Hermeneutische Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins: Zwei Freiburger Seminare zu Martin Heideggers ,Sein und Zeit' 3826077814, 9783826077814

Wie verhält sich das menschliche Sein zur Zeit? Besitzt jeder Mensch einen substantiellen Kern, der bei allem Wechsel ak

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Hermeneutische Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins: Zwei Freiburger Seminare zu Martin Heideggers ,Sein und Zeit'
 3826077814, 9783826077814

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Friedrich-Wilhelm v. Herrmann — Hermeneutische Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins

Friedrich-Wilhelm v. Herrmann

Hermeneutische Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins Zwei Freiburger Seminare zu Martin Heideggers „Sein und Zeit“

Herausgegeben von Mark Michalski

Königshausen & Neumann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2023 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: skh-softics / coverart Alle Rechte vorbehalten

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Printed in Germany

ISBN 978-3-8260-7781-4 www.koenigshausen-neumann.de www.ebook.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de

Inhalt Vorwort ..................................................................................................... 9 ERSTER TEIL HERMENEUTISCHE PHÄNOMENOLOGIE DER ZEITLICHKEIT DES DASEINS SEMINAR IM SOMMERSEMESTER 1998 § 1.

Die Phänomenologie der Zeit und Heideggers Ansatz einer hermeneutischen Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins ................................................................................... 13

§ 2.

Zeitlichkeit und Zeit in der Fundamentalontogie: Vorblick auf den Gedankengang der drei Abschnitte des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ (§ 5, 6.–9. Absatz) ...................................... 21

§ 3.

Die beiden Schritte des Gedankengangs von „Zeit und Sein“ (§ 5, 9. Absatz). Die Hauptzüge der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins. Die Analyse von Tod und Gewissen als Voraussetzung für die Analyse der Zeitlichkeit des Daseins (§ 45, 1.–9. Absatz) ...................................................................... 27

§ 4.

Vorblick auf die Analysen der Ganzheit, Eigentlichkeit und Zeitlichkeit des Daseins (§ 45, 10.–12. Absatz). Aufgabe und Methode der Zeitlichkeitsanalyse (§ 65, 1.–3. Absatz) ............. 35

§ 5.

Der zeitliche Sinn der Sorge: das Sich-vorweg-sein als die Zukunft, das Schon-sein-in ... als das Gewesen, das Sein-bei ... als die Gegenwart (§ 65, 6.–9. Absatz) ....................................... 43

§ 6.

Das Verhältnis von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart. Die Zeitlichkeit als einheitliches Phänomen (§ 65, 10.–11. Absatz) .................................................................. 54

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§ 7.

Die Zeitlichkeit als die Ermöglichung von Sorge überhaupt und die allgemeine Charakteristik der Zeitlichkeit der Sorge (§ 65, 12.–15. Absatz) .................................................................. 65

§ 8.

Der Vollzugscharakter der sich zeitigenden Zeitlichkeit und ihr ekstatischer Charakter (§ 65, 16.–17. Absatz) ..................... 72

§ 9.

Übergang der zeitlichen Analyse von der eigentlichen zur uneigentlichen Sorge. Verstehen als Entwerfend-sein (§ 66, 2. Absatz; § 67, 3. Absatz; § 68 a), 2. Absatz) ................. 80

§ 10. Die Unständigkeit der Zeitlichkeit des Verstehens. Die eigentliche und die uneigentliche Zukunft des Verstehens (§ 68 a), 3.–4. Absatz) ................................................................. 85 § 11. Die eigentliche und die uneigentliche Gewesenheit des Verstehens (§ 68 a), 7.–8. Absatz) .............................................. 92 § 12. Die eigentliche und die uneigentliche Gegenwart des Verstehens (§ 68 a), 5.–6. Absatz, 8. Absatz, Schluß) ............... 98

ZWEITER TEIL HERMENEUTISCHE PHÄNOMENOLOGIE DER ZEITLICHKEIT DES DASEINS SEMINAR IM WINTERSEMESTER 1998/99 § 1.

Rückblick: Heideggers Analyse der Zeitlichkeit – die Zeitlichkeit als der Seinssinn der Sorge und die Zeitlichkeit des Verstehens .................................................. 105

§ 2.

Die Zeitlichkeit der Befindlichkeit. Die Furcht als Gewärtigen eines Bedrohlichen (§ 68 b), 1.–4. Absatz)..... 112

§ 3.

Die Furcht als verwirrte Vergessenheit. Die Angst als Erschlossenheit des reinen geworfenentwerfenden In-der-Welt-seins (§ 68 b), 4.–6. Absatz) ......... 118

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§ 4.

Die Zeitlichkeit der Angst: Wiederholbarkeit, Vorlaufbarkeit, Möglichkeit des Augenblicks. Das Verfallen als sich in ihm selbst verfangendes Gegenwärtigen (§ 68 b), 7.–8. Absatz; § 68 c), 1.–2. Absatz) ................................................................. 127

§ 5.

Das Verfallen als nachspringendes Gewärtigen und wachsendes Vergessen. Die Zeitlichkeit der Rede (§ 68 c), 2.–4. Absatz; § 68 d), 1. Absatz) ............................................... 137

§ 6.

Die Gewinnung einer Blickrichtung für die Analyse der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens (§ 69 a), 1. Absatz) .. 145

§ 7.

Die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens (§ 69 a), 2.–5. Absatz) .............................................................................. 152

§ 8.

Die Zeitbestimmtheit der Welt: Umwillen, Wovor der Geworfenheit und Um-zu als horizontale Schemata der Ekstasen der Zeitlichkeit des Weltverständnisses (§ 69 c), 1.–3. Absatz) .............................................................................. 160

§ 9.

Die Einheit der drei Welthorizonte und das Sein der Welt im Sichzeitigen des Daseins (§ 69 c), 4.–6. Absatz) ................ 169

§ 10. Die Transzendenz des Daseins und die Transzendenz der Welt (§ 69 b), 15.–16. Absatz; § 69 c), 6.–7. Absatz) ........ 175 § 11. Vergegenwärtigung des Standes der Untersuchung und Übergang zur Analyse der Weltzeit (§ 78, 1.–2. Absatz) ........ 183 § 12. Natürliches Zeitverständnis, Weltzeit, Innerzeitigkeit, vulgärer Zeitbegriff. Die Zugehörigkeit der Weltzeit zur existenzialen Zeitlichkeit (§ 78, 3.–4. Absatz; § 79, 1.–2. Absatz) ................ 193 § 13. Weltzeit als Datierbarkeit (§ 79, 3.–5. Absatz) ........................ 197 § 14. Weltzeit als Gespanntheit und Öffentlichkeit (§ 79, 7.–8. und 12. Absatz) .......................................................................... 202

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§ 15. Weltzeit als Bedeutsamkeit (§ 80, 10. Absatz). Ausblick auf die Analyse der puren Jetzt-Zeit (§ 81) ............................. 207 Anhang: Brief von Friedrich-Wilhelm von Herrmann an Günther Neumann .......................................................................... 213 Nachwort des Herausgebers ................................................................ 215 Nachwort des Nachlassverwalters ....................................................... 219 Die Seminarsitzungen und ihre Protokollanten ................................. 225 Literaturverzeichnis .............................................................................. 227 Personenregister ................................................................................... 233 Sachregister ........................................................................................... 235

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Vorwort Das hier vorgelegte Buch zu den berühmten hermeneutisch-phänomenologischen Analysen der Zeitlichkeit des Daseins in Martin Heideggers Grundwerk „Sein und Zeit“ enthält die vollständige Dokumentation zweier aufeinander folgender akademischer Seminare aus dem Sommersemester 1998 und dem Wintersemester 1998/99 an der Freiburger Universität. Die Dokumentation erfolgte durch die von den Studierenden ausgeführte Protokollierung des gesprochenen Wortes dieser Seminare. Die Anfertigung des Protokolls einer jeden Seminarsitzung hatte in Freiburg eine weit zurückreichende Tradition. Es war Martin Heidegger, der einst damit begann, seine philosophischen Seminare durch je einen Teilnehmer mitschreiben und anschließend zu einem geschlossenen Text ausarbeiten zu lassen. Diese protokollarische Ausarbeitung wurde vom Protokollanten in ein schwarzes Wachstuchheft in sorgfältiger Handschrift eingetragen und am Schluß mit dem Namen des Protokollanten versehen. Diese Einrichtung hat schließlich dazu geführt, daß nicht nur die von Martin Heidegger streng ausformulierten Vorlesungstexte, sondern auch die sorgfältig protokollierten Seminare in Heideggers Gesamtausgabe letzter Hand veröffentlicht und der Nachwelt zugänglich gemacht werden konnten.1 1

Vgl. Martin Heidegger: Zur Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemäßer Betrachtung. Freiburger Seminar Wintersemester 1938/39. Gesamtausgabe Band 46. Hrsg. von Hans-Joachim Friedrich. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2003, S. 259– 347; ders.: Seminare: Platon – Aristoteles – Augustinus. Gesamtausgabe Band 83. Hrsg. von Mark Michalski. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2012, S. 225–663; ders.: Seminare: Kant – Leibniz – Schiller. Teil 1: Sommersemester 1931 bis Wintersemester 1935/36. Gesamtausgabe Band 84.1. Hrsg. von Günther Neumann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2013, S. 533–653; ders.: Seminare: Kant – Leibniz – Schiller. Teil 2: Sommersemester 1936 bis Sommersemester 1942. Gesamtausgabe Band 84.2. Hrsg. von Günther Neumann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2022, S. 337–361, 489–563, 835–900; ders.: Vom Wesen der Sprache. Oberseminar Sommersemester 1939. Gesamtausgabe Band 85. Hrsg. von Ingrid Schüßler. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1999, S. 153–215; ders.: Seminare: Hegel – Schelling. Gesamtausgabe Band 86. Hrsg. von Peter Trawny. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2011, S. 529–548, 613–744, 755–886; ders.: Nietzsche: Seminare 1937 und 1944. Gesamtausgabe Band 87. Hrsg. von Peter von Ruckteschell. Frankfurt

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Auch Eugen Fink hatte für seine Lehrtätigkeit an der Freiburger Universität die von Martin Heidegger gestiftete Einrichtung übernommen und ließ alle seine Seminare durch seine Assistenten protokollieren. Sein Assistent für die allein philosophisch ausgerichtete Erziehungswissenschaft, Dr. Egon Schütz, übernahm diese Aufgabe für die erziehungswissenschaftlichen Seminarveranstaltungen und ich selbst als Assistent für Philosophie erhielt von Eugen Fink den Auftrag, seine philosophischen Seminare protokollarisch aufzunehmen. Unter anderem habe ich sieben Jahre lang die Folge von vierzehn Seminaren zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“ mitgeschrieben, die inzwischen in drei Teilbänden des Bandes 13 der Eugen Fink Gesamtausgabe mit über 2000 Seiten erschienen sind.2 Eine solche Dokumentation der akademischen Seminare erhält aber nur dann den Charakter strenger Authentizität, wenn die Seminare vom Seminarleiter streng vorbereitet durchgeführt und dominierend von ihm selbst gesprochen wurden. Dies war nun sowohl in den Seminaren Martin Heideggers wie in denen von Eugen Fink stets der Fall. Allein diese Tatsache erleichterte dem Protokollanten die Arbeit der getreuen Mitschrift. Das in den Seminaren von Martin Heidegger und Eugen Fink gesprochene Wort hatte durchgehend druckreifen Charakter. Zuerst als Student und nach der Promotion als Assistent Eugen Finks sowie als Teilnehmer an den beiden Privatseminaren Martin Heideggers in den sechziger Jahren habe ich erfahren, was es heißt, philosophische Seminare so durchzuführen, daß sie für die Studierenden nicht nur einen Übungscharakter hatten, sondern zu einem reichen und tiefen Erkenntnisgewinn wurden. Somit war es für mich nach meiner Habilitation 1970 und mit Beginn meiner eigenen Lehrtätigkeit an der Freiburger Universität selbstverständlich, nicht nur jede Semestervorlesung möglichst druckreif auszuarbeiten, sondern auch jedes Semesterseminar mit einem großen Zeitaufwand vorzubereiten und von Sitzung zu Sitzung strengste Interpretationsarbeit an den zugrundegelegten

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a.M.: Vittorio Klostermann, 2004, S. 269–314; ders.: Seminare Wintersemester 1937/38 und Wintersemester 1941/42. 1. Die metaphysischen Grundstellungen des abendländischen Denkens. 2. Einübung in das philosophische Denken. Gesamtausgabe Band 88. Hrsg. von Alfred Denker. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2008, S. 265–331. Eugen Fink: Epilegomena zu I. Kants Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. von Guy van Kerckhoven. Teilbände I–III. Eugen Fink Gesamtausgabe Band 13. Freiburg: Karl Alber, 2011.

großen philosophischen Texten zu leisten. Hierzu gehörte nun aber auch, alle Seminarveranstaltungen durchgehend von den Studierenden protokollieren zu lassen. Am Beginn eines jeden Semesters wurde die Liste mit den Namen der Protokollanten festgelegt. Drei Tage nach der jeweiligen Seminarsitzung kam der Protokollant zu mir in die Sprechstunde, um mir sein angefertigtes Protokoll vorzulesen und mögliche Unklarheiten zu besprechen und korrigieren zu lassen. Nachdem ich das Protokoll autorisiert hatte, wurde es vom Protokollanten vervielfältigt und vor Beginn der folgenden Seminarsitzung an die Teilnehmer verteilt. Die Anfertigung der Seminarprotokolle diente mehrfachen Zwecken. Die wichtigste Funktion des Protokolls lag darin, daß jede neue Sitzung mit der Verlesung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung durch den Protokollanten einsetzte. Auf diese Weise wurde die in der zurückliegenden Sitzung geleistete Seminararbeit vergegenwärtigend wiederholt für die Fortsetzung der Textinterpretation. Durch dieses Verfahren ergab sich eine Kontinuität der Gedankenführung durch das ganze Semester hindurch. Die Sitzungsprotokolle dienten aber auch den Studierenden als Skripten für die Vorbereitung auf ihre mündlichen akademischen Prüfungen. Unter der Voraussetzung, daß die wöchentlichen Protokolltexte gedanklich und sprachlich sich auf einem hohen Niveau bewegen, können sie nun auch veröffentlicht werden – so wie die Seminarprotokolle Martin Heideggers und diejenigen Eugen Finks. Da mir das große Glück beschieden war, stets hoch motivierte und begabte Studierende in meinem Hörsaal zu versammeln, die in der Lage waren, sehr gute Protokolle meiner Seminarveranstaltungen zu verfassen, die in der gedanklichen Wiedergabe und sprachlichen Ausformulierung den Charakter publizierbarer philosophischer Interpretationstexte haben, wird es mir möglich, meine beiden großen Seminare zu Martin Heideggers Zeitlichkeitsanalysen in „Sein und Zeit“ aus den letzten Jahren meiner über 30 Jahre währenden Freiburger Lehrtätigkeit anläßlich der hundertsten Wiederkehr des Erscheinungsjahres des grundlegenden Werkes Martin Heideggers3 der philosophischen Öffentlichkeit vorzulegen. Ich bin meinen studentischen Protokollanten durch drei Jahrzehnte hindurch sehr dankbar, daß sie die ihnen übertragene Aufgabe der Protokollierung meiner philosophischen Seminare und im vorlie3

Siehe dazu das Nachwort des Herausgebers.

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genden Fall meiner beiden letzten „Sein und Zeit“-Seminare so hervorragend gelöst haben, daß ich unsere interpretatorische Textarbeit als lehrhaftes Buch veröffentlichen kann. Da alle meine Seminare primär intensive und detaillierte Textauslegungen waren, wofür die philosophischen Texte absatz- und satzweise während des Seminars laut gelesen wurden, folgen die Protokolle dem Textverlauf und haben den Charakter von Textkommentaren. Hierin liegt ihr besonderer Wert. Die hier vorgelegten Protokolle meiner beiden Seminare zu den Zeitlichkeitsanalysen von „Sein und Zeit“ sind eine wichtige Ergänzung meines dreibändigen Kommentars zu „Sein und Zeit“.4 Im Literaturverzeichnis führe ich die von mir betreuten Dissertationen zu „Sein und Zeit“ auf, die gelungene Monographien darstellen und auch heute noch mit großem Gewinn gelesen und in der Forschung zitiert werden können. Freiburg i.Br., im Februar 2022

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F.-W. v. Herrmann

Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung von „Sein und Zeit“. Band 1: „Einleitung: Die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein“. Band 2: „Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“, § 9–§ 27. Band 3: „Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“, § 28–§ 44. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987/2005/2008.

ERSTER TEIL HERMENEUTISCHE PHÄNOMENOLOGIE DER ZEITLICHKEIT DES DASEINS SEMINAR IM SOMMERSEMESTER 1998 § 1. Die Phänomenologie der Zeit und Heideggers Ansatz einer hermeneutischen Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins I. Einführung Unser Thema lautet: Hermeneutische Phänomenologie der Zeit: Heideggers Zeit-Analysen in „Sein und Zeit“.5 Eine Einführung in den behandelten sachlichen Bereich soll einen gewissen Verständnishorizont für die hermeneutische Annäherung an den Text schaffen. Woran denken wir, wenn wir das Wort „Zeit“ hören? Im alltäglichen Lebensvollzug sprechen wir immer von der Zeit. Die Zeit ist etwas, das wir uns nehmen oder nicht nehmen, oder sie ist etwas, das wir haben oder nicht haben. Wir denken zunächst an die Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, die drei Zeitdimensionen in ihrer Einheit. Dabei verstehen wir die Gegenwart als das Jetzt, die Vergangenheit als das Nicht-mehr-Jetzt und die Zukunft als das Noch-nicht-Jetzt. Die Einheit der drei Zeitdimensionen begreifen wir als den fließenden Übergang des Jetzt in das Nicht-mehr-Jetzt und des Noch-nicht-Jetzt in das Jetzt, das seinerseits in das Nicht-mehr-Jetzt fließend übergeht. Diese drei Zeitdimensionen des Jetzt, des Nicht-mehr-Jetzt und des Noch-nicht-Jetzt verstehen wir in unseren Zeiterlebnissen oder, wie 5

Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. 15., an Hand der Gesamtausgabe durchgesehene Auflage mit den Randbemerkungen aus dem Handexemplar des Autors im Anhang. Tübingen: Max Niemeyer, 1979, 19. Auflage Berlin: De Gruyter, 2006; ders.: Sein und Zeit. Gesamtausgabe Band 2. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1977, 2. Auflage 2018 [mit den Seitenzahlen der Einzelausgabe als Marginalien]. Im Folgenden beziehen sich isolierte Seitenangaben in Klammern und in Fußnoten stets auf die Einzelausgabe des genannten Werkes.

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wir auch sagen können, in unseren Zeitverhaltungen. Wir erleben die Zeit oder verhalten uns zur Zeit in den drei ausgespannten Dimensionen der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Welche sind die Erlebnisse oder Verhaltungen, in denen sich die drei Dimensionen der Zeit bilden? Es sind die Wahrnehmung, die Erinnerung und die Erwartung. In der Wahrnehmung verstehen wir das Wahrgenommene als das Gegenwärtige oder das Jetzige. In der Wiedererinnerung verstehen wir das darin Erinnerte als das Vergangene oder das Nicht-mehr-Jetzige. In der Erwartung verstehen wir das Erwartete als das Künftige oder das Nochnicht-Jetzige. So wird die Zeit geläufig im vorphilosophischen Alltag, aber auch in der Philosophie verstanden. Sprechen wir von der „Phänomenologie der Zeit“, dann denken wir an die eidetisch-transzendentale Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins oder des subjektiven Zeitbewußtseins von Edmund Husserl. Was Husserl das subjektive Zeitbewußtsein nennt, ist die Zeit, die im Alltagslebensvollzug verhüllt bleibt und erst von Husserl durch methodische Ausschaltung der immer schon in Geltung stehenden objektiven Zeit, die Husserl die „Naturzeit“ oder die „Weltzeit“ nennt, enthüllt wurde. Die objektive Zeit ist für Husserl die an sich seiende Zeit, in der alles Zeitliche zeitlich ist. Für Husserl aber konstituiert sich diese objektive Zeit in den ursprünglichen Zeiterlebnissen des subjektiven Zeitbewußtseins. Diese Zeiterlebnisse sind für Husserl die ursprünglichen Gestaltungen des Zeitbewußtseins. Sie heißen „Urimpression“, „Retention“ und „Protention“. Die Urimpression ist das primäre Bewußtsein vom jeweils aufspringenden Jetzt. Die Retention ist das Bewußtsein vom soeben Gewesenen, d.h. vom Nicht-mehr-Jetzt. Husserl unterscheidet dabei die Retention, die er auch „primäre Erinnerung“ nennt, von der „sekundären Erinnerung“, die wir sonst die „Wiedererinnerung“ nennen. Diese sekundäre Erinnerung ist das Bewußtsein von dem, was in der ferneren Vergangenheit liegt und was wir in dem eigenständigen intentionalen Akt (der Verhaltung) des Wiedererinnerns uns erinnernd zur Gegebenheit bringen können. Die Protention ist die ursprüngliche Gestaltung, in der uns das sogleich Werdende, d.h. das Noch-nicht-Jetzt bewußt ist. Auch die Protention, die die „primäre Erwartung“ genannt wird, unterscheidet sich von der „sekundären Erwartung“. Diese ist der selbständige intentionale

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Akt (die Verhaltung), in dem ich mich in die fernere Zukunft richte. Das jenseits des Sogleich-Bewußtseins liegende Zukunftsbewußtsein ist ein dunkles horizontales Bewußtsein, das durch eine in diesen Zukunftshorizont eindringende sekundäre Erwartung eigens aufgehellt werden muß. Die Urimpression, die Retention und die Protention sind die drei zusammengehörigen ursprünglichen Gestaltungen des Zeitbewußtseins, in denen sich die subjektive Zeit konstituiert. Dieses subjektive Zeitbewußtsein, das Husserl auch die „phänomenologische Zeit“ nennt, ist der Ursprung für die objektive Zeit. Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins hält sich somit in einer Unterscheidung zwischen der ursprünglichen subjektiven Zeit des Zeitbewußtseins und der daraus entsprungenen, konstituierten objektiven Zeit. Es ist zu beachten, daß die subjektive Zeit des subjektiven Zeitbewußtseins, die der Ursprung für die objektive Zeit ist, auch aus dem Jetzt, Nicht-mehr-Jetzt und noch-nicht-Jetzt verstanden wird. Als Heidegger seine hermeneutische Phänomenologie der Zeit ausarbeitete, kannte er Husserls Phänomenologie des subjektiven Zeitbewußtseins und setzte sich indirekt mit ihr auseinander. Heideggers Phänomenologie der Zeit ist aber nicht wiederum eine Phänomenologie des Zeitbewußtseins, sondern gehört in die Phänomenologie des Daseins. Mit der Verwandlung der eidetischen, transzendentalen Phänomenologie des Bewußtseins in die hermeneutische Phänomenologie des Daseins verwandelt sich auch die Phänomenologie der Zeit. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Versionen einer Phänomenologie der Zeit liegt vor allem darin: 1. Während für die Phänomenologie des Bewußtseins auch die ursprüngliche subjektive Zeit am Jetzt orientiert ist, ist für die Phänomenologie des Daseins die ursprüngliche Zeit, die Heidegger die „existenziale Zeitlichkeit“ nennt, nicht aus dem Jetzt, dem Nicht-mehr-Jetzt und dem Noch-nicht-Jetzt verstanden, sondern sie ist der Ursprung für die am Jetzt orientierte Zeit. 2. Während Husserl die subjektive Zeit von der objektiven Zeit unterscheidet und jene als ursprünglicher denn diese nimmt, sieht Heidegger im Zeitphänomen ein dreistufiges Ursprungsgefälle. Diese drei Stufen des Zeitphänomens müssen näher erläutert werden.

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1. Die ursprüngliche Zeit ist innerhalb der Phänomenologie des Daseins nicht die subjektive Zeit des Zeitbewußtseins, sondern die existenzial-horizontale Zeitlichkeit des Daseins. Weil die Existenz den ekstatischen Charakter des Entrücktseins hat, kann die ursprüngliche Zeit auch „ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit“ genannt werden. Diese erste Stufe des dreifach gestuften Ursprungsgefälles hat in sich wiederum ein mehrfaches Gefälle. 2. Wenn wir „jetzt“, „damals“ und „dann“ aussprechen, wird die ursprüngliche existenzial-horizontale Zeitlichkeit ausgelegt. Diese ausgelegte und im „jetzt“, „damals“ und „dann“ ausgesprochene existenziale Zeitlichkeit nennt Heidegger in einem ganz anderen Sinne als Husserl die Weltzeit. Die Wahrnehmung („jetzt“), Erinnerung („damals“) und Erwartung („dann“) haben innerhalb der hermeneutischen Phänomenologie des Daseins als Zeitverhaltungen ihren Ort in der Stufe der Weltzeit. Diese ist durch die Datierbarkeit, die Bedeutsamkeit, die Gespanntheit und die Öffentlichkeit konstituiert. Diese zweite Stufe des Zeitphänomens hat eine große Bedeutung, weil die Weltzeit die existenzial interpretierte Zeit unserer Verhaltungen ist. Sie ist ein Phänomenbereich des vollen Zeitphänomens, in dem wir uns ständig bewegen. Das Wort „ausgelegt“ erinnert uns an das Existenzial der Auslegung, das im verstehenden Entwurf gründet. Die existenziale Seinsweise der Auslegung ist mit dem entdeckenden Verhalten zum entdeckten Seienden, das in der Erschlossenheit gründet, gleichursprünglich. Hier, zwischen dem entdeckenden Verhalten und der Erschlossenheit, liegt die ontologische Differenz. Daß die Weltzeit in der existenzial-horizontalen Zeitlichkeit gründet, entspricht dem Fundierungsverhältnis zwischen dem entdeckenden Verhalten zu Seiendem und der existenzialhorizontalen Zeitlichkeit. Daher ist der Unterschied zwischen der existenzial-horizontalen Zeitlichkeit und der Weltzeit aus der ontologischen Differenz her zu denken. Der Jetzt-Charakter der Zeit beginnt in der hermeneutischen Phänomenologie der Zeit erst auf der Stufe der Weltzeit. In deren Zusammenhang zeigen sich die ursprünglichen Zeiterlebnisse der Urimpression, Retention und Protention nur aufgrund der existenzialhorizontalen Zeitlichkeit. Dieses wichtige, aber in der bisherigen Heidegger-Forschung kaum beachtete Zeitphänomen soll eingehend bearbeitet werden.

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3. Wenn die Zeit als pure Jetzt-Abfolge betrachtet wird, verliert die Zeit den Charakter der Weltzeit. Diese des Charakters der Weltzeit verlustig gegangene Auffassung der Zeit nennt Heidegger den „vulgären Zeitbegriff“. Wenn wir uns in der existenzial-horizontalen Zeitlichkeit bewegen, bewegen wir uns auch immer in der Ausgelegtheit der Zeit in der Gestalt der Weltzeit. Wir brauchen die Weltzeit, um zu existieren, aber wir brauchen nicht ebenso notwendig die Zeit als pure Jetzt-Abfolge zu verstehen. Unser Hauptinteresse liegt bei den ersten beiden Stufen, nämlich bei der existenzial-horizontalen Zeitlichkeit und der daraus entspringenden Weltzeit. Die hermeneutische Phänomenologie der Zeit geschieht nicht um ihrer selbst willen, ist nicht selbständige Phänomenologie der Zeit, sondern sie steht im Dienst der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt, die Heidegger auch die „Grundfrage“ der Philosophie nennt. Eine der größten Entdeckungen Heideggers ist, daß das Sein seinen eigenen Zeit-Charakter, d.h. einen temporalen Sinn hat. Der zeithafte Sinn des Seins hat die Bedeutung vom Anwesen. Anwesen heißt Gegenwart. Aber diese Gegenwart ist nicht im Sinne des Jetzt zu verstehen. Das Anwesen verweist auf eine ursprünglichere Zeit, von der her das Sein als Sein verstanden wird. Diese ursprüngliche Zeit ist die zur ekstatischen Zeitlichkeit gehörende horizontale Zeit. II. Textstellen Die im Rahmen unserer sachlichen Thematik zu bearbeitenden Textstellen in Heideggers „Sein und Zeit“ sind die folgenden: 1. Vorwort (S. 1). 2. § 5 (S. 15–19). 3. Überschrift des Ersten Teils (S. 41). 4. § 45 (S. 231–235). Der Paragraph, mit dem der Zweite Abschnitt: „Dasein und Zeitlichkeit“, beginnt, gibt uns einen Überblick über den Aufbau des Zweiten Abschnitts und eine Auskunft über die Stellung der Frage nach der existenzialen Zeitlichkeit. 5. § 65 (S. 323–331). Mit diesem Paragraphen beginnt die eigentliche Analytik der Zeit als der Zeitlichkeit des Daseins. 6. § 66 (S. 331–333).

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7. Viertes Kapitel des Zweiten Abschnitts: „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“ (§§ 67–71, S. 334–372). In den §§ 65 und 66 sowie im ganzen Vierten Kapitel wird die ursprüngliche Zeit als existenziale Zeitlichkeit thematisiert. 8. Sechstes Kapitel: „Zeitlichkeit und Innerzeitigkeit als Ursprung des vulgären Zeitbegriffs“ (davon §§ 78–81, S. 404–428). Dieses Kapitel enthält die Thematisierung der zweiten und dritten Stufe des Ursprungsgefälles des vollen Zeitphänomens. III. Vorwort („Sein und Zeit“, S. 1) Die folgenden Sätze aus dem titellosen Vorwort geben uns eine Auskunft über das Ziel und den Weg von „Sein und Zeit“: „Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen. [...] Die konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von »Sein« ist die Absicht der folgenden Abhandlung. Die Interpretation der Zeit als des möglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses überhaupt ist ihr vorläufiges Ziel.“ (S. 1) Die Frage nach dem Sinn von Sein soll gestellt werden. Der Sinn von Sein ist der Bereich, von woher wir das Sein als Sein verstehen. Wir verstehen, wie oben schon angedeutet wurde, das Sein als Anwesen. Aber in diesem Anwesen liegt ein eigentümlicher Zeit-Charakter. Diesen Zeit-Charakter empfängt das Sein in unserem Seinsverständnis aus einem Horizont, aus einem Gesichtskreis. Dieser Horizont ist das, was als horizontale Zeit, als eine Dimension, die zur Zeitlichkeit des Daseins gehört, aufgewiesen werden soll. Die Ausarbeitung dieser Frage ist dadurch konkret, daß das Sein nicht als freischwebendes, sondern in der Rückbezogenheit auf das Seinsverständnis gedacht wird. Das Seinsverständnis liegt aber im Sein des Menschen, den Heidegger im Hinblick auf sein Sein das Dasein nennt. In diesem Wort bedeutet die erste Silbe, „Da-“, nicht „hier“ oder „dort“, sondern terminologisch die verstehensmäßige Aufgeschlossenheit des Seins, die Heidegger auch „Lichtung“, „Offenheit“, „Erschlossenheit“ oder „Gelichtetheit“ des Seins nennt. Die zweite Silbe im Wort „Dasein“, „-sein“, besagt die Existenz. Die Existenz ist im Unterschied zur Vorhandenheit oder zu anderen Seinsweisen die Seinsweise des Menschen, der Sein versteht. Das existierende

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Dasein versteht sein eigenes Sein als Existenz und zugleich das Sein alles anderen Seienden. Dieses Seinsverständnis ist nicht nur das philosophische, ontologische Begreifen des Seins, sondern das Sein ist immer schon (apriori) irgendwie verstanden. Denn nur aufgrund dieses Seinsverständnisses können wir uns zum Seienden als Seiendem verhalten, d.h. zu uns selbst und zu allem anderen Seienden in seinem Was- und Wiesein. Zugleich ist dieses Seinsverständnis auch der Grund dafür, daß wir auf das Sein des Seienden stoßen und es ausdrücklich philosophisch thematisieren können. Das besagt: Wenn wir das Sein als Sein thematisieren können, müssen wir auf das gestoßen sein, von woher das Sein als Sein ausgelegt wird. Das ist der Sinn von Sein. Daher nennt Heidegger die Frage nach dem Sinn von Sein die „Grundfrage der Philosophie“. Diesen Sinn von Sein freizulegen ist das Ziel von „Sein und Zeit“. Die Absicht dieses Werkes geht daher nicht nur auf das Sein des Menschen, sondern auf den Sinn von Sein überhaupt. Aber der Sinn von Sein überhaupt kann im Ansatz der Fundamentalontologie nur durch eine Analytik der seinsverstehenden Existenz konkret ausgearbeitet werden. Der Sinn von Sein soll als die Zeit herausgestellt werden. Die Zeit ist der mögliche Horizont eines jeden Seinsverständnisses überhaupt. Sie ist aber nicht die uns bekannte Zeit im Sinne der Jetzt-Zeit, sondern die ursprüngliche Zeit, und zwar nicht die existenziale, d.h. ekstatische Zeitlichkeit selbst, sondern die zu dieser existenzialen Zeitlichkeit gehörende horizontale Zeit, d.h. der Zeithorizont, in den hinein wir in unserem Vollzug der Zeitlichkeit (Ekstase) gerichtet sind. Daher ist die Zeit der „mögliche Horizont“, d.h. der ermöglichende Horizont, der ein jedes Seinsverständnis überhaupt ermöglicht. Die horizontale Zeitlichkeit ist in den ersten beiden Abschnitten des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ aus methodischen Gründen ausgeblendet. Sie sollte im Dritten Abschnitt unter dem Titel „Zeit und Sein“ explizit thematisiert werden. Aber dieser Abschnitt ist in der uns allein vorliegenden Ersten Hälfte von „Sein und Zeit“ nicht enthalten. Jedoch behandelte Heidegger diese Thematik in seiner im Sommersemester 1927 in Marburg gehaltenen Vorlesung „Die Grundprobleme der Phänomenologie“.6 6

Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie. Marburger Vorlesung Sommersemester 1927. Gesamtausgabe Band 24. Hrsg. von FriedrichWilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1975, 3. Auflage 1997, S. 389–469.

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Die horizontale Zeit ist der Horizont „eines jeden Seinsverständnisses überhaupt“. Das besagt aber nicht etwa, daß die horizontale Zeit auch der Horizont für das Verständnis des Seins des Daseins, d.h. der Existenz wäre. Wäre dem so, dann müßte die Zeitlichkeit noch einmal zeitlich interpretiert werden. Der Horizont „eines jeden Seinsverständnisses überhaupt“ ist daher als der Sinn des Seins alles nichtdaseinsmäßigen Seienden zu verstehen. Die phänomenologisch aufzuweisende horizontale Zeit ist somit der Horizont für das Verstehen aller Weisen des Seins von nichtdaseinsmäßigem Seienden. IV. § 5: „Die ontologische Analytik des Daseins als Freilegung des Horizontes für eine Interpretation des Sinnes von Sein überhaupt“ Aus der Überschrift des § 5 bezieht sich der Ausdruck „Die ontologische Analytik des Daseins“ auf den Gedankengang der ersten beiden Abschnitte des Ersten Teils von „Sein und Zeit“: „Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“ und „Dasein und Zeitlichkeit“. Diese beiden Abschnitte machen die gesamte existenzial-ontologische Analytik des Daseins aus. Aber diese Analytik wird, wie bereits gesagt, nicht um ihrer selbst willen vollzogen, sondern sie steht im Dienst der Freilegung des möglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses überhaupt, die für den Dritten Abschnitt vorgesehen war. Die zweite Hälfte der Überschrift des § 5: „als Freilegung des Horizontes für eine Interpretation des Sinnes von Sein überhaupt“, bezieht sich somit auf den geplanten Dritten Abschnitt. Im Folgenden sollen einige ausgewählte Textpassagen aus dem § 5, die uns einen einleitenden Vorblick auf den Gedankengang des Ersten, des Zweiten und des Dritten Abschnitts des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ geben, interpretiert werden.

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§ 2. Zeitlichkeit und Zeit in der Fundamentalontogie: Vorblick auf den Gedankengang der drei Abschnitte des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ (§ 5, 6.–9. Absatz) I. Der Sinn von Sein überhaupt Wenn Heidegger in der Überschrift des § 5: „Die ontologische Analytik des Daseins als Freilegung des Horizontes für eine Interpretation des Sinnes von Sein überhaupt“, vom „Horizont“ spricht, meint er damit zunächst denjenigen Horizont, in den die ekstatische Zeitlichkeit hineinrückt, wenn sich die Wendung „Die ontologische Analytik des Daseins“ auf den Ersten und den Zweiten Abschnitt der Ersten Teils von „Sein und Zeit“ bezieht. Aber dieser Horizont ist zugleich der temporale Horizont, von dem her das Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden verstanden wird. Dagegen bestimmt sich das Sein des Daseins nicht aus der horizontalen Zeit, sondern aus der ekstatischen Zeitlichkeit. Was hier in dieser Überschrift mit „des Sinnes von Sein überhaupt“ gemeint ist, ist der Sinn des Seins alles nichtdaseinsmäßigen Seienden. Aber Heidegger verwendet die Wendung „Sinn von Sein überhaupt“ auch in der Bedeutung des Sinnes von Sein im Ganzen. Wonach beispielsweise in der „Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt“ gefragt wird, ist dieser Seinssinn im Ganzen. Hier ist auch das Sein des Daseins eingeschlossen. Der „Sinn von Sein überhaupt“ ist dann als die ursprüngliche Zeit im Ganzen, nämlich als die Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit, zu verstehen. Dazu kommt noch eine andere bewußte Zweideutigkeit des „Sinnes von Sein überhaupt“: Der Sinn von Sein überhaupt als der temporale Horizont (Sinn von Sein überhaupt im weiteren Sinne) und als die temporale Bestimmtheitsweise des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden qua Anwesenheitsweise (Sinn von Sein überhaupt im engeren Sinne). Bezüglich des Satzes aus dem § 1: „Das »Sein« ist der »allgemeinste« Begriff: τὸ ὄν ἐστι καθόλου μάλιστα πάντων“ (S. 3, mit Zitat nach Aristoteles, Met. B 4, 1001 a 21), stellt sich die Frage, warum Heidegger τὸ ὄν als „Das Sein“ übersetzt, obwohl dieses griechische Wort sonst als „das Seiende“ bzw. als „das Seiend“ übersetzt wird. Was Aristoteles mit dem „Seienden“ meint, ist das Sein des einzelnen, so und so bestimmten Seienden. Wenn Aristoteles nach dem ὂν ᾗ ὄν fragt, interpretiert Heidegger das erste ὄν als das jeweils so und

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so bestimmte „Seiende“ und das zweite ὄν als die „Seiendheit“ dieses Seienden und nur in diesem Sinne als das „Sein“. Heidegger faßt dieses „Sein“ terminologisch als „Seiendheit“ im Unterschied zu dem, was er im Rahmen seiner eigenen Wiederholung der Seinsfrage als „Wahrheit des Seins“ (Sinn von Sein überhaupt) bezeichnet. Nach dieser Klärung der auf den „Sinn von Sein überhaupt“ und auf das ὄν als „Sein“ bezogenen Fragen wenden wir uns den Textstellen aus dem § 5 zu, in denen Heidegger einen Überblick über den Gedankengang des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ gibt. II. Der Gedankengang des Ersten Abschnitts In der konkreten Ausarbeitung der Seinsfrage muß zuerst nach der Seinsweise des Daseins, das Sein versteht, gefragt werden. Die „Analytik des Daseins“ ist demnach „das erste Anliegen“ in der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt (S. 16). Dabei stellt Heidegger zunächst die hermeneutisch-phänomenologische Frage, wie das auszulegende Dasein zugänglich werden kann. Zuerst gibt Heidegger eine negative Anweisung: „es darf keine beliebige Idee von Sein und Wirklichkeit, und sei sie noch so »selbstverständlich«, an dieses Seiende konstruktiv-dogmatisch herangebracht, keine aus einer solchen Idee vorgezeichneten »Kategorien« dürfen dem Dasein ontologisch unbesehen aufgezwungen werden.“ (S. 16) Keine beliebige Idee, d.h. kein beliebiger Begriff von Sein und Wirklichkeit darf an das Dasein herangebracht werden, z.B. das überlieferte Begriffspaar von Was-sein und Daß-sein, essentia und existentia. Diese Begriffe sind scheinbar selbstverständliche Begriffe, durch die sonst alles Seiende hinsichtlich seines Seins ausgelegt wird. Sie sind aber beliebig, weil sie nicht aus dem Dasein selbst als die dem Dasein angemessenste Idee von Sein geschöpft sind. Wenn wir z.B. den Menschen als „animal rationale“ fassen, bestimmen wir ihn aus dem Gattungswesen (animal) und dem Artwesen (ratio). Diese überlieferte Wesensbestimmung des Menschen ist deshalb ontologisch fragwürdig, weil sie sich in dem essentialen Wesen als einer Seinsidee, die nicht aus dem Sein des Menschen geschöpft ist, bewegt. Daher sagt Heidegger: „keine aus einer solchen Idee des Seins vorgezeichneten »Kategorien« dürfen dem Dasein ontologisch unbesehen [konstruktiv-dogmatisch] aufgezwungen werden.“ (S. 16) „Konstruktiv“ ist hier nicht im Sinne jener Konstruktion zu verstehen,

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die in der Vorlesung „Die Grundprobleme der Phänomenologie“ als ein Grundstück der phänomenologischen Methode eingeführt wird, sondern „konstruktiv-dogmatisch“ ist ein Gegenbegriff zu „phänomenologisch-kritisch“. Dann sagt Heidegger positiv: „Die Zugangs- und Auslegungsart muß vielmehr dergestalt gewählt sein, daß dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann.“ (S. 16) Dies ist die Kennzeichnung der phänomenologischen Methode, die Heidegger im § 7 behandelt und im Anschluß an eine Formulierung Husserls unter die Maxime stellt: „zu den Sachen selbst!“ (S. 27). In diesem Fall besagt diese Maxime: zum Dasein selbst! „Und zwar soll sie [= die Zugangs- und Auslegungsart] das Seiende in dem zeigen, wie es zunächst und zumeist ist, in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit.“ (S. 16) Das Dasein existiert in verschiedenen Weisen. Es soll aber in seiner Alltäglichkeit gezeigt werden. „Alltäglichkeit“ heißt zuerst eine Seinsweise, die Heidegger auch die „Uneigentlichkeit“ im Unterschied zur „Eigentlichkeit“ oder die „indifferente Seinsweise“ nennt. Sie ist die Seinsweise, in der sich das Dasein „zunächst und zumeist“ aufhält. „Alltäglichkeit“ bedeutet aber zugleich die vortheoretische Seinsweise im Unterschied zur theoretischen. Das Dasein soll so anvisiert werden, wie es sich an ihm selbst und von ihm selbst her in seiner nächsten und häufigsten Seinsweise zeigt. Das bedeutet aber nicht, daß Heidegger die Analytik der Alltäglichkeit ohne jeden Hinblick auf eine bestimmte Seinsidee durchführen würde. Vor dem Eintritt in die eigentliche Analytik der Alltäglichkeit des Daseins wird von ihm im § 9 die Seinsidee der „Existenz“ und der „Jemeinigkeit“ zum notwendigen vorbereitenden Vorverständnis gebracht. Diese Seinsidee fungiert als hermeneutischer Leitfaden der existenzialen Analyse des Daseins. Daß diese Idee der Existenz und der Jemeinigkeit nicht eine von außen herangetragene Idee ist, sondern aus dem Sein des Daseins geschöpft ist, wird auf dem Gang der Analyse vom § 12 bis zum § 83 schrittweise bestätigt. An der Seinsweise der Alltäglichkeit orientiert, werden die wesentlichen Seinsstrukturen des Daseins herausgestellt, die nicht nur zur Alltäglichkeit gehören, sondern „in jeder Seinsart des faktischen Daseins“, d.h. sowohl in der Uneigentlichkeit als auch in der Eigentlichkeit sowie in der Indifferenz von Eigentlichkeit und Uneigentlich-

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keit, sowohl in der vortheoretischen als auch in der theoretischen Seinsweise, „sich als seinsbestimmende durchhalten“ (S. 17). „Im Hinblick auf die Grundverfassung der Alltäglichkeit des Daseins erwächst dann die vorbereitende Hebung des Seins dieses Seienden.“ (S. 17) „Hebung“ ist ein phänomenologisch geschöpftes Wort und bedeutet die Enthüllung eines Phänomens. Es handelt sich hier um die Hebung der ganzheitlichen Seinsstruktur des Daseins, die Heidegger „Sorge“ nennt, in der alle in der vorangegangenen existenzialen Analyse aufgewiesenen Strukturen sich halten. Damit hat Heidegger einen Überblick über den Ersten Abschnitt des Ersten Teils seines Werkes gegeben. III. Das Verhältnis zwischen dem Ersten und dem Zweiten Abschnitt Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins im Ersten Abschnitt will aber nicht eine „vollständige Ontologie des Daseins“ sein (S. 17). Weil sie innerhalb der Grundaufgabe der „Ausarbeitung der Seinsfrage“ durchgeführt wird (S. 17), kann sie sich auf die wesentlichen Strukturen beschränken. Sie ist aber „nicht nur unvollständig, sondern zunächst auch vorläufig“ (S. 17). Vorläufig ist sie, weil ihr im Zweiten Abschnitt die vertiefte Daseinsanalytik, nämlich die Auslegung des Seinssinnes des Daseins als der Zeitlichkeit folgt. Die vorbereitende Analytik des Daseins soll die „Freilegung des Horizontes für die ursprünglichste Seinsauslegung“ im Zweiten Abschnitt vorbereiten. Von der „Freilegung des Horizontes“ wird hier in einem anderen Sinne als in der Überschrift des § 5 gesprochen. Dort hieß die „Freilegung des Horizontes“ die Freilegung der horizontalen Zeit. Das aber, was nun im 7. Absatz dieses Paragraphen mit „Horizont“ gemeint ist, ist nicht der temporale Horizont, sondern die Zeitlichkeit des Daseins als hermeneutischer Horizont. Die Zeitlichkeit ist derjenige hermeneutische Horizont, auf den hin und von dem her die Sorge im Vollzug der Daseinsanalytik in ihrem zeitlichen Sinn freigelegt wird. Die Zeitlichkeit ist nur der Horizont für den Vollzug der Analyse, aber nicht der Horizont für den Sorge-Vollzug selbst. Die Sorge hat in ihrem Vollzug nicht ihre Zeitlichkeit als Horizont, sondern die Sorge ist in sich selbst die Zeitlichkeit. Sie ist als die zeitigende Sorge in einen Horizont hinein gerichtet, aus dem her sie das Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden

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versteht, nämlich in die horizontale Zeit. Die Wendung „Freilegung des Horizontes“ hat daher in sich zwei verschiedene Bedeutungen. „Ist dieser [= der Horizont für die ursprünglichste Seinsauslegung] erst gewonnen, dann verlangt die vorbereitende Analytik des Daseins ihre Wiederholung auf der höheren und eigentlichen ontologischen Basis.“ (S. 17) Damit verweist Heidegger auf das Vierte Kapitel des Zweiten Abschnitts: „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“. Dort werden die existenzialen Strukturen, die im Ersten Abschnitt herausgestellt wurden, aus dem im § 65 gewonnenen Seinssinn des Daseins, nämlich aus der Zeitlichkeit, wiederholt, d.h. als Modi der Zeitlichkeit interpretiert. Gemäß einem anderen Interpretationsversuch ist „die ursprünglichste Seinsauslegung“ als die Problematik des Dritten Abschnitts zu verstehen. Dann wäre die „Wiederholung [der Daseinsanalytik] auf der höheren und eigentlichen ontologischen Basis“ im Sinne der „Metontologie“ zu verstehen.7 Die Schwierigkeit dieser Interpretation liegt darin: Die Metontologie des Daseins entspricht den regionalen, „vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien“, die Heidegger im § 3 von „Sein und Zeit“ erwähnt (S. 11). Diese Ontologien verschiedener Seinsgebiete müssen zwar auf der Fundamentalontologie aufgebaut werden, doch liegt dieser Aufbau außerhalb der Aufgabe der Fundamentalontologie. Wenn der § 5 einen Überblick über den Gedankengang des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ gibt, der ja ebenso wie der geplante Zweite Teil im Rahmen der Fundamentalontologie verbleibt, dann ist die besagte Interpretation nicht haltbar. IV. Der Gedankengang des Zweiten Abschnitts „Als der Sinn des Seins desjenigen Seienden, das wir Dasein nennen, wird die Zeitlichkeit aufgewiesen. Dieser Nachweis muß sich bewähren in der wiederholten Interpretation der vorläufig aufgezeigten Daseinsstrukturen als Modi der Zeitlichkeit.“ (S. 17) Diese beiden Sätze beziehen sich jeweils auf den § 65 innerhalb des Dritten Kapitels und auf das Vierte Kapitel des Zweiten Abschnitts. Sie sind als eine explizite Klä-

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Zum Begriff der „Metontologie“ vgl. Martin Heidegger: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. Marburger Vorlesung Sommersemester 1928. Gesamtausgabe Band 26. Hrsg. von Klaus Held. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1978, 3. Auflage 2007, S. 199ff.

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rung der letzten zwei Sätze des vorangehenden siebten Absatzes zu verstehen. Die zweite Bedeutung der Wendung „Freilegung des Horizontes“ gibt uns den Anlaß, noch einmal über die Überschrift von § 5 nachzudenken. Die Frage ist, ob die „Freilegung des Horizontes“ als die Freilegung der Zeitlichkeit im Zweiten Abschnitt und die freigelegte Zeitlichkeit als der hermeneutische Horizont für die Explikation der horizontalen Zeit interpretiert werden könnten. Diese Interpretation ist nicht völlig abwegig, aber mit einer Schwierigkeit belastet. Denn Heidegger verwendet in „Sein und Zeit“ und in dessen Umkreis das Wort „Horizont“ stets im Sinne dessen, wohinein und von woher etwas als etwas ausgelegt wird. Das gilt auch für den oben genannten hermeneutischen Horizont, den die Zeitlichkeit für die ursprüngliche Auslegung des Seins des Daseins als Sorge darstellt. Aber die existenziale Zeitlichkeit kann nicht ein Horizont in diesem Sinne für die Explikation des temporalen Horizontes sein. Um diese Interpretation gelten zu lassen, müßte man das Wort „Horizont“ hier in einem noch weiteren Sinne nehmen. In den weiteren zwei Sätzen des 8. Absatzes wendet Heidegger den Blick auf den Dritten Abschnitt. Hier taucht wieder die Wendung „Sinn von Sein überhaupt“ auf. Auch hier muß sie in der oben auseinandergelegten Zweideutigkeit verstanden werden. V. Der Gedankengang des Dritten Abschnitts „[...] zum Dasein gehört als ontische Verfassung ein vorontologisches Sein. Dasein ist in der Weise, seiend so etwas wie Sein zu verstehen.“ (S. 17) „Vorontologisches Sein“ heißt hier das vorbegriffliche vollzugshafte Seinsverständnis, das zum Existenzvollzug des Daseins gehört, im Gegensatz zum ontologisch thematisierten, begrifflich gefaßten Seinsverständnis. In diesem vorontologischen Seinsverständnis wird sowohl das eigene Sein als auch das Sein alles anderen Seienden vorbegrifflich verstanden. Dieses vorontologische Seinsverständnis ist der Ausgang für die Fundamentalontologie. „Unter Festhaltung dieses Zusammenhangs soll gezeigt werden, daß das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist.“ (S. 17) Hier unterscheidet Heidegger die Zeit von der im 8. Absatz genannten Zeitlichkeit. Diese Un-

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terscheidung sollten wir terminologisch festhalten. Die Zeit ist der Horizont, von dem aus das Dasein das Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden im vorphilosophischen Existenzvollzug ebenso wie in der vorfundamentalontologischen philosophischen Interpretation des Seins unausdrücklich versteht und auslegt. Denn auch die vorfundamentalontologischen philosophischen Interpretationen des Seins legen dieses vom Zeithorizont her aus, sofern die Weisen des Seins als die Weisen der Seiendheit des Seienden, die alle Weisen des Anwesens sind, ausgelegt werden. Sie verstehen das Sein insofern unausdrücklich aus der horizontalen Zeit, als sie diesen sachlichen Zusammenhang der ausgelegten Seiendheit und des temporalen Horizonts nicht durchschauen.

§ 3. Die beiden Schritte des Gedankengangs von „Zeit und Sein“ (§ 5, 9. Absatz). Die Hauptzüge der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins. Die Analyse von Tod und Gewissen als Voraussetzung für die Analyse der Zeitlichkeit des Daseins (§ 45, 1.–9. Absatz) I. Hauptschritte des Gedankengangs des Dritten Abschitts: „Zeit und Sein“ Um den Einstieg in die hermeneutisch-phänomenologische Analyse der Zeitlichkeit zu gewinnen, wenden wir uns noch einmal dem 9. Absatz des § 5 zu, wo Heidegger einen ersten orientierenden Überblick über den Gedankengang des Dritten Abschnitts: „Zeit und Sein“, gibt. Die Zeit ist das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein, genauer: das Sein alles nichtdaseinsmäßigen Seienden, unausdrücklich versteht und auslegt. Die Zeit müssen wir also terminologisch von der existenzialen Zeitlichkeit unterscheiden: Die Zeit ist der Horizont alles Seinsverständnisses, in den hinein Zeitlichkeit gerichtet ist, und als solcher muß sie phänomenologisch enthüllt werden. Dies einsichtig werden zu lassen, ist die Aufgabe des ersten der zwei großen Schritte in der Thematik des Dritten Abschnitts. Es bedarf eines ursprünglichen Entfaltens oder Enthüllens der Zeit aus der Zeitlichkeit, wobei gezeigt wird, daß die zu enthüllende Zeit immer schon zur exis-

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tenzialen Zeitlichkeit gehört. Im Zweiten Abschnitt, wo die existenziale Zeitlichkeit thematisiert wird, bleibt die Zeit als Horizont in ihrer Zugehörigkeit zur existenzialen Zeitlichkeit aus methodischen Gründen noch verhüllt. Gewiß ist im Hinblick auf das Weltverständnis immer die Rede von der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit, aber die Frage, was horizontale Zeit im Zusammenhang mit der existenzialen Zeitlichkeit eigentlich heißt, wird nicht gestellt. Die Analyse konzentriert sich zunächst auf die Enthüllung der Dimension der existenzialen, in sich ekstatischen Zeitlichkeit, um nun, nachdem sie in ihrem inneren Reichtum zur vollen Entfaltung gebracht ist, eine weitere zum vollen Phänomen der Zeitlichkeit gehörende Dimension eigens in den phänomenologischen Blick zu nehmen. Zur Aufgabe der Entfaltung des vollen Phänomens der ursprünglichen Zeit, die sowohl die Dimension der existenzialen Zeitlichkeit als auch die Dimension der horizontalen Zeit in einer unzerreißbaren Einheit einschließt, gehört auch die Abgrenzung der ursprünglichen Zeit gegen das vulgäre Zeitverständnis. Dieses ist das geläufige, gewöhnliche Zeitverständnis, und zwar sowohl das vorphilosophische als auch das bisherige philosophische Zeitverständnis. Es ist das am Jetzt, am Nochnicht-Jetzt und am Nicht-mehr-Jetzt orientierte Verständnis der Zeit als eines Zeitflusses, das den Ausgang in der überlieferten Philosophie der Zeit von Aristoteles bis Bergson und über diesen hinaus bildet. Dabei ist zu beachten, daß, wenn auch die am Jetzt orientierte Zeit nicht die ursprüngliche Zeit ist, sie trotzdem zum vollen Phänomen der Zeit gehört, sie ist ein echtes Zeitphänomen. Sie hat ihren Ursprung in einer Zeitigungsweise der Zeitlichkeit. Deshalb gehört es zum Ganzen der Aufgabe der Entfaltung des Begriffs der ursprünglichen Zeit, diesen gegen das vulgäre Zeitverständnis abzugrenzen und zu zeigen, in welchem Verhältnis dieser zu jenem steht. Obwohl Heidegger diese Abgrenzungsaufgabe im 9. Absatz des § 5 erwähnt, also dort, wo er einen Aufriß der Thematik des Dritten Abschnitts gibt, bildet der Text, in dem diese Abgrenzung sich tatsächlich vollzieht, ein Kapitel des Zweiten Abschnitts, nämlich dessen mit der Überschrift „Zeitlichkeit und Innerzeitigkeit als Ursprung des vulgären Zeitbegriffes“ versehenes Sechstes Kapitel. Mit einer Interpretation der ersten vier Paragraphen

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dieses Kapitels (§§ 78–81) wird unsere Darstellung der hermeneutischen Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins abgeschlossen werden.8 Im zweiten Schritt innerhalb der Thematik des Dritten Abschnitts soll der zuvor herausgestellte Zeithorizont fruchtbar gemacht werden. In ausführlichen Analysen soll nun gezeigt werden, wie die Seinsweisen des nichtdaseinsmäßigen Seienden in der Tat einen temporalen Sinn als Anwesenheitsweisen aus diesem Horizont empfangen, d.h. es soll nachgewiesen werden, wie alle kategorialen Seinsweisen, im Unterschied zu den existenzialen Seinsweisen, ihren temporalen Sinn aus dem Zeithorizont empfangen, der sich in der sich zeitigenden Zeitlichkeit mitzeitigt. Hier müssen wir terminologisch zwischen „Zeitlichkeit“ und „Temporalität“ unterscheiden. Die ursprüngliche Sinnbestimmtheit des Seins – dieses verstanden als Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden und nicht etwa als Existenz – und seiner Charaktere und Modi aus der Zeit ist seine temporale Bestimmtheit. Daher begreift die fundamentalontologische Aufgabe der Interpretation des Seins als solchen die Herausarbeitung der Temporalität des Seins in sich. Und daher sagt Heidegger, daß die konkrete Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein in der Exposition der Problematik der Temporalität gegeben ist. Die konkrete Antwort ist nämlich nicht dadurch schon gegeben, daß lediglich ein zur existenzialen Zeitlichkeit gehörender temporaler Horizont enthüllt wird, sondern die konkrete Antwort ist erst dann gegeben, wenn dieser freigelegte Horizont als der Horizont ausgelegt wird, von dem her wir in unserem Seinsverständnis alle Weisen des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden temporal verstehen. So erst wird die konkrete Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt gegeben und die volle Thematik von „Zeit und Sein“ abgeschlossen. Zusammenfassend können wir sagen, daß die zwei großen Schritte auf dem letzten Wegstück der Beantwortung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt die folgenden sind: erstens die hermeneutischphänomenologische Enthüllung des zur existenzialen Zeitlichkeit gehörenden Horizontes; zweitens die Herausarbeitung dessen, wie alle im Seinsverständnis verstandenen Seinsweisen des nichtdaseinsmäßigen Seienden, also alle Seinsweisen kategorialer Art ihren Sinn aus jenem Horizont empfangen. Dieses in den Blick nehmend, lesen wir die Überschrift des § 5 jetzt neu. Das verfängliche „als“, auf das wir darin gesto8

Siehe unten S. 190ff.

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ßen waren und das wir als ein Zeichen der Zugehörigkeit der Thematik des Horizontes zur ontologischen Analytik des Daseins hätten deuten können, können wir nun klar im Sinne von „und“ oder „umwillen“ auslegen. Diese unsere Auslegung wird durch die Überschrift des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ bestätigt, in der die drei Schritte des Ersten Teils klar herausgestellt werden: „Die Interpretation des Daseins auf die Zeitlichkeit und die Explikation der Zeit als des transzendentalen Horizontes der Frage nach dem Sein“. Im ersten Schritt wird die Sorge als das Sein des Daseins auf ihren Seinssinn, die Zeitlichkeit, interpretiert. Im zweiten Schritt wird die Zeit als der transzendentale Horizont expliziert, d.h. als sich zeitigende Zeitlichkeit, die in den Horizont hinein geworfen-entwerfend das Seiende übersteigt. Im dritten Schritt wird dieser Zeithorizont als das expliziert, von dem her der horizontal aufgeschlossene Sinn des nicht-existierenden Seienden temporal als Anwesenheit bestimmt ist. II. Aufriß der Hauptzüge der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins Wir vergegenwärtigen uns die Hauptzüge der vorbereitenden Fundamentalanalyse, die der Erste Abschnitt des Ersten Teils von „Sein und Zeit“ zur Durchführung bringt, weil es sich um Themen handelt, die in der Zeitlichkeitsanalyse immer wieder auftauchen. Das Erste Kapitel steht unter der Überschrift: „Die Exposition der Aufgabe einer vorbereitenden Analyse des Daseins“. In dem dieses Kapitel einleitenden § 9: „Das Thema der Analytik des Daseins“, wird die Seinsidee der Existenz, von der die ganze Daseinsanalytik geleitet ist, zum ersten Mal eingeführt. Es wird ein hermeneutisches Vorverständnis davon erarbeitet, daß das Wesen des Daseins die Existenz ist und daß diese Existenz je meine ist, also durch Jemeinigkeit ausgezeichnet ist. Im Zweiten Kapitel: „Das In-der-Welt-sein überhaupt als Grundverfassung des Daseins“, wird das In-der-Welt-sein als die Grundverfassung des jemeinig existierenden Daseins herausgestellt, wobei Inder-Welt-sein genauer besagt: In-der-Welt-sein-bei-innerweltlichemSeienden. Der § 12: „Die Vorzeichnung des In-der-Welt-seins aus der Orientierung am In-Sein als solchem“, nutzt den hermeneutischphänomenologischen Befund, daß die daseinsmäßige Grundverfassung

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des In-der-Welt-seins zuerst faßbar ist im Strukturmoment des existierenden Seins bei innerweltlichem Seienden. So beginnt hier die existenzial-ontologische Analyse mit einer ersten Analyse des vortheoretischen Seins-bei ... im Sinne des Vertrautseins mit der Welt und den weltzugehörigen Dingen. Im § 13: „Die Exemplifizierung des In-Seins an einem fundierten Modus. Das Welterkennen“, wird gezeigt, wie sich das vortheoretische existierende Sein bei innerweltlichem Seienden in das theoretisch erkennende Sein-bei ... modifizieren kann. Das Dritte Kapitel: „Die Weltlichkeit der Welt“, hat die Aufgabe, das erste Moment aus der dreigliedrigen Struktur des In-der-Weltseins zu thematisieren – die Weltlichkeit der Welt. Die Welt wird aber nur im Ausgang von dem zunächst innerweltlich begegnenden Seienden, dem Zeug, hermeneutisch-phänomenologisch faßbar. Die Analyse vollzieht sich daher zunächst als eine kategorial-ontologische Analyse der primären Seinsverfassung des Seienden, die nicht in Dinglichkeit und Vorhandenheit, sondern in Bewandtnis und Zuhandenheit besteht. Von da aus geht Heidegger über zur Bewandtnisganzheit und schließlich zur Enthüllung der Struktur des existenzialen Weltphänomens als der Bedeutsamkeit. Im Vierten Kapitel: „Das In-der-Welt-sein als Mit-und Selbstsein. Das »Man«“, wird herausgearbeitet, wie das Dasein ein Selbst ist. Die Jemeinigkeit, die im § 9 eingeführt wurde, wird hier als der existenziale Charakter des Selbstseins des Daseins entfaltet. Heidegger nennt die Frage nach dem Selbst des Daseins die Frage nach dem Wer im Unterschied zur Frage nach dem Was. Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins bringt aber vor allem die vorherrschende, durchschnittlichalltägliche (indifferente und uneigentliche) Seinsart des Selbst bzw. des Wer des Daseins in Ansatz, das Man. Dieses wiederum wird als durchschnittlich-alltägliche Modifikation des Selbstseins nur verständlich, sofern die Analyse des Selbstseins eine Analyse des Mitseins einschließt: Das Selbstsein ist von Hause aus Mitsein mit anderem Dasein, d.h. mit dem Anderen, mit dem Fremden, dessen Sein für mich das Mitdasein ist. Das Mitsein muß vom uneigentlichen Man-selbst insofern streng unterschieden werden, als auch das eigentlich existierende Dasein ein Mitsein mit Anderen ist, und zwar ein Mitsein im Modus der Eigentlichkeit. Anders formuliert: Das Mitsein läßt neben seiner uneigentlichen Modifikation im Man-selbst auch eine eigentliche Modifikation in einem eigentlichen Mitsein zu.

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Im Fünften Kapitel: „Das In-Sein als solches“, wird das In-Sein primär nicht mehr, wie im Zweiten Kapitel, als Sein bei innerweltlichem Seienden oder, wie im Vierten Kapitel, als Mitsein thematisiert, sondern als Existieren in der Welt: Existenz besagt In-Sein als Hinausstehen in die Erschlossenheit der Welt. Im Unterabschnitt A des Fünften Kapitels: „Die existenziale Konstitution des Da“, folgen die berühmten Analysen, die vom Phänomen der Stimmung ausgehen (§ 29: „Das Da-sein als Befindlichkeit“, § 30: „Die Furcht als ein Modus der Befindlichkeit“). Das Gestimmtsein des Daseins wird existenzial-ontologisch als die Befindlichkeit und deren Grundstruktur als die Geworfenheit gefaßt. Die befindliche Geworfenheit ist eine der beiden fundamentalen Seinsweisen des Daseins, in der die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins, das Da des Daseins, aufgeschlossen ist. Im § 31: „Das Da-sein als Verstehen“, wird das komplementär zur Geworfenheit und zur Befindlichkeit gehörende Existenzial analysiert, der Entwurf und das Verstehen: Das verstehende Entwerfen ist ein aufschließendes Verhalten zur faktischen Erschlossenheit des befindlichen Geworfenseins. Die anschließende Analyse der Auslegung und der Aussage (§ 32: „Verstehen und Auslegung“, § 33: „Die Aussage als abkünftiger Modus der Auslegung“) zeigt, daß das Entwurfsverständnis des In-der-Welt-seins sich in ein Auslegungsverständnis ausbildet, wobei beachtet werden muß, daß Auslegung ein vollzugshaftes Existenzial meint und nicht primär wissenschaftliche Interpretation, die sich in theoretischen Aussagen niederschlägt. Den Abschluß der Analyse der existenzialen Konstitution des Da bildet die fundamentalontologische Bestimmung des Wesens der Sprache (§ 34: „Da-sein und Rede. Die Sprache“). Im Unterabschnitt B des Fünften Kapitels: „Das alltägliche Sein des Da und das Verfallen des Daseins“, wird der Seinsmodus der durchschnittlichen Alltäglichkeit, der vom § 12 bis hin zum § 34 immer mitthematisiert wurde, eigens in seiner ihm eigenen strukturellen Komplexität ein Stück weit ausgefaltet und näher als das Verfallen bestimmt (§ 35: „Das Gerede“, § 36: „Die Neugier“, § 37: „Die Zweideutigkeit, § 38: „Das Verfallen und die Geworfenheit“). Mit dem Sechsten Kapitel: „Die Sorge als Sein des Daseins“, schließt die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins. Hier kommt es zu der im § 5 der Einleitung angekündigten „Hebung“ des Seins des Daseins, die die Zeitlichkeitsanalyse vorbereitet. Das jemeinig existierende In-der-Welt-sein wird als Sorge gehoben. Sorge hat die Vollzugsstruktur des Sorgetragens für die jeweilige Weise der Erschlossen-

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heit meines In-der-Welt-seins und die darin ermöglichten jeweiligen, sich abwandelnden Weisen der Entdecktheit des innerweltlichen Seienden. Die Sorge ist eine Ganzheitsstruktur, die die verschiedenen Seinscharaktere der Existenz immer schon in einer Einheit hält. III. Aufriß des Gedankengangs des Zweiten Abschnitts. Tod und Gewissen Weil die Freilegung der Zeitlichkeit des Daseins nicht unmittelbar nach dem Aufweis der allgemeinen Sorge-Struktur beginnt, mit dem die vorbereitende Fundamentalanalyse zum Abschluß kommt, vielmehr zunächst die Sorge im Modus ihrer möglichen Eigentlichkeit gehoben werden soll, der bis zu diesem Punkt noch nicht eigens thematisiert worden ist, gehen dem § 65 zwei weitere Analysen voraus: die Analyse des Todes und die Analyse des Gewissens. Dabei geht es in der Todesanalyse um die Ganzheit des Seins des Daseins, um dessen Erstreckung von seiner Geburt bis zu seinem Tod, und in der Gewissensanalyse in einem engeren Sinne um die mögliche Eigentlichkeit des Seins des Daseins. Deshalb empfiehlt sich ein Blick auf den § 45, der einen Vorblick auf den Gang der Analysen des Zweiten Abschnitts bis hin zum Beginn der Zeitlichkeitsanalyse gibt. Wenn in der Überschrift dieses Paragraphen von einer „ursprünglichen existenzialen Interpretation“ die Rede ist, so ist damit darauf hingewiesen, daß die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins mit ihrem „Ergebnis“ noch nicht eine solche ursprüngliche Interpretation war. Dazu steht noch zweierlei aus: erstens die analytische Einholung des Ganzen des Seins des Daseins zwischen Geburt und Tod und zweitens die analytische Einholung der möglichen Eigentlichkeit des Seins des Daseins. Heidegger fragt: „Was wurde [...] gewonnen, und und was ist gesucht?“ (S. 231) Und er antwortet: „Gefunden haben wir die Grundverfassung des thematischen Seienden, das In-der-Welt-sein, dessen wesenhafte Strukturen in der Erschlossenheit [im Da] zentrieren.“ (S. 231) Dabei bedeutet die zentrale Stellung der Erschlossenheit, daß nicht so sehr diese von den Existenzialien her zu verstehen ist, sondern umgekehrt die Existenzialien von der Erschlossenheit her zu verstehen sind. „Die Ganzheit dieses Strukturganzen enthüllte sich als Sorge. In ihr liegt das Sein des Daseins beschlossen.“ (S. 231) Was wird gesucht? Gesucht wird immer noch die Antwort auf die Grundfrage der Philoso-

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phie, die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Das Ergebnis der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins soll daraufhin untersucht werden, ob diese Analyse schon radikal genug war für die Beantwortung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Ein Horizont soll freigelegt werden, „in dem so etwas wie Sein überhaupt zunächst verständlich wird“ (S. 231). Dies ist die Frage nach der Ermöglichung des daseinsmäßigen Verstehens und nach der Ermöglichung des Verstehens des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden. Das Verstehen überhaupt wird durch die sich zeitigende Zeitlichkeit ermöglicht. Das im Verstehen verstandene Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden wird aus dem zur existenzialen Zeitlichkeit gehörenden temporalen Horizont verstanden. Das Seinsverständnis kann aber nur dann radikal aufgeklärt werden, wenn das Seiende, zu dessen Sein das Seinsverständnis gehört, ursprünglich interpretiert ist. Ist aber das Ergebnis der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins, die Sorge, ursprünglich genug? Und welches ist das „Richtmaß“ (S. 231) für die geforderte Ursprünglichkeit der Interpretation des Seins des Daseins? Diese Fragen und die wiederkehrenden Adjektive „radikal“ und „ursprünglich“ weisen darauf hin, daß Heidegger die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins im Zweiten Abschnitt in eine noch radikalere und ursprünglichere ontologische Dimension verlegen will, weil er die erforderliche Radikalität und Ursprünglichkeit noch nicht erreicht sieht. Dies besagt zunächst einmal, daß die Interpretation „das Ganze des thematischen Seienden in die Vorhabe“ bringen muß (S. 232). Hier taucht innerhalb des Textes von „Sein und Zeit“ ein zweiter Begriff des „Ganzen“ auf. Der erste Begriff ist die Sorge als die Ganzheit des Seins des Daseins; dies ist ein existenzialer Strukturbegriff, der eine Ganzheit bezüglich der herausgestellten existenzialen Charaktere meint. Der zweite Begriff des „Ganzen“ meint die Ganzheit des thematischen Seienden, nämlich des Daseins, im Sinne des Ganzen seines Seins von seinem Anfang bis zu seinem Ende, von seiner Geburt bis zu seinem Tod. Damit aber die ontologische Interpretation des Daseins als eine „radikale“ und „ursprüngliche“ bezeichnet werden kann, muß noch ein zweites Erfordernis erfüllt werden: Sie muß sich dessen versichern, daß sie nicht nur das Dasein als Ganzes in den Blick genommen hat, sondern auch dessen Sein, die Sorge, hinsichtlich der Einheit der zu ihr gehörigen möglichen Seinsweisen der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit bzw. der Indifferenz beider in den Blick ge-

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nommen hat. Erst wenn beide Erfordernisse erfüllt sind, kann die Frage nach dem Sinn der Einheit der Seinsganzheit des ganzen Seienden gestellt und beantwortet werden. Weil aber diese beiden Voraussetzungen bis jetzt noch nicht gegeben sind, kann die bisherige existenziale Analyse des Daseins noch nicht den Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben. „Soll die Interpretation des Seins des Daseins als Fundament der Ausarbeitung der ontologischen Grundfrage ursprünglich werden, dann muß sie das Sein des Daseins zuvor in seiner möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit existenzial ans Licht gebracht haben.“ (S. 233) Die Schaffung dieser beiden Voraussetzungen ist die Aufgabe der beiden ersten Kapitel des Zweiten Abschnitts. Die Analyse des Ganzseins im Sinne des existierenden Seins zum Tode wird im Ersten Kapitel unternommen. Die Analyse des Eigentlichseins im Zusammenhang mit dem Phänomen des Gewissens erfolgt im Zweiten Kapitel. Nachdem so das Sein des Daseins ursprünglich genug interpretiert ist, gelangt im Dritten Kapitel mit dem § 65: „Die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge“, der Seinssinn des Daseins zur ursprünglichen Interpretation.

§ 4. Vorblick auf die Analysen der Ganzheit, Eigentlichkeit und Zeitlichkeit des Daseins (§ 45, 10.–12. Absatz). Aufgabe und Methode der Zeitlichkeitsanalyse (§ 65, 1.–3. Absatz) Bevor wir uns dem § 65 zuwenden, blicken wir noch einmal auf den § 45, und zwar nun auf dessen 10., 11. und 12. Absatz, worin ein kurzer Vorblick auf die beiden in den ersten beiden Kapiteln des Zweiten Abschnitts erfolgenden Analysen der Ganzheit und der Eigentlichkeit des Daseins sowie auf die im Dritten Kapitel erfolgende Analyse der Zeitlichkeit gegeben wird. Sofern auch die Analysen der Ganzheit und der Eigentlichkeit fundamentale Existenziale betreffen – Tod und Gewissen – und im Hinblick auf die Analyse der Zeitlichkeit des Daseins einen vorbereitenden Charakter haben, weil sie für eine ursprüngliche Interpretation des Seinssinns des Daseins vorausgesetzt sind, kann man die Analysen der Ganzheit und der Eigentlichkeit als die beiden letzten Stücke der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins

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bzw., im Plural, als zwei weitere „vorbereitende Fundamentalanalysen“ fassen. I. Vorblick auf die vorbereitende Fundamentalanalyse der Ganzheit des Seins des Daseins: das Sein zum Tode Die Analyse der Ganzheit des Daseins bezüglich seines Seins verlangt, erst einmal die Frage nach dem „Ganzseinkönnen“ des Daseins zu stellen (S. 233). Das „Seinkönnen“ ist ein existenzialer Charakter, der im § 31: „Das Da-sein als Verstehen“, eingeführt wurde. Die Rede vom „Ganzseinkönnen“ soll nun im § 45 darauf hinweisen, daß die noch zu thematisierende Ganzheit des Seins des Daseins ein Charakter sein muß, der zur Existenz als einem Seinkönnen selbst gehört. „Im Dasein steht, solange es existiert, je noch etwas aus, was es sein kann und wird.“ (S. 233) Das Dasein hat, solange es existiert, Existenzmöglichkeiten, die es noch nicht ergriffen hat, aber noch ergreifen kann. Eine ausgezeichnete Instanz dieses Ausstands ist das „Ende“ (S. 234). Die Anführungszeichen, in die das Wort auch in Heideggers Text gesetzt ist, deuten darauf hin, daß dieses „Ende“ nicht im geläufigen Sinne des innerzeitlichen Endes zu verstehen ist, sondern im Sinne des für die Existenz selbst konstitutiven, zum Selbstverständnis der Existenz selbst gehörenden Endes. Dieses Ende ist der Tod. Wie aber wird der Tod als das Ende immer schon und konstitutiv zu unserem verstehenden Seinkönnen gehörig verstanden? Er „begrenzt und bestimmt die je mögliche Ganzheit des Daseins“ (S. 234) als ein Strukturmoment der Existenz: Existenz ist die existierende Erschlossenheit einer jeweiligen entwerfend-ergriffenen Möglichkeit des In-der-Welt-seins, und der Tod ist die Nichtung der existierenden Erschlossenheit, ist die Verschlossenheit, die Verschließung. Der Tod begrenzt und bestimmt die Existenz insofern, als er immer schon in die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins als deren schlechthinnige Unmöglichkeit hereinsteht. Das Dasein existiert immer schon als ein Zu-Ende-sein im Sinne eines Ganzseins, weil der Tod als die begrenzende Nichtung der Erschlossenheit des In-der-Weltseins in die Erschlossenheit als diese Nichtung hereinsteht. Das bedeutet, daß das Dasein nicht erst ganz ist, wenn es stirbt, sondern, es ist immer schon in seinem Existieren ein Ganzsein, weil zum Lebensver-

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ständnis konstitutiv das Todesverständnis gehört. Das Zu-Ende-sein ist ein Seinsverhältnis und nicht ein Gestorbensein. Nur wenn dieser existenziale Begriff des Todes gewonnen ist, d.h. wenn der Begriff des Todes von der Seinsidee der Existenz her gewonnen ist, wird „[d]as Zu-Ende-sein des Daseins im Tode und somit das Ganzsein dieses Seienden [...] phänomenal [= dem Phänomen des Seins des Daseins] angemessen in die Erörterung des möglichen Ganzseins einbezogen werden können“ (S. 234). „Daseinsmäßig aber ist der Tod nur in einem existenziellen Sein zum Tode.“ (S. 234) In diesen Sätzen soll die Kursivierung von „-sein“ im „Ganzsein“ und dann von „ist“ betonen, daß dieses Sein den Charakter der Existenz hat und nicht etwa den Charakter des Seins eines nichtdaseinsmäßigen Seienden. Dagegen soll uns die Kursivierung des Ausdrucks „Sein zum Tode“ darauf aufmerksam machen, daß diese neue Formulierung die Ausdrücke „ZuEnde-sein“ und „Ganzsein“ in sich einschließt und ersetzt. In diesem Sein-zu ... liegt das entwerfende Verhältnis des Daseins zum Tod; die Existenz ist ein Seinsverhältnis, in dem das Dasein sich in seinem Sein zu seinem in dieses Sein hereinstehenden Tod verhält. Daß der Tod in das Sein des Daseins hereinsteht, gehört zur unwählbaren Faktizität des Daseins. Innerhalb dieser aber kann das Dasein so oder so zum Tode existieren, sich so oder so zum Tode verhalten – eigentlich, uneigentlich oder indifferent. Das Sein zum Tode ist nicht nur eine existenzial-ontologische Struktur, sondern auch und zunächst ein existenzielles Phänomen, das zur vollen Konstitution der Seinsweise der Existenz gehört. Deshalb sagen wir, daß die Analyse nach der existenzial-ontologischen Struktur des existenziellen Phänomens des Seins zum Tode fragt, und diese Struktur „erweist sich als die ontologische Verfassung des Ganzseinkönnens des Daseins“ (S. 234). Dieser existenziale Begriff des Seins zum Tode wird von Heidegger im Ersten Kapitel des Zweiten Abschnitts fünffach charakterisiert. Als Möglichkeit ist er das Eigenste und als solches das Unbezügliche. Er ist das Unüberholbare, weil alle ergreifbaren Möglichkeiten des In-der-Welt-seins durch andere Möglichkeiten überholbar sind, nur der Tod nicht. Im Sinne des Gewissens ist er das Gewisse. Der Tod ist die unbestimmte Möglichkeit und in diesem Sinne das Unbestimmte. Welcher Art Möglichkeit aber ist der Tod? Er ist die Möglichkeit der schlechthinnigen Unmöglichkeit, d.h. der Nichtung aller Möglichkeiten des In-der-Welt-seins.

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II. Vorblick auf die vorbereitende Fundamentalanalyse der Eigentlichkeit des Seins des Daseins: das Gewissen Die „Eigentlichkeit“ kann nur im Blick auf „eigentliches Existieren“ bestimmt werden (S. 234). Wie der Tod ist auch die Eigentlichkeit als Daseinsphänomen zu fassen. Woher nehmen wir aber dann das Kriterium, um zwischen eigentlichem und uneigentlichem Existenzvollzug unterscheiden zu können? Das Kriterium nehmen wir aus dem Dasein selbst. Nur dann ist die Analyse der Eigentlichkeit eine echte existenzial-ontologische Analyse eines existenziellen Phänomens. Deshalb darf die Eigentlichkeit nicht irgendeine Idee sein, die dem Dasein von außen her „ontisch aufgezwungen“ oder „ontologisch erfunden“ wird (S. 234). Wir müssen also gemäß der phänomenologischen Maxime „Zu den Sachen selbst!“ vorgehen und „das Dasein selbst in seinem Sein die Möglichkeit und Weise seiner eigentlichen Existenz vorgeben“ lassen (S. 234). Der Begriff der Möglichkeit hat in Bezug auf das In-der-Welt-sein zwei aus der Struktur der Existenz gewonnene Bedeutungen, die im § 9 eingeführt wurden: 1. die auf die Welt bezogene gehaltliche Möglichkeit des In-der-Welt-seins; 2. Die vollzugshafte Möglichkeit der Sorge und des Entwurfs, d.h. die Möglichkeit, wie ich mich jeweils auf gehaltliche Möglichkeiten entwerfe – indifferent, uneigentlich oder eigentlich. Es ist diese zweite Bedeutung der Möglichkeit, die Vollzugsmöglichkeit, und zwar die Vollzugsmöglichkeit der Eigentlichkeit, die Heidegger im Sinne hat, wenn er von der „Möglichkeit und Weise seiner eigentlichen Existenz“ spricht (S. 234), die das Dasein selbst vorgeben muß. Eine vorbereitende Antwort auf die Frage nach dem Kriterium, das uns ermöglichen soll, zwischen Eigentlichkeit, Uneigentlichkeit und Indifferenz unterscheiden zu können, wird in dem Satz gegeben: „Die Bezeugung eines eigentlichen Seinkönnens aber gibt das Gewissen.“ (S. 234) Wie in der Analyse der Ganzheit des Daseins der Tod im Mittelpunkt steht, so steht in der Analyse der Eigentlichkeit des Daseins das Gewissen im Mittelpunkt und fordert eine genuin existenziale Interpretation. Das bedeutet, daß wir, wie beim Tod, so auch beim Gewissen zwischen dem geläufigen Begriff und dem existenziellen Phänomen unterscheiden und letzteres existenzial-ontologisch auslegen müssen. Geschieht dies, dann kommen wir zur Einsicht, „daß ein eigentliches Sein-

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können des Daseins im Gewissen-haben-wollen liegt“ (S. 234). Was ist aber das „Gewissen-haben-wollen“? Hier ist wiederum eine terminologische Unterscheidung zu beachten, und zwar zwischen „Gewissen“ und „Gewissen-haben-wollen“. Das Gewissen ist, wie Heidegger im Zweiten Kapitel des Zweiten Abschnitts ausführt, als Ruf des Gewissens die Bezeugung für ein eigentliches Seinkönnen. Wenn dieses Gewissen im Sinne des Anrufes, des Aufrufes, des Rückrufes und des Vorrufes ruft, dann wird das Dasein in ihm selbst und aus ihm selbst zur eigentlichen Möglichkeit aufgerufen. Aber der Ruf des Gewissens selbst ist nicht mit dem Existieren in der Weise des Eigentlichseins gleichzusetzen; denn dieser Ruf ruft nur auf, und nur dann, wenn diesem Aufruf dadurch entsprochen wird, daß dem, was der Gewissensruf erschließt, entwerfend entgegengegangen wird, existiert das Dasein im Vollzugsmodus der Eigentlichkeit. Wenn das Gewissen ruft, weicht das Dasein entweder diesem Ruf aus oder aber das Dasein beantwortet diesen Anruf im Sinne des Anrufverstehens. Dieses Anrufverstehen nennt Heidegger das Gewissen-haben-wollen; es ist das Vollziehen der vollzugshaften Möglichkeit der Eigentlichkeit. Die existenzielle Möglichkeit des Gewissen-haben-wollens „tendiert ihrem Seinssinne nach auf die existenzielle Bestimmtheit durch das Sein zum Tode“ (S. 234), weil diese beiden Phänomene ineinander übergehen. Das Gewissen-haben-wollen ist in sich ein eigentliches Sein zum Tode, das wir in der Orientierung an dem von Heidegger im § 53 eingeführten Terminus „Vorlaufen“ (S. 262) auch ein „vorlaufendes Sein zum Tode“ nennen können, und umgekehrt ist das vorlaufende Sein zum Tode in sich ein Gewissen-haben-wollen. Mit der Aufweisung eines „eigentlichen Ganzseinkönnens“ des Daseins, also eines Ganzseinkönnens des Daseins, das zugleich ein Eigentlichseinkönnen ist, „versichert sich die existenziale Analytik der Verfassung des ursprünglichen Seins des Daseins, das eigentliche Ganzseinkönnen aber wird zugleich als Modus [= eine Vollzugsmöglichkeit] der Sorge sichtbar“ (S. 234). Somit kann die existenziale Interpretation des Seins des Daseins erst jetzt den Anspruch auf die Ursprünglichkeit erheben, die für eine ursprüngliche Interpretation des Seinssinnes des Daseins erforderlich ist.

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III. Vorblick auf die Zeitlichkeitsanalyse Mit dem Terminus „Seinssinn“ schlägt Heidegger innerhalb des Vorblicks auf den Gedankengang des Zweiten Abschnitts, den er im § 45 gibt, die Brücke vom Zweiten zum Dritten Kapitel, in welchem es um die Freilegung des Seinssinnes des Daseins geht. Der „ursprüngliche ontologische Grund“ oder Seinssinn der Sorge als der gegliederten Strukturganzheit des Seins des Daseins ist die Zeitlichkeit. Die Sorge ist in sich dreifach gegliedert als „Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“ (S. 327). In diesem Ausdruck entsprechen das „Sich-vorweg“ dem verstehenden Entwurf, das „schon-sein-in“ der befindlichen Geworfenheit und das „Sein-bei“ dem entdeckenden Besorgen des innerweltlich zuhandenen Seienden. Erst aus der Zeitlichkeit, die der ermöglichende Seinsgrund der Sorge ist, wird deren gegliederte Strukturganzheit „existenzial verständlich“ (S. 234). Die existenzial-zeitliche Analyse des Seinssinnes des Daseins bedarf aber einer „konkreten Bewährung“ (S. 234), die nicht etwa in einer Metontologie, sondern in bestimmten Textpassagen des Vierten Kapitels des Zweiten Abschnitts (§§ 67–71) erfolgt. Dort müssen die in der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Ersten Abschnitts gewonnenen ontologischen Strukturen des Daseins „rückläufig auf ihren zeitlichen Sinn freigelegt werden“ (S. 234). „Durch diese Wiederholung der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins [auf der höheren und eigentlichen ontologischen Basis der Zeitlichkeit] wird aber zugleich das Phänomen der Zeitlichkeit selbst [das im § 65 zunächst nur grundsätzlich herausgestellt worden ist] durchsichtiger“ (S. 234), nämlich auf dem Wege existenzial-zeitlicher Analysen der verschiedenen Existenzialien.

IV. Aufgabe und Methode der Zeitlichkeitsanalyse Im § 65 geht es darum, die Zeitlichkeit als Seinssinn, d.h. als ontologischen Sinn des Daseins zu thematisieren und nicht etwa darum, einen ontischen „Sinn des Lebens“ zu finden. Es geht darum, den ermöglichenden Grund der Sorge als der gegliederten Strukturganzheit des Seins des Daseins hermeneutisch-phänomenologisch zu heben. Das Dasein wird ganz es selbst im Vollzugsmodus des eigentlichen Ganzseinkönnens, das in den folgenden Analysen als „vorlaufende Ent-

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schlossenheit“ (S. 323) angesprochen wird. In dieser begrifflichen Wendung müssen wir dieselben Phänomene wiedererkennen, die wir uns durch die Erläuterung des eigentlichen Ganzseinkönnens vor Augen geführt haben. Im Vorlaufen ist das eigentliche Sein zum Tode inbegriffen, insofern nämlich, als dieses kein Weglaufen vor der Erschlossenheit des Todes im Sein des Daseins ist, sondern ein vorlaufendes Erschließen des Todes als der schlechthinnigen Unmöglichkeit des Seins des Daseins. In der Entschlossenheit finden wir die Erschlossenheit des In-derWelt-seins in der Vollzugsweise ihrer Eigentlichkeit wieder. „Vorlaufende Entschlossenheit“ nennt also die beiden zusammengehörigen Existenzphänomene des Gewissen-haben-wollens und des eigentlichen Seins zum Tode in ihrem Zusammengehen. „Dieser Modus der Eigentlichkeit der Sorge enthält die ursprüngliche Selbst-ständigkeit und Ganzheit des Daseins“ (S. 323), wobei „Selbst-ständigkeit“ eine Formulierung für die Eigentlichkeit ist, in der das Selbstsein des Daseins sich in der ihm möglichen eigentlichen Weise gefunden hat. Daran anschließend gibt uns Heidegger eine methodische Anweisung für die anstehende hermeneutisch-phänomenologische Analyse der Zeitlichkeit als des ursprünglichen Seinssinnes der Sorge im Modus ihrer vorlaufenden Entschlossenheit. Die Ausgangsposition ist: „Im unzerstreuten, existenzial verstehenden Blick auf sie [= die vorlaufende Entschlossenheit] muß sich die Freilegung des ontologischen Sinnes des Seins des Daseins vollziehen.“ (S. 323) Zunächst aber fragt Heidegger: „Was wird ontologisch mit dem Sinn der Sorge gesucht? Was bedeutet Sinn?“ (S. 323) Im Zusammenhang der Analyse von Verstehen und Auslegung im § 32 wurde gesagt, Sinn sei das, „worin sich die Verstehbarkeit von etwas hält, ohne daß es [= das Worin des Sichhaltens der Verstehbarkeit] selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt.“ (S. 324) Wir lesen aber nun diese Ausführung über den Sinn nicht rückblickend auf die Analyse von Verstehen und Auslegung, sondern vorblickend auf die Thematik der Zeitlichkeitsanalyse. Dementsprechend lesen wir diese Bestimmung des Sinnes in bezug auf die Analyse der Sorge und sagen: Sinn ist das, worin sich die Verstehbarkeit der Sorge als der vorlaufenden Entschlossenheit hält, das, woraus die Sorge in ihrer Möglichkeit begriffen werden kann – die Zeitlichkeit. Aber dies, worin die Verstehbarkeit der Sorge sich hält, die sich zeitigende Zeitlichkeit, ist noch verhüllt geblieben, zumal es zum Wesen des Sinnes

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gehört, daß er als das, von woher etwas als etwas verstanden wird, selbst unthematisch und unausdrücklich bleibt. Heidegger erweitert das Worin des Sichhaltens der Verstehbarkeit zum „Woraufhin des primären Entwurfs“ (S. 324). Darunter verstehen wir das Woraufhin des Entwerfens des hermeneutisch-phänomenologisch enthüllenden Denkens. Freilich existiert auch das vorphilosophische Denken entwerfend. Das Entwerfen ist ein Erschließen, und das im Entwerfen Entworfene ist das Erschlossene. Zum Entwerfen und Erschließen gehört immer das, woraufhin etwas entworfen und somit erschlossen wird, wobei aber dieses Woraufhin im vorphilosophischen Denken zunächst unthematisch bleibt. Erst im nachhinein kann es dadurch, daß das philosophische, d.h. hermeneutisch-phänomenologische Denken dem Entwerfen und seinem Entworfenen nachgeht, thematisiert und enthüllt werden. Sofern das Entwerfen mit dem, woraufhin es entwirft, Möglichkeiten erschließt, d.h. solches erschließt, was ermöglicht (ermöglichende Möglichkeiten), besagt die thematische Freilegung des Woraufhin eines Entwurfs: „das erschließen, was das Entworfene ermöglicht“ (S. 324). Nach diesem Schema können wir sagen: Die Sorge ist das Ermöglichte und der Sinn der Sorge ist das sie Ermöglichende. Jetzt kommt es darauf an, diesen Sinn der Sorge, dieses Woraufhin des Entwurfs, der der ursprünglichen existenzialen Interpretation des Daseins zugrundeliegt, selbst in den phänomenologischen Blick zu nehmen und so das zu thematisieren und zu erschließen, was das Entworfene – die Sorge – ermöglicht. Dies können wir, indem wir Heideggers allgemeine Charakterisierung philosophischer Sinnerschließung auf den Sinn der Sorge anwenden, auch folgendermaßen formulieren: „Diese Freilegung [des Woraufhin des Entwurfs der Sorge] verlangt methodisch, dem [...] unausdrücklichen Entwurf [der Existenz des Daseins als Sorge in ihrer vorlaufenden Entschlossenheit] so [hermeneutisch-phänomenologisch verstehend-enthüllend] nachzugehen, daß das im Entwerfen Entworfene [d.h. die im existenzial-ontologischen Entwerfen entworfene Sorge] hinsichtlich seines Woraufhin erschlossen und faßbar wird.“ (S. 324) Damit ist das methodische Vorgehen der anstehenden Zeitlichkeitsanalyse vorweg gekennzeichnet.

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§ 5. Der zeitliche Sinn der Sorge: das Sich-vorweg-sein als die Zukunft, das Schon-sein-in ... als das Gewesen, das Sein-bei ... als die Gegenwart (§ 65, 6.–9. Absatz) I. Das Sein des Daseins in seinem Sorge-Charakter – Vollzugsmöglichkeiten und gehaltliche Möglichkeiten Um in die Gedankenbahn der Freilegung des Zeitlichkeitssinnes hineinzugelangen, vergegenwärtigen wir uns noch einmal kurz dasjenige, dessen Sinn als Zeitlichkeit freigelegt werden soll, d.h. das Sein des Daseins, die Existenz, in ihrem Sorge-Charakter. Das Dasein ist sich selbst in seinem Sein als Existenz aufgeschlossen in der Weise der selbsthaftekstatisch-horizontalen Erschlossenheit. Diese Selbsterschlossenheit geschieht in den beiden Vollzugsmodi der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit: „Das Dasein ist ihm selbst hinsichtlich seiner Existenz eigentlich oder uneigentlich erschlossen.“ (S. 325) Diese Vollzugsmöglichkeiten sind von den gehaltlichen Möglichkeiten des In-der-Welt-seins zu unterscheiden. Es kommt nun jedoch gerade darauf an zu sehen, wie diese beiden unterschiedlichen Möglichkeitsbegriffe dennoch zusammengehen. Offensichtlich kann es ebensowenig jemals eine gehaltliche Möglichkeit ohne eine dazugehörige Vollzugsmöglichkeit geben wie es jemals eine Vollzugsmöglichkeit ohne eine dazugehörige gehaltliche Möglichkeit geben kann. Anders gewendet: Wenn von der „vorlaufenden Entschlossenheit“ gesprochen wird, ist damit nicht etwa ausschließlich an die Vollzugsmöglichkeit des eigentlichen Ganzseins gedacht, die sich von den gehaltlichen Möglichkeiten losgelöst hielte, gleich als ob das Dasein im Existenzvollzug der vorlaufenden Entschlossenheit in einem quasi gehaltlosen Sinne ganzseiend und eigentlich existierte und nur im indifferenten und uneigentlichen Existenzvollzug auch in den gehaltlichen Möglichkeiten des In-der-Welt-seins. Vielmehr ist die ganze Charakterisierung der vorlaufenden Entschlossenheit eine Charakterisierung der Vollzugsmöglichkeit der gehaltlichen Möglichkeiten – in der einen sind jeweils die anderen stets mitzudenken. Wenn demnach das Dasein in seinem eigentlichen Sorgevollzug auf Möglichkeiten seines In-der-Welt-seins sich entwirft, dann wird dieses gehaltliche Sichentwerfen vollzogen in der Vollzugsmöglichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit. Diese meint als das eigentliche Ganzsein nicht den Gehaltssinn der Möglichkeiten, sondern ihren Vollzugssinn.

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In seiner Existenz versteht sich das Dasein vollzugshaft, „so zwar, daß dieses Verstehen kein pures Erfassen darstellt, sondern das existenzielle Sein des faktischen Seinkönnens ausmacht“ (S. 325). Das Sichverstehen des Daseins ist primär gerade kein thematisch erfassendes und vergegenständlichendes. In der Wendung „das existenzielle Sein des faktischen Seinskönnens“ ist der Genitv „des faktischen Seinkönnens“ natürlich nicht wie der Genitiv in der Wendung „das Sein des Seienden“ gemeint, sondern die Rede ist vom existenziellen Sein in der Weise des faktischen Seinkönnens. Dieses wiederum ist, sofern im „Seinkönnen“ der Entwurf und in der „Faktizität“ die Geworfenheit angesprochen werden, der geworfene Entwurf. Dieses solcherart vollzugshaft erschlossene Sein „ist das eines Seienden, dem es um dieses Sein geht“ (S. 325). Hier findet sich in verkürzter Form die bereits im § 4 der Einleitung eingeführte und in ihrer Leitfadenfunktion für die vorbereitende Fundamentalanalyse entscheidende formale Kennzeichnung der Existenz des Daseins, das das Seiende ist, dem es „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“ (S. 12). Das „um“ in der Wendung „es geht um ...“ meint das vollzugshafte Sichverhalten des Daseins in seinem Sein zu seinem Sein. Es fungiert dabei primär als Anzeige für das Entwerfendsein. Diese formale Kennzeichnung der Existenz gilt es nun aus der vollen Sorge-Struktur zu denken, also aus der in sich dreigliedrigen Struktur des Sich-vorweg-seins-imschon-sein-in ... als Sein-bei ...: Dem Dasein geht es in seinem Sein um sein Sein im Sinne des Sorgevollzugs als des entwerfenden Sich-vorwegseins im schon Gewesensein in der faktischen Erschlossenheit als Seinbei innerweltlich begegnendem Seienden. Das Sorgetragen für ... ist also zum einen der Vollzug des entwerfenden Sich-vorweg-seins, geschieht aber ebenso im existierenden Verhalten zum je schon Geworfensein und im Wie des Seins-bei innerweltlichem Seienden. Den Sinn dieses Seins, der Sorge, gilt es nun aufzusuchen, sofern jener „diese in ihrer Konstitution [= Bildung, Verfaßtheit] ermöglicht“ und so „ursprünglich das Sein des Seinkönnens aus[macht]“ (S. 325). Dieser Seinssinn des Daseins aber „ist nicht ein freischwebendes Anderes und »Außerhalb« seiner selbst, sondern das sich verstehende Dasein selbst“ (S. 325). Das sorgend sich verstehende Dasein zeigt in sich selbst einen Seinssinn, der jetzt freizulegen ist als das, woraufhin die Sorge entworfen ist. Gefragt wird nunmehr also: „Was ermöglicht das Sein des Daseins und damit dessen faktische Existenz?“ (S. 325)

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II. Der zeitliche Sinn des Sich-vorweg-seins: das Auf-sich-zukommen als das ursprüngliche Phänomen der Zukunft Heidegger geht nun dazu über, den zeitlichen Sinn des entwerfenden Sich-vorweg-seins im Vollzugsmodus der vorlaufenden Entschlossenheit freizulegen. Zuerst vergegenwärtigt er das dazu in den beiden ersten Kapiteln des Zweiten Abschnitts Gewonnene: „Das Entworfene des ursprünglichen existenzialen Entwurfs der Existenz enthüllte sich als vorlaufende Entschlossenheit.“ (S. 325) „Ursprünglich“ ist dieser existenziale Entwurf des hermeneutisch-phänomenologischen Denkens, da er die Existenz als die Sorge hinsichtlich ihrer Ganzheit und Eigentlichkeit entworfen hat. Die Sorge wird also hier gefaßt in der Vollzugsmöglichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit, die aber gerade, wie wir sahen, nicht im Gegensatz zu den gehaltlichen Möglichkeiten, sondern im Zusammenspiel mit ihnen steht. Zu fragen ist nun: „Was ermöglicht dieses eigentliche Ganzsein des Daseins hinsichtlich der Einheit seines gegliederten Strukturganzen?“ (S. 325) Das „gegliederte Strukturganze“ ist die in sich dreifach gegliederte Sorge. In dieser ihrer Gliederung bildet die Sorge dennoch eine Eineit, weshalb die Frage entsteht, was denn diese Einheit des in sich dreifach gegliederten Strukturganzen der Sorge in der Vollzugsmöglichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit ermöglicht. Wird die Sorge demnach in den Blick genommen als vorlaufende Entschlossenheit, so ist damit keinesfalls gesagt, das Dasein existiere, ohne jegliche Gehalte des In-der-Welt-seins, nur als vorlaufendes Sein zum Tode und Gewissen-haben-wollen. Vielmehr ist das, was darin herausgestellt wird, eine Vollzugsmöglichkeit in der Weise, daß in dieser gerade eine gehaltliche Möglichkeit entworfen und aufgeschlossen wird. Zunächst jedoch wird die Sorge lediglich hinsichtlich des ersten ihrer drei Strukturmomente, des entwerfenden Sich-vorweg-seins, in den Blick genommen. Dieses macht natürlich nicht allein die vorlaufende Entschlossenheit aus, sondern bildet nur die eine der drei möglichen Hinsichten, welche jetzt aber primär in den Blick gehoben werden soll. „Formal existenzial gefaßt, ohne jetzt ständig den vollen Strukturgehalt zu nennen, ist die vorlaufende Entschlossenheit das Sein zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen.“ (S. 325) Das „Sein zum“ besagt also den Entwurf, das entwerfende Sichverhalten zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen. Dabei verweist das Adjektiv

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„eigensten“ dieses Seinskönnen in den Phänomenbereich des Seins zum Tode, d.h. in das Ganzseinkönnen; mit dem Adjektiv „ausgezeichneten“ dagegen ist im Unterschied zum nicht eigentlichen das eigentliche Seinkönnen gekennzeichnet. Als eigentliches Ganzseinkönnen gehen diese beiden Phänomene in der vorlaufenden Entschlossenheit zusammen. Ist also das „Sein zum“ das Sichentwerfen auf das eigenste ausgezeichnete Seinkönnen, so ist dieses gedanklich nicht nur zu füllen mit dem in der Todes- und der Gewissensanalyse Aufgezeigten, sondern meint stets auch das Sichentwerfen auf gehaltliche Möglichkeiten des In-der-Weltseins. In der Kennzeichnung des eigentlichen Ganzseinkönnens stehen diese gehaltlichen Möglichkeiten im Modus der vorlaufenden Entschlossenheit, sonst aber, im Ausbleiben der vorlaufenden Entschlossenheit, im Modus der Uneigentlichkeit oder der Indifferenz. Diese vorlaufende Entschlossenheit als das Sichentwerfen auf das eigenste ausgezeichnete Seinkönnen (im Sinne der beiden verschiedenen Begriffe der Möglichkeit, der gehaltlichen wie der des Vollzugs) „ist nur so möglich, daß das Dasein überhaupt in seiner eigensten Möglichkeit auf sich zukommen kann“ (S. 325). Das durch kursiven Druck hervorgehobene „kann“ verweist auf das Seinkönnen, hier genauer auf das Seinkönnen in seinem eigentlichen Vollzugsmodus. Das Sichentwerfen, d.h. das Aufschließen oder Bilden von Erschlossenheit, das sich entwerfende Aufschließen einer Möglichkeit des In-der-Welt-seins, wird charakterisiert als Bewegung des Auf-sich-zukommens – mit der Herausstellung dieses Auf-sich-zukommens beginnt die Freilegung des zeitlichen Sinnes des ersten Strukturmoments der Sorge. Entscheidend ist es nun, dieses Auf-sich-zukommen aus der Erschlossenheit zu denken: Das Dasein kommt im Für-sich-Aufschließen einer Möglichkeit auf sich zu als das Dasein, das in und aus dieser Möglichkeit existiert. Die Erschlossenheit ist dabei stets zu begreifen als ein nicht etwa selbstverständliches Phänomen, sondern als das, was im Sorge-Vollzug und der Zeitlichkeit geschieht, also als ein Geschehen der sich aufschließenden Erschlossenheit, die gemäß den verschiedenen Strukturmomenten der Sorge sich aufschließt. Hier handelt es sich um das Strukturmoment des Entwerfens, das hinsichtlich seines zeitlichen Seinssinnes als Auf-sichzukommen gefaßt wird. Diese im Vollzug der Zeitlichkeit sich zeitlichgeschehenshaft aufschließende Erschlossenheit bildet das Grundphänomen, in dem und aus dem der Mensch als Mensch existiert. Insofern ist diese zeitlich verfaßte Erschlossenheit gleichsam die Wurzel des

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Menschseins überhaupt; das Tier dagegen begegnet in seiner Seinsweise des Lebens aus dieser in der menschlichen Existenz aufgeschlossenen Erschlossenheit her. Im Auf-sich-zukommen als dem „Sich-auf-sichzukommenlassen“ (S. 325)9 hält das Dasein die eigenste und ausgezeichnete Möglichkeit als Möglichkeit aus, harrt sie aus. Deutlicher zeigt sich nun der zeitliche Sinn, auf den in der Rede vom „auf sich zukommen“ und vom „Sich-auf-sich-zukommenlassen“ schon vorgedeutet wurde, im folgenden Satz: „Das die ausgezeichnete Möglichkeit aushaltende, in ihr sich auf sich Zukommen-lassen ist das ursprüngliche Phänomen der Zukunft.“ (S. 325) Dieses „ursprüngliche Phänomen der Zukunft“ gehört zur ursprünglichen Zeit als der Zeitlichkeit des Daseins. Zukunft im Sinne der ursprünglichen Zeitlichkeit des Daseins wird gefaßt im Unterschied zu der ontologisch abkünftigen Zukunft im Sinne des Noch-nicht-Jetzt. Zu dieser gehören sowohl die sekundäre wie die primäre Erwartung – letztere war für Husserl als das protentionale Verstehen der Zukunft (das Sogleich) gerade das ursprünglichste Zukunftsphänomen. Dagegen versucht nun Heidegger im Rahmen seiner daseinsanalytischen Zeitlichkeitsanalyse aufzuzeigen, daß die auf das Noch-nicht-Jetzt bezogene Erwartung, die sekundäre ebenso wie die primäre, zwar kein falsches, aber doch auch kein ursprüngliches Phänomen ist, sofern das Noch-nicht-Jetzt der ursprünglichen Zukunft entsprungen ist. Diese ursprüngliche Zukunft ist wie die ursprüngliche Gewesenheit und die ursprüngliche Gegenwart bezogen auf das Grundphänomen der Erschlossenheit; in dieser, als dem Da des Daseins, zeigen sich die ursprünglichen Zukunfts-, Gewesenheits- und Gegenwartsphänomene. Aus dieser ursprünglichen Zeit, der ekstatischen Zeitlichkeit der Erschlossenheit, entspringt die am Jetzt, Nichtmehr-Jetzt und Noch-nicht-Jetzt orientierte Zeit. Die ursprüngliche Zeit als die ekstatische Zeitlichkeit bildet also den zeitlichen Sinn der existenzial sich aufschließenden und aufgeschlossenen Erschlossenheit; Zukunft meint dabei das entwerfend-aufschließende Sich-auf-sichzukommen-lassen in aufzuschließenden Möglichkeiten des In-der-Weltseins. 9

Im „Sich-auf-sich-zukommenlassen“ ist das „-lassen“ im Sinne von „zulassen“ zu verstehen; der Entwurf hat im Aufschließen den Charakter des Zulassens des Aufsich-zukommens. Es geht darum, das Kommende nicht auf das Noch-nicht-Jetzt im Sinne der Jetzt-Zeit zu reduzieren, sondern das Kommende gerade als Kommendes zuzulassen, d.h. kommen zu lassen.

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„Wenn zum Sein des Daseins das eigentliche bzw. uneigentliche Sein zum Tode gehört“, d.h. das entwerfende Sichverhalten zur eigensten, unbezüglichen, unüberholbaren, gewissen und als solchen unbestimmten Möglichkeit des Todes, „dann ist dieses nur möglich als zukünftiges in dem jetzt angezeigten und noch näher zu bestimmenden Sinn.“ (S. 325) Die Seinsbewegung des Seins zum Tode ist selbst nur möglich als zukünftige; sie hat ihren Seinssinn im Auf-sich-zukommen. Im eigentlichen Sein zum Tode kommt das Dasein in der Weise auf sich zu, daß das Sichentwerfen auf die Möglichkeiten des In-der-Welt-seins, das seinen Seinssinn im Auf-sich-zukommen hat, im Modus der Eigentlichkeit und des Ganzseins vollzogen wird. Das Sein zum Tode tritt so nie an die Stelle einer gehaltlichen Möglichkeit des In-der-Welt-seins, sondern gehört zur Vollzugsmöglichkeit, in der das Dasein sich auf gehaltliche Möglichkeiten seines In-der-Welt-seins entwirft. Wie schon erläutert, ist das existenziale Phänomen der Zukunft nicht gleichzusetzen mit dem Noch-nicht-Jetzt; sofern dieses ein jenem entsprungenes Zukunftsphänomen ist, gehört es in die ausgelegte Zeitlichkeit. Heidegger wird im Sechsten Kapitel des Zweiten Abschnitts aufzeigen, inwiefern die ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit im besorgenden Umgang sich in die Weltzeit als die Zeit des Jetzt, Nochnicht-Jetzt und Nicht-mehr-Jetzt auslegt. Die Weltzeit wird dort in ihren Charakteren der Datierbarkeit, Gespanntheit, Öffentlichkeit und Bedeutsamkeit aufgewiesen.10 Dagegen meint Zukunft im Sinne der ursprünglichen existenzialen Zeitlichkeit „nicht ein Jetzt, das noch nicht »wirklich« geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft“ (S. 325). Die „Kunft“ ist das Wort für das entwerfende Auf-sichzukommen, in dem „das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“ (S. 325). „Das Vorlaufen macht das Dasein eigentlich zukünftig“ (S. 325). Dieser Halbsatz ist nicht so zu verstehen, als gründe im Vorlaufen das Zukünftigsein des Daseins überhaupt, sondern in dem Sinne, daß das vorlaufende, d.h. eigentliche Sein zum Tode lediglich die Eigentlichkeit der Zukünftigseins ausmacht. Dieser Sinn bestätigt sich durch den zweiten Halbsatz, in dem deutlich gemacht wird, „daß das Vorlaufen selbst nur möglich ist, sofern das Dasein als seiendes überhaupt schon immer auf sich zukommt, das heißt 10

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Für uns wird es bezüglich dieser Analysen gelten, kritisch zu prüfend, ob es Heidegger hier wirklich gelingt zu zeigen, wie die am Jetzt orientierte Weltzeit der existenzialen Zeitlichkeit entspringt.

in seinem Sein überhaupt zukünftig ist“ (S. 325). Das Dasein ist zukünftig, sofern es in seinem Sein entwerfend sich vorweg ist als das entwerfende Aufschließen einer ganzheitlichen Möglichkeit des Inder-Welt-seins. Darin kommt es auf sich zu, darin zeigt sich der ursprünglichste Sinn der Zukunft. III. Der zeitliche Sinn des Schon-seins-in ...: das Auf-sich-zurückkommen als das ursprüngliche Phänomen der Gewesenheit Zu Beginn der Herausstellung des zeitlichen Sinnes des zweiten Strukturmoments der Sorge, des Schon-seins-in ..., erinnert Heidegger an die Gewissensanalyse. In dieser wird der Eigentlichkeitsmodus thematisiert: „Die vorlaufende Entschlossenheit versteht das Dasein in seinem wesenhaften Schuldigsein.“ (S. 325) Begonnen wird die Herausstellung der Gewesenheit mit dem Hinweis auf das wesenhafte Schuldigsein, weil die „Übernahme der Geworfenheit“ (S. 325) das dreifache Nicht des Schuldigseins in ausgezeichneter Weise erschließt, damit auch die Nichtigkeit der Geworfenheit, so, daß in der vorlaufenden Entschlossenheit diese nicht geflohen wird, sondern sich erschließen läßt im Sinne des Gewissen-haben-wollens. Dieses läßt den Geworfenheitscharakter unverstellt sich in der Existenz auswirken. Es gilt daher, an dieser Stelle kurz auf die Gewissensanalyse zurückzublicken. Das Gewissen ruft das Dasein dazu auf, sein Sein in seinem wesenhaften Schuldigsein zu übernehmen. Dabei „liegt in der Idee von »schuldig« der Charakter des Nicht“ (S. 283). Jedes der drei Strukturmomente der Sorge ist bestimmt durch ein existenziales bzw. existenzielles Nicht. Daraus erwächst „das ontologische Problem, den Nicht-Charakter dieses Nicht existenzial aufzuklären“ (S. 283). Die formal-existenziale Idee des „schuldig“ wird von daher bestimmt als „Grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein“ (S. 283). Für uns ist hier der konstitutive Nicht-Charakter der Geworfenheit wichtig. Dieser zeigt sich darin: „Seiend ist das Dasein geworfenes, nicht von ihm selbst in sein Da gebracht.“ (S. 284) Dieser Nicht-Charakter besagt demnach, daß das Dasein faktisch in sein Da versetzt ist; diese Faktizität entzieht sich dem Dasein und seinem Entwurf, sie springt ihm un-

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einholbar immer schon voraus.11 Dergestalt ist das Dasein „als Seinkönnen bestimmt, das sich selbst gehört und doch nicht als es selbst sich zu eigen gegeben hat“ (S. 284). Das Dasein gehört zwar sich selbst, aber nicht so, daß es selbst sich zu eigen gegeben hätte, sondern nur als geworfenes. Im § 65 geht es nun darum, das Schon-sein-in ... im Rückgriff auf das wesenhafte Schuldigsein des Daseins in seinem spezifischen zeitlichen Sinn zum Aufweis zu bringen. Das Verstehen des wesenhaften Schuldigseins „besagt, das Schuldigsein existierend übernehmen“, die Geworfenheit in ihrem Nicht-Charakter ganz in der Existenz sich erschließen lassen, d.h. „als geworfener Grund der Nichtigkeit sein“ (S. 325). Diese „Übernahme der Geworfenheit“ aber, als der eigentliche Existenzmodus des Geworfenseins, „bedeutet, das Dasein in dem, wie es je schon war, eigentlich sein“ (S. 325). Angesprochen ist hier das Da, wie es je schon war, d.h. wie es je schon erschlossen war, nämlich faktisch, in der Weise der befindlichen Geworfenheit. Diese geworfene Erschlossenheit eigentlich zu sein, heißt, sie nicht zu verschließen, sondern in der Existenz erschließen zu lassen. Im Folgenden geht nun Heidegger dazu über, ausdrücklich den zeitlichen Sinn herauszustellen: „Die Übernahme der Geworfenheit ist aber nur so möglich, daß das zukünftige Dasein sein eigenstes »wie es je schon war«, das heißt sein »Gewesen«, sein kann.“ (S. 325f.) Die befindliche Geworfenheit als Erschließungscharakter des In-der-Welt-seins hat also ihren zeitlichen Sinn in einem Gewesen, d.h. einem Erschlossen-gewesen. Dieses kann als faktisches nie von dem aufschließenden Entwurf eingeholt werden, sondern greift diesem immer vor. Eigentlich geschieht das Gewesen, wenn es sich unverschlossen erschließen läßt in dem erschließenden Sichentwerfen und für es. Die Erschlossenheit, die das Sichentwerfen auf Möglichkeiten des In-der-Welt-seins aufschließt, ist immer schon eine erschlossen gewesene, befindlich-geworfene. Nur als solche kann sie im Entwurf erschließend aufgeschlossen werden. Geschieht das Entwerfen als Aufsich-zukommen, so wird in terminologischer Entsprechung hierzu nun vom „Auf-sich-zurückkommen“ gesprochen: „Nur sofern Dasein über11

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Im ersten Teil der Fichteschen „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre“ von 1794, dem Teil der drei Grundsätze, der zum Ich als Tathandlung hinführt, ist klar ersichtlich, wie der Idealismus zwar so etwas wie die Faktizität im Blick hat, aber nicht als solche bestehen läßt, sondern sie zurücknimmt in das Sichsetzen des Ich. In Fichtes „Tathandlung“ wird somit – sofern sie nur auf das absolute Ich abzielt – jeder Gesetztheitscharakter in den Setzungscharakter zurückgenommen.

haupt ist als ich bin-gewesen, kann es zukünftig so auf sich selbst zukommen, daß es zurück-kommt.“ (S. 326) In der Übernahme der Geworfenheit, d.h. im Existieren als dem je schon Erschlossen-gewesen, kommt das Dasein auf sich als sein je schon Erschlossen-gewesen zurück. Im Entwerfen dagegen, in der Aufschließung einer Möglichkeit seines In-der-Welt-seins, kommt es auf sich zu, nur so aber, daß es zugleich auf sich zurückkommt, zurück nämlich auf das unverschlossene geworfene je schon Erschlossen-gewesensein: „Eigentlich zukünftig ist das Dasein eigentlich gewesen.“ (S. 326) Dieses Auf-sich-zurückkommen macht so im Zusammenhang mit dem entwerfenden Auf-sichzukommen die Bildung der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins aus. Im aufschließenden Auf-sich-zukommen als dem Auf-sich-zurückkommen auf sein je schon Erschlossen-gewesensein schließt sich die ganzheitliche Erschlossenheit auf. Dieses doppelte „Kommen“ kann zwar primär aus der „Kunft“ der Zukunft bestimmt erscheinen, entscheidend ist jedoch die Bestimmung aus der jeweiligen Bewegung des Auf-sich-zu bzw. des Auf-sich-zurück. Es handelt sich somit ontologisch gesehen um zwei Teilbewegungen, die aber zusammen zur ganzheitlichen Bewegung des Sorgevollzugs gehören. Zu diesem gehört dann auch noch eine dritte Bewegung, so daß gemäß den drei Zeitdimensionen (die aber nicht mehr aus der JetztZeit, sondern aus der ursprünglichen Zeit, der sich zeitigenden Erschlossenheit, her zu verstehen sind) insgesamt drei Bewegungen zu unterscheiden sind: Eine Dimension bildet das Auf-sich-zukommen, eine andere das Auf-sich-zurückkommen, eine dritte das Gegenwärtigen. Diese drei unterschiedlichen Bewegungen bilden den in sich einheitlichen Seinssinn der Sorge. So wie das Auf-sich-zukommen den ursprünglichen Sinn der Zukunft bildet, so ist das nun herausgestellte Auf-sich-zurückkommen als die Gewesenheit der ursprüngliche Sinn der Vergangenheit, dem seinerseits das abkünftige Phänomen des Nichtmehr-Jetzt entspringt. Gegen Ende des 8. Absatzes des § 65 konkretisiert Heidegger ein Stück weit das Verhältnis zwischen Zukunft und Gewesenheit: „Das Vorlaufen in die äußerste und eigenste Möglichkeit ist das verstehende Zurückkommen auf das eigenste Gewesen.“ (S. 326) Hier klingt ein gewisser Vorrang der Zukunft an, denn: „Dasein kann nur eigentlich gewesen sein, sofern es zukünftig ist.“ (S. 326) Nur wenn das Dasein eigentlich auf sich zukommt, kann es auch eigentlich auf sich als sein

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Erschlossen-gewesen zurückkommen. Daher kann gesagt werden: „Die Gewesenheit entspringt in gewisser Weise der Zukunft.“ (S. 326) IV. Der zeitliche Sinn des Sein-bei ...: das Gegenwärtigen als das ursprüngliche Phänomen der Gegenwart Im Auf-sich-zu- und Auf-sich-zurückkommen erschließt die vorlaufende Entschlossenheit die „jeweilige Situation des Da“, das heißt die Lage des Da, die situative Erschlossenheit der geworfen-entworfenen Möglichkeit des In-der-Welt-seins, „so, daß die Existenz handelnd das faktisch umweltlich Zuhandene umsichtig besorgt“ (S. 326). Das umsichtige Besorgen bildet als Sein-bei umweltlich Zuhandenem das dritte Strukturmoment der Sorge. Wie aber gehört dieses Sein-bei ... überhaupt als ein ekstatisches Phänomen zum Entwurf und zur Geworfenheit? Nur so, daß es nicht nur ein entdeckendes Sein bei innerweltlich begegnendem Seienden ist, sondern in einem Bezug zum Entwurf und zur Geworfenheit als seinen Voraussetzungen steht: Das besorgende Sein-bei ... übernimmt die im Auf-sich-zu- und Auf-sich-zurückkommen sich aufschließende situative Erschlossenheit und hält sie aufgeschlossen. Dergestalt ist auch sie in sich ekstatisch, d.h. ein Seinsverhältnis, ein Entrücktsein in die Erschlossenheit; nicht aber wie der Entwurf und die Geworfenheit, die selbst die Erschlossenheit bilden, sondern nur, sofern sie die in dem geworfenen Entwurf gebildete, sich aufgeschlossen habende Erschlossenheit übernimmt und aufgeschlossen hält als den Horizont für das besorgende Einrückenlassen des Seienden in seine innerweltliche Entdecktheit. Für das Begegnenlassen des Seienden bedarf es des Seinsbezugs. Das dritte Strukturmoment der Sorge ist so auf dem Grunde des Sorgetragens für die befindlich-verstehende Erschlossenheit des In-der-Welt-seins das Sorgetragen für die Bildung der Entdecktheit im Sein-bei ... Dieses Ganze ist vollzugshaft zu denken. Man kann sich hier fragen, ob bezüglich dieses Offenhaltens der Erschlossenheit im Modus des eigentlichen Seins-bei ... von einem „Verwahren“ der Erschlossenheit gesprochen werden könnte. Wird, umgekehrt, im uneigentlichen Sein-bei ... nicht gerade die Erschlossenheit im Umgang mit dem Seienden nicht verwahrt? Eine Bejahung dieser Frage erscheint sachlich dann gerechtfertigt, wenn das „Verwahren“ nicht dem von Heidegger ereignisgeschichtlich gedachten „Bergen“

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gleichgesetzt wird. Eine solche Gleichsetzung würde gerade die wesentliche Verwandlung des Denkens der Wahrheit im seinsgeschichtlichen Denken ignorieren. Faßt nämlich die Fundamentalontologie die Erschlossenheit als die Bedingung der Möglichkeit für die Entdecktheit, so wird das Denken dieses Ermöglichungsverhältnisses durch dasjenige Denken, das die Entdecktheit als das Verwahrtsein im Sinne des Geborgenseins der Erschlossenheit denkt, überwunden. Somit handelt es sich bei dem eigentlichen Sein-bei ... zwar in einem bestimmten Sinne um ein Verwahren, nicht aber um das Bergen im seinsgeschichtlichen Sinne. Im Entdecken des Seienden wird die Erschlossenheit „verwahrt“, oder besser, weil vorsichtiger und die gefährliche Assoziation mit der Bergung abwehrend gesagt: „bewahrt“. „Das entschlossene [= eigentliche] Sein bei12 dem Zuhandenen der Situation, das heißt das handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden ist nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden.“ (S. 326) Das Begegnenlassen des Seienden, das die im Auf-sich-zu- und Auf-sich-zurückkommen sich aufschließende Erschlossenheit aufgeschlossen hält, hat als seinen zeitlichen Sinn das Gegenwärtigen – dieses ist die ursprüngliche Gegenwart, die nicht mehr aus dem Jetzt, sondern aus der Erschlossenheit gedacht ist. „Nur als Gegenwart im Sinne des Gegenwärtigens kann die Entschlossenheit sein, was sie ist: das unverstellte Begegnenlassen dessen, was sie handelnd ergreift.“ (S. 326) Das Sein-bei ..., das in sich ein Aufgeschlossenhalten der situativen Erschlossenheit ist, hat also als das Einrückenlassen des Seienden in seine innerweltliche Entdecktheit den Sinn des Gegenwärtigens. Bei dem Begriff „Gegenwärtigen“ denken wir jedoch zunächst an Husserl. Für diesen meint Gegenwärtigen das Wahrnehmen im Unterschied zur Wiedererinnerung und zur sekundären Erwartung, die beide Modi der Vergegenwärtigung sind. Dabei handelt es sich um eine intentionale Verhaltung zum intentionalen Gegenstand, so zwar, daß dieser intentionale Gegenstand zur leibhaftigen Selbstgegebenheit kommt. Für Heidegger dagegen ist das Gegenwärtigen eine Ekstase, ein ekstatisches Seinsverhältnis des Daseins zur Gegenwartsdimension der Erschlossenheit. Diese ist die aufgeschlossene situative Erschlossenheit, das situative Da; das Gegenwärtigen ist das Aufgeschlossenhalten dieses Da für das gegenwärti12

In der Rede vom „entschlossene[n] Sein bei“ zeigt sich einmal exemplarisch und überdeutlich, daß das Sein-bei ... nicht eo ipso ein verfallendes ist, sondern ebenso seinen Eigentlichkeitsmodus kennt.

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gende Begegnenlassen des Seienden als eines Anwesenden in seiner innerweltlichen Entdecktheit. Damit ist der zeitliche Sinn der Sorge im Modus der vorlaufenden Entschlossenheit nach ihren drei Strukturmomenten freigelegt: Die Sorge ist in ihrem Sich-vorweg-sein der Vollzug des Auf-sich-zukommens, in ihrem Schon-sein-in ... der Vollzug des Auf-sich-zurückkommens und in ihrem besorgenden Sein-bei ... der Vollzug des Gegenwärtigens.

§ 6. Das Verhältnis von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart. Die Zeitlichkeit als einheitliches Phänomen (§ 65, 10.–11. Absatz) Im bisherigen Gang unserer Interpretation des zentralen und insbesondere in bezug auf die Zeitanalysen ganz entscheidenden und für diese den Weg eröffnenden § 65 von „Sein und Zeit“ wurde der zeitliche Sinn der drei Strukturmomente der Sorge in deren Vollzugsmodus der vorlaufenden Entschlossenheit freigelegt als Auf-sich-zukommen, Auf-sich-zurückkommen und Gegenwärtigen. Vom 10. Absatz des Paragraphen an werden diese drei zeitlichen Charaktere in ihrer Einheit in den Blick genommen und als die existenziale „Zeitlichkeit“ angesprochen. Diese stand allerdings sachlich auch zuvor schon im Blick. Demnach wird der Gedankengang der hermeneutisch-phänomenologischen Freilegung nicht eigentlich weitergeführt, sondern das schon Enthüllte wird zusammengefaßt und schließlich als der gesuchte Sinn der Sorge, die Zeitlichkeit, gekennzeichnet. Sinn und Gehalt des nun Auszuführenden erschließen sich somit aus dem früher bereits Aufgezeigten. Es kommt nun jedoch darauf an, eigens und ausdrücklich auch die nun verwendeten, leicht abgewandelten sprachlichen Wendungen auf die Sache hin, und das meint: aus ihr her, zu verstehen. I. Der zwiefache Sinn des Gegenwärtigens Gleich zu Beginn des 10. Absatzes erscheint das Auf-sich-zukommen bzw. Sich-auf-sich-Zukommenlassen in sprachlich variierter Form als „zukünftig“: „Zukünftig auf sich zurückkommend, bringt sich die [vor-

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laufende] Entschlossenheit gegenwärtigend in die Situation.“ (S. 326) In diesem Satz wird das Einheitliche der ganzheitlichen Seinsbewegung der Sorge in ihrem Seinssinn gefaßt. Bezüglich des Gegenwärtigens, das hier in leicht abgewandelter Form als „gegenwärtigend in die Situation bringen“ angesprochen wird, ist hier noch einmal ausdrücklich Folgendes zu betonen: Das Gegenwärtigen hat in sich einen zwiefachen Sinn; es ist zum einen die Übernahme der auf-sich-zu- und auf-sichzurückkommend sich aufschließenden Erschlossenheit und das Aufgeschlossenhalten der so übernommenen Erschlossenheit. Während das Auf-sich-zukommen und das Auf-sich-zurückkommen die zwei unterschiedlichen Seinsbewegungen darstellen, in denen sich die Erschlossenheit einer Möglichkeit des In-der-Welt-seins aufschließt, ist es also der erste Sinn des Gegenwärtigens, diese Erschlossenheit zu übernehmen und aufgeschlossen zu halten in der Gegenwartsdimension der Erschlossenheit. Das Gegenwärtigen aber in diesem ersten Sinne geschieht für das entdeckende Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden. Dieses Begegnenlassen als das Einrückenlassen des Seienden in seine innerweltliche, auf den Welthorizont bezügliche Entdecktheit aus dem gegenwärtigend aufgeschlossen gehaltenen Welthorizont ist die zweite Bedeutung des Gegenwärtigens. Dieses erschöpft sich aber eben nicht in diesem zweiten Moment, sondern bleibt darin wesenhaft rückbezogen auf das erste; nur im Blick auf den aufgeschlossenen, aufgeschlossen-gehaltenen Welthorizont vermag es das Seiende begegnenlassend zu entdecken.13 Wird nun davon gesprochen, daß das Dasein „sich [...] gegenwärtigend in die Situation [bringt]“, dann ist mit „Situation“ die ursprünglich aufgeschlossene, eigentliche Gegenwartsdimension der Erschlossenheit angezeigt.14 In diese „bringt“ sich das Dasein im gegenwärtigenden Aufgeschlossenhalten der Situation für das gegenwärtigende Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden. Der zwiefache Charakter des dritten Strukturmoments der Sorge verliert sich auch nicht im Übergang von seinem eigentlichen zum uneigentlichen Vollzugsmodus, sondern bleibt auch in diesem bestehen. 13 14

Dieser zwiefache Charakter des Seins-bei ... bzw. des Gegenwärtigens wurde und wird jedoch in der Sekundärliteratur kaum jemals gesehen. Die uneigentliche Gegenwartsdimension dagegen hat bei Heidegger keinen eigenen Namen, sondern heißt schlicht die gegenwärtigend aufgeschlossene Gegenwartsdimension.

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Auch das verfallende Sein-bei ... ist ein Aufgeschlossenhalten der Erschlossenheit des Welthorizonts; nur hat hier die Erschlossenheit nicht den Charakter der Situation. Das verfallende Sein-bei ... ist eine nicht im Modus der vorlaufenden Entschlossenheit, das heißt der Selbstübernahme des geworfenen Entwurfs sich aufschließende und aufgeschlossene Erschlossenheit des Welthorizonts, sondern eine Erschlossenheit der Möglichkeiten des In-der-Welt-seins – und damit des zu diesen Möglichkeiten gehörenden Horizonts –, in der das Dasein den geworfenen Entwurf nicht in der ihm möglichen selbsteigenen Weise vollzieht, sondern im primären Hinblick auf die Welt, ohne daß die Erschlossenheit sich aufschließt aus dem ergriffenen, selbsteigenen geworfenen Entwurf. Insofern ist im verfallenden Sein-bei ... der Welthorizont nicht in gleicher Weise ursprünglich aufgeschlossen wie im entschlossenen Sein-bei ...; zudem erfolgt diese Aufschließung immer in einer überkommenen, schon in Geltung stehenden Ausgelegtheitsweise, also einer solchen, die nicht aus dem Selbst eigens ergriffen, sondern bloß übernommen wird. Auch beim eigentlichen Verstehen handelt es sich aber um einen existenziellen Sorge-Vollzug, nicht etwa um ein ausdrückliches Wissen um den Welthorizont. Sofern das Dasein eigentlich existiert aus dem ursprünglich aufgeschlossenen Welthorizont, vermag es von diesem ursprünglich-vollzugshaft erschlossenen Welthorizont her Seiendes unverstellt zu entdecken. Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß auch das uneigentliche Gegenwärtigen (im gewärtigenden Vergessen) ein Aufgeschlossenhalten des Welthorizontes für das Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden ist; auch in der Uneigentlichkeit bleiben die drei Strukturmomente des Auf-sich-zukommens, des Auf-sich-zurückkommens und des Gegenwärtigens erhalten, wenn auch in einem anderen Vollzugsmodus. Ging im Vorangegangenen die Frage auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den beiden Vollzugsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, so bietet es sich bezüglich dieses Verhältnisses an, einen kurzen Blick auf eine in diesem Punkt besonders deutliche Textstelle im § 31 zu werfen, in dem „Das Da-sein als Verstehen“ behandelt wird. Dort heißt es: „Der Entwurf betrifft immer die volle Erschlossenheit des In-der-Welt-seins“ (S. 146). Damit ist gemeint: Der Entwurf betrifft ebenso die Existenz wie die Welt; es handelt sich um die Erschlossenheit einer ganzheitlichen Möglichkeit des In-der-Welt-

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seins. Diese ist in sich differenziert in das existenziale Worumwillen als die gehaltliche Möglichkeit und den dazugehörenden Welthorizont. Diese wohlverstandene volle Erschlossenheit „betrifft“ der Entwurf sowohl im eigentlichen wie im uneigentlichen Modus und insofern „immer“. „[D]as Verstehen hat als Seinkönnen selbst Möglichkeiten, die durch den Umkreis des in ihm wesenhaft Erschließbaren vorgezeichnet sind.“ (S. 146) Mit diesen Möglichkeiten sind hier nicht die gehaltlichen, sondern die Vollzugsmöglichkeiten gemeint; der Umkreis bezeichnet die jeweilige ergriffene Existenzmöglichkeit, d.h. das jeweilige existenziale Worumwillen, und den zu dieser gehörenden Welthorizont. Das Dasein kann sich nun entweder mehr in das eine oder mehr in das andere verlegen: Verlegt es sich primär in das existenziale Worumwillen, als geworfener Entwurf der umwillen des eigenen Existierens ergriffenen Möglichkeit, dann existiert es eigentlich; verlegt es sich dagegen primär in die Welt, dann existiert es uneigentlich. Mit anderen Worten: „Das Verstehen kann sich primär in die Erschlossenheit der Welt legen, das heißt das Dasein kann sich zunächst und zumeist aus seiner Welt her verstehen.“ (S. 146) Solcherart versteht sich das Dasein aus einer Erschlossenheit der Welt, ohne aber die Erschlossenheit ursprünglich aufgeschlossen, das Entwerfen selbsteigen ergriffen zu haben. Die andere Möglichkeit liegt darin: „Oder aber das Verstehen wirft sich primär in das Worumwillen, das heißt das Dasein existiert als es selbst.“ (S. 146) Es ergreift sich selbst als Existenz in dem dem Dasein selbsteigenen geworfenen Entwurf und existiert darin eigentlich. Angesichts dieser beiden Möglichkeiten ist somit das Verstehen „entweder eigentliches, aus dem eigenen Selbst als solchem entspringendes“, d.h. aus dem Selbst eigens ergriffener geworfener Entwurf, „oder uneigentliches“ (S. 146). Diese Stelle gilt es stets vor Augen zu haben, wenn das Verhältnis von eigentlicher und uneigentlicher Existenz angesprochen wird. Dieses Verhältnis zeigt sich hier als ein solches der Modifikation. Zunächst und zumeist existiert das Dasein im uneigentlichen Verstehen. Ergreift es dagegen sein ihm mögliches Selbst, so stellt dies einen Wandel innerhalb des ganzheitlichen Sorgevollzugs dar. Das Dasein verlagert darin sein bisheriges Schwergewicht, das in der Erschlossenheit der Welt lag, zurück in die Existenz als das geworfene Entwerfen.

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II. Das Verhältnis von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart Innerhalb des 10. Absatzes des § 65 nimmt Heidegger nun erneut zuvor schon von ihm Gesagtes wieder auf: „Die Gewesenheit entspringt der Zukunft“ (S. 326). Dieses Geschehen des Entspringens bildet jedoch nicht etwa ein Fundierungsverhältnis, obwohl Heidegger das Wort „entspringen“ an anderer Stelle auch in diesem Sinne verwendet, z.B. dort, wo davon die Rede ist, daß der vulgäre Zeitbegriff der ursprünglichen existenzialen Zeitlichkeit entspringt.15 Vielmehr sind alle drei existenzialen Zeitcharaktere gleichursprünglich, in diesem Sinne ist keiner von einem der anderen abkünftig. Daher entspringt die Gewesenheit der Zukunft auch nur, wie es früher hieß, „in gewisser Weise“, d.h. nur insofern, als das Dasein „nur eigentlich gewesen sein [kann], sofern es zukünftig ist“ (S. 326). Nur wenn es eigentlich existierend sich in die Zukunft bringt, kann es auch eigentlich gewesen existieren. Das recht verstandene Entspringen der Gewesenheit aus der Zukunft geschieht so, daß dabei „die gewesene (besser gewesende) Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt“ (S. 326). Wie ist dieses Entlassen der Gegenwart aus der gewesenden Zukunft zu denken? Auch hier muß betont werden, daß gemäß der Gleichursprünglichkeit der drei existenzialen Zeitcharaktere keinesfalls ein Abkünftigkeitsverhältnis angezeigt sein kann. Vielmehr wird hier auf einen Sachverhalt abgezielt, den wir früher schon aufzeigen konnten, noch nicht aber in dieser Ausdrücklichkeit des Verhältnisses faßten: Das Gegenwärtigen kommt selber nur in den Vollzug seines ekstatischen Entrücktseins in die Erschlossenheit, sofern es die im Auf-sich-zu- und Auf-sich-zurückkommen sich aufschließende Erschlossenheit gegenwärtigend aufgeschlossen hält, d.h. sofern es die in Zukunft und Gewesenheit sich öffnende Erschlossenheit übernimmt. In diesem übernehmenden Aufgeschlossenhalten besteht die Weise, wie Zukunft und Gewesenheit die Gegenwart aus sich entlassen. Anders gewendet: Zukunft und Gewesenheit entlassen die Erschlossenheit an die Gegenwart, den dritten existenzialen Zeitcharakter, der die beiden ersten aufgeschlossen hält für das Entdecken des innerweltlichen, weltbezüglichen Seienden.

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Wiederum ein anderes ontologisches Verhältnis des Entspringens liegt vor, wenn die uneigentliche der eigentlichen Zeitlichkeit entspringt: Hier hat das Entspringen den Sinn einer Modifikation der eigentlichen Zeitlichkeit.

Wieso aber verbessert Heidegger in dem oben zitierten Satz von „gewesene“ zu „gewesende“? Inwiefern ist diese Wendung glücklicher? Zunächst scheint es, als gäbe es ein derartiges Wort in der deutschen Sprache gar nicht, als handelte es sich hier um eine willkürliche Wortprägung Heideggers. Achten wir zunächst auf den ersten Eindruck beim reinen Hören der Worte, so ist zu konstatieren, daß „gewesene Zukunft“ den Anklang des Abgeschlossenen, Vergangenen mit sich führt; eines Vergangenen, das hinter uns liegt und auf keinem Wege in die Gegenwart unmittelbar hineinspielt. Dagegen zeigte sich uns die Gewesenheitsdimension als konstitutiv für die Erschlossenheit; zusammen mit dem zukünftigen Auf-sich-zukommen bildet sie die zwiefach-einige Seinsbewegung des Sicherschließens der Erschlossenheit, welche wiederum von dem dritten Zeitcharakter übernommen wird. Somit ist die Gewesenheit nicht eine erstarrte, bloß hinter uns liegende, für das Gegenwärtige irrelevante Vergangenheit, sondern spielt als Konstitutivum für das, was im Gegenwärtigen, im Aufgeschlossenhalten der Erschlossenheit geschieht, gerade in die Gegenwart hinein. Um diesen Sachverhalt, den Bezug der Gewesenheit zur Erschlossenheit und zum Gegenwärtigen, nun auch sprachlich zu verdeutlichen, verwendet Heidegger statt des Partizips Perfekt – so scheint es jedenfalls – ein Wort, das den Stamm des Partizips Perfekt (gewesen) mit der Endung des Partizips Präsens (-nd) verbindet. Man könnte diese Wortbildung für sprachlich gewagt, ja für gewalttätig halten. Damit verkennte man jedoch, daß es im Alt- und auch noch im Mittelhochdeutschen sehr wohl das Verbum „wesen“ gab, welches (unter anderem) in der Bedeutung von „sein“ gebraucht wurde. Vom Verb „wesen“ konnten dann auch die Partizipien Perfekt und Präsens abgeleitet werden. Jedoch diente im Mittelhochdeutschen das Präfix „ge-“ nicht zur Bildung des Partizips Perfekt, sondern zur Verstärkung des mit ihm verbundenen Verbs. „Gewesen“ hieß demnach im Mittelhochdeutschen das verstärkte Wesen bzw. Sein. Das Gleiche gilt für das von „gewesen“ abgeleitete Partizip Präsens „gewesend“.16 Festzustellen ist somit, daß es diese spezifische Sprachgestalt 16

Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 6, S. 686ff.; Band 29, S. 507ff. Dort wird eine der als selten gekennzeichneten Fundstellen für „gewesend“ genannt; bei Walther von der Vogelweide heißt es: „ein got der je gewesende wart“ (Bd. 6, S. 686). Dort findet sich ebenfalls der Hinweis, daß ebenso wie die „Vernunft“ von „Vernehmen“, so die „Kunft“ von „Kommen“ herstammt. Auch dieses Wort ist also keine Erfindung Heideggers, sondern in der gewachsenen Sprache nachweisbar.

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schon vorher gegeben hat und Heidegger insofern sie nur aufnimmt. Er gibt ihr jedoch einen eigenen Sinn, der nicht mehr verstärktes Sein meint, vielmehr verbindet er das eigentlich parizipial-perfektivisch gemeinte „gewesen“ mit der Endung des Partizips Präsens, um auf diesem Wege den nicht abgeschlossenen, sondern gegenwärtig waltenden, für die situative Erschlossenheit konstitutiven Charakter hervorzuheben.17 III. Die Zeitlichkeit als einheitliches Phänomen Nunmehr kann das in den vorangegangenen Analysen Gewonnene zusammengefaßt werden: „Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit.“ (S. 326) Bewußt wird bei dieser Herausstellung der Einheitlichkeit des Phänomens die Zukunft an die Spitze gestellt, da sie, vor allem in der eigentlichen Zeitlichkeit, einen bestimmten Vorrang beanspruchen kann. Wie schon betont, heißt dies aber nicht, bei Gewesenheit und Gegenwart handle es sich um abgeleitete Phänomene; innerhalb der Gleichursprünglichkeit der drei Zeitdimensionen jedoch hat die Bewegung der Zukunft einen Vorrang in dem schon herausgestellten Sinne. Ebenso bewußt wird demonstrativ das Gegenwärtigen in der Mitte des dreigliedrigen Ausdrucks „gewesend-gegenwärtigende Zukunft“ eingeschlossen; sofern es aus der gewesenden Zukunft entlassen wird, ist es eingeschlossen in das Auf-sich-zu- und Auf-sich-zurückkommen. „Nur sofern das Dasein als Zeitlichkeit [= Auf-sich-zu- und Aufsich-zurückkommen und Gegenwärtigen] bestimmt ist, ermöglicht es ihm selbst das gekennzeichnete eigentliche Ganzseinkönnen [in der Weise] der vorlaufenden Erschlossenheit.“ (S. 326) Das solcherart Ermöglichende ist der gesuchte Seinssinn: „Zeitlichkeit enthüllt sich als der Sinn der eigentlichen Sorge.“ (S. 326) Der „eigentlichen Sorge“, also der Sorge im Vollzugsmodus der vorlaufenden Entschlossenheit. Demnach ist noch nicht gezeigt, daß die Zeitlichkeit auch der Seinssinn der uneigentlichen Sorge und so der Sorge überhaupt ist. „Der phänomenale, aus der Seinsverfassung [der Sorge im Modus] der vorlaufenden Entschlossenheit geschöpfte Gehalt dieses Sinnes erfüllt die Bedeutung des Terminus Zeitlichkeit.“ (S. 326) Unter Zeit17

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Dies wurde von Erasmus Schöfer in seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung des Heideggerschen Werkes übersehen. Vgl. Erasmus Schöfer: Die Sprache Heideggers. Pfullingen: Günther Neske, 1962. Als reinem Sprachwissenschaftler fehlte ihm das hierzu nötige philosophische Verständnis.

lichkeit ist ausschließlich das zu verstehen, was in diesen Analysen als der Seinssinn der Sorge freigelegt wurde. Darin liegt nun auch die Warnung davor, die Zeitlichkeit mit irgendwelchen Anklängen an das gewöhnliche, vulgäre Zeitverständnis zu fassen zu versuchen. Dieses gewöhnliche Verständnis reicht an das hier erstmalig zum Aufweis gebrachte Zeitphänomen wesenhaft nicht heran; dieses muß daher ausschließlich aus dem Seinssinn der Sorge im Modus der vorlaufenden Entschlossenheit verstanden werden. Mit anderen Worten: „Der terminologische Gebrauch dieses Ausdrucks [„Zeitlichkeit“] muß zunächst alle aus dem vulgären Zeitbegriff sich andrängenden Bedeutungen von »Zukunft«, »Vergangenheit« und »Gegenwart« fernhalten.“ (S. 326) Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart im Sinne der existenzialen Phänomene des Auf-sich-zukommens, des Auf-sich-zurückkommens und des Gegenwärtigens wurden von Heidegger nicht in Anführungszeichen gesetzt. Werden solche nunmehr bei der Nennung der Zeitdimensionen hinzugefügt, so deutet dies auf ein Zweifaches hin: Zum einen handelt es sich um ein Zitat, sofern hier das gewöhnliche Zeitverständnis zitiert wird; zum anderen wird eine Abgrenzung vorgenommen, sofern die solcherart gekennzeichneten Zeitdimensionen des gewöhnlichen Verständnisses von den ursprünglichen existenzialen Phänomenen, deren Ursprünglichkeit gerade durch das Fehlen der Anführungszeichen verdeutlicht wird, getrennt gehalten werden sollen. Der Sinn dessen, was die existenziale Zukunft, die existenziale Gewesenheit und die existenziale Gegenwart meinen, läßt sich einzig den drei Strukturmomenten der Sorge in ihrem Vollzugsmodus der Eigentlichkeit entnehmen; nur aus der Einsicht in die zeitliche Verfaßtheit der Erschlossenheit ist er zu fassen. Diese Notwendigkeit des Fernhaltens des gewöhnlichen Zeitverständnisses „gilt auch von den Begriffen einer »subjektiven« und »objektiven«, bzw. »immanenten« und »transzendenten« »Zeit«“ (S. 326). Heidegger hat bei dieser Absetzung vor allem die Zeitanalysen Husserls im Blick. Waren auch dessen Untersuchungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins18 zur Zeit der Niederschrift dieses Abschnitts von „Sein und Zeit“, also etwa in der zweiten Hälfte des Jahres 1926, noch nicht veröffentlicht, so kannte doch Heidegger die kurzen Andeutungen in den „Ideen I“ und hatte zudem von Husserl immer 18

Edmund Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Hrsg. von Martin Heidegger. Halle a.d. S.: Max Niemeyer, 1928. 2. Auflage Tübingen: Max Niemeyer, 1980. 3. Auflage Berlin: De Gruyter, 1998.

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wieder die Erlaubnis erhalten, auch die noch unveröffentlichten Manuskripte zu studieren.19 Husserls Analysen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins beginnen gleich in ihren ersten Paragraphen mit der „Ausschaltung der objektiven Zeit“. Diese objektive Zeit ist die Weltzeit oder die Zeit der Natur, die transzendente im Unterschied zur immanenten Zeit. Umwillen der reflexiven Gewinnung dieser immanenten Zeit als der subjektiven Zeit des Bewußtseinsverlaufs erfolgt die Ausschaltung. Die solcherart gewonnene subjektive Zeit ist für Husserl die ursprüngliche Zeit; sie bildet sich in den drei primitiven, d.h. ursprünglichen Gestaltungen des inneren Zeitbewußtseins, nämlich dem Jetzt im urimpressionalen Bewußtsein, dem Noch-nicht-Jetzt im protentionalen Bewußtsein und dem Nicht-mehr-Jetzt im retentionalen Bewußtsein. Sofern Husserl von der Zeitlichkeit des Bewußtseins spricht, hat er dieses ursprüngliche Jetzt-Bewußtsein im Blick; als am Jetzt orientierte hat diese Zeitlichkeit nichts gemein mit der existenzialen bzw. ekstatischen Zeitlichkeit und muß daher für das Verständnis dieser ihrerseits gleichsam „ausgeschaltet“ werden. „Sofern sich das Dasein selbst zunächst und zumeist uneigentlich versteht, darf vermutet werden, daß die »Zeit« des vulgären Zeitverstehens zwar ein echtes Phänomen darstellt, aber ein abkünftiges.“ (S. 326) In der durchschnittlichen Alltäglichkeit ist die „Zeit“ die am Jetzt orientierte Zeit. Auch hier haben die Anführungszeichen wieder die doppelte Funktion des Zitierens des gewöhnlichen Verständnisses und der Absetzung von der ursprünglichen Zeit. Inwiefern die „Zeit“ ein abkünftiges Phänomen der ursprünglichen Zeit darstellt, wird im Sechsten Kapitel des Zweiten Abschnitts aufgewiesen; sie entspringt der existenzialen bzw. ekstatischen Zeitlichkeit auf dem Wege der Selbstauslegung, ist abkünftig in der Weise des Herausgelegtseins in die am Jetzt orientierte Zeit. Diese ist als Weltzeit die durch Datierbarkeit, Gespanntheit, Öffentlichkeit und Bedeutsamkeit bestimmte Jetzt-Zeit. Erst wenn diese Charaktere verloren gehen, kommt es zur sogenannten puren JetztZeit, d.h. der Zeit als der puren Jetzt-Folge, die strukturiert ist in die drei Dimensionen des Jetzt, des Nicht-mehr-Jetzt und des Noch-nichtJetzt. „Pure“ ist diese Jetzt-Zeit, weil sie losgelöst ist von den phänome19

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Vgl. dazu die bekannte Anmerkung Heideggers in „Sein und Zeit“, S. 38: Dort dankt Heidegger Husserl dafür, daß dieser ihn „durch eindringliche persönliche Leitung und durch freieste Überlassung unveröffentlichter Untersuchungen mit den verschiedensten Gebieten der phänomenologischen Forschung vertraut machte“.

nalen Charakteren der Datierbarkeit und Bedeutsamkeit (während Öffentlichkeit und Gespanntheit auch noch zur puren Jetzt-Zeit gehören können). Genauer heißt es nun, daß diese „Zeit“, d.h. die am datierbaren und bedeutsamen Jetzt orientierte Weltzeit, „der uneigentlichen Zeitlichkeit, die selbst ihren eigenen Ursprung hat, [entspringt]“ (S. 326). Darin jedoch liegt das eigentliche Problem: Muß dies denn wirklich so und nur so gesehen werden, daß die Weltzeit sich ausschließlich konstituiert als die ausgelegte existenziale Zeitlichkeit im Ausgang von der uneigentlichen Zeitlichkeit? Sofern wir zunächst und zumeist in der uneigentlichen Zeitlichkeit existieren, leben wir auch zunächst und zumeist in dieser ausgelegten Weltzeit. Gehört aber nicht ebenso zum Verständnis der eigentlichen Zeitlichkeit eine Weltzeit? Kann nicht auch aus ihr her eine Weltzeit bestimmt sein? Diese Fragen werden uns bei unserer Interpretation des Sechsten Kapitels des Zweiten Abschnitts zu begleiten haben. Wir hörten, daß die pure Jetzt-Zeit eine Modifikation der Weltzeit darstellt und insofern in diese zurückverweist. Diese wiederum entspringt aus der uneigentlichen Zeitlichkeit, von welcher nun ihrerseits gesagt wird, sie habe „ihren eigenen Ursprung“. Dieser liegt in der eigentlichen Zeitlichkeit, aber die uneigentliche entspringt der eigentlichen Zeitlichkeit in einer ganz anderen Weise, als die Weltzeit der uneigentlichen Zeitlichkeit entspringt: Ist dieses Entspringen ein echtes Verhältnis der Abkünftigkeit, so handelt es sich bei jenem Entspringen um eine Modifikation – die eigentliche Zeitlichkeit fällt ab zur uneigentlichen. In diesem Sinne sind auch unsere geläufigen „Begriffe der »Zukunft«, »Vergangenheit« und »Gegenwart« [...] zunächst aus dem uneigentlichen Zeitverstehen erwachsen“ (S. 326), d.h. aus der uneigentlichen Zeitlichkeit und ihrer Selbstauslegung in der Weise der Weltzeit. Mit ihnen als den Dimensionen des Jetzt, des Noch-nichtJetzt und des Nicht-mehr-Jetzt kommt man deswegen niemals an den Sinn der existenzialen Zeitphänomene heran. „Die terminologische Umgrenzung der entsprechenden ursprünglichen und eigentlichen Phänomene kämpft mit derselben Schwierigkeit, der alle ontologische Terminologie verhaftet bleibt.“ (S. 326f.) Die Schwierigkeit der Gewinnung der ontologischen Sprache liegt darin, daß unsere Sprache eine solche des Seienden ist, auf die in der Beschreibung der ontologischen Phänomene nicht wie auf etwas Fertiges, Bereitliegendes zurückgegriffen werden kann. Vielmehr muß die ontologische

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Sprache im Ausgang von der vorgegebenen Sprache und in Anknüpfung an diese erst gebildet werden, derart, daß die Bedeutung sich wandelt in der Richtung auf das ontologisch erblickte Phänomen. Daher gilt: „Gewaltsamkeiten sind in diesem Untersuchungsfelde nicht Willkür, sondern sachgegründete Notwendigkeit.“ (S. 327) Wird in dem zuvor zitierten Satz von „ursprünglichen und eigentlichen Phänomenen“ gesprochen, so hat hier das „und“ einen nicht bloß explikativen, sondern auch additiven Sinn: Vorläufig haben wir es im Blick auf die ursprüngliche Zeit im Sinne der existenzialen Zeitlichkeit nur mit deren Eigentlichkeitsmodus zu tun, befinden uns also in der Analyse der eigentlichen Zeitlichkeit; die Rede von den „ursprünglichen“ Phänomenen verweist dagegen auf die Zukunft, die Gewesenheit und die Gegenwart als Zeitphänomene, die ursprünglicher sind als das Jetzt, das Nochnicht-Jetzt und das Nicht-mehr-Jetzt. Solcherart ursprünglich aber ist auch die existenziale uneigentliche Zeitlichkeit, sofern sie den Ursprung bildet für die „Zeit“ im Sinne von „Zukunft“, „Vergangenheit“ und „Gegenwart“. Zeigten bislang das Auf-sich-zukommen, das Auf-sichzurückkommen und das Gegenwärtigen sich als nichts anderes denn als der zeitliche Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit, so wird nun herauszustellen sein, inwieweit das Auf-sich-zukommen, das Auf-sichzurückkommen und das Gegenwärtigen ursprüngliche Phänomene sind, die in beiden Modi vollzogen werden können, die beide ursprünglich, da existenzial sind. Dafür aber wird vor allem nachzuweisen sein, inwieweit die uneigentliche der eigentlichen Zeitlichkeit als eine Modifikation dieser entspringt. „Um jedoch den Ursprung der uneigentlichen Zeitlichkeit aus der ursprünglichen und eigentlichen lückenlos aufweisen zu können, bedarf es erst einer konkreten Ausarbeitung des nur erst roh gekennzeichneten Phänomens.“ (S. 327) Um zu verstehen, inwiefern die eine in die andere sich modifizieren kann, bedarf es noch einer ausführlicheren Darlegung der ursprünglichen Phänomene der ekstatischen Zeitlichkeit, die hier zunächst nur in ihrem Eigentlichkeitsmodus untersucht wurden.

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§ 7. Die Zeitlichkeit als die Ermöglichung von Sorge überhaupt und die allgemeine Charakteristik der Zeitlichkeit der Sorge (§ 65, 12.–15. Absatz) Nachdem gemäß unserer Interpretation des § 65 die zeitliche Analyse der Sorge bis zum Ende des 11. Absatzes nur erst deren Vollzugsmodus der vorlaufenden Entschlossenheit betraf, also die Zeitlichkeit nur erst als der Seinssinn der eigentlichen Sorge dargelegt werden konnte, gilt es nunmehr, eine allgemeine Charakteristik der Zeitlichkeit der Sorge zu erarbeiten, um einsichtig werden zu lassen, daß auch der Seinssinn der uneigentlichen Sorge und somit der Seinssinn der Sorge überhaupt in der Zeitlichkeit liegt. Das bedeutet, daß die drei konstitutiven Strukturmomente der Sorge, das Sich-vorweg-sein, das Schon-sein-in ... und das Sein-bei ..., derart in den Blick genommen werden müssen, daß gezeigt werden kann, daß und wie diese Strukturmomente überhaupt in der Zeitlichkeit gründen. Wenn aber das Sich-vorweg-sein, das Schon-seinin ... und das Sein-bei ... ihren Ermöglichungsgrund in der Zeitlichkeit haben sollen, so muß sich an ihnen auch jeweils ein bestimmter zeitlicher Sinn herausstellen lassen. Die existenzial-ontologische Analyse der Sorge kann sich daher nicht mit dem bloßen Aufweis ihrer drei Strukturmomente begnügen, sondern sie muß nach dem Seinssinn der dreifach gegliederten Sorge als deren Einheit zurückfragen. Im § 65 spricht Heidegger den Seinssinn der Sorge als Einheit an: „Die ursprüngliche Einheit der Sorgestruktur liegt in der Zeitlichkeit.“ (S. 327) Solange aber nicht gezeigt werden kann, daß die drei Strukturmomente der Sorge nicht nur in der Zeitlichkeit der eigentlich sich vollziehenden, sondern auch in der Zeitlichkeit der uneigentlich sich vollziehenden Sorge gründen, solange hat dieser Satz nur einen Behauptungscharakter. Um nun verstehen zu können, inwiefern die uneigentliche Zeitlichkeit der eigentlichen als eine Modifikation dieser entspringt und inwiefern die ursprüngliche Einheit der Sorge überhaupt, d.h. der eigentlichen und der uneigentlichen Sorge, in der Zeitlichkeit liegt, ist eine vorherige allgemeine Charakterisierung der Zeitlichkeit der Sorge überhaupt unerläßlich. Neben der zeitlichen Analyse des eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins ist dies die zweite Aufgabe des § 65.20

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Heidegger nennt zu Beginn des § 66 (S. 331) selbst diese beiden Aufgaben.

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I. Die Zeitlichkeit als die Ermöglichung der Sorge überhaupt – die drei Möglichkeitsbegriffe Heideggers Wenn jene Zeitlichkeit, die mit der Analyse der vorlaufenden Entschlossenheit gewonnen werden konnte, nur eine Modalität der Zeitlichkeit ist, so muß die Zeitlichkeit verschiedene, sich abwandelbare Modalitäten zeigen können. Insofern aber die Zeitlichkeit sich aus dem in der vorlaufenden Entschlossenheit aufgezeigten Eigentlichkeitsmodus in einen Uneigentlichkeitsmodus wandeln kann, muß sie auch als der die uneigentliche Sorge ermöglichende Seinssinn aufgewiesen werden können. Nur weil die Zeitlichkeit nicht einförmig ist, kann erst gesagt werden, daß sie die Sorge überhaupt, d.h. die Sorge als solche ermöglicht. Die existenziale Zeitlichkeit ist der die Sorge in ihren beiden Vollzugsmodi ermöglichende Seinssinn. Bei dem Begriff der Möglichkeit, der hier verwendet wird, ist zu beachten, daß Heidegger insgesamt drei verschiedene Möglichkeitsbegriffe verwendet: Die ersten beiden Bedeutungen dieses Begriffs – Möglichkeit im Sinne der gehaltlichen Möglichkeit und Möglichkeit im Sinne der Vollzugsmöglichkeit – sind die beiden dem Existenzvollzug zugehörenden Möglichkeitsbegriffe. Wie bereits erarbeitet wurde, steht der Begriff der gehaltlichen Möglichkeit für eine Möglichkeit des In-der-Welt-seins, der Begriff der Vollzugsmöglichkeit dagegen für die beiden möglichen Vollzugsmodi der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit.21 Diese beiden Möglichkeitsbegriffe beziehen sich auf den existenzialen Möglichkeitsbegriff. Von diesem ist derjenige Möglichkeitsbegriff abzuheben, den Heidegger u.a. im 12. Absatz des § 65 verwendet: Möglichkeit als Ermöglichung. Innerhalb dieses dritten Begriffs der Möglichkeit gilt es, wiederum eine wichtige Unterscheidung festzuhalten: Mit dem Ermöglichenden, d.h. demjenigen, was etwas als etwas ermöglicht, ist hier, in diesem Zusammenhang, immer das Sein gemeint – Sein als das Ermöglichende; das Ermöglichte dieses Ermöglichenden aber muß nicht immer Seiendes sein, d.h. der Begriff der Ermöglichung weist in sich zwei verschiedene Ermöglichungsbezüge auf. Das eine Mal ist der Unterschied zwischen dem Ermöglichenden und dem Ermöglichten ein Unterschied innerhalb des Seins selbst, ein anderes Mal, wenn mit dem Ermöglichten Seiendes gemeint ist, das aus der Erschlossenheit des Seins ermöglicht wird, ist mit dem Unterschied zwischen dem Ermöglichenden und dem 21

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Siehe oben S. 38.

Ermöglichten die ontologische Differenz angezeigt. Ist aber mit dem Ermöglichten nicht Seiendes gemeint, sondern etwas dem Sein Zugehöriges, so muß unter dem Begriff der Ermöglichung ein anderer Ermöglichungsbezug, nämlich ein ontologischer Ermöglichungsbezug innerhalb des Seins selbst verstanden werden. Wenn nun die Zeitlichkeit als der Seinssinn der Sorge und damit als das die Sorge Ermöglichende bestimmt wurde, sowohl aber die Zeitlichkeit als auch die Sorge zum Sein gehören, so kann in diesem Zusammenhang mit dem Ermöglichungsbezug zwischen Ermöglichendem und Ermöglichtem nur ein solcher innerhalb des Seins selbst gemeint sein. Der Begriff der Ermöglichung steht hier also für die Ermöglichung der Ganzheit der Sorge durch die Zeitlichkeit als den Seinssinn der Sorge. Diesen Ermöglichungsbezug gilt es nun näher zu erläutern. II. Die allgemeine Charakteristik der Zeitlichkeit der Sorge Insofern die drei Strukturmomente der Sorge jeweils auf eine bestimmte Seinsstruktur des Daseins hinweisen, nämlich das Sich-vorweg-sein auf den Entwurf, das Schon-sein-in ... auf die Geworfenheit und das Seinbei ... auf das Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden, wird mit der Analyse ihres zeitlichen Sinnes jeweils ein Ermöglichungsverhältnis innerhalb des Seins des Daseins angezeigt: „Das Sich-vorweg gründet in der Zukunft. Das Schon-sein-in ... bekundet in sich die Gewesenheit. Das Sein-bei ... wird ermöglicht im Gegenwärtigen.“ (S. 327) Heidegger verwendet hier die drei verschiedenen Ausdrücke „gründet in“, „bekundet in sich“ und „wird ermöglicht im“. Wenn er sagt, daß das Sichvorweg in der Zukunft gründet, so ist damit nicht ein Fundierungsverhältnis im Sinne eines Verhältnisses zwischen Sein und Seiendem gemeint, d.h. mit dem Gründen-in ... ist nicht gemeint, daß das Sichvorweg in derselben Weise in der Zukunft gründet, wie Seiendes im Sein gründet. Vielmehr meinen Gründen, Bekunden und Ermöglichtwerden drei ontologische Ermöglichungsbezüge. Der Begriff der Ermöglichung ist demnach hier im Sinne des dritten der drei oben erläuterten Möglichkeitsbegriffe zu verstehen, nämlich als die Ermöglichung der Seinsstrukturen durch ihren jeweiligen Seinssinn. So gesehen meint das Gründen-in ... ein Ermöglichtsein-aus ... Das Auf-sich-zukommen als das ursprüngliche Phänomen der Zukunft ermöglicht erst das Sich-vorwegsein der Sorge. Ebenso ist die Gewesenheit das Ermöglichende des

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Schon-seins-in ... und das Gegenwärtigen dasjenige, welches das Seinbei ... ermöglicht. Das bedeutet umgekehrt, daß sich in dem jeweiligen Strukturmoment der Sorge je ein bestimmter zeitlicher Seinssinn bekundet. Wie bereits die drei Zeitcharaktere der existenzialen Zeitlichkeit – Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart – vom vulgären Zeitverstehen abgegrenzt werden mußten, so gilt es nun auch hier, das „Vor“ im „Vorweg“ und das „Schon“ im „Schon-sein-in ...“ von einem vulgären Zeitverständnis abzuheben. Der zeitliche Sinn, der sich im „Vor“ und im „Schon“ bekundet, darf nicht derart bestimmt werden, daß darunter ein „Vorher“ im Sinne eines „Noch-nicht-jetzt – aber später“ oder ein „Schon“ im Sinne eines „Nicht-mehr-jetzt – aber früher“ (S. 327) verstanden wird. Vielmehr muß der zeitliche Sinn des „Vor“ und des „Schon“ ganz aus den existenzialen Zeitphänomenen her gesehen werden. Gemäß dem vulgären Zeitverständnis müßte die Zeitlichkeit der Sorge aus der Zeit im Sinne einer Jetzt-Folge her verstanden werden, was bedeuten würde, daß die Sorge als ein innerzeitlich Seiendes begriffen werden müßte, das so in der Zeit im Sinne der Jetzt-Zeit vorkäme, daß es jeweils in einem Jetzt wäre, in einem Früher-schon gewesen wäre und in einem Später-noch sein würde. Dann aber wäre die Sorge etwas, was innerzeitlich abläuft, und als das Sein des Daseins wäre sie dann ein innerzeitlich Vorhandenes – was aus doppeltem Grunde „unmöglich“ (S. 327) ist, weil erstens das Sein kein Seiendes ist und zweitens das Sein des Daseins, die Existenz, eine andere Seinsart ist als die Vorhandenheit. An dieser Stelle bietet es sich erneut an, einen kurzen Blick auf Husserls Zeitanalysen zu werfen, um einem groben Mißverständnis vorzubeugen. Das subjektive Zeitbewußtsein konstituiert bei Husserl die Zeit in ihren ursprünglichen Gestaltungen der Urimpression, der Retention und der Protention. In diesen bilden sich die ursprünglichen Differenzen des Zeitlichen aus: im urimpressionalen Bewußtsein das Jetzt, im retentionalen Bewußtsein das Nicht-mehr-Jetzt und im protentionalen Bewußtsein das Noch-nicht-Jetzt. In seinen „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ sagt Husserl im § 36: „Die zeitkonstituierenden Phänomene sind also evidentermaßen prinzipiell andere Gegenständlichkeiten als die in der Zeit konstituierten. [...] Also kann es auch keinen Sinn haben, von ihnen zu sagen [...], sie seien im Jetzt und seien vorher gewesen, sie folgten einander zeitlich

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nach oder seien miteinander gleichzeitig usw.“22 Damit weist Husserl darauf hin, daß das zeitkonstituierende Bewußtsein, das Bewußtsein also, welches die Zeit als Jetzt, Nicht-mehr-Jetzt und Noch-nicht-Jetzt ausbildet, selbst nicht in der Zeit ist, da es ja allererst die ursprünglichen Differenzen des Zeitlichen bildet. Es darf jedoch hieraus nicht das Mißverständnis erwachsen, Husserls Unterscheidung zwischen dem subjektiven zeitkonstituierenden Bewußtsein und den darin konstituierten zeitlichen Gestaltungen dürfe mit Heideggers Unterscheidung der existenzialen Zeitlichkeit und der aus ihr entspringenden Jetzt-Zeit parallelisiert werden. Denn auch wenn Husserl davon spricht, daß das zeitkonstituierende Bewußtsein nicht in der Zeit ist, so orientiert sich Husserls Begriff der ursprünglichen Zeit dennoch an der Auffassung der Zeit als einer Jetzt-Folge. Für Heidegger dagegen ist die ursprüngliche Zeit die existenziale Zeitlichkeit, die allererst der Ursprung des gewöhnlichen oder vulgären Zeitverständnisses ist. Es liegt also in Heideggers Zeitanalysen ein radikal anderes Fundierungsverhältnis vor, als dies bei Husserl der Fall ist. Nach dieser kurzen Ausführung dürfte es deutlich geworden sein, daß dem „Vor“ im „Sich-vorweg-sein“ und dem „Schon“ im „Schonsein-in ...“ eine andere, eine existenzial-zeithafte Bedeutung eignen muß. Das „Vor“ im „Sich-vorweg“ weist bereits in die existenziale Zukunft, in das existenziale auf sich zukommende Sichaufschließen. Nur weil das Dasein auf sich zukommen kann, kann es sich auf Möglichkeiten seines In-der-Welt-seins entwerfen. Dieses auf sich zukommende Erschließenkönnen ermöglicht es dem Dasein allererst, daß es als ein Entwerfendsein existieren, d.h. sich auf Möglichkeiten seines In-derWelt-seins entwerfen kann. Der primäre existenziale Sinn des Sichvorweg-seins und somit des sich entwerfenden Aufschließens ist das Auf-sich-zukommen. Das bedeutet nichts anderes, als daß der zeitliche Seinssinn der „Existenzialität“ (S. 327), die hier in einem engeren Sinne als der Seinscharakter des Entwerfendseins zu verstehen ist, primär in der existenzial verstandenen Zukunft und damit im vollzugshaft erschließenden Auf-sich-zukommen liegt. Desgleichen weist das „Schon“ im „Schon-sein-in ...“ in den existenzialen zeitlichen Sinn des Je-schon-erschlossen-gewesen-seins. Als 22

Edmund Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917). Hrsg. von Rudolf Boehm. Husserliana Band X. Den Haag: Martinus Nijhoff, 1966, S. 74f.

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ein faktisch geworfenes ist das Dasein immer je schon erschlossengewesen. Die Geworfenheit als eine solche empfängt damit ihren existenzial-zeitlichen Seinssinn aus der Gewesenheit als dem Je-schonerschlossen-gewesen. Nur weil die als Zeitlichkeit verfaßte Sorge auch in der Gewesenheit gründet, kann das Dasein als ein faktisch geworfenes existieren. Solange aber das Dasein faktisch, d.h. als geworfener Entwurf existiert und sich aus diesem versteht, kann es niemals vergangen, sondern immer nur gewesen sein. Während das innerzeitliche Vergangensein zum Zeitverständnis der Jetzt-Zeit gehört, meint die Faktizität die Gewesenheit im Sinne des Je-schon-erschlossen-gewesen. Natürlich kann sich der Mensch auch als ein schon so und so weit vergangener verstehen, aber dabei handelt es sich um ein Verstehen aus einer innerzeitlichen Selbstauffassung heraus. Die innerzeitliche Selbstauffassung ist jedoch nicht die Kennzeichnung des Daseins von seiner Seinsverfassung her, denn von ihr her ist das Dasein immer schon erschlossengewesen. Wenn Heidegger nun sagt: „Der primäre existenziale Sinn der Faktizität liegt in der Gewesenheit“ (S. 328), so spricht er damit die Geworfenheit als Faktizität an. Diese begriffliche Gleichsetzung von „Geworfenheit“ und „Faktizität“ entspricht derjenigen von „Entwurf“ und „Existenzialität“. So wie der primäre existenzial-zeitliche Sinn der Existenzialität im Sinne des Entwurfs die Zukunft im Sinne des Aufsich-zukommens ist, so ist der primäre existenzial-zeitliche Sinn der Faktizität im Sinne der Geworfenheit die Gewesenheit im Sinne des Auf-sich-zurückkommens. Dieses Auf-sich-zurückkommen setzt aber das Je-schon-erschlossen-gewesen voraus. Insofern also das „Vor“ in das Auf-sich-zukommen und das „Schon“ in das Auf-sich-zurückkommen, d.h. in das Zurückkommen auf das Je-schon-erschlossen-gewesen weist, liegt in den beiden Ausdrücken bereits ein existenzial-zeitlicher Seinssinn beschlossen. Im Gegensatz zu diesen beiden Strukturmomenten der Sorge enthält, wie Heidegger im 15. Absatz des § 65 sagt, das dritte Strukturmoment der Sorge, das Sein-bei ..., keine formale Anzeige des Gegenwärtigens. Es stellt sich hier aber die Frage, ob für das dritte Strukturmoment, das Sein-bei ..., wirklich die Anzeige eines zeitlichen Sinnes fehlt. Liegt nicht im „bei“ des „Sein-bei ...“ der zeitliche Sinn des Gegenwärtigens, so wie im „Vor“ des „Sich-vorweg“ der zeitliche Sinn des Auf-sich-zukommens und im „Schon“ des „Schon-sein-in ...“ der zeitliche Sinn des Auf-sich-zurückkommens liegt? Es leuchtet doch

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nicht ein, daß im Gegensatz zum „Vor“ und zum „Schon“ das „Bei“ des „Sein-bei ...“ keine formale zeitliche Anzeige enthalten soll, denn das Sein-bei ... ist doch das gegenwärtigende Sein beim Anwesenden. Hat nicht das Sein-bei ... die Bedeutung des Vertrautseins mit der Welt und dem innerweltlichen Seienden und hat nicht gerade dieses Vertrautsein mit dem innerweltlichen Seienden die Zeitlichkeitsstruktur des Gegenwärtigens? Diese Frage muß zunächst offen bleiben. Abgesehen davon spricht hier Heidegger das Sein-bei ... genauer als das „verfallende Sein-bei ...“ an (S. 328), also das Sein-bei ... im Modus der Verfallens. Somit erinnert er hier unausdrücklich an den § 41, der die Sorge in ihren drei Strukturmomenten formal-existenzial zur Abhebung gebracht und als die in sich dreifach gegliederte, aber dennoch einheitliche Seinsganzheit des Daseins bestimmt hat. Darüber hinaus hat der § 41 die Sorge in ihrem Uneigentlichkeitsmodus aufgewiesen, so daß dort in bezug auf das dritte Strukturmoment der Sorge, das Sein-bei ..., vorrangig von einem „verfallenden Sein-bei ...“ gesprochen worden ist. Heidegger betont jedoch in diesem Zusammenhang lediglich, daß das Dasein in seinem Sein-bei ... uneigentlich sein kann und faktisch zunächst und zumeist auch ist (S. 193). Weil aber hier das Sein-bei ... in seinem Eigentlichkeitsmodus aus methodischen Gründen zunächst noch abgeblendet wird und erst innerhalb des Zweiten Abschnitts im 9. Absatz des § 65 als das „entschlossene Sein bei dem Zuhandenen der Situation“ (S. 326) zur Sprache kommt, entsteht gelegentlich das Mißverständnis, das Sein-bei ... sei wesenhaft ein verfallendes. Umwillen der ontologischen Ermöglichung der Sorge in ihrem Uneigentlichkeitsmodus wird das verfallende Sein-bei ... aus dem § 41 nun im 15. Absatz des § 65 wieder aufgegriffen. Das verfallende Sein-bei ... hat seinen primären zeitlichen Sinn im Gegenwärtigen. Auch das Verfallen gründet also sehr wohl in einer Zeitlichkeit. Aber die dreifach gegliederte Zeitlichkeit des Verfallens ist eine solche, in der das Gegenwärtigen vor der Zukunft die Führung übernimmt. Wie jedoch das Sein-bei ... nicht immer ein verfallendes ist, so gehört das Gegenwärtigen nicht nur dem Verfallen wesenhaft an. Allerdings bleibt es „im Modus der ursprünglichen Zeitlichkeit eingeschlossen in Zukunft und Gewesenheit“ (S. 328), d.h. das Gegenwärtigen verselbständigt sich nicht wie in der Zeitlichkeit des Verfallens, sondern in der eigentlichen Zeitlichkeit, d.h. in der Zeitlichkeit der eigentlichen Sorge, die hier mit der „ursprünglichen Zeitlichkeit“ gemeint ist, wird

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das Gegenwärtigen „in der Zukunft und Gewesenheit gehalten“ (S. 338).23 In der eigentlichen Zeitlichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit hat sich das Dasein aus dem verfallenden Sein-bei … zugunsten des entschlossenen Seins-bei … „zurückgeholt [...], um desto eigentlicher im »Augenblick« auf die erschlossene Situation »da« zu sein“ (S. 328). Heidegger verwendet hier in einem Vorgriff den Terminus „Augenblick“, den er erst im § 68 als solchen ausdrücklich einführt und dort im Sinne der eigentlichen Gegenwart gebraucht. Die uneigentliche Gegenwart nennt er dann nur noch das Gegenwärtigen, obwohl beide Vollzugsmodi der Gegenwart, die eigentliche und die uneigentliche Gegenwart, ein Gegenwärtigen im weiteren Sinne sind. Die im „Augenblick“, wie er im obigen Zitat zuerst auftaucht, kursiv gedruckte Silbe „-blick“ zeigt an, daß hier nicht das Jetzt gemeint ist, sondern der Augenblick als das gegenwärtigende Blicken auf die erschlossene, d.h. aufgeschlossene Situation für das gegenwärtigende Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden.

§ 8. Der Vollzugscharakter der sich zeitigenden Zeitlichkeit und ihr ekstatischer Charakter (§ 65, 16.–17. Absatz) Nachdem mit einer allgemeinen Charakterisierung der Zeitlichkeit der Sorge der existenzial-zeitliche Seinssinn der drei Strukturmomente der Sorge aufgewiesen ist, kann nun dazu übergegangen werden, die Zeitlichkeit nach ihren zwei wesenhaften Charakteren hin zu untersuchen: Erstens ist Die Zeitlichkeit nicht, sondern zeitigt sich, wobei mit dieser Rede von der „Zeitigung“ der Vollzugscharakter der Zeitlichkeit angezeigt wird, und zweitens eignet der Zeitlichkeit ein ekstatischer Charakter. Bisher konnte gezeigt werden, daß die Zeitlichkeit die Einheit der drei existenzialen Charaktere der Sorge – Existenzialität, Faktizität und Sein-bei ... – ermöglicht. Hinsichtlich unserer vorangegangenen Betrachtung, in der die Ganzheit der Sorgestruktur zunächst so anvisiert wurde, daß deren Momente des Sich-vorweg, des Schon-seins-in ... und des Seins-bei ... einzeln auf ihren zeitlichen Seinssinn hin befragt 23

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Siehe hierzu oben S. 45ff. unsere Entfaltung der eigentlichen Zeitlichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit.

wurden, ist hier nochmals zu betonen, daß aus dieser analytischen Weise des gedanklichen Nachvollzugs nicht gefolgert werden darf, daß die Sorge aus ihren konstitutiven Strukturmomenten zu einer Ganzheit zusammengesetzt ist. Die die Sorge ermöglichende Ganzheit der Zeitlichkeit ist eine existenzial-apriorische, die in sich die Gliederung in die Charaktere der Zukunft als des Auf-sich-zukommens, der Gewesenheit als des Zurückkommens auf das Erschlossen-gewesen und der Gegenwart als des Gegenwärtigens aufweist. I. Der Vollzugscharakter der sich zeitigenden Zeitlichkeit Aus unseren bisherigen Betrachtungen ist bereits hervorgegangen, daß die Zeitlichkeit, wenn sie als ein Seinsphänomen der Seinssinn der Sorge, d.h. der Sinn des Seins des Daseins ist, kein Seiendes sein kann. „Die Zeitlichkeit »ist« überhaupt kein Seiendes. Sie ist nicht, sondern zeitigt sich.“ (S. 328) Ist die Zeitlichkeit als der Seinssinn der Sorge kein Seiendes, dann darf, wenn von ihr gesprochen wird, streng genommen auch nicht das Wort „ist“ verwendet werden, denn dieses Wort gebrauchen wir zumeist für die Bezeichnung dessen, was ist, d.h. was als ein so und so Seiendes ist. Die Zeitlichkeit ist aber kein seiender Sachverhalt, sondern die Weise, wie es sie gibt, ist die des Sichzeitigens. Man könnte einwenden, daß auch die Wendung „es gibt“ auf Seiendes verweise, jedoch entzieht diese Wendung die Zeitlichkeit der Sorge in einem höheren Maße als das Wort „ist“ der Sprache des Seienden, d.h. der Sprache, in der wir gewöhnlich über Seiendes sprechen. Auch Heidegger verwendet in „Sein und Zeit“ die Wendung „es gibt“, wenn er davon spricht, daß es Sein gibt, daß es Welt gibt und daß es Wahrheit gibt,24 um damit das Wort „ist“ umgehen zu können. Dennoch kommen wir nicht umhin, immer wieder das Wort „ist“ in Bezug auf die existenziale Zeitlichkeit oder auf Seinsphänomene überhaupt anzuwenden. Der Grund für die unumgängliche Verwendung des Wortes „ist“ in Bezug auf die existenziale Zeitlichkeit hätte aber erst im Dritten, mit der Ersten Hälfte von „Sein und Zeit“ nicht mitveröffentlichten Abschnitt über „Zeit und Sein“ verständlich gemacht werden können, d.h. erst im Zuge einer hinreichenden Klärung der „Idee des Seins“ (S. 328), die hier im Sinne eines umfassenden Begriffs von Sein überhaupt, eines Begriffs also, der

24

Vgl. § 44 c, S. 226–230, § 16, S. 72.

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alle Möglichkeiten und Abwandlungen von Sein umfaßt, zu verstehen ist. Wenn nun gesagt wird, daß die Zeitlichkeit in der Weise des Sichzeitigens „ist“, so wird damit auch angesprochen, daß die existenziale Zeitlichkeit kein statisches Seinsphänomen ist, sondern ein Phänomen, das Vollzugscharakter hat. Wenn bereits in den vorangegangenen Paragraphen herausgearbeitet wurde, daß das Dasein existierend sich vollzieht, daß die Existenz des Daseins Vollzugscharakter hat, so wird nun hier mit dem Sichzeitigen der Zeitlichkeit gesagt, woraus der Vollzugscharakter der Existenz letztlich bestimmt ist: Der Vollzugscharakter der Existenz bestimmt sich aus dem Vollzugscharakter der sich zeitigenden Zeitlichkeit. Denn wenn die existenziale Zeitlichkeit der Seinssinn der Sorge ist und diese in ihren Vollzugsmodalitäten allererst ermöglicht, so ermöglicht sie die Sorge aus ihrem Vollzugscharakter des Sichzeitigens. Daß die sich zeitigende Zeitlichkeit Vollzugscharakter hat, ist schon in den vorangehenden Absätzen des § 65 gesagt, denn die Zukunft hat sich bereits als die Vollzugsweise des Auf-sich-zukommens gezeigt, die Gewesenheit als die Vollzugsweise des Zurückkommens auf das Erschlossen-gewesen und die Gegenwart als die Vollzugsweise des Gegenwärtigens. Jeder dieser drei existenzialen Zeitlichkeitscharaktere hat sich uns damit schon in einer je ihm eigenen Vollzugsweise gezeigt. Insofern aber die existenziale Zeitlichkeit eine apriorische Ganzheit ist, ist auch der Vollzugscharakter der sich zeitigenden Zeitlichkeit eine dreifach gegliederte Ganzheit. Die drei verschiedenen Vollzugsweisen der drei existenzialen Zeitlichkeitscharaktere, die als eine Ganzheit die einheitliche Struktur der Zeitlichkeit der Sorge konstituieren, bilden den apriorischexistenzialen, ganzheitlichen Vollzugscharakter der sich zeitigenden Sorge. Wenn nun jeder der drei existenzialen Zeitlichkeitscharaktere eine eigene Zeitigungsweise ausbildet, so kann auch der Zeitigungscharakter der Zeitlichkeit insgesamt kein einförmiger sein. Die Zeitlichkeit zeitigt sich also in ihren drei Zeitlichkeitscharakteren in einer Vielfalt von Modalitäten: „Zeitlichkeit zeitigt und zwar mögliche Weisen ihrer selbst.“ (S. 328) Mit der Möglichkeit ist hier der von uns schon erarbeitete Begriff der Vollzugsmöglichkeit gemeint. Dieser Begriff schließt in sich eine Vielheit möglicher Vollzugsweisen ein, die als die Vollzugsmöglichkeiten der Sorge letztlich die Vollzugsmöglichkeiten der sich zeitigenden Zeitlichkeit sind. Es ist immer wieder zu betonen, daß der Begriff der Möglichkeit in „Sein und Zeit“ niemals im Unterschied zu

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demjenigen der Wirklichkeit gemeint ist, denn dann wäre er ein kategorial-ontologischer Möglichkeitsbegriff und die Möglichkeit wäre als eine Seinsmodalität im Sinne der Kategorientafel Kants zu verstehen. Der hier verwendete existenzial-ontologische Begriff der Möglichkeit, der Begriff der Vollzugsmöglichkeit, meint immer die mehr oder weniger ergriffene Möglichkeit als eine vollzogene. Es geht hier also nicht um die nachträgliche Realisierung oder Verwirklichung einer zuvor noch unrealisierten oder unverwirklichten Möglichkeit. Wenn Heidegger nun davon spricht, daß die „mögliche[n] Weisen“ der Zeitlichkeit die „Mannigfaltigkeit der Seinsmodi des Daseins“ ermöglichen (S. 328), so ist damit gemeint, daß die Vollzugsmöglichkeiten der Existenz ihren sie ermöglichenden Grund in den Vollzugsmodi der sich zeitigenden Zeitlichkeit haben. Mit dem „ermöglichenden Grund“ wird hier der dritte der von uns erarbeiteten Möglichkeitsbegriffe angezeigt, nämlich die Möglichkeit im Sinne der inneren ontologischen Ermöglichung.25 Sind aber die Vollzugsmodi der Zeitlichkeit die innere ontologische Ermöglichung für die mannigfaltigen Seinsmodi des Daseins, so hat letztlich auch der Unterschied zwischen dem eigentlichen und dem uneigentlichen Existieren seinen Ermöglichungsgrund in einem Unterschied zwischen eigentlicher und uneigentlicher Zeitlichkeit, d.h. zwischen eigentlicher und uneigentlicher Zeitigung als zwei unterschiedlichen Zeitigungsweisen. Eine genauere Abgrenzung der eigentlichen von der uneigentlichen Zeitlichkeit erfolgt erst im § 68, denn erst dort werden eigene terminologische Wendungen für die eigentliche und uneigentliche Zeitlichkeit gefunden. II. Der ekstatische Charakter der Zeitlichkeit Der ekstatische Charakter der Zeitlichkeit wird nun im 17. Absatz des § 65 in einer formal indifferenten Weise herausgearbeitet, d.h. es wird aufgezeigt, daß nicht nur etwa die Zeitlichkeit im Modus der Eigentlichkeit, sondern die Zeitlichkeit überhaupt, in allen ihren sich zeitigenden Modi, ekstatisch verfaßt ist. Das bedeutet, daß in den drei existenzialen Zeitcharakteren, nämlich der Zukunft als dem aufschließenden Auf-sich-zukommen in einer Existenzmöglichkeit, der Gewesenheit als dem Auf-sich-zurückkommen auf das Erschlossen-gewesen (wobei das Auf-sich-zukommen und das Auf-sich-zurückkommen 25

Siehe oben S. 66f.

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niemals als getrennte Momente, sondern immer in ihrem Ineinandergreifen zu verstehen sind, da im auf sich zukommenden Aufschließen der Existenzmöglichkeit das Dasein auch schon auf das immer schon Erschlossen-gewesen zurückkommt, aus dem es die im Auf-sichzukommen aufgeschlossene Existenzmöglichkeit ergreift) und schließlich der Gegenwart als dem gegenwärtigenden Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden aus der gegenwärtigend aufgeschlossen gehaltenen Möglichkeit – daß also in diesen drei existenzialen Zeitcharakteren, in denen sich die Zeitlichkeit zeitigt, das Dasein immer schon wesenhaft „außer sich“ ist, d.h. entrückt in die aufgeschlossen gehaltene Erschlossenheit. Der ekstatische Charakter der Zeitlichkeit meint also, daß das Dasein in seiner sich zeitigenden Zeitlichkeit nicht in sich selbst ist, im Sinne einer Bewußtseinsimmanenz, aus der es gelegentlich heraustritt, vielmehr ist es immer schon in die Erschlossenheit, die sich im sich zeitigenden Vollzug der drei Zeitcharaktere der Zeitlichkeit aufschließt und aufgeschlossen ist, entrückt. In der Einheit dieser drei existenzialen, vollzugshaften Zeitlichkeitscharaktere schließt sich die Erschlossenheit als eine zeitlich bestimmte auf. Diese drei Zeitlichkeitscharaktere der Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart spricht Heidegger nun verkürzt als die Phänomne des „zu“, „auf“ und „bei“ an (S. 329). In diesen drei Zeitlichkeitsphänomenen offenbart sich die Zeitlichkeit als das ἐκστατικόν, „Außer-sich“, schlechthin, d.h. im aufschließenden Auf-sich-zukommen, im Zurückkommen auf das je schon Erschlossen-gewesen und im Sein bei innerweltlichem Seienden aus dem gegenwärtigenden Aufgeschlossenhalten der Erschlossenheit, in diesen drei unterschiedlichen, aber zusammengehörigen Vollzugsweisen der sich zeitigenden Zeitlichkeit ist das Dasein jeweils in einer eigenen Weise in die Erschlossenheit entrückt und insofern außer sich.26 Die Zeitlichkeit ist also das ursprüngliche Außer-sich-sein, das ursprüngliche Entrückt-sein in die Erschlossenheit. Wie aber ist der Ausdruck „an und für sich selbst“, der eine Verkürzung der Wendung „an sich selbst und für sich selbst“ darstellt, in dem folgenden, existenzial-ontologischen Wesenssatz zu verstehen: „Zeitlichkeit ist das ursprüngliche »Außer-sich« an und für sich selbst.“ (S. 329) Was besagt wohl, daß die Zeitlichkeit das ursprüngliche „Außer-sich“ ist? Die Wendung „an sich selbst“ weist darauf hin, daß das 26

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Das „Entrückt-sein“ ist Heideggers späterer Terminus für das „Außer-sich-sein“, den er auch in seinem seinsgeschichtlichen Denken beibehält.

Außer-sich-sein keine Eigenschaft des Daseins ist, die sich das Dasein nach und nach erwirbt, sondern die Verfaßtheit des Daseins ausmacht. Das Außer-sich-sein ist die apriorische Wesensverfaßtheit der Zeitlichkeit und damit auch der Sorge, der Existenz und des Daseins. Das Dasein ist aber in der Weise des Für-sich-selbst an sich selbst als ein Außersich-sein verfaßt. Das heißt, das Dasein ist in seinem Außer-sich-sein, in seinem Entrückt-sein in die Erschlossenheit für es selbst erschlossen. Das „selbst“ im „für sich selbst“ ist aber nicht als ein Ich-Punkt zu verstehen, denn die für das Dasein selbst erschlossene Zeitlichkeit ist nicht so für es selbst erschlossen, daß das Dasein auf sich selbst im Sinne eines Selbst-Punktes gerichtet ist, sondern das Dasein ist für es selbst erschlossen in seinem Außer-sich-sein oder Entrückt-sein. Das Selbst ist als ein für es selbst aufgeschlossenes nicht in sich, sondern außer sich und kommt nur aus diesem Außer-sich zu sich zurück. Die drei unterschiedlichen, aber ursprünglich zusammengehörigen Charaktere des Auf-sich-zukommens, des Auf-sich-zurückkommens und des Gegenwärtigens nennt Heidegger die „Ekstasen der Zeitlichkeit“ (S. 329). Der aus dem Wort ἐκστατικόν abgeleitete Begriff der „Ekstase“ meint eine sich zeitigende Seinsweise des Außer-sich-in-derErschlossenheit-Seins. An einer späteren Stelle nennt Heidegger die Ekstasen auch die „Weisen des Entrückt-seins“. Nun kann gesagt werden: Das existenziale Wesen der Zeitlichkeit ist „Zeitigung in der Einheit der [drei] Ekstasen“ (S. 329). Wie Heidegger bereits die existenzialen Zeitcharaktere der Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart und deren zeitlichen Sinn vom vulgären Zeitverständnis abgehoben hat, so grenzt er nun auch die existenziale Zeitlichkeit hinsichtlich ihres ekstatischen Charakters vom vulgären Zeitverständnis ab. In unserem gewöhnlichen Zeitverständnis ist der ekstatische Charakter der Zeitlichkeit verloren gegangen. Die „Zeit“ im vulgären Zeitverstehen, die Heidegger hier in Anführungszeichen setzt, um die nicht in Anführungszeichen gesetzte Zeit als die horizontale Zeit der existenzialen Zeitlichkeit von dieser abzuheben,27 wird nun mit der „anfangs- und endlosen Jetzt-folge“ gleichgesetzt (S. 329). Diese „Zeit“ als die anfangs- und endlose Jetzt-Folge entspringt nicht unmittelbar der existenzialen Zeit, denn die unmittelbar aus der existenzialen Zeitlichkeit, genauer: aus dem Uneigentlichkeits27

Siehe dazu oben S. 24ff. unsere Ausführungen über die horizontale Zeit im § 5 von „Sein und Zeit“.

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modus der existenzialen Zeitlichkeit, entspringende Zeit ist die Weltzeit, d.h. die Zeit für unsere Verhaltungen zum innerweltlichen Seienden und die Zeit, in der das innerweltliche Seiende für uns ist. Diese Weltzeit, die durch die Charaktere der Datierbarkeit, Gespanntheit, Öffentlichkeit und Bedeutsamkeit bestimmt ist, ist die sich selbst auslegende und die ausgelegte existenziale Zeitlichkeit. Das heißt, die existenziale Zeitlichkeit legt sich in die Weltzeit als eine Jetzt-Zeit aus, die sich in das Jetzt, das Nicht-mehr-Jetzt im Sinne des Damals und das Noch-nicht-Jetzt im Sinne des Dann gliedert. Dieser eben genannte und der noch folgende, äußerst schwierige Sachverhalt sollen hier jedoch nur in einem Vorgriff erwähnt werden, denn sie müssen von uns noch ausführlich untersucht und nachvollzogen werden. Die Weltzeit ist der Boden für die Ausbildung der „Zeit“ als einer puren Jetzt-Folge. In dieser entziehen sich die Charaktere der Datierbarkeit und Bedeutsamkeit. Auf die „Zeit“ als pure Jetzt-Folge bezieht sich Heidegger, wenn er sagt, daß in ihr der ekstatische Charakter der ursprünglichen Zeitlichkeit – mit der hier die existenziale Zeitlichkeit als der Ursprung der Jetzt-Zeit gemeint ist und nicht nur die eigentliche Zeitlichkeit – nivelliert ist. Nur die existenziale Zeitlichkeit hat einen ekstatischen Charakter, weil sie für die Erschlossenheit zeitbildend ist. Mit dem Sichauslegen in die als Jetzt, Nicht-mehr-Jetzt und Nochnicht-Jetzt verstandene Weltzeit verliert die existenziale Zeitlichkeit ihren ursprünglich ekstatischen Charakter wesensnotwendig. Daher kann die Weltzeit nicht mehr eine existenziale Zeitlichkeit genannt werden. In dieser nicht zu vermeidenden Nivellierung des ekstatischen Charakters sind die Charaktere der Datierbarkeit und der Bedeutsamkeit nur noch ein Widerschein der ekstatischen Zeitlichkeit in der Weltzeit. Im Schwinden dieser beiden Charaktere der Datierbarkeit und Bedeutsamkeit in der Ausbildung der vulgär verstandenen „Zeit“ verliert sich auch noch dieser Widerschein der ekstatischen Zeitlichkeit, so daß die „Zeit“ als anfangs- und endlose Jetzt-Folge erscheint. Es läßt sich also festhalten, daß die vulgär verstandene „Zeit“ als die pure JetztFolge sich aus der Weltzeit bildet, diese aber aus der ekstatischen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens entspringt. In dieser ekstatischen Zeitigungsweise des umsichtig besorgenden Umgangs, die an späterer Stelle von Heidegger als das „gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen“ angesprochen wird (S. 354), zeitigt sich die vulgär verstandene „Zeit“. Auch diese „Zeit“ als eine pure Jetzt-Folge ist ein echtes Zeitphänomen,

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jedoch ein mehrfach fundiertes. Wenn nun nachgewiesen werden kann, daß die eigentliche existenziale Zeitlichkeit sich in die uneigentliche modifiziert, diese uneigentliche Zeitlichkeit aber die Weltzeit aus sich entläßt und die Weltzeit wiederum die „Zeit“ als die anfangs- und endlose Jetzt-Folge ausbildet, dann läßt sich zeigen, daß die hier zum Aufweis gebrachte ekstatische Zeitlichkeit, die sowohl die eigentliche als auch die uneigentliche existenziale Zeitlichkeit umfaßt, die ursprüngliche Zeitlichkeit ist, ursprünglich im Sinne des Ursprungs für die Ausbildung der am Jetzt orientierten „Zeit“ des vulgären Zeitverstehens. Zur Rechtfertigung der Bezeichnung der ekstatischen Zeitlichkeit als der ursprünglichen Zeit zitiert Heidegger einen Satz des Thomas von Aquin aus dessen „Summa theologica“: „a potiori fit denominatio“ (S. 329).28 Dieser Satz kann folgendermaßen übersetzt werden: „Die Benennung eines Dinges oder einer Sache geschieht nach dem vorzüglicheren Teil desselben.“ Auf die Zeit angewendet bedeutet dieser Satz, daß, wenn die Jetzt-Folge die „Zeit“ genannt wird, sie dies ihrem vorzüglicheren Teil, der existenzialen Zeitlichkeit als der ursprünglichen Zeit, zu verdanken hat. Der Satz des Thomas von Aquin geht seinerseits auf einen Satz des Aristoteles aus dessen Werk „De anima“ zurück.29 Die deutsche Übersetzung dieses aristotelischen Satzes lautet: „Mit Recht wird alles von seinem Zweck her benannt.“ In einer anderen Version wird der von Heidegger zitierte Satz des Thomas von Aquin auch folgendermaßen übersetzt: „Man benennt aber etwas nach dem Gewichtigeren.“ Wendet man diesen Satz auf den Gebrauch des Wortes „Zeit“ an, so heißt dies, daß, wenn die JetztFolge als „Zeit“ bezeichnet wird, dies streng genommen nur von ihrem gewichtigeren Ursprung her geschehen kann. Dann aber muß primär dieser Ursprung Zeit genannt werden. Erst wenn also die existenziale Zeitlichkeit, der Ursprung der „Zeit“ im Sinne der Jetzt-Folge, als Zeit bezeichnet wird, ist es gerechtfertigt, die vulgär verstandene „Zeit“ ebenfalls „Zeit“ zu nennen.

28 29

Vgl. Thomas von Aquin: Summa theologica I, II, 25,2, ob.1. Vgl. Aristoteles: De anima, II. Buch, 4. Kapitel, 416 b 23 sq.: ἀπὸ τοῦ τέλους ἅπαντα προσαγορεύειν δίκαιον.

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§ 9. Übergang der zeitlichen Analyse von der eigentlichen zur uneigentlichen Sorge. Verstehen als Entwerfend-sein (§ 66, 2. Absatz; § 67, 3. Absatz; § 68 a), 2. Absatz) Nachdem wir die Analyse der Zeitlichkeit der eigentlichen Sorge, die der § 65 enthält, gedanklich nachvollzogen haben, wenden wir uns zunächst kurz dem § 66 zu, mit dem das Dritte Kapitel des Zweiten Abschnitts von „Sein und Zeit“ schließt, und dann ebenso kurz dem § 67, der das Vierte Kapitel einleitet. Anschließend befassen wir uns mit dem § 68, in dem die Analyse der Zeitlichkeit der uneigentlichen Erschlossenheit beginnt. I. Übergang der zeitlichen Analyse von der eigentlichen zur uneigentlichen Sorge Im § 66 wird ein Vorblick auf das Vierte Kapitel und die übrigen noch ausstehenden Kapitel gegeben. Die Überschrift lautet: „Die Zeitlichkeit des Daseins und die aus ihr entspringenden Aufgaben einer ursprünglicheren Wiederholung der existenzialen Analyse“ (S. 331). Mit der „Zeitlichkeit des Daseins“ meint Heidegger hier das, was er im vorangehenden § 65 herausgestellt hat, während er mit den „aus ihr entspringenden Aufgaben einer ursprünglicheren Wiederholung der existenzialen Analyse“ auf die in den folgenden Kapiteln in Angriff genommene Aufgabe einer zeitanalytischen Wiederholung der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Ersten Abschnitts verweist. Die genannte Aufgabe ist uns aus dem § 5 der Einleitung schon bekannt. Dort wird gesagt: Die Analyse des Daseins „hebt nur erst das Sein dieses Seienden heraus ohne Interpretation seines Sinnes“ (S. 17). Das heißt: Die Sorge wird als das Sein des Daseins herausgestellt, ohne daß auch schon deren Sinn als Zeitlichkeit bestimmt wird. Ist nun der Horizont für die ursprünglichste Auslegung des Seins des Daseins gewonnen – wie das mit dem § 65 der Fall ist –, „dann verlangt die vorbereitende Analytik des Daseins ihre Wiederholung auf der höheren und eigentlichen ontologischen Basis“ (S. 17), eben auf der Basis der Zeitlichkeit, und nicht nur eine Wiederholung im Sinne einer regionalen Ontologie bzw. Metaphysik der Existenz. Im 2. Absatz des § 66 wird die Aufgabe genannt, der das Vierte Kapitel zu entsprechen versucht. Nachdem nämlich die zeitliche Analyse

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der vorlaufenden Entschlossenheit, d.h. der Sorge in ihrem Eigentlichkeitsmodus, durchgeführt und zugleich gezeigt worden ist, daß und wie das Sich-vorweg, das Schon-sein-in ... und das Sein-bei ... in der Zukunft, der Gewesenheit und dem Gegenwärtigen gründen, gilt es nun, „die Uneigentlichkeit des Daseins in ihrer spezifischen Zeitlichkeit sichtbar zu machen“ (S. 331). Die Entschlossenheit ist der eigentliche Modus der Erschlossenheit, die sich zunächst und zumeist in der Uneigentlichkeit hält, so daß gerade der zeitliche Sinn dieser uneigentlichen Modifikation der Erschlossenheit erarbeitet werden muß. Heidegger spricht von der „Uneigentlichkeit der verfallenden Selbstauslegung des Man“ (S. 331). Was besagt dies? „Verfallen“ heißt: vom eigentlichen Selbstseinkönnen abgefallen. Das eigentliche Selbstseinkönnen aber meint den eigenst vollzogenen geworfenen Entwurf. „Verfallen“ bedeutet also näherhin: von der Möglichkeit eines solchen eigensten Vollzugs des geworfenen Entwurfs abgefallen. Die uneigentliche Erschlossenheit ist demnach auch eine Erschlossenheit, ist aber aufgeschlossen aus jenem geworfenen Entwurf, der sich primär in die Erschlossenheit der Welt legt und diese Welterschlossenheit entwirft, d.h. aufschließt gemäß der Erschlossenheitsweise des Man. Diese Weise nun ist eine solche, an der jedes daseinsmäßige Selbst immer schon teilhat, und besteht in einer anonymen, immer schon in Geltung stehenden Erschlossenheitsweise, die einen interexistenziellen Charakter hat, weil sie sich auf dem Grunde des Mitseins und des Miteinanderseins ausgebildet hat. Diese verfallende Erschlossenheitsweise ist, wie jede Erschlossenheit, zugleich eine ausgelegte, weil nämlich zu allem Entwerfen Verstehen und Auslegung gehören. Das ist der Sinn des Ausdrucks „Selbstauslegung des Man“ (S. 331). Das Man wiederum ist in seinem Sein gemäß der Analyse im § 27 mindestens sechsfach charakterisiert, nämlich durch: Abständigkeit (bzw. Botmäßigkeit), Durchschnittlichkeit, Einebnung, Öffentlichkeit (die nicht mit dem Miteinandersein überhaupt zusammenfällt, vielmehr nur mit dem uneigentlichen Miteinandersein), ferner Seinsentlastung und Entgegenkommen. Mit der „Charakteristik der Zeitlichkeit der Erschlossenheit überhaupt“ (S. 331), von der im 2. Absatz des § 66 gesprochen wird, weist Heidegger auf den § 68 hin, der unter der entsprechenden Überschrift steht: „Die Zeitlichkeit der Erschlossenheit überhaupt“ (S. 335). Dort geht es um den Nachweis des zeitlichen Sinnes jener Existenzialien, in denen die Erschlossenheit als solche aufgeschlossen ist. Diese Charak-

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teristik führe dann, so Heidegger, „zum zeitlichen Verständnis des nächsten besorgenden In-der-Welt-seins“ (S. 331), d.h. des umsichtigen Besorgens; damit wird auf den § 69 hingewiesen, der unter der Überschrift steht: „Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-seins und das Problem der Transzendenz der Welt“ (S. 350). Und schließlich zeigt Heidegger mit der „durchschnittlichen Indifferenz des Daseins“ (S. 331) die Thematik des § 71 an: „Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit des Daseins“ (S. 370). Der § 70 thematisiert mit der „Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit“ (S. 367) ein zeitliches Moment des umsichtigen Besorgen, führt also die Analyse des § 69 lediglich weiter. Für uns jedenfalls ist zunächst vor allem wichtig der Hinweis auf die Charakteristik der „Zeitlichkeit der Erschlossenheit überhaupt“ (§ 68). Nach diesem Vorblick auf die Themen der §§ 68-71 betont Heidegger: „Die Zeitlichkeit soll sich zwar an allen wesentlichen Strukturen der Grundverfassung des Daseins bewähren [also an eben jenen Strukturen, die im Ersten Abschnitt herausgehoben worden sind]. Das führt aber gleichwohl nicht zu einem äußerlichen schematischen Wiederdurchlaufen der vollzogenen Analysen in ihrer dargestellten Folge.“ (S. 332) Vielmehr handle es sich jetzt um einen „anders gerichtete[n] Gang der zeitlichen Analyse“ (S. 332). Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Ersten Abschnitts setzte beim umsichtig-besorgenden Sein-bei ... an. Von da aus wurde in den Ermöglichungsbereich dieses Besorgens zurückgefragt, also gefragt nach der Erschlossenheit des Inder-Welt-seins und nach den Existenzialien, die diese Erschlossenheit aufgeschlossen halten. Der Gang führte vom umsichtigen Besorgen über die Welt zu Befindlichkeit, Verstehen, Auslegung und Rede und schließlich zur Sorge. In der „Wiederholung“ dieser Analysen im Vierten Kapitel des Zweiten Abschnitts wird nicht dieser Gang in der genannten Schrittfolge wiederholt, sondern es wird umgekehrt vorgegangen, indem nämlich bei der Zeitlichkeit der Erschlossenheit und der Existenzialien, die die Erschlossenheit aufgeschlossen halten, begonnen und dann aufgestiegen wird zur Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Im 3. Absatz des § 67, der das Vierte Kapitel einleitet, wird gesagt: „Die zeitliche Interpretation des alltäglichen Daseins soll bei den Strukturen ansetzen, in denen sich die Erschlossenheit konstituiert. Das sind: Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede.“ (S. 334f.) Hier muß besonders darauf geachtet werden, daß mit dem „Verfallen“ das verfal-

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lende Sein-bei ... angesprochen wird. Worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, ist nicht so sehr das Verfallen, sondern das Sein-bei ..., wenn auch dieses im Modus des Verfallens, weil es hier um die Zeitlichkeit der Uneigentlichkeit geht. „Rede“ wiederum ist gemäß der terminologischen Festlegung Heideggers das fundamentalontologische Wesen der Sprache. Die Sprache hat ihre ontologischen Wurzeln in der Erschlossenheit, die also ihrerseits sprachlich verfaßt ist. II. Die ursprünglichere Wiederholung der existenzialen Analyse – Verstehen als Entwerfend-sein Nachdem wir uns des Übergangs von der Analyse der Zeitlichkeit der eigentlichen Sorge (§ 65) zur Analyse der Zeitlichkeit der uneigentlichen Sorge (§ 68) vergewissert haben, dergestalt, daß wir jetzt wissen, wohin wir übergehen, betrachten wir nun den Text des § 68 selbst. Darin wird, wie bereits gesagt, die Zeitlichkeit der Erschlossenheit überhaupt und jener Existenzialien, die die Erschlossenheit bilden, dargelegt. Deswegen gliedert sich der Paragraph in Unterabschnitte, in denen nacheinander das Verstehen, die Befindlichkeit, das Verfallen und die Rede in den zeitanalytischen Blick genommen werden. Der unter der Überschrift „Die Zeitlichkeit des Verstehens“ stehende § 68 a) besteht aus acht Absätzen: Im 1. Absatz wird lediglich daran erinnert, daß Verstehen nicht die geisteswissenschaftliche Erkenntnis meint, sondern ein Existenzial; im 2. Absatz beginnt die eigentliche Analyse der Zeitlichkeit des Verstehens, wobei dieses als Sich-entwerfen gekennzeichnet wird, das aus der existenzialen Zukunft ermöglicht wird; der 3. Absatz stellt die eigentliche Zukunft des Verstehens heraus und der 4. Absatz die uneigentliche Zukunft; der 5. Absatz handelt von der eigentlichen, der 6. Absatz von der uneigentlichen Gegenwart des Verstehens; im 7. Absatz werden eigentliche und uneigentliche Gewesenheit thematisiert, so wie sie zum eigentlichen und uneigentlichen Verstehen gehören; schließlich faßt der 8. Absatz das Ergebnis zusammen, indem er die dreigliedrige Zeitlichkeit des Verstehens als das vergessend-gegenwärtigende Gewärtigen formuliert. Im 2. Absatz wird das Verstehen bestimmt als „entwerfend-sein zu einem Seinkönnen, worumwillen je das Dasein existiert“ (S. 336). Dabei handelt es sich um ein Seinsverhältnis: Das Dasein existiert verstehend, indem es sich entwerfend zu einem Seinkönnen verhält. Dieses

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Seinkönnen ist eine gehaltliche Möglichkeit, also das Verhältnis zu einem Seinkönnen, zu einer Möglichkeit des In-der-Welt-seins. Erst etwas weiter unten im selben Absatz kommt Heidegger auch auf die Vollzugsmöglichkeit zu sprechen. Desgleichen ist zu beachten, daß in diesem Zusammenhang vom Verstehen zunächst in einer formalindifferenten Weise gesprochen wird, die sowohl das uneigentliche als auch das eigentliche Verstehen umfaßt. Das Verstehen als Entwerfend-sein zu einem Seinkönnen wird weiter bestimmt als ein „Wissen“, das aber kein „Entdeckthaben einer Tatsache“ ist (S. 336). Es geht um ein Wissen besonderer Art und nicht um ein intentionales Verhalten; es ist kein Wissen von etwas, von einem Gegenstand im Sinne eines intentional Entdeckten. Der spezifische Charakter dieses existenziellen Verstehens wird als Vollzugsweise gekennzeichnet: Das Dasein „weiß, woran es mit ihm selbst ist“, das existenzielle Vollzugswissen ist das „Sichhalten in einer existenziellen Möglichkeit“ (S. 336). Heidegger verweist auch auf das entsprechende Nichtwissen und kennzeichnet dieses als die Möglichkeit des Fürsich-selbst-fragwürdig-Werdens der Existenz. Wird aber das Verstehen gegen das intentional auf etwas bezogene Wissen abgegrenzt, so muß auch gesagt werden, daß jenes die Ermöglichung von diesem darstellt, d.h. die Ermöglichung für das Sichrichten auf innerweltliches Seiendes ist. Und einem solchen das Wissen von etwas ermöglichenden Verstehen liegt die Zukunft als Auf-sichzukommen zugrunde. Demnach ist das Aufschließen eines eigenen Seinkönnens in sich ein „Auf-sich-zukommen aus der jeweiligen Möglichkeit, als welche je das Dasein existiert“ (S. 336). Es folgt im Text die Formulierung: „Verstehend ist das Dasein je, wie es sein kann.“ (S. 336) Hier bezieht sich das „wie“ auf eine Vollzugsweise, so daß im analytischen Blick ein Übergang von der gehaltlichen zur vollzugshaften Möglichkeit geschieht. Die beiden nächsten Sätze handeln dementsprechend von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit. Weiter wird gesagt, zunächst und zumeist bleibe das Dasein „unentschlossen“ (S. 336). Dies ist freilich nicht so zu verstehen, als fehle dem Dasein zunächst und zumeist jeglicher Willensentschluß. Heidegger verwendet den Terminus „Entschlossenheit“ überhaupt nicht im Sinne eines Willensentschlusses. Dieser Terminus und die zugehörigen Partizipien „entschlossen“ und „unentschlossen“ weisen immer auf Modi der Erschlossenheit hin. „Unentschlossen“ meint daher verschlossen.

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Wenn Heidegger formuliert, das Dasein bleibe „unentschlossen“, sofern es „in seinem eigensten Seinkönnen, dahin es sich je nur in der Vereinzelung bringt, verschlossen“ bleibe (S. 336), so heißt hier „Vereinzelung“ nur, daß sich das Dasein als Selbst herausnimmt aus der vom Man vorgezeichneten Erschlossenheitsweise. Wem sich das Dasein in der „Vereinzelung“ entzieht, das ist also das Man, nicht aber das Miteinandersein als solches. Das vereinzelte Selbst ist nie ein solipsistisches, aus dem Miteinandersein mit Anderen zurückgezogenes Selbst. Die „Vereinzelung“ dient also lediglich als Gegenbegriff zu der vom anonymen Man bestimmten Erschlossenheit.

§ 10. Die Unständigkeit der Zeitlichkeit des Verstehens. Die eigentliche und die uneigentliche Zukunft des Verstehens (§ 68 a), 3.–4. Absatz) Um die Analyse der Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens fortzusetzen, wenden wir uns innerhalb des § 68 a) zunächst den letzten Sätzen des 2. Absatzes und dann dem 3. und dem 4. Absatz zu, deren Thema die eigentliche und die uneigentliche Zukunft des Verstehens bilden. I. Die Unständigkeit der Zeitlichkeit des Verstehens Die letzten beiden Sätze des 2. Absatzes lauten: „Darin [daß das Dasein zunächst und zumeist unentschlossen, d.h. in seinem eigensten Seinkönnen verschlossen bleibt] liegt: die Zeitlichkeit zeitigt sich nicht ständig aus der eigentlichen Zukunft. Diese Unständigkeit besagt jedoch nicht, die Zeitlichkeit ermangele zuweilen der Zukunft, sondern: die Zeitigung dieser ist abwandelbar.“ (S. 336) Wir vergegenwärtigen uns, daß in diesem Zusammenhang von der Zeitlichkeit des Verstehens die Rede ist. Daß die Zeitlichkeit des Verstehens sich nicht ständig aus der eigentlichen Zukunft zeitigt, heißt nicht – so wird hier von Heidegger betont –, es gebe eine Zeitlichkeit des Verstehens ohne Zukunft, vielmehr lediglich, daß diese Zeitlichkeit sich zunächst und zumeist aus der uneigentlichen Zukunft zeitigt. Daß die Zeitigung der Zukunft als „abwandelbar“ bezeichnet wird, weist eben auf den möglichen Wandel von dem einen zum anderen Vollzugsmodus der Zeitigung der Zukunft,

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von der eigentlichen zur uneigentlichen Zukunft hin. Beide Vollzugsmodi sollen zur Abhebung gebracht werden. Nun hat zwar das Verstehen als Sichentwerfen seinen zeitlichen Sinn primär in der Zukunft, aber zu dieser Zukunft des Verstehens gehört auch eine Gewesenheit und eine Gegenwart. Die Zeitlichkeit des Verstehens, sowohl des eigentlichen als auch des uneigentlichen, freizulegen, bedeutet dann, die dreigliedrige Zeitlichkeit des Verstehens zur Abhebung zu bringen. Abzuheben ist also nicht nur die eigentliche Zukunft für das eigentliche Verstehen, sondern im Zusammenhang damit auch die zur eigentlichen Zukunft gehörende eigentliche Gewesenheit und eigentliche Gegenwart sowie die zur uneigentlichen Zukunft gehörende uneigentliche Gewesenheit und uneigentliche Gegenwart. Dem § 68 a) kommt gerade deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil in ihm nicht nur die Zeitlichkeit der Uneigentlichkeit freigelegt wird – wie in den weiteren Unterabschnitten die Zeitlichkeit der uneigentlichen Befindlichkeit, des Verfallens usw. –, vielmehr die Zeitlichkeit des eigentlichen und des uneigentlichen Verstehens. II. Die eigentliche Zukunft des Verstehens als Vorlaufen Der dritte Absatz des § 68 a) handelt von der eigentlichen Zukunft des Verstehens. Da aber schon im § 65 der zeitliche Sinn der eigentlichen Sorge und damit auch die Zeitlichkeit des eigentlichen Verstehens freigelegt worden war, kann sich Heidegger jetzt kürzer fassen, kürzer als im Falle der nachfolgenden Freilegung der Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens. Gemäß einer hier vorgenommenen ersten terminologischen Festlegung soll fortan das eigentliche Auf-sich-zukommen des eigentlichen Verstehens „Vorlaufen“ genannt werden, so daß jetzt dieses Wort nicht nur überhaupt für die „vorlaufende Entschlossenheit“ steht. In den früheren Paragraphen nämlich, als die letztere terminologische Prägung vorgenommen wurde, stand die Freilegung der Zeitlichkeit noch nicht im Blick. Im § 62 meinte „Vorlaufen“ das „Vorlaufen in den Tod“, also das unverschlossene Sichverhalten zu dem in die Erschlossenheit des Daseins hereinstehenden Tod. Jetzt im § 68 a) bekommt das „Vorlaufen“ – in innerer Entfaltung der Thematik des Vorlaufens in den Tod, das ja im Sinne der Vollzugsmöglichkeit der eigentlichen Zukunft zu verstehen ist – die spezifische terminologische Bedeutung des eigentlichen Auf-sich-zukommens bzw. Sich-auf-sich-zukommen-lassens. Der

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Terminus „Vorlaufen“ soll nun anzeigen, daß das eigentliche Dasein „sich als eigenstes Seinkönnen auf sich zukommen läßt“ (S. 336f.). Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß das Auf-sich-zukommen bzw. Sichauf-sich-zukommen-lassen immer zunächst eine gehaltliche Möglichkeit des In-der-Welt-seins meint. Aber eigentlich existierend kommt das Dasein in einer gehaltlichen Möglichkeit so auf sich zu, daß es diese Möglichkeit im Vollzugsmodus des eigensten Entwurfs aufschließt. Wenn hier vom „eigensten“ Seinkönnen und Entwurf gesprochen wird, so geschieht dies in Abgrenzung vom Seinkönnen und Entwurf im Sinne der vom Man bestimmten Erschlossenheitsweise; eine solche verfallende Erschlossenheit wird zu einer ursprünglich aufgeschlossenen Erschlossenheit modifiziert. Mit anderen Worten: Die Erschlossenheit der gehaltlichen Möglichkeit ist hinsichtlich ihrer Vollzugsweise bestimmt aus der Möglichkeit des eigensten Entwerfens. In der Wendung „eigenstes Seinkönnen“ ist demnach zweierlei zusammenzudenken: 1. das Seinkönnen im Sinne der gehaltlichen Möglichkeit, 2. das Eigenste dieses Seinkönnens im Sinne der Vollzugsweise dieser Möglichkeit. Der Ausdruck „Vorlaufen“ zeigt an, so fährt Heidegger in seinem Text fort, „daß sich die [eigentliche] Zukunft erst selbst gewinnen muß, nicht aus einer Gegenwart, sondern aus der uneigentlichen Zukunft“ (S. 337). Die eigentliche Zukunft muß sich erst selbst gewinnen, sofern das Dasein zunächst und zumeist in uneigentlicher Weise auf sich zukommt. Die eigentliche Zukunft gewinnt sich erst in einem Modifikationsverhältnis zum uneigentlichen Auf-sich-zukommen. Weiter heißt es: „Der formal indifferente Terminus für die Zukunft liegt in der Bezeichnung des ersten Strukturmoments der Sorge, im Sich-vorweg.“ (S. 337) „Formal indifferent“ ist dieser Terminus, sofern er eine existenziale Wesensstruktur bezeichnet, die sowohl für das eigentliche wie für das uneigentliche Existieren bestimmend ist. Im Sich-vorweg liegt demnach die formal indifferente Struktur der Zukunft. Wir können ebenso sagen, das Wort „Zukunft“ selbst sei der formal indifferente Terminus für das Auf-sich-zukommen. Der 3. Absatz schließt mit der Aussage: „Dasein ist faktisch ständig sich-vorweg, aber unständig, der existenziellen Möglichkeit nach, vorlaufend.“ (S. 337) Das Dasein ist „ständig“ sich-vorweg, sofern eben das „Sich-vorweg“ formal indifferent die zur Zeitlichkeit des Daseins wesenhaft gehörige Zukunft bezeichnet. Und das Dasein ist „unständig“ vorlaufend, sofern das „Vorlaufen“ nur die eigentliche Zukunft kennzeichnet, also einen bestimmten Vollzugsmo-

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dus der Zukunft, der sich immer erst durch Modifikation aus der uneigentlichen Zukunft gewinnen muß. III. Die uneigentliche Zukunft des Verstehens als Gewärtigen Der 4. Absatz setzt mit der Frage ein: „Wie soll [...] die uneigentliche Zukunft abgehoben werden?“ (S. 337) Sogleich darauf spricht Heidegger bezüglich der uneigentlichen Zukunft von einem „ekstatische[n] Modus“ (S. 337), womit er deren ekstatischen Charakter betonen möchte, nämlich angesichts der ständigen Gefahr, die uneigentliche Zeitlichkeit nicht ernst zu nehmen, als wäre diese gegenüber der eigentlichen Zeitlichkeit etwas Minderwertiges. Das bedeutet, daß wir den ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit nicht primär in der eigentlichen Zeitlichkeit suchen dürfen, weil die uneigentliche Zeitlichkeit ebenso ekstatischen Charakter hat; auch in deren Vollzug ist das Dasein in drei Ekstasen in die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins entrückt. Der ekstatische Modus also, den die uneigentliche Zukunft darstellt, „kann sich, entsprechend wie die eigentliche Zukunft an der Entschlossenheit, nur im ontologischen Rückgang vom alltäglich besorgenden, uneigentlichen Verstehen zu seinem existenzial-zeitlichen Sinn enthüllen“ (S. 337). Der Nebensatz: „entsprechend wie die eigentliche Zukunft an der Entschlossenheit“, verweist zurück auf den § 65, wo der zeitliche Sinn der eigentlichen Zukunft an der vorlaufenden Entschlossenheit, d.h. an dem zur vorlaufenden Entschlossenheit gehörenden eigentlichen Verstehen zur Abhebung gebracht wurde, das als ein Sein zum eigensten Seinkönnen gekennzeichnet worden war. Entsprechend, so sagt der oben zitierte Satz, kann sich der zeitliche Sinn der uneigentlichen Zukunft nur im ontologischen Rückgang vom uneigentlichen Verstehen enthüllen. Wenn dieses uneigentliche Verstehen hier von Heidegger zugleich als „alltäglich besorgende[s]“ Verstehen angesprochen ist, so könnte man denken, es handle sich um die zum alltäglichen Verstehen gehörende uneigentliche Gegenwart, d.h. um das gegenwärtigende besorgende Sein-bei ... Doch geht es Heidegger hier tatsächlich um die uneigentliche Zukunft des Verstehens, und was er mit seiner Formulierung meint, ist lediglich, daß das uneigentliche Auf-sich-zukommen mit Hinblick auf das alltägliche Besorgen zu charakterisieren ist.

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Im weiteren Verlauf des 4. Absatzes kennzeichnet Heidegger das uneigentliche Verstehen und geht von diesem aus zurück auf dessen zeitlichen Sinn: „Zunächst und zumeist versteht sich das besorgende Inder-Welt-sein aus dem, was es besorgt.“ (S. 337) Demnach entwirft sich das Dasein zunächst und zumeist auf das zu Besorgende und versteht sich dabei gerade nicht aus seinem eigensten, sondern aus seinem besorgenden Seinkönnen. Dieser in „Sein und Zeit“ immer wieder auftauchende Hinweis auf den Vorrang des Besorgens muß angemessen interpretiert werden. Im § 31 sagt Heidegger: „Der Entwurf betrifft immer die volle Erschlossenheit des In-der-Welt-seins“ (S. 146). Die „volle Erschlossenheit“ meint die Erschlossenheit des existierenden Selbst und der Welt dieses Selbst, also Erschlossenheit von Selbst und Welt, wobei aber jenes wesenhaft ein Welt-Habendes und diese wesenhaft die Welt eines Selbst ist. Und „das Verstehen hat als Seinkönnen selbst Möglichkeiten“, und zwar zwei verschiedene Vollzugsmöglichkeiten: 1. „Das Verstehen kann sich primär in die Erschlossenheit der Welt legen, das heißt das Dasein kann sich zunächst und zumeist aus seiner Welt her verstehen.“ (S. 146) Das bedeutet, daß das Dasein die Erschlossenheit der Welt und des Inder-Welt-seins nicht aus einem eigenst vollzogenen Entwerfen aufschließt, sondern gemäß der herrschenden, in Geltung stehenden Erschlossenheitsweise des Man. In diesem Fall existiert das Selbst als Manselbst. 2. „Oder aber das Verstehen wirft sich primär in das Worumwillen, das heißt das Daein existiert als es selbst.“ (S. 146) Das „Worumwillen“ steht hier für das Selbst in den Seinsweisen des geworfenen Entwerfens. Das Selbst ergreift sich als solches in der Weise des eigenst zu vollziehenden geworfenen Entwerfens, um von da her die volle Erschlossenheit des In-der-Welt-seins aufzuschließen. Für unseren Zweck ist vor allem wichtig, daß das uneigentliche Verstehen als ein primäres Sichlegen in die Erschlossenheit der Welt gekennzeichnet wird. Wir begeben uns zurück in den § 68 a). Aus unserem Rückblick auf den § 31 her müssen wir die Aussage deuten, daß zunächst und zumeist das besorgende In-der-Welt-sein sich versteht „aus dem, was es besorgt“ (S. 337). Eine falsche Interpretation wäre es zu sagen, das Dasein verstehe sich zunächst und zumeist aus dem innerweltlichen Seienden. Die Textstelle muß vielmehr so gelesen werden, daß das uneigentliche Inder-Welt-sein von der Welt her und von der Besorgbarkeit her, die von der Welt vorgezeichnet ist, d.h. von dem zu Besorgenden her sich ver-

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steht. Wird hier nicht ausdrücklich von der Erschlossenheit der Welt gesprochen, so ist doch diese der Sache nach gemeint. Wenn Heidegger also vom „Besorgte[n]“ (S. 337) spricht, meint er nicht das in einem gegenwärtigenden besorgenden Sein-bei ... Besorgte, sondern das Besorgbare im erwähnten Sinne. „Die uneigentliche Zukunft hat den Charakter des Gewärtigens.“ (S. 337) Hier fällt die terminologische Entscheidung bezüglich des zeitlichen Sinnes des uneigentlichen Verstehens. Das im besorgenden Sein beim Besorgten stattfindende Auf-sich-zukommen wird als das „Gewärtigen“ bestimmt, das somit den Gegenbegriff zum „Vorlaufen“ darstellt. „Gewärtigen“ ist ein Wort, das in der vorphilosophischen Sprache eine Verhaltung des Menschen zur Zukunft benennt. „Ich gewärtige dieses oder jenes“ heißt: Ich gedenke einer Sache als einer noch zukünftigen, die sich so und so ereignen wird. Als vorphilosophisches Wort aber bezieht sich das „Gewärtigen“ auf ein weltzeitliches Verhalten, das heißt: In existenzial-ontologischer Interpretation bezieht sich das gewöhnlich so genannte Gewärtigen nicht auf das existenziale bzw. ekstatische Gewärtigen, sondern auf ein weltzeitliches Erwarten von weltzeitlichem (sogleich oder später) Künftigen. Heidegger gebraucht also dieses Wort nicht auf der alltäglichen Bedeutungsebene, sondern als Kennzeichnung für die ursprüngliche Zeit, wenn auch für diese im Modus der Uneigentlichkeit, nicht aber für die entsprungene Weltzeit. Das „Gewärtigen“ ist in der existenzial-ontologischen Terminologie das uneigentliche Aufsich-zukommen. Beim „besorgende[n] Sichverstehen als Man-selbst“ (S. 337) handelt es sich um den schon erwähnten Sachverhalt, daß sich das Dasein primär in die Erschlossenheit der Welt und die von ihr vorgezeichneten Weisen des besorgenden Seins verlegt; es handelt sich um das uneigentliche Verstehen, das sich nicht primär aus der Übernahme des eigensten geworfenen Entwurfs entwirft. Weil aber das Wort „Gewärtigen“ in seinem üblichen Gebrauch ein Erwarten bedeutet, muß das ekstatische Gewärtigen vom Phänomen des Erwartens von Künftigem eigens abgehoben werden: „Und nur weil das faktische Dasein seines Seinkönnens dergestalt aus dem Besorgten gewärtig ist, kann es erwarten und warten auf ...“ (S. 337)30 Nur weil das 30

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In seiner Analyse der uneigentlichen Gewesenheit, die er das „Vergessen“ nennt, kommt Heidegger auf die Wiedererinnerung zu sprechen und zeigt, wie die weltzeitliche Wiedererinnerung von weltzeitlichem Vergangenen durch das ekstatische

Dasein als ein gewärtigendes Auf-sich-zukommen in einer Möglichkeit des In-der-Welt-seins existiert, also nur auf dem Grunde des uneigentlichen Verstehens, kann das Dasein etwas erwarten und auf etwas warten. Mit den beiden letzten Begriffen wird das Erwarten von innerweltlich besorgbarem künftigem Seienden gemeint. Das Warten auf ... ist aber eine Zeitverhaltung, die nicht mehr ekstatischen Charakter hat, sondern zur Weltzeit gehört. Diese wiederum ist die Ausgelegtheit der uneigentlichen ekstatischen Zeitlichkeit, d.h. des gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigens.31 Weltzeit ist aber auch das weltzeitliche Jetzt, Nichtmehr-Jetzt und Noch-nicht-Jetzt. Was uns hier interessiert, ist das weltzeitliche Künftige, zu dem wir uns erwartend verhalten, und zwar in den Weisen des Erwartens des sogleich Künftigen (das Husserl die „primäre Erwartung“ oder die „Protention“ nennt) und des später Künftigen, d.h. jenes Künftigen, das in der fernen Zukunft liegt (das Husserl die „sekundäre Erwartung“ nennt). Das alltägliche Zeitverständnis unserer besorgenden Verhaltungen zur besorgten Umwelt hält sich in der Weltzeit; es ist die Zeit, wie Heidegger im § 79 sagt, die sich das Dasein „nehmen“ kann (S. 410). Diese Zeit ist philosophisch genauso bedeutsam wie das dieses natürliche Zeitverständnis ermöglichende Verständnis der existenzialen Zeitlichkeit. Die Frage ist nun, ob die Weltzeit als solche, in unserem Fall hier das Erwarten und Warten auf ..., nur im uneigentlichen Auf-sichzukommen gründet. Gibt es nicht vielleicht auch eine Ermöglichung solcher weltzeitlicher Verhaltungen innerhalb der eigentlichen Zeitlichkeit? Das Problem liegt darin, daß bei Heidegger die Weltzeit die ausgelegte uneigentliche Zeitlichkeit ist, was dann auch bedeutet, daß das Dasein im Vollzug der eigentlichen Zeitlichkeit nicht Weltzeit verstehend ist. Es könnte sein, daß es an einer bestimmten denkerischen Vorentscheidung Heideggers liegt, daß er dieses Phänomen so aufgefaßt hat. Hier gilt es vor allem, auf ein Problem hinzuweisen, wobei allerdings nicht allzu schnell Lösungen gesucht werden dürfen.

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Phänomen des Vergessens als der uneigentlichen Gewesenheit ermöglicht wird. In einem solchen Kontext kann gezeigt werden, wie die Phänomene der Erwartung, des Behaltens und der Wiedererinnerung, die wir aus der Zeitanalyse Husserls kennen, jetzt auf dem Boden des Daseins ihre Interpretation finden – was aber von Heidegger nur angedeutet wird. Vgl. § 79.

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§ 11. Die eigentliche und die uneigentliche Gewesenheit des Verstehens (§ 68 a), 7.–8. Absatz) Unter Berücksichtigung der Schrittfolge, die Heidegger im § 65 eingehalten hat, wenden wir uns nun dem 7. und dem 8. Absatz des § 68a) zu. Das heißt, daß unsere Interpretation der Analyse der Zeitlichkeit des Verstehens im Modus der Uneigentlichkeit nicht einfach dem Text entlang geht, in dem der Analyse der Zukunft (3. und 4. Absatz) zunächst die Analyse der Gegenwart (5. und 6. Absatz) und dann erst die Analyse der Gewesenheit (7. und 8. Absatz) folgt, sondern sich von der Vollzugsrichtung des Verstehens leiten läßt. Dabei stellt die Vollzugsrichtung freilich nicht ein Fundierungsverhältnis dar, sondern einen Zugang zur Analyse der zeitlichen Ekstasen innerhalb ihrer Gleichursprünglichkeit. Wir gehen also von der Zukunft zur Gewesenheit und von dort zur Gegenwart.32 I. Die Vereinzelung und ihr Verhältnis zum Mitsein Der uneigentlichen Zukunft des Verstehens, dem Gewärtigen, entspricht eine uneigentliche Gewesenheit, die im 7. Absatz des § 68 a) entfaltet wird. In deren Analyse geht Heidegger so vor, daß er von der eigentlichen Gewesenheit ausgeht, die von ihm schon im 8. Absatz des § 65 analysiert wurde.33 Dieser Modus der Gewesenheit wurde als die Übernahme des eigensten Erschlossen-gewesen gekennzeichnet: „Das eigentliche Auf-sich-zukommen der vorlaufenden Entschlossenheit ist zumal ein Zurückkommen auf das eigenste, in seine Vereinzelung geworfene Selbst“ (S. 339), auf das eigenste Erschlossen-gewesen, auf die eigenste geworfene Erschlossenheit. Diese ist eine solche, in die das Selbst (das selbsthafte Dasein) in seiner „Vereinzelung“ geworfen ist. Im Hinblick auf sie gilt es Mißverständnisse zu vermeiden. Die Vereinzelung als Erschlossenheitsweise des Entwerfendseins und zugleich des Geworfenseins in seinem eigentlichen Modus bezieht sich nur auf das Wie des Vollzugs und nicht auf den Gehalt, auf das Was des gewor32

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Die gekennzeichnete Vollzugsrichtung Zukunft-Gewesenheit-Gegenwart wird auch einsichtig, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Gegenwart, sei es im Modus der Eigentlichkeit oder im Modus der Uneigentlichkeit, jene Erschlossenheit übernimmt, die sich aufschließt im entwerfenden Erschließen des Zukünftigen und im faktischen Erschließen des Gewesenen. Siehe oben S. 49ff.

fenen Entwerfens. Mit Gehalt sind die gehaltlichen Möglichkeiten gemeint, in denen sich das Dasein als Mitsein wesenhaft hält. Das heißt, daß das Mitsein immer in irgendeiner, sei es in uneigentlicher oder in eigentlicher, Weise erschlossen ist und mit ihm immer irgendwelche Möglichkeiten des Miteinanderseins erschlossen sind. Mit anderen Worten: Die Vereinzelung, das Wie des eigentlichen Vollzugs des geworfenen Entwerfens, vollzieht sich immer im Gegenzug gegen die zunächst und zumeist herrschende anonyme Weise der Erschlossenheit des Inder-Welt-seins im Sinne des Man-selbst, des Wie des uneigentlichen Vollzugs des geworfenen Entwerfens, und nicht als eine Verneinung oder ein Entzug des Mitseins und des sich aus diesem bildenden Miteinanderseins, das das Was des geworfenen Entwerfens ist. In diesem Sinne kann man verstehen, daß das Dasein sich wesenhaft im Mitsein hält, in welchem ihm das andere Dasein als das andere erschlossen ist in der Mitwelt, entweder in uneigentlicher Weise im Man oder in eigentlicher Weise im vereinzelten Dasein. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Vollzugsweisen, innerhalb dessen die Vereinzelung als ein Wie des Vollzugs gekennzeichnet werden kann, deutet nur auf ein modifizierendes Sichherausholen des Daseins aus der anonymen Erschlossenheitsweise des Man. Aber dieses besagt nicht ein Sichherausholen des Daseins aus dem Miteinandersein in der Mitwelt. Das vereinzelte Dasein bleibt immer miteinander, aber nicht in der vom Man bestimmten anonymen Erschlossenheitsweise, sondern in der Wiedergewinnung des Selbst in seinem eigensten Seinkönnen. II. Die Wiederholung als der eigentliche Modus der Gewesenheit des Verstehens Das verstehende Seinkönnen gliedert sich in das eigenste Entwerfendseinkönnen und das eigenste Geworfen-seinkönnen. Hinsichtlich des Geworfen-seinkönnens stellt die Vereinzelung die Weise dar, in der die Geworfenheit in das Da, in die Erschlossenheit in unverschlossener selbsthafter Weise wiedergewonnen wird. Diese Wiedergewinnung als entschlossene Übernahme der Geworfenheit wird aus dem zeitlichen Sinn der Geworfenheit, d.h. aus dem Zurückkommen auf das Erschlossen-gewesen ermöglicht. Die Übernahme der Geworfenheit kennzeichnet das eigentliche Verhältnis zu dieser. Im Verhältnis der Übernahme wird die Geworfenheit nicht verschlossen, sondern zugelassen, aufge-

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schlossen. Die Wiedergewinnung oder Übernahme als eigentliches Verhältnis zur Geworfenheit wird von Heidegger präziser als Wiedervorholung bzw. Wiederholung charakterisiert. Er führt den Terminus „Wiederholung“ folgendermaßen ein: „Im Vorlaufen [als dem eigentlichen Aufsich-zukommen] holt sich das Dasein wieder in das eigenste Seinkönnen vor. Das eigentliche Gewesen-sein nennen wir die Wiederholung.“ (S. 339) Dabei liegt beim „Seinkönnen“, in das sich das Dasein wieder vorholt, der Akzent auf dem Geworfen-seinkönnen, d.h. das Dasein holt sich im eigentlichen Auf-sich-zukommen zumal wieder vor in das eigenste Geworfen-seinkönnen. Mit anderen Worten: Mit dem vorlaufenden Auf-sich-zukommen kommt das Dasein so auf sein eigenstes geworfenes Selbst zurück, daß es sich in seinem eigensten Geworfenseinkönnen wieder vor-holt aus der bis dahin waltenden Verschlossenheit der Geworfenheit im Sinne des anonymen Man. In der Wiederholung entzieht sich also das Dasein der Bestimmtheitsweise des Man, um das Erschlossen-gewesen nicht mehr vom Man her bestimmt sein zu lassen, sondern von der Übernahme des eigensten faktisch entwerfenden Erschließens. Indem Heidegger die Wiederholung als „das eigentliche Gewesen-sein“ charakterisiert, ist er in diesem Paragraphen einen Schritt weiter gegangen, sofern man, um die Wiederholung als eigentlichen Modus des Gewesen-seins zu verstehen, auch ihr Verhältnis zum uneigentlichen Modus entfalten muß. III. Das Vergessen als der uneigentliche Modus der Gewesenheit des Verstehens Es ist deutlich geworden, daß das Sichentwerfen als uneigentliches sich vollzieht, wenn das Dasein sich nicht primär aus dem eigensten geworfen-entwerfenden Seinkönnen versteht, sondern aus der Welt und den aus ihr geschöpften besorgbaren Möglichkeiten. Wenn dem so ist, dann ist die Erschlossenheit der Welt und der Besorgbarkeiten nicht aus der Vollzugsweise des eigensten geworfenen Entwerfens bestimmt, sondern aus der Anonymität des Man. Diese Erschlossenheitsweise, die nicht aus dem eigensten geworfen-entwerfenden Seinkönnen bestimmt ist, wird als Vergessen charakterisiert: „Das uneigentliche Sichentwerfen auf die aus dem Besorgten, es gegenwärtigend, geschöpften Möglichkeiten ist aber nur so möglich, daß sich das Dasein in seinem eigensten geworfenen Seinkönnen vergessen hat.“ (S. 339) „Vergessen“ ist demnach die Kenn-

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zeichnung des zeitlichen Sinnes des uneigentlichen Geworfen-seinkönnens, d.h. der uneigentlichen Gewesenheit des Verstehens. Dabei ist der Terminus aus einer bestimmten weltzeitlichen Verhaltungsweise zum Gewesenen genommen, und zwar aus einer gedächtnismäßigen Verhaltungsweise, in der irgendwann etwas gewußt, bzw. behalten gewesen war und dann vergessen wurde.34 Man kann hier zwei verschiedene Weisen des Vergessens unterscheiden: 1. Ein Vergessen, bei dem ich immer noch weiß, daß ich vergessen habe, und in dem das Vergessene in der Wiedererinnerung verlebendigt werden kann. 2. Ein Vergessen, bei dem ich auch das Vergessenhaben vergessen habe, d.h. ein Vergessen, bei dem ich nicht darum weiß, daß ich vergessen habe. Es ist auch wichtig zu betonen, daß beide Weisen des Vergessens nicht willentlich in Gang gesetzte Verhaltungsweisen, nicht ein intentionales Verhalten sind wie die Wiedererinnung.35 Heidegger prägt den existenzial-ontologischen Terminus „Vergessen“, indem er den formalen Sinn des weltzeitlichen Vergessens festhält und zugleich dessen spezifisch weltzeitlichen Sinn davon ablöst. Dadurch wird „Vergessen“ die Bezeichnung der uneigentlichen Gewesenheit des Verstehens, die nicht innerhalb der Weltzeit zu verstehen ist, sondern sich als Ekstase innerhalb der existenzialen Zeitlichkeit konstituiert. Der formale Sinn des Vergessens ist als Verschließung und Verhüllung zu kennzeichnen: Das einstmals Behaltene oder Gewußte verschließt und verhüllt sich für meine erinnernd-vergegenwärtigenden Bezüge. Dieses Moment des Verschließens und Verhüllens ist das, was aus dem weltzeitlichen Vergessenheitsphänomen aufgegriffen wird für die Bildung des existenzial-ontologischen Begriffs des Vergessens. Der engere existenzial-ontologische und nicht-weltzeitliche Sinn des Begriffs wird von Heidegger folgendermaßen angezeigt: „Dies Vergessen 34

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Hilfreich für das Verständnis der Terminologie ist die folgende Anmerkung in Martin Heidegger: Zollikoner Seminare. Protokolle – Gespräche – Briefe. Hrsg. von Medard Boss. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987, S. 216: „1. Im Griechischen ist alles Vergessen ein mir Verborgenbleiben in meinem Bezug zu etwas. 2. Im Lateinischen ist es oblivisci – auslöschen, wie etwas, das auf eine Tafel aufgeschrieben war, ausgelöscht werden kann. 3. Im Deutschen hängt das Vergessen mit to get = halten zusammen, und zwar so, daß es durch »ver-« ins Negative gewendet wird, d.h. dann das Nicht-halten.“ Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Bewußtsein, Zeit und Weltverständnis. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1971, S. 268ff.

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ist nicht nichts oder nur das Fehlen von Erinnerung, sondern ein eigener, »positiver« ekstatischer Modus der Gewesenheit.“ (S. 339) In diesem „positiven“, d.h. nicht nichtigen, sondern die durchschnittliche Alltäglichkeit gerade weithin bestimmenden Modus hat sich dem Dasein sein eigenstes Geworfen-seinkönnen verschlossen und verhüllt. Daß das Vergessen eine Ekstase ist, bedeutet, daß es auch in die geworfene Erschlossenheit entrückt, aber dies im Modus des Sichverschließens der eigensten Geworfenheit. Dieses Sichverschließen hat nach Heidegger den Charakter des „Ausrückens vor dem eigensten Gewesen“ (S. 339). „Ausrücken vor etwas“ heißt in der alltäglichen Sprache soviel wie „davonlaufen“, „weglaufen“, „ausreißen“ oder auch „schwänzen“. Wenn die Entrückung des Vergessens den Charakter des Ausrückens vor ... hat, dann meint dies ein Weglaufen von, ein Fliehen vor der andrängenden eigensten Geworfenheit. Im Ausrücken als einer verschließenden Entrückung zeigt sich der Zusammenhang zwischen eigentlicher und uneigentlicher Geworfenheit. Heidegger schreibt, „daß dieses Ausrücken vor ... ekstatisch das Wovor verschließt und in eins damit sich selbst“ (S. 339). Dieses Ausrücken ist also nicht nur ein Fliehen in der Weise des Sichverschließens der eigensten geworfenen Erschlossenheit, sondern auch ein Sichverschließen des Ausrückens selbst. Das Ausrücken selbst als eine Vollzugsweise des Existierens verschließt sich selbst als Ausrücken, so daß das Dasein in seinem ausrückenden Existieren nicht um dieses ausrückende Existieren weiß. In diesem Sinne können wir sagen, daß das ekstatische Phänomen des Vergessens eine doppelte Verschließungsstruktur hat: Es verschließt 1. das Wovor des Ausrückens (die eigenste geworfene Erschlossenheit), 2. das Ausrücken (vor der eigensten geworfenen Erschlossenheit) selbst. IV. Die im Vergessen fundierten Phänomene Das ekstatische Vergessen ist als zeitlicher Sinn auf einen Seinscharakter der Erschlossenheit bezogen, nämlich auf die Geworfenheit. In diesem Sinne konstituiert es sich als Ermöglichung der fundierten Phänomene, die dem weltzeitlichen Zeitverständnis zugehören, ebenso wie das ekstatische Gewärtigen das Warten auf ... und das Erwarten ermöglicht. Im Falle des ekstatischen Vergessens können wir drei fundierte Phänomene

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kennzeichnen: 1. das Behalten, 2. das „Vergessen“ (im abgeleiteten Sinne) und 3. die Wiedererinnerung. 1. Das Behalten von soeben Gewesenem ist nicht primär das Behalten von Wahrgenommenem im Sinne Husserls. Für Husserl ist das retentionale Behalten ein Behalten von soeben Wahrgenommen-gewesenem, also des jeweiligen Nicht-mehr-Jetzt. Das retentionale Vergangenheitsbewußtsein ist am Wahrgenommenen orientiert und so auch an dem Nicht-mehr-jetzt-Wahrgenommenen. Husserl nennt das primäre Behalten des Nicht-mehr-jetzt-Wahrgenommenen „primäre Erinnerung“ oder „Retention“. Da Heidegger sich auf dem Daseinsboden und nicht auf dem Bewußtseinsboden bewegt, nimmt er zum Leitfaden seiner Analyse nicht primär das bewußtseinsmäßige Wahrnehmen, sondern das besorgende Umgehen – das Wahrnehmen ist nach Heidegger dem besorgenden Umgang unterstellt – und das darin „umweltlich begegnende Seiende“ (S. 339) als das Besorgte. Das Behalten des soeben Besorgten (im Unterschied zum jetzt Besorgten und sogleich zu Besorgenden) ist dann ein fundiertes weltzeitliches Phänomen, in dem das soeben Besorgte eine Weile wach bleibt und dann in ein ferneres Behalten übergeht, aus dem es als ein früher Besorgt-gewesenes wiedererinnert werden kann. 2. Das „Vergessen“ als „Nichtbehalten“ (S. 339) entspricht dem Behalten, d.h. das im Behalten behaltene Besorgte wird nun im Behalten gedächtnismäßig nicht mehr verfügbar. Dieses „Vergessen“ wird von Heidegger in Anführungszeichen gesetzt, um seinen gegenüber dem ekstatischen Vergessen abgeleiteten und fundierten Charakter hervorzuheben. 3. Zu Beginn des 8. Absatzes spricht Heidegger von „Erinnerung“ im Sinne von Wiedererinnerung. Diese ist bei Husserl ein vergegenwärtigender Akt, in welchem ein früher Wahrgenommen-gewesenes wiedererinnert werden kann. Husserl hat diesen Akt als „sekundäre Erinnerung“ oder „Reproduktion“ bezeichnet.36 Bei Heidegger handelt es sich, wie bereits bemerkt, nicht um Akte der Vergegenwärtigung von früher Wahrgenommen-gewesenem, sondern um Wiedererinne36

Husserl spricht von (primärer und sekundärer) Erinnerung vor allem in Bezug auf das Vergangene, aber auch von Erinnerung im weiteren Sinne der Vergegenwärtigung (nicht nur des Vergangenen wie bei der sekundären Erinnerung). So spricht er etwa im § 29 seiner „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ von „Gegenwartserinnerung“.

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rung im Sinne einer weltzeitlichen Verhaltung des Daseins, das an das innerweltliche zu besorgende Seiende verfallen ist. Die Wiedererinnerung wird ermöglicht aus dem ekstatischen Vergessen, das mit seinem verschließenden zugleich einen erschließenden Charakter hat, insofern nämlich, als es den „Horizont“ erschließt, „in den hinein das an die »Äußerlichkeit« des Besorgten verlorene Dasein sich [wieder-]erinnern kann“ (S. 339).

§ 12. Die eigentliche und die uneigentliche Gegenwart des Verstehens (§ 68 a), 5.–6. Absatz, 8. Absatz, Schluß) Nachdem wir Heideggers Analyse der Zeitlichkeit des Verstehens nach den beiden Ekstasen der Zukunft und der Gewesenheit, sowohl im Modus der Eigentlichkeit als auch im Modus der Uneigentlichkeit, interpretiert haben, wenden wir uns der dritten Ekstase zu: der Gegenwart. „Das Verstehen ist als Existieren [nicht als Erkennen] im wie immer [in eigentlicher oder in uneigentlicher Weise] entworfenen Seinkönnen primär zukünftig.“ (S. 337) Das heißt: Das Verstehen ist primär ein Aufsich-zukommen in den beiden Modi des Vorlaufens und des Gewärtigens. Aber es ist nicht nur durch die Zukunft, sondern „gleichursprünglich durch Gewesenheit und Gegenwart bestimmt“ (S. 337). Dies ist so, weil die Zeitlichkeit wesenhaft eine dreigliedrige ist, derart, daß jeder der drei Ekstasen immer die zwei anderen Ekstasen im entsprechenden Modus zugehören, indem sie in eigentlicher oder uneigentlicher Weise vollzogen werden. I. Der Bezug der Gegenwart zur Zukunft im uneigentlichen Modus Im 4. Absatz des § 68 a) wurde die uneigentliche Vollzugsweise der Zukunft des Verstehens, das Gewärtigen, entfaltet. Dort wurde aufgezeigt, daß sich das gewärtigende Verstehen nicht aus einem ergriffenen eigensten Entwerfen bestimmt, sondern sich zeitigt im primären Blick auf das gegenwärtigende, besorgende Sein bei innerweltlichem Seienden. In dieser Vollzugsweise der Uneigentlichkeit wird die Zukunft aus dem (im engeren Sinne) gegenwärtigenden, besorgenden Sein-bei ..., d.h. aus dem uneigentlichen Gegenwärtigen bestimmt. Aber dies be-

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sagt nicht, daß im uneigentlichen Verstehen die Zukunft ihren Charakter als führende Ekstase verliert. Die Gegenwart tritt nicht einfach an die Stelle der Zukunft als führender Ekstase, sondern die bestimmende Funktion des Gegenwärtigens kennzeichnet nur die Weise, wie das Gewärtigen sich vollzieht. So kam in der Analyse des Gewärtigens die uneigentliche Gegenwart des Verstehens erstmals zur Sprache, wurde aber dort nicht eigens thematisch entfaltet. Dies geschieht im 5. und 6. Absatz des § 68 a). Den Bezug zwischen der Zukunft und der Gegenwart des Verstehens im uneigentlichen Modus stellt Heidegger folgendermaßen dar: „Das alltägliche Besorgen versteht sich aus dem Seinkönnen, das ihm aus möglichem Erfolg und Mißerfolg mit Rücksicht auf das je Besorgte entgegenkommt.“ (S. 337) Demnach versteht sich das alltägliche existierende Dasein aus dem entwerfenden Seinkönnen im uneigentlichen Vollzugsmodus, d.h. als uneigentliches Auf-sich-zukommen oder Gewärtigen. Dieses uneigentliche Auf-sich-zukommen wird an dieser Stelle als ein „Entgegenkommen“ gekennzeichnet. Mit anderen Worten: Das alltäglich existierende Dasein versteht sich aus derjenigen Möglichkeit des Vollzugs einer gehaltlichen Existenzmöglichkeit, die ihm entgegenkommt oder auf es zukommt aus der Welt und dem in ihr möglichen Erfolg oder Mißerfolg des Besorgens des Besorgbaren. Das Dasein versteht sich im uneigentlichen Modus seines Existierens primär aus der Welt und den aus der Welt her vorgezeichneten besorgbaren Möglichkeiten. In diesem Sinne gilt: „Der uneigentlichen Zukunft, dem Gewärtigen, entspricht ein eigenes Sein beim Besorgten.“ (S. 337) Aber nicht ein entschlossenes, sondern ein zu einem nicht entschlossenen modifiziertes Sein beim Besorgten. Um diese Modifikation verständlich zu machen, entfaltet Heidegger beide Vollzugsmodi des Seins beim Besorgten, d.h. beide Modi der Gegenwart, ausgehend vom eigentlichen Modus, wie das Entsprechende auch in bezug auf die Zukunft und die Gewesenheit geschieht. Doch müssen wir, bevor wir uns dieser Analyse zuwenden, den an dieser Stelle eingeführten Terminus „Gegen-wart“ (S. 338) auf dessen formalen Sinn hin durchsichtig machen.

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II. Der formale Sinn der „Gegen-wart“: das gegen mich Gewendete Die Bindestrich-Schreibung des Wortes „Gegen-wart“ deutet einerseits auf einen ungeläufigen bzw. ontologischen Sinn und andererseits auf die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes hin. „Gegen“ bedeutet „in meinem Gesichtskreis gegen mich gekehrt oder gegen mich herkommend“.37 „Wart“ geht zurück auf das lateinische „versus“ = „gewendet“. Die zweite Silbe des Wortes verdeutlicht dann nur noch einmal die erste Silbe. „Wart“ sagt der Sache nach dasselbe wie „Gegen“. Demnach bedeutet „Gegenwart“ ursprünglich „das gegen mich Gewendete“. Diese ursprüngliche Bedeutung findet sich im existenzial-ontologischen Terminus „Gegenwart“ wieder, denn die existenziale Gegenwart ist die gegen mich gewendete, erschlossen-gehaltene Möglichkeit des In-derWelt-seins. Hier zeigt sich also ein ekstatischer Modus der Erschlossenheit, nämlich die Gegenwartsdimension der Erschlossenheit. Die Gegenwartsdimension ist eben das, was als Erschlossenheit der Möglichkeit des In-der-Welt-seins gegen mich gewendet ist, sofern diese Möglichkeit im entwerfenden Auf-mich-zukommen und im geworfenen Auf-michzurückkommen aufgeschlossen gehalten ist. III. Der eigentliche Modus der Gegenwart des Verstehens Zur Zukunft gehört eine Gegenwart im entsprechenden Vollzugsmodus, d.h. in einem der beiden möglichen Vollzugsmodi der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit. In diesem Sinne schreibt Heidegger: „Zum Vorlaufen der Entschlossenheit gehört eine Gegenwart“ (S. 338). Das „Vorlaufen“ ist die eigentliche Zukunft, die „Entschlossenheit“ die eigentliche und ursprüngliche Erschlossenheit. Die Erschlossenheit ist eigentlich aufgeschlossen im Vollzug des eigensten Entwerfens (des vorlaufenden Auf-sich-zukommens) und im Vollzug der Übernahme der eigensten Geworfenheit (des wiederholenden Auf-sich-zurückkommens). In der Gegenwart, die der Zukunft entspricht, wird die Erschlossenheit in anderer Weise aufgeschlossen. Das Aufschließen der Erschlossenheit in der eigentlichen Gegenwart hat den Charakter des Aufgeschlossenhaltens dessen, was im vorlaufenden Auf-sich-zukommen und im wiederholenden Auf-sich-zurück37

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Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Band 4, 1. Abteilung, 2. Teil. Leipzig: Verlag von S. Hirzel, 1897, S. 2281.

kommen vollzugshaft erschlossen ist. Das heißt, daß die Gegenwart die im Vorlaufen und in der Wiederholung sich aufschließende eigentliche Erschlossenheit übernimmt und aufgeschlossen hält für das gegenwärtigende Begegnenlassen des Besorgbaren. Diese Erschlossenheit, die sich im vorlaufenden Auf-sich-zukommen und im wiederholenden Auf-sichzurückkommen aufschließt, wird von Heidegger als „Entschluß“ bezeichnet. Deshalb formuliert er nun im 5. Absatz des § 68 a) – wir zitieren den oben zitierten Satz noch einmal, aber diesmal vollständig: „Zum Vorlaufen der Entschlossenheit gehört eine Gegenwart, gemäß der ein Entschluß die Situation erschließt.“ (S. 338) „Situation“ ist das Wort für die eigentliche im Gegenwärtigen aufgeschlossen gehaltene Erschlossenheit des In-der-Welt-seins. Die uneigentliche Gegenwart dagegen hält die Erschlossenheit nicht als Situation aufgeschlossen. Die eigentliche Gegenwart ist in bezug auf die uneigentliche zu verstehen, weil erstere sich aus letzterer „zurückholt“ (S. 338). Dieses Zurückholen ist die Modifikation der uneigentlich vollzogenen Gegenwart, die als „Zerstreuung in das nächst Besorgte“ (S. 338) charakterisiert werden kann, in das hinein sie verloren ist. Als daraus zurückgeholte Gegenwart wird die eigentliche Gegenwart zugleich „in der Zukunft und Gewesenheit gehalten“ (S. 338). Der Modifikationszusammenhang zwischen den beiden Modi der Gegenwart wird noch deutlicher, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das eigentliche Gegenwärtigen das übernimmt, was es aus der eigentlichen Zukunft und der eigentlichen Gewesenheit gegenwärtigend aufgeschlossen hält. Aber in dem Moment, in dem die Gegenwart in ihrem Aufgeschlossenhalten diesen unmittelbaren Bezug zur eigentlichen Zukunft und zur eigentlichen Gewesenheit nicht vollzieht, fällt das Gegenwärtigen ab, fällt es ab von seinem eigensten Seinkönnen. In diesem Sinne kann gesagt werden, daß sich das uneigentliche Gegenwärtigen dem eigentlichen Aufgeschlossenhalten verschließt und in diesem Verschließen an das innerweltliche Seiende verfällt. Nur durch das Aufgeschlossenhalten der aus der eigentlichen Zukunft und der eigentlichen Gewesenheit übernommenen Erschlossenheit kann das Gegenwärtigen wieder in die eigentliche, ursprüngliche Gegenwart zurückgeholt und zu dieser modifiziert werden. Die Modifikation der uneigentlichen zur eigentlichen Gegenwart, in der die letztere aus der ersteren zurückgeholt wird, erhält von Heidegger den Namen „Augenblick“: „Die in der eigentlichen Zeitlichkeit gehaltene, mithin eigentliche Gegenwart nennen wir den Augenblick.“

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(S. 338) Wenn Heidegger hinzufügt: „Dieser Terminus muß im aktiven Sinne als Ekstase verstanden werden“ (S. 338), so bezieht sich hier die Rede von Aktivität nicht auf den Gegensatz von aktiv und passiv, sondern auf die Vollzugshaftigkeit des Ekstatischen. Da das Gegenwärtigen eine vollzugshafte Ekstase ist und jede Ekstase eine eigene Weise ist, in der die Erschlossenheit aufgeschlossen ist, konstituiert sich der Augenblick als die eigentliche Erschlossenheit der Ekstase der Gegenwart. In diesem Sinne ist der Augenblick ekstatisch zu verstehen und nicht innerzeitlich als das Jetzt, und zwar weder als das weltzeitliche Jetzt noch als das entweltlichte Jetzt der puren Jetzt-Folge. Der Augenblick als das eigentliche Gegenwärtigen ist in sich zwiefältig: 1. Der Augenblick enthüllt sich als das gegenwärtigende Aufgeschlossenhalten der Situation; 2. dieses gegenwärtigende Aufgeschlossenhalten geschieht für das gegenwärtigende Begegnenlassen dessen, was aus der Situation begegnet. Beide Momente gehören zusammen, es gibt das eine nicht ohne das andere. Aber sie sind als zwei Momente im Text identifizierbar: Der Augenblick ist „in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins“, und als diese ist er „Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgbaren Möglichkeiten, Umständen begegnet“ (S. 338). Für das Begegnen von Zuhandenem und Vorhandenem (= zweites Moment) muß der Welthorizont in der Situation aufgeschlossen sein (= erstes Moment). Der Augenblick „läßt [...] erst begegnen, was als Zuhandenes oder Vorhandenes38 »in einer Zeit« sein kann“ (S. 338), aber nur in dem Maße, als er für sein Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden die Erschlossenheit des In-der-Weltseins als Situation aufgeschlossen hält. Im Aufgeschlossenhalten der Situation zeigt sich der Bezug des Augenblicks zur Erschlossenheit, mithin sein ekstatischer und nicht bloß begegnenlassender Charakter.

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„Vorhandenes“ kann in „Sein und Zeit“ in drei verschiedenen Weisen verstanden werden: 1. im weitesten Sinne als alles nicht-daseinsmäßige Seiende, 2. im weiteren Sinne als alles Seiende, das nicht Dasein und nicht Zuhandenes ist, und 3. im engeren Sinne als das theoretisch und gar naturwissenschaftlich bestimmte Seiende. An der oben zitierten Textstelle ist das „Vorhandene“ primär im zweitgenannten Sinne zu verstehen, z.B. als naturhaft Seiendes. Vgl. dazu den § 15, S. 70.

IV. Der uneigentliche Modus der Gegenwart des Verstehens Im 6. Absatz des § 68 a) thematisiert Heidegger den uneigentlichen Modus der Gegenwart des Verstehens und bezeichnet diesen als das „Gegenwärtigen“ im engeren Sinne. In einem formalen und weiteren Sinne, so präzisiert er seine terminologische Festlegung, schließt das „Gegenwärtigen“ sowohl den eigentlichen Vollzugsmodus der Gegenwart als Augenblick als auch deren uneigentlichen Vollzugsmodus als Gegenwärtigen im engeren Sinne ein. Demnach ist „jede Gegenwart gegenwärtigend [im formalen und weiteren Sinne], aber nicht jede »augenblicklich«“, weil eben nur die eigentliche Gegenwart „augenblicklich“, die uneigentliche Gegenwart hingegen das „augenblicklos-unentschlossene“ Gegenwärtigen, also das Gegenwärtigen im engeren Sinne ist (S. 338). Das Gegenwärtigen als existenzialer Sinn des Verfallens wird von Heidegger in einer späteren Analyse ausführlicher ausgearbeitet.39 V. Die Wahrnehmung als in der Gegenwart fundiertes Phänomen Im Anschluß an die Freilegung der Gegenwart des Verstehens in ihren beiden Modi erwartet der Leser eine Analyse der darin fundierten Phänomene, wie sie von Heidegger im Anschluß an die Freilegung der Zukunft und der Gewesenheit des Verstehens jeweils durchgeführt wird. Eine solche Analyse findet sich jedoch an dieser Stelle des Textes nicht. Deshalb sei zur Ergänzung darauf hingewiesen, daß das besorgende Wahrnehmen das in der uneigentlichen Gegenwart fundierte Phänomen ist, das so der Erwartung und der Wiedererinnerung als denjenigen Zeitverhaltungen entspricht, die in den Ekstasen der Zukunft und der Gewesenheit fundiert sind. Das Wahrnehmen ist bei Heidegger, wie bereits früher von uns herausgestellt wurde,40 kein bloßes Wahrnehmen, sondern ein Wahrnehmen des Besorgten oder ein besorgendes Wahrnehmen von jetzt zu Besorgendem, im Unterschied zum Erwarten von sogleich oder später zu Besorgendem, Behalten von soeben Besorgtem und Wiedererinnern von früher Besorgt-gewesenem. Alle diese Verhaltungen sind ontisch-existenzielle Zeitverhaltungen, die in ihrem Vollzugscharakter als Verhaltungen bestimmt sind aus der Sorge. Damit ist der Fun39 40

Vgl. § 71: „Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit des Daseins“, S. 370ff. Siehe oben S. 97.

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dierungszusammenhang dieser Verhaltungen und ihre fundierende Ermöglichung durch den jeweils uneigentlichen Modus der drei Ekstasen klar geworden. VI. Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens Am Ende des § 68 a), in der zweiten Hälfte seines 8. Absatzes, wird die volle Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens im Unterschied zu der des eigentlichen Verstehens abgehoben. Jene wird hier von Heidegger als das „vergessend-gegenwärtigende Gewärtigen“ (S. 339) bezeichnet. Gemäß der Vollzugsrichtung des analytischen Zugangs zu den einzelnen zeitlichen Ekstasen können wir auch vom gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen sprechen. Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit des eigentlichen Verstehens ist entsprechend als vorlaufend-wiederholender Augenblick zu kennzeichnen. Beide Modi sind zwei unterschiedliche Vollzugsweisen der Zeitlichkeit bzw. der sich zeitigenden und aufschließenden Erschlossenheit des In-der-Welt-seins, wobei aber im Modus der Uneigentlichkeit „die Einheit dieser Ekstasen [...] das eigentliche Seinkönnen [verschließt] und [...] sonach die existenziale Bedingung der Möglichkeit der Unentschlossenheit [ist]“ (S. 339). Dies bedeutet: Im Modus der Uneigentlichkeit werden das eigenste Entwerfen, die eigentliche Geworfenheit und das entschlossene Sein-bei ... verschlossen, und diese Verschließung konstituiert die uneigentlich aufgeschlossene Erschlossenheit oder „Unentschlossenheit“. Im Modus der Uneigentlichkeit, im gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen, wird die Erschlossenheit als Unentschlossenheit aufgeschlossen, im Modus der Eigentlichkeit, im vorlaufend-wiederholenden-Augenblick, als ursprüngliche Erschlossenheit, als Entschlossenheit.

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ZWEITER TEIL HERMENEUTISCHE PHÄNOMENOLOGIE DER ZEITLICHKEIT DES DASEINS SEMINAR IM WINTERSEMESTER 1998/99 § 1. Rückblick: Heideggers Analyse der Zeitlichkeit – die Zeitlichkeit als der Seinssinn der Sorge und die Zeitlichkeit des Verstehens I. Einführung: Die Jetzt-Zeit und die ursprüngliche Zeit Wir vergegenwärtigen uns die Hauptzüge des bisher von uns vollzogenen Gedankengangs. Unser Thema ist die hermeneutische Phänomenologie der Zeit. Dies besagt, daß die Methode dieser Philosophie der Zeit die hermeneutische Phänomenologie ist. Für gewöhnlich kennen wir die Zeit als eine Abfolge von Jetzt-Punkten: Das Noch-nicht-Jetzt geht in das Jetzt über, das seinerseits in das Nicht-mehr-Jetzt übergeht. Dies ist sowohl das vorphilosophische als auch das überlieferte philosophische Zeitverständnis. Für Aristoteles in seiner Zeituntersuchung im IV. Buch der „Physik“, für Augustinus im XI. Buch der „Confessiones“ und für Kant in der „Transzendentalen Ästhetik“ der „Kritik der reinen Vernunft“, wo Zeit als subjektive Anschauungsform des inneren Sinnes identifiziert wird, ist die Zeit ein Nacheinander der Abfolge von JetztPunkten. Nach Heidegger ist dieses Zeitverständnis zwar nicht falsch, aber auch nicht zureichend. Die so verstandene Zeit ist nach ihm vielmehr eine abkünftige Zeit, und zwar abkünftig von dem, was er die „ursprüngliche Zeit“ nennt. Diese ursprüngliche Zeit ist ursprünglich, sofern sie der Ursprung ist, dem die am Jetzt orientierte Zeit entspringt. Wenn man die Zeituntersuchungen von Augustinus, Kant und Heidegger betrachtet, bemerkt man, daß sie einander insofern ähnlich sind, als alle drei Philosophen auf dem Wege einer Analytik des Wesens des Menschen auf die Zeit stoßen. In dieser Beziehung also ist Heideggers Weg kein besonderer. Aber wenn man diese Zeituntersuchungen genauer überprüft, zeigt sich uns ein fundamentaler und entscheidender

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Unterschied nicht nur zwischen Heideggers Denken und dem der beiden anderen Philosophen, sondern zwischen Heidegger und der ganzen überlieferten philosophischen Tradition. Während Kant mittels einer Analytik der reinen theoretischen Vernunft und Augustinus im Zuge einer Analyse der zeitverstehenden anima auf die Zeit stößt, stößt Heidegger auf die ursprüngliche Zeit auf dem Wege einer existenzial-ontologischen Analytik des Daseins des Menschen in dessen seinsverstehender Existenz. Das ist der Unterschied: Kant und Augustinus, ja die ganze überlieferte philosophische Tradition seit Aristoteles, bestimmen den Menschen in seinem Wesen als ζῷον λόγον ἔχον. Diese Bestimmung wird gewöhnlich, vor allem seit Seneca, nicht wörtlich im Sinne des Sprache habenden Lebewesens verstanden, sondern im Sinne des animal rationale, des vernünftigen Lebewesens. Nach Heidegger ist diese Wesensdefinition wiederum zwar nicht falsch, aber auch nicht zureichend. Das ursprüngliche Wesen des Menschen ist nach ihm die seinsverstehende Existenz des Daseins. Nur weil diese Wesensbestimmung des Menschen die ursprünglichere ist, stößt Heidegger auf dem Gang der von ihm durchgeführten existenzialen Analytik auf ein Zeitphänomen, das nicht primär am Jetzt orientiert ist, sondern ursprünglicher als die Jetzt-Zeit ist. Dieses Zeitphänomen nennt er die „existenziale Zeitlichkeit“ des Daseins, und diese ist nach ihm der Ursprung für das, was wir vorphilosophisch und in der philosophischen Überlieferung als die Zeit kennen. Nachdem Heidegger in „Sein und Zeit“ die existenziale Zeitlichkeit als die ursprüngliche Zeit aufgewiesen hat, zeigt er, wiederum auf dem Wege hermeneutisch-phänomenologischer Analysen, wie die uns vertraute Zeit der existenzialen Zeitlichkeit entspringt. Für uns gilt es nun, diesen Analysen interpretierend zu folgen. II. Überblick über die Struktur der Zeitanalysen Zunächst jedoch wollen wir uns die Schrittfolge dieser Analysen bewußt machen. Im Zweiten Abschnitt der Daseinsanalytik von „Sein und Zeit“, der unter dem Titel „Dasein und Zeitlichkeit“ steht, erfolgt die hermeneutisch-phänomenologische Freilegung sowohl der existenzialen Zeitlichkeit als auch der uns vertrauten Zeit, die Heidegger auch die „vulgäre Zeit“ nennt. Dabei geht er so vor, daß er mit der Freilegung der existenzialen Zeitlichkeit beginnt, um dann von dort aus zu zeigen, wie die uns vertraute Zeit jener entspringt. Dies ist der schwierigere Weg, da

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er in einem unserem Alltagsverständnis völlig unvertrauten Bereich einsetzt, aber zugleich der zureichendere Weg, da nur er der Strenge einer systematischen Arbeit, wie sie „Sein und Zeit“ darstellt, angemessen ist. Man muß aber in beide Richtungen gehen können, d.h. man muß auch mit der Jetzt-Zeit anfangen und von dieser aus zur ursprünglichen Zeit kommen können, und genau dies unternimmt Heidegger in seiner Marburger Vorlesung vom Sommersemester 1927 über „Die Grundprobleme der Phänomenologie“. In „Sein und Zeit“ beginnt die Freilegung der existenzialen Zeitlichkeit im Dritten Kapitel des Zweiten Abschnitts des Ersten Teils. Die Überschrift dieses Kapitels lautet: „Das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins und die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge“. Ausgehend von dem zu diesem Dritten Kapitel gehörenden § 65: „Die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge“, erstreckt sich die Analytik der existenzialen Zeitlichkeit bis über das gesamte Vierte Kapitel über „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“, und zwar bis hin zum letzten Paragraphen dieses Kapitels, dem § 71: „Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit des Daseins“. Im Fünften Kapitel wird auf dem Boden der zuvor freigelegten existenzialen Zeitlichkeit die existenziale Geschichtlichkeit analysiert. Diese ist ein Thema für sich, das wir in unserer Interpretation umwillen der Konzentration auf die existenziale Zeitlichkeit und den vulgären Zeitbegriff überspringen. Im darauf folgenden Sechsten Kapitel des Zweiten Abschnitts, das zugleich das letzte Kapitel der von Heidegger einzig veröffentlichten Ersten Hälfte von „Sein und Zeit“ darstellt und unter dem Titel „Zeitlichkeit und Innerzeitigkeit als Ursprung des vulgären Zeitbegriffes“ steht, ist die Analyse so weit vorgedrungen, daß nun aufgewiesen werden kann, wie die an der Abfolge von JetztPunkten orientierte Zeit der existenzialen Zeitlichkeit entspringt. Bisher haben wir aus der Freilegung der existenzialen Zeitlichkeit nur die §§ 65–68 a) behandelt. Im Folgenden wollen wir, nachdem wir uns noch einmal die Hauptpunkte aus dem § 65 und dem § 68 a) vergegenwärtigt haben, aus dem Vierten Kapitel noch den § 68 b), c) und d) sowie den § 69 a) und c) in Auszügen behandeln. Dann werden wir über die Voraussetzung verfügen, um aus dem Sechsten Kapitel die §§ 78–81 zu interpretieren.

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III. Die Sorge als formale Ganzheit der Seinsverfassung des Daseins Heidegger stößt auf die ursprüngliche Zeit auf dem Wege einer existenzial-ontologischen Analytik des Daseins. Die den Ersten Abschnitt bildende vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins schreitet von der einen Einzelanalyse jeweils einer fundamentalen Seinsstruktur des Daseins zur anderen. Erst innerhalb des Sechsten Kapitels des Ersten Abschnitts wird im § 41: „Das Sein des Daseins als Sorge“, nachdem eine Vielfalt von existenzialen Strukturen freigelegt worden ist, nach der apriorischen Strukturganzheit der Existenz gefragt. Diese Ganzheit findet Heidegger in dem, was er die „Sorge“ nennt. Dieser Ausdruck ist als existenzial-ontologischer Terminus nicht im Sinne von „Sorgen haben“ zu verstehen, sondern im Sinne von „Sorge tragen für ...“. Der Vollzug des seinsverstehenden Existierens ist ein Sorgetragen für die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins und für die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden. Die Sorge als die formal-existenziale Ganzheit der Seinsverfassung des Daseins ist in sich dreifach gegliedert. Als das „Sich-vorweg-schonsein-in-(der-Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“ (S. 192) gliedert sich die Sorge in 1. das Sich-vorweg-sein, 2. das Schonsein-in ... und 3. das Sein-bei ..., und diese drei Glieder verweisen schon auf die Dreiheit der Dimensionen der ursprünglichen Zeit. Zunächst aber wollen wir in der oben zitierten Formel das wiedererkennen, was wir aus der vorbereitenden Fundamentalanalyse schon kennen: Das Sich-vorweg-sein ist das Sichentwerfen oder der Entwurf, das Schonsein-in ... ist die Geworfenheit und das Sein-bei ... ist ein anderer Ausdruck für das existierende Sichverhalten zum innerweltlichen Seienden. Im Sich-vorweg-schon-sein-in ... schließt das Dasein eine faktisch vorgegebene Möglichkeit des In-der-Welt-seins auf. Und diese geworfenentworfene Erschlossenheit von Welt wird im Sein-bei ... aufgeschlossen gehalten, damit innerweltliches Seiendes begegnen kann. IV. Die Zeitlichkeit als Seinssinn der Sorge Damit verfügen wir über die Grundlage, um zum § 65: „Die Zeitlichkeit als der ontologische Sinn der Sorge“, übergehen zu können. Wie die Überschrift sagt, wird in diesem Paragraphen der bisher unenthüllte Seinssinn der Sorge – die Zeitlichkeit – thematisiert. Während im § 41

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die Sorge sowohl als formal-existenziale Struktur als auch im Modus ihrer Uneigentlichkeit behandelt wurde, wird im § 65 die Zeitlichkeit der Sorge im Modus ihrer Eigentlichkeit freigelegt. Die Freilegung der Zeitlichkeit der Sorge im Modus ihrer Uneigentlichkeit erfolgt erst im Vierten Kapitel des Zweiten Abschnitts. Das eigentliche Sich-vorweg-sein hat seinen zeitlichen Sinn im Aufsich-zukommen: Das Dasein kommt im Entwurf in einer Existenzmöglichkeit auf sich zu. Dieses Auf-sich-zukommen ist die ursprüngliche Zukunft, die jedoch nicht den Charakter des Noch-nicht-Jetzt hat. Vielmehr wird der Charakter der ursprünglichen Zukunft aus dem entwerfenden Auf-sich-zukommen als einer Dimension der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins bestimmt. Das eigentliche Schon-sein-in ... hat seinen zeitlichen Sinn im Auf-sich-zurückkommen: Das Dasein kommt auf sein geworfenes Je-schon-aufgeschlossen-gewesen zurück. Dieses Auf-sich-zurückkommen nennt Heidegger die existenziale Gewesenheit. Das Wort „Vergangenheit“ verwendet Heidegger nur für das Nichtmehr-Jetzt der Jetzt-Zeit. Das eigentliche (besorgende) Sein-bei ... hat seinen Zeitlichkeitssinn in der eigentlichen Gegenwart als dem vollzugshaften gegenwärtigenden Sich-bringen in die Situation. Die Erschlossenheit, die das Sich-vorweg-schon-sein-in ... aufgeschlossen hat und die das Sein-bei ... übernimmt und aufgeschlossen hält, ist das, was Heidegger die „Situation“ nennt. Die drei genannten Momente der Zeitlichkeit können wir zusammenfassend als das gewesend-gegenwärtigende Zukünftige bezeichnen, und in diesem ihrem Zusammenhang konstituieren sie die „existenziale Zeitlichkeit“. Diesen Terminus reserviert Heidegger von nun an für die ursprüngliche Zeit, während bei ihm das ohne Attribut gebrauchte und zugleich in Anführungszeichen gesetzte Wort „Zeit“ immer die Jetzt-Zeit bedeutet. Es ergibt sich nun die Frage: Wie gibt es die existenziale Zeitlichkeit? Sie „ist“ nicht in dem Sinne, daß sie ein Seiendes wäre. Es gibt sie nur im Vollzug, d.h. im Sichzeitigen. Dasein zeitigt sich in seiner Zeitlichkeit; es existiert, indem es sich in seiner Zeitlichkeit zeitigt, und dieses Sichzeitigen geschieht in mannigfachen Modi, vor allem, aber nicht nur, in denen der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit. Erst dann, wenn nachgewiesen wird, daß nicht nur die Sorge als Ganzheit ihrer drei Strukturmomente, sondern auch alle anderen zur Sorge gehörenden existenzialen Charaktere in ihrem Seinssinn Modi der sich

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zeitigenden Zeitlichkeit sind, ist der Nachweis befriedigend geführt, daß die existenziale Zeitlichkeit der Sinn des Seins des Daseins ist. Im § 65 wird von Heidegger herausgestellt, daß die Zeitlichkeit in ihren drei Dimensionen ekstatischen Charakters ist. Die Zeitlichkeit ist das ἐκστατικόν schlechthin. Im Sichzeitigen der Zeitlichkeit „tritt“ das Dasein „aus sich heraus“ in die Erschlossenheit, und zwar in den Weisen der drei Dimensionen der Zeitlichkeit. Diese werden deshalb von Heidegger auch als „Ekstasen“ bezeichnet. Insgesamt kann man in der existenzialen Analytik drei Stufen der Zeit voneinander unterscheiden, da zwischen der ursprünglichen Zeit und der ihr entsprungenen puren Jetzt-Zeit noch die Weltzeit steht. Diese ist eine am Jetzt, am Dann und am Damals orientierte Zeit, die unmittelbar der existenzialen Zeitlichkeit entspringt und durch vier Charaktere bestimmt ist, nämlich die Datierbarkeit, die Gespanntheit, die Öffentlichkeit und die Bedeutsamkeit. Die Weltzeit ist das Zeitverständnis, in dem wir uns im alltäglich-besorgenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden und im alltäglich-fürsorgenden Mitsein mit dem innerweltlich begegnenden anderen Dasein halten. Wenn jedoch diese vier Charaktere nicht alle gesehen werden und dadurch die Weltzeit nivelliert wird – wie dies in den Zeitanalysen der philosophischen Tradition der Fall gewesen ist –, dann zeigt sich die pure Jetzt-Zeit. V. Die Zeitlichkeit des Verstehens Der § 66 schließt das Dritte Kapitel des Zweiten Abschnitts ab und blickt auf das Vierte Kapitel vor. Dieser Vorblick ist wichtig, weil er eine angemessene Einschätzung der Aufgabe des Vierten Kapitels ermöglicht. Diese Aufgabe besteht darin, auf dem Grunde der im § 65 freigelegten Zeitlichkeit des Daseins die existenziale Analyse ursprünglicher zu wiederholen, d.h. für alle Existenzialien, die in der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins noch ohne ihren zeitlichen Sinn entwickelt wurden, nun ihren je eigenen zeitlichen Sinn aus der Zeitlichkeit des Daseins aufzuweisen. Diese Aufgabe umfaßt auch die Erarbeitung der spezifischen Zeitlichkeit der Uneigentlichkeit des Daseins. Dabei erfolgt die ursprünglichere Wiederholung der existenzialen Analyse nicht nur auf einer ontologisch ursprünglicheren Ebene, sondern auch in einer im Vergleich zur vorbereitenden Fundamentalanalyse umgekehrten Reihenfolge.

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Das Vierte Kapitel über „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“ beginnt im § 67 mit einem zweiten und differenzierteren Vorblick auf die anstehende Aufgabe. Im daran anschließenden § 68 setzt die zeitliche Interpretation der fundamentalen Existenzialien bei jenen Strukturen ein, die das Da des Daseins konstituieren, d.h. bei Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede. Jede dieser Strukturen gründet primär in je einer der Ekstasen der Zeitlichkeit: das Verstehen in der Zukunft, die Befindlichkeit in der Gewesenheit und das Verfallen in der Gegenwart. Für die Rede aber gibt es keine Ekstase, in der diese primär gründet. Im § 69 schließt sich die eminent wichtige Analyse der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens an. Diese Analyse ist deshalb so wichtig, weil die Zeitlichkeit des Bewandtnis verstehenden Besorgens sich in die Weltzeit auslegt. Im Zusammenhang des in diesem Paragraphen ebenfalls behandelten Problems der Transzendenz der Welt stoßen wir zum ersten Mal auf den horizontalen Charakter der Zeitlichkeit, in der das Weltverständnis gründet. Doch geht es hier nicht schon um die existenzial-horizontale Zeitlichkeit des Seinsverständnisses im Sinne der Temporalität. Die Umkehrung der Reihenfolge der Analyse im Vergleich zur vorbereitenden Fundamentalanalyse besteht darin, daß sie mit den konstitutiven Strukturen der Erschlossenheit beginnt und von dort absteigt bis hin zum umsichtigen Besorgen und zum Weltverständnis. In der Überschrift des § 68: „Die Zeitlichkeit der Erschlossenheit überhaupt“, weist das „überhaupt“ darauf hin, daß die Zeitlichkeit sowohl der eigentlichen als auch der uneigentlichen Erschlossenheit thematisiert werden soll. So wird die bereits im § 65 behandelte eigentliche Zeitlichkeit nochmals behandelt, aber diesmal in der Abhebung von der uneigentlichen Zeitlichkeit. Entsprechend wird im § 68 a) die Zeitlichkeit sowohl des eigentlichen als auch des uneigentliche Verstehens herausgestellt. Nachdem also im § 65 die Zeitlichkeit des eigentlichen Entwurfs bereits thematisiert wurde, wird nun im § 68 a) im Zuge der schwerpunktmäßigen Freilegung der Zeitlichkeit des uneigentlichen Entwurfs noch einmal die Zeitlichkeit des eigentlichen Entwurfs thematisiert, um beide Modi deutlich voneinander abheben und auch terminologisch voneinander abgrenzen zu können. Das Verstehen ist das Sichentwerfen auf Möglichkeiten des Existierens, es ist das Sich-vorweg-sein, dessen formal-existenzial-zeitlicher Sinn das Auf-sich-zukommen ist. Das eigentliche Auf-sich-zukommen ist das Vorlaufen, das erstmals in der Analyse des Seins zum Tode als das

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„Vorlaufen in den Tod“ aufschien. Das uneigentliche Auf-sich-zukommen ist das Gewärtigen. Wie zum Vorlaufen eine eigentliche Gewesenheit und eine eigentliche Gegenwart gehören, so gehören zum Gewärtigen eine uneigentliche Gewesenheit und eine uneigentliche Gegenwart. Die eigentliche Gewesenheit ist die Wiederholung, die so genannt wird, weil in der eigentlichen Gewesenheit das Dasein sich wieder in das eigenste Seinkönnen vor-holt. Die uneigentliche Gewesenheit ist das Vergessen im Sinne des verschließenden Ausrückens des Daseins vor seiner eigensten Gewesenheit. Die eigentliche Gegenwart ist der Augenblick, wobei dieser Terminus aktiv-ekstatisch verstanden werden muß im Sinne des Offenhaltens der Situation für das Begegnen des innerweltlichen Seienden. Die uneigentliche Gegenwart schließlich ist das Gegenwärtigen im engeren Sinne des augenblicklosen Gegenwärtigens, das von der formalen Struktur zu unterscheiden ist, der gemäß jede Gegenwart in einem weiteren Sinne gegenwärtigend ist. So läßt sich die spezifische Zeitlichkeit des Verstehens in der Weise zusammenfassend kennzeichnen, daß die Zeitlichkeit des eigentlichen Verstehens als wiederholend-augenblickliches Vorlaufen, die Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens als vergessend-gegenwärtigendes Gewärtigen zu charakterisieren ist.

§ 2. Die Zeitlichkeit der Befindlichkeit. Die Furcht als Gewärtigen eines Bedrohlichen (§ 68 b), 1.–4. Absatz) Wir setzen unsere Interpretation des Vierten Kapitels über „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“ fort, in dem die Aufgabe einer ursprünglicheren Wiederholung der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins ausgeführt wird. Im Verlauf dieser Wiederholung wird, wie bereits gesagt, für alle wesenhaften existenzialen Strukturen, die in der vorbereitenden Fundamentalanalyse noch ohne ihren zeitlichen Sinn freigelegt wurden, ihr je eigener zeitlicher Sinn aus der Zeitlichkeit des Daseins aufgewiesen, und zwar, wie die Überschrift des Kapitels andeutet, in ihrem Uneigentlichkeitsmodus. Im § 68 setzt die zeitliche Interpretation der Existenzialien bei jenen Strukturen ein, die das Da des Daseins konstituieren. Dabei werden Verstehen und Befindlichkeit im Vergleich zur vorbereitenden Fundamentalanalyse in umgekehrter Reihenfolge

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behandelt. Bereits von uns interpretiert wurde der § 68 a): „Die Zeitlichkeit des Verstehens“, der die ursprünglichere Wiederholung des zum Fünften Kapitel des Ersten Abschnitts gehörigen § 31: „Das Da-sein als Verstehen“, darstellt. Im Folgenden wenden wir uns dem § 68 b): „Die Zeitlichkeit der Befindlichkeit“, zu, der die ursprünglichere Wiederholung darstellt sowohl des § 29: „Das Da-sein als Befindlichkeit“, als auch des § 30: „Die Furcht als ein Modus der Befindlichkeit“, und des § 40: „Die Grundbefindlichkeit der Angst als eine ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins“. Zunächst wollen wir uns den Aufbau des Textes ausdrücklich bewußt machen. Der § 68 b) ist dreifach gegliedert: Erstens wird die Zeitlichkeit der Befindlichkeit als solcher aufgezeigt, ohne daß auf eine besondere Stimmung eingegangen würde; zweitens wird die Zeitlichkeit der Furcht behandelt und drittens die Zeitlichkeit der Angst. Abschließend werden von Heidegger noch einige andere Stimmungen gestreift, die wir jedoch in unserer Interpretation übergehen werden, um uns auf den Hauptgedankengang zu konzentrieren. I. Die Befindlichkeit: Zusammenfassung der Ergebnisse der vorbereitenden Fundamentalanalyse In den ersten Sätzen des Paragraphen wird das Wesentliche dessen vorgeführt, was sich in der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins zur Befindlichkeit entwickelt findet. „Das Verstehen ist nie freischwebend, sondern immer befindliches.“ (S. 339) Das Verstehen ist immer befindliches, weil es als Entwurf immer geworfener Entwurf ist. Das Sichverstehen auf eine Möglichkeit des In-der-Welt-seins ist immer befindliches, weil „[d]as Da [...] je gleichursprünglich [wie durch das Verstehen] durch Stimmung erschlossen, bzw. verschlossen [wird]“ (S. 339). Die Erschlossenheit konstituiert sich stets, die eigentliche ebenso wie die uneigentliche, durch das befindliche Verstehen, den geworfenen Entwurf. Während aber das Dasein den Entwurf selbst vollzieht, entzieht sich die Geworfenheit seiner freien Initiative: Das Dasein wird geworfen, findet sich immer schon in die stimmungsmäßige Erschlossenheit versetzt. Die geworfene Befindlichkeit geht dem entwerfenden Verstehen insofern voraus, als das Dasein nur aus der geworfen-befindlichen Erschlossenheit her entwerfend-verste-

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hend die Erschlossenheit aufschließen kann – dies macht den zutiefst endlichen Charakter des Daseins aus. Wenn in dem oben zitierten Satz davon die Rede ist, daß das Da des Daseins durch Stimmung erschlossen bzw. verschlossen wird, so wird diese Unterscheidung von Erschließung und Verschließung, die auf die Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, eigentlicher und uneigentlicher Erschlossenheit verweist, zu Beginn des 2. Absatzes noch einmal in einer sprachlich variierten Form aufgenommen: „Die Stimmung erschließt in der Weise der Hinkehr und Abkehr vom eigenen Dasein.“ (S. 340) Demnach kann sich das Dasein im stimmungsmäßigen Erschließen auf zwei verschiedene Weisen verhalten, eben entweder in der Weise der „Hinkehr“ zu sich selbst oder in der Weise der „Abkehr“ von sich selbst. Entweder flieht das Dasein in der Stimmung vor seiner Geworfenheit und kehrt sich von ihr ab – so in der Furcht, die „uneigentlich verdeckend“ stimmt; oder das Dasein kehrt sich in der Stimmung seiner Geworfenheit zu und läßt diese sich erschließen – so in der Angst, die „eigentlich enthüllend“ stimmt (S. 340). Jedenfalls ist es der Erschließungssinn der Befindlichkeit, das Dasein – in der einen oder anderen Weise – vor das „Daß der eigenen Geworfenheit“ zu bringen. Dies ist auch der primäre Sinn aller besonderen Stimmungen. Heideggers existenziale Analyse der Stimmungen entspricht in gewisser Weise dem, was wir aus der überlieferten Philosophie als Affektenlehre kennen. Auf dem Boden des Daseins jedoch wird den Affekten und Gefühlen unter dem Titel der „Stimmungen“ ein gänzlich anderes, in der philosophischen Tradition in dieser Weise noch nie gesehenes Wesen zugeschrieben. So ist insbesondere die stimmungsmäßige Selbsterschließung des Daseins kein Erkennen im Sinne des inneren Wahrnehmens. Die Stimmung macht auf eine weit ursprünglichere Weise offenbar, „wie einem ist und wird“ (S. 134): „In der Befindlichkeit ist das Dasein immer schon vor es selbst gebracht, es hat sich immer schon gefunden, nicht als wahrnehmendes Sich-vor-finden, sondern als gestimmtes Sichbefinden.“ (S. 135)

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II. Die Zeitlichkeit der Befindlichkeit als solcher Nachdem Heidegger die Hauptzüge seiner in der vorbereitenden Fundamentalanalyse durchgeführten Analyse der Befindlichkeit vergegenwärtigt hat, wendet er sich der Frage zu: Wie läßt sich die Zeitlichkeit der Befindlichkeit sichtbar machen? Welche ist die für die Befindlichkeit primäre (nicht ausschließliche) Ekstase der Zeitlichkeit? Die Antwort lautet: „die Befindlichkeit [...] zeitigt sich primär in der Gewesenheit“ (S. 340). Während diese Antwort sich auf die Befindlichkeit als solche bezieht, wird in den Analysen der Furcht und der Angst aufzuzeigen sein, wie die Gewesenheit in diesen beiden besonderen Stimmungen und überhaupt in jeder besonderen Stimmung jeweils modifiziert wird. So werden wir etwa sehen, daß die Gewesenheit in der Furcht nicht nur überhaupt das uneigentliche Vergessen ist, sondern ein eigener Modus des Vergessens, den Heidegger als „verwirrtes Vergessen“ zu fassen sucht. Das Dasein, so hieß es, verhält sich im stimmungsmäßigen Erschließen entweder in der Weise der Hinkehr zu sich selbst oder in der Weise der Abkehr von sich selbst. Das „Bringen vor das Daß [= die Faktizität] der eigenen Geworfenheit“ (S. 340) ist aber ein Geschehen, das mit dem Dasein geschieht, nicht etwas, was es selbst vollbringt. Dies bedeutet, daß das Dasein zu seiner Geworfenheit sich hinkehrend und sie enthüllend oder von ihr sich abkehrend und sie verdeckend sich nur deshalb verhalten kann, weil es immer schon erschlossen-gewesen ist. Das stimmungsmäßige Erschließen ermöglicht erst den verstehenden Entwurf und ist daher kein Moment des Vollzugs des Entwurfs. Um sich diese Struktur klar vor Augen halten zu können, muß man das Verhältnis zwischen Erschlossenheit und Befindlichkeit geklärt haben. Das Erschlossen-gewesen bekundet sich im Bringen vor ...; aber obwohl dieses den Zugang zum Erschlossen-gewesen bahnt, bildet es das Erschlossen-gewesen nicht, sondern gründet im Erschlossen-gewesen. Nur „wenn das Sein des Daseins seinem [zeitlichen] Sinne nach ständig gewesen ist“, kann das Dasein „in der Weise des Sich-befindens“ sich finden (S. 340). Deshalb ist die primäre Ekstase der Befindlichkeit die Gewesenheit. Zu dieser primären Ekstase der Befindlichkeit gehören auch eine Zukunft und eine Gegenwart, die mit der Gewesenheit gleichursprünglich sind, aber von dieser als der primären Ekstase – je nach der besonderen Stimmung – modifiziert werden.

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Die Aufgabe, „die ontologische Struktur der Gestimmtheit in ihrer existenzial-zeitlichen Konstitution aufzuweisen“ (S. 340), ist zu einem guten Teil bereits dadurch gelöst, daß gezeigt worden ist, daß die Befindlichkeit die primäre Ekstase ihrer Zeitlichkeit in der Gewesenheit hat und daß zu dieser als der primären Ekstase innerhalb der vollen Struktur der ekstatischen Zeitlichkeit eine Zukunft und eine Gegenwart gehören. Heidegger führt nun, bevor er zu den Phänomenen der Furcht und der Angst übergeht, den Aufweis der Zeitlichkeit der Befindlichkeit als solcher noch ein kleines Stück weiter: „Die These »Befindlichkeit gründet primär in der Gewesenheit« besagt: der existenziale Grundcharakter der Stimmung ist ein Zurückbringen auf ...“ (S. 340) Mit der Wendung „Zurückbringen auf ...“ ist der gleiche Sachverhalt angesprochen wie mit der früher im Text auftauchenden Wendung „Bringen vor ...“. Das „Zurückbringen auf ...“ meint, daß in der Stimmung das Dasein auf seine geworfene Erschlossenheit als das je schon Erschlossengewesen zurückgebracht wird. Das „Zurückbringen auf ...“, so fährt Heidegger fort, „stellt die Gewesenheit nicht erst her, sondern die Befindlichkeit offenbart für die existenziale Analyse je einen Modus der Gewesenheit“ (S. 340), d.h. die Gestimmtheit erschließt dem Dasein, daß es je schon so und so erschlossen gewesen ist. Doch was besagt in dem zitierten Satz die Wendung „für die existenziale Analyse“? Das in der Gestimmtheit geschehende Erschließen gehört zum vorontologischen existenziellen Erschließungssinn der Stimmungen. Diesem geht die existenzial-ontologische Analyse nach und kommt zu der Einsicht, daß die Befindlichkeit je einen unterschiedlichen Modus der Gewesenheit offenbart. III. Die Furcht als Gewärtigen eines Bedrohlichen Zunächst umreißt Heidegger das Programm: Die zeitliche Interpretation der Befindlichkeit habe lediglich die Aufgabe, „den Nachweis zu führen, daß die Stimmungen in dem, was sie und wie sie existenziell »bedeuten« [= erschließen], nicht möglich sind, es sei denn auf dem Grunde der Zeitlichkeit. Die zeitliche Interpretation beschränkt sich auf die schon vorbereitend analysierten Phänomene der Furcht und der Angst.“ (S. 341) Die zeitliche Interpretation der Furcht bildet im Aufbau des § 68 b) den zweiten Teil und erstreckt sich über dessen 4. und 5. Absatz.

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Auch hier wird zuerst die Hauptstruktur der Furcht, wie sie im § 30 herausgestellt wurde, vergegenwärtigt. Im Unterschied zur Angst wurde die Furcht als „uneigentliche Befindlichkeit“ (S. 341) charakterisiert.41 Zum rechten Verständnis des Unterschieds zwischen der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit als den beiden Vollzugsmöglichkeiten der Existenz beachten wir erneut die für diesen Unterschied entscheidende Textstelle im § 31: „Das Verstehen kann sich primär in die Erschlossenheit der Welt legen, das heißt das Dasein kann sich zunächst und zumeist aus seiner Welt her verstehen. Oder aber das Verstehen wirft sich primär in das Worumwillen, das heißt das Dasein existiert als es selbst.“ (S. 146) Also ist das Verstehen entweder eigentliches oder uneigentliches Verstehen: eigentliches, wenn sich das geworfene Entwerfen in der ihm eigensten Möglichkeit ergreift und in Vollzug setzt – uneigentliches, wenn sich das geworfene Entwerfen in einer nicht ursprünglichen Weise primär in die Welt und in den besorgenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden legt. Im Vollzugsmodus der Eigentlichkeit versteht sich das Dasein primär aus der Erschlossenheit des eigenen Selbst. Im Vollzugsmodus der Uneigentlichkeit dagegen versteht sich das Dasein primär aus der Erschlossenheit der Welt und des besorgbaren Seienden. Daher können wir sagen, daß auch das fürchtende Dasein sich primär in die Erschlossenheit der Welt verlegt hat – nur das so existierende Dasein fürchtet sich vor einem Innerweltlichen. Um nun die existenziale Analyse der Furcht mit deren zeitlicher Interpretation fortzusetzen, muß gezeigt werden, wie und in welchem Modus die Gewesenheit als die primäre Ekstase der Zeitlichkeit der Befindlichkeit im Zusammenhang mit den beiden anderen Ekstasen die Furcht ermöglicht. Wie wir aus Früherem wissen, ist die uneigentliche Gewesenheit das Vergessen. Aber in der Stimmung der Furcht wird diese auf eine bestimmte Weise modifiziert. Diesen modifizierten Modus der Vergessenheit nennt Heidegger die „Vergessenheit der Verwirrung“ (S. 342). Gemäß der im § 30 analysierten formalen Struktur der Furcht ist diese immer ein Sichfürchten vor etwas und um etwas. Das Wovor der Furcht ist das Bedrohliche, das sich dem Dasein „im Umkreis des besorgten Zuhandenen und Vorhandenen [...] nähert“ (S. 341).42 Der 41 42

„Furcht ist an die »Welt« verfallene, uneigentliche und ihr selbst als solche verborgene Angst.“ (S. 189) Mit dem „Vorhandenen“ ist hier das naturhafte Seiende gemeint, das zwar, als „besorgtes“, auch teilhat an der Seinsweise der Zuhandenheit, aber nicht in der

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„Umkreis des Zuhandenen und Vorhandenen“ ist die besorgte Umwelt. Innerhalb dieser Umwelt, in der wir uns zunächst in beruhigter Stimmung halten, ergreift uns plötzlich die Stimmung der Furcht. Wenn ich von der Furcht ergriffen werde, fürchte ich mich vor dem mich bedrohenden und sich nähernden innerweltlichen Seienden und um mich selbst in meinem besorgenden Seinkönnen. In diesem Michfürchten beziehe ich mich auf das Bedrohliche, aber nicht nur in der Weise des Erwartens von Innerzeitlichem, sondern „dieses Sichbeziehen selbst ist zukünftig im ursprünglich zeitlichen Sinne“ (S. 341), d.h. in der Weise eines Auf-sich-zukommens, der existenzialen Zukunft. Also gehört zur Zeitlichkeit der Furcht als eines Sichbeziehens auf das Bedrohliche ein Gewärtigen. Damit ist ein erstes Strukturmoment der Zeitlichkeit der Furcht gewonnen. Wenn aber Heidegger somit seine Analyse nicht mit dem Aufweis der primären Ekstase der Zeitlichkeit der Befindlichkeit, der Gewesenheit, begonnen hat, sondern mit dem Aufweis der zur existenzial-zeitlichen Konstitution der Furcht gehörenden Ekstase der Zukunft, und diese als ein Gewärtigen bestimmt, so besagt das zunächst nur: „die Zeitlichkeit der Furcht ist uneigentliche“ (S. 341), sie ist nicht durch ein Vorlaufen mitkonstituiert.

§ 3. Die Furcht als verwirrte Vergessenheit. Die Angst als Erschlossenheit des reinen geworfen-entwerfenden In-der-Welt-seins (§ 68 b), 4.–6. Absatz) I. Die Furcht als verwirrte Vergessenheit Im Gang der Analyse der Zeitlichkeit der Furcht gelangte bislang erst eine ihrer drei Ekstasen zur Abhebung, und zwar gerade noch nicht die für die Zeitlichkeit der Befindlichkeit primäre Ekstase, die der Gewesenheit. Es zeigte sich: „Das Fürchten erschließt [...] ein Drohendes“ (S. 341), und zwar dergestalt, daß dieses Erschließen als ein Auf-sichzukommenlassen des Bedrohlichen geschieht, als ein Sichbeziehen auf das Drohende, ein Sichbeziehen, das in seinem ursprünglichen zeitliWeise des hergestellten Gebrauchsdings. Nicht ist hier, wie an anderen Stellen, das (natur-)wissenschaftlich erkannte Seiende gemeint.

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chen Sinne ein Gewärtigen ist. Dieses „gehört mit zur existenzialzeitlichen Konstitution der Furcht“ (S. 341), wobei dieser bloß mithafte Charakter darauf hindeutet, daß mit dem Gewärtigen noch nicht die primäre und spezifische Ekstase der Zeitlichkeit der Furcht genannt ist. Zeigt sich die Zukunft der Furcht zunächst als ein im Gewärtigen des Bedrohlichen Auf-sich-zukommenlassen, so ist damit diese Ekstase der Zeitlichkeit der Furcht in einer noch unbestimmten und unspezifischen Weise herausgestellt; ihre der Furcht eigentümliche Modifikation kann erst dann, wenn die primäre, die anderen Ekstasen modifizierende Gewesenheit der Furcht zur Abhebung gelangt ist, herausgearbeitet und als das „verwirrte Gewärtigen“ (S. 342) voll bestimmt werden. Doch kann dem Gesagten jetzt schon der Hinweis entnommen werden, daß, sofern die Zukunftsekstase als ein gewärtigendes Auf-sich-zukommenlassen sich zeigt, die Zeitlichkeit der Furcht insgesamt eine uneigentliche ist. Auch dieses uneigentliche Auf-sich-zukommen als das Fürchten vor ... ist allerdings streng zu unterscheiden von einem bloßen „Erwarten eines [innerzeitlich] ankommenden Bedrohlichen“ (S. 341). Ein solches Erwarten „braucht nicht schon Furcht zu sein und ist es so wenig, daß ihm gerade der spezifische Stimmungscharakter der Furcht fehlt“ (S. 341). Der spezifische Stimmungscharakter der Furcht zeigt sich darin, „daß das Gewärtigen der Furcht das Bedrohliche auf das faktisch besorgende Seinkönnen zurückkommen läßt“ (S. 341). Das Zurückkommenlassen ist uns aus dem § 65 vertraut, wo von dem Zurückkommen auf das je schon faktische eigentliche oder uneigentliche Erschlossengewesen gesprochen wurde. In dem oben zitierten Satz wird demnach die Gewesenheit der Furcht in den Blick genommen. Nun gilt es aber, den spezifischen Charakter der Gewesenheit der Furcht zu erfassen. Angesichts der besonders knappen, verkürzten Sprechweise, der sich Heidegger in den folgenden Sätzen des 4. Absatzes bedient, muß unsere Interpretation sich in besonderem Maße darum bemühen, durch die im Text stehenden Worte hindurch die sich zeigende Sache selbst in den Blick zu bekommen. Wenn gesagt ist, daß das Gewärtigen der Furcht das Bedrohliche auf das „Seinkönnen“ zurückkommen läßt, so ist damit das jeweilige „faktisch besorgende“ Seinkönnen gemeint, in dem das Dasein von der Furcht ergriffen wird und das nun bedroht wird durch das Wovor der Furcht. Das Bedrohliche auf sich zurückkommen lassend, fürchtet sich

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das Dasein vor einem gewärtigend erschlossenen Bedrohlichen um ein bestimmtes besorgendes Seinkönnen, in welchem es sein Existieren vollzieht. Damit aber ist der Zusammenhang zwischen dem Gewärtigen und der Gewesenheit des Sichfürchtens angezeigt und ein erster Schritt in der Abhebung dieser Zeitlichkeitsekstase geleistet. Heidegger führt weiter aus: „Zurück auf das Seiende, das ich bin, kann das Bedrohliche nur gewärtigt und so das Dasein bedroht werden, wenn das Worauf des Zurück auf ... schon überhaupt ekstatisch offen ist.“ (S. 341) Dieses Worauf ist das Dasein in seinem besorgenden Seinkönnen, das schon erschlossen, d.h. erschlossen-gewesen sein muß für das Zurückkommenlassen des Bedrohlichen auf das besorgende Seinkönnen. Dieses ist „ekstatisch offen“, d.h. erschlossen in der Weise des stimmungsmäßigen Sichfürchtens um ... Dabei zeigt im „Sichfürchten“ gerade das „Sich-“ das Strukturmoment des „um“ an: Ich fürchte um mich selbst in meinem besorgenden Seinkönnen, das durch das Wovor der Furcht bedroht wird. Anders gewendet: „Daß das fürchtende Gewärtigen »sich« fürchtet, das heißt, daß das Fürchten vor ... je ein Fürchten um ... ist, darin liegt der Stimmungs- und Affektcharakter der Furcht.“ (S. 341) Daran anschließend erfolgt im Text die erste entscheidende Kennzeichnung: „Deren existenzial-zeitlicher Sinn wird konstituiert durch ein Sichvergessen“ (S. 341). „Deren“ verweist auf die Furcht, und zwar speziell auf die Furcht als Fürchten um ..., denn dieses hat seine existenzial-zeitliche Ermöglichung in der Gewesenheit. Das „Sichvergessen“ deutet hin auf die im § 68 a) gegebene grundsätzliche Kennzeichnung der uneigentlichen Weise der Entrücktheit des Daseins in die Gewesenheit als des verschließenden, fliehenden Ausrückens vor ... Diese Flucht erfolgt vor dem, was sich faktisch erschließt, dem Erschließen der eigensten, d.h. eigentlichen Geworfenheit. Die Eigentlichkeit der Geworfenheit wird im Fliehen verschlossen, derart, daß zwar die eigenste, nicht aber die Geworfenheit überhaupt sich verschließt.43 Die spezifische Gewesenheit der Furcht ist eine anders modifizierte als etwa die des uneigentlichen Verstehens. Sie wird nun von Heidegger charakterisiert als „das verwirrte Ausrücken vor dem eigenen faktischen Seinkönnen“ (S. 341). Entscheidend ist in dieser Wendung das Adjektiv „verwirrte“, mit dem 43

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Nach dem Gesagten dürfte schon hinreichend klar geworden sein, daß auch das Fürchten nicht etwa die Geworfenheit gänzlich verschließt, sondern vielmehr ein – wenn auch uneigentliches – stimmungsmäßiges Erschließen der Geworfenheit, des Versetztseins in die jeweilige Erschlossenheitsweise, bleibt.

der spezifische Modus des Ausrückens gekennzeichnet wird. Das Wovor dieses verwirrt-vergessenden Ausrückens ist das eigenste faktische Seinkönnen im Sinne des „faktischen, entschlossenen Seinkönnen[s]“ (S. 342, Hervorhebung vom Verfasser) – geflohen wird das eigentlich aufgeschlossene faktische Seinkönnen. Damit aber ist der Verwirrtheitscharakter gerade noch unaufgeklärt. Flieht denn das Fürchten um … im vergessenden Ausrücken nur vor dem eigentlichen Seinkönnen? Vor diesem rückt auch das uneigentliche Verstehen aus. Auch wenn es sich nicht fürchtet, existiert das Dasein uneigentlich im verhüllenden Fliehen vor dem eigentlich aufgeschlossenen Seinkönnen, so aber, daß es in einer Beruhigtheit sich vollzieht. In der Furcht jedoch, im verwirrt-vergessenden Ausrücken, flieht das sich fürchtende Dasein mit dem Fliehen vor dem eigenen Seinkönnen auch vor dem beruhigten uneigentlichen Seinkönnen. Die Verwirrung bezieht sich gerade auf diesen Charakter des Beruhigtseins des uneigentlichen Seinkönnens. Sie stößt das Dasein aus dieser Ruhe, ent-setzt es aus dem Vollzug des beruhigten Seinkönnens in ein unruhig-verwirrtes besorgendes Seinkönnen. Für diese Bestimmung der Furcht findet Heidegger einen Gewährsmann in Aristoteles: „Aristoteles bestimmt die Furcht mit Recht als λύπη τις ἢ ταραχή, als eine Gedrücktheit bzw. Verwirrung.“ (S. 341f.) Zwar bewegt sich Aristoteles im Zweiten Buch seiner „Rhetorik“ auf einem ganz anderen Fundament als dem des Daseins, aber dennoch gelingt ihm, auf seinem Boden der Untersuchung der für den Redner relevanten Affekte, die Abhebung zweier entscheidender Charaktere, die das Phänomen der Furcht kennzeichnen. Heidegger nimmt diese auf und erläutert sie: „Die Gedrücktheit zwingt das Dasein auf seine Geworfenheit zurück“ (S. 342) – die λύπη bekundet die Geworfenheit so, wie sie sich spezifisch in der Furcht erschließt, als Gedrücktheit. Die Bekundung der Geworfenheit als Gedrücktheit besagt, „daß diese [= die Geworfenheit] gerade verschlossen wird“ (S. 342). Diese Verschlossenheit ist aber nicht so zu verstehen, als sei die Geworfenheit in den uneigentlichen Gestimmtheiten völlig verhüllt, sondern verschlossen ist die Geworfenheit nur als eigenste im Sinne der reinen geworfenen Erschlossenheit des In-der-Welt-seins. Es ist nicht so, daß die Geworfenheit überhaupt nicht mehr erfahren wird, sondern sich nur noch im Fliehen vor ihr anzeigt. Vielmehr bekundet sie sich auch im Fliehen als das sich fürchtende besorgende Dasein; das Sichfürchten selbst erschließt ein Versetztsein in diese fürchtende Gestimmtheit, aber

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als die eines besorgenden Seinkönnens. Es handelt sich so nicht um die stimmungsmäßige Eröffnung des reinen Geworfenseins in die Erschlossenheit, sondern um das in der Weise des Sichfürchtens gestimmte besorgende Seinkönnen. Die Geworfenheit bleibt so zumindest in der Weise der Gedrücktheit enthüllt. An dem zur Furcht gehörigen Gegenwärtigen läßt sich deren Grundzug, die Verwirrung, besonders deutlich herausstellen. „Das [verwirrt-] vergessende Ausrücken vor einem faktischen, entschlossenen Seinkönnen hält sich an die Möglichkeiten des Sichrettens und Ausweichens“ (S. 342). Mich fürchtend verliere ich meine Ruhe und Sicherheit, die sonst im besorgenden Umgang leitend sind, und springe, um mich zu retten, von einer Möglichkeit zur nächsten, ohne jedoch in einer von ihnen wirklich Stand gewinnen und sie in beruhigter Weise vollziehen zu können. In solchem Sichretten vor der Bedrohung liegt somit die Heraussetzung aus dem beruhigten Vollzug des besorgenden Seinkönnens; das Dasein schaut sich um nach Möglichkeiten der Rettung, „die zuvor umsichtig schon entdeckt [bzw. erschlossen]44 sind“ (S. 342). Das Dasein existiert in einer ergriffenen Möglichkeit des Inder-Welt-seins, welche alle zu ihr gehörenden möglichen Weisen des besorgenden Seinkönnens einschließt. Dies ist nicht etwa so zu verstehen, daß alles existenziell Mögliche, das zu der je einen Möglichkeit gehört, auch schon erschlossen ist, vielmehr sind es immer nur diese und jene Weisen des besorgenden Seinkönnens, die als solche aber enthüllt werden aus der ganzheitlichen Erschlossenheit des In-der-Weltseins. Alle Möglichkeiten, nach denen ich, mich fürchtend, greife, alle hilflosen Versuche der Rettung des Bedrohten sind also solche, die zu der entworfenen Grundmöglichkeit des In-der-Welt-seins gehören. In solcher von Möglichkeit zu Möglichkeit springenden Ent-setzung aus der vertrauten Ruhe „verschwindet [die »Umwelt«] nicht, sondern begegnet [im Gegenwärtigen] in einem Sich-nicht-mehr-auskennen in ihr“ 44

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Streng genommen müßte es, sofern es sich hier um Existenzmöglichkeiten handelt, nicht „entdeckt“ heißen, sondern „erschlossen“. Die strenge terminologische Unterscheidung zwischen Entdecken und Erschließen traf Heidegger erst während der Drucklegung des Ersten Abschnitts von „Sein und Zeit“. In den Marburger Vorlesungen, etwa in derjenigen vom Sommersemester 1925 über die „Geschichte des Zeitbegriffs“ (GA 20), ist diese Unterscheidung noch nicht scharf vollzogen. Da es sich bei dem oben zitierten Satz um eine Textstelle aus dem Zweiten Abschnitt von „Sein und Zeit“ handelt, dürfte die Wortwahl auf einer Unachtsamkeit Heideggers beruhen.

(S. 342). Heidegger führt zur Illustration das konkrete Beispiel eines brennenden Hauses an, in dem die Bewohner oftmals die allerunwichtigsten Gegenstände retten. Die Begründung solchen Verhaltens durch den Verwirrtheitscharakter der Furcht ist eine genuin daseins- und zeitlichkeitsanalytische, keinesfalls eine psychologische. Es handelt sich um das Ganze einer durch Zeitlichkeit bestimmten Bewegungsweise des sich fürchtenden Daseins. „Das selbstvergessene Gegenwärtigen eines Gewirrs von schwebenden Möglichkeiten ermöglicht die Verwirrung, als welche sie den Stimmungscharakter der Furcht ausmacht.“ (S. 342) Die Verwirrung ist gerade das den besonderen Stimmungscharakter der Furcht Prägende. Nun kann auch, wie schon angedeutet, das Gewärtigen genauer bestimmt werden: „Die Vergessenheit der Verwirrung modifiziert auch das Gewärtigen“ (S. 342). Der Genitiv „der Verwirrung“ ist recht zu verstehen, nämlich als ein genitivus subjectivus. Gemeint ist: die Vergessenheit im Modus der Verwirrung. Das Gewärtigen, jene Zeitlichkeitsekstase, von der wir ausgingen, zeigt sich ebenso von der primären Gewesenheit modifiziert, so daß es charakterisiert ist als „das gedrückte bzw. verwirrte Gewärtigen“ (S. 342). Daß das Gewärtigen wie das Gegenwärtigen gemäß der Gewesenheit modifiziert wird, macht gerade das Primäre aus, das der Gewesenheit zukommt: „Die spezifische ekstatische Einheit, die das Sichfürchten existenzial ermöglicht, zeitigt sich primär aus dem [als Verwirrung] charakterisierten Vergessen, das als Modus der Gewesenheit die zugehörige Gegenwart und Zukunft in ihrer Zeitigung modifiziert.“ (S. 342) Insofern muß auch von einem verwirrten Gegenwärtigen und verwirrten Gewärtigen gesprochen werden. Heidegger faßt das Ergebnis der Analyse zusammen: „Die Zeitlichkeit der Furcht ist ein gewärtigend-gegenwärtigendes Vergessen.“ (S. 342) Diese zur Formel verkürzte Charakterisierung kann folgendermaßen transparent gemacht werden: Die Zeitlichkeit der Furcht ist (1.) ein im Gewärtigen des Bedrohlichen Auf-sich-zukommen, und zwar (2.) als ein Zurückkommen auf das bedrohte besorgende Seinkönnen in der Weise eines verwirrt-vergessenden Ausrückens sowohl vor dem eigentlichen als auch vor dem beruhigten uneigentlichen besorgenden Seinkönnen; schließlich (3.) ein verwirrtes Gegenwärtigen. Anders und wieder eher formelhaft gesagt: Die Zeitlichkeit der Furcht liegt in

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einem verwirrten Vergessen in Einheit mit einem verwirrten Gewärtigen und einem verwirrten Gegenwärtigen. II. Die Angst als Erschlossenheit des reinen geworfen-entwerfenden In-der-Welt-seins Die Angst wurde von Heidegger im § 40 als eine „Grundbefindlichkeit“ bezeichnet, sofern sie das Dasein in seiner geworfen-entworfenen Erschlossenheit aufschließt und es so vor seinen eigensten Seinsgrund, „vor sein eigenstes Geworfensein“ (S. 342) bringt. Eine solche Grundbefindlichkeit ist so auch immer eine eigentliche Befindlichkeit. Andere Befindlichkeiten dagegen verhüllen diesen ureigenen Seinsgrund auf die eine oder andere Weise. Zwar bringt auch die Furcht in gewisser, begrenzter Weise vor die Geworfenheit. Der spezifische Erschließungssinn der Angst liegt jedoch gerade darin, vor das eigenste, unverhüllte Geworfensein zu bringen, sie „enthüllt die Unheimlichkeit des alltäglich vertrauten In-der-Welt-seins“ (S. 342). Die Angst zeigt dem uneigentlich-beruhigten, vertrauten In-der-Welt-sein auf, daß im Grunde seines Existierens die Unheimlichkeit waltet in der Weise der reinen geworfenentworfenen Erschlossenheit. Formal ist die Angst wie die Furcht durch die beiden Strukturmomente des Wovor und des Worum gekennzeichnet. „Die Analyse zeigte jedoch, daß [im Falle der Angst] diese beiden Phänomene sich decken.“ (S. 342) Anzeigend können wir zunächst sagen: Anders als im Falle der Furcht ist das Wovor der Angst nicht ein innerweltliches Seiendes, sondern das reine geworfene In-der-Welt-sein als solches. Entsprechend ist auch das Worum der Angst kein bestimmtes besorgendes Seinkönnen, das durch das Wovor bedroht wird, sondern wiederum das In-der-Weltsein, das Dasein als solches, nun aber nicht als das reine geworfene, sondern das reine entwerfende Dasein, das Entwerfenkönnen der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins. „Im besonderen begegnet das Wovor der Angst nicht als ein bestimmtes Besorgbares, die Bedrohung kommt nicht aus dem Zuhandenen und Vorhandenen [und dem Mitdaseienden], vielmehr gerade daraus, daß alles Zuhandene und Vorhandene einem schlechthin nichts mehr »sagt«. Es hat mit dem umweltlichen Seienden keine Bewandtnis mehr.“ (S. 343) Zum stimmungsmäßigen Erschließen der Angst gehört demnach ein Versinkenlassen des bislang in seiner vertrauten Bewandtnisbestimmtheit begegnenden Seienden.

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Diese entzieht sich, entgleitet, wird „genichtet“.45 Mit dem Versinken der Bewandtnisbestimmtheit entzieht sich die Erschlossenheit der Welt als vertrauter Bedeutsamkeit in die „Unbedeutsamkeit“: „Die Welt, worin ich existiere, ist zur Unbedeutsamkeit herabgesunken, und die so erschlossene Welt kann nur Seiendes freigeben im Charakter der Unbewandtnis.“ (S. 343) Das „Un-“ in der „Unbewandtnis“ und der „Unbedeutsamkeit“ verweist auf das eigentümliche Nichten in der Erschlossenheit der Welt, d.h. eine nichtende Erschließungsweise der Erschlossenheit, die sich in der Angst erschließt. Der Wandel von der Bedeutsamkeit in die Unbedeutsamkeit und von der Bewandtnis zur Unbewandtnis vollzieht sich als ein einheitliches Geschehen, das aus der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins aufsteigt; es handelt sich um einen Wandel der bisherigen Erschlossenheitsweise des Seins und in einem zumal der bisherigen Entdecktheitsweise des Seienden. „Das Nichts der Welt [= die Welt in der Erschlossenheitsweise der Unbedeutsamkeit], davor die Angst sich ängstet, besagt nicht, es sei in der Angst etwa eine Abwesenheit des innerweltlichen Vorhandenen erfahren.“ (S. 343) Die Erschlossenheit der Welt im Modus ihrer Unbedeutsamkeit bedeutet so wenig ein Verschwinden des innerweltlichen Seienden, daß dieses „gerade begegnen [muß], damit es so gar keine Bewandtnis mit ihm haben [...] kann“ (S. 343). Darin liegt gerade noch eine Weise, wie das Seiende begegnet; das Entgleiten und Versinken nennt selbst noch eine Entdecktheitsweise des Seienden. Damit hat sich das Wovor der Angst gezeigt als das unbestimmte geworfene In-der-Welt-sein. Nun ist nach dem Worum der Angst zu fragen: „Darin [= im Versinken des Seienden als eines durch Bewandtnis bestimmten und im Versinken der Welt als Bedeutsamkeit] liegt jedoch: das besorgende Gewärtigen findet nichts, woraus es sich verstehen könnte“ (S. 343). Dem entwerfenden Verstehen eröffnet sich weder eine Welt im Sinne der Bedeutsamkeit noch ein entdecktes Seiendes im Sinne 45

Besonders deutlich wird dieses entgleitenlassende Nichten von Heidegger in seiner 1929 an der Universität Freiburg gehaltenen Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“ dargestellt. Die dort ausgeführten Gedanken halten sich grundsätzlich auf derselben Besinnungsebene wie „Sein und Zeit“. Allerdings wird in der Antrittsvorlesung die Angst direkter mit dem Seinsproblem zusammengebracht, es handelt sich dort um ein Versinken des Seienden im Ganzen. Das Nichten zeigt sich so als eine ausgezeichnete Erschließungsweise der Erschlossenheit des Seins. Vgl. Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? In: Ders.: Wegmarken. Gesamtausgabe Band 9. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1976, 3. Auflage 2004, S. 103–122.

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der Bewandtnisbestimmtheit, es findet sich vielmehr ausgesetzt dem Entzug, in dem das Dasein herausgeworfen wird aus seinem sonst vollzogenen besorgenden Gewärtigen von Möglichkeiten seines In-derWelt-seins. Das besorgende Gewärtigen „greift ins Nichts der Welt; auf die Welt gestoßen, ist aber das Verstehen durch die Angst auf das Inder-Welt-sein als solches gebracht“ (S. 343). Hier handelt es sich nicht mehr um das Verstehen, das sich aus dem besorgenden In-der-Weltseinkönnen versteht, vielmehr wird in der Angst das verstehende Sichentwerfen auf das reine entwerfende In-der-Welt-sein als solches, das heißt auf das reine In-der-Welt-seinkönnen gebracht. Insofern handelt es sich beim Wovor und beim Worum der Angst jeweils um dasselbe, nämlich um die reine Erschlossenheit des In-der-Welt-seins, das reine Da. Ein Unterschied besteht nur darin, daß es sich beim Wovor der Angst um den Geworfenheitscharakter, beim Worum dagegen um den Entwurfscharakter der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins handelt. In diesem genauen Sinne ist das „Wovor der Angst [...] zugleich ihr Worum“ (S. 343). Spricht Heidegger nun davon, daß „[d]as Sich-ängsten vor ... [...] weder den Charakter einer Erwartung noch überhaupt einer Gewärtigung [hat]“ (S. 343), so könnte es scheinen, es werde der Angst ein Zukunftscharakter abgesprochen: „Wird dann die Angst nicht durch eine Zukunft konstituiert? Gewiß [wird sie durch eine Zukunft konstituiert], jedoch nicht durch die uneigentliche des Gewärtigens.“ (S. 343) Dies wiederum besagt nicht, die Zukunft bilde die primäre Ekstase der Zeitlichkeit der Angst. Diese ist, wie im Falle der Furcht, die Gewesenheit, nun jedoch, anders als im Falle der Furcht, die eigentliche Gewesenheit im Sinne der wiederholbaren Geworfenheit. Erst mit diesen Feststellungen beginnt die Abhebung des Zeitlichkeitscharakters der Angst, und das heißt vor allem: ihrer spezifischen Gewesenheitsstruktur. Von dieser sagten wir soeben vorgreifend, sie liege in der Wiederholbarkeit. Zu dieser werden aber wieder eine entsprechende Gegenwart und eine entsprechende Zukunft gehören. Heidegger selbst benennt die dreigliedrige Struktur der Zeitlichkeit der Angst nicht ausdrücklich, doch können wir diese ergänzend folgendermaßen formulieren: Die Angst bringt zurück auf die wiederholbare Geworfenheit, zugleich enthüllt sie die Möglichkeit des vorlaufenden Entwurfs und bringt so hin in die Möglichkeit des Augenblicks.

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§ 4. Die Zeitlichkeit der Angst: Wiederholbarkeit, Vorlaufbarkeit, Möglichkeit des Augenblicks. Das Verfallen als sich in ihm selbst verfangendes Gegenwärtigen (§ 68 b), 7.–8. Absatz, § 68 c), 1.–2. Absatz) I. Die Zeitlichkeit der Angst: Wiederholbarkeit, Vorlaufbarkeit, Möglichkeit des Augenblicks Folgten wir bezüglich der Angst bislang im wesentlichen nur der Vergegenwärtigung ihrer allgemeinen Strukturmomente, die der 6. Absatz des § 68 b) zum Zweck der Vorbereitung der eigentlichen zeitlichen Analyse dieser Grundbefindlichkeit bringt, so kann nunmehr auf der Grundlage des 7. Absatzes die spezifische Zeitlichkeit der Angst in der Einheit ihrer drei Ekstasen zur Abhebung gebracht werden. Die im stimmungsmäßigen Erschließen der Angst sich aufschließende „Unbedeutsamkeit der Welt“, d.h. die Welt im Charakter der Unbedeutsamkeit, „enthüllt die Nichtigkeit des Besorgbaren“ (S. 343). Damit ist der ganzheitliche Zusammenhang zwischen der Unbedeutsamkeit der Welt und der durch diese Erschließungsweise ermöglichten Entdecktheitsweise des Seienden in der Weise der Unbewandtnis in den Blick genommen. Es zeigt sich darin der nichtende Zug in der Erschließungsweise der Angst, der als Ent-Zug der bisherigen Erschlossenheitsweise der Welt den Bedeutsamkeitscharakter entzieht und ihn in die Unbedeutsamkeit wandelt; entsprechend wird die bisherige vertraute Entdecktheitsweise des Seienden in seiner Bewandtnisbestimmtheit gewandelt in die Nichtigkeit der Unbewandtnis. Ist damit nur das zuvor schon Ausgeführte wieder aufgegriffen, so erfolgt nun die Weiterführung: Die Erschließungsweise der Angst enthüllt dem so erschlossenen Dasein „die Unmöglichkeit des Sichentwerfens auf ein primär im Besorgten fundiertes Seinkönnen der Existenz“ (S. 343). Hier erinnert die Nennung eines „Sichentwerfens auf ein primär im Besorgten [= in der Erschlossenheit der Welt] fundiertes Seinkönnen“ an jene entscheidende Stelle innerhalb des § 31, die in besonders durchsichtiger Weise die beiden Vollzugsmöglichkeiten der Existenz, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, erläutert. Die Uneigentlichkeit wird dort expliziert als jenes Verstehen, das sich „primär in die Erschlossenheit der Welt“ (S. 146, Hervorhebung vom Verfasser) und der Besorgbarkeit des innerweltlichen Seienden verlegt. Dagegen ist die andere vollzugshafte Grundmöglichkeit des Existierens,

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die Eigentlichkeit, gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie als das primäre Sichlegen in das existenziale Worumwillen, in die Erschlossenheit des geworfenen Entwerfens, geschieht, um aus diesem eigens und ausdrücklich übernommenen Vollzug die Erschlossenheit des ganzen Inder-Welt-seins, also auch die Erschlossenheit der Welt, ursprünglich zu vollziehen.46 Das primär im Besorgten fundierte Seinkönnen ist also ein uneigentliches im Unterschied zum eigenen, primär geworfenentwerfenden Seinkönnen. Die Angst zeigt dem Dasein die Unmöglichkeit an, sich weiterhin, wie bisher, in uneigentlicher Weise, d.h. primär auf die Erschlossenheit der Welt und das besorgende Seinkönnen, zu entwerfen; das Dasein kann sich nicht länger in der Erschlossenheit der Welt festsetzen, sondern wird aus dieser Festgesetztheit herausgesetzt. „Das Enthüllen dieser Unmöglichkeit [des uneigentlichen Sichentwerfens] bedeutet aber ein Aufleuchten-lassen der Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens.“ (S. 343) Das heißt: Es bedeutet noch nicht ein eigentliches Seinkönnen selbst, sondern läßt ein solches nur als ergreifbare – also gerade noch unergriffene – Möglichkeit aufleuchten. „Möglichkeit“ darf hier keinesfalls als Seinsmodalität im Unterschied zur Wirklichkeit verstanden werden, vielmehr handelt es sich um einen ganz eigenständigen, existenziellen Möglichkeitsbegriff, der in der philosophischen Thematisierung zu einem existenzial-ontologischen gemacht und dadurch verdeutlicht werden kann. Demnach ist zu unterscheiden zwischen den gehaltlichen Möglichkeiten und den Vollzugsmöglichkeiten.47 Jene sind die ergreifbaren Möglichkeiten des In-derWelt-seins: Mit dem Unterschied des Gehaltlichen dieser Möglichkeiten ist auch die jeweilige Welt eine unterschiedliche, d.h. im Wandel des Gehalts der Möglichkeiten ist jeweils eingeschlossen der Wandel des zu ihm gehörigen Welthorizonts. Diese gehaltlichen Möglichkeiten werden als entwerfbare vorgegeben, können jedoch so oder so aufgeschlossen 46

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Umgekehrt darf auch die uneigentliche Erschlossenheit nicht als ein Abschneiden des Bezugs zum existenzialen Worumwillen gesehen werden, der – wenn auch nur als sekundärer – erhalten bleibt. Diese Bezeichnungen wählen wir im Anschluß an Heideggers frühe Freiburger Dozentenvorlesungen, wo zwischen „Gehaltssinn“, „Bezugssinn“ und „Vollzugssinn“ unterschieden wird. Vgl. Martin Heidegger: Grundprobleme der Phänomenologie. Frühe Freiburger Vorlesung Wintersemester 1919/20. Gesamtausgabe Band 58. Hrsg. von Hans-Helmuth Gander. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1993, 2. Auflage 2010, S. 260f. Zur Unterscheidung von gehaltlichen und Vollzugsmöglichkeiten siehe auch oben S. 38.

werden, d.h. es besteht ein Unterschied der möglichen Vollzugsweisen. Die beiden Grundmöglichkeiten des geworfen-entwerfenden Vollzugs sind die Eigentlichkeit und die Uneigentlichkeit. In der Angst wird also die Möglichkeit des uneigentlichen Existierens genichtet zur Unmöglichkeit, so zwar, daß damit gerade die andere Möglichkeit, die des eigentlichen Existierens, aufblitzt. Nun kann im Übergang zur Herausarbeitung der Zeitlichkeit der Angst weiter gefragt werden: „Welchen [ekstatisch-] zeitlichen Sinn hat dieses [stimmungsmäßige] Enthüllen [in dem diese Möglichkeit aufleuchtet]?“ (S. 343) Im daran anschließenden Satz werden zuerst noch einmal in äußerst verkürzter Weise die beiden Strukturmomente der Angst angesprochen, das Worum und das Wovor der Angst: Dieses ist gemeint, wenn der Geworfenheitscharakter des Daseins angesprochen wird, jenes, wenn dessen Entwurfscharakter in den Blick genommen werden soll: „Die Angst ängstet sich um das nackte Dasein als in die Unheimlichkeit geworfenes.“ (S. 343) Das Dasein ängstet sich im stimmungsmäßigen Erschließen um das nackte, d.h. das reine, pure geworfen-entworfene Erschlossensein des In-der-Welt-seins. Die „Nacktheit“ des „nackten Daseins“ ist zu verstehen im Sinne des Freiseins von jeglicher Verhüllung, im Sinne der Herausgesetztheit aus den Weisen des Besorgenkönnens in die reine Erschlossenheit. Die Angst „bringt zurück auf das pure Daß der eigensten, vereinzelten Geworfenheit“ (S. 343). Mit dem Aufweis, daß die Angst zurückbringt auf ... und also als ein Zurückbringen auf ... zu charakterisieren ist, setzt die eigentliche Analyse der Zeitlichkeit der Angst ein, und zwar mit der Benennung ihrer Gewesenheit. Auf diese Ekstase bezieht Heidegger drei unterschiedliche Wendungen, in denen sachlich jedoch stets dasselbe im Blick steht: „Bringen vor ...“, „Zurückbringen auf ...“ und „Zurückkommen(lassen) auf ...“, und zwar jeweils vor bzw. auf die eigenste Geworfenheit, das pure Daß, die reine Faktizität (d.h. nicht die eines bestimmten Seinkönnens). Im Gegensatz zur Gewesenheit der Furcht, die kein Zurückbringen auf die eigenste Geworfenheit, sondern ein ausweichendes, sogar verwirrtes Vergessen dieser ist, hat das Zurückbringen, das die Gewesenheit der Angst ist, „nicht den Charakter des ausweichenden Vergessens, aber auch nicht den einer Erinnerung“ (S. 343), sofern letztere immer nur auf Innerzeitiges bezogen ist. „Allein ebensowenig liegt in der Angst schon eine wiederholende Übernahme der Existenz in den Entschluß.“

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(S. 343) Mit dem „Entschluß“ ist hier natürlich nicht irgendein Willensentschluß gemeint, vielmehr ist er von der Entschlossenheit als der eigentlichen Erschlossenheit her zu verstehen als das eigentlich gegenwärtigende Aufgeschlossenhalten der geworfen-entworfenen Erschlossenheit als Situation. War zuvor schon die Rede von einem bloßen Aufleuchten der ergreifbaren Möglichkeit, wird diese nun näher bestimmt als die Möglichkeit einer wiederholenden Übernahme der Existenz in den Entschluß. Nicht aber ist die Angst selbst bereits das vollzugshaft ergriffene Wiederholen der Geworfenheit in den Existenzvollzug. Mit der Rede vom Wiederholen ist die Benennung der spezifischen Gewesenheit der Angst zwar vorbereitet, muß aber noch spezifiziert werden: Die spezifische Gewesenheit der Angst ist nicht die vollzugshafte „Wiederholung“, sondern nur das „Vor die Wiederholbarkeit bringen“ (S. 343), d.h. das Bringen vor die ergreifbare Möglichkeit des Wiederhineinholens der Geworfenheit in den Existenzvollzug. Insofern „bringt die Angst zurück auf die Geworfenheit“, aber nicht als schon übernommene, schon wiederholte, sondern „als mögliche wiederholbare“ (S. 343). Der Akzent liegt gerade darauf, daß in der Angst nicht schon die Möglichkeit der Wiederholung ergriffen, sondern nur als solche eröffnend angezeigt ist. Heidegger unterbricht nun die Freilegung dieser für die Zeitlichkeit der Angst primären Ekstase, um einen kurzen Blick auf die Zukunft zu werfen: „Und dergestalt enthüllt sie mit die Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens“ (S. 343). Sie enthüllt mit ... – so ist erneut, wie auch schon im Falle der Furcht, auf die zwar gleichursprüngliche, nicht aber gleichrangige Stellung der Zeitlichkeitsekstasen hingedeutet. Das eigentliche Seinkönnen meint das eigentliche Entwerfenkönnen, zeitlich gesehen: das eigentliche Auf-sich-zukommen, also ein eigentlich zukünftiges Seinkönnen, „das im Wiederholen als zukünftiges auf das geworfene Da zurückkommen muß“ (S. 343). Damit ist die Zusammengehörigkeit der Gewesenheit und der Zukunft im Erschließen der Angst freigelegt. In der Angst stehend, ist das Dasein nicht schon eigentlich, aber auch nicht noch uneigentlich entworfen; weder kann es sich in die Welt verlegen, noch in ein eigenes Seinkönnen. Zwar existiert das Dasein notwendig immer als sich entwerfend, hier jedoch handelt es sich noch nicht um den ergriffenen Vollzug des eigentlich zukünftigen Seinkönnens, sondern um ein „Zwischenstadium“ zwischen dem nicht mehr uneigentlich, aber auch noch nicht eigentlich ergriffenen Seinkön-

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nen. Anders gewendet: Die Angst beraubt das Dasein einerseits der Möglichkeit, sich weiterhin uneigentlich zu entwerfen, und läßt für es andererseits die Möglichkeit, schon eigentlich vollzugshaft zu existieren, nur erst anklingen. So zeigt sie immerhin dem Dasein die Möglichkeit als eine zukünftig ergreifbare. Insofern wurde von der „Wiederholbarkeit“ der Geworfenheit gesprochen. Analog können wir, sofern es sich bei dem eigentlichen Seinkönnen um ein vorlaufendes handelt, mit einiger sprachlicher Gewaltsamkeit von der „Vorlaufbarkeit“ des Entwurfs sprechen: Die Angst erschließt in einem zumal die Wiederholbarkeit der Geworfenheit und die Vorlaufbarkeit des Entwurfs. Die von der Angst enthüllte „Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens“ ist demnach die eines vorlaufenden Seinkönnens, die Möglichkeit als solche aber das vorlaufbare Seinkönnen. Heidegger schließt den 7. Absatz mit einer zusammenfassenden und insgesamt kursiv gesetzten Kennzeichnung der Gewesenheit der Angst: „Vor die Wiederholbarkeit bringen ist der spezifische ekstatische Modus der die Befindlichkeit der Angst konstituierenden Gewesenheit.“ (S. 343) Nachdem so zwei Ekstasen der Zeitlichkeit der Angst, die Gewesenheit und die Zukunft, freigelegt sind, richtet sich der Blick im 8. Absatz auf die dritte Ekstase, die Gegenwart. Zum Zweck ihrer Charakterisierung vergegenwärtigt Heidegger zunächst die Gewesenheit und die Gegenwart der Furcht, um im Gegenhalt gegen diese die anders gearteten Verhältnisse der Angst aufzeigen zu können. „Das für die Furcht konstitutive Vergessen verwirrt“, nämlich das Dasein in seinem gegenwärtigenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden, „und läßt [es] zwischen unergriffenen »weltlichen«48 Möglichkeiten [= den verschiedenen Möglichkeiten des Besorgens] hin- und hertreiben“ (S. 344). Unergriffen sind diese Möglichkeiten insofern, als sie nur ergriffen werden, um sogleich wieder fallen gelassen zu werden. „Diesem ungehaltenen Gegenwärtigen gegenüber ist die Gegenwart der Angst im Sichzurückbringen auf die eigenste Geworfenheit gehalten.“ (S. 344) Die Unterscheidung zwischen einer gehaltenen und einer ungehaltenen Gegenwart ist uns aus dem § 68 a) vertraut, wo von der „in der eigentlichen Zeitlichkeit gehaltene[n], mithin eigentliche[n] Gegenwart“ (S. 338) gesprochen wird. „Gehalten“ meint demnach: gehalten von 48

„Weltlich“ in Anführungszeichen meint stets soviel wie „innerweltlich“, während „weltlich“ ohne Anführungszeichen auf die Welt als erschlossene Bedeutsamkeit hindeutet. Vgl. S. 64f.

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eigentlicher Zukunft und eigentlicher Gewesenheit; die Gegenwart entspringt aus diesen Ekstasen so, daß diese sie bestimmen. Ungehalten ist die Gegenwart, sofern zu ihr die uneigentliche Zukunft und die uneigentliche Gewesenheit gehören und sie nur aus diesen so modifizierten Ekstasen bestimmt wird. An der aus dem § 68 b) zitierten Textstelle jedoch ist im Gebrauch des Wortes „ungehalten“ noch eine besondere Akzentuierung herauszuhören: Die Gegenwart ist nicht allein in dem Sinne ungehalten, daß sie nicht gehalten ist durch die eigentliche Zukunft und die eigentliche Gewesenheit, sondern auch in dem Sinne, daß sie zerstreut ist in der Weise des Verwirrtseins. Wird von der Gegenwart der Angst gesagt, sie werde im „Sichzurückbringen auf die eigenste Geworfenheit“ gehalten, so darf dieses „Sichzurückbringen“ nicht etwa als ein aktiver Vollzug verstanden werden. Es handelt sich vielmehr um ein Sichzurückbringen-lassen. Gehalten in dem oder durch das Zurückgebrachtwerden auf die eigenste Geworfenheit, genauer: vor die Wiederholbarkeit der eigensten Geworfenheit, schlägt diese bestimmend hinein in den Vollzug des eigentlichen Gegenwärtigens, das so durch das Zurückgebrachtwerden bestimmt, das heißt gehalten ist. „Wenngleich die Gegenwart der Angst gehalten ist, hat sie doch nicht schon den Charakter des Augenblickes“ (S. 344). Auch hier ist also die sich erschließende eigentliche Gegenwart nicht so zu verstehen, daß das Dasein schon in ihr existierte; sie hat vielmehr noch nicht den Charakter des vollzugshaft ergriffenen Augenblicks, sondern ist nur ein Aufblitzen der Möglichkeit des Augenblicks, „der im Entschluß sich zeitigt“ (S. 344). Deutlich wird hier der Entschluß mit der Gegenwart in Verbindung gebracht; er meint so das gegenwärtigende Aufschließen der Erschlossenheit als Situation. Der ergriffene Augenblick zeitigt sich also im Entschluß, d.h. als gegenwärtigendes Aufgeschlossenhalten der im eigentlichen Auf-sich-zukommen und im eigentlichen Auf-sichzurückkommen sich aufschließenden Erschlossenheit. Nicht ist der Augenblick selber erschließend im entsprechenden Sinne wie die Ekstasen der Zukunft und der Gewesenheit, übernimmt aber das einheitliche Geschehen des sich Aufschließens und hält dieses aufgeschlossen als die Situation für das unverstellte Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden. Beide Züge zusammen, das Aufgeschlossenhalten wie das Begegnenlassen, machen das in sich reiche Geschehen des Gegenwärtigens aus.

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„Die Angst bringt nur in die Stimmung eines möglichen Entschlusses.“ (S. 344) Das heißt: eines möglichen Augenblicks, eines vollziehbaren Augenblicks. „Ihre Gegenwart hält den Augenblick, als welcher sie selbst und nur sie möglich ist, auf dem Sprung.“ (S. 344) Sie läßt als eigentliche Gegenwart den vollziehbaren Augenblick aufscheinen. Das Gewonnene läßt sich nun zusammenfassen: Die Angst bringt zurück auf die wiederholbare Geworfenheit, enthüllt dem Dasein in eins damit den vorlaufbaren Entwurf und bringt so in den möglichen Augenblick. Anders gewendet: Die Zeitlichkeit der Angst ist – unter Voranstellung der primären Ekstase – ein Zurück auf die Wiederholbarkeit, insgleichen ein Zu auf die Vorlaufbarkeit und schließlich ein Hin in die Möglichkeit des Augenblicks. Dieses Ganze ist als ein Geschehen zu denken, als unser eigenes, d.h. jemeiniges Geschehen, das aus dem Selbstvollzug her erst verstehbar wird. Wir müssen uns so denkendenthüllend in diese Analysen versetzen, daß wir darin uns selbst in unserer daseinsmäßigen Wirklichkeit erfahren. Auf diese Weise verlieren sie jeglichen Schein der Gewaltsamkeit und Künstlichkeit, der ihnen vielleicht zunächst wegen der sehr gesuchten Terminologie anhaften mag. II. Das Verfallen als sich in ihm selbst verfangendes Gegenwärtigen Das Verfallen bildet das dritte konstitutive Strukturmoment der Sorge, und zwar in deren Uneigentlichkeitsmodus, wie er im § 41 dargestellt wird.49 Im § 68 c) wird nun auf der „eigentlichen ontologischen Basis“ (S. 17) eine Wiederholung dieser Analyse gegeben. Doch darin erschöpft sich die Darstellung der Zeitlichkeit des Seins-bei ... nicht; im § 69 a) wird noch einmal eigens die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens thematisiert, das ebenso als ein besorgendes Sein-bei ... zu verstehen ist. Handelt es sich demnach zweimal um dasselbe? Nein, denn die Zeitlichkeit des Seins-bei ... ist in der Weise des Verfallens eine andere als in der Weise des Bewandtnis- und Weltverstehens. Es wird daher die Frage zu stellen sein, wie die Zeitlichkeiten des Verfallens und des umsichtigen Besorgens ineinander gehen. Zunächst jedenfalls thematisiert Heidegger die Zeitlichkeit des Verfallens. 49

Dort wird zum einen die Sorge in ihrer formal-existenzialen Struktur herausgearbeitet, die sich in beiden Vollzugsmodi durchhält, zugleich aber auch schon in ihrem Uneigentlichkeitsmodus. Dagegen kann der Eigentlichkeitsmodus erst im Zweiten Abschnitt, nach der Analyse des Todes und des Gewissens, zum Aufweis gebracht werden.

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Er setzt ein mit einem Rückblick auf den § 68 a) und b): „Die zeitliche Interpretation des Verstehens und der Befindlichkeit stieß nicht nur auf eine je für das betr. Phänomen primäre Ekstase, sondern immer zugleich auf die ganze Zeitlichkeit. Wie die Zukunft primär das Verstehen, die Gewesenheit [primär] die Stimmung ermöglicht, so hat das dritte konstitutive Strukturmoment der Sorge, das Verfallen, seinen existenzialen [d.h. existenzial-zeitlichen] Sinn in der Gegenwart.“ (S. 346) Dabei werden zu dieser wiederum entsprechend modifizierte Ekstasen gehören, d.h. eine der Gegenwart des Verfallens gemäße Zukunft und eine der Gegenwart des Verfallens gemäße Gewesenheit. Immer sind die drei Ekstasen der Zeitlichkeit in ihrem Zusammenstehen zu sehen, wobei die jeweils primäre die beiden anderen ihr gemäß modifiziert. Auf diese Weise entsteht eine Vielfalt innerhalb der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit. Es kann nicht von vornherein anhand irgendwie gearteter Kriterien entschieden werden, welche Ekstase innerhalb der zeitlichen Struktur eines Existenzials die primäre bildet; dies kann einzig auf dem Wege einer immanenten Auslegung der jeweiligen Verhaltung aufgewiesen werden. „Die vorbereitende Analyse des Verfallens [§§ 35–38] begann mit einer Interpretation des Geredes [§ 35], der Neugier [§ 36] und der Zweideutigkeit [§ 37].“ (S. 346) Die drei hier genannten Begriffe fungieren als existenzial-ontologische Termini: Das „Gerede“ steht für die verfallende Rede, die „Neugier“ für das verfallende Verstehen und die „Zweideutigkeit“ für die verfallende Auslegung im besorgenden Sein-bei ... „Die zeitliche Analyse des Verfallens soll denselben Gang nehmen. Wir schränken die Untersuchung jedoch ein auf eine Betrachtung der Neugier, weil an ihr die spezifische Zeitlichkeit des Verfallens am leichtesten zu sehen ist.“ (S. 346) An der Neugier muß sich die spezifische Zeitlichkeit, die auch das Gerede und die Zweideutigkeit bestimmt, in besonders deutlicher Weise zeigen lassen, denn: „Die Neugier ist eine ausgezeichnete Seinstendenz des Daseins [in seinem besorgenden und fürsorgenden50 Seinkönnen], gemäß der es ein Sehenkönnen besorgt.“ 50

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Den Charakter der Fürsorge blendet Heidegger hier wie auch sonst oft der Einfachheit halber ab und blickt in der Analyse scheinbar ausschließlich auf das Besorgen. Sachlich gehört aber zu jedem Besorgen und so auch zu dem neugierigverfallenden Besorgen eine bestimmte, d.h. neugierig-verfallend modifizierte Fürsorge, die verfallend ist nicht so sehr im Sinne des Beherrschenwollens (etwa in der Weise der „einspringend-beherrschenden“ Fürsorge (S. 122)), als vielmehr im Sinne des desinteressierten bloßen Zur-Kenntnis-Nehmens des Anderen.

(S. 346) Sie ist demnach die Tendenz zu einem Seinkönnen, in dem das Sehen und die Sicht einen hervorstechenden Platz einnehmen, wobei die Begriffe des Sehens und der Sicht „nicht auf das Vernehmen durch die »leiblichen Augen« eingeschränkt“ (S. 346) sind; nicht nur das visuelloptische Sehen ist gemeint, sondern jedes Vernehmen, das geführt ist durch die Seinstendenz der Neugier. In allem besorgenden Sein-bei ..., jetzt spezifisch verstanden im Sinne des neugierig-verfallenden, spielt die sinnliche Wahrnehmung zwar mit, nicht aber so, daß sie das Primäre bildete und die Führung übernähme. Dies geschieht lediglich in der theoretischen Einstellung. Die sinnliche Wahrnehmung ist somit nach Heidegger nicht als etwas Verselbständigtes anzusehen, sondern als etwas durch das befindliche Verstehen des Seins und das Entdecken des Seienden Geführtes. „Das Vernehmen im weiteren Sinne läßt das Zuhandene und Vorhandene an ihm selbst »leibhaftig« hinsichtlich seines Aussehens begegnen.“ (S. 346) Damit ist zunächst eine allgemeine Kennzeichnung des Vernehmens als solchen gegeben, an der verschiedene Weisen des Sehens und der Sicht teilhaben. Deshalb muß die besondere Weise des Vernehmens, die die Neugier darstellt, noch eigens spezifiziert werden. „Dieses Begegnenlassen gründet in einer Gegenwart.“ (S. 346) Es wurde schon gezeigt, daß das Begegnenlassen von innerweltlichem Seienden ekstatisch-zeitlich gesehen ein Gegenwärtigen ist. Noch innerhalb der allgemeinen Charakterisierung des Vernehmens wird dies weiter ausgeführt: „Sie [= die Gegenwart] gibt überhaupt den ekstatischen Horizont, innerhalb dessen Seiendes leibhaftig anwesend sein kann.“ (S. 346) Hier wird einmal deutlich gesagt, daß die Gegenwart Horizont gebend und aufgeschlossen haltend ist. Das Gegenwärtigen überhaupt, nicht nur das Sehen, geschieht als Aufgeschlossenhalten der Situation, die für das Begegnenlassen von innerweltlichem Seienden den Charakter eines Horizontes hat. Das zunächst allgemein über das sehende Vernehmen Gesagte wird nun eingeschränkt auf den für die Neugier spezifischen Charakter: „Die Neugier gegenwärtigt aber das Vorhandene nicht, um es, bei ihm verweilend, zu verstehen, sondern sie sucht zu sehen, nur um zu sehen und gesehen zu haben.“ (S. 346) Ihr spezifischer Charakter liegt demnach gerade darin, daß sie nicht gegenwärtigt, um das sehende Vernehmen in der möglichen Weise des Verweilens beim Vorhandenen so zu vollziehen, daß es zu einem Verstehen dessen kommt, womit sie umgeht. Sie wendet sich vielmehr im Sehen des Einen sogleich dem Nächsten zu.

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Wird hier von Vorhandenem gesprochen, könnte dies zunächst wie eine einfache Verkürzung des Sprechens scheinen, so daß der Begriff hier auch das Zuhandene einschlösse. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, daß die Neugier gerade so etwas wie ein Zuhandenes ihrem eigenen Wesenssinne nach nicht zuläßt. Wenn auch die Neugier den Anschein des Erkennenwollens besitzen kann, sieht man in ihr doch nicht, um zu verstehen; man läßt sich, neugierig, nicht auf die Zuhandenheit und Bewandtnisbestimmtheit des Seienden ein. Im neugierigen bloßen Sehen wird das Seiende nicht in seinem Zuhandenheitscharakter zugelassen, sondern nur flüchtig zur Kenntnis genommen. In diesem Sinne ist es ein Vorhandenes, allerdings ein solches ganz eigenen Charakters, der nicht etwa dem des im theoretischen Erkennen festgestellten oder des naturhaften Seienden entspricht. „Als dieses sich in ihm selbst verfangende Gegenwärtigen steht die Neugier in einer ekstatischen Einheit mit einer entsprechenden Zukunft und Gewesenheit.“ (S. 346) Damit ist die zuvor vollzogene Kennzeichnung, wonach die Neugier nur zu sehen sucht, um zu sehen und gesehen zu haben, auf einen ersten Begriff gebracht: Die Neugier ist ein sich in ihm selbst verfangendes Gegenwärtigen, dem es nur auf sich selbst ankommt. Dieses Gegenwärtigen aber gehört in die Einheit einer dreigliedrigen Zeitlichkeit. Es ent-springt dem Gewärtigen, d.h. läuft aus dem Gewärtigen weg: „Die Gier nach dem Neuen ist zwar ein Vordringen zu einem Noch-nicht-Gesehenen, aber so, daß das Gegenwärtigen sich dem Gewärtigen zu entziehen sucht.“ (S. 346f.) Das sich in ihm selbst verfangende Gegenwärtigen sucht dem Gewärtigen sich zu entziehen, sofern es sich das zu Gegenwärtigende nicht als ein zu Verstehendes durch das Gewärtigen vorgeben läßt. Die Neugier zeigt sich so als eine Seinstendenz der Verselbständigung, die von einem Gesehenen abspringt zum jeweils neu zu Sehenden und bei keinem verstehend verweilt. „Die Neugier ist ganz und gar uneigentlich zukünftig“ (S. 347). In der Betonung, die mit der Wendung „ganz und gar“ erzielt wird, liegt ein Hinweis darauf, daß es unterschiedliche „Grade“ der Uneigentlichkeit geben kann. So ist die Neugier nicht nur ein einfaches uneigentliches Existieren, sondern ein extrem uneigentliches Existieren. Die Uneigentlichkeit darf also nicht als ein einförmiges Geschehen betrachtet werden, sondern schließt in sich mehrere Stufen ein. Ganz und gar uneigentlich zukünftig ist die Neugier „dergestalt, daß sie nicht einer Möglichkeit gewärtig ist, sondern diese schon nur noch als Wirkliches in

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ihrer Gier begehrt“ (S. 347). Es wird zu fragen sein, in welchem Sinne hier von „Wirklichkeit“ gesprochen wird. Schon jetzt können wir aber sagen: Der spezifische Gegenwartsmodus des Verfallens beruht in dem sich in ihm selbst verfangenden und als solches sich dem Gewärtigen entziehenden Gegenwärtigen. Damit ist schon die wesentliche Kennzeichnung gegeben. Von hier aus gilt es nun zu zeigen, wie dieses „entspringende“ Gegenwärtigen das zu ihm gehörende Gewärtigen modifiziert zu einem „nachspringenden“ und die Gewesenheit als eine „wachsende“ bestimmt: Existiert das Dasein in der Neugier, so zeitigt es sich also als entspringendes Gegenwärtigen in Einheit mit einem nachspringenden Gewärtigen und einem wachsenden Vergessen, d.h. es verschließt sich immer mehr den eigenen Geworfenheitscharakter, der auch im uneigentlichen Existieren nicht völlig verhüllt bleibt.

§ 5. Das Verfallen als nachspringendes Gewärtigen und wachsendes Vergessen. Die Zeitlichkeit der Rede (§ 68 c), 2.–4. Absatz, § 68 d), 1. Absatz) I. Das Verfallen als entspringendes Gegenwärtigen und nachspringendes Gewärtigen Wir stehen am Beginn der Charakterisierung der primären Ekstase der Zeitlichkeit des verfallenden Seins-bei ... in seinem Charakter der Neugier. Die erste Kennzeichnung dieser primären Ekstase lautet: Sie ist das sich in ihm selbst verfangende Gegenwärtigen. Dieses modifiziert die beiden anderen zur vollen Zeitlichkeit der Neugier gehörenden Ekstasen, deren Zukunft und deren Gewesenheit. Im Text heißt es dazu: „Die Neugier ist ganz und gar uneigentlich zukünftig“ (S. 347). Diese Wendung und auch andere ähnliche Wendungen bringen sehr deutlich zum Ausdruck, daß die Uneigentlichkeit kein einstufiger Vollzugsmodus ist, sondern sich auf verschiedenen Stufen vollziehen kann. So hat man es beim Verfallen offensichtlich mit einer extrem hohen Stufe der Uneigentlichkeit zu tun. Die Neugier ist dergestalt ganz und gar uneigentlich zukünftig, so führt Heidegger den oben zitierten Satz fort, „daß sie nicht einer Möglichkeit gewärtig ist, sondern diese schon nur noch als Wirkliches in ihrer Gier begehrt“ (S. 347). Hier ist das Begriffspaar

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Möglichkeit-Wirklichkeit nicht im Sinne der Seinsmodalitäten zu verstehen, als wären die Möglichkeiten so lange Möglichkeiten, wie sie unergriffen blieben, und gingen, wenn sie ergriffen würden, in die Wirklichkeit über. Möglichkeiten können ergriffen oder unergriffen sein. Aber eine ergriffene Möglichkeit ist nicht eine in die Wirklichkeit, sondern in eine gewandelte Erschlossenheitsweise übergeführte Möglichkeit. Eine unergriffene Möglichkeit wiederum ist faktisch erschlossen, aber noch nicht aufgeschlossen in der Weise des Entwurfs. Sie zu ergreifen heißt dann, sie verstehend-auslegend zu entwerfen. „Die Gegenwart [= die Neugier als sich in ihm selbst verfangendes Gegenwärtigen] »entspringt« dem zugehörigen Gewärtigen in dem betonten Sinne des Entlaufens“ (S. 347), d.h. entzieht sich dem zum Gegenwärtigen gehörenden Gewärtigen, versucht sich gleichsam vom Gewärtigen zu dispensieren und sich ihm gegenüber zu verselbständigen. Die Neugier versucht, so weit wie möglich dem Gewärtigen zu entlaufen, um die Möglichkeit des besorgenden Seinkönnens nur gegenwärtigend zu vollziehen, d.h. diese sich nicht von einem Gewärtigen derart vorgeben zu lassen, daß das Gegenwärtigen das besorgende Seinkönnen in der Weise eines verweilenden Verstehens zustande bringt. Mit anderen Worten: Auch dort, wo das Gegenwärtigen ein sich in ihm selbst verfangendes ist, löst es sich nicht gänzlich vom Gewärtigen, vielmehr gibt das Gewärtigen dem Gegenwärtigen nur die zu vergegenwärtigende Weise des besorgenden Seinkönnens; auch dort, wo das Gegenwärtigen sich in ihm selbst verfängt und dem Gewärtigen zu entlaufen sucht, bleibt dennoch ein Gewärtigen zu ihm gehörig, auch wenn dieses jenem lediglich „nachspringt“ und so „sich gleichsam selbst auf[gibt]“ (S. 347). Der Möglichkeitscharakter des besorgenden Seinkönnens, das in der Neugier vollzogen wird, geht nicht gänzlich verloren, wird aber weitgehend verhüllt. Dadurch wird der volle Möglichkeitscharakter des besorgenden Seinkönnens, wie er zum Gewärtigen gehört, nicht zugelassen, sondern das Seinkönnen wird derart übernommen, daß es nicht aus dem vollen Gewärtigen des Möglichkeitscharakters vollzogen wird. Es bleibt gleichsam nur ein Rest von diesem – die gegenwärtige Möglichkeit eines sich in ihm selbst verfangenden Gegenwärtigens – und gerade diesen Rest nennt Heidegger „das Wirkliche“, obwohl dieses keinen Übergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit darstellt. Das Gewärtigen und dessen Aufschließen werden so weit zurückgedrängt, daß nur noch die gehaltlichen Möglichkeiten aus dem nachspringenden Gewärtigen über-

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nommen werden ins Gegenwärtigen, ohne daß dieses nachspringende Gewärtigen für das Gegenwärtigen seinen vollen, ungeschmälerten Möglichkeitscharakter entfalten kann. Zusammenfassend können wir sagen: Das dem Gewärtigen entspringende Gegenwärtigen der Neugier läßt sich von diesem Gewärtigen – dem es zu entlaufen sucht – die Möglichkeit des besorgenden Seinkönnens zwar noch vorgeben, aber nicht so, daß das Gegenwärtigen in ein von der Möglichkeit vorgezeichnetes, verweilend-verstehendes Seinkönnen gelangt. In diesem Sinne bezieht sich „das Wirkliche“ sowohl auf das in seinem Möglichsein reduzierte besorgende Seinkönnen als auch auf das in seinem Möglichsein reduzierte Besorgte, auf das sich das besorgende Seinkönnen bezieht. Das besorgte Zuhandene wird in seinem Bewandtnischarakter nicht zugelassen, sondern nur als ein gleichsam Vorhandenes und in diesem Sinne „Wirkliches“. Beide Momente – der Verlust des vollen Möglichkeitscharakters des besorgenden Seinkönnens und des besorgten Zuhandenen – sollen als Korrelation gedacht werden. Diese Korrelation wird von Heidegger als „das Wirkliche“ im Unterschied zur betonten vollen Möglichkeit angesprochen. „Die Neugier wird konstituiert durch ein ungehaltenes Gegenwärtigen“ (S. 347). Die Wendung „ungehaltenes Gegenwärtigen“ kennen wir schon aus dem § 68 a) und b). Hier im § 68 c) jedoch muß der unbestimmte Artikel „ein“ betont gedacht werden, der darauf verweist, daß das ungehaltene Gegenwärtigen kein einförmiges ist. In der Analyse der Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens wird dessen Gegenwärtigen als ungehalten bezeichnet, d.h. als nicht gehalten von einer eigentlichen Zukunft und einer eigentlichen Gewesenheit, während in der Analyse der Zeitlichkeit der Furcht das ungehaltene Gegenwärtigen ein verwirrtes Gegenwärtigen meint. Im Falle der Zeitlichkeit des Verfallens und speziell der Neugier ist es so, daß das Gegenwärtigen dem Gewärtigen zu entlaufen sucht. Es geht um ein Gegenwärtigen, das von dem uneigentlichen Auf-sich-zukommen nicht gehalten ist, also um ein uneigentliches Gegenwärtigen, das nicht gehalten ist von einem zu ihm gehörigen Gewärtigen. Denn zu diesem Gegenwärtigen gehört gerade ein Gewärtigen, das nur nachspringt. Demnach bedeutet in dem oben zitierten Satz „ein ungehaltenes Gegenwärtigen“ ein solches Gegenwärtigen, das nicht gehalten ist von einem einfachen, d.h. nicht neugierigen Gewärtigen. Dies ist gegenüber dem uneigentlichen Verstehen und der

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Furcht der für die Neugier spezifische Charakter des ungehaltenen Gegenwärtigens. Das ungehaltene Gegenwärtigen, so heißt es im Text weiter, sucht dem Gewärtigen zu entlaufen, „darin es doch ungehalten »gehalten« ist“ (S. 347). Wie ist das zu verstehen? Das in Anführungszeichen gesetzte „gehalten“ meint, daß das ungehaltene Gegenwärtigen nicht in der Weise ungehalten ist, daß es das Gewärtigen völlig hinter sich ließe und nur noch ein reines, abgelöstes Gegenwärtigen wäre. „Die Gegenwart »entspringt« dem zugehörigen Gewärtigen“ (S. 347). Wiederum ist das in Anführungszeichen gesetzte Wort das besonders erklärungsbedürftige. Wie Heidegger in seiner Fortsetzung des Satzes selbst sagt, möchte er das „Entspringen“ im betonten Sinne als Entlaufen und Sichentziehen verstehen. Das Gegenwärtigen entläuft und entzieht sich so weit wie möglich dem Gewärtigen, „ist aber so wenig an die »Sache« hingegeben, daß es im Gewinnen der Sicht auch schon wegsieht auf ein Nächstes“ (S. 347). Es ist nicht aus auf ein verweilendes Verstehen, so wie ein solches jeweils aus der Möglichkeit des besorgenden Seinkönnens für den gegenwärtigenden Vollzug vorgezeichnet ist; es ist nicht an die „Sache“ hingegeben, auf die das besorgende Seinkönnen bezogen ist. „Das dem Gewärtigen einer bestimmten ergriffenen Möglichkeit ständig »entspringende« Gegenwärtigen ermöglicht ontologisch das Unverweilen, das die Neugier auszeichnet.“ (S. 347) Das kursiv gesetzte „Unverweilen“ verweist auf den § 36, in dem als drei Charaktere der Neugier herausgearbeitet wurden das „Unverweilen“, die „Zerstreuung“ und die „Aufenthaltslosigkeit“ (S. 172f.). In der jetzt unternommenen Analyse der Zeitlichkeit der Neugier werden gerade diese drei Charaktere wieder aufgegriffen. Das „Unverweilen“ meint gegenüber dem Verweilen des Verstehens, dem Verweilen in dem jeweils vollzogenen gegenwärtigenden, besorgenden Seinkönnen ein Springen vom Einen zum Anderen, ein immer wieder erneutes Forteilen zum Nächsten und Übernächsten. Ein Gewärtigen, das nicht durch Neugier bestimmt wäre, wäre dagegen, wie dem oben zitierten Satz zu entnehmen ist, das „Gewärtigen einer bestimmten ergriffenen Möglichkeit“. Das sich außerhalb der Neugier vollziehende Gewärtigen gewärtigt nicht bloß besondere Möglichkeiten, sondern bestimmte ergriffene Möglichkeiten, also bestimmte Möglichkeiten in ihrem vollen Möglichkeitscharakter, der ja in der Neugier nicht zugelassen wird.

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„Das »Entspringen« ist eine ekstatische Modifikation des Gewärtigens.“ (S. 347) Dieser Satz wendet sich gegen das mögliche Mißverständnis, das entspringende Gegenwärtigen löse sich vom Gewärtigen gleichsam ontisch ab, und betont, daß das Gewärtigen durch das entspringende Gegenwärtigen ontologisch modifiziert wird: Das Entspringen kennzeichnet nicht nur das Gegenwärtigen, sondern modifiziert seinerseits das Gewärtigen zu einem nachspringenden. „Das Gewärtigen gibt sich gleichsam selbst auf“ (S. 347), d.h. als gewärtigendes, aufschließendes Vorgeben der jeweiligen Möglichkeiten des besorgenden Seinkönnens gibt es sich selbst auf, jedoch nur „gleichsam“, also nicht im strengen Sinne, denn das würde heißen, es fiele ganz aus. Es gibt sich so weit wie möglich in seinem vollen Möglichkeitscharakter, als ergreifbare Möglichkeit, auf. Das Gewärtigen der Neugier „läßt auch nicht mehr uneigentliche Möglichkeiten des Besorgens aus dem Besorgten auf sich zukommen“ (S. 347). Wie das entspringende Gegenwärtigen ontologisch das „Unverweilen“ ermöglicht, so ist das durch das entspringende Gegenwärtigen zum nachspringenden modifizierte Gewärtigen die existenzial-zeitliche Bedingung der „Zerstreuung“. Bevor Heidegger nun nach der Kennzeichnung der Gegenwart und der Zukunft zur Kennzeichnung der bisher noch nicht in den Blick gekommenen Ekstase der Zeitlichkeit der Neugier und des Verfallens überhaupt, der Gewesenheit, übergeht, widmet er sich im 3. Absatz kurz dem dritten Charakter der Neugier, der „Aufenthaltslosigkeit“: „Durch das nachspringende Gewärtigen wird das Gegenwärtigen mehr und mehr ihm selbst überlassen.“ (S. 347) Die hier angesprochene Steigerung des Sich-selbst-überlassenwerdens des Gegenwärtigens wurde zuvor schon als dessen Sich-in-sich-selbst-verfangen erstmals zu fassen gesucht: Das Gegenwärtigen verselbständigt sich so weit wie möglich gegenüber dem Gewärtigen. „Es gegenwärtigt um der Gegenwart willen.“ (S. 347) Aber nicht umwillen der Überführung des Gewärtigen in das Gegenwärtigen. Der Blick dieses Gegenwärtigens ist nur Blick auf die Gegenwart unter weitgehender Abblendung der Zukunft. So ist die Aufenthaltslosigkeit, in der das Dasein „überall und nirgends“ ist, das „äußerste Gegenphänomen“ zum Augenblick, der, gehalten durch die eigentliche Zukunft und die eigentliche Gewesenheit, das Dasein in die Situation bringt (S. 347).

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II. Das Verfallen als wachsendes Vergessen „Je uneigentlicher die Gegenwart ist, das heißt, je mehr das Gegenwärtigen zu ihm »selbst« kommt, um so mehr flieht es verschließend vor einem bestimmten Seinkönnen, um so weniger kann aber dann die Zukunft auf das geworfene Seiende zurückkommen.“ (S. 347) Mit der Rede vom Zurückkommen auf das geworfene Seiende ist der Übergang zur Kennzeichnung der Gewesenheit des Verfallens angezeigt. Bevor wir uns dieser Thematik zuwenden, gilt es das in Anführungszeichen gesetzte „selbst“ zu deuten. Das Gegenwärtigen kommt zu ihm „selbst“, dadurch nämlich, daß es, dem Gewärtigen entlaufend, nur zum Gegenwärtigen kommt. Aber in Wahrheit kommt das Gegenwärtigen, zum Gegenwärtigend kommend, gar nicht zu ihm selbst, denn es kommt nur dann zu ihm selbst, wenn es sich so vollzieht, wie es sich eigentlich vollziehen kann, und zwar ohne dem Gewärtigen zu entspringen. Die Wendung „zu ihm »selbst« kommt“ bedeutet folglich so viel wie: scheinbar zu ihm selbst kommt. Das Zurückkommen auf das geworfene Seiende, auf die Geworfenheit des Daseins in seinem besorgenden Seinkönnen, ist zwar das uneigentliche Zurückkommen, d.h. die uneigentliche Gewesenheit (das Vergessen), aber hier findet noch einmal eine Steigerung der Verschließung statt, nicht der Verschließung des Gewärtigens, sondern eben des Zurückkommens auf ... Und so kann gesagt werden: „Im »Entspringen« der Gegenwart liegt zugleich ein wachsendes Vergessen.“ (S. 347) In der Neugier wächst das Vergessen; das verschließende Vergessen der Geworfenheit des Daseins wächst noch einmal gegenüber dem verschließenden Vergessen, das zum uneigentlichen Verstehen gehört. Hier aber geht es um das verschließende Vergessen der Neugier. Man steht also beim Verfallen vor einer Steigerung der Uneigentlichkeit, sowohl im Gegenwärtigen als auch im Gewärtigen und im Vergessen. Wir fassen zusammen: Die Zeitlichkeit des Verfallens konstituiert sich durch das entspringende Gegenwärtigen, als der primären Ekstase, in Einheit mit dem nachspringenden Gewärtigen und dem wachsenden Vergessen.

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III. Die Zeitlichkeit der Rede Der unter dem Titel „Die Zeitlichkeit der Rede“ stehende Unterabschnitt d) des § 68 beginnt mit den folgenden Sätzen: „Die volle, durch Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen konstituierte Erschlossenheit des Da erhält durch die Rede die Artikulation. Daher zeitigt sich die Rede nicht primär in einer bestimmten Ekstase.“ (S. 349) Für das Existenzial der Rede als des existenzialen Wesens der Sprache gibt es keine eigene dreigliedrige Zeitlichkeitsstruktur mit einer primären Ekstase. Das liegt an der Sonderstellung dieses Existenzials im Verhältnis zu allen anderen Existenzialien. In diesem Zusammenhang muß man zwei Sätze aus der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins in Erinnerung rufen: a) Im § 28 über „Die Aufgabe einer thematischen Analyse des In-Seins“ wird gesagt: „Die beiden gleichursprünglichen konstitutiven Weisen, das Da zu sein, sehen wir in der Befindlichkeit und im Verstehen; [...] Befindlichkeit und Verstehen sind gleichursprünglich bestimmt durch die Rede.“ (S. 133) Die Rede ist zwar mit der Befindlichkeit und dem Verstehen gleichursprünglich, aber nicht in dem Sinne, daß sie neben der Befindlichkeit und dem Verstehen eine eigenständige dritte konstitutive Weise wäre, das Da zu sein. Die Rede ist vielmehr ein Existenzial, das als bedeutungsmäßige Artikulation mit allen anderen Existenzialien mitläuft, und zwar zunächst mit jenen fundamentalen Existenzialien, die die Erschlossenheit konstituieren. Sie fungiert also in der Befindlichkeit, im Verstehen, in der Auslegung usw. b) Im § 34 heißt es: „Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich.“ (S. 161) Wiederum ist die Gleichursprünglichkeit, von der hier gesprochen wird, nicht so zu deuten, als wäre die Rede ein drittes Existenzial in dem demselben Sinne, wie das Verstehen ein zweites Existenzial ist, das zur Befindlichkeit hinzukommt. Die Rede ist gleichursprünglich derart, daß sie die Erschließungsweisen der Befindlichkeit und des Verstehens jeweils durchgreift. In der faktischen Erschlossenheit der Befindlichkeit und in der vollzugshaften Erschließung des Verstehens geschieht immer auch schon ein bedeutungsmäßiges Gliedern. Was aber zunächst wie eine geringere Bedeutung der Rede aussieht: daß sie nämlich nicht so eigenständig ist wie einerseits die Befindlichkeit und andererseits das Verstehen – das macht gerade den hohen Rang und die Stärke dieses Existenzials aus.

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Denn alle Existenzialien haben an der bedeutungsmäßigen Artikulation in je unterschiedlicher Weise teil. Die Erschlossenheit im Ganzen und die in ihr gründende, durch sie ermöglichte Entdecktheit des Seienden ist durchgriffen und gefügt vom Wesen der Sprache als des bedeutungsmäßigen Gliederns. Das bedeutet, daß für die Rede keine eigene ekstatische Einheit der Zeitlichkeit auszumachen ist, weil die Rede in allen Existenzialien mitspielt, so daß man nun sagen kann, daß sie all die verschiedenen dreigliedrigen Zeitlichkeitsstrukturen mitbestimmt. Keine von ihnen ist also frei vom existenzialen Wesen der Sprache. „Weil jedoch die Rede faktisch sich zumeist in der Sprache ausspricht und zunächst in der Weise des besorgenden-beredenden Ansprechens der »Umwelt« spricht, hat allerdings das Gegenwärtigen eine bevorzugte konstitutive Funktion.“ (S. 349) Das Gegenwärtigen hat diese Funktion für die Rede nur im Bereich des besorgenden Seins-bei ..., von dem wir wissen, daß die primäre Ekstase seiner Zeitlichkeit das Gegenwärtigen ist. Das Besorgen ist insofern bestimmt durch das Wesen der Rede, als das besorgte Seiende ein Beredetes ist. Das jeweils besorgte Seiende ist entdeckt in einer Entdecktheitsweise, die das jeweils Geredete des Beredens ist.51 Der besorgende Umgang ist immer ein solcher, der nicht nur in sich redet (d.h. durch das Wesen der Sprache bestimmt ist), sondern zugleich sich ausspricht, nämlich in der worthaften Verlautbarung. Es sei daran erinnert, daß die vier Strukturmomente der Rede im Bereich des besorgenden Umgangs die folgenden sind: das Beredete, das Geredete, die Mitteilung und der Bekundungscharakter (die worthafte Verlautbarung). Wichtig ist für uns hier, daß im Bereich des besorgenden Umgangs, der – vom Existenzial der Rede her gesehen – ein beredendes Ansprechen des jeweils besorgten Seienden ist, das Reden in der Weise des Beredens in zeitlicher Hinsicht ein Gegenwärtigen ist. Aber das bedeutet nicht, daß es für das Existenzial der Rede eine entsprechende dreigliedrige Einheit der Zeitlichkeit mit einer primären Ekstase gibt, wie das für das Verstehen, die Befindlichkeit und das Verfallen gilt.

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Vgl. zu dieser Thematik Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Fundamentalontologie der Sprache. In: Ders.: Subjekt und Dasein: Interpretationen zu „Sein und Zeit“. Frankfurt a.M.: Klostermann, 1985, S. 92–224.

§ 6. Die Gewinnung einer Blickrichtung für die Analyse der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens (§ 69 a), 1. Absatz) I. Der Aufbau des § 69 Der unter der Überschrift „Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-seins und das Problem der Transzendenz der Welt“ stehende § 69 gehört wie der § 68 in das Vierte Kapitel des Zweiten Abschnitts des Ersten Teils von „Sein und Zeit“. In diesem Vierten Kapitel über „Zeitlichkeit und Alltäglichkeit“ wird, wie bereits mehrfach erwähnt, die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins auf der höheren, eigentlich ontologischen Ebene der Zeitlichkeit wiederholt. Wir vergegenwärtigen uns ebenfalls noch einmal, daß hier gegenüber den Analysen des Ersten Abschnitts der umgekehrte Weg eingeschlagen wird. Die vorbereitende Fundamentalanalyse beginnt nämlich mit der Thematisierung des besorgenden Seins bei innerweltlichem Seienden und nimmt von dort ihren Weg über die Analyse der Welt als des Horizontes für die Innerweltlichkeit, die Analyse des Selbst- und Mitseins und die Analyse der Erschlossenheit des Daseins durch Befindlichkeit, Verstehen, Auslegung und Rede bis zur Heraushebung der Sorge als der ganzheitlichen Struktur des Daseins. Es handelt sich also bei der vorbereitenden Fundamentalanalyse um einen Weg des Aufstiegs, wobei Aufstieg im Sinne des Rückgangs zum Ursprung zu verstehen ist. Der Weg setzt bei der Verhaltung zum innerweltlichen Seienden an und steigt auf bis zur Sorge. In der Wiederholung dagegen nimmt der Weg die umgekehrte Richtung: Er beginnt mit der Thematisierung jener Existenzialien, die die Erschlossenheit bilden, nämlich mit der Analyse der Zeitlichkeit des Verstehens, der Befindlichkeit, des Verfallens und der Rede. Zu erwarten ist demnach, daß der eingeschlagene Weg sich weiter als Abstieg erweist, daß nämlich zuerst die Zeitlichkeit des Weltverständnisses und dann die des besorgenden Verhaltens zum innerweltlichen Seienden analysiert wird. Beide Themen werden in der genannten Reihenfolge in der Überschrift des § 69 erwähnt: „Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-seins und das Problem der Transzendenz der Welt“ meint gerade die zeitliche Analyse des daseinsmäßigen Weltverständnisses und des besorgenden Seins beim innerweltlichen Seienden. Doch zeigt dann die interne Gliederung des Paragraphen denselben Weg wie der Erste Abschnitt in seinem Zweiten und

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Dritten Kapitel: Er thematisiert im Unterabschnitt a) das umsichtige Besorgen (wie die §§ 12 und 15) und im Unterabschnitt b) das theoretische Besorgen (wie der § 13). Die Wendungen „umsichtiges Besorgen“ und „theoretisches Besorgen“ sind hier ganz bewußt gewählt, da in den Interpretationen von „Sein und Zeit“ oft das Mißverständnis auftaucht, das Wort „Besorgen“ stehe bei Heidegger nur für das vortheoretische Sein beim Zuhandenen, während dessen Modifikation kein Besorgen, sondern ein theoretisches Entdecken sei. Man identifiziert also das Besorgen mit dem umsichtigen Umgang. Das liegt teilweise daran, daß Heidegger selbst manchmal in dieser Weise sich ausdrückt; aber es gibt im Text immer wieder Stellen, in denen er unverkürzt spricht, so daß der Sachverhalt ganz deutlich wird. So heißt es etwa im 3. Absatz des § 69, die Analyse der Zeitlichkeit des Besorgens verfolge „die existenzial-zeitliche Möglichkeit der Modifikation des umsichtigen Besorgens zum »nur« hinsehenden Entdecken von innerweltlich Seiendem“ (S. 351). Diese Stelle könnte man in dem Sinne lesen, daß das umsichtige Besorgen sich zum „nur“ hinsehenden Entdecken derart modifiziert, daß das letztere gar kein Besorgen mehr wäre. Aber im selben Kontext wird gesprochen von der „Interpretation der Zeitlichkeit des umsichtigen, sowohl wie des theoretisch besorgenden [Hervorhebung vom Verfasser] Seins bei innerweltlich Zuhandenem und Vorhandenem“ (S. 351). Das theoretische Entdecken ist demnach auch ein Besorgen, nicht zwar ein solches im engeren Sinne des umsichtigen Umgangs, wohl aber in der weiteren Bedeutung des Sorgetragens für ... „Besorgen“ meint die Seinsweise für alle Verhaltungen des Daseins zu innerweltlichem Seienden (soweit es sich bei diesem nicht um ein Mitdaseiendes handelt, das in der „Fürsorge“ steht). Es handelt sich um ein Sorgetragen für die jeweilige Entdecktheit des Seienden, sei es das Zuhandene oder aber das Vorhandene im Sinne des Gegenstands der wissenschaftlichen Forschung. II. Umsichtiges und theoretisches Besorgen Der unter der Überschrift „Die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens“ stehende Unterabschnitt a) des § 69 beginnt mit der Frage nach der angemessenen Blickrichtung für die Analyse der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Zur Gewinnung einer Antwort auf diese Frage wird Wesentliches aus der vorbereitenden Fundamentalanalyse des

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Daseins, insbesondere aus den §§ 12 und 15, vergegenwärtigt. „Das [umsichtig] besorgende Sein bei der »Welt« nannten wir den Umgang in und mit der Umwelt.“ (S. 352)52 Schon im § 15 wird der Unterschied zwischen der Umwelt und dem innerweltlichen Seienden in den Blick genommen, obwohl die volle Entfaltung dieser Thematik erst im § 18 geschieht. Als exemplarische Phänomene des primären, vortheoretischen Seins-bei ... nennt Heidegger „das Gebrauchen, Hantieren, Herstellen von Zuhandenem“ (S. 352), aber nicht etwa die sinnliche Erfahrung, die Wahrnehmung und deren Vergegenwärtigungsmodi. Und bezüglich der genannten Verhaltungen bezieht er auch deren „defiziente und indifferente Modi“ (S. 352) ein, wobei unter defizienten Modi z.B. das Unterlassen oder das Versäumen dessen, was eigentlich erledigt werden müßte, unter indifferenten Modi z.B. das Ausruhen vom Erledigen zu verstehen ist. Und all dies wird zusammengefaßt als „das Sein bei dem, was zum alltäglichen Bedarf gehört“ (S. 352). Diese Wendung darf nicht zu eng genommen werden, als käme dazu anderes Wesentlicheres hinzu, sondern das Sein beim alltäglichen Bedarf füllt den Daseinsvollzug „von morgens bis abends“ aus. Wir verlassen dieses umsichtig besorgende Sein bei Zuhandenem auch dann nicht gänzlich, wenn wir uns wissenschaftlich betätigen, denn auch dann gehen wir z.B. in die Bibliothek, nehmen Bücher aus dem Regal, schreiben mit einem Stift in unser Heft usw. Dieser letztgenannte Sachverhalt ist jenes Phänomen, das Husserl auf dem Boden des Bewußtseins das Beibehalten der vortheoretischen, lebensweltlichen Erfahrung mitten im wissenschaftlichen Vollzug nennt.53 Heidegger seinerseits führt die Unterscheidung zwischen dem Vortheoretischen und dem Theoretischen auf dem Boden des Daseins durch und zeigt bereits in seiner ersten Freiburger Dozentenvorlesung nach dem Ersten Weltkrieg, wie auch in der Husserlschen Thematisierung der natürlichen und vortheoretischen Einstellung sich die theoretische Blickrichtung eingeschlichen habe, so daß das wahre vortheoreti-

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Im § 15 lautet die Formulierung: „Umgang in der Welt und mit dem innerweltlichen Seienden“ (S. 66f.). Vgl. Edmund Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Husserliana Band VI. Hrsg. von Walter Biemel. Den Haag: Martinus Nijhoff, 1976, S. 128f., § 34 b): „Die Benützung der subjektivrelativen Erfahrungen für die objektiven Wissenschaften und die Wissenschaft von ihnen“.

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sche Leben von Husserl niemals gesehen worden sei.54 Zwar ist der Unterschied zwischen Vortheoretischem und Theoretischem ein Thema, das durch die Phänomenologie Husserls vorgegeben ist, aber dieser Unterschied wird nun von Heidegger mit seinem Ansatz beim vortheoretischen Leben und Erleben auf ein ganz neues Fundament gestellt, so daß die Husserlsche Auffassung selbst – so jedenfalls sieht es Heidegger – als eine Unterscheidung innerhalb der theoretischen Einstellung entlarvt wird. Gerade darin liegt die große Bedeutung der frühen Dozentenvorlesungen der Jahre 1919–1923 und insbesondere der ersten Nachkriegsvorlesung, daß sie eine Phänomenologie als vortheoretische Urwissenschaft vom vortheoretischen Leben entfalten. Das, worauf es ankommt, ist die volle Gewinnung der Dimension des Daseins im Unterschied zur Dimension des Bewußtseins, welche Gewinnung davon ausgeht und entscheidend davon abhängt, daß das Vor- bzw. A-theoretische unangetastet vom Theoretischen erfaßt wird. Die Gewinnung der wahren vortheoretischen Dimension des Lebens bildet ein sehr schwieriges Unternehmen und fordert von dem aus der philosophischen Tradition Herkommenden eine große denkerische Anstrengung. Nun ist eine solche Anstrengung lehrreich und fruchtbar auch für das Verständnis von „Sein und Zeit“. In diesem Werk wird nämlich die Gewinnung dieses Unterschiedes nicht mehr so vehement betont, da er für Heidegger gleichsam selbstverständlich geworden ist. III. Umsichtiges Besorgen und Eigentlichkeit – Besorgen und Besorgtes Wenden wir uns nach diesem Exkurs wieder dem 1. Absatz des § 69 a) zu. Dort fährt Heidegger fort: „Auch die eigentliche Existenz des Daseins hält sich in solchem [umsichtigen] Besorgen – selbst dann, wenn es für sie »gleichgültig« bleibt.“ (S. 352) Dieser Satz sagt deutlich, daß das besorgende Sein-bei ... nicht eine Seinsdimension ist, die innerhalb der Eigentlichkeit des Daseins wegfallen würde, vielmehr eine solche, die ebenso eigentliche wie uneigentliche Modifikationen zuläßt. In den folgenden Sätzen des 1. Absatzes geht es um das Verhältnis zwischen dem besorgenden Sein-bei ... und dem, wobei sich das besor54

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Martin Heidegger: Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem. Frühe Freiburger Vorlesung Kriegsnotsemester 1919. In: Ders.: Zur Bestimmung der Philosophie. Gesamtausgabe Band 56/57. Hrsg. von Bernd Heimbüchel. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987, 2. Auflage 1999, S. 1–117.

gende Sein-bei ... aufhält. Dieses Wobei ist eben das Zuhandene, das zuhandene Zeug als das Besorgte. Wir stehen also vor einer Korrelation. Diesbezüglich werden im Text einige Mißverständnisse abgewiesen: 1. „Das besorgte Zuhandene verursacht nicht das Besorgen, so daß dieses erst auf Grund der Einwirkungen des innerweltlichen Seienden entstünde.“ (S. 352) Eine solche Verursachung wäre z.B. denkbar in der sinnlichen Affektion in der Weise, daß das innerweltliche Seiende die Sinne des Daseins affiziert und aufgrund dessen sein besorgendes Sein-bei ... sich auf das Affizierende bezieht. 2. „Das Sein bei Zuhandenem läßt sich weder aus diesem ontisch erklären, noch kann umgekehrt dieses aus jenem abgeleitet werden.“ (S. 352) Hier möchte Heidegger deutlich machen, daß das Verhältnis zwischen Besorgen und Besorgtem nicht ein ontisches ist im Sinne eines Bezuges zwischen zwei Seienden, vielmehr ein ontologisches, indem das besorgende Sein und das Sein des Besorgten in einer Korrelation stehen. 3. „Besorgen als Seinsart des Daseins und Besorgtes als innerweltlich Zuhandenes sind aber auch nicht lediglich zusammen vorhanden.“ (S. 352) Die Korrelation ist demnach weder eine solche, in der das eine aus dem anderen abgeleitet werden kann – vielmehr sind beide Korrelate gleichursprünglich –, noch darf diese Gleichursprünglichkeit als ein Zusammen-Vorhandensein aufgefaßt werden. Die Korrelation ist, wie schon oben unter (2) gesagt, ein seinsmäßiges Verhältnis, ein ontologischer „Zusammenhang“ (S. 352). Heidegger setzt das Wort hier in Anführungszeichen, um zu betonen, daß eben kein ontisches Zusammen-Vorhandensein zweier Seiender gemeint ist, sondern das Verhältnis zwischen dem Sein des seinsverstehenden besorgenden Daseins und der verstandenen Seinsweise des Seienden, zu dem sich das Dasein verhält. Ein solcher Bezug ist ein existenzialkategorial-ontologischer, denn das seinsverstehende Besorgen ist existenzialen Charakters, während das Sein dessen, was verstanden wird, kategorialen Charakter hat. Vergessen wir nicht, daß wir von der Analyse der Zeitlichkeit der Existenzialien, die die Erschlossenheit konstituieren, herkommen. In unserer Interpretation der zeitlichen Analyse des Verstehens haben wir herausgearbeitet, wie sich die Erschlossenheit der geworfen-entworfenen Möglichkeit des In-der-Welt-seins zeitigt. Wir wissen, daß zur Erschlossenheit der Existenzmöglichkeit die Erschlossenheit eines Welthorizontes gehört. In dieser Erschlossenheit der ganzheitlichen Möglichkeit des In-der-Welt-seins entfaltet sich nun das Bewandtnis

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verstehende, besorgende Sein beim besorgten und zu entdeckenden innerweltlichen Seienden. Es ist wichtig einzusehen, wie die Zeitlichkeit dieses Bewandtnis verstehenden Besorgens in die Zeitlichkeit des Verstehens gleichsam eingebettet ist. Die Zeitlichkeit des umsichtig-besorgenden Seins-bei ... entspringt vor allem aus der Zeitlichkeit des Verstehens, ist sozusagen eine „Fortsetzung“ dieser. Denn Bewandtnisverstehen heißt verstehendes Aufschließen der jeweiligen Bewandtnis für das jeweilige innerweltliche Seiende aus der schon erschlossenen Welt. Oben wurde das Verhältnis zwischen Besorgen und Besorgtem als ontologische Korrelation gekennzeichnet. Heidegger stellt in seiner ersten Marburger Vorlesung die große Bedeutung von Husserls Entdeckung der Intentionalität, d.h. der Korrelation von intentio und intentum, heraus. Er sagt dort, erst dieser derart von Husserl geklärte Begriff der Intentionalität mache es möglich, die ontologischen Charaktere in voller Klarheit zur Abhebung zu bringen.55 Er meint damit, daß diese klare Herausarbeitung der Intentionalitätsstruktur allererst möglich macht, nach dem Sein der intentio und nach dem Sein des intentum zu fragen. Das Sein der intentio meint die Existenz und zunächst das besorgende Sein-bei ..., das Sein des intentum die Seinsweisen der Zuhandenheit, der Vorhandenheit usw. Eine Ontologie der existenzialen und kategorialen Seinscharaktere in ihrer Unterschiedenheit und Korrelation bedarf einer Klärung der Intentionalität. Im Text heißt es weiter: „Von dem rechtverstandenen Womit des Umgangs fällt auf den besorgenden Umgang selbst ein Licht.“ (S. 352) Wann ist aber das Womit ein rechtverstandenes? Wenn es nicht primär als Erfahrungs- bzw. Wahrnehmungsding gesehen wird, auf dem dann bestimmte Auffassungscharaktere und Werte aufgebaut sind. Das Womit des Umgangs ist überhaupt nicht ein Ding, das sich durch Substantialität, Materialität, Undurchdringlichkeit usw. auszeichnet, sondern zuhandenes Zeug mit einer Um-zu-Verweisung, die im § 18 „Bewandtnis“ genannt wird. Wenn also gesehen wird, daß diese die primäre Seinsweise des innerweltlichen Seienden ist, dann hat man es mit dem rechtverstandenen Womit des Umgangs zu tun. Der Umgang ist ein das 55

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Martin Heidegger: Einführung in die phänomenologische Forschung. Marburger Vorlesung Wintersemester 1923/24. Gesamtausgabe Band 17. Hrsg. von FriedrichWilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1994, 2. Auflage 2006, S. 260: „Mit dieser Entdeckung der Intentionalität ist zum ersten Mal in der ganzen Geschichte der Philosophie ausdrücklich der Weg für eine radikale ontologische Forschung gegeben.“

Um-zu verstehendes Verhalten. Die Betonung liegt hier darauf, daß die Einsicht der phänomenologischen Analyse, das Sein-bei ... als Verstehen der Um-zu-Verweisung zu deuten, gerade im Ausgang vom innerweltlichen Seienden gelingt. Das Verstehen der Um-zu-Verweisung und der Bewandtnis ist ein vorgängiges Seinsverständnis, das dem Begegnen des innerweltlichen Seienden ermöglichend voraufgeht. IV. Die Vorentdecktheit des Zeugzusammenhangs und die Erschlossenheit der Bewandtnisganzheit „Es gilt aber, darüber hinaus zu verstehen, daß der besorgende Umgang sich nie bei einem einzelnen Zeug aufhält. Das Gebrauchen und Hantieren mit einem bestimmten Zeug bleibt als solches orientiert auf einen Zeugzusammenhang.“ (S. 352) Es genügt nicht, den Zeugcharakter an einem einzelnen Zeug zu sehen, sondern es muß gesehen werden, daß das einzelne Zeug nicht nur ontisch, sondern auch ontologisch immer in einen Zeugzusammenhang hineingehört. Der Ansatz dafür ist gerade die Um-zu-Verweisung: Ein Zeug verweist auf ein anderes, dieses wiederum auf ein anderes, d.h. jedes Zeug verweist in einen umfassenden Zeugzusammenhang. Ein einzelnes Zeug gehört wesentlich in ein Ganzes hinein und wird – im vortheoretischen Verständnis – dementsprechend auch verstanden. In diesem Sinne ist „der Umkreis des Zeugganzen [...] schon vorentdeckt“ (S. 352). Dies bedeutet, daß der besorgende Umgang mit diesem und jenem zuhandenen Zeug sich im Verständnis der Entdecktheit eines Zeugganzen bewegt; dieses Ganze ist vorentdeckt, also schon entdeckt für den Umgang mit diesem oder jenem. Und eine solche Vorentdecktheit geschieht durch die Zeitigung des Verstehens. Um diesen ontologischen Sachverhalt noch deutlicher zu machen, muß man Folgendes voneinander unterscheiden: 1. das Entdecken des jeweils besorgten Zeugs; 2. die Vorentdecktheit des Zeugzusammenhangs, oder, was dasselbe meint, des Bewandtnisganzen; 3. die Erschlossenheit der Welt, d.h. der Bewandtnisganzheit. Heidegger differenziert zwischen „Ganzem“ und „Ganzheit“: Jenes meint den entdeckten ontischen Zeugzusammenhang, diese den erschlossenen Welthorizont. Das Erschließen wiederum ist aber nichts anderes als die Zeitigung des Verstehens. So kann man zusammenfassend sagen: Damit überhaupt ein Zeugganzes vorentdeckt sein kann für den entdeckenden Umgang mit

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diesem und jenem Zeug, muß schon der Welthorizont, die Bewandtnisganzheit, erschlossen sein. Welt aber wird in der Zeitlichkeit des Verstehens (dem gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen) erschlossen. Mit anderen Worten: Zum einen haben wir das Erschließen und die Erschlossenheit der Welt, d.h. das Erschließen und das Aufgeschlossenhalten des Welthorizontes; zum anderen das Entdecken des Zeugzusammenhangs. Im Gegenwärtigen spielen zusammen das Aufgeschlossenhalten der Erschlossenheit und das Entdecken, denn das Gegenwärtigen ist in sich zwiefältig: Es ist Aufgeschlossenhalten der Welt als der Bewandtnisganzheit und entdeckendes Einrückenlassen eines Bewandtnisganzen in seine Entdecktheit. Schließlich haben wir innerhalb des Ganzen und aus ihm die Entdecktheit von je einzelnem besorgten Seienden. Hier geht es um ein besorgendes Herausheben aus dem vorentdeckten Zeugganzen.

§ 7. Die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens (§ 69 a), 2.–5. Absatz) Die ersten beiden Absätze des § 69 a) dienen der Gewinnung der Blickrichtung für die Analyse der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens, während im 3. Absatz die Struktur dieser Zeitlichkeit als solche aufgezeigt wird. Wir vergegenwärtigen uns das ontologische Gefüge von Entdecken, Entdecktheit und Erschlossenheit: 1. Wenn wir im umsichtigen Besorgen einem besorgten Zeug begegnen, dann geschieht ein Entdecken des jeweiligen Zeugs. 2. Dieses Entdecken ist nur möglich aus der Entdecktheit des vorentdeckten Zeugganzen. 3. Diese Entdecktheit ist ihrerseits nur möglich aus der Erschlossenheit der zuvor schon erschlossenen Welt oder Bewandtnisganzheit. In diesem Sinne konnten wir sagen, daß das Entdecken des jeweiligen Zeugs in einem zweifachen Sinne aus ... erfolgt: 1. aus dem vorentdeckten Zeugzusammenhang bzw. Zeugganzen, in den das jeweilige Zeug gehört; dies meint Heidegger, wenn er sagt, es gebe streng genommen kein isoliertes Zeug; 2. aus der Ermöglichung des Zeugzusammenhangs bzw. Zeugganzen, d.h. aus der Erschlossenheit von Welt. Hier müssen wir streng unterscheiden zwischen der Erschlossenheit der Welt oder der Bewandtnisganzheit und der Entdecktheit des aufgrund dieser Erschlossenheit ermöglichten Zeugganzen.

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Und nur aufgrund des vorentdeckten Zeugganzen können wir einem Zeug begegnen. In diesem Sinne sehen wir, daß die Erschlossenheit die eines Seinscharakters ist, während die Entdecktheit als die des Seienden charakterisiert ist. Der Unterschied zwischen Erschlossenheit und Entdecktheit weist auf den Unterschied zwischen Ontologischem und Ontischem hin, d.h. auf die ontologische Differenz. I. Bewandtnis als Was-sein des Zuhandenen Das Entdecken eines Zeugs ist nur möglich aus der Entdecktheit des Zeugganzen, und in diesem Sinne ist „eines“ aufgehoben. Wenn wir einem Zeug begegnen, gibt es mit ihm schon eine Verweisung auf ein anderes, so daß streng genommen „ein Zeug ontologisch unmöglich ist“ (S. 353). Die Um-zu-Verweisung wird von Heidegger auch als „Bewandtnis“ charakterisiert.56 Diese markiert den Seinscharakter des Zuhandenen, der in der nicht möglichen Isolierung des zunächst begegnenden Zeugs besteht. Die Bewandtnis muß ihrerseits als eine ontologische Bezugsstruktur verstanden werden, nicht isoliert für sich. Das Wort deutet auf das Was-sein des Zuhandenen und nicht nur auf eine ontische Tatsache hin. Bewandtnis macht das Sein des Zeugs im Sinne des Was-seins aus, während die Zuhandenheit für das Sein des Zeugs im Sinne des Wie-seins steht. Daß ein Zeug als Zeug verstanden wird, ist nur möglich aufgrund der Erschlossenheit seines Seins, und zu diesem gehört immer ein Was-sein und ein Wie-sein.57 Die Bewandtnis als das primäre Was-sein des Zeugs unterscheidet sich vom Was-sein von Seiendem anderer Seinsart, z.B. vom Was-sein eines Wahrnehmungs56

57

Vgl. § 18, S. 83f.: „Das Sein des Zuhandenen hat die Struktur der Verweisung – heißt: es hat an ihm selbst den Charakter der Verwiesenheit. Seiendes ist daraufhin entdeckt, daß es als dieses Seiende, das es ist, auf etwas verwiesen ist. Es hat mit ihm bei etwas sein Bewenden. Der Seinscharakter des Zuhandenen ist die Bewandtnis.“ Man könnte auch das Was-sein als „essentia“ und das Wie-sein als „existentia“ bezeichnen. Das Problem dabei ist aber, daß „existentia“ in der philosophischen Tradition für das steht, was Heidegger „Vorhandenheit“ nennt, und gerade nicht für das, was er erstmals als „Zuhandenheit“ konzeptualisiert. In seiner Marburger Vorlesung vom Sommersemester 1927 faßte Heidegger die Unterscheidung zwischen dem Was-sein und dem Wie-sein eines Seienden als das phänomenologische Grundproblem der „Grundartikulation des Seins“. Vgl. Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), S. 432: „Die Washeit des Seienden, das uns alltäglich begegnet, ist durch den Zeugcharakter umgrenzt. Die Weise, wie Seiendes von dieser Sachheit, Zeug, ist, nennen wir das Zuhandensein oder die Zuhandenheit, die wir vom Vorhandensein unterscheiden.“

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dinges oder eines Gegenstandes des Verstandesdenkens. Und die Zuhandenheit als das primäre Wie-sein des Zeugs unterscheidet sich von dem Wie-sein, das zur Dinglichkeit im Sinne der Substanzialität, räumlichen Ausgedehntheit, Materialität usw. („res extensa“) gehört. Die Bewandtnis als ontologische Bestimmung des Zeugs zeigt, daß ein Zeug immer auf ein anderes verweist, auch wenn das andere dem besorgenden Umgang „fehlt“. Diese Bewandtnisbeziehung ist nicht ontisch, sondern eine ontologische Struktur des Seins, genauer: des Was-seins, des Zeugs. III. Entdecken und Begegnenlassen – Bewendenlassen als Bewandtnisverstehen „Der besorgende Umgang kann überhaupt nur Zuhandenes umsichtig begegnen lassen, wenn er so etwas wie Bewandtnis, die es je mit etwas bei etwas hat, schon versteht. Das umsichtig-entdeckende Sein-bei ... des Besorgens ist ein Bewendenlassen, das heißt verstehendes Entwerfen von Bewandtnis.“ (S. 353) Das Entdecken, das im umsichtigen Seinbei ... geschieht, muß als ein Begegnenlassen verstanden werden, wobei das Begegnen die Weise meint, wie sich dem Dasein das innerweltliche Seiende im besorgenden Umgang mit ihm zeigt. Aber das ontische Begegnenlassen von innerweltlich zuhandenem Zeug setzt ein ontisches Begegnenlassen bzw. Entdecken des Zeugganzen voraus. Und die Erschlossenheit der Welt muß schon ontologisch aufgeschlossen sein, damit das Entdecken des Zeugganzen die Bewandtnis im vorhinein verstehen kann. Der besorgende Umgang kann nur dann entdecken, wenn er die Bewandtnisganzheit „schon versteht“, d.h. er kann nur aus dem Weltverständnis entdecken, das zum Seinsverständnis gehört. Das „schon“ in „schon versteht“ bringt das Apriori zum Ausdruck, die ontologische Bedingung der Möglichkeit des Entdeckens: sowohl des besorgend-entdeckenden Daseins (existenziales Apriori) als auch des besorgt-entdeckten Seienden (kategoriales Apriori). In diesem Sinne meint das „schon“ die vorgängige Erschlossenheit der Welt, aufgrund derer ein Zeug- oder Bewandtnisganzes und aus diesem ein zuhandenes Zeug entdeckt werden kann. Die vorgängige Erschlossenheit der Welt ermöglicht das Begegnenlassen von Seiendem als Seiendem (ὂν ᾗ ὄν). Das Verstehen der Bewandtnis im Sinne der dem Zeug eigenen ontologischen Struktur, daß es mit ihm bei etwas sein Bewenden hat,

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wird von Heidegger als ein „Bewendenlassen“ charakterisiert. Dieser Ausdruck fungiert als existenzial-ontologischer Terminus für das Bewandtnisverstehen. Das „-lassen“ im „Bewendenlassen“ bedeutet ein Zulassen der Bewandtnis, ein Sichverweisenlassen von den in der Bewandtnis gründenden Verweisungsbezügen, ein Sichverweisenlassen vom Womit auf das Wobei oder vom Wobei auf das Womit der Bewandtnis. Das Bewendenlassen konstituiert sich als das Geschehen des Bewandtnisverstehens, das die Erschlossenheit der Bewandtnis aufschließt und aufgeschlossen hält. Es ist ein „verstehendes Entwerfen“, d.h. ein aufschließendes Verstehen von Bewandtnis. Dies deutet auf ein ontologisches Geschehen hin und bedeutet, daß der besorgende Umgang mit einem Zeug des Aufschließens der Bewandtnis bedarf, d.h. eines aufschließenden Heraushebens dieser Bewandtnis aus der schon erschlossenen Bewandtnisganzheit oder Erschlossenheit der Welt. ΙΙΙ. Die Entfaltung der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens Mit dem vollständig kursiv gesetzten letzten Satz des 2. Absatzes leitet Heidegger nun zu der im 3. Absatz entfalteten Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens über: „Wenn das Bewendenlassen die existenziale Struktur des Besorgens ausmacht, dieses aber als Sein-bei ... zur wesenhaften Verfassung der Sorge gehört, und wenn diese ihrerseits in der Zeitlichkeit gründet, dann muß die existenziale Bedingung der Möglichkeit des Bewendenlassens in einem Modus der Zeitigung der Zeitlichkeit gesucht werden.“ (S. 353) Das Bewendenlassen als das verstehende Entwerfen der Bewandtnis gehört, sofern es die existenziale Struktur des Besorgens ausmacht, zum Sein-bei ... als dem dritten Strukturmoment der Sorge und damit mit dem Sein-bei ... zur wesenhaften Verfassung der Sorge. Ferner wissen wir aus dem § 65, daß und wie die Sorge in der Zeitlichkeit gründet.58 Daher muß auch die Ermöglichung des Bewendenlassens in einem Modus der Zeitigung der Zeitlichkeit gesucht werden. Die gewonnene Blickrichtung für die Analyse der Zeitlichkeit des Besorgens kann mithin folgendermaßen charakterisiert werden: Das Entdecken eines Zeugs bedarf der Aufschließung der jeweiligen Bewandtnis, die es mit dem Zeug hat, und diese bedarf ihrerseits der Entdecktheit des Bewandtnisganzen und der Erschlossenheit der Bewandtnisganzheit. Diese wiederum wird erschlossen und aufgeschlos58

Siehe oben S. 43.

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sen gehalten in der Zeitlichkeit des Verstehens, die im § 68 a) als das gewärtigend-vergessende Gegenwärtigen bestimmt wurde. Die Analyse des bewendenlassenden Gegenwärtigens entfaltet die Art und Weise, wie die zur Bewandtnisganzheit gehörige jeweilige Bewandtnis selbst aufgeschlossen wird. Dies bedeutet, daß die jeweilige Bewandtnis anders aufgeschlossen ist als die Bewandtnisganzheit. „In der einfachsten Handhabung eines Zeugs liegt das Bewendenlassen.“ (S. 353) Auch die einfachste Handhabung eines Zeugs ist ein umsichtig-besorgender Umgang mit solchem und ein begegnenlassendes Entdecken von solchem. Dieses Entdecken geschieht immer aus einem vorgängigen Bewendenlassen. Das letztere ist die primäre ontologische Bedingung für das erstere. „Das Wobei desselben [= des Bewendenlassens] hat den Charakter des Wozu; im Hinblick darauf ist das Zeug verwendbar bzw. in Verwendung.“ (S. 353) Das Wobei des Bewendenlassens hat den Charakter des Wozu, weil das, wobei das Bewendenlassens es mit etwas bewenden läßt, dem Um-zu bzw. der Verweisung entspricht, worin die Zeugverfassung des Zuhandenen besteht. Das Bewendenlassen ist, wie oben bereits herausgestellt, ein Sichverweisenlassen, darauf etwa, wozu etwas „verwendbar“ oder „in Verwendung“ ist. Die „Verwendbarkeit“ ist, wie Heidegger im § 18 gezeigt hat, eine bestimmte Art der Verweisung neben der „Dienlichkeit“, der „Abträglichkeit“ und anderem dergleichen (S. 83). „Das Verstehen des Wozu, das heißt des Wobei der Bewandtnis [wodurch die „mögliche Konkretion der Verweisung“ (S. 83) vorgezeichnet wird], hat die zeitliche Struktur des Gewärtigens.“ (S. 353) Als Verstehen des Wozu bzw. Wobei ist das verstehende Entwerfen von Bewandtnis in existenzial-zeitlicher Interpretation ein gewärtigendes Entwerfen. Das Gewärtigen, das hier geschieht, schließt das jeweilige Wobei als das jeweilige Wozu auf, und dies in einem Horizont der schon erschlossenen Bewandtnisganzheit. Diese hat hier als schon erschlossene Welt den Charakter eines Horizontes, innerhalb dessen die jeweilige Bewandtnis aufschließend herausgehoben wird. „Des Wozu gewärtig, kann das Besorgen allein zugleich auf so etwas zurückkommen, womit es die Bewandtnis hat.“ (S. 353) Nur im Gewärtigen dessen, wozu etwas dienlich, abträglich oder verwendbar ist, kann das Besorgen auf dieses Dienliche, Abträgliche oder Verwendbare selbst zurückkommen. Nur im Gewärtigen des Wobei der Bewandtnis kann das Besorgen auf das Womit der Bewandtnis zurückkommen. Da-

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mit ist Folgendes klar geworden: Das bewendenlassende Verstehen der Bewandtnis ist das gewärtigende Aufschließen des Wozu bzw. Wobei im Zurückkommen auf das Erschlossen-gewesen des Womit. Dieses Zurückkommen auf ... ist ein „Behalten“, nämlich des schon Erschlossengewesen des Womit. Das Behalten ist eine Weise des zeitigenden Aufschließens der Erschlossenheit der Bewandtnis, die aufgeschlossen sein muß, damit Seiendes als durch Bewandtnis bestimmtes entdeckt werden kann. Die Richtung, die sich hier zeigt, ist dann vom Wobei zum Womit, nicht vom Womit zum Wobei. Das Wobei ist das, was gewärtigt wird für das Zurückkommen auf das Womit. „Das Gewärtigen des Wobei in eins mit dem Behalten des Womit ermöglicht in seiner ekstatischen Einheit das spezifisch hantierende Gegenwärtigen [Hervorhebung vom Verfasser] des Zeugs.“ (S. 353) Aber wie wird dieses Gegenwärtigen als die dritte Ekstase der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens ermöglicht? Das Bewendenlassen, so sagt Heidegger im 4. Absatz, „konstituiert sich [...] in der Einheit des gewärtigenden Behaltens, so zwar, daß das hieraus entspringende Gegenwärtigen das charakteristische Aufgehen des Besorgens in seiner Zeugwelt ermöglicht“ (S. 354). Das Ermöglichtwerden des Gegenwärtigens ist demnach ein Entspringen, aber nicht im Sinne eines Sichableitens oder Abgeleitetwerdens. Die Rede vom Entspringen deutet vielmehr darauf, wie das Gegenwärtigen im Zusammenhang mit den beiden anderen Ekstasen möglich ist. Nun können wir die Zeitlichkeit des Bewendenlassens in folgender Weise zusammenfassend charakterisieren: Das gewärtigende Aufschließen des Wobei (Zukunft) in eins mit dem Behalten des Erschlossengewesen des Womit (Gewesenheit) hält die Bewandtnis aufgeschlossen für das gegenwärtigende Einrückenlassen des jeweiligen besorgten Zeugs in seine bewandtnisbestimmte Entdecktheit (Gegenwart). Damit sollte der Bezug der Zeitlichkeit des Bewendenlassens zur Zeitlichkeit des verstehenden Aufschließens der Welt deutlicher werden. Die Zeitlichkeit des Bewendenlassens, das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen, konstituiert sich als Fortsetzung der Zeitlichkeit des verstehenden Aufschließens der Welt, des gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigens. Wir sagten, das Zurückkommen auf das Womit der Bewandtnis habe den Charakter des Behaltens des Womit, d.h. des Behaltens des schon Erschlossen-gewesen des Womit. Hier stellt sich die Frage, ob

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dieses Behalten dasselbe meint oder dieselbe Funktion hat wie jenes Behalten, von dem im § 68 a) die Rede war.59 Dort hieß es, das Behalten sei ein im ekstatischen Vergessen fundiertes Phänomen, in dem das soeben Besorgte eine Weile wach bleibt und dann in ein ferneres Behalten übergeht, aus dem es als ein früher Besorgt-gewesenes wiedererinnert werden kann. Demnach ist dieses Behalten ein solches des Umweltlichen, des begegnenden Seienden, während das Behalten in der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens das Behalten eines Seinsstrukturmoments ist, nämlich des schon Erschlossen-gewesen des Womit. Dieses Phänomen ist ein nicht fundiertes ekstatisches Phänomen und gehört von daher, als ontologisches Behalten, zur existenzialen Zeitlichkeit, während das fundierte Behalten ein ontisches Behalten ist und zur Weltzeit im Sinne der in die Weltzeit ausgelegten ekstatischen Zeitlichkeit gehört. Bezüglich der Analyse der Zeitlichkeit des Besorgens ist zu betonen, daß das bisher Entfaltete nur dem Modus des umsichtigen Besorgens zugesprochen werden kann. Das theoretische Besorgen hat seine eigene Zeitlichkeit, weil es als eine Modifikation des Zuhandenheitsverständnisses in das Vorhandenheitsverständnis geschieht. Mit dem Eintritt des Theoretischen verhüllt sich die Welt als Bewandtnisganzheit, so daß das Bewendenlassen zurücktritt. Deshalb wird das theoretische Entdecken ein Entdecken des Seienden in seiner Dinglichkeit und hat es nicht mehr mit seiner Zeughaftigkeit zu tun.60 Das aus der Einheit des gewärtigenden Behaltens entspringende Gegenwärtigen ermöglicht, so Heidegger, „das charakteristische Aufgehen des Besorgens in seiner Zeugwelt“ (S. 354). Der zeitliche Sinn des in dieser Weise in seiner Zeugwelt aufgehenden oder an das Zeug sich verlierenden und verlorenen Besorgens wird von Heidegger im 5. Absatz als „ein spezifisches Vergessen“ (S. 354) bezeichnet. Spezifisch ist dieses Vergessen nicht, weil es, wie z.B. die Gewesenheit im Falle der Furcht, die führende Ekstase der Zeitlichkeit wäre, sondern weil es alle 59 60

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S. 339. Siehe dazu oben S. 97. Wir müssen hier Folgendes unterscheiden: a) die Art und Weise, wie das theoretische Leben sich selbst versteht, ohne daß es dadurch existenzial-ontologisch durchsichtig wird, b) die existenzial-ontologische Analyse des aus dem vortheoretischen In-der-Welt-sein entspringenden theoretischen In-der-Welt-seins. Nur wenn sich das theoretische In-der-Welt-sein selbst versteht und auslegt, haben wir es mit einem bestimmten Selbstverständnis des theoretischen Lebens zu tun, z.B. in bezug auf die Zeit als Jetzt-Zeit.

drei Ekstasen der Zeitlichkeit des besorgenden Umgangs betrifft. Es gilt hier zwei möglichen Mißverständnissen auszuweichen: 1. Das Vergessen als zeitlicher Sinn des in seiner Zeugwelt aufgehenden umsichtigen Besorgens ist nicht identisch mit der Vergessenheit der Eigentlichkeit (genitivus objectivus), d.h. es deckt sich nicht mit der Uneigentlichkeit. 2. Dieses spezifische Vergessen bedeutet zwar, daß in der Verlorenheit an die Zeugwelt in gewissem Maße „sich das Selbst vergessen [muß]“, aber nicht, daß eine Abschnürung vom Selbst stattfände; denn da „in der Einheit der Zeitigung des Besorgens je ein Gewärtigen führt, ist gleichwohl [...] das eigene Seinkönnen des besorgenden Daseins in die Sorge gestellt“ (S. 354). IV. Übergang zum zeitlichen Problem der Transzendenz der Welt Am Ende des § 69 b) und im § 69 c) ist die Rede von der Welt, aber jetzt wird nicht das Verstehen von Welt thematisiert, sondern die im Weltverstehen verstandene Welt. Welt ist immer schon erschlossen für den besorgenden Umgang. Deswegen ist das Dasein wesenhaft In-der-Weltsein. Diese Struktur gründet in der Zeitlichkeit. Die Zeitlichkeit ist dann nicht nur die Bedingung der Möglichkeit für das Verstehen von Welt, sondern auch für die Welt innerhalb des Weltverständnisses. In diesem Sinne wird hier, wie die Überschrift des Unterabschnitts c) des § 69 sagt, „[d]as zeitliche Problem der Transzendenz der Welt“ (S. 364) zur Sprache gebracht. Aber in der Überschrift findet sich nicht das Wort „Zeitlichkeit“, wie in den vorangegangenen Analysen, da die Transzendenz der Welt nicht zeitlich ist im Sinne der ekstatischen Zeitlichkeit, sondern zeitlich im Sinne der horizontalen Zeit, die allerdings zur ekstatischen Zeitlichkeit gehört. Wenn hier von „Transzendenz“ die Rede ist, dann muß diese als ein „Übersteigen“ verstanden werden, das heißt: Das Dasein übersteigt in seinem Existieren als In-der-Welt-sein das Seiende auf etwas hin, nämlich auf die Welt hin, und versteht so im Rückgang von der Welt das Seiende als innerweltliches Seiendes. Näherhin müssen wir zwei Hinsichten des Begriffs „Transzendenz“ unterscheiden: 1. die Transzendenz des Daseins, gemäß der das Dasein in seinem Weltverstehen transzendierend ist, weil es das Seiende auf die erschlossene Welt hin übersteigt; 2. die Transzendenz der Welt, gemäß der die Welt nicht deshalb transzendent

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ist, weil sie auch übersteigt, sondern weil sie das Woraufhin des Übersteigens ist, das, auf das hin das Dasein das Seiende übersteigt. Im § 69 c) ist von „horizontalen Schemata“ die Rede, deren Einheit die Welt als Welt zeitlich bestimmt. Die hier gemeinten Schemata sind aber nicht dieselben horizontalen Schemata, die das Sein im Sinne der Seinsweisen der Zuhandenheit und der Vorhandenheit bestimmen, wie Heidegger dies in seiner Marburger Vorlesung vom Sommersemester 1927 ausführt. Dort wird die Temporalität des Seinsverständnisses dargestellt, weshalb die horizontalen Schemata solche sind, die als horizontale Zeit die Zeitbestimmtheit des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden ermöglichen.61 Im § 69 c) von „Sein und Zeit“ aber dienen die horizontalen Schemata nur zur Charakterisierung der Zeitbestimmtheit der Welt, nicht dagegen zur Charakterisierung der Zeitbestimmtheit der Seinsweisen des zuhandenen und vorhandenen Seienden.

§ 8. Die Zeitbestimmtheit der Welt: Umwillen, Wovor der Geworfenheit und Um-zu als horizontale Schemata der Ekstasen der Zeitlichkeit des Weltverständnisses (§ 69 c), 1.–3. Absatz) Daß im Titel des § 69 c) vom „zeitlichen Problem“ und nicht von der „Zeitlichkeit“ der Transzendenz der Welt die Rede ist, deutet, wie bereits gesagt, darauf hin, daß die Welt zeitlich ist nicht im Sinne der ekstatischen Zeitlichkeit, sondern im Sinne der horizontalen Zeit, die zur ekstatischen Zeitlichkeit gehört. Die Welt hat Horizont-Charakter und dementsprechend horizontal-zeitlichen Charakter. Wir können auch sagen, daß innerhalb der ganzheitlichen Zeitlichkeit die Welt ihren Ort in der horizontalen Dimension der ekstatischen Zeitlichkeit hat. Mit der Thematisierung der Zeitbestimmtheit der Welt wird die horizontale Dimension der Erschlossenheit in den Blick genommen. Bisher war nur von der ekstatischen Dimension der Erschlossenheit die Rede, während die horizontale Dimension ausgeblendet blieb. Zum Zweck eines angemessenen Verständnisses des zeitlichen Problems der Transzendenz der Welt wollen wir zuerst noch einmal eine terminologische Klärung durchführen. Dann kann anhand des 1. und 2. Absatzes des Unterab61

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Vgl. Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), § 21a).

schnitts c) des § 69 eine kurze Vergegenwärtigung des schon in der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins zum Begriff der Welt Ausgearbeiteten vollzogen und anhand des 3. Absatzes die Zeitbestimmtheit der Welt als solche entfaltet werden. Diese soll schließlich in Bezug gesetzt werden zu den „horizontalen Schemata“, von denen Heidegger in seiner Vorlesung vom Sommersemester 1927 handelt. I. Terminologische Klärung zu den Begriffen „Entdecktheit“ und „Erschlossenheit“ Damit ein Zuhandenes für uns zugänglich wird, müssen wir seine Umzu-Verweisung irgendwie verstehen. Das heißt, wir müssen das Seiende in seinem Sein entdecken. Dieses Sein wird durch die Bewandtnis konstituiert, aber gerade weil diese nur als eine Bezugsstruktur möglich ist, gehört sie in eine Bewandtnisganzheit. Die Bewandtnis als Sein und genauer als Was-sein des Zuhandenen ist ein ontologischer Charakter, gehört aber als die Bewandtnis eines Zeugs zu einem Seienden. Das Zeug und das Zeug- bzw. Bewandtnisganze wird in seinem Sein „entdeckt“, aber sein Sein, die Bewandtnis und die Bewandtnisganzheit, wird „erschlossen“. Wir müssen hier zweierlei unterscheiden: 1. das Entdecken des Seienden in seinem Sein, des Zuhandenen im besorgenden Umgang; 2. das Erschließen als Aufschließen des Seins des Seienden, die Erschlossenheit der Bewandtnis und der Bewandtnisganzheit (weil jede Bewandtnis immer in eine Bewandtnisganzheit gehört). Diese sind erschlossen bzw. aufgeschlossen, während das Zuhandene in seiner Bewandtnisbestimmtheit entdeckt ist. Die erschließende Aufschließung der Bewandtnis geschieht in einem vorgängigen Verstehen, d.h. in einem Herausheben der Bewandtnis aus der schon erschlossenen Bewandtnisganzheit. Dieses wird von Heidegger als „verstehendes Entwerfen von Bewandtnis“ bzw. „Bewendenlassen“ charakterisiert (S. 353). Darin ist eine Gestalt der ontologischen Differenz zu sehen, nämlich die ontologische Differenz in der Gestalt der Differenz zwischen dem Entdecken des bewandtnisbestimmten Seienden und dem vorgängigen Verstehen seiner Seinsweise, der Bewandtnis und Bewandtnisganzheit. Aber wenn das Entdecken des Zuhandenen und des ontischen Bewandtnisganzen nur aufgrund der Erschlossenheit der Welt möglich ist, dann heißt das, daß das Verstehen der Bewandtnis, die in eine Bewandtnisganzheit gehört, die Erschlossenheit der Bewandtnisganzheit voraus-

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setzt, weil das Bewandtnisverstehen als ein Herausheben der Bewandtnis aus der schon erschlossenen Welt geschieht. Wenn die Bewandtnisganzheit (die Welt) schon erschlossen ist, dann muß der Terminus „Erschlossenheit“ stets in bezug auf die Gegebenheitsweise der Welt und der zu ihr gehörenden Bewandtnisganzheit gebraucht werden. Hier handelt es sich nicht mehr um einen ontologischen Charakter des nichtdaseinsmäßigen Seienden, sondern um einen ontologischen Charakter der Welt. In diesem Sinne kann eine zweite Gestalt der ontologischen Differenz festgemacht werden, nämlich die Differenz zwischen der Entdecktheit eines ontischen Bewandtnisganzen und der Erschlossenheit einer Bewandtnisganzheit oder Welt. Die ontologische Differenz spielt also, wie wir sehen können, zwischen Entdecktheit und Erschlossenheit. Um diese Unterscheidung zu verdeutlichen, blicken wir auf den § 18 zurück, der unter der Überschrift steht: „Bewandtnis und Bedeutsamkeit; die Weltlichkeit der Welt“. Am Anfang des 6. Absatzes dieses Paragraphen ist Heideggers Formulierung eine noch vorläufige, wenn er sagt: „Bewandtnis selbst als das Sein des Zuhandenen ist je nur entdeckt auf dem Grunde der Vorentdecktheit einer Bewandtnisganzheit.“ (S. 85, Hervorhebung vom Verfasser) Ab der Mitte des Absatzes hingegen wird eine endgültige Festlegung der Terminologie vorgenommen, indem erstmals der Terminus „erschlossen“ eingeführt und somit eine grundlegende Differenzierung vorgenommen wird innerhalb dessen, was bis dahin alles unter den Begriffen „Entdecken“, „Entdecktheit“ und „Vorentdecktheit“ verstanden wurde. Heidegger schreibt: „Das Bewendenlassen, das Seiendes auf Bewandtnisganzheit hin freigibt, muß das, woraufhin es freigibt, selbst schon irgendwie erschlossen haben.“ (S. 85) Das Bewendenlassen hebt als Bewandtnisverstehen die Bewandtnis aus der Bewandtnisganzheit heraus, damit so ein Seiendes freigegeben werden kann. Dies bedeutet, daß das Bewendenlassen die Bewandtnisganzheit schon irgendwie erschlossen haben muß. In diesem Sinne ist das genannte Woraufhin des Freigebens die Bewandtnisganzheit und dieses kann, wie Heidegger weiter formuliert, „selbst nicht als Seiendes dieser entdeckten Seinsart begriffen werden. Es ist wesenhaft nicht entdeckbar, wenn wir fortan Entdecktheit als Terminus für eine Seinsmöglichkeit alles nicht daseinsmäßigen Seienden festhalten.“ (S. 85) Diese Textstelle muß als Ausgangspunkt für jede Analyse von anderen Textstellen in „Sein und Zeit“ gelten, an denen von „Entdecktheit“ und „Erschlossenheit“ die Rede ist, auch wenn diese Termini bisweilen vertauscht er-

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scheinen. In solchen Fällen muß man jeweils den genauen Kontext beachten und aufgrund der im § 18 getroffenenen terminologischen Entscheidung feststellen, ob Heidegger das Bewandtnisganze oder die Bewandtnisganzheit, ob er Entdecktheit oder Erschlossenheit meint. II. Vergegenwärtigung: Welt als Ganzheit von Bezügen des Bedeutens Auf der Grundlage dieser terminologischen Klärung können wir nun die im ersten Absatz des § 69 c) enthaltene Vergegenwärtigung deutlicher verstehen. Zu Beginn des Absatzes schreibt Heidegger: „Das im umsichtigen Besorgen beschlossene Verstehen einer Bewandtnisganzheit gründet in einem vorgängigen Verstehen der Bezüge des Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen.“ (S. 364) Er meint damit: Das umsichtig-besorgende Entdecken von innerweltlich zuhandenem Zeug beschließt in sich die Vorentdeckheit eines Zeug- oder Bewandtnisganzen, die seinerseits in der verstehend aufgeschlossenen Erschlossenheit einer Bewandtnisganzheit oder Welt gründet. Die Welt wurde im § 18 als die im Da des Daseins aufgeschlossene „Bedeutsamkeit“, d.h. als die Ganzheit der Bedeutungsbezüge des Worumwillen, Um-zu, Dazu, Wobei des Bewendenlassens und Womit der Bewandtnis gekennzeichnet (S. 87). Jene Bezüge des Bedeutens nennt Heidegger jetzt die „Bezüge des Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen“ (S. 364). Somit gründet das Verstehen der Bewandtnis in einem vorgängigen Verstehen der Bedeutsamkeit. Das Verstehen der Bedeutsamkeit oder der Welt gehört zur Zeitlichkeit des Verstehens, also zum gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen, und die Zeitlichkeit des Verstehens der Bewandtnis, das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen, konstituiert sich, wie wir bereits sahen, als eine Fortsetzung der Zeitlichkeit des Verstehens der Welt. Durch die bisherigen Analysen und besonders durch den § 69 a) ist dieser Zeitlichkeitsbezug klar geworden, aber Heidegger stellt nun hierzu zwei Fragen: 1. „wie ist so etwas wie Welt in seiner Einheit mit dem Dasein [= die Welt im Inder-Welt-sein] ontologisch [= existenzial-zeitlich] möglich?“ 2. „In welcher Weise muß Welt sein, damit Dasein als In-der-Welt-sein existieren kann?“ (S. 364)

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III. Geworfenheit als Überantwortetsein an das Seiende – Welt als Zusammenhang von Um-willen und Um-zu Bereits in der vorbereitenden Fundamentalanalyse hat Heidegger herausgestellt, daß das Dasein umwillen einer Möglichkeit seines In-derWelt-seins oder, wie er nun schreibt, „umwillen eines Seinkönnens seiner selbst“ (S. 364) existiert. Das Dasein existiert geworfen in die Erschlossenheit seines Da, geworfen in die Erschlossenheit der Möglichkeiten seines In-der-Welt-seins. Nur so kann sich das Dasein zu dieser geworfenen Erschlossenheit entwerfend verhalten und sich selbst existierend in eine solche geworfene Möglichkeit des In-der-Welt-seins bringen. Heidegger betont allerdings im 2. Absatz des § 69 c) einen anderen Geworfenheitscharakter: Das Dasein „ist [...] als geworfenes an Seiendes überantwortet“ (S. 364). Dies bedeutet: Das Dasein ist nicht nur in das Da geworfen, also in die Erschlossenheit seines In-der-Welt-seins, sondern das Dasein ist in diesem Geworfensein an Seiendes, das es selbst nicht ist, also an nichtdaseinsmäßiges Seiendes und anderes Dasein, überantwortet, weil die Welt eine solche für innerweltliches Seiendes ist. Dabei bedeutet das Überantwortetsein, wie Heidegger selbst erläutert, daß das Dasein eines Seienden „bedarf, um sein zu können, wie es ist“ (S. 364): Das Dasein bedarf zu seinem Seinkönnen eines Seienden, bei dem und mit dem es existieren kann; es kann nicht existieren als bloßes Seins- und Weltverständnis, sondern findet sich in seinem Seins- und Weltverständnis verwiesen an Seiendes, das es selbst nicht ist. Heidegger erläutert, daß „sein zu können, wie es ist“, für das Dasein soviel bedeutet wie „umwillen seiner selbst“ zu sein, und fährt fort: „Sofern Dasein faktisch [= in einer bestimmten Existenzmöglichkeit] existiert, versteht es sich in diesem Zusammenhang des Um-willens seiner selbst [= des jeweiligen Seinkönnens seiner selbst] mit einem jeweiligen Um-zu.“ (S. 364) Die Um-zu-Verweisung kennen wir als Bewandtnis, die in eine Bewandtnisganzheit gehört. So ist der genannte „Zusammenhang“ der Zusammenhang des Umwillens mit der Bewandtnisganzheit. „Worinnen das existierende Dasein sich versteht, das ist mit seiner faktischen Existenz »da«.“ (S. 364) Das Wort „worinnen“ ist eine veraltete Form für „worin“. Das, worin das existierende Dasein sich versteht, ist die Welt. Im § 18 heißt es: „Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem in der Seinsart der

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Bewandtnis ist das Phänomen der Welt.“ (S. 86) Die Welt als Bedeutsamkeit ist der Zusammenhang von Umwillen und Bewandtnisganzheit. Das Worinnen des Sichverstehens, d.h. die Welt als der besagte Zusammenhang, ist mit der faktischen Existenz des Daseins erschlossen. Das heißt, daß die bestimmten Möglichkeiten, in die das Dasein in seiner faktischen Erschlossenheit geworfen ist, immer weltliche Möglichkeiten und nicht weltlose Möglichkeiten sind. In diesem Sinne gilt, daß die Welt als das Worinnen „die Seinsart des Daseins [hat]“ (S. 364): die Existenz. Die Welt gehört zur Existenz. Damit ist die zweite der beiden im 1. Absatz von Heidegger gestellten Fragen beantwortet. IV. Die Zeitbestimmtheit der Welt und die horizontalen Schemata des Weltverständnisses Zu Beginn des 3. Absatzes rekapituliert Heidegger kurz die wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Fassung der Zeitbestimmtheit der Welt: „Das Sein des Daseins bestimmten wir [im § 41] als Sorge. Deren ontologischer Sinn ist [gemäß dem § 65] die Zeitlichkeit. Daß und wie diese die Erschlossenheit des Da konstituiert, wurde [im § 68] gezeigt. In der Erschlossenheit des Da ist [gemäß den beiden ersten Absätzen des § 69 c) nicht nur das Seinkönnen als das Umwillen, sondern auch] Welt miterschlossen.“ (S. 364f.) Nur so kann das Seinkönnen als In-der-Weltseinkönnen existieren. Wenn aber im Da die Welt miterschlossen ist und die Zeitlichkeit die Erschlossenheit des Da konstituiert, dann „muß [die Welt] gleichfalls in der Zeitlichkeit gründen“ (S. 365). Die Frage, wie Welt existenzial-zeitlich möglich ist – die erste der beiden im 1. Absatz von Heidegger gestellten Fragen –, zielt nicht auf die Zeitlichkeit des Verstehens von Welt ab, sondern auf die im Weltverstehen verstandene Welt. Diese Frage nach der existenzial-zeitlichen Bedingung der Möglichkeit der Welt war in den bisherigen Zeitlichkeitsanalysen ausgeblendet. In den folgenden Sätzen des 3. Absatzes führt Heidegger die zum Begriff der „Ekstasen“ in korrelativer Weise gehörenden Begriffe des „Horizontes“ und der „horizontalen Schemata“ ein: „Die existenzialzeitliche Bedingung der Möglichkeit der Welt liegt darin, daß die Zeitlichkeit als ekstatische Einheit so etwas wie einen Horizont hat. Die Ekstasen sind nicht einfach Entrückungen zu ... Vielmehr gehört zur Ekstase ein »Wohin« der Entrückung. Dieses Wohin der Ekstase nennen wir das

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horizontale Schema.“ (S. 365) Zur Auslegung dieser Sätze müssen wir etwas weiter ausholen. Die Erschlossenheit des Da wird durch die Zeitlichkeit konstituiert, und zwar so, daß dabei Welt immer miterschlossen ist. Demnach ist die Erschlossenheit zweifach dimensioniert: 1 als ekstatische Erschlossenheit, in der die Ekstasen der Zeitlichkeit die Weisen konstituieren, wie das Dasein an und für sich selbst aufgeschlossen ist, wie das Dasein „außer sich“ ist;62 „ekstatisch“ bedeutet hier soviel wie „entrückt zu ...“, aber nicht ins Leere, sondern in eine andere Dimension der Erschlossenheit; 2 als horizontale Erschlossenheit, in der der Horizont das ist, wohin die selbsthaften Ekstasen entrückt sind. Die derart zweifach dimensionierte Erschlossenheit kann als selbsthaft-ekstatisch-horizontale Erschlossenheit bezeichnet werden. Die zweite, horizontale Dimension der Erschlossenheit gilt es hier ausführlicher zu erläutern. Wir hatten schon angedeutet, daß die Rede von „Horizont“ im § 69 c) von „Sein und Zeit“ nicht mit derjenigen in der Vorlesung vom Sommersemester 1927 gleichgesetzt werden darf. Zwischen beiden Darstellungen besteht zwar eine formale Gleichheit, aber sie betonen verschiedene Phänomene. In „Sein und Zeit“ wird die Analyse der zeitlichen Dimension der Welt entfaltet, die als horizontale Zeit zur ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit des Weltverständnisses gehört. In der Vorlesung über die „Grundprobleme der Phänomenologie“ geht es dagegen um die Analyse jener horizontalen Dimension der ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit, die das Verständnis des Seins im Sinne der Seinsweisen der Zuhandenheit und der Vorhandenheit konstituiert. Die Zeitbestimmtheit dieser nichtdaseinsmäßigen Seinsweisen wird als „Temporalität“ bezeichnet, während die Zeitbestimmtheit der Welt nicht unter diesen Terminus fällt. Denn Welt gehört zur Existenz, so daß auch ihre zeitliche Analyse zur Analyse der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit des Daseins gehört. Bei aller formalen Gleichheit ist das Horizontale der ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit des Verständnisses der Welt etwas anderes als das Horizontale der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit des Verständnisses des Seins im Sinne der Seinsweisen der Zuhandenheit und der Vorhandenheit. Das Verständnis der hier genannten Seinsweisen meint ein Verstehen von Sein in einem engeren Sinne, d.h. im Sinne des Seins 62

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Vgl. S. 329. Siehe dazu oben S. 75ff.

des nichtdaseinsmäßigen Seienden. Weltverständnis seinerseits gehört zum Seinsverständnis in einem weiteren Sinne, der auch das Sein des daseinsmäßigen Seienden einschließt. Diesen weiteren Sinn von Seinsverständnis können wir auch als das Verständnis von Sein überhaupt bezeichnen.63 In bezug darauf sagt Heidegger am Ende des § 83, daß „eine ursprüngliche Zeitigungsweise der ekstatischen Zeitlichkeit selbst den ekstatischen Entwurf von Sein überhaupt ermöglichen [muß]“ (S. 437). Dabei meint „Entwurf von Sein überhaupt“ den Entwurf des Seins im Ganzen im Sinne des Ganzen aller nichtdaseinsmäßigen Seinsweisen, welches Ganze allerdings nicht als Summe verstanden ist, sondern als das Einfache des Seins. Diese „ursprüngliche Zeitigungsweise der ekstatischen Zeitlichkeit“ ist die horizontale Zeit, aber nicht diejenige, die das Verständnis der Welt konstituiert, sondern diejenige, die das Verständnis des Seins im engeren Sinne, d.h. der Seinsweisen des nichtdaseinsmäßigen Seienden, die nicht Welt sind, konstituiert. Diese horizontale Zeit bestimmt die Mannigfaltigkeit der Seinsweisen und die Art und Weise, wie diese zeitlich, d.h. temporal bestimmt sind. Sie bestimmt aber nicht die Existenz und die zur Existenz gehörige Welt. Die Ekstasen der Zeitlichkeit sind nicht, wie oben bereits gesagt, Entrückungen in ein Leeres, sondern in ein bestimmtes Wohin: „Dieses Wohin der Ekstase nennen wir das horizontale Schema.“ (S. 365) Die Termini „Horizont“, „Schema“ und „horizontales Schema“ meinen denselben Sachverhalt. Mit seiner Rede von den „Schemata“ knüpft Heidegger an Kants „Schematismus“ an, unter welchem Titel dieser die Verzeitlichung der reinen Verstandesbegriffe behandelt hat.64 So fragt bereits Kant nach den transzendentalen Verzeitlichungsgestalten der Kategorien, aber der Unterschied liegt darin, daß die Zeit, die die Kategorien bestimmt, bei Kant die Jetzt-Zeit ist, während es sich bei Heidegger um die ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit handelt. „Der ekstatische Horizont ist in jeder der drei Ekstasen verschieden.“ (S. 365) Jede der drei Ekstasen der Zeitlichkeit hat einen eigenen Horizont, ein eigenes Wohin des Entrücktseins, ein eigenes horizontales Schema, und diese horizontalen Schemata sind voneinander verschieden. 63

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Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Heideggers „Grundprobleme der Phänomenologie“. Zur „Zweiten Hälfte“ von „Sein und Zeit“. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1991, S. 24ff. Vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 137: „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“.

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„Das Schema, in dem das Dasein zukünftig [...] auf sich zukommt, ist das Umwillen seiner.“ (S. 365) Der ekstatische Horizont des Auf-sichzukommens, das Wohin der ekstatischen Zukunft des Daseins ist das Umwillen seiner selbst als ein Konstitutivum des Verständnisses der Welt. Weil zum Seinkönnen, umwillen dessen das Dasein ist, ein Welthorizont gehört, kann jetzt vom horizontalen Umwillen seiner gesprochen werden. Die Welt hat gleichsam teil an diesem Charakter des Umwillens, so daß wir auch sagen können: Die Welt als horizontal umwillentliche gehört zum ekstatischen Worumwillen.65 „Das Schema, in dem das Dasein ihm selbst als geworfenes in der Befindlichkeit erschlossen ist, fassen wir als das Wovor der Geworfenheit bzw. als Woran der Überlassenheit.“ (S. 365) Demnach ist das Wovor der Geworfenheit der Horizont bzw. die „horizontale Struktur“ (S. 365) der Gewesenheit. Das ekstatische Auf-sich-zukommen des Daseins im Horizont des Umwillens seiner in eins mit dem ekstatischen Auf-sich-zurückkommen ermöglicht als dessen Horizont das Wovor der Geworfenheit. Das Wovor der Geworfenheit bedeutet, daß die Welt als horizontal erschlossen-gewesene zum ekstatischen Erschlossengewesen der geworfenen Seinsmöglichkeit gehört. „Das horizontale Schema der Gegenwart wird bestimmt durch das Um-zu.“ (S. 365) Das hier genannte Um-zu meint nicht diese oder jene bestimmte Bewandtnis, sondern, als das horizontale Schema der Gegenwart des Daseins, das Um-zu-hafte überhaupt, in dessen Verklammerung mit den beiden anderen horizontalen Schemata, dem Umwillen und dem Wovor der Geworfenheit, die Welt als Bewandtnisganzheit aufgeschlossen ist. Das Um-zu als das Um-zu-hafte überhaupt meint die Welt als horizontale Um-zu-Ganzheit. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich die Zeitbestimmtheit der Welt in der Einheit der von Heidegger benannten horizontalen Schemata konstituiert, derart, daß den Ekstasen der Zeitlichkeit des Daseins das Umwillen seiner als der Horizont der ekstatischen Zukunft, das Wovor der Geworfenheit als der Horizont der ekstatischen Gewesenheit und das Um-zu als der Horizont der ekstatischen Ge65

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Es ist auch zu bemerken, daß die horizontalen Schemata das Wohin der Entrückung der Ekstasen sowohl im Modus der Eigentlichkeit als auch im Modus der Uneigentlichkeit sind. Dies bedeutet etwa im Falle der Zukunft, daß das Umwillen seiner der Horizont ist, in dem das Dasein zukünftig, „ob eigentlich oder uneigentlich“ (S. 365), auf sich zukommt, d.h. entweder uneigentlich gewärtigend oder eigentlich vorlaufend.

genwart entsprechen. Wiederum muß betont werden, daß diese horizontalen Schemata nicht diejenigen sind, die die Temporalität der nichtdaseinsmäßigen Seinsweisen konstituieren. Dies können wir anhand der zuletzt genannten Ekstase, der Gegenwart, verdeutlichen. Das horizontale Schema der Gegenwart im Sinne der dritten Ekstase der ekstatischen Zeitlichkeit des Weltverständnisses ist gemäß den Ausführungen in „Sein und Zeit“ das Um-zu, während gemäß den Ausführungen Heideggers in seiner Vorlesung vom Sommersemester 1927 das horizontale Schema der Gegenwart, das für die Temporalität mitkonstitutiv ist, die Praesenz ist. Die Praesenz ist demnach im Unterschied zum Um-zu der temporale Horizont, aus dem her die Seinsweisen des nichtdaseinsmäßigen Seienden, die Zuhandenheit und die Vorhandenheit, zu Weisen der Anwesenheit werden.66

§ 9. Die Einheit der drei Welthorizonte und das Sein der Welt im Sichzeitigen des Daseins (§ 69 c), 4.–6. Absatz) Die Überschrift des § 69 c): „Das zeitliche Problem der Transzendenz der Welt“, deutet an, daß die Welt nach Heidegger nicht zeitlich ist im Sinne der ekstatischen Zeitlichkeit, sondern im Sinne der horizontalen Zeit, die zur ekstatischen Zeitlichkeit gehört. Die Welt hat HorizontCharakter, sie ist horizontal-zeitlich. Wir sind in unserer Interpretation bereits der Entfaltung der drei horizontalen Schemata des Weltverständnisses gefolgt, die Heidegger im 3. Absatz unternimmt: des Umwillens als des Horizontes der ekstatischen Zukunft, des Wovor der Geworfenheit als des Horizontes der ekstatischen Gewesenheit und des Um-zu als des Horizontes der ekstatischen Gegenwart. I. Die gleichursprüngliche Einheit der horizontalen Schemata In dem nun zu interpretierenden 4. Absatz ist von der Einheit dieser horizontalen Schemata die Rede. „Die Einheit der horizontalen Schemata von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart“, sagt Heidegger hier, „gründet in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit.“ (S. 365) Das heißt: in der Einheit der drei Ekstasen der Zeitlichkeit, der ekstatischen 66

Vgl. Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), S. 433ff.

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Zukunft, der ekstatischen Gewesenheit und der ekstatischen Gegenwart. Es handelt sich zuerst darum, zu klären, was unter dem in „Sein und Zeit“ vielfach von Heidegger verwendeten Ausdruck „gründet in“ zu verstehen ist. Im Falle des oben zitierten Satzes meint dieser Ausdruck kein Fundierungsverhältnis, sondern heißt soviel wie: einen Wesenszusammenhang bilden, und zwar einen gleichursprünglichen Wesenszusammenhang, d.h. einen Zusammenhang gleichursprünglicher Wesensverhalte. Die Einheit der drei horizontalen Schemata ist nicht irgendwie aus der entspringenlassenden ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit entsprungen, sondern bildet mit der Einheit der drei zeitlichen Ekstasen einen gleichursprünglichen Zusammenhang. Eine zweite Frage der Interpretation ist die, ob unter dem im nächsten Satz genannten „Horizont der ganzen Zeitlichkeit“ etwas anderes als die „Einheit der horizontalen Schemata“ zu verstehen ist. Heidegger formuliert nämlich: „Der Horizont der ganzen Zeitlichkeit bestimmt das, woraufhin das faktisch existierende Seiende wesenhaft erschlossen ist.“ (S. 365) Das Wort „Horizont“ meint einmal das horizontale Schema, also den jeweiligen Horizont der jeweiligen Ekstase, so daß wir drei Horizonte für drei Ekstasen haben. Bisweilen wird aber das Wort „Horizont“ anders verwendet, nämlich im Sinne der Einheit der drei horizontalen Schemata. Und genau dies bringt auch der Ausdruck „Horizont der ganzen Zeitlichkeit“ zum Ausdruck. Der Horizont der ganzen, d.h. eben alle drei Ekstasen – Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart – umfassenden Zeitlichkeit bestimmt als Einheit der drei den Ekstasen zugeordeneten horizontalen Schemata das, „woraufhin das faktisch [= konkret] existierende Seiende [= das Dasein] wesenhaft erschlossen ist“ (S. 365). Die Horizonte oder horizontalen Schemata sind, wie bereits herausgestellt wurde, das Wohin des Entrücktseins bzw. der drei Entrückungen des ekstatisch-zeitlich existierenden Daseins.67 Dieses Wohin ist zugleich das – wie es in der jetzigen Formulierung heißt –, woraufhin das Dasein erschlossen ist. Sowohl das „Wohin“ des Entrücktseins als auch das „Woraufhin“ des Erschlossenseins beziehen sich auf den Horizont-Charakter der Erschlossenheit, also auf die horizontale Erschlossenheit.

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Siehe oben S. 165ff.

II. Die drei Welthorizonte und das in ihnen Entworfene, Erschlossene, Entdeckte Nach diesen Klärungen können wir uns dem schwierigen, aber eminent wichtigen folgenden Satz innerhalb des 4. Absatzes zuwenden: „Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das »Schon sein« erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt.“ (S. 365) Was sofort auffällt, ist, daß dieser Satz ebenso knapp gehalten ist, wie im vorangegangenen Absatz die Sätze, in denen die drei horizontalen Schemata eingeführt wurden. Um das von Heidegger Gemeinte zu verstehen, müssen wir unterscheiden zwischen dem Horizont und dem, was im Horizont „entworfen“, „erschlossen“ oder „entdeckt“ ist. So ist hinsichtlich der Zukunft zu unterscheiden zwischen deren Horizont und dem, was in diesem Horizont entworfen ist: Während der Horizont der Zukunft des Daseins das horizontale Umwillen seiner ist, ist das, was in diesem Horizont entworfen ist, „je ein Seinkönnen“ oder, genauer, ein Seinkönnen in der Welt, wobei die Betonung auf der Welt liegt. Das von Heidegger Gesagte ist daher folgendermaßen zu ergänzen: Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft, der als das Umwillen seiner das Horizonthafte des Horizontes der ekstatischen Zukunft ist, ein umwillentliches Seinkönnen in einer umwillentlichen Welt entworfen. Der Horizont der Zukunft ermöglicht überhaupt im Dasein den Entwurf einer umwillentlichen Welt für sein umwillentliches Seinkönnen. Dabei bedeutet das Adjektiv „umwillentlich“ jedesmal, daß das Dasein umwillen dessen existiert, was in dem durch das Adjektiv näher bestimmten Subtantiv genannt ist: Das Dasein existiert umwillen eines Seinkönnens und umwillen einer Welt, in der es sein kann. Entsprechend ist die an zweiter Stelle von Heidegger genannte Gewesenheit zu interpretieren: „Mit dem faktischen Da-sein ist je [...] im Horizont der Gewesenheit das »Schon sein« erschlossen“ (S. 365). Wiederum muß der Unterschied betont werden zwischen dem Horizont der Gewesenheit, d.h. zwischen dem, was als Horizont der Gewesenheit horizontal aufgeschlossen ist, und dem, was in diesem Horizont als das „Schon sein“ horizontal aufgeschlossen ist. Der Horizont der Gewesenheit ist das Wovor der Geworfenheit. Also müssen wir das von Heidegger Gesagte folgendermaßen ergänzen: Im Horizont der Gewesenheit, der als das Wovor der Geworfenheit das horizontal erschlossene

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Gewesen ist, ist das „Schon sein“ erschlossen, aber nicht dieses überhaupt, sondern das jeweilige „Schon sein“, das „Schon sein“ der jeweiligen zum je entworfenen Seinkönnen gehörenden Welt oder, wiederum anders formuliert: das „Schon sein“ der jeweiligen im Horizont der Zukunft entworfenen umwillentlichen Welt. Wenden wir dieses Interpretationsschema schließlich auch auf die an dritter Stelle von Heidegger genannte Gegenwart an: „Mit dem faktischen Da-sein ist [...] im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt.“ (S. 365) Das entdeckende Besorgen, in dem das Dasein Besorgtes entdeckt, ist nicht selbst der Horizont der Gegenwart, sondern das, was im Horizont der Gegenwart geschieht. Im Horizont der ekstatischen Gegenwart, der horizontalen Um-zu-Ganzheit, entdeckt das Dasein umsichtig-besorgend Zuhandenes. So geschieht im gegenwärtigenden Aufgeschlossenhalten des Gegenwartshorizontes, der Um-zu-Ganzheit, das gegenwärtigende umsichtig-besorgende Entdecken des Zuhandenen. Das Gegenwärtigen kann nur entdecken, wenn es den Welthorizont aufgeschlossen hält, innerhalb dessen das jeweilige Seiende als innerweltliches entdeckbar ist. Im Text heißt es weiter: „Die horizontale Einheit der Schemata der Ekstasen ermöglicht den ursprünglichen Zusammenhang der Um-zuBezüge mit dem Um-willen.“ (S. 365) Etwas ausführlicher formuliert: Die horizontale Einheit der drei horizontalen Schemata, die zu den drei Ekstasen der Zeitlichkeit gehören, ermöglicht den gleichursprünglichen Wesenszusammenhang der Ganzheit der Um-zu-Bezüge, d.h. der jeweiligen, faktischen Bewandtnisganzheit, mit dem jeweiligen Umwillen. Was hier unterstrichen wird, ist, daß das Umwillen die Erschlossenheit im Ganzen, auch die horizontale, bestimmt. „Darin“ – so schließt Heidegger den 4. Absatz ab – „liegt: auf dem Grunde der horizontalen Verfassung der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gehört zum Seienden, das je sein Da ist, so etwas wie erschlossene Welt.“ (S. 365) Das daseinsmäßige Weltverstehen hat seine Ermöglichung darin, daß die ekstatisch sich zeitigenden Zeitlichkeit horizontal verfaßt ist im Sinne der drei horizontalen Schemata. Hätte die sich zeitigende ekstatische Zeitlichkeit keine horizontale Dimension, so wäre das Dasein weltlos.

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III. Das Entspringen der Gegenwart aus Zukunft und Gewesenheit und das Sein der Welt im Sichzeitigen des Daseins Zu Beginn des 5. Absatzes macht Heidegger darauf aufmerksam, daß das Entspringen der Gegenwart aus Zukunft und Gewesenheit einen Wesensverhalt darstellt, der die ekstatische Zeitlichkeit ebenso betrifft wie deren horizontale Dimension: „Wie die Gegenwart in der Einheit der Zeitigung der Zeitlichkeit aus Zukunft und Gewesenheit entspringt, so zeitigt sich gleichursprünglich mit den Horizonten der Zukunft und Gewesenheit der einer Gegenwart.“ (S. 365) Damit ist mit Sicherheit nicht gemeint, daß Zukunft und Gewesenheit die ursprünglicheren Ekstasen oder Horizonte sind und die Gegenwart jeweils als abgeleitet zu denken ist. Es handelt sich hier nicht um ein ontologisches Ursprungsverhältnis. Vielmehr ist das „Entspringen“ innerhalb einer Gleichursprünglichkeit zu verstehen: Alle drei Ekstasen und entprechend alle drei Horizonte sind gleichursprünglich, obwohl sie eine bestimmte Ordnung in sich zeigen. Was heißt also das „Entspringen“ der Gegenwart? Nur dies: Daß in der ekstatischen Gegenwart übernommen, aufgeschlossen gehalten wird das, was sich vollzugshaft im Entwurf und in der Geworfenheit, also in der ekstatischen Zukunft und der ekstatischen Gewesenheit, aufschließt; und daß es sich in der horizontalen Dimension der ekstatischen Zeitlichkeit entsprechend verhält, daß mithin mit den horizontalen Schemata der Zukunft und Gewesenheit, aus ihnen entspringend, gleichursprünglich das horizontale Schema der Gegenwart sich zeitigt. Heidegger faßt zusammen: „Sofern Dasein sich zeitigt, ist auch eine Welt. Hinsichtlich seines Seins als Zeitlichkeit sich zeitigend, ist das Dasein auf dem Grunde der ekstatisch-horizontalen Verfassung jener wesenhaft »in einer Welt.«“ (S. 365) Nur mit dem existierenden Sichzeitigen des Daseins ist – in verbalem Sinne – eine Welt, d.h. geschieht eine Welt, schließt eine Welt sich auf. Und dies deshalb, weil die Zeitlichkeit des Daseins nicht nur ekstatische, sondern ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit ist und kraft seiner horizontalen Dimension das Dasein entrückt sein läßt in die drei horizontalen Schemata des Weltverständnisses, wodurch die Erschlossenheit der Welt als des Worinnen des Selbstverständnisses des Daseins ermöglicht wird. Ohne die horizontale Dimen-

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sion der Zeitlichkeit wäre dem Dasein keine Welt eröffnet, wäre es nicht In-der-Welt-sein. Die Welt gehört als Horizont zur Existenz, während die Existenzialien der Geworfenheit, des Entwurfs, des Seins-bei ... usw. nicht in horizontalem Sinne zur Existenz gehören, sondern in ekstatischem Sinne, als konstitutive Momente der je von einem faktischen Dasein zu vollziehenden Existenz. Noch einmal anders formuliert: Die Welt nimmt an der Existenz nicht ekstatisch teil, sondern horizontal – aber sie nimmt eben doch teil an der Existenz, geschieht mit der Existenz. Deshalb fügt Heidegger hinzu: „Die Welt ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern zeitigt sich in der Zeitlichkeit. Sie »ist« mit dem Außer-sich [= dem Entrücktsein] der Ekstasen »da«.“ (S. 365) Die Welt ist da, d.h. sie ist im Da des Daseins aufgeschlossen. „Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt »da«.“ (S. 365) Denn Welt als erschlossene Bedeutsamkeit gibt es nur im Da des Daseins. Verschließt sich das Dasein, dann ist auch kein „da“, keine Erschlossenheit für die Welt möglich. IV. Die Voraussetzung der Welt im besorgenden Sein beim Zuhandenem und Vorhandenem Im 6. Absatz nimmt Heidegger die beiden Weisen des besorgenden Seins beim innerweltlichen Seienden in den Blick, das besorgende Sein bei Zuhandenem und das besorgende Sein bei Vorhandenem: „Das faktische besorgende Sein bei Zuhandenem, die Thematisierung des Vorhandenen und das objektivierende Entdecken dieses Seienden setzen schon Welt voraus, das heißt, sind nur als Weisen des In-der-Welt-seins möglich.“ (S. 365f.) Was hier in bezug auf die „Thematisierung des Vorhandenen“ und das „objektivierende Entdecken“ gesagt ist, verweist zurück auf den von uns nicht interpretierten Unterabschnit b) des § 69 und auf die dort von Heidegger analysierte Modifikation des umsichtigen Besorgens zum theoretischen Entdecken bzw. theoretischen Besorgen des innerweltlichen Vorhandenen. Unter der „Thematisierung“ ist hier speziell die wissenschaftliche Thematisierung eines Seinsgebietes, einer Region des Seienden zu verstehen, etwa der Region der vorhandenen Natur in der Weise, wie sie Thema der neuzeitlichen Naturwissenschaft ist. Diese Thematisierung ist aber zugleich immer auch eine „Objektivierung“, ein thematisierend-objektivierendes Entdecken des Seienden als eines Vorhandenen. Das Dasein ist zunächst und zumeist in umsich-

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tig-besorgender Weise beim innerweltlichen Seienden, so daß dieses als zuhandenes entdeckt wird. Nur wenn das Dasein von diesem vorwissenschaftlichen Sein beim innerweltlichen Seienden zu dessen wissenschaftlich-thematisierender Objektivierung übergeht, modifiziert sich das Zuhandene zum Vorhandenen. Das Seiende zeigt sich nun als vorhandenes Ding, dessen Eigenschaften in formal-prädikativen Aussagen festgestellt werden. Die Vorhandenheit ist also nicht die primäre Seinsweise des Seienden, sondern kann sich nur zeigen, wenn sich die primäre Seinsweise, die Zuhandenheit mitsamt der zu dieser gehörenden Umwelt verhüllt und in dieser Verhülltheit gerade das Hervortreten der Vorhandenheit ermöglicht.68 Sowohl das vorwissenschaftliche umsichtig besorgende als auch das wissenschaftlich thematisierend-objektivierende Sein bei ... setzen nach Heidegger eine Welt voraus. Sie setzen eine Welt voraus, weil sie „nur als Weisen des In-der-Welt-seins möglich“ sind.

§ 10. Die Transzendenz des Daseins und die Transzendenz der Welt (§ 69 b), 15.–16. Absatz, § 69 c), 6.–7. Absatz) Im 6. Absatz des § 69 c) kommt die Rede ausdrücklich auf die in der Überschrift dieses Unterabschnitts genannte „Transzendenz der Welt“. Heidegger schreibt: „In der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent.“ (S. 366) Die „Transzendenz der Welt“ ist im Zusammenhang mit der „Transzendenz des Daseins“ zu denken. Von der „Transzendenz des Daseins“ ist aber erstmals im § 69 b) die Rede. So müssen wir uns zuerst der entsprechenden Textstelle in jenem Unterabschnitt zuwenden, um eine Grundlage für die Interpretation der Rede von der „Transzendenz der Welt“ zu gewinnen. I. Die Transzendenz des Daseins Heidegger spricht in den beiden letzten Absätzen des § 69 b) von der „Transzendenz des Daseins“ im Sinne des Transzendierens des Daseins: „Damit die Thematisierung des Vorhandenen, der wissenschaftliche Entwurf der Natur, möglich wird, muß das Dasein das thematisierte 68

Zu den verschiedenen Bedeutungen des „Vorhandenen“ bei Heidegger siehe oben S. 102, Fußnote 38.

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Seiende transzendieren.“ (S. 363)69 „Transzendieren“ muß hier im Sinne von „Übersteigen“ verstanden werden. Das Dasein „übersteigt“ in seinem Welt verstehenden Existieren das Seiende auf etwas hin. Dieses Woraufhin oder Wohin des Übersteigens ist eben die Welt. Diese ist als das Woraufhin oder Wohin des Transzendierens des Daseins transzendent. Wir können also sagen: Während die Transzendenz des Daseins als ein Übersteigen verstanden werden muß, ist die Transzendenz der Welt als das Woraufhin oder Wohin des Übersteigens zu verstehen. Das Transzendent-Sein der Welt, ihre Transzendenz, wird so genannt, weil sie auf das Transzendieren des Daseins zurückbezogen ist. Wir haben es also mit einer Korrelation zwischen dem transzendierenden Dasein und der transzendenten Welt zu tun. Im Text heißt es weiter: „Die Transzendenz [= das Transzendieren des Daseins] besteht nicht in der Objektivierung, sondern diese setzt jene voraus.“ (S. 363) Die Transzendenz im Sinne des Transzendierens des Daseins ist nicht der Vollzug des Objektivierens, des thematisierend-objektivierenden Entdeckens von Vorhandenem, sondern dieses setzt das transzendierende Weltverständnis voraus. Das thematisierendobjektivierende Entdecken und Sein bei Vorhandenem ist nur auf dem Grunde des transzendierenden Weltverständnisses möglich. Heidegger fährt fort: „Wenn aber die Thematisierung des innerweltlich Vorhandenen ein Umschlag des umsichtig entdeckenden Besorgens ist, dann muß schon dem »praktischen« Sein beim Zuhandenen eine Transzendenz des Daseins zugrundeliegen.“ (S. 363f.) Dies kann nur verstanden werden, wenn wir uns noch einmal das von uns bezüglich des Seins bei Zuhandenem und Vorhandenem bereits Herausgestellte vergegenwärtigen. Wir sagten: Das Dasein ist wesenhaft primär umsichtig-besorgend beim innerweltlichen Seienden, so daß dieses als Zuhandenes entdeckt wird. Und nur wenn das Dasein von diesem vorwissenschaftlichen umsichtig-besorgenden Sein beim innerweltlichen Seienden zur wissenschaftlich-thematisierenden Objektivierung des Seienden übergeht, wird das Zuhandene zum Vorhandenen. Dieses Übergehen ist ein „Umschlag“, nämlich ein ontologischer Umschlag des umsichtig entdeckenden Besorgens in das theoretisch entdeckende Besorgen. Den oben zitierten Satz paraphrasierend, könnten wir also sagen: Wenn die 69

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Zum Thema des § 69 b), der Modifikation des umsichtigen Besorgens zum theoretischen Entdecken oder theoretischen Besorgen des innerweltlichen Vorhandenen, siehe oben S. 146ff.

Thematisierung des innerweltlich Vorhandenen eine Tranzendenz des Daseins voraussetzt, gleichzeitig aber ein Umschlag des umsichtig entdeckenden Besorgens ist, dann muß auch das „praktische“ Sein beim Zuhandenen – dieses verstanden als Gegenbegriff zum theoretischen Sein beim Vorhandenem – eine Transzendenz des Daseins voraussetzen, eben das transzendierende Weltverstehen. Was Heidegger im letzten Absatz des § 69 b) sagt, ist im Zusammenhang mit dem soeben Herausgestellten zu verstehen. „Wenn ferner die Thematisierung das Seinsverständnis [= das Zuhandenheitsverständnis zum Vorhandenheitsverständnis] modifiziert und artikuliert, dann muß das thematisierende Seiende, das Dasein, sofern es existiert, so etwas wie Sein schon verstehen.“ (S. 364) Sein Seinsverständnis modifizieren und artikulieren kann das Dasein nur, sofern es schon vor dem Einsatz des Modifizierens und Artikulierens über ein solches Seinsverständnis verfügt. Also hat das Dasein als existierendes und umsichtig-besorgendes Sein bei innerweltlichem Seienden – unabhängig davon, ob es davon etwas thematisiert oder nicht – immer schon im voraus das Seiende „überstiegen“ und dessen Sein verstanden. Als seinsverstehendes ist das Dasein das transzendierende Seiende, das Seinsverständnis des Daseins wird von Heidegger ausdrücklich mit der Transzendenz des Daseins in Zusammenhang gebracht. „Das Verstehen von Sein“, so heißt es im Text weiter, „kann neutral bleiben. Zuhandenheit und Vorhandenheit sind dann noch nicht unterschieden und noch weniger ontologisch begriffen.“ (S. 364) Das natürliche Seinsverständnis kann neutral, d.h. in bezug auf die Seinsweisen der Zuhandenheit und Vorhandenheit indifferent bleiben, wobei diese Indifferenz nicht erst das Fehlen einer ontologisch-begrifflichen Differenzierung meint, sondern zuvor auch schon den Mangel an einem außer- und vorphilosophischen Unterscheiden. Sind Zuhandenheit und Vorhandenheit ontologisch begriffen, indem sie etwa in einer hermeneutischphänomenologischen Ontologie thematisiert werden, dann ist das Seinsverständnis nicht mehr neutral und indifferent. Doch kann auch außer- und vorphilosophisch und damit unthematisch zwischen Zuhandenheit und Vorhandenheit unterschieden werden, denn sonst könnte das außer- und vorphilosophische Dasein nicht „mit einem Zeugzusammenhang [...] umgehen“, d.h. umsichtig-besorgend mit zuhandendem Zeug umgehen: „Damit aber das Dasein mit einem Zeugzusammenhang soll umgehen können, muß es so etwas wie Bewandtnis

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[als das vom Was-sein der vorhandenen Dinge unterschiedene Was-sein des zuhandenen Zeugs], wenngleich unthematisch [und damit außerund vorphilosophisch], verstehen.“ (S. 364) Die hermeneutisch-phänomenologische Ontologie kann demnach an dieses außer- und vorontologische Seinsverständnis anknüpfen und dieses auf dem Wege der Thematisierung und begrifflichen Differenzierung in ein ontologisches Seinsverständnis überführen. Daß das Dasein, mit einem Zeugzusammenhang umgehend, unthematisch Bewandtis versteht, heißt wiederum: „es muß ihm eine Welt erschlossen sein.“ (S. 364) Denn Bewandtnis kann dem Dasein nur aufgeschlossen sein als zugehörig zu einer Bewandtnisganzheit, die mit dem Umwillen seiner eine Welt bildet. „Sie ist mit der faktischen [= geworfenen] Existenz des Daseins erschlossen, wenn anders dieses Seiende wesenhaft als In-der-Welt-sein existiert.“ (S. 364) Damit betont Heidegger noch einmal, daß das Weltverständnis des Daseins ein faktisches ist, ein Verständnis, das ebenso faktisch ist wie das geworfene Sein des Daseins als solches, was freilich einschließt, daß das Weltverständnis wie das Sein des Daseins als solches in seiner Faktizität auch eigens entworfen und ausgelegt wird. Am Ende des § 69 b) kehrt Heidegger zum Begriff der „Transzendenz des Daseins“ zurück: „Und gründet vollends das Sein des Daseins in der Zeitlichkeit, dann muß diese das In-der-Welt-sein und somit die Transzendenz des Dasein ermöglichen, die ihrerseits das besorgende, ob theoretische oder praktische Sein bei innerweltlichem Seienden trägt.“ (S. 364) Die Transzendenz des Daseins gründet in der sich zeitigenden Zeitlichkeit, weil das Sein des Daseins in seinem innersten Wesen sich zeitigende Zeitlichkeit ist. Das Dasein ist als sich zeitigende Zeitlichkeit transzendierend. Die Transzendenz ist also nicht die ursprünglichste Bestimmung der Existenz, sondern nur eine aus der Zeitlichkeit der Existenz sich ergebende Charakterisierung. Die Transzendenz ist sich zeitigende Transzendenz, sich zeitigend in den drei Ekstasen der Zeitlichkeit – ebenso wie das von ihr getragene theoretische und praktische Sein-bei ... in den drei Ekstasen der Zeitlichkeit sich zeitigt. II. Die Transzendenz der Welt Im § 69 c) ist die Rede nicht von der „Transzendenz des Daseins“, sondern von der „Transzendenz der Welt“, womit das Transzendent-Sein der Welt gemeint ist. Die Welt ist nämlich nicht deshalb transzendent, weil

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sie, wie das Dasein, das Seiende übersteigt, sondern deshalb, weil sie das Woraufhin dieses Übersteigens ist, dasjenige, auf das hin das Dasein das Seiende übersteigt. Die Welt ist das Woraufhin oder Wohin des Transzendierens des Daseins. Als dieses Woraufhin oder Wohin ist die Welt transzendent. Zwischen dem transzendierenden Dasein und der transzendenten Welt besteht also eine Korrelation, die zugleich die innere Dimensionalität der Erschlossenheit des Da ausmacht: Das Transzendieren ist die ekstatische Erschlossenheit, genauer, die selbsthaftekstatische Erschlossenheit, während das Woraufhin oder Wohin dieses Transzendierens die horizontale Erschlossenheit ist. Das Da aber ist die Einheit von selbsthaft-ekstatischer und horizontaler Erschlossenheit. Heidegger sagt: „In der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent.“ (S. 366) Hier wird betont, daß der Charakter des Transzendent-Seins der Welt mit deren Horizont-Charakter zusammengeht und daß der horizontale Charakter der Erschlossenheit zum ekstatischen Charakter derselben gehört. Wir müssen nämlich das von Heidegger Gesagte folgendermaßen ergänzen: In der horizontalen Einheit der Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent.70 Wir müssen so ergänzen, weil die ekstatische Zeitlichkeit selbst eine Einheit ist, und zwar die Einheit der drei Ekstasen, der ekstatischen Zukunft, der ekstatischen Gewesenheit und der ekstatischen Gegenwart. Die Welt ist aber nicht zeitlich im Sinne der ekstatischen Zeitlichkeit, sondern im Sinne der horizontalen Zeit, die zur ekstatischen Zeitlichkeit gehört. Von der Welt sagt Heidegger im nächsten Satz: „Sie muß schon ekstatisch erschlossen sein, damit aus ihr her innerweltliches Seiendes begegnen kann.“ (S. 366) Daß die Welt „ekstatisch erschlossen“ ist, gilt insofern, als die Zeitlichkeit, wie es im folgenden Satz heißt, „[e]kstatisch [...] sich [...] schon in den Horizonten ihrer Ekstasen [hält]“ (S. 366). Die genauere Formulierung wäre: Die Welt ist ekstatischhorizontal erschlossen – denn die Welt ist nicht in den Ekstasen erschlossen, sondern für die Ekstasen in deren Horizonten. Und die Welt muß schon ekstatisch-horizontal erschlossen sein, „damit aus ihr her innerweltliches Seiendes begegnen kann“. Es begegnet innerweltlich, weil es in seinem Sein von der Welt her bestimmt ist, und zwar in sei70

Was hier über den horizontalen Charakter der ekstatischen Zeitlichkeit gesagt wird, steht in einem Zusammenhang mit dem im § 65 in bezug auf das Auf-sich-zukommen, Auf-sich-zurückkommen und Gegenwärtigen Gesagten.

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nem Was-sein. Wir könnten sagen: Die Innerweltlichkeit ist die Weltzugehörigkeit des Seienden. „Ekstatisch hält sich die Zeitlichkeit schon in den Horizonten ihrer Ekstasen und kommt, sich zeitigend, auf das in das Da begegnende Seiende zurück.“ (S. 366) Im ersten Teil dieses Satzes findet sich noch einmal auf eine andere Weise formuliert, was wir schon mehrmals herausstellen konnten: daß es nämlich sich zeitigende Ekstasen ohne die drei Horizonte des Weltverständnisses, also ohne das Umwillen, das Wovor der Geworfenheit und das Um-zu, gar nicht gibt. Im zweiten Teil des Satzes wird vom Zurückkommen „auf das in das Da begegnende Seiende“ gesprochen. Dieses Zurückkommen auf ..., in dem die Zeitlichkeit aus den Horizonten ihrer Ekstasen auf das Seiende zurückkommt, ist als eine Bewegung zu denken, genauer als eine ontologische Bewegung. Was ist damit gemeint? Gehört dieses Zurückkommen auf ... selbst zur Zeitigung der Zeitlichkeit? In der Tat gehört das Zurückkommen auf ... zu einer Ekstase der Zeitlichkeit, nämlich zur Gegenwart. Das Zurückkommen auf das in das Da begegnende Seiende ist als gegenwärtigendes Zurückkommen zu verstehen. Wir können auch sagen: Das Zurückkommen auf das in das Da begegnende Seiende meint das entdeckende Zurückkommen, weil das Gegenwärtigen das Aufgeschlossenhalten des Gegenwartshorizontes für das gegenwärtigende Entdecken des Seienden als eines innerweltlichen ist. Heidegger fährt fort: „Mit der faktischen [= geworfenen] Existenz des Daseins begegnet auch schon innerweltliches Seiendes. Daß dergleichen Seiendes mit dem eigenen Da [= der eigenen Erschlossenheit] der Existenz entdeckt ist, steht nicht im Belieben des Daseins.“ (S. 366) Daß innerweltliches Seiendes dem Dasein begegnet und von ihm entdeckt ist, ist nichts, was das Dasein von sich in die Wege leiten kann oder auch nicht. Es ist vielmehr etwas, was mit dem Sein des Daseins unausweichlich geschieht und überhaupt nicht ausbleiben kann. Die Faktizität des Begegnens und Entdeckens von innerweltlichem Seienden entspricht der Geworfenheit des Daseins. Als in die Welt geworfenes ist das Dasein an das innerweltliche Seiende überantwortet und diesem ausgesetzt. So erhebt sich die Frage: Wenn die Faktizität des Begegnens und Entdeckens von innerweltlichem Seienden nicht in der Freiheit des Daseins liegt – was liegt dann, bezüglich seines Verhältnisses zum innerweltlichen Seienden, in der Freiheit des Daseins? Heidegger antwortet

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auf diese implizit sich stellende Frage: „Nur was es jeweils, in welcher Richtung, wie weit und wie es entdeckt und erschließt, ist Sache seiner Freiheit, wenngleich immer in den Grenzen seiner Geworfenheit.“ (S. 366) Was sofort auffällt, ist, daß hier die Freiheit des Entdeckens gedacht wird, während im § 31, wo der existenzial-ontologische Begriff der Freiheit erstmals eingeführt wurde, die Freiheit zunächst nur als die Vollzugsweise des Entwurfs gefaßt war. Sache der Freiheit des Entdeckens, so arbeitet Heidegger nun heraus, ist: 1. was das Dasein jeweils entdeckt, 2. in welcher Richtung es entdeckt, 3. wie weit es entdeckt, 4. wie es entdeckt. Gehen wir diese vier Punkte der Reihe nach durch. 1. Was das Dasein entdeckt, bestimmt sich in zwei Hinsichten: a) aus der jeweiligen Grundmöglichkeit des In-der-Welt-seins, die gewählt wird, aber immer eine ererbte Möglichkeit ist; b) aus dem jeweiligen Ganzen des Seienden, d.h. dem Zeugganzen, das im umsichtigen Besorgen entdeckt wird. 2. In welcher Richtung das Dasein entdeckt, ist wiederum eine Frage, die sich auf das Zeugganze bezieht, das zu der gewählten Möglichkeit des In-der-Welt-seins gehört. Die Frage ist also genauer so zu stellen: In welcher Richtung des Zeugganzen entdeckt das Dasein? Das Zeugganze bietet nämlich verschiedene Richtungen, in die das Dasein entdeckend eindringen kann. Und welche Richtung es einschlägt, liegt bei ihm, gehört zu seiner Freiheit. 3. Wie weit das Dasein entdeckt, wie weit es in dieser oder in jener von ihm eingeschlagenen Richtung in das Zeugganze vordringt, hängt davon ab, wie es die geworfen-entworfene Möglichkeit des In-der-Weltseins vollzieht. 4. Wie das Dasein das innerweltliche Seiende entdeckt, ist eine Frage, die sich auf den nicht starren Unterschied zwischen der Uneigentlichkeit und der Eigentlichkeit des Daseins bezieht, der mannigfaltige mögliche uneigentliche und eigentliche Weisen des Entdeckens zuläßt.71 Sache der Freiheit des Daseins ist, was es jeweils in welcher Richtung wie weit und wie entdeckt, aber nicht nur entdeckt, sondern – wie es im Text heißt – „entdeckt und erschließt“. Was das „Erschließen“ hier meint, wird deutlich, wenn wir uns daran erinnern, daß Heidegger den Terminus „Entdecken“ auf das Verhältnis des Daseins zu nichtdaseinsmäßigem Seienden einschränkt.72 Demnach bezieht sich das „Erschlie71 72

Siehe oben S. 127ff. Siehe oben S. 161ff.

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ßen“ hier auf das andere daseinsmäßige Seiende, das als solches nie „entdeckt“, sondern nur „erschlossen“ werden kann. Dem Dasein begegnet nämlich zunächst und zumeist das andere oder fremde Dasein innerweltlich. Dieses begegnet ihm nicht als ein durch Bewandtnis bestimmtes Zeug, aber zunächst und zumeist doch aus seinem besorgenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden, d.h. aus dem, was es in der mit ihm geteilten Welt tut. Den 7. Absatz beginnt Heidegger mit dem Satz: „Die Bedeutsamkeitsbezüge, welche die Struktur der Welt bestimmen, sind daher kein Netzwerk von Formen, das von einem weltlosen Subjekt einem Material übergestülpt wird.“ (S. 366) Die Bedeutsamkeitsbezüge, in denen sich die Welt konstituiert, sind nicht ein subjektives Netzwerk, das zur Ausstattung des Subjekts gehört und von diesem dem Seienden als dem Material mehr oder weniger gewaltsam übergeworfen wird. Denn das Dasein verfügt nicht selbst über die Welt, sondern ist in das Weltverständnis geworfen und kann nur als geworfenes auch entwerfen. „Das faktische Dasein kommt vielmehr, ekstatisch [genauer: ekstatischhorizontal] sich und seine Welt in der Einheit des Da verstehend, aus diesen Horizonten zurück auf das in ihnen begegnende [und vor allem auf das im Horizont der Gegenwart begegnende] Seiende. Das verstehende Zurückkommen auf ... ist der existenziale Sinn des gegenwärtigenden Begegnenlassens von Seiendem, das deshalb das innerweltliche genannt wird.“ (S. 366) Das gegenwärtigende Begegnenlassen ist in „Sein und Zeit“ ein alternativer Ausdruck für das gegenwärtigende Entdecken. In allem gegenwärtigenden Begegnenlassen oder Entdecken ist das Dasein immer schon zurückkommend auf ..., nämlich auf dem Weg seiner Rückkehr aus dem durch es gezeitigten Welthorizont zum innerweltlich zu entdeckenden Seienden. „Die Welt ist gleichsam schon »weiter draußen«, als es je ein Objekt sein kann.“ (S. 366) Die Wendung „weiter draußen“ ist in Anführungszeichen gesetzt, weil sie, aus dem räumlich-ontischen Bereich kommend, hier zum Ausdruck eines ontologischen Sachverhalts benutzt wird. Die Welt ist gleichsam schon „weiter draußen“ als es je ein Objekt sein kann, weil jedes Objekt nur als ein innerweltliches entdeckt sein kann, so daß das Dasein aus der „jenseits“ alles Innerweltlichen horizontal schon erschlossenen Welt her kommen muß. Heidegger fährt fort: „Das »Transzendenzproblem« kann nicht auf die Frage gebracht werden: wie kommt ein Subjekt hinaus zu einem

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Objekt, wobei die Gesamtheit der Objekte mit der Idee der Welt identifiziert wird.“ (S. 366) Dies ist die Fragestellung der neuzeitlichen, auf Descartes zurückgehenden Erkenntnistheorie.73 Deshalb setzt Heidegger hier das Wort „Transzendenzproblem“ in Anführungszeichen. Das Transzendenzproblem, so wie es sich auf dem Boden der Fundamentalontologie erneut stellt, kann nicht auf die konventionell-erkenntnistheoretische Frage gebracht werden, wie ein Subjekt aus seiner subjektiven Innensphäre hinaus in die objektive Außensphäre hinein zu einem bestimmten Objekt kommt, oder, anders formuliert, wie das Subjekt in der Objektivitätssphäre ein Erkenntnisbild gewinnt, mit dem es in die Subjektivitätssphäre zurückkehren könnte. „Zu fragen ist: was ermöglicht es ontologisch, daß Seiendes innerweltlich begegnen und als begegnendes objektiviert werden kann?“ (S. 366) Was ermöglicht das innerweltliche Begegnen von Seiendem und die mögliche Objektivierung von innerweltlich begegnendem Zuhandenen zu Vorhandenem und zu Gegenständlichem wissenschaftlicher Theorie? „Der Rückgang auf die ekstatisch-horizontal fundierte Transzendenz der Welt gibt die Antwort.“ (S. 366) Die „Transzendenz der Welt“ ist das TranszendentSein der Welt in dem oben von uns herausgestellten Sinne. Nur aufgrund dessen, daß das Dasein ekstatisch-horizontal sich zeitigt und darin transzendierend die Welt als transzendente aufschließt, ist ein innerweltliches Begegnen von Seiendem als Zuhandenem oder als objektiviertem Vorhandenen möglich.

§ 11. Vergegenwärtigung des Standes der Untersuchung und Übergang zur Analyse der Weltzeit (§ 78, 1.–2. Absatz) Haben wir zuletzt die existenzial-horizontale Zeitlichkeit behandelt, wie sie Heidegger im § 69 c) analysiert, so gehen wir nun zu den darin fundierten Zeitphänomenen über. Als solche werden sich zeigen: zuerst die Weltzeit, dann die Innerzeitigkeit (die sich mit der Weltzeit auf einer Ebene hält, so zwar, daß sie eine Dimension dieser bildet), schließlich die pure Jetzt-Zeit im Sinne des vulgären Zeitbegriffs. Alle diese Phäno73

Die Kritik am erkenntnistheoretischen Ansatz bei der Subjekt-Objekt-Beziehung richtet sich hier vor allem gegen Nicolai Hartmann, dessen „Metaphysik der Erkenntnis“ (1921) die in der Entstehungszeit von „Sein und Zeit“ aktuellste Erkenntnistheorie war.

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mene sind Gegenstand des Sechsten Kapitels des Zweiten Abschnitts von „Sein und Zeit“. Bevor wir uns jedoch diesem Kapitel eigens zuwenden, gebietet sich ein Rückblick auf den bisher von uns zurückgelegten Weg durch Heideggers Analyse der Zeitlichkeit und der verschiedenen Modifikationen der Zeitlichkeit. I. Vergegenwärtigung des Standes der Untersuchung Wir gingen aus vom § 65, in dem in einem ersten grundsätzlichen Anlauf die Grundstruktur der sich zeitigenden Zeitlichkeit des Daseins als die Einheit der drei Ekstasen der Zeitlichkeit – Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart – gehoben wird. Alles kommt darauf an, diese Grundstruktur als diejenige des sich zeitigenden Aufschließens der ganzheitlichen Erschlossenheit des In-der-Welt-seins zu begreifen, die Ekstasen der Zeitlichkeit also als Strukturmomente dieser Erschlossenheit zu verstehen. Demnach ist die Zukunft zu bestimmen als das auf-sichzukommende Erschließen, die Gewesenheit als das existierende Zurückkommen auf das Erschlossen-gewesen, d.h. als das faktische, das Dasein in die Erschlossenheit werfende Erschließen, die Gegenwart schließlich als das gegenwärtigende Aufgeschlossenhalten der im Auf-sich-zukommen und Auf-sich-zurückkommen sich aufschließenden Erschlossenheit für das entdeckende Begegnenlassen des Seienden. Dieses Begegnenlassen weist sich näherhin als ein zwiefaches aus: zum einen als das Begegnenlassen eines Zeugganzen, zum anderen als das darin spielende und eingeschlossene Begegnenlassen des jeweilig gerade besorgten Seienden innerhalb des begegnenden Zeugganzen. Von dort gingen wir über zum § 68 a), worin zunächst die Zeitlichkeit des eigentlichen und daran anschließend die des uneigentlichen entwerfenden Verstehens freigelegt werden. Das Verstehen überhaupt, in beiden Modi, zeitigt sich primär in der Ekstase der Zukunft. Den Unterschied zwischen den beiden Vollzugsmodi des Existierens vergegenwärtigten wir uns ein weiteres Mal anhand jener Stelle im § 31, wo die Eigentlichkeit als primäres Sichwerfen in das Worumwillen gekennzeichnet wird.74 Das bedeutet aber kein Abschnüren von der Welt, sondern meint eine Verschiebung innerhalb des Schwergewichts des Existierens. In der Eigentlichkeit verlegt das Dasein sein Schwergewicht in das Worumwillen, d.h. in den selbsteigenen Vollzug des geworfenen 74

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Vgl. S. 146.

Entwurfs, welcher näher charakterisiert werden kann als vorlaufendwiederholender Entwurf: Er läßt den Tod als die schlechthinnige Verschlossenheit in das Da hereinstehen und holt die Geworfenheit wieder im Sinne des unverstellten Geschehenlassens des faktischen Erschließens. Von dort her wird eine ganzheitliche Weise des In-der-Welt-seins, also auch die zu dieser Möglichkeit gehörende Welt, ursprünglich aufgeschlossen. In der Uneigentlichkeit dagegen legt sich das Dasein primär in die Erschlossenheit der Welt und der zu dieser Erschlossenheit gehörenden Weisen des besorgenden Seinkönnens. Es verlagert das Schwergewicht aus dem ihm möglichen Worumwillen in die Erschlossenheit der Welt. So existiert es zwar auch geworfen-entwerfend, doch ohne diesen geworfenen Entwurf im Sinne des eigens vollzogenen geworfenen Entwerfens und der in diesem aufgeschlossenen Erschlossenheit zu vollziehen. Die Zeitlichkeit des eigentlichen Verstehens, d.h. des eigentlichen Sichentwerfens auf ganzheitliche Möglichkeiten des In-der-Welt-seins, die als solche in der Geworfenheit als entwerfbare faktisch erschlossen und vorgegeben werden, wird gemäß dem grundsätzlichen Primat der Zukunft zunächst hinsichtlich dieser erläutert als das vorlaufend auf sich zukommende Aufschließen. Auch hier nennt das Vorlaufen das eigentliche Entwerfen als das Vorlaufen in den Tod, das unverstellte Hereinstehenlassen der abgründigen Verschlossenheit des Da in das Existieren. Als Gewesenheitsekstase gehört zum eigentlichen Verstehen ein Wiederholen, ein wiederholendes Zurückkommen auf das faktische Erschließen der Geworfenheit, das frei ist von aller Verstellung des faktischen Erschließens. Die eigentliche Gegenwart ist das augenblicklichgegenwärtigende Aufgeschlossenhalten der geworfen-entworfenen Möglichkeit des In-der-Welt-seins als Situation für das Entdecken des Seienden. In der Zeitlichkeit des Verstehens geschieht dieses augenblicklichgegenwärtigende Aufgeschlossenhalten nicht für das Entdecken des je einzelnen Seienden, sondern für das Entdecken eines Ganzen von Seiendem, eines Zeugganzen, das in seine Entdecktheit einrückt gemäß der zur ganzheitlichen Möglichkeit des In-der-Welt-seins gehörenden aufgeschlossenen Welt. Das Gegenwärtigen hat hier also die existenzialontologische Funktion des Aufgeschlossenhaltens der Situation für das gegenwärtigende Entdecken eines Ganzen von Seiendem. Diese eigentliche Zeitlichkeit modifiziert sich zur Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens. Diese ist in ihrer Zukunftsekstase, dem un-

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eigentlichen Entwerfen auf eine ganzheitliche Möglichkeit des In-derWelt-seins (d.h. auf die eine Welt und eine ganzheitliche Möglichkeit des Existierens aus dieser Welt, eine Möglichkeit, die alle mit ihr zusammenhängenden Weisen des besorgenden Umgangs mit dem innerweltlichen Seienden einschließt), ein nicht in die äußerste Möglichkeit vorlaufend, sondern gewärtigend auf sich zukommendes Aufschließen der ganzheitlichen Möglichkeit. Die zugehörige Gewesenheitsekstase nennt Heidegger das Vergessen im Sinne des Verschließens. Dieses ist das vergessende Zurückkommen auf das Erschlossen-gewesen, so zwar, daß dieses, wenn nicht gänzlich, so doch nur mehr oder weniger verschlossen in das Da hereinragen kann. Die Gegenwartsekstase der Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens wird gefaßt als ein augenblickloses gegenwärtigendes Aufgeschlossenhalten der ganzheitlichen Möglichkeit des In-der-Welt-seins für das gegenwärtigende Entdecken eines Ganzen von Seiendem. Sofern das Entwerfen nicht als Vorlaufen geschieht und somit ein uneigentliches Verstehen konstituiert, vollzieht sich dieses gegenwärtigende Entdecken eines Ganzen von Seiendem als uneigentliches. Der § 68 b) thematisiert die Zeitlichkeit der Befindlichkeit, die in die Zeitlichkeit des Verstehens hineingehört bzw. mit dieser zusammenspielt. Sie wird anhand zweier nicht zufälliger Beispiele analysiert, nämlich zum einen anhand einer uneigentlichen Stimmung, derjenigen der Furcht, zum anderen anhand einer eigentlichen oder, besser und genauer gesagt, einer in den Übergang der Uneigentlichkeit in die Eigentlichkeit gehörenden Stimmung, derjenigen, deren Eigentümlichkeit es gerade ist, diese Möglichkeit des Übergangs in das eigentliche Existieren aufzuzeigen: der Angst. Die primäre Ekstase der Zeitlichkeit der Befindlichkeit ist die Gewesenheit, weshalb auch die Analyse der Furcht mit dem Aufweis dieser Ekstase beginnt. Sofern die Furcht als uneigentliche Stimmung zum uneigentlichen Verstehen gehört, d.h. zum gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen, zeigt sich auch ihre Gewesenheitsekstase als ein Vergessen. Dieses wird nun aber noch der Furcht gemäß spezifiziert: Es handelt sich nicht um ein bloßes Vergessen, sondern um ein verwirrtes Vergessen im Sinne des verwirrten Ausrückens vor ... Als vergessendes rückt das Dasein aus vor dem eigensten Seinkönnen, als verwirrtvergessendes jedoch auch vor dem beruhigten uneigentlichen Seinkönnen. Mithin handelt es sich bei der Furcht um das vergessende Ausrü-

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cken sowohl vor dem eigentlichen als auch vor dem uneigentlichen beruhigt-besorgenden Seinkönnen. Entsprechend zeigt sich die Zukunftsekstase nicht allein als ein Gewärtigen, sondern spezifiziert zum verwirrten Gewärtigen des Wovor der Furcht, während das zugehörige Gegenwärtigen als augenblicklos-verwirrtes gefaßt wird. Darin greift das Dasein nach keiner bestimmten Möglichkeit, sondern springt von der einen Möglichkeit zur anderen in dem Bestreben, sich vor dem Bedrohlichen zu retten. Alle drei Ekstasen der Zeitlichkeit der Furcht werden also durch das Verwirrtsein bestimmt. Auch die Analyse der Zeitlichkeit der Angst beginnt mit der Gewesenheitsekstase. Sofern die Angst aber noch nicht selber das eigentliche Existieren ist, sondern dieses erst als Möglichkeit aufscheinen läßt, ist ihr Zurück-auf ... nicht schon als Wiederholen, sondern als das Zurückbringen auf die Wiederholbarkeit, d.h. die Wiederhineinholbarkeit des geworfenen Erschlossen-gewesen in das Da des Daseins, zu verstehen. Entsprechend zeigt sich auch die zugehörige Zukunft nicht als Vorlaufen, sondern das Auf-zu geschieht als das stimmende Hinzeigen in die Vorlaufbarkeit, d.h. das ergreifbare Vorlaufen des eigentlich aufschließenden Entwurfs. Die Gegenwart der Angst ist dann zu verstehen als ein Hin in die Möglichkeit des Augenblicks. Sie umfaßt so noch nicht den vollzogenen Augenblick, bildet aber die Möglichkeit des vollziehbaren gegenwärtigenden Augenblicks. Im § 68 c) analysiert Heidegger die Zeitlichkeit des Verfallens. Das hier thematisierte Verfallen ist jedoch nicht das Verfallen überhaupt, welches mit der Uneigentlichkeit gleichgesetzt werden kann, sondern ein komplexes Phänomen, das eine Mannigfaltigkeit möglicher Modi in sich birgt. Die primäre Ekstase der Zeitlichkeit der Neugier, in der sich als einem extremen Modus das Verfallen exemplarisch darstellt, ist die Gegenwart. Mit ihr hebt daher die Analyse an, mit jenem Gegenwärtigen also, das die Neugier kennzeichnet. Dieses zeigt sich als ein dem Gewärtigen ent-springendes in dem Sinne, daß es so weit wie möglich dem Gewärtigen zu entlaufen sucht und sich dabei in sich selbst verfängt. Gleichwohl vermag sich auch dieses Gegenwärtigen nicht ohne jegliches Gewärtigen zu vollziehen. Dieses modifiziert sich zu einem nachspringenden Gewärtigen, das sich nie ganz vom Gegenwärtigen abhängen läßt, sondern diesem nachläuft. Auch die Gewesenheit kann gemäß diesem extremen Zeitigungsmodus des Verfallens nicht mehr allein als Vergessen bestimmt werden, sondern ist zu spezifizieren zu

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einem wachsenden Vergessen der Geworfenheit, durch welches diese noch mehr abgedrängt wird als im schlicht uneigentlichen Verstehen. Der § 69 a) analysiert die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens, wobei es nun gilt, den inneren Zusammenhang zwischen diesem Zeitlichkeitsmodus und dem des eigentlichen und uneigentlichen Verstehens in den Blick zu bekommen. Die Befindlichkeit spielt zwar stets mit herein, ist jedoch für die gesuchte Einsicht in das Entspringen der Weltzeit aus der ekstatischen Zeitlichkeit nicht in gleicher Weise entscheidend. Die Analyse beginnt mit der Herausstellung der Zukunftsekstase der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Diese ist ein Gewärtigen, in dem nicht mehr, wie im Verstehen, eine ganzheitliche Möglichkeit des In-der-Welt-seins gewärtigt wird, sondern innerhalb dieser und aus dieser heraus handelt es sich um das eingeschränkte gewärtigende Aufschließen des jeweiligen Wobei der Bewandtnis. Damit ist schon angezeigt, daß die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgnes in und aus der Zeitlichkeit des Verstehens sich vollzieht. Die Bewandtnis zeigt in sich eine Doppelstruktur, indem sie sich jeweils als eine Bewandtnis konstituiert, die es mit etwas bei etwas hat. Deshalb ist die Gewesenheitsekstase des umsichtigen Besorgens nicht mehr als ein Vergessen zu charakterisieren, sondern als Behalten des schon Erschlossen-gewesen des jeweiligen Womit der Bewandtnis. Das Verstehen einer Bewandtnis, d.h. die aufschließende Heraushebung einer Bewandtnis aus einer Bewandtnisganzheit, die bestimmend ist für das jeweilig umsichtig-besorgte Seiende, vollzieht sich demnach als ein gewärtigendes Aufschließen des Wobei der Bewandtnis im Behalten des Erschlossen-gewesen des Womit. Die dritte Zeitlichkeitsekstase des umsichtigen Besorgens ist ein Gegenwärtigen, in dem nicht die Situation oder die ganze Bewandtnisganzheit gegenwärtigend aufgeschlossen gehalten wird, sondern die im Gewärtigen und Behalten aufgeschlossene Wobei-Womit-Bewandtnis, und zwar nun nicht für das gegenwärtigende Entdecken eines Zeugganzen, sondern für das Einrückenlassen des jeweils gerade besorgten Seienden in seine durch die Bewandtnis bestimmte Entdecktheit. Heißt es in der Weltanalyse, es werde im Besorgen nie nur ein einzelnes Seiendes entdeckt, sondern jeweils ein Zeug in und aus einem Zeugganzen, so ist nun näher zu verstehen, wie ein Zeugganzes einerseits und ein einzelnes Zeug andererseits in jeweils unterschiedlicher Weise entdeckt werden: Das Entdecken des Zeugganzen gehört nicht zum Gegenwärtigen des umsichtigen Besorgens, sondern zu dem des

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Verstehens. Dieses geschieht gerade als das Aufgeschlossenhalten der Bewandtnisganzheit, d.h. der Welt, für das Entdecken eines Bewandtnisganzen bzw. Zeugganzen. Gehört das Entdecken eines Zeugganzen zur Zeitlichkeit des Verstehens, so gehört das mit diesem zusammengehende und diesem zugehörige Entdecken des jeweilig besorgten Zeugs zur Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Dieses zeigt sich so als die Fortführung des gegenwärtigenden Entdeckens des Verstehens. Das heißt zugleich, daß das Ganze des Seienden nicht in demselben Entdecktheitsmodus sich zeigt wie das im umsichtigen Besorgen je als dieses oder jenes Seiende Entdeckte – diesem gegenüber hat die Entdecktheit des Zeugganzen einen Horizontcharakter. Solche Einsicht führt zwar über den Text von „Sein und Zeit“ hinaus, ergibt sich jedoch konsequent aus einem phänomenologischen Nachvollzug und Weiterdenken der dort aufgezeigten Sachverhalte. Bevor nun der entscheidende fortführende Schritt hin zur Weltzeit in Angriff genommen werden kann, soll das soeben Rekapitulierte (unter Vernachlässigung der für diese Fragestellung nicht so entscheidenden Zeitlichkeit der Befindlichkeit) in seiner Zusammengehörigkeit, und das meint: in dem darin sich zeigenden ontologischen Gefälle, vor Augen geführt werden. Als der ursprünglichste Modus der Zeitigung der Zeitlichkeit offenbarte sich der vorlaufend-wiederholende Augenblick. Augenblick meint dabei das eigentliche Aufgeschlossenhalten der Situation, d.h. der Welt als Bewandtnisganzheit, für das eigentlich entdeckende Begegnenlassen eines Bewandtnisganzen. Diese eigentliche Zeitlichkeit des Verstehens modifiziert sich nun, sofern das Dasein zunächst und zumeist sich uneigentlich zeitigt, zum gewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen. Auch dieses Gegenwärtigen meint ein Aufgeschlossenhalten von Welt als Bewandtnisganzheit, nun aber ein uneigentliches, zu dem auch ein uneigentliches Begegnenlassen eines ontischen Bewandtnisganzen gehört. Die Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens bildet sich also als Modifikation der Zeitlichkeit des eigentlichen Verstehens. Aus dieser Zeitlichkeit des eigentlich-uneigentlichen Verstehens entspringt nun im Sinne eines ontologischen Ursprungsgefälles als weiterer Modus der existenzialen Zeitlichkeit diejenige des umsichtigen Besorgens; es gibt keine Zeitlichkeit des eigentlichen oder uneigentlichen Verstehens, die nicht ausliefe in die des umsichtigen Besorgens. Diese ist als gewärtigend-behaltendes Gegenwärtigen ein Aufgeschlos-

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senhalten der Erschlossenheit einer jeweiligen, zur Bewandtnisganzheit gehörenden Womit-Wobei-Bewandtnis für das gegenwärtigende Entdecken des jeweilig gerade besorgten Seienden. Dergestalt ergeben sich Abstufungen innerhalb der Entdecktheit; im Verstehen zeigt sich das Seiende nicht in demselben Entdecktheitscharakter wie in dem aus diesem Verstehen heraus erfolgenden umsichtigen Besorgen. In der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens werden wir den Zeitlichkeitsmodus erblicken, aus dem jenes Zeitphänomen entspringt, das Heidegger die „Weltzeit“ nennt. II. Übergang zur Analyse der Weltzeit Betrachtet man die Überschrift des Sechsten Kapitels des Zweiten Abschnitts: „Zeitlichkeit und Innerzeitigkeit als Ursprung des vulgären Zeitbegriffes“, so fällt auf, daß die „Weltzeit“ hier nicht vorkommt. Sie darf keinesfalls mit der in der Überschrift genannten „Zeitlichkeit“ gleichgesetzt werden, denn die Weltzeit entspringt aus der Zeitlichkeit, allerdings in einer anderen Weise, als die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens aus der des Verstehens entspringt. Sie bildet das Bindeglied im Übergang von der Zeitlichkeit zur Innerzeitigkeit. Darüberhinaus kann der Überschrift zumindest schon der Hinweis entnommen werden, in welchem Verhältnis der vulgäre Zeitbegriff zu den übrigen Zeitphänomenen steht: Er zeigt sich als ein entsprungenes, abkünftiges Phänomen. Den das Sechste Kapitel einleitenden § 78 überschreibt Heidegger: „Die Unvollständigkeit der vorstehenden zeitlichen Analyse des Daseins“. Die zeitliche Analyse des Daseins kann sich nicht darin erschöpfen, den Sinn des Seins des Daseins als eine Mannigfaltigkeit von Modi der existenzialen Zeitlichkeit auszulegen. Zur Vollständigkeit der Analyse gehört vielmehr auch die analytische Versicherung dessen, was in unserem natürlichen Daseinsverständnis an natürlichem Zeitverständnis gegeben ist. Dieses ist nicht von vornherein der vulgäre Zeitbegriff, sondern ein eigenes Phänomen, dem dieser erst entspringt. Heideggers diesbezügliche Ausführungen behandeln also keineswegs, wie ein großer Teil der Interpreten zu meinen scheint, lediglich ein Randphänomen, dem gegenüber die eigentliche Zeit sich in der existenzialen Zeitlichkeit erschöpfen würde.

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Wie jedes Kapitel in „Sein und Zeit“, so wird auch das Sechste des Zweiten Abschnitts eingeleitet durch einen Paragraphen, der einen kurzen, didaktisch gefaßten Rückblick auf das bereits Geleistete und einen Vorblick auf das nun Aufzuweisende gibt, bevor im folgenden Paragraphen die eigentlichen sachaufweisenden Analysen beginnen. So heißt es im § 78 in Anlehnung an das im vorigen Kapitel über die Geschichtlichkeit Ausgeführte nun, die Sache vorantreibend: „Elementarer jedoch als der Umstand, daß in den Wissenschaften von Geschichte und Natur der »Zeitfaktor« vorkommt, ist das Faktum, daß das Dasein schon vor aller thematischen Forschung »mit der Zeit rechnet« und sich nach ihr richtet.“ (S. 404) Dieses Rechnen darf nicht im Sinne des seinsgeschichtlichen Denkens Heideggers als das rechnende Denken im Gegensatz zum besinnlichen Denken, sondern muß als Faktum der Faktizität des natürlichen Daseinsverständnisses hinsichtlich seines Zeitverständnisses verstanden werden. Gesprochen wird nun von der Zeit, nicht länger von der Zeitlichkeit. Jene, die wir auch in unserem natürlichen Verständnis als solche ansprechen (nicht aber schon unbedingt im Sinne der JetztFolge begreifen), entspringt dieser. Es handelt sich um das Verstehen derjenigen Zeit, die wir in und für unsere alltäglichen Verhaltungen benötigen, uns nehmen, verlieren; derjenigen Zeit, die uns kostbar ist usw. Damit ist in einer vorläufigen Weise jenes Phänomen angesprochen, das hier in den Blick genommen wird, nämlich so, wie ich mich zwar ausdrücklich, aber noch nicht thematisch erfassend über die Zeit ausspreche. Die Anführungszeichen, die Heidegger hier wie im folgenden Absatz bei Wendungen wie „mit der Zeit rechnet“ oder „nimmt sich Zeit“ setzt, bedeuten eine Zitation dieses natürlichen, sich über die Zeit des besorgenden Umgangs aussprechenden Daseins. Dieses Zeitphänomen darf nicht zu leicht genommen werden, denn es gehört auf eine elementare Weise zum Dasein. Dieses natürliche Zeitverständnis ist nicht eo ipso uneigentliches Verständnis, sondern kann seinerseits sich in beiden Vollzugsmodi halten. „Und hier bleibt wiederum das »Rechnen« des Daseins »mit seiner Zeit« entscheidend, das allem Gebrauch von Meßzeug, das auf die Zeitbestimmung zugeschnitten ist, vorausliegt. Jenes geht diesem vorher und macht so etwas wie den Gebrauch von Uhren allererst möglich.“ (S. 404) Die Rede ist hier vom vortheoretischen Rechnen mit der Zeit, vom Michverhalten zu ihr, die für alles Tun und Lassen benötigt wird. Dieses Rechnen zeigt zwei Stufen: Die erste Stufe ist dasjenige Rechnen

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des Daseins mit der Zeit, das allem Gebrauch von Meßzeug zur Bestimmung der Zeit vorausliegt. Die zweite Stufe dagegen meint den vorwissenschaftlichen Gebrauch von Meßzeug (das selbst kein eigens zum Zweck der Zeitmessung verfertigtes sein muß, wie etwa im Falle der Zeitbestimmung durch den Sonnenstand) zur vorwissenschaftlichen Zeitbestimmung. Davon zu unterscheiden ist dann eine dritte mögliche, aber nicht notwendige Stufe, nämlich diejenige des wissenschaftlichen Gebrauchs von Meßzeug zur wissenschaftlich-theoretischen Bestimmung der Zeit. Auch dem vortheoretischen Uhrgebrauch jedoch geht ein Rechnen mit der Zeit voraus. „Faktisch existierend »hat« das jeweilige Dasein »Zeit« oder es »hat keine«. Es »nimmt sich Zeit« oder »kann sich keine Zeit lassen«.“ (S. 404) Das hier beschriebene Zeitverständnis ist zwar ein ausdrückliches, aber nicht auch schon thematisierendes Verständnis: Die Ausdrücklichkeit des Verstehens ist nicht gleichzusetzen mit dem thematischen Erfassen. Sofern das Auslegen ein Existenzial bildet, geht jedes zunächst unausdrückliche Entwurfsverständnis in ein ausdrückliches Auslegungsverständnis über; damit ist jedoch noch nicht ein solches thematisches Auslegungsverständnis gemeint, wie es etwa bei einer Textauslegung erzielt wird, sondern ein zum Daseinsvollzug, zum Entwurf gehörendes Auslegungsverständnis, das sich in einer gewissen Ausdrücklichkeit hält, ohne schon thematisch erfassend zu sein. Insofern muß hier gesprochen werden von einem natürlich-ausdrücklichen, aber nicht thematischen, sondern vollzugshaften Zeitverständnis. Bezüglich dieses natürlichen Verständnisses fragt Heidegger nun: „Warum nimmt sich das Dasein »Zeit« und warum kann es sie »verlieren«?“ (S. 404) Das Dasein nimmt sich Zeit, weil es sie braucht für den Vollzug seiner besorgenden Verhaltungen. Diese Zeit ist aber nicht identisch mit der existenzialen Zeitlichkeit als dem Seinssinn des umsichtigen Besorgens. Die existenziale Zeitlichkeit ist existenziell verstanden, ist vollzugshafte Zeitlichkeit, hält sich aber in der Unausdrücklichkeit. Ausdrücklichkeit gelangt in das Dasein erst mit der Zeit, die das Dasein braucht und sich nimmt. Dies weist darauf, daß diese Zeit eine vollzugshafte Auslegungsgestalt der existenzialen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens ist. Das Dasein muß sich also Zeit nehmen, es kann ohne diese seine Verhaltungen nicht vollziehen. Wird weiter gefragt: „Woher nimmt es die Zeit? Wie verhält sich die Zeit zur Zeitlichkeit des Daseins?“

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(S. 404), so kann aufgrund des Vorangegangenen geantwortet werden: Diese Zeit verhält sich zur Zeitlichkeit so, daß sie deren Auslegungsgestalt bildet; nicht jedoch eine theoretische, sondern eine existenziellvollzugshafte Auslegungsgestalt.

§ 12. Natürliches Zeitverständnis, Weltzeit, Innerzeitigkeit, vulgärer Zeitbegriff. Die Zugehörigkeit der Weltzeit zur existenzialen Zeitlichkeit (§ 78, 3.–4. Absatz; § 79, 1.–2. Absatz) Der § 78 gibt einen Ausblick auf den Gang und die Aufgaben der Untersuchung im Sechsten Kapitel des Zweiten Abschnitts von „Sein und Zeit“, das zugleich das letzte Kapitel der allein veröffentlichten Ersten Hälfte des Werkes darstellt. Unter der Überschrift: „Die Unvollständigkeit der vorstehenden zeitlichen Analyse des Daseins“, werden die Phänomene der Weltzeit und der Jetzt-Zeit bzw. des vulgären Zeitverständnisses eingeführt. Die Notwendigkeit einer ontologischen Analyse dieser Phänomene wird begründet und die Aufklärung des Ursprungs der Weltzeit aus der existenzial-horizontalen Zeitlichkeit sowie des vulgären Zeitbegriffes aus der Weltzeit wird als Aufgabe exponiert. Ohne eine solche Aufklärung blieben die Analysen der Zeitlichkeit unvermittelt mit unserem natürlichen Zeitverständnis und könnten demnach ihren Anspruch, für die existenziellen Verhaltungen des Daseins fundamental zu sein, nicht einlösen. I. Natürliches Zeitverständnis, Weltzeit und Innerzeitigkeit „Das faktische Dasein trägt der Zeit Rechnung, ohne Zeitlichkeit existenzial zu verstehen.“ (S. 404) Das natürliche Zeitverständnis, das dem Rechnen mit der Zeit zugrundeliegt, erfaßt bei aller Ausdrücklichkeit nicht thematisch die existenziale Zeitlichkeit. Das natürliche Zeitverständnis gehört dem jeweiligen Vollzug der ontisch-existenziellen Verhaltungen an. Die Ausdrücklichkeit des natürlichen Zeitverständnisses bedeutet, daß Zeit in den jeweilig vollzogenen Verhaltungen existenziell verstanden wird. Ein existenziales Verstehen von Zeit kann dagegen nur auf dem Wege des philosophischen Fragens oder, genauer, der phänomenologisch-ontologischen Analyse erlangt werden. Aufgabe der Ana-

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lyse ist es, den ursprünglichen Zusammenhang von natürlichem Zeitverständnis und existenziell-existenzialer Zeitlichkeit aufzuzeigen und dabei das natürliche Zeitverständnis als ein in der existenziellexistenzialen Zeitlichkeit fundiertes zu begreifen. Existenzielle und existenziale Zeitlichkeit betreffen ein und dasselbe Phänomen und sind nicht voneinander zu trennen. Es handelt sich um die Bestimmtheit der ontisch-zeitlichen Verhaltungen durch die ontologische Struktur der Zeitlichkeit. „Das elementare Verhalten des Rechnens mit der Zeit bedarf der Aufklärung vor der Frage, was es heißt: Seiendes ist »in der Zeit«.“ (S. 404) Die Frage danach, was es heißt, daß Seiendes in der Zeit ist, ist die Frage nach der Innerzeitigkeit. Diese ist eine bestimmte Dimension der Weltzeit. Die Thematisierung der Weltzeit wird insbesondere dabei helfen, über den Charakter der Öffentlichkeit die Innerzeitigkeit von nichtdaseinsmäßigem Seienden aufzuklären. Die bisherige Charakteristik der Zeitlichkeit, so formuliert Heidegger, „ist grundsätzlich lückenhaft, weil zur Zeitlichkeit selbst so etwas wie Weltzeit im strengen Sinne des existenzial-zeitlichen Begriffes von Welt gehört“ (S. 405). Zur Zeitlichkeit gehört demnach wesensmäßig so etwas wie Weltzeit. Die Darlegung der Möglichkeit und Notwendigkeit dieser Zugehörigkeit soll im § 79 analysiert werden. Dabei ist, wie Heidegger betont, die „Weltzeit“ in einem streng terminologischen Sinne zu verstehen, wonach die in ihr genannte „Welt“ auf den existenzialen Weltbegriff verweist, mithin auf den Begriff der Welt als Bewandtnisganzheit und Bedeutsamkeit in ihrem existenzial-zeitlichen Sinn. „Dadurch gewinnt die vulgär bekannte »Zeit«, »in der« Seiendes vorkommt, und in eins damit die Innerzeitigkeit dieses Seienden eine Erhellung.“ (S. 405) Durch die Thematisierung der Weltzeit klärt sich auch das natürliche Zeitverständnis auf. Die Wendung „vulgär bekannte »Zeit«“ bezieht sich hier nicht auf den vulgären Zeitbegriff im Sinne des Begriffs der Jetzt-Zeit, sondern auf die gemeinhin bekannte Zeit im Sinne der Zeit, worin Seiendes ist, das eben als solches in der Zeit Seiende durch die Innerzeitigkeit charakterisiert ist.

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II. Der vulgäre Zeitbegriff „Das alltägliche, sich Zeit nehmende Dasein findet die Zeit zunächst vor an dem innerweltlich begegnenden Zuhandenen und Vorhandenen.“ (S. 405) In seinem umsichtig-besorgenden Umgang mit innerweltlich begegnendem Zuhandenen und in seinem theoretischen Entdecken von innerweltlich begegnendem Vorhandenen findet das Dasein Zeit vor, „erfährt“ es Zeit. „Die so »erfahrene« Zeit versteht es im Horizont des nächsten Seinsverständnisses, das heißt als ein irgendwie Vorhandenes.“ (S. 405) Folgend dem ihm in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit nächstliegenden Seinsverständnis, dem Verständnis des Seins als Vorhandenheit, kommt das Dasein zu der Auffassung, die Zeit sei etwas Vorhandenes. Hierin liegt die Herkunft des vulgären Zeitbegriffs. Dieser „verdankt seine Herkunft einer Nivellierung der ursprünglichen Zeit“ (S. 405). Durch die Nivellierung vor allem der Bedeutsamkeit kommt es zur Vorstellung der puren Jetzt-Zeit. Die Rede von der „Nivellierung“ zeigt an, daß der Zugang zur ursprünglichen Zeit über das Verstehen und Auslegen sich gleichsam verschließt zugunsten der Ansetzung einer leeren und homogenen Zeit, die sich erst nachträglich mit Inhalt füllt. Aristoteles leitet sein philosophisches Fragen nach der Zeit folgendermaßen ein: „Zunächst ist es von Vorteil, hierüber Zweifelsfragen anzustellen, auch mittels äußerlich herbeigezogener Überlegungen, nämlich ob sie [= die Zeit] zum Seienden gehört oder zum Nichtseienden; sodann (ist danach zu fragen), was denn ihr wirkliches Wesen ist.“75 Aristoteles fragte vielleicht als erster der die Zeit thematisierenden Philosophen danach, ob die Zeit ein Seiendes oder ein Nichtseiendes ist. Im Ergebnis der Betrachtung wird das Jetzt als etwas Wirkliches und somit als ein Seiendes aufgefaßt werden. Heidegger bezweifelte die Unhintergehbarkeit und den fundamentalen Anspruch dieser Auffassung. Sein großes Verdienst ist es sicher, das Faktum des natürlichen Zeitverstehens in seiner Verwurzelung in der Lebenspraxis des Menschen als Dasein aufgezeigt zu haben.

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Aristoteles, Physik, Buch IV, Kapitel 10, 217 b 30–32 (nach der Übersetzung von Hans Günter Zekl).

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III. Die Zugehörigkeit der Weltzeit zur existenzialen Zeitlichkeit Im § 79: „Die Zeitlichkeit des Daseins und das Besorgen von Zeit“, soll der Übergang von der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit zur Weltzeit vollzogen werden. Dem werden zu Beginn des 1. Absatzes dieses Paragraphen Ergebnisse der bisherigen Analyse vorangestellt. In den besorgenden Verhaltungen begegnet dem Dasein innerweltliches Seiendes. Im Ansprechen und Besprechen des Besorgten spricht sich das Dasein selbst aus, in welchem Sich-selbst-Aussprechen sich die Auslegung des befindlich-verstehenden Seins beim innerweltlich begegnenden Seienden vollzieht. Die Auslegung artikuliert sich in der Rede auf sprachliche Weise. In „Sein und Zeit“ räumt Heidegger der Sprache noch nicht so großen Raum ein, wie er es dann in seinem seinsgeschichtlichen Denken später tun wird. Es bleibt aber festzuhalten, daß Verstehen und Auslegen sich schon immer in einem bedeutungsmäßigen Gliedern vollziehen und insofern der Sprache ein Primat in der Erschließung von Welt zukommt. Gegen Ende des 1. Absatzes leitet Heidegger über zu dem in der durchschnittlichen Ausgelegtheit sich aussprechenden natürlichen Zeitverständnis: „Das umsichtig verständige Besorgen gründet in der Zeitlichkeit und zwar im Modus des gewärtigend-behaltenden Gegenwärtigens. Als besorgendes Verrechnen, Planen, Vorsorgen und Verhüten sagt es immer schon, ob lautlich vernehmbar oder nicht: »dann« – soll das geschehen, »zuvor« – jenes seine Erledigung finden, »jetzt« – das nachgeholt werden, was »damals« mißlang und entging.“ (S. 406) Die derart sprachlich artikulierte Auslegung ist ausdrücklich, d.h. inhaltlich bestimmt, doch in ihren jeweiligen Vollzügen nicht thematisch auf die Zeit bezogen. In den besorgenden Verhaltungen und ihrer Auslegung wird das Dasein aber gerade von der zeitlichen Ordnung und den zeitlichen Relationen des Besorgten betroffen. So gehört zu allem Besorgten ein Dann, ein Damals und ein Jetzt. Zu Beginn des 2. Absatzes bezieht Heidegger diese sprachlich artikulierte Auslegung auf die Strukturmomente der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens: „Im »dann« spricht sich das Besorgen gewärtigend aus, behaltend im »damals« und gegenwärtigend im »jetzt«.“ (S. 406) Mit der Auslegung des entworfenen Seinkönnens hinsichtlich der besorgenden Verhaltungen und mit der Auslegung der entworfenen Welt hinsichtlich der Bewandtnis, die es mit dem zu besorgenden Seienden

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hat, legt sich das umsichtig-besorgende Sein-bei ... auf dem Grunde seiner Zeitlichkeit in die Zeit des natürlichen Zeitverständnisses aus, in das Dann, das Damals und das Jetzt. So vermag das Dasein, der Zeit Rechnung zu tragen. Das Auslegen geht zusammen mit einem Entdecken, wie wir, den Text in unserer Interpretation überschreitend, festhalten können. Entdecken ist ein Sichauslegen. Das Dasein legt aus, woraufhin es entwerfend-gewärtigend und wovor es geworfen-behaltend da ist. Es läßt so einzelnes innerweltliches Seiendes in seiner Bewandtnis in die Entdecktheit einrücken.

§ 13. Weltzeit als Datierbarkeit (§ 79, 3.–5. Absatz) Weltzeit und Jetzt-Zeit sind Auslegungsgestalten der existenzialen Zeitlichkeit und können nicht für sich isoliert einen fundamentalen Charakter beanspruchen. Der Wert der Analyse dieser fundierten Zeitphänomene kann wohl in zweierlei Hinsicht gesehen werden: Zum einen ermöglicht das hermeneutisch-phänomenologische Begreifen der Abkünftigkeit der Jetzt-Zeit aus der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit ein tieferes und reicheres Verstehen der Weltzeit, zum anderen erhalten die vorausgegangenen Analysen der Zeitlichkeit eine Erhellung durch das Aufzeigen ihrer fundierenden Leistungen. Bereits im vorletzten Kapitel war die Herkunft der Weltzeit aus der existenzialen Zeitlichkeit in den Blick gekommen, während im letzten Kapitel jener Zusammenhang genauer am Text aufgezeigt werden konnte.76 Mit Fug und Recht können wir behaupten, hiermit eine Schlüsselstelle im Text von „Sein und Zeit“ nachvollzogen zu haben. Denn der Wert der Zeitlichkeitsanalysen dieses Werkes steht und fällt mit der Bewährung ihrer klärenden Kraft in Hinsicht auf die Phänomene des vorphilosophischen Verstehens der Zeit und des Umgehens mit der Zeit. I. Auslegung und Sichaussprechen des In-der-Welt-seins Im 1. Absatz des § 79 findet sich der Satz: „Das In-der-Welt-sein hat sich schon immer ausgesprochen“ (S. 406). Wir können im Bewußtsein der vorangegangenen Analysen ergänzen, daß allem Sichaussprechen 76

Siehe oben S. 190ff. und S. 196f.

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ein Auslegen vorangeht. Das Sichaussprechen begreift demnach an dieser Textstelle das Auslegen mit in sich ein. Die Auslegung vollzieht sich als Herauslegung des geworfen-entworfenen Verständnisses des In-der-Welt-seins in ein Auslegungsverständnis. Dieses umfaßt das selbsthaft-ekstatische Verstehen des Seinkönnens und korrelativ dazu das geworfen-entworfene Verständnis der Welt. Das selbsthaft-ekstatische Verstehen des Seinkönnens legt sich in die mannigfaltigen Weisen des umsichtig-besorgenden Seins-bei ... heraus. Das geworfen-entworfene Verständnis der Welt als einer Bewandtnisganzheit wird in das entdeckte Bewandtnisganze und das jeweilige durch Bewandtnis bestimmte einzelne Seiende herausgelegt. Auch hier kann gesagt werden, daß das Auslegungsverständnis vollzugshaft-ausdrücklich ist, dabei aber für sich selbst nicht thematisch wird. II. Auslegung der Zeitlichkeit in das Dann, das Damals und das Jetzt Die Zeitlichkeit des umsichtig-besorgenden Seins-bei ... hat die Struktur des gewärtigend-behaltenden Gegenwärtigens. Eben diese Zeitlichkeit legt und spricht sich aus in das natürliche Zeitverständnis, also in die Weltzeit. Dieser Übergang vom geworfenen Entwurfsverständnis der Zeitlichkeit in das Auslegungsverständnis der Weltzeit macht den Ursprungszusammenhang beider Zeitphänomene offenkundig. Das Dann, das Damals und das Jetzt sind unmittelbare Auslegungsgestalten der Zeitlichkeit und haben weltzeitlichen Charakter. Dabei darf das weltzeitliche Jetzt nicht mit dem Jetzt der puren Jetzt-Folge verwechselt werden. Im Dann spricht sich das Gewärtigen, im Damals das Behalten und im Jetzt das Gegenwärtigen der ekstatischen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens aus. Gewärtigen, Behalten und Gegenwärtigen sind Phänomene der ekstatischen Zeitlichkeit, d.h. sie sind als die drei Ekstasen stets zugleich in der Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens zu denken. Im Gegensatz dazu sind das Dann, das Damals und das Jetzt nicht mehr ekstatische Zeitphänomene. Sie haben weltzeitlichen Charakter und gehören der ausgelegten und ausgesprochenen Zeitlichkeit an. Das Dann und das Damals können nicht ohne ein Jetzt und isoliert verstanden werden. „Im »dann« liegt meist unausdrücklich das »jetzt noch nicht« [...]. Das »damals« birgt in sich das »jetzt nicht mehr«.“

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(S. 406) Das Dann heißt ausdrücklich oder unausdrücklich stets auch „jetzt noch nicht“ und das Damals heißt ausdrücklich oder unausdrücklich stets auch „jetzt nicht mehr“. Das „jetzt“ innerhalb dieser Wendungen ist auch an dieser Stelle noch nicht das Jetzt der puren Jetzt-Zeit, das eine im Ursprungsgefälle der Zeitphänomene spätere Ausbildungsstufe ist. Das Jetzt der Weltzeit hat noch nicht den isolierten und leeren und für sich allein Wirklichkeit beanspruchenden Charakter, der dem Jetzt des vulgären Zeitbegriffs eignet. Das „dann“, so heißt es im 2. Absatz ferner, „ist gesprochen im gewärtigend-behaltenden [...] Gegenwärtigen. [...] Mit ihm [= dem „damals“] spricht sich das Behalten als gewärtigendes Gegenwärtigen aus.“ (S. 406) Demnach spricht sich im Dann das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen, im Damals das behaltend-gewärtigende Gegenwärtigen aus. Dem läßt sich entnehmen: „das Gegenwärtigen hat ein eigentümliches Gewicht“ (S. 407). Die Zeitlichkeit des extremen Verfallens des umsichtig-besorgenden Seins-bei ... ist modifiziert zu einem ungewärtigend-vergessenden Gegenwärtigen. Dieses legt sich in ein betontes „jetzt-jetzt“-Sagen aus, das einhergeht mit einer weitgehenden Verschließung von weltzeitlicher Zukunft und weltzeitlicher Vergangenheit. Im „jetzt-jetzt“ spricht sich die Verstrickung der Gegenwart in sich selbst auf. Gegen Ende des 2. Absatzes nennt Heidegger weitere ZeitAdverbien, durch deren Analyse die Interpretation der Weltzeit vorangetrieben werden kann. So ist dem „sogleich“ das nächste Dann, dem „soeben“ das nächste Damals zuzuordnen. Es gibt nähere und fernere Dann und Damals, weltzeitliche Vergangenheit und Zukunft haben in sich eine abgestufte Weite. Diese wird durch den Horizont-Charakter des Dann, des Damals und des Jetzt näher bestimmt: „Der Horizont des im »damals« sich aussprechenden Behaltens ist das »Früher«, der für die »dann« das »Späterhin« (»künftig«), der für die »jetzt« das »Heute«.“ (S. 407) Im Früher, im Späterhin und im Heute öffnen sich die Gesichtskreise für nähere und fernere Damals, Dann und Jetzt. „Heute“ kann zum Beispiel diese Lehrveranstaltung, den heutigen Tag, aber auch dieses Semester oder sogar unsere Lebenszeit bedeuten – es besitzt eine Gedehntheit.

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III. Die Datierbarkeit Der 3. Absatz leitet über zur Analyse eines wichtigen Charakters der Weltzeit: „Jedes »dann« aber ist als solches ein »dann, wann ...«, jedes »damals« ein »damals, als...«, jedes »jetzt« ein »jetzt, da ...«.“ (S. 407) Die genannten Zeit-Adverbien sind stets bezogen auf ein „wann“ oder „als“ oder „da“, d.h. auf etwas, das dann sein wird oder damals war oder jetzt ist, sie sind stets bezogen auf das Besorgte eines Besorgens. Diese Bezugsstruktur wird von Heidegger als „Datierbarkeit“ bezeichnet. In die Bezugsstruktur der Datierbarkeit legt sich der ekstatische Charakter des Gewärtigens, des Behaltens und des Gegenwärtigens aus. Das Dann, das Damals und das Jetzt zeigen sich oder entspringen nicht zunächst als eine Ordnung aus inhaltslosen Zeitpunkten, sondern eben immer mit jenem Bezug, stehen also in einem ursprünglichen Zusammenhang mit dem Besorgten eines Besorgens. Dieser Zusammenhang ist allem kalendarischen Datieren und allem Uhrengebrauch in Zeitangaben vorgängig. Der 4. und der 5. Absatz unterbrechen die Ausführungen zur Datierbarkeit, die erst im 6. Absatz wieder aufgenommen werden. Heidegger stellt zu Beginn des 4. Absatzes die Frage: „Was ist das, dem solche Datierbarkeit wesenhaft zugehört, und worin gründet diese?“ (S. 407) Woher haben wir eigentlich bestimmte Dann, Damals und Jetzt? Die Antwort wird lauten, daß die Datierbarkeit ihren Ursprung im ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit hat. Dies haben wir in unserer Interpretation des 1. Absatzes des § 79 zur Erleichterung des Verständnisses schon vorweggenommen. Nun erfahren wir aus dem Text selbst den genaueren Zusammenhang. Heidegger fingiert einen Dialog zwischen dem Standpunkt des natürlichen Zeitverständnisses, welches sich selbst nicht thematisch wird, und dem philosophischen Fragen nach der Zeit. Der selbstverständliche Gebrauch von Datierungen im durchschnittlichalltäglichen Existenzvollzug kennt nicht die Notwendigkeit der begrifflichen Klärung, ihm kommt daran nichts fragwürdig vor. Erst das philosophische Fragen vermag diese Selbstverständlichkeit zu erschüttern. Zeit kann nicht unter dem innerweltlich Vorhandenen vorgefunden werden. Dennoch verfügen wir in den Daseinsvollzügen in einem gleichsam unmittelbaren Verständnis über Zeit, genauer, wir verfügen über Zeit im Ansprechen des Ausgelegten. Dieses vollzieht sich nicht notwendig lauthaft, aber stets als ein bedeutungsmäßiges Gliedern.

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Jedes Besorgte des Besorgens ist datiert, alle Rede über innerweltliches Seiendes bewegt sich ausdrücklich oder unausdrücklich in den Datierungen des „dann, wann“, des „damals, als“ und des „jetzt, da“. Doch warum gehört denn zum Besorgten wesenhaft eine solche Datierung? „Weil das auslegende Ansprechen von ... sich mit ausspricht, das heißt das umsichtig verstehende Sein bei Zuhandenem, das dieses entdeckend begegnen läßt, und weil dieses sich mit auslegende Ansprechen und Besprechen in einem Gegenwärtigen gründet und nur als dieses möglich ist.“ (S. 407f.) Das kursiv gesetzte „sich“ betont, daß die Auslegung sich auch als Selbst-Auslegung, das Ansprechen sich auch als Sich-selbstAussprechen vollzieht. Mit der Feststellung, daß dem auslegenden Ansprechen von Seiendem das umsichtig-besorgende Sein bei Zuhandenem entspricht, das seinerseits in einem Gegenwärtigen gründet, haben wir den Stand unserer Erläuterungen zum Beginn des Paragraphen erreicht. „Das sich auslegende Gegenwärtigen, das heißt das im »jetzt« angesprochene Ausgelegte nennen wir »Zeit«.“ (S. 408) Doch eben mit diesem Namen bleibt der Ursprung des natürlichen Zeitverständnisses verhüllt. Die unmittelbare Bekannteit der „Zeit“ schließt jene Verhüllung nicht aus. Die ursprüngliche Zeit und der Ursprung der ausgesprochenen Zeit aus jener bleiben „unerkannt und unbegriffen“ (S. 408). Daher vermochte die ganze überlieferte Zeitphilosophie im Ausgang vom natürlichen Zeitverständnis den Ursprung desselben nicht zu erfassen. Wir unterscheiden genauer die Gegenwart des Bewandtnis verstehenden Entdeckens des Seienden vom Jetzt des entdeckten Seienden. So können wir die gemeinhin anerkannte Auszeichnung des Jetzt als des alleinigen Ortes des wirklichen Seienden in ihrer Herkunft charakterisieren und somit ihre Grenzen aufzeigen. Die Konzentration des erkenntnistheoretisch orientierten philosophischen Fragens auf die Entdecktheit verliert die Bewandtniszusammenhänge aus dem Blick. Der Zugang zur Zeitlichkeit als dem Grund der Weltzeit ist verstellt. Der Aufweis der Struktur der Datierbarkeit des Dann, des Damals und des Jetzt kann als phänomenologischer Nachweis der Herkunft des als „Zeit“ Ausgelegten aus der Zeitlichkeit der Auslegung angesehen werden.

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§ 14. Weltzeit als Gespanntheit und Öffentlichkeit (§ 79, 7.–8. und 12. Absatz) Nachdem wir uns den ersten Wesenscharakter der ausgelegten und besorgten Zeit erarbeitet haben – die Datierbarkeit –, gehen wir nun zum zweiten und zum dritten Wesenscharakter der Weltzeit über – zur Gespanntheit und zur Öffentlichkeit –, die Heidegger ebenfalls im § 79 analysiert. Aber bevor wir uns dem 8. Absatz zuwenden, in dem die Gespanntheit thematisiert wird, werfen wir noch einen Blick auf den kurzen 7. Absatz, um unsere Interpretation der Analyse der Datierbarkeit zu vervollständigen. I. Die Datierbarkeit der Horizonte Heidegger schreibt: „Auf Grund desselben Ursprungs aus der ekstatischen Zeitlichkeit haben auch die den »jetzt«, »dann« und »damals« zugehörigen Horizonte den Charakter der Datierbarkeit“ (S. 408f.). Näherhin haben so das „Heute, wo ...“ als der Horizont für das „jetzt“, das „Späterhin, wann ...“ als der Horizont für das „dann“ und das „Früher, da ...“ als der Horizont für das „damals“ den Charakter der Datierbarkeit. Der Ursprung der Datierbarkeit des Jetzt, des Dann und des Damals ist die ekstatische Zeitlichkeit. In dem oben zitierten Satz erscheint das die Zeitlichkeit näher bestimmende Adjektiv „ekstatische“ noch einmal in kursivem Druck, weil darauf hingewiesen werden soll, daß das Ekstatische der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens, das Ekstatische des gewärtigend-behaltenden Gegenwärtigens der unmittelbare Ursprung der die Weltzeit charakterisierenden Datierbarkeit ist. Es kommt alles darauf an zu sehen, daß alle vier Wesenscharaktere der ausgelegten Weltzeit ihren Ursprung haben in einem spezifischen Moment der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Dieses spezifische Moment, das der Wesensgrund auch für die Datierbarkeit ist, ist das Moment des Ekstatischen der existenzialen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Die existenziale Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens ist, wie wir gesehen haben, die Zeitlichkeit des seinsverstehenden Entdeckens. Das Ekstatische dieser Zeitlichkeit meint also das verstehende Entrücktsein in die erschlossene Bewandtnis, so daß das Ekstatische des Bewandtnis verstehenden Entdeckens des Seienden der Wesensgrund dafür ist, daß die ausgelegte Zeit, worein sich die Zeitlichkeit des umsichtigen Besor-

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gens auslegt, die Zeit des entdeckten Seienden ist. Das gilt nun nicht nur für die weltzeitlichen Momente des Jetzt, des Dann und des Damals, sondern auch für die zu diesen gehörenden Horizonte. Auch diesen Horizonten eignet ein wesenhafter Bezug zum innerweltlich entdeckten Seienden. II. Die Gespanntheit Die Gespanntheit als der zweite Wesenscharakter des Dann, des Damals und des Jetzt und damit der Weltzeit wird im 8. Absatz und nur in diesem behandelt. Bei der ersten Abhebung der in das Dann, das Damals und das Jetzt sich auslegenden und darin sich ausdrücklich oder unausdrücklich aussprechenden Weltzeit hat es geheißen: „Im »dann« liegt meist unausdrücklich das »jetzt noch nicht«“ (S. 406). Derselbe Sachverhalt wird jetzt wieder aufgenommen, aber diesmal, um das Phänomen der Gespanntheit der ausgelegten Zeit in den Blick zu nehmen. Die Gespanntheit ist dasjenige weltzeitliche Phänomen, das im Zusammenhang zwischen dem Jetzt und dem Dann als dem Noch-nicht-Jetzt sowie zwischen dem Jetzt und dem Damals als dem Nicht-mehr-Jetzt sich zeigt. Das Dann und das Damals stehen im Zusammenhang mit dem Jetzt, und gerade dieser Zusammenhang macht das Phänomen der Gespanntheit aus. In seiner verkürzten Analyse bezieht sich Heidegger nur auf die Gespanntheit des Dann und nicht auf die Gespanntheit des Damals. Wenn es aber darauf ankommt zu sehen, daß die ausgelegte Zeit in sich gespannt ist, dannn müssen wir das volle Phänomen der Zeitspanne sehen: einerseits als Zeitspanne zwischen dem Jetzt und dem Damals, in das sich das Behalten ausgelegt hat, und andererseits als die Zeitspanne zwischen dem Jetzt und dem Dann, in das sich das Gewärtigen ausgelegt hat. „Das gegenwärtigende Gewärtigen versteht das »bis dahin«.“ (S. 409) Das natürliche Zeitverständnis spricht sich auf natürliche Weise aus in bezug auf den zweiten Wesenscharakter der ausgelegten Zeit, die Gespanntheit. Mit dem Bis-dahin kommt erstmals deutlich der Gespanntheitscharakter der Weltzeit zum Ausdruck. Nun wird das Zwischen-dem-Jetzt-und-dem-Dann eigens angesprochen in der Wendung „bis dahin“, das heißt „von jetzt bis dahin“, die Zeitspanne vom Jetzt bis zu einem bestimmten Dann. Entsprechend wäre das Zwischen-dem-

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Jetzt-und-dem-Damals das „von damals bis jetzt“, die Zeitspanne von einem bestimmten Damals bis zum Jetzt. Denn das Dann und das Damals sind kein Feststehendes, sondern ein Variierendes, ein Näheres oder Ferneres. Dieses Variieren des Dann und des Damals zwischen dem Näheren und dem Ferneren ist ein Zeit verstehendes Variieren und ein Sichbewegen innerhalb der Zeithorizonte des Späterhin und des Früher. „Das Auslegen artikuliert dieses »bis dahin« [...] als das Inzwischen“ (S. 409). Das Inzwischen ist wie das Jetzt, das Dann und das Damals ein Wort des natürlichen Zeitverständnisses, ein Wort, in dem das natürliche Zeitverständnis sich ausspricht, und zwar eben das Wort für das weltzeitliche Zeitphänomen der Gespanntheit. Zu betonen ist, daß das Inzwischen kein Kunstwort einer Zeitphilosophie ist, sondern aufgegriffen wird aus dem natürlichen Weltzeitverständnis – es handelt sich um ein Wort, das wir im Vollzug des natürlichen Zeitverständnisses immer wieder aussprechen und das jetzt von Heidegger zu einem Terminus erhoben wird. Die Gespanntheit der ausgelegten Zeit ist selbst durch dieses Inzwischen datierbar. Der Datierbarkeitsbezug des Inzwischen spricht sich im natürlichen Zeitverständnis aus in dem Ausdruck „während dessen“, der eine gespannte Zeit unterschiedlicher Spannweite meint Alles natürliche Zeitverhalten, das sich zu den verschiedenen Charakteren und Momenten der ausgelegten Zeit, der Weltzeit verhält, ist seinsmäßig bestimmt durch das Besorgen. Das natürliche Zeitverhalten selbst ist ein besorgendes. Das Sichverhalten zur ausgelegten Zeit, die die Auslegungsgestalt der existenzialen Zeitlichkeit ist, muß, wie alles Verhalten des Daseins, aus der Grundstruktur der Seinsweise des Daseins, aus der Sorge also, bestimmt werden. Das Besorgen meint hier das Sorgetragen für die in den Daseinsverhaltungen benötigte Zeit. Wenn wir zwischen Verhaltungen und dem Seinssinn dieser Verhaltungen, der die existenziale Zeitlichkeit ist, unterscheiden, dann können wir sagen, daß diese Verhaltungen selbst im Unterschied zu ihrem Seinssinn das Existenziell-Ontische des Daseins ausmachen. Diese existenziell-ontischen Verhaltungen sind selbst in ihrer Bewegungsstruktur besorgend, d.h. sie sind bestimmt aus der Sorge als der Grundstruktur der Existenz. „Das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen legt nur deshalb ein gespanntes »während« »aus«, weil es dabei sich als die ekstatische Erstrecktheit der geschichtlichen Zeitlichkeit, wenngleich als solche uner-

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kannt, erschlossen ist.“ (S. 409) Wenn die Datierbarkeit des Jetzt, des Dann und des Damals „der Widerschein der ekstatischen Verfassung der Zeitlichkeit“ (S. 408) ist, dann können wir sagen, daß die Gespanntheit ihrerseits der Widerschein des Charakters der Erstrecktheit der Zeitlichkeit ist. Erstrecktheit heißt das sichzeitigende Sicherstrecken, Sichdehnen in die Weite der Erschlossenheit. Dieses legt sich aus in das Verstehen der Gespanntheit der Zeit. Die Thematisierung der Gespanntheit der besorgten Zeit wird nun ergänzt, indem „eine weitere Eigentümlichkeit der »angegebenen« [= datierten] Zeit“ (S. 409) aufgezeigt wird. Diese liegt darin, daß nicht nur das Während gespannt ist, sondern auch jedes Jetzt, Dann und Damals eine Gespanntheit von je wechselnder Spannweite kennt. Keines dieser drei Momente der Weltzeit ist punktuell, sondern jedes ist in sich selbst mehr oder weniger gespannt. Das natürliche Zeitverständnis liefert uns in diesem Sinne Beispiele, denen die ganze Natürlichkeit des natürlichen Zeitgebrauchs eignet. So kann der Ausdruck „jetzt“ verschiedene Bedeutungen haben: „jetzt“ in der Pause (und diese kann z.B. fünf oder zehn Minuten dauern), „jetzt“ am Abend (wobei eine mehrstündige Zeitspanne gemeint ist). Es ist offensichtlich, daß die Thematisierung der Gespanntheit hier nicht als ein theoretisches Verfahren sich vollzieht, vielmehr gerade den Bereich der vortheoretischen Erfahrung in den Blick zu nehmen versucht. III. Das Mitsein als Existenzial und die weltzeitliche Öffentlichkeit Im 12. und letzten Absatz des § 79 wird kurz der dritte Wesenscharakter der besorgten Zeit beleuchtet, die Öffentlichkeit, ein Phänomen, das noch schwieriger als das der Gespanntheit der Weltzeit zu sehen ist. Zum Zwecke der Hebung dieses Phänomens geht Heidegger aus von einer Erinnerung an das Existenzial des Mitseins: „Als erschlossenes existiert das Dasein faktisch in der Weise des Mitseins mit Anderen.“ (S. 210) Das Mitsein ist ein Wesenscharakter des In-Seins. Alles In-derWelt-sein, das eigentliche ebenso wie das uneigentliche, ist, wie in der Mitseinsanalyse des Vierten Kapitels des Ersten Abschnitts von „Sein und Zeit“ gezeigt wird, als solches Mitsein. Im nächsten Satz sagt nun Heidegger, daß dieses Mitsein „sich in einer öffentlichen, durchschnittlichen Verständlichkeit [hält]“, in einer solchen also, die wir auch als

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uneigentliche Erschlossenheit kennen. Die große Gefahr für den Interpreten besteht hier darin, daß er das Mitsein mit Anderen – das als solches ein Existenzial des Daseins ist – mit dem Existieren in öffentlicher, durchschnittlicher Verständlichkeit gleichsetzt. Denn während vom Mitsein ein eigentlicher Modus ebenso möglich ist wie einer uneigentlicher Modus, ist die Öffentlichkeit ein zum uneigentlichen Entwurf gehörendes Phänomen und deshalb nur ein Modus des wesenhaften Mitseins mit Anderen, nämlich der uneigentliche Modus. Im Unterschied zu den anderen Wesenscharakteren der Weltzeit, die sowohl zur eigentlich verstandenen als auch zur uneigentlich verstandenen Weltzeit gehören, ist dieses dritte Moment, die Öffentlichkeit, ein solches, das zwar ein wesenhaftes Strukturmoment ist, aber nur die uneigentlich verstandene Weltzeit charakterisiert. Allgemein ist zu bemerken, daß Heidegger in seiner Analyse der Weltzeit im § 79 primär den Uneigentlichkeitsmodus des Weltzeitverständnisses herausstellt. So wird die Interpretation des Textes noch schwieriger, weil das Weltzeitverständnis des eigentlich existierenden Daseins kaum zur Abhebung gelangt. Die Erschlossenheit ist immer eine mithaft geteilte. Das Existieren in der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins ist wesenhaft ein mithaft mit anderem Dasein geteiltes, entweder ein eigentlich mithaft geteiltes oder ein uneigentlich mithaft geteiltes. Es ist eigentlich mithaft geteilt, wenn das Dasein sich primär in das Worumwillen wirft, und uneigentlich geteilt, wenn das Dasein sich primär in die Erschlossenheit der Welt und die Entdecktheit des innerweltlich Seienden legt.77 Die Öffentlichkeit ist bei Heidegger nicht identisch mit der Geteiltheit der Erschlossenheit mit anderem Dasein. Vielmehr handelt es sich um den existenzial-ontologischen Terminus für den einen, eben den uneigentlichen Modus der mithaft geteilten Erschlossenheit. Weil aber das Dasein zunächst und zumeist primär sich legt in die Erschlossenheit der Welt und die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden, deshalb hält sich das Dasein zunächst und zumeist in einer öffentlichen, durchschnittlichen Verständlichkeit. Wenn sich nun die Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens auslegt, legt sie sich in eine anonyme öffentliche Zeit aus, „die »es gibt«, mit der man rechnet“ (S. 411). Die weltzeitlichen Momente des Jetzt, des Dann und des Damals werden von jedem grundsätzlich ver77

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Vgl. S. 146.

standen, aber „nicht als seine [Zeit]“ (S. 411), die „seiner“ eigentlichen Zeitlichkeit entspringt. Dennoch kann man innerhalb des Wesensverhaltes, daß die ausgesprochenen Jetzt, Dann und Damals von jedem in der Öffentlichkeit des Miteinander-in-der-Welt-seins verstanden sind, unterscheiden zwischen einem anonymen, uneigentlich mithaft geteilten und einem gemeinsamen, eigentlich mithaft geteilten Jetzt, Dann und Damals.

§ 15. Weltzeit als Bedeutsamkeit (§ 80, 10. Absatz). Ausblick auf die Analyse der puren Jetzt-Zeit (§ 81) Bisher haben wir, anhand des § 79, drei Wesenscharaktere der ausgelegten Zeit herausgearbeitet. Wir erkannten erstens die Datierbarkeit als Widerschein der ekstatischen Verfassung der Zeitlichkeit des besorgenden Umgangs. Der zweite Wesenscharakter, die Gespanntheit, wurde von uns ebenfalls gekennzeichnet als Widerschein oder Rückschein des ekstatischen Charakters der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens, diesmal aber des zu diesem ekstatischen Charakter gehörigen Erstrecktheitscharakters. Den dritten Wesenscharakter der Zeit des natürlichen Zeitverständnisses, der im Text unter dem Titel Öffentlichkeit gefaßt wird, kennzeichneten wir wiederum als Widerschein, nämlich der uneigentlichen Geteiltheit der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Bei der nun anstehenden Behandlung des vierten Wesenscharakters der Weltzeit werden wir sehen, daß auch dieser, die Bedeutsamkeit, der Widerschein eines bestimmten Charakters der ekstatischen Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens ist. Bevor wir mit der Analyse des § 80 beginnen, lenken wir unseren Blick noch einmal auf die letzten Zeilen des letzten Absatzes des § 79, die wir bisher nicht in der Form eingehender Lektüre, sondern nur in der Gestalt eines zusammenfassenden Vorblicks behandelt haben. Auf diese Weise können wir das Verständnis des dritten Wesenscharakters der ausgelegten Zeit, der Öffentlichkeit, anhand des Phänomens der Veröffentlichung der Zeit noch ein wenig weiter vertiefen.

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I. Die Veröffentlichung der Zeit „Die ausgelegte, ausgesprochene Zeit des jeweiligen Daseins ist daher als solche auf dem Grunde seines ekstatischen In-der-Welt-seins je auch schon veröffentlicht.“ (S. 411) Da es unser Ziel ist, die Heideggersche Analyse der Weltzeit nach- und mitzuvollziehen, können wir den zitierten Satz, der den Sachverhalt aus methodischen Gründen in einer stark verkürzten Form ausspricht, mit Hilfe einiger Ergänzungen interpretieren. So sehen wir, daß mit dem Ausdruck „auf dem Grunde seines ekstatischen In-der-Welt-seins“ folgendes gemeint ist: auf dem Grunde seines ekstatischen uneigentlichen Miteinander-in-der-Welt-seins, d.h. der uneigentlich geteilten Zeitlichkeit des Verstehens und der uneigentlich geteilten Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens. Durch diese Ergänzungen, die teilweise den vorangegangenen Sätzen Heideggers, teilweise unserer Interpretation derselben entnommen sind, wird der Sinn des Ausdrucks „veröffentlicht“ durchsichtiger. Das Phänomen der Veröffentlichung der Zeit, das wir in den Blick zu bekommen versuchen, zeigt sich jetzt als das Phänomen der Modifizierung der eigentlich geteilten Zeitlichkeit in die uneigentlich geteilte Zeitlichkeit. Aufgrund der ersten Sätze dieses Absatzes und der Mitseinsanalyse des Vierten Kapitels des Ersten Abschnitts von „Sein und Zeit“ konnten wir sagen, daß die Zeitlichkeit wesenhaft geteilt ist. Die Zeitlichkeit ist immer geteilt, entweder eigentlich geteilt (wenn das Dasein sich primär in das Worumwillen wirft) oder uneigentlich geteilt (wenn das Dasein sich primär in die Erschlossenheit der Welt legt). Wenn die Geteiltheit der Zeitlichkeit recht verstanden wird, dann kann man die veröffentlichte Zeit so bestimmen, daß sie nicht die überhaupt mit Anderen geteilte Zeit ist, sondern die uneigentlich geteilte Zeit. Die nicht-öffentliche Zeit ist dagegen die eigentlich geteilte Zeit und ist als solche das, was Heidegger, auf das Besorgen des Dasein hin gesprochen, „seine“ Zeit nennt, so daß wir allgemeiner von der eigenen Zeit sprechen können. Die eigene Zeit ist nicht nur „meine“ Zeit in der Abgrenzung gegen die Zeit des Anderen, sie ist keine solipsistische Zeit, die nur mir gehört, sondern sie ist meine eigene Zeit in dem Sinne, daß ich sie mit dem Anderen so teile, daß sie auch die eigene Zeit des Anderen ist. Jedes Dasein, das an der Gemeinsamkeit der eigentlich miteinander geteilten Zeitlichkeit Teil hat, vollzieht von sich aus eigentlich die mithaft geteilte Zeitlichkeit.

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Denn dem Sinne der Mitseinsanalyse gemäß kann das Dasein diesem mithaft Geteilten sich in keiner Weise entziehen. Im vorletzten Satz des § 79 nennt Heidegger die öffentliche Zeit eine solche, „die »es gibt«, mit der man rechnet“ (S. 411). Damit ist einerseits die Zeit gemeint, die als ein Seiendes unter anderen, als etwas Vorhandenes gefaßt wird, andererseits die von Heidegger im § 80 thematisierte Zeit der kalendarischen Zeitrechnung. II. Die Bedeutsamkeit oder Weltzugehörigkeit der ausgelegten Zeit Damit gehen wir zum vierten Wesenscharakter der ausgelegten Zeit über, dessen Analyse mit dem 10. Absatz des § 80, im Ausgang von einem erneuten Blick auf die Datierung, beginnt. Denn die Datierung und die Bedeutsamkeit der Weltzeit stehen in einem besonders engen Zusammenhang, der sich in der daseinsmäßig verstandenen intentionalen Differenz zwischen intentio und intentum bewegt: Die Datierung bestimmt sich aus dem zu besorgenden Seienden, während die Bedeutsamkeit der ausgelegten Zeit der Bezug zu den korrelativen besorgenden Verhaltungen ist. Und hier haben wir zu unterscheiden zwischen der Erschlossenheits- und der Entdecktheitsebene. „Die Datierung des im besorgenden Gewärtigen sich auslegenden »dann« schließt in sich: dann, wenn es tagt, ist es Zeit zum Tagwerk. Die im Besorgen ausgelegte Zeit ist je schon verstanden als Zeit zu ... Das jeweilige »jetzt da dies und dies« ist als solches je geeignet und ungeeignet.“ (S. 414) Mit dem Ausdruck „Zeit zu ...“, der auch als „Zeit für ...“ verstanden werden kann, nämlich als Zeit für eine bestimmte Verhaltung des Daseins, wird der vierte Wesenscharakter der ausgelegten Zeit angesprochen. Es wird gezeigt, daß die wesenhaft aus dem besorgten Seienden datierbare Zeit auch Zeit zu ... bzw. Zeit für die besorgenden Verhaltungen ist, ferner, daß eine apriorisch-notwendige Wesensstruktur der ausgelegten Zeit die Geeignetheit bzw. Ungeeignetheit ist. Das „dann“ ist nicht nur ein datiertes „dann, wann“ und das „damals“ ist nicht nur ein datiertes „damals, als“, sondern beide sind als diese wesenhaft aus dem besorgten Seienden Datierbare zugleich je ein Geeignetes oder Ungeeignetes. „Das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen des Besorgens versteht Zeit in einem Bezug auf ein Wozu, das seinerseits letztlich in

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einem Worumwillen des Seinkönnens des Daseins festgemacht ist.“ (S. 414) Der Bezug auf das jeweilige Wozu ist der Bezug auf eine jeweilige besorgende oder fürsorgende Verhaltung. Das Wozu gehört zur Um-zu-Struktur, so daß mit ihm die Analyse des vierten Wesenscharakters der ausgelegten Zeit zur Weltanalyse des Dritten Kapitels der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins zurückführt. Jedes Wozu aus der Zeit zu ... ist eine besorgende Um-zu-Verhaltung, und alle besorgenden Um-zu-Verhaltungen gehören zu einem Worumwillen, zu einer ganzheitlichen Möglichkeit des In-der-Welt-seins. Der Um-zuBezug wird innerhalb der Weltanalyse als einer der Bezüge des Bedeutens genannt, die die Bedeutsamkeit ausmachen. Mithin offenbart die ausgelegte Zeit mit diesem Bezug auf ein jeweiliges Wozu sowie mit ihrem Charakter des Geeignetseins bzw. Ungeeignetseins für eine besorgende Verhaltung jene Struktur, die gemäß dem § 18 als Bedeutsamkeit die Weltlichkeit der Welt konstituiert. Indem wir jetzt an die Unterscheidung zwischen der Erschlossenheits- und der Entdecktheitsebene erinnern, können wir sagen, daß es hier, in der Analyse der ausgelegten Zeit, um die ausgelegte Bedeutsamkeit geht, während in der Weltanalyse die Erschlossenheit der Bedeutsamkeit behandelt wird. Durch den weltzugehörigen Um-zu-Bezug, der jetzt die ausgelegte Bedeutsamkeit dieser ausgelegten Zeit meint, hat die ausgelegte Zeit wesenhaft Weltcharakter, im Sinne der ausgelegten Welt. An dieser Stelle erläutert Heidegger, ausgehend von der Bedeutsamkeit als der konstitutiven Struktur der Weltlichkeit der Welt, warum die ausgelegte Zeit „Weltzeit“ genannt wird und wie dieser Name zu verstehen ist. Sie wird „Weltzeit“ genannt auf Grund des vierten Wesenscharakters der ausgelegten Zeit, d.h. „nicht etwa, weil sie als innerweltliches Seiendes vorhanden ist, was sie nie sein kann, sondern weil sie zur Welt in dem existenzial-ontologisch interpretierten Sinn gehört.“ (S. 414) Die ausgelegte Zeit ist also die Zeit der Welt im Sinne der Bewandtnisganzheit und nicht die Zeit der „Welt“ im Sinne eines Ganzen von Seiendem. Zusammenfassend sagt Heidegger im vorletzten Satz dieses Absatzes, daß die besorgte Zeit sich erst jetzt gegenüber der ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit „struktural vollständig charakterisieren“ läßt: „sie ist datierbar, gespannt, öffentlich und gehört als so strukturierte Zeit zur Welt selbst.“ (S. 414) Das Jetzt, das Dann und das Damals der ausgelegten Zeit, der Weltzeit, mit seinen vier Wesenscharakteren ge-

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hören zum unthematischen, vortheoretischen, vollzugshaften Zeitverständnis, zum „besorgenden Sich-Zeit-lassen des Daseins“ (S. 415). Wir können den vierten Wesenscharakter der Weltzeit in korrelativer Formulierung folgendermaßen fassen: Die Bedeutsamkeit ist der Widerschein der Tatsache, daß die Zeitlichkeit, die sich als Weltzeit auslegt, diejenige des umsichtigen Besorgens, der Um-zu-Verhaltungen ist. Die im 10. Absatz des § 80 vollzogene Bestimmung der Weltzeit als Bedeutsamkeit läßt sich in den folgenden acht Schritten rekapitulieren: 1. Die ausgelegte Zeit ist die Zeit zu ... 2. Diese Zeit zu ... ist charakterisiert durch Geeignetheit und Ungeeignetheit. 3. Die ausgelegte Zeit hat einen Bezug auf ein Wozu, das im Sinne eines Um-zu verstanden werden muß. 4. Dieser Bezug auf ein Wozu ist der Um-zu-Bezug. 5. Dieser Um-zu-Bezug meint die ausgelegte Bedeutsamkeit der ausgelegten Zeit. 6. Die ausgelegte Zeit hat in ihren drei Momenten des Jetzt, des Dann und des Damals Weltcharakter. 7. Aufgrund ihres Weltcharakters, ihres Bedeutsamkeitsbezugs kann diese Zeit nun „Weltzeit“ genannt werden. 8. Die ausgelegte Zeit ist als Weltzeit weltzugehörig. III. Rückblick auf die Analyse der Weltzeit und Ausblick auf die Analyse der puren Jetzt-Zeit Ausgehend von den fundierenden Zeitphänomenen der ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit, versuchten wir die hierin fundierten Zeitphänomene und vor allem die Weltzeit, die ausgelegte Zeit, in ihren Wesenscharakteren in den Blick zu bekommen. Wenn nun aber die ausgelegte Zeit hinsichtlich ihrer Wesenscharaktere nivelliert und verdeckt ist, dann kann nicht mehr gesehen werden, daß und wie die Weltzeit ein wesenhaft aus der ursprünglichen Zeitlichkeit Entsprungenes ist. Damit stehen wir vor der puren Jetzt-Zeit, die als Folge der puren Jetzt erscheint, wobei „pur“ heißt, daß das Jetzt diesmal nicht als Datierbares, Gespanntes, Öffentliches und Bedeutsames gefaßt wird. Die Genesis der puren Jetzt-Zeit aus der Weltzeit wird vor allem im § 81 dargestellt, aber sie ist leichter nachzuvollziehen als die Genesis der ausgelegten Zeit, weil sie auf der Ebene der Weltzeit verbleibt und als Verdeckung der Wesenscharaktere der Weltzeit verstanden werden kann. Die Genesis der ausgelegten Zeit hingegen hat sich als etwas sehr Komplexes herausgestellt, so daß wir sie in mehreren Schritten nachvollziehen mußten. So galt es einerseits zu sehen, wie die Weltzeit als eine

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nicht-ekstatische Zeitlichkeit, als die ausgelegte Zeit, ihren Ursprung hat in der Zeitlichkeit des umsichtigen Besorgens, und andererseits zu sehen, wie das volle Phänomen der Weltzeit, mit ihren vier Wesenscharakteren der Datierbarkeit, Gespanntheit, Öffentlichkeit und Bedeutsamkeit, aus der ekstatischen Zeitlichkeit als ein Widerschein derselben entsteht.

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ANHANG Brief von Friedrich-Wilhelm von Herrmann an Günther Neumann Freiburg, den 11. XI. 2021 Lieber Herr Neumann, Sie baten mich um eine Stellungnahme zu Ihrem Vorschlag der Benennung der horizontalen Schemata der Ekstasen der Zu-kunft und der Gewesenheit. Das horizontale Schema der Ekstase des Gegenwärtigens wird von Heidegger als die Praesenz, Praesenz als der Horizont der Ekstase des Gegenwärtigens, benannt. Wir wissen, daß es hierbei um die volle Struktur der ursprünglichen Zeitigung des Seinsverstehens geht. Ich würde denken, daß die horizontalen Schemata der beiden anderen Zeitlichkeitsekstasen der ursprünglichen Zeitigung des Seinsverstehens mit einem Terminus gefaßt werden müßten, der zur Praesenz gehört. Dies aber sehe ich in dem Terminus der Absenz in zweifach unterschiedlicher Weise. Das horizontale Schema der Ekstase des Zukünftigens bzw. der Zu-kunft könnte benannt werden als Absenz qua non dum, als Absenz im Sinne des Noch-nicht. Entsprechend wäre das horizontale Schema der Ekstase der Gewesenheit die Absenz qua non iam, die Absenz im Sinne des Nicht-mehr. Absenz gehört sachlich und sprachlich zur Praesenz, wobei auch hier die Betonung auf der zweiten Silbe liegt: Praesénz und zwiefache Absénz. Diese terminologische Benennung entspräche dann auch den Benennungen in der seinsgeschichtlich erfahrenen eigentlichen Zeit, wie Heidegger ausführt in „Zeit und Sein“ (1962) („Zur Sache des Denkens“, GA 14, Seite 27 unten)78: das Reichen des Gewesen als nichtmehr-Gegenwart, das Reichen von Zukunft als noch-nicht-Gegenwart. 78

Vgl. Martin Heidegger: Zeit und Sein. In: Zur Sache des Denkens. Gesamtausgabe Band 14. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2007, S. 3–30, hier S. 27.

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Das Nicht-mehr und das Noch-nicht gehören nicht etwa nur zur Jetzt-Zeit, sondern auf seine Weise auch zur eigentlichen Zeit. Das wäre meine Antwort auf Ihre wichtige Frage. Weiteres könnten wir dann auch noch telephonisch besprechen. Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus, Ihr F.-W. v. Herrmann

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NACHWORT DES HERAUSGEBERS Das vorliegende Buch ist das letzte, das Friedrich-Wilhelm von Herrmann zur Veröffentlichung vorbereitete. Im Februar 2022 verfasste er das Vorwort, fand aber in den folgenden Monaten bis zu seinem Tod am 2. August 2022 nicht mehr die Kraft und die Konzentration, den von seiner Gattin, Frau Dr. Veronika von Herrmann, bereits digitalisierten Text der Seminarprotokolle, auf denen das Buch beruhen sollte, noch einmal durchzusehen und für den Druck zu überarbeiten. Im Vorlesungsverzeichnis der Universität Freiburg war das Hauptseminar des Sommersemesters 1998 unter dem Titel „Hermeneutische Phänomenologie der Zeit. Heideggers Zeit-Analysen in »Sein und Zeit«“, das Hauptseminar des Wintersemesters 1998/99 unter dem Titel „Hermeneutische Phänomenologie der Zeit in »Sein und Zeit« (Fortsetzung)“ angekündigt worden (siehe auch S. 7 und S. 105 im vorliegenden Band). Dass Friedrich-Wilhelm von Herrmann für das Buch, von dem er geahnt haben mag, dass es sein letztes sein würde, die Analysen zur Zeitlichkeit in Heideggers „Sein und Zeit“ als Thema auswählte, hatte mindestens zwei Gründe, nämlich erstens das bevorstehende 100-jährige Jubiläum des Erscheinens von „Sein und Zeit“ und zweitens die Tatsache, dass sein in den Jahren 1987–2008 in drei Bänden erschienener Kommentar zu „Sein und Zeit“ nur die Einleitung und den Ersten Abschnitt des Ersten Teils des Heideggerschen Werkes abgedeckt hatte, während eigene Bände zum Zweiten Abschnitt „Dasein und Zeitlichkeit“ ausgeblieben waren. Nicht zufällig also klingt der für das vorliegende Buch von ihm gewählte Titel: „Hermeneutische Phänomenologie der Zeitlichkeit des Daseins“, an den Titel seines Kommentarwerkes: „Hermeneutische Phänomenologie des Daseins“, an. Tatsächlich handelt es sich, wie er in seinem Vorwort selbst bemerkt, um eine „wichtige Ergänzung“ des Kommentars, zumal es diesem im Duktus der Absatz für Absatz und Satz für Satz und manchmal sogar Wort für Wort voranschreitenden Erläuterung des Textes gleicht. Dass das Buch nun nicht erst im Jahr 2027 veröffentlicht wird, als unmittelbarer Beitrag zum Zentennar von „Sein und Zeit“, hat seinen Grund darin, dass der Autor zuletzt nicht

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mehr der Meinung war, dass mit der Veröffentlichung unbedingt noch so lange gewartet werden müsse. Nach seinem Tod haben sich Frau Dr. Veronika von Herrmann und Herr Prof. Dr. Francesco Alfieri, der Verwalter des Nachlasses des Verstorbenen, dieser Meinung angeschlossen und mir die Herausgabe des Buches übertragen, die ich in dankbarem Andenken an meinen wichtigsten und für mich entscheidenden akademischen Lehrer gerne übernommen habe. Angesichts der oben geschilderten Sachlage oblag es dem Herausgeber, den Text der Seminarprotokolle durchzusehen und zu überarbeiten. Wie er aus seinem eigenen Studium an der Universität Freiburg in den Jahren 1985–1995 weiß, hatte Friedrich-Wilhelm von Herrmann tatsächlich, wie er es in seinem Vorwort schildert, die feste Angewohnheit, das in den Seminarsitzungen von ihm selbst Vorzutragende genau vorzubereiten und die von den Studenten verfassten Protokolle zu korrigieren und insofern zu autorisieren. Daher besitzen die überlieferten Protokolle hinsichtlich der Wiedergabe der Intentionen des akademischen Lehrers einen hohen Grad an Authentizität. Andererseits arbeitete Friedrich-Wilhelm von Herrmann für seine Seminare nicht, wie für seine Vorlesungen, möglichst druckreife Texte aus, sondern stellte – wie dies ja auch Heidegger und Fink nicht anders taten – stichwortartige Notizen auf kleinformatigen Zetteln zusammen. Und bei der Korrektur der ihm in seinem Sprechzimmer von den Studenten vorgelesenen Protokolle konzentrierte er sich verständlicherweise auf das Gedankliche und weniger auf das Formale, Sprachliche und Stilistische der Texte. So kommt es, dass auch die Protokolle der beiden Seminare des Sommersemesters 1998 und des Wintersemesters 1999 zwar in gedanklicher Hinsicht so gut sind, dass nirgends ein Zweifel darüber möglich ist, wie der Seminarleiter die von ihm ausgewählten Textpassagen aus „Sein und Zeit“ interpretiert wissen wollte, dass sie aber doch in formaler, sprachlicher und stilistischer Hinsicht mancherlei Schwächen aufweisen – wenigstens soweit man sie am Maßstab des für eine Buchveröffentlichung erforderten Niveaus misst. Man darf auch nicht vergessen, dass die Protokollanten Heideggers in den meisten Fällen sich auf Stenogramme stützen konnten und dass Friedrich-Wilhelm von Herrmann selbst als Protokollant Finks über eine vieljährige und quasi allwöchentliche Erfahrung im Protokollieren verfügte – zwei Voraussetzungen, die in dieser Weise für die Protokollanten der Jahre 1998–1999, die zudem teilweise anderer als deutscher Muttersprache waren, nicht mehr zutra-

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fen. Deshalb hat sich der Herausgeber bemüht, zum Zweck der nun erfolgenden, nicht von vornherein vom Autor vorgesehenen Buchveröffentlichung die formalen, sprachlichen und stilistischen Mängel der Protokolltexte zu beheben und darüber hinaus die allzu sehr auf das damalige praktische Seminargeschehen bezogenen Formulierungen den Bedürfnissen des heutigen Lesers anzupassen. Den insgesamt didaktischen Charakter des Textes völlig zu tilgen war allerdings weder möglich noch beabsichtigt. Aus diesem Grund wurden manche Wiederholungen stehengelassen und auch die Gliederung des Textes nach Seminarsitzungen beibehalten, obwohl diese nicht immer mit der sachlichen Gliederung kongruiert. Die formellen Überschriften, die lediglich darüber informierten, um die wievielte Sitzung es sich handelte und wann diese stattfand, wurden allerdings vom Herausgeber durch Paragraphen-Überschriften ersetzt, die auf die jeweils behandelten Sachen und gegebenenfalls in Klammern auf die jeweils der Interpretation zugrunde gelegten Textstellen aus „Sein und Zeit“ hinweisen. Die Daten der Sitzungen und die jeweils am Schluss der Protokolle angefügten Namen der studentischen Protokollanten wurden vom Herausgeber in den Anhang verschoben, da sie den heutigen Leser nicht primär interessieren, aber doch auch in dem Buch nicht gänzlich fehlen sollten, zumal dieses ohne die damals von den Studenten sehr gewissenhaft geleistete Arbeit jetzt nicht erscheinen könnte. Ferner hat der Herausgeber die reiche Binnengliederung der Protokolle vereinfacht, um den Buchtext nicht durch Zwischenüberschriften allzu sehr zergliedert erscheinen zu lassen, alle Zitate überprüft und gegebenenfalls korrigiert, bibliographische Angaben und schließlich auch das Literaturverzeichnis sowie das Sachregister und das Personenregister ergänzt. In das Literaturverzeichnis wurden neben den im Buchtext genannten Titeln weitere Veröffentlichungen Friedrich-Wilhelm von Herrmanns zu Heideggers „Sein und Zeit“ und zur philosophischen Frage nach der Zeit sowie eine Auswahl der im Vorwort von ihm angekündigten Liste der von ihm betreuten Dissertationen zu Heideggers „Sein und Zeit“ aufgenommen. Ich danke Frau Dr. Veronika von Herrmann und Herrn Prof. Dr. Francesco Alfieri sehr herzlich für die Übertragung der Herausgabe dieses Buches sowie Herrn Daniel Seger für dessen Aufnahme in das Programm des Verlags Königshausen & Neumann. Patras, im November 2022

Mark Michalski

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NACHWORT DES NACHLASSVERWALTERS Es war mir zur Gewohnheit geworden, in meinen Notizblock den Inhalt der Gespräche aufzuzeichnen, die ich mit Herrn Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm von Herrmann anlässlich meiner Studienaufenthalte in Freiburg führte. Gewöhnlich fanden unsere Gespräche um 17.00 Uhr bei einer guten Tasse Kaffee statt, den der Professor selber sorgfältig zubereitete. Es lag ihm sehr viel an der Pünktlichkeit dieses Rituals, denn für ihn bedeutete es das Ende unseres Arbeitstages. Er wiederholte oft, dass diese Uhrzeit inzwischen fest zu seinem Lebensstil gehörte, weil sie ihn an seine Treffen mit Martin Heidegger in dessen Privatwohnung erinnerte. Diese Uhrzeit markierte nämlich das Ende von dessen Arbeit am Arbeitstisch, und danach konnte er sich dem Gespräch mit dem damaligen Privatdozenten von Herrmann, seinem Privatassistenten von 1972 bis 1976, widmen. Daher wollte dieser später die langjährige Tradition weiterführen und 17.00 Uhr als den idealen Zeitpunkt festlegen, in dem wir zusammen über die während des Tages ausgeführten Untersuchungen diskutierten und den Arbeitsplan für den folgenden Tag festlegten, der dann um 9.00 Uhr begann. Dank meinem Notizblock kann ich jetzt einige Punkte rekonstruieren, die meiner Meinung nach für den Leser dieses Buches nützlich sein können, da sie für dessen Entstehung aufschlussreich sind. Im März des Jahres 2021 zeigte mir der Professor einen Text mit dem Titel „Hermeneutische Phänomenologie der Zeit. Heideggers ZeitAnalysen in ‚Sein und Zeitʻ“, der die Dokumentation zweier akademischer Seminare darstellte, die er im Sommersemester 1998 und im Wintersemester 1998/99 an der Universität Freiburg gehalten hatte, also kurz bevor er sich aus Altersgründen zurückzog, nachdem er von 1979 bis 2000 ordentlicher Professor für Philosophie am Freiburger Seminar für Philosophie und Erziehungswissenschaft gewesen war. Der Professor zeigte mir dieses Material, das er in einer gelben Mappe aufbewahrte und im Hinblick auf eine Publikation anlässlich des 2027 anstehenden hundertsten Jahres seit der Veröffentlichung von „Sein und Zeit“ überarbeiten wollte. Er war sehr glücklich, dieses Material wieder in die

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Hand nehmen zu können, und wiederholte oft, dass er sich diesem neuen Publikationsprojekt widmen wolle, um den Autor von „Sein und Zeit“ zu würdigen. Außerdem war er bei der Lektüre dieser Dokumente sehr gerührt, weil sie von seinen besten Studenten verfasst worden waren, die das während der Seminarsitzungen von ihm Vorgetragene treu aufgezeichnet hatten. In seinem Vorwort schreibt der Professor: „Die Anfertigung des Protokolls einer jeden Seminarsitzung hatte in Freiburg eine weit zurückreichende Tradition.“ Schon Martin Heidegger und später Eugen Fink hatten diese Art der Aufzeichnung ihrer Seminare eingeführt, so dass sie zur Tradition wurde, die Friedrich-Wilhelm von Herrmann auch in den langen Jahren seiner eigenen Lehre an der Universität Freiburg weiterführen wollte. Und nachdem wir darüber gesprochen hatten, beschlossen wir, dem Leser diese wichtige historische Periode „zurückzugeben“, damit dieser das tätige Denken von Martin Heidegger und Eugen Fink an der Universität Freiburg und damit die in jenen Jahren sich bildende kulturelle Bewegung nachvollziehen konnte. Der Professor beschloss also, und zwar bereits im Jahr 2020, seine Erinnerungen zu sammeln, die später in der Zeitschrift „Humanitas“ veröffentlicht wurden.79 Ihm war diese vom italienischen Verlag Morcelliana herausgegebe Zeitschrift sehr lieb, weil ihn mit dem Verlagsdirektor, Prof. Dr. Ilario Bertoletti, eine enge Freundschaft verband. Wie gewohnt, bat der Professor seine Ehefrau, Dr. med. Veronika von Hermann, auch den Text der Protokolle der Seminare über die Zeitlichkeit am Computer abzuschreiben, um ihn dann zur Kontrolle nochmals zu lesen und anschließend zu veröffentlichen. Anlässlich meiner letzten Reise nach Freiburg im Juli dieses Jahres teilte mir aber der Professor mit seiner energischen, wenn auch leisen Stimme mit, dass er im Moment die Kraft nicht habe, den Text durchzulesen, und dass er es in Zukunft machen werde. Doch leider verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand des Professors altersbedingt immer mehr und ich merkte, dass seine Kräfte schwanden. Viele Anzeichen deuteten darauf hin, dass mir der Professor nach und nach alle Anweisungen in Bezug auf das in seinem Archiv vorhandene Material geben wollte. Die Anweisungen, was ich in Zukunft damit machen sollte, schienen mir wie ein schrittweises Abschiednehmen – und das waren sie dann auch! Jedoch 79

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Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Jan Patočka e Eugen Fink [it. Übers. von F. Alfieri]. In: Humanitas LXXV (3/2020), S. 504–505; ders.: Eugen Fink docente a Friburgo [it. Übers. von F. Alfieri]. In: Humanitas LXXVI (6/2021), S. 897–905.

war der Professor dabei immer heiter und vor allem Herrn Dr. Mark Michalski gegenüber sehr dankbar, welcher sich als kompetenter Fachmann um die Veröffentlichung der letzten noch ausstehenden Bände der Martin-Heidegger-Gesamtausgabe kümmern würde. Heidegger selbst hatte zu Lebzeiten noch seinen Assistenten, den damaligen Privatdozenten von Herrmann, als wissenschaftlichen Hauptverantwortlichen der 1975 begonnenen und heute noch in Arbeit befindlichen Gesamtausgabe bezeichnet. Und diese zu vollenden war für den Professor ein Anliegen, das ihn bis zu den letzten Augenblicken seines Lebens beschäftigte, denn er hatte Heidegger und seiner Frau Elfride Heidegger (geb. Petri, 1893–1992) versprochen, dass er diese Aufgabe getreu ausführen würde. Wer Seite an Seite mit dem Professor arbeiten durfte, weiß, dass er deutsch-preußisch war, dass für ihn das gegebene Wort eine moralische Pflicht bedeutete, die bis zum Schluss mit vollem Einsatz zu erfüllen ist. Mit diesem Grundsatz ging der Professor die ihm von Eugen Fink anvertrauten Aufgaben an, als er von 1961 bis 1970 dessen Assistent war, und danach als Privatassistent Martin Heideggers bis zu dessen Ableben. Für den Professor war die Unterstützung von Herrn Michalski überaus wichtig, denn dank seinem Einsatz wird die Gesamtausgabe in wenigen Jahren zu Ende geführt werden können. Daher denke ich, dass man in Zukunft, wenn man von Martin Heidegger sprechen wird, neben dem Namen von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, dem Hauptmitarbeiter an der Gesamtausgabe, auch die Namen von Mark Michalski, Günther Neumann, Paola-Ludovica Coriando – die jenem nach seinem eigenen Zeugnis von allen seinen ehemaligen Doktoranden am nächsten stehen – und vielen anderen Mitarbeitern an der Gesamtausgabe nennen wird, weil dank ihrer harten Arbeit Martin Heideggers Gedanken stets für die wissenschaftliche Gemeinschaft lebendig und aktuell sein werden, genau wie die Freiburger Phänomenologie, die mit Edmund Husserl begann und über Eugen Fink und Martin Heidegger bis zu FriedrichWilhelm von Herrmann gelangt ist. Dass wir dieses heute veröffentlichte Buch Herrn Michalski zur Herausgabe anvertrauen durften, ist für uns eine große Freude, weil seine gründliche Kenntnis der Gedanken Heideggers und seine meisterhafte editorische Arbeit dem Leser erlauben, nun auch – nachträglich – einigen Seminaren von Herrmanns beizuwohnen.

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Es sei mir erlaubt, diese wenigen Zeilen mit einer Erinnerung abzuschließen, die der Professor gern und oft wachrief: Für ihn war Heidegger vor allem der Autor von „Sein und Zeit“, einem Werk, das seinen Autor innerhalb der Geschichte der Philosophie neben die Großen stellte wie Husserl, Kant, Hegel, Leibniz. Oft schilderte er mir, wie ihn sein Vater in den fünfziger Jahren zu Heideggers Hütte in Todtnauberg begleitete. Der Bau dieser Hütte war schon 1922 eigens von seiner Ehefrau Elfride veranlasst worden, damit ihr Ehemann seine Forschung in aller Ruhe weiterführen konnte, fern vom Freiburger Trubel. Als er in die Nähe der Eingangstür gelangte, hieß ihn Frau Elfride willkommen und ließ ihn im Speisezimmer Platz nehmen, das gleich beim Eingang zu dem kleinen Wohnhaus lag. Der damalige Student von Herrmann war sehr beeindruckt von der herzlichen Aufnahme, nicht zuletzt, weil er unangekündigt gekommen war. Trotzdem ging Frau Elfride zu ihrem Mann und sagte ihm, dass ein junger Wissenschaftler gekommen war, um ihm einige philosophische Fragen zu stellen. Mit den folgenden Worten erinnerte sich der Professor an jenes Treffen: „Plötzlich trat der Autor von ‚Sein und Zeit‘ ins Zimmer, wo ich saß, und ich war wie gebannt von jenem kleinen Mann mit einem derart magnetischen Blick, dass sein Gegenüber bestürzt war. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte, und da seine Frau meine Verlegenheit bemerkte, begann sie selber über mich zu sprechen anhand der wenigen Sätze, die ich bei meiner Ankunft ausgesprochen hatte. Erst als sie fertig gesprochen hatte, fragte mich Heidegger, wer ich war und warum ich ihn besuchte. Ich werde nie vergessen, wie Heidegger auf meine Fragen zu ‚Sein und Zeit‘ zuerst eine Weile schwieg. Bei diesem ersten Mal in der Hütte wurde mir das Sakrale jenes Schweigens bewusst, das stets maßvoll und meditativ war, wie übrigens seine ganze Lebensweise.“ Danach schloss er: „Heidegger zeigte sich seinen Gesprächspartnern gegenüber stets sehr respektvoll und hörte ihnen aufmerksam zu. Seine Antworten begleitete er immer mit Momenten des Schweigens, in denen das ausgesprochene Wort die Zeit haben sollte, sich im Sprecher wie im Hörer zu verwurzeln. Das Schweigen diente dem Wort, damit es Wurzeln schlagen konnte.“ Ein herzliches Dankeschön geht an Herrn Daniel Seger, dem Programmleiter des Verlags Königshausen & Neumann, dafür, dass er diese wichtige Veröffentlichung ermöglicht hat. Gedankt sei auch dem Leser, der Heideggers Pfad folgen will, auf dem Prof. von Herrmann über vierzig Jahre lang ehrlich und verantwortungsvoll voranging.

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Heideggers Erbe kann nur von jenen aufgenommen werden, die bereit sind, Heidegger zuzuhören und über seine Worte in derselben Einsamkeit zu meditieren, in der sich das Leben dieses Denkers abgespielt hat. Nardò, 25.XI.2022

Francesco Alfieri Nachlassverwalter und Archivar von Herrn Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm von Herrmann

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DIE SEMINARSITZUNGEN UND IHRE PROTOKOLLANTEN Die Nummerierung der Sitzungen entspricht der Nummerierung der Paragraphen des vorliegenden Buches. Sommersemester 1998 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Sitzung, 20. April 1998 Sitzung, 27. April 1998 Sitzung, 4. Mai 1998 Sitzung, 11. Mai 1998 Sitzung, 18. Mai 1998 Sitzung, 25. Mai 1998 Sitzung, 8. Juni 1998 Sitzung, 15. Juni 1998 Sitzung, 22. Juni 1998 Sitzung, 29. Juni 1998 Sitzung, 6. Juli 1998 Sitzung, 13. Juli 1998

Tsuyoshi Itaka Tsuyoshi Itaka Jonathan Morgan Jonathan Morgan Ino Augsberg Ino Augsberg Dorothea Schüle Dorothea Schüle César Lambert César Lambert Angel Xolocotzi Angel Xolocotzi

Wintersemester 1998/99 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Sitzung, 12. Oktober 1998 Sitzung, 19. Oktober 1998 Sitzung, 26. Oktober 1998 Sitzung, 2. November 1998 Sitzung, 9. November 1998 Sitzung, 16. November 1998 Sitzung, 23. November 1998 Sitzung, 30. November 1998 Sitzung, 7. Dezember 1998 Sitzung, 14. Dezember 1998 Sitzung, 11. Januar 1999 Sitzung, 18. Januar 1999

Jonathan Morgan Jonathan Morgan Ino Augsberg Ino Augsberg César Lambert César Lambert Angel Xolocotzi Angel Xolocotzi Barbara Peron Barbara Peron Ino Augsberg Holger Andreas

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13. Sitzung, 25. Januar 1999 14. Sitzung, 1. Februar 1999 15. Sitzung, 8. Februar 1999

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Holger Andreas Câtalin Cioaba Câtalin Cioaba

LITERATURVERZEICHNIS 1.

Texte Martin Heideggers

Sein und Zeit. 15., an Hand der Gesamtausgabe durchgesehene Auflage mit den Randbemerkungen aus dem Handexemplar des Autors im Anhang. Tübingen: Max Niemeyer, 1979. 19. Auflage Berlin: De Gruyter, 2006. Zollikoner Seminare. Protokolle – Gespräche – Briefe. Hrsg. von Medard Boss. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987. Sein und Zeit. Gesamtausgabe Band 2. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1977, 2. Auflage 2018. Wegmarken. Gesamtausgabe Band 9. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1976, 3. Auflage 2004. Einführung in die phänomenologische Forschung. Marburger Vorlesung Wintersemester 1923/24. Gesamtausgabe Band 17. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1994, 2. Auflage 2006. Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. Marburger Vorlesung Sommersemester 1925. Gesamtausgabe Band 20. Hrsg. von Petra Jaeger. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1979, 3. Auflage 1994. Die Grundprobleme der Phänomenologie. Marburger Vorlesung Sommersemester 1927. Gesamtausgabe Band 24. Hrsg. von FriedrichWilhelm v. Herrmann. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1975, 3. Auflage 1997. Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. Marburger Vorlesung Sommersemester 1928. Gesamtausgabe Band 26. Hrsg. von Klaus Held. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1978, 3. Auflage 2007.

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Zur Bestimmung der Philosophie. Frühe Freiburger Vorlesungen Kriegsnotsemester 1919 und Sommersemester 1919. Gesamtausgabe Band 56/57. Hrsg. von Bernd Heimbüchel. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987, 2. Auflage 1999. Grundprobleme der Phänomenologie. Frühe Freiburger Vorlesung Wintersemester 1919/20. Gesamtausgabe Band 58. Hrsg. von HansHelmuth Gander. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1993, 2. Auflage 2010. 2.

Weitere im vorliegenden Band erwähnte Literatur

Aristoteles’ Physik. Vorlesung über Natur. Erster Halbband: Bücher I(A)-IV(Δ). Übersetzt, mit einer Einleitung und mit Anmerkungen hrsg. von Hans Günter Zekl. Griechisch-Deutsch. Hamburg: Felix Meiner, 1987. Husserl, Edmund: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Hrsg. von Martin Heidegger. Halle a.d. S.: Max Niemeyer, 1928. 2. Auflage Tübingen: Max Niemeyer, 1980. 3. Auflage Berlin: De Gruyter, 1998. Edmund Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Husserliana Band VI. Hrsg. von Walter Biemel. Den Haag: Martinus Nijhoff, 1976. Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917). Husserliana Band X. Hrsg. von Rudolf Boehm. Den Haag: Martinus Nijhoff, 1966. Schöfer, Erasmus: Die Sprache Heideggers. Pfullingen: Günther Neske, 1962. 3.

Veröffentlichungen von Friedrich-Wilhelm von Herrmann zu Martin Heideggers „Sein und Zeit“ und zum philosophischen Zeitbegriff im Allgemeinen

Die Selbstinterpretation Martin Heideggers. Meisenheim am Glan: Anton Hain, 1964. Sein und Cogitationes. Zu Heideggers Descartes-Kritik. In: Vittorio Klostermann (Hg.): Durchblicke. Martin Heidegger zum 80. Geburtstag. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1970, S. 235–254. Bewußtsein, Zeit und Weltverständnis. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1971.

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Subjekt und Dasein: Interpretationen zu „Sein und Zeit“. Frankfurt a.M.: Klostermann, 1974. 2., stark erweiterte Auflage 1985. 3. erweiterte Auflage 2004, 4. Auflage 2014 [die beiden letzten Auflagen mit dem neuen Untertitel: Grundbegriffe von „Sein und Zeit“]. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Frankfurt a.M.: Klostermann, 1981. 2. Aufl. 1988 [in überarbeiteter Form wiederabgedruckt in: Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Hermeneutik und Reflexion (2000), S. 119–168]. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung von „Sein und Zeit“. Band 1: „Einleitung: Die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein“. Band 2: „Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“, § 9 – § 27. Band 3: „Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“, § 28 – § 44. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1987/2005/2008. Die Frage nach dem Sein als hermeneutische Phänomenologie. In: Edelgard Spaude (Hg.): Große Themen Martin Heideggers. Eine Einführung in sein Denken. Freiburg: Rombach, 1990, S. 11–30. Heideggers „Grundprobleme der Phänomenologie“. Zur „Zweiten Hälfte“ von „Sein und Zeit“. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1991. Der Zeitbegriff Martin Heideggers. In: Mesotes. Supplementband Martin Heidegger. Wien: Wilhelm Braumüller, 1991, S. 22–34. Von „Sein und Zeit“ zum „Ereignis“. In: Hans-Helmuth Gander (Hg.): Von Heidegger her. Wirkungen in Philosophie, Kunst, Medizin (= Martin-Heidegger-Gesellschaft. Schriftenreihe. Bd. 1). Frankfurt a.M.: Klostermann, 1991, S. 29–50. Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 1992. Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit. In: Philosophisches Jahrbuch 100, 1993, S. 96–113. Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Frankfurt a.M.: Klostermann, 2000. Augustinus im Denken Heideggers. In: Günther Pöltner / Matthias Flatscher (Hg.): Heidegger und die Antike. Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang, 2005, S. 149–160. Fundamentalontologie – Metontologie und die existenziale Anthropologie. In: Reinhold Esterbauer / Martin Ross (Hg.): Den Menschen im Blick. Phänomenologische Zugänge. Festschrift für Günther

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Pöltner zum 70. Geburtstag. Würzburg: Königshausen & Neuman, 2012, S. 41–60. „Sein und Zeit“ im Licht von Heideggers „Laufenden Anmerkungen zu Sein und Zeit“. Von „Sein und Zeit“ zu „Zeit und Sein“. In: Heidegger-Studies 35, 2019, S. 77–87. 4.

Von Friedrich-Wilhelm v. Herrmann betreute Dissertationen zu „Sein und Zeit“

Blust, Franz-Karl: Selbstheit und Zeitlichkeit. Heideggers neuer Denkansatz zur Seinsbestimmung des Ich. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1987. Bohlen, Stephanie: Die Übermacht des Seins. Heideggers Auslegung des Bezuges von Mensch und Natur und Hölderlins Dichtung des Heiligen. Berlin: Duncker & Humblot, 1993. Cheong, Eunhae: Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins. Berlin: Duncker & Humblot, 2000. Gebert, Sigbert: Negative Politik. Zur Grundlegung der Politischen Philosophie aus der Daseinsanalytik und ihrer Bewährung in den Politischen Schriften Martin Heideggers von 1933/34. Berlin: Duncker & Humblot, 1992. Kalariparambil, Tomy S.: Das befindliche Verstehen und die Seinsfrage. Berlin: Duncker & Humblot, 1999. Knapp, Natalie: Herz – Raum – Geschehen im Augenblick. Erfahrungen mit dem Wesen des Menschen in der Begegnung von Dichten und Denken. Heidegger – Derrida – Rilke. Frankfurt a.M.: Verlag Neue Wissenschaft, 2001. McDonald, Peter J.T.: Daseinsanalytik und Grundfrage. Zur Einheit und Ganzheit von Heideggers „Sein und Zeit“. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997. Michalski, Mark: Fremdwahrnehmung und Mitsein. Zur Grundlegung der Sozialphilosophie im Denken Max Schelers und Martin Heideggers. Bonn: Bouvier, 1997. Neumann, Günther: Die phänomenologische Frage nach dem Ursprung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Raumauffassung bei Husserl und Heidegger. Berlin: Duncker & Humblot, 1999. Rodriguez, Agustin: Wahrheit und Befindlichkeit in der Fundamentalontologie. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2003.

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von Ruckteschell, Peter: Die Intentionalität im frühen Denken Heideggers. Von der Urwissenschaft zur Fundamentalontologie. Freiburg: HochschulVerlag, 1999. Schönleben, Erich: Wahrheit und Existenz. Zu Heideggers phänomenologischer Grundlegung des überlieferten Wahrheitsbegriffes als Übereinstimmung. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1987. Shin, Sang-Hie: Wahrheitsfrage und Kehre bei Martin Heidegger. Die Frage nach der Wahrheit in der Fundamentalontologie und im Ereignis-Denken. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1993. Tzavaras-Dimou, Anastasia: Phänomenologie der Aussage. Eine Untersuchung zu Heideggers existenzial-ontologischer Interpretation des Aristotelischen λόγος ἀποφαντικός. Phil. Diss. Freiburg 1992. Uscatescu Barrón, Jorge: Die Grundartikulation des Seins. Eine Untersuchung auf dem Boden der Fundamentalontologie Martin Heideggers. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1992.

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PERSONENREGISTER

Aristoteles 21, 28, 79, 105f., 121, 195 Augustinus 105f. Bergson, Henri 28 Descartes, René 183 Fichte, Johann Gottlieb 50 Fink, Eugen 10f. Grimm, Jacob und Wilhelm 59, 100 Hartmann, Nicolai 183 von Herrmann, Friedrich-Wilhelm 12, 95, 144, 167 Husserl, Edmund 14–16, 23, 47, 53, 61f., 68f., 91, 97, 147f., 150 Kant, Immanuel 10, 75, 105f., 167 Schöfer, Erasmus 60 Schütz, Egon 9 Seneca 106 Thomas von Aquin 79 Walther von der Vogelweide 59 Zekl, Hans Günter 195

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SACHREGISTER

Abständigkeit 81 Alltäglichkeit, durchschnittliche 23, 32, 96 Angst 113–116, 124–132, 187 Anwesenheit 169 Aufenthaltslosigkeit 140f. Auf-sich-zukommen 45–48, 51–54, 56, 58f., 61, 64, 67–70, 73, 74–77, 84, 86–88, 90f., 94, 98–101, 109, 111f., 118f., 123, 130, 132, 139, 168, 179, 184f. Auf-sich-zurückkommen 49, 51–54, 56, 58, 61, 64, 70, 73–77, 100f., 109, 119, 123, 132, 168, 179, 184f., 187 Augenblick 72, 101–104, 112, 126, 132f., 141, 186f., 189 Auslegung 16, 23, 32, 41, 62, 80–82, 134, 143, 145, 192f., 196–198, 201, 204 Aussage 32, 175 Bedeutsamkeit (als Weltlichkeit) 31, 125, 127, 131, 162f., 165, 174, 182, 194, 210 Bedeutsamkeit (als Charakter der Weltzeit) 16, 48, 62f., 78, 110, 194, 207, 209–212 Befindlichkeit 32, 82f., 86, 111–118, 124, 127, 131, 134, 143–145, 168, 186, 188f. Behalten 78, 91, 95, 97, 103, 157f., 163, 188f., 196–200, 202–204, 209 Bergen 52f. Besorgen (theoretisches) 146, 158, 174–178 Besorgen (umsichtiges) 40, 48, 52, 54, 78, 82, 88–91, 97–99, 103, 109–111, 117–126, 128f., 131, 133–135, 138–142, 144–159, 161, 163, 172, 174– 178, 181f., 185–192, 195–202, 204, 206–212 Bewandtnis 31, 111, 124–127, 133, 136, 139, 149–158, 161–165, 168, 172, 177f., 182, 188–190, 194, 196–198, 201f., 210 Dasein 15f., 18f., 22f., 25 Daß-sein (existentia) 22, 153 Datierbarkeit 16, 48, 62f., 78, 110, 197, 200–202, 204f., 207, 212 Differenz, ontologische 16, 67, 153, 161f. Durchschnittlichkeit 81

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Eigentlichkeit/Uneigentlichkeit 23, 31, 33–35, 38–41, 43, 45f., 48–53, 55–58, 60–66, 71f., 75, 79–81, 83–96, 98–104, 107, 109–115, 117–121, 123f., 126–133, 136f., 139, 141f., 148, 159, 168, 181, 184–191, 205– 208, 213f. Einebnung 81 Ekstasen (der Zeitlichkeit) 19, 53, 77, 88, 92, 95f., 98f., 102–104, 110f., 115–120, 123, 126f., 129–134, 137, 141–144, 157–160, 165–170, 172– 174, 178–180, 184–188, 198, 213 ekstatischer Charakter (Außer-sich-sein, Entrücktsein) 16, 52f., 58, 72, 75–78, 88, 91, 96–98, 102, 104, 110, 112, 123, 160, 166–168, 170, 174, 179, 200, 202, 204f., 207f. Entdecken/Entdecktheit 16, 33, 40, 52–56, 58, 108, 122, 125, 127, 135, 144, 146, 150–158, 161–163, 172, 174, 176f., 180–182, 184–186, 188– 190, 195, 197, 201f., 206, 209f. Entgegenkommen 81 Entschlossenheit 40–43, 45f., 49, 52–56, 60f., 64–66, 72, 81, 84, 86, 88, 92, 100–102, 104, 130 Entwurf/Entwerfen/Sichentwerfen (Existenzialität) 16, 30, 32, 36–40, 42–52, 56f., 67, 69f., 72, 80f., 83f., 86f., 89f., 92–94, 98-100, 104, 108f., 111, 113, 115, 117f., 124–131, 133, 138, 154–156, 161, 164, 167, 171, 173–175, 181f., 184–187, 192, 197f., 206 Erinnerung/Wiedererinnerung 14, 16, 53, 90f., 95–98, 103, 129 Erschlossenheit 16, 18, 32f., 36, 41–44, 46f., 50–53, 55–61, 66, 69f., 72–78, 80–90, 92–94, 96, 100–102, 104, 108–111, 113–122, 124–132, 138, 143–145, 149–174, 178–180, 182, 184–188, 190, 202, 205f., 208–210 Erstrecktheit (der Zeitlichkeit) 204f., 207 Erwartung 14–16, 47, 53, 91, 103, 126 Existenz 16, 18–20, 23, 26–30, 32f., 36–38, 43–45, 49f., 56f., 68, 74–77, 106, 108f., 117, 127, 130, 150, 165–167, 174, 178, 200 Freiheit 180f. Fürsorge 110, 134, 146, 210 Fundamentalanalyse, vorbereitende 24, 27, 30–36, 38, 40, 44, 80, 82, 108, 110–113, 115, 143, 145f., 161, 164, 210 Fundamentalontologie 19, 25f., 53, 183 Furcht 32, 112–124, 126, 129–131, 139f., 158, 186f. Gegenwärtigen 51–56, 58–61, 64, 67f., 70–74, 76–78, 81, 88, 90f., 98f., 101–104, 109, 112, 122–124, 127, 130–142, 144f., 152, 156–158, 163, 172, 179f., 182, 184–190, 196, 198–204, 209, 213

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Gegenwart (existenziale) 17, 43, 47, 52–55, 58–61, 63f., 68, 72–74, 76f., 83, 86–88, 92, 98–103, 109, 111f., 115f., 126, 131–135, 137f., 140– 142, 157, 168–173, 179f., 182, 184–187, 199, 201, 213 Gerede 32, 134 Geschichtlichkeit 107, 191 Gespanntheit 16, 48, 62f., 78, 110, 202–205, 207, 212 Gewärtigen 56, 78, 83, 88, 90–92, 96, 98f., 104, 112, 116, 118–120, 123– 126, 136–142, 152, 156–159, 163, 168, 186–189, 196–200, 202–204, 209 Gewesenheit (existenziale) 47, 49, 51f., 54, 58–61, 64, 67f., 70–77, 81, 83, 86, 90–96, 98f., 101, 103, 109, 111f., 115–120, 123, 126, 129–132, 134, 136f., 139, 141f., 157f., 168–171, 173, 179, 184–188, 213 Gewissen 27, 33, 35, 37–39, 41, 45f., 49, 133 Geworfenheit (Faktizität) 32, 37, 40, 44, 49–52, 67, 70, 72, 93f., 96, 100, 104, 108, 113–115, 120–122, 124, 126, 129–133, 137, 142, 160, 164, 168f., 171, 173f., 178, 180f., 185, 188, 191 Grundartikulation des Seins 153 Horizont, hermeneutischer 24f. In-der-Welt-sein 30–33, 36–38, 41, 43, 45f., 48, 50–52, 55f., 66, 69, 82, 84, 87–89, 91, 100f., 104, 108f., 113, 118, 121f., 124–126, 128f., 149, 158f., 164, 174, 181, 184–186, 188, 197f., 205–208, 210 Innerzeitigkeit 18, 28, 107, 183, 190, 193f. In-Sein 30–32, 143, 205 Intentionalität 14, 53, 84, 95, 150, 209 Jemeinigkeit 23, 30–32, 133 Jetzt-Zeit (pure) 13f., 17, 19, 28, 47, 51, 62f., 68–70, 78, 102, 105–110, 158, 167, 183, 193–195, 197, 199, 207, 211, 214. Leben 47 Man (-selbst) 31, 81, 85, 87, 89f., 93f. Metontologie 25, 40, 81 Mitdasein 31 Mitsein/Miteinandersein 31f., 81, 85, 92f., 110, 145, 205f. Mitwelt 93 Möglichkeit 36–39, 42f., 45–52, 55–57, 66f., 69, 74–76, 84, 86f., 89, 91, 93f., 99f., 108f., 111, 113, 117, 122, 126-133, 136–141, 149, 164f., 168, 181, 185–188, 210 Naturzeit 14 Neugier 32, 134–142, 187

237

Öffentlichkeit (als Charakter des Man) 81, 206f. Öffentlichkeit (als Charakter der Weltzeit) 16, 48, 62f., 78, 110, 194, 202, 205–207, 212 Phänomenologie/phänomenologisch 14–17, 22–24, 27–31, 38, 40, 42, 45, 54, 105f., 148, 177f., 189, 193, 197, 201 Praesenz 169, 213 Protention 14–16, 47, 62, 68, 91 Räumlichkeit 82 Rechnen (mit der Zeit) 191–196 Rede 32, 82f., 111, 134, 137, 143–145, 196 Reproduktion 97 Retention 14–16, 62, 68, 97 Schema, horizontales 160f., 165–173, 213 Schuldigsein (wesenhaftes) 49f. Sein-bei ... 30–32, 40, 43f., 52–54, 56, 65, 67, 70–72, 76, 81–83, 88, 90, 98f., 104, 108f., 133–135, 146–151, 154f., 174–178, 197, 201 Seinkönnen 36–41, 44–46, 48, 50, 57, 60, 81, 83–85, 87–89, 93–96, 99, 101, 112, 118–124, 126–131, 135, 138–142, 164f., 168, 171f., 185– 187, 196, 198 Seinsentlastung 81 Seinsfrage / Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt 17–19, 21f., 24, 26, 29, 34 seinsgeschichtliches Denken 53, 76, 191, 196, 213 Selbst/Selbstsein 31, 41, 56f., 77, 81, 85, 89, 92–94, 114f., 117, 145, 159, 166, 179, 198 Selbst-ständigkeit 41 Sinn 17–22, 40–42 Situation 52f., 55f., 71f., 101f., 109, 112, 130, 132, 135, 141, 185, 188f. Sorge 24, 26, 30, 32–35, 38–46, 49, 51f., 54–57, 60f., 65–68, 70–74, 77f., 80–83, 86f., 103, 105, 107–109, 133f., 145, 155, 165, 204 Sprache 32, 83, 106, 143f., 196 Stimmung 32, 113–124, 127, 129, 133f., 186 Temporalität 29, 111, 160, 166, 169 Tier 47 Tod (Sein zum Tode) 27, 33–39, 41, 45f., 48, 86, 111f., 133, 185 Transzendenz (der Welt / des Daseins) 82, 111, 145, 159f., 169, 175–178, 182f. Unständigkeit 85 Unverweilen 140f. Urimpression 14–16, 62, 68

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Vereinzelung 85, 92f. Verfallen 32, 53, 56, 71f., 81–83, 86f., 98, 103, 111, 117, 127, 133–135, 137, 139, 141–145, 187, 199 Vergangenheit 13f., 51, 59, 61, 63f., 97, 109, 199 Vergegenwärtigung 53, 97, 147 Vergessen/Vergessenheit 56, 83, 90f., 94–98, 104, 112, 115, 117f., 120– 124, 129, 131, 137, 142, 152, 156–159, 163, 186–189, 199 Verstehen 16, 18–20, 26f., 29, 32, 34, 36, 39–41, 44, 50–52, 56f., 70, 80– 95, 98–100, 103–106, 108, 110–113, 115, 117, 120f., 125–127, 133– 136, 138–140, 142–145, 149–152, 154–157, 159, 161–166, 176f., 182, 184–186, 188–193, 195–198, 201f., 204f., 208 Verwahren 52f. Vorhandenheit 18, 31, 68, 102, 117f., 124f., 135f., 139, 146, 149f., 153, 158, 160, 166, 169, 174–178, 183, 195, 200, 209f. Vorlaufen 39–43, 45f., 48f., 51f., 54, 56, 60f., 64–66, 72, 81, 86–88, 90, 92, 94, 98, 100f., 104, 111f., 118, 126, 131, 168, 185–187, 189 vulgärer Zeitbegriff (vulgäres/gewöhnliches Zeitverständnis) 17f., 28, 58, 61f., 68f., 77–79, 106f., 183, 190, 193–195, 199 Wahrnehmung 14, 16, 53, 97, 103, 114, 135, 147, 150, 153 Was-sein (essentia) 22, 153f., 161, 178, 180 Welt 28, 31f., 38, 55–58, 71, 73, 81f., 89f., 94, 99, 108, 111, 117, 125–128, 130f., 133, 145, 149–152, 154–169, 171–180, 182–186, 189, 194, 196, 198, 206, 208, 210f. Weltlichkeit 31, 162, 210 Weltzeit 16f., 48, 62f., 78f., 90f., 95–98, 102, 110f., 158, 183, 188–190, 193f., 196–212 Wiederholung 93f., 100f., 104, 110, 112, 129f., 185, 187, 189 Wie-sein 153f. Zeit, horizontale 17–20, 25, 28, 77, 160, 166f. Zeit, objektive 14f., 62 Zeit, phänomenologische 15 Zeitbewußtsein, inneres/subjektives 14–16, 61f., 68 Zerstreuung 101, 140f. Zeug 31, 149–159, 161, 163, 177f., 181f., 184f., 188f. Zuhandenheit 31, 40, 52f., 71, 102, 117f., 124, 135f., 139, 146f., 149–151, 153f., 156, 158, 160–163, 166, 169, 172, 174–178, 183, 195, 201 Zukunft (existenziale) 43, 45, 47–52, 54, 58–61, 64, 67–77, 81, 83–88, 90–92, 98–101, 103, 109, 111, 115f., 118f., 123, 126, 130–132, 134, 136f., 139, 141f., 157, 168–173, 179, 184f., 187f., 199, 213 Zweideutigkeit 32, 134

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Transzendenz und Ereignis Heideggers „Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)“ Ein Kommentar 266 Seiten | Hardcover | Format 15,5 × 23,5 cm ISBN 978-3-8260-6853-9

Hier wird der lange vermißte und daher seit langem erwartete erste Kommentar zu Martin Heideggers zweitem Hauptwerk aus der Mitte der 30er Jahre „Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)“ vorgelegt. Dieser Kommentar gibt dem Studierenden und Leser ein sicheres Hilfsmittel an die Hand, um Heideggers Phänomenologie des Wesungsgeschehens der Wahrheit des Seyns als Ereignis gedanklich nachvollziehen zu können.

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Intentionalität und Welt in der Phänomenologie Edmund Husserls Zwei Freiburger Vorlesungen 370 Seiten | Hardcover | Format 15,5 × 23,5 cm ISBN 978-3-8260-7093-8

Dieses Buch enthält den hier und da überarbeiteten Text zweier Vorlesungen über Grundthemen aus der Phänomenologie Edmund Husserls, die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gehalten wurden: »Husserls Phänomenologie der Intentionalität des Bewußtseins« aus dem Wintersemester 1975/76 und »Husserls Phänomenologie der Welt und des Weltbewußtseins«, vorgetragen im Sommersemester 1971. Die Vorlesung über die Intentionalität des Bewußtseins setzt ein bei der V. Logischen Untersuchung unter Einbezug von Franz Brentano und Eugen Fink, und sie setzt sich fort im Übergang zur Intentionalität in den Ideen I. Die Vorlesung zu Husserls Welt-Begriff handelt vom Begriff der Welt in den Ideen I sowie von der Lebenswelt in der Krisis der europäischen Wissenschaften und der Transzendentalen Phänomenologie.

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Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹ als Transzendentale Metaphysik 424 Seiten | Hardcover | Format 15,5 × 23,5 cm ISBN 978-3-8260-7316-8

Die von Kant selbst als »Metaphysik der Metaphysik« verstandene und so benannte Kritik der reinen Vernunft gelangt in der vorliegenden KantMonographie als Transzendentale Metaphysik zur Auslegung, indem die Transzendentalität der transzendentalen Aesthetik von Raum und Zeit sowie der Transzendentalen Analytik der reinen Verstandesbegriffe und Grundsätze des reinen Verstandes den leitenden Gesichtspunkt für die durchgehend phänomenologische Text- und Sachinterpretation bildet.

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