Hermann Roesler: Dokumente zu seinem Leben und Werk [1 ed.] 9783428523979, 9783428123971

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Hermann Roesler: Dokumente zu seinem Leben und Werk [1 ed.]
 9783428523979, 9783428123971

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ANNA BARTELS-ISHIKAWA (Hrsg.)

Hermann Roesler

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 136

Hermann Roesler Dokumente zu seinem Leben und Werk

Herausgegeben von

Anna Bartels-Ishikawa

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12397-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Dankbarkeit den Patres, die das Roesler-Archiv gegründet haben, und jenen, die es betreuen

Zum Geleit Verehrte Leserinnen dieser Edition, insbesondere der einleitenden KurzBiographie über Hermann Roesler, die Herausgeberin, Anna Bartels-Ishikawa, hat mich um ein Geleitwort gebeten zu diesem Werk über das Leben und die Wirkung des Konvertiten Roesler. Anna Bartels-Ishikawa hat ein sehr gediegenes, auch für den Nichtfachmann interessantes und aufschlussreiches Buch vorgelegt. In ihrer detailreichen Einleitung gibt sie einen umfassenden Überblick nicht nur über Leben und Werk Roeslers, sondern auch über das hiesige Archiv. Als Verwalter des Archivs in der Jesuitenresidenz Tokio freue ich mich ganz besonders, dass die Materialien, die hier aufbewahrt werden, einem ganz aktuellen Zweck neu zugänglich gemacht werden. Heute wird in Japan eine neue Verfassung diskutiert - es ist zu bedauern, dass der Beitrag Roeslers zur Meiji-Verfassung in diesem Zusammenhang nicht entsprechend gewürdigt wird. Darüber hinaus ist Roesler weder als Fachmann auf seinem Gebiet des Verwaltungs- und Handelsrechts noch wegen seines Beitrags zu den deutsch-japanischen Beziehungen die Anerkennung zuteil geworden, die er verdient hätte. Ich würde mich freuen, wenn dieser Band einen neuen Anstoß zur Beschäftigung mit dem Werk Roeslers geben würde. Tokyo, im Juni 2007

Klaus Luhmer, SJ.

Vorwort Den Anstoß zur Publikation des vorliegenden Bandes gab ein Vortrag, den ich über Hermann Roesler im Rahmen des Deutschlandjahres in Japan im Jahre 2005 in Tokyo hielt. Damals erfuhr ich, daß im Archiv des S.J.House in Tokyo Originaldokumente von Roesler aufbewahrt werden. Nachdem ich diese hatte einsehen dürfen, entstand in mir der Wunsch, sie - soweit wie möglich - dem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Gerade für nicht in Japan lebende Forscher erschien mir eine solche Publikation besonders wünschenswert. Im Zusammenhang mit der Edition des vorliegenden Bandes möchte ich verschiedenen Personen und Institutionen danken. Besonders Pater Klaus Luhmer S.J., in dessen Obhut sich heute das Roesler-Archiv befindet, danke ich von ganzem Herzen für seine großzügige und wohlwollende Unterstützung sowie für die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Dokumente. Ohne ihn gäbe es dieses Buch nicht. Für die finanzielle Unterstützung, die die Edition erst möglich gemacht hat, möchte ich meinen Dank gleichermaßen dem deutschen Bundesministerium der Justiz und der japanischen Ekusa-Stiftung zur Förderung der Sozialwissenschaften in Tokyo für ihre jeweiligen großzügigen Druckkostenzuschüsse aussprechen. Außerdem danke ich Herrn Niklas Altgraf zu Salm-Reifferscheidt für seine Erlaubnis, Dokumente aus seinem Familienarchiv verwenden zu dürfen. Ferner gilt mein Dank Frau M. Böhmcker und Frau V. Calenberg-Onishi, die mir unermüdlich bei der Übertragung der Dokumente in den Computer geholfen haben. Last but not least sei all jenen von Herzen gedankt, deren Namen ich jetzt hier nicht im einzelnen aufzählen kann, die aber ebenfalls an der Entstehung dieses Bandes mit Rat und Tat beteiligt waren. Tokyo, im Mai 2007

Anna Bartels-Ishikawa

Inhaltsverzeichnis Einleitung I.

9

Quellenlage

15

1. Das Archiv im S.J.-House

15

a) Der Inhalt des Archivs

15

b) Die Entstehung des Archivs

15

2. Die Briefe

18

3. Die Erinnerungen von Elisabeth Roesler

20

4. Die Familienfotografien

23

5. Familiendokumente

23

a) Lina Roeslers Notizbuch

23

b) Familienanzeigen

24

II. Hermann Roeslers Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung des Archivs des S.J.-House 1. Roesler in Deutschland a) Herkunft, Kindheit und Studium b) Die Rostocker Zeit

25 25 25 30

aa) Roesler - der „Kathedersozialist"

32

bb) Das Deutsche Verwaltungsrecht - das sociale Verwaltungsrecht

34

(1) Roeslers Intention

35

(2) Roeslers Grundpositionen

37

(3) Roeslers methodologischer Ansatz

43

c) Das Angebot Aokis d) Die Konversion und Abreise nach Tokyo 2. Roesler in Japan a) Roeslers Leben in Tokyo

45 50 52 52

aa) Der Alltag

52

bb) Roeslers außerberufliches Engagement

56

(1) Mitglied in der OAG

56

(2) Verein für Deutsche Wissenschaften

56

(3) Roeslers „Briefe aus Japan"

58

b) Roeslers Tätigkeit als Berater des Außenministeriums

60

aa) Roeslers Entwurf des japanischen Handelsgesetzbuches (= HGB)

61

bb) Das Scheitern des Entwurfs des Handelsgesetzbuches

62

c) Roesler als Berater von Fürst Ito aa) Roeslers Teilnahme an japanischen Gesandtschaften

67 68

8

Inhaltsverzeichnis bb) Roesler und die Meiji-Verfassung (1) Entwurf der Meiji-Verfassung und Roeslers Mitarbeit

69 69

(2) Roeslers eigener Verfassungsentwurf

72

(3) Fertigstellung der Verfassung und ihr Erlaß

74

(4) Inhalt der Meiji-Verfassung und Roeslers Einfluß

75

III. Roeslers Rückkehr

81

Schlußbetrachtung

87

IV. Dokumente

93

1. Stammbaum der Familie Roesler

95

2. Kurzbiographie von Hermann Roesler (1834-1894)

96

3. Briefe von Hermann Roesler und seiner Familie

97

4. Erinnerungen von Elisabeth Roesler an ihren Vater

124

5. Die Familienfotografien

163

6. Familiendokumente

183

a) Lina Roeslers Notizbuch

183

b) Familienanzeigen

186

Einleitung D e n N a m e n Hermann Roeslers hat jeder, der sich m i t der M e i j i - Z e i t beschäftigt (hat), schon einmal gehört. I n der M e i j i - Z e i t (1868-1912) spielte Roesler vor allem als juristischer Berater der japanischen Regierung eine wichtige Rolle. V i e l e seiner deutschen Zeitgenossen, die fast alle zur gleichen Zeit i n T o k y o lebten w i e er (1879-1893), erwähnen i h n entweder i n ihren Werken oder Briefen. 1 A u c h auf japanischer Seite genoß er große A c h tung und z . B . kein geringerer als der damalige japanische Ministerpräsident, Fürst Ito, H i r o b u m i 2 , der maßgeblich an der Schaffung der Meiji-Verfassung beteiligt war, hob Roeslers Verdienste i n seinen M e m o i r e n hervor. 3 Trotzdem geriet Roesler zunächst vorübergehend i n Vergessenheit, w e i l er selbst ebenso w i e die übrigen an der Schaffung der Meiji-Verfassung Beteiligten über seine M i t w i r k u n g zu schweigen hatte. 4 Erst Suzuki, Yasuzo entdeckte i n den 1930er Jahren die Bedeutung Roeslers für die M e i j i - V e r fassung wieder. D u r c h die Veröffentlichung des Privatarchivs des bereits 1

Borchardt, Oscar, Die geltenden Handelsgesetze des Erdballs, Berlin 1885, Bd. III, Vorwort S. V I ff.; Mohl, Ottmar von, A m japanischen Hofe, Berlin 1904, S. 12; ders., Fünfzig Jahre Reichsdienst, Leipzig 1921, S. 220; Mosse, Albert und Lina, Fast wie mein eigen Vaterland, hrsg. von Ishii, Shiro et al., München 1995, S. 177 f., 182, 335, 458 sowie Ishii, Shiro, in: Albert und Lina Mosse, a.a.O., S. 53 f.; Schmiedel, Otto, Die Deutschen in Japan, Leipzig 1920, S. 45, 108, 122, 145, 159; Lönholm, Ludwig, Japanisches Handelsrecht, Tokyo 1895, S. 2 f., der allerdings Roeslers Namen falsch wiedergibt. 2 Japanische Namen werden i m Folgenden nach japanischer Reihenfolge geschrieben, d.h. zuerst der Familienname und dann der Rufname. Ito, Hirobumi, Fürst (1841-1909), führender Staatsmann, war Sohn eines Bauern, der von einem Samurai adoptiert wurde; ging als junger Mann heimlich nach England und gewann die Überzeugung, daß Japan sich öffnen und modernisieren müßte. Gehörte von Anfang an zum Führungskreis der Meiji-Politiker. Ito war ebenfalls ein Mitglied der Iwakura-Mission (1871-73), die durch Europa und Amerika zum Studium reiste. Danach übernahm Ito verschiedene Regierungsämter u.a. auch das Amt für das Rechtssystem (Housei Kyoku), das die Gesetzgebungsarbeiten beaufsichtigte. Studierte auf einer Europareise (1882/83) die europäischen Verfassungssysteme. Von 1885 bis 1900 war Ito Ministerpräsident. 1909 wurde er in Korea Opfer eines Attentats, nachdem Korea japanisches Protektorat geworden war. 3 Fürst Ito, Ito-ko Zenshu, 3. Bd. Jikiwa, S. 183, in: Suzuki, Yasuzo, Hermann Roesler und die japanische Verfassung, übersetzt von Johannes Siemes, in: Monumenta Nipponica, Volume IV, No. 1, Tokyo 1941, S. 68. 4 Michaelis, Georg, Georg Michaelis: Ein preußischer Jurist i m Japan der MeijiZeit, hrsg. von Becker, Bert, München 2001, S. 44 (Einleitung).

10

Einleitung

genannten Fürsten Ito im Jahre 1934 sowie des privaten Nachlasses von dessen engem Mitarbeiter, des Grafen Ito, Miyoji, 5 fand Suzuki Dokumente, die die Bedeutung von Roeslers Mitwirkung beim Entwurf der japanischen Verfassung erkennen ließen. 6 In der Folge veröffentlichte Suzuki mehrere Monographien und Artikel zu diesem Thema. 7 1940 erhielt er von Johannes Siemes S.J., der damals an der Sophia-Universität (= Jouchi-Univ.) als Professor lehrte, diejenigen Dokumente zur Einsicht, die Siemes und sein Ordensbruder, Pater Josef Keller S. J., von Roeslers jüngster Tochter, Elisabeth von Boreil - du Fernay, erhalten hatten. Auf der Basis dieses zusätzlichen Materials verfaßte Suzuki den 1941/42 von Siemes ins Deutsche übersetzten 3-teiligen Artikel über Roeslers Leben und Werk. 8 Siemes9 beschäftigte sich in den folgenden Jahren intensiv mit Roeslers staatsrechtlichem Wirken in Japan und konnte 1968 seine große auf Englisch verfaßte Monographie publizieren. 10 1975 folgte Siemes' deutschsprachige Monographie über Roeslers Beitrag an der Schaffung der Meiji-Verfassung. 11 Roeslers Wirken in Deutschland war ebenfalls fast in Vergessenheit geraten; es wurde erst durch die Forschungen von Anton Rauscher S.J., der zur gleichen Zeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes neben Siemes über Roeslers Wirken forschte, wieder breiteren Kreisen bekannt. 12 Die Frucht seiner Arbeit ist eine umfangreiche, vorzügliche Monographie über Roeslers Leben und Wirken in Deutschland. 1 3 Rauscher hat in seiner Habilitationsschrift Roeslers wissenschaftliches Werk, das in Roeslers „deutscher Zeit" entstanden ist, eingehend gewürdigt. Roesler wirkte nicht nur als Nationalökonom, der vehement gegen 5 Ito, Miyoji, Graf, (1857-1934), Sekretär von Fürst Ito, begleitete ihn auf dessen Europareise (1882/83), Chefsekretär des Kabinetts, Minister für Handel und Landwirtschaft, Mitglied des Geheimen Staatsrats. 6 Vgl. dazu Suzuki, Yasuzo, Hermann Roesler und die japanische Verfassung, übersetzt von Johannes Siemes, in: Monumenta Nipponica, Vol. IV, No. 1, Tokyo 1941, S. 55 f. 7 Suzuki, Yasuzo, Nippon-Kensei seiritsu-shi, 1933; ders., Nippon Kenpou-shi Kenkyu, 1935, S. 115 ff.; ders., Kenpou seitou to Roesuru, 1942. 8 Suzuki, Yasuzo, Hermann Roesler und die japanische Verfassung, übersetzt von Johannes Siemes, in: Monumenta Nipponica, Vol. IV, No. 1, Tokyo 1941, Vol. IV, No. 2, Tokyo 1941 sowie Vol. V, No. 2 Tokyo 1942. 9 Zu seinem Leben siehe unten I. 1. b), FN 41. 10 Siemes, Johannes, Hermann Roesler and the making of the Meiji-State, Tokyo 1968. 11 Siemes, Johannes, Die Gründung des modernen japanischen Staates und das deutsche Staatsrecht. Der Beitrag Hermann Roeslers, Berlin 1975. 12 Vgl. hierzu Rauscher, Anton, Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens, Habil., München 1969, S. 7 mit FN 4. 13 Rauscher, Anton, Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens, Habil., München 1969.

Einleitung

die von Adam Smith vertretene Lehre auftrat, sondern er beeinflußte, wie Rauscher nachweist, insbesondere die christliche Soziallehre durch seinen Begriff der sozialen Rechtsidee in den 1860er und 1870er Jahren. 14 Ferner hat Rauscher auch Roeslers Lebensweg anhand von Stadt- und Pfarrarchiven recherchiert. Ob er je in Tokyo das S.J.-Archiv besuchte, ist nicht bekannt, allerdings hat er - wohl durch Unterstützung von Siemes - auf dessen Dokumente zurückgegriffen. 15 Mario Losano gab 1984 die 1879/80 von Roesler verfaßten „Berichte aus Japan" heraus; 16 hierbei handelt es sich um mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von Roesler verfaßte Zeitungsartikel, die dieser in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" anonym innerhalb eines Jahres in der Regel unter dem Titel „Briefe aus Japan" veröffentlichte. 17 Diesen Zeitungsberichten, die überaus lesenswert sind, da Roesler in ihnen allgemein verständlich über die verschiedensten Themen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet und durchaus auch seinen Standpunkt klar vertritt, hat Losano eine sehr beachtenswerte Einleitung vorangestellt, in der er Roeslers ideengeschichtlichen „Hintergrund" und vor allem auch sein Wirken in Japan beleuchtet. 18 In jüngerer Zeit wurde in zwei Dissertationen vor allem Roeslers Mitwirkung an der Schaffung der japanischen Verfassung untersucht. 19 Beide Dissertationen behandeln zwar eingehend die Entstehung der Meiji-Verfassung, sind aber keine rechtshistorischen Untersuchungen im engeren Sinne. 20 Wenn es auch an wissenschaftlichen Darstellungen zu Roeslers verfassungsrechtlichem Wirken in Japan nicht fehlt, wobei Siemes' Abhandlungen weiterhin als grundlegend zu betrachten sind, so gibt es allerdings bis heute keine von einem Rechtshistoriker unternommene Gesamtschau von Roeslers Wirken in Deutschland und Japan, wenn man einmal von der eben erwähnten Einleitung Losanos absieht. 21 Roeslers Wirken einer solchen Betrachtung zu unterziehen, ist deshalb ein Ziel des vorliegenden Bandes. 14

Rauscher, a.a.O., S. 7. Rauscher, a.a.O., S. 8. 16 Roesler, Hermann, Berichte aus Japan (1879-1880), hrsg. von Losano, Mario, Edizioni Unicopli, Mailand 1984. 17 Zu Roeslers Autorenschaft vgl. Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. X V I I I f. 18 Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. V I I I ff. 19 Ando, Junko, Die Entstehung der Meiji-Verfassung (Diss.), München 2000; Schenck, Paul-Christian, Der deutsche Anteil an der Gestaltung des modernen japanischen Rechts- und Verfassungswesens, (Diss.), Stuttgart 1997. 20 Ando ist - soweit es den Angaben in ihrer Danksagung in ihrer Dissertation (a.a.O., S. 7) entnommen werden kann - Historikerin, Schenck ist ebenfalls Historiker, wie sich aus seinem Vorwort ergibt, Schenck, a.a.O., Vorwort S. 5. 21 Siehe oben S. 11 mit FN 18. 15

12

Einleitung

Ferner wurde bis heute keine eingehende Untersuchung vorgelegt, die sich mit Roeslers zweibändigem Lehrbuch über „Das deutsche Verwaltungsrecht" (1872) beschäftigt. 22 Sowohl Siemes als auch Rauscher berichten, daß Heribert Roesken an dem bereits genannten Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft ebenfalls mitgearbeitet und sich mit Roeslers verwaltungsrechtlichem Werk beschäftigt habe, weshalb Rauscher dieses Werk ausdrücklich nicht im Detail in seine Abhandlung miteinbezogen hat. 2 3 Jedoch konnten weder Losano noch die Verfasserin 1984 bzw. 2006 eine entsprechende Publikation von Roesken finden. 24 In zwei Werken, die sich mit der Geschichte des Verwaltungsrechtes beschäftigen, lassen sich allerdings kurze Betrachtungen zu Roeslers Werk finden. So legte Bodo Dennewitz 1948 in seinem auch heute noch sehr lesenswerten Werk „Die Systeme des Verwaltungsrechts" eine drei Seiten umfassende, sehr klare Analyse vor. 2 5 Lediglich auf einer halben Seite geht Michael Stolleis auf Roeslers Lehrbuch in seiner „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland" ein. 2 6 Auch Siemes behandelt in seiner oben genannten Monographie Roeslers „Deutsches Verwaltungsrecht", 27 wobei seine Betrachtung naturgemäß weder juristisch noch rechtshistorisch ist, sondern eher philosophisch und kulturhistorisch, was sich z.B. bei seiner Kritik an Ernst Forsthoff zeigt. 28 Insofern ist die umfassende rechtshistorische Aufarbeitung von Roeslers verwaltungsrechtlichem Werk ein Desiderat. Zwar kann in dem vorliegenden Band ebenfalls keine umfassende Untersuchung unternommen werden, da eine solche aufgrund der Bedeutung von Roeslers Werk zu umfangreich wäre für diese Publikation und deshalb einer selbständigen Abhandlung überlassen bleiben muß. Die folgenden Seiten sollen aber dem Leser zumindest einen ersten Einblick in Roeslers verwaltungsrechtliches Schaffen unter rechtshistorischem Aspekt geben. Dabei geht es insbesondere um Roeslers 22

Roesler, Hermann, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts. Das sociale Verwaltungsrecht, Bd. I, Erlangen 1872 und Bd. II, Erlangen 1873. 23 Vgl. hierzu oben S. 10 mit FN 12 sowie Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates, S. 9 mit FN 4, 11, 13 und 15 sowie Rauscher, a.a.O., S. 7 mit FN 4 und S. 8. 24 Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. V I I I mit FN 15. Auch die Nachforschungen der Verfasserin im Jahre 2006 unter anderem in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt blieben erfolglos. 25 Dennewitz, Bodo, (geb. Berlin 1908, gest. Bad Godesberg 1952, jurist. Promotion 1932), Die Systeme des Verwaltungsrechts, Ein Beitrag zur Geschichte der modernen Verwaltungswissenschaft, Hamburg 1948; zu Roesler, a.a.O., S. 101-104; Näheres siehe unten II. 1. b) bb) (2). 26 Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II. Bd., München 1992, S. 393 f.; Näheres siehe unten II. 1. b) bb) (3). 27 Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates, S. 21 ff. 28 Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates, S. 34 ff.

Einleitung

Verständnis vom Wesen des Rechts, die Einordnung seines Werkes in die Verwaltungsrechtswissenschaft seiner Zeit sowie um sein Verhältnis zu anderen Verwaltungsrechtlern seiner Zeit wie etwa Joseph Pözl, F.F. Mayer oder Otto Mayer. 2 9 Das Hauptanliegen, das mit dieser Publikation verfolgt wird, geht jedoch dahin, dem Publikum die in Tokyo im Archiv des S.J.-House aufbewahrten Dokumente weitgehend zugänglich zu machen, d.h. eine Quellensammlung zur Verfügung zu stellen und einen Überblick über die vorhandenen Dokumente zu geben, da es bis heute kein veröffentlichtes Archivverzeichnis gibt. Bei den Dokumenten handelt es sich um jene, die die bereits genannten Patres Keller S.J. und Siemes S.J. gesammelt und dann zu einem Archiv zusammengefaßt haben. 30 Diese Dokumente bildeten die Basis für die wissenschaftlichen Forschungen der beiden über Roesler. Herzstücke des Archivs sind eine Sammlung von Originalbriefen von Roesler und seiner Familie sowie eine kurze Biographie über Roesler von seiner jüngsten Tochter Elisabeth von Boreil - du Fernay, die diese 1938/39 auf Bitten Pater Kellers verfaßte. Da diese Dokumente in den genannten Publikationen in der Regel nur auszugsweise bzw. noch gar nicht zitiert wurden, werden sie auf den folgenden Seiten komplett veröffentlicht. Ähnliches gilt auch für die im Archiv aufbewahrten zahlreichen Fotografien von Roesler, seiner Familie bzw. den Orten, an denen er gelebt hat, von denen bisher - soweit die Verfasserin weiß - erst eine veröffentlicht wurde. Auch die noch vorhandenen Familienanzeigen werden erstmals als Ganzes publiziert. Da ein Mensch - wie Rauscher richtig äußert - „legitim nur aus seiner Zeit heraus verstanden und beurteilt werden" kann, 31 sind gerade für eine vertiefte Beschäftigung mit Roeslers Persönlichkeit und Wirken seine persönlichen Briefe, die Erinnerungen seiner Tochter, aber auch eine Auswahl von Fotografien äußerst nützlich; denn sie erlauben einen genauen Einblick in die damaligen Verhältnisse und vermitteln einen Eindruck, der die wissenschaftliche Bewertung nicht nur erleichtert, sondern u. U. sogar erst ermöglicht. Insofern soll dieser Band zukünftigen Forschern ihre Arbeit erleichtern. Um Roeslers Persönlichkeit dem Leser so nah wie möglich bringen zu können, wurden sein Leben und Werk bewußt nicht getrennt dargestellt. Der vorliegende Band ist vielmehr im Bewußtsein des inneren Zusammenhangs von Lebensweg und schöpferischer Leistung als integrierte Darstellung dieser beiden Aspekte verfaßt. Auf den folgenden Seiten werde ich zunächst einen Überblick über die Entstehung des Tokioter Archivs sowie über die Quellen an sich geben. Im 29 30 31

Siehe unten IL 1. a) sowie IL 1. b) bb) (1). Zur Geschichte dieses Archivs siehe unten I. Rauscher, a.a.O., S. 13.

14

Einleitung

Anschluß daran wird auf der Basis dieser Quellen ein Bild von Roesler als Mensch gezeichnet; es geht unter anderem darum zu zeigen, wie er lebte und arbeitete, wie er selbst seine Arbeit sah, wie er meinte, die soziale Frage in Deutschland lösen zu können, wie er das deutsche Verwaltungsrecht sah und wieviel Gewicht er selbst seinem Rat bei den Meiji-Politikern beimaß, ein Thema, zu dem sich Roesler z.B. in seinen Briefen äußerte. Von der Publikation einer Bibliographie sämtlicher Werke Roeslers wurde in diesem Band abgesehen, da Siemes und Rauscher in ihren Monographien bereits jeweils eine Bibliographie vorgelegt haben. 32

32

Rauscher, a.a.O., S. 291 ff.; Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates, S. 166 ff.

I. Quellenlage 1. Das Archiv im S. J.-House a) Der Inhalt des Archivs Das Roesler-Archiv, das heute vom Jesuitenorden im S. J.-House (Jesuitenresidenz) in Yotsuya, Tokyo, aufbewahrt wird, besteht aus vielen verschiedenen Teilen. Es ist in einem Stahlschrank untergebracht, wobei die einzelnen Teile des Archivs z.T. beschriftet sind. Zum Archiv gehören zunächst die bereits erwähnten Briefe Roeslers und seiner Familie sowie die ebenfalls bereits genannte Biographie Elisabeth Roeslers über ihren Vater. Ferner enthält es Fotografien der Familie Roesler, Originalzeitungen mit Geburts- und Todesanzeigen der Familie Roesler, Zeugnisse und ähnliche Dokumente sowie Manuskripte, die auf Keller zurückgehen. Diese Manuskripte lassen sich rein äußerlich in 3 Teile trennen, nämlich ein Manuskript mit dem Titel „Heimkehr und Heimgang", ein Konvolut mit der Bezeichnung „Roesler-Keller-Biographie" und eine 1939 von Keller gefertigte Übersicht über Roeslers Schriften mit dem Titel „Professor Dr. Hermann Roeslers literarisches Schaffen in Rostock". Ferner enthält es die von Siemes persönlich angeschaffte und benutzte Literatur für seine Roesler-Forschung.

b) Die Entstehung des Archivs Die Geschichte des Roesler-Archivs geht auf die 1930er Jahre zurück. Entgegen einer eventuellen ersten Vermutung wurde der Grundstock des Archives nicht von Pater Siemes im Zusammenhang mit seinen RoeslerForschungen gelegt, sondern von Pater Josef Keller. Keller war vor dem 2. Weltkrieg als Missionar des Jesuitenordens in Japan tätig 3 3 und begann, 33

Z.Zt. befaßt sich Pater Franz-Josef Mohr S. J., der ehemalige Kanzler der Sophia-Universität in Tokyo, mit der Geschichte des Jesuitenordens in Japan seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach seinen Informationen ist die neuzeitliche Japanmission gegen Ende des 19. Jahrhunderts der damaligen „Niederdeutschen Ordensprovinz" der Gesellschaft Jesu übertragen worden, unterstand also deren Provinzial. Aus diesem Grunde waren zu Beginn der Arbeit der Jesuiten vor allem deutsche Ordensbrüder in Japan tätig. Papst Pius X. gab ferner der Gesellschaft Jesu durch seinen Kardinalstaatssekretär Merry del Val am 30. Aug. 1906 den Auftrag, ein „Institutum Studiorum superiorum", d.h. die Sophia-Universität, zu gründen. Die be-

16

I. Quellenlage

sich im Rahmen seiner Missionsarbeit für das Wirken Roeslers zu interessieren. Keller berichtet darüber ausführlich unter dem Titel „Wie ich Professor Dr. Karl Friedrich Hermann Roesler entdeckte". Dieser Bericht findet sich als erster Teil des bereits genannten großen Konvolutes, das die Aufschrift „Roesler-Keller-Biographie" trägt. Nach Kellers Bericht gab ein Mitbruder, Pater Joseph Messner S.J. aus Tottori, mit seinem Schreiben in der Zeitschrift „Katholische Missionen" 34 den Anstoß zu Kellers Beschäftigung mit Roesler. Messner schrieb unter anderem: „Das Kruzifix, das wir am Karfreitag ... gebrauchen, hat auch seine Geschichte. Es war bereits einmal in Japan (1878-93), als noch mancherorts die Verfolgungsdekrete an den Wegkreuzungen standen und die Katholiken noch keine Freiheit genossen. Damals weilte ein deutscher Rechtsgelehrter in Japan. Er sollte im Auftrage der Regierung den alten japanischen Rechtskodex neu bearbeiten. Ihm verdanken wir es zum Teil, dass die Religionsfreiheit im neuen Gesetzbuch verankert wurde. In seiner Wohnung befand sich das erwähnte Kreuzbild. Später nahm er es mit nach Europa zurück. Nach seinem Tode schenkte es seine Tochter der Mission von Tottori". 3 5 Auf einen Brief Kellers antwortete Messner ihm am 18. April 1938 unter anderem: „ . . . schade, dass von diesem Manne (= Roesler) keine Biographie existiert. Wenn man die ins Japanische übersetzen würde, dann wäre das eine Gelegenheit viele Kreise, die sonst kaum zu einem katholischen Buche greifen, mit der Katholischen Kirche in Verbindung zu bringen .. . " . 3 6 Aufgrund dieser Idee von Messner faßte Keller den Plan, eine Biographie über Roesler zu schreiben, weil er hoffte, am Beispiel von Roeslers Konversion zum Katholizismus und seiner Frömmigkeit, Japaner für den katholischen Glauben zu interessieren. Da Messner bereits mit Roeslers Tochter Elisabeth in brieflichem Kontakt gestanden hatte, konnte Keller sie durch Vermittlung eines weiteren Pfarrers in Bozen ausfindig machen. A m 8. Juli 1938 bat er sie brieflich um ihre Mithilfe bei der Abfassung einer Lebensbeschreibung ihres Vaters. 37 Auf seinen Wunsch schrieb sie die Geschichte ihrer Familie, insbesondere ihre Erinnerungen an die Zeit in Tokyo unter dem Titel „Erinnerungen an meinen Vater begonnen an seinem 104. Geburtstag, 18. Dez. auftragten Jesuiten trafen am 18. Okt. 1908 in Japan ein und im Jahre 1913 konnten sich die ersten Studenten immatikulieren. Das S.J.-House steht auf dem Campus der Sophia-Universität. 34 Katholische Missionen, 64. Jahrg., S. 134. 35 Keller, in: Roesler-Keller-Biographie, „Wie ich Professor Dr. Karl Friedrich Hermann Roesler entdeckte", S. 2. 36 Ebd. 37 Keller, a.a.O., S. 7.

1. Das Archiv i m S.J.-House

17

1938" nieder. Diese Erinnerungen, die ich im folgenden als „RoeslerErinnerungen" zitieren werde, 38 sind eine wichtige Quelle für die Tokioter Zeit Hermann Roeslers. Keller hat in der folgenden Zeit seinem Plan entsprechend eine Biographie über Roesler verfaßt. 39 Das Resultat sind verschiedene maschinenschriftliche Manuskripte (Fassungen). Eines trägt den bereits genannten Titel „Heimkehr und Heimgang"; 4 0 in ihm verarbeitet und kommentiert er die „Roesler-Erinnerungen" von Roeslers Tochter und kombiniert sie mit Einschüben aus den vorhandenen Originalbriefen, die er wiederum kommentiert. Keller wollte sich anscheinend so eng wie möglich an die Quellen halten, was allerdings den Lesefluß sehr erschwert. Ferner gibt es das ebenfalls bereits erwähnte, etwa 10 cm dicke Konvolut mit der handschriftlichen Bezeichnung „Roesler-Keller-Biographie" (von Siemes?), das ich im Folgenden als R-K-Biographie bezeichnen werde. Dieses Konvolut besteht aus mehreren Teilen. Es besitzt nur eine teilweise Seitennummerierung, die allerdings nicht durchgehend und durch die Heftung verdeckt ist. Den ersten Teil des Konvoluts bildet Kellers Manuskript über Roesler, mit dem bereits genannten Titel „Wie ich Professor Dr. Karl Friedrich Hermann Roesler entdeckte". Auch hier hat Keller wiederum seine eigene Darstellung über Roesler mit Zitaten aus den Originalbriefen bzw. ihrer gesamten Wiedergabe kombiniert sowie Teile aus den RoeslerErinnerungen bzw. Originalberichte anderer Zeitgenossen Roeslers, wie etwa Ottmar von Mohls, eingefügt. Das Manuskript enthält viele interessante Angaben über Roesler, es bedarf aber sorgfältiger Sichtung. Ohne Vorkenntnisse über das Archiv und Roeslers Leben kann man das Manuskript nicht fließend durchlesen. Die Verfasserin hat es, soweit es Originalquellen wiedergibt, mit herangezogen. Darüber hinaus enthält das genannte Konvolut (R-K-Biographie) eine essayistische Autobiographie von Elisabeth Roesler sowie eine ebenfalls von ihr verfaßte Lebensbeschreibung ihrer Mutter in englischer Sprache mit dem Titel „The Life of Agnes Turner". Im Mai 1939 gelang es Keller, Siemes für Roesler, d.h. dessen verfassungsrechtliche bedeutsames Wirken zu begeistern. Siemes 41 war ein Mit38

Die „Roesler-Erinnerungen" sind unter IV. 4. wiedergegeben. Insofern zeigt sich, daß Losano zu Recht seine Vermutung sehr vorsichtig formuliert hat, als er schrieb, „Keller scheint nichts Schriftliches hinterlassen zu haben", Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. V I mit FN 11. 40 Vgl. oben I. 1. a). 41 Über Johannes Siemes (22.10.1907-6.8.1983) existiert eine biographische Skizze vom ehemaligen Rektor der Sophia-Universtät, Pater Klaus Luhmer S. J., der heute das Archiv betreut. Danach war das Verfassungsrecht bzw. die Verfassungs39

18

I. Quellenlage

bruder Kellers, den er in Münster an Weihnachten 1938 kennengelernt hatte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin zum Philosophiestudium erhielt Siemes im Sommer 1939 von seinem Orden die Weisung, nach Japan zu gehen, wo er im Herbst 1939 ankam. Er begann dort ebenfalls über Roesler zu forschen. 42 Siemes arbeitete in der Folgezeit als Philosophieprofessor in Tokyo an der Sophia-Universität und übersetzte 1941 die bereits genannte 3-teilige Artikelserie von Suzuki ins Deutsche. 43 Dies war seine erste Arbeit zu Roesler, mit der er an die Öffentlichkeit trat.

2. Die Briefe Wie bereits erwähnt, 44 gehören zum Archiv Briefe. Bei den Briefen ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die Originale noch vorliegen, oder ob nur Briefabschriften erhalten sind. 8 Briefe, die alle aus Roeslers Feder stammen, sind im Original erhalten. Alle übrigen Briefe existieren nur als von Keller gefertigte Abschriften. Sie sind von ihm in die R-K-Biographie eingearbeitet. Bei den Abschriften handelt es sich also nicht um eine systematische Zusammenstellung, sondern Keller hat sie an verschiedenen Stellen in seinem Manuskript, gelegentlich sogar nur auszugsweise, wiedergegeben. Der Grund, weshalb keine Originale von verschiedenen Briefen existieren, kann nur vermutet werden. U. U. hat Elisabeth Roesler die Originale Keller nur zur Abschrift überlassen oder ihm sogar nur von ihr gemachte Kopien übergeben wie etwa bei dem Brief von Roeslers Mutter vom 25. Februar 1866. 45 Neben den acht Originalbriefen Roeslers sind zwei weitere Briefe von ihm als Abschriften in der R-K-Biographie erhalten. Ferner finden sich in der R-K-Biographie noch Abschriften von Briefen von Roeslers erster Ehefrau Marie, von Roeslers Mutter, von Elisabeth Roesler, Hiroyuki Kato, rechtsgeschichte ein „Steckenpferd" von Siemes. Als junge Patres befanden sich Siemes und Luhmer in Hiroshima, wo sie den Atombombenabwurf miterlebten und den Überlebenden anschließend als Helfer zur Seite standen. Vgl. hierzu BartelsIshikawa, Roesler, genbaku-doitsu-nen-kanete „S. J.-House-Bunko" no shoukai, in: Shosai no mado, No. 551, Heft 1/2 (Jan./Febr.) 2006, S. 39 ff. und No. 552, Heft 3 (März) 2006, S. 22 ff.; zu Pater Luhmer siehe auch, Schneppen, Anne, „ U m 8.15 Uhr fühlte ich, wie eine Welle der Wärme über mich hergeht", in: FAZ vom 4. August 2005, S. 8. 42 Vgl. Keller in: R-K-Biographie, „Versuch in Japan Interesse für Prof. Dr. Hermann Roesler zu wecken", S. 10 ff. Dort findet sich auch eine Wiedergabe des Briefwechsels zwischen Keller und Siemes. 43 Siehe oben Einleitung. 44 Siehe oben I. 1. a). 45 Die Handschrift der Kopie ist dieselbe wie die, in der die Roesler-Erinnerungen abgefaßt wurden, also die von Elisabeth Roesler.

2. Die Briefe

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Keller, Siemes, Messner und anderen, die hier aber nicht alle veröffentlicht werden. Aus dem in der R-K-Biographie erhaltenen Briefwechsel zwischen Keller und Elisabeth Roesler ergibt sich, daß sie versuchte, noch weitere Originalbriefe ihres Vaters, die dieser an seine Verwandten geschrieben hatte, aufzutreiben. Dies gelang allerdings nicht, weil diese Briefe nach Räumung eines Speichers verbrannt worden waren. 46 Auch Elisabeth Roesler selbst hatte Briefe ihres Vaters verbrannt, als sie ihr Wohnhaus in Bozen im Rahmen einer Zwangsvollstreckung hatte räumen müssen, weil sie vermeiden wollte, daß die Briefe in fremde Hände gelangen könnten. 47 Aus diesem Grunde gibt es heute im Tokioter Archiv nicht mehr so viele Originalbriefe. Von größtem historischem Interesse sind selbstredend die Briefe Roeslers, die im Dokumententeil des vorliegenden Bandes komplett wiedergegeben werden. Bisher wurden diese Briefe nur teilweise von Rauscher oder Siemes in ihren Schriften veröffentlicht. 48 Lediglich den Brief Roeslers an seine Schwester Elise hat Rauscher vollständig publiziert, 49 während rein private Briefe, wie z.B. Roeslers Brief an seinen Schwager vom 28.9.1872, unveröffentlicht blieben. Betrachtet man die Briefe Roeslers, die von 1872 bis 1892 im Original vorliegen, so fällt zunächst eine deutliche Veränderung seiner Handschrift auf. Seine frühen Briefe, wie etwa die von 1872, die er noch in Rostock im Alter von 38 Jahren schrieb, hat er mit sehr klarer Handschrift (latein. Schreibschrift) abgefaßt. Sie lassen sich flüssig lesen. Sie sind in einem herzlichen, warmen Ton gehalten; religiöse Fragen spielen zu jener Zeit, also der Zeit vor seiner Konversion, keine Rolle in seiner Korrespondenz. Dies ist 1881, als die Familie Roesler bereits 3 Jahre in Tokyo lebte, anders. 50 Im Brief an seine Lieblingsschwester Lina vom 17. Februar 1881 spielte Roesler auf die Meinungsverschiedenheiten mit seiner Mutter und seiner Schwester Elise, die in Lauf bei Nürnberg lebten und gegen seine Konversion waren, an. Roeslers Handschrift in diesem Brief ist bereits etwas schlechter lesbar als 1872. Im Brief vom 24. November 1888 benützt Roesler dann z.B. die deutsche Schreibschrift, wobei seine bis dahin klare Setzung der Buchstaben 46

Brief von Elisabeth Roesler an Keller vom 8. November 1938, hier wiedergegeben als 14. Brief, (siehe IV. 3.). 47 Anmerkung von Keller zum Brief von Elisabeth Roesler an ihn vom 8. November 1938, hier wiedergegeben als 14. Brief (siehe IV. 3.). 48 Siemes, Die Gründung des modernen japanischen Staates, passim; Rauscher, a.a.O., passim. 49 Rauscher, a.a.O., S. 34 ff. 50 Z.B. Brief vom 17. Februar 1881, Brief vom 24. August 1884, Brief vom 22. Oktober 1884, unten IV. 3. (6., 7. und 8. Brief).

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I. Quellenlage

nachläßt. Die späten Briefe zeigen Roeslers Verbitterung über die Familienverhältnisse sowie seine - in seinen Augen - nicht zufriedenstellende pekuniäre Lage. Roeslers finanzielle Klagen sind allerdings recht subjektiv, wenn man bedenkt, daß er mit einem Jahresgehalt von 1300 Yen 500 Yen mehr Einkommen aus dem Staatsdienst bezog als der bereits genannte Ministerpräsident Fürst Ito (wobei natürlich hier Itos sicherlich vorhandene Nebeneinkünfte nicht mitgerechnet sind), dennoch die Relation ist interessant. 51 Aber, und das ist der wesentliche Punkt, Roeslers späte Briefe sind von einer gewissen Verbitterung über sein Leben, einem Räsonnieren über eventuell verpaßte Chancen 52 und von Heimweh 5 3 gekennzeichnet. Gelegentlich bezieht Roesler in seinen Briefen politisch Stellung wie etwa im Brief vom 20. August 1887 an seine Schwester Lina, in dem er „den Geist, der jetzt dort herrscht", 54 kritisiert; gemeint ist damit wohl vor allem die Bismarcksche Politik. 1888 schreibt er zur politischen Lage in Deutschland unter anderem: „ . . . die ... Abrechnung ... kann bös ausfallen für den dummen deutschen Michel .. . " . 5 5 Zur politischen Lage in Japan äußert sich Roesler hingegen in den vorhandenen Briefen nicht, was bei seiner grundsätzlich vorsichtigen Haltung durchaus verständlich ist. Lediglich über Land und Leute berichtet er gelegentlich seinen Verwandten in Deutschland. 5 6 Auffällig ist seine Fürsorge für seine Verwandten, insbesondere für seine Mutter, seine Schwester Lina und seinen Patensohn Hermann, für dessen Ausbildung er immer wieder kleinere Summen nach Deutschland schickt. 57 Die Briefe bilden also, wenn sie detailliert ausgewertet werden, eine reich sprudelnde Informationsquelle über Roeslers Persönlichkeit, seine Gedanken und sein Leben.

3. Die Erinnerungen von Elisabeth Roesler58 Auf Bitten von Keller 5 9 begann Elisabeth Roesler mit der Abfassung ihrer Erinnerungen an ihren Vater an dessen Geburtstag, dem 18. Dezember 51

Zur Finanzlage Roeslers siehe z.B. Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief) sowie unten III. mit FN 403. 52 Vgl. hierzu ebenfalls Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). 53 Vgl. hierzu Brief vom 17. Februar 1881, Brief vom 20. August 1887 und 23. März 1888, unten IV. 3. (6., 10. und 11. Brief). 54 Brief vom 20. August 1887, unten IV. 3. (10. Brief). 55 Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). 56 Z.B. Brief vom 17. Februar 1881, unten IV. 3. (6. Brief). 57 Z.B. Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). 58 Im Folgenden wird Elisabeth Roesler nicht mit ihrem Ehenamen, Elisabeth von Boreil - du Fernay, bezeichnet, sondern nur mit ihrem Mädchennamen, weil sie

3. Die Erinnerungen von Elisabeth Roesler

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1938. Da Keller - wie er selbst berichtet - den Eindruck gewann, „ . . . dass eine mündliche Fühlungnahme zur Föderung der ganzen Angelegenheit notwendig sein würde", lud er Elisabeth Roesler nach Münster i. W. ein, wo er einige Tage im Oktober 1938 intensiv mit ihr über ihren Vater und das Biographie-Projekt sprach. 60 Elisabeth Roesler begann dann in der Folgezeit auf großen Kanzleibögen in gut lesbarer Handschrift die Biographie niederzuschreiben und in Fortsetzungen an Keller zu senden. Elisabeth Roesler hat den Text ohne Überschriften und ohne Absätze, also fast ungegliedert, verfaßt. Einzige Unterbrechung des Textes bieten die einzeln abgefaßten Teile, die sie mit der Überschrift „Fortsetzung" oder ähnliches versah. Elisabeth Roesler beendete die Biographie im Sommer 1939. Keller fertigte von Roeslers Biographie sofort mehrere maschinenschriftliche Abschriften, die er z.T. durch Absätze gliederte. Kellers Abschrift ist sehr gewissenhaft, nur sehr selten sind - wie ein Vergleich des Originals mit Kellers Abschrift erbrachte - kleine, geringfügige Abschreibefehler zu finden. Gelegentlich vermerkte Keller das Datum des Tages, an dem er von Elisabeth Roesler ein Manuskriptteil erhielt. Keller beendete seine Abschrift am 5. Juli 1939. 61 In ihren Erinnerungen berichtet Elisabeth Roesler u. a. über den Ursprung ihrer Familie, über die Familiengeschichte und -alltag vor allem in Tokyo, über Roeslers Konversion und über Äußerungen ihres Vaters bezüglich seiner Arbeit und ähnliches mehr. Allerdings muß man berücksichtigen, daß Elisabeth Roesler in Tokyo noch ein Kind war, so daß manches in ihren Erinnerungen wohl nur auf Hören-Sagen beruht. Wohl aus dem gleichen Grunde sind auch ihre Zeitangaben gelegentlich unzuverlässig; ferner ist ihre Auswahl, welche Informationen einen Leser interessieren, der eine Biographie über ihren Vater lesen möchte, nicht stets ausgewogen, da sie ihren Erzählfokus zu sehr auf ihre persönliche Kindheitsgeschichte richtet. Hier zeigt sich eine Tendenz Elisabeth Roeslers zu geradezu egozentrischer Selbstbespiegelung und großer Verbitterung. 62 Insofern kann sich die Verfasserin nur das selbst so gegenüber Pater Keller gewünscht hat. Ihren Ehenamen hat sie - wie sie Keller am 12. Juli 1938 brieflich mitteilt (R-K-Biographie S. 8) - auf eigenen Antrag abgelegt. Ob Elisabeth Roesler geschieden oder ihre Ehe annulliert wurde, oder ob sie Witwe war, ist unbekannt. 59 Vgl. oben I. 1. b) mit FN 37. 60 Keller in R-K-Biographie (ziemlich am Anfang des Konvolutes, keine verständliche Seitennummerierung vorhanden). 61 Vgl. Anmerkung von Keller, in: Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4. am Ende. 62 Vgl. hierzu z.B. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 161. ... Elisabeth Roesler hat anscheinend unter großen persönlichen und pekuniären Schwierigkeiten gelitten. Ihre Ehe scheint ein großes Fiasko gewesen zu sein und ihre finanzielle Situation war 1938 sehr schlecht; bereits seit 1931 hatte sie keinen festen Wohnsitz mehr. U m ihr zu helfen, sammelte Keller für sie 1300,- R M und schenkte sie ihr

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I. Quellenlage

dem Urteil von Keller anschließen, der ja Elisabeth Roesler persönlich kannte und ihre Erinnerungen folgendermaßen kritisierte: „Die Art der Abfassung dieser Erinnerungen aber durch die jüngste Tochter Prof. Dr. H. Roeslers findet in einer ganzen Reihe Punkte mein ausdrückliches Missfallen. Sehr große seelische Heimsuchungen sind über die Tochter gekommen ... Böse Verbitterung umklammert ihre Seele .. .". 6 3 Ähnlich ist die Beurteilung des Weites ihrer Erinnerungen, die Rauscher abgibt, und mit der die Verfasserin ebenfalls konform geht: „Allerdings ist der objektive Aussagewert dieser ... Erinnerungen begrenzt, da sie zu sehr von persönlichen Erlebnissen, Enttäuschungen und eigenwilliger Deutung durchdrungen sind". 6 4 Ein weiterer Punkt, der Keller an den Erinnerungen Elisabeth Roeslers mit Sicherheit gestört hat, war ihre gelegentliche Kritik an den katholischen Orden. 65 Er, als katholischer Pater, mußte eine solche Kritik als völlig unzutreffend ansehen. Ferner zeigt sich in Elisabeth Roeslers Erinnerungen ein scharfer antisemitischer Unterton, wenn sie sich über das Verhältnis zwischen ihrem Vater und Albert Mosse äußert. 66 Der Antisemitismus - wie er bei Elisabeth Roesler zu finden ist - stellte für die Familie Mosse ein gewohntes Übel in ihrem Tokioter Alltag dar, über das sie in ihren Briefen nach Deutschland mehrfach berichtete. 67 Eine ähnliche Haltung wie Elisabeth Roesler gegenüber Mosse hatte z.B. auch der spätere Reichspräsident Georg Michaelis, der in einem Brief an seine Mutter darüber schreibt. 68 Roesler selbst war wohl ebenfalls antisemitisch eingestellt, wie zwei Äußerungen in seinem Brief vom 22. Oktober 1884 an seine Schwester Elise nahelegen. Darin spricht er einmal von „Juden und Freigeistern" bzw. ein anderes Mal von „Juden und Liberalen" und zwar jeweils in einem negativen Kontext. 6 9 1938, vgl. hierzu Elisabeth Roeslers Brief vom 12. Juli 1938 in der R-K-Biographie sowie Anmerkung von Keller, in: Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4. am Ende. 63 Vgl. Anmerkung von Keller, in: Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4. am Ende. 64 Rauscher, a.a.O., S. 14 FN 1. 65 Vgl. z.B. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 146 f., 156, 158, 161. 66 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 139. Elisabeth Roesler verwechselt hier offensichtlich die Vornamen, wenn sie von „Rudolf Mosse" spricht. Sie muß den jüdischen Richter Albert Mosse (1846-1925) gemeint haben, der von 1886-1889 in Tokyo für die japanische Regierung als Berater arbeitete. Bei Rudolf Mosse handelt es sich hingegen um Albert Mosses Bruder (1843-1920), den Gründer und Verleger des berühmten „Berliner Tageblatts". 67 Mosse, Albert und Lina, a.a.O., S. 207, 226, 326, 377. 68 Michaelis, a.a.O., hrsg. von Becker, im Brief vom 25. Mai 1886 sowie z.B. im Brief vom 1. Februar 1886, S. 174 ff., 143 f., vgl. ferner zu diesem Thema, S. 37 ff. (Einleitung). 69 Roesler, Brief vom 22. Oktober 1884, unten IV. 3. (8. Brief), zu seinem Verhältnis zu Mosse siehe unten II. 2. a) aa).

5. Familiendokumente

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Trotz des insofern aus verschiedenen Gründen z.T. begrenzten Aussagewertes der Roesler-Erinnerungen erschien jedoch eine komplette Veröffentlichung sinnvoll, weil Elisabeth Roesler interessante und detaillierte Informationen über Roeslers Leben, seine Familie und seinen Alltag bietet, die dem Publikum, insbesondere auch zukünftigen Forschern zugänglich sein sollten. Die hier veröffentlichten Roesler-Erinnerungen basieren auf dem handschriftlichen Original Elisabeth Roeslers, gelegentlich von Keller angebrachte Anmerkungen sind als solche gekennzeichnet.

4. Die Familienfotografien Die in diesem Band veröffentlichten Fotografien stammen alle aus dem Archiv im S.J.-House. Sie wurden Keller und Siemes von Elisabeth Roesler entweder als Original geschenkt (z.B. Roesler, Bild Nr. 5 und Roeslers Schwester Caroline, Bild Nr. 6) oder als Abzug überlassen. Fast alle Fotos hat sie auf der Rückseite mit Angaben über die abgebildete Person etc. beschriftet. Elisabeth Roesler hat - wie sich aus einem 4-seitigen handschriftlichen Post scriptum, 70 das in das Fotoalbum des Archivs eingelegt ist, ergibt - versucht, noch weitere Fotos zu beschaffen, was ihr aber wohl nicht gelang. Im Archiv sind mehr Fotografien vorhanden als hier veröffentlicht werden. Da es sich z. T. nur um Detailansichten oder Ansichten aus veränderter Perspektive von hier veröffentlichten Personen bzw. Sachen handelt, wurde von ihrer Publikation abgesehen.

5. Familiendokumente a) Lina Roeslers Notizbuch Das eben erwähnte Post scriptum 71 von Elisabeth Roesler enthält ferner eine von ihr auszugsweise gefertigte Abschrift aus einem Notizbuch von Roeslers Schwester Caroline. Nach einer Widmung hat Hermann Roesler dieses Notizbuch seiner Schwester „zu Weihnachten 1850" geschenkt. 72 Die Eintragungen Caroline Roeslers reichen von 1850-1866 und geben einen Einblick in die einfachen Lebensverhältnisse der Familie Roesler in jener Zeit, insbesondere auch in ihre finanziellen Umstände. Einige der Eintra70

Siehe unten IV. 5. und 6. Siehe oben I. 4. 72 Elisabeth Roesler in ihrem Post scriptum, S. 1 (am Ende). Keller hat wiederum die Abschrift von Elisabeth Roesler z.T. als Anhang zu seiner Kopie des Briefes vom 25. Februar 1866 in der R-K-Biographie wiedergegeben. 71

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I. Quellenlage

gungen Carolines beziehen sich auch auf ihren Bruder Hermann, auf andere Verwandte oder besondere Ereignisse wie etwa den Besuch des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin bei Roeslers Mutter in Nürnberg am 25. August 1866. Ferner berichtet sie 1866 über einige Kriegsereignisse in Franken, von ihrer damaligen Angst und ihren Fluchtvorbereitungen. Diese Notizen bilden insbesondere eine gute Quelle für die Biographie Hermann Roeslers, weshalb sie im Dokumententeil vollständig wiedergegeben werden. 73

b) Familienanzeigen Zum Archiv gehören ferner einige Familienanzeigen, die in diesem Band zum ersten Mal publiziert werden. Bei den Anzeigen handelt es sich um die Geburtsanzeige von Roeslers älterer Schwester, Caroline, die am 28. Februar 1833 zur Welt kam. Die Anzeige ist in der bayerischen Zeitung „Korrespondent von und für Deutschland", Nr. 62 vom 3. März 1833 erschienen. Diese Zeitung liegt im Original vor ebenso wie Ausgabe vom 12. Februar 1841 der gleichen Zeitung (Nr. 43), die die Todesanzeige von Roeslers Vater enthält. Außerdem befindet sich die Todesanzeige von Hermann Roesler im Archiv als Original, die hier ebenso veröffentlicht wird wie eine Gedenkkarte an Roeslers Sohn Alexander. 74 Da diese Anzeigen Informationen über die Personendaten der betreffenden Familienmitglieder sowie über ihren Beruf oder über andere Lebensumstände bieten, sind sie ebenfalls eine gute Informationsquelle über Roesler und seine Familie.

73 74

Siehe unten IV. 6. a). Siehe unten IV. 6. b).

I I . Hermann Roeslers Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung des Archivs des S. J.-House 1. Roesler in Deutschland a) Herkunft, Kindheit und Studium Hermann Roesler wurde am 18. Dezember 1834 in Lauf bei Nürnberg als drittes Kind von fünf Kindern geboren. Sein Vater war der königliche Appellationsgerichtsadvokat Maximilian Karl Roesler, 75 der 1798 in Müggendorf, Obermainkreis, als Sohn des Pfarrers Ernst Roesler geboren wurde. Roeslers Vater war mit Sophie Nägelsbach (1809-1902) verheiratet, deren Vater, Ludwig Nägelsbach ebenfalls Jurist (Landrichter) war. Sophie Nägelsbach war die Schwester des berühmten Altphilologen Karl, Friedrich von Naegelsbach (1806-1859), der als Universitätsprofessor in Erlangen wirkte und für seine Verdienste von König Maximilian II. von Bayern in den Adelsstand erhoben wurde. 76 Hermann Roesler hatte 3 Schwestern, nämlich Caroline, genannt Lina, Therese und Elisabeth, genannt Elise. Sein älterer Bruder Karl war bereits 2 Jahre vor seiner Geburt, 1832, im Kleinkindalter gestorben. Als Roeslers Vater am 9. Februar 1841 - wie es in der Traueranzeige heißt - an einem „langwierigen Lungenleiden" starb, 77 fiel die Familie in bittere Armut. Roeslers Mutter erhielt vom bayerischen Staat eine kleine Witwenrente, die mit der Tätigkeit von Roeslers Vater als Advokat verschiedener Stiftungen und Gemeinden in Verbindung stand. Dennoch die Armut war so groß, daß die Kinder z.B. oft barfuß zur Schule laufen mußten. 78 Roesler selbst schreibt dazu 1884, „ . . . Wenn ich zurückdenke, war ich am gesündesten und glücklichsten bei dem ärmlichen Leben im mütterlichen Hause . . . " . 7 9 Ein Eindruck von den ärmlichen Verhältnissen geben auch die Eintragungen von Roeslers Schwester Caroline in ihr Notizbuch. So bestand ihre gesamte Barschaft im März 1853, als Roesler bereits Student war, „ . . . aus 4 fl. (Florin) 3 Kr(euzern)". 80 Oft mußte sich 75 76 77 78 79

Vgl. Traueranzeige vom 12. Februar 1841, IV. 6. b). Näheres siehe Rauscher, a.a.O., S. 15. Vgl. Traueranzeige vom 12. Februar 1841, unten IV. 6. b). Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 126. Roesler, Brief vom 24. August 1884, unten IV. 3. (7. Brief).

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

Roeslers Mutter von ihrer Tochter Geld ausborgen, das sie dann mühsam zurückzahlte. 81 In einem Brief von 1866 an ihre Tochter Caroline, d.h. zu einer Zeit als Roesler bereits Professor in Rostock war, waren ihre finanziellen Schwierigkeiten immer noch nicht überwunden und sie übernahm kleinere Arbeiten. 82 Ihre Verhältnisse blieben in gewissem Sinne kleinbürgerlich. Nach dem Tode ihres Mannes, als alle Kinder noch klein waren, unterstützte sie ihr bereits genannter Bruder Karl, Friedrich von Naegelsbach, zu dem sie ein enges Verhältnis hatte, finanziell, so daß Hermann Roesler das Melanchton-Gymnasium in Nürnberg besuchen konnte. Mit 17 Jahren (August 1852) beendete Roesler erfolgreich das Gymnasium. Durch Vermittlung seines eben erwähnten Onkels erhielt er ein Stipendium des bayerischen Staates für sein Studium. A m 25. Oktober 1852 bezog Roesler die Universität Erlangen. 83 Roesler studierte nach anfänglichem Zögern die Fächer Rechts- und Staatswissenschaften. 84 Nach den Eintragungen im Notizbuch seiner Schwester hatte sich Roesler in Erlangen einem Korps angeschlossen, ist aber am 10. Februar 1854 dort ausgetreten und „bald darauf zu den Germanen (Korps Germania)" gegangen.85 Freilich war Roeslers Studentenzeit von den ärmlichen finanziellen Verhältnissen geprägt; gerne wäre er „in ein Schauspiel ... gegangen, ... konnte sich aber die Eintrittskarte nicht leisten", wie er später seiner Tochter Elisabeth erzählte. Es reichte nur für ein gelegentliches Bier. 8 6 „Anfangs Mai (zum Sommersemester 1854) ging Hermann nach München", um dort ein Semester zu studieren, wie seine Schwester notiert. 87 Damit kam Hermann Roesler zum ersten Mal heraus aus den engen Nürnberger und Erlangener Verhältnissen. An der Münchener Universität lehrte zu jener Zeit Joseph Pözl (1814-1881) bayerisches Staatsrecht; Pözl, der ja 1856 sein „Lehrbuch des Bayerischen Verwaltungsrechts" publizierte, wird sich in seinen Vorlesungen sicherlich auch mit verwaltungsrechtlichen Fragen beschäftigt haben. Hier dürfte der Ursprung für Roeslers Beschäftigung mit dem Verwaltungsrecht liegen. Dennoch waren Roeslers Erinnerungen später an München nicht positiv: 80

Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 82 Sophie Roesler im Brief vom 25. Februar 1866, unten IV. 3. (3. Brief), dort heißt es: „ . . . Es ist halt traurig, wenn man in so beschränkten Verhältnissen leben muß; bei uns ist es immer einerlei ...". 83 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 84 Zahlreiche Details zu Roeslers Studium bei Rauscher, a.a.O., S. 16 ff. 85 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a), sowie Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 126. 86 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 126. 87 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 81

1. Roesler in Deutschland

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„In mancher Beziehung ist München ein ganz angenehmer Ort ... Ich war zu verschiedenen Zeiten dort ... M i r hat in München nie das Glück geblüht und ich empfinde keine Lust, dort zu wohnen". 88 Zum Wintersemester 1854/55 kehrte Roesler an die Erlangener Universität zurück und begann mit seinen Examensvorbereitungen. Das juristische Examen bestand Roesler im Oktober 1856, 89 also 22-jährig, mit der Note „cum laude", die damals die beste Note war. 9 0 Über seine Prüfung schreibt er am 22. Oktober 1856 seiner Mutter: „ . . . Dass es das Erste (= Beste) ist, was seit mehreren Jahren gemacht wurde, glaube ich ohne Verletzung der Bescheidenheit behaupten zu können ... Die Professoren selbst sind äußerst befriedigt, sie fragten mich ... horrend Schweres und meine Antworten waren ganz geeignet (ihr) Zutrauen ... zu bestätigen. Der Saal war gedrückt voll ... Das Gratulieren nimmt kein Ende ... Ich schreibe dies nicht aus Renommisterei, sondern als Thatsache und glaube, mir diesen kleinen Triumph als Erfolg für mein oft mühsames Studium schon gönnen zu dürfen. ... Dass mich Onkel Eduard zu Gevatter genommen hat, wirst Du wissen; ... Der Geldpunkt käme freilich für mich in Berücksichtigung ... Habe ich einmal soviel, dass ich Geschenke machen kann, so werden sie (= Roeslers Verwandte) schon etwas annehmen ... Grüsse an Alle Dein Hermann Rechtspraktikant. Meine Stipendiengesuche gebe ich heute ab; vielleicht bekomme ich beide." 9 1

Der junge Hermann Roesler war zu diesem Zeitpunkt zwar offensichtlich glücklich mit sich, aber er war auch realistisch genug, um nicht den finanziellen Aspekt zu vernachlässigen und nach finanziellen Hilfen zu suchen, da anscheinend die Unterstützung seines Onkels Eduard Naegelsbach, eines weiteren Bruders seiner Mutter nicht ausreichte. Der Einfluß der Familie Naegelsbach auf Roesler, denn auch sein Onkel Karl Friedrich hatte ihn ja unterstützt, war auf seine Entwicklung „von Kindesbeinen vorherrschend", wie Roesler selbst in späteren Jahren schreibt. 92 Dies verwundert auch nicht weiter, wenn man allein an die glänzende Karriere seines Onkels Karl Friedrich von Naegelsbach denkt. 93 Auch waren dessen Finanzverhältnisse gut und geordnet, so daß dessen Lebensstil auf den jungen Roesler Eindruck machen und ihm zum Vorbild dienen mußte. Äußerlich hingegen schlug 88

Roesler im Brief vom 17. Februar 1881, unten IV. 3. (6. Brief) und ähnlich Roesler im Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). 89 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 90 Rauscher, a.a.O., S. 18 FN 8. 91 Roesler, Brief vom 22. Oktober 1856, unten IV. 3. (1. Brief). 92 Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). 93 Siehe oben II. 1. a) mit FN 76.

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

Hermann Roesler wohl nach seinem Vater, wie seine Tochter berichtet: „Eine Eigentümlichkeit der Familie war das tiefschwarze Haar, die dunkelbraune Gesichtsfarbe, die an südländische Herkunft glauben ließ. - Bei H(ermann) R(oesler) war das dichte Haupthaar sogar blauschwarz .. , " . 9 4 Roesler arbeitete in der Folgezeit zunächst als Rechtspraktikant am Landgericht Nürnberg, die Verwaltungspraxis erlernte er am Landgericht in Herbrück (Mittelfranken). Im Oktober 1858 bestand er die Bayerische Staatsprüfung mit sehr guten Noten und ging „1859 anfangs Januar ... nach München als Landtags(sekretär)". 95 Roesler wollte zu jener Zeit gerne seine Doktorarbeit schreiben, da es ihm jedoch an den nötigen finanziellen Mitteln fehlte, sah er sich zunächst gezwungen, den Posten eines Landtagssekretärs anzunehmen und in seiner Freizeit seine Dissertation zu verfassen. Adolph von Scheurl, der zu jener Zeit als Professor für Kirchenrecht und Römisches Recht an der Universität Erlangen wirkte, hat ihm 1860 brieflich angeboten, „ . . . falls seine Arbeit zufriedenstellend ausfiele, die Fakultät zu bewegen, dass ihm, ... als einen gänzlich unbemittelten und nahen Verwandten unseres sei. Kollegen von Naegelsbach der juristische Doktorgrad gratis erteilt würde'". 9 6 A m „Charfreitag, den 6. April 1860 (wurde) Hermann (Roesler) zum Doctor promoviert" 97 und zwar mit dem Prädikat „beifallswürdig". 98 Seine juristische Dissertation beschäftigte sich mit einem handelsrechtlichen Thema, nämlich mit der „rechtlichen Natur des Vermögens der Handelsgesellschaften nach Römischen Recht". 9 9 Dies ist ein für die damalige Zeit des beginnenden Industrialismus hoch aktuelles Thema zumal damals gerade an handels- und gesellschaftsrechtlichen Fragen ein großes Interesse bestand, weil die Kodifikation des Handels- und Gesellschaftsrechts (Erlaß des „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches" von 1861) bevorstand. Wohl aus diesem Grund konnte Roesler seine Dissertation 1861 in Levin Goldschmidts angesehener „Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht" veröffentlichen, denn Goldschmidts Zeitschrift war eine „erste Adresse" für Themen dieser A r t . 1 0 0 Wenn Roesler später in Tokyo mit 94

Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 125 f. Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 96 Adolph v. Scheurl im Brief vom 20.2.1860, zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 21 FN 14. 97 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 98 Zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 23. 99 Zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 23. 100 Levin Goldschmidt (1829-1897) war der erste Ordinarius für das Handelsrecht; er wird als Begründer der modernen Handelsrechtswissenschaft angesehen. Er war Herausgeber der genannten Zeitschrift, in der Roeslers Dissertation 1861 im Bd. 4, H. 2, S. 252-326 erschien. Zur Bedeutung von Goldschmidt siehe Stintzing, Roderich v./Landsberg, Ernst, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abt. 3, Halbbd. 2, München 1910, S. 938 ff. 95

1. Roesler in Deutschland

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dem Entwurf des Handelsgesetzbuches betraut wurde, 1 0 1 so kehrte er also nur zu einem ihm bereits bekannten Thema zurück. Seit seinem Studium hatte Roesler ebenfalls ein großes Interesse für wirtschaftswissenschaftliche Fragen, weshalb er sich zunächst entschloß, sich an einer staatswirtschaftlichen Fakultät zu habilitieren. 102 Roesler mußte deshalb auch in diesem Fach eine Dissertation verfassen. Mit ihrer Abfassung begann er ebenfalls bereits in München und legte sie dann an der staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen vor, da es in Erlangen an einer solchen Fakultät fehlte. A m 23. August 1860 wurde er „ . . . cum laude" promoviert. 103 Wie bereits bei seiner juristischen Dissertation gelang es Roesler auch dieses Mal, seine Dissertation, die den Titel „Über den Wert der Arbeit" trug, in der bekannten Fachzeitschrift, nämlich in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" zu veröffentlichen. 104 Mit dieser Abhandlung hatte Roesler aber nicht nur ein aktuelles Thema aufgegriffen, sondern er hatte ein weiteres Mal ein juristisch-ökonomisches Thema seiner Zeit kritisch betrachtet. Auch das Thema seiner Habilitationsschrift, die er Ende 1860 entgegen seinem ursprünglichen Plan nicht an einer staatswirtschaftlichen, sondern an der philosophischen Fakultät der Universität Erlangen vorlegte, 105 ging in eine ähnliche Richtung wie bei seiner zweiten Dissertation. Diese Abhandlung trug den Titel „Vom Einfluß der Besteuerung auf den Arbeitslohn". Dieses Thema wurde von dem Dekan der philosophischen Fakultät sogar als so modern angesehen, daß Roesler bei seiner Disputation am 19. Januar 1861 der „Gebrauch der Muttersprache", also des Deutschen statt des Lateinischen gestattet worden ist; denn der Dekan hielt es für schwierig und untunlich „ , . . . sich auf dem Gebiet einer wesentlich modernen Wissenschaft, wie die Nationalökonomie, in lateinischer Sprache klar ... auszudrücken 1 ". 1 0 6 Bald darauf, am 27. März 1861, wurde Roesler zum Privatdozenten ernannt und ging, wie seine Schwester in ihr Notizbuch eintrug, „ . . . 1861, Ostern ... als Privatdocent nach Erlangen". 107 Das Thema seiner Habilitationsschrift vertiefte Roesler in seiner nächsten Abhandlung, die ihm seinen Ruf an die Universität Rostock einbringen 101

Siehe unten II. 2. b) aa). Vgl. Rauscher, a.a.O., S. 22 mit FN 15. 103 Rauscher, a.a.O., S. 23. 104 Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 16, Tübingen 1860, S. 232-310. 105 Zum gesamten Vorgang vgl. die ausführliche Schilderung bei Rauscher, a.a.O., S. 24 f. 106 Zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 24 FN 21, Schreiben des Dekan C. Hegel vom 27. Januar 1861 an den Königlichen Universitätssenat. 107 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 102

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sollte. Diese Schrift, die er 1861 in Erlangen veröffentlichte, trägt den Titel: „Zur Kritik der Lehre vom Arbeitslohn. Ein volkswirtschaftlicher Versuch". Nach Klenz, der den Artikel über Roesler in der „Allgemeinen Deutschen Biographie" verfaßt hat, fand „ . . . sie eine sehr günstige Aufnahme". 1 0 8 Durch diese Schrift wurde auch das mecklenburgische großherzogliche Ministerium für Kultus und Unterricht, das für die Besetzung der Lehrstühle an der Rostocker Universität zuständig war, auf Roesler aufmerksam. Nach Rauscher empfahl sich Roesler für die ultrakonservativen Schweriner mit dieser Schrift, weil er sich bereits auf der ersten Seite gegen „sozialistische und kommunistische Tendenzen" aussprach. 109 Da Roesler auch noch evangelisch war, was eine Voraussetzung für den Ruf bildete, wurde er am 20. August 1861 zum Ordinarius für Staatswissenschaften an die philosophische Fakultät berufen.

b) Die Rostocker Zeit Bevor Roesler sich jedoch nach Rostock begab, feierte er Verlobung. Nun, mit einem Jahresgehalt von 1000 Talern ausgestattet, war er - mittlerweile knapp 27 Jahre alt - in der Lage, einen Hausstand zu gründen. Seine Verlobte war „Frl. Marie von Schwarz" 110 -Henfenfeld. Über Marie ist wenig bekannt. Sie stammte aus einer alten württembergisch-fränkischen Familie. Ihr Vater besaß ein Rittergut in der Nähe von Nürnberg. Wie Roesler sie kennengelernt hat, ist unbekannt, vielleicht durch die Familie seines Onkels (Karl, Friedrich von Naegelsbach), jedenfalls bildeten die beiden, nach ihren Fotografren zu urteilen, 111 ein schönes Paar. Roesler war ein junger gebildeter Mann aus guter, wenn auch armer Familie. Roesler scheint als junger Mann in gesellschaftlicher Hinsicht durchaus ambitioniert gewesen zu sein, wie die Wahl sowohl seiner ersten als auch später seiner zweiten Ehefrau zeigt. Beide stammten aus angesehenen adligen Familien und öffneten ihm damit den Zugang zu diesem Gesellschaftskreis, was zu jener Zeit - obwohl das Bürgertum im Aufstieg begriffen war - noch von Bedeutung war. Daß Roesler seine eigene gesellschaftliche Stellung ebenso wie die seiner Familie wichtig war, ergibt sich aus einem Brief von ihm an seine Mutter, in dem er sich beklagt, daß „ . . . unsere Familie ... nun immer mehr ... herunterkommt." 112 Daß er den gesellschaftlichen Aufstieg wollte, ist bei den ärmlichen familiären Verhältnissen, die durch den frühen Tod 108 Klenz, Heinrich, Roesler, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 53. Bd., 1910, S. 500 f. 109 Rauscher, a.a.O., S. 26 f. 110 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 111 Vgl. Fotografien unten IV. 5., das 7. und 8. Bild. 112 Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief).

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seines Vaters verursacht worden sind, nur zu verständlich. Da er mit genügend Ehrgeiz und Fähigkeiten ausgestattet war, schien er glänzende Karriereaussichten zu haben, was er wohl auch wußte, aber zur damaligen Zeit - wie er später meint - nicht in jeder Hinsicht richtig eingeschätzt habe. 1 1 3 Die Familie von Schwarz akzeptierte Roesler und beide Familien pflegten miteinander guten Kontakt; nach einer Eintragung von Lina Roesler in ihr Notizbuch hielt sie sich Ende Juni in Henfenfeld auf, um ihrer zukünftigen Schwägerin „ . . . Marie zur Ausstattung zu helfen." 1 1 4 Roesler ging kurz nach der Verlobung, zu Beginn des Wintersemesters 1861/62, nach Rostock, wo ihn seine neuen Kollegen freundlich aufnahmen. A m 17. September 1861 verlieh ihm seine neue Fakultät die philosophische Doktorwürde honoris causa. Dies geschah unter anderem aufgrund der Erwägung, daß Roesler in Zukunft selbst als Fakultätsmitglied Promotionen durchzuführen hatte. 1 1 5 Roesler las u.a. die Fächer Polizeiwissenschaften, Nationalökonomie und Finanzwissenschaften. Ein Jahr später, am 14. Oktober 1862, erfolgte die Hochzeit von Hermann Roesler und Marie. 1 1 6 Diese Ehe muß wohl glücklich gewesen sein. Es existiert eine auszugsweise Abschrift von Elisabeth Roesler aus einem Brief, den Marie an ihre Schwägerin Lina vermutlich im Frühjahr 1864 schrieb. 117 Marie berichtet: „Hermann ist ... den ganzen Winter recht wohl gewesen, er hat sich durch die Reise recht gekräftigt, und da wir im Herbst noch in Warnemünde gewesen und er viel gebadet hat, so ist er den Anstrengungen des Winters gewachsen gewesen. Du kannst Dir denken wie er sich nach der langen Pause wieder in's Studium vertieft hat; er schrieb im Laufe des Winters ein ziemlich dickes Buch, das nun wohl bald zum Druck kommt". Roesler liebte es, nach dem damals noch kleinen Fischerdorf Warnemünde zu fahren und dort zu schwimmen oder mit dem Boot hinauszurudern, wie er später seiner Tochter Elisabeth erzählt. 118 Der Kontakt zwischen Roesler und seiner Familie war ungetrübt, seine Schwester Marie besuchte z.B. 1864 das Paar für längere Zeit in Rostock. 1 1 9 Das Glück mit Marie währte allerdings nicht lange, sie starb bereits am 8. Oktober 1867 an Diphterie. 1 2 0 113

Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 115 Näheres siehe Rauscher, a.a.O., S. 29. 116 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 117 Die Handschrift, in der diese Briefabschrift gefertigt wurde, ist die von Elisabeth Roesler; diese fügt erklärend hinzu, daß der Brief von Marie stammt und an ihre Schwägerin Lina Roesler gerichtet war. Vgl. auch unten IV. 3. (2. Brief). 118 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 127. 119 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a). 120 Vgl. Rauscher, a.a.O., S. 37 FN 52. 114

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aa) Roesler - der „ Kathedersozialist" Das Buch, von dem Marie Roesler berichtet und das eine Datierung des Briefes auf das Frühjahr 1864 nahelegt, ist wohl Roeslers Lehrbuch „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre", das 1864 in Erlangen erschien. In diesem Lehrbuch setzte sich Roesler, wie schon in seiner zweiten Dissertation und in seiner Habilitationsschrift wiederum mit der Bedeutung der Arbeit, des Arbeitslohnes etc. auseinander. 121 Roesler kritisierte in diesem Buch, daß das damalige „ , . . . System der Wirtschaft seinen Grundzügen nach v e r f e h l t ' " 1 2 2 sei, wobei Roesler mit dem „System" „ , . . . die gemäß den Vorstellungen der klassischen Nationalökonomie gestaltete Wirtschaft 4 " 1 2 3 und damit den Wirtschaftsliberalismus im Sinne von Adam Smith meinte. Bereits vier Jahre später (1868) veröffentlichte Roesler sein nächstes „Anti-Smith-Buch", das den Titel „Über die Grundlehren der von Adam Smith begründeten Volkswirthschaftstheorie" trägt. In seinem Vorwort erklärt er, daß das volkswirtschaftliche System von Smith „ . . . eine solche Nichtigkeit und Gefährlichkeit der Lebensanschauung enthalte, dass jeder, auch noch so unvollkommene Widerspruch ... willkommen sein muß .. . " . 1 2 4 Nach Roeslers Meinung ist der Smithianismus nicht nur moralisch bedenklich, sondern „ . . . auch als theoretisches Gebäude von Grund aus verkehrt und unhaltbar ... und eben dieser Beweis ist ... die Aufgabe ... (dieser) Schrift." 1 2 5 Insbesondere die in der damaligen Zeit herrschende Ausnutzung der Arbeitskraft auf der Grundlage der Lehre von Smith geißelt Roesler mit den Worten: „Dass die moderne Arbeitswirthschaft eine Raubwirthschaft (ist) ..., deren Gegenstand der Mensch (ist) ..., dies ist eine Tatsache, an der wohl nichts hinwegdisputiert werden kann ... die Arbeiterclasse ist ... ihrer rechtlichen Existenz beraubt ... thatsächlich der Ausbeutung ... preisgegeben . . . " . 1 2 6 Als Wurzel dieses Übels sieht er den Smithianismus, der das Recht „ . . . höchstens als Attribut der siegreichen Gewalt ... zur Geltung gelangen" lasse. 127 Roesler, der der historischen Rechtsschule Savignys nahestand, wie sich aus einen Ausführungen in seinem Werk des „Deutschen Verwaltungsrechts" ergibt, vertrat eine entwicklungsgeschichtlich geprägte 121 122

Näheres siehe Rauscher, a.a.O., S. 77. Roesler, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, zitiert nach Rauscher, a.a.O.,

S. 83. 123

Ebd. Roesler, Über die Grundlehren der von Adam Smith begründeten Volkswirthschaftstheorie, 1. Aufl., Erlangen 1868, Vorrede S. III. 125 Roesler, Über die Grundlehren, Vorrede S. IV. 126 Roesler, Über die Grundlehren, S. 56. 127 Roesler, Über die Grundlehren, S. 57. 124

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Auffassung vom Recht. 1 2 8 Ferner hielt er den Rechtsstaat für unabdingbar. 1 2 9 Recht, verstanden als das Recht des Stärkeren, konnte er deshalb nicht billigen. Roesler kritisierte die sozialen Probleme seiner Zeit von der Nationalökonomie und Rechtsphilosophie ausgehend, wobei er die Wirtschaftstheorie in das Recht und in christliche Grundpositionen einbinden wollte, wie sein Brief an den Mainzer Bischof Ketteier zeigt, auf den Roesler in seinem Buch auch explizit verweist. 1 3 0 Bischof Ketteier hatte 1864 eine Schrift über die „Arbeiterfrage und das Christentum" veröffentlicht, die „den Auftakt für die katholisch-soziale Bewegung in Deutschland" bildete. 1 3 1 Roesler war kein Sozialist, sondern ganz im Gegenteil erschien ihm „der Socialismus nichts als forcierter Smithianismus ..." zu sein. 1 3 2 Seine antikommunistische Einstellung brachte Roesler auch noch in späteren Jahren zum Ausdruck, als er sich etwa in seinem „Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts" ausdrücklich gegen „die in wilde und abstracte Luftgebilde sich verflüchtigenden ... Forderungen ... des modernen Socialismus und Communismus" wandte. 1 3 3 Roesler möchte die soziale Frage auf christlicher Basis und auf der Grundlage des Rechts lösen. 1 3 4 Mit seinem Anti-Smith-Buch hatte sich Roesler im Grundsatz politisch positioniert. Sein Buch scheint viel gelesen worden zu sein, da es bereits 3 Jahre später (1871) in 2. Auflage erschien. Dennoch fand es nur bei wenigen Fachkollegen (Nationalökonomen und Staatswissenschaftlern) wie z.B. Gustav Schmoller oder Adolph Wagner Beachtung. Wagner erkannte Roesler „ . . . das doppelte Verdienst . . . " zu, als Erster den Smithianismus prinzipiell kritisiert „ . . . und ferner das Rechtsmoment in den Wirtschaftsbegriffen, die notwendige soziale Seite in aller Rechtsordnung ... stärker betont zu haben." 1 3 5 Damit traf Wagner den wesentlichen Punkt, der auch Roesler selbst am wichtigsten war; Roesler ging es darum, die Herrschaft „ . . . des Rechtes auf dem Gebiete der Völkswirthschaft zur Geltung zu bringen ..." wie er später in einer kurzen Auseinandersetzung mit seinen 128

Siehe hierzu unten S. 40 f. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, Erlangen 1872, Vorrede, S. VII. 130 Roeslers Brief an Bischof Ketteier ist wiedergegeben bei Rauscher, a.a.O., S. 119; zu Roeslers Verweis auf Ketteier siehe „Uber die Grundlehren der von Adam Smith begründeten Volkswirthschaftstheorie", S. 56 mit FN 1. 131 Rauscher, a.a.O., S. 116. 132 Roesler, Rezension von Karl Marx' „Das Kapital", in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 12 (1869), S. 457-^64, zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 88, 99. 133 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1872, S. 49 FN 2. 134 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1872, Vorrede, S. V I I I sowie in seinem Brief an Bischof Ketteier, wiedergegeben in: Rauscher, a.a.O., S. 119. 135 Wagner, Adolph: Grundlegung der politischen Ökonomie, I. Teil, 1. Halbbd., 3. Aufl., Leipzig 1892, S. 44, zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 92 mit FN 3. 129

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Kritikern betonte. 136 Von konservativer Seite wurde Roesler hingegen hart angegriffen. Der erste Angriff erfolgte in einem Artikel der „Breslauer Zeitung" vom 8. Dez. 1871. 1 3 7 Bereits 9 Tage später bezichtigte H.B. Oppenheim Roesler in der Berliner Nationalzeitung namentlich des „Kathedersozialismus". 138 Oppenheim nannte Roesler in seinem Artikel wörtlich: „Professor Hermann Roesler aus Rostock ... errichtet für sie (i. d. die Freihandelstheorien, Anm. d. Verf.) denselben Scheiterhaufen, auf welchem er den modernen Liberalismus verbrennen möchte. In seinen, übrigens sehr scharfsinnigen Untersuchungen bekämpft er das Prinzip der individuellen Freiheit . . . " . 1 3 9 Damit war Roesler öffentlich als Gegner des strengen Wirtschaftsliberalismus (= Manchestertum) abgestempelt, was ihm politisch im Deutschen Kaiserreich schadete und seine Karriereaussichten sicherlich nicht förderte. bb) Das Deutsche Verwaltungsrecht

- das sociale Verwaltungsrecht

Das Jahr 1872 stellte für Roesler in wissenschaftlicher Hinsicht ein fruchtbares Jahr dar, da er in diesem Jahr sein 2-bändiges „Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts" veröffentlichen konnte, das den Untertitel „Das sociale Verwaltungsrecht" trägt. 1 4 0 Der 1. Band umfaßt knapp 600 Seiten, während der 2. Band knapp 700 Seiten enthält. Nun kann auf den folgenden Seiten - wie bereits erwähnt 1 4 1 - keine so umfassende Untersuchung, wie sie der Bedeutung dieses Werkes entsprechen würde, unternommen werden, da derartige Ausführungen einer eigenen Abhandlung bedürfen und über den Rahmen dieses Bandes hinausgehen würden. Es soll jedoch ein Überblick über Roeslers verwaltungsrechtliches Werk geboten werden, da er mit diesem Werk den Versuch unternahm, ein deutsches Verwaltungsrecht zu begründen, das bekanntlich zu jener Zeit noch nicht existierte. Sein Lehrbuch ist das erste, das überhaupt den Titel „Deutsches Verwaltungsrecht" trägt. 1 4 2 Als ein Werk des Übergangs auf dem Wege zur Begründung eines einheitlichen Verwaltungsrechts in Deutschland verdient es Beachtung. Ferner ist dieses Werk auch deshalb von Bedeutung, weil Roesler in ihm seine Auffassung vom Wesen des Rechts und der Rechtsent136

Roesler, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1872, Vorrede, S. VI. Breslauer Zeitung vom 8.12.1871, Jahrgang 1871, Nr. 575, der Artikel ist überschrieben „Die Universitäten und die Volkswirtschaft"; näheres siehe Rauscher, a.a.O., S. 100 f. 138 Oppenheim, H.B., Manchesterschule und Kathedersozialismus, in: Berliner Nationalzeitung vom 17.12.1871, zitiert nach Rauscher, a.a.O., S. 101. 139 Ebd. 140 Band 2 wurde ein Jahr später (1873) publiziert. 141 Siehe oben Einleitung. 142 Stolleis, a.a.O., S. 393 sowie Rauscher, a.a.O., S. 132. 137

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stehung darlegt sowie - bei aller Kritik - auf sein Verhältnis zu Savigny, von Stein und Bluntschli eingeht. 143 Denn die Kenntnis seiner rechtswissenschaftlichen Wurzeln und Grundpositionen, die sich in diesem Werk zeigen, hilft, sein späteres Wirken in Tokyo im Bereich der Gesetzgebung besser zu verstehen und erlaubt Roeslers Einordnung in die Rechtstheorie seiner Zeit. Darüber hinaus läßt sich an diesem Werk Roeslers juristische Technik klar zeigen: Roesler entwickelte sein deutsches Verwaltungsrecht auf rechtsvergleichender Grundlage, eine Methode, die er später beim Entwurf des japanischen Handelsgesetzbuches wieder verwenden sollte. Last but not least ist dieses Werk auch deshalb von Bedeutung, weil Roesler in ihm auf die Lösung der sozialen Frage in Deutschland eingeht 1 4 4 . (1) Roeslers Intention Bevor wir uns einer methodologischen Einordnung von Roeslers Werk in die verwaltungsrechtliche Literatur der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland zuwenden, soll es zunächst zeitlich qualifiziert werden. Betrachtet man Roeslers Werk rein unter dem zeitlichen Aspekt, so liegt es in der Mitte zwischen den Werken Friedrich Franz von Mayers (1816-1870) und Otto Mayers (1846-1924), deren Werke für die Begründung eines allgemeinen Verwaltungsrechtes in Deutschland von größter Bedeutung sind. 1857 hatte Friedrich Franz von Mayer zunächst sein „Grundzüge des Verwaltungsrechts- und Rechtsverfahrens" veröffentlicht und dann 1862 „Grundsätze des Verwaltungsrechts"; dieses Werk zitiert Roesler häufig in seinem „Deutschen Verwaltungsrecht". 145 Rund 30 Jahre später (1895) erschien Otto Mayers berühmtes „Deutsches Verwaltungsrecht". Als Roesler sein Werk 1872 veröffentlichte, war das Deutsche Kaiserreich gerade ein Jahr „jung". Die Deutschen befanden sich in der Aufbruchsstimmung, die der Reichsgründung von 1871 folgte und die sich auch auf dem Gebiet der Gesetzgebung auswirkte, da nun allgemein die Notwendigkeit einer einheitlichen Gesetzgebung auf Reichsebene (Reichsjustizgesetze) anerkannt wurde. Die Notwendigkeit allgemeine einheitliche Reichsgesetze zu erlassen, bestand bekanntlich damals auf fast allen Rechtsgebieten. Roesler selbst weist in seiner Vorrede darauf hin, daß es im Deutschen Kaiserreich anders als in Frankreich keine Verwaltungsrechtswissenschaft und kein ein143 Zu Savigny siehe unten II. 1. b) bb) (2) mit FN 179 f. sowie ferner Roesler, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 8 mit FN 3, S. 15 f. mit FN 1 sowie zu von Stein z.B. Vorrede, S. VII, S. 1 f. mit FN 1-3, S. 2 f. mit FN 1, S. 12 FN 5 und zu Bluntschli, Vorrede, S. V ; siehe ferner Rauscher, a.a.O., S. 137 ff. 144 Siehe unter II. 1. b) bb) (1). 145 Vgl. z.B. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 1 FN 1, S. 64.

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heitliches Verwaltungsrecht gebe, daß aber beide für das Deutsche Kaiserreich dringend von Nöten sei. Wörtlich führt er aus: „Wir hatten bisher in Deutschland zwar viele und sehr vortreffliche Verwaltungsgesetze, aber kein Verwaltungsrecht. Das Recht ... war bisher im Gebiete der Verwaltung nicht vorhanden, weder auf den Universitäten, noch in der Literatur, noch in der Praxis der Behörden. Während ... in Frankreich das Verwaltungsrecht längst zu anerkannter Bedeutung und zu ebenbürtiger Stellung neben den übrigen Rechtsdisziplinen gelangte und sogar der Versuch einer allgemeinen Codifikation desselben gemacht wurde, besteht in dieser Hinsicht in der deutschen Rechtswissenschaft eine Lücke, welche gegenüber den neuesten Fortschritten der Rechtsbildung im Leben nicht länger unausgefüllt bleiben kann." 1 4 6 Roesler verweist sodann sowohl auf die besondere föderale Struktur des Kaiserreichs als auch auf die historischen, staatsrechtlichen, d.h. früheren partikularrechtlichen, Gegebenheiten in Deutschland, die zu einer anderen Rechtsentwicklung als in Frankreich geführt haben. Roesler führt dazu aus: „Wir besitzen zwar höchst verdienstliche Darstellungen des particulären Verwaltungsrechtes einzelner Staaten, so namentlich von v. Rönne für Preussen und Pözl für Bayern; auch sind in den gangbaren Lehrbüchern des Staatsrechtes Stücke des Verwaltungsrechts als ein Theil des ersteren zur Darstellung gebracht. Allein begreiflich kann dies die Wissenschaft des deutschen Verwaltungsrechtes, welche das Culturleben der ganzen Nation erschöpfend zu umfassen hat, nicht ersetzen ... Jenes alte Recht ... kann dem heutigen Cultur- und Rechtsbewußtsein nicht mehr genügen." 147 Von diesem neu zu schaffenden Verwaltungsrecht verlangt Roesler, daß es dem Rechtsstaatsprinzip unterworfen ist, indem er die Gleichung aufstellt: „Der Rechtsstaat aber ist der Staat des Verwaltungsrechtes." 148 Damit war Roesler „am Nerv seiner Zeit", als er das Thema der Bildung einer reichseinheitlichen Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungsgesetzgebung auf der Basis des Rechtsstaates aufgriff. 23 Jahre später stellte Otto Mayer immer noch die gleiche Forderung auf und begründete damit die Veröffentlichung seines Werkes. 149 In diesem Kontext ist deshalb Roeslers Werk als einer der ersten Versuche, ein deutsches Verwaltungsrecht bereits im Jahre 1872 zu begründen, von Bedeutung. 146

Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd, Vorrede, S. VI. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. V I f.; siehe auch ähnlich Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., Leipzig 1895, Vorwort, S. VII. 148 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. VII. Ebenso derselbe in dem Aufsatz „Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Deutschland", in: Annalen des Dt. Reiches, Jahrg. 1872, S. 510 ff. (517). Zum Rechtsstaatsgedanken siehe ferner Meyer-Hesemann, Wolfgang, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, (Diss.), Heidelberg 1981, S. 7. 149 Mayer, Otto, a.a.O., Vorwort, S. VII. 147

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Darüber hinaus sind Roeslers Ausführungen in seinem „Deutschen Verwaltungsrecht" noch in einem weiteren Punkt für seine Zeit hochaktuell und damit von besonderem Interesse: Roesler, der sich - wie wir sahen - sehr mit der Lösung der sozialen Frage und der politischen Teilhabe im Rahmen der Selbstorganisation beschäftigte, war der Auffassung, daß diese Punkte auch mittels des „socialen Verwaltungsrechts" gelöst werden müßten. Seine Vorrede zeigt, wie zeitkritisch er war, wenn er zur Aufgabe der Jurisprudenz und des Verwaltungsrecht - z.T. auf Bluntschli zurückgreifend - ausführt: „,Die Juristen sollen den Bedürfnissen der Lebenden dienen. Sie sollen die heilige Idee des Rechtes ... bewahren ... die positive Darstellung und Fortbildung des Rechtes ... fördern, und ihrem Berufe ... gemäss sorgen, dass Jeder sich des friedlichen Genusses seiner Rechtssphäre erfreue, Keiner darin verkümmert oder verletzt werde. 4 Diese Worte Bluntschli's finden ihre Anwendung insbesondere auf das moderne Culturleben und vor allem auf das volkswirtschaftliche Gebiet ... (das) an einem Grundmangel leidet, ... (nämlich dass) das Princip des Rechts und der allseitigen Entwicklung in Freiheit und Gerechtigkeit geradezu (aus diesem Gebiet) ausgeschlossen ..." i s t . 1 5 0 Wie wir bereits sahen, 151 wollte Roesler den Smithianismus in das Recht einbinden und zwar auch in das zu entwickelnde Verwaltungsrecht. Die Ausbildung eines einheitlichen Verwaltungsrechtes hielt er nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch für wesentlich: „Denn," so Roesler, „unläugbar müssen die socialen Kämpfe unserer Zeit auf dem Boden des socialen Rechts ausgekämpft werden; und ohne ein ... ausgebildetes Verwaltungsrecht ist weder Selbstverwaltung, noch Verwaltungsgerichtsbarkeit möglich". 1 5 2 Roesler wollte also mit der Begründung eines deutschen Verwaltungsrechtes gesellschaftspolitische Probleme seiner Zeit auf rechtlicher Basis lösen, ein Vorschlag der Beachtung verdient. (2) Roeslers Grundpositionen Gleich zu Beginn seines Lehrbuches versucht Roesler - wie es der Üblichkeit entspricht - den Begriff des (deutschen) Verwaltungsrechts zu definieren. Bereits in seiner Vorrede kritisierte er - wie wir sahen 153 - daß es an einem solchen fehlt. Grundlage für seine Definition bildet unter anderem die auf Lorenz von Stein basierende Vorstellung von der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, 154 wobei Roesler die Steinsche Definition 150

Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. V. Siehe oben II. 1. b) aa). 152 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. X. 153 Siehe oben II. 1. b) bb) (1) mit FN 146. 154 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. V I I I und S. 2 f. mit FN 1, siehe auch Rauscher, a.a.O., S. 132 ff. 151

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der Gesellschaft kritisiert, wie wir noch sehen werden. 155 Roesler definiert das Verwaltungsrecht als „ . . . die Rechtsordnung für die zusammenwirkende Thätigkeit der Organe des Culturlebens der Menschen im Staate. Es umfasst 1) die menschlichen Culturverhältnisse, in Bezug auf welche eine Thätigkeit der Verwaltungsorgane stattfindet; 2) die Bildung und rechtliche Natur dieser Organe, sowie die Art und Weise ihrer Thätigkeit; 3) die Mittel, deren dieselben behufs der Ausübung ihrer Thätigkeit bedürfen. Die Verwaltungsorgane sind theils gesellschaftliche (sociale), welche durch das menschliche Culturleben innerhalb des Kreises der Gesellschaft selbst hervorgebracht werden und als nothwendige Ausflüsse des gesellschaftlichen Culturlebens sich darstellen; theils der Staat in seiner weiteren Verzweigung in Behörden und Hülfsorgane . . . " . 1 5 6 Nach Roeslers - ziemlich weiter Definition - gehört zur Verwaltung also nicht nur die Tätigkeit des Staates und seiner Organe, sondern auch die gesellschaftliche Selbstorganisation, die z.B. in verschiedenen Bereichen der Selbstverwaltung wie etwa den Religionsgemeinschaften oder berufsständischen Vereinigungen ihren Ausdruck findet. Roesler kritisiert in diesem Zusammenhang ausdrücklich z.B. F.F. Mayer, dessen Definition der Verwaltung er für zu eng hält. 1 5 7 Desweiteren teilt Roesler das Verwaltungsrecht in ein materielles und ein formelles Verwaltungsrecht ein, wobei er das materielle in ein sociales und ein politisches Verwaltungsrecht unterteilt. 158 „Das materielle Verwaltungsrecht zerfällt 1) in das sociale, welches die rechtliche Ordnung der menschenlichen Culturverhältnisse und der auf Culturentwicklung gerichteten Thätigkeit innerhalb der Gesellschaft selbst ...; und 2) in das politische Verwaltungsrecht, welches die durch die menschlichen Culturbedürfnisse gegebenen Verhältnisse zwischen Staat und Gesellschaft hinsichtlich der dem Staate zur Erfüllung seiner Aufgabe nothwendigen Mittel (Finanz- und Militärverwaltung) begreift". 1 5 9 Das formelle Verwaltungsrecht betrifft nach Roeslers Definition die „ . . . Einrichtung und die Formen der Thätigkeit der Verwaltungsorgane des Staates" 160 , d.h. mit unseren heutigen Termini ausgedrückt, die Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsverfahren. Im Folgenden geht Roesler näher auf den Begriff des „socialen Verwaltungsrechts" ein. Gegenstand des „socialen Verwaltungsrechts" sind - wie Roesler bereits in seiner Vorrede ausführt - „ . . . die in der Gesellschaft selbst begründeten Verhältnisse der Verwaltung ... das sociale Verwaltungsrecht ruht auf dem Rechtsbegriff der Gesellschaft und wird beherrscht vom 155 156 157 158 159 160

Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 2 f. mit FN 1 sowie unten S. 39. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 1. Ebd. mit FN 1. Ebd. sowie derselbe, a.a.O., Vorrede, S. VII. Ebd. Ebd.

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Grundsatze der Trennung der Gesellschaft vom Staate". 161 Wörtlich wiederholt Roesler diese Definition in seinen Ausführungen zum Begriff des Verwaltungsrechts, wobei er an dieser Stelle anschließend den Begriff der Gesellschaft definiert. 162 Roesler versteht darunter die „ . . . nach gleichen Gesetzen in freier Thätigkeit sich entwickelnde Menschheit". 163 Roesler geht an dieser Stelle sehr ausführlich auf die Definitionen des Gesellschaftsbegriffs anderer Autoren e i n . 1 6 4 Dabei verweist er auch auf Lorenz von Stein, der in seinem „System der Staatswissenschaft" die Gesellschaft im Gegensatz zu ihm „ . . . den Organismus der geistigen Welt als Ausdruck und Verwirklichung der höchsten Ziele nennt". 1 6 5 Für Roesler ist bei seiner Definition der Gesellschaft gerade der Aspekt der Freiheit wesentlich; sie zu wahren ist eine Aufgabe der „socialen Verwaltung". Wörtlich führt er aus: „Da die menschlichen Entwicklungsgesetze für alle diejenigen, welche dem gleichen Culturzustande und Culturverbande angehören, nothwendig gleich sind, so folgt, dass innerhalb der modernen Gesellschaft Unfreiheit und Unterschiede der persönlichen Rechtsfähigkeit nicht mehr Platz greifen können." 1 6 6 Roesler erläutert an dieser Stelle in einer Fußnote, daß diese Tatsache rechtlich im „Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze" ausgeprägt i s t . 1 6 7 Anschließend folgert er als Aufgabe der „socialen Verwaltung": „Diese Freiheit der Entwicklung für alle nach gleichem Recht und das Princip der Gemeinschaft in allen Culturverhältnissen durchzuführen und zu wahren, ist im Allgemeinen die wesentliche Aufgabe der socialen Verwaltung." 1 6 8 Noch klarer führt Roesler diesen Gedanken an anderer Stelle aus: „In materieller Beziehung herrscht in der Verwaltung nicht wie in der der früheren Entwicklungsperiode angehörenden Polizei das Princip einer Fürsorge des Staates, oder vielmehr des Staatsoberhauptes, für das Wohl und Glück seiner Unterthanen, sondern das Princip der Selbstthätigkeit des Volkes nach den Grundsätzen der individuellen Freiheit und Verantwortlichkeit. Die Menschen in der Gesellschaft sind nicht mehr das Object, sondern das Subject der Verwaltung ... das Volk sorgt und arbeitet für sich selbst, nur unter Mitwirkung des Staates, wobei jedoch beide, Gesellschaft und Staat ... den Normen des Verwaltungsrechts unterliegen". 169 Roesler betont also sehr stark die Freiheit des Individiums, den Rechtsstaatsgedanken und den 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, Ebd. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, Ebd. (Am Anfang der FN 1). Ebd. Ebd. mit FN 4 (auf S. 5). Ebd. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht,

1. Bd., Vorrede, S. V I I f. 1. Bd., S. 2. 1. Bd., S. 2 f. mit FN 1.

1. Bd., S. 41.

40

II. Hermann Roeslers Leben und Werk

Schutz, den die Verwaltung dem einzelnen gewähren muß sowohl bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit als auch gegenüber Akten des Staates in dem Sinne, daß alle Bürger dem staatlichen Recht gleich gegenüberstehen bzw. einen Anspruch auf rechtliche Gleichbehandlung haben. Ferner fordert Roesler die Einrichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, damit „ . . . die Verwaltung in ihren Organen zur Rechenschaft gezogen werden .. kann. 1 7 0 Insofern ist Roesler in seiner Ansicht für die damalige Zeit sehr fortschrittlich. Denkt man an den Kulturkampf, der sich in dieser Zeit (1871) bereits in seiner heißen Phase befand, so zeigt sich hier auch - insbesondere bei Roeslers religiösem Standpunkt - eine versteckte Kritik an den tatsächlichen Verhältnissen. Das „sociale Verwaltungsrecht" betrifft nach Roeslers Vorstellung die Bereiche der „socialen Lebensverhältnisse" (also) ... (z.B.) „Gesundheit, Unterricht, Erwerb etc . . . " . 1 7 1 Anschließend geht Roesler auf das Wesen des „socialen Verwaltungsrechtes" und auf dessen Entstehung ein. Nach seiner Auffassung ist das „sociale Verwaltungsrecht" permanenter Veränderung unterworfen, da „ . . . das sociale Leben selbst der geschichtlichen Fortentwicklung und Veränderung unterworfen (ist), ... ist (das Recht) weder ... unveränderlich, noch mit einem Male fertig und abgeschlossen". 172 Nach Roeslers Ansicht entsteht das Recht in der Gesellschaft: „Die Quelle des Verwaltungsrechts ist ... wie die des Rechtes überhaupt das menschliche Leben in der Gemeinschaft des Volkes, hier insbesondere in der Gesellschaft. Das Recht entsteht daher an sich unmittelbar mit den Lebensverhältnissen selbst . . . " . 1 7 3 Im Laufe der Spezialisierung innerhalb der Gesellschaft sei allerdings „die Rechtserzeugung Gegenstand einer besonderen Berufsthätigkeit . . . " 1 7 4 geworden, d.h. der Juristen. Dementsprechend will Roesler die Ausbildung eines nationalen Verwaltungsrechts in die Hände der Wissenschaft legen; denn er sieht „ . . . die Erkenntniss und Fortbildung des modernen Rechts ... als Hauptaufgabe der Jurisprudenz . . . , " 1 7 5 weil nur diese „ . . . mit Klarheit und Sicherheit ... (vorgeht). Sie ganz besonders ist berufen, für die deutsche Rechtseinheit, eine der edelsten Bestrebungen unseres Volkes ... zu arbeiten . . . " . 1 7 6 Roesler, der sich in seinem wissenschaftlichen Schaffen nie einem einzelnen bekannten Historiker, Juristen oder Philosophen, noch einer bestimmten wissenschaftlichen Schule fest anschloß - wie Rauscher zutreffend fest170 171 172 173 174 175 176

Roesler, Roesler, Roesler, Roesler, Roesler, Roesler, Roesler,

Dt. Dt. Dt. Dt. Dt. Dt. Dt.

Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht, Verwaltungsrecht,

1. 1. 1. 1. 1. 1. 1.

Bd., Bd., Bd., Bd., Bd., Bd., Bd.,

S. 39. S. 7, siehe ferner S. 47. S. 13 f. S. 15. S. 15 f. Vorrede, S. X. Vorrede, S. VII.

1. Roesler in Deutschland

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stellt 1 7 7 stand, wie erwähnt, der historischen Rechtsschule Savignys nahe, akzeptierte sie jedoch nicht in allen Punkten. 178 In seiner entwicklungsgeschichtlich geprägten Auffassung von der Aufgabe der Jurisprudenz, wonach „ . . . die Rechtserzeugung jederzeit eine organische sein (muß) . . . " , 1 7 9 war er Savignys Auffassung durchaus nahe. In seiner Abhandlung „Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Deutschland", die er im gleichen Jahr wie sein Verwaltungsrecht publizierte, berief er sich auf Savigny und forderte eine stärkere Beteiligung der Rechtswissenschaft bei der Fortbildung und Schaffung des Rechtes. Roesler beklagte zunächst: „ . . . dass, die Rechtswissenschaft nur verhältnissmässig geringen Einfluß hat auf die Fortbildung des Rechtes. Soll die Jurisprudenz ihrer Aufgabe im vollen Umfange zurückgegeben werden, so ist es nötig, das Recht vor Allem als Erzeugeniss des Culturlebens zu begreifen; die Jurisprudenz muß als Culturwissenschaft erfasst, betrieben und gelehrt werden. Soll der Jurist das Recht wahrhaft verstehen und anwenden lernen, so muß er vor Allem das Culturleben der Völker kennen. Hier ist der Punkt, wo das Werk Savignys und Puchtas weiter geführt werden muß. Sie haben gezeigt, wie man das Recht nicht in Worten und dem Willen der Gesetzgeber, sondern an den Rechtsbegriffen und Rechtsinstituten zu erkennen hat. Jetzt gilt es, die Rechtsbegriffe und Rechtsinstitute aus dem nationalen Culturleben selbst zu schöpfen. Daher bedarf das moderne Rechtsstudium notwendig der culturwissenschaftlichen Grundlage"; 180 Roesler mit seiner Überzeugung, daß die Rechtserzeugung „organisch" zu sein habe, ist also auf der Linie der Historischen Rechtsschule und war insofern ein „Kind seiner Z e i t " . 1 8 1 Wie Roeslers vorstehende Ausführungen zeigen, trat er zwar für die Begriffsjurisprudenz ein, aber er wollte die Rechtsbegriffe und -institute nicht durch theoretisches Konstruieren bilden, sondern „ . . . aus dem nationalen Culturleben selbst ... schöpfen" 182 . Roesler verfolgt also einen soziologischen Ansatz. Dies gilt um so mehr in Anbetracht seiner Forderung, daß „ . . . die Jurisprudenz als Culturwissenschaft erfaßt, betrieben und gelehrt werden" 1 8 3 muß. Ein solcher soziologischer Ansatz, der durchaus in die Zukunft der Jurisprudenz weist und z.B. an die spätere Freirechtsschule 177

Rauscher, a.a.O., S. 51. Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 15-17 (zur Kritik vgl. S. 15) sowie derselbe, Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Deutschland, in: Annalen des Dt. Reiches, Jahrg. 1872, S. 510 ff. (550). 179 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 17. 180 Roesler, Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Deutschland, a.a.O., S. 550. 181 Vgl. auch Rauscher, a.a.O., S. 71. 182 Roesler, Über die Beziehungen zwischen Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Deutschland, a.a.O., S. 550. 183 Ebd. 178

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

denken läßt, zeigt Roeslers Verbindung zu von Stein. 1 8 4 Zwar macht dieser soziologische Ansatz die Jurisprudenz sehr „lebensnah", führt aber andererseits u.U. dazu, daß eine klare Begriffsbildung sehr schwierig werden kann und es deshalb an geeignetem juristischen „Handwerkszeug" für die praktische Arbeit der Juristen fehlen kann wie Dennewitz zu Recht kritisiert. 1 8 5 Dieser Nachteil von Roeslers Ansatz mag ein Grund für den mangelnden Erfolg seines Verwaltungsrecht sein. Wie wir eben sahen, spielt in Roeslers Ausführungen der Begriff „Culturleben" eine wichtige Rolle. Bei seiner Definition des „socialen Verwaltungsrechtes" erläutert er diesen Begriff ein wenig näher. Nach seiner Auffassung ruht „das sociale Verwaltungsrecht ... auf dem Rechtsbegriff der Gesellschaft und wird beherrscht vom Grundsatze der Trennung der Gesellschaft vom Staate ...", wobei die historische Entwicklung zur „ . . . rechtlichen Selbständigkeit des modernen Culturlebens ..." geführt habe. 1 8 6 Als modernes Culturleben bezeichnet Roesler „ . . . das Rechtsleben der modernen, auf eigenen Füssen stehenden, von jeder Art Unterthänigkeit befreiten Gesellschaft, die freie nach den in ihr selbst ruhenden Gesetzen erfolgende Befriedigung der manichfaltigsten Culturinteressen" suchen kann. 1 8 7 Mit diesem Begriff rekurriert Roesler auf die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ausgangspunkt für die Schaffung des Verwaltungsrechts, was ihm gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, den steten Wandel des Rechts zu wollen und zu erklären. 188 Dies ist die Auffassung der Historischen Rechtsschule, die einer universalistischen Vorstellung anhing „ . . . nach der das Recht in das Kulturganze eingeordnet und innig mit dessen anderen Äußerungen wie Religion und Kunst verbunden i s t " . 1 8 9 Savigny sah das Rechtsleben durchaus „als einen Teil des gesamten Völkslebens ...", der von ihm benutzte Begriff des sog. „Völksgeistes" stellte das „schöpferische Rechtsprinzip schlechthin" dar. 1 9 0 Vor dem Hintergrund, daß Roesler die Lehren der Historischen Rechtsschule grundsätzlich anerkannte, steht sein Begriff des „Culturlebens" in seiner Funktion und Bedeutung dem Begriff des „Völksgeistes" nahe. Wenn Roesler „das Recht, als bewußte geistige Einheit, als lebensvolles Ganzes . . . " bezeichnet und ferner - wie erwähnt 1 9 1 - die 184

Dennewitz, a.a.O., S. 102. Dennewitz, a.a.O., S. 104. 186 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. V I I f. 187 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. VIII. 188 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 2 f.; 10 f. sowie 13 f. 189 Häfelin, Ulrich, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, I. Teil, Tübingen 1959, S. 109; vgl. hierzu auch Kleinheyer, Gerd/Schröder, Jan (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 354 (Savigny). 190 Rauscher, a.a.O., S. 72. 191 Siehe oben II. 1. b) bb) (2). 185

1. Roesler in Deutschland

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Rechtsausbildung der Wissenschaft überlassen will, zeigt er sich als Anhänger dieser Auffassung. (3) Roeslers methodologischer Ansatz Methodologisch betrachtet, zeigt sich Roesler als ein Mann des Überganges und zwar sowohl bezüglich der von ihm gewählten Gliederung seines Werkes als auch der gewählten Methode, da er nicht klar zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht unterschied. Für die Gliederung seines „Deutschen Verwaltungsrechts" griff Roesler auf den für Pandekten-Lehrbücher üblichen Aufbau zurück, was für ein Lehrbuch des Verwaltungsrechtes, das ja einen Teil des öffentlichen Rechts bildet, nicht paßt. Im Gegensatz zu den Werken von F.F. Mayer und Otto Mayer, die beide ihre Gliederung nach dem Verwaltungsakt, dem Verwaltungsverfahren und dem Rechtsschutz ausrichten bzw. zum Lehrbuch von Pözl, der einen staatswissenschaftlichen Aufbau wählte, 1 9 2 ist sein Lehrbuch am pandektistischen Aufbaumuster orientiert. Der von Roesler gewählte Aufbau des 1. Bandes unterscheidet sich z.B. grundsätzlich nur wenig von dem, den Dernburg seinem „Pandekten"-Lehrbuch zugrunde legte. 1 9 3 Den 1. Band seines Lehrbuches hat Roesler in zwei Bücher unterteilt, die er ganz klassisch in pandektistischem Stil in „Einleitung" (= Begriff und Quellen, Allgemeine Grundsätze, Literatur etc), „Personenrecht" (= natürliche und juristische Personen) und „Sachenrecht" gliedert. Unter diesen Titeln stellt er selbstverständlich verwaltungsrechtliche Themen dar, d.h. er beschäftigt sich z.B. unter der Überschrift „Personenrecht" mit dem Namen und Stand der natürlichen Person sowie mit öffentlichen Auszeichnungen und der Religion. Unter dem Titel „Die juristischen Personen" legt Roesler das Recht der Körperschaften, d.h. der öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie der Religionsgemeinschaften und der Gemeinden, das Recht der Finanzverwaltung und das Organisationsrecht dar. In seinem 2. B a n d 1 9 4 verläßt er das pandektistische Schema und handelt verwaltungsrechtliche Materien des Berufs- und Gewerberechts unter den Überschriften „Berufsrecht" und „Erwerbsrecht" ab. Diese fehlende Differenzierung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht findet sich ferner bei Roeslers Darstellung der einzelnen Materien. 192 Pözl, Josef, Lehrbuch des Bayerischen Verwaltungsrechts, 1. Aufl., München 1856. Der staatswissenschaftliche Aufbau betont die Organisation der Verwaltung und nicht die Funktion des Verwaltungsrechts. 193 Dernburg, Heinrich, Pandekten, 1. Bd., 2. Aufl., Berlin 1888. Hier fehlt z.B. jede Kritik von Siemes, der Philosoph und eben nicht Rechtshistoriker war, vgl. ders., Die Gründung des modernen japanischen Staates, S. 30. 194 An dieser Stelle irrt Dennewitz, a.a.O., S. 101, der meint, der „2. Teil" (= 2. Band) sei nicht erschienen.

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

Roesler trennt z.B. nicht stets klar zwischen den beiden Rechtsgebieten bei seiner Darstellung des Namensrechtes 195 oder des Begriffes der „Selbstverwaltung"; 1 9 6 damit „ . . . verstieß (er) gegen (eine der) wichtigsten Tendenzen zeitgenössischer Rechtswissenschaft gegen die Trennung von öffentlichem und Privatrecht". 197 Da der Zug der Zeit in der Jurisprudenz jedoch zur juristischen Methode ging, die eben diese Trennung und klare juristische Durchdringung der Materien verlangte und die später mit Otto Mayer ihren Sieg errang, 198 konnte Roeslers methodologischem Ansatz kein Erfolg beschieden sein. Roeslers juristische Technik in seinem „Deutschen Verwaltungsrecht", d.h. die Art und Weise wie er seine Ausführungen präsentiert, basiert auf einer rechtsvergleichenden Methode. Der inhaltlichen Darstellung der einzelnen verwaltungsrechtlichen Materien legt Roesler rechtsvergleichende Studien zugrunde, indem er für das jeweilige Thema als Quellen die entsprechenden Gesetze der verschiedenen deutschen Bundesstaaten (= Fürstentümer) sowie die entsprechende Literatur nennt bzw. in Fußnoten auf sie hinweist. 1 9 9 Mit Hilfe dieser Methode versucht er quasi, „den juristischen Extrakt" des jeweiligen Themas, d. h. die Mindestkriterien eines juristischen Begriffes oder Instituts, zu erarbeiten und dem Leser vorzustellen wie z.B. beim Namensrecht. 200 Diese Vorgehensweise sollte Roesler auch in späteren Jahren wieder anwenden wie beispielsweise bei der Erstellung seines Entwurfs des japanischen Handelsgesetzbuches.201 Letztlich war Roeslers „Deutschem Verwaltungsrecht" kein Erfolg beschieden. Zwar kommt seinem Lehrbuch als dem ersten Versuch einer Darstellung des deutschen Verwaltungsrechts wissenschaftstheoretisch unbedingt Bedeutung zu, von seinen Zeitgenossen, aber selbstverständlich auch noch 23 Jahre später von Otto Mayer, 2 0 2 wurde es z.T. heftig kritisiert. 2 0 3 Wenn Stolleis den Grund für Roeslers Mißerfolg darin sieht, daß „ . . . die theoretischen Grundlagen des Werks unklar blieben und die Gliederung des 195

Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 80 f. Näheres hierzu siehe Dennewitz, a.a.O., S. 102 f. 197 Stolleis, a.a.O., S. 394. 198 Zu diesem Thema vgl. Ishikawa, Toshiyuki, Friedrich Franz von Mayer, (Diss.), Tübingen 1992; insofern ist es bezeichnend, daß Otto Mayer, ein Vertreter der juristischen Methode, F.F. Mayers Werk lobt, Otto Mayer, a.a.O., S. 19 mit FN 8 (am Ende) und Roeslers Darstellung kritisiert, ders., a.a.O., S. 16 FN 3. 199 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, z.B. S. 64 ff., 71 ff., 79 f. 200 Roesler, Dt. Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 79 ff. 201 Siehe unten II. 2. b) aa). 202 Mayer, Otto, a.a.O., S. 16 FN 3. 203 Zur zeitgenössischen Kritik vgl. die Übersichten bei Dennewitz, a.a.O., S. 103 f. sowie bei Stolleis, a.a.O., S. 394 mit FN 66. 196

1. Roesler in Deutschland

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Stoffes nicht überzeugte, .. . " 2 0 4 so ist dem durchaus zuzustimmen, wie wir sahen. Auch Roeslers Auffassung, daß die „nationale Rechtsbildung" 205 der Rechtswissenschaft zukomme, entspracht so nicht mehr der damals allgemeinen Auffassung, die durchaus von einer staatlichen Gesetzgebung ausging. Diese Gründe haben wohl dazu geführt, daß Roeslers „Deutschem Verwaltungsrecht" der Erfolg versagt blieb, obwohl er mit seiner Intention, ein deutsches Verwaltungsrecht begründen zu wollen, einem Wunsch seiner Zeit entsprach.

c) Das Angebot Aokis Zu jener Zeit als Roesler an dem Manuskript seines „Deutschen Verwaltungsrechts" arbeitete, also ca. zwischen 1870-72, führte Roesler - äußerlich betrachtet - ein ruhiges Leben. Seine Tochter Elisabeth Roesler berichtet über diese Zeit, daß er sich nach dem Tode seiner ersten Frau, Marie, vom Rostocker gesellschaftlichen Leben sehr zurückgezogen habe. Lediglich um sich zu erholen, sei er oft an den Sonntagen nach Warnemünde zum Schwimmen und Rudern gefahren, da er das Meer sehr geliebt habe. Die Aufenthalte in Warnemünde scheinen sein Wohlbefinden sehr gefördert zu haben, wie er auch später noch in seinen Briefen berichtete. 206 Zuhause habe er sich in jener Zeit „ein Aquarium angelegt ... und sei in die ... offene See hinausgerudert, um Seetang und Meer(es)getier für sein Aquarium zu sammeln ... (Roesler) schwamm auch gut ... (und) war ... einem gemäßigten und vernünftigen Grad von gesundem Sport zugetan. Er turnte auch gern, und seine ... ebenmässige, hochgewachsene Figur war jedenfalls eine Folge ... dieser gesunden Übungen". 2 0 7 Dies mag ein wenig überraschen, da der Sport als Freizeitbetätigung damals noch nicht so allgemein verbreitet war wie heute. 208 Roesler war jedoch in mancher Hinsicht unkonventionell, so auch in dieser. Wie bereits erwähnt, lebte Roesler damals ziemlich zurückgezogen und ging nur aus, wenn „ . . . es sein Beruf verlangte". 209 Bei einer solchen Abendgesellschaft lernte er seine zweite Frau, Agnes Winterton-Turnour, kennen, die damals ein Internat in Rostock besuchte. 210 Agnes WintertonTurnour war damals gerade 18 Jahre alt. Sie stammte aus einer alten eng204

Stolleis, a.a.O., S. 394. Roesler, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., Vorrede, S. VII. 206 Vgl. unten IV. 3., Brief vom 28. Sept. 1872 (4. Brief) und Brief vom 27. Okt. 1872 (5. Brief). 207 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 127. 208 Der Sport war erst zu Beginn des 19. Jhd. durch Friedrich Jahn (11.8.177815.10.1852), dem Pädagogen, Politiker und Gründer der deutschen Turnbewegung populär gemacht worden. 209 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 127. 205

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

lischen Adelsfamilie und war das jüngste von 13 Kindern; im Alter von 6 Jahren hatte sie ihre beiden Eltern verloren und stand deshalb unter der Obhut eines Vormundes. Nach den Worten Elisabeth Roeslers habe „ . . . der große Liebreiz und die Anmut ihrer ganzen Erscheinung ... (Roesler) in so ungewöhnlichem Maße (beeindruckt), dass er bei ihrem Vormund in England um sie anhielt". 2 1 1 Da das Familienvermögen aufgebraucht war, war Agnes - nach damaliger Sichtweite - auf eine gute Heirat angewiesen; nachdem ihr Vormund brieflich seine Erlaubnis zur Heirat erteilt hatte, fand die Trauung am 8. September 1871 in der Rostocker Marienkirche durch Pastor Baek statt. 2 1 2 Von Agnes' Familie, die sie nicht wiedergesehen hatte, nahm nur ihre Schwester, die ebenfalls einen Deutschen heiratete, an der Feier teil. Bereits ein knappes Jahr später, am 12. Juni 1872 wurde dem Paar die Tochter Marian geboren, an der Roesler sehr hing wie die beiden erhaltenen Briefe, die Roesler in jener Zeit seinem Schwager sandte, zeigen. 2 1 3 Roesler berichtete seinem Schwager über seine kleine Tochter, erteilte ihm anhand seiner Erfahrungen Ratschläge in der Babypflege und beklagte sich gleichzeitig über die „ . . . Unruhe, wenn ein kleines Wesen das ganze Haus tyrannisiert." 214 Bald darauf, am 2. August 1875, folgte die Geburt seines Sohnes Alexander. Zwar war die Gesundheit von Roeslers Ehefrau in der Folgezeit so angegriffen, daß sie zur Erholung zunächst nach Wiesbaden und dann auf den Landsitz ihres Vormundes nach Schottland ging, dennoch war diese Zeit für Roesler persönlich - nach den Erinnerungen seiner Tochter - nicht so schlecht, da er sich anscheinend an seinen Kindern sehr freute und sich in „rührender Güte" um sie gekümmert habe, sie z.B. stundenlang getragen und in den Schlaf gesungen habe. 2 1 5 Hinsichtlich seiner Karriere empfand Roesler hingegen seine Situation als frustrierend. Obwohl er zu verschiedenen aktuellen juristischen und nationalökonomischen Themen mit Publikationen hervorgetreten war, blieb die gewünschte Anerkennung durch die Fachkollegen bzw. durch den Großherzog aus. Zwar war er beim Großherzog so wohl gelitten, daß dieser sogar 1866 Roeslers Mutter in Lauf einen Besuch abgestattet hatte 2 1 6 und daß 210

Agnes Winterton-Turnour wurde am 5.8.1851 geboren und starb am 12.8.1921 (vgl. Stammbaum, unten IV. 1.). Der folgenden Darstellung liegt ferner die Lebensbeschreibung von Agnes Winteron-Turnour zugrunde, die ihre Tochter Elisabeth Roesler - wie bereits oben unter I. 1. b) erwähnt - unter dem Titel „Life of Agnes Turner" (sie!) verfaßte und die ebenfalls im Archiv des S.J.-House aufbewahrt wird. 211 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 127. 212 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 127, 129. 213 Vgl. unten IV. 3. (3. und 4. Brief). 214 Roesler, Brief vom 28. September 1872, unten IV. 3. (4. Brief). 215 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 129. 216 Lina Roeslers Notizbuch, unten IV. 6. a).

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dessen ältester Sohn seine Vorlesungen an der Universität besuchte, aber eine zusätzliche berufliche Aufgabe oder ein weiteres Amt erhielt Roesler nicht. Auch ein Ruf an eine andere Universität blieb aus. Roesler war sich seiner Situation wohl bewußt und klagte in einem späteren Brief an seine Mutter: „Ich habe es schon oft bereut, dass ich Professor wurde und aus Bayern fortging ..." und zur näheren Erklärung fügte er hinzu „ . . . ich kannte aber die Verhältnisse nicht und hatte keine Ahnung von dem kleinlichen Geist, der die Regierungskreise beherrscht", und über seine Rostokker Situation schrieb er, daß man ihm damals „ . . . zu schaden suchte und alle (seine) Leistungen schlecht machte, so dass (er) ... ins Ausland gehen mußte, um es zu etwas zu bringen". 2 1 7 Hinzu kam noch, daß er sich seit den 1860er Jahren mit dem Gedanken an eine Konversion zum katholischen Glauben trug, wie er seiner Schwester Elise schrieb: „Ich habe meine Zweifel schon zu Lebzeiten der Marie gehabt, und nach ihrem Tode mit dem damaligen Pfarrer Schott in Kissingen gesprochen. Damals war aber mein Zweifel noch nicht tief genug ... Mein Entschluß wurde erst fest, als in Berlin prot. Pfarrer die Göttlichkeit Christi ungestraft läugnen durften". 2 1 8 Roesler konnte seinen Wunsch, zum katholischen Glauben überzutreten, in Rostock nicht verwirklichen, da die Rostokker Universität von ihren Professoren verlangte, protestantisch zu sein. „Dafür", so schrieb er seiner Schwester, sei die Rostocker Universität „ . . . von ganz Deutschland geächtet". 219 Außerdem war mit dem Erlaß des sog. Kanzelparagraphen 220 1871 der sog. Kulturkampf in seine heiße Phase getreten, was Roesler natürlich berührte. Er schrieb seiner Schwester Elise später: „Natürlich kann ich ... den Versuchen den kath. Glauben zu unterdrücken nicht gleichgültig zusehen, und muß mir sagen, dass das alles aus einer Gesinnung stammt, die der meinigen entgegengesetzt i s t " . 2 2 1 Roeslers Situation war also ab ca. 1871 unbefriedigend, da er sich weder beruflich noch in religiöser Hinsicht entfalten konnte. Da kam das Angebot, in Japan als Regierungsberater tätig zu werden. Leider berichtet Roesler selbst nichts zu diesem Thema. Deshalb stütze ich mich im Folgenden auf die Dokumente, die Suzuki, Yasuzo in den 1930er Jahren zusammengetragen und die Siemes ins Deutsche übersetzt hat. Bei einem dieser Dokumente handelt es sich um einen schriftlichen Antrag des 217

Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (12. Brief). Roesler, Brief vom 22. Oktober 1884, unten IV. 3. (8. Brief). 219 Ebd. 220 Kanzelparagraph, Spottname für ein Reichsgesetz, wonach Geistliche in ihren Predigten unter Strafandrohung nicht auf die Politik eingehen durften; 1872 folgte das Jesuitengesetz; letztlich führten diese Reichsgesetze zu einer Verbitterung der katholischen Bevölkerung. 221 Roesler, Brief vom 22. Oktober 1884, unten IV. 3. (8. Brief). 218

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II. Hermann Roeslers Leben und Werk

Sekretärs des Auswärtigen Amtes, Terajima, Murenori, den er am 27. Okt. 1876 an den Großkanzler Sanjo, Sanetomi stellte. Darin beantragt er für das Außenministerium anstelle des bis zu jener Zeit tätigen amerikanischen juristischen Beraters einen deutschen Gelehrten als Berater beschäftigen zu dürfen. Terajima bittet Sanjo „ . . . den Gesandten unserer Regierung in Deutschland, Aoki ..." anzuweisen, einen entsprechenden Gelehrten auszuwählen. 222 Entsprechend suchte seit Ende des Jahres 1876 der japanische Gesandte in Deutschland, Aoki, Shuzo, 2 2 3 für die japanische Regierung einen deutschen Juristen, der das japanische Auswärtige Amt beraten sollte. Aus welchem Grunde Aokis Wahl auf Roesler fiel, ist unbekannt. Aoki, der mit der aus Pommern stammenden Adligen Elisabeth von Rhade verheiratet war und perfekt deutsch sprach und schrieb, 224 war ein großer Freund Deutschlands. Während seiner verschiedenen Aufenthalte als japanischer Gesandter in Berlin, die im ganzen fast 20 Jahre dauerten, hat sich Aoki stets für enge Beziehungen zwischen Deutschland und Japan auf den verschiedensten Gebieten eingesetzt und viele Deutsche als Berater der japanischen Regierung zu einer Tätigkeit in Japan verpflichtet. Über Aokis Fähigkeiten und Engagement berichtet Ottmar von Mohl, der selbst von 1887-1889 als Zeremonienmeister des Meiji-Tenno in Tokyo tätig war. 2 2 5 Mohl kannte Aoki und dessen Frau persönlich, wenn er nicht sogar mit ih222 Terajima, Antrag des japanischen Außenministeriums vom 27. Okt. 1876, in: Suzuki, Hermann Roesler, in: Monumenta Nipponica, Tokyo 1941, Vol. IV, No. 1, S. 71. 223 Aoki, Shuzo, Vicömte (1844-1914), Diplomat, Minister und Politiker. Als Sohn des Arztes Miura, Genshu geboren, wurde er 1865 von der Samuraifamilie Aoki adoptiert und mit einer Tochter dieser Familie verheiratet. Er studierte Medizin und westliche Wissenschaften. Ab 1869 studierte er in Berlin Staatswissenschaften und wurde 1874 erster Legationssekretär der japanischen Gesandtschaft in Berlin. In zweiter Ehe heiratete Aoki 1877 die deutsche Adlige Elisabeth von Rhade (1848-1931). Nach seiner Rückkehr nach Tokyo 1879 arbeitete Aoki an der Frage der Revision der „Ungleichen Verträge". Von 1880-85 war er wieder Gesandter in Berlin, 1885 kehrte er nach Tokyo zurück, wo er stellvertretender Außenminister wurde. Als Gesandter in England 1893 trug er wesentlich zur Beendigung der „Ungleichen Verträge" (Aoki-Kimberley-Abkommen) bei. Die vorstehenden Angaben sind z.T. einer „Zeittafel" über das Leben Aokis entnommen. Dieser tabellarische Lebenslauf, deren Autor nicht bekannt ist, ist Bestandteil des Familienarchivs der Familie der Altgrafen zu Salm-Reifferscheidt, die Aoki zu ihren Vorfahren zählt. Dieser Lebenslauf wurde der Verf. von der Familie zu Salm-Reifferscheidt freundlicherweise als Kopie überlassen. 224

Von Aoki ist ein handgeschriebener Brief im bereits erwähnten Familienarchiv der Altgrafen zu Salm-Reifferscheidt vom 7. Juli 1886 erhalten; dieser Brief ist in einer sehr gewählten deutschen Ausdrucksweise abgefaßt, die Aokis sprachliche Fähigkeiten beeindruckend zeigt. Von Aoki ist überliefert, daß er Zuhause (auch in Tokyo) nur Deutsch gesprochen haben soll, vgl. hierzu Michaelis, a.a.O., hrsg. von Becker, S. 70, FN 47. 225 Mohl, A m japanischen Hofe, Berlin 1904, S. 1.

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nen befreundet war, wofür manche Andeutung in seinem Buch spricht. 2 2 6 In seinem Buch führt Mohl Folgendes aus: „Sehr viel zum Verständnis (zwischen Japan und Deutschland) ... trugen indes die wiederholten Missionen Aokis als Gesandter nach Berlin und an die größeren deutschen Höfe bei. Sein Aufenthalt in Berlin erstreckte sich mit Intervallen über zwei Jahrzehnte, während welcher Jahre Aoki in regem Verkehr mit den massgebenden Kreisen der Reichshauptstadt, mit den Männern der Politik, Kunst und Wissenschaft stand. Der kluge Staatsmann beherrschte die deutsche Literatur und Sprache, teilte die Denk- und Empfindungsweise des deutschen Volkes wie ein Deutscher. Seine Verheiratung mit dem Pommerschen Edelfräulein Elisabeth von Rhade, öffnete ihm einen weit ausgebreiteten norddeutschen Familienkreis, verlieh der japanischen Gesandtschaft in Berlin den Charakter edler japanischer Kunst gepaart mit feinster deutscher Sitte ... Die japanische Regierung begann nunmehr, deutsche Gelehrte, Beamte und Offiziere als geeignetere Lehrmeister anzusehen, als die amerikanischen, englischen und französischen Berater. Sie wandte ... sich daher an ihren Gesandten Aoki in Berlin oder an den deutschen Gesandten in Tokyo, um für viele Zweige des öffentlichen Lebens geeignete Kräfte zu gewinnen." 2 2 7 Die Verpflichtung vieler Deutscher als Berater der japanischen Regierung geht also nach Mohls Informationen auf Aoki zurück. Wie genau Mohl über die Vorgänge in Japan und über Aoki informiert war, ist frappierend, wenn man an den oben erwähnten Antrag Terajimas denkt. Denn Mohl schildert genau die Vorgänge, wie sie aufgrund des Antrags veranlaßt wurden. Mohl muß also in diesem Fall als eine sehr zuverlässige Quelle angesehen werden. Zu den deutschen Beratern in Tokyo zählten z.B. neben Roesler auch Georg Michaelis, der von Aoki im April 1885 für eine mehrjährige Tätigkeit in Tokyo gewonnen wurde, 2 2 8 sowie Albert Mosse, ein weiterer deutscher Berater der japanischen Regierung, der zu Aoki besonders enge Beziehungen hatte 2 2 9 Ob nun Aoki selbst durch seinen großen Bekanntenkreis auf Roesler aufmerksam wurde - wie Mohl meint - oder ob das deutsche Auswärtige Amt den Kontakt vermittelte, muß dahingestellt bleiben, da zu diesem Punkt alle Quellen schweigen. Aufgrund von Roeslers schwieriger beruflicher und politischer Situation einerseits und den zuverlässigen Kenntnissen Mohls andererseits, erscheint es jedoch der Verfasserin am wahrscheinlichsten, daß Aoki aufgrund eigener persönlicher Verbindungen Roesler auswählte. Da Roesler den Stand der Wissenschaft seiner Zeit kannte und sich in gewis226

Mohl, A m japanischen Hofe, Berlin 1904, S. 236 f. Mohl, A m japanischen Hofe, Berlin 1904, S. 10 f. 228 Ygi Michaelis, a.a.O., hrsg. von Becker, S. 25 f.

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Vgl. Mosse, Werner, in: Mosse, Albert und Lina, a.a.O., S. 22.

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sem Sinne in seinen Büchern als modern, aber nicht sozialistisch ausgewiesen hatte, konnte er Aoki - politisch betrachtet - durchaus als geeignet erscheinen. Jedenfalls bot Aoki Roesler die erwähnte Stelle eines Beraters des japanischen Außenministeriums an und Roesler sagte zu, weil er wußte, daß er „ . . . ins Ausland gehen mußte, um es zu etwas zu bringen". 2 3 0 Der Vertrag über die Anstellung Roeslers als juristischer Berater des japanischen Außenministeriums wurde in Berlin am 5. Oktober 1878 zwischen ihm und Aoki geschlossen. 231 Der Vertrag besteht aus 6 Artikeln und hat eine Laufzeit von 6 Jahren. Gemäß Art. 1 hatte Roesler als juristischer Berater im Dienste des Auswärtigen Amtes in Tokyo „ . . . Anfragen aus dem öffentlichen internationalen Recht und dem Staatsrecht zu beantworten und ihm vom Leiter des Auswärtigen Amtes angewiesene diesbezügliche Entwürfe auszuarbeiten und andere derartige Geschäfte zu bearbeiten". 232 Da Roesler nach Art. 6 seines Vertrages verpflichtet war, sich bis Mitte November 1878 auf die Reise nach Tokyo zu begeben, 233 war nun Eile geboten. Drei Tage nachdem er den Vertrag mit Aoki unterzeichnet hatte, teilte Roesler in einem Brief seiner Universität mit, daß er den Ruf nach Tokyo angenommen hatte und um seine „ . . . Entlassung eingekommen . . . " w a r . 2 3 4 Er begründete seinen Schritt damit, daß der ihm „ . . . eröffnete Wirkungskreis (s)einen Interessen und Neigungen entspricht .. . " . 2 3 5

d) Die Konversion und Abreise nach Tokyo Wie bereits erwähnt, hatte sich Roesler seit dem Tode seiner ersten Frau mit dem Gedanken an eine Konversion zum katholischen Glauben getragen. 2 3 6 Seinen Wunsch, katholisch zu werden, konnte er jedoch - wie ausgeführt 2 3 7 - nicht verwirklichen, solange er als Professor an der Universität Rostock tätig war, da deren Professoren evangelischen Bekenntnisses sein mußten. Mit seiner Entlassung aus dem Dienst der Universität war er von diesem Zwang befreit und konnte seinen Glaubenswechsel vollziehen. Am 22. Okt. 1878 trat Roesler zum katholischen Glauben über. 2 3 8 Wie er später seiner Schwester Elise schrieb, veranlaßten ihn insbesondere die folgenden 230

Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (12. Brief). Der in Deutsch ausgefertigte Vertrag ist wiedergegeben bei Suzuki, Hermann Roesler, in: Monumenta Nipponica, Tokyo 1941, Vol. IV, No. 1, S. 71 f. 232 Ebd. 233 Ebd. 234 Roesler in einem Brief vom 8. Okt. 1878 an den Rektor der Universität Rostock, wiedergegeben in: Rauscher, a.a.O., S. 43 FN 67. 235 Ebd. 236 Siehe oben IL 1. b). 237 Siehe oben II. 1. c). 231

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zwei Punkte zu seiner Konversion: Zum einen hielt Roesler Zweifel an der göttlichen Natur Christi, die von protestantischen Pfarrern geäußert wurden, für völlig falsch 2 3 9 und zum anderen sah er in der Einsetzung Petri durch Christus eine göttliche Einsetzung, weshalb er den „ . . . Stuhl Petri ... (nicht als) Werk des Petrus, noch irgend eines Papstes oder anderen Menschen, sondern (als) das Werk Gottes selbst" betrachtete. 240 Dieser Brief an seine Schwester aus dem Jahre 1884 zeigt Roesler als geradezu fanatischen Katholiken, eine Tendenz die sich bei Konvertiten gelegentlich zeigt. Bei Roeslers sonst so sehr rationalem Denken hätte man eine solche Ereiferung gar nicht erwartet. Aber in diesem Punkte verhielt er sich gegenüber seiner Familie und seiner Ehefrau keineswegs tolerant und schlug z.B. gegenüber seiner Schwester einen polemischen Ton an, indem er Luther als „ . . . abtrünigen Mönch ..." bezeichnete, „der eine entlaufene Nonne heiratete, mit der er schon vorher Umgang gehabt hatte". 2 4 1 Letzlich führte seine Konversion zu einem Bruch mit seinen protestanischen Verwandten. Über diesen Bruch innerhalb der Familie berichtet auch Roeslers Tochter in ihren Erinnerungen. Danach haben Roeslers „ . . . Geschwister und sogar seine Mutter (ihn) mit einer solch' markierten Feindseligkeit behandelt, dass er schwer darunter zu leiden hatte. Es war ein fast unwiderbringlicher Bruch zwischen ihnen entstanden ... Besonders seine Schwester Elise in Lauf ... überschüttete ihn mit Schmähungen und Kränkungen und Vorwürfen ... auch meine gute Mutter wurde die Zielscheibe ihrer gehässigen Schmähungen ... Sie glaubten zuerst, sie habe meinen Vater zum Katholicismus überredet, was völlig unzutreffend w a r " . 2 4 2 Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Roeslers Frau wehrte sich nämlich einige Zeit gegen eine Konversion vom anglikanischen zum katholischen Glauben, worüber ihre Tochter ebenfalls berichtet: „Der Übertritt H(ermann) R(oesler)s zum Katholicismus war m(einer) M(utter) aber ein sehr großes Ärgernis. Sie Hess sich anfänglich durch nichts beeinflussen, seinem Beispiel zu folgen ... Die ... Seereise (nach Japan) war im Zeichen der schwersten, inneren und religiösen Conflicte für meine Mutter abgelaufen. Zweifel, Rancune, Verbitterung, Auflehnung gegen meinen Vater, der Wunsch bei ihrem althergebrachten Glauben zu bleiben, das alles wogte in beständigem Kampfe in ihrer Seele . . . " . 2 4 3 Roeslers Ehefrau sperrte sich ebenfalls dagegen, ihre kurz nach der Ankunft in Tokyo, am 23. Jan. 1879, geborene 238

Vgl. Rauscher, a.a.O., S. 31, der die Konversion Roeslers ausführlich beschreibt. 239 Roesler, Brief vom 22. Okt. 1884, unten IV. 3. (8. Brief). 240 Ebd. 241 Ebd. 242 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 134 f. 243 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 128.

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Tochter Elisabeth katholisch taufen zu lassen. Erst nach zwei Monaten, im März 1879, gab sie ihren Widerstand auf. Roesler war offensichtlich, wenn es um seine religiösen Überzeugungen ging, stur, unnachgiebig und wenig rücksichtsvoll. Roeslers Konversion soll Bismarck bekannt geworden sein und dieser soll versucht haben, Roeslers Berufung nach Japan zu vereiteln, wie von Ludwig in seinem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1909 berichtet. 244 Da es zu diesem Punkt keine Originalquellen gibt und Roesler im Ergebnis nach Tokyo ging, sei es dahingestellt, ob es eine solche Intervention Bismarcks tatsächlich gegeben hat. Jedenfalls wirkte Roesler in den kommenden 14 Jahren in Tokyo und zwar zunächst als Berater des japanischen Außenministeriums und ab 1885 als vortragender Rat im kaiserlichen Staatsrat.

2. Roesler in Japan Roesler schiffte sich mit seiner Familie auf dem französischen Dampfer „Tanais" ein und ging am 23. Dezember 1878 in Yokohama an Land. 2 4 5 Gemäß Art. 2 seines Vertrages mußte sich Roesler beim Auswärtigen Amt in Tokyo zum Dienst melden, damit er sein Gehalt erhielt, weshalb er sich dort am folgenden Tage, dem 24. Dezember 1878, vorstellte. Damit lief sein erster Dienstvertrag vom 24. Dez. 1878 bis zum 24. Dezember 1884 (Art. 6 seines Vertrages). 246

a) Roeslers Leben in Tokyo aa) Der Alltag Aus der ersten Zeit Roeslers in Tokyo liegen leider keine Briefe von ihm vor. Seine Tochter Elisabeth kann über jene Zeit auch nichts berichten, da sie erst im Januar 1879 in Tokyo geboren wurde. Aus dem abgeschlossenen Vertrag geht hervor, daß Roesler in Tokyo ein Haus in Tsukiji zur Verfügung gestellt wurde. Da die Familie die gesamte Zeit ihres Japanaufenthaltes in diesem Haus wohnte, kann insofern auf die späteren „Erinnerungen" von Elisabeth Roesler zurückgegriffen werden. Danach handelte es sich um ein Haus europäischen Stils, das auf einer Anhöhe in einem großen Garten 244

Ludwig, Franz von, Hermann Roesler, ein katholischer Mitarbeiter Itos, in: Vaterland, Wien vom 7. Nov. 1909. 245 Vgl. Suzuki, Hermann Roesler, in: Monumenta Nipponica, Tokyo 1941, Vol. IV, No. 1, S. 71. 246 Vgl. Suzuki, Hermann Roesler, in: Monumenta Nopponica, Tokyo 1941, Vol. IV, No. 1, S. 72.

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lag und eine schöne Aussicht bot. Das Haus befand sich in Reinanzaka-machi 17 und grenzte mit seinem Garten an den Besitz des Grafen Kuroda; später wurde auf diesem Grundstück die Koreanische Gesandtschaft errichtet. 2 4 7 Da Roesler in seinen Anfangsjahren in Tokyo stark an Malaria litt, ließ er in seinem Garten - so berichtet seine Tochter - Eukalyptusbäume pflanzen. Durch die Anpflanzung dieser Bäume habe er die Krankheit überwunden. 2 4 8 Das Haus, das aus Paterre und erstem Stock bestand, muß geräumig gewesen sein. Die Familie wurde - wie damals üblich - von einigen japanischen Dienstboten versorgt und zwar einem Koch, einem Diener und zwei Dienstmädchen sowie einem „ . . . Momban, der Türwärter und Gärtner zugleich war .. .". 249 Elisabeth Roesler beschreibt in ihren Erinnerungen die Stimmung im Elternhaus folgendermaßen: „In unserer Familie herrschte ein wunderbarer Geist der Ordnung und der Pünktlichkeit. Es war eine auffallende Atmosphäre der Gehobenheit, Reinheit und Würde in unserem Heim, die ich woanders nie mehr fand. Meine Mutter war die Seele dieses Heimes und all' dies, was es kennzeichnete, strömte von ihr aus". 2 5 0 Die von Elisabeth Roesler erwähnte Regelmäßigkeit im Tageslauf ging wohl eher auf Roesler selbst zurück, denn seine Tochter schreibt in ihren Erinnerungen, daß „er ... von unbeugsamer Consequenz und beispielloser Regelmäßigkeit (war). Alles war genau eingeteilt von morgens bis abends. Besonders die Mahlzeiten mußten auf die Minute pünktlich auf den Tisch kommen". 2 5 1 Über Roeslers Tageslauf berichtet seine Tochter: „Die Tagesordnung meines Vaters war sehr regelmässig und geordnet. Er stand immer um 6 Uhr - im Sommer um 5 Uhr - auf. Im Sommer nahm er jeden Morgen ein kaltes Bad". An anderer Stelle erzählt Elisabeth Roesler, daß ihr Vater morgens vor dem Frühstück allein ausgeritten sei; nach seiner Rückkehr habe jedes seiner Kinder mit seinem Pferd „eine Runde durch den Park machen" dürfen. 2 5 2 „ U m 7 Uhr war das Frühstück auf dem Tisch. Etwa um 1/2 9 Uhr fuhr der Wagen vor, der meinen Vater nach der Regierung brachte. Ausser an Regentagen, wo unser Wagen ihn abholte, ging mein Vater stets zu Fuss von der Regierung heim. Er kam bald nach 12 Uhr zurück von dort und um 1/2 1 wurde Mittag gegessen" 253 . Vor dem Essen mußte „eines der Kinder ... stets laut und stehend das Tischgebet be247

Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 142, 145. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 144. Da die Eukalyptusbäume einen Geruch verströmen, der u.U. die Mücken vertreibt, die die Malaria übertragen, erscheint ein solcher Zusammenhang nicht ganz ausgeschlossen. 249 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 132. 250 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 132. 251 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 129, 132, 138 f. 252 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 131. 253 Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 139. 248

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ten , . . " . 2 5 4 „Mein Vater legte Gewicht auf eine gute nahrhafte Kost; aber niemals wurden Leckerbissen und Gourmandisen auf den Tisch gebracht. Nach dem Essen rauchte er eine halbe Cigarre, die er sorgfältig durchschnitt; dabei sass er meist in seinem Armstuhl am Kamin. Um 3 Uhr ging er wieder ins Amt und kam um 6 Uhr zurück. Es wurde um 6 1/2 zu Abend gegessen und danach rauchte er die andere halbe Cigarre oder eine kurze englische Pfeife. Wenngleich sich mein Vater zu Hause stets im allgemeinen Wohnzimmer aufhielt, sprach er eigentlich wenig, sondern sann meist still vor sich hin. Wenn er aber sprach, so waren es meistens ernste und schwerwiegende Dinge, die er behandelte; am öftesten (sie!) die Politik, und seine Arbeiten an der Regierung". 255 Der Lebensstil der Familie Roesler war also sehr gleichmäßig und zurückgezogen und keineswegs - wie bei anderen Ausländern - von übermäßigem Luxus geprägt. Roesler schrieb dazu 1888 seiner Mutter: „Ich lebe hier zurückgezogen und mache kein Haus; diese Leute wollen nur eingeladen sein ... und wenn man das nicht mitmacht, räsonnieren sie über einen". 2 5 6 Auch Otto Schmiedel berichtet ebenso wie Elisabeth Roesler, daß Roesler und seine Frau nur selten an gesellschaftlichen Veranstaltungen wie etwa Einladungen zu Hofdiners oder Feiern zu Ehren des Geburtstags des deutschen Kaiser teilnahmen. 257 Allerdings setzte sich Roesler „hin und wieder ... abends selbst an das Klavier. Er begleitete sich selbst zu religiösen Gesängen, die er mit Vorliebe sang. Er hatte eine sehr angenehme, nicht aufdringliche Stimme". 2 5 8 Die Kinder wurden zuhause von ihrer Mutter unterrichtet, und zwar so gut, daß sie mit 9 bzw. 12 Jahren Klosterschulen in Österreich beziehen konnten und ihren „Altersgenossen in Europa in keiner Weise ..." nachstanden. 2 5 9 Roesler schrieb dazu 1884: „Meinen Sohn habe ich den Jesuiten übergeben, einmal weil sie anerkannt die besten Lehrmeister sind, zumal in den alten Sprachen, und sodann, weil sie die treuesten Söhne der Kirche sind. Da weiss ich ganz gewiss, welche Moral und Religion ihm gelehrt wird .. . " . 2 6 0 Der regelmäßige, sonntägliche Besuch des „Hochamtes in der Cathedrale von T s u k i j i " 2 6 1 war für die Familie selbstverständlich; Roesler hatte zu den Missionaren ein gutes Verhältnis und spendete häufig für Bedürftige. 2 6 2 Auch Roeslers Ehefrau war sehr mildtätig; bedürftigen Japanern 254 255 256 257 258 259 260 261 262

Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 129. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 139. Roesler, Brief vom 23. März 1888, unten IV. 3. (11. Brief). Schmiedel, a.a.O., S. 45; Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 138. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 142. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 131. Roesler, Brief vom 22. Okt. 1884, unten IV. 3. (8. Brief). Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 132, 139. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 141, 156 f.

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ließ sie, insbesondere wenn Epidemien w i e etwa die Cholera asiatica grassierten, warme Wäsche etc. bringen oder fuhr persönlich zu ihnen, u m sie zu unterstützen. 2 6 3 Über sein Leben in T o k y o berichtete Roesler 1881: „Das K l i m a ist nicht so ganz angenehm, als es scheinen könnte. I m Sommer mehrere Monate ist es entsetzlich heiß, und i m W i n t e r doch wieder kalt; meine Frau empfindet die Winterkälte hier viel mehr als in Europa. A u c h haben w i r viele Erdbeben und oft sehr heftige gefährliche Stürme, so dass Häuser einstürzen und Menschenleben verloren gehen. Dazu kommen sehr häufige Brände, wo die Häuser, freilich nur meist kleine Holzgebäude, zuweilen zu vielen Tausenden abbrennen, ohne dass H i l f e m ö g l i c h wäre. So ist man hier i m mer in einer gewissen Unsicherheit, zumal wenn noch Epidemien wie vor zwei Jahren auftreten, die viele Tausende h i n r a f f e n " . 2 6 4 Über die Japaner schrieb er i m gleichen Brief: „ D i e Japaner sind ein gutherziges, angenehmes Volk: i m Verkehr ungemein höflich und zuvorkommend, und gegen Fremde in meiner Stellung von der wohltuendsten Rücksicht. Das Fremdartige in Kleidung etc. verliert sich bald, und man sieht, dass sie i m Ganzen eben auch Menschen sind wie ü b e r a l l . " 2 6 5 Wegen des heißen Sommers in T o k y o machte die Familie oft Sommerferien in Hakodate auf der nördlichen Insel Hokkaido. Elisabeth Roesler berichtet dazu: „ W i r waren früher i m Sommer jedes Jahr nach Hakodate für die Sommermonate gefahren, und zwar m i t einem kleinen Küstendampfer. In Hakodate wurde uns ein ehemaliger Midako-Palast zur Wohnung . . . angewiesen, w i r nahmen auch zwei unserer Dienstboten m i t . " 2 6 6 Später reiste Roesler allein d o r t h i n . 2 6 7 1 884 schrieb Roesler seiner Schwester: „ . . . ich habe hier i m Norden von Japan Seebäder genommen, die m i r i m m e r sehr gut thun . . . " . 2 6 8 Roesler war m i t dem dortigen Bischof Berlioz, der aus Frankreich stammte, gut befreundet. Zuweilen - wenn er alleine dorthin fuhr - wohnte er in dessen A m t s s i t z . 2 6 9 Mosse, der 1889 zufällig zur gleichen Zeit wie Roesler in Hakodate war, schrieb - Roeslers Einstellung klar erkennend - an seine Frau über ihn: „ . . . er ist doch meiner Überzeugung nach Jesuit . . . " und klaschte: „ E r war auf dem Schiffe in Gesellschaft einer Japanerin, und auch darüber fehlte es nicht an R e d e r e i e n . " 2 7 0 A l l e r dings ist es ein wenig zweifelhaft, wie objektiv Mosses B l i c k war, da das 263 264 265 266 267 268 269 270

Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 144. Roesler, Brief vom 17. Febr. 1881, siehe unten IV. 3. (6. Brief). Ebd. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 137. Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 142 f. Roesler, Brief vom 24. Aug. 1884, siehe unten IV. 3. (7. Brief). Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 142 f. Mosse, Albert, a.a.O., S. 458.

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Verhältnis zwischen ihm und Roesler sowie zwischen ihren Familien ziemlich gespannt war, was sowohl Elisabeth Roesler als auch Lina Mosse berichten.271 bb) Roeslers außerberufliches

Engagement

Als Roesler nach Tokyo kam, war die Zahl der Deutschen noch nicht sehr groß; sie betrug 1879 nur 300 Personen. 272 Erst später, um die Mitte der 1880er Jahre, wuchs diese Kolonie und weitere Deutsche wie etwa Mosse und Michaelis kamen nach Tokyo. In jener Zeit (1885) wurde dann auch die deutsche evangelische Gemeinde in Tokyo gegründet, die im Leben der dortigen Deutschen eine wichtige Rolle spielte. (1) Mitglied in der OAG 1879, kurz nach Roeslers Ankunft, gab es in Tokyo nur zwei deutsche Vereine, nämlich die „Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens" (OAG), die bereits 1873 gegründet worden war, sowie den Club „Germania". Die OAG spielte im kulturellen Leben der Deutschen eine wichtige Rolle, während der Club „Germania" eher geselligen Veranstaltungen diente. Roesler wurde Mitglied der noch heute existierenden „deutschen ostasiatischen Gesellschaft" 273 (OAG) „ . . . ein(em) gelehrten Verein, dessen wissenschaftliche Arbeiten sich großer Achtung erfreuen ...", wie Roesler in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" 1879 schrieb. 274 Damals wie heute trafen sich die Vereinsmitglieder Mittwochabends zu Vorträgen oder anderen Veranstaltungen. Roesler verfaßte 1880 für die von der OAG herausgegebene Zeitschrift eine Abhandlung über den japanischen Außenhandel. 2 7 5 Ob Roesler auch Mitglied des Clubs „Germania" in Yokohama war, ist nicht bekannt, jedenfalls erwähnt er ihn in einem seiner Berichte in der „Allgemeinen Zeitung". 2 7 6 (2) Verein für Deutsche Wissenschaften Weit wichtiger als Roeslers Engagement für die deutsche Kultur im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der OAG war seine Tätigkeit für den im Ja271

Roesler-Erinnerungen, unten IV. 4., S. 139; Mosse, Lina, a.a.O., S. 226, 369. Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. 55. 273 Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. 56. 274 Ebd. 275 Roesler, Übersicht über den japanischen Außenhandel seit dem Jahre 1868, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Heft 22, Yokohama 1880. 276 Roesler, Berichte aus Japan, hrsg. von Losano, S. 56. 272

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nuar 1882 gegründeten „Verein für Deutsche Wissenschaften" (Doitsugaku K y o u k a i ) . Dieser Verein errichtete 1883 eine Schule (Doitsu Gakko), die zur Stärkung des Einflusses der deutschen Rechtswissenschaft

i n Japan

beitragen sollte. Nach Michaelis, der später selbst an dieser Schule lehrte, bezweckte man m i t dieser Schule „ . . . j u n g e Japaner i n deutschen Wissenschaften zu e r z i e h e n " . 2 7 7 Seiner M u t t e r schrieb er 1888, daß das eigentliche Z i e l der Schulgründung darin liege, die Einrichtung „einer eigenen deutschen Rechtsfakultät nach dem Muster unserer Doitsu G a k u " 2 7 8 an der U n i versität T o k y o zu erreichen, was später auch g e l a n g . 2 7 9 Schirmherr des Vereins war der sehr deutschfreundliche Prinz Kitashirakawa no M i y a , Yoshi