Heterogene Erwartungen auf dem Geldmarkt [1 ed.] 9783428520145, 9783428120147

Ausgehend von den mehr oder minder offensichtlichen Mängeln der Theorie rationaler Erwartungen und ihrer Verfeinerungen,

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Heterogene Erwartungen auf dem Geldmarkt [1 ed.]
 9783428520145, 9783428120147

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Duisburger Volkswirtschaftliche Schriften Band 41

Heterogene Erwartungen auf dem Geldmarkt Von

Frank Trosky

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

FRANK TROSKY

Heterogene Erwartungen auf dem Geldmarkt

Duisburger Volkswirtschaftliche Schriften

Herausgeber: Prof. Dr. Manfred Tietzel (geschäftsführend) Prof. Dr. Peter Anker · Prof. Dr. Dieter Cassel · Prof. Dr. Helmut Cox Prof. Dr. Günter Heiduk · Prof. Dr. Ullrich Heilemann Prof. Dr. Carsten Herrmann-Pillath · Prof. Dr. Dietmar Kath Prof. Dr. Werner Pascha · Prof. Dr. Hans-Joachim Paffenholz Prof. Dr. Josef Schira · Prof. Dr. Markus Taube · Prof. Dr. Klaus Tiepelmann

Band 41

Heterogene Erwartungen auf dem Geldmarkt Von

Frank Trosky

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität Duisburg-Essen hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0936-7020 ISBN 3-428-12014-0 978-3-428-12014-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier 8 entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Geleitwort Wissenschaftliche Untersuchungen zu Finanzmarktphänomenen sind seit den 1970er Jahren geprägt von der Vorstellung rationaler Erwartungen und effizienter Märkte. In solchen Ansätzen ändern sich Assetpreise aufgrund neuer Informationen zu fundamentalen Entwicklungen, und es bestehen stabile Beziehungen zwischen Assetpreisen und Fundamentalvariablen. Die Liste der festgestellten Widersprüche zwischen den theoretischen Implikationen dieser Modellgeneration und der Realität ist lang und wachsend. Ein neuerer bekannter Fall ist das so genannte exchange rate disconnect puzzle: Die Volatilität der Wechselkurse ist bedeutend größer als Standardmodelle der Wechselkurstheorie nahelegen. Die von Herrn Dr. Frank Trosky dem Fachbereich Betriebswirtschaft der Universität Duisburg-Essen (Standort Duisburg) vorgelegte Dissertationsschrift beschäftigt sich mit Eigenschaften der Geldmarktzinsen und greift eine mittlerweile vor allem in der Wechselkurstheorie beliebte Modifikation der Standardansätze auf. Heterogene Erwartungen, darunter vor allem nicht-fundamentale Erwartungen, führen zu Nichtlineariäten in der Beziehung zwischen Assetpreisen und Fundamentalvariablen und erzeugen die Möglichkeit chaotischen Verhaltens. Die Arbeit ist von beachtlichem wissenschaftlichem Niveau und präsentiert eine Reihe interessanter Ergebnisse. Grundlagen der Chaostheorie werden ebenso dargestellt wie empirische Analysemethoden. Lesenswert ist die Arbeit vor allem deshalb, weil auch die mathematisch schwierigen Aspekte in gut lesbarer, klarer Form dargestellt werden. Ich wünsche der Arbeit deshalb eine breite Resonanz in Wissenschaft und Praxis. Duisburg, im Oktober 2005

Prof. Dr. Peter Anker

Vorwort Das Forschungsgebiet der ökonomische Erwartungsbildung schien mit der Einführung der rationalen Erwartungen seinen Abschluss gefunden zu haben. Da im Laufe der Zeit im zunehmenden Maße so genannte Anomalien entdeckt wurden, welche nicht mit der Hypothese rationaler Erwartungen in Einklang zu bringen waren, begann man, diese Hypothese zu verfeinern, aber nicht zu verwerfen. Lange Zeit schien es frevelhaft zu sein, grundsätzlich von den rationalen Erwartungen abweichende Ansätze in Betracht zu ziehen. Dass mir dennoch die Chance gegeben wurde einen solchen Ansatz im Rahmen meiner Dissertation zu verfolgen, verdanke ich meinem ursprünglichen „Doktorvater“ Herrn Prof. Dr. Dietmar Kath, der die Fertigstellung dieser Arbeit leider nicht mehr erlebte. Danken möchte ich als erstem meinem eigentlichen „Doktorvater“ Herrn Prof. Dr. Peter Anker. Er übernahm die undankbare Aufgabe der Betreuung einer bereits fast abgeschlossenen Dissertation bis zu ihrer Einreichung und erstellte das Erstgutachten. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Manfred Tietzel. Er hat nicht nur das Zweitgutachten erstellt, sondern nach dem Tod meines ursprünglichen „Doktorvaters“ auch die Betreuung der Arbeit übernommen. Nur Dank seiner Anregungen und seines Coachings ist die Arbeit überhaupt fertiggestellt worden. Dank gilt auch den weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission, Herrn Prof. Dr. Dieter Cassel und Herrn Prof. Dr. Bernd Rolfes. Bedanken möchte ich mich weiter bei Herrn PD Dr. Christian Müller, der mir bei organisatorischen Fragen eine große Hilfe war. Danken möchte ich auch den Herren Peter Tabor und Thomas Reinhard. Sie waren nicht nur die Feuerwehr für eine „abgerauchte“ Festplatte und retteten Daten, sondern sie waren auch eine sehr große Hilfe bei Problemen der Programmierung. Größte Freude bereitet es mir, meiner Familie zu danken. Größter Dank und Respekt gebührt meinen Eltern Maria und Horst Trosky, die auf vieles verzichteten und vieles erduldeten, um mir meine Ausbildung zu ermöglichen. Widmen möchte ich die Arbeit meiner Frau Andrea sowie meinen Söhnen Tim und Nick. Ihnen schulde ich nicht nur größten Dank für die menschliche Unterstützung, sondern bei ihnen muss ich mich auch für die enormen Belastungen entschuldigen, die ich ihnen zumutete. Ohne den Rückhalt und die Bodenhaftung, die sie mir gaben, wäre diese Arbeit nie vollendet worden. Duisburg, im August 2005

Frank Trosky

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung und Gang der Arbeit .......................................................................21 2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick ....................................................24 2.1

Eine zweckmäßige Definition von Erwartungen ..........................................24

2.2

Eine kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien .........26

2.3

Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen......................33

3. Grundzüge der Chaostheorie ..............................................................................41 3.1

Methodische Aspekte nichtlinearer und linearer Zusammenhänge ..............41

3.2

Konstituierende Merkmale des Chaos..........................................................42

3.3

3.4

3.2.1

Der Lyapunov-Exponent als Maß der SDIC-Eigenschaft ................43

3.2.2

Chaos und Prognosen ......................................................................44

Attraktoren und Dimensionsmaße ................................................................49 3.3.1

Attraktoren und Phasenräume..........................................................49

3.3.2

Dimensionsmaße..............................................................................52 3.3.2.1

Zur fraktalen Dimension ..................................................53

3.3.2.2

Zur Korrelationsdimension ..............................................54

Empirische Analysemethoden ......................................................................54 3.4.1

3.4.2

Tests auf Linearität und IID.............................................................55 3.4.1.1

Schätzung des Hurst-Exponenten.....................................55

3.4.1.2

BDS-Test..........................................................................60

Schätzverfahren zur Bestimmung der Komplexität von Zeitreihen.........................................................................................64

4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative ......................................................67 4.1

Der Geldmarkt als Vermögensmarkt mit heterogenen Erwartungen ............68 4.1.1

Zur Begründung eines vermögenspreistheoretischen Ansatzes...........................................................................................68

4.1.2

Zur Begründung der „Heterogenitätsannahme“...............................70

4.1.3

Zinsprognose und bounded rationality ............................................73

10

Inhaltsverzeichnis 4.2

Ein einfaches Modell zur Zinsbildung auf dem Geldmarkt mit heterogenen Erwartungen.............................................................................75

4.3

Modellsimulation heterogener Erwartungen auf dem Geldmarkt.................84

4.4

Zwischenfazit .............................................................................................102

5. Politik-Implikationen.........................................................................................105 5.1

5.2

Simulationsergebnisse des Einflusses verschiedener Geldpolitiken auf das Zeitreihenverhalten des Modells mit heterogenen Erwartungen ...............................................................................................107 5.1.1

Zur Wirkung einer Geldmengenregel im Modellzusammenhang...............................................................................107

5.1.2

Zur Wirkung einer zyklischen Geldpolitik im Modellzusammenhang...............................................................................110

5.1.3

Zur Wirkung einer Zinsfixierungsstrategie im Modellzusammenhang...............................................................................115

Simulationsergebnisse des Einflusses verschiedener Geldpolitiken auf die Zinsschwankungen im Modell mit heterogenen Erwartungen........118

6. Empirische Analyse der Komplexität des Geldmarktes..................................122 6.1

6.2

Statistische Tests auf Linearität und IID ....................................................123 6.1.1

Der Hurst-Exponent des Geldmarktes ...........................................124

6.1.2

BDS-Test des Geldmarktes ............................................................126

Quantifizierung der Komplexität des Geldmarktes ....................................134 6.2.1

Die Korrelationsdimension des Geldmarktes.................................136

6.2.2

Der Lyapunov-Exponent des Geldmarktes ....................................139

6.3 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ..........................................142 7. Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit...................................................146 Anhang A: Zinsbildungsmodell ............................................................................154 Anhang B: Technische Prognoseverfahren – Ein methodischer Überblick ......158 Anhang C: Nichtlinearisierbarkeit des Modells ..................................................163 Anhang D: Simulationsergebnisse für unterschiedliche Werte von „s“.................................................................................................165 Anhang E: Beispiele für den Einfluss der Erwartungslastigkeit „b“ auf das Simulationsergebnis.....................................................................168 Anhang F: Selbstähnlichkeit der chaotischen Attraktoren ................................171

Inhaltsverzeichnis

11

Anhang G: Einfluss der Frequenz der Fundamentaldatenschwankungen auf den Zinszeitpfad...........................................................................173 Anhang H: Erläuterungen zur Politikreaktionsfunktion ....................................177 Anhang I: Streuung des Marktzinses bei unterschiedlichen geldpolitischen Strategien.........................................................................183 Anhang J: Datenbasis ..........................................................................................195 Anhang K: ARIMA-Schätzungen.........................................................................198 Anhang L: GARCH-Schätzungen........................................................................211 Anhang M: Hurst-Exponenten-Schätzungen .......................................................222 Anhang N: BDS-Tests ...........................................................................................224 Literaturverzeichnis...............................................................................................245 Sachwortregister ....................................................................................................256

Tabellenverzeichnis Tabelle 4-1:

Simulationsergebnisse bei konstanten Fundamentaldaten ................. 96

Tabelle 4-2:

Simulationsergebnisse bei variierenden Fundamentaldaten (linear an- und absteigende Fundamentaldaten)................................. 98

Tabelle 4-3:

Simulationsergebnisse mit variierenden Fundamentaldaten auf Basis der realen Diskontsatzschwankungen..................................... 100

Tabelle 5-1:

Simulationsergebnisse einer Geldmengenregel bei temporären exogenen Schocks............................................................................ 110

Tabelle 5-2:

Simulationsergebnisse einer zyklischen Geldpolitik (hochfrequente Sinusschwankungen in den Fundamentaldaten) ohne exogene Schocks .................................................................... 112

Tabelle 5-3:

Simulationsergebnisse einer hochfrequenten zyklischen Geldpolitik bei temporären, exogenen Schocks ............................... 114

Tabelle 5-4:

Simulationsergebnisse einer Zinsfixierungsstrategie ohne temporäre, exogene Schocks............................................................ 116

Tabelle 5-5:

Simulationsergebnisse einer Zinsfixierungsstrategie bei temporären, exogenen Schocks........................................................ 117

Tabelle 5-6:

Durchschnittliche Streuung des Marktzinses bei den verschiedenen geldpolitischen Strategien ........................................ 119

Tabelle 6-1:

Referenzschätzung des Hurst-Exponenten....................................... 124

Tabelle 6-2:

Hurst-Exponenten der Geldmarktsätze ............................................ 126

Tabelle 6-3:

Referenztest (BDS-Test Zufallsreihe und Chaos) ............................ 127

Tabelle 6-4:

BDS-Testergebnisse ARIMA-Residuen Tagesgeldsatz ................... 128

Tabelle 6-5:

BDS-Testergebnisse ARIMA-Residuen Monatsgeldsatz................. 129

Tabelle 6-6:

BDS-Testergebnisse ARIMA-Residuen Dreimonatsgeldsatz .......... 129

Tabelle 6-7:

BDS-Testergebnisse ARIMA-Residuen Sechsmonatsgeldsatz ........ 130

Tabelle 6-8:

BDS-Testergebnisse ARIMA-Residuen Zwölfmonatsgeldsatz........ 130

Tabelle 6-9:

BDS-Testergebnisse GARCH-Residuen Tagesgeldsatz................... 131

Tabelle 6-10:

BDS-Testergebnisse GARCH-Residuen Monatsgeldsatz ................ 132

Tabelle 6-11:

BDS-Testergebnisse GARCH-Residuen Dreimonatsgeldsatz.......... 132

Tabelle 6-12:

BDS-Testergebnisse GARCH-Residuen Sechsmonatsgeldsatz ....... 133

Tabelle 6-13:

BDS-Testergebnisse GARCH-Residuen Zwölfmonatsgeldsatz ....... 133

Tabelle 6-14:

Beschreibungen dynamischen Verhaltens........................................ 135

Tabelle 6-15:

Korrelationsdimension des Tagesgeldsatzes .................................... 137

Tabellenverzeichnis

13

Tabelle 6-16:

Korrelationsdimension des Monatsgeldsatzes ................................. 137

Tabelle 6-17:

Korrelationsdimension des Dreimonatsgeldsatzes ........................... 138

Tabelle 6-18:

Korrelationsdimension des Sechsmonatsgeldsatzes......................... 138

Tabelle 6-19:

Korrelationsdimension des Zwölfmonatsgeldsatzes ........................ 138

Tabelle 6-20:

Lyapunov-Exponent des Geldmarktes ............................................. 141

Tabelle D-1:

Simulationsergebnisse für s=1 ......................................................... 165

Tabelle D-2:

Simulationsergebnisse für s=10 ....................................................... 166

Tabelle D-3:

Simulationsergebnisse für s=100 ..................................................... 166

Tabelle D-4:

Simulationsergebnisse für s=1.000 .................................................. 167

Tabelle G-1:

Simulationsergebnisse für Sinusschwankungen in den Fundamentaldaten mit L=10 ............................................................ 174

Tabelle G-2:

Simulationsergebnisse für Sinusschwankungen in den Fundamentaldaten mit L=100 .......................................................... 175

Tabelle G-3:

Simulationsergebnisse für Sinusschwankungen in den Fundamentaldaten mit L=1.000 ....................................................... 176

Tabelle H-1:

Fundamentalzinselastizität in Abhängigkeit der Erwartungslastigkeit des Geldmarktes ............................................. 178

Tabelle I-1:

Varianzen bei festen Fundamentaldaten ohne Schocks (Geldmengenregel ohne Schocks).................................................... 183

Tabelle I-2:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Summation) ohne Schocks (Diskretionäre Politik auf Basis einer Geldmengenregel ohne Schocks).................................................................................. 184

Tabelle I-3:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (hochfrequente Sinusschwankung) ohne Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung ohne Schocks) ......................................... 185

Tabelle I-4:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Sinusschwankung mittlerer Frequenz) ohne Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung ohne Schocks) ......................................... 186

Tabelle I-5:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Sinusschwankung niedriger Frequenz) ohne Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung ohne Schocks) ......................................... 187

Tabelle I-6:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Marktzinsabhängige Fundamentaldaten) ohne Schocks (Politikreaktionsfunktion zur Zinsstabilisierung ohne Schocks)...... 188

Tabelle I-7:

Varianzen bei festen Fundamentaldaten mit Schocks (Geldmengenregel mit Schocks) ...................................................... 189

Tabelle I-8:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Summation) mit Schocks (Diskretionäre Politik auf Basis einer Geldmengenregel mit Schocks) .................................................................................... 190

Tabelle I-9:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (hochfrequente Sinusschwankung) mit Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung mit Schocks)............................................ 191

14

Tabellenverzeichnis

Tabelle I-10:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Sinusschwankung mittlerer Frequenz) mit Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung mit Schocks)............................................ 192

Tabelle I-11:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Sinusschwankung niedriger Frequenz) mit Schocks (Zyklische Geldpolitik zur Erwartungsstabilisierung mit Schocks)............................................ 193

Tabelle I-12:

Varianzen bei zyklischen Fundamentaldaten (Marktzinsabhängige Fundamentaldaten) mit Schocks (Politikreaktionsfunktion zur Zinsstabilisierung mit Schocks) ........ 194

Tabelle J-1:

Datenbasis Geldmarkt ...................................................................... 195

Tabelle J-2:

Datenbasis Wertpapiere ................................................................... 196

Tabelle J-3:

Datenbasis Spread............................................................................ 197

Tabelle K-1:

ARIMA-Schätzung Tagesgeldsatz ................................................... 198

Tabelle K-2:

ARIMA-Schätzung Monatsgeldsatz ................................................ 198

Tabelle K-3:

ARIMA-Schätzung Dreimonatsgeldsatz .......................................... 199

Tabelle K-4:

ARIMA-Schätzung Sechsmonatsgeldsatz........................................ 199

Tabelle K-5:

ARIMA-Schätzung Zwölfmonatsgeldsatz ....................................... 199

Tabelle K-6:

ARIMA-Schätzung FIBOR Tagesgeldsatz ...................................... 200

Tabelle K-7:

ARIMA-Schätzung FIBOR Monatsgeldsatz.................................... 200

Tabelle K-8:

ARIMA-Schätzung FIBOR Dreimonatsgeldsatz ............................. 200

Tabelle K-9:

ARIMA-Schätzung FIBOR Sechsmonatsgeldsatz ........................... 201

Tabelle K-10:

ARIMA-Schätzung FIBOR Neunmonatsgeldsatz............................ 201

Tabelle K-11:

ARIMA-Schätzung FIBOR Zwölfmonatsgeldsatz........................... 201

Tabelle K-12:

ARIMA-Schätzung EONIA ............................................................. 202

Tabelle K-13:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Wochengeldsatz............................. 202

Tabelle K-14:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Monatsgeldsatz .............................. 202

Tabelle K-15:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Dreimonatsgeldsatz........................ 203

Tabelle K-16:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Sechsmonatsgeldsatz ..................... 203

Tabelle K-17:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Neunmonatsgeldsatz ...................... 203

Tabelle K-18:

ARIMA-Schätzung EURIBOR Zwölfmonatsgeldsatz ..................... 204

Tabelle K-19:

ARIMA-Schätzung WP 1 ................................................................ 204

Tabelle K-20:

ARIMA-Schätzung WP 2 ................................................................ 204

Tabelle K-21:

ARIMA-Schätzung WP 3 ................................................................ 205

Tabelle K-22:

ARIMA-Schätzung WP 4 ................................................................ 205

Tabelle K-23:

ARIMA-Schätzung WP 5 ................................................................ 205

Tabelle K-24:

ARIMA-Schätzung WP 6 ................................................................ 206

Tabelle K-25:

ARIMA-Schätzung WP 7 ................................................................ 206

Tabelle K-26:

ARIMA-Schätzung WP 8 ................................................................ 206

Tabellenverzeichnis

15

Tabelle K-27:

ARIMA-Schätzung WP 9 ................................................................ 207

Tabelle K-28:

ARIMA-Schätzung WP 10 .............................................................. 207

Tabelle K-29:

ARIMA-Schätzung Spread 1 ........................................................... 207

Tabelle K-30:

ARIMA-Schätzung Spread 2 ........................................................... 207

Tabelle K-31:

ARIMA-Schätzung Spread 3 ........................................................... 208

Tabelle K-32:

ARIMA-Schätzung Spread 4 ........................................................... 208

Tabelle K-33:

ARIMA-Schätzung Spread 5 ........................................................... 208

Tabelle K-34:

ARIMA-Schätzung Spread 6 ........................................................... 208

Tabelle K-35:

ARIMA-Schätzung Spread 7 ........................................................... 209

Tabelle K-36:

ARIMA-Schätzung Spread 8 ........................................................... 209

Tabelle K-37:

ARIMA-Schätzung Spread 9 ........................................................... 209

Tabelle K-38:

ARIMA-Schätzung Spread 10 ......................................................... 209

Tabelle K-39:

ARIMA-Schätzung Spread 11 ......................................................... 210

Tabelle K-40:

ARIMA-Schätzung Spread 12 ......................................................... 210

Tabelle K-41:

ARIMA-Schätzung Spread 13 ......................................................... 210

Tabelle L-1:

GARCH-Schätzung Tagesgeldsatz .................................................. 211

Tabelle L-2:

GARCH-Schätzung Monatsgeldsatz................................................ 211

Tabelle L-3:

GARCH-Schätzung Dreimonatsgeldsatz ......................................... 211

Tabelle L-4:

GARCH-Schätzung Sechsmonatsgeldsatz ....................................... 212

Tabelle L-5:

GARCH-Schätzung Zwölfmonatsgeldsatz....................................... 212

Tabelle L-6:

GARCH-Schätzung FIBOR Tagesgeldsatz...................................... 212

Tabelle L-7:

GARCH-Schätzung FIBOR Monatsgeldsatz ................................... 212

Tabelle L-8:

GARCH-Schätzung FIBOR Dreimonatsgeldsatz............................. 213

Tabelle L-9:

GARCH-Schätzung FIBOR Sechsmonatsgeldsatz .......................... 213

Tabelle L-10:

GARCH-Schätzung FIBOR Neunmonatsgeldsatz ........................... 213

Tabelle L-11:

GARCH-Schätzung FIBOR Zwölfmonatsgeldsatz .......................... 213

Tabelle L-12:

GARCH-Schätzung EONIA ............................................................ 214

Tabelle L-13:

GARCH-Schätzung EURIBOR Wochengeldsatz ............................ 214

Tabelle L-14:

GARCH-Schätzung EURIBOR Monatsgeldsatz ............................. 214

Tabelle L-15:

GARCH-Schätzung EURIBOR Dreimonatsgeldsatz ....................... 214

Tabelle L-16:

GARCH-Schätzung EURIBOR Sechsmonatsgeldsatz..................... 215

Tabelle L-17:

GARCH-Schätzung EURIBOR Neunmonatsgeldsatz ..................... 215

Tabelle L-18:

GARCH-Schätzung EURIBOR Zwölfmonatsgeldsatz .................... 215

Tabelle L-19:

GARCH-Schätzung WP 1................................................................ 215

Tabelle L-20:

GARCH-Schätzung WP 2................................................................ 216

Tabelle L-21:

GARCH-Schätzung WP 3................................................................ 216

Tabelle L-22:

GARCH-Schätzung WP 4................................................................ 216

16

Tabellenverzeichnis

Tabelle L-23:

GARCH-Schätzung WP 5................................................................ 216

Tabelle L-24:

GARCH-Schätzung WP 6................................................................ 217

Tabelle L-25:

GARCH-Schätzung WP 7................................................................ 217

Tabelle L-26:

GARCH-Schätzung WP 8................................................................ 217

Tabelle L-27:

GARCH-Schätzung WP 9................................................................ 217

Tabelle L-28:

GARCH-Schätzung WP 10.............................................................. 218

Tabelle L-29:

GARCH-Schätzung Spread 1........................................................... 218

Tabelle L-30:

GARCH-Schätzung Spread 2........................................................... 218

Tabelle L-31:

GARCH-Schätzung Spread 3........................................................... 218

Tabelle L-32:

GARCH-Schätzung Spread 4........................................................... 219

Tabelle L-33:

GARCH-Schätzung Spread 5........................................................... 219

Tabelle L-34:

GARCH-Schätzung Spread 6........................................................... 219

Tabelle L-35:

GARCH-Schätzung Spread 7........................................................... 219

Tabelle L-36:

GARCH-Schätzung Spread 8........................................................... 220

Tabelle L-37:

GARCH-Schätzung Spread 9........................................................... 220

Tabelle L-38:

GARCH-Schätzung Spread 10......................................................... 220

Tabelle L-39:

GARCH-Schätzung Spread 11......................................................... 220

Tabelle L-40:

GARCH-Schätzung Spread 12......................................................... 221

Tabelle L-41:

GARCH-Schätzung Spread 13......................................................... 221

Tabelle M-1:

Hurst-Exponenten der Geldmarktsätze ............................................ 222

Tabelle M-2:

Hurst-Exponenten der FIBOR-Sätze ............................................... 222

Tabelle M-3:

Hurst-Exponenten der EURIBOR-Sätze.......................................... 222

Tabelle M-4:

Hurst-Exponenten der Wertpapierrenditen ...................................... 223

Tabelle M-5:

Hurst-Exponenten der Spreads ........................................................ 223

Tabelle N-1:

BDS-Testergebnisse Tagesgeldsatz ................................................. 224

Tabelle N-2:

BDS-Testergebnisse Monatsgeldsatz............................................... 224

Tabelle N-3:

BDS-Testergebnisse Dreimonatsgeldsatz ........................................ 225

Tabelle N-4:

BDS-Testergebnisse Sechsmonatsgeldsatz ...................................... 225

Tabelle N-5:

BDS-Testergebnisse Zwölfmonatsgeldsatz...................................... 226

Tabelle N-6:

BDS-Testergebnisse FIBOR Tagesgeldsatz..................................... 226

Tabelle N-7:

BDS-Testergebnisse FIBOR Monatsgeldsatz .................................. 227

Tabelle N-8:

BDS-Testergebnisse FIBOR Dreimonatsgeldsatz............................ 227

Tabelle N-9:

BDS-Testergebnisse FIBOR Sechsmonatsgeldsatz.......................... 228

Tabelle N-10:

BDS-Testergebnisse FIBOR Neunmonatsgeldsatz .......................... 228

Tabelle N-11:

BDS-Testergebnisse FIBOR Zwölfmonatsgeldsatz ......................... 229

Tabelle N-12:

BDS-Testergebnisse EONIA ........................................................... 229

Tabelle N-13:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Wochengeldsatz ........................... 230

Tabellenverzeichnis

17

Tabelle N-14:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Monatsgeldsatz............................. 230

Tabelle N-15:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Dreimonatsgeldsatz ...................... 231

Tabelle N-16:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Sechsmonatsgeldsatz.................... 231

Tabelle N-17:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Neunmonatsgeldsatz..................... 232

Tabelle N-18:

BDS-Testergebnisse EURIBOR Zwölfmonatsgeldsatz.................... 232

Tabelle N-19:

BDS-Testergebnisse WP 1............................................................... 233

Tabelle N-20:

BDS-Testergebnisse WP 2............................................................... 233

Tabelle N-21:

BDS-Testergebnisse WP 3............................................................... 234

Tabelle N-22:

BDS-Testergebnisse WP 4............................................................... 234

Tabelle N-23:

BDS-Testergebnisse WP 5............................................................... 235

Tabelle N-24:

BDS-Testergebnisse WP 6............................................................... 235

Tabelle N-25:

BDS-Testergebnisse WP 7............................................................... 236

Tabelle N-26:

BDS-Testergebnisse WP 8............................................................... 236

Tabelle N-27:

BDS-Testergebnisse WP 9............................................................... 237

Tabelle N-28:

BDS-Testergebnisse WP 10............................................................. 237

Tabelle N-29:

BDS-Testergebnisse Spread 1.......................................................... 238

Tabelle N-30:

BDS-Testergebnisse Spread 2.......................................................... 238

Tabelle N-31:

BDS-Testergebnisse Spread 3.......................................................... 239

Tabelle N-32:

BDS-Testergebnisse Spread 4.......................................................... 239

Tabelle N-33:

BDS-Testergebnisse Spread 5.......................................................... 240

Tabelle N-34:

BDS-Testergebnisse Spread 6.......................................................... 240

Tabelle N-35:

BDS-Testergebnisse Spread 7.......................................................... 241

Tabelle N-36:

BDS-Testergebnisse Spread 8.......................................................... 241

Tabelle N-37:

BDS-Testergebnisse Spread 9.......................................................... 242

Tabelle N-38:

BDS-Testergebnisse Spread 10........................................................ 242

Tabelle N-39:

BDS-Testergebnisse Spread 11........................................................ 243

Tabelle N-40:

BDS-Testergebnisse Spread 12........................................................ 243

Tabelle N-41:

BDS-Testergebnisse Spread 13........................................................ 244

Abbildungsverzeichnis Abbildung 2-1: Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen ...........40 Abbildung 3-1: Starke Kausalität einer periodischen Zeitreihe...................................47 Abbildung 3-2: Schwache Kausalität einer chaotischen Zeitreihe ..............................48 Abbildung 3-3: Phasendiagramm einer logistischen Funktion mit einem Fixpunkt.............................................................................................50 Abbildung 3-4: Phasendiagramm einer periodischen logistischen Funktion...............50 Abbildung 3-5: Phasendiagramm einer chaotischen logistischen Funktion ................51 Abbildung 3-6: Phasendiagramm einer Zufallszeitreihe (x0=0,3; x(t)=x(t-1)+Zufallszahl) .......................................................52 Abbildung 3-7: Zusammenhang zwischen dem Hurst-Exponenten und der fraktalen Dimension...........................................................................58 Abbildung 3-8: Korrelationsmaß nach Peters in Abhängigkeit vom HurstExponenten ........................................................................................60 Abbildung 3-9: Ablaufschema des Algorithmus zur Bestimmung der LyapunovExponenten und der Korrelationsdimension......................................66 Abbildung 4-1: Graphik der Chartentscheidung .........................................................79 Abbildung 4-2: Verteilung der Fundamentalerwartungen...........................................80 Abbildung 4-3: Graphik der Gewichtungsfunktion .....................................................83 Abbildung 4-4: Zeitpfad bei konstanten Fundamentaldaten und einem stabilen Fixpunktattraktor ...............................................................................86 Abbildung 4-5: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem stabilen Fixpunktattraktor ..................................................................87 Abbildung 4-6: Zeitpfad bei konstanten Fundamentaldaten und einem zyklischen Attraktor...........................................................................88 Abbildung 4-7: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem zyklischen Attraktor...........................................................................89 Abbildung 4-8: Zeitpfad bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor .........................................................................90 Abbildung 4-9: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor .........................................................................91 Abbildung 4-10: Phasendiagramm einer Zufallszeitreihe (Referenzfall) ......................92 Abbildung 4-11: Sensitivität bezüglich der Ausgangswerte bei konstanten Fundamentaldaten..............................................................................94

Abbildungsverzeichnis

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Abbildung 4-12: Abweichungen in den Zeitpfaden durch die Sensitivität bezüglich der Ausgangswerte ............................................................94 Abbildung 4-13: Chaotischer Zeitpfad bei variierenden Fundamentaldaten .................99 Abbildung 6-1: Korrelationsdimension des Tagesgeldsatzes ....................................136 Abbildung 6-2: Konvergenz des Schätzverfahrens zur Bestimmung des Lyapunov-Exponenten des Tagesgeldsatzes ....................................140 Abbildung 6-3: Lyapunov-Exponent des Tagesgeldsatzes........................................141 Abbildung 7-1: Möglicher Prognosezeitraum in Tagen bei Kenntnis der Funktion des Zeitpfades...................................................................148 Abbildung E-1: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor (b=0,10) ........................................................ 168 Abbildung E-2: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor (b=0,20) ........................................................ 169 Abbildung E-3: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor (b=0,30) ........................................................ 169 Abbildung E-4: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor (b=0,50) ........................................................ 170 Abbildung E-5: Phasendiagramm bei konstanten Fundamentaldaten und einem chaotischen Attraktor (b=0,80) ........................................................ 170 Abbildung F-1: Selbstähnlichkeit der Attraktoren (Tagesdaten) ............................... 171 Abbildung F-2: Selbstähnlichkeit der Attraktoren (Monatsdaten) ............................ 172 Abbildung H-1: Graph der Fundamentalfaktorenelastizität des Fundamentalzinses........................................................................... 178 Abbildung H-2: Graph der Marktzinselastizität in Abhängigkeit von der Erwartungslastigkeit ........................................................................ 180 Abbildung H-3: Graph der Marktzinselastizität in Abhängigkeit vom Marktzins...... 181

1. Einführung und Gang der Arbeit „Nichts Wahres lässt sich von der Zukunft wissen.“ [Friedrich von Schiller]

Auch für die Ökonomie hat das Zitat von Schiller bis heute seine Gültigkeit und seine Relevanz nicht verloren. Bei zukunftsbezogenen Entscheidungssituationen stehen alle Wirtschaftssubjekte gleichermaßen vor dem Problem, Entwicklungen vorhersehen zu müssen. In der ökonomischen Theorie geht die Berücksichtigung von Erwartungen auf eine Arbeit von Henry Thornton aus dem Jahre 1802 zurück. Bereits bei dieser theoretischen Abhandlung war der Zins Gegenstand der Betrachtung.1 In späteren Jahren wurde die Erwartungsbildung zeitweise sogar zum Schwerpunkt der ökonomischen Forschungen. Zur populärsten Erwartungsbildungshypothese entwickelte sich dabei die Hypothese „rationaler Erwartungen“. Für deren Entwicklung und Anwendung erhielt Robert Lucas 1995 den Nobelpreis für Ökonomie.2 Doch bereits 17 Jahre zuvor hatte Herbert Simon den Ökonomienobelpreis für seine Erforschung der Entscheidungsprozesse in Organisationen erhalten. Auf seinen Arbeiten basiert der Ansatz der beschränkten Rationalität bzw. bounded rationality, der im Widerspruch zur Hypothese rationaler Erwartungen steht. In der Makroökonomik, speziell in der formalisierten Form, findet er allerdings wenig Berücksichtigung. Dass er jedoch von großer Bedeutung für diesen Bereich der Ökonomik, gerade als Alternative zu den rationalen Erwartungen ist, macht Sargent deutlich. Er stellt heraus, welch fragwürdige Annahmen den rationalen Erwartungen implizit zugrunde liegen: „Rationale Erwartungen erzwingen zwei Anforderungen an ökonomische Modelle: Individuelle Rationalität und wechselseitige Konsistenz der Wahrnehmung der Umwelt. Wenn sie numerisch oder ökonometrisch implementiert werden, schreiben rationale Erwartungen den Akteuren im Modell viel mehr Wissen zu als ein Ökonometriker besitzt, der den Schätz- und Schlussfolgerungsproblemen gegenübersteht, welche die Akteure im Modell bereits gelöst haben.“3 ___________ 1

Siehe Thornton, H. (1802). Zur Geschichte der Erwartungsbildungshypothesen sowie zu den Verfeinerungen der Hypothese rationaler Erwartungen siehe Kapitel 2. 3 Sargent, T. (1993), S. 2f. (Übersetzung FT). 2

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1. Einführung und Gang der Arbeit

Neben dieser allgemeinen Kritik an den rationalen Erwartungen ist diese Erwartungsbildungshypothese speziell für die Finanzmärkte äußerst fragewürdig. Als Beispiel sei hier nur das Informationsparadoxon effizienter Märkte angeführt, welches bei rationalen Erwartungen auftritt. Dementsprechend waren die unbefriedigenden Resultate, welche die Hypothese rationaler Erwartungen bei der Beschreibung der Realität auf den Finanzmärkten lieferte, der Anlass zur vorliegenden Arbeit. Unbefriedigend sind diese in vielerlei Hinsicht. Erstens gibt es stilisierte Fakten, die mit Hilfe dieser Erwartungsbildungshypothese nicht erklärbar sind. Zweitens ist die Prognosequalität von Modellen mit rationalen Erwartungen nicht nur, aber speziell auch für den Geldmarkt relativ schlecht. Außerdem ist die Rationalitätsannahme als Basis der Hypothese rationaler Erwartungen und ihren Erweiterungen nicht haltbar, wie das Sargent-Zitat bereits veranschaulicht hat. Man könnte diese Form der Erwartungsbildung sogar als hyperrationale Erwartungen bezeichnen. Für den Geldmarkt wird im Verlaufe dieser Arbeit eine Alternative zu den Ansätzen mit homogenen Erwartungen, zu denen auch die rationalen Erwartungen zählen, vorgestellt. Nach diesem einführenden Teil wird in Kapitel 2 im Anschluss an die Definitionen zentraler Begriffe ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der Erwartungsbildungshypothesen gegeben. Danach werden die verschiedenen Erwartungsbildungshypothesen synoptisch anhand ausgewählter Modellierungsmerkmale dargestellt und bewertet. Anschließend werden in Kapitel 3 die für die Arbeit relevanten Grundlagen der Chaostheorie vorgestellt. Dabei wird den Verfahren zur empirischen Analyse von Zeitreihen unter dem Blickwinkel der Chaostheorie eine relativ große Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Kapitel dient als Basis sowohl für die theoretischen Betrachtungen als auch für die empirischen Analysen im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Eine zentrale Rolle kommt dem vierten Kapitel zu. Dort werden die Grundlagen für eine Alternative zu den traditionellen Erwartungsbildungshypothesen beschrieben und es wird ein entsprechendes Modell mit heterogenen Erwartungen vorgestellt. Dieses Modell verzichtet auf zwei in der Ökonomie sehr beliebte Annahmen, nämlich auf die Homogenitätsannahme bei den Erwartungen und die sehr häufig getroffene Linearitätsannahme. Modellsimulationen machen deutlich, welche neuen Implikationen eine Zinsbildungsmodell mit heterogenen Erwartungen beinhaltet. Es ist naheliegend zu untersuchen, welche Bedeutung ein solcher Ansatz für die geldpolitische Steuerung hat. Aus diesem Grund werden drei geldpolitische Strategien unter den Rahmenbedingungen dieses Modells simuliert. Eine Beschreibung der Strategien und der Simulationsergebnisse erfolgt in Kapitel 5.

1. Einführung und Gang der Arbeit

23

Um zu prüfen, welche Relevanz eine solches Modell für die Realität hat, werden ausgewählte Finanzmärkte empirisch analysiert. Das sechste Kapitel bietet eine Zusammenfassung der Analyseergebnisse. Zwei Aspekt sind bei dieser Untersuchung Gegenstand der Betrachtung. Zum einem geht es darum, herauszufinden, ob die Hypothese des Vorliegens von Nichtlinearitäten auf dem Geldmarkt verworfen werden muss. Zum anderen soll die Komplexität des realen Geldmarktes, soweit dies möglich ist, quantifiziert werden. Allein das Vorliegen von Nichtlinearitäten stützt bereits die Hypothese heterogener Erwartungen. Die hohe Komplexität des Geldmarktes kann als Indiz für deterministisches Chaos interpretiert werden, insbesondere vor dem Hintergrund der zusätzlich angeführten stilisierten Fakten. Abschließend werden in Kapitel 7 Schlussfolgerungen aus der theoretischen Analyse und den empirischen Ergebnissen gezogen, die drei zentrale Punkte berühren. Erstens wird beschrieben, welche Prognosemöglichkeiten für die Zinsentwicklung existieren. Zweitens werden die Politikimplikationen des Modells in die aktuelle Analyse der Geldpolitik im Rahmen theoretischer Arbeiten und unter dem Blickwinkel der realen geldpolitischen Steuerung auf die Realität übertragen. Drittens werden die methodologischen Aspekte eines solchen Ansatzes skizziert.

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick „Beide schaden sich selbst: der zuviel verspricht, und der zuviel erwartet!“ [Gotthold Ephraim Lessing]

In diesem Abschnitt wird nicht nur eine synoptische Darstellung der traditionellen Erwartungsbildungstheorien, sondern auch ein kurzer historischer Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungshypothesen in der Ökonomik gegeben. Zuvor wird jedoch der Begriff „ökonomische Erwartungen“ definiert, der in dieser Arbeit verwendet wird.

2.1 Eine zweckmäßige Definition von Erwartungen „Ökonomische Erwartungen sind mit unterschiedlicher Sicherheit gehegte Vorstellungen über relevante zukünftige Wirtschaftsdaten, also auf Phantasie und Erfahrung beruhende psychische Phänomene.“ [Weber, W.; Streißler, E. (1961), S. 330]

Gemäß Duden wird der Begriff „Erwartung“ meist im Plural benutzt und als vorausschauende Vermutung bzw. Annahme oder Hoffnung definiert. Diese Begriffsbestimmung deckt sich sehr gut mit der umgangssprachlichen Verwendung von „Erwartung“. Für eine wissenschaftliche Verwendung im Rahmen einer modelltheoretischen Analyse ist es jedoch zweckmäßiger, den Begriff weiter zu präzisieren. Denn astrologische Vorhersagen oder der Blick in die Kristallkugel beschreiben ebenso eine Vermutung über, gegebenenfalls auch eine Hoffnung auf eine bestimmte zukünftige Entwicklung, sollten aber nicht als Ausprägung von Erwartungen in eine Erwartungsbildungshypothese einfließen. Für die im Rahmen dieser Arbeit behandelten Aspekte ist die oben zitierte Definition von Weber und Streißler am besten geeignet, denn sie ist hinreichend präzise, lässt genügend Freiraum, um unterschiedliche Hypothesen bezüglich der Erwartungsbildung zuzulassen und grenzt den Begriff auf das relevante Gebiet der ökonomischen Erwartungen ein. Obwohl sie den Begriff „Erwartung“

2.1 Eine zweckmäßige Definition von Erwartungen

25

hinreichend genau definiert, lässt sie offen, wie solche Erwartungen im makroökonomischen Zusammenhang zu modellieren sind. Derartige Modellierungen der Erwartungen sind Hypothesen über die Erwatungsbildung der Wirtschaftssubjekte und werden im Folgenden als Erwartungsbildungshypothesen bezeichnet.4 Bei einer einzelwirtschaftlichen Betrachtung können sämtliche Varianten einer Prognose als Erwartungen verstanden werden. Bei der Prognose muss es sich in diesem Fall nicht um eine Prognose im wissenschaftlichen Sinne handeln.5 Als Erwartungsbildung soll im Folgenden jedes einzelwirtschaftliche Verfahren verstanden werden, welches die Erwartungen prägt. Caspers bezeichnet die „Erwartungsbildung als einen Produktionsprozess ..., in dem Vorleistungen für die Entscheidungsfindung unter Unsicherheit erbracht werden.“6 Ein solcher Produktionsprozess kann unterschiedlich kompliziert sein. So kann selbst die Vorhersage mit Hilfe einer Kristallkugel oder an Hand des Stands der Sterne als unwissenschaftliche Prognose die Erwartungen prägen. Als anderes Extrem kann die Verwendung sämtlichen verfügbaren theoretischen und singulären bewährten Wissens für Prognosen die Erwartungen bestimmen, was einer Erwartungsbildung gemäß der Hypothese rationaler Erwartungen entsprechen würde. In einigen Fällen wird in der Literatur auch eine weitere Begriffsabgrenzung auf makroökonomischer Ebene vorgenommen. Es wird zwischen Erwartung und Antizipation unterschieden. Diese Unterscheidung kann lediglich bei Vorliegen von Rigiditäten bedeutsam werden. Ein Beispiel für solche Rigiditäten sind Vertragslaufzeiten.7 Wird für einen zweiperiodigen Planungshorizont eine Erwartung gebildet und entsprechend gehandelt, so ist es möglich, dass sich nach der ersten Periode die Rahmenbedingungen unvorhersehbar ändern. Dann besteht zwar die Möglichkeit, die Erwartungen für die zweite Periode anzupassen, sie können aber nicht mehr in entsprechende Anpassungshandlungen für die zweite Periode umgesetzt, d.h. antizipiert werden. Dass diese konstruierte Unterscheidung von eher geringer Bedeutung ist, macht das Beispiel der Diskussion von Rigiditäten im Rahmen der Real-

___________ 4 Sowohl der Begriff „Erwartung“ als auch der Begriff „Erwartungsbildungshypothese“ können auch außerhalb ökonomischer Betrachtungen angewendet werden. Dies ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 5 Zur Definition einer wissenschaftlichen Prognose siehe Pilder, C. (1983), S. 5, bzw. Tietzel, M. (1981), S. 34. 6 Caspers, R. (1978), S. 514. 7 Eine exakte Unterscheidung zwischen Erwartungsbildungstheorie und Antizipationstheorie trifft Caspers, R. (1978), S. 510ff.

26

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

business-cycle-Modelle deutlich. Hier wird trotz des Vorliegens von Rigiditäten nicht zwischen Erwartungsbildung und Antizipation unterschieden.8 Im Folgenden wird die Definition von Weber und Streißler verwendet und dahingehend operrationalisiert, dass jede Form der Prognose als einzelwirtschaftliche Erwartung aufgefasst wird. Die Erwartungen auf makroökonomischer Ebene entsprechen dann der Aggregation der Einzelerwartungen.

2.2 Eine kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien Nachdem im vorangegangenen Abschnitt verschiedene Definitionen von Erwartungen vorgestellt wurden, wird in diesem Abschnitt kurz die geschichtliche Entwicklung der Erwartungsbildungstheorien dargestellt. Huschens teilt die Berücksichtigung der Erwartungsbildung in makroökonomischen Modellen historisch in drei Phasen ein.9 Die erste Phase gibt er ohne Anfangszeitpunkt an und behauptet, sie habe bis etwa 1940 gedauert. Diese Phase ist durch modellexogene Erwartungen geprägt. Die zweite Phase beginnt etwa 1930, überschneidet sich teilweise mit der ersten und endet etwa 1975. Während dieser Phase werden die Erwartungen autoregressiv modelliert, d.h. in erster Linie durch extrapolative oder adaptive Erwartungsbildungshypothesen in die Makroökonomik integriert. Die von Huschens abgegrenzte dritte Phase beginnt Anfang der siebziger Jahre und dauert bis zur Gegenwart an. Dies ist die Phase der „rationalen Erwartungen“ und ihrer Weiterentwicklungen. Diese Phasenbildung ist von der historischen Einteilung her zutreffend, doch endet sie nicht mit der Phase rationaler Erwartungen, sondern muss um eine vierte Phase ergänzt werden. Diese beginnt Mitte der achtziger Jahre mit dem Treasury-Bill-Modell von Larrain und dem Wechselkursmodell von Frankel und Froot.10 Diese vierte Phase ist die Phase der „heterogenen Erwartungen“. Wie noch gezeigt werden wird, kann man diese Erwartungsbildungshypothese nicht als Weiterentwicklung rationaler Erwartungen auffassen, sondern allenfalls rationale Erwartungen als Spezialfall heterogener Erwartungsbildung bezeichnen. ___________ 8

Siehe z.B. Grossman, S. J. (1989), S. 131ff. Siehe Huschens, S. (1994), S. 1. 10 Siehe Larrain, M. (1986); Frankel, J. A./Froot, K. A. (1986). Vgl. auch Frankel, J. A./Froot, K. A. (1990). 9

2.2 Kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien

27

Erste Phase Doch selbst eine kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien muss mit den Klassikern beginnen, aber „Adam Smith, David Ricardo, Thomas R. Malthus ... leisteten keine nennenswerten Beiträge zur Erklärung des Erwartungsphänomens.“11 Dennoch stammen aus dieser Epoche die ersten Beiträge zur Erwartungsbildung. Eine explizite Berücksichtigung der Erwartungen als Größe, die bei Kreditgeschäften ein Rolle spielt, findet man zuerst bei Henry Thornton.12 Daher kann man das Erscheinen seines Werkes als den Beginn der Geschichte der Erwartungsbildungstheorien betrachten. Dies ist umso interessanter, als Thorntons Werk von der Zinsbildung handelt und dementsprechend in direkter Linie eine Art Vorläufer dieser Arbeit darstellt. Thornton stellt explizit die Preiserwartungen als Einflussfaktor auf die Zinsbildung heraus.13 Auch John Stuart Mill veröffentlichte ähnliche Gedanken in seinem Buch Grundsätze der politischen Ökonomie.14 Allerdings stellte er, im Gegensatz zu Thornton, welcher die Gläubigerseite betonte, die Nachfrageseite in den Vordergrund: „Und die Bereitwilligkeit des Kaufmanns, seinen Kredit zu benutzen, hängt von seinen Erwartungen auf Gewinn ab“.15 Folglich kann man Thorntons Ansatz als eine Gläubiger- und Mills Ansatz als eine Schuldnertheorie des Zinses bezeichnen.16 Zweite Phase Die explizite mathematische Formulierung von Erwartungsgrößen wurde bei der Diskussion um das Cobweb-Theorem in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts eingeführt.17 Dies ist der Beginn der zweiten Phase in der Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien. Aufgrund der relativ simplen Modellstruktur ist das Cobweb-Modell in der Literatur bis heute immer wieder aufgegriffen worden, um die theoretischen Probleme bei der Modellierung von Erwartungen bzw. der Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte zu ___________ 11

Machinek, P. (1968), S. 19. Siehe Thornton, H. (1802). 13 Vgl. Machinek, P. (1968), S. 20f. 14 Die Erstauflage der Grundsätze der politischen Ökonomie stammt aus dem Jahr 1848, d.h. sie erschien 42 Jahre nach Thorntons Veröffentlichung. 15 Mill, J. S. (1921), S. 84. 16 Siehe Hahn, O. (1993), S. 20ff., der die Zinstheorien in Schuldner- und Gläubigertheorien einteilt. 17 Die Bezeichnung „Cobweb-Theorem“ geht auf Kaldor zurück. Siehe Kaldor, N. (1934), S. 134. Der gerne zitierte Begriff „Schweinezyklus“ stammt von Hanau. Siehe Hanau, A. (1930), S. 13ff. Zur damaligen Diskussion des Cobweb-Theorems siehe außer diesen auch Ezekiel, M. (1938); Leontief, W. (1934); Ricci, U. (1930); Tinbergen, J. (1930). 12

28

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

veranschaulichen und unterschiedliche Lösungen miteinander zu vergleichen.18 In der Cobweb-Diskussion spielten in erster Linie statische Erwartungen eine Rolle, wie sie auch von Keynes im Rahmen seiner Liquiditätspräferenztheorie für die Renditeerwartungen bzw. Kurserwartungen der Wirtschaftssubjekte für Bonds postuliert wurden, wobei die Erwartungen bei Keynes modellexogen und beim Cobweb-Theorem modellendogen sind. Etwa zeitgleich zur Cobweb-Diskussion entwickelte Irving Fisher die Grundlagen für adaptive Erwartungen. Seine grundsätzlichen Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Zins und Geldwert hatte er bereits in seinem Buch Appreciation and Interest im Jahre 1896 dargelegt,19 aber erst in seinem umfassenderen Werk The Theory of Interest aus dem Jahre 1930 explizit mathematisch formuliert. Dieses Werk kann als der Grundstein der extrapolativen bzw. der adaptiven Erwartungen betrachtet werden. Die Bedeutung der Erwartungen stellt Fisher deutlich heraus, indem er schreibt: „Die Zinssätze basieren immer auf Erwartungen, unabhängig davon, wie klein die Hoffnung ist, dass diese durch Realisation gerechtfertigt werden. Der Mensch schätzt die Zukunft ein und handelt danach.“20 Häufig wird Phillip Cagan als Begründer der adaptiven Erwartungen bezeichnet. Dies ist im strengen Sinne nicht zutreffend. Allerdings wird Cagan insofern zurecht als (Mit-)Begründer der adaptiven Erwartungen genannt, als er explizit diese Art der Erwartungen als endogene Erwartungen in sein Inflationsmodell integrierte und diese somit eine erklärende Größe im formalen Sinne wurden.21 Außerdem legte er mit seinem Modell den Grundstein für eine weitere Verwendung dieses Erwartungsbildungsprozesses in den folgenden Jahren. Doch bereits in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es die von Åkerman als solche bezeichnete „Antecipationsschule“, welche die Bedeutung der Erwartungen im Rahmen des Wicksellschen kumulativen Prozesses herausarbeitete.22 Diese „Erwartungsbildungsschule“ wurde nach Machinek von Knight, Myrdal, Ohlin und Lindahl geprägt.23 Der Begriff „Überraschungsgrö___________ 18 Vgl. Nerlove, M. (1958), S. 227ff. Nerlove problematisiert die adaptive Erwartungsbildung am Cobweb-Modell. Vgl. Artstein, Z. (1983), S. 15ff. Artstein stellt mit Hilfe des Cobweb-Modells die Möglichkeit quasizyklischer Marktentwicklungen durch Erwartungen dar. 19 In diesem Werk findet man schon die berühmte Gleichung für die Realzinsberechnung (siehe Fisher, I. (1896), S. 23). Allerdings wird die Erwartungsbildung hier noch nicht berücksichtigt. 20 Fisher, I. (1930), S. 221f. (Übersetzung FT) 21 Siehe Cagan, P. (1956), S. 37ff. 22 Siehe Åkerman, J. (1938), S. 262. 23 Siehe Knight, F. H. (1921); Myrdal, G. (1933); Ohlin, B. (1937) und Lindahl, E. (1939).

2.2 Kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien

29

ßen“ findet hier seinen Ursprung.24 Diese Überraschungsgrößen entsprechen den Erwartungsirrtümern in der Formulierung der adaptiven Erwartungen nach Cagan. Genauso stammt der Begriff „natürlicher Zins“, welcher als Basis für die Keynessche Zinstheorie angesehen werden kann, von dem Gründer dieser Schule Wicksell.25 Dieser natürliche Zins kann als exogen vorgegebene Erwartungsgröße interpretiert werden und impliziert somit einen statischen Erwartungsbildungsprozess. Keynes bezieht sich auf Wicksell und greift den Begriff „natürlicher Zins“ auf.26 Dies stellt er in der General Theory of Employment, Interest and Money explizit heraus: „In meinem Treatise on Money definierte ich, was den Anschein hatte ein einzigartiger Zinssatz zu sein, den ich natürlichen Zinssatz nannte. Dieser Zinssatz ist in der Terminologie meines Treatise der, welcher die Gleichheit zwischen Sparen (wie dort definiert) und Investieren aufrechterhält. Ich halte dies für eine Weiterentwicklung und Klarstellung des ,natürlichen Zinssatzes‘ von Wicksell, welcher für ihn der Zinssatz war, der ein bestimmtes, nicht genauer spezifiziertes, Preisniveau aufrechterhält.“27 Im Gegensatz zum Cobweb-Theorem sind die Erwartungen bei Keynes, jedenfalls in der Lehrbuchinterpretation seiner Ausführungen, modellexogen. Diese Interpretation geht auf Tobin zurück.28 Keynes selbst beschreibt Veränderungsmöglichkeiten bei den Zinserwartungen: „Bei Arbeiten zum Spekulationsmotiv ist es jedoch wichtig, zwischen Veränderungen in dem der Spekulation zur Verfügung stehenden Geldangebot zu unterscheiden, die keinen Einfluss auf die Liquiditätsfunktion haben und denen, die primär durch veränderte Erwartungen Einfluss auf die Liquiditätsfunktion selbst haben.“29 Interpretiert man die Keynessche Erwartungsbildung wie Tobin, so ist sie als später Ausläufer der ersten Phase der Erwartungsbildung zu deuten. Geht man jedoch davon aus, dass Keynes Einflussmöglichkeiten auf die Erwartungen zuließ, so handelt es sich um modellendogene Erwartungen, und somit sind diese zumindest in der zweiten Phase anzusiedeln. Am bedeutendsten ist allerdings seine Unterscheidung in langfristige und kurzfristige Erwartungen und deren jeweilige Verlässlichkeit.30 Kurzfristig sind ___________ 24

Vgl. Machinek, P. (1968), S. 78ff. Siehe Wicksell, K. (1898), S. 93. 26 Siehe Keynes, J. M. (1955), S. 127. 27 Keynes, J. M. (1936), S. 242 (Kursivstellungen im Original). (Übersetzung FT) 28 Tobin, J. (1971), S. 244ff., interpretierte den Keynesschen „normalen“ Zinssatz und die Keynesschen Ausführungen hierzu als modellexogene und statische Erwartungen. 29 Keynes, J. M. (1936), S. 197. (Übersetzung FT) 30 Keynes, J. M. (1936), S. 147f. 25

30

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

die Erwartungen bei bekannten Rahmendaten relativ sichere Größen, und langfristig sind Änderungen in den Rahmendaten möglich, die eine größere Unsicherheit bewirken.31 Hiermit wird ein völlig neuer dynamisch bedeutsamer Aspekt in die Theorie eingebracht, denn es werden Anpassungen der Erwartungen an sich ändernde Rahmenbedingungen eingeführt. Wie bedeutsam diese Dynamisierung war, macht das folgende Zitat von Hicks deutlich: „Die General Theory of Employment ist ein nützliches Buch; aber es ist weder der Anfang noch das Ende der Dynamik in der Ökonomik.“32 Folglich sind Keynes‘ Ausführungen unter dynamischen Gesichtspunkten nicht der ersten Phase der Erwartungsbildungstheorien im historischen Kontext zuzuordnen, sondern sie sind wegen der von ihm unterstellten Anpassungsfähigkeit der Erwartungen an Änderungen der Rahmenbedingungen noch heute aktuell, insbesondere vor dem Hintergrund der Lucas-Kritik. Eine eindeutige Zuordnung zu einer historischen Phase der Erwartungsbildungstheorien ist bei den extrapolativen Erwartungen möglich. Diese auf Goodwin zurückgehende Erwartungsbildungshypothese hat autoregressiven Charakter und extrapoliert die Vergangenheitswerte der letzten beiden Perioden in die Zukunft.33 Es handelt sich bei diesem Ansatz um einen, der die Erwartungsbildung endogenisiert und der daher der zweiten Phase zuzuordnen ist. Eine theoretische „Verbesserung“ dieser Form der Erwartungsbildung sind die adaptiven Erwartungen. Wie bereits erwähnt, wird diese Erwartungsbildungshypothese auf Cagan zurückgeführt.34 Als Fortschritt kann die explizite Berücksichtigung der Erwartungsirrtümer der letzten beobachteten Periode angesehen werden. Hiermit wird eine gewisse Lernfähigkeit der Individuen unterstellt. Nerlove führt kurz nach Cagan die adaptiven Erwartungen in das Cobweb-Modell ein.35 Als theoretische Basis für diese Form der Erwartungsbildung kann Hicks‘ Definition der Erwartungselastizitäten dienen.36 Dritte Phase Die rationalen Erwartungen, mit denen die dritte Phase der Geschichte der Erwartungsbildungstheorien beginnt,37 werden auf John Muth zurückgeführt,38 ___________ 31

Vgl. Güntzel, J. (1998), S. 361. Hicks, J. R. (1937), S. 159. (Übersetzung FT) 33 Siehe Goodwin, R. M. (1947), S. 191ff. 34 Siehe Cagan, P. (1956), S. 37ff. 35 Siehe Nerlove, M. (1958), S. 230ff. 36 Siehe Hicks, J. R. (1939), S. 205. Nerlove gibt das Hickssche Konzept explizit als theoretische Basis an. Siehe Nerlove, M. (1958), S. 231, Fn 5. Vgl. auch Huschens, S. (1994), S. 8. 37 Vgl. Huschens, S. (1994), S. 1. 32

2.2 Kurze Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien

31

da er diese Form der Erwartungsbildung als erster so bezeichnet hat. Allerdings gab es auch schon vor ihm bzw. zumindest gleichzeitig mit ihm einige Autoren, die ähnliche Erwartungsbildungshypothesen formuliert haben.39 Als Beginn dieser dritten Phase müsste man folglich das Jahr 1961 ansehen, doch man kann auch das Jahr 1954 als das Jahr der Grundsteinlegung der rationalen Erwartungen bezeichnen.40 In diesem Jahr formulierten Grundberg und Modigliani41 einen Erwartungsbildungsprozess, mit dem sie die Basis für Muths Hypothese lieferten.42 Muth hat dann bereits 1960 explizit mathematisch formale Arbeiten an einem Forward-looking-Erwartungsbildungsprozess präsentiert.43 In der Folgezeit nach 1961 ist eine kaum überschaubare Vielzahl von Büchern und Aufsätzen zum Thema rationale Erwartungen, über ihre theoretischen Vor- und Nachteile, sowie ihre Implikationen für Politikempfehlungen erschienen.44 Außerdem gab es einige theoretische Verfeinerungen des Ansatzes, die eine höhere Realitätsnähe mit sich bringen sollten.45 Die wichtigsten beziehen sich in erster Line auf die folgenden Aspekte: die Kosten der Informationsbeschaffung, den zeitlichen Aspekt beim Entdecken des „wahren“ Modells und die Homogenitätsannahme bezüglich des zur Verfügung stehenden Datenmaterials. Die Annahme, dass sämtliche für die Erwartungsbildung relevanten Informationen kostenlos zur Verfügung stehen, wurde zuerst von Friedman fallen gelassen. Er berücksichtigte in seinem Modell als erster die Kosten der Informationsbeschaffung bei der Erwartungsbildung und schuf damit die ökonomisch rationalen Erwartungen. Er zeigte, dass unter bestimmten Annahmen und unter Berücksichtigung von Informationskosten adaptive Erwartungen rational sein können.46 Die nächste Annahme der Theorie rationaler Erwartungen, die modifiziert wurde, war die Annahme, dass die Wirtschaftssubjekte das „wahre“ Modell kennen, ohne Zeit für seine Entdeckung zu benötigen. Der Prozess des Entdeckens (Lernens) wurde in die Theorie rationaler Erwartungen integriert. Die ___________ 38

Muth, J. F. (1961), S. 315ff. Vgl. Redman, D. A. (1992), S. 6f. 40 Vgl. Redman, D. A. (1992), S. 6. 41 Grunberg, E./Modigliani, F. (1954), S. 465f. 42 Siehe Muth, J. F. (1961), S. 316. 43 Siehe Muth, J. F. (1960), S. 299ff. 44 Einen relativ umfassenden Überblick gibt Redman, D. A. (1992). Eine kurze Übersicht über die historische (Weiter-)Entwicklung der Theorie rationaler Erwartungen gibt Minford, P. (1992), S. 42ff. 45 Pesaran bietet einen guten Überblick über die Verfeinerungen der rationalen Erwartungen (siehe Pesaran, M. H. (1987), S. 11ff.). 46 Friedman, B. M. (1975). 39

32

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

frühesten Ansätze des so genannten adaptiven Lernens findet man bei Townsend und bei DeCanio.47 Ein weiterer Aspekt der zur Verfügung stehenden Informationsmenge wurde von Grossman in die Diskussion eingebracht. Er gibt die Annahme homogen informierter Wirtschaftssubjekte auf und berücksichtigt Gruppen von Wirtschaftssubjekten mit unterschiedlichem Informationsstand.48 Vierte Phase Die vierte Phase der Entwicklungsgeschichte beginnt mit einer anderen Lösung der Probleme, die bei rationalen Erwartungen auftreten. Da rationale Erwartungen mehrere empirische Fakten, speziell auf den Finanzmärkten, nicht erklären konnten, wurde nach einem alternativen Ansatz gesucht. Auf Basis der Analyse dieser „stylized facts“ des Devisenmarktes entstand der Ansatz von Frankel und Froot.49 Man kann diesen Ansatz auch als Abkehr von der Homogenitätsannahme interpretieren.50

___________ 47

Siehe Townsend, R. M. (1978) und DeCanio, S. J. (1979). Siehe Grossman, S. J. (1982). 49 Frankel, J. A./Froot, K. A. (1986), S. 25f. 50 Ringhut unterscheidet vier verschiedene Ursachen für heterogene Erwartungen: intertemporale Heterogenität, heterogene Erwartungshorizonte, Determinantenheterogenität und Modellheterogenität. Die intertemporale Heterogenität bezieht sich auf den unterschiedlich starken Einfluss relevanter Größen im Zeitverlauf. Heterogene Erwartungshorizonte sind die Erklärung für unterschiedliche Einschätzungen des Einflusses relevanter Größen auf den Erwartungshorizont. Die Determinantenheterogenität beschreibt die unterschiedliche Einschätzung des Einflusses bestimmter Größen auf den Erwartungsgegenstand einzelner Akteursgruppen, die nicht auf unterschiedliche Erwartungs- oder Anlagehorizonte zurückgeführt werden. Als Beispiel werden Chartisten und Fundamentalisten genannt. Als vierte Ursache nennt Ringhut die Modellheterogenität, welche durch die verschiedenen Prognoseverfahren der Marktteilnehmer verursacht wird. Siehe Ringhut, E. (2003), S. 55f. 48

Diese Einteilung ist insofern problematisch, als dass Fälle denkbar sind, in denen die genannten Ursachen nicht Ursachen, sondern Wirkungen sind. Z. B. das in dieser Arbeit vorgestellte Modell mit Fundamentalisten und Chartisten kann dahingehend interpretiert werden, dass die beiden Prognoseverfahren für unterschiedliche Zeithorizonte unterschiedlich gute Ergebnisse liefern. Die Determinantenheterogenität wäre somit ein Resultat der heterogenen Erwartungshorizonte. Insbesondere die intertemporale Heterogenität ist ein Ergebnis der Determinantenheterogenität, denn das Modell in Kapitel 4 zeigt zustandsabhängige Wirkungen der Einflussgrößen. Außerdem geht die Modellheterogenität in der Regel mit der Determinantenheterogenität einher. Durch die verschiedenen Prognosemodelle der Chartisten und der Fundamentalisten werden die Determinanten der Zinsentwicklung unterschiedlich bewertet. Siehe Kapitel 4.

2.3 Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen

33

Anstatt die rationalen Erwartungen weiter zu verändern und deren Mängel zu beheben,51 wird ein völlig neuer Ansatz verfolgt: „Während die konventionellen Ansätze in der Literatur, sowohl die theoretischen wie auch die empirischen, davon ausgehen, dass es so etwas gibt wie ,die‘ Markterwartung für zukünftige Wechselkurse, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Investoren heterogene Erwartungen haben.“52 Dies impliziert die Annahme, dass es keinen Erwartungsbildungsprozess gibt, der in aggregierter makroökonomischer Darstellung eine einheitliche Markterwartung wiedergibt, die einem wie auch immer formulierten Durchschnitt der Markterwartungen entspricht. Zumindest ist bei der Aggregation von zeitabhängigen bzw. ergebnisabhängigen, variablen Aggregationsparametern auszugehen (siehe Abschnitt 4.2). Auch der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz ist der Kategorie der „heterogenen Erwartungen“ und somit der vierten, noch nicht abgeschlossenen Phase der Entwicklungsgeschichte der Erwartungsbildungstheorien zuzuordnen.

2.3 Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen „Erwartungen stellen ein schwieriges Arbeitsgebiet in der ökonomischen Analyse dar, weil es so viele Möglichkeiten und so wenige Informationen über ihre tatsächliche Entwicklung gibt.“ [Goodwin, R. M. (1947), S. 191] (Übersetzung FT)

Die folgende synoptische Darstellung der Erwartungsbildungstheorien gibt einen Überblick über die wichtigsten Erwartungsbildungshypothesen. Anhand von verschiedenen Modellierungsmerkmalen werden die Erwartungsbildungs___________ 51 Eine Übersicht über die „Mängel“ rationaler Erwartungen liefert Ribhegge, H. (1987), S. 73ff. Als eine Mischform aus der Mängelbeseitigung bei den rationalen Erwartungen und einem völlig neuen Ansatz kann man die Modelle mit so genannten „noise-tradern“ oder „feedback-tradern“ ansehen. Im Rahmen dieser Modelle werden zwar nicht unterschiedliche Erwartungsbildungsprozesse, aber unterschiedliche Anlagestrategien unterschieden, die dann ähnliche Effekte auf einem Markt bewirken wie unterschiedliche Erwartungsbildungsprozesse. Dabei werden die verschiedenen Anlagestrategien in einigen Fällen durch zusätzliche Ad-hoc-Annahmen, wie z.B. irrationales Verhalten, begründet (vgl. Cuthbertson, K. (1996), S. 173ff.). Im Gegensatz dazu werden bei den heterogenen Erwartungen keine zusätzlichen Annahmen getroffen, sondern es wird lediglich auf die Homogenitätsannahme verzichtet. Zu den Modellen mit „noisetradern“ siehe beispielsweise Cutler, D. M./Poterba, J. M./Summers, L. H. (1990); De Long, J. B./Shleifer, A./Summers, L. H./Waldmann, R. W. (1990), oder Cutler, D. M./Poterba, J. M./Summers, L. H. (1991). Eine Definition des Begriffs „noise-trader“ bietet Redding, L. S. (1996), S. 5f. 52 Frankel, J. A./Froot, K. A. (1990), S. 182. (Übersetzung FT)

34

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

hypothesen gegeneinander abgegrenzt. Es ist allerdings eine Vielzahl solcher Merkmale mit unterschiedlicher Bedeutsamkeit für eine Volkswirtschaft53 denkbar. Im Folgenden werden die ausgewählten Merkmale Modellstatus, Rationalität, Informationsstatus, Zeitbezug, Lernfähigkeit, ökonomische Effizienz, Dynamik und Realitätsnähe der Hypothesen diskutiert. Das erste wichtige Merkmal ist der Modellstatus. Dieses Merkmal liefert eine Einteilung der Hypothesen in modellexogene und modellendogene Erwartungen. Diese Unterscheidung hat nicht nur Auswirkungen auf die Lösbarkeit und die Lösungstechnik eines Modells, sondern sie sagt auch schon etwas über das unterstellte Verhalten und die unterstellten Fähigkeiten der Wirtschaftsubjekte aus. Sind die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte modellexogen, so bedeutet dies, dass die Wirtschaftssubjekte den Zustand der Wirtschaft in ihr Entscheidungskalkül nur bedingt einbeziehen und sie nicht lernfähig sind. Dies ist eine realitätsferne Annahme, welche die Fähigkeiten der Individuen unterschätzt. Bloße statische Erwartungen sind modellexogen. Alle übrigen aufgeführten Erwartungsbildungshypothesen berücksichtigen die zum Zeitpunkt der Erwartungsbildung relevanten Rahmenbedingungen mehr oder weniger umfassend, sodass die Erwartungsbildung im Rahmen dieser Hypothesen vom Modellzustand beeinflusst wird. Ein zweites wichtiges Merkmal ist der unterstellte Grad der Rationalität der Wirtschaftssubjekte. Im Gegensatz zum ersten Merkmal gibt es bei dem Merkmal Rationalität mehrere Ausprägungen. So kann ein Erwartungsbildungsprozess keine Form von Rationalität aufweisen und andererseits sogar hyperrational sein.54 Als hyperrational wird hier ein Erwartungsbildungsprozess bezeichnet, der alle relevanten Informationen im Sinne einer „wahren“ Theorie und alle zur Prognose notwendigen, d.h. für die „wahre“ Theorie bedeutsamen, Daten berücksichtigt.55 Simon bezeichnet diese Art der Rationalität auch als das Göttlichkeitsmodell.56 Insbesondere rationale Erwartungen entsprechen diesem „Idealtyp“. Aus diesem Grund wurde eine Vielzahl von Variationen dieser Erwartungsbildungshypothese entwickelt, welche die Annahme perfekter Infor-

___________ 53

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Begriff „Modell“ in dieser Arbeit zwar häufig im Sinne eines mathematisch-analytisch formulierten Modells benutzt wird, aber durchaus auch grafische und verbale Darstellungen als Modell verstanden werden. Zu einer ausführlicheren Diskussion des Begriffs „Modell“ siehe Kleinewefers, H./Jans, A., (1983), S. 9 ff. 54 Dies entspricht zwar nicht der Einteilung, die bei der Theorie der „begrenzten Rationalität“ üblicherweise verwendet wird, aber gerade ein Ergebnis dieser Theorie ist, dass lediglich begrenzte Rationalität rational ist. 55 Vgl. Tietzel, M. (1982), S. 500. 56 Simon, H. (1993 ), S. 44f.

2.3 Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen

35

mation abschwächen.57 Diese Modelle werden nach Chan-Lee als hybride Modelle bezeichnet.58 Ökonomisch rationale Erwartungen sind ebenfalls hyperrational, auch wenn hier die Informationsauswertung begrenzt ist. Wirtschaftssubjekte, die ihre Erwartungen nach dieser Hypothese bilden, optimieren sogar noch ihre Informationsauswertung, d.h. sie optimieren ihren Nutzen unter einer zusätzlichen Nebenbedingung. Folglich sind ökonomisch rationale Erwartungen, welche die Informationskosten berücksichtigen, hyperrational. In Modellen, welche adaptives Lernen unterstellen oder in Modellen mit heterogenen Erwartungen verhalten sich die Wirtschaftssubjekte rational. Die Erwartungen im Rahmen der Hypothesen adaptiver oder extrapolativer Erwartungen sind nur begrenzt rational. Bei diesen Erwartungsbildungshypothesen berücksichtigen die Wirtschaftssubjekte zwar Informationen über den Gegenstand ihrer Erwartungen, sie ignorieren aber weitere Einflussgrößen und lernen lediglich begrenzt aus ihren Fehlern. So wird z.B. der Einfluss der Zentralbank auf das Zinsniveau sowie deren Zielfunktion sowohl bei Geldmarktmodellen mit extrapolativen als auch mit adaptiven Erwartungen ignoriert. Die verschiedenen Erwartungsbildungshypothesen unterschieden sich stark in der Annahme über den Informationsstatus der Wirtschaftssubjekte. Die Einteilung geschieht hier wie in der Spieltheorie üblich, weil hierdurch eine hinreichend exakte Abgrenzung erzielt wird. Die Art der Ausprägung dieses und des vorangegangenen Merkmals hat Einfluss auf die Ausprägung des Merkmals Realitätsnähe. So ist die Annahme perfekter Information, wie sie bei rationalen Erwartungen in ihrer strikten Formulierung unterstellt wird, realitätsfern. Die Annahme der vollständigen Information hingegen bedeutet, dass die Markteilnehmer über den Markt und die Akteure informiert sind, aber nicht alle relevanten Marktdaten und Aktionen der Teilnehmer wahrnehmen können. Dieses Merkmal haben sowohl die heterogenen Erwartungen, die Lernansätze als auch die ökonomisch rationalen Erwartungen. Letztere wurden ja eben aus dem Grund entwickelt, dass Informationen nicht kostenlos und nicht in unbegrenztem Umfang für alle Marktteilnehmer zur Verfügung stehen. Bei den statischen, den extrapolativen und den adaptiven Erwartungen sind die Informationen der Wirtschaftsubjekte unvollständig, d.h. sie sind noch nicht einmal über die relevanten Rahmenbedingungen informiert, geschweige denn über die relevanten Parameter. So sind beispielsweise die Wirtschaftssubjekte im Rahmen von Geldmarktmodellen, die diese Erwartungsbildungen unterstellen, nicht über das Wachstum der Geldmenge informiert. ___________ 57 Eine kurze Übersicht über die Theoriegeschichte der „ökonomischen Rationalität“ sowie eine Systematik ökonomischer Rationalitätsbegriffe bietet Zundel, S. (1995), S. 21ff. 58 Siehe Chan-Lee (1980), S. 54ff.

36

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

Der Zeitbezug macht deutlich, auf welcher Datenbasis die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen bei den jeweiligen Erwartungsbildungshypothesen bilden. Unter der Annahme statischer Erwartungen wird allerdings kein Zeitbezug deutlich, da die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen unter dieser Annahme unabhängig von jeglicher Entwicklung relevanter Daten bilden. Bilden die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen ausschließlich auf Basis von Vergangenheitsdaten, wie bei den extrapolativen und adaptiven Erwartungen, so wird der zukünftige Einfluss relevanter Größen ignoriert. Unter diesen Annahmen würde sogar eine generelle Änderung der Geldpolitik, auch wenn sie angekündigt würde, vernachlässigt und die Individuen würden von der Geldpolitik regelmäßig überrascht werden können. Dieses Problem existiert in eingeschränkter Form selbst bei der Weiterentwicklung der rationalen Erwartungen, dem adaptiven Lernen. Im Rahmen dieser Modelle versuchen die Wirtschaftsubjekte ja gerade, aus der Entwicklung in der Vergangenheit auf das „wahre“ Modell mittels statistischer Verfahren zu schließen. Aber auch eine Erwartungsbildungshypothese wie die rationalen Erwartungen, bei der die Individuen ausschließlich die Zukunft in ihr Kalkül einbeziehen, hat einen Mangel, denn hier werden Erwartungen nahezu losgelöst von der kurzfristigen Vergangenheit gebildet. Lediglich der Status quo und die daraus abgeleiteten Rahmenbedingungen für die zukünftige Entwicklung finden Berücksichtigung. In der Realität wird aber gerade auf den finanziellen Märkten auch die kurzfristige Vergangenheit berücksichtigt, um daraus Aussagen über die Zukunft abzuleiten. Einzig die heterogenen Erwartungen haben in diesem Sinne einen Vergangenheits- und einen Zukunftsbezug. Welchen zeitlichen Bezug die Wirtschaftssubjekte bei ökonomisch rationalen Erwartungen haben, ist von der jeweiligen Modellierung abhängig. Bezüglich der implizit oder explizit unterstellten Lernfähigkeit der Individuen unterscheiden sich die Erwartungsbildungshypothesen deutlich. Die rationalen Erwartungen beseitigten gerade den Mangel der nicht vorhandenen Lernfähigkeit der Wirtschaftssubjekte bei adaptiven Erwartungen. Allerdings entstand dabei das entgegengesetzte Extremum. Rationale Erwartungen in ihrer ursprünglichen Form unterstellen perfekte Lernfähigkeit in dem Sinne, wie sie aus perfekten Informationen resultiert. Es besteht kein wirklicher „Lernbedarf“, denn die Information ist perfekt und somit ist auch das Lernen perfektioniert, nämlich immer im Entscheidungszeitpunkt mit größtmöglichem Erfolg beendet. Beide Extrempositionen stehen nicht mit den Beobachtungen der Realität in Einklang. Regelmäßige Weiterentwicklungen des Prognoseinstrumentariums deuten einerseits auf eine gewisse Lernfähigkeit der Wirtschaftssubjekte hin, andererseits gibt es Bedarf an solchen Weiterentwicklungen und dies spricht gegen die Annahme perfekter Informationen. Lediglich Theorien, die eine begrenzte oder gute Lernfähigkeit unterstellen, scheinen realitätsnah zu sein. Die Erwartungsbildungshypothesen, die diese Anforderung erfüllen, sind die öko-

2.3 Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen

37

nomisch rationalen Erwartungen, die Lerntheorien und die heterogenen Erwartungen. Die ökonomische Effizienz als Merkmal im Rahmen dieser synoptischen Darstellung bezieht sich auf die ökonomische Effizienz aus Sicht der Wirtschaftssubjekte, deren Erwartungen betrachtet werden. Implizit verbirgt sich hinter diesem Merkmal das Kosten-Nutzen-Kalkül der Wirtschaftssubjekte in Bezug auf ihre Erwartungsbildung. Dabei sind zwei Arten ökonomischer Effizienz zu berücksichtigen. Einerseits müssen die Kosten der Informationsbeschaffung für die Daten, welche für die Prognose benötigt werden dem Nutzen aus der Prognoseverbesserung auf Grund der zusätzlich beschafften Daten gegenübergestellt werden. Die so interpretierte ökonomische Effizienz war Basis für die Entwicklung der ökonomisch rationalen Erwartungen. Die rationalen Erwartungen sind unter diesem Gesichtpunkt ebenso ineffizient wie die statischen und die extrapolativen Erwartungen. Die adaptiven Erwartungen sind nur dann ökonomisch effizient, wenn sie eine Ausprägung der ökonomisch rationalen Erwartungen für die jeweils unterstellten sonstigen Rahmenbedingungen sind. Bei den heterogenen Erwartungen muss bei der Beurteilung der ökonomischen Effizienz zwischen den einzelnen Erwartungsbildungsarten (Prognoseverfahren), die berücksichtigt werden, unterschieden werden. Beide Prognoseverfahren, die in das Modell heterogener Erwartungen in Kapitel 4 einfließen, können unter Berücksichtigung der jeweiligen Prognosehorizonte ökonomisch effizient sein. Andererseits gilt es aus Sicht der Wirtschaftssubjekte aber auch, das KostenNutzen-Kalkül bei der Entwicklung der Prognoseverfahren anzuwenden. Auch hier wird das Marginalprinzip verfolgt. Der Grenzaufwand für eine genauere und sichere Prognose muss dem erwarteten Grenznutzen der Prognose entsprechen. Von den Wirtschaftsubjekten wird die Hypothesenwahrscheinlichkeit, der der Prognose zugrundeliegende Hypothese, unter Berücksichtigung der Entwicklungskosten des neuen Prognoseverfahrens optimiert. Die so definierte ökonomische Effizienz ist bei den statischen, den extrapolativen und den adaptiven Erwartungen nicht gegeben. Bei den rationalen Erwartungen handelt es sich bereits um eine Erwartungsbildungshypothese, bei der die Wirtschaftssubjekte das „wahre“ Modell kennen; folglich gibt es das Problem der weiteren Verbesserung der Prognoseverfahren aus Sicht der Wirtschaftssubjekte in dieser Modellwelt nicht. Bei den heterogenen Erwartungen stellt sich dieses Problem nur bei bestimmten Modellausprägungen in Abhängigkeit von den Modellparametern. Bei den Modellvarianten, welche eine chaotische Marktentwicklung generieren, tritt das Problem ebenfalls nicht auf, da die Prognosemöglichkeiten dann sehr eingeschränkt sind (siehe Kapitel 4). Für die übrigen Modellvarianten heterogener Erwartungen genauso wie für das adaptive Lernen ist eine Aussage über die ökonomische Effizienz

38

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

der Modellentwicklung davon abhängig, welche Steigerung der Prognosequalität und welche Entwicklungskosten ein neues Prognoseverfahren mit sich bringt. Eine generelle Einschätzung ist folglich nicht möglich. Die dynamischen Eigenschaften der Erwartungsbildungshypothesen beschreiben, welche Formen eines Zeitverlaufs der betrachteten Variablen durch die jeweilige Erwartungsbildungshypothese impliziert werden. Die statischen und die extrapolativen Erwartungen können keine eigene Dynamik entwickeln. Adaptive, rationale und ökonomisch rationale Erwartungen können begrenzt die Dynamik einer Variablen erklären. Adaptives Lernen bedingt ausgeprägte dynamische Strukturen und bei den heterogenen Erwartungen können je nach Parameterkonstellation äußerst komplexe dynamische Entwicklungen durch die Erwartungsbildungshypothese generiert werden. Die Bedeutung der durch die Erwartungen erklärten Dynamik ist deshalb so hoch, weil auf Finanzmärkten ausgeprägte dynamische Strukturen auftreten können, ohne dass sich die Rahmendaten geändert haben. Die Erwartungen der Akteure auf diesen Märkten müssen diese Prozesse folglich in Gang gesetzt haben. Insofern muss eine Erwartungsbildungstheorie zumindest ausgeprägte Dynamiken bedingen können. Das letzte und entscheidende Merkmal ist die Realitätsnähe einer Erwartungsbildungshypothese. In dieses Merkmal fließen die übrigen mit ein. Die Realitätsnähe sei im Folgenden so verstanden, dass sie einerseits angibt, wie hoch die Zahl der stilisierten Fakten ist, die ein Modell mit einer bestimmten Erwartungsbildungshypothese impliziert und wie gering die Anzahl der notwendigen Ad-hoc-Annahmen ist. Die statischen und extrapolativen Erwartungen sind als realitätsfern einzustufen. Adaptive, rationale, ökonomisch rationale Erwartungen und adaptives Lernen sind begrenzt realitätsnah. Für diese Erwartungsbildungsprozesse wäre eine feinere Unterteilung des Begriffs Realitätsnähe denkbar. Adaptive Erwartungen sind nur begrenzt realitätsnah, da sie die Lernfähigkeit der Wirtschaftsakteure unterschätzen und auch das ökonomische Kalkül bei einer solchen schematischen Erwartungsbildung nicht beachtet wird. Würden die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen adaptiv bilden, so könnten sie ihre Erwartungsbildung in vielen Fällen durch weitere Aufwendungen für Prognosen optimieren. Modelle mit adaptiven Erwartungen implizieren viele der in Kapitel 6 dargestellten stilisierten Fakten nicht. Die rationalen Erwartungen sind die extreme Gegenposition. Die Marktakteure sind im oben beschriebenen Sinne perfekt informiert und es bedarf der Ad-hoc-Annahme der gratis bereitgestellten Informationen, anderenfalls müssten Informationskosten berücksichtigt werden. Ökonomisch rationale Erwartungen beheben zwar den Mangel der Vernachlässigung der Informationskosten, aber sie sind ebenso wie die rationalen Erwartungen hyperrational. Anstatt dieses Rationalitätsproblem zu beseitigen, wird bei den ökonomisch rationalen Er-

2.3 Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen

39

wartungen ein zusätzliches Kosten-Nutzen-Kalkül in die Betrachtung einbezogen. Modelle mit rationalen oder ökonomisch rationalen Erwartungen implizieren viele der stilisierten Fakten aus Kapitel 6 nicht. Dem adaptiven Lernen wird nur eine begrenzte Realitätsnähe zugesprochen, weil die Erwartungen bei dieser Theorie immer gegen ein „wahres“ Modell konvergieren. Die Ad-hoc-Annahme eines „wahren“ Modells auf Märkten, gegen welches das Prognosemodell der Akteure konvergiert, schränkt die Realitätsnähe ein. Lediglich die heterogenen Erwartungen verzichten auf einige Ad-hocAnnahmen, die bei den anderen Erwartungsbildungshypothesen explizit oder implizit unterstellt werden. Die Hypothese heterogener Erwartungsbildung verzichtet auf die Homogenitätsannahme, die bei allen übrigen Erwartungsbildungshypothesen unterstellt wird. Es wird von mindestens zwei unterschiedlichen Erwartungsbildungsvarianten im Rahmen dieser Hypothese ausgegangen, welche nicht zu einem homogenen Erwartungsbildungsprozess aggregiert werden können. Des Weiteren verzichtet die Hypothese heterogener Erwartungen auf die sonst übliche Linearitätsannahme bei der Modellierung. Gleichzeitig implizieren heterogene Erwartungen viele der in Kapitel 6 aufgeführten stilisierten Fakten. Aus diesen Gründen weist die Hypothese heterogener Erwartungen die im Vergleich zu den übrigen aufgeführten Erwartungsbildungshypothesen höchste Realitätsnähe auf. Die beschriebenen Merkmale und ihre Ausprägungen bei den jeweiligen Erwartungsbildungshypothesen werden in Abbildung 2-1 synoptisch dargestellt. Obwohl einige der angegebenen Hypothesen Spezialfälle einer anderen sind, sind diese in vielen Merkmalen nicht identisch. So kann man die statischen Erwartungen sowohl als Spezialfall der extrapolativen als auch der adaptiven Erwartungen modellieren. Im Fall der extrapolativen Erwartungen muss nur die Vergangenheitsfortschreibung auf eine Periode reduziert werden, um sie als statisch aufzufassen. Bei den adaptiven Erwartungen muss lediglich auf die Berücksichtigung der Erwartungsirrtümer verzichtet werden, und sie werden zu statischen Erwartungen. Auch die rationalen Erwartungen sind ein Spezialfall der ökonomisch rationalen Erwartungen. Die ökonomisch rationalen Erwartungen werden zu rationalen Erwartungen, wenn die Informationskosten entfallen und sämtliche Informationen gratis zur Verfügung stehen. Die rationalen Erwartungen können sogar als Spezialfall des adaptiven Lernens angesehen werden, wenn man davon ausgeht, dass der Lernprozess bereits abgeschlossen ist und keine Variationen der Rahmenbedingungen stattfinden.

40

2. Erwartungsbildungstheorien: Ein Überblick

Erwartungsbildungshypothese

Statische Erwartungen

Extrapolative Erwartungen

Adaptive Erwartungen

Rationale Erwartungen

Ökonomisch rationale Erwartungen

Adaptives Lernen

Heterogene Erwartungen

Modellstatus

Exogen*

endogen

endogen

endogen

Endogen

endogen

endogen

Rationalität

keine

begrenzt

begrenzt

hyperrational

hyperrational

rational

rational**

unvollständig

unvollständig

unvollständig

perfekt

vollständig

vollständig

vollständig

Zeitbezug

keiner

Vergangenheit

Vergangenheit

Zukunft

modellabhängig

Vergangenheit

Vergangenheit und Zukunft

Lernfähigkeit

keine

keine

keine

perfekt

begrenzt

gut

begrenzt / gut

Ökonomische Effizienz****

keine

gering

gering

gering

hoch

hoch

hoch

Dynamik

keine

keine

begrenzt

begrenzt

begrenzt

ausgeprägt

komplex

Realitätsnähe

gering

gering

begrenzt

begrenzt

begrenzt

begrenzt

hoch

Informationsstatus***

*

Modellexogen sind nur statische Erwartungen im Sinne der einzelwirtschaftlichen Spekulationskassennachfrage nach Keynes in der Tobinschen Interpretation bzw. Erwartungsbildungshypothesen aus der Zeit vor der Cobweb-Diskussion. Im Sinne der Erwartungsbildung aus dem ursprünglichen Cobweb-Theorem sind die Erwartungen modellendogen. ** Im Sinne der Theorie „beschränkter Rationalität“ würde es sich bei den heterogenen Erwartungen auch um begrenzte Rationalität handeln, aber in Abschnitt 4.1 wird herausgearbeitet, warum in dieser Arbeit begrenzte Rationalität als rational bezeichnet wird. *** Die gewählte Einteilung beim Informationsstatus orientiert sich an der in der Spieltheorie üblichen Einteilung (siehe Rasmusen, E. (1989), S. 51ff. oder Trosky, F. (1994), S. 22f.). **** Bei dieser Darstellung bezieht sich die ökonomische Effizienz ausschließlich auf die Informationsauswertung, nicht auf die ökonomische Effizienz der Entwicklung neuer Verfahren.

Abbildung 2-1: Synoptische Darstellung der Erwartungsbildungshypothesen

3. Grundzüge der Chaostheorie „Gott würfelt nicht!“ [Albert Einstein]

In diesem Kapitel werden die für die vorliegende Arbeit relevanten methodischen Grundlagen zur Chaostheorie sowie die relevanten Begriffe dynamischer Analysen vorgestellt.

3.1 Methodische Aspekte nichtlinearer und linearer Zusammenhänge „Eine sehr kleine Ursache, die unserer Wahrnehmung entgeht, hat beachtliche Wirkung, die wir keinesfalls übersehen können und dann sagen wir die Wirkung sei zufällig. Wenn wir ganz genau die Naturgesetze und den Ausgangszustand des Universums zu Beginn kennen würden, könnten wir exakt den Zustand desselben Universums in einem nächsten Moment vorhersagen. Aber selbst wenn die Naturgesetze nicht länger ohne Geheimnisse für uns wären, würden wir nur den Ausgangszustand näherungsweise kennen. Alles was wir fordern ist, dass wir die nachfolgende Situation mit derselben Annäherung vorhersagen können und wenn dies so ist, dann würden wir sagen, dass das Phänomen, welches vorhergesagt werden konnte, gewissen Regeln folgt. Aber das ist nicht immer so; es kann sein, dass geringfügige Änderungen in den Ausgangsbedingungen sehr große Änderungen beim Endzustand hervorrufen. Ein kleiner Fehler bei den ersten wird dann einen sehr großen Fehler beim letzten verursachen. Vorhersagen werden dann unmöglich.“ [Henry Poincaré (1908), S. 68] (Übersetzung F.T.)

Im 19. Jahrhundert beherrschte der Gedanke des Determinismus die Wissenschaft. Der berühmteste Vertreter dieses methodischen Ansatzes war PierreSimon De Laplace. Er vertrat die Ansicht, dass man, wenn man nur lange und gründlich genug forsche, die Differentialgleichungen aufschreiben könnte, welche das Universum beschreiben. Anschließend müsste man die Menge der Initialwerte bestimmen, und man könnte dann damit die Zukunft des gesamten Uni-

42

3. Grundzüge der Chaostheorie

versums prognostizieren.59 Das Wesen, welches zu dieser umfassenden Prognose fähig ist, wird auch als Laplacescher Dämon bezeichnet.60 John Stuart Mill vertrat gar die Auffassung, dass man chaotische Systeme (nicht zwingend im Sinne der modernen Chaostheorie chaotisch, F.T.) durch Zerlegung in immer kleinere Subsysteme disaggregieren kann, bis schließlich diese Subsysteme analytisch behandelbar sind. Anschließend müssten lediglich die Teilergebnisse wieder zusammengefasst werden, und die Realität wäre vollständig abgebildet.61 Dazu ist es notwendig, dass die entsprechenden Subsysteme linear verknüpft sind.62 Diese Sichtweise wurde erst durch die Quantenphysik mit ihrem stochastischen Weltbild ins Wanken gebracht und durch die Chaostheorie gänzlich zerstört. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, ist es sogar selbst bei rein deterministischen Zusammenhängen nicht möglich, sämtliche Subsysteme zu einem Gesamtsystem zusammenzufügen, wenn Nichtlinearitäten vorliegen, die zu chaotischen Strukturen führen. Dies wurde bereits 1908 von Henry Poincaré festgestellt. Das bekannteste Beispiel aus der Chaostheorie für solche Entwicklungen ist der von Lorenz als solcher benannte Schmetterlingseffekt.63 Eine so kleine Ursache wie der Flügelschlag eine Schmetterlings irgendwo auf der Welt, so das Gedankenexperiment, könnte sehr große Veränderungen des Wetters auf dem gesamten Globus bewirken. Solche Phänomene sind in linearen Systemen, die nur die Dynamiken oszillierend und stabil, oszillierend und explosiv, nichtoszillierend und stabil bzw. nichtoszillierend und explosiv generieren können, nur durch stochastische Einflüsse möglich.64

3.2 Konstituierende Merkmale des Chaos Ein konstituierendes Merkmal von deterministischem Chaos ist die Sensitivität gegenüber den Ausgangsbedingungen (SDIC).65 Der bereits erwähnte Schmetterlingseffekt basiert auf eben dieser Eigenschaft chaotischer Systeme. Häufig wird von Mathematikern ein dynamisches System dann und nur dann als ___________ 59

Vgl. De Grauwe, P./Dewachter, H./Embrechts, M. (1993), S. 1. Ein gute Zusammenfassung über den klassischen Determinismus und die Chaostheorie bieten Ruelle, D. (1992), S. 34ff., bzw. Stewart, I. (1990), S. 11ff. 61 Siehe Ryan, A. (1970), S. 51ff. 62 Vgl. Loistl, O./Betz, I. (1994), S. 1. 63 Siehe Lorenz, E. N. (1963), S. 130ff. 64 Vgl. Loistl, O./Betz, I. (1994), S. 2; Beltrami, E. (1987), S. 6ff., Chiang, A. C. (1984), S. 494ff. 65 Sensitive Dependence upon Initial Conditions. 60

3.2 Konstituierende Merkmale des Chaos

43

chaotisch definiert, wenn es einen positiven Lyapunov-Exponenten hat.66 Dadurch wird die Sensitivität gegenüber den Ausgangsbedingungen in den Vordergrund gestellt.67 Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird diese Definition verwendet, denn die SDIC-Eigenschaft chaotischer Systeme ist von zentraler Bedeutung für die Politikimplikationen und -empfehlungen auf Basis des Zinsbildungsmodells mit heterogenen Erwartungen.68

3.2.1 Der Lyapunov-Exponent als Maß der SDIC-Eigenschaft Der Lyapunov-Exponent ist nach dem russischen Mathematiker Aleksandr Mikhailovich Lyapunov benannt. Er entwickelte eine Maß dafür, wie schnell sich zwei benachbarte Punkte im Phasenraum voneinander entfernen.69 Dieses dynamische Stabilitätsmaß70 beschreibt die exponentielle Entwicklung zweier benachbarter Trajektorien71 im zeitlichen Mittel.72 Betrachtet man benachbarte Punkte einer Abbildung, (3.1)

xn+1 = f ( xn )

so gilt für die exponentielle Abweichung dieser Punkte nach N Iterationen: (3.2)

¡ e Nh = f N ( x0 + ¡ ) < f N ( x0 )

.

h in Gleichung 3.2 ist der Lyapunov-Exponent. Dabei ist e Nh der Faktor, um den der Abstand zwischen eng benachbarten Punkten nach N-Iterationen gestreckt wird. Entsprechend ist e h der Faktor, um den der Abstand solcher Punkte im Mittel nach einer Iteration gestreckt wird.73 a wird als LyapunovZahl bezeichnet (3.3)

eh = a

.

___________ 66

Siehe dazu u.a. Alligood, K. T./Sauer, T. D./Yorke, J. A. (1997), S. 105ff. Vgl. Brock, W. (2000), S. 2. 68 Zu alternativen Definitionen von deterministischem Chaos siehe Loistl, O./Betz, I. (1994), S. 37ff. 69 Siehe Lyapunov, A. M. (1949). 70 Zur Diskussion über verschiedene dynamische Stabilitätsmaße siehe Nayfeh, A. H./Balachandran, B. (1995), S. 20ff. 71 Zum Begriff Trajektorie, auch Orbit genannt, siehe u.a. Beltrami, E. (1987), S. 9ff., bzw. Chiang, A. (1984), S. 631ff., der auch den Zusammenhang zwischen Trajektorien und Phasenraum veranschaulicht. 72 Vgl. Brown, T. A. (1996), S. 59. 73 Vgl. Schuster, H. G. (1994), S. 24. 67

44

3. Grundzüge der Chaostheorie

Im Grenzfall für ¡ A 0 und N A ' wird Gleichung 3.2 zu: (3.4)

h=l im lim NA'

¡A 0

f ( N ) ( x0 ) < f ( N ) ( x 0 + ¡ ) 1 ln N ¡

.

Gleichung (3.4) kann weiter reduziert werden zu:74 (3.5)

h=l im NA'

df ( N ) ( x0 ) 1 ln . N dx

Für eindimensionale zeitdiskrete Systeme gilt:75 (3.6)

h=l im NA'

1 N

N 1,645 die Ablehnung der Nullhypothese.133

3.4.2 Schätzverfahren zur Bestimmung der Komplexität von Zeitreihen Nachfolgend wird der Algorithmus von Rosenstein, Collins und De Luca134 beschrieben, der bei der empirischen Analyse des Geldmarktes sowohl zur Bestimmung der Korrelationsdimension als auch zur Bestimmung des LyapunovExponenten angewendet wird.135 Eine rekonstruierte Trajektorie X kann als Matrix aufgefasst werden, deren einzelne Zeilen einen Phasenraumvektor darstellen.136 Es gilt: (3.25)

X = ( X 1 X 2 ...X M )T .

Die X i in Gleichung 3.25 stellen den Zustand des Systems zum Zeitpunkt i dar. Für eine Zeitreihe {x1 , x2 ,..., x N } mit N Beobachtungszeitpunkten gilt für jedes X i : (3.26)

X i = ( xi xi+ J ...xi+( m mean period .

Diese Vorgehensweise erlaubt es, jedes Paar nächster Nachbarn als nahe zusammenliegende Paare der Anfangsbedingungen für verschiedene Trajektorien aufzufassen. Der Lyapunov-Exponent wird dann als durchschnittliche Divergenz der nächsten Nachbarn bestimmt. Aus der Definition des Lyapunov-Exponenten lässt sich folgender Zusammenhang ableiten: (3.30)

d j (i) 5 C j e h1 (i6t ) .

Dabei ist C j die initiale Divergenz. Durch das Logarithmieren beider Seiten erhält man: (3.31)

ln d j (i ) 5 ln C j + h1 (i6t ) .

Gleichung (3.31) repräsentiert eine Menge approximativ paralleler Linien, deren Steigung proportional zu den jeweiligen Lyapunov-Exponenten ist. Der größte Lyapunov-Exponent wird mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate als durchschnittliche Steigung ermittelt. Formal ausgedrückt bedeutet dies: (3.32)

y (i ) =

1 ln d j (i ) . 6t

Die nachfolgende Abbildung 3-9 veranschaulicht den vorgestellten Algorithmus noch einmal zusammenfassend. Die Vorteile des Algorithmus liegen darin, dass er bei relativ kleinem Stichprobenumfang verlässliche Ergebnisse liefert und relativ robust gegenüber Variationen der Einbettungsdimension, ___________ 137

Die durchschnittliche Periode ist der Kehrwert der durchschnittlichen Frequenz des „power spectrums“. Siehe Rosenstein, M. T./Collins, J. J./De Luca, C. J. (1993), S. 120.

66

3. Grundzüge der Chaostheorie

Veränderungen des Stichprobenumfangs sowie Veränderungen bei der Rekonstruktionsverzögerung ist. Außerdem reagiert er relativ unempfindlich auf Störrauschen in den Daten.138

Schätzung des Lags und der durchschnittlichen Periode der Zeitreihen mit Hilfe der FourierTransformation Rekonstruktion der Attraktordynamik mit Hilfe der method of delays

Finden des nächsten Nachbarn (Einschränkung der zeitlichen Divergenz) Messung der durchschnittlichen Auseinanderentwicklung der Nachbarn Keine Normalisierung!

Kleinst-Quadratschätzung

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Rosenstein, M. T./Collins, J. J./De Luca, C. J. (1993), S. 121. Abbildung 3-9: Ablaufschema des Algorithmus zur Bestimmung der Lyapunov-Exponenten und der Korrelationsdimension

___________ 138 Siehe Rosenstein, M. T./Collins, J. J./De Luca, C. J. (1993), S. 122ff. Das Verfahren zur Rekonstruktion dynamischer Systeme wird außerdem ausführlich in Rosenstein, M. T./Collins, J. J./De Luca, C. J. (1994), S. 82ff., diskutiert. Alternative Verfahren zur Rekonstruktion des Phasenraumes bieten Letlleier, C.; u.a. (1998), S. 7913ff.; Kugiumtzis, D. (1996), S. 13ff., bzw. Gibson, J. F. u.a. (1992), S. 1ff.

4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative „Wie Hicks beklagte, scheint alles in die Richtung zu gehen, dass Aussagen nicht auf dem Optimierungsverhalten Einzelner basieren müssen und kluge, aber zufällige Empirismen und Analogien zur Mechanik oder Thermodynamik den Platz von Schlussfolgerungen aus der Nutzen- oder Gewinnmaximierung einnehmen.“ [Tobin, J. (1961), S. 26] (Übersetzung FT) „Drei Professoren stranden auf einer einsamen Insel. Sie hatten Streichhölzer und eine Dose Bohnen, aber keinen Dosenöffner. Einer der Professo ren lehrte Chemie, und er schlug vor, die Bohnen zu erhitzen, um sie zum Explodieren zu bringen. Der zweite Professor, ein Physiker, lieferte einen ergänzenden Beitrag und erbot sich, die Flugbahn der Bohnen vorherzusagen und sie auf einem Bananenblatt aufzufangen. Der dritte Professor, ein Ökonom, wollte auch einen Beitrag leisten und sagte: Angenommen, wir hätten einen Dosenöffner.“ [Friedman, M. (1953) zitiert in der Übersetzung von Tietzel, M. (1981), S. 237]

Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, sind rationale Erwartungen und Verfeinerungen dieses Konzeptes nicht geeignet, reale Phänomene auf dem Geldmarkt zu erklären. In diesem Kapitel wird eine Alternative vorgestellt, die ohne einige „Standardannahmen“ auskommt. Der Verzicht auf diese Annahmen bewirkt nicht nur eine höhere Realitätsnähe, vielmehr wird auch der Erklärungsgehalt gegenüber Modellen mit homogenen Erwartungen gesteigert.

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4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative

4.1 Der Geldmarkt als Vermögensmarkt mit heterogenen Erwartungen „Geld wurde vor einiger Zeit als das Vermögensobjekt definiert, dessen Wert unmittelbar ohne Transaktionskosten realisiert werden kann.“ [Okun, A. M. (1981), S. 185] (Übersetzung FT)

In diesem Abschnitt wird herausgestellt, weshalb in dieser Arbeit die „Annahme“ heterogener Erwartungen zugrunde gelegt wird. Dies geschieht unter den Gesichtspunkten der „Annahmen“ in der Wirtschaftstheorie und der Realitätsnähe dieser Annahmen,139 der Diskussion über begrenzte Rationalität und vor dem Hintergrund ökonomisch effizienter Prognoseverfahren. Zuerst jedoch wird begründet, warum der Geldmarkt als Vermögensmarkt anzusehen ist.

4.1.1 Zur Begründung eines vermögenspreistheoretischen Ansatzes Es ist letztlich eine reine Frage der Abgrenzung, welche Finanzmärkte man als Geldmarkt und welche als (Geld-)Kapitalmarkt bezeichnet. Häufig wird der Grad der Liquidität des auf dem betrachteten Markt gehandelten Gutes als Kriterium zur Abgrenzung herangezogen. Ein Markt, auf dem Güter gehandelt werden, die unmittelbar als liquides Mittel dienen, wird dann als Geldmarkt bezeichnet, und Märkte, auf denen Güter gehandelt werden, die erst noch in Geld getauscht werden müssen, werden als Kapitalmärkte bezeichnet. Kapitalmärkte werden dabei als Vermögensmärkte angesehen. Ein solches Vorgehen entbehrt nicht einer gewissen Willkür, denn es gibt gewichtige Gründe, auch den Geldmarkt, welcher nahezu unmittelbare Verfügbarkeit über das Vermögensobjekt Geld garantiert, als Markt für ein Vermögensgut anzusehen. Das Modell, welches in Abschnitt 4.2 vorgestellt wird, kann zwar auf jedem beliebigen Vermögensmarkt angewendet werden, doch gerade in der dort vorgestellten Formulierung für den Interbankenmarkt besticht es durch seine Ergebnisse, seine Politikimplikationen und seine relative Einfachheit. Um deutlich zu machen, dass es sich bei einer Unterscheidung zwischen Geld- und Kapitalmarkt um eine willkürliche handelt, sei darauf verwiesen, dass gerade für Banken Geld, speziell Zentralbankgeld auf dem Interbankenmarkt, ein Vermögensobjekt ist, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden sollen. ___________ 139 Zur Diskussion um die Annahmen in der Wirtschaftstheorie siehe Tietzel, M. (1981).

4.1 Der Geldmarkt als Vermögensmarkt mit heterogenen Erwartungen

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Dies macht auch das folgende Zitat von Milton Friedman deutlich: „Für die ultimativen Vermögensbesitzer in einer Volkswirtschaft ist Geld eine Art Vermögensobjekt, eine Art, Vermögen zu besitzen. Für die produzierenden Unternehmen (wie u.a. Banken, F.T.) ist Geld ein Kapitalgut, eine Quelle produktiver Dienste, die mit anderen produktiven Diensten kombiniert wird, um die Produkte zu erstellen, welche das Unternehmen verkauft. Folglich ist die Geldnachfragetheorie nur ein spezielles Gebiet in der Kapitaltheorie. Dabei hat Geld die ungewöhnliche Eigenschaft, ein wenig von beiden Seiten des Kapitalmarktes zu kombinieren, vom Kapitalangebot und von der Kapitalnachfrage.“140 Dabei zeichnet sich der Interbankenmarkt durch eine uneingeschränkte unmittelbare Verfügbarkeit über das Vermögensobjekt Geld aus und dürfte gemäß der obigen Unterscheidung zwar als Geldmarkt, aber nicht als Kapitalmarkt bezeichnet werden, denn es gibt keine Liquidationsverzögerungen. Aber nicht nur die monetaristische Sichtweise, sondern auch die postkeynesianische ordnet Geld als eine von vier Vermögensarten den Vermögensobjekten zu.141 Man ist folglich mit beiden großen Strömungen in der Geldtheorie im Einklang, wenn man den Geldmarkt als Markt für Vermögensobjekte auffasst. Daher ist es naheliegend, die Zinsbildung auf dem Geldmarkt mit Hilfe eines vermögenspreistheoretischen Ansatzes dazustellen. Für dieses Vorgehen gibt es noch eine weitere Begründung. Für einen Vermögensmarkt gilt, dass der sich dort bildende Preis unmittelbar auf Veränderungen der Rahmenbedingungen oder Marktparameter reagiert. Im Sinne Okuns handelt es sich bei einem Vermögensmarkt um einen „Auction“-Markt.142 Eben diese unmittelbare Preisreaktion auf Veränderungen kennzeichnet einen solchen Markt. Das Gegenteil eines „Auction“-Marktes ist ein „Customer“-Markt. Auf einem solchen Markt existieren Rigiditäten, die eine unmittelbare Preisreaktion verhindern. Die Märkte zwischen Banken und den übrigen Wirtschaftssubjekten, sei es der Depositen- oder sei es der Kreditmarkt, können eher als „Customer“-Markt bezeichnet werden als der Interbankenmarkt und weisen Preisrigiditäten auf. Aber selbst diese Märkte ähneln aufgrund des starken Einflusses der kurzfristigen Wertpapierzinsen und anderer zinstragender Aktiva dem sie unterliegen und die ja eindeutig Vermögensobjekte eines „Auction“-Marktes sind, laut Okun noch einem „Auction“-Markt.143 Wenn aber diese Annäherung akzeptabel ist, dann ist erst recht der Interbankenmarkt ein „Auction“-Markt bzw. ein Markt, der vermögenspreistheoretisch behandelt werden muss. ___________ 140

Friedman, M. (1956b), S. 4. (Übersetzung FT) Siehe Tobin, J. (1961), S. 31. 142 Siehe Okun, A. M. (1981). 143 Vgl. Okun, A. M. (1981), S. 193. 141

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4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative

Dass es sich bei den Aktiva des Interbankenmarktes um ertragbringende Vermögensobjekte handelt, ist spätestens mit der Einführung von Geldmarktfonds deutlich geworden. Folglich erfüllt der Geldmarkt in Form des Interbankenmarktes alle Voraussetzungen, um als Markt für Vermögensobjekte bzw. wie ein Kapitalmarkt behandelt zu werden. Letztlich handelt es sich um einen Kapitalmarkt, wie Friedman es im obigen Zitat auch festgestellt hat; einzig die Laufzeitenproblematik von Wertpapieren entfällt. Aber selbst, wenn man die Unterscheidung zwischen Geld- und Kapitalmarkt aufrechterhalten will, gelten doch die Ausführungen zum „Auction“-Markt, und die Abhängigkeiten zwischen dem Geld- und dem Kapitalmarkt sind deutlich.144

4.1.2 Zur Begründung der „Heterogenitätsannahme“ Auf dem im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Vermögensmarkt, dem Interbankenmarkt, stehen die Banken vor dem Problem, nach welchen Kriterien sie ihre eigenen Aktivitäten ausrichten sollen. Einerseits werden sie dem Geldnachfrageverhalten der übrigen Wirtschaftssubjekte Genüge tun wollen und benötigen dafür Zentralbankgeld, welches auf dem Interbankenmarkt gehandelt wird. Andererseits gilt es, neben der Berücksichtigung dieser Fundamentalfaktoren, zu denen ebenfalls die von der Zentralbank bereitgestellte Menge an Zentralbankgeld gehört, die zeitliche Dimension in Form der zukünftigen Zinsentwicklung zu berücksichtigen. Geht man dabei von einer relativ stabilen Geldnachfrage aus, die sich in Form einer zinsabhängigen Umlaufgeschwindigkeit manifestiert, so ist der zukünftige Zins ein entscheidender Einflussfaktor für die Bankaktivitäten auf dem Interbankenmarkt. Dabei stellt sich den Banken u.a. die Frage, wann der optimale Zeitpunkt zur Zentralbankgeldnachfrage gegeben ist. Auf dem Interbankenmarkt werden folglich die unterschiedlichen Einschätzungen der Banken über die zukünftige Zinsentwicklung koordiniert. Diese werden in Verhaltensunterschieden deutlich, denen u.U. verschiedene Formen der Erwartungsbildung zugrunde liegen. Letztlich unterscheiden sie sich ausschließlich in der Form, wie sie gebildet werden, also in dem gewählten Prognoseverfahren. Die Verfahren zur Zinsprognose kann man grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilen. Es gibt zum einen die Fundamentalprognosen, welche die Zinsentwicklung mit Hilfe ökonometrischer Modelle, basierend auf bestimmten exogenen Variablen, den Fundamentaldaten, vorhersagen. Zum anderen werden tech___________ 144

Vgl. Fuchs, H. (1989).

4.1 Der Geldmarkt als Vermögensmarkt mit heterogenen Erwartungen

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nische Prognosen angewendet, welche die zukünftige Entwicklung des Zinses aus den vorliegenden Zinszeitreihen vorhersagen.145 Die Annahme der Aggregierbarkeit von in der Realität sehr unterschiedlichen Zinsprognoseverfahren zu einer homogenen Erwartungsbildung ist in traditionellen Modellen implizit enthalten. Diese Annahme hat aber den Anschein des eingangs im Zitat erwähnten Dosenöffners, der nicht vorhanden ist. Vielmehr ist rationalerweise davon auszugehen, dass sich rationale Wirtschaftssubjekte nicht in ein solches Schema pressen lassen, sondern individuell versuchen, ihre Zinsprognose zu optimieren, was im Durchschnitt eben nicht zwingend zur Konvergenz gegen das eine „richtige“ Modell führt, sondern zu miteinander konkurrierenden, ja inkompatiblen Ansätzen. Folgendes Zitat bringt diesen Gedanken auf den Punkt: „Aus einer subjektivistischen Sichtweise heraus kann man von der Annahme ausgehen – und zumindest in dem Sinne können Erwartungen als rational bezeichnet werden –, dass ein Wirtschaftssubjekt stets das erwarten wird, was ihm aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung als die wahrscheinlichste Möglichkeit zukünftigen Geschehens erscheint. Deshalb muss die Methode der Theoriebildung darauf abstellen, eben dieses Wissen und diese Erfahrungen der betreffenden Wirtschaftssubjekte zu analysieren und dabei Gruppen von Akteuren mit ähnlichen Ereignis-Erwartungs-Beziehungen – im Sinne idealtypischer Einheiten – festzustellen, umso mögliche Politikwirkungen bei unterschiedlichen Akteurgruppen abschätzen zu können. Dafür sind im Einzelnen sehr verschiedene heuristische Varianten denkbar.“146 An dieser Stelle ist es nicht notwendig, den Streit über die Annahmen in der Ökonomie erneut darzustellen, denn die Homogenitätsannahme bei der Erwartungsbildung ist unter keinem Aspekt der Methodendiskussion akzeptabel. Die beiden wichtigen Standpunkte kann man verkürzt wie folgt darstellen. Einerseits werden Hypothesen mit realitätsnahen Annahmen gefordert, andererseits werden Hypothesen eben nicht nach der Realitätsnähe ihrer Annahmen bewertet, sondern danach, wie gut sie den vergangenen Zinsverlauf approximieren, und wie gut ihre Prognosequalität ist.147 Die Homogenitätsannahme erfüllt weder die eine noch die andere Forderung. Sie ist einerseits realitätsfern, denn etwa die Banken nutzen seit einigen Jahren unterschiedliche Prognoseverfahren, sodass es vermessen wäre davon auszugehen, dass sich letztlich das optimale Prognosemodell herausbildet. Dies ___________ 145 Es existieren natürlich auch Mischformen, wie z.B. die künstlichen neuronalen Netzte, siehe Anhang B. 146 Koch, L. (1996), S. 33f. 147 Zum Methodenstreit über die Annahmen in der Wirtschaftstheorie siehe Tietzel, M. (1981).

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4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative

müsste dann nämlich unter Bankenwettbewerb schon längst geschehen sein. Somit ist die Annahme der Homogenität als nicht realitätsnah abzulehnen. Andererseits können die traditionellen Modelle mit homogenen Erwartungen die tatsächliche Zinsentwicklung nur eingeschränkt abbilden,148 und außerdem liefern sie keine guten Prognoseergebnisse. Sie sind also nicht so erfolgreich, dass man pragmatisch über den Mangel der Realitätsferne hinwegsehen könnte. Es handelt sich bei der Homogenitätsannahme auch keinesfalls um eine zulässige Idealisierung, denn wie das Modell mit heterogenen Erwartungen zeigt, lassen sich die „fehlenden“ Kausalfaktoren zur Erklärung der Zinsentwicklung in ein Zinsmodell integrieren. Als unbekannten Kausalfaktor kann man nämlich die endogene Gewichtung unterschiedlicher Zinserwartungen, die dies möglich macht, nicht bezeichnen. Im nächsten Abschnitt wird eine Lösung für das Gewichtungsproblem verschiedener Erwartungsbildungsprozesse vorgestellt.149 Da sich außerdem die Ergebnisse traditioneller Zinsmodelle und die des Modells mit heterogenen Erwartungen deutlich unterscheiden sowie einen stark unterschiedlichen Erklärungsgehalt für beobachtbare Phänomene haben, ist die Idealisierung homogener Erwartungen nicht tolerierbar.150 Bis auf wenige Ausnahmen werden in traditionellen Modellen lineare oder logarithmisch lineare Zusammenhänge bzw. wird die Möglichkeit der linearen Approximation unterstellt.151 Diese Idealisierung schließt a priori Chaos aus der ökonomischen Untersuchung aus, denn das Vorliegen von Nichtlinearitäten ist eine notwendige Voraussetzung für deterministisches Chaos. Spätestens an der Stelle, an welcher der jeweilige Markteinfluss der einzelnen Akteure von der Marktentwicklung abhängig ist, ist diese Annahme nicht mehr zu rechtfertigen. In diesem Fall benötigt man eine endogene Gewichtungsfunktion des Markteinflusses der einzelnen Akteure und dass ein Modell mit einer solchen Gewichtung linear ist, ist nicht zu erwarten.152 Durch den A-priori-Ausschluss von deterministischem Chaos, denn nichts anderes bedeutet die Linearitätsannahme,153 ___________ 148

Siehe die beiden Beispiele in Abschnitt 4.4. Zur Problematik idealisierter Erklärungen siehe Tietzel, M. (1986). 150 So impliziert das Modell mit heterogenen Erwartungen Schwankungen im Zinsniveau und einige stylized facts, die von den traditionellen Modellen nicht impliziert werden. Siehe Kapitel 6 dieser Arbeit. 151 Zur Diskussion um die Linearitätsannahme siehe Kersten, M. (2002), S. 137ff. 152 In Anhang C wird gezeigt, dass es sich bei dem Modell mit heterogenen Erwartungen bei unterstellter Gewichtungsfunktion in jedem Fall um ein nicht-lineares Modell handelt. 153 Nichtlinearität ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Eigenschaft eines Modells, damit deterministisches Chaos auftreten kann. Liegt Chaos vor, so liegen auch immer Nichtlinearitäten vor (vgl. LeBaron (1991), S. 2, sowie Kapitel 3 dieser Arbeit). Insofern schließt die Linearitätsannahme deterministisches Chaos aus. 149

4.1 Der Geldmarkt als Vermögensmarkt mit heterogenen Erwartungen

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werden bestimmte Dynamiken und Fakten nur noch als stochastischer Einfluss erklärbar.154 Dieser Mangel wird im nächsten Abschnitt beseitigt.

4.1.3 Zinsprognose und bounded rationality Da die Annahme homogener Erwartungen weder in Form einer idealisierten Erklärung noch unter den Gesichtspunkten der generellen Methodendiskussion über Annahmen in der Wirtschaftstheorie akzeptabel ist, muss ein Weg gefunden werden, ohne sie auszukommen. Dies impliziert, dass eine neue Erwartungsbildungshypothese entwickelt werden muss. „Entscheidungsprozesse menschlicher Entscheidungsträger sollten so modelliert werden, wie sie sind und nicht, wie sie sein sollten ... Reale Typen von Entscheidungsverhalten an Stelle von idealtypischem Rational-choice-Verhalten sollten im Mittelpunkt der Erklärungen in den Sozialwissenschaften stehen.“155 Das Zitat von Koch am Ende des vorigen Abschnitts und das obige von Frohn, Güth, Kliemt und Selten zeigen auf, warum heuristische Ansätze viel versprechend sind. Auch bei der Veranstaltung „Nobelpreisträger im Ruhrgebiet 1995“ vertrat Selten die geschilderte Auffassung. Er sagte sinngemäß: Die Rationalitätsannahme in der Ökonomie liefere Ergebnisse, die empirisch nicht oder nur sehr selten beobachtbar seien. Spieltheoretische Experimente zum Beispiel liefern sehr häufig Ergebnisse, die kein Nash-Gleichgewicht darstellen. Seines Erachtens ist der vielversprechendste Ansatz jener der bounded rationality. Dabei geht er davon aus, dass bei diesem Ansatz die Theorie dem tatsächlichen, empirisch beobachtbaren Entscheidungsverhalten der Akteure Rechnung tragen müsse. Als weitere empirische Basis kommt für ihn die experimentelle Forschung in Frage.156 Wenn eine Erwartungsbildungstheorie für den Geldmarkt die Realität abbilden soll, so müssen die Prognoseverfahren, welche die Akteure tatsächlich verwenden, in diese Theorie einfließen. Dabei stellt sich die Frage, ob man sämtliche Verfahren, die in der Praxis angewendet werden, berücksichtigen muss oder ob es genügt, große Klassen von Verfahren zu berücksichtigen. Wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, reicht es bereits aus, zwei Klassen zu bilden, um völlig neue Modellergebnisse zu generieren. Ein Modell, welches die Klassen der technischen Prognosen und der Fundamentalprognosen kombiniert, ist komplex genug, um eine größere Vielfalt dynamischen Verhaltens zu generie___________ 154

Siehe Kapitel 3 bzw. Loistl, O./Betz, I. (1994), S. 9. Frohn, J./Güth; W./Kliemt, H./Selten, R. (2001a), S. 1. (Übersetzung FT) 156 Selten, R. (1990), S. 656. 155

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4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative

ren und zugleich einfach genug, um überschaubar zu bleiben.157 Dass eben diese beiden Klassen bedeutsam sind, machen Untersuchungen deutlich, welche die Prognosequalitäten beider Typen miteinander vergleichen.158 Nun gilt es, zu klären, ob die gewählten Klassen lediglich ad hoc bestimmt werden können oder ob es plausible Gründe für deren Wahl gibt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Zinsentwicklung allein aufgrund der hohen Volumina, die auf dem Geldmarkt gehandelt werden, entscheidungsrelevant ist. Es ist sogar ökonomisch rational, dort einen relativ hohen Prognoseaufwand zu betreiben, denn aus geringfügigen Verbesserungen der Prognosegenauigkeit resultieren hohe zusätzliche Erträge für den Akteur, der gemäß dieser Prognose am Markt agiert. Aus dieser Sichtweise ist es plausibel, dass so genannte Fundamentalprognosen zum Einsatz kommen. Eine solche Prognose beruht auf einer wissenschaftlichen Theorie, und somit handelt es sich auch bei der Prognose um eine wissenschaftliche Vorhersage.159 Plausible Gründe für den Einsatz technischer Prognoseverfahren sind nicht so offensichtlich. Betrachtet man allerdings die relativ schlechten Ergebnisse von Fundamentalprognosen, so ist verständlich, warum alternative Prognoseverfahren gesucht werden. Unter dem Gesichtspunkt der Prognosequalität, zumindest für relativ kurze Vorhersageperioden, sind technische bzw. zeitreihenanalytische Verfahren den Fundamentalprognosen überlegen.160 Der Einsatz dieser Prognoseverfahren ist ökonomisch rational. Auf dem Geldmarkt existiert allerdings nicht nur das Prognoserisiko, sondern auch eine Modellunsicherheit, also Unsicherheit darüber, ob die richtige Theorie für das Prognosemodell verwendet wurde. Weil sich die Modellunsicherheit jedoch zumindest kurzfristig nicht abbauen lässt,161 gibt es drei Entscheidungsmöglichkeiten. Erstens: Die Akteure ignorieren die Problematik und wenden weiter die Fundamentalprognose an, was in der Praxis vorkommt. Zweitens: Sie verzichten vollständig auf eine Prognose, was ökonomisch nicht rational ist, weil – wie bereits erwähnt – selbst geringe Verbesserungen der Vorhersagequa___________ 157 Diese größere dynamische Vielfalt impliziert einige stylized facts, die ansonsten nur unter Zuhilfenahme von Ad-hoc-Annahmen begründet werden konnten. Siehe Abschnitt 6.3. 158 Siehe z.B. Filc, W. (1992) oder Levin, F. (1993). Zur Methodik der Prognosebeurteilung mit statistischen Maßzahlen siehe Weichhardt, R. (1982), S. 35ff. Zur Kritik an diesen Verfahren siehe Breckling, J./Hillmer, M. (1996), S. 305ff. 159 Zur Prognoseproblematik siehe Tietzel, M. (1989). 160 Siehe z.B. Filc, W. (1992), S. 267f. und Levin, F. (1993), S. 655. 161 Auch mittelfristig scheint dieses Problem nicht lösbar, denn selbst Brock, Durlauf und West, die einen ersten Ansatz zur Berücksichtigung von Modellunsicherheit im Rahmen der Politikbewertung entwickelt haben, gestehen ein, dass auf diesem Gebiet noch einiges an methodologischer Grundlagenarbeit geleistet werden muss (siehe Brock, W. A./Durlauf, S. N./West, K. D., 2003, S. 58).

4.2 Zinsbildung auf dem Geldmarkt mit heterogenen Erwartungen

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lität hohe Erträge liefern. Drittens: Die Akteure wenden technische Prognoseverfahren an, die bekanntlich über keine wissenschaftlichen Fundierung verfügen. Dieses Handeln kann man als „begrenzt rational“ bezeichnen.162 Nach dieser Begründung für eine Modellbildung mit heterogenen Erwartungen auf dem Geldmarkt wird im folgenden Abschnitt ein Modell für den Zinsverlauf vorgestellt, welches den obigen Ausführungen gerecht wird.

4.2 Ein einfaches Modell zur Zinsbildung auf dem Geldmarkt mit heterogenen Erwartungen „Stelle alles so einfach wie möglich dar, aber nicht einfacher.“ [Einstein, A.]

Nachfolgend wird ein Wechselkursmodell von De Grauwe, Dewachter und Embrechts auf den Geldmarkt übertragen.163 Da es sich um ein vermögenspreistheoretisches Modell handelt, hat es die in Gleichung (4.1) angegebene Form:164 (4.1)

it =Ft Et (it +1 )b .

Der Zins im Zeitpunkt t wird durch fundamentale Einflussfaktoren Ft und den für den Zeitpunkt t+1 erwarteten Zins bestimmt. Der Parameter b gibt an, wie stark der Einfluss der Erwartungsgrößen auf die Zinsbildung ist. Die einfachste Variante eines Zinsbildungsmodells mit heterogenen Erwartungen basiert auf der Annahme, dass abgesehen von einer Zentralbank zwei weitere Gruppen von Akteuren mit unterschiedlichen Zinsprognosetechniken ___________ 162 Die Anwendung technischer Prognoseverfahren und diffuse Informationen über Fundamentaldaten sind Argumente für einen Ansatz mit begrenzter Rationalität auf dem Aktienmarkt (siehe Vogt, B./Uphaus, A./Albers, W. (2001), S. 235ff.). Die dort aufgeführten Argumente gelten zumindest in abgeschwächter Form auch für den Geldmarkt. 163 De Grauwe, P./Dewachter, H./Embrechts, M. (1993), S. 72ff. Dass dieses Modell ohne Einschränkungen auf jeden „spekulativen“ Vermögensmarkt übertragen werden kann, wurde bereits von Cuthbertson im Jahre1996 behauptet, ohne dies weiter auszuführen oder weitere Implikationen zu beschreiben (siehe Cuthbertson, K. (1996), S. 196ff.). Als „spekulativen“ Vermögensmarkt kann man in diesem Zusammenhang einen hinreichend erwartungslastigen Markt ansehen. Auch Brock und Hommes geben zu bedenken, dass es erst wenige Versuche gibt, die nichtlineare chaotische Ansätze an die Realität anpassen. Sie nennen das hier auf den Geldmarkt übertragene Beispiel und die Experimentalergebnisse von Stermann, J. D. (1989) (siehe Brock, W. A./Hommes, C. H. (1997), S. 27). 164 Das Modell wird in nicht logarithmierter Form dargestellt. Weitere formale Details des Modells befinden sich in Anhang A.

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4. Heterogene Erwartungen: Eine Alternative

auf dem Geldmarkt agieren. Die Annahme von nur zwei Gruppen kann auf n Gruppen ausgeweitet werden. Eine solche Ausweitung auf n Gruppen für n>2 würde aber die qualitativen Ergebnisse der Modellanalyse nicht verändern, sondern lediglich die quantitativen.165 Im eigentlichen Sinne handelt es sich bei der Annahme zweier Akteursgruppen nicht um eine zusätzliche Annahme, sondern um eine Verallgemeinerung der Homogenitätsannahme im Rahmen der Erwartungsbildung. Es wird bei diesem Modell nicht, wie bei traditionellen Modellen üblich, von einem homogenen Erwartungsbildungsprozess ausgegangen, der als Aggregation sämtlicher Einzelerwartungen makroökonomisch dem Mittel aller mikroökonomischen Einzelerwartungen entspricht. In einem ersten Schritt kann man sogar auf die Zentralbank als Akteur verzichten, indem man von einem konstanten Geldmengenwachstum für eine wachsende Volkswirtschaft ausgeht. Folglich ist in dieser einfachsten Variante der Faktor „Ft“ keine Variable, sondern eine Konstante. Bis zu dieser Stelle handelt es sich um ein so allgemein gehaltenes Modell, dass jeder erdenkliche Erwartungsbildungsprozess einfließen könnte. Man könnte es sogar zu ein Modell mit rationalen Erwartungen machen, indem man für it+1 Gleichung (4.1) im Zeitpunkt t+1 einsetzt. Würde man dies endlos oft durchführen, erhielte man eine „forward looking solution“. Dies entspräche einer typischen Lösung mit rationalen Erwartungen. Letztlich wäre der Zins durch alle zukünftigen Fundamentalfaktoren bestimmt. Eine solche Modellierung würde nur dann zu einem Gleichgewicht führen, wenn im Durchschnitt alle am Markt agierenden Akteure die Fundamentaldaten richtig vorhersehen könnten. Nur unter dieser Bedingung wäre eine solche Gleichung auch zur Zinsprognose geeignet. Davon ist nicht auszugehen und folglich werden hier andere Ansätze angewendet. Geht man hingegen davon aus, dass zwei Arten von Erwartungen gebildet werden, die aus den unterschiedlichen Prognoseverfahren resultieren, so kann man eine Zinsänderungserwartung wie folgt modellieren: t Et (it +1 ) £² Etc (it +1 ) ¥´ £² Et f (it +1 ) ¥´ = u it