmaterial beziehen. Das niedergeschriebene Interview und die persönlichen Erzählungen sollen auch hier – mit all ihren Schwächen und Widersprüchen – die zentrale Dokumentationsinstanz und die wichtigste archivarische Quelle der Geschichte von HipHop-Musik sein. Clive Campbell emigrierte 1967 als Zwölfjähriger mit seinen Eltern von Kingston in die USA (Hager 1984). Wie die meisten anderen Immigranten aus Jamaika, ließen sich auch die Campbells in New York City nieder, wo zu dieser Zeit mehrere 10.000 Menschen aus der Karibik siedelten (Groneman, Reimers 1995). Aufgrund seiner physischen Statur und der sportlichen Fitness bekam Clive Campbell auf der high school schnell den Spitznamen ‚Hercules‘, den er in seinen Graffiti-Aktivitäten aufgriff und als ‚Herc‘ in Graffiti-Schriftzügen verwendete. Musikalisch brachte Kool Herc, wie er fortan genannt wurde, aus erster Hand das Wissen um die mobilen sound systems, die jamaikanischen Traditionen des toasting und den kompetitiven Charakter von DJ-Musik mit in die Bronx (Gonzales 1998). Ab 1973 begann er als DJ auf privaten house parties (zunächst in einem Gemeinschaftsraum seines Wohnblocks in der Sedgewick Avenue im Westen der Bronx) oder auf öffentlichen block parties in Parks, Kultur- oder Gemeindezentren seine Platten aufzulegen. Kool Herc war weder der erste noch der einzige DJ dieser Art, er orientierte sich vielmehr an Disco-DJs wie Grandmaster Flowers, Francis Grasso oder Pete DJ Jones, die Anfang der 1970er Jahre in den Clubs von New York zu hören und zu sehen waren. Was ihn von diesen Vorgängern aber unterschied, war zum einen seine neue Mischung aus härterer und lauterer Funk-, Rhythm & Blues- und lateinamerikanischer Musik, die sich von der weichen und stilistisch eingeschränkten Disco-Musik absetzen wollte. Zum anderen entwickelte Kool Herc eine neue Art, Musik aufzulegen. Ihn interessierten weniger die kompletten Musikstücke, sondern deren rhythmisch ausgeprägte Stellen, die breaks, in denen Bass, Rhythmusgitarre, Pauke oder Kongas für einige Sekunden im Vorder-

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grund stehen. Da hier die Tänzer ganz besonders lebhaft reagierten, wollte Herc diese Passagen isolieren und in einen stetigen Fluss von Wiederholungen überführen. Dies gelang ihm mit Hilfe von zwei Plattenspielern, die mit derselben Platte bestückt waren, und zwischen denen er hin und her wechselte. Spielte auf dem einen Teller die entsprechende Stelle, wurde auf dem zweiten der Beginn der identischen Passage lokalisiert. Am Ende eines break wurde die Nadel des jeweils anderen Plattenspielers auf den Ausgangspunkt desselben break aufgesetzt und so fort. „Er hielt den Beat einfach im Fluss“ (Afrika Bambaataa, zitiert von Toop 1991, 60). Diese Breakbeat-Musik, das Aufbrechen bestehender musikalischer Einheiten und die Rekontextualisierung von Klangteilen in neue Strukturen, stellt bis heute, wenn auch technologisch verfeinert und elektronisch (re)produziert, das entscheidende Basiselement von HipHop dar (The 150 most... 2002, 137). Kool DJ Hercs Einfluß reichte allerdings weit über diese rein musikalische Innovation hinaus. Kevin, ein damals zwölfjähriger Partygänger, erinnert sich: The thing I mostly remember was how loud the music was. The sound overtook you. The place was packed – a real sweatbox. Herc was on the mike. He’d say things like ‘Rock the house’ and call out the names of people at the party. [...] After that first time, we didn’t want to go anywhere else. It was Kool Herc’s, Kool Herc’s, Kool Herc’s. Every weekend. There was no such thing as b-boys when we arrived, but Herc gave us that tag, just like he named his sound system the Herculords and he called me and my brother the Nigger Twins. He called his dancers the b-boys. (Hager 1984, 32)

Was Kool DJ Herc auszeichnete, war die Größe, Lautstärke und klangliche Klarheit seiner mobilen Anlage, welche die systems seiner Nacheiferer und Wettbewerber wie Afrika Bambaataa und Grandmaster Flash lange Zeit in den Schatten stellte (Beckman, Adler 1991, 15; George 1993). Ganz in jamaikanischer Tradition griff auch er ab und an zum Mikrofon, um sich entweder selbst zu rühmen, einzelne Gäste im Publikum zu grüßen oder die Tänzer anzufeuern. Herc arbeitete mit einer eigenen kleinen Tanzmannschaft, die er b(reaker)-boys nannte und die als erste und zugleich namensgebende Breakdancer gelten können (Verán 1999). Während seiner Veranstaltungen war er zudem auf der Suche nach tänzerischen und musikalischen Talenten, die nach und nach in seine Herculords crew aufgenommen wurden. Zu den bekanntesten Mitgliedern zählen die MCs Coke La Rock, Timmy Tim und Clark Kent sowie DJ Red Alert. Die Popularität von Kool DJ Herc erreichte 1974/75 ihren Höhepunkt, bevor sein Stern Ende der 1970er Jahre langsam zu sinken begann, nachdem er auf einer Party unverschuldet in eine Messerstecherei verwickelt wurde. Zudem überholten ihn neue DJs mit ihrer technischen und handwerklichen Versiertheit an den Plattentellern und den neu aufkommenden Elektronikgeräten (Toop 1991, 62). Wie Kool DJ Herc wurde auch Joseph Saddler alias Grandmaster Flash auf den Westindischen Inseln geboren, zog aber wenig später mit seinen Eltern von Barbados weg und wuchs im New Yorker Stadtteil Bronx auf. Seinen Künstlernamen verdankt Flash der Geschwindigkeit an den Plattentellern, den er mit dem Titel eines Großmeisters aus zeitgenössischen japanischen Kung-Fu Filmen verband. Ausgebildet in Elektronik und beeinflusst vom Plattenarchiv seines Vaters besaß Flash überdurchschnittlich großes musikalisches und technisches Wissen. Bei seinen Auftritten griff er auf Musik von James Brown, Sly and the Family

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Stone, Barry White oder The Jackson Five zurück, die er nach den Regeln der Breakbeat-Musik von Kool Herc nutzte und um kunstvolle Manipulationen an den Plattentellern anreicherte. Die Anlage des Disco-DJs Pete Jones lieferte ihm zunächst die Idee zum Bau einer elektronischen Weiche, mit der die Musik des zweiten Plattentellers über Kopfhörer vorzuhören und exakter zu mischen war, als es Kool Herc vermochte (Toop 1991, 63). Mit punch phasing und backspinning entwickelte Flash zwei weitere Grundtechniken des DJing. Punch phasing erlaubt es, die Breakbeats nicht nur aneinander zu reihen, sondern sie über ein komplettes anderes Stück zu legen. Während auf einem Teller ein Lied abgespielt wird, kann der zweite Plattenspieler zur Anreicherung, Betonung oder Konterkarierung genutzt werden. Beim backspinning wird durch das schnelle Zurückziehen einer Platte bei aufgelegter Nadel eine kurze musikalische Phrase in direkter Folge wiederholt. Es handelt sich dabei häufig nur um Ausrufe wie Let’s dance oder Rock it, die zwischen die Breakbeats gemischt werden (Poschardt 1997, 172–173). All diese neuen manuellen und manchmal auch mit Ellbogen, Kinn oder Füßen durchexerzierten Praktiken der musikalischen Manipulation bedurften hoher Präzision und großer Konzentration. Flash erdachte sich eine Uhr-Methode, nach der er die Innenlabel der Vinylplatten wie das Ziffernblatt einer Uhr zu lesen verstand, um punktgenau auf einzelne Stellen der Rille zu ziehen (Hager 1984, 36). Durch monatelanges Einüben von Standards in der Küche seines Appartements gelang es Grandmaster Flash schließlich – eindrucksvoll demonstriert in einer Sequenz des Films Wild Style und zu hören auf The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel [Sugar Hill, 1981] – drei Plattenspieler gleichzeitig zu bedienen. Auch Grandmaster Flash sammelte Schüler und Gefolgsleute um sich. Der bekannteste von ihnen ist wohl Grandwizzard Theodore aus der Bronx, dem die Entwicklung von scratching zugeschrieben wird (George 1993). Durch das wiederholte Vor- und Zurückziehen der Platte bei aufgelegter Nadel erzeugt der DJ hohe und schnelle Kratzlaute in rhythmischen Mustern. „Jeder kann eine Platte mixen, aber wenn man scratcht, kreiert man einen Rhythmus“ (Grandwizzard Theodore, zitiert von K-Born 2004, 92). Erweitert wurden die Fertigkeiten von Grandmaster Flash außerdem durch die Integrationen einer Schlagzeugmaschine, der beat box, welche auf Knopfdruck einige elektronisch verstärkte Standardrhythmen abspielen und Pausen zwischen zwei Stücken überbrücken konnte. Neben dem scratching war die beat box eine innovative Art, das Publikum zu unterhalten und einen weiteren Schritt zur Musikproduktion jenseits der eigenen Plattenkisten zu vollziehen. Aus seiner crew rekrutierte Flash die fünf Rapper The Furious Five, welche zum ersten Mal neben Anpreisungen des DJs auch eigene Textzeilen verfassten, die sie über den musikalischen Fluss der Beats legten und diese zum Teil mit Gesangselementen anreicherten. Grandmaster Flash erinnert sich: There were these dancers Debbi and Terri who used to got through the crowds shouting ‘Ho!’ and people picked up on that. Cowboy came up with a lot of phrases and had a powerful voice that just commanded attention. ‘Throw your hands in the air!’ ‘Clap to the beat!’ ‘Somebody scream!’ all came from Cowboy. Kid Creole and his brother Melle Mel were the first to really flow and have a poetic feel to their rhymes. They were the first rhyme technicians. They were the first to toss a sentence back and forth. [...] Like syncopating to the beat of music was

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incredible. You just didn’t get it overnight. You had to play with it, develop it, break things, make mistakes, embarrass yourself. (Grandmaster Flash, zitiert von George 1993, 48–49)

Die Tänzer und vor allem die MCs traten damit als neue und eigenständige Akteure von HipHop-Veranstaltungen auf. Und obwohl die Rapper zunächst nur die gebannte Aufmerksamkeit der Zuhörer weg von den virtuosen DJs wieder hin zum Tanzen verlagern sollten, rückten sie selbst spätestens ab 1978 ins Rampenlicht (Hager 1984, 39). Ein dritter früher Protagonist, Bambaataa Aasim, ist weniger für seine innovativen Techniken an den Plattentellern bekannt, als für seine eklektische Auswahl obskurer Klangquellen sowie für ein neues Verständnis von HipHop als integrativer sozialer und politischer Bewegung mit internationaler Reichweite. Er selbst gab sich, inspiriert von einem Film über einen afrikanischen Zulu-Stamm, der sich gegen die britischen Kolonialherren auflehnte, den Namen Afrika Bambaataa – der „einfühlsame Führer“ (Fernando 1994, 6–7). Ähnlich wie Grandmaster Flash eiferte er zunächst den zeitgenössischen Disco-DJs nach und wurde später zu einem Schüler Kool Hercs. Aufgrund der großen Spannbreite seiner musikalischen Einflüsse der 1960er Jahre, die ihn mit der Musik von Motown, Stax, James Brown und Isaac Hayes ebenso vertraut werden ließen, wie mit den Beatles, Barbara Streisand, The Who oder Led Zeppelin, wurde er zum „Meister“ oder „König der Platten“ geadelt (George 1993, 47). Er spielte alles „was auch immer rockte, egal, was es war“ (Afrika Bambaataa, zitiert von Beckman, Adler 1991, 23). Ohne Rücksicht auf Konventionen mischte Bambaataa die Titelmelodie einer Fernsehserie mit einem Breakbeat von James Brown und den Pieptönen japanischer Spielkonsolen. Sein größter Hit Planet Rock von 1982 wurde zusammen mit den Produzenten Arthur Baker und John Robbie komplett synthetisch im Studio eingespielt und beruhte auf dem Stück Trans Europa Express der Düsseldorfer Elektropop-Formation Kraftwerk. Auch Bambaataa hatte mehrere Proteges wie Grandmixer D.St, Afrika Islam oder die Rapper der Soulsonic Force. Anfang der 1980er Jahre war Bambaataa der populärste HipHop-DJ mit der größten Fangemeinde in New York City, noch vor Grandmaster Flash. Bambaataa war zu Beginn der 1970er Jahre Mitglied der Black Spades gewesen, einer der Straßengangs, die sich zwischen Drogenhandel und –konsum, rassistischen Repressionen und exzessiver Gewalt unter ‚Schwarzen‘ ab 1968 in New York City ausbreiteten. Als sich eine Deeskalation der Gangaktivitäten abzeichnete, gründete Bambaataa 1973 die (Universal) Zulu Nation, einen losen, „quasireligiösen, quasimythischen, quasipolitischen“ Kulturverbund, der unter dem Banner eines umfassenden HipHop-Verständnisses Friedfertigkeit, (‚schwarze‘) Gemeinschaft und historisches Bewusstsein propagierte (Poschardt 1997, 182). Hier sammelten sich nicht nur ehemalige Gangmitglieder, sondern verschiedene Gruppen ethnischer und sozialer Herkunft, die Breakdance, Graffiti oder DJMusik praktizierten. Bambaataa wird ein maßgeblicher Beitrag zur Befriedung der Straßengangs zugeschrieben, indem er kriminelle Machenschaften in kulturelle Kreativität umzuwandeln vermochte. Im Zentrum der eklektischen Ideologie der Zulu Nation nehmen neben „Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Friede, Einheit, Liebe, Respekt, Arbeit, Spaß, Überwindung des Negativen zugunsten des Positi-

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ven, Ökonomie, Mathematik, Wissenschaft, Leben, Wahrheit, Fakten, Glauben und die Einheit von Gott“ insbesondere „Wissen, Weisheit, Einsicht“ eine besondere Stellung ein (The Beliefs of the Universal Zulu Nation o.J.). „Wissen“ berührt hier sehr verschiedene Aspekte von Philosophie, Religion, Naturwissenschaft, Ökonomie, Geschichte, Gesellschaft und Politik, die aufgrund ihrer Allgemeinheit und Vielzahl unterschiedlichste Ansichten unter dem Dach der Zulu Nation vereinen halfen. Grundlegend für die Vereinigung waren jedoch die alltäglichen kulturellen Praktiken von HipHop. „Ohne Wissen konnte sich ein B-Boy nicht auf seinem Kopf drehen, ein DJ sich nicht an die exakte Stelle der Plattenrille erinnern, ein MC seine Atmung während des Rappens nicht steuern und Graffitikünstler keine Kreativität entwickeln“, erklärt Bambaataa in einem Interview. „Wissen ist das Fundament von HipHop!“ (zitiert von K-Born 2005, 88). In wenigen Jahren dehnten sich Bambaataas Ideen über die Stadt- und Staatsgrenzen auch in andere Länder aus. Seine Organisation kann als ein entscheidendes Vehikel für die Diffusion kultureller Formen, ästhetischer Grundlagen und politischer Anschauungen von HipHop betrachtet werden. Während es den drei genannten DJs gelang, sich nachhaltig als entscheidende Figuren der HipHop-Geschichte zu profilieren, wurde Anthony Holloway alias DJ Hollywood vor allem in frühen Publikationen ausführlicher behandelt. So schrieb etwa Nelson George 1980, dass viele der rappenden DJs in New York City Hollywood nachgeeifert hätten, bevor sie ihre eigenen Stile entwickeln konnten (George 1992b, 45). Hollywoods tiefe und ruhige Stimme, mit der er komplexe und außergewöhnlich schnelle Reime zur Musik vortrug, war geschult an den frühen scats der Radio-DJs (Keller 1981b, 37; Morley 1992, xxii). Bereits im Alter von 14 Jahren soll er rhythmisch zur Musik gesprochen, ab 1973 mit einfachen talk overs zu Disco-Platten in den Clubs von Harlem unterhalten und ab 1976 für das Apollo Theater in Harlem oder den Club 371 in der Bronx auch längere Verse auf Papier notiert haben. Auch wenn berichtet wird, dass DJ Hollywood, obwohl als Pausenunterhalter gebucht, mit seinem Sprechgesang den vermeintlichen Stars des Abends den Rang ablief und zum ersten „König des Rap“ gekrönt wurde (Kurtis Blow, zitiert von Rapneck, Moondust 1984, 11), blieb sein kommerzieller Erfolg bescheiden. Hollywood schuf keine bleibenden Innovationen, die zu einem eigenständigen Bestandteil von HipHop hätten werden können. Er agierte zudem vor allem in Harlem und damit an der Peripherie des kulturellen Zentrums (South) Bronx. In seinem „Versuch einer Theorie“ der DJ-Culture von Disco über HipHop und House bis Techno schreibt Ulf Poschardt: Die DJs sind die ersten Musikingenieure, die kein kulturelles Wissen in ihre Arbeit einbringen. Sie sind keine gelernten Musiker, können keine Instrumente spielen und nur selten Noten lesen, dafür aber Fernseher reparieren und Mischpulte zusammenbasteln. (Poschardt 1997, 375)

Nach diesem Verständnis meint „kulturelles Wissen“ einen ganz bestimmten musikalischen Wissensbestand, den der „abendländischen Kultur“ (Poschardt 1997, ebd.). Nur kann es bei DJ-Musik längst nicht mehr darum gehen, den Musikerbegriff als Komponist und Interpret mit einer Ausbildung an einem klassi-

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schen Instrument zu fassen oder gar zu unterstellen, das Unvermögen eine Partitur zu lesen, begründe das Abhandensein von kulturellem Wissen. DJs und Rapper bringen sehr wohl Wissensbestände in ihre Praktiken ein, die sich nach anderen, nicht mehr und nicht weniger wertvollen Kriterien als den klassischbürgerlichen bemessen lassen. Die Musiker verfügen über eine spezifische biographische Vergangenheit, eigene musikalische Hörerfahrungen und Vorlieben, Erfahrungen urbaner Armut, Segregation und Gewalt, eine große lokale und regionale Ortskenntnis, musikalische Kreativität und Inspiration, historisches Bewusstsein sowie ein profundes technologisches Wissen, was alles in einem umfassenden Sinn einen integrativer Teil ihres kulturellen Wissens darstellt. Mit dem Erwerb und der Weitergabe von Wissensbeständen im frühen HipHop sind spezifische räumliche und zeitliche Reichweiten verbunden. Im vorliegenden Zusammenhang erscheinen insbesondere jene Qualifikationen und Fähigkeiten zentral, die von einzelnen Personen entwickelt, weitergeführt und vermittelt wurden. Eine wichtige Eigenschaft dieser Wissensbestände war die lange Zeit an eine persönliche Kopräsenz gebundene Vermittlung der Praktiken. Wie Breaks gemischt, wie scratching oder punch phasing praktiziert werden, konnte zunächst nirgendwo nachgelesen werden, sondern bedurfte des Studiums der DJs vor Ort. Entscheidend war dabei durchaus räumliche Nähe und Erreichbarkeit. Die Clubs und Parks, in denen die DJs auflegten, waren nur wenige Kilometer voneinander entfernt und konnten mit Hilfe des U- und S-Bahnsystems leicht und schnell erreicht werden. Ziel der gegenseitigen Besuche war aber nicht nur das Studium der Techniken anderer DJs, sondern auch die Identifikation der verwendeten Platten, um das eigene DJing zu optimieren. Bambaataa und Flash waren regelmäßige Gäste auf den Veranstaltungen von Kool Herc und kannten DJ Hollywood persönlich: „Es war eine Kameradschaft“ (Grandmaster Flash, zitiert von George 1993, 48). Erst die Beobachtung der Manipulationen an den Plattentellern befähigte, selbst HipHop-DJ zu werden und die bis dahin entwickelten Techniken weiterzuführen. Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung eines eigenen Stils war es, sehr viel zu üben und auszuprobieren, seine Fingerfertigkeit zu perfektionieren und ein Gefühl für die Manipulationen von Vinylplatten zu erlangen (Keller 1981a, 47). Die Entwicklung eines eigenen Stils hob den einzelnen DJ aus der breiten Masse hervor und verschaffte ihm Engagements, eine eigene Fangemeinde, Ansehen und Respekt: Bam, Herc and myself had a science on how to control our crowd. At that time you definitely had to earn it. Not in days, weeks, months – it took years to get a little bit of respect. Then you had to pass through one of the three of us. (Grandmaster Flash, zitiert von George 1993, 47)

Die frühen Wissensbestände waren nicht kodifiziert und stellten eine Art des stillschweigenden Wissens dar. Dieses tacit knowledge blieb an die kreativen Fähigkeiten einzelner Personen gebunden und war nur durch learning by doing zu vermitteln (vgl. Meusburger 1998, 74–76). Die DJs traten dabei als Lehrer und gatekeeper auf, die aus ihrer meist lokalen Fangemeinde einzelne begabte DJs, aber auch Tänzer und MCs rekrutierten, denen sie ihr Wissen an den Plattentellern weitergaben und ihre Tricks offenlegten. „Ich lehre immer noch Kids, die selbst DJ werden wollen,“ sagt Grandmaster Flash zu Beginn der 1980er Jahre (zitiert von

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Keller 1981a, 48). Mit Mean Gene und dessen Bruder Grandwizzard Theodore hatte Flash zu dieser Zeit zwei Schüler, die ihrerseits bereits einen Schützlinge der nun dritten DJ-Generation betreuten. Neben dem technischen DJ-Wissen konnte die Auswahl der verwendeten Musik und die Offenheit gegenüber verschiedensten musikalischen Klängen der Vergangenheit und der Gegenwart über den Publikumserfolg der einzelnen Künstler entscheiden. Das Stöbern im Plattenarchiv der Eltern oder die Suche im Plattenladen, das diggin’ in the crates, war integrativer Bestandteil der Tätigkeit eines DJs. Um sich einen Vorsprung vor den Konkurrenten zu sichern, wurde versucht, die Breakbeats möglichst lange verborgen zu halten (Hager 1984, 33). Die Geheimniskrämerei führte sogar soweit, dass einzelne DJs von anderen auf dem Weg ins Plattengeschäft heimlich verfolgt und ihre Musikauswahl ausspioniert wurde. Vor öffentlichen Auftritten war das Abkratzen und Abwaschen der Plattenlabel in der Badewanne ein probates Mittel, seine musikalischen Quellen eine Zeit lang zu verschleiern. „Die Leute kamen zu nah, verstehst Du“ (Grandmaster Flash, zitiert von George 1993, 47). Diese Praktiken haben Vorläufer in der frühen jamaikanischen Reggae-Musik, wo gar Plattenaufkleber vertauscht wurden, um Rivalen zu täuschen (Hebdige 1987, 64). Auch innerhalb der Ökonomie von HipHop entscheidet Wissensvorsprung über Wettbewerbsfähigkeit und Reputation. Das verwendete musikalische Material bedurfte einer strukturierten Archivierung, die während eines Auftritts den schnellen Zugriff auf die Platten ermöglichte. Einige DJs beschäftigten Assistenten, welche ihnen auf Zuruf eine bestimmte Platte aus den mitgeführten Kisten reichten und den gebrauchten Tonträger wieder an seinem Platz verstauten. Grandmaster Flash ordnete seine Platten nach Tempo und Rhythmus in großen Kästen. Einen für langsame, einen für mittelschnelle und einen für treibende Beats, ergänzt durch ein Archiv für Exotisches und Effektgeräusche (Keller 1981b, 48). Die Entstehung der grundlegenden Techniken im HipHop war an die Leistung und das Können kreativer Individuen gebunden. Sie konnten sich über Vorwissen, Talent und Übung jene neue Wissensbestände erarbeiten, für die sie heute als ‚Gründerväter‘ gefeiert werden. Zwischen 1973 und 1978 war der persönliche Kontakt zwischen den Protagonisten vor Ort entscheidend, um über Beobachtung und Lernen aus erster Hand zum Kreis der Eingeweihten zu zählen. Erst in den frühen 1980er Jahren wurden die Techniken und Klänge der HipHop-DJs schließlich als ‚stabiles‘ Wissen zunehmend in kodifizierte Formen überführt, indem Publikationen das Wie des DJing dokumentierten und Sammlungen von mehr oder weniger obskuren Breakbeats für einen wachsenden Markt auf Platte gepresst wurden. Die Abschottung der frühen Szene kann in Verbindung gesehen werden mit der geographischen Verortung der kulturellen Praktiken. Die Bronx und Harlem waren aus der Perspektive des ‚weißen‘ Establishments der Musikindustrie in midtown und der Clubszene in downtown Manhattan ökonomische und kulturelle Peripherie. Die Erzählungen von frühen HipHop-Veranstaltungen, die in Parks und leer stehenden Häuser ad hoc abgehalten, von Breakdancern und Graffitimalern begleitet, durch Mund-zu-Mund-Propaganda beworben und nur durch

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das unerlaubte Abzapfen vom Strom der Straßenlaternen möglich wurden, vermitteln dabei das Bild einer informellen, selbstgesteuerten und gegenkulturellen Bewegung im halblegalen Umfeld einer großstädtischen Ghettolandschaft. Auch die Bindung von Breakdance-crews und der Anhängerschaft einzelner DJs an bestimmte Stadtviertel (Banes 1985, 98; Toop 1991, 72) wird häufig gelesen als eine starke indigene, sozial und räumlich nach innen gerichtete Orientierung einer kulturellen Bewegung, die, wenn sie nicht durch stadtpolitische Einwirkungen und musikindustrielle Interessen von außen zerrüttet worden wäre, ihre ‚Unschuld‘ und ‚Stabilität‘ noch länger hätte bewahren können. Nach dieser Interpretation beendete das Erscheinen erster HipHop-Platten 1979 für die frühe Szene eine Zeit relativer Abgeschlossenheit gegenüber musikindustriellen Verwertungsprozessen, die sich in den 1980er und 1990er Jahren mehr und mehr verstärken sollten. Hier wird dagegen argumentiert, dass musikökonomische Mediationen bereits bei den Überlegungen der frühen HipHop-DJs eine gewichtige Rolle spielten.

3.2.5 Musikökonomie [H]ip hop is the ultimate capitalist tool. (George 1998, 156)

Als sich Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa 1993 in einem Interview zu den Anfängen von HipHop äußern, wenden sie sich gegen die Tendenzen, ihre frühen Aktivitäten ausschließlich als Teil einer unkommerziellen Subkultur „frei von jeglicher Versuchung der Vermarktung oder Anpassung“ (Poschardt 1997, 178) zu verstehen: Flash: You know what, we was like businessmen. […] It was like three corporations and we carefully did things without realizing it. Bam: We was like businessmen at like thirteen, fourteen. Making our own parties. We had payrolls. Picking the venues or the streets or the centers. Dealing with the politics, or deciding whether you needed police. We dealt with so much business at such a young age. (Zitiert von George 1993, 48)

HipHop hielt für die frühen DJs nicht nur Spaß und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bereit, sondern bot auch Chancen, mehr Geld zu verdienen als die meisten Gleichaltrigen. „Um 1975 trat der freiberufliche DJ, ein unabhängiger Unternehmer, ausgestattet mit einem tragbaren sound system und einer umfangreichen Plattensammlung, als neuer kultureller Held in der Bronx hervor“ (Hager 1984, 33). Die Suche nach Engagements in kommerziellen Clubs oder auf high school Partys bedurfte eines großen sozialen Netzwerkes, einer Vermarktungsstrategie sowie eines zumindest rudimentären betriebswirtschaftlichen Verständnisses. Je größer der Veranstaltungsort und die Gästezahl waren, desto mehr Geld konnten die DJs für ihre Partys verlangen und desto wahrscheinlicher wurden sie erneut gebucht. Die Auswahl der gespielten Musik orientierte sich entsprechend nicht nur an den musikalischen Vorlieben der DJs, sondern folgte dem Geschmack und den Vorlieben des Publikums. Kool Herc berichtet beispielsweise, dass Reggae, die Musik seiner Heimat Jamaika, auf den Partys in New York City

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nicht funktionierte, und er stattdessen populären Funk und Soulmusik auflegte (Fernando 1994, 4). Hier bestimmten der kulturelle Kontext und die Konsumtionsgewohnheiten des Publikums die Produktion der neuen Musik. Die verschiedenen DJs standen zueinander in Konkurrenz um Engagements, Anhängerschaft und die räumliche Ausdehnung ihres Einzugsgebietes. „Wir hatten alle unsere Territorien, und wir mussten uns alle gegenseitig respektieren“ (Grandmaster Flash, zitiert von Forman 2000, 66). In diesem Sinne anerkennt HipHop individuelle Leistung und unternehmerisches Engagement, das die kulturellen Formen von Anfang an fest in einer US-amerikanischen Erzählung von wirtschaftlichem Liberalismus, individueller Freiheit und den Möglichkeiten ökonomischen Aufstiegs verankert. Die Kartierung der frühen Veranstaltungsorte verschiedener HipHop-DJs in New York City veranschaulicht die Territorialisierungen der mobilen sound systems in den Jahren 1973 bis 1981 (Abbildung 1). Kool DJ Herc bespielte vor allem Clubs zwischen Grand Concourse und Harlem River im Westen des Stadtteils Bronx. Es sind hier vor allem kleine Veranstaltungsorte, die sich entlang der Jerome Avenue und des in den 1920er Jahren zum Einkaufs- und Vergnügungsboulevard ausgestalteten Grand Concourse finden. Das Zentrum der Aktivitäten von Grandmaster Flash lag in dieser Zeit in den Parks, Clubs und high schools in einem zentralen Bereich der Bronx zwischen 140th Street und New York Botanical Garden / Bronx Zoo. Seine wachsende Popularität ermöglichte ihm zudem, in den Folgejahren einige größere ballrooms in uptown Manhattan und der Westbronx zu bespielen. Bambaataas sound system war zunächst auf den südöstlichen Teil der zentralen Bronx beschränkt, er war aber eine der zentralen Figuren, die HipHopMusik ab 1980 den Weg nach Manhattan ebneten. Diesen Territorialisierungen lagen weniger stabile Grenzziehungen als dynamische Märkte zugrunde, die von der Konkurrenz um neue Konsumentengruppen und größere Veranstaltungsorte angetrieben waren. Wurde zunächst für die Freunde aus der eigenen Nachbarschaft in Parks und leer stehenden Häusern aufgelegt, entwickelte sich auf den high schools parties schnell eine Nachfrage nach der neuen Musik (Hager 1984, 38). Etwa zur selben Zeit kristallisierten sich drei zentrale Clubs für HipHop heraus (Fernando 1994, 15): Das T-Connection lag etwas nördlich des eigentlichen Zentrums von HipHop, konnte mit einer Kapazität von 3.000 bis 4.000 Personen aber deutlich mehr Zuhörer fassen als die Clubs in der Zentralbronx. Vor allem Afrika Bambaataa konnte hier durch siegreich bestrittene DJ-Wettbewerbe auf sich aufmerksam machen, die ihm schließlich einen Vertrag mit Tom Silvermans Plattenfirma Tommy Boy einbrachten. Das Harlem World an der Nordspitze des Central Park in Manhattan war als Diskothek im Erdgeschoß eines Kultur- und Kommunikationszentrums untergebracht und avancierte nach der zeitweiligen Schließung des bekannteren Apollo Theater zu einem wichtigen Treffpunkt für Jugendliche in Harlem (Keller 1981a, 47). Der Club Disco Fever schließlich lag im äußersten Südwesten der Bronx in unmittelbarer Nähe des Stadion der Yankees, des Grand Concourse und zu Harlem. Als einer der wenigen Clubs in der Bronx besaß das Fever eine aufwendige Lichtanlage und die Atmosphäre der Diskotheken von downtown

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Manhattan (George 1993, 49). Hier kamen die HipHop-DJs zum ersten Mal mit der Extravaganz der Avantgarde- und Punk-Szenen New Yorks in Berührung, die HipHop zu Beginn der 1980er Jahre für sich entdecken sollten.

Abb. 1: Frühe Veranstaltungsorte von HipHop-DJs in New York City. (Quellen : Hager 1984; Toop 1991; Fernando 1994; Cooper 2004; eigener Entwurf.) Mit dem Bestreben der Künstler, das eigene sound system in einem möglichst großen Club zu installieren, um Fangemeinde und Marktterritorium zu vergrößern, traten auch kulturelle Vermittler und Agenten auf den Plan. Die Aufgabe dieser Manager war es, Veranstaltungsorte ausfindig zu machen, die Konditionen der Auftritte auszuhandeln und die Veranstaltungen zu bewerben (Eure, Spady 1991, xxx–xxxi). Der Promoter Ray Chandler verschaffte beispielsweise Grandmaster Flash im Black Door durch eine groß angelegte Flyerkampagne in den high schools der Bronx ein neues Publikum, das für den Besuch der etablierten Clubs

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noch zu jung war (Hager 1984, 36). So wurde der Markt auch nach Alter und musikalischen Vorlieben der Konsumenten segmentiert. Es gab Disco-DJs, die häufig für ein etwa älteres und zahlungsfähigeres Publikum auflegten, und DJs für eine eher junge Hörerschaft, welche die Nachfrage nach HipHop in den öffentlichen Gemeinschaftsräumen oder den high schools decken konnten (Jenkins et al. 1999, 25). Insbesondere die Werbung für Veranstaltungen in Form massenhaft verbreiteter, häufig von befreundeten Graffiti-Künstlern aufwendig gestalteter Handzettel, konnte über den kommerziellen Erfolg eines Abends entscheiden. Um die Veranstaltungen herum, welche häufig zusammen mit anderen DJs, MCs und Breakdancern durchgeführt wurden, formierten sich schnell weitere informelle Ökonomien wie das Bedrucken und der Verkauf von T-Shirts, der Bau und die Rekonfiguration von Musiktechnologie oder der Handel mit Audiokassetten. Die Aufnahmen, welche während der Veranstaltungen mit riesigen Kassettenrekordern als (illegale) Mitschnitte aufgezeichnet, anschließend überspielt und weitergegeben wurden, verhalfen der Musik zur Verbreitung jenseits der Stadtteilgrenzen (Keller 1981a, 48). Obwohl die Aufnahmen von schlechter Qualität waren, fanden sich Abnehmer nicht nur in New York, sondern auch in den angrenzenden Bundesstaaten und im Westen und Südosten der Vereinigten Staaten. Zudem brachte der Verkauf von Kassettenmitschnitten durch die Künstler selbst die Musik in Umlauf. Flash und Bambaataa berichten, dass Chauffeure von Taxis und Limousinen zur regelmäßigen Kundschaft zählten und ihre Fahrgäste mit der neuesten Musik versorgen wollten. Als erstem HipHop-Musiker wurde Grandmaster Flash 1977 der Vorschlag unterbreitet, seine musikalischen Fähigkeiten auf Platte zu pressen. Skeptisch ob des kommerziellen Potenzials eines Tonträgers mit Versatzstücken anderer Platten, lehnte er das Angebot zunächst ab (George 1993, 48–49). Erst zwei Jahre später erschienen mit den Titeln Rapper’s Delight von der Sugarhill Gang und King Tim III (Personality Jock) der Fatback Band zwei Stücke, die gemeinhin als erste Rapsongs auf Platte gelten. Die Fatback Band war keine HipHop-Gruppe aus der Bronx, sondern eine Disco- und Funkband aus Brooklyn. Im Apollo Theater in Harlem wurden sie auf DJ Hollywood aufmerksam, dessen Rapstil sie bei King Tim III beeinflusste. Im Falle der Sugarhill Gang handelte es sich gar um eine für die Plattenaufnahme ad hoc zusammengestellte Truppe: Rap’s sudden explosion from the underground occurred quite accidentially, when Sylvia Robinson, a former singer and co-owner of Englewood, New Jersey-based Sugar Hill Records, heard one of these bootleg tapes and decided to make a rap record. A club bouncer named Hank was rapping along to a performance by Grandmaster Caz while working at a pizza parlor near Robinson’s home. Immediately intrigued with what she heard, she approached Hank about being the third member of an outfit she was putting together called the Sugarhill Gang. (Fernando 1994, 12)

Diese Erzählung ist nur eine von vielen verschiedenen, welche sich um die Rekrutierung der HipHop-Musiker für die erste Plattenaufnahme ranken (für eine leicht abweichende Version, nach der die Begeisterung ihrer Kinder auf Sylvia Robinson übergesprungen sei, vgl. etwa Toop 1991, 80–81). Hier wird deutlich, wie bereits zu einem frühen Zeitpunkt unterschiedliche soziale und räumliche Konstellationen die ökonomische Entwicklung beeinflusst haben. Eine ältere Soulsängerin ent-

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deckte praktisch zufällig HipHop als neuen Musikstil, der weniger sie selbst, als vielmehr eine jüngere Generation begeistern konnte. Von einem Villenvorort in New Jersey aus plante sie, aus dieser Begeisterung Kapital zu schlagen. Ihre Kontakte reichten zwar nicht bis in die Bronx, um dort einen der etablierten DJs oder eine bekannte Gruppe zu rekrutieren. Sie konnte aber eigene Ressourcen mobilisieren und stellte die Sugarhill Gang aus zwei weitgehend unbekannten Rappern ihrer Nachbarschaft und einem Kellner aus der Bronx zusammen. Musikalisch wurden die drei Rapper bei ihren Aufnahmen nicht von einem DJ begleitet, sondern von der Hausband des Labels Sugar Hill, die bekannte Discostücke im HipHop-Stil nachspielte. Hinzu kam, dass die Gang ihre Reime wohl direkt von den Cold Crush Brothers aus der Bronx übernommen hatte, ohne die Herkunft der Texte offen zu legen, Respekt zu zollen oder gar Tantiemen zu bezahlen. Da die Sugarhill Gang weder zur Entwicklung der grundlegenden HipHop-Techniken beigetragen hatte, noch aus der Bronx stammte und sich hier eine eigene Anhängerschaft erspielen konnte, wurden ihre ersten kommerziellen Erfolge mit Erstaunen wahrgenommen, aber auch als Plagiat bezeichnet und mit einer gewissen Abschätzigkeit bedacht. Aus der Sicht der frühen HipHop-DJs lag die Kontrolle über die kulturelle Produktion von HipHop plötzlich nicht mehr bei Künstler aus den lokalen Kontexten der Bronx und aus Harlem, sondern in den Händen der Musikindustrie. Räumlich und sozial weit von den Ursprüngen entfernt, drohten die suburbanen Aufnahmestudios die ‚authentischen‘ Parks und Clubs der Bronx als die entscheidenden Orte der musikalischen Produktion abzulösen. Erst nachdem Rapper’s Delight und einige Folgehits nicht nur in den USA in die Musikcharts vorstoßen konnten, legte sich die Entrüstung über die ‚unechten‘ HipHop-Musiker. Die Möglichkeit, mit HipHop jetzt auch überlokal bekannt zu werden und Geld zu verdienen, stand nun auch den ‚Gründervätern‘ aus Harlem und der Bronx offen. Verschiedene Plattenfirmen in New York City begannen, aus ihrem lokalen Kontext heraus HipHop-Künstler unter Vertrag zu nehmen, ihre Musik auf Maxisingles zu pressen und in die Vertriebsnetze einzuspeisen. Diesen kleineren Plattenfirmen war gemeinsam, dass ihre Betreiber aus einer langjährigen Erfahrung im Geschäft mit Black Music heraus Rap als ‚das neue Ding‘ wahrnahmen, mit dem zumindest kurzfristig Verkaufserfolge zu erzielen waren. So kam Afrika Bambaataa für seine ersten Veröffentlichungen bei Paul Winley Records unter, dessen Besitzer seit den 1950er Jahren als Songwriter arbeitete und einen kleinen Tonträgerladen in Harlem betrieb. Unzufrieden mit der Firmenpolitik wechselte Bambaataa 1982 zur ‚weißen‘ Plattenfirma Tommy Boy Records, die bereits über den Anschluss an ein umfassendes Vertriebsnetz verfügte. Enjoy Records aus Harlem war zu Beginn der 1980er Jahre „das Rap-Label“ schlechthin, als Grandmaster Flash and the Furious Five dort ihre ersten Platten veröffentlichten (Keller 1981, 39). Bobby Robinson, der Besitzer, arbeitete viele Jahre als Rhythm & Blues-Produzent und Talentsucher an der Ostküste der Vereinigten Staaten und sprang früh auf den neuen Trend auf. Enjoy allerdings löste die Verbindung mit Flash bald wieder und überließ die Verträge dem Sugar Hill Label, das aufgrund der frühen Erfolge über größere Marktmacht und Distributionsreichweite verfügte (Toop 1991, 90–91). Sugar Hill stand mit Sylvia Robin-

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son eine erfahrende Musikerin und Geschäftsfrau vor, die HipHop entscheidend prägen konnte. In den Jahren ab 1979 wurden fast alle wichtigen musikalischen Innovationen von HipHop wie Breakbeats, rapping oder scratching von Sugar Hill Künstlern auf dem Musikmarkt eingeführt (Greenberg 1999, 32). Hatte sich HipHop zunächst in lokalen Kontexten von informellen musikökonomischen Geschäftspraktiken hin zu einem formalen Teil der städtischen Kulturökonomie entwickelt, so wurden für die Folgejahre jene Prozesse entscheidend, die Rap-Musik aus den Händen vor Ort agierender Unternehmer in das globale System musikindustrieller Verwertung überführt haben (Rose 1994, 40). Bis etwa 1984 schien für HipHop crossover, also der Erfolg sowohl in den Popwie in den R&B-Hitlisten des US-amerikanischen Industriemagazins Billboard, aufgrund des im Laufe der 1970er Jahre stark nach ethnischen Merkmalen segregierten Marktes für populäre Musik kaum vorstellbar. Dies hatte mehrere, miteinander verknüpfte Ursachen. Zum einen konzentrierte sich in der Musikindustrie seit den 1960er Jahren eine enorme Kapitalkraft, die der Branche einen Wachstums- und Professionalisierungsschub bescherte und die Kontrolle über musikalische Produktion und Distribution immer stärker in große multinationale Medienkonglomerate integrierte (Frith 1992b). Diese global agierenden Musikfirmen handelten in ihren Marktstrategien eher konservativ, indem sie unkalkulierbare Risiken weitgehend zu vermeiden suchten. Innerhalb der Unternehmensorganisation, die durch markt- und produktionstechnische Differenzierungen in unterschiedliche Abteilungen für Marketing, Vertrieb oder Artist & Repertoire strukturiert war, traten deshalb Konflikte zwischen ökonomischen Überlegungen und kultureller Kreativität deutlich hervor (Negus 1999c). Quer zu diesen funktional definierten Aufgaben lagen Abteilungen, die sich mit bestimmten musikalischen Genres zu befassen hatten. Neben den traditionellen Bereichen Popmusik, Volksmusik und Klassik entstanden in den großen Musikfirmen, teils als Reaktion auf die Forderungen der Bürgerrechtsbewegung nach Gleichstellung und Teilhabe teils aus ökonomischem Opportunismus heraus, seit Beginn der 1970er Jahre neue Abteilungen für Black Music. Hier sollten hauptsächlich ‚schwarze‘ Mitarbeiter einen ‚schwarzen‘ Markt betreuen und neue Künstler mit crossover-Potenzial rekrutieren. Innerhalb der industrieinternen Hierarchie verblieben die Black MusicAbteilungen allerdings am unteren Ende, da die Veröffentlichungspolitik weiterhin von den Entscheidungen der großen Pop-Abteilungen abhängig war. Insbesondere die Etablierung von Disco-Musik während der ersten Hälfte der 1970er Jahre verstärkte den produktionstechnischen Druck auf ‚schwarze‘ Musikstücke, sich dem Geschmack eines größeren, ‚weißen‘ Publikums anzupassen. ‚Schwarze‘ Musiker wurden in typische Arrangements mit großen Orchestern oder synthetischen Beats gezwängt, welche ihre rhythmischen und vokalen Charakteristika kaum mehr zur Geltung kommen ließen. Viele Musiker beklagten die zunehmende Ununterscheidbarkeit von Disco und Rhythm & Blues und sahen sich durch einen schleichenden Identitätsverlust bedroht. Das Schlagwort von „Disco sucks!“ machte die Runde. Allgemein offenbarten sich hier die Schwierigkeiten der Musikindustrie, mit den Dynamiken des ‚schwarzen‘ Kulturmarktes umzugehen.

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„Es geht um den Unterschied zwischen kultureller Auffassung und rein ökonomischem Denken“ (Garofalo 1994, 278). Die Tendenzen zur Vereinheitlichung von Musik für ein crossover-Publikum spiegelten sich auch in einer zunehmenden räumlichen Konzentration der Entscheidungsprozesse wider. Die Standorte großer Musikunternehmen bildeten Mitte der 1970er Jahre entlang Manhattans Fifth und Sixth Avenues ein Cluster, das in unmittelbarer Nähe zu teuren ‚weißen‘ Diskotheken im West Village wie dem Studio 54 oder dem Zenon lagen (Scott 1999, 1972). Die ‚schwarzen‘ Diskotheken in Harlem, der Bronx oder Brooklyn waren für die Angestellten ebenso wenig standesgemäße Veranstaltungsorte wie die Clubs der Arbeiter in Queens oder New Jersey (George 1998, 1–9). Zeitgleich mit der Popularisierung von Disco vollzog sich in der Programmgestaltung der US-amerikanischen Radiostationen ein grundlegender organisatorischer Wandel. Während sich populäres Radio bis in die 1970er Jahre hinein an den Top 40-Hitlisten von Billboard orientierte und die Programme die größten Verkaufsschlager unabhängig von Ethnizität und stilistischer Ausrichtung der einzelnen Künstler im selben Programm spielten, wurden in der Folgezeit verstärkt Spartensender und spezialisierte Sendungen eingerichtet. Mit stark an demographischen und sozioökonomischen Zielgruppen ausgerichteten Programmen sollten neue Hörerschichten mobilisiert und langfristig gebunden werden. Dieses Format-Radio etablierte zunächst lose und diversifizierte Formen der Programmgestaltung jenseits der Top 40-Listen, und ging auch stärker auf regionale Spezifika ein. Bis 1976 setzten sich in New York City allerdings zwei dominante Ausrichtungen durch, die kaum Überschneidungen zuließen. Auf der einen Seite versorgten Album Oriented Rock (AOR)-Programme ‚weiße‘ Rock-Fans, und auf der anderen Seite lieferten urban contemporary-Sender Musik für Rhythm & Blues- und Soulhörer. Ein Ergebnis dieser entlang musikalisch relativ eng definierten Linien ausdifferenzierten Programmgestaltung war eine stärkere Unterscheidung von ‚schwarzer‘ und ‚weißer‘ Musik mit ihren jeweiligen Hörerschichten. ‚Schwarzer‘ Rock beispielsweise, der Anfang der 1970er Jahre noch häufig im Top-40 Radio gespielt wurde, fiel durch das Raster beider neuer Formate, da er als zu ‚weiß‘ für ‚schwarze‘ urban contemporary und als zu ‚schwarz‘ für ‚weiße‘ AOR Hörer galt. Die urban contemporary Programme bevorzugten zudem eher die bodenständige Musik der Zeit wie weiche Popballaden, schnellen Soul und die Musik von Vokalkünstlerinnen. „Rap-Musik besetzte eine Leerstelle, die der Erfolg des urban contemporary-Radios hinterlassen hatte“ (Morley 1992, xviii). Die Großunternehmen und Radiostationen verfügten zunächst über wenig Verständnis für die kulturellen Praktiken von HipHop und Rap-Musik. Eine Übersicht der ersten rund 150 HipHop-Platten Ende 1981 zeigt, dass es fast ausschließlich kleine ‚schwarze‘ Firmen aus New York City waren, die mit Maxisingles in einer Auflage von selten mehr als 100.000 Stück den urbanen Markt ‚schwarzer‘ und hispanischer Jugendlicher bedienten (Keller 1981a, 48). Die beiden einzigen Tonträger im LP-Format waren zu diesem Zeitpunkt bezeichnenderweise von der Sugarhill Gang und von Kurtis Blow, dem ersten HipHopKünstler mit einem major-Vertrag. Die anfängliche Zurückhaltung großer Plat-

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tenfirmen gegenüber HipHop lag auch in der weit verbreiteten Ansicht begründet, es handele sich bei Rap lediglich um eine kurze modische Erscheinung, die keinen langfristigen Massenabsatz außerhalb des Marktes für ‚schwarze‘ Jugendliche fände (George 1998, 59). Zudem versprach Rap-Musik nur einen geringen Katalogwert, da die einzelnen Lieder, welche selbst auf älteren Stücken basierten, über eine kurze Erfolgsspanne verfügten und zunächst kaum in Soundtracks oder in der Werbung wiederverwertet werden konnten. Diese Abgeschlossenheit von HipHop auf einer „Insel relativ ungestörter Entwicklung inmitten eines Meeres von rücksichtslosem Kommerz“ (Toop 1991, 78) wird allgemein als ein positiver Faktor für die Entwicklung als eigenständiges subkulturelles Genre gewertet. Mitte der 1980er Jahre vollzog sich ein entscheidender Wandel in der LabelLandschaft von HipHop. Die kleineren, ‚schwarzen‘ Plattenfirmen waren aufgrund des steigenden Kostendrucks mehr und mehr darauf angewiesen, stark zu expandieren oder mit den majors zumindest im Vertriebsbereich zu kooperieren. Gelang dies nicht, war es ihnen mit wachsenden finanziellen Ansprüchen der Künstler kaum mehr möglich, die Stars zu halten. Zugleich wurden Firmen wie Sugar Hill durch ihren Erfolg und ihre Expansion zu groß, um flexibel genug auf Marktveränderungen reagieren oder neue Talente frühzeitig ausfindig machen zu können (Greenberg 1999, 31). Mit dem Bedeutungsverlust der Plattenfirmen, die früh HipHop-Musik veröffentlicht hatten, verschwanden viele der bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler von der Bildfläche und mit ihnen der Klang von tanzbarem Elektro und „boogie-woogie hip-hop“ (Stephens 1991). Diese Lücke besetzten Künstler, die von neuen, aggressiv und innovativ auftretenden Unternehmen aufgebaut wurden. Dazu zählten beispielsweise Tom Silvermans Tommy Boy Records, Jive Records, ein Ableger des britischen Musikverlags Zomba, mit Barry White, Tuff City mit Aaron Fuchs, Steve Riffkinds Loud Records oder – außerhalb New Yorks – Bryan Turners Priority Records, die alle in den Folgejahren zu wichtigen Akteuren wurden. Die Entwicklung maßgeblich beeinflussen sollte aber DefJam, eine Plattenfirma, die Russell Simmons 1984 zusammen mit Rick Rubin in einem Studentenzimmer an der New York University gründete. Während Simmons, der bereits Kurtis Blow zu seinem Vertrag mit Mercury Records verholfen hatte, für neue und innovative Management- und Marketingstrategien auf der und für die Straße verantwortlich zeichnete, produzierte Rick Rubin stark reduzierte, rock-orientierte und harte HipHop-Musik für neue Künstler wie die Fat Boys, LL Cool J, Whodini, Run-D.M.C. oder die Beastie Boys. Zusammen öffneten sie die Musik sowohl dem Rockpublikum wie auch ehemaligen Punk- und New WaveHörern. Außerdem wurde stärker an den Images der Künstler gearbeitet und die Langspielplatte als längerfristig Erfolg sicherndes Tonträgerformat im HipHop etabliert. Der Erfolg der unabhängigen Labelarbeit war so groß, dass DefJam lukrative Kooperationsverträge mit der großen Plattenfirma CBS/Sony aushandeln konnte. Normalerweise zahlte bei solchen Verträgen der major dem minor ein Honorar und behielt den Hauptteil der Einnahmen für sich. Bei diesen Verträgen aber wurde DefJam am Gewinn beteiligt, erhielt eine jährliche Pauschale für Betriebskosten und behielt zudem die volle kreative Kontrolle über Produktion, Vermarktung und den Aufbau neuer Künstler (Cashmore 1997, 158). Diese

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Art der Verträge besaß in den späten 1980er und frühen 1990er Jahre Modellcharakter für die Zusammenarbeit von kleineren Firmen und großen Musikkonzernen und ebnete den Weg zur internationalen Verbreitung US-amerikanischer Rap-Musik (Negus 1999c). Der Einfluss von DefJam konnte sich über Praktikanten oder Teilzeitkräfte, die das Modell der Plattenfirma kennengelernt hatten, langfristig in das Geschäft mit HipHop-Musik einschreiben. Ende der 1980er Jahre profilierten sich diese ehemaligen Mitarbeiter als Produzenten, Manager und Firmengründer, die geschickt mit den majors in Verhandlungen traten (George 1998, 56–75). Die Verbindung zwischen einzelnen Personen und ihren Unternehmen machten deutlich, dass häufig die Strategien und Visionen einzelner Geschäftsleute – der Big Willies – für den Erfolg von Künstlern und Genres im HipHop verantwortlich sind. Russell Simmons steht auch hier Modell. Er ist angetreten, „die wichtigste Person im schwarzen Unterhaltungsgeschäft zu werden, […] und er wollte, dass seine Künstler auch in Film und Fernsehen zu sehen waren, während er weiter die Kontrolle über sie behielt“ (Cashmore 1997, 158). Die Unternehmungen von Simmons‘ Rush Management umfassten zu Beginn der 1990er Jahre sieben Plattenfirmen, ein Managementbüro für Künstler, Radio- und Fernsehproduktionsfirmen, eine Kleiderkollektion und eine Modelagentur. Die kontinuierlichen Expansionsstrategien des mogul of rap überführten HipHop von einem musikalischen Genre mit wachsendem crossover-Potenzial in einen umfassenden multimedialen Verwertungszusammenhang von Populärkultur. Mehr als anderswo geschah dies in einem Wechselspiel zwischen den Interessen der großen Musikkonzerne und der Akteure, die aus und mit der Kultur erwachsen waren. Dieser Prozess kann positiv konnotiert werden, als er insbesondere ‚schwarzen‘ Künstlern / Geschäftsleuten bislang nicht gekannte Möglichkeiten eröffnete, am gesellschaftlichen Wohlstand zu partizipieren, über ökonomische Macht zu verfügen und den amerikanischen Traum des selbstinduzierten Erfolgs zu leben. Berichte über HipHop-Geschäftsleute, die mit Schläue und puritanischem Arbeitsethos die Hierarchien der USamerikanischen Kulturökonomie bis ins Mark erschüttern, verdecken allerdings die Verhältnisse zwischen Personen und Gruppen innerhalb der Musikindustrie, wo systematische Benachteiligungen, strukturelle Abhängigkeiten und Hierarchien weiter Bestand haben: So it is with the new heads of the black culture industry: media moguls by name, millionaires by bank balance, but paid staff nevertheless. And [...] there are countless other failed or failing record label owners who will never come close to touching the hem of greatness. (Cashmore 1997, 176)

Unter den Bedingungen musikindustrieller Verwertung wird die Differenz von HipHop als Black Music gegenüber einer ‚weißen‘ Pop- und Rockmusik zur Erzielung größtmöglicher Profite produziert und reproduziert: Differenz ist Ware, kulturelle Ausdrucksform im Dienste des Kapitals (Jameson 1984). Insbesondere die Möglichkeiten der Distribution mit großer räumlicher Reichweite ermöglicht das Aufblühen von verkäuflicher, sich anzueignender Differenz in einer marktökonomisch segmentierten Welt (Grossberg 1996a, 184–185). Die erklärten Ziele vieler HipHop-Musiker, kommerzielle Erfolge zu verbuchen, das musikindustrielle Spiel

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zu beherrschen, die Hitlisten zu dominieren oder materiellen Reichtum und Berühmtheit zu erlangen, wirken wie eine überaffirmative Verinnerlichung gewinnorientierter Maxime und die bedingungslose Einlassung auf die kulturindustriellen Reproduktionsmechanismen. Gegen eine krude Verallgemeinerung solcher Vorwürfe stehen Aussagen wie It’s not about a salary, it’s all about reality, mit der die Künstler die kommerziellen Aspekte kultureller Produktion zwar nicht verneinen oder von vorneherein ablehnen, ihre Motivation aber eher mit der Dokumentation, kritischen Kommentierung und Veränderung bestehender Verhältnisse begründen. Der true underground, welcher sich den musikindustriellen Marktmechanismen zu entziehen versucht, bezieht sich dabei neben der eigenen Herkunft regelmäßig auf den räumlichen, sozialen und historischen Ursprungskontext von HipHop. [T]here is a strong ethic against ‘selling out,’ which for most rappers is not a matter of sales figures but of playing too hard for what Gang Starr calls ‘mass appeal.’ It is fine if a record sells well, and a large white audience per se does nothing to de-authenticate a rap record. ‘Selling out’ is about attitude, about ‘hardness,’ about a refusal of stasis, predictability, or music that is too easy to listen to. (Potter 1995, 111)

Paul Gilroy identifiziert drei allgemeine thematische Schwerpunkt des ‚schwarzen‘ kulturellen Ausdrucks, die sich gegen einen zügellosen kapitalistischen Verwertungszusammenhang wenden: Die Kritik des Produktivismus, des entfremdenden Arbeitsprozesses und der Arbeitsteilung; eine Kritik des Staatsapparates, die sich gegen staatliche Gewalt und rassistische Auslöschungsphantasien richtet und schließlich der feste Glaube an die Bedeutung des historischen Prozesses, der ein tiefes Bewusstsein gegen Geschichtsvergessenheit begründet (Gilroy 1987, 199). Alle drei Punkte der Kritik können sich gegen die spezifischen Bedingungen im New York City der 1970er Jahre richten, jenem Kontext, in dem der Ursprung von HipHop physisch zu verorten ist.

3.2.6 Deindustrialisierung, Stadtentwicklung und Urbanität [Hip-hop] is not some fad created overnight It’s a cultural movement that’s bred by city life. (Ice-T: Body Rock [Electrobeat, 1984]) [H]ip hop style is black urban renewal. (Rose 1994, 61)

„Yo where it started at?“ fragt KRS-One in seinem Song South Bronx 2002 [Koch, 2002], und jeder aus der Menge kennt die Antwort: „South South Bronx! South South Bronx!“ Nach 16 Jahren war es an der Zeit, eine erste Version von South Bronx, die er zusammen mit seinem damaligen DJ Scott LaRock unter dem Namen Boogie Down Productions als empörte Antwort auf die unterstellten Versuche von MC Shan richtete, die Entstehung von HipHop im Stadtteil Queens zu verorten, neu aufzulegen und den entscheidenden Punkt wieder ins Gedächtnis zu rufen: Der geokulturelle Ursprung von HipHop liegt in der South Bronx, New York City, nirgendwo sonst. Dass dieses Lied und sein Text 1986 einen so großen

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Erfolg erzielen konnten, hat mehrere Gründe. Zunächst gerinnen der musikalische Druck der klaren und sehr harten Rhythmusschichten von Scott La Rock, der kraftvolle und rohe Vortrag von Blastmaster KRS-One sowie das stakkatoartige „South Bronx!“ zu einer mitreißenden und minimalistischen Produktion, der man sich als Hörer kaum entziehen kann. Der klar verständlich vorgetragene und abgemischte Vokalpart, der von KRS-One angeblich ohne Test und Unterbrechung an einem Stück im Studio aufgenommen wurde, lässt den Hörer zudem relativ leicht an den textlichen Inhalten teilhaben und klar die Positionen gegen den feindlichen MC nachvollziehen. South Bronx [B-Boy, 1987] ist eines der frühen ‚Diss‘-Lieder, bei dem Musiker ihre Unstimmigkeiten untereinander durch musikalische Wortgefechte austragen. Die gegen MC Shan gerichteten Zeilen „Du denkst also, HipHop hätte draußen in Queensbrudge angefangen / Wenn Du diesen Mist in der Bronx erzählst, lebst Du vielleicht nicht mehr lange“ zeigen aber auch, dass Boogie Down Productions auf ihren frühen Platten eine bedrohliche Gangster-Attitüde verkörpern. Auf dem Cover ihrer ersten Langspielplatte Criminal Minded, die neben South Bronx auch Stücke wie das stark von Reggae beeinflusste 9mm Goes Bang enthält, posieren sie in einem dunklen Hinterzimmer als gettoerfahrene Kriminelle, die, behängt mit Goldketten und Patronengürtel, souverän mit Handfeuerwaffen hantieren. Zur zwielichtigen Atmosphäre der Platte tragen zudem Gerüchte bei, nach denen das Label B-Boy Records ein Unternehmen zur Wäsche von wahlweise Drogen- oder Zuhältergeldern sei. Criminal Minded war ein Novum in der kurzen Geschichte von HipHopMusik. Zum ersten Mal wurden Waffen und damit eine deviante, gefährliche und ‚schwarze‘ Militanz bewusst sichtbar gemacht und mit einer musikalischen und verbaltextlichen Struktur verbunden. Die Platte gilt daher als Beginn von Hardcore oder Reality Rap, der die ‚wirklichen‘ lokalen Lebensumstände der Künstler reflektieren, kommentieren, bestätigen oder kritisieren will. Es bleibt offen, wie sehr die Posen und die Ausstattung von Boogie Down Productions auf dem Plattencover als Provokation oder Ironie zu lesen sind, zumal einige der enthaltenen Lieder auch Hinweise auf sozialkritische Inhalte offenbaren und KRS-One nach dem gewaltsamen Tod von Scott LaRock in den Folgejahren Titel wie Stop the Violence aufnahm oder soziale Bewegungen wie Human Education Against Lies initiierte. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass das Album Criminal Minded, auch wenn es nicht den frühesten engagierten Kommentar der bestehenden sozialen Verhältnisse enthält, HipHop-Musik zu einem frühen Zeitpunkt mit ganz spezifischen Kontexten eines konkreten Ortes kurzschließt. Bilder, Texte und Implikationen der Platte repräsentieren und reproduzieren einen bestimmten geographischen Ort: den südlichen Teil der Bronx, deren populärer Name Boogie Down auch Teil der Bandidentität geworden ist. Der Begriff South Bronx und die damit verbundenen geographischen Imaginationen haben ihren Ursprung in den städtebaulichen und sozialräumlichen Verhältnissen der 1970er Jahre, die auch als beliebte Kulisse für Politik und Medien dienen konnten. Nach der Produktion von Filmen wie Fort Apache: The Bronx (1981) oder 1990: I Guerrieri Del Bronx (1982) (deutsch: The Riffs: Die Gewalt sind wir!) sowie dem landesweit viel beachteten Besuch von Präsident

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Jimmy Carter während einer Wahlkampfreise entstand das populäre Bild eines Stadtteils, der bis dato unter dem Namen South Bronx nicht existierte. S. H. Fernando leitet sein Buch über die Entstehung von HipHop mit folgender Beschreibung ein, die an die zeitgenössischen Schilderungen von Marshall Bermans All that is solid melts into the air (1982, 290–312) angelehnt scheint: It is difficult to describe New York’s South Bronx without invoking a host of clichés: ‘America’s worst slum,’ ‘the epitome of urban failure,’ ‘a city of despair,’ ‘the ghetto of ghettos,’ ‘a blemish,’ ‘a cancer,’ ‘a constant reminder of neglect.’ On a 1980 campaign visit, Ronald Reagan likened it to the firebombed German city of Dresden after World War II. Many residents of the lower borough – an area of roughly twenty square miles in the southernmost portion of the Bronx County – simply call it ‘Vietnam.’ To try to put such intense poverty, crime, and drug infestation into words may evoke extremes, but the South Bronx is an extreme place. Statistics cannot convey what a ride on an uptown subway or, better yet, a walk through its streets reveals. The South Bronx is probably the last place in the world where anybody would wish to live. (Fernando 1994, 2)

Der Autor berichtet 1994, also rund 20 Jahre nach der Entstehung von HipHop, im Präsens, so als ob die Zeit stillgestanden und sich die Bronx seit Mitte der 1970er Jahre nicht verändert hätte. Sein Bezugsraum sind etwa 20 der insgesamt rund 42 Quadratmeilen des gesamten Stadtteils, die südlich des Cross Bronx Expressway liegen. In einer drastischen Sprache werden Architektur, Sozialstruktur und Geographie der South Bronx gekennzeichnet, die auf eigentümliche Weise gegenüber dem restlichen Teil der Bronx abgegrenzt scheinen und auch mit dem übrigen New York City nicht in Verbindung gebracht werden. Der Stadtteil wird ohne Berücksichtigung seiner sozialräumlichen Dynamiken der Jahrzehnte vor und nach den 1970er Jahren charakterisiert und in einen als raumzeitlich stabil konzipierten Zustand des Ghettos überführt. In diesem Verständnis erwächst HipHop aus diesen lokalen Verhältnissen und muss notwendigerweise in den Texten und in der Musik extreme Armut, Gewalt, Drogen und Kriminalität reflektieren. South Bronx gleich Ghetto gleich HipHop lautet dann der homologe Kurzschluss. In der Wahrnehmung der Bewohner vor Ort allerdings machen diese Interpretationen und Festschreibungen wenig Sinn. Ihnen ist nicht klar, wo genau die South Bronx liegen soll, wo dieses Areal beginnt und wo es endet. Daneben existieren weder naturräumliche noch politisch-administrative Linien, welche das Gebiet nach außen fest abgrenzen würden. Ein Zeitungsartikel berichtet von einer Befragung unter Bewohnern der Bronx, wo und wie sie den südlichen Teil ihres borough verorten würden: „Niemand konnte sich darauf einigen, wo genau die South Bronx sei. Aber alle sagten, dass sie, wo immer sie sei, einen schlechten Ruf habe“ (zitiert von Forman 2002, 38). How wonderful, then, when the Bronx started to talk back. In the late spring of 1981, there was a panel at a Bronx-based conference on the folk culture of that borough with the title ‘This is not Fort Apache, This is Our Home: Students Document Their South Bronx.’ Tony Draughon, who grew up on 169th Street near Yankee Stadium, maintains: ‘That performing-in-the-ruins stuff is all a crock. There are no abandoned buildings where I live, and breakdancing didn’t start where all those broken buildings were – we danced at Bronx River, where Bambaataa and the Zulu Nation was, and Poe Park and the schoolyards and even the back of classrooms when the bell would ring.’ It also happens that Bambaataa grew up in a

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comfortable apartment in the Bronx River Project, on East 174th Street, with his mother, a nurse. The bottom line is that Bambaataa, Grandmaster Flash, DJ Kool Herc, and the other South Bronx hip hop performers transcended and transmuted violence with music and peacemaking. (Thompson 1996, 213)

Der Autor dieses Zitates verneint keineswegs, dass es heruntergekommene, leer stehende oder ausgebrannte Gebäude, eine hohe Kriminalitätsrate sowie soziale und ökonomische Marginalisierungen im südlichen Stadtteil gab, er wendet sich aber entschieden gegen Auffassungen, große Teile der Bronx oder gar das gesamte borough seien in den 1970er Jahren in eine verwüstete Ghettolandschaft verwandelt worden, in der kein Mensch mehr hatte freiwillig leben wollen. Die Bronx war in den 1970er Jahren kein in sich geschlossenes, abgegrenztes, statisches und schon immer vernachlässigtes Gebiet, sondern durch sozialräumliche Disparitäten geprägt, die aus unterschiedlichen ökonomischen, politischen und kulturellen Einflüssen resultierten. Um die Situation angemessen beurteilen zu können, muss die Bronx mit ihren Distrikten und Nachbarschaften als eine dynamische und benachteiligte urbane Umwelt verstanden werden, die das Resultat überlokaler ökonomischer Prozesse, verfehlter Stadtentwicklungspolitik, kulturellen Flüssen, Migrationen sowie Interaktionen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen darstellt. Der urbane Kontext in New York City reflektiert zunächst einen tief greifenden Wandel von einer fordistischen hin zu einer postindustriellen Ökonomie. Auf der geographischen Makroebene beeinflussen ein sich zunehmend globalisierender wirtschaftlicher Wettbewerb, die Formierung einer neuen internationalen Arbeitsteilung, starke weltweite Migrationsströme, technologische Entwicklungen in der Telekommunikation und die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen und Finanzströmen gegenüber industrieller Produktion und Wertschöpfung die Organisation von Städten (Castells 1977; Harvey 1990). Die massive Verlagerung von Standorten des produzierenden Gewerbes aus den Stadtgebieten sowie mangelnde Investitionen in die noch verbliebenen Industriebetriebe in den 1970er Jahren zerstörten die industrielle Basis nicht nur in New York City, sondern in praktisch allen altindustriellen Metropolen der USA. Viele der Großfirmen spielten zudem die Standorte im intraregionalen Wettbewerb gegeneinander aus und rissen durch ihre Forderung nach Investitionsbeihilfen große Löcher in die städtischen Haushalte (Zimmermann 2002, 714). Weitere Resultate dieser Prozesse waren steuerliche Einbußen für die Städte bei einem gleichzeitigen Anwachsen der Arbeitslosigkeit und der Sozialausgaben, was im Falle von New York City Mitte der 1970er Jahre in einer fiskalen Krise kulminierte. Die Stadt reagierte mit Massenentlassungen städtischer Angestellter und mit einschneidenden Kürzungen der Sozialausgaben, die vor dem Hintergrund der bundespolitischen Kürzungs- beziehungsweise Umverteilungspolitik der Reagonomics seit Beginn der 1980er Jahre zu verstärkten Einkommensdisparitäten führten. Während sich die Einkommen für die ärmsten 20 Prozent der Haushalte in New York City zwischen 1977 und 1987 absolut wie real verschlechterten, konnten die reichsten 10 Prozent der Haushalte einen realen Einkommenszuwachs von über 20 Prozent verbuchen (Mollenkopf, Castells 1992, 11). Zur selben Zeit lebten etwa 40 Prozent der hispa-

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nischen und 25 Prozent der afroamerikanischen Haushalte in New York City unterhalb der Armutsgrenze (Rose 1994, 28). Mit dem großflächigen Verschwinden der industriellen Basis aus New York City wurden viele der ehemals gut bezahlten Arbeiter in die Erwerbslosigkeit entlassen, ohne auf dem enger werdenden städtischen Arbeitsmarkt Perspektiven einer adäquaten Neuanstellung zu erkennen. Der Wandel des Jobangebots von Arbeitsplätzen des Produzierenden Gewerbes, der Logistik und Lagerhaltung sowie des Großhandels hin zu neuen und instabilen Arbeitsverhältnissen im niedrigen Dienstleistungssektor ließ große Teile der blue collar Mittelschicht verschwinden. Die städtische Berufsstruktur der 1980er Jahre weist eine klare Trennung in ‚weiße‘, männliche white collar Angestellte im gehobenen Dienstleistungssektor, in hispanische, asiatische und ‚schwarze‘ Industriearbeiter sowie in vielfach weibliche Bedienstete in niedrigen Dienstleistungsberufen auf. Diese scharfe ethnische und geschlechtsspezifische Untergliederung des Arbeitsmarktes und die weitere Öffnung der Einkommensschere lassen John Mollenkopf und Manuel Castells von einem Prozess sprechen, der New York zu einer „zweipoligen Stadt“ restrukturiert (Mollenkopf, Castells 1992).

Abb. 2: Ethnizität und Bevölkerung in New York und der Bronx, 1950–1990. (Quellen: Rosenwaike 1972; CensusCD 1999; New York City Department of City Planning 2004; eigene Berechnungen.) Überlagert wurden diese ökonomischen Veränderungen durch selektive Migrationsprozesse auf verschiedenen geographischen Maßstabsebenen, die zu einer sozioökonomischen und ethnischen Segregation beitrugen. Während im Verlauf des Zweiten Weltkriegs viele African Americans aus den Südstaaten in die Stadt zogen, entwickelte sich das Eigenheim in den schnell wachsenden suburbanen Vororten seit den 1940er Jahren für die ‚weiße automobile Gesellschaft zum neuen Ideal. Steigende Einkommen und die Hypothekenpolitik der öffentlichen Hand machten den Kauf eines Einfamilienhauses in den Randgebieten der Stadt oder in der metropolitanen Region für viele Angestellte erschwinglich. Auch große Appartementkomplexe in der Nähe neu gebauter Einfallstraßen nach Manhattan zogen viele Bewohner aus den innenstädtischen Gebieten an. New York City

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verlor in den Folgejahrzehnten erstmals in seiner Geschichte mehr Personen durch eine dauerhafte Wohnsitzverlagerung als neue Bewohner zuzogen. Das natürliche Wachstum ließ aber die absoluten Bevölkerungszahlen bis in die 1970er Jahre stagnieren (Rosenwaike 1972; Abbildung 2). Nachdem im Verlauf des Zweiten Weltkrieges und während der Folgejahre insbesondere Puerto Ricaner und Europäer einwanderten und in New York siedelten, veränderte sich die Herkunft der Immigranten nach 1965 deutlich, als der Hart-Celler Act die Praxis der Diskriminierung von Einwanderern aufgrund ihrer nationalen Herkunft beendete und gleichzeitig Quotierungen einführte. Selbst als in der Dekade von 1970 bis 1980 die Bevölkerungszahl New Yorks um rund 800.000 Einwohner fiel, zogen rund eine Viertel Million neue Einwanderer vor allem aus China und Südasien, der Karibik und Lateinamerika teils legal, teils illegal in die Stadt. Aus dieser Immigrantenbevölkerung wurden die neuen und schlechter bezahlten Industriearbeiter ebenso rekrutiert wie viele der weiblichen Arbeiterinnen für häusliche Dienstleistungen (Groneman, Reimers 1995). Mit der Steuerkrise der Stadt und den nachfolgenden Anstrengungen, Stadtentwicklung durch private Träger und Investoren steuerlich zu fördern, verschlechterte sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt vor allem für Geringverdiener, wobei Immigranten, Afroamerikaner und Hispanics überdurchschnittlich häufig baufällige und überbelegte Räumlichkeiten bewohnten (Rose 1994, 28). Maßnahmen wie die Zerstörung von rund 100.000 städtischen Wohneinheiten für chronische Kranke und ältere New Yorker Ende der 1970er Jahre verschärften insbesondere die Situation der Obdachlosen (Hemphill, Mohl 1995, 934). Weitere finanzielle Einsparungen durch die Stadt, aber auch durch den Bundesstaat New York, betrafen das öffentliche Schulsystem und trugen trotz der weitgehend zentralisierten Vergabe öffentlicher Schulmittel zur Verschärfung der bestehenden Disparitäten bei (Messow 2003, 126–129). Die Historikerin Cheryl Keyes argumentiert, dass die Kürzungen für Musik- und Kunsterziehung in öffentlichen Schulen eine der Hauptursachen für die Entstehung von HipHop als Do-it-yourself-Kultur seien: With the reduction of monetary support for the New York City public school system music programs, particularly the instrumental music curriculum, inner city youth reacted to this drastic change by relying on their own voices – for example the resurgence of street corner a cappella singing and the popularization of the human beat box (vocal rhythmic simulation of a drum) – and by becoming more interested in musical technology (such as turntables and synthesizers) ushered in by disco. (Keyes 1996, 227)

Deindustrialisierung, der Rückbau der Sozialsysteme sowie die Zurückhaltung, neu in Infrastruktur, Wohnraum und Arbeitsplätze zu investieren, wirkten sich nachhaltig vor allen Dingen auf die Lebensumstände der afroamerikanischen und der hispanischen Bevölkerung aus. Durch die Erfahrungen mehr oder weniger massiver Verlagerung von Menschen und des Auseinanderbrechens der sozialen Kommunikations- und Organisationszusammenhänge der Familien und sozialen Nachbarschaften erschien ihr Leben zunehmend fragmentiert, instabil und von außen durch übermächtige politische, ökonomische und technologische Prozesse gesteuert. HipHop entstand so zu einem Zeitpunkt innerhalb eines spezifischen

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räumlichen Kontextes, der geprägt war durch eine Neukonfiguration von Diskriminierungen, die wieder stärker aufgrund ethnischer denn aufgrund sozialer Kategorien vorgenommen wurden (De Genova 1995, 104; Lipsitz 1999). Ein Blick in die Bronx beleuchtet diese Rekonfigurationen auf lokaler Ebene. Zwischen 1890 und 1930 erlebte die Bronx einen Urbanisierungsschub, der durch Bevölkerungswachstum, -verlagerung und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur getragen wurde. In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts konnten Großprojekte wie der Bau des Grand Concourse, einer breiten Prachtstraße nach dem Vorbild der Pariser Champs-Élysées, oder die Anlage großer Parks und des Zoos in Angriff genommen werden (zur Übersicht vgl. Abbildung 1). Der Ausbau der U-Bahn von Manhattan nach Nordosten in bislang unbebautes Gelände im Westen der Bronx regte die Errichtung neuer Wohngebäude und Geschäftshäuser entlang der Trassenführung an. Im Südwesten des heutigen borough entstanden in den 1920er Jahren Geschäftszentren mit Kaufhäusern, Ladengeschäften, Märkten, Theatern, Tanzpalästen und Kinos inmitten lebendiger Nachbarschaften der Mittelschicht, in denen vor allem aus Manhattan zugezogene Juden zentral- und osteuropäischer Abstammung, Jugoslawen, Italiener, Deutsche, Armenier und Iren siedelten. Das politische und kulturelle Klima der 1920er Jahre – im benachbarten uptown Manhattan blühte die Harlem Renaissance – erlaubte städtebauliche Experimente wie genossenschaftlichen Wohnungsbau, der die städtische Dichte und Heterogenität der Lower East Side in die urbane Peripherie zwischen offenen Feldern und Einfamilienhäusern transformieren wollte (Plunz 1990, 151–159). Die Depression verlangsamte das Wachstum der Bronx, der Grand Concourse beispielsweise konnte sich aber bis Mitte der 1930er Jahre zu einem Symbol für sozial und ökonomisch erfolgreichen Städtebau weiterentwickeln. Die Apartments in den fünf- bis sechsstöckigen Art Déco-Wohnhäusern waren über breite, mit Rasen und Büschen bewachsene Hofzugänge zu erreichen und boten ihren Bewohnern die höchsten Komfortstandards in ganz New York City. Mit der Gründung von Universitäten, colleges und öffentlichen high schools stand schließlich auch eine gute Bildungsinfrastruktur mit lokalen und überregionalen Einzugsgebieten zur Verfügung (Hermalyn, Ultan 1995, 145). Bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs engagierten sich verstärkt große Versicherungsfirmen im Wohnungsbau, die riesige Komplexe neuen Stils errichten ließen. Mit der Eröffnung von Parkchester südlich des Bronx Zoo standen turmhohe Wohngebäude für mehrere zehntausend Menschen zur Verfügung, die eine Umsetzung der früheren Ideen des tower in the park darstellten. Eigene Geschäfte, kulturelle und sportbezogene Einrichtungen sollten die alltägliche Versorgung der Siedlung mit der Einwohnerzahl einer Mittelstadt möglichst autonom sicherstellen (Plunz 1990, 253). In den 1950er Jahren wurden in den Vereinigten Staaten Programme zur Räumung der Elendsviertel (slum clearence) aufgelegt, welche die Kriegszerstörungen in Europa als städtebaulichen Glücksfall interpretierten. Mit einem von Baukommissar Robert Moses propagierten „‚Bulldozer-Ansatz‘ der Stadterneuerung“ (Plunz 1990, 255) sollte auch in Teilen von New York City Flächensanierung umgesetzt werden. Zu Hilfe kamen den Plänen besondere Fördergelder des Bundes, die für Slum Title I Gebiete vorgesehen waren. Rund 170.000 Personen – meist

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African Americans und Puerto Ricaner – mussten allein in Manhattan ihre Wohnungen räumen und wurden in neu und schnell mit öffentlichen Mitteln errichtete soziale Wohnungsbauprojekte (housing projects) im südwestlichen Zipfel der Bronx umgesiedelt (Hermalyn, Ultan 1995, 145). Hinzu kam, dass die Stadt neu eintreffenden Migranten aus den Südstaaten, aus Lateinamerika und der Karibik Wohnungen im selben Viertel zuwies und den Vermietern überdurchschnittlich hohe Mietpreise für Sozialhilfeempfänger in Aussicht stellte. Diese rasche Verlagerung und Konzentration von sozioökonomisch schwachen Minderheitengruppen waren für die städtischen Baubehörden der einfachste und günstigste Weg, die Visionen einer städtischen Erneuerung umzusetzen. Die tower in the park-Idee wurde weiter beibehalten, allerdings erfolgten Planung und Nutzung der Siedlungen ohne Berücksichtigung der zu erwartenden neuen Mieter. Die Entscheidung, keine Gewerbeflächen auf dem Gelände des öffentlichen Wohnungsbaus zuzulassen, ergänzte die soziale durch eine funktionale Isolation der Projekte. Die neu gebaute Umwelt und die dadurch notwendige Reorganisation des Alltagslebens beförderten die lokale Entwicklung von Kriminalität, der teilweise durch zentral angelegte Punkte zur Überwachung aller Bewegungen von außen nach innen und umgekehrt begegnet wurde. Das Ergebnis der Räumungen ganzer Viertel in den 1950er und 1960er Jahren war die Ersetzung älterer Ghettos durch neue oder deren schlichte räumliche Verlagerung. Um die Vororte verkehrstechnisch besser an Manhattan anzuschließen, wurden in den 1950er Jahren zudem große Straßen- und Schienenbauprojekte eingeleitet. Für die Bronx stellte die Konstruktion des Cross Bronx Expressway bis 1959 von Long Island im Osten nach New Jersey im Westen den entscheidenden Einschnitt dar. Die neue Einfallstraße querte 113 Straßen, vier Nahverkehrs- und fünf regionale Bahnlinien sowie sieben weitere große überlokale Straßenbauprojekte, an denen teilweise zeitgleich gearbeitet wurde. Zudem durchschnitt die Trasse dicht besiedelte Arbeiterwohngebiete in der Zentralbronx, was den Abriss von hunderten Geschäfts- und Wohnhäusern bedeutete. Die schiere Menge und Geschwindigkeit der Relokationsprozesse der Bevölkerung sowie die Vehemenz der städtebaulichen Umgestaltungsmaßnahmen machten es den etablierte Institutionen und Organisationen in der Bronx unmöglich, angemessen zu reagieren. Nachdem bereits früh viele ‚weiße‘ Haushalte aus dem Südwesten des Stadtteils in neue Einfamilienhäuser nach Long Island oder Riverdale am Hudson River gezogen waren, zerstörte der Bau der neuen Einfallstraßen auch die gewachsenen Quartiere der jüdischen, deutschen, irischen und italienischen Mittelschicht. Ihr Exodus bedeutete den Zusammenbruch der lokalen Geschäfts- und Handwerkerökonomien samt ihrer Infrastruktur, der nachbarschaftlichen Netzwerke sowie des politischen Gemeinwesens in der Bronx. Der Niedergang von Industrie und Handwerk wurde schließlich auch durch die Erhebung neuer städtischer Unternehmenssteuern beschleunigt, die auf die Bundes- und Staatssteuern aufgeschlagen wurden. Bis 1974 sank in nur 15 Jahren die Zahl der Handwerks- und Industriebetriebe parallel zum Arbeitsplatzangebot in der Bronx um etwa ein Drittel. Der Bau der Co-op City am Hutchinson River im äußersten Nordosten der Bronx ließ zwischen 1968 und 1970 Wohnraum für insgesamt rund 60.000 Personen im

3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung

135

größten zeitgenössischen Wohnungsbauprojekt New Yorks entstehen. Die X- und T-förmigen Wohnblöcke in großzügig angelegten Parks wurden durch einige Zwei-Familienhaus Siedlungen ergänzt, die durch lokale Geschäfts- und Gemeinschaftseinrichtungen versorgt wurden. Besser ausgestattet als die meisten Wohnungen in der restlichen Bronx, zog die Co-op City die letzten Reste der verbliebenen Mittelschicht aus dem altbesiedelten Stadtteil ab, insbesondere entlang des Grand Concourse (Plunz 1990, 286–287; Worth 1999). Demographisch veränderte sich seit den 1960er Jahren die Bevölkerungsstruktur sowohl in absoluten Zahlen als auch nach ethnischen und sozioökonomischen Merkmalen. Zwischen den beiden Zensusjahren 1970 und 1980 sank die Einwohnerzahl in der Bronx um über 20% von rund 1,47 auf 1,16 Millionen. Dabei folgte der Stadtteil einem allgemeinen Trend innerhalb ganz New Yorks, das im selben Zeitraum aber lediglich 10% seiner Bevölkerung an das Umland verlor. Am stärksten betroffen waren die Community Districts östlich des Grand Concourse, wo Morrisania, Crotona Park East oder Hunts Point bis zu zwei Drittel ihrer Bevölkerung einbüßten (New York Community Districts 2001). Waren 1960 noch 88% der Bevölkerung in der Bronx ethnisch ‚weiß‘, bezeichneten sich 1980 noch lediglich 47% als dieser Kategorie zugehörig. Im selben Zeitraum stieg der entsprechende Wert für ‚Schwarze‘ von 12% auf 32%, und die hispanische Bevölkerung erreichte einen Anteil von knapp 20% (vgl. Abbildungen 2). Auch hier lassen sich Parallelen zur allgemeinen Entwicklung New Yorks ziehen, eine Besonderheit der Bronx allerdings war die starke ethnische Segregation im Raum und die kleinräumige Konzentration ‚schwarzer‘ und hispanischer Bevölkerungsteile in einzelnen Taschen entlang des Grand Concourse. Der Bevölkerungswandel in Teilen der Bronx lässt sich teilweise mit Hilfe des stadtökologischen Modells eines Invasions-Sukzessions-Zyklus erklären. Die klassische Formulierung allerdings, nach der ein Bevölkerungsaustausch innerhalb eines städtischen Gebietes durch das Eindringen (Invasion) einer im Vergleich zur ansässigen Bevölkerung statusverschiedenen Gruppe erfolgt, greift hier nur bedingt (Hoffmeyer-Zlotnik 1979; Friedrichs 1983). Als Ursache des InvasionsSukzessions-Zyklus kann hier ein Nachrücken von status-niederen Haushalten in ein durch Abwanderung entstandenes Vakuum identifiziert werden. Die Lücken, welche die Haushalte der Mittelschicht durch ihren Wegzug in die Vororte und an die Peripherie der Bronx hinterlassen hatten, wurden durch bislang fremde Bevölkerungsgruppen besetzt. Dieser Nachzug erfolgte allerdings selten freiwillig, da die städtische Planungspolitik eine erzwungene Relokation der durch die Räumung der Elendsviertel in Manhattan und anderen Stadtteilen frei gesetzte Bevölkerung vorsah. Auch für neu ein- und zuwandernde hispanische und afroamerikanische Bevölkerungsgruppen bot die Bronx ersten Wohnraum in der Stadt (CensusCD 1999). Zeitgleich setzten Prozesse eines filtering-down ein, der negativen Veränderung der realen Gebäudewerte, die es mehr und mehr statusniederen Mietern erlaubte, in die Bronx zu ziehen. Die Struktur des Wohnungsmarktes und die rechtlichen Regelungen begünstigten einen Wertverfall der Gebäude und eine sinkende Bereitschaft der Eigentümer, Investitionen zu tätigen. Der Anteil der Mietwoh-

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3 HipHop in Raum und Zeit

nungen in New York lag 1980 bei etwa 70%, in Teilen der Bronx erreichte der Wert gar 95%. Durch die Regulierung der Mietpreise und einen relativ hohen Anteil an öffentlichen Wohnungen schien zunächst ein stabiler sozialer Wohnungsmarkt in diesem Stadtteil möglich. Ausbleibende Mietzahlungen, hohe Steuerbelastungen der Eigentümer und die Weigerung von Banken, für bestimmte Areale Kredite freizugeben (redlining), hemmten allerdings die Bereitschaft zur Sanierung und Aufwertung von Wohnraum. Angeheizt durch Grundstücksspekulationen zerstörten Brandschatzungen von slumlords zu Beginn der 1970er Jahre mehr und mehr Wohnungen und Häuser in der Bronx. Auch etliche öffentliche Mietwohnungen brannten aus. Den Bewohnern standen im Falle eines Feuers bis zu 3.500 Dollar für die Neumöblierung und den anstehenden Umzug zu, und sie rückten automatisch an die Spitze der Warteliste für neuen öffentlichen Wohnraum. Um 1975 Jahre loderten in der Bronx durchschnittlich 12.000 Feuer jährlich, die in wenigen Jahren etwa 40% des Häuserbestandes vernichteten (Worth 1999). Der sozioökonomische Niedergang und die rapide verfallende Bausubstanz entlang einiger Straßenzüge im südwestlichen Teil der Bronx eröffnete Raum für neue, informelle und teilweise kleinkriminelle Ökonomien. Seit Ende der 1960er Jahre formierten sich in diesem Gebiet mehrere Dutzend Gangs, die in teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen um kleinräumige Territorien und Märkte standen. Im Sommer des Jahres 1977 eskalierte die prekäre Situation in Vandalismus und Geschäftsplünderungen in mehreren gettoisierten, durch öffentlichen Wohnungsbau und hohe Minderheitenanteile geprägten Stadtvierteln, darunter Jamaica in Queens, Bedford Stuyvesant, Brownsville und Crown Height in Brooklyn, sowie Harlem und die Bronx. Die South Bronx erhielt insbesondere in der Berichterstattung überlokaler Medien das Image einer verheerten, chaotischen und gefährlichen Stadtlandschaft, in der zurückgelassene ethnische Minderheiten gesetzlose Räume organisierten und nutzten. Ein viel beachteter Besuch von Präsident Carter im selben Jahr verschaffte der Bronx weitere Öffentlichkeit und zementierte das Bild des Stadtviertels als Symbol städtischen Niedergangs und urbaner Hoffnungslosigkeit. Die verlassenen und ausgebrannten Häuser wurden zu zentralen populärkulturellen Ikonen, die in Massenmedien, Filmen und Büchern weite Verbreitung fanden. Ihre Bewohner galten der Gesellschaft als antriebs- und ideenlose Kriminelle, die hier in einem urbanen Hinterhof verloren zurückbleiben mussten (Rose 1994, 27–34). Insgesamt lassen sich mehrere miteinander verflochtene Krisen identifizieren, die zum urban blight in einigen Teilen der südlichen Bronx beigetragen haben: eine ökonomische Krise, hervorgerufen durch Deindustrialisierung und den Verlust einer großen Zahl von Arbeitsplätzen, eine soziale Krise durch die Migration vor allem ‚weißer‘ Mittelschichthaushalte, die in Invasions-Sukzessions-Prozessen durch statusschwächere Minoritätenhaushalte ersetzt wurden sowie eine planerische Krise, die für die rasche Auflösung gewachsener Sozialstrukturen und den Verfall eines Teils des Gebäudebestandes in der Bronx verantwortlich gemacht wird (Matuschewski 2005). Hinzu kam der massenmediale und stereotype Blick von außen auf die Bronx.

3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung

137

HipHop antwortete auf diese Krisen. Statt ökonomischer Unsicherheit, sozialer Isolation und dem beschränkten Zugang zu technologischen Flüssen nur fatalistisch zu begegnen, nutzte eine junge Generation meist erst in den vorangegangenen zehn Jahren neu zugezogener African Americans und Hispanics die urbane Landschaft der Bronx als Basis ihrer radikal neuen kulturellen Praktiken. Die frühen HipHop-Künstler replizierten und reimaginierten die Erfahrungen des urbanen Lebens in der Bronx und eigneten sich den städtischen Raum zu einem Zeitpunkt symbolisch an, als die Widersprüche und Brüche der öffentlichen Stadtlandschaft klar zutage traten. HipHop konzeptualisierte die Stadt weniger als städtebauliches und soziales Desaster, sondern anerkannte die urbanen Dynamiken als Kontext, aus dem die Künstler ihr kreatives Potenzial schöpfen. Als städtischer Rahmen hielt New York ein spezifisches kulturelles Set von Materialen, Räumen und Wissenbeständen bereit, die sie in ihren Aktivitäten immer wieder neu zusammenbinden und als Quelle von Vergnügen, Identität und Selbstbestätigung nutzen konnten. Dies trifft sowohl für Rap-Musik zu wie für Graffiti und Breakdance, deren frühe Entwicklungen in New York sich aus ähnlichen sozialräumlichen Settings speisten und die Ende der 1970er Jahre schließlich eine starke intertextuelle Verbindung eingingen. Die Entwicklung der HipHop-Disziplinen erfolgte durch gegenseitige stilistische Befruchtungen von Musik, Tanz, Gestaltung und Mode auf HipHop-Veranstaltungen (Jams) im urbanen Raum. Graffiti, Breakdance, rapping und Djing wurden durch personelle Kontinuitäten innerhalb eines gemeinsamen geokulturellen Referenzrahmen zusammengeführt und –gehalten. Eine vergleichbare sozioökonomische Situation vieler früher HipHop-Künstler, die Ähnlichkeiten der Ansätze von Klanggenerierung, Rhythmus, Kommunikation und Stil sowie die gemeinsamen lokalen Erfahrungsräume der Bronx und Harlems prägten die neuen Formen. Einige der frühen Protagonisten versuchten sich in unterschiedlichen Disziplinen, wie etwa Kool DJ Herc, der einige Zeit Graffiti malte oder die Graffiti-Künstler Futura 2000 und Phase 2, die sich am Mikrofon versuchten. Viele der frühen Musiker beherrschen bis heute auch einige Breakdance-Schritte. Graffiti nutzte seit Ende der 1960er Jahre die gebaute Umwelt und das Nahverkehrssystem als Leinwand für kurze Namensmarkierungen, die seit Mitte der 1970er durch farbige, größere und komplexere Bilder ergänzt wurden. Die Themen waren von Mode, Umgangssprache, Liedertexten, Tanzbewegungen oder populärkulturellen Figuren inspiriert. Als ‚Schmierereien‘ und ‚Sachbeschädigungen‘ spielten Graffiti eine wichtige Rolle beim Diskurs um die Territorialisierung von Bandenzugehörigkeit, Jugendkriminalität und den Niedergang von Wohnvierteln. Breakdance schließlich entstand als eigenständiger Tanz in Reaktion auf die neuen musikalischen Entwicklungen der Breakbeats, die Musik durch bewusste rhythmische Brüche auflösen und zugleich im Fluss halten. Tänzer imitieren diese Brüche in der Klangkontinuität körperlich durch Drehungen, Stockungen, akrobatische und pantomimische Elemente. Auf der Straße oder bei Live-Veranstaltungen mit DJ-Musik kämpften die Tänzer gegeneinander in unterschiedlichen crews, die häufig nach räumlicher Zugehörigkeit organisiert waren (George et al. 1985). Dass es dabei nicht immer friedlich und freundlich zuging, sondern Status, Prestige und Gruppenanerkennung im Wettbewerb er-

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3 HipHop in Raum und Zeit

stritten oder gar konfrontativ erkämpft werden mussten, belegen die Erinnerungen der Breakdancer, die nach einem Schlagabtausch auf der Tanzfläche regelmäßig in Handgreiflichkeiten mit gegnerischen crews verwickelt waren (Rose 1994, 48). HipHop gilt aufgrund der geokulturellen Ursprünge in der städtischen Landschaft der Bronx und uptown Manhattans als typisch urbane Form kulturellen Ausdrucks. Jenseits dieses spezifischen geographischen Rahmens entwickelte sich in den Folgejahren die Stadt allgemein als die primäre Umgebung, mit der HipHop und Rap-Musik in Verbindung gebracht werden. Ausgehend von den Verhältnissen im deindustrialisierten, sozioökonomisch deprivierten und von der Stadtentwicklung systematisch benachteiligten Stadtteil Bronx arbeitet sich HipHop verbal, musikalisch, darstellend und gestalterisch an Stadt und städtischen Räumen ab. HipHop reflektiert in diesem Verständnis demnach zuallererst das Leben in der Stadt, bezieht sich immer erst auf städtische Räume als Ursprungskontext und zugleich Ergebnis kultureller Praktiken. Konzeptionell lässt sich die Entstehung und Entwicklung von HipHop im großstädtischen Kontext mit Hilfe eines stadtsoziologischen Entwurfs von Urbanität fassen. Urbanität meint in Abgrenzung zu Ruralität eine spezifisch städtische Lebensweise, die durch bestimmte soziale, ökonomische und kulturelle Merkmale geprägt ist. Absolute Größe, Dichte und Heterogenität der Bevölkerung im entsprechend baulich ausgestatteten Raum sind die klassischen Kennzeichen von Urbanität (Wirth 1938). Stadt bringt den spezifischen, individuellen Sozialtypus des Städters hervor, dessen Alltagshandeln geprägt ist von einer gewissen Sachlichkeit und Reserviertheit im Umgang mit anderen Personen und der in die rational, exakt und nach den Kriterien der funktionalen Arbeitsteilung organisierten städtischen Ökonomie eingebunden ist. Unweigerlich mit Großstadt verknüpft werden die Entfaltung von Individualität und kultureller Kreativität (Simmel 1984). Auch wenn diese Entwürfe von Urbanität aus ihren räumlichen und historischen Kontexten heraus verstanden werden müssen, umreißen sie doch einige der zentralen Elemente von Stadt, die auch auf die Entstehungsbedingungen von HipHop zutreffen. Allein die schiere Menge an Menschen unterschiedlicher ethnischer, geographischer und sozialer Herkunft auf einem engen städtischen Raum – die durchschnittliche Bevölkerungsdichte der Bronx betrug 1970 knapp 5.300 Personen pro Quadratkilometer – impliziert eine große Anzahl von Kontakten zwischen Personen mit diversen kulturellen Hintergründen. Afroamerikanische, hispanische und angloamerikanische Einflüsse trafen hier aufeinander und stellten die kulturellen Ressourcen und Traditionen zur Verfügung, aus denen HipHop entstand. Zudem bot der räumliche Kontext eine bauliche und soziale Infrastruktur, welche die GraffitiSprüher, Breakdancer und HipHop-Musiker nutzen und umnutzen konnten. Der Straßenrand, die verfallenen Wohngebäude der Bronx, die Parks, Bürgerzentren, high schools, Clubs, Diskotheken, Rollschuhbahnen und Tanzsälen bildeten einen materiellen Rahmen für HipHop, der in dieser Form nur in großstädtischen Kontexten denkbar ist. Allerdings war die Entstehung von HipHop, wie die anderer Formen populärer Kultur auch, an spezifische Orte und Nischen gebunden (Brackett 2000, 135). Neben einzelnen spezifischen Lokalitäten stehen im HipHop

3.2 Strukturen und Akteure einer kulturellen Neuerung

139

aber auch wahrgenommene und symbolische Stadträume im Mittelpunkt. Street, ghetto, the block, neighborhood, oder the corner sind reale und imaginierte, konstruierte und produzierte, immer aber zuerst urbane Räume, die im Laufe der Zeit ideologische Aufladungen und unterschiedliche Bewertungen erfahren haben (vgl. Kapitel 4.2).

3.3.2

Fazit

In diesem Unterkapitel wurde anhand von sechs ausgewählten Dimensionen, die als zentral erachtet werden für die Herausbildung und Entwicklung von HipHopMusik, eine Komplexität der Entstehung neuer kultureller Formen nachgezeichnet. Das Resultat ist die Momentaufnahme einer städtischen Lokalität, in der sich durch das Zusammentreffen und die Handlungen verschiedener Akteure vor dem Hintergrund spezifischer historischer Horizonte HipHop entfalten konnte. Dabei wurden sowohl gesellschaftlichen Strukturen als auch Handlungen Einzelner, welche auf diese Strukturen einwirken und sie zu prägen vermögen, Gewicht beigemessen. Die vorliegende Argumentation wendet sich explizit gegen eine prominente Narrative, welche die Entstehung von HipHop auf einen lokal beschränkten Raum festlegen und die Entwicklung von subkulturellen Formen als Teil einer Sequenz afroamerikanischer Widerstandsakte verorten will. Statt auf dem einen räumlichen Kontext und dem einen geschichtlichen Pfad zu beharren, wird hier eine Vielfalt von Verbindungen, Fluchtlinien, Verwerfungen und Interpretationen anerkannt. Die Verschiedenheit der Einflüsse impliziert aber keine Beliebigkeit oder deren Gleichrangigkeit, sondern eröffnet Möglichkeiten, HipHop kontextuell zu verstehen und dadurch auch in anderen räumlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen zu bewerten. (1) Für US-amerikanische HipHop-Musik bleiben die afrikanischen, afrokaribischen und afroamerikanischen Traditionen der ‚schwarzen‘ Diaspora entscheidend. (2) Diese stehen in einer notwendigen Spannung zu den als ursprünglich konzipierten Grundformen von black culture, die über Generationen hinweg als eine Art oral vermittelte Erinnerungen vorliegen, auf die immer wieder zurückgegriffen werden kann und die ständig rekonfiguriert werden. (3) Die urbanen Entstehungsbedingungen können als eine weitere maßgebliche Dimension identifiziert werden. HipHop wurde in den 1970er Jahren in konkreten städtischen Räumen praktiziert und konnte diese Räume zugleich konstituieren. Stadt bleibt bis heute materielle Grundlage und zentraler diskursiver Begriff in den unterschiedlichen räumlichen Kontexten innerhalb wie außerhalb der Vereinigten Staaten. (4) HipHop ausschließlich als unkommerzielle Subkultur zu konzeptionalisieren, die als solche von verschiedenen marginalisierten Gruppen adoptiert und als eigenständiger Ausdruck einer gegen das Andere des jeweiligen Mainstream gerichteten Identität adaptiert wurde, verkennt die affirmativen ökonomischen Aspekte, welche insbesondere HipHop-Musik (notwendigerweise) von Anfang an prägten und bis heute prägen. HipHop war immer Teil einer infor-

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3 HipHop in Raum und Zeit

mellen und seit den 1980er Jahren zunehmend auch formellen Ökonomie des populären Vergnügens und der freien Zeit. Gerade für die frühen Protagonisten hatte unternehmerisches Verhalten nicht nur den Sinn, Identität zu stiften oder Respekt und Berühmtheit zu erlangen, sondern war die simple Voraussetzung, eigenes Einkommen zu erzielen und den Lebensunterhalt zu sichern. (5) Die individuellen Geschichten und biographischen Hintergründe der einzelnen Künstler lassen das Zusammentreffen verschiedener Wissensreservoirs erahnen, die in den kulturellen Praktiken von HipHop manifest sind. Eine sorgfältige Unterscheidung der Wissensbestände, das Verständnis ihrer räumlichen und zeitlichen Reichweiten sowie der Implikationen, die mit deren Erwerb und Weitergabe verbunden sind, machen aus dem kreativen Akt der ‚Erfindung‘ einer Technik oder eines musikalischen Prinzips ein Element historischer Kontinuität. Spätestens das Einspeisen von Tonträgern in die nationalen und transnationalen Distributionssysteme der Kulturindustrie überführte HipHop-Musik in eine Warenform, die nicht grundsätzlich anders zu funktionieren hatte als andere vermarktbare Artefakte. (6) Populäre Musik allgemein würde heute anders klingen ohne die Mediation durch Technologien. Der Klang maschineller Musik, die (Re-)Organisation verschiedenster Tonquellen mit Hilfe elektronischer Geräte oder neue Möglichkeiten der Speicherung des verbalen Vortrags haben zu einem neuen Verständnis von Musik, musikalischer Zeit und tonaler Geographie sowie zu einer Neubestimmung der Rollen musikalischer Akteure beigetragen. Globalisierung von Musik ist nicht zu denken ohne die Entwicklung technischer Hard- und Software, die eine schnelle Verbreitung sicherstellen können und die einen Prozess des Musizierens ermöglichen, in den vielschichtige Aspekte des Konsumierens und Zitierens einfließen. Die Komplexität kultureller Ökonomien ist damit weniger bestimmt durch Eigenschaften und Attribute einer abgegrenzten Gebietseinheit, als vielmehr durch das spezifische Aufeinandertreffen von Akteuren und Einflusslinien verschiedener kultureller, ökonomischer und politischer Sphären mit je eigenen Geographien und Temporalitäten (Appadurai 1990). Ein Ziel dieses Kapitels war es zu zeigen, wie eine geographisch informierte Argumentation dazu beitragen kann, einen relationalen und kontextsensitiven Blick auf die Entstehung populärkultureller Formen zu werfen. Einer Herangehensweise, welche räumliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen vermag, gelingt die Überwindung von homolog an bestimmte abstrakte Räume oder soziale Gruppen gebundene kulturelle Repräsentationen und von als sequentiell gedachten historischen Entwicklungslinien. Auffassungen von Zentrum und Peripherie, von Stadt und Stadtentwicklung, von Diaspora und kulturellen Strömen reflektieren dabei in gewissem Maße Ansätze in den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften nach dem spatial turn. Anderen Formen populärer Musik nicht unähnlich, ist auch HipHop „eine Bezeichnung musikalischer Praxis, die produziert und hervorgebracht wurde durch verschiedene Dialoge, die keinen eindeutigen Anfang und kein klares Ende kennen“ (Negus 1999a, 139). In diesem Sinne ist der definitive Beginn oder die Geburtsstunde von HipHop als ein spezifischer raum-zeitlicher Ort produziert und wird von mehr oder weniger zufälligen Koinzidenzen konstituiert. HipHop

3.3 Diffusionen

141

ist nicht das notwendige Ergebnis einer zeitlinearen Entwicklung von Stilen, Technologien oder Kulturen, sondern Teil historischer Prozesse des Dialogs zwischen und der Bewegung von Menschen, Dingen, Geschichten und Orten, die an einem Ort zusammentreffen und von hier ihre weitere Reise antreten. Wo und weshalb diese HipHop-Dialoge im Anschluss an die Innovation stattfinden konnten, soll im folgenden Unterkapitel beispielhaft geklärt werden.

3.3. Diffusionen Worldwide, worldwide: ’round the globe at 100 BPM. (McGregor 1998, 109)

So betitelt das HipHop-Magazin The Source in seiner 100. Ausgabe eine Reihe von Berichten über HipHop jenseits der US-amerikanischen Grenzen. Die Reise führt von London über Kingston, Vancouver, Paris, Dakar, Mailand, Tokio, Amsterdam, Barcelona und Madrid schließlich nach Kuba, wenig später folgen Artikel über Japan, Frankreich, Kanada und Deutschland (Wong 2001) sowie weitere Kurzberichte von den Philippinen, aus Australien, Puerto Rico, Kenia, Grönland, Argentinien, Neuseeland, Südkorea und Algerien (Planet Rock 2003). Ziel ist es, vor dem Hintergrund wachsender nationaler und internationaler Märkte „den globalen Einfluss von HipHop“ (McGregor 1998, 109) aufzuzeigen, gar eine „globale Dominanz“ im Bereich populärer Kultur zu konstatieren, getragen vor allem von Rap-Musikern, die einerseits aus den USA international erfolgreich verkaufen und die andererseits, meist in ihrer Muttersprache reimend, die jeweiligen nationalen und regionalen Märkte bedienen. Diese Ausführungen gehen davon aus, dass HipHop lokal in New York ‚erfunden‘ wurde und über verschiedene massenmedial vermittelte Kanäle eine Ausbreitung im nationalen sowie teils parallel, teils anschließend im weltweiten Maßstab erfahren habe. Die geographischen Basiskonzepte von Innovation und Diffusion dienen dem Verständnis einer Ausbreitung solcher neuer materieller oder immaterieller Phänomene in Raum und Zeit. Klassischerweise formuliert für die Verbreitung kultureller Erscheinungen durch Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen erfuhren die Konzepte insbesondere im Rahmen der Berkeley School of Cultural Geography seit den 1920er Jahren verstärkt Anwendung. Anfang der 1950er Jahre entwickelte der schwedische Geograph Torsten Hägerstrand auf Grundlage empirischer Analysen in der Agrarlandschaft mehrere grundlegende mathematische Modelle der Diffusion von Innovationen, welche an die Weitergabe und Übermittlung von Informationen geknüpft ist. Physische oder sozioökonomische Barrieren und der Widerstand von Individuen bestimmen die Annahme von Innovationen, die sich in ‚Diffusionswellen‘ ausbreiten und damit sicht- und messbar werden. Demzufolge können sich Innovationen durch soziale Kontakte in direkt benachbarte Gebiete (Nachbarschaftsdiffusion) oder entsprechend einer zentralörtlichen Hierarchie (hierarchische Diffusion) ausbreiten. Zudem ist auch eine an die Migration von Adoptoren gebundene Diffusion vorstellbar (Relokationsdiffusion). Die geographische Diffusionsforschung in der Tradition der Modellbildung Hägerstrands trennt terminologisch zwischen dem Gegenstand der Ausbreitung (Innovation), seiner Entwicklung (Invention), dem raum-zeitlichen Ausbreitungs-

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3 HipHop in Raum und Zeit

prozess (Diffusion) und dem Prozess der Annahme und Anwendung von Innovationen (Adoption) (Windhorst 1983). Um aber sowohl die Bedingungen des Diffusionsprozesses als auch seine Auswirkungen adäquat fassen zu können, reicht die Betrachtung der Weitergabe von Informationen als erklärende Variable nicht aus. Es bedarf vielmehr einer Thematisierung konkreter sozialer Prozesse und historischer Verhältnisse der Wissensvermittlung. Die Beschreibung von Verteilungen auf einer geometrisch abstrakten, zweidimensionalen Fläche mittels mathematischer Funktionen kann diese komplexen, multidimensionalen Sozialstrukturen nicht adäquat abbilden. Die selektiven sozialen Prozesse, die vermittelnden Instanzen und die Bedeutung des Vorwissens, nach denen Informationen und Innovationen bewertet werden, bleiben ausgeblendet (Freytag, Hoyler 2002). Zudem gelingt es der traditionellen Diffusionstheorie nicht, to ask vital questions about the ideological, political and economic origins of the innovation, as well as its impact on society. Innovations should become part of history, and the way in which they diffuse should be part of a contribution to understanding social change […] [T]he spatial diffusion of innovations […] should be used as a way, amongst others, of understanding human relationships. (Blaikie 1978, 289–290)

Kartographischen Darstellungen zur Diffusion von HipHop werden hier entsprechend weniger als analytisches Werkzeug denn als heuristisches Mittel zur Visualisierung und Exploration von Daten verstanden. Gleichwohl legen die Darstellungen Muster offen, welche als eine Interpretationsgrundlage der kulturellen Diffusionsprozesse dienen. HipHop wird als eine Innovation begriffen, welche sich in einer Art Urform ausgehend von einem spezifischen Ort im Raum über die Zeit ausbreiten konnte. Auch wenn zu Beginn insbesondere der persönliche Kontakt zwischen einzelnen HipHop-Künstlern als die entscheidende Form der Übermittlung von Wissensbeständen gelten kann, so wird mit fortschreitender Zeit die Rolle vermittelnder Instanzen deutlich. Tonträger, Filme und populäre Images waren die entscheidenden Medien, welche HipHop an Orte außerhalb des Entstehungskontextes kommunizierten. Nicht das einzelne kulturelle Artefakt fand über an Kopräsenz gebundene Weitergabe Verbreitung, sondern technologisch vervielfältigte Produkte wurden in zunächst vorhandene oder neu aufgebaute Distributionssysteme eingespeist. Dies verdeutlicht die zentrale Stellung des Zugangs zu Technologien bei der Diffusion populärer Musik (Connell, Gibson 2003, 56–62). Die Konzepte von Innovation und Diffusion legen häufig eine eindimensional gerichtete Ausbreitung nahe, bei der Adoptoren ein Artefakt oder kulturelles Phänomen vorgefertigt übernehmen. Diffusion wird dann als Teil der sequentiellen Abfolge von Produktion, Distribution und Konsumtion verstanden, die keinen Spielraum für Veränderungen und reziproke Flüsse lässt. Diskussionen um kulturellen Imperialismus oder Amerikanisierung gehen in der Regel von solch simplen Kommunikationsprozessen zwischen dominantem Sender und passivem Empfänger aus. Tatsächlich aber finden im Bereich populärer Kultur verschiedenste Rück- und Querflüsse statt, welche den dominanten Innovationsfluss umlenken, stören oder umkehren können. Entscheidend für kulturelle Artefakte und Ideen

3.3 Diffusionen

143

ist die Kompetenz, das Empfangene zu verstehen und in eigene Wissensbestände zu integrieren. Hier soll die Diffusion von HipHop als ein Adoptions- und Adaptionsprozess verstanden werden, der kontextuell erfolgt. Die Diffusion ist erst vollzogen, wenn die kulturellen Ausdrucksformen von HipHop das Denken und Handeln von Menschen einer anderen räumlichen Betrachtungseinheit beeinflussen. Für den räumlich und historisch weit reichenden Erfolg von HipHop war und ist die Adaption in spezifischen nationalen oder lokalen Kontexten eine Grundvoraussetzung. Das quantitative Nachvollziehen von Diffusionsprozessen ist an die Verfügbarkeit von Daten gebunden. Umfassende Statistiken zu Zahl, Veröffentlichungsterminen und Absatzgrößen von Rap-Platten liegen allerdings weder für den USamerikanischen Kontext noch für die anderen großen Märkte wie Frankreich, Vereinigtes Königreich, Japan oder Deutschland vor. Das wenige publizierte Material basiert in der Regel auf Erhebungen der nationalen Industrieverbände unter ihren Mitgliedern. Wie sich die Absatzzahlen von HipHop-Produktionen im Zeitverlauf entwickelt haben oder wie hoch der Anteil dieses Genres am Gesamtmarktvolumen ist, kann aufgrund der uneinheitlichen Quellenlage nicht für längere Zeiträume beurteilt werden. Stark aggregierte Zahlen, häufig wechselnde Genredefinitionen und das brancheninterne Fehlen standardisierter Erhebungsverfahren machen ein quantitatives Nachvollziehen raum-zeitlicher Entwicklungen praktisch unmöglich (Wicke 1997). Dieses Kapitel thematisiert Diffusionsprozesse auf verschiedenen Maßstabsebenen anhand unterschiedlicher Quellen. Zunächst steht die Verbreitung von HipHop-Praktiken auf der städtischen Ebene New York Citys im Mittelpunkt. Dazu werden neben frühen Schilderungen der Mobilität einzelner Akteure im städtischen Raum Angaben zur informellen Verbreitung der Musik berücksichtigt. Die Kartierung der frühen Veranstaltungsorte von DJs, das Nachvollziehen ihrer spezifischen Abfolge in den Jahren bis etwa 1982 sowie die Gründung neuer Gruppen lässt auf eine Verbreitung von HipHop-Musik im gesamten Stadtgebiet schließen. Anhand informeller Kontakte und Netzwerke sowie einer verstärkten musikindustriellen Organisation von Produktion und Distribution kann eine beinahe parallele Ausbreitung auf nationaler Ebene nachvollzogen werden. Ende der 1980er Jahre ergibt sich das Bild von Hip Hop America (George 1998), einer nationalen Musikökonomie, die in städtische Szenen und verschiedene regionale Stile ausdifferenziert ist. Bereits in den frühen 1980er Jahren erreichte HipHop in unterschiedlichem Ausmaß auch viele andere westliche Länder inklusive Japan und Australien, weitere amerikanische, afrikanische und asiatische Nationen sowie Länder des ehemaligen Ostblocks. Diese Darstellungen basieren auf Literatur zur Entstehung nationaler und lokaler HipHop-Szenen und müssen grob illustrativ bleiben. Schließlich wird näher auf den deutschen Kontext eingegangen und mit Hilfe von ausgewählten Interviewpassagen und einer Datensammlung zu zwischen 1986 und 1996 veröffentlichten HipHop-Tonträgern versucht, ein Bild der Ausbreitung von Rap-Produktionen im nationalen Kontext zu zeichnen. Insgesamt soll damit kein sequentielles Nacheinander der lokalen, nationalen und internationalen Ausbreitung unterstellt, sondern Akteure, Barrieren und Kataly-

144

3 HipHop in Raum und Zeit

satoren identifiziert werden, die in unterschiedlichen historischen und geographischen Kontexten Ausbreitungsprozesse auf den wechselseitig abhängigen Maßstabsebenen beeinflussen konnten.

3.3.2

New York: Going all-city

But before we hit East 7th Street We are going to another disco, disco after disco And shaking our hair to the disco rap. AM/PM, Pyramid, Roxy, Mudd Club, Danceteria, The newest club is opening up. New York, New York (Nina Hagen: New York, New York [Columbia, 1983])

Der Beginn von HipHop-Musik wird häufig als rein lokale Angelegenheit dargestellt, die sich auf einige wenige afroamerikanische und hispanische Nachbarschaften in der Bronx und in Harlem beschränkt (Morley 1992, xv). Wie bereits gezeigt, war die Präsenz der DJs überwiegend an spezifisch umgrenzte Marktgebiete mit stark lokal geprägter Fanbasis gebunden. Für die frühen DJs und Rapper blieb der Zugang zu größeren Clubs und Diskotheken meist verwehrt, und sie nutzten leer stehende Gebäude, den Straßenrand oder Parks für ihre informellen block parties. Räume in sozialen Gemeinschaftseinrichtungen, high schools und kleine Clubs waren die ersten gebuchten Orte, an denen bereits für ein Publikum gespielt wurde, das durch Werbezettel und Mund zu Mund-Propaganda auch aus einem erweiterten Einzugsgebiet angezogen wurde. Ältere Geschäftsleute und Clubbetreiber erkannten als erste das kommerzielle Potenzial der Live-Musik, welche viele Jugendliche oder gar die eigenen Kinder begeistern konnte. Sie buchten DJs, Rapper, Breaker und Graffiti-Künstler für größere Veranstaltungsorte vor allem in uptown Manhattan. Orte wie der Audubon Ballroom, wo Malcolm X 1965 bei einem Attentat ums Leben kam, oder das Apollo Theater, in dem seit Mitte der 1930er Jahre viele bekannte ‚schwarze‘ Musiker Konzerte gaben, sind mit einer Geschichtlichkeit verbunden, die frühen HipHop räumlich und sozial stark in einer ‚schwarzen‘ musikalischen und politischen Tradition verortete. Die konstante Bedeutung von Harlem als symbolischem Ort einer wechselvollen afroamerikanischen Historie stellt etwa Nelson Georges Film A Great Day in Hip Hop heraus. Die Dokumentation zeigt, wie sich in Anlehnung an eine Photographie aus dem Jahre 1958, für die sich bedeutende ‚schwarze‘ Jazzkünstler in Harlem versammelt hatten, 1998 verschiedene bekannte HipHop-Künstler am selben Ort trafen, um ebenfalls eine Gruppenaufnahme schießen zu lassen. Für Rapper Rakim ist die Botschaft eindeutig. Er sagt am Rande des Treffens: „Uptown’s definitely the Mekka!“, für Jazz, für HipHop, für Urban Black Music (A Great Day in Hip Hop 1998). Ende der 1970er Jahre sickerte HipHop langsam in die Clubs von downtown Manhattan. Bevor hier die ersten Künstler live auflegen konnten, waren bereits Kassettenmitschnitte ihrer Auftritte beim Avantgarde- und Punkpublikum im

3.3 Diffusionen

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Greenwich Village und in SoHo in Umlauf. Aufgrund seiner großen musikalischen Vielfalt war Afrika Bambaataa der erste HipHop-DJ, der für einen Club in Manhattan gebucht wurde. Malcolm McLaren, der Manager der britischen Punk-Band Sex Pistols, verpflichtete Bambaataa anschließend, zusammen mit der New WaveBand Bow Wow Wow im New Yorker The Ritz aufzutreten und verhalf HipHopMusik dadurch zu einer weiter wachsenden Anhängerschaft in Teilen der Kunstszene. Bambaataa bespielte in der Folgezeit nach und nach immer größere Clubs. Zunächst buchte ihn die ‚weiße‘ Promoterin Cool Lady Blue 1981 für einen regelmäßigen Donnerstagstermin im Negril, ein Club an der 2nd Avenue zwischen 11th und 12th Street, anschließend die größere Danceteria auf der West 21st Street und schließlich The Roxy zu Freitagsterminen, die bis zu 4.000 Personen an die West 18th Street lockten (Fernando 1994, 16; vgl. Abbildung 1). Neben Bambaataa erhielten auch Grandmaster Flash oder DJ Hollywood Engagements in den Diskotheken in downtown, ohne die angestammte Fanbasis ihres eigenen lokalen Gebietes aufzugeben. Wie die Songzeilen von Nina Hagen zu Beginn dieses Kapitels verdeutlichen, war zu dieser Zeit für das Avantgarde-Publikum auch aus Europa New York City nicht nur the place to be, sondern auch HipHop-Musik oder „disco rap“ das musikalisch Neue und Andere neben Disco und Rock. Entscheidend für die Attraktivität von HipHop waren außerdem die spezifische Mischung der unterschiedlichen kulturellen Praktiken während einer solchen Veranstaltung sowie der gefahrlose Kontakt zu einer peripheren sozialen Welt in der sicheren Umgebung der Clubs in Zentral-Manhattan. Rap was irresistible as a genuine street culture created by disaffected youth. It had the double virtues of being romantic and daring yet easily packaged. Mostly it packaged itself as a selfcontained show with DJs, MCs, on-the-spot graphics from graffiti artists, electric boogie and breakdance, and maybe some double-dutch skip-rope routines. (Toop 1991, 134)

Zusätzlich brachten spezielle Kulturveranstaltungen HipHop aus der Bronx und aus Harlem nach downtown. Dazu zählten spektakuläre und extravagante Kunsthappenings, die von Promotern in Galerien wie The Kitchen oder Fun Gallery in den Jahren ab 1979 organisiert wurden. 1980 dokumentierte eine Ausstellung zu New Wave in New York die gegenseitigen Einflüsse von Kunst und Musik in den Arbeiten von David Byrne, Brian Eno und verschiedenen Graffiti-Künstlern. Die Fun Gallery von Patti Astor zeigte Bilder unterschiedlicher, durch HipHop beeinflusster Künstler und Graffiti-Maler, darunter Keith Haring, Jean-Michel Basquiat oder Fred Braithwaite. Letzterer, besser bekannt unter seinem HipHop-Pseudonym Fab Five Freddy, gilt als „inoffizieller Wortführer von HipHop“ (Hager 1984, 72) und als einer der entscheidenden Vermittler zwischen der künstlerischen und musikalischen Avantgardeszene Manhattans und den HipHop-Gruppen aus der Bronx. Er mimt genau diese Rolle auch im dokumentarischen HipHop-Spielfilm Wild Style von 1982, der den Weg des Graffiti-Sprühers Zoro a.k.a. Lee Quinones aus den U-Bahndepots in die Galerien nachzeichnet. Zoro und Fab Five Freddy hatten sich 1979 kennen gelernt und konnten erste Kontakte zu Galeristen und Auftraggebern von legalen Wandbildern knüpfen. Als ein wichtiger Treff- und Knotenpunkt diente die writer’s bench an der Ecke Grand Concourse und 149th Street in der Bronx, deren Mitglieder ähnlich wie die United Graffiti Artists zwi-

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schen 1972 und 1975 einen Weg zwischen dem negativen Stereotyp des illegalen Sprühers und der positiven Aufmerksamkeit als legale Künstler suchten (Romanowski, Flinker 1985). 1981 erschienen mit Rapture von Blondie sowie Wording Rappinghood und Genius of Love von Tom Tom Club, einer Ausgründung zweier Mitglieder der Talking Heads, welche „New Wave-Klänge aus dem Großstadt-Dschungel, fiebernde Rock-Intensität und afrikanische Rhythmen zu einer neuen, sehr publikumswirksamen Einheit“ verschmolzen (Graves, Schmidt-Joos 1990, 788), erstmals Tonträger, auf denen sich ‚weiße‘ Künstler im Sprechgesang übten. Insbesondere Genius of Love entwickelte sich in der Folgezeit aufgrund der eingängigen melodischen und rhythmischen Charakteristika zu einem einflussreichen Elektropop-Song, der als Grundlage für Rap-Hits von Grandmasterflash and the Furious Five (It’s Nasty und The Message) sowie Dr. Jeckyll and Mr. Hyde (Genius Rap) diente. Diese gegenseitigen Befruchtungen sind das Ergebnis einer stilistischen und räumlichen Mobilität der Angehörigen unterschiedlicher lokaler Szenen, die im Rahmen formeller und informeller Distributionssysteme miteinander kommunizierten. Die Schaffung neuer kultureller Kontaktzonen, in denen uptown-Jugendliche mit einer adoleszenten Kulturszene in downtown zusammentrafen, können als Versuche interpretiert werden, die Spaltung von HipHop-Produzenten und –Konsumenten entlang demographischer, ethnischer und sozioökonomischer Merkmale zu überbrücken. Ob und inwieweit dieser meist ökonomisch vermittelte Kontakt in einen nachhaltigen gegenseitigen Austausch mündete, bleibt offen. Zwar hatte RapMusik zu dieser Zeit sowohl eine etablierte Anhängerschaft unter African Americans und Hispanics in den Clubs und Parks der Bronx als auch eine wachsende ‚weiße‘ Fangemeinde. Diese allerdings hörte Live-Rap nur „so lange, wie der Club unterhalb der 96. Straße in Manhattan lag “ (Hager 1984, 89). Auf diese Weise blieben trotz des vergrößerten Einzugsgebiets und den Veränderungen der ethnischen und sozioökonomischen Zusammensetzung der Hörerschaft musikalische Produktion und Konsumtion grundsätzlich entlang sozialräumlicher Grenzen im urbanen Raum segregiert. Der kulturelle Graben von Ethnizität, sozioökonomischen Unterschieden und geographischen Differenzen war zu groß, um an einigen wenigen Orten einfach übersprungen zu werden. Hinzu tritt ein grundsätzlich verschiedener Zugang zu HipHop. Galt HipHop in den Diskotheken Manhattans eher als ‚das neue Ding‘, dessen Praktiken imitiert und dessen Produkte konsumiert werden konnten, war für viele der Protagonisten in den marginalisierten Stadtvierteln HipHop der kulturelle Prozess des Abarbeitens an lokalen historischen, sozialen und ökonomischen Gegebenheiten. Seit Ende der 1970er Jahre spielte die Berichterstattung zu HipHop in den Printmedien eine wichtige Rolle. Nachdem im Laufe des Jahrzehnts Graffiti als Thema im Spannungsfeld von künstlerischer Ausdrucksform und Vandalismus in den Tages- und Wochenzeitungen New Yorks aufgegriffen wurde, setzte um 1980 eine ausführlichere Berichterstattung auch zu Breakdance und Rap-Musik ein. Der Durchbruch zur angesagten Kunstform gelang Graffiti 1982 mit einer Titelgeschichte im Kunstmagazin Art Forum. In der Village Voice erschienen mehrere Artikel, welche die darstellenden, bildenden und musikalischen Aspekte von

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HipHop als integrale Teile einer komplexen Subkultur aus New York herausstellten. Eine Titelgeschichte, die mit reichlich Photomaterial über Breakdance, RapMusik und Graffiti illustriert war, erzielte gar überregionale Aufmerksamkeit und gilt als Initialzündung der internationalen Breakdance-Welle in der ersten Hälfte der 1980er Jahre (Banes 1985, 87–90; Cooper 2004, 68ff.). Besondere Aufmerksamkeit wurde Rap-Musik zuteil, nachdem sie auch von zwei einflussreichen Rockkritikern wohlwollend besprochen wurde. Robert Christgau von der Village Voice und Robert Palmer von der New York Times interpretierten HipHop als eine progressive Form von Black Music mit hohem crossover-Potenzial. Mit den Erfolgen früher Tonträger-Veröffentlichungen konnten sich schließlich auch Musikzeitschriften und das Billboard-Magazin dem neuen musikalischen Phänomen nicht länger verschließen (George 1992b; George 1998, 29–33). Neben diesen zunehmend formellen Ausbreitungswegen in Richtung Manhattan entstanden über informelle Verbindungen auch in den übrigen Stadtteilen New Yorks verschiedene HipHop-Gruppen. Mit der Erschließung der neuen Konsumentengruppe der high school Schüler vergrößerten sich die Einzugsgebiete der Veranstaltungen weiter. Desegregation busing, die Praxis des verpflichtenden Bustransfers von Schülern in Schulen außerhalb ihres Wohngebietes mit dem Ziel, einer ethnischen und ökonomischen Segregation im Schulwesen entgegenzuwirken, brachte Jugendliche aus unterschiedlichen Stadtteilen zusammen. So erinnert sich etwa DJ Marley Marl, dass er mit dem Bus aus Queens zu einer highschool in Manhattan gebracht wurde und dort auf einen Jugendlichen aus der Bronx traf. Nachdem ihm dieser eine Rap-Kassette seiner crew vorgespielt hatte, beschloss Marley Marl 1977 in seiner Nachbarschaft, den Queensbridge Projects, eine eigene Gruppe zu gründen. Wenige Jahre später sollte sich diese Juice Crew zu einem produktiven HipHop-Kollektiv und ihr Mentor zu einem einflussreichen RadioDJ und Produzenten entwickeln (Gonzales 1999). „Es ist tatsächlich möglich, eine Karte der Ausbreitung [von HipHop-Musik] ausgehend von der Bronx über Queensbridge nach Brooklyn und darüber hinaus zu erstellen“ (Potter 2000, 79). Auch wenn Rap-Musik über die selbstbewusst zur Schau getragenen, riesigen Kassettenrekorder häufig auf der Straße, in Parks und auf Schulhöfen zu hören war, war HipHop keineswegs ‚überall‘ in New York, und nicht alle ‚schwarzen‘ oder hispanischen Jugendlichen waren begeisterte und erfolgreiche Breaker, DJs, Rapper oder / und Graffiti-Sprüher. Im Verlauf der zunehmenden Formalisierung und Kommodifizierung von HipHop wandelten sich die Orte kultureller Aktivität deutlich. Zunächst gefasst als Straßenkultur unter freiem Himmel, war HipHop zumindest in den Wintermonaten gebunden an die Zimmer und Privatwohnungen der Protagonisten, an Einrichtungen in der Nachbarschaft, an öffentliche oder kirchliche Gemeinschaftsräume und später an die Clubs und Diskotheken. Sicher trug auch die Verfügbarkeit einer großen Anzahl kommerzieller Veranstaltungsorte in New York zur Massenwirkung bei, eine Schätzung beziffert ihre Zahl um 1975 auf 200 bis 300 (George 1998, 6), auch wenn der Zugang für HipHop-Künstler sicher nicht überall problemlos möglich war. Im Unterschied dazu waren die Aktivitäten der Graffiti-Künstler schier ubiquitär sichtbar. Sie nahmen die Verbreitung von HipHop im Stadtgebiet bereits seit Beginn der 1970er flächenhaft

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vorweg: „Wenn ein Graffiti-Künstler sein Namenszeichen auf allen wichtigen UBahn-Linien in jedem Stadtteil platzieren konnte, so war er ‚all-city.‘“ (Hager 1984, 108). Je flächendeckender Markierungen angebracht werden konnten, desto bekannter und berüchtigter war ihr Urheber. Als ganz besondere Erfüllung bezeichnen viele Graffiti-Künstler den Moment, an dem ein von ihnen außen bemalter Zug aus dem Depot seine tägliche Route aufnimmt und die Zeichnungen für jedermann sichtbar werden. Das städtische Transportsystem aus U-Bahnen Bussen erlaubte den Austausch zwischen den einzelnen boroughs und über die Stadtgrenzen hinaus. „Die B-Boy-Kultur breitete sich über die ganze Stadt aus, und Anfang 1979 waren wir alle mit dem Bus unterwegs nach Philadelphia und Baltimore“ (Blow 1985, xii). Going all-city unterstreicht die Bedeutung der Überschreitung territorialer, ethnischer, sozialer und musikalischer Grenzen für das Verständnis der (sub-)kulturellen Formen von HipHop.

3.3.2

All over the map: Hip Hop America

Chuck [D] corralled us into a cramped conference room whose dominant feature was a map of the United States complete with zip codes. As he lectured us on the vagaries of hiphop as a national phenomenon, Chuck often rose from his chair and pointed to regions on the map to make himself clearer. (Christgau, Tate 1991, 12)

Auch auf überlokaler Ebene verhalfen bis 1980 informelle Verteilungs- und Kommunikationsnetzwerke HipHop-Musik zu weitläufiger Bekanntheit. Rap-Kassetten wurden an Freunde und Verwandte in angrenzenden Bundesstaaten verteilt, vereinzelt fanden die Aufnahmen auch den Weg in Gefängnisse im ganzen Land und auf Militärbasen weltweit (Hager 1984, 49). Die Kassettentechnologie machte es möglich, Musik relativ einfach und kostengünstig zu vervielfältigen und weiterzureichen. Afrika Bambaataa und seine sound systems waren mit die ersten, die in New York State, New Jersey und Connecticut regelmäßig auf Club-Tour gingen. Auch Kurtis Blow und Grandmaster Flash begaben sich zu Beginn der 1980er Jahre auf Konzertreisen, um ihre Einkommen weiter aufzustocken. Aufgrund der im Vergleich zu etablierten Bands relativ günstigen Buchungskosten für RapGruppen, standen auch Termine in kleinen Clubs an abgelegenen Orten auf dem Tourplan. Wenn es sein musste, spielten die DJs und Rapper an einem Abend gar mehrere Konzerte an unterschiedlichen Orten. Die New York City Fresh Fest-Tour führte 1984 und in einer Neuauflage ein Jahr später aktuelle Künstler wie RunD.M.C., The Fat Boys und Whodini in über 30 Städte landesweit. Ähnlich wie in New York hinterließen diese Touren neue Fans der Musik und – wichtiger noch – eine neue Generation von Jugendlichen, die über Live-Erfahrungen aus erster Hand rapping und scratching selbst weiterentwickeln konnten (George 1992c, 81; Fernando 1994, 12). „1983 war HipHop nicht länger Musik aus einer Provinz“ (Stephens 1991, 30). Die Gründung neuer HipHop-Gruppen war längst nicht mehr nur an New York gebunden, in den benachbarten Großstädten der Metropolis des US-amerikanischen Nordostens entstanden eigene Szenen, häufig im persönlichen Aus-

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tausch mit Künstlern aus New York. New Jersey vor den Toren der Stadt brachte neben der Sugarhill Gang noch andere Rapper hervor, und Philadelphia zeigte bald gar „die eindrucksvollste Gemeinschaft von talentierten Rappern außerhalb des Apple“ (George 1992c, 81). Ähnliches gilt für Washington, D.C., wo sich in den 1970er Jahren mit GoGo-Music eine Variante des soulorientierten Funk etablierte, die mit einer starken lokalen Fangemeinde als Alternative zur Musik New Yorks verstanden werden kann (Wicke, Ziegenrücker, Ziegenrücker 1997, 207). Bis etwa 1983 etablierten sich in den Städten im Nordosten der Vereinigten Staaten Netzwerke HipHop-inspirierten Musizierens, die aufgrund ihrer wechselseitigen Beeinflussungen das Hauptinnovationsgebiet der Musik konstituieren (Carney 2003b). In Cleveland, Detroit und Chicago, wo wie in New York Prozesse der Deindustrialisierung besonders negative Auswirkungen auf ethnische Minderheiten und die Arbeiterschicht zeitigten, wurden von HipHop inspirierte Praktiken von DJs und Rappern übernommen. In Chicago beispielsweise fusionierte Disco mit stark bassbetonten Synthesizerklängen, Drum Machine-Musik und lateinamerikanisch inspirierten Elementen zu House. HipHop-Musik fand über Radio die entscheidende massenwirksame Verbreitung in den Vereinigten Staaten. Die Organisation der Rundfunklandschaft in college, community und commercial radio überzieht die Nation mit einem Flickenteppich an Stationen, die sich durch unterschiedliche Senderreichweiten, Kommerzialisierungsgrade sowie thematische und musikalische Ausrichtungen unterscheiden. Aufgrund der bipolaren Struktur der kommerziellen Radioprogramme Ende der 1970er Jahre, die entweder Album Oriented Rock oder urban contemporary-Programme für Rhythm & Blues- und Soulhörer ausstrahlten, waren es zunächst Sendungen kleiner college Stationen wie auf WRHU auf Long Island oder KCMU im abgelegenen Seattle, die Rap-Musik schon ab 1980 spielten. Der RadioDJ Kevvy Kev sendete seit 1984 über Stanfords KZSU-Sender in die Bucht von San Franzisko und initiierte damit die starke HipHop-Tradition aus Oakland. Das erste eigene HipHop-Programm ging 1982 mit Zulu Beats auf WHBI aus New Jersey auf Sendung. Hier begannen auch die Karrieren der New Yorker Radio-DJs Red Alert und Mr. Magic, die in den Folgejahren zwei der einflussreichsten Programme des Landes auf WRKS beziehungsweise WBLS moderieren sollten. Beide nutzten die Shows, Platten und Kompilationen ihrer jeweiligen Gruppen publik zu machen. In Philadelphia versorgte die Moderatorin Lady B auf WUSL das Publikum nicht nur mit Musik aus New York, sondern verschaffte auch lokalen Künstlern Sendezeit und vermittelte sie an Plattenfirmen. Bis in die 1990er Jahre sendeten in vielen Städten und Regionen der USA vergleichbare Programme, die entscheidend dazu beigetragen haben, sowohl HipHop als auch lokale musikalische Talente bekannt zu machen. Noch heute besetzen Radiostationen die Funktion, Tonträgern aufstrebender Künstler zum Durchbruch auf dem Massenmarkt zu verhelfen. Manche Radio-DJs können sich gar rühmen, mittlerweile berühmte Gruppen erstmals einer lokalen Öffentlichkeit vorgestellt zu haben (Garcia 1999). Radiosender, Programmdirektoren und Moderatoren besitzen damit innerhalb des musikökonomischen Verwertungszusammenhangs eine ausgeprägte Machtstellung, die es ihnen erlaubt, großen Einfluss auf den kommerziellen Erfolg der

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Künstler zu nehmen. Ihre Bedeutung als gatekeeper wird weiter verstärkt durch syndicated radio, die Ausstrahlung derselben Programme in verschiedenen Städten und Regionen der USA. So eröffnen sich Möglichkeiten der Beeinflussung von Sendeinhalten, die Ende der 1950er und erneut Ende der 1980er Jahre unter dem Schlagwort payola für Schlagzeilen sorgten. Promoter der Musikindustrie hatten Radiodiscjockeys für das Abspielen einzelner Lieder in großem Maßstab Geld bezahlt (Dannen 1998). Für viele unabhängige Plattenfirmen im HipHop gilt es deshalb als besonders erwähnenswert, wenn ein Tonträger seine Absatzzahlen ohne Rotation im Radioprogramm, nur durch den lokalen Verkauf auf der Straße oder ‚aus dem Kofferraum‘ erzielt. George Carney (2003b) weist die Region zwischen Los Angeles und der Bucht von San Franzisko als ein zweites Stil prägendes Innovationsgebiet von HipHop aus. Auch in Kalifornien entstanden lange vor HipHop eigene musikalische Traditionen, die stark von hispanischen und ‚schwarzen‘ Einflüssen geprägt waren. Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg setzte die große ‚schwarze‘ Migration nach Los Angeles ein. Der Arbeitskräftebedarf der expandierenden Schifffahrts- und Rüstungsindustrie zog viele Afroamerikaner aus den Südstaaten an die Pazifikküste. Innerhalb eines Jahrzehnts wuchs ihre Bevölkerungszahl in Los Angeles bis 1950 um knapp das Dreifache auf rund 170.000. Bis in die 1950er Jahre hinein entwickelte sich die Central Avenue in South Central Los Angeles mit einer lebendigen Jazz-Tradition zum Mittelpunkt des kulturellen Lebens. Der ökonomische und soziale Niedergang des Gebietes in den Folgejahrzehnten kann unter anderem zurückgeführt werden auf den Verfall der lokalen Ökonomien, auf verfehlte städtische Integrationspolitik, die mit den Grenzziehungen des redlining eine zu starke ethnische Durchmischung verhindern sollte und de facto Rassentrennung vorsah, sowie auf die steigende, rassistisch motivierte Brutalität der örtlichen Polizeibehörden. Hinzu kam eine deutliche Diskriminierung von ethnischen Minderheiten bei der Vergabe von Arbeitsplätzen. Die sozialen Spannungen entluden sich im August 1965 in der Watts Rebellion, die auch auf benachbarte ‚schwarze‘ Ghettos übergriff und nur durch massive staatliche Gegenmaßnahmen eingedämmt werden konnte. In diesem politischen Klima entwickelte sich in Abgrenzung zur liberalen Bürgerrechtsbewegung ein extremer, im Falle der im kalifornischen Oakland gegründeten Black Panther Party (for Self Defense) gar bundesweit paramilitärisch organisierter Zweig des ‚schwarzen‘ Widerstands. Trotz der Aufstände und ihrer Folgen deutete sich unmittelbar nach 1965 eine kulturelle Renaissance in Los Angeles an, die von verschiedenen Organisationen getragen wurde und zu so etwas wie einer „Café-Kultur in South Central“ beitrug (Cross 1993, 10). Aus dieser literarischen und musikalischen Avantgarde erwuchsen beispielsweise The Watts Prophets, welche in Anlehnung an die Poesie von Langston Hughes oder James Baldwin die orale afroamerikanische Tradition auf formale Weise verarbeiteten und als Rappin‘ Black in a White World, so der Titel einer ihrer Platten, wieder mit musikalischer Umrahmung auf die Straßen zurückbrachten. Im Kontext der radikalisierten Bürgerrechtsbewegung entstanden auch cinematographische Arbeiten, welche die Rigidität des Alltagslebens dokumentieren wollten. Melvin van Peebles Film Sweet Sweetback’s Badaaasss

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Song von 1970 erzählt beispielsweise die Geschichte eines Prostituierten und Kleinkriminellen, der sich in einer Welt voller staatlicher Gewalt und willkürlicher Alltagsbrutalität im Ghetto kompromisslos zur Wehr setzt. Neben einer Mischung aus Funk und gesprochenem Wort, die Earth, Wind & Fire als Soundtrack beisteuerten, inspirierte der Film in den Folgejahren eine ganze Reihe ähnlicher blaxploitation Filme aus Hollywood. Musik und Kino dieser Jahre gelten vielen Rappern und DJs mit Gangster-Attitüde bis heute als wichtiger Einfluss (Davis 1995; Cross 1993). Nach den ersten Rap-Hits aus New York erreichte bereits 1980 eine Konzertreise von Afrika Bambaataa und der Soulsonic Force die Westküste der USA. Zwei Jahre später tourte auch die Breakdance-Formation Rock Steady Crew durch Kalifornien, die dort auf eigene Formen des jugendlichen Tanzes traf. Locking bezeichnet eine ausdrucksstarke, durch Bewegungen aus Trickfilmen inspirierte Tanzform, bei welcher die Tänzer in kurzen Pausen zwischen den einzelnen Bewegungen ihre zentralen Körperpartien einfrieren und gleichzeitig die Extremitäten nach Art von Comicfiguren wild wirbeln lassen. Die Bewegungen erinnern an kleine Spielzeugfiguren, deren Glieder durch Fäden in Spannung gehalten werden und die auf Knopfdruck auf ihrem kleinen Podest in sich zusammenfallen. Sobald der Knopf wieder losgelassen wird, schnellt die Miniatur in ihren Ursprungszustand zurück. Passend zur Soul- und Funkmusik der Zeit waren die Tänzergruppen in Kostüme gekleidet, die Elemente verschiedener historischer Modestile Amerikas wie Westernfiguren, Comics und Zirkusclownerie verbanden. Popping ergänzte das Locking um wackelnde Elektro- und Robotertanzformen und löste sich etwas von dessen Extravaganz. Beide Formen fusionierten zu Beginn der 1970er Jahre zum Electric Boogie, einem energetischen Tanz, der die Techniken des Popping mit der Ausdruckskraft des Locking vereinte (Rode 2002). In Zentral- und Nordkalifornien entwickelten sich mannigfache weitere Stile, die in den frühen 1980er Jahren in eher billigen Hollywood-Produktionen wie Breakin’ oder Breakin’ 2: Electric Boogaloo ausgeschlachtet wurden. Robert Thompson schreibt 1986 im US-amerikanischen Musikmagazin Rolling Stone: Hip hop is a tale of three cities. [...] breakdancing and the hip hop sound emerged in the Bronx, electric-boogaloo poppin’ and tickin’ moves arose in Fresno and Los Angeles (Watts, Long Beach, Crenshaw Heights). Naturally, the outsider might wonder how the devastated lots of the South Bronx and the suburban sprawl of Fresno and Los Angeles could have sustained the energy and the beauty of the hip hop arts. (Thompson 1996, 213)

HipHop zu fassen als kulturelle Ausdrucksformen, die in New York entwickelt, von hier unidirektional verbreitet und schließlich in den Städten an der Westküste übernommen wurde, greift für Thompson zu kurz. Insbesondere Breakdance ist vielmehr ein Ergebnis der gegenseitigen Beeinflussung und Inspiration von Ostund Westküste, von New York, Los Angeles und Fresno in Kalifornien. Zur Mitte der 1980er Jahre erfuhr diese gemischte Form des Breakdance in vielen Ländern der Welt begeisterte Nachahmung und Weiterentwicklung. Mit dem Radio eröffnete 1982 im Zentrum von Los Angeles ein Jugendclub, der sich in seiner Ausrichtung an das Roxy in New York anlehnte und zu einem zentralen Anlaufpunkt für HipHop wurde. Einer der Besitzer, Super AJ, war Russe,

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der in New York gelebt hatte und dort seine Begeisterung für Graffiti und HipHop-Musik entdeckte. Auch der DJ im Eve’s After Dark, der aus Detroit nach Los Angeles kam, war mit New York HipHop und Detroit House vertraut. Wie an der Ostküste mischte sich hier und in anderen Clubs wie im One Nation und im Jam City ein Avantgarde- und Punk-Publikum unter die Rap-Fans, welche am selben Abend gemeinsam Konzerten von Run-D.M.C. und Suicidal Tendencies beiwohnten. Das besondere am Radio war allerdings, dass mit Grandmixer D.St, Afrika Islam oder Grandmaster Caz DJs aus New York auflegten, die regelmäßig zwischen Ost- und Westküste pendelten. Sie konnten die Hits aus ihrer Heimatstadt auch beim Publikum in Los Angeles bekannt machen. Parallel zu den Clubs existierte eine Ökonomie mobiler Veranstalter, die Discos an verschiedenen Örtlichkeiten im Stadtgebiet mit Musik versorgten und untereinander in heftiger Konkurrenz um Aufträge und Publika standen. Neben Disco Construction spielte auch Uncle Jamm’s Army eine Mischung aus Funk, Disco und frühem HipHop. Im Gegensatz zu den Clubs, die von den Zuhörern aufgesucht werden mussten und häufig nur eine ganz bestimmte Fanbasis anzogen, kamen die sound systems zu Veranstaltungen vor Ort und erreichten damit eine weit größere Zahl der lokalen Bevölkerung. Je nach Auftrag wechselten die Örtlichkeiten zwischen Parks, Clubs, Sportstadien oder Gemeindezentren. Mitte der 1980er Jahre wurden die mobilen Discos allerdings nach und nach eingestellt, nachdem Gangrivalitäten zwischen den beiden verfeindeten Lagern der Crips und der Bloods aufflammten. Die Gangaktivitäten wurden dabei insbesondere angetrieben durch ein aufkommendes Angebot der Droge Kokain in Form kleiner Kristallklumpen (crack), die nicht wie bisher von Lateinamerika ausschließlich über den Seeweg und Miami in die USA gelangten, sondern auch auf der Landroute über Mexiko und Kalifornien (Cross 1993; Higa 1999). In Los Angeles war die Verbreitung von Rap-Musik mit der Programmgestaltung einzelner Sender verknüpft. KDAY beispielsweise, ein Mittelwellenradio am Crenshaw Boulevard in West Hollywood, nahm ab 1984 HipHop-Musik in sein Programm auf und wurde dadurch laut eines Zeitungsberichts schnell zur „einflussreichsten schwarzen Mittelwellen-Station des Landes“ (zitiert von Cross 1993, 38). Durch eine geschickte Programmgestaltung, welche zu den Hauptpendlerzeiten längere Mixe aktueller Hits in die Fahrzeuge übertrug, konnte der Sender vieler Hörer gewinnen. Über die Mixshows wurden DJs wie Dr. Dre und DJ Yella von der World Class Wreckin‘ Cru bekannt, die, beeinflusst von Elektropop und fasziniert von der neuen Musiktechnologie, in Abgrenzung zu den rohen funkund soullastigen Beats der Ostküste nach und nach einen eigenen Westküstensound kreierten. Der Sendechef Greg Mack verhalf aber nicht nur lokalen Talenten wie Ice-T, N.W.A oder Tone Loc zum Durchbruch, sondern vermittelte viele der neuen Gruppen aus New York nach Los Angeles, darunter Run-D.M.C., Boogie Down Productions und Public Enemy. Mit meist nur einer Veröffentlichung im Rücken schickten die Plattenfirmen ihre neuen Künstler landesweit durch die Clubs, um sich, ohne Eintritt zu verlangen, einem breiten Publikum vorzustellen. Mack organisierte diese Touren durch Kalifornien und brachte unterschiedliche musikalische Szenen in Kontakt mit neuen Musikern aus New York.

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Neben diesen professionellen musikalischen Aktivitäten etablierten sich die kompetitiven Praktiken des Sprechgesangs auch auf Schulhöfen oder in Parks und wurden so für Jugendliche zu einem integralen Bestandteil der Freizeitgestaltung. Die frühen lyrischen Wettkämpfe bedienten sich der instrumentalen B-Seiten der Singles von Sugarhill oder Enjoy aus New York. Auf Wettbewerben in Clubs und Rollschuhbahnen wurden neue Talente und für die langsam entstehende HipHopIndustrie in Los Angeles ausgemacht. In diesem Zusammenhang erwies sich der Zugang zu Tonträgern aus New York als ein entscheidendes Kriterium. Zu Beginn der 1980er Jahre waren die Distributionssysteme der kleinen HipHop-Firmen noch nicht voll entwickelt, und jene, die in Los Angeles über die raren Aufnahmen aus New York verfügten, bekamen diese meist von Verwandten oder Freunden zugesandt. Für viele stellten Kassettenaufnahmen von Radioshows der DJs Red Alert und Mr. Magic aus New York den ersten Kontakt zu HipHop-Musik her. Ein gutes Beispiel sind die notorischen Mixtapes von Toody Tee aus Compton und seinem Konkurrenten Mixmaster Spade, der für kurze Zeit in New York zur Schule ging und das Wissen über die frühen HipHop-Partys aus der Bronx mitbrachte. Die populärste Aufnahme war Tees Batteram-Tape von 1985, welches auf das neue militärische Panzerfahrzeug der Polizei von Los Angeles zur Stürmung von Drogenumschlagplätzen anspielt. Die humorvollen Geschichten und Beobachtungen von Toddy Tee waren spontan und respektlos über die Musik von New Yorker Gruppen gereimt und vermittelten in ihrer sehr rohen und unreinen Abmischung einen Eindruck des zeitgenössischen Compton, mit dem sich viele Bewohner identifizieren konnten. Batteram ist ein erstes Beispiel, bei dem Rapper aus Los Angeles die Musik etablierter Künstler nicht nur adoptierten, sondern die Originaltexte an die eigenen Erfahrung adaptierten (Higa 1999, 115). In seinen frühen Stücken stellt auch Ice-T die Beziehung zu New York her, da er sich hauptsächlich auf die Produktionskünste von DJs der Ostküste verließ, gleichzeitig aber auch mit dem aus Mexiko stammenden hispanischen Rapper Kid Frost zusammenarbeitete. Los Angeles-DJs wie Bobcat, King Tee oder Pooh waren regelmäßig in New York, um dort beispielsweise für LL Cool J zu produzieren, und Russel Simmons holte sich den Clubbetreiber Lyor Cohen aus Los Angeles als Geschäftsführer für DefJam Records nach New York. Parallel und teilweise mit Überschneidungen zu stärker mit New York verbundenen Künstlern existierte eine Szene, die sich am Westküsten-Funk von Gruppen wie Zapp, Parliament oder Cameo orientierte und rhythmisch wie musikalisch komplexere Elemente in ein sich Mitte der 1980er Jahre neu entstehendes Genre einbrachte (Cross 1993, 20–21). Zwar werden die ersten Gangster Rap-Titel im Osten der Vereinigten Staaten verortet, wo Schooly D aus Philadelphia mit P.S.K. (Park Side Killers) und Boogie Down Productions mit Criminal Minded Genre begründende Songs vorlegten, der entscheidende stilistische Bruch erfolgte aber in den Jahren 1986/87 innerhalb der Rap-Musik aus Los Angeles, nachdem die Eskalation von Ganggewalt die musikalischen Aktivitäten stärker in die Studios verlagerte. In der Folgezeit etablierten sich kleine Plattenfirmen, die fast ausschließlich 12‘‘-Singles ihrer Künstler veröffentlichten und die Stücke aggressiv für das Radio bewarben. Einschneidender aber war die musikalische und inhaltliche

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Entwicklung jenseits der beiden zeitgenössischen Pole Elektropop und Freestyle Funk. Mit Six in the Morning von Ice-T und Boyz N the Hood von Ice Cube lagen 1986 zwei mittlerweile klassische Stücke vor, die das Leben vieler ‚schwarzer‘ Jugendlicher im segregierten Los Angeles abbilden sollten: Bandenaktivitäten, gewalttätige Polizeiübergriffe, Kokainhandel und beleidigender Umgang mit Frauen. Das programmatische Boyz N the Hood war gekennzeichnet durch eine bislang in Los Angeles nicht gekannte erzählerische Dichte, einen eingängigen Refrain und die üppige Verwendung von Straßen-Slang. Zudem gab die nasale, hohe und comichafte Stimme von Eazy E, der Ice Cube begleitete, der Musik einen besonders realistisch-ironischen Unterton. Dr. Dre und DJ Yella legten dem Stück eine innovative musikalische Struktur zugrunde, die gekennzeichnet war durch schwere und langsamere, fast bedrohliche Basslinien, die nur innerhalb der Textpausen beschleunigt und mit scratching aufgelockert wurden. Zudem wurde mit Ice-T eine frühe Ikone des Los Angeles-Rap gesamplet und ein kurzes „City of Compton“ eingeblendet. Geschwindigkeit, Bass und Inhalte kamen der car culture Kaliforniens und dem cruising, der Spazierfahrt durch die Straßen, entgegen. Mit der Unterstützung von KDAY begründete Boyz N the Hood den rasanten Erfolg von Gangster Rap und seiner Protagonisten Niggaz With Attitude (Coker 1999). Oakland, die ‚schwarze’ Arbeiterstadt in der Bucht von San Francisco, gilt als zweites wichtiges Zentrum für HipHop-Musik an der Westküste. Die Diskographie von Too Short (wahlweise auch Too $hort), dem Pionier des Bay Area HipHop, weist mit Don’t Stop Rappin’ bereits 1983 einen frühen Eintrag auf (Reeves 1999, 227). Eine erste Kassette mit gereimtem Sprechgesang soll er bereits 1979 in seinem Jugendzimmer mit Hilfe einer Stereoanlage und eines einfachen Mixers aufgenommen haben. Er folgte dabei zunächst einem eigenwilligen Konzept, nach dem jede Kassette gegen eine Gebühr individuell gefertigt wurde und ein paar Zeilen über den Auftraggeber enthielt. Diese maßgeschneiderte Musik machte ihren Besitzer unsterblich und galt als Prestigeobjekt unter den Jugendlichen und Kleinkriminellen in ‚Oaktown‘. Nebenbei veröffentlichte er Mixtapes, auf denen mehrminütige eigene Texte über zeitgenössische Rap- oder Funk-Instrumentalstücke gelegt waren und die auf der Straße feilgeboten wurden (Jam 1999). Ähnlich wie in Los Angeles drehten sich von Beginn an viele der Rap-Texte um „pimp, playa, and hustla“ Themen, die bis heute das herausragende inhaltliche Merkmal von HipHop aus Kalifornien bleiben (Forman 2002, 183). Brian Cross identifiziert in seiner Geschichte des Westküsten-Rap It’s not about a salary...: rap, race and resistance in Los Angeles die von Beginn an kommerzielle Ausrichtung der Musik in Los Angeles. „Die community war dieselbe wie in New York, aber die innovative Vorreiterrolle der Musik scheint auf dem Weg nach Westen zugunsten der Kommerzialisierung verloren gegangen zu sein“ (Cross 1993, 21). Die dominierende Plattenfirma war Macola aus Hollywood. Besonders geschätzt wurde die Schnelligkeit, mit der Macola Tonträger nach der Aufnahme vervielfältigen und veröffentlichen konnte. Allerdings unterschrieben die bekannten Künstler nicht direkt, sondern veröffentlichten ihre Musik auf eigenen Labels, die von Macola vertrieben wurden. Für die Künstler bedeutete diese Lösung einerseits größere kreative Spielräume und sicherte ihnen andererseits

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eine höher Gewinnspanne pro verkauftem Tonträger. Die World Class Wreckin’ Cru hatte Kru Records, Uncle Jamm’s Army das Label Freak Beat und Greg Mack Mackdaddy Records. Auch Ruthless Records, das Label von Easy E und N.W.A, wurde über Macola und später über die unabhängige Priority Records-Distribution vertrieben. Bis weit in die 1980er Jahre hinein allerdings blieb der Fokus der jungen HipHop-Plattenindustrie auf New York gerichtet. Wer landesweit Erfolg haben wollte, musste mit Musikern, Produzenten oder Plattenfirmen aus New York zusammenarbeiten. Die verschiedenen städtischen Szenen außerhalb des Big Apple bedienten zunächst nur die jeweiligen lokalen Märkte, bis ein größeres Label den Vertrieb und die Promotion auf überregionaler Ebene sicherstellte. Ein solcher regionaler Katalysator war Steve Fournier, der zunächst als HipHop-DJ aus Houston in einer scheunenartigen Diskothek sieben Tage die Woche bis zu 2.000 Personen ausschließlich mit Rap-Musik unterhielt. Da in Texas HipHop kaum im Radio gespielt wurde, erwies sich Fourniers Club als Publikumsmagnet, dessen Einfluss eine ganze Reihe lokaler Gruppen entstehen ließ. Um sich und neuen Gruppen aus Houston die Anerkennung von New York und der Westküste zu sichern, gründete Fournier die Rap Commission, eine Art Promotionskartell mit Hauptsitz in Houston und Niederlassungen in New York und Los Angeles. Für ihn war klar: „Es gibt eine Menge lokaler Gruppen hier, und ich denke, sie können mit New York und Philadelphia mithalten, sie sind nur im nationalen Rahmen nicht sichtbar“ (zitiert von George 1992c, 82). Ziel war es, Rap-Platten und Werbematerial unterschiedlicher regional agierender Plattenfirmen mit Hilfe einer umfangreichen Datenbank landesweit und insbesondere nach New York an DJs, Radios und Medien zu verteilen. Fournier war außerdem Manager von Ice-T und entsprechend häufig persönlich in Los Angeles und New York unterwegs. Als bedeutendstes Label in Houston gründete James Smith 1986 Rap-A-Lot Records, auf dem insbesondere die Geto Boys zu Berühmtheit gelangten. Die Geto Boys – der Name ist Programm – ergänzten die Spielarten von Gangster Rap um schockierende, fast surreal wirkende Darstellungen von Gewalt, Mord und Missbrauch sowie um erschütternde persönliche Erzählungen urbaner Paranoia, die in dieser Form bislang unerhört waren (Larkin 1994, 60–61). Auch andere Städte im US-amerikanischen Süden trugen zur Diversifizierung von HipHop in lokale musikalische Szenen bei (Miller 2003). Die beiden Pole New York und Los Angeles bildeten dabei stets Referenzpunkte, an denen es sich abzuarbeiten galt und deren Kulturökonomien für einen landesweiten Erfolg überzeugt werden wollten. In Städten wie Atlanta, New Orleans oder Miami erlangten HipHop-Praktiken zunächst für ‚schwarze‘ Jugendliche auf einer Amateurebene Relevanz. Die räumlich ausgedehnten familiären Bindungen und die Kommunikation mit Freunden in anderen Städten stellten hier erste Kontakte zur Musik her, die vom begeisterten Fansein zur eigenen musikalischen Produktion führte. Der lokale Kontext war zunächst entscheidend, die Klangprodukte aufzuführen, abzusetzen oder zu vertreiben. Überlokal galt die Regel: Je deutlicher ein eigenständiger Beitrag zum musikalischen oder textlichen status quo von HipHop geliefert und je deutlicher ein Bezug zu einem konkreten Ort hergestellt werden kon-

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nte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, als Neuheit einen größeren Markt zu finden. Neben dem polyrhythmischen Bounce aus New Orleans stellt Miami oder Southern Bass ein solches Genre dar, das nicht direkt auf aktuelle HipHopModelle des Nordostens oder Südwestens rekurriert, sondern eher wie in Chicago oder Detroit aus durch HipHop inspirierten Praktiken hervorgegangen ist und stärker mit lokalen musikalischen Traditionen verbunden war. Zwar flossen Elektrofunk und Disco mit ein, das entscheidende, Namen gebende Element der Musik war aber die tiefe, zwischen 110 und 130 Beats pro Minute wummernde „booty centric“ Basslinie mit schnellen Rhythmusmustern (Green 1999, 269). Luther Campbell, DJ und ehemaliges Gangmitglied aus Miami, war mit seiner 2 Live Crew, deren Mitglieder aus Trinidad, New York und Kalifornien stammten, einer der Protagonisten der ersten Bass-Welle. Aufgrund der drastischen und überausführlichen Beschreibungen des heterosexuellen Geschlechtsakts traten 2 Live Crew eine nationale Kontroverse um Jugendgefährdung, Zensur und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung los und verkauften kräftig. Nelson George resümiert die nationale Verbreitung von HipHop-Musik 1988 in der New Yorker Village Voice wie folgt: Rap spread out from New York to attract a loyal national audience. New York rapped and America listened. Now America is rhyming back. (George 1992c, 80)

Das Nachvollziehen der Ausbreitung von HipHop-Musik zeigt allerdings, dass nicht die ganze Nation zuhörte und antwortete, sondern dass sich nach und nach abhängig von ganz unterschiedlichen Faktoren einzelne Zentren herausbilden konnten, die sich entweder an den Vorbildern aus New York orientierten oder aber sich in Abgrenzung zu ihnen ganz eigene Wege suchten. Diese Zentren waren immer urbane Zentren, Städte, deren Bevölkerung eine gewisse sozioökonomische, ethnische und kulturelle Heterogenität aufwies und die über eine bestimmte ‚kritische Masse‘ an potentiellen HipHop-Musikern und Konsumenten verfügten. Aus einer Makroperspektive kann die Ausbreitung erklärt werden durch das Fortbestehen sozioökonomischer Ungleichheit und die geographische Isolierung der Angehörigen ethnischer Minoritäten im großstädtischen Raum: It was, then, perfectly logical that Hip Hop culture should initially emerge most strongly in those cities hardest hit by Reagonomics with large minority youth populations – New York, Los Angeles, Houston and Oakland. For many of these youth, rap became not only an outlet for social and political discourse, but also an economic opportunity that required little investment other than boldness and a competitive edge. In a period when black labour was in low demand, [...] the entertainment industry was one of the few legal avenues available for the get-rich consciousness that dominated the social ethos of the 1980s. (Lusane 1993, 43)

Eine weitere frappierende Parallele zur nationalen Verteilung der HipHop-Zentren in den 1980er Jahren zeigt sich beim Vergleich mit den Standortmustern der großen und der unabhängigen Plattenfirmen in den Vereinigten Staaten. Hier lassen sich drei Hauptagglomerationen in den Metropolräumen von Los Angeles, New York und Nashville ausmachen, die zudem fast alle majors auf sich vereinigen. Hinzu treten schwächere Konzentrationen vor allem von minors in Chicago, San Francisco, Atlanta, Seattle, Austin und Miami. Die anderen großen Städte des Subkontinents scheinen nicht als Standorte von Plattenfirmen auf (Scott 1999).

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Dieses Bild ist deckungsgleich mit den räumlichen Mustern von Verlagshäusern, Musikmanagements und Aufnahmestudios. Auch wenn die analysierten Plattenfirmen unterschiedlichen Genreausrichtungen folgen, die erfassten Daten aus dem Jahre 1998 stammen und die Kartierung von independents aufgrund ihrer häufig nur kurzen Lebensdauer immer nur einen temporären Ist-Zustand beschreibt, kann von einer gewissen raum-zeitlichen Persistenz dieser Muster ausgegangen werden. Da die Musikindustrie horizontal wie vertikal arbeitsteilig organisiert wird und auf häufige, ausgedehnte und relativ sensible face-to-face Kontakte angewiesen ist, welche die Instabilitäten des Kulturmarktes abfedern sollen, tendieren die Standorte der Kulturökonomien zur Clusterung (Scott 1999, 1970–1972). Übertragen auf die Ausbreitung von HipHop bedeutet dies, dass musikindustrielle Anstrengungen wie die Gründung von Plattenfirmen eher in solchen Städten erfolgreich sind, in denen bereits eine gewisse Zahl kulturökonomischer Institutionen und Unternehmen arbeitet. New York, Los Angeles, Oakland, Atlanta und Miami zählten insofern nicht rein zufällig zu den frühen Standorten der HipHopIndustrie. Trotz dieser Konzentration bildeten sich in vielen anderen Städten und Metropolregionen spezifische HipHop-Szenen heraus, die auf spezifische Geschichten mit eigenen Infrastrukturen, Einflüssen, Talenten und stilistischen Besonderheiten zurückblicken können. Newark und South Orange in New Jersey, Boston, Massachusetts oder Pittsburgh in Pennsylvania sind solche Orte im Nordwesten der USA; Cleveland, Cincinnati und Columbus in Ohio, Milwaukee, Wisconsin oder Minneapolis in Minnesota ergänzen Chicago und Detroit im Mittleren Westen, und selbst Seattle im äußeren Nordwesten kann auf eine eigene Szene verweisen (Reeves 1999; Carney 2003b). Warum und wann HipHop Fuß fassen konnte, ist nicht zuletzt von der Arbeit einzelner Schlüsselpersonen abhängig, die sich als Idealisten (und Opportunisten) gegenüber der Autorität älterer und etablierter musikalischer Szenen, dem Druck und den Interessen von Gleichaltrigen sowie gegenüber kulturellen Minderwertigkeitskomplexen auf lokaler Ebene durchzusetzen wussten. Dies aber war nur möglich, nachdem eine Einbindung in Kreisläufe von kultureller Produktion und Reproduktion gewährleistet war. Durch Radiosender, über Berichte der nationalen Presse und der Musikmagazine, über Spiel- und Dokumentarfilme konnte HipHop in Raum und Zeit Ausbreitung finden. Erst die räumliche Mobilität von Wissens- und Erfahrungsträgern, von DJs, Rappern, Produzenten und Fans, die zwischen New York und Los Angeles, zwischen Los Angeles und den Südstaaten oder zwischen Miami und New York unterwegs waren, spannte das Netz von Freundschaften, Verpflichtungen und Abhängigkeiten, das HipHop-Musik umtreibt und im Fluss hält.

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3.3.3 Planet Rock: HipHop allerorten? Honey, I’ve been around the world onto African shores, Piccadilly Square, into Tokyo stores. Heard the roars of the German applause that shook the floors Then went to Denmark with my man Mark Da Spark. (Sadat X: The Interview [Loud Records, 1995]) Plötzlich redete jeder nur noch von HipHop, GRANDMASTER FLASH lief in allen Kassettenrekordern und Graffiti-Bilder schmückten auf einmal Betonpfeiler, auf der ganzen Welt! In Bogota und Teheran tanzten Jugendliche zu den gleichen Beats wie in Berlin, in Nairobi reimten Rapper ebenso wie in Rotterdam. Die ersten HipHop-Filme Beatstreet, Wildstyle oder Stylewars begeisterten die Kids und die Fußgängerzonen waren voll mit Breakdancern, die auf Pappkartons tanzten. (Loh, Verlan 2000, 26)

Sein Debütalbum Illmatic von 1994 beginnt Nas mit dem Titel The Genesis, der lange musikalische Passagen samplet, die von Fab Five Freddy für den Film Wild Style von 1982 produziert worden waren. Wild Style entwarf „ein Porträt der New Yorker Graffiti- und Rapmusik-Szene“ und ist „[m]ehr ein Dokumentar- als eine Spielfilm, der auf unterhaltsame Weise ein authentisches Bild einer vielfältigen, schöpferischen Lebens- und Ausdrucksform nachzeichnet, aber auch die Gefahren ihrer Vermarktung verdeutlicht“ (Katholisches Institut für Medieninformation, Katholische Filmkommission für Deutschland 1995, 6476). Wer den Film kennt, assoziiert mit der Musik von Nas sofort Graffiti besprühte Bahnwaggons, die langsam in minutenlangen Einstellungen durch graubraune Häuserlandschaften irgendwo in New York fahren und die nächtliche Arbeit des jugendlichen Sprühers Zoro dokumentieren. Indem Nas diesen auch international einflussreichen HipHop-Film zitiert und New York wieder prominent als Ursprungsort von HipHop positioniert, arbeitet er mit an der Wiedererstarkung einer städtischen Szene, die im Verlauf der landesweiten Diffusion von HipHop-Musik während der 1980er Jahre starke Konkurrenz erfahren hatte und für ihre Arroganz gegenüber den Entwicklungen in anderen Teilen der USA und der Welt kritisiert wurde. Auch das zweite Stück auf der Platte trägt mit N.Y. State of Mind einen Titel, der Nas und seine Fähigkeiten am Mikrofon als Teil der Essenz des wieder erstarkenden New York ausweist. Über eine minimalistische und extrem trockene Hardcore-Produktion von DJ Premier breitet der Rapper einen lebhaften Erzählfluss über das Leben in den sozialen Wohnungsbauprojekten aus. Er schildert in klaren und brillanten Worten den Alltag zwischen Misstrauen und sozialem Rückhalt, zwischen Flucht vor der Polizei und hoffnungslosem Zurückgelassensein im Ghetto, zwischen bejubeltem Erfolg und gefährlichem Neid. All das hat sich für Nas seit den Anfängen von HipHop nicht verändert. Als er 1992 einen Vertrag mit Columbia/Sony unterzeichnet, wohnt und lebt er noch immer zusammen mit seiner Mutter in den Queensbridge Projects. „Ich lege Puzzles wenn ich in frühere Zeiten wandle. / Nichts ist vergleichbar mit der Gemütsverfassung von New York“. Trotzdem ist auch für Nas 1992 nicht mehr 1982, und der weltweite Einfluss von HipHop geht auch an New York nicht spurlos vorbei. Zehn Jahre nach

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der Veröffentlichung von Illmatic antwortet Nas auf die Frage, was bei ihm vom N.Y. State of Mind übrig geblieben sei: Einiges. Aber ich bin seitdem durch die Welt gereist, habe verschiedene Länder gesehen, verschiedene Leute getroffen. Und deshalb ist es heute eher ein ‚global state of mind‘, nicht mehr nur auf New York begrenzt. (zitiert von Werner 2004, 63)

Eine solche Erweiterung des räumlichen Blickfelds weit über den lokalen und nationalen Horizont hinaus lässt sich für viele Gruppen und Künstler konstatieren. Während sich Public Enemy beispielsweise in den Texten ihres Albums Yo! Bumrush the Show von 1987 mit Ausnahme von Südafrika ausschließlich städtische Zentren in den Vereinigten Staaten benennen, fallen in den Texten ihres Albums There’s a Poison Going on... von 1999 geographische Namen wie Afrika, Brasilien, Japan, Spanien oder Sudan sowie Vokabeln wie „Europeans“, „international“, „whole planet“ oder „world“. Die Künstler anerkennen die Diffusion von HipHop jenseits der US-amerikanischen Grenzen, bei der sie selbst häufig eine tragende Rolle spielten. HipHop-Touren nach Europa und Japan waren fester Bestandteil der Marketingstrategien der Plattenfirmen, welche für die Künstler in den großen städtischen Zentren Auftritte buchten. Hits wie Rapper’s Delight von der Sugarhill Gang oder The Breaks von Kurtis Blow wurden praktisch zeitgleich auf den unterschiedlichen regionalen und nationalen Märkten veröffentlicht und erreichten in vielen Ländern Hitparadenplatzierungen. Die Filme Wild Style, Beat Street oder Stylewars in ihrer Do-it-yourselfÄsthetik werden häufig als die entscheidenden Katalysatoren der flächendeckenden Diffusion betrachtet. Trotzdem verlief die Adoption räumlich und zeitlich differenziert ab. Hinter der Adoption von HipHop in lokalen Kontexten steckt mehr als die Begeisterung für massenmedial verbreitete Musik, Texte, Images und Filme. Es zeigt sich, dass neben den lokalen Strukturen zunächst häufig Zufälle, das Engagement Einzelner und persönliche Begegnungen auf internationaler Ebene die kulturellen Aktivitäten anstoßen konnten. In einem Beitrag für The Vibe History of Hip Hop über internationale Rap-Musik unterscheidet Mark Schwartz drei räumlich differenzierte Phasen der Ausbreitung, die im Folgenden kritisch nachvollzogen werden: (1) Frankreich, (2) Japan und das restliche Westeuropa sowie (3) die „Dritte Welt“ (Schwartz 1999). „Die Geschichte von HipHop in Frankreich beginnt in New York“ (Verlan 2003, 44). Der dortige Korrespondent der französischen Zeitschrift Actuel, Bernard Zekri, produzierte Anfang der 1980er Jahre einige HipHop-Stücke für USamerikanische Künstler, darunter auch Grandmixer D.St und Fab Five Freddy. Zekri gelang es, mit der Aufnahme Change de Beat seiner Freundin B-Side auf der B-Seite einer Fab Five Freddy-Maxisingle eines der ersten Raplieder in französischer Sprache zu veröffentlichen. Nachdem die folgende Solo-12’’ von B-Side mit dem Titel Je Descends A Odéon erfolgreich in Frankreich verkaufte, organisierte Zekri mit finanzieller Unterstützung des Radiosenders Europe 1 mehrere Auftritte der New York City Rap Tour in Europa. Im November 1982 traten Afrika Bambaataa, Fab Five Freddy, Rammellzee, Grandmixer D.St & The Infinity Rappers zusammen mit den Graffiti-Künstlern Phase 2, Futura und Dondi sowie der Rock Steady Crew und den Double Dutch Girls insgesamt zehn Mal in Frank-

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reich und drei weitere Male in London auf. Beworben durch mehrere Artikel in der Actuel stellte diese „Alles in einem-, Lass uns schnelles Geld verdienenMasche“ eine erste direkte Begegnung zwischen HipHop aus New York und einer jugendlichen Zuhörerschaft auf europäischem Boden dar (Beckman, Adler 1991, 17). Afrika Bambaataa stattete Paris 1984 einen weiteren Besuch ab, bei dem er die Gründung des französischen Ablegers seiner Zulu Nation begleitete. Zwischen 1983 und 1986 strahlte der damals öffentlich-rechtliche Sender Télévision Française 1 mit HipHop eine Sendung aus, in der sich im Wochenrhythmus eine wachsende Zahl französischen Künstler und Gruppen präsentieren konnte. Sydney, der Moderator, war auch DJ bei Radio 7 und wurde ebenso wie sein Kollege DeeNasty von RDH zu einer bekannten HipHop-Persönlichkeit (Dufresne 1997, 252–253). DeeNasty war die entscheidende Figur bei der Ausrichtung früher Partys in den terrains vagues, den Brachflächen entlang der Metrolinie um La Chapelle im Norden von Paris. Zwischen 1984 und 1986 wurden hier nach dem Vorbild der New Yorker Jams HipHop-Partys mit adaptierter Rap-Musik, Breakdancern und Graffiti-Wänden gefeiert, aus denen die frühe Pariser Szene hervorging. Der Club Bataclan im 11ème und die Diskothek Globo im 10ème Arrondissement wurden in der Folgezeit zu zentralen Treffpunkten, Plattenfirmen wie Labelle Noire und Polydor France zu wichtigen Absatzkanälen für Rap-Musik. Bis 1991 blieb HipHop-Musik mit Gruppen wie Suprême N(ique) T(a) M(ère) oder MC Solaar fast ausschließlich auf Paris und seine Vororte beschränkt, danach kamen städtische Szenen in Lyon, in Toulouse und vor allen Dingen auf dem planète Mars(eille) mit den I(mperial) A(siatic) M(en) hinzu. Nachdem zu Beginn der 1980er Jahre nur relativ wenige Immigranten und Immigrantenkinder in die HipHop-Szene involviert waren, stellen sie heute einen Großteil der französischen Rapper und Musiker, die sozialräumlich hauptsächlich mit dem sozialen Wohnungsbau in den Vorstädten der Metropolen in Verbindung gebracht werden (Meghelli 2004). Ähnlich wie in den USA stellt sich HipHop in Frankreich als Teil einer populärkulturellen Landschaft dar, die in unzählige lokalpatriotische Gruppen zerfallen ist und wo der einzelne Rapper ohne Unterstützung aus seinem eigenen Viertel kaum Chancen hat, überregional Anerkennung zu finden (Jacob 1997, 362). Starke (sprach-)nationale Tendenzen im französischen HipHop und die Musikquotierung zugunsten französischsprachiger Texte im Rundfunk haben aber dazu beigetragen, dass hier der zweitgrößte Markt für HipHop-Musik weltweit entstanden ist. Traditionell stark ist die kulturelle und linguistische Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien. Zu Beginn der 1980er Jahre zeigte sich der enge transatlantische Austausch auch im HipHop, als der Brite Malcolm McLaren HipHop-Clubs in den Vereinigten Staaten besuchte, den Kontakt zur Szene herstellte und einige eigene musikalische Experimente unternahm, wie beispielsweise das mit DJs aus New York und Los Angeles besetzte World’s Famous Supreme Team-Projekt. Zugleich führten verschiedene HipHopTourneen New Yorker Rap-Gruppen nach England, die wie im Falle von Whodini, einem Trio aus Brooklyn, in Plattenaufnahmen in London resultierten. Auch der erste DMC International DJ Competition wurde hier veranstaltet. Ausführliche

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Berichte in britischen Musikmagazinen wie dem New Musical Express machten HipHop früh einem breiten Musikpublikum zugänglich (Hager 1984, 91). Trotzdem fasste HipHop in England erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre richtig Fuß. Ein Grund für diese Verzögerung liegt im Widerstand der englischen black community, die einen auf die britischen Verhältnisse zugeschnittenen, moderaten schwarzen Nationalismus präferierte und in den radikalen Ghetto-Parolen aus den Vereinigten Staaten eine Bedrohung ihrer stabilen Gemeinschaft sah. Erst im Laufe eines Generationenkonflikts und im Zusammenhang mit den Wahlniederlagen von Labour Mitte der 1980er Jahre wurde HipHop stärker als Musik rezipiert, die als politischer Kommentar zur Situation in Großbritannien zu funktionieren hatte (Jacob 1993, 151). So bestimmten bis weit in die 1980er Jahre hinein US-Vorbilder die Aktivitäten der englischen Rapper, die für Verträge mit USPlattenfirmen teilweise amerikanische Akzente imitierten. Mit dem Erfolg einer ersten britischen Welle mit Derek B, der Cookie Crew, Faze One und dem politisch ambitionierten MC Mell’O wurde der amerikanische Einfluss auf die Texte mehr und mehr zugunsten englischer und jamaikanischer Bearbeitungen zurückgedrängt. Daddy Freddy und den Demon Boyz gelang eine Mischung mit Dancehall Reggae Stilen zur spezifisch britischen Form des Raggamuffin HipHop, der im Trip Hop aus Bristol im Laufe der 1990er Jahre eine soulgeschwängerte Neuformulierung erfuhr. Begleitet wurde der wachsende Erfolg der britischen Rap-Szene mit neuen Formaten auf so genannten Piratensendern, die das Monopol der öffentlich-rechtlichen BBC seit den 1960er Jahren brechen konnten. Als zentrale und zugleich umstrittene Figur im britischen HipHop-Radio stilisierte sich Tim Westwood, der 1982 bei einer der „street stations“ anfing und mittlerweile die einflussreiche Radio 1 Rap Show bei der BBC moderiert (Werner 2003, 67; Garcia 1999). Zusätzlich fliegt Westwood einmal monatlich nach New York, um Live-Shows mit zu gestalten und Kontakt zu den dortigen Künstlern zu pflegen. Eine andere Spielart von HipHop etablierte sich in England Ende der 1980er Jahre als Britcore, deren „[e]indringliche Texte, kurzatmige Raps und Lokomotivrhythmen“ (Dufresne 1997, 244) eine hier bislang unbekannte Punk- und Hardcore-Attitüde im HipHop propagierten. Overlord X, Silvah Bullet, Gunshot und Hijack sind Vertreter dieses Genres, die ihre Bekanntheit umfangreichen Touren durch Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Holland und Italien zu verdanken haben. Die Geschäftsverbindungen von Britcore reichten dabei weit über die Britischen Inseln hinaus: Hijack stand Anfang der 1990er Jahre bei Rhyme Syndicate, dem Label von Ice-T aus Los Angeles, unter Vertrag, und Gunshot wurde von Move / Rapture aus Pfullingen in Baden-Württemberg vertrieben (Felbert 1993a; Krekow, Steiner, Taupitz 1999, 158–159). In Deutschland wird Britcore insbesondere mit Readykill und Mental Disorder aus Hamburg sowie mit No Remorze aus Bremerhaven in Verbindung gebracht. Allerdings wurde trotz der genuin britischen Entwicklungen von Raggamuffin HipHop, Trip Hop und Britcore HipHop aus Großbritannien lange Zeit als Anhängsel der Musik aus den USA betrachtet. Wer, wie die britische Rapperin Monie Love, noch in den 1990er Jahren erfolgreich sein wollte, verlagerte seine Geschäftsaktivitäten und Auf-

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nahmetätigkeiten nach New York und suchte den Anschluss an die dortige Szene, denn „[i]n England gibt es zu wenige Rap-Fans, um überleben zu können“ (Monie Love, zitiert von Dufresne 1997, 240). Hier kommt die Bedeutung New Yorks sowohl als wirtschaftliches Zentrum als auch einer symbolischen Örtlichkeit zum Ausdruck, deren Wirkung weit über den US-amerikanischen Kontext hinaus strahlt. In Schwartz’ Geschichte des internationalen HipHop nimmt Großbritannien erstaunlich wenig Raum ein und wird erst nach Frankreich und Japan kurz abgehandelt. Aus westeuropäischer Sicht stellt die ausdifferenzierte britische Szene allerdings eine Art untergeordnetes Innovationszentrum dar, das zumindest auf Teile der populärkulturellen Entwicklung im restlichen Europa ausstrahlen konnte. Völlig unerwähnt bleibt bei Schwartz Kanada, das offensichtlich als Teil der großen US-amerikanischen HipHop Nation interpretiert wird. Darin spiegelt sich die persistente Dominanz der internationalen Musikindustrie und von in den USA produzierten Tonträgern auf dem kanadischen Musikmarkt wider, die im Falle von Rap noch stärker als in anderen musikalischen Genres durchschlägt. Ähnlich wie Frankreich hat auch Kanada eine Quotenregelung eingeführt, welche die Radiostationen verpflichtet, mindestens 35 Prozent kanadische und in der Provinz Quebec mindestens 65 Prozent französischsprachige Musik zu senden (Chamberland 2001). Aufgrund ihrer Nähe zur Metropolis des US-amerikanischen Nordostens und der Funktion als ein traditionelles kulturelles und musikindustrielles Zentrum in Kanada besteht die älteste und zugleich größte HipHopSzene in Toronto. Neben einer großen Zahl ‚weißer‘ Künstler waren es insbesondere Einwanderer aus der Karibik, die Mitte der 1980er Jahre begannen, HipHop zu praktizieren. Von hier stammen bekannte Künstler wie Dream Warriors, Kardinal Offishall, Saukrates oder K-OS. Rapper und DJs außerhalb Torontos sahen sich während der 1980er Jahre in der doppelt peripheren Lage, sich sowohl gegenüber den Zentren in den USA als auch gegenüber der Szene in Toronto positionieren zu müssen (Krims 2000, 177–182). Heute existiert mit Montreal ein zweites Zentrum, in dem anglophone und frankophone Stile zusammentreffen und entsprechend US-amerikanische und französische Rap-Musik rezipiert wird. Trotz der relativen physischen Nähe zu den kulturellen Zentren und den materiellen und immateriellen Strömen der USA wird HipHop in Kanada häufig für LiveAuftritte im kleinen Maßstab produziert. Der kommerzielle Erfolg kanadischer HipHop-Künstler ist auf den gesamten nordamerikanischen Markt und damit auf die US-amerikanische Musikindustrie angewiesen. Künstler, die diesen Weg beschreiten, setzen sich häufig Vorwürfen aus, ihre kanadische Identität zu verleugnen und ihre lokalen kulturellen Wurzeln auszuverkaufen (Wong 2001, 207–208). Fragen von Authentizität und Nationalismus spielen auch in einer durch HipHopKünstler als musikalische Peripherie wahrgenommenen australischen HipHopSzene eine Rolle. Aufgrund der kulturellen und sprachlichen Nähe zu den Vereinigten Staaten wird hier eine eigene Identität gesucht, die sich vom ghettozentrierten Bild der US-amerikanischen Versionen unterscheiden will. Ganz bewusst verorten sich die Musiker in suburbanen, multikulturellen Gemeinschaften, die sich durch den gemeinsamen Enthusiasmus für HipHop konstituieren und die Diver-

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sität und historische Spezifität ihrer Stile und Einflüsse anerkennen (Maxwell 2001). Japan, der zweitgrößte Markt für Musik weltweit in Bezug auf Umsatz und Tonträgerabsatz, war der erste Anlaufpunkt für US-amerikanischen HipHop jenseits des Pazifiks. 1983 führte eine Konzertreise die Cold Crush Brothers aus New York mit 25 anderen Künstlern auch nach Tokio, wo HipHop als die gängige Mixtur aus Musik, Tanz und Graffiti-Malerei präsentiert wurde. Whodini legten mit Stopps auf ihren beiden ‚Welttourneen‘ 1983 und 1984 nach. Nach einer Breakdance-Welle wurde Wild Style in Japan zu einem großen Erfolg, nicht zuletzt durch die Vermarktung des zugehörigen Soundtracks, dem ein Büchlein mit Standbildern des Films, Graffitiphotos und Stadtansichten New Yorks beigelegt war (Schwartz 1999, 364). Da gewisse kulturelle und ethnische Barrieren sowie eine schwierige Umsetzung des Japanischen in rhythmische Reimsprache einer umfassenden Aneignung im Wege standen, wurde HipHop als schrille, US-amerikanische Mode-Erscheinung aufgenommen. Mit Begeisterung konnten ‚schwarze‘ Haarmoden, Kleidungsstile und Accessoires kopiert werden, um sich ein exotisches, trendbewusstes und internationales Image anzueignen. Musikalisch entstand mit der Zeit eine unpolitische, melodiöse und leichte Version von RapMusik, die auf ein großes Pop-Publikum zugeschnitten war. Demgegenüber arbeitete eine andere Strömung Mitte der 1990er Jahre an der Erhaltung einer umfassenden, realen Konzeption von HipHop, die an den Ideen der Universal Zulu Nation von Afrika Bambaataa ausgerichtet war. Hier wird Musik weniger für einen nationalen Markt produziert, sondern für Fans, Freunde und den Club als einem zentralen Ort der Konsumtion von HipHop (Condry 2001). Rap-Musik scheint in Japan allerdings weniger Protest und Kommentar entlang ethnischer Linien zu sein – von Minderheiten zu sprechen ist in der auf Harmonie ausgerichteten Gesellschaft weithin verpönt –, als vielmehr Teil eines generationsspezifischen Aufbegehrens gegen Leistungsdruck, soziale Reglementierungen und Rollenerwartungen innerhalb der japanischen Gesellschaft. Insbesondere ältere Schüler und Studenten geben sich mit jigger eine Selbstbezeichnung, die dem despektierlichen und politisch unkorrekten nigger der Afroamerikaner in den USA nachgebildet wurde (Osumare 2001). Auch die japanische Kultur war kein reiner Empfänger der materiellen und immateriellen Flüsse aus den USA, sondern übte bedeutenden Einfluss auf HipHop in New York aus: Die in den 1970er Jahren beliebten grand-Präfixe der Pseudonyme von HipHop-Künstlern wie Grandmaster Flash, Grandmixer D.St oder Grandwizzard Theodore entstammen zeitgenössischen japanischen Kung-Fu Filmen, und die Elektro-Platten der frühen 1980er Jahre sind nicht ohne die Pieptöne und synthetischen Amplitudenverläufe der japanischen Spielkonsolen zu denken. Mit zunehmender internationaler Vernetzung finden vor allem DJs aus Japan ihre Positionen innerhalb der zirkulären kulturellen Kreisläufe der globalisierten Produktionsnetzwerke im HipHop. Offenbar bildet Japan dabei aber Teil eines aufstrebenden „pan-pazifischen HipHopNetzwerks, das die Grenzen und Beschränkungen der Distributionsindustrie populärer Musik umgangen hat“ (Mitchell 2001a, 31).

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Ähnliche oder vergleichbare Prozesse der Popularisierung und der Adaption wie in Frankreich, England oder Japan lassen sich für die 1980er Jahre in vielen Ländern der westlichen Hemisphäre nachzeichnen (Mitchell 2001b). Die angeführten Beispiele zeigen bereits, dass es schwierig ist, allgemeine Aussagen über den Zeitpunkt, das Ausmaß, die Gründe und die Protagonisten der Adoption in unterschiedlichen Kontexten zu treffen. Gleichwohl erscheinen die Jahre um 1983 als eine Zeit, in der eine Imitation von massenmedial verbreiteten Bildern und Klängen das entscheidende Vehikel einer Ausbreitung im großen Maßstab war. Der geringe Aufwand, mit dem die Musik, die Tanzschritte oder die ersten GraffitiBilder zu bewerkstelligen waren, spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die relativ gute Zugänglichkeit der englischen Sprache, die in den meisten westlichen Ländern als erste Fremdsprache in der Schule unterrichtet wird. Zugleich scheint HipHop mit seinen tanzbaren Rhythmen eine musikalische Formel gefunden zu haben, zu der sich viele Menschen positiv in Beziehung setzen können und die Musik der Zeit und Musik zur Zeit signifiziert. Wild Style und die BreakdanceFilme waren damit in den verschiedensten Kontexten die herausragenden Artefakte und audiovisuellen Katalysatoren der Diffusion. Eine Massenwirkung von HipHop konnte sich allerdings erst entfalten, als die Wiederholung, Vertiefung und Kontextualisierung bestimmter Aspekte in der Berichterstattung der Fernsehsender, der Jugendmagazine und der Musikpresse eine Vertrautheit und Popularität schaffen konnten. So stellt etwa die Einspeisung der überaus erfolgreichen US-amerikanischen Show Yo! MTV Raps auf europäische Satellitenkanäle und Kabelnetze im Jahre 1988 eine entscheidende Verbesserung der Informationssituation dar. „Yo! MTV Rap’s (!) war für eine Vielzahl von HipHoppern in ganz Europa die einzige Möglichkeit, Informationen über HipHop zu erhalten und Musikvideos dieses Genres zu sehen“ (Krekow, Steiner, Taupitz 1999, 333). Zudem lässt sich Ende der 1980er Jahre ein Professionalisierungsschub bei Werbung, Vermarktung und Distribution von Rap-Musik innerhalb der transnationalen Musikindustrie feststellen. HipHop wird dabei mehr als zuvor für ein internationales Publikum auf einem crossover-Markt angeboten, der generations-, ethnizitäts- und schichtspezifische Segmentierungen überwinden will (Forman 2002, 278). Erst in den 1990er Jahren setzt in den meisten Ländern eine nennenswerte eigene Tonträgerproduktion für die jeweiligen nationalen Märkte ein (Abbildung 3). In der frühen Phase der Ausbreitung tritt für viele Szenen das persönliche Zusammentreffen mit US-amerikanischen HipHop-Künstlern vor Ort als einschneidendes Ereignis neben die medialen Einflüsse. Das Kontaktpotenzial, welches an die Mobilität von Menschen als Wissensträger gebunden ist, wird in diesem Zusammenhang meist unterschätzt. Bambaataas Besuche in verschiedenen Ländern, die zur Gründung von nationalen chapters der Universal Zulu Nation führte, zählen ebenso dazu wie die ‚Welttourneen‘ der New Yorker HipHop-Künstler, die meist durch Nicht-Amerikaner in die jeweiligen Städte außerhalb der USA gebucht wurden. Hier war es möglich, HipHop ähnlich wie in downtown New York als ein abgerundetes und kulturell umfassendes Paket live zu erleben und sich durch Zusehen und Zuhören Wissen anzueignen. In den frühen 1980er Jahren

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sind die internationalen, transatlantischen und innereuropäischen Reisen von Kulturschaffenden und Musikern kaum zu überschätzen. Diese ermöglichten, wie die Reisetätigkeiten von Malcolm McLaren zeigen, Austausch und Kooperation über künstlerische Stile und nationale Grenzen hinweg. Vielleicht noch bedeutsamer als diese frühen musikindustriell und kulturökonomisch vermittelten Kontakte sind die Veränderungen, welche durch internationale Migrationsprozesse hervorgerufen wurden. Familiäre Verbindungen in die Karibik, nach Südamerika, Afrika oder in die Herkunftsländer der Gastarbeiter eröffneten nach einer gewissen Zeit Austauschbeziehungen in Räumen, die HipHop diasporisch neu verorten halfen. Schließlich befördern auch Tourismus und Reisen zu Freunden, Verwandten und Bekannten die Mobilität kultureller Ideen und Artefakte (Connell, Gibson 2003).

Abb. 3: Veröffentlichung von Rapalben in ausgewählten westeuropäischen Ländern. (Quellen: Androutsopoulos, Scholz 2003, 466; Verlan, Loh 2000; Cracchaus-Website o.J.; MZEE Records o.J.; eigene Recherchen; eigene Darstellung.) In Osteuropa beeinflussten die politischen Systemzusammenhänge und die sozioökonomischen Reproduktionsbedingungen den Zugang zu HipHop nachhaltig. Aufgrund des restriktiven Abblockens westlicher kultureller Einflüsse durch die sozialistischen Regierungen und durch die relativ starke Fixierung staatlicher Kulturpolitik auf die jeweilige nationale oder eine internationale sozialistische Kultur waren die Länder hinter dem Eisernen Vorhang bis etwa 1990 von musikalischen Strömen und kulturellen Innovationen des Westen weitgehend abgeschirmt. Die eingeschränkte Reisefreiheit und die nur ungenügenden Kenntnisse des Englischen erschwerten den Zugang zu Informationen über HipHop zudem. In der Übersicht von Mark Schwartz taucht, wie in praktisch allen US-amerikanischen Publikationen, HipHop in osteuropäischen Länder nicht vor 1990 auf. Ein

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gewisser Einfluss von HipHop lässt sich hier aber bereits in den 1980er Jahren nachweisen. Meist ist es Musik sehr bekannter und erfolgreicher Künstler aus den USA, die auf einzelne osteuropäische Musikmärkte gelangt war. Einzelne Tonträger von Kurtis Blow, Run-D.M.C., Public Enemy oder Tone Loc konnten beispielsweise in Budapest gekauft oder in den städtischen Diskotheken Bulgariens gehört werden. HipHop wurde dabei meist als eine Art Mode-Erscheinung interpretiert, bei der einzelne kulturelle Aspekte selektiv adaptiert wurden und in die jugendkulturelle Imagebildung einflossen. Rap-Musik war zuerst Teil der Konsumtionspraktiken in Diskotheken und staatlich regulierten Vergnügungsstätten, wo unter Berufung auf die marginalisierte Position der Afroamerikaner in den USA Images und Haltungen der ‚schwarzen‘ Rapper imitiert wurden. Eigene musikalische Produktion war nur im Amateurbereich denkbar und verblieb bis zur Öffnung gegenüber westlichen und marktwirtschaftlichen Einflüssen inhaltlich eingeschränkt und technisch wenig ausgereift. Nach der sukzessiven Auflösung des sozialistischen Blocks zeichneten sich in diesen Ländern unterschiedliche Trends ab, die von der Herausbildung einer eigenen, im nationalen Rahmen erfolgreichen Szene wie etwa in Polen oder Tschechien bis zur einer Amalgamierung von HipHop mit unterschiedlichen elektronischen Tanzmusikstilen wie in Bulgarien oder Ungarn reichen (Levy 2001; Nagy 2003; zur Situation in Ostdeutschland vgl. Kapitel 3.3.4). In vielen dieser Länder waren die um 1990 kommerziell überaus erfolgreichen US-amerikanischen Pop-Rapper MC Hammer und Vanilla Ice die ersten HipHop-Superstars. In Russland etwa trat MC Hammer auf Einladung des damaligen Premierministers Chernomyrdin auf, um die Öffnung des Landes zu dokumentieren und das Bild eines weltoffenen Politikers gegenüber vor allem jungen Wählern zu vermitteln (Osumare 2001, 175). HipHop in Osteuropa reflektierte in den 1990er Jahren den anhaltenden Konflikt zwischen einer Generation des noch sozialistisch sozialisierten Personals und eher westlich orientierten, weniger an der Repräsentation politischer Parteien interessierten Jugendkulturen. Ähnliches lässt sich auch für Nationen wie China, Indien oder Korea konstatieren, deren bewusster Isolationismus gegenüber westlichen Jugendkulturen seit den 1990er Jahren schrittweise aufgegeben wurde. Die dritte und letzte Phase der Verbreitungsgeschichte ist bei Schwartz mit „The Third (World) Chamber“ überschrieben. Während in Ländern Süd- und Mittelamerikas zunächst Breakdance und Graffiti Fuß fassen konnten und RapMusik erst nach und nach mit den starken indigenen Musiktraditionen fusioniert wurde, spielten in afrikanischen Ländern wie dem Senegal oder Südafrika postkoloniale Machtverhältnisse eine Rolle. Die relativ erfolgreiche, vornehmlich französischsprachige HipHop-Szene in der senegalesischen Hauptstadt Dakar erhielt ihre Initialzündung durch Erfolge von Rappern aus Frankreich und den Aufbau musikalischer Infrastrukturen durch Weltmusik-Künstler wie Youssou N’Dour. Die lange Tradition oraler Kommunikation in Westafrika begünstigte hier zudem die Entstehung von Rap-Gruppen, die vereinzelt auch internationale Erfolge verbuchen konnten. Eine LP der Gruppe Positive Black Soul von 1997 ist programmatisch betitelt mit New York – Paris – Dakar. Heute existieren zumindest Spuren musikalischer HipHop-Einflüsse in verschiedenen Ländern des Kon-

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tinents, darunter Ägypten, Botswana, die Elfenbeinküste und Ghana. Bis heute wird regelmäßig der schlechte Zugang zu kostspieliger Musiktechnologie als entscheidender einschränkender Faktor einer eigenen musikalischen Produktion in afrikanischen Staaten identifiziert, ein Zustand, der sich auf absehbare Zeit nur sehr langsam verbessern wird. Zwischen etwa 1988 und 1991 rückte Afrika für kurze Zeit stärker ins Rampenlicht der US-amerikanischen HipHop-Öffentlichkeit, als sich einige ‚schwarze‘ Künstler in Abgrenzung zum vorherrschenden ghettozentrierten Ökonomismus stärker auf ihre afrikanischen Wurzeln beriefen. Dieses neue historische Bewusstsein wurde durch afrikanisch inspirierte Kleidung, die Beschäftigung mit afrikanischer und afroamerikanischer Geschichte, die künstlerische Nutzung afrikanischer Symbolik wie die Umrisse Afrikas oder die Pyramiden von Gizeh auf Plattencovern oder durch (Konzert-)Reisen zurück ins ‚Mutterland‘ Afrika zum Ausdruck gebracht. Mit diesem Interesse ging eine Renaissance der Ideen des Panafrikanismus’ einher, der in den USA zur Stärkung ‚schwarzer‘ nationalistischer Tendenzen mit zum Teil recht wirren Mischungen aus politischer Agitation, altägyptischer Mythologie, Militanz, Rassismus und ökonomischem Gewinnstreben führte. Ein erster Blick auf die angeführten Beispiele bestätigt das Bild einer globalen Ausbreitung von HipHop und der Beeinflussung von meist in nationalen Grenzen gedachten Kulturen durch US-amerikanische Vorbilder. An der Oberfläche trägt HipHop-Musik bei zu einer weltweiten kulturellen und ökonomischen Vernetzung. Eine genauere Betrachtung allerdings zeigt das unterschiedliche Ausmaß, mit dem HipHop in verschiedenen lokalen Kontexten tatsächlich adoptiert und adaptiert wurde. Das Spektrum reicht vom begeisterter Nachahmung und Kopie visueller und sonischer Vorlagen in einigen westlichen Ländern über eine sofortige Verschmelzung von HipHop-Musik mit bestehenden Popmusikgenres, wie es für Teile Osteuropas berichtet wird, bis hin zu einer gewissen Gleichgültigkeit der jeweiligen Populärkulturen gegenüber den US-amerikanischen Formen, wie etwa in Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen (vgl. Mitchell 2001a, 25). Globalität und Universalität von HipHop sind somit Relative. Schon die ‚Welttourneen‘ etwa der New York City Rap Tour in den frühen 1980er Jahren waren alles andere als global. Und wenn Boogie Down Productions ihr Album von 1991 Live Hardcore Worldwide betiteln, finden sich darauf nicht etwa Stücke, die in Kairo, São Paulo oder Peking aufgezeichnet worden wären, sondern Konzertaufnahmen aus New York, Paris und London. Ähnlich wie Pop-, Rock- und Soulmusiker beschränkten und beschränken sich HipHop-Künstler bei ihren Konzerten, nicht zuletzt aufgrund der höheren zu erwartenden Einnahmen, auf die westliche Hemisphäre, und hier wiederum eher auf anglophone Länder (Connell, Gibson 2003, 56–57). In der Rhetorik des Globalen im Sinne eines Nicht-Nationalen verwischen die interregionalen und intranationalen Disparitäten kultureller Aktivitäten und Ströme. HipHop wird eben nicht, wie im Eingangszitat unterstellt, überall und nicht überall in gleichem Maße produziert und konsumiert. HipHop aus Australien, Südafrika oder den Niederlanden ist meist HipHop aus Sydney, Kapstadt und Amsterdam. Deutlich werden hier Stadt / Land-Unterschiede, welche die Dispari-

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täten innerhalb einzelner Länder erklären helfen. Komplementär zur phantasierten Verbreitung von HipHop „auf der ganzen Welt“ (Loh, Verlan 2000, 26) wird eine Gleichzeitigkeit dieser Diffusion unterstellt. Die einschlägigen HipHop-Filme und die frühen Platten der Rapper erreichten, so die Annahme, über die Kanäle der Massenmedien und die Distributionssysteme der Musikindustrie zur selben Zeit alle Orte des Globus und standen jedem zur Adaption zur Verfügung. Das imaginierte Ergebnis ist dann eine große, weltumspannende HipHop-Familie, die zwar in lokaler Abstufung, aber doch immer die eine, ursprüngliche Form von HipHop aus der South Bronx variiert. Globalisierung wird in dieser Sicht zur kulturellen Homogenisierung, die in ihrer Gleichzeitigkeit und ihrer Ubiquität gerade nicht-räumlich und nicht-historisch zu verlaufen scheint. Globalisierung ist in diesem Verständnis unvermeidbar, wird grundsätzlich positiv konnotiert und relativiert geographische Disparitäten. Endlich können alle überall Subkultur sein. Globale Ausbreitungs- und Adaptionsprozesse verlaufen freilich immer räumlich und zeitlich ungleich und reflektieren das Nebeneinander unterschiedlicher sozialer Prozesse und Erzählungen, deren machtgesättigter Charakter unausweichlich zu differenten Geometrien von Macht und Einfluss führt. Wird die raum-zeitliche Ausbreitung von HipHop als Prozess gedacht, der gesteuert wird durch Marktmechanismen und sich beeinflusst zeigt von machtpolitischen Abhängigkeiten, die ethnische und sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung, linguistische Eigenheiten, Unterschiede in der Ausstattung mit Infrastruktur und des Anschlusses an kulturelle Flüsse, so muss sich der Blick auf die eine große HipHop-Familie relativieren. Je stärker die zeitliche Dimension seit der Innovation von HipHop in den 1970er Jahren mit einbezogen wird, desto weniger stark ist ein dominierender Einfluss direkt aus New York nachzuweisen und desto wahrscheinlicher werden Prozesse von Synkretismus / Transkulturation / Kreolisierung / Adaptierung offensichtlich.

3.3.4 ‚One, two , three... from New York to Germany‘ Ich rap’ auf deutsch, so steht’s in meinem Passport drin, Flashdance, Beat Street, Breakin’ – ich denk’, es war vorhin, vierundachtzig mein Neubeginn (Stieber Twins: Fenster zum Hof [MZEE, 1996])

Ähnlich wie für die Entwicklung von HipHop in den USA wurde auch für Deutschland – gemeint ist dabei in der Regel Westdeutschland – bis vor wenigen Jahren eine Standardgeschichte erzählt. So heißt es in der Einleitung zu einer Sammlung deutschsprachiger HipHop-Texte von 2000: HipHop in Deutschland begann mit der Breakdance-Welle. [...] [D]ie eigentlichen HipHops, die die neue Jugendkultur hier in Deutschland etablieren sollten, sie begannen mit ‚Breakdance in der Fußgängerzone‘. Als dann die ersten HipHop-Filme ins Kino kamen, lernten sie das Zusammenspiel der kulturellen Ausdrucksformen kennen, von Rap, Breakdance, DJing und Graffiti. [...] Wichtig ist, dass HipHop in Deutschland medienvermittelt ist, die persönlichen Kontakte mit Rappern aus Amerika und anderen Ländern kamen erst später zustande. Nur so lässt sich die

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eigenwillige Entwicklung erklären, die HipHop in Deutschland nahm. Gelebt und betrieben wurde das, was die HipHop-Filme und Rap-Texte vermittelten, die strenge Einheit von Rap, Breakdance, DJing und Graffiti. Die HipHops präsentierten sich in ihrer Keepin-it-real-Haltung sehr ernst, fast dogmatisch. (Verlan 2000, 18–19)

Hier werden die massenmedialen Einflüsse von Fernsehen, Kino und Zeitschriften hervorgehoben. US-amerikanische Filme wie Wild Style (1982), Beat Street (1984) oder Breakin’ (1984), der italienische Spielfilm Breakdance Sensation 1984 (1983) oder die Fernsehproduktion des Süddeutschen Rundfunks Break Out – Tanz aus dem Ghetto (1984) dokumentierten in mehr oder weniger gelungener Form einige der Kontexte, aus denen HipHop entstanden war. Sie zeigten prototypisch auf, was rapping und DJing ist, wie Graffiti-Bilder aussehen konnten und welche Tanzschritte zu Rap-Musik möglich waren. Insbesondere Wild Style, der vom Zweiten Deutschen Fernsehen mitproduziert wurde und dort auch im April 1983 erstmals in Deutschland zu sehen war, gilt als das zentrale Artefakt, welches HipHop nach Westdeutschland kommunizierte. Der Erfolg des Films war derart groß, dass er ab November 1983 in das reguläre Kinoprogramm aufgenommen und dort einige Wochen gezeigt wurde. Mit Fab Five Freddy, den Cold Crush Brothers, Grandmaster Flash, der Rock Steady Crew und den Graffiti-Malern Pink und Lee verpflichtete der Regisseur und Drehbuchautor Charly Ahearn einige der bekannten New Yorker Künstler als Darsteller, die dem Film einen authentischen Charakter gaben. HipHop-Praktiken fanden durch Wild Style in Westdeutschland große räumliche und dezentrale Verbreitung. DJ Rick Ski aus Köln beispielsweise erinnert sich an eine zentrale Sequenz: Am meisten beeindruckt hat mich die Szene in Wild Style, wo Grandmaster Flash mixt in seiner Küche. Er hat drei Plattenspieler da stehen, und im Hintergrund sieht man den Herd – das ist der Wahnsinn. Und er mixt dann die Breakbeats zusammen. (Interview mit Rick Ski, Köln, Oktober 2001)

Auch die im obigen Zitat erwähnte Breakdance-Welle von 1983 bis etwa Mitte 1984 war zunächst getragen von HipHop-Filmen und Breakdance-Wettbewerben, die in den Jugendzeitschriften Bravo und Pop Rocky vermarktet wurden. Bravo publizierte 1984 ein Breakdance-Sonderheft, das Tanzanleitungen und Schritt-fürSchritt-Illustrationen einzelner Bewegungsabläufe enthielt. Dieser Sondernummer war eine flexible Vinyl-Scheibe beigelegt, auf der ein fünfminütiger Elektro-Mix enthalten war, mit dem der Film Breakdance Sensation 1984 beworben wurde. Auch die Rap-Musik zeitgenössischer US-Künstler wie Kurtis Blow, Afrika Bambaataa oder Grandmaster Flash and the Furious Five wurde vor allen Dingen als Musik wahrgenommen, zu der getanzt werden konnte. Breakdance war zu dieser Zeit so erfolgreich, dass Tanzschulen entsprechende Kurse veranstalteten und in einer nachmittäglichen Mach mit – bleib fit-Show im Fernsehen Eisi Gulp einfache Schritte und pantomimische Bewegungsabfolgen für den Hausgebrauch präsentierte. Die eingeübten Schrittfolgen und Bewegungsmuster wurden so, wie es in den Filmen dokumentiert worden war, auch in Deutschland auf Pappkartonagen und PVC-Belägen auf der Straße und in Fußgängerzonen vorgeführt (Henkel, Wolff 1996, 70–72). 1983 moderierte Thomas Gottschalk in seiner Sendung Na sowas einen Breakdance-Wettbewerb, nachdem er bereits 1980 zusammen mit

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den Moderatorenkollegen Frank Laufenberg und Manfred Sexauer als GLS United mit dem Titel Rapper’s Deutsch eine Coverversion von Rapper’s Delight aufnahm. Im Jahre 1984 erreichte die Breakdance-Begeisterung ihren vorläufigen Höhepunkt, als das Finale der Bravo-Breakdance-Sensation in der Dortmunder Westfalenhalle ausgetragen wurde und der Beatstreet World Cup in der Stuttgarter Schleyer-Halle mit Tänzern aus Belgien, der Niederlanden, Österreich, Großbritannien und Deutschland gastierte. Breaker aus New York machten den neuen Film Beat Street bei einem Werbeauftritt in Wetten dass...? bekannt, und die Darsteller von Stylewars traten im Aktuellen Sportstudio und in der Popsendung Formel Eins auf (Robitzki 2000). Mit nachlassendem Enthusiasmus für die ModeErscheinung wendeten sich viele der Jugendlichen Mitte der 1980er Jahre anderen Formen populärer Kultur zu, und es blieb nur eine kleine Subkultur interessierter Fans zurück, die sich nach und nach ein qualifiziertes kulturelles Wissen auf Grundlage der frühen HipHop-Filme und -Dokumentationen erarbeiten konnten (Jacob 1993, 206). Die Bekanntschaften, welche insbesondere auf den BreakdanceWettbewerben geschlossen wurden, waren eine wichtige Basis der nationalen und internationalen Verknüpfungen von HipHop Ende der 1980er Jahre. Da es nur bedingt Informationen über die historischen, sozialen und kulturellen Hintergründe von HipHop in den USA gab, wurde Rap-Musik in dieser Zeit allgemein als Teil einer umfassenden Form gegenkulturellen Ausdrucks gewertet, die durch eine radikal neue und kreative Do-it-yourself-Mentalität geprägt war. Die Geschichte von Cora E verdeutlicht, wie wenig die ersten Gehversuche mit einer bewussten Aneignung von US-amerikanischen Formen zu tun haben mussten und wie dezentral und abgeschottet die einzelnen Protagonisten zunächst agieren mussten: Ich bin 1983 mit HipHop in Berührung gekommen, und zwar folgendermaßen: Ich hatte eigentlich keine Ziele oder Interessen außer einem, und das war Marius Müller-Westernhagen. Der kam nach Kiel in die Ostseehalle, und ich wollte irgendwie auffallen. Ich hab’ mir vorher wirklich Gedanken gemacht, bin in der Nacht losgegangen und hab’ seine Initialen an die Wand der Ostsee-Halle gesprüht. [...] Dann war ein paar Tage später in einer Szenezeitschrift ein Aufruf ‚Wer hat das Graffiti an der Ostsee-Halle gemacht?‘. Ich [...] hab’ da angerufen, und da meinte [der Autor des Aufrufs], das sei das erste Mal, dass er hier in Deutschland Graffiti gesehen hätte. Er kam grade aus New York und hat ganz viele Photos von bemalten U-Bahnen mitgebracht. Jetzt sieht er das auch hier in Deutschland, ob ich ihm was erzählen könnte. Und ich so: ‚Moment mal, stopp! Wie? Was ist Graffiti? Keine Ahnung, wovon Du sprichst!‘ Da war er natürlich enttäuscht, aber ich interessiert, weil ich die Photos sah. Ich hab’ dann auch ein paar Kopien gekriegt von den Photos. Ich bin dann in Bibliotheken gegangen, hab’ angefangen zu lesen. Da stand dann ‚HipHop als Kultur‘, ‚Graffiti nur ein Teil davon‘, hin und her, hin und her. [...] Ich hatte das erste Mal echt einen Plan. Und das hat mich gefesselt. Ich war fest der Meinung, dass ich die Einzige bin, die das macht in Deutschland. Es gab schon ganz viele andere, aber die hab’ ich lange nicht kennen gelernt. (Interview mit Cora E, Heidelberg, Mai 2001)

Zu dieser Zeit gab es weder klare Anleitungen zum Graffiti-Sprühen noch wie ein guter Raptext verfasst oder wie mixing, scratching oder punch phasing praktiziert werden sollen. Im Vordergrund standen zunächst das Spiel mit schnellen Reimen und der Spaß an der technisch-handwerklichen Seite von HipHop: Sampling, Breakdancing, Graffiti. Musikalisch wurde mit einer technischen Grundausstat-

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tung an einfachen Mixern, Tonbandgeräten oder Plattenspielern zumeist zuhause in den Wohn- und Jugendzimmern geübt und gebastelt (Verlan, Loh 2000). Wie andere Formen populärer Musik auch entwickelte sich Rap schrittweise von einer einfachen Imitation der US-amerikanischen Modelle – bis in die späten 1980er Jahre wurde noch durchweg in englischer Sprache über instrumentale B-Seiten importierter Maxisingles gerappt – über ‚eingedeutschte‘ Versionen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zu zunehmend hybriden und re-ethnifizierten Adaptionen, die stärker auf bereits vorhandene musikalische Traditionen, lyrische Stile und eigene lebensweltliche Inhalte Bezug nahmen (vgl. Larkey 1993, 89–203; Regev 1997). Das soziopolitische Erbe von HipHop machte die Musik insbesondere für Jugendliche unterschiedlicher nationaler und ethnischer Herkunft attraktiv, deren Eltern während der 1950er und 1960er Jahre als Gastarbeiter in Süd- und Südosteuropa rekrutiert wurden, um den Arbeitskräftebedarf der stark expandierenden deutschen Industrie zu decken. Nachdem viele der Gastarbeiter mit ihren Familien nicht wie ursprünglich angenommen nach wenigen Arbeitsjahren wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren, formierten sich in den 1980er und 1990er Jahren transnational verflochtene Gemeinschaften, die als hybride und diasporische Kulturen Verbindungen sowohl nach Deutschland als auch in die jeweiligen Heimatländer unterhielten (Kaya 2001). HipHop bietet insbesondere der zweiten Generation griechischer, jugoslawischer und türkischer Gastarbeiterkinder eine Möglichkeit, sich sowohl der Kultur der Elterngeneration als auch einer Assimilierung an die deutsche Gesellschaft zumindest teilweise zu entziehen. Ab etwa 1987 entwickelten sich in Deutschland auf informeller Basis Netzwerkstrukturen, welche die aktiven Konsumenten polyzentrisch in losen Vereinigungen und teilweise europaweit in Jams zusammenführten. Die große Bereitschaft zu räumlicher Mobilität ermöglichte an verschiedenen Orten im In- und Ausland (etwa Schweiz, Italien, Frankreich, Niederlande, Dänemark) diese Form der Partys, bei der alle Anwesenden in einer, häufig in mehreren der HipHop-Disziplinen aktiv mitwirkten und wettstritten. Diese Standarderzählung einer zunächst massenmedial gesteuerten Begeisterung für die tänzerischen und musikalischen Aspekte von HipHop wird in den vergangenen Jahren ergänzt durch biographische Berichte, welche in einigen Städten dem Einfluss der in Deutschland stationierten US-amerikanischen Streitkräfte eine mindestens ebenso große Bedeutung bei der Vermittlung von HipHop zumessen. Die Erinnerungen von Cutmaster GB, einem Breakdancer, GraffitiMaler und DJ aus Frankfurt am Main, sollen diese frühen persönlichen Kontakte und Einflüsse vor der Breakdance-Welle dokumentieren: Ich bin 1979 zum ersten Mal mit HipHop in Berührung gekommen, als kleiner Junge. Ich war mit meiner Mutter auf einer Amerika-Reise. Amerika war Ende der 70er das Ding gewesen, und es sind damals wirklich wenige Leute rüber geflogen. Wir haben lange gespart, es war nahezu unbezahlbar. Wir waren zunächst in Florida, in Miami, die Musik hab’ ich schon dort mitgekriegt. Bei einem kurzen Abstecher nach New York sind wir mit der U-Bahn rein gefahren nach Manhattan und haben direkt den Flash von den Zügen gekriegt. Diese ersten Eindrücke waren halt sehr prägend für mich, bis heute noch. Es waren Sachen, die heutzutage keiner mehr irgendwie nachvollziehen kann, der es nicht miterlebt hat. [...] Und die Sache

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war, abgesehen vom writing, in New York noch neu und grade so richtig am Aufkochen gewesen, das hast du an allen Ecken gemerkt. Ich hab’ Tänzer gesehen am Broadway, ich hab’ Züge gesehen en masse, ich hab’ die Musik im Radio gehört. Das waren so meine ersten Erlebnisse. (Interview mit Cutmaster GB, Frankfurt, Mai 2002)

Diese Schilderungen einer (privilegierten) Reise in die USA zu einem Zeitpunkt, als HipHop in New York City gerade im Begriff war, sich in einer umfassenden Form von einer lokalen Veranstaltungskultur an der Peripherie zu einem stadtweit sicht- und hörbaren kulturellen und ökonomischen Phänomen zu entwickeln, decken sich sicherlich nicht mit der Erfahrung vieler europäischer Jugendlicher. Sie zeigen aber, dass es keineswegs immer erst die paradigmatischen Filmerlebnisse waren, welche die Begeisterung für das ‚neue Ding‘ aus den USA weckten. Die Eindrücke vor Ort waren für Cutmaster GB nicht nur die ‚üblichen‘ eines New York Touristen, der diese bei einem ersten Besuch in der Stadt mit bestimmten Erwartungshaltungen und einem stereotypen Bild der Weltmetropole abgleicht. Vielmehr trafen ihn die Wucht der bunt bemalten Bahnwaggons, die multiethnischen Tänzer auf dem Broadway und die neue Musik so unvorbereitet und nachhaltig, dass der Enthusiasmus bis zur Rückkehr nach Deutschland anhielt. In Deutschland angekommen hab’ ich natürlich gleich die Sprühdose in die Hand genommen und bei meiner Oma im Waschkeller, genau, hab’ die erste Wand gemalt, Ende 79 war das. Und klatsch, danach ging’s auf die Straße. Ich hatte tausend Bilder in New York fotografiert und versuchte dann, das irgendwie nachzumachen. Ich hab’ 80 dann noch angefangen zu tanzen, ab Ende 79 gemalt, und anschließend Freunde von mir angesteckt, auch Deutsche. Für mich war sehr wichtig, dass Frankfurt eine GI-Stadt war. Die Stadt war voll mit Amerikanern, auch in der Ecke, wo ich gewohnt habe. Meine Tante war mit einem verheiratet, deshalb hatte ich viele Kontakte zu Amerikanern. [...] Als ich wieder aus New York zurück war, hab’ ich mich mit meinem schlechten Schulenglisch gleich an diese Leute gehängt. Und siehe da, es war jemand dabei, der Leute in New York gekannt hat und über den ich in Verbindung gekommen bin mit [dem Writer] Doro von CIA und Mixmaster E aus New York. Ich bin dann 1982 mit einem Freund wieder nach New York aufgebrochen, wo wir meine Kontakte haben spielen lassen. Ich bin dort mit offenen Armen empfangen worden und hab’ gleich jede Menge heute berühmter Leute kennen gelernt, als sie noch nobodys waren. (Interview mit Cutmaster GB, Frankfurt, Mai 2002)

Für Cutmaster GB waren die Kontakte zu US-Amerikanern vor Ort in Frankfurt entscheidend für seine weitere Entwicklung als Musiker, Tänzer und GraffitiMaler. Sie verhalfen ihm in den Folgejahren zu einer einflussreichen Stellung sowohl innerhalb der Frankfurter Szene wie auch in der sich langsam deutschlandweit formierenden Alten Schule. Der Raum von HipHop war für ihn von Anfang an ein internationaler, der durch transatlantische Austauschbeziehungen und gegenseitige Besuche konstituiert wurde. Der erste Besuch in New York Ende der 1970er Jahre provozierte eine Nachfolgemobilität, die bis in die Jetztzeit anhält. Bis auf wenige Ausnahmen war Cutmaster GB seit Beginn der 1980er Jahre mindestens einmal jährlich in New York City. Auf die Frage, was der wichtigste Faktor für die frühe Entwicklung von HipHop in Deutschland war, antwortet er entsprechend: Meiner Meinung nach haben die Amis da den größten Anteil. Die Amerikaner, das ist das Hauptding. In Frankfurt waren viele Amerikaner gewesen, auch in München, Heidelberg und

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Berlin. Diese Städte waren voll mit Amerikanern. Und viele von den HipHop-Leuten aus New York sind irgendwann dann auch hier stationiert worden. Außerdem gab es ein großes Clubsystem bei den amerikanischen Streitkräften, wo auch Gruppen aus den Staaten aufgetreten sind. Anfang der 80er Jahre haben wir mit unserer Breakdance-crew Universal Movements zusammen mit der Rock Steady Crew auf der Airbase getanzt. [...] 1983 eröffnete das Funkadelic hier in Frankfurt. Soviel ich weiß, war das der erste Club, der sich fast ausschließlich ‚Schwarze Musik‘ auf seine Fahnen schrieb und total hiphoplastig war. Der Club hätte nie überlebt ohne die US-amerikanische crowd. [Grandmixer] D.St zum Beispiel war DJ im ersten halben Jahr gewesen, und man hat dort noch mehr bekannte Leute kennen gelernt. Und so ist die ganze Sache dann gewachsen. (Interview mit Cutmaster GB, Frankfurt, Mai 2002)

Mit seiner Meinung ist Cutmaster GB nicht allein. Auch für die Mitglieder der während der 1990er Jahre erfolgreichsten deutschen Rap-Formation Die Fantastischen Vier waren Kontakte zu US-Soldaten sowie die Besuche in den Clubs der GIs und bei deren Familien der Weg zu HipHop. In ihrer Heimatstadt Stuttgart war HipHop für sie in den späten 1980er Jahren eine Form der Amerikanisierung, die Spaß bereiten und Abwechslung bieten konnte. Ihre Autobiographie übertiteln sie entsprechend mit Die letzte Besatzermusik (Niemczyk 1999). Auch Textor von Kinderzimmer Productions aus Ulm (Interview mit Textor, Heidelberg, November 2005), Christian Stieber aus Heidelberg (Interview mit Christian Stieber, Heidelberg, Juni 2001) und Katmando aus München (Interview mit Katmando, München, Juni 2002) berichten über Kontakte zu Angehörigen der US-amerikanischen Streitkräfte in diesen Städten als ähnlich entscheidende Ansatzpunkte für ihre Beschäftigung mit HipHop. Akim Walta a.k.a. Zebster a.k.a Zeb.Roc.Ski, der Anfang der 1980er Jahre als Breaker und Writer in Mainz begann, antwortet dagegen auf die Frage, ob die Kontakte zu GIs auch für ihn wichtig waren: Nö, da würde ich vehement widersprechen. [...] Wir hatten auch bei uns in Mainz und Wiesbaden die barracks, wo die Amis stationiert waren. Und das hatte teilweise bestimmte Einflüsse, weil die eine andere Erfahrung hatten und andere Kontakte. Es war sehr rar, an Sachen ranzukommen. Aber ich glaube, dass sich das ohne Amerikaner entwickelt hat. Also in Mainz zum Beispiel. Das einzige, was wir mitbekommen haben war, dass wir ab und zu gegen bessere Breaker getanzt haben. (Interview mit Akim Walta, telefonisch, Juni 2002)

Für Akim Walta entwickelte sich die Mainzer Szene in seinem Stadtteil Budenheim selbstinduziert, die direkten Kontakte mit US-Amerikanern hatten keine zentrale Rolle gespielt. Er benennt aber „bestimmte Einflüsse“ wie Kontaktzonen und spezifische Wissensbestände, welche die Anwesenheit der amerikanischen Streitkräfte auch in Mainz und dem benachbarten Wiesbaden kennzeichnete. Neben den persönlichen Kontakten sind es auch die infrastrukturellen Ausstattungen mit Geschäften und Clubs im Umfeld der US-Kasernen und –Wohngebiete, die es Jugendlichen ermöglichten, vor Ort an Formen US-amerikanischer Kultur teilzuhaben. Cutmaster GB benennt neben den (potentiellen) Kontakten insbesondere den Zugang zu Infrastruktur, technologischer Ausstattung wie Sampler, Technics-Plattenspieler und Mixer sowie raren Importplatten im Umfeld der Streitkräfte in Frankfurt als wichtige Faktoren für die frühe Produktion von HipHop-Musik in dieser Stadt. Sicher lässt sich keine einfache Korrelation zwischen den Wohn- und Stationierungsstandorten von US-Militärangehörigen

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(vgl. Mechtersheimer, Barth 1988, 22–23) und den frühen HipHop-Aktivitäten in Deutschland nachweisen, für einige der Städte mit relativ starken lokalen HipHop-Szenen allerdings werden entscheidende Anstöße durch das Zusammentreffen mit US-Amerikanern berichtet. Und dann ging’s halt richtig los. Jedenfalls konnte ich Sachen, die in Amerika gemacht wurden, innerhalb kürzester Zeit auch schon hier machen. Deshalb ging es eigentlich ziemlich schnell. Du bist dann in der Musikszene bekannt geworden. Ich habe Doctor D, den Cousin von Daddy O von [der New Yorker Gruppe] Stetsasonic kennen gelernt, der war auch als GI hier stationiert. Er war ein Clubgänger und ein sehr guter Sänger. Mit ihm zusammen haben wir dann als Bionic Force 1986 die erste Schallplatte aufgenommen, Age of the Atom war das. [...] Es war so ein Elektrostück, die erste Platte mit richtig geilen Raps drauf, die erste, mit richtig geilen Cuts drauf und die erste, die eine beat box drauf hatte. Das war alles auf einer Schallplatte. Wir haben Tschernobyl als Anlass genommen. (Interview mit Cutmaster GB, Frankfurt, Mai 2002)

Im Vergleich zur Entwicklung im übrigen Land stellt Frankfurt am Main mit den persönlichen und intensiven Kontakten zu US-Amerikanern und der starken Orientierung an der Szene in New York sicher einen Sonderfall dar. „Als man in anderen Städten noch mit Papas Tonbandgerät experimentierte, entstanden in Frankfurt schon die ersten Studioproduktionen“ (Güngör, Loh 2003, 44). Mittlerweile gilt Age of the Atom [Zyx, 1986] neben dem Titel Use The Posse der Westberliner Gruppe Rock Da Most [99, 1989] als eine der ganz frühen HipHop-Produktionen in Deutschland (vgl. Jacob 1993, 207). Abbildung 4 verdeutlicht anhand der Verortung von Künstlern, die zwischen 1986 und 1996 Tonträger des Genres Rap in Deutschland veröffentlicht haben, die herausragende Stellung von Frankfurt vor 1990. Gegen Ende der 1980er Jahre veröffentlichten auch erste Gruppen in Berlin (Young Guns, The Electric Beat Crew aus dem Ostteil der Stadt) und Köln (L(egally) S(pread) D(ope), Exponential Enjoyment) Schallplatten, nur wenig später gefolgt von Produktionen aus Düsseldorf (Fresh Familee mit dem ersten türkischsprachigen Rap in Deutschland), Nürnberg (King Size Terror), Bremen (Tommy T) und Lüdenscheid (LJs Schlecht ist die Welt). Erst 1991 und 1992 kamen bedeutendere Tonträgerproduktionen aus Hamburg (Easy Business) und Stuttgart (Die Fantastischen Vier) hinzu, die durch erste Platten aus Braunschweig (Such A Surge, State of Departmentz) und Heidelberg (Advanced Chemistry mit Fremd im eigenen Land) ergänzt wurden. Mit Krauts With Attitude. German HipHop Vol. 1 erschien 1991 [Boombastic/IDE] auch der erste HipHop-Sampler in Deutschland. Ausgesprochen produktiv zeigten sich 1993 Köln und Hamburg, mit weiter hohen Zahlen aus Frankfurt und Stuttgart. In diesen Städten kamen zu den Produktionspionieren neue Gruppen hinzu, die innerhalb der lokalen Szenen auch stilistische Ausdifferenzierungen verfolgten. Auffällig ist 1993 zudem die hohe Veröffentlichungszahl von thematischen Kompilationen mit Künstlern aus unterschiedlichen HipHop-Szenen, etwa gegen rechtsradikale Gewalt (HipHop Hurra! Rap gegen rechts) oder als Benefizplatte für die Deutsche Aidshilfe (100% positiv). Mit dem Vibra Zone-Sampler meldete sich auch erstmals nach der Wiedervereinigung ein ostdeutsches HipHop-Kollektiv (S.W.A.T. aus Ostberlin) auf Platte. Dass mit Alte Schule auch eine Zusammenstellung vieler Künstler aus der Jam-Zeit der späten 1980er Jahre er-

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Abb. 4: Rap auf Tonträgern in Deutschland 1986–1996: räumliche Herkunft der Künstler. (Quellen: Verlan, Loh 2000; Cracchaus-Website o.J.; MZEE Records o.J.; eigene Recherchen; eigene Darstellung.)

scheint, ist ein Anzeichen für die zunehmende Vernetzung der Szenen und die fortschreitende ökonomische Durchdringung der musikalischen Produktionsprozesse. Bereits 1993 lässt sich kein eindeutiges Zentrum von HipHop-Musik in Deutschland ausmachen. Auffälligkeiten sind zum einen die Produktionen aus Orten der mittleren Hierarchiestufe des deutschen Städtenetzes wie Braun-

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schweig, Bielefeld, Heidelberg, Lüdenscheid, Ulm und Wiesbaden. HipHopMusik ist nicht ausschließlich an die großen städtischen Zentren gebunden. Zum anderen ist die geringe Produktion von Rap-Musik in Ostdeutschland bemerkenswert, wo sich nach Auflösung der DDR zunächst nur wenige Tonträger aus einem bestimmten Ort materialisieren konnten. A Real Dope Thing aus Ostberlin schafften 1989 die erste Veröffentlichung einer ostdeutschen Gruppe und die beiden Pioniermanöver-Sampler von 1994 und 1995 dokumentierten Musik von Gruppen aus unterschiedlichen ostdeutschen Städten. Dezentrale Tendenzen der Rap-Produktion setzten sich auch bis 1996 fort. Als neue Standorte von Künstlern mit Plattenaufnahmen treten ‚periphere‘ Städte wie Aachen, Augsburg, Bremerhaven, Gießen, Hilden, Kassel oder Offenbach hervor, was als Hinweis auf eine gewisse Verbreitung von Aufnahmetechnologien und die Diffusion von Wissensbeständen interpretiert werden kann. 1994 ist das Jahr, in dem mit 77 Neuerscheinungen der Höhepunkt des Betrachtungszeitraums erreicht wird, getragen vor allem von Künstlern aus Braunschweig, Frankfurt, Hamburg und Köln. Insbesondere Hamburg schaffte zwischen 1994 und 1996 einen gleichbleibend hohen Ausstoß neuer Platten, die von Künstlern wie Absolute Beginner, Der Tobi & das Bo oder Fettes Brot veröffentlicht wurden. Stuttgart erzielte erst Mitte der 1990er Jahre Produktionsziffern, die mit den Werten etwa aus Bremen oder Braunschweig konkurrieren, aber bei weitem nicht die Zahlen von Frankfurt, Köln oder Hamburg erreichen konnten. München und die Kapitale Berlin blieben bis Mitte der 1990er Jahre weit hinter den Zahlen der anderen Großstädte in Deutschland zurück. Die hier vorgestellte Diffusionskarte beleuchtet nur einen kleinen Ausschnitt der HipHop-Praktiken in den verschiedenen Städten und Gemeinden Deutschlands. Kartiert sind lediglich die Herkunftsorte von Künstlern, welche Rap-Tonträger zwischen 1986 und 1996 veröffentlicht haben. Aussagen über die musikalischen Netzwerke und die konkreten Orte der Aufnahme können ebenso wenig getroffen werden wie über Breakdance- und Graffiti-Aktivitäten, die mannigfachen musikalischen Praktiken im Amateurbereich oder musikalische Experimente, die es aus verschiedensten Gründen nie bis auf Platte oder Kassette geschafft haben. Auch wenn die beiden Karten vieles verdecken und nicht darstellen können, so zeigen sie doch ganz bestimmte Muster der musikökonomisch vermittelten Produktion von Rap-Musik in Deutschland. Folgende Charakteristika verdienen dabei besondere Beachtung: HipHop wurde von Anfang an in verschiedenen deutschen Orten mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und unterschiedlicher Intensität praktiziert. Dortmund und München beispielsweise waren bereits in den 1980er Jahren Zentren für Graffiti (Schiemann, Watzl 1986; Wiese 1996). Die räumliche Herkunftsstruktur der Akteure war polyzentrisch und vernetzte sich im Laufe der Zeit in immer größerem Maße. HipHop begann auch in Deutschland nicht überall gleichzeitig, sondern kennt frühe Adoptoren und Adaptionsorte ebenso wie späte oder gar solche, die von HipHop relativ unbeeinflusst blieben. Die räumliche Verteilung der Praktiken orientierte sich nicht ausschließlich am hierarchischen Städtesystem oder war auf große urbane Zentren be-

3.3 Diffusionen

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schränkt. HipHop findet sich in allen deutschen Großstädten sowie punktuell in der ‚ländlichen Peripherie‘. Die Situation in Heidelberg zu Beginn der 1980er Jahre soll als zweites Beispiel für die Komplexität der lokalen Entwicklung von HipHop vorgestellt werden. Als Zeuge und Gewährsmann dient in diesem Fall Felix Felixine, ein Franzose, der 1982 für einige Zeit als Tanzlehrer nach Heidelberg kam und mittlerweile wieder dort lebt. Das erste Mal, dass ich HipHop live gesehen habe, war 1980 in Paris, die Sugarhill Gang: Wow, gut, toll. Das Wort HipHop kannte man damals noch gar nicht. Ich denke, es war Dezember 80. Einer meiner Freunde war Funkmusiker. Er hatte eine Platte mitgebracht aus New York, das war Planet Rock von Afrika Bambaataa. Ich erkannte das lange Sample aus Trans Europa Express von Kraftwerk. Damals war ich in einer Streetdance-Gruppe, was viel mit Akrobatik und Afrikanischem Tanz zu tun hatte, es war aber kein Breakdance. Wir waren aus Paris, wir hatten unseren eigenen Stil. [...] In Paris traf ich auch zwei Jungs aus Amerika, einen mit Schnurrbart und einen anderen mit einem Afro. Ein Dunkelhäutiger und ein Weißer. Plötzlich kam dieser junge Dunkelhäutige in die Mitte, hat sich auf den Boden geworfen und komische Sachen gemacht, die wir noch nie gesehen hatten. Diese Dynamik! Es war nur schnell, und dann ist er wieder gestanden. Wir anderen haben alle gedacht: ‚Was war das?‘ Bon, OK, stopp… Und dann spricht mich der andere an, das war Mr. Freeze. Mr. Freeze, der später im Fernsehen war. [...] Ich traf zufällig in Düsseldorf auf Fab Five Freddy, der auf der Suche nach Geld für Wild Style war. Und damals hat ihm das ZDF geholfen. Ich wusste zunächst nicht, wer er war, aber wir haben uns unterhalten. Er wollte unbedingt Sachen machen mit deutschen Leuten. Er wollte irgendetwas machen mit den Toten Hosen. Das war 82 oder 81. Er hat auch viel von Wild Style geredet, und ich war gespannt, als der Film endlich erschien. Ich habe mir extra deswegen ein Videogerät gekauft. Das war damals nicht sehr üblich, 83/84 hatte nicht jeder ein Videogerät [...] Ich war auch in der Zeit in New York. Ich musste ins Roxy, in die Danceteria. Ja, ich war da drin. Ich bin sicher einer von den ersten. Ich weiß nicht, ob das für Dich ein Begriff ist... (Interview mit Felix, Heidelberg, Mai 2003)

Bevor Felix nach Heidelberg gekommen war, spannten sich seine Kontakte von Paris über Düsseldorf bis nach New York. Es waren Erlebnisse und Begegnungen, die sich automatisch aus seinen Tätigkeiten als professioneller Tänzer ergaben, an verschiedene Orte zu reisen und dort aufzutreten. Vieles von dem, was Felix erzählt, ereignete sich in einer relativ spontanen Atmosphäre eher beiläufigen an verschiedenen Orte in Westeuropa und den USA. Auch hier sind es zunächst die Live-Erlebnisse, die Felix mitreißen, die ihn begeistern und anspornen, Teile von HipHop in seine eigenen kulturellen Praktiken zu integrieren. Er war zu dieser Zeit bereits in seinen Zwanzigern und verfügte über weit reichende Freundschaftsbeziehungen und kulturelle Netzwerke, die ihm zu einer Plattenaufnahme und einer prominenten Platzierung innerhalb der Breakdance-Welle verhalfen: Claus Zundel, eigentlich ein Produzent von Neuer Deutscher Welle, hatte uns gekannt und gefragt, ob wir rappen könnten. Es war noch nicht wirklich HipHop. Und dann haben wir gesungen und das Ding gemacht, als Baobab. [...] 84 damals gab es das HipHop-Special von der Bravo, ein Breakdance-Special. Und da war ich auf dem Cover mit Grandmaster Flash. (Interview mit Felix, Heidelberg, Mai 2003)

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Baobab war auch eine der Gruppen, die auf dem der Bravo-Sondernummer beigelegten Vinyl zu hören waren. Primär war Baobab allerdings eine professionelle Tänzergruppe, wie es sie zur selben Zeit etwa mit den Rhythm Legs in Dortmund oder mit Dancing Revolution in Flensburg gab (Verlan, Loh 2000, 92). Als Felix wieder einmal in Heidelberg angekommen war, sprachen ihn einige junge Leute auf der Straße an: ‚Kannst Du uns die Sachen zeigen?‘ Also das war Torch, der war zehn Jahre alt oder elf. [...] Und da musste ich ihm Tanzschritte in der Wohnung zeigen. Ich kannte auch die Stiebers und noch ein paar andere, die immer die Musik in die Ghettoblaster rein gemacht haben, weißt Du, mit elf, zwölf Jahren. [...] Ein wirklich wichtiger Graffiti-Mensch in Heidelberg war Gee One. Er hat in England gelebt, kommt aber aus Chile. Gee One war da, Torch war da, die Stiebers waren da, und die haben etwas aufgebaut, was echt war. Wie die Jungs da oben aus Hamburg und Kiel, Storm und so. Die waren auch in Heidelberg. Deswegen meine ich, Heidelberg ist wichtig, auch wenn es eine kleine Stadt ist im Vergleich zu Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart oder München. Das alles kennst du nur durch Leute, die du persönlich siehst. Die bringen dich weiter. Und in Heidelberg gab es einen Punkt durch – ich denke – unsere Gruppe und auch die amerikanische [Militär-]Basis. (Interview mit Felix, Heidelberg, Mai 2003)

Felix bringt sein Wissen, seine Fähigkeiten und seine weit reichenden Erfahrungen mit nach Heidelberg und trifft dort auf Leute, die durch die Breakdance-Welle und die frühen HipHop-Filme so begeistert sind, dass sie unbedingt mehr erfahren und selbst aktiv werden wollen. Neben Torch, der als Vertreter der ‚Alten Schule‘, als Breaker, Graffiti-Maler, Rapper, DJ, Produzent und ehemaliger Fernsehmoderator bis heute als ‚HipHop-Botschafter‘ und Künstler aktiv ist, lernt Felix die Stieber Twins kennen, ein Duo, das bis heute Rap-Musik produziert und einen HipHop-Laden in der Heidelberger Altstadt betreibt. Felix selbst sieht sich nicht als integraler Teil der Entwicklung von HipHop in Deutschland, für ihn sind die enthusiastischen und nachhaltigen Aktivitäten der Jugendlichen von größerer Bedeutung. Seine Tätigkeiten allerdings können als einer der Startpunkte der Entwicklung in Heidelberg gewertet werden, wo er als ein französischer Tänzer mit weitläufigen Erfahrungen auf Jugendliche trifft, die sein kulturelles Wissen in ihre ganz eigenen Erfahrungsbestände und Biographien integrieren. Gee One als Chilene, der in England aufgewachsen war, Torch, dessen Mutter aus Haiti kommt und der fließend Französisch spricht, die Stieber Twins, die im Heidelberger Stadtteil Wieblingen groß geworden sind. Auf der Internationalen Gesamtschule in Heidelberg kamen diese Kinder und Jugendlichen auch mit Toni L, einem Kind aus einer italienischen Gastarbeiterfamilie, und Linguist, einem Immigranten aus Ghana zusammen. Die beiden letztgenannten gründeten 1987 zusammen mit Torch die Formation Advanced Chemistry. Christian Stieber erzählt von dieser Zeit, als erste Kontakte zu englischen und US-amerikanischen Mitschülern entstanden sind, die Graffiti malten oder Breakdance praktizierten. Christian und sein Bruder Martin verbrachten zusammen mit den GI-Kindern, die nachmittags auf der Heidelberger Hauptstraße tanzten, ihre Freizeit und wurden von der Musik aus großen tragbaren Kassettenrekordern inspiriert, selbst HipHop zu machen. Neben Breakdance und Graffiti war es insbesondere Rap-Musik, die als deutliches Abgrenzungsmerkmal gegenüber Gleich-

3.3 Diffusionen

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altrigen eingesetzt werden konnte, die zu jener Zeit entweder Heavy Metal oder Neue Deutsche Welle hörten (Interview mit Christian Stieber, Heidelberg, Juni 2001). Die Geschichte der frühen HipHop-Entwicklungen in Heidelberg ist damit keineswegs umfassend erzählt. Figuren wie Cora E, die aus Kiel nach Heidelberg zog, Mike MD, der frühe Pforzheimer DJ bei Advanced Chemistry, der Hamburger Breakdancer Storm, der eine zeitlang regelmäßig in Heidelberg verkehrte, Steve, ein Breaker aus dem nahe gelegenen Bensheim und viele andere mehr haben Anteil daran, „How Hip Hop Hit Heidelberg“ (Ribbat 2000). Das Beispiel Heidelberg macht deutlich, dass es sich als schwierig erweist, die Geschichte der Entwicklung einer Stadt oder einer lokalen Szene zu schreiben, ohne auf die komplexen Wechselbeziehungen mit anderen Orten, mit reisenden Personen, mit Migranten und deren Geschichten einzugehen. Adoption und Adaption von HipHop sind weder ausschließlich an den US-amerikanischen Einfluss noch ausnahmslos an die Vermittlung durch Massenmedien gebunden, sondern müssen vor dem Hintergrund lokaler Kontexte von Geschichte, Bevölkerung und Infrastrukturen sowie den unzähligen sozialen Begegnung und Kreuzungen individueller Lebenswege verstanden werden. Die Adoption einer kulturellen Innovation wie HipHop ist damit kein einzelner, bewusster Akt der Übernahme eines fertigen Produkts zu einem genau fixierten Zeitpunkt an einem präzise festzulegenden Ort, sondern prozessuales Aufnehmen, Interpretieren, Einordnen und Umgestalten. Auf die Frage, wie und wann er zum ersten Mal mit HipHop in Berührung gekommen sei, antwortet Torch: Das ist keine Frage, die ich mit einem genauen Datum beantworten kann, sondern es ist ein fließender Übergang gewesen. In meinem Elternhaus wurde sehr viel Musik gehört, viel getanzt und wurde sich viel mit Musik auseinandergesetzt, mit verschiedensten Musikrichtungen: Rock, Klassik, Jazz, Reggae, Zouk, Merengue, alles mögliche durcheinander. Und so habe ich es kennen gelernt. Dazu kamen Radio, Fernsehen, Hitparade, Formel Eins, Dschingis Khan, Bonie M. Und das ergibt dann am Schluss ein doch schon recht breites Spektrum. Und als dann das kam, was sich HipHop nennt, war es nichts anderes als die musikalische Zusammenführung all dieser Musikstile. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

In der DDR beginnt mit dem US-Film Beat Street, der dort ab Juni 1985 in den Kinos gezeigt wird, das Interesse an HipHop. Das Drehbuch beruht auf einer Erzählung von Steven Hager, der mit Hip Hop: the Illustrated History of Break Dancing, Rap Music, and Graffiti zeitgleich eine der ersten umfassenden Geschichte des frühen HipHop vorlegt (Hager 1984). Die Musik stammt von Harry Belafonte, der den Film auch koproduziert hat, sowie von Arthur Baker, der für die frühen Rapsongs von Afrika Bambaataa hinter dem Mischpult verantwortlich zeichnet. „Sympathische Unterhaltung“ (Katholisches Institut für Medieninformation, Katholische Filmkommission für Deutschland 1995, 455) und „HipHopDrama“ (Farin 2001, 146) zugleich, illustriert der Film die Geschichte afroamerikanischer und hispanischer Jugendlicher, die in der Bronx als DJs, Rapper, Breakdancer und Graffiti-Sprüher im Wettstreit gegeneinander antreten und um Anerkennung buhlen. Für Magdeburg beispielsweise wird berichtet, dass der Film über ein Jahr in ausverkauften Kinos gezeigt wurde und für die dortigen Aktivitäten von bis zu 300 Breakern verantwortlich war (Fuchs 1996, 162). Eine Zeit lang

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wurde der Film gar jährlich im Weihnachtsprogramm des Fernsehens wiederholt (Henkel, Wolff 1996, 73). „Beat Street war dafür gedacht, den Leuten zu zeigen, wie schlimm der Kapitalismus ist, doch er hat genau das Gegenteil bewirkt. Der Film hat uns [auf HipHop] gebracht“ (DJ Opossum, zitiert in Krekow, Steiner 2000, 89). Zuvor war HipHop in der DDR nur über westdeutsche oder Westberliner Radio- und Fernsehsender (Norddeutscher Rundfunk, Sender Freies Berlin) zu empfangen (Fuchs 1996, 161). Die Konsumtionspraktiken beschränkten sich räumlich zunächst auf die Privatwohnungen, wo der Empfang zumindest zum Teil außerhalb des Überwachungssystems der Staatssicherheit stattfinden konnte. Die Isolation der DDR gegenüber kulturellen und technologischen Flüssen des Westens sowie die Beschränkungen der Reisefreiheit machten es Jugendlichen fast unmöglich, an Informationsmaterial oder HipHop-Tonträger zu kommen. Nur die wenigsten konnten über Verwandte im Westen mit Zeitungsausschnitten oder Kassettenaufnahmen versorgt werden oder hatten Gelegenheit, während einer Urlaubsreise nach Ungarn einige der heiß begehrten Import-Platten von RunD.M.C., Tone Loc oder Public Enemy zu erwerben. Hinzu kamen die spartanische technische Ausstattung des Durchschnittshaushalts und die mangelhaften Kenntnisse der englischen Sprache. Die ersten Versuche, selbst eine Art HipHop-Musik zu produzieren, erfolgten am heimischen Magnettonbandgerät, mit dem durch das Aufzeichnen von nacheinander wiederholt abgespielten identischen Klangschnipseln eine musikalische Schleife erzeugt werden konnte. Die Techniken des cutting und mixing mit Plattentellern entwickelten sich hier erst Ende der 1980er Jahre. Beat Street initiierte in der DDR insbesondere Breakdance-Aktivitäten, die zunehmend auch in staatlichen Kultureinrichtungen wie den betrieblichen Klubs und den Zentren der gewerkschaftlichen Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) ausgeübt werden durften. HipHop-Musik wurde als unpolitische Begleitung zur Breakdance-Bewegung wahrgenommen, die als integrativ und ausgeprägt sozialistisch-internationalistisch galt. So fanden etwa ‚Freundschaftslager‘ statt, zu denen ausländische Vertragsarbeiter aus Staaten wie Mosambique, Angola, Afghanistan oder Kuba eingeladen waren, die zum Teil in den Innenstädten von Dessau, Magdeburg oder Strassfurt Breakdance tanzten und rhythmisch reimten. Da die meisten dieser afrikanischen und karibischen Gastarbeiter über Devisen verfügten und in die Bundesrepublik reisen konnten, um dort Tonträger und Musiktechnologie zu beschaffen, galten diese Kontakte als besonders wertvoll (Fuchs 1996, 161–163). Obwohl eine gewisse staatliche Gleichgültigkeit gegenüber HipHop berichtet wird (Elflein 1998, 257), konnten die Jugendlichen dem staatlichen Repressions- und Überwachungsapparat nicht gänzlich entkommen. Da HipHop im Straßenbild jetzt zunehmend sicht- und hörbar wurde, kam es regelmäßig zu Personenkontrollen und der Auflösung von Treffen. Der Breaker Cooké erinnert sich an die frühen Jahre in Leipzig: Dann gab’s die Nedler-Passage, da drin haben wir dann getanzt. Wunderbarer Boden. Und klar, es haben sich dann immer mehr Leute gefunden, und wir haben richtig auf der Straße getanzt. Und es war richtig lustig. Die Leute sind stehen geblieben und haben uns auch Geld gegeben. Und da haben wir uns natürlich stolz gefühlt, gefreut, bestätigt gefühlt. Und immer wenn jemand Geld auf den Rekorder gelegt hat – auf den Mono-Rekorder, Stereo gab’s bei

3.3 Diffusionen

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uns nicht – dann natürlich gleich los. Aber es hat dann auch irgendwann solche Ausmaße angenommen, dass sich ’ne richtige Clique gebildet hat. Bis es dann Polizei-Razzien gab. Die haben die Nedler-Passage zugemacht und haben uns richtig festgenommen, Personalien festgestellt. Meine Mutter war geladen, die hat mir die Hölle heiß gemacht, so ‚Uah, du bist ja kriminell!‘ – Und ich so: ‚Wir haben ja bloß getanzt.‘ Die Polizei hat dann auch erzählt: ‚Wir haben nichts gegen die Tänzer! Nur die Clique wurde zu groß.‘ [...] Leute aus den Ghettos tanzen halt und probieren, ihre Kreativität auszuleben. Und das war für mich zu DDR-Zeiten die Identifikation. Weil bei uns war ja alles genauso Ghetto, wenn man es so nimmt. Du warst ja eingesperrt, und die Häuser waren runtergekommen. Was solltest Du machen? Klar, Du hast ’ne Leere gehabt, und es war irgendwie wie ’ne kleine Rebellion. (Interview mit Cooké, Leipzig, Oktober 2001)

Nachdem im Jahre 1970 die DDR-Führung erstmals eine eigene, von Westdeutschland autonome Nationalkultur ausgerufen hatte, erfuhren sportliche Aktivitäten besondere Förderung. Diese brachte seit Mitte der 1980er Jahre auch Breakdance finanzielle, institutionelle und organisatorische Unterstützung ein. Auf staatlich organisierten Breakdance-Wettbewerben wie 1986 in Guben oder 1987 in Wolgast traten die verschiedenen Gruppen aus der DDR gegeneinander an. Eine Kulturkommission begutachtete die tänzerischen Leistungen der Breakdancer von Zeit zu Zeit und konnte ihnen mit dem Titel ‚Ausgezeichnetes Volkskunstkollektiv‘ den Zugang zum professionellen oder semiprofessionellen Kulturbetrieb öffnen. Die besten Tänzer wurden von den Volkseigenen Betrieben, in denen sie ihre Berufsausbildung absolvierten, zum Training in betriebseigenen Räumlichkeiten freigestellt oder erhielten Sonderurlaub, um auf Hochzeiten, Staatsfeierlichkeiten oder Betriebsfesten zu breaken. Einige von ihnen traten gar im nationalen Fernsehen auf. Das Einkommen dieser Tänzer lag teilweise um ein Vielfaches über dem eines Industriearbeiters und verstärkte die Motivation der jungen Breaker (Interview mit Cooké, Leipzig, Oktober 2001; vgl. Henkel, Wolff 1996, 73; Robitzki 2000). 1987 sendete das staatliche Jugendradio DT 64 aus Ostberlin zum ersten Mal die Show Vibrationen, welche in unregelmäßigen Abständen auch die Entwicklung von HipHop-Musik in der DDR dokumentierte. Lutz Schramm, der Moderator, forderte seine Hörer auf, ihre Eigenproduktionen einzusenden, die trotz häufig schlechter Klangqualität während der Sendung gespielt wurden. Da diese Musik meist in den Rückzugsräumen der Privatwohnungen in verschiedenen Städten und Gemeinden aufgezeichnet worden war, entstand das Bedürfnis nach Informationsaustausch und einer zentralen Zusammenkunft der Musikamateure. Zwei HipHop-Enthusiasten aus Dresden planten und organisierten 1988 den ersten ostdeutschen „Rap-Contest“, der nach Ankündigungen im Vibrationen-Programm rund 2.500 Jugendliche nach Radebeul lockte. Insgesamt zehn Gruppen aus Dresden, Arnstadt, Leipzig, Ostberlin und Wittenberg waren zu hören. Ein Jahr später wiederholte sich der Wettbewerb mit weiteren zehn Gruppen, die wie im Vorjahr ein breites Spektrum an musikalischen und technischen Qualitäten boten. Die Spannbreite reichte von eher ungeschickt vorgetragenen Textpassagen zu populären Instrumentalstücken bis hin zu ausgefeilten Reimen über programmierte Basslinien mit cutting- und mixing-Routinen. In Anlehnung an die Workshops und FDJ-Arbeitsgruppen zu Breakdance fand 1989 auf Schloss Nickern, einem kleinen Jugendzentrum in Dresden, ein Kurs für HipHop-Musik statt. Ziel

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war es, sich über musikalische Praktiken im HipHop auszutauschen und Netzwerkstrukturen aufzubauen. Die Idee einer Universal HipHop Family in Ostdeutschland scheiterte aber am zu geringen Interesse der wenigen Teilnehmer (Krekow, Steiner 2000, 103–128). Weder die nationale Musikpresse noch das staatliche Poplabel Amiga bekundeten Interesse (Wagner 1999). Die einzige kommerziell erfolgreiche HipHop-Gruppe aus der DDR war das Ostberliner Duo The Electric Beat Crew, das aufgrund persönlicher Beziehungen zu Verantwortlichen der nationalen Radiosender, des Jugendfernsehprogramms Elf 99 sowie der weit verbreiteten FDJ-Tageszeitung Junge Welt landesweit Bekanntheit erreichte. Von den meisten anderen HipHop-Musikern als „erfolgreiche Außenseiter“ betrachtet (Krekow, Steiner 2000, 128), veröffentlichten sie 1989 mit einer Single und ihrer selbstbetitelten LP auf Amiga die beiden ersten und einzigen Rap-Tonträger der DDR. HipHop wurde in den 1980er Jahren ähnlich wie Rock zunehmend in den staatlichen Kulturinstitutionen toleriert und teilweise in die kulturpolitischen Aktivitäten integriert. Die Musiker konnten auf die Proberäumlichkeiten sowie auf vorhandene Produktions- und Aufnahmetechnologien in den Klubs und Bürgerhäusern zugreifen (Schäfer 2003). Selbst Rap-Texte in Englisch waren möglich, sofern sie politisch korrekte Themen wie Antirassismus, Internationalismus oder Friede und Harmonie behandelten (Fuchs 1996, 157). In Dresden, einem frühen Zentrum von Rap-Musik in der DDR, verfasste der Rapper Electric B mit Hilfe zweier Universitätsdozentinnen aus England seine Texte und konnte sich als Organisator von Partys im Jugendhaus ‚Scheune‘ und als Live-Rapper zu Breakdance-Darbietungen in der Innenstadt einen Namen machen. Aufgrund kritischer Textpassagen in seinen Liedern wurde Electric B. regelmäßig von Informanten der Staatssicherheit begleitet (Wagner 1999, 319). Im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung trat Electric B mit einigen anderen Gruppen bei offiziellen Konzerten etwa im Ostberliner Palast der Republik auf, deren Aufnahmen von DT 64 teilweise mehrfach zum Mitschneiden ausgestrahlt wurden. Insgesamt aber wurde aufgrund der mangelnden Qualität von Musiktechnologie und Produktion sowie infolge der isolierten geographischen und politischen Position Rap-Musik aus der DDR während der 1980er Jahre kaum wahrgenommen.

3.3.5 Fazit „The world’s most local pop music goes international“, so der Untertitel eines resümierenden Artikels in der Village Voice über die Verbreitung von HipHop auf dem „Planet Rock“ (Christgau 2002). Bei der Bewertung dieser Diffusion auf einer transnationalen Ebene lassen sich aus den verschiedenen nationalen Beispielen zwei grobe Interpretationsstränge ableiten. Zum einen trägt das Konzept des kulturellen Imperialismus bei zum Verständnis der weltweiten Bewegung von Musikern und musikalischen Waren. Es geht dabei weniger um die tatsächlichen Effekte auf Kulturen, sondern um soziale und ökonomische Prozesse, durch die

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Macht und Dominanz im kulturellen Bereich ausgeübt und abgesichert werden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in verschiedenen Teilen der Welt immer wieder eine Bedrohung nationaler Volkskulturen oder die übermäßige Beeinflussung lokaler und ‚authentischer‘ Kulturpraktiken durch eine US-amerikanische Massenkultur ausgemacht. In Deutschland beispielsweise brachte diese Sichtweise in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine lebhafte öffentliche und gesellschaftswissenschaftliche Diskussion um Amerikanisierung und die Rechtfertigungen der Einflüsse US-amerikanischer Populärkultur hervor (Maase 1999). In den 1970er Jahren radikalisierten sich diese Argumentationen weiter, wobei Prozesse kultureller Dominanz und Abhängigkeit in Analogie zum industriekapitalistischen Imperialismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gedeutet wurden (Boyd-Barret 1977). Für den Bereich populärer Musik lassen sich dabei kultur- und medienimperialistische Dominanzstrukturen ausmachen, die in vier spezifischen Bereichen wirken: (1) Zunächst sind die Kommunikationsmedien und die Technologien musikalischer Produktion, Reproduktion und Distribution nach Maßgabe einer möglichst weit reichenden räumlichen Marktabdeckung und des Zugangs möglichst vieler Menschen zu kulturellen Inhalten standardisiert. Tonträgerformate, Aufnahmetechnologie, Radio, Fernsehen und Internet sind Beispiele für solche Standardisierungen im musikalischen Kommunikationsprozess. (2) Das Organisationsgeflecht zwischen Hörern, Musikern und Institutionen wird von einigen wenigen Firmen kontrolliert, die vornehmlich in den drei Globalisierungsarenen Nordamerika, Westeuropa und Pazifisches Asien lokalisiert sind. (3) Werte, Direktiven und transnationale Übereinkünfte regeln die intellektuellen und mechanischen Eigentumsrechte von Musik. Dieses Set an Regelungen wird auf nationaler und internationaler Ebene durch die Maßstäbe der Medienorganisationen in den führenden Industrieländern bestimmt. (4) Inhaltlich und musikalisch dominieren Produkte aus nur wenigen Ländern den internationalen Musikmarkt. In der Regel handelt es sich dabei um angloamerikanische, in anderen kulturellen Einflusssphären aber auch um chinesische oder lateinamerikanische Musik. Hinter dem Konzept von Kulturimperialismus steht ein Zentrum / Peripherie-Modell auf einer globalen Maßstabsebene, das im Falle von HipHop aus der Perspektive mancher Kommentatoren außerhalb wie innerhalb der Vereinigten Staaten eine gewisse Popularität besitzt. In vielen Überblicksdarstellungen schwingt beständig der Unterton einer (notwendigen) Beeinflussung von derivatem HipHop in anderen Ländern durch die als universellen Maßstab gesetzten US-amerikanischen Formen mit. Dies gilt offensichtlich umso mehr, je erfolgreicher Absatzmärkte liberale und politische Prozesse demokratisch organisiert sind. Obwohl es sich heute Publikationen über US-amerikanische Rap-Musik kaum leisten können, ohne ein (Schluss-)Kapitel über den globalen Einfluss der ‚Revolution‘ aus der Südbronx auszukommen, so bleiben die Perspektiven mancherorts doch seltsam fokussiert. Im Schlusskapitel des Buches The Hood Comes First: Race, Space, and Place in Rap and HipHop von 2002 steht unter der Überschrift Industry, Nation, Globe: Hip-Hop toward 2000 viel zu lesen über Musikindustrie,

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die US-amerikanische Nation, ‚schwarzen‘ HipHop und den Jahrtausendwechsel, sehr wenig aber über den restlichen Globus (Forman 2002, 278–341). Die Beispiele aus verschiedenen nationalen Kontexten zeigen, dass es keinen einfachen und unidirektionalen Fluss von Musik geben kann, bei dem die Sender obsiegen und die Empfänger unterliegen, bei der die dominante Kultur triumphiert und die lokale leidet (Garofalo 1993). Die Rede von verorteter, pluralistischer Lokalkultur und homogener, entankerter Massenkultur nutzt ein räumliches Vokabular, um diese Dichotomie ethisch aufzuladen: Lokale Musik kommt von einem Ort, globale Musik angeblich nicht. Hegemoniale, US-amerikanische Musikkultur ist aber genau so wenig wertlos oder schlecht wie lokale musikalische Szenen wertvoll und gut sind. Zudem bleibt häufig unklar, was mit ‚US-amerikanischer Musik‘ genau gemeint ist: Blues, Jazz, Country, Rock oder HipHop? Musik von Künstlern, die in den Vereinigten Staaten leben oder Musik, die von US-amerikanischen Firmen verkauft wird? Hinzu tritt, dass das ‚Lokale‘ in beinahe beliebiger Weise die verschiedensten Maßstabs- und Analyseebenen vom Individuum über Haushalte, Städte und Regionen bis hin zur Nation umfassen kann (vgl. beispielsweise Robinson et al. 1991; Malm, Wallis 1992). Wenn das Verständnis einer homogenen US-amerikanischen Massenkultur abgelehnt wird und die Bedeutung eines Begriffs wie nationale Musikkultur vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Bezüge, geographischer Verbindungen und Akteure mehr als fraglich scheint, so heißt das nicht automatisch, dass es keine dominante Kultur gäbe. Wird kulturelle Dominanz weniger in nationalen Begrifflichkeiten gefasst, sondern auf Muster fokussiert, welche Machtkonstellationen perpetuieren, rücken die Strukturen der transnational agierenden Musikindustrie in den Mittelpunkt. Die Organisation von internationalen Repertoires, die Künstler unterschiedlicher Herkunft zusammenfassen, sobald sie gewissen Genres (Rock-/Popmusik) und Sprachregeln folgen (Englisch), ist eine der Strategien, welche eine vorgeblich globale Kultur zur „Selbst-Präsentation des dominanten Spezifischen“ machen (Hall 1993, 67). Musikindustrielle Auswahlprozesse bewerten Musik immer gegenüber dem dominanten Spezifischen der internationalen Repertoires und führen zu Entscheidungen über die Bedienung der verschiedenen regionalisierten Märkte. Ein Zentrum / Peripherie-Modell kultureller Beeinflussung taugt in dieser Formulierung nicht nur zur Analyse musikalischer Bewegung über Raum und Zeit im globalen Rahmen. Auch auf anderen Maßstabsebenen wirken Zentren attraktiv auf Künstler und Kulturschaffende, wenn es darum geht, zum Kreis der Wichtigen oder Authentischen zu zählen und vom Prestige des Mittelpunktes zu profitieren. Zentren können zudem eine bedeutende Plattform bieten, um die eigenen Meinungen prominent zu artikulieren und frühzeitig von neuen Entwicklungen zu erfahren. Als bedeutendster Standort der Rap-Industrie übt beispielsweise New York zentrale musikindustrielle Funktionen der Produktion und Distribution innerhalb der Vereinigten Staaten aus. Auf der Ebene der Stadtteile war die Bronx zu einem Zeitpunkt der zentrale Ort authentischer HipHop-Produktion. Eine zweite Argumentationslinie, welche die Diffusion von HipHop auf einer transnationalen Ebene bewerten will, geht von einer ‚lokalen‘ Aneignung der ‚glo-

3.3 Diffusionen

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balen‘ Kultur HipHop aus. Als verbindende Elemente weltweit gelten An- und Einpassungen von Rap-Musik und HipHop-Kultur in linguistische, musikalische und politische Kontexte der verschiedenen HipHop-Szenen, was unter Begriffen wie Transkulturalisierung, Synkretismus oder Hybridisierung gefasst wird (Welsch 1999). Als Ausdruck dieser Einpassungen werden Musik aus verschiedenen HipHop-Szenen immer wieder neue geographische Etiketten angeheftet, die mit spezifischen Charakteristika der Musik in Verbindung gebracht werden. Ostküsten- und Westküstensound, Miami Bass, Washingtons GoGo-Music, Atlantas Derrrty South in den USA, niederländischer Nederhop, J-Rap aus Japan, K-Rap aus Korea, Senegals Senerap, Deutschrap in Deutschland, aufgegliedert in Hamburger HipHop, Berlin-Rap, Wu(pper)-Tal Künstler, die 68er aus Mannheim und so fort. „Der Fokus liegt [...] auf der kreativen und reflektierten Leistung der Beteiligten, die massenmedial vermittelte Kulturmuster auf der Folie ihrer lebensweltlichen Bedingungen mit lokalen kulturellen Ressourcen kombinieren“ (Androutsopoulos 2003a, 11). Interpretiert wird HipHop dann politisch, entweder als jugendkulturelles Vehikel für Protest, als kultureller Ausdruck ethnischer Minoritäten oder als Möglichkeit, sich gegenüber lokalen Rassismen, Sexismen und sozioökonomischer Ungleichheit subkulturell zu artikulieren (Mitchell 2001a, 10). Das Konzept von „Glokalisierung“ soll die Verbindung des Globalen mit dem Lokalen fassen und hebt ab auf die Dualität – die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit – der beiden Einflussebenen (Robertson 1993). Im HipHop werden die US-amerikanischen Formen mit all den ethnischen, politischen, sozialen und ökonomischen Implikationen der einen, zutiefst lokalen Ursprungserzählung in diesem Zusammenhang häufig als universelles Globales konzeptionalisiert, das weltweit statisch, immergleich und über Raum und Zeit hinweg unverändert als kulturelles Ausgangsmaterial zur Verfügung zu stehen scheint. Rap-Musik gilt dann als kulturelle Form, auf die selbst 30 Jahre nach der Entwicklung von mixing, cueing, scratching, punch phasing, backspinning und rapping in einer Urform global zugegriffen und die an das Lokale angepasst werden kann. Die Überbetonung der Ursprünge, deren statische und lokale Verfasstheit zu Beginn dieses Kapitels in Frage gestellt wurde, macht es unmöglich, Variationen und Ableitungen von HipHop als einer schon immer hybriden und transkulturellen Form angemessen zu thematisieren. HipHop-Musiker adoptieren und adaptieren nicht die eine globale Form, sondern bauen auf hiphopinspirierten Technologien und Haltungen unterschiedlicher räumlicher und historischer Herkunft auf, welche die Handlungen in Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgeometrien einbetten und zugleich diese zugleich (re)produzieren. Die Rede von „Glokalisierung“ fasst das Lokale dabei häufig ähnlich flüchtig, vage und allumfassend wie das Globale. „Die Rhetorik des Lokalen vereinfacht den Charakter von Lokalität auf unzureichende Weise“ (Street 1995, 259). Anstatt einen Ansatz zu wählen, der unter lokal wahlweise eine Nation, eine spezifische Stadt, eine Metropolregion, ein Viertel, eine soziale Gruppe, eine Nachbarschaft, einen Straßenzug, eine Diskothek, ein Aufnahmestudio oder ein Jugendzimmer fasst, scheint die Beantwortung der Frage sinnvoll, wie das Lokale in spezifischen Kontexten mit Bedeutung versehen wird und wie verschiedene Räume repräsen-

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tiert, erfahren, mitgeteilt und produziert werden. Ethnische und geographische Ursprungslinien sowie die verschiedenen materiellen, immateriellen und personellen Flüsse sind für die kulturelle Produktion von musikalischen und rhythmischen Räumen konstitutiv. Einer Thematisierung von Räumlichkeit im HipHop muss es daher sowohl um die konkreten Orte spezifischer sozialer Praktiken gehen, als auch um den Prozess des imaginären und fiktiven Verortens von HipHop im sozialen Raum. Musik reflektiert in diesem Sinne Räumlichkeit und produziert sie zugleich (Cohen 2000).

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Raum und Zeit in HipHop-Musik

Musik steht, wie alle soziale Praxis, in enger, gegenseitig konstitutiver Beziehung zu Raum. Um dieses Verhältnis im HipHop fassen zu können, soll die Identifizierung eines weitläufig anerkannten Wertekanons einen ersten Weg weisen zum Verständnis der Artikulation von Räumlichkeit. Demnach existieren Ideen und Vorstellungen, an denen sich Musiker und Konsumenten ebenso abarbeiten wie Kritiker, Kommentatoren und Kulturanalysten. Das Maß von Authentiziät – Echtheit oder Eigentlichkeit – kultureller Praktiken bestimmt sich am Grad der Beachtung dieser handlungsleitenden Grundsätze und der Befolgung allgemein gültiger (Genre-)Regeln. Ebenso wie sich gesellschaftliche und kulturelle Werte und Normen veränderlich zeigen, wird Authentizität in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu hergestellt, verhandelt und verteidigt. Musikalische Authentizität ist demnach relational, es existiert keine kulturelle Essenz außerhalb der sozialen Akte der Definition innerhalb einer Lokalität. Authentizität muss gegenüber anderen, oft dominierenden Alternativen produziert und konstruiert werden und kann so einen Sinn für kulturelle Identitäten stiften (Clifford 1988, 12–17; Krims 1997; Moore 2002). In ihrem Buch Is it real? Die Kultur des HipHop identifizieren die Soziologen Gabriele Klein und Malte Friedrich drei zentrale, sich gegenseitig bedingende Werte, an denen sich Authentizität im HipHop messen lassen muss: Respekt, Ansehen (fame) und Glaubwürdigkeit auf der Straße (street credibility) (Klein, Friedrich 2003, 38–44). Respekt bekommt derjenige, der die verschiedenen HipHopPraktiken beherrscht, der eigene musikalische Stile entwickelt, der als erster eine innovative Leistung erbringt oder seine Fähigkeiten an Mikrofon oder Plattenteller weiterentwickelt und verbessert. Respekt verdienen auch alle, die sich früh für HipHop interessiert haben und eine Szene aufbauen und prägen konnten. HipHop und Rap-Musik definieren sich als „zuerst und vor allen Dingen als eine Haltung“ (Potter 1995, 71). So lässt sich über die Nähe der eigenen Haltungen, des eigenen Stils und des Auftretens zu einer als ursprünglich, true oder real imaginierten Form von HipHop Achtung und Ansehen erzielen. Der Eintrag eines Online-Lexikons zu deutschsprachiger Rap-Musik beginnt beispielsweise wie folgt: „Torch gebührt Respekt! Der MC aus Heidelberg hat die Zulu Nation nach D-Land geholt und lieferte seine Lyrics schon ganz früh in deutscher Sprache“ (Deutschsprachiger Rap o.J.). Der Respekt gegenüber Torch – der Flamme – gründet neben seiner Innovation, Sprechgesang auf Deutsch praktiziert zu haben, auch auf seiner räumlichen Herkunft und den geokulturellen Verbindungen dieser Lokalität. Heidelberg steht wie wenige andere Städte in Deutschland für eine spe-

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zifische Art, HipHop zu praktizieren und zu leben: die so genannte Alte Schule. Mit diesem Begriff wird eine erste Generation von HipHop-Enthusiasten bezeichnet, welche die entscheidenden Strukturen und Voraussetzungen für die spätere Entwicklung von HipHop schaffen konnten. Diese Strukturen beziehen sich zunächst auf jene vier Ausdrucksformen, die in Wild Style porträtiert und in der kulturellen Geschichtsschreibung perpetuiert wurden: DJing, MCing, breaking und graffiti writing. Torch würde sich deshalb selbst nie ausschließlich als Rapper bezeichnen, sondern als Aktivposten in allen Disziplinen. „Ich trenne nie Torch von HipHop, [...] ich bin HipHop“ (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001). Diese Haltung rührt her von einem Verständnis, das an den historischen Vorbildern aus New York geschult ist und HipHop als umfassenden Stil der Lebensführung begreift. So gründet der Respekt gegenüber Torch nicht nur auf seiner lokalen Herkunft und der Mitgliedschaft in der einflussreichen Formation Advanced Chemistry aus Heidelberg, sondern auch auf seinen Aktivitäten als DJ, GraffitiMaler und Tänzer. Zudem zeichnet sich seine Biographie durch die persönliche Bekanntschaft mit New Yorker Künstlern wie Afrika Bambaataa oder KRS-One und die Mitbegründung der deutschen Sektion der Universal Zulu Nation aus. Als alt gedienter HipHop-Aktivist, der die Entwicklung in Deutschland und Europa nicht nur begleiten, sondern nachhaltig beeinflussen konnte, übt Torch eine Vorbildfunktion für jüngere Rapper aus und spricht selbst wiederholt von einer eigenen Verantwortung für die Wirkung von HipHop in der Öffentlichkeit. Neben Respekt gegenüber Biographie, Erfahrungshorizont und Leistungen seiner Person kommt Torch auch fame zu, eine außerordentliche Bekannt- oder Berühmtheit innerhalb der HipHop-Szene. Wie beispielsweise auf dem Titelbild des Sonderheftes der Musikzeitschrift Juice zu Rap-Musik in Deutschland vom März 2005, wird er immer wieder als die zentrale Figur der Entwicklung in Deutschland porträtiert: „Spricht man von Rap in D: ein Name poppt stets als erster hoch – Torch“ (Werner, Christ, Bortot 2005, 50). Zugleich ist seine Stellung in der Szene nicht unumstritten. So deutete sich Mitte der 1990er Jahre ein Generationenkonflikt mit Vertretern einer Neuen Schule an, welche die Fixierung auf eine ‚einzig wahre‘ Form von HipHop ablehnten und einen entspannten Umgang mit Traditionen und Wertvorstellungen pflegen wollten. Respekt und fame werden einem durch die Anerkennung anderer zuteil und können etwa bei einem sellout, einer zu starken Orientierung am Geschmack des Massenpublikums, oder nach der Veröffentlichung eines ‚schlechten‘ Liedes entzogen werden. Respekt bleibt deshalb immer eine umstrittene Ressource, um die gewetteifert und gerungen werden muss und die grundsätzlich herausgefordert werden kann. Die Angebereien der Rapper schielen nach Aufmerksamkeit und zeugen von der Sehnsucht, als der Beste zu gelten, überlegene flows zu beherrschen, die versiertesten Reime zu rappen, die größten Autos zu besitzen oder die tollsten Mädchen zu beglücken. Diese Selbststilisierungen zeigen sich auch in der Wahl von Künstlernamen: Kool DJ Herc ist cool, The Fresh Prince rappt frisch, Queen Latifah ist die Königin der badness und Torch leuchtet den Weg. Wer keinen Respekt verdient, wird verbal heruntergemacht oder demoralisiert. Die Beschimpfungen und Beleidigungen richten sich an Personen oder Gruppen, denen Unfähigkeit, Plagiat oder mangelnde Glaubwürdigkeit unterstellt wird. Ein solcher ‚Diss‘ provoziert in der Regel eine Antwort des Beschimpften, auf die erneut

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entgegnet wird, was wiederum eine Replik herausfordert und so fort. Die ‚Diss‘Triaden haben kompetitiven Charakter und gehorchen den dialogischen Regeln von Ruf / Antwort-Mustern. Sie sind angewiesen auf genaues Beobachten, kreatives Reagieren und schnelles Improvisieren. Im Rap lässt sich insbesondere über die Fähigkeiten zu freestylen, aus dem Stegreif passende Zeilen parat zu haben, Respekt erzielen. Häufig rekurrieren die gegenseitigen Beleidigungen auch auf die Sprecherposition oder den Herkunftsort der einzelnen HipHop-Musiker oder Streitparteien. Beef (US-amerikanische Umgangssprache für meckern oder zoffen / streiten), „eine Meinungsverschiedenheit, die in der Regel gewaltsam zu eskalieren droht“ (Fab Five Freddy 1992, 8), entzündet sich häufig an der jeweiligen räumlichen und sozialen Zugehörigkeit der Künstler. Den sozialen oder realen Räumen, für die sie stehen und einstehen, werden Merkmale zugewiesen, welche die Sprecherpositionen als unauthentisch oder unecht (fake) herabwürdigen. Es werden Fragen behandelt wie: Ist die Ausdrucksweise eines talentlosen Künstlers (toy) einfach nur schlecht (whack) oder wird gar ein anderer Stil kopiert (biting)? Hat das Gereimte etwas mit der (unterstellten) Realität des Rappers zu tun? Wodurch ist die Stadt oder das Stadtviertel geprägt, aus welchem der Rapper stammt? Wirken die Aussagen und Signifikationen wahr und nachvollziehbar oder unecht und kopiert? Wie sind die Künstler in lokale oder überlokale Szenen und Gruppen eingebunden? Auf welche HipHop-Traditionen kann der tatsächliche oder imaginierte Herkunftsort des Sprechers verweisen? Die Verhandlung von Respekt und fame findet im Rahmen spezifischer Ereignisse statt. Anerkennung und Ansehen müssen bei ganz bestimmten Gelegenheiten erworben und verteidigt werden. Klassischerweise ist dies ein battle, ein geplant oder spontan stattfindender HipHop-Wettstreit. Ein solcher Wettbewerb kann als verbaler Schlagabtausch oder playin’ the dozens auf der Straße entstehen, als DJ-Kampf zweier konkurrierender sound systems in einem Park, als Breakdance battle auf Kartonagen oder einem Stück ausgerollten PVC-Belags oder als Graffiti-Auseinandersetzung durch Übermalen (crossen) der Schriftzüge und Bilder des gegnerischen Sprühers im gebauten Raum. In der Regel finden die battles aber im Rahmen einer Jam statt, die Raum für das Präsentieren und Messen von Fähigkeiten (skills) bietet. Hier finden die Wettbewerbe entweder für alle sichtbar auf der Bühne statt, oder dezentral in einer Ecke des Veranstaltungsortes, wo das Publikum einen Kreis bildet und die Kombattanten anfeuert oder ausbuht. Das dialogische Ruf / Antwort-Prinzip schließt hier nicht nur die beiden gegnerischen Parteien, sondern auch das Publikum mit ein. Jeder der glaubt, etwas beitragen zu können oder zu müssen, kann in den Kreis treten, performen und sich der Konkurrenz des Gegners und dem Urteil des Publikums stellen. Die Reaktion der Umstehenden entscheidet dann, wer den Ring als Sieger und wer ihn als Verlierer verlässt. Jams und battles kennen ganz spezifische Austragungsräume, die sich in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten teilweise markant voneinander unterscheiden. Neben den klassischen Bildern der Straße, der Parks und der leer stehenden Häuser als ‚Schlachtfeld‘ US-amerikanischer Großstädte, sind es in Deutschland eher Clubs und die öffentliche Infrastruktur der Kulturzentren und Jugendhäuser, in denen ein HipHop-Jam stattfindet. Mittlerweile sind viele der

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Wettbewerbe gar in Turnierform institutionalisiert und finden in großen Multifunktionshallen oder im Rahmen von Openair-Festivals statt. Die verschiedenen World Championships der DJs oder der Breakdance Battle of the Year, zu dem jährlich mehr als 10.000 Zuschauer nach Hannover pilgern, sind als Sponsorenevents von Bekleidungsherstellern, Elektronikkonzernen, Getränkefirmen, Magazinen oder Fernsehsendern konzipiert und werden von einem großen Medieninteresse begleitet. Die Gewinner nehmen neben Respekt und Ansehen in aller Regel Preisgelder und Sponsorenpräsente mit nach Hause. Der Gewinn eines solchen battle wird nicht länger ausschließlich dem Publikum überlassen, sondern bedarf der Entscheidung einer Jury von HipHop-Koryphäen. Komplette Mitschnitte von DJ-Sets und Tanzdarbietungen lassen sich wenige Wochen nach den Veranstaltungen auf DVD bestellen und finden sich innerhalb kürzester Zeit ebenso in Japan wie in Australien oder Nordamerika. Battles sind nicht unbedingt an die Kopräsenz der Teilnehmer gebunden. Verbale Attacken in Interviews, auf Radiosendungen, Mixtapes oder Schallplatten provozieren eine Reaktion des Angegriffenen, der über den medialen Kontext der Antwort entscheiden kann und entsprechend weniger auf direktes Improvisationsgeschick angewiesen ist. Die Geschichte von HipHop-Musik kennt eine ganze Reihe solcher Auseinandersetzungen, die meist auf Tonträgern und in medialen Räumen ausgetragen worden sind (Jenkins et al. 1999, 236–239). Auch diese Dispute rekurrieren in der Regel auf territoriale Verbindungen der einzelnen Künstler. Die Streitigkeiten zwischen Rappern und DJs aus den New Yorker Stadtteilen Queensbridge und South Bronx um die räumliche Verortung des Ursprungs von HipHop sind ein klassisches Beispiel, die Auseinandersetzungen um territoriale Vormachtstellungen zwischen der US-amerikanischen Ost- und Westküste Mitte der 1990er Jahre ein anderes (vgl. Kapitel 4.2.1). Mittlerweile stellen sich allerdings immer häufiger Fragen nach der bewussten und vorsätzlichen Provokation solcher Auseinandersetzungen, die den Künstlern eine willkommene Möglichkeit bietet, sich Glaubwürdigkeit und Authentizität zu sichern und ihre Arbeiten stärker ins Bewusstsein der Konsumenten und einer medialen Öffentlichkeit zu rücken. Respekt und Ansehen im HipHop sind soziale Verhandlungsmasse, die kontextsensitiv diskutier- und formbar sind. Sie beziehen sich neben Personen und ihren Handlungen auch immer auf Territorien und Räume, die diskursiv und expressiv mit Bedeutung versehen werden. Im HipHop dient die Konstruktion, Anwendung und Perpetuierung unterschiedlicher Raum- und Ortsverständnisse einer Vielzahl solcher Positionierungen und Abgrenzungen. Räumlichkeit als das gegenseitig konstitutive Verhältnis von Gesellschaft und Raum kann dabei im Gegensatz zu anderen Formen populärer Musik als das primäre Organisationsprinzip von Bedeutungen, Werten und Handlungen im HipHop interpretiert werden. Die ausdrückliche Betonung eines räumlichen Bewusstseins und eines identitätsstiftenden Ortsbezugs gilt als einer der entscheidenden Unterschiede zwischen HipHop und anderen Formen populärer Musik. Materialitäten, Imaginationen und soziale Praktiken werden von HipHop-Musikern in narrativer und musikalischer Form reflektiert und (re-)produziert. Immer wieder stehen die Dynamiken von Ort im Mittelpunkt und werden sowohl in genreimmanente wie in weitere soziale Diskurse eingebettet (Forman 2000).

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Zugleich rekurriert HipHop sehr stark auf die reale Welt, den physisch-materiellen Raum der sozialen Gegebenheiten und alltäglichen Erfahrungen. Gerade in der realworld, dem räumlichen Setting, das die sozialen Praktiken und Beziehungen der Alltagswelt rahmt, wird Glaubwürdigkeit (credibility) verankert. Die Stadt und ihre unterschiedlichen Räume dienen dabei als das zentrale Fundament der kulturellen Produktion von HipHop (Keyes 2002). Die Zustände im Ghetto, die Erfahrungen in der Nachbarschaft und auf der Straße beeinflussen in hohem Maße die sozialen Bedeutungen dieser Räume. Sie stehen für die alltäglichen Erfahrungen, für das reale Leben in urbanen Umwelten. Glaubwürdigkeit funktioniert damit über den Nachweis der Involviertheit, über die Wahrhaftigkeit der eigenen Lebenserfahrung in städtischen Räumen, die, folgt man der Ursprungserzählung von HipHop, durch soziale, ökonomische und ethnische Marginalisierung geprägt sind und zugleich Möglichkeiten kultureller Kreativität und politischer Subversion offen halten. Es sind dies in der Regel die Räume des örtlichen Kontextes, der (neighbor)hood, des eigenen Viertels, des Straßenblocks oder des gemeinsam besuchten Jugendzentrums. Über den Bezug auf die großmaßstäbige Ebene des Ortes wird eine intime Nähe zu und Abhängigkeit von anderen Individuen und sozialen Gruppen vermittelt und Authentizität des Wissens über die eigenen Alltagsräume gewährleistet. Lokalität dient im HipHop als das wichtigste räumliche Konzept des Realen und Authentischen. Hinzu treten weitere Orientierungsrahmen wie Nation, Diaspora oder verschiedene internationale HipHop-Netzwerke, welche auf die Lokalitäten einwirken und dort Produktion, Organisation und Konsumtion von Klang verändern. Eine zentrale HipHop-Praxis ist representing. Anders als das Verständnis in den Kultur- und Sozialwissenschaften, die unter Repräsentationen allgemein Praktiken der Produktion, Konstitution und Konsumtion von Bedeutung fassen (Hall 1997), verweist representing im HipHop auf den ursprünglichen Sinngehalt des Wortes. Repräsentieren leitet sich ab von der lateinischen Vokabel „representare, eigentlich ‚vergegenwärtigen‘, [...] ‚gegenwärtig machen, zeigen‘“ (Kluge 1995, 681). Wer im HipHop repräsentiert, zeigt sich als Vertreter seiner sozialen, in der Regel räumlich, ethnisch und sozioökonomisch definierten Gruppe, der eigenen crew oder posse. Man steht für diese Gruppe ein und kann auf die Unterstützung durch diese Gruppe zählen. Zugleich vergegenwärtigt und vertritt der Repräsentant seinen sozialen, imaginären oder physisch-materiellen Ort nach außen, auch in mimetischer Art und Weise. Diese Repräsentationen fallen je nach Kontext unterschiedlich aus. In Breakdance-Wettstreiten beispielsweise können die crews einen Stadtteil, ihre Stadt oder ihr Herkunftsland repräsentieren. RapMusik kennt so genannte representer tracks, Lieder, auf denen sich Vertreter einer lokalen Szene oder eines lokalen Produktionszusammenhangs gemeinsam präsentieren und ihre Position auf der ‚HipHop-Landkarte‘ bestimmen. HipHop priorisiert solche räumliche Praktiken. Authentizität wird hergestellt über das sich in Beziehung Setzen zu Raum, über die Artikulation von Geographie. Im Folgenden soll eruiert werden, welche kulturellen Bedeutungen unterschiedlichen Räumen und Orten für die Entwicklung von HipHop in den USA und im deutschen Kontext zugekommen sind. Es kann dabei nicht um die Frage gehen, wie wahr und authentisch ein Musikstück ist oder wie Musik Räume reflektiert, sondern wie authentische Räume durch Musik produziert und verhan-

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delt werden (Frith 1996a, 270). Wie genau wird ein Sinn für Räumlichkeit gestiftet, kommuniziert und rezipiert? Was sind in den jeweiligen Kontexten die entscheidenden authentischen Räume, und wie werden sie produziert? Wer artikuliert Räumlichkeit und zu welchem Zweck? Wie kann eine musikalische Analyse von HipHop zum Verständnis von Räumlichkeit beitragen? Im Verlauf dieses Kapitels wird durch eine kurze Klärung der Begriffe von Raum und Ort im geographischen Denken sowie der Vorstellung des kulturwissenschaftlichen Konzepts von locality im Kontext populärmusikalischer Studien ein Analyserahmen aufgespannt, der neben textualen Elementen auch Musik und (musikalische) Rhythmen als Kommunikationsmedien und Bedeutungsträger ernst nimmt. Es geht um die Anerkennung der Beeinflussung von Raum durch Klang und von Klang durch Räumlichkeit. Zunächst werden die zentralen Beziehungen zwischen Klang und Raum und zwischen Musik und Ort im HipHop der Vereinigten Staaten herausgearbeitet. Die Analyse räumlicher Schlüsselkonstruktionen und Konfigurationen rückt die innerstädtischen Räume in den Mittelpunkt, deren Signifikanz sich in der stark ethnisch bestimmten geographischen und sozialen Lokalität der ’hood manifestiert. Jenseits der Artikulation von Spezifika und Differenzen urbaner Orte markieren übergeordnete Konzepte wie die Hip Hop Nation wichtige Eckpunkte des beweglichen räumlichen Bezugsrahmens. Anschließend zeigen sich im deutschen Kontext Verschiebungen innerhalb der Diskussionen um Räumlichkeiten im HipHop, die sich nicht zuletzt durch das Abarbeiten an und die Abgrenzungsbestrebungen gegenüber US-amerikanischem HipHop verstehen lassen. Das Resultat kann verstanden werden als ein geschichtetes Archiv unterschiedlicher Konzeptionalisierungen von Raum, die in spezifischen Arten des Musizierens an und für bestimmte Orte zum Ausdruck gebracht werden. Es zeigt sich, dass imaginäre Geographien und die realworld von HipHop auf die kontextsensitive (Re-)Konfigurierung der Rede und des rhythmischen Ausdrucks von Räumen angewiesen sind, um diese authentisch, politisch und lukrativ zu halten.

4.1 Räume, Orte und die Rhythmen des Alltäglichen Im Alltagshandeln gelten Räume als Elemente menschlicher Wahrnehmung und Kommunikation, die auf ein unmittelbares, ganzheitlich-substantialistisches Verständnis von Verankerung zielen. Bis weit in die 1970er Jahre hinein dominierte ein solches Verständnis auch die geographischen und kulturwissenschaftlichen Analysen. Raum war ein alltagsweltlich wahrgenommener Ausschnitt der Erdoberfläche, welcher sich auf einen Teil der materiellen Welt bezieht. Referenz dieses absoluten Verständnisses ist eine eigenständige ontologische Raumstruktur, die als eine Art Container alles Materielle aufnehmen und eindeutig verorten kann. Durch die Analyse räumlicher Beziehungen zwischen Objekten und Ereignissen gewann aber bald eine relative Sichtweise an Bedeutung. Raum wurde dann konzipiert entweder als eine stabile, zwei- oder dreidimensional gefasste Struktur, die als Karte oder Gitternetz abzubilden war, oder als ein räumliches Organisationssystem, dessen Funktionsweisen durch mathematische Formeln oder naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten aufzudecken waren. Das Erkenntnisinteresse

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richtete sich entsprechend vornehmlich auf Regelhaftigkeiten, Muster, Verteilungen und Ausbreitungsprozesse und blieb in seinen Erklärungswegen immer der Geographie inhärent: geographische Sachverhalte wurden aus anderen geographischen Sachverhalten abgeleitet, ohne dass Raum kausale Kraft entfalten konnte. Ein relationales Verständnis von Raum fragt, wie unterschiedliche menschliche Handlungen spezifische Konzeptualisierungen von Raum immer wieder kreieren, perpetuieren, verändern und anwenden. Raum wird dabei sozialen Beziehungen durch menschliche Handlungen eingeschrieben, die entsprechende räumliche Analyse wird sozial und die soziale Analyse räumlich durchdrungen. Eine solche Sichtweise verneint keineswegs die Bedeutung von Lage und Lagerelationen auch physisch-materieller Objekte in konkreten Erdräumen, priorisiert aber ein Verständnis von Raum als kontextsensitiv durch menschliche Bestrebungen konstituiert und mit Bedeutung versehen. Raum ist demnach nicht essentiell, sondern konstruiert und produziert. Raum stellt nicht objektive Struktur dar, sondern ist soziale Erfahrung und soziales Produkt. Grenzziehungen durch Positionierung gegenüber etwas Anderem oder als Imagination eines Nicht-Hier sind wichtige Prozesse der sozialen Konstitution von Raum. Räumlichkeit meint dann die menschlichen und sozialen Implikationen von Raum (vgl. Hard 1987; Blotevogel 1995; Weichhart 1998; Gregory 2000b). Konzeptionen eines relationalen Raumes müssen Vorstellungen eines absoluten Raums genauso wenig ablösen, wie materielle, konkrete und reale Räume in mentale Räume der Images, Repräsentationen, Konstruktionen, Symbolisierungen und Bedeutungsgehalte transformiert werden können. Ontologische Dualismen wie Zeit versus Raum, absoluter versus relativer oder konkreter versus imaginierter Raum sind vielmehr in räumlichen Dualitäten aufgehoben oder müssen gar als Dialektik gefasst werden, die in einem Dritten, einem Hybriden resultieren. Hybridität verweist weder komplett auf das eine noch auf das andere, sondern auf etwas dazwischen, was über beide Pole hinausweist, sie verhandelt und in etwas Neues überführt (Bhabha 2000). Eine andere Denkfigur fasst Räume nicht als fixierte, stabile Entitäten, sondern propagiert eine fluide räumliche Ontologie, die beständig durch Beziehungen zwischen Menschen, Dingen und Vorstellungen entsteht. Zwei prominente Ansätze dieser Denkrichtung sind einerseits die Akteurs-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour und ihre Erweiterung aus geographischer Sicht (Jöns 2003) sowie die Idee von rhizomatischen Plateaus. Letztere öffnet Perspektiven auf einen Raum, der nicht lokalisierte Objekte umfasst, sondern durch Netzwerke multipler und sich verzweigender Wurzelwerke ohne zentralen Ursprung und ohne gerichtetes Wachstum auf „Plateaus“ oder „Intensitätszonen“ konstituiert wird (Deleuze, Guattari 2002). Das Bild von Fluchtlinien, Brüchen, De- und Re-Territorialisierungen sowie von mannigfachen, anti-hierarchischen Netzwerken mit sich beständig wandelnden Verbindungen löst hier das Bild eines stabilen Raumes ab. Es geht nicht länger um Fragen von Repräsentation – der Verbindung von Text und Bedeutung –, sondern um die Verflechtungen zwischen Texten, Dingen und Objekten (für die Anwendung rhizomatischen Denkens auf Szenen und Ströme populärer Musik vgl. Schyma 2002). Mit Benno Werlens Beiträgen zu einer Neukonzeptionalisierung der Sozialgeographie seit den 1980er Jahren haben sich auch in der deutschsprachigen Geo-

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graphie Diskussionen um Raumkonzeptionen verstärkt. Werlen räumt der Kategorie des Handelns Vorrang ein vor der Kategorie des Raumes. Begriffe wie Raum, Landschaft oder Region sind für ihn zum Verständnis der Beziehung zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Geographischen unbrauchbar, da Raum Gefahr laufe, als gesellschaftliche Tatsache vergegenständlicht und zu einem eigenen Forschungsgegenstand erhoben zu werden. Raum aber ist nicht gegeben, sondern gesellschaftlich konstituiert. Werlen priorisiert deshalb „die Analyse des alltäglichen, handlungsvermittelten Geographie-Machens“ (Werlen 1997, 16) gegenüber einer Analyse von Raum, die Gedanken, Bedeutungen, Werte oder Normen doch nie erdräumlich lokalisieren und physisch-materiell determinieren könne. Werlen zufolge haben materielle Objekte keine sozialen oder kulturellen Bedeutungen jenseits sozialer Zuschreibungen. Gesellschaftliches und Kulturelles sind für ihn deshalb eben so wenig wie das soziale Konstrukt Raum selbst über und in Raum abbildbar. Erst Individuen konstituieren in ihren Handlungen Räume. „Damit wird das Kerninteresse von Raum auf die Handlung verschoben bzw. von ‚Region‘ auf die Prozesse alltäglicher Regionalisierungen“ (Werlen 1999, 26). Kritik erfuhr diese ‚raum-exorzistische‘ Konzeptionalisierung Werlens insbesondere in Bezug auf die Unterstellung, Geographie würde (ausschließlich) einen substantialistischen Raumbegriff verwenden und sei hauptsächlich an einer Beschreibung erdräumlich-physischer Objekte interessiert. Längst, so die Kritiker, werde geographischer Raum von vielen Autoren als sozial konstituiert begriffen (etwa Blotevogel 1999; Weichhart 1999). Selbst wenn Räume und Regionen physisch-materielle Aspekte zugeschrieben würden, wären diese nicht zwangsläufig nur als statische Einheiten zu verstehen. Zudem wird auf Interaktionsbeziehungen an Orten hingewiesen, die zwar durch soziale Handlungen konstituiert seien, sich in der Praxis aber immer auch materieller Objekte bedienten und auf die Körperlichkeit menschlicher Akteure bezogen seien. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen das Ausblenden unterschiedlicher sozialer und räumlicher Maßstabsebenen, auf denen doch jenseits des einzelnen Akteurs unterschiedliche Fragestellungen eruiert und beantwortet werden könnten. Zudem übergehe eine akteurszentrierte Betrachtungsweise Funktionen von Gruppen, Organisationen und sozialen Systemen, die strukturelle Machtpotenziale besäßen und Räume auch symbolisch mit Bedeutung aufladen könnten (Meusburger 1999). Sehr deutlich wird die Position der sozialen Produktion von Raum in den Arbeiten Henri Lefebvres (2002). In seinem einflussreichen Buch La Production de l‘Espace von 1974 (1991 ins Englische übersetzt) entwickelt er eine einheitliche Theorie von Raum, die auf eine Annäherung von physischem Raum (die Natur), mentalem Raum (die formalen Abstraktionen über Raum) und sozialem Raum (der Raum menschlicher Aktivität und körperlich sensorischer Phänomene) zielt (Merrifield 2000, 171). Lefebvre bringt diese drei (ontologischen) Modalitäten zusammen, um die prozessuale Produktion von Raum als aktiv, fluid, organisch und pulsierend zu verstehen. Er interpretiert den ‚aktuellen Raum‘ nicht als Bühne für, sondern als Ergebnis von Produktion und Reproduktion im Kapitalismus. Raum wird kolonialisiert und kommodifiziert, gekauft und veräußert, kreiert und zerstört, gebraucht und missbraucht, umkämpft und instrumentalisiert, er vereinigt und internalisiert die Widersprüche einer modernen kapitalistischen Welt (Harvey 1990, 218–223). Um diese Prozesse offen zu legen und zu dekodie-

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ren entwickelt Lefebvre eine ‚räumliche Triade‘, die auf epistemologischen Unterscheidungen beruht und deren Elemente in einem dialektischen Verhältnis stehen (Shields 1999b; Toyoki 2004): (1) Er identifiziert zunächst ein Set räumlicher Praktiken (spatial practice), das sind konkrete Prozesse, Flüsse und Bewegungen des Alltagslebens im und durch Raum, welche die Frage des ‚Wo?‘ menschlichen Lebens beeinflussen. Räumliche Praktiken stehen in Verbindung mit der menschlichen Wahrnehmung der Welt (perceived space) und strukturieren die Routinen, Wege, Netzwerke und Interaktionsmuster des Alltagshandelns. Über diese Praktiken werden Orte der Arbeit, der Freizeit, der Erholung, der Bildung etc. miteinander verbunden und räumliche Strukturen (re)produziert. Erst sie ermöglichen, was Lefebvre als „räumliche Kompetenz“ bezeichnet: den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Kontinuität des sozialen Lebens. (2) Repräsentationen von Raum (representations of space) beziehen sich auf räumliche Konzeptualisierungen wie beispielsweise Karten und Pläne. Diese erdachten Räume (conceived spaces) sind zunächst Konstrukte der Planer, Technokraten, Architekten oder Geographen, die über Kodifizierungen, Zeichensysteme und Rhetorik eine objektive Repräsentation anstreben. In diesen Räumen eingeschrieben sind Ideologien, Machtverhältnisse und Wissensbestände, welche die bestehende Ordnung der kapitalistischen Produktionsbeziehungen repräsentieren und diese perpetuieren. Monumente, Fabriken und Bürogebäude beispielsweise sind für Lefebvre objektiver Ausdruck eines autoritären bürokratischen und politischen Systems in einem Raum der Repression. Weiter gefasst schließen Repräsentationen von Raum auch Bilder, Texte, Filme oder Musik ein, die einen Bezug zu Räumen herstellen können. (3) Räume der Repräsentation (spaces of representation, representational spaces) schließlich sind direkt gelebte und gefühlte Räume, die Räume der alltäglichen, lebendigen, körperlichen Erfahrungen (lived spaces). Dieser Raum wird erfasst durch die komplexen Symbole und Objekte einer Welt, die von Bewohnern und Nutzern bevölkert wird. Representational space is alive: it speaks. It has an affective kernel or centre: Ego, bed, bedroom, dwelling, house; or: square, church, graveyard. It embraces the loci of passion, of action and of lived situations, and thus immediately implies time. Consequently it may be qualified in various ways: it may be directional, situational or relational, because it is essentially qualitative, fluid and dynamic. (Lefebvre 2002, 42)

Auch diese Räume sind nicht frei von Ideologie und Machtbeziehungen, ihre flüchtige Qualität allerdings eröffnet Möglichkeiten, den inhumanen Tendenzen der bürokratischen Rationalität und kapitalistischen Durchdringung eigene, experimentelle Raumprodukte entgegenzusetzen (Lefebvre 2002, 36–46). Die Verbindung von wahrgenommenen, erdachten und gelebten Räumen ist komplex und steht in einem dialektischen Verhältnis. In jedem dieser drei Räume werden Aspekte der jeweils anderen Räume aufgenommen und verhandelt. So befinden sich etwa räumliche Repräsentationen mit Räumen der Repräsentation in einem Spannungsverhältnis, aus dem räumliche Praktiken erwachsen. Die Praktiken ihrerseits sind sowohl Grundlage räumlicher Repräsentationen wie der Räume der Repräsentation. Abhängig von der Ausgestaltung dieser dialektischen oder trialektischen Relationen entstehen unterschiedlich komplexe Räumlichkeiten (Harvey 2005). Das Denken von Henri Lefebvre – ein „Sozialist“ zugleich „im Raum“ und „des Raums“ (Merrifield 2000) – ist unter anderem orientiert an den Schriften

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Karl Marx’, impliziert aber im Gegensatz zu dessen Auffassungen, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht in erster Linie über Klassenkämpfe, sondern über räumliche Konflikte ausgetragen werden. Lefebvre weist der Ebene der körperlichen Praktiken die Rolle zu, neue und alternative Räume und Formen des Sozialen zu gestalten. Neben Gesellschaftlichkeit und Geschichtlichkeit hat deshalb als dritte Perspektive auf das menschliche Dasein Räumlichkeit in ihrer trialektischen Formulierung zu treten (vgl. auch Soja 1996). Die Flüchtigkeit und Vagheit von Lefebvres Formulierungen lässt allerdings Fragen nach den konkreten Umsetzungsmöglichkeiten neuer transformatorischer Formen von Raum ebenso offen wie die genauen Modalitäten einer Analyse der Produktion von Raum. Insbesondere die Betonung von Raum gegenüber Ort als dem zentralen Bezugsrahmen alltäglicher Handlungen, scheint einem konkreten Anwendungsbezug entgegen zu stehen (Unwin 2000). Ort (place) gilt als strukturierendes Element geographischen Raumes. Ähnlich wie Raum ist auch Ort ein Begriff, dessen alltagsweltlicher, reifizierender Gebrauch bis in die jüngere Zeit eine konzeptionelle Durchdringung obsolet erscheinen ließ. Zunächst verstanden als abgegrenztes Territorium, war Ort eine einmalige, in sich geschlossene Einheit, deren Vielzahl das Mosaik des geographischen Raumes konstituierte. Aus dieser Perspektive konnten Unterschiede und Parallelen zwischen Orten mit Hilfe naturwissenschaftlicher und mathematischer Methoden erklärt und räumliche Muster identifiziert werden. Während der 1970er Jahre wurde verstärktes Augenmerk gelegt auf subjektive Ortsdefinitionen, die der unterschiedlichen Wahrnehmung und dem Verhalten einzelner Individuen und Gruppen besondere Bedeutung beimaßen. Vor dem Hintergrund sich zunehmend globalisierender sozialer, kultureller und ökonomischer Beziehungen fragte zunächst eine humanistische Geographie nach den Konstitutionsbedingungen von Ort. Die Identifizierung der Singularitäten von Orten und die Suche nach Parallelen zwischen ihnen wurden durch Fragen nach spezifischen Ortsbezügen verschiedener Akteure abgelöst. Ort wird dann häufig mit einer relativen sozialen Abgeschlossenheit, mit der Nähe zwischen Individuen und sozialen Gruppen, mit einer gewissen Intimität und Familiarität in Verbindung gebracht, die ein gesteigertes Maß an Ortsbewusstsein hervorbringen und größere Erfahrungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume eröffnen. So führte etwa Edward Relph verschiedene Abstufungen von Außenseitersein (outsiderness) und Zugehörigkeit (insiderness) ein, die in einer Unterscheidung von authentischem Ortsbewusstsein (sense of place) und unauthentischem Ortsbezug (placelessness) resultierten (Relph 1976). Ort erfährt hier in Relation zu Raum eine besondere Wertschätzung. Beide Konzepte sind in dieser Sichtweise nicht voneinander zu trennen, Ort ist aber grundsätzlich positiver besetzt, da es sich auf überschaubare, bekannte und affektiv erfahrbare Räume des Lokalen bezieht, die soziale Praktiken leiten und umfassen. Die Vertreter marxistischer Strömungen innerhalb der Humangeographie rückten die Verbindungen zwischen und die gegenseitigen Abhängigkeiten von Orten in den Mittelpunkt der Analyse. Das Erkenntnisinteresse müsse weniger auf einen Bezug der Menschen zu unterschiedlichen Orten in ihren lokalen Erfahrungen gerichtet sein, als vielmehr auf die Arten und die Konsequenzen der Verbindungen zwischen diesen Orten unter zeitgenössischen Bedingungen. In der

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Folgezeit berücksichtigten Ortskonzeptionen sowohl objektive als auch subjektive Vorstellungen von Ort. John Agnew beispielsweise identifizierte drei Eigenschaften von Ort, zwei externe, ‚objektive‘ und kontextbezogene sowie eine ‚subjektive‘ und bedeutungsbezogene (Agnew 1987, 28): (1) Location grenzt das räumliche Territorium, einen spezifischen Punkt auf der Erdoberfläche ab, an dem Interaktionen in Abhängigkeit von sozialen und ökonomischen Prozessen auf höheren Maßstabsebenen ablaufen. Location fragt, wie Orte zugleich einzigartig sein können und doch durch globale Kräfte beeinflusst werden. (2) Sense of place berücksichtigt die subjektiven Einstellungen von Menschen gegenüber einem Gebiet, einschließlich der Bedeutung von Ort für die Konstruktion von Identitäten. Wie entsteht ein Ortsbezug, der zugleich intensiv lokal und ausgesprochen extrovertiert ist? Und schließlich bezeichnet (3) locale das Setting, in dem Sozialbeziehungen und die Alltagshandlungen konstituiert werden. Wie können menschliche Handlungen ortsgebunden, unvorhersehbar, mannigfach sein und zugleich durch außerlokale Faktoren beschränkt werden? Eine Zusammenführung dieser beiden Herangehensweisen gelang über die locality studies, welche klären wollten, wie globale Kräfte unterschiedliche lokale Effekte erzielen konnten. Unter Rückgriff auf Giddens’ Strukturationstheorie beispielsweise gelang der Nachweis, dass soziale Strukturen und das Handeln einzelner Akteure sich gegenseitig bedingen und an unterschiedlichen Orten auf verschiedene Weise zusammenwirken. Ort ist hier locale, ein Setting, das gleichzeitig einzigartig ist und bestimmte Eigenschaften mit anderen Orten auf der Welt teilt (Peet 1998, 176–191). Als eine weitere Möglichkeit, Orte zu konzipieren, kann die Metapher des Knotens in einem translokalen Netzwerk der Flüsse oder die des Schalters eines größeren globalen Systems von Leitungen dienen. Auch hier lassen sich Orte fassen als miteinander verbunden und voneinander abhängig. Was an einem Ort auf der Welt passiert, kann Auswirkungen auf einen anderen Ort zeitigen. Dass dabei nicht alle Orte gleichgeschaltet sind und singuläre Eigenschaften aufweisen, hängt unter anderem zusammen mit den zutiefst ungleichen Auswirkungen von Globalisierung, die zwar eine relative Nähe verschiedener Orte herstellen kann, ihre physische Distanz aber nicht zu beeinflussen vermag. Da die Reichweite vieler ‚globaler‘ Prozesse beschränkt ist und das Maß der örtlichen Einbindung in globale Ströme und Flüsse differiert, bleibt die Antwort der Menschen auf Globalisierung an einem Ort einzigartig und individuell. Anstatt Räume zu homogenisieren, verbinden Prozesse der Globalisierung Orte aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit. Manche Differenzen werden eher eingeebnet, andere perpetuiert oder gar verstärkt. Dass Orte zugleich einzigartig sind und doch bestimmte Eigenschaften teilen, hat Konsequenzen auch für die Beziehungen, die Menschen zu diesen Orten knüpfen. Mit der Anbindung an andere Orte über Menschen-, Waren- und Informationsströme kann ein und derselbe Orte unterschiedliche Anknüpfungspunkte und Identifikationsangebote bieten. Weiterhin prägen sozialstrukturelle, ökonomische und ethnische Merkmale der Akteure ihre Version von Identität, die einen hybriden und translokalen Charakter annehmen kann. Orte sind in diesem Verständnis Ressourcen des Alltagslebens (Massey 1995; Castree 2003). Jede Handlung findet an einem konkreten Ort statt. Orte reagieren also nicht nur auf globale Einflüsse, sondern beeinflussen ihrerseits globale Prozesse. Dabei

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haben freilich nicht alle Akteure dieselben Chancen, Einfluss auszuüben. Orte liegen hier an komplexen Kreuzungspunkten, die als das Ergebnis sich ständig verändernder Machtgeometrien (power geometries of time-space) interpretiert werden können (Massey 1999). Orte und die sozialen Beziehungen an und zwischen ihnen sind das Ergebnis spezifischer Machtkonstellationen über verschiedene Maßstabsebenen hinweg, die sowohl auf individueller wie auf institutioneller Ebene Wirkung entfalten können. Ort ist damit nicht bestimmt als singuläres, abgrenzbares Territorium, sondern durch Verbindungen und Kreuzungen sozialer Beziehungen über bestimmte Räume hinweg. Orte sind relational und zufällig, multipel und fluid. Ort ist Prozess und wird als solcher immer wieder neu durch mannigfache Verbindungen und stetige Neuverhandlungen sozialer und räumlicher Grenzen konstituiert (Hubbard, Kitchin, Bartley, Fuller 2002, 13–18). Orte können so nicht nur verstanden werden als ein Phänomen der Welt, sondern als ein prozessualer Weg, diese Welt zu sehen, zu hören, zu spüren und zu verstehen (Cresswell 2004). Im Bereich populärer Musik findet häufig das spezifische Konzept von locality Verwendung, um die Frage zu klären, ob lokale Faktoren die Produktion, Zirkulation und Konsumtion von Musik beeinflussen kann. Hierbei wird eine ganze Reihe sich überlappender Diskurse identifiziert, die von Journalisten, Fans, Musikern, Politikern und Wissenschaftler produziert und reproduziert werden. (1) Lokalität als industrielle Basis bezeichnet einen spezifischen Produktionsprozess, der an das vorherrschende musikindustrielle System gebunden ist. Detroit, Memphis, Nashville oder Philadelphia sind Städte, deren Produktionsregime einen jeweils spezifischen Sound hervorgebracht haben. (2) Lokalität als soziale Erfahrung verbindet insbesondere Liedermacher des Blues und des Rock mit Orten und vermittelt somit den Eindruck einer Verwurzelung von Musik an einem Ort. So wird etwa der Rockmusiker Bruce Springsteen „[a]ls Poet New Yorker City-Abgründe und der Waterfront-Slums von New Jersey“ (Graves, Schmidt-Joos 1990, 753) untrennbar mit einer Lokalität in Verbindung gebracht. Musiker und Musik stehen für einen (imaginierten) Ort und eine bestimmte Zeit, ihre Authentizität wird generiert durch die Gegenüberstellung von aktuellen mit vergangenen Kontexten. „Ort bezeichnet ‚Verwurzelung‘ als Authentizität, als seine Art ‚Realismus‘“ (Street 1995, 256). (3) Lokalität als ästhetische Perspektive ist nicht auf diesen ‚sozialen Realismus‘ angewiesen, sondern kann sich auf verschiedene Räume und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften beziehen. Diese Imaginationen anerkennen die Bedeutung von Orten, Räumen und Landschaften und unterstellen eine Verbindung der Lokalität mit einem spezifischen Klang oder Gefühl. (4) Lokalität als politische Erfahrung bezieht sich auf Auseinandersetzungen mit politischen und ökonomischen Kräften, die maßstäblich meist auf einer höheren Ebene verortet sind. Lokalität wird hier zum einen verstanden als ein Ort, der sich subkulturell gegenüber solchen übergeordneten Räumen abgrenzt und dadurch ideologisch aufgewertet wird. Lokale Musik stellt sich als indigener kultureller Ausdruck dar, der seine Inspirationen in Abgrenzung gegenüber den räumlichen Logiken der internationalen Musikindustrie bezieht. Diese Argumentation spiegelt sich etwa bei Diskussionen um World Music wider, deren Protagonisten es gelingt, lokale volksmusikalische Traditionen auf einem internationalen Markt zu positionieren. Die Musik wird meist gelesen als Ausdruck einer Politik der

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Differenz des Lokalen gegenüber einer westlichen Hegemonie des Globalen (Guilbault 1993; vgl. Erlmann 1998). Zum anderen werden die sozioökonomischen Bedingungen eines Ortes gelesen als ursächlich für die Produktion einer bestimmten Art von (politischer) Musik. In Abhandlungen zu Rap-Musik wird immer wieder auf die politischen Potenziale der Lokalität als Gemeinschaft in der realen Welt hingewiesen und Zusammenhänge zwischen Ethnizität, kultureller Marginalisierung und sozioökonomischer Deprivation sowie einer politisch expliziten und aggressiven Musik postuliert. Hier dominiert ein Diskurs, der die traditionelle Volksmusikanalyse bestimmte: Musik reflektiert die gesellschaftlichen Normen und Werte, die aus dem Abarbeiten an den Zuständen der physisch-materiellen Umwelt resultieren. (5) Lokalität als Szene schließlich ist eine besonders wirkungsmächtige diskursive Figur. Sie bezieht sich zunächst auf ein lokales Netzwerk von Produktionsund Konsumtionspraktiken populärer Musik. Ein solches Netzwerk vermittelt zwischen musikalischen Akteuren und den spezifischen institutionellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen vor Ort. Szenen werden regelmäßig mit spezifischen Städten oder Stadtteilen sowie einzelnen musikalischen Stilrichtungen in Verbindung gebracht, stellen aber im Vergleich zu musikalischen Gemeinschaften eine instabilere und historisch weniger verwurzelte Verbindung dar (Kruse 1993). Besondere Bedeutung erhält der Begriff für so genannte Alternativszenen, wie sie insbesondere für einige US-amerikanische Hochschulstädte beschrieben werden. Die Szene in Athens, Georgia steht für R.E.M. oder The B-52s, Minneapolis, Minnesota für Hüsker Dü oder Soul Asylum, Seattle, Washington für Pearl Jam oder Nirvana, Bristol in Großbritannien für Massive Attack oder Tricky, Manchester für The Fall oder Morrisey und so fort. In all diesen Fällen werden lokale Szenen in erster Linie gegenüber der National definiert und abgegrenzt. Ihnen wird eine identitätsstiftende Funktion zugesprochen, die sich an lokalen Bands, einer Fangemeinschaft oder der Infrastrukturausstattung mit Veranstaltungsorten, Plattenläden, Aufnahmestudios und Magazinen festmachen kann. Solche lokalen Zuschreibungen finden nicht zuletzt als Marketinginstrumente Anwendung, die unterstellen, dass Musiker aufgrund einer sozialen Erfahrung an einer bestimmten Lokalität einen spezifischen und authentischen Sound hervorbringen. Allerdings wird auch hier eine solch territorial abgegrenzte Konzeption von Lokalität zunehmend in Frage gestellt, da die Rhetorik des Lokalen internationale Kapital- und Informationsflüsse, globale Organisationsformen und transnationale Produktionsverflechtungen verbirgt. Lokalitäten werden immer stärker mit anderen Lokalitäten in ökonomischer und affektiver Hinsicht verbunden. Interessant ist hier „das Ausmaß, mit dem ‚unabhängige‘ Musik außerhalb des Mainstream, während sie deutlich an lokale Räume, Auftritte und Erfahrungen gebunden bleibt, zunehmend durch soziale Netzwerke, Publikationen, Handelsverflechtungen sowie regionale und nationale Institutionen in lokal dispersen Formationen zusammengebunden wird“ (Fenster 1995b, 83). Auch wenn die Lokalität als spezifisches strukturelles und politisches Setting Bedeutung für das Musizieren und Konsumieren von Musik hat, so kann Musik nicht notwendigerweise als direkter Ausdruck lokaler sozialer, kultureller und ökonomischer Charakteristika verstanden werden. Die Rhetorik von Szene weist vielmehr auf die Produktion und Konstruktion von Lokalität mit Hilfe musikalischer Diskurse hin, durch die

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sich Musiker und Hörer in differierenden Kontexten verorten und verortet sehen wollen (Street 1995). Das musikanthropologische Konzept von locality offenbart eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten mit dem geographischen Konzept von Ort (vgl. Bennett 2000; Cohen 1995). Auch locality lässt sich analytisch in die Aspekte räumliches Territorium, Setting und subjektive Ortbezüge gliedern. Wie Ort wird auch locality in einer progressiven Konzeption als Konstrukt gefasst, das durch soziale, ökonomische und Prozesse auf verschiedenen Maßstabsebenen konstituiert und zugleich durch institutionelle und infrastrukturelle Gegebenheiten im direkten Umfeld beeinflusst wird. Die Verbindungen zwischen Sound und einer Lokalität sind deshalb nie homolog oder beziehen sich auf nur eine Maßstabsebene. Szene definiert Lokalität nicht als ortsgebundene, stabile Gemeinschaft oder als lokale Subkultur von Musikern und Konsumenten, sondern als ein Geflecht fluider, loser, kosmopolitischer und mobiler Räumlichkeiten, das durch heterogene Allianzen und Koalitionen konstituiert und imaginiert wird. Dass lokale institutionelle und infrastrukturelle Gegebenheiten die Formierung einer Szene ebenso beschränken oder befördern wie musikindustrielle Mediationen, verweist auch hier auf unterschiedliche Artikulationsmöglichkeiten innerhalb der Geometrien von Macht. Die Bedeutung von locality variiert in populärer Musik nach Genres und Subgenres. Je nach musikalischer Gattung werden bestimmte Dimensionen von Ort und Räumlichkeit in den Vordergrund gerückt, andere scheinen dagegen kaum auf. Will Straw (1991) etwa argumentiert, dass die nordamerikanischen Rockszenen sehr stark auf institutionelle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen im großmaßstäbigen Umfeld rekurrieren und immer wieder auf ihre lokale Herkunft verweisen, während Szenen des Dance-Genres eher translokale Affinitäten zu anderen Städten und Ländern entwickeln. Alternative Rock, so Straw, bringt verschiedene historische Momente zusammen, die sich innerhalb eines engen kulturellen Raumes und im Rahmen älterer musikalischer Stile kontextspezifisch entfalten. „[S]o wird zeitliche Bewegung in kartographische Dichte verwandelt“ (Erlmann 1998, 20). Im Gegensatz zu dieser kosmopolitischen Stasis ist das Dance-Genre durch eine rasche Internationalisierung gekennzeichnet, in der zahlreiche lokale Stile koexistieren und beständig in eine zeitliche Sequenz populärer Moden umgearbeitet werden (Straw 1991). Wie diese Beziehung von Ort, Zeit und Musik aussehen kann, wird im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Als traditionelle Instrumentarien der Sozial- und Kulturwissenschaften können Textanalysen, Studien zur Bildhaftigkeit oder dichte Beschreibungen von Beobachtungen im Feld beitragen, verschiedene Artikulationen von Geographie offen zu legen. Musikalische Strukturen bleiben indessen systematisch von der Analyse ausgeblendet. Die Attraktivität von Musik beruht neben textualen, diskursiven und visuellen Eigenschaften musikalischer Praktiken aber gerade auf den aurealen, rhythmischen und körperlich wirkenden Faktoren. Wie aber kann musikalische Bedeutung ermittelt werden? Signifiziert Musik Räumlichkeit? Und wenn ja: wie? Wie kann eine Analyse von Musik dazu beitragen, die Produktion von Räumen und Orten zu verstehen? Einen ersten Weg zur Beantwortung dieser Fragen weist die Beobachtung, dass „sich alle, die über Ort arbeiten, darüber einig zu sein scheinen, dass Ort aus besonderen Rhythmen des Seins besteht, welche die Existenz bestimmter Räume

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bestätigen und naturalisieren“ (Thrift 2003, 102). In ihrem Essay 1837 – Zum Ritornell beispielsweise schreiben Gilles Deleuze und Félix Guattari: [Territorien] sind wesentlich durch ‚Indizes‘ gekennzeichnet, und diese Indizes sind den Komponenten aller anderen Milieus entnommen: Materialien, organische Produkte, Membran- oder Hautzustände, Energiequellen und Verdichtungen von Wahrnehmung-Handlung. Genau genommen gibt es dann Territorien, wenn die Bestandteile der Milieus nicht mehr gerichtet sind und stattdessen zu Dimensionen werden, wenn sie nicht mehr funktionell sind, sondern expressiv werden. Territorien gibt es, sobald es eine Expressivität des Rhythmus gibt. Ein Territorium wird durch das Auftauchen von Ausdrucksmaterien (Qualitäten) bestimmt. (Deleuze, Guattari 2002, 429)

Sie argumentieren, dass sich jedes Lebewesen aus einer Reihe von kodierten Milieus konstituiert, die ein Innen, ein Außen und Grenzen zu anderen solchen Umwelten kennen. Der periodische und wahrnehmbare Gebrauch von Zeichen oder ‚Indizes‘ eines Milieus lässt Besitz ergreifen von Raum, lässt ihn ‚territorialisieren‘. Rhythmus verbindet diese Milieus, zeichnet Begegnungen der Milieus nach. Wenn Milieus durch periodische Wiederholungen zustande kommen und sich gegenseitig abgrenzen, zeugt Rhythmus von dieser Differenz und von der Möglichkeit, sie zu überwinden. Rhythmus wird hier nicht als Regelmaß verstanden, sondern als Zeichen von Unterschiedlichkeit, als Möglichkeit des Überkommens von Gleichklang, der Überwindung von Grenzen. Es sind in diesem Verständnis die Übergänge, das organisch-dynamische, was Rhythmus auszeichnet, nicht die Wiederholung, welche Wahrnehmung eindimensional machen könnte. Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, dass Rhythmus als eine Metapher dient für den Prozess, durch den sich Menschen in der Welt verorten und ihren Ort in Differenz und der Möglichkeit zur Überwindung von Differenz markieren. Rhythmen strukturieren das alltägliche Leben und helfen, die soziale Welt zu gestalten und in Interaktion mit anderen zu treten. Eine solche rhythmische Konzeption von Ort verweist zuallererst auf die sensorische Involviertheit von Körpern, die über einen eigenen Rhythmus verfügen und andere Rhythmen wahrnehmen. Raymond Williams etwa betont die beschreibenden und kommunikativen Eigenschaften von Rhythmus im Allgemeinen und von Musik im Besonderen, wenn er schreibt: Rhythm is a way of transmitting a description of experience, in such a way that experience is re-created in the person receiving it, not merely as an ‘abstraction’ or an ‘emotion’ but as a physical effect on the organism [...] We use rhythm for many ordinary purposes, but the arts [...] comprise highly developed and exceptionally powerful rhythmic means, by which the communication of experience is actively achieved. Man has made and is making these rhythms, as he has also ‘made’ colours. The dance of the body, the movement of the voice, the sounds of instruments are, like colours, forms and patterns, means of transmitting our experience in so powerful a way that the experience can be literally lived by others. This has been felt, again and again, in actual experience of the arts, and we are now beginning to see how and why it is more than a metaphor; it is a physical experience as real as any other. (Williams 1971, 40–41)

Kunst und Musik scheinen so eine unfassbare Möglichkeit zu sein, Erfahrungen und Wissen an andere weiterzugeben. Diese Kommunikation findet, so Williams, sowohl über die Stimulation von Emotionen als auch direkt, physisch über den Körper statt. Die klanglichen Eigenschaften von Musik wie Rhythmus, Tonlage oder Stimmmodulation können auf und durch den Körper wirken und dabei

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Emotionen auslösen oder unterdrücken, verstärken oder abschwächen. Musik scheint an diesem Schnittpunkt zwischen Körper und Emotionen zu wirken und dabei, wie Lawrence Grossberg (1992) argumentiert, für menschliche Affekte eine entscheidende Rolle zu spielen. Affekte können klären, warum Menschen bereit sind, sich für bestimmte kulturelle Formen zu engagieren, in sie zu investieren, sich an ihnen festzumachen, anderen hingegen indifferent oder ablehnend gegenüber zu stehen. Als Teil eines Lebensgefühls, als Energie und Bereitschaft, sich einzubringen, zeigt Affekt, wie und wie sehr man sich für eine Sache interessiert und sich um sie sorgt. Dieses realisierende Engagement für bestimmte Handlungen oder Strukturen kann gefasst werden in Begriffen wie ‚in Stimmung sein für‘, ‚den Willen entwickeln zu‘, ‚Leidenschaft verspüren für‘, ‚sich verpflichtet fühlen gegenüber‘ oder ‚Achtung haben vor‘. Affekte wirken auf all unsere Sinne und bieten einen Rahmen für die emotionalen Reaktionen auf Situationen. Sie sind organisiert um individuelle Landkarten der Relevanz (mattering maps), welche die Formen, die Intensitäten und die Richtungen affektiver Investitionen steuern. Sozial und kulturell konstruiert stehen Affekte und ihre Artikulation unter dem Einfluss ökonomischer, ideologischer und materieller Kontexte. So können sich die Bedeutsamkeiten und Gehalte von kulturellen Formationen und damit die Bereitschaft und das Ausmaß affektiver Investition in sie ändern. Entscheidend für Grossberg ist die affektive Sensibilität populärer Kultur, die es Menschen ermöglicht, jenseits direkter Kopräsenz andere zur Mitgestaltung ihrer eigenen Identität zu autorisieren. People actively constitute places and forms of authority (both for themselves and for others) through the deployment and organization of affective investments. By making certain things matter, people ‘authorize’ them to speak for them, not only as a spokesperson but also as a surrogate voice (e.g., when we sing along a popular song). People give authority to that which they invest in; they let the objects of such investment speak for and in their stead. They let them organize their emotional and narrative life and identity [...]. [M]attering maps [...] involve the lines that connect the different sites of investment; they define the possibilities for moving from one investment to another, of linking the various fragments of identity together. They define not only what sites (practices, effects, structures) matter but how they matter. And they construct a lived coherence for those enclosed within their spaces. (Grossberg 1992, 83–84)

Affekte definieren Strukturen und Ökonomien der Zugehörigkeit, indem sie Orte und Momente schaffen, an denen sich andere Menschen festhalten und ihre Identität zumindest kurzfristig verankern können. Durch die Investition von Energie in Dinge, die einem aufgrund der eigenen Landkarte von Relevanz wichtig erscheinen, werden für andere Möglichkeiten eröffnet, sich mit diesen Dinge (nicht) zu identifizieren und sich selbst für (oder gegen) diese Dinge einzusetzen. Weil etwas bedeutsam erscheint und Menschen Energie, Leidenschaft und Willen investieren, werden immer neue affektive Investitionen möglich. Dieser Mechanismus trägt bei zur Ermächtigung von Menschen (empowerment), zum Umgang mit Frustration, Unterdrückung und Entfremdung. Spezifische kulturelle Formationen können so über räumliche und soziale Grenzen hinweg zu affektiven Allianzen (affective alliances) werden, denen eine entscheidende Rolle für populäre Formen des Widerstandes und der Opposition gegen hegemoniale Bestrebungen zukommen (Grossberg 1992). Affektive Investitionen ermöglichen neue Formen

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der Vergesellschaftung von Individuen und befördern die Schaffung von Räumlichkeit jenseits materieller Ortsbezüge. Eingebettet in die Diskussion um verschiedene Arten der Produktion von Räumlichkeit in kapitalistisch organisierten Gesellschaften, stellt auch Henri Lefebvre die körperlich-sinnliche Erfahrung in den Mittelpunkt, wenn es um die Überwindung von Orts- und Raumkonzeptionen dominanter gesellschaftlicher Gruppen geht. Auch er stellt die affektive Bedeutung nicht-visueller Sinneseindrücke für die Entwürfe eines Selbst und für soziale und räumliche Praktiken heraus und argumentiert ähnlich wie Raymond Williams, dass Rhythmus als zentrales emotionales und körperliches Kommunikationsmedium wirken kann (vgl. Elden 2004). [R]hythm [...] is an interaction. A rhythm invests in places, but is not itself a place; it is not a thing, nor an aggregation of things, nor yet a simple flow. It embodies its own law, its own regularity, which it derives from space – from its own space – and from a relationship between space and time. Every rhythm possesses and occupies a spatio-temporal reality which is known by our science and mastered so far as its physical aspect (wave motion) is concerned, but which is misapprehended from the point of view of living beings, organisms, bodies and social practice. Yet social practice is made up of rhythms [...]. (Lefebvre 2002, 206)

Die Analyse von Rhythmen – Rhythmusanalyse – ist für Lefebvre ein Werkzeug der Analyse der Produktion von Raum. Rhythmus ist für ihn entscheidend, soziales (Alltags-)Leben zu verstehen (Lefebvre 1987). Als Referenzpunkt der Analyse dient der menschliche Körper, die regelmäßigen Abläufe des (kosmischen und biologischen) Lebens, der wahrgenommene Rhythmus des eigenen Organismus’. Analysen von Raum und Zeit bedürfen einer transdisziplinären Rhythmusanalyse, die an den Regelhaftigkeiten des eigenen Körpers kalibriert ist und den Details im Verlaufe eines sich wiederholenden Alltäglichen besondere Bedeutung zumisst. Was aber heißt Rhythmus? Everywhere where there is interaction between a place, a time and an expenditure of energy, there is rhythm. Therefore: a) repetition (of movements, gestures, action, situations, differences); b) interferences of linear processes and cyclical processes; c) birth, growth, peak, then decline and end. This supplies the framework of analyses of the particular, therefore real and concrete cases that feature in music, history and the lives of individuals or groups. (Lefebvre 2004, 15)

Rhythmus gibt erstens den Blick frei auf die körperliche und emotionale Erfahrung von rhythmischer Struktur, verweist zweitens auf die raum-zeitlichen, physischen Eigenschaften regelmäßiger Wiederholung wie Fluss, Muster, Form oder Bewegung und verdeutlicht drittens, wie diese Eigenschaften die Produktion eines gelebten Raumes zugleich prägen und reflektieren. Rhythmusanalyse befragt den Alltag nach „Unterschied und Wiederholung – Interaktion und Komposition – zyklisch und linear – Frequenz und Takt […] Gleichklang, Bruch, Polyrhythmik“ (Lefebvre 2004, 26). Ziel ist es, die Relationalität verschiedener raumzeitlicher Verläufe herauszuarbeiten, wie etwa körperlicher und organischer Gesten auf der einen und mechanischer und maschineller Akte auf der anderen Seite. Rhythmusanalyse meint damit mehr als nur die Analyse von Rhythmus als Objekt, sondern bezeichnet einen Modus, ein Werkzeug der Analyse verschiedener Artikulationen. So lassen sich beispielsweise das Wetter, Farben, Gerüche, Körper, Gesten, Stim-

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mungen, Alltagsrhythmen, die gebaute Umwelt und urbane Funktionalitäten, Mobilität und Verkehr, Austauschbeziehungen, Rituale und Festlichkeiten, ideologische Strukturen, Kunstwerke oder Klang studieren. Der Analyst „ist fähig, einem Haus zuzuhören, einer Straße, einer Stadt, so als ob man einer Symphonie, einer Oper lauscht” (Lefebvre, Régulier 2004, 87). Rhythmusanalyse ist auf die Vielfalt der menschlichen Sinne angewiesen, um ihren Studienobjekten zuzuhören, sich auf sie einzulassen. [T]o grasp a rhythm it is necessary to have been grasped by it; one must let oneself go, give oneself over, abandon oneself to its duration. Like in music and the learning of a language (in which one only really understands the meanings and connections when one comes to produce them [...]) In order to grasp this fleeting object, which is not exactly an object, it is therefore necessary to situate oneself simultaneously inside and outside. (Lefebvre 2004, 27)

Über das Maß an Übereinstimmung zwischen verschiedenen Rhythmen lassen sich Parallelen (isorhytmia), Verbindungen und Gleichklang (eurhythmia) oder Brüche (arrhythmia) identifizieren und interpretieren. Polyrhythmia, die Vielfalt von Rhythmen, resultiert aus dem Widerstreit von Tendenzen rhythmischer Homogenisierung und Diversifizierung und führt zu Unordnungen, die aus sich selbst heraus vergleichend analysierbar werden. Von großer Bedeutung für Rhythmen sind Wiederholungen, sowohl zyklische oder natürliche, als auch sequenzielle oder soziale. Für Lefebvre sind es beispielsweise technologische, ökonomische oder marktvermittelte Wiederholungen (conceived rhythms), die störend und destruktiv auf körperliche Rhythmen (lived rhythms) einwirken. Wiederholungen haben für Lefebvre immer etwas mit Maß oder Taktung zu tun, mit Regeln, Berechnungen und Erwartungswerten. Wiederholungen sind aber nie identisch oder unendlich, sondern beinhalten immer etwas Neues und Unerwartetes, sie bedürfen der Wiederaufnahme und einer Rückkehr zum Anfang. Differenzen sind Wiederholungen inhärent. Explizit formuliert Lefebvre Rhythmusanalyse für Musik, an der sich für ihn komplexe Beziehungen zwischen Geräusch, Gesellschaft, Geschichte und Geographie ablesen lassen. Musik legt sehr deutlich Änderung und Wiederholung, Identität und Differenz, Kontrast und Kontinuität von Rhythmen offen. Wie bei Rhythmusanalyse allgemein bleibt Lefebvre auch bei den Angaben zur konkreten Ausführung von Musikanalyse sehr vage. Er schlägt zunächst eine Analyse im Rahmen einfacher dualistischer Eigenschaften von (westlicher) Musik vor: hoch oder tief (Tonhöhe), getragen oder lebendig (Geschwindigkeit und Konstanz des Tempos), vertikal oder horizontal (Harmonie oder Melodie), verbunden oder getrennt (Ligaturen oder Stakkato). Musik kann auch nach anderen Aspekten wie Taktung, Bedeutung, Ausdruck, Zweck, Form, Stimmgestalt und Sprache befragt werden. Seiner allgemeinen Dialektik von Zeit-Raum-Energie stellt er hier die musikalische Dialektik von Melodie-Harmonie-Rhythmus zur Seite (Lefebvre 2004, 57–66). Rhythmus weist auf die Bedeutung von Zeit und Raum hin, verändert sie und lässt doch beide klar erkennbar. Während Melodie als eine (räumliche) Sequenz von Tönen im Zeitverlauf und Harmonie als der Klang verschiedener Töne übereinander zum selben Zeitpunkt definiert sind, bestimmt sich Rhythmus im Verhältnis dazu durch die Verortung von Tönen und durch ihre relative Dauer. Sound und Rhythmus spielen im sozialen Leben eine gewichtige

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Rolle, da sie ein alternatives Modell zum linearen, mathematischen Takt anbieten und Musik in der Vielgestaltigkeit ihrer klanglichen Schichtungen, Übergänge, Kontrapunktierungen und Polyrhythmen erkennen lassen. Die Analyse musikalischer Rhythmen wird zum zentralen Werkzeug, mit dessen Hilfe die Produktion von Raum und Ort zu verstehen ist. Um Sound und Rhythmus – die Verbindung von Zeit, Raum und energetischer Expressivität – zu hören und zu analysieren, muss der Analyst bestimmte Regeln befolgen: He will listen to the world, and above all to what are disdainfully called noises, which are said without meaning, and to murmurs [rumeurs], full of meaning – and finally he will listen to silences. [...] He listens – and first to his body, he learns from it, in order consequently to appreciate external rhythms. His body serves him as a metronome. (Lefebvre 2004, 19)

Lefebvre unterscheidet hier zwischen auf der einen Seite externer, homogener und objektiver Zeit, die mit Hilfe von Uhren und Taktgeräten gemessen werden kann und auf der anderen Seite innerer, heterogener und subjektiver Zeit, die nur körperlich erfahren werden kann. Musikhören ist dann zunächst Erfahrung von innerer Zeit, das heißt sowohl der einzigartigen Organisation von Zeit in einem bestimmten Musikstück als auch der subjektiven Erfahrung dieser Zeit durch den musizierenden und hörenden Körper. Musik schafft hier eine innere Erfahrung von verrinnender Zeit, die Gedächtnis, Erinnerungen, Emotionen und Affekte prägt. Insbesondere polyrhythmische Erfahrungen wie sie afrikanische und die davon abgeleitete ‚schwarze‘ Musik in außergewöhnlicher Intensität anzubieten scheinen (Chernoff 1979; Keyes 2002, 140–142), erzeugen eine komplexe Spannung zwischen verschiedenen Geschwindigkeiten und Wahrnehmungen von Zeit, die sich gegenüber chronometrischer Zeit zu beschleunigen oder zu verlangsamen scheinen. Musiker und Hörer müssen sich einer Fusion dieser spezifischen polyrhythmischen Zeiten verweigern, um sich auf eine neue, virtuelle Zeit einzulassen. Hier wirkt Rhythmus affektiv und vermag ästhetische, mentale und physische Grenzen zu transzendieren (Frith 1996a, 145–157). Rhythmus hat damit mehrere miteinander verbundene (metaphorische) Bedeutungen: Zum ersten ermöglicht Rhythmus die Verortung innerhalb eines Raumes, das Schaffen eines Ortes, der nicht konkret, physisch-materiell oder real sein muss, sondern auch symbolisch, imaginär und transzendental sein kann. Zum zweiten signifiziert Rhythmus auf unterschiedliche Wahrnehmungen und Erfahrungen von Zeit, die jenseits von objektiv messbaren Abschnitten und gleichmäßigen linearen Achsen verlaufen. Drittens ermöglicht Rhythmus die Weitergabe von Erfahrung dieser Räume und Zeiten. Rhythmus ist Kommunikationsmedium und Artikulationsmittel von (musikalischer) Zeit und (klanglichem) Raum.

4.2 Rap in den USA: representing race, space and place Ein poetisches Verhältnis zum Lokalen durchdringt die populäre Musik und prägt entscheidend die Rahmenbedingungen ihrer Produktion, Distribution und Rezeption (Lipsitz 1999, 41). [T]here is a highly articulated awareness and sense of place in rap music. In particular, rap is frequently a music of the ’hood, that arises from distinct neighborhoods where identification with place supplements the strong identification with race and is certainly stronger than identification with the nation. (Best, Kellner 1999)

Individualität, Ethnizität, ökonomischer Erfolg, Geschlecht und kulturelles Erbe dienen in der HipHop-Musik zur Abgrenzung einer Vielzahl sozialer Praktiken und geographischer Imaginationen, die in narrativer und musikalischer Form produziert werden. Als einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Rap und anderen Formen populärer Musik kann dabei die ausdrückliche Betonung eines räumlichen Bewusstseins und eines identitätsstiftenden Ortsbezugs identifiziert werden (Forman 2000). Spezifische Räume und Lokalitäten werden mehr als in anderen musikalischen Genres immer wieder aufgegriffen, verhandelt und neu hergestellt. Räumlichkeit ist zentrales Organisationsprinzip von Wert, Bedeutung und Handlung im HipHop. Im US-amerikanischen Kontext tritt eine besonders deutliche Verbindung hervor zwischen Ethnizität und Raum, die in der Ursprungserzählung von HipHop angelegt ist und über soziale Praktiken perpetuiert wird. Mit Hilfe der Verbindung von innerstädtischen, gettoisierten Räumen und einer vornehmlich ‚schwarzen‘, sozioökonomisch schwachen Bevölkerung wird ‚schwarze‘ Ethnizität quasi verräumlicht und werden spezifische Räume ethnifiziert. Die Besonderheiten des urbanen Raumes sind zugleich Kontext für Rap und Ziel von De- und Rekonstruktionen der Musiker. Rap-Texte beinhalten keine willkürliche räumliche Rhetorik und Rap-Musik artikuliert keine beliebigen Geographien. Rap stellt ein Ergebnis spezifischer räumlicher Relationen und Geschichten innerhalb eines urbanen Rahmens dar. Auch die klanglichen Eigenschaften von Rap sind das Resultat der Produktion an einem Ort und beeinflussen die Räume, in die sie fließen und für die sie fließen auf spezifische Weise. Rap-Musik bleibt musikalisch und textlich offen, verweigert sich einer Kohärenz und Abgeschlossenheit räumlicher Bedeutungen. So wird es möglich, über Narrative und Klänge Alltagsräume zu transzendieren und erdachte und wahrgenommene Räume zu transformieren. Mehr als frühere populärkulturelle Genres erreicht RapMusik – einschließlich ihrer Texte, Moden und Bilder – über massenmediale Kanäle ihre Empfänger, die über Prozesse der Abgrenzung und Mimesis ihrerseits eigene kulturelle Räumlichkeiten kreieren. Im Folgenden geht es um die Fragen, wie die Dynamiken von Raum, Ort und Ethnizität als Themen aufgegriffen und diskutiert werden und wie in verschiedenen US-amerikanischen Kontexten welche Räume und Orte konstituiert worden sind. In einem ersten Schritt wird nachvollzogen, wie sich vor dem Hintergrund der raum-zeitlichen Ausbreitung in den 1980er Jahren verschiedene musikalische Subgenres von Rap herausdifferenzieren, und wie sich diese Genres in zum Teil distinkten Geographien regionaler Produktionsstile niederschlagen konnten. Lokale Allianzen, regionale Rivalitäten und spezifische Produktions-

4.2 Rap in den USA: representing race, space and place

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zusammenhänge verstärkten die Entwicklung regionaler Sounds auch in den 1990er Jahren. Parallel dazu vervielfältigten sich die sozialen Praktiken des Musizierens, und die Diskurse um Rap-Musik wurden in neue Kontexte ausgeweitet, die andere Räume und Orte als die der Standardnarrative in den Mittelpunkt stellen konnten. Fragen nach Zentren und Peripherien, nach authentischen und unauthentischen Positionierungen im Raum, nach richtigen und falschen Orten von Musik, nach typischen und untypischen Klängen haben im Laufe dieser Entwicklung stets zentrale Bedeutung behalten. In einem zweiten Schritt werden diese Verschiebungen und Erweiterungen der räumlichen Diskussionen nachgezeichnet und ihr Zusammenhang mit Produktion und Konsumtion von Rap-Musik herausgearbeitet. Ausgehend vom zentralen räumlichen Kontext der „postindustriellen Stadt“ (Rose 1994) werden graduelle Verschiebungen von generalisierenden Räumen hin zu Repräsentationen spezifischer Städte und räumlich eng definierter und beschriebener Orte der Nachbarschaft nachvollzogen. Mit der Entwicklung der grundlegenden musikalischen Techniken im HipHop und der anschließenden räumlichen und sozialen Verbreitung, Adaption und Fortentwicklung der Formen wurde auf immer neue räumliche Kontexte rekurriert, in denen musikalische Produktion stattfindet und für die Musik produziert wird. Im Blickpunkt stehen dabei Texte von Liedern, Interviews oder visuelle Repräsentationen wie Plattencover oder Videos. Andererseits wird versucht, den Stellenwert von Klang und Rhythmus bei der Produktion von Orten und Räumen abzuschätzen.

4.2.1 HipHop-Genres und die Prozesse der Regionalisierung von Produktionsstilen Rap is regional, so you can check the demographics. Everybody represent where they live, ’cause shit is drastic. (Gang Starr: New York Strait Talk [Noo Trybe, 1998])

Die raum-zeitliche Diffusion von Rap in den 1980er Jahren wurde innerhalb der USA begleitet von einer wachsenden musikalischen Ausdifferenzierung in regionale Produktionsstile und der Entstehung kleiner, künstlereigener HipHop-Labels und –Managementfirmen, die zunächst in Konkurrenz zu den größeren Medienkonglomeraten treten konnten. Für die Zeit ab etwa 1987 stellt Nelson George fest: „Rap wurde national und ist dabei, regional zu werden“ (1992c, 80). Für ihn ist die damit verbundene, engere Bindung der Künstler an eine Plattenfirma, an die jeweiligen Produktionsorte und an spezifische Lokalitäten kein Novum, sondern eine Fortführung der Entwicklung anderer musikalischer Genres. Im Blues lässt sich eine ähnlich starke Zugehörigkeit einzelner Musiker zu regionalen Stilen und Plattenfirmen nachweisen, die sich trotz der gesteigerten Mobilität seit den 1920er Jahren für einige Jahrzehnte weiter erhalten konnte. Und für die 1960er und 1970er Jahre ist die Arbeit von Musikern in spezifischen (Studio-)Kontexten für den Sound von Städten wie Philadelphia, Memphis oder Detroit charakteristisch. Die Regionalisierung von Musikproduktion ist damit im US-amerikanischen Kontext ein Rückgrat musikalischer Praktiken, die sich auch im Rap fortsetzt. Waren aufgrund sich ändernder Geschmacksmuster populärer Musik oder durch Umstrukturierungsprozesse der Musikindustrie viele der kleinen Rock- und

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Pop-Label in den 1980er Jahren verschwunden, so besetzten HipHop-Labels diese Position nun neu. Im Vergleich zu älteren Genres lässt sich eine Intensität der expliziten Verbindungen zwischen bestimmten Orten und populärer Musik konstatieren, die in dieser Form bislang noch nicht erreicht worden ist. Auf einer groben Maßstabsebene wird HipHop in den USA üblicherweise in die regionalen Sounds von East Coast, West (oder: Left) Coast, Dirty South und Midwest unterteilt (Carney 2002). Der Ost / West-Teilung von HipHop einschließlich der Konfrontationen zwischen Künstlern und Plattenfirmen der jeweiligen Küste stellt bis heute einen bedeutenden Faktor der Identifizierung, Abgrenzung und Marktorganisation dar. Auf der Ebene von Städten bringen New York, Los Angeles, Miami, Atlanta, New Orleans oder Chicago stilistisch wie klanglich distinkte RapProduktionen hervor, die sich auch in einer Konzentration überregional bekannter Künstler und Gruppen niederschlagen (vgl. Abbildung 5). Auch einzelne Studios wie DD oder Chung King in New York werden mit spezifischen Produktionsstilen und Rap-Sounds in Verbindung gebracht, die häufig an einzelne Produzenten oder Toningenieure gebunden sind. Parallel zur Regionalisierung der Produktionsstile entstanden unterschiedliche stilistische Spielarten von Rap-Musik. Allgemein werden solche Genres in einem komplexen Zusammenspiel von Musikern, Hörern und vermittelnden Diskursen hervorgebracht. Sie liegen im Zentrum der Bewertungen im musikökonomischen Vermittlungsprozess, der Organisation von musikalischer Produktion und Aufführung sowie der Verortung von Musik im Geschmacksbildungsprozess der Hörer. Als „ein Set musikalischer Ereignisse (real oder möglich), deren Verlauf ein bestimmtes Set sozial akzeptierter Regeln beherrscht wird“ (Fabbri 1982, zitiert von Frith 1996a, 91) zeigen sich Genres über Raum und Zeit hinweg veränderbar. Genres folgen mindestens fünf Regelkomplexen: (1) Formale und technische Regeln legen fest, wie die musikalischen Formen eines Genres auszusehen haben. Hier werden die Regeln des Musizierens Bestimmt wie etwa das Spektrum der Instrumente, das Maß des Einsatzes elektronischer Apparate, die rhythmischen, melodischen und harmonischen Soundqualitäten oder der angemessene Einsatz von Stimme. Musik eines Genres zu hören und zu spielen bedeutet dann, Sounds nach formalen Regeln zu organisieren. Hierzu zählen auch die Orte, in denen und für die Musik idealer weise produziert und komponiert wird. (2) Semiotische Regeln strukturieren die musikalische Kommunikation zwischen Musikern und Publikum. Sie legen fest, wie musikalische Bedeutung vermittelt wird, wie Ausdruck und Inhalt, Syntaktik und Semantik zueinander in Beziehung stehen und welche thematischen Inhalte wie verhandelt werden. Ein entsprechendes Kommunikationsmodell muss Möglichkeiten der Interpretation affektiver, emotionaler, referenzieller und kognitiver Bedeutungen umfassen und verweist auf die Kompetenz, Kodierungen zu verstehen und zu bewerten (Middleton 1990). (3) Verhaltensregeln leiten die Performanz von Musik in unterschiedlichen Kontexten. Gestik und Mimik, die Kleiderordnung und die Art und Weise, Instrumente einzusetzen, werden hier ebenso geregelt wie der öffentliche Auftritt oder die visuelle Ästhetik der Künstler. Jedes Genre kennt eine eigene Etikette auf und neben der Bühne, die den Umgang zwischen Musikern, Publikum und den Vertretern der vermittelnden Institutionen regelt. Diese genretypischen Verhaltens

Abb. 5: Die Regionalisierung von Rap in den USA: räumliche Herkunft von Künstlern und Gruppen bis 1994. (Quelle: Larkin 1994 (Künstler und Gruppen); eigene Recherche der Herkunftsorte; eigene Berechnungen und Darstellung.)

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weisen stehen in enger, gegenseitig konstitutiver Beziehung zu den Räumen und Orten ihrer Performanz. (4) Soziale und ideologische Regeln ordnen das, wofür Musik und Musiker als soziale Kräfte stehen sollen. Musikalische Genres und das Bild ihrer Vertreter können beispielsweise progressiv und konservativ, subversiv oder affirmativ, explizit politisch und öffentlich oder romantisierend und privat, urban oder rural, global oder lokal besetzt sein. (5) Schließlich entscheiden kommerzielle und rechtliche Regeln über das Verhältnis von Musik und Markt. Sie steuern den Einsatz von technischen Produktionsmitteln, Budgets oder Vermarktungsstrategien im organisatorischen System der Musikindustrie, regeln die Verhältnisse zwischen Musikern, der Musikindustrie, und den Medien. Zu den rechtlichen und gesetzlichen Regelungen zählen neben den Eigentums- und Verwertungsrechten auch nationale Musikquotierungen oder die Betriebsvorschriften für Studios und Veranstaltungsorte (vgl. Frith 1996a, 91–93). Im US-amerikanischen HipHop lassen sich auf Grundlage solcher Regelsysteme (Sub-)Genres gegeneinander abgrenzen. Als Unterscheidungsmerkmale der genretypischen Profile können der rhythmische Vortrag, der Reimstil des Rappers, die musikalischen Texturen, den Sound bestimmende Klangfarben sowie semantische Aspekte herangezogen werden. „Diese gattungsbezogene Identität schreibt dann wiederum Geschichte, Geographie, Ideologie und diskursive Ordnungen direkt in Sound ein“ (Krims 2000, 15). Die drei zentralen Werte im HipHop – Respekt, Berühmtheit und Glaubwürdigkeit – werden in den jeweiligen Genres mit Hilfe unterschiedlicher Strategien der Authentifizierung von Raum und im Raum vermittelt. Auch wenn dieses Genresystem seit seiner deutlichen Herausbildung in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine gewisse Konsistenz zeigt, ist es nicht stabil und beansprucht in der nachfolgend präsentierten Form keine universelle Gültigkeit. Adam Krims schlägt vor, den rhythmischen Reimstil des Rappers (flow und style) als ein zentrales Merkmal für Geschichte, Geographie und Genre von HipHop-Musik zu analysieren. Bedeutung wird kommuniziert durch Stimmmodulation und durch die Art und Weise der rhythmischen Betonung bestimmter Worte und Silben, die den Textfluss lenken. Der flow der MCs veränderte sich in den vergangenen 30 Jahren signifikant. Der Singsang-Stil vieler älterer Rapper wurde in den 1990er Jahren zunehmend durch schnellere und komplexere Reimtechniken abgelöst, welche durch die vielfältige Verwendungen von Reimfüßen, vielschichtige off beat / on beat-Verschiebungen, Binnenreime oder polyrhythmische Strukturen gekennzeichnet sind. In Ermangelung einer einheitlichen Sprache und Schärfe der analytischen Verwendung von flow, unterscheidet Krims die induktiv gewonnenen, nicht vollkommen trennscharfen Kategorien gesungener rhythmischer Reimstil (sung rhythmic style) mit strenger rhythmischer Wiederholung, einer Betonung der Silben parallel zum Grundschlag und einem Endreimmuster der Paarform aa–bb–cc, sowie fließender rhythmischer Reimstil (effusive rhythmic style), der durch eine tendenzielle rhythmische Überwindung des Grundschlags gekennzeichnet ist und eine Abkehr von strengen Reimpaaren vollzieht. Häufige off beat-Betonungen oder stotternde Reime und Syntaxen tragen zum polyrhythmischen Charakter dieses Stils bei. Sprach-effusiv (speech-effusive) heißt dieser Stil, wenn der MC sehr nahe am Rhythmus der gesprochenen Sprache bleibt (eine Parallele zu Lefebvres gelebten Rhythmen) und sich weniger am

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Grundschlag abarbeitet, sondern eher an der Vollendung seiner Sätze. Kennzeichen sind etwa die große Zahl sich reimender Silben in kurzer Zeit, deren vollendeter Vortrag dem Beginn einer neuen syntaktischen Einheit übergeordnet wird, oder das Aufbrechen der Regelhaftigkeiten einer größeren formalen Einheit, indem etwa ein Satz oder Reim erst zu Beginn einer neuen 4/4-Zählzeit abschließt. Typische Vertreter dieses Stils sind etwa Bone Thugs ’N’ Harmony aus Cleveland oder Nas und Ghostface aus New York. Ein perkussiv-effusiver Stil (percussioneffusive rhythmic style) hingegen ist gekennzeichnet durch die Nutzung der Stimme als Schlaginstrument, mit Stakkatos und überaus pointierten Betonungen und Zäsuren, welche die musikalische Textur deutlich durchbrechen. Den verbalen Vortrag kennzeichnen scharfe Ansätze und klare Betonungen als strategische Gegenbewegungen zum Rhythmus der Musik. Diese Form des rhythmischen Reimstils ist weniger einem spezifischen Genre zuzuordnen. Der perkussiveffusive Stil eröffnet dem Rapper vielmehr die Möglichkeit, einen eigenen Stil zu entwickeln, der sich aus der Masse hervorhebt. Prominente Vertreter sind hier etwa Ice Cube, ein früheres Mitglied der Formation N.W.A, B-Real von Cypress Hill aus Los Angeles oder der spätere Guru von Gang Starr aus New York. Die verschiedenen Stile können sich, je nach Fähigkeit des Rappers auch innerhalb eines einzelnen Liedes abwechseln. Häufig beginnt der Vortrag in einem gesungenen Stil, der im Verlauf der ersten Zeilen durch sprach-effusive Merkmale ergänzt wird und der im Refrain wieder stärker in den Vordergrund rücken kann. Die musikalischen Texturen im HipHop werden, wie in den meisten anderen Genres populärer Musik, entlang eines 4/4-Taktes organisiert. Die Betonungen auf der ersten und dritten Zählzeit, die melodischen und harmonischen Muster, die Länge von Strophen und Refrains oder die Schichtung der Klangspuren orientieren sich immer an diesem Grundschlag, der sich zum einen vom musikalischen Ausgangsmaterial ableitet und zum anderen eine gewisse Kompatibilität zu Genres wie Rock oder Rhythm & Blues herstellt. Die polyrhythmischen Abweichungen des Verbalvortrags oder anderer musikalischer Elemente treten vor diesem bekannten (Erwartungs-) Hintergrund umso deutlicher hervor. Wirkung und Bedeutung von Rhythmen hängen auch mit der Färbung der Klänge zusammen. Eine wichtige Funktion von Klangfarbe im HipHop besteht darin, verschiedene Soundschichten unterscheidbar zu machen und zu halten. Durch das Zulassen von Krach, wenn etwa beim Samplingprozess das Rauschen der ursprünglichen Vinyl-Klangquelle bewusst beibehalten wird oder wenn verwaschene, schmierige Tonübergänge einkomponiert werden, lassen sich bei der Analyse Schichten über den Liedverlauf hinweg nachvollziehen und ihr Verhältnis zueinander bestimmen. Maß und Ausgestaltung von layering, des Auf-, Über- und Ineinanderschichtens musikalischer Texturen, kann als ein weiteres Genre differenzierendes Merkmal herangezogen werden (Krims 2000, 46–53). „Musiker bringen Intensität in ihre Aufführung, indem sie zwischen lyrischen, rhythmischen und rauen Klangfarben wechseln, vokale und instrumentale Texturen nebeneinander stellen, Tonhöhen und Geschwindigkeiten wechseln, klare Töne und Vibrato alternieren; und Ächzen, Rufen, Grunzen, Brüllen und Schreien in die Melodie einweben“ (Maultsby 1990, zitiert von Keyes 2002, 145). Auf Grundlage der musikalischen Texturen, des rhythmischen Reimstils der Rapper und der üblicherweise verhandelten Themen lassen sich im US-amerikani-

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schen HipHop insgesamt vier Genres unterscheiden. Bei der folgenden Beschreibung wird zudem auf die sozialen und verhaltensbezogenen Regeln eingegangen, die für das jeweilige Genre typisch sind. Für jedes Genre stehen eine ganze Reihe unterschiedlicher Charakteristika im Vordergrund, die auch kartographisch zu lokalisieren sind. Party Rap weist zurück zu den Anfängen von Rap-Musik in den 1970er Jahren, als sich in New York City die tanzorientierte Urform von HipHop herausbilden konnte. Ursprünglich entwickelt, um das Publikum zu unterhalten, es zum Tanzen zu animieren und ihm eine gute, stimmungsvolle Zeit zu bereiten, war bereits Mitte der 1980er Jahre der Zenit des Genres überschritten. Party Rap verweist sozial, historisch und geographisch auf die Ursprungserzählung und erhält dadurch eine authentische Aura, die für die Zeit back in the days alles noch ‚unschuldig‘, ‚unkommerziell‘ und ‚friedfertig‘ imaginieren lässt. Zugleich gilt Party Rap mit einer optimistischen Grundhaltung als unpolitisch und crossover-geeignet, ein Gegenpol zur heute häufig unterstellten politischen Schlagkraft und sozialen Kommentarfunktion von HipHop. Bereits die Geschichte der Sugarhill Gang aus New Jersey zeigte, wie sehr Party Rap, der nicht aus New York stammte und nicht von ‚echten‘ DJs und Rappern eingespielt wurde, um Authentizität ringen musste. Die ausgesprochene Tanzorientierung des Genres zeigt sich in den musikalischen Texturen in überaus dominanten Rhythmusteilen und nur geringen musikalischen Schichtungen. Der verbale Vortrag war gegenüber der musikalischen Grundstruktur eher zurückgenommen und auf Konstanz angelegt. Die Geschwindigkeit der frühen Rapstücke lag deutlich höher als spätere Produktionen und richtete sich mit über 100 Beats pro Minute am Disco-Genre aus. Der Vortrag der Rapper folgte in der Regel dem stabilen sung rhythmic style mit häufigen Wiederholungen, End- und Paarreimen, die leicht zu memorieren und einfach mitzusingen waren. Noch heute überträgt sich die Möglichkeit, Texte leicht zu erkennen und in den Reimfluss mit einstimmen zu können, auf den Enthusiasmus des Publikums auf der Tanzfläche. Nicht umsonst kommt der gesungene Reimstil auch in anderen Tanzgenres wie House oder schnellem Rhythm & Blues zum Einsatz. Inhaltlich orientiert sich das melodiöse Sprechen und Singen an Themen wie Romantik, Liebe oder Spaß, die sich dem Unterhaltungsgebot unterordnen. Praktisch alle Produktionen des Sugarhill Labels bis Mitte der 1980er Jahre sowie Lieder von Künstlern wie Kurtis Blow, Biz Markie, KRS-One (alle aus New York) und in jüngerer Zeit Ugly Duckling oder den Beatnuts (beide aus Los Angeles) lassen sich hier zuordnen. Aufgrund der klar zu identifizierenden historischen und geographischen Bezugspunkte des Genres sowie der starken Verknüpfung der musikalischen Eigenschaften mit bestimmten sozialen Funktionen lassen sich über Party Rap relativ einfach spezifische Diskurse über Ursprung und Authentizität von HipHop ansprechen und steuern. Party Rap wird weitgehend mit New York und einer frühen HipHop-Szene in Verbindung gebracht. Dass eine solche grobe und verallgemeinernde Zuordnung kleinteilige Differenzen und Identifizierungen verdeckt, zeigt etwa die Aussage von Special K: „Ich war nicht als Rapper bekannt, […] ich war als ein Bronx-Rapper bekannt, weil Manhatten-Rapper hatten mehr so einen Disco-Stil, während ich den härteren Bronx-Stil hatte mit viel mehr Umgangssprache“ (zitiert von Hager 1984, 52). Hier wird deutlich, dass eine geographische

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Zuordnung von Produktionsstilen und Genres nicht mehr als eine grobe musikalische Regionalisierung darstellen kann. Von Anfang an waren im HipHop neben den stilistischen und marktvermittelten Genreeinordnungen kleinteilige territoriale Zugehörigkeiten wichtig, die an Personen, Infrastrukturen und Alltagszusammenhänge geknüpft waren (vgl. Kapitel 4.2.2). Mack Rap verweist auf die Traditionen ‚schwarzer‘ Unterhaltungsliteratur über Luxus, materiellen Reichtum und männliche sexuelle Potenz. Ein mack oder auch pimp rappt in der Tradition des toasting über das ‚Leben auf der Straße‘ und gründet sein Selbstbewusstsein auf persönlichen Erfolg. Ein Großteil der Lieder enthält Texte, die Frauen sexualisieren, erniedrigen und animalisieren. Die Angeberei zielt auf männliche Konkurrenten im HipHop-Geschäft und auf der Straße, denen mit Hilfe von Schilderungen des eigenen Reichtums, der Macht über Frauen und der eigenen sexuellen Potenz ein Platz im unteren Teil der Hackordnung zugewiesen wird. Sind die Texte an Frauen gerichtet, so erinnern sie an Liebeslieder der Genres Soul und Rhythm & Blues, von denen Mack Rap auch musikalisch inspiriert wird. Häufig finden von einer Band mit Schlagzeug, Bass, Keyboard, Gitarren und Blechblasinstrumenten eingespielte Sounds Verwendung. Da diese eher über die gesamte Länge des Stückes durchgespielt werden, finden sich Schleifen und die Praktiken der Klangschichtung selten. Im üblichen Liedschema wechselt sich häufig männlicher Rap in den Strophen mit weiblichem Gesang in den Refrains ab. Ende der 1980er Jahre fusionierte Teddy Riley Soul und Mack Rap zu New Jack Swing, der die Karriere von etlichen Vokalkünstlern und Sängerinnen in den 1990er Jahren anschob (Gardner 1999). Rhythm & Blues wurde ein energetisches HipHop-Gefühl verpasst, das allerdings „bei der HardcoreFraktion negativ belegt (Popverdacht!)“ war (Schmid 2001, 134). Ice-T aus Los Angeles gilt als ein früher Vertreter von Mack Rap, dessen Pseudonym explizit auf die Zuhälterfigur von Iceberg Slim und die blaxploitation Filme der 1970er Jahre verweist. Er macht aus seiner früheren Gangzugehörigkeit keinen Hehl und posierte auf den Hüllen seiner Platten ausgestattet mit Waffen, Autos und leicht bekleideten Frauen. Born to Mack von 1986 heißt auch das erste Album von Too $hort aus Oakland, dessen ‚pimp, playa, and hustla‘-Attitüde ihn zu einem der erfolgreichsten Künstler an der Westküste macht, wo etwa auch Mack 10 aus Los Angeles sein Album Based on a True Story von 1997 hauptsächlich absetzen konnte. Insbesondere zu Beginn der 1990er Jahre lässt sich im Mack Rap eine Verschiebung der Liedertexte weg von Bildern sexueller Dominanz hin zu einer ausgeprägten Darstellung von materiellem Reichtum und weiblichen Körpern nachvollziehen. Prächtige Villen am Meer, mehrere teure Autos, Schmuck, Champagner in Badewannen mit Goldarmaturen oder exklusive Designerkleidung sind Zeichen einer Haltung, die das schnelle Geschäft und die glitzernde Äußerlichkeit (blingbling) als überragende Ziele formuliert. The Notorious B.I.G., Puff Daddy oder Ma$e waren New Yorker Protagonisten dieser Entwicklung, die R&B Rap bis heute zu einem wichtigen kommerziellen Genre machen. Zugleich kennt das Genre seit seiner Herausbildung auch intelligentere Texte, die als Parodie auf die Vorbilder und deren Angeberei verstanden werden wollen. Teile der Identität des Genres Knowledge Rap speisen sich aus der Ablehnung und kritischen Kommentierung des übermäßigen Zur-Schau-Stellens von materiellem Reichtum und körperlichen Oberflächlichkeiten. Künstler wie The Roots, Prince

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Paul oder RZA vom Wu Tang Clan nutzen den R&B-Stil, um das Genre als kommerzielle Tanzmusik zu diffamieren und sich gegen den Ausverkauf von HipHop zu positionieren. Bei Mack Rap ist die territoriale und historische Zuordnung weniger eindeutig als bei anderen Rap-Genres, da die Verbindung mit den landesweit etablierten Musikformen Rhythm & Blues und Soul stärker hervortritt. Allerdings sind auch hier raum-zeitliche Ausbreitungswege ausgehend von Los Angeles und Oakland an die Ostküste und in den US-amerikanischen Süden nachzuzeichnen, wo (Miami) Bass, eine besonders basslastige Musik mit fast subsonischen, hallenden Vibrationen, einen eigenen regionalen Stil darstellt. Die Automobilkultur, die sich in verschiedenen Städten der USA herausgebildet hat, kann als ein differenzierendes Merkmal innerhalb dieses Genres identifiziert werden. Das cruisen zelebriert die langsame und ausgedehnte Spazierfahrt auf den breiten Boulevards im gestylten Wagen mit möglichst angemessener, das heißt lauter und entspannter Musik (Wüllenweber 1991). Hier sind jeep beats gefragt, donnernde und dröhnende Bässe, welche die Möglichkeiten der wattstarken mobilen Audiosysteme ausnutzen. DJ Marley Marl etwa produziert seine Musik speziell for people who wanna have som’n cool playin in their rides. [Moreover] You won’t get the same effect if you play the tracks through a regular system; you need a hype car system. The beats are programmed to make the speakers howl, you know what I’m sayin’. (Marley Marl 1991, zitiert von Keyes 1996, 239)

Abhängig von der regionalen Herkunft unterscheiden sich die musikalischen Texturen und Klangfärbungen von Rap-Musik selbst innerhalb des Mack Rap Genres und trotz der Nutzung derselben Musiktechnologie. Die Roland TR-808 und das Nachfolgemodell SP-808 beispielsweise sind seit Ende der 1980er Jahre weit verbreitete Drum Machines mit Sampler-Funktionen, die für ihre rohe, schleifende Klangqualität und den schweren Basskick – den boom-bap – bekannt sind (Fernando 1994, 225). In Oakland wurde diese Technologie für ganz andere Effekte eingesetzt als in Los Angeles oder Miami. Während in Florida die Bässe hallend in die Länge gezogen und durch eine relativ lange Verzögerung offen erscheinen, werden in der Bay Area durch die kicks der 808 eher kurze rhythmische Akzente gesetzt. Das Genre Knowledge Rap oder auch Conscious Rap vereint eine ganze Reihe thematischer Ausrichtungen und erscheint als musikalisch besonders vielfältige Form. Gemeinsam ist den Musikern und Hörern des Genres eine gewisse Abneigung gegenüber den ‚kommerziellen‘ Spielarten des Mack Genres sowie die Betonung musikalischer Kennerschaft. Entsprechend wird das Genre zuweilen eher abschätzig als college boy rap bezeichnet. Neben Soul- und Pop-Samples kommen hauptsächlich Jazz-Quellen zum Einsatz, die bei der Produktion der Musik kunstvoll geschichtet werden. Am häufigsten finden hard bop- und soul jazzSamples Verwendung, die sich durch einen treibenden Schlagzeugrhythmus, das Blues-Schema und eine insgesamt entspannte musikalische Atmosphäre auszeichnen. Im Mittelpunkt steht weniger eine hochkomplexe Schichtung unterschiedlicher Sounds, sondern das relativ vollständige und unveränderte Zitat einer oder weniger Quellen, die etwa um Muster aus der Drum Machine oder einen elektronischen Bass ergänzt werden. Es geht den Musikern um die Beherrschung von Technologie sowie um den spielerischen, ästhetischen und coolen Umgang mit

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Musik, der auf Klänge und Praktiken von Jazz als einer Art ‚schwarzer Klassik‘ verweist. Auch die Reimtechniken sind durch eine eklektische Nutzung verschiedener Stile gekennzeichnet, die von Singen auch mitten in einer Strophe bis hin zu perkussiv-effusiven Sprachrhythmen reichen können. Ein charakteristisches Merkmal von Knowledge Rap ist eine strukturelle Komplexität der Sounds, deren polyrhythmische Muster ständig in Bewegung sind und sich gegeneinander verschieben. Die MCs, welche nicht selten als Kollektive auftreten, fügen der Musik durch häufig unterschiedliche Vortragsstile der einzelnen Rapper-Persönlichkeiten weitere Ebenen hinzu, die zum komplexen Gesamteindruck beitragen. Die Geschwindigkeiten des Vortrags und der Musik bleiben häufig hinter denen der anderen Genres zurück und verbreiten eine Atmosphäre von coolness, Souveränität und Leichtigkeit. Die Arbeiten von Gruppen wie A Tribe Called Quest, De La Soul, Jungle Brothers, Freestyle Fellowship oder Black Sheep in der ersten Hälfte der 1990er Jahre verdeutlichen diese Herangehensweise an HipHop. Die Entstehung des Genres wird ab etwa 1988 zu einem bedeutenden Teil von Jugendlichen ‚farbiger‘ Mittelschichten der Ostküste getragen, deren Umfeld nicht unbedingt innerhalb der gettoisierten Großstadträume liegt. Die Liedertexte orientieren sich an Themen wie Hoffnung, Bildung und positiver Lebenseinstellung und rekurrieren häufig auf Geschichte und die gemeinsamen Erfahrungen als ‚Schwarzer‘. Die Darstellungen bemühen dabei weniger Bilder einer ghettozentrierten Härte oder des darwinistischen Überlebenskampfes des ‚schwarzen‘ männlichen Subjekts der Unterklasse, als vielmehr überlegte Kommentare zu aktuellen Lebensbedingungen, historisch informierte Ideen über eine gemeinsame afrozentrierte Zukunft oder pädagogische Vorschläge für eine bessere Welt. Die Musik von De La Soul beispielsweise wurde in der populären Imagination aufgrund ihrer friedlichen Botschaften, der Nutzung von Klängen vornehmlich aus den 1960er Jahren und einer expressiven, bunten Mode einige Zeit als Hippie HipHop wahrgenommen. Ihre Authentizität bezogen De La Soul weder aus den Standardbildern des USamerikanischen Großstadtghettos, noch mussten sie sich affirmativem Materialismus und Sexismus hingeben, sondern sie konnten HipHop musikalisch und lyrisch als suburbanes Long Island (auch bekannt als Strong Island)-Phänomen präsentieren. Chuck D von Public Enemy beschreibt die Unterschiede der musikalischen Stile zwischen New York City und dem östlich angrenzenden Long Island aus spezifischen historischen und räumlichen Entwicklungen heraus: For example, people in New York City don’t drive very often, so New York used to be about walking around with your radio. But that doesn’t really exist anymore. It became unfashionable because some people were losing their lives over them, and also people don’t want to carry them, so now it’s more like ‘Hey, I’ve got my Walkman’. For that reason there’s a treble type of thing going on; they’re not getting much of the bass. So rap music in New York City is a headphone type of thing, whereas in Long Island or Philadelphia … it’s more of a bass type thing. (Chuck D 1990, zitiert von Forman 2000, 74)

Hier rückt das Verhältnis zwischen musikalischer Produktion und Konsumtion in den Mittelpunkt. Die Künstler produzieren ihre Musik nicht nur als Resultat eigener Ideen, des Gebrauchs von Technologie oder historischer und aktueller Klangquellen, sondern reflektieren bereits bei der Produktion die Anforderungen,

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welche das Publikum im Konsumptionsprozess in bestimmten Räumen an die Musik stellt. Die Entwicklung von Reality Rap schließlich vollzog sich seit etwa 1985 in den städtischen Zentren der Ostküste, der Westküste und des Südens (Los Angeles, Oakland, Atlanta, Houston, Miami). Gangster Rap ist dabei die bekannteste und lukrativste Spielart, die mit einer gewissen ‚authentischen Härte‘ das Gangleben im Ghetto aus der Sicht krimineller Figuren beschreibt. Reality Rap meint allgemein ein Genre, das sich umfassend auf die Realität des (afroamerikanischen oder hispanischen) innerstädtischen Lebens bezieht. Die musikalischen und verbalen Beschreibungen dieser Realität erhalten ihre Authentizität durch den Bezug auf die sozialen Alltagspraktiken und Erfahrungsräume innerhalb des materiellen Rahmens der urbanen Ghettos. Das Genre weist insgesamt die Tendenz auf, die verschiedenen komplexen Kodierungen dieser Realität zu naturalisieren und zu reifizieren, die Darstellungen von Realität können genreimmanent allerdings weit streuen. Bei Mobb Deep oder 2Pac Shakur beispielsweise werden dunkle Portraits von Hoffnungslosigkeit, Zerstörung und Kriminalität gezeichnet, während Masta Ace oder Mos Def das Ghetto als Heimat, ökologische Umwelt und soziale Ressource begreifen. Neben der Beschreibung und Reflexion von Ghetto kann das Reality-Genre auch dokumentarische, didaktische und aufklärende Funktionen übernehmen und damit in die Nähe zu Knowledge Rap rücken. Zwar wird im Allgemeinen unterstellt, dass es Teil medienökonomischer Strategien sei, das Genre mit Hilfe der Schaffung und Aufrechterhaltung von Gangster-Images zu perpetuieren, Reality Rap eröffnet aber dennoch Möglichkeiten, aus ganz persönlicher Sicht Probleme und Vergnügen urbanen Lebens zu artikulieren. Rapper „packten und benutzten Mikrophone, als ob die elektronische Verstärkung ein Quell des Lebens sei“ (Rose 1994, 220). Zentral für Reality Rap ist ein Konzept musikalischer Härte, die sich an Hardcore-Beats und an Themen wie ghettocentricity, street credibility und Maskulinität festmachen lässt. Diese Härte wird vornehmlich durch scharfe Kontraste innerhalb der verwendeten Tonlagen erzeugt, die dadurch nicht in Einklang mit dem harmonischen und melodiösen Verständnis westlicher Musik zu bringen sind. Hier treffen unterschiedlichste Klangfärbungen aufeinander, die von deutlich zu identifizierenden Samples über stark rauschende Live-Quellen bis hin zu Krach und Alltagsgeräuschen reichen. Wichtiges Mittel zur Erzeugung von Krach sind urbane Umweltgeräusche: Sirenen, Autohupen, Gesprächsfetzen vorbeigehender Passanten, Babyschreie, Schüsse, zersplitterndes Glas etc. Die Praxis des Samplens solcherlei Töne für Musik geht mindestens zurück auf Grandmaster Flash and the Furious Five, die in The Message – ein Stück, das fast ausschließlich für seine klare und eindringliche verbale Beschreibung der urbanen Zustände gepriesen wird – mit Hilfe von Tönen aus der urbanen Landschaft die hoffnungslose Atmosphäre der Innenstädte intensivieren. Als musikalische Musterbeispiele für das Genre an der Ostküste gelten die Produktionen der Bomb Squad für Künstler wie Public Enemy oder Ice Cube. Mit ihren extrem komplexen Schichtungsmustern und Sampletechniken kreieren sie eine wall of noise, eine massive Geräuschkulisse aus dissonanten Klängen wie polternden Bassgitarren, kick drums, verschachtelten musikalischen Rhythmen und aggressiven, perkussiv-effusiven Reimstilen. „Krach dient als Kleber, […] er füllt

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Ritzen und Spalten, so dass man dieses konstante woooooffff bekommt“ (Hank Shocklee 1991, zitiert von Walser 1995, 197). Dissonanz ist dabei ästhetische Präferenz und soll die aggressive Stimmung der Liedtexte rahmen. Bei der Produktion arbeitet die Bomb Squad in einem Team, das die grundlegenden Beats, die Samples, die Ausschmückungen, den Krach und die Ideen in einem Projekt zusammenführt, dessen Ergebnis aus bis zu 70 unterschiedlichen tracks besteht. „Ich erinnere mich, dass immer wieder Toningenieure aus anderen Studioräumen vorbei gekommen sind, um sich unseren Bogen mit den Klangspuren anzusehen, weil es war unglaublich für sie, […] er sah aus wie ein Buch“ (Eric Sadler, zitiert von Fernando 1994, 232). So werden mehrere, teilweise konträre rhythmische Grundmodelle nacheinander übereinander geschichtet und miteinander verschnitten. Andere Produktionen wie etwa die von DJ Premier rücken zwar auch dissonante Tonkombinationen in den Mittelpunkt, diese bestehen aber aus kurzen, klar deformierten Samples, die extrem trocken, minimalistisch und punktiert wirken und durch melodische Blechbläser- oder Pianoriffs unterstützt werden. Eine deutlich andere Strategie, Realitätsgehalte in Musik einzuschreiben, wird im G-Funk der Westküste verfolgt. Hier ist eine sehr deutliche Regionalisierung der Produktionsstile und ihrer Produzenten hör- und sichtbar. Als typisch gelten die Produktionen von Dr. Dre, ehemaliges Mitglied bei N.W.A, später Entdecker von Snoop Doggy Dogg und Förderer hinter Eminem. Er beschreibt seine Produktionspraxis als musikalischen trial and error-Prozess der ad hoc Improvisation im Studio, welcher in einem konträren Verhältnis zur kompositorischen Arbeitsweise der Bomb Squad steht: I start fucking with the drum machine, [...] have people in there, somebody’s fucking around with the bass keyboard, [...] somebody’s fucking around on the guitar or something, and we have a tape rolling all the time in case somebody hits a note or something. ’Cause a lot of times I’m in the studio, and somebody hits some shit, and I’m like, Yo, what was that?’ And they don’t remember what the fuck it was. So we’ll just rewind the tape, and we’ll get something out of that. One note sometimes, we’ll get a whole song, yunno. (Dr. Dre, zitiert von Fernando 1994, 238)

Die musikalischen Strukturen werden hier stärker von Live-Instrumentierungen und nur minimalem Einsatz von Samples geprägt. Die Lieder basieren in der Regel auf Bass und Keyboard und kennen eher konventionelle melodische und harmonische Progressionen. Die Beats sind spärlicher und langsamer als an der Ostküste und werden durch längere Schleifen und funklastige Soundschichten eher ergänzt als gebrochen. Die verzögerte Diffusion von HipHop an die Westküste und der lange Zeit durch unzureichend ausgebaute Distributionssysteme der kleinen Plattenfirmen limitierte Zugang zu den Ostküstenproduktionen verschaffte der FunkTradition großen Einfluss auf HipHop-Musik aus Kalifornien. Ein weiteres wichtiges Element der Definition des Westküsten-Sounds war die ElektropopBewegung der 1980er Jahre, die aus einer Begeisterung für Computer und Musiktechnologie entstanden war. „Die scheinbare Inkonsistenz zwischen dem musikalischen Sound im G-Funk und seiner Wertung von realness unterstreicht, dass Geographie zu allen Zeiten eine enorm mächtige Kraft für Rap-Musik darstellt“ (Krims 2000, 75). Der dominante rhythmische Reimstil im Reality Rap der Ostküste ist der sprach-effusive. So rappt beispielsweise KRS-One auf Criminal Minded, einem

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frühen Album des Genres, in diesem Stil, ebenso wie viele andere MCs aus New York: Parrish Smith auf den Business-Alben von EPMD (was für Erick and Parrish Making Dollars steht), Guru von Gang Starr, Nas, Jay-Z und die meisten Mitglieder des Wu Tang Clan. Reimt ein MC dieses Genres perkussiv-effusiv, so stammt er mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Süden oder dem Mittleren Westen. Im Westen dagegen verstärkt ein häufig langsamerer sung rhythmic style die entspannte musikalische Atmosphäre der Stücke. Die inhaltliche Ausrichtung an gettozentrierten Themen wie die prekäre Existenz ethnischer Minoritäten in marginalisierten Stadtvierteln oder das Leben auf der Straße wird im Westen und Süden ergänzt durch Klagelieder, nostalgische Beschreibungen und politschdidaktische Texte, die sich nicht selten durch eine geistlich-religiöse Note auszeichnen. So existieren auch regionale diskursive Differenzen beispielsweise zwischen dem Gangster Rap aus Los Angeles, den pimps aus Oakland, der Kaltblütigkeit der Rapper aus Houston und der soulful Southerness aus Atlanta. Im Produktionsprozess zumindest der 1980er Jahre kann eine Unterscheidung zwischen Ost- und Westküste zudem nach dem Zeitpunkt der Entwicklung der Raptexte im Verhältnis zur musikalischen Grundstruktur und nach der Vortragsspontaneität vorgenommen werden. Beim Freestyle, unabhängig davon, ob der Text bereits zu Papier gebracht worden ist oder nicht, werden die Zeilen zu den Beats improvisiert, das heißt die Kontrolle der Atmung, die Intonation und das Versmaß sind die entscheidenden Charakteristika des Vortrags. Häufig macht der Rapper dabei narrative und konzeptionelle Sprünge. Der Text eines vorbereiteten Rap (formatted rap) dagegen – das ist typisch für die Westküste – wird vor dem Vortrag immer aufnotiert, der Schreibblock ist zentral für den kreativen Prozess. Der Vortrag findet in der Regel nur während der Aufnahmesituation im Studio statt und soll eher den Fluss der Narrative unterstreichen. Während formatted rap in der lyrischen Tradition des toasting steht, rekurriert Freestyle auf scatting und die Ostküstentradition von Rappern wie The Furious Five oder Busy Bee. Die eigenständigen Produktionen von Dr. Dre und die inhaltliche Ausrichtung der Texte von Künstlern wie N.W.A, Compton’s Most Wanted oder Snoop Doggy Dogg seit Ende der 1980er Jahre können als Gegenbewegung zur kakophonen Ostküstenmusik interpretiert werden, die ganz bewusst alternative musikalische Strukturen und neue lyrische Inhalte präsentieren wollten: I wanted to make people go: ‘Oh shit, I can’t believe he’s sayin’ that shit.’ I wanted to go all the way left, everybody trying to do this black power and shit, so I was like let’s give ’em an alternative, nigger niggernigger niggernigger fuck this fuck that bitch bitch bitch bitch suck my dick, all this kind of shit, you know what I’m saying. (Dr. Dre, zitiert von Cross 1993, 197)

Brian Cross behauptet in seiner Geschichte des Los Angeles HipHop zudem eine von Anfang an deutlich stärkere kommerzielle Ausrichtung, welche die Produktionen am Geschmack von (Auto fahrenden) Radiohörern ausrichtete. Eine Strategie der Abgrenzung war es dann, so oft als möglich die räumliche Herkunft der Künstler von der Westküste zu betonen. Der Autor einer Sammlung von HipHop-Plattencovern schreibt über deren Gestaltung an der Westküste: „das räumliche Bewusstsein wehte durch die Cover“ (Emery 2004, 59). Neben Watts und Inglewood war es insbesondere der Stadtteil Compton, welcher für eine Härte des Ganglebens in Los Angeles einstehen sollte. DJ Quik war Born and Raised in

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Compton, wo Ya Better Bring A Gun (King Tee feat. Mixmaster Spade), und auch „die Gang“ N.W.A kamen (angeblich) Straight Outta Compton (vgl. Jenkins et al. 1999, 301). In diesem Sinne kann die Regionalisierung der Produktionsstile bis zur Mitte der 1990er Jahre ähnlich der Entwicklung von Rock ’n’ Roll interpretiert werden als das Resultat einer „geographisch fundierten Revolte der ‚Provinzen‘ gegen die alte kulturelle Kapitale (New York City)“ (Ford 1971, 456). Für Künstler, die außerhalb von New York angesiedelt sind, spielt der lokale geographische Kontext eine immens wichtige Rolle bei der Identitätsfindung gegenüber diesem Zentrum. Je schwächer MCs oder Gruppen geographisch und historisch mit der Ursprungserzählung verbunden sind, desto stärker scheint sich ihre Authentizität am lokalen Produktionskontext festmachen zu müssen. Diese Revolte blieb für viele Jahre Grund für Zwistigkeiten zwischen Künstlern der Ost- und der Westküste auf Tonträgern (wax war) oder in Live-battles. Ähnlich wie die verbalen Auseinandersetzungen zwischen MC Shan von der Juice Crew aus Queens und Boogie Down Productions aus der Bronx um die Ursprünge von HipHop und die Sichtbarkeit der jeweiligen Ghettos entstand mit den verbalen Auseinandersetzungen zwischen Tim Dog aus New York und N.W.A beziehungsweise DJ Quik aus Los Angeles ein Kleinkrieg um die territoriale und kommerzielle Vorherrschaft auf nationaler Ebene. Tim Dog, ein assoziiertes Mitglied der Ultramagnetic MCs, die bekannt dafür waren, „in den sechs Jahren ihres Gruppendaseins nahezu jeden relevanten Rapper“ zu ‚dissen‘ (Die 20 größten Rap-Battles 2005), schoss 1991 ein Lied mit dem Titel Fuck Compton in Richtung Westen ab: All you suckers that rif on the West Coast I’ll dis and spray your ass like a roach [...] I crush Ice Cube, I’m cool with Ice T But N.W.A. ain’t shit to me [...] We want to know what you’re fightin’ for Fighting over colors? All that gang shit is for dumb motherfuckers But you go on thinking you’re hard Come to New York and we’ll see who gets robbed Take your jeri curls, take your black hats Take your wack lyrics and your bullshit tracks Now you’re mad and you’re thinking about stompin’ Well I’m from the South Bronx Fuck Compton Tim Dog and I’m the best from the East And all this Compton shit must cease (Tim Dog: Fuck Compton [Ruffhouse/Columbia, 1991], zitiert von Stanley 1992, 339–340)

Im zugehörigen Video rappt Tim Dog vor der stereotypen Kulisse ausgebrannter Häuser in der Bronx, wo er sich über Easy E- und Dr. Dre-Doppelgänger lustig macht und ihnen Schläge androht. Eine Flamme, die sich auf einer Landkarte unter Compton entzündet, frisst sich durch das ganze Gebiet von Los Angeles und lässt nur Asche zurück. Die Westküste sei es überhaupt nicht wert, musikalisch beachtet zu werden, die Rhetorik von Gangs und ihren Territorialgrenzen sei

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lächerlich, der einzig wirklich harte Ort sei, musikalisch wie im Alltagsleben, ja wohl New York oder besser noch: die South Bronx, wo das alles schließlich begann. Mit den ‚Diss‘-Triaden werden nicht nur die Musiker herabgewürdigt, ihre Glaubwürdigkeit als harte Gangster verneint und die Authentizität ihrer „bullshit tracks“ bestritten, sondern auch die geographische und soziale Lokalität Compton, Los Angeles als realer und angemessener Produktionsort von HipHop in Frage gestellt. Tim Dog verwendet in seinem Stück beispielsweise ein kurzes Sample von N.W.As Straight Outta Compton und imitiert die hohe, ‚weibliche‘ Stimme von Easy E, die einen deutlichen klanglichen Kontrast zu seiner eigenen, für New York typischen minimalistischen und trockenen Produktion bilden. Nachdem Künstler von der Westküste die R&B- und Pop-Hitlisten dominierten und die Plattenverkäufe der Ostküsten-Rapper in den Schatten stellten, spürte New York zum ersten Mal in der kurzen HipHop-Geschichte massive kommerzielle Konkurrenz und reagierte trotzig. Das Lied ist auch ein Kommentar auf die Situation im HipHop-Geschäft der frühen 1990er Jahre: „‚Fuck Compton‘ war vor allem ‚Fuck Sellout‘, ‚Fuck Suckers‘, ‚Fuck The Record Industry‘, ‚Fuck The Media‘“ (Freisberg 1993, 52), alles Bilder, die mit Los Angeles-HipHop der Zeit verbunden waren. Das kulturelle Zentrum verweigert der aufstrebenden Peripherie den Respekt und bezichtigt ihre Künstler mangelnder Authentizität. Auch wenn N.W.A nicht direkt auf das Stück antworteten – die Gruppe zerstritt sich gerade über die Gewinnbeteiligungen der einzelnen Mitglieder, die sich in den Folgejahren selbst harsche wax wars lieferten – war Tim Dogs Lied der Beginn einer ganze Serie von Antwortliedern zwischen Ost- und Westküstenkünstlern. Ein unvermeidbares Album Fuck New York von Rodney O & Joe Cooley [Psychotic, 1992] folgte ebenso wie New York, New York von The Dogg Pound feat. Snoop Doggy Dogg [Death Row, 1995] und L.A., L.A. von Capone-N-Noreaga feat. Mobb Deep & Tragedy [25 to Life, 1996]. Die beiden letztgenannten Stücke bedienen sich des Hits New York, New York von Grandmaster Flash and The Furious Five [Sugarhill, 1983], dessen Zeilen „New York New York big city of dreams / And everything in New York ain’t always what it seems / You might get fooled if you come from out of town / But I’m down by law and I know my way around“ jeweils an die gegnerische Stadt angepasst wurden. Solche Antwortlieder sind nichts Spezifisches für HipHop-Musik, sondern besitzen innerhalb des USamerikanischen Musikgeschäfts ein lange Tradition (Wicke, Ziegenrücker 1997, 31–32). Neu allerdings sind die ausdrückliche Territorialisierung der Auseinandersetzungen und die Möglichkeiten, diese über die elektronischen Produktionsmittel der Aufzeichnungen und Manipulationen auch unter Nutzung der Originalklänge des jeweils anderen Territoriums auszutragen. Diese bipolaren Auseinandersetzungen wurden in der ersten Hälfte der 1990er Jahre stark in Presse, Rundfunk und Fernsehen rezipiert und kulminierten in der Berichterstattung über die beiden bis heute nicht völlig aufgeklärten Morde an 2Pac Shakur – einem Gangster der Westküste und Repräsentant der berüchtigten Plattenfirma Death Row – und The Notoriuous B.I.G. vom New Yorker Label Bad Boy. In der Dokumentation Beef von 2003 machen dann auch mehrere Künstler „die Medien“ für die Eskalation verantwortlich, weil sich „Kontroversen verkaufen“. „Ich war noch bei keinem Interview, in dem sie mich nicht befragt hätten zu East Coast / West Coast, zur East Coast / West Coast Auseinanderset-

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zung“ (Ice-T in Beef 2003). Westside Connection greifen in einem der letzten großen Songs zum Thema diese mediale Vermittlung der Auseinandersetzung auf und beklagen zugleich eine Schieflage der Berichterstattung von New Yorker Medien zuungunsten kalifornischer Künstler: [Mack 10:] Goddamn! New York City! Skyscrapers and everything! [Alle:] WESTSIIIIIDE! Is Brooklyn in the house? (Check it out) What about Queens in the house? (Inglewood!) Manhattan in the house? (South Central!) Long Island in the house? (Check it out) Is the Bronx in the house? (Waddup) Staten Island in the house? (Woop woop) The West Coast is in the house Sayin’ why you talkin’ loud?!? What you talkin’ ’bout? [...] [Ice Cube:] I’m going thorough through your borough with my Raiders jacket and my jeri curl, gangstas rule the world [...] Fuck all the critics in the N Y C Tryin’ to get an east hip-hop monopoly. But I’ve been writing gangsta shit since ’83 When y’all was still scared to use profanity. Now everybody wanna run and go and get triggers And blame it on these West Coast seven-figure niggas. Just because we made it real niggas got to deal I hope blood ain’t got to spill, I kill [...] To the West my niggas, to the West! We the best my niggas, don’t stress! Fuck all the critics in the N Y C And your articles tryin’ to rate my LP. Fuck your backpacks and your wack ass raps. (Westside Connection: All the Critics in New York [Priority, 1996])

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre flachten die Auseinandersetzungen zwischen der Ost- und der Westküste ab und wurden durch eher persönliche Auseinandersetzungen abgelöst, die sich verstärkt auf die Fähigkeiten und die Glaubwürdigkeit einzelner Personen bezogen. Parallel dazu lässt sich eine gewisse Verschiebung der musikalischen und textlichen Koordinaten im Genresystem von HipHop konstatieren, die sich insbesondere auf Merkmale von Knowledge Rap und Reality Rap auswirkt (Krims 2004, 142–151). Bis dato war das Reality Genre an der Ostküste, wie beschrieben, charakterisiert durch eine starke und komplexe Klangschichtung sowie eine semantische Ausrichtung an den Verhältnissen des innerstädtischen Lebens. Knowledge Rap hingegen basierte stark auf Samples älterer Black Music, kritisierte die Dunkelheit der Reality Texte und stellte den Realitätsgehalt der Erzählungen in Frage. Um 1996 begann sich die thematische Ausrichtung von Reality Rap grundsätzlich zu verschieben: Das Bild der zerstörten und zerstörerischen Innenstädte wurde zunehmend aus den Texten und Darstel-

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lungen getilgt und durch das phantastische Schwelgen im materiellen Reichtum ersetzt, der durch Autos, leicht bekleidete Frauen und üppig ausgestattete Partysituationen Anklänge des Mack Genres zeigt. Aus den marginalisierten Subjekten des Ghettos wurden Helden, aus Klein- wurden Großkriminelle und die Party in der eigenen Nachbarschaft wurde (zumindest ab und an) in suburbane Villen verlegt. Die Figur des klassischen Gangster Rapper wurde zunehmend ergänzt durch die des nihilistische, kleinkriminellen thug, des Ghettofürsten mit JungmanagerAttitüde, der Hedonismus und die Maßstäbe des individuellen ökonomischen Geschäftserfolgs für sich (und seine crew) entdeckt hat. Der einzige Weg aus dem Ghetto scheint hier nicht länger ein Aufbegehren gegenüber den Verhältnissen, sondern die affirmative individuelle Karriere zu sein. Konsistent zu diesem visuellen und thematischen Wandel war die Abkehr von stark kakophonen Schichtungen der Musik hin zu Strophe-Refrain-Strophe-Mustern mit Rhythm & Bluesund Soul-Einschlag. Ein wichtiger Grund für diese Verschiebungen liegt im wachsenden Erfolg der Musik aus dem Süden, vor allen Dingen aus Atlanta (etwa mit LaFace Records), New Orleans (Cash Money und Master Ps No Limit Label) und Houston (mit Rap-A-Lot), deren Protagonisten stark auf das klassische Bild des (düsteren) Gangster Rapper rekurrierten und für sich und ihre Musik reklamierten. Komplementär zu dieser Entwicklung tauchten plötzlich im Knowledge Rap etwa von Mos Def, Common, Jurassic Five oder Company Flow ‚realistische‘ Repräsentationen von Ghetto auf, die sich aber weniger stark in musikalischen Strukturen denn in semantischen Referenzen niederschlugen. Zusammenfassend lässt sich im Zuge der Diffusion von HipHop in den Vereinigten Staaten eine Regionalisierung von Produktionsstilen konstatieren, die sich genretypisch am rhythmischen Reimstil der MCs, an musikalischen Strukturierungen und den vorherrschenden thematischen Ausrichtungen orientieren. Damit sind insbesondere die technisch-formalen, die semiotischen sowie die sozialen Regelkomplexe angesprochen, die für Fabbri Genres konstituieren. Auch wenn diese Untergliederung in Genres und die Häufigkeitsverteilung der jeweiligen Protagonisten freilich nur einen groben und statischen Interpretationsrahmen darstellen und die tatsächliche Genremischung der Œuvres einzelner Künstler und die Vielfalt in den einzelnen Regionen nicht abbilden können, lassen sich über die jeweils dominierende ‚regionale‘ Musik doch soziale Formationen, Geschichten und Geographien ansteuern, um die Musiker, Medien, Musikindustrie und Hörer Werte, Bedeutungen und Handlungen im HipHop organisieren. Überall hier haben die Musik und die Rhetorik von Old School flow, New York beats, West Coast style, Southern Crunk etc. Konsequenzen, innerhalb der USA wie außerhalb. Als zentraler Raum, an dem sich die Musik mimetisch oder differenzierend abzuarbeiten und den sie immer wieder neu glaubwürdig zu konstituieren hat, wurde das innerstädtische Ghetto identifiziert. Ghetto und Großstadt sind zum einen wahrgenommene Räume, welche das Alltagshandeln strukturieren und auf denen die Produktion von HipHop-Musik fußt. Sie sind zum zweiten erdachte Räume, deren spezifische Eigenschaften immer wieder neu imaginiert und über die Musik reproduziert und reifiziert werden: Ghetto verkauft. Drittens zeigen sich in den verschiedenen Rhythmen von Rap-Musik auch Eigenschaften von Räumen der Repräsentation, die gelebt und gefühlt werden können und rhythmisch-affektiv kommunizierbar sind.

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Die Frage allerdings, warum an einem Ort Musik so und nicht anders klingt, kann ein Genresystem und seine Repräsentationen im Raum und von Raum nur eingeschränkt beantworten. Hier rückt das Konzept von Ort als Interaktionspunkt, Setting und Areal, dem subjektiv Bedeutung zugemessen wird, in den Fokus. Musik ist dann ortsspezifische Musik in zweierlei Hinsicht: Eine Musik, die an einem Ort produziert wird, der ein spezifisches historisches, technologisches, soziales, ökonomisches Setting zur Verfügung stellt und der für Musiker und Hörer in seiner Eingebundenheit Sinn stiftet. Und eine Musik, die für bestimmte Orte produziert, für spezifische (marktförmig vermittelte) Settings aufgenommen, für bedeutungsvolle Orte gemacht wird und von ebensolchen Räumen handelt. In diesem Sinne sind nicht nur die unterschiedlichen Ökonomien kultureller Produktion mitzudenken, sondern auch die Zusammenhänge, in denen Rap-Musik konsumiert wird oder werden soll. Rap-Musik wird in aller Regel zunächst in kleinen Heimstudios produziert, die aufgrund praktischer und ökonomischer Überlegungen meist in einem Kellerraum der musikereigenen Wohnung eingerichtet sind. Erst nachdem die DJs hier ihr Können vor einem kleinen Publikum der eigenen Freunde nach langen Übungssitzungen und Tüfteleien am Equipment bewiesen haben, begannen die Aufnahmen mit lokalen MCs und der eventuelle Aufstieg als Produzent. Diese Räume sind transformative Orte des Rückzugs und der kreativen musikalischen Produktion, an denen die hochgeschätzten Kellerklänge (basement sounds) als schmutzige, rohe und echte Klänge aus dem Untergrund produziert werden (Keyes 2002, 148; für die Bedeutung von basement vgl. auch Scandura 2001). So präsentiert sich das überaus erfolgreiche Duo Pete Rock & C.L. Smooth auf dem Cover seiner LP mit dem programmatischen Titel The Main Ingredient [Elektra, 1994] in ihrem Keller in New York, der mit Mikrofon, Plattenspieler, Sampler, Sequenzer, Mehrspur-Mischpult, Keyboards und einer umfangreichen Plattensammlung ausgestattet ist. Buchstäblich In The House, so der Titel des ersten Stückes auf der LP, entstanden zumindest die Roh-Mixe zu dieser LP, im abgeschiedenen Untergrund der privaten Wohnung. An drei regionalen Beispielen – Los Angeles, Atlanta und des Mittleren Westens – soll abschließend aufgezeigt werden, für welche Räume neben den nationalen und internationalen Musikmärkten Rap-Musik jeweils produziert wurde und wird. Brian Cross resümiert 1993 die Situation in Los Angeles, nachdem seit Mitte der 1980er Jahre die mobilen Diskotheken aufgrund drohender Ganggewalt an Bedeutung einbüßten und das Radio, neben zirkulierenden Mixtapes, zur zentralen Institution der Vermarktung und Platzierung von Rap-Musik wurde: Hiphop in LA today is a community of bedrooms, occasional open mikes and airwaves. In homes all over the city people gather around turntables, record collections, SP 1200s and MPC60s and conjure worlds that intersect with and absorb reality. Connected by a network of tapes, hard to find samples, a nomadic and often underground club scene, and places like the open mike at the Good Life, different perspectives are shared, microphone techniques are invented and beatbrokers collage new soundtracks for urban survival. (Cross 1993, 64)

Atlanta, das wie keine andere Stadt für den Dirty South musikalischer Produktion steht, geriet trotz einer länger bestehenden städtischen Rap-Szene erst spät in das Blickfeld der nationalen und internationalen Musikmärkte. Die Arbeiten des Produktionsteams von Organized Noize an Outkasts Debütalbum Southernplaya-

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listicadillacmuzik von 1994 [LaFace] und Goodie MoBs Soul Food [LaFace, 1995] leiteten eine neue stilistische Entwicklung ein, die Spiritualität, soul food und country als positiv besetzte Images von Southerness durchsetzte, welche die traditionelle Gangster-Attitüde vieler Protagonisten anreicherte. Nach Veröffentlichung des Album Kings of Crunk von Lil Jon & the Eastside Boyz [TVT, 2002] wurde zudem Crunk erfolgreich als neues, party-orientiertes Genre etabliert, das die Basslastigkeit des Südens mit der Wohlfühlstimmung des Party Rap für Clubs und Diskotheken verband. [J]eder dort versucht, gute Musik für die Clubs zu machen. Die Clubszene bei uns in Atlanta ist unfassbar groß. Es gibt so viele Leute aus den verschiedensten Gegenden dort. Es gibt drei große schwarze Colleges auf engstem Raum plus Georgia Tech. Dazu haben die Locals noch mal eine ganz eigene Szene mit jeder Menge wirklich guter Clubs. Es gibt die protzigen Clubs, bei denen mit den neuesten Rides vorgefahren wird. Du hast die kleinen Clubs, wo irgendwelche schrägen Vögel rumhängen. Und dann sind da natürlich noch die Stripclubs. Du weißt, dass Stripclubs bei uns ganz anders funktionieren? Das sind zentrale Spots, in denen sich die Leute treffen, um einfach nur abzuhängen und zu trinken. Du siehst dort unter den Gästen manchmal mehr Frauen als anderswo in einem normalen Club. Wir breaken unsere Songs zuallererst im Stripclub. Dort sind sie immer zuerst groß. Und weil dort alle hingehen, alle möglichen Leute, verbreitet sich das ziemlich schnell. [...] Ich habe immer den Club vor Augen, wenn wir aufnehmen. Darum geht es bei Crunk: Platten machen, die den Club durchdrehen lassen. (Lil Jon, zitiert von Bortot 2004, 45)

Eine andere HipHop-Ökonomie kennt der mittlere Westen, der bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre nicht als eigenständige Region wahrgenommen wurde und keine dominanten regionalspezifischen Genrecharakteristika hervorgebracht hat. Auch hier sind es die hauptsächlich von Afroamerikanern bewohnten Stadtviertel der großen Metropolen wie Chicagos South und West Sides, Detroits East Side und St. Louis, die mit HipHop-Künstlern wie Common, Nelly, Da Brat, Eminem und später Kanye West in Verbindung gebracht werden. Die Identifikation als eigenständige Region erfolgt daher hauptsächlich auf Grundlage einer gewissen Quantität und Ballung der Herkunftsorte von Künstlern. „Die späte Entwicklung von Rap in der Region des mittleren Westens ist zurückzuführen auf die Migration von Rappern an die Ost- oder Westküste, auf den Mangel an Aufnahmestudios und Auftrittsmöglichkeiten für Rap sowie auf die starken musikalischen Traditionen in Städten wie Detroit (Motown), Chicago (Blues) und St. Louis (Jazz)“ (Carney 2002, 3). Trotz aller Regionalisierungen und stilistischer Ausdifferenzierungen sind die Repräsentationen New Yorks als Wiege und Zentrum von HipHop weiter dominant. Selbst nachdem Los Angeles, oder besser: Compton, als Mittelpunkt eines neuen und profitablen Genres montiert wurde, war die öffentliche Imagination von New York groß genug, um eine Art Repräsentationsmonopol für ‚echten‘ HipHop aufrecht zu erhalten. Die Gravitationskraft von New York, seiner Künstler, Medien und Plattenfirmen ist zu groß, als dass andere Städte der Megalopolis der Ostküste als eigenständige kulturelle Innovationszentren wahrgenommen werden könnten. New York gilt noch immer als Beispiel, von dem man lernen kann und an dem man sich abarbeiten muss, um Erfolg zu haben. Die Identifizierung der eigenen Region oder Stadt erfolgt weiterhin gegenüber der Referenz New York. „Was einem MC oder einer Gruppe, der beziehungsweise die nicht aus New York (oder Los Angeles) stammt, an Verbindungen zu den Ursprüngen von

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HipHop fehlt, wird durch die Projektion lokaler Authentizität ausgeglichen“ (Krims 2000, 124). So kommen Gruppen, die sich nach bestimmten Stadtteilen und nach geographischen Orten benennen, in der Regel nicht aus New York: Westside Connection und Compton’s Most Wanted aus Los Angeles, The Fifth Ward Boys aus Houston. New Yorker Gruppen dagegen benennen sich kaum nach ihrer Stadt, es scheint klar zu sein, woher sie kommen und wofür sie stehen. Im folgenden Unterkapitel werden Antworten auf die Frage gesucht, wie und warum Stadt und bestimmte städtische Räume in Rap-Musik verhandelt und produziert worden sind und welche musikalischen Positionen aus diesen Verhandlungen abzuleiten sind.

4.2.2 ‚The World is a Ghetto‘? Die Repräsentation von city, street, ’hood und nation You’re now about to witness the strength of street knowledge. (N.W.A: Straight Outta Compton [Ruthless, 1988]) No matter good or worse the ’hood comes first. (Naughty by Nature: The Hood Comes First [Tommy Boy, 1993])

Rap-Musik wird in der Regel, anderen kulturellen Genres nicht unähnlich (Kloosterman 2005), in urbanen Kontexten verortet und beschrieben als „ein Produkt afroamerikanischer urbaner Kulturen“ (Potter 1995, 53), als „der schwarze städtische Beat“ (Baker 1993, 33) oder als „eine Form, die schwarze kulturelle Stimmen von den Rändern des städtischen Amerikas priorisiert“ (Rose 1994, 2). Diese Darstellung hat sich als ausgesprochen einflussreich erwiesen „sowohl in der Repräsentation als auch in der Transformation der urbanen Umwelt in den 1980er und 1990er Jahren“ (Forman 2002, 42). Die Ursprungserzählung weist HipHop von Beginn an städtische Räume zu, welche die Adoption und Adaption in anderen Kontexten prägen. Selbst die Regionalisierung der Stile macht sich an einzelnen Städten fest: New York steht für die Ostküste, Los Angeles für den Westen und Atlanta für den Süden. HipHop bezieht sich sowohl auf die physische Stadt mit ihren materiellen Artefakten und Infrastrukturen, mit ihren privaten und öffentlichen Räumen innerhalb der Grenzen, welche als erdachte Repräsentationen Stadtraum parzellieren und unterteilen, als auch die symbolische Stadt des urbanen Ausdrucks, der künstlerischen Erfahrung und der Identitäten, die Stadt als Repräsentation. Rap-Musik kennt eine Vorliebe für die Töne der Stadt, für alltägliche Klangphänomene der urbanen Umwelt, für menschliche, maschinelle und natürliche Zyklen. HipHop unterstreicht immer wieder die kulturelle Signifikanz der (nordamerikanischen) Großstadt und ihrer verschiedenen Rhythmen. Die Stadt wird dabei weniger als städtebauliches und soziales Desaster konzipiert, sondern anerkennt die urbanen Dynamiken als kulturellen Kontext, aus dem die Künstler ihr kreatives Potenzial schöpfen. Die Instabilität und Multilinearität spezifischer historischer Lebenserfahrungen der Mitglieder einer postindustriellen und urbanisierten Gesellschaft im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts finden ihre Entspre-

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chung in den rhythmischen Fragmentierungen von Rap-Musik. Am deutlichsten weist Tricia Rose diesen Zusammenhang nach, wenn sie drei Haupteigenschaften von HipHop identifiziert: Fluss (flow), Schichtung (layering) und Bruch (rupture) (Rose 1994). Für die Historikerin charakterisieren diese drei Eigenschaften nicht nur Graffiti, Breakdance und Rap-Musik, sondern auch die sozialräumlichen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen dieser kulturellen Praktiken. Musik und verbaler Vortrag kreieren eine fließende Bewegung, die durch scratching oder andere klangliche Einschübe abrupt unterbrochen wird. Die MCs tragen mit ihrem rapping weitere Klangschichten auf, wodurch die Beatbasis unterstützt, konterkariert oder gebrochen wird. Verbale Techniken ermöglichen den Rappern, mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen zu spielen, auf Objekte, Handlungen und andere Menschen zu signifizieren oder sie neu zu bewerten. DJs schichten unterschiedliche Klangverläufe übereinander, die – teils parallel, teils widerstrebend – in musikalische Dialoge treten. Fluss, Schichtung und Bruch create and sustain rhythmic motion, continuity, and circularity via flow; accumulate, reinforce, and embellish this continuity through layering; and manage threats to these narratives by building in ruptures that highlight that continuity as it momentarily challenges it. These effects at the level of style and aesthetics suggest affirmative ways in which profound social dislocation and rupture can be managed and perhaps contested in the cultural arena. (Rose 1994, 39)

Akkumulation, Kontinuität und bewusste Brüche in HipHop-Musik reagieren auf die Verhältnisse vor Ort, die nie stabil und ohne überlokale Einflüsse zu denken sind. Sie arbeiten sich an diesen Lokalitäten ab und bestimmen sie neu. HipHop be- und entgegnet in den 1970er Jahren Strömen von Menschen, Technologien, Waren, Kapital und Information, den historischen Schichtungen von (afro)amerikanischen Traditionen, von Stadtentwicklung und kulturellen Ökonomien, den Brüchen und Dislokationen in der Industriegesellschaft und in den einzelnen Biographien mit kreativen Praktiken, die genau diese Charakteristika aufnehmen und mit ihnen arbeiten. In unterschiedlichen Rap-Genres werden Fluss, Schichtung und Bruch mit Hilfe verschiedener stilistischer Mittel umgesetzt. Ein Charakteristikum bleibt aber immer die in einer musikalischen Über- und Ineinanderschichtung resultierende Polyrhythmik, die ihre Arhythmik aus der Parallelisierung und der Konterkarierung von ‚natürlichen‘ Rhythmen wie im fließenden sprach-effusiven Reimstil mit eher maschinellen und programmierten Rhythmen erhält. Die einzelnen Schichten sind dialogisch aufeinander bezogen und stehen in rhythmischen Spannungen, die auf kulturelle Wertungen, sozioökonomische Disparitäten und politische Machtverhältnisse verweisen. Polyrhythmik deutet hin auf ein Leben, das (auch außerhalb der ‚schwarzen Diaspora‘) gekennzeichnet ist „durch eine Diskontinuität von Erfahrung in den Begegnungen und Statusdramen des Alltags“ (Chernoff 1979, 156). Polyrhythmik signifiziert eine Anpassungsfähigkeit und Toleranz gegenüber den Wirren und Unsicherheiten einer Welt, die Entfremdung und Orientierungslosigkeit bereithält, und eröffnet zugleich Potenziale des Kommentars und der Veränderung. Die musikalische Einheit aus Fluss, Harmonie und Melodie wird zugunsten einer Flexibilität von durch Polyrhythmik artikulierten, vielfältigen sozialen Beziehungen aufgegeben, die erst in der umfassenden körperlichen Wahrnehmung musikalischer Erfahrung wieder zu einer Kohärenz zusam-

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menfinden. Hier liegt ein Schlüssel zum Verständnis der Attraktivität von HipHop in den unterschiedlichen Rezeptionskontexten (Walser 1995, 208–211). Der Musikwissenschaftler Gerhard Scheit macht in Bezug auf Polyrhythmik und off beat / on beat-Verschiebungen in Black Music einen ähnlichen Punkt, der allerdings weniger stark auf die kulturellen Wurzeln der Musik rekurriert, sondern auf die Erfahrung von Disziplinierung und Standardisierung moderner, urbaner Arbeitsverhältnisse (Scheit 1997). Für ihn ist Ragtime (wörtlich: zerrissene Zeit), eine im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunächst als Klavierstil entstandene Form ‚schwarzer‘ synkopierter Musik, eine frühe Reaktion auf Standardisierung und Rationalisierung (prä-)fordistischer Arbeitsorganisation. Während in der Grundform des Ragtime die linke Hand den Beat spielt, für Scheit ein Zeichen von Disziplinierung und abstrakter Messbarkeit, synkopiert die rechte Hand die Oberstimmenmelodie als unbewusste Befreiung von Disziplin und Zeitdiktat, als Akt der Selbstbestimmung und Entspannung. Auch für die off beat-Figuren im Jazz lässt sich analog eine musikalische Repräsentation der Entfremdungserfahrungen unter fordistischen Arbeitsverhältnissen konstatieren, die sich außerdem in Opposition stellt zum repressiven Nationalstaat als der Regulationsinstitution weiter Teile des Gesellschaftlichen. Scheit interpretiert schließlich Rap-Musik kulturpessimistisch als monotones Endpop-Phänomen, dessen Mangel an Melodie die off beat-Spannungen zunehmend abschwächt und als affirmativer Soundtrack einer postfordistischen Flexibilisierung von Arbeit und Freizeit zu einer utilitaristischen Gleichschaltung von Körpern beiträgt. Die Technologisierung musikalischer Produktion überformt für ihn die individuellen Möglichkeiten der Repräsentation und damit der Kritik herrschender Verhältnisse. Ähnlich argumentiert etwa auch Adam Krims (2004), für den die musikalischen tracks im Rap vom urbanen Leben unter Bedingungen postfordistischer, flexibler Akkumulation zeugen und der im zunehmenden Verschwinden von Ghetto-Repräsentationen im erfolgreichen Reality Genre eine Abwendung von Kritik und eine Hinwendung zur Affirmation postfordistischer urbaner Verhältnisse erkennt. Zugleich allerdings zeugen die Repräsentationen der anderen Rap-Genres, wie etwa der seit Mitte der 1990er Jahre stärker gettozentriert ausgerichtete Knowledge Rap, von Geschichte und Kontinuität, von den Potenzialen des urbanen Lebens und von der Vervielfältigung der täglich erfahrbaren Rhythmen. Diffusion, Regionalisierung und genrespezifische Ausdifferenzierung von Rap-Musik verweigern sich so einer simplen und monolithischen Konzeption der musikalischen Formen. In jeder Phase der raum-zeitlichen Ausbreitung findet Rap-Musik neue räumliche wie soziale Kontexte, die ihren Ausdruck in neuen und jeweils anders wahrgenommenen, erfahrenen und erlebten Rhythmen findet. HipHop rekurriert auf Urbanität, auf urbane Lebensweisen und Probleme, die sich aus Größe, Dichte und Heterogenität von Bevölkerung vor dem Hintergrund einer flexiblen und reflexiven Kapitalakkumulation ergeben. Anders als in der Konzeption etwa von Georg Simmel, der in der Großstadt eine Dominanz objektiver über subjektive Kultur konstatiert, die durch eine rein sachliche Behandlung von Menschen und Dingen, eine Entpersönlichung aller Sozialbeziehungen und einer rechnerischen Exaktheit der menschlichen Rhythmen charakterisiert wird (Simmel 1984), ermächtigt HipHop den Einzelnen, sich auf die Bildung neuer Gemeinschaften einzulassen und eigenen Rhythmen zu folgen, die

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den erdachten und geplanten Abläufen von Arbeit und Freizeit, Produktion und Konsumtion, Bewegung und Ruhe zuwiderlaufen. Rap-Musik verwirklicht in diesem Sinne ein Stück urbane Utopie, indem sie verschiedene maschinelle und menschliche Rhythmen in Spannung hält, andere Räume priorisiert als die der Stadtplanung und Wirtschaftsentwicklung und eine „ethnische Verschmutzung des öffentlichen Raumes durch das klangliche ‚Andere‘“ (Baker 1993, 43) betreibt. HipHop macht die dissonante Welt verhandelbar durch dialogische und polyrhythmische Virtuosität, die spezifische Erfahrungen vielleicht besser mitteilen kann als alle anderen Formen der Kommunikation. Stadt und die verschiedenen städtische Räume sind dabei mehr als nur Symbole, die auf einer globalen Bühne des Pop zu theatralen Mitteln der (visuellen) Inszenierung des Urbanen werden (Klein, Friedrich 2003). Sie stellen als durch sozioökonomische und ethnische Disparitäten geprägte Orte der Realität materielle Settings und Strukturen bereit, aus denen HipHop erwächst und von deren Rhythmen Rap berichtet. Stadt bietet freilich nur einen, wenn auch dominanten räumlichen Rahmen für Rap-Musik. Arrested Development beispielsweise, eine Band aus der Nähe Atlantas, bezogen sich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre explizit auf einen friedlichen Ort jenseits des urbanen Ghettos: den ländlichen Süden der USA. Hier bewirtschaftete das Musikerkollektiv aus Frauen und Männern eine kleine Farm; Speech, Gründungsmitglied der Gruppe, war „der erste Rapper, der eine Kuh melken kann, bzw. der erste Kuhmelker, der rappt“ (Felbert 1992, 36). Die Gruppe verfolgte die Ideen der Hippie-Bewegung auf einer afrozentrischen Grundlage und propagierte eine ‚schwarze‘ Revolution, die sich gegen fundamentalistische Parolen, Ghettozentriertheit und die vorherrschende Militanz im Rap wandte. Got to get politcal Political I gotta get Grown but can’t hold my own So this government needs to be overthrown. Brothers wit their A.K.’s and their 9mms. Need to learn how to correctly shoot them. Save those rounds for a revolution. Poor whites and blacks, bumrushing the system. But I tell you ain’t no room for gangsters. Cause gangsters do dirty work and get pimped by mobsters. Some fat Italian eating pasta and lobster. Brothers getting jailed & mobsters own the coppers. So you say you want out of the ghetto First the political prisoners must be let go! And you must let go your power master. (Arrested Development: Give a Man a Fish [Chrysalis, 1992], zitiert nach den Linernotes)

Dieser rurale Gegenentwurf schuf eine Musik, die „eher organisch als straßig“ war (Speech, zitiert von Felbert 1992, 36) und durch Soul-Harmonien, gefühlsbeladene Blues-Melodien und spirituell-introvertierte Klänge geprägt war. Ganz ähnlich wie wenige Jahre später Goodie MoB schlossen bereits Arrested Development Southerness mit country und Spiritualität kurz. Live präsentierte sich die Gruppe als Roots-Reggae-Formation komplett mit Schlagzeug, Tanztheater und spirituellem Anführer. Die Nappy Roots aus Kentucky, liefern mit ihrem programmatischen Chorus „die ganze verdammte Welt ist ländlich (country)“ (Nappy Roots:

4.2 Rap in den USA: representing race, space and place

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Roun’ The Globe [Atlantic, 2003]) ebenso wie Nelly aus St. Louis mit Country Grammar [Universal, 2000] auch im neuen Jahrzehnt einen fernen Anklang an die gefeierte Gruppe, die auch außerhalb der USA eine selten gekannte Offenheit gegenüber Fans und lokalen Einflüssen zeigte. „HipHop scheidet nicht mehr rigoros das urbane Ghetto vom ländlichen Süden, nicht mehr den städtischen Hipster vom Country Boy“ (Jacob 1993, 108). Auch theoretisch lässt sich diese räumliche Erweiterung und Neuorientierung von HipHop fassen. Die Kulturkritikerin bell hooks etwa verlegt den Ort des ‚schwarzen‘ Widerstands in die ‚Heimat‘, ein Begriff, der bei ihr weniger mit Staatsvolk, Nation und enger Bindung an die Scholle konnotiert ist, sondern der auf ein Zuhause als Ort des Widerstands verweist, als Ort der Reproduktion, der Kreativität und der Autonomie. Sie findet diesen Raum in der segregierten ‚schwarzen‘ Gemeinschaft des agrarischen Südens der USA, dem Raum des historischen chitlin circuit, der im Süden und Osten der USA während der Rassensegregation eine Reihe relativ sicherer Auftrittsmöglichkeiten für afroamerikanische Künstler bereitstellte. Hier herrschte, so die nostalgische Auffassung von hooks, eine starke Solidarität und ‚soziale Liebe‘ unter ‚Schwarzen‘, die in einer gemeinsame Erfahrung rassistischer Unterdrückung gründet. Obwohl die Bemühungen um ethnische Integration die einstige gemeinsame Basis des Befreiungskampfes bröckeln ließ und die Erfahrungen ethnischer Minoritäten vielfältiger geworden sind, erkennt hooks ein Gefühl des Verlustes und eine Sehnsucht nach diesem Zusammenhalt (hooks 1996). Trotz dieser Ausdifferenzierung der räumlichen und ideologischen Bezugspunkte von HipHop sieht Rap-Musik in der US-amerikanischen Großstadt und den unterschiedlichen, teilweise gettoisierten Räumen weiter ihren authentischen Ort und das Fundament ihrer kulturellen Produktion. Von Soul, Jazz und Funk übernahm HipHop den Focus auf das Ghetto sowohl in einem materiell-realen Sinne als Ort des authentischen Wissens, der Verwurzelung und der subkulturellen Erfahrung wie in einem produzierten Sinne von Repräsentationen und Diskursen, die durch musikalische Praktiken hergestellt werden. „HipHop inszeniert die Differenz von Schwarzsein, und diese Inszenierung ist sowohl die Signifikation ihrer Konstruiertheit als auch der Ort der Produktion des Authentischen“ (Potter 1995, 122). Viele Namen von HipHop-Gruppen, etliche Liedertitel und visuelle Repräsentationen reflektieren diese symbolische Aneignung der US-amerikanischen Innenstadt: Geto Boys, Ghetto Dwellas oder Ghetto Mafia; BDPs Ghetto Music: The Blueprint of Hip Hop [Jive, 1989], Master Ps The Ghetto’s Trying to Kill Me! [No Limit, 1994] oder Ghetto D [No Limit, 1997]; Plattencover mit verschiedenen Darstellungen sozialer Probleme oder gettoisierter Landschaften; Filme wie Boyz N the Hood oder New Jack City. Eine Vielzahl von Liedern beleuchten verschiedene Aspekte des Ghettolebens, wie zum Beispiel der Klassiker The Message von Grandmaster Flash and the Furious Five [Sugarhill, 1982], The Ghetto von Too $hort [Jive, 1990], A Gangsta’s Fairytale von Ice Cube [Priority, 1990], Hard Knock Life (Ghetto Anthem) von Jay-Z [DefJam, 1998] oder Naughty by Natures Ghetto Bastard: A ghetto bastard, born next to the projects Livin’ in the slums wit bums askin’ now why, Treach Do I have ta be like this? Mama said I’m priceless

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So why am I worthless? starvin’ is just what bein’ nice gets Sometimes I wish I could afford a pistol then though To stop the hell, I would ’a ended things a while ago I ain’t have jack, but a black hat and napsack War scars, stolen cars and a black jack Drop that, and now you want me to rap and give Say somethin’ positive, well positive ain’t where I live I live right around the corner from West Hell Two blocks from South Shit, and once in a jail cell The sun never shined on my side of the street, see? And only once or twice a week I would speak I walked alone, my state of mind was home sweet home I couldn’t keep a girl, they wanted kids wit cars and chrome Some life if you ain’t wear gold, your style was old And you got more juice and dough for every bottle sold Hell no, I say there’s gotta be a better way But hey, never gamble in a game that you can’t play I’m showin’ and flowin’ and goin’ and owin’ no one and not now How will I do it? How will I make it? I won’t, that’s how (why me, huh) Everything’s gonna be alright (all right) [...] If you ain’t never been to the ghetto Don’t ever come to the ghetto ’Cause you wouldn’t understand the ghetto So stay the fuck outta the ghetto Why me? Why me? (Naughty By Nature: Ghetto Bastard (Everything’s Gonna Be Alright) [Tommy Boy, 1991], zitiert von Stanley 1992, 226–227)

Das ‚schwarze‘ Ghetto wird hier dargestellt als Ort von anhand ethnischer Merkmale marginalisierter Subjekte und segregierter Gruppen, als ein besonders ungeschützter Raum der Verlierer ‚rassifizierter‘ ökonomischer Konkurrenzkämpfe, von Niedriglohnarbeitern, Sozialhilfe-Empfängern und Kriminalisierten. Es ist der stigmatisierte Raum der strukturellen und geplanten Vernachlässigung, der politischen, sozialen und ökonomischen Isolation. Es herrscht Hoffnungslosigkeit, Fatalismus und Resignation. Das Lied wird eingeleitet von einer simplen Kindermelodie, über die eine Krankenhausszene geblendet wird. Ein Arzt fragt, ob sich die Mutter des gerade neu geborenen Jungen noch von der Geburt erhole und ob er den sicher im Vorraum wartenden Vater über die Geburt informieren solle. Die Krankenschwester antwortet, es gäbe keinen Vater, der auf die beiden warte: Die Geburt eines weiteren Ghetto Bastards, der zu den anderen „geborenen Verlieren“ gesteckt wird, „eine Schande!“ „Keine Schande,“ antwortet der Arzt, „ein Problem.“ Kindergeschrei rückt in den Vordergrund, das nach wenigen Sekunden in einem Legato in die Basslinie überführt wird („smooth it out“: räume es weg / mache es glatt), die das restliche Stück dominiert. Daneben sind eine Tamburinund eine High Hat-Spur zu identifizieren, die ab und an durch kurze, einfache Pianosequenzen ergänzt werden und zum melodischen, eingängigen und schnellen Gesamteindruck des Liedes beitragen. Der erstaunlich fröhliche und melodische Chorus „Alles wird gut!“ wird von mehreren Frauenstimmen übernommen,

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die einen weiteren Gegenpol (vielleicht den der (‚weißen‘) Wahrnehmung von außen auf das Ghetto, in dem irgendwann ganz sicher alles gut wird) zum Inhalt des Textes darstellen. Rund 100 Beats pro Minute treiben den meist perkussiveffusiven Reimfluss von Treach, dem Rapper von Naughty By Nature, an. Stark auf Endreime fixiert bleibt der Text trotz seiner Menge und der Geschwindigkeit des Vortrags über die gesamte Länge des Liedes nachvollziehbar und gut verständlich. Für die letzten Zeilen „Wenn Du noch nie im Ghetto warst / Dann komme niemals ins Ghetto / Weil Du würdest das Ghetto nicht verstehen / Also bleibe gefälligst aus dem Ghetto“ wechselt Treach in gesprochene Sprache, die jetzt, deutlich abgesetzt, von einer Reihe von Pianoakkorden begleitet wird und als eine Art Drohung an Außenstehende verstanden werden kann, weder tatsächlich in das Ghetto zu kommen, noch sich auf eine unwahre Ghettoherkunft zu berufen, um authentisch zu wirken. Authentisch ist nur, wer tatsächlich aus dem Ghetto kommt und die geschilderten Szenen aus seinem Alltag kennt. Für Außenstehende ist das Ghetto trotz der eingängigen Klänge ein gefährlicher Raum, der eigenen Ökonomien, Gesetzmäßigkeiten und Gruppendynamiken folgt. Auch die Ghetto-Metaphern anderer Rapper legen Zeugnis ab von der Brutalität dieser Realität: die „Killing Fields“ bei Ice-T, „Concrete Vietnam“ bei Ice Cube oder „the Terrordome“ bei Public Enemy. Insbesondere MCs des GangsterGenres präsentieren sich bis zur Mitte der 1990er Jahre als Produkte des Ghettos, mit teilweise phantastischen Übertreibungen von Zerstörung, Todessehnsucht und ‚schwarzer‘, männlicher Kraft. Ghettos sind dann morbide Räume des Terrors. Hier werden verschiedene Imaginationen gleichzeitig bedient: zum einen das rassistische und stereotype Bild des ‚Schwarzen‘ und der selbstzerstörerischen Gewalt seiner wilden Ghettoumwelt: „Sie nennen meine Nachbarschaft einen Dschungel / Und mich ein Tier“ (Geto Boys: The World Is A Ghetto [Rap-A-Lot, 1990]), zum anderen der Nihilismus und die Gesetzlosigkeit des stolzen und selbstbewussten nigger: „Nigger hier, Nigger da! Tatsache ist, dass ich schwarz bin und verpflichtet, / Die Aufmerksamkeit eines Weiteren zu erwecken, ich meine den Anderen. / Aber ich bin ein Motherfucker, der sie nach Deckung suchen lässt. / Du siehst, ich kümmere mich einen Dreck um rein gar nichts / Außer um Bezahlung, Weiber zu kriegen und Stiche auszuteilen / […] Es ist offensichtlich, Du wirst mich nie ändern können, / Denn ich bin ein lebenslänglicher Nigger“ (N.W.A: Niggaz4Life [Priority, 1991]). Die Bereitschaft, Attribute wie blackness und Zuschreibungen wie Gesetzloser selbstbewusst anzunehmen und zu unterstreichen, steht sicher in der Tradition des Zuhälters und des Kleinkriminellen, die ihren oppositionellen Nihilismus als eine Art Selbstermächtigung halluzinieren und aus dem Ghetto der Zerstörung einen Ort der Transzendenz, des Überleben und der Sichtbarkeit translokaler Marginalisierungen machen (De Genova 1995). Solcherlei Darstellungen laufen zunächst Gefahr, in der Rezeption außerhalb dieser Kontexte standardisierte und vorgefertigte Imaginationen zu perpetuieren. Sie erfüllen dann voyeuristische Funktionen für die außenstehenden, meist ‚weißen‘ Konsumenten, denen ein sicherer Blick auf die ‚authentische‘ und exotische Welt der Straßengewalt vor der heimischen Stereoanlage oder dem Fernsehschirm gewährt wird. Im Großstadtdschungel treten die animalischen Instinkte des Menschen wieder hervor. Hier lässt sich das Spiel der freien Konkurrenz, des nackten Überlebenskampfes wie in einem sozialtech-

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nischen Großlabor verfolgen. Aus den Ghettos wird das Ghetto. Dieses Ghetto zeigt die Essenz der ‚schwarzen‘ US-amerikanischen Jugend, so wie sie ‚wirklich‘ ist, in ihrer ganzen niggativity. Ghetto produziert hier keinen anklagenden Aufschrei, ist kein handlungsauslösender Faktor, sondern Teil einer Unterhaltungsindustrie, welche die Imagination einer weit entfernten, homogenen Landschaft (re)produziert, die Nervenkitzel garantiert. Ghetto wird zur Ware, deren Authentizität weltweiten Profit verspricht (Allinson 1994). Das Ghetto ist der Ort, an dem aus Armut Kunst entsteht. Die photogene und exotische Fußnote im Merian-Heft. Das ‚Leider‘ und ‚Aber‘ zum beeindruckenden Bericht über Amerikas Größe. Das Ding, das mit dem Reichtum an anderer Stelle nichts zu tun haben soll. (Jacob 1997, 282)

Die Ghettos selbst sind allerdings meist weniger sozioökonomisch homogene Territorien, sondern verwundbare Orte mit prekären Ökonomien und vielgestaltigen Nachbarschaften. Die räumliche Segregation erfolgt dabei in der Regel auf Grundlage ethnischer Merkmale und keineswegs nur nach sozioökonomischen Bestimmungsfaktoren. Das US-amerikanische Großstadtghetto kennt deshalb auch eine Mosaikstruktur aus Slums und Wohnvierteln der Mittelschicht, die sich zum Zweck der Vergemeinschaftung räumlich konzentrieren. Zugleich stellen diese Ghettos eigene Arbeits- und Konsummärkte mit spezifischen (informellen) Ökonomien dar inklusive Kleingewerbe, Schattenwirtschaft und der täglichen Geschäftigkeit (vgl. Neuer 2003). Im HipHop haben sich auch entsprechende Stimmen etabliert, die einen Gegenentwurf zum stereotypen Bild des ‚schwarzen‘ Ghettos propagieren. Sie suchen ihre Selbstermächtigung in ihrer spezifischen Nachbarschaft, in ihrer sozialen Gruppe, in ihrem täglichen Leben jenseits simpler räumlicher Repräsentationen von ‚schwarz‘ und ‚weiß‘. Rapper’s emphasis on posses and neighborhoods has brought the ghetto back into public consciousness. It satisfies poor black people’s profound need to have their territories acknowledged, recognized, and celebrated. These are the street corners and neighborhoods that usually serve as lurid backdrops for street crimes on the nightly news. Few local people are given an opportunity to speak, and their points of view are always contained by expert testimony. (Rose 1994, 11)

Das Ghetto wird nicht mehr länger fatal als Stigma akzeptiert, sondern dient als Quelle identitätsstiftender musikalischer Produktion und Konsumtion. RapMusik zeugt vom Versagen der Integrationsbestrebungen sowie der Belanglosigkeit der Bürgerrechtsbewegung seit den 1970er Jahren und repräsentiert stolz und selbstbewusst das, was ‚Schwarzsein‘ in Amerika heute bedeutet. Die Attraktivität der rhythmischen Musik und der Artikulation bislang marginalisierter Botschaften machen es der weißen Mehrheitsgesellschaft letztlich unmöglich, die ethnische und räumliche Peripherie zu ignorieren oder sie auf Distanz zu halten. Das Ghetto und die Lebensumstände seiner Bewohner rücken verstärkt und immer erfolgreicher in das Bewusstsein eines multiethnischen, internationalen Publikums (Smith S 1997, 518–521). Repräsentationen von Ghetto im HipHop waren so bis Mitte der 1990er Jahre geprägt von einerseits kraftvollen, beängstigenden und dunklen Bildern und Rhythmen der ‚Schlachtfelder‘ des Reality Rap, die sich aus räumlicher, sozialer, ökonomischer und ethnischer Distanz problemlos konsumieren ließen. Andererseits rückten Alltagsschilderungen, historisch informierte Utopien

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und die Suche nach politischen Alternativen in den Vordergrund, welche die Vielgestaltigkeit ‚schwarzer‘ (und hispanischer) Erfahrungsräume von Benachteiligung, Marginalisierung und Unterdrückung im Knowledge Rap als Realität artikulierten. Die stärkere Verwendung von Ghettoschilderungen im Knowledge-Genre der vergangenen rund zehn Jahren führte zudem das neue Bild des positiv und teilweise romantisch besetzten Ortes des (konkreten) marginalisierten innerstädtischen Viertels ein. Eine andere räumliche Figur, anhand derer unterschiedliche Auffassungen von Räumlichkeit im HipHop nachvollzogen werden können, ist street. Die Straße taucht nicht nur im HipHop auf, sie ist ein traditionelles Thema der Rock- und Popmusik. Straßen, highways und crossroads sind klassische Metaphern für utopische Fluchtmöglichkeiten aus entfremdeten und marginalisierten Lebensumständen in eine bessere Zukunft (Jarvis 1985; Gold 1998). Popmusik spricht von gerichteter Mobilität und Beweglichkeit in einem bestimmten sozialen Sinne. Es geht um den Weg aus der Isolation, der ökonomischen, politischen, ethnischen Ausgeschlossenheit Einzelner hin zu einer utopischen Gemeinschaft der Befreiung, der Kommunikation und der Einigkeit (Klotz 1997). Im HipHop taucht die Straße fast ausschließlich im urbanen Kontext auf und verweist auf mehrere miteinander verbundene Zusammenhänge: (1) Straße ist traditionell der Ort, an dem Musik erklingt und ein Publikum findet, an dem die Sprachspiele des toasting, signifyin(g) und playin’ the dozens praktiziert werden. Seit den 1920er Jahren haben ‚schwarze‘ Arbeitsmigranten aus dem Süden der USA die Traditionen der verbalen Ausdrucksformen mit in den urbanen Norden gebracht. „So gingen zum Beispiel aus dem Geschichtenerzähler und dem Bluessänger die versierten SlangSprecher der Straßenecke hervor, während die Prediger und Erzähllyriker zu Radiopersönlichkeiten wurden“ (Keyes 1996, 225). Straße ist in Ermangelung anderer Versammlungsorte ein Ort der Zusammenkunft, des Zeitvertreibs, des hustling, des Spiels, des Straßensports, des kompetitiven rhythmischen Wortgefechts. Wo sich Straßen treffen, werden sie zu crossroads, zu Räumen der Solidarisierung, der Identitätsstiftung, des kommunikativen Austauschs, der Perpetuierung von oraler Geschichte, der Kreativität und der Wissensvermittlung. Straße ist Kommunikationsraum, ein sozialer Ort, der einem vertraut ist und einen Rahmen für die Möglichkeiten der Alltagsgestaltung bietet. Wo traditionelle Instanzen der Sozialisation versagen, springt die Straße ein. Hier wird man sozialisiert und wirkt an der Sozialisation anderer mit. Der Black power!-Aktivist H. ‚Rap‘ Brown bekennt: „Praktisch alles was ich weiß, lernte ich an der Straßenecke” (Brown 1972, 208), und Common nutzt in seinem Song The Corner sowohl von ihm gerappte Texte als auch gesprochenen Passagen von The Last Poets, den Poeten des ‚schwarzen‘ Ghettos, um auf diese Funktionen von Straße zu rekurrieren: [Common:] Memories on corners with the flows and the mores Walk to the store for the rose talking straightforward to Got uncles that smoke it some put blow up their nose To cope with their lows the wind is cold and it blows In they socks and their souls holding their rolls Corners leave souls opened and closed hoping for more With nowhere to go rolling with droves They shoot the wrong way ’cause they ain’t knowing their goal

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The streets ain’t safe ’cause they ain’t knowing the code By the fours I was told either focus or fold Got cousins with flows hope they open some doors So we can cop clothes and roll in a Rolls Now I roll in a Olds with windows that don’t roll Down the roads where cars get broke in and stole These are the stories told by Stony and Cottage Grove The world is cold the block is hot as a stove On the corners [Kanye West:] I wish I could give ya this feeling I wish I could give ya this feeling On the corners, robbing, killing, dying Just to make a living (huh) […] [The Last Poets (spoken):] The corner was our magic, our music, our politics Fires raised as tribal dancers and War cries that broke out on different corners Power to the people, Black Power!, Black is beautiful! (Common: The Corner [Geffen, 2005])

„An der Straßenecke“ übertitelt etwa auch der Musikhistoriker David Toop das einleitende Kapitel seiner HipHop-Geschichte (Toop 1991). Die Straßen und Parks New Yorks waren die ersten Übungs- und Bewährungsräume für die frühen DJs, die hier ihre sound systems installierten und um Anerkennung ihrer musikalischen Fähigkeiten und die Gunst der Fans wetteiferten. (2) Rap-Musik ist Begleitgeräusch der Zusammenkunft und der Fortbewegung auf der Straße. Das lockere, informelle Treffen Jugendlicher wird gerahmt durch Musik aus dem Kassettenspieler, in dem das neueste Tape eingelegt ist. Wer zu Fuß oder in der U-Bahn unterwegs ist, hört Kopfhörer seinen ganz persönlichen Mix, wer im Auto sitzt und seine Anlage aufdreht, beschallt die Umgebung. Rap wird hier Teil der weapons in a battle over the right to occupy public space. Frequently employing high-decibel car stereos and boom-boxes, black youth not only ‘pump up the volume’ for their own listening pleasures, but also as part of an indirect, ad hoc war of position. (Kelley 1996, 206)

Der elektronisch verstärkte Klang aus mobilen Stereoanlagen und Kassettenrekordern grenzt ein Stück öffentlichen Raums als eigenen, privaten Raum ab, den sich die Hörer temporär aneignen. Straße ist in diesem Sinne ein Ort der Auseinandersetzung um Territorien, die nicht nur im Ghetto ausgetragen werden, sondern aufgrund der Mobilität von Personen und Abspielgeräten auch in die Vororte und ‚weißen‘ Stadtteile gelangen können. Die akustische Besetzung der öffentlichen Räume verlangt nach Wahrnehmung, nach Respekt außerhalb der eigenen Gruppe, nach mehr Raum außerhalb des familiären Umfelds und jenseits der Reglementierungen von Schule oder Arbeitsplatz. Die zunehmende visuelle Überwachung und kommerzielle Zurichtung öffentlicher Räume wird mit akustischen Mitteln gebrochen, die es fast unmöglich machen, wegzuhören. Der lautstarke Konsum von Musik wird hier produktiv genutzt, Konsumtion produziert neue und eigene Grenzziehungen. Straße wird hier auch (3) zum Ort der (musikali-

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schen) Selbstinszenierung von Jugend- und Subkulturen. Es ist ein Ort, an dem man sich trifft, zusammen abhängt (to chill), Musik hört, sich über Alltag, Personen und unterschiedliche Interessen unterhält. Straßenecken, Plätze und Treppenaufgänge funktionieren als Treff- und Knotenpunkte der Kommunikation. Nicht nur die musikalischen Praktiken wurden auf der Straße entwickelt, sondern auch Graffiti als Markierungen des eigenen Territoriums oder als stilistische Mittel, sich in den öffentlichen städtischen Raum einzuschreiben. Die Straße oder gar einzelne Straßenseiten markieren die Grenze von Territorien, der eigenen Zugehörigkeit, des eigenen Blocks, der ‚Heimaterde‘ (home turf). Und Breakdance ist dann authentisch, wenn sich die Tänzer auf Kartonagen oder PVC-Resten auf der Straße bewegen – on the concrete. Die Straße inspiriert auch neue Kleidermoden, sie ist alltäglicher Laufsteg für casual und street wear, die von anderen imitiert und weiterentwickelt wird. Es ist der Ort, an dem man sein ‚eigenes Ding‘ machen kann. HipHop legt großen Wert auf die Erzählung von Straße als dem Ursprungsort aller kulturellen Kreativität. (4) Rap-Musik schöpft mehr als andere Formen populärer Musik aus dem akustischen und visuellen Archiv der städtischen Straßen. In den Liedern werden Sprachfetzen, kurze Dialoge, quietschende Reifen, Motorengeräusche, Sirenen, Schreie etc. collagiert oder mit Hilfe der Mehrspurtechnik in die Musik integriert. Die unterschiedlichen Klänge der städtischen Tonlandschaft dienen als musikalische Ressource (vgl. Meier-Dallach, Meier 1992). Anders als im Industrial Rock etwa, der mit elektronisch verfremdeten Sounds mimetisch an die Klangwelten technischer Industrieanlagen erinnern will und als genealogischer Vorläufer von Techno gilt, verwendet HipHop dabei Aufnahmen ‚echter‘, nicht durch Instrumente imitierter Geräusche. Das Leben auf der Straße wird mit seinen alltäglichen Routinen und mit seinen Stresssituationen als ein strukturelles, rhythmisches Element in die Musik einkomponiert. Die Musik wirkt zum Teil wie vor Ort auf der Straße aufgezeichnet, als dokumentarisches Klangbild, dem elektronisch weitere rhythmische Strukturen beigegeben werden. Masta Ace leitet sein Stück Big City [M3, 2004] mit einer solchen Szene ein. Es ist zu hören, wie ein Stein eine Autoscheibe durchschlägt und die Alarmanlage auslöst. Jemand flüchtet zu Fuß in die Ferne und für wenige Augenblicke bleibt nur das hupende Geräusch des Wagens zu hören. Unvermittelt setzt der Beat ein, der genau den Rhythmus der Alarmanlage übernimmt und das ganze Stück über die Schilderungen des Alltags in der Großstadt vorantreibt. So ist Straße im HipHop nie nur eine Frage der Bilder und ihrer performativen Reproduzierbarkeit, sondern immer auch eine Frage von klanglichen Repräsentationen von Hass und Liebe, Zerstörung und Schönheit, Einsamkeit und Gemeinschaft, verfluchtem Ort und Heimat, Nostalgie und Utopie. Damit rückt die Bedeutung (5) von Straße als Legitimationsinstrument von Musik in den Blickpunkt. Street credibility bürgt für die Glaubwürdigkeit der Person und für die Authentizität der Musik. Auf die Frage, was Dem Franchize Boyz von den anderen Rap-Gruppen aus Atlanta unterscheidet, antwortet eines ihrer Mitglieder: We straight out the projects, where we had to grind to eat, and we showing another side of the streets of Atlanta. We bringing the streets with us as we taking ATL to another level. (Parlae, zitiert von Harris 2004, 82)

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Die Straße signifiziert hier eine Art zu Leben, die tägliche Geschäftigkeit von Arbeit und Freizeit, von Rackerei und Vergnügen. Vier der neun Elemente, die für KRS-One HipHop ausmachen, sind explizit street: „street fashion, street language, street knowledge, and street entrepreneurialism – trade and business“ (KRS-One: HipHop Knowledge [In the Paint/Koch, 2001]). Ein Leben ohne Straße ist im HipHop nicht vorstellbar, hier erhält er seine Würde und seinen Sinn. In der dominanten Erzählung ist dieses Leben so hart wie der Asphalt und die Mentalität der (in der Regel männlichen) Akteure der Straße. „Die Straße ist hardcore, und sie ist der rhythmische Ort der HipHop-Welt“ (Spady 1991, 406). Schnell dominiert hier allerdings ein stereotypes Bild von Straße als dem Ort der Bewährung und der Auseinandersetzung im Ghetto, welches gegenüber den sozialen und kommunikativen Funktionen priorisiert wird. Härte, Brutalität und Rohheit prägen hier den persönlichen Charakter der Menschen und inspirieren rhythmische Muster und musikalische Stile. Solchen Auffassungen liegen Homologien zugrunde, die eine strukturelle und funktionelle Beziehung zwischen Musik und ihren kulturellen Kontexten herstellen. Dies verschafft Straße eine Autorität, die über Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit musikalischer Ausdrucksformen wachen will. HipHop-Diskurse sind voll von Empfehlungen und Warnungen, Straße als ideelle und ökonomische Basis nicht aufzugeben: ‚Bleib ehrlich, sei real‘ und begehe keinen Ausverkauf, denn: Streets Is Watching (Jay-Z [Roc-A-Fella, 1997]). (6) Schließlich werden die musikalischen Produktions- und Distributionsprozesse über die vielfältigen Verbindungen zur Straße erklärt. Für Chuck D ist klar: „Start auf der Straße? Der Mist startet nicht auf den Straßen, er startet im Sitzungszimmer“ (Chuck D, zitiert von Forman 2002, 278). Er verortet den Produktionsprozess von Rap-Musik nicht auf der Straße oder im Ghetto, sondern in den Chefetagen und Besprechungszimmern der Musikindustrie. Der Mythos von Straße prägt allerdings den Umgang der Musikindustrie mit Rap insbesondere in zweierlei Hinsicht. Zum einen werden über Diskurse von Straße die länger etablierten sozialen, ökonomischen und kulturellen Grenzen des Musikgeschäfts aufrechterhalten. Die Nähe zur Straße entscheidet über den Erfolg oder Misserfolg von Künstlern. In der Regel wird den unabhängigen Plattenfirmen ein besseres Verständnis der kulturellen Logik von Straße zugesprochen. Der Wissensvorsprung sichert den kleinen Firmen ihre relative Unabhängigkeit. Um das ‚Wissen der Straße‘ zu nutzen, stellen die großen Musikfirmen die Produktions- und Distributionsmechanismen bereit, während die Rekrutierung und Betreuung der Künstler den relativ autonom arbeitenden kleinen Firmen überlassen bleibt (Rose 1994, 7). Der musikindustrielle Prozess ist damit geprägt durch ein arbeitsteiliges Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit von kleinen und großen Musikfirmen, im Gegensatz zur Rockmusik der 1960er und 1970er Jahre bleibt aber eine größere Kluft zwischen den Büroetagen der Musikindustrie und den Alltagsräumen von HipHop-Musik. Die traditionell schlechtere finanzielle und personelle Ausstattung der Black Music-Abteilungen der großen Musikfirmen hat sich auch bei RapMusik nicht grundsätzlich geändert, und die konservativen Einschätzungen bezüglich des Marktpotenzials der Musik lassen im Genrevergleich bis heute deutlich geringere Investitionsmittel für Rap-Musik fließen. Diese betriebswirtschaftlichen Beschränkungen führen zu alternativen Praktiken der Ressourcengewin-

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nung und zur kontinuierlichen Re-Invention von Marketingstrategien im Rap, dem zweiten wichtigen Zusammenhang von Straße und Musikindustrie. Musikindustrie nutzt Straße als einen Raum, in dem Rap-Musik vermarktet wird und der zugleich wertvolle Informationen über eine künftige Vermarktung liefert. Erstmals institutionalisiert von Loud Records sammeln so genannte street teams Informationen auf der Straße. Durch das informelle ‚Abhängen‘ an neuralgischen Punkten wie Clubs und Plattengeschäften lernen die Mitglieder der street teams den Markt näher kennen und entwickeln eine Art sozialen Instinkt für die Bedürfnisse und Vorlieben der Konsumenten. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden wie in anderen Public Relations-Bereichen gesammelt, akkumuliert und ausgewertet, um Vermarktungsstrategien abzuleiten und Künstlerimages aufzubauen. Hier werden das Wissen und die Erkenntnisse von der Straße als dem alltäglichen Aufenthaltsort der Konsumenten in das System der Musikindustrie eingespeist und ökonomisch fruchtbar gemacht. Dem bringing it in from the streets folgt das taking it to the streets, das Marketing auf der Straße. Vor einer anstehenden Veröffentlichung und den ersten Radioübertragungen eines neuen Stücks werden Flyer und Sticker an Schulen, Straßenecken oder auf Sportplätzen verteilt, um den neuen Künstler bekannt zu machen oder eine Nachfrage nach neuen Stücken etablierter Künstler zu generieren. Diese Flyer enthalten häufig Informationen darüber, wann das neue Lied hits the streets, wann streetdate ist, der Tag, für den die Veröffentlichung geplant ist. Dieses Marketing auf der Straße beruht auf Überzeugungsmechanismen und psychologischen Allgemeinplätzen der Werbeindustrie: Es geht um die Besetzung von Nischen, um das gezielte Ansteuern von gatekeepers und Meinungsmachern, um das Branding und die Positionierung von Künstlern sowie um das Bedienen von Zielmärkten, die nach verschiedenen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ethnizität, Bildungsstand etc. segmentiert sein können. Ist ein gewisses Interesse und eine Nachfrage auf der Straße geschaffen, bleibt den Radiostationen, die selbst in touch with the streets sein wollen, kaum eine andere Wahl, als das Lied am Veröffentlichungstag zu senden (Negus 1999b). Chuck Ds Aussage, dass Rap-Musik nicht auf der Straße beginnt, sondern im Sitzungsraum, ist insofern zuzustimmen, als die Musiker weder auf der Straße musizieren, noch eine homologe Beziehung von Rap-Musik und dem Leben auf der Straße besteht. Dennoch ist die musikalische Produktion und Distribution als Ware auf die Straße und den Mythos von Straße angewiesen, um einerseits RapMusik einen Platz innerhalb der Musikindustrie zuzuweisen und andererseits einen realen Raum als Absatzort zu definieren. Die Ideen von Authentizität und street credibility lassen sich daher nicht ableiten aus dem konkreten Produktionsprozess der Musik, sondern werden in Distributions- und Konsumtionsprozessen hergestellt. „Das Ziel musikalischer ‚Authentizität‘ bezieht sich nicht länger auf einen Ursprungspunkt (was nicht länger möglich ist), sondern auf einen Ort von Reflexivität in Bewegung“ (Berland 1998, 145). Das Verständnis musikalischer Produktion ist angewiesen auf das Verständnis musikalischer Konsumtion und umgekehrt. Authentizität im Rap funktioniert damit am Schnittpunkt von ‚realer‘ Lebenserfahrung und räumlichen Imaginationen, die hergestellt werden in musikalischen Prozessen von Artikulation und Performanz. Diese finden freilich nicht im Container-Raum statt, sondern sind kontextuell an historische, soziale und räumliche Umstände geknüpft:

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[H]ip-hop’s inventions and re-inventions insist on their situatedness within a long and complex musical continuum. Hip-hop sites itself as a product of African-American urban cultures at the same time it cites the sonic past in order to construct a radical present. (Potter 1995, 53)

Stadt, Ghetto und Straße sind drei der entscheidenden räumlichen Bezugspunkte von Authentizität im HipHop, deren Relevanz jedoch nicht frei von konjunkturellen Kurven und diskursiven Verschiebungen geblieben ist. In der Geschichte von Rap-Musik lassen sich mehrere solcher gradueller Veränderungen nachzeichnen, die sich allgemein von generalisierenden Räumen der Stadt zu Repräsentationen von besonders benannten Städten, einzelnen (neighbor)hoods oder gar detailliert beschriebenen kleinräumigen Zusammenhängen vollzogen: von Stadt zu ’hood, von Ghetto zu Ghettos. Die Veröffentlichung von Rapper’s Delight im Jahre 1979 leitete eine erste solche Verschiebung ein, die zugleich einen radikalen Bruch mit den jungen Traditionen des DJing und MCing darstellte. Bis zu diesem Zeitpunkt war HipHop als Live-Musik abhängig von der Zuhörerschaft, den Tänzern, den neu entwickelten Technologien und den Orten der musikalischen Praxis: Straßen, Parks, community centers, Clubs und Diskotheken. Diese Verschiebung „von einer LiveDarbietung zu einer vermittelten Erzählung“ (Dimitriadis 2004) vollzog sich auch und gerade auf der Ebene von Sound. Was vorher allein in den Händen des DJs zu einer neuen Klangcollage mit zwei Plattenspielern und einem Mixer zusammengefügt und durch einen MC auf der Bühne mehr oder weniger spontan begleitet wurde, war plötzlich zur Klangkonserve, zum im Studio eingespielten Tonträgern geworden, der die authentischen HipHop-Klänge der Live-Veranstaltungen in ein Bandarrangement mit geklauten Texten übersetzte: keine Ruf / Antwort-Interaktion zwischen Publikum und Musikern, kein scratching an den turntables, keine cutting, kein mixing. Neben den kursierenden Kassettenmitschnitten war Rapper’s Delight die erste Möglichkeit, Rap-Musik mit großer Reichweite außerhalb ihres Ursprungskontextes zu hören. Der Sugar Hill-Sound, fein und homogen abgemischte Mehrspuraufnahmen in Disco-Manier mit abgeschwächten Texten, blieb bis etwa 1982 der dominante Sound von Rap für ein Massenpublikum außerhalb der Straßenpartys und der Clubveranstaltungen. Erst als sich DJs wie Afrika Bambaataa oder Grandmaster Flash die Freiheit nahmen, ihre Potenziale auch im Studio umzusetzen, wurde der ursprüngliche Sugar Hill-Sound zunehmend obsolet. Mit The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel [Sugar Hill, 1981] waren Flashs DJInnovationen auch den Plattenkäufern zugänglich. Hier hatte er zum ersten Mal die Gelegenheit, anstatt den Sound mit Hilfe einer 24-Spur-Aufnahmeeinheit zu kreieren, direkt von Plattentellern aufzuzeichnen. Komplettiert durch scratching, Cowboys „Say ho, ho!“ Ruf / Antwort-Figur und einem Sample aus einer Märchenaufnahme war das Lied „mehr als eine klangliche Bricolage, es war ein taktisches Nervenimplantat, ein Kurzschluss in den Schaltkreisen der Musikindustrie, ein Ton-Gedicht an das Chaos, das die Straße zurück ins Studio brachte“ (Potter 1995, 47). Erst hier erwies sich der Sound der Straße auf Tonträger für ein Massenpublikum reproduzierbar, und Rap wurde musikalisch wie rhythmisch wieder stärker mit dem urbanen Ursprungskontext kurzgeschlossen. Auch die frühen Alben von Run-D.M.C., deren innovative Art, Rap musikalisch stärker an

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Rock zu orientieren und damit den crossover zum entsprechenden Publikum zu vollziehen, war näher an Straße als am Club, näher an der Härte der Rocker als an den Partys von Elektropop. Bereits 1982 legten Grandmaster Flash and the Furious Five den Rap-Song mit den wohl am häufigsten zitierten Zeilen vor: The Message [Sugar Hill, 1982]. Mit „Es ist manchmal wie ein Dschungel, ich wundere mich / Wie ich oben bleibe“ rücken zum ersten Mal explizit Stadt und die Verhältnisse im Dschungel des Ghettos in einem erfolgreichen Lied in den Mittelpunkt. Die Gruppe posierte für das Cover der Single nicht wie bislang mit karnevalistischen und extravaganten Kostümen und Lederklamotten in Club- und Diskothekenatmosphären, sondern in Alltagskleidung auf der Straße vor einer heruntergekommenen Häuserzeile in New York. HipHop war spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr länger nur Partymusik für alle Clubgänger, sondern stammte aus dem Ghetto und handelte von Stadt. Dass dieser Fokus nicht nur Ergebnis der Suche nach musikalischen Ausdrucksformen ‚schwarzer‘ Jugendlicher, sondern Resultat zahlreicher mediativer Einflüsse war, zeigen die Erinnerungen von Flash an die Zeit der Produktion von The Message: Wir waren ja schon erfolgreich, aber ‚The Message‘ brachte uns auf ein völlig neues Level. Wir hätten nie damit gerechnet, aber Leute wollten über das urbane Amerika und die Probleme in den Innenstädten Bescheid wissen und deshalb war ‚The Message‘ so ein Erfolg. Okay, I say this here: Obwohl ‚The Message‘ eine großartige Platte war, hat sie dazu geführt, dass sich meine Gruppe auflöste. Vorher hatten wir eine 6 Mann-Formel, doch für diese Platte wurden wir gezwungen, das zu machen, was die Plattenfirma wollte. (Grandmaster Flash, zitiert von Werner 2002, 61).

Seit Mitte der 1980er Jahre und intensiviert ab etwa 1987/88 lässt sich eine gesteigerte Bedeutung von Diskursen über Raum und Ort im HipHop konstatieren. Ab diesem Zeitpunkt finden sich verstärkt musikalische und textliche Betonungen der Verbindung von Rap und seinen Protagonisten mit bestimmten Lokalitäten und sozialen Gruppen, die sich gegenüber anderen crews und deren Arealen abgrenzen. „Es scheint nun möglich zu behaupten, dass Rap dabei ist, nachdem er regionalisiert wurde, lokal zu werden“ (Forman 2000, 69). In gewisser Weise findet hier eine Rückbesinnung auf die Ursprünge von HipHop in den 1970er Jahren statt, als die frühen DJs und Rapper stark territorial bestimmte Märkte zu bedienen hatten und sich die Zuhörer aus einer lokalen Fanbasis rekrutierten. Diese diskursiven Verschiebungen und Erweiterungen von abstrakten räumlichen Begrifflichkeiten wie ‚Ghetto‘ und ‚Stadt‘ hin zu spezifischen Lokalitäten und ’hoods korrespondieren zeitlich in etwa mit dem Beginn von Reality Rap an der Ost- und vor allem an der Westküste. Aus der sehr eindringlichen aber abstrakten Schilderung von Stadt in The Message werden Identifizierungen mit konkreten Räumen und Orten. Boyz N the Hood von Ice Cube liefert das neue maskuline HardcoreIdentifikationsmodell der Westküste mit extraordinär ordinären Texten, welche die selektive und spektakuläre Auswahl der Freizeitgestaltung der ‚Homeboys‘ aus beer, bitches and brutality als alltägliche Erfahrungen präsentierte. Auch hier ist Ghetto noch die abstrakte räumliche Repräsentation, sie erhält aber durch ’hood einen gewissen Ortsbezug und eine lokal und intime Note. Auch South Bronx von Boogie Down Productions erzählt als ein weiterer wichtiger Schritt zur Loka-

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lisierung von Rap eine frühe Entwicklungsgeschichte inklusive lokaler Details nach. Remember Bronx River rollin’ thick With Cool DJ Red Alert and Chuck Chillout on the mix, When Afrika Islam was rockin’ the jams And on the other side of town was a kid named Flash. Patterson and Millbrook projects, Cassanova all over, you couldn’t stop it. The Nine Lives Crew, the Cypress Boys, The real Rock Steady takin’ out these toys. As odd as it looked, as wild as it seemed, I didn’t hear a peep from a place called Queens. South Bronx, the South South Bronx (Boogie Down Productions: South Bronx [B-Boy, 1987])

Liedertexte US-amerikanischer Rap-Musik sind seit den späten 1980er Jahren voll von solchen und ähnlich detaillierten Beschreibungen konkreter städtischer Alltagsräume der Künstler. Die neu entstehenden Gruppen wählten verstärkt lokale Namen, um die Verbindung zu einem Ort, seiner Geschichte und seiner sozialen Gemeinschaft zu evozieren. Mit diesen Positionierungen in konkreten Räumen mit spezifischen Merkmalen werden Verbindungen zum ‚realen‘ Leben hergestellt, die sich sehr gut mit Behauptungen und Konstruktionen von Authentizität kurzschließen lassen (Connell, Gibson 2003, 43). Die stärkere Hinwendung zu lokalen Kontexten und der eigenen sozialen Gruppe hatte auch eine musikökonomische Umorientierung des Produktionsprozesses zur Folge. Rap wird bis heute typischerweise produziert innerhalb eines lokal begrenzten, engen sozialen Netzwerkes im organisatorischen Rahmen kleinerer künstlereigener Plattenfirmen, die sich zum Teil auch in andere lokale Geschäftsbereiche einklinken. Diese Plattenfirmen und musikalischen Produktionsstrukturen fußen häufig auf einer lokalen posse oder crew. Posses bezeichneten zunächst ein Gruppe Gesetzloser im filmischen Westerngenre, in den 1970er Jahre wurde die Bezeichnung für die den Drogenmarkt Jamaikas gewaltsam beherrschende Gangs übernommen. Das posse-System wurde bis Mitte der 1980er Jahre in praktisch jede US-amerikanische Großstadt verpflanzt und weiter mit männlichen Werten und Haltungen gegen sexuellen und ethnischen Pluralismus aufgeladen (vgl. Jacob 1993; Forman 2000, 71). Heute gilt die posse als zentrale soziale Einheit, welche Rapkünstler mit ihrem lokalen Produktionskontext zusammenbindet. Häufig stellen die Organisationsstrukturen der Plattenfirmen ein Abbild der lokalen Netzwerke einer crew dar. Diese zunächst lokal definierten sozialen Gruppen können einen Sinn für Zugehörigkeit stiften, der eine gewisse Aspiration für eine Karriere innerhalb eines solchen Kontextes darstellen kann. Posse-Allianzen und lokale Netzwerke bilden sich in der Regel um einzelne Aufnahmestudios und / oder Produzenten, die in Verbindung zu einzelnen Plattenfirmen stehen können, die Ästhetik und Sound eines lokalen Stils bestimmen. „Kein Konzept und keine Lokalität wird so häufig verwendet oder ist so emotional bedeutend wie die Beschreibung des eigenen home turf und der eigenen posse“ (Rose 1994, 188). In den Texten werden bestimmte Nachbarschaften oder Häuser-

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blocks erwähnt, einzelne Straßenzüge expliziert oder besonders bemerkenswerte Personen benannt. Die Nachbarschaft gilt als Ort kultureller Produktion und sozialer Reproduktion. Dieser Heimatort eines Rappers ist Test- und Übungsgelände, hier muss er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und sich Respekt und Ansehen verdienen. Es existiert die weit verbreitete Meinung, dass ein Künstler nur dann überlokal ökonomisch erfolgreich sein und bleiben kann, wenn er sich im lokalen Terrain bewährt hat und diese Verbindung auch nach einem eventuellen ökonomischen Erfolg nach außen vertritt. Er bleibt authentisch, indem er repräsentiert und über die Erlebnisse in seiner ’hood rappt. Ein wichtiger Indikator hierfür ist, ob ein Künstler auch nach seinem ökonomischen Erfolg in der Nachbarschaft wohnen bleibt, oder ob er zumindest die persönlichen Verbindungen zu seinem ursprünglichen sozialen Kontext aufrecht erhält. Die ’hood ist damit nicht wie Ghetto oder Stadt eine Raumkategorie, sondern fängt räumliche, ethnische, historische, soziale, ökonomische, psychologische, architektonische, klangliche oder klimatische Spezifitäten eines Ortes ein, die im Falle von Compton, Los Angeles rhythmisch ganz anders ausfallen als etwa im Falle von East Orange, New Jersey. ’Hood allerdings wird auch immer produziert in einem diskursiven Rahmen von Heimat, ökonomischer Bewährung und Repräsentation der Nachbarschaft. So kamen N.W.A 1988 Straight Outta Compton, das im Anschluss an die Veröffentlichung des Albums als Archetyp der ‚schwarzen‘ gettoisierten Nachbarschaft gehandelt wurde – tatsächlich zeigen die Zensusdaten für 1990 aber einen Bevölkerungsanteil von lediglich 56 Prozent blacks, 10 Prozent machen whites aus, 34 Prozent die Kategorie other und 43 Prozent bezeichnen sich in Compton als hispanics, eine Kategorie, welche Anteile aller anderen Ethnizitäten beinhalten kann (Census CD 1999). Wie folgendes Zitat von Dr. Dre belegt, scheint Compton aus einer ganzen Reihe von möglichen Alternativen in Los Angeles mehr oder weniger zufällig zu Berühmtheit gelangt zu sein und als symbolischer Platzhalter ein gewisses Eigenleben entwickelt zu haben: It’s not really a matter of where people come from, it’s a matter of talent. I could have been from fuckin’ Missouri. I would have been doing the same shit. There’s some people in Watts bumpin’ some good shit. Watts just hasn’t been discovered yet [...] We came out with Compton, the NWA thing, so every time somebody sees Compton they gonna buy that shit just ’cause of the name, whether they from there or not. Compton exists in many ways in the music to sell records. (Dr. Dre, zitiert von Cross 1993, 198)

Die Benennung von Örtlichkeiten und die Unterstellungen, ein Künstler käme tatsächlich von diesem Ort, haben also nicht zwangsläufig mit einer tatsächlichen Zugehörigkeit zu tun, sondern können strategisch gewählt sein, um gewisse Assoziationen hervorzurufen. „HipHop Compton, folgt man Easy [E], wurde geschaffen als eine Antwort auf den South Bronx / Queensbridge-Zusammenhang in New York” (Cross 1993, 37), es war der überaus erfolgreiche Versuch, to put L.A. on the map. Trotz der häufig artikulierten Beziehungen der Künstler zu einem bestimmten Ort oder zu einer spezifischen Nachbarschaft werden die Produktions- und Arbeitsbeziehungen im HipHop spätestens seit Beginn der 1990er Jahre über verschiedene soziale Gruppen und Orte hinweg gepflegt. Einzelne Cliquen und Kollektive stehen über spezifische Netzwerke und Labelbeziehungen miteinander

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in Verbindung. Die heute gängigen Praktiken der Zusammenarbeit von Künstlern verschiedener räumlicher Herkunft für einen Song (features) und des Einkaufens von Beats aus unterschiedlichen Produktionskontexten allerdings sind Hinweise auf die zunehmend ephemere Natur solcher Kollaborationen. Musikalische Praxis ist auf diese Weise geprägt durch eine Vielzahl fluider Assoziationen, Allianzen und Rivalitäten, die aber in der Regel weiterhin an die Nachbarschaften und ihre Repräsentationen gebunden bleiben. Die Artikulation von Stolz und Loyalität gegenüber der eigenen ’hood, seinem Label, dessen Bestand an Künstlern und dem Sitz des Unternehmens gehört zum guten Ton im HipHop. Representer tracks, Lieder, welche den home turf, die Herkunftsstadt oder das eigene Label repräsentieren, preisen und verteidigen, finden sich deshalb auch heute noch im Repertoire fast jeden Künstlers. Gerade vor dem Hintergrund verschiedener regionaler Märkte für Rap-Musik sowie im Rahmen der zunehmenden Regionalisierung von Produktionsstilen und Affiliationen scheint es weiterhin unabdingbar, über die identitätspolitische Verortung an einer Lokalität Authentizität herzustellen (Negus 1999b). Neben Stadt, Ghetto, Straße und ’hood, die hier als zentrale Orte musikalischer Produktion identifiziert wurden, entfalten noch weitere Räume Relevanz für die musikalische Praxis. Parallel und in gewissem Maße als Gegenbewegung zu einer verstärkten Betonung spezifischer Nachbarschaften und der Zugehörigkeit zu einzelnen räumlichen und sozialen Zusammenhängen, bezogen sich einige RapKünstler Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre auf Räume jenseits der eigenen großmaßstäbigen Lebenszusammenhänge und der eher abstrakt gefassten Raumkategorien von Stadt und Ghetto. Die Hip Hop Nation stellte als eine imaginierte Gemeinschaft ein neues räumliches Bezugsbild für HipHop zur Verfügung, komplett mit einer Narrative von Nation, einem Ursprungsmythos, einer Tradition, die sich an Praktiken, Ritualen und Symbolen festmacht, der Vorstellung eines ‚reinen‘ und ‚echten‘ Volkes sowie einer klaren teleologischen Ausrichtung (vgl. Hall 1992, 291–299). Es geht bei der Hip Hop Nation aber nicht um die Gründung eines eigenen Territorialstaates, sondern um ein politisches Gegengewicht zur Logik der ‚weißen‘ Nation der USA und zum gängigen Bild des Schmelztiegels: I live in a country no mapmaker will ever respect. A place with its own language, culture, and history. It is as much a nation as Italy or Zambia. A place my countrymen call the Hip-Hop Nation, purposefully invoking all of the jingoistic pride that nationalists throughout history have leaned on. (Touré 2004, 272)

‚Schwarzer‘ HipHop Nationalismus bietet damit eine Art imaginative Landkarte, einen Raum der Inspiration, aus dem sich kultureller Stolz, der Wunsch nach ethnisch autochtonen ökonomischen Austauschbeziehungen, ‚schwarze‘ Solidarität und ein kollektiver Überlebensdrang ableiten lassen. Die räumlichen Repräsentationen der Hip Hop Nation verliefen teilweise entlang und teilweise konträr zu den Grenzen etablierter Rap-Genres. Paul Gilroy etwa identifiziert drei dominante, in Teilen unvereinbare, in Teilen sich überschneidende Auffassungen des ‚richtigen‘ (politischen) Raums von HipHop (Gilroy 1991b, 7): Da ist zunächst der aggressive und wohlkalkulierte Nihilismus des Gangster Rap von Ice Cube oder Compton’s Most Wanted, der sich durch einen starken syntaktischen und semantischen Bezug auf das Ghetto, die ’hood

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und die eigene posse auszeichnet. Es geht dabei um das Leben im direkten sozialen Lebensumfeld, im geographischen Nahbereich der alltäglichen Erfahrungen. Andererseits verfolgen Rapper und Gruppen wie The Poor Righteous Teachers, Brand Nubian, Lakim Shabazz oder The X-Clan zu dieser Zeit einen aggressiv maskulinen Diskurs der bewusst ethnisch separatistischen, religiös sektiererischen Pädagogik. Bezugspunkte sind die politischen Vorstellungen eines militanten ‚schwarzen‘ HipHop-Internationalismus, der sich an Afrika als Wiege und Zentrum ‚schwarzer‘ Kultur festmacht. Als dritte Position identifiziert Gilroy die Künstler der Native Tongues posse, darunter The Jungle Brothers, A Tribe Called Quest, De La Soul und Queen Latifah, die in Genrebegriffen für Knowledge Rap stehen. Sie verfolgen weder einen in der gettoisierten Nachbarschaft wurzelnden Lokalpatriotismus der Gangster noch propagieren sie Vorstellungen einer ‚schwarzen‘ afrikanischen Nation jenseits nationaler politischer Grenzen. Die Position der Native Tongues ist die eines moderaten und offenen Afrozentrismus’, der seinen Ort weder im imaginierten Ghetto noch in den Vorstellungen einer ‚panafrikanischen‘ Nation findet, sondern eine historisch informierte, selbstbewusst ‚schwarze‘ Positionierung des Individuums innerhalb einer ethnisch definierten Familie oder eines Stammes als Voraussetzung der Überwindung rassistischer Benachteiligungen begreift. Nicht eine Bewegung zurück nach Afrika, sondern die Demonstration von Differenz in den USA steht im Mittelpunkt. Geschlecht, Klasse und räumliche Herkunft sind gegenüber dem gemeinsamen Ziel der Überwindung von Marginalisierung von untergeordneter Bedeutung. Jeffrey Louis Decker extrahiert aus diesen raumpolitischen Positionen zwei spezifische Formen des „nationalbewussten Rap“ zu Beginn der 1990er Jahre (Eure, Spady 1991), die je eigene räumliche und historische Strategien verfolgen (Decker 1994). Einerseits existiert eine Strömung, die von der Black Power!-Bewegung der 1960er Jahre inspiriert ist und ein gewisses historisches Bewusstsein für die Sprache und Militanz der ‚schwarzen‘ Revolten dieses Jahrzehnts zeigt. Andererseits verweist die afrozentrische Strömung auf den ‚schwarzen Kontinent‘, speziell auf das antike ägyptische Reich, als Mutterland, als den Ort des kulturellen Ursprungs, aus dem sich ethnischer Stolz und ein ‚schwarzes‘ Bewusstsein für den Kampf gegen die Unterdrückung im zeitgenössischen US-Amerika speist. Diese beiden Strömungen artikulieren ihren Begriff von Nation musikalisch und textlich unterschiedlich. Public Enemy und ihr Umfeld gelten als herausragende Protagonisten eines HipHop-Nationalismus, der von den Protestbewegungen der 1960er Jahre inspiriert wird. Neben stark von Revolutionsrhetorik geprägten Texten und der Imitation des Stils der Black Panther durch Public Enemys Bühnentruppe Security of the First World, waren es vor allem die Verwendung von Soul- und Funksamples aus den 1960er Jahren, das Einkomponieren von Lärm und Hektik in den ‚Klangwall‘ sowie die Beschleunigung der Musik „von einem gewöhnlichen Sommertag im Ghetto zu einem städtische Aufruhr“ (Decker 1994, 105), die eine historische und klangliche Referenz zur militanten Protestbewegung herstellen wollten. Afrozentrische Strömungen hingegen treten besonders offensichtlich bei The X-Clan hervor, der sich während der relativ kurzen Zeit seines Bestehens „ein phantastisches und unglaublich überladenes Weltbild aus altägyptischen Mythen, radikalem Separatismus sowie einem provokativen Patriarchalismus“ zugelegt hat und

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sich „einer manipulativ-symbolischen Alchemie der Lettern und Symbole“ bediente (Jacob 1993, 102). Auf dem Cover ihres erstes Albums To the East, Blackwards [4th & Broadway, 1990] präsentieren sie ihren pinkfarbenen Cadillac als Zeitmaschine, der sie im Video zu Funkin‘ Lesson ostwärts über den Atlantik nach Ägypten, Nubien oder vielleicht Mecca bringt. Das X im Namen der Gruppe verweist wie etwa bei Malcolm X oder Terminator X, dem DJ von Public Enemy, auf die Tilgung des ursprünglichen Namens der Afrikaner bei ihrer Ankunft in der Neuen Welt als Sklaven. Viele andere afrozentrische Künstler waren oder sind zudem aktive Mitglieder der muslimischen Sekte Nation of Islam (NoI), deren Chef Louis Farrakhan als eine Art letzter charismatischer Führer der ‚Schwarzen‘ imaginiert wird. Die NoI, welche 1933 als streng zentralistische Massenorganisation des ‚schwarzen‘ Separatismus gegründet wurde, vertritt wirre und eklektische Lehren der Form: ‚Weiße sind Sendboten des Teufels‘ oder ‚Das Christentum ist Mittel zur geistigen Versklavung der Schwarzen‘ und spricht vom Recht des Tüchtigen, Gesunden und Intelligenten. Es gelang der Sekte im Laufe ihrer Geschichte, die politische und soziale Schicksalsgemeinschaft ehemaliger Sklaven in eine ethnische Gemeinschaft umdeuten, die sich vor allem um die im Ghetto Marginalisierten kümmert und deshalb relativ starken Zulauf von ‚Schwarzen‘ der Unterund unteren Mittelschicht sowie von Teilen der rappenden Ghettokünstler erhält. Auch wenn nicht alle afrozentrischen Künstler zu Beginn der 1990er Jahre dieses Ausmaß an Radikalität unterstützten, so ist doch eine Häufung ‚afrikanischer‘ oder ‚nubischer‘ Symbolik, kriegerisch-nackter Männerkörper, verschiedener kartographischer Darstellungen des afrikanischen Kontinents, von Abbildungen der Pyramiden von Gizeh auf Plattencovern, eine bevorzugte Farbgebung in Rot, Grün und Schwarz, die Orientierung der Kleider- und Haarmoden an afrikanischen Vorbildern und ein Trend zur musikalischen Imitation afrikanischer Trommelrhythmen festzustellen, welche eine Verbindung „von den Pyramiden zu den Projekten des sozialen Wohnungsbaus“ konstruierten (Emery 2004, 82). Das Ziel allerdings, One Nation Under a Groove zu vereinen (Funkadelic [Warner, 1978]) und eine gemeinsame politische Linie zu verfolgen, scheiterte nicht zuletzt an einem relativ vielgestaltigen Verständnis des Konzepts von Afrozentrismus. Nach der kurzen Phase einer nationalistischen und teilweise religiös motivierten Politisierung, die mit Hilfe der räumlichen Figur von Nation als Schicksalsgemeinschaft begründet wurde, verschwanden viele der radikalen Gruppen wieder oder änderten ihre musikalische und politische Ausrichtung, obwohl bis heute alle drei identifizierten Strömungen fortwirken. Das verzweigte System von Tempeln, die Sozialarbeit vor Ort und gelegentliche Großveranstaltungen zeigen, dass der persistente Einfluss der NoI auch heute kaum überschätzt werden kann (Johnson, Russell 2002; Sun-God Scientific 2005). Auch Afrika Bambaataas Zulu Nation suchte vor dem Hintergrund ihres Einheitsgedankens immer wieder nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner mit der NoI. Geläufige Ausdrücke wie ‚Peace‘, ‚Word (is Bond)‘ oder ‚Word up‘ beispielsweise werden auf den Einfluss muslimischer Nationalisten im HipHop zurückgeführt. „Schließlich zeugen die vielfältig montierten ‚Afrikanismen‘ in den Vereinigten Staaten davon, dass das Bild ‚Afrika‘ nichts mit einer historischen, geographischen und sozialen Realität ‚Afrika‘ zu tun hat, sondern von der diasporischen Sehnsucht nach einem verbindlichen identitätsstiftenden Ursprung gezeichnet ist“ (Mayer 1996, 158).

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Für das Ende der relativ kurze Hochphase nationalistischer ‚schwarzer‘ Positionen um 1992 sind mehrere Gründe verantwortlich. Zum ersten ist spätestens seit Mitte der 1980er Jahre eine Radikalisierung der politischen Aussagen festzustellen, die kurz nach Brother Ds How We Gonna Make the Black Nation Rise? [Clappers, 1980] zur demokratischen Präsidentschaftskandidatur von Jesse Jackson im Jahre 1984 einen ersten Höhepunkt erreichte. Die Diskussionen um Separatismus, explizite Texte und den Zusammenhang von HipHop mit den Rodney King Riots von 1992 verstärkte die Kritik an der Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen. Zum zweiten popularisierte die Musik mit Anleihen aus dem Jazz den afrozentrierten familiy-Ansatz der Native Tongues auch beim ‚weißen‘ Publikum und nahm ihm den subversiven Charakter. Drittens gewannen Märkte außerhalb der USA an Bedeutung, deren Verständnis für eine stark afrozentrierte Ausrichtung der Musik beschränkt blieb. Alles in allem stellte es sich als fast unmöglich dar, unter der Hip Hop Nation so unterschiedliche Dinge wie individualistische Stammesgedanken, sezessionistischen Kulturalismus oder lokalen ‚schwarzen‘ Sozialdarwinismus zu fassen (Mitchell 1996, 25). Die von den meist männlichen und ‚schwarzen‘ Rap-Künstlern vertretenen Ansichten zur Stellung von Frauen, zu Homosexualität, zu Gewalt und Waffen, zu Drogenkonsum und –handel sowie zu Nationalismus und Semitismus sind längerfristig nicht vereinbar mit den durch Musiker mit ‚schwarzem‘ Mittelschichtshintergrund propagierten friedfertigen Haltungen. An diesen unterschiedlichen Positionen entfachen sich immer wieder Diskussionen darüber, welche Wirkungen die Beschreibung der idealisierten ‚schwarzen‘ Erfahrungen in gettoisierten Großstadträumen tatsächlich zeigen und ob nicht vielmehr eine Diskussion um konkrete Wege zu gerechteren sozialen, politischen und ökonomischen Lebensbedingungen anzustoßen sei.

4.2.3 Fazit: Repräsentationen von Raum und die Räume der Repräsentation „It ain’t where you’re from, it’s where you’re at!“, so lautete ein häufig zitierter Satz im Kontext von HipHop – weltweit. Es geht nicht um Herkunft, es geht darum, wo man ist, wo man sich selbst sozial verortet und was man aus dieser Position macht. Es geht um Performanz, um Vergegenwärtigung im Hier und Jetzt, um die ad hoc Konstruktion und Produktion von Räumlichkeit. Dieses Zitat wird dem Duo Eric B & Rakim zugeschrieben und lautet im ursprünglichen Kontext des Albums Let the Rhythm Hit ’em: I guess it ain’t where you’re from, it’s where you’re at! Even the (ghetto), I’m from the (ghetto). Word up, peace! (Eric B & Rakim: In The Ghetto [MCA, 1990])

In diesem Lied lässt Rakim in seiner unnachahmlich relaxten und intuitiven Art des Microphone Fiend seine Ansichten zur Hip Hop Nation, zum Ghetto im Allgemeinen und zu seiner Nachbarschaft in Queens im Besonderen über die Beats von Eric B. fließen. Die Künstler artikulieren eine Politik der Positionierung.

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Sie verweisen zunächst auf ihre Herkunft, die gettoisierten Räume der Stadt, auf ihre reale Erfahrung von Segregation und alltäglichem Rassismus gegenüber der hispanischen und ‚schwarzen‘ Bevölkerung. Rap-Musik benennt die Konsequenzen von Armut und Marginalisierung, fordert sie heraus und versucht sie zu unterlaufen. Die Musik entstand in den Innenstädten an der sozialen Peripherie einer ‚weißen‘ Mehrheitsgesellschaft und reflektiert diese Positionen von Differenz, Separation und Ungleichheit. Zugleich arbeitet HipHop mit an der Demarkation der Grenzen zwischen ‚weißer‘ und ‚nicht-weißer‘ US-amerikanischer Gesellschaft und schreibt sich in die zugewiesenen Räume ein. Rakim rappt: „Wenn ich die Straße betrete, hinterlasse ich Gräben und Risse / Wenn ich Sex hatte, hinterließ ich meinen Namen auf Nacken / Mein Markenzeichen war überall in den projects hinterlassen“. Ghetto und Straße dienen als immer wieder neu zu verhandelnde Repräsentationen dessen, was die Aktualität von ‚Schwarzsein‘ in den USA ausmacht. Rap erzählt vom Ghetto, idealisiert es aber nicht. Es geht um das Festhalten an der ethnischen Trennung, aber nicht um Segregation, um Positionierung, aber nicht um Stagnation (Smith S 1997, 517–521). Der Raum von HipHop wird hier repräsentiert als ästhetische Perspektive, die sich aus einer politischen Erfahrung im Ghetto herleitet. Das Ghetto ist nicht nur symbolischer Ort, sondern auch physischer Ort und gebaute Umwelt, der eigene Boulevard, die eigene Nachbarschaft. Rap ist selbstbewusste Ghetto-Musik, die sehr stark lokalisiert funktioniert: It’s only the ’hood where it’s good. Die ausdrückliche Betonung eines räumlichen Bewusstseins und eines identitätsstiftenden Raumbezugs ist ein entscheidendes Merkmal von RapMusik. Repräsentationen sind somit mehr als in anderen Formen populärer Kultur explizit räumliche Repräsentationen. To represent heißt im HipHop, seinen Herkunftsort nach außen zu vertreten, für seine soziale, häufig ethnisch und sozioökonomisch homogene Gruppe einzustehen und sich auf die Unterstützung durch diese Gruppe verlassen zu können. „Junge, meist männliche Bewohner sprechen für sich selbst und für die Gemeinschaft, sie sprechen wann und wie sie wollen über Themen, die sie wollen“ (Rose 1994, 11). Rap-Musik dient als eine Möglichkeit, die eigenen Lebensumstände am unteren Ende der Skala von Ungleichheit zu artikulieren und die soziale Krise unmittelbar zu dokumentieren. Ghetto ist hier konkreter sozialer Ort, Lokalität als HipHop-Raum der sozialen Erfahrung. Dieser Ort kann durchaus auch in konventioneller Weise ‚Heimat‘ bedeuten, als intimer Ort der Familie und der Freunde. Mos Def beispielsweise präsentiert in Brooklyn seinen home turf in typischer representer-Manier mit Benennungen einzelner Rapper und Freunde, der Abgrenzung seines Territoriums mit Hilfe von Straßenzügen und mit allgemeinen Verweisen auf Brooklyn als die viertgrößte Stadt in den USA. Er bemüht das Bild von „Brooknam“ als einem Ort, der wie Vietnam unter einem andauernden Zustand kriegerischer Gangrivalitäten und polizeilicher Belagerung leidet oder identifiziert das borough schlicht als „the Planet“, der Ort, an dem sich die begnadeten Rapper finden lassen. Als Überleitung zum folgenden Lied Habitat dient Mos Def eine gesungene Passage, die sich stilistisch klar von den vorangegangenen und den nachfolgenden Stücken auf der LP Black on Both Sides abhebt: We all got to have, a place where we come from. This place that we come from is called home.

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We set out on our travels, we do the best we can. We travel this big earth as we roam. We all got to have, a place where we come from. This place that we come from is called home. And even though we may love this place on the map Said it ain’t where you’re from, it’s where you’re at. (Mos Def: Habitat [Rawkus, 1999])

Dieser resolute Bezug auf den lokalen Kontext hat im ökonomischen Sinne existentielle Bedeutung. Über eine lokale Fanbasis, ein Netzwerk aus Kontakten sowie die technologische und bauliche Infrastruktur bietet Rap-Musik neben Sport einen der wenigen Auswege aus der Marginalisierung. Bis heute verlaufen die Prozesse kultureller Produktion im HipHop innerhalb eines Systems engmaschig verknüpfter, lokaler Organisationen, die sich auf die sozialen und ökonomischen Räume der urbanen Nachbarschaft oder Gemeinschaft gründen. Die Geschäftstätigkeiten bleiben dabei selten auf die Produktion von Musik beschränkt, sondern strahlen aus auf verschiedene andere Bereiche wie den Handel mit Elektronikgeräten oder den Verkauf von Automobilen. Der Ort des Ghettos ist der reale, alltägliche Kontext von Rap und wird zugleich imaginiert als authentische Stätte der musikalischen Produktion. HipHop, so die Auffassung, muss von der Straße kommen und die Zustände im Ghetto reflektieren. Rap-Musik mäandriert zwischen massenmedialer Popularisierung durch eine ‚weiße‘ Aneignung der Formen und der (Wieder) Beanspruchung als genuin ‚schwarzer‘ Form kulturellen Ausdrucks mit rhythmischen Anleihen aus dem großstädtischen Ghetto und unter Rückgriff auf das ‚schwarze‘ Umgangssprache. Wird die eigene Rap-Musik wahrgenommen als ständig bedroht durch Tendenzen von Assimilation, Verwässerung und fremder Aneignung oder stehen (strategisch essentielle) Überlegungen einer ökonomisch motivierten Abgrenzungen im Zentrum der Strategien, kann die soziale Produktion dieser Orte herangezogen werden, um Authentizität zu verhandeln und immer wieder neu herzustellen. Ghetto ist hier nicht Stigma, sondern Quelle und Ziel von Kreativität, die HipHop als Black Music immer wieder einen Ort zuweist, den ‚Weiße‘ weniger leicht besetzen und besitzen können. Hier finden sich verschiedene räumliche Dichotomisierungen, welche die Grenze zwischen Authentizität und Ausverkauf, zwischen realness und fake ziehen und immer wieder neu verhandeln lassen. Einige dieser Gegensatzpaare sind: inner city ghetto / suburb, street / executive suite, OG (original gangsta) / studio gangster, urban / rural, hip hop club / music television, Hip Hop Nation / White Anglo-Saxon Protestant America oder New York / non-New York. In diesen Raumproduktionen scheint das Bestreben auf, eine Identität jenseits der Vereinnahmung durch andere abzuleiten. Je nach Kontext allerdings können diese Signifikate des Authentischen und Unauthentischen unterschiedliche Bedeutungen evozieren und auf andere Dimensionen verweisen, mit denen sie in relationaler Beziehung stehen. Hinter den räumlichen Begriffen verbergen sich spezifische Vorstellungen von Ethnizität, wonach das innerstädtische Ghetto mit ‚Schwarzen‘ und die Vororte mit ‚Weißen‘ in Verbindung gebracht werden. In Bezug auf die Musikindustrie steht Straße für den unabhängigen musikalischen Untergrund, die executive suite aber für kommerziellen Ausverkauf an einen Massenmarkt. Auch Vorstellungen von Geschlechtlichkeit

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werden so verhandelt. Der OG ist der männliche, harte und erfolgreiche Protagonist von der Straße, welcher aus seinem eigenen Leben berichtet und sich selbst treu bleibt, während der lasche, verweichlichte und ‚verweiblichte‘ Gangster im Studio die Straße bloß imitiert und seine Geschichten erfindet. Allgemein bleibt die Ausgestaltung der Musik immer abhängig von den ganz konkreten, physischen Kontexten, an denen und für die sie produziert wird. Rap ist in diesem Sinne Funktionsmusik, die für die verschiedenen Gebrauchszusammenhänge und Atmosphären der Diskothek, des Breakdance-Wettbewerbs, der Autofahrt, des Konzerts, des Open Air Festivals, des dreiminütigen Videoclips etc. mit klangtechnischer Perfektion angepasst und rekonfiguriert wird. Mit den konkreten Orten, für die Musik hauptsächlich produziert und an denen Musik rezipiert, konsumiert und genossen wird, sind auch spezifische Vorstellungen kulturhistorischer Momente von HipHop verknüpft. In der Tradition von Party Rap in Live-Kontexten stehen der HipHop-Club oder der Jam als Orte, an denen die Kultur noch wie damals, in den Jahren der frühen Old School, als umfassende kulturelle Äußerung zelebriert wird. Hier ist auch der Ort, an dem sich die Rapper zu bewähren haben. Der Ort der Jam ist dann ein public space of symbolic rejection of black bourgeois sensibilities, an arena for the linguistic refusal to accomodate conservative cultural and political forces, and a refuge from the tyrannizing surveillance of black speech practices exercised in mainstream cultural institutions. (Dyson 1993, 171)

Jam und Live-Club ermöglichen die nostalgische Referenz an eine Zeit, „als die Schnürsenkel breit waren und Michael Jackson noch schwarz war“ (so die Aufschrift eines T-Shirts von Ugly Duckling). „Während eines Konzerts markieren Rapper ihr Territorium, indem sie versichern, dass es ‚ihre Zeit‘ ist“ (Abrams 1995, 8). Lokalitäten werden so genutzt, „um eine authentische Vergangenheit herauf zu beschwören, welche die Gegenwart trägt“ (McLeod 1999, 144). Das Wissen um die Ursprungsorte und die HipHop-Praktiken an diesen Orten lassen die Aussagen der Künstler und des Publikums authentisch erscheinen. Wenn hingegen die New School HipHop für das Radio, die Hitparaden oder das Musikfernsehen herstellt, werden, so kann unterstellt werden, die kulturellen Ausdrucksformen auf die vermarktbaren musikalischen und visuellen Aspekte reduziert und ausverkauft: Aus der Clubmusik des frühen Party Rap sind mittlerweile PlaybackVeranstaltungen und Arrangements für Stadien füllende Großtourneen geworden „ohne jegliche Rücksichtnahme auf die eigentliche Kunstform, die nirgendwo ungünstiger präsentiert werden kann als in einem Football-Stadion“ (Gorris 1989, 214). Diese HipHop-Räume konzipieren Lokalität im Sinne einer ökonomischen Basis, die nicht nur musikindustrielle Prozesse umfasst, sondern auch die Ökonomien von Freizeit und Vergnügen mit einschließt. Black Music als Nicht-Mainstream zeugt auch vom Versagen des Integrationismus und der Belanglosigkeit der liberalen Bürgerrechtsbewegung. Im Kontext von Rap wird die Hip Hop Nation Versuchen entgegen gestellt, das White AngloSaxon Protestant America zu imitieren und dessen Werte, Organisationssysteme und religiösen Anschauungen zu affirmieren. Die Zeile „Word up, peace!“ im Text von Eric B verweist auf die religiös-politische Haltung des MCs als Black Muslim, der sich selbst seit seinem sechzehnten Lebensjahr Rakim Allah nennt und Mitglied der NoI ist. In einer seiner Strophen träumt er sich aus seiner New

4.2 Rap in den USA: representing race, space and place

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Yorker Wohnung in die Welt, über die Wüste nach Mekka und Medina und schließlich zu den Schwestern und Brüdern aus dem durch Apartheid geschüttelten Südafrika: „Die Gedanken reisen weiter / Ich werde zurück sein, nachdem ich / Innehalte und an die Brüder und Schwestern in Afrika denke / [...] Nicht nur dort, sondern auch hier herrscht Apartheid / Jetzt ist es an Zeit, uns aufzulehnen“. Ghetto ist hier Lokalität als politische Erfahrung. Nur einige Zeile später jedoch, und hier wird die Ambivalenz von politisch-religiöser Subversion und wirtschaftsliberaler Affirmation deutlich, fordert Rakim: „Genug der warmen Worte, ich will Eigentum / Mich hält niemand auf, in keinem Stadtteil, denn ich bin gründlich / Reime verschaffen mir Grundbesitz / Wann immer ich zum Mikrofon greife“. Die verschiedenen rhetorischen und diskursiven Dimensionen zeigen, dass es bei der Produktion solcher räumlicher Dichotomien nicht immer ausschließlich um ein kritisches Anprangern der gegebenen Verhältnisse geht oder um ein subversives oder gegenhegemoniales Befragen von Lebensumständen. Häufig sind Rap-Songs schlicht intentionale und affirmative Imitationen erfolgreicher Vorgänger, die Differenz nach kapitalistischem Diktat produzieren und damit geschlechterspezifische, ethnische und ökonomische Abhängigkeiten fortschreiben. Schließlich geht es um business as usual und getting paid. Die Auseinandersetzungen um die Repräsentation von Räumen und die Räume der Repräsentation zeigen sich im US-amerikanischen Kontext zwar dominiert von den realen, diskursiven und rhetorischen Figuren von Stadt, Straße, Ghetto, ’hood und nation. Diese Figuren waren im Laufe der HipHop-Geschichte gar so dominant, dass die Rezeption auch in anderen Kontexten von ihnen dominiert zu werden drohte. Die Bedeutungen dieser Begriffe sind allerdings weder stabil, noch für alle Musiker und Hörer identisch, sondern haben in den vergangenen rund 30 Jahren teils gravierende, teils nur graduelle Verschiebungen vollzogen oder sind gar durch neue räumliche Alternativen jenseits des Ghettos ergänzt worden. So dominierte nie nur ein Diskurs, sondern Rap-Produktionen wurden von Anfang an durch vielfältige Ausgangspunkte und Einflüsse gesteuert. Dazu zählen etwa verschiedene, auch nicht-‚schwarze‘ ethnische Repräsentationen (die ‚weißen‘ 3rd Bass, der Boo-Yaa Tribe aus Samoa, die Latinos von Cypress Hill, The Fugees aus Haiti), unterschiedliche klassen- und schichtspezifische Identitäten (N.W.A im Vergleich zu De La Soul), Differenzen von urban und rural (wie Arrested Development oder Nappy Roots), religiöse Strömungen (explizit christlich wie Run-D.M.C. und Grandmaster Flash oder muslimisch wie die Poor Righteous Teachers), Militanz und Friedfertigkeit (Public Enemys Rekonstruktion der Black Panther–Haltung und Bambaataas unity-Gedanke) und so fort. Trotz so unterschiedlicher politischer Positionen dient die Musik als Kommunikationsmittel zwischen Menschen, das es ihnen erlaubt, ihre eigene Tradition fortzuführen, ihre Frustration zu explizieren und ihre Ansprüche geltend zu machen. HipHop weist hinaus über die enge Maßstabsebene des Lokalen oder der eigenen Nachbarschaft sowie über die verschiedenen politischen, religiösen Ansichten der Protagonisten. Einzelne HipHop-Orte werden zu einer Szene verschmolzen, die sich konstituiert durch räumlich disperse Formationen verschiedener, miteinander verbundener sozialer Netzwerke, Praktiken und Institutionen, die auf ähnlichen Erfahrungen nicht nur im Ghetto gründen. Diese Szene ist musikalischer und politischer Raum zugleich, der die rigide lokale Ausrichtung

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

der Texte etwa im Reality Rap zu transzendieren vermag. Die every ghetto, every city- oder ghetto to ghetto-Rhetorik stellt eine Verbindung her zwischen unterschiedlichen Orten, die alle, wie im Klassiker von DJ Quik, Jus Lyke Compton erscheinen ([Profile, 1992]). Auch wenn die Künstler fest in ihrer Nachbarschaft verwurzelt sind, zeigen ihre Reisen durch die USA, dass die eigenen Erfahrungen mit denen anderer übereinstimmen. As I travel through various towns and strange places I see the same scowls and frowns on the same faces. The game races and cats try to catch it. Before they know it they know death on a first name basis. [....] Young cats be sellin’ the rock, Money busting out their sock, mama tellin’ them stop But desperate times call for desperate means. It all seems so simple when you’re just a teen. Only take one bad apple to poison the good This is for the girls on the block, the boys in the ’hood And wherever I go it’s the same as home It’s the H double O D the name is known They got broke people, poor people, my people, your people. (Wherever I go) Listen And they won’t change, ever change, can’t change, don’t change (And everyone knows) (Masta Ace: H.O.O.D. [M3, 2004])

Der Sound von Rap-Musik, der sich aus Tönen, Rhythmen und körperlichen Erfahrungen von Stadt und Ghetto speist, dient hier der Kommunikation zwischen Menschen in vergleichbaren Situationen. Selbst wenn sich die Liedertexte auf einen konkreten Ort beziehen, so ist die Musik doch immer ein klanglich-kosmopolitiches Element. Die hochgradig lokalen Reden der Rapper „sind keine isolierten Stimmen, sie sind Stimmen von einer Vielzahl sozialer Ränder, die miteinander im Dialog stehen“ (Rose 1994, 11). Rap ist mehr als das Erzählen von Geschichten, das durch eine ausgeprägt rhythmisierte Musik auf elektronischer Basis begleitet wird. Sound und Rhythmus kommunizieren das Unsagbare, sie können Emotionen und Erfahrungen mitteilen. Die Stimmen und musikalischen Rhythmen lassen die Bewohner unterschiedlicher gettoisierter Räume in einen Dialog treten, der in gemeinsamen Alltagserfahrungen von Marginalisierung gründet. Rap-Rhythmus kommuniziert als Trommeln der Jetztzeit die Erfahrungen des Ghettos von einer ’hood in die nächste (und darüber hinaus) und ermöglicht so die Verbindung von Zeiten, Orten und Menschen. Als eine Art Werkzeug der Wissensvermittlung fordert Rap-Musik auf, sich als translokale Gemeinschaft der Unterdrückten zur Wehr zu setzen und ruft die Marginalisierung innerhalb wie außerhalb des Ghettos immer wieder ins Bewusstsein. Rap als Black Music fordert die Konzeptionen von Einzigartigkeit und Individualität von Musik und Musikern heraus und stört konventionelle Auffassungen von Musikalität. Rap priorisiert Rhythmus gegenüber Melodie, Lärm gegenüber Harmonie, Sound gegenüber Text. Die Musik hinterfragt Symbole und Zeichensysteme einer Musikindustrie und deren Gleichgültigkeit gegenüber Botschaften und Erfahrungen ‚schwarzer‘ Künstler.

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Rap artikuliert ethnische, ökonomische und soziale Auseinandersetzungen im Raum und um Raum musikalisch. Auf der Basis konkreter Settings und alltäglicher Erfahrungen geht es um die symbolische Aneignung und Umdeutung von (Stadt)Raum, um den Zugang zu Ressourcen und um selbst bestimmte kulturelle Ausdrucksformen. Im Falle von Rap erfolgt diese Artikulation von Geographie sehr stark aus geschichtsbewussten Positionierungen innerhalb einzelner Lokalitäten heraus, die zugleich als physisch-materielles Setting, als soziale Heimat, als ökonomische Basis, als politische Erfahrung und als Schnittpunkt multipler Beziehungen mit anderen Menschen, Lokalitäten und Materialitäten gefasst wird. „It’s not where you from, it’s where you’re at“? Redman, ein Rapper aus New Jersey, der bekannt ist für seine ausgedehnten Touren nach Japan und durch Europa, formuliert es folgendermaßen: It ain’t about where you’re from, it’s about where you at, and then it becomes about where you’re from. Damn that’s deep – I gotta use that! (Redman on why traveling... 2003, 95)

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland Man nennt den Stadtteil Ratingen-West im Nordosten der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt auch die Bronx von Düsseldorf. (Kuster o.J.) Also der größte Unterschied zwischen deutschem HipHop und US-amerikanischem HipHop ist: USA und Deutschland. Es sind zwei verschiedene Länder mit verschiedener Realität. Und die spiegelt sich, wenn man die Lupe nimmt, natürlich auch in der Musik wider. Beziehungsweise in den Leuten, die sie machen. Das eine sind halt Amis, das andere sind halt Deutsche. Jeder erzählt von seiner Realität, und das schwappt über. Dass die Deutschen sich mehr von den Amis beeinflussen lassen als die Amis von den Deutschen lass ich erstmal auf jeden Fall gelten. Wir sind auch die, die den Krieg verloren haben. Was is’ los? Das gibt’s nicht nur bei HipHop so. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

Rap-Musik war bis weit in die 1980er Jahre hinein kein Thema für den jugendkulturellen Mainstream in Deutschland. Einzig ein früher Bericht in der Musikzeitschrift Sounds dokumentiert einige der frühen Zusammenhänge auch für Leser in Westdeutschland (Keller 1981a und 1981b). Erst 1986/87 nahm die Musikpresse Rap-Künstlern aus New York wieder sporadisch zur Kenntnis. Dass eine gewisse Zeit weder Begriffe gefunden wurden, um die Musik adäquat zu beschreiben, noch ein tiefgreifendes Verständnis der kulturellen Zusammenhänge existierte, dokumentiert eine Besprechung von The Message von Grandmaster Flash and The Furious Five in der Sounds aus dem Jahre 1982: ‚The Message‘ ist eine sparsam instrumentierte, (!) Aufzählung von präzise formulierten Wahrheiten. [...] ‚The Message‘ stimmt und ist kein Song, weil hier in keiner der vorgeschriebenen Sprechweisen geredet wird: Der Text kritisiert nicht, er schimpft nicht, er jammert nicht, protestiert nicht, sagt nur, wie es ist. Ist cool. [...] Diese Coolness ist die neue Qualität von ‚The Message‘. Die Abwesenheit von Genre gibt dem Werk eine Wahrheit, die auch unabhängig von dem Beschriebenen (Ghetto-Alltag, typisches Ghetto-Schicksal) in völlig anderen Zusammenhänge wirkt: ‚The Message‘ für Norderstedt und Freilassing. (Diederichsen 1989, 82)

Der Autor rekurriert hier vor allem auf den Text und seine schonungslose Beschreibung der Zustände im Ghetto. Er koppelt diese Beschreibung aber nicht ausschließlich an die ‚schwarze‘ Minorität US-amerikanischer Innenstädte, son-

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

dern spricht ihr eine Bedeutung zu, die auch in ganz anderen Kontexten wirken kann. The Message wird so verstanden als Protestlied gegen Ausbeutung, Marginalisierung und erzwungene Segregation weltweit. Aufgrund der fehlenden Möglichkeiten, die musikalischen Qualitäten und Rhythmen angemessen zu thematisieren und kontextsensitiv einzuordnen, verbleibt die Rezension auf der Ebene des Liedtextes. Lediglich der Vortragsstil von Melle Mel wird kommentiert, der sich durch eine gewisse „Coolness“ auszeichne. Offensichtlich herrschte zunächst selbst bei Musikjournalisten eine gewisses inhaltliche Überforderung angesichts der neuen Botschaften, die zunächst auch mit dem Aufkommen von Gangster Rap an der Westküste und dem Reality Genre an der Ostküste inklusive der Black Power!-Rhetorik und der politischen Ausrichtung am ‚schwarzem‘ Nationalismus weiter bestehen blieb. Die Zusammenhänge von Pop und Politik, von Sozialstruktur und Wirtschaftsorganisation oder von Segregation und Ethnizität, welche HipHop massiv artikulierte, störten zunächst die friedlichen Konsumtionszusammenhänge, die eher an modischen und stilistischen Fragen ausgerichtet waren. Die Begriffe von Rassismus und das Wissen um die kulturellen und sozialen Hintergründe wollten erst erlernt sein und vermittelt werden. Der Ghetto-Begriff kann als ein Beispiel dienen, die Schwierigkeiten bei der Adoption und Adaption musikalischer HipHop- Diskurse im deutschen Kontext nachzuvollziehen. Ist Ghetto in der deutschen Sprache historisch zunächst mit jüdischen Stadtvierteln konnotiert, gehörte der Begriff nach der Massenvernichtung der Europäischen Juden im Dritten Reich lange Jahre zum Wortfeld Holocaust. Punk kannte als erste musikalische Bewegung Texte, in denen verstärkt der Begriff Ghetto verwendet wurde und die auch deutsche Produktionen entsprechend beeinflussten. Ghetto wird hier verstanden als ein nicht unbedingt räumlich verorteter gesellschaftlicher Zustand, der keine tragfähige und erstrebenswerte Zukunft bietet. In diesem Sinne kann auch die zitierte Rezension von The Message verstanden werden: Ghetto-Alltag ist überall und Ghetto-Schicksale können jeden treffen, in New York wie in Freilassing. Mit dem weit reichenden Erfolg von Rap als ‚Ghettomusik‘ seit Mitte der 1980er Jahre wurden auch in Deutschland diese älteren Auffassungen von Ghetto durch Bilder des Alltagslebens in urbanen, segregierten und marginalisierten Stadtteilen ersetzt. Die Anerkennung der realworld des US-amerikanischen Ghettos als soziale Herkunft und politische Erfahrung, die sich seit Ende der 1980er Jahre mehr und mehr auf konkrete urbane Nachbarschaften bezog, sowie die Einsicht, dass damit grundsätzlich anderes verbunden ist als die Lebenserfahrungen von Deutschen, und auch von Ausländern und Immigranten in Deutschland, machen Lieder wie Dies ist nicht Amerika [Buback, 1993] von den Absoluten Beginnern aus Hamburg oder der Plattentitel Im falschen Geruch von Ghetto hier? der Berliner Formation Wahre Schule [What’s So Funny About, 1997] deutlich. Grundsätzlich allerdings stellt US-amerikanische Rap-Musik einen Fundus an Texten, Klängen und Bildern zur Verfügung, aus dem sich unterschiedliche Gruppen mehr oder weniger wahllos bedienen. Da sind Hörer der Musik, die unter Ghetto nicht einen sozialen Ort, sondern eine Lebensauffassung verstehen, die über Musikkonsum, Kleidung und die Nachahmung von Gesten, Worten und Taten dargestellt wird. Dies kann als Identitätspolitik gelesen werden, wird aber meist als Imitation entlarvt, deren Posen unecht – weil kulturell uninformiert – wirken müssen. In anderen Zusam-

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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menhängen steht das US-amerikanische Ghetto als Ursache für Gefühlslagen und Praktiken auch hierzulande gerade: „Die minderjährigen HipHop-Fans benutzen die Ghettokunst, um ihre pubertäre Kampfeslust zu stimulieren“, schreibt ein Journalist der Zeit unter der Überschrift „HipHop mit Blut“ (Düfel 1997, 74). Sätze wie „Die Atmosphäre der Gewalt überträgt sich von den amerikanischen Innenstadtghettos auf deutsche Clubs“ legen einen direkten Zusammenhang von HipHop-Musik und Gewaltbereitschaft nahe, der nicht nur auf homologen Annahmen bezüglich des Zusammenhangs von Klängen und Handlungen rekurriert, sondern eine Eins-zu-Eins-Übersetzung aus den USA nach Deutschland unterstellt. Die Betonung von Ghetto dient außerdem als Strategie, Waren mit einem Image zu versehen, welches unterstellt, dass allein durch den Kauf von Mode oder Musik ein authentischer Teil der Ghettokultur in den eigenen Besitz übergehen könne. Bild- und Klangsprache werden hier selektiv von semantischen Inhalten abgelöst und als Ressourcen eigener Identitätsarbeit zugänglich gemacht. Und auch die Künstler selbst nehmen eine imaginäre Ghetto-Existenz an. Seit (King) Kool Savas aus Berlin 2003 angetreten ist, den ‚schwulen‘ und ‚verweiblichten‘ Rap in Deutschland wieder hart und männlich zu machen, ist das Rappen über Ghettos in deutschen Städten wie selbstverständlich möglich. Sidos Mein Block [Aggro Berlin, 2005] und Azads Antwort verbinden Ghetto mit den konkreten Räumen des Märkischen Viertels in Berlin beziehungsweise der Frankfurter Nordweststadt. Noch vor kurzem wurde das Bild vom deutschen Großstadt-Ghetto in den Popmedien als pubertäre Wannabe-MC-Phantasie verspottet. Inzwischen ist die Erzählung vom Ghetto zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Mehr noch: im deutschsprachigen Rap zeichnet sich ein symbolischer Kampf ab um diesen vorgeblich einzigen Ort, von dem aus authentisches Sprechen möglich ist. (Loh 2005, 123)

Diese Beispiele der „Schwierigkeiten beim musikalischen ‚Ghetto‘-Diskurs“ (Möbus, Münch 1998) verdeutlichen, wie wandelbar Interpretationen US-amerikanischer HipHop-Musik in bundesdeutschen Zusammenhängen sein können und wie abhängig sich ein musikalisches Verständnis von den historischen und räumlichen Kontexten sowie dem Stand des kulturellen Wissens der Interpreten zeigt. Im Folgenden sollen in einer lockeren historischen Abfolge einige räumliche Prozesse identifiziert werden, die spezifisch für den deutschen Kontext von HipHop in Deutschland sind und Rap-Musik ausweisen als sowohl stark an US-amerikanischen Modellen orientiert als auch durch lokale, translokale und nationale Kontexte vermittelt.

4.3.1 Geographie der Alten Schule Nur durch die Strukturen im öffentlichen Jugendsektor konnte HipHop hier in Deutschland so groß werden. (Spaiche, zitiert von Krekow, Steiner 2000, 136) Die ästhetische Dimension der Musik erhält ihren besonderen Wert durch die Schaffung geschützter Erfahrungsräume, von den eigenen Zimmern über Jugendzentren bis hin zur Clubkultur, in denen etwa im Tanz Bedürfnisse nach Körpererleben befriedigt oder in den je spezifischen Musiken Symbole gefunden werden können, die ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. (Neumann-Braun, Schmidt, Mai 2003, 16)

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

Nach dem Abklingen der kurzen, modischen Breakdance-Welle zwischen etwa 1983 und 1984, die HipHop zusammen mit Filmen wie Wild Style und Beat Street nach Westdeutschland kommunizierte, blieb eine kleine Gruppe interessierter Fans zurück, die sich ein qualifiziertes subkulturelles Wissen und ein tieferes Verständnis der verschiedenen Produktionstechniken anzueignen versuchten (Jacob 1997, 331–333; vgl. Kapitel 3.3.4). Die Begeisterung der jungen Menschen in Deutschland für HipHop und die Motivation, in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre von Konsumenten zu Produzenten der Musik zu werden, hat verschiedene Ursachen. Die interviewten Künstler beispielsweise nennen häufig Abgrenzungsbestrebungen gegenüber anderen Jugendlichen und deren musikalischen Geschmacks- und Konsumtionsmustern. Insbesondere Rocker, Hörer von Neuer Deutscher Welle und headbanger des Metal Genres waren Gruppen, gegen die sich HipHop-Aktivisten abgrenzen wollten. Ein weiteres Gegenbild, an dem sich die eigene Positionierung abarbeiten konnte, war die Welt der Erwachsenen mit ihren Norm- und Erwartungshaltungen. So führt Textor von Kinderzimmer Productions die Begeisterung für HipHop auch zurück auf „das ganz brutale Unverständnis von allen Eltern und das ganz sichere Wissen, dass [HipHop] einer der sichersten Räume überhaupt ist, um vor den Zugriffen sämtlicher Institu geschützt zu sein“ (Interview mit Textor, November 2005, Heidelberg). Die Identitätspolitik der Jugendlichen machte sich dabei auch an der Möglichkeit fest, selbstbewusst und selbstbestimmt kulturell produktiv zu werden und aus der Masse hervortreten zu können: Die Rapper nennen ihre Namen, es ist was sehr Persönliches. Es gibt keinen Kurtis BlowSong, wo er nicht kurz sagt ‚Kurtis Blow‘. [...] Ich hab’ den Text auswendig gelernt, und immer wenn ‚Kurtis Blow‘ kam, wollte ich natürlich meinen Namen einsetzen. Nur: der hat sich nicht mehr gereimt, und dann musste ich den Text umschreiben. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

HipHop trägt hier bei zur Ermächtigung von Menschen, sich selbst wertzuschätzen und sich Ansehen und den Respekt anderer zu erarbeiten. Als partizipative und relativ leicht zu exerzierende Ausdrucksform steht HipHop in diesem Verständnis grundsätzlich jedem offen, der sich auf die verschiedenen Disziplinen einlässt und den tradierten Spielregeln zumindest soweit folgt, wie sie aus der Rezeption der HipHop-Filme und dem Hören von Rap-Musik abgeleitet werden können. Ein weiterer Grund für den Enthusiasmus der Jugendlichen aus verschiedenen räumlichen und sozialen Kontexten ist eine verbreitete Technikbegeisterung vor allem bei Jungen, die dem Spiel und dem Experiment mit elektronischen Geräten einen gewissen Unterhaltungswert abgewinnen können. Mit HipHop war die Produktion eigener, neuer und aktueller Musik leichter möglich als je zuvor. Es bedurfte keiner Instrumente und keiner musikalischen Ausbildung, um relativ schnell vergleichsweise anspruchsvolle Klangstrukturen aufzubauen oder sich Reime auszudenken. Charakteristisch für diese frühe Phase ist daher der Spaß an der technisch-handwerklichen Seite kultureller Praxis. Ein letzter und immens wichtiger Grund schließlich bezieht sich weniger auf die textualen Inhalte von HipHop und ihre allgemeinen Funktionen bei der Schaffung neuer jugendkultureller Strömungen, die so vielleicht auch für andere Musikstile nachzuvollziehen sind, sondern auf die spezifischen Qualitäten der Musik, welche Rap zu einer starken affektiven Kommunikationsinstanz jenseits

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ethnischer, politischer und sozialer Grenzen machen. Textor erinnert sich an die frühen Hörerlebnisse in den Jahren um 1987, als Run-D.M.C., LL Cool J und Public Enemy einige ihrer klassischen Alben auf DefJam veröffentlichten. Ich glaube, es hatte ganz viel mit dieser unglaublichen Vehemenz zu tun. Diese unglaublich offensive, körperliche, teilweise auch aggressive Musik, die jetzt nicht darauf aus ist, irgendwie klavierstundenkompatibel zu sein, sondern wirklich auf die Zwölf geht. Die Sensation, das Offensive, das Körperliche. [...] Wir haben ja wenig Englisch verstanden, wir konnten ja nur aus der Körpersprache, die wir dann mal in den ersten Videos gesehen haben, schließen, was derjenige meint. Es ist aber damals total unmittelbar gewesen, es hat kein Textverständnis gebraucht. Wir haben uns das Textverständnis dann nach und nach erarbeitet. (Interview mit Textor, Heidelberg, November 2005)

Diese Enthusiasten gingen zunächst in verschiedenen Städten und Gemeinden mehr oder weniger unabhängig voneinander ihren Hobbys Platten mischen, Texte nachrappen, Graffiti sprühen oder Breakdance nach. Selbst die sehr starke und aktive musikalische Szene in Frankfurt blieb lange Zeit auf das Umfeld der hier stationierten US-amerikanischen Truppen und die Verbindungen nach New York fixiert. HipHop galt den meisten Aktiven zu dieser Zeit als eine umfassende Form gegenkulturellen Ausdrucks, der durch eine radikal neue und kreative Do-ityourself-Ästhetik charakterisiert war. Musikalisch stand zunächst das Nachrappen der Texte über die instrumentalen B-Seiten der importierten Maxisingles im Mittelpunkt. Der Mangel an Informationen über die technischen Aspekte der musikalischen Produktion und der schwierige Zugang zu hochwertiger Musiktechnologie ließen aber in der Folgezeit Raum für Spiel, Kreativität und die Re-Innovation von musikalischen Techniken. Auf die Frage, wie genau man sich dieses Ausprobieren vorzustellen hat, antwortet Torch: Also angefangen hat’s damit, dass man einen Kassettenrekorder hatte. Mein Vater hatte ein Doppelkassettendeck, mit dem konnte ich Sachen loopen. Das heißt, ich habe irgendwo eine Passage gehört, die mir gefallen hat und hab’ sie einfach immer wieder hinkopiert. Und manchmal hat’s genau gesessen, das hab’ ich dann meinen ganzen Freunden vorgespielt. Und so hat man ein eigenes Instrumental geschaffen, worüber ich dann rappen konnte. Und nach dem Kassettenrekorder hat man am Plattenspieler versucht, irgendwie zu scratchen. [...] Und dann hab’ ich irgendwann mal von meinem Musiklehrer ein Effektgerät für Gitarren ausgeliehen, anschließend hab’ ich mir einen Drumcomputer gekauft, den kleinsten und günstigsten, den’s gab. [...] Wir haben uns dann einfach was zurecht gesponnen, alles mögliche, was einen Ton erzeugt. Alles: Beatbox, Human Beatbox, mit dem Mund. Einfach alles Mögliche, scheißegal, Hauptsache es kommt irgendwo ein Ton raus. [...] Dann haben [wir] unsere ersten selbst geschriebenen Texte drüber probiert. Wir haben dann schon recht früh, 87, die Band gegründet, Advanced Chemistry. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

Durch das Experimentieren mit einer mehr oder weniger umfangreichen technischen Grundausstattung und allen möglichen Klangquellen gelangen musikalische Versionen, die zwar an US-amerikanischen Vorbildern orientiert waren und deren rhythmische Charakteristika imitierten, in ihren musikalischen Feinheiten aber zunehmend neue Ideen und Fähigkeiten aufwiesen. Die Vielfalt der Spielarten von HipHop und die relativ einfachen Möglichkeiten zur Adaption der Musik und der Texte machten Rap auch in Deutschland zur Ausdrucksform, die als Party-Begleitung genauso zu verstehen und zu nutzen war wie als politischer Kommentar für unterschiedliche ethnische und sozioökonomische Gruppen.

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Ab etwa 1986 begannen viele der Aktiven HipHop nicht mehr nur in den privaten Räumen der Jugendzimmer und Wohnungen zu praktizieren, sondern verstärkt die öffentlichen Räume der Jugendzentren und Bürgerhäuser zu nutzen. Hier konnten sich in der Folgezeit lokal lose HipHop-Gemeinschaften bilden. Mark Terkessidis beschreibt in der Musikzeitschrift Spex beispielhaft die zeitgenössische Situation im Nürnberger Stadtteil Gostenhof: Die Nürnberger Südstadt ist nicht unbedingt die Bronx, auch wenn es auf unserem Foto so aussieht. Mit der Bronx gemeinsam hat sie aber immerhin, dass hier im Laufe der letzten Jahre türkische, italienische, halbperuanische und deutsche Homeboys zu einer der größten, produktivsten und politisch radikalsten HipHop-Communities in Deutschland zusammengewachsen sind. Im Gostenhofener Jugendzentrum regiert Hardcore-Rap so wie anderswo Hardcore-Rock. Die amtierenden Könige sind Incredible Al und Chill Fresh a.k.a. King Size Terror. [...] Die Homebase all dieser Musiker ist das Jugendfreizeitheim Gostenhof, wo es tatsächlich einen Raum für DJ’s (!) gibt, in dem sich immer alle treffen; die Basic-Einrichtung hat die Stadt hingestellt, Plattenspieler, Sampler und das restliche Equipment haben sie sich selbst zusammengekauft. (Terkessidis 1991, 39)

Die Rhetorik des Autors ist stark geprägt von den US-amerikanischen HipHopDiskursen der späten 1980er und frühen 1990er Jahre. Begriffe wie „Homeboy“ und „Homebase“ verweisen auf den sozialen und lokalen Ursprungsort von HipHop. Der einleitende Vergleich von Nürnbergs Südstadt mit der Bronx in New York rahmt die folgende Geschichte, die im Umfeld verfallender Gebäude, hoher Kriminalitätsraten und überdurchschnittlich hoher Minoritätenanteile unter der Bevölkerung situiert wird. Auch der Untertitel des Artikels „South Central Gostenhof“ rückt Nürnberg über den Vergleich mit dem notorischen Stadtteil South Central in Los Angeles in die Nähe einer gettoisierten Stadtlandschaft und weckt Assoziationen von Ganggewalt und Drogenkriminalität. Trotz dieser vereinfachenden Parallelisierung differierender räumlicher Kontexte und der unterstellten Vergleichbarkeit der Erfahrungen ‚schwarzer‘ und hispanischer Jugendlicher in den Ghettos US-amerikanischer Innenstädte mit dem Alltag der Jugendlichen in Städten und Gemeinden europäischer Wohlfahrtsstaaten wird deutlich, wie wichtig der Gedanke einer lokalen Basis musikalischer Praktiken für das Verständnis der sozialen und klanglichen Organisation populärer Musik ist (Leyshon, Matless, Revill 1998b). HipHop-Kultur und Rap-Musik werden auch im deutschen Kontext durch eine starke Verbindung mit dem lokalen Umfeld und einer Gruppe von gleich gesinnten „Homeboys“ charakterisiert. „Homebase“ drückt dieses Gefühl der Verbundenheit mit einer Lokalität aus, an der sich Freunde und Bekannte treffen, von denen verlässliche Unterstützung erwartet wird. Im Kontext von Westdeutschland wurden Jugendklubs, Bürgerhäuser und Kulturzentren Ende der 1980er Jahre zu wichtigen Treffpunkten für HipHopAktivisten derselben Gemeinde oder desselben Stadtteils (Hoyler, Mager 2005). Diese Einrichtungen sind ein Kind der Neuen Kulturpolitik der 1960er und 1970er Jahre und ausdrücklich konzipiert als ‚Spielräume‘, welche die kreative Eigenbetätigung befördern und gegenüber ethnischen und sozialen Minderheiten integrativ wirken sollen (Knoblich 2001). Diese Infrastrukturen boten Möglichkeiten autonomer und selbstbestimmter kultureller Praxis außerhalb der Kontrolle durch Elternhaus, Schule oder Kirche. Hier war es möglich, die persönlichen Er-

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fahrungen mit anderen zu teilen, sich über die Fortschritte der musikalischen DoIt-Yourself-Versuche auszutauschen oder seine Fähigkeiten vor einem kleinen Publikum live zu präsentieren. Ob und inwieweit aus diesen Anfängen tatsächlich eine lokale musikalische Szene entstehen konnte, war freilich vor allen Dingen vom Engagement, der Kreativität und der Begeisterung Einzelner abhängig. Verlief die frühe Entwicklung von HipHop und Rap-Musik an verschiedenen Orten in Westdeutschland zunächst relativ isoliert, entstand bei den Jugendlichen bald das Bedürfnis, sich mit anderen auszutauschen und die verschiedenen HipHop-Aktivitäten zu vernetzen. Linguist erinnert sich an diese dynamischen Entwicklungen: [Das Jugendhaus] war deswegen wichtig, weil dort der Kontakt zu anderen Leuten entstand. Wir haben uns dort ausgetauscht. Es wurde später noch einmal sehr wichtig, als wir anfingen, uns in Deutschland etwas breiter zu machen. Als Advanced Chemistry gegründet wurden und wir angefangen haben, auf Jams zu spielen, fanden die ersten Jams in den Jugendhäusern statt oder wurden von Jugendhäusern organisiert. Das war dann später, so gegen 1987/88, als wir mobiler wurden. Aber in der Formierungsphase war das Jugendhaus der Ort, an dem wir zusammenkamen. Man ging nachmittags hin, und alle waren dort. (Linguist, zitiert von Loh, Güngör 2002, 131)

Linguist betont hier nicht nur die wichtige Rolle der öffentlichen jugendkulturellen Infrastruktur zu Beginn von HipHop in Deutschland, sondern führt auch den Gedanken eines mobilen HipHop-Raumes ein, der durch Mobilität und den Austausch mit verschiedenen Orten konstituiert wird. Da Mobilität mit der Bahn für Jugendliche zu dieser Zeit relativ günstig war – die Aktivisten sprechen bis heute mit Wehmut von der Zeit des ‚Trampertickets‘ – brachen viele von ihnen an den Wochenenden auf, um auch in anderen Städten jene Orte aufzusuchen, die sie über Zeitungsrecherchen oder persönliche Kontakte in Erfahrung bringen konnten. Graffiti und die auffälligen Kleidungsstile der Protagonisten in den einzelnen Städten waren ein sichtbarer Indikator für HipHop. Zudem war klar, dass sich die Gleichgesinnten in einem der Jugendzentren vor Ort finden lassen würden. Hier wurden Adressen ausgetauscht und zukünftige Besuche oder gemeinsame Aktionen verabredet. Die aus den Reisen resultierenden informellen Netzwerke verbanden aber nicht nur Jugendliche aus verschiedenen lokalen Szenen in Deutschland, sondern reichten auch in andere europäische Länder, in die USA und manchmal gar nach Afrika oder in die Karibik (Abbildung 6). Gelegentlich wurden deutschland- oder europaweite Jams veranstaltet, welche vielleicht 50 bis 200 jugendliche HipHopEnthusiasten aus unterschiedlichen nationalen, ethnischen und sozioökonomischen Zusammenhängen in einer der ‚Homebases‘ zusammenführten. Räumliche, ethnische und soziale Herkunft schienen hier von untergeordneter Bedeutung zu sein. In Analogie zum „It ain’t where you’re from, it’s where you’re at“ zählte weniger, woher man kam oder was man war, sondern „allein, was einer kann!“ (Verlan, Loh 2000, 76). Auf den Jams fand ein reger Austausch von Wissen und stilistischen Ideen statt, indem die Graffiti-Maler ihre Bilder an die Wände sprühten, gegenseitig in ihre Skizzenbücher zeichneten oder Photos ihrer Werke austauschten, die B-Boys ihre neuesten Tanzbewegungen aufführten und in einem Kreis gegeneinander antraten oder sich Rapper in einem Freestyle-Wortgefecht über die Beats der DJs maßen. Während einer solchen Jam verschob sich der

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Fokus der Aufmerksamkeit ständig, so dass jeder möglichst zu allen HipHopPraktiken einen Beitrag leisten konnte. Die übliche Unterscheidung von Künstler und Publikum verschwamm ebenso wie die scharfe Trennung von Bühne und Zuschauerraum. Die HipHop-Praktiken waren hier an den performativen Akt innerhalb einen (temporären) Gemeinschaft und an Lernprozesse durch die Beobachtung anderer geknüpft. Die nationalen und internationalen HipHopNetzwerke der Alten Schule fanden von Zeit zu Zeit in Jams ihre Bodenhaftung, wo die Jugendhäuser, Kulturzentren und Turnhallen als Knoten in einem informellen kulturellen Netz dienten. Die HipHop-Jams waren damit weniger lokal abgegrenzte Räume, sondern müssen unter Berücksichtigung der komplexen Beziehungen mit anderen Orten konzeptionalisiert werden. HipHop der Alten Schule ist damit, wie populäre Kultur allgemein, „kein geschlossenes System sozialer Beziehungen, sondern eine spezifische Artikulation von Kontakten und Einflüssen, die von einer Vielzahl verstreuter Orte über viele verschiedenen Teile der Welt nach Maßgabe von Machtbeziehungen, Mode und Gewohnheit zusammen gebunden sind“ (Massey 1998, 124). Die zunehmende Organisation der verschiedenen lokalen städtischen HipHop-Szenen und ihre temporäre Zusammenführung auf Jams in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren erwiesen sich als entscheidende Schritte für die weitere Entwicklung von HipHop in Deutschland. Erstens gelang es einzelnen Aktivisten, durch das Ausrichten von Jams und der Mobilisierung möglichst vieler anderer Enthusiasten aus möglichst unterschiedlichen räumlichen Kontexten, Ansehen und Respekt innerhalb der lokalen wie der überlokalen Szenen zu erlangen. Zugleich bewies die weitreichende Reisetätigkeit der Protagonisten auch an die entlegensten Orte eine ‚wahre‘ Leidenschaft gegenüber HipHop und die selbst auferlegte Verpflichtung, sich ganzheitlich für die kulturellen Formen einzusetzen. Am Nachweis, an den Jams partizipiert zu haben (been there, done that), ließen sich Auffassungen von Geschichtlichkeit und realness festmachen, die in den Räumen der Jugendzentren wurzelten. Die Organisations- und Reisetätigkeiten verschafften einzelnen Aktivisten in den Folgejahren eine herausragende Position auch vor dem Hintergrund einer sich zunehmend ausdifferenzierenden musikalischen Entwicklung. Die heutige Stellung von Torch beispielsweise gründet sich, neben seinen ausgeprägten Fähigkeiten, eine Party live zu ‚rocken‘, auf die Involviertheit in die Aktivitäten der Alten Schule zu dieser Zeit. Torch spricht gar von einem HipHop-Ethos, wenn er betont: „Ich und meine Leute, wir fühlen uns verantwortlich für das, was in Deutschland und Europa HipHop-mäßig passiert“ (Torch, zitiert von Felbert 1993b, 51). Zweitens konnten die Teilnehmer der Jams nachhaltige HipHop-Netzwerke etablieren, über die Freundschaften aufgebaut und Informationsflüsse organisiert wurden und aus denen musikalische Kollaborationen oder kulturelle Gemeinschaftsprojekte resultierten. Während einer frühen Phase der Kommerzialisierung in den 1990er Jahren, in der das Interesse der Musikindustrie an Rap-Musik aus Deutschland erst langsam zu wachsen begann, stellten die Netzwerke der Alten Schule bereits formelle und informelle Infrastrukturen wie Fanzines, HipHopLäden, Versandhandel, kleine Plattenfirmen oder Aufnahmestudios bereit. Das Label MZEE beispielsweise wurde von Akim Walta 1992 gegründet, um RapMusikern der Alten Schule wie Advanced Chemistry aus Heidelberg, MC René aus

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

259

Braunschweig, Fast Forward aus Aachen, No Remorze aus Bremerhaven, Freaks Association Bremen oder den Massiven Tönen aus Stuttgart die Veröffentlichung ihrer ersten Platten zu ermöglichen. Der Name der Plattenfirma leitet sich ab aus M für München und MZ für Mainz, die beiden Städte, in denen der Firmeninhaber Jams und Veranstaltungen organisierte, sowie aus zwei angehängten Buchstaben E, die den Namenszug zu einem gesprochenen ‚MC‘ ergänzen. Zu den Aktivitäten von MZEE gehörte mit From Here To Fame zudem ein Managementbüro für Künstler, ein HipHop-Mailorder sowie das Magazin On the Run (Heisig 2005).

Abb. 6: Die Vernetzung der Alten Schule: Das Beispiel des Breakers Storm aus Hamburg. (Quelle: Robitzki 2000; eigene Darstellung.)

Drittens waren mit den Reisen zu Jams in verschiedene Städte im In- und Ausland spezifische Vorstellungen eines adäquaten oder authentischen HipHop-Raumes verbunden. Die Mobilität und das Bedürfnis, Gleichgesinnte kennen zu lernen und Informationen auszutauschen, erweiterte den Wirkungskreis der Aktivisten jenseits der eigenen sozialen Gruppe und der lokalen ‚Homebase‘: Weil ich immer auf die HipHop-Jams gefahren bin und die Leute kennen gelernt hab’ [...] wurde ich mir zum ersten Mal über die Geographie meines Landes klar. Deswegen... vorher, klar, Du lernst in der vierten Klasse, da ist die Stadt und da ist das, aber das ist... das geht dich

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

einfach nichts an. Durch HipHop erst wurd’ mir alles ein bisschen bewusster. (Torch in Lost in Music, 1993)

Allein durch die relative geringe Zahl von Gleichgesinnten in einer Stadt oder Gemeinde musste ein größerer Rahmen als Grundlage der eigenen musikalischen Produktion und Konsumtion gefunden werden, der HipHop von einer lokalen Angelegenheit zu einer translokalen und letztlich internationalen machte. Gleichzeitig aber blieben die Aktivitäten weiter gebunden an die spezifischen Räume der Jugendhäuser und Kulturzentren. Der Kontext musste dabei nicht notwendigerweise ein urbaner oder großstädtischer sein, wie die Vielzahl von Jams in kleineren Städten wie Lüdenscheid, Gießen oder Aschaffenburg belegt. Die Verbindungen verschiedener bislang isoliert experimentierender DJs und Rapper durch die Reisetätigkeiten machten die Musiker bereits Ende der 1980er Jahre mit einer Vielfalt und Differenziertheit musikalischer Richtungen bekannt, die in der relativ offenen Atmosphäre der translokalen Jams schnell zu stilistischen Befruchtungen führten. „HipHop ist nicht international, it’s outernational“ (Interview mit Ade, Köln, Juni 2001). So ist davon auszugehen, dass die in den frühen 1990er Jahren veröffentlichte Musik ohne die Reisetätigkeiten der Musiker und ihre Eindrücke anderer Orte anders geklungen hätte. Zugleich blieb Rap-Musik der US-amerikanischen Ostküste lange Zeit die Referenz für eigene Produktionen, und Reisen in das kulturelle Zentrum New York gehörten für die meisten Künstler zu Beginn der 1990er Jahre zum guten Ton. In diesem Sinne ermöglichten HipHop und RapMusik den Jugendlichen das Reisen durch die Welt, das Kennenlernen anderer Orte und das Überwinden von Grenzen. Umgekehrt eröffneten die Reisen und die neu gewonnenen Eindrücken Möglichkeiten, Musik anders zu produzieren. Musik prägte Mobilität und Mobilität prägte die Musik. Viertens hatte das Zusammenwachsen einer europäischen HipHop-Szene zu Beginn der 1990er Jahre auch eine musikökonomische Note. Insbesondere britische Künstler wie die Britcore-Pioniere Son Of Noise sahen „die einzige Chance in einem europaweiten Independent-HipHop-Netzwerk“, um der „erdrückenden Konkurrenz“ US-amerikanischer Plattenfirmen und Künstler entgegenzutreten (Felbert 1993a). Bis heute bewirbt beispielsweise die Plattenfirma MZEE zumindest ihre internationalen Veröffentlichungen, die insbesondere in Japan Absatz finden, mit dem Hüllenaufdruck ‚The European HipHop-Label‘. Wie schwierig es trotz aller freundschaftlicher Beziehungen über die Grenzen hinweg allerdings war, etwa ökonomische Grenzen zu überwinden und eigene Produkte auf dem US-amerikanischen Markt dieser Zeit zu platzieren, verdeutlicht Rick Ski, ein Mitglied der Formation L.S.D., welche 1991 in Anspielung an die dritte, Strom führende Schiene des New Yorker U-Bahnsystems mit Watch Out For the Third Rail [Rhythm Attack] ein Album vorlegte, das mit englischsprachigen Texten, einer Fülle von Samples und vielen Interludien durchaus mit der Qualität und Ausrichtung US-amerikanischer Produktionen der Zeit vergleichbar war: „Die Idee, die vielleicht jeder mal gehabt hat: ‚Wir kommen groß in Amerika raus’ ist ’ne Illusion, kann man sich abschminken“ (Interview mit Rick Ski, Köln, November 2001). Neben musikalischen Netzwerken der Alten Schule, die in den Jugendzentren und Bürgerhäuser der westdeutschen Städte und Gemeinden sowohl ihr Fundament als auch ihre ephemeren Knoten fanden, existierten weitere Orte, an denen

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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musikalische Produktion und Konsumtion stattfand. Viele der Übungsstunden und Experimente mit Plattenspielern und Mikrofon fanden weiterhin in den privaten Räumen der Jugendzimmer und Wohnhauskeller statt. Wenn die Stieber Twins für ihr Album Fenster zum Hof [MZEE, 1996] in ihrem zum Aufnahmestudio umfunktionierten Zimmer im Haus ihrer Eltern in Heidelberg-Wieblingen posieren und sich die ehemalige Formation Die Drei Rüben aus Ulm in Kinderzimmer Productions umbenennt, so illustriert dies die enge Bindung von musikalischen Praktiken an die intimen Räume der eigenen vier Wände. Für Kinderzimmer Productions war es „ein stinknormales Kinderzimmer“ in einem Reihenhaus einer Vorstadtsiedlung, wie es sie „in jeder Stadt gibt“. Textor beschreibt das Verständnis, das zu Beginn der 1990er Jahre hinter den Produktionen der Gruppe stand und einen deutlichen Kontrast zur mobilen Jam-Szene markiert: Wir waren tatsächlich auch so lange im Kinderzimmer deswegen, weil wir so qualitätsbewusst waren. Uns war einfach klar, dass das, was wir selber fabrizieren, nicht an das ranreicht, was die amerikanischen Vorbilder abliefern. Und wir wollten mit Hilfsmitteln etwas präsentieren, das zumindest auf eine eigene Art und Weise mithalten kann. Also es ging schon ganz stark auf das Entwickeln einer persönlichen Identität und eines persönlichen Ausdrucks. Und wir dachten am Anfang auch, dass es der ganzen deutschen HipHop-Szene darum gehen würde. Ging’s am Anfang auch mehr oder weniger, das driftete dann später immer weiter auseinander. Und die ganze Jam-Szene hat zu großen Teilen den Eindruck vermittelt, es ist egal, ob es nicht so gut ist, Hauptsache man macht was. Und da konnten wir nicht mithalten, da gab’s einfach einen Reflex dagegen, wo man gesagt hat: ‚Ne, das ist einfach noch nicht gut genug. Wenn ich mich auf ’ne Bühne stelle, will ich, dass das gut ist!‘ Und dann waren wir mit Ulm natürlich auch weit ab vom Schuss. (Interview mit Textor, Heidelberg, November 2005)

Textor betont hier die grundsätzlich andere Herangehensweise an Musik, die weniger mit HipHop als umfassender Möglichkeit des musikalischen, bildnerischen und gestalterischen Ausdrucks zu tun hatte, sondern mehr mit ergründendem Hören und Konsumieren von Musik sowie mit imitierendem Produzieren. Kinderzimmer Productions benennen auch klar ihre frühen Vorbilder: RunD.M.C., Public Enemy, Gang Starr, De La Soul und A Tribe Called Quest, deren Musik von Anfang an nicht nur als Hintergrund für memorierte und nachgerappte Texte oder als schlichte Inspiration diente, sondern als eine Art Blaupause fungierte, auf deren Grundlage „Band gespielt“ und die Schritte musikalischer Produktion nachvollzogen und nachgestellt werden konnten. Der Ort dieser musikalischen Erfahrungen und Praktiken konnte demnach nicht zuerst der soziale einer Gruppe Jugendlicher im Kulturhaus oder gar die Bühne eines Veranstaltungsortes sein. Dieser Ort musste für Kinderzimmer Productions ein Rückzugsort sein, der das Studium der Spex, das Ergründen von Samples und das möglichst originalgetreue Replizieren der Musik aus New York ermöglichte. Das soll nicht heißen, dass die Protagonisten der Jams der Alten Schule all das nicht, weniger reflektiert oder gar ‚schlechter‘ geleistet hätten – musikalische Qualität und Authentizität hängt im HipHop eben gerade nicht mit dem sauberen und klaren Kopieren zuvor aufgenommener Musik zusammen. Dieses Beispiel soll lediglich zeigen, dass mehrere Formen der Adoption und Adaption von HipHop in Deutschland koexistierten, die auf ihre je eigene Art Formen von an spezifische Orte gebundene Authentizität und Originalität propagierten. Textor sieht Kinderzimmer Productions in Ulm „weit ab vom Schuss“ und meint damit weniger eine räumliche Distanz zu den Zentren der Alten Schule wie

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

München und Hamburg oder eine aufgrund der vergleichsweise kleinen Größe der Stadt kaum ausgeprägte städtische HipHop-Szene – Heidelberg und Mainz beispielsweise unterscheiden sich in Bezug auf die Einwohnerzahl nur wenig von Ulm. Gemeint ist hier die symbolische Peripherie, welche die Gruppe von den dominierenden Prozessen der HipHop-Jams, der Jugendhausszene und der Ökonomien der Alten Schule abkoppelte. Erst zu Beginn der 1990er Jahre begannen Kinderzimmer Productions, Kontakte zu Rapmusikern der Neuen Schule aus Stuttgart oder Hamburg herzustellen. In seinem Lied Kapitel Eins, das 1993 auf der programmatischen MZEE-Kompilation Alte Schule veröffentlicht wurde, reflektiert Torch seine ganz persönliche HipHop-Geschichte in vier Teilen. In einer ersten Strophe schildert er, wie ihm The Message von Grandmaster Flash and the Furious Five zur zentralen rhythmischen Aufforderung wurde, selbst musikalisch aktiv zu werden und die Geschichte von HipHop als ‚Flamme‘ weiterzutragen und weiter zu gestalten. Strophe zwei erzählt von Torchs bedingungslosem Berufensein, von seiner Innovation, Freestyle auf Deutsch eingeführt zu haben sowie von seinen Reisetätigkeiten zu Jams „von Biel bis Kiel“. Strophe drei verklärt dann etwas kitschig und mystisch HipHop zum Daseinsgrund für Torch. Dieser erste Teil des Liedes, der mit rund 3 Minuten und 30 Sekunden eine Länge auch für die Veröffentlichung als eigenständige Single besitzen würde, zeigt sich klanglich im Vergleich zu anderen Produktionen der Zeit ausgereift und perfekt abgemischt. Torchs Stimme fließt über die Basslinie, die mit rund 88 Beats pro Minute relativ langsam fließt und sich durch einen klatschenden Sound auszeichnet. Das Lied wird durchzogen von einer abwechslungsreichen Gitarrenspur und einem schwermütigen Sample von Talk Talk, einer britischen Synthesizer-Rockband der 1980er Jahre. Torch bedient sich hauptsächlich des sprach-effusiven rhythmischen Reimstils, der stärker an der Vollendung von Reimen als an syntaktischen Abschlüssen auf den regelmäßigen Zählzeiten des Beat orientiert ist und stark dem Rhythmus und der Geschwindigkeit der gesprochenen Sprache folgt. Die drei Strophen werden vom Refrain „Gestatten Sie, mein Name ist Frederick Hahn“ und einem Sample des Titels Straight Out The Jungle von den Jungle Brothers gerahmt: „You see, they call me a star, but that’s not what I am“ (Verlan, Loh 2000, 75–79). Das musikalische Zitat von den Jungle Brothers verortet Torch in einer Position, die auf US-amerikanische HipHop-Diskurse von sowohl Authentizität und Ausverkauf wie von Geschichtsbewusstsein, Respekt und Humanität verweisen. Der Bezug auf TalkTalk freilich deutet auf europäische Popmusik der Gegenwart hin, die Torchs Konsumtionspraktiken eindeutig in einen anderen räumlichen Zusammenhang als den USamerikanischen stellen und sich von den gängigen Soul- und Funksamples aus den 1960er Jahren abheben: „[An TalkTalk] hätte sich doch kein amerikanischer Produzent die Finger schmutzig gemacht“ (Torch, zitiert von Verlan, Loh 2000, 78). Bis zu dieser Stelle klingt das Lied, als ob Torch zeigen wolle, wie gut und sauber er als Rapper, DJ und Produzent arbeiten kann. Musikalisch stehen die Aufnahmequalität, die perfekte Abmischung und die bewusst ausgewählten Samples im Vordergrund. Nach diesen drei Strophen ist das Lied allerdings nicht zu Ende. Hier setzt ein musikalischer Bruch ein, der sich bereits in den beiden letzten Zeilen der dritten Strophe andeutet, als zum ersten Mal zwei Liedzeilen nicht mit einem Endreim

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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abschließen. Ein lang gezogener scratch, ein im Live-Kontext aufgenommener Ruf von Torch „Wo seid Ihr? Seid Ihr bereit?“ und die Antwort des Publikums leiten über in weitere zwei Minuten Musik, die jetzt durch ein Sample aus LL Cool Js I Need My Radio von 1986 dominiert wird, und so oder ähnlich auch auf einer Jam Ende der 1980er Jahre hätte präsentiert werden können. Deutlich nach vorne gezogen und stärker auf den anderen Kanal gelegt, wirkt Torchs Verbalvortrag rauer abgemischt. Zwischen den einzelnen, teilweise stakkatoartigen Zeilen von Torch ist zu hören, wie er energisch Luft holt und seine Worte mit ganzer Kraft und mit Nachdruck artikuliert. Die Raptechnik bleibt nicht länger ausschließlich beim sprach-effusiven Stil des ersten Liedteils, sondern wechselt öfter in den perkussiveffusiven rhythmischen Reimstil, der die Stimme als ein zusätzlich pointierendes Schlaginstrument nutzt und die musikalische Textur durchbricht. Ab Minute vier wird die Musik kurz ausgeblendet und Torch rappt einige Sekunden a capella bevor lediglich ein hartes und trockenes Drum-Skelett stehen bleibt, das an den Hardcore von No Remorze erinnert: Auf den Jams stehen echte B-Boys in einem Kreis, Tanzen für Schmerzen und Schweiß, denn das ist der erste Preis. Ich steh’ in der Menge, klatsche und seh’ Auf der Jacke steht Crazy Force, auf dem Anzug steht TDB. Steve, Sonny, Speedy, JBK, Tricks, Rock da Most auf der Bühne, DJ Cutsfaster am Mix. Jeder New Jack erzählt mir, dass er schon immer dabei war, Doch auf den Jams warst du nie da und weißt nicht mal wer Gawki war. [...] Superfette Buchstaben überrollen den Popstar, Der Rap ausverkauft. Hier kommt der Redefluss, ha, ersauft! Lauft und spürt ein bisschen von dem Zorn, der in mir rauft. Meine Reime werden grantig und grindig, schier tödlich. (Härter als No Remorze,) das ist unmöglich. (Torch: Kapitel Eins [MZEE, 1993], verändert nach Verlan, Loh 2000, 74)

Die Reime werden „grantig und grindig“, schimpfen auf Ausverkauf, die Medienmaschine, die Konsumenten. Die letzten 20 Sekunden des Liedes bleiben wieder Torch allein überlassen, der die Namen verschiedener Szenegrößen der Alten Schule aufzählt. Der gesamte letzte Teil des Liedes zeugt von weniger Kontrolle durch Musiktechnologie und die Aufnahme im Studio, sondern verweist auf die Live-Situation der Jam im Jugendhaus. Die Bedeutung des Liedes liegt zum einen in der Demonstration eines Vertreters der Alten Schule, dass auch er einen Hit produzieren kann, der mit anderen HipHop-Produktionen mithält. Zugleich kommentiert das Lied die aktuellen Entwicklungen aus einer Position heraus, die sich sorgt, den Zusammenhalt und die Überschaubarkeit einer zunächst unkommerziellen Szene zu verlieren, welche mühsam durch Reisen zu Jams aufgebaut und vernetzt worden war. Das akkumulierte kulturelle Wissen und die Fähigkeiten, welche sich die Protagonisten in einem jahrelangen Do-it-yourself-Prozess angeeignet haben, scheinen nun durch stärker marktförmig vermittelte Prozesse weiter verbreitet und damit entwertet zu werden. Torchs Kapitel Eins will einen Teil dieser deutschen und europäischen HipHop-Geschichtlichkeit und -realness zurückbehalten und konstruiert die Orte der Jams als authentische Gegenpole zu den medialen Räumen der ‚unechten‘ Rappern der neuen Zeit. Jams wurzeln in

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

den Räumen der Jugendzentren, die hier als Orte genutzt werden, „um Musik zu authentifizieren und umgekehrt“ (Cohen 1995, 64). In der DDR verbrachten junge Leute trotz eines breiten Angebotes an dezentralen staatlichen Kultureinrichtungen wie öffentliche Kulturhäuser der Gemeinden, Einrichtungen der Staatsbetriebe oder Klubs der Massenorganisationen (Groschopp 2001) große Teile ihrer Freizeit außerhalb direkter staatlichen Kontrolle in den eigenen vier Wänden, in selbst organisierten Freizeitgruppen oder den relativ geschützten Räumen der protestantischen Kirche. Spätestens seit den 1970er Jahren, als inoffizielle Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegungen auch in der DDR ihre Forderungen vorbringen konnten, wurden diese Freiräume zu zentralen Orten der Organisationen von lokaler Gegenöffentlichkeit jenseits einheitsstaatlicher Vorgaben. Für solcherlei Aktivitäten konnten die städtischen Jugendklubs und die Kulturzentren der Volkseigenen Betriebe, welche eine vereinte Kultur- und Sozialpolitik des sozialistischen Ostdeutschland propagieren sollten, keine angemessenen Räume mehr bereitstellen (Jäger 1995; Wallace 1999). Der Rückzug in die privaten Räume war eine Strategie, der staatlichen Kontrolle des Lebens durch Staatssicherheit und ein Netzwerk von Informanten zu entgehen. Hier wurden zusammen mit der Familie oder Freunden Spiele gespielt, Musik gehört und ferngesehen – häufig westdeutsche Programme (Smith F 1998). Für die wenigen hiphopbegeisterten Jugendlichen wurden diese Privaträume früh zu Trainingsmöglichkeiten und kleinen Heimstudios, in denen jenseits der staatlichen Produktions- und Distributionsmonopole Musik aufgenommen und vervielfältigt werden konnte. Gegen Ende der 1980er Jahre war es auch in den dezentralen Kultureinrichtungen der Betriebe und Gemeinden zunehmend möglich, eigene musikalische und subkulturelle Ideen zu verwirklichen. Aufgrund der hohen Bedeutung, welche die Staatsführung kultureller Bildung zumaß, waren diese Kultureinrichtungen materiell, personell und finanziell relativ gut ausgestattet. Dieser Zustand blieb selbst in den letzten Jahren der DDR erhalten, als die kulturellen Anstrengungen stärker auf wenige prestigeträchtige Großobjekte der Hochkultur in Ostberlin oder Dresden fokussierten. Allerdings ließ die Rigidität der Überwachung dezentraler Kultureinrichtungen immer mehr nach, so dass etwa die Kulturarbeiter in den Zentren und Klubs nicht länger über jede Veranstaltung in ihrer Einrichtung Rapport erstatten mussten. Auch die staatlich zugelassenen ‚Schallplattenunterhalter‘, die für Tanzveranstaltungen gebucht werden konnten, unterliefen immer öfter die staatlich verordnete Musikquote von 60 Prozent sozialistischer DDR-Musik zu 40 Prozent ausländischer Musik. In den 1980er Jahren wurden viele der politischen Räume der kulturellen Infrastruktur auch Treffpunkte für lokale Musikszenen, darunter neben Rock auch HipHop (Wicke 1998; Schäfer 2003). In Ostdeutschland waren die Aktivitäten der wenigen HipHop-Enthusiasten um die privaten Zimmer und Wohnungen sowie um die öffentlich bereitgestellte kulturelle Infrastruktur organisiert, welche Freiräume für die Artikulation einer eigenen musikalischen HipHop-Identität boten. Der mangelnde Austausch mit anderen Musikern in der DDR und darüber hinaus sowie eine weit reichende Repression populärmusikalischer Aktivitäten erschwerten aber eine ähnliche Vernetzung zwischen einzelnen Akteuren und städtischen Szenen wie im Westteil Deutschlands.

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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4.3.2 Representing (in) Deutschland: Neue Schule und die Räume von HipHop in den 1990er Jahren Was lange währt, wird endlich gut! HipHop aus Deutschland. Brothers Moving Germany! Nun kommt dieser erste Gesamteindruck Jahre nachdem die ganze Street & HipHop-Kultur die Bridge über den Atlantik schon lange und in vollem Maße überquert hatte [...] Das Bewusstsein ist da. Man sieht das auf den Jams, den HipHop-Konzerten, den Plattenverkäufen, man liest es in den Fanzines. Vielleicht mussten erstmal die kulturellen und politischen Widersprüche verdaut/verarbeitet werden. Wir haben nun mal, so spannend das auch ist, kein South Compton oder Brooklyn – und das ist auch irgendwie gut so [...] ‚Do you know what time it is?‘ Es ist jetzt Zeit, dem Selbstbewusstsein der Engländer oder Amerikaner irgendwie entgegenzutreten. (Michael Reinboth in den Linernotes zu: Various Artists: Krauts With Attitude: German HipHop Vol. 1 [IDE/Boombastic, 1991])

Die deutsche Wiedervereinigung markierte 1990 mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des westdeutschen Grundgesetzes nicht nur eine territoriale Zäsur, sondern auch das Ende einer realsozialistischen Gesellschaftsordnung und einer distinkten ostdeutschen Sozial- und Kulturpolitik. Ein gewisses Gefühl von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit prägte die Aktivitäten der wenigen HipHop-Musiker in Ostdeutschland, die plötzlich mit neuen Möglichkeiten der Mobilität, mit einer Vehemenz ökonomischer und kultureller Warenförmigkeit sowie einer etablierten westdeutschen HipHop-Szene konfrontiert waren. Viele der Aktiven wandten sich anderen kulturellen Strömungen zu oder verlagerten ihren Wohnsitz und die sozialen Kontaktnetze nach Westdeutschland, was über Jahre hinweg die Entwicklung von HipHop in Ostdeutschland hemmte. Nach der Wiedervereinigung begannen trotzdem einige zunächst zaghafte Annäherungsversuche der beiden Szenen, die bald darauf in gegenseitigen Besuchen auf Jams resultierten. Auch in Ostdeutschland bot die jugendkulturelle Infrastruktur hierfür die geeigneten Lokalitäten. Trotz der massiven sozialen, ökonomischen und kulturellen Einschnitte konnten einige der ehemals staatlichen Kultureinrichtungen ihre Funktion als wichtige Orte alternativer Kultur behaupten oder neu gewinnen. Im Ostberliner Stadtteil Treptow beispielsweise formierte sich 1990 auf der Insel der Jugend die SWAT-Posse, ein ‚gemeinschaftlicher Dienstleister‘ für Jugendkultur, der HipHop-Veranstaltungen organisierte und für einen frühen Rap-Sampler verantwortlich zeichnet (Vibrazone [Swat, 1993]). Ein anderes prominentes Beispiel ist das Conne Island in Leipzig, ein selbst verwaltetes „Zentrum von und für Linke, Jugend-, Pop- und Subkulturen“ (http:// www.conne-island.de/ (Zugriff: 03. Juli 2006)), das nach erfolgreichen Kampagnen der städtischen Alternativszenen 1991 in den Räume des ehemaligen DDRJugendzentrums Eiskeller eröffnet werden konnte. Der Name des neuen Zentrums spielt einerseits an auf den Standort der Einrichtung im Leipziger Stadtteil Connewitz und andererseits auf den Messe- und Vergnügungspark auf Coney Island in Brooklyn, New York. In den ersten Jahren nach 1990 wurde das Jugendzentrum zum Ort der Conne Island-Jams, zu denen auch viele westdeutsche und internationale HipHop-Künstler anreisten.

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

Dass dabei zwei recht unterschiedliche Traditionen von HipHop aufeinander trafen, zeigen die Erinnerungen von Katmando, einem HipHop-Aktivisten aus München und Mitbegründer des Monatsmagazins Juice, an die Jam in Heidelberg: Die Szene in Ostdeutschland funktionierte und funktioniert auch heute noch ganz anders. Die sind ganz anders drauf, gerade die Old Schooler. Die mussten ihr System dazu nutzen, ihr Ding durchzukriegen. [...] Die waren auf der Heidelberg-Jam 1990 – ich hab’s fast nicht geglaubt. Die waren da mit ihren weißen Ballonseide-Anzügen und sahen auf der Bühne aus wie Aliens. (Interview mit Katmando, München, Juni 2002).

Aber auch auf Seiten der HipHop-Begeisterten aus Ostdeutschland gab es eine gewisse Skepsis gegenüber der Inkorporation der eigenen kulturellen Leistungen in einen gesamtdeutschen HipHop-Kontext, dessen Grundzüge vom Westen definiert wurden. Den Eindruck einer Überheblichkeit der westdeutschen Szenen gegenüber HipHop aus Ostdeutschland bringen etwa O.S. Terror aus Magdeburg in ihrem Lied für den Sampler Pioniermanöver: HipHop aus der DDR auf den Punkt: Ihr wart es doch, die gefragt, ob wir uns nicht zu einer starken Szene zusammenraufen. Doch von der starken Szenen seh’ ich keinen Schimmer, denn auf dem gesamtdeutscher HipHop-Sampler hört’ ich westdeutsche Freaks ostdeutsche hört’ ich nimmer, es wird immer schlimmer. Das ist für mich Betrug, denn die Ossi-HipHops sind um eure CDs zu kaufen wohl doof genug [...] HipHop-Hochburgen wie Berlin, Braunschweig, Heidelberg oder Köln, ich kann es langsam nicht mehr hör’n [...] The Old School, die Alte Schule, sie sind die großen Schlauen, haben es geschafft, die Szenen so weit und gut mit aufzubauen. Doch damit ist jetzt Schluss, diese Zeiten sind vorbei. Durch ihre Hochnäsigkeit ‚Wir können alles, wir wissen alles, wir sind die Besten!‘ sind sie bedreckt, ihre weißen Westen. (O.S. Terror: Made in GDR [Halb 7, 1994])

In den frühen 1990er Jahren erfüllten Jugendclubs und Kulturzentren in beiden Teilen des wiedervereinigten Deutschlands weiterhin die Funktionen einer ‚Homebase‘ und die eines Knotens innerhalb der vielfältigen Verflechtungen von Rappern, DJs, Writern und Breakdancern. Zugleich beeinflussten auch die kulturellen Praktiken im HipHop die Angebote der Einrichtungen. Die pädagogische Arbeit in den Jugendzentren richtete sich nun verstärkt an den Bedürfnissen dieser Nutzer aus, und die Sozialarbeiter nutzten die Praktiken und Wertvorstellungen von HipHop in ihrer eigenen jugendpädagogischen Arbeit. In den Zentren wurden Projekte und Workshops angeboten, die Jugendliche dazu ermuntern sollten, mit Sprühdosen zu experimentieren, neue Tanzschritte zu erlernen oder sich musikalisch und lyrisch zu artikulieren. Ein prominentes Beispiel für eine solche Anwendung von HipHop-Praktiken als pädagogische Instrumente ist das HipHop-Mobil der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. Das HipHop-Mobil ist als automobile Studioeinheit mit Plattenspielern, Mixern und einigen Aufnahmegeräten ausgestattet und bringt seit den frühen 1990er Jahren auf Nachfrage kleine Geschichtseinheiten oder Workshops zu Breakdance, Graffiti, Musikproduktion und Reimtechnik in Schulen oder

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Jugendeinrichtungen. Das Personal setzt sich dabei teilweise aus Personen zusammen, die selbst aus der HipHop-Szene stammen und Graffiti-Sprüher, Breakdancer oder Rapper sind. Wie erfolgreich die Idee zu Beginn der 1990er Jahre war, mobile Workshops anzubieten, die von Jugendzentren und Schulklassen gebucht werden konnten, zeigt sich beispielsweise daran, dass das HipHop-Mobil lange Zeit eine der ganz wenigen Möglichkeiten für ostdeutsche Künstler war, ihre Musik aufzunehmen. Einige der Lieder auf dem ersten Pioniermanöver-Sampler wurden mit Hilfe der Studioeinheit des Mobils aufgezeichnet, weitere Stücke konnten in einem kleinen Studio im Conne Island und in mehreren weiteren Jugendzentren im Ostteil Deutschlands eingespielt werden. Auch in Westdeutschland wurden verschiedene städtische Kulturprogramme aufgelegt, die HipHop-Praktiken jugendpädagogisch nutzten und häufig multikulturelle und integrative Ziele verfolgten. Ähnlich wie das HipHop-Mobil in Berlin war auch das Frankfurter Rock-Mobil zu Beginn der 1990er Jahre eine jugendpädagogische Einrichtung der Stadt, die mobile Ressourcen der musikalische Produktion für Schulklassen oder im Rahmen von Workshops in Jugendhäusern und Kulturzentren zur Verfügung stellte (Bennett 1999; vgl. auch Loh, Güngör 2002, 233–234). Besondere jugendkulturelle Förderung erfuhr Rap-Musik außerdem in einzelnen Städten Nordrhein-Westfalens, in Hamburg und in Nürnberg (Cheeseman 1998, 198; Dichtler o.J.). Die Kolchose, eine loser Zusammenschluss mehrerer Rapper, DJs, Graffiti-Maler und Breaker in Stuttgart, erhielt beispielsweise institutionelle Förderung des städtischen Jugendamtes sowie des lokalen Amerikahauses und wurde vom Süddeutschen Rundfunk gesponsert (Cheeseman 1998, 198). Es ist davon auszugehen, dass es in vielen Städten auf ähnliche Weise zur Zusammenarbeit zwischen lokalen jugend- und kulturpädagogischen Einrichtungen und auch bekannten HipHop-Künstlern kam, die ihre Erfahrungen mit HipHop bereitwillig weitervermittelten. Mittlerweile schickt auch das Goethe-Institut einzelne Künstler und Gruppen auf Auslandsreisen, um als Botschafter des deutschen Sprechgesangs zu wirken. Seit Beginn der 1990er Jahre verstärkte sich das mediale Interesse an HipHop in Deutschland. Die deutsche Wiedervereinigung beförderte das Erwachen neuer Form nationalen Selbstbewusstseins und der Kommerzialisierung stärker ‚deutsch‘ kodierter Formen populärer Kultur. „Pop ist, was immer er ist, ein anderes Wort für die Emanzipation von Tradition und Geschichte, und German Pop taugt, was immer er taugt, als Reklame für das nationale Rebirthing“ (Editorial 2001, 3). ‚Sprechgesang‘ als Begriff für das Rappen auf Deutsch tauchte erstmals kurz nach der Wiedervereinigung auf und präsentierte ein Genre, das von Anfang an kommerziell ausgerichtet war. Einer zunehmenden öffentlichen Nachfrage nach ‚deutscher Musik‘ in der ersten Hälfte der 1990er Jahre entsprach auch die strategische Neuausrichtung großer Musikfirmen. Diese nahmen offensichtlich verstärkt Musiker aus Deutschland, darunter auch Rap-Gruppen, unter Vertrag und setzten sich für eine stärkere Repräsentation deutscher Künstler in den Medien ein (Stein 1994). In Zusammenhang mit Verkaufsschlagern von Gruppen wie den Fantastischen Vier, die bei Sony unterschrieben und rund 750.000 Einheiten ihrer Single Die Da [Sony, 1992] absetzen konnten, lässt sich die Etablierung eines neuen Genres nachvollziehen, dessen Terminologie sich von ‚HipHop in Deutschland‘ über ‚German HipHop‘

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

zu ‚Deutscher Hip-Hop‘, ‚Neuer Deutscher Sprechgesang‘ oder ‚Neue Deutsche Reimkultur‘ schließlich zu ‚Deutschrap!‘ verschob und Anfang des laufenden Jahrzehnts wieder zu ‚Rap in D‘ wurde (Elflein 1998, 258). Die Veröffentlichung der ersten deutschen HipHop Kompilation Krauts With Attitude: German HipHop Vol. 1 [IDE/Boombastic, 1991] auf einem Label der Genussmittelfirma Philip Morris stellt dabei eine deutliche Zäsur dar. Im Rahmen des Samplers wurden erstmals eigenständige Gruppen aus Deutschland präsentiert, wie zum Beispiel N-Factor aus Bielefeld, Lyrical Poetry aus Bremen, Al Rakhun aus Frankfurt, L.S.D., C(ontroversal) U(nique) S(tyle) und Exponential Enjoyment aus Köln oder Die Fantastischen Vier aus Stuttgart. Zwar rappten von den insgesamt 15 vertretenen Gruppen und Einzelkünstlern aus Westdeutschland lediglich drei auf Deutsch, elf dagegen auf Englisch und die einzige weibliche Künstlerin auf Französisch, aber die Linernotes und das Cover der Veröffentlichung wiesen in eine Richtung, welche die Musik klar als ‚deutsch‘ kodierte. Der Titel des Samplers ist eine Anleihe des Covers der Zeitschrift Spex, die im März 1990 mit „Krauts With Attitude: HipHop in Deutschland“ aufmachte (Felbert 1990), und kombiniert damit unterschiedliche Implikationen. Zunächst spielt er mit dem despektierlichen Spitznamen ‚Krauts‘, welchen die Soldaten der angelsächsischen Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg den Deutschen in ihren Zonen gaben. Krauts With Attitude verweist außerdem auf die notorische HipHop-Gruppe Niggaz With Attitude aus Compton, Los Angeles, die ihren Namen in ausdrücklicher Abgrenzung zum Unwort nigger im ‚weißen‘ Sprachgebrauch wählte. Krauts With Attitude kann so gelesen werden als der Versuch, die Identitätspolitik marginalisierter US-Amerikaner im deutschen Kontext zu adoptieren und somit die Unterschiede beispielsweise hinsichtlich des Grades der Artikulationsmöglichkeiten in ‚schwarzen‘ US-amerikanischen Ghettos und in deutschen Innenstädten zu verschleiern. Selbst wenn der Titel als clevere Marketingstrategie interpretiert wird, stellt die Gestaltung des Covers, auf dem die Buchstaben des Titel in offensivem Schwarz, Rot und Gold vor einer dunkelgrauen Wandtextur prangen, die Kompilation in einen nationalen Kontext. Auch das Zitat aus den Linernotes „‚Do you know what time it is?‘ Es ist jetzt Zeit, dem Selbstbewusstsein der Engländer oder Amerikaner irgendwie entgegenzutreten“ positioniert die Kompilation innerhalb eines globalen Diskurses von Differenz und leitet über in einen kulturellen Nationalismus, der durch ein Haben-Wollen der dissidenten Anteile gegenüber den wirklich Marginalisierten gleichgültig bleibt (Kerkhoff 1996; vgl. auch Scheuring 1992). Here the structural signs of competition could be coded nationally in terms of an integration in an international framework: what started as ‘Bronx against Queens’ or ‘East Coast against West Coast’ gradually turned into ‘FRG against USA’. (Elflein 1998, 258)

In seiner, wie der Autor später einräumt, Begeisterung und aller Kürze der ihm zur Abfassung der eingangs zitierten Linernotes zur Verfügung stehender Zeit, verrücken auch die räumlichen Bezugseinheiten. South Central Los Angeles und Compton verschmelzen zu einem „South Compton“, das als räumliche Einheit im HipHop-Diskurs keine Bedeutung besitzt (Reinboth 1992, 9). Die Übernahme des Titels einer Ausgabe des Musikmagazins Spex zeigt auf, wie wichtig die Vermittlung von US-amerikanischem HipHop durch Journalisten

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

269

und Spezialisten nach Deutschland zu dieser Zeit war. Der Zugang zu Informationen über Musiker und die ‚Übersetzung‘ von Musik waren damit zu einem nicht unwesentlichen Teil an kulturelle gatekeeper gebunden. Diese hatten über die Zusendung von Promotionsalben und Informationsmaterialien durch die Plattenfirmen, die Lektüre US-amerikanischer Musikmagazine, welche die neuesten Platten meist einige Wochen vor der Veröffentlichung in Deutschland rezensiert hatten, oder gar durch Reisen nach New York oder Los Angeles, wo sie die sozialen, politischen und ökonomischen Lokalitäten der Musik und der Musiker persönlich in Augenschein nehmen konnten, einen entscheidenden Informationsvorsprung, der sie zu privilegierten und steuernden Mediatoren werden ließ. So prägten das Verständnis, der Geschmack und die Auswahl von Journalisten wie Diedrich Diederichsen, Oliver von Felbert, Günther Jacob oder Hans Nieswandt nicht nur, was in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre rezipiert wurde, sondern auch wie. Zudem argumentierten viele der Journalisten als Kenner auch akademischer Literatur und US-amerikanischer theoretischer Diskurse, was ihnen gegenüber den Lesern ihrer Zeitschriften und den Konsumenten der von ihnen besprochenen Musik die Stellung authentisch vermittelnder und filternder Kommentatoren mit einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit sicherte. Freilich waren auch diese Artikel nie frei von eigenen Weltanschauungen, Vorurteilen, Emotionen, kulturellen Identitäten und einem ganzen Set beruflicher und wissenschaftlicher Machtbeziehungen (vgl. auch Hinz 1998). Die Kritik, welche nach der Veröffentlichung des Samplers Krauts With Attitude laut wurde, fällt für einige Kommentatoren allerdings zu heftig aus. Für Katmando aus München etwa, der an der Zusammenstellung der Lieder beteiligt war, übersehen die starken Fixierungen auf die Linernotes und den politischen Gehalt der textlichen Botschaften die Leistungen hinter der Kompilation, Musiker aus verschiedenen räumlichen Kontexten in Deutschland erstmals auf einem Tonträger zu vereinen und damit eine frühe Übersicht der stilistischen Ausrichtungen in Westdeutschland zu bieten (Interview mit Katmando, München, Juni 2002). Dennoch griffen auch einige der auf der CD vertretenen Künstler die Kritik auf. Für sie hatte das Endprodukt nicht mehr viel mit der ursprünglichen Idee hinter dem Projekt zu tun. Rick Ski von L.S.D. erinnert sich: Wir hatten über die Jahre so viele Leute kennen gelernt, die auch recht gute Demos gemacht haben, da haben wir gedacht: ‚OK, es wird jetzt Zeit, dass wir mal zeigen, dass es auch ein paar andere Gruppen gibt.‘ Und da war die Idee für einen Rap-Sampler geboren. Wir haben uns mit ein paar Leute zusammen getan, unter anderem mit Chris Maruhn, der damals das In Full Effect-Magazin gemacht hat und viele Demos zugeschickt bekommen hatte. Das lief auch anfangs ganz gut, aber irgendwann ist mir das so ein bisschen aus der Hand geglitten, weil da der Michael Reinboth mit irgendwelchen dubiosen Geschäftsleuten rumgedealt hat. Und die wollten dann auf einmal Gruppen drauf haben, auf die ich überhaupt keinen Bock hatte. Andere Gruppen wollten sie gar nicht, wie Advanced Chemistry oder King Size Terror. [...] Und dann hieß es auf einmal, der Sampler sollte nicht In Full Effect heißen, sondern Krauts With Attitude. [...] Danach hab’ ich mich hundertprozentig davon distanziert, da hatte ich nichts mit zu tun. Deutschlandflagge auf dem Cover und so. [...] L.S.D. sind da zwar drauf, aber das lief so ab, dass sie, obwohl wir es extra anders in den Vertrag geschrieben haben, einfach unser Stück gekürzt haben auf der Platte. Das Traurige war, dass wir richtig gute Demos am Start hatten. Du hättest ein richtiges Hammer-Album machen können. In der ganzen HipHop-Entwicklung hättest du dir mindestens ein halbes Jahr gespart. Aber so sollte es nicht sein. (Interview mit Rick Ski, Köln, November 2001)

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

Aus dem Gedanken, die Musik der sich ausdifferenzierenden Rap-Szene in Deutschland zu dokumentieren und die Vernetzung von Künstlern voranzutreiben, wurde schließlich ein früher Referenzpunkt des nach und nach neu entstehenden musikalischen Subgenres ‚Deutschrap!‘. Dass es sich bei der Veröffentlichung von Krauts With Attitude und der Rede im Begleitheft nicht nur um eine einmalig missglückte Werbestrategie handelte, sondern um ein frühes Beispiel der Suche nach einer Identität, die sich selektiv an Elementen des US-amerikanischen HipHop bediente und sich zugleich von der ‚selbstbewussten‘ Konkurrenz der Niggaz With Attitude abgrenzte, zeigen Veröffentlichungen wie Jetzt sind wir dran: ein HipHop-Thriller von den Reim Banditen [Polydor, 1993]. „Der erste deutsche Pop-Rap-Act mit Niveau“ legt mit den „besten Samples aller deutschen Hip Hop-Gruppen“ – so der Text auf dem Cover – schnelle Soul- und FunkSounds vor, die mit kunstvollem scratching perfekt abgemischt sind. Das Informationsmaterial der Plattenfirma spricht gar vom „schwärzesten HipHop Sound“ in Deutschland (zitiert von Jacob 1997, 397). Nur die ab und an gesampleten ‚Ernie und Bert‘-Dialoge aus der Kindersendung Sesamstraße wirken eher gezwungen und erinnern an eine Faschingsfröhlichkeit, welche auch viele der frühen Songs der Stuttgarter Gruppe Die Fantastischen Vier beherrschte. Gleich der Text des ersten Stücks auf der Platte der Reim Banditen erinnert an ein Verständnis von Rap, dessen Qualität sich hauptsächlich daran bemisst, ob sich etwas reimt oder nicht: Sehr verehrtes Publikum ich hoffe ihr seid frisch, Ich heiße Ost und bring euch Hip Hop auf den Tisch. Die Reim Banditen sind im Haus, sagen euch was geht, machen Sprechgesang, so dass ihr jeden gut versteht. Mit mir am Mikrofon ist meine gute Seite West, den werdet ihr noch hören, der gibt euch dann den Rest. [...] Kein Problem, alles klar, denn jetzt geht es los direkt phänomenal und völlig hemmungslos. (Die Reim Banditen: Hört euch das an [Polydor, 1993], zitiert nach den Linernotes)

Ost und West, die beiden Rapper der Reim Banditen, die sich kurz zuvor, als Englisch noch die übliche Rap-Sprache in Deutschland war, Rhyme Bandits nannten, legen großen Wert auf die Klarheit, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit ihrer Worte. Der vermittelte Inhalt scheint hier zweitrangig zu sein, die Texte ordnen sich dem strengen Paarreim-Gebot unter. Der Eindruck einer gewissen Distanz zwischen dem Vortrag der Rapper und der zugrunde liegenden Musik bleibt auch im Verlauf der gesamten Platten bestehen. Die Texte und ihre Rapper wirken ein Stück weit austauschbar, beliebig und ohne persönliche stilistische Note. Fast scheint es, als ob die zitierte Musik und die vermittelten Lebensgefühle nicht mit der realworld der Künstler in Übereinstimmung zu bringen sind. Selbst wenn die Reim Banditen auf ihrer Platte explizit politische Texte anstimmen, welche über den Alptraum von Drogenmissbrauch, Prostitution und Korruption auf der Straße berichten, so scheint das „graue Siebziger Jahre Hochhaus“, das „mit Edding-Markern verpinselt“ ist und aus dem die Künstler laut Platteninformation von Polydor stammen, nicht zu dem zu passen, was als massive diskursive Vorgaben von street und ghetto aus den USA vorliegt.

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Ähnlich verhält es sich mit Hamburg, einem kurzen Stück über die Heimatstadt der Rapper, das mit einer rund 110 Beats pro Minute schnellen Basslinie und einer funkigen Gitarrenspur unterlegt ist. Ost rappt: „Die Metropole überhaupt ist Hamburg – völlig klar / große Stadt mit Flair einfach geil, wunderbar. / Schöne Häuser und noch schönere Frauen / nichts kann diese Stadt versauen“ und präsentiert eine Kurzbeschreibung der „Stadt Nr. 1“, wie sie auch auf nahezu jede beliebige andere Großstadt zutreffen könnte. Aus einer am US-amerikanischen Verständnis von Lokalität in Rap-Musik geschulten Position würde von einem nach einer Stadt benannten Lied, dem in den USA durchaus ein ähnlicher musikalischer track zugrunde liegen könnte, anderes erwartet. Hamburg kennt zwar einen musikalischen, aber keinen inhaltlichen Ort, der sich auf konkrete soziale oder politische Erfahrungen berufen könnte. Neben Allgemeinplätzen wäre im US-Kontext vielleicht von bestimmten Nachbarschaften die Rede, von einzelnen befreundeten Personen, vom eigenen Produktionszusammenhang, von seinem Label, seiner posse, seiner Familie, einzelnen Begebenheiten, dem Alltag auf der ‚Straße‘ oder von Polizeiübergriffen. Oder die Rapper würden sich klar gegen eine andere Stadt oder einen anderen Stadtteil positionieren und über Angeberei und Hochstapelei bezüglich der persönlichen Fähigkeiten stärker spielerisch-kompetitive Elemente einflechten. In diesem Sinne trifft ein weiteres Mal das Infomaterial der Plattenfirma den Punkt: „Die ‚Musik der amerikanischen Armenviertel‘ habe sich in Deutschland ‚verselbständigt‘ und sei zur ‚deutschen Jugendkultur‘ geworden“ (Jacob 1997, 397). Entsprechend rappen die Reim Banditen im Titelstück ihrer Platte: Denn wir müssen euch erklären, was wir eigentlich von euch wollen: Deutschen Rap – und den bringen wir heut’ zum Rollen. [...] Ihr bestimmt was geht, wir geben nur Ideen, ob aus Ankara, New York, Bern, Bangkok oder Bremen. Uns ist es egal wo man herkommt. Doch was wir hier wollen, sag’ ich euch prompt. [...] Reim Banditen, deutscher Hip Hop das ist kein Flop, reimen macht Spaß, doch ist ein Fraß für Kritiker, die sollen es erstmal besser machen. Samples arrangieren, dann gibt es ein Erwachen. Für uns ist nicht wichtig wie es begann, wer und wann für uns ist nur wichtig: Jetzt sind wir dran ! (Die Reim Banditen: Jetzt sind wir dran [Polydor, 1993], verändert nach den Linernotes)

Nicht wer, wo und wann aus welchen Gründen an der Invention und Weiterentwicklungen von HipHop in den USA und in Deutschland beteiligt war, spielt hier die entscheidende Rolle, sondern die Platzierung der Reim Banditen und ihrer Platte im Musikmarkt des Jahres 1993. Es ist sicher übertrieben, hier eine Geschichtsvergessenheit zu unterstellten, da sich die musikalischen Praktiken und die Auswahl der Samples sehr wohl geschichtsbewusst und kontextsensitiv zeigen. Wenn sich die Musiker auf der Platte allerdings auch über den in den vorangegangenen Jahren vertieften Graben zwischen der Alten Schule von HipHop und der Neuen Schule der Rapper in Deutschland äußern, verschwimmen die verschiedenen authentischen Orte von HipHop zu dem einen Markt für ‚Deutschen Rap‘. Für die Reim Banditen gilt: „Sei es ‚Die da‘ oder ‚Fremd im eigenen Land‘ / beides ist Rap, der aus einer Struktur entstand“ (Die Reim Banditen: Dies ist Hip Hop

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

[Polydor, 1993]). Sie wollen, dass die HipHop-Szene zusammenwächst, indem sich die beiden Teile auf eine angeblich gemeinsame Entstehungsstruktur besinnen. Dass die Erfahrungen, die Voraussetzungen und die Orte der kulturellen Praktiken der Fantastischen Vier als Autoren von Die da und von Advanced Chemistry als Autoren von Fremd im eigenen Land völlig unterschiedlich waren, bleibt ausgeblendet. Auf der einen Seite bestanden die Kontexte aus stärker auf Konsumtion ausgerichteten Privaträumen der eigenen Zimmer oder vielleicht des Musikclubs und auf der anderen Seite aus ephemeren und mobilen Räume, die durch kulturelle Praktiken in Jugendzentren oder auf Reisen durch die Republik und darüber hinaus konstituiert wurden. In ihrem Versuch, alles richtig und es allen recht machen zu wollen (auf dem Cover ihrer Platte sind Lobpreisungen von Smudo von den Fantastischen Vier, von Matthias Lanzer, einem Labelbetreiber mit Verbindungen zur Alten Schule, und aus der Rezension eines Szenemagazins abgedruckt), bringen die Reim Banditen sich und die gesamte musikalisch ausdifferenzierte Rap-Szene in Deutschland in eine Position, die sich eher dem Verdacht des Ausverkaufs ausgesetzt sieht als einen Versuch unternimmt, sich glaubwürdig Ansehen und Respekt verdienen zu wollen, „ergo: Denen fehlt einfach der Grund für HipHop“ (Felbert 1993c, 65). Die Differenziertheit der räumlichen, sozialen und musikalischen Erfahrungen und Praktiken, die HipHop in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre konstituieren, werden so in dem einen (musikindustriellen) Raum von Deutschem Rap zusammenzuführen versucht. Die Imagination einer Szene, in der alle gleich sind, weil alle und alles Ergebnis ein und derselben Struktur sind, wirkt vor dem Hintergrund fortwirkender und sich beständig reflexiv erneuernder Machtgeometrien, pluraler Identitäten und pfadabhängiger ökonomischer und sozialer Strömungen unangemessen, ahistorisch und utilitaristisch. Zur Mitte der 1990er Jahre ist das neue Genre ‚Deutscher Sprechgesang‘ eher visuell und textual denn musikalisch gefasst und bestimmt sich durch folgende Eigenschaften: (1) Zunächst wird die umfassende HipHop-Kultur der Alten Schule reduziert auf ihr markttauglichstes Element, die Musik. Was ursprünglich nur ein Teil des lebendigen Austauschs im Rahmen der translokalen Jams war, stellt nun das vermarktbare Herzstück von HipHop dar, das mit hübschen Beigaben wie Graffitibildern und Bandposen in städtischer Umgebung präsentiert werden kann. (2) Aufgrund einer relativ starken musikalischen Orientierung an US-amerikanischen und teilweise britischen Vorbildern wurde die Sprache das entscheidende Alleinstellungsmerkmal des neuen Genres (Mager 2003). Anhand eines Überblicks der Sprache der Titel von in Deutschland zwischen 1988 und 1996 veröffentlichter Rap-Tonträger lässt sich diese Entwicklung grob nachvollziehen (vgl. Abbildung 7). Waren bis 1989 fast alle CDs, LPs und Singles englischsprachig betitelt, tragen ab 1990 zunächst zwischen 40 und 50 Prozent aller Platten und CDs deutsche Titel, ein Anteil, der sich ab 1992 stetig bis auf knapp 80 Prozent erhöhte. (3) Das verbindende Charakteristikum dieser neu entstehenden ‚Deutschen Schule‘ ist die deutsche Reimsprache, was nicht per se nationalistisch ist. Chauvinistisch jedoch wird die Diskussion, wenn die Musik der Krauts gegen die der Niggaz With Attitude selbstbewusst vermarktet werden soll, um eine drohende ‚Amerikanisierung‘ zu verhindern. Nachdem zu Beginn der 1990er Jahre erste

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Ansätze einer stärkeren Fokussierung der großen Musikfirmen auf nationale Produktionen und Künstler zu erkennen sind, stellt Thomas Stein als Vorsitzender von BMG Entertainment International gar fest: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Popmusik hat sich weltweit eine Stilrichtung etabliert, deren kreative Ursprünge aus Deutschland kommen“ (Stein 1998, 32). Gemeint ist hier die Dance-Music der Gruppe Snap aus Frankfurt, die sich aus ehemaligen GIs zusammensetzte und mit ihrem Debüt zu Beginn der 1990er Jahre weltweit rund sieben Millionen Tonträger absetzen konnte. Allerdings galten auch hier zunächst junge Afrikaner, afroamerikanische GIs oder Jugendliche mit einem afrikanischen Elternteil als besonders vielversprechende Künstler, die auch aus Deutschland die international gängigen Muster reproduzieren konnten. German Pop wird erstmals Mitte der 1990er Jahre zum Exportartikel, als eine verstärkte Ethnisierung und Regionalisierung nicht nur von Rap-Musik einsetzt (Jacob 1995, 33).

Abb. 7: Sprache der Titel von in Deutschland veröffentlichten Rap-Tonträgern, 1988–1996. (Quellen: Verlan, Loh 2000; Cracchaus-Website o.J.; MZEE Records o.J.; eigene Recherchen und Darstellung.)

Eine Bedrohung der lokalen – gemeint ist meist: nationalen – Kultur durch Einflüsse aus den USA wird durch eine kurze Charakterisierung des deutschen Musikmarktes in den 1990er Jahren weiter in Frage gestellt. Zwischen 1990 und 1996 beispielsweise verdoppelte sich der domestic share, der Anteil heimischer Produktionen in den deutschen Top-100 Media Control Hitlisten und liegt seither etwa bei 40 Prozent für Singles und 25 Prozent für Langspielplatten und CDs (Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V. 2002; IFPI 2003). Wie groß der Anteil von Rap-Musik an diesen Prozentwerten ist, lässt sich aufgrund der Subsumtion von Rap-Musik unter die allgemeine Kategorie Dance mit Hilfe der veröffentlichten Daten statistisch nicht nachvollziehen. Seit Einführung dieser Kategorie im Jahre 1997 liegt der Anteil in Deutschland von Dance-Music zwischen 6 und 10 Prozentpunkten. Eine Sonderauswertung der Gesellschaft für

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Konsumforschung in Nürnberg ergab für das Genres Rap/HipHop aus Deutschland und dem Ausland in der ersten Hälfte des Jahres 2001 einen Anteil am Gesamtumsatz aller Tonträger von durchschnittlich 3,5 Prozent (GfK Panel Service Consumer Research 2001). Trotz dieses konstatierten weltweiten Bedeutungsgewinns ‚deutscher Musikkultur‘ und des stetig wachsenden Anteils einheimischer Musik am Gesamtumsatz wurden Mitte der 1990er Jahre Stimmen laut, welche sich für eine stärkere Förderung und einen besseren Schutz deutscher Musikproduktionen einsetzen wollten. Als probates Mittel erschien die Einführung einer gesetzlich geregelten Quote in Radio und Fernsehen. Heinz Rudolf Kunze, ein deutschsprachiger Rockmusiker, hatte beispielsweise in einem Interview des Nachrichtenmagazins Der Spiegel „den Eindruck, dass gerade in Deutschland und Japan, in den Verlierernationen des Zweiten Weltkriegs, die Flut von ausländischem Schund besonders widerstandslos geschluckt wird“ (zitiert von Fanizadeh 1996, 17). Wenig später veröffentlichte der Deutsche Rock- und Popmusikerverband e.V. eine Deklaration, welche die Bundesländer aufforderte, nach dem Vorbild Frankreichs eine 40 Prozent-Quote für Produktionen „einheimischer Künstler“ festzulegen (Deutsche Rock- und Popmusikerverband e.V. 1996). Mittlerweile hat sich für diese Forderung eine relativ breite öffentliche Unterstützerbasis gefunden, und die Musikquotierung war mehrfach Thema von Debatten im Deutschen Bundestag (www.alle-in-eigener-sache.de o.J.; Für eine Selbstverpflichtung... 2004). Die Etablierung eines eigenen deutschsprachigen HipHop-Genres im Verlauf der letzten zehn bis fünfzehn Jahre muss vor diesem Hintergrund interpretiert werden, auch wenn Rap aus Deutschland verglichen mit anderen Musikrichtungen für einen eher unbedeutenden Teil der erzielten Umsätze verantwortlich ist. (4) Die Fassung des Genres ‚Deutscher Sprechgesang‘ rekurriert so vor allen Dingen auf zwei Regelkomplexe, welche die musikalische Produktion, Distribution und Konsumtion leiten: die kommerziellen sowie die formalen Regeln. Über die nach der Wiedervereinigung einsetzende strategische Neuorientierung einzelner Musikkonzerne in Deutschland, die Künstlern aus dem (sprach)national definierten Kontext verstärkte Aufmerksamkeit zukommen lassen wollten, wurden neue kommerzielle und rechtliche Regeln über das Verhältnis von Musikern und Markt etabliert. Neben den Diskussionen um die gesetzliche Regelung von Musikquoten kann auch der Aufbau des Musiksenders Viva, der Ende 1993 gemeinsam von den großen Musikfirmen Time-Warner, Sony, PolyGram und Thorn-EMI ins Leben gerufen wurde, als Versuch interpretiert werden, ökonomische und institutionelle Voraussetzungen für die Vermarktung deutscher Musik zu schaffen. Auch HipHop bekam mit Freestyle früh ein eigenes Format auf Viva, das in der Aufbauzeit des Senders „eine Sendung von der Szene für die Szene“ (Verlan, Loh 2000, 285) war und zunächst mit Torch aus Heidelberg, Storm aus Hamburg sowie Scope aus Köln von Protagonisten der Alten Schule moderiert wurde. Entscheidend ist hier weniger der Erfolg und die wechselnden Konzepte hinter dieser Sendung, in der allerhand illustere Gäste aus dem In- und Ausland begrüßt werden konnten, sondern die nachhaltigen Auswirkungen auf die Organisationsregeln des Genres. Mit der großen Reichweite des Senders wurde regelmäßig eine Szene im nationalen Rahmen porträtiert, die bislang eine starke lokale und translokale Ausrichtung innerhalb kleiner, überschaubarer Zirkel kannte. Die Definition von

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Deutschem Sprechgesang als Genre war und ist das Ergebnis politischer und musikindustrieller Entscheidungen auf nationaler Ebene. Dem gegenüber stehen die explizite Betonung lokaler musikalischer Praktiken im HipHop und eine transnationale Ausrichtung der Netzwerke der Alten Schule. (5) Vor dem Hintergrund einer allgemein großen Bedeutung der örtlichen Infrastrukturen und der kommunalen Ressourcen für die Praktiken des Musizierens sind diese Verschiebungen entscheidend (Finnegan 1989; Frith 1993). Die Bedeutung der Kultur- und Jugendzentren als lokale ‚Homebases‘ und Knoten in einem translokalen HipHop-Netzwerke begann nachzulassen, als nach und nach weniger HipHop-Jams der Alten Schule, und vermehrt Rap-Konzerte der Neuen Schule veranstaltet wurden. Rick Ski zieht hier die Grenze: Vielleicht so spätestens ab 94 kam ’ne ganz andere Generation. Dieses Netzwerk von HipHopJams, mit Trampertickets hin- und herfahren, das ist dann verschwunden. Es ist dann eher durch die Medien ersetzt worden. Durch Medien und HipHop-Läden, die es früher nicht gab, in dem Sinn. (Interview Rick Ski, Köln, November 2001)

Die Kulturzentren traten damit, auch im Zusammenhang mit der Kürzung öffentlicher Mittel und einer stärkeren Ausrichtung an profitablen Angeboten, in Konkurrenz zu privaten Veranstaltungsorten wie Diskotheken oder Festivals (Freytag, Hoyler, Mager 2002). Die Musik wurde so nicht länger nur im Heimstudio und für das Publikum im Jugendhaus produziert, sondern für das Radio, das Musikfernsehen oder, wie im Falle der Reim Banditen, mit einem „gute(n) Schuss Clubtauglichkeit“ (Matthias Lanzer, zitiert auf dem Cover von Jetzt sind wir dran) für die Diskothek. Hier, so kann argumentiert werden, vollzieht sich der Schritt aus den Räumen einer Subkultur hin zu stärker medial vermittelten Räumen kommerzieller jugendlicher Massenkultur. (6) Die starke musikalische Orientierung von Rap-Musik in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre an US-amerikanischen Modellen ließ auf einer musikalischen Ebene kaum Impulse vom neuen Genre ausgehen. Allein die Bezeichnungen ‚Deutscher Sprechgesang‘ oder ‚Neue Deutsche Reimkultur‘ zeigen, wie stark die Fixierung von Musikern, vermittelnden Institutionen und Konsumenten auf die sprachlichen Entwicklungen war. Bevor allerdings komplexe eigene Reimstrukturen mit einer stärker sprach- und dialektsensitiven Note gerappt wurden und es zu einer weitreichenden Steigerung der Qualität der Reimstruktur und des Vortrags jenseits des stark endbetonten Paarreims kommen konnte („Schönen guten Abend, meine Damen und Herren / Wir machen Rap-Musik und wir hören sie auch gern“ (Die Fantastischen Vier: Jetzt passt auf [Sony, 1991]), gingen einige weitere Jahre der Übung ins Land (Elflein 1998, 259). Für manche Kommentatoren zielt ein solches Niveau der Texte zunächst ab auf einen breiten Einstieg in den deutschen Markt und belegt eine volkstümliche und unverstandene Aneignung fremder Kultur. Die textliche Botschaft und die am Hören US-amerikanischer Rap-Musik vor allem der Ostküste geschulten rhythmischen Grundlagen der Produktionen sind nicht immer einfach als Sound oder Groove zusammenzubringen. So meint Dies ist HipHop von den Reim Banditen eine ganz bestimmte Art von Rap-Musik, die entweder völlig unverbindlich bleiben muss, um einen möglichst großen Markt zu bedienen, oder die sich durch Imitation von Bruchstücken hochselektive Aspekte von Black Music aneignet. „Der ‚positive‘ Rap des Mainstream macht scheinbar alles richtig, aber die Positivität beruht [...] auf der

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konsequenten Ausklammerung des Konkreten, dem Leugnen der Vermarktung und einer Rhetorik der Differenz, die vage und unverbindlich bleiben muss, um zu funktionieren“ (Mayer 1996, 156). (7) Obwohl die Idee hinter dem Sampler Krauts With Attitude zunächst die einer umfassenden Dokumentation von räumlich, ethnisch und stilistisch ausdifferenzierten HipHop-Szenen in Deutschland war, kamen in der konkreten Umsetzung des Projekts Mechanismen zum Tragen, die bestimmte Gruppen von einer musikalischen Repräsentation ausschlossen und andere präferierten. In einer Phase des gesteigerten Interesses an deutscher Musik drohte HipHop mit verschiedenen linguistischen und diasporischen Hintergründen die zunehmende Marginalität. Hinzu kam, dass die verstärkte nationale Kodierung von Rap-Musik dem internationalen Ansatz eines mobilen HipHop-Raumes entgegenstand, der für viele Türken, Jugoslawen, Griechen, Kurden, Afrikaner und Deutsche mit der Zeit vor 1990 verbunden war. Zu Beginn der 1990er Jahre allerdings setzte ein verstärktes öffentliches Interesse an HipHop ein, das in Zusammenhang stand mit der wachsenden Sichtbarkeit und Dringlichkeit von Problemen, denen Ausländer, Asylsuchende und Migranten in Deutschland begegneten. Rassistische Übergriffe und Mordanschläge in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder Solingen leiteten eine fieberhafte mediale Suche nach Ursachen und möglichen Kommentatoren der Situation ein, die sich in HipHop-Gruppen wie Weep Not Child, Exponential Enjoyment und insbesondere Advanced Chemistry fanden: Die Leute haben gesagt ‚Rap gibt es nicht, Euer Thema gibt es nicht, Euch gibt es nicht.‘ Bis wir gesagt haben ‚Wir sind Rap, wir sind dieses Thema.‘ Und das war schon faszinierend. Vor allem weil das von Null auf ‚Bumm‘ hochgegangen ist. Sowohl wir als teilweise Afrodeutsche mit ganz anderen politischen Sichtweisen und Problempunkten, als auch die ganze HipHopKiste. Der ganze Scheiß. Auf einmal war alles da. [...] Wir mussten ja alle Fragen nicht nur der Afrodeutschen beantworten, sondern alle Fragen, die den Rassismus an sich betreffen. Wir mussten Fragen für Deutschland beantworten, die so 20-Jährige eigentlich gar nicht beantworten sollten. [...] Da ging es um die Staatsbürgerschaft. [...] Und gleichzeitig mussten wir den Leuten erklären, was HipHop ist. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

Hier wurde ein Diskurs über Ethnizität auch in Deutschland angestoßen, der die Unsichtbarkeit und Unhörbarkeit afrodeutscher und anderer Gruppen mit migrantischen und marginalisierten Identitäten zumindest teilweise beendete (ElTayeb 2003). Parallel dazu wuchs das mediale Interesse an Rap-Musik insbesondere von Türken in Deutschland. Nachdem die Fresh Familee aus Düsseldorf mit Ahmed Gündüz [Ratinga, 1990] über die alltäglichen Erfahrungen eines Türken auf ‚Gastarbeiter-Deutsch‘ rappten und damit zugleich eine der ersten HipHopPlatten in deutscher Sprache veröffentlichten, folgten in den nächsten Jahren mit Titeln der Islamic Force aus Berlin oder von King Size Terror aus Nürnberg weitere Tonträger türkischer Jugendlicher. Das HipHop-Interesse von Jugendlichen der ‚zweiten Gastarbeitergeneration‘, deren Eltern aus der Türkei, aus Jugoslawien oder anderen südeuropäischen Ländern in den 1950er und 1960er Jahren nach Deutschland gekommen waren, reicht allerdings weiter zurück als in die frühen 1990er Jahre und kann zumindest teilweise als eine eigene Rezeptionsgeschichte verstanden werden, die nicht im Kon-

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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text der Alten Schule erfolgte. Bereits in den frühen 1980er Jahren formierten sich Tänzergruppen beispielsweise in Hamburg, die sich zu erheblichen Teilen aus Gastarbeiterkindern und afrodeutschen Jugendlichen rekrutierten. In der Regel handelte es sich dabei um politisch eher uninteressierte junge Menschen, die sich stärker für die musikalischen Momente von US-amerikanischem Rap als für die kulturellen Hintergründe oder die seit Mitte der 1980er Jahre formulierten sozialkritischen und militanten Parolen begeisterten (Jacob 1992). Die meisten der Türkisch sprechenden HipHop-Aktivisten waren sehr früh über US-amerikanischen Rap und über Soul etwa von James Brown zur eigenen Musik gekommen. Bis Mitte der 1990er Jahre differenzierte sich aber auch diese Musik aus in eher poppige Vertreter wie Erci E. oder den soulbeladenen Rap von Aziza A aus Berlin, funklastige Bands wie Cribb 199 aus Bremen, Westküstensounds von Da Crime Posse aus Kiel oder den Ostküsten-Funk von Islamic Force. Als charakteristische Eigenschaften von türkischsprachigem Rap in Deutschland sind melodiöse Samples arabesker und türkischer Popmusik zu identifizieren, welche durch einen sprachlichen Mix begleitet werden, „der vom regionalen Dialekt der Eltern / Verwandten und der spezifischen Verwendung dieser Sprache im persönlichen Umfeld geprägt ist“ (Ayata, Weber 1997, 34). Durch die Schichtung türkischer Melodien und US-amerikanischer Rhythmen, die in englischer, deutscher oder türkischer Sprache begleitet werden, entsteht eine spezifische polyrhythmische Mischung, welche auf die Erfahrungen türkischer Migranten zwischen US-amerikanischem Einfluss, deutscher adaptierter und traditioneller türkischer Kultur verweisen (Elflein 1998, 263). Für die türkische HipHop-Szene in Berlin bestimmt Ayşe Çağlar soziale Prozesse der Zusammenarbeit von HipHop-Aktivisten mit Jugendzentren und Sozialarbeitern, die zu spezifischen Wechselwirkungen geführt haben (Çağlar 1998). Im türkischsprachigen HipHop dominierte Mitte der 1990er Jahre demnach ein Diskurs von Ghetto und migrantischer Marginalisierung, der nicht nur musikindustriell und massenmedial, sondern über ganz bestimmte institutionelle Kontexte vermittelt war. Die deutsch-türkischen Jugendlichen nutzten sehr wohl das Potenzial von HipHop, um sich auszudrücken und über die eigene Situation zwischen unterschiedlichen kulturellen, ethnischen und generationsspezifischen Lagen zu reflektieren. Die Marginalität von deutsch-türkischen Jugendlichen als Parallele zur Situation ‚schwarzer‘ Jugendlicher in US-amerikanischen Innenstädten ist allerdings keine rein selbstinduzierte Wahrnehmung, sondern ein Konstrukt, das auch auf die Sozialarbeit von Berliner Jugendhäusern und Kulturzentren zurückzuführen ist. Zu Beginn der 1990er Jahre wurden vor allem in durch hohe Konzentrationen von Migranten geprägten Stadtteilen in Berlin sozialpädagogische HipHop-Projekte angeboten, die Jugendliche und Kinder zu Breakdance, Graffiti und Rap-Musik anregen sollten. Durch die Förderung des Berliner Senats wurden die populärmusikalischen Freizeitaktivitäten der Jugendlichen in bestimmte Kanäle zu lenken versucht. Das ‚Haus der Jugend‘, der ‚Kreuzberger musikalische Aktion e.V.‘, der ‚Mosaik-Jugendkulturtage e.V.‘, ‚Treff 62‘ und vor allem das ‚Jugend- und Kulturzentrum Schlesische 27‘, auch bekannt unter ‚SO 36‘, sowie „Deutschlands berühmtestes Jugendhaus: die NaunynRitze in Kreuzberg 36“ (Loh, Güngör 2002, 199) waren aktiv an dieser Entwicklung beteiligt.

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

So wurden Jugendliche durch diese Treffs ermutigt, aus der Diaspora heraus eine neu aufkommende globale Musikform aufzugreifen und kreativ zur Selbstdarstellung einzusetzen. Die spontane Widerstandsbewegung ‚von der Straße‘ erweist sich bei näherer Betrachtung als Entwicklung, die von Anfang an über die Jugendtreffs institutionell im ‚Zentrum‘ verankert war. (Çağlar 1998, 46)

‚Zentrum‘ kann hier im doppelten Wortsinn verstanden werden als ein ideologisches Zentrum politischer Macht, das über das Wie und Wo von Multikulturalismus und Integration entscheiden konnte. Zugleich ist das ‚Zentrum‘ auch die bauliche Einrichtung des Jugendhauses, das als Ergebnis allgemeiner kulturpolitischer Diskussionen seit den 1960er Jahren interpretiert werden kann und seinerseits eine eigene Geschichtlichkeit im Stadtteil aufweist. Die Verankerung im ‚Zentrum‘ heißt dann auch eine Verortung der deutsch-türkischen Musiker in den materiell-physischen Settings der Kulturzentren und Jugendhäuser, in den Zimmern und Räumen der Übung, des Austauschs, der Workshops und der Auftritte. Diese Zentren sind Teil einer urbanen Landschaft, der ‚Straße‘ und des ‚(Türken)Ghettos‘, in dem die Auseinandersetzungen um das ‚Recht auf Repräsentation‘ von Minderheiten ausgetragen werden. Sie sind zugleich aber auch Rahmen einer aktiven Mitwirkung an institutionellen Diskursen und kulturellen Projekten. Die Themen, welche dabei verhandelt werden, beschränken sich nicht nur auf Ghetto-Diskurse und Marginalisierungen, sondern umfassen die Definition von (eigener) Kultur, feministische Diskussionen, Fragen nach Herkunft und islamischer Tradition oder Begriffsbestimmung von Nation und Integration. Durch jugendkulturelle Praktiken wie etwa im HipHop „verwandeln migrantische Jugendliche in der Lokalität von Berlin die Orte der Jugendzentren und Konferenzsäle (, die institutionalisiert worden sind, um ihre Freizeit und Bildung zu regulieren) in jugendkulturelle Räume (, die von ihnen genutzt werden, um öffentliche Kultur und gesellschaftsrelevante Projekte zu verhandeln)“ (Soysal 2001, 23). Ähnlich wie US-amerikanische HipHop-Musik wenige Jahre zuvor bedurfte auch türkischsprachiger Rap eine gewisse Zeit, um von Musikzeitschriften, Plattenfirmen und Konsumenten in Deutschland auf breiter Basis wahrgenommen zu werden. Ein prominentes Beispiel ist Cartel, ein ‚türkisches‘ HipHop-Projekt, das sich aus Karakan aus Nürnberg, Erci E. aus Berlin und Da Crime Posse aus Kiel, einer Gruppe von zwei Türken, einem Kubaner und einem Deutschen, zusammensetzte und gesteigerte Aufmerksamkeit nach dem durchschlagenden Erfolg ihrer selbstbetitelten CD [Spyce 1995] in der Türkei erhielt. Zunächst wurden Cartel als erfolgreiche Vertreter der zweiten Gastarbeitergeneration, als ‚künstlerische Avantgarde‘ und Sprachrohr türkischer Jugendlicher gefeiert, die den Widerspruch zweier Kulturen – der deutschen und der türkischen – verhandelten. Ähnliches galt schon für King Size Terror aus Nürnberg. Kommentatoren bescheinigten der Musik, sie sei „wohldurchdacht und begründet“ (Felbert 1994, 79). Die unterstellte Unschuldigkeit und anti-rassistische Ausrichtung der Texte allerdings relativierte sich, nachdem sie ins Deutsche übersetzt wurden und politische Reaktionen aus der Türkei bekannt waren. Wurde die Musik auch in der Türkei zunächst als ein Zeichen gegen Unterdrückung gewertet, die Anspruch erhebt auf Selbstermächtigung innerhalb einer fremden und feindlichen Stadtumwelt, kamen Zweifel auf an der Intention einer grenzenlosen Idealisierung von Ghetto, Minderheitenstatus und militantem Widerstand, der sich am ökonomischen Separa-

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

279

tismus der Black Muslims orientierte. Dass hier eine türkische Nationalidentität verklärt wurde und damit gegen das bürgerliche deutsche Sicherheits- und Sauberkeitsverständnis sowie gegen alle ‚nichtgläubigen Feinde‘ der Muslime polemisiert werden konnte, problematisierte die Rezeption der Gruppe ebenso wie die Versuche einer Instrumentalisierung der Musik für pan-türkische und nationalistische Zwecke (Ayata 1994 und 1996; Robins, Morley 1996). Letztendlich beruhte der Erfolg von Cartel auf ähnlichen Elementen ethnischer Segmentierung wie sie in den vorangegangenen Jahren auch in Deutschland zum Einsatz kamen. Das in rot gehaltenen Cover ihrer Platte weckt Assoziationen der türkischen Nationalflagge – ein weißer Halbmond dient als erster Buchstabe des Gruppennamens –, und die werbewirksame Einführung des Begriffs ‚Oriental HipHop‘ sollte verschiedenste ethnische Minoritäten und ihre Musik in Abgrenzung zu einer übermächtigen Mehrheitsgesellschaft und ihrer Kultur unter dem Dach eines künstlich konstruierten Türkentums vereinen. Türkische Jugendliche konstruieren bis heute mit Rap-Musik musikalische Identitäten, die mit Hilfe des Labels ‚Oriental HipHop‘ nur unzureichend beschrieben sind. Türkischsprachiger HipHop in Deutschland kann gefasst werden als eine Reaktion auf die strukturelle Ausgeschlossenheit aus der deutschen Gesellschaft und auf Diskurse der Mehrheitsgesellschaft über Multikulturalismus und Integration. Zugleich artikulieren die Rapper in ihren Liedern sprachlich und musikalisch ihre Verbundenheit und die Auseinandersetzung mit der türkischen Kultur. Die Konstruktion einer solchen doppelt diasporischen Identität mit Hilfe expressiver HipHop-Praktiken versucht eine Brücke zu schlagen zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen der ersten und der zweiten Generation türkischer Immigranten (Kaya 2002). Zum Verständnis dieser Identitätspolitik reicht die Bipolarität Deutschland – Türkei allerdings nicht aus, sondern muss ergänzt werden um Fragen nach musikalischen Prozessen, welche beispielsweise durch die unterschiedlichen räumlichen und sozialen Vorgaben von US-amerikanischem HipHop vermittelt werden. Kulturelle Differenz meint hier nicht nur Unterschiedlichkeit zwischen einzelnen Orten, sondern auch innerhalb eines geographischen Raumes, der sich über verschiedene Maßstabsebenen vom globalen Rahmen bis hin zu Städten und einzelnen Nachbarschaften und Lokalitäten erstrecken kann und im ‚Deutschrap‘ wie im ‚Oriental Rap‘ durch Vorstellungen von Nation vermittelt wird. „Kulturelle Differenz wird produziert und perpetuiert innerhalb eines Feldes von Machtbeziehungen in einer Welt, die schon immer räumlich verbunden war“ (Gupta, Ferguson 1992, 17). Damit wird einmal mehr deutlich, wie sich ein (musikalischer) Ort bestimmt aus den verschiedenen Einflüssen, die dort aus einer Vielzahl unterschiedlicher Orte aufeinander treffen. Mitte der 1990er Jahre lässt sich das Bild einer HipHop-Landschaft in Deutschland zeichnen, das weniger entlang musikalischer als entlang ökonomischer, ethnischer und politischer Dimensionen räumlich ausdifferenziert ist. Zwischen etwa 1990 und 1995 deuten sich graduelle Verschiebungen der dominanten räumlichen Artikulationen und der als authentisch konzipierten Räume von HipHop in Deutschland an. Während sich die Aktivisten der Alten Schule selbst ein tiefgreifendes Verständnis einer Kultur erarbeiteten und diese als einen whole way of life konzipierten, der in den lokalen Homebases der Jugendzentren wurzelt und über

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

die Netzwerke der Jams einen translokalen, internationalen, polyzentrischen und mobilen Charakter mit multiethnischer Ausrichtung erhielt, fußt die Neue Schule auf einer Konzeption von HipHop, die über massenmediale Informations- und Absatzkanäle in einem nationalen Kontext zugänglich ist und ihren musikalischen Ort stärker in den privaten Räumen der Jugendzimmer und Heimstudios sowie auf Konzertveranstaltungen findet. Verwoben mit diesen Entwicklungen zeichnete sich eine Auseinandersetzung ab um verschiedene national vermittelte Formen von HipHop, die sich einerseits aus dem ökonomischen Verständnis eines Absatzmarktes speisen und ‚unpolitische‘ Musik für deutsche und deutschsprachige Hörer produzieren wollten und die andererseits ethnische und grenzüberschreitende Vorstellungen eines diasporischen Raums zwischen oder jenseits nationaler Staaten ableiteten. Seit Mitte der 1990er Jahre lässt sich zudem eine stärkere Betonung des konkreten lokalen Umfeldes der Städte oder Stadtteile der Musiker konstatieren. Beispiele sind die ‚Mutterstadt‘ Stuttgart, Hamburg-‚Eimsbush‘-Eimsbüttel oder das ‚derbe, türkische‘ Berlin-Kreuzberg. Dieser bislang unbekannte Nachdruck hinter der lokalen räumlichen Herkunft von Künstlern aus Deutschland kann auf verschiedene, miteinander verbundene Ursachen zurückgeführt werden: Zunächst führte die zunehmende Popularität und Zahl deutschsprachiger Rap-Produktionen in den 1990er Jahren zu einer gesteigerten Betonung von Differenz, die, weil nur bedingt stilistisch oder inhaltlich zu begründen, zunehmend auf großmaßstäbige Kategorien rekurrierte. Musikalisch oder im Verbalvortrag zunächst kaum voneinander zu unterschieden, bedurfte es eines einleuchtenden Unterscheidungsmerkmals der Musik. Ein zweiter Grund für die verstärkte Orientierung am lokalen städtischen Umfeld ist die wachsende Anzahl Gleichgesinnter an einem Ort. Die Mitte der 1990er Jahre deutlich verbesserte Informationslage und eine zunehmende Aufmerksamkeit der Jugendpädagogik gegenüber lokalen musikalischen HipHopPraktiken ließen Szenen entstehen, die Stadt als kreatives Milieu, als Reservoir von Infrastrukturen, als Sammelpunkt von Ideen und als Potenzial zum Austausch zwischen Musikern auch verschiedener Stilrichtungen nutzten. Ein solches Beispiel ist Hamburg, dessen lokale HipHop-Szene mit Anschluss an Hardcore- und Punkbands innerhalb weniger Jahre zum „Anziehungspunkt für ganz Norddeutschland“ geworden ist (Verlan, Loh 2000, 220; vgl. Nagl 1998). Viele der Gruppen, die mit der Stadt seit Mitte der 1990er Jahre in Verbindung gebracht werden wie Fünf Sterne Deluxe, Fischmob oder EinsZwo stammen nicht direkt aus der Stadt, sondern aus Kiel, Bremerhaven und andern Orten in benachbarten Bundesländern. Vor dem Hintergrund eines erleichterten Zugangs zu Musiktechnologie und zu US-amerikanischer Musik konnten sich in verschiedenen Städten ausgehend von Kernen aus kleinen Studios in Jugendzimmern oder Kellerräumen lokale Netzwerke entwickeln, die sich in freundschaftlichen Cliquen und semiprofessionellen Produktionsgemeinschaften organisierten. Die Zusammenarbeit zwischen erfahrenen Produzenten und DJs aus der Zeit der Alten Schule mit jungen talentierten Rappern erwies sich dabei als besonders fruchtbar. Für die Entwicklung von Künstlern in verschiedenen Städten zeichneten zudem einzelne kleinere und mittelgroße Plattenfirmen verantwortlich. Waren das für Hamburg insbesondere die bereits zuvor etablierten Buback Tonträger und das

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Punk-Label YoMama, spielte Ruff’n’Raw für Frankfurt am Main, Tribehaus für Dortmund und Umgebung oder RapNation für Braunschweig eine entscheidende Rolle. Zu den weiterhin vernetzten Aktivitäten der Protagonisten der Alten Schule traten verstärkt jüngere Künstler als Unternehmerfiguren auf den Plan, die mit eigenen kleinen Plattenfirmen und Studios insbesondere die lokalen großstädtischen Konsumenten mit Eigenproduktionen bedienten und das Angebot der von den großen Musikfirmen in Deutschland aufgebauten Künstler des stärker national kodierten Genres ergänzten. Wurden viele der frühen Tonträger ‚unabhängig‘ vermarktet und vertrieben oder kamen zum Teil ausschließlich auf Jams zum Verkauf, fanden viele der neuen Platten Mitte der 1990er Jahre über Distributionen mit nationaler Reichweite und über den wachsenden Versandhandel deutschlandweit Verbreitung. In den Großstädten lohnte gar die lokale Vermarktung mit Flyern, Stickern und anderen Promotionsmaterialien für einen wachsenden lokalen Markt. Für Matthias Lanzer, Gründer von RapNation Records aus Braunschweig, spielt auch die lokale Struktur der (Print-)Medien eine zentrale Rolle Die ersten Jahre waren Provinzstädte wie Heidelberg, Braunschweig, Bremerhaven gleichwertig mit Großstädten wie Hamburg oder Köln. Damals zählten nur die Aktionen der Aktivisten. Heute merkt man schon, dass Hamburg eine Printmedienstadt ist und das (!) in Stuttgart die größten Radiosender des Landes sitzen. (Matthias Lanzer, zitiert von Krekow, Steiner 2000, 350–351)

War die Veröffentlichung von Rap-Musik zunächst nicht an urbane und metropolitane Kontexte gebunden, hat sich mit einem gesteigerten Medieninteresse die Chancengleichheit auf Wahrnehmung verschiedener städtischer Szenen zugunsten der größeren Städte verschoben. Neben Stadtmagazinen, die auf der Suche nach neuen Gruppen und Trends aus ihrer Stadt fahnden, sind es auch die überlokalen Druckerzeugnisse und audiovisuelle Medienanbieter, die an der Kreation und der Präsentation einer Szene mitwirken. Aus Köln, dem Redaktionssitz der Spex, berichtet beispielsweise Rick Ski von der sehr frühen Involviertheit des Mediums, als es um die Cover-Gestaltung und die Titelgeschichte der März-Ausgabe des Jahres 1990 ging. Dann sollten (L.S.D.) eigentlich ’nen kompletten Artikel kriegen, aus dem dann ein Deutschrap-Artikel geworden ist... [D]a war auf einmal Exponential Enjoyment auf dem Cover, eine Gruppe, die’s bis zu diesem Artikel eigentlich gar nicht gegeben hat. ‚Wir machen ein bisschen Musik zusammen, genau: wir machen schnell ’ne Gruppe.‘ So lief das da ab. Ich glaub’, das hat einfach eher ins intellektuelle Bild von denen gepasst, dass da halt ein Typ aus Nigeria dabei war, ein Deutscher und ein Rumäne und so weiter. (Interview mit Rick Ski, Köln, Oktober 2001)

Bis Ende der 1990er Jahre kristallisierten sich Stuttgart, Hamburg und Berlin als die Szenen mit großer bundesweiter Bekanntheit heraus. Die wachsenden Animositäten zwischen Künstler aus diesen Städten führten in den Jahren um 1998 gar zu einem beef nach US-amerikanischem Vorbild, dem die Stadt Berlin einen Teil ihres Rufs als Hauptstadt des battle-Rap in Deutschland verdankt (Rap City Berlin 2005). Die Rapper der Neuen Schule „waren sesshaft geworden und repräsentierten ihre Stadt“ (Verlan, Loh 2000, 182). Formen des HipHop-representing kannten aber schon die Protagonisten der Alten Schule. Torch beispielsweise erinnert sich:

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4 Raum und Zeit in HipHop-Musik

„Ich fand es interessant, Heidelberg auf der Hiphop-Landkarte (!) aufzustellen“ (Welzel 2004, 3). Im Video zu ihrem Lied Fremd im eigenen Land rappten Advanced Chemistry in Gesellschaft einer großen Freundesgruppe unterhalb der Alten Brücke, einem Wahrzeichen Heidelbergs, und präsentieren sich auf dem Cover der Maxisingle in einer Gasse der Altstadt. Ich hab’ auf jeden Fall musikalisch und auch von den Inhalten her Advanced Chemistry repräsentiert, weil das die HipHop-Kollegen sind, die auf meiner Wellenlänge sind und mit denen ich die meiste Realität teilte. Innerhalb von Deutschland hab’ ich, musikalisch gesehen, die HipHop-Szene repräsentiert. [...] 90 haben wir in der Schweiz beim CH-Fresh sogar offiziell Deutschland vertreten. Wir haben noch nicht mal ’ne Demokassette offiziell rausgebracht zu dem Zeitpunkt. Und da sind wir mit Gruppen wie Stereo MCs und London Posse und IAM und was weiß ich aufgetreten. [...] Heidelberg haben wir auch repräsentiert. Aber nur auf den HipHop-Partys. Auf den HipHopPartys waren wir halt die Heidelberger. (Interview mit Torch, Heidelberg, Juli 2001)

Im Stück Heidelberg [360° Records, 1995] repräsentieren Advanced Chemistry ihre Stadt sehr deutlich, sie zitieren allerdings eher Reiseführerwissen, als dass sie sich in ihren Texten auf konkreten Begebenheiten und Personen beziehen. Heidelberg wird hier präsentiert als international ausgerichtete Universitätsstadt mit einer langen Geschichte, die sich in die Steine und Gebäude der Stadt eingeschrieben hat. Advanced Chemistry sehen sich in der Tradition der hier einst verkehrenden Dichter, Denker und Philosophen. So wie zu früheren Zeiten, als Heidelberg „wissensdürstige Kolonnen“ anzog, ist die Stadt auch heute noch ein Zentrum und Lehrort für HipHop der Alten Schule. Das Lied ist insgesamt eine romantische, idyllische und kitschige Liebeserklärung an die Stadt, in der die Rapper gemeinsam ihre Jugendzeit verbracht haben, in der es nach frischen Brötchen riecht und buntes Herbstlaub den Boden schmückt. Der Reimfluss erinnert an den „bedächtig durch sein Tal“ fließenden Neckar, dessen Fluss auch musikalisch aufgenommen wird. Eine Piano-Schleife, eine leise beigemischte Trommelspur und die Bläsersequenz in den Überleitungen zwischen den einzelnen Strophen verstärken diesen ruhigen Eindruck weiter, der lediglich durch unregelmäßige 90 Beats pro Minute gebrochen wird. Der rhythmische Stil aller drei Rapper bleibt über die gesamte Länge sprach-effusiv und trägt bei zum organisch-weichen Gesamtcharakter des Stücks. Es dauerte bis zur Mitte der 1990er Jahre, bevor auch in Deutschland eigene representer tracks erschienen, die sich textlich wie musikalisch an einem ganz konkreten sozialen und räumlichen Umfeld abarbeiteten. Für Kinderzimmer Productions war ihr Lied über Ulm U-Stadt And You Don't Stop [EFA, 1996] dann auch direkt aus den USA inspiriert: Die Tradition der Repesenter ging eigentlich erst los mit Gang Starr, ‚Daily Operation‘ [von 1992]. Also dieses ‚The Place Where We Dwell‘ war, glaub’ ich, für alle so was wie: Das müssen wir machen, wir müssen so was machen! Das haben dann auch alle gemacht. Wir haben uns dann zumindest um eine ironische Brechung bemüht, insofern dass wir schon wussten, dass wir jetzt nicht die härtesten Motherfucker auf dem Planeten sind, aber es war definitiv ein Representer. Wir haben nie Ulm gesagt, sondern immer U-Stadt, weil es ein fiktiver Ort war. [...] Wir waren eher ärgerlich, dass alle anderen dieselbe Idee hatten und weniger: ‚Wir müssen uns jetzt positionieren innerhalb der deutschen Landschaft‘. (Interview mit Textor, Heidelberg, November 2005)

4.3 HipHop, Deutschrap!, Rap in Deutschland

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Die Funktionen der representer tracks in Deutschland lehnen sich an die Vorbilder aus den USA an: (1) Zunächst geht es um das Platzieren der eigenen Stadt, der eigenen Gruppe oder des eigenen Labels innerhalb der überlokalen Szene. Wurde in der Alten Schule Ansehen und Respekt über die aktive Partizipation an möglichst vielen unterschiedlichen Jams erworben, so kann sich Berühmtheit innerhalb der Neuen Schule auch durch die Positionierung innerhalb einer lokalen Szene herstellen. Mit dieser Art von Liedern stehen mittlerweile Annahmen in Verbindung, nach denen Gruppen aus einer Stadt ähnliche Musik hervorbringen. (2) Diese Stücke wirken außerdem nach ‚innen‘, gegenüber den Mitgliedern des eigenen Produktionszusammenhangs, als Versicherung des Gruppenzusammenhalts und der verlässlichen gegenseitigen Unterstützung. Cheech & Iakone beispielsweise beschwören in Direkt aus Kassel [34128 Records, 1995] dieses intime Vertrauen gegenüber ihrer Gruppe, die als 34128 Posse direkt auf die Postleitzahl der Heimatstadt verweist. (3) Solche Lieder produzieren neue und alternative Kartographien der betexteten Städte und Lokalitäten, die, wie im Falle des Liedes Mutterstadt von den Massiven Tönen feat. Afrob und Max [MZEE, 1996], auf für die Künstler wichtige Plätze, Orte und Personen des eigenen Alltags in ihrer Stadt abheben. Die Hörer lernen dadurch Lokalitäten neu und anders kennen und können ihren eigenen Alltag im musikalischen Rhythmus wieder entdecken. (4) Eine letzte Funktion schließlich ist die mit der Imitation US-amerikanischer Vorgaben verknüpfte zusätzliche Authentifizierung der Musik.

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HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit

Der vorliegende Beitrag hatte zum Ziel, einer Komplexität der räumlichen und sozialen Organisation von Klang sowie der klanglichen Organisation von Räumlichkeit in Rap-Musik aus geographischer Perspektive zu begegnen. Vor dem Hintergrund einer im Vergleich zu anderen Formen populärer Kultur gesteigerten Betonung konkreter Orte, symbolischer räumlicher Gehalte und imaginärer Vorstellungen von Raum im HipHop ging es zunächst darum, mögliche Beiträge von Geographie zum Verständnis dieser musikalischen Artikulationen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen abzuschätzen. Dabei erwiesen sich eher traditionelle geographische Methoden wie die Auswertung statistischer Daten, die Identifizierung räumlicher Muster und Diffusionsprozesse und die kartographische Darstellung ebenso als fruchtbar wie der Einsatz verstehender Verfahren einer ‚Neuen Kulturgeographie‘ bei der Interpretation von Liedertexten, Interviews, Bild- und Tonmaterial. Musikalische Konzeptionen, die von einer engen strukturellen Beziehung zwischen Klang und kulturellen Kontexten ausgehen, mussten hier ebenso in Frage gestellt werden wie rein textzentrierte Interpretationen häufig sequenziell gefasster Kommunikationsprozesse musikalischer Produktion, Mediation und Konsumtion. Als eine zusätzliche Perspektive auf die Produktion von Raum und Ort im HipHop wurde Rhythmusanalyse eingeführt, welche die körperlichen, emotionalen und affektiven Erfahrungen von rhythmischen Strukturen des Alltags stärker in den Fokus rücken lässt. Dieses Werkzeug eignet sich insbesondere zur vergleichenden Bestimmung der Parallelität und des Widerstreits von Polyrhythmik in Rap-Musik, die sich durch musikalischen Fluss, rhythmische Schichtung und klangliche Brüche innerhalb der verbalen und elektronischen Soundstrukturen auszeichnet. Das zweite Hauptinteresse der vorliegenden Arbeit galt der Frage, wie HipHop Raum und Räumlichkeit artikuliert. So wurde nicht nur gefragt, welche Räume im Kontext US-amerikanischer und deutscher Rap-Musik produziert werden, sondern auch von wem, wie und warum. Ausgehend von der Beobachtung, dass trotz einer ausdrücklichen geographischen Rhetorik den räumlichen Logiken von Rap-Musik und deren Verschiebungen in Raum und Zeit bislang kaum Beachtung geschenkt wurde, argumentierte die Arbeit zunächst gegen unkritische Annahmen eines homologen Zusammenhangs zwischen dem lokalen Ursprungskontext South Bronx sowie Form und Klang der Musik. Als Teil der kulturellen Traditionen einer ‚schwarzen‘ Diaspora und gründend in den Erfahrungen von Segregation und Marginalisierung ethnischer Minderheiten in deindustrialisierten urbanen Umwelten kombinierten im HipHop einzelne talentierte Künstler zuvor

5 HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit

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aufgenommene Musik mit technologischen Innovationen in multiskalaren, vieldimensionalen und musikökonomisch vermittelten Prozessen. Während der 1980er Jahre erreichten die musikalischen Formen aus den Vereinigten Staaten hauptsächlich über massenmediale Kanäle verschiedene Teile der Welt, wo sich eine Vielfalt neuer und hybrider kultureller Ausdrucksformen im HipHop herausbilden konnte, die insbesondere in der Musik weiterhin starke Verbindungen zu US-amerikanischen Praktiken und Diskursen kennt. Zunächst wurde nachvollzogen, wie sich vor dem Hintergrund der raumzeitlichen Ausbreitung in den 1980er Jahren verschiedene musikalische Subgenres von Rap-Musik in den USA ausdifferenzieren, und wie sich diese Genres in Prozessen der Regionalisierung distinkter Produktionsstile niederschlagen konnten. Als genretypisch wurden unter anderem der rhythmische Reimstil der Rapper, musikalische Strukturierungen und unterschiedliche Artikulationsformen der Dynamiken von Raum, Ort und Ethnizität identifiziert. Da sich über die jeweils dominierende ‚regionale‘ Musik soziale Formationen, Geschichten und Geographien ansteuern lassen, um welche Musiker, Medien, Musikindustrie und Hörer Bedeutungen und Handlungen im HipHop organisieren, zeitigen Prozesse der musikalischen Regionalisierung und die entsprechende Rhetorik von Old School, New School, East Coast, West Coast oder Dirty South innerhalb wie außerhalb der USA nachhaltigen Einfluss. Im Zuge der Herausbildung regionaler Stile lässt sich eine gesteigerte Bedeutung von Raum, Ort und Ethnizität in US-amerikanischer Rap-Musik konstatieren, über welche die zentralen HipHop-Werte Ansehen, Respekt und Glaubwürdigkeit verhandelt werden. Die Explizierung eines räumlichen Bewusstseins und eines identitätsstiftenden Raumbezugs kann gar als entscheidendes Merkmal von Rap-Musik angesprochen werden. Als zentrale Räume konstituieren die musikalischen Praktiken immer wieder das innerstädtisches Ghetto und die Straße als authentisch und real. Ähnlich wie ältere Formen ‚schwarzer‘ Musik übernimmt auch HipHop das Ghetto sowohl als Ort der Repräsentationen und der Diskurse, die durch musikalische Praktiken hergestellt werden, als auch in einem materiell-physischen Sinne als Ort des authentischen Wissens, der Verwurzelung und der subkulturellen Erfahrung. Das Ghetto wird dabei nicht ausschließlich als Ort von Marginalisierung und erzwungener Segregation gefasst, sondern dient als Basis musikalischer Produktion und ökonomischen Erfolgs. Eng verbunden mit Ghetto sind unterschiedliche Auffassungen von Straße, die als alltäglicher Treffpunkt einen sozialen Ort der Bewährung und der Sozialisation darstellt. Gleichzeitig ist Straße musikalischer Ort, dessen Klänge und Rhythmen aufgegriffen werden und als Musik wieder in diese Klangumwelt zurückwirken. Die starken physischen, rhetorischen, personellen, wirtschaftlichen und sonischen Verknüpfungen verschaffen Straße eine entscheidende Bedeutung als Legitimationsinstrument im HipHop. Street credibility bürgt für die Authentizität der Musik, für die Glaubwürdigkeit der Musiker und für den ökonomischen Erfolg der musikalischen Praktiken. Diese dominanten räumlichen Artikulationen sind im Laufe der Zeit um neue räumliche Alternativen jenseits des Ghettos ergänzt worden, wie etwa um einen ruralen Gegenentwurf oder die stark ethnisch und religiös definierte Hip Hop Nation. Zugleich vollzogen sich diskursive Verschiebungen von Stadt, Ghetto,

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5 HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit

Straße und Nachbarschaft weg von allgemeinen räumlichen Begriffen hin zu konkreten großmaßstäbigen Kontexten. Spätestens seit Ende der 1980er Jahre lässt sich eine verstärkte musikalische und textliche Betonung der Verbindung von Rap und seinen Protagonisten mit urbanen Alltagsräumen und sozialen Gruppen identifizieren. Die detaillierte Beschreibung von konkreten städtischen Umwelten und die Wahl von Gruppennamen in Anlehnung an spezifische Lokalitäten unterstreichen die Verbindungen zur sozialen Gemeinschaft und zu den musikalischen, politischen und historischen Kontexten eines Ortes. Ghetto und Straße finden ihre Konkretisierung im eigenen Boulevard, in der eigenen (neighbor)hood. Rap als selbst-bewusste Ghetto-Musik funktioniert dann stark lokalisiert. Wer im HipHop repräsentiert, zeigt sich als Vertreter seiner sozialen, in der Regel räumlich, ethnisch und sozioökonomisch definierten Gruppe. Die Künstler vertreten ihren sozialen und physisch-materiellen Ort nach außen und berichten von ihrem Alltag dort. Der starke lokale Bezug dient einerseits als Ausgangs- und Verknüpfungspunkte des sicht-, hör- und fühlbaren Erfahrungsaustauschs mit anderen, wird andererseits aber auch als Positionierung auf einer ökonomischen Landkarte eingesetzt, welche Zentren, Subzentren und Peripherien relational und auf unterschiedlichen Maßstabsebenen abbildet. So hat Loyalität gegenüber der eigenen ’hood nicht zuletzt ökonomische Gründe. Die Produktion von Rap-Musik ist bis heute häufig gebunden an ein enges Netzwerke von Rappern und Musikern im organisatorischen Rahmen kleiner künstlereigener Plattenfirmen vor Ort. Ein Musiker wird in der Regel erst dann erfolgreich, wenn er sich im lokalen Kontext Respekt und Ansehen erwerben konnte, und er bleibt es nur, solange er diesen Ort auch überlokal repräsentiert und regional platziert. Die dokumentierten Auseinandersetzungen um die realen und authentischen musikalischen Orte zeugen von dieser großen Bedeutung geographischer Differenzierungen im HipHop. Rap-Musik ist aber nicht nur Musik, die an einem Ort produziert wird, der ein spezifisches Setting zur Verfügung stellt und der für Musiker und Hörer in seiner Eingebundenheit Sinn stiftet. Rap-Musik ist ortsspezifische Musik noch in anderer Hinsicht: Sie wird für bestimmte Orte produziert, für spezifische (marktförmig vermittelte) Settings aufgenommen, für bedeutungsvolle Orte gemacht. In diesem Sinne sind nicht nur die unterschiedlichen Ökonomien kultureller Produktion mitzudenken, sondern auch die Zusammenhänge, in denen Rap-Musik auf einer Party, während der Autofahrt, im Musikfernsehen, am Radio oder an der Stereoanlage konsumiert wird oder werden soll. Die zentralen Räume und Orte im US-amerikanischen HipHop werden auf diese Weise nicht beliebig konstruiert, sondern kontextsensitiv produziert und reproduziert in wechselseitigen, nicht-linearen Prozessen von musikalischer Produktion, Mediation und Konsumtion. Räumlichkeit wird so artikuliert zwischen Hörern, Musikern und vermittelnden Institutionen vor dem Hintergrund kultureller Traditionen, des soziopolitischen Systems und des vorherrschenden ökonomischen Regimes. HipHop-Räume werden produziert und konsumiert innerhalb eines trialektischen Verhältnisses von wahrgenommenen, erdachten und gelebten Räumen. Ghetto, Straße und Nachbarschaft sind erstens Räume, welche das Alltagshandeln strukturieren und in denen HipHop-Musik produziert und konsumiert wird. Sie sind zweitens imaginierte Räume, deren spezifische Eigenschaften immer wieder neu mittels musikalischer Praktiken produziert und reproduziert werden. Drittens

5 HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie: ein Fazit

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zeigen sich in den verschiedenen Rhythmen von Rap-Musik Räume der Repräsentation, die gelebt und gefühlt werden und die rhythmisch-affektiv kommunizierbar sind. Auch Rap-Musik in West- und Ostdeutschland kennt Bewertungs- und Bedeutungsverschiebungen musikalischer Räume. Bis in die 1990er Jahre wurde HipHop von den frühen Aktivisten der Alten Schule überwiegend als eine polyethnische, polyzentrisch vernetzte und keineswegs ausschließlich urbane kulturelle Szene mit transnationaler Ausrichtung wahrgenommen. Mobilität und lokale Erfahrungen musikalischer Konsumtion und Produktion prägten ein Verständnis, das zunächst stärker am Rhythmus und an der Do-it-yourself-Ästhetik als an den inhaltlichen Vorgaben und der marktgerechten Produktion der Musik aus den USA geschult war. Als wichtige Orte dienten neben den Privaträumen der eigenen Wohnung öffentliche Kultur- und Jugendzentren der Ausübung und der Vernetzung musikalischer Aktivitäten. In den Jahren nach der Wiedervereinigung wurden die Geographien der Alte Schule nicht zuletzt aufgrund marktstrategischer und ökonomischer Kalkulationen, welche deutschsprachige und ‚unpolitische‘ Musik favorisierten, von ethnisch segmentierten musikalischen Szenen auf der nationalen Ebene abgelöst. Mitte der 1990er Jahre differenzierten sich vor dem Hintergrund eines expandierenden und sich homogenisierenden Marktes für Rap-Musik aus Deutschland und des erleichterten Zugangs zu Produktionsmitteln Szenen der Neuen Schule weniger nach musikalischen Gesichtspunkten aus, denn nach ethnischer und räumlicher Herkunft der Protagonisten. Für jeden der drei genannten dominanten räumlichen Diskurse – transnational, national und lokal – lassen sich allerdings Gegenbewegungen benennen, die eigene Sichtweisen auf ihren HipHop-Raum und eigene sozialräumliche Praktiken entwickelten, welche einerseits stark auf US-amerikanische Diskussionen und musikalische Ideen von Raum rekurrierten, anderseits aber durch ein Geflecht spezifischer politischer, kommerzieller und diasporischer Linien vermittelt wurden. Diese Arbeit wollte keine umfassende Geschichte von Räumlichkeit im HipHop erzählen oder Beweise dafür erbringen, warum Musik so und nicht anders klingen muss. Es ging vielmehr darum, verschiedene Artikulationen von Räumlichkeit nach ihren Veränderungen über Zeit und Raum hinweg zu befragen. Die Artikulationen folgen dabei keinem sequentiellen Verlauf, sondern liegen als eine Art Archiv sedimentierter und miteinander verbundener Sets sozialer Praktiken der Bedeutungszuschreibung vor, derer sich Künstler, Fans, Journalisten und Wissenschaftler immer wieder performativ bedienen (to sample) und auf deren einzelne Aspekte sie sich affirmativ wie subversiv, kritisch wie ironisch beziehen (to signify upon) können. Die Artikulationen von Geographie im HipHop sind Ergebnisse aktiver Dialoge mit Räumlichkeiten der Vergangenheit und der Gegenwart, geschult an den musikindustriell und massenmedial vermittelten Vorgaben des Zentrums USA und organisiert um die vielfachen Möglichkeiten an Orten, die durch die Vielzahl ihrer Einflüsse geprägt sind. HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie versteht sich als ein grundsätzlicher Beitrag, die Potenziale einer empirisch fundierten und theoretisch informierten Thematisierung von Raum und Ort in Musik aufzuzeigen und plädiert für die Anerkennung von Räumlichkeit als einem zentralen Bewertungsmaßstab musikalischer Ausdrucksformen.

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Literatur, Quellen, Diskographie

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6.2 Auswahldiskographie und Filme 6.2.1 Auswahldiskographie Absolute Beginner (1993): Gotting. Buback. Advanced Chemistry (1995): Advanced Chemistry. 360°. Arrested Development (1992): 3 Years, 5 Months & 2 Days in the Life of... Chrysalis. Boogie Down Productions (1987): Criminal Minded. B-Boy. Cartel (1995): Cartel. Spyce. Common (2005): Be. Geffen. Cora E (1996): Schlüsselkind. MZEE. De La Soul (1991): De La Soul is Dead. Tommy Boy. Die Reim Banditen (1993): Jetzt sind wir dran: ein HipHop-Thriller. Polydor. Eric B & Rakim (1990): Let the Rhythm Hit Em. MCA. Fresh Familee (1990): Ahmed Gündüz. Ratinga. Gang Starr (1992): Daily Operation. Chrysalis. Gang Starr (1998): Moment of Truth. Noo Trybe. Geto Boys (1990): The Geto Boys. Rap-A-Lot.

6.2 Auswahldiskographie und Filme

311

Goodie MoB (1995): Soul Food. LaFace. Grandmaster Flash (1981): The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel. Sugar Hill. Grandmaster Flash and the Furious Five (1983): New York, New York. Sugar Hill. Kinderzimmer Productions (1996): Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit. EFA. KRS-One (2001): The Sneak Attack. Koch. KRS-One (2002): Spiritual Minded. Koch. L.S.D. (1991): Watch Out for the Third Rail. Rhythm Attack. Massive Töne (1996): Kopfnicker. MZEE. Masta Ace (2004): A Long Hot Summer. M3. Mos Def (1999): Black on Both Sides. Rawkus. Naughty By Nature (1993): 19 Naughty III. Tommy Boy. N.W.A (1988): Straight Outta Compton. Ruthless. Outkast (1994): Southernplayalisticadillacmuzik. LaFace. Pete Rock & C.L. Smooth (1994): The Main Ingredient. Elektra. Sadat X (1995): Wild Cowboys. Loud. Stieber Twins (1996): Fenster zum Hof. MZEE. Tim Dog (1991): Penicillin on Wax. Ruffhouse. Various Artists (1991): Krauts With Attitude: German HipHop Vol. 1. Boombastic/IDE. Various Artists (1993): Alte Schule. MZEE. Various Artists (1994): Pioniermanöver: HipHop aus der DDR. Halb 7. Various Artists (1995): Die Klasse von ’95. MZEE. Westside Connection (1996): Bow Down. Priority. X-Clan (1990): To the East, Blackwards. 4th & Broadway.

6.2.2 Filme A Great Day in HipHop (1998). Regie: Nelson George. Beat Street (1984). Regie: Stan Lathan. Beef (2003). QD3 Entertainment. DVD. Regie: Peter Spirer. Lost in Music (1993). ZDF/Arte. Regie: Christoph Dreher. Rap City Berlin (2005). Mantikor/LaSan. DVD. Regie: Stephan von Gumpert, Henrik Regel, Jan M. Scholz, Lars Tendelmann. Wild Style (2002 [1982]). Feature Film Company. DVD. Regie: Charlie Ahearn.

6.3 Übersicht der Interviews Ade Odukoya, Interview in Köln, Oktober 2001, Bandaufzeichnung und Transkription Christian Stieber, Interview in Heidelberg, Juni 2001, Protokoll Cooké, Interview in Leipzig, Oktober 2001, Bandaufzeichnung und Transkription Cora E., Interview in Heidelberg, Mai 2001, Bandaufzeichnung und Transkription Cutmaster GB, Interview in Frankfurt, Mai 2002, Bandaufzeichnung und Transkription Felix Felixine, Interview in Heidelberg, Mai 2003, Bandaufzeichnung und Transkription Katmando, Interview in München, Februar 2002, Bandaufzeichnung und Transkription MC René, Interview in Weinheim, Mai 2002, Bandaufzeichnung und Transkription Rick Ski, Interview in Köln, Oktober 2001, Bandaufzeichnung und Transkription Textor, Interview in Heidelberg, November 2005, Bandaufzeichnung und Transkription Torch, Interview in Heidelberg, Juli 2001, Bandaufzeichnung und Transkription Zeb.Roc.Ski, telefonisches Interview, Juni 2002, Bandaufzeichnung und Transkription

Index

A Tribe Called Quest 14, 215, 243, 261 Absolute Beginner 176 Ade Odukoya 260 Advanced Chemistry 174, 178–179, 188, 255–258, 269, 272, 276, 282 Affekt 62–64, 196–205 Afrika Bambaataa 70, 96, 111–122, 129, 145, 148, 151, 159, 163–164, 169, 177, 179, 188, 238, 244, 249 afrodeutsch 276 Afrozentrismus 88, 215, 228, 243–245 Alte Schule 174, 188, 262, 266, 287 Amerikanisierung 142, 173, 183, 272 Ansehen (fame) 116, 187–190, 241, 254, 258, 272, 283–286 Arrested Development 75, 228, 249 Atlanta 155–157, 185, 218–225, 228 Authentizität 16, 80, 162, 187, 190–192, 198, 216, 219–220, 231–242, 247–248, 261– 262, 269, 279 Automobilkultur 154, 214 Beat Street 159, 168–170, 179–180, 254 beef (Auseinandersetzung) 189, 220, 281 Berlin 173–176, 180, 185, 253, 266–267, 276–281 Black Music 33, 90–98, 101, 110, 122–126, 144, 147, 221, 227, 236, 247–250, 275 Boogie Down Productions 127–128, 152– 153, 167, 219, 240 Braunschweig 174, 176, 259, 266, 281 Breakdance 112, 117–118, 137, 146, 151, 163–164, 168–182, 189–191 in Deutschland 168–182, 254–255 Britcore 161, 260 Cartel 278 Chicago 82, 149, 156–157, 208, 224 Chuck D 148, 215, 236–237 Common 222–224, 233–234 Conne Island (Leipzig) 265–267 Cooké (Breaker) 180–181 Cora E 70, 170, 179

Cutmaster GB 71, 171–174 De La Soul 11–14, 215, 243, 249, 261 DefJam 87, 125–126, 153, 229, 255 Deutscher Sprechgesang 268, 272–275 Deutschrap! 268–270, 279–281 Diaspora 52, 80–82, 90–98, 139–140, 165, 171, 226, 244, 276–280, 284 Die Fantastischen Vier 173–174, 236, 267– 272, 275 Die Reim Banditen 270–275 Diffusion 30, 34–37, 89, 97–99, 103–104, 115, 141–184, 206–207, 217 Dirty South 156, 185, 208, 222–224, 228, 285 Disco 95–98, 104–105, 109–115, 119–124, 144–145, 212, 238 dissing 86, 128, 188–189, 220 DJ (discjockey) 96–99, 104–118, 120–122, 168–169, 188–189, 223, 226, 238–239 Dortmund 175–176, 178, 281 East Coast 208, 219–222, 268 Eric B & Rakim 144, 245–249 Ethnizität und Musik 19–20, 52–55, 72–76, 80–90, 90–98, 206–251, 276–279 Fab Five Freddy 145, 158–159, 169, 177 Felix Felixine 177–178 Frankfurt 171–178, 253, 255, 267–268, 273, 281 Frankreich 141–143, 159–164 Freestyle (Viva) 274 ‚Fremd im eigenen Land‘ 174, 271, 282 Fresh Familee 174, 276 Frith, Simon 17, 46, 58–63, 88, 109–110, 192, 205, 210 Gang Starr 127, 158, 207, 211, 217–218, 261, 282 Gangster Rap 53, 90, 151–155, 216–224, 242, 248, 252 Gastarbeiter in Deutschland 165, 171, 180, 276

Index

Genres 208–210, 221–223 geographische Imagination 15, 54–56, 60, 128, 193, 198, 206, 224, 231 Geto Boys 155, 229–231 Gilroy, Paul 52, 73, 94–98, 127, 242 Glaubwürdigkeit (credibility) 187–191, 210, 216, 220–221, 235–237, 269 Goodie MoB 224, 228 Graffiti 74, 111, 114, 121, 137–138, 144–148, 152, 158–159 in Deutschland 168–179, 188–189, 255–257 Grandmaster Flash 96, 111–122, 130, 145, 148, 163, 171, 177, 220, 238–240, 249– 251 and the Furious Five 96, 122, 169, 216, 229, 239, 262 Grandwizzard Theodore 111–117, 163 Grossberg, Lawrence 62, 126, 202–203 Großbritannien 97, 160–162, 167, 170, 260, 282 Hamburg 174–177, 252, 259, 262, 267, 271, 280–281 Heidelberg 172–179, 187–188, 258, 261– 262, 266, 282 Hip Hop Nation 83, 192, 242–248 HipHop in Deutschland 168–182, 251–283 HipHop-Mobil 266–267 Homologie 29, 35, 66, 200, 236 ’hood (Nachbarschaft) 14–15, 119, 122, 147, 185, 191, 207, 222, 231–249, 256–257 Houston 75, 155–156, 216–225, 288 Ice-T 127, 152–155, 161, 213, 221, 231 Identität und Musik 13–20, 49–56, 59, 66– 68, 94–95, 190, 197, 202–204, 232–233, 247, 252–254, 261, 264, 270, 279 Jam 160, 171, 174, 189, 248, 257–266 Jamaika 97, 111, 118 James Brown 82, 87, 96, 112, 114, 277 Japan 162–164 Jazz 36, 82, 91–92, 144, 150, 214, 227 Jugendzentrum 18, 181, 189, 253, 256–260, 264–267, 277–279 als homebase 256–259, 266 Juice (Musikzeitschrift) 79, 188, 266 Jungle Brothers 14, 215, 243, 262 Kanada 162 ‚Kapitel Eins‘ 262–263 Katmando 173, 266, 269 Kinderzimmer Productions 173, 254–255, 261, 282

313 King Kool Savas 253 King Size Terror 174, 256, 269, 276–278 Knowledge Rap 213–216, 221–222, 227, 233, 243 Köln 169, 174–176, 268, 281 Kool DJ Herc 98, 110–118, 130, 137, 188 ‚Krauts With Attitude‘ 174, 265–270, 276 KRS-One 73, 127–128, 152–153, 167, 188, 212, 217, 219, 236, 240 Kurtis Blow 124–125, 148, 159, 166, 169, 212, 254 L.S.D. (Legally Spread Dope) 169, 174, 260, 268–269, 275, 281 Lärm 24, 48–49, 56, 60–64, 68, 107, 243, 250 Leipzig 180–181, 265 LL Cool J 74, 87, 125, 153, 255, 263 Los Angeles 74, 84, 90, 150–161, 208, 211– 225, 241–242, 268–269 Mack Rap 53, 213–214 Mainz 173, 259, 262 Massive Töne 259, 283 Masta Ace 90, 216, 235, 250 MC (Rapper) 86, 108, 112–116, 121, 210, 215–226, 231, 238 Miami 155–157, 185, 214 Midwest 156–157, 208, 224 mixing 170, 180–181, 185 Mos Def 216, 222, 246–247 MTV 13, 164 München 17, 172–173, 175–178, 259, 262, 266, 269 Musikgeographie Humanistische Geographie 32, 37–38 Kulturgeographie (traditionell) 28–36, 65, 141 New Cultural Geography 37–41, 43–64 Musikindustrie 43–46, 102–103, 110, 117– 126, 150, 156–157, 162–165, 183–184, 210, 236–238, 247 Musikökonomie 43–46, 100, 110, 118–126, 143, 240, 286 Musiktechnologie 63–64, 96, 99–110, 142, 148–149, 167, 173–176, 180–185, 214– 217, 255–256, 280 MZEE 258–262 N.W.A (Niggaz With Attitude) 84, 90, 152– 155, 217–220, 231, 241, 249, 268, 270, 272 Nas 158–159, 211, 218 Nation of Islam 83, 244, 248 Native Tongues 14, 243, 245

314 Naughty By Nature 229–231 Negus, Keith 19, 43, 64, 77, 93, 123, 126, 140, 237, 242 Neue Schule 265, 280 New School (USA) 248, 285 New York 70–73, 76–80, 110–124, 127–139, 144–148, 171–172, 212, 215, 219–221 Bronx 70–72, 76–77, 111–124, 127– 138, 144–147, 151–153, 167–168, 219– 221, 240–241, 251, 256 Brooklyn 121, 124, 136, 147, 160, 221, 246, 265 Harlem 5, 110, 115–124, 133, 136, 144– 145 Long Island 13–14, 134, 149, 215, 221 Manhattan 117–119, 131–135, 144– 147, 164, 171, 221 Queens 124, 127, 136, 147, 158, 190, 219–221, 240–241, 245, 268 Stadtentwicklung 127–138, 226–227 New York City Rap Tour 159, 167 No Remorze 161, 259, 263 Nürnberg 174, 256, 267–269, 274–278 Oakland 83, 149–157, 213–214, 216–218 Old School (USA) 73, 222, 248 Oralität 80–90, 233 Oriental HipHop 279 Ort (Lokalität) 30, 54–56, 145, 185–187, 191–192, 196–206, 239–242, 246–249, 256–257, 271, 278 sense of place (Ortsbewusstsein) 30, 54– 56, 196–197, 206 Ostdeutschland 176, 179–182, 264–267 Outkast 223 Party Rap 48, 212, 224, 248 Pete Rock & C.L. Smooth 56, 223 Philadelphia 74, 96, 148–149, 198, 207, 215 Pioniermanöver (Sampler) 176, 266–267 privater Raum 18, 173, 254, 261, 264, 282 Public Enemy 74, 152, 159, 215–216, 231, 236–237, 240, 243–244, 255, 261 Radio und HipHop 97, 115, 124–126, 147– 150, 152–155, 159–162, 172, 179– 183, 218, 223, 237, 281 Raum und Räumlichkeit 14, 18–23, 56–64, 66–67, 100, 185–186, 190–205 Produktion von Raum 194–195, 203– 205 Reality Rap 128, 216–217, 221, 227, 239, 250–252 Reggae 96–98, 104, 117–118, 128, 161, 179, 228

Index

representing 8, 49, 191, 206, 265, 281 Respekt im HipHop 114, 116, 140, 187–190, 210, 234, 241, 254, 258, 283 Rhythm & Blues 96–98, 122–124, 149, 211– 214, 222 Rhythmus 16–17, 21–25, 58, 60, 63, 68, 87, 90–93, 96, 98, 113, 192, 200–205, 210– 211, 216–217, 225–227, 250 Rhythmusanalyse 203–205 Rick Ski 169, 260, 269, 275, 281 Rock Da Most 174 Rose, Tricia 17–1875, 110, 123, 127, 131– 132, 136–138, 207, 216, 225–226, 232, 240, 246, 250 Sadat X 158 sampling 71, 105–107, 170, 211, 216–217 scratching 113, 226 Signifying 80, 85–86, 89 Sound 36, 62, 80, 85–86, 89, 92, 102, 198– 205, 207–217, 238, 275 sound system 97–98, 112, 118–120 Sounds (Musikzeitschrift) 77, 251 Soundscape 32, 37–39 ‚South Bronx‘ 127–128, 239–240 Spex (Musikzeitschrift) 13, 78, 256, 261, 268, 281 Standardnarrative 72, 77, 207 Stieber Twins 168, 173, 178, 261 Storm (Breaker) 178, 179, 259, 274 Straße (street) 46, 86, 145–147, 191, 225, 233–239, 246–249, 270, 278 Stuttgart 173–178, 259, 262, 267, 280–281, 283 Sugar Hill (Label) 113, 121–122, 125, 238– 239 Sugarhill Gang 121–124, 149, 159, 177, 212 SWAT-Posse 265 Szene 157, 187–188, 199–200, 235, 260–267, 280–283 Textor 173, 254, 255, 261, 282 The Electric Beat Crew 174, 182 The Last Poets 83, 233–234 ‚The Message‘ 146, 216, 229, 239, 251–252, 262 The Source (Musikzeitschrift) 77, 141 toasting 111, 213, 218, 233 Torch 178–179, 187–188, 251, 254–255, 258–263, 274–276, 281–282 Türkischer HipHop in Deutschland 276– 278 Ulm 173–175, 254, 261, 282

315

Index

US-Amerikaner in Deutschland 172–174, 178 West Coast 150–155, 208, 219–222, 268, 285 Westside Connection 221, 225 Wild Style 113, 145, 158, 159, 163, 164, 169, 177, 188, 254

X-Clan 243 Zeb.Roc.Ski 173 Zulu Nation 70, 114, 129, 160, 163–164, 187, 244

Rap-Musik betont – mehr als andere Genres populärer Musik – geographische Bezüge. Neben Beschreibungen konkreter Orte der Alltagserfahrung finden sich musikalische und verbale Verweise auf imaginäre und symbolische Räume der Stadt. Wie und weshalb werden Orte und Räume im HipHop produziert und repräsentiert? Welchen Beitrag kann eine Geographie des Kulturellen zum Verständnis dieser Artikulationen leisten? Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht die Gegenüberstellung von RapMusik aus den USA und aus Deutschland.

Rhythmen und Klänge werden dabei einer sozial- und kulturgeographischen Analyse erschlossen, die durch Textinterpretationen und ausführliche Interviews mit HipHop-Künstlern ergänzt wird. Die Studie identifiziert Vorstellungen von Straße, Ghetto und urbaner Nachbarschaft als entscheidend für das Verständnis zentraler Werte im US-amerikanischen Kontext. In Ost- und Westdeutschland wird dieses Inventar um neue Orte und Räume erweitert, in denen Musiker und Hörer Glaubwürdigkeit und Authentizität musikalisch artikulieren.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-09079-7