Hermann Rauschning: Ein deutsches Leben zwischen NS-Ruhm und Exil [1 ed.] 9783412511869, 9783412511043

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Hermann Rauschning: Ein deutsches Leben zwischen NS-Ruhm und Exil [1 ed.]
 9783412511869, 9783412511043

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Albrecht Hagemann

Hermann Rauschning Ein deutsches Leben zwischen NS-Ruhm und Exil

2018 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Köln Weimar Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz und Reproduktionen: SchwabScantechnik, Göttingen

ISBN 978-3-412-51186-9

»Wir müssen es wagen, über Undenkbares nachzudenken. Denn wenn etwas undenkbar wird, setzt das Denken aus und das Handeln wird kopflos.« US-Senator J. William Fulbright

INHALT

Prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Eintritt in die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die Deutschen in Polen nach dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . Arbeit für die deutsche Minderheit in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig . . . . . . . Als Landwirtschaftsexperte in die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innerparteiliche Gegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 30 36 49 52

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig . . . . . . . . . . . . . . 63 Die Volkstagswahlen vom 28. Mai 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Weichenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Déjà-vu: die neue Senatspolitik gegenüber Polen . . . . . . . . . Rivalität zwischen Partei und Staat an der Mottlau . . . . . . . . . . . . Die Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . Weitere Felder der Danziger Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf außenpolitischer Bühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen . . . . . . . . . . . . . . . Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Aufstand gegen Gauleiter Forster? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Präsidentenkrise« und Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefährliches Renegatendasein im Freistaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanz der Senatspräsidentschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt

64 68 70 77 82 87 89 94 96 108 119 123 133 152 7

Kassandra in der Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Zürich und Die Revolution des Nihilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paris und die Gespräche mit Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . London und Die Konservative Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von New York über Hollywood nach Oregon . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Kontakte nach Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückkehr in die Alte Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrichtige Gesinnung und fragwürdige Publikationsorte . . . . . .

163 192 278 315 334 342 351 364

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Fürsprache bei Bundespräsident Theodor Heuss . . . . . . . . . . . . . . Ein kritisches Urteil mit Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politisch rastlos in der jungen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . Frühe nachrichtendienstliche Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rubikon von Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neutralnationalismus und Ostgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Als Publizist bei den Rheinisch-Westfälischen Nachrichten . . . . . . Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr . . . . . . Die Wiederzuerkennung des Doktortitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letzte Wochen bei den RWN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interesse für religiöse Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adenauers Moskau-Reise und und der Vorschlag einer »Deutschen Notgemeinschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung . . .

367 370 373 374 376 378 379 404 406 425 432 433 440 443 450

Das zweite Exil in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Erneuter Neuanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort . . . . . . . . . . Um den Reichstagsbrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Brüning als Bundespräsident? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre . . . . . . . . . . .

467 470 480 486 489 508

8Inhalt

Fazit: zweierlei Odyssee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen, Nachschlage- und Unterrichtswerke . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reihen, Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531 535 538 554 554

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

Inhalt

9

PRÄGUNGEN

»He Talks«, »er spricht« – in großen Neonbuchstaben wirbt das Broadway Theatre in der City von Portland nahe der amerikanischen Pazifikküste in einer Nacht des Jahres 1940 für Charlie Chaplins berühmte Hitler-Satire Der große Diktator. »Er« – damit ist Hitler gemeint, verfremdet durch Person und Stimme Chaplins. Und noch mehr verheißt die Neonwerbung: »All the World is Laughing again«, »die ganze Welt lacht wieder«. Zumindest die ganze amerikanische Welt, die zu dieser Zeit noch glaubt, sich von dem von Hitler-Deutschland entfesselten Kriegsgeschehen fernhalten zu können.1 Polen leidet schon längst unter der deutschen Besatzung, Dänemark und Norwegen sehen sich den Invasionstruppen der Wehrmacht ausgesetzt, im Westen fallen ihr das neutrale Belgien, die Niederlande und Luxemburg zum Opfer. Knapp 1000 tote Zivilisten fordert der verheerende deutsche Luftangriff auf Rotterdam am 14. Mai 1940. In Ostasien schickt sich Japan an, nach der Konsolidierung seiner Herrschaft über Teile Chinas in die rohstoffreichen Gebiete Südostasiens vorzudringen. Ein knappes Jahr vor dem Start des Chaplin-Films2 begann in Europa die Karriere eines anderen Mediums, das angeblich Hitler sprechen ließ: Hermann Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler. Es erschien zunächst Ende 1939 in Paris auf Französisch unter dem Titel Hitler m’a dit – »Hitler hat mir gesagt« – und dann im Januar 1940 in der neutralen Schweiz erstmals auf Deutsch in einer auf Druck der deutschen Regierung gekürzten Ausgabe. Mit seinem Bestseller versuchte Rauschning die Mächtigen der Welt aufzurütteln, Hitler nicht als Lachnummer darzustellen, sondern vor seinem buchstäblich grenzenlosen Fanatismus zu warnen. Als politischer Emigrant, der sich selber als nationalsozialistischer Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig kurzzeitig mit Hitler eingelassen hatte, gelangte Prägungen

11

Rauschning im Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten und schließlich in eben jenes Portland, das sein letzter Wohnsitz werden sollte. Doch wir greifen den Ereignissen vor. Hermann Adolf Reinhold Rauschning erblickte am 7. August 1887 in der damals westpreußischen Stadt Thorn das Licht der Welt. Sein 1861 geborener Vater Leopold bewirtschaftete das Familiengut Willgaiten bei Königsberg und war darüber hinaus aktiver Berufsoffizier. Die Mutter, die 1866 geborene Clara Dauben, war die Tochter des Thorner Kaufmanns Hugo Dauben. Als preußischer Offizier hatte Hugo Dauben in einem Artillerieregiment gegen die Herero in der deutschen Kolonie Südwestafrika gekämpft.3 Die protestantischen Daubens konnten auf eine lange altpreußische Tradition im katholisch geprägten Ermland zurückblicken. Nach den Aufzeichnungen Hermann Rauschnings gehörte die väterliche Familie zu den ältesten nichtadligen, jedoch freien Geschlechtern Preußens.4 Das Geschlecht wurde erstmals im Jahre 1360 urkundlich erwähnt, als der Besitz eines Konrad Rauschning in Rauschningken im ostpreußischen Samland von preußischem in deutsches, genauer: kulmisch-magdeburgisches Recht »gebessert« wurde. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stellte die Familie einen Bürgermeister von Königsberg, der auch an Bemühungen zur Wiedervereinigung des seit dem Zweiten Thorner Frieden von 1466 in einen preußischen Ordensteil und einen polnischen Teil zerfallenen Preußen beteiligt war. Seine Kinder siedelten sich in den wilden, noch ungerodeten Waldgebieten an, welche Preußen von Litauen trennten. Dort lebten die Rauschnings drei Jahrhunderte als freie Bauern; erst Hermann Rauschnings Ururgroßvater kehrte aus dem Grenzgebiet in die Gegend von Königsberg zurück. Hier machte er sich als Landwirt einen Namen und gelangte zu Wohlstand und Ansehen. Der 1788 geborene Urgroßvater Ludwig nahm als preußischer Rittmeister an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Er diente als Adjutant unter von Beneckendorff und von Hindenburg, einem Großonkel des späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. In dem evangelisch geprägten Elternhaus erfuhr der kleine Hermann eine kräftige Grundierung durch die preußische Geschichte, insbesondere durch jene frühe Epoche der mittelalterlichen Ostsiedlung, die er später als Ordenspreußen bezeichnete und der er einen nicht geringen Teil seines frühen schriftstellerischen Schaffens widmete. Wer jemals den kolossalen Anblick der Marienburg an der Nogat auf sich hat wirken lassen dürfen, 12Prägungen

bekommt eine Ahnung davon, welchen unauslöschlichen Eindruck dieses Backsteinmeisterwerk auf den heranwachsenden Hermann gemacht haben muss. Noch im Schatten der antipreußischen Hysterie der alliierten Kriegspropaganda während des Zweiten Weltkriegs, aber auch mit kaum verhohlener Ablehnung der in der Historikerzunft der Bundesrepublik in den 1960er Jahren zaghaft beginnenden Preußenkritik, schrieb Rauschning über sein Verständnis dieses Staates: »Ein Preußen, das als Spätblüte des Hochmittelalters für mehrere Jahrhunderte eine Synthese weltlicher und geistlicher Ordnung verwirklichte und den Europa und insbesondere das Reich zerspaltenden Konflikt zwischen Kaiser und Papst in seinem Gebiet zu überwinden verstand«.5 Gemäß dem Beruf des Vaters sollte auch Hermann Rauschning eine militärische Laufbahn einschlagen. Mit elf Jahren trat er in die Potsdamer Vorkadettenanstalt, später in die Großlichterfelder Hauptkadettenanstalt ein. Rückblickend stellte er der Ausbildung in diesen Anstalten ein respektables Zeugnis aus, genauer: Sie sei »besser als ihr Ruf« gewesen: streng monarchistisch der Geist der Erziehung, »mehr Sein als Scheinen« eines ihrer Leitprinzipien, welches dazu führen sollte, »sich nicht selber wichtig zu nehmen, sondern einer Sache zu dienen«. Weniger die Schärfung des Intellekts und die Vermittlung breiten Wissens habe im Vordergrund gestanden, sondern Charakterbildung, die wiederum auf einem ernsten, vom Pietismus geprägten Christentum ruhte. Nicht wenige seiner damaligen Kameraden, so Rauschning, gehörten später zu Offizieren im Umfeld des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.6 Doch die Dinge entwickelten sich anders als geplant. Während des vorletzten Jahres vor der ersten Offiziersprüfung zum Fähnrich erkrankte Rauschning an Scharlach, der ein schweres Herzleiden, eine Perikarditis, nach sich zog. Die unmittelbaren Folgen bestanden in einem einjährigen Ausschluss vom Schulunterricht sowie im Abbruch der Militärkarriere im Jahre 1903. Im Selbststudium machte sich der Heranwachsende in langen Mußestunden mit den deutschen Klassikern, allen voran mit den Werken Goethes, vertraut. Lange Phasen des Alleinseins infolge der chronischen Krankheit – dies war kennzeichnend für die späte Jugendzeit Rauschnings, und auch jenes: Gesellige Abende im Kreise Gleichaltriger, womöglich garniert mit alkoholischen Getränken, verboten sich aus medizinischen Gründen. Um seine Krankheit zu kurieren, verbrachte der Patient mehrere Monate in dem auf über 1000 Metern Höhe gelegenen Dörfchen Habkern Prägungen

13

oberhalb von Interlaken im Berner Oberland. Jahrzehnte später schrieb Rauschning, dass der Erholungsaufenthalt in Habkern die Weitung seines Horizontes bewirkt habe. Grund dafür war in erster Linie seine herzliche Aufnahme durch den reformierten Ortspfarrer Gottfried Jordi und ganz allgemein die ihm von den Dorfbewohnern entgegengebrachte Gastfreundschaft. Er mochte wohl auch die freudlosen preußischen Kasernen daheim im Sinn gehabt haben, als er notierte: »Kurz, es öffnete sich mir hier so etwas wie eine hellere, eine freundlichere Welt. Ich erfuhr hier so etwas wie eine persönliche Revolution, eine wirkliche Umkehr.« Und wenig später hieß es: »Kurz, mir weiteten sich meine Anschauungen. Ich machte hier eine Wandlung durch wie eine solche in so kurzer Zeit und solcher Tiefe und Tragweite sicher nur selten ist. Die Erinnerung an diese Wohltat ist nie verblaßt.«7 Die Wandlung hatte zunächst ganz konkrete Konsequenzen insofern, als Rauschning sich nun eher musischen Neigungen hingab und entsprechende Berufsziele ins Auge fasste. Nach Intermezzi an Schulen in Glogau und Graudenz wechselte er für die letzten knapp zwei Jahre seiner gymnasialen Ausbildung an das altehrwürdige Katharineum in Lübeck. Zu Ostern des Jahres 1906 erhielt er hier das Reifezeugnis vom realgymnasialen Zweig dieser Schule. Das Dokument, das die Lübecker Feuerstürme des Zweiten Weltkriegs überlebt hat, enthält ganz überwiegend die Note »genügend« – so etwa in den Fächern Deutsch, Geschichte, Englisch, Mathematik und Physik. Während sich in den Kopfnoten unter »Betragen« ein »gut« findet, wird sein »Fleiß« nur mit einem »befriedigend« bewertet. Der Kommentar des die Prüfungsarbeit im Englischen  – eine »Übersetzung historischen Inhalts« – korrigierenden Lehrers begründete die vergebene Note »genügend« mit der »anerkennenswerten Geschicklichkeit im Gebrauch des Englischen« durch den Prüfling. Noch besser schnitt Rauschning mit seinem Deutschaufsatz ab, dessen Thema lautete: »Welche Sendung hat Iphigenie in Goethes gleichnamigem Schauspiel zu erfüllen?« Der beurteilende Lehrer Dr. Krüger begründete sein »gut« u. a. mit der eigenen gedanklichen Leistung des Kandidaten und seinem gewandten Stil. Rauschnings Aufsätze »im letzten Jahr« seien »gut und noch besser« gewesen.8 Als angestrebtes Studium Rauschnings nannten die »Schulnachrichten« des Katharineums von 1906 die Fächer Philosophie und Kunstgeschichte.9 Er scheint gegen Ende seiner Schullaufbahn zwischen diesen Fächern und der Liebe zur Musik geschwankt zu haben. 14Prägungen

Aus der Feder des späteren Wirtschaftsgeographen und Geologen Hans Spethmann, der zum selben Abiturjahrgang des Katharineums gehörte wie Rauschning, stammt ein aufschlussreicher Bericht über »Geist und Leben im Katharineum« zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1931, also in einem Abstand von einem Vierteljahrhundert zur Reifeprüfung, verfasst.10 Da er Rauschnings schulisches Umfeld ein wenig ausleuchtet, sollen hier einige Schlaglichter daraus wiedergegeben werden, auch wenn sie Rauschning persönlich nicht erwähnen. Anders als der Realgymnasiast Rauschning absolvierte Spethmann das Gymnasium des Katharineums. Ihm zufolge war die gymnasiale Ausbildung an der Schule außerordentlich stark im Humanismus verankert, die Antike habe nahezu alle Fächer eindeutig dominiert. Bei den alten Sprachen sei nach seinem Urteil in dieser Hinsicht »des Guten zu viel« getan worden. Selbst in den Ferien hätten die Schüler ein ganzes Buch von Homer für den Wiederbeginn des Unterichts vorbereiten müssen. Das Realgymnasium hingegen sei zwar auch vom Geist der Antike geprägt gewesen, jedoch hätten hier die Naturwissenschaften und die neueren Sprachen ein größeres Gewicht besessen. Gymnasiasten blickten in der Regel auf die Realgymnasiasten herab. Arbeit, Ordnung und Disziplin – das war nach Spethmann die vorherrschende pädagogische Trias am Katharineum, dessen Lehrern er durchweg bescheinigt, den Schülern – Mädchen gab es dort noch nicht – menschlich und fair gegenübergetreten zu sein. Kein Schüler sei »wie auf dem Kasernenhof« behandelt worden. Für Spethmann war die Auslesefunktion der Schule offenbar selbstverständlich: »In Untersekunda war ein weiteres scharfes Aussieben nach den Leistungen, wobei das Urteil nicht auf einzelne Klassenarbeiten zurückging, sondern dem Gesamtbild des Schülers entnommen wurde. Hier war eine Abschlußmöglichkeit in dem Einjährigen gegeben, die ich – das ist mein unmaßgebliches persönliches Urteil – noch heute für ausgezeichnet halte, wo alles in Deutschland meint, durch das Abitur zur Universität kommen zu müssen.« Nach dem Unterricht habe man mit vielen Lehrern unter vier Augen »als Mensch zum Menschen« sprechen können, so Spethmann. Nicht selten sei es den Schülern gelungen, einen Lehrer vom eigentlichen Unterricht abzulenken, etwa indem von Horaz-Oden auf die »große Politik« eingeschwenkt wurde. Großen Staub wirbelte in der Schule der 1901 erschienene Roman Buddenbrooks des zeitweiligen Katharineum-Schülers Thomas Mann auf. Hanno Buddenbrooks am Ende des Romans ausführPrägungen

15

lich geschilderter Schultag porträtierte einige leibhaftige Lehrer – peinlich mitunter für diese, jedoch immer zum Gaudium der Schüler. Am Schluss seines Rückblicks, der immerhin inmitten der Erschütterungen durch die Weltwirtschaftskrise und angesichts wachsender politischer Radikalisierung in Deutschland entstand, suchte Spethmann noch einmal Trost in der Antike: … ganz gleichgültig, ob Herrschaft der Masse oder Diktatur eines einzelnen an der Tagesordnung ist, oder ob sich Staatssozialismus oder freie Privatwirtschaft entfalten will. Für all das bieten uns Rom und Athen, Troja und Karthago die größten Vorbilder und zeichnen uns die Bahnen, in denen sie verlaufen. Die Antike ist ein klarer Spiegel für die Gegenwart und damit auch ihre beste Lehrmeisterin.

Gegen Ende seiner Schulzeit überwog offensichtlich Rauschnings Interesse an der Musik andere Neigungen. Exakt auf den Tag genau 375 Jahre nach der Gründung des Katharineums durch den Reformator Bugen­ hagen, am 19. März 1906, hielt Rauschning dort einen Abschiedsvortrag über »Michelangelo und Beethoven«.11 Es war dies auch die Zeit, in der er gelegentlich auf der Orgel der berühmten St.-Marien-Kirche der Hansestadt spielte. Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich im amerikanischen Exil mit Wehmut an diese Stunden. Über die Kirchenmusik fand Rauschning Zugang zum Werk Richard Wagners und damit nach eigenem Bekunden auch zu antisemitischen Schriften seiner Zeit. Wieder einmal an seinem Herzleiden erkrankt und »für längere Zeit isoliert, öffneten sich mir musikalisch und vor allem ideologisch ganz neue Landschaften«: Schriften Wagners wie Das Judentum in der Musik, Oper und Drama, darüber hinaus sein durch die Bayreuther Blätter gewecktes Interesse an Arthur Schopenhauers pessimistischer Philosophie führten ihn zu weiteren antisemitischen Klassikern. Er kam in Berührung mit den Ideen des Grafen Gobineau und mit Houston Stewart Chamberlains Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts sowie, so Rauschning, mit der für den Nationalsozialismus grundlegenden Rassenlehre vom nordischen Menschen als dem Träger aller Hochkulturen und dem Judentum als Gegenrasse, als dem »Ferment der Dekomposition«. Diese früh übernommenen Lehren, die aus Wagners Dichtungen dunkel und mystisch durchleuchteten und welche die klare Welt Goethes in den Hintergrund drängten, haben zweifellos in mir den Boden dafür

16Prägungen

vorbereitet, daß ich später dem Nationalsozialismus nicht mit der Kritik entgegentrat, die seine Weltanschauung verdiente, und daß ich nicht allein aus Zweckmäßigkeitsgründen, sondern auch aus einem Verständnis und einer gewissen Billigung für seine sonstige »Mission« ihm beitrat.12

Indes: Empfänglich für die Aufnahme völkischen Gedankengutes, erklärte Rauschning, sei er bereits zuvor durch eine Island-Reise gemacht worden, die ihm sein Vater noch während der Schulzeit geschenkt hatte. Hier entflammte sein Interesse für die nordischen Sagas, die isländischen Bauerngeschichten und die Heldentaten der Wikinger. Es habe seiner Phantasie geschmeichelt, von einem isländischen Lokalhistoriker zu erfahren, dass die Rauschnings in ältesten Urkunden auch Russenigk hießen und einer im Pruzzenland hängen gebliebenen nordischen Erobererhorde der Warägerzeit entstammten.13 Noch im Jahre 1906 siedelte Rauschning nach München über, um sich an der dortigen Universität für ein Musikstudium einzuschreiben. Als Nebenfächer wählte er Philosophie und Germanistik.14 Rund zwei Jahre blieb der junge Student in der bayerischen Metropole. Freimütig bekannte er später, dass er sein Studium nicht so sehr zum Zwecke der Vorbereitung späteren Broterwerbs betrieben habe. Vielmehr habe er diese Zeit als »gewährte Freiheit« begriffen, um sich ein umfassendes Wissen anzueignen. Unter seinen Münchner Musikdozenten sind insbesondere Ludwig Thuille (1861–1907) und der Schweizer Walter Courvoisier (1875–1931) hervorzuheben. Es war weniger die musikwissenschaftliche Ausbildung während der überschaubaren Münchner Episode, die Rauschning etwas Bleibendes mitgab, als vielmehr die Prägung durch die Neoromantik jener Jahre. Er selber schreibt dazu: München war damals die Stadt der Neoromantiker. Ich geriet dort unter den Einfluß der großen deutschen Tradition der Romantik. Die bedeutende Dichterin Ricarda Huch (ihr sollte Rauschning zeitlebens größte Verehrung entgegenbringen, A. H.) hatte ihr Werk über die Früh- und Spätromantiker vor wenigen Jahren veröffentlicht; Friedrich von der Leyen lehrte an der Universität über sie und führte in die Welt der Märchen und Sagen ein; mein Lehrer Thuille wie nach dessen frühem Tode Walter Courvoisier hatten Opern nach Märchen- und Sagenmotiven geschaffen … Es war die Zeit, in der die deutsche Jugend aus den engen Grenzen eines utilitaristischen Bürgertums in einer eigenen Bewegung aufbrach, um aus Volksüberlieferung und Prägungen

17

freier Natur eine eigene Sinngebung des Lebens, neue Formen des Gemeinschaftslebens und eine verläßlichere Grundlage der politischen und sozialen Ordnung zu gewinnen.

Rauschning beschäftigte sich in seiner Münchner Zeit auch mit philosophischen und religiösen Fragen, erst später gerieten politische und soziale Probleme in seinen »Blickkreis«, wie er es nannte. Seine Lektüre umfasste jetzt zunehmend Werke der klassischen deutschen Transzendentalphilosophie mit Autoren wie Fichte, Hegel und Schelling. Über die antike Philosophie gewann er Zugang zur abendländischen Mystik, vornehmlich Meister Eckarts, Heinrich Seuses und Johannes Taulers. Mit Hilfe der Schriften der beiden Ostpreußen Johann Georg Hamann und Johann Gottfried ­Herder sowie durch den Einfluss Friedrich Schleiermachers erarbeitete sich Rauschning ein neues Verhältnis zum christlichen Glauben, der, so seine eigenen Worte, »in richtiger Aufklärung verstanden, in innerster Übereinstimmung mit dem deutschen Idealismus zu stehen schien«. Damit war auch der Weg geebnet zu einer allmählichen Lösung von Richard Wagner und Schopenhauer und zu einer neuerlichen Hinwendung zur Kirchenmusik, zur »musica sacra«15. Mit dieser Entwicklung war auch sein Wechsel von München nach Berlin verbunden, wo er sich am 29. April 1908 an der ­Friedrich­Wilhelms-Universität, der Humboldt-Universität seit 1949, im Fach Musik immatrikulierte.16 Zu den bedeutendsten unter den insgesamt 19 Professoren, deren Veranstaltungen Rauschning in den nächsten drei Jahren besuchte, zählten der Schubertforscher Max Friedlaender, der Begründer der Tonpsychologie Carl Stumpf und der Mittelalterexperte Johannes Wolf. Vor allem aber hörte er bei dem Musiker, Dirigenten und Musikwissenschaftler Hermann Kretzschmar, der einem größeren Publikum durch seinen Führer durch den Konzertsaal (Leipzig 1887) geläufig war; seit 1909 war er darüber hinaus Direktor der Berliner Musikhochschule. Kretzschmar übernahm auch die Betreuung der Doktorarbeit Hermann Rauschnings, die sich mit der Musikgeschichte Danzigs befasste. Im Jahre 1911 wurde Rauschning schließlich promoviert – Bewertung »summa cum laude« für die Arbeit –, dabei hatte er jedoch erst das vierte Kapitel über die Anfänge des öffentlichen Konzertwesens in Danzig publiziert. In seinem Gutachten lobte Kretzschmar die Dissertation in höchsten Tönen; für die Nachwelt sollte hingegen von besonderer Bedeutung sein, dass Rauschning für seine Arbeit unwiederbringliche Archivalien Danzigs auswertete, die dann im 18Prägungen

Zweiten Weltkrieg entweder verbrannten oder anderweitig verloren gingen. Nach mehreren Überarbeitungen erschien Rauschnings Doktorarbeit im Jahre 1931 in Danzig unter dem Titel Geschichte der Musik und Musikpflege in Danzig. Das Buch diente fortab als einschlägiges »nützliches und übersichtliches Nachschlagewerk«, das auch über ein sorgfältig erarbeitetes Namens- und Sachregister verfügte.17 Rauschning eröffnete sich nun die Laufbahn eines Musikhistorikers, als er den Auftrag zur Mitarbeit an dem großen Sammelwerk Denkmäler deutscher Tonkunst erhielt. Doch erneut machte sich sein Herzleiden bemerkbar und er sah sich gezwungen, den Auftrag aufzugeben. Auch die Vollendung von Skizzen zu romantischen Opern und polyphonen Chorwerken, die er bereits begonnen hatte, gelang nicht. Er verzettelte sich nach eigener Aussage durch ständige Selbstkritik in immer neuen Überarbeitungen und trieb so in eine bedrohliche Existenzkrise: Ich erkannte, daß meine musikalischen Fähigkeiten nicht ausreichten, um als schöpferischer Musiker Höchstes leisten zu können. So befand ich mich in den letzten Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einer durch Aussichtslosigkeit und Unentschlossenheit fragwürdigen persönlichen Lage. Ich erkannte mich später in dem Schicksal jenes jungen Mannes Castorp in Thomas Manns »Zauberberg« wieder und empfand wie dieser den Ausbruch des Krieges als eine Art Erlösung aus Ratlosigkeit und Ausweglosigkeit.18

Trotz seines labilen Gesundheitszustandes meldete sich Rauschning als Kriegsfreiwilliger bei dem alten Regiment seines Vaters, das nun zur 8. Armee, der sogenannten Njemenarmee, gehörte.19 »Gleich anderen jungen Männern« in jener Situation, schreibt er, »befreite mich der Krieg vor dem Schicksal eine jener ›problematischen Naturen‹ zu werden, die mit nichts zufrieden zu stellen waren«. Der Krieg habe ihm fortab Richtung gegeben, er vermittelte ihm das Gefühl der »Schicksalsgemeinschaft einer Nation« und forderte »ein politisches Bewußtsein heraus«, das ihm bisher völlig gefehlt hatte.20 Wie die meisten Soldaten nahm auch Rauschning eine kurze Dauer des Krieges an. Und nicht um Eroberungen in der Welt, so seine Meinung in der Rückschau, sei es dem Kaiserreich gegangen, sondern »wir wußten uns angegriffen, seit langem umzingelt, eingekreist und am notwendigen Wuchs zu eigener Größe von außen gehemmt«. In seinen ReflePrägungen

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xionen über den Ersten Weltkrieg weist Rauschning die lange Zeit populäre These zurück, wonach die Mittelmächte »fahrlässig in den Krieg hineingeschliddert« seien. Nach seiner Auffassung lag das Hauptproblem am Vorabend des Krieges in der »Furcht voreinander, vor der wachsenden Macht und Rüstung der anderen; die Sorge, daß ein langes Zuwarten die Lage noch verschlimmern würde, daß der eigentliche, der günstigste Moment, den Gegner in die Schranken zu weisen, bereits verpaßt sei«. Deshalb habe das Militär auf Handeln gedrängt, ehe die Politik »mit ihrem Verhandeln zu einem Ziel kommen konnte«. Und weiter: »Die diplomatischen Bremsvorrichtungen, die in den Beziehungen der Nationen zueinander katastrophale Beschleunigungen von Entwicklungen verhindern, konnten nicht in volle Funktion treten.« Zu den tiefer liegenden Ursachen für den Kriegsausbruch zählte er vor allem den Konflikt zweier Machtgruppen in Europa: Auf der einen Seite, so seine Analyse, standen im Zentrum des Kontinents das wirtschaftlich kraftstrotzende Deutschland und die Habsburgermonarchie und auf der anderen Seite Frankreich und England, die beide das Heranreifen ebenjener mitteleuropäischen Machtballung zu verhindern suchten. Für Rauschnings wenige Jahre später so eminent wichtiges Verhältnis zu Polen liest sich seine Beurteilung Russlands in diesem Szenario aufschlussreich: Russland habe im Ersten Weltkrieg nicht nur die Unterwerfung der »slawischen Gebiete Österreichs, die Vereinigung aller Slawen gemäß den panslawischen Träumen, sondern auch seit dem 18. Jahrhundert schon Königsberg und die nordöstlichen Teile Ostpreußens, und im Namen eines seiner Herrschaft einverleibten wiedervereinigten Polens die Gebiete bis zur Oder, das heißt, genau die Territorien, die infolge des Zweiten Weltkrieges von Deutschland abgetrennt wurden«, erstrebt. Rauschning verwirft in der Rückschau zumindest für den Kriegsbeginn die Vorstellung, das Kaiserreich habe expansionistische Ziele in Osteuropa verfolgt. Schon gar nicht sei es angemessen, die spätere Lebensraumpolitik Hitlers in Russland bereits in der deutschen Kriegszielplanung des Ersten Weltkriegs nachweisen zu wollen. In Anspielung auf die bahnbrechende Studie des Hamburger Historikers Fritz Fischer von 1961 (Griff nach der Weltmacht) wendet er sich dagegen, zeitgenössische Beurteilungsstandards an die politische Situation zur Zeit des Kriegsausbruches im Jahre 1914 anzulegen. Damals sei »Handeln aus Macht für Macht« gängige Münze gewesen und das Denken in Kategorien wie Machtgewinn, Expansion und Herrschaft über unterworfene Völker durchaus üblich – in Frankreich, England, Russland ebenso wie Deutschland. Das Kaiserreich habe 20Prägungen

dem zufolge vor allem Gebietserweiterungen »im Osten« fordern müssen, genauer: »die Herauslösung des ganzen Polens aus Rußland« sowie die Erhebung der baltischen Provinzen zu »selbständigen Staatswesen«. Vermutlich eingedenk des Friedens von Brest-Litowsk mit dem revolutionären Russland von 1918, durch den das kaiserliche Deutschland der am Boden liegenden Sowjetmacht Gebietsabtretungen aufzwang, die einer territorialen Auflösung Russlands nahekamen, bezweifelte Rauschning jedoch gleichzeitig, ob es aus deutscher Sicht tatsächlich sinnvoll gewesen sei, die Ukraine aus dem russischen Staatsverband herauslösen zu wollen oder überhaupt eine »Aufgliederung Rußlands in mehrere nationale Staaten« anzustreben. Rauschning vertrat hinsichtlich seiner Ostmitteleuropa-Vorstellungen grosso modo die liberal-imperialistische Konzeption Bethmann Hollwegs; er selber sah sich als Anhänger der Mitteleuropa-Ideen Friedrich Naumanns, der in seinem 1915 erschienenen, viel beachteten Buch Mitteleuropa einen engen militärischen Zusammenschluss der zentraleuropäischen Länder unter deutscher Führung gefordert hatte. Rauschning machte sich nach eigenem Bekenntnis Naumanns Ideen zu eigen, sie wurden nach seinen Worten zur Grundlage seiner politischen Vorstellungen, die ihn noch während seiner »Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus bestimmten und meinen konkreten politischen Versuchen im Ausgleich mit Polen Richtung gaben«. Er sah in einem solchen Gemeinwesen »die späte Erfüllung, wenn auch in anderen Formen, jener Bestrebungen des Frankfurter Paulskirchenparlamentes von 1848/49«.21 Ein großes »zentraleuropäisches Commonwealth aus einer Konföderation des deutschen Reiches mit Österreich-Ungarn als Basis nach monarchischem Prinzip durch Sekundogenituren der Hohenzollern, Habsburger und anderer regierender Häuser« schwebte Rauschning noch während des Ersten Weltkriegs vor. Dabei ignorierte er souverän ebenjene Kritik an dieser Konzeption, die sich auch Naumann hatte gefallen lassen müssen, wonach es nämlich durchaus zweifelhaft war, ob die zahlreichen Nationalitäten Mittel- und Ostmitteleuropas viel Begeisterung für eine deutsch-österreichische Hegemonie, ihren gleichsam »sanften Imperialismus«, aufbringen würden. Für Rauschning stand während der ersten Kriegsjahre fest: »Es bestand gute Aussicht, daß auch ein umfassender zentraleuropäischer Staatenbund auf solcher Grundlage lebensfähig sein und die rechte Mitte zwischen Zentralismus und Dezentralisation halten werde.« Der Fehler der Mittelmächte habe nicht darin bestanden, sich überhaupt solche Kriegsziele gesetzt, sondern Prägungen

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an ihnen festgehalten zu haben, als ein vollständiger militärischer Sieg ausgeschlossen war. Spätestens mit dem Kriegseintritt der USA an der Seite Englands infolge des unbeschränkten deutschen U-Boot-Krieges hätte eine politische Lösung gefunden werden müssen – nun allerdings unter Verzicht auf jeden politischen Zugewinn des Reiches.22 Seine eigene politische Einstellung bei Kriegsende formulierte Rauschning als Konservativer rückblickend bündig so: »Das monarchische Prinzip hielt ich zu jener Zeit nicht nur für das deutsche Volk als das einer republikanischen Ordnung überlegenere.« In der Gedankenwelt Rauschnings überlebte am Tage des deutschen Zusammenbruchs auch die Vorstellung von einem starken Mitteleuropa. Mehr noch: Gerade weil die Siegermächte »alte Politik« jetzt endgültig durchzusetzen versuchen würden, nämlich die europäische Mitte und damit Deutschland schwach zu halten, müsse das Ziel eine »Regeneration der Mittelmächte« sein, einschließlich eines militärischen Wiederaufstiegs Deutschlands. Es überrascht daher nicht, dass der Konservative die von ihm so bezeichneten »Pariser-Vorort-Friedensdiktate für Österreich und Deutschland« kategorisch ablehnte und natürlich auch das »Versailler Friedensdiktat« insgesamt demselben Urteil verfiel. Nur kurz sei hier daran erinnert, dass die vehemente Ablehnung des Versailler Vertrages quer durch alle deutschen Regierungsparteien verlief. Berühmt wurde der Ausruf des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann: »Welche Hand müßte nicht verdorren, die sich und uns in diese Fessel legt?« Der Vertrag war in Rauschnings Augen nicht nur ein »ungerechter Gewaltfriede«, sondern »in seinem Niveau tief unter solchen Friedensverträgen, wie der Westfälische Frieden 1648 oder der Wiener Kongress 1815«. Unklug sei er insbesondere deshalb gewesen, weil Gewalt erneut Gewalt hervorrufen musste, die Kränkung der deutschen Ehre erst jenes deutsche Volk geschaffen habe, »das der feindlichen Kriegspropaganda zu ähneln begann«. Und in summa: »In der Erkenntnis solcher Zusammenhänge bin ich Nationalsozialist geworden.«23 Nicht nur die Gedankenwelt Hermann Rauschnings sah sich während der vier Kriegsjahre mancher Prüfung ausgesetzt – auch das Privatleben des nun rund 30-Jährigen erfuhr wichtige Weichenstellungen.24 Im letzten Sommer vor dem Kriegsausbruch im Jahre 1914 hatte er in seiner Heimatstadt Thorn die rund acht Jahre jüngere Anna Schwartz kennengelernt.

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Ihr Großvater mütterlicherseits hatte einst die Geschicke der Stadt Thorn als Bürgermeister geleitet, ihr Vater zählte zu den Thorner Honoratioren. Anna und Hermann fanden im Gespräch über die Musik zueinander, denn auch Anna widmete sich in Berlin der Musik: Sie nahm Klavierunterricht und spielte gelegentlich in Konzerten. Auch ein gemeinsames Interesse an der Landwirtschaft führte die beiden zueinander, wie sich Anna erinnerte. Als sich Hermann Rauschning ebenso wie sein Vater bei Kriegsbeginn als Freiwillige bei ihrem alten Regiment meldeten, verließ Anna kurzzeitig Thorn, um zu ihrer Tante Berta nach Berlin zu gehen. Wenig später kehrte sie jedoch zu ihrem Vater in ihre Heimatstadt zurück. In den ersten Kriegsjahren seien die Deutschen in Thorn regelmäßig in Jubel ausgebrochen, sobald die Kirchenglocken einen Sieg verkündeten. Man habe sich über die Ursachen des Krieges keine Gedanken gemacht und außerdem: Junge Mädchen hatten keine eigene Meinung zu haben, so Anna. Ihr Hermann schrieb noch Briefe von der Front in Polen, dann hörte Anna lange Zeit nichts mehr von ihm. Voller Sorge machte sie sich auf den Weg nach Berlin, um Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen. Hier erfuhr sie von einer Verwundung ihres Angebeteten und von einem wochenlangen Lazarettaufenthalt in Berlin-Charlottenburg, in dessen Verlauf auch eine Operation erforderlich wurde.25 Nach seiner Erholung begleitete Anna ihren Hermann zu seinem Regiment nach Thorn. In dieser Zeit baten die jungen Leute ihre Eltern um das Einverständnis für ihre Hochzeit, das freudig gegeben wurde. Als Ort der Trauung Anfang 1915 wählten die Brautleute das schlesische Krummhübel, wo sich Hermanns Mutter aufhielt. Unmittelbar nach der Hochzeit kehrte Hermann zu seinem mittlerweile in Litauen stationierten Regiment zurück, während Anna noch eine Weile bei ihrer Schwiegermutter in Schlesien blieb, bevor sie im Frühjahr 1915 nach Berlin wechselte. Hier brachte sie ihr erstes Kind, ein Mädchen, zur Welt. Mit ihrer nur wenige Monate alten Heilwig brach Anna Rauschning ins ostpreußische Tilsit auf, wo ihr Ehemann inzwischen stationiert war. In der Stadt mietete die kleine Familie, die sich 1916 um die Tochter Luise (»Ise«) vergrößerte, eine enge Wohnung. Anna Rauschnings Erinnerungen an die folgenden Monate spiegeln in dürren Worten den sich wandelnden Kriegsverlauf: Eintreffende Briefe von Freunden und Verwandten lasen sich immer weniger euphorisch und immer öfter war vom Tod die Rede sowie »von der großen Ehre, für sein Land gefallen zu sein«. Bei Kriegsende schließlich, so Anna, herrschten tiefe Erschütterung und Hoffnungslosigkeit angesichts der Zukunft Deutschlands. Prägungen

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Hermann Rauschning befand sich bei Kriegsende nach eigener Erinnerung in »einer persönlichen Lage wie Hitler, der, im Lazarett liegend«, beschlossen hatte, »Politiker zu werden«.26 Sein politisch-ideologisches Koordinatensystem trug dem deutschen Zusammenbruch nur teilweise Rechnung. Nach wie vor empfand er sich als Monarchist. Darüber hinaus jedoch verspürte er durchaus das Verlangen nach etwas radikal Neuem. Für ihn hatte die bürgerliche Welt abgewirtschaftet, hatten die einst tonangebenden Schichten, denen er selber entstammte, das Recht auf politische Führung verwirkt. Dass aber, wie manche Intellektuelle forderten, das deutsche Bürgertum eine Revolution quasi nachholen und geistig-ideologisch zum Westen aufschließen sollte, fand Rauschning nicht. Als Konservativer, als welcher er sich selber bezeichnete, sah er sich widerspruchslos an der Seite des Sozialismus. Denn, so Rauschning, das konservative Denken stehe »von jeher sozialistischen Gedankengängen näher als liberalen«, und zwar insofern, als »daß Konservatismus wie Sozialismus beide auf ihre Weise die Pflicht des Dienstes dem Recht auf individuelles Glücksstreben voranstellen«. Ohnehin erwartete er angesichts der desaströsen Lage Deutschlands die Regeneration seines Volkes »nur durch die Dienstpflicht für das Gemeinwesen, nicht durch die Entbindung der individuellen Schöpferkräfte allein«. Es bedurfte nach seiner Auffassung einer »Art Revolution«, einer völligen »sozialen Neuordnung«, jedoch nicht unter marxistischem Vorzeichen. Ständestaatliche Ideen, Korporatismus und Monarchismus – dies waren Fixpunkte, die Rauschnings künftiges politisches Denken bestimmen sollten. Wohl gestand er rückblickend ein, dass er im Sog »unausgegorener« korporatistischer »Ideen« gefangen gewesen sei, einem Sog, der »letzten Endes zum Nationalsozialismus« geführt habe, doch habe für ihn auch dies gegolten: Die Neugestaltung der künftigen Ordnung müsse von der »Gerechtigkeit und der Verpflichtung« getragen sein, »der Arbeiterschaft die ihrem Gewicht entsprechende Bedeutung im Prozess der politischen Willensbildung zu geben«.27 Alles Klagen über den Zusammenbruch und alle theoretischen Gedankenspiele hinsichtlich der Zukunft Deutschlands vermochten jedoch ein ganz profanes Problem Rauschnings nicht zu beheben. Er hatte nun eine Familie zu versorgen.

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EINTRITT IN DIE POLITIK

Nach der deutschen Kapitulation kehrte Rauschning gemeinsam mit seiner Frau zunächst in das Haus seiner Schwiegereltern in Thorn zurück. Nach unbestätigten Gerüchten soll er noch vor der Demobilisierung als Offizier in Freikorps- und Grenzschutzeinheiten gegen polnische Aufständische gekämpft haben.28 Er trug sich dann offenbar mit dem Gedanken, nach Berlin zu gehen, jedoch überzeugte ihn im Jahre 1920 der aus Ostfriesland stammende Volkswirt und Funktionär im Verband Deutscher Genossenschaften im Posener Gebiet, Friedrich Swart, die Leitung des deutschen Büchereiwesens in Posen zu übernehmen.29 Rauschning entschied sich damit für die Arbeit zu Gunsten des Deutschtums in einer Region, die soeben die totale Umkehrung der politischen Herrschaftsverhältnisse erlebte. Um die Rahmenbedingungen seines mehrjährigen Wirkens in Posen, aber auch später in Danzig, besser verstehen zu können, sollen die Hintergründe dieser Kehrtwende kurz umrissen werden.

Die Deutschen in Polen nach dem Ersten Weltkrieg 124 Jahre nach dem endgültigen Untergang der polnischen Adelsrepublik infolge dreier polnischer Teilungen stieg Polen durch den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 wie ein Phoenix aus der Asche zu neuer Staatlichkeit empor. Einigermaßen entsetzt und verbittert sahen sich die Deutschen in Galizien, Oberschlesien, Posen und Westpreußen von einem Tag auf den anderen auf den Status einer Minderheit gedrückt, nachdem sie ihrerseits zuvor jahrzehntelang das Staatsvolk gebildet hatten. Es war kaum zu erwarten, dass die Deutschen diese radikale Umwälzung der Die Deutschen in Polen nach dem Ersten Weltkrieg

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Macht­verhältnisse widerspruchslos hinnehmen würden. So entwickelte sich nach Inkrafttreten der Vertragsbestimmungen am 10. Januar 1920 das, was im Deutschen Volkstumskampf und im Polnischen Grenzkampf genannt wurde.30 Marian Wojciechowski weist darauf hin, dass beide Bezeichnungen Mystifizierungen bedeuteten, sowohl der Deutschen, die nun polnische Staatsbürger, als auch der Polen, die nun Angehörige des Staatsvolkes waren. Denn, so Wojciechowski, unbeschadet der irredentistischen Einstellung der deutschen Bevölkerung auf ehemaligem Reichsgebiet und unbeschadet einer polnischen Politik, die alle Zeichen einer nationalen Unterdrückung trug, doch auch die Irredenta bekämpfte, lebten Polen und Deutsche einträchtig nebeneinander, wie unberührt vom Volkstumskampf, den deutsche Minderheitsorganisationen propagierten, und gleichsam unabhängig vom Grenzkampf, den die polnischen Behörden führten und polnische nationalistische Organisationen ausriefen. Ähnlich hatte in diesen Gebieten der Alltag der Deutschen und Polen vor 1914 ausgesehen, nur unter anderem Vorzeichen, als die von Bismarck ausgehende Germanisierungspolitik des preußischen Staates das Zusammenleben der Völker vergiftete. Sie lebten vor dem Ersten Weltkrieg und nach dessen Ende innerhalb eines Staatsverbandes: zunächst im preußischen, dann im polnischen; sie lebten nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander, und das Resultat dieser Osmose waren unter anderem zahlreiche Mischehen.31

Das Deutschtum unter polnischer Herrschaft lebte nach dem Ersten Weltkrieg in sechs verschiedenen Regionen, und zwar erstens in Polen und Pommerellen mit vorwiegend bäuerlichem Grundbesitz (80 %) und einem gut entwickelten Genossenschaftswesen, zweitens in Oberschlesien mit seinem Industriegebiet, drittens in der 700 Jahre alten deutschen Sprachinsel Bielitz-Biala im ehemaligen österreichischen Schlesien, jetzt Westgalizien, viertens in Mittel- bzw. Kongresspolen, fünftens in Wolhynien und schließlich, sechstens, in Galizien.32 Im Verlauf des Sommers 1919, als in und bei Paris um die zukünftigen Grenzen in Mittel- und Ostmitteleuropa und damit auch um die Zugehörigkeit von Minderheiten zu Staatsvölkern gerungen wurde, versuchten polnische Kreise die alliierten Verhandlungsführer von weitreichenden Polonisierungsabsichten hinsichtlich der Konkursmasse der Romanows, der Hohenzollern und der Habsburger zu überzeugen. Die polnische Delegation wurde dabei von dem Ministerpräsidenten und weltberühmten Pianisten Ignacy Paderewski angeführt. Tatsächlich jedoch 26

Eintritt in die Politik

standen sich in Paris auf polnischer Seite zwei Gruppen gegenüber. Jozef Pilsudski, seit 1920 Marschall, inspirierte jene Kreise, die größeres Interesse an östlichen Gebieten, mithin an einer Wiederherstellung der historischen »jagiellonischen Hegemonialstellung« der Polen über Litauer, Weißrussen und Ukrainer hatten. Auf der anderen Seite stand das von dem Nationalisten Roman Dmowski geführte polnische Nationalkomitee, das die Überlassung ganz Oberschlesiens, der Provinzen Posen und Westpreußen (künftig Pommerellen genannt) einschließlich Danzigs, des südlichen Ostpreußens sowie einiger niederschlesischer und ostpommerscher Kreise als »urpolnische Gebiete« forderte, die insgesamt eine Fläche von rund 84.000 Quadratkilometern ausmachten.33 Vor allem dem Einfluss des britischen Premierministers Lloyd George verdankten es die Deutschen, dass sich Dmowski mit seinen Vorstellungen nur etwa zur Hälfte durchsetzen konnte. So fiel nur Posen mit Ausnahme einiger westlicher Kreise sowie der größte Teil Westpreußens an Polen. Danzig, und darauf wird noch zurückzukommen sein, wurde zum Freistaat unter Völkerbundstatut erklärt, womit eine staatsrechtliche Konstruktion erreicht wurde, die jener in vorpreußischer Zeit ähnelte, als Danzig eine deutsche Stadtrepublik innerhalb Polens bildete. Dmowski hatte in Paris für die Pläne des Nationalkomitees weithin ungehindert agitieren können, da sein Kontrahent Pilsudski im Frühjahr 1920 damit beschäftigt war, seine ostpolnischen Träume mit militärischer Gewalt zu verwirklichen. Dabei erzielten seine Truppen zunächst auch enorme Erfolge, standen zeitweilig vor Kiew, wurden dann aber von den Russen bis Warschau zurückgeworfen. Der Rigaer Frieden von 1921 zwischen Polen und Sowjetrussland rettete die junge polnische Republik denkbar knapp vor einer Niederlage. Naturgemäß sah man auf deutscher Seite die polnische Bedrängnis durch Russland keineswegs ungern. In rechten Kreisen der Weimarer Republik kam damals das Wort vom polnischen »Saisonstaat« auf, der seine Existenz nur der augenblicklichen Schwäche Deutschlands und Russlands verdanke. Um es vorwegzunehmen: Der Konservative Hermann Rauschning hat, bei aller Kritik an der Polonisierungspolitik Warschaus gegenüber den Deutschen in der neuen Republik, die Vorstellung von einer bloß vorübergehenden Staatlichkeit Polens immer abgelehnt. Wir erwähnten bereits, dass in Deutschland der Versailler Vertrag quer durch die politischen Lager einhellig abgelehnt wurde. Aber auch in Polen reagierte man vielfach mit Enttäuschung angesichts der von den Die Deutschen in Polen nach dem Ersten Weltkrieg

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Nationalisten um Dmowski geschürten Erwartungen. Insbesondere ein geplantes Plebiszit zur künftigen Staatsangehörigkeit der Bewohner Oberschlesiens sowie die für Danzig gefundene Lösung riefen Erbitterung hervor. Ministerpräsident Paderewski sprach von einem »grausamen Schlag«, den er nur mit »tiefem Bedauern« annehmen könne.34 Doch es sollte noch schlimmer kommen. Zusammen mit dem Versailler Vertragswerk musste die polnische Regierung einen Minderheitenschutzvertrag unterzeichnen. Es war insbesondere dieses Abkommen, das in Polen als Verletzung der Souveränität, ja als blanke Demütigung empfunden wurde. Das Land verpflichtete sich, allen Einwohnern »ohne Unterschied der Geburt, Nationalität, Sprache, Rasse und Religion« volle Freiheit und staatsbürgerrechtliche Gleichberechtigung sowie das Recht auf eigene Schulen und die eigene Sprache zu gewähren. Rund ein Drittel der 27 Millionen Einwohner der neu gegründeten polnischen Republik gehörte einer Minderheit an, darunter vor allem Ukrainer, Deutsche, Litauer und Juden. Nach Martin Broszat war der Minderheitenschutzvertrag namentlich auf Betreiben jüdischer Organisationen zustande gekommen. Eingedenk antijüdischer Pogrome von polnischer Seite im 19. Jahrhundert fürchteten sie nationalistischen Druck im neuen polnischen Staat. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen führten die ca. 1,1 Millionen Deutschen in Polen einen hartnäckigen defensiven Kampf gegen die Assimilierungspolitik der polnischen Behörden, so der Politikwissenschaftler Hans-Adolf Jacobsen.35 Für alle Minderheiten in Polen hatte Kultusminister Stanislaw Grabski die Vorgabe gemacht, ihr Anteil müsse auf eineinhalb Prozent der Gesamtbevölkerung gedrückt werden. Und Grabski weiter: »Das fremde Element wird sich umsehen müssen, ob es sich anderswo besser befindet. Das polnische Land ausschließlich für die Polen!«36 Immer wieder findet sich in polnischen Stellungnahmen der 1920er Jahre der reflexartige Hinweis, man betreibe gegenüber den Deutschstämmigen im Lande nur jene Politik, die Preußen gegenüber den Polen vor dem Ersten Weltkrieg durchgeführt habe – nun aber mit umgekehrtem Vorzeichen. Die Warschauer Regierung übernahm beinahe wörtlich das preußische Sprachengesetz von 1876, mit dem einst die polnische Sprache unterdrückt werden sollte; im Gesetzestext wurde lediglich das Wort »deutsch« durch »polnisch« ersetzt.37 Deutsche Schulen sollten nach dem Minderheitenschutzvertrag eingerichtet werden, wenn die Eltern von mindestens 40 schulpflichtigen Kindern dies wünschten. Örtliche Behörden übten häufig Druck auf die Eltern aus, damit diese Zahl 28

Eintritt in die Politik

nicht erreicht wurde. Auch kam es vor, dass tatsächliche oder angebliche bauliche Mängel die Unterrichtsaufnahme verhinderten. Verboten war auch die Erteilung von häuslichem Deutschunterricht und reichsdeutsche Lehrer erhielten in der Regel keine Zulassung. Großen Unmut unter der deutschstämmigen Bevölkerung Polens erregte die Bodenreform aus dem Jahre 1925, die insbesondere sozialistische Wünsche bediente. Sie gestattete die Enteignung von Grundbesitz von mehr als 180 Hektar und seine Aufteilung in Siedlerparzellen. Von deutscher Seite wurde die Agrarreform als ein einseitig gegen den deutschen Großgrundbesitz gerichtetes Instrument gesehen. Die Zahl von 734.000 neuen Bauernstellen, die infolge dieses Gesetzes geschaffen wurden, zeigt, dass dies so nicht zutraf. Denn so viel deutschen Großgrundbesitz gab es nicht; richtig sei aber, so Jobst Gumpert, dass das Gesetz gegen Deutsche stärker angewandt worden sei als gegenüber Polen.38 Auch Hermann Rauschning sollte sich noch mit der polnischen Agrarreform befassen, wie zu zeigen sein wird. Aus Furcht vor »Geheimbündeleien und Sabotage« verbot Warschau in den 1920er Jahren jede politische Volkstumsorganisation. Die 17 deutschen Sejmabgeordneten und die fünf Senatoren im Warschauer Parlament standen denn auch auf ziemlich verlorenem Posten, während der vom Völkerbund garantierte Minderheitenschutz auch deshalb versagte, weil die Deutschen in Polen mehr die Summe von Individuen waren, nicht aber eine festgefügte, willensstarke Gemeinschaft, die ihre Interessen im Rahmen der Gesetze mit Nachdruck zu vertreten suchte.39 Hermann Rauschnings Arbeit in Posen seit 1920 galt in nicht geringem Maße dem Kampf gegen diese Zersplitterung des Deutschtums in den neuen polnischen Grenzen. Der Versailler Vertrag und der Minderheitenschutzvertrag sahen vor, dass die Deutschen ohne Weiteres die Möglichkeit haben sollten, die polnische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Sie konnten jedoch auch für die deutsche Staatsbürgerschaft optieren. Von dieser zweiten Möglichkeit machte ein erheblicher Teil Gebrauch und wurde daraufhin im Laufe der nächsten Jahre zur Auswanderung gezwungen. Denn dies war der Streitpunkt hinsichtlich der »Optanten«: Nach deutscher Ansicht hatten die »Optanten« zwar das Recht, nach Deutschland überzusiedeln, mussten es aber nicht. Nach polnischer Auffassung hatten sie zwingend das Land zu verlassen. Wesentliche Ursache für den Streit war der Umstand, dass die Option im Versailler Vertrag einerseits und im Minderheitenschutzvertrag andrerseits jeweils etwas unterschiedlich geregelt war. Ausgenommen Die Deutschen in Polen nach dem Ersten Weltkrieg

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vom schnellen Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit waren diejenigen, die erst nach dem 1. Januar 1908 ihren Wohnsitz in die polnisch gewordenen Gebiete verlegt hatten. Damit hing es vom Belieben der polnischen Behörden ab, ob sie diesem Teil der Deutschen in Posen, Westpreußen und Oberschlesien die polnische Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen wollten.

Arbeit für die deutsche Minderheit in Polen Als gebürtiger Thorner (Westpreuße) hatte Hermann Rauschning Anspruch auf die polnische Staatsbürgerschaft und er beantragte sie auch. Sie wurde ihm jedoch verweigert, wohl deshalb, weil der polnischen Seite seine Arbeit für das Deutschtum in der Deutschen Bücherei zu Posen ein Dorn im Auge war. Die Regierung wollte sich die Möglichkeit offenhalten, Rauschning notfalls ausweisen zu können, was sie auch wiederholt versuchte, um schließlich in Form eines »befristeten Aufschubs« doch darauf zu verzichten.40 Zusammen mit seiner Frau und den Töchtern Heilwig und Luise zog Rauschning Ende 1919 aus dem schwiegerelterlichern Haus in Thorn nach Posen, wo die Familie zunächst eine winzige Wohnung bezog. Anfangs half Anna Rauschning ihrem Mann bei der Arbeit in der Deutschen Bücherei, während die Kinder im sonnendurchfluteten Hof des Gebäudes spielten, in dem die Bücherei untergebracht war. Mit dem ersten nahenden Winter machten sich in der Wohnung Heizprobleme bemerkbar, sodass die Rauschnings beschlossen, ein geräumigeres Quartier in der Posener Altstadt zu mieten. Fünf Stockwerke mussten hier jeweils erklommen werden, dann erfolgte die Belohnung der Mühen in Gestalt eines herrlichen Ausblicks über die Stadt. Anna Rauschning, der allein wir die Informationen über das Leben ihrer Familie in Posen verdanken, hat, wie erwähnt, ihre Erinnerungen an diese Zeit während des Zweiten Weltkriegs im Exil für ihre amerikanische Leserschaft geschrieben und dabei versucht, den von den Deutschen im wiedererstandenen Polen als harsch empfundenen Wechsel von der deutschen zur polnischen Herrschaft anschaulich zu machen – einen Wechsel, von dem sie annahm, dass er in Amerika nur schwer verständlich gewesen sein dürfte.41 Dort, so Anna, wo in Posen bis vor wenigen Wochen Denkmäler und Straßennamen an deutsche Geistes30

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größen und militärische Helden erinnert hatten, wiesen nun polnische Namen den Weg. Da ihre eigenen Kinder noch nicht schulpflichtig waren, blieb den Rauschnings der Kampf um eine deutschsprachige Schulausbildung zunächst erspart. Folgt man ihren Erinnerungen, empfanden viele Deutschstämmige in Posen dies jedoch nicht als allzu bedrückend. In jener Weltgegend seien Herrschaftswechsel eben nichts Außergewöhnliches: Wer heute »oben« sei, wisse, dass er sich morgen schon wieder »unten« wiederfinden könne. Es scheint, dass dieses milde Urteil ein wenig dem Ort und den Zeitumständen ihrer Veröffentlichung geschuldet war – deutlichere Worte über den Wechsel von deutscher zu polnischer Herrschaft wären 1942 beim amerikanischen Publikum wohl kaum angekommen. Für sich und ihre Familie kam Anna Rauschning denn auch zu dem Schluss, dass sie »very unhappy in Posen« gewesen seien, und zwar gerade wegen des Umstands, dass sie nun von einer feindlich gesinnten Regierung in Warschau beherrscht worden seien.42 Hermann stürzte sich mit Verve auf seine neue kulturpolitische Aufgabe als Leiter der Deutschen Bücherei; bezahlt wurde er für diese Tätigkeit vom Reich über die dort im Auswärtigen Amt angesiedelte Deutsche Stiftung und ihren energischen Leiter Erich Krahmer-Möllenberg sowie über die »Deutsche Vereinigung in Sejm und Senat« in Warschau.43 Die politische Führung der deutschen Minderheit lag Anfang 1926 bei dem sog. Fünferausschuss. In diesem Gremium hatten die Deutschtumsführer aus Bromberg mit Oberstleutnant a. D. Kurt Graebe das Übergewicht. Dass Rauschning seine Tätigkeit in Posen nicht nur als Übergangslösung ansah, erhellt aus dem erst vor wenigen Jahren (wieder)entdeckten Umstand, dass er am 21. Mai 1924 in die örtliche Loge »Zum Tempel der Eintracht« aufgenommen wurde und dort am 20. Oktober 1926 den Meistergrad erhielt – just in jenem Jahr, als er Posen und Polen den Rücken kehrte, um sich im Danziger Werder als Landwirt niederzulassen. Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig wurde er demnach als Freimaurer im Meistergrad.44 Doch greifen wir den Ereignissen vor. Mit seiner Arbeit im Vorstand der »Historischen Gesellschaft in Posen«, der Pflege und Erweiterung der Bibliotheken in Posen und anderen Orten sowie reger Vortragstätigkeit sah Rauschning sich als eine Art »kleiner Kulturattaché« beim »Deutschtumsbund« zur Wahrung der Minderheitenrechte in der Aleja Chopina.45 Oder anders ausgedrückt: Erstmals in seinem Leben betrat er eine politische Bühne. Nicht ohne Stolz wird er das dienstliche Briefpapier benutzt haben, das oben links folgender Kopf zierte: »HerArbeit für die deutsche Minderheit in Polen

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mann Rauschning. Herausgeber der Deutschen Wissenschaftl. Zeitschrift für Polen, Deutschen Blätter in Polen, Monatshefte f. d. geistigen Aufbau des Deutschtums in Polen, Leiter der Deutschen Bücherei Posen, des Verbandes Deutscher Büchereien in Polen, Bromberg«.46 Die Herausgabe zweier Zeitschriften diente ihm als Vehikel, um die von ihm als so dringend erachtete kultur- und volkspolitische Aufklärungs- und Erziehungsarbeit unter den Deutschen in Polen bewerkstelligen zu können. Dabei wandte sich die Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen eher an ein intellektuelles Publikum, während die seit 1924 erscheinenden Deutschen Blätter in Polen zweifellos eine größere Breitenwirkung erzielten. Rauschning selber steuerte zahlreiche Beiträge zu den Publikationen bei, dabei wagte er sich auch auf ihm eigentlich fremdes Terrain, wie etwa bei wirtschaftspolitischen Fragen. Rauschnings vermutlich früheste Veröffentlichung auf polnischem Boden war die »Einführung« zu einem Text mit dem Titel Wanderspiele des Deutschen Kulturausschusses in Polen. Programm für alle Spiele aus dem Jahre 1922.47 Hier zeigte sich der Autor als deutlich von der Neoromantik geprägt, als Konservativer und Kritiker der städtischen Moderne. Nur ein Jahr später lieferte er im »Nachwort« zu dem aus unbekannter Feder stammenden Beitrag Nicolaus Coppernicus (sic) aus Thorn. Über die Umdrehungen der Himmelskörper. Aus seinen Schriften und Briefen48 ein Porträt des berühmten Astronomen, das vor allem darauf abzielte, Kopernikus als zweifelsfrei preußischstämmig darzustellen. Man mag das Porträt insofern als einseitig kritisieren, sein heutiger unschätzbarer Wert liegt aber ebenso zweifelsfrei darin, dass Rauschning für diese Arbeit offenbar eine Fülle im Zweiten Weltkrieg für immer verloren gegangener Quellen heranziehen konnte, deren Fundort er jedoch leider nicht angab. Es ist hier nicht der Ort, Rauschnings zahlreiche Aufsätze vor allem in den Deutschen Blättern detailliert zu analysieren. Es handelt sich ganz überwiegend um Texte, die sich mit Gegenwart und Zukunft der deutschen Minorität in Polen befassten. Daneben nutzte Rauschning die Deutschen Blätter auch für die Veröffentlichung von Aufsätzen über die Geschichte Ordenspreußens im Mittelalter – zweifellos sein Lebensthema, das jedoch nie die Form eines Buches gefunden hat.49 Exemplarisch sollen im Folgenden einige wenige Texte vorgestellt werden, die sein damaliges Denken einereits und die Richtung seiner Tätigkeit für die Deutschen in Polen andrerseits typisch erscheinen lassen. Zu Recht hat Richard Breyer darauf hingewiesen, dass mit Rauschnings Beitrag im zweiten Heft der Deutschen Blätter ein »irrationaler Ton 32

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angeschlagen« worden sei, »der im gesamten Schaffen Rauschnings nie verklingen sollte«. Er hatte dort unter dem Fichte-Wort geschrieben: »Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.«50 Rauschnings Vorstellungen hinsichtlich eines künftigen Staatsaufbaus – in welchen Grenzen auch immer – kreisten um ständestaatliche Ideen mit romantischer Färbung. So schrieb er in den Deutschen Blättern im Februar 1925 unter der Überschrift »Nationale Gemeinwirtschaft«, dass »die Staatstheorie immer wieder zum Ständegedanken zurückgekehrt« sei. Der Romantik, der »großen Erneuerungsbewegung auf allen Gebieten des deutschen Geisteslebens«, sei der »Staat ein Organismus« gewesen. Keineswegs gehe es dabei um die »alten Formen des mittelalterlichen Ständestaates«, sondern darum, aus »dem alten organischen Bildungsgedanken neue Formen zu schaffen«. Die Kette der Theoretiker des neuen Ständegedankens reiche, so Rauschning, »von Schlegel« über Adam Müller »bis in die Gegenwart hinein, bis zu Othmar Spann, dem Theoretiker des neuständischen Aufbaus«. Und er schloss seinen Artikel mit der Feststellung: »Wir stehen an dem Ende einer Zeit: der Zeit des unbeschränkten Individualismus. Wir stehen am Beginn einer neuen: der des genossenschaftlichen Gemeingeistes.«51 Immer wieder dokumentieren die Beiträge Rauschnings in den Deutschen Blättern seine kulturpessimistische, antimoderne und damit im Zweifel antiurbane Einstellung. So machte er sich in dem Aufsatz »Bildungsziel und Bildungsgemeinschaft« die Thesen des Dresdners Wilhelm Borée zu eigen, der unter dem Pseudonym A. L’Houet schrieb und der in seiner Psychologie des Bauerntums das Ende des deutschen Bauerntums prognostiziert habe.52 L’Houet folgend, erkannte auch Rauschning einen Niedergang des deutschen Bauerntums durch dessen Vermischung mit Angehörigen höherer Schichten. In den Worten Rauschnings: »Der Bauer behält vom Bauerntum das Schnapstrinken und lernt von der Kultur her das Weintrinken dazu, und trinkt dann Wein und Schnaps zusammen.« Auf die Deutschen in Polen angewandt bedeutete dies ihm zufolge: Ist doch ein Ergebnis, wie das unlängst bekannt gegebene, daß schon jetzt nach fünf Jahren in unserem Gebiet etwa 4000 zum Konfirmandenunterricht angemeldete evangelische Kinder weder lesen noch schreiben konnten, noch einen Bibelspruch, noch ein Kirchenlied auswendig wußten, nur möglich durch eine völlige Zersetzung der bäuerlichen Familie und Lebensgemeinschaft, eine fast unglaubliche Verrohung. Arbeit für die deutsche Minderheit in Polen

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Allerdings war sich der Autor im Klaren darüber, dass »die Forderung nach strengerer Scheidung der natürlichen Lebensgemeinschaften voneinander auf kulturellem Gebiet nicht eine völlige Isolierung derselben« bedeuten könne, vielmehr stünden »die natürlichen Lebensgemeinschaften durch Symbiose miteinander in lebendiger Wechselwirkung«.53 Nicht lange muss man in Rauschnings Beiträgen auch nach völkischen Begründungszusammenhängen suchen. So hieß es in dem zuletzt genannten Aufsatz zunächst unter Berufung auf Friedrich Naumanns Wort von deutscher »Qualitätsarbeit«: »Die geschichtliche Aufgabe des Deutschtums in Polen und Osteuropa ist es in allen Jahrhunderten der Vergangenheit gewesen, die Träger höherqualifizierter Arbeit zu sein«, die Herstellung von »geringer Ware« solle man, so Rauschning, Naumann zitierend, »halbgebildeten Völkern« überlassen. Hinsichtlich der aktuellen Leistungsfähigkeit der Deutschen in Osteuropa gebe es leider, so Rauschning in Anlehnung an L’Houet, »Hemmungen, die uns aus einem vielfach disqualifizierten Material« erwüchsen. In früher Antizipation nationalsozialistischer Diktion fuhr er dann fort: »Hier gilt es, rücksichtslos und unsentimental alles Minderwertige aus unserer Gemeinschaft auszuschließen und mit dem im Verfolg der Ostmarkenpolitik großgezüchteten wirtschaftlichen Schmarotzerwesen zu enden.«54 Nach der überwiegenden Zahl seiner Beiträge in den Deutschen Blättern zu urteilen, galt Rauschnings Sorge offenbar in erster Linie dem modernen Trend zur Individualisierung, zur Vereinzelung und dem möglichen Aufgehen der Deutschen im polnischen »Wirtsvolk«, wie er es biologistisch formulierte.55 Um dem entgegenzuwirken, verfasste er ein umfangreiches »Merkblatt für die Heimatforschung«, das dem Forscher dazu dienen sollte, nicht Heimatforschung um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern das gesammelte Material dafür zu nutzen, »die Heimat zu einer biologischen und sittlich geistigen Gemeinschaft« zu machen.56 In insgesamt 36 Oberpunkten, die jeweils durch erläuternde Stichworte untergliedert waren, versuchte dieses Kataster der deutschen Minderheit in Polen alles zu erfassen, was nach Rauschning zu ihrer Stärkung und Erhaltung unerlässlich schien. Der Oberpunkt »Das Haus« umfasste etwa folgende Einzelaspekte: Beschreibung der Hausform, Typen, Größe, Einrichtung, Bauweise, Einzelhaus, Gehöft. Die Häuser des Gehöfts, äußere Ausschmückung. Grundriss und Inneneinrichtung, Herdanlage, Art der Unterbringung, Nutzung. Der Oberpunkt »Volkslieder« lieferte diese Stichworte: »Sammeln des gesamten Bestandes; fremder Einfluß, modisches 34

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Stadtgut. Stets Melodie mitsammeln, auf charakteristische Abweichungen achten.« Beim »Aberglauben« sollte sich der künftige Forscher an diesen Gesichtspunkten orientieren: Zauber und Hexenwesen, Gespenster und Spukwesen, Feuerzauber, Wetterzauber, naturkundlicher Glaube, Liebeszauber, Zahlenaberglaube. Und schließlich das Beispiel des Oberpunktes »Anthropologie«: Hier sollte »Rassenforschung« sowie die »Aufnahme und Vermessung nach biologischen Grundsätzen« stattfinden. Atmeten diese Richtlinien eine gewisse Enge, ja einen Hang zur totalen Erfassung, dokumentierten Rauschnings Gedanken über »Stand, Ehrbegriff und Nationalgefühl« der deutschen Minderheit in Polen, die er ein Jahr zuvor in den Deutschen Blättern veröffentlicht hatte, eine nur als schiere Angst zu bezeichnende Sorge um die Zukunft »von uns« als »Auslandsdeutschen«, wie er bei dieser Gelegenheit großzügig formulierte.57 Zunächst wiederholte Rauschning in diesem Aufsatz die Forderung nach einer strikt ständischen Gliederung des künftigen Gemeinwesens, um dann in seltener Schärfe die Zukunft derjenigen anzudeuten, die sich eine andere Art des Zusammenlebens vorstellten. Eine nationale Minderheit stehe und falle mit einem »stark ausgeprägten Ehrgefühl«, schrieb er. »Wo aber ein Ehrgefühl, eine besondere Ehre vorhanden sein soll, bedarf es eines Zwanges, eines Drucks der Gemeinschaft auf den Einzelnen«, fuhr er dann fort, »um ihn gegebenenfalls maßregeln oder ausstoßen zu können.« Es sei notwendig, »den Dingen ins Antlitz zu schauen«. Schon jetzt »haben wir in unseren Reihen Laue, Abtrünnige, Flaumacher. Wir haben die große Zahl der gedankenlosen Mitläufer, der Unsicheren, Halben.« »Volksgenossen«, erklärte der Autor, »die ihre Pflichten nicht erfüllen«, müssten sich der »gesellschaftlichen Verfemung aussetzen. Mischehen, Erziehung der Kinder in andersvölkischem Geiste, sie werden allein innerhalb ständischer Lebenskreise zu verhindern sein, wenn wir sie zu Trägern unserer sittlichen und völkischen Erziehung machen.« Rauschning stellte nicht in Abrede, dass es innerhalb der Stände zu »notwendig vorhandenen Interessengegensätzen« kommen werde, doch müssten sich diese »innerhalb erträglicher Grenzen abspielen«. Immer wieder erscheint das Wort »Disziplin« dann am Ende des Beitrags, offenbar um der Leserschaft deutlich zu machen, dass dies allein das Instrument sei, mit dem die deutsche Minderheit »der geschickten gegnerischen Politik« Warschaus widerstehen könne.58 Bereits im Novemberheft der Deutschen Blätter des Jahres 1924 ließ Rauschning in einem Beitrag resignative Töne hinsichtlich der einheitArbeit für die deutsche Minderheit in Polen

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lichen Ausrichtung des Deutschtums vor allem im sogenannten Kongresspolen anklingen. »Wird unser Deutschtum in Polen sechs Jahre nach der Liquidation des Weltkrieges beginnen, sich als Einheit zu fühlen?«, fragte er rhetorisch. Nicht der Parlamentarismus mit seinen »gestalt- und antlitzlosen Wählermassen« hinter einer politischen Fraktion könne dies leisten, schrieb er, sondern allein »unsere deutsche Kultur« sei in der Lage, »den Lodzer Arbeiter mit dem Großgrundbesitzer des ehemaligen preußischen Teilgebiets … auf einer gemeinsamen Plattform zu verbinden«. »Fast sechs Jahre« habe man »verstreichen lassen«, ohne dass wesentliche Aufgaben wirksam in Angriff genommen worden seien.59

Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig

Der Freistaat Danzig und der »Korridor« nach dem Ersten Weltkrieg Karte aus: Hugo Rasmus, Pommerellen. Westpreußen 1919–1939, München 1989.

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Es scheint, als hätten Streitigkeiten unter den mit der Deutschtumsarbeit in Polen befassten Persönlichkeiten und Gremien, verbunden mit unterschiedlichen Finanzierungsvorstellungen, Rauschning dazu gebracht, seine Arbeit in Posen zu beenden und im Herbst 1926 gemeinsam mit seiner Familie in das Gebiet der Freien Stadt Danzig umzuziehen. Ob es zutrifft, dass er auch einer der Beschuldigten in dem polnischen Prozess gegen den »Deutschtumsbund« als angebliche Außenstelle der Reichsregierung mit Spionagetätigkeit auf polnischem Boden war und er deshalb polnisches Territorium verließ, lässt sich nicht bestätigen.60 Dass er überhaupt für den »Deutschtumsbund« arbeitete, geht nur aus sehr wenigen überlieferten Schriftstücken hervor. Im Jahre 1978 erwähnte Rauschning in einem Brief an seinen Wirtschaftsreferenten aus seiner Zeit als Danziger Senatspräsident, Bechmann, eher beiläufig, dass er »auf Anregung und Vermittlung Ihres Bruders Wilhelm als Geschäftsführer … im offiziellen ›Deutschtumsbund‹ gearbeitet« habe.61 Hermann Rauschning und die »Deutsche Vereinigung in Sejm und Senat« als Nachfolgeorganisation des »Deutschtumsbundes« nach 1923 forderten von Berlin, dass ihr für ihre Arbeit direkt finanzielle Hilfe in größeren Summen zur Verfügung gestellt werde, die dann vor Ort in Polen von Ortskundigen den deutschen Einrichtungen zugänglich gemacht werden sollte. Dokumenten des Auswärtigen Amtes zufolge sympathisierte der neue deutsche Konsul in Posen, Philipp Vassel, mit dieser Forderung nach größerer Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der in Polen tätigen Deutschtumsfunktionäre. Es könne nicht sein, so stellte er fest, dass ein »ferner Hofkriegsrat« (gemeint war Krahmer-Möllenberg) von Berlin aus Anweisungen für jedes kleine Detail gebe. Er gab zu bedenken, dass Rauschnings Resignation wohl in erheblichem Maße auf seine Enttäuschung hinsichtlich der von Berlin gesteuerten Hilfe zurückzuführen sei und dass andere Minderheitenpolitiker seinem Beispiel folgen könnten.62 Wojciech Kotowski hat den langen Abschiedsbrief Rauschnings an Krahmer-Möllenberg vom 21. August 1926 sowie eine Denkschrift Rauschnings zur Deutschtumsarbeit in Polen, die er dem AA in Berlin jedoch separat zukommen ließ, veröffentlicht. Beide Dokumente spiegeln in aller Ausführlichkeit des Verfassers Zorn über die ausbleibende bzw. verfehlte Mittelvergabe für die Arbeit, die in ihrer gegenwärtigen gießkannenartigen Verteilung unfruchtbar sei und lediglich Unfrieden zwischen den verschiedenen Gruppen von Deutschen in Polen erzeuge. Seinen Brief an Krahmer-Möllenberg schloss Rauschning mit diesen WorAbschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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ten: »Indem ich Sie hiermit von meinem unwiderruflichen Entschluß in Kenntnis setze, möchte ich nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen, daß ich stellungslos und ohne Sicherung abwandere. Man ist in unserer Volksgemeinschaft sehr schnell mit Argumenten bei der Hand, daß sich unbequeme Elemente nur einen Abgang verschaffen wollen. Ich stehe nicht an zu bekennen, daß ich mit Schmerz und Verbitterung meine mehr als sechsjährige Arbeit niederlege, bei der ich beste Mannesjahre und Gesundheit zugesetzt und nicht mein Weiterkommen gesucht habe«63. Von Leo Wegener, dem ehemaligen Posener Organisator des deutschen Genossenschaftswesens in Polen, stammt eine aufschlussreiche Stellungnahme zum Abgang Rauschnings, die er Dr. Zechlin vom AA mit Datum vom 18. September 1926 übermittelte, und in der er die Gegner R ­ auschnings scharf angriff, u. a. Eugen Naumann, Domherr Joseph Klinke sowie die Bromberger Deutschtumsführer. Wegener schrieb: »… Heute nur die betrübende Nachricht, daß Dr. Rauschning-Posen, der Organisator unserer Deutschen Bücherei, Posen verlassen will. Darüber bin ich sehr betrübt, denn er ist fähiger und zielsicherer als viele Andere. Wenn er von Naumann und Klinke als Stänker hingestellt wird, so geschieht ihm Unrecht. Der Mann will eben etwas schaffen, während Naumann mit seiner Tapferkeit ohne Ziel und Plan herumfegt. Ich habe mit Herrn Rauschning sehr gern gearbeitet und ihn sehr geschätzt. Es ist Jammer, daß die Sejm­abgeordneten keine bessere Meinung dulden wollen …«64 Soweit ersichtlich, hat sich Rauschning selber später nur bei einer Gelegenheit zu den Hintergründen seines Weggangs aus Posen geäußert, und dies auch nur in sehr knapper Form. In der umfangreichen Schrift »Einige Bemerkungen mein Leben betreffend«, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstand, schreibt er zunächst von persönlicher finanzieller Unsicherheit angesichts der wiederholten Ausweisungsversuche der polnischen Seite, um dann hinzuzufügen: »Es war mir zudem zum Bewußtsein gekommen, daß man als Angestellter eines Verbandes keine Politik betreiben konnte, die nicht von diesem gutgeheißen ist.«65 Zur Zeit seines Fortgangs aus Posen machte Rauschning gegenüber dem Herausgeber der Deutschen Rundschau, Rudolf Pechel, eine verklausulierte Andeutung über die Motive seiner Demission, die wiederum die Vermutung nähren könnte, dass sie doch mit dem polnischen Verfahren gegen den »Deutschtumsbund« zusammenhing. In seinem Brief vom 28. Januar 1927 aus Berlin brachte sich Rauschning bei Pechel zunächst kurz in Erinnerung – »Darf ich annehmen, daß Sie sich meiner erinnern …« –, um dann fortzufahren: 38

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»… und flüchtige Kenntnis davon haben, aus welchen Gründen ich vorläufig meine Arbeit in Posen habe niederlegen müssen.«66 Die hier von Rauschning gewählte Formulierung deutet darauf hin, dass möglicherweise noch keine endgültige Entscheidung über seine Arbeit in Polen gefallen war. Zusammen mit dem Ausdruck »niederlegen müssen« legt sie die Deutung nahe, dass er offensichtlich nicht ganz freiwillig gegangen war und eine Entscheidung von dritter Seite – dem Ausgang des polnischen Verfahrens? – erwartet wurde. Anlass des Schreibens von Rauschning an Pechel waren im Übrigen die in einer Anlage beigefügten »Bruchstücke« seiner Arbeit über Ordenspreußen im Mittelalter. Pechel möge ihm doch mitteilen, wo er »das Ganze unterbringen« könne, oder aber, ob sich nicht das »eine oder andere Bruchstück zum Abdruck« in der Deutschen Rundschau eigne. Nach seiner Auffassung wirkten die mittelalterlichen Ereignisse »noch in die Gegenwart« fort, weshalb seiner »Arbeit ein gewisses Interesse nicht abzusprechen« sein dürfte. Um aber gerade »auf die Gegenwart wirken (im Original unterstrichen, A. H.)« zu können, habe er einen Stil gewählt, der nicht »einen kleinen Kreis von Fachgenossen«, sondern breitere Leserschichten anspreche. Wenn man so will, ist bereits hier das Muster künftiger literarischer Arbeit Rauschnings erstmals zu erkennen: politisch-historische Werke für ein größeres Publikum oder gar für propagandistisch-aufklärerische Zwecke zu schreiben. Nicht genug mit seinem Ordenspreußen bot Rauschning Pechel gegen Ende seines Briefes noch »eine größere historisch-politische Darstellung über die litauische Politik des Deutschen Ordens« an. Auch hier folgte eine politisch-pädagogische Begründung: »Die Ursachen des Verfalls der Ordensherrschaft sind ja mannigfache«, ließ er Pechel wissen, »nicht wertlos« erscheine es ihm aber, »auch einmal zu verfolgen, wie die verfehlte Litauerpolitik gewirkt« habe. Gerade »hier« seien »Beziehungen aufzuzeigen, die für die Gegenwart wertvoll sein könnten. Ich denke da an neueste Erwägungen, die Litauer an Polen preiszugeben, was eine gar nicht abzusehende politische Schädigung Deutschlands zur Folge haben würde. Die Problemlage findet eine überraschende Parallele in der ausgehenden Ordenszeit.«67 Die Deutschen Blätter äußerten sich auffallend einsilbig zu Rauschnings Weggang. Unter der Überschrift »Zum Geleit« bezeichnete Paul Zöckler das Erscheinen der Blätter als das »Verdienst Rauschnings«, »Monatshefte für den geistigen Aufbau des Deutschtums in Polen«, habe er sie genannt. Eine »Führerzeitschrift« sollte sie sein, »der Aussprache über all die wichtigen Fragen des Aufbaus dienen«. Und dann erst erfuhr der Leser das Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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Wesentliche: »Dr. Rauschning kann die Blätter nicht weiter herausgeben; er ist in eine neue Lebensstellung gegangen. Dank schulden wir ihm alle.«68 Anna Rauschning widmet in ihren Erinnerungen den Gründen für den Fortgang der Familie aus Posen ebenfalls nur wenige Zeilen, doch fällt auf, dass sie keinerlei Reibungen ihres Mannes mit anderen Deutschtums­ politikern und -organisationen erwähnt. Stattdessen sei es die zunehmend antideutsche Stimmung in Polen Mitte der 1920er Jahre gewesen, die ihrer Familie das Leben dort verleidet habe. Sie hätte hier konkret die Aktionen der polnischen Regierung gegen den »Deutschtumsbund« mit ihren Hausdurchsuchungen und Ausweisungsandrohungen erwähnen können. Gleichzeitig, so Anna, hätten sie und ihr Gatte eine wachsende Sehnsucht nach dem einfachen Leben auf dem Lande verspürt, die schließlich Hermann Rauschning veranlasst habe, im Danziger Werder nach einem Hof Ausschau zu halten. Bevor die Familie im Oktober ein bescheidenes Anwesen in Herrenhagen auf dem Gebiet des Freistaats übernahm, zog die erneut schwangere Anna mit den drei Kindern – im Jahre 1922 war der einzige Sohn, Friedrich Wilhelm (»Fritz«), geboren worden – aus der Posener Mietwohnung aus und zunächst bei ihren Eltern in Thorn erneut ein. Ihr Mann pendelte zwischen Herrenhagen und Berlin, wo er Material für jenes große Werk sammelte, mit dem er seine kulturpolitische Arbeit für die Deutschen in Polen mehr oder weniger krönte und beendete.69 Mit seinem über 400 Seiten starken Buch Die Entdeutschung Westpreußens und Posens. Zehn Jahre polnischer Politik legte Rauschning eine mit Statistiken und Karten gesättigte, nicht eben leicht lesbare Arbeit über die Abwanderung der Deutschen aus den nun polnischen Gebieten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vor.70 Unter dem Namen seines Großvaters mütterlicherseits, Hugo Dauben, war bereits 1926 ein Aufsatz mit dem Titel »Die Abwanderung aus den ehemals preußischen Teilgebieten Posen und Westpreußen« erschienen. Vielsagend hieß es in diesem Beitrag u. a., dass »das Buch über die deutsche Abwanderung … einmal geschrieben werden« müsse.71 Rauschning selber hat rückblickend sein Buch als »Argument für künftige Grenzrevisionsverhandlungen« bezeichnet.72 Bedenkt man den historischen Kontext des Zeitpunkts der Veröffentlichung – der Vertrag von Locarno von 1925 hatte das Interesse der deutschen Öffentlichkeit von der Westgrenze des Reiches fort und hin zur deutsch-polnischen Grenzund Minderheitenfrage gelenkt, die Weltwirtschaftskrise hatte mit dazu geführt, dass die Nationalsozialisten einen ersten Triumph feiern konn40

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ten, und schließlich waren die Querelen um den »Deutschtumsbund« in Polen noch nicht restlos beigelegt –, so fällt auf, dass sich Rauschnings Text im Stil durch Sachlichkeit auszeichnet, jedenfalls war er weit davon entfernt, eine »Haßschrift« zu sein.73 Zu Recht konnte Rauschning noch 1963 aus der Perspektive von 1930 den Vorwurf zurückweisen, er habe mit der Entdeutschung das »radikalste polenfeindliche Buch … jener Zeit in Deutschland verfaßt«. Vielmehr sei es eine »recht trockene statistische und eher juristische als politische Analyse jener Methoden, die Polen zur Verdrängung der deutschen Bevölkerung – trotz des ihm wie den anderen ›Nachfolgestaaten‹ von den Siegermächten auferlegten Minderheitenschutzvertrages – aus den abgetretenen Gebieten angewandt hatte«.74 Rauschning war, wie bereits angedeutet, kein Feind des Polnischen schlechthin, dies ganz im Gegensatz zu großen Teilen der seinerzeitigen deutschen Eliten. Kritik an der polnischen Minderheitenpolitik vertrug sich bei ihm durchaus mit anerkennenden Worten für Polen in anderen Zusammenhängen. So veröffentlichte Rauschning im Jahre 1927 einen Aufsatz über »Lebensgesetze des Auslandsdeutschtums. Zum Aufbau des Deutschtums in Polen«. Darin machte er sich erneut für eine starke berufsständische Organisation der Deutschen in Polen stark. Sein Vorbild dabei war »die zum Grundsatz erhobene Organisationsweise des polnischen Gemeinwesens im« untergegangenen »preußischen Staat. Auch hier hat das Polentum, eine völkische Minderheit, seine tragfähige gesunde Grundlage erst in der Verknüpfung wirtschaftlicher Arbeit mit kultureller Erziehung finden können.«75 Es überrascht nicht, dass die zeitgenössische polnische Kritik Rauschnings Buch wenig Anerkennung zollte. Die am polnischen Gymnasium zu Danzig unterrichtende Geographin Kazimiera Jeźowa stieß sich zunächst an dem ihrer Meinung nach »unverdaulichen« Stil und dann an sachlichen Fehlern. Immerhin konzedierte sie Rauschning, einige »wenige unumstößliche Wahrheiten« aufgeführt zu haben, die er jedoch mit so viel »falschen und verfälschten Tatsachen, mit böswilligen Verleumdungen und journalistischem Klatsch« mische, dass man schwer begreifen könne, »wie der Verfasser mit dem Pathos eines Cicero« versuche, »sein Buch als wissenschaftliches Werk hinzustellen«.76 Kazimierz Kierski schrieb bereits 1930 über Rauschnings Arbeit, sie sei eine »einseitige und tendenziöse Zusammenstellung von Material«. Kierski monierte weniger faktische Aussagen als die Grundtendenz des Buches und verlangte von den Deutschen zwar nicht deren völlige Assimilation im neuen Polen, Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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jedoch ihre rückhaltlose Integration in den polnischen Staat bei eindeutiger Distanzierung vom Reich.77 Geradezu reflexhaft wies die Rezension des Rauschning-Buches durch Edmund Meyer in den Deutschen Blättern von 1931 Kierskis Kritik zurück, und zwar dies allein schon, so Meyer, wegen Kierskis »Rolle als Beamter und Publizist« in Polen. Im Übrigen fiel die Besprechung Meyers erwartungsgemäß positiv aus, lediglich die Behandlung des städtischen Deutschtums in Polen sowie die für den Handel nachteiligen Konsequenzen der Grenzziehung in einigen Regionen hätten vom Autor ausführlicher thematisiert werden können.78 Nach dem Zweiten Weltkrieg mehrten sich polnische Stimmen, die Rauschnings Entdeutschung nicht in Bausch und Bogen verrissen, sondern sich um ein differenziertes Urteil bemühten. Beispielhaft mag hier der Beitrag von Marian Wojciechowski aus dem Jahre 1997 herangezogen werden. Zwar sieht auch Wojciechowski in dem Werk »ein Instrument im politischen Kampf« seiner Zeit, doch zeiht er Rauschning nicht der Verfälschungen und der Manipulation. Und er kann zeigen, dass die sehr frühen deutschen Auswanderungswellen aus Westpreußen und Polen unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht auf eine Polonisierungspolitik Warschaus zurückzuführen waren, weil es eine polnische Regierung und internationale Vertragsbestimmungen zunächst noch gar nicht gab. Vielmehr sei zu vermuten, dass sich hinter den hohen Auswandererzahlen zumeist Personenkreise verbargen, die auf keinen Fall künftig unter polnischer Herrschaft leben wollten, oder in den Worten Wojciechowskis: Jenen Prozess konnte man mithin »als Resultat vor allem eines Nichteinverstandenseins der Abwanderer mit dem vorauszusehenden oder faktischen Verlust der Herrschaft des Reiches über die genannten Gebiete ansehen, also als fehlende Zustimmung zum Status einer nationalen Minderheit«.79 Einen geplanten zweiten Teil seines Werkes über die Deutschen in Polen mit dem Titel »Das deutsche Kulturwerk im Osten« hat Rauschning nicht mehr geschrieben. Über einen Zeitraum von 18 Monaten hatte er für die Abfassung der Entdeutschung von der Deutschen Stiftung ein monatliches Stipendium in Höhe von 200 Reichsmark sowie zusätzlich 300 Reichsmark von einer Notgemeinschaft erhalten.80 Die Arbeit war die Leistung eines Einzelkämpfers, ohne Anbindung an irgendwelche Institutionen. Auch das blieb ein Grundzug von Rauschnings Wirken: Vorzugsweise auf sich allein gestellt, versuchte er seine Ziele zu verwirklichen, sei es beim Schreiben von Büchern oder in der Politik. Er war und blieb, in 42

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der Sprache unserer Tage, alles andere als ein Netzwerker. Die Absicht etwa, gemeinsam mit dem Historiker Hans Rothfels von der Universität Königsberg und Wilhelm Volz, dem Leiter der Leipziger Stiftung für Volksund Kulturbodenforschung, die Gründung eines Ostinstituts zur Abwehr polnischer Ansprüche in der Trägerschaft des Auswärtigen Amtes oder des Reichsinnenministeriums durchzusetzen, schlug fehl,81 was Rauschnings Hang zur unabhängigen Arbeit eher gestärkt haben dürfte. Die Einleitung zu Rauschnings Buch über die »Entdeutschung« war knapp ausgefallen und endete mit der Orts- und Zeitangabe »Warnau bei Kalthof, Freie Stadt Danzig, im November 1929«. In Warnau hatte die Familie Rauschning mittlerweile ein weit größeres Anwesen als jenes von Herrenhagen übernommen. Herrenhagen war nach dem Zeugnis von Anna Rauschning ein »Notbehelf« gewesen, um der bedrückenden Situation in Posen erst einmal entkommen zu können. Folgt man ihr, lief die Finanzierung des Herrenhagener Hofes über den Verkauf der familieneigenen Bibliothek, eines Teils ihrer Möbel, eine beachtliche Kreditaufnahme bei einer Bank sowie mit Hilfe ihres Vaters.82 Rückblickend sah Anna Herrenhagen als eine Art landwirtschaftliches Versuchslaboratorium, als Übungsgelände für die dann professionell und effektiv betriebene Bewirtschaftung des Hofes in Warnau. Mit Herrenhagen blieb für alle Zeiten auch die Erinnerung an den frühen Tod des fünften Rauschning-Kindes kurze Zeit nach seiner Geburt verbunden. Offenbar hatte sich das kleine Mädchen als einziges Familienmitglied an einer Grippe angesteckt, die vermutlich ein Besucher ins Haus geschleppt hatte.83 Bei sonntäglichen Ausflügen von Herrenhagen aus war den Rauschnings wiederholt ein Hof in Warnau aufgefallen, der ihnen auf Anhieb gefiel. Als sein Besitzer starb, zögerten sie nicht lange und griffen zu. Es war ein »in Erfüllung gegangener Traum«, schrieb Anna Rauschning über das stattliche, ca. 87 Hektar84 umfassende Anwesen, das zudem dem elterlichen Wunsch nach größerer Nähe zu den Städten Marienburg und Danzig mit ihren schulischen Angeboten für ihre Kinder entgegenkam. Hermann Rauschning, der Theoretiker, der sein bisheriges Erwerbsleben nahezu ausschließlich mit Schreiben, Publizieren und Vortragstätigkeit bestritten hatte, erwies sich gemeinsam mit seiner Frau und polnischen Erntehelfern in kürzester Zeit als überaus erfolgreicher Landwirt. Anna berichtet, dass insbesondere ihre Schweinezucht den Respekt der bäuerlichen Nachbarn hervorgerufen habe; darüber hinaus entwickelte sich der Hausherr zu einem gefragten Experten für die Rinderzucht und Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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den Getreideanbau auf den fruchtbaren Weichselböden. Sie vermittelt in ihren Erinnerungen den Eindruck von zweifellos fleißigen, jedoch in ihrem Horizont auch beschränkten deutschstämmigen Bauern in ihrer Nachbarschaft, die in alten, überkommenen Methoden der Landwirtschaft befangen waren, während ihr Mann, der »Theoretiker«, seinen Erfolg angelesenen neuesten Forschungserkenntnissen – wie etwa der Verwendung von Kunstdünger – verdankte. Anna wurden die fast allabendlichen Besuche der Nachbarn mit ihren schier endlosen Diskussionsrunden, bei denen ihr Mann um Rat in allen möglichen Fragen gebeten wurde, beinahe zu viel. Im Übrigen hatte sich herumgesprochen, dass er seit seinen Recherchen zu seinem »Entdeutschungs«-Buch in Berlin über »Beziehungen« im weitesten Sinne verfügte. Für die vier Kinder der Rauschnings – im Jahre 1925 hatte noch Tochter Anneregine das Kleeblatt komplettiert – war Warnau ein kleines Paradies. Jochen Schmauch, ein Kind aus der Nachbarschaft und später Abteilungsleiter beim Deutschen Entwicklungsdienst der Bundesrepublik Deutschland, erinnerte sich in einem Nachruf auf Hermann Rauschning, dass sie in Warnau herrlich spielen konnten. Jeder konnte ein Pferd satteln und »in dem auf Pfählen aufgestockten Putenstall war unser Wigwam, wo wir rohe Eier austranken, um uns als echte Indianer auszuweisen; einmal haben wir auf dem Gutsteich mit einem hölzernen Schweinetrog einen ›Fährbetrieb‹ von Ufer zu Ufer eröffnet.«85 Ende 1931 ergab sich die Situation, dass ein neuer Vorsitzender für den Landbund im Raum Danzig gefunden werden musste. Rauschning sah sich von einer Neuerungen gegenüber aufgeschlossenen Gruppe unter den Bauern gedrängt, für den Vorsitz zu kandidieren. Anna Rauschning verhehlt in ihren Aufzeichnungen nicht, dass es auch Opposition zum agrarpolitischen Kurs ihres Mannes gab. Der forderte nämlich, dass man auch versuchen müsse, über die Grenzen Danzigs hinaus als Landwirt tätig zu werden, etwa um dort neue Vermarktungsmöglichkeiten zu finden. Nach Lage des Freistaats konnte damit in erster Linie nur das ungeliebte Polen gemeint sein. Auch dank der enthusiastischen Unterstützung durch den örtlichen Amtsvorsteher, der Rauschnings Vorstellungen vollauf teilte, errang dieser einen klaren Sieg bei den Wahlen zum Vorsitz des Danziger Landbundes.86 Nach seinen kulturpolitischen Bemühungen für das Deutschtum in Polen startete er damit einen zweiten Anlauf in der praktischen Politik – diesmal auf dem Gebiet der Freien Stadt Danzig.

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Die Freie Stadt an der Mottlau mit ihrer Fläche von knapp 1900 Quadratkilometern, von denen immerhin rund 1300 landwirtschaftlich genutzt wurden, war das Ergebnis eines Kompromisses auf der Pariser Friedenskonferenz, die vom 18. Januar bis zum 28. Juni 1919 dauerte.87 Die polnische Delegation hatte die volle Souveränität über die eindeutig deutsch geprägte Stadt verlangt, um mit ihr einen sicheren Ostseehafen zu bekommen. In diesem Ansinnen wurde sie vor allem von französischer Seite unterstützt, während Großbritannien und die Vereinigten Staaten hierzu Bedenken äußerten und nur solche Gebiete Polen überlassen wollten, die einen höheren polnischen Bevölkerungsanteil besaßen. Mit der halben Lösung eines Danziger Freistaats glaubten die Siegermächte dem Verlangen nach einem polnischen Hafenzugang und den deutschen Wünschen nach einer Unabhängigkeit von Polen gerecht zu werden, indes gewann diese Lösung auf beiden Seiten tatsächlich wenig Freunde. Insgesamt war die Freie Stadt ein »sehr kompliziertes rechtliches Gebilde«, dessen gesetzliche Einzelbestimmungen sowie die vom Völkerbund garantierte, nach deutschem Vorbild geschaffene Verfassung unterschiedlicher Interpretation Tür und Tor öffneten. Der Völkerbund wurde in der Stadt von einem Hohen Kommissar vertreten, dem jedoch keinerlei Sanktionsmittel zur Verfügung standen. In dem uns interessierenden Zeitraum bekleidete zunächst bis zu seinem Tod in Danzig im September 1932 der Italiener und überzeugte Mussolini-Anhänger Manfredo Gravina und seither interimistisch der Däne Helmer Rosting dieses Amt, bevor dieser im Januar 1934 von dem Iren Sean Lester abgelöst wurde.88 Die Freie Stadt genoss keine volle staatliche Souveränität. Während dem Deutschen Reich in internationalen Verträgen des Freistaats keine besondere Rechtsstellung eingeräumt worden war, besaß die polnische Seite durchaus beachtliche Rechte. So bildeten die Freie Stadt und Polen ein Zollgebiet, wobei die polnische Zollgesetzgebung in Danzig Anwendung fand. Die Ausübung polnischer Zollbefugnisse sowie die Tatsache, dass die Danziger Zollbeamten zwar der Aufsicht der polnischen Zollinspektoren unterstellt waren, jedoch polnische Beamte nicht als ihre Vorgesetzten anerkannten, bildeten fortwährend Anlass zu Streitigkeiten. Die Danziger Außenpolitik unterstand der polnischen Regierung, desgleichen kontrollierte Polen auch das Eisenbahnwesen mit Ausnahme der Kleinbahnen. Vier Eisenbahnlinien verbanden Danzig über den »Korridor« mit dem Reich, zwei mit Polen. Jeder Bürger der Freien Stadt konnte ohne Visum nach Polen einreisen, aber für die Reise nach Deutschland war Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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ein Sichtvermerk erforderlich. Ausländer waren für den Besuch Danzigs vom Visum befreit. Am 31. August 1929 betrug die Einwohnerzahl im gesamten Gebiet des Freistaats rund 407.000 Einwohner und nach Angaben vom 18. August 1929 bekannten sich rund 224.000 Einwohner zum evangelischen, 157.000 zum katholischen sowie 10.500 zum jüdischen Glauben; 15.500 Bewohner nannten andere Bekenntnisse. Über 90 % waren deutscher Volkszugehörigkeit. Die Freie Stadt verfügte mit dem Gulden über eine eigene Währung, der ursprünglich als »eine der bestgedeckten Währungen der Welt« galt und einem Viertel des Wertes des britischen Pfundes entsprach. Ferner emittierte sie eigene Briefmarken. Eine allgemeine Polizei sorgte für Ruhe und Ordnung im Freistaat, während die Politische Polizei für den Schutz der Verfassung zuständig war. Die Gestapo hat es entgegen anders lautenden Behauptungen auch nach der nationalsozialistischen Regierungsübernahme in Danzig nicht gegeben. Die ganze Komplexität der politischen Lage in Danzig nach dem Ersten Weltkrieg erhellt insbesondere aus dem Kondominium im Hafen der Stadt. Es sah eine hälftige Beteiligung Danzigs und Polens vor, seine Verwaltung lag in den Händen eines Ausschusses, der aus je fünf Danziger und polnischen Delegierten sowie einem Präsidenten einer neutralen Macht bestand. Die seit dem Ende der 1920er Jahre spürbare Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Danzig und Polen ging teilweise auf den seit 1926 aus Konkurrenzgründen und mit französischem Kapital betriebenen Hafen im nahe gelegenen polnischen Gdingen zurück. So sank der Anteil Danzigs am »seewärtigen Warenhandel Polens« von 100 % im Jahre 1920 über 75 % 1929 auf schließlich 45 % im Jahre 1933, »mit weiter fallender Tendenz«.89 Danzig besaß eine eigene Regierung, den Senat, und ein gesetzgebendes Organ, den Volkstag, der zunächst 120, seit 1930 72 Abgeordnete zählte. In den Genuss des aktiven Wahlrechts gelangten weibliche und männliche Bürgerinnen und Bürger der Freien Stadt, die das 20. Lebensjahr erreicht hatten, das passive Wahlrecht galt ab einem Alter von 25 Jahren. Der Senat wurde vom Volkstag gewählt, dessen Sitzungen öffentlich waren. Bis 1933 genoss der Volkstag im Danziger politischen Leben große Bedeutung. In nuce spiegelte sich im Freistaat das Parteienspektrum des Deutschen Reiches, ergänzt um einige kleinere sowie polnische Parteien. Das Verhältnis der auch im Reich vertretenen Parteien – also von SPD, 46

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DNVP, Zentrum, den Liberalen und mit Vorbehalt der NSDAP – zur Konstruktion des Freistaats war ambivalent: Zwar verhielten sie sich mit Ausnahme der KPD, die den Bestand der Freien Stadt kompromisslos ablehnte, staatstragend und akzeptierten somit den in Versailles geschaffenen Status quo. Andrerseits war man sich in diesen Parteien bis weit in die SPD hinein einig, dass der deutsche Charakter der Stadt unbedingt erhalten bleiben müsse. Für unseren Zusammenhang ist ein Blick auf die Anfänge der NSDAP in Danzig aufschlussreich. Sie gehen auf das Jahr 1922 zurück und sind mit dem Namen Hans Albert Hohnfeldt verbunden. Zu jener Zeit regierte in der Freien Stadt eine bürgerliche Koalition. Vor allem weil die Danziger NSDAP geographisch weit entfernt von den Ursprüngen der Partei im Reich agierte, besaß sie bis 1929 nur den Charakter einer unbedeutenden Splitterpartei, die sowohl in der Arbeiterschaft als auch in der Landbevölkerung nicht Fuß fassen konnte.90 Bei den Volkstagswahlen von 1927 kam die NSDAP gerade einmal auf 1483 oder 0,8 % der Stimmen.91 Dies änderte sich mit dem zunehmend schlechteren politischen Klima in der Stadt seit dem Ende der 1920er Jahre vor allem infolge der Weltwirtschaftskrise, die zu einem Rückgang des Handelsvolumens im Hafen, damit verbunden sinkenden Zoll- und Steuereinnahmen und steigender Arbeitslosigkeit führte. Wie bei zwei kommunizierenden Röhren führte diese Verschärfung der Wirtschaftslage auch zu einer weiteren Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Polen und Deutschen im Freistaat, brennpunktartig verdichtet in der Konkurrenz zwischen dem polnischen Hafen Gdingen und jenem Danzigs.

Die unbedeutende Rolle der NSDAP im Freistaat bis etwa zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 war jedoch auch der inneren Zerstrittenheit der Partei geschuldet. Gerüchte und Intrigen innerhalb der Danziger NSDAP riefen geradezu nach einer starken Hand, die aufzuräumen entschlossen war. Diese Rolle fiel zunächst Hermann Göring zu, dem Sonderbeauftragten Hitlers für Danzig. Das Bild Görings in der Nachwelt ist das eines feisten, gleichsam lamettabehangenen Parteibonzen, der sich der Urteilsvollstreckung durch die Sieger des Zweiten Weltkriegs durch Selbstmord entzog. In der Zeit vor der »Machtergreifung« im Reich im Januar 1933 darf man sich Göring hingegen durchaus als einen dynamischen Machtmenschen vorstellen, der sich auch in Konkurrenz zu Hitler selber stehend begriff. So gesehen war der erste Auftritt Görings in Danzig im Mai 1930 auch eine Gelegenheit für ihn zu zeigen, was er konnte. Auf Abschied aus Polen und Neuanfang im Freistaat Danzig 

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Anordnung der Reichsleitung der NSDAP übernahm nach der Rückkehr Görings nach Berlin zunächst der bekennende Antisemit Arthur Greiser, Mitglied von NSDAP, SA und SS, die kommissarische Leitung des Gaus Danzig der Partei. Bemerkenswert war diese Personalentscheidung insofern, als Greiser fließend Polnisch sprach, worin man einen Fingerzeig auf Hitlers künftigen Kurs einer vordergründigen Verständigung mit Polen in der Mottlau-Stadt erkennen mochte. Doch Greisers Amtszeit währte nicht lange, denn erneut tauchte Hermann Göring Anfang Oktober 1930 zu einer Wahlkampfrede für die Volkstagswahlem vom 16. November 1930 in Danzig auf, um u. a. zu verkünden, »daß hier nur durch eine fanatische Führerpersönlichkeit ein Wandel geschaffen werden könne«92. Mit Datum vom 15. Oktober 1930 erklärte Hitler nun Albert Forster zum kommissarischen »Führer für das Gebiet des Freistaates Danzig« und erteilte ihm »alle Vollmachten sowohl über die politischen Gliederungen wie über die SA und SS, um für die kommenden Wahlen zum Volkstag das ihm nötig Erscheinende zu organisieren«. Nach der Wahl habe »er den Auftrag, mir Vorschläge über die Neuordnung der Danziger Verhältnisse zu unterbreiten«93, hieß es in der Vollmacht weiter.94 Gestärkt durch ein eindrucksvolles Wahlergebnis von 47,7 % der Stimmen für die NSDAP in seinem Wahlkreis Mittelfranken bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 und nunmehr preußischer Staatsrat sowie jüngster Reichstagsabgeordneter, stürzte sich Forster am 24. Oktober in den Danziger Wahlkampf. Bei seinen öffentlichen Auftritten beschwor er den Kampf gegen das »jüdisch-marxistische Gift« und um die »deutsche Seele in Danzig«. Unmittelbar vor den Wahlen fand er noch die Unterstützung durch den Propagandaexperten der NSDAP, Joseph Goebbels, der in der Danziger Sporthalle sprach. Mit dem wie sein Mentor Julius Streicher aus Franken stammenden Albert Forster als Gauleiter der NSDAP in Danzig betrat ein entschlossener Nationalsozialist die politische Bühne des Freistaats, der den Danzigern den Nationalsozialismus mit rhetorischem Geschick zu Gehör bringen sollte. Forster wurde möglicherweise über Arthur Greiser auf den im Danziger Landbund erfolgreich tätigen Hermann Rauschning aufmerksam.

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Als Landwirtschaftsexperte in die NSDAP Es wird wahrscheinlich für immer ungeklärt bleiben, wie im Einzelnen die Hinwendung Rauschnings zur NSDAP ablief. Er selber hat darüber beredt geschwiegen und eine Parteiakte zu Rauschning hat sich nicht erhalten. Aus diversen Anhaltspunkten ergibt sich jedoch folgendes Bild: Mit der Übernahme des Landbundes gab Rauschning zunächst seine Mitgliedschaft in der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei auf und trat der NSDAP bei. In einem Brief an seinen ehemaligen Pressechef zu Senatspräsidentenzeiten, Georg Streiter, nannte er lange nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst allgemein das Jahr 1931 als Datum seines Parteieintritts, um wenige Zeilen später auf »Sommer 1931« zu präzisieren.95 Johanna Streiter, die erste Ehefrau Georg Streiters, führte seinerzeit akribisch Tagebuch und hat auf dieser Grundlage ihre Erinnerungen geschrieben. Dennoch notierte sie irrtümlich, Rauschning habe der Partei beitreten müssen, wenn »er das Amt« des Senatspräsidenten »behalten wollte«. Es verhielt sich umgekehrt: Rauschning hätte sich nie auf Seiten der Nationalsozialisten um das Amt bewerben können, wenn er nicht Parteimitglied gewesen wäre. Eine andere Feststellung Johanna Streiters hinsichtlich der Parteizugehörigkeit ihres Gatten sowie Rauschnings hat hingegen durchaus etwas für sich: »Dabei – und das weiß ich von beiden ganz genau – spielte nicht der Brotkorb die entscheidende Rolle, sondern die Hoffnung, mit dem Parteiabzeichen am Rockaufschlag einiges so lenken zu können, wie sie es richtig für Danzig hielten. Ein verwegenes Spiel!«96 Zumindest bei Hermann Rauschning findet sich, wie wir sehen werden, diese Gedankenfigur: andere politische Größen in seiner Umgebung auf seine Linie bringen zu wollen, buchstäblich sein Leben lang. Julius Hoppenrath, als Mitglied der DNVP – später NSDAP – ehemaliger Finanzsenator in der Danziger Regierung, erinnerte sich in einem Schreiben an Rauschning aus dem Jahre 1954 hinsichtlich des Wechsels von Rauschning zur NSDAP folgendermaßen: Sie sind diesen Bauern im Werder wahrscheinlich durch die bekannte Versammlung der Deutschnationalen Volkspartei in Neuteich bekannt geworden, in der ich selbst noch als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der DNVP etwa 1929 oder 1930 im Deutschen Haus einen neuen Vorsitzenden für den Kreisverein der Partei für Neuteich suchte. Damals meldete sich keiner der Bauern freiwillig. Dann meldeten Sie sich zu Wort, der Sie damals noch gar nicht bekannt waren und geißelten die GleichAls Landwirtschaftsexperte in die NSDAP

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gültigkeit und den Mangel an Mut bei Ihren Berufskameraden. Damals fielen Sie mir dadurch auf. Später machte ich Greiser auf Sie aufmerksam. Dieser setzte sich mit Ihnen in Verbindung. Und auf diesem Weg sind Sie dann wahrscheinlich in die NSDAP gekommen.97

Der Stresemann-Sekretär und Diplomat Werner von Rheinbaben, den, wie weiter unten zu zeigen sein wird, eine besondere Episode mit Rauschning während des Zweiten Weltkriegs verband, will von Rauschning persönlich erfahren haben, dass dieser früher sogar Mitglied der liberalen Deutschen Volkspartei Gustav Stresemanns gewesen sei.98 Rauschning, der in einem seiner während des Krieges auf Englisch erschienenen Bücher die Begegnung mit von Rheinbaben bestätigt,99 erwähnt eine entsprechende Information gegenüber seinem Gesprächspartner jedoch nicht und auch sonst findet sich für diese Behauptung nirgends ein Beleg. Hinsichtlich Danzigs sah Rauschning in der NSDAP diejenige politische Kraft, von der er sich am ehesten eine Behebung der Nöte insbesondere der Bauern versprach. Durchschnittlich weit höher als im Reich waren die Danziger Bauern mit ihren Höfen verschuldet. Mit der Abtrennung vom Reich infolge des Versailler Vertrages drehte sich die Schuldenspirale vor allem deshalb noch schneller, weil die Bauern nun mit den weitaus preisgünstigeren polnischen Produkten konkurrieren mussten. In weiterer Perspektive erkannte Rauschning in der Partei sowohl konservative als auch revolutionäre Strömungen, wie sie etwa der antidemokratische Jungkonservative Edgar J. Jung und der von ihm verehrte österreichische Dichter Hugo von Hofmannsthal in seiner »Konservativen Revolution« beschworen hatten.100 Durch seine Veröffentlichungen während seiner Posener Zeit hatte sich Rauschning als überzeugter Anhänger ständestaatlicher Ideen und darüber hinaus nicht gerade als überzeugter Advokat eines parlamentarischen Mehrparteiensystems erwiesen, sodass ihm der Beitritt zur NSDAP nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. Rauschnings Haltung zur antisemitischen Rhetorik der Partei blieb zunächst unklar. In seinen Schriften etwa aus seiner Tätigkeit für das Deutschtum in Posen findet sich nichts Antisemitisches. Es fällt auch auf, dass Anna Rauschning in ihren Erinnerungen keine Zeile über die judenfeindlichen Aspekte der nationalsozialistischen Propaganda verliert,101 obgleich sie den Annäherungsprozess zwischen ihrem Mann und der Partei recht eingehend schildert. Auf Grund seiner Tätigkeit als Landwirt und seiner führenden Rolle im Danziger Landbund pflegte Rauschning enge Beziehungen zu den 50

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häufig sich in jüdischer Hand befindlichen Danziger Getreidefirmen. Ein Mitglied der Familie Anker, dem die Getreidehandlung S. Anker gehörte, lebte nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg in guter Nachbarschaft mit der Familie Rauschning im kalifornischen Hollywood – der Zufall hatte es so gefügt.102 Das Bekenntnis Hermann Rauschnings zur NSDAP erwies sich für Hitler und seinen Danziger Gauleiter Forster in doppelter Hinsicht zunächst als Glücksfall. Zum einen wurde die NSDAP dadurch in der Freien Stadt künftig auch für das gebildete Bürgertum wählbar, zum anderen entschieden sich nun auch zahlreiche Landwirte in der einen oder anderen Weise für die Partei, sahen sie doch in Rauschning den anerkannten Fachmann, der mit seiner Hinwendung zur NSDAP wohl schon gewusst habe, was er tat. Anna Rauschning jedenfalls spricht in ihren Erinnerungen davon, dass die Bauern des Großen Werder in die NSDAP »strömten«, als sie vom Beitritt ihres Mannes erfuhren.103 Sie beschreibt ihre Beobachtungen offen, hebt das Rabaukentum der Danziger Partei vor allem rund um Forster und die SA hervor, um dann eine vor allem für ihren Ehemann lebenslang typische Ergänzung hinzuzufügen, indem sie ihn sagen lässt: »Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist …, werden wir Stück für Stück die peinlichen Elemente aus diesem politischen Bild entfernen. Aber zunächst müssen wir genügend Kontrolle in wichtigen Positionen erlangen.«104 Man könnte diese für ein amerikanisches Publikum im Krieg formulierte Erläuterung als nachträgliches Rechtfertigungsmanöver ansehen, hätte Hermann Rauschning nicht Jahrzehnte später bei dem Versuch eines politischen Comebacks in der Bundesrepublik Deutschland auf frappierend ähnliche Weise versucht, seine Persönlichkeit gegenüber Mitstreitern und Gegnern im Interesse langfristiger Ziele korrigierend in die Waagschale zu werfen – dies jedoch unter völlig veränderten politischen Vorzeichen, aber mit vergleichbar verblüffend fatalem Ergebnis, wie zu zeigen sein wird. Selbstverständlich in Unkenntnis der barbarischen Untaten des ehemaligen Gauleiters von Ostpreußen, Erich Koch, während des Zweiten Weltkriegs im Osten bezeichnete Anna Rauschning mitten in diesem Krieg im amerikanischen Exil Koch als eine Art Wunschpartner ihres Mannes in der Parteiarbeit. Ihr Urteil beruhte vor allem auf einem mehrtägigen Besuch Kochs bei den Rauschnings in Warnau nach der Ernennung ihres Mannes zum Senatspräsidenten. Sie schreibt, sie habe Kochs offene Art und seine freie Ausdrucksweise im Gespräch mit ihrem Gatten geschätzt. Als Landwirtschaftsexperte in die NSDAP

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Ehrgeizig und von profundem Wissen sei Koch ihr erschienen sowie als ein »überzeugter Nazi – kein Zweifel«. Es seien »Führer wie dieser dickliche, nervöse, ständig mental und physisch in Bewegung befindliche Mann« gewesen, mit denen Hermann Rauschning mit der Partei »etwas zu erreichen gehofft« habe.105

Innerparteiliche Gegner Anders als der Parteineuling Hermann Rauschning, den die New York Times damals als »fähigen und maßvollen« Mann beschrieb,106 behielt Forster, der noch nicht einmal 30-jährige Führer der Deutschen Angestelltenschaft die Reichsbürgerschaft und konnte damit im Freistaat als Erfüllungsgehilfe Hitlers fungieren. Ein größerer persönlicher Gegensatz als der zwischen Rauschning und Forster ließ sich kaum denken: Da war zunächst der beträchtliche Altersunterschied, sodann repräsentierte Rauschning den Typus des gebildeten, konservativen Intellektuellen, der jedoch auch Erfolge im praktischen Leben vorweisen konnte. Der Schulabbrecher Forster galt hingegen als Verkörperung des Raubeins aus den Tagen der Münchner Kampfzeit, geadelt durch eine niedrige Parteimitglieds- und SS-Mitgliedsnummer, die ihn zu den »Alten Kämpfern« zählen ließ.107 Anlässlich der Verleihung der Fürther Ehrenbürgerwürde an Forster im Jahre 1934 offenbarte der Geehrte in seiner Dankesrede, was er von den Intellektuellen hielt: Der »intellektuelle Bürger«, erklärte Forster, »sah in uns nur dumme Jungens – nun haben wir den Sieg und die Macht errungen.«108 Im Gegensatz zu Rauschning konnte Forster auch auf seine sehr frühe Bekanntschaft mit Hitler verweisen, den er als 22-Jähriger im Februar 1925 persönlich in München aufgesucht hatte – dies also zu einer Zeit, da Hitlers Haftentlassung gerade ein paar Wochen zurücklag, Hitler »ganz unten« und die Zukunft der Partei höchst ungewiss war. So erklärt sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Hitler und Forster, das in dem parteiinternen Bonmot gipfelte, Forster dürfe Hitler sogar in der Badewanne stören.109 Und Forster-Biograph Wilhelm Löbsack zählte Forster zu jenen Männern, »um die Himmel und Erde einstürzen können, die aber nie die Treue zu ihrem Führer vergessen«.110 Dass hier der Parteihintergrund Albert Forsters ein wenig ausführlich dargestellt wird, ist notwendig, um das Kräfteverhältnis zwischen Rauschning und Forster in den nächsten Monaten angemessen würdigen zu können. Das 52

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Schrifttum zu diesem Kräfteverhältnis und Kräftemessen, das schließlich Forster für sich entscheiden konnte, suggeriert vielfach eine Waffengleichheit beider Protagonisten, die jedoch insofern eben nicht gegeben war, als Rauschning bei Weitem nicht über jenen Rückhalt bei Hitler verfügte wie Forster. Möglicherweise liegt bei der Vorstellung einer Waffengleichheit auch eine Art »optischer Täuschung« vor, hervorgerufen durch Rauschnings publizistische Aktivität gegen den Nationalsozialismus nach seiner Danziger Zeit im Allgemeinen und durch seine Selbststilisierung auf Grund des Buches Gespräche mit Hitler als eine Person, die häufigen Zugang zu Hitler gehabt habe, im Besonderen. Doch kehren wir zunächst in das Danzig der frühen 1930er Jahre zurück. Der nationalsozialistische Propagandaeinsatz vor den Wahlen vom 16. November 1930 war schließlich von Erfolg gekrönt. Mit einem Stimmenanteil von 16,4 % verzwanzigfachte die NSDAP ihr Ergebnis gegenüber den Wahlen von 1927 und errang damit zwölf von insgesamt 72 Sitzen. Zu den tieferen Ursachen des Wahlsiegs zählte zweifellos die von den Deutschen in Danzig als ungerecht empfundene Situation der Stadt infolge der Versailler Vertragsbestimmungen oder, wie es ein Kenner der Danziger Verhältnisse formulierte: »Der wichtigste Wahlhelfer der Nationalsozialisten war wohl der Vertrag von Versailles.«111 Die Parole der Danziger Nationalsozialisten »Zurück ins Reich« war auf fruchtbaren Boden gefallen und die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit im Gefolge der Weltwirtschaftskrise tat ein Übriges. Unter den 36.500 Arbeitslosen fanden sich fast ausschließlich Männer,112 die mit ihren Familienmitgliedern rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachten. Der hohe männliche Anteil an den Arbeitslosen korrespondierte wiederum mit den knapp 90 % männlichen Mitgliedern der NSDAP.113 Die Partei war nun zu einem Faktor geworden, mit dem man künftig im politischen Danzig rechnen musste, auch wenn sie noch nicht an der kommenden Regierung beteiligt war. Fraktionsvorsitzender der NSDAP im Volkstag wurde Arthur Greiser, der auch das Amt des stellvertretenden Gauleiters innehatte. Wieder war es Göring, der vor Ort durchsetzte, dass die NSDAP zunächst eine bürgerliche Minderheitsregierung als das kleinere Übel tolerierte. Die Partei verhinderte gemeinsam mit der DNVP die erneute Wahl des parteilosen Heinrich Sahm – er war seit 1919 im Amt – zum Senatspräsidenten. An seine Stelle trat mit Hilfe der NSDAP der Deutschnationale Ernst Ziehm.114 Innerparteiliche Gegner

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Beflügelt durch den Wahlerfolg, verstärkte die NSDAP und insbesondere die SA ihre Aktivitäten auf Danzigs Straßen. Es ging darum, Stärke und Präsenz zu zeigen, und natürlich auch darum, den politischen Gegner einzuschüchtern. Kaum lässt sich Jahrzehnte nach den Ereignissen entscheiden, ob und wann auch Angehörige der KPD und der SPD ihrerseits die Nationalsozialisten attackierten.115 In den ersten vier Monaten nach den Wahlen registrierten Danziger Zeitungen rund 80 politisch motivierte Schlägereien, bei denen ca. 120 Personen verletzt oder misshandelt sowie vier Personen getötet wurden. Bei einem Arbeitersportfest in Danzig kam es zu Schusswaffengebrauch, in dessen Folge zehn Nationalsozialisten und acht Mitglieder des Arbeiterschutzbundes in Krankenhäusern behandelt werden mussten. In der Silvesternacht 1931/32 erlebte Zoppot eine Schlägerei zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, die ein Kommunist nicht überlebte. Am 5. Mai 1932 erschoss der SS-Führer von Neuteich, Ridzinski, den sozialdemokratischen Stadtverordneten Gruhn auf offener Straße.116 Auch im Verhältnis der Freien Stadt zu Polen änderte sich nach den Wahlen vom November 1930 einiges. Polen trat selbstbewusster auf, seit sich die russisch-polnischen Beziehungen infolge der japanischen Besetzung der Mandschurei im Jahre 1931 spürbar entspannten – sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung war der Abschluss eines sowjetisch-polnischen Nichtangriffspaktes am 25. Juli desselben Jahres. In Danzig stiegen im Gegenzug die Spannungen, als am 2. Juli 1931 polnische Marinekommandos durch die Straßen der Stadt patrouillierten, und dies ohne Verständigung des Senats.117 Die Regierung Ziehm beschloss unter Hinweis auf die Dringlichkeit ihres Anliegens, eine Entscheidung des Völkerbundkommissars herbeizuführen, zugleich warnte sie die Bevölkerung vor Provokationen der Marinekommandos. Der Auftritt der polnischen Matrosen stand ganz offensichtlich in Zusammenhang mit der in Genf seit Längerem ergebnislos verhandelten »Port-d’attache«-Frage. Dabei ging es im Wesentlichen um die militärisch nicht unbedeutende Frage des Anlegens polnischer Polizei- und Kriegsschiffe zum Zwecke der Versorgung oder Reparatur an einer bestimmten Stelle im Danziger Hafen. Die Ziehm-Regierung hatte das Hafen-Abkommen zum 1. Juli 1931 gekündigt, tags drauf patrouillierten die polnischen Kommandos. Der Kompromiss in der »Port-d’attache«-­Angelegenheit begünstigte schließlich die polnische Seite, indem festgestellt wurde, dass Polen künftig keine Erlaubnis mehr für Kriegsschiffbesuche benötige, dass allein deren Ankündigung am Tag zuvor genüge. Sahen viele Beobachter in dieser Regelung bereits 54

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eine Niederlage des schwachen Ziehm-Senats, erfuhr dieser Eindruck noch eine Bestätigung dadurch, dass künftig bewaffnete Patrouillen allein dadurch ermöglicht waren, dass der Danziger Polizeipräsident sie allgemein genehmigte.118 Mit der russisch-polnischen Détente im Rücken konnte der polnische Außenminister Zaleski Danziger Senatsmitgliedern auch mitteilen, dass »nur ein polnisches Armeekorps die Danziger Frage lösen könne«. Man wusste in Berlin und in der Danziger Regierung, dass die Warschauer Regierung allein an der Grenze zu Ostpreußen neun Divisionen aufgestellt hatte und dass folglich ein polnisches militärisches Vorgehen nicht ausgeschlossen war. Danzig selber besaß keine militärischen Streitkräfte, die Zeitgenossen erkannten durchaus eine mögliche Parallele zur Situation der litauischen Stadt Wilna, die von Polen am 9. Oktober 1920 unter Bruch der Versailler Vertragsbestimmungen annektiert worden war. Im Jahre 1932 erreichten die Spannungen zwischen Danzig und Polen ihren vorläufigen Höhepunkt, als Warschau ein polnisches Kriegsschiff als Begleitfahrzeug beim Besuch eines britischen Kriegsschiffkonvois in Danzig abkommandierte. Der Befehlshaber des polnischen Zerstörers hatte Order, das Feuer auf Gebäude des Freistaats zu eröffnen, falls es zu Problemen käme. Zwar passierte nichts dergleichen, doch weltweit war das Echo für Warschau negativ, sodass Minister Zaleski schließlich aus der Warschauer Regierung abberufen wurde. Zweifellos waren die polnischen Muskelspiele auch dem aggressiven Auftreten der Nationalsozialisten in der Freien Stadt geschuldet. Gauleiter Forster hatte am 24. Mai 1932 im Reichstag erklärt, dass ein Angriff auf Danzig einem Angriff auf das deutsche Volk gleichkomme.119 Zu Jahresbeginn 1933 trieben die polnisch-Danziger Spannungen ihrem vorläufigen Höhe- und Wendepunkt zu, als Hitler am 12. Februar in einem Interview den Korridor als für jeden Deutschen untragbar erklärte und die Danziger Regierung das Abkommen zwischen Danzig und Polen über die Hafenpolizei kündigte. Als es schließlich an der deutsch-polnischen Grenze zu Aufmärschen bewaffneter, als Hilfspolizei verwendeter SA kam, sah die Regierung in Warschau die rote Linie als überschritten an, ließ am 6. März – in Berlin war man noch mit der Auswertung der Reichstagswahlergebnisse beschäftigt – den Truppentransporter »Wilja« in den Danziger Hafen einlaufen und vertragswidrig ein Bataillon Marineinfanterie auf der Westerplatte zur Verstärkung der polnischen Garnison absetzen.120 Staatspräsident Marschall Pilsudski versuchte die französische Regierung für eine gemeinsame »Polizeiaktion« gegen Berlin zu gewinnen. Polnische Innerparteiliche Gegner

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und französische Truppen sollten im Handstreich Danzig, Ostpreußen und einen Teil Oberschlesiens besetzen.121 Senatspräsident Ziehm eilte nach Genf, um dort ein Einlenken der polnischen Seite zu erwirken. Vor Ort hatte er sich mit dem polnischen Außenminister Beck bereits grundsätzlich auf eine Reduzierung der polnischen Streitkräfte geeinigt, als die polnische Seite sich plötzlich weigerte, die Abmachung in die Tat umzusetzen. Wie Ziehm später schilderte, war dafür die Warschauer Befürchtung eines bevorstehenden nationalsozialistischen Umsturzes in Danzig maßgebend. Den Hintergrund dafür gaben Demonstrationen mit Hakenkreuzfahnen ab, von denen eine sogar auf dem deutschen Generalkonsulat gehisst wurde. Angefeuert wurden diese Aktionen durch Reden von Gauleiter Forster, in denen er Ziehm zum baldigen Rücktritt aufforderte und eine nationalsozialistische Regierung in Danzig verlangte. Forster sah sich nun durch Hitler persönlich zur Mäßigung aufgefordert, der zu diesem Zeitpunkt alles brauchen konnte, nur keine politischen Turbulenzen in Danzig. Angesichts seiner infolge der Versailler Vertragsbestimmungen fehlenden militärischen Stärke fürchtete Berlin offenbar ein Eingreifen Polens in Danzig für den Fall, dass es zu nationalsozialistischen Machtdemonstrationen im Freistaat käme. Noch ein Jahr nach dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939 schrieb der Forster-Biograph Löbsack rückblickend: »Nicht nur für Danzig, sondern für die Politik des neuen Deutschland, das unbedingt zum Frieden strebte, entstand eine außergewöhnlich schwierige Situation. Ein polnischer Überfall auf Danzig wäre geeignet gewesen, in jeder Richtung schwerste Folgen nach sich zu ziehen.« Kein Nationalsozialist habe sich jedoch in dieser Situation zu irgendwelchen »Unbesonnenheiten hinreißen« lassen.122 Da Paris den Erwartungen Pilsudskis an eine gemeinsame Aktion nicht entsprochen und die britische Regierung die Verstärkung der Westerplatte-Garnison durch Warschau vor den Völkerbund gebracht hatte, wurde die Krise schließlich am 14. März 1933 mit einer Reduzierung der polnischen Mannschaftsstärke auf der Westerplatte beigelegt.123 Nach Marek Andrzejewski markierte das Ende dieser Affäre gleichzeitig den Wendepunkt in den nervös gespannten deutsch-polnischen Beziehungen, die nun bis Ende 1938 in eine Phase der Annäherung übergingen. Nach einem Gespräch zwischen Hitler und dem polnischen Botschafter in Berlin, Alfred Wysocki, am 2. Mai 1933 gab die deutsche Seite eine Erklärung ab, gemäß der sich die Reichsregierung künftig entschieden »im Rahmen der bestehenden Verträge« bewegen wolle.124 56

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Zu Beginn der 1930er Jahre bedrückte die Danziger vor allem die Sorge um ihren Arbeitsplatz, denn die Beschäftigungslage war infolge der Weltwirtschaftskrise trostlos.125 33.000 Arbeitslose wurden Ende 1931 gezählt und ein Jahr später stieg ihre Zahl auf 39.000. Die traditionsreiche Klawitter-Werft ging bankrott und die Schichau-Werft hielt sich nur dank umfangreicher Beihilfen der Reichsregierung über Wasser. Mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes versuchte die Danziger Regierung gegenzusteuern: Verkürzung der Arbeitszeit, Maßnahmen zur Senkung der Lebenshaltungskosten, Erstattung von Gebühren in sogenannten Armensachen und Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch der Fremdenverkehr entwickelte sich rückläufig. Dennoch behielt das Seebad Zoppot mit Europas längster Holzpier seine Attraktivität. Gegen eine Konzessionsgebühr von 500.000 Gulden zu Gunsten des Freistaats wurde das Spielcasino legalisiert und Charlie Chaplin machte dem dortigen Casinohotel zu Ostern 1931 seine Aufwartung anlässlich der Erstaufführung seines Films Lichter der Großstadt. Der Empfang zu seinen Ehren »verlief in schönster Harmonie«, meldeten die Danziger Neuesten Nachrichten. Auch andere Ereignisse lenkten die Menschen in den Jahren 1931/32 von ihrer tristen wirtschaftlichen Situation ab. Im Winter trat der äußerst seltene Fall ein, dass die Weichsel vollständig zufror, und 1932 konnte eine totale Mondfinsternis beobachtet werden. Aufsehen erregte der Zeppelin, wenn er über der Danziger Altstadt, und das gigantische Flugschiff Do X, wenn es über der Zoppoter Mole auftauchte. Der Zirkus Hagenbeck begeisterte mit seinen Clowns, während in Heubude eine Affenjagd die Bewohner belustigte, nachdem ein Affenpärchen aus dem Tierpark ausgebüxt war. Doch alle diese Zerstreuungen vermochten nicht über die heraufziehenden politischen Veränderungen im Freistaat hinwegzutäuschen. Im August 1932 war es auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden zu einem denkwürdigen Treffen Forsters, des Danziger SA-Brigadeführers Linsmayer und Hermann Rauschnings mit Hitler gekommen, das als Zäsur der Entwicklung in Danzig angesehen werden kann. Hitler gab bei dieser Gelegenheit seine Zustimmung zu dem Vorschlag seiner Gäste, dem Senat Ziehm die Gefolgschaft aufzukündigen und Neuwahlen zu erzwingen. In seinem Buch Gespräche mit Hitler, das in diesem Buch als Primärquelle zu Hitler nicht herangezogen wird,126 berichtet Rauschning über die Unterredung bei Berchtesgaden u. a., dass Hitler sich dort zunächst erkundigt habe, ob die Freie Stadt ein Auslieferungsabkommen mit Deutschland habe. Hintergrund der Frage sei gewesen, dass Hitler sich im Innerparteiliche Gegner

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Sommer 1932 genötigt gesehen habe, die Parteileitung unter Umständen nach außerhalb der Reichsgrenzen, jedoch in deren nächste Nähe, zu verlegen.127 Ohne auf diese Mitteilung in den Gesprächen Bezug zu nehmen, berichtet der Danzig-Kenner Dieter Schenk über einen Abstecher Hitlers nach Danzig am 9. April 1932 anlässlich seines propagandistischen »Deutschlandfluges« und darüber, dass dieser Zwischenstopp Hitlers seinerzeit Gerüchte genährt habe, wonach der Parteichef angesichts des Verbots von SA und SS im Reichsgebiet durch die Regierung Brüning die Verlegung seines Hauptquartiers nach Danzig geplant habe. Entsprechende Behauptungen hätten sich jedoch als »Ente« erwiesen und seien vom NSDAP-Gaubüro in Danzig dementiert worden.128 Außer von Hermann Rauschning besitzen wir eine knappe Erwähnung der Unterredung bei Berchtesgaden in den umfangreichen Erinnerungen des über das Kriegsende hinaus treuen Hitler-­Verehrers Otto Wagener, von dem noch ausführlich die Rede sein wird.129 Im Übrigen bereitet die genaue Terminierung des Obersalzberg-Treffens einige Schwierigkeiten: Rauschning bleibt, wie so oft in seinen Gesprächen, ungenau und schreibt vom »August 1932«, Wagener/Turner jr. mutmaßen »wohl August«. Pia Nordblom und Jürgen Hensel fügen ihrer Bildlegende zu dem erstmals am 14. Dezember 1939 im Paris-Soir veröffentlichten Foto von der Begegnung das Datum 25. August hinzu.130 Nur wenige Tage nach der Begegnung auf dem Obersalzberg, am 4. September 1932, veranstalteten die Danziger Nationalsozialisten in Gegenwart von Ernst Röhm und des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch eine große Kundgebung, auf der Forster offiziell ankündigte, der Regierung Ziehm zukünftig die Zustimmung zu versagen und die Auflösung des Volkstages herbeizuführen. Forster begründete seinen Vorstoß publikumswirksam damit, dass der Senat Einsparungen in der Sozialgesetzgebung vornehmen wolle, welche die NSDAP mitzutragen nicht bereit sei.131 Ein erster Antrag auf Auflösung des Volkstages vom 15. September 1932 wurde mit großer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt. Interessant bei der Abstimmung war das Verhalten der KPD-Parlamentarier. Geschlossen stimmten die Kommunisten mit den Nationalsozialisten für die Auflösung, was in den demokratischen Zeitungen der Freien Stadt zu Kommentaren führte, in denen ein Zusammengehen der antidemokratischen Kräfte »Arm in Arm« hervorgehoben und über ihre »seltsame Verwandtschaft« geschrieben wurde. Angesichts der immer deutlicher zu Tage tretenden 58

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Schwäche des Senats willigte der Senatspräsident in Verhandlungen mit der NSDAP über eine Machtbeteiligung der Nationalsozialisten ein, die nach der Forderung Forsters in der Betrauung Hermann Rauschnings mit dem Amt des Regierungschefs gipfeln sollten. Doch die Gespräche scheiterten, woraufhin Forster dem Senat unter Ernst Ziehm den »schärfsten Kampf« ankündigte. Unter dem Eindruck der Machtübertragung auf Hitler am 30. Januar 1933 sah sich der amtsmüde Ziehm gezwungen, die Auflösung des Volkstages in die Wege zu leiten. In einer Aufzeichnung von Ministerialdirektor Richard Meyer vom Berliner Auswärtigen Amt vom 31. März 1933 für Außenminister von Neurath war von einer inzwischen »erheblich verschärften Lage in Danzig« die Rede. Verhandlungen zwischen Ziehm und der nationalsozialistischen Fraktion über eine »Regierungserweiterung«, in denen die Nationalsozialisten die Ersetzung Ziehms durch »Herrn Rauschning« gefordert hätten, seien gescheitert. Meyer schlug vor, eine baldige Zusammenkunft »unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers und Beteiligung des Auswärtigen Amtes mit Herrn Ziehm, dem Gauleiter und dem SA-Führer aus Danzig anzuberaumen, in der die Fragen eindeutig und endgültig geregelt werden« sollten.132 Am 13. April stimmten 41 Abgeordnete für die Auflösung des Volkstages und sechs dagegen. Die Regierung Ziehm trat zurück, nachdem sie zuvor für den 28. Mai 1933 zu Neuwahlen aufgerufen hatte. Die NSDAP ernannte Hermann Rauschning und Albert Forster zu ihren Spitzenkandidaten. Rauschning sollte im Falle eines Wahlsieges das Amt des Senatspräsidenten übernehmen. Interessanterweise begründete der Nationalsozialist Löbsack in seinem Buch über Albert Forster die Wahl Rauschnings nicht mit dessen Meriten in der Danziger Landwirtschaftspolitik, sondern mit dessen Erfahrungen in Polen. Und es war auch nicht die dortige Deutschtumsarbeit, die Rauschning in den Augen der Partei qualifizierte, sondern das Verhältnis Danzig–Polen stand im Mittelpunkt der Entscheidung. Denn, so Löbsack, die künftige nationalsozialistische Regierungsarbeit in Danzig solle gemäß den »Grundsätzen der ehrlichen Friedensbereitschaft, aber auch des absolut deutschen Charakters«133 Danzigs erfolgen. Diese Begründung spiegelte einmal mehr die Bemühungen Hitlers, angesichts der innen-, außen- sowie militärpolitisch fragilen Lage seines Regimes nach der »Machtergreifung« Ruhe an der Ostgrenze des Reiches zu bewahren, es nach dorthin abzuschirmen. Gut zwei Wochen vor den Volkstagswahlen demonstrierte die Besetzung des Gewerkschaftshauses in Danzig die verworrene Situation in Innerparteiliche Gegner

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der Freien Stadt, den wachsenden nationalsozialistischen Druck im Gefolge des Machtwechsels in Berlin und schließlich auch die Schwäche der Regierung Ziehm. Nachdem am 2. Mai 1933 in Deutschland zahlreiche Gewerkschaftshäuser von den Nationalsozialisten besetzt worden waren, erfolgte durch eine einstweilige Verfügung des Danziger Amtsgerichts am 12. Mai die Enthebung der Danziger Gewerkschaftsangestellten von ihren Ämtern und die Übertragung des Gewerkschaftsvermögens auf den reichsdeutschen Vertreter der NSBO.134 Zwar wurde dieser Schritt damit begründet, dass die Freien Gewerkschaften in Danzig135 dem reichsdeutschen Gewerkschaftsbund unterstellt seien, doch war das Vorgehen eindeutig ein Verstoß gegen die nach der Danziger Verfassung völkerrechtlich garantierte Vereinigungsfreiheit. Auf scharfen Protest der Gewerkschaftsfunktionäre hin begann der Hohe Kommissar Helmer Rosting Verhandlungen mit dem Senat Ziehm. Dieser bestätigte wohl die Verfassungswidrigkeit der Aktion, zeigte sich jedoch außerstande, jene Polizeibeamten zur Rechenschaft zu ziehen, die unmittelbar an ihr beteiligt waren. Im April und Mai hatte sich bereits ein erheblicher Teil der Polizeibeamten auf die Seite der NSDAP gestellt.136 Allerdings war das Polizeipräsidium Danzigs noch nicht so »braun«, dass es einen Aufruf Rauschnings an die Danziger Bauern in den Danziger Neuesten Nachrichten hätte durchgehen lassen. Nach dem Erscheinen des Aufrufes in der Ausgabe vom 19. Mai sah sich das Blatt, das immer stärker den Nationalsozialismus unterstützte, mit einem einmonatigen Verbot konfrontiert.137 Immerhin zeitigte die Besetzung des Gewerkschaftshauses einen spontanen Demonstrationszug von rund 500 Danziger Arbeitern sowie einige Interventionen beim Völkerbund in Genf, wo Helmer Rosting versuchte, den Senat zu stärken und Ruhe in die Freie Stadt einkehren zu lassen. Insgesamt entstand jedoch der Eindruck, dass die NSDAP mit ihrer Aktion gegen die Freien Gewerkschaften in Danzig die SPD schwach aussehen lassen wollte, sie hingegen Herr des Verfahrens an der Mottlau sei.138 Max Kiewning, ehemaliger Rechtsanwalt in Danzig und als solcher auch für Hermann Rauschning tätig, verglich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die politische Situation im Frühsommer 1933 in Danzig mit derjenigen im Reich: »Die Lage war ja in Danzig wohl etwas anders als im Reich«, schrieb er. Und weiter: Auf dem engen Raum eines Kleinstaats, bei der nahen Verknüpfung der Personen und Interessen stand der Einzelne vielmehr im Scheinwerferlicht der Beobachtung,

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Eintritt in die Politik

des Hasses und unterlag der Angriffsbetätigung und Verfolgung schärfer als auf dem ausgedehnteren Kampffeld des Reichs, wo zudem auch noch die abgeklärteren Lebensformen bei den Zentralbehörden (Ministerien) sich besser und wirkungsvoller gehalten hatten, als in dem kleinen Stadtstaat Danzig. Alles ging dort in Danzig viel krasser, persönlicher, verletzender und schädigender vor sich als im Reich, insbesondere aber unter der Ägide eines durch irgendwelche Rücksichten auf Recht, Anstand, gute Lebensformen nicht gehemmten Gauleiters, wie es Forster war.139

Innerparteiliche Gegner

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NATIONALSOZIALISTISCHER SENATSPRÄSIDENT VON DANZIG

Sieht man von verschiedenen Einschüchterungsversuchen der Nationalsozialisten im Kampf um die Volkstagswahlen vom 28. Mai ab, verlief das Rennen der Parteien um die Macht ohne größere Vorkommnisse. Rhetorische Unterstützung erhielt die Danziger NSDAP durch Auftritte von Joseph Goebbels, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Hermann Göring, dem preußischen Justizminister Hanns Kerrl sowie Hitlers Chefadjutanten Wilhelm Brückner. Den Höhepunkt der Einflussnahme bildete am Vorabend der Wahlen eine Rede Hitlers aus dem Braunen Haus in München, die über den Sender Königsberg nach Danzig ausgestrahlt wurde. Laut NS-Propaganda soll die Ansprache in 271 Danziger Versammlungen übertragen worden sein. Lautsprecher verbreiteten die Stimme des »Führers« in den Straßen der Stadt.140 Nach einem längeren historischen Rückblick auf die Geschichte Danzigs betonte Hitler in seiner Rede die Friedfertigkeit seiner Politik, um jedoch zum Schluss alle Deutschen, die jenseits der Reichsgrenzen und möglicherweise unter fremder Herrschaft lebten, aufzufordern, nach »innerer seelischer und geistiger Gemeinschaft« zu streben.141 »Auf Danzig sieht die Welt«142 – so konnte man das internationale Medieninteresse an den Wahlen treffend zusammenfassen. Vor allem französische und britische Zeitungen entsandten ihre Korrespondenten an die Mottlau, um über den Wahlkampf und das Abschneiden insbesondere der NSDAP zu berichten. Der Manchester Guardian schilderte die Stadt unmittelbar vor dem Wahlgang mit diesen Worten: »Das malerische, mittelalterliche Danzig gleicht heute einer Nazi-Festung, 36 Stunden vor den Wahlen … Die Nazis auf Fahrrädern und in dekorierten Autos und Flugzeugen vermitteln den Eindruck, dass sie die Stadt im Sturm nehmen.«143 Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

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Die Volkstagswahlen vom 28. Mai 1933 Gemessen an dem propagandistischen Aufwand fiel das Ergebnis für die NSDAP nicht eben überwältigend aus, wenngleich die Partei mit 50,03 % der gültigen Stimmen und 38 Mandaten die absolute Mehrheit erreichte und damit das Resultat der Reichstagswahlen vom März 1933, das den Nationalsozialisten 43,9 % der Stimmen eingebracht hatte, überstieg.144 Deutlich abgeschlagen an zweiter Stelle landete die SPD mit 17,7 % der Stimmen und 13 Mandaten. Wie ein Fels in der Brandung behauptete sich das katholische Zentrum mit 14,6 % und zehn Mandaten, während die Partei des noch amtierenden Senatspräsidenten Ziehm, die DNVP, nur noch ganze 6,3 % und damit vier Mandate errang – gegenüber zehn Mandaten bei der letzten Wahl vom 16. November 1930. Die Deutschnationalen lagen damit sogar noch hinter den Kommunisten, die es jetzt auf 6,8 % der Stimmen und fünf Mandate brachten. War die Wahlbeteiligung bereits 1930 sehr hoch gewesen, fiel sie nun im Mai 1933 mit 92,1 % noch höher aus – ein eindeutiger Beleg für die extreme Politisierung in der Freien Stadt.145 Eine bedrückende Arbeitslosigkeit von knapp 20 %, die bis weit in die SPD hinein verbreitete Stimmung »Zurück ins Reich«, die ständigen Spannungen mit Polen sowie ihre offensichtliche Fähigkeit, vor allem die protestantisch geprägte Landbevölkerung des Freistaats zu mobilisieren, hatten den Sieg der Nationalsozialisten im Freistaat entscheidend begünstigt. Nicht zuletzt der rednerischen »Werbekraft«146 Hermann Rauschnings verdankte sich der Erfolg. Angesichts seines ersten außenpolitischen Sieges telegrafierte Hitler seinem Danziger Gauleiter: »Großartig Forster!«147 Bereits am Tag nach der Wahl stellte sich Rauschning anlässlich der »Ausstellung der Deutschen Landwirtschaft« in Berlin der deutschen Presse.148 Ausführlich nahm er hier zu dem Wahlergebnis Stellung und versuchte sich in einer Analyse der Wählerwanderung. Es verwunderte zunächst nicht, dass Rauschning als Vorsitzender des Landbundes und im Wissen um seine starke Verankerung in der Danziger Landbevölkerung erklärte, dass der »Sieg des Nationalsozialismus auf dem Lande ein ganz gewaltiger« gewesen sei. Dann aber schränkte er überraschend ein und erläuterte die etwas geringeren Erfolge im Vergleich zu »Ostpreußen, Mecklenburg und Pommern« in der Weise, dass in den »Niederungskreisen« des Freistaats »die Landwirtschaft sich stark industriell eingestellt« habe und folglich dort noch »Kommunisten und Sozialdemokraten stark 64

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

vertreten« seien. Es sei aber im Vergleich zur Wahl von 1930 deutlich zu erkennen, dass »auf dem Lande der Marxismus restlos zerschlagen« sei, »bis auf wenige Hochburgen«. Dass die »Zertrümmerung des Marxismus in der Stadt« nicht »gleichwertig erreicht worden« sei, müsse der verfehlten Strategie der Deutschnationalen angelastet werden, die versucht habe, die »Arbeiterkreise herüberzuziehen«. Den leichten Zuwachs des Zentrums führte Rauschning auf »Angehörige der früheren Mittelparteien«, ferner auf die »in Danzig stark vertretene jüdische Bevölkerung« sowie auf einen »Teil der liberal eingestellten Großkaufmannschaft« zurück, die sich am Vortag der Partei des politischen Katholizismus angeschlossen hätten. Rauschning nutzte die Gelegenheit der Pressekonferenz auch, um einige Eckpunkte der künftigen Regierungsarbeit hervorzuheben. Man werde »versuchen«, mit einem »einfachen Ermächtigungsgesetz auszukommen«, erklärte er. Dies sei angesichts eines »gefährdeten Gebietes wie Danzig unter allen Umständen wünschenswert«. Zu diesem Zweck lud er bereits bei dieser Gelegenheit zur Bildung einer »Volksgemeinschaft und einer für die Dauer tragfähigen Front der nationalen Kräfte« ein. An den Nationalsozialisten in Danzig solle das Scheitern einer solchen Front nicht liegen. »In allen Punkten« sei die Danziger Verfassung »aufrechtzuerhalten«, unterstrich Rauschning. Das bedeutete, dass »alle Maßnahmen der Gleichschaltung, wie sie in Deutschland möglich waren«, ausfielen. »Judentum und derartige Probleme können jetzt für uns keine Rolle spielen, den jüdischen Beamten müssen ihre Rechte erhalten bleiben«, versicherte Rauschning. Und: »Der Arierparagraph kommt für Danzig nicht in Frage.« Wörtlich zitierten die DNN sodann eine längere Passage aus den Ausführungen Rauschnings, in denen er zwar eine »Generalbereinigung sämtlicher schwebender Fragen mit Polen« befürwortete, zugleich aber die gegenseitige Achtung des je »eigenen Volkstums« forderte. Die Bereitschaft zum Frieden dürfe nicht mit der Bereitschaft zur Unterwerfung verwechselt werden. Als eine der Hauptaufgaben künftiger nationalsozialistischer Politik in Danzig bezeichnete Rauschning abschließend die »Wirtschaftsbelebung im Innern«. Drei Tage später, am 1. Juni, wurde Rauschning zusammen mit Gauleiter Forster in der Berliner Reichskanzlei von Hitler empfangen, um gemeinsam den Erfolg zu feiern. Hitler erklärte bei dieser Gelegenheit seine Bereitschaft, Verträge mit Polen zu schließen; es sei allerdings zuvörderst Sache des Reiches, mit Polen ins Reine zu kommen, Danzig könne jedoch dazu beitragen, Hindernisse aus dem Wege zu räumen.149 Die Volkstagswahlen vom 28. Mai 1933

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Rauschning hatte den Aufenthalt in Berlin vor dem Treffen mit Hitler dazu genutzt, mit Reichfinanzminister Graf Schwerin von Krosigk über finanzielle Hilfen des Reiches für Danzig zu sprechen. Staatssekretär von Bülow vom Auswärtigen Amt schrieb am 30. Mai an Schwerin von Krosigk, dass er nach einer Besprechung mit Rauschning zu dem Schluss gekommen sei, dass Danzig »im Rahmen des wirtschaftlich und finanziell Möglichen« geholfen werden müsse. Aus außenpolitischen Gründen lege er »großen Wert darauf, daß die wirtschaftliche und finanzielle Situation« im Freistaat »bei dem schweren Abwehrkampf, in dem die Freie Stadt gerade in wirtschaftlicher Beziehung gegenüber Polen steht, gestärkt und gefestigt« werde. Um der neuen Regierung in Danzig »die Tätigkeit nach Möglichkeit zu erleichtern«, würde er, von Bülow, es »sehr begrüßen, wenn das Reichsfinanzministerium in der Lage wäre, die finanziellen Hilfen möglichst bald zur Verfügung zu stellen«.150 Rauschning berichtete unter dem 2. Juni in einem Schreiben an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, Lammers, dass Hitler sich bei dem Treffen am Vortag bereit erklärt habe, einen Antrag des Finanzministeriums »auf finanzielle Unterstützung für Danzig seinerseits zu unterstützen«.151 Kaum jemand wäre im damaligen Danzig überrascht gewesen, wenn die NSDAP nach ihrem Wahlsieg versucht hätte, allein zu regieren. Doch der designierte Senatspräsident Rauschning beschritt mit Rückendeckung Hitlers und Gauleiter Forsters den komplizierteren Weg einer Koalitionsbildung. Nicht einmal ein halbes Jahr nach der Übernahme der Macht im Reich suchten Hitler und mit ihm Forster sowie Rauschning jegliche Irritation zu vermeiden, die eine noch immer nicht ganz auszuschließende Intervention Polens hätte auslösen können. Hinsichtlich einer Koalition beurteilte Rauschning die schwindenden Kräfte seiner alten DNVP und auch die ihres Parteichefs Ziehm durchaus realistisch. Nach übereinstimmenden Darstellungen in der einschlägigen Literatur soll darüber hinaus das persönliche Verhältnis zwischen dem DNVP-Chef Ziehm und Rauschning ausgesprochen schlecht gewesen sein – ein Urteil, das naheliegt, denn Rauschning war in Ziehms Augen ein Abtrünniger, möglicherweise ein Karrierist, der vielleicht aus ganz ehrgeizigen Gründen auf die NSDAP gesetzt hatte. Allerdings findet sich in Ziehms eigener Darstellung der Danziger Vorgänge und seiner Schilderung der Person Rauschnings nichts Negatives, was ihr persönliches Verhältnis betraf.152 Vielversprechender schien hingegen Rauschnings »Liebeswerben« (Ruhnau) beim Zentrum. Der politische Katholizismus war seit der Grün66

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

dung des Freistaats an jeder Regierung beteiligt gewesen, weshalb dem Zentrum mit einem Augenzwinkern auch eine »verblüffende Elastizität« bescheinigt wurde. Die Koalitionsgespräche ergaben schließlich ein zwölfköpfiges Kabinett, an dessen Spitze als Senatspräsident Hermann Rauschning stand, der zugleich für die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich zeichnete.153 Zu seinem persönlichen Referenten, der daneben insbesondere die Polen betreffenden Angelegenheiten des Senats betreuen sollte, wählte Rauschning Georg Streiter, den er nach dessen eigener Aussage bereits im April 1933 dazu bewogen hatte, in die NSDAP einzutreten.154 Drei Senatorenposten fielen an das Zentrum, das mit dem in der Stadt angesehenen Monsignore Sawatzki als Senator ohne Geschäftsbereich ein personelles Schwergewicht stellte. Um nach außen eine Kontinuität der Senatsarbeit zu signalisieren, fanden sich auch zwei DNVP-Senatoren im Kabinett wieder, nämlich Max Bertling (ohne Portefeuille) und Julius Hoppenrath (Finanzen), beide waren jedoch nicht Mitglieder der Koalition. Mit dem Ziel der beabsichtigten Gleichschaltung der Danziger Lehrerschaft übernahm der nationalsozialistische Pädagoge Adalbert Boeck das Amt für Kultus, während der Mediziner Dr. Helmut Kluck als NSDAP-Vertreter und Senator für Gesundheit seine Standesgenossen im Sinne der Partei zu bearbeiten hatte.155 Stellvertretender Senatspräsident wurde Arthur Greiser. Die Wahl des neuen Senats erfolgte am 20. Juni 1933. Die Literatur zur Geschichte der Freien Stadt Danzig in der Ära Rauschning wurde jahrzehntelang durch den gut dokumentierten Gegensatz zwischen Gauleiter Forster und Hermann Rauschning geprägt, ohne dass dabei die Rolle Greisers oder auch die des SA-Führers Linsmayer hinreichend berücksichtigt worden wäre. Zumindest für das Verhältnis Arthur Greisers zu Forster, Rauschning und Linsmayer liegt seit einiger Zeit die verdienstvolle Biographie von Catherine Epstein über Greiser vor, die einerseits das bereits bekannte und gespannte Verhältnis zwischen Greiser und Forster noch einmal beleuchtet, andrerseits aber auch die ebenfalls komplizierten Beziehungen zwischen Rauschning und Greiser in den Blick nimmt.156 Während Linsmayer und Greiser einander verabscheuten157 und sich hinter dieser persönlichen Animosität auch der aus dem Reich bekannte Konflikt zwischen SA (Linsmayer) und SS (Greiser) verbarg, neidete der von Epstein als außerordentlich ehrgeizig beschriebene Greiser dem fünf Jahre jüngeren Forster die machtvolle Funktion des Gauleiters im Freistaat, während er selber sich vorerst mit dem Posten des stellvertretenden Senatspräsidenten hinter Rauschning abfinden musste. Die Volkstagswahlen vom 28. Mai 1933

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Für Greiser beinahe kaum mehr steuerbar waren die Auswirkungen seines Privatlebens in seinem Streben nach Machterweiterung an der Mottlau: Die Trennung und schließliche Scheidung von seiner Frau Ruth sowie Gerüchte über Greisers neue Liebe, die in Berlin lebende Konzertpianistin Maria Körfer, stärkten nicht gerade Greisers Position in Danzig als einer der führenden Nationalsozialisten mit weiteren Ambitionen.158

Politische Weichenstellungen Unmittelbar nach der Konstituierung des neuen Senats begann die Regierung Rauschning mit der Umgestaltung der politischen Verhältnisse nach dem Berliner Vorbild seit dem Reichstagsbrand, sofern dies mit der vom Völkerbund formal garantierten Danziger Verfassung eben noch kompatibel war. Ernst Sodeikat, ein damaliger Angestellter des Danziger Statistischen Landesamtes und somit Augenzeuge der Vorgänge an der Mottlau, schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg über den »neuen Wind« im Volkstag: »Das konstruktive Denkvermögen«, das Rauschning in der Außenpolitik nach seiner Berufung zum Senatspräsidenten zeigte – gemeint war der Kurs gegenüber Polen –, ließ er innenpolitisch weitgehend vermissen. Zwei der vom Völkerbund später für verfassungswidrig erklärten Gesetze (»Uniformtragen« und »Ehrenschutz«) entstanden in seiner Regierungszeit. Ebenso wurde in dieser Zeit verkündet das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat« vom 24. Juni 1933 …, dessen Tarnname bemänteln sollte, daß es ein besonders krasses Ermächtigungsgesetz war und nicht weniger als 88 Gesetzgebungsgebiete bezeichnete, die von der Danziger Regierung ohne Zustimmung des Parlaments gesetzmäßig geregelt werden konnten. Dazu kam noch eine Generalklausel mit weitgehenden Vollmachten. Auf dieses Gesetz gründete sich dann noch die »Rechtsverordnung betreffend Maßnahmen zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« vom 30. Juni 1933.

Beide Gesetze, so Sodeikat, »waren Basis für die fortgesetzten Verfassungsbrüche der Nationalsozialisten«.159 Ähnlich wie im nationalsozialistisch geführten Reich geriet auch in Danzig die Kommunistische Partei früh ins Fadenkreuz der neuen Regierung. Wenn die KPD an der Mottlau bei Wahlen auch nie besonders stark abgeschnitten hatte  – bei den Volkstagswahlen vom November 1930 68

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

erreichte sie 10,2 % und bei jenen vom 28. Mai 1933, wie erwähnt, nur noch 6,8 % der Stimmen –, spielte die kommunistische Bewegung in der Freien Stadt insofern immer eine Rolle, als sie von sowjetischer Seite als Knotenpunkt für die Verteilung von Propagandamaterial der Dritten Internationale genutzt wurde. Zahlreiche Konferenzen der polnischen Kommunisten fanden hier statt. Seit 1933 entwickelte sich eine bemerkenswerte Zusammenarbeit der Danziger mit der polnischen Polizei im Kampf gegen die kommunistische Bewegung, wobei auf polnischer Seite die Dienststellen des in Danzig sonst wegen seiner Hafenbedeutung so verhassten Gdingen zum Einsatz kamen.160 Während eines Aufenthaltes in Genf am 18. Januar 1934 bat Senatspräsident Rauschning ausländische Journalisten zum Tee und sprach ausführlich über die Aushebung eines kommunistischen Geheimbüros durch die Polizei in Zoppot, in dem nicht nur fast 2000 Adressen von »kommunistischen Agenten« in Polen, sondern, seinen Angaben zufolge, »Massen von Agitationsmaterial in den wichtigsten europäischen Sprachen« gefunden worden seien. Mit diesen »übertriebenen« Informationen versuchte Rauschning offenbar die »Schaffung eines günstigen Klimas« für das geplante KPD-Verbot unter den besonderen Bedingungen der Danziger Verfassung zu erreichen.161 Dies geschah Ende Mai 1934 durch eine Verfügung von Polizeipräsident Froböß, welche die Auflösung der Partei in der Freien Stadt nebst ihrer Unterorganisationen wie Rotfrontkämpferbund, Roter Frauen- und Mädchenbund, Rote Hilfe usw. anordnete. Die Begründung für diesen Schritt lautete, dass die Partei gegen bestehende Strafgesetze verstoße und Waffen verteilt habe. Ausgerechnet die polnische Polizei verhaftete im Hafen von Gdingen den Danziger Kommunisten Jünemann bei dem Versuch, dem Kommandanten eines sowjetischen Zerstörers einen Brief zu übergeben, in dem Jünemann versicherte, dass die Danziger Kommunisten warteten, bis ihre Zeit gekommen sei.162 Trotz der Auflösung behielten die kommunistischen Volkstagsabgeordneten ihre Mandate, konnten an Volkstagssitzungen teilnehmen und Kandidaten sich für Wahlen im Freistaat aufstellen lassen. Betrachtet man die rund 17-monatige Regierungszeit des Senats Rauschning gleichsam aus der Vogelperspektive, schälen sich insbesondere drei Politikbereiche heraus, die diese Zeitspanne maßgeblich bestimmten und die zugleich eng miteinander verwoben waren: die Politik des Senats gegenüber Polen, die Nazifizierung des öffentlichen Lebens sowie der Kampf gegen die Wirtschaftskrise mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit. Politische Weichenstellungen

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Kein Déjà-vu: die neue Senatspolitik gegenüber Polen Vor allem Rauschnings Charmeoffensive gegenüber Polen rief nicht nur in Danzig, sondern weltweit Überraschung hervor, denn mit Rückendeckung Hitlers beschritt der neue Senat den Weg des Gesprächs, des Ausgleichs und der betonten Friedensbereitschaft gegenüber Warschau. Immer noch benötigte Hitler die »äußere Abschirmung der inneren Umwälzung«163. Frankreich sollte isoliert und die bilateralen Beziehungen vor allem zu Italien und Großbritannien verbessert werden. Noch war das Reich militärisch schwach, noch lag Hitlers Bruch des Versailler Vertrages mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Schaffung der neuen Wehrmacht mit 36 Divisionen in Friedenszeiten zeitlich in einiger Ferne. Zunächst jedoch scheint Hitler nach der »Machtergreifung« den betont antipolnischen und revisionistischen Kurs des Auswärtigen Amtes mitgetragen zu haben. In der Sitzung des Reichskabinetts vom 7. April 1933 redete der deutschnationale Außenminister von Neurath sogar einer künftigen Verstärkung dieser Revisionspolitik das Wort. »Unser Hauptziel«, erklärte er im Beisein Hitlers, »bleibt die Revision der Ostgrenze. Nur eine totale Lösung kommt in Frage. Zwischen- und Teillösungen sind abzulehnen … Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht. Die Spannung mit Polen muss aufrecht erhalten werden, und sei es nur um zu verhindern, dass das Interesse an einer Revision der deutsch-polnischen Grenze abstirbt.«164 »Erst vier Wochen später«165 setzte Hitler eine andere Auffassung durch, zu der ihn insbesondere die »Westerplatte-Affäre« und weiterhin schwelende Gerüchte über polnische Präventivkriegsabsichten gebracht haben dürften. Offenbar hatte ihn die »Provokationspolitik Pilsudskis« im Angesicht der eigenen militärischen Schwäche beeindruckt. Dass gerade Rauschning die Politik des Ausgleichs mit Polen eben nicht vordergründig, sondern kurz- und mittelfristig in der Erwartung einer Besserung der wirtschaftlichen Lage Danzigs sowie mit dem weiten Blick seiner alten Mittel- und Ostmitteleuropa-Konzeption betrieb, dürfte heute außer Frage stehen. Sie stand ganz in der liberal-imperialistischen Tradition von Bethmann Hollwegs »Septemberprogramm« aus dem Jahre 1914. Sie zielte auf die ökonomische und politische Vormachtstellung eines übermächtigen Deutschlands in Ostmitteleuropa ab und sah

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Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

für Polen ganz im Sinne der »großen Lösung« in einem System östlicher Allianzen de facto eine Satellitenrolle vor, bei der sich dann die Korrektur der deutschen Ostgrenzen nahezu automatisch ergeben würde.166

Außer Frage dürfte aber wohl auch stehen, dass Rauschning es mit seiner polenfreundlichen Politik in den Augen vieler einfacher, aber auch führender Nationalsozialisten, allen voran Gauleiter Forsters, zuweilen übertrieb, was dann auch ein entscheidender Grund für die wachsende Animosität zwischen Forster und Rauschning wurde.167 Nach Rauschnings eigenem Wort sollte die nationalsozialistische Politik Danzigs gegenüber Polen als »Probierfeld der Kooperation«168 in den deutsch-polnischen Beziehungen verstanden werden. Bereits in seiner Regierungserklärung vom 23. Juni 1933 vor dem Volkstag ließ Rauschning Zeichen des Neuanfangs erkennen. Mit Blick auf die Beziehungen zwischen der Freien Stadt Danzig und Polen, erklärte er hier, fühle sich die Politik der neuen Regierung dem Frieden verpflichtet, verfolge sie einen Kurs des Respekts gegenüber bestehenden Verträgen und Abkommen, »wenngleich immer mit der Entschlossenheit, die Rechte aller unserer Bürger zu verteidigen, die von der Verfassung garantiert seien«.169 Den Worten sollten alsbald Taten in Gestalt eines veritablen Politikwechsels folgen: weg von den end- und fruchtlosen Klagen und Debatten vor dem Völkerbund wegen tatsächlicher oder angeblicher Danziger oder polnischer Verfehlungen in der Freien Stadt und hin zum direkten Gespräch zwischen den Kontrahenten. Zu jener Zeit waren beim Hohen Kommissar nicht weniger als 35 Verfahren anhängig und bis Mitte Mai 1933 hatten Danzig–Polen-Fragen den Rat des Völkerbundes in Genf nicht weniger als 106 Mal beschäftigt.170 Auf geradezu groteske Weise hat der Hitler-Verehrer Otto Wagener den Sinn von Rauschnings Polen-Konzeption völlig entstellt. In seinem bereits erwähnten umfangreichen Bericht über seine Zeit in der Nähe Hitlers in den Jahren 1929 bis 1932 findet sich eine vom Herausgeber des Berichts, Henry Ashby Turner jr., kursiv wiedergegebene Zusammenfassung von Äußerungen Hitlers, die dieser Wagener gegenüber gemacht haben soll. Dabei handelt es sich um Äußerungen über Gesprächsinhalte, die bei dem Treffen Hitlers mit Rauschning, Forster und Linsmayer im August 1932 auf dem Obersalzberg behandelt worden sein sollen. Turner fasst Wagener folgendermaßen zusammen: Kein Déjà-vu: die neue Senatspolitik gegenüber Polen 

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Rauschning habe bei dieser Gelegenheit auf den Anschluß Danzigs an das Reich sofort nach der Machtübernahme durch die N.S.D.A.P. gedrängt, was Hitler jedoch als Affront gegenüber Polen und den Signatarmächten des Versailler Vertrages abgelehnt habe. Seine Absicht, mit Pilsudski ein Freundschaftsabkommen zu treffen – habe er Wagener erklärt –, könne er Rauschning nicht einmal anvertrauen, denn dieser hätte sie für Verrat und Wahnsinn gehalten.171

Man wüsste zu gern, ob sich Rauschning und Wagener nach dem Krieg über die seinerzeitige Polenpolitik ausgetauscht haben, als beide für die Rheinisch-Westfälischen Nachrichten in Düsseldorf arbeiteten. Nur zehn Tage nach seinem Auftritt vor dem Volkstag, am 3. Juli, reisten Rauschning und sein Stellvertreter Greiser zu einem international stark beachteten Staatsbesuch nach Warschau. »Die Krönung« dieses Besuchs bildete ein Empfang der Danziger Delegation durch Marschall Jozef Pilsudski, der jedoch in der polnischen wie auch in der deutschen Presse totgeschwiegen wurde172 und dem am 5. August ein Abkommen zwischen Danzig und Polen folgte.173 Darin wurde u. a. ein Übereinkommen über die Benutzung des Danziger Hafens durch Polen gemäß den Versailler Vertragsbestimmungen getroffen. Nun wurde der Transitverkehr von Waren von und nach Polen über den Danziger Hafen festgestellt, was für Danzig insofern bedeutsam war, als der polnische Im- und Export in der jüngsten Vergangenheit verstärkt über Gdingen abgewickelt worden war. Nach weiteren Verhandlungen erfolgte die endgültige Vertragsunterzeichnung am 18. September 1933. Weitere Ergebnisse dieses Vertragsabschlusses betrafen die Rechte der polnischen Minderheit in Danzig, etwa hinsichtlich des Gebrauchs der polnischen Sprache. Gleichzeitig garantierte das Abkommen den polnischen Kaufleuten jüdischen Glaubens volle Freiheit bei der Ausübung ihrer geschäftlichen Tätigkeit im Gebiet des Freistaats.174 Ausgerechnet unter nationalsozialistischer Führung war damit eine Abmachung mit Polen getroffen worden. Hinsichtlich der dringend gewünschten Hafennutzung durch Warschau stellte sie allerdings nur ein »fernes Echo« früherer Danziger Forderungen nach seiner »vollen Nutzung« durch die polnische Wirtschaft dar. Implizit hatte Danzig anerkannt, dass es keine polnische Verpflichtung in Bezug auf den Danziger Hafen gab. Die Zusicherungen für die polnische Minderheit übertrafen sämtliche bis dahin getroffenen Vereinbarungen. Zum ersten Mal in der Geschichte 72

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

der Beziehungen Danzig–Polen und somit auch der deutsch-polnischen Beziehungen sah sich das Recht auf kulturelle Gleichheit und Autonomie offiziell bestätigt. Das Abkommen vom 18. September räumte also ein schweres Hindernis für den Ausbau der Beziehungen zwischen beiden Staaten aus dem Weg, auch wenn auf polnischer Seite der Wirtschaftskrieg an den Grenzen weitergeführt wurde. Diskriminierende Zölle und andere bürokratische Hemmnisse erschwerten nach wie vor den Warenexport Danzigs nach Polen und behinderten andrerseits die Einfuhr solcher Grundnahrungsmittel, welche die spezialisierte Danziger Landwirtschaft nicht produzieren konnte. In gewisser Weise reflektierte der Handelskrieg zwischen Polen und Danzig den Zollkrieg zwischen Polen und dem Reich, der von 1925 bis Anfang 1934 andauerte.175 Um jedoch den polnischen Wunsch nach harmonischen Beziehungen mit der Freien Stadt zu unterstreichen, stattete der polnische Premierminister Janusz Jedrzejewicz Danzig am 22. September einen Gegenbesuch ab.176 Zunächst seinem breiten amerikanischen Lesepublikum, dann aber auch der deutschen Leserschaft in Übersetzung, schilderte der Journalist und Pulitzer-Preisträger Hubert R. Knickerbocker geradezu euphorisch den Abschluss des Vertragswerkes zwischen Danzig und Polen: Die Polen waren verblüfft, argwöhnisch, aber erfreut. Dr. Rauschning schlug bessere gesellschaftliche Beziehungen vor, und zum ersten Male begannen Polen und Deutsche auf freundschaftlicher Grundlage einander entgegenzutreten. Dr. Rauschning stiftete einen Silberpokal für das Fußballwettspiel zwischen Danzig und Warschau. Das Unglaubliche geschah, und Polen trafen sich mit Danziger Deutschen auf dem Spielfeld. Danzig gewann, aber die Polen schrien Hurrah! Der polnische Gesandte in Danzig, Casimir Papee, stiftete einen Pokal für Boxkämpfe zwischen Danzig und Warschau. Warschau gewann, aber die Danziger schrien Hurrah! Versprechungen sind billig. Aber was die Nationalsozialisten in Danzig geleistet haben, ist imposant.177

Es war in dieser Phase, Ende September 1933, dass Propagandaminister Goebbels erst- und zugleich auch letztmalig seinem Tagebuch eine positive Notiz über Rauschning anvertraute. Unter dem Datum des 27. hieß es: »Danziger Senatspräsident Rauschning. Er sieht die Dinge klar und macht bestimmt keine Dummheiten«.178 Im Berliner Auswärtigen Amt, der Hochburg revisionistischer Politik gegenüber Warschau, hatte man das forsche Tempo Rauschnings gegenüber Warschau nicht ohne Bedenken verfolgt. In einer Aufzeichnung vom Kein Déjà-vu: die neue Senatspolitik gegenüber Polen 

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5. September hatte der stellvertretende Leiter der Ostabteilung, Siegfried Hey, geargwöhnt, der neue Senat werde in den Hafenverhandlungen möglicherweise »zu große Zugeständnisse« an Polen machen, allein um überhaupt ein Abkommen zu erzielen. Bezug nehmend auf diese Aufzeichnung notierte Staatssekretär von Bülow unter dem 6. September zwar, dass die »deutsch-polnische und die Danzig-polnische Entspannung in der Welt einen sehr großen und im allgemeinen günstigen Eindruck« gemacht habe. Je länger dieser anhalte, so von Bülow weiter, »desto besser. Andrerseits können weder wir noch die Danziger uns von den Polen übers Ohr hauen lassen. Falls Polen glaubt, infolge unserer außenpolitischen Isolierung sich uns oder Danzig gegenüber etwas herausnehmen zu können, muß eingegriffen werden, weil unsere Nachgiebigkeit andere Länder zu ähnlichem Vorgehen ermutigen würde.« Unter »Verwertung dieser allgemeinen Gesichtspunkte« erscheine ihm daher eine »Warnung des Danziger Senats« angezeigt.179 Edmund von Thermann, überzeugter Nationalsozialist und Leiter des Deutschen Generalkonsulats in Danzig seit 1925, äußerte sich ebenfalls kritisch über den Kurs Rauschnings, den er als »Idealisten« bezeichnete – er war wohl auch pikiert darüber, dass Rauschning ihn nicht über seine bevorstehende Reise nach Warschau in Kenntnis gesetzt hatte.180 Die Revisionisten in Berlin hatten durchaus Grund, die Verhandlungskünste des neuen Senatspräsidenten mit Argusaugen zu betrachten, denn erst im vorangegangenen Jahr hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag gemeinsam mit Rechtsexperten des Völkerbunds die Danziger Position bezüglich des Hafens gutachterlich unterstützt – nun also drohte ein zum Greifen naher Erfolg unnötig verschleudert zu werden.181 Um jedoch die deutsch-polnischen Entspannungsbemühungen durch »das stramme Auftreten Thermanns« in Danzig nicht zu gefährden, zog ihn das Auswärtige Amt Ende 1933 aus der Freien Stadt ab und ersetzte ihn durch den Karrierediplomaten Otto von Radowitz.182 Unmittelbar nach Rauschnings Regierungsübernahme und vermutlich nach dem Juli-Besuch Rauschnings in Warschau kam der ehemalige Senatspräsident Ziehm dem Wunsch des neuen Senatspräsidenten nach einer persönlichen Aussprache nach. Bei dieser Gelegenheit äußerte Ziehm seine Bedenken wegen eines zu großen Entgegenkommens gegenüber Polen; dessen Einfluss wachse in Danzig auf Kosten des deutschen. Rauschning erwiderte, den Erinnerungen Ziehms zufolge, auf Weisung Hitlers zu handeln, der jeden Streit mit Polen verhindern wolle, ob in Danzig 74

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oder vor dem Völkerbund. Das, so Ziehm rückblickend, sei neu gewesen: Früher habe die Reichsregierung in Berlin die Danziger Vorgaben mitgetragen, nun aber befinde sich die Leitung der Danziger Politik in den Händen des »Führers«, die Danziger Regierung sei ein Werkzeug Hitlers. Das aber sei ein Widerspruch zur Danziger Verfassung, worüber auch Rauschning »nicht im unklaren« gewesen sei. Das Fazit Ziehms: Rauschning leistete Hitlers vordergründiger Friedenspolitik »gehorsamste Dienste«.183 Diese Erkenntnis blieb Rauschning und den Zeitgenossen noch einige Zeit verwehrt. Nicht genug mit dem für Polen recht vorteilhaften Abkommen vom 18. September – rund eine Woche später, am 26. September 1933, sahen sich die Diplomaten im Auswärtigen Amt gezwungen, sich »mit einem Finanzprojekt zu befassen, das außerhalb jeglicher Grenzen ihres Vorstellungsvermögens lag«.184 Mit Wissen Rauschnings legte der Präsident der Bank von Danzig, Schaefer, der Reichsregierung einen Plan vor, der ganz auf der Linie von Rauschnings Ideen hinsichtlich einer deutsch-polnischen Verständigungspolitik lag und den Transfer von Gold und ausländischer Valuta im Wert von etwa 25 Millionen Gulden von der Bank von Danzig auf die Bank von Polen vorsah, um die polnische Währung zu stützen, die nahe vor dem Kollaps stand. Man rechnete in Danzig zwar durchaus mit wirtschaftlichen Zugeständnissen Warschaus, aber dies doch von bislang ungewohnter Warte aus: Danzig wolle unter der neuen Regierung nicht mehr länger die »offene Wunde« am Körper der deutschen Politik sein, zumal eine rasche Lösung des Korridor-Problems nicht abzusehen sei. Der Korridor müsse seit Kurzem tatsächlich der »Zement« und nicht mehr länger ein Keil zwischen Polen und dem Reich genannt werden. Die jüngst geschlossenen Vereinbarungen bezeichneten nur den Anfang eines Weges, an dessen Ende Danzig, so wie in vergangenen Jahrhunderten, wieder zu Polens Wirtschaft zurückfinden werde.185 Die Metapher vom Korridor als »Zement« zwischen dem Reich und Polen stieß im Auswärtigen Amt erwartungsgemäß auf Ablehnung, wodurch sich Rauschning jedoch nicht irritieren ließ. Er holte sich Hitlers Rückendeckung für eine Politik, die auf allen Feldern zu einem Ausgleich mit Polen führen sollte, solange deutsche Interessen und der deutsche Charakter Danzigs dadurch nicht bedroht waren. Davon aber, so Rauschning, könne hinsichtlich seiner bisherigen Politik keine Rede sein. Da er in seinen Handlungen durch Hitler autorisiert sei, trage er allein die Verantwortung, und zwar unabhängig davon, was das Auswärtige Amt darüber denke.186 Kein Déjà-vu: die neue Senatspolitik gegenüber Polen 

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Rauschning hatte sich das grüne Licht Hitlers für sein Vorgehen gegenüber Polen anlässlich eines Gesprächs mit dem Reichskanzler geben lassen, das er auf dem Rückweg von der Völkerbundsitzung in Genf in Berlin geführt hatte. In dem nach seinem Bruch mit Hitler verfassten Werk Die Revolution des Nihilismus referiert der Verfasser ausgiebig die angeblichen Inhalte seiner Unterredung mit Hitler, indessen findet sich dort kein Wort über die geplante Finanztransaktion mit der Bank Polski. Stattdessen gewinnt der Leser den Eindruck, dass ein anderes Ereignis die Unterredung eindeutig dominiert habe: der soeben, am 14. Oktober, erfolgte Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, dessen Zeuge Rauschning vor Ort in Genf wurde. Glaubt man Rauschnings Ausführungen in diesem Buch, könnte hier eine wichtige Bruchstelle in seinem Verhältnis zu Hitler und dem Nationalsozialismus gelegen haben. Seitenlang lässt sich Rauschning über die Bedeutung des Austritts für die internationale Politik aus. »Seit diesem Ereignis«, schrieb Rauschning, mußte der Tieferblickende sich klar sein, daß das nationalsozialistische Deutschland eine friedliche, evolutionäre Lösung seiner Probleme n i c h t wünschte … Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund trägt bis ins Detail den persönlichen Stempel des nationalsozialistischen Führers … Nicht der Zerstörung der Vertragsfront von Versailles galt dieser frontale Angriff, sondern dem Nachweis der Irrealität des Rechts und jeder Vertragsgrundlage überhaupt in den Beziehungen der Nationen zu einander. Die biologisch begründete Politik brach in den Kreis des Rechtes ein, der »Kampf ums Dasein« löste die Verträge ab.187

Ein weiteres Gesprächsthema der Unterredung mit Hitler fand in der Wiedergabe in der Revolution des Nihilismus keine Erwähnung: Erstmals beklagte sich Rauschning bei dieser Gelegenheit gegenüber Hitler über »die Schwierigkeiten«, die ihm in Ausübung seines Amtes in Danzig seitens der »lokalen SA, SS und auch durch den Gauleiter Forster immer wieder gemacht würden und die eine Gefährdung der Autorität der Danziger Regierung sowie ihrer Bestrebungen, zu einem Ausgleich mit Polen zu kommen, darstellten«. Der Gesprächsaufzeichnung durch Reichsminister von Neurath vom Auswärtigen Amt zufolge verwies »der Kanzler Herrn Rauschning deswegen an den Stabschef Röhm, der von ihm Weisungen erhalten werde«. Nach diesem Dokument war es Rauschning, der »dem Kanzler endlich noch ein Zusammentreffen zwischen ihm und Pilsudski« vorschlug. »Der Reichskanzler lehnte den Gedanken 76

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nicht vollständig ab«, hieß es in der Aufzeichnung von Neuraths, er habe jedoch gemeint, »die Angelegenheit müßte gut vorbereitet werden, jedenfalls käme ein Zusammentreffen zwischen ihm und Pilsudski in Danzig, wie dies Herr Rauschning vorgeschlagen hätte, nicht in Betracht.«188 Bei Rauschning liest sich der Abschluss der Unterredung hingegen so: »Der Parteiführer wiederholte daher seinen mir schon früher übermittelten Wunsch nach einer persönlichen Aussprache mit dem polnischen Marschall Pilsudski.«189 Unmittelbar nach dieser Unterredung kam es im Preußischen Herrenhaus nach Rauschnings Angaben zu einer »geheimen Führerversammlung der leitenden nationalsozialistischen Persönlichkeiten«, an der auch er teilnahm. In einem Brief aus den USA an den damals noch bedeutungslosen Studenten Richard Breyer in Göttingen vom 1. Oktober 1951 gestand Rauschning, dass dieses Treffen der »Ausgangspunkt« dafür gewesen sei, dass er zu erkennen begonnen habe, dass Hitlers Polenpolitik rein taktischer Natur gewesen sei. In den »leidenschaftlichsten Ausdrücken« habe Hitler bei dieser Gelegenheit immer wieder betont, dass er angesichts der militärischen Schwäche Deutschlands bereit sei, »jedes Bündnis zu schließen, jede feierliche Versicherung seiner friedlichen Absichten« abzuliefern, die notwendig sei, ihm die »notwendige Atempause zu verschaffen«. Rauschning weiter: Er machte es für jeden Hörer klar, daß er solche Abmachungen und Versicherungen nur als augenblickliche Maßnahmen betrachtete und sich vorbehielt, seine eigentlichen Absichten und Ziele erst später anzumelden und in Angriff zu nehmen. Jeder Zuhörer mußte glauben, daß auch die beginnende deutsch-polnische Verständigung damals zu diesen, lediglich taktischen Wert besitzenden Mitteln gehörte.190

Rivalität zwischen Partei und Staat an der Mottlau Nicht einmal ein halbes Jahr war seit der Vereidigung des Senats Rauschning vergangen, da drohte Rauschning dem Konsul des Deutschen Konsulats in Danzig, Koester, mit seinem Rücktritt. Eine Aufzeichnung Koesters für den Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Richard Meyer, vom 5. Dezember referierte Details eines »Konflikts« zwischen dem »Herrn Gauleiter Staatsrat Forster« und »Senatspräsident Rauschning«, von dem der Konsul »vertraulich Kenntnis« Rivalität zwischen Partei und Staat an der Mottlau 

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erhalten habe.191 Bereits »seit längerer Zeit« sei es zwischen dem Senat und der »hiesigen Gauleitung zu Meinungsverschiedenheiten in manchen Fragen gekommen, die jedoch durch Einlenken von der einen oder anderen Seite haben bereinigt werden können«. Koester schilderte sodann als Ursache des Konflikts geradezu lehrbuchhaft jene von Ernst Fraenkel analysierte Dualität192 und Rivalität zwischen Partei und Staat im »Dritten Reich«, hier: zwischen dem Danziger Senat als dem zentralen staatlichen Exekutivorgan mit zusätzlicher Verantwortung gegenüber dem Völkerbund einerseits und der NSDAP-Gauleitung unter Forster mit seiner letztlichen Verantwortung Hitler gegenüber andrerseits. Die aus der Dualität resultierenden »Schwierigkeiten« seien »nunmehr akut« geworden, so ­Koester, weil Rauschning sich weigere, eine von Forster geforderte »Hauptwirtschaftskammer« gesetzlich auf den Weg zu bringen. Zusätzlich habe Rauschning über fehlende »erforderliche Bewegungsfreiheit« insbesondere bei personellen Fragen geklagt, die ihn »vor den schweren Entschluß« gestellt habe, sein Amt niederzulegen, »ehe sich etwa von außen her eine Zwangslage« ergebe. Forster seinerseits habe sich ihm, Koester gegenüber, geweigert, »seinen gradlinigen Weg, der ihn bei dem Aufbau der Partei zum Erfolg geführt« habe, »aufzugeben«. Koester sah keine Möglichkeit, die Lage »durch Kompromisse« zu bereinigen, zumal »keiner der beiden Herren« dazu bereit sei. Im weiteren Verlauf seiner Aufzeichnung argumentierte Koester insgesamt so, dass er dafür plädierte, Rauschning den Rücken zu stärken, und dies vor allem mit Blick auf polnischen Argwohn bezüglich der robusten Gangart Forsters. Man brauche einen starken Rauschning in den schwebenden Wirtschaftsverhandlungen mit Warschau, insbesondere angesichts der »letzten polnischen Verordnung über eine Sperre der Danziger Lebensmitteleinfuhr nach Polen«, welche eine beachtliche »Verschärfung« der Verhandlungen bewirkt hätte. Aus den genannten Gründen bat Koester Rauschning, seine jetzige Stellung »nicht aufzugeben«, was Rauschning unter der Bedingung zusagte, dass »er von ihn bindenden gauparteilichen Anordnungen befreit würde«.193 Das aber bedeutete, so Koester, dass Rauschning, »solange er Senatspräsident« sei, die »Gauleitung zeitweilig übertragen« würde – ein Gedanke, dem gegenüber sich »Gauleiter Forster bisher strikt ablehnend verhalten« habe. Den »einzigen Ausweg« erkannte der Konsul in der Übernahme der Geschäfte Rauschnings durch Forster, doch halte er den Zeitpunkt für einen »derartigen Wechsel« vor allem mit dem Blick auf die Wirtschaftsverhandlungen mit Polen »für höchst ungeeignet und nachteilig«. Andrer78

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seits dürften »die Dinge« nicht so »weitertreiben wie bisher«, da sonst »mit schweren Reibungen in dem Funktionieren der Staatsmaschine zu rechnen« sei. Es habe nicht verhindert werden können, fuhr Koester fort, dass »die Divergenzen zwischen Senatspräsident und Gauleiter bereits in hiesigen Kreisen bekannt geworden« seien und »Spaltungen innerhalb der Behörden des Senats und der Partei« drohten.194 Schenkt man den Erinnerungen von Anna Rauschning Glauben, könnte dem Dissens zwischen ihrem Mann und Forster zumindest teilweise auch die private Lebensführung der Rauschnings zu Grunde gelegen haben. In ihrem Buch widmet die Gattin des Ex-Senatspräsidenten einer Meinungsverschiedenheit der Eheleute darüber recht breiten Raum, ob ihre Töchter seinerzeit zu den Abenden des »Bundes Deutscher Mädel« (BDM) gehen sollten. Die Mädchen verspürten dazu offenbar wenig Neigung, was zu Nachfragen seitens der örtlichen BDM-Leitung führte. Während die Mutter Verständnis für das renitente Verhalten ihrer Töchter zeigte, machte Hermann Rauschning auf seine schwierige Lage als nationalsozialistischer Senatspräsident aufmerksam, von dessen Töchtern die Parteiführung vorbildliches Verhalten erwartete. In den Danziger Parteikreisen dürfte dieser Konflikt ebenso Gesprächsstoff gebildet haben wie Anna Rauschnings Weigerung, eine Kontrolle bei der Zubereitung des von der NSDAP angeordneten sonntäglichen Eintopfessens in ihrer Küche zu gestatten.195 Die Partei reagierte umgehend auf Koesters Warnung. Bereits drei Tage nachdem dieser in Danzig seine Aufzeichnung für Meyer verfasst hatte, konnte Hermann Rauschning in Berlin eine Vierpunktevereinbarung mit dem Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, erzielen, deren inhaltliche Richtigkeit von Ministerialdirektor Meyer in einer Notiz bestätigt wurde.196 Die mit dem Namen Rauschnings unterzeichnete Vereinbarung versuchte die Zuständigkeiten von Partei und Senat in Danzig festzulegen, sie trug in sich aber bereits Zeichen kommenden Zwistes. Punkt eins formulierte noch eindeutig, dass »die Gesamtpolitik des Senats entsprechend dem Führerprinzip dem Senatspräsidenten« unterstehe. Auch Punkt zwei stellte noch einigermaßen unzweideutig fest: »Der Gauleiter und Faktoren der Partei haben unmittelbares Eingreifen in Akte der Verwaltung und in einzelne Zweige der Verwaltung zu unterlassen.« Punkt drei kassierte bereits wieder die vorherigen Festlegungen, indem er klarstellte: »Für die gesamte Innen- und Außenpolitik ist der Senatspräsident dem VerRivalität zwischen Partei und Staat an der Mottlau 

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treter der Bewegung, Gauleiter Forster, verantwortlich.« Bei Differenzen sollte Rudolf Heß entscheiden. Punkt vier schien wiederum Rauschning entgegenzukommen: »Über Maßnahmen, die von Parteiorganisationen veranlasst werden und die Befugnisse der Regierung innen- wie außenpolitisch berühren, ist jeweils das Einvernehmen mit dem Präsidenten des Senats vorher herbeizuführen.« Meyer notierte zu dieser Vereinbarung erleichert, dass es sich nun erübrige, die »Angelegenheit im Kabinett zur Sprache zu bringen«. Allenfalls solle »Herrn Heß gegenüber Genugtuung über die Vereinbarung erwähnt und dabei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht werden, daß keinerlei Reibungen mehr in Danzig auftreten werden«.197 Und »Reibungen« hatte es bis dahin reichlich gegeben. Die Ersten entzündeten sich inmitten der neuen Regierung, weil das katholische Zentrum mit seinen Senatsmitgliedern Sawatzki und Wiercinski-Keiser den Nationalsozialisten von Anfang an ein Dorn im Auge war, auch wenn Gauleiter Forster selber der katholischen Kirche angehörte und im Mai 1934 in Danzig-Langfuhr kirchlich heiratete. Aber auch innerhalb der Danziger Zentrumspartei war die Beteiligung am nationalsozialistisch dominierten Senat Rauschning umstritten, sodass eine Spaltung des Zentrums im Bereich des Möglichen lag. In der Freien Stadt entzündete sich der offene Konflikt an den überaus aktiven katholischen Laienvereinigungen,198 wie etwa der Katholischen Pfarrjugend, die grüne Uniformen trug, Fanfarenzüge besaß und ein reges Freizeitangebot unterhielt. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus an der Mottlau wuchs auch die Zahl der in der Hitlerjugend organisierten Jugendlichen. Dann, nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten, dominierten die »Braunhemden« durch Zahl und kämpferische Töne die Szene. Das unter Rauschning ausgesprochene Uniformverbot trug zur Marginalisierung der organisierten katholischen Jugend schließlich ebenso bei wie die Auflage, nur bei rein kirchlichen Veranstaltungen auftreten zu dürfen. In dieser Situation lag die Spaltung des Zentrums in der Luft: Der Leiter des Landesverbandes der Windthorstbünde und andere katholische Jugendführer bekannten sich fortab zum Nationalsozialismus, Mitte September 1933 beendete die Zentrumsfraktion ihre Mitarbeit in der Regierung Rauschning. Mit dem Parteiaustritt von Wiercinski-Keiser verlor das Zentrum auch sein publizistisches Organ, die Danziger Landeszeitung, die nun mit der NS-Presse gleichgeschaltet wurde. Dennoch blieb das Zentrum in Danzig eine politische Kraft – im Gegensatz zum Reich, wo es sich nach 80

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Hitlers erstem diplomatischem Erfolg, dem Abschluss des Konkordats mit dem Vatikan am 20. Juli 1933, selber aufgelöst hatte. Mit Zähigkeit kämpfte die katholische Kirche in der Freien Stadt um ihre Position. Das Bistum Danzig reichte beim Völkerbund in Genf eine Petition zu Gunsten der örtlichen katholischen Jugend ein, mit dem Erfolg, dass Polizeipräsident Froböß die erlassenen Einschränkungen wieder aufheben musste.199 Hermann Rauschning war der Zwist mit dem Zentrum vor allem eines: lästig in seinem Bemühen, zunächst das Verhältnis Danzigs zu Polen zu verbessern. Als Anfang November Paul Weiß namens der Zentrumspartei eine Beschwerde über die Behandlung und Einstellung von Parteimitgliedern in Betrieben und Behörden an den Senat richtete, nutzte Rauschning diese von ihm als »schwere Disziplinlosigkeit« gewertete Aktion Weiß’ für den Abbruch seiner Beziehungen zu den Vorstandsmitgliedern des Zentrums. Am 6. November, inmitten der Entspannungsphase im Verhältnis Danzigs zu Polen, informierte er Gauleiter Forster darüber, dass er »einen scharfen Konflikt mit der Zentrumspartei wenigstens vorläufig vermeiden« wolle.200 Forster seinerseits hatte zuweilen Probleme, die Heißsporne in der Partei unter Kontrolle zu halten. Publizistischen Wirbel verursachte die Attacke einer Gruppe von SA-Leuten auf einen prominenten polnischen Geschäftsmann in der Stadt, der sich geweigert hatte, eine vorbeigetragene Hakenkreuzfahne angemessen zu grüßen. Im Danziger Vorposten drohte Forster jenen Parteimitgliedern mit Disziplinarmaßnahmen, die den offiziellen Wunsch nach »Frieden und Verständigung mit Polen« torpedierten.201 Auch in der Senatsverwaltung gab es Unmut. Arthur Greiser legte sich im Januar 1934 in seiner Eigenschaft als Senatsvizepräsident mit ihm unterstellten Beamten in Zoppot, Tiegenhof und Neuteich an, denen er unter Androhung von Sanktionen strikt untersagte, in dienstlichen Angelegenheiten »über seinen Kopf hinweg, schriftlich oder mündlich« direkten Kontakt zu Rauschning aufzunehmen. Alles müsse zunächst auf seinen Tisch, dann entscheide er darüber, was sein Vorgesetzter davon zu sehen bekomme.202 Im Verhältnis zur polnischen Bevölkerung Danzigs forderte Greiser eine politische Richtung, die deren Einfluss streng markieren sollte. Im April beschwerte er sich bei Rauschning darüber, dass polnische Firmen und polnische Organisationen auf dem Gebiet des Freistaats offensichtlich Polen bei der Stellenvergabe bevorzugten bzw. solche Firmen bedrohten, die Personen polnischer Nationalität nicht berücksichtigten. Das, so Rivalität zwischen Partei und Staat an der Mottlau 

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Greiser gegenüber Rauschning, sei eine Verletzung der vorgeschriebenen Verfahrensweise, indem das staatliche Arbeitsamt umgangen werde. Der Ausgang dieses Vorstoßes von Greiser ist nicht bekannt, doch regte der Senatsvizepräsident bei Rauschning einen Polizeieinsatz sowie die Inhaftierung von Beteiligten an.203

Die Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung Im Verhältnis zur jüdischen Minderheit in Danzig verfolgte Rauschning zu Beginn seiner insgesamt überschaubaren Amtszeit als Senatspräsident eine eher zurückhaltende Politik, die zweifellos seinem begrenzten Interesse am Antisemistismus, wohl aber auch einer »Taktik« geschuldet war, die darauf abzielte, alles zu tun, um politische und vor allem wirtschaftliche Schäden von Danzig abzuwenden. Die direkte Anwendung reichsdeutscher antijüdischer Gesetzgebung war nach der Danziger Verfassung ohnehin nicht möglich, wie selbst die Pressestelle des Danziger Senats nach einem Treffen des Stellvertreters Rauschnings, Arthur Greiser, mit den jüdischen Rechtsanwälten Walter Gerson und Bernhard Rosenbaum am 21. August 1933 mitteilte.204 Rauschning war die große Bedeutung der jüdischen Kaufleute im Danziger Getreide- und Holzexport und damit ihr Einfluss auf das Wirtschaftsleben in der Freien Stadt vollauf bewusst.205 Und selbst Forster, ansonsten durchaus ein antisemitischer Scharfmacher, schrieb noch rund drei Wochen vor den Volkstagswahlen vom Mai 1933 »vertraulich« an alle Untergliederungen seines Gaus, dass »jedes verfrühte Handeln« gegenüber den Danziger Juden unbedingt zu unterbleiben habe; Danzig stehe »im Brennpunkt Europas«, es seien »Unbesonnenheiten zu vermeiden«. Zugleich sprach er in dem Schreiben von dem »schäbigen Judenpack« in Danzig, für das es langfristig nur diese Konsequenz gebe: »Die Pest muß raus.«206 Ganz im Sinne seiner Politik, der wirtschaftlichen Gesundung Danzigs auf die Beine zu helfen, suchte Rauschning die Unterstützung des Hafenrates Karl Bernhard Zipper anlässlich des Besuchs der Polnischen Delegation des Danziger Hafenausschusses beim 18. Zionistenkongress in Prag, der vom 21. August bis zum 4. September 1933 tagte. Zipper gehörte dieser Delegation an. Nach Beratungen in der Danziger jüdischen Gemeinde übernahmen Zipper und Rechtsanwalt Rosenbaum die ihnen von Rausch82

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ning übertragene Aufgabe, auf dem Kongress eine Resolution zu verhindern, die zum Boykott des Danziger Hafens aufrufen sollte. Viele Vertreter auf dem Kongress waren der Überzeugung, ein Boykott des Hafens träfe die Nationalsozialisten in Danzig hart, womit sie vermutlich Recht hatten. Zipper und Rosenbaum gelang es schließlich unter Mühen, die entsprechende Resolution zu Fall zu bringen.207 Während Rauschning auf der Regierungsebene von antijüdischen Maßnahmen weitgehend absah, ermunterte Gauleiter Forster die Anhänger seiner Partei zu ebensolchen Aktionen, auch wenn er noch kurz vor der Volkstagswahl gemeinsam mit Rauschning gegenüber dem Hohen Kommissar des Völkerbunds in der Stadt, Helmer Rosting, seine Treue zur Danziger Verfassung beteuert hatte. Bald nach der Wahl erklärte Forster, dass er sich für die Rückkehr Danzigs zum Reich einsetzen werde. Und als am 20. und 21. Juni zu Ehren der neuen Regierung Umzüge der nationalsozialistischen Formationen stattfanden, wurde wieder das alte Pogromlied angestimmt: »Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht es noch mal so gut«. Unter Berufung auf Rauschnings öffentliche Erklärung vom 29. Mai, also dem Tag nach dem nationalsozialistischen Wahlsieg, wonach die neue Regierung bestehende Verträge sowie die Verfassung respektieren werde, richtete der Vorstand der Danziger Synagogen-­Gemeinde eine entsprechende Beschwerde und die Forderung nach künftiger Unterlassung derartiger Provokationen an den Senat, auf die jedoch eine Antwort ausblieb.208 Am 22. Juni 1934 wandte sich der Vorstand der jüdischen Gemeinde an den Senatspräsidenten mit der Bitte um eine Unterredung, in der es um ein angeblich bevorstehendes Schächtverbot, den Ehrenschutz und den wirtschaftlichen Boykott der Juden in Danzig gehen sollte. Das Gespräch zu diesen Punkten fand dann am 2. Juli statt. Rauschning versprach dabei, zu Schächtverbot und Ehrenschutz »noch Stellung zu nehmen, während er auf die Boykottfrage nicht einging«. Am selben Tag veröffentlichte der Senatspräsident folgende Erklärung: Wiederholt sind Befürchungen laut geworden wegen der Behandlung besonders der jüdischen Bevölkerung hinsichtlich ihrer Abstammung und ihres Glaubens. Derartige Befürchtungen sind völlig unbegründet. Denn die Verfassung der Freien Stadt Danzig schließt es aus, daß ihre Bewohner wegen ihrer Abstammung und ihres Glaubens in ihren Rechten irgendwie beeinträchtigt werden. Insbesondere sind Maßnahmen des wirtschaftlichen Boykotts unmöglich, da die Regierung jedem Bürger der Freien Stadt Die Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung 

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Danzig die sichere Gewähr seiner verfassungsmäßigen Rechte bietet. Die Regierung will – und weiß sich darin in Übereinstimmung mit der gesamten Bevölkerung – in den Schranken der gesetzlichen Ordnung einen lauteren wirtschaftlichen Wettbewerb, in dem allein die sachliche Leistung entscheidet und wird alle gesetzlichen Mittel einsetzen, um dieser ihrer Auffassung Geltung zu verschaffen.209

Der jüdische Gemeindevorstand erkannte natürlich, dass zwischen Worten und Taten der Regierung Widersprüche bestanden, und deutete die Erklärung Rauschnings vor allem als »Mahnung an die Adresse seiner Partei«, ihre Aktivität im Rahmen der Verfassung zu gestalten. Das Organ der NSDAP an der Mottlau, Der Danziger Vorposten, kommentierte Rauschnings Erklärung vom 2. Juli wie folgt: »Danzig hat durch den Mund des Senatspräsidenten den Juden zu verstehen gegeben, daß wir bereit sind, sie als vollberechtigt zu dulden, wenn sie sich anständig benehmen, was wir mit Recht von jedem verlangen, der sich in Danzig aufhält und betätigt.«210 Rauschning trat daraufhin am 27. Juli »die Flucht nach vorn an« und gab zu, dass er auf den Vorposten keinen Einfluss habe, dass er aber verschiedene Vorfälle bedaure und Abhilfe schaffen wolle. Nach Mitteilung des Senats vom 25. August 1934 arbeitete die Regierung an den Beschwerden und sagte zu, in den neuen Wirtschaftsrat auch »jüdische Kreise« aufnehmen zu wollen. Als dann tatsächlich nur der jüdische Getreideexporteur Leo Anker in das Gremium berufen wurde, entschloss sich der Gemeindevorstand, eine Persönlichkeit von außerhalb Danzigs einzuladen, mit der Bitte, sich über die Lage der Juden in der Stadt zu informieren. Die Aufgabe übernahm Neville Laski in seiner Eigenschaft als Präsident des »Board of Deputies of British Jews« und des »Joint Foreign Committee«, welches sich mit der Unterstützung und Förderung der nichtbritischen Juden befasste.211 Das Ergebnis des Besuchs von Laski in Danzig seit dem 26. August war eine Unterredung des neuen Hohen Kommissars Sean Lester mit Rauschning, in der Lester mit Nachdruck darauf drang, dass in der Freien Stadt »das nationalsozialistische Ideal eines totalitären Staates mit der Danziger Verfassung unvereinbar sei und daß die Identität von Partei und Staat nicht verwirrt werden dürfe«. Unter dem Datum des 30. August richtete Lester an Rauschning ein Schreiben dieses Inhalts, von dem in der jüdischen Gemeinde Danzigs angenommen wurde, dass Rauschning selber es von dem Hohen Kommissar erbeten hatte, um seine Position gegenüber Forster zu stärken. Für diese Annahme sprach auch der Umstand, dass der Brief noch vor seiner Bekanntgabe im Senat seitens des deutschen General84

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konsulats in Danzig an das Auswärtige Amt in Berlin weitergegeben worden war, mit der Bitte »um vertrauliche Behandlung gegebenfalls auch Danziger Herren gegenüber«212. Nicht so sehr mittels gesetzlicher Maßnahmen, doch durchaus wirksam mit Hilfe terroristischen Drucks wurde den Danziger Juden zugesetzt – und dies auf allen Lebensgebieten. Die jüdischen Vorstandsmitglieder der Berufsverbände, etwa der der Rechtsanwälte, Apotheker und anderer Berufsorganisationen, wurden einfach aus ihren Ämtern herausgewählt. Ähnlich wurde wenig später bei den öffentlich-rechtlichen Berufskörperschaften verfahren, etwa bei der Anwalts-, Handels- sowie der Ärztekammer. Gleichzeitig wurde auf diejenigen Danziger, die Mitglieder von NS-Organisationen geworden waren oder es hatten werden müssen, ein ständiger Druck ausgeübt, die Hilfe jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte usw. nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Jüdische Kinder sahen sich von ihren nationalsozialistisch indoktrinierten Mitschülern beschimpft und schikaniert. Und selbst solche Lehrer, die mit den jüdischen Kindern sympathisierten, wagten aus Angst vor Repressalien meist nicht, zu ihrer Einstellung zu stehen. In gewissen Abständen wurden jüdische Arbeiter und Angestellte entlassen. Nur die in jüdischer Hand befindlichen Import- und Exportfirmen blieben wegen ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung für Danzig in den Jahren 1933 bis 1935 und zum großen Teil auch noch 1936 verschont, wie Ernst Sodeikat berichtet.213 Durch die Privatinitiative von Rechtsanwalt Bernhard Rosenbaum wurde eine höhere jüdische Schule gegründet, nachdem zuvor der Senat die Schaffung einer jüdischen Volksschule gebilligt hatte. Mit diesen Neugründungen versuchten jüdische Eltern ihren Kindern die tagtäglichen Schikanen ihrer Mitschüler zu ersparen. Jüdische Lehrkräfte öffentlicher Schulen wurden für die Neugründungen freigestellt. Auch eine »arische« Lehrerin, die nach nationalsozialistischer Auffassung wegen ihrer demokratischen Gesinnung an Danzigs öffentlichen Schulen nicht tragbar war, gelangte an die neue jüdische höhere Schule.214 Im Danziger Alltag wirkte sich die Drangsalierung etwa so aus, wie die Danziger Volksstimme es am 24. Oktober 1933 berichtete: Dem »Jüdischen Gemeindeblatt« entnehmen wir: »Ein Gemeindemitglied wollte in der Geschäftsstelle der ›Danziger Neuesten Nachrichten‹ ein Inserat des Inhalts aufgeben, dass ein möbliertes Zimmer für eine jüdische Dame gesucht werde. Dieser Wortlaut wurde gewählt, um nur solche Vermieter zu einem Angebot zu veranlassen, Die Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung 

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denen ein Jude als Mieter genehm ist. Die Zeitung lehnte es jedoch ab, das Inserat mit diesem Wortlaut aufzunehmen, da ihr hieraus Schwierigkeiten gegenüber solchen Zeitungen erwachsen könnten, die grundsätzlich die Inserate von Juden nicht aufnehmen.«215

Um dem Ausschluss der Danziger Juden aus dem öffentlichen Kulturleben zu begegnen, hatte bereits Ende 1933 Senatsrat Ernst Berent, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Synagogen-Gemeinde war, einen »Kulturbund der Juden in Danzig« gegründet. In ihm wirkten und ihm gehörten sowohl alteingesessene Juden als auch sogenannte Ostjuden an, deren Zahl in Danzig seit der russischen Oktoberrevolution stark angestiegen war. Beide Gruppen bildeten die Danziger Gemeinde. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die im Kulturbund Vorträge hielt, war Martin Buber.216 Überblickt man Rauschnings Umgang mit den Juden während seiner Amtszeit, drängt sich der Eindruck auf, dass ihm die Hetze gegen die Juden, die vor allem von Forster ausging, eher störend und unangenehm war. Er war eher der Getriebene als der Treiber bei den antijüdischen Umtrieben in der Freien Stadt, er versuchte zu beschwichtigen und die Austragung von Konflikten mit der jüdischen Gemeinde zu vertagen. Als Vertreter der Gemeinde ihm am 27. Oktober 1933 Beschwerden mannigfacher Art vortrugen, »bat er um Geduld und Vertrauen in seinen guten Willen«. Und dann führte er einen Aspekt an, der einmal mehr bezeichnend war in seiner Haltung gegenüber radikalen Elementen in seiner Partei. Es bedürfe, teilte er den jüdischen Beschwerdeführern mit, »einer Erziehungsarbeit in der eigenen Partei. Er hoffe, dass sich im Laufe der Zeit die Dinge ändern würden, andernfalls würde er persönlich die Verantwortung für die Staatsgeschäfte nicht mehr tragen.«217 Diese Argumentationsfigur, die »Anderen« mit der Zeit auf seine Linie zu bringen, ist uns schon bei dem Problem des Rabaukentums einiger Danziger Nationalsozialisten zum Zeitpunkt des Eintritts von Rauschning in die Partei begegnet; sie sollte Jahre später in anderem Gewand wieder auftauchen bei dem Versuch des ehemaligen Senatspräsidenten, in der Bundesrepublik Deutschland Fuß zu fassen.

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Weitere Felder der Danziger Innenpolitik Auf anderen Gebieten der Danziger Innenpolitik machte sich der nationalsozialistische Machtanspruch deutlich bemerkbar und hatte dabei zuweilen mit Widerspruch zu rechnen. Im Sport als einem Teil des Kulturlebens handelte sich der von Rauschning geführte Senat eine Beschwerde der Sozialistischen Arbeiter-SportInternationale beim Generalsekretär des Völkerbundes in Genf ein. Unter dem Datum des 15. Januar 1934 übersandte die in Wien ansässige Internationale dem Generalsekretariat eine Denkschrift über die »Ausschaltung der Arbeiter-, Kultur- und Sportvereine aus der Staatsgemeinschaft der Freien Stadt Danzig«218. Darin beklagten die »Danziger Arbeitersportverbände« ihre Ausschaltung aus dem sportlichen Leben der Freien Stadt, die sie als eklatanten Verstoß gegen die Danziger Verfassung brandmarkten. Sportplätze und Turnhallen würden ihnen nicht mehr zur Verfügung gestellt und Vereinsgelder vereinzelt gesetzeswidrig eingezogen. Allenfalls im Wege der »freiwilligen« Selbstgleichschaltung sei es möglich, wie etwa im Falle des »Buchdruckergesangsvereines«, die Nutzung einer Schulaula durchzusetzen. Gegen Ende der Denkschrift hieß es: »Die Ausgestoßenen haben es auch abgelehnt, die in Danzig tausendfach benutzte Rolle eines Heuchlers zu spielen. Die Mitglieder der Arbeiter-Sportvereine erwarten, daß das Recht siegen möge.«219 Auch im Umgang der Nationalsozialisten mit der Danziger Presselandschaft kam es zu Reibereien zwischen Parteiaktivismus und dem Bemühen des Senats, verfassungstreue Politik zu betreiben. Am 3. November 1933 erließ Polizeipräsident Froböß, der, obwohl immer noch Zentrumsmann, nach Meinung vieler Danziger die Welt durch eine »braune Brille« betrachtete, ein zeitlich befristetes Verbot der oppositionellen Danziger Volksstimme – für zwei Monate – sowie der zentrumsnahen Danziger Landeszeitung – für acht Tage. Anlass waren Artikel in beiden Blättern vom Vortag, in denen über eine Rede des Senatsvizepräsidenten Greiser vor Polizeibeamten berichtet worden war. Demnach hatte Greiser in seinem Vortrag behauptet, dass es den Polizeibeamten nicht gestattet sei, andere als nationalsozialistische Auffassungen zu vertreten, und dass sie ferner entschlossen gegen anders denkende Mitbürger auftreten müssten. Dies war eine klare Verletzung der Danziger Verfassung, zu der eine weitere hinzukam, als gegen den Geschäftsführer der Danziger Volksstimme, Anton Fooken, und gegen den Chefredakteur der Landeszeitung, Weitere Felder der Danziger Innenpolitik

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Heinrich Teipel, eine dreiwöchige Schutzhaft verhängt wurde.220 Gegenüber Helmer Rosting begründete Arthur Greiser das Verbot der sozialdemokratischen Danziger Volksstimme mit einer »Kette von Artikeln« des Blattes, »welche alle die Handlungen der Regierungen in Mißkredit zu bringen suchen«. Zwei weitere oppositionelle Journalisten wurden noch verhaftet, weil sie bei Rosting Berufung gegen das Verbot der Danziger Volksstimme eingelegt hatten. Polizeipräsident Froböß rechtfertigte diesen Schritt mit einer »staatsgefährdenden Tätigkeit« der Beschuldigten. Seitens des Rechtsanwaltes Kamnitzer wurde in einem Schriftsatz an den Senat die Begründung der Schutzhaft in diesem Fall angezweifelt, weil sie dem Wesen des Petitionsrechtes widerspreche. Im Auswärtigen Amt erkannte man in Hermann Rauschning denjenigen, der als Senatspräsident für den dort so genannten »Pressekonflikt« in Danzig verantwortlich zeichnete. Man erwarte von Rauschning, so Konsul Koester an Ministerialdirektor Meyer am 5. Dezember 1933, dass er »persönlich die von ihm ergriffenen Schritte« vor der Ratstagung des Völkerbundes in Genf im kommenden Januar rechtfertige.221 Die Angelegenheit um die vier Journalisten wurde nach ausführlichen Diskussionen bei den Genfer Verhandlungen im Januar 1934 niedergeschlagen. Der Berichterstatter für Danzig beim Völkerbund, der Brite Sir John Simon, leitete die Debatten, und am Ende wurde deutlich, dass man in Genf dem Senatspräsidenten ein gerüttelt Maß an persönlichem Vertrauen entgegenbrachte, ihn nicht zu sehr in die Defensive drängen wollte, um seine Schwierigkeiten innerhalb der Danziger NSDAP nicht noch zu verstärken.222 Und selbst die Danziger Staatsanwaltschaft äußerte Zweifel am Sinn der Strafverfolgung der Presseleute.223 Die Herausbildung der Rivalität zwischen Partei und Senat seit dem nationalsozialistischen Regierungsantritt im Juni 1933 führte mithin auch zu einer Verschiebung im Dreieck Danzig–Polen–Völkerbund. Der Pressekonflikt stellte den ersten Fall dar, bei dem sich der Rat des Völkerbundes mit internen Angelegenheiten Danzigs befassen musste. Nicht mehr zwischen Danzig und Polen schlichteten Helmer Rosting und seit Januar 1934 sein Nachfolger, der Ire Sean Lester, sondern sie hatten sich zunehmend mit Verfassungsbeschwerden der Danziger Opposition zu befassen.224

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Auf außenpolitischer Bühne Hermann Rauschning wird erleichtert gewesen sein, einmal aus dem Danziger Hexenkessel herauszukommen und seinem Lieblingsprojekt, der Verbesserung der Beziehungen zwischen Danzig und Polen, ein Glanzlicht aufsetzen zu können. Am 11. Dezember 1933 empfing ihn der polnische Marschall Pilsudski im Warschauer Palast Belweder. Der Besuch Rauschnings erfolgte zu einem günstigen Zeitpunkt, denn gut drei Wochen zuvor, am 16. November, hatte Hitler das Auswärtige Amt angewiesen, den Entwurf einer Erklärung zu verfassen, in der der Verzicht auf Krieg zwischen Deutschland und Polen fixiert werden sollte. Am Vortag hatte Hitler gegenüber dem neuen polnischen Gesandten in Berlin, Jozef Lipski, versichert, Polen brauche sich wegen des deutschen Austritts aus dem Völkerbund keine Sorgen zu machen, die Existenz des polnischen Staates sei selbstverständlich und es sei unsinnig wegen kleiner Grenzkorrekturen einen Krieg zu erwägen. Im Auswärtigen Amt war man über Hitlers Auftrag wenig erbaut, denn, so die dort vorherrschende Meinung, eine Gewaltverzichtserklärung gegenüber Polen werde allerorten als Abkehr vom Berliner Revisionismus verstanden werden und darüber hinaus schränke sie die deutsche Handlungsfreiheit auf Jahre ein. Dennoch übergab Botschafter von Moltke am 28. November Marschall Pilsudski im Beisein von Außenminister Beck in Warschau den von Hitler gewünschten Entwurf, den der Marschall grundsätzlich akzeptierte und zu prüfen versprach.225 Vor diesem Hintergrund betonte Rauschning nun am 11. Dezember gegenüber dem polnischen Staatschef den Wunsch Danzigs nach Vereinbarungen über den Import von Lebensmitteln und nach Entfernung polnischer Zollinspektoren. Danzig sei willens, mit der polnischen Finanzund Wirtschaftspolitik zu kooperieren, wenn nur der deutsche Charakter der Stadt respektiert würde. Pilsudskis Antwort umfasste u. a. Worte der Bewunderung für Hitler – er selber war 1926 durch einen Putsch an die Macht gekommen und hatte einen autoritären Staat geschaffen –, abzüglich einiger Vorbehalte hinsichtlich des rasanten Reformtempos im Reich. Er erklärte ein Treffen mit Hitler für wünschenswert, verwies aber zugleich auf zahlreiche »technische Schwierigkeiten« einer solchen Begegnung.226 In einer Erklärung, die Rauschning über die Begegnung mit Pilsudski abgab, tauchte auch das Projekt einer Transferierung von 25 Millionen Danziger Gulden auf die Bank Polski wieder auf, allerdings erst als vorletzter, fünfter Punkt mit diesem Wortlaut: »5. Abschluss einer WährungsAuf außenpolitischer Bühne

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freundschaft zwischen Danzig und Polen unter Abgabe von ca. 50 % der Devisendeckung der Danziger Währung in Verrechnung mit polnischen Zloty«.227 In einem ebenfalls am 11. Dezember geführten Gespräch mit dem polnischen Außenminister Beck erläuterte Rauschning laut Protokoll seine weitreichenden Ansichten hinsichtlich einer engeren Koopration in der Währungsfrage. Es hieß im Protokoll u. a.: »Auf diese Weise geriete der Danziger Gulden zwar in eine Abhängigkeit sui generis vom polnischen Zloty, doch ist sich Präsident Rauschning dessen bewusst, dass dies der rechtlichen und wirtschaftlichen Situation entspräche, die zwischen Polen und Danzig bestehe und vielleicht ließe sich so eine Evolution vorbereiten.« Aus der Antwort des Unterstaatssekretärs im polnischen Finanzministerium, Kozlowski, sprach Zurückhaltung: »In Valutaangelegenheiten müsse man mit enormer Vorsicht und in Etappen vorgehen«, im Übrigen sollten sich die Direktoren beider Zentralbanken mit dem Vorschlag befassen, anschließend müsse das polnische Schatzministerium dazu gehört werden. Zuvor hatte Rauschning gegenüber Minister Beck bereits einen anderen zukunftsweisenden Vorschlag hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Danzig und Polen gemacht. Er denke, so das polnische Protokoll, an eine gewisse Übergangszeit zur Anpassung, während der die »wirtschaftliche Sonderstruktur Danzigs durch Polen berücksichtigt würde« (im Original deutsch); dies aber bei prinzipieller Anerkennung dessen, dass die Konsequenz des gegenwärtigen Rechtszustandes à la longue eine Vereinheitlichung beider Wirtschaftsräume sein müsse.228 Insgesamt verließ Rauschning Warschau mit dem Eindruck, dass die polnische Seite zwar durchaus engere Beziehungen zu Deutschland wünsche, die verantwortlichen Politiker jedoch keine Eile hinsichtlich konkreter Schritte an den Tag zu legen bereit waren.229 Pilsudski seinerseits sah in Rauschning den Vertreter eines anderen Deutschland, einer neuen außenpolitischen Linie, die sich von derjenigen des Gesandten von Moltke als eines Repräsentanten des Weimarer revisionistischen Systems wohltuend unterschied. Hier bot sich Warschau erstmals die Möglichkeit, unabhängig von dem seit der »Westerplatte-Affäre« vom März entfremdeten Frankreich Außenpolitik mit einem der »Großen« in Europa zu machen. Zur Verbesserung der politischen Lage Polens trug im Übrigen auch der Umstand bei, dass sich seit dem Sommer 1933 das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau verschlechtert hatte: Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen waren gedrosselt und die militärische Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und 90

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Roter Armee eingestellt worden. Dass sich dennoch Hitlers Ziele hinsichtlich Polens von denjenigen Rauschnings unterschieden, konnte Pilsudski nicht sehen. Gegenüber dem bereits erwähnten Studenten Richard Breyer machte Rauschning nach dem Zweiten Weltkrieg einige nähere Angaben zu seiner »langen Unterredung« mit Pilsudski, »die geheim und persönlichen Charakters« gewesen und »nicht protokolliert« worden sei.230 In dem Gespräch sei ihm klar geworden, dass Marschall Pilsudski einen Krieg mit Sowjetrußland für unvermeidbar hielt, sowohl einen Konflikt Polens mit Rußland, wie einen Konflikt Deutschlands mit Rußland. Es war ein deutlicher Fühler nach einem Militärbündnis, und einer etwa möglichen gemeinsamen Aktion, die eine ganz neue Lage für die Bereinigung der eigentlich deutsch-polnischen Streitfragen, vor allem der Grenzfrage, geschaffen hätte.

Weiter erläuterte der ehemalige Senatspräsident den Umstand, dass Pilsudski ihn und nicht den Berliner Gesandten in Warschau, von Moltke, zu einer »solchen Fühlungnahme wählte«, damit, dass der Marschall den »Routine-Diplomaten« nicht getraut habe, insbesondere in puncto »Geheimhaltung oder der absichtlichen Missdeutung solcher delikaten Gedankengänge« wie jener über mögliche Kriegsszenarien. Die »Ideen des Marschalls als romantische Reminiszenzen seiner Vergangenheit zu interpretieren« (gemeint war der militärische Vorstoß Pilsudskis bis kurz vor Kiew nach dem Ersten Weltkrieg) schien Rauschning der »Ernsthaftigkeit nicht genügend Rechnung zu tragen«. Polen habe erst kürzlich versucht, »mit Hilfe des Westens seine Gebietsforderungen Deutschland gegenüber durchzudrücken« (gemeint war offensichtlich die »Westerplatte-Affäre«), und sei dabei »der Ablehnung des Westens begegnet«. Dies habe dem Marschall »das Motiv« gegeben, »zu seiner ursprünglichen Konzeption zurückzukehren, um Polen zu einer Großmacht durch Gebietserweiterungen im Osten zu machen. Eine Expansion nach beiden Seiten war unmöglich wie die Quadratur des Zirkels. Die Alternative zu einer gemeinsamen Aktion Deutschland/Polens gegen Rußland war die befürchtete und später zur Tatsache gewordene Liquidation Polens durch ein Bündnis Deutschland/Rußland.« Pilsudski sei sich in der Unterredung mit ihm völlig klar gewesen über die »Aufrüstung Deutschlands, die nicht mehr zu hintertreiben« gewesen sei, erklärte Rauschning, und weiter: »Die logische Folge war, die Mitbenutzung dieser Machtmittel auch im Interesse Polens zu versuchen.«231 In diesem Zusammenhang soll der Vollständigkeit halber Auf außenpolitischer Bühne

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auch jener in der Literatur häufig wiedergegebene angebliche Satz Hitlers zitiert werden, den der »Führer« gegenüber Rauschning in einer Unterredung »Anfang 1934« in Berlin geäußert haben soll. Rauschning hatte Hitler zuvor ausführlich über seine Gespräche mit Pilsudski berichtet und ihm dabei deutlich gemacht, dass der polnische Marschall offenbar an einer »dauernden Verständigung mit dem Reich« interessiert sei.232 Hitler habe darauf geantwortet: »Es ist mir natürlich lieb, daß ich meine Ostpolitik mit Polen anstatt schon gegen Polen machen kann.«233 Am 26. Januar 1934 unterschrieben die polnische und die deutsche Seite schließlich in Berlin den sogenannten Nichtangriffspakt, in dem sich beide Partner verpflichteten, während einer Laufzeit von zehn Jahren direktes Einverständnis in Streitfragen zu erzielen und keinesfalls zur Anwendung von Gewalt zu schreiten, um solche Fragen auszuräumen. Auch wenn er nicht unmittelbar an der Entstehung des Vertragswerkes beteiligt war, konnte Rauschning sich in seiner Entspannungspolitik gegenüber Polen bestätigt sehen. Im Lichte der sich unmittelbar anschließenden Entwicklung seines Wirkens in Danzig stellte es den Höhepunkt dieser Politik dar. Noch vor dem Vertragsabschluss hatte Rauschning übrigens in einem Gespräch mit dem amerikanischen Journalisten Knickerbocker auf dessen Frage, über welche Zeitdauer das Abkommen laufen sollte, geantwortet: »Zehn Jahre«, woraufhin Knickerbocker seiner Verblüffung mit den Worten Ausdruck gab: »Die Zahl, die der Senatspräsident nannte, stimmt genau überein mit der Zeitdauer, zu der sich Hitler … entschlossen hat: Im Danzig Hitlers stimmt alles mit dem Deutschland Hitlers überein.«234 Danzig erlebte einen einschneidenden Funktionswandel. Aus dem Werkzeug eines unversöhnlichen Revisionismus wurde wahlweise das »Barometer« für den Zustand der »polnisch-deutschen Beziehungen« (­Pilsudski), der »Maßstab« (Gesandter Lipski) bzw. der »Prüfstein« (Außenminister Beck) für die deutsch-polnische Annäherung.235 Im Auswärtigen Amt, wo die deutsch-polnische Erklärung immerhin wesentlich erarbeitet worden war, stieß der Abschluss in Berlin auf wenig Enthusiasmus. Ob nach zehn Jahren der nun ad acta gelegte Ostgrenzenrevisionismus wiederzubeleben war, stand in den Sternen. Nahezu erblindet, hat Hermann Rauschning im Alter von mehr als 90 Jahren in einem Brief an seinen ehemaligen Wirtschaftsreferenten in Danzig, Bechmann, eine recht farbige Schilderung seiner Unterredung mit Pilsudski hinterlassen, die hier trotz ihres Umfangs wiedergegeben werden soll. »Der Marschall sprach deutsch mit mir«, schrieb Rauschning, 92

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in der warmen österreichischen Färbung. Er sprach freundlich-jovial. Aber er hielt sich streng an die Grenze, daß er nicht mit einem Reichsdeutschen, sondern mit dem Regierungschef des mit Polen eng verbundenen Gemeinwesen Danzig sprach … Drei Punkte will ich hervorheben, die mir nicht nur im Gedächtnis haften blieben, sondern die Ernsthaftigkeit von Seiten Polens erweisen. Pilsudski rektifizierte mich einmal scharf, es handle sich hier nicht um die Beziehungen des Reiches zu Polen, sondern um die der Freien Stadt Danzig, die durch das Statut geregelt seien. Hier handele es sich um die korrekte Auslegung und die loyale Erfüllung der Bestimmungen. Er habe zur Kenntnis genommen, daß die neue Regierung sich bemühe, dies zu tun. Die Beziehungen Polens und des Reiches zueinander sei (sic) eine schöpferische Aufgabe beider Nationen und erfordere (sic) eine lange Zeit, wobei Danzig nur durch sein korrektes Verhalten hilfreich sein könne. Ich empfand das damals als eine kalte Dusche. Erst hinterher wurde mir klar, daß es der Ausdruck der Bereitschaft war, einen reichsdeutschen Beauftragten Hitlers zu empfangen. Aufschlussreich war der zweite Punkt insofern, als daß dieser das eigentliche Hindernis einer Verständigung zwischen zwischen Deutschland und Polen zeigte. An der Technischen Hochschule Danzigs hatte sich eine Gruppe ukrainischer Studenten auf Grund deutscher Bestrebungen, die Ukraine von Russland zu trennen, als eine revolutionäre Aktionsgruppe konstituiert. Die Schärfe, mit der Pilsudski eine angebliche Unterstützung dieser Umtriebe durch deutsche Mittel auf Danziger Boden tadelte, zeigte mir, daß der Marschall die reichsdeutschen Bestrebungen als ein schweres, wenn nicht das Hindernis einer wirklichen Verständigung sah. In einem dritten Punkt, der mir erinnerlich ist und wichtig erscheint, berührte der Marschall die Zukunft Danzigs als der freie Zugang Polens zum Meer. Das Privileg, das Danzig hier zugebilligt sei, müsse durch entsprechende Dienste des Gemeinwesens für Polen gerechtfertigt werden. Der Marschall erinnerte nicht an den Streik der Danziger Hafenarbeiter während der Krise im polnisch-sowjetischen Kriege. Er hob vielmehr den beiderseitigen Vorteil hervor, den eine loyale Erfüllung der Statutsbestimmungen für beide Seiten zur Folge haben würde. Ich hatte mir selbst bereits Gedanken darüber gemacht, was ein »Zurück zum Reich« in Wirklichkeit für Danzig als Handelsemporium bedeuten würde. Ein »totes Brügge«? Aber musste Danzig als eigentlicher Hafen Polens nicht zum Verlust des deutschen Charakters führen? Mußte Danzig seine wirtschaftliche Lebensfähigkeit durch das Opfer seines nationalen Charakters erkaufen? Mein Gespräch mit dem Marschall war auf den ersten Blick nicht ermutigend. Aber gerade dadurch erwies es seine Seriösität. Man wird verstehen, daß über dieses Gespräch kein Aktenvermerk, wenn ich einen solchen vorlegen könnte, dokumentarischen Wert haben kann. Man muß schon meine Bemerkungen zur Kenntnis Auf außenpolitischer Bühne

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nehmen als des Einzigen, der auf Danziger und das heißt auch auf deutscher Seite Teilnehmer war. E i n e Wirkung hat die Aussprache sicher gehabt. Sie hat auf polnischer Seite dazu beigetragen, den Nichtangriffspakt mit dem Reich abzuschließen.236

Für Hitler bedeutete das Verhandlungsergebnis einen Triumph. Es war ein gezielter Schlag gegen das französische Vertragssystem im Osten Europas: Die polnische Annäherung an das Reich war begleitet von polnisch-französischer Distanzierung. Nach dem Abschluss des Konkordats mit dem Vatikan im Juli des vergangenen Jahres war ihm hier der nächste außenpolitische Erfolg gelungen. Das deutsch-polnische Abkommen beseitigte vorerst die Gefahr eines unerwünschten militärischen Konflikts an Deutschlands Ostgrenze und eröffnete Hitler den Weg zur ungehinderten Wiederaufrüstung.237 Und um noch einmal den zeitgenössischen Beobachter Knickerbocker zu zitieren: »Wenn, in den Zeiten vor Hitler, Brüning einen Nichtangriffspakt mit Polen geschlossen hätte, wäre er von Danzig als Verräter verflucht worden.«238 Der Vertrag mit Berlin kam auch Warschau insofern entgegen, »als sich mit dem Vorschlag Mussolinis für einen europäischen Viererpakt zwischen Italien, Deutschland, Frankreich und England vom 18. März 1933 die seit Locarno bestehenden, dunklen Ahnungen Warschaus hinsichtlich eines Ausverkaufes polnischer Sicherheitsinteressen durch die Westmächte endgültig zu bestätigen schienen.«239

Wirtschaftliche Probleme Zufall oder nicht: Am Tage des Vertragsabschlusses mit Polen suchte Rauschning in Berlin Außenminister von Neurath auf, um mit diesem in einer »längeren Unterhaltung über die Danziger Verhältnisse und seine Politik gegenüber Polen« insbesondere jenes Problem anzusprechen, dass für die nächsten Monate ein Dauerthema Danzigs werden sollte. Es ging um die Finanzverhältnisse im Freistaat, für die Rauschning die Bezeichnung »katastrophal« wählte. Das Haushaltsdefizit, für dessen Ausgleich er um die Unterstützung des Reiches »nachsuchen müsse«, belaufe sich auf 70 Millionen Reichsmark, »bei Berücksichtigung der verschiedenen Wünsche der Parteiinstanzen« sogar auf 105 Millionen Mark. Rauschning bat um Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der Reichsbank (»wegen der Transferfrage«) und beim Finanzministerium. Von Neurath sagte Rausch94

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ning zu, seinem Wunsch entsprechen zu wollen, »jedoch nur für den unbedingt notwendigen Betrag. Die Ausführung kostspieliger Bauten wie Theater etc. sei bei der gespannten Finanzlage des Reichs auf keinen Fall zu rechtfertigen«.240 In diesem Dokument spiegelte sich ein weiterer Konflikt Rauschnings mit der Danziger Parteileitung. Vor der letzten Volkstagswahl hatten Gauleiter Forster und auch der neue NSDAP-Star an der Mottlau, Hermann Rauschning, versprochen, im Falle eines Wahlsieges die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen. Mit immer neuen Arbeitsbeschaffungsprogrammen versuchte nun insbesondere Forster, die Zahl der Erwerbslosen drastisch zu verringern, ohne dabei konsequent auf die Kosten zu achten. Immerhin, mit der Inangriffnahme folgender Projekte sank zunächst einmal die Arbeitslosigkeit in Danzig: Ausbau der Strandpromenade in Heubude, Kanalisationsarbeiten, Ausbau der Radaune bei Gischkau, Umbau des Staatstheaters, Straßenbahndepot in Friedensschluß, Kraftwerksbau in Prangschin, Straßenausbau und die Errichtung einer Gauschule in Saskoschin.241 Ganz privat bekam auch die Familie Rauschning die Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu spüren. Als sie für ihr Anwesen in Warnau zu Beginn des Jahres 1934 wieder einmal polnische Wanderarbeiter einstellen wollte, machte sie das örtliche Arbeitsamt darauf aufmerksam, dass für jeden Polen zugleich ein arbeitsloser Danziger auf ihrem Hof Beschäftigung finden müsse. Anna Rauschning hielt diese Regelung für unsinnig, da sich die deutschen Danziger als ungeschickt und wenig geeignet für die erforderliche Arbeit herausgestellt hätten. Zudem seien sie sich ihrer Unkündbarkeit bewusst gewesen und hätten mit den polnischen Wanderarbeitern nicht kooperieren wollen.242 Hermann Rauschning hatte sich inzwischen von der expansiven Ausgabenpolitik verabschiedet und favorisierte seitens des Senats einen strengen Sparkurs. Forster hingegen sorgte sich um etwas anderes: den nächsten Wahltermin. Am 18. April 1934 fand »bei Herrn Reichsminister Heß« in Berlin eine »Chefbesprechung« über die »Lage von Danzig« statt, über die Ministerialdirektor Meyer vom Auswärtigen Amt eine Aufzeichnung anfertigte. Bei der Besprechung anwesend waren Heß, Außenminister von Neurath, Reichsminister Schmitt, Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk, die Herren Dreyse und Puhl von der Reichsbank, Meyer vom Auswärtigen Amt, Senatspräsident Rauschning, Vizepräsident Greiser, Gauleiter Forster sowie Generalkonsul von Radowitz. Nach der Aufzeichnung Wirtschaftliche Probleme

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präzisierte Präsident Rauschning die Lage von Danzig und führte aus, daß zur Ausbalancierung des Etats ein Zuschuss von 65 Millionen notwendig sei. Er fragte, 1. ob das Deutsche Reich imstande sei, 65 Millionen zu geben und zu transferieren, 2. ob im Falle der Verneinung der Frage zur Erhaltung Danzigs eine Statutenänderung, die Danzig wirtschaftlich an Deutschland angliedere, für durchführbar erachtet werde, 3. ob es für tragbar gehalten würde, eine Senkung des Lebensstandards in Danzig herbeizuführen, 4. ob sich irgendeine andere Möglichkeit zur Erhaltung Danzigs ergebe.

Rauschning selber erbat die Bejahung von Frage 1, verwarf die Möglichkeit einer Statutenänderung gemäß Frage 2, hielt hinsichtlich Frage 3 »die Senkung des Lebensstandards für bedenklich«, aber ihre Durchführung eventuell für notwendig und verneinte schließlich auch Frage 4. In seltener Einmütigkeit »unterstrich Gauleiter Forster die Ausführungen« ­Rauschnings »und betonte die Notwendigkeit, die Einheitsfront in Danzig« zu wahren. Er »wies auf die Gefahren eines evtl. Anschwellens der Arbeitslosigkeit hin, insbesondere im Falle von Neuwahlen«. Nachdem von Neurath gefordert hatte, auch die »Frage einer Senkung des Lebensstandards in Danzig« sei zu prüfen, warnte Forster vor daraus resultierenden »Rückwirkungen«. Minister Schwerin von Krosigk stimmte von Neurath zu, wonach Danzig zu halten sei, und erklärte, dass er sich mit Rauschning über die »Aufbringung der Summe leicht einigen werde; die Schwierigkeit liege ausschließlich in der Frage der Transferierung«. Nachdem der Reichsbankvertreter Dreyse Bedenken wegen der knappen Devisenbestände des Reiches geäußert und erklärt hatte, keine »Zusicherung für die Transferierung irgendwelcher Summe auf lange Frist« geben zu können, drückte Rauschning offensichtlich aufs Tempo und »erbat Kabinettsbeschluß«, da im »Falle des plötzlichen Ausbleibens der Mittel eine schnelle Umstellung unmöglich sei«. Es wurde »beschlossen, die Frage Danzig zum Gegenstand eines Kabinettsentscheides zu machen«,243 über den jedoch für den fraglichen Zeitraum keine Unterlagen vorliegen.244

Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen Während die Danziger Finanzkrise schwelte und die Wirtschaftsverhandlungen zwischen Danzig und Polen, die seit dem Warschau-Besuch Rauschnings im Dezember nur äußerst mühsam vorankamen, eines Abschlusses harrten, setzte der Senatspräsident im Frühjahr 1934 ein wei96

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teres Ausrufezeichen in seinen Bemühungen um einen Ausgleich zwischen Danzig und Polen im Gehäuse der deutsch-polnischen Beziehungen. Gerade die Parteikreise um Gauleiter Forster dürften nur begrenzte Freude über die von Hermann Rauschning ins Leben gerufene »Danziger Gesellschaft zum Studium Polens« empfunden haben oder anders ausgedrückt: »Rauschnings Feinde wurden nicht weniger.«245 Es ist bemerkenswert, dass Rauschning in der Rückschau zu diesen Feinden und Gegnern ausdrücklich auch die »konservativen Deutschnationalen« etwa um Staatssekretär von Bülow im Auswärtigen Amt zählte, der seine »Bestrebungen, zu einer kulturellen Verständigung mit Polen zu kommen, bemängelt« habe.246 Am 15. März 1934 hielt Rauschning eine Rede in der ersten Sitzung der Gesellschaft im Altstädtischen Rathaus der Stadt, zu der »alle Vertreter des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Danzig« erschienen waren – mit Ausnahme führender Vertreter der NSDAP.247 Ein »Ausschnitt aus der Veranstaltung wurde auf den Danziger Rundfunk und auf alle polnischen Sender übertragen«.248 Rauschning nutzte die Veranstaltung, um dem »anwesenden Vertreter der Republik Polen«, Papee, die »Ehrenmitgliedschaft« in der Gesellschaft anzutragen, als »Dank für die großen Dienste, die Herr Minister Papee für eine Politik des Ausgleichs zwischen Danzig und Polen geleistet hat, und in der Hoffnung, daß das Verhältnis des Vertrauens unter seiner tätigen Mitwirkung fortschreitend ein vertiefteres und umfassenderes sein möge«. Den roten Faden seines Vortrags bildete zum einen seine Überzeugung, dass es auf deutscher Seite zu wenig Kenntnis über Polen gebe und dass sich dies ändern müsse, und zum anderen, dass bei allen tagespolitischen Differenzen viel Gemeinsames bzw. sich Ergänzendes zwischen Polen und Deutschen vorhanden sei, das es im Sinne einer langfristigen Neustrukturierung des ostmitteleuropäischen Raumes zu nutzen gelte. Da war sie wieder: die alte Ostmitteleuropa-Konzeption im Anschluss an Bethmann Hollweg. Mit Blick auf Polengegner in den eigenen Reihen schickte Rauschning seinen Ausführungen einen Passus vorweg, der dann in dem veröffentlichten Manuskript als einziger neben dem Schlussabsatz in Fettdruck erschien: »Wir wollen uns daher von vornherein darüber klar sein«, betonte der Redner, daß die Bemühungen unserer Gesellschaft dem Studium Polens und des polnischen Volkes in allen seinen Lebensäußerungen gelten, aber in der festen Begrenzung, daß es jedem gemäß sein muß, in den Schranken seiner Art zu leben und sich zu Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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entwickeln, daß es unsittlich wird, die Grenzen zu verwischen, und unlauter, hinter solchen ehrlichen Bemühungen Versuche unvermerkter Entnationalisierung zu suchen oder zu versuchen.

In vergleichbarer Weise hatte er sich bereits am Tag nach der Wahl vom 28. Mai vor der Presse in Berlin geäußert. »Genaues gegenseitiges Kennenlernen« sei der notwendige Schritt zwischen Deutschen und Polen, nachdem kürzlich mit dem »Nichtangriffspakt« der richtige politische Weg gewiesen worden sei.249 Von dem »kleinen Gefahrenherd Danzig« seien »Fäden zu unserem Nachbarn hinüberzuwerfen und an einem Netz zu spinnen, das einmal zu einem dauerhaften Gewande des Vertrauens werden« solle, erklärte Rauschning. Daran anschließend behauptete er, in der Vergangenheit sei es »eine leicht zum Fehler ausschlagende Tugend des deutschen Geistes« gewesen, »in der Gerechtigkeit fremden Wesen gegenüber bis zur Selbstvernichtung und Selbstmißachtung« gegangen zu sein. Eine Erläuterung dieser angeblichen »Tugend« führte er dabei nicht an. Rauschning versicherte seinen Zuhörern, dass die neue Gesellschaft keinesfalls »den bestehenden Instituten und Vereinen … in ihre Tätigkeitsbereiche hineingreifen« wolle, »sondern daß wir ein Neues, ein Ganzes wollen, ein Instrument geistiger Verständigung«. Nach Ausführungen über die Staatsbildung in Polen nach dem Ersten Weltkrieg gelangte Rauschning zu wirtschaftlichen Aspekten der polnischen Republik und lobte dabei ausdrücklich Agrarreformen im Nachbarland, »deren energische Durchführung den unzulänglichen Versuchen im alten Deutschland« Respekt abverlange. Mit einigen Worten zur polnischen Hafengründung Gdingen berührte der Redner eines der heißen Eisen im deutschsprachigen Danzig. »Wir sollten«, so führte er aus, »diese Gründung nicht nur in ihrer schmerzlichen Auswirkung auf uns selbst« betrachten, sondern sie könne »uns eine erhebliche Belehrung des Umfanges und der Grenzen planhafter Wirtschaftsgestaltung bieten«. Das neue Polen unternehme eine »Wirtschaftsführung im Großen«. Nicht zufällig nehme die »Tendenz der Wirtschaftsverbindungen und Handelswege wieder die Richtung ein, die sie in der ›Goldenen Zeit‹ des Jagiellonen-Reiches im 16. Jahrhundert hatte, die südöstlich-nordische Richtung, die die westöstliche des 14. und 15. Jahrhunderts über Breslau, Krakau, Lemberg ablöste.« Auch die nationalsozialistische Rassenkunde schien nach Rauschning geeignet, Material für ein künftiges Zusammengehen von Deutschen und Polen herzugeben – wie weit die entsprechenden 98

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Bemerkungen tatsächlich seinen eigenen Überzeugungen entsprachen, sei dahingestellt. »Wir beginnen heute zu verstehen«, ließ er seine Zuhörer wissen, daß in der alten staatlichen Verfassung Polens wie in seinem biologischen Aufbau sehr viel Nordisches enthalten ist. Die Schlachta (der mittelalterliche polnische Landadel, A. H.) ist eine gradlinige Entwicklung nordgermanischer Sippenverfassung. Wir sehen in dem alten polnischen Staat lebendige Aufbaukräfte, die zur Ausreife gelangten, aber heute sich erneut anmelden: Polen als der Filter gegenüber osteuropäisch-asiatischem Kulturwillen, Polen das Glacis Europas!

In »mannigfacher Weise«, so Rauschning, ergänzen sich die beiden Völker, geistig und wirtschaftlich, in ihren Charakteren und Leistungen. Immer wieder hat das polnische Volk eine starke Anziehung, ja Assimilationskraft auf das deutsche ausgeübt. Der herben, männlichen, spröden, verstandesbedingten, vorsorgenden Natur des Deutschen lag eine Ergänzung in der lebhaften, schmiegsamen, fraulichen, phantasievollen und schnellen Art des Polen nahe, und so zeichnet … trotz dem frühen Selbstbewußtsein der nationalen Gesinnung das polnische Volk eins vor dem rationaler bedingten deutschen aus, dass nicht schon so viele Teile des völkischen Lebens in rationelles (sic!) Bewußtsein gerückt sind. Die Macht des Unbewußten, die letzten Endes das Schicksal des einzelnen wie der Völker bestimmt, ist in Polen ungleich stärker als im Deutschen. Der westliche Rationalismus, der in Deutschland den geistigen Wuchs in entscheidenden Jahrzehnten verkrüppelt hat, ist in Polen ungleich unwirksamer gewesen trotz einer zeitweisen starken Kultur romanischer Prägung.

Wichtig in diesem Zusammenhang sei die Frage, welche Bedeutung dem Panslawismus der Vorkriegszeit zukomme. Für das »Gemeinslawische« habe »der Deutsche im Geistigen während der letzten Generation viel Neigung gehabt, nicht nur auf ästhetisch-literarischem Boden«. Es sei »kein Zufall, dass einer der größten geistigen Vorläufer des neuen Deutschland, Moeller van den Bruck, der das Wort vom Dritten Reich geprägt hat, einer der tiefsten Künder Dostojewskis gewesen« sei. Rauschning schloss seinen Vortrag mit diesen Worten: Es scheint uns die Stunde geschlagen zu haben, anstatt des Trennenden das Verbindende zu suchen und zu pflegen. Hier im Osten lebt ein gemeinsamer Raum Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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mehrerer Nationen. Über den wechselnden Staatsgrenzen hat die Gemengelage der Völker einen einzigartigen Zustand der Raumgemeinschaft geschaffen, der die Politik sowohl wie die Wirtschaft, aber auch die geistige Führung Rechnung tragen müssen.

Die Gründung der Danziger Gesellschaft zum Studium Polens zog im Übrigen eine kleine diplomatische Sensation nach sich. Für den ersten Gastvortrag vor der Gesellschaft hatte Rauschning den polnischen Altphilologen Professor Tadeusz Zielinski gewinnen können. Im Rahmen eines Empfangs, den Rauschning zu Ehren Zielinskis im Anschluss an den Vortrag gab, dürfte es aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem Beschluss des polnischen Gastes und des Danziger Senatspräsidenten gekommen sein, Reichsminister Joseph Goebbels zu einer Vortragsreise nach Warschau einzuladen. Tatsächlich wurde die Visite Goebbels’ in Polen am 13. Juni 1934 der erste Besuch eines »deutschen Staatsmannes nach der Wiederherstellung des polnischen Staates« überhaupt. Die Rede des Ministers in einem überfüllten Raum des Warschauer Bürgervereins, zu der auch vier Redakteure von jüdischen Zeitungen eingeladen worden waren, behandelte das Thema »Das nationalsozialistische Deutschland als Faktor des Europäischen Friedens«. Goebbels nutzte die Gelegenheit, um insbesondere die antijüdische Politik seiner Regierung darzustellen und zu rechtfertigen, was in der polnischen Öffentlichkeit z. T. mit Hohn kritisiert wurde und Tadeusz Zielinski, der Goebbels persönlich eingeladen hatte, einen bleibenden Imageschaden eintrug.250 Im Zusammenhang mit Rauschnings Rede vor der Danziger Gesellschaft hat sich ein Dokument erhalten, das auf einzigartige Weise den politischen Menschen Hermann Rauschning in jener Zeit aufscheinen lässt. Georg Streiter, der engste Mitarbeiter des Senatspräsidenten, führte noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg eine Korrespondenz mit seinem ehemaligen Dienstherrn, zunächst von Lindau im Bodensee, später von Bonn aus.251 Ein Teil dieser Korrespondenz enthielt Rückblicke Streiters und Rauschnings auf die gemeinsame Zeit in Danzig; sie sollten nach Streiters Wunsch die Grundlage für eine von ihm geplante Veröffentlichung über die Senatspräsidentschaft Rauschnings bilden, zu der es dann aber nicht mehr gekommen ist. Am 23. Juli 1971 erinnerte sich Streiter folgendermaßen an Rauschning: Sie wollen – und wollten wohl immer – durch Ideen und nicht durch politisches Handeln wirken. Das ist mir schon in Danzig blitzartig klar geworden, als Sie zur Grün-

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dung der Gesellschaft zum Studium Polens … selbst die große Eröffnungsrede verfaßten und ich, als getreuer Diener, die Presse hinhalten musste, weil der Historiker und Kulturpolitiker mit Ihnen durchging und Sie Bogen für Bogen vollschrieben und alle Termine absagten. Die Szene ist mir unvergeßlich geblieben; vielleicht waren Sie nur dieses eine Mal in der ganzen Präsidentenzeit glücklich. Und überhaupt waren die begeisterndsten Stunden mit Ihnen nicht die oft sichtbar selbstquälerischen Übungen der praktischen Politik mit ihrem doch weit überwiegenden schmutzigen Kleinkram, mit dem Gift und dem fressenden Ärger, es waren vielmehr die unvergeßlichen Morgengespräche beim Frühstück in Ihrem Haus, wo ich Pressevortrag zu halten hatte, in denen sich dann aber aus den aktuellen Stichworten erregte Diskussionen über die Zukunft Deutschlands entwickelten. Der seit Ihrem Amtsantritt schnell wachsende Zorn über Personen und Handlungen fand in Ihren cholerischen Ausbrüchen und zum Teil undurchführbaren Anweisungen seinen Ausdruck; hier wurden jedoch die Gegengewichte gelegt, um in den nachfolgenden Amtsstunden die Last der Heuchelei und der Konzessionen tragen zu helfen … Die Taktik war Ihnen stets weniger wichtig als die großen Prinzipien, für deren Erörterung und Ausfeilung Sie mehr Zeit und Kraft aufwandten, als tatsächlich zur Verfügung stand.

Und mit Blick auf das Ende des Rauschning-Senats fügte Streiter an: »Es wäre eine Betrachtung wert, ob dadurch tagespolitische Chancen, insbesondere im Sommer und Herbst 1934, verpaßt worden sind.«252 Rund drei Wochen nach seinem Auftritt vor der Danziger Gesellschaft nutzte Hermann Rauschning eine weitere Gelegenheit, einer breiteren Öffentlichkeit seine Ansichten zu politischen Fragen darzulegen. Die »Kundgebung der NSDAP vom 7. April 1934« sah in ihrem Mittelpunkt eine Rede »des Präsidenten der Freien Stadt Danzig«, die den Titel »10 Monate nationalsozialistische Regierung in Danzig« trug.253 Im Lichte der wenige Wochen später losbrechenden Auseinandersetzungen zwischen Rauschning und seinem Gauleiter Forster markiert diese Rede einen Moment der scheinbaren Harmonie zwischen den beiden Kontrahenten, gewissermaßen die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Einen beträchtlichen Teil der Ausführungen widmete Rauschning dem Versuch, seinen Zuhörern, die vermutlich aus allen Schichten der Danziger Bevölkerung stammten, die Schwierigkeiten zu erläutern, vor denen die neue Regierung im Juni 1933 gestanden hatte. Da war plötzlich wieder vom »polnischen Wirtschaftsboykott« und dem »verödenden Hafen« Danzigs in dessen Wettbewerb mit Gdingen als »Tatsachen« die Rede. Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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An die radikalen Nationalsozialisten unter den Anwesenden waren jene Teile seiner Rede gerichtet, die versuchten, die besondere verfassungsmäßige Lage Danzigs im Vergleich zum Reich als Grund dafür heranzuziehen, dass es in Danzig »der Umwege, der Rücksichtnahme und der vorsichtigen Mäßigung« und vor allem »einer Disziplin der Masse unserer Parteigenossen« bedurfte, um nationalsozialistische Vorstellungen durchzusetzen: »Kraft revolutionären Rechts war uns n i c h t s zu tun. Hier die liberalste Verfassung Europas und dort ihr gegenüber der berechtigte Drang eines Volkes zur Disziplinierung und kraftvollen Zusammenfassung: ein nicht zu lösender Widerspruch.« Angesichts des Austritts Deutschlands aus dem Völkerbund mochten folgende Worte Rauschnings aufhorchen lassen: »Unsere Stärke ist das R e c h t . Unsere vom Völkerbund garantierte Verfassung und die ebenso garantierten Verträge sind für uns nicht nur eine peinliche Beschränkung, sondern auch Schutz für die Integrität unseres Staates. Wir dürfen nie Unrecht bekommen. Im Unrecht sind wir wehrlos.« Und die Entscheidung über Recht oder Unrecht liege nun einmal bei »einem uns fremden Gremium«, dem Völkerbund. Rauschning ging sodann auf das Verhältnis Danzig–Polen ein, das sich nach seiner Auffassung »vom Führer inauguriert« positiv entwickelt habe. Es sei vor allem auch des Gauleiters »Verdienst«, dass sich in Danzig »eine Wendung von entscheidender Bedeutung« vollzogen habe. Der Senatspräsident hob die Danziger Abkommen mit Polen vom August/September des Vorjahres hervor und bat um Geduld für die immer noch schwebenden Verhandlungen hinsichtlich Zollkontrolle, Kontingenten und Warenverkehr, mehr noch: Er verbat sich, dass ihm »das Tempo der Verhandlungen aufgezwungen« werde. Und erneut deutete er seine Vision künftiger politischer Gestaltung in Ostmitteleuropa an: »Danzig hat eine Funktion in dem gemeinsamen Zollgebiet und einem Hinterland, das sich seiner Lage zusammen mit Deutschland als eines werdenden Großwirtschaftsgebietes bewußt zu werden beginnt. Es kann sich in dieser Funktion zu einer Bedeutung auswachsen, die heute in ihrem Ausmaß nicht abzusehen ist.« Nachdem Rauschning noch einmal auf die sich bessernden allgemeinen Beziehungen zu Polen zurückgekommen war, schlug er hinsichtlich der künftigen Wirtschaftspolitik Danzigs Töne an, die auch in Berlin aufmerksam registriert worden sein dürften. Es liege »n i c h t in der natürlichen Entwicklungslinie eines Gemeinwesens wie Danzig, nach einer irgendwie gearteten Autarkie zu streben. Unsere Aufgabe ist, bei aller Schonung unseres einheimischen Gewerbes und unserer Eigen102

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erzeugung für den einheimischen Markt dem G ü t e r a u s t a u s c h zu dienen.« »Unser politisches Ziel« sei es, so Rauschning, an der »dauernden Befriedung des mitteleuropäischen Raumes mitzuwirken, freundschaftliche Beziehungen wie zu Polen so zu den anderen Staaten des nahen Ostens (sic) zu pflegen, insbesondere auch zur Sowjetunion, mit der uns lange Jahre enge wirtschaftliche Beziehungen verbanden.« In dem Teil seiner Rede, der sich mit den innenpolitischen Verhältnissen Danzigs beschäftigte, attackierte Rauschning die Parteien des Freistaats dergestalt, dass er zwischen dem »gutwilligen Teil unserer Gegner« und »einer kleinen Minderheit« mit einem »Geist überheblicher Kritiksucht und des Besserwissens«, welche mit »einer kleinlichen Taktik halb anonymer Verunglimpfung« Sabotage treibe, unterschied. Die »Gutwilligen« mahnte er, endlich zu erkennen, dass unwiderruflich neue Zeiten angebrochen seien. Als Landwirt formulierte er nicht nur in Richtung widerspenstiger Bauern: Der »Umbruch« werde es niemals zulassen, »eine aufgeworfene Scholle wieder in die alte Furche zurückzulegen. Wer ein neues Saatbeet bereiten will, muß die alte Stoppel schälen.« Von den Gegnern des Nationalsozialismus verlangte Rauschning namens der Partei, dass sie sich nicht nur »äußerlich gleichschalten«, sondern auch »innerlich gleichrichten« ließen und »vorbehaltlos mitarbeiten« sollten; allerdings gelte, nicht ganz widerspruchsfrei, auch dies: »E i n O p f e r d e r Manneswürde und der Gesinnungsverleugnung w i r d v o n k e i n e m v e r l a n g t , s o n d e r n D i s z i p l i n .« In einem von ihm großzügig gefassten Begriff von »Reaktion« sagte Rauschning auch dem »Liberalismus« in Danzig den Kampf an. »Die Parteien« führten im Freistaat ein »fiktives Dasein«, so der Senatspräsident, und »die Zeit ihres Geltungsanspruches« sei »endgültig vorüber«. Die Regierung sei nicht bereit, ihnen »irgendwelchen Einfluß einzuräumen, da uns dazu selbst die Spielregeln des hier noch gültigen Parlamentarismus nicht nötigen«. Auch die Zentrumspartei griff Rauschning an, der er ungerechtfertigten politischen Machtwillen vorwarf. Wenn die katholische Kirche wolle, könne man in Danzig auch über den Abschluss eines Konkordates reden. Eine Spaltung des katholischen Lagers vorantreibend, lobte Rauschning solche Kreise des Zentrums, in denen »eine soziale Gesinnung lebendig« gewesen sei und die eigentlich »den Übergang zu echtem Nationalsozialismus« hätten finden können. Damit hatte er auch die Brücke zum Thema Arbeitslosigkeit und Arbeitsbeschaffung in Danzig geschlagen. Ohne ein Wort über die ihm wohlbekannten Kosten des Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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»Arbeitsprogramms« zu verlieren, lobte er die am 21. März angelaufene Arbeit, mit der nicht nur zahlreiche Projekte im Freistaat angegangen, sondern auch an die 10.000 Menschen in Beschäftigung gebracht würden. Vermutlich zur Überraschung mancher mit den innerparteilichen Reibereien vertrauten Zuhörer erklärte Rauschning feierlich, dass er den gesamten Maßnahmen den Namen »A l b e r t - F o r s t e r - P r o g r a m m « geben werde. Im Übrigen betonte Rauschning jedoch die überragende Bedeutung der »privaten Unternehmertätigkeit«, die »hinter dem Schleier der öffentlichen Arbeitsbeschaffung wieder zu einer lebhaften Aktivität erstarken« müsse. Auch der von Parteikreisen »in den letzten Monaten« akzentuierten Forderung nach einer stärker ständischen Gliederung der Danziger Wirtschaft erteilte Rauschning eine Absage, indem er erklärte: »Der Senat ist hier nicht immer verstanden worden.« »Klarheit und Einsicht« habe »in den letzten Monaten« darüber geschaffen werden müssen, dass »eine ständische Gliederung … niemals in sich selbst abgeschlossen und autonom sein (könne), sondern … der Ergänzung und des Ausgleichs im Staate selbst« bedürfe. Den Abschluss seiner Rede bildete pflichtgemäß ein rückhaltloses Bekenntnis zum Reichskanzler. Wir sind einig im Geiste unseres Führers. Scheinen manchmal auch die Meinungsverschiedenheiten noch so hoch sich zu türmen, es sind scheinbare. Alles ordnet sich in dem lebendigen Geist unseres Nationalsozialismus, wie ihn uns der Führer vorlebt. Unser Kampf mag noch so schwer sein und Opfer verlangen, und mag uns auch manches versagt sein, eins bleibt, der unverbrüchliche Glaube an den Führer, an unsere Bewegung, an unser deutsches Volk.

Aus der zeitlichen Distanz von über 40 Jahren hat Hermann Rauschning seine Sicht seiner Polenpolitik als Danziger Senatspräsident gegenüber dem bereits erwähnten ehemaligen Wirtschaftsreferenten der Danziger Zeit, Hellmut Bechmann, dargelegt. Die Schilderung fällt zwar ein wenig ausführlich aus und ist darüber hinaus mit tagespolitischen Analogieversuchen gewürzt, sie bietet aber zugleich eine einmalige Gesamtschau der Ereignisse aus der Perspektive unseres Protagonisten, weshalb sie hier fast vollständig wiedergegeben werden soll.254 »Ich weiß von keiner Dokumentensammlung, aus der ersichtlich werden könnte, was mich veranlaßte eine der Hitlerschen entgegengesetzte Politik zu versuchen«, schrieb er Bechmann. Und weiter:

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Man lernt schnell, wenn man seine Verantwortung nicht unter das Vorurteil des eigenen Nutzens stellt. Die einzig wirklich Deutschland drohende Gefahr war ein industrialisiertes, diszipliniertes Rußland. Das war schon damals klar … Nicht weniger bedroht war Polen. Was lag näher als eine wirkliche Verständigung der beiden Mächte. Es war die einzige Chance einer deutschen Ostpolitik ohne einen abermaligen Zweifrontenkrieg zu riskieren. Man kann eine Verständigung nicht anders gewinnen als dadurch, daß die eigene Politik in sich glaubhaft ist. Man kann nicht mit Grenzrevisionen beginnen. Sie müssen das Endprodukt einer gelungenen tragfähigen Vertrauensbasis werden. Ich hoffte anfänglich Hitler für diese Politik zu gewinnen. Hitler erkannte meinen Dienst in der Beilegung der querelles de Dantzig voll an. Er tat es noch im Jahr 34, als Forster einen kurzen Urlaub von mir benutzte, um bei ihm vorstellig zu werden, mich abzusetzen, weil ich doch »an eine wirkliche Verständigung mit Polen glaube«. Es war im Juli oder August. Hitler gab seine Einwilligung nicht. Die Bündnisverpflichtung Frankreichs und Englands, im Falle Polen von Deutschland angegriffen werde, machte ihm 33 noch allerhand zu schaffen. Er machte mir gegenüber, als ich ihm Bericht über die Wirkung des Austritts Deutschlands aus dem Völkerbund erstattete, die etwas nonchanlant hingeworfene Bemerkung: Es sei ihm natürlich lieber, wenn er seine Ostpolitik mit Polen statt gegen es beginnen könne. Es war nicht gerade ermutigend für meine schon damals bei Papee angeregte Aussprache mit Pilsudski. Ich machte damals selbst eine Krise durch; hielt eine fulminante Rede im Volkstag, sozusagen dem Beispiel Deutschlands folgend den ganzen Krempel des Danziger Statuts beiseite zu werfen und eine Präventivaktion Polens zu riskieren. Papee sah sich veranlaßt eine Demarche bei mir zu machen. Aber dann siegte bei mir doch die Vernunft, zumal auch die hohe Generalität in der Bendlerstraße auf mich aufmerksam geworden war und mich zu einem Gespräch einlud. Ich folgte der Einladung und fand bei den Herren größeres Verständnis, als ich erwartet hatte. Verständnis dafür, daß entgegen dem in »Mein Kampf« formulierten Prinzip es nicht zu einem Zweifrontenkrieg kommen zu lassen, Hitlers Ostpolitik mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Wiederholung der strategischen Lage von 1914, zu einer Repetition des Grundfehlers der nach-Bismarckschen Politik führen würde: daß dem Militär aufgehalst würde, was die Politiker versäumt hatten. Wenn zwei Staaten lebenswichtige Interessen zu verwirklichen haben, die sich nicht durch einen Kompromiß schlichten lassen, und sich ein gewaltsamer Austrag des Konflikts verbietet …, bleibt im Grunde nur ein Ausweg übrig: gemeinsame Sache zu machen, was im Falle Deutschland/Polen leichter fiel, als beide den selben Feind hatten, der ihnen wirklich nach dem Leben trachtete. Vielleicht ist das, was ich mit meinem Besuch des polnischen Marschalls versuchte, ein kleines, bescheidenes Vorspiel des großen Versuches des Ägypters Sadat in seinem heroischen Besuch der Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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Israelis. Ich wäre nie auf einen solchen Versuch gekommen, wenn ich nicht sechs Jahre der Nachkriegszeit in Polen zugebracht hätte, wo ich … als Geschäftsführer für das freiwillige deutsche Kulturleben im offiziellen »Deutschtumsbund« zur Wahrung der Minderheitenrechte gearbeitet hatte, und zwar in dem polnischsten aller Gebiete, in Großpolen, das von den Preußen durch die Ansiedlungskommission »eingedeutscht« wurde wie das westjordanische Ufer durch die Militärsiedlung der Israelis israelisiert. Ich erlebte hier in den sechs Jahren die bedeutungsvollen Versuche der Fortentwicklung der durch den Versailler Frieden den »Nachfolgestaaten« auferlegten Minderheiten-Schutz-Verträge zu einem »positiven Minderheitenrecht«, die, wenn sie zustande gekommen wären, ein Hauptmittel in der Beilegung des Nationalitätenstreites hätten werden können, in diesem Osteuropa, wo die Völker keine klaren Sprachgrenzen wie im Westen gegeneinander hatten. Hier hätte ein Mitteleuropa entstehen können und wurde von weitblickenden Politikern als Zukunftsziel ins Auge gefasst, die der Naumann’schen (sic) Mitteleuropa-Konzeption aus der Endzeit des ersten Weltkrieges erst richtig zu Fleisch und Blut hätte werden lassen können. Ich habe in Polen nie nur einen »Saisonstaat« sehen können, wie so manche deutsche Politiker damals mit ihrem primitiven »Holen wir uns alles wieder«. Das war nun freilich etwas ganz anderes als was Hitler und den Deutschnationalen vorschwebte. War es nicht vermessen, das Konzept in sein Gegenteil umzukehren? Es war ein gewagtes Spiel. Doch damals war alles noch im Anfangsstadium. Alles wäre noch möglich gewesen, wenn nicht die entscheidenden Politiker so wenig Einsicht wie Zivilcourage besessen hätten. Ich bin mehr denn je heute überzeugt, daß, so lange der Marschall noch lebte255, eine wirkliche Verständigung, ja eine Symbiose, jedenfalls eine Versöhnung Deutschlands mit Polen im Hinblick auf einen mir damals als unvermeidbar erschienenen Krieg gegen Sowjetrußland, möglich gewesen wäre. Über die Entwicklung nach einem solchen gemeinsamen Kriege brauchte man sich damals noch keine Gedanken zu machen. Das Wahrscheinlichste war, daß es zu einem wirklichen Kongreß aller Mächte gekommen wäre, der gewiß nicht die chauvinistischen Ziele Deutschlands noch eines Großpolens im Umfang des alten Kasimir’schen Reiches zur Reife gebracht, aber vielleicht ein wirkliches dauerhaftes Gleichgewicht Europas – eines ost/westlichen, nicht nur westlichen, zustande gebracht hätte. Dies sind keine Phantasien im Bremer Ratskeller, keine nachträglichen Interpretationen, man kann mir nur aufs Wort glauben oder nicht glauben. Ich bin auf der Danziger Seite der einzige Teilnehmer gewesen. Von meinen engeren Mitarbeitern ist nur Georg Streiter der einzige Eingeweihte. Er hat davon in seiner Rechtfertigungsschrift vor dem Parteigericht berichtet: Ich hätte die Hitler’sche Polenpolitik ändern wollen … Die Bestätigung, daß ich ernsthaft eine Versöhnung mit Polen erstrebte, hat

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die polnische Geschichtsforschung inzwischen aus den Vermerken des Marschalls und des Außenministers Oberst Beck erfahren können. Das heißt: Ich habe nicht nur Widerstand geleistet, ich habe eine wirkliche Alternative entwickelt. Sie werden sich erinnern, daß ich durch eine Reihe von Verhandlungen mit Polen versuchte den kalten Krieg ähnlichen Zustand zu normalisieren. Ich tat ein Übriges unsere Absicht zu bekunden, mit Polen zu einem freundschaftlichen Verhältnis zu gelangen. Ich gründete die Gesellschaft zum Studium Polens, solcherweise bekundend, dass es uns an Kenntnis und Anteilnahme an der Vergangenheit Polens mangele. Zwar mehr die Bekundung einer Absicht als eine schon mit Leben erfüllte Wirklichkeit. Wirklichkeit war die Vorbereitung eines Gesetzes, das der polnischen Minderheit im Danziger Staatsgebiet dieselben Rechte zusichern sollte wie der deutschen Minderheit in Polen. Danzig war durch sein Statut dazu nicht verpflichtet. Es war somit eine Vorleistung des guten Willens danzigerseits. Was denn auch prompt den Zorn des deutschen Auswärtigen Amtes zur Folge hatte. Der Staatssekretär von Bülow ersuchte um meinen Besuch und gab mir in schroffen Worten seine Mißbilligung zu erkennen. Ich ging noch einen Schritt weiter. Ich versuchte zum Ausdruck zu bringen, daß Danzig sich seiner Funktion bewußt sei, aus dem bisherigen Erisapfel so etwas wie ein Verbindungsglied zwischen dem Reich und Polen zu machen. Ich hatte in einem eigenen Artikel in den damals noch nicht gleichgeschalteten Danziger Neuesten Nachrichten so etwas wie einen Blick in die Zukunft zu tun versucht. Nicht ein Programm, doch so etwas wie eine Richtungslinie für den europäischen nahen Osten. Ich hatte von einem Unsichtbarmachen der Grenzen gehandelt. Der Artikel erschien Minister Papee … so bedeutungsvoll, daß er mich um nähere Auskunft bat, was ich darunter verstünde. Ich verwies auf die polnische Romantik, auf Mickiewicz und Slowacki, auf das Prinzip der »freien Verbindung der Völker« und auf die Chance einer Verbindung polnischer Prinzipien und ähnlicher deutscher Bündnisbestrebungen. Ich bagatellisierte meinen Artikel als eine Hoffnung. Bei der Gründungsversammlung der Gesellschaft zum Studium Polens hatte ich mit Absicht einen Satz über den befremdlichen neuen Panslawismus eingeflochten, der nicht nur für die westeuropäischen Nationen sondern vor allem für die westslawischen Nationen zu einer Gefahr werden könnte. Ich erinnere mich noch deutlich des spöttischen Lächelns des Dezernenten der Danziger Abteilung im polnischen Auswärtigen Amt, der unmittelbar unter meinem Rednerpult saß. Nun ja, es war schon so etwas wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ich war in der hohen Kunst der diplomatischen Sprachregelung ein Autodidakt. Doch man verstand, was ich meinte. So glaubte ich, als im Winter die Einladung zum Besuch Marschall Pilsudskis kam, ein klärendes Gespräch ausreichend vorbereitet zu haben. Riskanter Verständigungskurs gegenüber Polen

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Konfrontation Etwa drei Wochen nach der Kundgebung mit Rauschning trat das Verhältnis zwischen ihm und Gauleiter Forster in die letzte Phase. Auslöser war ein öffentlicher Auftritt Forsters am 1. Mai 1934 unmittelbar vor der Abreise einer Danziger Delegation zu weiteren Wirtschaftsgesprächen nach Warschau. In seiner Rede drohte Forster mit einer Rückkehr Danzigs zum Reich für den Fall, dass der Freistaat von Polen nicht gerecht behandelt werde – eine Warnung, die in Polen übel aufgenommen wurde.256 Kaum freundlicher reagierte Rauschning auf die Worte des Gauleiters. Nur »persönlich und vertraulich« und ausdrücklich »nicht auf dem Dienstweg« berichtete Generalkonsul von Radowitz am 7. Mai Ministerialdirektor Meyer im AA darüber, dass in Danzig »die Gemüter wieder scharf aufeinander geplatzt« seien. Die Ansprache Forsters habe die Atmosphäre zwischen diesem und »Präsident Rauschning derartig vergiftet«, dass Rauschning am 5. Mai »unter allen Umständen seinen Rücktritt durchsetzen wollte«. Allein eine achtstündige Aussprache zwischen Forster, Rauschning und SA-Brigadeführer Linsmayer habe eine vorläufige Beruhigung gebracht, wobei von Radowitz die »klug« vermittelnde Haltung Linsmayers ausdrücklich hervorhob. Im Ergebnis akzeptierte Forster die von Rauschning in einem, so von Radowitz, »äußerst klaren, überlegten und nicht angreifbaren Vortrag« gemachten Darlegungen »über die politische Lage«. Der Gauleiter gab seinem »lebhaften Wunsch Ausdruck, Rauschning« möge »jedenfalls mal erst« die Wirtschaftsverhandlungen weiterführen, wobei er dem Senatspräsidenten »völlig freie Hand lassen wolle«. Der Generalkonsul riet ferner dazu, dass die Gespräche mit Warschau von Danziger Seite keinesfalls »brüsk« abgebrochen werden sollten; gelange man zu keiner Einigung, solle man den Hohen Kommissar vermittelnd einschalten. Auch in innenpolitischer Hinsicht habe sich Rauschning weitgehend gegenüber Forster durchgesetzt, berichtete von Radowitz. Danach solle der »ständische Aufbau vorläufig zurückgestellt« werden und Rauschning auch künftig Wirtschaftssenator bleiben und unterstützt »von einem Rat der Danziger Kaufmannschaft weiterhin die brennenden Wirtschaftsfragen« bearbeiten. Angesichts der »gegenseitigen sehr scharfen Einstellung der beiden maßgebenden Persönlichkeiten« in Danzig äußerte sich der Generalkonsul »sehr skeptisch« über die künftige Entwicklung und brachte seinen Wunsch zum Ausdruck, dass demnächst von »autoritativer Seite Gelegenheit genommen« werde, Forster ins Gewissen zu reden.257 108

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»Im Nachtrag« zu seinem Schreiben vom 7. Mai sandte von Radowitz zwei Tage später einige ergänzende Mitteilungen an Meyer. Danach hatte der Generalkonsul am Vortag eine längere Unterredung mit dem Hohen Kommissar, Sean Lester, geführt, in der Lester über ein zweistündiges Gespräch zwischen ihm und Forster angesichts der »Verschärfung der politischen Atmosphäre« berichtet habe. Lester habe Forster auf die Folgen von dessen »heftigen Reden« aufmerksam gemacht, die sich »auch auf den Verlauf der Verhandlungen« mit Warschau über die Zoll- und Wirtschaftsfragen »ungünstig« auswirken müssten. Da Lester auch mit dem polnischen Vertreter Papee »mit ungekehrtem Vorzeichen« über die angeheizte Situation im Freistaat gesprochen und dabei eine »starke Versteifung auf polnischer Seite« beklagt habe, dürfe man den Hohen Kommissar »anscheinend als ehrlichen Makler« betrachten, auf dessen »Konto« die inzwischen eingetretene »Entspannung« zu verbuchen sei, so von Radowitz. Und abschließend meinte er: »Rauschning hat wieder starken Auftrieb bekommen, was ich lebhaft beglückwünsche, da er in der letzten Zeit sehr unerfreuliche Stunden durchzumachen hatte. Im ganzen sieht die Lage also jetzt besser aus, als sie vor der entstandenen Spannung war, die Luft ist jetzt wie nach einem reinigenden Gewitter politisch ozonreicher und frischer.«258 Nach einer eidesstattlichen Versicherung des ehemaligen Danziger Rechtsanwalts Max Kiewning für Georg Streiter, den engsten Mitarbeiter und zugleich Pressereferenten Rauschnings, vom Juli 1946, könnte die Rede Forsters vom 1. Mai das Datum einer Neujustierung der betont polenfreundlichen Politik Rauschnings hin zu einem polenkritischen, letztlich auf den Anschluss Danzigs an das Reich gerichteten, Kurs der Nationalsozialisten in Danzig markiert haben. Unter Verwendung von Angaben Streiters nennt die eidesstattliche Versicherung den »Sommer 1934« als Phase der Neuausrichtung der nationalsozialistischen Polenpolitik.259 Keine Aufnahme in die eidesstattliche Versicherung fand eine sonst nirgendwo nachprüfbare Behauptung Streiters in einem Brief an Kiewning, dass nach der »im Sommer 1934« von Forster versuchten »Erzwingung« einer polenfeindlichen Politik er, Streiter, als intimer Kenner der polenfreundlichen Politik Rauschnings im Zuge des »Röhm-­ Putsches« vom 30. Juni 1934 hätte ermordet werden sollen. Forster habe damals von Rauschning Streiters »Erschießung gefordert«, der er nur durch seine »zufällige Abwesenheit von Danzig« entgangen sei.260 Tatsächlich ist es auf Grund der verfassungsmäßigen Sonderstellung des Konfrontation

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Freistaats Danzig dort zu keinen Gewaltaktionen im Zusammenhang mit dem 30. Juni gekommen. Zwei Fragenkomplexe bestimmten die Danziger Politik im Spätsommer 1934: die finanzielle und wirtschaftliche Misere der Freien Stadt sowie der Abschluss des zoll- und wirtschaftspolitischen Abkommens mit Polen. Insbesondere die Devisenknappheit machte dem Senat schwer zu schaffen. Rauschning verstand es schließlich, aus Berlin vor allem für Pensionszahlungen monatliche Überweisungen im Gegenwert von 500.000 Reichsmark zu erwirken. Nach einigem Hin und Her während einer Besprechung zwischen dem Reichsfinanzminister, dem Reichsbankpräsidenten, Außenminister von Neurath, Senatspräsident Rauschning sowie Hitler hatte der Reichskanzler in diesem Sinn »entschieden«261. Forster versuchte auf eigene Faust, zusätzliche 2 Millionen Reichsmark aus Berlin zu bekommen, doch wurde er bei einem Gespräch im Auswärtigen Amt in dieser Angelegenheit hingehalten, was Forster bei seiner Verabschiedung mit den Worten quittierte, er müsse sich nun zwecks einer Entscheidung »an den Führer« wenden.262 Ein Vermerk von Neuraths vom 28. September über eine Besprechung Forsters mit Finanzminister Schwerin von Krosigk und ihm hielt fest, dass Forster die 2 Millionen »nur für ein Markkonto bei der Reichsbank« wolle, um Käufe Danzigs im Reich bezahlen zu können. Dagegen hätten er, von Neurath, und das Finanzministerium keine »Bedenken«.263 Rauschning hatte zuvor eine Abwertung des Danziger Guldens und seine »Anhängung« an das britische Pfund ins Gespräch gebracht, um die Absatzchancen für die Danziger Wirtschaft zu verbessern.264 Für Devisenabflüsse aus Danzig sorgten nicht zuletzt auch Gerüchte über bevorstehende »Devalvationen« (Abwertungen) des Guldens. Von der Hand Rauschnings stammt eine recht detaillierte Schilderung der Ereignisse rund um die Guldenabwertung, die er – hochbetagt im Alter von 91 Jahren – in einem Brief aus dem amerikanischen Portland an Hellmut Bechmann, seinen ehemaligen Wirtschaftsrefenten in Danzig, sandte.265 Er teile, so Rauschning gegenüber Bechmann, dessen Antipathie für den Dr. Schaefer von der Danziger Währungsbank. Ich unterschreibe Ihr Urteil Wort für Wort. Sie erinnern sich vielleicht noch, daß im Spätsommer 34 Hoppenrath und Schaefer von mir die Abwertung des Danziger Guldens verlangten. Schaefer war mir eigens auf einem kurzen Wochenendurlaub in meine ostpreußische Heimat nachgefahren, um mich unbeobachtet von Danziger Späheraugen

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zu bearbeiten, daß ich bei Forster die Initiative für eine Abwertung ergreife, was allerdings unter meine Verantwortung fiel. … Es fehlte an der gesetzlichen Devisenund Golddeckung. Die heute kaum noch verständliche Situation war, daß Forster und ich uns auf eine Arbeitsteilung geeinigt hatten, daß er mir nicht in die delikate außenpolitische Situation mit nationalsozialistischen Forderungen hineinreden dürfe, wogegen er die innerpolitischen Entwicklungen regulierte. Was Letzteres er »weltanschauliche Erziehung« nannte … Folge war, daß ich bei Hitler vorstellig werden mußte, um die Genehmigung für eine Devalvation zu ersuchen. Es war meine letzte persönliche Begegnung mit Hitler. Schwerin-Krosigk und Neurath waren dabei. Hitler lehnte aus Prestigegründen ab. Man würde nach einem Ausweg suchen. Wie es weiter ging? Schacht lieh der Danziger Währungsbank die fehlenden Devisen zum Nachweis der gesetzlichen Deckung aus. Eine nette kleine Schiebung. Warum auch nicht. Forster hatte beiden Finanzmännern Stillschweigen mir gegenüber befohlen. Er lud zu einer Führerbesprechung in das N.S. Haus ein. Er fragte mich, ob ich weiter auf meiner Forderung der Abwertung des Guldens bestehe. Forster ließ Herrn Schaefer berichten, daß alles bereits erledigt sei. Was Herrn Schaefer dafür zuteil wurde? Er erhielt das goldene Parteiabzeichen ehrenhalber. Was er in der Bundesrepublik wurde? Zeitweise mit Auszeichnung Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein … Herr Schaefer redete mir schon vorher kameradschaftlich zu, sich dem »Mächtigen« zu fügen, eine Eselshaut umzutun und ihr Lob zu singen. Mein Wohl bedenkend schenkte er mir ein kleines Büchelchen, »Gracians Handorakel der Weltklugheit«, aus dem 18. Jahrhundert. Die Stellen, die zum Nachgeben, sich Fügen, rieten, waren unterstrichen.266

In einem umfangreichen Memorandum für Hitler »über die Lage Danzigs Ende September 1934«, das aus der Endphase seines Machtkampfes mit Forster stammt, ging Rauschning den Gauleiter frontal an, indem er den Reichskanzler wissen ließ: »Bedauerlicherweise ist dann durch verantwortungsloses Gerede, nicht zum wenigsten in der Umgebung der Gauleitung – der Gauleiter selbst hat durch unvorsichtige Bemerkungen in einer Wechselstube und an anderen Orten selbst wesentlich und nachweislich zu dem Gerede beigetragen – eine Panik in Danzig entstanden, die zu großen Devisenabzügen führte und die Währungsbank sowie die Regierung zwang, in kräftigster Form jede Devalvation zu dementieren.« Und wenige Zeilen weiter zieh Rauschning Forster eines »Theatercoups« im Zusammenhang mit den von Forster in Berlin angeforderten 2 Millionen Reichsmark für Danzig, welche die Reichsbank Forster zugesagt habe.267 Konfrontation

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Begleitet von diesen finanziellen und wirtschaftlichen Kalamitäten Danzigs liefen die Wirtschaftsverhandlungen zwischen Danzig und Polen, die schließlich am 6. August 1934 zu einem Abschluss kamen. Für Danzig unterzeichnete in der Freien Stadt Rauschning, für Polen der dortige diplomatische Vertreter Papee. Noch Ende Juni hatte Rauschning in Berlin Außenminister von Neurath um Unterstützung des Auswärtigen Amtes in den Verhandlungen gebeten, die, so Rauschning, »insbesondere in der Frage der Zollverwaltung wegen der übermäßigen Forderungen der Polen nicht weiterkämen«. Am 4. Juli erhielt das deutsche Generalkonsulat in Danzig aus Berlin Weisung, Rauschning mitzuteilen, dass das AA gegenüber dem polnischen Gesandten Lipski die Bitte ausgesprochen habe, dabei zu helfen, eine »schnelle Lösung der zwischen Danzig und Polen bestehenden Schwierigkeiten« herbeizuführen.268 Das Abkommen umfasste eine Reihe von Einzelabmachungen, darunter an erster Stelle das Zollabkommen sowie Kontingent-, Lebensmittelund Pflanzenschutzabkommen. Mit dem Vertragswerk wurde versucht, die mittels verschiedener administrativer Maßnahmen errichtete Wirtschaftsgrenze wieder abzubauen. Eine »Kammer für Außenhandel«, zu deren Schaffung sich die Danziger Regierung verpflichtete und die am 1. September 1934 in einem Flügel des Volkstagsgebäudes ihre Arbeit aufnahm, sollte eine gerechte Beteiligung Danzigs an den gesamten Einfuhrkontingenten festlegen und die Handelsinteressen der Mottlau-Stadt dem Zollausland gegenüber wahrnehmen. Wie schon bei früheren Zollvereinbarungen schien es auch jetzt wieder, dass Danzig bei den neuen Abmachungen größere Zugeständnisse gemacht hatte. Von Danziger bzw. deutscher Seite wurde eingeräumt, dass man mit dem Zollabkommen »einem Teil der polnischen Beschwerden Rechnung getragen« habe.269 So sollte u. a. in Zukunft die Zahl der Zollbeamten mit polnischen Sprachkenntnissen vermehrt werden und Warschau zweimal jährlich eine Liste der Danziger Zollbediensteten vorgelegt bekommen. Ferner musste Polen vor der Besetzung führender Stellen in der Zollverwaltung die Zustimmung geben.270 Mit der Beendigung der Verhandlungen Danzig–Polen hatte Hermann Rauschning für Hitler und Gauleiter Forster offenbar seine Schuldigkeit getan. Als er Anfang September von einer Sitzung des Völkerbundes in Genf nach Danzig zurückkehrte, sah er sich mit ultimativen Forderungen Forsters konfrontiert, die bei Nichterfüllung Rauschnings Rücktritt zwingend machen sollten. Dazu zählte an erster Stelle die Forderung nach Ent112

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lassung der beiden engsten Mitarbeiter Rauschnings, Streiter und Bechmann, ferner jene nach Zurückdrängung des Völkerbundeinflusses, eine Wiederaufnahme der Frontstellung gegen Polen und die Schleifung der Opposition im Freistaat in Form einer Auflösung der SPD und der Gewerkschaften sowie die Schließung nichtnationalsozialistischer Zeitungen.271 Nicht nur lehnte Rauschning die Erfüllung dieses Kataloges ab, vielmehr beauftragte er Streiter, das Ultimatum Forsters in die Danziger Öffentlichkeit, vor allem aber in die Wirtschaftskreise, zu lancieren. Auf Anweisung Rauschnings überbrachte ein »Mittelsmann« Streiters ein Exemplar des Ultimatums auch der in Warschau erscheinenden offiziösen Zeitung Kurier Poranny, die es auch veröffentlichte. Dies wiederum führte zu Vorstellungen des polnischen diplomatischen Vertreters in Danzig, Papee, beim Senat.272 Doch damit nicht genug, griffen Forster und sein Stellvertreter Greiser zu einem weiteren Mittel, um Rauschnings Position zu schwächen. Anlass bot ihnen Theodor Loevy, lettischstämmiger Herausgeber einer Wirtschaftszeitung und der jüdischen Tageszeitung Danziger Echo. Loevy wurde der Verletzung von Pressebestimmungen und des Besitzes von kommunistischem Propagandamaterial beschuldigt und am 20. September 1934 verhaftet. Im Verlauf seiner Verteidigung erwähnte Loevy eine Zusammenarbeit mit Georg Streiter und Hellmut Bechmann. Diese Aussage entsprach den Umständen ebenso wie der Tatsache, dass Rauschning in Loevy einen guten Kontaktmann sowohl zur jüdischen Gemeinde Danzigs wie zur örtlichen Geschäftswelt besaß. Gelegentlich publizierte der Senatspräsident in Loevys Tageszeitung Artikel zur »Judenfrage«.273 Die Danziger Parteileitung nahm Loevys Informationen zum Anlass, Streiter und Bechmann wegen verräterischer Aktivitäten verhaften zu lassen.274 Rauschning erkannte nun, dass seine Zeit als Senatspräsident ablief. Doch er wehrte sich. Um von dem offiziellen Danziger NSDAP-Organ Danziger Vorposten unabhängig zu werden, initiierte er mit der Gründung des Danziger Tageblatts eine eigene Zeitung, für deren Leitung er den bekannten Journalisten Fritz Klein gewinnen konnte und deren erste Nummer am 29. September erschien. Auch Peter Bamm, der spätere Bestsellerautor in der Bundesrepublik, gehörte zu dem kleinen Redaktionsteam, das vor allem mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Nach wenigen Monaten wurde das Blatt eingestellt.275 Rauschning war jedoch nicht bereit, sang- und klanglos aus dem Amt zu scheiden, sondern er wollte Hitler in sein Finale einbeziehen, wenn sich nicht doch noch eine Wendung zu seinen Gunsten ergeben sollte. Ende September reiste er nach BerKonfrontation

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lin, um dort an einem ruhigen Ort jenes bereits erwähnte Memorandum zur Lage in Danzig abzufassen. Gegenüber seinem angloamerikanischen Lesepublikum im späteren Exil begründete er die Wahl eines solchen Ortes – er schreibt vom Diktat des gut 18-seitigen Textes in Räumen des Auswärtigen Amtes – mit seiner Furcht vor Parteispitzeln in Danzig, die überall um ihn herum gewesen seien, nachdem die Partei den Text seines Telegramms276 an Franz von Papen in die Hände bekommen habe, in dem er den Vizekanzler zu dessen mutiger Rede in der Marburger Universität am 17. Juni 1934 beglückwünscht hatte.277 Rauschning nutzte seine Denkschrift vor allem, um seine bisherige Politik in Danzig zu rechtfertigen. Solange das Reich nicht imstande sei, Danzig machtvoll zu unterstützen, sei es für die Freie Stadt absolut notwendig, mit Polen zu kooperieren, schrieb er. Vollständige Abhängigkeit von Warschau könne nur durch Respekt vor der Position des Völkerbundes als des Garanten der Verfassung verhindert werden. Gauleiter Forsters ständige Einmischung in Angelegenheiten des Staates bedrohten die komplizierten Verhältnissse an der Mottlau, argumentierte der Senatspräsident. Außenminister von Neurath, der das umfangreiche Papier Rauschnings am 28. September entgegennahm, entsprach dessen Wunsch auf Weiterleitung der Ausarbeitung an Hitler. In seinem Anschreiben an den Reichskanzler vom 29. September, dem das Memorandum als Anhang beigefügt war, stellte sich von Neurath eindeutig auf die Seite Rauschnings, in dem er sich dessen Klagen über Forsters »Eingriffe in die Verwaltung Danzigs« laut »Ziffer IV (Seite 18) der beiliegenden Denkschrift« zu eigen machte. »Mit Rücksicht auf die schwierige Stellung der Stadt Danzig« erscheine es ihm notwendig, »dem Dualismus zwischen der Parteileitung und der nationalsozialistischen Regierung Danzigs Einhalt zu tun«. Der Außenminister schlug Hitler deshalb vor, »daß Sie, wie dies übrigens bereits einmal geschehen ist, dem Gauleiter Forster die Anweisung geben, sich jeder Eingriffe in die Exekutive zu enthalten«. Rauschning befinde sich »zur Zeit hier und wohnt im Hospiz am Bahnhof Friedrichstraße«. Er habe »gebeten, von Ihnen empfangen zu werden. Falls dies möglich ist, würde ich dies für sehr nützlich halten.«278 Hitler empfing Rauschning nicht.279 Wohl zu Recht schreibt Rauschning, dass der Reichskanzler das Memorandum vermutlich gar nicht gelesen habe; Hitler stand nicht gerade im Ruf eines peniblen Lesers ausführlicher schriftlicher Ausarbeitungen. Aus der Rückschau gewinnt man den Eindruck, dass Rauschning mit seiner Denkschrift der Nachwelt eine Art Rechtfertigungsschrift hinterlassen wollte für den Fall, dass sein politi114

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sches und möglicherweise auch physisches Ende bald einträte. Ihm dürften die äußerst geringen Chancen bewusst gewesen sein, dass Hitler bei dem nun unausweichlichen Entscheidungskampf ihm den Vorzug vor seinem von ihm besonders geschätzten Gauleiter geben würde. Und noch während seines Aufenthaltes in Berlin führten Forster und Greiser den nächsten Schlag gegen ihn. Greiser traf Rauschning in der Reichshauptstadt und konfrontierte den Senatspräsidenten mit neuen Forderungen Forsters. Dazu gehörte ein mehrmonatiges Verbot der oppositionellen Zeitungen Danziger Volksstimme, Danziger Volkszeitung und Danziger Echo, die Inhaftierung katholischer Geistlicher, soweit gegen diese Material vorliege, die Ausweisung von Theodor Loevy als Herausgeber der jüdischen Zeitung Danziger Echo, der rücksichtslose Einsatz aller staatlichen Machtmittel zwecks Zerschlagung der oppositionellen Parteien sowie die sofortige Entlassung von Rauschnings »engeren Mitarbeitern Streiter, Bechmann, Senatsrat Haag«. Gegen Streiter werde seitens der Partei und der SA wegen seines »angeblichen judenfreundlichen Verhaltens ein Ausschlußverfahren durchgeführt«.280 Rauschning lehnte die Erfüllung der gestellten Forderungen ab,281 womit Forster vermutlich gerechnet haben dürfte; es sollte dies eben die Sollbruchstelle zwischen ihm und Rauschning sein. Nur gut eine Woche nach Bekanntgabe der Forderungen gegenüber von Neurath wandte sich der immer noch in Berlin weilende Senatspräsident an Staatssekretär von Bülow mit der Bitte, ein Schreiben von ihm »an den Reichskanzler und Führer Hitler« entweder durch ihn selber oder unter Vermittlung Außenminister von Neuraths an den Adressaten gelangen zu lassen.282 In dem Schreiben informierte Rauschning Hitler darüber, dass er am 5. Oktober vom Senatsvizepräsidenten Greiser die Forderung Forsters übermittelt bekommen habe, »von meinem Posten als Präsident des Senats in Danzig unverzüglich zurückzutreten«. Im »Interesse der Partei wünsche er eine Lösung durch freiwilligen Rücktritt auf Grund von Krankheit«. Forster sei »jedoch auch gewillt, bei Widerstand meinen Rücktritt durch ein förmliches Mißtrauensvotum im Volkstag zu erzwingen«. Gauleiter Forster werde laut Greiser diese »Regelung vornehmen«, weil er dazu »von Ihnen, mein Führer«, ermächtigt sei, da der Reichskanzler selber sich »aus politischen Gründen in die inneren Verhältnisse Danzigs nicht einmischen wolle«. Rauschning erklärte sodann, er habe »vom Tage an in selbstverständlicher Parteidisziplin dem Ersuchen des Gauleiters«, das ihm »lediglich mündlich übermittelt« worden sei, »vorläufig Folge geleistet« und »jede Konfrontation

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Amtshandlung unterlassen« und sei »bereit, aus Krankheitsgründen freiwillig zurückzutreten«, wenn seinem »Nachfolger damit der Weg geebnet« werden könne. Der Senatspräsident verwies Hitler noch einmal auf die schwierige »außen- und innenpolitische Lage Danzigs«, die im Falle seines Rücktritts einer »unausbleiblichen Vertrauenserschütterung« ausgesetzt sein werde. Auch das Verhältnis zu Polen werde davon »nicht unberührt bleiben«, zumal er, Rauschning, seit seiner »Audienz beim Marschall ­Pilsudski als Ihr besonderer Vertrauensmann« gelte. Die zu erwartenden »Erschütterungen« in Danzig dürften ferner auch Auswirkungen auf die »Abstimmungsergebnisse im Saargebiet« haben, so Rauschning. Die »Verantwortung für die kommende Entwicklung« unter der »unüberlegten Führung des Gauleiters Forster« zwinge ihn daher, »vor meinem Rücktritt Ihr ausdrückliches Einverständnis zu meiner Abberufung baldmöglichst zu erbitten, umso mehr, als die Entscheidung unfraglich als von Ihnen gefällt gelten wird«. Abschließend wiederholte Rauschning noch einmal seine Auffassung, wonach er seinen Rücktritt ohne die »ausdrückliche Zustimmung« Hitlers nicht erklären könne, und bat unter Hinweis auf das wenige Tage zuvor überstellte Memorandum zur Lage Danzigs um eine »Entscheidung« des Führers. Außenminister von Neurath übergab Hitler den an ihn gerichteten Brief Rauschnings am Morgen des 11. Oktober.283 Nach der über dieses Treffen angefertigten Aufzeichnung nutzte von Neurath die Gelegenheit, um Hitler über die Danziger Verhältnisse und die »Wirkungen des Konflikts zwischen Rauschning und der Parteileitung in Danzig Vortrag« zu halten. Hitler zeigte sich »über den Konflikt genau unterrichtet« und erklärte, er habe schon einmal, nämlich Anfang Dezember 1933, »mit großer Mühe die Differenzen zwischen der Parteileitung und Rauschning beigelegt«. Hitler lehnte es ab, die von Rauschning erbetene Entscheidung auszusprechen, und dies mit der Begründung, er »würde sich damit einer Einmischung in ein ihm nicht unterstehendes Hoheitsgebiet schuldig machen«. Im Übrigen müsse Rauschning »die Konsequenzen ziehen und abgehen«, wenn er nicht mehr das Vertrauen der Danziger Parteigruppe genieße. »Er, der Kanzler, werde ihn nicht halten.« Von Neurath machte Hitler noch auf das »groteske Bild« aufmerksam, das sich ergeben würde, wenn Rauschning durch ein Misstrauensvotum der eigenen Partei gestürzt würde. Dies müsse auch für seinen Nachfolger »abträglich« sein, falls dieser Nationalsozialist sei. Hitler entgegnete, zwischen Forster und Rauschning »schwebten bereits Verhandlungen« wegen des Rücktritts, und er beauftragte von 116

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Neurath abschließend, »Rauschning mitzuteilen oder mitteilen zu lassen, daß er ihn nicht halten könne und wolle. Er wünsche aber, dass die Angelegenheit ohne Skandal erledigt werde.« Am selben Tag, an dem von Neurath Hitler in der Reichskanzlei aufsuchte, am 11. Oktober, wandte sich Rauschning von seinem Anwesen in Warnau aus mit einem Schreiben an Ministerialdirektor Meyer im AA.284 Die Lage in der Freien Stadt habe sich mittlerweile »außerordentlich kritisch zugespitzt«, erklärte Rauschning darin und ging dann zum Angriff über. Wenn nicht »in kürzester Frist« eine Entscheidung falle, werde er die von ihm gegenüber Staatssekretär von Bülow »in Aussicht gestellte Absicht, wieder die Dienstgeschäfte« zu führen, wahr machen und darüber hinaus bei Generalkonsul von Radowitz »die befristete Abberufung des Herrn Staatsrats Forster wegen Gefährdung der außenpolitischen Stellung und der Unabhängigkeit Danzigs von Polen« verlangen. Rauschning drohte Meyer mit einer Situation, in welcher der Konflikt dann »unvermeidlich in aller Öffentlichkeit ausgetragen« werde und die Notwendigkeit entstehe, seinen »Rücktritt durch ein Mißtrauensvotum im Volkstag zu erzwingen«. Rauschning lehnte es ferner ab, »die Lösung der gegenwärtigen Krisis« lediglich durch Anweisung seines Stellvertreters Greiser »hinzunehmen«. Er bitte Meyer darum, das vorliegende Schreiben zu einer Unterredung mit von Neurath zu benutzen und ihn »baldmöglichst wissen zu lassen«, »ob überhaupt und wann eine Entscheidung des Führers zu erwarten« sei. Abschließend bat er Meyer, eine dem Brief beigefügte Aufzeichnung seines Gesprächs mit Staatssekretär von Bülow in Berlin von Anfang Oktober »zur Kenntnis zu nehmen«. Er wäre Meyer »dankbar«, wenn er, Rauschning, die »schriftliche Zustimmung des Herrn Staatssekretärs zum Inhalt« der Aufzeichnung bekommen könne. Meyer notierte am Rande des Schriftstücks: »Mit Herrn RM (und dem) St.S. besprochen. Der Herr St.S. lehnt es ab, irgendwelche Erklärungen abzugeben, das geschehe niemals. M(eyer, A. H.) 13.10.« Zwei Tage später »eröffnete« Außenminister von Neurath Rauschning in Berlin die Entscheidung Hitlers, die dieser ihm in der Besprechung vom 11. Oktober mitgeteilt hatte. Der Minister wiederholte wortgleich die Begründung Hitlers für diesen Schritt und teilte Rauschning mit: »Er, der Reichskanzler, könne ihn nicht halten.«285 Rauschning bat von Neurath daraufhin, ihm »diese Erklärung schriftlich zu geben«, was der Minister mit der Begründung ablehnte, seine mündliche Erklärung müsse ihm genügen. Auf die wiederholte Bitte Rauschnings, die durch die Begründung Konfrontation

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untermauert wurde, dass er »gegenüber seinen Anhängern in Danzig eine Deckung haben müsse, falls er jetzt sein Abschiedsgesuch« einreiche, er aber zugleich von einer Veröffentlichung der Mitteilung absehen wolle, sagte von Neurath zu, ihm über das Generalkonsulat in Danzig »eine Bestätigung der von mir gemachten Erklärung zukommen zu lassen«.286 Die Aufzeichnung von Neuraths hielt des Weiteren eine Beschwerde des Senatspräsidenten darüber fest, dass ihm von Forster und seiner Umgebung die Behauptung unterstellt werde, er habe für den Fall seines freiwilligen Rücktritts finanzielle »Zuwendungen« und die »Bezahlung privater Schulden« zugesichert bekommen. Er müsse diese Behauptung »auf das Entschiedenste zurückweisen«, die »Entschädigung eines abgehenden Senatspräsidenten sei in der Danziger Verfassung geregelt«, darüber hinausgehende Forderungen habe er nicht gestellt. Von Neurath schloss seine Aufzeichnung mit der Feststellung, er habe Rauschning »noch gewarnt, nach seinem Abgang etwa den Mittelpunkt einer Fronde zu bilden«. Diese »Warnung« schien ihm »notwendig, weil der Ton und die Ausdrücke, in denen Herr Rauschning von seinen Gegnern in der Partei sprach, jedes Maß vermissen ließen«. Es kam zum Eklat: Von Neurath brach das Gespräch mit Rauschning ab, als dieser sich »zu der Drohung« verstiegen habe, dass er, von Neurath, für die Folgen verantwortlich sei, »die sich aus der Weigerung des Führers, ihn gegenüber seinen politischen Gegnern in Danzig zu unterstützen, ergäben«. Am Nachmittag des 13. Oktober kam es im AA noch zu einer Begegnung zwischen von Neurath und Gauleiter Forster, in deren Verlauf der Minister den Gauleiter über seine Unterredung mit Rauschning unterrichtete. Forster räumte ein, dass Rauschning keine finanziellen Forderungen für den Fall seines freiwilligen Rücktritts gestellt habe, behauptete jedoch, der Senatspräsident habe gefragt, »was man ihm dafür bezahle, wenn er keinen Skandal mache«. Forster riet im Übrigen von einer schriftlichen Erklärung für Rauschning ab. Er versicherte, er werde in Zukunft »in allen Danziger Fragen mehr als bisher mit dem AA Verbindung … halten«, was ihm von Neurath seiner Aufzeichnung zufolge »nahegelegt hatte«.287 Während seines Aufenthaltes in Berlin traf Forster am Abend des 15. Oktober auch mit Goebbels zusammen, dem er »von Danzig erzählt(e)«. Das Tagebuch des Propagandachefs hielt zu dem Gespräch lediglich fest: »Rauschning muß weg.«288

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Ein Aufstand gegen Gauleiter Forster? Manches deutet darauf hin, dass Rauschning im Frühherbst 1934 seinerseits eine direkte Aktion, einen Putsch, gegen die Gauleitung um Forster und Greiser plante. Der Leiter der Senatspräsidialabteilung zur Zeit des Senats Rauschning, Kurt Krüger, berichtete nach dem Zweiten Weltkrieg über »Rauschnings Kampf gegen Gauleiter Forster«289. »Noch im September bzw. Oktober 1934« habe der Senatspräsident versucht, »Forster auszuschalten«, schrieb Krüger. Rauschning habe damals ihn sowie den SA-Brigadeführer Linsmayer, den der Senatspräsident als »einen der vielen sympathischen jungen und echt patriotischen Männer« durchaus schätzte, mit »seinem Dienstwagen« in die »Abgeschiedenheit« seines Anwesens in Warnau kommen lassen, um dort unbemerkt von »Forster und seinen Helfern eingehend die Möglichkeiten für die notwendige Ausschaltung Forsters und Greisers« zu erörtern. Krüger will insbesondere auch durch Informationen von Finanzsenator Julius Hoppenrath über »bedenkliche finanzielle Maßnahmen Greisers«, hinter »denen z. T. Forster« gestanden habe und von denen auch »das Gaugericht Kenntnis« erhalten habe, zur Teilnahme an der Besprechung in Warnau motiviert worden sein. Nach mehrstündigen Diskussionen habe man sich vertagt, so Krüger, wobei Rauschning gesagt habe, er wolle sich noch nicht festlegen. Anfang November kam es auf dem Hof Rauschnings zu einer Neuauflage des Treffens, das jedoch sehr kurz ausfiel und mit der eindeutigen Erklärung des Hausherrn endete, er wolle sich Forster beugen und zurücktreten. Nach Informationen des früheren Danziger SPD-Vorstandsmitglieds und Journalisten Erich Brost, der trotz parteipolitischer Gegnerschaft zu Rauschning diesen als Menschen schätzte, soll Rauschning nicht nur mit Linsmayer von der SA, sondern auch mit dem Befehlshaber des Wehrkreiskommandos I in Königsberg, General Walther von Brauchitsch, über den Putsch gesprochen und ihn dafür »gewonnen« haben. Die »Furcht vor äußeren Komplikationen und vor allem die Berücksichtigung der Möglichkeit, daß die polnische Seite einen Putsch für ihre Ziele ausnutzen könnte«, hätten jedoch das Vorhaben zu Fall gebracht.290 Neben dem Risiko einer polnischen Intervention drohte natürlich auch das Menetekel eines Stopps jeglicher deutscher Hilfe für Danzig, über dessen Konsequenzen sich insbesondere Rauschning klar gewesen sein dürfte.291 Da die Behauptung eines wesentlich von Hermann Rauschning initiierten Aufstandes gegen die Parteileitung um Forster und Greiser bislang kaum über das Stadium eines Ein Aufstand gegen Gauleiter Forster?

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Gerüchts hinausgekommen ist, seien hier einige wenige neue Erkenntnisse zu diesem Komplex vorgestellt. In den spärlichen Dokumenten des Wehrkreiskommandos I, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben, findet sich ein undatierter »Bericht über die Unterredung mit dem Senatspräsident Rauschning über die Lage in Danzig am 12.10.1934«, der nicht unterzeichnet ist, möglicherweise aber von General von Brauchitsch stammt. Rauschning habe ihn, den nicht bekannten Verfasser des Berichts, »um eine Unterredung gebeten«, heißt es in der Aufzeichnung einleitend.292 Der Senatspräsident schilderte seinem Gesprächspartner sodann die jüngsten, bereits genannten Ereignisse, also: Forderung Forsters nach Rauschnings Rücktritt aus Krankheitsgründen, Einverständnis des Senatspräsidenten vorbehaltlich der Zustimmung Hitlers, Übergabe des Memorandums für Hitler in Berlin, auf das eine Antwort sowie eine Entscheidung des Reichskanzlers noch ausstehe. Rauschning betonte nach dem Bericht die Notwendigkeit, eine solche Politik in Danzig zu betreiben, die Polen und dem Völkerbund keinen Vorwand zum Eingreifen biete. Nach Auffassung Rauschnings sei Voraussetzung dafür das Vertrauen Warschaus in die Leitung der Danziger Politik. Hier aber habe Gauleiter Forster insofern »unbedingt Fehler gemacht, als seine offiziellen Äußerungen über das Verhalten zu Polen in Widerspruch zu seinen Ausführungen vor der Partei« stünden. Diese aber seien den Polen bekannt, »deshalb halten sie Forster politisch nicht für zuverlässig«. Rauschning, so der Bericht, fürchte, dass »Polen eines Tages die Forderung an Danzig stellen könnte, Danzig solle den Gauleiter ­Forster als unerwünschten Ausländer ausweisen, falls dieser sein Verhalten nicht grundlegend ändere. Das würde aber für Danzig wie für das deutsche Reich eine sehr unangenehme Lage ergeben.« Es folgt in dem Bericht ein Absatz, der zwar durchgestrichen, aber gleichwohl gut zu lesen ist und eventuell einen Hinweis auf Handlungsalternativen Rauschnings in jener Situation liefert. Es heißt dort: »R. hat nochmals den Versuch gemacht, eine Entscheidung des Führers zu erhalten. Sollte sie jetzt auch ausbleiben, beabsichtigt er, nach Danzig zurückzukehren, die Geschäfte des Senatspräsidenten wieder zu übernehmen und offiziell bei dem Deutschen Reich die Abberufung des Gauleiters Forster zu beantragen.« Der nicht durchgestrichene Schlussabsatz des Berichts referiert Rauschning mit der Bemerkung, dass, »wenn der Führer wünsche, daß der Gauleiter Forster maßgebend die Politik Danzigs beeinflusse, Forster dann seine Ämter im Deutschen Reich niederlegen, Danziger Staatsbürger und dann Senatspräsident werden solle«. Er, Rauschning, sei bereit, »falls gewünscht, dann unter Forster zu arbeiten«.293 Rauschning selber hat 120

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die von-Brauchitsch-Episode in seinem Buch The Conservative Revolution erwähnt und hier auch mitgeteilt, dass bei der geplanten Aktion Gauleiter Forster »als unerwünschter Ausländer« aus Danzig hätte abgeschoben sowie die SS und die SA hätten aufgelöst werden sollen. General von Brauchitsch habe ihn in einem Gespräch ermutigt, den Plan eines Aufstandes weiterzuverfolgen; er, Rauschning, solle Gelegenheit bekommen, zu beweisen, dass in Danzig eine demokratische Ordnung wiederhergestellt werden könne, sobald der National­sozialismus abgetreten sei. Bei der Durchführung der Aktion hätte man sich auf die Danziger Polizei verlassen können, die, so Rauschning – in diesem Punkt wohl irrend –, zu jener Zeit »entschieden anti-Nazi gewesen sei«.294 Eine ebenfalls undatierte Aufzeichnung des Wehrkreiskommandos I, die von einem »Oberst Bock am 15.10.34« stammt, enthält einen »Bericht über die Lage in Danzig« und wurde ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem Auftritt Rauschnings in Königsberg drei Tage zuvor angefertigt. Da sie eine knappe und dabei schonungslose Analyse der Danziger Situation und am Ende zwischen den Zeilen die Absage an einen möglichen Putsch liefert, soll sie hier vollständig wiedergegeben werden. Es heißt darin: Innerpolitische Lage äußerst gespannt. Gauleiter Forster hat (angeblich auf Weisung des Führers) den Senatspräsidenten Rauschning zum Rücktritt gezwungen. Vizepräsident Greiser soll anscheinend Senatspräsident werden. Er hat Rauschning fallen lassen und sich Forster verschrieben. Forster beherrscht den Senat, der nur scheinbar die Regierung führt. Rauschning ist die tüchtigste, anständigste und zuverlässigste Persönlichkeit, staatsmännisch und charakterlich der beste Mann in Danzig. Seine Politik ist unter den gegebenen Verhältnissen die einzig tragbare. Greiser und Forster werden als Regierende sehr viel größere Schwierigkeiten haben. Sie sind keine Staatsmänner. Greiser ist eine undurchsichtige Persönlichkeit, der früher schon sich Titel und Orden zu unrecht zugelegt hat und gegen den angeblich jetzt eine Untersuchung des Gaugerichts laufen soll. Forster will mit Gewalt die Partei regieren lassen ohne Rücksicht auf das Völkerbundstatut, aber anscheinend nicht selbst Senatspräsident werden und nach außen Verantwortung tragen. Er ist nicht Danziger Staatsbürger, Preußischer Staatsrat und Führer der Deutschen Angestelltenschaft. Seine Politik muß zur Katastrophe führen, da der Hohe Kommissar und Polen eingreifen werden, wenn die vom Völkerbund garantierte Verfassung verletzt wird. Die Stimmung in der Danziger Bevölkerung ist schlecht. Sozialdemokratie macht sich wieder bemerkbar. Gewerkschaften sind erheblich angewachsen. Die besten Leute wollen nicht mehr Ein Aufstand gegen Gauleiter Forster?

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mitarbeiten, weil eine Parteibonzen-Wirtschaft schlimmster Art herrscht. Beamte sind unzufrieden, weil Beförderungen gesperrt. Wirtschaftslage infolge Fehlens der Unterstützung des Reichs und Devisen sehr gespannt. Außenpolitisch droht Gefahr, weil innere Spannung bekannt. Abkommen über Recht Polens zum Einrücken!

An diese Lagebeschreibung schloss die Aufzeichnung das am Rande handschriftlich kräftig markierte »Urteil des Wehrkommandos« an, in dem es hieß: Inzwischen sind die engsten Mitarbeiter Rauschnings durch Vizepräsident Greiser ihrer Ämter enthoben.295 Für Danzig besteht die Gefahr des Schicksals von Österreich oder Memel.296 Wenn der Völkerbund oder Polen eingreifen, so ist Danzig für Deutschland verloren, weil dieses nicht helfen kann. Ostpreußens Lage wird noch schwieriger. Es steht das Prestige Deutschlands auf dem Spiel. Wenn jetzt Neuwahlen erfolgen, verliert die N.S.D.A.P. unter Umständen die Majorität. Mit dem Fallen der jetzigen Regierung, mit der Einwirkung Polens erfolgt Auflösung der Landespolizei. Damit entfällt die Verteidigungsfähigkeit Danzigs, offenbart sich die deutsche Unterstützung (Folgen für uns!), verlieren wir alle Waffen und Ausrüstung, die wir gaben.297

Die letzte Bemerkung korrespondiert mit Informationen, die Hermann Rauschning nach seinem Bruch mit Hitler dem britischen Geheimdienstoffizier Group Captain (etwa Oberst) Malcolm Christie in Paris oder in England gab und über die Christie unter dem 1. Juli 1939 Notizen anfertigte. Christie, des Deutschen auf Grund seines Chemiestudiums in Aachen und langjähriger Aufenthalte in Deutschland durchaus mächtig, notierte folgende Angaben von »Rausch«, wie er den ehemaligen Senatspräsidenten kurz nannte: Hitlers Taktik der Willenslähmung durch allmähliches Vorgehen: zuerst Penetration Danzig Gebiet: schon 1933/34. Maschinengewehre, Minenwerfer, Artillerie u. Granaten hineingeschmuggelt u. zuvor von Ostpreußen über Nogat Flußbrücke nachts während poln. Zollinspektoren schliefen oder aßen: besondere Signale bahnfrei für Lastwagen. Auch am Waldstrand Danziger Bucht (Spritschmuggler).298

Es bleibt anzumerken, dass Rauschning in großer zeitlicher Distanz zu den Ereignissen in Danzig, nämlich ca. 30 Jahre später, seiner Enttäuschung über die seinerzeitige Haltung der Reichswehr gegenüber »Terror und Gewaltherrschaft« der Nationalsozialisten Ausdruck verliehen hat. Bereits bei einem Besuch bei von Brauchitsch in Königsberg im späten Jahre 1933 122

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habe dieser ihn »brüsk« wissen lassen, dass der »politische Sektor« in der deutschen Politik von der »Partei übernommen« worden sei; man wolle seitens der Reichswehr nicht wie im Ersten Weltkrieg die politische Verantwortung für Dinge übernehmen, die die »politischen Stellen sich scheuten zu vertreten«. Er, Rauschning, habe gedacht, dass die »Generalität« wenigstens nach dem »Röhm-Putsch« vom 30. Juni 1934 zur Besinnung gekommen sei, um als »einziger außer der Partei noch vorhandener Machtfaktor die Ordnung wiederherstellend einzugreifen«. Letzte Hoffnungen auf die Reichswehr seien bei ihm schließlich nach dem Tode von Reichspräsident Hindenburg im August 1934 zerstoben, als die »Wehrmacht mit der Annahme der totalen Diktatur Hitlers als Präsident und Reichskanzler in Personalunion und damit auch oberster Befehlshaber« »die Möglichkeit eines neuen Kurses« habe verstreichen lassen.299

»Präsidentenkrise« und Rücktritt Die politische Stimmung in Danzig während der Monate Oktober und November 1934 wurde von der »Präsidentenkrise« geprägt, die laut Generalkonsul von Radowitz »eine stark gespannte Atmosphäre« hervorgerufen hatte und »in allen Kreisen den Gesprächsstoff« bildete.300 Auf Grund von Erkenntnissen des polnischen Geheimdienstes, der »gewöhnlich über die Danziger Verhältnisse gut informiert war«, erblühte im Schatten der nationalsozialistischen Diadochenkämpfe seit März 1934 sogar das Leben der Opposition an der Mottlau,301 sieht man einmal von den seit Ende Mai verbotenen kommunistischen Aktivitäten ab. Hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen behaupteten sich vor allem die SPD und das Zentrum, während die DNVP zahlenmäßig deutlich schwächelte. Auch wenn Daten über Parteiwechsel fehlen, werden vermutlich viele DNVP-Anhänger zur NSDAP gewechselt sein, ein Vorgang, der auch unter den DNVP-Abgeordneten in Volkstag und Senat öffentlich sichtbar geworden war. Versammlungen der SPD in Zoppot erfreuten sich seit März 1934 nach den polnischen Informationen wieder stärkeren Zulaufs. Eine von der SPD für den 17. des Monats geplante öffentliche Kundgebung wurde jedoch von der Polizei abgesagt, nachdem es auf Grund nationalsozialistischer Provokationen an der Kasse zu einer Schlägerei gekommen war. Insbesondere parteinahe Sportverbände waren die Zielscheibe von Aktionen der NSDAP-­ Anhänger. Symptomatisch dafür waren die Vorgänge um den Waldlauf »Präsidentenkrise« und Rücktritt

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im Rahmen des Sportfestes des »Arbeiter-, Turn- und Sportverbands«, der am 5. November stattfand. Das Datum markierte zugleich den Beginn der Schlussphase des Wahlkampfs für die Kreistagswahlen in der Danziger Niederung und im Großen Werder, deren Termin nach längerer Geheimhaltung nun für den 18. November 1934 geplant war. Während des Waldlaufs wurden der Verbandsvorsitzende Hermann Thomat und einige weitere Mitglieder verhaftet und »dann wegen Beleidigung von SA-Männern zu Gefängnisstrafen bis zu zwei Monaten« verurteilt.302 Nur zwei Tage nach diesen und ähnlichen Ereignissen im Wahlkampf hatte Generalkonsul von Radowitz eine »lange Unterredung« mit dem Hochkommissar Sean Lester, in der u. a. auch diese Vorgänge thematisiert wurden.303 Lester wies in dem Gespräch darauf hin, dass ihm deshalb von »sozialdemokratischer und christlich-nationaler Seite in den letzten Tagen viele Beschwerden« vorgetragen worden seien, die er dadurch zu entkräften versucht habe, dass es auch in den Wahlkämpfen »demokratischer Länder blutige Köpfe« gebe und Einzelfälle der geschilderten Art ihn »nicht zu irgendeiner Aktion bewegen« könnten. Andrerseits, so Lester, müssten die Nationalsozialisten ein Eigeninteresse daran haben, dass ihre Wahlkampfführung über jeden Zweifel erhaben bleibe. Der Generalkonsul machte Lester daraufhin auf einen »heute erfolgten« und von Forster, Linsmayer und dem örtlichen SS-Brigadeführer unterzeichneten Aufruf aufmerksam, wonach jeder Nationalsozialist unnachsichtig aus der Partei und ihren Gliederungen ausgeschlossen werde, der versuche, die von der Verfassung garantierte Wahlfreiheit anzutasten. Lester habe das mit »großer Befriedigung zur Kenntnis« genommen, so von Radowitz, und er habe ergänzt: »Niemand würde sich mehr freuen als er, wenn er nicht zu Berichten an den Völkerbundrat gezwungen würde.« Den überwiegenden Teil des Gesprächs nahm jedoch die »Präsidentenkrise« ein. Wieder gab der Hohe Kommissar in diesem Zusammenhang seiner Dankbarkeit darüber Ausdruck, dass es seit seiner Amtsübernahme »immer gelungen« sei, »Beschwerden über vermeintliche Verletzung« der Danziger Verfassung so abzubiegen, dass »eine Inanspruchnahme des Völkerbundrates« habe vermieden werden können. Verantwortlich dafür sei, so Lester gegenüber von Radowitz, vor allem Senatspräsident Rauschning, der »ein sehr feines Verständnis für die besonders schwierige Lage« der Freien Stadt habe. Mit der krankheitsbedingten Abwesenheit Rauschnings habe sich aber »diese Lage grundätzlich verschlechtert«. Zwar nehme man nun seine, Lesters, »Anregungen und Hinweise scheinbar verständnisvoll« 124

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entgegen, doch blieben diese »ohne die erhoffte Auswirkung«. Als Beispiele nannte Lester die Ausrüstung der SA und der SS mit Dolchen und eine Rede Greisers an die Polizeiorgane vom 2. November, in der dieser laut Danziger Volksstimme gesagt hatte, er »würde nicht rasten, bis jeder Arbeitnehmer des Freistaats ein Nationalsozialist geworden sei«. Auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Danzig und Polen zeigte sich der Hohe Kommissar »sehr beunruhigt«, da die Abwesenheit Rauschnings viel Erreichtes wieder gefährden könne. Mit Rauschning habe er »voller Vertrauen zusammenarbeiten«304 können, nun aber fürchte er, dass Danziger Angelegenheiten wieder einmal die nächste Genfer Ratstagung beschäftigen könnten. Naturgemäß versuchte der deutsche Generalkonsul, Lester zu beschwichtigen und die Kontinuität der Beziehungen zwischen Danzig und Polen zu beschwören, die ohnehin nicht anders aussehen könnten als jene zwischen dem Reich und Polen – und somit erfreulich aussähen. Unabhängig von der Wiedergabe des Gesprächs mit L ­ ester, aber durchaus dessen Bemerkungen bezüglich Polens unterstützend, hielt die Aufzeichnung von Radowitz’ dessen Besorgnis im Blick auf »das tiefe Mißtrauen der Polen« wegen der »Präsidentenkrise« fest. Aber auch »innerpolitisch«, so der Generalkonsul, wirke die Krise »beunruhigend«. Es dürfe »als feststehend angenommen« werden, dass die »gesamte Bauernbevölkerung Danzigs« hinter Rauschning stehe, den sie als besten Sachwalter ihrer Interessen angesichts der wirtschaftlichen Situation sowie der »Devisenlage des Reichs« ansehe. Es stehe »zu befürchten, dass die Bauern bei Bekanntwerden des Rücktritts des Senatspräsidenten widerspenstig werden und der nationalsozialistischen Führung aus der Hand gleiten«. Darüber hinaus gebe es in Danzig noch »unzufriedene Elemente anderer Schattierungen«, die gemeinsam mit den Bauern eine »Fronde von solchem Ausmaß bilden könnten, dass die nationalsozialistische Führung in Frage gestellt werden könnte«. Auch »für die Beurteilung« des Nationalsozialismus »im Ausland« sah von Radowitz eine »ernste Gefahr«, der man mit »allen Kräften« begegnen müsse.305 Einigermaßen erregt wandte sich von Radowitz gut eine Woche nach dieser Aufzeichnung an Ministerialdirektor Meyer im AA.306 Zwar vermeldete er in dem Schreiben vom 15. November zunächst vorsichtigen Optimismus hinsichtlich der Bemühungen, Rauschning im Amt zu halten. »Eine der Aktionen« laufe »beim Reichsminister Heß« und sie habe, so der Generalkonsul, nach dem, was er »vertraulich höre, Aussicht auf Erfolg«. Wenn es gelinge, »Rauschning zu halten«, sei damit die Lage in »Präsidentenkrise« und Rücktritt

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Danzig »innen- und außenpolitisch hundertprozentig gesichert«, soweit die »wirtschaftliche Misere« das zulasse. Von Radowitz bat Meyer dringend, bei Heß für eine Stärkung der Position Rauschnings einzutreten, und er ermutigte den Ministerialdirektor, zu diesem Zweck Gebrauch von seiner Aufzeichnung vom 7. November zu machen. »Vertraulich« wolle er noch anmerken, dass »die Aversion des Hohen Kommissars und der polnischen diplomatischen Vertretung gegen irgendeinen Nachfolger Rauschnings noch viel krasser und schärfer« sei, als er sie in jenem Dokument zum Ausdruck gebracht habe. Der Generalkonsul warb bei Meyer geradezu inständig dafür, alles zu tun, Rauschning wenigstens noch »für einige Monate zu halten«. Gelinge dies, sei das »nach allen Seiten« als »absoluter Gewinn zu buchen«. Er könne ihm, Meyer, dies »nicht dringlich genug vorstellen«. Und weiter: »Helfen Sie bitte mit Ihrer ganzen starken Stoßkraft zu diesem Erfolg. Am 18. diesen Monats sind die hiesigen Wahlen. Danach sollte Rauschning zurücktreten. Es ist also allerhöchste Zeit.« Vier Tage später, am 19. November, beschuldigte von Radowitz Rauschning in einem Telegramm an Meyer, »durch sein Verhalten« sämtliche Versuche, ihn »weiter zu tolerieren«, torpediert zu haben.307 Es wird aus dem Telegramm nicht recht deutlich, welches »Verhalten« des Senatspräsidenten von Radowitz in Harnisch gebracht hatte. Alles spricht dafür, dass er damit auf ein längeres Schreiben Rauschnings an den nationalsozialistischen Volkstagspräsidenten Wilhelm von Wnuck anspielte, in dem der Senatspräsident seine angeblich krankheitsbedingte Abwesenheit von der Politik als »irrig« demaskierte. Mit Rücksicht auf die Kreistagswahlen am Vortag habe er, Rauschning, sich erst jetzt, am 19. November, zur Beantwortung eines Schreibens von Wnucks vom 31. Oktober an ihn entschlossen. Von Wnuck seinerseits dürfte sein Schreiben umgekehrt so terminiert haben, dass dessen Konsequenzen den erhofften Erfolg der Nationalsozialisten bei den damals noch knapp drei Wochen entfernten Volkstagswahlen nicht wesentlich beeinträchtigen würden. Kernpunkt des Briefes von Wnucks war die in ihm zum Ausdruck gebrachte »Ansicht« der NSDAP-Fraktion im Volkstag, dass Rauschning aus seiner »Krankheit« und der durch sie bedingten Abwesenheit »die erforderlichen Schlüsse« ziehen möge, d. h. seinen Rücktritt erklären solle.308 In seiner ausführlichen Antwort an von Wnuck vom 19. November betonte Rauschning zunächst, dass er, abgesehen von einem kurzen »Erholungsurlaub nach der Genfer Ratstagung«, stets in der Lage gewesen sei, »die mir obliegenden Geschäfte in vollem Umfang wahrzunehmen«. 126

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

Vielmehr habe ihn Gauleiter Forster dazu veranlasst, sich »sofort jeder Amtshandlung« zu enthalten, ein »Wunsch«, dem er, Rauschning, aus »Gründen der Parteidisziplin« nachgekommen sei. Wenn er zugelassen habe, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sei, seine Gesundheit sei »sehr unbefriedigend«, habe er dieses »persönliche Opfer im Interesse des Staates und der Bewegung gebracht«. Gern erklärte sich Rauschning »jederzeit bereit«, die Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen – falls dies jedoch nicht gewünscht und ihm »die Verantwortung für meinen Rücktritt« zugeschoben werde, müsse er zu seinem »Bedauern erklären«, dass er dazu »nicht in der Lage« sei. Ausdrücklich bestand Rauschning auf einem »begründeten und schriftlichen Mißtrauensvotum«, falls sein Rücktritt gewünscht werde. Keinesfalls werde er der »Willenseinheit der Partei und der Öffentlichkeit« wegen dem Wunsch Forsters entsprechen und aus Krankheitsgründen zurücktreten. Er verwahrte sich ferner gegen von Forster und Greiser in Umlauf gebrachte Behauptungen, er habe sich seinen Rücktritt durch »Geldzuwendungen bzw. Zusagen abkaufen lassen« wollen. Dies, so Rauschning, bedeute für ihn eine »schwerste Ehrenkränkung«. Schließlich begründete er seine Forderung nach einem schriftlichen Misstrauensvotum mit dem gegen ihn in Umlauf gebrachten Gerücht, wegen des Korruptionsverdachts traue er sich wohl nicht von seinem Hof zurück nach Danzig, sowie mit der »wiederholten Äußerung« des Gauleiters, er sei ein »Landesverräter« und habe es als solcher »verdient erschossen zu werden«. Offenbar hegte Rauschning auch jetzt noch die leise Hoffnung, einem Misstrauensvotum entgehen oder aber ein solches erfolgreich überstehen zu können, denn er machte sich in dem Schreiben an von Wnuck noch einmal die Mühe, die entscheidenden aktuellen Probleme Danzigs zu umreißen und daran das Angebot zu knüpfen, »jederzeit in einer Senatssitzung wie in einer Sitzung der Fraktion« ausführlich dazu Stellung zu nehmen. Als »Kernfrage der Danziger Wirtschaft, der gegenüber alle anderen Fragen zweitrangig« seien, bezeichnete der noch amtierende Senatspräsident »die Deckung des Fehlbetrages der auswärtigen Zahlungsbilanz, welcher die Größenordnung von drei Millionen Gulden monatlich« habe. Bei Fortsetzung der »gegenwärtigen Wirtschaftsweise« blieben etwa fünf Monate bis zum »Zusammenbruch«, bis zum »Bankrott«, der »Danzig der Gnade und Ungnade des Auslandes« ausliefern würde. Für unverantwortlich halte er die Behauptung Forsters, er habe von Hitler die Zusage, das Reich werde »für das Nötige sorgen«. Rauschning verschwieg nicht, dass es schwierig sei, Danzig »von fremder Hilfe loszulösen«, doch sei »Präsidentenkrise« und Rücktritt

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»der Weg zur Deutscherhaltung Danzigs nur die eigene Kraft«. Der entscheidende Punkt für eine Genesung der Danziger Wirtschaft bestand nun nach Rauschning darin, die »Wettbewerbsfähigkeit« an der Mottlau wiederherzustellen, und zwar auf Augenhöhe mit »dem Sterling-Block«. Falsch sei es, mit »tiefstehenden Ländern wie Polen zu wetteifern«, denen man solche »Arbeitszweige überlassen« müsse, welche »geringe Ansprüche an die persönliche Leistung« stellten. Absolut schädlich sei es aber, sich durch »Festsetzung unmöglicher Lohntarife der Anpassung an die hochstehenden Länder des Sterling-Blocks zu entziehen«. Rauschning hob hervor, dass seines Wissens Gauleiter Forster diesem Befund grundsätzlich zugestimmt, es jedoch nicht fertiggebracht habe, »niedere und hohe Amtswalter« der Partei entsprechend auf seine Linie zu bringen. Stattdessen seien weiter Versprechungen gemacht und »eine völlig unbegründete Politik der Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage des Reiches« verfolgt worden. Insgesamt warnte Rauschning vor einer Fortsetzung von »Arbeitsbeschaffungsvorhaben«, die zu einer »vermehrten Schwächung unserer Währung« führen müsse. Entsprechende Bitten seinerseits, eine »neue klare Grundlage« für die Politik der »Arbeitsbeschaffung« zu erarbeiten, seien »unberücksichtigt geblieben«. Abgeleitet von der »wirtschaftlichen Lage« forderte Rauschning ferner eine Innenpolitik im Freistaat, die auf einer Zweidrittelmehrheit beruhen sollte, da die zwingend notwendigen schmerzhaften Maßnahmen »kaum durch ein Ermächtigungsgesetz durchzuführen« seien. In diesem Sinne trat er für einen »Burgfrieden wenigstens mit den nichtmarxistischen Parteimitgliedern« im Volkstag ein. Stattdessen habe die Gauleitung »den rücksichtslosen Einsatz der Staatsmittel in der Unterdrückung der Restparteien« verlangt. Abgesehen davon, so Rauschning, dass angesichts der Danziger Verfassung der »erwünschte Erfolg« niemals durch »Unterdrückungsmaßnahmen«, sondern nur durch »geistige Überwindung« des Gegners zu erreichen sei, müsse man in Danzig auch die Notwendigkeit ins Auge fassen, »auswärtige Anleihen« aufzunehmen, um der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Ein Boykott des Auslands »als Folge rücksichtslosen Vorgehens gegen kirchliche Faktoren, gegen Juden usw.« müsse unbedingt vermieden werden. Auch um der Schaffung einer »Gesamtfront aller gutwilligen Deutschen« willen habe er gefordert, bei Wahlen nur außenpolitische Themen aufzugreifen, damit »bestehende Gegensätze« im Innern nicht verschärft würden. Rauschning machte ferner auf die Verschränkung von innen- mit außenpolitischen Entscheidungen aufmerksam. Auffallend kritisch hob 128

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

er hervor, dass man nicht glauben solle, der vertragsmäßige »Ausgleich« zwischen Danzig und Polen habe dazu beigetragen, die »Souveränität« der Freien Stadt sicherzustellen. An dieser Stelle des in der Wochenzeitung Der Deutsche in Polen (DiP) abgedruckten Textes findet sich die erste von drei bemerkenswerten Auslassungen, die in dem vollständigen Dokument folgendermaßen lautet: Abgesehen davon, daß ja gerade das Verhältnis Danzigs zu Polen von der Partei noch immer diskutiert wird und gerade von mir auf die Möglichkeit auf die Ausbrechung Polens aus der gegenwärtigen Haltung zu Deutschland hingewiesen wurde, muß ich darauf aufmerksam machen, daß der Danzig-polnische Ausgleich, wie immer von mir hervorgehoben, seine außerordentlich großen Gefahren für die Deutscherhaltung Danzigs haben muß. Es ist deshalb immer wieder auf die Notwendigkeit volkspolitischer Abwehrarbeit gegenüber der polnischen Propaganda als einer Ergänzung der offiziellen Politik hingewiesen worden.

Die zweite, sehr kleine, Auslassung betrifft das Ende eines längeren Satzes, in dem Rauschning auf die Bedeutung der Danziger Verfassung als Garantin der Danziger Souveränität hinweist und dann schließt: »… und allein Danzig vor der von Polen nach wie vor beanspruchten Einbeziehung in das polnische Staatsgebiet bewahrt«.309 Die dritte Auslassung erfolgt im Zusammenhang mit der Skizzierung von Optionen, die Danzig nach Meinung Rauschnings habe, wenn es auf Grund des politischen Kurses von Forster zur Konfrontation mit dem Völkerbundrat komme. Die letztmögliche Option in einem solchen Falle bestünde nach Rauschning in einem »z. Zt. höchst gefährlichen Weg eines offenen Konfliktes Danzigs mit dem Völkerbund, der die Stadt« – und nun folgen die in DiP ausgelassenen Wörter – »auf Gedeih und Verderb an Polen bindet«.310 Bedenkt man, dass diese drei Auslassungen aus einem umfangreichen Text ausschließlich Polen betreffende Passagen umfassen, scheint ein Zufall eher unwahrscheinlich.311 Geht man zunächst von dem ursprünglichen, vollständigen Text aus, kann man in ihm das Bemühen Rauschnings erkennen, in einem vielleicht verzweifelten letzten Versuch, mit der Parteileitung unter Forster doch noch zu einem Arrangement zu kommen, indem er durch diese Teile seines Schreibens antipolnische Ressentiments zu bedienen sucht. Andrerseits mochten die gezielten Kürzungen in der Version des DiP dabei helfen, Rauschning Brücken nach Polen zu bauen für den – dann tatsächlich eingetretenen – Fall, »Präsidentenkrise« und Rücktritt

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dass er nach einem Rücktritt polnische Hilfe benötigte; dies wiederum unter der Voraussetzung, dass der polnischen Seite die vollständigen Texte nicht bekannt waren. In seinem Schreiben an von Wnuck hob Rauschning auch seine Bemühungen um ein für Danzig vorteilhaftes Verhältnis zur Sowjetunion hervor. Dieses könne dann bedeutsam werden, wenn »sehr wahrscheinlich erneute Konflikte« für die Freie Stadt einträten. Bereits vor seiner ersten Regierungserklärung habe er sich »sehr intim mit dem Vertreter Sowjetrußlands ausgesprochen«, um Danzig die »bewährte Hilfe Rußlands« zu sichern. Ein entsprechender Passus in seiner damaligen Erklärung »über ein gutes Verhältnis zu Rußland« sei »von der Parteileitung gestrichen« worden. »Die Entwicklung im Reich« habe dann ein Übriges getan, seine geplante Politik gegenüber Moskau zu torpedieren. Anders, so Rauschning, sehe es im Verhältnis zu London aus, jedenfalls sei es »gelungen, eine ausgesprochene Gegnerschaft Englands zu vermeiden«. Er warnte mit dem Hinweis auf den Völkerbundrat in Genf davor, »Oppositionszeitungen« mit schwacher Begründung verbieten und einen »weiteren Konflikt« mit dem katholischen Zentrum anzetteln zu wollen. Rauschning fasste seine bisherigen Ausführungen mit der Feststellung zusammen, dass er »mit Nachdruck darauf hinweisen« müsse, dass seine »Politik in allen ihren Teilen ein wohldurchdachtes System ist, das nur als solches Aussicht auf Erhaltung Danzigs gewähren kann. Bricht man ihm einzelne wesentliche Teile heraus, dann muß es zu einem in absehbarer Zeit eintretenden Zusammenbruch führen.« Es darf bezweifelt werden, dass dieser Passus des Schreibens, der ja nichts weniger als Rauschnings geradezu einzigartige Bedeutung für die Senatspolitik beschwor, bei der Danziger Gauleitung auf Zustimmung traf. Auch die anschließenden Bemerkungen des Senatspräsidenten über »Vertrauenskrisen« in der Danziger Verwaltungsarbeit dürften ihm bei Forster und seiner Umgebung wenig Sympathien eingebracht haben. »Allgemeine Furcht eines großen Teils der Beamten, bei der Partei in Ungnade zu fallen, führte zu Liebedienerei, Servilismus, Mangel an Charakter«, erklärte Rauschning. Und weiter: »Der Mut zur sachlichen Arbeit, zum Bekenntnis der eigenen Meinung und zur Mitverantwortung fehlen in erschreckendem Maße und schalten die erforderliche Sachkenntnis bei der Beratung von Gesetzen und Anordnungen nahezu aus.« Nachdem er noch einmal beklagt hatte, dass sich »Parteiinstanzen« und die »Parteileitung« der erforderlichen Regierungsarbeit »querlegten«, formulierte Rauschning zwei knappe Schlussbemerkungen: 130

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

1. Ich bin bereit, jederzeit die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Für den Erfolg der Politik ist jedoch eine Einigung über die in den nächsten Monaten durchzuführenden Maßnahmen zu erzielen. Ich bin jederzeit bereit, darüber eingehende Ausführungen zu machen. 2. Ich lehne den freiwilligen Rücktritt von meinem Amte ab und verweise auf die Notwendigkeit einer begründeten Mißtrauenserklärung. Heil Hitler gez. Dr. Rauschning

Offenbar auf Grund einer Überschneidung der Briefe wandten sich von Wnuck und Senatsvizepräsident Greiser ebenfalls unter dem Datum des 19. November erneut an den noch amtierenden Senatspräsidenten, mit der Aufforderung, binnen 48 Stunden auf Grund der »von Ihnen selbst festgestellten Krankheit« zurückzutreten. Falls dies nicht geschehe, sehe man sich »gezwungen, einen anderen Schritt zur Klärung der ganzen Angelegenheit zu gehen«.312 Rauschning antwortete zwei Tage später und erklärte mit Verweis auf sein ausführliches Schreiben vom 19. November, er habe nichts mehr hinzuzufügen außer der Bemerkung, dass ihm die »in Ihrem Schreiben gewählten Formen ein weiteres Eingehen auf Ihr Schreiben« verböten.313 Als Fraktionsführer der NSDAP im Volkstag erwiderte von Wnuck den langen Brief Rauschnings vom 19. November mit der Misstrauenserklärung der NSDAP-Volkstagsfraktion vom 22. November. Man erwarte die Amtsniederlegung Rauschnings innerhalb von 48 Stunden. 38 Unterschriften der Fraktion beendeten die Erklärung, in der es hieß: »Die Volkstagsfraktion der NSDAP als verfassungsmäßig zuständige Körperschaft der Partei spricht dem Präsidenten des Senats, Doktor Rauschning, das Mißtrauen aus, weil die Fraktion ein Weiterverbleiben des Dr. Rauschning im Senat als untragbar für das Wohl der Freien Stadt erachtet. Danzig, den 22. November 1934«.314 Einen Tag darauf, am 23. November, erklärte Rauschning mit Schreiben an von Wnuck in dessen Eigenschaft als Volkstagspräsident: »Hiermit lege ich mein Amt als Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig nieder«.315 In einem gesonderten Schreiben vom selben Tag übersandte Rauschning von Wnuck eine »Erklärung«, die er gleichlautend auch acht Danziger Zeitungen zukommen ließ. Die als »Abschiedsworte an die Danziger« bekannt gewordene Erklärung begann mit der vielsagenden, häufig schon zitierten Feststellung: »Besondere Gründe haben mich veranlasst, mein Amt als Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig mit dem heutigen Tage niederzulegen.«316 Die »Präsidentenkrise« und Rücktritt

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»besonderen Gründe« seiner Amtsniederlegung machten auch dem letzten Danziger klar, was es mit den zuvor immer wieder bemühten Krankheitsgründen für Rauschnings zeitweilige Amtsniederlegung tatsächlich auf sich gehabt hatte. Im Übrigen appellierte Rauschning in diesem letzten Schreiben an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Danziger und gab seiner mit Blick auf Berlin gewonnenen Überzeugung Ausdruck, dass man an der Mottlau »nicht auf fremde Hilfe warten«, sondern »die rettenden Kräfte in sich selbst suchen« solle. Während der Rücktritt Rauschnings für Arthur Greiser die Übernahme der Senatsführung durch seine Wahl im Senat am 28. November 1934 bedeutete, folgte für von Wnuck der Absturz im Gefolge einer Korruptionsaffäre rund um Kreditmanipulationen anlässlich der Abwertung des Danziger Guldens. Nicht nur verlor von Wnuck sein Mandat als Abgeordneter der NSDAP und den Fraktionsvorsitz, sondern auch die Präsidentschaft über den Volkstag. Schließlich wurde er noch aus der Partei entfernt.317 Hermann Rauschning und sein Pressereferent Georg Streiter wurden am 30. November von Gauleiter Forster aus der NSDAP ausgeschlossen.318 Streiter, der, wie oben bereits erwähnt, im Frühherbst 1934 das Rücktrittsultimatum Forsters auf Anweisung Rauschnings bestimmten Danziger Kreisen zugänglich gemacht und es darüber hinaus der polnischen Presse zugespielt hatte, wurde sofort nach dem Parteiausschluss verhaftet und in sogenannte Schutzhaft genommen, die im Danziger Freistaat jedoch drei Wochen nicht überschreiten durfte. Nach Ablauf der Frist Ende Dezember 1934 sah sich Streiter mit einem Haftbefehl des Untersuchungsrichters konfrontiert, der auf »Verrat eines Staatsgeheimnisses und Landesverrat« wegen der Weitergabe des Ultimatums an die polnische Presse lautete. Rauschning stellte sich daraufhin »schützend vor Streiter und gab eine ihn rechtfertigende Erklärung ab«.319 Mit der Begründung, Streiter habe offensichtlich »auf Anordnung seines unmittelbaren Vorgesetzten Rauschning gehandelt, als er den Inhalt des Ultimatums weitergab«, hob das Danziger Landgericht den Haftbefehl auf. Beim Verlassen der Gerichtshaft nahm die Politische Polizei Streiter erneut fest, wogegen sein Anwalt Kiewning bei Justizsenator Wiercinski-Keiser unter Drohung mit dem Völkerbundkommissar einschritt. Nach seiner noch am Abend desselben Tages erfolgten Entlassung verschwand Streiter einige Zeit später aus Furcht vor neuerlicher Verfolgung in einem polnischen Diplomatenwagen ohne Pass über die Grenze nach Polen, wo ihn Kiewning kontaktierte. Kiewning machte Streiter den Vorschlag, sich einem Strafverfahren zu stellen, um die angeb132

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lichen Beschuldigungen endgültig zu klären. Streiter sagte sein Erscheinen in Danzig zu, sofern er eine Vorladung vom dortigen Gericht bekomme. Trotz Kiewnings Drängen auf Eröffnung einer Verhandlung kam es nicht mehr dazu – nach Kiewnings und auch Streiters Vermutung deshalb, »weil eine Verhandlung des Falles Rauschning durchaus unerwünscht war«. Eine später erlassene Amnestie führte dann zur »Einstellung des Verfahrens« gegen Streiter.320

Gefährliches Renegatendasein im Freistaat Entgegen den Befürchtungen des Auswärtigen Amtes blieb es nach der Amtsniederlegung des Senatspräsidenten im Freistaat ruhig, keine Spur von einer »Fronde« der bäuerlichen Bevölkerung. Allerdings blieben die näheren Umstände des Rücktritts den Danzigern noch längere Zeit verborgen, bis im Juli 1935 der Abdruck des Schriftwechsels zwischen von Wnuck und Rauschning in Der Deutsche in Polen erfolgte. Unmut löste der Abschied Rauschnings in Kreisen der Danziger Kaufmannschaft aus. Hier erregte die wachsende wirtschaftliche Instabilität des Freistaats mehr Aufmerksamkeit als die von vielen deutschsprachigen Danzigern beargwöhnte Annäherung von Danzig und Polen, und hier sah man in Rauschnings wirtschaftspolitischem Kurs den Weg, der zur Lösung der Handelsprobleme führen würde.321 Unter Rauschnings Nachfolger Greiser behielt der Senat zunächst seine auf Ausgleich mit Polen ausgerichtete Politik bei, und auch in der Landwirtschaftspolitik vertrat mit dem neuen verantwortlichen Senator Lothar Rettelsky ein enger Mitarbeiter Rauschnings Positionen, die sich ebenfalls durch Kontinuität auszeichneten. Aufregung gab es im Hause Rauschning Ende November auch in privater Hinsicht. Anna Rauschning war hochschwanger und musste eine Woche nach dem Rücktritt ihres Mannes in aller Eile ins Krankenhaus nach Danzig gebracht werden, wo die Tochter Elisabeth in einer Frühgeburt als fünftes und letztes Kind der Familie zur Welt kam. Anna kämpfte mit dem Tod und auch der Zustand des Babys war höchst bedenklich, sodass zwei Tage nach der Geburt die Taufe am Bett im Krankenhaus stattfand. Ende Dezember waren Mutter und Tochter wieder so weit hergestellt, dass die Rauschnings eine große Tauffeier in der Präsidentenvilla abhalten konnten, bei der sich die 20 eingeladenen Familienmitglieder ein letztes Mal Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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in ihrem Leben gemeinsam begegneten. Die Feier bildete zugleich den Abschluss der Auftritte des ehemaligen Senatspräsidenten in der Villa.322 Im Januar 1935 zogen sich die Rauschnings auf ihren Hof in Warnau zurück. Von hier verfolgte Hermann Rauschning die Entwicklungen im Freistaat, die zunächst durch die Ergebnisse der Wahlen vom 18. November geprägt waren. Er hatte seinen Rücktritt so terminiert, dass der Wahlgang davon nicht unmittelbar berührt wurde. Über seine Überlegungen hinsichtlich des Zeitpunktes ist gelegentlich spekuliert worden, er selber hat sich dazu schriftlich nicht geäußert. Wahrscheinlich wollte er sich im Falle einer Wahlschlappe der NSDAP infolge einer frühzeitigen Bekanntgabe seiner Demission nicht nachsagen lassen, der Partei vorsätzlich geschadet zu haben. Damit können auch durchaus berechtigte Ängste vor einer physischen Bedrohung seiner selbst und seiner Familie in einem solchen Falle verbunden gewesen sein. Denkbar ist aber auch ein gewisses Ehrgefühl Rauschnings und sein Wissen darum, wem er sein – zugegeben – kurzes Gastspiel auf der europäischen Bühne der Politik zu verdanken gehabt hatte.323 Dass Arthur Greiser Rauschnings Nachfolger im Amt des Senatspräsidenten wurde, lag – bei aller persönlichen Missgunst – im Interesse Forsters, der sonst keinen prominenten Nationalsozialisten in Danzig hätte präsentieren können, nachdem auch von Wnuck entmachtet worden war. Linsmayer als SA-Chef vor Ort kam für das Amt nicht ernsthaft in Frage, weil die in Danzig recht starke SA in den Augen Forsters durch eine solche Personalentscheidung nicht noch aufgewertet werden durfte. Den nahen Sturz Rauschnings antizipierend, schrieb Greiser zwei Tage vor den Kreistagswahlen am 16. November an seine Geliebte in Berlin, dass der Machtkampf der SA-Führer einen Siedepunkt erreicht hat, wie ich vorhergesagt habe bis zur Entscheidung in der Rauschning-Angelegenheit. Um jeden Preis wollen sie meine Präsidentschaft verhindern, weil sie genau wissen, daß dann nicht nur meine gegenwärtige Abteilung – vor allem die Polizei – ihnen als Spielwiese verweigert wird, sondern daß diese Gentlemen dann, wie schon im Reich, vollständig geschlagen sein werden.324

Greiser hatte gerade erst eine parteiinterne Prüfung seines Lebenswandels über sich ergehen lassen müssen, die von Wilhelm Freiherr von Holz134

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

schuher im Auftrag von Rudolf Heß durchgeführt worden war. Seine frühere Mitgliedschaft bei den Freimaurern war schon länger bekannt, nun gesellten sich Gerüchte hinzu, er habe diese Mitgliedschaft nach seinem Parteieintritt wieder aufleben lassen, ferner eine ihm nicht zustehende Auszeichnung an seinem Mantel getragen, mit zwei Juden korrupte Geschäfte um das Casino in Zoppot abgewickelt und sich schließlich von diesen beiden Männern 10.000 Gulden geliehen, um einen ihm unangemessenen Lebenswandel führen zu können. Von Holzschuher versuchte die Gerüchte zu überprüfen und gelangte schließlich zu dem Urteil, dass an ihnen nichts dran sei und sie ihren Ursprung »im Lager Rauschnings und ­Linsmayers« hätten. Obwohl er sich damit auf die Seite Greisers schlug, hielt eine Aktennotiz doch auch fest, dass dessen Vorgesetzte ihm wegen seines »leichtsinnigen« Wesens gelegentlich »auf die Finger klopfen« sollten. Und wenigstens eine Beschuldigung verdiente nach von Holzschuhers Meinung eine nähere Beobachtung in Berlin: dass nämlich seine Geliebte Maria »Kontakte zu vielen Ausländern pflege, einschließlich französischer und polnischer Geheimdienstleute«. In einem Brief an Greiser warf ihm der Freiherr zusammenfassend vor, bei einer Reihe von Gelegenheiten nicht die nötige Zurückhaltung gewahrt zu haben. Heß erteilte Greiser abschließend eine förmliche Missbilligung, was den Getadelten gegenüber seiner Geliebten unter dem Datum des 20. November zu der frohlockenden Feststellung führte: »Die Ehre ist gerettet, meine Ehre und Deine Ehre. Der Feind ist mit seinem Angriff zurückgeschlagen worden, nächste Woche wird er vernichtet werden.«325 Nächste Woche – in ihr fand der Rücktritt Hermann Rauschnings statt. Das Wahlergebnis vom 18. November bescherte den Nationalsozialisten mit einem Stimmenanteil von rund 77 % einen überwältigenden Sieg, die absolute Mehrheit aller Senatssitze, es markierte zugleich den Höhepunkt nationalsozialistischer Erfolge an der Wahlurne überhaupt. Nicht einmal das erstmalige Zusammengehen des katholischen Zentrums mit den überwiegend evangelischen Deutschnationalen bei dieser Wahl in Gestalt einer »Christlich-Nationalen-Liste« vermochte an dem Triumph der Nationalsozialisten auch nur entfernt etwas zu ändern: Erhielten Letztere im Wahlkreis Großes Werder 19 Sitze, kamen die »Christlich-Nationalen« dort nur auf zwei, und während in der Danziger Niederung nur ein Sitz an sie fiel, errang die NSDAP dort 16 Mandate. Bedenkt man, dass Rauschnings Rücktritt ungeachtet schwirrender Gerüchte am Wahltag keine Rolle spieGefährliches Renegatendasein im Freistaat

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len konnte, und stellt man ferner in Rechnung, dass die beiden Wahlkreise stark landwirtschaftlich geprägt und damit sozusagen Rauschning-Hochburgen waren, konnte man in dem überaus deutlichen Votum für die NSDAP auch einen beachtlichen Ausdruck des Wählervertrauens für Hermann Rauschning erkennen. Angesichts solchen Rückenwindes erstaunt es nicht, dass die Nationalsozialisten die eigentlich erst für 1937 regulär vorgesehenen Volkstagswahlen vorziehen wollten und einen entsprechenden Antrag im Volkstag durchbrachten, der solche Wahlen bereits auf den 7. April 1935 festlegte. Im Falle einer Zweidrittelmehrheit der Nationalsozialisten bestand nach üblichen parlamentarischen Usancen die Möglichkeit, die Danziger Verfassung zu ändern.326 Die Volkstagswahlen vom 7. April fanden in einer für die Nationalsozialisten delikaten internationalen Lage statt. Just jenen Tag, an dem Hitler offiziell die deutsche Wiederaufrüstung bekannt gab, den 16. März 1935, hatte die Danziger Parteileitung als Beginn ihrer Wahlkampfkampagne festgelegt. Fast zeitgleich begannen deutsch-britische Verhandlungen über Flotten- und Luftstreitkräfteabkommen – Abkommen, die letztlich die stillschweigende Anerkennung von Hitlers Kampf gegen »Versailles« bedeuteten.327 Außenminister Sir John Simon und Lordsiegelbewahrer Anthony Eden besuchten Berlin mitten im Danziger Wahlkampf. Das Auswärtige Amt unternahm in dieser Phase alles, um die deutsche Außenpolitik nicht aggressiv erscheinen zu lassen und ermahnte Gauleiter Forster, »die Saar« aus dem Wahlkampf im Freistaat herauszuhalten. Bei dem Plebiszit an der Saar hatten sich am 13. Januar über 90 % der Stimmberechtigten für die Rückkehr des Saargebietes zum Reich ausgesprochen, was allerdings nicht automatisch deren Votum für den Nationalsozialismus bedeutete. Trotz der Warnungen aus Berlin versuchten Forster und Greiser eine Analogie zwischen der Saar-Abstimmung vom 13. Januar und der Situation in Danzig hervorzuheben. Einen wenigstens ähnlichen Erfolg wie an der Saar erhoffte sich die NSDAP nun auch an der Mottlau, wo die deutsche Bevölkerung, ähnlich wie im Saargebiet, bei Kriegsende gegen ihren Willen vom Reich abgetrennt worden war. Forster entschied sich folgerichtig dafür, auch an der Mottlau jenen Slogan zu nutzen, der bereits an der Saar zum Erfolg geführt hatte: Als »Separatisten« seien alle zu bekämpfen, die in Danzig nicht nationalsozialistisch wählten – an der Saar waren damit jene stigmatisiert worden, die sich gegen die Rückkehr zum Reich aussprachen. Trotz Bedenken von Generalkonsul von Radowitz wegen 136

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des internationalen Status der Freien Stadt zögerte Forster nicht, Parteigrößen in den Danziger Wahlkampf einfliegen zu lassen, wie z. B. Göring, Heß, Goebbels und den neu ernannten Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebiets, Josef Bürckel.328 Der Wahlkampf wurde mit Gewalt und allerlei Tricks geführt, wobei die Nationalsozialisten auftraten, als ginge es um die große Abrechnung mit Juden, Polen und »Verrätern«329. Die Häuser von NS-Gegnern wurden angegriffen, es gab gelegentlich Schusswechsel, bei denen jedoch niemand ums Leben kam. Oppositionelle Zeitungen wurden zeitweilig konfisziert, während das staatliche Radio der NSDAP vorbehalten blieb. Das Sammeln von Spenden war allein dem nationalsozialistischen Winterhilfswerk gestattet, sodass die Gegner bei der Durchführung ihrer Wahlkampagnen finanzielle Schwierigkeiten hatten. Allerdings erhielt die Polnische Liste vom polnischen Generalkommissar Mittel in Höhe von 81.000 Gulden. Berlin sprang zwar nur mit Direktzahlungen in Höhe von 5000 Gulden ein, doch übernahm das Reich die Kosten für Druckaufträge und Reisen. Die NSDAP bediente sich unmittelbar in der Danziger Staatskasse und machte freizügigen, wenngleich illegalen, Gebrauch von Hilfsdiensten der Staatsangestellten. So drapierten etwa Männer der städtischen Feuerwehr das berühmte Danziger Rathaus mit Wahlslogans und Hakenkreuzfahnen. Selbst der Kirchenkampf des Reiches, der sich auch im Freistaat abspielte, schaffte es kurz vor den Danziger Wahlen in die Schlagzeilen. Der DiP meldete in seiner Ausgabe Nr. 9 vom 3. März 1935, dass der führende Bekenntnispfarrer Martin Niemöller an der Einreise nach Danzig gehindert worden sei. Die »brechend volle« Katharinenkirche musste im Beisein »politischer Polizei« mit der Leitung des Gottesdienstes durch den »Führer der Danziger Bekenntnisbewegung«, Pfarrer Kurt Walter, Vorlieb nehmen. Außer mit der Liste der Polen, des Zentrums und der SPD hatte sich die NSDAP mit drei kleineren Gegnern auseinanderzusetzen. Zu vernachlässigen war dabei die Liste Freier Frontsoldaten, die von einem verbitterten Kriegsveteranen angeführt wurde. Trotz ihres Verbots vom März 1934 trat auch die KPD zur Wahl an. Die DNVP als solche existierte offiziell seit ihrer Selbstauflösung nicht mehr, doch ihr Parteivorsitzender in Danzig, Rechtsanwalt Gerhard Weise, entschloss sich, als DNVP-­Vertreter (»Weise-Liste«) dennoch zu kandidieren. Den Nationalsozialisten war es zwar gelungen, die beiden DNVP-Abgeordneten der Wahlen von 1933, Max Bertling und Paul Kindel, zu sich herüberzuziehen, aber dieser VerGefährliches Renegatendasein im Freistaat

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such schlug bei Weise und dem ehemaligen Senatspräsidenten Ernst Ziehm fehl. Beide widersetzten sich tapfer dem Werben der Leute um Forster. Ziehm zog sich ganz aus der Politik zurück, nachdem er Forster noch in einem offenen Brief seine Unterstützung für die Weise-Liste mitgeteilt hatte.330 Rund zwei Wochen vor den Wahlen sah sich Gauleiter Forster offenbar genötigt, in einem Presseaufruf seine Parteianhänger vor Provokationen von Mitgliedern bestimmter »Splittergruppen« zu warnen. Ziel dieser Gruppen sei es, den »Hohen Kommissar des Völkerbundes in Gegensatz zu uns zu bringen«. »Unsere Antwort«, schloss Forster den Aufruf in Fettdruck, »auf dieses separatistische und verräterische Treiben ist eine um so größere Disziplin und ein um so fanatischeres Eintreten für unsere nationalsozialistische Weltansschauung, die am 7. April einen noch nie dagewesenen Sieg in Danzig davontragen muß.«331 Am Vorabend der Wahlen kam es noch zu einem wahren Showdown zwischen Hermann Rauschning und der nationalsozialistischen Führung in Danzig. Wie Ziehm hatte sich auch Rauschning für die Weise-Liste ausgesprochen.332 Die NSDAP revanchierte sich mit einem wütenden Angriff des fränkischen Gauleiters und Stürmer-Herausgebers Julius Streicher, den Forster für den Wahlkampf nach Danzig geholt hatte. Streicher beschimpfte Rauschning als »Volks- und Landesverräter«, warf ihm vor, »Danzig an die Juden verkauft« zu haben, und forderte seine Erschießung.333 Rauschning parierte diese Attacke mit dem inzwischen berühmt gewordenen offenen Brief vom 4. April an den »sehr geehrten Herrn Forster«.334 In diesem Schreiben kritisierte der ehemalige Senatspräsident noch einmal die Wirtschaftspolitik, griff den Terror der Nationalsozialisten an und warf dem Gauleiter persönliche Diktatorengelüste vor. Rauschning schloss seinen Brief u. a. mit diesen Worten: So bekenne ich mich denn gegen Ihre Liste 1 und für eine klare Rechtsordnung, gegründet auf dem unverlierbaren Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, für die freie, unantastbare, auf die sittliche Verantwortung der Einzelpersönlichkeit gegründete Mitarbeit an den Aufgaben der Gesellschaft, der Wirklichkeit und des Staates, … für Freiheit des Gewissens, das sich nicht binden lassen kann durch irgendeinen Anspruch auf blinden Gehorsam, für den christlichen Glauben, der das Herz unserer Gesittung und der Sinn unserer Kultur ist, aus dessen heiligem Bezirk wir nicht heraustreten können, ohne Selbstzerstörung und müßigem Gedankenspiel zu verfallen …335

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Zwar druckten die Volksstimme und die Volkszeitung den Brief Rauschnings noch ab, aber beide Ausgaben wurden beschlagnahmt, und nur durch Flugblätter, welche die Gruppe um Rechtsanwalt Weise in Umlauf brachte, erlangten die Danziger davon Kenntnis, sodass die Wirkung des Rauschning-Briefes eher gering gewesen sein dürfte. Erich Brost erinnerte sich noch ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass Rauschning zu Fuß in die Redaktionen der beiden Zeitungen gekommen sei und dort sein Schreiben an Forster zum Abdruck abgeliefert habe. Dafür attestierte er Rauschning, »mutig, physisch mutig« gewesen zu sein.336 Dann jedoch, auf Anraten von Freunden, die von einer bevorstehenden Verhaftung Rauschnings gehört haben wollten, zog sich der ehemalige Senatspräsident vorübergehend in das Haus seiner Schwiegereltern im polnischen Thorn zurück.337 Doch Rauschning setzte sich auch juristisch gegen seine ehemaligen Parteifreunde zur Wehr. Als Antwort auf seinen offenen Brief unmittelbar vor der Volkstagswahl hatte der nationalsozialistische Danziger Vorposten einen wütenden Beitrag seines Hauptschriftleiters Wilhelm Zarske gebracht. Darin nannte Zarske Rauschning einen »verräterischen Renegaten«, einen »charakterlosen Schuft« und bezeichnete den offenen Brief Rauschnings als »Racheakt eines orthodoxen Freimaurers«. Rauschning klagte daraufhin gegen Zarske und das Gericht verhängte schließlich eine dreimonatige Gefängnisstrafe gegen den Beschuldigten. In der Berufungsverhandlung verteidigte sich Zarske hartnäckig. Er bezeichnete sich als früheren Mitarbeiter und gar als Freund Rauschnings. Zarske konnte für diese Behauptung jedoch keinen Beweis antreten. Die Haftstrafe wurde allerdings in eine Geldstrafe in Höhe von 1200 Gulden umgewandelt.338 Die Presse im Reich kolportierte einen Goebbels zugeschriebenen Ausspruch vom Tag vor den Wahlen, wonach Rauschning – entgegen der von anderen Nationalsozialisten gestreuten Behauptung, der ehemalige Senatspräsident sei aus Angst geflohen – nicht aus Furcht vor seiner Erschießung flüchten müsse, »denn (er) brauche gar nicht erschossen zu werden, da er sich selbst moralisch getötet habe«.339 Noch am Tag vor der Wahl hatte Goebbels einen großen Auftritt in Danzig, über den er in seinem Tagebuch notierte: »Großkundgebung. 60.000 Menschen. Ich bin in ganz großer Fahrt. Mansche die Splitterparteien zusammen. Abrechnung mit dem Verräter Rauschning. Stürme der Begeisterung.«340 Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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Ungeachtet ihres enormen propagandistischen Aufwandes fiel der Sieg der Nationalsozialisten am Wahltag nicht eben überwältigend aus. Zunächst wurde ein Stimmenanteil von 59,3 % gegenüber 50,03 % bei den letzten Volkstagswahlen veröffentlicht, doch auf Grund zahlreicher Unregelmäßigkeiten wurde die Wahl in zehn Wahlkreisen für ungültig erklärt, sodass das Ergebnis schließlich bei 57,2 % lag – eher ein enttäuschendes, gemessen an Forsters Ziel einer Zweidrittelmehrheit. Der Gauleiter hatte sich die Bekanntgabe der Wahlresultate über das Radio in der Nacht vom 7. auf den 8. April selber vorbehalten. Als ihm nach Mitternacht der Zettel mit den Wahlergebnissen vor dem eingeschalteten Mikrofon überreicht wurde, begann er siegessicher zu sprechen: »Die Abstimmung des deutschen Danzig zur Wahl des Danziger Volkstages hat ergeben, daß …« Hier brach seine Stimme ab, man hörte flüchtige Geräusche, es knackte. Dann kam eine peinliche Pause. Nach dieser Pause wurde durch den Rundfunksprecher ohne Überleitung verkündet: »Wir bringen jetzt Marsch- und Tanzmusik«. In diesem Augenblick wußten die Danziger, daß die NSDAP ihr Ziel, die Zweidrittel-Mehrheit, nicht erreicht hatte. Forster soll, wie Zeugen berichteten, in dieser Nacht einen Weinkrampf erlitten haben.341

Goebbels vertraute seinem Tagebuch am Dienstag, dem 9. April, folgenden Eintrag an: »Sonntag … Abends spät Danziger Ergebnis: nur 60 %. In Danzig große Kopflosigkeit. Forster will 67 % am Rundfunk ansagen. Ich bewahre ihn vor einer großen Dummheit.«342 Der moderate Zuwachs der Mandate für die NSDAP von 41 nach den Wahlen von 1933, nachdem drei Abgeordnete zwischenzeitlich zu den Nationalsozialisten gewechselt waren, auf nun 43 Mandate ist auf den wahrscheinlichen Stimmengewinn bei Erst- und insbesondere bei jungen Wählern zurückgeführt worden.343 Aufschlussreich war das Ergebnis hinsichtlich des Abschneidens der »Nationalisten«. Hier war es der NSDAP offenbar nicht gelungen, die Weise-Liste niederzuringen, denn sie erhielt trotz großen Drucks immerhin drei Mandate. Recht deutlich war der Rückgang der Mandate für die KPD von fünf (1933) auf nur noch zwei. Allerdings sahen sich die Kommunisten auch der besonderen Verfolgung durch die NSDAP im Freistaat ausgesetzt. Die SPD schlug sich achtbar: Von 13 Mandaten im Jahre 1933 büßte sie nur eines ein. Das Zentrum erwies sich erneut als nicht zu irritierendes Bollwerk: Es verteidigte seine zehn Sitze gegenüber den Wahlen von 1933.344 140

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Das Ausland wertete das Ergebnis für die Nationalsozialisten bei den letzten halbwegs freien, geheimen und demokratischen Wahlen in Danzig überwiegend als Niederlage für Hitler345 und als Herausforderung für dessen Anspruch, das deutsche Volk geschlossen hinter dem Regime versammelt zu haben. Während man innerhalb der Partei an der Mottlau privat eine gewisse Verlegenheit nicht verbarg, versuchte sie nach außen, den Sieger hervorzukehren. Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch kühl: »Wir sind alle sehr enttäuscht. Das Volk ist hier und da unwirsch geworden. Wir müssen uns mehr zusammennehmen. Wir spielen zu viel und zu gut auf der Volksseele. Weniger Pomp und Reden, aber mehr Einfachheit und Arbeit.«346 Ähnlich urteilte auch Erich von dem Bach-­Zelewski, SS-Gruppenführer und Chef des SS-Oberabschnitts Nordost, in einem Telegramm an Heinrich Himmler am Tag nach der Wahl. Er machte Korruption und bonzenhaftes Auftreten von Parteimitgliedern für das Ergebnis verantwortlich. Die Wähler seien auch durch Arthur Greisers Scheidung und Wiederverheiratung verschnupft, Linsmayers Klatschkampagne gegen Greiser habe ein Übriges getan. Von dem Bach-­ Zelewski warnte, dass die alten Feinde des Nationalsozialismus »in ihrer alten Stärke« weiterlebten.347 Von Thorn aus wandte sich Rauschning am 19. April in einem Brief an seine Schwester Hertha, dem er auch den Abdruck seines Schreibens an Forster vor den Wahlen beifügte. Er habe keine Ahnung, ließ er seine Schwester wissen, »wie lange« er »als Volksverräter nun hier in der Emigration« werde leben müssen. Er schloss ein paar eindringliche Gedanken über die politische Lage an, indem er schrieb: »Wann Deutschland erwachen wird, um zu sehen, in welchem Wahnsinnstaumel es umgetrieben wird, das mag dahingestellt bleiben. Wenn aber nicht ein paar verantwortungsbewusste Männer aufstehen, um zu sagen, wohin dies alles treibt, dann ist es mit unserem Volk trotz Feuerwerk und Aufmärschen, Triumph des Willens und ähnlichem Theater vorbei.« Und nachdem er seiner Hoffnung Ausdruck verliehen hatte, dass ihr aus diesem Brief »oder aus der Verwandtschaft mit mir« keine »Unannehmlichkeiten erwachsen« mögen, schloss er mit diesen Sätzen: Ein System, das so mit Lug, Trug, das so mit Gemeinheit und jedem Druck, das mit Mord und Totschlag regiert und die »Volksgemeinschaft« erzwingen will, das ist zum Abtreten verurteilt. Was für ein Trümmerfeld es in Deutschland zurücklassen wird, darüber wird eine spätere Zeit ihr gerechtes Urteil sprechen. Nie ist in Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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der Weltgeschichte ein so großer Beginn in solch großer Niedrigkeit und Erbärmlichkeit erstickt.348

Das war der typische Rauschning, der uns noch später wieder begegnen wird: radikale Abrechnung mit der nationalsozialistischen Herrschaftsausübung einerseits, grenzenlose Enttäuschung des Konservativen über den Missbrauch und die Deformation eines angeblich ursprünglich »guten« Projektes andrerseits. Spätestens seit dem offenen Brief an Forster galt Rauschning den Nationalsozialisten wahlweise als Abtrünniger oder Verräter, auf jeden Fall als »Gezeichneter«349. Als solcher musste er nun um sein Leben und das seiner Familie fürchten. Einmal wurde mit einem Gewehr durch das Fenster seines Arbeitszimmers in Warnau geschossen,350 ein anderes Mal unterrichtete Rauschning seinen Anwalt Kiewning über eine ihm »heute zugegangene Warnung über ein gegen mich geplantes Attentat« und legte dem Brief in Abschrift ein diesbezügliches Schreiben an den Danziger Polizeipräsidenten bei. Er bat Kiewning ferner um die Veranlassung »Ihnen notwendig erscheinender sonstige(r) Schritte« zu seiner Sicherheit.351 Gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe, suchte Rauschning zuweilen Erholung bei Spaziergängen an dem von ihm so geliebten Strand bei Zoppot. Zwei Quellen berichten von einem offensichtlichen Angriff auf ihn bei einem dieser Ausflüge. Seine Frau Anna schreibt von einem Telefongespräch zwischen zwei Parteimitgliedern, von denen einer ihnen, den Rauschnings, wohlgesonnen gewesen sei und sie über das Telefonat informiert habe. Diesem sei am Telefon mitgeteilt worden, Rauschning sei gerade am Strand und man solle sich ihn »greifen«. Der Informant der Rauschnings habe die Sache jedoch mit dem Hinweis abbiegen können, dass Rauschning in der Öffentlichkeit zu angesehen sei und eine Attacke auf ihn auf die Partei zurückfallen werde. Anna Rauschning vermutete, es sei beabsichtigt gewesen, ihren Mann zunächst zu verhaften.352 Wahrscheinlich dieselbe Episode hatte Hermann Rauschning vor Augen, als er zehn Jahre nach Kriegsende von Neumünster aus an den ehemaligen Kapitän zur See und Vertreter der »Abwehr-Abteilung, Berlin« in Danzig, Walter Wiebe, in Flensburg schrieb. Rauschning beantworte damit einen Brief Wiebes an ihn vom 1. Juli 1955, in dem Wiebe um ein Wiedersehen nach 20 Jahren gebeten hatte. In seiner Antwort schrieb Rauschning u. a.: »Ich erinnere mich sehr wohl, wie Sie ein törichtes Attentat der National142

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sozialisten auf mich am Strande verhinderten. Sie waren es, der eine letzte warnende Denkschrift an die damalige Reichswehrführung weiterzuleiten übernahmen (sic), wenn ich nicht irre, in den ersten Monaten des Jahres 35.«353 Rauschnings letzter öffentlicher Auftritt in der Freien Stadt fand Anfang September 1935 statt. Das deutsche Panzerschiff »Admiral Scheer« war zu einem Besuch im Danziger Hafen eingelaufen, wo es von den »marinefreudigen Danzigern« mit großem Jubel begrüßt wurde.354 Erstmals seit dem verlorenen Krieg marschierten zwei Kompanien deutscher Matrosen, geführt von ihrem Kommandanten Kapitän zur See Marschall, zu einer Kundgebung auf dem Langen Markt auf. Der Hohe Kommissar Sean Lester richtete in seinen Diensträumen den üblichen Höflichkeitsempfang für die Gäste aus, zu dem er neben dem Senatspräsidenten Greiser auch Vertreter der Opposition einlud. Auch Hermann Rauschning war der Einladung gefolgt. Wie sich Erich Brost nach dem Krieg erinnerte: »Ich habe ihn (Hermann Rauschning) dann noch einmal auf dem Empfang des Hochkommissars Lester getroffen, er kam mit dem Taxi, ich zu Fuß.«355 Beim Anblick Rauschnings verließ Greiser umgehend den Empfang, was wiederum Lester außerordentlich stark verärgerte und eine mehrmonatige Eiszeit zwischen ihm und dem neuen Senatspräsidenten nach sich zog. Die »Admiral-Scheer-Affäre« scheint Hitler seinerseits dermaßen erzürnt zu haben, dass er noch ein Jahr später, am 12. August 1936, gegenüber dem stellvertretenden polnischen Außenminister Jan Szembek die Forderung nach einer baldigen Abberufung Sean Lesters aus Danzig auch mit diesem Vorfall begründete. Hitler habe Lester im Zusammenhang mit der Affäre eine »extreme Taktlosigkeit« vorgeworfen, die ihn, den Reichskanzler, erheblich beleidigt habe. Die seinerzeitige Einladung von Vertretern der Danziger Opposition zu dem Empfang habe sich im Rahmen des Normalen bewegt, doch gelte dies nicht für Rauschning, der sich dem Kanzler persönlich widersetzt und seine Politik auf das Übelste verleumdet habe.356 Im Auswärtigen Amt hingegen sah man einem baldigen Ende Lesters in Danzig mit gemischten Gefühlen entgegen. Grund dafür war eine weitere Affäre, die sich erneut um den Besuch eines deutschen Kriegsschiffes in Danzig drehte. Die »Leipzig« hatte am 25. Juni 1936 im Hafen der Freien Stadt festgemacht und dem Protokoll entsprechend erwartete Sean ­Lester den Kapitän mit einer Abordnung des Schiffes in den Räumen seiner Residenz zu dem üblichen Empfang. Diesmal jedoch ließ ein verlegener Greiser den Hochkommissar stehen. Der Kapitän hanGefährliches Renegatendasein im Freistaat

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delte angeblich auf Anordnung Hitlers, als er Greiser von einer Weisung Hitlers informierte, wonach der Empfang des Senatspräsidenten bei dem Hochkommissar zu unterbleiben habe. Lester zeigte sich naturgemäß gedemütigt. Senatspräsident Greiser sah sich gezwungen, Anfang Juli persönlich in Genf zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Er tat dies in höchst aggressiver und arroganter Weise, was zu der Spekulation führte, ob er mit Forster darin wetteifern wollte, wer am provokativsten die deutschen Interessen in Danzig vor der Weltöffentlichkeit vertreten würde. Generalkonsul von R ­ adowitz äußerte sich gegenüber Papee offen und kritisch über Forster und den »Leipzig-Vorfall« und sagte bei der Gelegenheit, dass selbst Göring Forster aus Danzig entfernen wolle. Von Radowitz, so Papee gegenüber seinem Außenminister Beck, habe den Vorfall als »große Absurdität« bezeichnet. Immerhin hätten die Nationalsozialisten Lesters bekannte Taktlosigkeit im Zusammenhang mit der Einladung Rauschnings vom Vorjahr »bereits vergessen«. Lester, so der Generalkonsul, sei in Danzig »überhaupt nicht so schlecht«. Was er nach Genf berichte, sei »immer sehr allgemein gehalten«.357 Mit seinem Auftritt bei dem Empfang Sean Lesters im Sommer 1935 hatte Rauschning signalisiert, dass er offenbar »Danzig« noch nicht völlig abgeschrieben hatte, dass er möglicherweise noch eine politische Zukunft für sich in der Freien Stadt sah. Diese Überlegung erscheint angesichts einer in Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler dem Reichskanzler zugeschriebenen Äußerung358 wichtig, die Rauschning bereits lange zuvor, im Juli 1935 einer prominenten britischen Journalistin mitgeteilt haben soll. Elizabeth Wiskemann bereiste vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mehrmals den europäischen Kontinent und veröffentlichte zahlreiche Artikel über ihre Eindrücke in Zeitungen ihrer Heimat. Im Jahre 1968 fasste sie ihre Erlebnisse dieser Reisen in einem Buch zusammen, das ein Jahr später auch auf Deutsch erschien.359 Durch Vermittlung von Hochkommissar Lester habe sie am 17. Juli 1935 Rauschning in einem Privathaus bei Thorn getroffen, berichtet Wiskemann. Sie schildert Rauschning als »bemerkenswerte Persönlichkeit, kultiviert, charmant und als einen deutschen Nationalisten«. Ungleich vielen Deutschen sei Rauschning »geistig sehr beweglich«, er habe die »Forschheit der Nazis bewundert und geglaubt, sie guten Zwecken dienstbar machen zu können«. »Eigenartigerweise hatte Hitler Rauschning falsch eingeschätzt und ihn ins Vertrauen gezogen, als wäre er ein Himmler oder Göring«, so Wiskemann. Auf diese Weise, folgerte die 144

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Journalistin, »wurde Rauschning in die intimsten Geheimnisse des Hitlertums eingeweiht.« Zu den »Geheimnissen«, die Hitler dem ehemaligen Danziger Senatspräsidenten der Unterredung bei Thorn zufolge offenbart haben soll, gehörte auch die angebliche Bereitschaft des Reichskanzlers zur »bakteriologischen Kriegsführung« gegen die Feinde Deutschlands.360 Es lässt sich heute nicht mehr nachprüfen, ob Rauschning seiner Gesprächspartnerin tatsächlich eine so brisante Information mitgeteilt hat. Er selber hat eine solche Unterredung nie erwähnt. Wenn er im Sommer 1935 für sich mit »Danzig« noch nicht völlig abgeschlossen hatte, wäre die Weitergabe einer solchen Information höchst riskant gewesen. »Bacterial Warfare« als Instrument der Hitler’schen Kriegführung erwähnt auch die Jahre nach Wiskemanns Rückkehr auf die Insel erschienene englische Ausgabe der Gespräche, und zwar gleich auf der ersten Seite nach dem Vorwort.361 Wiskemann könnte also die entsprechende Information aus Hitler ­Speaks in ihr Buch eingearbeitet haben. Allerdings werden wir weiter unten sehen, dass sich Rauschning wenig später, jedoch nach seinem endgültigen Bruch mit Danzig, gegenüber Erich Brost in der Sache ähnlich geäußert hat. Wiskemann behauptet nach der deutschen Übersetzung ihres Buches, Rauschning habe sie in dem Haus bei Thorn »beschworen, die britische Regierung auf alle jene Gefahren aufmerksam zu machen«.362 Welches physische Risiko wäre Rauschning für sich und seine Familie mit einer solchen Bitte eingegangen, wenn er Mitte Juli 1935 noch mit seinem Verbleib in Danzig, also in unmittelbarer Reichweite seiner nationalsozialistischen Feinde, rechnete? Interessant ist indessen, dass sich das englische Original der Erinnerungen von Wiskemann viel konkreter – weil Namen nennend – über Rauschnings angebliche dringende Bitte um Weitergabe seiner Informationen auslässt. Dort liest man (in deutscher Übersetzung): »Später, als ich wieder nach London kam, traf ich Rex Leeper, den Chef der Presseabteilung im Foreign Office, und gab ihm Rauschnings Botschaften, denen Leeper Glauben schenkte: Ich denke, er hat solche Informationen immer an Vansittart weitergegeben.«363 Mitte Februar 1936 wurde Elizabeth Wiskemann kurzzeitig von der Gestapo inhaftiert. Als sie nach ihrer Freilassung mit der Fähre im englischen Harwich eintraf, zeigten sich die Passbeamten, die von der Verhaftung in der Frühausgabe des Evening Standard gelesen hatten, erleichtert, sie zu sehen. Die Einstellung dieser Beamten »war damals typisch für den ›Mann auf der Straße‹«, schreibt die Journalistin. »Für sie war Hitler nichts weiter als eine Witzfigur, wie sie die Karikaturen von David Low zeigten, Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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und sie freuten sich, wenn man ihm einen Streich spielte. Das war aber auch alles. Sie waren amüsiert, nicht etwa bestürzt.«364 Exakt gegen diese Verharmlosung, ob sie nun aus dem Zeichenstift David Lows entstand oder in Gestalt Charlie Chaplins die Kinoleinwände beherrschte, suchte Rauschning mit seinen Warnungen anzukämpfen – nachdrücklich und zuweilen übertrieben in seinem Buch Gespräche mit Hitler. Nach seinem letzten Auftritt in der Freien Stadt zog sich Rauschning erneut für einige Zeit auf sein Warnauer Gut zurück. Allein die Erinnerungen seiner Frau informieren uns über den zunehmenden Druck, dem ihre Familie seitens der Danziger Nationalsozialisten ausgesetzt war.365 Ihre wirtschaftliche Lage spitzte sich bedrohlich zu, als Hermann Rauschning aus der Landwirtschaftlichen Züchtervereinigung Danzigs ausgeschlossen und anderen Mitgliedern der Vereinigung bei Strafe der geschäftliche Umgang mit ihm untersagt wurde. Im Schutze der Dunkelheit kam es aber dennoch immer wieder zu Geschäften mit solchen Bauern in der Umgebung, die entweder die Notlage der Rauschnings ausnutzen oder aber aus Solidarität mit ihnen den Boykott missachteten. Das gerüchteweise lancierte Angebot an Anna Rauschning, dass sie selber Mitglied der Vereinigung werden solle und den Hof halten könne, wenn sie sich von ihrem Mann scheiden ließe, wies Anna ohne weitere Diskussion zurück. Die Partei spielte nun auf Zeit. Abgeschnitten von der finanziell lebenswichtigen Verbindung zur Züchtervereinigung, ging der Rauschning’sche Hof allmählich dem wirtschaftlichen Ruin entgegen. Der Zwangsverkauf von wertvollen Zuchttieren weit unter Wert ließ wenig Gutes ahnen und auch die Vergiftung von Hunden auf dem Hof war ein Menetekel. Es würde ein leises Ende werden, ohne die Aufmerksamkeit der internationalen Presse für das Schicksal des ehemaligen Danziger Senatspräsidenten. Der litt zeitweilig an einer schweren Nierenerkrankung, welche die behandelnden Ärzte für drei Tage um sein Leben fürchten ließ. Nach einem Erholungsaufenthalt am Ostseestrand bei Zoppot ging Hermann Rauschning erneut für einige Zeit über die Grenze nach Thorn. Dann wieder zurück auf ihrem Anwesen in Warnau, hatten sich die Eltern Rauschning mit der Belästigung ihrer Kinder auf dem Schulweg auseinanderzusetzen. Steine wurden nach ihnen geworfen und nach Schulschluss in Marienburg (Malbork) riefen Schulkameraden ihnen nach: »Euer Vater ist ein Verräter!«366 Erneut erreichte die Rauschnings die Warnung eines wohlmeinenden Parteimitglieds, dass Hermann Rauschning die Verhaftung, wenn nicht gar 146

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Schlimmeres, drohe. Er gelangte eines Nachts sicher über die Dirschauer Brücke auf polnisches Gebiet. Nachdem schließlich zwei Mitglieder des NSDAP-Gaubüros auf dem Hof erschienen waren, um eine intensive und langwierige Suche nach dem Hausherrn durchzuführen, rückte die Entscheidung hinsichtlich einer Veräußerung ihres Hofes für Anna Rauschning näher. Es kam zu einem verlustreichen Verkauf an einen Makler, nachdem Hermann Rauschning bei einem Besuch seiner Frau in Thorn grünes Licht für das Geschäft gegeben hatte. Nach Auskunft des Maklers gab es keine Alternative zu dem Geschäft, da die Partei bereits einen Käufer bestimmt hatte. An einem Frühjahrstag des Jahres 1936 verließ Anna Rauschning mit ihren fünf Kindern auf einem Pferdefuhrwerk den Hof in Warnau und zog zu ihrem Mann. Sie und die Kinder lebten rund zwei Jahre dort in einer geräumigen Wohnung eines Mietshauses, das ihrem Vater, Konrad Schwartz, gehörte. Hermann Rauschning unternahm während des Jahres 1936 noch einen letzten, verzweifelten Versuch, auf politischer Ebene die Nationalsozialisten in Danzig zu stellen. Mit seinem noch am 2. Juli 1935 von den zuständigen Behörden ausgestellten »Reise-Pass (sic) der Freien Stadt Danzig«, der eine Gültigkeit bis zum 1. Juli 1940 besaß, reiste er während des ganzen Jahres 1936 nach Ausweis der Grenzkontrollstempel mindestens sieben Mal von Thorn in den Freistaat und zurück.367 Neben privaten Gründen – etwa Arztbesuchen – dürfte für diese Reisetätigkeit sein Versuch verantwortlich gewesen sein, in Danzig eine Opposition gegen die NSDAP auf die Beine zu stellen. Wie Rauschning zu Beginn seines späteren Exils in den Vereinigten Staaten in einem Affidavit für den im kalifornischen Exil lebenden Bankier Erwin Brettauer gegenüber dem New Yorker Notar Lazarus Rosenblatt aussagte, hatte sich der deutschstämmige Brettauer bereit erklärt, einen Versuch von Danziger Oppositionsgruppen finanziell zu unterstützen, der auf Neuwahlen im Freistaat hinauslief. Dass es zu diesen Wahlen schließlich nicht kam, habe an der Weigerung der polnischen und der französischen Regierung gelegen, dieses Vorhaben zu unterstützen, sodass beim Völkerbund kein formeller Antrag gestellt worden sei.368 Das Besondere an dem Vorhaben war die leider nicht näher dokumentierte Absicht Rauschnings, deutsche und polnische Politiker in einer Danziger Partei zu vereinen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass dieses Projekt von Anfang an wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Dies vor allem deshalb, weil Warschau damals keinerlei Interesse an einer Störung der relativ guten polnisch-deutschen Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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Beziehungen hatte.369 Aber auch in Danzig selber dürften die Chancen für ein solches Projekt angesichts des tradierten deutsch-polnischen Gegensatzes gering gewesen sein. Als Rauschning zum Jahresende 1936 seine Gedanken zu einer deutsch-polnischen Partei in dem Wochenblatt Der Deutsche in Polen öffentlich machte, traf ihn dennoch der ganze Zorn der Danziger NSDAP. Der Danziger Vorposten vom 5. Januar 1937 berichtete von einer »landesverräterischen Weise«, in der Rauschning sich in DiP geäußert habe. Weiter hieß es in dem »amtlichen Danziger Organ der NSDAP«, Rauschning habe mit »diesem Erguß sein Bild als Landesverräter abgerundet«. Rauschning, der in Danzig bisher noch Bewegungsfreiheit gehabt habe, verdanke die Tatsache, daß er vor der Empörung der Bevölkerung geschützt worden sei, nur der Großzügigkeit der NSDAP. Die Geduld der Danziger Bevölkerung sei jetzt am Ende. Die nationalsozialistische Bewegung verlange von der Regierung, daß ein so unsauberer Patron wie Rauschning aus der Gemeinschaft der Danziger ausgeschlossen oder zum mindesten in seinen Umtrieben gehindert werde, da seine Zügellosigkeit eine Gefahr für die Ruhe in Danzig darstelle.370

Hermann Rauschning scheint die Warnung des NS-Organs in Danzig ernst genommen zu haben. Soweit die Ein- und Ausreisestempel in seinem Pass leserlich sind, hat er 1937 die Freie Stadt kein einziges Mal mehr besucht und damit auch nie wieder Danziger Boden betreten. Vieles spricht dafür, dass der 19. Oktober 1936 jener Tag war, an dem er ein letztes Mal die Freie Stadt aufgesucht hat.371 Für dieses Datum spricht u. a., dass mit dem Rücktritt Sean Lesters als Hochkommissar des Völkerbundes Mitte Oktober 1936 der »letzte Rückhalt und zugleich Schutz« Oppositioneller vor nationalsozialistischen Zumutungen entfallen war. Das ehemalige Danziger SPD-Vorstandsmitglied Erich Brost jedenfalls hatte die Stadt auf persönliches Anraten Lesters hin in Richtung Polen verlassen. Im Jahre 1995 berichtete Brost darüber, dass die polnische Vertretung in Danzig »Ende 1936« hinsichtlich Hermann Rauschnings zu dem Schluss gekommen sei, den ehemaligen Senatspräsidenten »in einem Wagen des polnischen Generalkommissariats« über die Grenze nach Polen zu bringen: »Ohne diese Hilfe wäre ihm das nicht gelungen«,372 so Brost. Das schwiegerelterliche Haus in Thorn, in dem Rauschning Unterschlupf fand, wurde bis auf Weiteres diskret von der polnischen Polizei beobachtet. Thorns städtische Behörden behandelten Rauschning so, als sei er immer noch 148

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der Präsident des Danziger Senats, er seinerseits sprach von ihnen mit großer Wertschätzung.373 Rauschning selber hat nach dem Zweiten Weltkrieg den katholischen Publizisten und Hitlergegner Johannes Maier-­ Hultschin als jenen »Mahner« benannt, der ihm »1936 in Thorn« dringend zur Flucht geraten und ihn dadurch vor einem »nationalsozialistischen Konzentrationslager« bewahrt habe.374 Etwa von Ende Februar 1937 – eine genauere Datierung ist leider nicht möglich – stammt ein längeres, recht umständlich formuliertes Schreiben Rauschnings an den neuen Hohen Kommissar in der Freien Stadt, den Schweizer Diplomaten Carl J. Burckhardt, der dieses Amt seit dem 18. Februar als Nachfolger Sean Lesters bekleidete.375 In dem Brief schilderte Rauschning die politische Entwicklung im Freistaat bis zum gegenwärtigen Zustand der völligen Rechtlosigkeit, dessen weitere Tolerierung sich eigentlich verbiete. Rauschnings Ausführungen gipfelten denn auch in dem Ratschlag an Burckhardt, »die Folgerung zu ziehen und gegebenenfalls die Funktion eines Hohen Kommissars aufzuheben (sic)«. Ein solcher Schritt, so Rauschning, sei »ein sichtbares Zeichen des Urteils über die derzeitige Lage des Rechts« und würde durch »die Klärung der realen Faktoren der Wohlfahrt der Freien Stadt am ehesten dienen«. Die drei Abschnitte umfassenden Aufzeichnungen zu dem Schreiben befassen sich mit den Erfahrungen persönlicher Verfolgung der Familie Rauschnings durch die Danziger Nationalsozialisten seit dem Rücktritt des ehemaligen Senatspräsidenten. Sehr detailliert schildert Rauschning darin zunächst seinen Ausschluss aus der Danziger Landwirtschaftskammer, der am 19. Februar 1937 – also am Tage nach Burckhardts Amtseinführung – erfolgt sei und der mit allen Konsequenzen seinen wirtschaftlichen Ruin als Landwirt bedeute. Im zweiten Abschnitt skizziert er versuchte Attentate auf seine Person und nennt dabei u. a. eine Äußerung Gauleiter Forsters vom Sommer 1935 »in einer Versammlung«, an der auch »eine Reihe nicht-nationalsozialistischer Beamter« teilgenommen hätten, der zufolge man mit Rauschning ähnlich wie mit dem ehemaligen bayerischen Staatskommissar Kahr verfahren werde, der im Zuge des »Röhm-Pusches« erschlagen worden sei. Im dritten Abschnitt beklagt Rauschning systematische Ausspähversuche von Teilen seines Personals auf seinem Anwesen im Werder. Abschließend kommt er noch einmal auf die von ihm vermutete Analogie zwischen seiner aktuellen Situation und jener der Mordopfer vom 30. Juni 1934 zurück, die ihn veranlasse, das Gebiet der Freien Stadt nicht mehr zu betreten.376 Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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Wenn er während des Jahres 1936 nicht in der Freien Stadt unterwegs war, verbrachte er seine Zeit in Thorn überwiegend mit Schreiben. Nach einer Mitteilung in einem Brief vom 28. Dezember 1936 an Erich Brost in Warschau verfasste Rauschning politische Artikel teilweise unter Pseudonym, aber auch unter seinem Klarnamen, wie etwa jenen über die geplante Parteigründung in Danzig. Auf Englisch erschien eine Broschüre unter seinem Namen mit dem Titel German Land Under Polish Domination.377 Der ungenannte Übersetzer – oder hatte Rauschning den Text selber auf Englisch geschrieben? – bezeichnete Rauschning im Vorwort als »im Ausland höchst vehement« aktiven »Opponenten des Nationalsozialismus«. Auf 31 Seiten versuchte der Autor, auch mit Hilfe zahlreicher Statistiken und Schaubilder, dem Ausland deutlich zu machen, dass der »Korridor« in den vom Versailler Vertrag gezogenen Grenzen wirtschaftlich nicht lebensfähig sei, andrerseits die dort im Vergleich zur ökonomischen Entwicklung in anderen Teilen Polens relativ moderne Wirtschaft dem Ruin entgegengehen werde. Rauschning ließ für sein Anliegen, politische Veränderungen im »Korridor« dringend nahezulegen, die nackten Zahlen für sich sprechen und verzichtete auf die schlichte Forderung nach Rückgabe der Gebiete an das Reich. Der erwähnte Brief Rauschnings an Brost ist ein bemerkenswertes Dokument, da in ihm bereits zu einem frühen Zeitpunkt Gedanken und Informationen enthalten sind, die einige Jahre später in ähnlicher Weise in seinem umstrittenen Werk Gespräche mit Hitler wieder auftauchen und die wegen seines inzwischen vollzogenen Bruchs mit der Partei mindestens ebenso viel Authentizität beanspruchen können wie die Angaben, welche die Journalistin Elizabeth Wiskemann über ihr Thorner Gespräch mit Rauschning macht. Da die gegenüber Brost formulierten Mitteilungen in einem engen privaten Rahmen erfolgten, kommt ihnen ein beachtlicher Quellenwert zu. Rauschning informierte seinen Adressaten auch darüber, dass er »für die Ratstagung« des Völkerbundes etwas »Programmatisches unter vollem Namen veröffentlichen« wolle. Etwas kryptisch fragt Rauschning in dem Brief, ob Brost »nicht an die Herren von der anderen Seite heran« könne, es sei »nun wirklich Gefahr im Verzug«. Und weiter: Man kann doch schließlich nicht veröffentlichen, was Hitler selbst gesagt hat, und täte man es, es würde doch jeder für Erfindung halten. Man liest da und dort in der

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Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

Presse von der Bedrohung Frankreichs. Es ist so, Ihnen habe ich es erzählt, daß Hitlers erste Frage an mich war, ob Polen bei einem Kriege gegen Frankreich neutral bleiben würde. Ich weiß es aus seinem eigenen Munde, daß er sich seine Ostpolitik als eine, freiwillig oder gezwungen, gemeinsame Aktion gegen Rußland denkt, und zwar Besetzung der Randgebiete im Süden bis zum Kaukasus. Ich weiß, daß ihm eine Lösung des Grenzproblems hier in der Gestalt der Exmittierung der gesamten polnischen Bevölkerung vorschwebt und als Grenze etwa die Ludendorfflinie von 18 bzw. Bug/Narew. Ich weiß, daß ihm ein völkisches Imperium vorschwebt mit Einbeziehung Belgiens, Hollands der Schweiz und noch einiges Andere. Ich habe vor allem aus seinem eigenen Munde zu wiederholten Malen und im engen Kreise seine »fanatischen« Beteuerungen gehört: er unterschreibe Alles, er sei bereit, jeden Vertrag zu schließen, alles zu versprechen, was man wolle, um Zeit zu gewinnen. Er hat es gerechtfertigt damit, daß einem so betrogenen Volk wie dem deutschen jede List erlaubt sei, wie ihm im Kampf auch jedes Mittel, bis zum Bakterienkrieg erlaubt sei – »wir werden unsere Legalität beschwören, wie wir sie früher beschworen und gehalten haben«. Das erinnere ich mich noch genau von ihm 33 in kleinem Kreise gehört zu haben.

Aber, so Rauschning, resignierend, was nützt das nun alles, niemand hält so viel Wahnsinn für möglich, niemand glaubt, daß er auch durchgeführt werden könnte, jedenfalls, daß versucht werden könnte, ihn durchzuführen. Und doch wird er es. So wie diese Leute alles durchgeführt haben, was selbst wir, die wir den Personen doch näher standen nur für demagogisches Mittel zum Zweck angesehen haben … Und wie oft werden die Engländer noch versuchen Hitler die Nägel zu beschneiden. Was kümmert uns schließlich Danzig. Die Entscheidung, die nun herauf kommt, ist unwiderruflich.

Und gegen Ende seines Briefes hieß es: »Entschuldigen Sie schon, daß ich Ihnen so ein Privatissimum lese. Mir ist etwas übel im Anblick des kommenden Jahres. Was können wir schon tun. Niemand kann sagen, er habe nichts gewußt, was uns allen bevorsteht; so mag es denn kommen.«378 Insgesamt erscheinen die in diesem Brief mitgeteilten Informationen sowie die Art ihrer Präsentation – Rauschning selbst scheint bei Unterredungen mit Hitler seinen Ohren zuweilen nicht getraut zu haben – geeignet, ein heute verbreitetes Urteil über sein Buch Gespräche mit Hitler in Zweifel zu ziehen, nämlich dass es sich dabei rundweg um Fälschungen und Erfindungen des Autors handle. Doch darüber später mehr. Gefährliches Renegatendasein im Freistaat

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In dem Brief erwähnte Rauschning auch eine »Danzig-Schrift«, an der er gegenwärtig arbeite, deren Fertigstellung er offensichtlich aber nicht weiter verfolgt hat. Auch eine »größere Schrift« habe er »abgebrochen«, weil ihm »jeder wirksame Ansatzpunkt« fehle.379 Bevor wir uns dieser »größeren Schrift« etwas näher zuwenden, erscheint ein kritischer Rückblick auf die knapp anderthalbjährige Amtszeit Hermann Rauschnings als Präsident des Danziger Senats angebracht.

Bilanz der Senatspräsidentschaft In der Literatur über diese Zeit findet sich das einhellige und zutreffende Urteil, dass der bürgerliche Musikhistoriker und erfolgreiche Landwirt den Nationalsozialismus in Danzig erst hoffähig gemacht und als »intellektueller Parade-Nazi«380 ihm dann zum Durchbruch verholfen habe. Im Gegensatz zu den Radikalen wie Forster, von Wnuck, mit Abstrichen auch Greiser, galt Rauschning in konservativ-bürgerlichen Kreisen der Freien Stadt als gemäßigt und präsentabel, er wirkte wie ein bürgerlicher Magnet für Hitler. Die Landbevölkerung wusste er ohnehin in hohem Maße hinter sich. Auch in seiner Amtsführung zeigte er sich insgesamt zurückhaltend und staatsmännisch, was natürlich auch den Schranken der Danziger Verfassung geschuldet war. Aber auch er regierte mit einem Ermächtigungsgesetz und konnte der Drangsalierung der Juden in seinem Herrschaftsbereich nicht entschieden entgegentreten und hat es auch nicht getan.381 Abgesehen von den bereits erwähnten handelspolitisch motivierten Beziehungen Rauschnings zu führenden jüdischen Kreisen der Danziger Kaufmannschaft liegen jedoch auch einige Erinnerungen aus jüdischer Hand vor, die dem Senatspräsidenten ein menschliches Zeugnis in seinem Verhalten gegenüber der Minderheit im Freistaat ausstellen. In einer Replik auf die Behauptung Ernst Sodeikats, Rauschning habe mit Blick auf die Danziger Juden »lediglich die Wirtschaftsinteressen« der Stadt im Auge gehabt, schrieb Theodor Loevy, der Herausgeber des jüdischen Blattes Danziger Echo im Jahre 1969, dass dies den Tatsachen nicht entsprochen habe. Vielmehr hätten Rauschnings »liberaler Juden-Politik« eigene Vorstellungen des Senatspräsidenten zu Grunde gelegen, sein »jüdisches Credo«, das er eigentlich gemeinsam mit ihm habe veröffentlichen wollen. »In Abwartung des geeigneten politischen Augenblicks« hierfür habe man jedoch den richtigen Zeitpunkt verpasst und Rauschnings Demission 152

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

am 23. November habe den Plan erledigt. Rauschning müsse, so Loevy in einer pointierten Formulierung, als »ausgesprochen ›falscher Nazi‹« angesehen werden.382 Loevys Charakterisierung korrespondiert auf frappierende Weise mit jener, die von Johanna Streiter, der ersten Ehefrau Georg Streiters, stammt – vor allem dann, wenn man unterstellt, dass Johanna Streiter nicht um die Formulierung Loevys gewusst hat. Gauleiter Forster, so Johanna Streiter in ihren Erinnerungen, habe danach gestrebt, »die sog. unechten Parteimitglieder, also Dr. Rauschning und Streiter, loszuwerden«.383 Erwin Lichtenstein, Rechtsanwalt, Journalist und Syndikus der Danziger Synagogengemeinde im Freistaat, urteilte 40  Jahre nach Kriegsende über Rauschnings Judenpolitik: »Solange« er »an der Regierung war, bemühte er sich den Juden etwa die Rechte einzuräumen, die auch die polnische Minderheit in Danzig hatte: eigene Schulen, eigene ›Gewerkschaft‹ mit Vertretung vor dem Arbeitsgericht«, und bei der »Entlassung jüdischer Beamter wurde eine Pension gezahlt«.384 Gertrud Dworetzki, Tochter des jüdischen Getreide- und Futtermittelhändlers Dworetzki aus Danzig, schrieb zur gleichen Zeit, dass »viele Juden und auch mein Vater Rauschning als anständige(m) Menschen und überlegte(m) Politiker vertraut« hätten. Was den Antisemitismus anbetraf, so Dworetzki, »akzeptierte« Rauschning »ihn einfach als unangenehme Begleiterscheinung, vertrat aber die Meinung, man dürfe die Juden nicht aus der Wirtschaft und Kultur ausschalten und hoffte, daß er im Laufe der Zeit seinen Einfluß werde geltend machen können.«385 Angesichts dieser Urteile erscheinen Einträge in Lexika der Nachkriegszeit, die eine gewisse Breitenwirkung beanspruchen dürfen, zum Stichwort »Hermann Rauschning« hinsichtlich dessen Judenpolitik korrekturbedürftig. In dem frühen Nachschlagewerk zu Persönlichkeiten des »Dritten Reiches« von Erich Stockhorst aus dem Jahre 1967 findet sich unter dem Stichwort noch keinerlei Hinweis auf Äußerungen oder Maßnahmen Rauschnings gegenüber den Danziger Juden.386 Auch in dem ursprünglich auf Englisch erschienenen Nachschlagewerk von Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich, findet sich kein Wort über Rauschnings Verhältnis zum Danziger Judentum.387 Dieses Lexikon nennt den Münchner Historiker Hermann Weiß als an der »Überarbeitung und Erweiterung« des Buches von Wistrich beteiligt. Dann, in einem von Weiß selber herausgegebenen Lexikon, taucht plötzlich wie aus dem Nichts ein radikaler Antisemit Rauschning auf, ein Urteil, das in der Folge offenbar immer wieder und dabei leicht variiert plagiiert worden Bilanz der Senatspräsidentschaft

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ist: »Als Politiker Vertreter einer vehement antisemitischen Politik, ferner Anhänger des Führerkults«388. In einem von dem renommierten Antisemitismusforscher Wolfgang Benz und anderen edierten Nachschlagewerk wird formuliert: »Scharfe antisemitische Politik, Führerkult«389. Bei Friedemann Bedürftig heißt es unter »Hermann Rauschning«: »Trotz scharf antisemitischer Politik und Förderung des Führerkults …«390. Ernst Klee schließlich – Vollständigkeit wird nicht beansprucht – macht sein Zitat aus dem Werk von Benz und anderen immerhin kenntlich und lässt seine Leser unter »Rauschning, Hermann. Senatspräsident Danzig« wissen: »Scharfe antisemitische Politik. Führerkult«391. Neue Quellenfunde, die eine Neubewertung Rauschnings und seine Haltung zum Antisemitismus hätten begründen können, waren zwar nicht aufgetaucht, allerdings war zumindest seit 1972, spätestens aber seit 1984 Rauschnings Bestseller Gespräche mit Hitler als Primärquelle von der seriösen Forschung endgültig verworfen worden392 und Rauschning damit möglicherweise zum Abschuss freigegeben. Wikipedia – Die freie Enzyklopädie stellt unter dem Stichwort »Hermann Rauschning« keinen Bezug des ehemaligen Senatspräsidenten zum Antisemitismus her.393 Ausgerechnet ein Zeugnis der NS-Führung bescheinigte Rauschning eine zurückhaltende Politik gegenüber den Danziger Juden. Im Juni 1939, als er längst geschworener Feind des Regimes war, führte ihn ein geheimes Dossier des Reichssicherheitshauptamtes mit dem Titel »Erfassung führender Männer der Systemzeit. Rechtsopposition und Reaktion« unter der Nummer 53 von insgesamt 73 Personen. Die knappe Begründung für Rauschnings Erfassung in der Liste beginnt mit dem Satz: »1933 bis 1934 Danziger Senatspräsident, setzte sich für Juden und politisch belastete Geistliche ein …«394 Eine Art politischer Nachruf auf Rauschning als Senatspräsidenten erschien im Sommer 1935 in dem Kattowitzer Wochenblatt DiP, nur eine Woche nachdem dasselbe Blatt jenen Schriftwechsel Rauschnings mit Volkstagspräsident von Wnuck veröffentlicht hatte, der den schließlichen Rücktritt des Senatspräsidenten dokumentierte. Unter der Überschrift »Rauschnings Irrtum. Ein Nachwort zu den Danziger Dokumenten« analysierte die Zeitung auf der Titelseite das politische Ende des Senatspräsidenten und sparte dabei nicht mit Kritik.395 Hinsichtlich seines innenpolitischen Kurses in Danzig gab das Blatt Rauschning im Nachhinein insofern Recht, 154

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

als die Parteiführung an der Mottlau entgegen Rauschnings Aufruf, die eigenen Danziger Kräfte zu mobilisieren, ausschließlich auf die Hilfe Berlins gesetzt habe, was mittlerweile zur katastrophalen Wirtschaftslage der Freien Stadt geführt habe. Die von Hitler bloß taktisch motivierte polenfreundliche Politik habe in Danzig zu großen Zugeständnissen an die polnische Seite geführt, etwa bei der »Behandlung der polnischen Sprache« oder bei der »Unterordnung der Zollverwaltung der Freien Stadt unter die Warschauer Zentralstellen«. In der außenpolitischen Orientierung habe Rauschning jedoch »das überschlaue Gegenstück« zu der »Einfalt« von Greiser und Forster zu liefern versucht. Seine angestrebte »Kombination einer vierfachen Stützung Danzigs auf alle gegeneinander wirkenden Mächte der Ostpolitik« habe schiefgehen müssen, so DiP. Denn: Als Nationalsozialist, der er damals noch war, wollte Rauschning es mit dem Reich halten, zugleich Verständigungspolitik mit Polen treiben, den Rückhalt am Völkerbund aber auch nicht verlieren und schließlich auch noch eine Gegenversicherung in Moskau aufnehmen! Das alles zu einer Zeit, in der das Reich in Genf nicht mehr vertreten war, die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau stark abgekühlt waren und Polen deutlich zu erkennen gab, daß es die Aufrechterhaltung der »Zurück zum Reich«-Parole als das Gegenteil ehrlicher Verständigung empfand!

Die »Sowjetaufträge« für den Danziger Schiffbau seien ihrem Umfang nach immer nur als Ergänzung der weit größeren Berliner Hilfen zu sehen gewesen, und dies auch nur so lange, wie es wenigstens »Reste einer deutsch-russischen Rapallopolitik gab«. Nach der Kehrtwende der nationalsozialistischen Politik gegen die Sowjetunion, die mit dem deutsch-polnischen »Nichtangriffspakt« vom Januar 1934 signalisiert worden sei, schmolzen eben auch jene Reste dahin. Im Völkerbund schließlich habe Rauschning ein tatkräftiger »reichsdeutscher Fürsprecher« gefehlt, seit Berlin der Organisation den Rücken gekehrt habe. Der Aufmacher in DiP kam zu dem Ergebnis, Rauschning habe offenbar »Nationalsozialismus im Rahmen der demokratischen Verfassung« praktizieren wollen: »Ebenso könnte man vegetarische Menschenfresserei empfehlen oder alkoholfreie Trunksucht«, ätzte das Blatt und resümierte in auffallender Analogie zu Theodor Loevy: »Dieser ehemalige Musikhistoriker und spätere Landbundführer war offenbar auch damals kein echter Hitlermann, als er noch die Uniform der SS trug und mit Augenaufschlag vom ›FühBilanz der Senatspräsidentschaft

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rer‹ sprechen zu müssen glaubte.« »Dr. Rauschnings Kritik an seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen genügt nicht«, hieß es in dem Beitrag, sie sei »menschlich ehrenwert, weil sie seine Erfahrungen offen eingesteht. Aber sie bleibt eine Halbheit, wenn sie an einen reformierten Nationalsozialismus im Inneren, an eine Kombination nationalsozialistischer, deutschnationaler und liberaler Rezepte in der Außenpolitik glaubt.« Ein »gemäßigtes Hakenkreuzlertum« gebe es nicht, »so wenig Stalin durch Trotzki besiegt werden wird, so wenig Hitler durch seine enttäuschten Anhänger, mögen sie nun Otto Strasser oder Hermann Rauschning heißen.« In einem Kommentar zu den Vorgängen um den Rücktritt Rauschnings in derselben Ausgabe von DiP klangen dann noch versöhnlichere Töne gegenüber dem ehemaligen Senatspräsidenten an. Man habe seitens der Zeitung in der Vergangenheit mit sachlich argumentierenden Vertretern des Nationalsozialismus durchaus die Auseinandersetzung gesucht und geführt, hieß es in dem Beitrag; Forster mit seinem Kampf gegen Katholiken, Marxisten und Juden habe zweifellos nicht zu ihnen gehört, sondern repräsentiere den »unvernünftigen Menschen«, den »reinen nationalsozialistischen Toren«. »Mit dem Nationalsozialisten Dr. Rauschning war jede Auseinandersetzung möglich«, war weiter zu lesen, »allein die Tatsache, daß dieser Mann sich nicht hat sein ›Denken diktieren‹ lassen, daß er die Mitarbeit der Opposition verlangte, unterscheidet ihn von den Nationalsozialisten als Kategorie von Menschen, die einem widrigen (sic) Byzantinismus huldigen. Weil Dr. Rauschning in allen Dingen, die von der Vernunft diktiert werden, nicht nationalsozialistisch dachte, hat er sich als Parteigenosse unmöglich gemacht.« Trotz der an ihm geäußerten Kritik nahm Rauschning ein Angebot ­Maier-Hultschins zur Mitarbeit beim DiP an, er publizierte dort nach seinem Fortgang aus Danzig Ende 1936 und regte die bereits erwähnte Parteineugründung für Danzig in der letzten Ausgabe der Zeitung jenes Jahres an. Zeitlebens äußerte er sich respektvoll über den katholisch-konservativen Herausgeber der Zeitung, Eduard Pant, und unterhielt enge Beziehungen zu dem Chefredakteur des Blattes, Johannes Maier-Hultschin, die, wie wir sehen werden, auch das Ende des Zweiten Weltkriegs überdauerten. Beide, Pant und Maier, verabschiedeten Rauschning in Posen, als dieser Polen verließ, um ins Schweizer Exil zu gehen.396 Vor allem in der ersten Jahreshälfte 1937 veröffentlichte Rauschning seine insgesamt acht Beiträge in DiP. Er zeichnete sie namentlich, was bei 156

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dem Blatt eher die Ausnahme war.397 Seine Vergangenheit als ehemaliger Senatspräsident von Danzig, sein gewisses Insiderwissen über die nationalsozialistische Parteiführung und seine konservative Grundhaltung machten ihn zu einem Gewinn für das Blatt.398 Der Prestigegewinn für die Zeitung geht auch aus dem Umstand hervor, dass Rauschnings letzter Beitrag vom April 1939, in dem er eindringlich vor einer Kooperation mit dem Nationalsozialismus aus wirtschaftlichen Gründen warnte und die drohende Kriegsgefahr beschwor, von der Druckerei der Zeitung, Depol, eigens als Broschüre herausgegeben wurde.399 Außerdem übernahm DiP Bestellungen für Rauschnings jüngstes Buch Die Revolution des Nihilismus und leitete sie an den Züricher Europa Verlag weiter. Indem die Revolution des Nihilismus ihrem Autor weltweites Renommee verschaffte, änderte sich jedoch dessen Interesse an DiP als Publikationsplattform. Er ließ Maier in einem Brief vom 28. Juni 1939 wissen, dass ihm seine Wirksamkeit auf internationaler Bühne künftig weniger Zeit für DiP lassen werde. Gleichwohl versicherte er Maier seiner weiteren materiellen und ideellen Unterstützung. Rauschning beobachtete die stete Finanznot des DiP mit Sorge, er bedauerte, die für den nötigen Unterhalt erforderlichen Mittel nicht selber aufbringen zu können. Seinen Angaben zufolge zählte der in die Schweiz emigrierte Bankier Erwin Brettauer zu den Sponsoren des Blattes, einen Durchbruch in der Finanzierungsfrage hätte aber seiner Auffassung nach der ehemalige Reichskanzler Brüning mit seinen Verbindungen in die Wege leiten können, doch habe dieser die Zeit für ein solches Engagement noch »nicht für gekommen« angesehen.400 In verschiedenen Schriften und nicht zuletzt in seiner außerordentlich umfangreichen Korrespondenz mit politischen und persönlichen Freunden und Weggefährten hat sich Rauschning immer wieder an seiner Amtszeit als nationalsozialistischer Danziger Senatspräsident abgearbeitet und sich dabei nicht geschont. Der Frage nach seinem Versagen als Angehöriger der »gebildeten Schichten«, der es im Gegensatz zu den weniger Privilegierten nach seinem eigenen Urteil »eigentlich hätte besser wissen müssen«, ging er dabei nicht aus dem Weg. Wiederholt berichtete er in diesem Zusammenhang von seiner Begegnung mit Thomas Mann in Küsnacht am Zürichsee, die wahrscheinlich im Jahre 1937 stattfand. »Als ich in der ersten Phase meiner notwendig gewordenen Emigration Thomas Mann in Zürich aufsuchte, stellte er mir die Frage, die ich auch sonst öfter zu Bilanz der Senatspräsidentschaft

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hören bekam, wie ich mich als Angehöriger des gebildeten Bürgertums zu diesen Gangstern hätte gesellen können. Die Frage war gestellt, um mich zu beschämen«, dass es »aber sehr wohl gute Gründe dafür« gegeben habe,401 schrieb er rund 20 Jahre nach Kriegsende auf seiner Farm in Oregon. Rauschning will diese »Episode vergessen« und erst wieder von ihr durch die Einleitung Golo Manns zur Neuausgabe der Revolution des Nihilismus nach dem Krieg erfahren haben.402 In dieser Einleitung hatte Mann geschrieben: Bei seinem ersten Besuch in unserem Küsnachter Hause fragte mein Vater ihn geradewegs, wie er, ein Mann von Niveau, wohl je habe d i e s e r Partei beitreten können. Wenn die Frage in Verlegenheit bringen sollte, so erreichte sie ihren Zweck keinen Augenblick. Rauschning antwortete, er habe sich allerdings geirrt, aber schäme sich seines Irrtums nicht. Die Weimarer Republik habe die großen Aufgaben des Staates nicht lösen können, weder die inneren noch die äußeren, und dies nicht zufälligerweise, sondern weil Geist und Führung ungenügend waren. Auf einem deutschen Außenposten lebend, habe er die Gefährdung der Nation besonders scharf empfunden, andrerseits aber vom Nationalsozialismus nur die ungefähren Konturen gesehen, gewisse Grundbestrebungen, mit denen er übereinstimmen zu müssen glaubte, ohne die menschliche Substanz, die hier am Werke war, noch erfassen zu können. Nach drei Jahren habe er Bescheid gewußt und die Konsequenzen gezogen.403

Insbesondere die anfangs gehegte Hoffnung, sein Engagement in der Partei werde ihm die Möglichkeit eröffnen, die radikalen Elemente zu schleifen und zu domestizieren, hatte sich nach seinem Eingeständnis als falsche Erwartung erwiesen. »Auf eine Mäßigung des Nationalsozialismus zu hoffen«, notierte er, auf ein Reifen unter der Verantwortung, auf eine Re-Demokratisierung, wie ich es getan hatte, und wie es noch gegenwärtig manche ehemalige Nationalsozialisten tun, die zwischen einem »Hitlerismus« und einem »echten« Nationalsozialismus glauben unterscheiden zu können, war und ist Selbsttäuschung. Wenn man den Nationalsozialismus in seinem wahren Wesen erkannt hatte – und dazu hatte ich in diesen zwei Jahren mehr als Gelegenheit gehabt –, so konnte nur noch die einzige Schlußfolgerung sein, ihn mit Stumpf und Stiel zu beseitigen.404

Indem er für viele Intellektuelle der späten Weimarer Republik allgemein sprach, meinte er sich auch selber, wenn er in der dritten Person schrei158

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

bend festhielt: »Er sah den Aufstieg des Nationalsozialismus zu einem bedeutenden realen Machtfaktor und glaubte eine Chance der Verwirklichung der eigenen Ideen zu gewinnen, indem er sich der Partei anschloß und versuchte, sie zur Übernahme dieser Ideen zu bestimmen. In echt intellektueller Selbstüberschätzung spielte dabei eine Unterschätzung der hartgesottenen Parteielite und des politischen Handwerks überhaupt mit.« Rauschning hätte noch hinzufügen können, dass ihm hinsichtlich des »politischen Handwerks überhaupt« eine Gabe fehlte: Gemeint ist damit, in der Sprache unserer Tage, die Fähigkeit des Netzwerkens, die Fähigkeit etwa, sich im Danziger Senat eine eigene Hausmacht zu verschaffen, um den Zumutungen der Forster und Greiser entgegentreten zu können. Das Fehlen dieser Gabe ging bei ihm wohl bis in die krankheitsbedingte Zeit des häufigen Alleinseins als junger Mann zurück, wie er dies einerseits etwa bei seinem Erholungsaufenthalt im Berner Oberland ›erlernt‹ und welches andererseits das ›Erlernen‹ fröhlicher Geselligkeit im Kreise Gleichgesinnter weitgehend verhindert hatte. Kurt Krüger, Rauschnings Rechtsberater als Leiter der Präsidialabteilung des Danziger Senats schrieb am 25. Oktober 1985 in einem Leserbrief für die FAZ über seinen ehemaligen Chef: »Sein großer Fehler aber war es, daß er zu den Parteiinstanzen, ja selbst zu seinen Mitsenatoren ohne inneren Kontakt blieb«. Dass er aber auch nach Kriegsende immer noch im Nationalsozialismus eine ursprünglich faszinierende Ideologie erkannte, wird noch zu zeigen sein. Und in einem weiteren Punkt wird man Rauschnings eigener kritischen Rückschau ein wenig widersprechen müssen. Wiederholt hat er für sich eine fundamentale »Umkehr« in Anspruch genommen405, als der Bruch mit Hitler und seinen Danziger Parteigenossen erfolgte, genauer: diese den Bruch mit ihm vollzogen. Charakteristisch für diesen Gedankengang ist etwa seine folgende Überlegung: Der seinen Irrtum Erkennende wird … vor eine Entscheidung gestellt. Es gibt für ihn nur im Irrtum beharren oder Umkehr. Aber solche Umkehr ist nie Rückkehr zu einem Früheren, einem Rückliegenden (sic), einem Zustand, dem der Irrtum erwuchs und der wieder hergestellt wird und die Gefahr einer Repitition des Irrtums in anderer Verkleidung in sich birgt. Umkehr ist darüber hinaus ein Neues. Darin liegt die Funktion des Irrtums, daß er den Menschen zwingt, schärfer zu sehen als bisher, weiter auszugreifen, nach einem Neuen zu suchen, weiter zu kommen vielleicht als der vor dem Irrtum bewahrt Gebliebene, der »Gerechte«. Wie es denn schon Bilanz der Senatspräsidentschaft

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im Talmud heißt: Wo der Umkehrende steht, steht nicht einmal der vollkommen Gerechte. Es ist kein Verdienst darin; es begründet keinen Anspruch, und es macht nicht Irrtum ungeschehen.406

Dieses Bild von der Umkehr lebt wesentlich von der selbstständig erar­ beiteten, besseren Einsicht des Umkehrenden. Im Falle des ehemaligen Senatspräsidenten muss aber doch einmal die kontrafaktische Frage gestellt werden, ob und wann diese Umkehr auch eingetreten wäre, wenn Rauschning einen konzilianteren Gegenspieler, ja vielleicht sogar einen echten Partner statt des fanatischen Gauleiters Forster an seiner Seite gehabt hätte. Oder wenn sich Hitler doch auf seine Seite geschlagen hätte? Wenn denn die angeblichen äußerst schwerwiegenden Äußerungen Hitlers ihm gegenüber wirklich zutrafen, wonach der »Führer« auch bakteriologische Waffen gegen Feinde des Reiches einzusetzen bereit war, stellt sich auch die Frage, wie lange Rauschning dieses Wissen weiter für sich behalten hätte, wäre er im November 1934 nicht verstoßen worden? Aus den zuvor geschilderten Vorgängen ergibt sich zweifelsfrei, dass Rauschning bis zuletzt als Nationalsozialist um sein Amt gekämpft hat, er dann erst durch ein Misstrauensvotum des Senats aus demselben gedrängt wurde. Mit einer metaphorischen Wendung jener Tage: Forster hatte ihn mit Billigung Hitlers »abgesägt«, wie der Deutschland-Bericht der Sopade von 1935 kühl diagnostizierte.407 Danach ging es um Schadensbegrenzung, und als ihm Anfang 1937 »landesverräterische Umtriebe« vorgeworfen wurden, stand vermutlich die völlig verständliche Sorge um sein Wohl und das seiner Familie im Mittelpunkt der weiteren Lebensplanung. Mit 47 Jahren musste er nun noch einmal von vorne anfangen. Rauschning hat später die Behauptung Peter Bamms zurückgewiesen, mit seinem Anti-Hitlerbuch Gespräche mit Hitler habe er sich für die ihm widerfahrene »politische Niedertracht« auf »grandiose Weise gerächt«.408 Es tut der eigentlichen Absicht Rauschnings mit diesem Buch – nämlich die Westmächte an einem kritischen Punkt des frühen Zweiten Weltkriegs aufzurütteln – keinen Abbruch, wenn man dem Verfasser des Werkes auch ein Gran Rache unterstellt. Mitten in diesem Krieg hat sich Hitler übrigens noch einmal Rauschnings erinnert, und wenn nicht alles täuscht, sogar mit einem leisen Anflug des Bedauerns, schenkt man einer diktierten Tagebucheintragung von Joseph Goebbels Glauben. Goebbels ließ unter dem 30. September 1942 missbilligende Äußerungen Hitlers über »Gesellschaftspropaganda« 160

Nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig

der Eliten im Reich notieren. »Am meisten«, referierte Goebbels Hitler in dem Eintrag, wirkt sich diese Gesellschaftspropaganda auf der Jagd aus. Der Führer möchte am liebsten jedem führenden Mann der Partei verbieten, überhaupt auf die Jagd zu gehen. Ganz abgesehen von seiner natürlichen Abneigung gegen die Jagd glaubt er, daß hier die meisten Fäden zu antinationalsozialistischen Kreisen gesponnen werden. Er erwähnt dabei das Beispiel von Rauschning, der durch polnische Jagdeinladungen vollkommen dem Reich entfremdet wurde und schließlich in das gegnerische Lager überwechselte.409

Bilanz der Senatspräsidentschaft

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KASSANDRA IN DER FREMDE

Zürich und Die Revolution des Nihilismus Neben der Sorge um seine große Familie bestimmten vor allem zwei Dinge das Leben Rauschnings zwischen 1936 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: Schreiben und Reisen. Zwischen 1936 und 1938 entstand im Arbeitszimmer seines Thorner Exils jene »größere Schrift«, die Rauschning in seinem Brief an Erich Brost kurz vor dem Jahreswechsel 1936/37 angedeutet hatte. Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich entfaltete auf knapp 500 Seiten nicht eben leicht lesbar eine frühe konservative Deutung des Nationalsozialismus,410 gelegentlich wurde das Werk auch bereits als »Höhepunkt der konservativen Theorie über den National­sozialismus« apostrophiert.411 Einer unbestätigten Information zufolge soll das Buch »vom polnischen Geheimdienst inspiriert und finanziert« worden sein – Marek Andrzejewski spricht davon, dass dies »aller Wahrscheinlichkeit nach« den Tatsachen entspreche.412 Der polnische Diplomat Witold Bronowski äußerte sich gegenüber dem späteren Posener Geschichtsprofessor Janusz ­Pajewski dahin gehend, »daß Rauschnings Buch auf polnische Anregung hin entstand und es von der polnischen Regierung finanziert oder vielleicht mitfinanziert wurde«.413 Der Behauptung, polnische Stellen hätten an der Wiege der Revolution des Nihilismus gestanden, widerspricht indes eine kleine Bemerkung des Vertrauten Rauschnings aus Danziger Tagen, Georg Streiter, die dieser in einem Brief an Rauschning aus Lindau in der Französischen Zone bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte.414 Streiter ermunterte Rauschning darin, ihm mitzuteilen, ob er neue Schriften verfasst habe, und bot an, sich um Übersetzungen kümmern zu wollen. Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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Das werde jetzt, anders als »damals in Polen unter dem Obersten-Regime« (gemeint war das Regime in der Nachfolge Pilsudskis), einfacher sein. »Sie werden sich erinnern«, schrieb Streiter, »daß ich mich damals über Graf Lubienski415 vergeblich bemühte, die ›Revolution des Nihilismus‹ in Warschau zu starten«. Derartige Bemühungen wären überflüssig gewesen, wenn die polnische Seite bereits hinter dem Buchprojekt gestanden hätte. Auf den ersten Seiten seines Werkes wird eine gewisse Enttäuschung des Verfassers über sein abruptes Ende in Danzig deutlich. Hier bekennt sich Rauschning immer noch »zu einigen wesentlichen Motiven«, die ihn einst zu den Nationalsozialisten geführt hatten. Allein die fehlende Unterstützung Hitlers in seinem Streit mit Gauleiter Forster sowie dessen ultimatives Vorgehen ihm gegenüber im Spätsommer 1934 hätten seinen »Rücktritt unabwendbar« gemacht.416 Nach Peter Stahlberger unterscheidet sich Rauschnings Arbeit insofern von allen anderen Auseinandersetzungen mit dem Wesen des deutschen Radikalfaschismus, als sie sich vor allen theoretischen Zeugnissen der Partei und ihrer Führer mit den personellen und institutionellen Machtstrukturen in Deutschland, mit der innenpolitischen Entwicklung und den außenpolitischen Zielsetzungen des »Dritten Reiches« befasst. »Hier, in der ständigen Unterscheidung zwischen ›Kulisse und Wirklichkeit‹, spielen offensichtlich die bitteren persönlichen Erfahrungen des Autors seit 1933 mit«, so Stahlberger. Hier lägen auch die Stärken des Werkes, »in gewisser Hinsicht« auch seine Schwächen, »etwa in der weit unterschätzten Bedeutung der Rassendoktrin«. Rauschnings Ausgangspunkt war seine Erkenntnis, »daß konservative Idee und Hitlers Revolutionsbewegung trotz des zeitweiligen verhängnisvollen Bündnisses miteinander unvereinbar« seien. Der Nationalsozialismus sei weder konservativ noch national, sondern Zerstörer von Konservatismus und Nationalbewusstsein. Er spiele mit Ideensurrogaten anstelle von existierenden Ideen.417 In den Worten Rauschnings: Der Nationalsozialismus ist Bewegung schlechthin, Dynamik absolut gesetzt, Revolution mit wechselndem Nenner, jederzeit bereit, ihn zu vertauschen. Eines ist der Nationalsozialismus jedoch nicht: Weltanschauung und Doktrin. Aber er h a t eine Weltanschauung. Der Nationalsozialismus macht nicht aus einer Doktrin Politik, wohl aber macht er m i t einer Weltanschauung Politik. Er benutzt sie, wie er alle Werte und Requisiten des menschlichen Daseins zu seiner Dynamik benutzt. Seine

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Politik ist … Gelegenheitspolitik in dem Sinne, jede Gelegenheit zu benutzen, um sich zu betätigen, um seine Macht zu stärken, um dem Willen zur Macht Objekte der Beherrschung zu unterwerfen.418

Der Nationalsozialismus erscheine Rauschning als doktrinlose Revolution, als politische Aktion gewordener Ausdruck eines totalen Nihilismus mit dem einen, einzigen Ziel, Macht zu erringen und zu bewahren, so Stahlberger. Die Werte, die er zur Erreichung dieses Zieles benutze, würden zerstört, doktrinäre Bindungen zerrissen, geistige und geographische Grenzen gesprengt. Um die ständige Revolution in Schwung zu halten, sei der Nationalsozialismus notwendigerweise auf Feinde, auf Angriffsziele, angewiesen. Nur als permanenter Kampf könne der Dynamismus in der Masse lebendig erhalten, nur durch immer neue Reize die drohende Erschlaffung der Masse überwunden werden. Bolschewisten, Juden, die Weisen von Zion und die Freimaurer seien Objekte, an denen »der Kampfwille mit dem Gefühl der Befriedigung, für die eigene Person zu den Erlesenen und Berufenen zu gehören, immer neu entzündet werden kann«, so Rauschning. Und weiter: »Es wäre wirklich naiv anzunehmen, daß auch nur einer von der Elite wirklich und aufrichtig an die Hauptsätze der ›Weltanschauung‹ glaubt. Sie sind bewußt zusammen gelesen um ihrer demagogischen Wirksamkeit und um der politischen Ziele willen.«419 Diese Wesensbestimmung müsse, auf die Außenpolitik angewendet, zum Krieg führen, schreibt Stahlberger über Rauschnings Gedankengänge. Für den Nationalsozialismus gelte laut Rauschning: »Krieg ist die außenpolitische Form der dynamischen Revolution. Der Krieg ist an sich schon Lebensordnung und Lebenserfüllung. Der Krieg ist Sinngebung und höchste Norm. Der Krieg ist vor allem die höchste Form der doktrinlosen Revolution.«420 Gewissermaßen als einsamer Wolf in seiner Zeit vertrat Rauschning folgerichtig die damals ungeheuerlich anmutende Auffassung, dass ein »Zusammengehen der ›Todfeinde‹ Nationalsozialismus und Bolschewismus – ›der große kommende, revolutionäre Coup‹ – zur Erreichung außenpolitischer Vorteile oder zur Überwindung innen-, wirtschaftspolitischer Schwierigkeiten möglich und wahrscheinlich« sei.421 Ein solches Bündnis werde allerdings immer nur »unter dem geheimen Vorbehalt einer inneren Rivalität geschlossen werden«. Denn, fährt Rauschning fort, es »bedeutet nichts anderes als die Einmündung zweier Ströme ineinander, die schließlich das selbe Meer erreichen wollen: die Weltrevolution. Es ist Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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die Weltrevolution des Bolschewismus, mit dem sich der Nationalsozialismus gleichschaltet oder die er für seine Zwecke sich gleichschalten will. Es kommt auf dasselbe heraus.«422 Wo erkannte Rauschning Rettung in diesem düsteren Szenario? Konservativer, der er war, setzte er auf die Wiederbelebung konservativen Gedankenguts, auch wenn dieses nicht erst nach 1933 innerlich zersetzt war. Als Staatsform schwebte ihm eine Restauration der deutschen Monarchie im Rahmen eines föderativ organisierten Europas vor.423 Vorbedingung für den Neuanfang war nach Rauschnings Auffassung die Beseitigung der »Hitlerbewegung« und dafür kamen nach seiner Meinung nur Wehrmachtskreise in Frage – als Ergebnis einer im Geiste echten Soldatentums wurzelnden Widerstandsaktion gegen das revolutionäre Landsknechttum Hitlers.424 Rauschning und seine »Gesinnungsgenossen« waren »für das lebensgefährliche Bündnis mit dem revolutionären Dynamismus verantwortlich«, hatten sich, wie Rauschning als Senatspräsident von Danzig, schuldig gemacht. Nur sie konnten, so Stahlberger, »wenn überhaupt, noch einen radikalen Neubeginn herbeiführen, ohne sich selber aufzugeben«. In seinem Buch wie auch in den späteren Jahren seiner Emigration erkannte Rauschning in Teilen des deutschen Militärs den Schlüssel für einen fundamentalen Neuanfang. »Was gegenwärtig in der deutschen militärischen Führung entschieden wird, betrifft nicht allein das Schicksal unserer Nation, die mehr oder weniger diktatorische, revolutionäre oder reaktionäre Form ihres Lebens. Es ist die Entscheidung über Frieden und Restauration auf der einen Seite, Krieg und permanente Revolution auf der anderen. Eine Zwischenlösung gibt es nicht.«425 Etwa parallel zur Veröffentlichung der Revolution des Nihilismus erschien zum Jahresende 1938 ein längerer Aufsatz Rauschnings in der von dem Schweizer Konrad Falke und Thomas Mann herausgegebenen Zeitschrift Maß und Wert, in dem sich der Verfasser über »Die Grundlinie der deutschen Ostpolitik« verbreitete.426 Lange bevor Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die zeitgeschichtliche Forschung den Wurzeln der Hitler’schen Lebensraumpolitik auf den Grund zu gehen versuchte, machte Rauschning in diesem Beitrag auf die Kontinuität zwischen der Ostpolitik des Generalstabs Ober Ost im Ersten Weltkrieg und dem »deutschen Imperialismus« im Zeichen des Hakenkreuzes aufmerksam.427 Der als Warnung an den Westen konzipierte Beitrag warf – wie auch Die Revolution des Nihilismus – die Möglichkeit eines Bündnisses des nationalsozialistischen Deutschland 166

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»mit Sowjetrußland« auf, wenn der »imperialistische Drang des Dritten Reiches« dies für zweckmäßig erachte. So könne es zu einer »Schwenkung, zu einem Bündnis mit Rußland« kommen. Doch nicht »die Politik der Junker, der deutschnationalen Reaktionäre, der Reichswehrgeneräle rückte ein deutsch-russisches Bündnis in greifbare Nähe, sondern erst der Nationalsozialismus mit seinem voraussetzungslosen politischen Nihilismus, der im bürgerlichen Milieu, etwa in Polen, als Realismus bewundert und kopiert wird.« Erst der Nationalsozialismus sei imstande, »die innerpolitischen Hemmungen einer völlig konformen Politik mit dem Ziele der Weltrevolution zusammen mit Sowjetrußland zu führen«.428 Das war Schreiben. Bevor Hermann Rauschning sich Ende 1938 mit dem fertigen Manuskript der Revolution des Nihilismus auf die Suche nach einem Verleger in Richtung Schweiz – das einzige in weiten Teilen deutschsprachige Land, in dem er sich eine Veröffentlichung noch erhoffen konnte – begab, hatte er bereits eine rege Reisetätigkeit in Mittel- und Westeuropa hinter sich. Beinahe ausschließlich anhand der Stempel in seinem Danziger Reisepass lassen sich seine Reisen einigermaßen sicher nachzeichnen, hingegen gibt es nur wenige gesicherte Informationen darüber, welche Aktivität er an den von ihm besuchten Orten entfaltet und welche Personen er getroffen hat.429 Die erste Jahreshälfte 1937 verbrachte Rauschning noch in Thorn, vermutlich überwiegend mit seiner Arbeit am Manuskript der Revolution des Nihilismus beschäftigt. Anfang Juni jenes Jahres brach Rauschning erstmals zu einem sechswöchigen Aufenthalt nach Österreich und in die Schweiz auf. Es war dies die Zeit, in der Rauschning neben dem ebenfalls im Exil lebenden ehemaligen Reichsminister Gottfried Treviranus (»Tre«)430 als Herausgeber einer neu zu gründenden Zeitschrift gehandelt wurde, die, antinationalsozialistisch ausgerichtet, »nach Deutschland hineingeschmuggelt und an den Widerstand in der Wehrmacht und an seine Anhänger im Land verteilt werden sollte«431. Spiritus Rector dieses Projektes war u. a. der ehemalige Zentrumspolitiker und Reichskanzler Heinrich Brüning. Zur Finanzierung des Projektes hatte sich erneut Erwin Brettauer bereit erklärt, sofern eine weitere Persönlichkeit eine ebenso »hohe Summe« wie er beizusteuern bereit sei.432 In diesem Zusammenhang begegnete Hermann Rauschning Brettauer erstmals persönlich. In Wien habe er »im Frühjahr 1937« mit dem Bankier über die Herausgabe einer »politischen Zeitschrift« gesprochen. In seinem bereits erwähnten Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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Affidavit von 1942 nannte er die Summe von 70.000 Schweizer Franken, die Brettauer zu Gunsten der geplanten Publikation bei einer Züricher Bank deponiert habe.433 Das wahre Deutschland erschien später, so Brüning, ohne sein Wissen und »unter Ausschluss von Rauschning und Tre«. Dass der ehemalige Reichstagsabgeordnete und Kommunist Willi Münzenberg über Brettauer und den früheren Zentrumsabgeordneten Carl Spiecker in das Projekt einbezogen worden war, empfand Brüning als außerordentlich »ungeschickt«, da die Wehrmacht darüber informiert war, dass Münzenberg die Gelder der ehemaligen KPD nach Paris transferiert hatte, wo sie nun »als Kredit zu seiner ausschließlichen Verfügung« standen. Rauschning sei darüber, so Brüning, »sehr erzürnt« gewesen, habe aber das ursprüngliche Vorhaben wieder aufleben lassen wollen, wovon nun Brüning seinerseits nichts mehr wissen wollte.434 Das Projekt einer von Rauschning mit herauszugebenden Zeitschrift fand auch Eingang in das Tagebuch von Thomas Mann. Unter dem Datum des 14. Juli 1937 hielt er fest: »Zum Thee auf der Terrasse Dr. Rauschning, ehem. Präsident des Danziger Senats. Politica. Zu erwartende kritische Zuspitzung der deutschen Verhältnisse diesen Sommer. Möglichkeit des Krieges. Über die von seinem Kreise (Brüning) geplante Halbmonatsschrift, konservativ.«435 Auf der Rückkehr von seiner Reise besorgte sich Rauschning in Wien am 24. Juli 1937 ein einjähriges Aufenthaltsvisum für Polen, offenbar um seine dortige Anwesenheit zu legalisieren. Drei Tage später kehrte er zu seiner Familie nach Thorn zurück. Nach nur drei Wochen brach Rauschning zu einer erneuten Reise auf, die ihn über Österreich, Liechtenstein und die Schweiz nach Frankreich führte, von wo er am 29. August via Calais das britische Dover erreichte. In London erhielt er französische Transitvisa für Belgien sowie ein belgisches Aufenthaltsvisum für maximal einen Monat. Die »doppelte Absicherung« seines geplanten Aufenthaltes in Belgien gibt Rätsel auf und lässt den Schluss zu, dass er dort zumindest einen wichtigen Termin wahrnehmen wollte. Am 16. Oktober 1937 kehrte er, von Österreich kommend, wieder nach Polen zurück. Einem ominösen Hinweis in den sogenannten Prager Akten zufolge könnte Rauschning auf dieser Reise versucht haben, politisch in mehreren europäischen Haupstädten aktiv zu werden. Der tschechoslowakische Geschäftsträger in Warschau berichtete unter dem 4. August 1937 an das Außenministerium in Prag, dass »nach Mitteilung des Herrn E. Künstler (eines SPD-Abgeordneten aus Danzig, 168

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A. H.), der in Warschau Rauschning begleitet, der ehemalige Präsident des Danziger Senats beabsichtigt, im Herbst Prag, Paris und darauf London zu besuchen, wo, wie es scheint, schon seitens der Freunde Rauschnings eine Propagandatätigkeit begonnen wurde.«436 Die Mitteilung des Geschäftsträgers wird durch einen Brief von Erich Brost an Hans Vogel, den Vorsitzenden der Sopade/SPD in Prag, vom 17. August 1937 gestützt.437 Am 3. August, also einen Tag vor dem Bericht des Geschäftsträgers nach Prag, habe Ernst Künstler ihn, Brost, »in Begleitung von Dr. Rauschning« zu »meiner Verwunderung« in seiner Warschauer Wohnung aufgesucht. Rauschning habe sich nur kurz dort aufgehalten und lediglich gesagt, er werde »in einigen Wochen wieder nach Warschau« kommen, um »dann Näheres« mitzuteilen. Auf Einladung Rauschnings trafen sich dann Brost, Künstler und Rauschning am 16. August 1937 erneut in Warschau, um Brost über einen »Plan« in Kenntnis zu setzen, über den er mit Künstler bereits »vor zwei Wochen diskutiert« habe. Kern des Plans war nach Künstlers Darstellung die ihm angeblich durch den Unterstaatssekretär im britischen Außenministerium, Vansittart, in London persönlich gegebene Zusage, dass London »in ein bis zwei Jahren« den Völkerbund reaktivieren und in der »Zwischenzeit eine neue Danziger Oppositionsfront auferstehen« lassen wolle, deren Führung nur Rauschning zustehen könne. Unter der Voraussetzung, dass Rauschning für den Plan zur Verfügung stehe, hätten sich in England bereits zahlreiche Financiers gefunden, deren Gelder vor allem für »eine umfassende illegale Benachrichtigung der Danziger Bevölkerung« sowie die Errichtung einer »Korrespondenz in Warschau« verwandt werden sollten, »um im Ausland das Interesse für Danzig wachhalten« zu können. Künstler sei nun nach Warschau gekommen, um Rauschning zu gewinnen und Brost als den »geeignetsten Schriftleiter für« die geplante Korrespondenz zu verpflichten. Brost teilte Vogel in dem Brief nebenbei mit, dass sich aus der Unterhaltung ergeben habe, dass er »erst auf Verlangen Rauschnings« in das Vorhaben eingeweiht worden sei. Brost machte in dem Brief deutlich, dass er von dem Plan wenig halte, insbesondere was die angebliche Rolle Vansittarts anging, aber auch weil er seinem Parteigenossen Künstler nicht recht traute. Hingegen habe »Rauschning größeres Interesse« an der Sache bekundet, aber ein Eingehen darauf von seiner, Brosts, Billigung abhängig gemacht.438 Der Umstand, dass Rauschning nur eine Woche nach seiner Rückkehr nach Polen in die Tschechoslowakei einreiste, könnte auf Prager UnterZürich und Die Revolution des Nihilismus

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redungen des ehemaligen Danziger Senatspräsidenten hindeuten, Belege hierfür gibt es jedoch nicht.439 Den Winter 1937/38 sowie das Frühjahr 1938 hat Rauschning vermutlich in Thorn verbracht. Gestützt wird diese Annahme durch zwei Briefe, welche die polnische Spionageabwehr geöffnet und in Teilen an die II. Abteilung der polnischen Streitkräfte gemeldet hatte. Gegenüber einem unbekannten ersten Adressaten berichtete Rauschning über die polnische Stimmung angesichts des »Anschlusses« Österreichs am 13. März 1938 und gab in diesem Zusammenhang seiner Überzeugung Ausdruck, dass »der Nationalsozialismus ein weiteres Mal außenpolitische Erfolge ohne jedes Kriegsrisiko« erringe. Bei dem zweiten Adressaten handelte es sich um den österreichischen Volkstumsfunktionär Waldemar Quaiser, der bereits im Januar 1938 als »freiwilliger politischer Emigrant« von Wien nach Prag übergesiedelt war. In seinem Schreiben an Quaiser in Bratislava sprach Rauschning bereits von einer gemeinsamen deutschen und österreichischen Emigration angesichts des »Anschlusses«. Er gab am Schluss des Briefes seiner Hoffnung Ausdruck, diese Angelegenheiten mit Quaiser »in einigen Wochen näher besprechen« zu können, was auf eine weitere geplante Reise hinweist, die nun jedoch weiter ausholen musste, denn Österreich war für Rauschning nach dem »Anschluss« tabu. Entsprechend den neuen politischen Gegebenheiten sah er sich gezwungen, seine dritte Reise nach Westeuropa detailliert vorzubereiten, d. h., es mussten teurere Fahrkarten erstanden, mehr Devisen getauscht und Transitvisa für Ungarn und Jugoslawien organisiert werden. Über diese Reise, die vom 10. Juni bis zu seiner Rückkehr nach Polen am 22. Juli 1938 dauerte und ihn nach Italien, der Schweiz und Frankreich führte, ist nichts Näheres bekannt. Die sogenannte Sudetenkrise im Sommer jenes Jahres dürfte ihn zu dem Entschluss geführt haben, sein Exil und womöglich das seiner Familie in ein westeuropäisches Land zu verlegen. Die Schweiz, Frankreich und England waren mittlerweile zu bevorzugten Fluchtpunkten der deutschen und österreichischen Emigration geworden. Am 10. September 1938 besorgte sich Rauschning bei einer Warschauer Bank eine Devisenausfuhrgenehmigung über knapp 200 Zloty und zwei Tage später holte er sich beim französischen Konsulat in Kattowitz ein Ein- und Ausreisevisum für Frankreich. Mit diesem Sichtvermerk verliert sich für immer Rauschnings Spur in Polen, auch Passeintragungen für Grenzübertritte in die Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien lassen sich nicht mehr belegen. Nachweislich erreichte er Mitte September Italien und hielt sich 170

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anschließend bis zum 25. Oktober 1938 in der Schweiz, in Frankreich und dann wieder in der Schweiz auf, um das Land an jenem Tag erneut in Richtung Frankreich zu verlassen.440 Mit im Gepäck hatte er bei dieser Reise aller Wahrscheinlichkeit nach das Manuskript seines Werkes Die Revolution des Nihilismus. Zunächst bot er seine Arbeit dem »von dem späteren Spion Rudolf Rössler geleiteten, christlich-pazifistisch orientierten Luzerner Vita Nova Verlag« an, der es aber ablehnte. Schließlich wurde Rauschning in Zürich mit dem Chef des Europa Verlages (Zürich/New York), Emil Oprecht, handelseinig, der jedoch auf einer Kürzung des ursprünglichen Manuskriptes um 100 Seiten bestand.441 Oprecht genoss in Emigrantenkreisen ein beachtliches Renommee, das u. a. auch darauf gründete, dass er sein Haus sowohl sozialistischen als auch konservativen Gegnern des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus öffnete. Folgt man einem Postskriptum in einem Brief von Golo Mann an Raymond Aron vom 24. November 1981, hatte Mann offenbar bei der Entscheidung Oprechts, die Arbeit Rauschnings zu drucken, seine Hände im Spiel: »Das Buch war mir geradezu eine Erlösung. Ich las es im Manuskript und beschwor meine Freunde vom Europa-Verlag, Zürich, es zu veröffentlichen – ein Wagnis war es damals.«442 Das Wort von der erlösenden Wirkung des Rauschning-Buches auf ihn hatte Mann ein paar Monate zuvor auch in einem Brief an den Juristen und Politikwissenschaftler Ossip K. Flechtheim benutzt – »endlich ein Bundesgenosse!«, schrieb er, der es im Exil bis dahin nur mit zwei Richtungen unter den Emigranten zu tun gehabt habe: entweder den »marxistischen« oder den »preußischen (Junker, Generalität …)«.443 Mit Rauschnings Analyse schienen sich nun endlich neue Wege zur Interpretation des Nationalsozialismus zu öffnen. Aus Teilen der Korrespondenz Rauschnings, die er insbesondere seit Anfang 1939 aus seinem Pariser Exil mit Emil Oprecht und dessen Ehefrau Emmie führte und die nach der deutschen Besetzung Frankreichs zunächst in die Hände der Gestapo und schließlich in Deutschland in jene der vorrückenden Roten Armee fiel, erhellt sein auffälliges Interesse an einer baldigen polnischen Ausgabe der Revolution des Nihilismus.444 Dieses Interesse ist möglicherweise mit dem oben angedeuteten polnischen Finanzierungshintergrund des Buches zu erklären – belegen lässt sich das allerdings nicht.445 Nur wenige Wochen nachdem er sein Manuskript in Zürich übergeben hatte, wandte sich Rauschning am 16. NovemZürich und Die Revolution des Nihilismus

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ber 1938 aus Paris »durchaus nicht unbescheiden« an seinen Verleger mit der Frage: »Was macht das Buch?« Zwei weitere Sätze widmete er sodann dem dezenten Hinweis an Oprecht, dass er in Kontakt mit dem Chef der Firma Cooperation, Emery Reves (d. i. Imre Révész), stehe, der immerhin »Artikel von Churchill und Eden pp« vertreibe. Anschließend kam er wieder auf sein Buch zurück: »Vor allem bitte ich Sie aber, ein Exemplar des Umbruchs möglichst sofort nach Polen zu schicken … Man ist bereit, evtl. eine polnische Ausgabe zu bringen. Nur ist auch hier Eile geboten, da die Entwicklung vielleicht in Bälde etwas Derartiges als eine unfreundliche Aktion unmöglich machen könnte.«446 In einem runden Dutzend Briefen an Emil Oprecht und seine Frau widmete sich Rauschning künftig entweder an »prominenter Stelle« oder sogar ausschließlich seiner Sorge um eine baldige polnische Ausgabe. Die Adressaten ihrerseits zeigten sich diesem Drängen gegenüber teilweise eher zurückhaltend. Am 17. November schrieb Emil Oprecht Rauschning, dass sein Buch »vorgestern abend endlich ausgedruckt worden« sei und hoffentlich am Ende der nächsten Woche auch in Paris »erhältlich sein« werde. Oprecht äußerte in dem Brief Zweifel an einer »Liste der Zeitschriften und Politiker«, die Rauschning mit der deutschen Ausgabe seines Werkes bedient sehen wollte. Etwa zwei Drittel der Adressen seien »fremdsprachig« und daher für den »Absatz der deutschen Ausgabe wenig interessant«. Insbesondere »Polen ist übermäßig stark vertreten, während unserer Ansicht nach fast keine Aussichten bestehen, dort eine Übersetzung zu placieren«.447 Ein Exemplar des Buches ließ Rauschning an den britischen Unterhausabgeordneten und Generalmajor Edward Spears gehen, von dessen zumindest rudimentären Deutschkenntnissen er offenbar wusste. In seinem Begleitschreiben zu dem Buch erklärte Rauschning, dass er in seinem Werk nicht nur seine Erfahrungen in Danzig verarbeitet habe, sondern eindringlich darauf hinweisen wolle, mit welcher Dynamik der »Hitlerismus« nicht nur »die politische Lage Europas und in der ganzen Welt« beeinflusse. Dieser habe einen »Kurs automatischer Richtung« eingeschlagen, den zu verlassen der »Bewegung« nicht mehr erlaubt sei.448 Ende November 1938 hielt sich Rauschning in Basel auf und besorgte sich am 28. des Monats im französischen Generalkonsulat in Zürich ein Visum für Frankreich mit einer Gültigkeit von einem Jahr. Offenbar stattete er auch dem bei Emigranten beliebten Ort Melide im Tessin einen Besuch ab, wo auch Erwin Brettauer residierte.449 Ausgestattet mit einem britischen Einreisevisum erreichte er am 17. Dezember die Insel, um zu 172

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Weihnachten wieder auf den Kontinent zurückzukehren. Bis Anfang April 1939 wechselte Rauschning wiederholt seinen Aufenthaltsort zwischen Paris, der Schweiz und London. Für Großbritannien besaß er seit dem 19. Januar ein auf ein Jahr befristetes Visum, das ihm beliebig viele Einreisen in das Vereinigte Königreich gestattete. Am 9. Februar erreichte ihn in Paris die Nachricht Oprechts aus Zürich, dass »der Verlag ›Roj‹ in Warschau sich heute bereit erklärt hat, die polnische Ausgabe (der Revolution des Nihilismus, A. H.) herauszubringen«. Ihr sollte die gekürzte französische Ausgabe zu Grunde liegen und die Auflage habe »Roj« zunächst auf nur 1500 Exemplare festgesetzt. »Ich kann mir vorstellen«, schrieb Oprecht, »daß der Abschluss der polnischen Ausgabe Sie besonders freut.«450 Am 10. Juni teilte er Rauschning aus Zürich mit, »Roj« plane das Erscheinen der polnischen Ausgabe für das Ende des Monats. Wiederholt ist auf eine eigens von Rauschning geschriebene Einleitung »für die polnischen Leser« hingewiesen worden, die dann in der einflussreichen Literaturzeitschrift Wiadomości Literackie vom 2. Juli 1939 erschien, ohne dass bisher etwas über den Inhalt dieses Textes bekannt geworden wäre.451 Nun, Rauschning machte in der Einleitung u. a. noch einmal auf die positive Bedeutung des »Nichtangriffspaktes« zwischen Polen und Deutschland aus dem Jahre 1934 aufmerksam, den Hitler Ende April 1939 einseitig gekündigt hatte. Leider habe die Entwicklung, so der ehemalige Senatspräsident, eine andere Richtung genommen – warum es dazu kam, versuche sein Buch zu erklären. Unzureichendes Wissen über die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland habe unter Zwang zu einer falschen Politik geführt, so der Autor, und nichtnationalsozialistische Gruppierungen hätten die Revolution in Deutschland auch dann noch unterstützt, als man sich ihr noch erfolgreich hätte widersetzen können. Ähnliches treffe auch für andere Länder zu, die durch die deutsche Revolution bedroht werden könnten.452 Rauschning durfte sich geehrt fühlen, dass er als einziger Ausländer von Wiadomości Literackie in den kleinen Kreis von Autoren aufgenommen wurde, die Beiträge für eine Danzig-Sondernummer verfassen sollten. Rauschnings Beitrag erschien in der Nummer der Zeitschrift vom 23. Juli 1939.453 Zweifellos ist Die Revolution des Nihilismus in Polen vor allem in akademischen Kreisen rezipiert worden. Da das Werk auf den »aggressiven Charakter des NS-Regimes hinwies, erweckte es in Polen größeres Interesse als die 1940 erschienenen ›Gespräche mit Hitler‹, die erst 1994 ins Polnische übersetzt wurden«, schreibt Marek Andrzejewski.454 Noch wähZürich und Die Revolution des Nihilismus

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rend der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg nannte die populärste Warschauer Untergrundzeitung, Biuletyn Informacyjny, in ihrer Ausgabe vom 12. Juni 1941 unter den meistgelesenen und meistgesuchten Büchern neben Friedrich Wilhelm Foersters Niemcy a Europa (Deutschland und Europa) Rauschnings Rewolucja nihilizmu. Vor allem diese beiden Bücher seien geeignet, das nationalsozialistische Deutschland zu charakterisieren, hieß es damals.455 Dass das Buch von Hermann Rauschning in Polen auch heute noch – zumindest in intellektuellen Kreisen – präsent ist, zeigt ein Artikel des »führenden Kopfes der früheren Gewerschaftsbewegung Solidarnosc« und heutigen Chefredakteurs der liberalen Warschauer Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, im Spiegel. Dort schrieb er im Jahre 1994 im Zusammenhang mit Gedanken über den russisch-nationalistischen Politiker Wladimir Schirinowski: »Welcher Teufel versteckt sich in den dunklen Winkeln unserer Herzen und Häuser? Hermann Rauschning, einer der fundiertesten Analytiker des Nazismus, prägte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs den Begriff der ›Revolution des Nihilismus‹. Nihilisten waren für ihn gleichermaßen Hitler und Stalin, die Nazis und die Bolschewiken.«456 In den Monaten April, Mai und Juni 1939 hielt sich Rauschning überwiegend in Paris auf, von einem Abstecher nach England vom 21. bis 24. Mai einmal abgesehen. Da Die Revolution des Nihilismus mittlerweile einige Wochen auf dem Markt war, beschäftigte sich seine Korrespondenz in nicht geringem Maße mit Antworten auf Nachfragen von Lesern zu seinem Buch. Unter dem Titel Germany’s Revolution of Destruction erschien es noch 1939 in Kanada sowie im selben Jahr in Stockholm auf Schwedisch, in Den Haag auf Niederländisch, bei Gallimard in Paris auf Französisch und 1940 in Buenos Aires auf Spanisch.457 Von Anfang Juni 1939 stammt auch ein Brief Rauschnings zur nationalsozialistischen Judenverfolgung, der durchaus unorthodoxe Einsichten des Verfassers offenbart und deshalb hier in Auszügen vorgestellt werden soll. Das Schreiben war eine Antwort auf einen Brief des Mediziners Remy Hirsch aus Haifa in Palästina vom 5. Mai 1939, in dem sich Hirsch ganz offensichtlich über die Novemberpogrome vom Vorjahr ausgelassen hatte. Rauschning antwortete Hirsch nun unter dem 2. Juni aus Paris, dass es auch »in nationalen, sogar in nationalsozialistischen Kreisen von Anfang an die schwersten Bedenken gegen den Antisemitismus des Nationalsozialismus« gegeben habe. Er sei seinerzeit als Danziger Nationalsozialist anlässlich der 174

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»ersten Judenpogrome am 1. April (1933, A. H.)« von »einer Reihe von alten Parteimitgliedern angerufen« worden, die ihm ihre Empörung über diese Vorkommnisse zum Ausdruck gebracht hätten. »Sie werden mir glauben«, fuhr Rauschning in dem Brief fort, »daß mich selbst ein paar Ereignisse damals schon so erschütterten und am Nationalsozialismus zweifeln ließen, daß ich bereit war, meine Funktionen niederzulegen. Gehindert hat mich daran die Überzeugung, daß die Leitung der Danziger Politik in anderen Händen wahrscheinlich schon im Sommer 33 einen blutigen Konflikt zur Folge gehabt haben würde.« Dieses Argument Rauschnings erinnert stark an die Exkulpationsversuche ehemaliger nationalsozialistischer Würdenverträger bei den Nürnberger Prozessen, die ebenfalls behaupteten, durch ihr Ausharren im Amt noch Schlimmeres verhütet zu haben. Allerdings kann den Ausführungen Rauschnings in diesem Brief angesichts des sattsam bekannten Spannungsverhältnisses Rauschning–Forster in den Jahren 1933/34 eine gewisse Plausibilität nicht abgesprochen werden. Rauschning legte in seinem Brief an Hirsch sodann die ebenfalls bekannte Auffassung dar, wonach »kein einziger« Anhänger des Nationalsozialismus dessen Programm ernst genommen und man darauf gesetzt habe, dass »nach einer vorübergehenden tumultuösen Zeit« eine gewisse Ruhe einkehren werde. Dafür, dass die Entwicklung sich dann doch radikalisierte, hielt der ehemalige Senatspräsident folgende Erklärung bereit: Was vielmehr im Wesentlichen dazu geführt hat, ist die Charakterlosigkeit des nationalen Bürgertums, aber auch die Kampflosigkeit und der Servilismus anderer Kreise gewesen. Sie werden es richtig verstehen, wenn ich davon auch nicht Ihre eigenen Glaubensgenossen ausnehme. Mir sind bis in die jüngste Vergangenheit Persönlichkeiten bekannt geworden, die die größte Sympathie für den Nationalsozialismus und seine Methoden haben, obwohl sie Juden waren. Die Einstellung auch jüdischer Bevölkerungskreise gegenüber dem Nationalsozialismus ist kein Ruhmesblatt. Es hat mir noch im Herbst vorigen Jahres ein Ihnen sicherlich sehr bekannter jüdischer Großindustrieller gesagt: wenn es nicht den Antisemitismus im Nationalsozialismus gegeben hätte, dann hätte man wirklich mit dieser Bewegung die ganze Welt erobern können.

Im Übrigen, so Rauschning gegenüber Hirsch, sei er »kein Antisemit«. Andrerseits halte er »es nicht für gut und richtig, dass in die politische und geistige Führung Deutschlands in so unverhältnismäßig starker Weise jüdische Kreise hineingekommen waren«. »Selbstverständlich« habe dies Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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auch an »einer gewissen unschöpferischen und trägen Art des nicht-jüdischen Deutschen« gelegen. Niemals habe er aber, »und ich glaube auch im Namen der überwiegenden Mehrzahl meiner ehemaligen Parteifreunde sprechen zu können, an eine derartige Entwicklung und an derartige Grausamkeiten gedacht, wie sie nachher zur Tatsache geworden sind.« Abschließend wies Rauschning noch Hirschs Zweifel hinsichtlich einer angemessenen Thematisierung des Antisemitismus in Die Revolution es Nihilismus zurück und verwies auf einen »im Herbst« erscheinenden »zweiten Teil« seiner Arbeit, der eine »eingehendere Behandlung dieser Frage« liefern werde. Rauschning beendete seinen Brief mit folgendem Satz: »Ich sehe eine Zukunft Deutschlands und Europas allerdings nur in der völligen bürgerlichen und geistigen Gleichberechtigung der jüdischen Kreise, und in einer Restitution und Wiedergutmachung der begangenen Schäden, soweit dies überhaupt möglich ist.«458 Ein weiterer Brief Rauschnings aus dem »Moskauer Nachlass« gibt einen Einblick in sein Denken hinsichtlich der nationalsozialistischen Judenverfolgung rund ein Jahr nach der Reichspogromnacht vom November 1938. Am 8. November 1939 beantwortete er von seiner Pariser Wohnung am Quai Louis-Blériot ein Schreiben des im schwedischen Exil lebenden nationalkonservativen, jüdischen Historikers Hans-Joachim Schoeps vom 27. Oktober, das ihn über die DFP, die Deutsche Freiheitspartei, erreicht hatte. Schoeps hatte darin offenbar klar gegliederte Punkte einer künftigen »Wiedergutmachung und der bürgerlichen und religiösen Gleichberechtigung« der Juden niedergelegt. Rauschning antwortete nun, er mache sich »im Großen und Ganzen« Schoeps’ Auffassung zu eigen. Lediglich »hinsichtlich Punkt zwei und drei«, in denen Schoeps künftige Zugangsbeschränkungen für Juden im öffentlichen Leben ins Auge gefasst hatte, wolle er »einige Einschränkungen« machen. Und Rauschning dazu weiter: Den numerus clausus einzuführen halte ich nicht vereinbar mit dem Grundsatz der bürgerlichen Gleichberechtigung. Und ebenso halte ich es nicht für angebracht, die Rückwanderung der deutschen Juden zahlenmäßig zu reglementieren. Den Antisemitismus können wir nicht durch solche Maßnahmen verhindern, sondern wir können ihn nur dadurch endgültig besiegen, indem wir die völlige Gleichberechtigung aufstellen und durch Gesetze und eine geeignete Erziehung zur Selbstverständlichkeit erziehen.

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Abschließend bedauerte Rauschning, dass er keine Möglichkeit habe, diese Dinge mit Schoeps »ausführlich zu besprechen«, er hoffe aber, auf ihn zählen zu können, wenn es »in nächster Zeit zu einer kleinen Zusammenfassung aller derjenigen Persönlichkeiten« kommen werde, die »positive Vorschläge für die Wiederherstellung Deutschlands machen« würden.459 Die Revolution des Nihilismus wurde für Rauschning und seinen Verleger Oprecht fraglos ein großer Erfolg. Der Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe in der Schweiz im Dezember 1938 war wohl auch mit dem Blick auf das Weihnachtsgeschäft gewählt worden. So bewarb der Europa Verlag das Rauschning’sche Werk zu Weihnachten 1938 bei Buchhandlungen mit einem Sonderrabatt von 40 %, falls die Bestellungen bis zum 7. Dezember eingingen.460 Und die antifaschistische Zeitung Friends of Europe schrieb am Ende einer Kurzrezension des Buches in ihrer Ausgabe vom Dezember 1938: »It is earnestly recommended for Christmas reading and for an early English edition.« Nicht eben ungeschickt begleitete Rauschning selber den sich anbahnenden Verkaufserfolg seines Werkes durch einen umfangreichen Artikel mit der Überschrift »Der verhängnisvolle Irrtum« in der Exil-Zeitschrift Das wahre Deutschland, dem Organ der Deutschen Freiheitspartei. Es gelang ihm darüber hinaus, diesen Beitrag von dem anderen in Paris erscheinenden Exil-Blatt, Die Zukunft übernehmen zu lassen, für das er selber gelegentlich schrieb.461 Die Redaktion der Zukunft stellte dem Beitrag Rauschnings eine Einleitung voran, in der es am Ende hieß: »Der Aufsatz Hermann Rauschnings ist ein Beweis für die zunehmende Erkenntnis des Irrtums und für die fortschreitende Zersetzung und Auflösung der nationalsozialistischen Bewegung gerade in ihren von Haus aus wertvollen Bestandteilen.« Der ehemalige Senatspräsident legte hier erstmals einem deutschsprachigen Publikum im Exil die Gründe für seinen – allerdings schreibt er konsequent von »wir« als den fehlgeleiteten Jungkonservativen – Beitritt zum Nationalsozialismus dar: Knapp zusammengefasst habe er in der nationalsozialistischen Bewegung etwas völlig Neues erkannt, »hier schien eine unverbrauchte neue Kraft im elementarsten Sinne heraufzustossen«. Angesichts »großer Aufgaben«, der »Wirtschaftsnot«, der »außenpolitischen Schwäche«, der »sozialen Unruhe« sei der »Staat fast zur Fiktion« geworden, schrieb er. Hier sei ihm die Partei Hitlers als einzige Rettungsmöglichkeit erschienen. Aber dann auch: Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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Hier liegen die Wurzeln des eigenen, individuellen und des großen generellen Irrtums bloß. Wir übersahen die Grenzen, die jedem politischen Realismus gesetzt sind. Wir überließen uns leichtherzig einer Entwicklung, in der nur ein Schritt war bis zum politischen Zynismus, in der dieser Schritt unvermeidlich wurde, bis zu dem Nihilismus, der aus den Elementen der Macht, der Gewalt und des Herrschaftstriebes glaubt, eine politische Ordnung allein begründen zu können. War es ein Irrtum, der nur auf Deutschland beschränkt ist?

Nach Verlagsangaben brachte es die deutschsprachige Ausgabe der Revolution des Nihilismus in fünf Auflagen auf 27.000 Exemplare.462 Eberhard Jäckel, Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus und Rauschning-Kritiker, vermutete mit dem zeitlichen Abstand von mehr als vier Jahrzehnten, dass das Buch »lange den vielleicht stärksten Einfluss auf die Beurteilung Hitlers« ausgeübt habe.463 Bereits vor Erscheinen der amerikanischen Ausgabe im Sommer 1939464 widmete die renommierte Fachzeitschrift Foreign Affairs der deutschsprachigen Version eine knappe Rezension. Robert Gale Woolbert nannte das Buch »bemerkenswert«, aber auch zu lang. Die in ihm entfalteten Gedanken hätten auf 200 Seiten besser zum Ausdruck gebracht werden können. Irrtümlich lässt Woolbert Rauschning im Jahre 1935 zurücktreten. Der Autor gehöre zur preußischen Junkerklasse, deren Ansichten zu sozialen und politischen Fragen er immer noch teile. Auf Grund seiner engen Verbindung zu Hitler und anderen Nazi-Führern sei er in der Lage, eines der besten Bilder von der Parteiführungsebene zu liefern. Den Inhalt von Rauschnings Buch in diesem Punkt durchaus ein wenig verzerrend, meint der Rezensent, dass Rauschning einem deutschen Bündnis mit Russland nicht entgegenstehe, denn er weise darauf hin, dass Deutschlands wirtschaftliche und soziale Ordnung mittlerweile dem »bolschewistischen System« so sehr ähnele, dass eine »Entente« mit den »Sowjets« keine ernsthaften Schwierigkeiten im Innern des Reiches hervorrufen würde. Abschließend nannte Woolbert die angekündigte englische Version »dieses wichtigen Buches willkommen«.465 Auch auf dem amerikanischen Buchmarkt wurde The Revolution of Nihilism ein beachtlicher Erfolg. Der ehemalige deutsche Diplomat Ernst W. Meyer, der inzwischen in New York ins Lager der Hitlergegner gewechselt war, schrieb dem deutschen Journalisten Hans Albert Kluthe in dessen englisches Exil, dass er »gerade heute von dem Verleger« Rauschnings von der »exzellenten Aufnahme« des Buches in Amerika erfahren habe. In den 178

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nächsten Tage werde eine fünfte Auflage in Druck gehen und die Rezensionen des Buches seien überwiegend günstig ausgefallen.466 Im Jahre 1946 bewarb der New Yorker Verlag D. Appleton-Century Co. Rauschnings neuestes Buch mit dem Titel Time of Delirium mit dem Hinweis auf dem Schutzumschlag, bei dem Autor handle es sich um den Verfasser der Revolution of Nihilism – ein deutliches Indiz für die Bekanntheit von Buch und Autor in den Vereinigten Staaten. Übersetzungen von Rauschnings Werk gelangten auch in die Hände prominenter Politiker in aller Welt. So bedankte sich etwa der Oppositionsführer im südafrikanischen Parlament und spätere Premierminister seines Landes, Jan C. Smuts, mit einem Schreiben vom 3. August 1939 bei J. Martin für die Übersendung von Germany’s Revolution of Destruction. Er wolle den Band bald lesen, schrieb Smuts, zumal er Schwierigkeiten habe, Hitlers Revolution richtig zu beurteilen.467 Doch zurück an den Ort der Veröffentlichung der Revolution. Die Schweizer Behörden hatten sich im Vorfeld der Veröffentlichung des Rauschning’schen Werkes mit politischem Druck seitens der Deutschen Gesandtschaft in Bern auseinanderzusetzen. Bei einer relativ offenen Grenze zwischen der Schweiz und dem Reich war den Berliner Machthabern das Erscheinen eines prononciert kritischen Buches über den Nationalsozialismus – und dazu noch von einem seiner ehemaligen prominenten Repräsentanten – mehr als ein Dorn im Auge. Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab es in der Schweiz eine Presseüberwachung, die vor allem »die Organe zur Zurückhaltung gegenüber dem faschistischen Ausland anzuhalten hatte«.468 Im Ganzen, so Eric Dreyfuß, habe »sie sich aber sehr viel harmloser ausgenommen, als es einige spektakuläre Verwarnungs- oder befristete Verbotsfälle vermuten ließen«. Hauptsächlichstes »corpus delicti« sei damals die öffentliche »Beleidigung eines fremden Staates«469 gewesen, was aber im Allgemeinen mehr eine Frage des Stils als eine solche des Inhalts gewesen sei. Die »verschiedenen Tendenzen in der Rezeption des Nationalsozialismus« konnten »deutlich und im wesentlichen ungehindert zum Ausdruck kommen«.470 Im Falle Rauschnings machte sich die Abteilung Presse und Funkspruch, Sektion Buchhandel, beim Armeekommando der Schweizerischen Armee für das Erscheinen seiner Werke in der Schweiz mit dem Argument stark, »bei besonders gelagerten Fällen« sei »die Persönlichkeit des Verfassers ausschlaggebend«. Mit seiner Revolution des Nihilismus habe Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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sich der Verfasser als »zweifellos berechtigt« erwiesen, sich »über Ziel und Zwecke des Nationalsozialismus zu äußern«.471 Somit hatte noch eine erste Auflage der Revolution des Nihilismus in Zürich erscheinen können, weitere deutschsprachige Auflagen wurden dann vom Europa Verlag, Zürich/ New York, publiziert. In einer Note der Deutschen Gesandtschaft in Bern vom 18. Dezember 1939 warnten die deutschen Diplomaten das Eidgenössische Politische Departement (EPD, Außenministerium der Schweiz) vor »empfindlichen Rückwirkungen«, falls die Schweiz weiterhin die »Druckerzeugnisse« von Autoren dulde, die als »politische Emigranten« geflüchtet seien. In diesem Zusammenhang erinnerte die Note an das »schwerwiegende Beispiel« der Revolution des Nihilismus des »als Emigrant in Feindesland lebenden Hochverräters Hermann Rauschning«. Bei Erscheinen der ersten Ausgabe des Buches, »das jetzt in neuer Auflage aus Tarnungsgründen vom Europa Verlag New York herausgegeben« werde, habe die Deutsche Gesandtschaft beim EPD gegen dieses Erscheinen und die Verbreitung in mündlicher Form Protest erhoben. »Die seinerzeitige Unterlassung eines Einschreitens gegen diese Schrift seitens der Schweizer Behörden habe die Gesandtschaft bereits damals mit schwerer Besorgnis erfüllt«, hieß es in der Note.472 Unter dem durchaus treffenden Aliasnamen »viator« (lat. der Reisende) führte der Schweizer Staatsschutz ein sogenanntes Staatsschutzfiche – eine grüne Karteikarte – über Rauschning, in das mit zahlreichen Abkürzungen Termine und Informationen über den ehemaligen Senatspräsidenten eingetragen waren, als dessen Wohnort anlässlich der frühesten Notiz vom 12. Januar 1939 London angegeben war.473 Diese Notiz fasste ganz knapp einen »Bericht« des Eidgenössischen Politischen Departements über Rauschning zusammen. Dem früheren Danziger Senatspräsidenten sei die Danziger Staatsbürgerschaft entzogen worden, hieß es darin, und er sei kürzlich in der Schweiz gewesen »und habe in Zürich im ›Europa‹-Verlag ein Buch herausgegeben mit dem Titel ›Revolution des Nihilismus‹«. In zwei Eintragungen vom 9. und 13. März, deren zweite auf Französisch abgefasst war, wird über die Ergebnisse einer »Postkontrolle« des Polizeikommandos Zürich sowie die Erkundungen eines Inspektors Knecht berichtet, die darauf hindeuteten, dass Rauschning in Kontakt mit anderen Emigranten in der Schweiz stand. Namentlich erwähnt werden der Jurist und spätere Münchner Polizeivizepräsident Dr. Ludwig Weitmann, Walter Kreiser, der Publizist, Pazifist und ehemalige Mitstreiter Carl von Ossietzkys, sowie Friedrich Wilhelm Foerster. Diese Personen 180

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betrieben »anti-nationalsozialistische Politik«, heißt es in dem Staatsschutzfiche. Rauschning sei nach Genf gereist, um dort mit Kreiser und Foerster einen (nationalsozialistischen) Plan hinsichtlich einer »Besetzung der Schweiz und Hollands« zu »diskutieren«, von dem die beiden durch Rauschning informiert worden seien.474 Am 14. März berichtete eine Notiz von einer »Hausdurchsuchung« des Polizeikommandos Luzern bei dem in Winterthur beschäftigten Diplom-Ingenieur Rudolf Rossmann, der jedoch bestritten habe, Rauschning persönlich zu kennen. Sein Name sei ihm lediglich durch Die Revolution des Nihilismus geläufig. Einer weiteren Eintragung vom 29. September zufolge unterlag offenbar auch Rauschnings Korrespondenz der Polizeikontrolle, denn das Polizeikommando Liestal berichtete aus der »Photokopie« eines Briefes von Rauschning an einen »gewissen Kaplan Österreicher« über »die Machenschaften des bekannten Kiefer Wilhelm«, über den der Nachrichtendienst Zürich am 22. Juli laut Fiche berichtet hatte, dass dieser an einer »Zusammenkunft der deutschen Opposition in Zakopane« teilgenommen hatte.475 Der Nachrichtendienst bestätigte damit eine Aktion, an der Rauschnings Bekannter aus Oberschlesien, Johannes Maier-Hultschin, beteiligt war und bei der es sich möglicherweise um Sondierungen nationalkonservativer Kreise im Reich mit dem Ziel eines Sturzes Hitlers oder aber, wie Rauschning selber mutmaßte, um eine »ausgesprochene Gestapo-Falle« handelte.476 Worum ging es bei dieser Aktion? Kiefer und ein weiterer Reichsdeutscher waren nach Zakopane gefahren, um dort Maier-Hultschin zu treffen.477 Im Auftrag ungenannter reichsdeutscher Auftraggeber sollten sie versuchen, über Maier-Hultschin einen Weg zu Rauschning zu finden, damit dieser an einer Konferenz in der Schweiz teilnehme. Den Auftraggebern ging es nach Mitteilung der beiden Emissäre in Zakopane darum, fünf bis sechs Führungspersonen des Reiches zu verhaften. Zuvor wollten sie aber sichergehen, dass die Westmächte die Umsturzsituation in Deutschland nicht auszunutzen trachteten und diverse deutsche Forderungen respektierten. Die entscheidende Zusage sollte schließlich durch Rauschnings Vermittlung zwischen einem französischen Unterhändler, vorzugsweise General Gamelin, und einem Vertreter der deutschen Gruppierung in der Schweiz erfolgen. Nachdem er in Paris kontaktiert worden war, lehnte Rauschning jede Beteiligung an dem Unternehmen ab, woraufhin sich seine Spuren verlieren. Die gescheiterte Aktion trübte vorübergehend das Verhältnis zwischen Maier und Rauschning, indem Letzterer Maier »Unachtsamkeit und Naivität« mit Blick auf die Gestapo-Gefahr vorwarf. Maier seinerZürich und Die Revolution des Nihilismus

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seits zeigte sich pikiert darüber, dass Rauschning angeblich der Erfolg seines Nihilismus-Buches und sein Vertrauen bei den Westmächten »zu Kopf gestiegen« sei. In der späteren gemeinsamen Londoner Emigration haben sich jedoch die Spannungen wieder gelöst.478 Nach den Forschungen von Dieter Marc Schneider hielt Rauschning in der Schweiz auch Kontakt zu dem Theologen und Historiker Karl Thieme, der aus Enttäuschung über die Gleichschaltung der evangelischen Kirche im Jahre 1934 zum Katholizismus konvertiert war, seit seiner Emigration 1935 zur Gruppe um den Vita Nova Verlag gehörte und bei den von Waldemar Gurian und Otto Michael Knab herausgegebenen Deutschen Briefen mitarbeitete.479 Kaum war die deutsche Ausgabe der Revolution des Nihilismus auf dem Markt, machten sich die Rezensenten über das Werk her. Soweit ersichtlich – Vollständigkeit wird hier nicht angestrebt –, äußerten sich die meisten Besprechungen beeindruckt über das Buch, was Kritik im Einzelnen – etwa hinsichtlich Rauschnings Hoffnung auf die konstitutionelle Monarchie als Staatsform der Zukunft – nicht ausschloss. Wenn insbesondere deutschsprachige Zeitungen der Schweiz dem Buch Rauschnings z. T. außerordentlich breiten Rezensionsraum einräumten, kann dahinter auch die Absicht vermutet werden, deutschen Besuchern der Schweiz eine freie Informationsmöglichkeit auf dem Boden der Eidgenossenschaft zu bieten, die sie bei Rückkehr über die Grenze ins Reich nicht mehr besaßen. Werner Mittenzwei hat in diesem Zusammenhang auf das Beispiel der großen Schweizer Landesausstellung von 1939 in Zürich aufmerksam gemacht.480 Die »emigrierten Antifaschisten« in der Schweiz nutzten damals diese Gelegenheit, um möglichst viele reichsdeutsche Besucher »mit der Wahrheit bekannt zu machen«. Wichtig sei ihnen vor allem gewesen, die Deutschen mit solchen Infomationen auszustatten, die ihnen eine Orientierung in der internationalen Lage auch nach der Rückkehr in die Heimat ermöglichen konnten. Dazu war ein als Flugblatt aufgemachter Ausstellungsführer unter dem Titel »Allerlei Wissenswertes für die reichsdeutschen Besucher der Landesausstellung« vorbereitet und vervielfältigt worden, in dem auch jene Radiosender, Wellenbereiche und Sendezeiten aufgeführt waren, »die Nachrichten in deutscher Sprache brachten, so Radio Strasbourg, Beromünster, Moskau, England und Luxemburg«. Mit Nachdruck empfahl dieser Ausstellungsführer: »Hören Sie jeden Abend um 22 Uhr den deutschen Freiheitssender 182

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auf der Welle 29,8.« Auch auf neue Bücher wurde hingewiesen, so auf Werke von Heinrich und Thomas Mann, Hans Behrend (Pseudonym des späteren SED-ZK-Sekretärs Albert Norden) und Hermann Rauschnings Die Revolution des Nihilismus. Ausdrücklich empfahl das Flugblatt den Deutschen, »freimütig mit Schweizern, mit Leuten aus dem Volk« Kontakt aufzunehmen. »Gewiß«, so die Schrift, möge man die Deutschen nicht mehr so wie früher, seit Hitler an der Macht sei, aber wenn man signalisiere, daß man Hitler »mit dem wahren Deutschland nicht verwechseln« dürfe, erwürbe man »neue Sympathien«.481 Unter den deutschsprachigen Zeitungen der Schweiz stach insbesondere die einflussreiche liberale Neue Zürcher Zeitung (NZZ) mit einer außerordentlich umfangreichen, über zwei Ausgaben sich erstreckenden Besprechung des Rauschning’schen Werkes hervor.482 Der Rezensent holte für seine Kritik ideengeschichtlich und historisch weit aus, fasste sein Gesamturteil aber bereits am Anfang so zusammen: »Es ist ohne Zweifel das bedeutendste, eindrücklichste, in seiner harten Gerechtigkeit unerbittlichste Buch, das über die geistige und politische Welt des Nationalsozialismus bis jetzt geschrieben worden ist. Was in diesem Buch zu Worte kommt, ist die männliche Stimme der Vernunft, des klaren Einsatzes für Freiheit, Recht und Menschenwürde und für ein wohlverstandenes nationales Interesse Deutschlands.« Nach langen Passagen, die möglicherweise mit Blick auf deutsche Leser der Zeitung vorwiegend textrepetitorischen Charakter trugen, kam die Besprechung zu dem Schluss: »Hermann Rauschnings Werk ist die tapfere Tat eines tief verantwortungsbewußten Deutschen und Europäers und – um das Wort des unglücklichen Edgar Jung zu verwenden – eines verzweifelnden Patrioten. Ihm gebührt der Dank derer, die für Recht und Freiheit als der notwendigen, sittlichen Grundlage der Staaten einstehen.« Golo Mann schrieb eine ausführliche, weithin zustimmende Rezension in Maß und Wert. »Nur dieser Widerspruch« sei Rauschning zum Vorwurf zu machen, monierte Mann, »daß er immer auf der einen Seite die selbstverschuldete, höchst elende Niederlage, die eigentlich kriminelle Haltung der preußisch-deutschen Konservativen darstellt, um auf der nächsten dennoch eben diesen Konservatismus als die einzige und letzte Hoffnung auszugeben.« »Die Deutschen haben dies Übel in die Welt gebracht: wer anders als sie sollte es überwinden?«, so der Rezensent rhetorisch. Und weiter: »Die ›Revolution des Nihilismus‹ halten wir für das kompetenteste Buch, das bisher über die deutsche Gegenwart erschienen ist.« Den Schluss seiner Besprechung bildete eine Mahnung: »Man soll nicht in pathetisch-unwirkZürich und Die Revolution des Nihilismus

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samer Polemik seine Kräfte vergeuden, die man später noch wird brauchen können; aber man soll erkennen und nicht sich in Illusionen der Sicherheit wiegen, solange man nur selbst noch ein Dach über dem Kopf hat. Hermann Rauschnings Erfahrung zerstört solche Illusionen.« In einer »Nachschrift« zu seiner Kritik, die offenbar dem Novemberpogrom von 1938 Rechnung trug, meinte Mann, »Rauschnings Auffassung von der deutschen Revolution« habe sich »furchtbar bestätigt«. »Sogar« rechne »Rauschning den Antisemitismus ausdrücklich zu den Mitteln, welche die Elite einsetzt, um die alte Ordnung, die Begriffe von Eigentum, Menschenwürde, Recht, Schuld, zu zerstören; heimlich lache ein so gescheiter Mann wie der Propagandaminister über den Antisemitismus und über alle Rassentheorie.«483 In einer Einleitung zur Neuausgabe des Rauschning’schen Buches nach dem Krieg hat Golo Mann Die Revolution des Nihilismus als das »Grundbuch des deutschen Widerstandes« bezeichnet.484 Dies einfach deshalb, weil Rauschnings »nähere und fernere Gesinnungsgenossen, die Goerdeler und Hassell, die Beck und Leber und alle anderen«, nicht die Distanz, die Freiheit und die Muße gehabt hätten, »Bücher zu schreiben«.485 In seinen Erinnerungen hat Golo Mann später bekannt, dass hinsichtlich des Phänomens Nationalsozialismus und seiner Erklärung durch »andere Denker« Hermann Rauschning »am stärksten« auf ihn gewirkt habe.486 Von Golos Vater Thomas Mann ist zwar keine Besprechung des Buches von Rauschning bekannt, doch zeigte er sich bei einer ersten Lektüre wie elektrisiert und hat es anschließend buchstäblich verschlungen, wie seine Tagebucheintragungen aus seiner Zeit in Princeton zeigen: Mittwoch den 7. Dezember 1938: … Das Buch Rauschnings … zu lesen begonnen, sofort gefesselt und befriedigt … In Rauschnings Buch weiter; ebenso nach dem Abendessen … 8. Dezember 1938: … Nach dem Abendessen etwas italienische Musik. Danach weiter in Rauschnings Buch … Freitag den 9. Dezember 1938: … Nach dem Thee Danksagungen ausgepackt, Briefe ausgefertigt, dann im Rauschning gelesen … Sonntag den 11. Dezember 1938: … Abends lange in der »Revolution des Nihilismus« … Mittwoch den 14. Dezember 1938: … Nach dem Abendessen in dem Buch von Rauschning – Sehr müde, strapazierte Nerven. Donnerstag den 15. Dezember 1938: … Abends die Lektüre von Rauschning beendet.487

Auch andere Emigranten zeigten sich von der Revolution des Nihilismus beeindruckt.488 Joseph Roth arbeitete sich an dem Werk u. a. hinsichtlich 184

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der Frage ab, ob man überhaupt den »Charakter eines Volkes« bestimmen könne. »Wollten wir etwa«, schrieb er in diesem Zusammenhang mit ironischer Spitze, im Negativen, so ungerecht sein, wie er es im Positiven ist, wir könnten leicht aus der Geschichte Deutschlands seit Luther nachweisen, daß es von diesem über Friedrich den Zweiten, Bismarck, Wilhelm bis Hitler ganz organisch, natürlich, ja sogar s e l b s t v e r s t ä n d l i c h zugegangen ist. Und ein Wunder wäre es höchstens, daß der Staatspräsident (sic) Rauschning von Danzig diese Linie durchbrochen hat.489

Einer seiner ehemaligen parteipolitischen Gegner, der frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, schrieb Rauschning am 5. März 1939 aus seinem Züricher Exil anerkennende Worte zu dem Buch. Dessen »entscheidender Wert« liege für ihn darin, »daß von den Absichten der Leute um Hitler der letzte Schleier weggezogen wird. Sie zeigen uns, was sie in Wirklichkeit sind: Söhne des Chaos, große Zerstörer vom Schlage des Dschingis Khan …« Rauschning antwortete mit einem Brief vom 14. März, in dem es u. a. hieß: »Die Absicht meines Buches war, durch den Wall der Konventionen hindurchzustoßen zu einer allgemeinen Plattform für den Wiederaufbau Deutschlands. Wir müssen uns alle bemühen, über die Schranken unserer Vergangenheit hinauszukommen, nicht nur wir nationalistischen ehemaligen Konservativen, sondern wie mir scheint, auch die Sozialistisch-Liberalen.«490 Robert Musil äußerte sich eher zurückhaltend über Rauschnings großes theoretisches Werk. »Zum ersten Mal«, notierte er in seinen Tagebüchern, »habe ich anders über H. (Hitler, A. H.) zu denken begonnen, als ich Rauschnings Kritik in der Revolution des Nihilismus las. So instruktiv dieses Buch ist, löste es Widerstand in mir aus und ich bemerkte, daß ich seinem Gegner zustimmen könnte. Das ist … länger als ein Jahr her und geschah noch in Zürich. Es wurde verstärkt durch Hitler m’a dit, das ich teilweise las.«491 Die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson widmete der deutschen Ausgabe von Rauschnings Buch – eine englische war, wie sie schrieb, zum Zeitpunkt ihrer Besprechung am 8. Mai 1939 noch nicht erschienen – insgesamt überaus freundliche Zeilen. Die Revolution des Nihilismus stehe »auf den Schreibtischen jener Beamten des britischen und amerikanischen Außenministeriums, jener französischen Publizisten, die deutsch lesen könnten«, meinte sie, und: Das Buch habe »keinen großen Leserkreis gefunden, dafür aber enormen politischen Einfluß gehabt«. Ein wenig schräg Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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mutet Thompsons Vergleich der von Rauschning beschriebenen »NaziElite« mit den Janitscharen des Osmanischen Reiches an, hier liefere »die Geschichte eine interessante Analogie«. Wenn Rauschnings Analyse zutreffe, so die Rezensentin, helfe gegen den »Nazismus« kein Mittel der »Diplomatie, kein Mittel der Machtpolitik – Kompromiß, Konzession oder Einigung«. Allein den Nationalsozialismus zu isolieren verspreche Erfolg, Isolation von der westlichen Zivilisation, aber auch von Russland; andernfalls drohe im Zusammengehen beider »die Apokalypse unserer Zivilisation«.492 Für manch einen britischen Hocharistokraten, der mit dem Nationalsozialismus als einem Bollwerk gegen den Bolschewismus geliebäugelt hatte, wirkte die Revolution des Nihilismus wie ein Augenöffner oder verstärkte vielleicht aufkeimende Zweifel. So erging es jedenfalls Lord Londonderry, der nach der Lektüre einer Rezension des Buches in der Times vom 14. Februar 1939 endlich überzeugt war, in welche »Richtung sich der Naziismus (sic)« entwickeln werde. Hitler strebe keinesfalls mehr die Erfüllung revisionistischer und nationalistischer Forderungen an, sondern sein Ziel sei es, ein »kontinentales Imperium« und letztlich die »absolute Herrschaftsstellung in der Welt« zu erlangen.493 Der im englischen Exil lebende Jurist und später in der Bundesrepublik einflussreiche Journalist Sebastian Haffner (eigentlich Raimund Pretzel) machte sich offenbar einige Gedanken Rauschnings aus Die Revolution des Nihilismus zu eigen, wie sein 1940 in London erschienenes Buch Germany: Jekyll & Hyde zeigt.494 Für Haffner war das Buch Rauschnings »das bisher bemerkenswerteste Beispiel für eine selbstkritische Überprüfung« konservativer Ansichten über den Nationalsozialismus. Im Gegensatz zu anderen Emigranten spielte Haffner die Tatsache der Zugehörigkeit des ehemaligen Senatspräsidenten zur NS-Funktionselite herunter, zollte seinem Charakter Hochachtung und holte dann zu einer Breitseite gegen Rauschnings Hoffnung auf den deutschen Konservatismus und die monarchische Staatsform aus. Seine Abrechnung mit dem Konservatismus wurde nur noch durch seine anschließende Kritik an der deutschen Sozialdemokratie übertroffen.495 Die spätere Mitherausgeberin der Wochenzeitung Die Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, gelangte in den Besitz eines Exemplars der Revolution des Nihilismus anlässlich eines Besuchs bei Rauschning im Paris des Jahres 1938. Es war ihre zweite Begegnung, nachdem sie ihn bereits einmal in seiner Eigenschaft als Danziger Senatspräsident beim damaligen Hohen Kommissar des Völkerbundes in der Freien Stadt, Helmer Rosting, 186

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getroffen hatte. Rückblickend schrieb Dönhoff, ihr sei das Buch seinerzeit als »Wunderwaffe« erschienen, als »Offenbarung für alle, die noch nicht begriffen hatten, was der Nationalsozialismus wirklich war. Ich meinte, sie brauchten nur dieses Buch zu lesen, und es würde ihnen wie Schuppen von den Augen fallen.« Sie habe dann das Werk über die deutsche Grenze geschmuggelt, in der Absicht, es in Deutschland »vervielfältigen« zu lassen, habe aber niemanden finden können, »der sich traute, es heimlich zu drucken«.496 Heinrich Brüning warnte Rauschning in einem Brief aus London vom 8. April 1939 davor, die seiner Meinung nach positive Wirkung seines Buches dadurch aufs Spiel zu setzen, dass sein Name – wie er erfahren habe – mit dem ehemaligen kommunistischen Verleger Willi Münzenberg in Verbindung gebracht werde. »In Holland«, ließ Brüning Rauschning nebenbei wissen, habe er erst vor drei Wochen erfahren, wie »stark der Eindruck« der Revolution des Nihilismus in »Deutschland« sei, »vor allem bei der jüngeren Generation«.497 In sozialdemokratischen und noch weiter links stehenden Kreisen der Emigration fasste man Rauschnings Werk nur mit spitzen Fingern an, wenn überhaupt. Ausnahmen wie Wilhelm Hoegner bestätigten dabei die Regel. Grund dafür war einerseits die methodische Vorgehensweise des Verfassers, der sich keinen Deut um eine Klassenanalyse des Nationalsozialismus scherte, wie sie sich damals für jede linke Interpretation des deutschen Radikalfaschismus geziemte. Andrerseits – wir wiederholen uns – konnte man auf der Linken Rauschnings Rettungsanker für Deutschland in Gestalt einer künftigen deutschen Monarchie selbstredend nichts abgewinnen. Und vor allem haftete Rauschning auch noch der Makel an, ehedem mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache gemacht zu haben. Umso bizarrer wirkt eine Episode aus dem schwedischen Exil deutscher Kommunisten während des Krieges. Hier lieferte sich der von Moskau nach Stockholm gewechselte Herbert Wehner im Herbst 1941 eine erbitterte Fehde mit dem KPD-Auslandsleiter Karl Mewis, deren Hintergrund Wehners grundsätzliche Abneigung gegenüber Mewis bildete und deren aktuelle Zuspitzung das Buch Hermann Rauschnings lieferte. Nach mehreren Zeugnissen verhielt es sich offenbar so, dass Wehner von der Revolution des Nihilismus aufrichtig beindruckt war und den Verfasser als möglichen Kandidaten aus dem Kreis ehemaliger Nationalsozialisten ansah, mit denen die deutschen Kommunisten irgendwann in der Zukunft zusammenarbeiten könnZürich und Die Revolution des Nihilismus

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ten.498 Unklar ist, ob Wehner das Buch Rauschnings dazu benutzte, die ideologische Zuverlässigkeit Mewis’ zu testen, von der er seit Längerem nicht überzeugt war.499 Gesichert scheint indes, dass Wehner Mewis das Werk mit dem Auftrag gab, es zu lesen und binnen einer Woche darüber Bericht zu erstatten. Nach einem geheimen Untersuchungsbericht der schwedischen Polizei vom 27. November 1942 über ein Verhör von Karl Mewis sollte dieser nach der Lektüre insbesondere über die »nazistischen Herrschaftsmethoden« referieren sowie darüber, ob die Kommunisten »hieraus Lehren ziehen könnten«. »Weiter«, so der Bericht, sollte Mewis »in Erfahrung bringen, was der Verfasser über Charakter und Entwicklungstendenz der Nazi-Diktatur zu sagen hatte und welche Haltung die Kommunisten Rauschning gegenüber einnehmen sollten.« Wehner, so Mewis dem Bericht zufolge, habe den Auftrag damit begründet, dass man damit rechnen könne, dass Rauschning »nach dem Krieg eine wichtige Figur in Deutschland werden könne und man ihn bereits schon jetzt zu verstehen versuchen sollte und sich auch gegebenfalls ihm nähern müsse«. Mewis erklärte gegenüber der schwedischen Polizei, in seiner »Rezension« des Buches habe er Rauschning nicht als verlässlichen Demokraten gedeutet, »sondern für einen Nazi« gehalten, »der sich nur in einigen praktischen Gesichtspunkten von Hitler unterscheide«. Bei einem Zusammentreffen mit Wehner eine Woche nach der Buchübergabe habe er, Mewis, seinen Bericht abgeliefert und dabei darauf hingewiesen, dass »Rauschning kein Mann für sie« sei. Wehner habe eine Diskussion bei jener Gelegenheit abgelehnt. Aus einem geplanten Vortrag Mewis’ über das Buch wurde dann nichts mehr. Wehner selber habe Mewis zufolge diesem später nebenbei erklärt, »Rauschning käme für sie nicht in Frage«.500 Dass Mewis mit der Arbeit Rauschnings einer ideologischen Prüfung unterzogen werden sollte, bestätigte Ersterer in seinem bereits erwähnten Bericht vom Januar 1946 indirekt. Wehner habe in einer Leitungssitzung im Herbst 1941 Rauschning als möglichen Mann der Zusammenarbeit vorgestellt, schrieb Mewis, um dann fortzufahren: »Da ich diesen Auffassungen sehr kritisch gegenüberstand, wurde ich beauftragt, in der nächsten Sitzung eine Einschätzung Rauschnings zu geben. Ich lieferte den Genossen ein schriftliches Material mit einer Kritik und Charakteristik Rauschnings. Das Material wurde akzeptiert und die Angelegenheit Rauschning war erledigt.«501 Gewissermaßen auf der anderen Seite des politischen Spektrums gab es ebenfalls Interesse an der Revolution des Nihilismus. Henry Kissinger, 188

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Sicherheitsberater des späteren amerikanischen Präsidenten Nixon sowie US-Außenminister von September 1973 bis Januar 1977, dürfte u. a. auch durch die Lektüre des Rauschning’schen Werkes geprägt worden sein. Kissinger hatte im Zweiten Weltkrieg bei der US-Armee den 15 Jahre älteren Fritz Kraemer kennengelernt, zu dem sich in den folgenden Jahren eine Art Sohn-Vater-Verhältnis entwickelte.502 Kraemer, 1908 in Essen geboren, war als Lutheraner und überzeugter Preuße anlässlich Hitlers »Machtergreifung« nach England und später in die USA emigriert. Als Absolvent der Juristischen Fakultät der Frankfurter Goethe-Universität fand er vorübergehend Beschäftigung beim Völkerbund in Rom. In den Vereinigten Staaten kam er auf Umwegen zum Pentagon, wo er zeitlebens als Berater tätig war. Er galt als »Entdecker« von Talenten wie eben Henry Kissinger, darüber hinaus u. a. auch von dessen späterem Berater Helmut Sonnenfeldt, Verteidigungsminister James Schlesinger sowie der Generäle Alexander Haig und Vernon Walters. Kissinger erklärte später, Kraemer, mit dem er häufig auf Deutsch kommunizierte, habe auf ihn während jener Jahre, in denen er »geformt« worden sei, den größten einzelnen Einfluss gehabt.503 Kraemer war zwar kein großer Freund extensiven Lesens, schon gar nicht zum Zwecke der persönlichen Zerstreuung (»it’s boring«). Wolle man aber etwas über den Zustand der Gesellschaft erfahren, meinte er, bestehe der einzige Weg dorthin, vergleichend Geschichte zu studieren. Lektüre laufe jedoch grundsätzlich Gefahr, oberflächlich zu bleiben, so Kraemer. Immerhin könne er unter diesen Vorbehalten ein 14 bedeutende Werke umfassendes Lektüreprogramm als »miserable menu« empfehlen. Er wird es mit einiger Sicherheit auch Henry Kissinger serviert haben. Allein zwei der Werke entstammten der Feder Hermann Rauschnings: The Revolution of Nihilism und The Redemption of Democracy.504 Kraemer wie Kissinger vertraten im Kalten Krieg einen harten, unnachgiebigen Kurs gegenüber der Sowjetunion. Dabei übertraf Kraemers Härte und Unflexibilität noch jene Kissingers, was dann in der Ära der Entspannungspolitik unter Nixon und Kissinger zu einem 28 Jahre dauernden Schweigen zwischen beiden Männern führte. Erst ein Jahr vor Kraemers Tod telefonierten sie wieder miteinander, und anlässlich der Beisetzung Kraemers 2003 schrieb Kissinger, Kraemer werde immer sein »Leitstern« bleiben.505 Obwohl Rauschning in seiner Revolution des Nihilismus keinen expliziten Versuch unternommen hat, seinen Nihilismus-Begriff philosophisch-theoretisch herzuleiten, ist das Buch offenbar doch zumindest Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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von einem zeitgenössischen Philosophen, dem Existentialisten Albert Camus, rezipiert worden.506 Camus, so Samantha Novello, sei Rauschning in dessen Argumentation über weite Strecken gefolgt. Etwa in seiner Auffassung, dass Hitler die »kleinen Leute« in Wahrheit verachtet, ihnen nicht gedient, sondern sie nur benutzt habe; ferner hinsichtlich seiner Überzeugung, dass die »nihilistische moralische Fundierung« des ­Hitler-Regimes durch »extreme Butalität, Hass, Rache, Neid, Ausschweifung, Raub und Lüge« erfolge.507 Rauschning, so Novello, decke eine logische Verbindung zwischen modernen Revolutionen seit der französischen und dem Nihilismus auf, den er als totale Zurückweisung jeglicher Theorie zu Gunsten eines absoluten Dynamismus begreife und dem er moralischen Skeptizismus zuschreibe. Letzterer sei verantwortlich für die Zerstörung »überkommener Kategorien des Denkens und Urteilens«, so Rauschning Novello zufolge, mithin für den Zynismus und die Prinzipienlosigkeit, welche die Dynamik der revolutionären Aktion bestimme. Camus’ Verständnis der nihilistischen Revolution des »Hitlerismus« unterscheide sich jedoch von demjenigen Rauschnings in einem wichtigen Aspekt. Für Camus liege der Ursprung dieses mörderischen Nihilismus nicht im Skeptizismus, sondern eher in der Rationalisierung oder, genauer, in einer »utilitaristischen« Logik von Realismus, der das moderne Wettbewerbssystem der Bewertung zu Extremen treibe und als Konsequenz Menschen unter einer Maschinerie von Effizienz und Herrschaft vernichte.508 Ein Schreiben Rauschnings, das sich in seinem Nachlass im Koblenzer Bundesarchiv findet, bestätigt Novellos Befund über eine Rezeption der Revolution des Nihilismus durch Albert Camus. Gegenüber seinem Neffen Johann W. Werner in Hamburg beklagte sich Rauschning in einem Brief vom 2. Februar 1961 darüber, dass das Buch »in der Bundesrepublik offenbar geflissentlich totgeschwiegen wird … Während in England Bullock und Trevor-Roper und in Frankreich Albert Camus meine Diagnose vom Nihilismus aufgenommen haben, ist dieses mein Hauptwerk in Deutschland ganz unbekannt.«509 Für den deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit adelte Kindlers Literatur Lexikon die Revolution des Nihilismus mit einem recht ausführlichen und rundum anerkennenden Eintrag aus der Feder des Literaturwissenschaftlers Rudolf Radler.510 »Neben den wenigen schon in den dreißiger Jahren erschienenen, von deutschen Emigranten verfassten ­Hitler-Büchern …« sei »diese Darstellung … nicht nur als Dokument eines politischen Gesinnungswandels bedeutsam«, schrieb Radler. Rauschning 190

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sei »wohl der einzige prominente Anhänger des Regimes, der in der Phase der Machtentfaltung sein Amt niederlegte … und emigrierte«. Bei aller Perfektion des Herrschaftsapparats, bei größter Entfaltung totaler Macht bescheinigt Rauschning dem System doch ein hohes Maß an Instabilität … Er hoffte – das nähert ihn den am 20. Juli 1944 tätig gewordenen Verschwörern – auf einen Offiziersputsch im Innern und glaubte, man könne nach der Beseitigung des Despoten eine »christliche Monarchie« restituieren. Der Geschichtsverlauf hat freilich erwiesen, daß sich Rauschnings andere These, der Weg des Nationalsozialismus werde »in die Anarchie und in die Selbstzerstörung von unvorstellbarem Ausmaße« führen, bewahrheitet hat,

ebenso wie seine mit dem Buch bereits 1938 formulierte Prognose einer »deutsch-sowjetischen Annäherung«, der »Isolierung Polens« und der »Niederwerfung Frankreichs«. Doch kehren wir in die komplizierte Welt der Emigranten Westeuropas zurück. Das Jahr 1939 begann für Hermann Rauschning bereits Anfang Januar mit der Nachricht, dass der Danziger Senat ihn auf Grund der Veröffentlichung der Revolution des Nihilismus ausgebürgert hatte.511 Sein Danziger Reisepass erlaubte ihm jedoch zunächst weiterhin Reisen innerhalb Europas, bis er am 20. Mai 1940 die britische Identity Card PQ 9062 unterschrieb – sechs Wochen bevor sein Danziger Pass unwiderruflich ablief.512 Wenige Monate nach der Ausbürgerung, mit Datum des 2. Mai 1939, entzog die Berliner Universität Hermann Rauschning den Doktortitel.513 Der Chef des Reichsicherheitshauptamtes beim Reichsführer-SS führte Hermann Rauschning, wie oben bereits erwähnt, auf einer geheimen Liste vom Juni 1939 mit dem Titel »Erfassung führender Männer der Systemzeit. Rechtsopposition und Reaktion«. Hier trug der ehemalige Senatspräsident immer noch seinen Doktortitel. Als »Vertreter der Reaktion« sei er »mit der deutsch-feindlichen Emigration in Verbindung« getreten und arbeite »seit 1938 führend für die Deutsche Freiheitspartei«. Der Verfasser der Revolution des Nihilismus habe den »Nationalsozialismus in übelster Weise angegriffen«. Seit »Anfang 1939«, so notierte das Dossier fälschlicherweise, halte sich Rauschning vorwiegend in London auf.514 Tatsächlich reiste Rauschning zwar wiederholt über den Kanal in die britische Hauptstadt, doch blieb die Seine-Metropole bis zum Jahresende seine Basis. Zürich und Die Revolution des Nihilismus

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Paris und die Gespräche mit Hitler Auch die Behauptung, Rauschning sei »führend« in der Deutschen Freiheitspartei515 tätig, traf den Sachverhalt nur ungenau. Er arbeitete für die DFP, indem er für die von ihr zunächst herausgegebenen Deutschen Freiheitsbriefe und nach deren letztmaligem Erscheinen im Herbst 1939 für deren Nachfolgepublikation, Das wahre Deutschland, schrieb. Hier war Rauschning der Einzige, der seine Artikel namentlich zeichnete.516 Die DFP war keine Partei im eigentlichen Sinne, sondern eher ein informeller Zusammenschluss relativ weniger Exilanten unter Führung des ehemaligen Zentrumsmitglieds Carl Spiecker, der in Paris einige Zeit das gleiche Haus bewohnte wie Hermann Rauschning. Kennzeichnend vor allem für Spieckers Aktivität war seine strenge Geheimhaltung. Mit Hilfe der als Flugblätter über Deutschland abgeworfenen Freiheitsbriefe sollte die Existenz einer mitgliederstarken Gruppierung innerhalb des Reiches suggeriert werden. Ziel war der Sturz Hitlers auf breiter gesellschaftlicher Basis und die Verhinderung eines europäischen Krieges. Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 dokumentierte das Scheitern dieser Flugblattaktionen, dazu gesellten sich wachsende logistische Schwierigkeiten bei der Verteilung der in Frankreich produzierten Schriften im Reich.517 Das Nachfolgeorgan Das wahre Deutschland, welches auch dazu dienen sollte, den Herausgeber des Neuen Tage-Buchs, Leopold Schwarzschild, publizistisch zu bekämpfen, erschien dann in England und hatte mit chronischen Finanzierungsproblemen zu kämpfen. Britische Sponsoren, zu denen der Generaldirektor der Shell Transport and Trading Co., Sir Robert W. Cohen, sowie Leonard Montefiore, der spätere Vorsitzende der Wiener Library, zählten, zogen ihre signalisierte Unterstützung zurück, als Heinrich Brüning ihre Forderung ablehnte, nur er, Brüning, solle Herausgeber des Blattes werden. Der ehemalige Reichskanzler selber favorisierte hingegen aus angeblich »konfessionellen Rücksichtsnahmen« eine doppelte Herausgeberschaft durch die Protestanten Treviranus und Rauschning.518 Darüber hinaus unterstellte er den beiden Briten, seinen »Namen für propagandistische Zwecke kaufen« zu wollen.519 Spiecker und Rauschning waren nach ihrem Zusammentreffen in Paris zunächst zu der Überzeugung gekommen, man könne gemeinsam politische Pläne verfolgen. Von England aus versuchte Hans Albert Kluthe – anfangs unter seinem Aliasnamen Walter Westphal – Rauschning für eine Mitarbeit bei der DFP zu gewinnen. Seit dem Erscheinen der Revolution 192

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des Nihilismus hatte Rauschnings Namen einen Klang, und so lag es nahe, den prominenten Ex-Danziger mit ins Boot zu holen, auch wenn dessen NS-Vergangenheit und ungebrochener Konservatismus für Kluthe und Spiecker keine Unbekannten waren.520 Spiecker äußerte sich schon recht bald distanziert über Rauschnings Charakter und Absichten: Zu sehr sei der ehemalige Senatspräsident von seiner eigenen Bedeutung überzeugt und es mangele ihm an Objektivität. Spiecker warnte Kluthe vor einem zu engen Kontakt mit Rauschning, da dieser »vor allem auf Ruhm und Geld bedacht sei«. Andrerseits wolle er sich auch nicht von Rauschning öffentlich distanzieren, da dieser als »Paradepferd« gebraucht werde. Mit der Begründung, Rauschning beurteile die DFP nur nach ihrem Geschäftsumfang, verbot er Kluthe, Rauschning Einblick in Interna der DFP zu gewähren.521 Doch auch Kluthes Haltung gegenüber Rauschning war nicht eindeutig. Zwar zeigen die nachfolgenden Auszüge aus dem Briefwechsel ­Kluthe/Rauschning vom Sommer und Herbst 1939 einen Kluthe, der teilweise geradezu unterwürfig die Mitarbeit Rauschnings bei der Bildung einer Exil-Organisation gegen Hitler erbat. In Wahrheit ging es ihm aber auch darum, den »prominenten« Rauschning mit seinem Aktionismus »einzurahmen« und, wenn irgend möglich, unter Kontrolle zu halten. Dies wurde bereits recht früh in einem langen Brief Kluthes an den ebenfalls in England lebenden Emigranten Fritz Demuth deutlich.522 Kluthe schrieb dort: Trotz allem ist meine Einstellung zum Fall Rau (Rauschning, A. H.) unverändert. Wir haben ihn … öffentlich für uns reklamiert. Da ein öffentliches Abrücken weder möglich noch m. E. zweckmäßig ist, erscheint es doch wohl besser, ihn heranzuziehen und seinen Tatendrang in vernünftige Bahnen zu lenken. Da ihn alle Welt so kränkt, ist er sicher gerade jetzt für liebevolle Behandlung besonders zugänglich. Leute wie er haben den natürlichen Drang sich sinnvoll zu betätigen. Wenn ihnen die DFP keine Möglichkeit dazu gibt, suchen sie sich eben ein anderes Feld. Ich verkenne durchaus nicht die Schwierigkeiten, die sich aus mangelndem »Team-spirit« und sonstigen Defekten ergeben, aber es müßte doch möglich sein. Hätten wir Geld, wäre natürlich alles leichter.

Zeitweilig scheint sich Rauschning in den Fallstricken der herzlich uneinigen Pariser Emigrantenszene verheddert zu haben. Gegenüber Kluthe in Guildford/Surrey beschwerte er sich Ende April 1939 über »komiParis und die Gespräche mit Hitler

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sche Anfragen« von Personen, die von ihm Auskunft über eine angeblich geplante deutsche Gegenregierung erbaten. Auch Ex-Kanzler Heinrich Brüning habe sich in diesem Sinne geäußert. Dabei habe er, Rauschning, Brüning lediglich gebeten, ein gemeinsames Telegramm an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt zu unterzeichnen, in dem die Bitte ausgesprochen werden sollte, das deutsche Volk nicht mit der gegenwärtigen Regierung in Berlin gleichzusetzen, »um das Angebot der Unterstützung und Kooperation aller friedlichen Mächte im Namen des deutschen Volkes aufzunehmen«.523 Er habe jedoch sowohl von Brüning als auch von Gottfried Treviranus eine Absage erhalten. »Dieses Intrigieren von allen Seiten« sei so »bösartig«, dass er sich auf seine »literarischen Arbeiten vorläufig« zurückziehen wolle, schrieb Rauschning. »Auf Brüning« hoffe er nicht mehr, und weiter: »Wir werden also eine andere Koalition, wenn überhaupt, zustande bringen.« Auch in einem Brief an Henry Anderson vom 20. April beklagte Rauschning Brünings Passivität – eine Klage, die zu merken sich lohnt angesichts des Verhältnisses zwischen den beiden Männern in der Bundesrepublik nach dem Krieg: »Nicht jeder kann sich … angesichts des deutschen Verhängnisses zu der sonst gewiß vornehmen Zurückhaltung und Apolitie entschließen«, schrieb er und fuhr dann fort: Jedenfalls bitte ich zu berücksichtigen, daß, was meine Person anlangt, meine Haltung der heutigen Regierung gegenüber einem aktiven Entschluß entsprang und nicht bloß einem passiv erlittenen Schicksal, wie es die Mehrzahl der Emigration erfahren hat. Es liegt daher nur in der Konsequenz meiner Haltung, auch jetzt aktiv bleiben zu wollen. Und ich muß Bundesgenossen und Mitarbeiter suchen, wo ich sie finde, und nicht, wo ich sie gerne suchen würde. Es liegt nicht an mir, wenn ich vorliebnehmen muß, weil ich bessere nicht finden kann.524

Im Übrigen hoffe er »auch nicht mehr auf diese feigen und erbärmlichen Generäle dort drüben. Die Zeit« sei »verpaßt und wenn nicht alles trügt, stehen wir unmittelbar vor einem ungeheuerlichen Zusammenbruch, der uns in einer Ohnmacht und Zerrissenheit zurücklassen wird, wie wir es nach dem 30-jährigen Kriege erfahren haben.« Rauschning schloss seine Gedanken gegenüber Kluthe mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass er für die englische Ausgabe seines Nihilismus-Buches eine »Einleitung von Churchill« bekommen werde.525 Nur eine Woche nach diesem Brief ergänzte Rauschning gegenüber Kluthe seine Beschwerden über die Emigrantenszene. Erneut traf es vor 194

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allem Brüning in den USA, der ihm brieflich seine Empörung über angebliche Neuordnungspläne Rauschnings für das Deutschland »nach Hitler« mitgeteilt habe, die nicht nur eine wesentliche Verkleinerung des Reiches, sondern darüber hinaus auch dessen Aufteilung in einen Nord-, einen Südund einen Ostteil vorsähen. Derartige Gerüchte nannte Rauschning nun »Unsinn«, um Kluthe dann seine Pläne wie folgt zu umreißen: »Richtig ist an der Sache das«, schrieb er, daß ich, wie auch Ihnen, niemandem ein Hehl daraus gemacht habe, ein europäisches Gleichgewicht ließe sich nur auf einer Wiederherstellung des alten Bismarck-Reiches auf der einen Seite und eines Donaureiches auf der anderen Seite herstellen, das Letztere aber nicht etwa von der »Quelle bis zur Mündung«, sondern Österreich wie es zum Schluß war, zusammen mit der Tschechoslowakei und Ungarn. Ich habe auch kein Hehl daraus gemacht, daß man eine solche Neugliederung nicht gegen den Willen Deutschlands einer neuen Regierung aufoktroyieren müßte, sondern daß dies nur auf dem Wege geschehen könnte, daß den unter Hitler neu hinzugekommenen Kreisen ein Selbstbestimmungsrecht zugebilligt werden müßte. Da Deutschland sowieso eine föderative Ordnung aus der heutigen zentralistischen machen müßte, so besteht immer noch die Chance, daß es zu einer großen Föderation auch im Rahmen des heutigen Großdeutschland käme, wenn dabei besondere Abstufungen in den Graden der Selbständigkeit verwendet würden.

Rauschning betonte am Ende seines Briefes, dass es ihm wichtig sei festzustellen, dass er »den begründeten Vedacht habe, daß gegen mich persönlich mit allen möglichen Mitteln intrigiert wird, und daß bei diesem Geschäft auch nicht der Herr Dr. Brg. (gemeint ist Brüning, A. H.), aber auch nicht andere Ihnen bekannte Herren unbeteiligt sind. Gerade dieses Verhalten zwingt mich dazu, mich ganz zurückzuziehen.« Im Übrigen, so Rauschning, komme ihm die so gewonnene »größere Muße« durchaus zupass, da er sich nun verstärkt dem Bücherschreiben widmen könne. Kluthe nahm er gegen Ende seines Briefes von den Vorwürfen ausdrücklich aus und formulierte seine Hoffnung, »daß sich Mißverständnisse, Ressentiments und Äußerungen gegenseitigen Mißtrauens auf allen Seiten begeben werden, sodaß wir vielleicht doch in einiger Zeit zu dem kommen, was Ihnen und mir vorschwebt.«526 Nach Meinung Spieckers waren die Gerüchte um Rauschnings angebliche Gegenregierung dadurch entstanden, dass dieser überall mit dem Plan eines gemeinsamen Telegramms an Roosevelt hausieren gegangen Paris und die Gespräche mit Hitler

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sei. Darüber hinaus sei Brüning über Rauschnings Mitarbeit an der Zeitung Die Zukunft verärgert, die ebenfalls in Paris von Willi Münzenberg herausgegeben wurde.527 Nachdem Rauschning in einem weiteren Brief an Kluthe vom 12. Mai 1939 die Uneinigkeit der Emigranten beklagt und den Auszug Spieckers aus dem gemeinsamen Haus in Paris eher beiläufig erwähnt hatte, bestätigte Kluthe ihm die desolate Situation unter den verschiedenen Exilgruppen auch in England, die eine »Sammlung« verhindere. An »Sammlungsversuchen« fehle es nicht, »fast jeden Tag« werde »eine neue Einheitsfront gebildet«. Rauschning solle aber über Spiecker nichts argwöhnen, der weiterhin auf die Kooperation mit ihm, Rauschning, setze. Unschwer war diesem Brief Kluthes zu entnehmen, dass sein Verfasser Rauschning zu umschmeicheln suchte. Man habe, so Kluthe, nun in London einen »Kreis geschaffen«, der »nur Menschen« umfasse, »die in den Rahmen der DFP hineinpassen«. Es fehle allerdings noch ein »Konservativer Ihrer Richtung«, ließ er Rauschning wissen. Ob er nicht jemanden namhaft machen könne? Er, Kluthe, rate allen DFP-Interessenten im Ausland, »in Studienkreisen« das Nihilismus-Buch zu besprechen. Und weiter: »In das Bild, das ich mir von der DFP mache, gehören Sie hinein, und ich werde Sie auch dann noch dazu rechnen, wenn Sie glauben, sich aus irgendwelchen Gründen distanzieren zu müssen.«528 Um den 23. Mai hielt sich Rauschning zu einem Kurzbesuch in London auf, bei dem es auch zu einem Treffen mit August Weber, einem Bankier und engen Vertrauten Kluthes, kam. Rauschning äußerte sich anerkennend über das von Weber verfasste, aber durch die DFP herausgegebene Buch Hitler Calls This Living, in dem Weber über die Zustände in Deutschland berichtete, das er erst 1938 verlassen hatte.529 Bei den Gesprächen mit Kluthe und Weber in London ging es um die Arbeit an dem Kreis von Hitlergegnern, die nach Vorstellung Kluthes »in den Rahmen der DFP« gehörten und die in England eine nichtkommunistische Alternative zum Nationalsozialismus bieten sollten. In einem Brief Kluthes an Rauschning vom 13. Juni teilte Kluthe mit, dass »sich die Entwicklung unseres Kreises ganz in den Formen« abspiele, die Rauschning in London skizziert habe. Man nehme jetzt auch »Fühlung mit tschechischen Kreisen auf, um nach Möglichkeit zu einem einheitlichen Programm aller unter der Geißel des Nationalsozialismus lebenden Gruppen zu kommen. Unterschiede sollen dabei nicht verkleistert werden …«530 Zurück in Paris, hatten Rauschning akute Herzbeschwerden zu schaffen gemacht, die ihn eigentlich gezwungen hätten, wie er selber schrieb, 196

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in jeder Hinsicht deutlich kürzerzutreten.531 Doch bereits Anfang Juni erreichte ihn ein Brief Kluthes, in dem der Absender Rauschning bat, an einem »Lunch« teilzunehmen, den Lord Cecil für einen erlesenen Kreis von Repräsentanten der Londoner City, also vor allem der Banken, geben wollte. Man sei der Meinung, dass Rauschning »die einzige Persönlichkeit in der Emigration« sei, die »auf maßgebende Citykreise einen starken Eindruck machen würde«. Rauschning möge dort »eine kurze Rede halten«. Vertreter der politischen Parteien – »in der Hauptsache allerdings der Konservativen« – seien zu der Begegnung ebenso eingeladen wie »Lord Rothschild, die leitenden Herren von Shell« und weitere führende Repräsentanten der Wirtschaft. Die Teilnahme könne Rauschning auf keinen Fall »kompromittieren«, versicherte Kluthe. Er versprach sich vor allem finanzielle Unterstützung für »die Freiheitsbewegung«; als »unmittelbares Ergebnis dürfen wir sicher einige 1000 Pfund erwarten«, meinte er. Aber es gelte natürlich auch, die Konservativen endlich von der Gefährlichkeit des Nationalsozialismus zu überzeugen; man habe in diesen Kreisen leider immer noch nicht erkannt, »daß Nationalsozialismus und Kommunismus feindliche Brüder« seien. Deshalb, so Kluthe gegenüber Rauschning, »würde ich es so sehr begrüßen, wenn Sie gerade Leuten der City einmal die Wahrheit predigen könnten. Im Gegensatz zu den Nazis haben wir es zu sehr versäumt, an die Geldsäcke heranzukommen, die im Hintergrund einen ungeheuren Einfluß ausüben.«532 In seiner Antwort vom 12. Juni erwähnte Rauschning seine gesundheitlichen Probleme mit keinem Wort mehr, stattdessen informierte er Kluthe über das reiche Besuchs- und Vortragsprogramm, das er in Paris unlängst absolviert habe. Was die Einladung zum Lunch anging, ließ er sein grundsätzliches Interesse daran erkennen, knüpfte aber ein paar Bedingungen an seine Zusage. Ihm war u. a. zu Ohren gekommen, dass bei dem Lunch auch Heinrich Mann auftreten solle. Sollte dies der Fall sein, müsse er sich die Zusage noch einmal »sehr überlegen«. Außerdem wolle er »mitbestimmend« an der Begegnung teilnehmen und nicht »sozusagen als Aushängeschild« benutzt werden. Und schließlich trage er zwar gerne zur »Erzielung« des »finanziellen Erfolges« der Veranstaltung bei, doch müsse er wenigstens »einige« seiner »Unkosten« erstattet bekommen. Kluthe antwortete Rauschning unter dem Datum des 13. Juni mit der überschwänglich formulierten Nachricht, dass nun endlich am 29. des Monats die englische Übersetzung des Nihilismus-Buches auf dem britischen Markt erscheinen werde.533 Nach einer ersten Sichtung der Übersetzung kam Paris und die Gespräche mit Hitler

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Kluthe zu dem Schluss: »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber freue, daß nun endlich auch hier die politische Waffe, die Ihr Buch darstellt, in vollem Umfang wirksam werden kann.« Gerade mit diesem Buch im Rücken sei Rauschnings »persönliches Erscheinen« bei dem »Cecillunch« von »größter Wichtigkeit«. Die Veranstaltung stehe und falle mit Rauschnings Zusage. Falls erforderlich, sei man auch mit einer Terminverschiebung »etwa auf Ende Juli« einverstanden.534 Zwei Tage nach diesem Brief bedankte sich Kluthe für Rauschnings grundsätzliche Zusage, bestätigte ihm die »selbstverständliche Erstattung der Unkosten« und ließ durchblicken, dass »man wohl auf eine gütige Mitwirkung« Heinrich Manns bei dem Lunch »verzichten« werde. Abschließend äußerte Kluthe seine Hoffnung, dass Rauschning »technisch-organisatorisch den Platz in unserer Bewegung einnehmen« werde, der ihm gebühre. Und in Antizipation künftiger wiederholter Versuche, Rauschning einen dauerhaften Aufenthalt in England schmackhaft zu machen, stellte er fest: »Hier kommen wir immer mehr zu einer Koordination aller nicht-kommunistischen Gruppen, die sich wohltuend von dem Gegeneinanderarbeiten in Paris unterscheidet.«535 Mit Schreiben vom 19. Juli bestätigte Rauschning zwar den nunmehr festgelegten Lunch-Termin vom 25. Juli, machte nun aber auf ernste gesundheitliche Probleme aufmerksam, die ihn eigentlich zur Absage zwängen. Da er »völlig salzlos leben« müsse, könne er keinen weiteren Einladungen folgen. Er nutzte diesen Brief auch, um sich für einen in England lebenden Arzt aus Prag einzusetzen, dem er zu Dank verpflichtet sei. Kluthe möge Wege finden, »Dr. Oskar Olbrich« möglichst rasch auf die Liste von 50 Ärzten setzen zu lassen, über deren »Zulassung zur Einwanderung und Ausübung der Praxis in England« bereits »in der nächsten Woche« entschieden werde.536 Am 25. Juli 1939, also nur wenige Wochen vor Kriegsausbruch, hielt Rauschning seinen Vortrag. Wir folgen hier zunächst der inhaltlichen Wiedergabe des Textes durch Beatrix Bouvier537. Zu Beginn seiner Ausführungen widmete sich der Redner der Situation in Danzig; im weiteren Verlauf vertrat er die Meinung, dass Nationalsozialismus und Faschismus »ab dem 15. oder 20. August« zum entscheidenden Schlag gegen die gegenwärtige politische Ordnung in Europa bereit seien. Ein Aufschub der drohenden Auseinandersetzung durch Konzessionen habe keinen Sinn mehr, ja er stärke nur den Angriffswillen der Nationalsozialisten. Der Frieden sei nur noch durch äußersten Widerstand, nicht aber durch Nachgeben zu sichern. Das volle Risiko eines Krieges sei die einzige Chance, 198

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ihn vielleicht noch zu verhindern. Dem Nationalsozialismus eine psychologische Niederlage zu bereiten sei im Augenblick das erstrebenswerteste Ziel; der gute Wille, den Krieg zu vemeiden, könne dagegen zum Totengräber ganzer Nationen werden. Er, Rauschning, berufe sich bei seiner Aussage auf die Erfahrung bürgerlich-nationaler Politiker im Reich mit dem gegenwärtigen Regime und auf deren folgenschwere Erkenntnis, ihm nicht rechtzeitig entgegengetreten zu sein. Der dauernde Frieden sei nur gewährleistet durch ein deutsches Regime, das sich auf die historischen Kräfte einer bewährten Ordnung von Links und Rechts stütze. Eine bolschewistische Diktatur des Proletariats einerseits, aber auch eine »militaristische Reaktion von Rechts« seien dabei ausgeschlossen, denn beide seien durch das herrschende System ad absurdum geführt. »Aus allen Kreisen der Bevölkerung« sei dagegen »diese neue Bewegung der Deutschen Freiheitspartei geboren, für die ich heute vor allem vor Ihnen spreche«. Rauschning erwähnte in seinem Vortrag auch die Mitverantwortung der Westmächte für die ins Maßlose gesteigerten Ziele des Nationalsozialismus. Einem friedlichen Deutschland seien Konzessionen und Verständnis verweigert worden, wodurch das gegenwärtige Regime gestützt werde. Wenn man die Friedlichkeit des deutschen Volkes weiterhin anzweifle, werde es dem Nationalsozialismus bald möglich sein, das Volk für einen Krieg zu einigen; damit würde man zugleich der deutschen Opposition den Boden für den Kampf um die Befreiung Deutschlands entziehen. Diese deutsche Opposition, die er auch außerhalb Deutschlands kenne, lebe von der Überzeugung, »daß das wahre Deutschland, das heute noch verborgen ist, von Ihnen und Ihren freien Nationen als gleichberechtigter Bundesgenosse anerkannt wird.« »Müssen wir an diesem Glauben zweifeln, so kann niemand von uns die schwere, die fast unlösbare Aufgabe der Neugestaltung Deutschlands übernehmen.«538 Bouvier macht in ihrer Dissertation zu Recht auf das Fehlen jener Seiten in dem Vortragsmanuskript Rauschnings aufmerksam, die sich vermutlich ausführlicher mit der Lage Danzigs befassten.539 Denkbar ist, dass Kluthe und Rauschning in einer Vorbesprechung des Vortrages zu dem Schluss kamen, die entsprechenden Seiten zu entfernen.540 Aus den Gesprächsnotizen eines britischen Agenten, der Rauschning bereits seit Monaten auch von gemeinsamen Treffen in Paris kannte, lässt sich rekonstruieren, wie Rauschning Anfang Juli 1939 über das Problem Danzig und seine mögliche Instrumentalisierung zwecks Kriegsverhinderung dachte. Group Captain Malcolm Christie, der uns bereits früher Paris und die Gespräche mit Hitler

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begegnet ist, arbeitete auf freundschaftlicher Basis nahezu ausschließlich für den deutschfeindlichen diplomatischen Sonderberater im Foreign Office, Sir Robert Vansittart (in der Anrede Christies kurz »Van«). Da Vansittart für Rauschning zu einer Schlüsselfigur in England werden sollte, sei hier ein berüchtigtes Zitat des Briten wiedergegeben, das ahnen lässt, wie schwierig das Verhältnis zwischen den beiden Persönlichkeiten werden konnte: »80 % der deutschen Rasse«, so Vansittart im März 1940 gegenüber Kollegen im Foreign Office, »sind der moralische und politische Abschaum der Welt. Ihnen ist mit Verträgen und Zugeständnissen nicht beizukommen. Es gilt sie zu fangen und ihr Rückgrat zu brechen … sie sind eine Rasse starrköpfiger Aggressoren und wir sollten alles daransetzen, Deutschland aufzuteilen.«541 Wegen seiner bereits erwähnten guten Deutschkenntnisse enthielten Christies Berichte an Vansittart häufig deutsche Begriffe, die der Adressat wiederum auf Grund eines früheren Deutschland-Aufenthaltes verstehen konnte. Seitdem er Anfang der 1930er Jahre den Sudetenführer Konrad Henlein mit Vansittart und anderen britischen Politikern zusammengebracht hatte, besaß Christie im außenpolitischen Betrieb Londons eine gewisse Statur.542 Anlässlich eines Treffens mit Rauschning am 1. Juli 1939 machte sich Christie rein deutschsprachige Notizen von Mitteilungen seines Gegenübers bezüglich dessen, was Rauschning als »Hitlers Taktik der Willenslähmung« bezeichnete. Diese Taktik zeige sich, so Rauschning, exemplarisch in Danzig, wo die Nationalsozialisten bereits – wie oben erwähnt – in den Jahren 1933/34 heimlich große Mengen an Waffen in den Freistaat geschmuggelt hätten. Inzwischen sei die geheime Aufrüstung konsequent vorangebracht worden, und es könne nun sein, dass in dem Moment, wo »genügend Truppen und Ausrüstung« vorhanden seien, der Senat den Anschluss Danzigs an das Reich verkünden werde. Gleichzeitig werde »Adolf«, so Christie, friedliche Verhandlungen über den Korridor, »Zusammenarbeit with Europa, Waffenbeschränkung etc.« anbieten und hoffen, so den Korridor »auch zurück« zu bekommen. »Danach wäre schnell durch Aufstände in Polen und Vorfälle der Kollaps Polens« herbeizuführen. Dann rot unterstrichen die Notizen: »Polnischer Haß gegen Frankreich und Großbritannien. Polen macht mit Deutschland zum Schluß.« Das Blatt mit den Notizen fährt fort mit Bemerkungen für den Fall, dass Polen sich widersetzen sollte, »die Sache zum Großkampf kommt, 200

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ohne daß Polen deutsche Bedingungen annimmt«.543 Das anschließende Notizblatt befindet sich nicht in der Akte. Auf dem Briefpapier des exklusiven Londoner »Travellers Club« notierte Christie unter dem 6. Juli 1939 vertraulich an »Dear Van« den Inhalt von Mitteilungen, die er von »deutschen Freunden in Paris einschließlich Rauschning« bekommen habe. Alle hätten die Taktik beklagt, die darin bestünde, die Dinge in Danzig ungehindert sich weiterentwickeln zu lassen und damit Hitler die Initiative zu überlassen sowie ihm »die Chance zu geben seine vorläufige Karte der ›Willenslähmung‹ zu spielen«. Christie beschränkte sich im Folgenden auf Äußerungen Rauschnings, die dieser in den vergangenen zwei Tagen in London gemacht habe. Insbesondere den Inhalt einer Ansprache vor einer Gruppe von Parlamentsmitgliedern im Hause von Sir Alexander Lawrence am Vortag fand Christie mitteilenswert. Es ist gut möglich, dass diese Gedanken Rauschnings zumindest sinngemäß auf den fehlenden Manuskriptblättern seines Vortrages vom 25. Juli enthalten waren und vielleicht für einige Anwesende eine Wiederholung bedeutet hätten. Vorstellbar ist aber auch, dass die Ideen Rauschnings nicht in den Rahmen des »Cecillunches« passten bzw. im dortigen Kreise als unerwünschter Ratschlag hätten empfunden werden können. Nach Christie führte Rauschning bei Sir Lawrence Folgendes aus: Er habe seine Zuhörer energisch aufgefordert, eine eindeutige Politik in Danzig anzustreben. Er schlägt erstens vor, daß der Hochkommissar in Danzig (auf Betreiben des polnischen Generalkommissars Chodacki) dem Völkerbund berichtet, daß das Statut schwer verletzt wird durch die Einfuhr von Kriegsgerät, Gewehren usw. Zweitens solle der Rat des Völkerbundes oder das Danziger Komitee des Völkerbundes, nämlich Großbritannien, Frankreich und Schweden oder (und) die Kollektive Friedensfront vom Danziger Senat fordern, daß die Waffen zerstört und aus dem Gebiet der Freien Stadt innerhalb einer bestimmten Zeit entfernt werden. Falls, drittens, die Zeit ohne entsprechende Maßnahmen des Senats verstreichen sollte, solle die polnische Regierung aufgefordert werden, die notwendigen Schritte zu ergreifen – zunächst vielleicht durch den Einsatz polnischer Polizei, doch im Falle bewaffneten Widerstandes sollten polnische Truppen zum Einsatz kommen.

Rauschning glaube, so Christie in seinem Bericht an Vansittart, dass eine solche oder »ähnliche konzertierte Aktion« seitens der Friedensfront mit Billigung oder unter der Aufsicht des Völkerbundes Paris und die Gespräche mit Hitler

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Hitler in eine sehr unangenehme Situation manövrieren werde. Er stünde als Aggressor da, und eine polnische Intervention wäre in den Augen der Welt legalisiert. Das abgestimmte Vorgehen würde zumindest Adolf, die Partei und Armee überzeugen, daß wir es ernst meinen (und nebenbei dazu beitragen Moskau in unsere Richtung zu beeinflussen). Natürlich könnte das Ergebnis auch Krieg sein, weil unser Ansehen in Adolfs Augen hoffnungslos gering ist: Auf der anderen Seite sieht Rauschning in einer solchen Aktion eine mögliche Chance, die für den Frieden bliebe: Er wisse, was für eine gewaltige Überraschung und Abfuhr dies für Hitler bedeute. Zum ersten Mal verlöre er die taktische Initiative, und er stünde gegen die große Front, eine Sache, die er immer noch zu vermeiden sucht, oder besser, die er nicht für aktuell hält.

Christie berichtete ferner, dass nach Rauschnings Auffassung das deutsche Offizierskorps fest an der Seite des »Führers« stehe, dass es davon überzeugt sei, dass Großbritannien Wege zu finden suche, »den Krieg zu vermeiden, selbst auf Kosten der Polen«. Es sei überzeugt, dass das Reich Danzig und den Korridor zurückholen werde: »Es wird mit Hitler marschieren.« Kürzlich habe es auf Vermittlung Rauschnings Gespräche zwischen einer bestimmten Gruppe aus der deutschen Armee und Vertretern der französischen Streitkräfte gegeben – »mit Zustimmung von Daladier, so sagt Rauschning«. Die deutsche Gruppe habe dabei »angedeutet sie sei bereit auf die Beseitigung des Hitler-Regimes hinzuarbeiten, vorausgesetzt, Deutschland werde gestattet alle gegenwärtigen Besitzungen einschließlich der Tschechoslowakei, Österreich und Memel zu behalten, hinzu müssten noch Danzig, ein Korridor durch den polnischen Korridor sowie zwei oder drei der früheren deutschen Kolonien« kommen. Rauschning, so fuhr Christie fort, habe den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Armee bereits imperialistisch, d. h. expansionistisch, geworden sei, mit Hegemonieideen dank der billigen, unblutigen Siege der vergangenen zwei Jahre. Christie erlaubte sich auch eine knappe Bewertung der Ansichten Rauschnings: Wohl seien sie vielleicht zu akademisch und kompliziert, und Rauschning selber gestehe zu, dass seine Vorschläge viele große Schwierigkeiten beinhalteten. Aber, so Christie weiter, sie seien »wenigstens elementar, mutig und konstruktiv«. Was immer aus der kommenden Krise herauskomme, es müssten weitreichende Schritte in Europa ergriffen werden. Abschließend erwähnte Christie noch ein paar innenpolitische Bemerkungen Rauschnings. Für den Fall, dass »Adolf« von einem großen Krieg in »diesem Herbst zurückschrecke«, werde »das Nazi-System in die202

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sem Winter einen ernsten Prestigeverlust in Deutschland erfahren«: Es werde im Frühjahr 1940 eine spürbare Kluft zwischen Volk und Parteiführung geben. Dann wünsche er, Rauschning, dem deutschen Volk die Umrisse eines freieren konföderierten Europa zu demonstrieren, die Richtung, in welcher sein künftiges Glück etc. liege. Er wolle nicht zu langatmig werden, schrieb Christie, »so here’s Schluß«.544 Anknüpfend an den Vortrag bei dem Lunch, der im Übrigen nicht die erhoffte finanzielle Hilfe erbrachte, bemühte sich Kluthe, Rauschning auch für die praktische Arbeit zu gewinnen.545 Zuvor übersandte er Rauschning noch einen Scheck über zehn Pfund, mit der Bitte, die beiliegende Quittung unterschrieben zurückzusenden. Das Anschreiben Kluthes, mit dem er die von Rauschning inzwischen unterschrieben zurückgeschickte Quittung an seine Sekretärin Whelan im Verlag Bonner & Co. Ltd. zur weiteren Veranlassung schickte, enthält eine kleine Bemerkung Kluthes, die das Prestige Rauschnings in England zu jener Zeit auf sympathische Weise beleuchtet. Kluthe kommentierte die beigefügte Quittung mit den Worten, Whelan möge das Papier sorgfältig im Auge behalten, denn ihre Enkel könnten mit dem Autograph Rauschnings beim Auktionshaus Christie’s womöglich einen beachtlichen Preis erzielen.546 Rauschning sagte mit Schreiben vom 29. August 1939 seine Mitarbeit zu und übersandte Kluthe gleichzeitig – also ganze drei Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – ein undatiertes 22-seitiges Memorandum über die »Friedensziele Deutschlands und der Friedensmächte«, das er vor einigen Monaten angeblich auf britischen Wunsch hin verfasst hatte und dessen Formulierungen offenbar den Fall eines Kriegsausbruches antizipierten.547 Einige Tage zuvor dürfte der damalige einfache Unterhausabgeordnete Winston Churchill erstmals direkt mit dem Namen Rauschnings konfrontiert worden sein. Emery Reves richtete am 21. August aus Paris einen Brief an Churchill, in dem er über ein Gespräch mit Rauschning berichtete, das er soeben gehabt habe. Rauschning verfüge, so Reves gegenüber Churchill, über sehr gute Verbindungen zur Reichswehr. Er habe ihm gesagt, dass die deutsche Armee keinen Krieg gegen England und Frankreich führen könne, und Hitler wisse das. Unter der Voraussetzung, so habe Rauschning weiter ausgeführt, dass England absolut fest bleibe, werde in Danzig nichts passieren. Sobald jedoch die leiseste Interpretation hinsichtlich der Kriegsbereitschaft Englands erkennbar werde, würden die Deutschen ohne jeden Zweifel Polen angreifen.548 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Wenn auch das gesamte Memorandum Rauschnings an Kluthe hier nicht in allen Einzelheiten vorgestellt werden kann, sollen doch einige zentrale Gedanken daraus wiedergegeben werden, da sie das politische Koordinatensystem Rauschnings unmittelbar vor dem deutschen Überfall auf Polen deutlich werden lassen. Grundsätzlich machte sich der Verfasser für eine umfassende politische und wirtschaftliche Neuordnung Europas bei gleichzeitiger Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland stark, ohne sich darüber auszulassen, wie das nationalsozialistische Regime und möglicherweise insbesondere Hitler in diese Neuordnung praktisch einzubinden wären. Stattdessen formulierte Rauschning bereits auf der ersten Seite seines Memorandums, dass für das Ausland der »Sturz des Regimes als conditio sine qua non«, als Vorbedingung für die Gespräche zur Neuordnung nicht in Frage kommen dürfe. Vielmehr müssten »Vorschläge allgemeingültigen Charakter haben«. In einer Art Vorspann zu seinen Überlegungen identifizierte der Autor »Fragen«, die sich in eine »deutsche Problemgruppe und in eine der Friedensmächte bzw. aller am Frieden beteiligten Nationen« gliedern ließen. Die präsumtiven britischen Leser des Papiers dürften wohl zusammengezuckt sein angesichts des Anspruches, den Rauschning so formulierte: »Es ist nicht ein deutsches Problem zu lösen, sondern ein allgemein europäisches und ein universales.« Es fällt auf, dass der Verfasser die völlige Gleichberechtigung Deutschlands gegenüber den anderen »Friedensmächten« forderte: »Die Bedingungen, denen Deutschland im Beitritt unterliegt, wären nicht solche besonderer Art, sondern für alle Teilnehmer bindend (Bedingungen über öffentliche Kontrolle, Rechtssicherheit, Vorleistungen).« »Formal« gehe es, so Rauschning weiter, »nicht um Forderungen, die an Deutschland gestellt werden, sondern um die Erlangung von allgemeinen Erleichterungen politischer und wirtschaftlicher Art, die an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen sind (wirtschaftliche Erleichterungen, Erleichterung der Wanderung im kolonialen Raum, offene Tür in den Kolonien etc.).« Im Vordergrund dürften »nicht die Abgrenzung des neuen Deutschland und die Erörterung seiner territorialen und sonstigen Forderungen« stehen, »sondern die Elemente eines allgemeinen Rechtszustandes«. Rauschning teilte den Hauptteil seiner Ausführungen in drei Abschnitte: »A. Außenpolitik, B. Die Neuordnung der deutschen Innenpolitik, C. Die wirtschaftliche Wiederherstellung Deutschlands«. Wohl seiner persönlichen Neigung entsprechend, widmete sich Rauschning am ausführ204

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lichsten dem außenpolitischen Teil. Hier diskutierte er Vor- und Nachteile einer künftigen klein- oder großdeutschen Lösung für die kommende geographische Gestalt Deutschlands oder aber dessen Gliederung in einen katholisch geprägten Süd- und einen protestantisch dominierten Nordstaat bzw. gar eine Dreiteilung »in süddeutsche, mitteldeutsche und norddeutsche Staatengruppen«. Gegen eine großdeutsche Lösung spreche das damit verbundene »Übergewicht Deutschlands in Europa«, wodurch der »Grundsatz eines Mächtegleichgewichts zerstört zu sein scheint«. Es würden sich aber auch »psychologische Schwierigkeiten einstellen«, sollte es zu einer solchen Konstellation kommen. Wie überhaupt das Adjektiv »psychologisch« im gesamten Text wiederholt vorkommt. Sicher sei, formulierte Rauschning unter anderem, dass »eine Rückkehr zu demselben oder einem ähnlichen Zustand wie er 1933 bestand, nicht möglich ist. Die Wiederherstellung der vollen Souveränität der Tschechoslowakei z. B. erscheint als ausgeschlossen.« Für Rauschning lag die Zukunft eines friedlichen Deutschlands in der Gestalt einer kleindeutschen Lösung einerseits und eines »Großösterreichs mit Deutschösterreich, Böhmen, Mähren, Ungarn« andrerseits. Beide »Gruppenbildungen« sollten wiederum Teil einer »europäischen Union oder Föderation« sein, der die Sowjetunion ausdrücklich nicht angehören würde. Namentlich erwähnte er die »rational-konstruktive Paneuropa«-Idee des Grafen Coudenhove-Kalergi, die er jedoch zu Gunsten seiner als »historisch-traditionalistisch« bezeichneten Konzeption verwarf. Außer den beiden genannten Gruppenbildungen schlug Rauschning acht weitere Gruppen bzw. Einzelstaaten vor, nämlich: eine »slawisch-baltische Union unter Führung Polens (Polen, Litauen, Lettland)«, eine »Donau-Balkanföderation (Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Türkei)«, eine »nordisch-atlantische Föderation (Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Holland, Belgien)«, eine »iberische Föderation«, ferner »Italien, Frankreich, Großbritannien« sowie »die neutrale Schweiz«. Rauschning sah es als unumgänglich an, dass diese Konzeption die »Delegierung gewisser Souveränitätsrechte auf neue Rechtsgebilde überstaatlicher Art« erforderlich mache. Die einzelnen Gruppen »werden mindestens wirtschafts- und währungspolitische Einheiten darstellen, eine einheitliche außenpolitische Vertretung und eine gemeinsame Wehrmacht haben«. Um einem »Mißverständnis zu begegnen«, legte Rauschning Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Bildung einer europäischen FödeParis und die Gespräche mit Hitler

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ration zuallererst um ein politisches und rechtliches und erst danach um ein ökonomisches »Problem« handle. In summa: »Es ist unmöglich, politische Lösungen durch ökonomische ersetzen zu wollen.« Die »Neuordnung der deutschen Innenpolitik« machte Rauschning von der Art des Übergangs zu dieser neuen Ordnung abhängig. Er schloss dabei auch bürgerkriegsähnliche Zustände im Reich nicht aus. Im günstigen Fall einer mehr oder weniger friedlichen Transition solle die »Wehrmacht eingreifen«, um »unter einer vorübergehenden Militärdiktatur die Durchführung der Neuordnung« abzusichern. Letztere könne dann nur »auf einem stark autoritären Fundament erfolgen«. Die Autorität schaffe den »effektiven Besitz der Macht, die persönliche Reputation der neuen führenden Persönlichkeiten eines treuhänderischen Direktoriums, das zunächst keinem parlamentarischen Organ« und für »die Wiederherstellung eines allgemeingültigen Rechtszustandes verantwortlich« sei. Rauschning stand der Wiedereinführung der Monarchie jetzt kritisch gegenüber, zumal sie in der jüngeren Generation »nicht mehr interessant« sei. Dennoch müsse sie »im jetzigen Zustand« des deutschen Volkes als »geradezu unentbehrliches Hilfsmittel« betrachtet werden. Schwierig sei indes »die Personenfrage«, die »nur durch die vorübergehende Institution eines Reichsverwesers« gelöst werden könne. Weitere Forderungen des Verfassers sahen die »sofortige Wiederherstellung der kommunalen und ländlichen Selbstverwaltung« und den »allmählichen Übergang zu einer regulierten Demokratie ohne Parteibildungen« vor. Es sollte »keine Wiederherstellung einer auf freien Parteibildungen begründeten parlamentarischen Verfassung« stattfinden. Der »erste Schritt zu dieser regulierten Demokratie« sei der »Erlass einer Arbeitsverfassung«. Staatsgewerkschaften sollten gebildet werden. Die Frage, ob »daraus allmählich eine korporative oder eine auf beschränkte Parteibildung fußende Verfassung zu entwickeln« sei, bedürfe der »Klärung unter Berücksichtigung des allgemeinen Zustandes der deutschen Bevölkerung«. Schließlich forderte Rauschning die »sofortige Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Gerichte, der Rechtssicherheit und der Freiheit und Unantastbarkeit der Person – Schutz der Religionsbekenntnisse – Sistierung der Judengesetze«. Es müsse eine »Restitution der Juden in alle bürgerlichen Rechte« erfolgen. Ferner: »Abschaffung der bisherigen Polizeimethoden und unbeschränkten polizeilichen ›Sicherheitsverwahrung‹, selbst wenn vorübergehend auch noch ein Ausnahmezustand zur Niederhaltung von gewaltsamen Selbsthilfemaßnahmen und fanatischen Elementen nötig sein wird«. 206

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Hatte Rauschning bereits zu Beginn seines Memorandums den Horizont seiner Vorstellungen nicht eben bescheiden »universal« gespannt, griff er diesen Maßstab auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Überlegungen wieder auf. Es erhebe sich, so der Autor, »die Frage nach der Bedeutung des allgemeinen weltwirtschaftlichen Rahmens, in den die deutsche wirtschaftliche Ordnung hineinzuintegrieren« sei. »D. h. der allgemeine große Rahmen einer weltwirtschaftlichen Ordnung und der Überwindung der weltwirtschaftlichen Depression« müsse in den Grundzügen bereits vorliegen, »bevor das deutsche Retablissement in Angriff genommen werden« könne. Wesentliches Element dieses »Retablissements« sollte nach Rauschnings Ansicht die Gewährung einer großzügigen Anleihe des Auslands bilden, ohne die das Reich nicht wieder auf die Beine kommen könne. Was den Umfang dieser Anleihe anbetraf, schwebte ihm ein Betrag von mindestens 500 Millionen Pfund, »und zwar auf längere Sicht zinslos oder zu sehr geringem Zinsfuß« vor. Das Problem der deutschen Kreditwürdigkeit sah er dabei durchaus. Diese werde ganz entscheidend von der Wiederherstellung eines »allgemeingültigen Rechtszustandes und von dem Vertrauen in die Stabilität der neuen deutschen Ordnung« abhängen. Vermutlich auch, um seine Idee von einer großzügigen Anleihe seinen britischen Lesern schmackhaft zu machen, fügte Rauschning der entsprechenden Passage seines Memorandums den Hinweis hinzu, dass »durch das Mittel der Kreditbegebung« sich das »demokratische Ausland einen großen Einfluß auf eine freiheitliche Entwicklung der deutschen Verhältnisse« sichere, aber auch »auf eine Vermeidung neuer radikaler Experimente einer sozialistischen oder staatssozialistischen Planwirtschaft«. Es werde daher »dringend notwendig die Kreditgewährung an Deutschland als einen der entscheidendsten Akte innerhalb eines Friedenspaktes zu behandeln und zu verhindern, daß die heilsamen und mäßigenden Wirkungen vorweg durch politisch mangelhaft fundierte Abmachungen verpuffen«. Rauschning diagnostizierte eine »völlige Zerrüttung der wirtschaftlichen Begriffswelt in Deutschland«, hinzu kämen »große reale Schwierigkeiten und gewisse Mißbräuche wirtschaftlicher Machtpositionen«. Sie alle machten »gewisse einschneidende Reformen der Wirtschaftsgesetzgebung und die Verstaatlichung gewisser Betriebe« erforderlich. Aus seiner Sicht glaubte er ferner eine »Privatwirtschaft« im Reich zu erkennen, die sich in einer »geradezu tödlichen Krise« befinde und die daher der »Erholung« bedürfe. In einem Anhang zu seinem Papier warf Rauschning die Frage nach dem »Wert gemeinsamer ›Großer Arbeiten‹« auf, »europäiParis und die Gespräche mit Hitler

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scher oder internationaler Arbeitsbeschaffungspläne, die der Beseitigung der Arbeitslosigkeit nach Abbau der unechten Rüstungskonjunktur dienen, zugleich aber Kulturaufgaben lösen würden, die unter dem Gesichtspunkt der privatwirtschaftlichen Rente nicht unternommen werden könnten oder jedenfalls kaum jemals in Angriff genommen würden.« Dem zu erwartenden Gegenargument, dass jeder »künstliche Eingriff in den Mechanismus der Wirtschaft den allgemeinen Gesundungsprozess nur« verzögere, »anstatt ihn zu beschleunigen«, hielt Rauschning entgegen, dass die »Normalisierung des Wirtschaftslebens« nur in »Intervallen« vorankomme und es eines »Hilfsmittels zum Abfang großer arbeitsloser Massen« bedürfe. Diesem keynesianisch anmutenden Gedankengang schloss er zum Ende seines Memorandums einen durchaus eigenwilligen an. Angesichts der bevorstehenden militärischen Abrüstung entstehe das Problem, wie die nun beschäftigungslosen Soldaten und Offiziere – nach Rauschnings Auffassung gehörten sie »zu dem besten Menschenmaterial« – vor einer politischen Radikalisierung bewahrt werden könnten, wie sie die Weimarer Republik erlebt hatte. Die Lösung dieses Problems sah er in der Verwendung dieser Menschen in den europäischen Kolonien, in »einer neuen großen Erschließung des europäischen Kolonialbesitzes«. Dadurch könnten »erhebliche Spannungen im Beginn einer Neuordnung« beseitigt werden. Wohl um eine deutsche Teilhabe an den Kolonien sicherzustellen, beendete Rauschning diesen Gedanken mit dem Satz: »Auch hierüber müßten praktische Vorschläge bereits v o r der deutschen Neuordnung vorliegen.«549 Insgesamt atmete das Memorandum den Geist konservativer Vorstellungen zur Nachkriegsordnung, wie er auch grosso modo während des Krieges in Kreisen des konservativen Widerstands gegen Hitler vorherrschte. Ob insbesondere die Großbritannien nicht unwesentlich betreffenden Passagen einschließlich der Kolonialfrage viel Begeisterung bei den Adressaten ausgelöst haben, bleibt fraglich. Auch der Vorschlag einer zumindest vorübergehenden Militärdiktatur dürfte in London ebenso wenig ungeteilte Freude hervorgerufen haben wie auch der gesamte selbstbewusste Tenor des Papiers. Erst wenn man unterstellt, dass Hans Albert Kluthe das Memorandum Rauschnings kannte, wird eine Bemerkung verständlich, die er Carl Spiecker gegenüber in einem Brief vom 26. Februar 1940 machte. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Rauschning längst dauerhaft in England auf und hatte sich mit Spiecker überworfen. Nach Kluthes Formulierung in sei208

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nem Brief bestand der Traum Rauschnings darin, sich als »Präsident der künftigen Vereinigten Staaten von Europa« zu qualifizieren.550 Man wird annehmen können, dass dieser Formulierung nicht nur die Lektüre des Rauschning-Papiers vorangegangen war, sondern dass inzwischen auch zahlreiche persönliche Begegnungen zwischen Kluthe und Rauschning in England stattgefunden hatten, die den Eindruck Kluthes hinsichtlich Rauschnings Selbsteinschätzung geformt haben dürften. Und schon im Juni 1939 hatte Kluthe Spiecker -ironisch? – geschrieben, Rauschning rechne sich eine Rolle als »Chef des Generalstabs im psychologischen Krieg« zu.551 Trotz der Unstimmigkeiten zwischen Rauschning und Spiecker, der seinerseits gute Beziehungen zu Kluthe unterhielt, hielten Kluthe und Rauschning über den Kriegsausbruch hinaus engen Kontakt. Versuche Kluthes, zwischen Rauschning und Spiecker zu vermitteln, gingen jedoch ins Leere.552 Kluthe arbeitete seit Ende 1938 daran, ein Aktionsprogramm für die Deutsche Freiheitspartei zu schaffen. Die Querelen unter den Exilanten an der Seine schienen diesem Vorhaben zunächst einmal ein Ende gesetzt zu haben, doch dann ergriff Rauschning einen Tag nach der britischen und französischen Kriegserklärung an Deutschland vom 3. September mit einem Schreiben an Kluthe aus Paris die Initiative. Er machte Kluthe den Vorschlag, dass man einen »Stellvertretenden Deutschen Nationalrat« ins Leben rufen solle. Wenn das Exil in Frankreich und England schon nicht als politische Größe akzeptiert werde, solle es wenigstens eine bestimmte Rolle in Form dieses Nationalrates spielen. Die Beteiligung der verschiedenen Parteien schien Rauschning dabei eher hinderlich, nur drei Persönlichkeiten – er selber, Gottfried Treviranus und August Weber – sollten als Treuhänder des Stellvertretenden Nationalrates auftreten. Die Beteiligung von Sozialisten erklärte er für abwegig, wichtig sei allein die Wirkung auf die Kreise in Deutschland. Ex-Kanzler Heinrich Brüning war nach seiner Auffassung für die Sache nicht zu gewinnen; »warnen« wolle er vor allem »vor Literaten und Professoren«, er verspreche sich »auch nichts von dem Namen Thomas Mann«. Vor einer schriftlichen Fixierung seiner politischen Pläne gelte es zunächst folgende Eventualitäten zu berücksichtigen: 1. ein baldiger Friedensschluss infolge innerer Revolution, 2. ein »späteres Remis der Kriegführenden« und 3. eine totale Niederlage Deutschlands. Unabdingbar sei eine enge Zusamenarbeit mit französischen und englischen Stellen; komme diese nicht zustande, könne man nichts unternehmen. Der notwendige Kontakt müsse aber wegen des Paris und die Gespräche mit Hitler

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psychologischen Krieges gegen Deutschland und damit der Abkürzung des Krieges unbedingt bald hergestellt werden. Sobald Kluthe die erforderlichen Verbindungen zu den offiziellen Stellen zwecks Realisierung ihrer Absichten aufgenommen habe, wolle ihm Rauschning seine Pläne über den psychologischen Krieg und die politische Generallinie für den Treuhänder eines Deutschen Nationalrates übermitteln.553 Sowohl Kluthe als auch Weber waren mit Rauschnings Plänen einverstanden. Nach ihrer Auffassung sollte Rauschning die Führung übernehmen.554 August Weber erbot sich, insbesondere wirtschaftliche Fragen zu bearbeiten. Treviranus, der sich zu jener Zeit in Kanada aufhielt, konnte nicht kontaktiert werden. Kluthe teilte Rauschnings Meinung, dass ein Nationalrat kein Spiegelbild des in sich zersplitterten Exils abgeben sollte, das eine wenig günstige Wirkung auf die Menschen im Reich haben müsse. Er forderte jedoch die Hinzuziehung eines Arbeitervertreters und schlug dafür Fritz Tarnow vor. Nach ersten Sondierungen bei den Briten konnte Kluthe Rauschning über derzeit günstige Vorbedingungen für ihre gemeinsamen Pläne berichten, ungeachtet eines »ziemlichen Durcheinanders« auf britischer Seite. Kompetenzen seien dort noch unzureichend abgesteckt, aber man sei bereit, der deutschen Opposition gewisse Freiräume zuzubilligen und ihre Vertreter »nicht einfach zu Angestellten des englischen Propagandadienstes zu machen«. Im derzeitigen Stadium könne man noch nichts Endgültiges sagen, doch sei er, Kluthe, überzeugt, dass sich die Pläne in ihrem Sinne regeln ließen. Wichtig sei, dass Rauschning nach England komme und dort die Führung übernehme. Ein weiterer Vorschlag an Rauschning ging dahin, neben einem Arbeitervertreter auch noch einen Katholiken – »warum nicht Spiecker?« – in ihre Reihen aufzunehmen.555 Rauschning stimmte diesem Vorschlag zu; er wollte jedoch vermeiden, dass alle Vertreter öffentlich als Mitglieder des Nationalrates aufträten. Man solle ohne Namensnennung zunächst im Sinne von Treuhändern arbeiten und lediglich einen Sprecher ernennen, »der im Namen des stellvertretenden Nationalrates hier und des sich bildenden in Deutschland unsere Verlautbarungen veröffentlicht«. Er zog es überdies vor, die britische Regierung mit einer Institution statt mit einem Personenkreis kooperieren zu lassen, dessen Mitglieder sie jederzeit desavouieren könne. Kluthe ermunterte Rauschning, mit der Ausarbeitung seiner Pläne fortzufahren. Er solle sich nicht an den »Nörgeleien kleiner Konventikel« unter den Emigranten stören. Im Übrigen könne er Rauschning versichern, 210

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dass sein »Prestige« bei den englischen Stellen »genügend groß« sei, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu gewährleisten. Gleich nach seiner Ankunft in England werde er mit Sir Robert Vansittart technische Einzelheiten des Kontakts besprechen können. Kluthe teilte Rauschning ferner mit, dass er einen weiteren Mitarbeiter aus dem konservativen Exil-­Lager gewonnen habe: Johannes Reinholz, den ehemaligen Herausgeber der Pommerschen Tagespost, der Deutschland erst vor knapp zwei Monaten verlassen habe. Dieser habe »drinnen erstklassige Verbindungen, vor allem zum ostdeutschen Landadel, zur Armee, zur Verwaltung und zu rebellischen Parteikreisen«.556 In seiner Antwort vom 24. September berichtete Rauschning von seinen Schwierigkeiten, bei der »Britischen Paßstelle« in Paris ein Visum zu bekommen. Immerhin habe dort aber »offenbar eine Empfehlung« vorgelegen. Dennoch müsse noch ein »ausführliches Protokoll« aufgenommen werden, zu dem »alle möglichen Unterlagen« beigebracht werden müssten. Erst daraufhin werde die Genehmigung in London eingeholt. Möglicherweise um den Druck auf Kluthes Sondierungen in England zu erhöhen und seine eigene Rolle in den Vordergrund zu rücken, teilte Rauschning diesem en passant mit, dass er eine Einladung aus Amerika für eine Vortragstätigkeit erhalten habe.557 Jedenfalls reagierte Kluthe in seiner vier Tage später abgefassten Antwort »bestürzt« und beschwor Rauschning, umgehend seine Amerikapläne aufzugeben, da seine Anwesenheit in England dringend erforderlich sei. Sie »erscheint mir um so dringender erforderlich«, schrieb er nach Paris, »als tatsächlich die Gefahr einer Bolschewisierung Deutschlands unmittelbar« drohe. Es könne durchaus überraschend eine Situation eintreten, die nicht nur zur Aktion auffordere, sondern geradezu dazu verpflichte.558 Rauschning hatte in seinem Schreiben an Kluthe vom 24. September eine Anlage versprochen, die ein »kleines Memorandum« angesichts »der so völlig veränderten Lage« infolge des Kriegsausbruches enthalte.559 Der Verfasser stellte es Kluthe anheim, die Arbeit seinen »Bekannten zur Kenntnis« zu bringen, wobei Rauschning kalkuliert haben dürfte, dass damit seine Gedanken auch britischen Stellen zugänglich gemacht wurden. Im Nachlass Kluthes im Bundesarchiv findet sich getrennt von diesem Brief ein 21 Seiten umfassendes Memorandum, das zwar undatiert ist, aber mit seiner Überschrift »Analyse der Lage nach dem ersten Kriegsmonat« wahrscheinlich als das von Rauschning angekündigte Papier zu identifizieren ist.560 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Fasst man die wesentlichen Gedanken dieses nicht gerade »kleinen« Memorandums zusammen, zieht sich wie ein roter Faden die Beschwörung der Gefahr einer »Bolschewisierung« Deutschlands durch Rauschnings Argumentation. Der Verfasser diskutiert zunächst mehrere Varianten des möglichen kommenden Kriegsverlaufs angesichts des »Hitler-Stalin-Paktes« und des damit verbundenen Vormarsches der Roten Armee nach Polen in Richtung Westen. Sodann thematisiert er die Existenz eines revolutionären Flügels innerhalb der NSDAP, der politische Fernziele verfolge, die dem Bolschewismus durchaus ähnelten. Als prominente Repräsentanten dieses Flügels nannte er die Gauleiter Koch (Ostpreußen) und Kaufmann (Hamburg). Doch auch in der SA und der SS sowie in jüngeren Kreisen der Wehrmacht gebe es Sympathien für eine »zweite Phase« der Revolution. Intellektuelle Berührungspunkte lieferten Rauschning zufolge Denker wie Ernst Jünger und der »Niekischkreis«561. Rauschning mochte wohl seinen eigenen intellektuellen Werdegang bedacht haben, wenn er schrieb, dass sich »ehemals national-bürgerliche« Kreise eines »Jungkonservatismus oder Jungpreußentums« hier wiederfinden konnten. Die »Anschauungen« dieser Kreise gipfelten nach seiner Auffassung in »Vorstellungen von einem gigantischen, die Welt beherrschenden eurasiatischen Imperium, von Vlissingen bis Wladiwostok«. Rauschning wagte von seinem Pariser Exil aus auch eine skizzenhafte soziologische Analyse des »kleinen Mittelstandes« in Deutschland. Dessen Lage habe sich »von Jahr zu Jahr verschlechtert«, zu »Hunderttausenden« hätten die »Angehörigen dieser Schicht ihre Betriebe liquidieren und schlecht bezahlte Stellen als unqualifizierte Arbeiter annehmen müssen«. Sie seien »vor allem entbürgerlicht«, sie seien »proletarisiert worden«. Und da ihnen »im Gegensatz zu den qualifizierten Arbeitern jede politische Schulung« fehle, seien sie »der geeignete Boden für eine wilde revolutionäre Propaganda. Gerade in dieser Schicht« seien in Deutschland Ressentiments und primitive Neidgefühle sehr verbreitet. Sie gäben einen »psychologisch günstigen Boden für jäh aufflammende Revolten und Racheakte«, während »sie durch eine verständige Führung ebenso leicht das Fundament einer soliden Ordnung sein« könnten. Indem er etwa ab der Mitte des Memorandums auf seine Handlungsvorschläge zur Beendigung von Krieg und Diktatur in Deutschland zusteuerte, beklagte Rauschning die »unterlassene Aktion der militärischen Opposition« vor dem deutschen Angriff auf Polen. Wenn die entscheidende »Parole« nach dem Wort von Rudolf Pechel »ran an die Mobilmachung« 212

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zwecks eines Sturzes des Regimes gelautet habe, habe das fatale Faktum ebendarin bestanden, dass es gar nicht erst zu einer »Generalmobilmachung« gekommen sei. Stattdessen habe es offenbar gut vorbereitete und orchestrierte Verhaftungen und Erschießungen von Wehrmachtsführern durch Gestapo und »Agenten der Partei« gegeben.562 Im weiteren Verlauf seiner Darlegungen malte Rauschning das Szenario einer bevorstehenden Revolutionierung Deutschlands als Konsequenz einer »engen Symbiose zwischen« der Sowjetunion und Deutschland aus, sollte es zu einer »Festsetzung Sowjetrußlands« auf deutschem Boden kommen. Damit kam Rauschning zu seinem Vorschlag, »unter einem Waffenstillstand im Westen« die »deutsche Wehrmacht in Deutschland eine bürgerliche Ordnung wiederherstellen zu lassen«. Unter der Zwischenüberschrift »Eine deutsche Militärdiktatur als Ordnungsfaktor« entfaltete der Verfasser im Folgenden seine Idee einer »Militärdiktatur als Übergang« hin zu einer »Dauerlösung«. Mittelfristiges Ziel müsse die Schaffung einer »gelenkten Demokratie« im Reich sein. Bereits im Jahre 1934 habe ihm der jetzige Oberbefehlshaber von Brauchitsch in einem Gespräch eine solche Lösung für Danzig vorgeschlagen: eine »parlamentarisch-demokratische Koalitionsregierung von den Sozialisten bis zu den Konservativen mit einer Art von Staatsgewerkschaften als Massenbasis«. Wahrscheinlich mit Blick auf die mutmaßlichen britischen Leser seines Memorandums suchte Rauschning solche Bedenken zu zerstreuen, die bei Annahme seines Vorschlages die gefürchtete »Junkerkaste« Preußens auf dem Vormarsch sähen. Ihr Einfluß im Sinne »des Pangermanismus« und der Propagierung eines »Großdeutschland« sei in Wahrheit gering. Der »Traditionalismus dieser Kreise« speise sich durch eine »christliche Gesinnung«, weshalb »diese Persönlichkeiten zur Opposition gegen den Nationalsozialismus« gefunden hätten. Anders verhalte es sich allerdings mit den aus dem »kleinen Mittelstand kommenden jungen Offizieren und Unteroffizieren«, unter denen sich durchaus »gefährliche Parteigänger des revolutionären Nihilismus« fänden. Aus praktischer Sicht schlug Rauschning für die Dauer des Krieges eine erhebliche Intensivierung der »psychologischen« Kriegführung vor, zu der auch die westlichen Staaten noch spürbare Anstrengungen beisteuern könnten. Eine deutliche Steigerung der Propagandatätigkeit gegen das Regime sei ebenso vonnöten wie ihre Spezialisierung, da sie nicht der »bolschewistischen Propaganda« in die Hände spielen dürfe. Die »Aufklärung« werde »sehr viel spezialisierter sein« und sich an »bestimmte Lebenskreise und landschaftliche Bezirke wenden müssen«. Paris und die Gespräche mit Hitler

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Wie auch immer: Ohne eine »Erschütterung der Masse« werde auch ein »Staatsstreich der Wehrmacht keine Resonanz finden«. Auch die westeuropäische Propaganda, so Rauschning weiter, werde sich bis zum gewissen Grade der Erfahrungstatsachen der Massensuggestion bedienen müssen. Auch sie wird zu suggestiven Formeln greifen. Auch sie wird, wie der Nationalsozialismus, in ständiger Wiederholung psychische Automatismen zu schaffen suchen. Auch für sie wird der Begriff des »Schuldigen« – in der nationalsozialistischen Propaganda der Jude und Demokrat – eine Hauptrolle spielen müssen. Alles wird auf Hitler als den Schuldigen zu konzentrieren sein.

Gegen Ende seines Memorandums ließ Rauschning seine Ausführungen in die bekannte Anregung fließen, »zu erwägen«, ob nicht eine deutsche »Treuhandstelle« für einen »sich in Deutschland bildenden Nationalrat zu etablieren sei, um der Aufklärung auch außerhalb der gegen Deutschland kriegführenden Regierungen einen Mittelpunkt zu schaffen«. Rauschning stellte sich eine solche »Stelle als Partner für die Kriegsziele der Westmächte« vor, die jedoch nicht »persönlich hervor(zu)treten« brauche, da »jede zu nennende Persönlichkeit in Deutschland auf Opposition stoßen würde«. Hauptangriffspunkt dieser »Stelle« sollten die »bestehenden Gegensätze in der Partei« sein, die »Propaganda in den nationalsozialistischen Milieus selbst« werde »ganz besonders wichtig sein«. Die »einzelnen Gruppen auseinander zu manövrieren« könne »im wesentlichen nur einer deutschen Stelle gelingen«. Rauschning beendete sein Memorandum mit folgenden Sätzen: Hitler hat Fehler gemacht, die ihn gefährlich geschwächt haben. Aber er hat das einzige gemacht, was ihn vorläufig retten kann, er hat, nachdem er einmal A gesagt hat, auch B gesagt. Aus dem vagen und rein taktischen Pakt mit Rußland ist ein zunächst sehr reales Bündnis geworden. Hitler sieht die innerpolitischen Konsequenzen. Er führt die sozialistisch proletarische Revolution auf seine Weise durch. Er hat zunächst erreicht, daß er an der Macht bleibt. Er hat einen neuen politischen Ausgangspunkt gewonnen. Aber er täuscht sich, wenn er glaubt, daß der Boden, auf dem er steht, lange fest bleibt. Hinter ihm steht Stalin, der darauf wartet, seine Erbschaft anzutreten. Und der erste militärische Rückschlag muß seine Stellung unhaltbar machen.563

Die Existenz des Memorandums gab den Anlass für einen gewissen »Philip«, einen Brief an den britischen Labour-Abgeordneten Hugh Dalton zu 214

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schreiben, in dem Dalton davor gewarnt wurde, dass Rauschnings hohe Wertschätzung der deutschen Armee als Ordnungsmacht gegen eine Bolschewisierung Deutschlands in sozialdemokratischen Exilkreisen entschieden abgelehnt werde. Deutsche Sozialdemokraten und viele andere deutsche Flüchtlinge in Frankreich, so Philip, seien sich darin einig, dass der wahre Feind der deutsche Militarismus und mithin die deutsche Armee sei. »Deutsche Sozialdemokraten (z. B. die bewundernswerte Lütkens) vertreten diese Ansicht so energisch, daß sie jeder Verbindung mit Rauschning mißtrauen und keine Verwendung für ihn zu Propagandazwecken erkennen können.« Philip schloss seinen Brief mit der Bemerkung, er habe es für sinnvoll erachtet, Dalton zu informieren, da er wisse, dass »Ihr Wagner« Rauschning sehr bewundere und seine Hilfe für »extrem wichtig« halte.564 In seiner Reaktion auf Kluthes Brief vom 28. September machte Rauschning deutlich, dass er ohne eine Aufforderung von offizieller Seite nicht nach England kommen wolle. Er erwartete darüber hinaus die Einsicht auf britischer Seite, dass der Krieg ohne Mitwirkung eines Teils des deutschen Volkes – »in welcher Form auch immer« – nicht »glücklich zu beenden« sei. Den Krieg allein militärisch beenden zu wollen hielt er für eine »Utopie«. Ihm liege nichts an der Schaffung eines offiziellen Nationalrates, er verlange aber, der Opposition als unabhängiger Kraft die Möglichkeit zur Teilnahme am psychologischen Krieg zu geben. Rauschning zeigte sich indigniert, dass »keiner meiner englischen Bekannten mir eine Einladung geschickt hat, während, wie ich höre, eine ganze Reihe von Persönlichkeiten sogar telegraphisch von Autoritäten reklamiert worden sind«. Offenbar bestünden, so Rauschning weiter, in gewissen Kreisen drüben immer noch Bedenken gegen meine Persönlichkeit. Wenn die Herren drüben keinen Maßstab haben für die Rangordnung von Persönlichkeiten, dann muß ich Ihnen offen gestehen, halte ich es für zwecklos herüber zu kommen. Dann bleibe ich wie gesagt lieber hier. Ich habe ohnedies die Möglichkeit auf meine Weise aufklärend zu wirken. Und es wäre noch nicht das Schlechteste sich still und zurückgezogen für den Zeitpunkt vorzubereiten, an dem man uns eines Tages doch vielleicht wird brauchen können.565

In seiner Antwort vom 5. Oktober suchte Kluthe Rauschning zu besänftigen und zu versichern, dass nach seinem Eindruck »maßgebliche Persönlichkeiten größten Wert« auf seine Anwesenheit in England legten. NamentParis und die Gespräche mit Hitler

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lich erwähnte er Lord Astor als jemanden, der sich bemühe, alles mit »den zuständigen Stellen in Ordnung zu bringen«. Ob er Rauschning mit der Mitteilung zu beeindrucken vermochte, diese Persönlichkeiten seien bereit, ihn »gnädigst anzuhören«, darf bezweifelt werden. Kluthe machte sich in seinem Brief für die Übernahme der Führung eines »Gremiums« deutscher »Patrioten« in England durch Rauschning stark, da nur er über die nötige »Autorität« verfüge. Darin stimme ihm auch August Weber zu. Auf keinen Fall dürfe dieses Gremium jedoch von der britischen Regierung finanziert werden. Diese Aufgabe falle vielmehr einem »Kreis von Privatleuten« zu. Abschließend gab Kluthe seiner Erwartung Ausdruck, dass Rauschning »in den nächsten Tagen« von Lord Astor und dem britischen Marineoffizier und Politiker Stephen King-Hall kontaktiert werde.566 Bis zum Ende des Monats Oktober zogen sich die Bemühungen ­Kluthes hin, Rauschning von einem Wechsel nach England zu überzeugen. Er erbat von dem ehemaligen Senatspräsidenten die Ermächtigung, auch weiterhin »Verhandlungen für Sie zu führen«. Dabei werde er sich strikt an Rauschnings Anweisungen halten, und er betonte, dass er »niemals« seine »Kompetenzen überschreiten« werde. »Was ich für Sie getan habe und tun werde, verpflichtet Sie in keiner Weise«, schrieb er Rauschning am 14. Oktober. Ob er nach seiner Übersiedlung von Kluthes Mitarbeit weiterhin Gebrauch machen wolle, sei allein ihm, Rauschning, überlassen. Eine einzige Bedingung wolle er dennoch stellen: Die Beziehung zu Carl S­ piecker wolle er nicht abreißen lassen, worin ihn auch August Weber unterstütze.567 In einem diesem Brief beigelegten Schreiben eines »Dr. Schoeps« konnte Rauschning noch einmal den dringenden Wunsch der ihm in England nahestehenden Emigrantenkreise erkennen, doch sobald wie möglich auf die Insel herüberzukommen. Man könne »die Aktionen gegen H ­ itler nicht mit der Stoßkraft durchführen«, solange Rauschning nicht vor Ort sei, hieß es darin. Aus Kreisen um Lord Astor höre man, dass nun auch die »finanzielle Basis« für seine »Übersiedlung nach London« vorliege. Schoeps bat Rauschning, Kluthe »ausdrücklich mitzuteilen, welche materiellen Bedingungen (fester Monatsbetrag, Auslagespesen, Unterkunftskosten, Kosten für Ihre persönliche Kanzlei und für Ihren persönlichen Stab) nötig sind um für ein Jahr Ihre Arbeit hier auf eine sichere und genügend materielle Basis sicher zu stellen«.568 Noch einmal beklagte sich Rauschning in seiner Antwort auf Kluthes Brief vom 14. Oktober über das Ausbleiben jeglichen Kontakts von britischer Seite, der ihm den Weg zur Übersiedlung nach England gebahnt 216

Kassandra in der Fremde

hätte.569 Nach wie vor sei er bereit zu kommen und auch einer Zusammenarbeit mit Spiecker stehe er nicht im Wege. Doch jetzt wies er auf ein anderes Problem hin: Es stelle sich doch die Frage, »ob die ganze Sache noch einen Sinn« habe. »Die Dinge« gingen »so rapide vor sich«, dass durchaus unklar sei, ob, das, was man heute vorschlage, nicht in vier Wochen schon überholt sei. Das war ein klarer Hinweis auf den Kriegsverlauf. Er, Rauschning, mache sich »hier« in Paris ein tägliches Bild davon, dass »man uns nicht brauchen will und vielleicht auch Grund dazu hat«. Auf den Brief von Schoeps verweisend, schrieb Rauschning, dass er für den Fall seiner Übersiedlung einen »gewissen Betrag für Büro usw.« benötige. Wichtig sei ihm, seine Familie mitnehmen zu können, insgesamt mache alles aber nur dann Sinn, wenn die Arbeit mindestens auf ein Jahr angelegt sei und der Krieg nicht »vielleicht schon in vier oder acht Wochen abgebrochen wird«. Abschließend versicherte er Kluthe: »Ich halte mich jedenfalls bereit um jederzeit nach drüben zu kommen. Ich will mich keineswegs in ein fertiges Bett hineinsetzen, sondern ich bin mir darüber klar, daß wir das Wesentliche uns sehr allmählich werden erringen müssen. Aber immerhin muß eine gewisse Geneigtheit der Autoritäten da sein.« Unter dem Datum des 28. Oktober 1939 konnte Kluthe Rauschning mitteilen, dass der britische Generalkonsul in Paris nun angewiesen sei, ihm ein Visum auszustellen.570 Den Umstand, dass der Sichtvermerk nur auf einen Monat befristet sein werde, solle man als »reine Formalität« betrachten. Allerdings variierte nun Kluthe seinerseits das Thema Übersiedlung: Rauschning solle vielleicht »zunächst einmal für einige Wochen nach hier kommen, ohne die Zelte dort endgültig abzubrechen«. So könne er sich selber überzeugen, dass seine Anwesenheit in London »von größtem Nutzen wäre«. Gern stelle er ihm in seinem Haus ein »Schlaf- und ein Arbeitszimmer zur Verfügung«, wenn er nicht in einem Hotel wohnen wolle. Was die eigentliche Arbeit anging, betonte Kluthe noch einmal, dass eine direkte Zusammenarbeit mit der Regierung »in beiderseitigem Interesse unerwünscht« sei. Ein »Nationalrat« werde auf keinen Fall anerkannt werden. Insofern habe auch eine »Ente«, der zufolge Rauschning einen solchen mit Rudolf Breitscheid, Joseph Wirth und Treviranus gebildet habe, »sehr geschadet«. Die Zeitschrift The Spectator habe sogleich auf die »Unmöglichkeit einer solchen Gegenregierung« hingewiesen und außerdem geäußert, dass mit Ausnahme von Rauschning die übrigen Mitglieder »schlecht gewählt« seien.571 Kluthe schlug Rauschning statt der direkten Zusammenarbeit mit der Regierung eine indirekte vor: Eine ständige Kooperation böte sich etwa Paris und die Gespräche mit Hitler

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mit dem von Lord Astor geleiteten Royal Institute of Foreign Affairs und dem New Commonwealth Institute von Lord Davies an. Beide Institutionen übten einen starken politischen Einfluss aus. Er, Kluthe, überlasse die Entscheidung jedoch ihm, und er wolle abschließend noch einmal auf seinen Vorschlag einer »Erforschung des Terrains« hinweisen, um schließlich zu entscheiden, ob er »hier bleiben oder zurückkehren« wolle. Endlich, am 2. November, konnte Rauschning Kluthe darüber informieren, dass er nunmehr sowohl das britische Ein- als auch das französische Ausreisevisum in Händen halte. »Anfang der Woche etwa, Dienstag, Mittwoch« werde er in London sein und sich sofort an Kluthe wenden. Im Übrigen sei die »merkwürdige Nachricht einer Regierung Breitscheid, Trevi, Wirth und ich völlig ohne« sein Zutun entstanden.572 Neben der politischen Aktivität an der Seine konnte sich Rauschning endlich auch wieder seinem Familienleben widmen. Es kam zu dem lang ersehnten Wiedersehen aller Familienmitglieder, nachdem Hermann Rauschning monatelang allein zwischen der Schweiz, Frankreich und England gependelt war. Als angesichts der sich zuspitzenden Lage in Ostmitteleuropa eine Rückkehr des Familienoberhauptes nach Polen wenig ratsam erschien, entschied sich Anna Rauschning, mit ihren fünf Kindern das elterliche Haus in Thorn zu verlassen. Sie schifften sich vom polnischen Gdingen nach Le Havre ein, von wo aus sie am 17. Februar 1939 Paris erreichten.573 Hermann Rauschnings Tantiemen aus seinem Bucherfolg sowie Honorare für sonstige Artikel ermöglichten es der Familie, eine geräumige Wohnung am Quai Louis-Blériot zu beziehen. Da der ehemalige Senatspräsident nicht nur weiterhin publizistisch tätig sein, sondern nach Möglichkeit gemeinsam mit anderen Emigranten auch versuchen wollte, die französische und die britische Regierung gegen das Regime in Berlin zu beeinflussen, lag eine Quartiernahme in Paris nahe, zumal ihm in der Schweiz eine politische Betätigung untersagt war. Wie schon in Thorn bei der Niederschrift der Revolution des Nihilismus diente die mittlerweile 24-jährige und älteste Tochter Heilwig dem Vater nun auch in der französischen Hauptstadt als zuverlässige und unermüdliche Sekretärin. Von einem Zeitgenossen Rauschnings, dessen Zeugnis auf Grund seines politischen Werdegangs allzu großer Sympathie für unseren Protagonisten unverdächtig ist, besitzen wir ein knappes Porträt, eine Art Momentaufnahme, des ehemaligen Danziger Senatspräsidenten vom Sommer 1939 218

Kassandra in der Fremde

in Paris. Wilhelm Herzog, jüdischer Schriftsteller und Pazifist, ehemaliges USPD- und dann bis zu seinem Parteiausschluss im Jahre 1928 KPD-Mitglied, war nach der Veröffentlichung der Revolution des Nihilismus in einen Briefwechsel mit dessen Verfasser eingetreten.574 Neugierig sei er auf seinen ersten Eindruck von Rauschning gewesen, schrieb Herzog in seiner Autobiographie, nachdem er sich mit diesem in der Seine-Metropole zu einem Treffen verabredet hatte. Rauschning habe etwas »konservativ Zuverlässiges« gehabt, erinnerte sich Herzog, dennoch habe er ein »letztes Mißtrauen« nicht unterdrücken können, denn schließlich sei Rauschning der erste Nationalsozialist gewesen, dem er begegnet sei. »Sein Wesen hatte etwas Grundanständiges, Sauberes, Solides. Dabei machte er eher den Eindruck eines an Erfahrungen reichen Intellektuellen, eines ernsten Literaten, als den eines preußischen Verwaltungsbeamten.« Ein »kultivierter Deutsch-Nationaler« habe ihm gegenübergesessen, so Herzog, der sich »aus opportunistischen Gründen – wie er offen zugab – den Nationalsozialisten in Danzig angeschlossen habe, weil er geglaubt habe, seine deutsch-nationalen Ideen innerhalb der Partei durchsetzen zu können … Meine Bedenken verminderten« sich im Verlauf der Unterhaltung, fuhr Herzog fort, insbesondere dadurch, wie Rauschning etwas sagte. »Er übertünchte sein Ketzertum nicht. Er spiegelte nichts vor. Aus seiner nationalen Grundgesinnung machte er weder in seinem Buch noch im Gespräch ein Hehl.« Herzog kam zu der Überzeugung, dass sich sein Gegenüber trotz aller »Wandlungen, neuen Erkenntnissen und neuen Beziehungen hierin nicht gewandelt« habe. »Ich glaube sogar«, schrieb Herzog, »daß er noch heute in der Aufrichtung eines nationalen, sozial-konservativen Deutschland sein Ideal sieht.« Und ein Anflug von kollegialem Neid spricht wohl aus diesen Zeilen: »Alles«, was Rauschning nun in der Emigration geschrieben habe, erregte das größte Interesse. Seine Schriften wurden in alle Sprachen übersetzt und erlebten Riesenauflagen. Kein vom ersten Tage an die Hitler-Bewegung aktiv Bekämpfender konnte sich solcher Erfolge rühmen. So ist die Welt. Immerhin haben seine Bücher nicht wenig zur Aufhellung über Hitler beigetragen. Vor allem in jenen Schichten, die von linker Seite nichts annehmen wollten, d. h. also in den Kreisen der englischen und französischen Regierung und den konservativen Milieus.

Herzogs Eindruck von Rauschning »verstärkte« sich nach zwei weiteren Begegnungen in Paris: nämlich der eines »unzweifelhaft« ehrlichen MenParis und die Gespräche mit Hitler

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schen, der in »deutsch-nationalen Gedankengängen« verhaftet blieb. Zum »wirklichen Sozialismus« habe er »kein Verhältnis«, vielmehr sei er »ein von Kant herkommender und in kantischem Geist spekulierender philosophischer Politiker. Trotz allem Realismus mit romantischen Ideen.« Bei einem Besuch in seiner »schönen Wohnung« habe er in Rauschning einen »klugen und liebenswürdigen Familienvater« vorgefunden. Er habe »nichts von dem sturen und harten deutschen Typ« gehabt, »der seine abscheulichste Ausgestaltung in den Naziköpfen gefunden« habe. »Also:«, schloss Herzog, das Gegenteil eines Hitleriten. Und das für mich Entscheidende: Man konnte mit ihm verkehren, nicht nur die Erfahrungen und Kenntnisse, die er sich bei den Nazis erobert hatte, zum Kampf gegen sie nutzen. Wir hätten das Recht dazu gehabt. Denn in diesem Kampf gegen die Welteroberer war jeder Bundesgenosse willkommen, sogar der Teufel selbst und seine Großmutter durften nicht refüsiert werden, wenn sie zur Vernichtung der Verbrecher beitragen konnten und wollten.

Nach der Annexion der restlichen Tschechoslowakei mit ihrer Emigrantenhochburg Prag im März 1939 entwickelte sich Paris zum wichtigsten Fluchtpunkt von Exilanten jeder Couleur auf dem europäischen Kontinent. Bereits in den Jahren 1935/36 war der Anteil politischer Emigranten in Frankreich an der Gesamtemigration »recht hoch«.575 Damals hielten sich allein in Paris schätzungsweise 3000 Sozialdemokraten und zwischen 3000 und 5500 Kommunisten auf. Dazu kamen noch etwa 500 »Pazifisten und Demokraten« sowie rund 250 Katholiken. Eine gewisse Unsicherheit in der Statistik vorausgesetzt, gehörten Mitte der 1930er Jahre etwa 20 % der deutschen Flüchtlinge in Frankreich zur »politischen Emigration«. Dieses Verhältnis verringerte sich bis zum Kriegsausbruch erheblich.576 Die Vielzahl der Organisationen in Paris Mitte der 1930er Jahre war kaum mehr zu überblicken. Deutsche und internationale Komitees, Parallelgründungen mit kaum unterscheidbarer Zielsetzung, personelle Überschneidungen bis zu fast vollständiger Personalunion machten dieses Bild nicht durchsichtiger.577 Unterhalb des Zieles »Bekämpfung des Faschismus bzw. Nationalsozialismus« war man sich in den Emigrantenkreisen herzlich uneins über den Weg, der zu ebendiesem Ziele führen sollte. Aus der Weimarer Zeit tradierte theoretische Erklärungsversuche über das Wesen des Faschismus und damit auch Ansatzpunkte für seine Überwindung verhinderten sowohl auf der Linken als auch auf liberaler 220

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und konservativer Seite ein Zusammengehen. Hinzu kamen persönliche Animositäten und Skepsis hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit. Hermann Rauschning lag mit seiner politischen Vergangenheit gewissermaßen quer zu den verschiedenen Lagern der Emigration und das machte seine Situation unter den Exilanten nicht gerade einfacher. Vor allem sozialdemokratischen und mehr noch kommunistischen Flüchtlingen war er durch seine Zeit als nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig hoffnungslos kompromittiert, frei nach dem Motto: einmal Nazi, immer Nazi. Hinzu kam sein Erfolg mit der Revolution des Nihilismus. Es war im Zweifelsfall schwer zu unterscheiden, ob Kritik an dem Werk sich aus ernsthafter Analyse und daraus folgender Ablehnung speiste oder ob nicht auch bzw. nur blanker Neid im Spiel war. Der deutsch-französische Schriftsteller Joseph Breitbach nahm für sich in Anspruch, die »persönliche Einführung« Rauschnings »in Paris ins Werk gesetzt« zu haben – eine Behauptung übrigens, für die sich sonst nirgends ein Beleg findet. Doch habe er dafür nach der deutschen Besetzung von Paris im Jahre 1940 bitter bezahlt: Dass die Gestapo sich seine »Wohnung« und sein »Vermögen« aneignete – überhaupt: seine »immensen Schwierigkeiten« nun auch im Grenoble des Vichy-Frankreich rührten nach seinem Zeugnis »von meiner Verbindung mit dem berühmten Danziger her«.578 Seine durch seine Danziger Zeit wie auch durch seinen Bucherfolg begründete Prominenz öffneten Rauschning – im Gegensatz zu vielen anderen Emigranten – Türen zum Spitzenpersonal der rasch wechselnden französischen Regierungen, zu britischen Politikern und Emissären sowie zu anderen interessanten Gesprächspartnern. Auch dies mochte Rauschnings Popularität in den Pariser Emigrantenkreisen nicht unbedingt gesteigert haben. In einem längeren Schreiben an einen unbekannten Diplomaten, das leider undatiert ist, aber offenbar aus der Anfangszeit seines amerikanischen Exils in New York im Jahre 1941 stammt, zollte Rauschning seinen französischen Gastgebern hohen Respekt. »Ich habe überhaupt während der Emigration«, hieß es in dem Brief, »am meisten Berührung und Erweiterung meines beschränkten ostelbischen Horizontes von Frankreich erfahren.«579 Als Gesprächspartner auf französischer Seite nennt Rauschning in dem Schreiben den radikalsozialistischen Marineminister Cesar Campinchi, ferner die zeitweiligen Ministerpräsidenten Edouard Daladier und Paul Reynaud. Paris und die Gespräche mit Hitler

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Aus dem Schreiben geht wiederholt hervor, dass Rauschning zunächst mit Vertretern der deutschen Emigration versuchte, eine einheitliche Linie mit dem Ziel zustande zu bringen, Hitler mitsamt dem nationalsozialistischen Führungspersonal zu stürzen. Dazu traf er in Paris u. a. mit Carl Goerdeler und in London mit Rudolf Pechel zusammen. Nach Pechels Zeugnis war er selber derjenige gewesen, der nach dem erzwungenen Rücktritt Rauschnings in Danzig gegen dessen »beabsichtigte Ausstoßung aus dem Senat« der Deutschen Akademie in München protestiert hatte, »wodurch«, so Pechel, der Präsident der Deutschen Akademie, Karl Haushofer, gezwungen gewesen sei, »sie entgegen den Satzungen als autoritären Präsidialakt vorzunehmen«580. Von dem rechtskonservativen Publizisten Hans Grimm besitzen wir eine etwas abweichende Schilderung über den Vorgang des Ausschlusses von Rauschning aus der Akademie. In einem Brief vom 28. Januar 1955 an den ehemaligen nationalsozialistischen Kulturfunktionär Hans W. Hagen rief Grimm seine Version in Erinnerung. »Ich habe Rauschning gekannt in Danzig,«, teilte er Hagen mit, um dann fortzufahren: da gab er mir einen Empfang und erzählte mir von der Richtigkeit der Politik Hitlers den Polen gegenüber. Es war in einer Zeit, in der ich sehr skeptisch war, und Rauschning brachte meine Skepsis ins Wanken. Wir saßen die ganze Zeit des Empfangs nebeneinander, auffällig für alle übrigen Besucher. Dann später war ich Senator der Deutschen Akademie in München, und vom Präsidenten Haushofer wurde angeblich im Auftrag von Hitler und Heß verlangt, dass die Senatoren dem Ausschluß Rauschnings zustimmten. Ich weigerte mich, das tat außer mir der Jurist von Jena und der Historiker A. O. Meyer. Nach einigem Hin und Her und einem vergeblichen Zusammenkommen in München entschloß man sich, einem Ehrengericht, bestehend aus uns Dreien, die vorenthaltenen Akten vorzulegen. In dieser Zeit floh Rauschning zu den Polen. Damit war uns der Wind aus den Segeln genommen …581

Es darf als feine Geste Pechels nach dem Krieg angesehen werden, dass er eine gefährliche Unvorsichtigkeit Rauschnings lässig als »Betriebsunfall« bezeichnete, die immerhin mit dazu beigetragen hatte, dass Pechel am 8. April 1942 durch die Gestapo verhaftet wurde. Was war passiert? In einem Tagebuch, das die Gestapo nach der deutschen Besetzung von Paris in Rauschnings Wohnung fand, hatte Rauschning verschiedene Treffen Pechels mit ihm in London notiert. In den Verhören in der Prinz-­AlbrechtStraße, dem Gestapo-Hauptquartier, ging es nach Pechel neben seinen 222

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Kontakten zu Rauschning vor allem um solche zu Ex-Kanzler Brüning, die er jedoch strikt geleugnet habe, von einer angeblich letzten Begegnung mit diesem im Jahre 1932 einmal abgesehen.582 Insbesondere die von Pechel in London formulierte Parole »Ran an die Mobilmachung. Das ist die einzige Möglichkeit den Kerl loszuwerden«583 hat Rauschning später in Briefen immer wieder zustimmend zitiert und damit als Grundlage auch seiner eigenen Auffassung hinsichtlich des Kampfes gegen Hitler dokumentiert. Nachdem ein Losschlagen deutscher Militärs 1938 auf Grund des Zurückweichens der Westmächte im Gefolge des »Münchner Abkommens« obsolet geworden war, so Rauschning, durfte eine solche Chance nicht ein zweites Mal vertan werden. »Pechel machte es uns, die wir wie Brüning, ich und ein paar andere, Zutritt zu wichtigen Persönlichkeiten der französischen und englischen Kabinette hatten, zur Pflicht, dafür zu sorgen, daß diesmal nicht, wie in München, die Westmächte kapitulierten, sondern fest blieben!«584 Im Nachgang zu dem Verpuffen der militärischen Widerstandspläne auf Grund des »Münchner Abkommens« versuchte Rauschning nun den Basler reformierten Theologen Karl Barth für eine Aktion gegen Hitler zu gewinnen. Im Juli 1937 hatten Rauschning und Barth in Basel ein langes Gespräch geführt, durch das der Schweizer tiefere Einblicke in das Wesen des »Dritten Reiches« gewann.585 Auf Barth machte wenig später auch Die Revolution des Nihilismus einen nachhaltigen Eindruck, wie aus verschiedenen Zeugnissen hervorgeht. »Rauschning hat richtig gesehen, wenn er den eigentlich esoterischen Gehalt des Nationalsozialismus als reinen, konsequenten, d. h. letztlich völlig geistfeindlichen und destruktiven Nihilismus definiert hat«, schrieb er einmal.586 Eine gewisse Breitenwirkung dürfte ein längerer Beitrag Barths in der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. Mai 1939 entfaltet haben, in dem es um die drohende Kriegsgefahr ging. Barth argumentierte hier u. a. so: Meine Meinung ist allerdings die, daß es sich in dem heute im Bereich des Möglichen liegenden Krieg für uns nicht nur um die Verteidigung der schweizerischen Neutralität und auch nicht nur um die unserer Grenzen, sondern auch – und zwar erstlich und entscheidend um die Verteidigung des rechten Staates … gegen dessen Umsturz, gegen die »Revolution des Nihilismus« handeln wird. Dafür unsere Söhne und Brüder ins Feuer zu schicken und uns selber mit Bomben bewerfen zu lassen, wird unter allen Umständen geboten und lohnend sein.587 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Ein Briefwechsel Barths mit dem niederländischen Pfarrer Frans M. Kooyman belegt darüber hinaus, dass Rauschnings Buch auch in den Niederlanden seine Wirkung nicht verfehlt hatte. In einem Brief, den Kooyman Barth am 24. Februar 1940 schickte, erbat der Pfarrer eine klärende Äußerung seines Schweizer Kollegen zu einer These, die dieser zuvor in einem »Offenen Brief nach Frankreich« formuliert hatte und der zufolge der »Hitlerismus« als »der gegenwärtige böse Traum des erst in der Lutherischen Form christianisierten deutschen Heiden« zu begreifen sei. Kooyman weiter: »Man fragt hier immer wieder: Rauschning sieht den Nationalsozialismus in Deutschland als nihilistische Revolution, nicht als Weltanschauung oder Moral, sondern als Dynamik der Negation. Es ist möglich, dass Professor Barth damit einverstanden ist, wenn man seine Worte so lesen darf, dass diese nihilistische Revolution nur in einem lutherischen Lande das Volk beherrschen kann.« Ob Barth, so Kooyman weiter, Zeit habe, über diese Frage noch einiges zu sagen.588 Karl Barth nahm sich die Zeit und anwortete Kooyman ausführlich am 28. Februar 1940. In den für unseren Zusammenhang wichtigen Passagen relativierte er zunächst den von Kooyman zitierten Satz über den »Hitlerismus« und stellte fest, dass eine »nihilistische Revolution« oder »Entsprechendes« auch in anderen Ländern »und ohne allen Zusammenhang mit dem Luthertum möglich werden könnte«. Allerdings: Er habe bei diesem Satz schon ganz konkret an die nationalsozialistische Form der nihilistischen Revolution gedacht, an ihre Aufmachung und Tarnung als Aufrichtung wahrer obrigkeitlicher Autorität. Und ich habe konkret an die Verbindung des Luthertums mit dem deutschen Heidentum gedacht. Hier sehe ich allerdings – natürlich in der Relativität, in der man so etwas allein sehen kann – eine Beziehung: das Luthertum hat dem deutschen Heidentum gewissermaßen Luft verschafft, ihm (mit seiner Absonderung der Schöpfung und des Gesetzes vom Evangelium) so etwas wie einen eigenen sakralen Raum zugewiesen. Es kann der deutsche Heide die lutherische Lehre von der Autorität des Staates als christliche Rechtfertigung des Nationalsozialismus gebrauchen, und es kann der christliche Deutsche sich durch dieselbe Lehre zur Anerkennung des Nationalsozialismus eingeladen fühlen. Beides ist tatsächlich geschehen.

Im Übrigen, so Barth gegen Endes seines Briefes, habe er »das deutsche Volk erklären und entschuldigen und nicht etwa anklagen« wollen.589 Soweit ersichtlich, bediente sich Barth ein letztes Mal zu Ostern 1941 bei Rauschnings Wort von der Revolution des Nihilismus. Zugleich bildete 224

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der in Gestalt eines kleinen Büchleins veröffentlichte Letter to Great Britain from Switzerland die prominenteste Plattform für dieses Wort, die Barth ihm je bereitstellte.590 Barth sprach sich in diesem umfangreichen Brief leidenschaftlich für eine Teilnahme von Christen am Krieg gegen Hitler aus. So schrieb er unter Anspielung auf Hitlers scheinbar revisionistische Außenpolitik vor dem Kriegsausbruch 1939: »Es ging und geht vielmehr in diesem Kriege um die sehr einfache, sehr nüchterne Frage: ob es recht oder unrecht sei, zur Beseitigung irgend einer Unvollkommenheit oder zur Herbeiführung irgend einer Vollkommenheit des europäischen Lebens die Denkweise, die Sprache, die Maßstäbe und Methoden einer Räuberhöhle oder vielmehr des Urwalds, die ›Revolution des Nihilismus‹ zum regierenden Prinzip zu erheben oder als solches zuzulassen.« Und einige Zeilen später hieß es: »Wer heute für Hitlers Unternehmen oder nicht dagegen oder doch nicht mit allen Konsequenzen dagegen ist, der verdient es, nach dem Willen Gottes, durch die ›Revolution des Nihilismus‹ zu empfangen, was er wert ist. So ist Frankreich, so ist zuerst das unglückliche Deutschland selber nach dem Willen Gottes dem Unternehmen Hitlers zum Raube geworden.«591 Mit einem Schreiben an Karl Barth vom 22. Februar 1939 brachte sich Rauschning bei diesem nun wieder in Erinnerung, indem er auf ihr gemeinsames Gespräch zwei Jahre zuvor verwies und darüber hinaus auf ein Zitat einer der »neuesten Veröffentlichungen« des berühmten Theologen zu sprechen kam, das zeige, dass Barth Die Revolution des Nihilismus gelesen habe. Da er demnächst »mit dem Auto von Paris durch Basel« komme, bitte er Barth, ihm »eine kurze Stunde der Rücksprache zu gewähren«. Nach einem Brief Barths an Markus Barth vom 8. März 1939 trafen er und Rauschning sich bereits am nächsten Tag, dem 23. Februar, im Basler Hotel Euler.592 Am 28. März 1939 schrieb Rauschning dann Barth aus Paris, dass er »diesmal« auf einer bevorstehenden Reise nach Zürich leider nicht in Basel Station machen könne, da ihm eine Warnung vor der Gestapo vorliege. Er habe »sonst derartigen Warnungen keine Aufmerksamkeit geschenkt, in diesem Falle muß ich es tun«.593 Rauschning fuhr fort: Ich bin infolgedessen sehr in Sorge, wie ich mit Ihnen die vor ein paar Wochen begonnene Aussprache fortsetzen kann. Ich möchte Sie herzlichst bitten, mir zwei von den in Aussicht gestellten kurzen Ansprachen zur Verfügung zu stellen. Ich Paris und die Gespräche mit Hitler

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bitte Sie als Situation, aus der heraus zu sprechen wäre, anzunehmen, daß ein Krieg unmittelbar bevorstünde, und noch ein letzter Appell an das deutsche Volk auch als ev. Christ zu richten wäre. Insbesondere schiene es mir notwendig, darauf hinzuweisen, daß es in jedem Falle für den Christen gilt, einen Gewissenskonflikt als Christ oder als gehorsamer Staatsbürger nach bestem Gewissen zu entscheiden, in diesem Falle auch als Staatsbürger, aber kein Zweifel bestehen kann, auf welcher Seite man zu stehen hätte. Ich weiß nicht, wie weit man gehen kann, offen zur Gehorsamsverweigerung aufzufordern. Als Politiker tue ich es in einer ähnlichen Ansprache nach bestem Gewissen.594

In einem Antwortbrief an den Wissenschaftlichen Assistenten Hartmut Ludwig in Jena/DDR vom 11. März 1975 – auf Grund seiner fortgeschrittenen Augenkrankheit bereits mit großer Schreibmaschinentype getippt595 – bestätigte Rauschning die Begegnung mit Karl Barth im Jahre 1937.596 Dieser sei »sehr entgegenkommend« gewesen, habe »seine Nachmittagsarbeit« unterbrochen und ihn in eine benachbarte Weinstube eingeladen, »wo es zu einer vertraulichen Aussprache kam, einer Art tour d’horizon«. Vordergründig, so Rauschning in seinem Brief, habe es in der Unterredung mit Barth um seine Mitarbeit an einem »Zeitschriftenplan« gehen sollen, der sich dann jedoch durch das Erscheinen von Maß und Wert Thomas Manns erübrigt habe.597 »Mein eigentlicher Grund des Besuches«, fuhr Rauschning fort, »war, Barth vorzuschlagen, in der voraussehbaren psychologischen Krise des deutschen Volkes, in der es plötzlich vor die Realität eines abermaligen Zweifrontenkrieges gestellt war, einen letzten Appell an das Gewissen der Christen zu richten. Hinter dem Ansinnen an Barth stand eine letzte verzweifelte Hoffnung des ›Widerstandes‹ im Reich, dessen Illusionismus und irrige Psychologie gegenwärtig kaum noch verständlich ist und meines Wissens auch nicht in der Zeitgeschichte richtig bewertet worden ist.« Rauschning erläuterte im weiteren Verlauf seines Schreibens die Pechel’sche Losung »Ran an die Mobilmachung«, um dann auf sein Gespräch mit Karl Barth zurückzukommen. »Über das Technische, die Media, eines Appells an das christliche Gewissen« sei nicht gesprochen worden, erklärte er. Seiner Meinung nach »mußten die Kirchen selbst und nicht nur einzelne hervorragende Theologen das Wort ergreifen. In solchem Sinne« sei er auch »in Verbindung mit Visser ’t Hooft598. Wir wechselten verschiedene Briefe. Erhalten hat sich auf meiner Seite nichts davon. Daß von katholischer Seite nichts zu erwarten war, darüber klärte mich der in Paris lebende Jesuitenpater Friedrich Muckermann auf, der mein naives 226

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Ansinnen einer Exkommunizierung Hitlers mit triftigen Gründen zurückwies.« Ein »schwacher Punkt der Konzeption ›Ran an die Mobilmachung‹« sei, räumte Rauschning ein, »die Verkennung der psychologischen Lage im Reich« gewesen. Nicht der Widerstand gegen Hitler war in »den sechs Jahren des Hitlerregimes gewachsen, sondern bis tief in die Arbeiterkreise hinein war es gerade die Gefolgschaft«. Dass sich der Kontakt zu Karl Barth wegen des geplanten Appells nicht weiter entwickelte, führte Rauschning in dem Brief aus dem Jahre 1975 darauf zurück, dass nicht nur Emigranten in der Schweiz sich jeglicher Propaganda enthalten, sondern dass auch beamtete Schweizer Universitätsprofessoren sich diesbezüglich Zurückhaltung auferlegen mussten. Immerhin habe die Schweiz »während der ganzen Kriegszeit in Gefahr gestanden, von Hitler wenigstens teilweise besetzt zu werden«. Karl Barth schrieb etwa zwei Wochen nach dem Brief Rauschnings vom 28. März unter dem Datum des 13. April 1939 an Visser ’t Hooft in Genf über das Vorhaben, via Radiosendung eine »kirchliche Botschaft an das deutsche Volk« zu richten: ein »Gedanke, zu dem er … durch Verhandlungen mit Rauschning angeregt« worden sei.599 Folgt man Rauschning in dem hier bereits wiederholt herangezogenen Brief an den unbekannten Diplomaten, hatte er schon »vor München« in Prag versucht, den tschechoslowakischen Außenminister Krofta zu »offenem Widerstand« zu bewegen, wodurch die »Hitler’sche Seifenblase« hätte »zum Platzen« gebracht werden können.600 Was er in Gesprächen mit Reynaud, Campinchi und anderen französischen Ministern versuchte klarzumachen, so Rauschning, »bewegte sich in der allgemeinen Linie, daß die Kriegsdrohung in Deutschland das letzte und einzig übrig bleibende psychologisch günstige Moment sei, das Regime zu stürzen, und daß – mich auf die Nachrichten aus Deutschland verlassend – alles für diesen Fall vorbereitet sei. ›Die Gewehre würden nach hinten losgehen‹, war das Schlagwort Pechels.« Doch habe er, Rauschning, sich gegenüber den Regierungen in Paris und London in einer »zweideutigen« Lage befunden. Weder habe er, wie etwa Goerdeler, »irgendeine Legitimation zu Verhandlungen besessen« noch sei er in der »sozialistisch-jüdischen Emigration angesehen« gewesen. Letztere habe ihm vorgeworfen, »ein Geheimagent Hitlers« zu sein und sich mit seinem Buch Die Revolution des Nihilismus nur »eine Kulisse« verschaffen wollen, um so »unauffälliger für Hitler Material sammeln zu können«. Das sei so weit gegangen, dass Paris und die Gespräche mit Hitler

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die Zeitung Le Temps ihn in einem Leitartikel mit der Überschrift »Le cas du docteur Rg.« (»Der Fall des Doktor Rg«, gemeint war Rauschning) in Schutz genommen habe, da er immerhin »das Verdienst offener Opposition« für sich in Anspruch nehmen könne. Abgesehen von diesen »persönlichen Verdächtigungen« habe aber auf französischer und britischer Seite viel größere Sorge vor einer »Generalsrevolte« der »reaktionären Elemente Deutschlands« als vor »Hitler mit seinen Kohorten« bestanden. Mit wohl allzu groben Strichen behauptete Rauschning in dem Brief aus seinem New Yorker Exil, »demokratischer Sozialismus, vor allem aber kommunistische Elemente« hätten die Pariser »Hinterstuben und Salons« in dem Sinne bearbeitet: »Mit Hitler werden wir fertig. Hitler ist harmlos. Hitler ist wenigstens Sozialist. Die eigentlichen Feinde sind das deutsche Militär, die deutsche Großindustrie, die preußische Reaktion. Lieber noch als eine Militärregierung in Deutschland Hitler mit seinem Dilettantenstab.«601 Ein »schwieriger Punkt in der ganzen Erörterung mit französischen und englischen Stellen«, so Rauschning, sei die Frage gewesen, was passiere, wenn während einer deutschen Mobilmachung »eine Militärrevolte« ausbreche und wenigstens vorüberghend »chaotische, bürgerkriegsähnliche Zustände« im Reich herrschten. Ob man alliierterseits abwarten und »Gewehr bei Fuß stehen« werde? Immerhin habe die französische Seite sich »ehrlich genug« gezeigt und zugegeben, »dass man eine Revolution in Deutschland als ein Zeichen der Schwäche politisch nicht unausgenutzt lassen könne«. In diesem Zusammenhang warf Rauschning die Frage auf, ob sich Generaloberst Beck »einer solchen Gefahr« während der Mobilmachung 1938, auf die »nichts erfolgt« sei, bewusst gewesen sei. Er, Rauschning, habe 1939 in der Schweiz das »kleine Pamphlet« mit dem Titel Herr Hitler, Ihre Zeit ist um602 drucken lassen. Es sei, vervielfältigt, zu Beginn des deutsch-französischen Krieges von französischen Flugzeugen »über den deutschen Kräften in dem A-Abschnitt im Süd/West-Raum abgeworfen worden. Und es geschah sogar. Es führte zu jener seltsamen Pause im Vormarsch der Franzosen, über die Hitler betroffen war. Aber nichts geschah von Seiten des deutschen Widerstandes.«603 Seine Informationen seien dann »abgerissen«. Alles habe gestockt und sei degeneriert in »dumpfer Tatenlosigkeit des ›phoney war‹ bei den Westmächten«. Welche »Enttäuschung und Desavouierung das für uns war, können Sie sich denken«, ließ Rauschning den Adressaten seines Schreibens wissen. »In solchem Kontext waren meine Gespräche (gemeint Rauschnings Buch »Gespräche mit Hitler«, A. H.) verfasst und wollen sie beurteilt werden.«604 Der im schweizerischen Exil lebende bayerische SPD-Politiker 228

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Wilhelm Hoegner nannte das Pamphlet einen »erschütternden Aufruf an die Reichswehr, der allerdings keinen Widerhall gefunden« habe. In einem Brief an Rauschning vom 9. September 1939, also gut eine Woche nach Kriegsausbruch, unterstützte Hoegner Rauschning in dessen Auffassung, wonach »die Bewegung gegen Hitler nur vom Heer ausgehen« könne. Aus der Antwort Rauschnings an Hoegner aus Paris vom 18. September geht hervor, dass er offensichtlich ganz konkrete Erwartungen an einen militärischen Aufstand gegen Hitler gehegt hatte. »Leider ist meine Hoffnung«, schrieb Rauschning, »daß in den ersten vierzehn Tagen gewisse Kreise den Nationalsozialismus stürzen werden, nicht eingetroffen.«605 Im Sommer 1939 veröffentliche Rauschning einen längeren Aufsatz in Maß und Wert, in dem er sich zum ersten und zugleich auch letzten Mal mit der »passiven Resistenz« als einem denkbaren Instrumentarium zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes beschäftigte.606 Kurze Auszüge aus diesem Beitrag erschienen etwa zeitgleich in dem vierseitigen Text Rauschnings mit dem Titel Die Periode der Entscheidung, bei dem es sich offenbar um eine Flugschrift aus den Niederlanden handelte, denn er trägt auf der ersten Seite folgende Widmung: »Der nachstehende Aufsatz des bekannten Senatspräsidenten Dr. Hermann Rauschning wird Ihnen von holländischen Freunden des deutschen Volkes geschickt, weil daraus der wahre, nie zu vernichtende deutsche Geist spricht.«607 Bevor der Autor in Maß und Wert einige Grundsätze seines Verständnisses von der passiven Resistenz darlegte, skizzierte er die aktuelle innenpolitische Situation Deutschlands, wie sie ihm über verschiedene Kanäle zur Kenntnis gebracht worden sein muss. Ob er damit die Stimmung im Reich zutreffend beschrieb, kann hier nicht erörtert werden. Rauschning zufolge vollzog sich in Deutschland eine »tiefe Entfremdung und Abkehr« vom Nationalsozialismus. Im Einzelnen führte er dazu weiter aus: Eine sehr vorsichtige Kritik der heutigen stimmungsmäßigen Lage in Deutschlands – übrigens nicht anders als in Italien – muß feststellen, daß abgesehen von dem unmittelbaren Nutznießerkreis des Nationalsozialismus, den man schätzungsweise mit 1,5 bis 2 Millionen Menschen berechnen kann, der aber nicht von der Idee des Nationalsozialismus erfüllt ist, sondern von ökonomischen und sonstigen Rücksichten, nur gewisse Bruchteile der Jugend, der unversorgten weiblichen Bevölkerung, von Altersrentnern, Pensionären, und vor allem von offenen und versteckten Sektierern an den Nationalsozialismus »glauben«: nämlich solche Kreise, die sich vor Hitler mit anderen Religionssurrogaten beschäftigt hatten, von Lebensreform und Paris und die Gespräche mit Hitler

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Nacktkultur bis zur Weichkäseapostel-Gemeinde … Was sich sonst als Nationalsozialismus gibt, ist sicherlich nicht von einer »Idee besessen«, sondern gehorcht entweder seinen Machtinstinkten oder einem sehr realen, aber jederzeit wandelbaren individuellen Interesse. Man kann vor allem den unmittelbaren Nutznießerkreis des Nationalsozialismus keineswegs als Parteigänger … im Sinn entschlossenen Opferwillens auffassen. Gerade unter den kleinen Amtswaltern, den Blockwarten, den vielen Funktionären in den politischen und militanten Verbänden ist man heute voller Sorge und Angst über die ungewisse Zukunft und entwickelt eine ausgesprochene Resistenz gegen die Parteianweisungen, auch diese Resistenz noch nicht bewußter politischer Wille, sondern nur Gefühlsreaktion ist.

Ähnlich wie auch »der Faschismus« verlasse heute der Nationalsozialismus das Feld der Propaganda mit dem Ziel »der früher entscheidenden Bedeutung für die Zusammenfassung des ganzen Volkes« und suche sein Heil zunehmend »im lückenlosen Ausbau eines Gewaltsystems, das es dem Einzelnen unmöglich macht, aus der Sphäre der totalen Beherrschung herauszukommen und eigenen Willensimpulsen zu folgen«. Die weit verbreitete Unzufriedenheit in der deutschen Bevölkerung – in den Worten Rauschning: »dies alles satt zu haben« – schaffe eine Art vorrevolutionärer Lage, einen Zustand der »Gärung«, wie er wiederholt schreibt. Dieser Zustand bedeute jedoch keineswegs »das Ende des Regimes«. Allerdings könne hier das Mittel der »passiven Resistenz« ansetzen, im Sinne aktiver Führung bei Nutzung gewisser »im allgemeinen nicht als aktiv« geltender politischer Mittel. Dies, so Rauschning, sei der »erste elementare Erfahrungssatz«.608 Er erkannte eine tiefe »Entfremdung des deutschen Volkes von seiner Regierung«, die sich rasch zu einer breiteren Kluft erweitern könne. Das Sinken der Arbeitsproduktivität, zunehmende »Fehlleistungen bewußter oder unbewußter Art«, verbreitete Unsicherheit und Unlust in der Arbeitswelt deuteten auf eine »wilde Resistenz« im Reich hin. Die Vorstellung indessen, eine »bewußt geleitete und planmäßig gesteigerte Resistenz« könne ohne Weiteres eine »wirksame Waffe« werden, sei naiv. Vielmehr sei die »passive Resistenz als Mittel des bewußten politischen Kampfes … die am schwersten zu handhabende politische Waffe«. Dies sei der »zweite elementare Erfahrungssatz«. Rauschning hatte die Erfahrungen Gandhis in seinem Kampf gegen die britische Herrschaft in Indien registriert, denn er warnt seine Leser vor Illusionen hinsichtlich eines Vergleiches der Briten und der Nationalsozialisten als Gegner der passiven Resistenz: Man brauche sich nur die 230

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»Beispiele des Kampfes Gandhis zu vergegenwärtigen, um davon überzeugt zu sein, dass ein Gegner wie der Nationalsozialismus, der lebende Menschen in seinen Konzentrationslagern in Kisten, die mit Nägeln ausgeschlagen sind, versperrt, mit Hohnlachen den Hungerstreik Gandhis bis zu seinem freiwilligen Tode quittieren würde.«609 Im weiteren Verlauf seiner Reflexionen über die passive Resistenz formulierte Rauschning fünf »Leitsätze aphoristischen Charakters«, bei deren Erläuterung er wiederholt auf Georges Sorels Schriften zurückgriff – dies war wohl kaum ein Zufall, hatte sich der französische Sozialphilosoph doch von ursprünglich marxistischen zu autoritär-faschistischen Positionen entwickelt. Der erste Leitsatz der passiven Resistenz als »einer politischen Waffe gegen die Diktatur der Gewaltsamkeit« forderte »eine völlige Harmonisierung der Interessen und die Zurückstellung aller Klassenkampfmotive«. Die »bisherigen Schablonen revolutionärer Kämpfe« seien »unbrauchbar«, so Rauschning. Der zweite von ihm formulierte Leitsatz entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit. Zunächst heißt es bei ihm, die »unerläßliche Waffe gegenüber der Diktatur« sei »die Verlogenheit«. Da der offene Kampf aussichtslos sei, ziehe sich »jeder Widerstand in die schamloseste Camouflage zurück«. Doch dann schreibt er: »Die passive Resistenz steht und fällt mit der Möglichkeit, die ›Doktrin der Verlogenheit‹ (die Hitler bewusst in den Mittelpunkt seiner Propaganda stellt) durch den Gegensatz zu überwinden.« Und weiter: »In den Mittelpunkt der Aktion ist die ›revolutionäre Wirkung der Wahrheit‹ in einer Atmosphäre von Lug und Trug zu stellen. Wahrhaftigkeit ist das überwältigend neue politische Mittel.«610 Im Übrigen ziele die »Gegenaktion« gegen die Diktatur auf »Differenzierung und Individualisierung«, und während die Diktatur auf ›Vermassung‹ bis »zur Totalität« beruhe, vermeide die »Gegenbewegung« den »Appell an die Massen und Kollektive. Sie knüpft an die Wiederherstellung der natürlichen Lebensgemeinschaften an. Sie stellt sich auf individuelle Lebenssorgen und Lebenshoffnungen ein.« Nicht ganz deutlich wird, worin der dritte Leitsatz besteht. Mehrere Aspekte beanspruchen in diesem dritten Abschnitt offenbar gleichrangige Bedeutung. So wird Wert gelegt auf »erfahrene psychologische und massenpsychologische Kenntnis in Verbindung mit einer Technik«. Die »planvolle Einwirkung auf das Unterbewusstsein« erfolge »durch Bilder, durch sinnvolle Berichte und Erzählung«. Die »Sprachgebung« habe die »Bedeutung der Verbalsuggestion«. Es dürfe der passiven Resistenz nicht Paris und die Gespräche mit Hitler

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darum gehen, die »Lehren und Lehrsätze der Diktatur zu widerlegen«, schrieb der Verfasser, denn »da die Lehren eines politischen Mythos nicht als Einzelheit wirken, sondern, nach Sorel, nur als ein totales Ganzes, ist die Bemühung um eine rationale Widerlegung unfruchtbar«. Ziel des passiven Widerstandes – Rauschning benutzt den deutschen Begriff offenbar eher widerwillig – sei »vornehmlich die Vermehrung aller Reibungen, der psychologischen durch Reizbarkeit, Nervosität, Aufsässigkeit, der materiellen durch Materialvergeudung, gesteigerte Kosten, Verlangsamung des Tempos«. Entscheidend für die »Wirksamkeit der passiven Resistenz« sei der »generelle Charakter im Nachlassen der Arbeitsproduktivität«, sie sei im Wesentlichen »eine Art Ermattungsstrategie«. Auch im vierten Abschnitt wird kein eindeutiger Leitsatz formuliert. Aus seinem Inhalt ergibt sich freilich, dass es Rauschning hier um das Personal geht, das den passiven Widerstand anführen soll. Die »Auslese einer handelnden Elite« und nicht eine illegale ›Partei‹ sei berufen, eine »reife revolutionäre Situation« herbeizuführen. Diese Elite müsse »aus allen Milieus hervorsteigen, sozial wie örtlich«. Sie sei »auch nicht im Sinn einer gesellschaftlichen Oberschicht aufzufassen«, sondern sie solle aus »Einzelpersonen« bestehen, die »aktiv, verantwortungsfreudig und opferbereit im entscheidenden Augenblick aus eigenem Antrieb« handelten. Und auch ein wenig Autobiographisches schlich sich in diesen Teil seines Beitrages ein: Es gebe keine »Schablone« für die Auswahl der so handelnden »Männer« – von Frauen ist nirgends die Rede. »So töricht in einer solchen Zeit der Vorwurf des Renegatentums allen denen gegenüber ist, die über sich selbst und ihren Irrtum herauskommen, so töricht ist auch die totale Abneigung gegenüber allen Männern eines ›alten Systems‹«, formulierte der ehemalige Senatspräsident. Im fünften Teil seiner Leitsätze – ein solcher wird auch hier nicht klar gekennzeichnet – steht die Phase gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen der Diktatur und der Gegenbewegung im Mittelpunkt. »Jede Resistenz passiver Art«, so der Autor, habe die »logische Tendenz in eine bewußte revolutionäre oder antirevolutionäre Aktion auszumünden«. Daher sei der »Totalstreik der ganzen Nation« das »Endziel der passiven Resistenz. Alle Arbeit und Aufklärung ist auf dieses Ziel einzustellen. Nur der Totalstreik, die spontane und gleichzeitige Einsetzung der Arbeitsniederlegung der ganzen Nation« schaffe die »Voraussetzung des Gelingens. Der Übergang zum übereinstimmenden Akt der Gesamtheit in der revolutionären Aktion ist der Sinn der passiven Resistenz.« 232

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Am Ende seines Beitrages riss Rauschning noch kurz die theoretischen Möglichkeiten eines »anderen Ausweges aus der Unterdrückung durch die Diktatur« an. Ein »Staatsstreich« könne »nach Lage der Dinge nur von rechts erfolgen«, von »Kreisen, die im Mitbesitz der Machtmittel des omnipotenten Regimes sind«. In Frage komme dabei allein die »Wehrmacht«, die jedoch außer der »mangelnden Bereitwilligkeit« zur Aktion einer »besonderen Situation« bedürfe, um »mit Aussicht auf Erfolg« einzugreifen. Eine solche biete sich nur bei einer »ersten großen Niederlage im Falle eines Krieges«. »Gänzlich utopisch« nannte Rauschning die »in gewissen Kreisen immer noch populäre Vorstellung von einem auf die Barrikaden steigenden Volk, das sich seine Freiheit im herrlichen Kampfe gegen die Tyrannei« erringe. Möglich sei »noch der eine Weg, weil er einer Evolution von innen her Raum schafft, die passive R e s i s t e n z . Auch sie birgt Gefahren genug, die für die betroffene Nation tödlich sein können. Kommt es in diesem Sommer nicht zum Krieg, so wird man besonderes Gewicht auf die Fortentwicklung einer passiven Resistenz legen müssen.«611 Im Oktober 1939 sei er, so Rauschning in seinem Brief an den unbekannten Diplomaten, »während des Krieges« und als einer der ganz wenigen nicht internierten Emigranten in Frankreich – sein 1922 geborener Sohn Fritz war bereits kurz nach Kriegsausbruch in das Lager Libourne eingewiesen worden – nach London gegangen und habe dort sowohl mit konservativen Politikern wie Lord Halifax, Sir Samuel Hoare, Harold Nicolson und Lord Amery als auch mit Vertretern der Labour Party wie Hugh Dalton Unterredungen geführt. Zu jener Zeit habe er dort die Überzeugung gewonnen, »daß noch nicht alles verloren« sei, dass sowohl bei Konservativen wie auch bei Vertretern von Labour an einem »Abbruch des Krieges« Interesse bestanden habe, solange es noch nicht »zu größeren militärischen Aktionen« gekommen sei. Allerdings, schreibt er an anderer Stelle, habe der »nationalen Opposition« in Deutschland der »Stalin-Hitler-Pakt« vom August 1939 »das Konzept eines Staatsstreiches bei der Mobilmachung genau so aus der Hand geschlagen«, wie dies das »Münchner Abkommen ein Jahr zuvor und wie es später die Konzeption der ›bedingungslosen Kapitulation‹ getan« habe.612 Man habe ihn in London nach vertrauenswürdigen deutschen Gesprächspartnern für den Fall des »Abbruchs« gefragt, was ihn in die schwierige Situation versetzt habe, bei konkreter Namensnennung Personen Paris und die Gespräche mit Hitler

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zu gefährden. Er habe sich dann auf »ein paar Namen beschränkt«, die »ohnedies bereits gefährdet erschienen«, nämlich »unter anderem Hammerstein-Equord, von Brauchitsch«, den Rauschning ja aus seiner Danziger Zeit persönlich kannte, »und das war unter Diplomaten vor allem Ihr Name«613. Er hoffe, der Adressat seines Schreibens werde ihm »diese Gefährdung heute zu Gute halten. Sie geschah im Glauben an Ihren Patriotismus und die Unbestechlichkeit Ihrer Gesinnung. Durch den Wahnwitz des tanzenden Derwischs, der in der Reichskanzlei seine Schamanentrommel rührte.« In der Unterredung mit Lord Halifax sei es vor allem darum gegangen, ob Göring »ein Partner« für einen Frieden sein könne, ein »vermittelndes Element der nationalsozialistisch gemäßigten und der konservativ-liberalen Kreise«. »Ein echt englischer Gedanke« sei dies gewesen, meinte Rauschning, der Versuch, eine »mittlere Linie« zwischen dem »derzeit offiziellen Regime« und dem »gefürchteten deutschen Generalstab« zu finden. Aus seiner persönlichen Kenntnis Görings heraus habe er, Rauschning, dieses Ansinnen Lord Halifax’ »entschieden verneint«, auch auf das Risiko hin, »einer großen Chance auf den Frieden geschadet« zu haben. Seine Ablehnung Görings habe nicht dessen Person gegolten, sondern Göring habe nicht seiner »politischen Linie« entsprochen, »die auf ein autoritäres Regime der Wehrmacht hinauslief, das in allmählicher Wiederherstellung legaler Ordnung zu einer konstitutionellen Monarchie führen würde«. Auch »in weiterblickenden Kreisen Englands« habe ein »definitives Misstrauen gegen eine auch nur vorübergehende Militärdiktatur in Deutschland« bestanden, die bei »der Liquidation des Nationalsozialismus unvermeidlich« gewesen sei. »Es bestand«, schrieb Rauschning, »eine Tendenz, im Nationalsozialismus das geringere Übel zu sehen und lieber zu versuchen ihn zu spalten und mit anderen Elementen wie sozialistischen und liberalen Kreisen zu amalgieren, als mit den Militärs und preußischen Junkers (sic) zu konspirieren.« Oder, wie ihm damals in England jemand gesagt habe: England habe den Ersten Weltkrieg nicht geführt, um die Hohenzollern vom Thron zu stürzen, um im Zweiten für ihre Wiedereinsetzung zu kämpfen.614 Auch in Frankreich sei diese Meinung, nämlich in Hitler im Vergleich zu den preußischen Militärs das kleinere Übel zu sehen, verbreitet gewesen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 markierte auch den Beginn des Einflusses von Hermann Rauschning auf die Poli234

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tik der Vereinigten Staaten, die damals stark isolationistisch geprägt war. Nach dem Urteil des seinerzeit in den USA lebenden nationalbolschewistischen Emigranten Karl O. Paetel war Rauschning einer der ganz wenigen Exilanten, auf die man im Ausland gehört habe. Und, so Paetel, man habe im Ausland das Ohr nur dem Einzelnen, also etwa der Person Rauschning, nicht jedoch einer bestimmten politischen Gruppierung, geliehen.615 Dass Rauschning unter den interventionistisch orientierten Politikern der USA einen gewissen Ruf besaß, wurde im September 1939, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, deutlich, als der kalifornische Kongressabgeordnete Carl Hinshaw einen noch unveröffentlichten und auch später zumindest in Deutschland weithin unbeachteten Artikel Rauschnings als Vorabdruck in den Appendix der Kongressprotokolle aufnehmen ließ, wo er mehrere Großseiten füllte.616 Der Artikel mit der Überschrift »Hitler Could Not Stop« nahm noch vor dem Erscheinen der Gespräche mit Hitler das Ausmaß der nationalsozialistischen Aggression in Europa vorweg.617 Zu Beginn seines Beitrages warnte Rauschning vor dem Glauben, man könne Hitlers grenzenlosen Expansionsdrang durch »bestimmte begrenzte Konzessionen« befriedigen. Weder Bismarcks »ökonomischer Protektionismus« noch Hitlers Autarkiepolitik seien vorwiegend wirtschaftlich oder soziologisch motiviert, vielmehr gehe es Deutschland angesichts seiner »geographischen Situation« vor allem darum, Sorge dafür zu tragen, dass es nicht vom Weltmarkt und wichtigen Rohstoffen abgeschnitten werde. Mit »Lebensraum« sei nicht nur ein Gebiet gemeint, das die Existenz unter den Bedingungen des freien Welthandels sichere, sondern vielmehr ein Herrschaftsbereich, der eine wirklich souveräne Großmacht begründe, der die absolute politische Handlungsfreiheit gewährleiste. Das von Hitler angestrebte Herrschaftsgebiet reiche im Osten bis zum Kaukasus einschließlich der Ukraine und im Westen bis zum Atlantik. Es müsse die Kontrolle über die kaukasischen Ölfelder ebenso besitzen wie über die Bodenschätze der Ukraine und das Getreide Ungarns und Rumäniens. Der nordfranzösische Stahl gehöre dazu, ferner die Kontrolle über die Küstenlinie Belgiens, der Niederlande und Nordfrankreichs, nicht zu vergessen die Kolonialbesitzungen dieser Länder. »Dergestalt sind die Ideen des Nationalsozialismus«, schrieb Rauschning. Die »grundlegende Sache«, die sich zeige, sei die, dass »Olivenzweige und Zugeständnisse« in diesem oder jenem Detail nutzlos seien. Entweder gebe es für Deutschland »volle Souveränität« oder nichts.618 Sowohl für die Lebensraum-Ideen in diesem Aufsatz wie auch für die entsprechenden Passagen der Gespräche mit Hitler619 – allein der VollParis und die Gespräche mit Hitler

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ständigkeit halber werden sie hier erwähnt – gilt jedoch, dass sie nicht etwas ganz Neues enthielten, sondern dass Ähnliches bereits in Hitlers zweitem Buch enthalten war, abgesehen von einer Zwei-Phasen-Abfolge der Lebensraumeroberung, die so nur bei Rauschning zu finden ist. So habe Hitler Rauschning gegenüber Anfang 1934, also etwa zur Zeit des Abschlusses des deutsch-polnischen Paktes, von der Schaffung eines »stählernen Kerns eines zu unverbrüchlicher Einheit geschmiedeten, großen Deutschland« gesprochen: Österreich, Böhmen und Mähren, der polnische Westen. »Der Block von hundert Millionen, unzerstörbar, ohne Riß und ohne fremde Nationen«.620 In der zweiten Phase sollte dann die Schaffung eines »Bunds von Hilfsvölkern« im Osten, Westen und Norden stehen. Dabei dachte Hitler laut Rauschning an Polen, das Baltikum, Ungarn, die Balkanstaaten, die Ukraine, das Wolgagebiet, Georgien sowie im Westen die Niederlande, Flandern, Nordfranken621, im Norden Dänemark, Schweden und Norwegen.622 Abgesehen von einigen Abweichungen waren damit die Grenzen der Kriegsexpansion markiert, die zur Zeit der Niederschrift der Gespräche jedoch nur in Polen realisiert waren. Theodor Schieder machte bereits darauf aufmerksam, dass die »folgenden Angriffe im Norden, Westen, Südosten und Osten in den Jahren 1940 und 1941 geradezu wie die konsequente Ausführung dieses Programms wirken und dadurch den Wirkungsgrad der Rauschning-Gespräche außerordentlich steigern« mussten, »da aus dem Handeln Hitlers alle Züge der Improvisation oder der Reaktion auf das Handeln anderer Mächte genommen zu sein schienen.«623 Im Dezember 1939 veröffentliche die amerikanische Literaturzeitschrift The American Mercury einen Beitrag Rauschnings unter dem Titel »Hitler Told Me This«.624 Diese Zeitschrift, die 1924 gegründet worden war, durchlief im Verlauf ihrer jahrzehntelangen Existenz diverse politische Ausrichtungen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Rauschning-Artikels machte sie sich im amerikanischen Kongress für eine Stärkung der US-Luftverteidigung stark. Schon die Überschrift des Textes lässt rückblickend erkennen, dass es sich bei ihm um ein paar Auszüge aus den Gesprächen mit Hitler handelte. Rauschning konzentrierte sich in diesem Aufsatz auf die angebliche Bedrohung der USA und Mexikos durch das »Dritte Reich«. Breiten Raum gewährte er auch den Implikationen des »Hitler-Stalin-Paktes« sowie abschließend der Vision einer künftigen Welt, wenn diese vom siegreichen Nationalsozialismus beherrscht würde.625 Wenige Wochen vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 236

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begann am 1. November 1941 eine Debatte im amerikanischen Senat über die Modifizierung des Neutralitätsgesetzes von 1939 – eine Woche später wurde im Senat mit knapper Mehrheit dessen Aufhebung beschlossen. In der Debatte machte der interventionistische Senator Green regen Gebrauch von Zitaten aus Mein Kampf, dem erwähnten Artikel Hermann Rauschnings im American Mercury, der Revolution des Nihilismus sowie aus The Voice of Destruction, der inzwischen erschienenen amerikanischen Ausgabe der Gespräche mit Hitler. »Die Isolationisten haben kein Interesse an Europa«, erklärte Green, »aber Hitler ist kein Isolationist und hat ein reales Interesse an der westlichen Hemisphäre.«626 Nach dem Urteil von Rolf Wiggershaus, dem Experten für die Frankfurter Schule und deren Wurzeln in der amerikanischen Emigration, wurden die amerikanischen Ausgaben von Rauschnings Revolution des Nihilismus sowie der Gespräche mit Hitler zur erfolgreichsten Emigranten-Interpretation des Nationalsozialismus in den Vereinigten Staaten627. Am 10. Oktober 1939 führte Rauschning in Paris ein vom britischen Außen­ministerium als »lang und interessant« eingestuftes Gespräch mit dem damaligen Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation (WZO), Chaim Weizmann.628 Darin erklärte Rauschning u. a., dass die »Bolschewisierung Deutschlands rapide« voranschreite. Dies bedeute zwar keineswegs notwendigerweise das Ende Hitlers oder das Ende des Krieges oder einen radikalen außenpolitischen Kurswechsel, wohl aber einen allgemeinen Schwenk nach links. Er erkenne Hitler derzeit als »Apostel des nationalen Sozialismus« (»Sozialismus« im Original unterstrichen), der »das deutsche Volk vor dem Angriff der bourgeoisen Kapitalisten des Westens« schütze. Es gelinge Hitler, hinter dieses Banner zwei wichtige Gruppen zu scharen: die »professionellen Nazis und die Idealisten«. Die »Bewegung« habe selbstverständlich ihre Gegner, z. B. die »Klasse der Junker und die Industriellen«, doch könnten beide keine effektive Opposition ausüben. Das deutsche Volk sei insgesamt terrorisiert und gefügig; viele Mitglieder der Junkerklasse seien – wahrscheinlich durch absichtsvolles Handeln, so Rauschning – während des Polenfeldzuges ums Leben gekommen. Mögliche andere Regimegegner, etwa Industrielle wie Thyssen, Silverberg, Stinnes jr. u. a., hätten das Land verlassen. Unter den Generälen, die in der Lage seien, ein direktes Zentrum gegen den Nazismus zu bilden, habe Rauschning nur »von Brauchitsch und Keitel«629 nennen können. Die Gesprächsaufzeichnung endet mit der Bemerkung, Rauschning erkläre Paris und die Gespräche mit Hitler

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sich bereit, »etwas zu tun, vielleicht durch England oder Schweden«, und warte darauf, nach England zu reisen, um zu sehen, ob die Sache von dort weiter verfolgt werden könne. Die oben erwähnte Unterredung Rauschnings mit Lord Halifax im Oktober 1939 dürfte mit dieser Bemerkung in Zusammenhang stehen. Dass Rauschning gewusst haben dürfte, mit dem Gespenst der Bolschewisierung des Reiches via Weizmann konservative britische Politiker beeinflussen zu können, steht noch auf einem anderen Blatt. Die Ergebnisse seiner Unterredung mit Weizmann fanden jedenfalls schnell ihren Weg ins Foreign Office und waren geeignet, die von Rauschning so nachdrücklich geforderte Aktivität gegen Berlin mit kräftigen Farben zu unterstreichen. Er selber war zum Zeitpunkt des Gesprächs mit dem jüdischen Inte­ ressenvertreter von der angeblich drohenden Bolschewisierungsgefahr überzeugt. Dies geht aus entsprechenden Äußerungen gegenüber anderen Personen hervor, so etwa aus dem Schluss eines Briefes an Hans Albert Kluthe in England vom 24. September 1939, also drei Wochen nach Kriegsbeginn, wo es heißt: »Sie hören bald wieder von mir. Ich fürchte daß uns nur noch ganz wenig Zeit zur Verfügung steht um das Schlimmste, die Bolschewisierung Deutschlands, zu verhindern.« Abgesehen von dem ganz persönlichen Motiv des dringend nötigen Gelderwerbs lag in diesem brennenden Wunsch: die Regierungen in Paris und London wachzurütteln, der Ursprung für die Entstehung von Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler, wie es bei seinem Erscheinen auf Deutsch heißen sollte. Er habe aus jener Erkenntnis »die Anregung geschöpft, meine persönlichen Erfahrungen mit Hitler populär und eindringlich zu schildern, um die ganze Gefährlichkeit der Doktrin und der praktischen Politik des Seiltänzers aus Berchtesgaden zu demonstrieren«. In dem bereits erwähnten Schreiben aus seinem New Yorker Exil an den unbekannten Diplomaten nennt Rauschning einen »französischen Freund«, Professor Louis Rougier, »philosophischer Sozialökonom«, als denjenigen, der nach gemeinsamen Gesprächen über Rauschnings Erfahrungen in seiner Zeit als Danziger Senatspräsident ihn dazu gebracht habe »dieses Buch ›Hitlergespräche‹ (Hitler m’a dit) zu veröffentlichen«.630 Wörtlich wiederholte Rauschning diesen Satz nach dem Krieg in einem langen Schreiben an seinen alten Bekannten aus dem AA, Werner Otto von Hentig, der damals in Garmisch-Partenkirchen lebte.631 238

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Die andere, mit großer Sicherheit eher zutreffende Version über die Entstehung der Gespräche, der Rauschning auch nie widersprochen hat, nennt den Literaturagenten Emery Reves als »Geburtshelfer« des Buches.632 Denkbar, jedoch nicht mehr verifizierbar, ist eine vermittelnde Position, die annimmt, dass Rougier Rauschning in Paris mit Reves bekannt gemacht hat. Im Jahre 1951, als sich Rauschning gegen den Vorwurf verteidigen wollte, die Gespräche verrieten nach ihrem Stil einen anderen Autor als ihn, bat er Reves um eine Bestätigung seiner Autorschaft notfalls in Form eines Affidavits des Inhalts, dass das Buch in vollem Umfang ausschließlich von ihm stamme und dass allenfalls eine 1939 in der Zeitung Paris-soir erschienene Artikelserie Material daraus enthielt, jedoch die Artikel selber von einem anderen Autor verfasst worden seien.633 Reves antwortete postwendend und stellte auch ein formelles Affidavit in Aussicht, falls Rauschning darauf bestehe. Zur Sache selber schrieb er, dass die Gespräche aus einer Unterredung mit Rauschning in Paris hervorgegangen seien. Der ehemalige Danziger Senatspräsident habe damals den Vorschlag gemacht, ein paar Artikel über den Nationalsozialismus nach Art der Revolution des Nihilismus zu schreiben. Davon, habe Reves entgegnet, habe die westliche Welt genug gelesen, besser seien bisher unveröffentlichte Dokumente. Rauschning habe dann von Notizen über Gespräche mit Hitler berichtet, die er in seiner Pariser Wohnung verwahre. Reves habe daraufhin Rauschning ermuntert, daraus etwas zu machen: »Das ist es, was wir brauchen«, so Reves aus der Erinnerung in seinem Schreiben an Rauschning. »Sammeln Sie alle Ihre Notizen, vergessen Sie Ihre eigene Meinung, machen Sie keine Kommentare, sondern beschreiben Sie in wenigen Zeilen das Milieu und die Atmosphäre und dann zitieren, zitieren, zitieren Sie … Ändern Sie Ihre Notizen nicht und schreiben Sie jedes Wort, das Sie jemals notierten, als Ihnen von Hitler gesagt.« Aus dieser Auftragsskizze, versicherte Reves Rauschning, seien schließlich die Gespräche mit Hitler entstanden.634 Mit Reves hatte Rauschning einen energischen Vertreter seiner Sache gefunden – allerdings auch einen, der seinen »Autoren harte Vertragsbedingungen auferlegte«.635 Mit der Frage nach dem Ursprung der »Gespräche« hängt untrennbar auch jene notorische nach ihrer »Echtheit« zusammen, die sich geradezu aufdrängt, wenn man die zahllosen Sätze Hitlers in wörtlicher Rede sowie die ebenso häufigen Paraphrasierungen angeblicher oder tatsächlicher Paris und die Gespräche mit Hitler

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Hitleräußerungen in dem Buch berücksichtigt. Beide Fragen müssen dem Umstand Rechnung tragen, dass die handschriftlichen Aufzeichnungen Rauschnings, aus denen seine Tochter Heilwig dann das Typoskript erstellte, verloren gegangen sind. Heilwigs Vater lebte zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung von Paris im Juni 1940 bereits ein halbes Jahr in London, sie selber hielt die Wohnung der Familie in Paris bis zum 10. Juni, als sie diese fluchtartig verlassen und alle Aufzeichnungen Hermann Rauschnings zurücklassen musste. Vergeblich hatte sie zunächst wochenlang auf die Erteilung eines britischen Visums gewartet. Nach dem Bericht der Historikerin Pia Nordblom, die Einblick in den sogenannten Moskauer Nachlass Hermann Rauschnings nehmen konnte, bleibt ungeklärt, was die Gestapo, die die Pariser Wohnung der Rauschnings durchsuchte, mit den Papieren Hermann Rauschnings gemacht hat. Anstreichungen in der »überlieferten Privatkorrespondenz von Rauschning«, wie sie von Nordblom im »Zentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen«, dem ehemaligen »Sonderarchiv« des Zentralen Staatsarchivs in Moskau, festgestellt wurden, deuten nach ihrer Auffassung darauf hin, »dass ein Teil dieser Briefe von der Gestapo zumindest gelesen, vielleicht auch ausgewertet wurde«.636 So habe offensichtlich ein Gestapomitarbeiter einem Brief Heilwig Rauschnings an ihre Mutter, in dem es um die publizistische Arbeit ihres Vaters ging, den handschriftlichen erklärenden Zusatz hinzugefügt: »scheinbar: Gespräche mit Hitler«.637 Aus den frühen Nachkriegsjahren stammen wenigstens zwei Äußerungen von Rauschning selber hinsichtlich Genese, Authentizität und Zielrichtung der Gespräche. Dabei dürfte der Quellenwert der früheren Stellungnahme aus dem Jahre 1951 besonders hoch zu veranschlagen sein, weil sie gegenüber einem damals noch völlig unbekannten Studenten abgegeben wurde und Rauschning deshalb keinen Grund gehabt haben dürfte, in irgendeiner Weise die Fakten zu entstellen. Dieser Student, Richard Breyer, der uns bereits früher begegnet ist, begann am 15. August 1951 einen Briefwechsel mit Hermann Rauschning auf dessen Farm in Gaston, Oregon.638 In seinem Antwortschreiben an Breyer vom 1. Oktober 1951 nahm Rauschning zu den Gesprächen mit Hitler u. a. wie folgt Stellung: Wenn heute meine Hitler-Gespräche, die ich freilich nur aus kümmerlichen Notizen rekonstruierte, abgelehnt werden …, so möchte ich auf eins hinweisen: Meine Gespräche tragen den Stempel einer höheren Wahrhaftigkeit als nur den von

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geschichtlichen Dokumenten. Sie versuchen den Menschen Hitler in einer Zeit zu zeigen, als nur wenige sahen, wie er wirklich war. Das war ihr Zweck, nicht im einzelnen Material zu geben, das »authentisch« und nicht durch das Medium des Berichterstatters gefärbt war. Es ist Hitler, »gesehen durch mein Temperament«. Man kann ihm höchstens vorwerfen, daß es ein in die Höhe stilisierter Hitler, nicht ein vulgärer war.639

Noch im selben Jahr nutzte Rauschning eine weitere Gelegenheit, um sich über sein berühmtes Buch und dessen Entstehung zu erklären. Der Herausgeber der Zeitschrift für Geopolitik, Karl-Heinz Pfeffer, hatte dort einen mit »Balticus« gezeichneten Artikel über Rauschning veröffentlicht, in dem er u. a. anhand des Stils der »Gespräche« bezweifelte, dass Rauschning tatsächlich der Autor des Buches sei.640 »Mein Bild Hitlers« sei »sicher kein Dokument von historischem Quellenwert«, ließ Rauschning Pfeffer in einem Brief wissen. Aber es trage »den Stempel einer höheren Wahrheit an sich, so wie ein Porträt eines Künstlers gegenüber der bloßen Photographie«.641 Ich habe Hitler nicht verkleinert und versimpelt, wie andere. Man kann den Feind, vor dem man warnen will, nicht als Troddel malen, wie es so viele Emigranten taten. Ich habe mich nicht gescheut, ihn auch als Denker zu zeigen, der sehr wohl imstande war, sich die Nietzscheschen Lehren zu eigen zu machen. Was ich über ihn schrieb, habe ich zum allergrößten Teil selbst von ihm erfahren. Anderes ist mir von ihm Nahestehenden mitgeteilt worden, vor allem vom Gauleiter Danzigs, Forster. Da und dort habe ich das Bild aus Eigenem retouchiert. Aber in jedem Zug bin ich bei dem geblieben, was ich an diesem dämonischen Mann selbst erfahren habe. Der Stil aber, was Sie als Propagandastil empfinden und tadeln, war durch die politische Lage geboten.

Während Die Revolution des Nihilismus für den deutschen Leser bestimmt gewesen sei (»ohne ihn freilich erreichen zu können«), »so waren die ›Gespräche‹ für das Ausland geschrieben, das in Unkenntnis des wirklichen Hitler bereit war, noch einmal mit ihm zu paktieren und sich den Bestrebungen der deutschen Opposition gegenüber schon damals – wie dann 1944 in so besonders tragischer Weise – zu versagen.«642 Rauschnings frühe, eher gegenüber einem kleinen Kreise oder gar nur Einzelpersonen offenbarte Stellungnahmen zu den Gesprächen werden abgerundet durch eine briefliche Antwort vom 21. Juni 1956, die er auf die Paris und die Gespräche mit Hitler

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Anfrage eines Historikers (?) namens Wolfgang Scheel aus Berlin-Spandau gab. Die recht detaillierten Fragen Scheels zu den Gesprächen, die nach seinen Angaben aus einer Diskussionsrunde für den Sender Freies Berlin resultierten, sollen hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden.643 Zusammengefasst teilte Rauschning Scheel mit: 1. Die Hitlergespräche sind eine p o l i t i s c h e Kampfschrift gegen die Politik Hitlers und zur Aufklärung über seine Person und politischen Absichten verfasst … 3. Ich habe nach den Gesprächen Aufzeichnungen gemacht, wie es jeder Diplomat nach einem Gedankenaustausch mit anderen zu tun verpflichtet ist … Solche Aufzeichnungen pflegen ein bloßer Extrakt, ein Gesprächsgerüst zu sein … Teile der Gespräche sind nach dem Gedächtnis ergänzt. 4. Die »Zitate« sind nicht im mechanischen Sinne als wörtlich, sondern als annähernd wörtlich anzusehen … 5. Daraus ergibt sich …, daß die Gespräche nicht als historische Quelle im klassischen Sinne gedacht noch verwandt werden können. Dennoch glaube ich, daß ihnen ein größerer historischer Quellenwert zukommt, als manchen historischen Dokumenten. … Es mag sein, daß 2. ich in seine Äußerungen hineinlegte, was ein anderer nicht herausgehört hatte. Aber es galt damals Hitler in seiner ganzen Bedrohlichkeit zu erfassen, nicht als den, wie Konrad Heiden ihn damals charakterisierte, »Kork, der oben schwimmt«. Hitlergegner wie noch heute Hitleranhänger haben meine Gespräche als Fälschung bezeichnet, den anderen war ich ein »Verräter« am Führer.

Abschließend, so Rauschning gegenüber Scheel, wolle er ihm eine »kleine Anekdote nicht vorenthalten«: Der »heutige Regierungspräsident in Aurich, Hamann, früher Landrat des Kreises Marienburg, erzählte mir gelegentlich eines Gespräches in der Evangelischen Akademie in Loccum vor drei Jahren, er sei gerade in Marienburg dazugekommen, wie sich der Danziger Gauleiter Forster mit ein paar seiner Getreuen über meine Gespräche unterhielt.« Und Hamann dann Forster in dessen fränkischem Dialekt sprechen lassend: »›Does hinterfotzige Luder‹«, habe »Forster über Rauschning geschimpft«. »›Mitgeschriebe muss er habe. Auf die Manschette gekritzelt muss er habe. Does stimmt ja! Does stimmt!‹« Rauschning beendete den Brief an Scheel mit dem Satz: »Herr Hamann hat mich ermächtigt, ihn als Kronzeugen für die Richtigkeit des Ausspruches anzuführen.«644 Abgesehen von dem Inhalt der Telefonate, die Emery Reves mit dem Rauschning-Kritiker Wolfgang Hänel im Jahre 1981 geführt hat und auf 242

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die noch zurückzukommen sein wird, ist von Reves kein Urteil über das Material bekannt, das Rauschning ihm während des Sommers 1939 zur Verfügung stellte, um daraus die Gespräche anzufertigen.645 Allerdings bezeugte Reves in einem Schreiben an Winston Churchill vom 10. Juli 1940 indirekt, dass er zumindest die in den Gesprächen wiederholt auftauchende Behauptung Hitlers, das Auslandsdeutschtum insbesondere auch in Lateinamerika für seine Eroberungsziele nutzen zu wollen, fraglos ernst nahm. Zwei Monate nach dem deutschen Überfall auf die westlichen Nachbarn des Reiches und rund drei Wochen nach dem Fall von Paris zeigte sich Reves in diesem Brief geradezu euphorisiert von dem Angebot des britischen Informationsministers Alfred Duff Cooper, ihn mit der Leitung einer Propagandaorganisation für Nord- und Südamerika mit Sitz in New York zu betrauen. Ziel der Propagandaarbeit müsse es sein, so Reves, »Amerika« zu überzeugen, dass Hitler die amerikanischen Nationen direkt bedrohe und dass er sie eine nach der anderen zu erobern trachte, so wie er Europa erobert habe. Dieses Ziel könne u. a. durch »Männer wie Rauschning und Thyssen« realisiert werden, die befugt seien, Zeugnis über Hitlers Absichten in Amerika abzulegen.646 Es gibt ein Indiz dafür, dass Reves das Muster der Gespräche, nämlich tatsächliche oder erfundene wörtliche Redepassagen Hitlers mit atmosphärischen Schilderungen der Gesprächssituation geschickt zu kombinieren, entweder eigenhändig oder gemeinsam mit Rauschning entwickelt hat. In der vierten Auflage der schwedischen Übersetzung von Thyssens I Paid Hitler (Jag betalade Hitler), das ebenfalls von Reves ediert worden war, findet sich auf dem Titelblatt unter dem Buchtitel der Hinweis »Tillägg: Samtal med Thyssen av Hermann Rauschning« (»Anhang: Gespräche mit Thyssen von Hermann Rauschning«).647 Schlägt man nun den »Anhang« von Rauschning auf Seite 209 des Buches auf, ist dort von »Gesprächen mit Thyssen« keine Rede mehr, sondern es heißt hier: »Fritz Thyssen. Eine Charakteristik von Hermann Rauschning«. Der siebenseitige Text dieser »Charakteristik« folgt wiederum ganz dem Muster der Gespräche mit Hitler, d. h., Schilderungen Rauschnings werden mit angeblichen Sätzen Thyssens in wörtlicher Rede kombiniert. Es ist kaum denkbar, dass sich Rauschning selbst noch so »kümmerliche Notizen« über Unterredungen mit Thyssen gemacht und diese sogar mit ins Exil genommen hat, wie er dies hinsichtlich seiner Quellenbasis für die Gespräche mit Hitler geltend gemacht hat. Als Erklärung für die Gestaltung des schwedischen Titelblattes – das englische Original von Thyssens I Paid Hitler enthält übrigens keinen »Anhang« von Rauschning – Paris und die Gespräche mit Hitler

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bietet sich an, dass der schwedische Verlag Natur och Kultur den Zusatz »Gespräche mit Thyssen« eigenmächtig aus Marketinggründen hinzugefügt hat, weil die Gespräche mit Hitler damals in aller Munde waren und sich ihr skizziertes Muster gut verkaufte.648 Rauschning hatte auf diese Entscheidung wohl keinen Einfluss mehr, ihn trieb zum Zeitpunkt der schwedischen Publikation, nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR im Juni 1941, vor allem sein Wunsch nach Übersiedlung von England in die USA um. Auch Reves dürfte andere Sorgen als die Frage nach dem Umgang des schwedischen Verlages mit dem »Anhang« von Rauschning gehabt haben, fasste er doch gerade in New York Fuß, wohin er mit seiner Firma Cooperation vor den Deutschen aus Paris ausgewichen war. Die Vermutung, dass der Stockholmer Verlag die Gespräche aus kommerziellen Erwägungen in den Buchtitel mit aufgenommen hat, wird auch durch eine weitere Rauschning-Publikation dieses Verlages erhärtet. Im Jahre 1943 veröffentlichte er Männen kring Hitler tala, zu Deutsch: »Männer um Hitler sprechen«. Eine deutsche Version dieses Titels war nie erschienen, tatsächlich handelte es sich um die schwedische Ausgabe des 1942 in London unter dem völlig anderen Titel publizierten, 362 Seiten umfassenden Werkes von Rauschning, Makers of Destruction. Den ganzen Sommer 1939 über dürfte Rauschning in Paris an den Gesprächen gearbeitet haben. Am 29. August schrieb er Hans Albert Kluthe in England, er schließe gerade ein »größeres Buch ›Politische Gespräche mit Hitler‹« ab, von denen er glaube, dass »sie ziemlich sensationell« seien, und mit Blick auf die von ihm erhoffte Wirkung des Buches im Sinne einer drastischen Warnung an die Westmächte fuhr er fort: »Eventuell kommt die Veröffentlichung auch heute noch nicht zu spät.«649 Daneben fand er noch Zeit, Artikel zur politischen Lage zu veröffentlichen. Wenig bekannt ist sein Bekenntnis zur deutsch-französischen Verständigung, auf das wohl zuerst der ehemalige Reichsminister Gottfried Treviranus aufmerksam gemacht hat.650 Organisatorische Grundlage seiner Arbeit für die Verständigung bildete die »Deutsch-Französische Union« mit ihrer Zeitschrift Die Zukunft. In der Literatur werden als Gründer der Union z. T. unterschiedliche Namen genannt. Unstrittig ist die führende Rolle Willi Münzenbergs, der mit der Zeitschrift ein ideologisch breit angelegtes Forum für die Exilanten schaffen wollte – es erstreckte sich von den Spanienkämpfern, den Kommunisten und Sozialisten bis zu den politischen Katholiken sowie zu den Bürgerlich-Konservativen.651 Auf deutscher Seite spielten neben Münzenberg Otto Klepper, der katholi­ 244

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sche Journalist Werner Thormann sowie Hermann Rauschning eine wichtige Rolle, während auf französischer Seite Joseph Paul-Boncour und Georges Bidault sowie als Geldgeber Guy Menant zu nennen sind.652 In den knapp zwei Jahren ihres Erscheinens zwischen dem »Münchner Abkommen« und dem deutschen Einmarsch in Belgien, »in der Mitternacht des Jahrhunderts« (Victor Serge), widmete sich Die Zukunft Plänen für die Zeit »nach Hitler« und lieferte sonst schwer zugängliche Informationen über das deutsche Innenleben, wie etwa eine Deutschlandkarte mit dem Stand von Ende Januar 1939, in der die meisten Konzentrationslager eingezeichnet waren.653 Rauschning eröffnete sein Bekenntnis zur deutsch-französischen Verständigung mit den damals nicht eben selbstverständlichen Worten »Wir lieben dieses Frankreich …«654, um dann die in Deutschland – wohl vornehmlich im gebildeten Bürgertum – verbreitete Bewunderung für französische Geistesgrößen wie Descartes und Pascal, Balzac, Rabelais und Montaigne hervorzuheben. Ein wenig überraschend wirkt sodann die Versicherung des Autors, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs habe »keiner von uns je ein Gefühl des Nationalhasses oder auch nur der Bitterkeit gegen Frankreich« empfunden, keiner habe »etwas anderes als Trauer über diesen sinnlosen Krieg gefühlt«. Mehr noch: Vielleicht sei der »politische Eros, der uns mit Frankreich trotz allen Gegensätzen verband in diesen Jahren nur stärker und bewusster« geworden. Nach Gedanken über den Versailler Vertrag, der »nicht mehr« existiere, kam Rauschning zu dem Schluss, dass der Nationalsozialismus eine Lehre sei, die dem deutschen Volk ebenso fremd sei wie Frankreich. »Was uns aber verbindet und über alles Trennende hinweg sich durchsetzen wird«, fuhr er fort, »ist die elementare Erkenntnis, daß dieser Kontinent eine Zukunft nur noch auf dem vorbehaltlosen Ausgleich und Bündnis Deutschland–Frankreich als dem großen tragfähigen Fundament einer föderativen Ordnung Europas hat.« Es sei »heute, am Vorabend vielleicht eines vernichtenden Krieges schwer, durch die schicksalhafte Verstrickung hindurch sich die Hände zu reichen und Gehör zu verschaffen: wir wollen nicht Krieg sondern Frieden …« Hermann Rauschning fiel auch die Aufgabe zu, in der Zukunft den »Aufruf an alle Deutschen« anlässlich des deutschen Angriffs auf Polen am 1. September 1939 zu veröffentlichen. Wie ein roter Faden zog sich durch seinen Text die Beschwörung der Einheit aller Deutschen im Exil, an denen es nun sei, die »wahre Gesinnung« der Deutschen sicht- und hörbar zu »bekennen«, nicht aber »unserer Brüder im Reich«.655 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Einige Wochen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, genauer: am 20. Dezember 1939 und damit gerade noch pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, erschienen endlich die Gespräche mit Hitler656, allerdings zunächst in Paris auf Französisch unter dem Titel Hitler m’a dit657. Paul Ravoux, ein ehemaliger Deutschlehrer, hatte bei der Gliederung des Rauschning’schen Materials geholfen und die Kapiteleinteilung besorgt. Marcel Ray, Kabinettschef unter Ministerpräsident Herriot, trug zur Übersetzung der Texte bei und verschärfte an bestimmten Stellen die Ausdrucksweise. Ray stellte den Texten Rauschnings auch noch ein ausführliches Vorwort voran. Zuvor, am 2. November 1939, hatte Rauschning in der französischen Hauptstadt eine Vereinbarung mit der »Cooperation Service de Presse« von Emery Reves getroffen, deren erster Teil wörtlich so lautet: Herr Dr. Rauschning übergibt Cooperation das ausschließliche Veröffentlichungsrecht seines Werkes »Politische Gespräche mit Hitler«. Cooperation hat die ausschließlichen Rechte, dieses Werk in Buchform zu veröffentlichen in allen Ländern und in allen Sprachen, mit Ausnahme der deutschen Sprache. Cooperation hat ebenfalls die ausschließlichen Rechte, Auszüge in Form von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften in allen Ländern und allen Sprachen zu veröffentlichen, vorausgesetzt, daß diese Zeitungspublikationen die Buchausgabe nicht stören.658

Aus der Korresponenz zwischen Rauschning und Reves nach dem Zweiten Weltkrieg geht hervor, dass Reves aus den Erlösen der nichtdeutschsprachigen Ausgaben ein Honorar in Höhe von jeweils 20 % zustand. Marcel Ray verantwortete auch die vom 8. bis zum 15. Dezember 1939 allabendlich in der auflagenstärksten französischen Zeitung Paris-soir erschienene Serie mit leicht veränderten Auszügen aus den Gesprächen. Die Titelseite des Blattes vom 8. Dezember machte sogar mit jenem Foto auf, das Hermann Rauschning zusammen mit Adolf Hitler, Gauleiter Forster und dem Danziger SA-Chef Linsmayer auf dem Obersalzberg zeigte.659 Nicht eben bescheiden warb die Zeitung für die Serie mit den Worten: »Ein noch wichtigeres Dokument als ›Mein Kampf‹«. Als Thomas Mann in seinem Exil im amerikanischen Princeton seinem Tagebuch unter dem Datum des 11. Januar 1940 die Eintragung anvertraute: »Enthüllungen Rauschnings im Paris-soir über den Reichstagsbrand – (von dem 2 Jahre lang gewusst, bevor er ging)«660, wusste er noch nichts von Rauschnings neuestem Buch. 246

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Der Inhalt der Gespräche mit Hitler lässt sich in aller Kürze mit folgenden Stichworten skizzieren: Charaktereigenschaften Hitlers, seine Vorlieben und Abneigungen, sein Verhältnis zu Frauen, in geringem Maße wirtschafts- und erziehungspolitische Fragen, die Rolle der Wehrmacht und ihr Verhältnis zu SA und SS, wiederholt und z. T. recht ausführlich Gedanken zur Außenpolitik, wiederholt die Instrumentalisierung des Auslandsdeutschtums zum Zweck der späteren Machtausdehnung (»fünfte Kolonne«), ein etwaiges Bündnis Deutschlands mit der Sowjetunion661, Hitlers Einstellung zu Judentum und Antisemitismus sowie die – angebliche – Urheberschaft der Nationalsozialisten am Reichstagsbrand. Die erste Auflage von Hitler m’a dit war in Frankreich rasch vergriffen, und es verbreitete sich der Eindruck, dass das Buch »nahezu überall gelesen werde, es sei neben der Bibel das bekannteste Buch« in Frankreich.662 Bis zur deutschen Besetzung von Paris bombardierte der französische Rundfunk Nazi-Deutschland täglich, fast stündlich, mit Auszügen aus Hitler m’a dit. In jener Zeit erklärte Jean Giraudoux, der französische Generalbevollmächtigte für Propaganda, gegenüber Emery Reves angeblich: »Ich möchte wissen, was wir tun würden ohne Ihr Buch.«663 Etwa zeitgleich mit der französischen Ausgabe erschien Hitler Speaks in Großbritannien und erreichte dort 1940 bereits vier Auflagen. Im Januar 1940 brachte G. P. Putnam’s Sons in New York die amerikanische Version unter dem Titel The Voice of Destruction heraus.664 Weitere Ausgaben des Buches in der Reihenfolge ihres Erscheinens waren: 1940 auf Spanisch in Buenos Aires, im selben Jahr in Reykjavik auf Isländisch, in Oslo auf Norwegisch, in Lissabon auf Portugiesisch, in Den Haag auf Niederländisch, in Stockholm auf Schwedisch, in Batavia auf Niederländisch für die damalige Kolonie Niederländisch-Ostindien, in Istanbul auf Türkisch, 1943 im Kopenhagener Untergrundverlag Frit Nordisk Forlag stark gekürzt auf Dänisch, auf der dänischen Insel Bornholm im Untergrundverlag Illegalt Forlag sowie im ebenfalls illegalen dänischen Jyderne’s Forlag ebenfalls auf Dänisch, in Rio de Janeiro im brasilianischen Portugiesisch sowie 1945 – nach dem Ende des italienischen Faschismus – in Mailand auf Italienisch und erneut im befreiten Kopenhagen für Dänemark. Mehrere der genannten Ausgaben erlebten Nachdrucke noch im Jahr ihres ersten Erscheinens und bereits 1945 brachten sowohl der Pariser Verlag Cooperation von Emery Reves als auch der Verlag Somogy wieder französische Ausgaben auf den Markt.665 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Bereits kurz nach dem Jahreswechsel lag eine Zusammenfassung von Hitler Speaks auf den Schreibtischen des Londoner Foreign Office. Mit Datum vom 4. Januar 1940 erhielt dort der Diplomat Sir Ivone Kirkpatrick eine Inhaltsangabe des Buches von seinem Kollegen Roberts mit dessen knappem Kommentar, dass sie ein »nützliches Licht auf Hitlers Charakter« werfe und dass »etwaige Widersprüche Hitlers eigene« seien.666 Nach der Lektüre notierte Kirkpatrick handschriftlich: »Lesens- und druckenswert. Es könnte nützlich sein für unsere Auslandsvertreter.« G. P. Young vom Central Department des Foreign Office, der für die Inhaltsangabe verantwortlich zeichnete, riskierte bereits ein Urteil über die »Echtheit« der Hitleräußerungen und kam dabei sehr früh zu einem ebenso abgewogenen wie deutlichen Ergebnis. »Die langen Unterredungen«, schrieb Young, »die alle in Anführungszeichen gesetzt sind, können kaum wörtlich sein, und es ist unmöglich, mit Bestimmtheit zu sagen, ob sie jemals stattgefunden haben oder nicht; aber einmal unterstellt, sie seien in ihrer Substanz echt, ermöglichen sie eine konsequente und deutliche Vorstellung davon, wie Hitlers Hirn arbeitet.« Aus dem Inhalt des Buches schloss Young, dass Hitlers größte Schwäche darin liege, dass er davon überzeugt sei, absolut jedes Problem bewältigen zu können und dabei seine Gegner unterschätze. Seine größte Stärke bestehe – »oder bestand« – andrerseits darin, mit beispiellosem Zynismus und Kaltblütigkeit die Probleme anzugehen, die sich ihm stellten. Mit einem Anflug von Langeweile referierte Young am Ende Rauschnings »bekannte These«, auf die folglich auch nicht weiter eingegangen werden müsse, dass nämlich Hitler persönlich und ausschließlich die volle Verantwortung für den Krieg, die Niederlage und die Zerstörung trage, »die unausweichlich kommen« müssten. Erwähnenswert sei aber das, was Rauschning über die Reichswehr schreibe: In jeder Krise werde sie wieder in der Opposition sein, aber immer vor dem letzten Schritt zurückschrecken, dem Sturz des Regimes.667 Ebenfalls im Januar 1940 erfolgte die Veröffentlichung der ersten deutschen Ausgabe in Emil Oprechts Züricher Europa Verlag. Wie andere Ausgaben des Buches auch, wich diese von der französischen in mancherlei Hinsicht ab. Es fehlte die recht umfangreiche Einleitung von Marcel Ray und es fehlte insbesondere das Schlusskapitel »Hitler privat«, das auf Druck der Deutschen Gesandtschaft in Bern gestrichen worden war.668 Der Verlag informierte seine Leserschaft über die Kürzungen des 265 Seiten umfassenden Buches wie folgt: »Verleger und Autor stellen fest, daß in der 248

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deutschen Ausgabe vom Verleger einige Kürzungen und Veränderungen aus formal-rechtlichen Gründen vorgenommen wurden.«669 Peter Stahlberger, der eine überaus informative Studie zum Verlag Oprechts und seinem Verhältnis zur deutschen Emigration in der Schweiz zwischen 1933 und 1945 vorgelegt hat, nennt die Gespräche irrtümlich »gleichsam den Quellen- und Belegband« zur Revolution des Nihilismus.670 Das waren sie sicherlich nicht und auch ihr Autor hat das nie behauptet. Nach Stahlberger herrschte in der Schweiz zunächst eine rege Nachfrage nach der französischen Ausgabe der Gespräche in Ermangelung einer deutschsprachigen. Anfang Februar 1940 habe die »Verkaufsauflage in der Schweiz« bereits 15.000 Exemplare betragen. Einer, der sich damals als deutscher Internatsschüler im Kanton Fribourg anhand von Hitler m’a dit über Hitlers angebliche politische Ziele informierte, war der spätere deutsche Journalist Peter Scholl-Latour. Nach seinem Urteil habe das Buch »eine Ansammlung eindringlicher Warnungen an die Demokratien des Westens enthalten, von denen sich die meisten vollauf bewahrheiten sollten«.671 Abgesehen von der französischen Ausgabe gelangten auch zahllose Exemplare von Hitler Speaks in die Schweiz, wogegen die Deutsche Gesandtschaft am 29. Januar ebenfalls protestierte.672 Die schweizerische Zensur, die, wie bereits oben im Zusammenhang mit der Revolution des Nihilismus gezeigt wurde, mit Rücksicht auf Berlin in bestimmten Fällen gegen Publikationen einschreiten konnte, »erlaubte« die Einfuhr von Hitler m’a dit, und auch die schweizerische Bundesanwaltschaft sowie die »Abteilung Presse und Funkspruch im Armeestab« sahen »keinen Grund zum Einschreiten«, nachdem das EPD beiden Institutionen eine Beschwerdenote der Deutschen Gesandtschaft mit der Bitte um Stellungnahme übergeben hatte.673 Interessanterweise behauptete die Gesandtschaft bei ihren wiederholten Demarchen nicht, bei den Gesprächen handle es sich um eine Fälschung.674 Allerdings war im deutschen Rundfunk erklärt worden, Rauschning besitze »keine Autorität« zur Veröffentlichung des Buches.675 Auch gegen die um das entfernte Schlusskapitel »etwas gemilderte Ausgabe« (Stahlberger) der Gespräche legte die Gesandtschaft sofort Beschwerde ein. Sie forderte die »sofortige Unterdrückung derartiger Emigrantenliteratur«. Die Interventionen der Deutschen Gesandtschaft fanden das Missfallen der Schweizer Öffentlichkeit, das sich in entsprechender PresseberichtParis und die Gespräche mit Hitler

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erstattung niederschlug und dadurch dem Buch zu enormer Popularität verhalf.676 Da die Gespräche und ihre fremdsprachigen Ausgaben im gesamten demokratischen Ausland reißenden Absatz und weite Verbreitung fanden, sah sich Propagandaminister Goebbels, der ursprünglich erklärt hatte, »daß mit Rauschning« nicht »in irgendeiner Form polemisiert« werden dürfe,677 genötigt, eine breit angelegte Propagandaaktion gegen das Buch zu starten. Vom Auslandspressereferat in seinem eigenen Ministerium über die Danziger Gauleitung bis zur Abteilung Wehrmachtspropaganda im OKW beteiligten sich alle zuständigen Instanzen an der Sammlung von Material, um Rauschnings »Enthüllungen«, denen z. B. der Leiter der Abteilung Auslandspresse im Propagandaministerium, Karl Bömer, anlässlich der Ministerkonferenz vom 12. Februar 1940 »große Gefährlichkeit« beimaß, zu entkräften. Bömer machte darauf aufmerksam, dass die beweisbare Feststellung »möglich« sei, dass Rauschning nur ganz wenige Male beim Führer gewesen war und keineswegs, wie er behauptet, bei diesem »ein- und ausgegangen« sei.678 Bereits drei Wochen zuvor, auf einer Ministerkonferenz am 23. Januar, hatte Bömer »nochmals« gebeten, »die Entgegnung auf das Rauschning-Buch doch mit aller Beschleunigung herauszugeben, da die Wirkung des Buches im neutralen Ausland äußerst unangenehm« sei. Goebbels ordnete daraufhin an, dass sich der damalige Reichspropagandaleiter in Danzig, SS-Standartenführer Wolfgang Diewerge, »sofort mit Gauleiter Forster in Verbindung setzen und so schnell wie möglich die Entgegnung fertigstellen soll«.679 Obwohl alle Propagandainstanzen insbesondere von Gauleiter Forster Material anforderten und dies auch eintraf, kam es dann nicht zu der geplanten Gegendarstellung und damit auch nicht zu dem Versuch, die Authentizität des Rauschning’schen Buches zu erschüttern. In der Schweiz berief Bundesrat Baumann am 12. Februar als Vorsitzender des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements eine Konferenz der zuständigen Zensurstellen ein, nachdem die Deutsche Gesandtschaft in Erwartung einer Antwort auf verschiedene Eingaben beinahe täglich beim EPD vorstellig geworden war. Am 13. Februar verfügte dann der Bundesrat die vorläufige Beschlagnahme der eben gedruckten zweiten Auflage der Gespräche, drei Tage später verbot er zusätzlich Druck und Vertrieb des Buches in der Schweiz sowie dessen Einfuhr in gleich welcher Sprache, da es Stellen enthalte, die Beleidigungen eines fremden Staatsoberhauptes gleichkämen. Sein Vertrieb in der Schweiz sei »in der 250

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gegenwärtigen gespannten Zeitlage für unsere Beziehungen zu einem Nachbarstaat nicht tragbar«, erklärte der Bundesrat.680 Im Karl Barth-Archiv zu Basel hat sich ein eindrucksvolles Dokument schweizerischen Bürgersinns gegen die Entscheidung des Bundesrates erhalten, das hier auszugsweise zitiert werden soll. Anna Burckhardt-­ Lüscher aus Basel schrieb unter dem Datum des 16. Februar 1940 folgenden Brief an den hohen Bundesrat!: Gestatten Sie einer Schweizerfrau, die ihre Heimat von Jugend an geliebt hat und noch immer liebt, ein offenes Wort! Es bleibt mir dafür nur dieser Weg übrig; denn wenn ich meiner Zeitung eine Einsendung schicken würde, so dürfte sie es ja doch nicht wagen, sie zu veröffentlichen. Ich bin geboren 1882, hatte schweizerische Eltern und Großeltern, bin Mutter von vier Töchtern und zwei Söhnen und Großmutter von fünf Buben. Am 13. Februar war in den Basler Nachrichten zu lesen: »Die Gespräche mit Hitler beschlagnahmt«. Es wurde beigefügt, dass der Bundesrat das beschlossen habe. Ich war schon im Besitz dieses Buches, das ich als einen Beitrag zur sog. »geistigen Landesverteidigung« ansehe. Dieser 13. Februar war ein schwarzer Tag für die Schweiz. Da ist von unserer obersten Behörde unsere Freiheit verraten worden! Hitler winkt, – oder, was wahrscheinlicher ist – er stampft mit dem Fuß, – und der Bundesrat gehorcht. Wer regiert eigentlich in der Schweiz, Adolf Hitler oder unsere oberste Behörde als Vertreterin des »Volkes«? Ich habe mich ernstlich gefragt, ob ich denn eigentlich noch Schweizerin im wahren Sinne des Wortes sei? Am liebsten hätte ich ein schwarzes Kleid angelegt; denn ich sagte mir: jetzt habe ich meine irdische Heimat verloren! Ein mir bekanntes 21-jähriges Mädchen aus der Innerschweiz belehrte mich: »Der Bundesrat wird wohl wissen, warum er das getan hat!« Gerade so klingt’s von draußen her: »Adolf Hitler wird wohl wissen, warum er das tut«, »Hitler schafft’s!« Ist es nicht erschütternd, dass unsere Jugend zum Teil gar nicht merkt, wie wir immer mehr »verhitlern«? Wie einladend für Hitler, wenn er sieht, wie seine Macht über die Grenze hinausreicht in eines der Länder seiner »Interessensphäre«! Wie gefährlich, wenn es ihm nun einfiele, vom Mut unseres Bundesrates auf die Tapferkeit unserer Armee zu schließen! … Nichts, auch keine nachträgliche Erklärung, kein Rechtfertigungsversuch kann den vom Nazismus noch nicht angefaulten Schweizer davon überzeugen, dass in dieser Sache so gehandelt werden mußte! Wohl sage ich, wenn ich für mich selbst zu wählen die Freiheit hätte, dann lieber tot als unter Hitler! Ich sage das als Schweizerin und mehr noch als Glied der evangelischen Kirche. Aber wenn wir so vor Hitler zittern, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn das Verhängnis doch noch über unser Volk hereinbricht! Eine empörte und tief betrübte Schweizerin …681 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Emil Oprecht konterte den Beschluss des Bundesrates auf seine Weise. Unter dem Titel Hitler, Gespräche und Enthüllungen liess er eine 64-seitige gekürzte Ausgabe in verkleinertem Format drucken, die zum illegalen Vertrieb im Reich bestimmt war. Diese Broschüre enthielt in fünf Kapiteln einige Bemerkungen zum Reichstagsbrand und zum »Röhm-Putsch«, ferner zur deutschen Innen-, Kirchen- und Außenpolitik sowie das in der deutschen Verkaufsausgabe der Gespräche fortgelassene Kapitel »Hitler privat«. Hinsichtlich der Verkaufsausgabe hatte es noch ein »persönliches Gespräch« zwischen Emil Oprecht, Bundesrat Baumann und Bundesanwalt Stämpfli gegeben, indem »offenbar vereinbart worden« war, die zweite Auflage doch noch zu vertreiben, jedenfalls ins Ausland.682 Hermann Rauschning hat später selber bestätigt, dass die Schweiz »bezüglich des weiteren Absatzes der Auflage trotz Verbot nicht nur e i n Auge zugedrückt« habe.683 Jedoch wurde die Herausgabe einer dritten Auflage, die Oprecht um weitere Stellen kürzen und im Ausland drucken lassen wollte, nicht gestattet. Von dem Schweizer Bundesrat Giuseppe Motta ist überliefert, dass er sich noch kurz vor seinem Tode am 23. Januar 1940 im Bundesrat ausführlich über die Bedeutung der Gespräche äußerte und seinen Kollegen geraten habe, das Buch zu lesen, »da es die eigentlichen Triebkräfte und Beweggründe des deutschen Nationalsozialismus ganz aufdecke«.684 Ende 1944 wandte sich Emil Oprecht mit einem Schreiben an die »Abteilung für Presse und Funkspruch im Armeestab, Sektion Buchhandel, Herrn Herbert Lang«, in dem er mit Hinweis auf »immer wieder« eingehende »Anfragen« anregte zu prüfen, »ob es nicht möglich wäre«, die Gespräche »neu zu verlegen, da es heute, wo der Krieg zu Ende geht und es sich leider herausstellt, daß Rauschning in seinem Buch so ziemlich alle Ereignisse und Einstellungen voraussagte, für einen Teil des Publikums von größtem Interesse« sei, »dieses später einmal historisch wichtige Buch zu besitzen«.685 Nach Peter Stahlberger waren die Gespräche mit Hitler Oprechts »größter Erfolg«, denn trotz ihres baldigen Verbotes hätten sich 33.000 Käufer gefunden.686 Auch der Autor selber dürfte von dem Verkaufserlös seines Bestsellers erheblich profitiert haben. Belastbare Zahlen zu diesem Thema liegen jedoch nicht vor und Rauschning selber hat sich dazu stets bedeckt gehalten. Der kontinuierliche Fluss seiner Tantiemen – sowohl für die deutsche als auch für die zahlreichen ausländischen Ausgaben – geriet mit dem weiteren Kriegsverlauf ins Stocken und blieb nach seiner 252

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Übersiedlung in die USA 1941 zunächst auf die Erlöse aus der amerikanischen Ausgabe beschränkt. Nach Kriegsende trafen dann in Oregon, der neuen Heimat der Rauschnings, vereinzelt wieder Zahlungen aus fremdsprachigen Ausgaben der Gespräche ein, die nun jedoch durch Schwierigkeiten beim Devisentransfer behindert wurden. Nach Informationen des Schwiegersohnes von Rauschning, Joachim Grube, haben die Gespräche ihrem Verfasser im Gegensatz zu anders lautenden Gerüchten keinen Reichtum gebracht, wahr sei jedoch auch, dass der Umgang mit Geld nicht zu den Stärken seines Schwiegervaters gezählt habe.687 Nach den weltweiten Recherchen des Emigranten Eric Siepmann zur frühen Publikationsgeschichte der Gespräche, die er kurz nach Erscheinen des Buches durchführte, ergibt sich gelegentlich das Bild eines geradezu skurrilen Katz-und-Maus-Spiels zwischen den deutschen Auslandsvertretungen in ihrem krampfhaften Bemühen, die Veröffentlichung und den Vertrieb des Buches um jeden Preis zu verhindern, einerseits und den Verlegern und Buchhändlern in verschiedenen Ländern andrerseits, die mit einem politischen Bestseller gute Geschäfte machen und zugleich in ihren Staaten zur Aufklärung über Hitler beitragen wollten.688 So sei beispielsweise in Schweden nach einem Bericht der Zeitung Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning vom 29. Februar 1940689 einem Verleger die erste Übersetzung konfisziert worden, was von Teilen der schwedischen Presse als allzu nachgiebig gegenüber dem Reich kritisiert worden sei. Nachdem diese Ausgabe an einem Donnerstag erschienen sei, habe der sofortige Protest »einer auswärtigen Macht« zur Beschlagnahme des Buches noch am Freitag geführt. Einige Zeit später habe der schwedische Verleger das nunmehr um einige Seiten gekürzte Werk an einem Montag mit dem Kalkül herausgebracht, dass für ein Verbot zum einen zunächst ein Protest der »auswärtigen Macht« vorliegen müsse und zum anderen die Regierung erst daraufhin in Aktion treten könne. Das könne aber frühestens am Freitag geschehen, »was nahezu eine Woche unbeschränkter Freiheit« bedeutete. Die Zeitung fuhr fort: »Unter der Bedingung, dass eine vertrauliche Kooperation mit der deutschen Vertretung fortgeführt wird, könne die Konfiszierung erneut erfolgen mit dem Risiko, dass eine neue Ausgabe des Buches am folgenden Montag erscheint.« Werde dieses Spiel aber allzu oft wiederholt, könne dies zum Amüsement des Publikums führen. Aus Bukarest wiederum habe die Times am 29. Januar 1940 über einen dortigen Buchhändler berichtet, dass dieser größere Partien des Rauschning’schen Buches mit der Erfahrung geordert habe, dass die Paris und die Gespräche mit Hitler

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deutsche Vertretung vor Ort regelmäßig sofort jede Lieferung aufkaufe, was dem Händler beachtliche Einnahmen verschafft habe. Je mehr sich die »humorlosen deutschen Behörden« über das Buch aufregten, desto mehr trugen sie ungewollt zu dessen weltweiter Publizität bei, notierte Eric Siepmann. Lagerbestände der niederländischen Ausgabe, die der Beschlagnahme in den Niederlanden entgingen, seien in den flämischsprachigen Teil Belgiens verschoben worden, wo sie ungehindert verkauft und gelesen worden seien.690 Trotz deutscher Vorstellungen, so Siepmann, habe in Norwegen nach der Invasion der Wehrmacht eine Ausgabe in der Landessprache erscheinen können und sie sei zunächst auch nicht beschlagnahmt worden. Vielleicht hätten sich die deutschen Soldaten, meinte Siepmann, vor der Ankunft der Gestapo in Norwegen bei ihnen zugänglichen Exemplaren des Buches bedient und auf diese Weise ein neues Bild vom »Führer« gewinnen können. Dass sich diese Hoffnung nicht bei jedem Mitglied der deutschen Besatzungsmacht im Land der Fjorde erfüllte, belegt das Beispiel des späteren Spiegel-Ressortleiters und Konfidenten des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein, Georg Wolff, der als Mitglied der SS dem SD-Einsatzkommando Oslo zugeteilt worden war und der sich bei dem norwegischen Gewerkschaftsfunktionär Håkon Meyer die Gespräche zur Lektüre auslieh. Wolffs Bekenntnis zum »Dritten Reich« taten diese Lesefrüchte jedenfalls keinen Abbruch.691 Nach den Nachrichten, die Siepmann aus Südamerika erhielt, spielte sich in Ecuador eine kleine Groteske um das Buch ab. In der dortigen Zeitung El Comercio sei von der Deutschen Gesandtschaft in Quito eine recht große Anzeige im Format von 12 mal 15 Zentimetern geschaltet worden, in der vom Verbot der Gespräche in der Schweiz berichtet worden sei. Am nächsten Tag sei in der Zeitung auf Veranlassung der Französischen Vertretung eine Anzeige gleichen Formats erschienen, in der auf Hitlers Lügen und Widersprüche in dem Buch sowie auf seine gebrochenen Versprechen gegenüber Österreich, der Tschechoslowakei und Polen hingewiesen worden sei. In Portugal, berichtete Siepmann, befinde sich ungeachtet des dortigen faschistischen Regimes eine abgeänderte Ausgabe des Buches in Umlauf, die ihren Weg auch bereits nach Brasilien gefunden habe. Ein Artikel im britischen Observer hob nach der deutschen Invasion Dänemarks und Norwegens die »Exaktheit« der Prognosen Rauschnings in seinem Buch hervor, sodass man es auch wie »ein Kursbuch der Eisenbahn« lesen könne, referierte Siepmann aus dem Zeitungsartikel.692 254

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Wenn offensichtlich das Interesse des Auslands an den Gesprächen während der Kriegsjahre fraglos immens zu nennen ist, trifft dieses Urteil mit Abstrichen auch auf Rauschnings Leidensgenossen in der Emigration zu. Oder, genauer: Auch hier las man das Buch, reagierte jedoch durchaus unterschiedlich auf seinen Inhalt. Im Gegensatz zur geradezu euphorischen Reaktion Thomas Manns auf Rauschnings Buch über Die Revolution des Nihilismus registrierte der Nobelpreisträger die Gespräche gemäß seinen Tagebucheinträgen eher beiläufig.693 Nur einmal erwähnte er ihre Lektüre: »Princeton, Sonntag den 3. März 1940: … Viel in Rauschnings Gesprächen mit Hitler. Schlechte Lektüre.«694 Ausführlicher beschäftigte sich Alfred Döblin mit dem neuen »Rauschning«.695 »Die Gespräche Rauschnings mit Hitler erscheinen völlig authentisch« – so eröffnete Döblin seinen Beitrag, um im weiteren Verlauf im Wesentlichen den Inhalt des Buches zu skizzieren. Auch Döblin erkannte in den Gesprächen eine Art Fahrplan Hitlers zur Welteroberung, auch wenn er selber andere Metaphern bevorzugte: »Das Rauschningsche Buch zeigt gewissermaßen in statu nascendi, was heute in Europa von Hitler der Welt vorgesetzt wird, es zeigt die Speise, an der Europa zu kauen hat, in der Küche und im Topf, wir bekommen die Details der Herstellung, die Rohprodukte, auch die Hitze und den Dampf der Küche zu spüren.«696 Und bereits ­Döblin zitierte aus dem Buch jene Passage über Hitlers Judenpolitik, die noch Jahrzehnte später immer wieder bemüht worden ist: »Wenn der Jude vernichtet wäre«, so lässt Rauschning Hitler sagen, »müßte man ihn erfinden, denn der Jude sitzt in uns, und man braucht einen sichtbaren Feind.«697 Wenn nicht alles täuscht, blieb Döblins insgesamt freundliche Besprechung der Gespräche die einzige derartige aus dem Kreis der Emigranten.698 Ansonsten schlug Rauschning nach der Veröffentlichung breite Ablehnung entgegen. Der Vorstand der Londoner Exil-SPD untersagte seinen Mitgliedern unter Androhung des Parteiausschlusses jegliche Zusammenarbeit mit Rauschning, eine Anweisung, der sich nur wenige Sozialdemokraten widersetzten, wie etwa der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete und spätere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner von seinem Schweizer Exil aus.699 Persönlich getroffen hat Rauschning das Hausverbot, das Rudolf Breitscheid nach der Publikation der Gespräche ihm gegenüber aussprach, hatte er doch zuvor in London recht engen Kontakt mit Breitscheid gepflegt. Seiner Tochter Heilwig habe Breitscheid in Bezug auf die Gespräche gesagt, er würde sich schämen, »so etwas zu Paris und die Gespräche mit Hitler

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veröffentlichen«.700 »Aufs Heftigste« habe Breitscheid gegen ihn agitiert, schrieb Rauschning, »nicht weniger« der ehemalige Zentrumsabgeordnete Carl Spiecker, der Heilwig gegenüber geäußert habe, er, Rauschning, habe die Gespräche gar nicht selber geschrieben.701 Dies war ein Vorwurf, wir erwähnten es bereits, der Rauschning zeitlebens mehr erzürnt hat als die Frage nach der Echtheit der von ihm zitierten Hitleräußerungen. Im Übrigen lautete Spieckers Hauptvorwurf gegenüber Rauschning, dieser habe mit seinem Buch Hitler »auf ein zu hohes Postament« gestellt, ihn also in seiner Bedeutung unnötig überhöht.702 Nach Rauschnings Erinnerung, die er in seinem frühen amerikanischen Exil des Jahres 1941 schriftlich fixierte, stellte sich seine Situation in der Emigration nach der Veröffentlichung der Gespräche wie folgt dar: 1. Es gab in Frankreich eine bemerkenswerte Schicht, die auf jeden Fall Frieden haben wollte und an der Frage Hitler oder nicht Hitler gar kein Interesse hatte, vielmehr jede Komplikation durch einen Sturz Hitlers ablehnte. 2. Ein Teil der Emigration und ihrer politischen Freunde in England und Frankreich hätte einen Kompromißfrieden mit den Nazis einem Regime der »Generäle und Reaktionäre« entschieden als das kleinere Übel vorgezogen (daher auch die Kritik, daß ich mit dem Hitlerbuch nur »von den eigentlich Verantwortlichen abgelenkt« hätte). 3. Ein Teil, insbesondere der Emigration, aber auch radikaler Elemente in England und Frankreich war gegen jeden Kompromißfrieden, weil nur eine völlige Kapitulation Deutschlands die revolutionäre tabula rasa erzeugen konnte, auf der dann die neue radikale, rationalistische Ordnung erstehen konnte … 4. Nationalistische französische und – sehr viel weniger – englische Zirkel, die eine endgültige Beseitigung des preußischen Militarismus durch eine Aufteilung Deutschlands für notwendig hielten und daher aus Gründen des europäischen Gleichgewichtes gegen jede Verhandlungen mit Militärkreisen waren … Abtrennung Rheinlands, Ostpreußens, Schlesiens. 5. Katholische, aber auch sozialdemokratische deutsche Kreise, die gegen meine Vorschläge zur Wiederherstellung einer »kleindeutschen« Lösung waren. Ich hatte mich wiederholt gegen eine großdeutsche Lösung ausgesprochen (auch in Artikeln). Stampfer703 hatte in Paris mir dies vorgeworfen und seinen Standpunkt als »das ganze Deutschland muß es sein« definiert (sein Vater ehemaliger 48er, ich eben nur preußischer Partikularist). Katholische Kreise hatten mir das als Attentat auf die Herstellung eines konfessionellen Gleichgewichts und damit als Verewigung der Diktatur des Protestantismus und Prussianismus in Deutschland ausgelegt. 6. Angst, dass eine Lösung möglich sein würde, ohne daß die exilierten Persönlichkeiten eine Rolle im künftigen Deutschland spielen konnten. 7. Ordinäre, aber verständliche Mißgunst.

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Im Ergebnis, so Rauschning, habe die Uneinigkeit der Pariser Emigration dazu geführt, dass »ihr Gewicht in die Waagschale für Hitler und gegen eine vielleicht mögliche rechtzeitige Lösung« gefallen sei. Diesen Punkt wollte er »festgehalten wissen«. Was ihn persönlich betraf, habe der »demokratische Sozialismus« ihn »mit Erscheinen des Buches sonderbarerweise zum Todfeind erklärt und als Kryptofaschisten denunziert, wo immer er konnte«.704 Unbeschadet seiner Zweifel an ihrer literarischen Qualität wusste auch Thomas Mann um die Brisanz der Gespräche und hat Anfang Juni 1941 anlässlich einer Rede in San Francisco vor dem »American Rescue Committee« darauf aufmerksam gemacht, dass The Voice of Destruction dem Autor »den Vorwurf der emigrantischen Haßverblendung und der phantastischen Aufreizung« eingebracht habe. Allerdings ließ sich der Literaturnobelpreisträger bei dieser Gelegenheit auch zu einer kleinen Flunkerei hinreißen, als er seiner Zuhörerschaft weismachen wollte, Rauschning habe aus Furcht vor ebendieser Reaktion das Buch »jahrelang in der Schublade verwahrt«.705 Letzteres traf nun wirklich nicht zu und Mann dürfte dies gewusst haben. Hatte Rauschning also von der Emigration ganz überwiegend Ablehnung für sein jüngstes Buch erfahren, tat es ihm der erklärte Feind im Reich – wenig überraschend – naturgemäß gleich. Die Frage nach der Authentizität der Gespräche einmal außen vor gelassen, zeigten die Tagebucheintragungen von Propagandaminister Goebbels eine hasserfüllte Reaktion. »Dieser Kerl« sei der »gemeinste Propagandist auf der Gegenseite«, notierte er, »sein Buch ›Gespräche mit Hitler‹ ist außerordentlich geschickt geschrieben und stellt für uns eine Riesengefahr dar«. Der ehemalige Danziger Senatspräsident und Parteigenosse erschien ihm nun als »raffiniertester und gefährlichster Propagandagegner«, der in seinem Buch »sehr geschickt Wahrheit und Dichtung« miteinander verbunden habe.706 Von Hitler selber ist nur ein knapper Kommentar aus zweiter Hand zu den Gesprächen überliefert. Friedrich Christian Prinz zu Schaumburg-Lippe, der zu »Hitler zuweilen gesellschaftlich Zugang hatte«, berichtet von einer Äußerung des »Führers«, wonach in dem Buch Rauschnings »vieles sowohl richtig wie auch falsch zugleich« sei. »Es sei nämlich wohl von ihm gesagt, wirke aber aus dem Zusammenhang gerissen völlig anders.«707 Auch in der Sowjetunion las man in Regierungskreisen die Gespräche. Mitten in der Phase deutsch-sowjetischer Entspannung während der Zeit des Paris und die Gespräche mit Hitler

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»Hitler-Stalin-Paktes« lud Hitler den sowjetischen Außenminister Molotow nach Berlin ein.708 Am Vorabend seiner Reise ließ Molotow »seine Frau wissen, dass er Hitler eingehend studiere: ›Ich lese Hitler Spoke to me von Rauschning, der viele seiner gegenwärtigen und für die Zukunft geplanten Vorhaben erklärt‹«.709 Wenn im Folgenden die Rezeption sowie der wissenschaftlich-publizistische Streit um die »Echtheit« der Gespräche in der Nachkriegszeit beleuchtet wird, kann dies notabene nur mit ein paar Schlaglichtern erfolgen. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auch auf Textsammlungen liegen, die sich vorzugsweise an Multiplikatoren, also insbesondere an Lehrerinnen und Lehrer in unterschiedlichen Schulformen wandten. Mit dem Kriegsende, dem heraufziehenden Kalten Krieg und den unmittelbaren Existenzsorgen der Menschen in Europa gerieten die Gespräche mit Hitler für einige Jahre in Vergessenheit. Als mit einer geringen zeitlichen Distanz zum »Dritten Reich« erste Versuche entstanden, gerade auch dem Phänomen »Hitler« wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, war es zunächst vor allem die angelsächsische Forschung, die recht unbekümmert und unreflektiert von den Gesprächen als Primärquelle Gebrauch machte. Den historiographischen »Ritterschlag« erhielt das Buch zweifellos durch den der Labour Party nahestehenden britischen Historiker Alan Bullock, der es für seine bahnbrechende Studie über Hitler aus dem Jahre 1952 etwa 15-mal ohne jede Einschränkung als Quelle heranzog.710 Etwa zeitgleich, im Jahre 1953, erschien auf Niederländisch die Studie von Louis de Jong mit dem Titel De Duitse Vijfde Colonne in de Tweede Wereldoorlog, die insofern besondere Weihen umgab, als sie im Auftrag einer der UNESCO angeschlossenen Organisation publiziert wurde. Auch de Jong, Leiter des Niederländischen Staatlichen Instituts für Kriegsdokumentation in Amsterdam, zog die Gespräche kritiklos, wenn auch in überschaubarem Maße, für seine Untersuchung heran.711 Völlig kommentarlos druckte acht Jahre später auch das bei Geschichtslehrern und Referendaren sehr beliebte Werk Geschichte in Quellen des Bayerischen Schulbuch-Verlages einige kurze Auszüge aus den Gesprächen ab, jedoch hielt sich deren Zahl mit vier von insgesamt 666 Dokumenten für den Zeitraum von 1914 bis 1945 ebenfalls in Grenzen.712 Gleichfalls unkommentiert erfolgte auch die Übernahme zweier Auszüge aus den Gesprächen in das Handbuch des Geschichtsunterrichts des Moritz Diesterweg Verlages, in denen es zum einen um die Versorgung der »alten Kämp258

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fer« und zum anderen um die künftige deutsche Politik im Osten Europas ging.713 Kritik- und kommentarlos druckte ferner die für Geschichts- und Sozialkundelehrer bestimmte Quellensammlung des Ploetz Verlages jene häufig zitierte angebliche Äußerung Hitlers über seine Pädagogik ab, die mit den Worten beginnt: »Meine Pädagogik ist hart«. Dann heißt es in den Gesprächen bzw. in dem hier zitierten Quellenwerk u. a. weiter: »Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich … Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen.«714 Wissenschaftliche Zweifel an der Authentizität der Gespräche tauchten in der Bundesrepublik – ein paar Bemerkungen zur Rolle der Gespräche in Wissenschaft und Publizistik der DDR folgen weiter unten – erstmals zu Beginn der 1960er Jahre auf, als etwa der Historiker Günter Moltmann das Buch als »Ärgernis« bezeichnete, »weil der Echtheitsbeweis für die aufgezeichneten Worte Hitlers schwer zu führen« sei.715 Andere wissenschaftliche Autoren wie etwa Hans-Adolf Jacobsen diskutierten einzelne Aussagen des Rauschning’schen Buches, ohne ein Gesamturteil zu fällen.716 Golo Mann wiederum formulierte noch 1968 ein rückhaltloses Bekenntnis zu den Gesprächen: Als die instruktivsten Gespräche, die Hitler in den Jahren der Machtergreifung führte, sind mir immer jene erschienen, die Hermann Rauschning im Jahre 1939 publizierte. Den Senats-Präsidenten von Danzig, damals selber Nationalsozialist, ließ Hitler am tiefsten in seine Seele blicken«717.

Vor allem das seit 1969 immer wieder neu aufgelegte Buch von Eberhard Jäckel über Hitlers Weltanschaung räumte dann mit der Vorstellung auf, die Gespräche dokumentierten den Originalton Hitler. In seiner Analyse verwob Jäckel, der als Historiker seine eigenen Erfahrungen mit Fälschungen machen musste, Kritik an Rauschnings Nihilismus-Buch mit der an den Gesprächen. Zusammen mit einigen wenigen anderen frühen Werken über Hitler hätten insbesondere Rauschnings Gespräche mit Hitler ein »äußerst unzutreffendes und zudem immer widersprüchlicher werdendes Bild Hitlers und des Nationalsozialismus« entstehen lassen, so Jäckel.718 Es blieb dem Kölner Ordinarius Theodor Schieder und seinen Assistenten vorbehalten, mit einiger Akribie die Gespräche mit Hitler auf ihre Authentizität hin zu überprüfen. Schieder referierte seine Forschungsergebnisse zunächst im Jahre 1971 in einem Vortrag anlässlich der 169. Sitzung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in DüsselParis und die Gespräche mit Hitler

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dorf, bevor sie im folgenden Jahr einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.719 Das Fazit seiner Untersuchungen formulierte Schieder so: Wir kommen zum Schluß. Rauschnings »Gespräche mit Hitler« sind kein Quellendokument, von dem man wörtliche und protokollarische Überlieferung Hitlerscher Sätze erwarten darf, so vieles auch darin diesen Erfordernissen entspricht. Es ist ein Dokument, bei dem sich objektive und subjektive Momente vermischen und Wandlungen der Meinung des Autors über seinen Gegenstand mit in diesen Gegenstand eingegangen sind. Sie sind aber ein Dokument von unbezweifelbarem Quellenwert insofern, als sie Deutungen enthalten, die aus unmittelbarer Einsicht erwachsen sind. Einsicht soll hier im doppelten Sinn des Wortes verstanden werden: als die Form der direkten Anschauung und zugleich als das Ergebnis, das aus einer Anschauung durch Nachdenken hervorgeht. Die in ihm enthaltene Gesamtdeutung Hitlers ist für den Zeitraum von 1932–1934 durch keine andere Quelle ersetzt, so vieles seither über Hitler und von Hitler erschienen ist.720

Einigen Aufwand verwandte Schieder auf die Frage, wann und wie oft Rauschning Gelegenheit gehabt hatte, Hitler zu sehen und zu sprechen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die »Anzahl der Begegnungen … nicht präzis bestimmen« lasse, da Rauschning darüber kaum belastbare Angaben mache. Dies vorweggeschickt, zählte Schieder insgesamt 13 Begegnungen, wobei die Teilnahme Rauschnings »an der Mittagstafel in der Reichskanzlei hierbei im allgemeinen nicht berücksichtigt« worden sei. Die genannten Treffen seien entweder durch Angaben in den Gesprächen oder durch »andere Quellen« verifizierbar, so Schieder. Nur für zwei der aufgeführten Begegnungen konnte Schieder »eine Aktennotiz auffinden«.721 Ungeachtet der Frage, ob die von Schieder festgestellte Zahl der Begegnungen zutrifft, bleibt hinsichtlich ihrer Bedeutung zu bedenken, dass kaum mehr als eine davon unter vier Augen stattgefunden hat und es darüber hinaus mehr als zweifelhaft ist, dass Hitler sozusagen jedes Mal, wenn Rauschning bei einem Treffen zugegen war, sein politisch Innerstes nach außen gekehrt haben soll, was immerhin den Sensationscharakter des Rauschning’schen Buches ausmachte.722 Wir sind im Besitz eines Augenzeugenberichts von der Vortragsveranstaltung der Rheinisch-Westfälischen Akademie mit Theodor Schieder. Georg Streiter, der bereits mehrfach erwähnte engste Vertraute Rauschnings während dessen Danziger Senatspräsidentschaft, hatte den Abend 260

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in Düsseldorf besucht und seinem ehemaligen Vorgesetzten im amerikanischen Oregon darüber Bericht erstattet. In seinem Brief an Rauschning vom 23. Juli 1971 schrieb Streiter: In akademischer Trockenheit hieß Schieders Thema: Hermann Rauschnings »Gespräche mit Hitler« als Geschichtsquelle. Der Besuch war ungewöhnlich stark, und vielleicht kann man es als deutliches Zeichen der Wandlung seit Adenauers Tod verstehen, daß einer seiner ausgesprochenen Günstlinge, der langjährige Ministerpräsident Meyers723, unter den Zuhörern war, allerdings an der Diskussion nicht teilnahm. Einer der jüngeren Professoren sagte voraus, dass dieser Vortrag, wie die Wirkung im innersten Kreis erkennen lasse, einen neuen Anstoß zu vertiefter Forschung geben werde, nachdem man so lange Hitler – und damit auch Rauschning – aus der wissenschaftlichen Diskussion ausgeklammert habe. Und das scheint mir wirklich durch dieses zunächst akademische Ereignis bewiesen: daß das Tabu über Hitler und die wenigen kritischen Zeugen seiner Herrschaft gefallen ist. Es war ein »Rauschning-Tag« der Rehabilitierung, wenn Sie das Wort ertragen können. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß Ihre wenigen Freunde dessen nicht bedürfen. Aber daß ein Mann wie Schieder, der Sie ja gar nicht kennt, aus der objektiven Beschäftigung mit dem heißen Eisen der »Gespräche« heraus Sie als Kronzeugen herausstellt und positiv würdigt, ist für unseren innerdeutschen Horizont ein wichtiges, für Sie und Ihre Freunde ein positives, vielversprechendes Ereignis. Ich nehme an, daß Schieder Ihnen den Vortrag nach Drucklegung schicken wird; dann haben Sie auch die wichtige Diskussion dabei.724

Theodor Schieder hatte sich der Gespräche mit Hitler deshalb so interessiert angenommen, weil er vor dem Problem stand, wie er mit diesem Buch angesichts des von ihm herausgegebenen Bandes 7 des bei professionellen Historikern beliebten Handbuchs der europäischen Geschichte mit dem Titel Europa im Zeitalter der Weltmächte725 umgehen sollte. Der Leser durfte nun gespannt sein, wie Schieder das Problem gelöst hatte. Bei der erstmaligen Nutzung der Gespräche auf Seite 184 seines Bandes hatte sich der Kölner Ordinarius für den wohl einzig gangbaren Weg zur Nutzung – man könnte auch sagen »Rettung« – der Gespräche entschieden, nämlich mit dem Wissen der Überlebenden ex post die faktische Richtigkeit der in die Zukunft weisenden Formulierungen Rauschnings zu bestätigen, gleichzeit aber auf die Behauptung, es handle sich um die exakte Wiedergabe Hitler’scher Worte, zu verzichten. Zu Hitlers Lebensraumzielen im Osten schreibt Schieder hier: »Von ›Technik der Entvölkerung‹ Paris und die Gespräche mit Hitler

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ist, dem Sinne nach sicher richtig Gedanken Hitlers wiedergebend, in den Rauschning-Gesprächen die Rede.« Die am Ende dieses Satzes hinzugefügte Fußnote nennt zutreffend den Fundort des Rauschning-Zitates in den Gesprächen, um dann den Leser mit dem Hinweis alleinzulassen: »Über die Verwendbarkeit des Buches von Rauschning als Quelle …« Es folgen die bibliographischen Angaben zu Schieders veröffentlichtem Vortrag über die Gespräche.726 Zwei weitere Male zieht Schieder das Buch Rauschnings noch heran, ohne jeden weiteren Kommentar.727 In einem knappen biographischen Abriss am Ende seines Werkes kommt Schieder zu einem durchaus wohlwollenden Gesamturteil, wenn er schreibt: »Nach seinem Bruch mit Hitler erst in Polen, dann in der Schweiz, wo er mit den Büchern ›Die Revolution des Nihilismus‹ (1938) und ›Gespräche mit Hitler‹ zu einem der wirkungsvollsten Ankläger der nationalsozialistischen Politik wurde«.728 Hätte Rauschning dieses Urteil je gelesen – er hätte wohl milde gelächelt. Gerade was die Wirksamkeit seines unermüdlichen Schreibens anging, hat er sich vor allem rückblickend wenig Illusionen gemacht.729 Ein knappes Dutzend Jahre verging, bis Schieders Schrift um eine weitere öffentliche Kritik an den Gesprächen ergänzt wurde. Der bereits erwähnte Schweizer Lehrer Wolfgang Hänel hatte zunächst im Mai 1983 vor der revisionistisch orientierten Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt einen Vortrag über das Buch Rauschnings gehalten, der dann im folgenden Jahr in einer überarbeiteten Fassung auf knapp 70 hektographierten Seiten im Druck erschien und auf den sogleich zurückzukommen sein wird.730 Zwischen den Veröffentlichungen Schieders und Hänels brachte der Publizist Joachim C. Fest im Jahre 1973 seine umfangreiche Hitlerbiographie heraus, die, verstärkt durch den auf diesem Buch basierenden Kino-Dokumentarfilm, das Hitlerbild einer ganzen Generation nachhaltig geprägt haben dürfte.731 Als Fest an seinem Buch arbeitete, wird er kaum gewusst haben, dass Schieder etwa zeitgleich Rauschnings Gespräche sezierte. Mit über 40 nahezu kommentarlosen Einzelnachweisen aus den Gesprächen mit Hitler bildete dieses Buch eine der Hauptquellen, aus denen Fest schöpfte.732 Und er adelte Rauschnings Werk schließlich noch dadurch, dass er ausgerechnet seine letzten beiden Zitate zur dramatischen Illustration des Untergangs Hitlers den Gesprächen entnahm.733 Ob mit oder ohne Kenntnis der Arbeit Schieders: Im Gegensatz zu den Büchern anderer Autoren, die Fest benutzte – etwa Thyssens I Paid Hitler oder August Kubizeks Adolf Hitler, mein Jugendfreund –, erfuhren Rauschnings Gespräche 262

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nicht den Hauch einer Reflexion seitens Fests. Das Vorwort zur Neuausgabe seiner Hitler-Biographie (datiert »Kronberg im Juni 2002«) diskutiert immerhin ganz kurz Rauschnings Nihilismus-Buch734 in dem Punkt des Hitler’schen Antisemitismus, die Gespräche werden in dem Vorwort jedoch mit keinem Wort erwähnt. Dass Fest jedoch die Arbeit Schieders inzwischen kannte, belegt die Anmerkung 96 zu Seite 742, mit welcher der Leser über Schieders Traktat mit dem Hinweis informiert wird, dass sich in ihm ab Seite 80 das Schlusskapitel »Hitler privat« abgedruckt finde. Das Literaturverzeichnis listet Schieders Beitrag ebenfalls auf. Auch die Neuausgabe von 1993 des 1963 erstmals erschienenen Werkes Fests mit dem Titel Das Gesicht des Dritten Reiches735 nutzt für den Teil über Hitler die Gespräche unkommentiert. Und auch hier wird dem Buch Rauschnings erneut die Ehre zuteil, mit einem längeren daraus entnommenen Zitat das Fest’sche Hitlerbild abzuschließen und abzurunden. Rauschning lässt Hitler in diesem Zitat in die Zukunft schauen, die durch grenzenlose Zerstörung geprägt sein werde. Letzter, kommentierender Satz Fests am Ende des Zitats: »Die wenigen Sätze bargen ein Epitaph für annähernd fünfzig Millionen Menschen.«736 Ebenfalls zwischen den Veröffentlichungen Schieders und Hänels gab der britische Geschichtsrevisionist David Irving ein knappes Urteil über die Gespräche ab, das eine gewisse Unsicherheit widerspiegelt.737 Offenbar in Unkenntnis der Arbeit Schieders scheint Irving die Gespräche zumindest so lange als historische Quelle respektiert zu haben, bis der Wiener Europa Verlag im Jahre 1973 eine Neuausgabe des Buches herausbrachte, dem nun auch das Schlusskapitel »Hitler privat« angefügt war. Irving: Das Schlusskapitel »ist in mancher Hinsicht aufschlußreich, da darin geschildert wird, wie Hitler nächtens regelmäßig mit dem Schrei aufgewacht sein soll: ›Da ist er!‹ – ›er‹ bedeutet der Leibhaftige. Das räumt mit Rauschnings Glaubwürdigkeit ein für allemal auf …«738 Wolfgang Hänels Schrift aus dem Jahre 1984 spitzte Schieders Kritik entscheidend zu, sodass ihr Untertitel »Eine Geschichtsfälschung« zunächst einmal nicht übertrieben scheint. Hänels Verdienst lag darin, dass er detailliert nachweisen konnte, dass viele angebliche Hitler-Äußerungen zahlreichen anderen Schriften, vor allem aber Hitlers Buch Mein Kampf sowie Schriften Ernst Jüngers entnommen und von Rauschning montiert worden waren.739 Um so bescheidener fiel am Schluss Hänels Fazit aus, in dem er sich wieder auf einen Befund Schieders beschränkte, wenn er formuParis und die Gespräche mit Hitler

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lierte: »Rauschnings Buch ›Gespräche mit Hitler‹ ist nichts weiter als eine Propaganda-›Kampfschrift‹ (so hatte auch schon Schieder geurteilt, wie Hänel zutreffend anmerkt, A. H.), eine Waffe aus dem Arsenal der psychologischen Kriegführung, die dazu diente, in aller Welt den Widerstandsgeist gegen Hitler zu stärken – vor allem in Frankreich, Großbritannien und auch in der Schweiz – und die USA aus ihrer neutralen Haltung zu reißen, um sie auf die Seite der bedrängten, kriegführenden Alliierten zu ziehen.«740 Was soll’s? Dieses Urteil war doch beinahe »Rauschning pur«. Nicht mehr und nicht weniger hatte er selber über den Ursprung und den Sinn der Gespräche mit Hitler bei Gelegenheit geäußert. Einigermaßen geschmacklos mutet Hänels Widmung zu Beginn seiner Arbeit an, die den Leser offensichtlich richtig einstimmen soll: Es heißt dort auf Seite 2: »Um dem negativen Beispiel Rauschning ein positives gegenüberzustellen, widme ich meine Forschungsergebnisse Johann Georg Elser zum Gedenken. Er hat mit dem Einsatz seines Lebens im Münchner Bürgerbräukeller meisterhaft ein Attentat auf Hitler vorbereitet, das aber leider am 8. November 1939 mißlang – ohne seine Schuld«. Ohne die Leistung Elsers in irgendeiner Weise schmälern zu wollen: Stünde Rauschning in Hänels Augen moralisch besser da, wenn er sich in Danzig mit den Nationalsozialisten frühzeitig arrangiert hätte und ihnen weiter zu Diensten gewesen wäre? Dass Rauschning »nach Danzig« – vielleicht zu spät und mit gewissen Reserven – gegen den Nationalsozialismus anging, wird nicht mehr ernsthaft bestritten. Und dass das Bombenbauen nicht seine Sache war, dafür aber das Schreiben, wird man ihm kaum vorwerfen können. Sicherlich ist dem Urteil des Widerstandsforschers Detlev Peukert zuzustimmen, wenn er die Auswanderung bzw. Flucht aus dem »Dritten Reich« für sich allein genommen nicht als Widerstandshandlung qualifiziert.741 Man wird aber in einer Erweiterung der Feststellung Peukerts Hermann Rauschning als Mann des Exils sehr wohl zum Widerstand rechnen können, weil er mit seinen Büchern und Schriften seit 1938 öffentlichkeitswirksam wie kein Zweiter gegen das Hitler-Regime vorging. Hänels Beitrag basiert darüber hinaus auf einer insgesamt fragwürdigen Quellenbasis. Es war ihm offenbar gelungen, mit Emery Reves Kontakt aufzunehmen und ihn zu Rauschnings Buch zu befragen – nach eigenen Angaben im Jahre 1981 dreimal telefonisch und einmal im direkten Gespräch in Vevey am Genfer See. Reves’ tatsächliche oder angebliche Informationen bilden sozusagen das Rückgrat von Hänels Argumentation.742 Infolge der Gnade ihres Veröffentlichungstermins – Alfred Schickel, 264

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der Leiter der Ingolstädter Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle datiert sein Vorwort zur Arbeit Hänels auf »Februar 1984« – entzog sie sich einer kritischen Überprüfung seitens der Hauptprotagonisten: Reves war bereits am 5. Oktober 1981 verstorben, Rauschning, der sicherlich die eine oder andere Nachfrage gehabt hätte, am 8. Februar 1982. Allein Schieder hätte sich vielleicht noch äußern können, doch auch er, dem Hänel »Versagen«743 attestiert hatte, verstarb nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung, am 8. Oktober 1984. Der Jurist – nicht »Historiker«, wie Hänel schreibt – Fritz Tobias hatte Hänel die »Anregung« zur neuerlichen Prüfung der Gespräche gegeben und ihm verdankte Hänel nach eigener Aussage auch die »grundlegenden Dokumente«. Um welche Dokumente es sich dabei handelt, erfährt der Leser jedoch nicht.744 Tobias selber, der als Amateurhistoriker ein umfangreiches Werk über den Reichstagsbrand veröffentlicht und damit eine zeithistorische Kontroverse ausgelöst hatte und auf die noch zurückzukommen sein wird, erwähnt in einer harschen Kritik der Gespräche mit Hitler Hänel nur beiläufig in einer Anmerkung, übernimmt jedoch unbesehen Hänels Behauptung über die angebliche Äußerung Rauschnings gegenüber Emery Reves, wonach Rauschning Hitler »mehr als hundert Mal« getroffen habe.745 Gern hätte der Verfasser dieser Zeilen mit Hänel über seine For­ schungsergebnisse und seine Quellen gesprochen, doch teilte dieser ihm mit, die »höfliche Anfrage« komme leider zu spät. »Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich nicht mehr mit Rauschning und seinen ›Gesprächen‹«746. Dieses Argument ist erstaunlich insofern, als Hänel seinerseits von Rauschning per Brief Informationen zu den Gesprächen zu einem Zeitpunkt erbeten hatte, als das Erscheinen dieses Buches bereits doppelt so lang, nämlich gut 40 Jahre, zurücklag.747 Eine Prüfung von Reves’ Mitteilungen gegenüber Hänel wäre hinsichtlich einiger Punkte in des Schweizer Lehrers Darstellung wünschenswert. Beispielsweise müsste schon die Frage geklärt werden, was Rauschning Reves in Paris tatsächlich über die Zahl seiner Begegnungen mit Hitler gesagt hatte, denn auch davon hängt Rauschnings Glaubwürdigkeit in nicht geringem Maße ab. In seiner Schrift lässt Hänel Rauschning auf Reves’ seinerzeitige Frage an Rauschning, wie oft dieser denn Hitler gesehen/gesprochen habe, antworten: »Sehr oft; mehr als hundert Mal.«748 Medial entscheidend verstärkt wurde diese angebliche Äußerung Rauschnings dann durch einen recht umfangreichen Artikel im Spiegel über die als sensationell dargestellten Befunde Hänels. Ausgerechnet die Paris und die Gespräche mit Hitler

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Worte »Mehr als hundertmal hat Hermann Rauschning … laut eigener Buchführung mit Adolf Hitler gesprochen …« zitierte Redakteur Wolfgang Malanowski aus Hänels Werk.749 Die tatsächliche Zahl der Begegnungen Rauschnings mit Hitler lässt sich nicht mehr nachweisen, die von Schieder ermittelte Zahl von 13 kommt der Wahrheit aber wahrscheinlich wesentlich näher als die von Hänel behaupteten »mehr als hundertmal«. Immerhin besitzen wir eine schriftliche Erinnerung von Emery Reves zu dieser Frage. Er war es, der sich Rauschning gegenüber in einem Brief aus dem Jahre 1951, in dem es eigentlich um die alleinige Urheberschaft Rauschnings an den Gesprächen ging, hinsichtlich der Zahl der Begegnungen so äußerte: »Then I asked you how often you had seen Hitler. You answered: ›Many times‹.«750 Damit war die Frage Reves’ beantwortet. Der Artikel Malanowskis war Teil einer recht lebhaften Auseinandersetzung mit Rauschnings Gesprächen in der westdeutschen Presselandschaft Mitte der 1980er Jahre. Während Schieders Schrift über zehn Jahre zuvor noch vorwiegend in akademischen Kreisen rezipiert worden war, trat Hänels Veröffentlichung eine kleine Lawine breiterer publizistischer Reaktion los. Sie wäre vermutlich deutlich größer geworden, hätte nicht der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher im Jahre 1983 das Medieninteresse in der Bundesrepublik stark beansprucht. Neben dem Spiegel war es im Jahre 1985 vor allem die Wochenzeitung Die Zeit, die sich im Nachgang zu Hänels Veröffentlichung mit Rauschnings Gesprächen befasste. Einen Verriss des Buches bei völlig kritikloser Übernahme der Forschungsergebnisse Hänels lieferte der bei der Zeit für Zeitgeschichte zuständige Redakteur Karl-Heinz Janßen.751 In dem mit »Kümmerliche Notizen« – ein Rückgriff Janßens auf die bereits erwähnte Mitteilung Rauschnings an Richard Breyer aus dem Jahre 1951, die Hänel übernommen hatte – überschriebenen Artikel endete Rauschning als »Renegat« und – in diesem Urteil geht Janßen völlig fehl – als »Kriegspropagandist«. Die damalige Mitherausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, antwortete Janßen in dem Blatt vier Wochen später.752 Wie oben gezeigt worden ist, genoss Rauschning bei Gräfin Dönhoff spätestens seit dem Erscheinen seiner Revolution des Nihilismus eine gewisse Hochachtung. In ihrer Replik auf Janßen nahm sie denn auch Rauschning weitgehend in Schutz und hob insbesondere das Argument Rauschnings hervor, seine Gespräche seien situationsbedingt zu verstehen, als verzweifelter Versuch, das von ihm gezeichnete Hitlerbild als »Waffe« angesichts des »herannahenden Krieges« zu begreifen.753 Allerdings monierte 266

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sie zu Recht, dass Rauschning es nach dem »Nazispuk« versäumt habe, die Entstehungsgeschichte »selber zu enthüllen«. Gräfin Dönhoff erklärte das Schweigen Rauschnings damit, dass angesichts der Fülle bisheriger Zitate aus den Gesprächen in der Literatur die »Wahrheit für viele peinlicher gewesen wäre als der Fortbestand der Lüge«. Und auch an den »über hundert« Begegnungen Rauschnings mit dem Reichskanzler arbeitete sie sich ab, dies jedoch wenig überzeugend: Sie bezweifelt Hänels Zitat von Reves’ angeblicher telefonischer Information in diesem Punkt nicht, sondern relativiert Rauschnings »Lüge« dergestalt, dass sie von diesem wohl mehr metaphorisch gemeint gewesen sei: »hundert Mal ist ein Begriff wie x-mal«. Dönhoff verwarf in ihrem Beitrag Hänels Erkenntnisse nicht in toto, machte aber darauf aufmerksam, dass »in totalitären Regimen die Lüge der Desinformation« diene. Rauschnings Buch habe also im Wege der Lüge zur »Information« führen wollen, und, so die Autorin abschließend, wenn man alle Informationen, die man »heute über den großen ›Führer‹« habe, zusammennehme, komme in etwa »das Bild heraus, das Rauschning damals, 1939, von ihm entworfen hat«. Für die geschichtsrevisionistische Sicht auf Hitler und das »Dritte Reich« kam Wolfgang Hänels Arbeit offenbar einem Geschenk der Götter gleich. Hatte Henry Ashby Turner jr. im Jahre 1978 die Erinnerungen Otto Wageners noch im Frankfurter Ullstein Verlag publiziert, ohne dass der Verlag eine editorische Notiz für erforderlich gehalten hatte, griff nun »nach Hänel« der rechtsextremistische Kieler Arndt Verlag zu und brachte im Jahre 1987 eine 2. Auflage des Wagener-Buches heraus. Der Verlag stellte dem einschließlich der Turner-Einleitung unveränderten Text ein zweiseitiges Vorwort voran, das sich als abermalige Vernichtung der Gespräche mit Hitler und als uneingeschränkte Lobpreisung der ­Wagener’schen Erzählung liest.754 Turner hatte in seiner Einleitung zusammenfassend dargelegt, wie Wagener Hitler sah: »Trotz« einiger, vor allem die England- und die Sowjetunion-Politik sowie wirtschafts- und sozialpolitische Fragen betreffender »Differenzen«, so Turner über Wagener, wird klar, daß er im Jahre 1946 unbeirrt an Hitler glaubte, der in seinen Augen skrupellosen Beratern wie Göring, Goebbels und Himmler zum Opfer gefallen war. Diese »Nazisten« – eine Formulierung, die Wagener Pfeffer von Salomon zuschreibt – hätten Hitlers »Lehre« verfälscht und in seinem Namen die Verbrechen des »Dritten Reiches« begangen. Nach Wageners Ansicht hätte sich, wenn nur Männer wie er Paris und die Gespräche mit Hitler

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selbst und Pfeffer um Hitler hätten bleiben können, alles anders entwickelt. Infolge des Sieges der »Nazisten« sei aber schließlich aus den wahren nationalen und sozialen »Idealen« des Nationalsozialismus ein chauvinistisch-nationalistischer »Nazismus«, aus dem »Dritten Reich« eine Verstümmelung der ursprünglichen Absichten Hitlers geworden. Trotz alledem blieb Hitler für Wagener ein positiv zu wertendes, übermenschliches Wesen.755

Welch ein Kontrast zum Hitler Rauschnings. Mit dem Wagener’schen Hitlerbild öffnete sich den Revisionisten von rechts eine Schneise hinaus aus dem das »Dritte Reich« restlos verdammenden Bild, das die etablierte Geschichtswissenschaft üblicherweise von ihm und dem »Führer« zeichnete. Spürbar erleichtert stellte der Arndt Verlag in seinem Vorwort fest, dass nun endlich die Zeit der »schön-schaurigen angeblichen Hitler-Zitate, die seit vier Jahrzehnten ahnungslose Schüler im Unterricht das Gruseln lehren« – es folgen einige Zitatfragmente aus Rauschnings Gesprächen – vorbei sei, dank der Arbeit des »Entlarvers« Hänel und des ihn unterstützenden Artikels von Janßen in der Zeit. Den Platz der Gespräche werde künftig das Erinnerungsbuch Otto Wageners, eine »historische Goldader«, einnehmen, so das Vorwort: »Die Wertlosigkeit von Rauschnings ›Gesprächen‹ wertet Otto Wageners Dokumentation zur Einzigartigkeit auf.«756 Eine knappe Woche vor dem Artikel Gräfin Dönhoffs hatte sich auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der Causa Rauschning zu Wort gemeldet. In der Ausgabe vom 10. August 1985 schrieb der Historiker Julius H. Schoeps unter der Überschrift »Fälschung oder Dokument?« insgesamt sehr kritisch über die Gespräche, wobei er die Arbeit Hänels völlig distanzlos zur Grundlage seiner Argumentation machte. Nur wenige Wochen vergingen, bis in der FAZ ein weiterer Artikel zu den Gesprächen erschien, diesmal von dem damaligen Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat.757 Broszat versuchte in seinem Beitrag die Enthüllungen Hänels zu relativieren und verwies auf die Forschungsergebnisse Theodor Schieders aus dem Jahre 1972. Vor allem die Quellenbasis von Hänels Buch fand die Kritik Broszats. Man werde schwerlich sagen können, schrieb er, dass »Hänel mehr geliefert hat als neue Indizien zur Verstärkung längst bestehender Zweifel an der formalen Echtheit der ›Gespräche mit Hitler‹«. »Sehr viel peinlicher« sei jedoch, so Broszat, dass Hänel Rauschnings »späte, leidenschaftliche und überzeugte Gegner268

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schaft gegen den Nationalsozialismus« für »unglaubwürdig« halte und dass Hänel die »Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Authentizität im Falle Rauschnings gar nicht« treffe. Das sei »ridikül« und ein Zeugnis geschichtlicher Verständnislosigkeit. Im Falle Rauschnings sei »manches noch offen und strittig«, schrieb er abschließend. Broszat selber hatte in seinen dem deutsch-polnischen Verhältnis gewidmeten Büchern versucht, der wissenschaftlichen Diskussion um die Gespräche Rechnung zu tragen. So übernahm er in seinem 1961 erschienenen Werk Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945 summarisch angebliche Äußerungen Hitlers zu dessen Lebensraumpolitik aus den Gesprächen.758 Doch bereits das 1963 erstmals erschienene und seither wiederholt aufgelegte Buch Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik kam ohne die Gespräche aus.759 Mit den FAZ-Beiträgen endete in der Bundesrepublik die »Rauschning-Kontroverse« im Wesentlichen.760 In der Schweiz brachte die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Wochenendausgabe vom 24./25. August 1985 eine ausführliche Rezension der Gespräche durch ihren Redakteur Alfred Cattani, die gleichsam die bisherige Debatte im deutschen Sprachraum zusammenfasste und um einige Aspekte ergänzte. Insgesamt stärkte Cattani Rauschning den Rücken, auch wenn er zu Beginn seines Artikels die bekannten Zweifel an der Authentizität des Buches referierte. Und auch Cattani nannte es einen »Fehler Rauschnings«, dass er nach 1945 »nicht in voller Klarheit festgestellt hat, wie die ›Gespräche‹ entstanden sind. Das war sicher unklug, aber nur der, der selbst frei ist von allzu menschlichen Schwächen und Eitelkeiten, wird berechtigt sein, deswegen Steine zu werfen«, hieß es bei dem Historiker in Diensten der NZZ. Hart und ausführlich ging der Rezensent mit Hänels Arbeit ins Gericht. Völlige negative Einseitigkeit bei der Präsentation der Person Rauschnings war ein Vorwurf, den Cattani gegenüber Hänel erhob, eine insgesamt fragwürdige Methodik ein anderer. Weder stelle Hänel die »temperamentvoll-blumige Art« seines Kronzeugen Reves in Frage noch berücksichtige er die lange zeitliche Distanz, die zwischen Rauschnings und Reves’ Zusammenarbeit in Paris und der Befragung Reves’ durch Hänel lag. Dass Rauschning in den Gesprächen aus seiner Revolution des Nihilismus Hitler-Zitate entnommen hatte, sah Cattani nicht als methodisches Problem, denn diese Äußerungen konnte sich Rauschning bei seinen Begegnungen mit dem Reichskanzler durchaus notiert haben. Noch »eigentümlicher« berührte es Cattani, dass Hänel Rauschning vorgeworfen hatte, Hitler Sätze aus dessen Buch Mein Paris und die Gespräche mit Hitler

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Kampf sowie aus Werken Ernst Jüngers sagen zu lassen – warum, so Cattani, sollte Hitler »in privaten Gesprächen nicht auch gleiche Wendungen verwendet haben … wie in öffentlichen Reden?« Immerhin, so der Rezensent, habe Hänel mit seiner Arbeit, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, einen »Durchbruch« geschafft, wie das Echo in der Hamburger Zeit, in der FAZ und in der Deutschen National-Zeitung gezeigt hätte. Letztere habe sich mit Schlagzeilen wie »So wird Deutschland belastet«, »Gruselzitate« und »Für Geld gelogen« hinter Hänels Demontage Rauschnings gestellt. Bevor an dieser Stelle eine kurze, abschließende Würdigung der Gespräche mit Hitler erfolgt, sollen noch einige weitere Beispiele dafür genannt werden, wie dieses Buch nach der skizzierten Kontroverse rezipiert worden ist und welches Schicksal den Gesprächen in der DDR widerfuhr. Ein knapper Hinweis auf die Situation in der ehemaligen Sowjetunion soll schließlich den Überblick abrunden. Eindeutig haben die Publikationen von Schieder und Hänel dazu beigetragen, dass die Gespräche in der Bundesrepublik erheblich seltener als zuvor als Primärquelle Hitler’scher Ansichten und Äußerungen herangezogen wurden. Doch es gibt sie immer noch, die Zitate aus den Gesprächen, nicht selten ohne jede quellenkritische Reflexion,761 gelegentlich aber auch mit an Chuzpe grenzenden Exkulpationsversuchen. Einige Beispiele, die erneut Vollständigkeit auch nicht von Ferne beanspruchen, müssen genügen. Der als Reader konzipierte Grundriss der Geschichte des Münchner Oldenbourg Verlages erwähnt in dem von Klaus Hildebrand verantworteten Band 17 Das Dritte Reich der zweiten Auflage von 1980 zutreffend die Arbeit Theodor Schieders zu den Gesprächen, die aber für den Uninformierten kaum als – maßvolle – Kritik an dem Rauschning’schen Buch zu erkennen ist. Ausgehend von einer knappen Vorstellung von Rauschnings Revolution des Nihilismus, fährt Hildebrand sodann fort: »… obwohl seit Theodor Schieders 1972 publizierter Untersuchung … nicht mehr länger zu übersehen ist, daß Rauschning in Hitlers Gedankenbildung und Politik durchaus schon kontinuierliche Elemente diagnostiziert hat«.762 Die sechste, im Jahre 2003 veröffentlichte Auflage des Buches von Hildebrand übernimmt diesen Befund wieder wörtlich, um ihn durch folgenden wohltemperierten Satz zu ergänzen: »Was im Übrigen Theodor Schieders grundlegende Studie in sorgsam abwägender und dennoch prägnanter Form über den begrenzten Quellenwert dieses Dokuments ausgeführt hat, darf nach wie vor ungeachtet ganz unterschiedlicher Einwände als gültig angesehen 270

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werden.« Es folgen einige Literaturhinweise, die Arbeit Wolfgang Hänels ist nicht darunter.763 Das repräsentative mehrbändige Werk des Siedler Verlages Die Deutschen und ihre Nation bedient sich in seinem fünften, im Jahre 1986 erschienenen Band mit dem Titel Verführung und Gewalt kommentarlos aus jener Passage der Gespräche, in der sich Hitler angeblich über die Erziehung der deutschen Jugend äußert: »Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen.«764 Philippe Burrin nutzt in seinem Buch über den Weg zum nationalsozialistischen Völkermord an den Juden die Gespräche zwar nur sehr sparsam, lässt den Leser aber hinsichtlich der Frage, wie es denn nun um die Authentizität des Werkes von Rauschning steht, ratlos zurück. Burrin schreibt dazu lediglich diesen Satz: »Wie viele andere Historiker halte ich die Aussagen Rauschnings in den großen Linien für akzeptabel.«765 Noch das 1082.–1085. Tausend vom September 1997 des überaus erfolgund vermutlich einflussreichen Quellenbandes Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933–1945 des Fischer Taschenbuch Verlages766 verzichtet nicht auf diesen immer wieder bemühten Abschnitt aus den Gesprächen, der sich mit Hitlers Vorstellungen zur Erziehung der Jugend beschäftigt und hier folgendermaßen beginnt: »Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden …«767 Immerhin kam diese Ausgabe des Bandes ohne ein Begleitwort aus, das der Verlag ihm noch in der Ausgabe von 1971 vorangestellt hatte und das sich auf alle in ihm abgedruckten Quellen bezog. Es hieß dort: »Die Dokumente, die Walther Hofer, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bern, zusammengestellt und kommentiert hat, sprechen eine beredte Sprache und sind unwiderlegbar. Jeder Satz hat authentischen Aussagewert …« Große Publikumswirksamkeit wird man den dickleibigen populärwissenschaftlichen Wälzern zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus der Feder von Christian Zentner bzw. dem »Redaktionsbüro Dr. Christian Zentner, München« unterstellen dürfen. Das in verschiedenen Lizenzausgaben immer wieder aufgelegte Werk Der Zweite Weltkrieg. Texte, Bilder, Karten, Dokumente, Chronik768 nennt die Gespräche mit Hitler als eines von vier Dokumenten, aus denen Zentner und seine Mitarbeiter Hitlers Kriegsziele erschließen zu können glauben. Für Zentner bestand die Leistung Rauschnings vor allem darin, dass er angeblich eine Kontinuitätslinie von Hitlers Zielen in Mein Kampf bis in die Jahre 1932–1934 ziehen konnte, in denen die Gespräche mit Hitler stattgefunden haben sollen: Paris und die Gespräche mit Hitler

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Wer aber »Mein Kampf« gelesen hatte, konnte von Rauschnings Enthüllungen über Hitlers Weltherrschaftspläne kaum überrascht worden sein. Das Bezeichnendste an Rauschnings Veröffentlichungen ist der Nachweis der Konstanz. Inhaltlich die Periode von 1932 bis 1934 behandelnd, beweist er, daß der Ablauf von zehn Jahren, die Machtübernahme und die damit verbundene Verantwortung, Hitlers gewaltige und revolutionäre Ziele in keiner Weise verändert hatten.769

Das von Zentner in den 1990er Jahren herausgegebene, knapp 700 Seiten umfassende Buch Der Zweite Weltkrieg. Daten, Fakten, Kommentare770 versuchte dann offensichtlich, den Forschungsergebnissen von Schieder und Hänel dadurch Rechnung zu tragen, dass auf explizite Rauschning-Zitate zwar verzichtet wurde und sein Name weder im Register noch in einem – tatsächlich gar nicht vorhandenen – Quellen- und Literaturverzeichnis erscheint, die Legende zu einem Foto mit marschierender Hitlerjugend den Leser jedoch so informiert: »Halbwüchsige im Hakenkreuzfahnenwald. Hitlers Idealvorstellung von der nach ihm benannten Jugend hat er einmal wie folgt beschrieben: ›In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen …‹«771 Das war der Anfang jener so oft zitierten angeblichen Hitler-Äußerung zur Jugenderziehung, wie sie sich in den Gesprächen findet.772 Im Jahre 1996 war Rauschning als Urheber dieses Zitates offenbar der Leserschaft nicht mehr zuzumuten, ein Verzicht auf das Zitat aber noch viel weniger. Der Journalist Erich Kuby, der u. a. für den Stern schrieb, wappnete sich in seinem 1986 erstmals erschienenen Polenbuch auf höchst einfallsreiche Weise gegen mögliche Kritiker, die ihm das Zitieren aus Rauschnings Gesprächen vorwerfen würden.773 Seine Rechtfertigung soll deshalb hier vollständig wiedergegeben werden. Kuby schreibt in einer Fußnote: Der Verfasser läßt hier den ehemaligen NS-Senatspräsidenten von Danzig, Hermann Rauschning, der 1936 in die Schweiz emigrierte, aus dessen Gespräche mit Hitler zu Worte kommen, obwohl ihm nicht unbekannt geblieben ist, daß sich ein Schweizer Schullehrer die Mühe gemacht hat nachzuweisen, diese Gespräche hätten nicht stattgefunden; auch ist ihm nicht entgangen, daß hoch angesehene deutsche Journalisten diese der Komik nicht entbehrende Fleißarbeit zum Anlass genommen haben, nun ihrerseits langatmig zu bestätigen, daß, warum und wie Rauschning seine nach Millionen zählende Leserschaft der Gespräche düpiert habe. Diese kritischen Untersuchungen sind nicht weniger kurios, als es Versuche waren und sind nachzuweisen, das seelenanalytische Werk Sigmund Freuds sei nichts als ein gigantischer Irrtum.

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Dem Schweizer Schullehrer sollte empfohlen werden, die Welt darüber aufzuklären, der Verfasser des Tell, ein gewisser Schiller, sei nie in der Schweiz gewesen. Kaum anzunehmen, daß das Stück dadurch verlöre. Wenn ein solches Schwindelunternehmen wie das Rauschnings zu einem Zeitpunkt, als Hitler seinen Krieg noch nicht begonnen hatte, das erste vollkommen stimmige Innenbild des Nationalsozialismus und seines »Führers« vermitteln konnte; wenn Freud das Verhältnis des Menschen zu sich selbst zu verändern vermochte und damit das kulturelle Weltklima, dann sind in beiden Fällen Leistungen vollbracht worden, zu denen jene, die am Stamm von Eichen das Bein heben, so unfähig wären wie der Witzbold Otto (gemeint ist der Komiker Otto Waalkes, A. H.), in Bayreuth den Parsifal zu singen. Dem Verfasser ist es gleichgültig, ob Rauschning die Gespräche führte oder nur seine Erkenntnisse in diese Form brachte, denn dieser Emigrant stellte als erster den »Führer« in seiner Wahrheit vor uns hin.774

Einen honorigen Umgang mit den Gesprächen unternimmt Rainer Zitelmann in seiner Studie über Hitler, die zunächst als Dissertation erschienen war.775 Hatte er in der ersten Auflage seines Buches noch – begrenzten – Gebrauch von den Gesprächen gemacht, zeigte er sich im Vorwort zur zweiten Auflage beeindruckt von seinen diesbezüglichen Kritikern und teilte seiner Leserschaft mit, nunmehr ganz »auf diese Quelle zu verzichten«776. Eine Fußnote macht dabei auf eine »Ausnahme« aufmerksam777: Sie bezieht sich auf das erwähnte Treffen auf dem Obersalzberg im August 1932, das sowohl von Rauschnings heftigem Kritiker Fritz Tobias778 als auch »inzwischen« durch das Erinnerungsbuch Otto Wageners bestätigt werde.779 Der 2014 verstorbene Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, hat darauf hingewiesen, wie wichtig das Erscheinen der außerordentlich umfangreichen Hitler-Biographie des britischen Historikers Ian Kershaw war, wichtig vor allem deshalb, weil Kershaw – anders als die Biographien Bullocks und Fests, die zweifellos »einschüchternde Maßstäbe« gesetzt hätten – auf Rauschnings Gespräche als Quelle ganz verzichtet habe. Schirrmacher verdeutlichte seine Ablehnung des Rauschning’schen Buches nur anhand eines Punktes: Hitler habe »nie so tiefsinning, wie er es in dem nietzscheanisch-nihilistischen Idiom der Rauschning-Gespräche tut, gesprochen«.780 Eine kreative Variante der Nutzung der Gespräche bietet das Buch des Historikers Rolf-Dieter Müller über Hitlers Kriegspläne gegenüber der Sowjetunion im Jahre 1939.781 Auf Seite 49 dieses Werkes heißt es bei ihm, aus den Gesprächen Hitler zitierend: »Alle Abmachungen mit Polen haben nur vorübergehenden Wert. Ich denke gar nicht daran, mich ernstParis und die Gespräche mit Hitler

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lich mit Polen zu verständigen.« Und Müller dann weiter: »– soll Hitler am 18. Oktober 1934 vor Parteifunktionären gesagt haben. Solche und ähnliche angeblichen Äußerungen stammen freilich aus den äußerst fragwürdigen Erinnerungen von Hermann Rauschning und sind deshalb wertlos.« Wenn die Äußerungen ohne Wert sind – warum bringt der Autor sie dann? Der angebliche Zitatenfundus der Gespräche erscheint wohl zu verführerisch, als dass man nicht doch einmal von ihm naschen möchte, siehe Zentner.782 Ähnlich wie der Historiker Müller war bereits Jahre zuvor auch der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein mit den Gesprächen verfahren. Hatte der Spiegel-Redakteur Wolfgang Malanowski noch die Analyse Wolfgang Hänels in höchsten Tönen gelobt und damit die Gespräche auch vor einem großen Lesepublikum verrissen, machte Augstein 1997 nun doch wieder vorsichtigen Gebrauch von dem Werk Rauschnings.783 Über Hitler und Richard Wagner schrieb Augstein: Der ehemalige Senatspräsident von Danzig, Hermann Rauschning, dessen »Gespräche mit Hitler« von fragwürdiger Authentizität sind, berichtet recht glaubhaft, Hitler habe in einer Unterhaltung mit ihm gesagt, »niemand wisse mehr, was Wagner wirklich sei. Er meine nicht nur die Musik, sondern die ganze umstürzende Kulturlehre«. Wäre dies von Rauschning erfunden, so wäre es trefflich erfunden. Selbst wenn Hitler das vielleicht nicht selbst gesagt hat, der Satz könnte von ihm sein. Das Problem sei doch, so habe Hitler Rauschning weiter erklärt, wie man »den Rassenverfall aufhalten« könne.784

In den letzten Jahren fanden die Gespräche im deutschsprachigen Raum nur noch vereinzelt Verwendung als vermeintliche Primärquelle zur Person Hitlers. So nutzte Hans Magnus Enzensberger sie für seine »historisch-literarische Experimentalcollage« Hammerstein oder Der Eigensinn an einer Stelle unkritisch785 und in ähnlicher Weise verfuhr Barbara Beuys in ihrem Werk über Sophie Scholl786. Die Staats- und Parteiführung der DDR scheint hinsichtlich der Gespräche mit Hitler unsicher gewesen zu sein. Allzu viele Exemplare der ersten deutschen Ausgabe von 1940 waren auf dem späteren Staatsgebiet der DDR bei Kriegsende kaum vorhanden, und ob diese Ausgabe sowie fremdsprachige später in nennenswerter Zahl beschafft worden sind, dürfte zweifelhaft sein. Von Wolfgang Hänel, dem aus der DDR stammenden entschiedenen Rauschning-Kritiker stammt die Aussage, dass »man selbst uns 274

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Geschichtsstudenten in der DDR nicht erlaubt« habe, die Gespräche »zu lesen«.787 Dagegen steht die Mitteilung des bereits zu DDR-Zeiten tätigen Historikers und Hochschullehrers Manfred Weißbecker an den Verfasser, es habe »jedenfalls kein Verbot, dieses Buch zu lesen«, gegeben, allerdings sei etwa die Jenaer Universitätsbibliothek nach 1945 von Publikationen der Jahre 1933 bis 1945 gesäubert worden. Nach Weißbecker hing es wesentlich von dem einzelnen Dozenten ab, inwieweit er bzw. sie die Studierenden in seine/ihre Forschungstätigkeit einbezog und sie gegebenenfalls mit sogenanntem Berechtigungsscheinen ausstattete, mit denen in der Deutschen Bücherei in Leipzig in der dortigen »Giftabteilung« ein »freier Einblick« in Literatur wie etwa die Gespräche genommen werden konnte. Er, Weißbecker, und sein Kollege Kurt Pätzold hätten das Buch Rauschnings für ihre eigenen Werke durchaus verwendet.788 Der Beinahe-Namensvetter Pätzolds, Joachim Petzold, zog die Gespräche in seinem zuerst im Ost-Berliner Akademie-Verlag erschienenen Buch über den »Hitlerfaschismus« wiederholt und dabei völlig unkritisch als Primärquelle heran.789 Von dem »gelernten« DDR-Historiker Mario Keßler erhielt der Verfasser die Information, dass sich »Rauschnings Bücher … in der DDR einerseits« im »Giftschrank« von Bibliotheken befanden, sie »andrerseits in der Bibliothek« der Akademie der Wissenschaften der DDR »für Mitarbeiter ohne Weiteres ausleihbar« waren. Rauschning sei in der DDR-Forschung, so Keßler, »zögernd zugutegehalten« worden, »dass er am Ende doch ein Hitlergegner war und ins Exil musste«.790 In der sowjetischen Geschichtswissenschaft galten die Gespräche offenbar noch bis kurz vor dem Untergang der UdSSR als seriöse Quelle. Der sowjetische Historiker Vjaceslav Dasicev hielt anlässlich der internationalen Historikerkonferenz über »Die Entfesselung des 2. Weltkrieges und das internationale System«, die vom 21. bis zum 23. August 1989 im Berliner Reichstag stattfand, ein Referat mit dem Titel »Planungen und Fehlschläge Stalins am Vorabend des Krieges – der XVIII. Parteitag der KPdSU (B) und der sowjetisch-deutsche Nichtangriffspakt«.791 Nicht nur habe Hitler in Mein Kampf »die Erwerbung der notwendigen Scholle für unser deutsches Volk« im Osten gefordert – »noch deutlicher« sei Hitler gegenüber Hermann Rauschning geworden, erklärte Dasiscev in seinem Vortrag, und er zitierte dazu jene Textstelle aus den Gesprächen, in der Hitler angeblich sein taktisches Bündnis mit »Rußland« erwähnt, das er aber, falls erforderlich, ebenso gut wieder rückgängig machen könne.792 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Dass die Gespräche in den postsozialistischen Ländern nach wie vor auf Interesse stoßen, zeigen nicht nur neue Ausgaben des Buches in Polen und Kroatien.793 Auch in der Russischen Föderation erschien 1993 eine russische Ausgabe mit einer Auflage von 25.000 Stück, kombiniert in einem Band mit der russischen Übersetzung von Rauschnings The Beast from the Abyss.794 Der erste Teil des Gesamtwerkes, das die Übersetzung der Gespräche enthält, verzichtet auf das Schlusskapitel »Hitler privat«. Das Buch enthält darüber hinaus zahlreiche Schwarzweißfotografien von Hitler und von Szenen aus dem »Dritten Reich«. Was bleibt am Ende von den Gesprächen? Als eine Art Steinbruch, aus dem man nach Belieben authentische Äußerungen Hitlers brechen zu können glaubt, sollten sie unwiderruflich ausgedient haben. Zusammen mit bestimmten Darlegungen Rauschnings in seinem Nihilismus-Buch – hier ist vor allem an die für das Veröffentlichungsjahr 1938 sensationelle Erörterung der Möglichkeit eines Bündnisses zwischen Hitler und Stalin zu erinnern – gewinnen sie ihre merkwürdige Faszination (Moltmann: »Ärgernis«) in der Retrospektive durch die Erkenntnis, dass sich vieles im Zuge der NS-Herrschaft so oder so ähnlich ereignet hat, wie Rauschning es 1939/40 beschrieben hatte. Rauschning selber hatte in seinem Buch niemals eine Quellensammlung gesehen, er hatte zur Verwirrung allerdings insofern beigetragen, als er im Vorwort zumindest der deutschsprachigen Ausgabe schlicht erklärte: »Diese Gespräche mit Hitler sind authentisch.«795 Man könnte auch sagen, dass er damit eine falsche Fährte gelegt hatte, zu deren späterer öffentlicher Korrektur er, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit war. Zurückzuweisen ist jene Kritik an den Gesprächen, die in ihnen eine glatte Fälschung sieht – so etwa Hänel und Teile der Hänel bloß unkritisch reproduzierenden deutschen Publizistik –, gerade so, als habe sich Rauschning das Buch von A bis Z aus den Fingern gesogen. Er selber hat Gesprächsinhalte in einem Zusammenhang bestätigt, der es völlig unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass er dabei die Unwahrheit wiedergab. Von seinem neuen Exil in London aus schrieb er am 14. April 1940 an seine mittlerweile nach Frankreich übergesiedelte Frau, dass er durch die wenige Tage zuvor begonnene deutsche Invasion Dänemarks und Norwegens in entsprechenden Passagen seines Buches bestätigt worden sei: »Es könnte doch sein«, äußerte er gegenüber seiner Frau, »daß dieses Biest von Berlin noch mehr von seinen Indianerträumen wahr macht. Das mit 276

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Norwegen ist ja die wörtliche Ausführung dessen, was er mir schon im Jahre 34 bezüglich Schwedens gesagt hat, und was hier und in anderen Ländern als ein Zeichen meiner Übertreibung vermerkt worden ist, weil Hitler doch Zeichen seiner überlegenen, rein rationalen Führung gegeben habe.«796 Und zehn Tage später schlich sich eine Spur Schadenfreude in einen weiteren Brief an seine Frau, als er ihr mitteilte: »Mein Kurswert ist hier wieder stark gestiegen seit Herr Hitler mir den Gefallen getan hat, sein Gespräch über Skandinavien wörtlich zu bestätigen.«797 Auch sei hier noch einmal an Rauschnings Wiedergabe von angeblichen oder tatsächlichen Äußerungen Hitlers zur bakteriologischen Kriegführung erinnert, die sich eben nicht nur in den Gesprächen, sondern in den Mitteilungen der Journalistin Elizabeth Wiskemann und in der Korrespondenz Rauschnings mit Erich Brost rund drei Jahre vor dem erstmaligen Erscheinen der Gespräche finden. Aus Anlass des 70. Geburtstages von Hermann Rauschning am 7. August 1957 schrieb sein Neffe Johann Wolfgang Werner einen kleinen Text über seinen Onkel, in dem er – Jahre vor der Schieder/Hänel/Rauschning-Kontroverse – die Gespräche als »Gedächtnisprotokoll« bezeichnete, »gestützt auf Aufzeichnungen während und nach den Unterredungen 1932/1933 …« Werner war, wie weiter unten zu zeigen sein wird, der engste Mitarbeiter Rauschnings während dessen Aufenthaltes in der Bundesrepublik zwischen 1954 und 1956.798 Das Wenigste dieses »Protokolls« dürfte dabei Originalton ­Hitler gewesen sein, wobei eine genaue Quantifizierung nicht möglich ist. Gleiches gilt auch für die Informationen, die Rauschning nach eigenen Angaben von Gauleiter Forster erhalten haben will. Hier wäre zusätzlich zu bedenken, dass die Zeitspanne ihrer einigermaßen gedeihlichen Zusammenarbeit recht kurz war und es wenig plausibel ist, anzunehmen, dass Forster Rauschning in dieser begrenzten Zeit solch sensationelle Ansichten und Pläne Hitlers enthüllt haben soll, wie sie die Gespräche mit Hitler vermeintlich offenbaren. Auch heute wird man sich angesichts der Quellenlage zu den Gesprächen dem Urteil Theodor Schieders anschließen müssen, dass es letzten Endes sehr zweifelhaft ist, ob hier tatsächlich Hitlers Aussagen wiedergegeben wurden bzw. in welchem Umfang dies geschah oder ob Rauschning hier Zeugnis ablegte von seiner »außerordentlichen Fähigkeit der tiefenpsychologischen Auslotung von Hitlers Charakter, verbunden mit einem hochentwickelten Sinn für Prognose«.799 Paris und die Gespräche mit Hitler

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Dass die Gespräche im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte in erster Linie eine drastische Warnung an die Alliierten sein sollten, ihre Eliten zur Besinnung bringen und diese sich schleunigst von der Vorstellung verabschieden sollten, mit diesem vielfach als lächerlich dargestellten Hitler werde man schon fertig – man erinnere sich an das Diktum Veit Valentins, wonach die Geschichte Hitlers die Geschichte seiner Unterschätzung sei –, dies hat kaum jemand so klar erkannt und zum Ausdruck gebracht wie der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann. Heinemann kannte Rauschning aus jener kurzen Phase in den 1950er Jahren, als der ehemalige Danziger Senatspräsident ein politisches Comeback im westlichen Teil Deutschlands versuchte. Anlässlich des 85. Geburtstages von Rauschning schrieb Heinemann diesem nach Oregon: »Sie haben sich vor der Geschichte das bleibende Verdienst erworben, der Erste gewesen zu sein, der auf Grund persönlicher Kenntnisse und Erfahrungen das wahre Antlitz des Diktators Hitler enthüllt hat. Wenn man nur mehr auf Sie gehört hätte!«800

London und Die Konservative Revolution Aus den letzten Tagen Hermann Rauschnings in Paris sind drei Briefe erhalten: Neben einem Schreiben an Hans-Joachim Schoeps sind dies je ein Brief an die österreichisch-jüdische Mentalitätshistorikerin Lucie Varga, der er – vermutlich auf Anfrage – kurz mitteilte, dass seine Bibliothek in Polen geblieben sei, sowie ein Schreiben vom 8. November 1939 an Golo Mann, das auf zwei von dessen Briefen antwortete und in dem er bedauerte, aus Zeitgründen keinen Artikel für Maß und Wert schreiben zu können. Er befinde sich auf dem Wege nach London, wo ihn eine »ihm wenig Muße lassende organisatorische Aufgabe« erwarte.801 Noch an diesem 8. November nahm er das Schiff in Boulogne-sur-Mer, von wo aus er am nächsten Tag Folkestone erreichte. Am 10. November ließ er sich in London beim Ausländermeldeamt registieren. Viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg notierte Rauschning in einem von ihm kommentierten Verzeichnis seiner Schriften, dass es der damalige diplomatische Sonderberater im Foreign Office, Lord Vansittart, gewesen sei, der ihn nach England »eingeladen« und damit seinen Wechsel von Paris auf die Insel entschieden habe.802 Es habe in England Erörterungen darüber geben sollen, so Rauschning, wie man eine »wirksame Unterstützung des deutschen Widerstandes, u. a. Regierung in exile«,803 bewerkstelligen könne. 278

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Den letzten Anstoß für die lang ersehnte »Einladung« dürfte ein undatiertes kurzes Schreiben Rauschnings aus Paris an den Agenten und engen Vansittart-Vertrauten Group Captain Malcolm Christie gegeben haben, das der ehemalige Senatspräsident an die Adresse des »Travellers Club« in der Londoner Pall Mall richtete. Einleitend bedauerte Rauschning in dem Schreiben, dass er Christie bei seinem letzten Besuch in London nicht mehr habe sprechen können, um dann fortzufahren: Ich stelle Ihnen alles zur Verfügung, was ich ausgearbeitet habe bzw. was ich noch an Vorschlägen ausarbeiten kann (Vorschläge für eine Taktik der psychologischen Waffe, geeignete Propaganda nach dem Reich, Aufrufe pp). Ich stelle mich voll und ganz Ihnen und Ihrer Regierung zur Verfügung, falls Sie mich gebrauchen können. Falls Sie meine Anwesenheit in London für empfehlenswert halten, bitte ich um eine Einladung, da ich sonst kaum mehr herüberkommen werde. Man wird wahrscheinlich hier an mich herantreten. Es würde aber meinen Neigungen mehr entsprechen in London zu arbeiten.804

Bereits einen knappen Monat nach dem deutschen Überfall auf Polen hatte Christie ein vierseitiges »Memo« an Vansittart gerichtet, das »grobe Vorschläge für ein Deutsches Beratungskomittee (sic)« bei der Eröffnung einer »psychologischen Front« im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland enthielt.805 Konkret riet Christie, »ein oder zwei Schlüsselmänner, Deutsche«, deren Fähigkeit und Verlässlichkeit erwiesen sei, für zunächst »sechs Monate auf Probe« nach London zu holen. Bei einer Entlohnung von »nicht mehr als 50 Pfund monatlich« sollten sie streng abgeschieden antinazistische Propaganda ausarbeiten. Ein Deutsch sprechender britischer Sekretär – im weiteren Verlauf des Memos schlug Christie seinen Vertrauten Conwell-Evans vor – solle dabei helfen. Das kleine Gremium solle eine Auswahl deutscher Tageszeitungen, Kopien deutscher Rundfunksendungen sowie deutsche Regierungsverlautbarungen usw. auswerten. Unter Hinzuziehung zusätzlicher Informationen aus anderen Quellen könne so von Woche zu Woche ein authentisches Bild von den Zuständen im Reich gewonnen werden. Christie hob hervor, dass es ihm nicht darum ginge, dem Komitee irgendwelche Funktionen jenseits der Analyse, der Kritik und der Empfehlung zuzubilligen. Das Team der Deutschen müsse harmonisch kooperieren und dabei unterschiedliche Mentalitäten und Erfahrungen berücksichtigen. Als »ersten Schritt« empfahl Christie »Dr. Hermann Rauschning nach London« zu holen. Er London und Die Konservative Revolution

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sei ein »first class brain«, habe aus seiner Danziger Zeit »enge persönliche Kenntnis über Hitler und die Nazi-Partei« und sei ein »objektiv fähiger Richter in kompliziertesten Fragen«. Die Franzosen machten keinen Gebrauch von ihm. Er, Christie, kenne ihn gut, und dies seit zwei Jahren. Sobald Rauschning in London sei, könne er zweifellos noch den einen oder anderen fähigen Deutschen benennen. Er selber, so Christie, schlage »Dr. Otto Strasser« vor, den er ebenfalls kenne. Seines Wissens würde auch Rauschning Strasser favorisieren, jedoch solle man nicht an Strasser herantreten, bevor Rauschnings Meinung vorliege.806 Am Schluss seines Papiers schlug Christie noch den Posten eines Deutsch sprechenden Vorsitzenden vor, der über die ausgearbeiteten Vorschläge und deren Dringlichkeit mit Regierungsautorität befinden solle. Kein Geringerer als Vansittart selber kam für Christie hierfür in Frage: »I feel that if you are able to help by performing this service of Chairman, the success of the work would be assured.« Es gehört zur Tragik von Rauschnings insgesamt nicht sehr erfolgreichem Wirken in England, dass es eng mit Vansittart verknüpft war – dies vielleicht weniger wegen dessen Deutschenhasses als vielmehr wegen seiner Einflusslosigkeit, seit er Anfang 1938 auf Betreiben Chamberlains den Posten als Permanent Under-Secretary of State im FO zu Gunsten von Sir Alexander Cadogan hatte räumen müssen. Bruce Lockhart, langjähriger Diplomat, Russlandexperte und während des Zweiten Weltkriegs im Leitungsgremium der »Political Warfare Executive«, attestierte Vansittart nach dem Krieg, »den Gang der Ereignisse mit unheimlicher Präzision vorhergesagt« zu haben, doch habe ihm seit 1938 jeglicher Einfluss gefehlt. Er sei ein »Ratgeber gewesen, dessen Rat nicht gesucht und, wenn erteilt, dann nicht angenommen wurde«.807 Die »Beförderung« Vansittarts auf den unbedeutenden Posten eines »Diplomatischen Chefberaters« im FO hatte auch der sowjetische Botschafter in London, Maiski, ähnlich kommentiert: »Man wird die Berufung in sein neues Amt als eine Degradierung betrachten müssen, genauer gesagt, als eine Vorstufe zum Altenteil, allerdings mit Uniform, Auszeichnungen und einer Pension. Wir werden sehen, was wir sehen werden,«808 notierte Maiski in seinem Tagebuch unter dem 4. Januar 1938. Immerhin griff Vansittart die Grundgedanken Christies hinsichtlich einer Nutzung deutscher Emigranten für die Feindpropaganda auf, indem er im November 1939 Außenminister Lord Halifax eine Aufzeichnung zugehen ließ, die Christies Ideen reflektierte. Er befürworte mit Nach280

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druck, dass »Herr Rauschning und Herr Höltermann bei allen Rundfunksendungen auf Deutsch konsultiert« werden sollten, schrieb er. Rauschning genieße das Vertrauen noch intakter bürgerlicher deutscher Kreise, während Ähnliches für Höltermann und sein Verhältnis zur Linken in Deutschland gelte. Und Vansittart wiederholte abschließend den äußerst begrenzten Radius der Einflussnahme, den man den Deutschen zubilligen solle: »Konsultation« verpflichte London zu nichts.809 Herbst und Winter 1939/40 war die Zeit der nachweisbaren Einbeziehung Hermann Rauschnings in die britische Außen- und vor allem Propagandapolitik. Vor dem Regierungswechsel im Mai 1940, als Winston Churchill die Nachfolge von Chamberlain als Premierminister antrat und damit das Kriegsziel einer militärischen Niederringung Deutschlands in London feststand, besaß er im Foreign Office durchaus Zuhörer, insbesondere zählte Vansittart dazu. Whitehall hatte sich mit SPD-Emigranten schwergetan und statt ihrer, wenn überhaupt, deutsche Konservative vom Schlage Rauschnings bevorzugt.810 Nicht zuletzt Rauschnings Warnungen vor einer Bolschewisierung Deutschlands fanden hier nach wie vor offene Ohren. So findet sich im Nachlass des britischen Sozialwissenschaftlers Mark Abrams, der von 1939 bis 1941 für das Overseas Research Department der BBC arbeitete und somit für die Auswertung der nationalsozialistischen Propagandasendungen mitverantwortlich war, die englische Übersetzung jenes »kleinen Memorandums« von Ende September/Anfang Oktober 1939, in dem Rauschning – wie oben dargelegt – die Lage »nach einem Monat Krieg« analysiert und dabei vor allem auf die Gefahr der drohenden Bolschewisierung Deutschlands hingewiesen hatte.811 Der Übersetzer des Papiers, George Lawrence, hielt sich bei seiner Übertragung ins Englische streng an die deutsche Vorlage, erlaubte sich jedoch eine eigene Fußnote. Zu Rauschnings Versuch, bei seinen Lesern Ängste vor einem »preußischen Aggressionsgeist« und einer »Clique dominierender Junker« im Falle einer vorübergehenden »deutschen Miliärdiktatur« zu zerstreuen und dabei diesen Kreisen eine gewisse Mitschuld an der »gegenwärtigen Situation« zuzuweisen, merkte Lawrence u. a. mit Verweis auf die englische Übersetzung der Revolution des Nihilismus an, dass nach Rauschning ebendiese Kreise einen »fatalen Fehler begangen« hätten, als »sie den Nazismus für eine konservative Bewegung gehalten« hätten, die man »als Barriere gegen Radikalismus« hätte nutzen können. Der Nazismus sei selber ein nihilistischer Radikalismus, der seinerseits wohlmeinende London und Die Konservative Revolution

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Konservative instrumentalisiert habe.812 Auch Sir Alexander Cadogan las das »kleine Memorandum« und lehnte Rauschnings Vorschläge, die auf eine Beseitigung Hitlers im Falle eines militärischen Rückschlages zielten, nicht rundweg ab. Dass dabei die Wehrmacht nicht völlig geschwächt werden sondern für eine Übergangszeit die Kontrolle im Reich behalten sollte, fand Cadogan jedoch »schwierig auszuführen«.813 Immerhin sah sich Rauschnings Papier insofern gewürdigt, als eine englische Zusammenfassung des Historikers Edward L. Woodward in Druck ging, was damals nur wenigen vergleichbaren Dokumenten widerfuhr.814 Es blieb in der Folgezeit insbesondere Vansittart vorbehalten, gegen die Vorstellung eines Kriegsendes ohne die restlose Diskreditierung des preußischen Militarismus zu wettern. Zunächst, so Vansittart, müsse der Krieg gewonnen werden, bevor man sich auf irgendwelche Verhandlungen mit »einem fetten Feldmarschall und Phantomgeneralen« einlasse.815 Der dem Appeasement zugerechnete Lord Halifax zeigte sich jedoch von den Ansichten Vansittarts unbeeindruckt und folgte einer Empfehlung des Labour-Politikers Hugh Dalton, Rauschning zu einer Privataudienz einzuladen, die am 15. Dezember 1939 stattfand.816 Während Halifax in der Unterredung diplomatisch unverbindlich blieb und nur allgemeine Stellungnahmen der Regierung zur Exilfrage wiederholte, nutzte Rauschning die Gelegenheit zu deutlichen Ratschlägen. Nach seiner Auffassung sollte das deutsche Volk mit einer Politik der Hoffnung und Furcht konfrontiert werden: Nur bei einem rechtzeitigen Frieden sollte es mit großzügiger Behandlung rechnen dürfen. Die Drohung mit einem harten Frieden für den Fall, dass sich die Deutschen nicht rechtzeitig eines Besseren besännen, sollte dann in der Tat zu einem ständigen Refrain der britischen Propaganda werden. Rauschning schien zu bestätigen, dass die alte Führungsschicht im Reich Hitler und sein Regime gründlich satt hatte, aber nicht wusste, wie sie sich ihrer entledigen sollte. Halifax’ Gegenüber war klug genug, keine Illusionen über einen baldigen Zusammenbruch des Berliner Regimes zu erwecken. Denn in einem Memorandum des Political Department des Foreign Office von Ende Oktober 1939 hatte es geheißen, dass London nicht auf einen baldigen Umsturz rechnen dürfe. Nichts deute ernsthaft auf eine Revolte in Deutschland, noch gebe es Hinweise darauf, dass die Bevölkerung ihr Vertrauen in »Hitler’s lucky star« verloren hätte. Seit dem Kriegsausbruch am 1. September besann sich die Politik des Foreign Office wieder verstärkt auf ihre traditionelle Linie, die auf eine »balance of power« auf dem Kontinent setzte, was im Umkehr282

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schluss ein Abrücken vom Appeasement und ein Hinarbeiten auf eine spürbare Schwächung Deutschlands bedeutete. Ebenso wenig war man geneigt, sich auf Mindestbedingungen für einen Kompromissfrieden festzulegen, der das ständig den Status quo in Europa herausfordernde Machtpotential Preußen-Deutschlands unangetastet gelassen hätte. Aus diesen Gründen sah die Regierung bewusst von einer Präzisierung ihrer Kriegsziele ab, ein Beschluss, der bereits am 9. Oktober im Kabinett gefasst worden war und trotz häufiger Kritik im Prinzip für die Dauer des gesamten Krieges nicht mehr revidiert werden sollte. Auch mit Rücksicht auf den französischen Bündnispartner empfahl sich dieser Kurs, insbesondere seitdem immer klarer wurde, dass dem bisherigen »phoney war« ein blutiger Krieg folgen musste. Seit Oktober 1939 stand darüber hinaus fest, dass nach einem bloßen Regierungswechsel an der Spitze des Reiches Paris noch weniger als London wieder zur Tagesordnung übergehen würde. Das Foreign Office hatte sich diese Linie zu eigen gemacht, ohne damit jedoch automatisch allzu drastische territoriale Kriegsziele gegenüber Deutschland mitzutragen. Allein in der Frage der künftigen politischen Gestaltung der Landkarte Deutschlands durften die Emigranten auf Einflussmöglichkeiten in Großbritannien hoffen. Vor allem auf der eher konservativen und liberalen Seite zeigte sich dabei eine Übereinstimmung insofern, als die Gesundung Deutschlands nur auf einer grundsätzlich föderalistischen Grundlage denkbar war. Entsprechend äußerte sich auch Rauschning gegenüber Halifax, wenn er betonte, dass die künftige verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands nach dem föderalen Prinzip erfolgen sollte, die alten deutschen Staaten also in einer föderativen Ordnung zusammenzufassen seien. Nach dem Fiasko des Kaiserreichs und dem Scheitern der Weimarer Republik sollte sich die Demokratie von unten entfalten, etwa im Rahmen einer Rheinischen Republik oder des Königreichs Bayern. Insbesondere der Gedanke an eine Zurechtstutzung – wenn nicht gar Amputierung – Preußens bereitete Rauschning Bauchschmerzen – anders als etwa dem Emigranten Sebastian Haffner, der sich zwar auch gegen eine Teilung Deutschlands wandte, aber auf jeden Fall Preußen eine künftige herausragende Stellung im Reich absprechen wollte. Mindestens dieser Punkt markierte die Grenze des Rauschning’schen Einfluss im Foreign Office im Gegensatz zu dem Haffners, der sich in dieser Frage mit föderalistischen Vorstellungen süddeutscher Widerstandskreise berührte und der wiederum Vansittart beeindruckte und diesen formulieren ließ: »Don’t break up Germany; break up Prussia, and London und Die Konservative Revolution

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do it good and proper.« Nach Abschluss seines Gesprächs mit Rauschning urteilte Halifax freundlich über seinen Gast: »Eine angenehme (agreeable) und interessante Person.«817 Auch von Rauschning ist eine Version seiner Unterredung mit Halifax überliefert. In dem bereits erwähnten undatierten Schreiben Rauschnings aus seinem New Yorker Exil an einen unbekannten Diplomaten findet sich dazu eine längere Passage.818 Es heißt dort: Es war mir von englischen Stellen nahegelegt worden, nach England zu kommen, um dort an der Vorbereitung einer geeigneten Aufklärung des deutschen Volkes teilzunehmen … Ich erfuhr sehr bald, daß meine Reise (als erster Emigrant) während des Krieges nach England mit größtem Mißtrauen von deutschen und französischen sozialistischen und trade unions Kreisen betrachtet wurde. Mir folgte der Verdacht, daß ich für einen Frieden wirken wollte. Nun war dieser Verdacht … nicht ganz unbegründet. Ich habe es ständig – und notabene auch heute noch – für meine Aufgabe gehalten, den Krieg an dem ersten möglichen Augenblick zu beenden. Aber – und das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, die conditio sine qua non war der Sturz des Hitlerregimes (die letzten vier Wörter im Original unterstrichen, A. H.), einschließlich solcher Persönlichkeiten wie Göring, Heß, pp … Nun waren aber gerade damals wichtige Kreise sowohl in England als in Frankreich interessiert daran, zu einem Frieden zu kommen, ohne (letztes Wort im Original unterstrichen, A. H.) daß das Regime in Deutschland gestürzt wurde … Frau Dalton, die ehrgeizige Frau des späteren Minister of Economic Warfare … forderte mich geradezu leidenschaftlich auf, alle meine Beziehungen zunutze zu machen, daß es zu einem Frieden käme … Es waren damals die Monate, in denen geradezu so etwas wie ein Wettlauf der Parteien stattfand, wer der Welt den Frieden bringen würde. Nicht bloß die torys, ebenso die damals noch in der Opposition befindlichen Labour-Leute suchten krampfhaft nach einem Friedensstart. Dies war November/Dezember 1939 so wie im Februar, Anfang März 40, als ich zum zweiten Mal nach England herüberkam, der Fall. Ich habe rundweg und mit größter Entschiedenheit abgeraten, sich mit Göring auf Verhandlungen einzulassen.819 Ich will mein Gespräch mit Halifax nicht näher skizzieren. Ich glaube, ich habe ein klein wenig dazu beigetragen, daß ein Kompromiß mit den Nazis nicht zustande kam. Mein Gespräch stand unter dem Eindruck meines soeben erschienenen Hitlerbuches, das Eden in einer wichtigen Rede in Oxford zitierte, das Halifax und andere beeindruckt hatte und sozusagen den Fürsprechern des Nationalsozialismus ein anderes Bild zeigte als den harmlosen und imbezilen dummy Hitler. In diesem Buch war vor allem eine Bemerkung zur Kenntnis genommen: nämlich über Göring als den Anstifter des Reichstagsbrandes.

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Rauschning lässt sich des Weiteren kurz über mögliche Friedensfühler von Goebbels und Göring aus, um dann fortzufahren: Nun ist kein Zweifel, daß Göring ein Doppelspiel trieb. Jedenfalls ist die Frage eines Friedens erörtert worden, wobei auch die Abdankung Hitlers eine Rolle spielte. Ich entnehme dies gewissen Fragen, die mir gestellt wurden. Daß Hitler immer mit dem Scheinmanöver eines Rücktritts gespielt hat, um dann später mit umso größerer Gloriole wieder hervorzutreten, hatte ich schon früher – eben in jenem Hitlerbuch – berichtet. Ich habe deswegen in meinem Gespräch mit Halifax und gegenüber anderen englischen Politikern betont, daß in einem Scheinrücktritt Hitlers (frisiert als »das selbstlose Opfer, das dem deutschen Volk den heißersehnten Frieden bringt«) als (sic) größte Gefahr für die Zukunft zu erblicken wäre. Allerdings war es bei dem brutalen Zynismus des Bullen Göring durchaus möglich, daß dieser zwar im Einverständnis mit Hitler handelte, aber später nicht wieder Hitler zu Macht verholfen, sondern sich selbst im Besitz der höchsten Gewalt gesonnt hätte.

Einer weiteren britischen Aufzeichnung über das Gespräch Rauschnings mit Halifax zufolge hatte Rauschning darin angedeutet, dass die Briten Göring »mochten, weil er während diplomatischer Unterredungen nicht in den Zähnen pule«.820 Aus den Tagen unmittelbar vor Weihnachten 1939 finden sich in den Unterlagen des Foreign Office für längere Zeit die letzten Erwähnungen Hermann Rauschnings. Die Aufzeichnung eines unbekannten Beamten des Foreign Office für Sir Cadogan vom 17. Dezember spiegelt noch einmal das Urteil führender britischer Politiker über den der Preußennähe verdächtigen Rauschning wider und gibt zugleich Aufschluss über das hartnäckige Bemühen sozialdemokratischer Emigranten, in Whitehall Gehör zufinden.821 Der Verfasser der Aufzeichnung berichtete Cadogan davon, dass ihn am Vormittag der Internationale Sekretär der Labour Party, William Gillies, aufgesucht habe. Gillies, den er schon seit Jahren kenne, habe darum gebeten, dass der deutsche sozialdemokratische Emigrant Hans Vogel zu einem Gespräch im Foreign Office empfangen werde. Er wolle sehen, was er tun könne, habe er, der Verfasser, versprochen und Gillies umgehend zum Lunch eingeladen. Mit Hilfe des »barley water« im »Travellers Club« sei es ihm gelungen, »die Zunge« Gillies’ zu lösen, der im Übrigen einen etwas bedrückten Eindruck gemacht habe. Dann habe Gillies darüber geklagt, dass nach seiner Auffassung fast nur Emigranten der »Rechten« Zugang zu den wichtigen Figuren dieser Tage und damit auch London und Die Konservative Revolution

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einen gewissen Einfluss bekämen. Rauschning beispielsweise, so G ­ illies, sei zugegebenermaßen »fähig, aufrichtig und direkt, aber nichtsdestoweniger ein deutscher Nationalist«. Rauschnings erklärtes Ziel sei der Sturz des »Nazi-Regimes«, das umgehend durch ein Regime »wohlwollender« (»benevolent« im Original) Generäle ersetzt werden sollte. Natürlich wollten diese Generäle so viel vom »Großdeutschen Reich« retten wie möglich und ebenso selbstverständlich wollten sie das »System des freien Unternehmertums« wiederherstellen – »mit anderen Worten ihre alten Verbündeten zurückrufen, the Junkers and the Grossindustriellen«. In diese »Galerie« gehörten Edmund Stinnes – »and shortly, no doubt, to be joined by Fritz Thyssen« – und viele Repräsentanten des Deutschland von 1914. Doch, so der Autor des Berichts, erst nach einem weiteren Glas barley waters habe Gillies eingeräumt, seine Sorge sei keineswegs ideologischer Natur. Vielmehr habe er Angst, dass sich die britische Regierung unter dem Einfluss rechtsgerichteter Emigranten zu einem »irgendwie zusammengestoppelten Frieden« mit dem Reich bereit erklären könne. Dagegen, habe Gillies erklärt, könne es doch nur um die vollständige Niederwerfung der Deutschen gehen, sonst habe man in wenigen Jahren wieder Probleme mit ihnen, dann jedoch aus einer schwächeren britischen Position heraus. Warum, so habe Gillies gefragt, all das »pathetische Getue« um eine Unterscheidung zwischen »guten« und »schlechten« Deutschen? Entweder werde Deutschland »uns« besiegen oder »wir« das Reich. In diesem Krieg, der in Wahrheit bereits 1914 begonnen habe, könne es kein Unentschieden (»draw«) geben. Um zu seinem Ausgangspunkt zurückzukommen, so Gillies, müsse London für den Fall, dass Deutschland geschlagen würde und Chaos und Anarchie in »diesem unglücklichen Land« herrschten, dafür Sorge tragen, dass nicht Militaristen »and the bosses« die Ordnung wiederherstellten, sondern eher Sozialdemokraten und Pazifisten. Nicht so sehr deshalb »solle man flüstern, dass wir meinten, Letztere hätten unbedingt Recht, sondern eher deshalb, weil sie nach unserer Auffassung weniger gefährlich« seien. Es sei einfacher, sich Deutschland – »or Germanies« – von diesen im Rahmen einer »Western Union« regiert vorzustellen als dasselbe durch einen Staat, der von »Preussentum und Sozialismus« (so im Original) durchtränkt sei. In einem Postskriptum erklärte der Verfasser der Aufzeichnung, er habe versäumt, noch ein wesentliches Argument von Gillies zu erwähnen: Die »rechten Emigranten« seien nach dessen Meinung nur aus zwei Gründen »anti-Nazi«. Zum einen habe Hitler ihr Leben und das ihrer Freunde »unerträglich« gemacht, und zum anderen 286

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seien sie wütend darüber, dass die deutsche Nation in den Krieg geführt worden sei, bevor sie wirklich bereit dazu gewesen sei.822 Die Sozialdemokraten Hans Vogel und Erich Ollenhauer wurden umgehend von Ivone Kirkpatrick im Foreign Office empfangen. Zwar machten sie auf den Briten einen »vernünftigen Eindruck«, doch hatten sie andrerseits nichts wirklich Neues zu berichten, stellte Kirkpatrick in seiner Gesprächsaufzeichnung fest.823. Ein weiteres Mal wurde Hermann Rauschning Gegenstand einer Unterredung im Foreign Office. Am 19. Dezember fand dort ein »vollständig persönliches Gespräch« zwischen dem Leiter der Europa-­Abteilung im FO, William Strang, und dem Geschäftsräger an der Französischen Botschaft in London, Roger Cambon, statt.824 Cambon setzte Strang darüber in Kenntnis, dass er Informationen bezüglich der Gründung eines Deutschen Nationalrates in England erhalten habe, der auch die Zustimmung der britischen Regierung genieße. Otto Strasser spiele bei diesem Vorhaben offenbar eine gewisse Rolle. Cambon berichtete sodann über Rauschnings Aktivität in Paris. Dort habe er ein Memorandum von 25 bis 30 Seiten vorgelegt, von dem sich eine Kopie auch im Besitz der Französischen Botschaft befinde. Die »kommunistische Gefahr« bezeichne Rauschning darin als große Bedrohung für Europa. Wenn die Alliierten nur bei Verstand seien, so heiße es in dem Papier weiter, könnten sie leicht Frieden haben und dann gemeinsam mit der Reichswehr für das Ziel der Unterdrückung des Bolschewismus arbeiten. Rauschning erwarte Otto Strasser in London, wo sie gemeinsam in einer Gruppe arbeiten wollten. Nach Cambons Informationen gebe es bereits eine solche deutsche Gruppe, die aber unter dem Deckmantel völlig legaler Aktivität »bestimmte Ideen unter einflussreichen Leuten« auf der Insel propagiere. Zu den Personen, die er unter dem Einfluss der Gruppe sah, zählte Cambon den Journalisten und Historiker Wickham Steed sowie den Erzbischof von York. Offenbar betrachte sich dieses »Komitee« als Kern einer zukünftigen deutschen Regierung. ­Cambon nannte es »merkwürdig«, dass Leute, die nicht nur den Hitlerismus, sondern den deutschen Militarismus bekämpfen wollten, sich die Freiheit herausnähmen, mit Leuten wie Rauschning zu verkehren, die wiederum, obwohl sie darauf aus seien, den Hitlerismus zu zerstören, ein noch stärkeres und solideres Deutschland unter einer Militärherrschaft erstrebten. Der Geschäftsträger bezweifelte abschließend, ob Emigranten und Flüchtlingen überhaupt solche politische Aktivitäten zu gestatten seien; auf jeden Fall seien sie geeignet, den Menschen ein London und Die Konservative Revolution

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Deutschlandbild zu präsentieren, das mit der Wahrheit wenig gemein habe. In einem handschriftlichen Vermerk zu der Aufzeichnung Strangs bekannte Sir ­Cadogan, noch nie von einem »Deutschen Nationalrat« gehört zu haben, und fügte hinzu, dass dieser, soweit er wisse, keinerlei offizielle Anerkennung genieße.825 Am 22. Dezember kehrte Rauschning ein letztes Mal via Folkestone nach Calais auf den Kontinent zurück, wo er dann bis zum 20. Februar 1940 blieb. In Paris angekommen, erfuhr er nach eigener Aussage hinsichtlich seiner Unterredung mit Außenminister Halifax, dass »an damals höchster Stelle, nämlich bei Daladier Unwille über mich herrschte, daß ich als Emigrant gewagt hätte, in London Politik zu machen und mich sozusagen als Ambassador zwischen London und Paris gebärde«.826 Während Rauschning im Winter einige Wochen in Paris verbrachte, hielt Hans Albert Kluthe Kontakt zu Mitgliedern der deutschen Emigration in England. Aus dieser Zeit, genauer gesagt aus der »Zeit zwischen den Jahren« (also den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr) 1939, stammt die einzige bekannte Charakterisierung der Person Rauschnings aus den Jahren des Exils. Kluthe formulierte sie mit Schreiben vom 27. Dezember 1939 gegenüber dem in Cambridge lehrenden Novalis- und Kleistforscher Richard H. Samuel, der Deutschland bereits 1933 verlassen hatte.827 In Anspielung auf Samuels Herkunft aus dem bergischen Elberfeld wünschte Kluthe Samuel zu Beginn seines Briefes die baldige Genesung von einer Erkältung, bei der sicherlich eine »Pulle Schnaps« vom Typ »Leverings Klarer« hilfreich wäre, die aber wohl in Cambridge nicht aufzutreiben sei – Kluthe selber stammte aus dem benachbarten Schwelm in Westfalen. Dann kam Kluthe auf Rauschning zu sprechen. Er habe »Rauschnings Buch noch nicht gelesen« – damit konnten zu diesem Zeitpunkt nur die Gespräche mit Hitler gemeint sein –, ließ er Samuel wissen, doch habe es »mancherorts einen peinlichen Eindruck hervorgerufen. Zuweilen hörte ich sogar von politischem Selbstmord sprechen. Auf die mit falschen Behauptungen operierende Reklame des Verlegers machte ich ihn rechtzeitig aufmerksam.« Rauschning habe es aber nicht für nötig gehalten, »etwas zu unternehmen. Noch toller« sei die Einleitung zur französischen Ausgabe der Revolution des Nihilismus, in der sich »die Übersetzer gleichsam entschuldigen und sich nicht nur vorsichtig distanzieren, sondern ihm sogar einige derbe Ohrfeigen versetzen«. Die sich anschließende Skizze Kluthes zur Person Rauschnings sei hier vollständig wiedergegeben: 288

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Als mildernden Umstand muß man immer wieder seinen Gesundheitszustand gelten lassen. Damit kann man ihn allerdings nur menschlich entschuldigen, nicht als Politiker. Seine erschreckende innere Unsicherheit macht ihn für eine führende Rolle kaum geeignet. Man darf auch seine Herkunft nicht vergessen: Offizierssohn, Kadettencorps, ostelbischer Landwirt usw. Seine alte Welt, die ihm in wohl behüteter Enge Sicherheit gab, ist völlig zerstört. Aus den Trümmern sucht er nun zu retten, was zu retten ist. Diese Reste passen nun recht schlecht zu dem, was er jetzt in der großen Welt erlebt, und er weiß nicht recht, wie er seinen alten Glauben und seine neuen Erfahrungen zusammenleimen soll. Kein Mensch bringt es wohl fertig, mit seiner Vergangenheit völlig zu brechen und ganz neu anzufangen. Alle haben das Bestreben, ihr früheres Verhalten zu rechtfertigen. Daher kann er nie zu einer gerechten Würdigung der Weimarer Zeit kommen. Daher findet er auch schlecht den Weg zu einstigen Gegnern, die ihrerseits natürlich auch nicht bereit sind, ihre eigene Vergangenheit in Grund und Boden zu verdammen.

Insbesondere die Tatsache, dass Kluthe hier Rauschning politische Führungsqualitäten absprach, stand im klaren Gegensatz zu dem, womit er Rauschning Wochen zuvor für eine Mitarbeit zu ködern versucht hatte. Möglicherweise hatte Kluthes Bild von Rauschning neue Facetten hinzugewonnen, nachdem der ehemalige Senatspräsident nach England übergesiedelt war. Noch in einem Brief an Samuel vom 17. November hatte Kluthe Rauschning gegenüber Bedenken Samuels hinsichtlich dessen Rolle in der Emigrantenszene in Schutz genommen, die Samuel in einem nicht erhalten gebliebenen Schreiben vom 12. November gegenüber Kluthe geäußert haben muss. Er teile Samuels Urteil über Rauschnings »philosophische Grundhaltung« und »seine geistige Heimat«. Doch vertrete Rauschning »nicht das Ganze, sondern nur einen Flügel«. Entscheidend sei, dass die »verschiedenen Haltungen« eine »gemeinsame Basis« hätten. »Unser größtes Aktivum«, so Kluthe, sei die »Tatsache, dass Rauschning und Weber in ›high quarters‹ ein großes Ansehen« genössen. Es gelte jetzt, »vorsichtig zu operieren und zu verhindern, daß der bald eintreffende Otto Strasser und sonstige Leute unbedachte Einzelaktionen machen«. Im Übrigen hielt Kluthe es für »sehr erwünscht«, dass man Rauschning einmal »mit Churchill sprechen« lasse. Samuel möge doch in diese Richtung sondieren.828 In Paris konnte Hermann Rauschning das Weihnachtsfest 1939 noch einmal mit der ganzen Familie feiern, denn inzwischen war sein Sohn auf London und Die Konservative Revolution

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Fürsprache des Sprechers der sozialistischen Fraktion in der Nationalversammlung, Salomon Grumbach, mit Datum vom 23. November 1939 aus der Internierung entlassen worden.829 Aus Biscarrosse bei Bordeaux war Anna Rauschning mit ihren drei Töchtern wieder an die Seine gereist, um dort gemeinsam mit ihrem Mann, dem Sohn sowie Tochter Heilwig die Feiertage zu verbringen. Anna Rauschning hatte sich mit ihren Töchtern Luise, Anneregine und Elisabeth an die Atlantikküste zurückgezogen, nachdem sich die fünfjährige Elisabeth in Paris im Frühjahr noch einer plötzlichen Blinddarmoperation hatte unterziehen müssen.830 Entsprechend den Bestimmungen in seinen französischen und britischen Visa verließ Rauschning Calais wieder pünktlich vor dem 21. Februar 1940 und betrat in Folkestone britischen Boden. Den europäischen Kontinent sollte er erst viele Jahre später wiedersehen. Bei seinem Besuch in Paris zu Weihnachten 1939 dürfte Rauschning auch versucht haben, Heilwig die Übersiedlung nach England schmackhaft zu machen. Nach wie vor hielt sie die Wohnung am Quai Louis-­ Blériot. Als ihr Vater bereits in London heimisch zu werden begann, hatte sie einen Brief von Hans Albert Kluthe aus England erhalten, datiert vom 28. November 1939.831 Darin teilte Kluthe Heilwig mit, ihr Vater habe erzählt, sie wehre sich »heftig gegen eine Übersiedlung« nach England. Im weiteren Verlauf des Briefes versuchte Kluthe Heilwig das Leben in England in rosigen Farben zu malen, und er räumte auch ein, dass seine Frau seinerzeit ebenfalls Vorbehalte gegen die Insel gehegt habe, die mittlerweile jedoch vollständig in ihr Gegenteil verkehrt worden seien. Kluthe versprach Heilwig jedwede Hilfe beim Einleben, falls sie sich zur Überfahrt entschließe. Heilwigs undatierte Antwort – weit und breit das einzige mit ihrem Namen unterzeichnete und erhalten gebliebene Dokument – drückte zunächst angesichts ausgebliebener Nachrichten ihre Sorge über den Vater aus, insbesondere hinsichtlich seines Gesundheitszustandes. Anschließend wies sie die Annahme zurück, Vorbehalte gegen ein Leben in England zu haben, gegen »die Engländer oder gar ihr Klima«. »Wogegen ich mich sträube«, schrieb sie Kluthe, »ist, daß man alle dreiviertel Jahr in ein anderes Land verschlagen wird, gerade, wenn man sich eingelebt hat und sich wie zu Hause fühlt. Es ist einfach eine instinktive Abneigung.« Sie habe »bis jetzt immer die Erfahrung gemacht, daß man als Frau mit seinem Instinkt immer viel mehr recht hat als alle Männer der Welt mit ihrem sogenannten logischen Verstand.« Und dann lenkte sie ein: »Was mich selbstverständlich nicht hindern wird, nach drüben zu kommen. Denn ich 290

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habe Gehorchen gelernt. Ich habe bereits an meinen Vater geschrieben, mir zu sagen, wie ich das Visum bekommen kann.« Sie nehme an, schloss sie ihren Brief, dass sie dann »bald nach London kommen« und auch Kluthe treffen werde.832 Die Beschaffung des Visums zog sich dann jedoch hin, und als Heilwig es endlich besaß, stellte sich für ihren Vater angesichts der Kriegsentwicklung vor allem die schwierige Frage einer sicheren Kanalüberquerung. Vom Schiff riet er ab, es blieb also das Warten auf einen Platz in einem Flugzeug. Als im Frühsommer 1940 der deutsche Vormarsch durch Belgien auch zum Fall von Sedan führte, teilte Heilwig ihrer Mutter per Postkarte nach Biscarrosse mit, dass alle Bewohner ihres Hauses in Paris einschließlich der Concierge geflohen seien, sie selber sich aber gerade mit einem alten Freund der Familie beim Lunch befinde. Auf eine Warnung hin verließ sie dann jedoch wenig später fluchtartig die französische Hauptstadt. Es war ihr gerade noch gelungen, in ihrer Wohnung eine Frankreichkarte aus einem Atlas zu reißen, dann schlug sie sich so gewappnet, nicht selten per Anhalter, auf völlig überfüllten Straßen nach Süden durch, um einige Tage später am Atlantik ihre Familie in die Arme schließen zu können.833 Noch während seines Intermezzos in Paris zur Jahreswende 1939/40 erreichten Rauschning Briefe von Kluthe aus England, deren Inhalt die ganze Zerrissenheit der deutschen Emigration an der Themse spiegelte. So schrieb Kluthe am 29. Dezember, Rauschning wisse wohl, dass er, Kluthe, »die Bedeutung der Emigration« nicht überschätze. Man müsse aber doch zugeben, »dass ihre Unfähigkeit, zu einer größeren Geschlossenheit zu kommen, symptomatisch für die politische Unreife unseres ganzen Volkes« sei. »All unsere traurigen Erfahrungen haben die sektiererische Enge, das sture Festhalten an verstaubten Doktrinen und die mangelnde Bereitschaft zu Kompromissen nicht überwinden können.« Wie sich dabei ein »geordnetes politisches Leben in Deutschland entfalten soll«, sei ihm »völlig schleierhaft«. Kluthe äußerte sich enttäuscht darüber, dass Rauschnings jüngster Aufenthalt in England nichts Greifbares hinsichtlich der Formierung einer Exilorganisation gebracht habe. Ausdrücklich nahm er aber Rauschning in Schutz. Dieser habe in England »zweifellos zur Klärung und Verbesserung der Atmosphäre beigetragen«, sodass sich »für die Zukunft vielleicht doch etwas erhoffen« lasse. Im Übrigen drückte Kluthe seine Zuversicht aus, dass Rauschning »im Januar« wieder aus Frankreich zurückkehren werde.834 Zeichnete sich dieser Brief Kluthes noch durch einen Ton der Enttäuschung aus, spuckte Rauschning in seiner Antwort London und Die Konservative Revolution

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vom 8. Januar 1940 Gift und Galle.835 Er habe Kluthe bereits vor der Reise nach London von der »infamen Niedertracht gewisser Linkskreise der Emigration« berichtet, schrieb er. Seit der Veröffentlichung seines Buches Hitler Speaks seien diese »Intriganten« nun am Werk, ihn dadurch »moralisch zu diskreditieren«, dass sie ihm vorwürfen, seine Kenntnisse »über diese Dinge« und insbesondere »über den Reichstagsbrand« nicht früher »verwertet« zu haben. Doch nicht nur »Sozialdemokratie und andere Linkskreise« trachteten danach, seine »Position zu erschüttern«, »sondern auch solche Leute wie der Pater Muckermann« und der »Ihnen nahestehende Herr Spiecker«. Diese »ganzen Umtriebe« seien ebenso »dumm wie geradezu verbrecherisch«. Nicht er, Rauschning, habe »Chancen zerschlagen« für einen »Zusammenschluß der Emigration«, sondern »die Emigration« aus »primitivem Neid und Ressentiments«. Er verweigere sich in Zukunft einer Zusammenarbeit mit »Leuten«, die in »sieben Jahren Emigration« nichts dazugelernt hätten. Er könne jetzt nur noch »persönlich versuchen dazu beizutragen, dass es zu einer verständigen Lösung und zu einem rechtzeitigen Friedensschluß« komme. Kluthe sekundierte Rauschning in seinem Antwortschreiben vom 12. Januar – mit Ausnahme der Vorwürfe gegen Spiecker – und drückte sein Bedauern über die Rolle »irgendwelcher intoleranter Parteipäpste« in der Emigration aus, die dazu beitrügen, dass »wir der Außenwelt dieses traurige Schauspiel innerer Zerrissenheit bieten«. Aber »dagegen« sei »man natürlich machtlos«.836 Am 20. Januar bestätigte Rauschning gegenüber Kluthe in einem Brief die »vergiftete Atmosphäre« innerhalb der Emigration. Mittlerweile sei er »im Detail« darüber unterrichtet, dass »eine planmäßige Hetze gegen« ihn veranstaltet werde. Das »Gegeneinander« schade dem Ansehen der Emigration und erschwere »die Realisation unserer Pläne«. Hinsichtlich Spieckers könne er leider nichts zurücknehmen.837 Zwischen Kluthe und Rauschning blieb die der Korrespondenz entnehmbare Atmosphäre in den folgenden Wochen trotz aller Spannungen freundlich. Auch Kluthe beklagte wiederholt die »Cliquenkämpfe und parteipolitischen Auseinandersetzungen« und fand allenfalls Trost in der Arbeit für die DFP, die »so schöne Fortschritte« mache.838 Den Grund dafür erkannte er gerade in der »Anonymität«, in der diese Arbeit vonstattengehe: Sie erlaube keine »Führungsansprüche« und »persönliche Lorbeeren« seien ebenfalls »nicht zu ernten«. Ohne dies näher zu erläutern, dankte Kluthe Rauschning für sein »Wirken für unsere Arbeit« und unterstrich seine Hoffnung auf »eine vertrauensvolle Zusammenarbeit« auch 292

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in der »Zukunft«. Wie in fast allen überlieferten Briefen an Rauschning lud er diesen zu Gesprächen in sein Haus in Guilford ein oder drückte doch wenigstens den Wunsch nach einem baldigen Treffen in London aus. Nachdem es Ende März 1940 endlich zu einem Besuch Rauschnings im Hause Kluthes in Guilford gekommen war, berichtete Kluthe Richard Samuel knapp von dieser Begegnung. Der Gast sei »sehr nett« gewesen und habe »bemerkenswerte Anfälle von Selbsterkenntnis« gezeigt, hieß es in dem Brief.839 Nach seiner Rückkehr aus Paris hatte sich Rauschning mit Schreiben vom 6. März aus London bei Kluthe in Guilford sozusagen wieder zurückgemeldet. Er hatte inzwischen Quartier im »Bedford Hotel«, in der Southampton Row, London WC1, bezogen. Zeitgenössische Bilder auf dem Briefpapier des Hotels zeigen ein eindrucksvolles Domizil mit 300 Zimmern, einer großzügigen Lobby, einem mit Teppichen ausgelegten Speisesaal, einem gepflegten Garten hinter dem Haus sowie angrenzenden türkischen Bädern.840 Bis zu seiner Übersiedlung in die Vereinigten Staaten Ende 1941 lebte Hermann Rauschning hier, schrieb Aufsätze für englische Zeitungen sowie das eine oder andere Buchmanuskript, und von hier aus hielt er Kontakt zu seinen meist ungeliebten deutschen Emigranten, zu diversen Vertretern des britischen Politikbetriebes und, last but not least, zu seiner Frau. Zwei Gelegenheiten sind dokumentiert, die andeuten, dass Rauschning zumindest im April 1940 ernsthaft mit dem Gedanken spielte, sich dauerhaft in England niederzulassen und seine Familie auf die Insel zu holen. Zusammen mit einem Brief an Rauschning vom 9. April schickte Hans Albert Kluthe die Beschreibung eines Hauses in seiner Wohngegend. Er empfahl wegen des günstigen Preises eine baldige Entscheidung.841 Offenbar hatten Rauschning und Kluthe zuvor über einen Hauserwerb durch Rauschning gesprochen. Aus einem Umzug nach Guilford wurde zwar nichts, doch begründete Rauschning Terminschwierigkeiten hinsichtlich eines Treffens mit Kluthe in einem Brief vom 24. April damit, dass er im Begriff sei, »auf Exkursion aufs Land« zu gehen, um »Farmen anzusehen«.842 Auch gegenüber seiner Frau äußerte sich Rauschning in dieser Zeit positiv über Möglichkeiten, in England Landwirtschaft zu betreiben.843 Beeindruckt zeigte er sich in dem Brief von dem großen Anwesen, das ihr alter Bekannter aus Danziger Tagen, der ehemalige Getreidehändler Leo Anker, mittlerweile in England mit Hilfe »jüdischer Emigranten« bewirtschafte. Er habe inzwischen »je länger je weniger Lust jemals nach dem London und Die Konservative Revolution

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Osten zurückzukehren«, ließ er seine Frau wissen. Und: »Sollen wir wieder wie vor 25 Jahren unter polnische Herrschaft zurück?« Denn das werde »das Ende vom Lied« sein. »Ich müßte, wenn wieder Unrecht begangen würde, wieder aufstehen. Und ich bin die Politik satt.« Falls seine Frau ihm aber »entsprechende Möglichkeiten« in Frankreich »nachweisen« könne, ginge er lieber dorthin, schrieb Rauschning, um dann jedoch den Brief mit der Bemerkung zu schließen, er fürchte, ein »Fremder werde sich dort noch schwerer halten« können als in England. Doch zum Kauf einer Landwirtschaft kam es nicht und so blieb es beim Logis im »Bedford Hotel«. Mitte März erwähnte Rauschning in einem kurzen Brief an Kluthe erstmals eine gewisse Furcht vor einem Anschlag. Wenn er Kluthe demnächst besuche, schrieb er, wolle er vormittags kommen, um früh wieder zurück im Hotel zu sein. Er glaube »Grund zu der Annahme zu haben«, dass ihm »unfreundliche Leute auf der Spur« seien. Im »blackout«, in den Stunden der Verdunkelung, gehe er nur noch ungern aus.844 Exakt an demselben Tag, an dem Rauschning Kluthe über seine Bedenken wegen eines Attentats berichtete, machte er in einem Brief an seine noch in Paris weilende Frau Anna diesbezüglich konkretere Angaben.845 »Neuerdings« merke er, schrieb Rauschning, »daß man mir doch auf den Fersen ist. Einige verdächtige Anzeichen, die Dich nicht beunruhigen sollen, da ich sehr vorsichtig bin. Aber ich glaube, daß man mir auflauert und etwas gegen mich im Schilde führt.« Es folgte auch hier die Information, dass er während der Verdunkelung nur »ungern« sein Hotel verlasse. Aber, fuhr er fort, »das Naheliegendste ist doch, vergiftet zu werden, womit ich ernstlicher rechne.« Auch weil seine Tochter Heilwig »das Essen besser überwachen« könne, wünschte er sie möglichst bald in London um sich zu haben. Es sei »nett«, wenn »man von der Emigration und anderen Stellen verdächtigt wird und zugleich in ständiger Gefahr« schwebe. »Herrn Jesuitenpater Muckermann und Dr. Spieckers ›gefährlich Leben‹« bestehe im »reichlichen Alkoholgenuß, in sonst nichts«. Tatsächlich ist über einen geplanten Anschlag auf Rauschning durch deutsche Stellen nichts bekannt. Allerdings stand er auf der »Sonderfahndungsliste GB«, die den Anhang eines »Informationsheftes GrossBritannien« bildete, das im Sommer 1940 – also mitten im »Blitz« der deutschen Luftwaffe gegen britische Städte – vermutlich im Wesentlichen von SS-Brigadeführer und Chef des Sicherheitsdienstes der SS, Walter Schellenberg, für den Fall der Invasion auf den britischen Inseln zusammengestellt worden war.846 Die Liste umfasste 2820 Namen britischer und sonsti294

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ger europäischer Gegner des NS-Regimes, die zunächst verhaftet werden sollten. Ergänzt wurden die fettgedruckten Namen durch stichwortartige Informationen über Geburtstag und -ort der Gesuchten, frühere Tätigkeiten, die zuletzt bekannte Anschrift sowie in Abkürzung die Dienststellen im Reich, die ein besonderes Interesse an der Verhaftung der gesuchten Person hatten. Churchill und Außenminister Eden standen ebenso auf der Liste wie Schriftsteller und Künstler, etwa Virginia Woolf, Aldous Huxley – der jedoch bereits seit 1937 in den USA lebte – und John Heartfield. Hermann Rauschning rangierte bei Buchstabe R unter Nr. 14. Zutreffend nennt die Liste sein Geburtsdatum und den Geburtsort sowie sachlich als frühere Tätigkeit »ehem. Senatspräsident von Danzig«. Bemerkenswert ist die Wohnsitzangabe mit »vermutlich England«, die auf eine nicht gerade intensive Beschäftigung nationalsozialistischer Verfolgungsorgane mit Rauschning schließen lassen könnte. Denkbar ist aber auch, dass die Liste hier der regen Reisetätigkeit Rauschnings Rechnung trug und Wochen vor der geplanten Invasion kein sicherer Aufenthaltsort angegeben werden konnte. Laut den entsprechenden Abkürzungen war insbesondere die Gestapo im Reichssicherheitshauptamt an Rauschning interessiert.847 Für die Emigranten und damit auch für Rauschning begann mit der deutschen Invasion Dänemarks und Norwegens seit dem 9. April 1940 ein neues Kapitel. Die Kriegslage verschlechterte sich für Großbritannien ganz erheblich. In der militärischen Führung, im Parlament, im Kabinett sowie in der Presse machten sich unüberhörbare Stimmen bemerkbar, die vor einer deutschen ›fünften Kolonne‹ auf der Insel im Falle einer Invasion warnten.848 Bei Rauschning hingegen löste die Kriegserweiterung eine gedämpfte Euphorie aus, folgt man den Zeilen, die er am 14. April – dem Tag der alliierten Truppenlandung in Norwegen – an Kluthe richtete. Es sei ja eine »spannende Woche, vielleicht sogar entscheidende Woche« gewesen, die nun hinter ihnen liege. Er sei »wegen der schnelleren Beendigung des Krieges heute wieder hoffnungsvoller denn je«, formulierte er. Denn in Bezug auf die »Operation Weserübung« in Skandinavien meinte er: »Solche verzweifelte Unternehmen macht man nur, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht. Was übrigens Thyssen aus intimer Kenntnis sehr genau belegt« habe. Im Übrigen freue er sich auf ein gemeinsames Essen mit Kluthe, sofern dieser sich nicht daran stoße, dass er, Rauschning, »nur Gemüse« zu sich nehme »und keinen Alkohol trinke«. Gleichfalls am 14. April äußerte sich Rauschning in einem Brief an seine Frau in Frankreich ebenfalls zur aktuellen Kriegsentwicklung. »Offenbar« kämen »die London und Die Konservative Revolution

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Dinge nun ins Rollen«, schrieb er und riet seiner Frau dringend, mit den Kindern nach Biscarrosse aufzubrechen, falls sie »noch in Paris« sei. Auch Heilwig sei nun vielleicht besser am Atlantik aufgehoben. »Nun also, ob« Hitler »mitsamt dem Dicken (gemeint ist wohl Göring, A. H.) nicht doch eines Tages einen Riesenraid nach London oder Paris starten wird, das wissen die Halbgötter.«849 Auch Kluthe gab in seiner Antwort an Rauschning vom 16. April seinem verhaltenen Optimismus über ein baldiges Kriegsende Ausdruck.850 Nach der Landung der Alliierten in Norwegen habe man nun »alle Veranlassung«, sich »über die Entwicklung zu freuen«. Die Italiener würden es sich »jetzt sicher auch überlegen, ob sie eingreifen. Hier hatte man sich schon darauf gefreut, daß es auch im Mittelmeer losgehen würde.«851 Zugleich informierte Kluthe Rauschning auch darüber, dass er »alle Koalitionsträume und alle Hoffnungen auf einen wirksamen Einsatz der deutschen Opposition aufgegeben« habe. Zwar sei »die Stimmung in Deutschland denkbar kriegsfeindlich«, aber es fehlten »alle Voraussetzungen – trotz der günstigen psychologischen Atmosphäre –, um eine stoßkräftige Bewegung zu organisieren«. Aus den frühen Maitagen des Jahres 1940 hat sich eine weitere Skizze des Gemütszustandes von Hermann Rauschning aus der Hand Kluthes erhalten.852 Kluthe berichtete in seinem Brief an Richard Samuel in Cambridge, dass Rauschning am Vortag »einen herrlichen Tag« bei ihm und seiner Frau in Guildford verbracht habe. Der Gast habe »jetzt bedeutend besser ausgesehen, da er strikte Diät« halte. Bei einem Ausflug in die »herrliche Umgebung« habe insbesondere die Besichtigung einer »Muster-Schweinefarm« Rauschnings an sich »düstere Stimmung sehr aufgeheitert«. Dabei habe diese Stimmung »nichts mit Norwegen zu tun« gehabt – »diese Ereignisse« betrachte er »mit äußerstem Optimismus«. Was Rauschning wurme, sei die »Einsicht, dass er hier kaum noch irgendwelchen Einfluß« habe und »sogar weitgehend mit Mißtrauen betrachtet« werde. Er führe das darauf zurück, »daß man allgemein hier antideutsch« werde und »nur noch an solchen Emigranten Interesse« habe, die die »Zerstückelung Deutschlands predigen«. Auch habe er immer noch nicht die »Einreisegenehmigung für seine Tochter« erhalten und die »Devisenkontrollen« machten ihm »scheinbar unnötige Schwierigkeiten«. Er sei über all dies so verärgert, dass er mit einer Rückkehr nach Frankreich liebäugle. Hinzu komme die schäbige Art und Weise, wie er von seinen Verlegern in London behandelt werde. Er selber, so Kluthe gegenüber Samuel, habe Entsprechendes in der 296

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»vorigen Woche« mitbekommen. Allerdings müsse er einräumen, dass auch Rauschnings Verhalten »nicht gerade sehr geschickt« gewesen sei. »Vertraulich (!) will ich Ihnen mitteilen, daß ihm ausgeredet wurde, ein Buch über Friedensziele zu veröffentlichen.« In einem Schreiben an Rauschning vom 23. Juni 1940 bestätigte Kluthe Rauschnings Enttäuschung über die geringe Mitwirkungsmöglichkeit im Kampf gegen Hitler, die man den Emigranten in England biete.853 Kluthe nutzte diesen Brief, um Rauschning in sehr freundlichen Worten zu versichern, dass seine Frau und er sich große Sorgen um das Schicksal von Rauschnings Familie machten. Paris war neun Tage zuvor von der Wehrmacht kampflos besetzt worden und Rauschning hatte noch keine Nachricht vom Verbleib Heilwigs und der anderen Familienmitglieder erhalten. Es bestand durchaus die Gefahr, dass Heilwig es nicht mehr aus Paris heraus geschafft hatte und in die Hände der Gestapo gefallen war, die eventuell versuchen würde, sie als Tauschobjekt gegen ihren abtrünnigen Vater zu benutzen. Was war inzwischen mit Rauschnings Familie geschehen? In aller Kürze so viel: Wie bereits erwähnt, war es Heilwig in letzter Minute gelungen, aus Paris herauszukommen und sich auf völlig überfüllten Straßen zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Biscarrosse durchzuschlagen.854 Im Vergleich zu anderen Flüchtlingen nahm sich die finanzielle Situation der Rauschnings in Südwestfrankreich einigermaßen komfortabel aus. Angesichts des drohenden Krieges mit Frankreich hatte Hermann seine Frau angewiesen, so viel Geld wie möglich von ihrem Pariser Bankkonto abzuziehen. Schon gab es erste Schwierigkeiten beim Geldabheben, aber es gelang Anna Rauschning doch, von dem mit Tantiemen für die Bücher ihres Mannes ordentlich gefüllten Konto so viel an sich zu bringen, dass sie sich mit ihren fünf Kindern etwa vier Monate über Wasser halten konnte.855 Hier in Biscarrosse traf man die Entscheidung, angesichts des deutschen Vormarsches Frankreich zu verlassen. Dafür waren Ausreisevisa sowie ein Fahrzeug mit Fahrer nebst Treibstoff erforderlich. Anna Rauschning war dabei auf französische Hilfe angewiesen. Bei mindestens zwei Gelegenheiten, so berichtet sie, habe ihr der Umstand geholfen, dass wichtige Personen Hitler m’a dit gelesen hatten. Über Mont-de-Marsan und Dax führte ihre Flucht dann nach Bayonne, wo man ihnen mitteilte, dass die Grenze nach Spanien geschlossen sei. In Bayonne erhielten sie den Rat, Frankreich mit einem Schiff zu verlassen. Zusammen mit rund 200 anderen Flüchtlingen gelangten sie nach achttägiger stürmischer Seereise ins London und Die Konservative Revolution

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marokkanische Casablanca. Nach einem zweitätigen Erholungsaufenthalt an Bord eines Hospitalschiffes erfolgte der Transport in ein Zeltlager in der Wüste. Anna Rauschning suchte sich und ihre Angehörigen vor den Nazi-Umtrieben in der Stadt dadurch abzuschirmen, dass sie beim exilpolnischen Konsul Schutz suchte und sich dazu auf ihre Danziger Zeit berief. Der Konsul vertrat damals die Interessen Danzigs in Französisch-Marokko. Unter Hinweis auf den exilpolnischen Status konnten sich die sechs Rauschnings nun in Casablanca frei bewegen. Doch auch »Casa«, die marokkanische Hafenstadt, sah einer unsicheren Zukunft entgegen, da unklar war, ob die noch als neutral geltende Hauptstadt von Französisch-Marokko künftig Teil des besetzten Frankreich sein oder der Vichy-­ Regierung unterstellt sein würde. So begann die Suche nach einem neuen Fluchtziel. Da England wegen einer drohenden deutschen Invasion nicht ernsthaft in Frage kam, wie Anna Rauschning festhielt, blieb nach Lage der Dinge vor allem Amerika übrig – in ihren Worten für ihre amerikanische Leserschaft mitten im Krieg: »America, a star in an empty sky«.856 Ein Flug via Tanger nach Lissabon, von wo ein Schiff die Rauschnings in die Neue Welt hätte bringen können, schied aus, da entsprechende Sitzplätze über Wochen ausgebucht waren. Nachdem es Anna dann aber mit Hilfe des britischen und des amerikanischen Konsuls gelungen war, für sich und ihre Kinder Ausreisevisa aus Marokko sowie Transitvisa für Portugal und befristete Visa für die Vereinigten Staaten zu beschaffen und außerdem Passagen auf einem kleinen Schiff nach Lissabon zu buchen – 40 Dollar pro Kopf –, erreichte die Familie schließlich nach vier Tagen rauer Seefahrt und ständiger Furcht vor einem deutschen U-Boot-Angriff am 16. August 1940 die Hauptstadt des neutralen Portugal. Das Geld für die Überfahrt verdankte sie »Freunden in New York« sowie dem »besonderen Interesse einer amerikanischen Gruppe«.857 Außerdem überbrückte Anna die Zeit, bis ihr Mann über den britischen Konsul in Casablanca Geld für die Familie anweisen konnte, mit dem Verkauf eines Teils ihres Schmucks. Fünf Wochen, teilte man ihr in Lissabon mit, sollte der Aufenthalt am Tejo dauern, dann würde ein Frachter sie über den Atlantik nach New York bringen. Es waren Tage, die die Familie wieder aufblühen ließen, sieht man von der Sorge um den Ehemann und Vater in England einmal ab. Allerdings erhielt Anna Rauschning von einem Mitarbeiter des portugiesischen Außenministeriums eine Warnung: Unter keinen Umständen solle sie ihren Sohn Fritz alleine und unbeaufsichtigt in der Stadt herumlaufen lassen, Agenten der Gestapo seien ihm auf den Fersen. 298

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Lissabon war zu jener Zeit mehr noch als Casablanca überfüllt von Flüchtlingen aus ganz Europa – viele von ihnen Juden, die nach einer der begehrten Amerika-Passagen fieberten. Die Hauptstadt des von dem Faschisten António de Oliveira Salazar regierten Portugal bildete zugleich den Schauplatz eines Gegeneinanders von Nazi-Spionen, Agenten der Alliierten und sonstigen schillernden Figuren. Es war eine Frage der Zeit, wie lange Salazar die Neutralität seines Landes gegenüber Hitler noch würde glaubhaft machen können. Da New York inzwischen als Fluchtziel feststand, bereitete Hermann Rauschning von London aus die Ankunft seiner Familie am Hudson River vor. Dabei spielten wichtige Adressen ebenso eine Rolle wie Geld, das er von seinem New Yorker Verlagsagenten Henry G. Koppell in Form von Vorschüssen auf Buchprojekte in Amerika zu erhalten hoffte. Koppell war es auch, der der Familie ein Darlehen für die Überfahrt von Lissabon nach New York vermittelte.858 Auch die Adresse des ehemaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning stand Anna nun zur Verfügung, allerdings mit der einschränkenden Bitte ihres Mannes, sie möge Brüning nicht wegen Geld kontaktieren, sondern etwa im Falle einer erforderlichen Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Sein alter Freund Dr. Brettauer könne Sohn Fritz womöglich helfen, in der Farmwirtschaft Erfahrungen zu sammeln. Anna könne sich ferner an Stefan Possony wenden, der zur selben Zeit wie Rauschning in Paris gelebt und dort für das französische Außen- und Luftfahrtministerium gearbeitet hatte.859 Auch in einem weiteren Brief an seine Frau vom 4. September 1940 drückte Hermann seinen Wunsch aus, dass der gemeinsame Sohn »auf eine Farm« gehen möge, um wenigstens »etwas produktive Arbeit« zu verrichten. Er warnte Anna davor, dass im Falle eines Kriegseintritts der Vereinigten Staaten dort die Furcht vor einer deutschen »fünften Kolonne« noch heftiger ausgeprägt sein werde als in Frankreich und England, wo sie nach seiner Wahrnehmung ein wenig abzuflauen beginne. Als Konsequenz dieser Gedanken schlug Hermann nun Kanada als Fluchtziel vor. Gottfried Treviranus, der dort bereits lebe, habe ihm geschrieben und angeboten, eine Farm für sie zu kaufen. Auch kanadische Visa für die gesamte Familie Rauschning wolle er beschaffen. Rauschning zeigte sich von dem Gedanken einer Nähe zu Treviranus angetan, zumal dessen beide Söhne nur wenig älter als ihr Fritz seien und sich für die Landwirtschaft begeisterten. Dank seiner englischen Mutter spreche Treviranus perfekt Englisch und verfüge über beste Beziehungen. Persönlich ziehe er, Hermann, Kanada den USA als langfristigen Wohnort London und Die Konservative Revolution

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vor, jedoch wisse er nicht, ob Anna gegenwärtig Lust verspüre, auf einer Farm zu leben.860 Während der ersten Wochen der deutschen Luftangriffe auf England, im Sommer 1940, unterhielten die Eheleute Rauschning noch einen leidlich funktionierenden Briefwechsel zwischen London und Lissabon. Hermann schilderte lebhaft die Bombennächte im »Blitz«, die er meist im »Bedford Hotel« oder aber ausgerechnet auf Einladung Lord Vansittarts auf dessen Anwesen im ländlichen Buckinghamshire erlebte.861 Darüber hinaus äußerte er sich verbittert über seine finanzielle Situation, die auch seiner Hilfe für die Familie in Portugal enge Grenzen setzte. Die britischen Einwanderungsgesetze verhinderten Transfers von seinem Londoner Konto ins Ausland. Erst als es Monate später Koppell in New York gelang, Artikelserien von ihm in bekannten amerikanischen Zeitschriften unterzubringen, als darüber hinaus seine Bücher auch in New York veröffentlicht wurden und die britischen Behörden die Transferbestimmungen lockerten, entspannte sich die finanzielle Situation der Rauschnings diesund jenseits des Atlantiks. Pünktlich verließ der Frachter »Exochorda« am 18. September 1940 die portugiesische Hauptstadt. Die Passagiere an Bord waren zumeist Flüchtlinge, die den Luxus von Kabinen und die Liegestühle auf den sonnenüberfluteten Decks genossen. Ise Rauschning lernte ein junges österreichisches Paar kennen und war dabei hingerissen von Eric, dem Ehemann – eine Begegnung mit Folgen, wie sich zeigen sollte. Sorgen wegen deutscher U-Boote verflüchtigten sich, als schließlich die New Yorker Skyline mit der Freiheitsstatue in Sicht kam. Am 27. September erhielt Anna Rauschning mit ihren fünf Kindern eine auf 60 Tage befristete amerikanische Aufenthaltserlaubnis nach dem Immigration Act von 1924. Für die Eheleute Rauschning begann nun eine nervenzehrende Periode der Trennung, die insbesondere Hermann angesichts zeitweise wochenlang ausbleibender Briefe aus Amerika als schier unerträglich empfunden hat. Die Bombenangriffe auf London, die Rationierung von Lebensmitteln und die ständige Unsicherheit hinsichtlich des Schicksals seiner Familie trieben ihn zur Verzweiflung, sichtbar auch durch einen empfindlichen Verlust an Körpergewicht. Der Postverkehr zwischen New York und Großbritannien entwickelte sich sehr unzuverlässig, Briefe benötigten zwischen zwei und drei Wochen, wenn sie denn überhaupt ihre Adressaten erreichten. Viele Schiffe fielen deutschen U-Booten zum Opfer und der damit verbundene Verlust von Briefen und Paketen mit Manuskrip300

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ten etwa sorgte für Kommunikationsunterbrechungen zwischen Autoren und Verlagen, so auch zwischen Rauschning und seinem amerikanischen Verleger. Rauschning schrieb in einem geradezu beängstigenden Tempo: Ein Teil seiner Arbeiten widmete sich langfristigen politischen Fragestellungen, ein anderer tagesaktuellen Problemen. Vor ihrem Druck mussten die Buchmanuskripte und Artikel übersetzt, korrigiert und der britischen Zensurbehörde vorgelegt werden. In London konnte Rauschning direkt mit seinen Agenten und Verlegern verhandeln. In den USA veränderten Verleger eigenmächtig seine eingereichten Texte und ihre Titel, worüber sich Rauschning furchtbar aufregen konnte. Er beklagte sich heftig über sensationslüsterne und irreführende Behauptungen in Werbekampagnen, über anstößige Einleitungen, die ihn als »engen Freund Hitlers« vorstellten. Als die Streitigkeiten um Rivalitäten zwischen Agenten, Vertragsdifferenzen und Veröffentlichungszeitpunkte einen toten Punkt erreichten, übertrug Rauschning die Verhandlungsvollmacht auf seine Frau. Für Anna war das nicht ganz neu. Auf der Grundlage von Brief- und Kabelanweisungen ihres Mannes hatte sie schon einige Zeit mit unterschiedlichen Verlagsagenten verhandelt. Von ihrem komfortablen Apartment in der Madison Avenue aus, wo sie ihre Familie untergebracht hatte, hielt sie Kontakt zu Verlegern und Medienhäusern. Für ihren erwachsenen Sohn Fritz und für Anneregine organisierte sie privaten Englischunterricht, während die Jüngste, Elisabeth, einen Kindergarten besuchte. Heilwig und Ise beteiligten sich an einem Unternehmen von Eric de Kolb, ihrer Bekanntschaft von der »Exochorda«. Als fähiger Designer versuchte sich de Kolb mit dem Entwerfen und der Herstellung modischer Handtaschen. Gut aussehend wie er war, hatten sich sowohl Heilwig als auch Ise in Eric verliebt. Die sich entwickelnde Dreiecksbeziehung entschied Ise schließlich für sich; sie heiratete ihren Schwarm im Jahre 1947. Ohne ihren Ehemann in England hinzuzuziehen, steckte Anna Rauschning einen Großteil seiner Tantiemen in das Handtaschengeschäft, das schließlich fehlschlug. Während seine Familie am Hudson River Wurzeln zu schlagen begann, versuchte Hermann an der Themse sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Unmittelbar nach Ankunft seiner Familie in den Vereinigten Staaten scheint er selber versucht zu haben, seine Ausreise dorthin zu betreiben, auch wenn die Belege dafür spärlich sind. Am 20. November 1940 richtete sein Agent Koppell ein Schreiben an Robert T. Pell, den stellvertretenden Leiter der Abteilung für Europäische Angelegenheiten im amerikanischen London und Die Konservative Revolution

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Außenministerium. Darin unterstrich Koppell die »Dringlichkeit« der »Sache Dr. Rauschning«, in der Pell offensichtlich eine Antwort aus London erwartete. Er könne so viele Affidavits für Rauschning beibringen, wie Pell wünsche, erklärte Koppell. Er könne ferner finanzielle Sicherheiten hinterlegen, die Rauschnings Aufenthalt in den USA nur zeitweilig machen würden. Wichtig sei jedoch, dass Rauschning unbedingt ein Visum erhalte, welches ihm sofort das Verlassen Londons aus gesundheitlichen Gründen ermögliche. Drei Tage später, am 23. November, antwortete Pell Koppell, dass er in der kommenden Woche mit einer Nachricht des amerikanischen Konsuls in London rechne.862 Damit verlieren sich die Spuren dieses Ausreiseversuches. Mit dem erfolgreichen deutschen Westfeldzug im Frühsommer 1940, der Evakuierung des britischen Expeditionskorps und französischer Streitkräfte aus Dünkirchen sowie dem »Blitz« über England verschlechterte sich Rauschnings Position im Verhältnis zu britischen Politikern, insbesondere seit der Amtsübernahme durch Churchill am 10. Mai 1940. Wenn die Internierungswelle Rauschning selber als ehemaligen Danziger auch nicht traf, gestaltete sich nun doch der Kontakt zu anderen Emigranten schwieriger, selbst wenn es unter ihnen solche gab, die wegen persönlicher Beziehungen zu britischen Politikern nicht aus dem Verkehr gezogen wurden.863 Einen erheblichen Teil seiner Zeit verbrachte Rauschning mit dem Schreiben neuer Bücher und der Kontaktpflege zu Verlegern. In diesem Zusamenhang verdient eine Episode wenigstens Erwähnung, selbst wenn ihr Wahrheitsgehalt heute kaum mehr nachprüfbar ist. Am Vorabend des deutschen Einmarsches in die Niederlande, am 9. Mai 1940, trafen sich Rauschning und der deutsch-jüdische Verleger Fritz H. Landshoff in London. Landshoff lebte damals in Amsterdam, wo er die deutschsprachige Abteilung des Querido Verlages betreute, der sich seit 1933 u. a. auf die Publikation solcher Bücher spezialisiert hatte, die im »Dritten Reich« verboten waren. Bei Landshoffs Begegnung mit Rauschning ging es auch um Die Revolution des Nihilismus und die Gespräche mit Hitler. Nach einem Bericht der Wochenzeitung Die Zeit aus dem Jahre 1982 soll Rauschning Landshoff am Schluss ihres Treffens gefragt haben, ob er nun allen Ernstes wieder von England nach Amsterdam zurückreisen wolle, wo doch die deutsche Besetzung der Niederlande unmittelbar bevorstehe. Woher Rauschning das wissen wolle, habe Landshoff entgegnet. Antwort Rauschning: »Hitler m’a dit«, Hitler habe es ihm gesagt. Landshoff verzichtete 302

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daraufhin auf die Rückkehr in die Niederlande und ließ sich vorübergehend mit vielen anderen Emigranten auf der Isle of Man internieren. Später gelang ihm über die USA die Einreise nach Mexiko. In einem völlig anderen Zusammenhang bestätigte Rauschning im April 1941 die Tatsache einer Begegnung mit Landshoff im Mai des vorangegangenen Jahres. In einem Brief an seine Frau Anna in New York äußerte sich Rauschning einmal mehr ungehalten über das Verhalten seiner amerikanischen Verlagsagenten. Es sei ein »Irrtum«, so Rauschning in dem Schreiben, dass er Koppell von der Alliance Book Corporation die Veröffentlichungsrechte für »alle meine Bücher zugesagt habe«. Und weiter: »Es bestand eine entsprechende Erklärung von mir aus dem Mai vorigen Jahres und nur für das verflossene Jahr, die aber nie in Kraft trat, weil der Vermittler, der Dr. Landshoff, interniert wurde und die Vereinbarung nicht abschickte.«864 Landshoffs Verlagschef Emanuel Querido und seine Ehefrau Jane Querido-Kozijn wurden in Amsterdam von der Gestapo verhaftet und im Juli 1943 im Konzentrationslager Sobibor umgebracht.865 Eine Frucht von Rauschnings politischer Schriftstellerei im Winter 1940/41 war zunächst das 170 Seiten starke Buch The Beast from the Abyss, das zuerst 1941 in London bei Heinemann erschien. Es handelte sich um tagtägliche Betrachtungen während der deutschen Luftangriffe auf britische Städte im Bewusstsein des definitiven Endes der Kultur und der Notwendigkeit einer neuen freien Ordnung gegen jede Versuchung des Hobbes’schen Leviathans, wie Rauschning den Text einmal knapp charakterisierte. Auch in den USA erschien das Buch 1941, hier jedoch unter dem Titel The Redemption of Democracy, zunächst bei der Literary Guild of America in New York, dann im selben Jahr auch bei Koppells Alliance Book Corporation. Eine deutsche Übersetzung ist nie erschienen. Ebenfalls im Jahre 1941 brachte der Londoner Verlag Secker and Warburg Rauschnings Make and Break with Hitler. Letters on a Conservative Revolution heraus. Noch im selben Jahr erschien es in New York bei G. P. Putnam’s Sons als The Conservative Revolution und ebenfalls 1941 veröffentlichte der New Yorker Freiheit-Verlag die deutsche Übersetzung mit dem Titel Die Konservative Revolution. Versuch und Bruch mit Hitler. Vordatiert auf das Jahr 1942, aber eigentlich unter dem Eindruck des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Herbst 1941 geschrieben, beendete das im Londoner Verlag Eyre and Spottiswood publizierte Werk Makers of Destruction – in den USA Men of Chaos – den Reigen der RauschLondon und Die Konservative Revolution

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ning’schen Bücher über den Nationalsozialismus. Er habe mit diesem Buch seine »anti-nationalsozialistische politische Schriftstellerei« abgeschlossen, schrieb der Verfasser Jahrzehnte nach Kriegsende.866 Das Werk atmete die Aussichtslosigkeit eines deutschen Sieges einerseits und des rechtzeitigen Sturzes des Hitler-Regimes andrerseits. »Verständlich als Ausdruck der Verzweiflung wünschte ich doch«, notierte er damals, »daß das Buch ungeschrieben geblieben wäre, weil es denunziatorischen Charakter hat.« Diese letzte Bemerkung bezog sich konkret auf Rauschnings irrtümliche Zuordnung des ehemaligen Stresemann-Sekretärs Werner von Rheinbaben zur Gestapo-Vertretung in Lissabon.867 Rauschning hatte in London von der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson eine entsprechende Fehlinformation erhalten und sie ungeprüft in sein Buch übernommen.868 Nach dem Krieg hat er sich dafür bei von Rheinbaben entschuldigt.869 Von Rheinbaben selber hat die irrtümliche Beschuldigung durch Rauschning in einem seiner Erinnerungsbücher wiedergegeben und in diesem Zusammenhang einen erstaunlich moderaten Ton gewählt. Gehässig wird der Ton gegenüber Rauschning, als er dessen Emigration in die Vereinigten Staaten erwähnt und sie im Vergleich zu seinem Verbleiben bei »Familie und Vaterland« während des »Dritten Reiches« negativ bewertet, und als er auf Rauschnings Anti-Adenauerkurs in der Bundesrepublik während der Jahre 1954–1956 zu sprechen kommt.870 Vor allem mit seinem Werk Make and Break with Hitler stellte Rauschning angesichts der Kriegssituation im Allgemeinen und der Bombardierung englischer Städte durch die Luftwaffe im Besonderen ein beachtliches Maß an Mut, wahlweise auch Unverfrorenheit, unter Beweis. Dies umso mehr, als das Buch als direkte Antwort auf Lord Vansittart gedacht war, der zuvor nach Meinung Rauschnings mit seiner Flugschrift Black Record »alles Deutsche bis auf Hermann den Cheruskerfürsten und seinen Pensionsvater in Hannover als den ewigen Aggressor« erklärt hatte.871 Oder in der kühlen Analyse Rauschnings: »Die Tendenz des Buches passte nicht in die Propagandalinie, weder in die englische und amerikanische damals, noch in die der deutschen Bundesrepublik unter der Direktion der Besatzungsmacht.« In der Bundesrepublik, so der Verfasser viele Jahre nach dem Krieg, sei das Buch »völlig unbekannt geblieben«, allein der zeitweilige Privatsekretär Ernst Jüngers, der Konservative Armin Mohler, habe sich in seiner Dissertation mit ihm befasst.872 Nach dem Erscheinen der Erstausgabe von Mohlers Dissertation im Jahre 1950 erhielt dieser ein Schreiben des an der University of Illinois in Urbana lehrenden Germanisten Detlev W. 304

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Schumann, der Mohler darüber informierte, dass Rauschning seinerzeit von einem Aufsatz Schumanns in einer 1939 erschienenen Fachzeitschrift »inspiriert« worden sei, in dem es um »Gedanken zu Hofmannsthals Begriff der ›Konservativen Revolution‹« gegangen sei.873 Rauschning selber hat auf eine derartige Inspiration nirgends hingewiesen, allerdings hat er zeitlebens diesen österreichischen Konservativen verehrt, und möglicherweise erklärt seine Lektüre des amerikanischen Aufsatzes ein Zitat Hofmannsthals, das er sowohl der englischen und der amerikanischen als auch der deutschen Ausgabe seiner Konservativen Revolution voranstellte und dessen englische Version bereits oben zitiert wurde: »Der Prozeß, von dem ich rede, ist nichts anderes als eine konservative Revolution von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt. Hugo von Hofmannsthal«. Nach dem Urteil Mohlers setzte sich mit Rauschnings Verwendung des Begriffs »Konservative Revolution« dieser im »politischen Sprach­gebrauch« durch, jedoch nicht »im selben Maße wie Rauschnings anderer Leitbegriff, die ›Revolution des Nihilismus‹«.874 Rauschning selber zählte das Buch über Die Konservative Revolution neben der Revolution des Nihilismus zu seinem »Hauptwerk über den Nationalsozialismus«. Formal entfaltete der Verfasser in der Konservativen Revolution in Briefform die Motive, die ihn seinerzeit zum Nationalsozialismus geführt hatten, seine Gedanken über die Genese der Hitlerbewegung und den Nationalsozialismus als das »vielleicht komplexeste politische Phänomen der Geschichte«, so der Verfasser.875 Rauschning drückte sich in seinem Werk auch nicht um einige Gedanken zum Antisemitismus der Nationalsozialisten herum, und er tat dies in einer Weise, die einen Vansittart provozieren musste. Zunächst stellte er zu diesem Thema fest, dass die deutsche Geistesgeschichte der letzten 150 Jahre mit dem Anteil der Juden an dieser Geistesgeschichte identisch sei. Er sei »weit davon entfernt, dies als eine Überfremdung des deutschen Geistes zu bezeichnen«. Und dann hieß es weiter: »Ich kann den altansässigen jüdischen Deutschen nicht ›the alien corn‹ nennen, wie es einer Ihrer bekanntesten Schriftsteller in einer Novelle tut (Somerset Maugham).«876 Rauschning griff sodann das von seinem fiktiven Briefpartner ins Feld geführte Argument auf, er sei wegen seiner Herkunft aus Landwirtschaft und Tierzucht ein Anhänger des rassischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und mit diesem Wissen könne man ihn, Rauschning, ein wenig entschuldigen. Rauschning widmete diesem Argument in seiner »Antwort« mehr als eine Seite, auf der er die tierzüchterischen Erfahrungen seiner DanziLondon und Die Konservative Revolution

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ger Zeit mit allerlei Fachvokabular darlegte. Diese Erfahrungen hätten ihn jedoch gerade umgekehrt nicht zum Anhänger des rassischen Antisemitismus werden lassen, sondern ihm »im Gegenteil über die Absurdität dieser Rassenbegriffe« Klarheit verschafft. Im Übrigen habe er den »antisemitischen Radau« niemals ernst genommen, weshalb er auch seinen »Verkehr mit jüdischen Bekannten« nicht »abgebrochen« habe. Analog habe er auch den nationalsozialistischen Kampf gegen die Freimaurerei nicht für bare Münze genommen und sei folglich nicht aus seiner Posener Loge ausgetreten, sodass seine Mitgliedschaft erst mit ihrer »Selbstauflösung« geendet habe.877 Gegen Ende seines Kapitels über die Juden räumte Rauschning ein, dass »wir« uns über die tatsächliche »Vitalität« des nationalsozialistischen Antisemitismus »geirrt« hätten. Er wies darauf hin, dass er bereits andernorts – nämlich in den Gesprächen mit Hitler – auf die Sündenbockfunktion dieses Judenhasses aufmerksam gemacht habe, die ihren Ursprung wiederum im »Marxismus« finde. So wie der »Bourgeois« im »Popular-Marxismus« die Rolle des »personifizierten Hasses und (der) Verachtung« spiele, tue dies der Jude »im Popular-Nationalsozialismus«. Rauschning behauptete ferner, er habe »gehört«, dass Hitler zeitweilig »geschwankt« habe, einen »anderen Typ zum Objekt des Hasses zu wählen«. Der »Preuße« sei dafür unbrauchbar gewesen, auch wenn »heute so gerne manche Leute« ihn »zum Objekt des Hasses designieren möchten« – diese Bemerkung war unschwer als Anspielung auf die britische Furcht vor dem »preußisch-militärischen Komplex« zu erkennen. Der »Pole, der Slawe«, so Rauschning, sei »in Westdeutschland« keine »ausreichend populäre Vorstellung« gewesen: »also blieb es beim Juden«. Das »Gedankenschema für solche Erfindungen« müsse »man aber beim Sozialismus suchen, bei Marx und Sorel«. In seiner Zeit als Danziger Senatspräsident habe er geglaubt, dass man hinsichtlich des nationalsozialistischen Antisemitismus »Geduld« aufbringen müsse, schrieb Rauschning, man habe sich schließlich in einer »Revolution« befunden, an deren Ende die »Wiederherstellung von Gesetz und bürgerlicher Gleichberechtigung, auch für die jüdischen Mitbürger«, stehen würde. Rauschning schloss diesen Abschnitt der Konservativen Revolution mit dem Hinweis, dass die Juden selber in der Geschichte höchsten Wert auf »Reinerhaltung des jüdischen Stammes als innersten Kern ihres Glaubens« gelegt hätten. Im »bürgerlichen Sinne« sei »der Jude zwischen zwei schöpferischen Impulsen seines Geistes in ewiger Spannung«. Er stehe überall auf der Seite der Befreiung, der Kritik, der Vernunft »und seine 306

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große Vergangenheit als das älteste Volk des Abendlandes führt ihn immer zurück zu Tradition, Gesetz, Gehorsam, Ordnung. Er muß sich politisch immer auf die Seite jeder Emanzipation schlagen, weil er nur unter freiheitlichem Regime die volle Entfaltung seiner Eigenart erwarten und sich sichern kann.« Der Jude, so Rauschning, müsse aber auch versuchen, seine »großen Kräfte der Ordnung, des Traditionalismus, der Autorität den Völkern zu leihen, mit denen er« lebe. Er tue dies in England ebenso wie in Frankreich. In Deutschland habe man »nur noch wenige echt konservative jüdische Bürger gehabt. Standen Juden auf der Seite, die man politisch rechts nannte, so geschah es, um die Interessen des Besitzes zu verteidigen.« Er hoffe, formulierte Rauschning seinen letzten Satz, »daß es in Zukunft mehr jüdische Genien geben wird, die auf der Seite einer echten grossen Verbindung aller Kräfte der menschlichen Tradition stehen.«878 Über die Wirkung seines Buches im Londoner Politikbetrieb mitten im Krieg hat Rauschning eine knappe Erinnerungsskizze hinterlassen. »Ich war wiederholt in Vansittarts Country House Weekend East … eingeladen«, notierte er Jahrzehnte nach dem Krieg. »Zugänglich« und »eminent klug« habe Vansittart auf ihn gewirkt. In dem Country House habe ihm sein Gastgeber »erklärt«, mit seinem »Pamphlet« Black Record habe er »das englische Volk war-minded«, also kriegsbereit, machen wollen und deshalb auch »etwas dick aufgetragen«. Rauschning weiter: »Die Veröffentlichung« der Conservative Revolution »mitten unter dem ›Blitz‹ in London ist ein glänzendes Beispiel der englischen Fairneß. Zwar verlangte Aneurin Bevan, der spätere Außenminister879, meine sofortige Internierung. Aber die Regierung tat nichts dergleichen; und wie das in England so üblich ist, ich traf Bevan und erhielt sogar eine Einladung zum Frühstück. Aber ich verlor die Gunst Vansittarts.«880 Dass Vansittart, der im Übrigen Rauschning keineswegs für einen »nationalistischen Expansionisten«881 hielt, seine Gunst durchaus nicht völlig entzogen hatte, zeigte sich in der zweiten Jahreshälfte 1941, als es um Hilfe für Rauschnings Ausreise in die Vereinigten Staaten ging. Auch Thomas Mann hat die Konservative Revolution in seinem amerikanischen Exil gelesen. In New York notierte er unter dem Datum des 10. November 1941 in seinem Tagebuch: »Rauschning in seiner ›Konservat. Revolution‹ über mich als ›letzte Blüte einer sterbenden Epoche‹. Es ist das Leben.«882 In der ersten Jahreshälfte 1941 scheinen in Rauschnings Brust zwei Kräfte über der Frage gerungen zu haben, ob und mit welchem Nachdruck er London und Die Konservative Revolution

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das Exil in die USA verlegen sollte. Nach einer Information in einem Brief an seine Frau in New York vom 1. Juni jenes Jahres hatte er die Überfahrt »für den Februar geplant, sie wäre im März möglich gewesen«. Wenn diese Information stimmt, hätte er damals also im Besitz der notwendigen Ausund Einreisedokumente sein müssen. Im selben Brief teilte er nun seiner Frau auch mit, dass er die »Abreise nicht energisch betrieben« habe. Als Gründe führte er verschiedene »papers« an, die er »auf Wunsch« für die Regierung geschrieben habe, die sich jedoch als »nutzlos« erwiesen hätten. Darüber hinaus wisse er nicht, so Rauschning weiter, was er in den USA solle. »Keinesfalls« wolle er in New York »mit anderen Leuten unter einem Dach« leben, bei denen er »wieder den Störenfried« geben müsste. Als persönlichen Grund »hier zu bleiben« nannte er schließlich seine Enttäuschung über den Zustand ihrer Ehe; die »Entwicklung unseres Verhältnisses« sei ihm »zweifelhaft« geworden, wie er formulierte, und: »leider« hätten »uns Not und Sorge nicht näher zusammengebracht«. Auch politisch äußerte er sich düster. Deutschland werde den Krieg verlieren, aber der Krieg werde noch lange weitergehen und alles, was »bisher an Zerstörung betrieben worden« sei, werde »ein Kinderspiel gegenüber dem sein, was in den nächsten Monaten kommt«.883 Mitten hinein in seine Unschlüssigkeit platzte mit dem Schottland-Flug des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß am 10. Mai 1941 ein Ereignis, das Rauschning noch einmal zu politischer Aktivität motivierte und u. a. zur Abfassung jener »papers« führte, die dann in den Papierkörben der britischen Regierungsstuben landeten. Zur Erinnerung: Seit dem Regierungsantritt Winston Churchills exakt ein Jahr zuvor vertrat London eine eindeutige Linie gegenüber dem Reich, die eine militärische Niederringung desselben vorsah, ohne irgendeinen – zumindest öffentlichen – Gedanken an einen Kompromissfrieden mit dem Deutschland Hitlers zu verschwenden. Hermann Rauschning war aber von Paris nach London eingeladen worden, um mit der vorherigen Regierung Chamberlain über Fragen der antideutschen Propaganda und gegebenenfalls einer Exilregierung zu beraten. Hans Albert Kluthe hatte seinerzeit, wie erwähnt, den Zeitungsmacher David Astor als eine jener nicht direkt in die Regierung eingebundenen Persönlichkeiten genannt, mit denen Rauschning und andere konservative Emigranten sprechen und versuchen könnten, Einfluss geltend zu machen. Es war jener David Astor in seiner damaligen Eigenschaft als Mitglied im Stab der »Combined Operations« unter Lord Mountbatten, an den Rauschning am 22. Mai 1941 ein von Enttäuschung und rückhaltloser Offenheit 308

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geprägtes Schreiben richtete.884 Darin beklagte er sich zunächst über das ihm als ehemaligem Nationalsozialisten entgegengebrachte Misstrauen, das auch auf den ihm gegenüber gehegten Verdacht gründe, als »deutscher Nationalist verfolge er das Ziel Deutschland in einem Kompromissfrieden zu retten«. Bisher habe er sich an die Absprache gehalten, sein Wissen nur gegenüber der Regierung und einzelnen interessierten Privatpersonen preiszugeben. Nachdem er jüngst im Spectator und in der »nordamerikanischen Presse« zum Heß-Flug Stellung genommen habe, fielen diese Organe über ihn her und beschuldigten ihn der Intrige um einen Kompromissfrieden mit Deutschland und der Einmischung in die politischen Entscheidungen Großbritanniens. Im weiteren Verlauf seines Briefes kündigte Rauschning seine Zusammenarbeit mit Astor auf und begründete dies mit der »Unsinnigkeit« der bisherigen gemeinsamen Arbeit, die nur auf gelegentlichen Gesprächen und persönlichen Vorschlägen beruht habe. Bei seiner Übersiedlung nach England habe er stattdessen erwartet, in eine »permanente und kontinuierliche Zusammenarbeit bei der Bewertung des Kriegsverlaufes« einbezogen zu werden. Er hoffe, dass Astor Verständnis dafür aufbringe werde, dass er, Rauschning, keine »untergeordnete Tätigkeit« verrichten wolle, wie sie ihm beispielsweise von der BBC angeboten worden sei. Radiobeiträge über Hitler und seine Nichte, Korruption in der NaziElite oder Risse in der Parteiführung könnten andere Emigranten erledigen. Kein Mitglied des BBC-Führungspersonals habe sich für seine »Konzeption der allgemeinen Propagandalinie« interessiert. Im Übrigen hätten drei von ihm gerne produzierte Sendungen »für die arabische Welt« im vorherigen Jahr gezeigt, dass sich einige der damals von ihm gemachten Vorhersagen in Bezug auf drohende Gefahren als zutreffend erwiesen hätten. Entscheidend für seine Weigerung, weiterhin mitzuarbeiten, sei jedoch eine unterschiedliche Beurteilung des »politischen Charakters des Krieges« und der Frage, wie man künftig verfahren solle. Sollte die Konzeption von »Mr. Crossman vom ›New Statesman‹« als die offizielle Regierungsmarschrichtung gelten, wonach »es nicht erwünscht sei, Deutschland von innen zu brechen, sondern militärisch von außen«, sei seine weitere Mitarbeit sinnlos. Zum Schluss seines Schreibens ließ Rauschning dann jede Zurückhaltung fallen. Er sei inzwischen skeptisch, ob das offene Urteil eines unabhängigen Ausländers in England überhaupt erwünscht sei. Er habe »den Eindruck, dass bestimmte kontinentale Praktiken bereits angewandt« würden, dass nämlich »unbequeme oder unorthodoxe Ansichten zu vertreten, Verdacht auf eine Person« werfe. London und Die Konservative Revolution

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Eine Antwort David Astors auf diesen Brief ist nicht überliefert. Es muss jedoch irgendeine Verständigung zwischen ihm und Rauschning stattgefunden haben, denn mit Schreiben vom 12. Juni 1941 bestätigte Rauschning in überaus freundlichem Ton den Eingang von zwei Schriftsätzen Astors.885 Im weiteren Verlauf des vierseitigen Briefes nahm Rauschning in kritisch-zuvorkommendem Ton Stellung zu einzelnen Aspekten dieser Schreiben. Dabei spielte insbesondere der künftige propagandistische Umgang mit dem Heß-Flug eine Rolle. Nach Rauschnings Auffassung bildete das Unternehmen von Heß den Versuch moderater Kreise in der NS-Führung, Kontakt zur britischen Regierung aufzunehmen, eine deutsche Invasion Großbritanniens abzuwenden und einen von Rauschning für wahrscheinlich gehaltenen Angriff der Sowjetunion im Osten zu verhindern. Diese Sicht der Dinge geht aus einem achtseitigen Schreiben Rauschnings an Außenminister Anthony Eden vom 26. Mai 1941 hervor, das Rauschning dem Minister aus eigenem Antrieb zukommen ließ.886 Beide kannten sich aus gemeinsamen Tagen beim Völkerbund in Genf. Rund einen Monat vor dem Unternehmen »Barbarossa«, dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, dienten die deutschen Verteidigungslinien im Osten nach Meinung Rauschnings der Verhinderung einer sowjetischen Invasion, »nicht jedoch einer Offensive gegen Russland«. Hinsichtlich des Heß-Fluges argumentierte Rauschning, dass dieser der Versuch einer seit Langem existierenden Opposition im Reich sei, sich Geltung zu verschaffen. Er, Rauschning, habe Kenntnis gehabt von dieser Opposition und ihrer Absicht, den Kriegsausbruch zu verhindern. Nach seiner Meinung müsse nun um jeden Preis eine falsche propagandistische Reaktion auf den Flug verhindert werden. Auf keinen Fall dürfe diese dazu führen, dass die »unverbrüchliche Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes« (deutsch im Brief) weiter befördert oder aber die existierenden oppositionellen Elemente an die Seite der »Radikalen« gedrängt würden. Stattdessen müsse man versuchen, die Gedanken und die Sprache der Machthaber im Reich richtig anzuwenden, sie als deutsche Patrioten ansprechen, dabei aber »zwischen Besseren und Schlechteren, zwischen Verführten« und Verführern unterscheiden. Die einen gegen die anderen auszuspielen – darin liege die Chance des Heß-Fluges, was immer auch seine Motive gewesen sein mögen. Es werde keinen Sinn machen, so Rauschning, sich in der Propaganda ausführlich mit Heß’ Charakter oder seinen bisherigen Verantwortlichkeiten zu beschäftigen, vielmehr komme es darauf an, Heß als einen vergleichsweise moderaten und 310

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persönlich nicht korrupten Mann zu präsentieren, der in allen deutschen Kreisen den höchsten Respekt genieße. In den teilweise rekonstruierten Akten der NSDAP-Partei-Kanzlei haben sich vier kurze Meldungen von deutschen »Verbindungsleuten in Prag und Marseille« vom 16. Juli 1941 erhalten, in denen es um die Auswirkungen des Heß-Fluges ging. In der zweiten Meldung heißt es: »›stärkster Einfluß auf Churchill und das englische Kabinett augenblicklich‹ nicht von Heß, sondern von Rauschning ausgeübt (Warnung R.s vor einem im Herbst geplanten Einsatz bakteriologischer Waffen durch Deutschland)«.887 Zum vierten Mal begegnet uns hier die Erwähnung bakteriologischer Waffen im angeblichen deutschen Besitz – nach angeblichen Äußerungen Rauschnings gegenüber Elizabeth Wiskemann und brieflichen gegenüber Erich Brost vor Kriegsausbruch, dann in den Gesprächen und nun hier in den Meldungen deutscher Informanten während des Krieges. Um sich finanziell abzusichern, schrieb Rauschning nicht nur folgenlose Papiere für die Regierung, sondern er veröffentlichte seine Analysen der Kriegsentwicklung und der vermutlichen Zustände im Reich auch in britischen Zeitungen. Vor allem in dem konservativen Boulevardblatt Daily Express fand er ein Forum für seine Ansichten. Unter dem Titel Hitler Wants the World! brachte der Verlag Hurricane ein Heft heraus, in dem Rauschnings Zeitungsartikel versammelt waren.888 Allein im April 1941 wurde es vier Mal und dann mindestens im Mai noch ein Mal nachgedruckt. Der Autor sah sich auf dem Titelblatt mit dem vielversprechenden Zusatz gewürdigt: »Der Mann, der Hitlers Seele kennt«. Das Vorwort steuerte Mark Goulden, der Herausgeber der Zeitschrift Cavalcade, bei. Nach einer kurzen Übersicht über Rauschnings Herkunft und politischen Werdegang in Danzig äußerte Goulden die Überzeugung, dass Rauschnings Flucht nach England »ein glücklicher Umstand für das Land« sei. Er habe die »Ziele der Nazis« aufgedeckt und »viel dafür getan, die Augen der Nation angesichts der von Hitlers Regime ausgehenden Gefahr zu öffnen«. Rauschnings Schriften seien »von unschätzbarem Wert und Bedeutung«. Die in dem Heft rund 60 Seiten umfassenden Artikel Rauschnings sollen hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden, da sie überwiegend tagesaktuelle Ansichten und Analysen des Autors enthalten, über die die Geschichte hinweggegangen ist. Insgesamt fällt jedoch auf, dass Rauschning Wochen vor »Barbarossa« und Monate vor dem Eintritt Japans und London und Die Konservative Revolution

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der USA in den Krieg sehr wohl einen Weltkrieg im Sinne des Wortes kommen sah, mit den verschiedensten geographischen »Theatern«, sei es »Ostasien, Malaya, Mesopotamia, Afghanistan, die Türkei, der Persische Golf« und immer wieder: Russland. Unter Rückgriff auf die deutschen Kriegsziele im Russland des Ersten Weltkriegs konnte er sich durchaus vorstellen, dass Hitler versuchen würde, nach russischem Erdöl und Getreide zu greifen, und dass man sich am Ende auf ein geschlagenes Russland in der mittelalterlichen Größe des Großherzogtums Moskau einrichten müsse. Gern arbeitete Rauschning erneut mit dem Topos der »fünften Kolonne«, die nach seiner Überzeugung überall auf der Welt das Geschäft der Nationalsozialisten betreibe. So müsse man zwar etwa in Bezug auf die ukrainischen Bauern nicht an das Märchen von Hitlerbildern glauben, die in den Häusern hinter Ikonen versteckt seien, doch sei es unbestreitbar, dass in bestimmten Gebieten die Unzufriedenheit mit dem Sowjetregime verbreitet sei und damit beachtliche Hilfe für deutsche Invasoren bereitstünde.889 Neben seiner unermüdlichen publizistischen Tätigkeit verfolgte Rauschning im Sommer 1941 endlich ganz entschieden seine Ausreise in die Vereinigten Staaten. Zwar ahnte er, dass das Wiedersehen mit Frau und Familie in New York womöglich nicht ungetrübt verlaufen würde. Die erhalten gebliebenen Briefe an Anna – sie schrieb umgekehrt weit weniger an ihren Mann in London – lassen einen zwischen Zorn und Verzweiflung schwankenden Hermann erkennen – Verzweiflung wegen ausbleibender Post auch von seinen Kindern, Zorn wegen der seiner Meinung nach viel zu kostspieligen Lebensführung seiner Frau und eigenmächtigen Absprachen mit Verlegern. Auch dass er zufällig über eine Verlagsnotiz stolperte, die Anna Rauschnings eigenes Erinnerungswerk mit dem Titel No Retreat für das Jahr 1942 ankündigte, ohne dass sie ihrem Mann zuvor eine Andeutung darüber gemacht hätte, besserte seine Stimmung nicht.890 Ungeachtet dieser wenig verheißungsvollen Empfangskulisse an der amerikanischen Ostküste sah Hermann angesichts des Kriegsverlaufs und der entschlossenen antideutschen Kriegführung unter Churchill das Ende seiner Einflussmöglichkeiten in England gekommen. In den Dokumenten des Foreign Office ist der bürokratische Prozess, der schließlich Ende September 1941 zu seiner Abreise in die USA führte, detailliert dokumentiert. Es findet sich dort jedoch auch eine konzise Kurzfassung der Abläufe aus der Hand des Chefs des Central Department im FO, Frank K. Roberts, vom 26. Oktober 312

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1941891, die hier zur Nachzeichnung der Ereignisse herangezogen werden soll, ergänzt um ein paar Zusatzinformationen. Bereits im Juni 1941, so Roberts in seiner Aufzeichnung, habe Rauschning eine Ausreiseerlaubnis sowie ein amerikanisches Visum für eine Vortragsreise in den Vereinigten Staaten erhalten. Er verdankte Lord Vansittart diese Gefälligkeiten, und das Central Department des FO trat erst im Juli in Erscheinung, als ein paar Schwierigkeiten hinsichtlich des portugiesischen Visums auftraten, ohne das Rauschning die Flugreise (»clipper passage«) via Lissabon nicht hätte antreten können.892 Angesichts des Ausbruchs des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni, der daraus unmittelbar resultierenden AntiHitler-­Koalition unter Einschluss der Sowjetunion sowie der Tatsache, dass Rauschning dafür bekannt sei, dass er »eine deutsche Expansion nach Osten befürwortete«, sei Staatssekretär Sir Cadogan mit dem Vorschlag an Vansittart herangetreten, Rauschning von einer Verschiebung seiner Reise zu überzeugen. Zunächst habe man im FO angenommen, so Roberts weiter, dass Rauschning dem zustimmen würde. Vansittart habe dem jedoch entgegengehalten, dass dies Rauschning sehr hart träfe, der Frau und fünf Kinder in den USA habe. Rauschning könne nur dann Geld verdienen und sie unterstützen, wenn ihm die Ausreise in die Vereinigten Staaten erlaubt werde. Lord Vansittart habe mit Nachdruck betont, so Roberts, dass Rauschnings Haltung seit Kriegsausbruch durchweg loyal und hilfreich gewesen sei. Da (1) nun die »russische Kampagne« bereits seit einiger Zeit laufe, (2) sich keine offene deutsche Friedensoffensive entwickelt habe und (3) die allgemeine Auffassung der Regierung Seiner Majestät und der US-amerikanischen Regierung öffentlich in der Atlantik-Charta bekräftigt worden sei, sei man zu dem Schluss gekommen, dass es Rauschning nicht länger zugemutet werden könne, seine Reise noch weiter aufzuschieben. Die Amerikanische Botschaft in London sei jedoch darauf hingewiesen worden, dass die Reise in keiner Weise offiziell unterstützt werde und dass eine Seepassage statt einer Luftpassage gewährt werde, um jeglichen Eindruck einer offiziellen Unterstützung zu vermeiden. Roberts schloss seine Zusammenfassung mit der Bemerkung, dass laut Presseberichterstattung vom 24. Oktober Rauschning bereits in New York angekommen sei. Reportern habe er ein erstes zufriedenstellendes Interview gegeben, in dem er zum Ausdruck gebracht habe, dass ein jeglicher deutscher Frieden zur jetzigen Zeit Deutschland nur dabei helfen würde, Atemluft für die vollständige Eroberung der Welt zu gewinnen. Er habe auch von wachsender Zwietracht in Deutschland gesprochen, jedoch übertriebenen Optimismus verworfen.893 London und Die Konservative Revolution

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Während sich Rauschning auf See schon der amerikanischen Küste näherte, versuchte der ehemalige britische Außenmister und seinerzeitige britische Botschafter in Washington, Viscount Halifax, Rauschnings Abreise im letzten Moment zu verhindern, sofern sie nicht schon erfolgt sei. Mit Telegramm vom 22. Oktober an das FO argumentierte Halifax, was Whitehall auch unternehme, um diese Reise rein privat aussehen zu lassen, es werde ein »sponsoring« seitens der britischen Regierung vermutet werden. Darüber hinaus genieße Rauschning zwar den Ruf »anti-Hitler« zu sein, doch gelte er weithin als Befürworter einer autoritären Regierung für Deutschland und sei bekannt für seine unnachgiebige Haltung gegenüber dem Sowjetregime. Insbesondere der letzte Aspekt lasse seinen gegenwärtigen Besuch in den Vereinigten Staaten »denkbar unerwünscht« erscheinen.894 Frank K. Roberts vom Central Department des FO hatte in seiner Zusammenfassung einen wichtigen Aspekt unerwähnt gelassen. Ohne die direkte Hilfe von Außenminister Anthony Eden wäre Rauschning wahrscheinlich erst später aus England abgereist. Mit Schreiben vom 4. September 1941 auf dem Briefpapier mit dem Kopf »Dr. Hermann Rauschning«, dann handschriftlich »former« und weiter gedruckt »Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig« bat Rauschning Eden um Unterstützung bei der Vermittlung einer Passage. Er besitze alle notwendigen Papiere und wolle nach dem Wiedersehen mit seiner Familie und dem Abschluss seiner Vortragstour nach Großbritannien zurückkehren, wofür er ebenfalls bereits das erforderliche »certificate« in Händen halte. Am 22. September teilte Roger Makins vom FO Rauschning mit, dass Außenminister Eden ihn veranlasst habe, ihm mitzuteilen, dass es »nun möglich« gewesen sei, eine Unterbringung auf einem Frachter zu veranlassen, der »um den 24. September« das Land verlassen werde. Mit kurzem Brief vom folgenden Tag bedankte sich Rauschning bei Makins und Minister Eden.895 Ein knappes Schreiben von Lord Vansittart an »Dear Moley«, d. i. Sir Orme Sargent in seiner damaligen Eigenschaft als stellvertretender Under-Secretary im FO, vom 18. September hatte bereits die positive Entscheidung für Rauschning angedeutet. Ein einziger Satz in dem Fünfzeiler Vansittarts wirft ein Licht auf die empathische und politische Seite im Handeln des Deutschlandhassers. »Ich bin sehr froh, dass jetzt alles geklärt ist«, schrieb er in Bezug auf die Reiseermöglichung und fuhr dann fort: »Ich bin ziemlich sicher, dass es nur menschlich ist, ihn gehen zu lassen und wahrscheinlich auch klüger.«896 Bereits rund einen Monat zuvor, mit Schreiben vom 19. August, hatte Vansittart gegenüber Orme Sargent die Meinung vertreten, dass es 314

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»unfair« gegenüber Rauschning wäre, ihn noch länger in England festzuhalten. Rauschning, so Vansittart, wolle raus aus der Politik und raus aus Europa, um in Kanada eine Farm zu betreiben. Er wisse, dass er zu viel gesagt habe, um jemals wieder nach Deutschland zurückkehren zu können, ohne ermordet zu werden. Rauschning sei nicht annähernd so schädlich wie die deutschen Sozialdemokraten, die eine »Menge Unheil hier« anrichteten und die er zu bekämpfen gedenke.897

Von New York über Hollywood nach Oregon Die Überfahrt nach New York in einer für Hermann Rauschning reservierten Einzelkabine verlief ohne besondere Vorkommnisse, ja geradezu entspannt. Die Zahl der Crewmitglieder und der Passagiere macht gerade einmal zehn Personen aus. Da der nunmehr Staatenlose an Bord des Schiffes keine Gelegenheit gefunden hatte, seine Angehörigen über seine bevorstehende Ankunft in der Neuen Welt zu informieren, rief sein plötzliches Auftauchen in Anna Rauschnings Apartment in der Madison Avenue einige Irritation hervor.898 Mehr als zwei Jahre der Trennung, der Missverständnisse und des offenen Konflikts mit Anna standen einem überschwänglichen Willkommen entgegen. Desgleichen die Anwesenheit eines Freundes, der inzwischen für Anna mehr als nur ein Freund der Familie geworden war. Heilwig und Ise, die beiden ältesten Kinder, standen mittlerweile auf eigenen Beinen und waren in New York vollauf mit dem Handtaschen-Business beschäftigt. Fritz war auf eine Farm in der Nähe von McMinnville im Staate Oregon geschickt worden, damit er dort seine Kenntnisse in der Landwirtschaft vertiefen konnte. Die Farm gehörte Hermanns altem Freund und Unterstützer Erwin Brettauer, dem es rechtzeitig gelungen war, zusammen mit seinem Vermögen Europa zu verlassen. Er lebte inzwischen im kalifornischen Santa Barbara. Rauschnings Tochter Anneregine besuchte eine Privatschule, während die Jüngste, Elizabeth899, gerade vom Kindergarten in die Grundschule wechselte. Anna und ihre älteren Kinder hatten die Zeit in Paris und New York ohne die intensive, dominierende Gegenwart von Ehemann und Vater durchaus genossen. Die Trennung hatte Anna ein Maß an Freiheit, Entscheidungen zu treffen und selbstständig zu handeln, ermöglicht, das sie Von New York über Hollywood nach Oregon

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niemals erreicht hätte, wenn sie zusammengelebt hätten. In vielerlei Weise waren die Persönlichkeiten Annas und Hermanns gegensätzlich. Doch trotz aller schmerzhaften Spannungen während ihres 25-jährigen »Ehekrieges«, wie Hermann einmal sagte, »waren sie durch ein unzertrennliches Band miteinander verbunden, eine tiefe innere Liebe, die sie immer und immer wieder vereinigen würde«. Im November 1941 brach Hermann per Zug von New York zu seiner ersten Begegnung mit Kalifornien auf, wo er in Santa Barbara Erwin Brettauer treffen wollte, um mit ihm literarische und verlegerische Projekte zu erörtern. Anschließend plante er, mit der Bahn nordwärts nach Oregon zu reisen, um auf Brettauers »Foothills Farm« seinen Sohn Fritz wiederzusehen. Beide wollten sich dann gemeinsam zurück an die Ostküste aufmachen, um dort mit der ganzen Familie das Weihnachtsfest zu feiern. Brettauer spielte mit dem Gedanken, in die Filmwirtschaft von Hollywood zu investieren. Möglicherweise hatte er die Idee in Rauschnings Kopf gesetzt, mittels Filmen die amerikanische Öffentlichkeit mit Hitlers Absichten vertraut zu machen. Auf jeden Fall begann Hermann einige Monate später an einem Drehbuch mit dem Arbeitstitel »The Man who killed Hitler« zu arbeiten. Doch zunächst begab er sich nach Oregon – gerade zu der Zeit, als die Japaner am 7. Dezember Pearl Harbor angriffen und der amerikanische Präsident tags darauf in einer Rede die Kriegserklärung verlas. Eine Woche später hagelte es öffentliche Ankündigungen über die Notwendigkeit, Internierungslager für japanischstämmige US-Bürger einzurichten – die Angst vor einer amerikanisch-japanischen »fünften Kolonne« beherrschte insbesondere die Westküste. Mit seiner Erfahrung aus Frankreich und England drückte Hermann in einem Brief an Anna seine Sorge vor einer Ausdehnung der Internierung auch auf Personen deutscher Herkunft aus. Fritz sah sich aufgefordert, für die Dauer der Weihnachtsferien auf der Farm zu verbleiben, während sein Vater allein die Rückreise nach New York antrat. Ende Dezember 1941 tauchte der Name Rauschning auch in der Sowjetunion auf. Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR im Juni war die Kommunistische Internationale (Komintern) nach Ufa, westlich des Urals, sowie nach Kuibyschew in Westsibirien evakuiert worden. Der Generalsekretär der Komintern, Georgi Dimitrov, notierte in Ufa zunächst unter dem Datum des 24. Dezember 1941 Folgendes in sein Tagebuch: »Erhielten 316

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vom ›Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten‹ die Nachricht, daß in Amerika eine deutsche ›Gegenregierung‹ geschaffen worden ist. Dieser Regierung gehören an: Prevenarius (d. i. Gottfried Treviranus, A. H.), Brüning, Saidepret (?), Rauschning, Strasser, Sollmann. – Offensichtlich ist dieser Schritt von Churchill und Roosevelt abgesegnet worden, die in Washington beraten.« Nachdem er mit seinen Genossen in Kuibyschew gesprochen hatte, schrieb Dimitrov am folgenden Tag in sein Tagebuch: Habe detailliertere Informationen hinsichtlich der Meldung über die Bildung einer deutschen »Gegenregierung« erhalten. Unter den deutschen Emigranten in Amerika wurde eine Deklaration folgenden Inhalts verbreitet: »Deutsche Politiker, die sich im Exil aufhalten, haben einen deutschen Nationalrat gebildet, der eine deutsche ›Gegenregierung‹ darstellt. Diesem Rat gehören an: Brüning, Rauschning, Strasser, Treviranus, Sollmann, Seltermann (Karl Höltermann) und Thomas Mann. Die Deklaration enthält sechs Punkte: 1. Kampf gegen Nationalismus und Bestrafung aller Schuldigen; 2. Kampf gegen den Kommunismus und jede Form von Diktatur; 3. Wirtschaftliche Demokratie und Zusammenarbeit; 4. Demokratische Autonomie und Schaffung eines föderativen Europa; 5. Zusammenarbeit mit der gesamten demokratischen Welt; 6. Rückkehr zu Gott«. Was für Halunken!900

Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, worauf sich Dimitrov mit seinen Notizen zu einer deutschen »Gegenregierung« bezog. Am wahrscheinlichsten dürfte es die Meldung der New York Herald Tribune vom 14. Mai 1941 gewesen sein, die die Initiative zur Bildung eines »Deutschen Nationalrats« durch Otto Strasser bekannt gab, die dann jedoch im Sande verlief. Als weitere Namen außer Strasser nannte die Zeitung Brüning, Rauschning, Treviranus, Thomas Mann, Sollmann und Höltermann.901 Zeitlich näher an der Dimitrov-Tagebucheintragung lag die Gründung der »Association of Free Germans« im Rahmen der »German Labor Delegation« am 29. November 1941 durch den ehemaligen preußischen Innenminister und Berliner Polizeipräsidenten Albert Grzesinski. Zu den Direktoren der »Association« gehörten neben Grzesinski auch Rudolf Katz und Max Brauer. Zwar öffnete sie sich allen Angehörigen der Weimarer Koalitionsparteien, jedoch unter »ausdrücklicher Abwehr von ›Persönlichkeiten wie Strasser, Rauschning usw.‹«.902 Im Jahre 1942 gründete Erwin Brettauer gemeinsam mit Seymour Nebenzahl und Rudolph S. Joseph eine eigene Filmgesellschaft mit dem Namen Von New York über Hollywood nach Oregon

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»Angelus Pictures«. Nebenzahl arbeitete seit 1925 in der Filmwirtschaft, fünf Jahre später zählte er zu Deutschlands bedeutendsten Produzenten und kooperierte in den frühen 1930er Jahren mit solch illustren Regisseuren wie G. W. Pabst und Fritz Lang bei einigen ihrer berühmten Streifen. Nach der »Machtergreifung« war Nebenzahl nach Paris entkommen und hatte sich 1938 in Hollywood niedergelassen. Joseph, dessen Vater in Frankfurt eines der ersten Stummfilmtheater betrieben hatte, besaß als Berliner Dramaturg einen klassischen Theaterhintergrund. Bereits im Jahre 1932 ging er nach Paris und nahm Angebote in Österreich und Italien an, zu denen auch die Arbeit an Drehbüchern gehörte. Schließlich ging er in die Vereinigten Staaten, wo er zunächst in Hollywood Erfolg im Immobiliengeschäft hatte, bevor er sich seinen Partnern bei Angelus Pictures anschloss. Ihr gemeinsamer deutscher Hintergrund prädestinierte die drei Firmeninhaber, sich auf die gespannte Lage in Deutschland zu konzentrieren. So entstand einer der wenigen bemerkenswerten Anti-HitlerFilme: Hitler’s Madman, der auf der Biographie von Reinhard Heydrich, Hitlers Chef der Sicherheitspolizei und des SD, basierte. Der Film wurde später an Louis P. Mayer von MGM verkauft. Hermann Rauschning fragte bei Angelus Pictures an, ob seine Mitarbeit in der Firma möglich sei, und erhielt im Mai 1942 von Joseph eine abschlägige Antwort. Jedoch ermutigte er Rauschning, an seinem eigenen Drehbuch weiterzuarbeiten, das er und seine Partner gerne lesen würden. Diese Antwort fiel mit weiteren Enttäuschungen zusammen, die den finanziellen Druck auf die Familie Rauschning erhöhten. Die Veröffentlichung seines Buches Men of Chaos sah sich auf den Herbst verschoben, um aktuelle Entwicklungen in ihm noch reflektieren zu können. Als es endlich in den Buchhandlungen auslag, hatte sich nach Meinung von Anna Rauschning der amerikanische Verleger G. P. Putnam’s Sons bei der Vermarktung nur halbherzig Mühe gegeben. Auch der Verkauf früherer Bücher ihres Mannes ging zurück. Aus diesen Tagen ist auch ein Brief Rauschnings aus New York an seinen alten Übersetzer Ernest W. Dickes in England überliefert, der von den britischen Zensurbehörden abgefangen wurde.903 Der Brief war voller Verzweiflung über seine politische Isolation in den Vereinigten Staaten. Anlass für das Schreiben war der Umstand, dass Rauschning das Manuskript eines neuen Buches nicht schicken konnte. Dies liege, so Rauschning, an einer systematischen Verleumdungskampagne der »radikal linken europäischen Emigranten« in den USA gegen ihn, die weitere Veröffentlichungen unmög318

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lich machte. Nicht mehr sei er der Autor der Revolution des Nihilismus, sondern er werde nur noch »den Junkers« (sic) und der »Welt des preußischen Militarismus« zugeordnet, der einst an der »Eroberung der Welt« teilgenommen habe. Doch nicht nur seine einstige Verbindung mit den Nationalsozialisten werfe man ihm bei den alles dominierenden Linken vor, sondern auch sein Eintreten für eine »freie Marktwirtschaft, freies Unternehmertum und eine Wettbewerbswirtschaft« stemple ihn zum Außenseiter. Sollten sich die Verhältnisse in Zukunft doch noch bessern, könne Dickes sich darauf verlassen, dass er ausschließlich mit ihm kooperieren werde. Am Ende seines Schreibens betonte Rauschning erneut seine bedrohliche Finanzlage. Für Men of Chaos habe er nur einen Vorschuss von 1000 Dollar erhalten, darüber hinaus habe das Buch ausschließlich »unfaire Rezensionen« bekommen und sei beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit publiziert worden. Rauschnings Verfemung innerhalb der Emigration in den Vereinigten Staaten zu jener Zeit beleuchtet auch eine Tagebuchnotiz des seinerzeit in New York lebenden Emigranten Erich Maria Remarque. Man sage ihm eine Äußerung nach, so Remarque im März 1943, wonach »tausend Rauschnings erhängt« werden müssten.904 Thomas Mann scheint in jenen Tagen einer der wenigen Emigranten gewesen zu sein, die Rauschning in ihren Häusern weiterhin willkommen hießen. Mann begrüßte Rauschning in seinem Anwesen im kalifornischen Pacific Palisades und gab, nach der Länge der entsprechenden Tagebucheintragung zu urteilen, etwas auf dessen Meinung. Unter dem Datum des 20. Juli 1942 findet sich die Bemerkung: »Zum Thee Dr. H. Rauschning, mit K.(atia, A. H.), Erika, Golo und Conny. Seine Informationen über die Lage in Deutschland lassen ihn an das Ende des Krieges durch Militär-Streik in diesem Winter glauben. Ängstlich bescheidenes Verhalten … Rauschnings Bewunderung der amerikanischen Landwirtschaft. Sein Glaube an die Zukunft dieses Landes; Washington als Hauptstadt der Welt. Die bescheidene Rolle, die Europa bestimmt ist.« Und zwei Tage später, am 22. Juli, hielt er in seinem Tagebuch fest: »Zum Abendessen das holländische Maler-Ehepaar aus Leiden und Herr und Frau Riess. Dieser stimmt mit Rauschning im Optimismus über die Dauer des Krieges überein – obwohl die Abendnachrichten über die Lage in Rußland wieder mehr als bedenklich lauten.«905 Um der finanziellen Klemme zu entkommen, suchte Hermann den Kontakt zu Sanford Jerome Greenburger, einem Literaturagenten, mit dem Von New York über Hollywood nach Oregon

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er und seine Frau bereits früher zusammengearbeitet hatten. Greenburger spannte Harold R. Peat von der »Management of Distinguished Personalities«, einer Art Vermittlungsagentur für Prominente, ein, der für Hermann einen Vorschlag erarbeitete, dem zufolge er Vortragstermine an 38 Orten quer durch die Vereinigten Staaten wahrnehmen könne. Rauschning willigte ein, und zwischen Ende September 1942 und Mitte März 1943 dozierte er an Universitäten, in städtischen Vereinen und bei Bürgerorganisationen, die sich manchmal auch an so entfernten Orten wie Walla Walla oder Pullman im Staate Washington befanden. Seine Vorträge berührten dabei sowohl aktuelle internationale Fragen, wie sie durch Hitlers Strategie aufgeworfen wurden, als auch Umrisse einer Welt nach Hitlers Niederlage – eine Thematik, die ihn zunehmend und auch in Bezug auf neue Buchprojekte interessierte. An die Vorträge schlossen sich in der Regel Diskussionsrunden mit seinen Zuhörern an. Größere Städte auf seiner Tour waren Salt Lake City, Chicago, San Francisco, Los Angeles, Seattle, Miami, New Orleans und New York und bei diesen Auftritten konnte er zugleich den Puls der Nation hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen fühlen. Während der langen Zugfahrten und einsamer Hotelabende setzte er seine Arbeit an dem Filmdrehbuch fort und schrieb Artikel in Kurzschrift, die er dann Anna in New York zur weiteren Bearbeitung schickte. Anna leitete die Manuskripte schließlich an die Herausgeber von Harper’s, Fortune, The Atlantic Monthly sowie ähnlicher Magazine weiter, wobei sie eisern die Abgabefristen einhielt. Sie betrachtete diese Aufgabe auch als neuen Vertrauensbeweis. Für die nächsten 36 Jahre würde sie es sein, die die Manuskripte ihres Mannes in die endgültige Form brachte. Zum Jahresende 1942 scheint Hermann Rauschning auch eine Rückkehr nach Großbritannien nicht ausgeschlossen zu haben. Das geht aus einem von der britischen Zensur abgefangenen Brief seines in London lebenden früheren Rechtsbeistands, des deutschstämmigen Ernst J. Cohn hervor, der auf den 23. November 1942 datiert ist.906 Die Aussicht seiner Rückkehr nach England, schrieb Cohn an Rauschning zurück, setze die gemeinsame Rückkehr seiner Familie mit ihm voraus. Er empfehle Rauschning daher, Kontakt zur Britischen Botschaft in Washington aufzunehmen. Der dort als Sekretär arbeitende John F. Foster sei mit ihm bekannt und könne ihm vielleicht helfen. Cohn schloss sein Schreiben mit der Bemerkung, dass im gegenwärtigen Stadium der Ereignisse eventuell eine Möglichkeit bestehe, dass Rauschnings Hilfe fruchtbarer im Dienste der »großen Sache« (great cause) gebraucht werden könne. Die Zensur 320

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hatte in Cohns Brief auch die Kopie eines Schreibens von Cohn an Maurice L. Perlzweig vom Jüdischen Weltkongress in New York gefunden, die sie für das Foreign Office abschrieb und dem Vorgang über Cohns Brief an Rauschning beifügte. Cohn schrieb Perlzweig, dass diesem wohl zweifellos der Name Rauschning bekannt sei. Er, Cohn, wage es, Rauschning einen »Freund« zu nennen, der sich durch »große Weitsicht und politische Einsicht« auszeichne. Es scheine ihm mehr als wahrscheinlich, dass Rauschning irgendwann in der Zukunft berufen sein werde, eine bemerkenswerte Rolle in einem wiederaufgebauten Europa zu übernehmen. Er sei ein solider und verlässlicher Charakter. Seine gelegentlichen Beiträge zum »jüdischen Problem« könnten »wir« nur begrüßen, schrieb Cohn. Es sei ihm wichtig, dass eine Verbindung zwischen dem Weltkongress und Rauschning entstehe, in der Annahme, dass sein tiefes Wissen über mitteleuropäische Fragen als »für unsere Zwecke« hilfreich befunden werden möge. In diesem Sinne halte er eine Kontaktaufnahme mit Rauschning unter seiner gegenwärtigen Adresse in New York, 446 East 89 th Street, für angezeigt.907 Über eine weitere Entwicklung dieses Kontakts ist nichts bekannt. Die Vortragstermine im amerikanischen Nordwesten ermöglichten es Hermann auch, ein paar Tage mit Fritz auf Brettauers »Foothills Farm« in Oregon zu verbringen. Als Fritz sich mit väterlicher Unterstützung entschied, Farmer zu werden, rührte er damit auch an die emotionale Bindung seines Vaters an die Landwirtschaft, die entstanden war, als dieser vor 20 Jahren die Bewirtschaftung eines Hofes in Warnau bei Danzig übernommen hatte. Der seinerzeitige Gang der politischen Ereignisse und seine Konsequenzen hatten Hermann Rauschning von seinen Kindern entfernt. Hier, an der Western Frontier Amerikas, bot sich die Chance, etwas für seinen Sohn zu tun. Er konnte Land erwerben oder pachten und somit Fritz einen Start ermöglichen. Mit Mitte 50 war er zwar nicht mehr der Jüngste, doch spürte er immer noch so viel Vitalität, dass er meinte, für einige Jahre das Leben eines Farmers und Schriftstellers führen zu können. Allerdings bedürfte es dazu einer sichtbaren Besserung ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage und der Entscheidung Annas, ihm zu folgen. Als hätte sie seine Gedanken lesen können, schrieb sie ihm im August 1942, dass sie ihm zwar nach Kalifornien folgen wolle, dass aber Landwirtschaft für sie nicht in Frage komme, weil ihr dafür inzwischen die Kräfte fehlten. Von New York über Hollywood nach Oregon

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Bei seiner Rückkehr nach New York erfuhr Rauschning von Brettauer, dass eines der großen Hollywood-Studios ein bedeutendes Filmprojekt plane, bei dem auch Thomas Mann und Franz Werfel sowie einige Topschauspieler mitwirken sollten. Für den Fall, dass eine Übereinkunft mit Angelus Pictures zustande käme, wollte Brettauer dem Studio die Einbeziehung Rauschnings vorschlagen. Um seinem Freund zu helfen und Rauschnings Expertise in der Materie »Hitler« zu betonen, hatte Brettauer zuvor einigen Studios und diversen Agenten in Hollywood eine Skizze von Rauschnings Drehbuch zukommen lassen. Nichts tat sich bis Ende März 1943, als Rauschning einen Brief von Frank Orsatti von »The Orsatti Agency« erhielt, mit dem er früher bereits Kontakt gehabt hatte. Orsatti erkundigte sich nach Rauschnings nächster Reise nach Hollywood und erklärte, dass er sehr gerne mit ihm über sein Drehbuch zu »The Man who killed Hitler« sprechen würde. Drei Tage später überraschte Orsatti Rauschning mit dem Angebot der »Paramount Studios«, ihn als Technischen Direktor für Arbeiten an einem Film mit dem Titel »Hitler’s Gang« zu engagieren. Das Engagement sollte zunächst über einen Zeitraum von 15 Wochen laufen, aber auf sechs Monate verlängert werden können. Das Honorar sollte monatlich 3200 Dollar betragen, zuzüglich Reisekosten von New York nach Los Angeles. Rauschning akzeptierte – ein solches Angebot konnte er nicht ausschlagen. Bevor er seine Zelte am Hudson River endgültig abbrach, nahm er den Zug nach Los Angeles, um sich dort nach einem Haus für seine Familie umzuschauen. Rudolf Joseph fiel die Aufgabe zu, ihm dabei zu helfen. Er war noch im Besitz seiner Maklerlizenz und führte ihn in die Hollywood Hills ein, wo viele Schauspieler, Produzenten und Studioleute ihr Quartier hatten. Einige dieser Häuser waren beachtliche Villen mit riesigen Gärten und spektakulären Ausblicken. Angesichts seines befristeten Engagements bei Paramount musste Rauschning jedoch auf sein Budget achten. Nach langer Suche zeigte ihm Joseph eine kleinere Villa mit Hanglage an der Milner Road, eher bescheiden für Hollywood-Verhältnisse, leicht baufällig zudem, dafür jedoch mit einer mediterranen Atmosphäre und unweit des Anwesens von Rudolph Valentino gelegen. Rauschning war sofort gefesselt von dem Luca-della-Robbia-Medaillon aus dem 15. Jahrhundert über dem Bogen vor der Eingangstreppe, ihn begeisterten ferner ein hübscher Innenhof sowie ein terrassenförmig angelegter Garten, der von seiner höchsten Ebene aus den Genuss von Sonnenuntergängen über dem Pazifik erlaubte. Angeschmiegt an den Hang, verfügte die Villa 322

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über Zimmer mit Winkeln und Verstecken und Gartenausblicke auf verschiedenen Ebenen, die Rückzugsmöglichkeiten zum Leben und Arbeiten boten und dabei einen perfekten Rahmen für festliche Empfänge abgaben. Die Entscheidung fiel Rauschning nicht schwer. Die beiden älteren Töchter Heilwig und Ise blieben in New York, während Anna sich mit den Schwestern Annregine und Elizabeth auf den Weg nach Westen machte. Elizabeth besuchte fortab eine katholische Grundschule, an der sie von Nonnen eines angrenzenden Konventes unterrichtet wurde. Sie war das Nesthäkchen der Familie und das Juwel in ihres Vaters Augen, was von den Geschwistern nicht ganz ohne Eifersucht registriert wurde. Früher war sie mit ihm in den Tuilerien von Paris spazieren gegangen, nun tollte sie an seiner Seite auf den Stränden von Pacific Palisades oder besuchte mit ihm das Kino »Hitching Post« am Hollywood Boulevard, das sich auf Westernfilme spezialisiert hatte. Mit dem Leben unter der Sonne Kaliforniens öffnete sich ein neues Kapitel in der Familiengeschichte der Rauschnings. Die durch Unsicherheit und physische Gefahr hervorgerufenen Ängste, die den Fluchtweg der vergangenen Jahre ständig begleitet hatten, flauten allmählich ab. Die Aussicht auf eine sechsmonatige Beschäftigung bei Paramount trug zur allgemeinen Erleichterung bei und eröffnete die Möglichkeit, sich auch weniger bedrückenden Aspekten des Lebens zu widmen. Und dennoch: Im Frühsommer 1943 wurde Hermann erneut von seiner Vergangenheit eingeholt. An seinem paradiesischen Wohnort erhielt er Besuch von dem Psychoanalytiker Walter C. Langer, der ihn im Auftrag des OSS-Chefs William J. Donovan im Interesse der psychologischen Kriegführung der USA zur Persönlichkeit Hitlers befragte. Außer Rauschning interviewte Langer für sein Psychogramm Hitlers noch einige andere Exilanten in den Vereinigten Staaten. Die einzige in seinem umfangreichen Bericht zitierte Aussage Rauschnings bezog sich auf einen angeblichen Karriereknick Hitlers in dessen militärischer Laufbahn auf Grund angeblicher homosexueller Handlungen nach dem ehemaligen deutschen § 175  StGB.908 Im Übrigen nutzte Langer Rauschnings Buch The Voice of Destruction ausführlich und völlig unkritisch als Fundus angeblicher ­Hitler-Äußerungen. Ebenfalls im Sommer 1943 fiel Rauschnings Name im Zusammenhang mit Überlegungen innerhalb des amerikanischen Geheimdienstes OSS, des Vorläufers der CIA, für Deutschland nach dem Ende des »Dritten Reiches«. Von New York über Hollywood nach Oregon

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Konkreter Anlass dafür war die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland und des Bundes Deutscher Offiziere in der Sowjetunion. Mit Hilfe deutscher Kriegsgefangener in der UdSSR versuchte die sowjetische Führung propangandistischen Einfluss auf die deutschen Truppen an der Ostfront zu gewinnen. Zugleich rekrutierte sie mit Hilfe dieser Organisationen wichtiges Personal für ihren Einflussbereich im Nachkriegsdeutschland. Im US-Außenministerium machte man sich damals Gedanken darüber, »ob die amerikanische Regierung für den Zeitpunkt des Zusammenbruchs des NS-Regimes nicht eine Gruppe deutscher Politiker zusammenstellen solle, um einen Gegenpol zu einer kommunistischen Machtkonzentration im Nachkriegsdeutschland bereitzuhalten und eine ›kommunistische Führungsposition unter anti-nationalsozialistischen Deutschen‹ zu verhindern.«909 Um einen Konflikt mit ihrem Alliierten Sowjetunion zu vermeiden, dachte die Planungsgruppe im OSS allerdings daran, eine noch zu gründende deutsche Emigrantenorganisation in den USA für Mitglieder des Nationalkomitees in der Sowjetunion offenzuhalten. Irving H. Sherman, ein führender Mitarbeiter des OSS, plante die Bildung eines »Save Germany Committee« aus acht bis zehn repräsentativen deutschen Emigranten »und beteuerte, sein Projekt sei lediglich als Ergänzung des russischen Komitees gedacht und ›keine Konkurrenz oder Gegenmaßnahme‹«.910 Sherman wollte folgende Persönlichkeiten in dem geplanten Gremium zusammenarbeiten lassen: Hermann Rauschning, den früheren SPD-­Abgeordneten Wilhelm Sollmann, den Diplomaten und DDP-Politiker Kurt Riezler, den Kriminologen und Nationalbolschewisten Hans von Hentig, den religiös-sozialistischen Theologen Paul Tillich, den ehemaligen sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Altona, Max Brauer, den mit den Kommunisten sympathisierenden Schriftsteller Oskar Maria Graf sowie Thomas Mann. Innerhalb der Planungsgruppe hielt man diese Spannweite an politischen Überzeugungen jedoch für unrealistisch, sodass dieses Projekt nicht weiterverfolgt wurde.911 Nur wenige Monate vor der deutschen Kapitulation im Mai 1945 fiel der Name Rauschning wiederholt bei Befragungen deutscher Exilanten in den USA durch Beamte des OSS. Die Interviewer versuchten in Erfahrung zu bringen, welche politischen Vorstellungen die Befragten hinsichtlich des besiegten Deutschlands hegten und welche deutschen Persönlichkeiten für die künftige Gestaltung Deutschlands in Frage kämen. Nach den überlieferten Fragebögen fiel das Urteil über Rauschning – wenig 324

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überraschend – unterschiedlich aus, wobei selten eine Begründung des Urteils geliefert wurde und stattdessen der Eindruck entsteht, es habe auf oberflächlicher Sympathie bzw. Antipathie basiert. Lion Feuchtwanger beispielsweise erklärte im Dezember 1944 in seiner Villa in Pacific Palisades gegenüber John Norman vom OSS zunächst, dass er eine Dreiteilung des geschlagenen Deutschlands favorisiere, nicht jedoch die Schaffung dreier eigenständiger Staaten. Bezüglich des zu rekrutierenden Personals teilte er Norman kurz und bündig mit, dass er Brüning und Rauschning nicht möge.912 Ebenfalls in Pacific Palisades und gleichfalls im Dezember 1944 stand der Schriftsteller Emil Ludwig John Norman Rede und Antwort. Die Zukunft Deutschlands sollte nach Ludwigs Meinung dadurch bestimmt werden, dass die Amerikaner als »Eroberer« auftreten sollten. Eine Art Mauer müsse für rund zehn Jahre um Deutschland errichtet und die »Umerziehung seiner Landsleute durch antifaschistische Lehrer auf das Genaueste« überwacht werden. Negativ äußerte er sich über Thomas Mann, Hubertus Prinz zu Löwenstein und die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson. »Einzig Männer wie der Alt-Vansittartist Friedrich Wilhelm Foerster«, der gegen Preußen polemisierende Journalist Curt Riess und der »ehemalige NSDAP-Politiker Hermann Rauschning – ›an honest man‹« – und er selbst könnten den Amerikanern mit Rat zur Seite stehen, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Exilanten den Mut besäßen, »gegen Deutschland zu sprechen«.913 Vier Tage vor dem Interview mit Emil Ludwig, am 12. Dezember 1944, hatte Norman Alfred Döblin befragt. Politisch äußerte sich Döblin vergleichsweise gemäßigt, lehnte eine Diskussion um deutsche Gebietsabtretungen ab und machte sich für die Etablierung eines föderativen Regierungssystems in Deutschland stark. Außerdem betonte er seinen Wunsch nach Schaffung einer »wahren League of Nations« für die künftige Friedenssicherung in der Welt. Hinsichtlich des Neuanfangs in Deutschland riet er, auf Heinrich Brüning und Hermann Rauschning zu setzen. Im Übrigen sei der »Hitlerismus« tief in der deutschen Bevölkerung verwurzelt, weshalb er, geborener Jude und vor nicht allzu langer Zeit zum Katholizismus konvertiert, von einer baldigen Rückkehr der Juden nach Deutschland abrate.914 Voller Energie stürzte sich Rauschning in seine Arbeit bei Paramount. Neues galt es kennenzulernen und zu verarbeiten: die Erwartungen der Studio-Chefs ebenso wie jene des Scriptteams. Seine Verantwortlichkeiten als Technischer Direktor waren nicht klar definiert, sodass sie sich erst Von New York über Hollywood nach Oregon

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nach und nach entsprechend der Trial-and-Error-Methode entwickelten. Man erwartete von ihm Rat und Unterstützung bei der Entwicklung des Drehbuches, wobei in Fragen der Glaubwürdigkeit dem Filmregisseur das letzte Wort zustand. Kleinere Anlässe ließen Rauschning eingreifen. So z. B. bei einer Szene, in der sich Hitler mit hochrangigen Parteimitgliedern traf. Das Drehbuch sah hier vor, dass sich die Teilnehmer in Lehnstühlen herumlümmelten, die Füße auf dem Tisch. Rauschning erhob Einspruch, da es sich um eine unrealistische Anweisung handle. Gerade die einwandfreie und geradezu steife Förmlichkeit in ihrem Auftreten hatten es nach seiner Auffassung Hitler und seiner Entourage ermöglicht, den Westen in Bezug auf ihre mörderischen Absichten hinters Licht zu führen. Einige der Ratschläge Rauschnings wurden angenommen, andere nicht, aber im Allgemeinen wurden seine Anregungen begrüßt, sodass seine Vertragszeit nach Ablauf der 15 Wochen auf sechs Monate verlängert wurde. Um ihm diese gute Nachricht zu verkünden, bat man ihn, in das Büro des Studio-Chefs zu kommen. Nachdem Rauschning einen langgestreckten Raum mit enorm hoher Decke betreten hatte, durchmaß er beinahe die gesamte Hallenlänge, bevor drei Stufen ihn auf ein erhöhtes Podium führten, wo sich der Riesentisch des Chefs befand. Nach kurzem Händeschütteln trat Rauschning zurück und nahm Platz, um das Gespräch mit diesem zu beginnen. Der Chef sah auf ihn herab und der ehemalige Senatspräsident blickte – durchaus eine neue Erfahrung – zu ihm empor. Hermann Rauschning hat übrigens den von ihm mitgestalteten Film The Hitler Gang, der am 26. April 1944 uraufgeführt wurde, im nachhinein sehr kritisch beurteilt. Um bei einem breiten Kinopublikum anzukommen, seien die Charaktere des Streifens allzu undifferenziert gezeichnet gewesen. Immerhin hatte er durchgesetzt, dass sein Name im Vorspann nicht gezeigt wurde. Die Rauschnings liebten ihr Haus samt Garten und öffneten es häufig für Dinner mit Nachbarn und Freunden aus der beachtlichen Gemeinde berühmter österreichischer und deutscher Flüchtlingsimmigranten. Zu ihnen gehörten auch Franz Werfel und seine Frau Anna – er der Dichter und Schriftsteller, sie die Witwe von Gustav Mahler. Im Verlauf der nächsten drei Jahre besuchten die Rauschnings und die Werfels einander gelegentlich; beide Ehemänner waren von ihrer Schriftstellerei völlig absorbiert. Werfel hatte gerade sein Stück Jacobowsky und der Oberst veröffentlicht und arbeitete nun fieberhaft an seinem letzten Roman Stern der 326

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Ungeborenen. Rauschning seinerseits schrieb neben seinem Engagement bei Paramount an einem Manuskript, das 1946 unter dem Titel Time of Delirium bei Appleton Century915 in New York erschien. Das Buch handelt von einer die Krise der westlichen Zivilisation überwindenden Vision und der Notwendigkeit eines »Großen Friedens« angesichts des Gegensatzes zwischen der westlichen Welt und der Sowjetunion. Werfel schloss sein Manuskript zwei Tage vor seinem Tod am 26. August 1945 ab. Elizabeth Rauschning erinnerte sich zeitlebens daran, wie sie als kleines Mädchen gemeinsam mit ihrer Mutter Anna Mahler-Werfel einen Kondolenzbesuch abstattete. Auch mit Katia und Thomas Mann unterhielten die Rauschnings weiterhin Kontakt. Thomas Mann widmete dem Besuch Annas und Hermanns anlässlich eines Abendessens kurz vor Silvester 1946 eine kurze Bemerkung in einer seiner Veröffentlichungen.916 Das »Gespräch war politisch«, erinnerte sich Mann. Nach »Rauschnings Meinung« waren »die Deutschen als Volk nicht mehr möglich; was bleibe, sei der Deutsche als Individuum. Wünschenswert schien ihm eine europäische Föderation mit Einschluss der deutschen Einzelländer unter Verzicht auf den Reichsnamen.« Thomas Mann wusste um den musikalischen Hintergrund Rauschnings und er hatte seine Bücher gelesen. Während er durchaus manche seiner politischen und philosophischen Ansichten teilte, tat er sich schwer mit Rauschnings kurzzeitiger Verbindung mit dem Nationalsozialismus und konnte ihm diese lange nicht vergeben.917 Wie wir im Zusammenhang mit der Revolution des Nihilismus gesehen haben, stand Manns Sohn Golo, der ebenfalls in Kalifornien lebte, Rauschning deutlich näher.918 Zu anderen Emigranten oder solchen, die es bald werden sollten, zählten auch Charlie Chaplin, Frank Wisbar, der in Ostpreußen geborene Filmregisseur, sowie der Journalist Louis P. Lochner, der wenige Jahre nach Kriegsende die »Goebbels-Tagebücher« aus den Jahren 1942–1943 veröffentlichte und zufällig Nachbar der Rauschnings in der Milner Road war. Der Kontakt mit dem gebürtigen Österreicher Armin L. Robinson und seiner Frau führte Ende 1943 zu einem bemerkenswerten Buchprojekt, zu dessen Gelingen Rauschning entscheidend beigetragen hat. Die Robinsons hatten sich seit ihrer Ankunft im amerikanischen Exil mit der Idee beschäftigt, eine Anthologie von Texten über die Brutalität des Hitler-­ Regimes und insbesondere seine Aggressivität gegenüber Anstand und Moral zu veröffentlichen. Für das Buch mit dem Titel The Ten CommandVon New York über Hollywood nach Oregon

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ments. Ten Short Novels of Hitler’s War Against the Moral Code 919 gewann Robinson zehn Schriftsteller, die meisten davon Emigranten. Während Thomas Mann im ersten Beitrag die Geschichte von Moses als dem Überbringer der Gebote erzählt, handeln die anderen Texte von Menschen, die die Gebote zerstören wollten. In seinem Vorwort griff Rauschning noch einmal eine Szene aus den Gesprächen mit Hitler auf, in der es um angebliche Äußerungen Hitlers in der Reichskanzlei über Judentum und Christentum ging.920 Über seine Begegnung mit Chaplin hat Hermann Rauschning im hohen Alter von 85 Jahren einen kleinen Erinnerungstext verfasst.921 Er habe Chaplin am Rande eines abendlichen Empfangs in Hollywood kennengelernt, schreibt er. Bei einem kurzen gemeinsamen Spaziergang im Garten sei man ins Gespräch gekommen, das sich jedoch nicht um die beiden ­großen Diktatoren, Hitler und Stalin, gedreht habe. Vielmehr sei es um Musik und philosophische Erörterungen der Frage gegangen, welche Rolle dem Wort »in der Menschenwelt« zukomme. Chaplin habe in seiner Gegenwart eine »seiner unnachahmlichen Gebärden vollführt«, die ihn, Rauschning zu der späteren Frage geführt habe, ob der »Spaßmacher« etwas von seiner baldigen Verfolgung als angeblich kommunistischer Agent in der Ära McCarthy geahnt habe. Angesichts der »zweiten mission to Moscow« 30 Jahre später – Rauschning meinte damit die neue Ostpolitik der 1970er Jahre – sei es »unverständlich«, dass »man diesen großen kleinen Mann, der sich selbst als Clown bekannte, so gröblich missverstehen konnte, indem man ihn auf eine Stufe mit politischen Agenten stellte«. Die Historikerin Pia Nordblom hat in einem Kommentar zu dem Text von Rauschning darauf aufmerksam gemacht, dass sich Chaplin wie auch Rauschning mit ihren Arbeiten »entschiedene Gegner« geschaffen hätten: Chaplin wurde der Zusammenarbeit mit den Kommunisten bezichtigt und durfte nach einer Europa-Reise nicht mehr in die USA zurückkehren, sodass er 1952 in die Schweiz übersiedelte.922 Rauschning wiederum sei vor allem mit seinen Gesprächen mit Hitler und seiner angeblichen Nähe zu Hitler ins Zwielicht geraten. Mehr noch: Beschuldigt, ein Altnazi zu sein, habe er sich ebenfalls kaltgestellt gesehen, als er in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik Fuß zu fassen versuchte und vergeblich gegen Adenauers Kurs der Westbindung und Wiederaufrüstung agitierte. Die »zweite mission to Moscow« habe er dann als späte »Rechtfertigung seiner Ansichten« gesehen und sich mit dem »vormaligen Schicksal Chaplins in der McCarthy-Ära verbunden« gefühlt. Wenn Rauschning am Ende seines Textes vom »siegreiche(n) Besiegte(n)«, vom »Mensch(en) 328

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in seiner Zwiespältigkeit«, vom »Narr(en) in Christo« schrieb, den Chaplin ihm zufolge in seinen Rollen immer wieder verkörperte, konnte er sich, so Nordblom, letztlich selber darin wiederfinden.923 Im Laufe des Jahres 1946 kam die Familie Rauschning zu dem Schluss, dass Hermanns Tantiemen aus seinen Büchern und Annas Lohn für ihre Büroarbeit in einer Schokoladenfabrik nicht ausreichten, um das Leben in der Milner Road weiterführen zu können.924 Einerseits befand sich die amerikanische Wirtschaft auf Talfahrt, was negative Effekte auf den Buchmarkt und die Bereitschaft von Verlegern, neue Manuskripte anzunehmen, hatte. Andrerseits war es Hermann durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes nicht gelungen, eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen. Die schwierige Situation auf dem Häusermarkt machte jedoch auch einen Verkauf ihres Anwesens in der Milner Road höchst problematisch. In dieser Lage entschied sich Hermann dafür, seinem Sohn Fritz, der gerade von einem Aufenthalt mit der U.S. Army in Korea zurückgekehrt war, den Einstieg in die Landwirtschaft als Beruf zu erleichtern, und er beabsichtigte, in Gaston nahe Portland eine Farm von Erwin Brettauer zu pachten. Im Mai 1947 machte er sich mit dem Bus auf die zweitägige Reise von Los Angeles nach Portland, wo er von Fritz abgeholt wurde, um gemeinsam mit ihm zu der Brettauer gehörenden Farm zu fahren. Hermann war allein gekommen, die älteren Töchter waren an der Ostküste geblieben, während Anna mit einer Entscheidung, ihrem Mann nach Gaston zu folgen, so lange warten wollte, bis Elizabeth ihre Grundschule in Hollywood beendet hätte. Nach wie vor galt Annas strikter Vorbehalt gegen die Landwirtschaft. Fritz hatte die Beschäftigung auf Brettauers »Foothills Farm« beendet, um nun zusammen mit seiner Frau Mary ein Haus auf dem Farmgelände zu beziehen, das Vater und Sohn Rauschning in Zukunft auf Pachtbasis zu bewirtschaften trachteten. Doch bis zum Spätsommer 1947 war es immer noch nicht zum Abschluss eines Pachtvertrages zwischen Brettauer und Rauschning gekommen, der seinen Sohn gerne als Teilhaber dieses Vertrages gesehen hätte. Zum Teil war Hermann für die Verzögerung verantwortlich, da einiges auf der Farm nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Zum einen machte ihm die räumliche Enge im Farmhaus zu schaffen, zum anderen aber, wichtiger noch, gestaltete sich sein Verhältnis zu Fritz schwieriger als gedacht. Während der Vater die körperliche Arbeitsleistung seines Sohnes auf der Farm uneingeschränkt lobte, war er zugleich enttäuscht über Fritz’ Weigerung, sich mit Managementfragen Von New York über Hollywood nach Oregon

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zu beschäftigen. Während sich Hermann Sorgen zu machen begann, ob er wie geplant das Anwesen nach zwei Jahren vollauf in die Hände von Fritz legen könne, nahm seine Schwiegertochter Mary es ihm übel, dass er Druck auf ihren Mann ausübte. Zwischen ihr, der in den Prärien Kanadas Geborenen und viel Jüngeren, und Hermann, dem Intellektuellen aus der Alten Welt, wollte sich keine rechte Liebe einstellen. Glückliche Tage bescherte allenfalls Rauschnings Lieblingstöchterchen Elizabeth, wenn sie in den Sommerferien nach Oregon kam und mit ihrer fröhlichen Art alle um ihren kleinen Finger wickelte. Nicht viel gehörte für sie dazu, ihren Vater breitzuschlagen, ihr ein Pferd zu kaufen. Für ihn war es ein gutes Zeichen, dass sie sich offensichtlich darauf freute, im kommenden Jahr wiederzukommen, um in der Nähe die High School zu besuchen. Während Elizabeth auf der Farm herumtollte, genoss ihre Mutter die Wochenendpartys in Hollywood. Anna Mahler-Werfel, die Witwe Franz Werfels, hatte vor ihrer Reise über Paris nach Wien eine Abschiedsparty gegeben und dabei noch einmal die ihr inzwischen vertrauten Gesichter ihrer österreichischen und deutschen Freunde gesehen. Der Pianist, Komponist und Dirigent Bruno Walter zählte dazu ebenso wie Erwin Brettauer, Louis Lochner und Golo Mann, der Anna Rauschning wissen ließ, dass sein Vater darauf bestünde, die Rauschnings bei nächster Gelegenheit zum Dinner einladen zu dürfen. Die Gäste bei Anna Mahler-Werfels Empfang hatten anfangs Hermanns Unternehmen in Oregon mit leichtem Unwillen zur Kenntnis genommen. Die Kochkünste seiner Frau, ihr Ruf als Autorin (No Retreat) und seine intellektuellen Feuerwerke bei den zahllosen Unterhaltungen hatten beide zu beliebten Gastgebern und Gästen gemacht. Im Gegensatz zur Emigration in Paris und London hielt diese kleine Exilantengemeinde eng zusammen. Aber die Gäste waren sich auch sicher: Die Abwesenheit der Rauschnings in Oregon könne »toleriert« werden, da sie ja binnen eines Jahres mit Sicherheit wieder zurück wären. Fernab in Gaston hatte sich inzwischen die Zusammenarbeit Hermanns mit seinem Sohn zu einem ständigen Wechselspiel aus Bewunderung und Enttäuschung entwickelt. Bewunderung wegen Fritz’ unermüdlicher Bereitschaft zur Knochenarbeit, Enttäuschung wegen seiner konstanten Abneigung gegen Verwaltungsaufgaben. Unterstützung erhoffte Rauschning sich von einem Umzug seiner Frau auf die Farm, denn er wusste um ihre friedensstiftenden Qualitäten in der Familie. Mindestens zwei Mal wöchentlich schrieb er ihr nach Hollywood und warb um ihr Kommen. 330

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Dabei war ihm bewusst, dass er für den Fall ihres Einverständnisses ein neues Arrangement für das Zusammenleben aller auf der Farm finden musste. Dazu zählte z. B. ein eigenes Wohnhaus in der Nähe der Farm, wo Anna und er mit ihren Töchtern Anneregine und Elizabeth für sich leben würden. Hermann wie auch Anna wussten jedoch auch, dass alle Planungen vom Verkauf ihres Hauses in der Milner Road abhingen, aus dessen Erlös dann umgehend Rechnungen in Hollywood und Gaston zu begleichen wären. Nach zahllosen Hausbesichtigungen und nicht immer seriösen Angeboten der Besucher kam es unter bestimmten Zahlungsmodalitäten zu einem Kaufpreis von 9000 Dollar, mit dem auch noch eine laufende Hypothek abgelöst werden musste. Bis Ende November 1947 hatte das Haus geräumt zu sein. Vater und Sohn beschlossen, mit ihrem Kleinlastwagen nach Kalifornien zu fahren und die Möbel aus dem Haus nach Oregon zu bringen. Anna arbeitete vorerst weiter in der Schokoladenfabrik und kam zunächst so lange in der geräumigen Villa einer ihrer wohlhabenden Freundinnen unter, bis Klarheit über die Zukunft bestand. Elizabeth musste bis Juni 1948 weiter die Schule besuchen und hatte das Glück, bei einer nahen Schulfreundin, Lana Golubeff, wohnen zu dürfen, deren Vater als Künstler bei Paramount Pictures beschäftigt war. Mitte November kamen Fritz und sein Vater mit dem Lkw in der Milner Road an, wo ihnen schnell klar wurde, dass ein zweiter Möbeltransport erforderlich sein würde. Also noch einmal die rund 1600 Kilometer von Oregon nach Hollywood, eine Strecke, die sie in zwei Tagen und eineinhalb Nächten bewältigten. Weihnachten 1948 feierten die Rauschnings getrennt. Hermann verbrachte das Fest zusammen mit der Familie von Fritz, während Anna mit den beiden jüngeren Töchtern in Kalifornien blieb. Von dem Geld, das der Verkauf des Hauses in der Milner Road erbracht hatte, sowie von Erlösen der ersten Ernte in Gaston kaufte Hermann eine Getreidefarm in der Nähe der in Gaston gepachteten Farm. Hier war er nun Herr über ein stattliches Wohnhaus. Es gelang ihm, mit den Brettauers – Erwin und dessen Sohn Alfred, der in der Umgebung von Gaston ebenfalls eine Farm bewirtschaftete – einen Pachtvertrag abzuschließen, der nach einer Laufzeit von einem Jahr eine Verlängerungsoption enthielt. Auf der Grundlage normaler Markt- und Wetterbedingungen und eines bescheidenen Lebensstils durfte die Familie mit einer jährlichen Gewinnspanne von 2000 Dollar rechnen. Entgegen der Hoffnung Hermanns akzeptierten Von New York über Hollywood nach Oregon

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die Brettauers jedoch seinen Sohn Fritz nicht als Vertragspartner, was ihn stark verunsicherte. Angesichts seines fortgeschrittenen Alters fragte Rauschning sich, ob seine Schultern die Last des Vertrages allein würden tragen können, zumal er für sich immer noch eine Existenz als Farmer und Schriftsteller im Auge hatte. Bevor er den Kontrakt unterschrieb, startete er gegenüber seiner Frau in Kalifornien eine Offensive, bei der er alles in die Waagschale warf. Er bekniete sie, nach Oregon zu kommen, nicht nur seinetwegen, sondern vor allem auch wegen Fritz. Irgendwelche früheren Andeutungen seinerseits über eine Trennung bat er zu vergessen. Sie möge am besten Anfang Februar eine Rückfahrkarte für den Bus nach Gaston kaufen, weil dies billiger sei als zwei einfache Fahrten, und außerdem wolle er sie nicht zwingen, seine Farm-»Eskapade« mit ihm zu teilen. Während nicht ganz eindeutige Antwortbriefe Annas in Gaston eintrafen, versuchte Hermann ihr das Leben auf der Farm dadurch attraktiv zu machen, dass er ihr jeden einzelnen Raum des neuen Farmhauses nebst Einrichtung detailliert beschrieb. Zugleich baute er in seinen Briefen aber auch sanften Druck dadurch auf, dass er seine prekäre finanzielle Situation in Gaston deutlich machte, die es ihm auch versage, ihr einen monatlichen Scheck zukommen zu lassen. Als sich im Winter eine dicke Schneedecke über das Land am Pazifik ausbreitete und Arbeit im Freien unmöglich machte, fand Hermann Muße zum Schreiben. Er stellte dabei aber fest, dass es ihn nun viel mehr Zeit als früher kostete, seine Manuskripte fertigzustellen, fehlte Anna doch auch an dieser Stelle. Sie hatte für Briefe und andere Texte seine Kurzschrift in lesbare Zeilen übertragen und ihm dadurch viel Zeit erspart. Schließlich jedoch traf Anna pünktlich mit dem Bus in Portland ein. Die ganze Mannschaft, Hermann, Fritz und Mary, fuhr mit ihrem Pick-up zum Busterminal, um sie abzuholen. Mit dem zweiten Transport ihrer Möbel aus der Milner Road waren vor allem auch Kartons voller Bücher, Manuskripte und Korrespondenzordner nach Gaston gekommen, was das Ende von Hermann Rauschnings Zeit in Kalifornien und Hollywood markierte. Während der vorangegangenen Monate auf der Farm hatte er bereits Briefwechsel mit Familien in Deutschland, Verlagsagenten in New York und London sowie mit verschiedenen politischen Bekannten geführt.925 Noch vor Kriegsende war die Wiederaufnahme des Kontakts zu seinem Literaturagenten Emery Reves erfolgt, der kriegsbedingt sein Büro von 332

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Paris nach New York verlegt hatte.926 Dabei ging es vor allem um Verkaufserlöse aus den verschiedenen Ausgaben der Gespräche mit Hitler, ferner um Papierknappheit und Probleme des Devisentransfers. Bereits Ende November 1944 teilte Reves Rauschning mit, dass der französische Verlag Hachette Interesse an einem Neudruck von Hitler m’a dit signalisiert habe, nachdem die ursprüngliche Ausgabe von den Deutschen beim Einmarsch in Frankreich sofort verboten und vernichtet worden sei. Auf Grund des Wertverlustes des Franc seien nennenswerte Tantiemen aus der Neuausgabe zwar kaum zu erwarten, es werde aber für ein paar Aperitifs reichen, »wenn wir wieder zurückkehren«,927 meinte Reves. Am 8. August 1945 hatte er günstige Nachrichten aus Stockholm zu vermelden: Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation habe der schwedische Verleger der Gespräche den Druck von 2400 Exemplaren veranlasst, die sofort ausverkauft gewesen seien. Trotz der schwedischen Konfiszierungen deutschen Eigentums überwies die schwedische Seite »mit herzlichen Grüßen an Dr. Rauschning« rund 553 Dollar an Reves, der seinerseits nach Abzug der ihm vertraglich zustehenden Kommission von 20 % knapp 442 Dollar per Scheck an Rauschning gehen ließ.928 Aus Norwegen erhielt Reves die Nachricht, dass der dortige Verleger der Gespräche bereit sei, für die rund 8760 dort vor der deutschen Invasion verkauften Exemplare die vertraglich vereinbarte Summe auf das Konto der Firma Reves’ in Zürich zu überweisen. Gleichzeitig kündigte Reves an, sich um eine spanische Ausgabe der Gespräche zu kümmern.929 Rauschning zeigte sich über die Aussicht auf eine spanische Ausgabe erfreut, in einem Brief an Reves vom 5. Dezember 1945 deutete er darüber hinaus Interesse an einer Verfilmung der Gespräche an. Die kommenden Prozesse in Nürnberg würden beweisen, wie recht er in vielerlei Hinsicht mit seinem Buch gehabt habe. Der Film solle jedoch vor allem der politischen Aufklärung dienen, denn, so Rauschning, die Gefahr des Nationalsozialismus und ähnlicher faschistischer Bewegungen sei sicherlich noch nicht vorüber.930 Am 29. Juni 1946 übermittelte Reves eine Art Gesamtüberblick über seine weltweiten Vermarktungsaktivitäten bezüglich der Gespräche. Schwierig stellte sich demnach die Lage in Kanada dar, wo es Reves trotz einer Reise nach Montreal nicht gelungen war, den »ziemlich unfreundlichen« Verleger zu einem Vertragsabschluss zu bewegen. In Norwegen und Schweden zeige sich der Markt »ausgeschöpft«, Tantiemen seien bezahlt, aber Nachdrucke des Buches nicht geplant; dasselbe treffe auf Argentinien zu. In den Niederlanden herrsche insofern eine »delikate« Von New York über Hollywood nach Oregon

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Situation, als sich der dortige Verleger beim Einmarsch der Deutschen das Leben genommen habe, und zwar gerade wegen des Rauschning-Buches. Die spanische Ausgabe komme nicht voran, weil die »Spanier sehr langsame Leute« seien. In Frankreich habe er von Hachette noch eine Million Franc zu erwarten, die er aber nicht bekomme, weil die Buchläden nach dem deutschen Einmarsch Hachette nicht mehr bezahlt hätten. Andrerseits hätten Reves’ »Freunde« in Paris Hitler m’a dit bereits vor einigen Monaten in einer Auflage von 4000 bis 5000 Exemplaren gedruckt, wofür Rauschning auch Tantiemen erhalten werde.931 Insbesondere die Situation in Spanien bereitete Reves Verdruss: Grund war die nach seiner Ansicht äußerst kleinkarierte Zensur durch die katholische Kirche in der Franco-Diktatur, die kein Buch passieren ließe, in dem auch nur ein missliebiges Wort stehe. Da auch eine strenge Briefzensur herrsche, wage kein spanischer Verleger ein offenes Wort nach außen.932 Der enge Briefkontakt zwischen Emery Reves und Rauschning brach in der zweiten Jahreshälfte 1947 vorübergehend ab – Anlass dafür war der Umzug Hermann Rauschnings von Kalifornien nach Oregon.

Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse Die Gespräche mit Hitler bescherten Rauschning unmittelbar nach Kriegsende noch ein anderes Problem. Bei den Verhandlungen vor dem Internationalen Militärgerichtshof (International Military Tribunal, IMT) in Nürnberg wurde vor allem von der sowjetischen Seite die amerikanische Ausgabe der Gespräche mit dem Titel The Voice of Destruction wiederholt als Beweismittel herangezogen.933 In seinem 1950 in Hamburg erschienenen Buch Deutschland zwischen West und Ost widmete Rauschning dem amerikanischen Vorhaben, ihn zu bevorstehenden Kriegsverbrecherprozessen nach Nürnberg oder an einen anderen Ort vorzuladen, einige Passagen.934 Einiges über die genaueren Umstände dieser Aufforderung geht aus einem längeren Schreiben Rauschnings an den ehemaligen Reichskanzler Brüning hervor, in dem er Brüning auch um Rat zu der Frage bat, wie er sich in dieser Angelegenheit verhalten solle.935 Dem Brief an Brüning zufolge war Rauschning zwei Mal an die Ostküste »gerufen« worden, zunächst im Juni 1945 nach New York zum OSS und dann im darauf folgenden Monat zum War Depart334

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ment in Washington, ohne dabei über den Grund der Aufforderung unterrichtet worden zu sein. Die erste Reise zu Unterredungen mit Vertretern des OSS verlief für Rauschning nach seinen eigenen Worten erfreulich, denn es wurde ihm in Aussicht gestellt, in etwa fünf Monaten zwecks Materialsammlung für ein Buch mit dem Titel »Die heimliche Emigration« als »unabhängige Person« nach Deutschland fahren zu dürfen. Ziel der Arbeit sollte es sein, eine »Charakterisierung der Elemente« zu erstellen, die während der zwölf Jahre der NS-Herrschaft das »andere Deutschland am Leben erhalten« hatten und die man nun für »ein wirkliches Retablissement des deutschen Volkes« heranziehen könne. Die Unterredungen am Hudson River hätten ihn, so Rauschning, in der Hoffnung bestätigt, »Verständnis für das Hauptproblem zu finden«, nämlich »die Überwindung der Theorie von der allgemeinen Schuld Deutschlands«. Bereits vor Antritt seiner zweiten Reise an die Ostküste, zu Gesprächen mit Vertretern des War Department in Washington, sei ihm, Rauschning, in Hollywood klargemacht worden, dass der amerikanische Haupt­ankläger Justice Robert H. ­Jackson ihn von London aus als »Hauptzeugen« seiner Regierung gegen die »sog. ›war criminals‹« anfordern wolle. Man erwarte von ihm »die Formulierung eines statements, auf Grund dessen ich als Belastungszeuge von dem zu bildenden World Court of Justice zitiert werden würde«.936 ­Rauschning erläuterte Brüning die Gründe dafür, weshalb er das amerikanische Ansinnen ablehne. Da diese bereits publiziert worden sind, sollen sie hier in der von Theodor Schieder ein wenig gekürzten Version wiedergegeben werden. »Ich lehnte« das in Nürnberg geplante Verfahren »mit dem Hinweis ab«, erklärte Rauschning, dass er es obersten Rechtsprinzipien zuwiderlaufend und als kompromittierend beurteilen müßte, daß es sich in Kürze als ein der Geschichte unerhörter, höchst tragischer Betrug und Selbstbetrug erweisen würde und daß, auf so pragmatische Weise Recht schaffen zu wollen, das Rechtsempfinden tödlich treffen hieße. Ich erwähnte nicht bloß den Kardinalfehler, der inzwischen von so vielen Juristen bemängelt worden ist, die Rechtsprechung ex post facto, sondern ich wies auf die für alle offensichtliche und durch nichts zu verschleiernde Tatsache hin, daß mindestens eine der als Richter fungierenden Nationen sich aller Verbrechen schuldig gemacht habe und noch mache, ja längst vor dem Nationalsozialismus damit voraufgegangen sei, für die die deutschen Persönlichkeiten angeklagt worden seien; ja, daß diese Nation durch ihren Pakt mit dem Nationalsozialismus diesem überhaupt erst ermöglicht habe, einen Angriffskrieg zu führen. Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse 

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Mit der nicht näher bezeichneten »Nation« meinte Rauschning die Sowjetunion. Im weiteren Verlauf des Gesprächs mit einem höheren amerikanischen Offizier regte Rauschning u. a. an, auch deutsche Richter und etwa ein Gremium wie den Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag heranzuziehen.937 In dem bislang unveröffentlichten Schreiben an Brüning führte Rauschning ferner aus: In den darauf folgenden Diskussionen mit verschiedenen Beamten, insbesondere einem Colonel Kaplan und einem Commander Maloney, hatte ich Gelegenheit meine Auffassung über den Deutschland auferlegten Frieden der Gewalt ausführlich zu begründen. Wenn es auch erschütternd war, die Ununterrichtheit und das durch einseitige Propaganda vollkommen getrübte Urteilsvermögen zu konstatieren, so muß ich doch die Geduld anerkennen, mit der alle Persönlichkeiten meine nicht bequemen Argumentationen anhörten. Ich versuchte klar zu machen, daß ich nicht für die Straffreiheit von solchen Criminals wie Göring plädiere, sondern daß es meine Meinung sei, daß Umfang und offenbare Richtlinien der geplanten Strafverfolgung anstatt eine künftige internationale Verurteilung von Krieg und anderen Gewalttakten als politische Mittel zu begründen, vielmehr einen entsprechenden Code internationalen Rechtes im Punkt des Entstehens bereits kompromittieren müßten. Das Recht über die deutschen Aktionen im formalen Sinne Recht zu sprechen, hätten die Alliierten durch bereits vorweggenommene Regelungen des künftigen Friedens verscherzt. Der künftige Friede sei zum wesentlichen Teil auf genau die gewaltsamen Methoden des Nationalsozialismus begründet, die der Weltgerichtshof zu verurteilen sich anschicke. Ein solcher Widerspruch könne nur zu einer irreparablen Verwirrung des Rechtsbewußtseins führen und müßte damit die gegenteilige Wirkung erzielen, die man sich davon verspreche.

Rauschning machte gegenüber Brüning deutlich, dass er die offensichtliche Prozessstrategie des amerikanischen Hauptanklägers, »Hitler und anderen« eine »beabsichtigte Verschwörung« mit dem Ziel der Welteroberung nachzuweisen und Einzeläußerungen von Angeklagten dieser Taktik dienstbar zu machen, durchschaut habe und sich weigere, durch seine Zeugenschaft dieser zu dienen. Dass sich Rauschning mit der Ablehnung dieser Hitler’schen »Verschwörungstheorie« in einen beachtlichen Gegensatz zum Inhalt mancher seiner Anti-Hitler-Schriften – allen voran den Gesprächen – brachte, sei nur am Rande erwähnt. Jackson wolle offenbar, so Rauschning gegenüber Brüning, »im Lichte eines solchen kriminellen Gesamtaktes sämtliche einzelnen persön336

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lichen Akte von Personen und Personengruppen als Teilhandlungen dieser Gesamthandlung« interpretieren.938 »Das träfe zum Beispiel für führende Militärpersonen oder Industrielle zu«, schrieb Rauschning, »und das müßte zu einer groben Verzerrung oder gar Verfälschung der Rechtslage führen. Wie ich aus persönlicher Kenntnis wüßte«, so Rauschning über seine Äußerungen gegenüber seinen amerikanischen Gesprächspartnern, hätte ich nicht einen einzigen führenden General oder Industriellen getroffen, der real Welteroberungspläne gehabt und nicht vielmehr den Absichten Hitlers mißtraut und ablehnend gegenüber gestanden hätte. Führende Industrialisten wie insbesondere die Leitung von I.G. Farben wären ausgesprochen antinationalsozialistisch gewesen. Wenn sie sich später in die allgemeine vom Nationalsozialismus dekretierte Disziplin gefügt hätten, so sei das genau so zu interpretieren wie etwa die Disziplin eines Ford, der sich trotz seiner faschistenfreundlichen Gesinnung nicht habe dem Ansinnen der demokratischen Regierung Roosevelts entziehen können, seine industriellen Unternehmungen für USA’s Kriegsvorbereitungen zur Verfügung zu stellen.

Colonel Kaplan fragte dem Schreiben Rauschnings zufolge abschließend, ob er, Rauschning, sich auch weigern würde, als Zeuge »zu fungieren«, falls er »eine subpoena-Vorladung bekäme«. Er sei sich der Konsequenzen einer entsprechenden Weigerung »bewußt«, habe er geantwortet, er sei aber bereit, diese auf sich zu nehmen.939 Gegen Ende seines Briefes bat Rauschning Brüning um eine Äußerung zu der Frage, ob er in »dieser Angelegenheit im Großen und Ganzen richtig gehandelt habe« und ob er ihm »Ratschläge für mein künftiges Verhalten« geben könne. Da er mit einer »Vorladung nach Nürnberg oder wo immer die trials stattfinden«, rechne, gewärtige er »Gefängnis und Geldstrafe wegen contempt of court«. Für ihn und seine Kinder seien auch »Schwierigkeiten wegen künftiger Einbürgerung« zu erwarten. Was ihn persönlich anbelange, ziehe er eine »Repatriierung« vor, allerdings nicht »nach Danzig, d. h. unter polnische bzw. russische Oberhoheit … Das wäre eine Lösung, die selbstverständlich unakzeptabel« sei. In Amerika habe er keine Reputation, ließ Rauschning Brüning wissen, doch in England »kenne er persönlich Halifax, Eden und andere wichtige Persönlichkeiten«. Ob Brüning ihm rate, sich wegen einer Rückkehr nach Deutschland via England an Halifax zu wenden? Persönlich wünsche er sich, auf einem »noch so kleinen bäuerlichen Besitz in Schleswig-Holstein oder anderem Teile Norddeutschlands von Neuem zu beginnen und nicht Deutschland endgültig zu verlassen«. Und wie ein Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse 

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Wetterleuchten mutete seine Andeutung an, in Deutschland vielleicht noch einmal schriftstellerisch Einfluss nehmen zu wollen. Eine direkte Antwort Brünings auf dieses Schreiben hat sich nicht erhalten. Jedoch bedankte sich Rauschning unter dem 2. August 1945 für einen »freundlichen Brief« Brünings und versicherte ihm, dass »Ihre Zustimmung mir eine große Erleichterung« sei. Er hoffe, dass Brüning »von ähnlichen Anforderungen verschont« bleibe. Im Übrigen habe er »nichts weiter über die subpoena-Vorladung erfahren. Ein Gesuch an Halifax« lohne sich angesichts der Wahlniederlage der Konservativen wohl nicht. Und abschließend im Angesicht der kommenden Labour-Regierung in London: »Unter der geheimen Direktion des künftigen Revolutionstribunals von Harold Laski habe ich von England nichts mehr zu erwarten.«940 Auch der britische Hauptankläger in Nürnberg, Sir Hartley Shawcross, stützte sich bei der Frage, ob die antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten direkt zum Massenmord an den Juden geführt habe, wiederholt auf das sowjetische Beweismittel USSR-378, d. i. das Buch The Voice of Destruction von Hermann Rauschning. Bei der Vernehmung Hermann Görings durch den amerikanischen Hauptankläger Justice Jackson verbog Göring ein nicht ganz unwichtiges Detail aus diesem Beweismittel. Dort hatte Rauschning geschildert, wie er kurze Zeit nach dem Reichstagsbrand bei einer zufällig angetroffenen Gruppe von Parteigrößen lediglich Zeuge geworden sei, wie Göring damit geprahlt habe, dass Nationalsozialisten die Urheberschaft an dem Brand trügen.941 Auf die Frage Jacksons an Göring in der Vormittagssitzung vom 18. März 1946, ob er, Göring, »also nie erklärt (habe), den Reichstag angesteckt zu haben«, antwortete der Befragte: Nein, ich weiß, daß Herr Rauschning in seinem Buch, das hier mehrfach herangezogen wurde, sagt, ich hätte mit ihm darüber gesprochen. Herrn Rauschning habe ich in meinem Leben nur zweimal ganz flüchtig gesehen … Einem Mann, den ich überhaupt nicht kenne und von dem ich heute nicht sagen kann, wie er überhaupt ausgesehen hat, würde ich mich niemals gegenüber geäußert haben. Es ist dies eine absolute Fälschung.942

Gottfried Treviranus schreibt in einem seiner Erinnerungsbücher ebenfalls über Rauschning und den Reichstagsbrand. Seine knappe Schilderung ist hinsichtlich des erwähnten Details näher bei Göring. Treviranus erinnert sich folgendermaßen: »Hermann Rauschning bestätigte mir 1938 in Blooms338

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bury zu London, Göring habe sich ihm gegenüber der Anstiftung zur Brandlegung geradezu gerühmt, nachdem das makabre Spiel um persönliche Macht Erfolg gehabt hatte.«943 Interessant an dieser Darstellung ist u. a., dass Treviranus nicht den bequemen Weg wählte und pauschal auf Rauschnings Gespräche mit Hitler, die ihm zweifellos bekannt waren, als Quelle seiner Information verwies. Andrerseits mochte er sich vielleicht nach Jahrzehnten nicht mehr exakt an die Details der Unterhaltung in Bloomsbury erinnern. Da Rauschnings Bericht über die Göring-Äußerung zur Urheberschaft am Reichstagsbrand im weiteren Verlauf dieses Buches noch eine Rolle spielen wird, sei er hier wörtlich aus den Gesprächen wiedergegeben. Es heißt dort: Kurz nach dem Reichstagsbrand wünschte Hitler von mir über die Lage in Danzig Bericht zu haben. Es sollten wie im Reich auch in Danzig Neuwahlen stattfinden. Der Gauleiter Forster begleitete mich. Ehe wir in der Reichskanzlei vorgelassen wurden, hatten wir Gelegenheit, in der Wandelhalle vor den ehemaligen Amtsräumen Hitlers einige antichambrierende Nazigrößen zu sprechen. Göring, Himmler, Frick, einige Gauleiter aus dem Westen unterhielten sich. Göring erzählte Details des Reichstagsbrandes. In der Partei wurde damals das Geheimnis dieses Brandes noch streng gehütet. Ich hatte selbst nichts anderes angenommen, als daß in der Tat kommunistische oder doch mindestens von der Komintern angestiftete Personen den Brand angelegt hätten. Erst aus dem Gespräch erfuhr ich, daß der Reichstag ausschließlich von der nationalsozialistischen Führung angezündet worden war. Die Selbstverständlichkeit, mit der man sich in diesem Kreise engster Eingeweihter über diesen Akt unterhielt, war erschütternd. Gelächter der Befriedigung, zynische Witze, Renommiererei: das war die Reaktion dieser »Verschworenen«. Göring schilderte, wie »seine Jungens« durch den unterirdischen Gang aus dem Präsidentenpalais in den Reichstag gelangten, wie sie wenige Minuten Zeit gehabt und fast entdeckt worden wären. Er bedauerte, daß nicht »die ganze Bude« niedergebrannt sei. In der Eile hätten sie keine »ganze Arbeit« leisten können. Göring, der das große Wort führte, schloß den Bericht mit dem wahrhaft bedeutungsvollen Wort: »Ich habe kein Gewissen! Mein Gewissen heißt Adolf Hitler.«944

Im Gegensatz zu Göring und Treviranus behauptet Rauschning in den Gesprächen also nicht, dass Göring direkt mit ihm gesprochen hatte. Die vom Gerichtshof benutzte amerikanische Ausgabe The Voice of Destruction enthält eine wörtliche Übersetzung dieser Passage ins Englische.945 Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse 

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Der tschechoslowakische Anklagevertreter beim IMT, Oberst Pokrosky, argumentierte in der Vormittagssitzung des 9. Februar 1946 ebenfalls mit einem Zitat aus den Gesprächen, das Hitlers Absicht dokumentieren sollte, das »böhmisch-mährische Becken« mit deutschen Bauern zu »bevölkern« und »Tschechen und Böhmen nach Sibirien oder Wolhynien« abzudrängen.946 Auch der angeklagte ehemalige Reichsjugendführer Baldur von Schirach sah sich durch den sowjetischen Generalmajor Alexandrow in seiner Vernehmung mit einem Zitat aus den Gesprächen konfrontiert, das die besondere Brutalität der von Hitler beabsichtigten Jugenderziehung unterstreichen sollte. Von Schirach bestritt jedoch, jemals von Hitler Anweisungen im Sinne des Gespräche-Zitats entgegengenommen zu haben.947 Im Juli 1946 stritt sich der Verteidiger der Mitglieder der SS-Organisation, Rechtsanwalt Horst Pelckmann, mit dem Verfahrensvorsitzenden darüber, ob man Hermann Rauschning als Zeugen nach Nürnberg kommen lassen solle. Pelckmann versprach sich von einer mündlichen Befragung Rauschnings zusätzliche wertvolle Informationen zum NS-System über den Inhalt der Gespräche hinaus, die offenbar von allen Prozessbeteiligten wie selbstverständlich als authentisch im Sinne originärer Hitleräußerungen angesehen wurden. Zwar wurde diesem Ersuchen Pelckmanns nicht stattgegeben – man wusste in Nürnberg um die seinerzeitige Weigerung Rauschnings, als Hauptbelastungszeuge aufzutreten –, doch beauftragte die Rechtsabteilung des Büros der amerikanischen Militärregierung in Deutschland auf Bitten Pelckmanns das amerikanische Justizministerium, Rauschning an seinem Wohnort  – damals noch Hollywood  – einen umfangreichen Fragebogen vorzulegen.948 Am 23. September 1946 präsentierte Special Agent, CIC, 6 th Army, Ralph E. Boyd, Rauschning den Fragebogen, den dieser umgehend und vollständig zurückwies mit der Begründung, er könne sich mit der Beantwortung möglicherweise selber belasten.949 Die insgesamt 38 Fragen beschäftigten sich im Wesentlichen mit Rauschnings Wissen über Hitler und Hitlers politische Vorstellungen und Persönlichkeit. Zwischen den Zeilen oder gelegentlich auch explizit sind häufig die Gespräche mit Hitler Gegenstand der Fragen. Zwei der interessanteren sollen hier übersetzt vorgestellt werden. Frage 8 lautete etwa: »Nationalsozialisten behaupten, dass Sie alles in allem nur vier oder fünf kurze Unterredungen mit Hitler hatten. Was sagen Sie dazu?« Und Frage 21:

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Hat er (Hitler, A. H.) Ihnen einmal oder bei mehreren Gelegenheiten einen umfassenden Überblick über seine Ansicht zur Judenfrage und Antisemitismus gegeben? Hat er erklärt, dass, selbst nachdem die Juden aus Deutschland entfernt worden waren, der Judaismus immer noch der Feind der Welt sei? In Erwiderung auf Ihre Frage (in den Gesprächen, S. 223, A. H.), ob diese Einstellung bedeute, dass die Juden vernichtet werden sollten, hat er geantwortet: »Nein, denn wir brauchen sie als Gegner, und wir müssten sie erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe« (sinngemäß nach den Gesprächen, ebd., A. H.)?950

Indem Rauschning die Beantwortung der Fragen mit dem Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung ablehnte, entging er, kleiner Nebeneffekt, auch einer frühen, mehr oder weniger öffentlichen Prüfung des Quellenwertes der Gespräche. Soweit ersichtlich, reagierte Rauschning nur bei einer Gelegenheit konstruktiv auf die Anfrage einer deutschen Entnazifizierungsstelle. Mit Schreiben vom 31. Mai 1948 hatte ihn die Berufungskammer des Hessischen Staatsministeriums in Marburg/Lahn um Auskunft über etwaige Kontakte zum Industriellen Fritz Thyssen gebeten.951 »Zur Sache« schrieb er in seinem Antwortbrief, dass es zutreffe, dass er zu Beginn des Krieges mit Thyssen eine fernmündliche Aussprache von London nach Paris gehabt habe. Der Zweck dieses Gesprächs sei es gewesen, Thyssen für eine sich in London bildende organisierte Opposition gegen das Hitler-Regime zu gewinnen. Herrn Dr. Thyssens Opposition gegen den Krieg, seine definitiv erscheinende Emigration hatten seinerzeit Aufsehen erregt und insbesondere mich und einige Freunde in Paris mit der Hoffnung erfüllt, die Opposition in Deutschland sei am Werk Hitler zu stürzen … Es war deshalb wichtig, daß Herr Dr. Thyssen ein öffentliches Bekenntnis gegen den Hitlerwahnsinn ablegte. Als solches erschien eine Buchveröffentlichung am wirksamsten.

Dies, so Rauschning, wäre auch »deshalb wertvoll gewesen, weil eine Reihe einflußreicher französischer (und auch englischer) Industrieller trotz des Krieges immer noch mit dem Nationalsozialismus sympathisierte.« Aus diesem Grund habe er Thyssen gedrängt, »seine Eindrücke über das Hitlerregime« zu veröffentlichen, und ihn in Verbindung »mit Herrn Emery Reves« gebracht, »der soeben meine ›Gespräche mit Hitler‹ publiziert hatte«. Nach ein paar kurzen, insgesamt nicht unfreundlichen, Worten über Reves schloss Rauschning seinen Brief mit diesen Sätzen: Das Kriegsende und die Nürnberger Prozesse 

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Daran möchte ich eine, wenn auch nicht von Ihnen verlangte Bemerkung über meinen persönlichen Eindruck von Herrn Dr. Thyssen knüpfen. Ich hatte mich seiner Zeit an Herrn Thyssen gewandt, weil ich gelegentlich eines Vortrags in Essen, wie später in Lübeck, den Eindruck hatte, daß er dem Hitlerregime sehr kritisch gegenüber stand und Hitler aus derselben irrtümlichen Beurteilung dieses Mannes und seiner Clique heraus unterstützt hatte, die mit mir viele verzweifelnde Patrioten begangen hatten, ohne – wie ich – die Chance gehabt zu haben, dem Regime rechtzeitig genug entgegenzutreten.952

Erste Kontakte nach Europa Nach rund sechsjähriger kriegsbedingter Pause nahm Hermann Rauschning mit einem Brief vom 6. Oktober 1945 den Kontakt zu Professor Karl Barth in Basel wieder auf.953 In dem Schreiben bat er Barth um Unterstützung beim Briefwechsel zwischen ihm und seiner Schwester in Oberndorf am Neckar unter Zuhilfenahme des Ökumenischen Flüchtlingskomitees in Genf. Portoauslagen möge er sich von seinem Verleger »Dr. Oprecht in Zürich« erstatten lassen, »der mir«, so Rauschning, »auf ein künftiges Buch hin diesen Dienst leisten wird«. Oprecht werde demnächst sein neuestes Werk mit dem Titel »Die Überwindung des Nihilismus«954 herausbringen und er, Rauschning, werde sich erlauben, Barth ein Exemplar zuzuschicken. Es gebe »nur eine Quelle der Erneuerung und der Überwindung der ideologischen und politischen Ratlosigkeit«, schrieb er, ohne dies jedoch näher zu erläutern. Und weiter: »Aber der Weg geht immer nur über den einzelnen, gewandelten Menschen, nicht über Institutionen. Es ist ein langer Weg.« Unter dem Datum des 11. September 1946 wandte sich der Politikwissenschaftler und Journalist Dolf Sternberger von Frankfurt am Main aus an Rauschning mit der Bitte um einen Beitrag für die von ihm mit herausgegebene Zeitschrift Die Wandlung. Thema sollte »das Ende der preußischen Tugend« sein. Nach der heimlichen Lektüre von Rauschnings Revolution des Nihilismus während des Krieges  – »das Exemplar war stark beansprucht und mußte weitergegeben werden, und es war ein Band in weißem Umschlag ohne alle Aufschrift« – sei er, Sternberger, zu dem Schluss gekommen, dass niemand kompetenter über dieses Thema schreiben könne als Rauschning. Dessen Anwort vom 10. Oktober 1946 fiel abschlägig aus, ohne dass sie eine den Gegenstand selbst betreffende 342

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Begründung enthielt. Er sehe allerdings das Ende der historischen Realität Preußens als ein »definitives« an. Und anschließend umriss Rauschning in diesem Brief erstmals nach Kriegsende einige seiner Grundvorstellungen für eine Neuordnung Deutschlands und Europas. Die Zukunft Deutschlands liege in dem »Verzicht auf eine nationalstaatliche Einheit, den Nationalstaat überhaupt, um einer höheren Integration zu dienen, einem föderierten Europa«. Nur in der Hingabe an dieses Ziel könne sich Deutschland aus »seinem politischen Elend und dem totalen Verlust der Selbstachtung wieder herausarbeiten«. Im Übrigen mache die derzeitige alliierte Besatzungspolitik »ihren schlimmsten Fehler« dadurch, dass sie auf deutsche »moralisch regenerative Kräfte einer freiwilligen Umkehr und Abkehr des deutschen Volkes von falschen Tendenzen« verzichte. Und: Solange das deutsche Volk nur Objekt »der Politik anderer Nationen« sei, könne es eine innere moralische Erneuerung und eine geistige und politische Umkehr mit allen schmerzhaften Wandlungen einer Katharsis nur »in kleinsten persönlichen Zirkeln« geben.955 Nur kurze Zeit, nachdem Rauschning seine Europa-Idee gegenüber Dolf Sternberger angedeutet hatte, bekam er erneut Gelegenheit, diese vorzutragen. Am 18. August 1947 übersandte ihm die ehemalige DNVP-­ Abgeordnete im Danziger Volksrat, Anne (»Anni«) Kalähne, aus Bremen eine – nicht mehr auffindbare – Denkschrift zur Zukunft Danzigs, das sich nun unter polnischer Kontrolle befand. Während Kalähne in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied im Bund der Danziger e. V. den Einsatz aller vertriebenen Danziger einschließlich Hermann Rauschnings für die Rückkehr der Deutschstämmigen in eine wieder zu errichtende Freie Stadt Danzig favorisierte,956 lehnte Rauschning dieses Ansinnen ab. Er empfahl Kalähne und ihren Mitstreitern, ihre »Kräfte nicht für eine sinnlose Restauration« zu verschwenden, sondern die Zukunft Danzigs in »neuen Umrissen zu sehen«. Der Nationalstaat habe »Sinn und Inhalt verloren«, es bräuchte in Deutschland vielmehr Anwälte »neuer, kommender Rechtsideen« wie der eines positiven Minderheitenrechtes, der Freizügigkeit in Europa oder des Doppelstaatsbürgerrechtes. Nur ein von fortschrittlichen und konservativen Politikern geschaffenes Europa »der mittleren Zone zwischen Ost und West« habe eine Chance, dem »Bolschewismus« entgegenzustehen.957 Ein neuer christlicher und »übernationaler Konservatismus« sei in Europa zukünftig gefragt. Auch der Vorschlag Kalähnes, den Danzigern in Deutschland mit einer amerikanischen »Rauschning-Spende« zu helfen, fand keine Unterstützung des Erste Kontakte nach Europa

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ehemaligen Senatspräsidenten. Von den reichen Amerikanern sei in dieser Hinsicht nichts zu erwarten, ließ er Kalähne wissen, und die kleinen Leute sparten sich bereits jetzt alles für die Carepakete vom Munde ab. Im Übrigen bedürften die Ostflüchtlinge einer »fundamentalen Aktion«, nicht aber einer »Sonderfürsorge«. Rauschning widersprach Kalähne auch hinsichtlich ihrer Hoffnung auf die Wiedererrichtung der Hohenzollernmonarchie in Deutschland. Den Kronprinzensohn Friedrich habe er in London getroffen, aber keinen nachhaltigen Eindruck von ihm gewonnen, schrieb er. Die einzigen »gegen modernes Usurpatorentum und nihilistischen Revolutionarismus« seien »ausgerechnet« die Habsburger Erzherzöge Otto und Robert. Nicht die Monarchiefrage sei das Thema der Stunde, sondern die Gefahr eines dritten Weltkrieges.958 So verwundert es denn nicht, dass ein positives Verhältnis Rauschnings zu »seinen« Danzigern gar nicht erst entstand, ja die Beziehung im Laufe der folgenden Jahre den Charakter einer ausgesprochenen Feindschaft annahm. Gegenüber seinem alten Freund Maier-Hultschin in Düsseldorf bekannte er in einem Brief vom 5. Mai 1952, dass er, außer wenigen vorurteilslosen, großherzigen Naturen wie ihm, »keine Freunde« mehr habe, sondern nur Feinde, ja »richtige Todfeinde – wie mir der verstorbene Emil Ludwig einmal sagte. Am feindlichsten sind mir die ehemaligen Danziger gesonnen …«959 Zwar überschrieb das Mitteilungsblatt der Mitglieder des Bundes der Danziger e. V., Lübeck in seiner Ausgabe vom 8. September 1949 einen kleinen Bericht über Rauschnings landwirtschaftliche Tätigkeit in Oregon noch mit der Frage »Was macht Hermann Rauschning?«, doch schon ein rundes halbes Jahr später veröffentlichte an gleicher Stelle Hans-Carl Gspann, ein Heidelberger Verleger und Vorstandsmitglied des Bundes der Danziger, einen gehässigen Artikel über Rauschning mit der Überschrift »Die Stimme eines Toten«. Hauptvorwurf Gspanns gegenüber Rauschning war nun, dass dieser seinerzeit den Nationalsozialisten in Danzig den »Weg vorbereitet« habe. Rauschning sei aber inzwischen politisch »tot«, selbst in den »USA und England«, wo »der Mohr« mit seiner Propagandaschrift Gespräche mit Hitler seine »Schuldigkeit getan« habe. Er möge weiterhin »in Florida (sic)« »seinen ›Kohl‹ pflanzen«.960 Im Februar 1950 reagierte Rauschning mit einem Artikel in dem Vertriebenenblatt Wir Ostpreußen auf einen nicht näher bezeichneten Aufsatz »in der deutschen Presse«, in dem eine Gruppe vertriebener Danziger sich für die Position Anni Kalähnes stark gemacht hatte, die im Nachkriegs344

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europa eine Sonderregelung für Danzig im Sinne einer Wiederbelebung der »Freien Stadt« forderte. Dagegen erhob Rauschning in seinem Beitrag schärfsten Protest.961 Er unterstellte dieser Gruppe, sich vom Flüchtlingsschicksal aller aus dem Osten geflohenen Deutschen absondern und nicht zu ›dem Pack‹ und zu den »lästigen Eindringlingen« gezählt werden zu wollen, wie die Westdeutschen die Flüchtlinge häufig titulierten. Die Danziger müssten, so Rauschning, ihr Schicksal mit den anderen Ostflüchtlingen teilen und mit allen Deutschen für eine gemeinsame Zukunft in Europa arbeiten. Alles andere sei »Separatismus« – diesen »bösen Ausdruck« habe seinerzeit Gauleiter Forster gegen ihn und andere in Danzig benutzt, die »seinem Treiben« an der Mottlau »Widerstand leisteten«. Auch gegenüber seinem Rechtsanwalt aus Danziger Tagen, Max Kiewning, äußerte sich Rauschning zur Zukunft Danzigs. In einem Brief vom 13. Mai 1946 aus Los Angeles an Kiewning in der »Baracke am Tonberg« bei Kiel in der britischen Zone reagierte er offensichtlich auf Fragen Kiewnings, die in einem nicht mehr erhaltenen Brief gestanden haben müssen.962 Rauschning verneinte in seinem Schreiben Hoffnungen, man könne über die Medien der Vereinigten Staaten Einfluss auf die amerikanische Politik hinsichtlich des unter polnischer Verwaltung stehenden Danzigs nehmen. Auch verwarf Rauschning die Idee, geflüchtete Danziger zur Auswanderung in die USA zu ermuntern. Stattdessen empfahl er den Danzigern den nach seiner Meinung einzig gangbaren Weg: ihre ohne Frage schwierige Eingliederung in das besetzte »Altdeutschland«, von dem er wisse, dass unter den dort Eingesessenen »Haß, Neid, Ärgerei und krasser Egoismus unerträglich« stiegen. Andrerseits böten die »ungeheuren Menschenverluste von 5–6 Millionen Kriegsopfern in Deutschland« die Möglichkeit, den »Millionendruck der Ostflüchtlinge erträglich« zu gestalten. Mit Blick auf die gesamten deutschen Ostgebiete summierte Rauschning: »Verehrtester Herr Dr. Kiewning, ich glaube, wir haben somit der unerhört tragischen Lage ins Auge zu sehen, daß der Nationalsozialismus uns tausend Jahre deutscher Geschichte kostet, daß der Osten unwiederbringlich verloren ist.« Rauschnings Brief an Kiewning ist noch unter einem anderen Aspekt bemerkenswert. Hier, in den frühen Jahren nach der deutschen Kapitulation, sprach er sich eindeutig dafür aus, »einen weiteren Fortschritt der Russifizierung Deutschlands und Europas aufzuhalten«. Bedenkt man, dass Rauschning nur wenige Jahre später zu einem feurigen Advokaten der Gesprächsaufnahme mit der sowjetischen Seite mutierte, erstaunen zunächst diese Äußerungen gegenüber Kiewning: Erste Kontakte nach Europa

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Ich kann mir wohl denken, daß nicht unbeträchtliche Kräfte heute in der Unterwerfung unter Sowjetrußland die einzige Chance einer Wiedervereinigung der deutschen Gebiete zu einer Einheit und Wiedergewinnung einer Art nationalen Existenz im Rahmen einer Weltunion der Sowjets sehen. Ich bin sicher, daß auch nicht kommunistische Kreise in der täglichen Verzweiflung einer Propaganda geneigt sein werden, die vor dreizehn Jahren die Zögernden mit solch plausiblen Schlagworten zu kaptivieren versuchten, man müsse »die Zigarre eben zu Ende rauchen« oder wie immer man das sonst ausdrückt. Ich bin demgegenüber der Meinung, daß Sie sich alle in dem tragischen Geschehen noch glücklich schätzen können, unter englische Kontrolle gekommen zu sein.

Wo liegt der Schlüssel für die Klärung des Rauschning’schen Sinneswandels? Um es in aller Kürze vorwegzunehmen: in der öffentlich gewordenen Tatsache, dass die Sowjetunion seit dem Spätsommer 1949 im Besitz der Atombombe war und die Vereinigten Staaten damit ihr Atomwaffenmonopol verloren hatten.963 Für Rauschning war damit die akute Gefahr eines dritten Weltkriegs gegeben, dessen bevorzugtes Schlachtfeld Deutschland sein würde. In einem weiteren Brief an Kiewning, den er ein knappes Jahr später und kurz vor der Moskauer Außenministerkonferenz vom März 1947 nach Deutschland schickte, bekannte sich Rauschning zu einer »Konzeption, die Danzig und Ostpreußen zu einem gemeinsamen selbständigen Staatswesen unter der Kontrolle der United Nations« entwickeln solle, in das deutsche Vertriebene »aus den Sudetengebieten, aus Ungarn, Rumänien etc. mit den alten Einwohnern« umsiedeln sollten.964 Derartige Ideen Rauschnings, die um eine europäische Föderation als sozusagen »›mittlere Zone‹, als neutrale, aber eigenen Lebenslinien folgende Sphäre« kreisten, erforderten nach seiner Auffassung ein Umdenken der Vereinigten Staaten in Bezug auf die Sowjetunion, für das er in jüngster Zeit Anhaltspunkte »bei einigen Politikern der Republikaner« gefunden zu haben glaubte. »Die Schwierigkeit liegt jedoch«, fuhr er dann fort, in der Tatsache, daß eine auch noch so aktive Außenpolitik der USA, die im Gegensatz zur früheren in Sowjetrußland das sieht, was es in Wirklichkeit ist und bleiben wird, nicht im Stande ist, Rußland eine Lösung aufzuzwingen, der es nicht selbst beistimmt. Die Kardinalfrage ist daher, ob Rußland sich zu der Überlegung bereitfinden lassen wird, daß es in seinem eigenen Interesse liegt, seinen weitüberspannten Machtbezirk einzuschränken, wenn dadurch eine längere Atempause oder

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gar Freundschaft der USA erkauft werden könnte. Ich bin leider nicht optimistisch genug, um dies auch nur für möglich zu halten. Leider wird daher Moskau ergebnislos ausgehen und das mannshohe Unkraut und das Schilf auf den verödeten Danziger Marschen weiter wachsen.

Und in gewisser Antizipation seiner Haltung zur Sowjetunion nach der atompolitischen Zäsur vom Spätsommer 1949 und der Entstehung der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt äußerte er: Ich sehe in der ganzen politischen Linie vielmehr eine taktische Vorbereitung von langer Hand dafür, Rußland in den Augen der Öffentlichkeit hier die Verantwortung dafür zuzuschieben, wenn ein genuiner Friede für absehbare Zeit unmöglich wird und die Westmächte eine eigene Weltsphäre als ein sicheres Verteidigungssystem ausbauen, – wenn also anstatt eines globalen Konstitutionalismus der Nationen so etwas wie eine Atlantische Union dem Sowjet-Völkerbund des eurasiatischen Kontinentes gegenübertritt. Die Konsequenz eines solchen Welt-Schismas werden Sie sich selbst sagen. Für die Deutschen bedeutet es die permanente Zweiteilung. Es würde das Ende jeder Hoffnung auf eine Besserung sein.

Im Herbst 1946 sah sich Rauschning fern der Heimat unvermittelt in das westdeutsche Nachkriegschaos hineingezogen. Anlass war ein langer Brief seines früheren Vertrauten in Danzig, Georg Streiter, der sich mit einer Bitte an Rauschning wandte.965 Diese Bitte spiegelt zugleich anschaulich den Kampf der Überlebenden des Krieges um einen Neubeginn im besetzten Deutschland wider, weshalb ihre Hintergründe kurz dargestellt werden sollen. Streiter war beim Rücktritt Rauschnings 1934, wie oben erwähnt, nach Stationen in Polen, beim AA in Berlin und in der Türkei, mit seiner Familie nach Westdeutschland zurückgekehrt und hatte in Lindau in der Französischen Zone eine Stelle im örtlichen Arbeitsamt gefunden. Nun klagte Streiter gegenüber Rauschning, dass er in Lindau als ehemaliger Angehöriger einer nationalsozialistischen »5. Kolonne« angefeindet werde und seine Stelle bedroht sei. Streiter machte für diese Anfeindungen Missgunst von Personen verantwortlich, die seinen Posten haben wollten. Vom örtlichen »Polizeichef« sei ihm mitgeteilt worden, dass keinerlei Beweise gegen ihn vorlägen. Streiter, mittlerweile SPD-Mitglied, richtete nun die Bitte an Rauschning, dieser möge seine aus der Exilzeit herrührenden Beziehungen zum sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von BayErste Kontakte nach Europa

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ern, Wilhelm Hoegner, nutzen, um auf die französischen Behörden einzuwirken, ungeachtet der Tatsache, dass Bayern unter amerikanischer Besatzung stand. Streiter gab Rauschning auch sogleich Argumentationshilfe für sein Anliegen bei Hoegner: Rauschning werde sich erinnern, dass er, Streiter, als Deutschnationaler »im Februar 1933« aus dem nationalsozialistisch dominierten Danziger Landbund herausgeflogen sei. Nach der Regierungsübernahme durch Rauschning habe dieser ihn in die NSDAP geholt, um ihn in der Danziger Verwaltung beschäftigen zu können. Später wiederum, Ende 1934, sei er, wie Rauschning sich wohl erinnern könne, zusammen mit diesem aus der Partei ausgeschlossen worden. Am Ende seines Briefes rechtfertigte Streiter seinen Beitritt zur SPD – Rauschning hatte diesen Schritt in einem vorherigen Brief an Streiter leicht missbilligt – mit dem Wunsch, dazu beizutragen, dass in Deutschland eine Art Labour Party enstehe. Rauschning machte sich unter dem Datum des 1. Oktober 1946 in einem Brief an Hoegner tatsächlich für Streiter stark, indem er dessen Argumente aufgriff und Streiter ideologisch sogar ursprünglich auf dem »jungen, linken Flügel der Deutschnationalen mit starken Beziehungen zur Sozialdemokratie« ansiedelte.966 Er schloss seine Fürsprache mit den Sätzen: »Es wäre eine besondere Härte, wenn dieser Mann, von dessen persönlichen moralischen Qualitäten ich durch langjährige Zusammenarbeit überzeugt bin, infolge Denunziation erneut persönliche Verfolgungen erleiden müsste. Herr Georg Streiter ist übrigens Mitglied der Sozialdemokratischen Partei.«967 Das Jahr 1946 markiert auch den Beginn der Korrespondenz Rauschnings mit Familienangehörigen, denen in buchstäblich letzter Minute die Flucht aus Danzig über die Ostsee nach Dänemark gelungen war, wo sie zunächst nahe der Stadt Randers in Jütland interniert wurden. In diesem – anfangs organisatorisch schwierigen – Briefwechsel ließ Rauschning gelegentlich auch seine Angst vor einem atomar geführten dritten Weltkrieg durchblicken. Ein wenig bizarr wirkt in diesem Zusammenhang die Begründung für seinen Fortgang aus Los Angeles hoch in den Nordwesten aufs Land in Oregon, die er seinem Schwager Fritz Grube unter dem Datum des 29. September 1948 lieferte. In dem Brief heißt es im Hinblick auf einen Atomkrieg: Ich fürchte ihn vor allem wegen Europa, das dabei total zerstört werden wird. Er wird, wenn nicht alles trügt, in einem Augenblick ausbrechen, der für die Vereinigten

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Staaten ungünstig ist und von ihnen riesenhafte Opfer verlangen wird. In einem Kriege in Los Angeles zu sitzen, ist Selbstmord. Diese stark kommunistisch durchsetzte Stadt lebt vom Wasser, das über hunderte von Meilen aus den Bergen geleitet wird und die ohne es zur Wüste herabsinkt, wenn Sabotage Wasser, Elektrizität und die Ölindustrie zerstört. In einem künftigen Kriege hat eine schmale Chance des Überlebens nur jemand, der auf dem Lande sitzt und gegebenfalls in die Wälder flüchten kann.

Einschränkend fügte er jedoch hinzu, er wolle »die Wichtigkeit dieses Argumentes nicht überbetonen« – und außerdem biblisch: »Wer sein Leben sucht zu erhalten, wird es verlieren.«968 Wie in anderen Briefen in die Heimat, ging es auch in diesem um amerikanische Hilfspakete der Familie Rauschning nach Hause, von denen sie gerne mehr schicken würde, wenn die Farm mehr abwürfe; immerhin seien auch »60 Bohnenpflücker« zu beschäftigen. Erstmals taucht in diesem Brief auch der Wunsch Rauschnings nach Rückkehr nach Deutschland auf, jedoch nur dann, wenn die »Riesenschweinsblase der Sowjetdrohung demnächst platzen« sollte. Er fürchte allerdings ein unfaires Entnazifizierungsverfahren, da vor allem die Sozialdemokraten und ehemalige Deutschnationale ihn als Feind sähen. Dies insbesondere deshalb, weil diese Verfahren von dem »fundamentalen Irrtum« ausgingen, dass eine Parteizugehörigkeit vor 1933 besonders hart zu ahnden sei. Gerade umgekehrt jedoch werde ein Schuh draus: Bei einem frühen Eintritt – und das traf gerade so auch für ihn noch zu – seien noch ein Irrtum über die Ziele der NSDAP und die Hoffnung auf Chancen, die Partei zu reformieren, begreiflich gewesen.969 In einem frühen Brief an seinen Schwager in das Lager bei Randers war auch von einer möglichen Hilfestellung Rauschnings bei einer geplanten Übersiedlung der Rauschning-Verwandtschaft in die USA die Rede. Er wisse wohl um die Verzweiflung angesichts der Lagerhaft, aber er fürchte, schrieb Rauschning unter dem Datum des 19. Mai 1946, dass er nicht viel in dieser Sache tun könne. Zwar habe er in Großbritannien bei Konservativen »wie Eden, Halifax und Samuel Hoare« sowie dem Labour-Minister Hugh Dalton »ein gewisses Renommee« und Ähnliches gelte in Frankreich für Minister Paul Reynaud und Marineminister Campinchi970. In den USA jedoch habe sich der Wind zu seinen Ungunsten gedreht: Während früher dort seine offene und rechtzeitige Opposition gegen den NS gesehen worden sei, bilde inzwischen das Wort von dem Mann, der »Hitler einmal die Hand gereicht« habe, die Beurteilungsgrundlage. Er habe sich jedoch Erste Kontakte nach Europa

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in »England bemüht« und »aus London gehört«, dass man dort einer Entlassung der Familie Grube aus dem Lager »günstig gesinnt« sei.971 Rauschning nutzte die Gelegenheit dieses langen Briefes auch, einige allgemeine Betrachtungen über das künftige Leben in Deutschland und Amerika im Angesicht des Neubeginns nach dem Krieg einzuflechten. Seiner Meinung nach war die bürgerliche Welt in der Heimat mit der Kapitulation unwiederbringlich untergegangen. Harte und vor allem körperliche Arbeit stünden den Menschen hüben wie drüben auf unabsehbare Zeit bevor. In den USA, wo er unter den Emigranten beinahe nur jüdische Freunde habe, packten diese genauso hart an wie die nichtjüdischen deutschen Emigranten. Dass es den Nichtjuden nicht besser ergehe als den Juden, sei aber nur gerecht, denn ihm scheine, »daß wir, die wir an all diesen Verbrechen der letzten Jahre wissentlich oder aus Trägheit des Herzens mitschuldig waren, nicht geringer handeln dürfen«. Und mit Verweis auf den in seiner Nachbarschaft eine kleine »chicken farm« betreibenden Sohn des ehemaligen jüdischen Getreidehändlers Anker aus Danzig schrieb Rauschning: »Ob jüdischer Abstammung wie Ankers, ob nichtjüdischer wie wir, ob hier in den Staaten oder in Ruinendeutschland: uns bleibt n u r noch der h a r t e Weg und kein escape.«972 Am 29. Januar 1948 informierte Rauschning die Familie Grube in Deutschland darüber, dass er soeben die amerikanische Einbürgerungszeremonie – die Urkunde nennt als Datum den 23. Januar – überstanden habe.973 Um US-Bürger zu werden, musste er eigens aus Oregon noch einmal nach Los Angeles fahren. Gegenüber dem Vertriebenenblatt Der Westpreuße erklärte Rauschning im Jahre 1954, dass er über »die polnische Quote in Amerika eingewandert« sei. Hintergrund dafür sei der Umstand gewesen, dass seine Geburtsstadt Thorn durch den Versailler Vertrag polnisch (Toruń) geworden sei.974 Auch seine Frau Anna, die immer noch nicht endgültig von Hollywood nach Oregon übergesiedelt sei, werde seinem Schritt wohl bald folgen, schrieb er. Er klärte in diesem Brief seine Angehörigen in der Heimat ferner darüber auf, dass Anna keineswegs mehr nur das Anhängsel des Autors der Voice of Destruction und seiner anderen bislang in den USA erschienenen Schriften sei, sondern die »berühmte Verfasserin« von No Retreat. Einmal habe ihn bei einer Vorlesung der Autopionier Henry Ford mit seiner Anwesenheit »beehrt«. Dabei sei Ford »tief enttäuscht« gewesen, nicht Anna Rauschning »vor sich« gehabt zu haben, sondern »bloß den Verfasser von Büchern, die man nur zitiert aber nicht liest«. Anderntags beim Lunch habe Ford ihm gestanden, 14 Exemp350

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lare von No Retreat gekauft zu haben, von seinen, Hermann Rauschnings, Büchern habe er keine Ahnung gehabt.975 Seit Ende der 1940er Jahre sah sich Rauschning wieder einmal mit der Frage konfrontiert, wie und wo er sein künftiges Erwerbsleben zu gestalten gedachte. Von der Schriftstellerei allein konnte er sich und seine Familie kaum ernähren und auch die Landwirtschaft bescherte ihm keine Reichtümer. Ein erstes »Beschäftigungsangebot« erreichte ihn Ende September 1947, als ihm ein alter österreichischer Bekannter, der Sachsenhausen-Häftling Waldemar Quaiser, das Amt eines österreichischen Honorarkonsuls anbot. Zum Zwecke der Beschleunigung des Verfahrens bat Quaiser auch gleich um die Übersendung persönlicher Daten sowie zweier Passbilder.976 Unter finanziellen Gesichtspunkten war dieses Angebot natürlich wenig attraktiv, doch Rauschnings Ablehnung rührte mehr von seiner Selbsteinschätzung als Unangepasster her, als jemand, der nun auch in den USA »gegen den Strom« schwimme; auf jeden Fall eigne er sich zum Konsul wie der »Igel zum Klosettpapier«.977 Mit seinem 1946 in Amerika erschienenen Buch Time of Delirium habe er sich in den Vereinigten Staaten keine Freunde gemacht, weil er darin bereits frühzeitig ein Zusammengehen der USA mit der Sowjetunion als »Illusion« bezeichnet habe.978 Und unter Anspielung auf seine Gespräche mit Hitler ließ er Quaiser wissen: »Leute, die den Entwicklungen etwas voraus sind, sind nicht gern gesehen.« Der Kontakt zu Quaiser endete mit einem Brief Rauschnings vom September 1948, in dem er Quaiser um Nachsicht dafür bat, dass er ihm nicht mit Paketen helfen könne, da seine Mittel begrenzt seien – »Legende von meiner Wohlhabenheit« – und seine Familie in Deutschland Vorrang habe.

Rückkehr in die Alte Welt? Mehr noch, Rauschning drehte nun den Spieß um und bat Quaiser, ihm zu helfen bei dem Versuch, in Österreich Fuß zu fassen. Er sehe Q ­ uaiser wegen dessen KZ-Haft als echten Widerstandskämpfer, sein eigenes »Profil« hingegen sei »unrein, gebrochen und schattenhaft«. Er sah sich als alten »Streithengst, immer in Opposition zu gerade herrschender Meinung«. In Deutschland fürchte er die Entnazifizierung, die seinen »zahlreichen Todfeinden« jeder Couleur Gelegenheit geben würde, ihn endgültig mundtot zu machen. Eine aktive politische Rolle könne er sich in Rückkehr in die Alte Welt?

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Europa für sich nicht mehr vorstellen, jedoch reize ihn die Mitarbeit am Wiederaufbau Europas, bei dem Österreich und den Gebieten der »alten Donaumonarchie« eine besondere Rolle zukomme. »Im angedeuteten Sinne als eine Art ›Sekretär Europas‹ (um Golo Manns Studie über Gentz zu plagiieren) zu schreiben und aufzuklären, das wäre meine Aufgabe, der ich mich mit Ihnen und anderen Freunden gerne unterziehen würde.«979 Nahezu zeitgleich mit dem Angebot Quaisers hatte sich Rauschning mit einer Offerte des deutsch-jüdischen Religionswissenschaftlers Hans-Joachim Schoeps auseinanderzusetzen. Der nationalkonservative Schoeps war nach der Rückkehr aus dem schwedischen Exil Inhaber des Lehrstuhls für Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Erlangen geworden. Am 12. September 1947 berichtete Schoeps in einem Brief an Rauschning von einem Treffen mit »unserem gemeinsamen Freund Herrn von Hentig« in Garmisch.980 Dabei seien beide zu dem Schluss gekommen, dass man ihm, Rauschning, eine Professur für Politik und Gesellschaftslehre in Erlangen anbieten solle. In der Fakultät gebe es bereits grünes Licht für das Projekt und vom Bayerischen Kultusministerium sei auch kein Widerspruch zu erwarten. Allerdings müsse unbedingt Rücksprache mit der amerikanischen Militärregierung gehalten werden, damit Rauschning nicht von einer Spruchkammer »zur Verantwortung gezogen« werde. Am besten sei es wohl, wenn Rauschning als Gast der amerikanischen Militärregierung herüberkomme; anschließend könne er dann »im Lande selbst in eine Beamtenstelle überwechseln«. Mit dem Ausdruck der Freude lockte Schoeps damit, dass in Erlangen »fast 6000 Studenten« eingeschrieben seien und in der Fakulttät eine Reihe »prächtiger Kollegen« säßen, von denen viele aus der deutschen Jugendbewegung stammten. In seiner Antwort vom 9. November 1947 teilte Rauschning Schoeps mit, dass er spontan positiv auf das Angebot reagiert habe, dann jedoch seien ihm Bedenken gekommen. Soeben habe er in Oregon als Pächter eine Farm übernommen, welche die Existenzsicherung auch für seinen gerade als US-Soldat »aus Asien« heimgekehrten Sohn bieten solle. Ferner hielt Rauschning den Weg über die amerikanische Militärregierung für unmöglich, denn er wolle unabhängig bleiben, niemandem verpflichtet außer dem eigenen Gewissen. Und weiter: »Ich muß alle Härten und Unbequemlichkeiten auf mich nehmen, die alle Deutschen zu tragen haben und nicht eine privilegierte Stellung einnehmen wollen.« Grundsätzlich scheue er ein Entnazifizierungsverfahren nicht, er habe jedoch Zweifel an der Fairness desselben. Schließlich wies Rauschning noch darauf hin, dass 352

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er kein akribischer Wissenschaftler sei, sondern allenfalls ein Schriftsteller mit dem »Niveau eines Amateurs mit gelegentlichen Einsichten«. Er wolle auf die Resonanz einiger für Deutsche geschriebener »Schriftchen« warten und eine umfangreichere Arbeit über die Grundlegung eines neuen Konservatismus sowie eine weitere über die »christliche Revolution« als Gegenstück zur Revolution des Nihilismus abschließen. Ganz am Ende seines Schreibens bekundete Rauschning doch noch sein Interesse an einer »späteren Berufung« nach Erlangen.981 In einem Brief an Schoeps vom 31. Juli 1948 gestand Rauschning, dass er sich weiterhin mit dem Phänomen des Nationalsozialismus beschäftige. Genauer: »Inwiefern war der Nationalsozialismus nicht bloß eine Revolution des Nihilismus, sondern anfänglich und im Willen so vieler bester junger Leute ein ernsthafter Versuch, eine ›dritte‹ Lösung zwischen obsolet gewordenem Liberalismus und absurd gewordenem Marxismus zu finden. Ich glaube, daß gerade ich als Ergänzung zu meiner früheren Darstellung auch die andere, die positive Seite der Bewegung zu analysieren hätte.«982 Diese Denkfigur: der Nationalsozialismus als etwas ursprünglich Positives, das dann später von Hitler und seiner Entourage furchtbar missbraucht und deformiert worden sei, hat Rauschning nie ganz losgelassen. Auch die amerikanischen Behörden, so Rauschning gegenüber Schoeps, sähen in ihm einen Krypto-Nationalsozialisten, den man mit Blick auf die Professur in Erlangen nicht »im deutschen Karpfenteich herumtreiben« sehen wolle, hieß es in dem Brief vom 31. Juli 1948. Mit seiner publizistisch vorsichtig vorgetragenen Kritik an der Politik Roosevelts sei er nicht nur keine Persona gratissima mehr, sondern nicht einmal mehr Persona grata. Infolgedessen sei seine Beschäftigung mit der Landwirtschaft »Flucht«. Auf dem amerikanischen Markt könne er kein Buch mehr mit dem Titel »Ein großer Friede und das Prinzip der Neutralität« unterbringen und auch in Deutschland werde er wegen der alliierten Besatzungspolitik keine Resonanz finden »angesichts solcher Hitler­imitationen wie des Verbotes der Lektüre von Walter (sic) von der Vogelweide, des Nibelungenoder Gudrun­liedes«. Noch einmal seine unzureichende wissenschaftliche Qualifikation aufgreifend, schrieb Rauschning Schoeps abschließend: »Ich bin schriftstellerischer Dilettant. Mir fehlt das profunde historische Rüstzeug, um akademischer Lehrer auf einem Niveau zu sein, das höher ist als das seinerzeit von Hitlers Gnaden zur Professur berufenen strammen Genossen. Eines Tages komme ich zurück. Aber ich will es als Unabhängiger.«983 Die Korrespondenz Rauschnings mit Schoeps endete Rückkehr in die Alte Welt?

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mit einem Brief Rauschnings vom 1. März 1949. Darin ging es um eine mögliche »reichsdeutsche Ausgabe« – so Rauschning – der Gespräche mit Hitler. Sein Verleger Oprecht in Zürich wolle eine solche Ausgabe der Revolution des Nihilismus in »diesem Jahr« durchführen, schrieb er an Schoeps, nicht jedoch der Gespräche. Die Begründung Oprechts laute, dass eine Neuausgabe »in gewissen Kreisen falsch aufgefaßt werden« könne. Diese Begründung sei ihm, Rauschning, nicht neu. Denn: Daß ich den Nationalsozialismus als eine Versuchung dargestellt habe, die aus größeren Tiefen kommt, und der auch der Intelligente, der im Kierkegaardschen Sinne Verzweifelnde verfallen kann, und daß ich der einer Genesung so hinderlichen Interpretation des Nationalsozialismus als eines bloßen Überfalles von Gangstern nicht folgte, rechnen mir Sozialisten und Zentrumsleute als Propaganda für Hitler an. Daß man so etwas Gefährliches wie den Nationalsozialismus eigentlich nur überwindet, wenn man ihn richtig erkannt hat, »beim Namen nennt«, und so bannt (wie Sie das ausdrücken), wissen diese Leute nicht.

Rauschning zeigte sich erfreut, dass Schoeps sich in einem früheren Brief bereit erklärt hatte, sich für die Neuausgabe der Gespräche einzusetzen, und kündigte an, dass er sich bei Oprecht für eine verlegerische Option Schoeps’ auf die Gespräche verwenden werde. »Auf einen Transfer meines Honorars aus Deutschland würde ich verzichten«, fügte er hinzu. Rauschning erbat von Schoeps am Ende seines Schreibens noch eine Stellungnahme »von jüdischer Seite« zu einer »neuen ökumenischen Gesinnung« von Juden und Christen, die er für sein neues Buch »Christliche Revolution« verarbeiten wolle.984 Noch von anderer Seite wurde Rauschning gegen Ende der 1940er Jahre gefragt, ob er nicht nach Deutschland zurückkehren wolle. In einem Brief vom 10. März 1948 gab er Johannes Maier-Hultschin, seit 1950 Landespressechef unter Karl Arnold, dem CDU-Ministerpräsidenten des neu geschaffenen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, eine diesbezüglich abschlägige Antwort mit der Begründung, ihm fehlten dafür »Mittel und Verbindungen«. Rauschning scheint in dieser Zeit mit dem Katholizismus geliebäugelt zu haben. In dem Brief an Maier-Hultschin beklagte er, dass er in den USA zwischen allen Stühlen sitze.985 Als Einzige brächten ihm die Katholiken vom nahe gelegenen Benediktinerkloster Mount Angel Achtung entgegen. Trotz seiner Sympathien für den Katholizismus sei er aber noch nicht konvertiert, er könne diesen Schritt nicht so tun, 354

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wie sein »Freund Franz Werfel« ihn »aus anderen Motiven tun konnte«. Jedoch sehe er die Zukunft Europas allein in einem katholisch geführten Europa »in der Linie Frankreich/Deutschland/Polen und mit Spanien/ Italien/Österreich als Nebenlinie«. Europa dürfe nicht als das »stupide Experiment ›Western Union‹« laufen, das ebenso scheitern müsse »wie die Teheran/Yalta/Potsdam-Konzeption, die Morgenthau-Vansittart-Linie«. Das kontinentale Europa habe eine Funktion als »Vermittlung« zwischen »England und Russland« zu erfüllen, als ein »Zentrum«, eine »Mitte«, nicht aber mehr als ein »Westen«.986 Maier-Hultschin versuchte Rauschning dazu zu bewegen, eine detaillierte Denkschrift für eine künftige Ostpolitik anzufertigen. Auch ermunterte er ihn, eine Reise nach Deutschland ins Auge zu fassen, wo er als Experte für die ehemaligen deutschen Ostgebiete außerordentlich nützlich sein könne. Maier-Hultschin stellte auch eine Hilfestellung für Rauschning in Aussicht: »Natürlich werde ich keinen Augenblick zögern, Adenauer den Vorschlag zu machen, daß wir zumindest auf Ihre sachliche Mitarbeit in Ostfragen auf keinen Fall verzichten können.«987 Rauschning sah sich weder in der Lage, eine ausführliche Denkschrift auszuarbeiten noch eine Reise nach Deutschland anzutreten, wie er Maier-Hultschin in einem Brief vom 11. Juli 1949 mitteilte. Inzwischen hätten sich seine materiellen Verhältnisse dramatisch verschlechtert und er lebe »von der Hand in den Mund«. Grund dafür war vor allem eine starke Verschuldung bei seinem alten Gönner Erwin Brettauer. Alle Ersparnisse seien aufgebraucht, Geld für eine Zugfahrt von der Westküste nach New York nicht vorhanden, geschweige Mittel für eine Überfahrt nach Europa. Rauschning schloss diesen Brief mit bewundernden Worten für Maier-Hultschin, seine »Unermüdlichkeit«, seinen »politischen Weitblick« und die »immense Arbeit«, die er leiste.988 Zum Jahresende 1949 spitzte sich die finanzielle Situation der Rauschnings in Oregon dermaßen zu, dass sich die Familie gezwungen sah, nun doch eine Rückkehr nach Deutschland ernsthaft ins Auge zu fassen, wo das Familienoberhaupt glaubte wenigstens von der Schriftstellerei leben zu können.989 Hermann Rauschning bat seine Kinder, für ihn ein Darlehen aufzunehmen, im Gegenzug wolle er ihnen ein Guthaben in Österreich in Höhe von 11.000 Schilling abtreten.990 Etwas Hoffnung auf bessere Zeiten machte sich Rauschning durch die Veröffentlichung seines jüngsten Buches mit dem Titel Deutschland zwischen West und Ost, das, Rückkehr in die Alte Welt?

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wie er Maier-­Hultschin bereits im Oktober 1949 wissen ließ, »viel Staub aufwirbeln« und »böses Blut« machen werde.991 Prompt schrieb Rauschning unter dem 14. Dezember 1949 an Maier-Hultschin, er habe plötzlich Schwierigkeiten mit seinem deutschen Verleger, »nachdem er zuvor begeistert schien«. Das Buch stoße offenbar auf »große innere Widerstände als eine böswillige Torpedierung der so weitschauenden und segensvollen Politik der Westmächte«. Grundtendenz des Buches sei – wie bereits früher angedeutet – die Befürwortung eines starken Mitteleuropas von Frankreich bis Polen und die Überwindung der Teilung Europas durch eine politische Initiative des Westens. Militärisch sei bei dieser Zielsetzung nichts zu machen, ebenso wenig Erfolg verspreche eine »Untergrabung des Bolschewismus von innen«. Es sei »sonderbar, welche Illusionen sich Deutsche über die Möglichkeiten und den guten Willen des Westens« machten, »eine Wiedervereinigung Deutschlands von Rußland erzwingen zu können«.992 Entgegen der später ein wenig gebetsmühlenartig wiederholten Klage Rauschnings, seine Bücher würden in Deutschland unter dem Einfluss der Adenauer-Regierung totgeschwiegen, sah sich Deutschland zwischen West und Ost durchaus durch manche Besprechung gewürdigt.993 Eine ausführliche Rezension stammte von dem Revolutionsund Kommunismusexperten Ernest J. Salter und erschien in der damals vom CIA mitfinanzierten Zeitschrift Der Monat.994 In seiner Besprechung stellte Salter Rauschning zunächst als »klugen, ja scharfsinnigen Mann« vor, der »mit Überlegenheit und Leidenschaft die Stationen unserer Zeit« untersuche. Gegenstand des vorliegenden Buches sei die »Europäische Revolution«, ein Thema, das der Autor immer wieder variiere und zu dem er immer wieder zurückkomme. Diese Revolution sei »deutsch« und das vorliegende Buch »mutatis mutandis ihr ›Kommunistisches Manifest‹«. Kritik übte Salter vor allem an der allgemeinen Abgedroschenheit des Revolutionsbegriffs; auch Rauschning gelinge es nicht, seine »Europäische Revolution« klar zu definieren. Bei »näherer Untersuchung« ergebe sich, so Salter, dass Rauschning »der Vertreter eines idealen Nationalsozialismus« sei. Es gehöre »nicht viel Psychologie dazu, um das Verhältnis des Autors zu Hitler und dem Nationalsozialismus als das einer vorzüglichen Haß-Liebe-Beziehung zu begreifen«. Nehme man »alle Epitheta, mit denen Hitler« in dem Werk belegt werde (»plattfüßiger Sonntagnachmittags-­ Aushilfskellner«, »Schievelbeinscher Traumtänzer«, »braunstiefeliger Wotan der Vielzuvielen«, »Lumpenprolet«, »tollwütiger Hund«, »Heulboje des deutschen Nebelmeers« u. a.), so habe man das hinreichende Material 356

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zu dieser Behauptung. Die »ambivalente Haltung des Autors« dränge zu dem Schluss, »daß Hitler nach seiner Ansicht eben die großartige Konzeption der idealen europäischen Revolution schmählich und barbarisch vertan habe«. Salter schloss seine Rezension mit allgemeinen Betrachtungen über den Sowjetkommunismus und gelangte dabei zu folgender europapolitischen Pointe: »Der sowjetische Totalitarismus war notwendig, um Europa als Einheit auf den Plan zu rufen und die große Bewegung zur Vereinheitlichung des Kontinents zu schaffen.« Und unter Bezugnahme auf Rauschnings Buchtitel hieß es schließlich: »Deutschland steht nicht mehr zwischen West und Ost. Es handelt sich nicht um politische Geographie. Es handelt sich auch nicht um eine ›Europäische Revolution‹, sondern um eine Weltrenaissance, die von Washington bis Berlin, aber auch bis Warschau, Prag, Budapest und Bukarest reicht.«995 Im Jahre 1950 gelang Hermann Rauschning ein publizistischer Coup, von dem er interessanterweise kaum jemals etwas mitgeteilt hat – im Gegensatz zu vielen anderen seiner Veröffentlichungen. Für Collier’s Encyclopedia, der neben der Encyclopedia Americana und der Encyclopædia Britannica nach eigenen Angaben bedeutendsten Sammlung des »für die Menschheit bedeutendsten Wissens«, durfte er den Artikel über »National Socialism« beisteuern.996 Auf fünf großformatigen Seiten, ergänzt um ein Foto vom »Reichskabinett anlässlich einer Reichstagssitzung von 1938«, beschrieb Rauschning für eine vorwiegend amerikanische Leserschaft die ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus, die Bedingungen für seinen Aufstieg, das Parteiprogramm, die Rassenideologie, die Durchsetzung der Diktatur sowie die Rolle Adolf Hitlers, »eines Österreichers von Geburt«. Zwei Aspekte der Ausführungen Rauschnings fallen dabei besonders ins Auge: Zum einen die gleich zu Beginn apodiktisch getroffene Feststellung, »als Sammlung von Ideen (set of ideas)« sei der Nationalsozialismus »ein österreichisches Produkt«. Als Belege nennt Rauschning die Vorläuferorganisation der NSDAP, die, wie er schreibt, aus der »Deutschen Arbeiterpartei« von 1903 hervorgegangene »Deutsche Nationalsozialistische Partei Österreichs« von »1913« – sachlich richtig hätte es heißen müssen »Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei« Österreichs von »1918« –, die »großdeutschen Aspirationen Georg von Schönerers« sowie den Antisemitismus des »populären Wiener Bürgermeisters Karl Lueger«. Zum anderen endet der Beitrag – vielleicht vom Autor der Gespräche mit Hitler wenig überraschend – mit einem starken Hitlerismus. Das »Muster eines wahren nationalsozialistischen Staates Rückkehr in die Alte Welt?

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wurde nie erreicht«, schrieb Rauschning – auch hier mochte man wieder die bekannte Klage über ein eigentlich gutes, jedoch missbrauchtes Konzept heraushören. Vor allem, wenn der Autor fortfährt: »Die Wirklichkeit war die Tyrannei einer einzelnen Person, besessen von irrationalen Impulsen, unzugänglich für jegliche Kritik. Statt ein rational organisierter Staat zu werden … wurde der deutsche Staat ein Faustpfand, ein Verwaltungsinstrument im Griff eines unverantwortlichen Tyrannen und seiner Satrapen.«997 Ein weiteres Werk Rauschnings über »Neutralität in unserer Zeit« fand damals nicht den Weg in die Veröffentlichung. In einem ihm in Abschrift zugänglich gemachten Schreiben des Stuttgarter Kohlhammer Verlages, wo sein Erscheinen vorgesehen war, an den Europa Verlag in Zürich hieß es, dass »Rauschning zu der offiziellen amerikanischen Außenpolitik im scharfen Gegensatz stehe, und daß seine Thesen auch von dem amerikanischen Hohen Kommissar hier in Deutschland, wie wahrscheinlich auch von der Bundesregierung, nicht gebilligt werden. Alles dies würde aber gegen das Buch nichts sagen …« Schwerer gegen eine Veröffentlichung wiege aber der Umstand, dass das neue Buch inhaltlich dem Vorgänger Deutschland zwischen West und Ost sehr ähnele. Und schließlich: »Das Sortiment steht auf dem Standpunkt, daß Rauschning in letzter Zeit zu viel geschrieben habe und daß man ihn zur Zeit nicht mehr lesen könne und wolle. Die Absatzfrage für das neue Buch müßte also außerordentlich skeptisch beurteilt werden.«998 Gegenüber Rudolph S. Joseph verkürzte Rauschning die Aussicht auf die Nichtveröffentlichung auf seine Weise: Kohlhammer wolle »Neutralität in unserer Zeit« deshalb nicht edieren, weil es bei deutschen Stellen wie auch bei den »westlichen Besatzungsmächte(n) erhebliche Kritik« finden werde und »der Absatz unter diesen Umständen nur sehr zögernd wäre«. Kein Wort über Kohlhammers Bedenken wegen einer möglichen Martksättigung durch Rauschnings Schriften. Stattdessen die Bemerkung Rauschnings, Hitler habe Bücher »öffentlich verbrannt. Was heute geschieht in der Unterdrückung unbequemer Meinungen ist nicht weniger wirksam, wenn auch nicht so spektakulär.«999 Ob aus finanziellen Gründen oder aus politischer Überzeugung oder aus einer Mischung beider Motive: Noch einmal bemühte sich Rauschning um eine Neuausgabe seiner Gespräche mit Hitler in der Bundesrepublik. Die Wege dazu ebnen sollte dieses Mal Johannes Maier-Hultschin, dem gegenüber er in einem Schreiben die zu ihm an den Pazifik vorgedrungende Nachricht beklagte, dass in der Bundesrepublik soeben Hitlers 358

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Tischgespräche erscheinen konnten.1000 Auch bei dieser Gelegenheit findet sich wieder der bekannte Umgang mit dem Nationalsozialismus. Denn: Von befugten Persönlichkeiten in der Bundesrepublik müsse diesem Buch entgegengetreten werden, »die den ganzen schauerlichen Betrug Hitlers und seiner Konsorten an« jenen Parteigenossen darstellen sollten, die nach einer neuen Lösung der politischen und sozialen Probleme Deutschlands ernsthaft strebten, – alle die Leute, die an eine Art »Konservativer Revolution« (im Sinne Hugo von Hofmannsthals) glaubten … Oder die Leute, die an eine echte »Korporative Ordnung« glauben, wie sie sowohl durch die unsterblichen beiden päpstlichen Enzykliken als Lösungsmöglichkeit zu einer neuen »Solidarität« empfohlen wurde, durch echte andere Bemühungen, etwa von Wichard von Moellendorff, Hans Brauweiler u. a. und schließlich und endlich auch ich.

Notwendig sei, so Rauschning weiter, eine historische Darstellung des Nationalsozialismus, die zwischen seinen angeblich wahren und positiven Wurzeln einerseits sowie »dem unerhörten, abgefeimten Mißbrauch durch die Hitlerclique« andrerseits unterscheide. »Eine Darstellung, die den Anhängerkreis der Nazis spaltet, anstatt die törichte Diffamierung von allem und jedem und die Rückkehr zu einem Weimarer Nachsommer, der heute wiederum den Radikalen unter den ehemaligen Nazis die Trümpfe in die Hände spielt.« In dem »eben skizzierten Sinne« wolle er für die neue Ausgabe der Gespräche mit Hitler eine Einleitung schreiben, die zu zeigen versuche, warum Hitler nicht nur der »furchtbarste Schänder der Deutschen war, sondern auch die größten Chancen, die das deutsche Volk jemals in der Geschichte gehabt hat, auf das Dümmste und Verbrecherischste verspielt hat«. Man müsse Hitler »und seiner Clique die Masken des Nationalheros, die er scheinbar immer noch trägt, abreißen und das darf nicht einer tun, der ein Linkssozialist, ein Liberaler, ein Jude ist, sondern einer, der selbst Nationalsozialist war.«1001 Rauschning warf in dem Schreiben an Maier-Hultschin auch einen kurzen Blick zurück in seine Zeit als Danziger Senatspräsident. Anlass dafür waren offenbar Äußerungen Maier-Hultschins zur nationalsozialistischen Volksgruppenarbeit insbesondere in Polen. Er, Rauschning, teile dessen »Urteil voll und ganz«. Seinerzeit habe er als Senatspräsident versucht, wo ich konnte und vielfach ohne Wissen der Beteiligten bei der nationalsozialistischen Zentrale f u e r (Sperrung im Original, A. H.) die alten erfahrenen Führer der deutRückkehr in die Alte Welt?

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schen Volksgruppe zu plädieren, so bei Heß, so bei dem schauerlichen Mythos des 20. Jahrhundert-Mann (gemeint ist A. Rosenberg, A. H.) und anderen. Der Wettlauf um die Posten, die Korruption und der Mißbrauch der in zähem Ringen aufgebauten Organen (sic) der Selbstverwaltung der Minderheit

seien genauso, wie Maier-Hultschin sie beschrieben habe. Jedoch: »Nur einem Umstand scheinen Sie mir dabei nicht genügend Rechnung zu tragen«, schrieb Rauschning. Das sei der wohlüberlegte und durchdachte Plan Hitlers und seiner Leute, mit der Kontrolle über die deutschen Volksgruppen »Organe der Zersetzung, 5. Kolonnen für seinen von Anfang an geplanten Überfall auf Polen in die Hand zu bekommen. Für Hitler und einen Teil seiner Leute war das deutsche Grenz- und Auslandsdeutschtum nur ein Machtinstrument.« Maier-Hultschins Eindruck aus der Perspektive des »Grenzlanddeutschtums« sei richtig: »Korruption, Feigheit, brutaler Kampf um die Posten – von den machtpolitischen Zielen des Nationalsozialismus aus gesehen war es eine wohlüberlegte Maßnahme im Rahmen des ins Auge gefaßten politischen Umsturzes in Europa.« Der Brief an Maier-Hultschin enthielt auch eine etwas ausführlichere Skizze der politischen Vorstellungen Rauschnings in der frühen Nachkriegszeit. Anscheinend hatte Maier-Hultschin in einem vorherigen, nicht mehr erhaltenen Schreiben an Rauschning diesen um entsprechende Darlegungen gebeten. »Damit bin ich bei Ihrer eigentlichen Frage«, begann Rauschning seine Attacke auf die Adenauer’sche Politik der Westbindung, die er »für völlig verfehlt« halte. Deutschland agiere viel zu unterwürfig gegenüber den Westmächten, diese bräuchten schließlich die Bundesrepublik, die gefälligst Forderungen stellen solle für die »Einwilligung in die Remilitarisierung«. Er, Rauschning, stimme mit Maier-Hultschin darin überein, dass die »elementare Voraussetzung für einen deutschen Wehrbeitrag die volle Rückgabe der Ostgebiete« sein müsse. Allerdings sei von Zusicherungen der Westmächte nicht viel zu halten, wie man an der Preisgabe Polens, der Tschechoslowakei und »vor allem Chinas« unschwer erkennen könne. Rauschning hob in dem Brief hervor, dass nach seiner Auffassung eine »qualifizierte Minderheit« in den USA »die volle Vernichtung Deutschlands noch nicht von ihrer Agenda gelöscht« habe. Diese Minderheit sehe im kommenden »West/Ost-Krieg« die Chance, Deutschland gleichsam nebenher erledigen zu können. »Daher« stecke, so Rauschning, »hinter der heutigen Politik der Werbung um Westdeutschland ein großes Stück ›political seduction‹ (politische Verführung, A. H.), 360

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um ein Lieblingswort von Vansittart zu gebrauchen, die von den ahnungslosen Gemütern in Bonn nicht gesehen wird.« Rauschning forderte die Bundesregierung auf, eine politische Lösung zu suchen und diese zum »Fundament einer eigenen Willensbildung« zu machen. Hier sehe er für sich persönlich einen Ansatzpunkt für eine eigene politische Konzeption, die er in diesem Brief jedoch nicht erläutern wolle. Für Deutschland erkannte er für den Fall, dass es den Westmächten gelingen sollte, die osteuropäischen Staaten auf friedlichem Wege der Sowjetunion zu entreißen, eine düstere Zukunft. Das Schicksal Deutschlands werde »abermals eine neue Demütigung und Zurücksetzung sein, so wie es bereits heute mit Abstand ungleich schlechter behandelt« werde als Japan. Deutschland, so Rauschning weiter, solle keine Politik für »morgen oder übermorgen« machen, sondern sich auf in der Ferne liegende »neue Entwicklungen« einstellen. Pessimistisch beurteilte er den Zustand der USA, wo nicht nur der »Acker der Erosion« unterliege, sondern wo sich die ganze Zivilisation zersetze. »Vergessen wir nicht«, schrieb er, daß diese Staatsschöpfung auf der flachsten philosophischen Grundlage aufgebaut ist, die in der abendländischen Geschichte zutage getreten ist, auf der Aufklärung, dem Rationalismus, der angeblichen Autonomie der Menschen, auf dem »Recht auf Glück«. Was in einer christlichen Gesellschaft immer nur Mittel des Lebens ist, ist hier Sinn und Ziel. Nach der ungeheuren Kraftanstrengung dieser kommenden dritten Auseinandersetzung – ob blutig oder unblutig – wird mit dem äußeren Siege des Westens eine politische und moralische Erschlaffung eintreten, die sehr bald zu ganz neuen Konstellationen auch in der Politik führen muß. Die Vereinigten Staaten werden noch weniger als nach dem ersten und zweiten Weltkrieg imstande sein, die politische Frucht ihres Sieges zu genießen.

In diesem Zukunftsszenario sah Rauschning für Deutschland einen Platz in der allmählich entstehenden »großen mittleren Weltzone«, die »weder zum Westen noch zum Osten« gehöre. Mitglieder dieser Zone und künftige Partner Deutschlands seien »Kleinasien, Indien, die Philippinen, Indonesien, China und Japan«. Deutschland müsse sich auf ein »universales Rechtsprinzip« stützen und ablassen von taktischen Manövern und dem »Einhandeln von kleinen Vorteilen«, wie es »die heutige Bundesregierung« praktiziere. Nicht die »Massen« seien es, die »heute für das Versagen in Deutschland« verantwortlich seien, sondern das Fehlen einer »geschichtsbefugten stellvertretenden Schicht«, einer »Elite« eben, sei daran schuld. Rückkehr in die Alte Welt?

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Diese Elite dürfe aber nicht nach dem »Hitlerschen Ausleseverfahren« entstehen, sondern müsse durch »Leistungen und Opfer geadelt« sein. Der Brief endete mit Rauschnings Ausdruck des Bedauerns darüber, dass ihm die Mittel fehlten, um nach Deutschland zurückkehren zu können.1002 Der Herausgeber der Zeitschrift für Geopolitik, Karl-Heinz Pfeffer, veröffentlichte im Jahre 1951, wie oben bereits erwähnt, unter dem Pseudonym Balticus einen Artikel in diesem Organ unter dem Titel »Zum Danziger Problem«, in den er einen Brief Rauschnings an einen unbekannten ehemaligen mennonitischen Nachbarn aus dem Danziger Werder einarbeitete. Aus seinem Exil in Oregon nahm Rauschning in dem Brief insbesondere Stellung zur Lage Danzigs im Nachkriegseuropa. Rauschning warnte hier erneut eindringlich vor einem dritten Weltkrieg, dessen Preis zuallererst die Deutschen zu zahlen hätten. Und weiter ausholend führte Rauschning aus: Eine Chance für die deutschen Ostflüchtlinge besteht nur in der Bildung einer europäischen Föderation, in der das Bekenntnis zu einer bestimmten Nationalität so zur Privatsache wird, wie es das religiöse Bekenntnis ist oder sein sollte. In einem europäischen Gemeinwesen müßte Freizügigkeit und freies Niederlassungsrecht Grundgesetz werden. Alsdann können die Vertriebenen als Privatpersonen hier in Gestalt privater Siedlungsgenossenschaften wieder zurück und im Osten das zerstörte und unbebaute Land … wieder kultivieren. In diesem Sinn, in einem allein noch fortschrittlichen Sinne, können wir hoffen, wieder in unsere Heimat zurückzukehren. Aber ein allein und ausschließlich deutsches Danzig oder deutsches Ostpreußen … wird meiner Meinung nach nicht wieder herzustellen sein. In dem skizzierten Sinne versuche ich mit Wort und Schrift zu wirken.1003

Pfeffer stellte Rauschning seinen Lesern als »aktiven Gegner des späten Nationalsozialismus« vor und nutzte die Gelegenheit dieses Artikels, ihn als außerordentlich kenntnisreichen und fähigen Experten für osteuropäische Fragen zu charakterisieren, dessen Expertise im fernen Nordwesten Amerikas bedauerlicherweise brachliege. Und mit Blick auf die Situation Europas im Kalten Krieg insinuierte Pfeffer, dass die Verschwendung der Talente Rauschnings auf »Farmerversammlungen in Gaston/Oregon« dem »Kreml« sicher genehmer sei als die Teilnahme Rauschnings auf der europäischen politischen »Plattform«. »Ob man nicht«, so Pfeffer zum Schluss rhetorisch, »Moskau einen Dienst tut, wenn man Rauschning weiter von Europa fernhält?«1004 362

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Rauschning hatte von dem Beitrag Pfeffers über seinen alten Bekannten Werner Otto von Hentig Kenntnis erhalten. Von Hentig stimmte in einem Brief an Rauschning vom 21. Oktober 1951 mit Pfeffer darin überein, dass Rauschning in die Bundesrepublik gehöre. »Ohne Sie zu fragen«, hieß es in dem Schreiben an Rauschning, – und das wird Ihnen ja in keinem Fall etwas schaden – darf ich Bonn, das ja noch immer verzweifelt nach einem Außenminister sucht und weder ihn noch einen Staatssekretär finden kann, vorschlagen, Sie, nur um Ihren Namen in die engere Wahl zu werfen, zum Leiter der Ostabteilung zu berufen. Die Verlegenheit ist so groß, daß man Sie, wenn schon Brüning nicht in Frage kommt, eigentlich für den Außenminister vorschlagen müßte. … Jedenfalls wären Sie mein Kandidat dafür.1005

Abschließend setzte von Hentig Rauschning noch darüber in Kenntnis, dass er demnächst »nach Indonesien gehen« solle. In seiner Antwort an von Hentig vom 17. November lehnte Rauschning das Ansinnen von Hentigs ab, ihn in Bonn ins Gespräch bringen zu wollen. Das Argument lautete, dass er, Rauschning, Emigrant sei und »in den schwersten Stunden unseres Landes n i c h t an seiner Seite, sondern auf der anderen« stand. Allenfalls kämen seiner Auffassung nach für Emigranten Positionen »im Hintergrund« in Betracht, »wo nüchterne, sachliche Arbeit geleistet wird«.1006 Man wird sich dieses Standpunktes Rauschnings noch erinnern. In einem Brief an Pfeffer dankte Rauschning »Balticus« zunächst »aufrichtig und wärmstens« für die »Würdigung« seiner Persönlichkeit, um anschließend die oben erwähnte einleitende Bemerkung Pfeffers in dem Aufsatz über seine Autorschaft an den Gesprächen mit Hitler ausführlich richtigzustellen. Am Schluss seines Briefes setzte sich Rauschning auf noble Weise für von Hentig ein. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass von Hentig »für einen Gesandtenposten in Indonesien« vorgesehen sei. Angesichts der außerordentlichen Fähigkeiten dieses Diplomaten schon »vor der Machtübernahme« und seiner Querelen im Auswärtigen Amt unter von Neurath und von Bülow sollte von Hentig lieber Verwendung als »berufener permanenter Staatssekretär eines neuen Auswärtigen Amtes« in Bonn finden. »Es wäre ein Unglück«, so Rauschning weiter, wenn statt von Hentigs »irgendein Parteigenosse oder (eine) antlitzlose bloße Beamtenfigur« in diese Position käme. Ob Pfeffer nicht auf von Hentig »hinweisen« könne? Das scheine ihm, Rauschning, »wichtiger zu sein, als der freundliche Hinweis auf mich«.1007 Rückkehr in die Alte Welt?

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Aufrichtige Gesinnung und fragwürdige Publikationsorte In den Vereinigten Staaten vollzog sich 1953 mit dem Ende der demokratischen Truman-Administration und der Regierungsübernahme durch die Republikaner unter Eisenhower eine Akzentverschiebung in der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten. Unter Federführung von John Foster Dulles (Rauschning: »dull, duller, Dulles«1008) verließ die neue amerikanische Regierung den bisherigen Kurs der Eindämmung des sowjetischen Expansionsstrebens und verschärfte ihn unter dem Schlagwort der »liberation«, der Befreiung der Völker, die im Machtbereich der Sowjetunion lebten. Das war, so der Historiker Heinrich August Winkler, ein »deutlich offensiveres Konzept als die ›Eindämmung‹«. Insbesondere die »Enttabuisierung« des Gebrauchs von Atomwaffen ließ international aufhorchen: Hatte Truman noch im Koreakrieg den Einsatz solcher Waffen strikt abgelehnt, forderte Eisenhower gegen Ende dieses Krieges seine militärischen Berater zu einem »Nachdenken« über die Verwendung strategischer sowie taktischer Atomwaffen auf.1009 Mitten hinein in diese Neujustierung der amerikanischen Strategie im Kalten Krieg fiel die Veröffentlichung eines neuen Buches von Hermann Rauschning mit dem Titel Ist Friede noch möglich?, das im Heidelberger Vowinckel Verlag erschien.1010 Auf gut 330 Seiten leuchtete der Verfasser darin das Spannungsverhältnis zwischen Macht und Machtmissbrauch im atomaren Zeitalter aus. »Nicht durch überwältigende Macht« sei »der Friede zu gründen, sondern durch Selbstbegrenzung der Macht«. Friede erwachse »nicht aus einer Überlegenheit von Siegern, sondern aus Verzicht und Opfer beider, Sieger wie Besiegter, zu Gunsten gemeinsamer verbindender Aufgaben«, schrieb Rauschning Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Buches in einer knappen Inhaltsangabe.1011 Unschwer war das Werk als herbe Kritik an dem zunehmenden Konfrontationskurs der republikanischen Regierung in Washington zu verstehen. Und so dauerte es auch nicht lange, bis Rauschning abermals Klage darüber führen konnte, im politisch-gesellschaftlichen Abseits zu stehen. Erstmals findet sich in der Korrespondenz Rauschnings des Jahres 1953 auch ein Muster, das bezeichnend werden sollte für die Begründung der Wahl seiner Publikationsorte jetzt und in der Zukunft. Gegenüber Rudolph S. Joseph nannte er den Heidelberger Verlag von Klaus Vowin364

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ckel »faschistisch« – der »Verlag, der auch die Zeitschrift für Geopolitik herausgab«, wie er schrieb –, andere Verlage wie Kohlhammer und der Europa Verlag sowie einige weitere hätten jedoch eine Veröffentlichung abgelehnt. Ein »begeisterter Leser« seines vorherigen Buches Deutschland zwischen West und Ost, der Offenbacher Lederwarenfabrikant Heinrich Krumm (»Goldpfeil«), habe ihm Vowinckel als Verleger empfohlen.1012 Wie im Falle der Wahl des Vowinckel Verlages war es Rauschning auch bei späteren Gelegenheiten letztlich gleichgültig, welche politische Ausrichtung ein Verlag besaß und welcher Ruf einem Veröffentlichungsort vorauseilte – Hauptsache, er konnte seine Überzeugungen einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen. Sein neuestes Werk Ist Friede noch möglich? bezeichnete Rauschning in dem Brief an Joseph als »leidiges Buch«, das eine Reihe von Bekannten aufs Empfindlichste gegen ihn aufgebracht habe. Er könne nur wählen »zwischen Faschist, Neonationalist, Kommunist oder Idiot und Visionär, Appeaser und Moskauhöriger. Einer der wenigen, der mir freundlichst zustimmt, war Thomas Mann«, schrieb er.1013 Unter dem Datum des 7. Januar 1953 hatte Rauschning Thomas Mann sein Buch zukommen lassen. In einem Begleitbrief notierte er: »Ich glaube auch Ihren Gedankenbahnen zu folgen, wenn ich in der gewaltsamen Vernichtung des Sowjetsystems nicht das Heilmittel sehe.« Und ein wenig sibyllinisch fuhr er fort: »Es hat mich, der ich gewiß als Konservativer und Gegner des Marxismus begann, eine schwere Entwicklung gekostet, zu der Erkenntnis zu kommen, der Sie schon in jener Pariser Besprechung am Vorabend Ihrer Fahrt nach Amerika Worte gaben.«1014 Welcher Art diese »Erkenntnis« war, lässt sich nicht näher feststellen. Allerdings fällt in der weiteren Korrespondenz Rauschnings mit anderen Persönlichkeiten während des Jahres 1953 auf, dass er sich offenbar unter erheblichem Druck des damals in den USA grassierenden McCarthyismus1015 fühlte und als Reaktion darauf die Sowjetunion in einem milderen Licht zu sehen begann. Merkwürdig nach Ton und Inhalt mutet der Beginn eines Briefes Rauschnings an Maier-Hultschin in Düsseldorf an, dem er ebenfalls sein neues Opus geschickt hatte. »Sie sollen das Buch nicht lesen«, hieß es dort. »Es war nur ein Zeichen, daß ich meinen alten Kampfgeist, von dem Sie mal freundlich sprachen, nicht verloren habe. Freilich stehe ich heute im anderen Lager, und erwarte von Ihnen nicht eine Würdigung. Aber ich hoffe, daß wir trotzdem persönlich Freunde bleiben und Sie mir Ihre Sympathie erhalten.«1016 Was Rauschning mit dem »anderen Lager« Aufrichtige Gesinnung und fragwürdige Publikationsorte 

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meinte, wird aus der Korrespondenz mit Maier-Hultschin nicht deutlich. Vermutlich spielte er auf die Entscheidung Maier-Hultschins für eine Karriere in der nordrhein-westfälischen CDU an, die damals wiederum eindeutig den bundespolitischen Kurs Konrad Adenauers unterstützte, dem Rauschning je länger je mehr kritisch gegenüberstand. Dafür, dass mit dem ›anderen Lager‹ die sowjetische Seite gemeint sein könnte, findet sich nirgends ein Beleg. Maier-Hultschin hatte Rauschning um eine Ausarbeitung über eine künftige deutsche Ostpolitik gebeten. Ohne den McCarthyismus direkt beim Namen zu nennen, erteilte Rauschning Maier-Hultschin eine Absage mit den Worten: »Das politische Klima hierzulande ist heute ein solches, daß mir eine derartige Betätigung in Verbindung mit der offiziellen Stelle eines anderen Staates als ein illoyaler, als ein ›un-American‹-Akt zur Last gelegt werden könnte. Wenn ich in Deutschland deutscher Staatsbürger wäre, würde ich Ihnen gerne ein Programm skizzieren.«1017 Gegenüber dem früheren Reichskanzler Heinrich Brüning, dem er ebenfalls sein jüngstes Werk übermittelt hatte, beklagte Rauschning erneut die persönliche und politische Isolation, in welche ihn diese Schrift gebracht habe. Allein die »Angst um den endgültigen Untergang Deutschlands« habe ihn bewogen, das Buch zu schreiben, im Übrigen sei er »weder Neofaschist noch Kommunist«.1018 In seiner Antwort vom 19. Februar 1953 versicherte Brüning Rauschning »der gleichen Hochschätzung wie früher« und sagte ihm zu, das übersandte Werk bei nächster Gelegenheit zu lesen. Auch er mache sich sehr große Sorgen »um die Entwicklung«; vergeblich seien mahnende Briefe an Freunde in der Politik. »Hier im Westen« – Brüning war zu jener Zeit Hochschullehrer in Köln – gebe es »kein Staatsgefühl mehr und ähnlich ist es mit dem Nationalgefühl«. Man nehme alles an, was von den Westmächten komme, insbesondere auch das, was die Franzosen forderten. »Diejenigen, die einen anderen Weg gehen wollen, werden ostraziert.« Brüning bezweifelte in diesem Brief jedoch, ob »ein sehr viel anderer Weg jetzt noch möglich« sei, die Haltung der Russen habe sich sehr »versteift«. In ihrer Besatzungszone bevorzugten die Russen »frühere Nazis«, denen »ja zum Teil nichts anderes übrig bleibt, da sie sonst nirgendwo eine Stellung bekommen können«.1019

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Kassandra in der Fremde

VERSUCH EINES COMEBACKS IN DER BUNDESREPUBLIK

Gegen Ende des Jahres 1953 begann sich eine Wende im Leben Hermann Rauschnings abzuzeichnen. Von dem ehemaligen pommerschen Gutsbesitzer, DNVP-Politiker und Hitlergegner Hansjoachim von Rohr1020 sei er »aufgefordert« worden, in die Bundesrepublik »herüber zu kommen«, schrieb Rauschning am 11. November 1953 an Maier-Hultschin.1021 Von Rohr habe die »Reisespesen … bereits zusammen«, Maier-Hultschin möge doch bei der Transferierung des Geldes »mit Rat oder Tat behilflich« sein. Rauschning machte aber auch deutlich, dass sein Betätigungsgebiet in der Bundesrepublik »ein Feld außenpolitischer Art« sein sollte; mit Sorge sehe er dort einen Kurs eingeschlagen, »der mit Sicherheit zum dauernden Verlust des Ostens oder gar schlimmeren Folgen« führen werde. Er verfüge »inzwischen über Kenntnisse«, die nur »den wenigsten in der Bundesrepublik zu Gebote« stünden. Andrerseits wolle er sich auch »nicht wie sauer Bier anpreisen«, ferner kenne er »den Hexenkessel drüben nicht«.1022

Fürsprache bei Bundespräsident Theodor Heuss Fast zeitgleich, nämlich unter dem Datum des 19. November 1953, unternahm Friedrich Swart, der ehemalige Vorsitzende des deutschen Genossenschaftswesens im Vorkriegspolen, einen Vorstoß zu Gunsten Rauschnings bei Bundespräsident Theodor Heuss.1023 Äußerer Anlass für das Schreiben Swarts aus seiner Heimat Ostfriesland an Heuss war sein Dank für die Verleihung des Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland wegen seiner Arbeit für das Genossenschaftswesen. Erst gegen Ende seines ausführlichen Briefes, in dem er versuchte, BerührungsFürsprache bei Bundespräsident Theodor Heuss

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punkte zwischen seinem eigenen akademischen Werdegang und jenem des Bundespräsidenten herauszustellen, kam Swart auf Rauschning zu sprechen. Er, Swart, sei es gewesen, der seinerzeit Rauschning nach dem Ersten Weltkrieg davon abgehalten habe, nach Berlin zu gehen, und ihn überzeugt habe, stattdessen das deutsche Büchereiwesen in Posen-Pommerellen aufzubauen. Swart skizzierte den Lebensweg Rauschnings seit dessen Danziger Tagen einschließlich seines Bruchs mit Hitler und der gegen Hitler gewandten Schriften – all das werde ihm, Bundespräsident Heuss, »im Umriß bekannt sein«, vermutete Swart. Swart erwähnte ferner einen Besuch seiner Tochter auf Rauschnings Farm in Oregon vor nicht allzu langer Zeit – ein möglicher Hinweis darauf, dass der Vorstoß Swarts bei Heuss im Gespräch Rauschnings mit Swarts Tochter eingefädelt worden sein könnte. Schriftliches über einen Kontakt Swarts mit Rauschning findet sich im Nachlass Rauschnings nicht. Swart hob in dem Brief noch hervor, dass Rauschnings Beurteilung der Bundesrepublik »um den Wunsch nach Selbständigkeit zwischen Ost und West« kreise. Man müsse, so Swart, »die Zwangsläufigkeit der Adenauerschen Politik von Deutschland aus kennenlernen, um dies Urteil überprüfen zu können«. Und endlich: Er bat den Bundespräsidenten zu überlegen, ob man Rauschning und seiner Frau, »die ebenfalls aus einer angesehenen Thorner Familie« stamme, nicht einen »längeren Deutschlandaufenthalt« anbieten könne, bei dem »er ja selbst die Frage einer Rückkehr prüfen könnte«.1024 In seiner Antwort vom 24. November 1953 suchte der Bundespräsident zunächst den Umfang des gemeinsamen akademischen Werdegangs mit Swart höflich zu minimieren – »In unserem eigenen wissenschaftlichen Weg scheiden sich ja bei uns nun die Temperamente« –, um abschließend die Angelegenheit Rauschning ebenso verbindlich aus seinem Zuständigkeitsbereich abzuschieben. Ihm stehe zwar ein jährlicher Fonds von 60.000 DM zur Verfügung, so Heuss, der jedoch in Kleinbeträgen »für individuelle soziale Notstände« zu verwenden sei. »Von der finanziellen Seite« habe er »qua Amt keine Möglichkeit«, Swarts »Anregung zu entsprechen«, aber er habe veranlasst, »daß sie einmal mit dem Auswärtigen Amt besprochen« werde.1025 Das Bundespräsidialamt machte Swart am 1. Dezember 1953 durch Oberregierungsrat Wilhelm G. von Heyden den Vorschlag, über dessen Tochter Rauschning fragen zu lassen, ob er Interesse an einer Studienreise nach Deutschland habe: »Die Frage könnte ja in die Form gekleidet werden, daß Ihre Frau Tochter von Studienreisen nach Deutschland gehört habe und eine Möglichkeit sehe, ihn dafür in Vorschlag zu bringen.« Erst 368

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nach Klärung dieser Frage, so von Heyden, wolle man an das Auswärtige Amt herantreten, »das die Studienreisen« finanziere. In jedem Fall aber seien »die Möglichkeiten sehr begrenzt«.1026 Offensichtlich wirkten im Hintergrund bei den Vorbereitungen einer Reise Rauschnings nach Deutschland die beiden Agrarlobbyisten Hansjoachim von Rohr und Friedrich Swart zusammen, die sich vermutlich aus ihrer landwirtschaftlichen Arbeit in Ostdeutschland bzw. Polen in der Vorkriegszeit kannten. Jedenfalls bestätigte von Heyden gegenüber Swart in einem Schreiben vom 10. Dezember 1953, dass von Rohr ihn »auf Ihre Anregung« hin angerufen und mitgeteilt habe, dass er, von Rohr, »die Mittel zusammengebracht« habe, um die »Überfahrt« Rauschnings »und etwa 2 Monate Aufenthalt hier zu finanzieren«. Er habe von Rohr gebeten, »seine Pläne« weiterzuführen. Wenn Rauschning erst einmal in Deutschland angekommen sei, solle er selbst entscheiden, ob er länger bleiben und sich eventuell um »Gastvorlesungen an einer Universität« bemühen wolle. Das Bundespräsidialamt sei bereit, »ihn dabei mit Fürsprache zu unterstützen«. Swart möge ihm mitteilen, welche Wünsche Rauschning äußere.1027 Ebenfalls am 10. Dezember bat von Heyden den Kulturreferenten der »Diplomatischen Vertretung« der Bundesrepublik Deutschland in Washington, Bruno E. Werner, um eine Antwort auf die Frage, ob man von dort aus die Pläne Rauschnings zu unterstützen gedenke, denn »Sie haben eine bessere Übersicht über die Gruppen von Menschen, die wir im deutschen Interesse einladen wollen«. Vielleicht empfehle es sich sogar, von Washington aus direkt Kontakt mit Rauschning aufzunehmen.1028 Rauschning scheint über die Kooperation Swarts mit von Rohr wegen seiner Deutschlandreise nichts gewusst zu haben, denn in einem Dankesbrief an Swart vom 14. Dezember 1953, der in Abschrift in den Akten des Bundespräsidialamtes liegt, schrieb er: »Selbstverständlich würde ich eine Einladung (seitens des Bundespräsidialamtes, A. H.) dankbar annehmen, weil sie mir ganz andere Möglichkeiten der Einsichtnahme in die deutschen Verhältnisse und persönliche Berührungen ermöglichen würde, als von Rohrs Einladung.« Knapp teilte er Swart noch mit, seine Frau werde nicht mitkommen und er plane einen Aufenthalt von einem halben Jahr. Er erwarte keineswegs die »ganze Zeit etwa Gast der Regierung zu sein«, vielmehr beabsichtige er, von ihm »noch zustehenden Honoraren« in Deutschland zu leben. Wenn ihm Hin- und Rückfahrt einschließlich der Reise »in den Staaten von der Westküste bis New York finanziert würde«, reiche dies aus. Ziel seiner Reise sei es, »mir wirkliche Kenntnis durch Augenschein Fürsprache bei Bundespräsident Theodor Heuss

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über die Lage der Ostflüchtlinge und allgemein über das geistige Klima und die sozialen Strömungen des deutschen Volkes zu verschaffen«.1029 Auch grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Hilfsbereitschaft von Rohrs und seiner agrarpolitischen Kreise in der Bundesrepublik hegte Rauschning. In einem Brief an Maier-Hultschin vom 11. Dezember 1953 bat er diesen »vertraulich« um Informationen darüber, ob es sich dabei um Leute mit »neuen deutschnationalen und ausgesprochen reaktionären oder gar faschistischen Tendenzen« handle. »Dann würde ich selbstverständlich die Einladung zurückweisen«, schrieb er. Seinen eigenen derzeitigen Standpunkt wolle er mit dem »französisch linken, revolutionären Katholizismus vergleichen«. Er habe die Erfahrung gemacht, dass ein »echter Konservatismus ebenso echten sozialen Reformbestrebungen näher« stehe als der »demokratische Sozialismus oder der nur durch einen dünnen religiösen Firnis verdeckte demokratische Liberalismus«. »Meine Ideen«, so Rauschning, »stehen heute denen des tragischen Wichard von Moellendorff mit seinem ›Konservativen Sozialismus‹ und denen des sozialen Katholizismus Ketteler–Franz Hitze etc. näher als andere.« Nun habe er in Erinnerung, dass von Rohr als ehemaliger »Pommerscher Landbundführer« vor dem Kriege »ähnliche soziale Gedanken« vertreten habe, und falls dies heute auch noch auf ihn zuträfe, seien es »politisch-soziale Tendenzen, die aus einem protestantisch-c h r i s t l i c h e n Boden gewachsen waren«. Möglicherweise auch mit Blick auf Maier-Hultschins Tätigkeit für den CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen hob Rauschning gegen Ende seines Schreibens hervor, dass sich seine »Kritik nicht gegen Adenauer noch gegen die USA« richte. Vielmehr zeige die »Denunziation als Feind« beider, »wie wenig die neuen Eckehardte der Demokratie in Deutschland das Wesen der Demokratie verstanden« hätten. Und weiter: »Ich bin kein Gegner des heutigen Regimes, gerade weil ich es kritisiere. Aber ich bin kein bloßer Ja-Sager und würde es auch für den Rest meiner Tage nicht sein.«1030

Ein kritisches Urteil mit Folgen Ende Dezember 1953 verdüsterten sich die Aussichten Rauschnings auf großzügige Unterstützung seiner Reisepläne. Hansjoachim von Rohr teilte von Heyden mit, er habe Rauschning bereits für den Februar 1954 für einen Vortrag vorgesehen. Da die Ausreiseregelung durch die amerikanischen 370

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

Behörden jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde, käme dieser Termin nicht mehr in Frage und folglich sei sein Interesse an Rauschning stark gesunken. Allerdings sei er nach wie vor bereit, die Reisekosten von Oregon nach New York sowie die Schiffspassage zu bezahlen. Von Heyden berichtete Swart dies in einem Schreiben vom 29. Dezember 1953. Darin führte er ferner aus, dass das Bundespräsidialamt dem »falschen Eindruck« entgegentreten wolle, es könne die »Reise Dr. Rauschnings« organisieren. Entsprechend sei auch Johannes Maier-Hultschin informiert worden, der »gleichfalls mit Dr. Rauschning wegen seiner Deutschlandreise« korrespondiere. Das Bundespräsidialamt könne allenfalls versuchen, »einen begrenzten Lehrauftrag oder ein Stipendium« zu vermitteln. Er, von Heyden, glaube, dass »dies möglich sein« werde, »weil ein Besuch von Rauschning hier von vielen Seiten begrüßt werden wird«. Da es trotzdem schwierig sein werde, »die Mittel für den Aufenthalt flüssig zu machen«, solle Rauschning durchaus das Angebot von Rohrs wegen der Überfahrt annehmen. Swart solle Rauschning fragen, welche Art der »Überbrückung« ihm vorschwebe, daraufhin könne das Bundespräsidialamt dem Auswärtigen Amt einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.1031 Mit einiger Sicherheit lässt sich nun der Zeitpunkt bestimmen, der Rauschnings Deutschlandaufenthalt von Anfang an in einem zwiespältigen Licht erscheinen lässt, überschattet von Misstrauen der westdeutschen Behörden gegenüber einem eigensinnigen und kritischen Beobachter der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik – einem Misstrauen, das im weiteren Verlauf nicht zuletzt von geheimdienstlicher Berichterstattung genährt wurde. Wo ihm dieses Misstrauen offen entgegentrat, keilte Rauschning zuweilen in einer Diktion zurück, die die Grenze der Zitierfähigkeit erreicht. Alles in allem sind die etwa zweijährigen Auseinandersetzungen, ja Fehden, zwischen dem Neutralnationalisten Rauschning und den verschiedenen Akteuren und Agenturen der Adenauer-Regierung auch ein Beleg dafür, dass die Geschichte der Bundesrepublik in den 1950er Jahren allenfalls an der Oberfläche eine solche der spießigen Behaglichkeit war, dass hingegen unter der Oberfläche mit harten Bandagen geführte Kämpfe zwischen Anhängern von Westbindung und Wiederbewaffnung einerseits und Befürwortern eines auf baldige Wiedervereinigung und Neutralität ausgerichteten Kurses der Bundesrepublik andrerseits tobten. Angeheizt wurden diese Auseinandersetzungen durch eine historisch einmalige Situation, in der ehemalige Nationalsozialisten und Wehrmachtsangehörige mit Persönlichkeiten des Widerstands und des Exils um den Ein kritisches Urteil mit Folgen

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politischen Kurs der Bundesrepublik rangen – dies zuvörderst auf parteipolitischem Feld, ferner aber auch mit Hilfe besonderer Organisationen sowie mittels einer unüberschaubaren Fülle von Druckerzeugnissen und einer Flut von Straf- und Zivilprozessen. Der wohl wegweisende frühe Schlag gegen Rauschning erfolgte durch ein als »vertraulich« klassifiziertes Schreiben des Kulturreferenten Werner von der »Diplomatischen Vertretung« der Bundesrepublik in Washington an Oberregierungsrat von Heyden im Bundespräsidialamt mit Datum vom 21. Januar 1954,1032 keine drei Wochen vor der Abreise Rauschnings nach Deutschland.1033 Werner teilte von Heyden in dem Brief mit, dass er ihm »auf Grund unterdessen eingezogener Erkundigungen« mitteilen müsse, dass »Herr Rauschning in seinem neuen Buch ›Ist Friede noch möglich?‹ sich in besonders scharfer, ja vernichtender Weise über die vertraglichen Abmachungen zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten äußert. Wenn Ihnen das Buch zugänglich ist«, so Werner weiter, »würde ich empfehlen die Seiten 321 ff. einmal zu lesen, wobei Sie wahrscheinlich auch den Eindruck gewinnen werden, daß hier die Außenpolitik der Bundesregierung eine sehr heftige Ablehnung erfährt.«1034 Eine Lektüre der fraglichen Passagen in Rauschnings Buch lässt zwar eine grundsätzlich kritische Einstellung des Autors zum »Deutschlandvertrag« erkennen; an welcher Stelle jedoch Rauschnings Urteil »vernichtend« ausgefallen sein soll, erschließt sich nicht eindeutig. Werner sprach Rauschning in seinem Brief zwar nicht das Recht auf seine eigene Meinung ab, er gab aber von Heyden deutlich zu verstehen, dass eine finanzielle Unterstützung »von Seiten der Regierung« nicht angebracht sei. In jedem Fall müsse das Auswärtige Amt durch die »Diplomatische Vertretung« über die Position Rauschnings in Kenntnis gesetzt werden. Mit dem Hinweis Werners aus Washington hatte sich die Frage einer finanziellen Hilfe für die Reise Rauschnings seitens der Bundesrepublik erledigt. Die Reisekosten würden ohnehin, so von Heyden an das Auswärtige Amt, durch von Rohr übernommen, und im Anschluss an einen Hinweis auf die Information aus Washington ergänzte er: »Das Bundespräsidialamt hat nichts unternommen, um Vortragsgelegenheiten oder eine sonstige bezahlte Tätigkeit zu finden, die Dr. Rauschning den Deutschlandaufenthalt erleichtern würde.« Es erscheine dagegen »angezeigt, ihm Begegnungen mit deutschen Parlamentariern und Politikern zu vermitteln, damit er einen Eindruck von der Zwangsläufigkeit der Außen372

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politik der Bundesrepublik gewinnen kann, der sich dann hoffentlich in seinen zukünftigen Schriften niederschlagen wird.«1035

Privates Während Hermann Rauschning seit Beginn der 1950er Jahre seine zumindest zeitweilige Rückkehr nach Deutschland betrieb, hatten er und seine Familie zeitgleich mit allerlei widrigen Umständen in ihrem Oregoner Privatleben zu kämpfen. Kurz nach Hermanns Abreise in die alte Heimat zog seine Frau Anna von dem kleinen Ort Gaston in das weitaus größere Portland. Das Haus in der dortigen Holly Street, welches das Domizil der Familie bis zum Tode Hermann Rauschnings im Jahre 1982 bleiben sollte, mietete Tochter Heilwig. Anna Rauschning wurde infolge einer chronischen Fußverletzung arbeitsunfähig, sodass Heilwig die Aufgabe zufiel, bis zu ihrem Tod 1981 die Eltern finanziell abzusichern, was sie bereits seit 1950 getan hatte, als sie von New York nach Portland an die Westküste gezogen war. Hier fand sie Beschäftigung in einer Investmentfirma. Heilwigs Bruder Fritz und dessen Ehefrau Mary waren bereits 1952 von Gaston nach Portland gegangen, wo sie als Buchhalterin und er als Techniker in einer Maschinenfabrik arbeiteten. Elizabeth, die jüngste Tochter der Rauschnings, wohnte bei ihrem Bruder Fritz in Portland und studierte Kunst am dortigen Lewis & Clark College. Die Studiengebühren erarbeitete sie sich als Teilzeitsekretärin in derselben Investmentfirma, in der auch ihre Schwester Heilwig angestellt war. Von Deutschland aus lud Hermann Rauschning später Elizabeth zu einem viermonatigen Aufenthalt nach Europa ein. Nach ihrer Ankunft in Hamburg am 17. September 1955 lernte sie die Verwandten der Rauschnings, die aus Danzig geflohenen Familien Schwartz und Grube, kennen. Außerdem war vorgesehen, dass Elizabeth ihren kulturellen Gesichtskreis durch Reisen nach Italien sowie an die Wirkungsstätten ihres Vaters im Exil, also die Schweiz, Paris und London, erweitern sollte. Anders als geplant, verließ Hermann Rauschning Monate vor seiner Tochter Deutschland. Elizabeth flog erst am 16. September 1956 nach Portland zurück, um jedoch bereits einen Monat später wieder nach Europa zurückzukehren. Diesmal ging es nach Berlin, wo sie Joachim Grube, den heutigen Verwalter des Rauschning-Nachlasses in Portland, heiratete. Beide zogen 1958 endgültig nach Oregon, wo Joachim Grube als Architekt eine Karriere machte, in der er auch international erfolgreich war. Privates

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Politisch rastlos in der jungen Bundesrepublik Nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik im Februar 1954 nahm Hermann Rauschning Quartier bei Teilen seiner aus Danzig geflohenen Familie im holsteinischen Neumünster. Von hier aus entfaltete er in den nächsten Monaten eine überaus rege Reise- und Vortragstätigkeit, die ihn in alle Winkel des Landes führte. Dabei pflegte er engen Kontakt mit politisch Gleichgesinnten und suchte nach Organisationsformen, um seinen neutralnationalistischen Überzeugungen eine breite Grundlage zu geben. Rückblickend war es zweifellos so, dass Rauschning mit diesen Bemühungen relativ »spät dran« war, denn Verfechter und erbitterte Gegner der Adenauer’schen Westpolitik standen sich z. T. schon seit Jahren gegenüber. Oder anders ausgedrückt: Rauschning stürzte sich als Endsechziger in ein wahres Haifischbecken, in dem sich Neutralisten jeder Couleur bereits seit etwa 1947 tummelten, um die Deutungshoheit im neutralistischen Diskurs zu gewinnen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die wichtigsten Akteure bis etwa zur Ankunft Rauschnings in der Bundesrepublik Anfang 1954 stichwortartig mit ihren Wortführern vorgestellt: 1947: »Heidelberger Aktionsgruppe zur Demokratie und zum freien Sozialismus« (A. Weber u. a.); 1949 bis 1953: »Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands« (Godesberger Kreis, R. Nadolny); 1948 bis 1953: »Nauheimer Kreis« (U. Noack); 1947 bis 1951: »Oppositionelle Sozialdemokraten« (H. C. Meier/E. Arp); 1948 bis 1953: »Freiheitsbund« (Th. Kögler); 1951 bis 1957: »Gesamtdeutsche Volkspartei« (G. Heinemann); 1953 bis 1960: »Bund der Deutschen« (J. Wirth); 1950 bis 1956: »Dritte Front« (W. Schenke); 1948 bis 1956: »Bund für Deutschlands Erneuerung« (O. Strasser), »Deutscher Klub 1954« (K. Graf von Westphalen). Einige der genannten Gruppen waren zugleich Mitglied im »Deutschen Kongress«.1036 Vor allem von der SPD und der Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns wurde ferner die »Paulskirchenbewegung« getragen. Wahrscheinlich sogar zu spät1037 war es Mitte der 1950er Jahre auch für militärpolitische Vorstellungen, die von den Siegermächten eine grundlegende Änderung ihrer Sicherheitskonzepte erwarteten. Andrerseits: Bei Meinungsumfragen etwa des Emnid-Instituts sprachen sich 1951 48 %, 1952 44 %, 1953 42 % und 1956 beachtliche 62 % für eine neutrale Haltung Westdeutschlands »zwischen Amerikanern und Russen« aus.1038 374

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Seine amerikanische Staatsangehörigkeit setzte Rauschning notabene juristische Grenzen bei seinen politischen Aktivitäten. Theoretisch ungehindert konnte er sich hingegen publizistisch betätigten – entweder wurde er um Pressebeiträge gebeten oder er suchte selber nach Publikationsmöglichkeiten. Letzteres zunehmend verzweifelt, seiner wiederholten Klage vor allem in seiner Privatkorrespondenz zufolge boykottierten ihn viele Zeitungen auf Druck der Regierung Adenauer und ihr nachgeordneter Institutionen. Dabei war er keineswegs mit leeren Händen in die Bundesrepublik gekommen. Im Gepäck hatte er ein Manuskript mit dem Titel Masken und Metamorphosen des Nihilismus. Der Nihilismus des XX. Jahrhunderts, das er »Dr. Erwin Brettauer, Beverly Hills, Californien, in freundschaftlicher Verehrung« widmete.1039 Das aus dem Manuskript hervorgegangene Büchlein entfaltete auf gut 200 Seiten zuzüglich eines für Rauschnings Bücher unüblichen Sach- und Personenregisters das Phänomen der Erscheinungs- und Wandlungsformen des Nihilismus insbesondere vor dem Hintergrund einer kulturpessimistischen Sicht der gesellschaftlichen Entwicklung Europas, in der den Begriffen der »Vereinzelung« und der »Vermassung« eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Mit den Masken und Metamorphosen eröffnete der Verfasser eine Reihe letzter Studien, in denen es um den Menschen sowie Ethik und Politik in einer rasch sich verändernden Welt ging. Rauschning sah eine fundamentale Zeitenwende erreicht: »Es ist nicht Romantik und theaterhaftes Pathos«, schrieb er, die sich am Gedanken einer »Götterdämmerung«, eines »Unterganges des Abendlandes« krankhafte Sensationen zu gewinnen suchen. Es ist die nüchterne Tatsache, der sich nur der absichtlich Blinde verschließt, daß wir den Untergang unserer Zeit, das Ende der Neuzeit erleben; wie immer wir diese Tatsache benennen mögen, als Heraufkunft des Atomzeitalters, als die Industriegesellschaft, als Ende des Kapitalismus, als die Eine Welt. Sicher ist eins: das Zeitalter, in dem wir Älteren geboren wurden, ist unwiderruflich zu Ende.1040

Nach theoretischen Auseinandersetzungen vor allem mit Nietzsche, Spengler, Ernst Jünger und anderen gelangte Rauschning zu folgendem Schluss: Wenn man es recht versteht, zwingt uns der Nihilismus … in ein Zeitalter der Synthese, der Zusammenschau und der Verbindung zu einer nie bisher so gestalteten Ganzheit des Menschengeschlechtes. Das ist voller Gefahr, wie es voller Verheißung Politisch rastlos in der jungen Bundesrepublik 

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ist. Wir treten in eine Zeit der Prüfung. Alles ist fraglich. Alles ist nur zu fragwürdig. Aber es war Augentäuschung, wenn es je nicht fraglich erschien. Gewißheit muß immer der Fragwürdigkeit abgerungen werden. Daher zeigt die Zeit, die klar und hart alles in Frage stellt, die wirkliche Lage des Menschen, das Zwielicht des Menschentums und zwingt zur Entscheidung. Sie führt ihn in das »Dilemma«, das, wie wir sehen, die Vorbedingung der Freiheit ist. Das Zeitalter, in dem die Freiheit unter dem äußeren und inneren Druck unterzugehen scheint, kann damit zu dem Zeitalter einer neuen Freiheit werden. Einer gefährlichen Freiheit. Einer anderen Freiheit als die politische und soziale der jüngsten Vergangenheit. Eine innerliche Freiheit, die immer Prüfung, nie Privileg ist. So kann der Nihilismus der Torbogen sein, durch den der Mensch in einen neuen Äon schreitet. Wir wissen und haben die Verheißung, dass der Mensch als Mensch nicht zerstört werden wird. Sein Menschentum mag für eine lange Zeit unter der Ordnung der Gewaltsamkeit verlorengehen, zu seiner Stunde wird der Keim wieder lebendig.1041

Wenige Tage nach seiner Ankunft in Neumünster erhielt Rauschning ein Angebot für einen »ordentlich besoldeten Lehrauftrag« an der Universität Erlangen – wieder durch Prof. H.-J. Schoeps, aber diesmal ging es um »Amerikakunde«.1042 In einem Brief an Gottfried Griesmayr vom 12. Juli 1954, in dem er über finanzielle Engpässe berichtete, die ihn womöglich zwängen, vorzeitig wieder nach Amerika zurückzukehren, machte Rauschning »geheimes Denunzieren« Bonns dafür verantwortlich, dass »in Erlangen« und »anderswo mir Geplantes vereitelt« worden sei.1043

Frühe nachrichtendienstliche Beobachtung Ende März 1954 wird in den Quellen erstmals die nachrichtendienstliche Befassung mit Rauschning in der Bundesrepublik nachweisbar. Unter dem Datum des 23. Juni jenes Jahres schickte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen Bericht über einen Auftritt Rauschnings in Kiel am 21. März vor dem »Schutzbund der Landwirtschaft Schleswig-Holstein« an den Bundesinnenminister, an Staatssekretär Globke im Bundeskanzleramt sowie an Ministerialrat Dr. Kunisch im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen.1044 Der Bericht enthielt eine knappe Zusammenfassung der Rede Rauschnings, ein längeres wörtliches Zitat daraus sowie eine kurze Notiz über die abschließende Pressekonferenz des Redners. Im ersten Teil seiner Ansprache habe Rauschning positiv über die amerika376

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nische Landwirtschaftspolitik gesprochen, hieß es in der Aufzeichnung. Im zweiten Teil habe er sich gegen die »kleindeutsche Lösung der Integration« und gegen das »Mißtrauen gegen den Osten« gewandt und die gleiche »Aufgeschlossenheit und Verhandlungsbereitschaft gegenüber dem Osten wie dem Westen« gefordert. Die Strategie des »roll-back« gegenüber der Sowjetunion sei seiner Auffassung nach verfehlt, die Bundesrepublik solle ihre »Politik der Einseitigkeit« aufgeben »und Mittler zwischen Ost und West« werden. Der Beobachter Rauschnings hielt fest, dass seine Ausführungen »allgemein mit Beifall aufgenommen« wurden, jedoch habe es auch den »Einwand« aus dem Publikum gegeben, »daß man sich bei den Verhandlungen mit dem Osten klar sein müsse, daß es sich eben nicht nur um Russen sondern auch um Bolschewisten handle«. Ein Kieler Vertreter der rechtsextremen Deutschen Reichspartei habe »den Ausführungen Rauschnings begeistert« beigepflichtet. Die wörtlich protokollierten Passagen der Rauschning-Rede betonten vor allem die Bedeutung der Atomwaffen. Keine militärischen Bündnissysteme, sondern eine föderative korporative Ordnung werde die Zukunft Europas bestimmen, so Rauschning in Kiel. Die »Überlegenheit der US-Atomwaffe« schrecke zwar »die Russen vor neuer Expansion« ab, sie sei aber nicht in der Lage, »Rußland jene Pfänder abzunehmen, die es nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hand bekam. Es sei denn, man wollte Atomwaffen einsetzen, was ungeheure Zerstörungen mit sich bringen würde.« Und »nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft oder 12 deutsche Divisionen werden Rußland abhalten Deutschland besetzt zu halten, sondern die Wirksamkeit der Atomwaffen. Nicht der Wehrbeitrag entscheidet die Zukunft, sondern die Beseitigung des Entzündungsherdes Deutschland mit einer Zonengrenze mittendurch.« Deutschland habe, so Rauschning, »die ganz große Chance verspielt im Hinblick auf den Raum jenseits von Oder und Neisse«. Die in den archivierten Unterlagen des Bundeskanzleramtes befindliche Kopie des BfV-Berichts weist eine kräftige handschriftliche Anstreichung des letzten Abschnitts auf, in dem es heißt: Auf der anschließenden Pressekonferenz erklärte Rauschning noch besonders: Es ist in Mitteleuropa ein Gleichgewichtssystem wichtig. Es könnte in Westeuropa in einem neutralen Gürtel Deutschland mit den nordischen Staaten sowie einem Ost-Zentraleuropa bestehen. Ich würde gar keinen Anstand nehmen, mit der Pankower Regierung zu verhandeln. Warum sollte ich nicht. Es wäre durchaus gangbar, diesen Plan mit den USA abzusprechen. Man sollte es jedenfalls versuchen.1045 Frühe nachrichtendienstliche Beobachtung

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Auf einer Pressekonferenz in Hamburg nach seiner Kieler Rede erläuterte Rauschning den anwesenden Journalisten seine Sicht der politischen Lage. In Bonn habe man ihn um »größte Zurückhaltung in politischen Äußerungen« gebeten. Er habe aber bereits auf einer anderen Pressekonferenz gesagt, »daß er im deutschen Volk kein Vertrauen zu der neuen Bundesregierung gefunden habe. Was man wirklich denke, sage man nicht, und wenn es keine SPD gäbe, müßte man den Eindruck eines völlig gleichgeschalteten Parlamentes haben. Es lasse sich eine Tendenz zu einem zwar wohlwollenden und aufgeklärten, aber doch totalitären Regime feststellen.« Seiner Meinung nach solle die »Aufgabe der Zeit darin bestehen, den Sozialismus mit dem Liberalismus und dem wahren Konservatismus zu verbinden«. In Bonn herrsche die Auffassung, so Rauschning in Hamburg, dass »kein Opfer zu groß« für eine »zukünftige deutsch-französische Verständigung« sei. Warum solle das nicht auch »gegenüber Sowjetrußland gelten? Ein wiedervereinigtes Deutschland hätte keine Sowjetisierung zu befürchten.«1046

Der Rubikon von Düsseldorf Den Rubikon in seinem gespannten Verhältnis zur Regierung Adenauer überschritt Rauschning nach seinem eigenen späteren Bekenntnis bereits sehr früh mit einer Rede vor dem Rhein-Ruhr-Klub in der Wolfsschlucht von Grafenberg in Düsseldorf am 24. März 1954, also nur drei Tage nach seinem Kieler Auftritt.1047 Auch bei dieser Gelegenheit beobachtete das BfV den Redner, und es war dessen Präsident Otto John persönlich, der den entsprechenden Bericht unterschrieb, bevor er wenige Wochen später auf mysteriöse Weise nach Ost-Berlin verschwand.1048 Einleitend hob der Bericht hervor, dass Rauschning bei der Veranstaltung vom »Pressechef des Landes Nordrhein-Westfalen, MeyerHult­schin (sic) eingeführt« worden sei. In seinen Ausführungen habe Rauschning dann betont, dass die Bundesregierung irrtümlicherweise davon ausgehe, dass die Politik der USA »unabänderlich gegen die Sowjetunion gerichtet sei«. Er, Rauschning, habe »jedoch Anhaltspunkte dafür, daß die Tendenz der amerikanischen Politik darauf ausginge sich mit der Sowjetunion zu verständigen. Insbesondere nannte« Rauschning »als ersten Schritt in dieser Richtung das ›Zurückweichen‹ in Korea. Die Lösung in Korea beweise, dass den Vereinigten Staaten an einer Verständigung mit der Sowjetunion gelegen sei. Auch Rotchina werde man in Kürze anerkennen. 378

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

Dann sei auch eine Verständigung über Deutschland mit der Sowjetunion nicht unmöglich.« Rauschning habe in seiner Rede »Politiker des Bundestages kritisiert«, welche die Sowjetunion im Zusammenhang mit der kürzlich ergebnislos zu Ende gegangenen Berliner Konferenz zur Deutschlandfrage und zur Entmilitarisierung Deutschlands angegriffen und damit die »Haltung der UdSSR gegen die Bundesrepublik verschärft« hätten. Rauschning »stellte die Forderung auf, jede Möglichkeit des Gesprächs mit den Sowjets aufzugreifen, nachzugeben und Beweise guten Willens zu bringen«. Eine »derartige Änderung der deutschen Politik habe allerdings zur Folge«, so Rauschning, dass Bundeskanzler Adenauer »nicht mehr als der größte Staatsmann seit Bismarck hingestellt werden könne«. Der Berichterstatter notierte, dass ein Diskussionsredner des Abends, »der die Lage in der SBZ genau schilderte und betonte, daß man dort für den Bundeskanzler sei«, »vom Thema« abgewichen sei. »Bemerkenswert« scheine auch, »daß auf allen Tischen Werbezettel des Vowinckel Verlages, Heidelberg, auslagen, der durch Aufnahme nationalsozialistischer Autoren in sein Verlagsprogramm aufgefallen« sei.1049 Das seit der Vorkriegszeit freundschaftliche Verhältnis zwischen Rauschning und Maier-Hultschin kontrastiert eigentümlich mit einem Auftritt Maier-Hultschins in England, wenige Tage nach Rauschnings Vortrag im Rhein-Ruhr-Klub. Gegenüber einer »bewährten und gewöhnlich zuverlässigen Quelle« in Diensten der britischen Regierung machte Maier-Hultschin, der sich zu einem 14-tägigen Besuch auf der Insel aufhielt, Angaben über Wilhelm W. Schütz vom damaligen Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und über Hermann Rauschning. Beide, so die britische Aufzeichnung über das Gespräch mit Maier-Hultschin, stünden dem Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und einem westdeutschen Beitrag zu ihr kritisch gegenüber. Rauschning habe seine Ansichten kürzlich in seinem Buch Ist Friede noch möglich? veröffentlicht sowie vor »bedeutenden Industriellen« im Rhein-Ruhr-Klub zu Düsseldorf vorgetragen.1050

Neutralnationalismus und Ostgeschäfte Vom Sommer 1954 datieren erste dokumentarische Spuren, die darauf hindeuten, dass Rauschning an regierungsgegnerischen Planungen zu Gunsten einer frühen Wiedervereinigung beteiligt war. Bundeskanzler Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Konrad Adenauer selber nannte in einer Sitzung des Bundeskabinetts vom 25. Mai 1954 Rauschning als »den Vierten im Bunde«, der sich für eine Kontaktaufnahme deutscher Politiker mit Moskau starkmache. Die anderen drei, die Adenauer namentlich erwähnte, waren der fraktionslose Bundestagsabgeordnete Hermann Etzel sowie Reinhold Maier und Karl Georg Pfleiderer, beide von der FDP. Der Anlass für Adenauer, diese vier Personen in der Kabinettssitzung ausdrücklich beim Namen zu nennen, hing mit dem sogenannten Pfleiderer-Plan zusammen, der eine »auf eigenem Willen und eigener Verantwortung beruhende Neutralität der Bundesrepublik« forderte. In einer Bundestagsrede vom 7. April 1954 hatte Pfleiderer ferner die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Bonns mit den Staaten von »Warschau … bis nach Peking im Fernen Osten« vorgeschlagen.1051 Mit Datum vom 6. Juni 1954 lud Wolf Schenke, ein ehemaliger HJ-Führer, China-Experte und als Chef der »Dritten Front« mit jahrelanger Erfahrung im propagandistischen Kampf um die Wiedervereinigung ausgestattet,1052 Rauschning und andere politisch ihm Nahestehende zu einer »deutschen Initiative zur Wiedervereinigung« ein.1053 Nach der Berliner Außenministerkonferenz von Ende Januar und »nach fünf Wochen in Genf« bei der dortigen Indochina-Konferenz sah Schenke den Zeitpunkt gekommen, zur »Ausarbeitung eines Vorschlages für die deutsche Wiedervereinigung« zu schreiten, der Aussicht habe, auf »einer Deutschlandkonferenz die Grundlage eines für beide Seiten annehmbaren Kompromisses zu bilden«. Ziel seines Schreibens sei es, einen Kreis von »etwa dreißig integren Persönlichkeiten aus der Bundesrepublik zusammenzubringen, die weder durch eine prononciert westliche noch eine prononciert östliche Politik belastet« seien. Dieser Kreis solle Einzelheiten besprechen und sie »als Erklärung zur deutschen Wiedervereinigung formulieren«. Dem Brief Schenkes war der »Vorschlag einer Tagesordnung« für eine erste Besprechung am 20. Juni 1954 an einem noch festzulegenden Ort beigefügt. Die Liste der zu dieser Besprechung eingeladenen Personen umfasste neben Schenke zwölf weitere Namen, darunter Gustav Heinemann, Botschafter Werner Otto von Hentig, Reinhold Maier, Heinrich Krumm sowie Hermann Rauschning. »Herr Dr. Rauschning« werde sich wegen seiner ausländischen Staatsangehörigkeit an der »eigentlichen späteren Aktion nicht beteiligen«, wolle »aber bei allen Vorbereitungen mit Rat und Tat helfen«, schloss Schenke seinen »Vorschlag«.1054

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Im Sommer 1954 scheint Rauschning mit Gleichgesinnten erstmals ernsthafte Meinungsverschiedenheiten gehabt zu haben. Jedenfalls bedurfte es der Intervention Wolf Schenkes bei ihm, um ihn dazu zu bewegen, in der rechtslastigen Wochenzeitung Die Nation zu publizieren, die von Hermann Schaefer herausgegeben wurde. Von Schaefer wird noch ausführlich die Rede sein. An dieser Stelle nur so viel: Im Impressum der Nation fungierte Schaefer monatelang als »Hauptschriftleiter«, häufig findet sich dort in Klammern der Zusatz »zur Zeit verreist« oder »im Urlaub«, was in seinem Umfeld Spekulationen nährte, er sei wieder einmal unterwegs, um bei seinen tatsächlichen oder angeblichen Ostkontakten Geld aufzutreiben. Mit Schreiben vom 13. August 1954 aus Neumünster an Schaefer in München erklärte sich Rauschning bereit, bei der Nation mitzuarbeiten, da nun alle »Verstimmungen« beseitigt seien.1055 Allerdings verlangte er von Schaefer einen Vertrag, in dem festzuhalten sei, dass er »etwa zwei politische Artikel monatlich, zwei kurze Glossen und etwa einen grundsätzlichen Artikel größeren Umfangs im Feuilleton veröffentlichen« könne. Seine »politische Linie«, so Rauschning weiter, dürfte Schaefer »bekannt genug sein um Ihnen Gewähr zu bieten in den Rahmen Ihrer Wochenschrift hineinzupassen«. In einem sieben Punkte umfassenden Exposé über den weiteren Ausbau der Nation legte Rauschning Rechenschaft über seine politischen Vorstellungen ab, die er künftig in der Zeitung gespiegelt sehen wollte.1056 Nur die wichtigsten Grundsätze seien hier wiedergegeben. Punkt 1 war folgendermaßen formuliert: »Als Aufgabe und Ziel stellt sich die Nation die Sammlung und unbeeinflußte Unterrichtung des deutschen Volkes auf dem Boden eines abgeklärten Nationalbewußtseins als Maßstab einer zeitgemäßen nationalen Politik, einer echten Volksgemeinschaft und einer sittlichen und geistigen Erneuerung des deutschen Volkes.« Punkt 2 befasste sich mit der Außenpolitik. Dazu hieß es, die Nation werde die Wiedervereinigung auf der Grundlage einer Verständigung des Westens und Ostens und der Wahrnehmung der besonderen Funktion Deutschlands als ein Element des Ausgleichs und der Verbindung beider Weltmachtgruppen vertreten. Die »Nation« wird die einseitige Bindung eines wiedervereinigten Deutschlands an eine der Machtgruppen ebenso wie die dauernde Teilung und Eingliederung der Teile in die derzeitigen Militäralliancen (sic) bekämpfen, wobei sie ein gesamteuropäisches Sicherungssystem im Gegensatz zu der kleineuropäischen westlichen Teillösung der Bundesregierung vertreten wird. Sie sieht in einem geeinten Deutschland den einzigen möglichen Ansatzpunkt für eine solche umfassendere Lösung. Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Punkt 3 erklärte hinsichtlich der Innenpolitik: Die »Nation« vertritt ein starkes modernes Staatswesen in einem richtig ausgewogenen Gleichgewicht zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung. Sie kämpft für den Grundsatz der Selbstverwaltung der Wirtschaft im Rahmen sozialer Verpflichtung. Sie wird reaktionär-restaurative Tendenzen in der staatlichen und sozialen Ordnung bekämpfen. Sie wird den neuerlichen Tendenzen eines wieder auflebenden Klassenkampfes ebenso entgegentreten wie sie für die volle und vorbehaltlose Eingliederung der ehemaligen Nationalsozialisten in die Gesellschaft eintreten wird.

Punkt 4 beschäftigte sich mit der »Regelung der Sprache«. Hier solle die Nation »unnötige Schärfe und Polemik« vermeiden, betonte Sachlichkeit »und Ruhe in der Darlegung der Tatsachen« sollten überzeugen. »Es soll alles vermieden werden, was im In- wie Ausland etwa den Vorwurf eines Neo-Nationalismus oder Neo-Nationalsozialismus eintragen könnte«. Punkt 5 lehnte es ab, »besonderen landschaftlichen Interessen zu dienen«. »Überparteilich« solle die Nation sein und den bisher »bestehenden Sonderseiten für die Soldaten, den Heimatvertriebenen, für die Wirtschaft und Kultur« sollten Seiten »des Wirtschaftsunternehmers, des Arbeiters, des Bauern, aber auch des Christen und der Kirchen u. a. dienen«. Punkt 6 widmete sich der »sorgfältig ausgewählten Zusammenstellung der jeweiligen politischen Ereignisse und Entwicklungen«. Sie diene dem Leser bei der »Beurteilung der Weltlage und des Standes der Nation von dem gesunden und natürlichen Interessenstandpunkt des deutschen Volkes aus«. Ein »Pressespiegel« solle solche Stimmen zu Wort kommen lassen, »die jeweils die Urteile der Zeitung unterstreichen«. Der abschließende Punkt 7 fasste Rauschnings Hauptanliegen zusammen und soll daher vollständig wiedergegeben werden: Die Zeitung soll nicht bloß ein Nachrichten- oder Meinungsorgan sein, sondern sie soll von den einzelnen Lebensgebieten und den besonderen Interessen der Bevölkerungsgruppen aus zu einer echten nationalen Gemeinschaft, Schicksalsverbundenheit und Staatsgesinnung des deutschen Volkes führen und damit von der planmäßigen Irreführung zu einem gestalt- und charakterlosen Übernationalismus befreien helfen, wobei jedoch der Begriff der Nation als ein dienender, als ein Element einer umfassenden freien und gleichen Völkergemeinschaft vertreten werden wird. Nur auf einem solchen gesunden nationalen Boden glaubt die Zeitung einer sittlichen, geistigen und religiösen Wiedergeburt des Volkes dienen zu können.

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Unschwer lassen diese Punkte die ursprüngliche Verwurzelung Rauschnings in nationalsozialistischen Gedankengängen erkennen, nunmehr jedoch »gereinigt« von krassen »Fehlentwicklungen« des Nationalsozialismus unter der Herrschaft Hitlers. Die »Volksgemeinschaft« spielte in dem Exposé immer noch eine wichtige Rolle wie auch die Vorstellung von einem »gesunden und natürlichen«, offenbar wenig plural gedachten »Interessenstandpunkt des deutschen Volkes«. Auch die »vorbehaltslose« Integration ehemaliger Nationalsozialisten in die deutsche Gesellschaft wirft Fragen auf. Sollte es tatsächlich keinen Unterschied in der Behandlung einfacher Mitläufer des Regimes einerseits und ideologisch verblendeter Schwerverbrecher andrerseits geben? Eine Durchsicht sämtlicher Ausgaben der Nation der Jahre ihres Erscheinens von 1954 bis 1955 legt die Vermutung nahe, dass Rauschning entweder kein allzu ausgeprägtes Interesse an dem Blatt hatte oder aber, dass Hermann Schaefer ihm Zurückhaltung empfahl und ihn womöglich auf die von ihm in naher Zukunft herausgegebenen Rheinisch-Westfälischen Nachrichten (RWN) als Publikationsforum vertröstet hat. Jedenfalls finden sich im gesamten Zeitraum nur zwei namentlich gezeichnete Artikel von Rauschning,1057 in denen es jeweils um seine bekannte Forderung nach einer eigenständigen westdeutschen Politik mit dem Ziel der Wiedervereinigung ging. Mit der weltpolitischen Lage befasste sich der auszugsweise und ganzseitige Vorabdruck aus seinem neuen Buch mit dem Titel Die deutsche Einheit und der Weltfriede unter der Überschrift »Der Einbruch neuer Mächte«, der in der Ausgabe Nr. 22 vom 31. Dezember 1954 erschien und zusätzlich ein Foto Rauschnings sowie einen Bestellkupon für das Buch am Fuß der Seite enthielt. Mit dem Thema »Nationalsozialismus« beschäftigte sich Rauschning im Herbst 1954 auch auf einer Tagung »in den Räumen der Ost-Akademie« in Lüneburg zur Frage eines ›deutschen Geschichtsbildes‹. Ihm fiel dabei die Aufgabe zu, »Thesen zu einem Vortrag über den Nationalsozialismus als geschichtliches Problem« vorzutragen.1058 Seine insgesamt 16 Thesen spiegelten einerseits die Tatsache wider, dass gerade einmal ein knappes Jahrzehnt seit dem Untergang des »Dritten Reiches« vergangen war, weswegen der Referent zur Vorsicht gegenüber frühzeitigen Beurteilungen des Nationalsozialismus mahnte. Andrerseits legte Rauschning erneut Zeugnis ab von seiner Auffassung, dass mit dieser Ideologie etwas ursprünglich Großartiges auf brutale Weise verfälscht worden sei. These 12 behauptete Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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entsprechend: Der Nationalsozialismus »ist sowohl der Ausdruck eines großen und fruchtbaren Aufbruches der Nation zu neuer Gestalt, ausgelöst durch das Erlebnis des ersten Weltkrieges, wie die totale Pervertierung und totale Aufzehrung seiner echten Kräfte.« These 13 stellte fest: »Es ist zur Zeit nicht möglich, zwischen negativen und positiven Seiten des Gesamtgeschehens abzuwägen oder Unterscheidungen zwischen einem ›Hitlerismus‹, einem schöpferischen nationalen Sozialismus und einem totalitären Staat zu machen. Solche und ähnliche Unterscheidungen sind bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung verfrüht.« In seiner zehnten These hatte Rauschning jedwede marxistische Interpretation des Nationalsozialismus ebenso abgelehnt wie seine »Auslegung« als eine »Form des Militarismus oder des Preußentums«. Einigermaßen überraschend schloss er diese These mit dem nicht weiter erläuterten Satz: »Auch die Darstellung als Revolution des Nihilismus wird ihm nicht gerecht.«1059 Im September 1954 gewann Rauschning eine überaus wichtige Hilfe, die künftig seine bundesweite Vortragstätigkeit und sein Networking stützen und ergänzen sollte. In seinem angeheirateten Neffen Johann Wolfgang Werner fand er einen loyalen, immens fleißigen und dabei geistig unabhängigen Mitarbeiter, der ihn über wichtige Personen der westdeutschen Politik laufend und umfassend unterrichtete, Personen, die eventuell für eine gemeinsame politische Initiative in Frage kämen. Auch in manch anderer Hinsicht sollte Werner später wertvolle Arbeit leisten. Politisch lag er mit seinem Onkel im Großen und Ganzen auf einer Wellenlänge, beide teilten sie eine intensive Abneigung gegen die Regierung Adenauer, räumten einer Wiedervereinigung absolute Priorität ein und unterschieden sich – je länger die Beziehung dauerte, desto deutlicher – am ehesten in der Frage, in welchem Maße man mit ehemaligen Nationalsozialisten zusammenarbeiten sollte. Hier argumentierte Werner eindeutig ablehnender als Rauschning und auch in der Beurteilung der Verhältnisse in der DDR bevorzugte er einen kritischeren Blick. Werner studierte an der Universität Hamburg Volkswirtschaftslehre und informierte Rauschning in einem Brief vom 17. September 1954 darüber, dass er gerade im Begriff sei, sich der letzten Klausuren und mündlichen Prüfungen für den Titel eines Diplom-Volkswirtes zu unterziehen. Danach, ein erfolgreicher Prüfungsverlauf vorausgesetzt, sei er für »andere, sinnvollere Aufgaben frei, d. h., ich stehe Ihnen (erst einige Wochen später wurde das Sie durch das Du ersetzt, A. H.) dann sogleich zur Ver384

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fügung«.1060 In seinem Antwortbrief bedankte sich Rauschning für Werners Einsatzbereitschaft, setzte aber hinzu, man müsse bezweifeln, ob die neue Arbeit wirklich so »sinnvoll« sei, wie Werner hoffe. »Die Entwicklung« mache »keine Fortschritte, sondern wird immer verfahrener«.1061 In seinem Brief vom 17. September hatte Werner bereits darauf aufmerksam gemacht, dass man in Zukunft mit der Nennung von Namen im Briefverkehr vorsichtig sein müsse, da er »annehme, daß die Post durch die Hände bestimmter Instanzen läuft, ein skandalöser Umstand, der ja auch in der Debatte um John an einigen Stellen ziemlich deutlich benannt wurde.« Ende September bereitete Rauschning einen ersten Auftritt in Berlin vor. Zu diesem Zweck unterrichtete Werner ihn über wichtige Persönlichkeiten in der ehemaligen Reichshauptstadt, die dort zu treffen sich lohnen könnte. An erster Stelle nannte er Richard Löwenthal als »fast ständigen Teilnehmer am Internationalen Frühschoppen« des Deutschen Fernsehens. Löwenthal sei ihm durch »gescheite Analysen und scharfe Kritik der derzeitigen auswärtigen Politik aufgefallen«. Über Löwenthal ergäben sich, so Werner, »manche Querverbindungen«, insbesondere »zum Ernst-Reuter-Kreis der Berliner SPD«. »Vorteilhaft« sei auch ein Kontakt zu Manfred Röhling, dem Chefredakteur der »neutralistischen, später Heinemannschen Zeitung ›SOS‹«, da Röhling die Berliner Verhältnisse gut kenne und »vielleicht auch den Löwenthal1062 heranschleppen« könne. Der 1. Vorsitzende der Berliner CDU, Ernst Lemmer, komme ebenfalls in Betracht, er sei »zumindest nicht adenauer-hörig«. Werner machte Rauschning sodann auf die »besonderen Verhältnisse in Berlin« aufmerksam: Dort seien die Gegensätze der Parteien nicht so scharf wie im Bundesgebiet. Zu beachten sei allerdings das Berliner »Frontstadtklima«. »Jedes versöhnende Wort dem Russen gegenüber« werde als »halber Vaterlandsverrat aufgefaßt«. Die Redner benutzten deshalb den ersten Teil ihrer Rede dazu, »im allgemeinen sich als Anti-­ Kommunisten mit schußbereitem Colt in der Hüfte auszuweisen«. Danach aber, schloss Werner, habe »man Aussicht angehört zu werden«.1063 Am 30. Oktober 1954 nutzte Werner den Auftritt des Vorsitzenden des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen im Bundestag, Herbert Wehner, in Hamburg, um die Möglichkeit »eines internen Gespräches« zwischen Rauschning und Wehner »zu sondieren«. Wehner habe auf seine, Werners, Anfrage grundsätzlich positiv reagiert, zumal er gerade Rauschnings Vorwort zu dem Büchlein … mitten ins Herz gelesen habe, das der ehemalige Senatspräsident u. a. gemeinsam mit dem Schweizer Journalisten Hans Fleig herausgegeben hatte.1064 Wehner gehöre zu den »starken Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Männern der SPD«, ließ Werner wissen. Am 21. Dezember informierte Werner Rauschning über einen Kontaktversuch in Wehners Hamburger Wohnung, er habe diesen jedoch nicht angetroffen. Als weitere Namen, die für Rauschning »im gesamtdeutschen Sinne« interessant sein könnten, nannte Werner u. a. Helmut Schelsky und Wolfgang ­Abendroth. Über Letzteren breitete Werner eine Reihe biographischer Details aus, um zu dem Schluss zu gelangen: »Er könnte wichtig sein für den Kontakt mit dem DGB. Ist mit den Herausgebern der Frankfurter Rundschau eng befreundet. Als Mensch erträglich, gesellschaftlich unmöglich. Typischer Intellektueller ohne kulturelles Anliegen. Langredner. Unter Pantoffel seiner Frau, … Frauenrechtlerin aus Torheit«. Werner schlug am Ende vor, man solle bei Rauschnings Treffen mit Wehner in Hamburg die Gelegenheit nutzen, »den Augstein festzunageln«. Sollte sein Onkel zustimmen, werde er, Werner, Augstein »mal in seiner Ränke-Küche aufsuchen. Der tolle Konrad (Adenauer, A. H.) soll den Spiegel als ›dat Lauseblatt‹ bezeichnet haben, laut Simplicissimus.«1065 Bei Rauschnings Besuch in Berlin, über den ansonsten keinerlei Informationen vorliegen, kam es auch zu einer Begegnung mit der Witwe von Ernst Reuter, der 1953 verstorben war. Monate nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten äußerte sich Rauschning in höchsten Tönen über den früheren Regierenden Bürgermeister Berlins. »Der unzeitige Tod dieses bedeutenden Charakters«, schrieb er, sei ein großer Verlust. Wenn das Berlin des Westens heute noch lebt, dann ist es zu einem entscheidenden Teil das Verdienst dieses Mannes, der mit Tatkraft, Festigkeit und einem unerschütterlichen Mut in den quirlenden Wirren standhielt, einer besseren Zukunft gewiß, nicht immer von seiner eigenen Partei, den Sozialdemokraten verständnisvoll gestützt, wie er es verdient hätte. Hier war das Holz, aus dem ein echter Kanzler Deutschlands hätte geschnitzt werden können … Reuter war früher Kommunist, er hatte wie einige der klügsten sozialdemokratischen Köpfe, wie Herbert Wehner, … den bedeutsamen Wechsel vom stalinistischen zum demokratischen Sozialismus vollzogen …1066

In dem Bekehrten Ernst Reuter mochte sich wohl auch Rauschning wiedererkennen. Zum Jahresende 1954 nahmen insbesondere zwei Probleme Rauschning in Anspruch: Einerseits sah er sich erneut mit seiner Danziger Vergangenheit 386

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konfrontiert, andrerseits betrieb er weiterhin energisch das Projekt einer politischen Initiative gegen die Wiederbewaffnung und für die Wiedervereinigung, die nach seiner Auffassung zunächst in Form einer großen Kundgebung »zwischen der zweiten und dritten Lesung« der Pariser Verträge im Bundestag stattfinden sollte.1067 Gegenüber dem Vorsitzenden der Vereinigung der Danziger in Köln, Otto Poetsch, beklagte sich Rauschning in einem Brief vom 30. November 1954 über die schlechte Behandlung, die er in der Bundesrepublik vor allem von »den lieben Danzigern« erfahren habe.1068 In Berlin sei er von ihnen bei den Amerikanern denunziert worden und auch in Hannover habe man ihn geschnitten. Die stärkste Feindseligkeit sei ihm in Lübeck entgegengeschlagen, wo man ihm »mit Skandalen drohte«, wenn er es wagen sollte, dort zu sprechen. Allein in Köln werde es mit Poetschs Hilfe möglich sein, »vor den ehemaligen Landsleuten, mit denen ich mich immer noch in Mitschuld und Leid verbunden fühle«, zu reden.1069 Dafür danke er Poetsch, jedoch wolle er »offenherzig« sprechen, »denn ein Blatt vor den Mund zu nehmen habe ich auch in Amerika nicht gelernt und will es auf meine alten Tage auch nicht mehr lernen«. Drei Wochen später sagte Rauschning Poetsch und den Kölnern ab. Sein Hauptargument für den Sinneswandel: Er sei zu dem Schluss gekommen, auch in Köln vor überwiegend feindlich gesinnten Danzigern auftreten zu müssen. Die dafür »aufzubringende Nervenkraft« wolle er aber lieber in die Arbeit an der Aufklärung über die politischen Ziele der Siegermächte statt in die »querelles de Dantzig« stecken. Er hoffe, schrieb Rauschning, Poetsch werde es ihm zugutehalten, wenn er daran erinnere, daß ich immerhin 34 die Verderblichkeit des Hitlerregimes einsah, zu einer Zeit, als die meisten der sich heute an der Macht sonnenden Leute erst der Partei beitraten. Oder doch höchstens die Faust in der Tasche ballten, während ich immerhin mein Leben in die Schanze schlug, als ich Widerstand leistete. Dem heutigen Regime Widerstand zu leisten geht einem zwar nicht an die physische Existenz, aber die Art der Diffamierung ist um so wirksamer als sie raffinierter ist. Es ist aber nicht schwierig sich damit abzufinden, wenn man keine persönlichen Ziele mehr verfolgt.1070

Aus der Vorweihnachtszeit des Jahres 1954 hat sich ein Brief Rauschnings an seine Frau Anna in Oregon erhalten, der seine innere Zerrissenheit in jenen Tagen erahnen lässt. Am 22. Dezember äußerte er sich über seine Existenz zwischen Deutschland und Amerika wie folgt: Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Meine Anhänglichkeit wird immer geteilt sein, wie ich mich auch entscheide. Dies Land ist doch schließlich mein Vater- und Mutterland. Hier versteht mich Jung und Alt, wer es wenigstens will, und wenn ich auch viel Anfeindung erfahren habe – bei den … people um Adenauer –, so habe ich auch viel Dankbarkeit und Verständnis gefunden. Hier kann ich doch wenigstens noch etwas beitragen. Drüben bin ich ein nobody und bestenfalls eine Sonderbarkeit. Neulich bot man mir eine Bleibe im Kloster Loccum bei der Evangelischen Akademie an. Die Leute dort waren von meinen wiederholten Ausführungen angetan. Was kann ich in USA tun? In der Steuben-Gesellschaft lecturen, in der Lutherischen Kirche über den Protestantismus in Deutschland sprechen … Aber drüben seid wieder Ihr, und wenn ich auch all den Verwandten, Deinen und meinen, Deinen mehr als meinen, zugetan bin, so bist Du ja immerhin (immerhin ist gut!!) meine Frau und die Kinder meine Kinder. Es ist schlimm, was einem durch Hitler zustieß. You can’t go home again. Hier ist man Fremder, drüben ist man Fremder …1071

Befreit von den Danziger Altlasten, intensivierte Rauschning seine Korrespondenz mit solchen Persönlichkeiten, von denen er eine fruchtbare Zusammenarbeit im Sinne der geplanten Initiative gegen die Verabschiedung der Pariser Verträge Ende Februar im Bundestag erhoffte. Rund einen Monat vor dieser entscheidenden Ratifizierungsdebatte trat der langjährige Manager des Tabakkonzerns British American Tobacco (BAT), Ernst Freiherr von Reitzenstein1072, zumindest vorübergehend in den Mittelpunkt der Bemühungen jener Kräfte um Hermann Rauschning, die die Pariser Verträge zu Fall bringen oder doch wenigstens ihre Ratifizierung verzögern wollten. Mit Schreiben vom 11. Januar 1955 informierte von Reitzenstein Rauschning über einen Vortragsabend, zu dem der Mineralölkonzern Esso am 14. Dezember des Vorjahres geladen hatte und bei dem der ehemalige Erste Bürgermeister von Groß-Berlin, Ferdinand Friedensburg, über das Thema »Probleme der deutschen Wiedervereinigung« gesprochen hatte.1073 Da es an jenem Abend nicht zu der an sich vorgesehenen anschließenden Diskussion gekommen sei, wollten die Anwesenden jenes Abends die Aussprache im Hause von Reitzensteins bei einem »Herrenessen« nachholen. Dazu lud der Gastgeber nun Rauschning für den 24. Januar ein. Es scheint, als habe jenes Treffen, an dem Rauschning auch gerne teilgenommen hatte, zu einer wichtigen Entscheidung für die Schlussdebatte im Bundestag führen sollen. Anders ist folgende Passage in einem Brief von Reitzensteins an Rauschning vom 27. Januar kaum zu verstehen, in dem der 388

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Gastgeber zunächst schrieb, es sei ihm »eine große Freude gewesen«, Rauschning drei Tage zuvor als Gast in seinem Haus gehabt zu haben. Dann fuhr er fort: Ich möchte Ihnen auch noch nachträglich sagen, daß ich Ihrer Rangfolge: erst Wiedervereinigung dann Aufrüstungsverträge mit einem gesamtdeutschen Reich im Rahmen des Zweckmäßigen den Vorzug gebe. Es wäre aber wohl nicht realistisch gehandelt gewesen, wenn der Versuch unternommen worden wäre, diesen Standpunkt anläßlich unseres abendlichen Gespräches durchzusetzen. Diese Aufgabe wird wohl nun für Herrn Ollenhauer und seine Verhandlungspartner übrig bleiben.1074

Von Reitzenstein äußerte gegenüber Rauschning seine Beobachtung, wonach »die Kräfte« im Vorfeld der Ratifizierung »derartig in Bewegung geraten zu sein« schienen, »dass ein Meinungsumschwung« von einer vermeintlich deutlichen Abgeordnetenmehrheit für die Verträge »zu Gunsten der Rangfolge: erst Wiedervereinigung dann Aufrüstung möglich« erscheine. Andrerseits müsse »gesehen werden«, dass der »ganze Westen nach den vorangegangenen Verhandlungen mit der Bundesregierung ein Anrecht erworben« habe, »auf Ratifizierung zu bestehen«. Er schließe sich daher der »realistischen Auffassung« an, die besage: »Ratifizierung ja, aber mit geringfügiger Mehrheit«. Es sei auch »nicht ganz von der Hand zu weisen, dass der Russe nach erfolgter Ratifizierung ein um so stärkeres Interesse haben könnte, die Auswirkungen durch echte Angebote zu begrenzen.« Rauschning habe aber Recht mit seinem in der abendlichen Diskussion formulierten »Hinweis, daß diese Annahme in den Bereich der politischen Spekulation« gehöre. Kritisch äußerte sich von Reitzenstein gegenüber Rauschning hinsichtlich dessen »Freundes Prof. Brüning«, der zu diesem Zeitpunkt bereits sein Desinteresse an einer Führungsrolle im Kampf um eine baldige Wiedervereinigung und gegen die Westbindung deutlich gemacht hatte.1075 Zwar frage Brüning zu Recht, wo denn »die Männer« seien, die eine »umfassendere geistige Konzeption« hätten, um als »Ausführende dieses Programms tätig zu sein«. Man hätte allerdings, so von Reitzenstein, annehmen dürfen, »dass Herr Prof. Br. den bestehenden Mangel an Qualität nicht noch dadurch verstärkt, dass er sich resignierend in den Schmollwinkel zurückzieht, um sich damit zum zweiten Mal der Verantwortung zu entziehen.«1076 Am Ende seines Briefes bat der Verfasser Rauschning – mit der überraschenden Bemerkung, dass dieser ja »die Absicht« habe, »Deutschland Ende Februar zu verlassen« – darum, zuvor Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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noch einen »Entwurf zu Fragen der Wiedervereinigung auszuarbeiten«.1077 Aus »taktischen Erwägungen« habe der Kreis der Teilnehmer an dem Herrenessen auch Ferdinand Friedensburg mit der Ausarbeitung eines »Entwurfes zu Fragen der Wiedervereinigung« beauftragt. In seiner Antwort an von Reitzenstein drückte Rauschning sein Bedauern über einige »Ausführungen des Gespräches« in dessen Haus aus; er sei »nach wie vor der Meinung, daß die Ablehnung oder Vertagung der Ratifizierung einen viel durchschlagenderen Erfolg für Deutschlands Lage bedeuten würde als eine Annahme mit geringer Mehrheit«.1078 Im Übrigen meinte er, »Dr. Brüning zu gewinnen« werde »doch noch möglich sein«. Es sei »für solch exponierte Persönlichkeiten schwierig, sich in einen Personenkreis zu begeben, von dem man nicht weiß, ob alles intakt ist«. Von Reitzensteins »Einwendungen an meine Ausführungen« nehme er, Rauschning, »gerne zur Kenntnis. Wenn meine Darlegung oft als zu freundlich gegenüber der sowjetischen Politik erscheinen sollte, so ist das die Überkompensation der bisherigen, Rußland unnötig vor den Kopf stoßenden Politik der Bundesregierung.« So bitte er auch die Vorschläge des Entwurfes einer Presseerklärung aufzufassen, die er beilege, die sich aber nicht erhalten hat. Mit dem ehemaligen Kapp-Putschisten Wilhelm Kiefer im schwäbischen Trillfingen erörterte Rauschning auf dem Wege des Briefwechsels Querelen um Personalia, ohne dass dabei immer Klarnamen verwendet wurden. Heinrich Brüning – der »Kölner Professor« – gehörte ebenso dazu wie »unser Essener Freund« – gemeint war eindeutig Gustav Heinemann. Expressis verbis fand sich »Herr von Papen« erwähnt, der offenbar für eine Zeitung – gemeint war wahrscheinlich Die Nation – gewonnen werden konnte. Ein entsprechender Brief von Papens sei jedoch nie beantwortet worden, schrieb Kiefer an Rauschning. Botschafter von Hentig sei inzwischen abgesprungen. Meinungsverschiedenheiten unter den Beteiligten gab es offenbar über die Frage, ob ein zu gründender »Arbeitskreis« und die Zeitung deutlich getrennt werden sollten, was Kiefer mit dem Hinweis befürwortete, »dass die Zeitung im Brennpunkt aller Nachrichtendienste« stehe.1079 Insbesondere der bei dem Blatt für Innenpolitik zuständige ehemalige SS-­Major Fritz Brehm vertrat in dieser Frage offenbar eine andere Auffassung.1080 In einem Brief an Karl Graf von Westphalen erklärte Rauschning, Ziel sei es, »unter Heranziehung einer Reihe von Abgeordneten der bisherigen 390

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Regierungskoalition unter Umständen« deren Bruch herbeizuführen.1081 In einem weiteren, drei Jahre nach seiner Rückkehr in die USA an Graf von Westphalen gerichteten Schreiben ergänzte Rauschning, es dürfe von Westphalen »kaum bekannt« gewesen sein, dass sein »politisches Hauptanliegen während meiner Reise 54/55 die Ablösung Adenauers durch Brüning als Kanzler« gewesen sei. Er kenne »Brüning persönlich genug, um ihn auch abgesehen von seinen außen- und innenpolitischen Anschauungen als den lauteren Charakter, den klugen, einfallsreichen und unbestechlichen Verstand und den erfahrenen echten Staatsmann bezeichnen zu können.« Bei wiederholten Besuchen in Köln habe er, Rauschning, seinerzeit eine Übereinstimmung in den politischen »Hauptpunkten« mit Brüning festgestellt. Leider habe sich der Ex-Reichskanzler nicht bereit finden können, »sich schärfer in dem Kampf gegen die Pariser Verträge zu exponieren«.1082 Treibende Kraft hinter den Bemühungen um eine Aktion gegen die Pariser Verträge und damit gegen die Regierungskoalition war Wolf Schenke. Nach Schenkes Erinnerungen wurde auf einer Sitzung im Hotel »Rheinland« in Bad Godesberg am 10. Februar 1955 jene Erklärung beschlossen, die am 26. Februar, also am Tage vor der dritten Lesung der Verträge, auf »einer von uns einberufenen Pressekonferenz bekanntgemacht werden sollte«.1083 Der »Bogen der Sitzungsteilnehmer«, so Schenke, war weit gespannt. Ganz »rechts«, wenn man so will, hatten wir … den ehemaligen Fallschirm-Kommandeur, Generaloberst Kurt Student, am »linken« Flügel die führenden SPD-Abgeordneten Fritz Erler und Herbert Wehner, während die »Mitte« durch Dr. Gustav Heinemann und den FDP-Abgeordneten Dr. Reinhold Maier gebildet wurde. Von der FDP beteiligte sich am aktivsten an den Vorbereitungen der Abgordnete Hermann Schwann, weiter waren die Abgeordneten Dr. Ewald Bucher und Dr. Wolfgang Schwammberger sowie Dr. Karl Hoffmann gewonnen. Auch die Abgeordneten der Vertriebenenpartei, GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), Erwin Feller und Dr. Wilfried Keller, beteiligten sich. Außerhalb des Parlaments standen der frühere Danziger Senatspräsident Dr. Hermann Rauschning, … Werner Otto von Hentig, Prof. Nikolaus Koch aus dem Rat des Deutschen Kongresses, Karl Graf von Westphalen1084 und der Kölner Universitätsprofessor Johannes Hessen. In Vertretung des ehemaligen Reichskanzlers Dr. Brüning … wirkte einer der Männer des 20. Juli 1944, Freiherr von Lüninck, mit.1085

Als Wirtschaftsvertreter fungierten Richard Freudenberg von der Firma Carl Freudenberg aus Weinheim an der Bergstraße, Heinrich Krumm Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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sowie Rauschnings Gönner, der Agrarlobbyist Hansjoachim von Rohr. Insbesondere der Offenbacher Lederwarenfabrikant Krumm besaß zu jener Zeit bereits den Ruf eines energischen »Türöffners« in Richtung Osten. Als im Frühjahr 1952 in Moskau eine große internationale Wirtschaftskonferenz stattgefunden hatte, die im Übrigen von der Bundesregierung und von Washington mit Missfallen registriert wurde, hatte Krumm dort für die deutschen Teilnehmer eine kurze Ansprache gehalten. Die wirtschaftsnahe Wochenzeitung Der Volkswirt teilte zwar grundsätzlich die kritische Einstellung der Regierung Adenauer zu Handelskontakten mit der Sowjetunion, hob aber auch ostentativ einen Boykottbrecher lobend hervor. Heinrich Krumm wurde für den »Mut und die Bereitschaft zur Verantwortung« gedankt, die er mit seiner Moskau-Reise an den Tag gelegt habe. Aber nicht nur das: Im anschließenden Interview durfte der Offenbacher Unternehmer echte Begeisterung für das unbekannte Rußland zeigen. Seine Reisebilanz entsprach der neuen Einschätzung des Blattes: Trotz aller Propaganda wolle Moskau mehr Handel und wirkliche Entspannung.1086

Beinahe mehr noch als jene die Sowjetunion betreffenden Äußerungen Krumms in dem Interview dürften seine Bemerkungen über die langfristigen Handelsaussichten mit der Volksrepublik China Aufmerksamkeit erregt haben. Der »Führer der chinesischen Delegation« in Moskau, Nan Han-tschen, habe, so Krumm, auf die »400 Millionen Bauern« Chinas als »künftige zahlungsfähige Käufer mit der chinesischen Agarreform« hingewiesen: »Eine solche Massenkaufkraft ist etwas in China bisher nie Dagewesenes. Die Absatzmöglichkeiten für Produktionsmittel und Konsumgüter sind so gut wie nie zuvor«, so Nan Han-tschen laut Krumm. Krumm ließ in dem Interview allerdings auch durchblicken, dass er die »Zukunftshoffnung« seiner chinesischen Gesprächspartner für etwas verfrüht hielt.1087 Außerdem warf er die rhetorische Frage auf, wie es denn angesichts solcher chinesischer »Verheißungen« komme, dass sich die Chinesen »sowjetrussischer Vermittlung« bedienten: »Tritt Sowjetrußland etwa als Kommissionär auf?« Kernpunkte der in Bad Godesberg beschlossenen Erklärung waren zum einen die Warnung, »Zugeständnisse der anderen Seite« – gemeint war die Sowjetunion – »in den Wind zu schlagen und eine Politik überspannter Vorstellungen zu treiben«. Den Bezugspunkt dieser Formulierung bildete 392

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eine Verlautbarung der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS vom 15. Januar 1955, in der mit klarem Hinweis auf die Lesungen der Pariser Verträge im Bundestag vor einer Zementierung der deutschen Spaltung bei Annahme der Verträge gewarnt, zugleich aber auch das Angebot zur Durchführung gesamtdeutscher Wahlen unter internationaler Aufsicht gemacht wurde. Zum anderen machte die Erklärung deutlich, dass die Unterzeichner vor einer »Politik der reinen militärischen Stärke« warnten, denn sie werde die »Sowjetunion in der Deutschlandfrage nicht in die Knie« zwingen. »Wir fordern daher den Bundestag auf«, hieß es, »die 3. Lesung der Verträge befristet aufzuschieben, um Verhandlungen mit der Sowjetunion über deren Angebote zu führen.«1088 In den Zusammenhang des Godesberger Treffens gehört auch der »Entwurf einer Erklärung« von Hermann Rauschning, der sich im Nachlass des ehemaligen Reichsministers und CDU-Politikers Andreas Hermes findet.1089 Die undatierte Erklärung wandte sich in erster Linie an die »Abgeordneten des Bundestages«, darüber hinaus aber auch »an das ganze deutsche Volk« und an die »Vertreter der Weltöffentlichkeit«. In typisch Rauschning’scher Diktion verlangte sie von den großen Mächten, von der »Koexistenz« zur »Kooperation« überzugehen. Angesichts des atomaren Gleichgewichtes bliebe »den Mächten nur übrig, durch Verständigung allmählich die Konflikte auszumerzen, um zu einem Frieden zu gelangen«. Dringend warnte Rauschning vor einer »Wiederaufrüstung des deutschen Volkes in beiden Teilgebieten«. Mit einer Absage an die Pariser Verträge werde die »Entscheidung« bekundet, »daß das deutsche Volk gegenüber der Sowjetunion dieselbe Verpflichtung der Loyalität und der Beseitigung des durch den deutschen Angriff unter Bruch feierlicher Verpflichtungen ausgelösten Mißtrauens anerkennt, die es gegenüber den Westmächten bisher zur Grundlage der Politik der Bundesregierung gemacht« habe. Deutschland könne »nur in friedlicher und wenn möglich vertrauensvoller Kooperation nach beiden Seiten hin Einheit und Zukunft gewinnen«. Rauschning mutete dem »deutschen Volk« des Weiteren zu, dass es »allerdings bereit sein« müsse, »das volle Risiko seiner Lage auf sich zu nehmen und im Vertrauen auf die Möglichkeit einer Verständigung der Großmächte seine Zukunft der Sicherung durch ein allseitiges Vertragssystem anzuvertrauen. Es muß unzweideutig zum Ausdruck bringen, daß es in dieser höchst kritischen Lage nichts dazu beitragen will, was die Spannung vermehren, aber alles, was sie verringern könnte.« Er befürchtete, dass »weite und ständig wachsende Kreise des deutschen VolNeutralnationalismus und Ostgeschäfte

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kes« glaubten, dass eine »Ratifizierung der Pariser Verträge« die Teilung Deutschlands »zu einer endgültigen werden lassen könnte«. Darüber hinaus, so Rauschning, bedeute sie die »unwiderrufliche Vorentscheidung für einen Krieg«, der allein durch die Wiedervereinigung Deutschlands »unter Herauslösung aus den militärischen Sicherungssystemen« vermieden werden könne. »Durch die Versagung der Ratifizierung der Verträge« solle zum Ausdruck gebracht werden, »daß das deutsche Volk auf dem bisher verfolgten Wege weder einen dauerhaften Frieden noch eine Lösung des deutschen Problems als erreichbar« ansehe. Im Hinblick auf seine Forderung nach der Wiedervereinigung wurde die Erklärung gegen Ende recht konkret. »Wir schlagen vor«, hieß es da, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf Grund der durch das Hitlerregime und die nachfolgende Okkupation zeitweise außer Kraft gesetzten Rechtsbasis der Weimarer Verfassung erfolgen sollte. Zur praktischen Durchführung der vorläufigen Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes wäre nach einer entsprechenden Erklärung der Kontrollmächte, die Deutschlands innerpolitische Souveränität wieder anerkennt, ein Direktorium zu berufen, dem auch die deutscherseits notwendigen Vorbereitungen von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung oblägen.

Die für den 26. Februar geplante Pressekonferenz fand dann jedoch überraschend nicht statt. Ausgerechnet am Tag vor der entscheidenden Ratifizierungsdebatte reiste Reinhold Maier in die USA ab und klärte die Öffentlichkeit mit einer Presseerklärung des Inhaltes auf, dass seine Schiffspassage für den 26. bereits gebucht worden sei, als dieser Termin für die 3. Lesung noch nicht festgestanden bzw. die Hoffnung bestanden habe, dass es vielleicht gar nicht dazu kommen werde. Wolf Schenke versucht in seiner Version der Ereignisse Maier als Verräter darzustellen, der genau um die Brisanz der Pressekonferenz gewusst und, schlimmer noch, seine Mitstreiter über die Amerikareise bis zuletzt im Unklaren gelassen habe.1090 Es sei wohl Adenauer gewesen, der Maier in einer langen Unterredung unmittelbar vor seiner Abreise entscheidend beeinflusst habe. Tatsächlich jedoch hatte Johann W. Werner seinen Onkel Hermann Rauschning bereits in einem Brief vom 4. Februar auf eine Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Februar aufmerksam gemacht, in der ausdrücklich vom 26. Februar als Abreisetermin Maiers zu einem sechswöchigen USA-Aufenthalt die Rede war. Werner wies Rauschning 394

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eigens noch darauf hin, dass dieser Termin just jener am Tag vor der dritten Lesung der Pariser Verträge sei.1091 Rauschning selber fand in einem Postskriptum eines Briefes an die ihm freundschaftlich verbundene amerikanische Journalistin Dorothy ­Thompson vom 19. Februar 1955 herzliche Worte für Maier, den er Th ­ ompson als Gesprächspartner auf seiner USA-Reise empfahl: »Dr. Reinhold Maier … a true liberal grown up from the grassroots of the old liberal Schwabenland is going to visit the United States. I would be happy if you could get in touch with him. He follows similar lines of policy as I. He would be the sound counterpart of a true democratic party to that stubborn autocratic old man in Bonn.«1092 Rauschnings Brief war eine Antwort auf ein Schreiben Thompsons an ihn, dem die Kopie einer Rede des amerikanischen Pazifikhelden Douglas MacArthur vom 26. Januar 1955 in Los Angeles beigefügt war. Mac­ Arthur, der wenige Jahre zuvor den Einsatz von Atomwaffen im Korea-Krieg gefordert hatte, schlug nun in seinen Ausführungen andere Töne an, die vor allem vor den Grauen eines Krieges warnten. Rauschning hatte zukünftig auch diese Rede im Sinn, wenn er bei seinen Auftritten in der Bundesrepublik dafür warb, neue Schattierungen in der amerikanischen Politik gegenüber dem Osten zur Kenntnis zu nehmen. Auch sein Neffe Werner hatte ihn auf MacArthur aufmerksam gemacht. In einem Brief an Werner vom 29. Januar dankte Rauschning für diese Information und schrieb: »Meine Diagnose von vor einem Jahr bestätigt sich immer mehr. Aber während man drüben elastisch ist, hält nur Konradolf in seiner Alterssenilität an seiner verschimmelten Konzeption aus der Zeit vor Christi (sic) fest.«1093 Noch in relativer zeitlicher Nähe zu den Vorgängen um Bad Godesberg, jedoch bereits von Amerika aus, urteilte Rauschning später zunächst nachsichtig über Reinhold Maier. Den Hintergrund dafür gab die Aufkündigung der gemeinsamen Koalition mit CDU/CSU durch den FDP-Fraktionsvorsitzenden Thomas Dehler am 23. Februar 1956 ab. Nur fünf Tage später schrieb Rauschning an seinen Neffen Werner: »Die FDP-Revolution ist ein erfreuliches Zeichen. Hoffentlich hält Dehler durch. Ich bin heute geneigt, Reinhold Maier bei seiner vorjährigen Ausweichung vor dem Kampf recht zu geben. Die Zeit war noch nicht reif. Wenigstens innerpolitisch noch nicht.«1094 Rauschnings Formulierung lässt einmal mehr den Schluss zu, dass die in Godesberg Versammelten im günstigsten Fall einen Bruch der Koalitionsregierung unter Konrad Adenauer und damit Neuwahlen anstrebten. Der entscheidende Mann für die Herbeiführung dieses Bruches wäre demnach Reinhold Maier gewesen. Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Ein rundes halbes Jahrzehnt nach diesen Vorgängen äußerte sich Rauschning jedoch ebenfalls enttäuscht über Maier und insbesondere über die damalige FDP. An Graf von Westphalen schrieb er am 17. Mai 1959 aus Oregon, dass er bereits »54/55« versucht habe, für Ex-Kanzler Brüning »eine breite überparteiliche Basis für eine Opposition zu schaffen«. Von der FDP mit Reinhold Maier bis zu Nationalisten und Sozialdemokraten, mit Belasteten wie Schacht und ehemaligen Militärs wie dem Oberkommandierenden der Fallschirmjäger Generaloberst Student, mit Wirtschaftskreisen Hamburgs unter Freiherr von Reitzenstein, mit Hermes vom alten Zentrum wie mit den Sozialdemokraten Erler, Wehner und Carlo Schmid. Letzten Endes scheiterte alles an der Zaghaftigkeit und parteipolitischen Rücksichtnahme Reinhold Maiers. Ich habe seitdem kein Zutrauen mehr zu FDP-Kreisen. Sie wissen so wenig, was sie wollen, wie die damaligen Vertriebenen. Es sind entweder wie Dehler unausgegorene Wirrköpfe oder bloße Parteitaktiker.1095

Schenkes Version, wonach Maier völlig überraschend hingeworfen habe, wird auch durch ein Schreiben Wilhelm Kiefers an Rauschning vom 23. Februar 1955 widerlegt. Darin berichtete Kiefer, dass er Maier in den vergangenen Tagen wiederholt getroffen habe. Dabei habe Maier erklärt, er werde auf keinen Fall an der geplanten Pressekonferenz teilnehmen, er weigere sich auch, die von ihm mit konzipierte Erklärung zu unterschreiben. Entscheidend für Maiers Rückzug seien von Rohrs Angriffe auf Brehm in Bad Godesberg gewesen. Dabei sei es gar nicht um Brehms rechtsextreme Einstellung gegangen, sondern um den fatalen Eindruck, gegenüber der Sowjetunion allzu willfährig zu erscheinen. Maier habe ihm kürzlich gesagt, er wisse, dass die Attacken auf Brehm bereits im Bundeskanzleramt bekannt seien und er selber nun in den Ruf der »Osthörigkeit« gerate. Maiers Reise in die Vereinigten Staaten deutete Kiefer in dem Schreiben »als eine Art Flucht«; Maier sei wohl von allen Beteiligten hinsichtlich seiner Standhaftigkeit überschätzt worden, man dürfe jedoch nicht meinen, dieser habe »uns sozusagen vorsätzlich getäuscht«. Kiefer räumte zwar für sich, Rauschning und Gleichgesinnte eine »Niederlage« ein, doch solle man versuchen, Maier nach seiner Rückkehr aus den USA erneut zu gewinnen. An Rauschning gewandt schrieb Kiefer: »Werden Sie mir nicht mutlos! Ich beschwöre Sie! Die Enttäuschungen, die Sie mit uns erlebt haben, berechtigen Sie zwar dazu; aber ich habe mir in dieser Sache vorgenommen, den Kampf nicht aufzugeben, ehe ich nicht selbst völlig zerschlagen am Boden liege.«1096 396

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Neben vielen, nicht zuletzt persönlichen, Nickligkeiten zwischen den Teilnehmern an der Initiative spielte auch die Abgrenzungsproblematik nach rechtsaußen und insbesondere ihre Haltung zu der rechtslastigen Zeitung Die Nation eine wichtige Rolle. In einem Brief an Rauschning begrüßte von Rohr zwar Rauschnings und Wolf Schenkes Aufsätze in der Nation, weil »es nur gut« sein könne, wenn deren Leser »mit Ihren Gedanken bekannt gemacht« würden. Andrerseits verwahre er sich jedoch gegen den Versuch der Nation, in »unseren Kreis« einzudringen. Drei »Herren in unserem Kreis« stünden der Nation nahe, so von Rohr. Das aber sei »die Breitseite, von der Herr Erler sagte, dass wir sie dem Gegner nicht hinhalten dürften«. Rohr schloss seinen Brief mit dem Satz: »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich mit Dr. Brehm oder der Nation solidar erklären sollten.«1097 Rauschning antwortete von Rohr umgehend. Unter dem Datum des 13. Februar 1955 schrieb er ihm von seinem vorübergehenden Domizil bei Verwandten in Walsrode bei Hannover aus und erwähnte dabei eher beiläufig die Tatsache, dass es von Rohrs Verdienst war, dass er nach Deutschland hatte kommen können. Rauschning versuchte in dem Brief deutlich zu machen, warum er sich mit alten und neuen Nationalsozialisten etwa rund um die Nation einließ. »Ich will einmal die Frage über die Güte oder Verderblichkeit der ›Nation‹ auf sich beruhen lassen«, begann er, und Sie bitten sich die Frage vorzulegen, warum gerade ich, der ich als einer der frühesten Widerstandskämpfer im Ausland bekannt bin, mich nicht gescheut habe, mit nationalsozialistischen Kreisen, und zwar gerade mit in den Augen der heutigen Machthaber des In- und Auslandes B e l a s t e t e n in Berührung zu kommen, ja diese gerade gesucht zu haben. Es geschah aus dem Motiv heraus, daß man das Ausland von der Notwendigkeit und M ö g l i c h k e i t einer anderen Politik nur überzeugen kann, wenn man es glaubhaft zu machen wüßte, daß gerade diese neofaschistischen Kreise eine neutrale Eigenständigkeit eines geeinten Deutschland einer Wiederbewaffnung eines geteilten Deutschland vorziehen, und daß damit die Sorge, daß gerade von hier neue Gefahren für den Westen drohen, keine ernstliche ist.

Rauschning fuhr fort, man müsse versuchen, die »Kreise um die Nation und ähnliche« zu einer allmählichen und umfassenden Sinneswandlung zu führen, weil man das »künftige Deutschland nicht ohne diese wertvollen Menschen schaffen« könne. Von »unserem gemeinsamen christlichen Standpunkt« aus wolle er von Rohr ferner sagen, »daß nur da, wo Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Irrtum aber Gesinnung war, – wie falsch sie immer gewesen sein mag –, eine Wandlung möglich ist, aber nicht da, wo weder damals noch heute Gesinnung ist, sondern nur Rücksicht auf die eigene Person, das eigene Fortkommen, wie bei so vielen, die heute in großen Positionen sind.« Es folgte noch ein rückhaltloses Bekenntnis zu Brehm, den er als einen »aufrichtigen und ernsten Patrioten« schätze. Ob er, von Rohr, denn mit den Anschauungen eines Herbert Wehner »solidar« sei? Abschließend bat Rauschning von Rohr, seinen »Einspruch gegen Herrn Brehm fallen zu lassen«, da sein »unzeitiger Protest« gegen Brehm die Schaffung »einer großen Front für die Einheit Deutschlands … empfindlich stören« würde.1098 Eine Woche später wiederholte Rauschning in einem Schreiben an Gustav Heinemann, der ihm angeboten hatte, in »seinem Blatt« zu publizieren, seine Position gegenüber den »Faschisten«. Gerade in die »nationalsozialistischen« und »faschistischen Kreise« wolle er eindringen, um dort »falsche Vorstellungen« zu korrigieren. Auch der Vorwurf, von »kommunistischem Geld« ausgehalten zu werden, lasse ihn kalt: »Ähnliches haben mir schon die Nazis vorgeworfen, als ich 1934 in die Opposition ging. Ich sollte damals von den Polen ein Gut geschenkt bekommen haben. Es beweist die Verwandtschaft des heutigen Regimes mit dem damaligen, daß es zu den selben plumpen Diffamierungsmethoden greift.«1099 Ausgehalten von »kommunistischem Geld«  – dieser Vorwurf, dieses Gerücht, sollte Hermann Rauschning mal mehr und mal weniger für den Rest seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik begleiten. In einer Zeit, als die DDR noch nicht von der Bundesrepublik durch Mauer und Stacheldraht hermetisch abgeriegelt war, gestaltete es sich technisch und organisatorisch relativ einfach, größere oder kleinere Geldbeträge die Seiten wechseln zu lassen. Studiert man die wissenschaftliche Literatur zur deutsch-deutschen Geschichte der frühen Nachkriegszeit, stößt man unentwegt auf die Behauptung und auch auf gerichtlich nachgewiesene Fälle der Finanzierung westdeutscher Parteien, Zeitungen und Organisationen durch die DDR.1100 Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges bedienten sich die Regierung Adenauer, die ihr nachgeordneten Institutionen sowie ihr nahestehende Medien häufig des Vorwurfs der »Ostfinanzierung«, um die Kritiker des Regierungskurses der Westbindung zu diskreditieren und, wenn möglich, mundtot zu machen. Dass die so Angegriffenen sich zu wehren wussten und dabei einigen Erfindungsreichtum an den Tag legten, zeigte auch das Wirken Hermann Rauschnings und seiner politischen Mitstreiter in den Jahren 1954/55. 398

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Ende Januar 1955 schrieb Rauschning an Wolf Schenke, um ihn »darauf vorzubereiten, daß man sich wahrscheinlich demnächst auch über die finanziellen Hintergründe« von dessen Hamburger Holsten Verlag1101 informieren werde. »Der große Coup Konradolfs beginnt. Wir alle werden diffamiert werden als Leute, die ihre Mittel von der anderen Seite beziehen«. Er habe am Vortag mit einem Korrespondenten der New York Herald Tribune darüber ein Gespräch geführt. Coblentz, so der Name des Journalisten, habe sich sehr interessiert an der Frage der Finanzierung des Holsten Verlages gezeigt und er, Rauschning, habe in dieser Richtung wahrscheinlich aufklärend wirken können.1102 Rauschning warnte Schenke, man müsse auf »alles Mögliche gefaßt sein, auch darauf, daß der Versand der Exemplare« seiner neuen Broschüre »an die Abgeordneten mit dunklen Mitteln erfolgte«. Bei dem Gespräch mit Coblentz war nach Mitteilung Rauschnings auch »H. Sch.« zugegen, womit nach der Logik der nachfolgenden Informationen nur Hermann Schaefer gemeint sein konnte. Schaefer, eine wahrhaft schillernde Figur in der frühen westdeutschen Innenpolitik, war seit Dezember 1954 Chefredakteur der von ihm neu gegründeten Rheinisch-Westfälischen Nachrichten für deutsche Kultur, Politik, Wirtschaft und Sport in Düsseldorf, die seit Mitte Januar 1955 immer samstags als Wochenzeitung erschien. Er hatte Rauschning für eine Mitarbeit an seinem neuen Blatt gewinnen können, die ihrer gemeinsamen neutralnationalistischen Einstellung entsprach. Schaefer habe in der Unterredung mit dem Amerikaner, so Rauschning gegenüber Schenke, »leider eine ziemlich dürftige Rolle gespielt«. Er habe auf Fragen von Coblentz so geantwortet, wie »man es bei den smarten Alecks bestimmt nicht tun« dürfe. Er, Rauschning, habe sich mit Schaefer »aber so weit verständigt, dass wenigstens in Zukunft mein Name im Impressum fortbleibt«. »Diese Sorte Leute« rissen doch immer »die beste Sache in den Dreck«.1103 Schaefer, Rauschning und andere führende Köpfe der RWN  – die Wochenzeitung Die Zeit bezeichnete das Blatt auch schon mal als »sagenumwoben«1104 – gerieten seit Ende 1954 ins Visier der Regierung Adenauer. Vor allem Schaefer erfreute sich dabei nachdrücklicher Aufmerksamkeit. In einem umfangreichen Artikel Victor Korb von Koerbers1105 von der regierungsnahen Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise (ADK) in der niederländischen Wochenzeitung Haagse Post mit dem Titel »Rauschning zwoer Hitler uiterlijk (maar niet innerlijk) af«,1106 ging es zum einen um eine mit zahlreichen Informationen aus seiner Danziger Senatspräsidentenzeit gespickte Diffamierung Rauschnings als unbelehrbarer Nationalsozialist Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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und zum anderen um die Person Hermann Schaefers als Chef der RWN. Den Artikel illustrierte dabei ein großformatiges Foto von Rauschning. Die Personalie Schaefer erklärt, warum die groß aufgemachte Attacke auf Rauschning ausgerechnet in einer niederländischen Zeitung erschien. Am Ende seines Artikels versuchte Koerber bei seiner niederländischen Leserschaft ganz offensichtlich Stimmung gegen Rauschning und Schaefer mit der Information zu machen, dass dies jener Schaefer war, der wenige Jahre zuvor dem aus der Haftanstalt Breda entflohenen niederländischen SS-Mann und Kriegsverbrecher Antoine Touseul in Aachen zu hochrangigen FDP-Kontakten und damit zu einem wenigstens vorübergehenden Verbleib in der Bundesrepublik verholfen hatte. Zwar wurde Touseul erneut verhaftet, jedoch 1954 nach einem Aufsehen erregenden Prozess wieder freigelassen, da er als Mitglied der Waffen-SS automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft besaß und folglich nicht an die Niederlande ausgeliefert werden konnte.1107 Schaefer, gleich nach Kriegsende als Verlagsleiter und Chefredakteur bei den Aachener Nachrichten tätig, war 1946 zunächst als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt worden, was jedoch durch rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Aachen vom 25. April 1953 widerrufen wurde. Nach seinem Austritt aus der Aachener FDP-Ratsfraktion sowie der örtlichen FDP wegen diverser Unstimmigkeiten siedelte Schaefer nach München um, wo er zunächst die Chefredaktion der nationalbolschewistischen Deutschen National-Zeitung und nach deren Ende die der ähnlich ausgerichteten Zeitung Die Nation übernahm. Beide Organe standen in dem Ruf, »vom Osten« finanziert zu sein.1108 Mit seiner beruflichen Rückkehr nach Nordrhein-Westfalen auf Grund der RWN-Gründung erregte Schaefer umgehend das Interesse des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. In einer Aufzeichnung der Behörde vom Oktober 1954 wurde die strategische Richtung der künftigen Observierungsarbeit angedeutet, denn es hieß dort u. a., man wolle »prozeßfähiges Material gegen Schaefer in die Hand bekommen«.1109 Am ehesten schien dies den Verfassungsschützern möglich, indem man eine Finanzierung der RWN durch östliche Quellen nachwies. Rätsel gab dabei zunächst die von Schaefer selbst veröffentlichte Finanzstruktur seiner RWN auf, die sich hinter dem »Internationalen Verlagshaus Locarno-Düsseldorf GmbH« verbarg. Laut dem Deutschen Informationsdienst (DID) fungierten dabei als Gesellschafter Alice Lanini-Bolz aus Ronco bei Locarno und Hermann Schaefer zu je 50 % bei einem Stammkapital von 20.000 Schweizer Franken.1110 Nach Informationen des NRW-Verfassungsschutzes war Hermann Schaefer ein 400

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»alter Jugendfreund« von Frau Lanini-Bolz und, wichtiger noch, diese sei mit der »Adenauer-Familie befreundet«.1111 Von Rauschnings altem Freund Maier-Hultschin stammt wahrscheinlich ein ausführlicher Bericht über die finanziellen Hintergründe der RWN, den er in seiner Eigenschaft als Chef der Pressestelle des Landes NRW als Antwort auf einen Eilbrief des Industriekurier-Herausgebers Hugo Wrietzner erstellte und der als Abschrift auch an seinen Vorgesetzten, NRW-Innenminister Meyers, ging.1112 Maier-Hultschin informierte Wrietzner zu Beginn seiner Ausarbeitung darüber, dass zur Aufklärung der finanziellen Hintergründe ein »äußerst zuverlässiger Privatdetektiv« eingeschaltet sei. »Aus eigener Kenntnis« könne er ihm aber vorab Informationen über Schaefer, Frau Lanini-Bolz und das Verlagshaus Locarno-Düsseldorf geben. Das Standbein Locarno diene »ganz offensichtlich dazu, über eine Schweizer Beteiligung östliche Gelder leichter nach Deutschland einzuschleusen als auf direktem Wege. Die GmbH bekommt ihre Kredite dann über Locarno. Da wird ganz einfach eine Bank zwischengeschaltet.« Und der Bericht schließt mit folgenden Bemerkungen: Daß diese Frau Lanini hier in ein Abenteuer stolpert, dessen Tragweite sie nicht sieht, ist ganz klar. Ich überlege mir schon, ob ich ihr über die Familie Adenauer eine Warnung zukommen lassen soll. Das könnte ich sofort veranlassen, wenn Sie es auch für richtig halten. Ich bin zunächst im Interesse der notwendigen Informationen äußerst zurückhaltend geblieben. Aber vielleicht lohnt sich doch der Versuch, die Sache noch zu sprengen, wenn es nicht schon zu spät ist.

Schaefer dürfte Lanini-Bolz bei Gründung der GmbH kaum über den vorgesehenen adenauerkritischen Kurs der RWN informiert haben. Bereits im März 1955 schied sie als Gesellschafterin aus und Schaefer gründete nun zunächst die »Verlagsanstalt Rheinisch-Westfälische Nachrichten GmbH«, Düsseldorf. Nach dem Gesellschaftervertrag waren jetzt neben Schaefer der ehemalige Regierungsrat im Reichspropagandaministerium, Rudolf Schauff, sowie der frühere SS-Brigadeführer und ehemalige Kommandant von Rhodos, Otto Wagener (»Schrecken von Rhodos«), Geschäftsführer des Verlages, der sich nun »Schaefer, Wagener, Schauff GmbH Düsseldorf« nannte.1113 »Wichtig ist bei diesem Zuschußunternehmen«, so der DID nach Einsichtnahme in die Urkundenrolle, »daß Hermann Schaefer die ›Finanz-­ Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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Geschäfte‹ allein leitet.« Es heiße im Gesellschaftervertrag in Verbindung mit Schaefer: »Vorfinanzierung der Gesellschafterzwecke bis zur Rentabilität des Unternehmens«. Danach gingen, so der DID, »die großen Zuschüsse unbekannter Geldgeber also über H. Schaefer … Daraus ergibt sich, daß Schaefer zunächst im Schweizer Verband und jetzt in der neuen GmbH die ausschlaggebende Rolle spielt. Geld scheint nach wie vor ausreichend vorhanden zu sein.«1114 Der letzte Satz insinuierte zweifellos die Wahrscheinlichkeit einer östlichen Unterstützung der RWN. Der Fairness halber soll hier auch jene Version über die Rolle des Schweizer Kontos in Locarno erwähnt werden, die Rudolf Schauff nach seinem Bruch mit Schaefer in einer ausführlichen Aussage vor der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Zusammenhang mit einem Staatsgefährdungsverfahren gegen Otto Wagener am 11. Mai 1956 gemacht hat und die Schaefers Erklärung für das Konto wiedergibt. Schauff will zusammen mit anderen Redakteuren der RWN von Anbeginn der Zeitungsgründung von Schaefer Auskunft über die finanziellen Mittel der Zeitung verlangt haben. Schaefer habe sich wochenlang strikt geweigert, darüber etwas mitzuteilen, und die Fragesteller immer wieder vertröstet. Dann, »mit dem Erscheinen der Probenummer« Mitte Januar 1955, »berichtete ­Schaefer … dem Redaktionsstab überraschend, daß hinter der neuen Zeitung Schweizer Finanzkreise stünden«, so Schauff.1115 Es sollte sich hierbei um Gelder handeln, die als Sperrmarkbeträge während des Krieges von der nationalsozialistischen Regierung in die Schweiz überwiesen worden seien, um dort nationalsozialistische Propaganda betreiben zu können. Die Empfänger der Gelder, so erklärte Schaefer weiter, wollten nun nicht mehr mit den Geldern arbeiten, da sie Schwierigkeiten mit den Schweizer Finanz- und Polizeibehörden befürchteten. Als ehemaligen Verwalter dieses Sperrmark-Propagandafonds bezeichnete Schaefer den jetzigen Botschafter Herbert Blankenhorn.1116 Das Schweizer Verlagshaus Lanini sei einer der Empfänger dieser Sperrmarkbeträge gewesen. Es habe nunmehr diese Mittel wieder zur Verfügung gestellt. Schauff gab in seiner Aussage an, den Angaben Schaefers seinerzeit Glauben geschenkt zu haben, da ihm aus seiner eigenen Zeit »bei der Reichsregierung« derartige Praktiken bekannt gewesen seien. Darüber hinaus hätten er und andere Redaktionsmitglieder Erkundigungen über das »Verlagshaus Lanini« eingeholt, die zumindest dessen Deutschfreundlichkeit bestätigt hätten, sodass man damit die Frage nach der Herkunft der RWNMittel vorerst auf sich beruhen lassen habe. 402

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Sollten die Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen erwartet haben, bei ihren Beobachtungen bald auf entsprechende Beweise zu stoßen, sahen sie sich zunächst durch andere Spuren überrascht. Im Planungsstadium der Zeitung tappten sie arg im Dunklen, weil etwa zeitgleich zwei Zeitungen im Rhein-Ruhrgebiet ihrer Gründung entgegensahen. In einem Vermerk des FDP-Kreisverbandes Aachen-Stadt vom 30. Oktober 1954, der auf Informationen »des Verfassungsschutzamtes« beruhte, hieß es, eine »Rheinisch-Westfälische Landeszeitung« »mit dem Sitz in Düsseldorf oder Essen« werde »angeblich von Krupp über« Dr. Ernst Achenbach von der FDP finanziert.1117 Ein Bericht der Pressestelle des Landes NRW vom 9. Dezember 1954 informierte NRW-Innenminister Franz Meyers darüber, dass »größere Wirtschaftskreise – insbesondere auch die Firma Krupp –« daran arbeiteten, die Rheinisch-Westfälische Zeitung (RWZ) »wieder ins Leben zu rufen«. Neben den »Bestrebungen auf Wiederherausgabe der RWZ« seien »Bestrebungen im Gange eine ›Rheinische-Westfälische Nachrichten‹ zunächst einmal wöchentlich, später täglich herauszubringen«. Hinter diesen Plänen stünden Hermann Schaefer, der »ehemalige Kretageneral und dort als Kriegsverbrecher gesuchte Dr. h. c. Wagener« sowie »als 3. Mann der Rechtsanwalt Dr. Rienhardt, der seinerzeit die Presse im 3. Reich mit gleichschaltete.«1118 Eine in den Beständen des nordrhein-westfälischen Landesarchivs (LAV) befindliche Aufzeichnung vom 7. Januar 1955 über eine Äußerung Hugo Wrietzners zitierte diesen mit der Auffassung, dass die Vorstellung einer Zusammenarbeit der RWN »mit dem Osten naiv« sei, vielmehr solle man das Augenmerk auf eine »Industriefinanzierung« legen.1119 Später im Jahr und nach einigen Turbulenzen um die RWN äußerte Reinhold Heinen, der Verleger der Kölnischen Rundschau, anlässlich einer »Arbeitssitzung des beratenden Ausschusses für das Pressewesen« beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz, dass die RWN-Finanzierung »nicht in erster Linie im Osten sitze, sondern in solchen Industriekreisen zu suchen sei, die am Ostgeschäft interessiert seien«.1120 Unter dem Datum des 25. Oktober 1955 findet sich in den Unterlagen des NRW-Verfassungsschutzes die »Behauptung« eines »Gewährsmannes«, ein »am Osthandel interessiertes« Firmenkonsortium der westdeutschen Industrie »unter Leitung von Otto Wolff von Amerongen« habe dem Blatt »seit etwa 3 Monaten größere Zuwendungen in einem Gesamtbetrag von etwa 100.000 DM« zukommen lassen, und zwar über die Gefo (Gesellschaft für Osthandel) Neutralnationalismus und Ostgeschäfte

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in Hamburg. Weiter heißt es in einem zugehörigen Vermerk des Verfassungsschutzes: »Es ist zu erwarten, daß die RWN sich in der nächsten Zukunft damit beschäftigen wird, die Bundesrepublik anzugreifen, weil sie, ihrer Meinung nach, nicht schnell genug die Beziehungen zur VR China und den übrigen Ostblockstaaten aufnimmt. Diese Artikel sind nicht von östlichen Staaten angeregt oder sogar entworfen, sondern werden vom o. g. Firmenkonsortium zusammengestellt.«1121 Allerdings teilte das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg den Kollegen in Düsseldorf auf deren »Anfrage« unter dem Datum des 9. November 1955 mit, dass eine behauptete »Gefo-Finanzierung der RWN« nicht zutreffe.1122

Als Publizist bei den Rheinisch Westfälischen Nachrichten Auch Hermann Rauschning musste sich mit der Frage der RWN-Geldquellen auseinandersetzen, denn nicht zuletzt davon hing seine Reputation ab. Auch die Nähe zu dem als Kriegsverbrecher verurteilten Otto Wagener dürfte er als riskant empfunden haben. Zunächst einmal jedoch fand er in der Zeitung ein Forum, das ihm Gelegenheit bot, seine politischen Vorstellungen einem – wenn auch begrenzten – Leserkreis zu vermitteln. Mehr noch, auch sein Neffe Johann W. Werner kam bei den RWN unter und spielte so für rund ein Jahr nicht nur die Rolle eines Informanten und Beraters für seinen Onkel, sondern er fand auch Möglichkeiten, sich selber journalistisch zu betätigen. Für Rauschning war die Zeit mit den RWN aber auch ein Wiedersehen anderer Art: Erneut musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, sich um höherer Ziele willen mit zwielichtigen Personen einzulassen. Zu diesen zählte sicherlich Schaefer, darüber hinaus galt dies auch für Wagener und den als »Berater« im Impressum der RWN aufgeführten Ernst von Salomon, der zu den Helfern der Rathenau-Mörder zählte. Mit Blick auf von Salomon gelangte der NRW-Verfassungsschutz in einem Vermerk bereits sehr früh zu einer politischen Einordnung der RWN. Während Die Nation »für Verständigung mit dem Osten, aber pronazistisch und gegen die Widerstandsrichtungen im Dritten Reich eingestellt« sei, träten »die RWN gleichfalls für Verständigung mit dem Osten, aber antinazistisch und für den Widerstand« ein. Als Beleg für dieses Urteil zog der Vermerk einen Artikel von Salomons aus der ersten Nummer der RWN vom 15. Januar 1955 heran, 404

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in dem der Autor positiv zum Widerstand Stellung genommen habe, einschließlich der sogenannten Roten Kapelle.1123 Zu den prominenten, wenngleich wenig präsenten Autoren der Zeitung zählten auch Carl Schmitt, Karl Jaspers und der militärpolitische Redakteur der FAZ, Adalbert Weinstein. Der Stalingrad-Kommandeur Feldmarschall Friedrich Paulus, der sich nach seiner sowjetischen Gefangenschaft in der DDR niedergelassen hatte, bekundete mit einem den RWN gewährten Interview kurz vor der Schlussabstimmung im Bundestag über die Pariser Verträge seine Sympathie gegenüber dem Wochenblatt. Wie nicht anders zu erwarten, warnte Paulus in dem Gespräch vor der »geplanten Aufrüstung Westdeutschlands« und der »Einbeziehung westdeutscher Truppenkontingente in die Nato-Streitkräfte«. Dadurch würden die Spannungen in Europa erhöht, die Gefahr eines Atomkrieges wahrscheinlicher und die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben.1124 Hermann Rauschning erschien bereits in der ersten Ausgabe der RWN mit einem Beitrag auf der Titelseite. In seinem »Aufruf an die Deutschen des Jahres 1955« fasste er die in seinen jüngsten Schriften detailliert erläuterten Gedanken vom Nexus zwischen dem Frieden in Europa und der deutschen Wiedervereinigung zusammen. Seine Ausführungen liefen darauf hinaus, dass das eine ohne das andere nicht zu haben sei und umgekehrt.1125 Zu diesem Zeitpunkt war das genaue Verhältnis Rauschnings zu den RWN und auch die Frage der Vergütung für seine Mitarbeit noch nicht endgültig geklärt. Dies geschah in einem Briefwechsel zwischen ihm und Hermann Schaefer Ende Januar 1955. Am 23. Januar übermittelte Rauschning Schaefer zunächst seine Eindrücke von der ersten Nummer der RWN, nachdem er sie »näher gelesen« hatte. Das Urteil fiel insgesamt nicht eben begeistert aus: Rauschning nahm einen ebenso »unnötig aggressiven Ton« in dem Blatt wahr wie auch »eine gewisse Saloppheit des Stiles«, die »dem Gesamtniveau abträglich« sei. Auch vermisste er, wichtiger noch, eine »klar erkennbare Mission, ein eigenes Anliegen« der Zeitung, die sie »von jeder anderen Veröffentlichung« unterscheide. Rauschning meinte sich Schaefer gegenüber zu erinnern, dass bei »unserer ersten Besprechung in Düsseldorf« vereinbart worden sei, dass Otto Wagener die Rolle »des Falken« in dem Blatt zukommen sollte. Davon, so Rauschning, finde er in den bisherigen Ausgaben jedoch nichts. Dann kam er auf seine eigene Beteiligung an der Zeitung zu sprechen. Die Aufnahme seines »Namens im Impressum« belaste ihn »mit einer Mitverantwortung Als Publizist bei den Rheinisch Westfälischen Nachrichten

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an der Gesamtlinie, an der ich praktisch nicht teilnehme«, schrieb er. Er habe immerhin einen politischen Ruf zu verlieren, und es sei sehr leicht, »selbst bei Freunden sich zu kompromittieren«. Er schlug daher vor, ihm einen »größeren Anteil an dem Charakter der Zeitung zuzubilligen«. Eine Kolumne pro Ausgabe, solange die Zeitung wöchentlich erscheine, »am besten auf der ersten Seite gleich rechts. Etwa in der Art, wie Hans Zehrer (in der Tageszeitung Die Welt, A. H.) seine Kurzartikel links schreibt«. Außerdem wolle er monatlich den einen oder anderen längeren Artikel für die Kulturseite verfassen. Nach einigen Ausführungen über die finanzielle Entlohnung seines Engagements bei den RWN forderte Rauschning schließlich monatlich eine »Entschädigung von 1500 DM«, wovon er jedoch auch »notwendige Reisen nach Düsseldorf« zu tragen bereit sei. Sodann wiederholte er noch einmal die Vorschläge hinsichtlich der geplanten Beiträge und betonte, dass ihm besonders der feste Platz der »Wochenartikel« am Herzen liege, »da dies die einzige Möglichkeit« sei, wie er seine »Einwirkung auf die Richtung der Zeitung realisieren« könne, sodass er »nicht bloß … eine Art von mitgeschlepptem Mitarbeiter werde«.1126 Vor allem der Tenor des von Hermann Schaefer umgehend verfassten Antwortschreibens lässt vermuten, dass Schaefer ein starkes Interesse an der Mitarbeit Rauschnings hatte. Am 25. Januar versicherte er Rauschning, er schätze sich »glücklich«, dass dieser sich »an der Gesamtgestaltung der Zeitung in aktiver, publizistischer Form beteiligen« wolle. In allen Sachfragen – Reservierung einer ganzen Spalte für Rauschnings Beiträge »von der nächsten Ausgabe an«, Vergütung und Beseitigung der monierten »Mängel« – erklärte Schaefer sein Einverständnis. Er schloss seinen Brief mit dem Satz: »Ich möchte zu Ihnen unter Ausschluß irgendwelcher Einwirkungen das Menschliche und Publizistische so eng wie nur möglich gestalten.«1127

Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer Nur wenige Wochen nach dieser Einigung zwischen Schaefer und Rauschning begann für die RWN das Unheil seinen Lauf zu nehmen. Die Zeitung stand seit ihrem Erscheinen unter Beobachtung des regierungsgesteuerten, stramm antikommunistischen Volksbundes für Frieden und Freiheit (VFF), der, insbesondere durch seinen zweiten Vorsitzenden Eberhard Taubert, versuchte, »die Hintergründe dieses Blattes der Öffentlich406

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keit aufzuzeigen«, so Ministerialrat Ewert Freiherr von Dellingshausen vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen – hier war der VFF organisatorisch angesiedelt – in einem Vermerk vom 14. März 1955.1128 Da Taubert in den Monaten des Jahres 1955 zum Hauptgegenspieler der RWN und zum Intimfeind Rauschnings wurde, erscheinen hier einige biographische Details über ihn angebracht. 1907 in Kassel geboren, trat Taubert 1931 in die NSDAP und die SA ein. Als im März 1933 das »Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda« gegründet wurde, widmete er sich dort vor allem der Bekämpfung des »Bolschewismus im In- und Ausland« im Rahmen der Anti-Komintern, daher auch sein Spitzname »Dr. Anti«. Tauberts erste Anti-Komintern-Publikation über die angebliche kommunistische Urheberschaft des Reichstagsbrands wurde in sechs Sprachen übersetzt.1129 Im Jahre 1937 organisierte Taubert die Berliner Großausstellung »Bolschewismus ohne Maske«. In einem mehrseitigen Exposé formulierte er 1937 für das Propagandaministerium die künftige offizielle Linie: Der Bolschewismus werde vom Judentum gelenkt, eine Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus sei folglich unausweichlich. Nach dem »Hitler-Stalin-Pakt« vom 23. August 1939 »firmierte die Anti-Komintern in ›Antisemitische Aktion‹ und die bis dahin ›Contra-Komintern‹ betitelte Monatszeitschrift in ›Die Aktion‹« um. In dieser Zeit, so Klaus Körner im Anschluss an Robert Edwin Herzstein, schrieb Taubert auf Anweisung von Minister Goebbels das Drehbuch für den antisemitischen Hetzfilm Der ewige Jude.1130 Während des Zweiten Weltkriegs war Taubert einer der Hauptverantwortlichen für antibolschewistische Propaganda in der Sowjetunion und in Deutschland, wo er nach Körner »die größte Wirkung« erzielte. Im Mai/Juni 1942, »also noch vor der Kriegswende in der Schlacht von Stalingrad, wurde im Berliner Lustgarten ein Pavillon für die Ausstellung ›Das Sowjetparadies‹ errichtet«. Mit zunehmender Kriegsdauer und schwindender Siegeszuversicht verlagerte sich der propagandistische Akzent auf Stärkung des Durchhaltewillens unter den Deutschen gemäß dem Motto »Kraft durch Furcht«.1131 Unmittelbar nach dem Krieg kam Taubert zunächst unter dem Pseudonym Erwin Kohl als freier Mitarbeiter bei der CDU-nahen Hamburger Allgemeinen Zeitung unter, bevor die Amerikaner bei ihrer Suche nach deutschen Experten für den Kampf gegen den Kommunismus auf ihn aufmerksam wurden. Mit ihrer Rückendeckung wurde im August 1950 in Hamburg der VFF gegründet, an dessen Spitze künftig der frühere Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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Abwehrmajor Fritz Cramer und an zweiter Stelle sein Generalsekretär Eberhard Taubert saßen, der zuvor in Itzehoe entnazifiziert worden war und nun wieder unter seinem Klarnamen auftrat. Ziel der Organisation war die Bekämpfung all dessen, was nach ihrer Definition in der Bundesrepublik als kommunistisch galt. Zu den eingesetzten Mitteln gehörten Filme, Rundfunkbeiträge, Broschüren, Plakate, sonstiges Informationsmaterial sowie gelegentlich auch Tomaten zwecks Wurfattacke auf den demonstrierenden Gegner. Im Unterschied zu seinen anderen führenden Mitstreitern im VFF meinte Taubert, die »neue Westpropaganda müsse bis auf den Antisemitismus genauso aussehen wie« zu Goebbels’ Zeiten.1132 Um auf das Verhältnis zwischen Taubert und Hermann Rauschning zurückzukommen: Beide waren sich während des Krieges einmal begegnet, wenn auch nur auf dem Papier. Als Richter hatte Taubert an der Hauptverhandlung des Volksgerichtshofes – über diese Funktion Tauberts wird noch zu berichten sein – vom 27. November 1942 gegen den Schriftsteller Dr. Helmut Klotz teilgenommen, die für den Angeklagten mit der Verhängung der Todesstrafe wegen Landes- und Hochverrates endete.1133 In der Urteilsbegründung wurde vor allem auf Klotz’ Aktivität in seinem Prager und Pariser Exil abgestellt. Dazu hieß es in dem Urteil u. a.: In der deutschen Sprache gibt es ein treffendes Sprichwort: »Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist«. Deshalb mögen zur ersten Charakterisierung des Angeklagten und Kennzeichnung seiner Einstellung einige wenige Personen aus der Fülle seiner Pariser Bekannten genannt sein: 1. Der emigrierte frühere kommunistische Abgeordnete Wollenweber … 2. Den Verräter Rauschning, der öffentlich in Aufsätzen und Büchern den Führer aufs schwerste beschimpfte, und der das deutsche Volk in Danzig schmählich im Stich gelassen hatte, suchte der Angeklagte in dessen Wohnung auf.1134

Am 12. Februar 1955 brachten die noch jungen RWN einen Bericht über die Reise des Krefelder Eishockey-Vereins nach Moskau, welche die Zustimmung des Redakteurs fand, weil deutsche Sportler die besten deutschen Botschafter nach dem Kriege seien – und dies, so der Artikel, sei besonders hinsichtlich der Sowjetunion wichtig, wo noch rund 10.000 Kriegsgefangene auf ihre Rückkehr in die Heimat warteten. Gegen die Reise der Eishockeyspieler habe der VFF, so die Zeitung, als selbst ernannter Sprecher der Kriegsgefangenen angeblich ein Flugblatt mit folgendem Inhalt verbreitet: 408

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Viel hat die Eishockeymannschaft erlebt, sie hat ihren Mann gestanden im Sport. Als Ihr zu Euren Spielen fuhrt, marschierten wir zur Zwangsarbeit. Als Ihr einkaufen gingt, flickten wir unsere Stiefel. Als Ihr Moskau besichtigt habt, sahen wir während unserer Sklavenarbeit von den Baugerüsten auf Euch herab. Als Ihr nach Hause in Freiheit fuhrt, mußten wir bleiben. Und was Ihr nicht tatet, das taten wir: Wir haben uns für Euch geschämt!1135

Zum Skandalon wurde der Artikel aber erst durch drei Behauptungen der RWN über Taubert: Er sei der »Verfasser« des »berühmten Kommissarbefehls im Kriege, er besorgte die Abstempelung der Russen zu Untermenschen«. Und außerdem habe Taubert »mit Hilfe von Bundesmitteln einen im SD-Stil arbeitenden Apparat«1136  – gemeint war der VFF  – geschaffen. Gegen diese Behauptungen stellte Taubert erfolgreich Antrag auf Unterlassung bei Androhung der »gesetzlich höchst zulässigen Geld- und Haftstrafe« und Zahlung der Kosten des Verfahrens durch die Antragsgegner.1137 Bereits vor der Urteilsverkündung hatte Ministerialrat von Dellingshausen in einem Vermerk vom 14. März festgehalten: »Die Vorsitzenden des VFF hoffen, nunmehr bald die ›Rheinisch-Westfälischen Nachrichten‹ mit Erfolg so weit bekämpft zu haben, daß auch dieses unter östlichem Einfluss stehende Blatt wiederum von der Bildfläche verschwindet.«1138 Der Vermerk zählte ausdrücklich auch Hermann Rauschning zu den Unterstützern des Blattes. Rauschning stand weiterhin unter nachrichtendienstlicher Beobachtung. Für den 17. Januar 1955 hatten der Studienrat Hans Dahmen aus Hilden im Rheinland, der ebenfalls in den RWN schrieb, und Hermann Schaefer zu »einem Gespräch im kleinen Kreis« mit Rauschning in den Düsseldorfer »Malkasten« eingeladen.1139 In dem fernmündlichen Bericht eines Mitarbeiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz an seine Kollegen vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz wurde die Vermutung geäußert, dass »hinter dem Sprechabend angeblich Kreise des Rhein-RuhrKlubs« stünden.1140 Auch ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes nahm an der Veranstaltung im »Malkasten« teil und fertigte darüber einen ausführlichen Bericht an.1141 Es habe sich um eine »Konferenz interner Natur« gehandelt, hieß es darin, zu der »anscheinend nur geladene Gäste zugelassen« waren. »Hauptredner des Abends sei Dr. Rauschning (bekannt)« gewesen, der in seiner Eigenschaft als amerikanischer StaatsIm Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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bürger zur politischen Situation Deutschlands und der Welt gesprochen habe. Außer Dr. Dahmen seien »die Redaktionsmitglieder« der neuen RWN anwesend gewesen, »vor allem Hermann Schaefer, der den V-Mann dem Namen nach gut kennt und ihn zu einem Besuch in der Redaktion einlud«. Es soll hier nicht der gesamte Inhalt des Berichts wiedergegeben werden. Ihm zufolge konzentrierte sich Rauschning auf die Frage, wie der Weltfrieden erhalten werden und welche Rolle die Bundesrepublik dabei spielen könne. Am Ende seiner Ausführungen, so der Bericht, ermahnte der Redner die Deutschen, sich »in Gruppen« zusammenzuschließen »und alles zu tun, um die Wiedervereinigung zu fördern« – laut Grundgesetz sei dies sogar ihre Pflicht. Der Beobachter aus dem »Malkasten« schloss seine Eindrücke mit einigen kommentierenden Bemerkungen. Rauschning habe bei seinem Vortrag trotz »einzelner brillanter Gedankengänge vor allem von Anfang an einen Roten Faden vermissen lassen«. Während der Diskussion im Anschluss an die Rede Rauschnings habe »Dr. Dahmen mehrere Personen zur Ordnung gerufen, die sich seiner Meinung nach ›spöttisch geäußert‹ oder durch ihr ironisches Verhalten zu verstehen gegeben hatten, dass sie laut Dr. Dahmen ›einen Mangel an Intelligenz‹ hatten erkennen lassen.« Im »persönlichen Gespräch« habe Rauschning »einen sehr günstigen Eindruck« gemacht, »seine Sätze« seien knapper formuliert – aber »konkreten Fragen nach Wiederbewaffnung oder nach Ratschlägen für ein Verhalten als Staatsbürger in der derzeitigen deutschen Situation« sei er »geflissentlich aus dem Wege« gegangen, »indem er sich auf seine Eigenschaft als ›neutraler‹ Amerikaner« berufen habe. »Er versteckt sich gewissermaßen hinter sich selbst.« Dem Bericht war eine »vertrauliche Information« vom 24. Januar 1955 beigefügt, in der es um »Background-Material«, so die Information, zu den RWN und der »Malkasten«-Veranstaltung ging.1142 300 Gäste seien geladen gewesen, 40 Personen schließlich erschienen, mehr als ein Drittel davon Journalisten. Redakteure und »Verlagsangehörige« hätten bei dieser Gelegenheit »für sich in Anspruch« genommen, »Träger der deutschen Realität zwischen fremden Kräften« zu sein. In der Diskussion hätten diese Personen die »deutsche Realität weniger pathetisch aber um so deutlicher« auf folgende Weise kommentiert: »1. publizistischer Einsatz für eine bedingungslose deutsche Neutralität, 2. kompromißloses Eintreten gegen eine Bewaffnung der Bundesrepublik – strikte Ablehnung jeder deutschen Beteiligung an einer westlichen Verteidigungsgemeinschaft.« Als »Aushängeschild« der »deutschen Realität« sei Dr. Hermann Rausch410

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ning anzusehen. Es folgt in der Information der wiederholte Hinweis, dass Rauschning ein »politisches come back in Deutschland« versuche. Von seinen Büchern sei nur »Hitler spricht« ein »voller Erfolg« gewesen, während sein Buch Ist Friede noch möglich? »nur wenige überzeugt« habe. Zum »Promoter der ›deutschen Realität‹« hätten jedoch »finanzielle Dunkelmänner Hermann Schaefer gemacht, der Mitinhaber, Mitherausgeber, Chefredakteur und Verlagsverantwortlicher« der RWN »in einer Person« sei. Es folgt im Bericht ein Abriss von Schaefers Lebenslauf, der ebenso »im Halbdunkel« liege wie die RWN. Auf jeden Fall aber sei Schaefer »aus ganz anderem Holz geschnitzt« als Rauschning. Nur zwei Tage nach seinem Düsseldorfer Auftritt stellte sich Rauschning am 19. Januar 1955 in der Buchhandlung des Kölner Hauptbahnhofs im Rahmen der traditionellen »Mittwochsgespräche« erneut einem interessierten Publikum. Dabei wurde er sowohl vom BfV als auch vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet.1143 Der Bericht des BfV nannte den Bahnhofsbuchhändler Gerhard Ludwig als Veranstalter des Abends, der eingangs Rauschning als »Mitarbeiter der Rheinisch-Westfälischen Nachrichten« vorgestellt und darauf hingewiesen habe, dass die Zeitung auch in seiner Buchhandlung erhältlich sei. Folgt man dem BfV-Bericht, verstand es Rauschning offenbar, beachtliche Zahlen an Zuhörern zu mobilisieren, denn, so der Beobachter, bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung sei der Saal voll besetzt, schließlich mit geschätzten »600 Personen brechend voll« gewesen. Der Gastredner habe sich zunächst auf ein »kurzes Einleitungsreferat« zum Thema »Ist Friede noch möglich?« beschränkt, woran sich eine rund zweistündige »Aussprache« anschloss. Aus dem Inhalt der Darlegungen Rauschnings hob der BfV-Berichterstatter u. a. hervor, dass nach Auffassung des Redners »der gegenwärtige Zustand des Kalten Krieges auf die Dauer nicht durch eine ›Koexistenz des Status quo‹ überwunden werden könne, sondern nur durch eine ›Kooperation‹«. Rauschning strebe ein Gleichgewicht zwischen Ost und West durch ein System von »checks and balances« an, welches dauerhaft angelegt sein solle. Unter Hinweis auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft habe Rauschning es abgelehnt, zur »Frage der Wiederbewaffnung und anderen Fragen mit innenpolitischem Charakter sowie zu konkreten außenpolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik« Stellung zu nehmen. »Indirekt« habe er jedoch »deutlich zu verstehen« gegeben, dass nach seiner Auffassung »auf jeden Fall« über das »letzte sowjetische Angebot Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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an die Bundesrepublik verhandelt werden sollte« – gemeint war die am 15. Januar über TASS signalisierte Bereitschaft Moskaus, freie Wahlen in ganz Deutschland abzuhalten, wenn im Gegenzug der Bundestag die Pariser Verträge ablehne –; wie Rauschning »überhaupt ständig wiederholte, daß Verhandlungen zwischen Ost und West der einzige Weg seien, um einer Verhärtung der Gegensätze und einem daraus entstehenden Krieg zu entgehen«, so die Darstellung des BfV. Der Beobachter betonte, dass Rauschning sich »mehrmals deutlich ideologisch vom Sowjet-System« distanziert und »Worte großer Anerkennung für Präsident Eisenhower« gefunden habe. Außenpolitisch seien die USA im Begriff, von der streng antisowjetischen Politik des »roll back« nunmehr »eine Wendung um 180 Grad zu machen«, so die Wiedergabe der Äußerungen Rauschnings. Der Redner habe konzediert, dass die Außenpolitik der Bundesrepublik »in den ersten Jahren« richtig gewesen sein könne, nun komme es aber darauf an, dass »Deutschland elastisch genug sei, sich der veränderten weltpolitischen Situation anzupassen«. Nach Beobachtung des BfV-Vertreters im Saal fand Rauschning an diesem Abend »mehr Zustimmung als Ablehnung«; es sei aber der Eindruck entstanden, dass er »eher in der Lage ist, sich in einem kleineren Kreis von Intellektuellen verständlich zu machen als in einer so großen und verschiedenartig zusammengesetzten Versammlung«. Der Bericht schloss mit folgenden Anmerkungen: »Ein persönlicher Angriff auf den Referenten wegen seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft wurde von dem Veranstalter sofort abgebogen. Beim Herausgehen äußerte einer der Versammlungsteilnehmer in diesem Zusammenhang: ›Dieses Emigranten-­ Geschmeiß«.1144 Der Bericht des V-Mannes des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes über die Kölner Veranstaltung bestätigte im Wesentlichen die Beobachtungen des BfV.1145 Der Veranstalter Ludwig habe einleitend ein paar Lebensdaten Rauschnings vorgetragen, die in dem Bericht um weitere ergänzt wurden und die sich durch eine erstaunliche Präzision auszeichnen, vor allem was Rauschnings Zeit in Danzig angeht. Lediglich die Formulierung, dass er sich »1936 von seinem Freunde Adolf Hitler« getrennt habe, entstellte den wahren Sachverhalt nicht unerheblich. Zum Vortrag selber referierte der Bericht die Auffassung Rauschnings, dass angesichts des atomaren Patts zwischen Ost und West zwar der Ausbruch eines Krieges zwischen diesen beiden Seiten »unmöglich« geworden sei, dass jedoch »in den Randgebieten plötzlich aus einem kleinen Anlaß ein Weltbrand ent412

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stehen« könne. Es gelte daher, eine umfassende »Vertrauensbasis zwischen den halben Welten« herzustellen, die in dem »Grundsatz« Rauschnings gipfelten: »Keine Koexistenz, sondern Kooperation!« Realpolitiker würden erkennen, dass zunehmend Asien und Afrika »als neue Machtfaktoren« hinzukämen. Eine »Teilung der Welt« sei »daher nicht mehr möglich«. Der Bericht von der Veranstaltung schloss mit einigen Notizen zum Diskussionsteil im Anschluss an Rauschnings Ausführungen. »32 Zuhörer« hätten sich zu Wort gemeldet, von denen jeder drei Minuten zugebilligt bekommen habe. Insbesondere viele Jugendliche hätten Interesse bekundet, so die Aufzeichnung, und dabei hätten »die Skeptiker überwogen«, die eine echte Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion bezweifelten. Rauschning habe sich insgesamt bei der Beantwortung von Fragen mit Verweis auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft sehr bedeckt gehalten. Der Bericht endete folgendermaßen: »Zum Schluss erklärte Dr. R., man habe ihn vor diesem Gespräch gewarnt, doch die ›Fallen‹, die man ihm prophezeit habe, seien ihm nicht gestellt worden!« Auch Die Nation – inzwischen nicht mehr unter der Herausgeberschaft Hermann Schaefers – widmete dem Kölner Auftritt Hermann Rauschnings ein paar Zeilen. Unter der Überschrift »Dr. Rauschning im Kölner Gespräch« bestätigte auch die Nation das offensichtlich enorme Interesse des Publikums an dem Redner, wobei sie die geschätzte Zuhörerzahl des BfV-Berichts großzügig auf »zwölfhundert« verdoppelte.1146 Auch der Bericht der Nation wies auf die Besonderheit der amerikanischen Staatsbürgerschaft Rauschnings an diesem Abend hin und schrieb kritische Fragen des Publikums an den Referenten vor allem diesem Umstand zu. So habe ein »ganz junger Mann« angesichts der von Rauschning dargestellten Friedensbereitschaft der amerikanischen Regierung »wirkungsvoll gefragt: ›Wenn die Amerikaner wirklich so friedliebend sind – könnten sie uns dann die zwölf Divisionen nicht erlassen?‹«1147 Der Verfasser des Artikels konnte sich abschließend folgende Bemerkung nicht verkneifen: »Man konnte im Übrigen die Beobachtung machen, daß so mancher westdeutsche Bürger heute im Widerspruch mit sich selbst lebt. Einerseits wird die amerikanische Hilfe gerne angenommen, andrerseits soll der amerikanische Wechsel, der auf einmal Wehrbeitrag heißt, übersehen und ignoriert werden.« In Zusammenarbeit mit dem BfV interessierte sich das Bundesinnenministerium um die Jahresmitte 1955 für eine angebliche oder tatsächliche Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit Rauschnings in politischen Organisationen, Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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die seinem neutralnationalistischen Kurs entsprachen und die zeitweilig wie Pilze aus dem Boden schossen, um nicht selten alsbald wieder zu verkümmern. In einem Vermerk des Ministeriums für Staatsekretär Globke vom Bundeskanzleramt vom 25. Mai 1955 wurde etwa auf die kürzlich gegründete »Hans-von-Seeckt-Gesellschaft« verwiesen, die sich jedoch nach einem Einspruch aus der Familie von Seeckts in »Gesellschaft zum Studium der innen- und außenpolitischen Bedingungen für die Wiederherstellung des Deutschen Reiches« umbenannt habe.1148 »Aufgefallen« sei die Gesellschaft vor allem dadurch, dass sie auf ihrer ersten Pressekonferenz die »Mitteilung von einer Einladung nach Moskau« gemacht habe, hieß es in dem Vermerk, der im Übrigen Otto Wagener von den Rheinisch-Westfälischen Nachrichten als Initiator der Gesellschaft nannte. Über die RWN wurde bei dieser Gelegenheit im Indikativ festgestellt: Die Zeitung »verfügt über auffallend große Geldmittel, die aus östlichen Quellen stammen«. Nach einer Bemerkung über Hermann Schaefer als »Hauptakteur« bei den RWN endete der Vermerk mit den Sätzen: »Rauschning soll ebenfalls Mitglied der Gesellschaft sein. Er war mindestens zeitweise Mitglied der ›Rheinisch-Westfälischen Nachrichten‹. Es handelt sich allem Anschein nach um eine Personengruppe, die aus der früheren NSDAP stammt und heute mit dem Osten zusammenarbeitet.«1149 Einzige Quelle für diese Informationen war der ehemalige Major Rudolf Steidl, der mit Hilfe ostdeutscher Gelder neutralnationalistische Publikationen wie die Deutsche National-Zeitung, Die Nation, Militärpolitisches Forum und den monatlich erscheinenden Rundbrief Der Führungsring ehemaliger Soldaten herausgegeben und darin u. a. gegen eine Wiederaufrüstung agitiert hatte.1150 Steidl, so die Aufzeichnung des Innenministeriums, sei kürzlich »beim Volksbund für Frieden und Freiheit aufgetaucht« und habe die »gesamten Zusammenhänge preisgegeben«.1151 Allerdings machte auch der ehemalige Verlagsleiter der RWN, Rudolf Schauff, in seiner bereits erwähnten Aussage vor der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf Angaben über Zusammenhänge zwischen der »Hans-vonSeeckt-Gesellschaft«, den RWN und der mutmaßlichen Ostfinanzierung des Blattes.1152 Bereits in der Gründungsphase der RWN im Herbst 1954, als das Duz-Verhältnis zwischen ihm und Hermann Schaefer eine fruchtbare Zusammenarbeit bei den RWN zu signalisieren schien, sei er, Schauff, misstrauisch hinsichtlich der Finanzierung der Zeitung gewesen, wie auch oben bereits gezeigt worden ist. Verstärkt worden sei sein Argwohn anlässlich einer gemeinsamen Reise nach Wien Anfang November 1954, zu der Schae414

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fer ihn eingeladen und für die er auch die Kosten übernommen hatte. Zweimal habe man sich in der österreichischen Hauptstadt mit einem »Dr. Klein« getroffen und beide Male habe Schaefer es geschickt verstanden, ernsthafte Gesprächsthemen zu vermeiden. Auf eine entsprechende Vorhaltung Schauffs, dass nur über »Belanglosigkeiten« gesprochen worden sei, habe Schaefer ihm geantwortet: ›Das verstehst Du jetzt noch nicht!‹ Zurück in Düsseldorf, habe Schaefer eine baldige »notwendige Aufklärung« in Aussicht gestellt. Bei einer Fortsetzung der »Vernehmung« Schauffs bei der Düsseldorfer Oberstaatsanwaltschaft am 17. Mai 1956 erklärte dieser abschließend: Bei dem eingangs meiner Vernehmung angeführten »Dr. Klein« hat es sich, wie mir später Schaefer selbst erklärt hat, um den Leiter der SED-Propaganda Dr. ­Girnus1153, wohnhaft in Ost-Berlin, gehandelt. Diese Mitteilung Schaefers erfolgte, als ich Anfang Mai 1955 von ihm Aufklärung über die Ziele der von »Seeckt-Gesellschaft« verlangte. Wie mir Schaefer damals noch weiter mitteilte, soll sich Dr. Girnus häufig zur Erfüllung von Sonderaufträgen im Bundesgebiet aufhalten und hierbei den Namen »Dr. Baumgartner« führen. Dr. Girnus untersteht meines Wissens dem sowjetzonalen Staatssekretär für Propaganda und Kultur Professor Dr. Norden.

Nach Schauffs Mitteilungen gehörte Schaefer auch zu den Gründern der »Ende April 1955« geschaffenen »Hans-von-Seeckt-Gesellschaft«. Er selber sei weder bei der Gründung noch bei der weiteren Tätigkeit der Gesellschaft »hinzugezogen« worden. Jedoch seien ihm recht bald nach ihrer Gründung »Bedenken gegen deren Ziele« gekommen. Auf eine entsprechende Frage habe ihm Schaefer mitgeteilt, dass diese Gesellschaft dazu bestimmt sei, Verbindungen mit dem Osten herzustellen und im Sinne der Bismarck’schen Politik zu arbeiten. Es sei u. a. vorgesehen, eine Abordnung führender Generäle, Intellektueller und Industrieller zusammenzustellen, die nach Moskau (bzw. später Belgrad) zu Besprechungen fliegen sollten. Mit dem Abflug dieser Delegation sollten seitens der Russen die Kriegsgefangenen freigelassen werden, um so der Politik des Herrn Bundeskanzlers einen schweren Schlag zu versetzen. Die russische Regierung habe bereits eine entsprechende Zusage erteilt. Auf diese Zusage, die ihm schriftlich vorliege, berief sich Schaefer auch bei einer großen Pressekonferenz im Restaurant »Burggrafen« in Düsseldorf.

Schauff zufolge sei es im weiteren Verlauf zu einer »völligen Entfremdung« zwischen ihm und Schaefer sowie zu seiner schließlichen Kündigung Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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gekommen, weil Schaefer verlangt habe, dass Teile der »allmonatlichen Beträge von 20–28000 DM«, die eigentlich für Ausgaben der RWN zweckgebunden und ohnehin nicht ausreichend gewesen seien, für die »Hansvon-Seeckt-Gesellschaft« benutzt werden sollten.1154 Das BfV brachte Rauschning auch mit dem im Vorjahr gegründeten »Deutschen Klub 1954« in Verbindung. In einem vertraulichen Bericht des Bundesinnenministeriums an Staatssekretär Globke vom 16. Juni 1955 wurden zunächst die politischen Ziele des Klubs umrissen – Forderung nach unmittelbaren Verhandlungen mit der UdSSR und der »sog. DDR« zum Zwecke der Wiedervereinigung sowie Bekenntnis zur militärischen Neutralität –, um sodann festzustellen: »Jedoch sind nach dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei dem ›Deutschen Klub 1954‹ bisher keine verfassungsgefährdenden Tendenzen erkennbar geworden.«1155 Der Bericht nannte Rauschning an fünfter Stelle unter den »Gründungsmitgliedern« des Klubs. Tatsächlich jedoch hatte sich Rauschning mit Rücksicht auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft lediglich zu einer »beratenden Mitarbeit« bereit erklärt, wie es in einem Schreiben des Klub-Vorsitzenden Karl Graf von Westphalen vom 20. Juni 1955 im Vorfeld der im Juli in Genf stattfindenden Viermächtekonferenz hieß, zu der der Klub eine Beobachterdelegation entsandte.1156 Vom 20. Juli 1955 datiert ein Schreiben von Günther Nollau vom BfV an den Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Fritz Tejessy, in dem Nollau das Interesse seiner Behörde an weiteren Erkenntnissen über die RWN bekundete.1157 Den Hintergrund bildete ein Versäumnisurteil gegen »RWN-Verlagsleiter« Schauff am Ende eines Gerichtsverfahrens, das Schauff gegen den Vorsitzenden des Verbandes deutscher Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, Egon Freiherr von Mauchenheim, angestrengt hatte. Nollau teilte Tejessy in diesem Zusammenhang mit, dass von Mauchenheim »einschlägiges, belastendes Material auch zum Gesamtkomplex ›Rheinisch-Westfälische Nachrichten‹« bei einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei hinterlegt habe.1158 Nollau erklärte in seinem Schreiben, zur »Klärung der Hintergründe der die« RWN »herausgebenden Personen und der Finanzierung dieser Zeitung erscheint eine Einblicknahme in dieses Material … zweckmäßig«. Es solle »in geeigneter Form Einblick in das oben angeführte Material« gewonnen und »das Ergebnis hierher« mitgeteilt werden. Tejessy vermerkte an dieser Stelle des Schreibens handschriftlich: »Wie soll das geschehen?«

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Im Frühjahr 1955 begannen die Auseinandersetzungen zwischen den Rheinisch-Westfälischen Nachrichten und der Regierung Adenauer zu eskalieren. Die Herausgeberzeile der Wochenzeitung nannte inzwischen die Namen Bogislaw von Bonin, Hermann Rauschning, Hermann Schaefer, Arthur Stegner und Otto Wagener. Während Stegner als ehemaliger Bundestagsabgeordneter der FDP den neutralnationalistischen Kurs der RWN publizistisch zu stützen suchte,1159 stellte von Bonin zwar ein personelles Schwergewicht, zugleich aber auch einen Unsicherheitsfaktor für das Blatt dar. Spätestens seit seiner maßgeblichen Beteiligung an der Befreiungsaktion für Hitlers »Sondergefangene« in Südtirol Ende April 1945 galt der Oberst a. D. und ehemalige Chef der Ope­rationsabteilung des Heeres als militärischer Experte, was ihn für eine führende Position im »Amt Blank«, der Vorläuferorganisation des Bundesministeriums der Verteidigung, qualifizierte. Bereits 1954 hatte er sich jedoch mit einer eigenständigen Verteidigungskonzeption für die Bundesrepublik einen Namen gemacht, diese auch außerhalb des Amtes öffentlich vertreten und sich deshalb mit Blank überworfen, woraufhin dieser von Bonin zunächst zum 30. September 1955 kündigte. Bonins Konzeption basierte auf der Verteidigungsstrategie der Roten Armee bei der Schlacht im Kursker Bogen im Sommer 1943 und rückte die Vorstellung einer eigenständigen Verteidigung Westdeutschlands mit Hilfe eines starken militärischen Sperrgürtels ca. 50 Kilometer westlich der innerdeutschen Grenze ins Zentrum der Überlegungen, und zwar unabhängig von Bündnis­verpflichtungen gegenüber anderen westlichen Staaten. Damit näherte von Bonin sich den neutralistischen Vorstellungen der übrigen RWN-Herausgeber, die sich gerne mit dem Namen von Bonins in ihrem Kreis schmückten. Wegen seiner adenauerkritischen Position gab von Bonin während des Jahres 1955 wiederholt die Zielscheibe für gegnerische Veröffentlichungen ab. Arthur Stegner und Bogislaw von Bonin bescherten ihrer Zeitung Ende Juli 1955 den wohl bedeutendsten Moment ihrer medialen Wirksamkeit. Anlässlich der Genfer Viermächtekonferenz, an der die beiden deutschen Staaten als Beobachter teilnehmen durften, trafen Stegner und von Bonin dort »zufällig« zusammen – so jedenfalls wollten es die RWN ihre Leser in der Ausgabe Nr. 29 vom 30. Juli 1955 glauben machen – und gaben in einer Pressekonferenz am 22. Juli im Genfer Café National eine gemeinsame deutschlandpolitische Erklärung ab. Nach dem RWN-­Bericht in jener Ausgabe muss das journalistische Interesse an der Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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Erklärung außerordentlich groß gewesen sein. Eine unübersehbare Zahl von Presseleuten habe versucht, Informationen über die politischen Vorstellungen der »parteiunabhängigen deutschen nationalen Opposition« und damit auch der RWN zu erlangen. Ein Foto auf der Titelseite zeigte Stegner und von Bonin, ferner – eine kleine publizistische Sensation – Hermann Schaefer sowie den Vorsitzenden des Deutschen Klubs 1954, Karl Graf von Westphalen. Inhaltlich forderte die Erklärung u. a., die Vorschläge des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin hinsichtlich einer schrittweisen Abrüstung und einer »etappenweisen Wiedervereinigung« aufzugreifen. Die Streitkräfte der Bundesrepublik sollten auf ein 150.000 Mann starkes Freiwilligenheer begrenzt, »gleich der kasernierten Volkspolizei internationaler Kontrolle unterstellt« werden und »rein defensiven Zwecken dienen«. Des Weiteren griff die Erklärung auf Vorstellungen »des englischen Ministerpräsidenten Eden« zurück, »die sich um einen militärfreien Raum im deutschen Gebiet bewegen«. Schließlich glaubte die Erklärung auf Grund der »freundlichen Atmosphäre« während des Genfer Siegermächtetreffens eine Ermutigung jener Kräfte erkannt zu haben, die dafür eintraten, dass die beiden deutschen Teilstaaten »in der Frage der Wiedervereinigung« selber einander näherkommen müssten. In derselben Ausgabe der RWN kommentierte Hermann Rauschning unter der Überschrift »Hoffnung und Sorge« die Ergebnisse der Genfer Konferenz. Vor allem erkannte er in ihnen eine Niederlage »des deutschen Bundeskanzlers«: Die angebliche Politik der Stärke der Westmächte »plus westdeutsche Bundesrepublik« habe keineswegs die »Verständigungsbereitschaft Rußlands« bewirkt; darüber hinaus hätten sich seine, Rauschnings, Vorhersagen – es folgt die Nennung seiner Bücher Ist Friede noch möglich? und Die deutsche Einheit und der Weltfriede – bewahrheitet, wonach die Sowjetunion allein aus »zwingenden machtpolitischen, realpolitischen und keineswegs durch angeblich weltrevolutionäre Absichten« die »Einbeziehung eines geeinten Deutschlands in die Militärallianz des Westens« nicht zulassen könne. Kurz nach der Pressekonferenz erhielt von Bonin die Quittung für seinen Genfer Auftritt in Form seiner fristlosen Entlassung. Die RWN faksimilierten das Entlassungsschreiben vom 29. Juli in einer »Sonderbeilage« ihrer Nummer vom 3. September. Hermann Schaefer informierte seine Leserschaft zu Beginn eines langen Artikels in dieser Ausgabe unter der Überschrift »Vom ›Fall Taubert‹ zu Tauberts Fall« wie folgt:

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Am 22. Juli 1955 fand in Genf eine internationale Pressekonferenz statt. Die Herausgeber der RWN, Bogislaw von Bonin und Bundestagsabgeordneter Arthur Stegner, stellten der Weltöffentlichkeit erstmalig in einer geschlossenen Willenskundgebung jenes nationale Deutschland vor, das von der Bonner Bundespolitik bislang verschüttet worden ist. Wenige Stunden später, während Oberst von Bonin noch in Genf war, stellte der Bundesverteidigungsminister Oberleutnant a. D. Theodor Blank dem besten Generalstäbler seines Amtes die fristlose Kündigung zu. Das außenpolitische Debüt Oberst von Bonins wurde in Bonn schneller bekannt, als normalerweise die Schweizer Post benötigte, um versiegelte Mitteilungen von Genf an den Rhein tragen zu können. Eine Bundesbehörde, die sonst wegen ihres Zeitlupentempos berühmt ist, handelte blitzartig. Es herrschte Alarmstimmung.

Im Zusammenhang mit der Genfer Konferenz hat sich im Übrigen Hermann Rauschning einmal bedauernd über seine amerikanische Staatsangehörigkeit geäußert. An seine Frau in den Vereinigten Staaten schrieb er am 2. August 1955: »Was mein Hierbleiben anbelangt oder mein Kommen, so liegt alles in der Luft. Meine Tätigkeit hier ist doch sehr gehandicapped dadurch, daß ich Amerikaner bin. Ich hatte eine Einladung nach Genf zu der großen Konferenz … was ich mit Rücksicht auf meine Staatsangehörigkeit ablehnen mußte.«1160 Anfang August scheint Rauschning buchstäblich der Kragen geplatzt zu sein, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung neuerliche Angriffe auf von Bonin zur Kenntnis genommen hatte. Damals war Paul Sethe noch Mitherausgeber der FAZ, wenige Wochen später verließ er wegen seiner Kritik an der Außenpolitik des Kanzlers das Blatt. Den Anlass der Attacken auf von Bonin bildeten dessen Auftritt in Genf sowie Enthüllungen von Rudolf Steidl auf einer vom »Volksbund für Frieden und Freiheit« am 29. Juli in Bonn einberufenen Pressekonferenz, auf der Steidl die DDR-­ Finanzierung verschiedener Blätter in der Bundesrepublik einschließlich der Nennung hoher DM-Beträge offengelegt hatte. Ein Vertreter des Parlamentarisch-Politischen Pressedienstes bei der Konferenz informierte den Rauschning-Neffen Werner telefonisch am Tage nach der Konferenz darüber, dass Steidl Hermann Schaefer beschuldigt habe, »von ostzonaler Seite Gelder für die ›RWN‹ erhalten« zu haben. Steidl habe Schaefer aufgefordert, ihn in dieser Sache zu verklagen, er sei in der Lage, in dieser Angelegenheit den Wahrheitsbeweis anzutreten.1161 Steidl beendete schließlich seine Enthüllungen auf der Pressekonferenz mit dem auf Schaefer gemünzten Im Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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Satz »Wer vom Bolschewismus frißt, der stirbt daran«, jenem Passus aus Goebbels’ Reichsparteitagsrede von 1936 also, an der Schaefers Erzfeind Taubert seinerzeit mitgearbeitet hatte.1162 Schaefer hat, und darin ist immer wieder ein indirektes Schuldeingeständnis gesehen worden, gegen Steidl nie Klage erhoben. Im Übrigen teilte Werner seinem Onkel mit, er zweifle an den Behauptungen Steidls, zumal Schaefer Rauschning wiederholt versichert habe, die RWN-Gelder stammten nicht aus dem Osten. In einem soeben geführten Telefonat mit Schaefer habe sich dieser ihm, Werner, gegenüber nicht weiter geäußert. Man werde demnächst in Düsseldorf gemeinsam über »Gegenmaßnahmen« beraten.1163 Rauschning antwortete seinem Neffen postwendend am 31. Juli und versuchte ihn zu beruhigen. Er solle sich wegen der Steidl-Äußerungen »keinen Fleck ins Hemd machen. Die Dinge sind halb so schlimm«. Es überrasche ihn nicht, was Werner ihm schreibe, aber man solle abwarten, was »der Chef (Schaefer, A. H.) sagt«. Er, Rauschning, halte sich »daran, was er sagt«. Überhaupt könne ihn »in diesem Sauladen«, als den Adenauer dem Spiegel zufolge die Bundesrepublik bezeichnet habe, »nichts überraschen«. Es sei auch »zu ventilieren«, wo »die größere Korruption« sei: bei »denen, die Ost-Gelder oder bei denen, die West-Gelder kriegen«. Ihm mache es jedenfalls »größere Sorgen, daß solche Nazihammels wie der gloriose General (vermutlich war Otto Wagener gemeint, A. H.) in unserem Laden etwas zu sagen haben, als daß etwa Ostgelder in das Unternehmen fließen«. Die Lage sei »soweit fortgeschritten, daß es sehr bald genau so ehrenwert sein wird, vom Osten finanziert zu werden wie vom Westen – oder unehrenhaft«.1164 Möglicherweise war Rauschnings tatsächliche Einstellung gegenüber einer Ostfinanzierung der RWN doch nicht so gelassen, wie dieser Brief anzudeuten scheint. In einem Bericht der Polizei Düsseldorf vom 2. November 1955, der sich in den Unterlagen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes findet, wurde ein »angebliches« Rauschning-Zitat zu diesem Thema wiedergegeben, dem zufolge er geäußert haben soll: »Erfahre ich, daß die Zeitung Geld aus dem Osten bekommt, mache ich nicht mehr mit.« Um Rauschnings Verdacht zu zerstreuen, seien ihm, so der Düsseldorfer Polizeibericht, »schriftliche Unterlagen vorgelegt worden, durch welche unter Beweis gestellt werden sollte, daß sich diese Zeitung selbst finanziere. Die RWN sollen z. Zt. über 60.000 Abonnenten verfügen und keine Zuschüsse aus der SBZ erhalten.«1165 420

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In einem Brief an Hermann Schaefer aus Neumünster vom 3. August 1955 machte Rauschning seinem Zorn endlich Luft. »Eben lese ich die Angriffe der Frankfurter auf Bonin als Herausgeber«, schrieb er einleitend, um dann fortzufahren: Ich halte diesen Anlaß für gegeben, um auf die gesamte Lage der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik einmal in scharfer und rücksichtsloser Weise einzugehen und dabei dem Regime Adenauer einen Schlag zu versetzen, der auch sonst außenpolitisch von Folgen sein könnte. Ich bin an sich nicht für Pressepolemiken, aber ich würde Ihnen vorschlagen, daß ich einmal ganz persönlich aus meinen beschämenden Erfahrungen über die Art, wie man im neuen Deutschland mundtot gemacht wird, der Frankfurter antworte. Denn das, was für den Herausgeber Bonin gilt, das gilt ja auch für uns andere Herausgeber, vor allem auch für Stegner.

Zwar wolle er diese Polemik nur dann lostreten, wenn sich dadurch die »Lage nicht« verschlimmere. Schaefer möge ihm seine Meinung dazu sagen. Es wäre jedoch, so Rauschning weiter, »jammerschade, wenn nun auch die RWN zerstört werden sollten, und Pfaffen, 175er, Judengesetzkommentatoren, Tauberts und bezahlte Agenten der westlichen Wohltäter Deutschlands das Feld behalten sollten«. Als Taktik scheine es ihm besser, »statt sich über die Herkunft der Gelder zu verteidigen, die Knebelung einer freien Kritik und einer öffentlichen Aussprache über die vitalsten Interessen Deutschlands in diesen kritischen Zeiten aufs schärfste anzugreifen«. »Vielleicht«, schloss Rauschning sein Schreiben, »ist jetzt auch die Zeit da, wo man diesen Globkes und Tauberts, diesen Päderasten und im Dienste der verschiedensten secret services und deuxieme bureaux stehenden Botschaftern, Ministerialbeamten etwas auswischen sollte.«1166 Diesen Tauberts »etwas auswischen« – darauf wird zurückzukommen sein. Die Pressekonferenz Steidls verschaffte Rauschning völlig unverhofft ein publizistisches Forum für die Darlegung seiner Sicht der Dinge – allerdings nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Am 12. August 1955 schrieb Hans Fleig, Auslandsredakteur der Züricher Tageszeitung Die Tat einen Brief an Rauschning nach Neumünster.1167 Zur Erinnerung: Zusammen mit ein paar anderen Autoren hatte Fleig gemeinsam mit Rauschning 1954 die Broschüre … mitten ins Herz publiziert. Beide hatten sich 1955 zumindest einmal in der Bundesrepublik getroffen. Dieser Hintergrund erklärt den Ton des Peinlich-berührt-Seins des Briefes von Fleig an Rauschning. Inhaltlich ging es um einige Artikel des DeutschIm Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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landkorrespondenten der Tat, Fritz René Allemann, in denen dieser auf die Steidl-Einlassungen und die Möglichkeit der Ostfinanzierung westdeutscher Zeitungen aufmerksam gemacht hatte. Was die RWN anbetraf, habe er, Fleig, wenigstens versucht, Allemann dazu zu bewegen, die Namen Rauschnings und von Bonins nicht zu erwähnen, jedoch ohne Erfolg. Daraufhin habe die Redaktionskonferenz, wie in »solchen Fällen bei der ›Tat‹ üblich«, darüber abgestimmt. Da er dabei unterlegen sei, habe er darüber nachgedacht, wie er seine »Schlappe auswetzen« könne. Mit dem dringenden Wunsch, seinen Namen außen vor zu lassen, schlug Fleig nun vor, Rauschning könne eine »Erwiderung« auf Allemanns Artikel direkt an die Chefredaktion schicken, welche diese sicher abdrucken werde. Der dann am 27. August 1955 in der Tat veröffentlichte ausführliche Beitrag Rauschnings umriss im ersten Teil seine politischen Vorstellungen, um im zweiten Vorwürfe gegen die Bundesregierung und westdeutsche Presseorgane zu erheben, die ihm so gut wie jede Möglichkeit zur Darlegung seiner Meinung verwehrten. Folglich blieben ihm die RWN, deren Finanzierung geklärt werde, wenn er sich auch vorerst dazu nicht äußern wolle. Wörtlich schrieb Rauschning: Ich sprach gleich nach meiner Ankunft … in Bonn über die Notwendigkeit des Bekenntnisses zur Wiedervereinigung, da im Auslande die Meinung verbreitet sei, dem Deutschen sei es Hekuba, ob sein Land geteilt oder ungeteilt bleibe. Ich tat auf meine Weise, was Ihr hochgeschätzter Mitarbeiter Dr. Fleig in seinem Aufsehen erregenden Artikel »Der deutsche Teig«1168 tat. Die Antwort war, daß der dem Bundeskanzler nahestehende »Rheinische Merkur« mir vorwarf, ich verspritze nationalistisches Gift. Seitdem war mir jede offizielle Tür in Bonn verschlossen. Ich schrieb auf Wunsch von Hans Zehrer in der »Welt« einen Artikel, in dem ich in vorsichtiger Weise versuchte einige falsche Tendenzen in der inneren Entwicklung der Bundesrepublik aufzuweisen. Der Erfolg war, daß geplante weitere Artikel nicht mehr veröffentlicht wurden. Ich habe guten Grund zur Annahme, daß über den Verleger der »Welt«, Axel Springer, Bonn, ein Druck auf die Redaktion ausgeübt wurde, mir das Blatt nicht weiter zur Verfügung zu stellen. Ähnlich ging es mir mit anderen Blättern, Vortragsveranstaltungen, mit Vorträgen an Universitäten, wo hinter den Kulissen schwere Kämpfe stattfanden, ob man mir die Freiheit des Wortes zubilligen könne, usw., so daß – um eine lange Geschichte kurz zu machen – ich im verflossenen Winter so gut wie politisch mundtot gemacht war … Keine Reichsschrifttumkammer hat mir Schreibverbot auferlegt; keines meiner Bücher ist verbrannt worden.1169

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Offenbar hatte sich Rauschning insbesondere hinsichtlich der Zeitungen des Springer-Verlages Hoffnungen auf ein Publikationsforum gemacht, denn noch Monate später, genauer: am Tage seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten, schrieb ihm sein Neffe Werner, dass er »privatim« etwas über »Springer« erfahren habe: Wir haben übrigens Axel Springer Unrecht getan. Er war es nicht, der Deine Artikel in der »Welt« stoppte. Es war auf Anraten von Felix von Eckart Hänschen Zehrer selbst. Nun weiß ich allerdings nicht, was der Eckart gegen Dich hat. Er hat, wie der »Erfolg« beweist, ja mit Erfolg dabei und anderwärts gewirkt, Dir die publizistische Plattform zu zerschlagen. Da er hoch am »Drücker« sitzt und Intimus des Alten wieder ist, muß man auf allerhand gefaßt sein, zumal er Resonanz bei den Journalisten durch seine geschickte Hand hat.1170

Der Chefredakteur der Tat, Erwin Jaeckle, schrieb Rauschning am 22. August einen Brief, der in derselben Ausgabe der Zeitung vom 27. August direkt im Anschluss an Rauschnings Ausführungen abgedruckt wurde. Jaeckle betonte in seinem Schreiben zunächst, wie stark er seinerzeit von der Lektüre der Revolution des Nihilismus beeindruckt gewesen sei. Die »Klarheit und den Mut des Buches« habe er geschätzt. Hinsichtlich Rauschnings aktueller politischer Vorstellungen könne er, Jaeckle, mindestens drei mit ihm teilen, nämlich: Der künftigen »deutschen Wehrmacht« drohten bereits vor ihrer Existenz »entscheidende Krisen«, Deutschland müsse als Ganzes wiederhergestellt werden – über die Wege dorthin sei man aber wohl unterschiedlicher Meinung – und schließlich sei er mit Rauschning ebenfalls der Auffassung, dass in der Bundesrepublik das falsche Personal an wichtigen Stellen der Macht stünde. Andrerseits: Unterstelle man, so Jaeckle, dass Steidls Offenlegungen über die Ostfinanzierung der RWN zuträfen, mache sich Rauschning zum Handlanger sowjetischer Ziele in Europa. Einem beliebigen Autor der Zeitung könne man dies vielleicht noch durchgehen lassen, nicht aber Herausgebern wie ihm und von Bonin. Es sei nun »eine Frage des politischen Geschmacks, ob man sich … zu einer destruktiven Einheit zusammen finden soll, wenn die konstruktiven Ziele nicht dieselben sind«. Und Jaeckle weiter: Wer mit guten Gründen in Opposition geht und Behauptungen wie Sie zu belegen vermag, der hätte ängstlich darüber zu wachen, daß er nicht auf gedungenem Gaul rücklings ins fremde Tor galoppiert. Diese Ausführungen gelten unter der VorausIm Fadenkreuz der Regierung Adenauer

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setzung, daß die Behauptungen Steidls zutreffen. Sollten diese Behauptungen aber nicht zutreffen, so hätten Sie sich fahrlässig einem ähnlichen Verdacht ausgesetzt und auch auf diese Weise einen guten Kampf entwertet.

Jaeckle hob gegenüber Rauschning hervor, dass Die Tat sich normalerweise nicht »mit deutschen innenpolitischen Belangen« beschäftige, »über die Grenzen hinweg« besäße man »diese Rechte nur dann, wenn die Entwicklungen in unserem Nachbarlande von europäischer Rückwirkung sein dürften. Sie werden Sinn dafür haben, daß wir heute der anderen Diktatur gegenüber die nämliche Vorsicht walten lassen, die Sie uns in der ›Revolution des Nihilismus‹ lehrten.« Unterstützung erhielt Rauschning für seinen Beitrag in der Tat von dem gebürtigen Schweizer und Konservativen Armin Mohler, dem zeitweiligen Privatsekretär Ernst Jüngers. Inzwischen berichtete er als Korrespondent u. a. für Die Tat und Die Zeit aus Paris.1171 In einem Schreiben an Jaeckle vom 29. August erklärte Mohler, dass er soeben »mit größtem Interesse« den Briefwechsel zwischen Jaeckle und Rauschning gelesen habe. Nachdem Mohler in diesem Brief dem Chefredakteur seines Arbeitgebers zunächst versichert hatte, dass er mit dem »größten Teil« seines Antwortbriefes »einig gehe«, äußerte er deutliche Kritik. Rauschning gebe doch in seinem Artikel »ausdrücklich zu verstehen, daß er in Notlage handelt«. Und weiter: Sie geben diesem Manne, der in einem halbtotalitären Staate systematisch mundtot gemacht wird, von Zürich aus kühl den Rat, nicht ein so kompromittierendes Reittier zu benutzen. Dabei enthält ja Rauschnings Brief gerade die Frage, ob man – wenn man die Verantwortung sich auferlegt spürt etwas sagen zu müssen (letztes Wort im Original unterstrichen, A. H.) – eine solche Aussage nicht besser einem schlechten Reittier mitgibt als sie unausgesprochen zu lassen. Sie reden Rauschning an, als ob er noch Wahlfreiheit habe. Mir scheint aber, daß man als Schweizer Rauschning nur so ansprechen darf, wenn man ihm die Möglichkeit verschafft, sich an unkompromittiertem Orte zu äußern.

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Enthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr Mit den Enthüllungen Rudolf Steidls traten die RWN in ein neues Stadium, man könnte auch sagen: in ihr vorgezogenes Endstadium, ein. Bereits im Mai hatte Steidl, wie erwähnt, beim VFF über seine Ostkontakte und die östliche Finanzierung westdeutscher Publikationsorgane ausgesagt. Möglicherweise darauf beruhend, forderte nach einer Information J. W. Werners der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) seine Mitglieder »per Rundschreiben« dazu auf, bei den RWN keine Anzeigen mehr zu schalten, da das Blatt »von Kommunisten gelenkt« sei. »Damit«, so Werner in einem Brief an seinen Onkel vom 4. Mai 1955, »haben wir einen Gegner mehr«.1172 Nicht nur Hermann Rauschning hatte mit seinem scharfen Schreiben vom 3. August an Schaefer auf die Lage nach der Pressekonferenz Steidls reagiert. Auch Eberhard Taubert fasste für den VFF ein Resümee. Außerdem lieferte er in einem Brief vom 5. August an Jakob Kaiser, den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, das westdeutsche Presseecho auf die »Aktion Steidl«, wie er sich ausdrückte.1173 Taubert gab in dem Schreiben an, »90 % der deutschen Zeitungen« hätten über die Pressekonferenz berichtet, »damit« sei »nicht nur die östliche Finanzierung der älteren und teilweise schon wieder eingegangenen national-bolschewistischen Publikationen bewiesen … sondern auch ein dringender Verdacht gegen die neueren Gründungen: ›Die Nation‹ und die ›Rheinisch-Westfälischen Nachrichten‹ durch die gesamte Presse gegangen«. Unter der Überschrift »Auswirkungen« kam Taubert zu dem Ergebnis: »Die Nation« hat wenige Tage nach der Enthüllung ihr Erscheinen eingestellt. Die »Frankfurter Allgemeine«, die in diesen Fragen immer etwas unsicher war, hat überraschenderweise den Angriff auf Bonin erweitert, wobei eine ganze Anzahl anderer Blätter gefolgt sind (darunter die »Rheinische Post« und die »Süddeutsche Zeitung«). Die Blätter wurden auf unserer Pressekonferenz über die Tatsache informiert, daß Bonin Mitherausgeber der »Rheinisch-Westfälischen Nachrichten« ist.

Taubert fuhr fort, zwischen Schaefer und Bonin sei »eine ernste Spannung entstanden … Einer der Freunde des VFF hat nunmehr mit Bonin Verhandlungen aufgenommen, die nicht aussichtslos erscheinen«. In der Enthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr 

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neuen Nummer der RWN habe Schaefer keine Widerlegung des Verdachts der Ost-Mittel versucht. »Schaefer beabsichtigt, in der nächsten Nummer eine Diffamierungskampagne gegen den VFF zu eröffnen, wofür ihm das Material von Norden (wahrscheinlich über Kempner) geliefert worden ist.«1174 Die nächste Ausgabe der RWN erschien als Nr. 31 am 13. August 1955 mit zwei Paukenschlägen. Zum einen machte Rauschning seinen gegenüber Schaefer avisierten Vorschlag eines geharnischten Artikels über die angebliche Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik auf der Titelseite wahr. Unter der Überschrift »So tief sind wir gesunken« nahm Rauschning zunächst von Bonin in Schutz, indem er betonte, dieser habe mit seinen mutigen öffentlichen Äußerungen in Genf »Unheil am Anfang« einer gefährlichen Entwicklung zu stoppen versucht – offenkundig deutete Rauschning hier eine Analogie zu den Anfängen der NS-Diktatur an, denn: »Wir haben in bittersten Schicksalen erfahren, daß man erfolgreichen Widerstand gegen ein autoritäres Regime und ein, die Grenzen der Staatsgewalt überschreitendes Staatswesen nur im B e g i n n (Sperrung im Original, A. H.) der falschen Entwicklung leisten kann, nicht aber, wenn es gefestigt dasteht.« Im weiteren Verlauf seines umfangreichen Artikels sprach er insbesondere der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aber auch anderen Blättern, das Recht ab, nach den Geldquellen der RWN zu fragen, wenn es in der Bundesrepublik zu gleicher Zeit alle mögliche, auch undurchsichtige Finanzierungswege der Presse gebe.1175 Der Verfasser nutzte einmal mehr die Gelegenheit, seine Klage über ihm versperrte Publikationswege in die Öffentlichkeit zu tragen – es seien die RWN, die ihm die Freiheit des Wortes böten. Namentlich forderte er den Herausgeber der Welt, Hans Zehrer, auf, seine Frage zu beantworten, ob es zutreffe, dass von einem »zentralen Bonner Amt über seinen Verleger Springer oder sonstwie Druck auf ihn ausgeübt« worden sei, weitere Artikel von ihm außer einem bisher veröffentlichten nicht mehr zu bringen. Die Redaktion der RWN fügte dem Beitrag noch einige biographische Notizen zu Rauschning sowie Empfehlungen für dessen Bücher an. Abschließend hieß es in diesem Zusammenhang: »In Vorbereitung: ›Die christliche Revolution‹«. Zum anderen füllte die gesamte Seite 3 dieser RWN-Ausgabe unter der Überschrift »Also sprach Dr. Eberhard Taubert« eine Auswahl von langen Zitaten Tauberts aus seinen in der NS-Zeit erschienenen Schriften, so über »Das Weltjudentum als Ausgangspunkt der bolschewistischen Weltgefahr«, 426

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Das Rotbuch über Spanien und Mitteilungen über die Judenfrage. Die Redaktion der RWN steuerte lediglich einige biographische Details unterhalb der Überschrift bei, wie z. B. »Ehrenamtliches Mitglied des Volksgerichtshofes a. D., … Gründer und Chef der Anti-­Komintern der Achsenpartner Berlin-Rom-Tokio, … Geschäftsführer des bundesdeutschen ›Volksbundes für Frieden und Freiheit e. V.‹ Decknamen: Dr. Richter, Lehmann, Dr. Becker, Simon, Menzel und Dr. Kohl«. Rechts oben auf der Seite fanden sich das faksimilierte Titelblatt des Handbuchs für das Deutsche Reich von 1936 sowie – ebenso in Faksimile – die Seite 212 jenes Handbuchs, das unter den »ehrenamtlichen Mitgliedern« des »Volksgerichtshofes« in der rechten Spalte »Dr. Taubert« aufführte. Geschickt koordinierte Schaefer diese Veröffentlichungen über Taubert mit einem bereits am nächsten Tag, dem 14. August 1955, um 20 Uhr ausgestrahlten Interview mit dem Deutschlandsender/Radio Ostberlin, das in Düsseldorf aufgezeichnet worden war.1176 Thema des Interviews von Schaefer mit dem Journalisten Gerhard Edelmann war die Politik der Bundesregierung, die nach den Äußerungen Schaefers eine Wiedervereinigung unmöglich mache. Zu Beginn des Gesprächs informierte Edelmann die Zuhörerschaft über die Herausgeber der RWN, darunter auch »Hermann Rauschning, den kürzlich aus den USA zurückgekehrten ehemaligen Danziger Senatspräsidenten, dessen politische Publikationen in der Welt Aufsehen erregt haben«. Etwa in der Mitte des Interviews lenkte Edelmann das Gespräch auf Eberhard Taubert. Die entsprechende Passage lautet: Schaefer: … Noch ist es so, daß die Publizisten und Bürger Westdeutschlands, die der Unabhängigkeit eines zukünftigen deutschen Reiches das Wort sprechen, für ihr politisches Bekenntnis mit Diffamierung und öffentlich bestraft werden. Edelmann: Haben Sie dafür irgendwelche Beweise? Schaefer: Selbstverständlich, beispielsweise fand vor 14 Tagen eine sehr, sehr bedenkliche Pressekonferenz in Bonn statt. Diese Pressekonferenz wurde einberufen von einem Herrn namens Dr. Eberhard Taubert, der im 3. Reich Antikominternchef … gewesen ist. Es ist zutiefst bedauerlich, daß angesichts des Grundgesetzes bereits durch Steuermittel Organe unterhalten werden, die von ehedem führenden Persönlichkeiten des – ich will mal sagen – Kalten Krieges gegen die UdSSR geleitet werden heute. Ich nenne da als Beispiel den Fall des Dr. Eberhard Taubert. (Er) war beispielsweise Richter am Volksgerichtshof in Berlin unter dem in Deutschland nicht ganz unbekannten Roland Freisler. Edelmann: Ja, wir sehen auch hier das Faksimile, das in Ihren Händen sich befindet. »Deutsches Reich«, lesen wir da, »1936« … Schaefer: Ganz recht, Herr Edelmann …1177 Enthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr 

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Das in der RWN-Ausgabe faksimilierte Titelblatt lässt bei näherem Hinsehen einen Stempel erkennen, der das Handbuch als Eigentum des ehemaligen Reichsfinanzministeriums (Berlin) ausweist. Mit Blick auf die Teilnahme Hermann Rauschnings an einer Aktion gegen Eberhard Taubert ist dieses Detail nicht ganz unwichtig. Wenn die Faksimiles ihren Ursprung tatsächlich in Berlin hatten, könnte Schaefer dieses Material dort oder anderswo von Vertretern der DDR entgegengenommen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach verhielt es sich so, dass parallel zu Schaefers eigenen Recherchen über Taubert Rauschnings Neffe Werner und wohl auch Rauschning selber mit der Materialsuche und -weitergabe befasst waren, und zwar zeitlich deutlich vor der Pressekonferenz Steidls über die Ostfinanzierung der RWN. Es handelte sich demnach also nicht um einen Racheakt Schaefers und seines Blattes an Taubert und Steidl wegen der Behauptung einer angeblichen Ostfinanzierung der Zeitung, sondern um eine aus Ost-Berlin mit Hilfe Hermann Schaefers gesteuerte Kampagne mit dem Ziel, Taubert zu erledigen und den VFF empfindlich zu treffen. Ob Werner und Rauschning über den ostzonalen Hintergrund der Kampagne informiert waren, steht dahin. Schriftliche Äußerungen Werners gegenüber seinem Onkel aus jenen Tagen über die Verhältnisse in der DDR und darüber, wie die RWN damit umgehen sollten, legen die Vermutung nahe, dass zumindest er gegenüber der DDR kritisch eingestellt war und die Rolle eines bewussten Erfüllungsgehilfen Ost-Berlins wohl kaum zu spielen bereit gewesen wäre. Bereits knapp zweieinhalb Monate vor Steidls Bonner Pressekonferenz hatte Werner am 15. Mai 1955 einen langen Brief an Rauschning aus Hamburg mit dem Satz eröffnet: »Am Donnerstag vormittags bin ich hier eingetroffen und werde noch bis Dienstag hier bleiben, um die Büchereien nach bestimmten älteren Veröffentlichungen zu durchwühlen, die wir in der Sache Taubert benötigen.«1178 Dieser Satz belegt, dass Rauschning in eine Aktion gegen Taubert eingebunden war, falls er sie nicht sogar initiiert hatte. Mit Hilfe des Bibliothekspersonals der Universität Hamburg gelang es Werner dann, Material über Taubert zusammenzustellen1179 und dem Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Karl Marx, durch Hermann Rauschning zur Veröffentlichung auszuhändigen. Die Publikation erfolgte dann nach einigem Hin und Her am 15. Juli unter der Überschrift »Teufel oder Beelzebub? Alte Nazis ›verteidigen‹ die Demokratie«. In Fettdruck zitierte die Wochenzeitung antisemitische und antibolschewistische Passagen aus Artikeln Tauberts, die 428

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dieser in der April-Nummer des Jahrgangs 1937 der Zeitschrift Contra Komintern und 1939 in der Zeitschrift für Politik veröffentlicht hatte. Noch vor Steidls Enthüllungen, aber auch danach, finden sich in Briefen Werners an seinen Onkel knappe Hinweise auf seine Kontakte zu Marx. So am 20. Juli, wo es in einem Schreiben heißt: »Von Herrn K. Marx habe ich bis jetzt noch keine Nachricht erhalten, werde ihm aber in den nächsten Tagen schreiben und anfragen, was es Neues gibt.«1180 Die Hintergründe der Aktion gegen Taubert machte vor allem Rudolf Schauff transparent, der nach Bekanntwerden der von Schaefer nicht dementierten Ostfinanzierung der RWN von seinem dortigen Posten als Verlagsleiter zurückgetreten war, das Blatt verlassen und sich nun dem VFF zur Verfügung gestellt hatte – ganz so, wie Steidl es bereits zuvor getan hatte. In einer Aktennotiz Tauberts vom 10. August nach einem am selben Tag geführten Gespräch mit Schauff hieß es: Im Büro des VFF erschien heute Rudolf Schauff, bis vor kurzem Mitinhaber des Verlages der »Rheinisch-Westfälischen Nachrichten«. Schauff äußerte sich anläßlich des Artikels über Taubert in der »Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland« vom 15. Juli wie folgt: »Schaefer hat von seinen östlichen Auftraggebern den Befehl erhalten, alles nur Mögliche zu unternehmen, um Taubert ›abzuschiessen‹. Er hat Wochen zum Sammeln von Material geopfert, u. a. hat er sich gewendet an Kempner, Wolf Schenke, Gereke1181, Norden. Der Mitarbeiter des Blattes Wolfgang Werner …, früherer Schriftführer des Allgemeinen Studentenausschusses der Universität Hamburg, … hat die früheren Schriften von Taubert beschafft und sie Hermann Schaefer zugesandt. Über die Frage, wie das Material am besten in die Öffentlichkeit zu bringen sei, fand ein Gespräch statt … Einer der Beteiligten äußerte den Vorschlag, es sei am besten, … das Material … Marx zur Veröffentlichung zu übergeben, welcher die Zustimmung … fand … Das Büro von Marx liegt direkt gegenüber dem Büro der ›RWN‹ in Düsseldorf, Fischerstraße. Die Beziehungen zwischen Schaefer und Marx wurden von ersterem planmäßig angeknüpft durch ein Begrüßungstelegramm von Schaefer anlässlich eines jüdischen Feiertages …« Schauff hat sich bereit erklärt, die obigen Ausführungen in einer eidesstattlichen Erklärung niederzulegen.1182

Anlässlich des Rücktritts Tauberts vom Amt des zweiten Vorsitzenden im VFF als Folge der Veröffentlichungen – wirksam in dieser Richtung war jedoch weniger die RWN-Seite als vielmehr ein langer Artikel im Spiegel, an den sich Karl Marx in der Sache gewandt hatte1183 – gab der VFF am 25. August 1955 einen »Sonderdienst« heraus, der zusätzliche InformaEnthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr 

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tionen über die Aktion gegen Taubert enthielt, die wahrscheinlich auch von Schauff stammten. Kurz und knapp meldete der »Sonderdienst«, dass Eberhard Taubert am 24. August sein Amt im VFF niedergelegt habe1184: »Am 3. Juni war Werner so weit … Die Mission des Zuspielens« des Taubert-Materials an Karl Marx, hieß es im »Sonderdienst«, »übertrug man dem früheren Danziger Senatspräsidenten und jetzigen Mitherausgeber der ›RWN‹, Dr. Rauschning. Er muß seine Mission recht geschickt ausgeführt haben, denn der Inhaber der ausgewählten bürgerlichen Wochenzeitung in Düsseldorf faßte keinen Verdacht. Schließlich konnte er in dem Deutsch-Amerikaner Rauschning nicht den Emissär Schaefers vermuten. Nach etwa 3 Wochen übernahm ›Der Spiegel‹ die Vorgänge.« Rund zehn Tage nach dem »Sonderdienst«, am 5. September, gab Rudolf Schauff in seinem Wohnort Aachen eine schriftliche Erklärung zu den Vorgängen ab, die er auch zu beeiden bereit sei, wie es in dem Papier hieß. Die Erklärung, die VFF-Chef Fritz Cramer »vertraulich« in Kopieform an Staatssekretär Thedieck vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen schickte, wiederholte noch einmal die wesentlichen Punkte seiner früheren Aussagen zu den Maßnahmen gegen Taubert. Allerdings nannte Schauff nicht den Namen Rauschnings als desjenigen, der dem »Zentralrat der Juden« die Unterlagen »zuspielen« sollte. »Bei dieser Gelegenheit«, so Schauff in seinem Schlusssatz über die Besprechung der RWN-Spitze, »wurde noch mokant zum Ausdruck gebracht, dass die so schlauen Juden zweifellos darauf hereinfallen würden«.1185 Warum Schauff, bei Nennung aller anderen bereits von ihm früher erwähnten Namen, denjenigen Rauschnings nicht aufführte, bleibt unklar. Möglicherweise wollte er ihn aus persönlichen Gründen schonen. Im umfangreichen Nachlass Rauschnings taucht Schauff nirgendwo auf. Hingegen nannte der Presse- und Informationsspiegel des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 13. August 1955 noch einmal Rauschning ausdrücklich als Überbringer des Taubert-Materials.1186 Rauschning selber hat sich an keiner Stelle zu den Vorgängen um Taubert erklärt, sodass hinsichtlich seiner Motive nur spekuliert werden kann. Im Zusammenhang mit seiner zeitweilig maßlosen Wut auf seine politischen Gegner in der Bundesrepublik hat er mit der Materialübergabe an Karl Marx eine Gelegenheit gesehen, endlich einmal zu punkten (»auszuwischen«), wobei die Vorgehensweise zweifellos nicht den höchsten moralischen Standards genügte.1187 Angesichts der radikal antisemitischen Vergangenheit Tauberts wirkt ein Brief der israelischen »Anticommunist League in Israel« an das Bundes430

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ministerium für gesamtdeutsche Fragen vom 29. September 1955 einigermaßen bizarr. Darin wandte sich die League gegen die Anti-Taubert-Veröffentlichung von Karl Marx in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, weil sie in ihr bloß »pure communist work« erkannte. Israel habe, hieß es in dem Schreiben, seit der Aufnahme von »friendly relations« mit Westdeutschland einen klaren Schnitt gezogen und man wolle insbesondere die antikommunistische Arbeit von Taubert und seinem Vorgesetzten Cramer im VFF lobend hervorheben.1188 Vor allem das Interview Schaefers mit dem Deutschlandsender/Radio Ostberlin scheint die nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer dem erwähnten Ziel, »prozessreifes Material gegen Schaefer in die Hand zu bekommen«, entscheidend näher gebracht zu haben. Sie kontaktierten Schauff über einen ihrer Mitarbeiter nach dessen Austritt bei den RWN und nach der Einstellung der Zeitung im Januar 1956. Unter dem Datum des 11. Januar 1956 machte Schauff insbesondere Angaben zu Schaefer. Dieser habe »Angst vor Verfassungsschutzleuten in den eigenen Reihen« gehabt, die nordrhein-westfälischen FDP-Politiker Wolfgang Döring und Siegfried Zoglmann seien in dessen Augen »Agenten«. Er, Schauff, hingegen wisse jedoch von einem wirklichen Agenten in der näheren Umgebung Schaefers. Schauff wiederholte frühere Angaben, wonach die »SBZ Schaefer beauftragt habe Taubert ›abzuschiessen‹. Monatelang habe Schaefer nur Interesse für die Sache ›Dr. Taubert‹ gehabt«. Schaefer habe in dem Deutschlandsender-Interview zum »Widerstand gegen die Bundesregierung« aufgefordert. Deshalb sei in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof ein »Hochverratsverfahren gegen S­ chaefer geplant bzw. anhängig« und aus diesem Grund seien auch die RWN einstweilen eingestellt worden.1189 Welche Interviewstellen den Hochverratsvorwurf genau begründen sollten, sagte Schauff nicht. Geht man das gesamte Interviewmanuskript durch, fällt in dieser Hinsicht insbesondere ein – in der Gesprächsaufzeichnung sprachlich verunglückter – Passus ins Auge. ­Schaefer antwortete dort auf die Frage seines Interviewers Edelmann, wie er denn nun die Möglichkeiten einer Wiedervereinigung beurteile: In Westdeutschland haben sich in den letzten Wochen durch die unerschrockene Arbeit, vornehmlich des Bundestagsabgeordneten Stegner – ich erinnere an die internationale Pressekonferenz der Herren Stegner und Bonin in Genf – und durch die publizistische und politische Arbeit des ehemaligen Senatspräsidenten von DanEnthüllungen, Diffamierungen und ein Akt der Notwehr 

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zig, Dr. Hermann Rauschning, und daß sich der ehemalige Chef der Operationsabteilung im Oberkommando des Heeres, Bogislaw von Bonin, und andere aktive Widerstandskräfte durchaus bereitgefunden haben, auf dem Wege der Bekämpfung der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik echte Ausgangspunkte für die Wiedervereinigung der Deutschen hier zu schaffen.1190

In der Kopie des Manuskripts, das als Arbeitsgrundlage im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen diente, findet sich nur eine Textstelle, die sowohl am Rande als auch unter den Zeilen dick unterstrichen ist. Dort heißt es dem gesprochenen Worte Schaefers zufolge: »Wenn Bonn nicht bereit ist, mit der Regierung der DDR zu verhandeln, so, das glaube ich, werden sich wahrscheinlich noch in diesem Jahre Männer in Westdeutschland bereitfinden, um den Schritt zu tun, den Bonn bisher versäumt hat.«1191

Die Wiederzuerkennung des Doktortitels Die zweite Jahreshälfte 1955 stand für Rauschning ganz im Zeichen der Steidl-Enthüllungen und des Schlages gegen Eberhard Taubert.1192 Gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe und von den zahllosen Reisen kreuz und quer durch die Bundesrepublik zusätzlich erschöpft, widmete der fast 70-Jährige seine Kraft neuen Publikationen und versuchte angesichts der Turbulenzen in der Düsseldorfer Redaktion kühlen Kopf zu bewahren. Persönliche Genugtuung erfuhr er in dieser Zeit immerhin dadurch, dass es seinem Neffen Werner gelungen war, die von den Nationalsozialisten im Gefolge der Veröffentlichung des Rauschning’schen Nihilismus-Buches verfügte Aberkennung des Doktortitels wieder rückgängig zu machen. Im Juni 1955 hatte sich Werner auf Briefpapier der RWN an den Rektor der Ost-Berliner Humboldt-Universität mit einer entsprechenden Bitte gewandt, wohl ahnend, dass man dort dem politischen Kurs der Düsseldorfer Zeitung geneigt sein würde. Nach einem kurzen Schriftwechsel zwischen Düsseldorf und Ost-Berlin sowie innerhalb der Universität teilte Professor Hintze als Dekan der Philosophischen Fakultät Rauschning unter dem Datum des 3. November 1955 mit: »Wir haben festgestellt, daß Ihnen am 2. Mai 1939 der am 30. März 1911 erworbene Doktorgrad aus politischen Gründen aberkannt wurde. Es handelt sich dabei um einen jener Fälle, in denen der Entzug des Doktorgrades von 432

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uns nicht anerkannt wird, und ich möchte Ihnen daher mitteilen, daß Sie wieder im Doktorbuch unserer Fakultät als Dr. phil. geführt werden.«1193

Letzte Wochen bei den RWN Unmittelbar nach dem Deutschlandsender-Interview verschwand Hermann Schaefer einmal mehr mit unbekanntem Ziel aus Düsseldorf. Werner schrieb seinem Onkel am 18. August: »Nun warten wir wieder, wie üblich.«1194 Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz registrierte die Abwesenheit Schaefers. In einer Notiz des Freien Nachrichtenbüros (fnb), die sich in den Akten des NRW-Landesarchivs befindet, hieß es zunächst, Schaefer habe »das allgemeine Kesseltreiben nicht durchstehen können« und sei deshalb untergetaucht. Dann wurde versucht, das Verschwinden mit einer Reise des RWN-Herausgebers nach Hofgeismar »zwecks Geldsuche« zu erklären.1195 Kein Geringerer als Eberhard Taubert war es dann, der am 26. August 1955 einem Informanten des Verfassungsschutzes »vertraulich« die Mitteilung machte, dass Schaefer »sich mit anderen Herren der Gruppe um die RWN« auf der Trendelburg bei Hofgeismar getroffen und 80.000 DM erhalten habe.1196 Werner nutzte seinen Brief an Rauschning vom 18. August, um ihn über weitere Kontakte mit Karl Marx zu unterrichten, der in seiner Wochenzeitung einen leicht RWN-kritischen Artikel veröffentlicht hatte. Dieser habe laut Marx zwar nicht ihm, Werner, und auch nicht Rauschning gegolten, sondern »anderen leitenden Herren« der RWN, über die er, Marx, »eine Menge Material vorliegen« habe. Der von Marx gezeichnete Artikel »›Anti‹ um jeden Preis« spielte mit seiner Überschrift natürlich auf den Spitznamen Tauberts im »Dritten Reich« an und warnte vor einer »Radikalisierung des Denkens« in allen politischen Lagern der Bundesrepublik. Die auf die RWN gemünzte Passage lautete: »Nun hat eine Düsseldorfer Wochenzeitung den Fall Taubert zum Anlaß genommen, zu einem Schlag gegen diese Gruppe (gemeint ist der VFF, A. H.) auszuholen. Und hier stoßen wir schon wieder auf die berufsmäßigen Antis. Die Biographien eines Teiles der Mitarbeiter dieser Wochenzeitung zeigen eindeutig, daß sie zur Zeit des Dritten Reiches berufsmäßige Antis waren und heute wieder Antis sind, allerdings in entgegengesetzter Richtung.«1197 Erstmals taucht in dem Brief Werners der Gedanke auf, dass Rauschning auch für das Blatt von Marx schreiben könnte, jedenfalls bat Werner Letzte Wochen bei den RWN

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seinen Onkel, ihm eine entsprechende Bereitschaft zu signalisieren, um Marx in einem bevorstehenden Gespräch »Definitives sagen« zu können. Werner meldete im Übrigen weiterhin fortgesetzte Angriffe auf die RWN in anderen westdeutschen Zeitungen, wenn auch »ein wenig vermindert«. Rauschnings RWN-Artikel würden in der »mitteldeutschen Presse« stark beachtet, insbesondere aber »in der SED-Presse« zitiert. Etwas aus dem Zusammenhang gerissen wirkt ein Postskriptum des Briefes, in dem sich Werner scharf dagegen wandte, dass im »Deutschen Club der Herr Pfeffer mitspielt«. Pfeffer, mit dem Rauschning bereits, wie wir gesehen hatten, nach Kriegsende von Oregon aus korrespondiert hatte, stehe »auf der gleichen Liste wie Taubert«, schrieb Werner und schloss: »Diese alten Nazi-Größen können unser Anliegen nur diskreditieren.«1198 Bereits am nächsten Tag, dem 19. August 1955, legte Werner mit einem weiteren Schreiben an seinen Onkel nach. Der Rheinische Merkur fahre einen »heftigen Angriff« auf die RWN und die »recht konkreten Angaben« über Mitarbeiter der Zeitung ließen, so Werner, »eine Überprüfung unserer Haltung geraten erscheinen«. Zwar werde Rauschning nicht direkt attackiert, sondern »nur« in »Klammern gesetzt mitbenannt«. Das lege den Schluss nahe, dass »man Dir die ›Tür‹ nicht verbauen will«. Werner machte deutlich, dass er nahezu verzweifelt auf einen Gesprächstermin mit Marx wartete, um mit dessen Hilfe für Rauschning eine »anständige Wirkmöglichkeit« zu finden. Nicht nur die fragwürdige Finanzierung der RWN werfe ein ungünstiges Licht auf Rauschning, schlimmer noch sei die Zusammenarbeit »mit Kreisen, in denen sich ehemalige KZ-Kommandanten, SS-Generäle und allerlei Gelichter« befänden. Und sich von Rauschning abgrenzend schrieb Werner: »Meines Erachtens ist es doch wesentlich, mit wem gemeinsam man eine Sache, die man für gut und richtig und notwendig erkannt hat, vertritt.« Er könne nicht gut »eine Figur wie den Taubert angreifen und habe neben mir ebenbürtige Nazis«. Auch seine, Werners, »Judenfreundlichkeit« werde in der Redaktion nur aus taktischen Gründen toleriert, denn »von einer geistigen Abklärung zu dieser Frage« könne »nun im Hause beileibe keine Rede sein«. Werner vermutete, dass man ihm wegen seiner Einstellung den Juden gegenüber »bisher das politische Ressort nicht verantwortlich übertragen« habe, um ihm »dadurch nicht die Möglichkeit« einzuräumen, seinem »Kurs Gewicht zu geben«. Auch hinsichtllich der RWN-Kommentierung der »katastrophalen Zustände in der DDR« müsse endlich Klartext geschrieben, es dürfe nicht nur »jeder Mißstand im Westen an den Pranger gestellt« wer434

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den. In diesem Zusammenhang kritisierte Werner auch das Deutschlandsender-Interview Schaefers scharf. Insbesondere dessen Behauptung, in Westdeutschland stünden Kräfte bereit, die willens seien, »über Adenauer hinwegzugehen«, erachtete Werner »als grundfalsch«. Denn: Komme die Wiedervereinigung, komme es gerade mit den »Linksextremen zu einer äußerst harten Auseinandersetzung«. Diese würden »auch nur ihre Schäfchen ins Trockene bringen« wollen und »keine Rücksicht auf die Nationalen nehmen, sondern ihr Programm zu verwirklichen suchen«. Interessant ist die Begründung, die Werner für diese offenen Worte in seinem Brief lieferte. Es seien »ernste Bedenken«, die ihn diese Zeilen schreiben ließen, teilte er Rauschning mit. »Sie gelten weniger mir und meiner Zukunft, um die ich nicht bange bin, sondern Deiner Arbeit und ihrem Erfolge.« Noch schütze Rauschning seine Reputation »auf Grund einer guten Vergangenheit, noch stehen zu Dir – zumindest innerlich – die alten Widerstandskräfte und greifen uns und Dich nicht an«. »Es sind nicht Sinnesfreunde (sic), es sind nicht Menschen gleichen Charakters, es sind Leute von einer politischen Unverantwortlichkeit, die gen Himmel stinkt. Da wird auf Teufel komm’ heraus politisiert, da ist ein Gemenge von Halbwahrheiten, Halbbildung und Augenblickseingebungen zu einem Brei zusammengerührt, dem man keinen Geschmack mehr abgewinnen kann.« Und: »Haben Du und ich es nötig in diesem Kreise zu hospitieren?« Gegen Ende seines Briefes konzedierte Werner seinem Onkel eine wirtschaftliche Zwangslage, die ihn bei den RWN offenbar ausharren lasse. Andrerseits, so Werner: »… und wenn ich an den Heuss Bettelbriefe schreiben muss, aber es geht so nicht weiter. Für einen anständigen Abgang sind bestenfalls noch 4 Wochen Zeit. Es wird dann Prozesse hageln, in denen sich diese Leute – wie schon der Steidl – aufs ärgste gegenseitig beschmutzen werden …« Abschließend versicherte Werner seinem Onkel, er werde die Redaktion »nicht Hals über Kopf verlassen«, es sei denn, Marx könne Rauschning eine »andere Wirkmöglichkeit bieten«. Dann allerdings sei es für sie beide Zeit zu gehen.1199 Rauschning antwortete seinem Neffen bereits am 21. August.1200 Er dankte Werner aufrichtig für dessen Sorgen um seine Reputation und Ehre. Längst habe er jedoch die Verleumdungen und Werners Bedenken in Rechnung gestellt, gleichwohl verstehe er, was seinen Neffen »in Harnisch« bringe. Indes: »Ich habe meine Gründe bei diesen Leuten zu sein«, schrieb Rauschning.

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Es ist nicht bloß, dass ich bei ihnen ein Mitteilungsorgan gefunden habe, sondern daß gerade durch meine Mitwirkung und solcher Leute wie Bonin den anderen endlich doch wohl dämmern wird, in welche gefährliche Lage s i e (Sperrung im Original, A. H.) den Staat hineinbringen. Denn man kann Deine Argumente gegen solche Leute, wie Du sie anführst, ja auch umdrehen: solange die Regierung Männer wie Taubert … beschäftigt, braucht sie sich nicht zu wundern, daß auf der anderen Seite ähnliche Reptilien eine Rolle spielen. Nur eine saubere Regierung kann erwarten, daß eine saubere Opposition ihr gegenübertritt.

Gerade die »Gefährlichkeit einer Radikalisierung« müsse und werde die besonneneren Elemente Bonns zu einem Einlenken bewegen, schrieb Rauschning, »wenn nicht, dann gehen wir einer Katastrophe entgegen«. Sein »guter Ruf jetzt und in Zukunft« sei ihm »höchst gleichgültig gegenüber dem Anliegen, das zu erreichen wäre, wenn überhaupt Deutschland noch einmal etwas werden soll. Auf dem bisherigen Wege Bonns sicher nicht.« Er habe »anfänglich freilich so etwas wie die Hoffnung gehabt, aus den verkrachten Naziexistenzen diejenigen sammeln zu können, die innerlich sich reformiert und gewandelt haben. Das war eine Illusion. Ich sehe auch überall die Pferdefüße. Aber das veranlaßt mich aus bestimmten Gründen noch nicht, meine Haltung zu ändern«, formulierte er. Insgesamt erinnert diese Argumentation an das »Zähmungskonzept«, mit dessen Hilfe Rauschning in seiner Zeit als nationalsozialistischer Senatspräsident von Danzig versuchte, das Treiben der radikalen Elemente der NSDAP in Danzig mit Gauleiter Forster an der Spitze zu bändigen. Mit Marx wolle er zwar »gerne zusammenarbeiten«, teilte er seinem Neffen in dem Brief noch mit, Werner möge es aber »unterlassen, für mich nach Protektion auszuschauen«. Er wolle keinen Posten, das habe er »wahrlich billiger haben können«. Er denke nicht daran, »bei diesen Bonner Leuten jetzt um einen Posten zu schnorren« und ihnen nach dem Munde zu schreiben. Auch international wurde man auf Rauschning in diesen Tagen aufmerksam. Die Pariser Ausgabe der New York Herald Tribune vom 29. August überschrieb einen Artikel mit »Though U.S. Citizen Now, Rauschning Linked to W. German Reds« (dt. etwa: »Obwohl jetzt US-Bürger, ist Rauschning jetzt bei den westdeutschen Roten«). Der Beitrag hob zunächst hervor, dass Rauschning ein erbitterter Gegner Hitlers gewesen sei, um dann jedoch zu beklagen, dass er bei seiner ersten Heimkehr nach 19 Jahren als erklärter Opponent der amerikanischen Politik auftrete. Das Blatt zitierte 436

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zusätzlich Rauschning in englischer Übersetzung mit seinem bekannten Diktum, wonach ihm die Finanzierung einer Zeitung egal sei, solange er dort seine Gedanken frei äußern könne. Die Frage der Finanzierung der RWN trieb gegen Jahresende 1955 weiterhin die Nachrichtendienste um. Nun schlugen sie sich mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen Parteineugründung herum, deren Funktion nach Angaben ihrer Informanten allein darin bestehen sollte, der Zeitung eingesammelte Parteigelder vertraglich festgelegt in einer monatlichen Größenordnung von 40.000 DM zukommen zu lassen.1201 Auf eine Anfrage des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes beim Polizeidirektor in Krefeld habe dieser mit Datum vom 15. November 1955 mitgeteilt, dass u. a. Otto Wagener, Hermann Schaefer, Arthur Stegner, Bogislaw von Bonin sowie Johann W. Werner »ein Protokoll über die Gründung einer ›Deutschen Demokratischen Volkspartei‹ aufgesetzt und unterzeichnet« hätten.1202 Tatsächlich jedoch war für die Behörden die Registrierung einer neuen Partei »weder in Düsseldorf noch in Krefeld nachzuweisen«. Auch das angebliche Gründungsprotokoll und »der behauptete Vertrag mit den RWN ließen sich nicht beschaffen«. Der NRW-Verfassungsschutz schloss den Vorgang um die Phantom-Parteigründung mit diesem Satz: »Nach den gewonnenen Erkenntnissen, die sich im wesentlichen auf Angaben von Gewährspersonen stützen, besteht die Vermutung, daß es sich bei der Partei um eine nicht existente, nur in gelegentlichen Gesprächen aus taktischen Gründen erwähnte Organisation handelt, deren Fiktion dem Herausgeberkreis der RWN dazu dienen sollte, die Entgegennahme von Ostgeldern zu verschleiern.«1203 Im Herbst 1955 war Rauschning offenbar doch so weit, sich in materieller Hinsicht helfen zu lassen, was womöglich mit dem drohenden Ende der RWN zusammenhing. Von Ende Oktober1204 datiert ein Brief Werners an ihn, in dem recht umfangreiche Hilfsbemühungen für den Onkel angedeutet, teilweise auch konkretisiert werden. Wie üblich suchte sich Werner – wie Rauschning in seinen Briefen auch – vor der unerwünschten Lektüre seiner Schreiben durch Verfassungsschutz und Polizei mit Hilfe von Namenskürzeln und Andeutungen zu schützen, was in manchen Fällen heute eine eindeutige Aussage und die Zuordnung von Personen zu Sachverhalten erschwert bzw. unmöglich macht. Ein »Dir in Hamburg geneigter Herr«, schrieb Werner, habe eine »Sofortregelung getroffen, die als Übergangsregelung gilt bis zur Schaffung einer besseren Möglichkeit«. W. Sch, Hmb. – höchstwahrscheinlich zu lesen als Wolf Schenke, HamLetzte Wochen bei den RWN

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burg – habe sich auf »Vorschlag Krumms« (Lederwaren, Offenbach, s. o.) für »die Klärung des gesamten Komplexes eingesetzt«. Es folgt eine nicht weiter erläuterte Aufforderung Werners an seinen Onkel, sich mit dem Verleger der Westfälischen Zeitung in Bielefeld, Rienhardt, »unter Berufung auf die Regelung seitens v. R.1205 baldmöglich in Verbindung« zu setzen. Ein »Betrag« werde Rauschning »auch ohne publizistische Gegenleistung zur Verfügung gestellt«. Die »spätere Lösung« – aus Zeitgründen sei es nicht anders möglich – werde so aussehen, »daß einer Körperschaft in Hamburg seitens der Industriellen Förderungsbeträge regelmäßig überwiesen werden. Dir selbst wird von dieser Körperschaft ein Forschungsauftrag gegeben. Einige Herren haben sich bereits mit dieser Regelung einverstanden erklärt und sind bereit nun auch tatsächlich zu zahlen.« Werner fügte hinzu, er hoffe sehr, dass seinem Onkel »dies eine wesentliche Beruhigung« sein möge, »gerade hinsichtlich der baldigen Entscheidung über Dein weiteres Wirken«. Er bot Rauschning an, selber mit Rienhardt zu sprechen, falls seinem Onkel dies »unangenehm sein« sollte.1206 Dann brauche Rauschning nur noch »die vertragliche Regelung zu unterzeichnen«. Es bleibt unklar, was es mit diesem Vertrag auf sich hatte. Wahrscheinlich war vorgesehen, dass Rauschning zukünftig für die Westfälische Zeitung schreiben sollte, denn darauf deutet ein Postskriptum zum Brief Werners hin, in dem dieser genaue Daten zu dem Blatt lieferte (Anschrift, Auflagenhöhe, 140. Jahrgang, Telefon und Fernschreibverbindungen, Verlag, Namen zugehöriger Zeitungen in der Region).1207 Ungeklärt bleibt auch, was aus den von Werner angedeuteten Hilfsprojekten für seinen Onkel geworden ist; in den überlieferten Quellen finden sich keine weiteren Hinweise darauf.1208 Rauschnings journalistische Beiträge für die RWN thematisierten ganz überwiegend – es überrascht wohl nicht – politische Fragen im Allgemeinen und die Wiedervereinigungsfrage in Verbindung mit der Adenauer’schen Politik der Westbindung im Besonderen. Doch gelegentlich lieferte er auch Beiträge zu anderen Themen, die ihn dann oft zur großen Politik zurückführten. Anlässlich des Todes von Thomas Mann am 12. August 1955 veröffentlichte Rauschning in den RWN vom 20. August einen ausführlichen Nachruf. Nicht so sehr die Würdigung des »unerreichbaren Sprachkünstlers« Mann sei Gegenstand seiner Zeilen, schrieb er darin, sondern die Wiedergabe einiger Eindrücke von persönlichen Begegnungen mit dem Nobelpreisträger und – »ein Wort über Thomas Mann, den Politi438

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ker«. »Wer das Glück hatte«, ihm persönlich begegnet zu sein, so Rauschning, sei »überrascht gewesen von der Schlichtheit, der Zurückhaltung und gleichsam ›heiligen Nüchternheit‹ der Gestalt und Wesensart«. Die »immer gegenwärtige Ironie, die Kühle, die doch eine große Wärme barg, die Feinheit eines unauffälligen Esprits, mochte ihm vielleicht nicht gleich die Herzen zuwenden«. In politischer Hinsicht sei Mann zuletzt oft »mißverstanden worden« in seiner »Unbeirrbarkeit, mit der er auch in der deutschen Ostzone sprach und sich Friedensorganisationen zur Verfügung stellte ohne Bedenken, sich damit zu ›kompromittieren‹«. Unschwer konnte der Leser dieser Gedanken darin eine Parallele zu Rauschnings eigener Situation entdecken, doch damit nicht genug: Auch Thomas Mann habe schon vor Jahren die Notwendigkeit »der Verbindung des Westens mit dem Osten« erkannt. Die »Verbindung mit dem russischen Volk, aber auch mit dem großen revolutionären Geschehen in ihm« habe er als »die notwendige Voraussetzung einer gemeinsamen Zukunft der Menschheit« gesehen. Sein »Ahnungsvermögen« und sein »Glaube« daran habe auch der Kalte Krieg nicht zu zerstören vermocht, weshalb er von der »öffentlichen Meinung des Westens« zeitweilig als »rosarot« bezeichnet worden sei. Auch in der »Beurteilung der Gesellschaftsordnungen«, fuhr Rauschning fort, »blieb er nicht der Verherrlicher einer sterbenden bürgerlichen Ordnung, sondern erkannte die Notwendigkeit neuer Ziele und Kräfte in der Wiedergeburt der Gesellschaft aus den unvergänglichen Werten des bisherigen Abendlandes und seinen Impulsen.« Und selbst die Feststellung, dass Thomas Mann seine »politischen Anschauungen seit der ersten Fassung seiner ›Betrachtungen eines Unpolitischen‹ geändert« habe, rückte den Geehrten in seine Nähe, denn: »Wer durfte von sich sagen, daß er es nicht brauchte? Für wen wäre es ein Ruhm gewesen, immer derselben Meinung gewesen zu sein?« Mit dem Abstand von rund drei Monaten erhielt Rauschning einen handgeschriebenen Brief von Manns Witwe Katia aus dem Hotel »Vier Jahreszeiten« in München.1209 Darin bedankte sie sich für Rauschnings freundliche Worte aus Anlass des Todes ihres Mannes und für den Artikel in den RWN, den er ihr geschickt hatte. Katia Mann nutzte die Gelegenheit, um die Hochachtung ihres verstorbenen Mannes für Rauschning und insbesondere für dessen Buch Die Revolution des Nihilismus zu betonen. »Ein Gespräch mit« Rauschning wäre ihrem Mann »bestimmt wichtig gewesen, wenn er auch kaum Rat gewußt hätte in unserer hoffnungslos verfahrenen Welt«, schrieb sie. Letzte Wochen bei den RWN

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Rauschning hatte seinen Beitrag über Thomas Mann mit ein paar Sätzen über dessen Einstellung zum Glauben ausklingen lassen. Mann sei sicherlich kein religiöser Mensch »in irgendeinem kirchlichen Sinne« gewesen. »Aber jedes seiner Werke ist«, so Rauschning, »mit einem tiefsinnigen Wort des Philosophen Franz Rosenzweig so etwas wie ein ›Gebet des Ungläubigen‹ an den ›unbekannten‹, den sich verbergenden Gott.« Thomas Mann habe eine »tiefere Frömmigkeit« ausgezeichnet als »lautes Bekenntnis«, schloss er den Nachruf.1210

Interesse für religiöse Themen Glaube und Religion – diese Dualität steckte ein weiteres Themenfeld ab, dem sich Rauschning während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik auch öffentlich widmete. Vor allem in Vorträgen vor den Evangelischen Akademien in Tutzing, Hemer/Iserlohn und Loccum1211 entfaltete er seine philosophisch-religiösen Vorstellungen, die schließlich in einem schmalen Band als Aufsatzsammlung erschienen.1212 In allen dort abgedruckten Beiträgen ging es, so der Autor in seinem Vorwort, »um die Frage des Sinns des Daseins«. Gegenüber Gustav Heinemann, dem er Anfang 1956 ein Exemplar des Büchleins schickte, nannte er die darin versammelten Aufsätze »ein gequältes Bemühen um den Glauben, ein ständiges Ringen mit dem Pascal’schen Zweifel«.1213 Aufhorchen lässt bei flüchtiger Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses ein Aufsatz mit dem Titel »Von der christlichen Revolution«1214, denn Rauschning hatte sich bekanntlich früher bereits mit der »christlichen Revolution«, der Revolution des Nihilismus, der Konservativen Revolution und der »Europäischen Revolution« mehr oder weniger ausführlich beschäftigt. Dass allzu viele »Revolutionen« seine Leserschaft u. U. ermüden könnten, fand der Verfasser offenbar nicht. »Drei Erschütterungen« erfahre der Mensch »in der christlichen Revolution«, so Rauschning: »die Erschütterung durch die Wesenlosigkeit und Gesetzlosigkeit der gottentfremdeten Welt; die Erschütterung in der Erfahrung einer Gesetzmäßigkeit, zu der der Mensch berufen ist, und die Erschütterung im Ärgernis des Menschen, das der natürliche Mensch an der Offenbarung Gottes nimmt«. »Brauchen wir noch zu betonen«, fragt der Autor seine Leserschaft rhetorisch, »daß diese Erschütterungen nicht bloß eine Änderung des Denkens erwirken, daß es sich nicht um eine Bekehrung im Sinne der Annahme einer Lehre und einer verpflichtenden 440

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Ethik handelt, sondern um eine Wesenswandlung, um die Folgsamkeit einem uns gewordenen Ruf gegenüber, unser Menschsein in seiner Gott gewollten Anlage zu verwirklichen?«1215 Und am Ende dieses Textes heißt es: »Es ist eine Revolution von innen heraus, statt der äußeren. Es ist ein Feuer, das nicht von Menschen angezündet ist. Es kommt von Gott selbst als Gottes Wille und als Werk Christi, mit Seinem Wort: ›Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn es brennete schon!‹ (Luk. 12, 49)« Das Gebiet des Religiösen im engeren Sinne verließ Rauschning in dieser Textsammlung mit dem letzten Beitrag, der überschrieben ist »Der Ruf Israels«1216. Hier zweifelte Rauschning das ökumenische Vorhaben eines Zusammenschlusses aller christlichen Kirchen an, plädierte hingegen für ein stärkeres Zusammengehen der Christen mit den Juden. Angesichts des Versagens der Kirche gegenüber dem Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten gegen die Juden seien »Zeit und Stunde« für die Kirche gekommen, »ihre Stellung … zum ersten Volk Gottes … von Grund auf zu« überprüfen. Rauschning nutzte die Gelegenheit dieses Beitrags, um eine Antwort »auf eine Frage zu geben, die mir oft gestellt worden ist, nämlich, wie ich dazu kam, mich früh von Hitler loszusagen, und was mich letzten Endes dazu veranlaßte.«1217 Zu diesem Zweck variierte er in dem Aufsatz das Kapitel »Der Antichrist« seines Buches Gespräche mit Hitler und spitzte jene dort wiedergegebenen angeblichen Äußerungen Hitlers über das Verhältnis von Christentum und Judentum zu.1218 Das für ihn Entscheidende jener Ausführungen Hitlers »an einem Vorfrühlingsabend jenes verhängnisvollen Jahres 1933«, an dem er »Gast Adolf Hitlers« in einem kleinen Kreis gewesen sei, sei Hitlers Vorstellung vom unausrottbaren jüdischen Kern des Christentums gewesen, »der eine Germanisierung oder ›Arisierung‹ des Christentums schlechterdings ausschlösse«. Wolle man den jüdischen Geist vernichten, so Hitler angeblich vor seinen Zuhörern, müsse man folglich auch das Christentum beseitigen, es »mit Stumpf und Stiel ausrotten«. Ihm sei, schrieb Rauschning weiter, »in jenem Gespräch die völlige Gesetzlosigkeit zum Bewußtsein gekommen, der totale Mangel an Einsicht in das Wesen des Menschen, durch das er sich von der übrigen Kreatur unterscheidet. Es geschah nicht als Reflexion, sondern als unmittelbares Innewerden eines Abgrundes, vor dem man schwindelnd stand, dem völligen Nichts, der Ordnungslosigkeit, dem Chaos.«1219 In Briefen an Gustav Heinemann und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, dem ebenfalls ein Interesse für religiöse Themen

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Exemplar des Bändchens zuging, machte Rauschning die Andeutung, er habe die Szene mit Hitler in den Text aufgenommen, um seinen persönlichen Wendepunkt in seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus aufzuzeigen.1220 Gegen Ende seines Aufsatzes kam Rauschning noch einmal auf das Thema »Revolution« zu sprechen. Gedanken des ihm aus seinem Pariser Exil persönlich bekannten Präsidenten des Weltrates der Kirchen in Genf, Willem A. Visser ’t Hooft, aufgreifend, bekannte auch Rauschning, dass das Volk Gottes »in seinem alt- wie neutestamentlichen Zweige eine gemeinsame Aufgabe übertragen bekommen hat und so auch e i n Schicksal trägt«. Dieser Gedanke habe auch ihm geholfen. Eins wolle er jedoch hinzufügen: »Ruf und Berufung dieses Volkes a u s einer und z u einer R e v o l u t i o n «. Man könne in »unserer Zeit n u r n o c h vom christlichen Glauben als der großen, fruchtbaren, ewigen Revolution sprechen; von seiner revolutionären Kraft, seiner revolutionären Wandlung des Menschen selbst und auch seiner revolutionären Aufgabe in der Welt, ›Meine Stadt zu bauen‹.«1221 Auch autobiographisch mochte wohl Rauschnings Schlusswort gewählt sein, das wir schon oben erwähnten und das er dem Talmud »(in der Übersetzung von H. J. Schoeps)« entnommen habe: »An dem Ort, wo die Umkehrenden stehen, können nicht einmal die vollkommenen Gerechten stehen.«1222 Einige Jahre nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten erschien im Berliner Käthe Vogt Verlag noch eine schmale Schrift Rauschnings mit dem einer Bach-Kantate entlehnten Titel Der saure Weg. In diesem Text, der einem Rundfunkbeitrag des Verfassers folgte, legte Rauschning theologisch Rechenschaft ab über seinen Bruch mit Hitler und seine Hinwendung zum Juden Jesus. Die zu Beginn der Schrift aufgeführten »Stichworte« umreißen ihren Inhalt: »Der Tyrann und der Galiläer, die Rechtswirklichkeit der Gebote. Der Mensch unterwegs – Buße. Gehorsam gegen den Willen Gottes – Jesus. Entscheidung aus dem Glauben – bürgerliche Ächtung. Die Entscheidung aus dem Glauben ist das Bekenntnis gegenüber der Welt. Die Schwierigkeiten des Christseins in einer ›christlichen Welt‹«.1223 In einem Begleitschreiben zu dem Buch, das er Karl Barth in Basel schickte, bekannte Rauschning: Darf ich Ihnen, nach so langen Jahren ein kleines, bescheidenes Bekenntnisbüchlein übersenden, das den »sauren Weg« von einem oberflächlichen Humanismus durch die Erschütterung über die eigene Gesetzlosigkeit und Unwirklichkeit zum Evangelium anzudeuten versucht. Ich bin mir der theologischen Unzulänglichkeit und der mensch-

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lichen Halbheit dabei wohl bewusst. Aber vielleicht darf es vor Ihren Augen bestehen nicht nur als das mühevolle Ringen eines Intellektuellen zu der schlichten Einfalt des Evangeliums zu gelangen, sondern vor allem als der Dank für einen Lebensweg, von dem mir einst Pater Muckermann sagte: »Sie sind aber sehr behütet gewesen«.1224

Auch Der saure Weg kam nicht ohne einen Hieb auf die Regierung Adenauer aus. In seinem Vorwort schrieb der den religiösen Sozialisten nahestehende Gefängnispfarrer und Widerstandskämpfer Harald Poelchau: Selbst protestantische Theologen sprechen von dem »Ringen der Christenheit gegen den militanten Atheismus um die Freiheit des nach Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen und sein kreatürliches Leben in dieser Welt« (Gerstenmaier gegen Heinemann am 1. Februar 1958) in der naiven Identifikation der Christenheit mit der westdeutschen CDU-Politik. Rauschning macht deutlich, daß sich der wirkliche »Atheismus« ebenso wenig mit einer weltanschaulichen Staatsideologie (gemeint war der real existierende Sozialismus etwa in der DDR, A. H.) gleichsetzen läßt wie das im sauren Weg erworbene oder geschenkte Bekenntnis mit einer kirchlich-bürgerlichen, privatwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung.1225

Adenauers Moskau-Reise und und der Vorschlag einer »Deutschen Notgemeinschaft« Am 7. Juni 1955 hatte Bundeskanzler Adenauer die Einladung zu einem Besuch in Moskau erhalten. Dabei sollte es um die Aufnahme von diplomatischen und Handelsbeziehungen gehen. Erstmals würden damit die Sowjetunion und die Bundesrepublik direkt miteinander verhandeln.1226 Aus dem Sommer 1955, vermutlich dem August jenes Jahres, also unmittelbar vor Adenauers Reise Mitte September, stammt ein vierseitiges, eng beschriebenes Papier von Hermann Rauschning, das mit »Vorschlag. Begründung einer ›Deutschen Notgemeinschaft‹« überschrieben war.1227 Auch wenn Rauschnings Überlegungen offenbar keine direkte Wirkung entfalteten, sollen sie hier recht ausführlich wiedergegeben werden, da sie seine Haltung zur Wiedervereinigungsfrage wie kaum ein anderes Dokument deutlich machen. Nebenbei zeigt das Papier, dass unser Protagonist sehr wohl bereit war, sich in die westdeutsche Innenpolitik einzumischen. Ausgangspunkt der Ausführungen Rauschnings waren die Ergebnisse der Genfer Viermächtekonferenz vom Juli 1955, die das bis dahin Adenauers Moskau-Reise

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bestehende Junktim der Westmächte, dem zufolge ein kollektives europäisches Sicherheitssystem mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten verknüpft war, aufgeweicht hatten. Unabhängig von der Frage der Wiedervereinigung hatten die Westmächte in Genf erkennen lassen, dass sie bereit waren, mit der Sowjetunion »in Sachen Abrüstung und Entspannung zusammenzuarbeiten, was auf eine Hinnahme der deutschen Teilung hinauslief«.1228 Der folglich sinkende »Kurswert« (Rauschning) Deutschlands verlieh der Ausarbeitung Rauschnings etwas Alarmistisches, etwa wenn er in der Vorbemerkung schrieb, es müsse jetzt »nach p r a k t i s c h e n Lösungen auf Grund der konkreten Situation gesucht« werden und es gebe »keine Zeit mehr mit Allgemeinheiten zu verlieren«. Seine »folgenden Bemerkungen« dienten »vor allem der Klärung, was zunächst zu geschehen habe, wenn der Bundeskanzler ohne eine entscheidende Wendung in der Frage der Wiedervereinigung aus Moskau zurückkehrt«. Ein »Sofortprogramm« sei unerlässlich. In seiner Lageanalyse hob Rauschning insbesondere auf die Annäherung hinsichtlich eines »europäischen Sicherheitssystems« zwischen dem britischen Außenminister Eden, seinem sowjetischen Amtskollegen Bulganin und französischen Vorstellungen ab, die eine »Kompromißlösung in der Wiedervereinigung möglich« erscheinen lasse, »wenn von deutscher Seite ein klarer Wille zum Ausdruck gebracht« werde, der Sowjetunion in einem wesentlichen Punkt »entgegenzukommen«. Hieran anschließend erörterte Rauschning die »Möglichkeiten des Bundeskanzlers«. Ein wenig rätselhaft formulierte er: »Der Kanzler kann als Katalysator der Auskristallisierung einer integralen Kompromißlösung wirken.« Vor dem Hintergrund der Möglichkeit eines Zusammenschlusses von NATO und Warschauer Pakt im Gefolge von Genf – so Rauschning – böten sich Adenauer nun zwei Chancen: Er könne zum einen nachweisen, »daß in einer integralen Lösung die bisherige Zugehörigkeit der Bundesrepublik zum westlichen System kein absolutes Hindernis mehr« sei. Zum anderen könne er für den Fall, dass der Westen sich weigere, mit der Sowjetunion ein gemeinsames Bündnis einzugehen und die NATO »einseitig« als ein »militärisches Sicherungssystem« zu bewahren, seine »Zustimmung zum Austritt Gesamtdeutschlands aus dem Westsystem« geben, als »vorläufige Zwischenlösung bis ein gemeinsames Sicherungssystem erreichbar« sei. Auf diese Weise könne er »eine Schwenkung in seiner bisherigen Politik logisch begründen und dabei auf Verständnis bei dem Westen rechnen«. Erneut machte Rauschning aber auf den Zeitdruck aufmerksam: »Diese Politik ist jedoch nur 444

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solange möglich, als die Entspannung zwischen West und Ost nicht bereits ohne die Wiedervereinigung sichergestellt ist. Deswegen ist eine weitere Verschiebung einer breit angelegten Verständigung mit Sowjetrußland nicht aufzuschieben (sic).« Abgesehen von dem möglicherweise erforderlichen »Ausscheiden« aus der NATO und den Pariser Verträgen müsse der Kanzler, so Rauschning weiter, »weitere Vorleistungen des guten Willens der Bundesrepublik bezüglich eines freundschaftlichen Verhältnisses zu Rußland geben«. Diese lägen »in der Richtung von Zusicherungen gewisser Reservatregelungen der bisherigen Sowjetzone. Das heißt die Anerkennung gewisser, von den Sowjets nicht ohne Prestigeverlust aufzugebenden sozialen Neuordnungsversuchen (sic) ist unerläßlich.«1229 Und wieder mahnte Rauschning zur Eile, denn: »Der Bundeskanzler muß sich um der Beschleunigung der wechselseitigen Anpassung der beiden Teilstaaten willen bereit erklären, ohne Verzug Verhandlungen mit Pankow über die praktischen Maßnahmen der Unifizierung aufzunehmen, und darauf verzichten, die Sowjetzone bei einer Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik einfach gleichschalten zu wollen.« Rauschning widmete sich im nächsten Abschnitt seines Textes der Frage, was geschehen müsse, wenn der »Kanzler ohne Erfolg« aus Moskau zurückkehre. In diesem Falle sei »äußerste Eile dringend geboten«, da »Deutschlands politischer Kurswert in den künftigen Verhandlungen rapide fallen« werde. Falls sich herausstelle, dass Adenauer nicht im oben skizzierten Sinne in der sowjetischen Hauptstadt verhandelt habe, werde es notwendig sofort in folgender Richtung zu handeln: a. Eine parlamentarische Bewegung ist unter möglichster Führung der bisherigen Koalitionsparteien oder Teilen von ihnen auszulösen mit dem Ziel, den Kanzler zum Rücktritt zu bewegen. b. Eine große Welle öffentlicher Kundgebungen ist in Gang zu bringen, die unter Darlegung der tatsächlichen Lage dem Kanzler rücksichtslos den Kampf ansagt als Saboteur der Wiedervereinigung. c. Das Ausland ist durch geeignete Kundgebungen dahin aufzuklären, daß sich das deutsche Volk niemals mit einer Teilung oder auch einer weiteren Vertagung der Wiedervereinigung abfinden werde. Es werden die Folgen der inneren Radikalisierung zu charakterisieren sein sowie die Rückwirkungen auf die allgemeine Lage.

Noch vor der Rückkehr Adenauers von seiner »eventuell ergebnislosen« Moskau-Reise seien » s o f o r t « vorbereitende Arbeiten »in Angriff zu nehmen«, da anschließend die Zeit dafür fehle. Ein »weiterer Appell an Adenauers Moskau-Reise

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des Kanzlers bessere Einsicht wäre als zwecklos und zeitraubend von vornherein aufzugeben«. Drei Punkte umfassten Rauschnings Vorschläge für die unverzüglich durchzuführenden Maßnahmen: a. Es sei eine »Deutsche Notgemeinschaft« zu gründen. Sie sei als »Dachorganisation für alle Organisationen und Gruppen Deutschlands vorzubereiten., die sich die Wiedervereinigung bisher schon zum Ziel gesetzt« hätten. »Ortsgruppen« seien in »möglichst allen Gegenden Deutschlands vorzubereiten«. b. »Es ist ein Arbeitsausschuß dieser Notgemeinschaft sofort ins Leben zu rufen.« c. Es müsse »ein Fonds« gezeichnet werden, aus dem »die Arbeit der Gemeinschaft zu finanzieren« sei. Nachdem Rauschning einige technische Details der »Deutschen Notgemeinschaft« angedeutet hatte, widmete er sich der denkbaren Möglichkeit, dass »weder die Aktion gegen den Bundeskanzler noch die bei den fremden Mächten schnelle Erfolge« zeitigten. In diesem Falle sei »folgende Richtlinie maßgebend«: a. Die Tätigkeit muß umgestellt werden auf die Intensivierung des Verkehrs zwischen der Bundesrepublik und der DDR. b. Es ist eine große unabhängige Tageszeitung zu erwerben oder zu gründen, die im Wesentlichen den Gedanken der Wiedervereinigung, der Verständigung mit dem Osten und vor allem der Wirtschaftsverbindung mit ihm zu vertreten hätte. c. Außer der Zeitung wäre eine unabhängige Korrespondenz, ein Presse- und Wirtschaftsdienst zu schaffen. d. Im Zentrum hätte ein außenpolitisches und wirtschaftspolitisches Institut zu stehen, das so reichlich mit Mitteln auszustatten wäre, daß es mit den regierungsunterstützten Instituten gleichrangig sein könnte.

Ein letzter Punkt forderte die »Vorbereitung für Neuwahlen«. Dabei müsse man »von langer Hand den Wahlkampf vorbereiten und entweder neue Parteigründungen oder Zusammenschlüsse bestehender … versuchen, die bereits eingespielte Apparate besitzen, ehe der Wahlkampf beginnt«. Rauschning machte darauf aufmerksam, dass auch »in Rechnung gestellt werden« müsse, dass »Rußland sich einer echten Verständigung und Wiedervereinigung Deutschlands entzieht und Bedingungen stellt, die nur mit dem Verlust des Vertrauens des Westens oder mit der Gefährdung der inneren Freiheit zu erkaufen wären«. Auch in diesem Fall hätte die Notgemeinschaft als »zusätzliches Organ der öffentlichen Meinungsbildung eine wichtige Funktion. Ihre Haupttätigkeit würde sie dann in der systematischen Unsichtbarmachung der Teilung und in der Bekämpfung einer immer weiter fortschreitenden Gegensätzlichkeit der Teilstaaten haben.«1230 446

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Zum Abschluss des Papiers wiederholte Rauschning noch einmal die Dringlichkeit eines Vorgehens im Sinne der Notgemeinschaft. »Eile« sei geboten, weil auf der Außenministerkonferenz das Schicksal Deutschlands für lange Zeit entschieden werden könnte und zwar in dem negativen Sinne der Vertagung der Wiedervereinigung. Es ist ferner zu erkennen, daß der politische Kurswert Deutschlands in dem Maße abnehmen wird, in dem eine Entspannung USA’s und UdSSR’s (dies eine typisch Rauschning’sche Diktion, A. H.) auf anderem Gebiete, insbesondere der Rüstungskontrolle eintritt. Die deutsche Frage muß daher in den nächsten Wochen zu einer Entscheidung gebracht werden.

Eine knappe kritische Bewertung dieses Textes aus der Rückschau wird zunächst Zweifel an Rauschnings Optimismus anmelden, was das angenommene »Verständnis« des Westens für einen Alleingang Adenauers mit der Bundesrepublik hinaus aus dem westlichen Verteidigungsbündnis anging. Schwerer noch wiegen Zweifel an der Vorstellung, man könne ein wiedervereinigtes Deutschland mit eindeutig marktwirtschaftlichen Strukturen im Westen einerseits und zugleich planwirtschaftlichen im Osten andrerseits aufbauen. Schließlich: Rauschnings Forderung nach einem eigens zu schaffenden Institut der Notgemeinschaft als Gegengewicht zu »regierungsgestützten« spiegelte ganz offensichtlich seine Erfahrungen in der Bundesrepublik wider, die ihm und seinen Gleichgesinnten das politsche Leben etwa durch den Volksbund für Frieden und Freiheit oder die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise schwer gemacht hatten. Dass das Papier Rauschnings folgenlos blieb, lag wahrscheinlich auch daran, dass die Reise Bundeskanzler Adenauers nach Moskau eindeutige Resultate zeitigte. Zwar gab es nicht einen einzigen Schritt in Richtung auf die Wiedervereinigung, doch wurde die Heimkehr von rund 10.000 deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion seinerzeit eindeutig Adenauer gutgeschrieben, was eine umfassende konzertierte Aktion gegen diesen Kanzler obsolet machte. Zur Rückkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR hat sich Rauschning im Übrigen nirgends öffentlich geäußert. Bislang unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass des ehemaligen Reichsministers Andreas Hermes erlauben einen Blick in das Umfeld, in das die Denkschrift Rauschnings gehört. In den Papieren Hermes’ findet sich zum einen ebenfalls der Text Rauschnings, zum anderen ein Briefwechsel zwischen Ernst Freiherr von Reitzenstein aus Hamburg und Hermes sowie ein Schreiben Rauschnings an Hermes.1231 Adenauers Moskau-Reise

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Als jahrzehntelanges Vorstandsmitglied von British American Tobacco sollte von Reitzenstein ganz offensichtlich finanzkräftige Repräsentanten der Hansestadt für die neutralnationalistischen Positionen der Gruppe um Hermes und Rauschning gewinnen. Rauschning selber nahm für sich in Anspruch, dass der »so wertvolle Hamburger Kreis Herrn v. R.’s von mir den Bemühungen des Herrn Reichsministers um die Wiedervereinigung hinzugeführt« worden sei.1232 Zwecks Vorbereitung eines Treffens von Hamburger Persönlichkeiten mit Rauschning und Hermes in der Elb-Metropole am 2. September 1955 hatte auch von Reitzenstein ein Exemplar der Rauschning’schen Ausarbeitung erhalten. Kurz vor dem Treffen, am 29. August, wandte sich der Manager in einem längeren Schreiben an »Herrn Reichsminister Hermes«, in dem er vor allem Kritik an dem Tenor der Rauschning-Denkschrift übte. Die Ausführungen Rauschnings, so von Reitzenstein, »erwecken mir zu sehr den Eindruck, als ob der Angriff gegen die Person des Bundeskanzlers ein stärkerer Beweggrund sein könnte als das Anliegen der Wiedervereinigung«. Beispielsweise sei hinsichtlich der Moskau-Reise Adenauers abzuwarten und zu prüfen, welche Gründe für einen möglichen »Mißerfolg« auszumachen seien. »Ich bin nach wie vor der Meinung«, schrieb von Reitzenstein, »daß unser Kreis es vermeiden sollte, den Eindruck zu erwecken, als ob wir parteipolitisch interessiert wären. Die von Herrn Dr. Rauschning erstrebte Zusammenfassung kann aber diese Färbung annehmen.« Von Reitzenstein skizzierte sodann seine Interpretation der weltpolitischen Lage nach der Genfer Viermächtekonferenz vom Juli, die er als zunehmend von den Vereinigten Staaten dominiert wahrnahm. Die USA würden versuchen, sich mit der Sowjetunion zu arrangieren, schrieb er, und »das Schwimmen im Kielwasser Amerikas« könne »daher Früchte tragen, wenn Rußland für den Abschluß von Verträgen, die ihm die gewünschte Sicherheit sowie wirtschaftliche Vorteile eintragen, die Faustpfänder Ostzone und ggf. weiterer Satellitenstaaten aus der Hand zu geben bereit« sei. Hier könnte der »Herr Bundeskanzler«, so von Reitzen­ stein weiter, plötzlich wider seinen Willen außerordentlich erfolgreich erscheinen, nämlich dann, wenn er sich dem Druck Amerikas, Rußlands zu fügen hätte und dieses Sichfügenmüssen automatisch Vorteile mit sich brächte. Das soll heißen, daß bei Befriedigung der übergeordneten amerikanischen und russischen Interessen durchaus Vorteile für diejenigen Partner zu haben sein werden, die es verstehen, sich den neuen Gegeben-

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heiten anzupassen. Es wird wesentlich darauf ankommen, wie amerikanische, russische und chinesische Interessen in Zukunft aufeinander abgestimmt werden können. Amerika könnte zunächst allein den Russen die Garantie für die Erfüllung der eingegangenen und in diesem Zusammenhang stehenden Verpflichtungen Westdeutschlands geben und auch für die Durchführung Sorge tragen.

Von Reitzenstein hob hervor, dass es ihm »um das Betreiben einer positiven Opposition« gehe, das »Programm des Herrn Bundeskanzlers« müsse »korrigiert, ergänzt« und das »hinzugefügt« werden, was »nach unserer Meinung fehlt«. Es müsse alles vermieden werden, was »parteilichen Charakter« trage. Gegenüber Amerika müsse man »absolut vertragstreu bleiben, aber andererseits bei mangelnder Bereitschaft der bisherigen verantwortlichen Parteien eine arbeitsfähige Institution zum Zwecke der Wiedervereinigung Deutschlands ins Leben rufen.« Er wolle damit sagen, schloss von Reitzenstein seine Ausführungen, daß ich in dem hoffentlich von uns zu gründenden Gremium von einflußreichen Persönlichkeiten eine Kraftquelle sehen möchte, die überparteilich fungiert. Die Führung des Instituts muß stark genug sein, um den Herrn Bundeskanzler zu einem Gespräch und zur Aufnahme eines noch vorzulegenden Programms zu veranlassen, insbesondere dann, wenn nach Bekanntwerden der Moskauer Ergebnisse der Eindruck entstehen sollte, daß die nach Moskau reisenden Verhandlungspartner es an gutem Willen, Geschick oder anderen Voraussetzungen haben fehlen lassen.

Von Reitzenstein ließ eine Kopie seines Schreibens Hermann Rauschning zukommen, der wiederum unmittelbar vor dem Treffen am 2. September in einem Brief an Wilhelm Rauber vom Rheinischen Landwirtschafts-Verband Stellung zu den Ausführungen von Reitzensteins nahm.1233 Zwar erkannte Rauschning in dem Schreiben die »sehr verbindliche Form« an, in der dieser ihn kritisiert habe. Dann aber setzte er hinzu: Es ist mir jedoch unverständlich, wieso Herr v. R. gerade mir, der ich als amerikanischer Staatsbürger an parteipolitischen Bestrebungen überhaupt nicht und an der Person des Kanzlers sehr wenig interessiert bin, parteipolitische Tendenzen unterstellt. Ich kann nur vermuten, daß Herr v. R. nicht darüber informiert ist, wie sehr ich es mir in den anderthalb Jahren meiner Anwesenheit in Deutschland angelegen sein ließ, das deutsche Volk aus seiner offenkundigen Lethargie in der Frage der Wiedervereinigung zu rütteln, nicht aber gegen den Bundeskanzler Stellung zu nehmen. Adenauers Moskau-Reise

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Er habe, so Rauschning weiter, mit seiner kleinen Denkschrift, »die ich bewußt als eine einseitige Anregung verfaßte«, das »zu erzielen« versucht, »was man in USA action nennt. ›I want action‹!« Rauschning begründete den von ihm aufgebauten Druck mit der Erfahrung, die er seinerzeit mit der Gruppe um den FDP-Bundestagsabgeordneten Reinhold Maier gemacht habe, als »rechtzeitiges Handeln vertagt und damit endgültig zerstört« worden sei. Zu den weiteren Bemerkungen von Reitzensteins führte Rauschning aus, dass er vermute, dieser wolle nur »eine Art private Ergänzung zu dem Institut der Bundesregierung ›Ungeteiltes Deutschland‹ oder wie es heißt« schaffen.1234 Zur Mitarbeit in einem solchen Gremium sehe er sich jedoch außerstande weil »völlig nutzlos«. Damit »die Vorschläge Herrn v. R.’s mit ihrem ganzen Gewicht ohne meine etwaigen Gegenargumente dem Herrn Reichsminister zur Kenntnis gebracht« werden könnten, sagte Rauschning in diesem Schreiben seine Teilnahme an der Hamburger Begegnung ab. Ohnehin habe er sich in all seinen »bisherigen Bemühungen lediglich als ›ehrlicher Makler‹ gefühlt, der nur die Aufgabe haben« könne, »die wichtigen Persönlichkeiten zusammenzubringen«. Sollte bei den Beratungen am 2. September »der Beschluß zustande kommen, wirklich zu handeln, so bin ich gerne bereit, wenn es gewünscht wird, weitere Persönlichkeiten und Kreise für die Aktion namhaft zu machen«. Bereits diesen Brief nutzte Rauschning, um seinen »Freund Wolf Schenke« für künftige Besprechungen zu empfehlen und vorzuschlagen, ihn einzuladen. Aus einem knappen Schreiben von Hermes an Rauber vom 3. September geht hervor, dass das Treffen am Vortage offenbar stattgefunden hatte. Hermes bedauerte »außerordentlich«, dass »Herr Rauschning nicht teilnehmen konnte«, und gab seiner Auffassung Ausdruck, dass »wir alles daran setzen müssen, um diese wertvolle, selbstlose Persönlichkeit wieder in unseren Kreis zu ziehen«.1235

Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung Kurz vor dem Jahresende 1955 nahm Rauschnings Aufenthalt in der Bundesrepublik eine letzte dramatische Wende und auch diesmal spielten die RWN dabei eine entscheidende Rolle. Mit Datum vom 3. Dezember übersandte deren Mitherausgeber Bogislaw von Bonin der Presse 450

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die Abschrift eines Briefes an Hermann Schaefer, in dem er den »Hauptschriftleiter der ›Rheinisch-Westfälischen Nachrichten‹ per Einschreiben und Eilboten« von seinem Ausscheiden aus dem Herausgebergremium unterrichtete.1236 Als Grund nannte er das von Schaefer »kürzlich« ihm gegenüber gemachte »Teilgeständnis«, wonach die RWN »beträchtliche Subventionen von der Regierung der DDR erhalten« hätten. Er, von Bonin, habe »seit geraumer Zeit« einen entsprechenden »Verdacht« gehegt, der sich nunmehr bestätigt habe. Daher sei ein »radikaler Bruch« mit S­ chaefer »und Ihrem ganzen Kreis« unumgänglich, dies ändere jedoch nichts an seiner »militärpolitischen Konzeption«. Das Schreiben an Schaefer ließ von Bonin wortgleich auch den anderen Mitherausgebern des Blattes zugehen, so auch Rauschning. In einem Anschreiben zu diesem Text für Rauschning bedauerte von Bonin, dass er mit Rauschning nicht mündlich über seinen geplanten Schritt gesprochen habe, doch hätten »sich die Dinge in den letzten Tagen und Stunden so zugespitzt, daß« er nicht länger hätte warten dürfen. Er hoffe aber auf eine »eingehende Aussprache« mit ihm. Abschließend drückte von Bonin seine Hoffnung aus, dass es auch Rauschning bald gelingen möge, »die Trennung von den RWN durchzuführen«. Es seien, so sein letzter Satz, »Bestrebungen maßgeblicher Kreise im Gange, Ihnen diesen Schritt zu ermöglichen«.1237 Auch der Verfassungsschutz des Landes NRW war über von Bonins Brief an Schaefer bestens unterrichtet – möglicherweise durch den Verfasser selber –, denn in einem Vermerk vom 9. Dezember 1955 hieß es dazu: »Jeder der Mitherausgeber bekam gleichlautendes Schreiben, nur Rauschning mit dem Zusatz: ›Sie (werden) in den nächsten Tagen Besuch von Herren bekommen (…), die Ihnen hochinteressante Angebote machen werden.‹«1238 Was es mit den dunklen Andeutungen in den Schreiben von Bonins und des Verfassungsschutzes auf sich hatte, lässt sich nicht mehr feststellen. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass von Bonin wohl schon weit eher die Ost-Finanzierung der RWN hätte erkennen und entsprechende Konsequenzen ziehen können. Vermutlich versuchte er sich so lange wie möglich an die Zeitung als Publikationsorgan für seine militärpolitischen Ansichten zu klammern. Auffällig ist die Parallele zum Seitenwechsel Steidls sowie zum Ausscheiden Rudolf Schauffs aus den RWN samt dessen Vorsprache in den Büros des VFF in Bad Godesberg Anfang September, das einer Kapitulation vor den Angriffen der adenauertreuen Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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Organisation gleichkam. Denn auch von Bonin traf kurz vor seinem Bruch mit dem Wochenblatt den VFF-Vorsitzenden Cramer.1239 Vor seinem Gang an die Presse hatte von Bonin noch an einer »Geheimkonferenz von Repräsentanten des ›anderen Deutschland‹« im »schalldichten Clubzimmer des exklusiven Frankfurter Savoy-Hotels« teilgenommen, wie der Länderinformationsdienst berichtete.1240 Star dieser Konferenz war die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson von der New York Times. Auf Grund »vertraulicher und persönlicher Einladungen« des RWN-Mitherausgebers General a. D. Otto Wagener waren 23 Personen erschienen, darunter außer von Bonin Heinrich Krumm, Professor Ulrich Noack vom »Nauheimer Kreis« sowie der Bankier Meinhardt. Auch von Rauschning waren über seinen Neffen Werner »persönliche« Einladungen an ausgewählte Persönlichkeiten ergangen. Mit Schreiben vom 12. Oktober lud Werner als »Sekretär« – diese Bezeichnung findet sich unter seiner Unterschrift – im Namen Rauschnings den CDU-Politiker Andreas Hermes1241 sowie Pfarrer Martin Niemöller1242 nach Frankfurt ein. Während von Hermes keine Reaktion überliefert ist, entschuldigte sich Niemöller mit dem Hinweis auf Terminschwierigkeiten.1243 Die Teilnehmer des Treffens sprachen sich für eine Neutralisierung Deutschlands aus, die auch im Interesse der USA liege, denn Deutschland habe sich als immun gegen jeden Versuch der Bolschewisierung erwiesen. Die Russen ihrerseits könnten eine Wiedervereinigung akzeptieren, weil ihrem Sicherheitsbedürfnis bei einer Neutralisierung Deutschlands Rechnung getragen würde. Ausgangspunkt aller Überlegungen auf der Konferenz waren die Vorschläge der Sowjetunion vom März 1952, die freie Wahlen in Gesamtdeutschland bei dessen Verpflichtung zur Neutralität vorgesehen hatten. »Mit anderen Worten: Es wurden die gleichen Bedingungen gestellt, wie sie von Österreich akzeptiert und erfüllt wurden.« Dorothy Thompson erklärte sich bereit, »nach Anhören aller Parteien zu ermitteln, ob die Sowjets nach wie vor zu ihrem ›Angebot‹ stünden«. Die wirtschaftlichen Aspekte eines Zugehens auf die Sowjetunion erläuterte – natürlich, möchte man bald sagen – Heinrich Krumm. Er zeichnete ein rosiges Bild von den künftigen Aussichten auf Handel mit der Sowjeunion und der Sowjetzone, die bereits jetzt einen gewaltigen Nachholbedarf habe. »Stünde der Bundesrepublik auch der freie Handel mit der UdSSR und Rot-China offen, so wären sogar auf die Dauer von 50 Jahren Produktion und Absatz garantiert.« Im Übrigen, so Krumm, 452

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könne ein wiedervereinigtes Deutschland von den »dann zu Handelspartnern gewordenen Ostblockstaaten jede beliebige Menge an Rohstoffen erhalten und würde diese zu Fertigwaren verarbeiten«. Bei dem früheren Hauptgegner der RWN, Eberhard Taubert, rief der Rücktritt von Bonins eine merkwürdig unsichere Reaktion hervor. In einer Ergänzung zu einem Schreiben an »Pater Johannes« (Vollmer, O.S.B., Honerath bei Adenau in der Eifel) vom 3. Dezember teilte Taubert dem Pater mit, dass »soeben der Rundfunk die Meldung« gebracht habe, daß von Bonin sich von den RWN abgewandt habe, weil er nun überzeugt sei, dass sie ein »bolschewistisch bezahltes und gesteuertes Blatt« sind. »Dieses Blatt hatte die Kampagne gegen mich organisiert und dem Marx das Material zugespielt«, schrieb Taubert. »Damit ist nun der endgültige Beweis erbracht, daß es sich um eine bolschewistische Intrige gegen mich gehandelt hat«1244 – ganz so, als habe Taubert jemals an der Urheberschaft der »Bolschewisten« gezweifelt. Nachdenkliches zum Rücktritt von Bonins und zur Person Hermann Rauschnings kam von dem ehemaligen Mitherausgeber der FAZ, Paul Sethe. In der Allgemeinen Zeitung (Mainz) schrieb er jetzt, es gebe »bei uns in der Bundesrepublik noch zahlreiche Menschen, die nach einem unabhängigigen Urteil suchen«, aber sie sind einflußlos und heimatlos, weil sie es nicht wagen können, ihre Stimme öffentlich zu erheben. Man trifft sie in kleinen Abendgesellschaften, in Büros und Verlagen – gelegentlich auch im Bundestag. Natürlich, es sind Querköpfe und Weltverbesserer unter ihnen; aber es gibt auch genug Männer von Erfahrung, Weltkenntnis und nüchternem Urteil. Doch es ist ihnen nicht möglich, in unserer Bundesrepublik zu Wort zu kommen. Das ist ein großer Verlust für unser öffentliches Leben. Das sollten auch diejenigen anerkennen, die ihre Auffassungen nicht teilen. Wir sind viel unduldsamer als unsere Väter. Nur noch orthodoxe Glaubensbekenntnisse sind erwünscht. So tragen wir ein Stück Mitschuld an dem Schicksal Rauschnings und Bonins.1245

Noch Jahre nach dem »Fall Bonin« nutzte Hermann Schaefer eine Gelegenheit, um mit seinem abtrünnigen Mitherausgeber von Bonin abzurechnen.1246. Im Vorwort zur zweiten Auflage seines unter Pseudonym geschriebenen Buches über den Prozess gegen den DGB-Funktionär Viktor Agartz teilte er mit, dass er »vor vier Jahren eine Wochenzeitung« – i. e. die Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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RWN – geführt habe, die »nach den Enthüllungen eines Mitarbeiters über Ostkontakte« eingegangen sei. Dieser sogenannte »Mitarbeiter« war, neben Dr. Hermann Rauschning und zeitweise auch Generalleutnant von Faber du Faur … Oberst von Bonin; als er im Frühjahr 1955 seine Ansichten über den strategischen Wert des Bundesheeres veröffentlichte, beurlaubte ihn der Herr Verteidigungsminister; er entließ ihn aber fristlos, nachdem sich Oberst von Bonin auf der Genfer Konferenz als Mitherausgeber der von mir redigierten Zeitung nachdrücklich für Ostkontakte einsetzte, die später in der Praxis seltsame Formen annahmen. Wenn Oberst von Bonin sich in einem Augenblick, in dem er mit DDR-Staatssekretär Girnus flirtete, distanzieren wollte, so konnte er es höchstens von sich selber tun. Dieser Hinweis erscheint mir nach vierjährigem Schweigen erforderlich.1247

Das Arbeitsklima bei den RWN zeichnete sich nach der Entscheidung von Bonins durch eine erhebliche Nervosität aus. Werner meinte in einem Brief an seinen Onkel vom 9. Dezember 1955, »die Aufregungen der letzten Tage« dürften »nicht gerade das Richtige für« diesen gewesen sein.1248 Dann der unterstrichene Satz: »Anm. für die Mitleser: es bleibt so uninteressant!« Werner hatte sich mit dem RWN-Mitherausgeber Arthur Stegner in Bonn getroffen, wo dieser ihm mitteilte, von Bonin habe »die Nerven verloren« und deshalb alles hingeworfen. In der Herausgeberleiste der Zeitung werde sein Platz künftig durch Generalleutnant a. D. Moritz von Faber du Faur eingenommen. Werner berichtete seinem Onkel ferner über »schweren Beschuß«, dem die Recklinghauser Druckerei der RWN ausgesetzt sei. Das Unternehmen werde »täglich mit Kampfartikeln der Gegenpresse eingedeckt«. Falls man in Recklinghausen »weich werde«, sei man bei der Zeitung vorbereitet. Die Reaktion der Leserschaft auf den Schritt von Bonins sei, so Werner, »unterschiedlich«. Ein »erheblicher Teil« bekunde, dass die von der Zeitung »betriebene Politik« ihm wichtiger sei als die »Frage der Betriebsmittel«. Andere Leser erwarteten von der Zeitung eine »Gegenbeweisführung« und rechneten »auch damit«. Wieder andere wollten »bis zu einer Klärung« nicht länger Bezieher des Blattes sein. In einer Art Pressespiegel erwähnte Werner einen »sehr scharfen Artikel« des Rheinischen Merkur gegen Schaefer, einschließlich der Forderung nach einem Strafprozess wegen Gefährdung der Bundesrepublik; desgleichen habe sich die Züricher Tat in einem Artikel von Fritz R. Allemann gegen die RWN positioniert, während Der Spiegel sich einer Stellungnahme ent454

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

halten habe. In Übereinstimmung mit Stegner sah Werner in diesem Brief die wirtschaftliche Zukunft der RWN wegen des »Odiums ostfinanziert zu sein« als bedroht an, sowohl mit Blick auf die abnehmende Abonnentenzahl als auch hinsichtlich des schrumpfenden Anzeigengeschäfts. Die Lösung des Problems liege entweder in der Nennung der Geldgeber oder aber in der Erschließung neuer Finanziers. Gelinge Letzteres, könne das »angehängte Fluidum zerstört« und die Zeitung in erfolgversprechendes Fahrwasser manövriert werden, denn »an sich«, so Werner, sei das »Klima für uns nicht schlecht, eher gut zu nennen. Die Unzufriedenheit mit der bislang betriebenen Politik« wachse »rapide an, auch in einflußreicheren Kreisen«.1249 Die »Aufgabe, die RWN zu erschlagen, soll Staatssekretär Lenz1250 selbst übernommen haben, wie man im Bundestag munkelt«, schrieb Werner. Was daran richtig sei, wisse man nicht, doch scheine ihm das wahrscheinlich, da auch Die Zeit den Bonner AStA stark angegriffen habe, weil der den Bezug der RWN in seinem Organ empfohlen habe. »Der ›Alte‹«, so Werner über Adenauer, soll »laut FAZ darüber sehr zornig gewesen sein«, und das habe »in der Regel Folgen«.1251 Am Ende seines Briefes versicherte Werner seinem Onkel, er werde nicht die Nerven verlieren, andrerseits behalte er sich seine Entscheidungen vor. Es stelle sich die Frage, ob man »unter den obwaltenden Umständen der Sache nicht mehr« schade als nutze »durch die RWN«. Der beste Gedanke könne fast »fruchtlos« bleiben, wenn »er in der Öffentlichkeit mit Vorbehalt, er könnte vielleicht doch nicht ganz ehrlich sein und fremden Interessen dienen, aufgenommen« werde. Die Antwort Rauschnings auf den Brief Werners wenige Tage später fiel im Ton gereizt aus und zeigte inhaltlich einmal mehr, dass der Verfasser mit dem Kopf durch die Wand zu gehen bereit war, ungeachtet wirtschaftlicher Überlegungen hinsichtlich der Zeitung oder der Beschädigung seines Ansehens. Einleitend warnte Rauschning Werner davor, am Telefon etwa von Düsseldorf nach Hamburg oder von dort nach Neumünster wichtige Dinge besprechen zu wollen. Was »die Sache selbst anlangt«, könne er Werner nur den Rat geben, »das Schiff zu verlassen, aber in anständiger Weise«. Begründen könne Werner diesen Schritt mit seinem jungen Lebensalter, damit, dass er erst am Beginn seiner beruflichen Laufbahn stehe. Anders sehe es bei ihm selber aus. Für ihn komme keine große Stunde mehr und außerdem sei für ihn der Gedanke einer »Kompromittierung« vor gewissen Leuten belanglos. Und: »Ich wünsche die Sache bis zum bitteren Ende durchzustehen. Ich verfolge damit meine bestimmten Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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Absichten.« Wenn er, Werner, bei Schaefer (»Sch.«) kündige, solle er diesem sagen, dass der Schritt mit seinem Einvernehmen erfolge, er, Rauschning, ihm darin aber nicht folgen werde. Was er tun werde, so Rauschning, hänge von einer »ganzen Reihe von Entwicklungen ab«, die er »noch nicht überblicken« könne. Im Übrigen interessiere ihn die Meinung von Abonnenten nicht, »seien es selbst ehrwürdige Pastoren«. Die Entwicklung einer finanziell gesunden Zeitung sei endgültig durch von Bonin (»v. B.«) zerschlagen worden. »Das ist es, was mich am meisten betroffen hat, die Kurzsichtigkeit und die Rücksichtslosigkeit.«1252 Rauschnings Andeutung, er verfolge »bestimmte Absichten«, die ihn bei den RWN ausharren ließen, gibt zu Spekulationen Anlass, was damit gemeint war, zumal er ähnliche Formulierungen später unmittelbar vor seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten gegenüber Gustav Heinemann wiederholen sollte. Kurz vor Weihnachten äußerte sich Rauschning in Briefen an Verwandte über seine aktuelle Gemütsverfassung und Pläne für die Zukunft; dabei trat ein innerlich zerrissener Mensch zu Tage. Gegenüber »Grete«, einer entfernt verwandten Kusine, zeigte er sich enttäuscht über die politische Entwicklung in der Bundesrepublik, die »das Problem der Wiedervereinigung für lange Jahre zu einem unlösbaren« mache.1253 Immerhin machte er an dieser Stelle dafür wenigstens teilweise auch die »sowjetische Politik« mitverantwortlich. Jeder, der gegen den Kurs Adenauers aufbegehre, laufe Gefahr, als »Saboteur, Verräter oder Kommunist« gebrandmarkt zu werden. Nach seinen Erfahrungen mit Hitler habe er kein Interesse mehr, alle möglichen »Verunglimpfungen« zu erleben. Erstmals erwähnte Rauschning dann in diesem Brief, dass er »gelegentlich von Kriminalbeamten« besucht werde, ohne allerdings Näheres dazu auszuführen. Im Ergebnis stand für ihn nun fest: Gleich nach Weihnachten werde er in die Vereinigten Staaten zurückkehren, dort an seinem »Lebensabend« noch ein paar Bücher schreiben, aber den Kampf gegen »Dummheit, Reaktion und Niedertracht Jüngeren« überlassen. Ein neues Buchprojekt sollte wieder ein altes sein, jenes, das er schon im Pariser Exil mit Herzblut bearbeitet hatte: »Ich schreibe jetzt eine Studie über den Untergang des deutschen Ordens, ein altes Thema von mir.« Außerdem sei ein Buch über den »Konservativen in einer Zeit der Revolutionen« in Vorbereitung. Seine jüngste Tochter Elisabeth werde noch in Deutschland bleiben, sie spreche jetzt »ganz gut deutsch«. Sie habe doch »einen Eindruck fürs Leben gewonnen, eine Ahnung, wie so viel ernster, tiefer und lebenswerter das Leben ist, von dem tragischen, aber immer noch schöpferischen 456

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

alten Europa aus, als von dem alles simplifizierenden Amerika aus.«1254 In einem Brief an seine Nichte Ursel Kaun vom selben Tag erwähnte Rauschning ebenfalls den Polizeibesuch bei ihm in Neumünster; das hinterlasse »einige Vorgeschmäcke« auf Zeiten wie bei »Adolf dem Tausendjährigen«. Hier nannte er den Januar oder spätestens Februar 1956 als Termin für seine Rückkehr in die USA. Dann wiederum ließ er in dem Brief Zweifel an dieser Planung durchblicken: »Vielleicht klärt sich doch noch alles. Im Augenblick ist alles sehr dunkel und aussichtslos für mich. Gerne gehe ich nicht mehr zurück.«1255 Unmittelbar vor dem Weihnachtsfest äußerte Rauschning in einem Brief an den Vorsitzenden der »Konservativen Gesellschaft von 1950«, Gustav Blume, die Möglichkeit, dass er »gezwungen« sein könne, in nächster Zeit nach Amerika zurückzukehren.1256 Die Festtage und die letzten Tage vor dem Jahreswechsel muten rückblickend wie die Ruhe vor dem Sturm an, wenn man das Finale der RWN und den Abschied Hermann Rauschnings von Deutschland betrachtet. Am Neujahrstag des Jahres 1956 schrieb Hermann Schaefer von seinem Wohnort Stockdorf bei Starnberg einen Brief an Rauschning. Düstere Andeutungen über Personen im Umkreis der Zeitung bestimmten den Ton des Schreibens, auch wenn man sich, so Schaefer, »tröstend mit Heine rückwärts dazu gratulieren« solle, »den Stromschnellen des letzten Jahres« entkommen zu sein. Ihn habe »die Sorge ein wenig gelähmt und die abgrundtiefe Niedertracht« ihm »arg zugesetzt«. Soeben sei »Wagener (wer soll sonst den Weg machen?) noch einmal losgefahren um gemeinsam mit anderen das Unheil abzuwenden«. Er sitze in Stockdorf, so Schaefer, und hoffe Rauschning »Dienstag-Mittwoch Nachricht zukommen lassen zu können. Stegner nahm die Sache auf wie jeder von uns. Erleichterung, Empörung und Einsicht – so entwickelt sich nach solchen Erfahrungen ein neues politisches Gefühl.« Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verbargen sich hinter diesen Andeutungen noch einmal der Zorn über von Bonins Seitenwechsel und – das Ende der RWN-Finanzierung. Doch Schaefer hatte in seinem Brief auch Neues zu vermelden. »In München lag eine Ladung wegen Vorbereitung zu Hochverrat gegen mich vor«, ließ er Rauschning wissen, um dann die Prognose zu wagen: »Die Tage werden nicht einfach sein, die nun heraufkommen. Wenn alles nur einen Sinn hat und der Baum seine Früchte trägt, wäre alles halb so schlimm. Aber das Warten ist schlimm, daß man Freunde enttäuschen muss, hart; man sitzt herum und starrt unentwegt in die Dunkelheit, vielleicht ist das Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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am unerträglichsten.« Nun werde »alles in den ersten Neujahrstagen entschieden«, schrieb er gegen Ende seines Briefes, und: »Von der kleinsten Veränderung informiere ich Sie auf der Stelle.«1257 Was sich dann in den ersten Januartagen des Jahres 1956 genau abgespielt hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die RWN wurden liquidiert. Es mochten dafür die eingestellte Finanzierung, aber auch das Verfahren gegen Schaefer verantwortlich sein oder beides. Auch Hermann Rauschning sah sich nun der Strafverfolgung ausgesetzt. Entsprechende Unterlagen finden sich in den Akten des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen. Eine Meldung des Freien Nachrichtenbüros vom 11. März 1956 nannte zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsgefährdung gegen Hermann Schaefer als ehemaligen Chefredakteur. Anlass waren der Meldung zufolge u. a. zwei nicht näher bezeichnete Artikel Rauschnings in den RWN. Unter dem Datum des 11. April 1956 teilte der Innenminister von NRW dem Vizepräsidenten des BfV, Radke, mit, dass die Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf ein Sammelverfahren der Oberstaatsanwaltschaft München I »gegen von Bonin u. a.« übernommen und in Einzelverfahren aufgeteilt habe. Das Verfahren gegen Rauschning erhielt das Aktenzeichen 8 Js 8948/55 – zu diesem Zeitpunkt befand sich Rauschning längst wieder in den Vereinigten Staaten. Am 25. Juni 1956 informierte der Innenminister von NRW Radke darüber, dass der Oberbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe den Vorgang 8 Js 8948/55 Rauschning übernommen, jedoch nicht mit dem Verfahren gegen Hermann Schaefer verbunden habe. Zum Ergebnis aller dieser Verfahren ließ die Generalbundesanwaltschaft dem Verfasser auf Anfrage am 2. Oktober 2013 mitteilen: Die Akten des seinerzeit von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen Rauschning u. a. übernommenen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Staatsgefährdung (§ 90a StGB a.F.) sind nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Nach Karteiunterlagen wurde das Verfahren wegen der Tätigkeit der Beschuldigten für die ›Rheinisch-Westfälischen Nachrichten‹ geführt und am 7. August 1961 eingestellt, weil kein strafbares Verhalten feststellbar war (§ 170 Abs. 2 StPO).

Hermann Rauschning hat sich nirgendwo und zu keiner bekannt gewordenen Gelegenheit zu diesem Sachverhalt geäußert. Ob er von den Strafverfolgungsbehörden über das gegen ihn eingeleitete Verfahren informiert worden ist, bleibt ungeklärt. »Eine Pflicht, den Beschuldigten von der Einleitung eines Ermittlungsvefahrens gegen ihn in Kenntnis zu set458

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

zen«, sei »in der Strafprozessordnung nicht enthalten«, ließ die Staatsanwaltschaft Düsseldorf den Verfasser wissen.1258 Auch Rauschnings Schwiegersohn, der wie kein Zweiter außer seiner Ehefrau mit den Papieren Rauschnings und seiner Person vertraut ist, hatte bis zu dem Schreiben der Karlsruher Bundesanwaltschaft an den Verfasser keine Kenntnis von den Ermittlungen. »Er mag zwar etwas vermutet haben, aber ich bezweifle, dass H. R. damals etwas von einem Verfahren gegen ihn wusste. In dem Falle hätte er Deutschland nicht verlassen.«1259 Der Deutsche Informationsdienst, welcher der Regierung Adenauer und dem BfV nahestand, meldete in seiner Nummer 539 vom 12. Februar 1956 auf der ersten Seite den »Konkurs der Schaefer-Zeitung«.1260 Am 8. Januar sei die Zeitung eingestellt und am 24. Januar vom Amtsgericht Düsseldorf das Anschlusskonkursverfahren eröffnet worden. Es folgten in dem Bericht detaillierte Angaben zur formalen Seite des Verfahrens sowie persönliche Angaben zu den Hauptbetroffenen. Der »Krefelder did-Korrespondent«, so der DID, melde, »dass dieser Konkurs im Leserkreis der Schaefer-Zeitung Aufsehen errege, weil er beweise, wie rücksichtslos die bisherigen RWN-Geldgeber ihre Unterstützung wegzögen, wenn die gestellten Aufgaben nicht schnell genug erfüllt würden. Die gleiche Gefahr droht allen, die von den gleichen Geldgebern finanziert werden.« Zumindest der letzte Satz dürfte als allgemeine Einschüchterung für die Betreiber anderer ostfinanzierter Projekte gedacht gewesen sein. In die gleiche Richtung sind auch diese Bemerkungen zu deuten: »Die RWN dürfen nicht isoliert gesehen werden. Sie waren nur ein kleiner Operationsapparat im großen Rahmen der SED-Strategie in Westdeutschland. Sie waren Sprachrohr und Zersetzungsmittel gleichermaßen, andererseits aber auch Sammlungspunkt.« Und noch einmal kam der DID auf die RWN-Finanzierung zurück: Das große Interesse Pankows an einer so schillernden Persönlichkeit wie Hermann Schaefer, der es immer wieder verstanden hat, rechtzeitig aus dem KZ, rechtzeitig aus der englischen Gefangenschaft, rechtzeitig aus der Fragebogenfalle herauszukommen, ist erklärlich. Wenn daher Oberst von Bonin bei seinem Ausscheiden aus der RWN-Herausgeberschaft die Behauptung aufstellte, Schaefer habe über Österreich und die Schweiz ostzonale Sperrmark-Guthaben als Subvention empfangen, so klingt das durchaus glaubwürdig … Die Angabe, Schaefer habe monatlich 40.000 DM für die RWN empfangen, Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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sei durchaus nicht als übertrieben anzusehen.1261 Dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz war das Ende der Wochenzeitung eine recht ausführliche Analyse wert.1262 »Ein aktueller Anlass für das überraschende Ende der ›RWN‹ war nach den hier vorliegenden Erkenntnissen nicht gegeben«, hieß es darin. Die »letztmalig mit der Weihnachtsnummer erschienene Zeitung ließ keinerlei Schlüsse auf ein bevorstehendes Einstellen des Erscheinens zu«. Im Einzelnen stellte der Bericht des Verfassungsschutzes fest: Wenn nach den Gründen für das Nicht-mehr-Erscheinen gefragt wird, so ist zunächst das in den letzten Monaten stetig wachsende und auch in der breitesten Öffentlichkeit erörterte Mißtrauen bezüglich der fragwürdigen Geldquellen und das durch zahllose Prozesse und Ermittlungsverfahren gegen einen Teil der Herausgeber am sinnfälligsten zum Ausdruck kommende »Kesseltreiben« gegen den Herausgeberkreis zu nennen. Der Hauptgrund dürfte aber vor allem in dem Ausscheiden von Bonins liegen, der innerhalb des Herausgeberkreises als »Paradepferd« angesehen werden konnte. Seine Begründung, der Verdacht der Ostfinanzierung sei ihm »zur unumstößlichen Gewißheit« geworden, dürfte das Gefüge der Zeitung am nachhaltigsten erschüttert haben. Sein Beispiel dürfte auch auf die Dauer zumindest bei dem weiteren bedeutsamen Mitherausgeber Hermann (sic) Stegner zu dem gleichen Schritt geführt haben … Über Stegner liegt auch ein Polizeibericht des Polizeipräsidenten Düsseldorf … vor, wonach er als »nächster Anwärter auf das Ausscheiden« angesehen wird. Die Kündigung des Lohndruck Vertrages … durch die Druckerei … Recklinghausen mag weiterhin nicht ohne jeglichen Einfluß auf das Einstellen des Erscheinens gewesen sein. In diesem Zusammenhang wird auch auf die kürzlich erfolgte Besprechung verwiesen, in der von Rohr/Rauschning/Stegner und Ass. Rauber mit Schaefer zusammentrafen und in der Schaefer, als die Rede auf die Ostfinanzierung kam, keinerlei Stellung genommen, entsprechende Behauptungen nicht bestritten und selbst sich dann nicht geäußert hat, als v. Rohr erklärte, daß gegen die Annahme von Ostgeldern nichts einzuwenden sei, wenn keine Bedingungen an die Hergabe geknüpft seien.

Mit dem Ende der RWN rückte auch das Ende Hermann Rauschnings in der Bundesrepublik unweigerlich näher. In seinen letzten Briefen an Kampfgefährten und einige andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik dominierte naturgemäß ein resignierter, ja verbitterter Ton und es fehlte auch nicht an dunklen Andeutungen über nun Unvollendetes. An Gustav Heinemann schrieb er kurz vor seiner 460

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

Abreise aus Deutschland, möglicherweise sei es für die Wiedervereinigung doch noch nicht zu spät. Doch wenn sie komme, dann werde sie Adenauer »entgegen seinem Willen in den Schoß fallen, wie die Regelung der Saarfrage«.1263 Jedoch sei »die Stunde einer großen nationalen Opposition versäumt« worden. Es folgte in dem Brief ein zorniger Rückblick auf den Absprung von Bonins. Dieser habe gewusst, »daß die Leute, mit denen wir zusammenarbeiteten, waren, was sie sind. Durch seine eigene Salvierung hat er es uns anderen schwer gemacht, das Beabsichtigte durchzuführen.« Das »Ausmaß von Niedertracht, von Spitzeltum, von Bedenkenlosigkeit« habe eine Atmosphäre geschaffen, in der er »nicht atmen« könne. Im Übrigen hätten seine Bemühungen »nicht der mise en scène der eigenen Person« gegolten, sondern hätten darauf abgezielt, »anderen in den Sattel zu helfen«.1264 Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier bedankte sich bei Rauschning mit einem Schreiben vom 21. Januar 1956 an Rauschnings Adresse in Portland für die Übersendung des Buches Ruf über die Schwelle. In seinem Anschreiben zu der Buchsendung an Gerstenmaier hatte Rauschning erneut Klage darüber geführt, dass in der Bundesrepublik unbequeme Meinungen unterdrückt würden, ihm selber seien »alle Türen vor mir zugeschlagen« worden. Gerstenmaier griff diese Klage in seiner Antwort an Rauschning auf und beteuerte, Rauschnings Urteil habe ihn wiederholt veranlasst, »darüber nachzudenken, ob unser Weg richtig« sei. Er wisse nicht, ob Rauschning entsprechende negative Erfahrungen persönlich gemacht habe oder eine allgemeine Beobachtung wiedergebe. Er wolle aber zugeben, »daß die öffentliche politische Auseinandersetzung in den letzten Jahren, mindestens zeitweilig, in einem Klima geführt wurde, das in der Tat der nuancierten Aussprache wenig Chancen gelassen hat«. Die Atmosphäre »beim Durchkämpfen der Ideen, die sich in dem Kompromiß der Pariser Verträge schließlich niedergeschlagen haben, war für einen Mann wie Sie, der mit gewissen Erwartungen in die Heimat zurückkehren durfte, tatsächlich unbefriedigend«. Er habe aber, so der CDU-Politiker, »nicht den Eindruck gewonnen, daß meine eigenen politischen Freunde, soweit sie führend mitbeteiligt waren, es jemals darauf angelegt hätten, Ihnen persönlich und Ihrer politischen Meinungsäußerung irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten.«1265 Hermann Schaefer behauptet, dass Rauschning unter dem Datum des 11. Januar 1956 auch an Bundespräsident Heuss einen Brief gesandt habe, in dem er die politischen Gründe dargelegt habe, die ihn zur Rückkehr in Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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die USA veranlassten.1266 Ein solchermaßen datiertes Schreiben lässt sich zwar nicht nachweisen, doch unter dem Datum des 14. Januar 1956 wandte sich Rauschning noch einmal an den späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, um sich von diesem zu verabschieden. »Leider kann ich nicht mehr kommen«, beantwortete Rauschning eine Einladung Heinemanns nach Essen, »es ist nun zu spät. Mein Dampfer geht in drei Tagen.« Aber selbst der »amerikanische Westen ist ja nicht mehr so weit, daß man nicht wieder kommen könnte, wenn es sich wieder lohnt, für den Wiederaufstieg Deutschlands, den Frieden und die innere Erneuerung des Glaubens zu wirken.«1267 Offenbar nutzte Rauschning den 14. Januar, um gleich mehrere Abschiedsbriefe zu versenden. Auch an Werner Otto von Hentig wandte er sich noch einmal und der Inhalt seines Briefes verriet Zerknirschung. Auf seine Zeit in der Bundesrepublik zurückschauend, schrieb er: Ich war in Genf; ich war in Paris. Dann kamen sehr unliebsame Dinge mit der Zeitung. Und schließlich kam die Erfahrung, daß auch drüben, in der Sowjetzone alle die durch einen neuen Kurs abserviert wurden, mit denen man glauben durfte zusammenarbeiten zu können. So fährt man denn also mit leeren Händen zurück. Am persönlichen Erfolg liegt nichts, weniger noch daran recht behalten zu haben. Aber entscheidend ist, daß sich keine neue Möglichkeit einer Wiedervereinigung und sozialen Erneuerung abhebt. Bonn und Pankow sind sich in einem eins: lieber an der Spaltung bis zum äußersten festzuhalten als abzutreten.

Und noch einmal klagte er über die geistige Unfreiheit in der Bundesrepublik: Die »Evangelischen Akademien« seien es gewesen, die ihm »merkwürdigerweise als einzige ein freies Wort gestatteten, im Politischen wie Geistigen«.1268 An Schaefer selber richtete Rauschning einen Abschiedsbrief, der zwar weder im Original noch in Abschrift, dafür jedoch in Hans-Georg Hermanns (i. e. Schaefers) Buch abgedruckt vorliegt und der nach Tenor und Inhalt authentisch sein dürfte. Darin hieß es: Ich selbst ziehe aus der Lage die unvermeidliche Folgerung, daß für mich hier in diesem neuen Deutschland ebenso wenig Platz ist wie in dem Deutschland Adolf Hitlers. Allein die Zusammenarbeit mit Ihnen ermöglichte es mir, noch ein Jahr hier in Deutschland zu sein und meine Stimme zur Geltung zu bringen. Wir müssen uns, wie mir scheint, damit abfinden, daß erst über einem neuen Unglück eine freiheitliche Entwicklung möglich sein wird. Ich selbst fahre in wenigen Tagen nach den

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Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

USA zurück. Man kann sagen, ich emigriere ein zweites Mal. Das Bonner Regime hat es mir unmöglich gemacht, als freier Schriftsteller auch die bescheidendste Existenz hier aufzubauen. Eine spätere Zeit wird das ebenso sonderbar finden wie die Demagogenverfolgungen der Metternichschen Periode oder zur Zeit Friedrich Wilhelms III. Ich verabschiede mich damit von Ihnen und möchte Ihnen danken, daß Sie mir, obwohl oft sicher anderer Meinung, nie verwehrt haben, m e i n e Meinung unzensiert zu sagen, was mir bei keinem, auch noch so »unabhängigen Blatt« in Deutschland möglich gewesen wäre.1269

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz nahm einen Ausschnitt aus dem in Dortmund erscheinenden Westdeutschen Tageblatt vom 3. Februar 1956 zu den Akten, in dem die Zeitung einen Abschiedsbrief von Rauschning »an eine westdeutsche Zeitschrift« abgedruckt hatte, der weitgehend dem Inhalt des Rauschning’schen Briefes an Schaefer entsprach. Anlässlich des 70. Geburtstages von Hermann Rauschning am 7. August 1957 widmete Stefan Brant in der Zeit dem Jubilar einen langen Artikel, der sich respektvoll zu dessen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und kritisch zu seinem Comeback-Versuch in der Bundesrepublik äußerte.1270 Brant warf Rauschning vor, sich während seines Deutschland-Aufenthaltes »blind« verhalten zu haben: blind gegenüber einem neuen Konservatismus in der Bundesrepublik, der keineswegs nur auf »Restauration« aus sei, sondern der auch von »liberaler Verträglichkeit« geprägt sei. Blind auch dafür, dass das »Nationale« nicht mehr »der letzte und entscheidende Wert dieser neuen Gesellschaft sein« könne. Blind schließlich auch gegenüber dem »Nachweis«, dass »das Sektiererblatt ›Rheinisch-Westfälische Zeitung‹ (sic) aus kommunistischen Mitteln finanziert« worden sei. Rauschning habe ganz offensichtlich völlig überzogene Erwartungen an den radikalen Umgestaltungswillen einer westdeutschen Gesellschaft gestellt, die sich immer noch von den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs zu erholen und zu sortieren suchte. Brant zitierte die beiden Schlusssätze aus Rauschnings Buch Deutschland zwischen West und Ost, in dem der Verfasser den deutschen Kriegsüberlebenden in der Tat einiges abverlangt hatte: »Das Ungewöhnliche, das Ungemeine, die äußerste Anstrengung über sich und das alltägliche Maß hinaus ist lebensnotwendig«, hatte Rauschning dort geschrieben, um dann zu schließen: »Nicht was im bürgerlichen Sinne als recht und billig, klug und verständig, praktisch und nützlich erscheint, hilft, sondern einzig und allein der rettende, der tragisch-tödliche Sprung in das verzehrende göttliche Feuer, in Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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das der Verzweifelnde sich stürzt wie Empedokles einst in den Ätna; nur so, untergehend, erfahren Mensch wie Volk die Wiedergeburt.« Demgegenüber formulierte Brant das Ende seines Artikels wie folgt: »Die Deutschen aber wollten leben, und sie wählten das Gewöhnliche und das Gemeine, das Rechte, Billige und Nützliche im bürgerlichen Sinne.« Die Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen tappten hinsichtlich Rauschnings Abgang von der Bühne der Bundesrepublik zunächst im Dunklen. Der Verfassungsschutz druckte aus den »vertraulichen Briefen« der »Gesellschaft zum Studium von Zeitfragen« – Nr. 3 vom 23. Januar 1956 –, »beschafft mit Außenstelle Düsseldorf«, folgenden Passus ab: Wie unseren Lesern bereits bekannt, hat die Zeitschrift »Rheinisch-Westfälische Nachrichten«, Düsseldorf, ihr Erscheinen eingestellt. Das Blatt war journalistisch gut gemacht und stand im Niveau weit über der »Nationalen Rundschau«, Karlsruhe, die zur Zeit allein auf weiter Flur steht. Hermann Rauschning, der repräsentativste Mitarbeiter, soll sich inzwischen nach USA zurückbegeben haben. Hermann Schaefer indes sinnt auf neue Taten. Er plant die Gründung einer Bauern- und Mittelstandspartei.

Ein namentlich nicht gezeichneter, handschriftlicher Zusatz vermerkte dazu: »Da die Rückkehr Rauschnings nach dem vorstehenden Artikel zweifelhaft ist, sollten Ermittlungen eingeleitet werden. Inzwischen ist aber die Rückkehr des R. durch die Presse (Westd. Tagebl., 3.2.56) bestätigt, so daß sich weitere Ermittlungen erübrigen.«1271 Der Pressespiegel des »LfV München« informierte die Düsseldorfer Kollegen mit Datum vom 29. März 1956 über einen Abschiedsbrief Rauschnings, den er in der Zeitschrift Das Gespräch aus der Ferne veröffentlichen ließ. Darin hieß es: Ich fahre ohne Verbitterung, aber wohl in tiefer Sorge, nicht bloß um die Frage der Wiedervereinigung, sondern auch um Charakter und Zukunft der Deutschen nach den USA zurück. In einem so unwahrhaftigen und rückgratlosen politischen und geistigen Klima wird das neue deutsche Gemeinwesen nicht ohne schwere Krise sich entwickeln. Ich als unabhängiger Mann aus den USA konnte und mußte mir ein offenes Wort gestatten, selbst wenn ich es mit Verbindungen erkaufte, die die Scheinheiligen mit Entrüstung anprangerten.1272

Eine letzte Spur Rauschnings in den Akten des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes bildete die Abschrift aus einem Artikel der rechts464

Versuch eines Comebacks in der Bundesrepublik

extremen Zeitung Der Reichsruf vom 16. November 1957, in dem es unter der Überschrift »Trojanische Esel« geheißen hatte: Auf Schaefer waren sowohl Hermann Rauschning wie Oberst von Bonin hereingefallen. Rauschning hat einen der Gründe für diese Anfälligkeit bekanntgegeben: »Wo waren die Wirtschaftskapitäne, die unabhängigen Männer, die ein unabhängiges, nicht parteigebundenes Organ hätten finanzieren können und wollen? Es gab sie nicht«. Darum hätten Männer »in ihrer Verzweiflung zu verzweifelten Mitteln greifen und Wege gehen müssen, die in normalen Zeiten nicht gängig sind«.1273

Am 16. Januar 1956 hatte Hermann Rauschning von Bremerhaven aus Deutschland mit der »United States« in Richtung amerikanische Ostküste verlassen. Ein Stempel in seinem Pass dokumentiert seine Ankunft in New York am 25. Januar. Immerhin, so schrieb er noch am Tag zuvor auf hoher See an seine Frau Anna, sei das Essen doch so viel besser als auf seiner Hinreise knapp zwei Jahre zuvor »und auch sonst sei es in der Touristenklasse ganz gemütlich«.1274

Das Verfahren des Bundesgerichtshofes und seine Einstellung 

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DAS ZWEITE EXIL IN DEN VEREINIGTEN STAATEN

Erneuter Neuanfang Mit knapp 70 Jahren kehrte Rauschning Anfang 1956 an die amerikanische Westküste zurück. Angesichts seines fortgeschrittenen Alters zog er sich von der Landwirtschaft völlig zurück, um sie allein seinem Sohn Fritz anzuvertrauen. Es gehört zur Tragik seiner Lebensgeschichte, dass er seinerzeit für seinen Sohn das Beste gewollt hatte, indem er ihn an die Bewirtschaftung einer Farm heranführte. Wenige Jahre nach Rauschnings Rückkehr aus Deutschland fand dieses Projekt jedoch seinen traurigen Abschluss, als Fritz infolge seiner multiplen Sklerose Vollinvalide wurde, die Landwirtschaft aufgeben musste und künftig, wie Rauschning sich gegenüber Golo Mann äußerte, als »Pensionär Uncle Sam« anheimfiel.1275 Die Aufgabe der Landwirtschaft verschärfte auch die finanzielle Lage der Familie. Nach den Angaben seines Schwiegersohns Joachim Grube bestanden Hermann Rauschnings Einkünfte seit 1960 aus einer amerikanischen Sozialversicherungsrente in Höhe von 85 Dollar, die bis zu seinem Tode auf 140 Dollar anwuchs, ferner aus Buchtantiemen und Artikelhonoraren, die im Jahr durchschnittlich 500 Dollar ausmachten. Seinen Lebensunterhalt bestritten in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem seine Töchter.1276 Er selber zog nach Portland, wo er mit seiner Frau im Haus seiner ältesten Tochter Heilwig noch ein gutes Vierteljahrhundert verbrachte. Von hier aus führte er weiterhin eine umfangreiche Korrespondenz, hier entstand noch die eine oder andere Schrift und von hier aus wirkte er eine Zeitlang als Mitherausgeber der seinerzeit in Köln erscheinenden Blätter für deutsche und internationale Politik, für die er auch zahlreiche Aufsätze beisteuerte.1277 Erneuter Neuanfang

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Die überlieferten Briefe Rauschnings an verschiedene Adressaten während der ersten Monate und Jahre nach seiner Rückkehr in die USA zeigen einen kritischen Mann, der mit seinen Erfahrungen in der Bundesrepublik haderte, sich dabei nicht ganz widerspruchsfrei äußerte, aber überraschenderweise anfänglich auch an eine abermalige Rolle im Kampf um die politische Gestaltung Westdeutschlands dachte. Wie das ferne Donnergrollen eines abziehenden Gewitters wirken manche Erinnerungssplitter Rauschnings, andere grenzen an Dichtkunst und lassen den heutigen Leser schmunzeln. Seinem Gefährten aus Danziger Tagen, Georg Streiter, teilte er in einem Brief vom 16. August 1957 mit: »Aber es sind diese Überheblichkeit, Geltungsbedürfnis nebst der alten deutschen Rechthaberei in der Brühe der Unaufrichtigkeit, mit sich selbst und anderen gesotten, die mir den Aufenthalt verleidet haben, um so mehr als der große Alte aus dem Siebengebirge den dort beheimateten Drachen keineswegs erlegt sondern mit der Milch seiner christlichen Denkungsart erst recht fett und feurig gemästet hat, so daß mir Angst und Bange wurde.«1278 Gegenüber Karl O. Paetel bekannte er mit Schreiben vom 18. April 1956, dass er zwar ein »entschiedener Gegner des Bonner Treibens« sei, jedoch »über die Zukunft nicht pessimistisch« denke. Keineswegs sei er »resigniert zurückgekehrt«.1279 Gemünzt auf das politische Führungspersonal in Bonn meinte er: Die Clique drüben kann man nicht frontal angreifen. Diese Kerls sitzen schon wieder so fest im Sattel und sind so arriviert, daß man in Anbetracht ihrer Machtmittel einfach dagegen nicht ankommen kann. Oder doch nur, wenn man wirklich unabhängig ist … Da ich ferner weder eine Pension noch Nazischadenersatz genieße, wie so viele meiner lieben Freunde von früher, die den Hitlerschwindel bis ins sauerste Ende mitgemacht haben, so blieb mir schließlich nichts übrig als hierher zurückzukehren.

Denn, so Rauschning weiter, »mit der Schriftstellerei« sei »in Deutschland wie Sie so gut wie ich wissen, keine Seide zu spinnen«. »Aber«, formulierte er zum Ende seines Briefes, »und das ist der langen Rede kurzer Sinn, sobald ich wieder Atem geschöpft habe und sich die Lage etwas gebessert hat, will ich zurück und an den Wehen der Wiedergeburt in der einen oder anderen Weise teilnehmen.« Es folgte dann noch die notorische Klage über die fehlende Bereitschaft von Verlegern, seine Manuskripte zu veröffentlichen. »Ich werde mich doch nicht mit einem Rauschning-Buch belasten«, habe erst kürzlich ein bekannter Verleger zu einem seiner Freunde bemerkt. 468

Das zweite Exil in den Vereinigten Staaten

Auch gegenüber Armin Mohler drückte Rauschning in einem Brief vom 17. Juni 1957 seine Enttäuschung darüber aus, dass er keinen Verleger für seine Erfahrungen in der Bundesrepublik finden konnte, »so wenig wie ich in der Bundesrepublik für meine unabhängige Kritik eine Zeitung fand (was, wie Sie sich vielleicht erinnern, mich zwang bei den unseligen Rheinisch-Westfälischen Nachrichten zu schreiben, wo ich wenigstens Ärgernis bei den Bonner Leuten erregte und deswegen gelesen wurde)«.1280 Hocherfreut reagierte Rauschning auf ein »Lebenszeichen« des Filmregisseurs Frank Wisbar, der inzwischen als amerikanischer Staatsbürger in die Bundesrepublik zurückgekehrt war. In seinem Antwortschreiben vom 20. September 1956 sprach Rauschning die Hoffnung aus, dass es vielleicht noch einmal zu einem Wiedersehen in Hamburg kommen möge.1281 »Reichlich enttäuscht« sei er »im Januar dieses Jahres … von diesem klerikal-faschistischen Bonn zurückgekehrt. Kann allerdings sein, daß ich demnächst wieder nach D. fahre, um zu helfen, das traurige Bonner Regime im nächsten Jahr zu stürzen.« Aus Anlass des 70. Geburtstages von Hermann Rauschning erreichten den Jubilar allerlei Glückwunschschreiben, auf die dieser durchaus nicht nur floskelhaft antwortete. In seinem Dankesbrief an Rudolf Pechel in Stuttgart vom 19. August 1957 ließ er sich noch einmal über den Konservatismus aus, um bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass er »seit Jahren um die Fixierung meiner Gedanken über ›Der Konservative in einer Zeit der Revolutionen‹ bemüht« sei.1282 In Pechel erkannte Rauschning in diesem Brief den Konservativen des Widerstandes gegen Hitler mit Vorbildcharakter. Er äußerte in dem Schreiben Zweifel, ob in der Bundesrepublik die Zeit für eine konservative Parteigründung reif sei. »Aber für uns«, schloss er seine Ausführungen, »die wir glauben im Konservatismus ein unentbehrliches Element der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung sehen zu müssen, ist es, wie mir scheint, an der Zeit, die Fäden zu knüpfen, damit eines Tages, wenn die Verhältnisse es zulassen, ein starker Kern konservativen Willens und Wertens vorhanden ist.« In seiner Antwort an Rauschning vom 8. Oktober 1957 äußerte sich Pechel resigniert über seinen eigenen publizistischen »Kampf im Rundfunk gegen den Neonazismus und andere reaktionäre Tendenzen«, den er aber aus einem Gefühl der »Verpflichtung« gegenüber der »deutschen Jugend« einstweilen nicht aufzugeben gedenke. Nur in einem Punkt sehe er sich und Rauschning auf getrennten Wegen: Das sei Rauschnings seinerzeitige »Tätigkeit hier in Deutschland …, die ja unter keinem guten Stern gestanden« habe, »vor Erneuter Neuanfang

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allem wegen der Verbindung zu einem Blatte, das ausgesprochen von Ostgeld finanziert worden« sei. »Ich glaube nicht«, fuhr Pechel fort, »daß wir uns in unserem Urteil über die Politik des Herrn Adenauer wesentlich unterscheiden.« Der Ausgang der letzten Bundestagswahlen bedeute für ihn »eine erneute Bestätigung der Berechtigung tiefer Depression«.1283 Für seine Verhältnisse ungewöhnlich launig fielen die Dankesworte Rauschnings anlässlich des Geburtstagsgrußes von Karl O. Paetel aus New York aus. »Eigentlich«, ließ Rauschning Paetel wissen, sei ja »ein Kondolenzschreiben am Platz«. Und weiter meinte er: Aber da wir sonderbar paradoxen Lebewesen nur an unseren Niederlagen und Scheitern gewinnen, so betrachte ich die Glückwünsche als uns allen dargebracht, da wir der »Unsichtbaren Loge« der Nichtzeitgemäßen, dem Trupp der »Nonkonformisten« und dem Fähnlein der Außenseiter angehören. Wir haben keine Programme und keine Doktrin, keine »Weltanschauung« und keinen Mythos. Gestalt zu werden ist alles. So lassen Sie uns munter, Sie in Ihren 50ern, ich in meinen 70ern getrost und gerne Widerstand leisten.1284

Ein Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort Die Blätter für deutsche und internationale Politik, einem gängigen Sprachgebrauch folgend auch hier kurz Blätter genannt, teilen auf ihrer Website über ihre Geschichte Folgendes mit: Rückblickend lassen sich in der Geschichte der »Blätter« vier große Phasen unterscheiden. Erstens eine bürgerliche Anfangsphase, mit einer neutralistisch ausgerichteten Blattlinie, die für die deutsche Einheit jenseits jeglicher Blockbindung und damit gegen die Adenauersche Westintegration stand. Verkörpert wurde sie von einem breit gefächerten Gründer- und Herausgeberkreis – von Hermann Etzel, Gründer der Bamberger Symphoniker und führendes Mitglied der Bayernpartei, über Karl Graf von Westphalen, anfangs in der CDU, später Präsidiumsmitglied der Deutschen Friedensunion, bis zu Paul Neuhöffer, Geschäftsführer und Leiter des linken Pahl-Rugenstein Verlags. Sie alle einte die Nähe zum 1954 gegründeten neutralistischen Deutschen Klub. Hinzu kamen unter anderem der große Romanist Hans Rheinfelder, der Theologe Hans Joachim Iwand und Robert Scholl, der Vater von Hans und Sophie, den hingerichteten Mitgliedern der »Weißen Rose«. Aus dieser

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Zeit stammt das Diktum des Theologen Karl Barth, die »Blätter« seien »eine Insel der Vernunft in einem Meer von Unsinn«. Mitte der 1960er Jahre setzt dann die zweite Phase ein. Beginnend mit den Ostermärschen und der Bewegung gegen den Atomtod bis hin zur Studentenbewegung werden die »Blätter« zu einem einflussreichen Organ der bundesrepublikanischen Linken. Der Bayernkurier sah die »Blätter« gar als »Zentralorgan der APO«. Im Zuge der Zersplitterung der 68er-Bewegung folgte eine DKP-nahe Periode. Die »Blätter« erschienen damals im Pahl-Rugenstein Verlag, der teilweise aus der DDR finanziert wurde. Die dritte Phase beginnt 1989. Im Zuge der sich abzeichnenden Insolvenz des Pahl-Rugenstein Verlages gelang es der damaligen »Blätter«-Redaktion um Karl D. Bredthauer, die Zeitschrift … in die Eigenständigkeit zu überführen.1285

Da die vierte Phase der Blätter jenseits unseres Berichtszeitraumes liegt, können wir sie hier unberücksichtigt lassen. Um es vorwegzunehmen: Es gibt bislang keine bekannt gewordenen Dokumente, die eine Kenntnis Hermann Rauschnings von den engen Beziehungen insbesondere Manfred Pahl-Rugensteins und Karl Graf von Westphalens zu Organen der DDR belegen würden. Diese Formulierung ergibt sich u. a. daraus, dass große Teile der Archivbestände des Pahl-­Rugenstein Verlages und damit auch der Korrespondenz der Blätter beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009 entweder verloren gegangen sind oder aber erhalten gebliebene Reste sich im Prozess »der Erfassung, Konservierung, Identifizierung und Digitalisierung«1286 befinden. Auch im umfangreichen Nachlass Hermann Rauschnings in Portland/Oregon findet sich kein Hinweis auf entsprechende Kenntnis. Die wenigen Briefe, die zwischen Graf von Westphalen und Rauschning nach dessen Rückkehr in die Vereinigten Staaten gewechselt wurden, enthalten ebenfalls keine entsprechenden Spuren. Dass Rauschning andrerseits wie schon bei den RWN wenige Jahre zuvor nicht ganz glücklich hinsichtlich seines Engagements bei den Blättern war, zeigt sich in einem kurzen Schreiben, das er am 16. Juni 1957 an Gustav Heinemann aus Anlass von dessen Beitritt zur SPD schickte. Darin heißt es: Gestatten Sie mir Ihnen zu Ihrem Entschluß, der sozialdemokratischen Partei beizutreten, Glück zu wünschen. Hoffentlich werden viele Ihrem Beispiel folgen. Hätte ich in Deutschland bleiben können, so hätte ich ebenfalls um Aufnahme in die Partei ersucht. Vielleicht darf ich Ihnen mein Bekenntnis zum Sozialismus in Gestalt eines Artikels für des Grafen von Westphalen kleine Monatsschrift (gemeint sind Ein Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort 

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die Blätter, A. H.) beilegen. Leider stehen mir keine anderen Veröffentlichungsmöglichkeiten offen.1287

Noch deutlicher wurde Rauschning in einem Brief vom 3. Januar 1962 an seinen Neffen Werner. »Ich nehme keinen Anstoß daran«, schrieb er, daß diese Blätter angeblich von der DDR subventioniert sind und als osthörig gelten. Ich betrachte sie als das einzige sich mir noch zur Verfügung stellende Organ, dessen Inhalt gerade wegen der dort zu Wort kommenden ketzerischen Ansicht im Auslande von den wichtigen Stellen wohl zur Kenntnis genommen wird, wenn auch nicht von der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Übrigens wird auch anderen bald nichts mehr übrig bleiben als sich mit den Leuten der DDR an einen Tisch zu setzen, trotz Mauer durch Berlin.1288

Dass Rauschning mit den Verhältnissen in DDR nicht viel im Sinn hatte, macht der Schluss dieses Briefes offenkundig, in dem es heißt: »Über die Stupidität, die Niedertracht und Sterilität des Stalinismus in der DDR erübrigt sich jedes Wort. Sie geben einander nichts, die großen Alten, der ›jecke Möpp‹ in Bonn und der Bliemchen-Gaffee Spiesser in Berlin.«1289 Aus den insgesamt sechs von Rauschning bis zu diesem Brief an Heinemann veröffentlichten Beiträgen in den Blättern wird seine angebliche Hinwendung zum Sozialismus nicht recht deutlich, vielleicht am ehesten noch in seinem ersten Aufsatz vom Dezember 1956, der mit »Außenpolitik und öffentliche Meinung in den USA« überschrieben und von den Erfahrungen der Suez-Krise und des Ungarn-Aufstands im abgelaufenen Jahr geprägt war. Am Ende hieß es in diesem Beitrag u. a.: »Die weitere Schlußfolgerung, daß eine künftige gemeinsame, universale Kultur auch der Spannung zwischen einer liberalen und einer sozialistischen Gesellschaftsform als eines konstituierenden Elements einer gemeinsamen Ordnung bedarf – weil die Verwirklichung des Sozialismus in bestimmten Grenzen eine unabweisbare Zukunftsaufgabe ist –, wird von der öffentlichen Meinung noch nicht gezogen.«1290 Die Blätter bildeten im hier interessierenden Zeitraum ein Forum, in dem vorwiegend bürgerlich-intellektuelle Vertreter der jungen Bundesrepublik – Publizisten, Theologen, Juristen, Militärs – Analysen und Meinungen zur deutschen und internationalen Politik vorlegten. Im Vordergrund standen dabei Fragen der atomaren Rüstung, der Abrüstung sowie der deutschen Einheit im Gehäuse des Kalten Krieges. Die Beiträge ent472

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sprachen ganz überwiegend Rauschnings eigenem neutralnationalistischen Kurs und waren hinsichtlich der Politik der Regierung Adenauer durchweg kritisch bis rundweg ablehnend. Angesichts dieser Grundorientierung überrascht es nicht, dass die DDR Interesse an den Blättern und ihren Machern und Autoren hatte, sie zeitweilig über finanzielle Unterstützung zu steuern versuchte, sie andrerseits über die Blätter Informationen aus dem bürgerlich-intellektuellen Lager in der Bundesrepublik abzuschöpfen verstand, und sie sich diese Verbindung auch etwas kosten ließ. Nicht umsonst firmierte der Pahl-Rugenstein Verlag im Stasi-Jargon als »Paul-Rubelschein-Verlag«.1291 Es ist hier nicht der Ort, die etwa von Heike Amos anhand vor allem der Stasi-Akten detailliert nachgezeichnete Kooperation zwischen Herausgebern der Blätter sowie einigen ihrer häufig vertretenen Autoren1292 einerseits und interessierten DDR-Organen andrerseits wiederzugeben. Zusammengefasst konnte nach ihren Recherchen das MfS insbesondere Karl Graf von Westphalen und Manfred Pahl-Rugenstein als »Spitzenquellen im westdeutschen bürgerlichen Lager« betrachten.1293 Für sie wie auch für andere Neutralnationalisten, etwa auch Hermann Rauschning, die nicht in enger Verbindung mit der DDR standen, gilt, dass ihre Motivation für ein »Zugehen auf den Osten« – um einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu formulieren – sehr unterschiedlich sein konnte. Die wenigsten von ihnen dürften eine Umwandlung der Bundesrepublik in eine zweite DDR und von dieser Basis aus eine Vereinigung beider deutscher Staaten auf sozialistischer Basis erstrebt und sich als bloße Erfüllungsgehilfen Ost-Berlins verstanden haben. Diesem einen radikalen Pol etwa im Bild einer Ellipse befand sich gegenüber jener Pol, für den etwa Rauschning stellvertretend anzusehen ist. Ihm und seinen Gesinnungsgenossen ging es um den mutigen Schritt nach Ost-Berlin bzw. Moskau, um angesichts der atomaren Bedrohung zu einer internationalen Entspannung und zur Vereinigung von Bundesrepublik und DDR zu gelangen, wobei Rauschning westdeutsche Zugeständnisse an die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Realität im östlichen deutschen Teilstaat für unabdingbar hielt. Zwischen beiden Polen, aber eindeutig näher an der Position Rauschnings u. a. wird man sich vor allem die Aktivität und die Erwartungen von Vertretern der westdeutschen Wirtschaft – man denke an Heinrich Krumm aus Offenbach – im Hinblick auf eine Öffnung gegenüber dem Osten vorzustellen haben. Obwohl durch Dokumente nicht verifizierbar, scheint Hermann Rauschning für seine Mitarbeit und spätere Mitherausgeberschaft – erstEin Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort 

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mals auf der Titelseite der Blätter-Ausgabe des Heftes 9 vom September 1961 als Mitherausgeber ausgewiesen – bestimmte Bedingungen gestellt zu haben; über eine Honorierung seiner Tätigkeit ist nichts Sicheres bekannt, doch habe seine Frau Anna in Portland wiederholt von »Hundertmarkbeträgen« gesprochen.1294 Es fällt auf, dass seine Beiträge unter der lange Zeit wichtigsten Rubrik »Hauptaufsätze« fast immer an erster Stelle standen. Zu seinem 75. Geburtstag druckten die Blätter im Augustheft des Jahres 1962 unter der Überschrift »Aus den Werken Dr. Hermann Rauschnings« kommentarlos verschiedene Abschnitte aus seinen bis dahin erschienenen Büchern ab – die meisten aus der Revolution des Nihilismus, einen aus den Gesprächen mit Hitler sowie einige aus Mut zu einer neuen Politik1295 und Masken und Metamorphosen des Nihilismus. Zusätzlich listete der Beitrag sämtliche Beiträge Rauschnings in den Blättern bis einschließlich August 1962 auf – insgesamt 36. Seine über 40 Aufsätze in der Zeit von Dezember 1956 bis September 1964,1296 deren Inhalt hier nur höchst summarisch wiedergegeben werden kann, lassen sich grob in drei Kategorien gliedern: Erstens, die weitaus meisten Beiträge widmete Rauschning dem Ost-West-Gegensatz und der Frage der deutschen Wiedervereinigung, häufig akzentuiert durch eine dezidiert amerikanische Perspektive, bei der er immer wieder den Publizisten Walter Lippmann, die Zeitschrift Life und gelegentlich seine alte Bekannte, die Journalistin Dorothy Thompson, als Zeugen für seine Argumentation heranzog. Zweitens, eine kleine Zahl von Beiträgen enthielt historische Betrachtungen, bei denen er auf seine Erfahrungen als Senatspräsident des Danziger Freistaats und als Exilant vor allem in England zurückgriff. Schließlich finden sich, drittens, zwei Aufsätze, die sich mit verstorbenen Persönlichkeiten beschäftigten: zum einen eine Erinnerung an den Rathenau-Mord von 1922 aus Anlass der 40. Wiederkehr dieses Ereignisses im Jahre 1962 und zum anderen ein eindrucksvoller Nachruf auf den von ihm verehrten Präsidenten John F. Kennedy im Dezemberheft des Jahres 1963. Zur ersten Kategorie nur so viel: Während Rauschning die amerikanische Außenpolitik immer wieder als flexibel und gegenüber der Sowjetunion als in Grenzen wandlungsfähig darstellte, fiel das Urteil über den Kurs Adenauers in der Ostpolitik – wenig überraschend – im Allgemeinen vernichtend im Sinne von starr, verknöchert und phantasielos aus. Ein Beispiel für seine Beschäftigung mit dem Kalten Krieg aus spezifisch amerikanischer Warte findet sich im Novemberheft des Jahres 1963 unter dem Titel »Heil im Schrecken? Weltpolitische Perspektiven nach der 474

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Kuba-Krise«. Auch hier bemühte er Walter Lippmann, beschönigte den aggressiven Kurs der Sowjetunion in der Raketenkrise keineswegs und attestierte am Ende beiden Hauptprotagonisten, Kennedy und Chruschtschow, einen gleichen Anteil an ihrer Beilegung. Aus der überschaubaren Zahl solcher Arbeiten, die Rauschning als Historiker qua früherem Amt und Schicksal zeigen, seien zwei Beispiele angeführt, die seine Zeitzeugenschaft und Interpretation wichtiger politischer Ereignisse aus der Distanz von einigen Jahren beleuchten. Unter der Überschrift »Ist die Vansittart-Doktrin das letzte Wort?« befasste sich der ehemalige Senatspräsident im Novemberheft 1959 u. a. mit dem Vansittartismus als jener betont deutschfeindlichen Spielart britischer Deutschlandpolitik, die, wir sahen es, auf Rauschnings Bekannten und Gönner aus seiner Londoner Exilzeit, Lord Robert Vansittart, zurückging. Im ersten Teil dieses Beitrages skizzierte Rauschning einmal mehr die von ihm so häufig kritisierte Unbeweglichkeit der bundesdeutschen Außenpolitik, die es seit Gründung des Bonner Staates wiederholt versäumt habe, mit ernster Verhandlungsbereitschaft beherzt auf die Sowjetunion zuzugehen, um damit die Tür zur Wiedervereinigung offenzuhalten. Erneut erkannte Rauschning nun zum Jahresende 1959 vor dem Hintergrund der ergebnislosen Viermächtekonferenz in Genf vom August Bonns »Doktrin des Antibolschewismus« als dasjenige Element, das »im Endeffekt die Wiedervereinigung am wirkungsvollsten verhindert« habe. Diese »antibolschewistische Haltung« werde sich noch »versteifen«, so Rauschning, und zur Hinnahme der bleibenden »Doppelstaatlichkeit« führen. Bonn werde damit das Opfer einer »politischen Verführung« bleiben, welche seit Langem die Aufteilung Deutschlands mit dem Ziele seiner dauerhaften Schwächung betrieben habe. Als geistiger Urheber dieser bereits oben erwähnten ›political seduction‹, die die Bundesrepublik nach Meinung Rauschnings durch eine mutige Politik gegenüber Moskau durchaus hätte konterkarieren können, erkannte der Autor Vansittart. Nach Rauschnings Angaben in diesem Aufsatz hatte die britische Politik vor dem Zweiten Weltkrieg auf die Schwächung Deutschlands – und nicht nur Preußens – abgezielt. Die während seiner Zeit als Danziger Senatspräsident »überraschende Haltung britischer Kreise«, die darin bestanden habe, »dem Nationalsozialismus gewisse Förderungen zuteil werden zu lassen«, habe keineswegs die Absicht verfolgt, ein starkes Deutschland gegen die mächtiger werdende Sowjetunion aufbauen zu helfen. Vielmehr seien »gewisse Kreise in England« seit geraumer Zeit »besorgt« gewesen Ein Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort 

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über eine »Konsolidierung Deutschlands unter der vorsichtigen aber weitschauenden Führung des Reichskanzlers Brüning und die unausbleiblichen wirtschaftlichen und machtpolitischen Folgen einer solchen Evolution«. Diese Kreise, so Rauschning weiter, seien zu dem Schluß gelangt, daß ein sozial fortschrittliches und zugleich konservatives Deutschland schlechterdings unwiderstehlich in seiner Anziehungskraft auf zentral- und westeuropäische Staaten sei und zu der entscheidenden europäischen Kontinentalmacht aufsteigen würde. Auf die Dauer sei einem solchen Deutschland kein Hindernis auf seinem Aufstieg in den Weg zu legen; es sei denn, es gelänge, die inneren deutschen Gegensätze gegeneinander auszuspielen und Deutschland von innen zu lähmen. Es bedürfe dazu einer klug eingefädelten »politischen Verführung« … Als ein solches spaltendes Element bot sich, in Verkennung seines Dynamismus und seiner außenpolitischen Gefährlichkeit damals der Nationalsozialismus an, der die Koalition besonnener, gemäßigter und fortschrittlicher Elemente zu paralysieren begonnen hatte.

Rauschning hob hervor, dass er diese Konzeption Vansittarts erstmals während seiner Danziger Senatspräsidentenzeit durch den »nicht-arischen«, »aber temperamentvollen Dirigenten« der Ostabteilung im Berliner Auswärtigen Amt kennengelernt habe, der sie wiederum »durch einen Mittelsmann in Danziger Angelegenheiten« in Erfahrung gebracht habe. Später, so Rauschning, habe er sich im englischen Exil von Vansittart persönlich die Existenz dieser Konzeption – Deutschland »sich selbst zum Exekutor des politischen Willens seiner Gegner zu machen« – bestätigen lassen. Bei dem ›nicht-arischen Dirigenten‹ handelte es sich im Übrigen um den oben im Zusammenhang mit Rauschnings Danziger Senatspolitik wiederholt erwähnten Richard Meyer – seit seiner Heirat im Jahre 1943 Meyer von Achenbach –, der seines jüdischen Glaubens wegen im Dezember 1935 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde und mit Genehmigung des Auswärtigen Amtes seinen Wohnsitz nach Stockholm verlegen durfte. Hermann Rauschning, der sich bei anderer Gelegenheit dezidiert positiv über Meyer als Leiter der Ostabteilung äußerte, ist diesem nach dem Kriege offenbar nie begegnet. Das ist bemerkenswert insofern, als sie sich politisch wohl eine Menge zu sagen gehabt hätten: Im Jahre 1953, also nur ein Jahr bevor Rauschning in die Bundesrepublik kam, hatte Meyer von Achenbach im Auftrag von Adenauers Staatssekretär Hallstein in Bonn eine Denkschrift über eine künftige westdeutsche Ostpolitik ausgearbeitet. Sie verschwand sogleich in den Tresoren des Auswärtigen Amtes, da sie die Konzeption 476

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eines souveränen, wiedervereinigten und neutralisierten Deutschlands mit nationalen Streitkräften verfocht und damit – vergleichbar den Vorstellungen Rauschnings – im Gegensatz zu den außenpolitischen Leitlinien Adenauers stand. Meyer von Achenbach wurde auch untersagt, gegenüber Dritten Auskunft über den Inhalt seiner Denkschrift zu geben.1297 Bei anderer Gelegenheit beschäftigte sich Rauschning in einem Aufsatz für die Blätter bemerkenswert selbstkritisch mit seinen außenpolitischen Vorstellungen während der Weimarer Republik und der NS-Zeit. Den Anlass dazu bot das Erscheinen zweier geschichtsrevisionistischer Darstellungen renommierter angloamerikanischer Historiker – A. J. P. Taylor und David L. Hoggan –, deren Exkulpationsversuche hinsichtlich der Außenpolitik Hitlers er zurückwies.1298 Rauschning rechnete namentlich mit Hoggan vermutlich auch deshalb ab, weil dieser ihn an einer Stelle seines umfangreichen Werkes einer »überaus polenfeindlichen Einstellung« geziehen hatte, welche die Überredungskunst Hitlers erfordert habe, damit der Danziger Senatspräsident im Juli 1933 zu seiner Reise nach Warschau aufbrach1299. Ärger noch dürften Rauschning zwei Nennungen seines Namens im Anmerkungsapparat getroffen haben. Hier hatte Hoggan dem ehemaligen Senatspräsidenten unter Verdrehung der Tatsachen vorgeworfen »Gegner der gemäßigten Politik Hitlers gegenüber Polen« gewesen zu sein. Das Fass zum Überlaufen dürfte schließlich Hoggans Bemerkung gebracht haben, Rauschning habe »später … ein Vermögen an seinen seltsamen Berichten über deutsche Verhältnisse (verdient), die er für leichtgläubige, englisch-sprechende Leser schrieb«1300. Rauschning nutzte gegen Ende seines Beitrages die Chance, seine eigenen früheren Vorstellungen einer politischen Rolle des Reiches nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu skizzieren: seine Nähe zu Friedrich Naumanns Idee von Mitteleuropa, das in seiner eigenen Variante von Deutschland zwar geführt, nicht aber beherrscht werden durfte, sowie ferner die Annahme, dass ein »zentraleuropäisches Gemeinwesen« die Voraussetzung »für eine erfolgreiche Verteidigung« gegenüber der »Dampfwalze« Russland gewesen sei. »Aber«, fuhr er in diesem Beitrag fort, ich will hier nicht den so häufigen Fehler begehen und meine gegenwärtigen Einsichten als meine früheren Anschauungen zurückdatieren. Ich bin es schuldig, zu bekennen, daß ich an den Irrtümern meiner Zeit teilgenommen habe, daß auch ich geraume Zeit hindurch die Vorstellung der notwendigen Wiederaufnahme des 1918 Ein Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort 

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nur »abgebrochenen« Krieges gehabt habe, um ihn diesmal bis zum »Siegfrieden« im Sinne der damaligen Durchhaltepolitiker Tirpitz, Hugenberg, der »Vaterlandspartei« u. a. durchzukämpfen. Es ist aus solchen Andeutungen nicht nur unschwer zu entnehmen, warum ich schließlich Nationalsozialist wurde, sondern auch, daß ich mit der Möglichkeit eines »Großen Krieges«, ja mit der Wahrscheinlichkeit eines solchen gegen Rußland rechnete. Um auf meine Konzeption einer Polenpolitik zurückzukommen, so konnte eine integrale Verständigung mit Polen nur das rationale Ziel einer Defensivgemeinschaft oder – einer Expansionsgemeinschaft haben.

Rauschning erwähnte ferner Episoden aus seinem politischen Handeln als Danziger Senatspräsident, die ihm wegen offensichtlicher Polenfreundlichkeit heftige Kritik aus den eigenen nationalsozialistischen Reihen eingetragen hatten. Er schloss den Rückblick auf seine Danziger Zeit sodann mit folgenden Sätzen: Daß dies alles Machtpolitik und »Machtgleichgewichtspolitik« alten Stils war, und nach amerikanischer Auffassung »Konspiration« oder Versuch einer solchen zum Zweck militärischer Eroberungen, liegt auf der Hand. Aber ich wiederhole, keine Zeit kann besser handeln als ihre gültigen politischen Maximen und Prinzipien erlauben. Sie sollen damit nicht gerechtfertigt sein. Es gab bestimmt Leute, die damals schon ihre Verwerflichkeit erkannten. Ich gehörte nicht zu ihnen; jedenfalls nicht, solange ich politische Verantwortung trug.1301

Seinen vielleicht eindringlichsten Aufsatz in den Blättern widmete Rauschning dem ermordeten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy.1302 Verehrung schloss in diesem Nekrolog auch Kritisches nicht aus. So habe Kennedy »zu Beginn« seiner Amtszeit »die Machtbefugnisse seines Amtes« über- und den Widerstand »mächtiger Gruppen« etwa in Wirtschaftskreisen unterschätzt. Damit wurde, so Rauschning, das »erste Jahr der Kennedy’schen Amtszeit das Jahr der Rückschläge, der Enttäuschungen und der notwendigen Selbstkorrektur«. Doch überwog in diesem Beitrag natürlich das Positive in der Lebensbilanz Kennedys. Mit ihm sei eine »ungewöhnliche, eine einzigartige bewegende politische Kraft … zu früh ausgelöscht«. Kennedy habe Impulse gegeben, »die lange über seinen Tod hinaus nachwirken werden, und wie er selbst seine Tätigkeit mit der Aufforderung einleitete: ›let us begin‹ –, so schloß sein Nachfolger seine Antrittsrede vor dem Kongreß mit dem folgerichtigen: ›let us continue‹.« Auch ein kleiner Seitenhieb auf Adenauer durfte in diesem Text nicht feh478

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len. Kennedy sei entschlossen gewesen »to get the nation moving«, »die Nation in Bewegung bringen. Das Gegenteil von jener Maxime, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei (›Keine Experimente‹).« Rauschning bescheinigte dem erschossenen Präsidenten, eine Persönlichkeit gewesen zu sein, der das Charisma eines populären Führers nicht mangelte. Eine Ausnahme insofern, als er im Übrigen ein Intellektueller war, ein überraschend gründlicher Sachkenner von schneller Auffassungsgabe und Entschlußkraft. Er war ein Mann von großem Charme, von Witz und seltener geistiger Anmut. Sein steiles, schmales irisches Antlitz mit den leicht vorquellenden Augen und einem edlen, feinfühligen, fast zarten Mund wurde im Laufe der drei Jahre durchfurcht und ernster.

Kenner Rauschnings erkannten in diesem Nachruf auch den dezenten Versuch seines Verfassers, sich in das Kielwasser des verehrten Verstorbenen zu bugsieren, etwa wenn er schrieb, Kennedy habe in einem von ihm vor seiner Wahl zum Präsidenten veröffentlichten Buch »Mut als Voraussetzung für die rechte Begegnung mit dem heraufsteigenden Äon gefordert, Mut zu einer im amerikanischen Sinne revolutionären Politik«. Mut zu einer neuen Politik war bekanntlich der Titel seines eigenen, 1959 erschienenen Buches. Und gleich im nächsten Satz hieß es über die Politik Kennedys, sie sei »revolutionär; aber in dem einzigen Sinne, in dem das noch sinnvoll und möglich ist, zugleich auch konservativ: Konservativ im echtesten Sinne …« In dieser Charakterisierung spiegelte sich zweifellos auch der Autor dieses Nachrufes. Aus der Korrespondenz Rauschnings mit seinen Lesern in seiner Eigenschaft als Mitherausgeber der Blätter hat sich nur sehr wenig erhalten; ein Briefwechsel zwischen ihm und dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur des Spiegel, Conrad Ahlers, ist dabei erwähnenswert. Mittlerweile Regierungssprecher der Großen Koalition in Bonn unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, schrieb Ahlers als Privatperson am 1. Februar 1967 einen Brief an Rauschning, in dem er sich darüber beschwerte, dass Friedhelm Baukloh in seinem Blätter-Beitrag vom Januar mit dem Titel »Der neue Bundeskanzler« behauptet hatte, er, Ahlers, sei während des Krieges in Oslo SD-Mitarbeiter gewesen. Diese Behauptung sei »vollinhaltlich falsch« und Baukloh als ehemaliger »Redakteur des ›Spiegel‹« hätte dies wissen müssen.1303 Ahlers beklagte sich bei Rauschning darüber, dass die Redaktion der Blätter im Vorfeld des Artikels unzureichend recherEin Déjà-vu: Publizieren an einem zwielichtigen Ort 

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chiert habe und, mehr noch, dass sie sich »sträube«, das »in einem solchen Falle einzig Mögliche und Anständige zu tun, nämlich einen uneingeschränkten Widerruf zu drucken«. Er habe infolgedessen einen Anwalt eingeschaltet. Abschließend äußerte er die »Bitte«, Rauschning möge künftig dafür Sorge tragen, dass »die Kritik der von Ihnen mitherausgegebenen Zeitschrift an der neuen Bundesregierung nicht mit derart unfairen, ja verleumderischen Mitteln weitergeführt wird«. In seiner Antwort vom 24. Februar 1967 unterstellte Rauschning, dass Ahlers wohl mittlerweile »in Kenntnis« der in der Nummer 2 der Blätter des »XII. Jahrgangs« veröffentlichten Berichtigung sei, und bedauerte »das Vorkommnis«. Aufschlussreich auch hinsichtlich seiner eigenen Biographie ist der nachfolgende Zusatz: »Ich nehme den Anlaß«, schrieb er, um hinzuzufügen, daß ich es mißbillige, gegenwärtig noch auf Grund der Vergangenheit politische Gegner zu bekämpfen und ihre Arbeit von vornherein unter einen Verdacht zu stellen. Das gilt vor allem für den Herrn Bundeskanzler selbst, gegen den der Artikel des Herrn Baukloh gerichtet war. Es ist an der Zeit, daß Politiker nach dem beurteilt werden, was sie durch das Handeln in der Gegenwart für die Zukunft tun.

Der Briefwechsel fand seinen Abschluss mit einem Dankesschreiben Ahlers’ an Rauschning vom 3. März 1967, in dem der Absender insbesondere dem »voll« zustimmte, was Rauschning »über Bundeskanzler Kiesinger und andere« sage. Es sei »wirklich an der Zeit, daß wir unser Urteil über all diejenigen, die sich keiner kriminellen Handlung schuldig gemacht haben, nach Maßgabe des individuellen Schicksals in jenen schweren Jahren bilden«.

Um den Reichstagsbrand Mit dem Spiegel verband Rauschning um die Jahreswende 1959/60 eine Kontroverse, die parallel zu seiner publizistischen Aktivität bei den Blättern ablief. Es ging um den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933, genauer: um die Frage nach der Täterschaft. Zur Erinnerung: Der Reichstagsbrand lieferte den Nationalsozialisten den Vorwand für die Reichtagsbrandverordnung vom nächsten Tag, dem 28. Februar 1933. Zusammen mit dem knapp einen Monat später erlassenen Ermächtigungsgesetz vom 23. März ebnete dieses Gesetz den Weg in die nationalsozialistische Diktatur. Es ist dies weder der Ort, das Brandgeschehen im Einzelnen noch den Inhalt 480

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der Spiegel-Serie nachzuzeichnen, die den Auslöser der Kontroverse lieferte. Die Serie beruhte auf den akribischen privaten Forschungen des niedersächsischen Landesbeamten Fritz Tobias und verfolgte das Ziel, die These von der Urheberschaft der Nationalsozialisten an der Brandstiftung ein für alle Mal zu widerlegen.1304 »Über den Reichstagsbrand wird nach dieser ›Spiegel‹-Serie nicht mehr gestritten werden«, postulierte nicht eben bescheiden der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zur Eröffnung der Serie.1305 Dass sich diese gewagte Prognose als verfrüht erwies,1306 räumte der Spiegel viele Jahre später eher kleinlaut ein, als er im Nachruf auf den verstorbenen Tobias feststellte, dass dieser seinerzeit einen ›erbittert ausgetragenen Historikerstreit‹ ausgelöst habe.1307 Augstein führte in seiner Eröffnung Historiker und Nichthistoriker auf, die die These von der nationalsozialistischen Verantwortung für die Brandstiftung mit unterschiedlicher Akzentuierung vertreten hätten: Alan Bullock, die Berliner Geschichtsprofessoren Hans Herzfeld und Walther Hofer zählte er ebenso dazu wie den ehemaligen sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe, den Publizisten Eugen Kogon sowie – den »Hitler-Gegner Hermann Rauschning«. Auch der frühere Generalstabschef des Heeres, Generaloberst a. D. Franz Halder, habe, ähnlich wie Rauschning in seinen Gesprächen mit Hitler, behauptet, gehört zu haben, »wie Göring sich der Brandlegung selbst gebrüstet habe«. Im vierten Teil seiner Serie befasste sich der Spiegel ausführlich mit jener Textstelle aus den Gesprächen mit Hitler, in der Rauschning, wie bereits erwähnt, Hermann Göring im Kreis von Vertrauten »in der Wandelhalle vor den damaligen Amtsräumen Hitlers« nahe der Reichskanzlei großspurig von »seinen Jungens« berichten lässt, die den Reichstag angezündet hätten.1308 Der Spiegel machte seine Leser darüber hinaus mit jenen an anderer Stelle dieses Buches erwähnten Passagen aus den Protokollen des IMT bekannt, in denen Göring bei seiner Vernehmung in Nürnberg die ihm von Rauschning in den Mund gelegten Äußerungen zu dem Brand kategorisch dementierte. Um den offensichtlichen Widerspruch aufzuklären, wandte sich das Hamburger Magazin mit einer entsprechenden »Anfrage« an Rauschning in den Vereinigten Staaten. Die Antwort, die Rauschning dem Spiegel zukommen ließ, druckte dieser mit einigen Auslassungen ab. Zunächst hieß es demnach in dem Schreiben aus Oregon, er, Rauschning, stehe zu der von ihm gegebenen »Version des Vorganges«. Doch dann folgten einige relativierende Bemer­ kungen: Um den Reichstagsbrand

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Ob das die volle, die ganze, ob es überhaupt die Wahrheit war, ist eine andere Frage … Ich selbst habe der Göringschen Version nie vollen Glauben geschenkt, ohne von anderen mehr überzeugt gewesen zu sein … Aber es stand und steht für mich fest, daß die nationalsozialistische Führung einschließlich Hitlers um den Plan, den Reichstag anzuzünden, gewußt und ihn in dem Sinne verwandt und mindestens gefördert hat, den ich in den weiteren Seiten meines Berichtes angedeutet habe, nämlich … um ihm (Hitler) Handlungsfreiheit zu seinem aus der Legalität in die Diktatur führenden »schleichenden Staatsstreich« zu verschaffen … Die nationalsozialistische Führung hat um das geplante Attentat mindestens so rechtzeitig gewußt, daß sie es hätte verhindern können. Sie hat es nicht getan. Sie hat es vielmehr geduldet, wenn nicht unterstützt.1309

Zu Recht weist der Spiegel auf die Diskrepanz zwischen diesen Erläuterungen und der eindeutigen Schilderung der Szene mit Göring in den Gesprächen hin. Ergänzend hatte Rauschning in seinem Schreiben an das Magazin noch hinzugefügt: Göring hatte nicht etwa mir oder Forster diese Einzelheiten erzählt. Er stand vielmehr, als wir beide hinzukamen, bereits von einem Kreise seiner Vertrauten und Freunde umgeben, erzählend da, eine Corona von Männern in verschiedensten Uniformen mit einigen Zivilisten darunter. Ihnen erzählte er, und wir beide, Forster und ich, hörten nur Bruchteile des ganzen Berichtes. Als dabei einer der engeren Vertrauten mich, den outsider gewahr wurde, gab er Göring einen Wink, worauf dieser seine Erzählung abstoppte …

Als Reaktion auf diesen vierten Teil der Spiegel-Serie sandte Rauschning eine umfangreiche Entgegnung nach Hamburg, die das Blatt in seiner Nummer 52/1959 ganzseitig und eingerahmt abdruckte. Neben seiner Kritik an Zeugen für die Alleintäterthese des Spiegel und Fritz Tobias’, wie dem früheren Staatssekretär Grauert – Rauschning: »notorischer Göring-Intimus« – und dem seinerzeitigen Gestapo-Chef Rudolf Diels – Rauschning: sehr intelligent, sehr skrupellos, Ausdrücke glühender Bewunderung für Göring noch 1955 gehört –, enthielt das Schreiben vor allem Rauschnings grundsätzliche Einordnung des Reichstagsbrandes in das Register der fortgesetzten Rechtsbrüche des Hitler-Regimes. Sie kam in seiner prägnanten Formulierung zum Ausdruck, die der Spiegel als Überschrift über den Rauschning-Brief wählte: »Die physische Täterschaft ist uninteressant«. 482

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Mit diesem auf den ersten Blick schockierenden Urteil befand sich Rauschning in Übereinstimmung mit dem ehemaligen Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, der vor Jahren in der Substanz ähnlich formuliert hatte, dass nämlich das »entscheidende Ereignis der letzten Februartage 1933 in der Notverordnung vom 28.2. und nicht in der Brandstiftung vom 27.2. zu suchen sei«.1310 Es sei letztlich unerheblich, so Rauschning in seiner Entgegnung, wer für die Brandlegung tatsächlich verantwortlich sei, es komme entscheidend darauf an zu analysieren, wie die Nationalsozialisten dieses Ereignis zur »Beseitigung des Rechtszustandes« genutzt hätten. Er sah eine pädagogische Gefahr darin, die Nationalsozialisten von der Urheberschaft an dem Brand freizusprechen. Keine Macht der Welt könne die Nationalsozialisten von diesem eigentlichen Verbrechen entlasten, »die Brandstiftung zum Anlaß der Beseitigung des legalen Zustandes genommen zu haben«. Und weiter: Hierüber darf keine Unklarheit aufkommen. Denn Sie werden sich wohl ebensowenig wie ich über die Wirkung Ihrer Artikelserie bei allen unkritischen und insgeheim nach den glorreichen Hitlertagen seelzagenden deutschen Zeitgenossen im unklaren sein, von den unbelehrbaren Nationalsozialisten ganz zu schweigen, nämlich zu schließen: Ist dies fasch, so sind auch die anderen angeblichen Greuel­ taten der Nationalsozialisten erlogen und erstunken. Das Risiko eines solchen Mißverständnisses haben Sie sicherlich einkalkuliert und in Kauf genommen. Mit Recht. Denn ich bin wohl mit Ihnen der Meinung, daß das Wort »die Wahrheit wird euch frei machen« auch hier gilt. Aber es wäre scharf hervorzuheben, daß die tatsächliche Brandstiftung nur von instrumentaler Bedeutung für das eigentliche Verbrechen ist.

Rauschning beendete seine Ausführungen mit den Sätzen: »Nein, die Verantwortung der Nationalsozialisten für den Reichstagsbrand ist keine Legende. Sie ist der Makel, den der Nationalsozialismus in der Geschichte zu tragen haben wird. Es ist nicht das schlimmste seiner Male.«1311 In seinem Editorial »Lieber Spiegel-Leser« der Nummer 3/1960 zog Rudolf Augstein eine Art Zwischenbilanz der Serie über den Reichstagsbrand und stellte dabei fest, dass unter den bisherigen zahlreichen Leserzuschriften »von Belang« keine einzige gewesen sei, die den Befunden von Tobias und damit der Spiegel-Serie substantiell widersprochen habe. Man dürfe daher dem »Amateurforscher Fritz Tobias gratulieren«. Auf Um den Reichstagsbrand

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dem Ende November des vergangenen Jahres in München abgehaltenen »Internationalen Kongress für Zeitgeschichte« habe man es »ängstlich vermieden«, zu der »damals noch nicht abgeschlossenen Serie Stellung zu nehmen«. In Sachen Reichstagsbrand habe die Veranstaltung »toter Mann« gespielt. Um »so betretener« sei in den Kongresspausen »die sensationelle Neuigkeit besprochen« worden, sie habe »jedem auf der Zunge gelegen«, wie die amerikanische Zeitschrift Time berichtet habe. Von allen Leserzuschriften griff sich Augstein in seinem Editorial namentlich nur jene von Rauschning, »der von uns gezaust worden war«, heraus. Mit Rauschning, so Augstein, wolle auch der Spiegel sagen: »Die Wahrhheit macht uns frei« – allerdings dies in Bezug auf den von »den Unverbesserlichen« geleugneten Massenmord an den Juden. Und noch ein zweites Mal wies Augstein Rauschnings Argumentation zurück: Wohl sei es zutreffend, dass seinerzeit ein »großer Schlag« Hitlers erwartet worden sei. Für die Verantwortung der Nationalsozialisten an dem Brand besage dies jedoch gar nichts, und auch für die »Mitverantwortung Görings«, die Rauschning für »unbezweifelbar« halte, treffe dies zu, solange eine »weitere Stütze« fehle. Hermann Rauschning hat sich öffentlich nicht weiter zum Reichstagsbrand geäußert. Allerdings erreichte ihn im April 1961 ein Schreiben von Hans Bernd Gisevius aus Berlin. Gisevius, der zunächst Nationalsozialist gewesen war, sich dann aber von Hitler abgewandt hatte und dem Kreis militärischer Verschwörer um Hans Oster im Herbst 1938 sowie später jenem um den 20. Juli 1944 nahestand, bat Rauschning darum, in einer konsularischen Vertretung der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten – sofern er nicht »zufällig in absehbarer Zeit nach Deutschland« komme – jene Textpassage aus den Gesprächen zu beeiden, in der Göring angeblich über seine Mitwisserschaft den Reichstagsbrand betreffend geprahlt hatte.1312 Hintergrund dieser Bitte war eine Unterlassungsklage von Hans Georg (»Heini«) Gewehr gegen die Behauptung von Gisevius in dessen Buch Bis zum bitteren Ende sowie in der Zeit, Gewehr sei als Zivilingenieur Teil jenes zehnköpfigen SA-Kommandos gewesen, das in der Brandnacht vom 27. Februar 1933 mit Hilfe des unterirdischen Tunnels das Feuer im Reichstag gelegt habe. Das zuständige Landgericht Düsseldorf habe, so Gisevius in seinem Brief an Rauschning, seinem »Beweisantrag entsprochen«, Rauschning und »Generaloberst Halder über das zu vernehmen, was sie beide, zu völlig auseinanderliegenden Zeiten, aus Görings Munde gehört haben«. In seinem undatierten handschriftlichen Antwortbrief erklärte sich Rauschning bereit, »die Aussage Görings eidlich 484

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zu bekräftigen«. Jedoch müsse er dafür nach Seattle im Staate Washington reisen, da Portland kein Konsulat der Bundesrepublik habe. Er führte schließlich im letzten Abschnitt seines Schreibens aus: »Ich halte Ihre Bemühungen um die Schuld der Nat.Soz. am Reichstagsbrand und gegen die Spiegelversion für verdienstvoll.«1313 Überraschend anders äußerte sich Rauschning mit Schreiben vom 3. Januar 1962 gegenüber seinem Neffen Werner. Nachdem er zunächst das Buch von Fritz Tobias über den Reichstagsbrand als ihn nicht interessierend abqualifiziert hatte, kam er noch einmal zu seiner Beobachtung Görings in der Reichskanzlei zurück: Ich weiß, was ich mit eigenen Ohren gehört habe. Wer geneigt ist dem … (Wort unleserlich, A. H.) Göring auf sein Wort zu glauben und deswegen meiner Aussage nicht, der mag es tun. Früher oder später wird trotz jenen Geschichtsklitterern … doch wohl noch die Wahrheit zu Tage kommen, daß die Nationalsozialisten nicht nur die Nutznießer, sondern die aktiven Förderer des Reichstagsbrandes waren. Leider ist der phantasiereiche Herr Gisevius derjenige, der duch seine Ausschmückungen dem Sieg der Wahrheit am empfindlichsten geschadet und auch meine knappen aber wahren Bemerkungen mit kompromittiert hat.1314

Wahrscheinlich war Rauschning inzwischen in den Besitz des umfangreichen Memoirenwerkes von Gisevius gelangt, das den Reichstagsbrand in der Tat sehr anschaulich schildert.1315 Allerdings ist nicht mehr festzustellen, welche der verschiedenen Ausgaben des Buches von Gisevius in die Hände Rauschnings geriet. Sollte es etwa die »vom Verfasser auf den neuesten Stand gebrachte Sonderausgabe« von 1961 sein – die im Übrigen die ursprüngliche Schilderung des Brandgeschehens weitestgehend beibehält –, so lieferte Gisevius in einem neu formulierten Vorwort dem Vorwurf Rauschnings in unfreiwilliger Komik Nahrung, wenn er schrieb: »Meinerseits kann ich nur wiederholen, was ich bereits vor Jahren in den ›Frankfurter Heften‹ … geantwortet habe: ›Wo käme die Geschichtsschreibung hin, wenn jedermann warten wollte, bis alles Fleisch von den Knochen gefallen ist und die Atmosphäre, die unser Leben und Handeln mitbestimmt, sich in Archivgeruch verwandelt hat.‹«1316 Der Spiegel beendete die Auseinandersetzung mit Rauschning durch den Abdruck eines Auszugs aus dem Vorwort eines kürzlich erschienenen Buches über den Hitlerputsch des Jahres 1923 in seiner Rubrik »Rückspiegel« in der Ausgabe 51 von 1961. Der Autor des Buches, Hanns Hubert Hofmann, hatte geschrieben: Um den Reichstagsbrand

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Allein aus einer streng sachlichen und äußerst kritischen Auseinandersetzung mit dem Geschehen unserer jüngsten, leidvollen Vergangenheit kann nämlich jenes echte Bewußtsein staatsbürgerlicher Mitverantwortung erwachsen, das schuldhafte Wiederholungen vermeidet. Wie wenig dies in einer politischen Atmosphäre voller Vorurteile und anhaltender ideologischer Verkrampfung tatsächlich noch der Fall ist, bewies die erschütternde Reaktion der deutschen wie der Weltöffentlichkeit auf die Reichstagsbrand-Serie des … »Spiegel«, die … sich um die sachliche Aufklärung der Vorgänge des Februar 1933 und ihres juristischen Nachspiels mühte, um dann aus der Feder eines der Kronzeugen des »trotzkistischen« Schrifttums über die Anfänge des Dritten Reiches, Hermann Rauschning, die Antwort zu bekommen, die physische Täterschaft sei doch uninteressant, die Zerstörung einer angeblichen Legende aber beschwöre die Gefahr der Bildung einer neuen herauf.1317

Heinrich Brüning als Bundespräsident? Fernab von Hermann Rauschnings alt-neuer Heimat an den Küsten des Pazifischen Ozeans stand in der Bundesrepublik am 1. Juli 1959 die Wahl eines neuen Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung an, nachdem dem Amtsinhaber Theodor Heuss eine dritte Amtsperiode durch das Grundgesetz verwehrt war. Da Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, den Adenauer für »politisch völlig ungeeignet« hielt,1318 die Nachfolge von Heuss abgelehnt hatte, ließ sich der Kanzler selber Anfang April als Kandidat der Unionsparteien CDU und CSU aufstellen. Adenauer vertrat vermutlich irrtümlich die Vorstellung, das Amt des Bundespräsidenten sei mit vergleichbarer Machtfülle ausgestattet wie jenes des Präsidenten der Französischen Republik. Als sich Ende April abzeichnete, dass Erhard in Adenauers Fußstapfen als Bundeskanzler treten wollte, ließ Adenauer von seinem italienischen Urlaubsort Cadenabbia aus verlauten, er trete lieber von seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten zurück, als einer Kanzlerschaft Erhards zuzustimmen.1319 In dieser Situation erreichte Hermann Rauschning ein Schreiben seines Mitstreiters bei den Blättern, Karl Graf von Westphalen, datiert vom 13. Mai 1959.1320 Von Westphalen hielt sich nicht lange mit der Erläuterung der politischen Großwetterlage in der Bundesrepublik auf, sondern er wies Rauschning darauf hin, dass mit Blick auf die bevorstehende Bundespräsidentenwahl von »verschiedensten Seiten ein Name genannt« werde: »Heinrich Brüning«, damals immerhin bereits 74 Jahre alt und an der amerikanischen 486

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Ostküste lebend. Von Westphalen erklärte im weiteren Verlauf seines Briefes, dass »nach zuverlässigen Informationen« einige »namhafte Abgeordnete der FDP sich bereits direkt an Brüning gewandt« hätten, »um ihn zur Annahme der Kandidatur zu veranlassen«. Ihm scheine, so von Westphalen, »wir sollten alle Bemühungen unterstützen, die darauf abzielen, neben Adenauer eine Persönlichkeit zu benennen, die genügend Achtung und Ansehen genießt und von der zu erwarten ist, daß sie einer Politik der Vernunft das Wort redet«. Er zweifle allerdings, ob Brüning bereit sein werde, den »mit einem solchen angetragenen Vorschlag verbundenen Kampf auf sich zu nehmen«; andrerseits sollte jedoch »der Versuch einer Einwirkung auf ihn nicht unterlassen werden«. In diesem Zusammenhang verdiene besonders der Umstand Beachtung, dass es »in der CDU, trotz aller nach außen zur Schau getragenen Einmütigkeit, eine starke Gruppe gibt, denen die Kandidatur Adenauers schlecht ins Konzept paßt. Vor allem sind es die evangelischen Kreise und die aus dem alten Zentrum kommenden Kräfte, die seine Politik mit wachsendem Zweifel verfolgen.« Symptomatisch für die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der CDU sei auch der Streit um die Kanzlernachfolge. Laut von Westphalen zugegangenen Informationen habe Adenauer den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Heinrich Krone, sowie den Chef der CSU-Landesgruppe und stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Höcherl, »vor die Alternative gestellt«: Entweder werde Finanzminister Franz Etzel sein Nachfolger oder er trete von seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten zurück. Von Westphalen fügte hinzu, es bestünde durchaus »eine Chance dafür, Adenauer und seiner Gruppe weitere Niederlagen zu bereiten«. Alles hänge dabei aber stark »von der internationalen Entwicklung, gegenwärtig insonderheit vom Ausgang« der seit dem Mai in Genf tagenden Viermächtekonferenz zur Deutschlandfrage ab. Von Westphalen bat Rauschning, von dem er nicht wisse, wie er zu Brüning stehe, Brüning zu schreiben oder, besser noch, ihn persönlich aufzusuchen. Sollte Brüning sich nicht in der Lage sehen, einer entsprechenden Bitte nachzukommen, wäre »ein Wort von ihm über eine große amerikanische Zeitung der Weltöffentlichkeit mitgeteilt, von nicht zu überschätzender Bedeutung«. Falls Rauschning die lange Reise zu Brüning quer durch den amerikanischen Kontinent auf sich nehmen wolle, würden die erforderlichen »Mittel zur Verfügung gestellt werden können«. In seiner Antwort an Graf von Westphalen vom 17. Mai hob Rauschning zunächst uneingeschränkt hervor, dass er Brüning für die »glückHeinrich Brüning als Bundespräsident?

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lichste Lösung« hinsichtlich der Wahl des Bundespräsidenten halte.1321 Abgesehen von Brünings innen- und außenpolitischen »Anschauungen«, die er mit diesem weitgehend teile, sehe er den ehemaligen Reichskanzler als »den lauteren Charakter, den klugen, einfallsreichen und unbestechlichen Verstand und den erfahrenen echten Staatsmann«, dessen »das deutsche Volk in der gegenwärtigen Stunde bedürfte«. Nachdem er Brüning 1954/55 »wiederholt in Köln« aufgesucht habe, sei er zu dem Schluss gekommen, dass er in den politischen »Hauptpunkten« mit ihm übereinstimme. Rauschning erwähnte noch den gescheiterten Versuch, Brüning vor der entscheidenden Abstimmung über die Pariser Verträge zu gewinnen. Seine damalige Ablehnung aus »persönlichen und politischen Gründen« habe man zu respektieren gehabt. Trotzdem: Er, Rauschning, sei sich »beinahe gewiß«, daß Brüning nicht bereit sein werde, jenes »Erbe Adenauers zu übernehmen«, das im »Fiasko der Wiedervereinigung« liege und »kein politisches Manövrierfeld für eine neue Politik übrig« gelassen habe. Rauschning spekulierte, auch Brüning sehe vermutlich die Zukunft der Wiedervereinigung ähnlich düster wie er, indem nämlich die Westmächte ihr Bekenntnis zur Wiedervereinigung nur als bloßes Lippenbekenntnis verstünden, um Adenauers innenpolitische Position zu unterstützen. Brüning davon zu überzeugen, dass er eine Chance habe, als Bundespräsident »den Dingen einen anderen Lauf zu geben«, sehe er, Rauschning, sich außerstande. Vor allem aus diesem Grund müsse er den Vorschlag von Westphalens ablehnen, auch wenn er Brüning »für den einzigen wirklichen Staatsmann halte, den Deutschland seit 1918 gehabt« habe. Und noch einen anderen Grund führte Rauschning für seine Weigerung an und dieser ließ leise Kritk an dem Bittsteller mitschwingen: Brüning könne mit Recht beanspruchen, dass »ernsthafte Exponenten tatsächlicher politischer Macht, etwa linke Kreise der CDU oder die evangelischen Elemente um Gerstenmaier«, an ihn heranträten, nicht aber »politisch tote Leute« wie er, Rauschning, oder einige FDP-Abgeordnete. Mit »vagen Andeutungen – halten Sie mir das offene Wort zu gut – wie Sie sie mir machten, könnte niemand Brüning kommen«. Dieser könne mit Recht verlangen, dass, »wenn überhaupt, seine ehemaligen Parteifreunde aus dem Zentrum an ihn heranträten. Daß er gerade von ihnen im Stich gelassen und sogar wiederholt von ihnen affrontiert worden ist, hat nicht zum wenigsten zu seinem Schweigen beigetragen. Zur politischen Spielmarke in den Händen irgendwelcher Gruppen … läßt sich Brüning nicht machen. Persönliches Geltungsbedürfnis, das gegenwärtig die Bonner Situation beherrscht, ist 488

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Brüning fremd.« Am Ende seines Briefes machte Rauschning noch einen versöhnlichen Vorschlag: Ein gemeinsamer Freund – den Namen nannte er nicht, es könnte sich um Treviranus gehandelt haben –, auf dessen Urteil er viel gebe und der Brüning näherstehe, halte sich derzeit »hier im Lande« auf. Ihn wolle er fragen, ob er sich in seiner »Beurteilung von Brünings Bereitwilligkeit irre und ob ein Herantreten an ihn einen Zweck haben könnte«. In einem »Nachtrag zu meinem Brief« vom 17. Mai teilte Rauschning von Westphalen in einem knappen Schreiben mit, dass er von einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes von Brüning erfahren habe, die diesen wiederholt zu Krankenhausaufenthalten gezwungen habe.1322 Wenn auch Brüning »geistig« noch »voll auf der Höhe« sei, dürfe man ihm »körperlich … kaum eine aktive politische Rolle mehr zumuten«. Damit, so Rauschning, sei »wohl dieser Ihr und anderer besorgter Politiker Plan und eine Hoffnung zu Grabe getragen«. Der Briefwechsel von Westphalens mit Rauschning endete hiermit und mit dem Rücktritt Adenauers von der Bundespräsidenten-Kandidatur am 7. Juni 1959 erledigten sich schließlich alle Pläne für einen eigenen Kandidaten aus dem neutralnationalistischen Lager.

Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« Um das Jahr 1960 herum lässt sich aus den nachgelassenen Papieren Hermann Rauschnings eine gewisse Ermattung seiner bis dahin unermüdlichen Schreibtätigkeit erkennen. Zwar wetterte er nach wie vor in den Blättern gegen Adenauers »Politik der Stärke«, doch ein weiteres Buch erschien nicht mehr auf dem Markt. »Land der Begegnung« hätte ein umfangreicher Erlebnisbericht aus seiner Zeit in der Bundesrepublik heißen sollen, doch es fand sich wieder einmal kein Verleger für das Projekt. Auch das Briefeschreiben ging ihm nicht mehr so von der Hand, wenn es auch nicht zu einem abrupten Ende kam. Gegenüber seiner in Oberndorf am Neckar lebenden Nichte bekannte er in einem Brief vom 31. Oktober 1960, was ihn anlange, so schreibe er, »um noch, bevor die ja immer näher rückende ›Nacht, da niemand wirken kann‹ einem die Feder aus der Hand schlägt, noch Einiges zu Papier zu bringen, was man sich einbildet, nur selbst sagen zu können, obwohl die Leute nicht hören wollen.«1323 Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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Nur wollten seine Augen nicht mehr so recht, fügte er hinzu. Und das sei »einer der Gründe, weswegen ich mein Briefeschreiben fast ganz aufgegeben habe. Denn, um meine Augen zu schonen gehe ich dann nach der Arbeit in Wald und Hügel spazieren oder höre Musik.« Am Ende seines Briefes drückte Rauschning die Hoffnung aus, seine Nichte noch einmal wiedersehen zu können – entweder in Oregon oder in Deutschland. »Leute haben mich zwar eingeladen, wollen die Fahrt bezahlen. Aber ich will von Politik nichts mehr wissen. Es ist alles verfahren und geht seinen unerbittlichen Gang.« Sein langjähriger österreichischer Bekannter Waldemar Quaiser provozierte ungewollt noch eine heftige Tirade Rauschnings gegen sein amerikanisches Gastland und die Deutschen in der Bundesrepublik. Anlass dafür war eine Anfrage Quaisers bei Rauschning gewesen, ob er, Quaiser, anlässlich des näher rückenden 75. Geburtstages von Rauschning im August 1962 eine öffentliche Würdigung des Jubilars in die Wege leiten dürfe. In ihr sollte offenbar der Widerstand Rauschnings gegen den Nationalsozialismus im Mittelpunkt stehen, wie sich aus dessen Antwort an Quaiser schließen lässt – das Schreiben Quaisers selber hat sich nicht erhalten.1324 Rauschning bedankte sich für das Ansinnen Quaisers, lehnte es aber mit höflichen Worten ab. Für ihn habe der »Widerstand« mit der Beseitigung des Nationalsozialismus nicht aufgehört, sondern erst recht begonnen. Denn nicht nur, daß die Deutschen die Motive und Impulse, die ihn hervortrieben, nicht überwunden haben; es sind vielmehr die sogenannten Siegermächte und vor allem dieses gloriose, trotz seines smarten geschäftlichen und technischen »know how« geistig um 50 Jahre hinter der Entwicklung nachhinkende Land Amerika, die auf dem besten Wege sind, diese Motive und Impulse zur Grundlage ihrer Außenund Innenpolitik zu machen und den Nationalsozialismus zu »rezipieren« wie einst im Mittelalter die feudalen Mächte das Römische Recht. Mittlerweile ist ja wohl auch dem Dümmsten in dem amerikanischen Satellitenstaat Bundesrepublik klar geworden, dass eine »Politik der Stärke« nicht mehr zum Ziel führt und daß das für alle machtpolitischen Probleme gilt, was ausgerechnet der letzte bedeutende Chef des deutschen Generalstabes Beck für Europa am Vorabend des zweiten Krieges Hitler unterbreitete, nämlich, daß sich kein politisches Problem Europas mehr militärisch lösen lasse.

Und zum eigentlichen Anliegen Quaisers meinte er:

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Welcher Sache dient es schon, der Öffentlichkeit in Erinnerung zu bringen, daß da ein »kleiner Mann aus der Provinz« immer noch existiert, der einmal dem Nationalsozialismus Opposition machte, obwohl er selber ein solcher gewesen ist und daß dieser Mann eine geistige und moralische Entwicklung durchzumachen begnadet gewesen ist, die dem Durchschnittsdeutschen unverständlich und den politisch und geistig Arrivierten von heute unbequem und suspekt ist.

Sofern ihm dies gesundheitlich vergönnt sei, wolle er sich noch ein paar schriftstellerischen Arbeiten widmen, ließ Rauschning Quaiser wissen; »Arbeiten, die nicht nur politischer Art und zeitgebunden sind. Vielleicht sind dann inzwischen so viele Juden aus Palästina wieder zurückgekehrt, die mit der diesem Volk eigenen und den Deutschen in ihrem Servilismus und Herdentrieb völlig abgehenden Spürfähigkeit erkennen und bezeugen, was etwa an Personen und Werten noch erwähnenswert ist.« Er schloss seinen Brief mit einigen freundlichen Reminiszenzen an gemeinsame Tage in Wien beim Heurigen und seinem Dank an Quaiser dafür, dass er ihn damals in der österreichischen Hauptstadt mit »Pater Reichenberger und Pastor Forell« bekannt gemacht habe.1325 In seiner schriftstellerischen Schaffenskraft durch seine Augenkrankheit zunehmend behindert, lieferte sich Hermann Rauschning Anfang der 1960er Jahre gleichwohl einen zwar zeitlich begrenzten, aber vom Umfang her beachtlichen Briefwechsel mit Golo Mann, den er bereits aus den Tagen des gemeinsamen kalifornischen Exils kannte und schätzte und der inzwischen eine Professur an der Technischen Hochschule Stuttgart angenommen hatte. Um die Jahreswende 1961/62 hatte Rauschning von dem jüngsten Essayband Manns mit dem Titel Geschichte und Geschichten1326 erfahren und ihm war dabei zu Ohren gekommen, dass Mann ihn in einem ihm gewidmeten Beitrag als »konservative Kassandra« bezeichnet hatte. In einem freundlichen Schreiben an Mann vom 3. Januar 1962 wies Rauschning diese Bezeichnung als für ihn nicht ganz »gerecht« zurück. Vielmehr möge man ihn als einen »Menschen buchen, der sich ein langes Leben lang hindurch bemüht hat, Ring um Ring die Bande von Irrtum und Schuld zu sprengen«.1327 Dieser Brief blieb einige Zeit unbeantwortet, dann aber brach über Rauschning aus Stuttgart eine konzentrierte Reaktion aus Bewunderung und wohldosierter Kritik herein, die ihrerseits bei Rauschning einen der längsten brieflichen Ergüsse provoziert hat, die von ihm erhalten geblieben sind. Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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Golo Mann antwortete Rauschning unter dem Datum des 8. März 1962 – das lange Schweigen begründete er mit »ungeahnter Arbeitsüberlastung« in seiner Funktion als Hochschullehrer: Hätte er gewusst, »welche Verwaltungsquisquilien, welche Vorträge, Kongresse, Konferenzen etc.« damit (1962!, A. H.) verbunden seien, hätte er die Professur nicht angenommen, ließ er Rauschning wissen. Auf Rauschning zurückkommend, meinte Mann, er habe in der jüngeren Vergangenheit häufig bedauert, dass dieser »den Weg in die deutsche Politik nicht noch einmal gefunden« habe. Kürzlich habe er geschrieben, dass Rauschnings »Nicht-Rückkehr nach Deutschland zu den vielen Enttäuschungen der Nachkriegsgeschichte« gehöre. Der Zufall habe es erst vor wenigen Tagen gefügt, dass er wieder an ihn habe denken müssen. In einem Gespräch mit dem Chef des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz – »von Person aber ein liberaler, hochstehender Mann« – sei die Rede auch auf ihn, Rauschning, gekommen. Dabei habe sein Gegenüber eingeräumt, dass sich »Bonn gewiß äußerst unfreundlich gegen« ihn verhalten habe. Andrerseits, »so wollte der Mann wissen«, habe Rauschning es während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik »Leuten erlaubt, sich« ihm »zu nähern und gewissermaßen als« seine »Bundesgenossen zu gerieren, denen« er »es besser nicht erlaubt« hätte. Mann kam sodann auf seinen Essayband zu sprechen, der, weil er »nichts Neues mehr schreibe«, lediglich ein paar »alte Ladenhüter« versammle. Indem er ankündigte, Rauschning das Buch schicken zu wollen, ging er dazu über, diesem gewissermaßen den Spiegel vorzuhalten. Da seine Suada außerordentlich dicht formuliert ist, soll sie hier trotz einer gewissen Länge mit einigen Auslassungen wörtlich wiedergegeben werden. »Übrigens«, so Mann zu Rauschning einleitend, werde der Band »Einiges enthalten, das Ihnen, wenn Sie es sich anschauen, nicht gefallen wird«. Und weiter: Auch ich bin ein Kritiker der Bonner Außenpolitik, im letzten Jahr war ich ein sehr ausgesprochener. Ich würde aber nie so weit gehen wie Sie; aus taktischen Gründen sowohl, so wie ich es sehe, auch aus Gründen der Gerechtigkeit. Ich glaube nämlich, daß Adenauer nach Westen hin, nach Frankreich, England, Amerika hin in den 50er Jahren eine sehr große Leistung vollbracht hat, eine, wie sie, sagen wir, Heinrich Brüning, nimmermehr hätte vollbringen können. Ebenso: Daß an und in der Bundesrepublik einiges Gutes ist. Von dieser Basis aus kritisiere ich vor allem die hirnverbrannte Ostpolitik ungefähr wie es neulich die »Acht«1328 getan haben … Dies, mit Unterschied in der Nuance, wäre ungefähr meine Haltung. Ihre Kritik

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geht viel weiter, und obwohl der Geist und die Energie Ihrer Betrachtungen in den … »Blättern« … mir noch immer den starken Eindruck machen, den Ihre Schriften mir stets gemacht haben, glaube ich doch, daß Sie oft ungerecht sind und daß Sie sich dadurch um einen großen Teil Ihrer möglichen Wirkung bringen. Auch wünschte ich, Sie würden in der »Zeit« schreiben oder sagen wir im »Monat« … und nicht bloß in einer Zeitschrift, deren hohes Niveau ich nicht leugne, die aber im Grunde nur für einen kleinen Kreis von vornherein Überzeugter veröffentlicht wird. Instinktiv meide ich ein solches Forum, weil gerade politische Schriftstellerei, die nicht wirkt, mir nicht sehr sinnvoll erscheint. Was ich sagen will: Ich glaube, daß Sie stärker wirken k ö n n t e n , als Sie es augenblicklich tun, wenn Sie nämlich Ihre Stellung zur Bundesrepublik und ihren Leistungen noch klarer und gerechter definierten und überdächten, und wenn Ihre Schriften anderswo erschienen. Freilich kommen andere Dinge hinzu, die Schicksal sind, und die man kaum überwinden kann. Das Schicksal Ihrer Generation, die vor 1933 daran war und eben, gerade in Ihrem Fall, doch nicht recht daran war, ein Schicksal wie Brüning oder Treviranus es zur Schau stellen; die Tatsache, daß, wie frei und unabhängig Sie auch stets gedacht und wie intuitiv Sie gesehen haben, Sie doch mit dem Komplex »konservativer Revolution« verbunden sind, mit dem gerade die deutsche Jugend heute nicht mehr das Mindeste verbindet; die Tatsache ferner, daß Sie, aus guten Gründen, so sehr weit fort sind, ich meine daß Sie in Oregon leben. Ich glaube nicht, daß man von Oregon aus deutsche Politik machen kann; die Leute spüren, daß man es nicht kann. Ob Sie es gekonnt hätten, wenn Sie sich in München niedergelassen hätten, weiß ich nicht; ich kann es auch von Stuttgart aus nicht oder doch nur äußerst indirekt, ich bin weit entfernt davon, die Wirkung meiner Existenz hier zu überschätzen; aber von Claremont, Kalifornien, aus konnte ich es nimmermehr. Ich habe Sie immer für einen der weisesten, besten Berater Deutschlands und Europas gehalten, von dem Moment an, in dem ich die ersten Manuskriptseiten der »Revolution des Nihilismus« gelesen hatte; und so kann ich nur wiederholen: Es ist ein Verlust für die Deutschen viel mehr als einer für Sie, daß Sie das Echo nicht haben, welches Sie verdienten … Übrigens werde auch ich, der ich freilich das Volumen Ihrer politischen Persönlichkeit nie besaß, in Deutschland stets ein Outsider bleiben. Man lebt nicht ungestraft so lange so weit weg.

In seiner 17 Blätter umfassenden Antwort vom 21. Mai 1962 – sie dürfte wohl von Tochter Heilwig getippt worden sein – ließ Rauschning weite Strecken seines bewegten Lebens Revue passieren.1329 Golo Mann quittierte den Empfang mit einem Brief an Rauschning vom 15. Juni 1962, indem er seine Hochachtung vor dessen Offenbarungen auf folgende Weise Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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zum Ausdruck brachte: »Es ist fast schade, daß die Dinge, die Sie mir da schrieben, nun bloß für den Rest meines Lebens in einer Schublade ruhen sollen. Will sagen, der Brief sollte eigentlich veröffentlicht werden. Aber das geht ja wohl nicht, geht jedenfalls jetzt nicht.«1330 Da Rauschning in seinem langen Brief auch zahlreiche Gedanken äußerte, die in dem vorliegenden Text bereits z. T. wiederholt angesprochen worden sind, sollen diese hier allenfalls gestreift werden, Ähnliches gilt für die häufigen Erwähnungen seiner Bücher und sonstigen Schriften. Er habe »lange gezögert«, so Rauschning gegenüber Mann, ob er dessen Brief vom 8. März »nur mit ein paar Worten« des Dankes erwidern solle oder ob ich es wagen dürfte, Ihre freundschaftlichen, aber auch in gewisser Weise bedauernden und wohl berechtigt kritischen Worte über eine mißlungene oder doch steckengebliebene politische Bahn ausführlicher zu beantworten mit ein paar klärenden Worten über mein politisches Versagen in einer Zeit, wo es schließlich auf jeden ankommt. Denn daß ich eine politische Niete bin, der Selbsterkenntnis habe ich mich nicht verschlossen … Indes, jede Selbstinterpretation oder gar Rechtfertigung … ist von Übel …

Es wäre »vielleicht nicht unzutreffend, aber auch nicht gerade originell, meine Existenz – nicht nur politisch – als eine solche ›zwischen den Stühlen‹ zu charakterisieren«.1331 »Sie sehen schon«, schrieb Rauschning, »daß ich mich entschlossen habe Ihnen in einer ausführlichen Epistel zu antworten«, zumal sich eine solche »Gelegenheit für ein paar klärende persönliche Bemerkungen kaum ein anderes Mal bieten« werde. Rauschning bedankte sich zunächst für die Übersendung des Essaybandes, in dem Mann auch den bereits 1939 in Maß und Wert erschienenen Aufsatz über Die Revolution des Nihilismus untergebracht hatte1332 und von dem er, Rauschning, erst jetzt erstmals erfahren habe. Er betrachte es als eine Auszeichnung, dass Mann ihn »als kleine Feldblume am Wegesrand in den Strauß der Persönlichkeiten« in den Band aufgenommen habe.1333 Und sogleich griff er selbstkritisch eine Beobachtung Manns aus dem Jahre 1939 an ihm heraus: »Sie haben mit erstaunlichem Scharfblick schon damals mein geheimes Gebrechen gesehen, gegen den traditionellen Konservatismus zu polemisieren von einem Standort aus, der schließlich nichts anderes war als ein ungeklärter preußischer Konservatismus.« Auf den Inhalt von Golo Manns Brief zurückkommend, stimmte Rauschning dessen Ansicht zu, dass man von Portland aus keine deut494

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sche Politik machen könne. Seit seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten gehe es ihm mit seinen Schriften auch eher um »ein gelegentliches Wort der Warnung vor einem … verhängnisvollen Wege, den das deutsche Volk keineswegs nur politisch, sondern mehr noch geistig, moralisch und in der sozialen Entwicklung genommen hat«. Der »Schwerpunkt meiner Bemühungen um eigene Klärung liegt auf der Durchleuchtung der tiefer liegenden Gründe der großen Katastrophe« – gemeint waren die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Europa. Sollte ihm dies nicht gelungen sein, so liege das nicht zum geringsten Teil an der weitgehenden Missachtung seiner Schriften in der Bundesrepublik. In einem weiteren Abschnitt seines Briefes befasste sich Rauschning mit seinem politisch-theoretischen Koordinatensystem. Er sei »weit davon entfernt heute noch Gedanken zu vertreten, die etwa in der Linie einer ›Konservativen Revolution‹ liegen«, bekannte er. Allerdings beschäftige ihn »in der Tat immer noch das Verhältnis des Wandelmächtigen, Schöpferischen zum Erhaltenden und Bewahrenden, zu einem dauernden ›Maß und Wert‹ Hütenden – in welchem Sinne ja auch« Golo Manns Vater Thomas Mann »als Liberaler ein großer Konservativer« gewesen sei. Etwas, das die deutschen Ordensbrüder auf ihren Burgen mit dem täglichen Gebet ausdrückten, daß »die Dinge, die da wandelbar sind, sich wandeln zum Guten«. Was ein Unwandelbares und ein notwendigerweise sich immer aufs Neue zur Wandlung Entschlossenes und Bestimmtes voraussetzt. Mit anderen Worten, was mich noch immer bewegt, ist die Polarität des Revolutionären (im klassischen Sinne des Wortes) und des Konservativen.

Was seine »Beziehungen zum Liberalismus« anlange, fuhr Rauschning fort, »so habe ich politisch keine solchen gehabt«. Wohl habe er während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik solche durch Verbindung mit Reinhold Maier und dem Liberalen Klub in Berlin zu knüpfen versucht, aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit (Rauschning: »sub rosa«) müsse er sagen, »die beiderseitigen Sympathien haben nicht einmal für eine kurze Liebelei ausgereicht«. Sein Konservatismus sei jedoch »gewiss nicht anti-liberal, noch auch anti-sozialistisch, sondern der Moderator, der Versöhner-Gesetzgeber beider, das Ehestiftende zwischen ihnen … Ich bekenne mich vielmehr gerade als Konservativer zu dem Liberalismus als einem notwendigen Grundelement unseres Menschentums, als ein bleibender Faktor, als eine nie zu beendende, immer wieder von neuem Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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beginnende Befreiung, und damit als ein immer noch unfinished business.« Dies treffe im Übrigen auch auf den Nihilismus zu. Seine Beschäftigung mit diesem Phänomen in der jüngeren Vergangenheit habe ihn »indessen auch zu einem Platz geführt, von wo aus Vieles von dem, was gegenwärtig im deutschen Bereich geschieht, als so etwas wie eine Restauration des Nihilismus (statt der früheren Revolution eines solchen)« erscheine. Eine weitere »Dialektik«, die ihn beschäftige, sei das »Gegensatzpaar Reich/Preußen«. Rauschning verwies in diesem Zusammenhang auf seine alte Leidenschaft: die Geschichte »Ordenspreußens« im 15. Jahrhundert. Der Untergang desselben in dem »blutigen preußischen Bürgerkrieg« jener Zeit habe bekanntlich zur Teilung Preußens geführt und »zittere« in seinen Wirkungen »noch in der Gegenwart nach«. Er erwähne dies, erläuterte Rauschning gegenüber Mann, »weil meiner Ansicht nach in der zwischen gestern und einem Morgen noch unentschieden pendelnden deutschen Politik die konstituierende Polarität zwischen Reich und Preußen fehlt«, ein »Mangel«, der auch nicht durch eine »gewiß notwendige Integration zu übernationalen Gemeinwesen ersetzt« werde. »Womit freilich ein nicht karikiertes Preußen gemeint ist, ein Gemeinwesen vielmehr, das sich nicht vegetativ aus gemeinsamem Volkstum und Stamm entwickelt hat, sondern aus einer ›Idee‹, in einem bewußten Willen, mit einem Auftrag und ein Neben- und Miteinander verschiedener Völker und Rassen bewußt gepflegt hat.« Dabei werde man auch Preußen, »insbesondere dem ältesten zubilligen müssen«, was Golo Mann in seinem Tocqueville-Essay »so treffend als ein notwendiges Element in der Betrachtung von Sein und Zukunft eines Landes« hervorgehoben habe: »das Soll, den nie rein zu verwirklichenden Impuls«. Von diesen theoretischen Überlegungen leitete Rauschning über zu den Alternativen, die sich ihm nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestellt hätten: Einstieg in die deutsche praktische Tagespolitik oder der Versuch »einer geistigen Klärung der Grundlagen einer künftigen Politik«? Zur schließlichen Entscheidung gegen die praktische Politik hätten mehrere Gründe beigetragen. Ein Gespräch mit Franz Werfel in der Emigration habe bereits früh in dieser Richtung gewirkt, ferner eine Unterredung mit dem Präsidenten des Corpus Christi College in Oxford, Richard W. Livingstone. Mehr »handgreiflicher« Natur sei jedoch seine Weigerung gewesen, sich zum »Instrument« der »re-education-Politik« in der Bundesrepublik sowie zum »Kronzeugen im Nürnberger Prozess« machen zu lassen. Zwar wäre er durch seinen Auftritt in Nürnberg »vorübergehend politisch 496

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in den Vordergrund« gerückt, jedoch »sehr bald als leere Schlaube von jedem ausgespuckt« worden. Rauschning setzte Mann ganz knapp über seine »Nürnberg« betreffenden Befragungen in New York und Washington im Jahre 1945 ins Bild und resümierte bündig, er habe sich damit bei den Amerikanern seine »Sympathien verscherzt«. Andere Argumente, die gegen seine politische Aktivität in der frühen Bundesrepublik gesprochen hätten, seien zum einen die Unmöglichkeit gewesen, wieder in die alte Heimat im Osten zurückkehren zu können, und zum anderen die Verwurzelung seiner Kinder in den Vereinigten Staaten. Das Farmexperiment in Oregon sei indessen »schief« ausgegangen, sowohl finanziell als auch hinsichtlich seiner Idee, gemeinsam mit dem einzigen Sohn Landwirtschaft zu betreiben. Er erwähnte in diesem Zusammenhang auch die schwere Erkrankung von Fritz. Er sei »am Vorabend der Berliner Konferenz« vom Januar 1954 zu dem Schluss gekommen, es in der Bundesrepublik doch noch einmal mit der »praktischen Politik« zu versuchen – es folgt seine bekannte Sorge um die einseitige Westbindung der Bundesrepublik, um die »Remilitarisierung« und vor allem um die Wiedervereinigung. Er nannte eine Reihe von Persönlichkeiten, die er in der Bundesrepublik für seine Ziele kontaktiert habe. Zu denen, die bisher keine oder doch kaum Erwähnung gefunden haben, gehören der ehemalige Reichskanzler Wirth, Carlo Schmid (SPD), »welfisch-monarchistische Kreise, ehemalige Nationalsozialisten, vieldekorierte Militärs« sowie solche »Einzelgänger wie Hjalmar Schacht«, der ehemalige Reichsbankpräsident. Seine Zusammenarbeit mit »Leuten, die kommunistische Beziehungen hatten oder solche zur DDR« sei gewiss »im landläufigen Sinne taktisch unklug« gewesen, doch habe Manns »Gewährsmann« – gemeint war der Präsident des baden-württembergischen Verfassungsschutzes – ihm »nicht gesagt, daß diese Zusammenarbeit erst erfolgte, als meine anderen Bemühungen und Verbindungen versagten, und ich das Rennen noch nicht aufgeben und mich von Bonn mundtot machen lassen wollte«. Dass er sich nach Meinung vieler durch diese Kooperation seine »weiße Weste bekleckert habe«, rühre ihn wenig, schrieb Rauschning. Die Weste sei »ohnedies noch nicht vom cleaner gereinigt zurück« gekommen, im Gegensatz zu jener derjenigen, »die Anstoß an mir nahmen«, denn »offenbar hatten sie die richtigen Persil-Lieferanten gehabt, die mir fehlten«. Rauschning wies Mann ferner auf Umstände hin, die wesentlich dazu beigetragen hätten, dass sein »Debut Anfang 54 kein glückliches« war, und die zweifellos Beachtung verdienten: Er habe nicht Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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über »genügende Personalkenntnisse und Vorbereitung« verfügt, was schlicht an Zeitmangel gelegen habe. In der Rückschau räumte er nun ein, dass er Adenauer »in manchem zu Unrecht kritisiert« habe. Auch er wisse, dass es in der Politik »nicht d i e richtige Lösung« gebe, auch er frage sich immer wieder, »ob nicht am Ende die Bonner Linie die einzig mögliche gewesen« sei. Wichtig sei jedoch für ihn, dass Adenauer »in einem, dem Entscheidenden, einem gewiß nicht rein Politischen« Schwäche gezeigt habe, nämlich dort, wo sich »Politik und Moral berühren«. Es könne nach den »furchtbaren Katastrophen« kein Zweifel darüber bestehen, dass »in den großen Entscheidungen Politik nicht von Moral zu trennen« sei, einen eigengesetzlichen »Sektor Politik« könne es nicht geben. Hier aber habe »Adenauer mitsamt allen seiner christlichen Satrapen und theologischen Obrigkeitsrechtfertiger« versagt. Was er damit konkret meinte, drückte er folgendermaßen aus: Das deutsche Volk durfte seinen Wiederaufstieg nicht auf den Konflikt des Westens und Ostens gründen und zum Nutznießer des Kalten Krieges werden. Die europäische Integration durfte nicht als Kampfmaßnahme im Kalten Kriege vollzogen und dadurch kompromittiert und um ihre wirklich fruchtbaren Zukunftsmöglichkeiten gebracht werden … Das eigentlich Schlimme, das Böse der Adenauer’schen Politik liegt darin, daß im Gefolge des statt rassisch nun »christlich« begründeten Antikommunismus all die bösen Geister des Nationalsozialismus, die wir hofften in eine Schweineherde gebannt sich ins Meer gestürzt hatten, nun zurückkommen, ihr altes Opfer geschmückt und geputzt finden, und daß sie es demnächst nach dem Gleichnis des Evangeliums »ärger treiben denn zuvor«. Gewiß nicht in der Gestalt eines Neo-Nazismus, sondern in einer sehr ehrbaren, sehr moralischen, höchst christlichen, erlauchten Verkleidung.

Das »Schlimmste«, so Rauschning, sei »vielleicht die Korruption des letzten Restes des Christentums, nicht eine äußere, wie sie Hitler mit dem ›Reibi‹ (Reichsbischof, A. H.) Müller betrieb, sondern eine innere durch die Pervertierung seines Wesens. Eine Pervertierung, an der sich katholische wie evangelische Geistliche gleicherweise beteiligen.« Ein Volk wie das deutsche, erklärte Rauschning, »mit all dem jüngst Angerichteten hinter sich, war nicht berufen, sich zum Kläger gegen sowjetische Gewalt und Willkür zu erheben, sich zum Wortführer überlegener Moral gegen tatarische Greuel zu machen, wie dies in unbegreiflicher Überheblichkeit« Außenminister von Brentano getan habe, »noch konnte es seine Zukunft 498

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auf den Haß gründen, statt als Volk der Mitte auf Vermittlung und Versöhnung … Mein Gott, das ist nicht sentimental slush (Kitsch, A. H.); es ist das wirklich Wirkliche. Ich rede das alles nicht so ohne Erfahrung hin. Ich bin während der zwei Jahre in der Bundesrepublik weit herumgekommen. Was mich am tiefsten befremdet hat, war, daß die meisten genau da wieder begannen, wo sie 1933 aufgehört hatten.« Es erscheine ihm »noch immer als das besorgniserregendste Symptom der deutschen Lage, nicht daß die Vergangenheit ›unbewältigt‹ blieb, sondern daß sie ja gar nicht so falsch gewesen sein könne, weil ja Adolf auch schon den Kommunismus bekämpfte«. An andrer Stelle seiner Epistel verurteilte Rauschning die Politik Konrad Adenauers mit der Begründung, sie habe eine »moralische und geistige Erneuerung der Deutschen« sträflich verhindert. »Eines großen Arztes und Heilmeisters« bedürfte »das deutsche Volk mehr als eines großen Politikers oder Wirtschaftsführers. Des Arztes bedürfte es, der es von dem ›look back in anger‹ wie von dem ›in proud‹ befreit.« Um Golo Mann zu verdeutlichen, wie er diesen Befund verstehe, warum auch »unter den denkenden Elementen sich nur wenige« 1945 hatten wirklich »erschüttern lassen«, schilderte Rauschning eine kleine Episode aus seiner Zeit in der Bundesrepublik: Das Lehrerkollegium des Gymnasiums einer mittelgroßen Stadt hatte ihn gebeten, den, wie man heute sagen würde, Moderator einer Diskussionsrunde zwischen jenen Lehrern zu geben, die für den Widerstand gegen Hitler waren, und jenen, »die die geschworene Treue bis zum Letzten als Pflicht vertraten«. Es sei ein »ernst gemeintes Gespräch« gewesen, so Rauschning, »keine gestellte Television-Schau«. Und zu Mann gewandt: Sie hätten diese stolzen Ritterkreuzträger von Oberlehrern … hören sollen, wie sie sich rühmten, sie hätten »geschossen«, wenn der Putsch gelungen wäre, auf die vom Widerstand, heißt das. Sie hätten miterleben sollen, wie unwillig diese Jugenderzieher es ablehnten in ihren eigenen Schicksalen … die wirkliche Tragik, die ausweglose, erfahren zu haben, um in der Erschütterung – »vom Transzendenten her« – über sich selbst hinauszugelangen. Nein, diese an sich charaktervollen Männer hatten zwar den Zusammenbruch durchlebt, aber sie hatten ihn nicht erfahren. Unerschüttert haben sie den Null-Meridian passiert: Nächstes Mal machen wir es besser.

Konnte sich Rauschning schon über sein Fiasko in der Bonner Politik in Rage schreiben, erfuhr diese noch eine Steigerung, wenn es um sein Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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Verhältnis – oder besser: Nichtverhältnis – zu den aus dem Osten Vertriebenen in der Bundesrepublik ging: »Tiefer als die schlechte Behandlung durch Bonn, die Sie erwähnten«, schrieb er Mann, »hatte mich der Haß getroffen, den mir die offizielle Danziger Landsmannschaft entgegenbrachte.« Abgesehen von der bereits erwähnten Drohung der Danziger in Lübeck gegen ihn, beschäftigten Rauschning in seiner Auseinandersetzung mit den Vertriebenen vor allem zwei Aspekte: Zum einen ging es um seine Rolle als ehemaliger nationalsozialistischer Senatspräsident der Freien Stadt, zum anderen um die angebliche Instrumentalisierung der Vertriebenen durch die Regierung Adenauer. Hinsichtlich des ersten Punktes erklärte Rauschning, er könne »die Motive dieses Hasses als Ressentiment gegen einen Hauptschuldigen des über sie ergangenen Unheils verstehen, der der verdienten Strafe entgangen in Luxus und Wohlleben in USA gelebt« habe. Aber die Unterschlagung meiner öffentlichen Abkehr vom Nationalsozialismus zu einer Zeit als noch das Unheil zu verhindern gewesen wäre, das Verschweigen meiner Motive der Absage und schließlich des Bürgermutes und des persönlichen Risikos, die damals dazu gehörten, und die mangelnde Bereitschaft, den eigenen Teil der Mitschuld anzuerkennen – sie alle hatten trotz meiner Warnung und nach ihr sich zu Hitler bekannt –, all das zeigte mir doch, daß mit der Bürde meiner Vergangenheit auf dem Buckel ich nicht noch einmal politisch aktiv werden konnte. Ich bot zuviel Angriffspunkte.

Schwerer noch als dieser Gesichtspunkt scheint für Rauschning der zweite Aspekt gewogen zu haben. »Übrigens«, meinte er gegenüber Mann, haben mich auch sonst die ostdeutschen Landsmannschaften samt ihrem Göttinger Arbeitskreis nicht freundlich behandelt, mit denen ich als erste versuchte Verbindung aufzunehmen. Bonn hat aus taktischen Erwägungen heraus um der Wahlstimmen dieser Gruppen willen ihnen zum Munde geredet, sie zu einer Art Kerntruppe der Anti-Kommunismus-Ideologie und der Politik der Stärke gemacht, indem es in ihnen nicht zu verwirklichende Illusionen nährte. Eine einsichtige staatsmännische Führung hätte dagegen aus den Flüchtlingen und Vertriebenen – einem durchschnittlich besonders tüchtigen, frugalen und entsagungsgewohnten Volksstamm – ein solides politisches Fundament für eine nach Osten versöhnliche und verbindende Politik machen können. Die Maskierung der Revisionsbestrebungen durch das Pochen auf ein »Heimatrecht« konnte niemanden täuschen, daß Bonn hier die Weimarer Republik, sich auf kein »Ost-Locarno«1334 einzulassen, wiederholte.

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Rauschning skizzierte seine bekannte Vorstellung von einem »übernationalen Gemeinwesen« in Ostmitteleuropa, eines »freizügigen, national gemischten Gemeinwesens des europäischen nahen Ostens, in dem seit einem Jahrtausend keine festen Sprachgrenzen bestanden, sondern die Völker in tiefer Verzahnung miteinander und durcheinander siedelten. In einem solchen konnte der Deutsche als einzelner wieder für sich seine ›Heimat‹ zurückgewinnen.« Eine solche Konzeption erfordere jedoch »den Verzicht auf die Wiedergewinnung der Souveränität über diese Territorien. Hier bedurfte es einer gewiß schmerzlichen Vorleistung der Deutschen für eine zukünftige Lösung«. Eine solche Politik wäre, fuhr er fort, mindestens ebenso notwendig gewesen wie die Ausgleichspolitik mit Frankreich, die durch ihre Beschränkung auf den Westen und ihre Spitze gegen den Osten im Zusammenhang mit der Großmacht- und Atommachtpolitik Frankreichs ihre Glaubwürdigkeit als Friedenspolitik einbüßt und aus einer Wohltat zu einer Plage geworden ist. Um so mehr wäre eine versöhnende Politik nach Osten notwendig gewesen, als nächst der Schuld gegen die Juden am schwersten die deutsche Schuld gegen Polen wog.

Rauschning beendete diesen Abschnitt seines Briefes mit dem Hinweis auf seine Verwurzelung im Osten seit der Ordenszeit und der Bemerkung, dass ihm der »Verlust der engeren Heimat gewiß nicht weniger schmerzlich« sei als den »so pampig und selbstbewußt sich für ihre Heimat in die Brust werfenden Wortführern und Festrednern der Landsmannschaften«. Gegen Ende seines Briefes räumte Rauschning ein, dass es auch »andere, ordinärere Motive« gebe, die ihn davon abhielten, noch einmal in die praktische Politik einzusteigen. Er sein »kein bemittelter Mann«, schrieb er, die »Gesetzgebung der Bundesrepublik versagt mir als ehemaligem Nationalsozialisten Entschädigungsansprüche, eine Pension als ehemaliger Präsident Danzigs steht mir nicht zu«. So sei er »glücklich nach meiner Rückkehr aus Europa Zuflucht im Heim meiner ältesten Tochter gefunden zu haben, die es mir ermöglicht, das, was ich etwa noch zu sagen habe, ausreifen zu lassen. Ob es dazu noch kommen wird, ist zweifelhaft. Ich werde in diesem Sommer 75, und da ist nicht viel Staat mehr zu machen.« Eine kritische Würdigung dieses langen Briefes wird insbesondere Rauschnings Umgang mit den Vertriebenen in den Blick zu nehmen haben. Dass die Regierung Adenauer es geschickt verstand, diese zahlenmäßig Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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nicht unbedeutende Gruppe von Wählern für ihre Zwecke einzuspannen, dürfte nicht zu leugnen sein, ebenso wenig der Vorwurf, diese Regierung habe im Einvernehmen mit ihren westlichen Verbündeten unrealistische Hoffnungen auf eine Rückkehr in die alte Heimat genährt. Andrerseits wird man Rauschning entgegnen müssen, dass er den Vertriebenen in der Zeit der frühen 1950er Jahre wahrscheinlich seinerseits Unmögliches abverlangte, wenn er von ihnen nur wenige Jahre nach der Vertreibung eine nach dem Osten zur Versöhnung ausgestreckte Hand erwartete. Immerhin hatten viele dieser Vertriebenen die Vertreibungen psychisch und physisch anders – um es vorsichtig auszudrücken – erlebt und »erfahren« – um einen von Rauschning gern benutzten Begriff zu verwenden –, während dieser, wenn auch nicht im Luxus, so doch immerhin in der Sicherheit des amerikanischen Exils lebte. Golo Manns Dankesschreiben an Rauschning vom 15. Juni 1962 enthielt neben der bereits erwähnten Würdigung der Ausführungen Rauschnings nur noch einen kleinen, kühl formulierten Absatz, in dem es hieß: Weniger glücklich, um offen zu sein, war ich mit Ihrem letzten Aufsatz in den Blättern … Aus den schon in meinem letzten Brief angedeuteten Gründen. Es ist alles gut und wahr, aber ein zweiter Hitler ist der alte Adenauer einmal nicht, und wer dazu ihn oder doch zu etwas Ähnlichem macht, der muß sich um einen guten Teil der Wirkung bringen, die ein anderer Teil seiner Argumente sonst wohl finden könnte.1335

In einem weiteren Beitrag für die Blätter griff Rauschning diesen Vorwurf auf, ohne Mann jedoch namentlich zu nennen: »Ein Schicksalsgenosse aus den bitteren Jahren der Emigration, auf dessen Urteil ich besonders Wert lege, warf mir vor kurzem wegen meines letzten Aufsatzes in den ›Blättern‹ vor, daß ich Adenauer zu so etwas wie einen Hitler zu machen versuche«, ließ er seine Leser wissen.1336 Rauschning hob im Folgenden zunächst die »persönliche Größe« hervor, die man Adenauer zweifellos »nicht absprechen« könne – »ganz anders aber« stehe es mit »dem sachlichen Vorwurf wegen einer verfehlten Außen- wie Innenpolitik«. Ja, in vollem Bewußtsein der Schwere des Vorwurfes wiederholen wir: die Adenauersche Politik – von einer Hitlerschen Majorität des deutschen Volkes in freiwilliger Gleichschaltung der Hauptparteien getragen – muß, wenn sie nicht noch rechtzeitig gestoppt wird, in eine neue Katastrophe führen, die nicht geringer, die schlimmer als die Hitlersche für Deutschland, wenn nicht sogar für die ganze Welt sein wird.

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Dass Adenauer eine solche Entwicklung nicht wolle, verstehe sich von selber, dass seine Absichten die besten seien, werde niemand bezweifeln, schrieb Rauschning. Man müsse Adenauer aber bescheinigen, dass seine »guten Absichten« am Ende das »Gegenteil von dem zeitigen, was er beabsichtige« – dies mache »seine Tragik und unser Elend« aus. Die »Kontinuität des Irrtums« bestehe vor allem und zuerst in einer verfehlten Außenpolitik, die sich in Deutschland von Bethmann Hollweg im Kaiserreich über den »zu Unrecht glorifizierten Gustav Stresemann und Adolf Hitler« nun bis zu Adenauer in ihrem jeweiligen Streben nach Dominanz im europäischen Osten nachzeichnen lasse. Zwar wolle Bonn »keinen großdeutschen Staat mehr«, dafür »aber eine ›Dritte Macht Europa‹«. Es sei abermals ein Griff nach der Weltmacht, wie ihn der Hamburger Historiker Fritz Fischer dem deutschen Kaiserreich bescheinigt hatte – wenn auch nicht »als ausschließlicher Besitz, so doch um entscheidend an ihr zu partizipieren«. Machtpolitik bleibe Machtpolitik, formulierte der Autor, »ob im Namen einer Nation oder einer Gruppe von Nationen geführt«. Er frage, ob nicht am Ende hinter der Politik der Rückdrängung Sowjetrusslands ein ähnlicher Fehler der Westmächte wie der von Deutschland zwei Mal begangene stecke; ob nicht die Zuversicht, ›diesmal auf der richtigen Seite zu stehen‹, eine arge Illusion sei. Konkret griff Rauschning in diesem Beitrag Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier an, der anlässlich einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum als »Grundbedingung einer echten politischen Konzeption ›echte Macht‹« gefordert habe. Rauschning erhob rhetorisch die Frage, was in Zeiten des »Albdrucks der Atomwaffenzerstörung« denn »echte Macht« sei. Wer aber 1954, fuhr er an andrer Stelle fort, eine »Politik der reinen Macht« treiben zu können glaubte, »es gar 1962 noch tut, der kann es weder mit einem guten noch einem schlechten Gewissen, sondern nur in völliger Blindheit gegenüber den ungeheuren Revolutionen unserer Zeit tun«. Damit leitete Rauschning zur Bedeutung der Freiheitsbestrebungen der Völker im Süden über – das sogenannte Afrika-Jahr von 1960 lag noch nicht allzu lange zurück. Er folge eben nicht »bolschewistischen Propagandaslogans«, wenn er als »eigentliche große Aufgabe unserer Zeit« auch den Ausgleich zwischen den »Habenden« und den »Habenichtsen« dieser Welt begreife. Seine »unverdächtige Zeugin« für diese Erkenntnis sei die Britin Barbara Ward, die »eminente katholische Wirtschaftspolitikerin« mit ihrer jüngsten Veröffentlichung The Rich Nations and the Poor Nations. Von zwei Seiten her, zog Rauschning hier Zwischenbilanz, sei »die reine Machtpolitik, auf die sich Herr Gerstenmaier beruft, problematisch: von Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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der Zerstörungskraft ihrer Mittel her, wie von einem neuen politischen und sozialen Selbstbewußtsein der Völker«.1337 Im weiteren Verlauf seines Artikels übte Rauschning knapp Kritik am marktwirtschaftlichen System der Bundesrepublik, gekleidet in negativ konnotierte Stichworte, um dann abschließend »bundesdeutsche Phänomena« zu beleuchten, die nach seiner Auffassung ebenfalls unter eine »Kontinuität des Irrtums« fielen. Da sie ganz überwiegend bereits bekannte Positionen Rauschnings widerspiegelten, können wir uns hier kurz fassen. Erneut habe sich in der Bundesrepublik nach dem Krieg »die alte deutsche Auffassung vom Staat als Verkörperung der Macht, als der Machtstaat … wieder durchgesetzt«. Die »freiwillige Gleichschaltung der Parteien« sei bereits weit gediehen, »allgemein verbreitete Gesinnungslosigkeit und Liebedienerei« zu beobachten. Die »Überheblichkeit und Hochfahrenheit der zu den regierenden Schichten Gehörigen« sei heute »nicht geringer als sie im kaiserlichen Deutschland war, und Heinrich Manns ›Untertan‹ könnte ein Pendant aus der Bundesrepublik gebrauchen«. Und immer wieder kam Rauschning auf Adenauer zurück. So schrieb er: Adenauer ist auch, durch sein Gebaren, zu einem nicht geringen Teil für den Verfall der politischen Moral verantwortlich, für den allgemeinen Zynismus, für die weit verbreitete Korruption in dem Sinne der indirekten, der Gesinnungskorruption, der mangelnden Bürgercourage. Wie Bismarck, Wilhelm II., Hitler besteht auch in dieser Hinsicht die Kontinuität des Irrtums: keine Charaktere neben sich zu dulden, solchen das Rückgrat zu brechen.1338

Den Schluss seines Aufsatzes bildeten Vorwürfe, denen zufolge in der Bundesrepublik eine offizielle »Pervertierung des Christentums« stattfinde und ein verfehlter Begriff des »Konservativen« die politische Landschaft beherrsche. Die Korrespondenz zwischen Golo Mann und Hermann Rauschning endete Mitte der 1960er Jahre, und ihr Inhalt drehte sich dabei im Wesentlichen um die Neuausgabe der Revolution des Nihilismus, die Mann noch einmal beim Züricher Europa Verlag initiierte. Ein Schreiben Manns an Rauschning vom 28. Dezember 1963 drückte die Zuversicht Manns und des Verlages aus, dass die »Neuauflage« im »Frühling« 1964 erscheinen und das »Buch seinen zweiten Weg machen« werde.1339 Mann nutzte den Brief erneut zu einem dezenten Tadel an der Mitarbeit Rauschnings bei den Blättern und setzte 504

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ihn abschließend über das Adenauer-Bild in der deutschen Öffentlichkeit nach dem Rücktritt des Kanzlers Mitte Oktober in Kenntnis, so wie er es wahrnahm: »Von Adenauer spricht hierzulande niemand mehr«, schrieb Mann; er glaube, dies liege daran, dass Adenauer »kein guter Mensch war. Ein Könner, aber kein guter Mensch und ohne Volumen. Theodor Heuss, der viel weniger von einem Könner war, aber ein guter Mensch und es gut mit den Menschen meinte, hat nach der Niederlegung seines Amtes ein viel länger klingendes Nachecho gehabt. Das spricht eigentlich für die Menschen, gegen die doch sonst oft so vieles spricht.« In dem Gedankenaustausch zwischen Rauschning und Mann zur Neuausgabe der Revolution des Nihilismus dominierten freundliche, von Rauschnings Seite häufig geradezu euphorisch-anerkennende Worte für die Bearbeitung, der Mann den Text unterzogen hatte, aber auch die Einleitung Manns betreffend.1340 Rauschnings Vorschlag, ein Geleitwort zur Neuausgabe beizusteuern, wurde schließlich verwirklicht.1341 Hier nannte Rauschning als ursprüngliche Adressaten des Buches »Kreise, … die für das Unheil mitverantwortlich waren, die den Nationalsozialismus an die Macht gerufen hatten, an politische Kräfte, die allein noch an den realen Mitteln der Macht teilhatten und die Lage ändern konnten: Wehrmachtskreise; die vielgesichtige Schicht, die sich selbst als konservativ, als national bezeichnet; die älteren, die oberen Schichten der Gesellschaft, die sich für ›geschichtsbefugt‹ hielten«. Es war längst, so Rauschning, »eine in sich gespaltene Schicht. Hinter ihrer äußeren Überlegenheit, ihrer markierten Selbstsicherheit, standen Ratlosigkeit, Verwirrung, Unsicherheit und dumpfe Erschütterung über das, was sie mit angerichtet hatten.« Rauschning machte zudem auf den Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aufmerksam. Der »heutige Leser« werde in diesem Buch vieles nicht finden, was andernorts über das »Hauptübel« der Hitler-Zeit zu finden sei. Er sollte sich erinnern, daß das Buch zu einer Zeit geschrieben wurde, als Hitler noch nicht die ganze Tschechoslowakei besetzt hatte, als weder die »Kristallnacht« noch jene Vergasungslager schon Wirklichkeit geworden waren. In Vielem war der Verfasser längst nicht pessimistisch genug. In Einigem ist er zu pessimistisch gewesen. Was seine Diagnose bezweifelte: Das deutsche Volk hat den Zusammenbruch überlebt. Es blüht und gedeiht, materiell hat es »Schaden an seiner Seele genommen«.

Auch gegenüber seinem Vertrauten aus Danziger Tagen, Georg Streiter, nahm sich Rauschning – nunmehr im neunten Lebensjahrzehnt stehend – Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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die Zeit, auf wichtige Etappen seiner Vita zurückzublicken. Naturgemäß interessierte sich Streiter seinerseits in Briefen an Rauschning für dessen Danziger Senatspräsidentschaft und seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Zwei Aspekte arbeitete Rauschning in diesem Zusammenhang in einem längeren Schreiben an Streiter vom 29. Januar 1972 ab. Zunächst kam er auf eine mutmaßliche Äußerung Streiters über Rauschning zu sprechen, die Streiter während seiner Tätigkeit in der Türkei im Umfeld des dortigen Deutschen Botschafters Franz von Papen getätigt haben sollte. Rauschning formulierte aus den USA gegenüber Streiter wie folgt: Sie müssen sich damals im Amtsbereich von Papens in der Türkei über mich als mein engster ehemaliger Mitarbeiter ausgelassen haben, waren jedenfalls in Verbindung mit einem der hiesigen Nachrichtenleute geraten, der dann munter behauptete, ich stünde in verräterischer Verbindung mit dem Feinde und sich anschickte, mir »die Maske vom Gesicht zu reißen« und mich als Agenten Hitlers zu enthüllen, ähnlich wie es mir heute Leute anhängen wollen, ich stünde im Solde Moskaus, weil noch immer mein Name auf dem Titel der »Blätter für deutsche und internationale Politik« als Mitherausgeber mitsteht. Um es ein für allemal zu sagen … und um eine Ihrer früheren Fragen zu beantworten: Ich habe keine Hilfen und finanzielle Unterstützungen von welcher Seite auch immer erhalten, mit Ausnahme einer Reiseunterstützung von Thomas Mann, um an einer Besprechung in Paris teilzunehmen und mit der einzigen Ausnahme eines Stipendiums 1940/41 in Gemeinschaft mit einem jungen Universitätsprofessor aus Prag, einem deutschen Politologen H. O. Ziegler vom Chatham House in England für einige papers über mögliche künftige Friedensregelungen. Sonst bin ich nur von einem Manne gelegentlich unterstützt worden, einem Dr. Brettauer, den ich durch Maier-Hultschin kennenlernte. Ein Mann, der nicht nur Schuschnigg in seinen aussichtslosen Kämpfen gegen Hitler finanziell unterstützte, sondern sich auch bereit erklärt hatte, die Danziger Opposition finanziell zu unterstützen, falls es zu einer Neuwahl in Ungültigkeitserklärung der Volkstagswahlen von 1935 kommen würde.

Im Übrigen werde er von seinen »sehr gutherzigen und opferwilligen Kindern unterstützt«. Seine für die »damalige Zeit beträchtlichen, aber mit den heutigen Maßstäben gemessen sehr bescheidenen Buchhonorare« seien »dabei restlos draufgegangen«.1342 Der andere Aspekt, mit dem sich Rauschning in diesem Brief an Streiter rückblickend beschäftigte, betraf sein Verhältnis zu Hitler und zum Nationalsozialismus. »Erinnern Sie sich noch des rothaarigen amerikanischen Reporters Knickerbocker?«, fragte Rauschning Streiter rhetorisch, um dann 506

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fortzufahren: »Er pries Sie als einen ›coming man‹. Das wären Sie gewiß geworden, hätte uns – nämlich auch mir – dieser besessene Hitler nicht den Teppich unter den Füßen weggezogen. Oder« – und damit griff Rauschning eine leicht kritische, bereits früher erwähnte Bemerkung Streiters zum Verhältnis von Taktik und Strategie im Danziger politischen Betrieb auf – meinen Sie, daß mit etwas mehr taktischem Geschick etwas bei Hitler in der Verwirklichung seiner »großen Perspektiven« … zu erreichen gewesen wäre? Meinen Sie, er wäre da vielleicht zu einer Verständigung mit Polen zu überzeugen gewesen? Es ist in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften schon wieder so viel von »Realismus«, Realpolitik, von »illusionslosem Realismus« die Rede. Illusionslos: gut, schön. Das war gerade meine Erkenntnis, zu der ich der Hitler’schen Politik gegenüber etwas früher als andere gekommen war. Nein, lieber Herr Streiter, mein Widerstand gegen Hitler hatte seine Wurzeln weder in ideologischen Vorurteilen noch in mangelndem Geschick mich mit diesen Forster, Greiser, Wnuck pp. zu verständigen. Immerhin hätte auch ich »Karriere« bei Herrn Hitler machen können. Der Mann war mir sogar gewogen. Vielmehr war ich der Realist, und alle, die sich herzhaft von der Machtpolitik Hitlers und den großen Perspektiven bestricken ließen und heute weiter machen – wie gehabt – sind Illusionäre. Ich war illusionslos geworden auf Grund eines »Realismus«, der nicht nur die Grenzen des Möglichen beachtete und einen »unbändigen Willen« gepaart mit äußerster Kraft noch nicht für ausreichend hielt, um politische Ziele zu verwirklichen. Es war ein Realismus, der nicht nur die historische Kontinuität in Rechnung stellt, sondern auch gewisse Imponderabilia, denen selbst der Realist Bismarck ihr Gewicht nicht bestritt. Sie müssen es mir schon lassen, daß meine Opposition gegen Hitler aus tieferer Einsicht in das kommende Unheil erwachsen war, als aus persönlichen Querelen mit jenen Besessenen. Und was meine »Wutausbrüche« anlangt, war das nicht etwas menschlich sehr Heilsames, um weiter existieren zu können? Dampf ablassen in einer unerträglichen Spannung, um weiter machen zu können, ohne zu kapitulieren, ohne wider besseres Wissen und Gewissen mitzumachen und die anderen die Verantwortung tragen zu lassen für das, was kommen mußte und gekommen ist. Daß Sie alle, die mir Nahestehenden, sich das nicht vorstellen konnten, was alles von den Besessenen angestellt werden würde, daß Sie meinen Befürchtungen nicht Glauben schenken konnten, ist selbstverständlich. Ich hatte Berührungen und Begebnisse mit diesen Besessenen, die Sie alle nicht hatten. Wie konnten Sie mir glauben, was ich kommen sah; glaubte mir selbst mein eigener Vater nicht, ja, glaubte ich mir selbst nicht, wollte ich mir nicht glauben. Weil, nun weil mit Palmström zu sprechen, nicht sein konnte, was nicht sein durfte, weil die Hälfte in einem sagte: das kann doch nicht sein.1343 Kritik und Selbstkritik, Demut und Zorn – bilanzierende »Episteln« 

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Nicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre Im Herbst 1964 erhielt Hermann Rauschning eine Einladung seines alten Freundes Erwin Brettauer nach Beverly Hills in Kalifornien. Einer brieflichen Antwort Rauschnings vom 12. November nach zu schließen,1344 hätte er die Reise nur zu gerne angetreten, doch sah er sich in einem Wettlauf mit der Zeit: Altersbedingt in seinen geistigen Kräften zunehmend eingeschränkt, warb er bei Brettauer um Verständnis dafür, dass er seine noch verbliebenen Kapazitäten zuvörderst dazu nutzen wolle, ein Buch über »Tragik und Zuversicht des Konservativen« abzuschließen, um dessen Abfassung ihn sein Verlag gebeten habe. Das Schreiben enthält eine Art Momentaufnahme des Gesundheitszustandes von Rauschning wenige Jahre vor Vollendung seines achten Lebensjahrzehntes. Den »ärztlichen Untersuchungen einschließlich Augenarzt« zufolge lag kein gravierender Krankheitsbefund bei ihm vor, schrieb er Brettauer. Allerdings quäle ihn ein »diesmal hartnäckiger Ischiasanfall«. Die »altbekannte, fortschreitende Arteriosklerose« mache sich insbesondere beim Nachlassen seiner Sehkraft bemerkbar, das allein durch Medikamente ein wenig aufgehalten, nach Auskunft seines Augenarztes jedoch nicht geheilt werden könne. Mehr als das »körperliche Versagen« bedrücke ihn ferner ein Schwinden »der geistigen Kräfte« – dies umso mehr, als er »das vermutlich objektiv höchst überflüssige subjektive Bedürfnis habe, noch eine Reihe von Arbeiten zu beenden«. Wenn ihn nicht wieder Schmerzen hinderten, wolle er sein Buchprojekt bis zum Februar 1965 beendet haben, und er freue sich dann auf ein Wiedersehen im sonnigen Kalifornien. Ob aus diesem Treffen etwas geworden ist? Aus einem Brief Rauschnings an Brettauer vom 13. Februar 1966 lässt sich entnehmen, dass dies wohl nicht der Fall war, denn er drückte hier eher beiläufig den Wunsch aus, Brettauer gerne besuchen zu wollen, ohne auf eine etwaige Begegnung im Jahr zuvor Bezug zu nehmen.1345 Auch in diesem Schreiben bildeten die »unvermeidlichen Altersbeschwerden« ein Thema, doch immerhin vermeldete er auch: »Bei uns ist alles in Gesundheit (bis auf Fritz).« Auch seiner Frau gehe es »wieder gut«. Er erwarte »in diesem Frühjahr« den Besuch der »Witwe des hingerichteten Grafen Hellmuth James von Moltke«, des »Führers des Kreisauer Kreises«. Den »damals nur erst lose verknüpften Gedanken dieses Kreises stehe« er »am nächsten«. Der »Kreisauer Kreis« bildete auch das verbindende Glied zwischen Hermann Rauschning und dem Universalgelehrten Eugen Rosenstock-­ 508

Das zweite Exil in den Vereinigten Staaten

Huessy, der, wie Heinrich Brüning, in Norwich, Vermont, an der amerikanischen Ostküste, lebte. In der Korrespondenz der beiden – persönlich begegnet sind sie sich offensichtlich nie – ging es vornehmlich um Bücher Rosenstock-Huessys, die dieser Rauschning zugeschickt hatte.1346 Rauschning bedankte sich in zwei Schreiben überschwänglich für die Schriften und drückte in dem Brief vom 26. Mai 1965 seinen Wunsch aus, einmal ein Mitglied des »Kreisauer Kreises« kennenlernen zu dürfen – Rosenstock-Huessy galt seit seiner Tätigkeit als Professor an der Universität Breslau als einer der geistigen Väter des Kreises.1347 Er sei im Pariser Exil mit Carl Goerdeler, dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister, zusammengetroffen, schrieb Rauschning. Bei dieser Gelegenheit habe Goerdeler ihn seine »Denkschrift über eine Neuordnung Deutschlands lesen« lassen, schrieb Rauschning. »Sie hatte mich nicht überzeugt«, fuhr er fort, ohne dass er »imstande gewesen wäre Besseres vorzuschlagen«. Es wäre »mir gewiß entscheidend wichtig gewesen zu erfahren, inwiefern die ›Kreisauer Denkschrift‹ von Bonn ›ratifiziert‹ ist. Denn, offen gestanden, trotz der Tatsache, daß ein Kreisauer heute Bundestagspräsident ist (gemeint war Eugen Gerstenmaier, A. H.), spüre ich nicht viel vom Atem eines ›Widerstandes‹ in der Bundesrepublik …« Um sich, so gut es ging mit seinen rund 80 Jahren, körperlich fit zu halten und sein kostbares Augenlicht für dringend notwendig erachtete Schreibarbeiten zu schonen, brach Hermann Rauschning etwa seit Mitte der 1960er Jahre häufig zu ausgedehnten Spaziergängen aus dem Haus der Tochter in der Holly Street von Portland auf. Beinahe täglich konnte man ihn auf dem kilometerlangen, schnurgeraden Hawthorne Boulevard beobachten und staunen, wie er die insgesamt ca. elf Kilometer lange Strecke hinauf auf den knapp 200 Meter hohen Mount Tabor und wieder zurück bewältigte. Auf der Kuppe des Berges angekommen, grüßte ihn das Denkmal für Harvey W. Scott, den Pionier des 19. Jahrhunderts, Historiker und Redakteur der Zeitung The Oregonian. Rund um das Denkmal und seine Sockelinschrift »MOLDER OF OPINION« entwickelte Rauschning – wir ahnen es – eine längere schriftliche Ausarbeitung. Formal ungewöhnlich für Rauschning-Texte war an den beiden erhalten gebliebenen Versionen von 110 bzw. 71 Seiten dieses »Mount Tabor Manuscript«, welches, wie so manche andere Arbeiten Rauschnings auch, unveröffentlicht geblieben ist, die Einarbeitung fiktiver Dialogszenen mit Figuren, hinter denen höchstwahrscheinlich reale Personen aus dem familiären Umfeld des Autors stanNicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre 

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den.1348 Rauschning hatte sich hier an einem größeren Roman versucht, der in Form von Gesprächen über die entscheidenden politischen, philosophischen und religiösen Strömungen des 20. Jahrhunderts angelegt war. Seit 1966 bewohnten Joachim Grube, der Schwiegersohn der Rauschnings, und seine Frau Liz (Elizabeth) ein eigenes, selbst entworfenes Haus in den Sylvan Heights westlich des Willamette River, der bei Portland in den Columbia River mündet.1349 War somit auch eine gewisse räumliche Trennung von den Rauschnings in der Holly Street vollzogen, blieb Liz gleichwohl ihrer Angewohnheit treu, die Eltern einmal wöchentlich in eine Klinik zu fahren, wo ihr Bruder Fritz lag. Seine multiple Sklerose hatte mittlerweile ein Stadium erreicht, das eine Unterhaltung mit ihm unmöglich machte. Zwar verstand er offenbar, was gesagt wurde, konnte sich selber aber nicht mehr artikulieren. Seine Besucher entwickelten mit der Zeit ein Frageverfahren, das es ihm erlaubte, mit Kopfnicken oder -schütteln zu reagieren. In stiller Verzweiflung saß Hermann Rauschning am Ende des Bettes – ein Zeichen der Solidarität mit dem Leiden seines einzigen Sohnes. An Wochenenden, zumeist sonntags, trafen sich die Grubes und die Rauschnings zum Dinner, entweder in den Sylvan Heights oder in der Holly Street. Wenig begeistert registrierte Hermann Rauschning dabei die diversen Entschuldigungen, mit denen sich Ed, der elfjährige Sohn der Grubes, vor den langweiligen Gesprächen der Erwachsenen zu drücken versuchte. Großen Spaß wiederum bereiteten allen Familienmitgliedern die Ausflüge an die herrlichen Strände Oregons, von denen insbesondere jene der Manzanita Bay es dem ehemaligen Senatspräsidenten angetan hatten. Ob es die häusliche Idylle mit ihren unvermeidlichen Phasen der Langeweile oder aber die Wahl des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland – oder beides? – war: Ende 1969 wollte Hermann Rauschning es offenbar »noch einmal wissen«. Aus der Korrespondenz mit seinem Neffen Werner geht flüchtig hervor, dass der ehemalige Danziger Senatspräsident sich im Alter von 82 Jahren ernsthaft mit dem Gedanken trug, »angesichts der neuen ostpolitischen Konzeption von Willy Brandt« sein »selbstgewähltes ›Draußensein‹ aufzugeben« und in die Bundesrepublik zurückzukehren.1350 Wie aus dem Schreiben Werners vom 24. November 1969 weiter deutlich wird, machte Rauschning seine Rückkehr von einer »offiziellen Aufforderung beispielsweise durch unseren Freund Gustav Heinemann« abhängig. Bevor er, 510

Das zweite Exil in den Vereinigten Staaten

Werner, »stärkere Initiativen im Kreis meiner Freunde für eine solche Aufforderung einleite«, erbat er das »Einverständnis« seines Onkels für einen solchen Schritt.1351 Diese »Freunde« gehörten zu einflussreichen Kreisen der SPD, deren Mitglied Werner war. Überschneidungen mit diesen Kreisen ergaben sich dadurch, dass Werner in führender PR-Funktion für den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzern »Neue Heimat« tätig war.1352 »Es ist selbstverständlich«, schrieb Werner seinem Onkel, »daß ich diese Zeilen nicht schreibe, ohne Aussicht zu haben, Dir für Dein Hiersein und Dein Wirken auch die nötige Plattform im Kreis meiner Freunde schaffen zu können.« Für ihn sei es »jedenfalls unerträglich, daß der Friede zwischen Dir und uns hier im Lande noch nicht seinen sichtbaren Ausdruck gefunden« habe. »Jahrzehnte nach der Naziherrschaft und nun auch dem Ende der Ära Adenauer-­Erhard-Kiesinger sollte Zeit für Versöhnung und die allgemeine Befriedung sein«. Sein Onkel werde »in unserem Land ein Klima vorfinden, das die alten Tabus nicht mehr kennt und offen ist, die Realitäten zu begreifen und damit auch den engen Raum, der unserer Handlungsfreiheit geblieben ist. Wir haben die Chance zu reformieren und damit negativen Entwicklungen vorzubeugen. Du solltest Dich dieser Aufgabe nicht versagen und am Orte sein …«, schloss Werner seinen Brief vom 24. November. Nach den verfügbaren Quellen verging mehr als ein Jahr, bis der Name Heinemann in der Korrespondenz zwischen Werner und Rauschning wieder auftauchte. Doch nun, Mitte Februar 1971, war von einer Reise Rauschnings in die Alte Welt keine Rede mehr. In einem Brief vom 18. Februar sagt Werner seinem Onkel nur noch wunschgemäß zu, den Bundespräsidenten »gern ansprechen« zu wollen, was jedoch keine große Schwierigkeit sei, da er im »Rahmen der Parteiarbeit oft« mit ihm zusammenkomme.1353 Mit großer Wahrscheinlichkeit sollte es bei einem Treffen Werners mit dem Bundespräsidenten um die Bitte Rauschnings um Zahlung einer kleinen Rente an ihn gehen; dies ergibt sich aus einem späteren Schreiben Rauschnings, auf das noch zurückzukommen sein wird. Auch im nächsten Absatz seines Briefes vom 18. Februar ging es darum, Rauschning in seinen schwierigen materiellen Verhältnissen zu unterstützen. Werner trug seinem Onkel seine Idee vor, der zufolge bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein »Sonderetat« eingerichtet werden sollte, »aus dem Honorare für die Fortführung Deiner Arbeiten geleistet werden können. Jenen, die diese Arbeiten zu fördern bereit sind, ist damit die Möglichkeit gegeben, steuerbegünstigte Zahlungen auf dieses Konto zu leisten. Das kann ohne großen Zeitverzug und ohne Abwarten der endgültigen RegeNicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre 

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lungen in Gang kommen.« Er, Werner, benötige jedoch Angaben zu Titeln und Inhaltsangaben sowie »zum Stand der Bearbeitung« von Rauschnings aktuelle Arbeiten. Gern würde er Details seines Vorhabens persönlich mit dem Onkel in den Vereinigten Staaten besprechen, doch komme eine Reise für ihn in naher Zukunft nicht in Frage, allenfalls im Zusammenhang mit einer Dienstreise des »Neue-Heimat«-Generaldirektors Albert Vietor. Hermann Rauschning scheint auf den Vorschlag seines Neffen eingegangen zu sein, denn in einem Brief Werners vom 6. Dezember 1971 bestätigte dieser den Eingang von vier Manuskripten nebst Inhaltsangaben seines Onkels, von denen er drei als für das »Inland« interessant befand. Der Kontakt zwischen Onkel und Neffe hatte fast das ganze Jahr 1971 über geruht, denn Werner gestand zu Beginn seines Schreibens, dass seine Beantwortung von Briefen Rauschnings vom 27. Februar und 7. März aus beruflichen und familiären Gründen bis dato ausstehe. Hinsichtlich des »Förderungsfonds« bei der FES wusste Werner von Schwierigkeiten zu berichten. Nach der in einem Gespräch mit SPD-Schatzmeister Alfred Nau erfolgten Ausräumung eines Missverständnisses über die Finanzierung hätten Nau sowie der stellvertretende SPD-Bundesschatzmeister Hans Hermsdorf »spontan zugesagt, daß selbstverständlich Dir geholfen werden kann«. Er hoffe, so Werner gegenüber seinem Onkel, dass er »in den nächsten Wochen zu Ergebnissen komme«. »Nicht ohne Enttäuschung« seien für ihn Versuche gewesen, bindende »Bereitschaftserklärungen aus der Familie« zwecks Einzahlung in den Förderungsfonds zu bekommen. Solche Erklärungen seien »im Verlaufe weiterer Wochen und Monate wieder zurückgezogen« worden. Ohne eine »Basisinitiative« sei es jedoch schwierig, »Außenstehende um Förderung anzusprechen«. Auch Werners Bemühungen um Gustav Heinemann waren im Laufe des Jahres ergebnislos verlaufen. Allerdings, so Werner gegenüber seinem Onkel in dem Brief vom 6. Dezember: »Um eine gesonderte Audienz, das hatte ich Dir bereits geschrieben, wollte ich nicht nachsuchen.« Gleich nach dem Jahreswechsel, in einem Schreiben an seinen Neffen vom 15. Januar 1972, zog Rauschning gleichsam einen Schlussstrich unter dessen Bemühungen, »uns zu helfen, … wenigstens was das materielle Resultat anlangt«. Im weiteren Verlauf dieses Briefes lässt Rauschning leise Kritik daran anklingen, dass Werner nicht den direkten Zugang zum Bundespräsidenten gesucht hatte. Meine Pläne rechneten überhaupt nicht mit freiwilliger privater Hilfe, sondern gingen dahin, durch direkte Intervention des Bundespräsidenten, der mir wohl wollte

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und mir als einziger ein Telegramm zu meinem 80. Geburtstag geschickt hat, eine kleine Rente zu verschaffen, im Ausgleich unbilliger Härten der Gesetzgebung. Als ehemaligem Nationalsozialisten gelten die Entschädigungsansprüche für mich nicht, andrerseits war ich einer der wenigen, die ihre ganze Existenz und ihr Leben in noch r e c h t z e i t i g e m Widerstand in die Schanze gesetzt hatten. Ich habe mein Gut zwar noch verkaufen können, aber unter Käuferpreisbeschränkung weit unter Wert. In Anbetracht dessen, was demgegenüber Danziger Politiker und Beamte – von reichsdeutschen ganz zu schweigen – in treuer Pflichterfüllung für Hitler und seine Getreuen für Schaden angerichtet haben und dafür auf Grund ihrer »wohl erworbenen Rechte« Pensionen in vielfacher Höhe eines Betrages erhielten, mit der (sic) mir schon gedient wäre, glaube ich, ein gewisses moralisches Recht dazu zu haben, daß man meiner im Ausgleich besonderer Gesetzeshärten aus Billigkeitsgründen gedenkt. Das war mein Vorschlag. Es traf sich günstig, daß die Hauptperson, die in solchem Billigkeitsverfahren die Initiative ergreifen konnte, der Herr Bundespräsident Heinemann, mir von der Zeit her wohl gewogen war, wo mein programmatisches Buch »Ist Friede noch möglich?« sozusagen zur Richtlinie für seine »Gesamtdeutsche Partei« genommen wurde. Ich glaube, es hätte sich über ihn ein Weg finden lassen können. Was vor allem notwendig gewesen wäre, war den falschen Eindruck zu beseitigen, daß ich hier in Amerika in Luxus und Wohlleben lebe und gelebt habe, daß ich durch meine Bestseller ein riesiges Vermögen gewonnen hätte etc. etc.

Trotz der unüberhörbaren kritischen Töne zwischen diesen Zeilen bedankte sich Rauschning ausdrücklich für die »Hingebung und Mühe«, mit der sein Neffe für ihn tätig geworden war.1354 In den 1970er Jahren verschlechterte sich das Sehvermögen Rauschnings zusehends. Er konnte nicht mehr die aberhundert Gedanken lesen, die er mit seiner ganz eigenen Kurzschrift – nur seine Frau Anna und Tochter Heilwig vermochten sie zu entziffern – zu Papier gebracht hatte und die er in kleinen Kästchen auf seinem Tisch verwahrte. Angesichts der vollständigen Abhängigkeit von seinem Gedächtnis musste er einen Weg finden, die Notizen irgendwie festzuhalten. Erschwerend kam zu der zunehmenden Blindheit noch das Nachlassen seiner Hörfähigkeit hinzu. Er lehnte den Gebrauch eines Mikrofons und eines Tonbandgerätes ab – solch »technisches Zeug« störe nur seine Konzentrationsfähigkeit. Dann aber entdeckte seine Familie zufällig im Schaufenster eines Secondhand-Ladens eine alte »Royal«-Schreibmaschine mit besonders großen Tasten und einer einfach zu bedienenden Apparatur zum Papiernachlegen und die zudem das nahe Nicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre 

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Papierende durch einen lauten Ton ankündigte. Auch wenn Rauschnings Gedächtnis nicht mehr das beste war, beeindruckte es angesichts seines hohen Alters dennoch. Dessen ungeachtet machte sich etwa seit 1978 sein schwindendes Memoriervermögen durch auffallende Wiederholungen in seinen Text- und Briefentwürfen bemerkbar. Plötzliche Themenwechsel in seinen Ausführungen zeigten eine zunehmende Konzentrationsschwäche an. Nach dem Tod seiner Frau Anna im Jahre 1977, dem ein monatelanges Leiden infolge eines Autounfalles vorangegangen war, übernahm Heilwig bei der Bewältigung der schmaler werdenden Korrespondenz erneut die Rolle einer Sekretärin ihres Vaters, wie bereits bei der Abfassung der Gespräche im Pariser Exil.1355 In den Jahren 1971 und 1972 pflegte Rauschning noch einen intensiven Briefwechsel mit dem evangelischen Theologen Hermann Schlingensiepen in Wuppertal-Barmen, in dem er sich häufig über seine nachlassenden Kräfte beklagte und inhaltlich darüber hinaus religiös-philosophische Gedanken sowie seine bekannten politischen Positionen vortrug.1356 Die letzte ausführlichere und bereits oben im Zusammenhang mit den Gesprächen mit Hitler erwähnte Korrepondenz führte Rauschning mit Hilfe Heilwigs von März 1980 bis März 1981 mit dem Schweizer Lehrer Wolfgang Hänel. Auch dies gehört zur Tragik Rauschnings: Ausgerechnet dieser letzte Briefwechsel wurde von Seiten Hänels in einem teilweise recht kecken Ton geführt, den der Adressat in Portland auch schon mal als beleidigend empfunden haben dürfte.1357 Doch erreichten Rauschning in den 1970er Jahren auch erfreuliche Nachrichten. Am 7. August 1972 feierte er seinen 85. Geburtstag und aus diesem Anlass schickte ihm Bundespräsident Gustav Heinemann noch einmal ein Glückwunschtelegramm – wie oben erwähnt. Wohl auf Veranlassung Heinemanns1358 übersandte auch die SPD aus Bonn ein Telegramm an den Jubilar. Darin stand: »Sehr geehrter Herr Rauschning zu Ihrem 85 Geburtstag übermittelt Ihnen der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands seine Glückwünsche Mit Ihrem Bruch mit dem Unrechtsstaat haben Sie Deutschland einen guten Dienst erwiesen aus der Emigration wirkten Sie für ein besseres Deutschland Für die Zukunft alles Gute«.1359 Zum 90. Geburtstag im Jahre 1977 telegrafierte Golo Mann aus Kilchberg bei Zürich seine Glückwünsche. Rauschning bedankte sich seinerseits mit einem Telegramm vom 17. August, in dem es hieß: »Dank für 514

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freundschaftliches Gedenken in Zuversicht auf ein gutes Ende Hermann Rauschning«.1360 Genugtuung dürfte bei Rauschning die Erinnerung der polnischen Zeitung Życie Warszawy, der damals neben der Trybuna Ludu wichtigsten Tageszeitung der Volksrepublik, an seinen Geburtstag hervorgerufen haben1361 – ein ferner Widerhall seiner eigenwilligen Polen-Politik als Danziger Senatspräsident. In dem kleinen Beitrag erinnerte das polnische Blatt an Rauschnings preußische Herkunft aus der Stadt Torun (Thorn), seine Präsidentschaft über den Senat der Freien Stadt Danzig sowie seine Versuche, die Bestimmungen der Freien Stadt und des Versailler Vertrages zu respektieren. Erinnert wurde ferner an die Differenzen mit Gauleiter Forster und den schließlichen Bruch Rauschnings mit der Partei im Jahre 1934. Es folgte die Aufzählung der Stationen des Exils, seiner literarischen Widerstandsversuche in Gestalt der Revolution des Nihilismus und der Gespräche mit Hitler (mit deren polnischen Titeln). Er sei dann in die Vereinigten Staaten emigriert, von wo aus er einen ergebnislosen Kampf gegen die Adenauer’sche Politik und für einen dritten Weg zwischen Osten und Westen in der Bundesrepublik unternommen habe. Jetzt wieder in den USA, verbringe Rauschning heute dort seinen 90. Geburtstag. Zu seinem nicht mehr vollendeten 95. Geburtstag gedachte immerhin die »Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen« des Jubilars – dies war nicht eben selbstverständlich, bedenkt man das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Geehrten und den Danzigern in der Bundesrepublik. Der knappe Text in den Ostdeutschen Gedenktagen 1982 referierte durchaus sachlich Rauschnings wichtigste Lebensstationen, er enthielt jedoch – eingedenk seiner Kürze – auffallend viele Fehler. Mit dem 2. August 1887 ist ausgerechnet das Geburtsdatum falsch angegeben. Ferner wird Rauschning unzutreffenderweise ein eigenmächtiger Austritt aus der NSDAP bescheinigt sowie seine Rückkehr in die Vereinigten Staaten aus der Bundesrepublik fälschlich auf das Jahr 1950 datiert1362. Und auch Rauschning versandte noch Glückwünsche. Zum 90. Geburts­ tag von Werner Otto von Hentig, seinem engen Bekannten aus Posener Tagen, schickte er dem Jubilar am 19. Mai 1976 ein Telegramm auf den Sattelmeierhof Ringsthof im ostwestfälischen Enger, wo von Hentig bei seinem an der nahen Universität Bielefeld lehrenden Sohn Hartmut von Hentig untergekommen war. In dem Telegramm schrieb Rauschning: »Sie hießen uns standzuhalten statt uns das Tränentüchlein zu reichen vor 50 Jahren in Posen. Den Gegensätzen zu begegnen war und ist die Botschaft Ihrer endenden Dienstreise sursum corda hoch die Herzen trotz Nicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre 

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allen Tränen im Grund der Dinge und das Geringste beachten. Dafür dankt und begrüßt Sie an Ihrem 90 ten Jahrestag Ihr getreuer Hermann Rauschning«.1363 Wenn Heilwig morgens zu ihrer Arbeit aufbrach, kümmerte sich ihre jüngste Schwester Liz um den Vater. Sie überquerte mit ihrem Wagen den Fluss zur Holly Street, um das Mittagessen für ihn vorzubereiten. Nach dem Tode Heilwigs im Jahre 1981 bestand Hermann Rauschning darauf, im Haus seiner verstorbenen Tochter allein weiter wohnen zu bleiben. Abgesehen von Liz verzichtete er nachdrücklich auf jede Hilfe im Haushalt, und Liz ihrerseits tat alles, um ihrem Vater das Ende in einem Pflegeheim zu ersparen. Auf Grund seiner Schwerhörigkeit vernahm er oft nicht das Klopfen und Klingeln von Liz an der Haustür, sodass am rückwärtigen Fenster eine Vorrichtung geschaffen wurde, um es von außen öffnen und ins Haus klettern zu können. Die größte Sorge der Familie in dieser Zeit galt dem Moment, in dem sich ihr Vater den morgendlichen Tee selber zubereitete. Zwar hatte Liz tags zuvor das Wasser im Kessel vorbereitet, doch musste der Hausherr es am Gasherd selber zum Kochen bringen. Nicht selten empfing Liz ein penetranter Gasgeruch in der Küche, weil Rauschning den Herdschalter für das Gas nicht vollständig zurückgedreht hatte. Auch wenn er keine Spaziergänge zum Mount Tabor mehr machen konnte, versuchte Rauschning dennoch an seiner Fitness zu arbeiten, indem er mehrmals täglich die Treppen zwischen der Küche und dem Wohnzimmer im Erdgeschoss und dem Schlafzimmer und seinem Studio im ersten Stock hinauf- und hinablief. Mit gleicher Entschlossenheit widmete er sich an seiner neuen Schreibmaschine der Vollendung eines Manuskriptes über das Thema »Menschheit, Politik und Religion im 20. Jahrhundert« – ein Sujet, das ihn seit Langem umtrieb und das er nach seiner Meinung sträflich vernachlässigt hatte. Dies zu Gunsten seiner Schreiberei über die »schreckliche Politik«, die sein Leben ruiniert habe. Während des Mittagessens saßen sich Liz und ihr Vater dann am Küchentisch direkt gegenüber, und es war nun die Aufgabe von Liz, aus dem Spiegel und der Zeit – beide hatte er jahrelang abonniert – mit der lautesten ihr möglichen Stimme jeden Artikel vorzulesen, den er für interessant hielt. Das hieß, bis zum Eintreffen der neuen Nummern eine Woche später beide Blätter Seite für Seite durchzugehen. Nach ein oder zwei Stunden lauten Vorlesens pflegte Heilwig wegen Heiserkeit aufzugeben. Im Januar 1982 plante Joachim Grube eine gemeinsame Reise mit sei516

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ner Frau Liz in den Sudan. Geschäftliches wollte er bei dieser Gelegenheit mit Abstechern nach Kairo und Rom verbinden. Er war überzeugt, dass sich Liz diese Auszeit von der Pflege ihres Vaters unbedingt verdient hatte. Damit tauchte aber auch die Frage auf, wer sich während ihrer Abwesenheit um den Vater kümmern würde. Hermann Rauschning lehnte eine Pflegekraft, die über Nacht im Haus bleiben würde, strikt ab. Am Ende willigte er in eine vierstündige Tagespflege ein. Am Mittag des 8. Februar, drei Tage vor der geplanten Abreise in den Sudan, saß Liz ihrem Vater wie üblich am Küchentisch gegenüber, die neueste Spiegel-Ausgabe in der Hand. Plötzlich gewahrte sie ein offenbar schmerzhaftes Zucken in seinem Gesicht, dann saß er regungslos auf seinem Stuhl. In seinem 95. Lebensjahr war Hermann Rauschning verstorben. Seine letzte Ruhestätte markiert ein einfacher Grabstein auf einem Friedhof in Portland. Die Zahl der Nachrufe auf Rauschning hielt sich, soweit ersichtlich, in Grenzen. Die Wochenzeitung Die Zeit, die, wie wir gesehen haben, seinerzeit in die Kontroverse um die Gespräche beherzt eingegriffen hatte und durch ihre Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff auch verteidigende Worte für Rauschning gefunden hatte, lies nun seinen Tod ungemeldet und unkommentiert verstreichen, nachdem sie in ihrer Ausgabe vom 11. August 1967 noch kurz an Rauschnings 80. Geburtstag erinnert hatte. Anders hingegen, wenn auch im Umfang bescheiden, Der Spiegel. In der Nummer 7/1982 vom 15. Februar 1982 fand sich in der Rubrik »Gestorben« auf den letzten Seiten des Heftes immerhin ein kurzer Text, ergänzt durch ein Foto Rauschnings, der noch einmal die wichtigsten Lebensstationen und Publikationen des Verstorbenen in Erinnerung rief und dabei auch nicht auf ein angebliches Hitler-Zitat aus den Gesprächen verzichtete. Schließlich fand hier noch die endgültige Rückkehr in die Vereinigten Staaten nach dem misslungenen Comeback-Versuch in der Bundesrepublik Erwähnung. Zu einem ausführlicheren Nekrolog holte der linksliberale Gießener Verfassungsrechtler Helmut Ridder in den Blättern aus.1364 Allerdings las sich sein mit Endlossätzen über die angeblich gleichermaßen verfehlte Politiken Adenauers und der SPD gespickter Beitrag denkbar sperrig und der Geehrte kam in ihm nur zu Beginn und dann allenfalls beiläufig vor. Erst ganz am Ende seines Nachrufes erinnerte sich Ridder seiner Aufgabe, wenn er in zwei Schlusssätzen formuliert: »Gerade weil Geschichte sich nicht wiederholt, muß aus der Geschichte gelernt werden. Hermann Nicht frei von materiellen Sorgen: letzte lange Jahre 

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Rauschning, der mit Herzblut für diese Zeitschrift gearbeitet hat, schulden wir noch die Durcharbeitung einer großen lehrreichen Lektion.« Unmittelbar im Anschluss an den Text Ridders druckten die Blätter noch einmal den Aufsatz Rauschnings aus Heft 8/1962 mit dem Titel »Kontinuität des Irrtums« ab.

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Das zweite Exil in den Vereinigten Staaten

FAZIT: ZWEIERLEI ODYSSEE

Im Alter von fast 95 Jahren war Hermann Rauschning gestorben. Blickt man auf diese Lebensspanne zurück, die im Kaiserreich begann und nur wenige Jahre vor dem Mauerfall 1989 endete, beeindrucken vor allem die wechselnde Zahl räumlicher Stationen (»viator«, der Reisende) und die geistig-politische Entwicklung mit ihren damit einhergehenden Veröffentlichungen. Beide Stränge dieser Odysseen sind untrennbar miteinander verflochten. Im westpreußischen Thorn geboren, versuchte Rauschning nach dem Untergang der Hohenzollernmonarchie in der Deutschtumsarbeit Polens Fuß zu fassen. Zu dieser Zeit war er Monarchist mit ständestaatlichen Vorstellungen und nach eigenem Bekunden auch von völkisch-antisemitischem Schrifttum beeinflusst. Im Gegensatz zu vielen anderen Konservativen verfolgte er aber gegenüber Polen keine Politik, die auf Rückkehr der verlorenen Gebiete im Osten setzte (»Holen wir uns alles zurück!«). Vielmehr sah er das nach dem Ersten Weltkrieg wiedererstandene Polen im Rahmen einer größeren ostmitteleuropäischen Staatenlösung, wie sie ungefähr Friedrich Naumann vertreten hatte. Nach dem Intermezzo in Posen wandte sich Rauschning der Landwirtschaft im Danziger Werder zu – eine Tätigkeit, die unversehens zum Sprungbrett in die Danziger Politik werden sollte, nachdem er 1931 der NSDAP beigetreten war. Diesen Schritt vollzog er bereits unter dem bestimmenden Einfluss der Jungkonservativen, allen voran Edgar J. Jungs und Hugo von Hofmannsthals. In der nationalsozialistischen Bewegung erkannte Rauschning das politische Vehikel, um jungkonservative Ideen durchsetzen zu können. Seine Zeit als gewählter nationalsozialistischer Senatspräsident der Freien Stadt währte nur bis zum November 1934, Fazit: zweierlei Odyssee

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unüberbrückbare Gegensätze vor allem zu dem Gauleiter Forster führten schließlich zu seinem erzwungenen Rücktritt. In seiner Senatspräsidentschaft werden bereits zwei Merkmale seines politischen Wirkens deutlich: zum einen die Überzeugung, andere radikale politische Größen in seiner nächsten Umgebung domestizieren zu können, dies aber – und dies ist das zweite Merkmal –, ohne die Fähigkeit zu beherrschen Beziehungen zu Gleichgesinnten aufzubauen und zu pflegen. Nach seinem Rücktritt politisch rasch als entschiedener Gegner der Nationalsozialisten in Danzig auftretend, schloss sich bei Rauschning eine kurze Phase der Unsicherheit an, die sich anfangs noch auf seinem Besitz im Werder, später im Haus seiner Schwiegereltern in Thorn auf sicherem polnischen Boden abspielte. Hier, in seiner Geburtsstadt, entstand Die Revolution des Nihilismus und von Thorn aus erweiterte der von der Partei Verfemte seinen Gesichtskreis auf Reisen ins westeuropäische Ausland. Zunächst zog es ihn in die Schweiz. In Emil Oprechts Züricher Europa Verlag gelang ihm die Veröffentlichung der Revolution des Nihilismus, die fortab als maßgebende konservative Interpretation des Nationalsozialismus aus den einschlägigen Debatten der noch freien Welt nicht mehr wegzudenken war. Dem Schweizer Exil folgte das französische in Paris. Von hier aus spann Hermann Rauschning vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – inzwischen mit seiner Familie an der Seine wieder vereint – erste Fäden nach Großbritannien. Sie dienten dem Ziel, das westliche Ausland zu warnen, und zugleich waren sie von der Hoffnung getragen, das deutsche Militär möge sich in letzter Stunde gegen Hitler erheben. Mit dem »Münchner Abkommen« von 1938 zerstoben dann diese Hoffnungen. Auf Französisch erschienen 1939 zuerst in Paris die Gespräche mit Hitler, bevor sie dann ein Jahr später in einer gekürzten Version bei Emil Oprecht auch auf Deutsch und zeitgleich sowie später in mehreren anderen Sprachen herauskamen. Die Gespräche machten Hermann Rauschning zu einem Außenseiter im deutschsprachigen Exil – Kritiker bemängelten, dass das Buch Hitler unnötig aufwerte, andere bezweifelten seine Autorschaft, wieder andere dürften von Neidgefühlen geplagt gewesen sein, denn zusammen mit seiner Revolution des Nihilismus wirkten die Gespräche für ihren Autor wie ein Türöffner zu manchen französischen und britischen Politikern. Nach dem Willen ihres Verfassers sollten die Gespräche die westliche Welt wachrütteln und vor den imperialistischen Herrschaftsansprüchen Hitlers warnen. 520

Fazit: zweierlei Odyssee

Auf Einladung Lord Robert Vansittarts, des geschworenen Feindes alles Deutschen in seiner Gesamtheit, wechselte Rauschning im Jahre 1940 nach England, während seine Familie zunächst in Frankreich zurückblieb. Auf der Insel engagierte er sich publizistisch gegen Hitler und versuchte darüber hinaus in zahlreichen Ausarbeitungen für britische Politiker diese zu einer harten Haltung gegenüber Berlin zu bewegen. Mit dem »Blitz«, dem unerklärten deutschen Luftkrieg gegen England, sowie der Übernahme der Regierung in London durch Winston Churchill begann der Stern Rauschnings an der Themse zu sinken. Auch um endlich wieder zusammen mit seiner Familie leben zu können, bemühte er sich im Verlauf des Jahres 1941 um eine Ausreise in die Vereinigten Staaten. Dass sie schließlich gelang, hatte er nicht zuletzt Lord Vansittart zu verdanken. Jenseits des Atlantiks, in New York, sah sich die Familie Rauschning im Oktober 1941 wieder vereint. Hermann Rauschning musste dabei zur Kenntnis nehmen, dass in der Zeit der Trennung die Familienmitglieder begonnen hatten, eigene Wege in die Zukunft zu beschreiten. Immer geplagt von finanzieller Unsicherheit, begann für das Familienoberhaupt eine Periode des Reisens mit der Eisenbahn quer über den amerikanischen Kontinent, von der Ostküste hinüber zur Westküste und hinauf nach Oregon am Pazifik. Mehr schlecht als recht hielt er sich mit Vorträgen, der Mitarbeit an einem Filmdrehbuch sowie weiteren Veröffentlichungen über Wasser, dabei bildete ein schönes Anwesen im kalifornischen Hollywood seine Ausgangsbasis. Vor allem um seinem einzigen Sohn den Einstieg in die Landwirtschaft zu ermöglichen, pachtete er in Oregon eine Farm, auf der er sich auch selber erneut landwirtschaftlich betätigte. Das Ende des Krieges brachte ihn recht bald wieder mit Verwandten in Verbindung, die aus Ostdeutschland nach dem Westen geflohen waren. Auch zu Freunden und Bekannten aus der Vorkriegszeit gelang die Wiederherstellung von Kontakten. Gegenüber »seinen Danzigern« lehnte er jetzt jeden Gedanken an die monarchische Staatsform für ein künftiges Deutschland ab, zugleich enttäuschte er sie empfindlich dadurch, dass er – wie schon nach dem Ersten Weltkrieg – einen Gebietsrevisionismus hinsichtlich der verlorenen Ostgebiete strikt ablehnte. Der Homo politicus Hermann Rauschning blieb in dieser Zeit ein aufmerksamer Beobachter des Weltgeschehens – der amerikanischen Innenpolitik ebenso wie der Entstehung des »Gleichgewichts des Schreckens« zwischen den Atommächten USA und Sowjetunion seit Ende 1949 und, last but not least, der »deutschen Frage seit 1945«. Lange Zeit ein Warner Fazit: zweierlei Odyssee

521

vor dem »Bolschewismus« und der russischen »Dampfwalze«, wandelte sich Rauschnings Einstellung gegenüber der Sowjetunion, seitdem diese im Besitz der Atomwaffe war. Relativ schnell setzte sich bei ihm die Überzeugung durch, dass, um das Schlimmste zu verhüten, das Gespräch auch mit dem Osten gesucht werden müsse. Mit dem von ihm schließlich ausgeschlagenen Angebot einer Lehrtätigkeit an der Universität Erlangen rückte für Rauschning erstmals die Option einer Rückkehr in die Alte Welt in den Bereich des Möglichen, will man nicht seine Ablehnung der Zeugenschaft bei den Nürnberger Prozessen im Jahre 1946 mit hinzurechnen. Erste Veröffentlichungen nach dem Krieg zeigten zunächst gelegentlich noch einen Rauschning, der es namentlich Adolf Hitler und seiner näheren Entourage verübelte, angeblich positive Grundgedanken des Nationalsozialismus völlig entstellt und missbraucht zu haben. Dabei wäre Rauschning der Letzte gewesen, der die deutsche Schuld am Tod vor allem von Millionen von Polen und Juden geleugnet hätte. Hermann Rauschning betrat im Jahre 1954 den Boden der jungen Bundesrepublik als Neutralnationalist – als Konservativer, der sich ein vereinigtes Deutschland zwischen den Machtblöcken des Westens und des Ostens vorstellen konnte. In diesem Sinne wurde er für knapp zwei Jahre zu einem erbitterten Gegner Konrad Adenauers und dessen unnachgiebig verfolgten Politik der Westbindung und Wiederaufrüstung. Da er keine prominente Plattform für sein publizistisches Engagement fand, ergriff Rauschning die Möglichkeit, führendes Mitglied unter den Herausgebern der Rheinisch-Westfälischen Nachrichten zu werden, die den Vorwurf schließlich nicht widerlegten, von der DDR finanziert zu sein. Hier wiederholte sich das bekannte Danziger Muster: Keineswegs naiv hinsichtlich einiger seiner Mitstreiter bei den RWN – sowohl was deren NS-Vergangenheit als auch was ihre Empfänglichkeit gegenüber Ostgeldern anging –, harrte Rauschning bei der Zeitung aus. Er glaubte einerseits einen positiven Einfluss auf die fraglichen Personen ausüben, andrerseits seine Positionen öffentlichkeitswirksam auch an einem »falschen Ort« vertreten zu können. Wie schon in Danzig gelang es ihm auch in der Bundesrepublik nicht, einen Kreis einflussreicher und zuverlässiger Gleichgesinnter aufzubauen. Dies lag jedoch auch an dem Umstand, dass er von außen und dazu noch als amerikanischer Exilant in den politischen Hexenkessel der Bundesrepublik – so Rauschnings eigene Worte – gesprungen war, ganz zu schweigen von dem unentwegten Intrigenspiel 522

Fazit: zweierlei Odyssee

der Adenaueranhänger und -gegner, bei dem wiederum die Nachrichtendienste mitmischten. Hermann Rauschning verließ die Bundesrepublik Anfang 1956 als jemand, der von sich behaupten konnte, mit seinen Mitteln für die als richtig erkannte Sache bis zum Rande der Erschöpfung gekämpft und dennoch das erhoffte politische Comeback nicht geschafft zu haben. Vor allem seine Überzeugung, dass es auch moralisch verwerflich sei, dass der westdeutsche Teilstaat sich in ungeahntem Wohlstand zu entwickeln begann, ohne je den Versuch gemacht zu haben, mit »dem Osten« – genauer: mit der von der Wehrmacht verwüsteten Sowjetunion – ins Gespräch zu kommen, verdient immer noch ein Nachdenken1365. Natürlich haben das »Gleichgewicht des Schreckens« und Adenauers »Politik der Stärke« Europa Jahrzehnte des Friedens beschert. Die Hunderttausende von Opfern der sogenannten Stellvertreterkriege in anderen Teilen der Welt, von Vietnam über Kambodscha bis Angola und Mosambik, bleiben dabei jedoch unberücksichtigt. Und angesichts des neu enstandenen Ost-West-Konflikts unserer Tage ist das Ende der von Rauschning beklagten Gesprächsverweigerung durchaus noch nicht erzählt. Zurück in den Vereinigten Staaten widmete sich Rauschning mehr seinen religiös-philosophischen Interessen, aus denen bereits in Deutschland Publikationen erwachsen waren. In die politische Arena der Bundesrepublik stieg er noch einmal aus zigtausend Kilometern Entfernung, als er von Oregon aus die damals in Köln erscheinenden Blätter für deutsche und internationale Politik mit herausgab und zahlreiche Aufsätze zu ihnen beisteuerte. Angesichts fehlender alternativer Publikationsorte entschied er sich, der zu dieser Zeit stark mit der SPD sympathisierte, damit für ein Forum, das im Rufe beachtlicher – auch finanziell beachtlicher – Nähe zur DDR stand. Seine Meinung überhaupt öffentlich machen zu können, war ihm erneut wichtiger als die Frage nach dem Ort seiner Wirksamkeit. Mit Hermann Rauschning ging eine Persönlichkeit, die im täglichen Geschäft des Politikers und des politischen Schriftstellers zweifellos zu manchem Stirnrunzeln Anlass bot, die aber schließlich dem Nationalsozialismus mit ihren Mitteln mutig entgegentrat und die strategisches Denkvermögen besaß, das die junge Bundesrepublik – vielleicht sträflich – ungenutzt gelassen hat.

Fazit: zweierlei Odyssee

523

Abb. 1: HR als Schüler der Preußischen Kadettenanstalt, Potsdam, 1899.

Abb. 2: HR als Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, 1915.

Abb. 3: HR und Anna Rauschning, geb. Schwartz, anlässlich ihrer Hochzeit im Kreis der Familie, 15. Juni 1915.

Abb. 4: HR als erfolgreicher Jäger in Litauen, 1917.

Abb. 5: HR (2. von links) und Gauleiter Arthur Greiser (4. von links) am »Tag des Waldes« in Danzig 1933 oder 1934.

Abb. 6: Albert Forster, Gauleiter von Danzig, Adolf Hitler, HR, Max Linsmayer, Führer der Danziger SA (von links) auf dem Obersalzberg am 25. August 1932 (?).

Abb. 7: Der Senatspräsident HR an seinem Schreibtisch, 1934.

Abb. 8: Anna Rauschning, New York, 1942.

Abb. 9: Heilwig Rauschning, 1955, HRs älteste Tochter, tippte u. a. das Manuskript der »Gespräche mit Hitler«.

Abb. 10: HRs Einbürgerungsurkunde, 1948.

Abb. 11: HR, Elizabeth und Anna Rauschning im Garten der Villa in der Milner Road, 1944.

Abb. 12: Fritz, Elizabeth und HR auf der Gaston Farm, Oregon, 1949.

Abb. 13: Fritz Rauschning und Anne Regine Farnlof, geb. Rauschning, in Kalifornien, 1947.

Abb. 15: Anna und HR in Portland, Oregon, 1971.

Abb. 14: Anna und HR, 1951.

Abb. 16: Liz, HR und Ed am Strand in Oregon, 1980.

Alle Abbildungsvorlagen stammen aus dem Privatarchiv Grube in Portland, Oregon (USA).

DANKSAGUNGEN

Folgende Institutionen stellten durch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Informationen und Material zur Verfügung, wofür ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn; Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin; Bundesarchiv Koblenz und Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. Br.; der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin; Churchill Archives Centre, Churchill College, Cambridge; Dallas Museum of Art, Dallas, Tx; Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig und Frankfurt; Deutsches Literaturarchiv, Marbach; Eidgenössische Technische Hochschule, Archiv für Zeitgeschichte, Zürich; Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, Osnabrück; Evangelische Akademie, Loccum; Evangelische Kirche im Rheinland, Düsseldorf; Friedrich-NaumannStiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus, Gummersbach; der Generalbundesanwalt, Karlsruhe; Harvard University Archives, Cambridge, Mass.; Herder-Institut, Marburg; Historisches Archiv der Stadt Köln; Institut für Zeitgeschichte, München; Karl Barth-Archiv, Basel; Katharineum zu Lübeck; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg; Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld-Bethel; Lippische Landesbibliothek, Detmold; London School of Economics, Hugh Dalton Archives, London; The National Archives, Kew; The National Archives, Washington, D.C.; Privatarchiv Grube, Portland, Ore.; Rechtsanwaltskammer Hamm/Westf.; Schweizerisches Bundesarchiv, Bern; Schweizerisches Literaturarchiv, Bern; Staatsanwaltschaft Düsseldorf; Stadt Aachen, Stadtarchiv Aachen; Stadtarchiv Lübeck; United Nations Archives at Geneva, Genf; Universitätsbibliothek Danksagungen

525

Basel; Yad Vashem Archives, Jerusalem; Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt; Zentralbibliothek Zürich. Ohne die Hilfe und Unterstützung einzelner Personen wäre der »­Hermann Rauschning« so nicht zustande gekommen. Ein herzlicher Dank geht deshalb an: Heike Amos, Wolfram Ender, Sylvia Glawe, C ­ laudia Glunz, Liz und Joachim Grube, Mario Keßler, Jan-Holger Kirsch, A ­ ndreas ­Krämer, Alexander Lohe, Annett Mängel, Pia Nordblom, Jörg R ­ ichter, Alain Ruiz, Georg Streiter jr., Marvin Taylor, Elisabeth Wehrmann, M ­ anfred ­Weißbecker, Klaus Wiegrefe, Kathrin Will, Peter Zocher und Uwe Zuber. Asiatischer Gleichmut hat wohl meine Frau Dam das Entstehen dieses Buches ertragen lassen. Ihr sei daher an dieser Stelle ganz besonders gedankt.

526Danksagungen

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AA Auswärtiges Amt ACDP Archiv für Christlich-Demokratische Politik ADAP Akten zur deutschen auswärtigen Politik ADK Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst AdsD Archiv der sozialen Demokratie (der Friedrich-EbertStiftung) Antikomintern Antikommunistische Internationale APG Archiwum Państwowe w Gdańsku (Staatsarchiv Danzig) APO Außerparlamentarische Opposition AStA Allgemeiner Studentenausschuss BArch Bundesarchiv BBC British Broadcasting Corporation Bundesverband der Deutschen Industrie BDI BDM Bund Deutscher Mädel BfV Bundesamt für Verfassungsschutz Blätter Blätter für deutsche und internationale Politik BRD Bundesrepublik Deutschland BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik CDU Christlich Demokratische Union CIA Central Intelligence Agency CIC Counter Intelligence Corps CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DDP Deutsche Demokratische Partei Abkürzungsverzeichnis

527

DDR Deutsche Demokratische Republik DID Deutscher Informationsdienst DFP Deutsche Freiheitspartei DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DiP Der Deutsche in Polen DKP Deutsche Kommunistische Partei Deutsche Mark DM DNN Danziger Neueste Nachrichten DNVP Deutschnationale Volkspartei Deutscher Taschenbuch Verlag dtv EPD Eidgenössisches Politisches Departement ETH Eidgenössische Technische Hochschule FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FBI Federal Bureau of Investigation FDP Freie Demokratische Partei FES Friedrich-Ebert-Stiftung fnb Freies Nachrichtenbüro Foreign Office FO GB Großbritannien GB/BHE Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten HA Hauptverwaltung Aufklärung HJ Hitlerjugend H.R. Hermann Rauschning HVA Hauptverwaltung Aufklärung IfZ Institut für Zeitgeschichte IMT International Military Tribunal KgU Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit Komintern Kommunistische Internationale KPD Kommunistische Partei Deutschland KZ Konzentrationslager LAV NRW Landesarchiv Nordrhein-Westfalen LKA EK v W Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen LfV Landesamt für Verfassungsschutz LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft MfS Ministerium für Staatssicherheit MGM Metro-Goldwyn-Mayer 528Abkürzungsverzeichnis

NARA National Archives and Records Administration NATO North Atlantic Treaty Organization NL Nachlass NRW Nordrhein-Westfalen NS Nationalsozialismus NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NW Neue Westfälische NZZ Neue Zürcher Zeitung OKW Oberkommando der Wehrmacht O.S.B. Ordo Sancti Benedicti OSS Office of Strategic Services PA Grube Privatarchiv Grube, Portland, Oregon, USA Public Record Office PRO RM Reichsminister RPM Reichspropagandaministerium RSHA Reichssicherheitshauptamt RWN Rheinisch-Westfälische Nachrichten SA Sturmabteilung SBZ Sowjetische Besatzungszone SD Sicherheitsdienst (des Reichsführers-SS) SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sopade Sozialdemokratische Partei Deutschlands (im Prager bzw. Pariser Exil) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffeln StGB Strafgesetzbuch StGB a.F. Strafgesetzbuch alte Fassung StPO Strafprozessordnung St.S. Staatssekretär TASS Telegrafnoe Agenstwo Sowjetskowo Sojusa TNA The National Archives UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization US United States USA United States of America USSR Union of Socialist Soviet Republics Abkürzungsverzeichnis

529

VFF Volksbund für Frieden und Freiheit VR Volksrepublik WDR Westdeutscher Rundfunk WEU Westeuropäische Union WZO World Zionist Organization ZAhdS Zentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen (Moskau) ZK Zentralkomitee

530Abkürzungsverzeichnis

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

Vorbemerkung: Das nachfolgende Verzeichnis nennt aus dem überaus reichen Schrifttum Hermann Rauschnings fast ausschließlich diejenigen Schriften, die für den Gang der Darstellung relevant waren.

Ungedruckte Quellen Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Depositum Jörg Richter

Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), St. Augustin Nachlass Andreas Hermes

Archiwum Państwowe w Gdańsku (APG) Senat der Freien Stadt Danzig

Bundesarchiv Koblenz und Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. Br. B 106/15445 B 122/2068 B 136/1737 B 136/1738 B 136/1739 B 137/2611 B 137/2613 B 141/4697 N 28 Ludwig Beck

Ungedruckte Quellen

531

N 344 Hermann Rauschning N 1043 Johannes Maier-Hultschin N 1160 Rudolf Pechel N 1162 Hans Albert Kluthe R 58/236 Zsg. 1, 107/3 Zsg. 2, 625

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheits­ dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) HA IX/11 PA 5008 HA IX/11 AS 121/68 HA IX/11 AK 3999/88 HA IX Nr. 22801 ZAIG 28631

Churchill Archives Centre, Churchill College, Cambridge, Großbritannien The Papers of Group Captain Malcolm Christie (CHRS) The Papers of Sir Edward Spears (SPRS) The Papers of Mark Abrams (ABMS)

Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig und Frankfurt Bestand Exil, diverse Schriften

Deutsches Literaturarchiv, Marbach A. Hans Grimm A. Armin Mohler D. Dolf Sternberger

Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, Osnabrück Tagebuch E. M. Remarque

ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte NL Hans Bernd Gisevius NL Erwin Jaeckle Sammlung Presseausschnitte Schriftgut NARA

532

Quellen- und Literaturverzeichnis

Evangelische Akademie Loccum Tagungsprotokolle Oktober 1954–September 1955

Evangelische Kirche im Rheinland, Düsseldorf Sammlung Schlingensiepen

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus, Gummersbach Ic/2KV Aachen-Stadt

Harvard University Archives, Cambridge, Mass. Correspondence and subject files from the Heinrich Brüning Personal Archive and ­Brüning Family Archive (HUGFP 93.10)

Herder-Institut, Marburg Dokumentensammlung, Archiv DSHI, Bestand 100 Archiv, P 0301

Institut für Zeitgeschichte, München Zs-11 Zs-396-1 Zs-1732

Karl Barth-Archiv, Universität Basel Sammlung Karl Barth

Katharineum zu Lübeck Katharineum zu Lübeck. Bericht über das 375. Schuljahr und Einladung zu den am Donnerstag, den 5. April 1906 stattfindenden öffentlichen Prüfungen und Redeübungen der Schüler des Katharineums

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg Verschlusssachen NW 650

Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Bielefeld-Bethel Eugen-Rosenstock-Huessy-Archiv, 324

Ungedruckte Quellen

533

London School of Economics (LSE) Hugh Dalton Archives

The National Archives, Kew FO 371/244420/C499979 FO 371/26581/C 499979 KV 2/1746/C499979

The National Archives, Washington, D.C. Record Group No. 59, Lot file 52 D Record Group No. 226, NND 750/40 Record Group No. 153, JA 6-Entry 144

Privatarchiv Grube, Portland, Ore. Nachlass Hermann Rauschning Unveröffentliches Manuskript von Joachim Grube: Windows in History

Sammlung Georg Streiter jr., Berlin Erinnerungen von Johanna Streiter

Sammlung Jörg Richter, Hamburg Korrespondenz Max Kiewning, Hermann Rauschning und Georg Streiter betreffend

Schweizerisches Bundesarchiv, Bern Staatsschutzfiche Hermann Rauschning, C.3.105 Bestand Schweizerische Bundesanwaltschaft, C.3.105

Schweizerisches Literaturarchiv, Bern Sammlung Golo Mann

Stadtarchiv Lübeck Signatur 142

United Nations Archives at Geneva, League of Nations, Genf Danzig Senate, R 5469 Danzig R 3718

534

Quellen- und Literaturverzeichnis

Universitätsbibliothek Basel NL 110 Carl. J. Burckhardt: B I b 3

Yad Vashem Archives, Jerusalem Record Group M. 27

Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt Bestand 62 (Martin Niemöller)

Zentralbibliothek Zürich Ms. Oprecht

Gedruckte Quellen, Nachschlageund Unterrichtswerke Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes, Regesten, Bd. 2, bearbeitet von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Gerhard Weiher und Hildegard von Kotze, München 1983 Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945. Aus dem Archiv des Auswärtigen Amts, http://digi20.digitale-sammlungen.de, Serie C: 1933–1937, Bd. I, 1 u. 2, Bd. II, 1 u. 2, Bd. III, 1 u. 2 Altpreußische Biographie, Bd. IV, Marburg 1989 Amerika im Spiegel des deutschen politischen Denkens. Äußerungen deutscher Staatsmänner und Staatsdenker über Staat und Gesellschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika, ausgewählt und eingeleitet von Ernst Fraenkel, Köln 1959 Bayerlein, Bernhard H. (Hg.), Georgi Dimitroff. Tagebücher 1933–1943, Berlin 2000 Bedürftig, Friedemann, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon, München 2004 Benz, Wolfgang u. a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997 Brost, Erich, Wider den braunen Terror. Briefe und Aufsätze aus dem Exil, hrsgg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit einem Geleitwort von Anke Fuchs, bearbeitet von Marek Andrzejewski und Patrik von zur Mühlen, Bonn 2004 Brüning, Heinrich, Die Vereinigten Staaten und Europa. Vortrag vor dem Rhein-RuhrKlub in Düsseldorf, Stuttgart 1954 Brüning, Heinrich, Briefe und Gespräche 1934–1945, hrsgg. von Claire Nix unter Mitarbeit von Reginald Phelps und George Pettee, Stuttgart 1974 Collier’s Encyclopedia with Bibliography and Index, Vol. 17, New York 1950 (1995) Deutschland-Berichte der Sopade, 2. Jg., 1935, neu hrsgg., Frankfurt 1980 Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Katharineums zu Lübeck, 1531–1931, Lübeck o. J. (1931)

Gedruckte Quellen, Nachschlage- und Unterrichtswerke 

535

Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10., völlig neu bearbeitete Auflage. Michael Grüttner, Bd. 19: Das Dritte Reich 1933–1945, Stuttgart 2014 The German Fifth Column, London 1941 Geschichte in Quellen, bearb. von Günter Schönbrunn, Bd. V: Weltkriege und Revolutionen 1914–1945, München 1961 Geschichte konkret. 157 historische Darstellungen für den Geschichts- und Sozialkundeunterricht, zusammengestellt von Kurt Fina, Würzburg 1975 Gilbert, Martin (Hg.), Winston Churchill and Emery Reves: Correspondence 1937–1964, Austin, Tx. 1997 Gorodetsky, Gabriel (Hg.), Die Maiski-Tagebücher. Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler 1932–1943, München 2016 Haandbog i oversvömmelser (dt.: Handbuch für Überschwemmungen), dänische Tarnschrift im Zweiten Weltkrieg, Kopenhagen 1943 Handbuch der deutschen Geschichte. Gebhardt, hrsgg. von Herbert Grundmann. Karl Dietrich Erdmann, Bd. 4: Die Zeit der Weltkriege, 9., neu bearbeitete Auflage, Stuttgart 1976 Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 7: Europa im Zeitalter der Weltmächte, Teilbd. 1, hrsgg. von Theodor Schieder unter Mitarbeit von Lothar von Albertini, Stuttgart 1979 Handbuch des Geschichtsunterrichts, Bd. V. Materialien für den Geschichtsunterricht in mittleren Klassen. Die neueste Zeit 1850–1945, Frankfurt 1965 Hofer, Walther (Hg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933–1945, Ausgaben Frankfurt 1971 und 1997 International Military Tribunal (Hg.), Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Bde. VII, IX, XIV, XIX, Nürnberg 1947 Invasion 1940. The Nazi Invasion Plan for Britain by SS General Walter Schellenberg. With an Introduction by John Erickson, London 2001 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 7, 1954, bearb. von Ursula Hüllbusch und Thomas Trumpp, hrsgg. für das Bundesarchiv, Boppard am Rhein 1993 Karl Barth Gesamtausgabe. Karl Barth, Offene Briefe 1935–1942, hrsgg. von Diether Koch, Zürich 2001 Karl Barth Gesamtausgabe. Karl Barth–Willem Adolf Visser ’t Hooft, Briefwechsel 1930– 1968, hrsgg. von Thomas Herwig, Zürich 2006 Kesten, Hermann (Hg.), Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933– 1949, Wien 1964 Kindlers Literatur Lexikon im dtv, Bd. 19, München 1974, Artikel »Die Revolution des Nihilismus« Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt 2007 Mann, Golo, Briefe 1932–1992, hrsgg. von Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi, Göttingen 2007 Mann, Thomas, Politische Reden und Schriften. Bd. 3, Frankfurt 1968 Ders., Tagebücher 1937–1939, hrsgg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt 1990 Ders., Tagebücher 1940–1943, hrsgg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt 1982 Meyer von Achenbach, Richard, Gedanken über eine konstruktive deutsche Ostpolitik. Eine unterdrückte Denkschrift aus dem Jahr 1953, hrsgg. von Julius H. Schoeps, Frankfurt 1986 Neue Deutsche Biographie, 21. Bd., Berlin 2003

536

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nordblom, Pia, Der Nachlass Hermann Rauschnings im »Zentrum für die Aufbewahrung historisch dokumentarischer Sammlungen« in Moskau. Werkstattbericht. Deutsches Historisches Institut Warschau, Arbeitskreis Hermann Rauschning, 18. März 1996 Picker, Henry, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942, Stuttgart 1951 Rauschning, Hermann, 10 Monate nationalsozialistische Regierung in Danzig, o. O. (Danzig), o. J. (1934) Ders., Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig, Deutsche und Polen. Rede in der ersten Sitzung der Danziger Gesellschaft zum Studium Polens am 15. März 1934, als Manuskript gedruckt, o. O., o. J. (1934) Ders., Herr Hitler, Ihre Zeit ist um. Offenes Wort und letzter Appell, o. O., o. J. (1939) Ders., Die Periode der Entscheidung, o. O., o. J. (1939) Selections from the Smuts Papers, ed. by Jean van der Poel, Vol. VI, December 1934–August 1945, London 1973 Stockhorst, Erich, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Velbert 1967 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 2/III, Oktober 1932–März 1934. Bearbeitet von Angela Hermann, München 2006 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 3/I, April 1934–Februar 1936. Bearbeitet von Angela Hermann, Hartmut Mehringer, Anne Munding und Jana Richter, München 2005 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 7, Juli 1939–März 1940. Bearbeitet von Elke Fröhlich, München 1998 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil II, Diktate 1941–1945, Bd. 5, Juli–September 1942. Bearbeitet von Angela Stüber, München 1995 Verboten! The book that Hitler fears, by Dr. Hermann Rauschning. Introduction by Eric Siepmann, Schanghai 1940 Weiß, Hermann (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt 1998 Ders. (Hg.), Personenlexikon 1933–1945, Wien 2003 The Wendy and Emery Reves Collection, Dallas Museum of Art, Dallas, Tx. 1985 Wistrich, Robert, Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft, München 1983 Zeiten und Menschen, Bd. 3, hrsgg. von Hans-Jürgen Lendzian, Paderborn 2009 Zentner, Christian und Friedemann Bedürftig (Hg.), Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985

Gedruckte Quellen, Nachschlage- und Unterrichtswerke 

537

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Literatur

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Quellen- und Literaturverzeichnis

PERSONENREGISTER

Der Name Hermann Rauschning wurde wegen der Häufigkeit seines Vorkommens im Text nicht aufgenommen.

A Abendroth, Wolfgang 386 Abrams, Mark 281 Achenbach, Ernst 403 Adenauer, Konrad 261, 328, 355 f., 366, 370 f., 375, 378–380, 384–386, 388, 391 f., 394 f., 398 f., 401, 417, 420 f., 435, 443–445, 447 f., 453, 455 f., 459, 461, 470, 473 f., 476–478, 486–489, 492, 498–505, 511, 517, 522 f. Agartz, Viktor 453 Ahlers, Conrad 479 f. Alexandrow, G. A. 340 Allemann, Fritz René 422, 454 Amery, Lord 233 Amos, Heike 473 Anderson, Henry 194 Andrzejewski, Marek 56, 163, 173 Anker, Leo 84, 293 Arnold, Karl 354 Aron, Raymond 171 Arp, Erich 374 as-Sadat, Anwar 105 Astor, David 308, 310 Astor, Lord 216, 218 Augstein, Rudolf 254, 274, 386, 481, 483 f.

Personenregister

B Bach-Zelewski, Erich von dem 141 Balticus 241.  siehe Pfeffer, Karl-Heinz Bamm, Peter 113, 160 Barth, Karl 223–227, 251, 342, 442, 471 Baukloh, Friedhelm 479 f. Baumann, Johannes 250, 252 Bechmann, Hellmut 37, 92, 104, 110, 113, 115 Beck, General Ludwig 107, 228, 490 Beck, Jozef 56, 89 f., 92, 144 Bedürftig, Friedemann 154 Behrend, Hans 183 Benz, Wolfgang 154 Berent, Ernst 86 Bertling, Max 67, 137 Bethmann Hollweg, Theobald von 21, 70, 97, 503 Beuys, Barbara 274 Bevan, Aneurin 307 Bidault, Georges 245 Bismarck, Otto von 26, 185, 195, 235, 379, 504, 507 Blank, Theodor 417, 419 Blankenhorn, Herbert 402 Blume, Gustav 457 Bock, Oberst 121

555

Boeck, Adalbert 67 Bömer, Karl 250 Bonin, Bogislaw von 417, 419, 422, 451, 453 f., 457, 460 f. Borée, Wilhelm 33.  siehe L’Houet, A. Bouvier, Beatrix 198 f. Boyd, Ralph E. 340 Brandt, Willy 510 Brant, Stefan 463 f. Brauchitsch, General Walther von 119–122, 213, 234 Brauer, Max 317, 324 Brauweiler, Hans 359 Bredthauer, Karl D. 471 Brehm, Fritz 390, 396–398 Breitbach, Joseph 221 Breitscheid, Rudolf 217 f., 255 f. Brentano, Heinrich von 498 Brettauer, Alfred 331 Brettauer, Erwin 147, 157, 167 f., 172, 299, 315–317, 321 f., 329–332, 355, 375, 506, 508 Breyer, Richard 32, 77, 91, 240, 266 Bronowski, Witold 163 Brost, Erich 119, 139, 143, 145, 148, 150, 163, 169, 277, 311 Broszat, Martin 28, 268 f., 483 Brückner, Wilhelm 63 Brüning, Heinrich 58, 94, 157, 167 f., 187, 192, 194–196, 209, 223, 299, 317, 325, 334–338, 363, 366, 389–391, 396, 476, 486–489, 492 f., 509 Buber, Martin 86 Bucher, Ewald 391 Bulganin, Nikolai A. 418, 444 Bullock, Alan 190, 258, 273, 481 Bülow, Bernhard Wilhelm von 66, 74, 97, 107, 115, 117, 363 Burckhardt, Carl J. 149 Burckhardt-Lüscher, Anna 251 Burrin, Philippe 271 C Cadogan, Sir Alexander 280, 282, 285, 288, 313 Cambon, Roger 287 Campinchi, Cesar 221, 227, 349

Camus, Albert 190 Cattani, Alfred 269 f. Cecil, Lord Robert 197 Chamberlain, Houston Stewart 16 Chamberlain, Neville 280 f., 308 Chaplin, Charlie 11, 57, 146, 327–329 Chodacki, Marian 201 Christie, Malcolm 122, 199–203, 279 f. Chruschtschow, Nikita S. 475 Churchill, Winston L. 172, 194, 203, 243, 281, 289, 295, 302, 308, 311 f., 317, 521 Coblentz, Gaston 399 Cohen, Sir Robert W. 192 Cohn, Ernst J. 320 f. Courvoisier, Walter 17 Cramer, Fritz 408, 430 f., 452 Crossman, Richard 309 D Dahmen, Hans 409 f. Dalton, Hugh 214 f., 233, 282, 349 Dalton, Lady Ruth 284 Dasicev, Vjaceslav 275 Dauben, Clara 12 Dauben, Hugo 12, 40 Davies, Lord David 218 Dehler, Thomas 395 f. Dellingshausen, Ewert Freiherr von 407, 409 Demuth, Fritz 193 Descartes, Rene 245 Dickes, Ernest W. 318 f. Diels, Rudolf 482 Diewerge, Wolfgang 250 Dimitrov, Georgi 316 f. Dmowski, Roman 27 f. Döblin, Alfred 255, 325 Dönhoff, Marion Gräfin 186 f., 266–268, 517 Donovan, William J. 323 Döring, Wolfgang 431 Dostojewski, Fjodor M. 99 Dreyfuß, Eric 179 Dreyse, Friedrich 95 f. Duff Cooper, Alfred 243 Dulles, John F. 364 Dworetzki, Gertrud 153

556Personenregister

E Eckart, Felix von 423 Edelmann, Gerhard 427, 431 Eden, Anthony 136, 172, 284, 295, 310, 314, 337, 418, 444 Eisenhower, Dwight D. 364, 412 Elser, Johann Georg 264 Enzensberger, Hans Magnus 274 Epstein, Catherine 67 Erhard, Ludwig 486, 511 Erler, Fritz 391, 396 f. Erzbischof von York 287 Etzel, Franz 487 Etzel, Hermann 380, 470 F Faber du Faur, Moritz von 454 Falke, Konrad 166 Feller, Erwin 391 Fest, Joachim C. 262 f., 273 Feuchtwanger, Lion 325 Fichte, Johann Gottlieb 18, 33 Fischer, Fritz 20, 271, 503 Flechtheim, Ossip K. 171 Fleig, Hans 421 f. Foerster, Friedrich Wilhelm 174, 180 f., 325 Fooken, Anton 87 Ford, Henry 350 Forell, Friedrich 491 Forster, Albert 48, 51–53, 55–59, 61, 64–67, 71, 76–84, 86, 95–97, 101, 105, 108–121, 124, 127–130, 132, 134, 136–142, 144, 149, 152 f., 155 f., 159 f., 164, 241 f., 246, 250, 277, 339, 345, 436, 482, 507, 515, 520 Foster, John F. 320, 364 Freisler, Roland 427 Freud, Sigmund 272 f. Freudenberg, Carl 391 Freudenberg, Richard 391 Frick, Wilhelm 63, 339 Friedensburg, Ferdinand 388, 390 Friedlaender, Max 18 Froböß, Helmut 69, 81, 87 f.

Personenregister

G Gamelin, Maurice 181 Gandhi, Mohendas K. 230 f. Gentz, Friedrich von 352 Gereke, Günther 429 Gerson, Walter 82 Gerstenmaier, Eugen 441, 443, 461, 488, 503, 509 Gewehr, Hans Georg 484 Gillies, William 285 f. Giraudoux, Jean 247 Girnus, Wilhelm 415, 454 Gisevius, Hans Bernd 484 f. Globke, Hans 376, 414, 416, 421 Gobineau, Arthur de 16 Goebbels, Joseph 48, 63, 73, 100, 118, 137, 139–141, 160 f., 250, 257, 267, 285, 327, 407 f., 420 Goerdeler, Carl F. 184, 222, 227, 509 Golubeff, Lana 331 Göring, Hermann 47 f., 53, 63, 137, 144, 234, 267, 284 f., 296, 336, 338 f., 481 f., 484 f. Goulden, Mark 311 Grabski, Stanislaw 28 Graebe, Kurt 31 Graf, Oskar Maria 324 Grauert, Ludwig 482 Gravina, Manfredo 45 Green, Senator 237 Greenburger, Sanford J. 319 f. Greiser, Arthur 48, 50, 53, 67 f., 72, 81 f., 87 f., 95, 113, 115, 117, 119, 121 f., 125, 127, 131–136, 141, 143 f., 152, 155, 159, 507 Griesmayr, Gottfried 376 Grimm, Hans 222 Grube, Ed 510 Grube, Fritz 348 Grube, Joachim 253, 373, 467, 510, 517 Gruhn, SPD-Stadtverordneter 54 Grumbach, Salomon 290 Grzesinski, Albert 317 Gspann, Hans-Carl 344 Gumpert, Jobst 29 Gurian, Waldemar 182

557

H Haag, Senatsrat 115 Habsburg, Otto von 344 Habsburg, Robert von 344 Haffner, Sebastian 186, 283 Hagen, Hans W. 222 Haig, Alexander 189 Halder, Franz 481, 484 Halifax, Lord 233 f., 238, 280, 282–285, 288, 314, 337 f. Hallstein, Walter 476 Hamann, Johann Georg 18 Hamann, Ludwig 242 Hammerstein-Equord, Kurt von 234 Hänel, Wolfgang 242, 262–272, 274, 276 f., 514 Han-tschen, Nan 392 Haushofer, Karl 222 Heartfield, John 295 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 18 Heiden, Konrad 242 Heine, Heinrich 457 Heinemann, Gustav 278, 303, 374, 380, 390 f., 398, 440 f., 443, 456, 460, 462, 471 f., 510–514 Heinen, Reinhold 403 Henlein, Konrad 200 Hentig, Hans von 324 Hentig, Hartmut von 515 Hentig, Werner Otto von 363, 380, 390 f., 462, 515 Herder, Johann Gottfried 18 Hermes, Andreas 393, 396, 447 f., 450, 452 Hermsdorf, Hans 512 Herriot, Edouard 246 Herzfeld, Hans 481 Herzog, Wilhelm 219 f. Herzstein, Robert E. 407 Heß, Rudolf 79 f., 95, 125 f., 135, 137, 222, 284, 308–311, 360 Hessen, Johannes 391 Heuss, Theodor 367 f., 435, 461, 486, 505 Hey, Siegfried 74 Heyden, Wilhelm G. von 368–372 Heydrich, Reinhard 318 Hildebrand, Klaus 270

Himmler, Heinrich 141, 144, 267, 339 Hindenburg, Paul von 12, 123 Hinshaw, Carl 235 Hintze, Prof. Dr. 432 Hirsch, Remy 174–176 Hitler, Adolf 11, 13, 20, 24, 47 f., 51–53, 55–59, 63–66, 70–72, 74–78, 81, 89, 91–94, 105 f., 110–117, 120, 122 f., 127, 131, 136, 141, 143–146, 150–152, 154–156, 159–161, 164, 166, 173 f., 177–179, 181, 183, 185 f., 188–190, 192 f., 195 f., 200–204, 208, 214, 216, 219, 222 f., 225, 227–229, 231, 234– 249, 251–278, 280, 282, 284–286, 288, 292, 296 f., 299, 301–304, 306, 308 f., 311 f., 314, 316, 318, 320, 322 f., 326, 328, 333 f., 336 f., 339–342, 344, 349, 351, 353 f., 356–360, 363, 368, 383, 388, 399, 411 f., 417, 436, 441 f., 456, 462, 469, 474, 477, 481 f., 484, 490, 498–500, 502–507, 513–515, 520–522 Hitze, Franz 370 Hoare, Sir Samuel 233, 349 Hobbes, Thomas 303 Höcherl, Hermann 487 Hoegner, Wilhelm 185, 187, 229, 255, 348 Hofer, Walther 271, 481 Hoffmann, Karl 391 Hofmann, Hanns Hubert 485 Hofmannsthal, Hugo von 50, 305, 359, 519 Hoggan, David L. 477 Hohnfeldt, Hans Albert 47 Höltermann, Karl 281, 317 Holzschuher, Wilhelm Freiherr von 135 Hoppenrath, Julius 49, 67, 110, 119 Huch, Ricarda 17 Hugenberg, Alfred 478 Huxley, Aldous 295 I Irving, David 263 Iwand, Hans Joachim 470 J Jäckel, Eberhard 178, 259 Jackson, Robert H. 335 f., 338

558Personenregister

Jacobsen, Hans-Adolf 28, 259 Jaeckle, Erwin 423 f. Janßen, Karl-Heinz 266, 268 Jedrzejewicz, Janusz 73 Jeźowa, Kazimiera 41 John, Otto 378 Jong, Louis de 258 Jordi, Gottfried 14 Joseph, Rudolph S. 317 f., 322, 358, 364 f. Jünemann 69 Jung, Edgar J. 50, 183, 519 Jünger, Ernst 212, 263, 270, 304, 375, 424 K Kahr, Gustav Ritter von 149 Kaiser, Jakob 425 Kalähne, Anne 343 f. Kamnitzer, Bernhard 88 Kaplan, Colonel 336 f. Katz, Rudolf 317 Kaufmann, Karl 212 Kaun, Ursel 457 Keitel, Wilhelm 237 Keller, Wilfried 391 Kempner, Robert W. 426, 429 Kennedy, John F. 474 f., 478 f. Kerrl, Hanns 63 Kershaw, Ian 273 Keßler, Mario 275 Ketteler, Wilhelm E. von 370 Kiefer, Wilhelm 181, 390, 396 Kierkegaard, Sören 354 Kierski, Kazimierz 41 f. Kiesinger, Kurt Georg 479 f., 511 Kiewning, Max 60, 109, 132 f., 142, 345 f. Kindel, Paul 137 King-Hall, Stephen 216 Kirkpatrick, Sir Ivone 248, 287 Kissinger, Henry A. 188 f. Klee, Ernst 154 Klein, Fritz 113 Klepper, Otto 244 Klinke, Joseph 38 Klotz, Helmut 408 Kluck, Helmut 67 Kluthe, Hans Albert 196.  siehe Westphal, Walter Personenregister

Knab, Otto Michael 182 Knickerbocker, Hubert R. 73, 92, 94, 506 Koch, Erich 51 f., 58, 212 Koch, Nikolaus 391 Koester, Hans 77–79, 88 Kögler, Theodor 374 Kogon, Eugen 481 Kohl, Erwin 407.  siehe Taubert, Eberhard Kolb, Eric de 301 Kooyman, Frans M. 224 Koppell, Henry G. 299–303 Korb von Koerbers, Victor 399 Körfer, Maria 68 Körner, Klaus 407 Kozlowski, Leon 90 Kraemer, Fritz 189 Krahmer-Möllenberg, Erich 31, 37 Kreiser, Walter 180 f. Kretzschmar, Hermann 18 Krofta, Kamil 227 Krone, Heinrich 487 Krüger, Kurt 119, 159 Krüger, Lehrer 14 Krumm, Heinrich 365, 380, 391 f., 438, 452, 473 Kubizek, August 262 Kuby, Erich 272 Kunisch, Richard 376 Künstler, Ernst 168 f. L L’Houet, A. 33 f. Lammers, Hans Heinrich 66 Landshoff, Fritz H. 302 f. Lang, Fritz 318 Langer, Walter L. 323 Lanini-Bolz, Alice 400 f. Laski, Harold 338 Laski, Neville 84 Lawrence, George 281 Lawrence, Sir Alexander 201 Leeper, Rex 145 Lemmer, Ernst 385 Lenz, Otto 455 Lester, Sean 45, 84, 88, 109, 124 f., 143 f., 148 f.

559

Leyen, Friedrich von der 17 Linsmayer, Max 57, 67, 71, 108, 119, 124, 134 f., 141, 246 Lippmann, Walter 474 f. Lipski, Jozef 89, 92, 112 Livingstone, Richard W. 496 Löbe, Paul 481 Löbsack, Wilhelm 52, 56, 59 Lochner, Louis P. 327, 330 Lockhart, Bruce 280 Loevy, Theodor 113, 115, 152 f., 155 Londonderry, Lord 186 Low, David 145 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 325 Löwenthal, Richard 385 Lubienski, Stefan Graf 164 Ludwig, Emil 325, 344 Ludwig, Gerhard 411 f. Ludwig, Hartmut 226 Lüninck, Hermann Freiherr von 391 Lütkens, Charlotte 215 M MacArthur, Douglas 395 Mahatma Gandhi 230.  siehe Gandhi, Mohendas K. Mahler, Gustav 326 Mahler-Werfel, Anna 327, 330 Maier, Reinhold 380, 391, 394–396, 450, 495 Maier-Hultschin, Johannes 149, 156, 181, 344, 354–356, 358–360, 365–367, 370 f., 379, 401, 506 Maiski, Ivan M. 280 Makins, Roger 314 Malanowski, Wolfgang 266, 274 Maloney, Commander 336 Mann, Erika 319 Mann, Golo 171, 183 f., 259, 278, 330, 467, 491–494, 496 f., 499 f., 502, 504 f., 514 Mann, Heinrich 197 Mann, Katia 439 Mann, Thomas 15, 157, 166, 168, 183 f., 209, 246, 257, 307, 317, 319, 322, 324 f., 327 f., 365, 438–440, 495 f., 506 Marx, Karl 306, 428–431, 433–436, 453

Mauchenheim, Egon Freiherr von 416 Maugham, Somerset 305 Mayer, Louis P. 318 McCarthy, Eugene 328 Meier, Heinrich Christian 374 Meinhardt, Bankier 452 Meister Eckhart 18 Menant, Guy 245 Mewis, Karl 187 f. Meyer (von Achenbach), Richard 59, 77, 79 f., 88, 95, 108 f., 117, 125 f., 476 f. Meyer, Edmund 42 Meyer, Ernst W. 178 Meyer, Håkon 254 Meyers, Franz 42, 261, 401, 403 Michnik, Adam 174 Mickiewicz, Adam 107 Mittenzwei, Werner 182 Moellendorff, Wichard von 359, 370 Moeller van den Bruck, Arthur 99 Mohler, Armin 304 f., 424, 469 Molotow, Wjatscheslaw M. 258 Moltke, Hans-Adolf 89–91 Moltke, Hellmuth James Graf von 508 Moltmann, Günter 259, 276 Montaigne, Michel de 245 Montefiore, Leonard 192 Motta, Giuseppe 252 Mountbatten, Lord Louis F. 308 Muckermann, Friedrich 226, 292, 294, 443 Müller, Adam 33 Müller, Ludwig 498 Müller, Rolf-Dieter 273 f. Münzenberg, Willi 168, 187, 196, 244 Musil, Robert 185 Mussolini, Benito 45, 94 N Nadolny, Rudolf 374 Nau, Alfred 512 Naumann, Eugen 38 Naumann, Friedrich 21, 34, 477, 519 Nebenzahl, Seymour 317 f. Neuhöffer, Paul B. 470 Neurath, Konstantin Freiherr von 59, 70, 76 f., 94–96, 110–112, 114–118, 363

560Personenregister

Nicolson, Harold 233 Niemöller, Martin 137, 452 Nietzsche, Friedrich 375 Nixon, Richard M. 189 Noack, Ulrich 452 Nollau, Günther 416 Nordblom, Pia 58, 240, 328 f. Norden, Albert 183.  siehe Behrend, Hans Norman, John 325 Novello, Samantha 190 O Olbrich, Oskar 198 Ollenhauer, Erich 287, 389 Oprecht, Emil 171–173, 177, 248 f., 252, 342, 354, 520 Oprecht, Emmie 171 Orsatti, Frank 322 Ossietzky, Carl von 180 Oster, Hans 484 P Pabst, Georg W. 318 Paderewski, Ignacy 26, 28 Paetel, Karl O. 235, 468, 470 Pahl-Rugenstein, Manfred 470 f., 473 Pajewski, Janusz 163 Pant, Eduard 156 Papee, Casimir 73, 97, 105, 107, 109, 112 f., 144 Papen, Franz von 114, 390, 506 Pascal, Blaise 245 Pätzold, Kurt 275 Paul-Boncour, Joseph 245 Paulus, Friedrich 405 Peat, Harold R. 320 Pechel, Rudolf 38 f., 212, 222 f., 227, 469 f. Pelckmann, Horst 340 Pell, Robert T. 301 f. Perlzweig, Maurice L. 321 Petzold, Joachim 275 Peukert, Detlev 264 Pfeffer von Salomon, Franz 267 Pfeffer, Karl-Heinz 241, 268, 362 f., 434 Pfleiderer, Karl Georg 380 Pilsudski, Joszef 27, 55 f., 70, 72, 76 f., 89–93, 105, 107, 116, 164 Personenregister

Poelchau, Harald 443 Poetsch, Otto 387 Pokrosky, Oberst 340 Possony, Stefan 299 Pretzel, Raimund 186.  siehe Haffner, Sebastian Puhl, Emil 95 Q Quaiser, Waldemar 170, 351 f., 490 f. Querido, Emanuel 302 f. Querido-Kozijn, Jane 303 R Rabelais, François 245 Radke, Albert 458 Radler, Rudolf 190 Radowitz, Otto von 74, 95, 108 f., 117, 123–126, 136, 144 Rathenau, Walther 404, 474 Rauber, Wilhelm 449 Rauschning, Anna (geb. Schwartz) 22 f., 30 f., 40, 43 f., 50 f., 79, 95, 133, 142, 146 f., 218, 290, 297 f., 300 f., 312, 315, 318, 330, 350, 373 Rauschning, Anneregine 44, 290, 301, 315, 331 Rauschning, Elis(z)abeth (Liz) 290, 301, 315, 323, 327, 329–331, 373, 456, 510, 516 f. Rauschning, Friedrich Wilhelm (Fritz) 40, 233, 298 f., 301, 315 f., 321, 329–332, 373, 467, 497, 508, 510 Rauschning, Heilwig 23, 30, 218, 240, 255 f., 290 f., 294, 296 f., 301, 315, 323, 373, 467, 493, 513 f., 516 Rauschning, Leopold 12 Rauschning, Ludwig 12 Rauschning, Luise (Ise) 23, 30, 290, 300 f., 315, 323 Rauschning, Mary 329 f., 332, 373 Ravoux, Paul 246 Ray, Marcel 246, 248 Reichenberger, Emanuel 491 Reinholz, Johannes 211 Reitzenstein, Ernst Freiherr von 388–390, 396, 447–450

561

Remarque, Erich Maria 319 Rettelsky, Lothar 133 Reuter, Ernst 385 f. Reves, Emery 172, 203, 239, 242–244, 246 f., 264–267, 269, 332–334, 341 Révés, Imre 172.  siehe Reves, Emery Reynaud, Paul 221, 227, 349 Rheinbaben, Werner von 50, 304 Rheinfelder, Hans 470 Ridder, Helmut 517 f. Ridzinski, Martin 54 Rienhardt, Rolf 403, 438 Riess, Curt 319, 325 Riezler, Kurt 324 Roberts, Frank K. 313 Robinson, Armin L. 327 f. Röhling, Manfred 385 Röhm, Ernst 58, 76, 109, 123, 149, 252 Rohr, Hansjoachim von 367, 369–372, 392, 396–398, 460 Roosevelt, Franklin D. 194 f., 317, 337, 353 Rosenbaum, Bernhard 82 f., 85 Rosenberg, Alfred 360 Rosenblatt, Lazarus 147 Rosenstock-Huessy, Eugen 509 Rosenzweig, Franz 440 Rössler, Rudolf 171 Rossmann, Rudolf 181 Rosting, Helmer 45, 60, 83, 88, 186 Rothfels, Hans 43 Rothschild, Lord 197 Rougier, Louis 238 f. Ruhnau, Rüdiger 66 S Salazar, António de Oliveira 299 Salomon, Ernst von 404 Salter, Ernest J. 356 f. Samuel, Richard H. 288 f., 293, 296 Sargent, Sir Orme 314 Sawatzki, Anton 67, 80 Schacht, Hjalmar 111, 396, 497 Schaefer, Carl-Anton 598 Schaefer, Hermann 110 f., 381, 383, 399– 406, 409–411, 413–421, 425–433, 435, 437, 451, 453 f., 456–465

Schauff, Rudolf 401 f., 414–416, 429–431, 451 Schaumburg-Lippe, Friedrich Christian Prinz zu 257 Scheel, Wolfgang 242 Scheidemann, Philipp 22 Schellenberg, Walter 294 Schelling, Friedrich Wilhelm 18 Schelsky, Helmut 386 Schenk, Dieter 58 Schenke, Wolf 380 f., 391, 394, 396 f., 399, 429, 437, 450 Schickel, Alfred 264 Schieder, Theodor 236, 259–266, 268, 270, 272, 277, 335 Schiller, Friedrich 273 Schirach, Baldur von 340 Schirrmacher, Frank 273 Schleiermacher, Friedrich 18 Schlesinger, James 189 Schlingensiepen, Hermann 514 Schmauch, Jochen 44 Schmid, Carlo 396, 497 Schmitt, Kurt 95 Schneider, Dieter Marc 182 Schoeps, Hans Joachim 176 f., 216 f., 278, 352–354, 376 Schoeps, Julius H. 268 Scholl, Hans 470 Scholl, Robert 470 Scholl-Latour, Peter 249 Scholl, Sophie 274, 470 Schopenhauer, Arthur 16, 18 Schumann, Detlev W. 305 Schuschnigg, Kurt 506 Schütz, Wilhelm Wolfgang 379 Schwammberger, Wolfgang 391 Schwann, Hermann 391 Schwartz, Konrad 147 Schwarzschild, Leopold 192 Schwerin von Krosigk, Johann Ludwig Graf 66, 95, 111 Scott, Harvey W. 509 Seeckt, Hans von 414 Serge, Victor 245 Sethe, Paul 419, 453 Seuse, Heinrich 18

562Personenregister

Shawcross, Sir Hartley 338 Sherman, Irving H. 324 Siepmann, Eric 253 f. Simon, Sir John 88, 136 Slowacki, Juliusz 107 Smuts, Jan C. 179 Sodeikat, Ernst 68, 85, 152 Sollmann, Wilhelm 317, 324 Sonnenfeldt, Helmut 189 Spann, Othmar 33 Spears, Edward 172 Spengler, Oswald 375 Spethmann, Hans 15 f. Spiecker, Carl 168, 192 f., 195 f., 208–210, 216 f., 256, 292, 294 Springer, Axel 422 f., 426 Stahlberger, Peter 164–166, 249, 252 Stalin, Josif V. 156, 174, 214, 275 f., 328 Stämpfli, Franz 252 Steed, Wickham 287 Stegner, Arthur 417–419, 421, 431, 437, 454 f., 457 Stegner, Hermann 460 Steidl, Rudolf 414, 419–425, 428 f., 432, 435, 451 Sternberger, Dolf 342 f. Stinnes, Edmund 286 Strang, William 287 f. Strasser, Otto 156, 280, 287, 289, 317 Streicher, Julius 48, 138 Streiter, Georg 49, 67, 100 f., 106, 109, 113, 115, 132 f., 153, 163 f., 260 f., 347 f., 468, 505–507 Stresemann, Gustav 50, 304, 503 Student, Kurt 391 Stumpf, Friedrich Carl 18, 158 Swart, Friedrich 25, 367–369, 371 Szembek, Jan 143 T Tarnow, Fritz 210 Taubert, Eberhard 406–409, 418, 420 f., 425–434, 436, 453 Tauler, Johannes 18 Taylor, Alan J. P. 477 Teipel, Heinrich 88 Tejessy, Fritz 416 Personenregister

Thedieck, Franz 430 Thermann, Edmund von 74 Thieme, Karl 182 Thomat, Hermann 124 Thompson, Dorothy 185 f., 304, 325, 395, 452, 474 Thormann, Werner 245 Thuille, Ludwig 17 Thyssen, Fritz 237, 243 f., 286, 295, 341 f. Tillich, Paul 324 Tirpitz, Alfred von 478 Tobias, Fritz 265, 273, 481–483, 485 Tocqueville, Alexis de 496 Touseul, Antoine 400 Treviranus, Gottfried R. 167, 192, 194, 209 f., 217, 244, 299, 317, 338 f., 489, 493 Trevor-Roper, Hugh 190 Turner jr., Henry Ashby 58, 71, 267 V Valentino, Rudolph 322 Vansittart, Lord Robert 145, 169, 200 f., 211, 278–283, 300, 304 f., 307, 313–315, 355, 361, 475 f., 521 Varga, Lucie 278 Vassel, Philipp 37 Vietor, Albert 512 Visser ’t Hooft, Willem A. 227, 440, 442 Vogel, Hans 169, 285, 287 Vollmer, Johannes 453 Volz, Wilhelm 43 Vowinckel, Klaus 365 W Waalkes, Otto 273 Wagener, Otto 58, 71 f., 267 f., 401–405, 414, 417, 420, 437, 452, 457 Wagner, Richard 18, 215, 274 Walter, Bruno 330 Walter, Kurt 137 Walters, Vernon 189 Ward, Barbara 503 Weber, Alfred 374 Weber, August 196, 209 f., 216, 289 Wegener, Leo 38

563

Wehner, Herbert 187 f., 385 f., 391, 396, 398 Wehrmann, Elisabeth 630 Weinstein, Adalbert 405 Weise, Gerhard 137 Weiß, Hermann 153 Weiß, Paul 81 Weißbecker, Manfred 275 Weitmann, Ludwig 180 Weizmann, Chaim 237 f. Werfel, Franz 322, 326 f., 330, 355, 496 Werner, Bruno E. 369 Werner, Johann Wolfgang 277, 384–386, 394 f., 404, 419 f., 423, 425, 428–430, 432–438, 452, 454–456, 472, 485, 510–512 Westphal, Walter 178, 192–199, 203 f., 208–211, 215–218, 238, 244, 288–297, 308 Westphalen, Karl Graf von 390 f., 396, 416, 418, 470 f., 473, 486–489 Whelan, Sekretärin 203 Wiebe, Walter 142 Wiercinski-Keiser, Willibald 80, 132 Wiggershaus, Rolf 237 Winkler, Heinrich August 364 Wirth, Joseph 217 f., 497 Wisbar, Frank 327, 469 Wiskemann, Elizabeth 144 f., 150, 277, 311

Wistrich, Robert 153 Wnuck, Wilhelm von 126 f., 130–134, 152, 154, 507 Wojciechowski, Marian 26, 42 Wolf, Johannes 18 Wolff, Georg 254 Wolff von Amerongen, Otto 403 Wollenweber 408 Woodward, Ernest L. 282 Woolbert, Robert Gale 178 Woolf, Virginia 295 Wrietzner, Hugo 401, 403 Wysocki, Alfred 56 Y Young, G. P. 248 Z Zaleski, August 55 Zarske, Wilhelm 139 Zechlin, W. (AA) 38 Zehrer, Hans 406, 422 f., 426 Zentner, Christian 271 f., 274 Ziegler, Heinz O. 506 Ziehm, Ernst 53 f., 56–60, 64, 66, 74 f., 138 Zielinski, Tadeusz 100 Zipper, Karl Bernhard 82 f. Zitelmann, Rainer 273 Zöckler, Paul 39 Zoglmann, Siegfried 431

564Personenregister

ANMERKUNGEN

1  Nach einer Schwarzweißfotografie des Broadway Theatre von 1940. 2  The Great Dictator war in London erstmals am 16. Dezember 1940 zu sehen. Vgl. Pia Nordblom, Kommentar zum Text von Hermann Rauschning, in: Thomas Koebner (Hg.), Film-Konzepte 2: Chaplin – Keaton. Verlierer und Gewinner der Moderne, München 2006, S. 102. 3 Vgl. Neue Deutsche Biographie, 21. Bd., Berlin 2003, S. 212. 4  Dies und das Folgende im Wesentlichen nach: Hermann Rauschning, Einige Bemerkungen mein Leben betreffend (Ms.), Bl. 35 f. Dieses im amerikanischen Exil entstandene, undatierte und umfangreiche Manuskript war vermutlich für eine amerikanische Leserschaft bestimmt, es wurde jedoch nie veröffentlicht. Aus einigen Formulierungen lässt sich schließen, dass es etwa zu Beginn der 1960er Jahre verfasst wurde. Eine derartige autobiographische Lebensbilanz enthält zweifellos unbewusste und wohl auch bewusste Retuschen und Glättungen, bemerkenswert sind jedoch die wenig apologetischen, sondern eher selbstkritischen Passagen über das Verhältnis des Verfassers zum Nationalsozialismus. Privatarchiv (PA) Grube. Joachim Grube ist der Schwiegersohn Hermann Rauschnings. Er ist mit dessen Tochter Elisabeth verheiratet und betreut den umfangreichen Nachlass seines Schwiegervaters in seinem Haus in Portland/Oregon. 5  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 36. 6 Ebd. 7  PA Grube, undatiertes Schreiben Rauschnings an den Schweizer Lehrer Wolfgang Hänel sowie ebd., Schreiben an Hänel vom 22. Dezember 1980. Auf das Verhältnis Rauschnings zu Hänel wird im Zusammenhang mit Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler zurückzukommen sein. Im Übrigen fällt auf, dass Rauschning die für ihn doch offenbar so wichtige Habkern-Episode in seiner erwähnten umfangreichen Aufzeichnung »Einige Bemerkungen mein Leben betreffend« mit keinem Wort erwähnt. 8  Stadtarchiv Lübeck, Signatur 142, Reifezeugnis vom 2. März 1906. 9  Katharineum zu Lübeck, Bericht über das 375. Schuljahr und Einladung zu den am Donnerstag, den 5. April 1906 stattfindenden öffentlichen Prüfungen und Redeübungen der Schüler des Katharineums, S. 20. Der Verfasser dankt dem Katharineum für die freundliche Überlassung sowohl eines Exemplars dieses Berichts als auch der Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Katharineums zu Lübeck, 1531–1931, Lübeck o. J. (1931).

Anmerkungen

565

10  Hans Spethmann, Geist und Leben im Katharineum zu Anfang unseres Jahrhunderts, in: Festschrift, S. 130–146. 11  Katharineum zu Lübeck, Bericht, S. 26. 12  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 37. 13 Ebd. 14  Karla Neschke, Der Musikwissenschaftler Hermann Rauschning, in: Jürgen Hensel und Pia Nordblom (Hg.), Hermann Rauschning. Materialien und Beiträge zu einer politischen Biographie, Osnabrück 2003, S. 49–60, hier S. 49. 15  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 38 f. 16  Dies und das Folgende nach Neschke, Musikwissenschaftler, S. 50 f. 17  Ebd., S. 53. 18  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 39. 19  Pia Nordblom und Jürgen Hensel, Einführung, in: Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, S. 7–48, hier S. 19. 20  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 39. 21  Ebd., Bl. 44. 22 Ebd. 23  Ebd., Bl. 26. 24  Das Folgende nach: Anna Rauschning, No Retreat, Indianapolis 1942, S. 73–81. Hermann Rauschnings Ehefrau schrieb ihre Erinnerungen während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil, sie wurden in den USA ein passabler Bucherfolg. Als Quelle sind sie mit gewisser Vorsicht zu genießen, nicht zuletzt deshalb, weil etwa die hier wiedergegebenen Informationen auf fiktiven Dialogen mit ihren damals kleinen Kindern auf ihrem ehemaligen Hof im Danziger Großen Werder beruhen. Die Autorin widmete das Buch übrigens »To The United States of America which has opened its arms to the lost children of the world«. 25  Nach einem Schreiben des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Berlin, an Pia Nordblom und Jürgen Hensel vom 13. April 1999 dauerte Rauschnings Lazarettaufenthalt vom 18. November 1914 bis zum 11. Februar 1915. Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 19. Hier findet sich auch die Information des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Freiburg, wonach Rauschnings Militärakten durch Kriegseinwirkungen zerstört seien. Es muss während dieses Lazarettaufenthaltes gewesen sein, dass sich Rauschning intensiv mit der Gedankenwelt Dostojewskis beschäftigte und das »great mystical Christian Russia« zu bewundern lernte. In einer nicht näher bezeichneten »Armeezeitung des Ostens« habe er damals eine kleine Skizze über Dostojewskis Russland veröffentlicht. Vgl. H. Rauschning, The Conservative Revolution, New York 1941, S. 254. Otto-Ernst Schüddekopf nahm diese Textstelle als Beleg dafür, dass Rauschning, wie viele andere deutsche Intellektuelle nach dem Ersten Weltkrieg auch, vom »Zug des Geistes nach dem Osten« erfasst worden sei – eine Deutung, welche die Lazarettlektüre Rauschnings wohl ein wenig überinterpretiert haben dürfte. Vgl. Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S. 31. 26  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 51. 27  Ebd., Bl. 49. 28  Vgl. die Erinnerungen des polnischen Diplomaten Roman Wodzicki, Wspomnienia. Gdansk–Warszawa–Berlin 1928–1939, Warschau 1972, S. 471, in denen sich der Autor

566Anmerkungen

erinnert, »daß im Polnischen Haus in der (Danziger, A. H.) Wallgasse einmal ein Gedicht über den Senatspräsidenten vorgetragen wurde, das mit der Strophe begann oder endete: ›In Zivil ein Grundbesitzer, war er beim Grenzschutz Offizier‹. (Ten w cywilu Grundbesitzer – przy Grenzschutzu byl oficer)«. Es sei damals in der Tat behauptet worden, so Wodzicki, dass Rauschning gleich nach Kriegsende »noch eine Zeitlang im sog. Grenzschutz gedient haben sollte«: ebd. Hier zitiert nach Nordblom/Hensel, Einführung, S. 19. 29  Schreiben F. Swart an Bundespräsident Theodor Heuss vom 19. November 1953: BArch, B 122/2068. 30  Das Folgende im Wesentlichen nach: Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und »Volkstumskampf« im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920–1939. Hrsgg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und der Generaldirektion der Polnischen Staatsarchive von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowski, bearbeitet von Mathias Niendorf und Przemyslaw Hauser, 1. Halbbd., München 1997, S. 3 ff. Grundlegend auch Albert S. Kotowski, Polens Politik gegenüber seiner deutschen Minderheit 1919–1939, Wiesbaden 1998. 31  Marian Wojciechowski, Die deutsche Minderheit in Polen (1920–1939), in: Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, S. 3–26, hier S. 4. 32  Zahlen bei: Hans-Adolf Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938, Frankfurt 1968, S. 582. 33  Vgl. Martin Broszat, Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik, Frankfurt 1981, S. 204 f. 34  Ebd., S. 206. 35  Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 582. 36  Zitiert nach Thomas Urban, Polen, 2. Auflage, München 2009, S. 56. 37 Ebd. 38  Jobst Gumpert, Polen–Deutschland. Bestandsaufnahme einer tausendjährigen Nachbarschaft, München 1966, S. 164. 39  Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 582. 40  Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 20. Vgl. auch H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 54. 41  A. Rauschning, No Retreat, S. 82. 42  Ebd., S. 89. 43  Vgl. Richard Blanke, Orphans of Versailles. The Germans in Western Poland 1918–1939, Lexington, Ky. 1993, S. 143 f. 44  Vgl. Roman Dziergwa, Posen als Logenort, in: Quatuor Coronati. Jahrbuch für Freimaurerforschung, hrsgg. von der Freimaurerischen Forschungsgesellschaft e. V. und der Forschungsloge Quatuor Coronati, Bayreuth No. 808 der Vereinigten Großlogen von Deutschland, Bruderschaft der Freimaurer, Jg. 43, 2006, S. 255–267, hier S. 261. Vgl. auch den Beitrag »Freimaurer« von Reinhard Markner, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 56 vom 7. März 2007. Der Hinweis auf Rauschnings Logenmitgliedschaft findet sich auch in Dziergwas Aufsatz »Zu Hermann Rauschnings polnischer Exilepisode und seiner Pressepublizistik in den Jahren 1937–1939«, in: Marion Brandt (Hg.), Grenzüberschreitungen. Deutsche, Polen und Juden zwischen den Kulturen (1918–1939), München 2006, S. 157–171, hier S. 157 f. In der Anm. 4, S. 158, erwähnt Dziergwa Ludwig Hass, der bereits in den 1980er Jahren auf den Freimaurer Rauschning aufmerksam gemacht habe, diese Erwähnung sei jedoch in der Forschung untergegangen. Rauschning selber hatte

Anmerkungen

567

übrigens während des Zweiten Weltkriegs seine Mitgliedschaft in einer Loge öffentlich gemacht. Weniger aus Überzeugung sei er seinerzeit beigetreten denn aus familiärer Tradition. Die Verbindung zur Freimaurerei habe mit der Selbstauflösung der Loge geendet. Vgl. H. Rauschning, Conservative Revolution, S. 222. 45  Vgl. Hermann Rauschning, Lehrer des Widerstands, in: Hans Wolfram von Hentig (Hg.), Werner Otto von Hentig. Zeugnisse und Selbstzeugnisse. Beiträge von Marion Gräfin Dönhoff, Golo Mann, Hermann Rauschning und Hartmut von Hentig, Ebenhausen 1971, S. 129–158, hier S. 129. Hier auch die Feststellung Rauschnings, dass der damalige deutsche Generalkonsul in Posen, Werner Otto von Hentig, ihn in besonderer Weise geprägt habe. 46  BArch, Nachlass Rudolf Pechel, N 1160 II 109, Schreiben Rauschnings an Rudolf Pechel vom 28. Januar 1927. Da er zu diesem Zeitpunkt seine Ämter in Posen bereits niedergelegt hatte, strich Rauschning den Briefkopf sorgfältig durch, sodass er immer noch problemlos zu lesen war. 47  Posen o. J. (1922). 48  »Im Verlag der Deutschen Bücherei«, Posen 1923, S. 61–77. 49  Vgl. z. B. die Erzählungen Rauschnings unter dem Titel »Preußische Pfingstpredigt« in: Deutsche Blätter in Polen, 1927, H. 4, S. 368–380. Vgl. auch Nordblom/Hensel, Einführung, S. 22, wo es in der Anm. 62 zusätzlich heißt, dass Rauschning das Manuskript in sein Pariser Exil mitgenommen habe. Dort ging es im Zuge der deutschen Besetzung verloren, und auch in den Moskauer Archivbeständen, die Teile der Pariser Papiere Rauschnings enthalten und von Pia Nordblom eingesehen werden konnten, sei es nicht vorhanden. 50  Richard Breyer, Dr. Hermann Rauschning als Wissenschaftler und Publizist in Posen, in: Jahrbuch Weichsel-Warthe, 29, 1983, S. 25–31, hier S. 28. 51  Deutsche Blätter in Polen, 1925, H. 2, S. 61–66. 52  Deutsche Blätter in Polen, 1925, H. 4, S. 167–173, hier S. 164. 53  Ebd., S. 165. 54  Die Ostmarkenpolitik des Kaisereichs unter Bismarck förderte u. a. die Ansiedlung von Deutschen in den überwiegend polnisch besiedelten Gebieten Polens, die im Zuge der polnischen Teilungen an Preußen gefallen waren. 55  Vgl. Merkblatt für die Heimatforschung, in: Deutsche Blätter in Polen, 1926, H. 7, S. 380–386, hier S. 386. 56  Ebd., S. 380. 57  Deutsche Blätter in Polen, 1925, H. 2, S. 50–52, hier S. 51. 58  Ebd., S. 52. 59  Vgl. Breyer, Dr. Hermann Rauschning, S. 30. 60  Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 21, Anm. 58, mit Verweis auf polnische Autoren. Eine in London im Jahre 1941 für das Polnische Informationsministerium (im Exil) verfasste Broschüre mit dem Titel The German Fifth Column behauptet, die polnischen Behörden hätten mit Rauschning und Kurt Graebe zwei Anführer des Bundes entlarvt. Auf Grund eines »Geistes der Toleranz« hätten sie seinerzeit jedoch nicht die erforderlichen Konsequenzen ergriffen. Ebd., S. 35. Tatsächlich löste die polnische Regierung den »Deutschtumsbund« bereits 1923 auf, zu einer Zeit, als Rauschning gerade erst mit seiner Arbeit in Posen begonnen hatte. Als die Urteile gegen Beschuldigte nach langwierigem Verfahren Anfang der 1930er Jahre schließlich ergingen, hatte Rauschning

568Anmerkungen

längst polnisches Staatsgebiet verlassen und lebte im Freistaat Danzig. Zur Problematik um den »Deutschtumsbund« vgl. auch A. S. Kotowski, Polens Politik,, S. 65 f. 61  PA Grube, H. R., Briefe biographischer Natur, 17. September 1978. 62  Vgl. Blanke, Orphans, S. 154. 63  Zitiert nach Wojciech Kotowski, Die Abwanderung Hermann Rauschnings aus Polen (1926), in: Beiträge zur deutsch-polnischen Nachbarschaft. Festschrift für Richard Breyer zum 75. Geburtstag, hrsgg von Csaba Janos Kenez, Helmut Neubach und Joachim Rogall, Berlin 1992, S. 129. 64  Zitiert nach ebd., S. 130, Anm. 12. 65  PA Grube. 66  BArch, N 1160 II 109. 67  Ebd. Pechel antwortete Rauschning mit einem Schreiben vom 3. Februar 1927, in dem er für seine Absage an Rauschnings Manuskripte »Raumgründe« bei der Deutschen Rundschau geltend machte. Für die Arbeit über Ordenspreußen empfahl er eine Anfrage bei der Zeitschrift Zeitwende in München. »Rein literarisch« regte Pechel ferner an, »starke Kürzungen« vorzunehmen und »durch direkte Rede« den Text »lebendiger zu gestalten«. Ebd. 68  Deutsche Blätter in Polen, 1927, H. 1, S. 1–3, hier S. 1 f. 69  Vgl. A. Rauschning, No Retreat, S. 12 ff. 70  Berlin 1930. Nur ein Jahr später profilierte sich Rauschning gegenüber einem musisch interessierten Publikum durch die bereits erwähnte Veröffentlichung seiner Dissertation. Nachdruck der Entdeutschung unter dem Titel Die Abwanderung der deutschen Bevölkerung aus Westpreußen und Posen 1919–1929. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg, hrsgg. von Wolfgang Kessler, Essen 1988. In seiner sehr informativen Einleitung zu Rauschnings Text weist Kessler darauf hin, dass der vermeintlich der NS-Sprache entstammende Begriff »Entdeutschung« älteren Ursprungs ist und dass das Polnische einen ähnlichen Begriff kannte. 71 In: Deutschlands Erneuerung. Monatsschrift für das deutsche Volk, 1926, H. 10, S. 6–20. 72  Nordblom/Hensel, Einführung, S. 22. 73  So auch Breyer, Dr. Hermann Rauschning, S. 31. 74  Vgl. Hermann Rauschning, Der unnötige Krieg. Eine Auseinandersetzung mit A. J. P. Taylor und David L. Hoggan, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1963, H. 9, S. 680–697, hier zitiert nach Kessler (Hg.), Abwanderung, S. XIV. Für eine Rezeption von Rauschnings Entdeutschung in jüngerer Zeit vgl. Ingo Eser, »Volk, Staat, Gott!«. Die deutsche Minderheit in Polen und ihr Schulwesen 1918–1939, Wiesbaden 2010. 75 In: Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben, hrsgg. von Wilhelm Stapel und Albrecht E. Günther, 1, 1927, S. 206–213. 76  Kazimiera Jeźowa, Die Bevölkerungs- und Wirtschaftsverhältnisse im westlichen Polen. Zu Rauschning’s Buch: »Die Entdeutschung Westpreussens und Posens«, Danzig 1933, S. 105. Vgl. auch Kessler (Hg.), Abwanderung, S. XV. 77  Kessler (Hg.), Abwanderung, S. XV. 78  Edmund Meyer, Das Rauschningsche Buch, in: Deutsche Blätter in Polen, 1931, H. 1, S. 26–30. 79  Vgl. Wojciechowski, Minderheit, S. 5 f. 80  Vgl. Blanke, Orphans, S. 144 sowie Nordblom/Hensel, Einführung, S. 22.

Anmerkungen

569

81  Nordblom/Hensel, Einführung, ebd. 82  A. Rauschning, No Retreat, S. 90. 83  Ebd., S. 94. 84  Nordblom/Hensel, Einführung, S. 23 nach einer Eintragung in Leopold Rauschnings (Hermann Rauschnings Vater) Taschenkalender von 1936. 85  Jochen Schmauch, Erinnerungen an Hermann Rauschning, o. O., o. J. (1982): PA Grube, Akte Condolences. 86  Nordblom/Hensel, Einführung, S. 24 f. 87  Dies und die nachfolgenden Informationen nach: Marek Andrzejewski, Opposition und Widerstand in Danzig 1933 bis 1939, Bonn 1994, S. 15 ff. 88  Rosting erwies sich als der deutschen Sache in Danzig zumindest nicht abgeneigt. Nach seinem Abschied vom Völkerbund und als Direktor des Internationalen Roten Kreuzes waren seine Sympathien für das »Dritte Reich« offenkundig, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs starb er durch Selbstmord. 89  Vgl. Bernd-Jürgen Wendt, Danzig – ein Bauer auf dem Schachbrett nationalsozialistischer Außenpolitik, in: Manfred Funke (Hg.), Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf 1978, S. 774–794, hier S. 777, Anm. 14. 90  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 25. 91  Dieter Schenk, Danzig 1930–1945. Das Ende einer Freien Stadt, Berlin 2013, S. 28. 92  Gauschulungsleiter und Forster-Biograph Wilhelm Löbsack, hier zitiert nach ebd. 93  Zitiert nach ebd., S. 31. Hier findet sich auch ein Faksimile der Vollmacht Hitlers. 94  Forster trug seinen Dank an Göring in dem von Wilhelm Löbsack herausgegebenen Buch Das nationalsozialistische Gewissen in Danzig, Danzig 1936, ab. Als damaliger Danziger Gauleiter der NSDAP schrieb Forster in dem Geleitwort: »Ich habe das Buch … dem Preußischen Ministerpräsidenten und Generaloberst Göring zugeeignet, weil er an der Entwicklung in Danzig ganz besonderen Anteil hat. Parteigenosse Göring ist es gewesen, der im Jahre 1930 im Auftrag des Führers hierher kam, um die Geschlossenheit der Partei, die damals durch innere Streitigkeiten gestört war, wiederherzustellen. Ich selbst bin dem Parteigenossen Göring besonders dankbar, denn auf seinen Vorschlag wurde ich vom Führer als Gauleiter nach Danzig berufen.« 95  PA Grube, Schreiben Rauschning/Streiter vom 28. Januar 1973. Zur Frage des Parteieintritts vgl. auch Nordblom/Hensel, Einführung, S. 24, Anm. 73 und 74. Soweit ersichtlich, erschien erstmals am 8. Januar 1932 in der von den Nationalsozialisten gegründeten Zeitung Vorposten (später Der Danziger Vorposten) ein Artikel Rauschnings über die landwirtschaftliche Lage im Freistaat, den er in seiner Funktion als »landwirtschaftlicher Fachberater der NSDAP für den Gau Danzig« zeichnete. Vgl. ebd., S. 25, Anm. 77. 96  Kopie aus Aufzeichnungen Johanna Streiters, für deren Überlassung ich Georg Streiter jr., Berlin, dem Sohn des »Danziger« Georg Streiter, sehr herzlich danke. 97  PA Grube, Dr. Hoppenrath u. a., Schreiben Hoppenrath, Bad Dürkheim/Rauschning, Neumünster, 17. April 1954. Arthur Greiser führte damals die NSDAP-Fraktion im Volkstag. Auch das Datum und die genauen Umstände der Aufgabe von Rauschnings deutscher Staatsbürgerschaft und im Gegenzug der Annahme der Danziger Staatsangehörigkeit liegen im Dunkeln, was umso bemerkenswerter ist, als somit ungeklärt bleibt, wer damals die für deren Erlangung erforderlichen 5000 Gulden aufbrachte. Erst

570Anmerkungen

die Danziger Staatsbürgerschaft schuf die Voraussetzung für die politische Arbeit Rauschnings im Freistaat. Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 24. 98  Rauschning habe ihm dies am Rande eines Vortrages in Danzig im späten Jahr 1933 mitgeteilt. Vgl. Werner von Rheinbaben, Viermal Deutschland. Aus dem Erleben eines Seemanns, Diplomaten, Politikers 1895–1954, Berlin 1954, S. 320. Weiter habe Rauschning ihm bei dieser Gelegenheit gesagt, er »sei auch jetzt kein radikaler ›Nazi‹ und habe durch den neuernannten Gauleiter Forster, einen rauhbeinigen Parteibonzen aus Bayern, stets die allergrößten Schwierigkeiten. Er sprach mir auch als einer der ersten unter den führenden Nationalsozialisten von außenpolitischen Plänen Hitlers.« Ebd., S. 321. Von Rheinbaben beschrieb Rauschning auf Grund ihrer Danziger Begegnung als »feinfühlig, vielseitig gebildet und künstlerisch empfindend«. Ebd., S. 320. 99  Hermann Rauschning, Makers of Destruction. Meetings and Talks in Revolutionary Germany, London 1942, S. 100 f. 100  Noch Jahre nach seiner Danziger Demission und dem Bruch mit Hitler zierte die Titelseite des von ihm im amerikanischen Exil veröffentlichten Buches The Conservative Revolution folgender Zusatz: »The process of which I am speaking is nothing less than a Conservative Revolution, on such a scale as the history of Europe has never known. Hugo von Hofmannsthal«. 101  A. Rauschning, No Retreat. 102  In einem Brief des früheren Danziger Rechtsanwalts Max Kiewning an Rose Grube, die Gattin des 1952 in Neumünster verstorbenen ehemaligen Danziger Anwalts Grube, vom 29. März 1954, informierte Kiewning Frau Grube darüber, dass Hermann Rauschning, der sich seit Kurzem in der Bundesrepublik aufhielt, vor seiner Rückkehr in die USA einen Besuch bei dem nach England geflohenen Leo Anker machen wolle. Dies habe Anker ihm am 10. März geschrieben: Sammlung Jörg Richter, Hamburg. Richter, dem ich für die großzügige Überlassung relevanter Dokumente aus seinem Besitz sehr herzlich danke, ist der Enkel Max Kiewnings. 103  A. Rauschning, No Retreat, S. 117 f. 104  Ebd., S. 118. 105  Ebd., S. 157 (meine Übersetzung, A. H.). 106  Jerzy Szapiro in der New York Times vom 4. März 1934, hier zitiert nach Hans L. Leonhardt (d. i. Hans L. Lazarus), Nazi Conquest of Danzig, Chicago 1942, S. 56. 107  Vgl. Dieter Schenk, Hitlers Mann in Danzig. Albert Forster und die NS-Verbrechen in Danzig-Westpreußen, Bonn 2000, S. 20. Danach erhielt Forster in der Münchner Parteizentrale am 5. April 1925 die aus der Zeit vor dem NSDAP-Verbot von 1923 vergebene Parteimitgliedsnummer 1924. Am 12. Mai 1926 gründete er die SS-Gruppe Nürnberg-Fürth und trug die SS-Mitgliedsnummer 158 und lag damit zehn Nummern vor Heinrich Himmler. 108  Zitiert nach ebd., S. 47. 109  Vgl. Ernst von Weizsäcker, Erinnerungen, München 1950, S. 239, hier nach Schenk, Danzig 1930–1945, S. 30. 110  Zitiert nach ebd. 111 Ebd. 112  Vgl. Rüdiger Ruhnau, Die Freie Stadt Danzig 1919–1939, Berg am See 1988, S. 116. 113  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 38.

Anmerkungen

571

114 Schenk, Danzig 1930–1945, S. 32. Heinrich Sahm wurde dann Oberbürgermeister von Berlin. 115  Ruhnau nennt etwa folgende Ereignisse: »Am 21. Juni 1931 überfiel die aus dem ›Reichsbanner‹ hervorgegangene, marxistische, militante Arbeitsschutzformation ›Arschufo‹ eine Abteilung SA-Männer mit dem Ergebnis, daß acht Schwerverletzte ins Krankenhaus mußten. Als im November 1931 der SA-Mann Horst Hoffmann von der Arschufo in Kahlbude ermordet wurde, gründete man im dortigen Gasthof Neubauer eine Ortsgruppe der NSDAP.« Ruhnau, Freie Stadt, S. 103. 116  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 35. 117  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 103. 118  Ebd., S. 104. 119  Vgl. Schenk, Danzig 1930–1945, S. 34. 120  Vgl. Schenk, Hitlers Mann, S. 40. 121  Vgl. Thomas Urban, Von Krakau bis Danzig. Eine Reise durch die deutsch-pol­ nische Geschichte, München 2004, S. 288. 122  Wilhelm Löbsack, Albert Forster. Gauleiter und Reichsstatthalter im Reichsgau Danzig-Westpreussen, Danzig o. J. (1940), S. 22. 123  Vgl. Urban, Krakau, S. 288. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Hermann Rauschning die »Westerplatte-Affäre« noch einmal mit den Kenntnissen aus seiner Danziger Zeit als Senatspräsident dargestellt: Vgl. H. Rauschning, Krieg, S. 686 f. 124 Andrzejewski, Opposition, S. 39. 125  Das Folgende nach Schenk, Danzig 1930–1945, S. 35 ff. 126  Vgl. dazu im Einzelnen unten das Kapitel »Paris und die Gespräche mit ­Hitler«. Allein die Erwähnung der hier aus den Gesprächen geschilderten Episode auf dem Obersalzberg erscheint geboten, weil sie in der Literatur wiederholt dargestellt wird. Vgl. ­Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich 1940, S. 18–21. 127  Ebd., S. 31. 128  Vgl. Schenk, Danzig 1930–1945, S. 36. 129  Vgl. Otto Wagener, Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929–1932, hrsgg. von Henry Ashby Turner jr., 2. Auflage, Kiel 1987, S. 473. Wagener war vor der »Machtergreifung« zeitweilig SA-Stabschef gewesen und von April bis Juni 1933 Reichskommissar für die Wirtschaft. Auf Grund persönlichen Ehrgeizes und Intrigen fiel er bei Hitler in Ungnade und sah sich im Zuge der Röhm-Krise 1934 kurzzeitig inhaftiert. Die von Turner jr. edierten Erinnerungen Wageners basieren auf dessen Nachlass im Münchner Institut für Zeitgeschichte. 130  Vgl. Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, Bildteil S. 96 ff. Die an Schnee erinnernden weißen Flächen auf dem Foto beruhen auf der schlechten Qualität der Bildvorlage. 131  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 93. 132  Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918–1945. Aus dem Archiv des Auswärtigen Amts, http://digi20.digitale-sammlungen.de, Serie C: 1933–1937, Bd. I, 1, Nr. 127, S. 230 f. 133 Löbsack, Albert Forster, S. 63. 134  In die große Literatur fand dieses Ereignis bei Günter Grass. In seinem Buch Aus dem Tagebuch einer Schnecke, Darmstadt 1972, heißt es auf S. 32: »Jemand, der Rauschning hieß, wurde in Danzig Senatspräsident. Schon hatte man die Gewerkschaften,

572Anmerkungen

ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, mit der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation gleichgeschaltet; ein Versagen, das dem deutschen Gewerkschaftsbund bis heutzutage brave Niewiedersprüche und gewundene Schuldbekenntnisse eingibt, besonders am 1. Mai.« 135  Nicht betroffen waren einstweilen die weniger bedeutenden christlichen Gewerkschaften. 136  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 41 f. sowie 46. 137  Marek Andrzejewski, Die Presse in der Freien Stadt Danzig, in: Gilbert H. Gornig (Hg.), Sechste deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur im zusammenwachsenden Europa. Schriftenreihe der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Bd. 6, Lübeck 2004, S. 32–44, hier S. 42. 138  Ebd., S. 43. 139  Brief Kiewnings, Kiel, an Georg Streiter, Lindau/Bodensee, 11. Juli 1946: Sammlung Jörg Richter, Hanburg. 140  Vgl. Schenk, Danzig 1930–1945, S. 38 sowie Leonhardt, Conquest, S. 57. 141  Zitiert nach Leonhardt, Conquest, S. 58. 142 Andrzejewski, Opposition, S. 44. 143  Ausgabe vom 27. Mai 1933, meine Übersetzung, A. H. 144  Zahlen nach Erwin Lichtenstein, Die Juden der Freien Stadt Danzig unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, Tübingen 1973, S. 8. 145  Die Arbeit von Ludwig Denne, Das Danzig-Problem in der deutschen Außenpolitik 1934–39, Bonn 1959, behandelte als eines der ersten Werke nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Danzig. Da sie auch in Ermangelung anderer Quellen sehr stark auf Rauschnings Gespräche mit Hitler zurückgreift, wird sie hier so gut wie nicht als Sekundärquelle herangezogen. Allerdings hatte Denne offenbar Gelegenheit, noch den einen oder anderen Zeitzeugen zu befragen, so etwa den ehemaligen Danziger Polizeipräsidenten Helmut Froböß. Vgl. ebd., S. 54, Anm. 28. 146  Vgl. Ernst Ziehm, Aus meiner politschen Arbeit in Danzig 1914–1939, Marburg 1957, S. 193. 147  Vgl. Schenk, Hitlers Mann, S. 42. 148  Vgl. den langen Artikel »Dr. Rauschning über die Wahl« auf der Titelseite der Danziger Neuesten Nachrichten (DNN) vom 29. Mai 1933, die ausschließlich den Wahlen vom Vortag gewidmet war. 149  Nach Christoph M. Kimmich, The Free City. Danzig and German Foreign Policy, 1919–1934, New Haven, Conn. 1968, S. 140. 150  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. I, 1, Nr. 273. 151  Ebd., Anm. 1 zu Nr. 273. 152  Vgl. Ziehm, Arbeit. 153  Nach Anna Rauschning trat ihr Mann unmittelbar nach seiner Wahl zum Senatspräsidenten der SS bei. Vgl. A. Rauschning, No Retreat, S. 183. 154  Schreiben Streiters an Rechtsanwalt Max Kiewning, Kiel, vom 30. Juni 1946. Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 155  Nach Ruhnau, Freie Stadt, S. 119. 156  Catherine Epstein, Model Nazi. Arthur Greiser and the Occupation of Western Poland, Oxford 2012.

Anmerkungen

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157  Ebd., S. 67. 158  Ebd., S. 63 ff. Maria Körfer trat auf der Bühne unter ihrem Mädchennamen auf, sie war damals jedoch mit dem Berliner Veterinär Dr. Fredy Wessel verheiratet. Ebd. 159  Ernst Sodeikat, Der Nationalsozialismus und die Danziger Opposition, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 14, 1966, H. 2, S. 139–174, hier S. 140, Anm. 2. 160  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 72. 161  Ebd., S. 73. 162  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 134. 163  Hier nach Wendt, Danzig, S. 781. 164  Zitiert nach Broszat, Deutsche Polenpolitik, S. 238. 165 Ebd. 166  Vgl. Wendt, Danzig, S. 786. Herbert S. Levine schreibt zum Vergleich der Polenpolitik Rauschnings mit derjenigen Hitlers: »Perhaps the difference was not as great as he (Rauschning, A. H.) later believed«. Vgl. ders., Hitler’s Free City. A History of the Nazi Party in Danzig, 1925–39, Chicago 1973, S. 63. Bei Wendt wird daraus: »Möglicherweise« sei Rauschning »in dem Ziel seiner ›großen Lösung‹ gar nicht so weit von Hitler entfernt« gewesen, »wie er es später nach seinem Bruch mit dem ›Führer‹ darstellte«. Vgl. Wendt, Danzig, S. 786. Rauschning selber schrieb nach seinem Bruch mit Hitler im Abstand von rund 30 Jahren nach dem Krieg: »Die Differenz zwischen der Ostpolitik Hitlers und meinen eigenen Ideen hätte gewiß kein Grund zu einem Bruch mit den Nationalsozialisten sein brauchen. Ich war von der Richtigkeit meiner außenpolitischen Ideen nicht so überzeugt, daß ich mich nicht hätte anderen unterordnen können.« Vgl. ders., Bemerkungen, Bl. 66. 167  Noch am 10. August 1933 fand Rauschning öffentlich lobende Worte für Forster, als der Danziger Gauleiter den Ehrenbürgerbrief der Stadt Danzig erhielt. Rauschning führte in seiner Festrede u. a. aus: »Wir sind stolz darauf, hochverehrter Pg. Forster, durch Ihre Schule gegangen zu sein und gerade von Ihnen die reine Botschaft des National­ sozialismus erhalten zu haben. In einem unerhörten Kampf haben Sie das Deutschtum in Danzig zum Siege geführt, und wir sind stolz darauf, daß wir unter Ihrer Führung für das Wohl der Danziger Bevölkerung arbeiten dürfen. Es steht mir nicht an, Ihnen mit der Überreichung dieser Urkunde eine Ehre zu erweisen, sondern ich kann damit nur den Dank des ganzen Volkes zum Ausdruck bringen. Hier an dieser Stelle lege ich das feierliche Gelöbnis ab, daß Sie uns immer der Wahrer und Heger des hohen Gedankengutes Adolf Hitlers sein werden; dem Führer, dem wir alle in unverbrüchlicher Treue folgen werden. Diese Urkunde trägt in Runenschrift den Namen Albert Forsters als des Vorkämpfers für die ewigen Werte des deutsch-nordischen Volkstums.« Vgl. Löbsack, Albert Forster, S. 112. Text und Faksimile des auf den 14. Juli 1933 datierten Ehrenbürgerbriefes auch bei Schenk, Hitlers Mann, S. 44. 168  Hermann Rauschning, Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich, Zürich 1938, S. 418. 169  Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 64. 170  Ebd., S. 65. 171 Wagener, Hitler, S. 473. 172  Nordblom/Hensel, Einführung, S. 30, Anm. 99. Das Treffen mit Pilsudski erwähnt Kimmich, The Free City, S. 143, Anm. 50 mit Quellenangaben.

574Anmerkungen

173  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 123. Die Bildlegende zu dem Foto in dem Band von Schenk, Danzig 1930–1945, S. 42, das Rauschning und Greiser am Zugfenster bei der Abfahrt nach Warschau zeigt, nennt irrtümlich den Juni 1933 als Reisemonat. Das Folgende im Wesentlichen nach Nordblom/Hensel, Einführung, S. 30 f. Aus Dokumenten des Völkerbundes geht hervor, dass es der Hohe Kommissar in der Freien Stadt, Helmer Rosting, gewesen war, der die neue Regierung »gedrängt« habe, der Senat möge Warschau einen Besuch abstatten. Vgl. United Nations Archives at Geneva, League of Nations, Danzig Senate, R 5469, Schreiben Helmer Rostings an den Generalsekretär des Völkerbundes in Genf vom 6. Juli 1933. 174 Ruhnau, Freie Stadt, S. 123. 175  Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 66. 176 Kimmich, The Free City, S. 144 f. 177  Hubert R. Knickerbocker, Kommt Krieg in Europa?, Berlin 1934, S. 15. 178  Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 2/III, Oktober 1932–März 1934. Bearbeitet von Angela Hermann, München 2006, S. 277. 179  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. I, 2, Nr. 417, S. 773. 180  Vgl. Kimmich, The Free City, S. 145 f. 181  Ebd., S. 146, hier nach Nordblom/Hensel, Einführung, S. 31. 182  Vgl. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, unter Mitarbeit von Annette Weinke und Andrea Wiegeshoff, München 2010, S. 66. Marek Andrzejewskis Forschungen zufolge äußerte sich von Radowitz insbesondere nach Rauschnings Abgang aus Danzig Ende 1934 gegenüber ausländischen Diplomaten und dem polnischen Generalkommissar Papee kritisch über Forster und den neuen Senatspräsidenten Greiser. Papee behauptete sogar, von Radowitz habe Forster unbedingt aus Danzig entfernen wollen, was in Berlin jedoch auf taube Ohren gestoßen sei. Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 61. 183  Vgl. Ziehm, Arbeit, S. 193. 184  Nordblom/Hensel, Einführung, S. 31. Das Folgende nach ebd., S. 32. 185  Aus einem Schreiben des Reichsbank-Direktoriums an das Auswärtige Amt vom 3. Oktober 1933, abgedruckt bei Kimmich, The Free City, S. 147, hier nach Nordblom/Hensel, Einführung, S. 32. 186  Nach Kimmich, The Free City, S. 148 auf Grund von Aktenstücken in ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. I, 2, Nr. 491 und 492, S. 893–896 sowie Serie C, Bd. II, 1, Nr. 11, S. 13 f. 187  Vgl. H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 399, Sperrung im Original. 188  Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath vom 17. Oktober 1933: ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 11, S. 13 f. Nach Theodor Schieder, der als Erster Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler einer systematischen Kritik unterzogen hatte, handelte es sich bei dieser Aufzeichnung von Neuraths »um die einzige« ihm »bekannt gewordene Niederschrift über eine Begegnung Rauschning-Hitler von dritter Seite«. Vgl. ders., Hermann Rauschnings »Gespräche mit Hitler« als Geschichtsquelle, hrsgg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 178, Opladen 1972, S. 66. Dort auch Abdruck der Aufzeichnung.

Anmerkungen

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189  H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 406. 190  Abschrift des Briefes in: Herder-Institut Marburg, Dokumentensammlung, Archiv DSHI, Bestand 100, R. Breyer, Nr. 21. Dass Rauschning diese und eine Reihe anderer seine Danziger Präsidentenzeit betreffende Informationen einem akademischen »Nobody« offenbarte, spricht für ihre Authentizität. Als Ergebnis seiner Forschungen legte Richard Breyer später ein Standardwerk zu den deutsch-polnischen Beziehungen vor: Das Deutsche Reich und Polen 1932–1937. Außenpolitik und Volksgruppenfragen, Würzburg 1955. 191  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 102, S. 174 f. 192  Ernst Fraenkel, The Dual State. A Contribution to the Theory of Dictatorship, New York 1941, hier nach Wendt, Danzig, S. 784. 193  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 102, S. 175. 194  Ebd., Nr. 102, S. 176. 195  Vgl. A. Rauschning, No Retreat, S. 205–212. 196  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 109, S. 187. 197  Ebd., Anm. 1 zu Nr. 109. 198  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 121 f. 199  Ebd., S. 122. 200  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 58. 201  Der Danziger Vorposten, 6., 7. und 16. September 1933, hier nach Levine, Hitler’s Free City, S. 65. 202 Epstein, Model Nazi, S. 61. 203  Ebd., S. 62. 204  Abdruck der Pressemitteilung bei Lichtenstein, Juden, S. 13. 205  Vgl. Ernst Sodeikat, Die Verfolgung und der Widerstand der Juden in der Freien Stadt Danzig von 1933 bis 1945, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, Jg. 1965, Bd. 30, S. 107–149, hier S. 113. 206  Ebd., S. 111 f. Einen Tag vor den Volkstagswahlen, am 27. Mai 1933, druckte die sozialdemokratische Zeitung Danziger Volksstimme das Schreiben Forsters ab. Ebd., S. 112. 207  Vgl. Lichtenstein, Juden, S. 14. 208  Ebd., S. 15. 209  Zitiert nach Lichtenstein, Juden, S. 29. 210 Ebd. 211  Ebd., S. 30. 212  Ebd., S. 31. 213  Sodeikat, Verfolgung, S. 113 f. 214  Vgl. ebd., S. 117. 215  Zitiert nach ebd., S. 114. Die Danziger Neuesten Nachrichten waren in der Zwischenkriegszeit die auflagenstärkste und dabei konservativ ausgerichtete Zeitung Danzigs. 216  Sodeikat, Verfolgung, S. 118. 217 Lichtenstein, Juden, S. 18. 218  United Nations Archives at Geneva, League of Nations, Danzig, R 3718, 9046/9046. 219  Ebd., Bl. 7. 220  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 64.

576Anmerkungen

221  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 102, S. 175. 222  Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 80. 223  Vgl. Andrzejewski, Opposition, S. 65. 224  Hans Viktor Böttcher, Die völkerrechtliche Lage der Freien Stadt Danzig seit 1945, Göttingen 1958, S. 23, hier nach Andrzejewski, Opposition, S. 66. 225  Vgl. Kimmich, The Free City, S. 150. 226  Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 66. 227  Zitiert nach: Nordblom/Hensel, Einführung, S. 33. 228  Nach polnischen Quellen, hier nach ebd. 229 Kimmich, The Free City, S. 151. 230  Brief Rauschnings an Breyer vom 1. Oktober 1951: Herder-Institut Marburg, Dokumentensammlung, Archiv DSHI, Bestand 100, R. Breyer, Nr. 21. 231  In seinem Antwortbrief vom 15. November 1951 widersprach Breyer Rauschning insofern, als er auf zahlreiche, auch polnische, Quellen verwies, die die Bereitschaft der polnischen Seite zum Zusammengehen mit Deutschland gegen die Sowjetunion stark in Zweifel zögen: ebd. 232  H. Rauschning, Gespräche, S. 111. Wie so oft blieb Rauschning auch hier bei der Datierung seiner Unterredung mit Hitler im Ungefähren. 233  Ebd., Sperrung im Original. In einer etwa Anfang 1940 in den USA erschienenen Propagandabroschüre, die Auszüge aus dem soeben erschienen Buch Gespräche mit Hitler in englischer Übersetzung enthielt, wertete der Autor diesen angeblichen Satz Hitlers als frühen Beleg für gemeinsame Aufmarschpläne Hitlers gegen die Sowjetunion, wie er sie Jahre später wieder durch Außenminister von Ribbentrop gegenüber dem polnischen Außenminister Beck habe vortragen lassen. American Council on Public Affairs (Ed.), Hitler and the War, by Hermann Rauschning, o. O., o. J. (1940), S. 6. Des Weiteren soll sich Hitler laut Rauschning bereits während dieses Berichts über seine Unterredung mit Pilsudski danach erkundigt haben, ob »Polen neutral« bleibe, »wenn« er »gegen den Westen aktiv« werde. Vgl. ebd. sowie H. Rauschning, Gespräche, S. 110. 234 Knickerbocker, Krieg, S. 16. 235  Wendt, Danzig, S. 781, mit Einzelnachweisen. 236  PA Grube, H. R., Briefe biographischer Natur, Schreiben vom 17. September 1978. 237 Kimmich, The Free City, S. 152. 238 Knickerbocker, Krieg, S. 16. 239  Wendt, Danzig, S. 781. 240  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 1, Nr. 221, S. 313, Aufzeichnung vom 26. Januar 1934. 241  Nach Ruhnau, Freie Stadt, S. 127. 242  A. Rauschning, No Retreat, S. 173. 243  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 2, Nr. 407, S. 737 f., 18. April 1934. 244  Ebd., S. 738, Anm. 1. 245  So Ruhnau, Freie Stadt, S. 127. 246  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 59. 247  Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 67. 248  Vgl. Vorbemerkung zu Dr. Hermann Rauschning, Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig, Deutsche und Polen. Rede in der ersten Sitzung der Danziger Gesell-

Anmerkungen

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schaft zum Studium Polens am 15. März 1934, als Manuskript gedruckt, o. O., o. J. (1934). Ein Exemplar des Druckes befindet sich in der Bibliothek des Herder-Instituts, Marburg. Ebenfalls im Jahre 1934 steuerte Rauschning in seiner Eigenschaft als »Präsident des Senates der Freien Stadt Danzig« ein polenfreundliches Geleitwort zu dem Werk des Völkisch-Nationalen Kurt Lück, Deutsche Aufbaukräfte in der Entwicklung Polens. Forschung. Reihe Ostdeutsche Forschungen, Bd. 1, hrsgg. von Viktor Kauder, Plauen 1934, bei. Lück seinerseits dankte im Vorwort Rauschning für Unterstützung bei der Veröffentlichung des Buches. Vgl. ebd., S. xii. Michael Burleigh schreibt, dies habe kurz für »Verlegenheit« gesorgt, ohne diese Feststellung näher zu erläutern. Vgl. ders., Germany Turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988, S. 109. Lück hatte damals in Posen ungefähr die Position inne, die Rauschning dort bis 1926 bekleidet hatte. 249  In Übereinstimmung mit dieser Forderung nach »gegenseitigem Kennenlernen« fielen auch die Abschiedsworte Rauschnings gegenüber einer Delegation der Danziger Hitlerjugend aus, die sich Anfang Juni 1934 zu einem zehntägigen Zeltlager ins polnische Zakopane aufmachte, wohin sie der polnische Vertreter in Danzig, Minister Papee, eingeladen hatte. Rauschning sagte bei dieser Gelegenheit: Die Hitlerjungen »sollen als Vertreter der Danziger Jugend mit der polnischen Jugend in Berührung kommen, diese kennen und verstehen lernen. Nur durch die Achtung vor dem fremden Volkstum kann eine Verständigung zwischen den Nationen herbeigeführt werden. Unsere Aufgabe ist es, diese Verbindungen zu suchen zwischen dem polnischen und unserem Volke.« Der die Jungen begleitende »Scharführer Otto Wetzel gelobte« abschließend, »daß die Hitlerjungen durch Disziplin und durch selbstverständliches Bekenntnis zum Deutschtum beweisen werden, verantwortungsbewußte Träger der neuen deutschen Weltanschauung zu sein«. Vgl. DNN, 7. Juni 1934. 250  Nach Roman Dziergwa, »Also sprach … Goebbels …«. Goebbels’ Polen-Besuch 1934 und sein Warschauer Vortrag im Urteil der polnischen Intellektuellen, in: Ewa Pytel-Bartnik und Maria Wojtczak (Hg.), Habitus und Fremdbild in der deutschen Prosaliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt 2006, S. 243–253. Im Gegenzug zur Visite Goebbels’ in Warschau besuchte der polnische Gesandte in Berlin, Jozef Lipski, wenig später Königsberg. Ebd., S. 243. Zum Goebbels-Besuch in Warschau vgl. auch Peter Longerich, Joseph Goebbels. Biographie, München 2010, S. 295 sowie S. 769, Anm. 1. 251  BArch, N 344/16, fol. 1. 252 Ebd. 253  Als Druck vervielfältigt, o. O., o. J., Sperrungen im Original. 254  PA Grube, H. R., Briefe biographischer Natur, Schreiben Rauschnings an Bechmann aus Portland/Oregon vom 17. September 1978. 255  Pilsudski starb am 12. Mai 1935. 256  Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 99. 257  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. II, 2, Nr. 439, S. 780 f. 258  Ebd., Nr. 441, S. 785. 259  Eidesstattliche Versicherung, Kiel, 11. Juli 1946, Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 260  Schreiben Georg Streiters, Lindau/Bodensee, an Max Kiewning, Kiel, 30. Juni 1946, ebd. 261  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 223 vom 28. September 1934, Anm. 1, S. 420. Vgl. dazu und zum Folgenden auch Schenk, Hitlers Mann, S. 51 ff.

578Anmerkungen

262  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 223 vom 28. September 1934, S. 420. 263  Ebd., Anm. 2. 264  Aufzeichnung von Neuraths über ein Gespräch mit Rauschning im Auswärtigen Amt vom 27. Juni 1934: ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 40, S. 90. Vgl. auch Ingo Loose, Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939–1945, München 2007, S. 33. 265  PA Grube, H. R., Briefe biographischer Natur, Schreiben vom 17. September 1978. 266 Carl-Anton Schaefer, geb. am 19. Juni 1890 in Zweibrücken, war von 1953 bis 1961 Finanzminister und zusätzlich von 1953 bis 1954 Justizminister von Schleswig-Holstein. 267  Abdruck des Memorandums bei Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 77. Vgl. auch ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 224, Anlage, S. 421 ff. 268  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 40 und Anm. 5 dazu, S. 90 f. 269  Georg Crusen, Die Beziehungen der Freien Stadt Danzig zu Polen seit der Übernahme der Regierung durch den Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. XIX, 1935, S. 39–64, hier S. 61. Crusen war ehemaliger Präsident des Obergerichts der Freien Stadt Danzig. Er veröffentlichte den Aufsatz nach dem Rücktritt Hermann Rauschnings vom Amt des Senatspräsidenten. Er erwähnt den Rücktritt knapp und sachlich und rundet seine Ausführungen mit allgemeinen Gedanken zum deutsch-­polnischen Verhältnis nach dem Vertragsabschluss ab, die auch von Rauschning hätten stammen können. »Man hat in der Beurteilung der Beziehungen zwischen dem Deutschen und dem Polnischen (sic) Volke in den letzten Jahrzehnten vielleicht zu sehr das Trennende betont«, schrieb ­Crusen, »und dabei vergessen, daß beide Völker in der Geschichte Jahrhunderte lang friedlich nebeneinander gelebt und miteinander gearbeitet haben.« Ebd., S. 64. 270  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 125 f. 271  Nach Levine, Hitler’s Free City, S. 77 sowie eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwalt Max Kiewning für Georg Streiter vom 11. Juli 1946, Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 272  Eidesstattliche Versicherung, ebd. 273  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 128. 274  Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 79. 275  Vgl. Peter Bamm, Eines Menschen Zeit, Zürich 1972, S. 301 f. 276  Vgl. H. Rauschning, Conservative Revolution, S. 9. 277  Ebd. Der Text der Rede stammte von dem Jungkonservativen Edgar Jung, den Rauschning verehrte. Jung war dann auch eines der Opfer vom 30. Juni 1934. Nach Heinrich August Winkler war von Papens Rede die »schärfste öffentliche Kritik« an der Regierung Hitlers seit Otto Wels’ Rede gegen das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933. Vgl. Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. II. Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung, München 2001, S. 35. 278  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 224: Der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath an den Führer und Reichskanzler, 29. September 1934. 279  In seinem Buch Gespräche mit Hitler lässt Rauschning Hitler sich zum Zeitpunkt der Übergabe der Denkschrift irrtümlich »in Obersalzberg« aufhalten und über den ersatzweise gewünschten Kontakt zu Außenminister Neurath in Berlin heißt es in diesem Zusammenhang ein wenig befremdlich: »Neurath war auf der Gemsjagd. Die Frage in-

Anmerkungen

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teressierte ihn nicht« – gerade so, als wäre der Außenminister aus Langeweile bezüglich Danzig betreffender Probleme in die bayerischen Berge ausgewichen. Rauschning will dann den Gesprächen zufolge in Berlin versucht haben, Staatssekretär von Bülow für die Weiterleitung des Memorandums an Hitler mit »der Bitte um eine Rücksprache« zu »interessieren«. Vgl. H. Rauschning, Gespräche, S. 205. Wahrscheinlich verwechselte Rauschning die Rolle von Bülows mit einer Gelegenheit einige Tage später. Im Zusammenhang mit der Übergabe der Denkschrift am 28. September und der Weitergabe an Hitler am Tag darauf taucht jedenfalls der Name von Bülows in dem entscheidenden Schriftstück nicht auf, wohl aber die Unterschrift von Neuraths. 280  Schreiben Rauschnings an Außenminister von Neurath, 29. September 1934: ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 224, Anm. 23, hier nach Schenk, Hitlers Mann, S. 54. 281  Jedoch kam es zur Beurlaubung Streiters und Bechmanns. Vgl. das Schreiben Rauschnings an Ministerialdirektor Meyer im AA vom 11. Oktober 1934: ADAP 1918– 1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 244. 282  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 236 inkl. Anm. 1, Berlin, 8. Oktober 1934. 283  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 243, S. 462, Aufzeichnung Reichsministers von Neurath vom 11. Oktober 1934. 284  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 244, S. 463. 285  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 248, Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen, Freiherrn von Neurath, Berlin, 13. Oktober 1934. 286  Ebd., Anm. 3: »Hierüber konnte nichts ermittelt werden mit Ausnahme des Berichts … vom 23. Oktober aus Danzig …, in dem Radowitz dem AA mitteilte, er habe Rauschning am Vortage gesehen und ihm weisungsgemäß die negative Entscheidung zur Kenntnis gegeben.« 287  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 1, Nr. 249. Der Historiker Werner Maser, der sich in der Nachkriegsdiskussion um die Authentizität der Gespräche mit Hitler von einem Verteidiger Rauschnings zu einem der entschiedensten Kritiker wandelte und die Gespräche später als »erfunden« bezeichnete, erfand für den 13. Oktober 1934 eine Reise Minister von Neuraths zu Rauschning nach Danzig, um den Senatspräsidenten dort »im Auftrag Hitlers zum sofortigen Rücktritt« aufzufordern. Tatsächlich hat eine solche Begegnung in Danzig nie stattgefunden. Vgl. Werner Maser, Fälschung, Dichtung und Wahrheit über Hitler und Stalin, München o. J. (2004), S. 206. Wahrscheinlich irrtümlich gab Maser hier auch – in seinem knappen Text allerdings zweimal – eine falsche Quelle an: Statt ADAP …, Serie D muss es richtig heißen Serie C. 288  Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 3/I, April 1934–Februar 1936. Bearbeitet von Angela Hermann, Hartmut Mehringer, Anne Munding und Jana Richter, München 2005, S. 120. 289  Leserbrief Krügers in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Oktober 1985. 290  Vgl. Marek Andrzejewski und Hubert Rinklake, »Man muß doch informiert sein, um leben zu können«. Erich Brost. Danziger Redakteur, Mann des Widerstandes, Verleger und Chefredakteur der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«. Mit einem Vorwort von Holger Börner, Bonn 1997, S. 53.

580Anmerkungen

291  Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 37. 292  Der Ort der Unterredung wird nicht genannt. Rauschning selber berichtet von einem Gespräch mit von Brauchitsch anlässlich dessen Besuchs bei einem Pferderennen in Danzig »im Frühjahr 34«. Vgl. H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 61. 293  BArch, N 28/1, Bl. 48. 294  H. Rauschning, Conservative Revolution, S. 10 f., meine Übersetzung, A. H. Außerdem gleichlautende briefliche Informationen Rauschnings an H. L. Leonhardt. Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 103. 295  Mit den Mitarbeitern waren Georg Streiter und Hellmut Bechmann gemeint. 296  In Österreich war im Spätsommer 1934 ein nationalsozialistischer Putsch blutig niedergeschlagen worden und in Memel hatte die litauische Polizei zahlreiche Nationalsozialisten verhaftet, was zu Spannungen zwischen Litauen und dem Reich geführt hatte. 297  BArch, Nachlass Ludwig Beck, N 28/1, Bl. 50–52. 298  Churchill Archives Centre, Churchill College, Cambridge, The Papers of Group Captain Malcolm Christie (CHRS), 1/29. Jürgen Hensel, der die Reiseaktivität Rauschnings im Exil akribisch nachgezeichnet hat, nennt einen Aufenthalt des ehemaligen Senatspräsidenten in Paris für Juni 1939 und eine vorübergehende Anwesenheit in England vom 3. bis 6. Juli 1939, bevor er wieder nach Frankreich zurückkehrte: Jürgen Hensel, Hermann Rauschnings politisches Itinerar vom Juli 1935 bis zum Mai 1940. Versuch einer Rekonstruktion, in: Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, S. 123–150, hier S. 142, Anm. 80. 299  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 62. 300  Aufzeichnung von Radowitz’ vom 7. November 1934: ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 2, Nr. 308, S. 576. 301 Andrzejewski, Opposition, S. 74. 302  Ebd., S. 74 f. 303  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 2, Nr. 308, S. 576 f., 7. November 1934. 304  Dazu dürfte auch das freundliche Verhältnis zwischen Anna Rauschning und der Gattin des Hohen Kommissars, Mary Lester, beigetragen haben, das zu gelegentlichen privaten Besuchen des Ehepaares Lester auf dem Hof der Rauschnings in Warnau führte. Vgl. A. Rauschning, No Retreat, S. 144. Der Heinrich-Heine-Experte Kurt Weinberg schrieb wenige Jahre später im Pariser Exil über Lester: »Seine zunächst höflichen Beziehungen zu dem damaligen ersten nationalsozialistischen Senatspräsidenten, Hermann Rauschning, machten bald einer tiefen, persönlichen Freundschaft Platz.« Vgl. ders., Von Lester zu Burckhardt. Völkerbundkommissare in Danzig, in: Die Zukunft, Nr. 34, 25. August 1939. Wahrscheinlich hatte Weinberg diese Information von Rauschning persönlich, denn beide schrieben zu jener Zeit in Paris für die Zukunft. Laut Sean Lester hatte Rauschning ihn auch vertraulich darüber informiert, dass der Senat zeitweilig erwogen habe, einen Tunnel vom Senatsgebäude zur Residenz des Hochkommissars zu graben, um dort Abhöreinrichtungen zu installieren. Vgl. Paul McNamara, Sean Lester, Poland, and the Nazi Takeover of Danzig, Dublin 2009, S. 117. 305  ADAP 1918–1945, Serie C, Bd. III, 2, Nr. 308, S. 578. 306  Ebd., Nr. 329, S. 616 f. 307  Ebd., S. 617, Anm. 4 zu Nr. 329. 308  Einen frühen, fast vollständigen Abdruck des zehn Schriftstücke umfassenden Briefwechsels zwischen von Wnuck und Rauschning einschließlich des Abschiedsbriefes von Rauschning an die Danziger brachte das in Kattowitz erscheinende katholische, anti-

Anmerkungen

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nationalsozialistische Minderheitenorgan Der Deutsche in Polen (DiP). Vgl. DiP, Nr. 27 vom 7. Juli 1935. Insofern irrig H. L. Leonhardt, der als ersten Abdruck die Veröffentlichung auf Französisch in L’Europe nouvelle, XVIII, August 1935, S. 743 f., nennt. Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 97 f. Eine vollständige Verfilmung der Dokumente verwahrt die ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, Schriftgut NARA RG 242-T-120/MF 162/130000– 130022. Die verfilmten Schriftstücke waren ursprünglich Fotokopien und stammten aus »polnischen Beuteakten des OKW«. Ein Begleitschreiben der Wehrmacht ist mit »Geheime Reichssache« gestempelt, Datum 27. Juli 1943. Es macht darauf aufmerksam, dass laut beigefügten polnischen Dokumenten die Papiere durch »Diebstahl in die Hände« der »II. Abteilung des polnischen Generalstabs (i. e. der Geheimdienstabteilung, A. H.) gelangt« seien. Unklar ist, wer für den Diebstahl im Ende Juni 1935 verantwortlich zeichnete. Da zwischen dem Diebstahl und der Veröffentlichung der Papiere in DiP nur zwei Wochen lagen, liegt die Vermutung nahe, dass sie von polnischer Seite der Zeitschrift zugespielt wurden. Rauschning hatte nach der Publikation in DiP noch einen letzten öffentlichkeitswirksamen Auftritt in Danzig (s. u.), den er wohl kaum durchgeführt hätte, wenn er im Verdacht gestanden hätte, mit dem Diebstahl in Verbindung zu stehen. Allerdings dürfte auch feststehen, dass Rauschning den Schriftwechsel zumindest in irgendeiner Form »der Opposition« zugänglich machte. Vgl. Levine, Hitler’s Free City, Anm. 5, S. 198, wo sich weitere Publikationsorte des Schriftwechsels finden. In englischer Übersetzung finden sich die Schriftstücke auch bei H. Rauschning, Conservative Revolution, S. 14–30. Allgemein und umfassend zu DiP: Pia Nordblom, Für Glaube und Volkstum. Die katholische Wochenzeitung »Der Deutsche in Polen« (1934–1939) in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Paderborn 2000. 309 Vgl. DiP, Nr. 27 vom 7. Juli 1935 sowie ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, NARA, RG 242 T-120/MF 162, Bl. 130011 und 130012. 310  Vollständig in: ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, Bl. 130013. 311  Exakt dieselben Auslassungen finden sich auch im englischsprachigen Abdruck des Schriftwechsels bei H. Rauschning, Conservative Revolution, S. 21–23. Möglicherweise hatte Rauschning bei der Abfassung des Manuskripts zu diesem Buch im Exil nur die Version des Schriftwechsels in DiP zur Hand. 312  DiP, Nr. 27 vom 7. Juli 1935. 313 Ebd. 314 Ebd. 315 Ebd. 316 Ebd. 317 Ebd. 318  Eidesstattliche Versicherung von Rechsanwalt Max Kiewning für Georg Streiter vom 11. Juli 1946: Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 319 Ebd. 320  Ebd. Nach eigenen Angaben gegenüber Kiewning gelang es Streiter Anfang Februar 1935, aus Danzig zu entkommen, nachdem der Chef der Politischen Polizei die Polizeiaufsicht über ihn aufgehoben hatte, ihm durch seinen persönlichen Chauffeur seinen deutschen Pass in seine Wohnung hatte bringen lassen – Streiters Danziger Pass war eingezogen worden – und er »mit Hilfe Papees« und mit dessen Diplomatenwagen die Grenze nach Gdingen hatte passieren können. In ihren Erinnerungen schreibt sich Streiters erste Ehefrau, Johanna, die entscheidende Rolle bei der Übermittlung des deut-

582Anmerkungen

schen Passes zu, außerdem erscheint ihre Datierung, wonach die Flucht ihres Mannes nach Polen zwischen Weihnachten und Neujahr 1934 stattfand, plausibler. Vgl. Kopie der Aufzeichnung Johanna Streiters, Sammlung Georg Streiter, Berlin. Georg Streiter hielt sich zunächst bis zum Kriegsausbruch in Polen auf, wo er als Journalist für deutschsprachige Blätter schrieb, und fand dann wegen seiner Polnischkenntnisse eine Anstellung im Auswärtigen Amt, wo er jedoch im März 1940 auf Druck der NSDAP »fristlos entlassen« wurde. Als Korrespondent der Berliner Börsen-Zeitung arbeitete Streiter dann bis 1942 in Rumänien und schließlich bis August 1944 in der Türkei. Über Budapest und Wien kehrte er im Sommer 1945 nach Deutschland zurück, war zunächst stellvertretender Leiter des Arbeitsamtes in Lindau im Bodensee und dann seit November 1945 nach eigener Aussage »wieder so eine Art ›Pressechef‹« als Flüchtlingskommissar und »Leiter der Nachrichtenstelle« in Lindau. Vgl. Brief Streiters an Kiewning vom 30. Juni 1946 und Brief Streiters an Kiewning vom 18. Mai 1945: Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 321 Levine, Hitler’s Free City, S. 82. 322  Joachim Grube, Windows in History, S. 11. Bei diesem Text handelt es sich um ein bislang unveröffentlichtes Manuskript von Rauschnings Schwiegersohn über die Familiengeschichte der Grubes. 323  Vgl. ebd., S. 81. 324  Brief Greisers an Maria Körfer, aus dem Amerikanischen rückübersetzt, A. H. Nach Epstein, Model Nazi, S. 72. 325  Rückübersetzt aus dem Amerikanischen, A. H. Vgl. Epstein, Model Nazi, S. 73 f. 326  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 130 f. 327 Levine, Hitler’s Free City, S. 83 ff. 328  Ebd., S. 84. 329 Ebd. 330  Ebd., S. 86 f. 331  DNN vom 26. März 1935. 332  Vgl. Otto Röckh, Die Wahrheit über Danzig! Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes, Wien 1935, S. 41. 333  Ebd. sowie Nordblom/Hensel, Einführung, S. 38, Anm. 132. 334  Vollständig abgedruckt bei Röckh, Wahrheit, S. 42–46, auszugsweise bei Denne, Danzig-Problem, S. 61 f. 335  Zitiert nach Röckh, Wahrheit, S. 45 f. 336  Interview mit Brost am 9. Juni 1995 in Jelitkowo bei Danzig, hier zitiert nach Nordblom/Hensel, Einführung, S. 38, Anm. 133. 337  A. Rauschning, No Retreat, S. 250. 338  Vgl. Ruhnau, Freie Stadt, S. 136. In dem Entnazifierungsverfahren aus dem Jahre 1948 gegen Rechtsanwalt Erich Willers, der Wilhelm Zarske bei Gericht vertreten hatte, bestätigte Rauschnings Anwalt Max Kiewning an Eides statt den Prozess Rauschning gegen Zarske; die Geldstrafe betrug seiner Erinnerung nach 1000 Reichsmark. Kiewning trug in seiner Erklärung zahlreiche belastende Gesichtspunkte einschließlich solcher familiärer Art gegen Willers vor, gelangte jedoch am Ende zu dem »Eindruck …, daß Dr. Willers nur unter pathologischen Gesichtspunkten beurteilt werden« könne. Vgl. Schriftwechsel zwischen der Landkreisverwaltung Rendsburg, Entnazifizierungsausschuß Rendsburg – Schreiben an Kiewning vom 15. Dezember 1948 – und Rechtsanwalt und Notar Max Kiewning, Kiel, Schreiben vom 20. Dezember 1948. Sammlung Jörg Richter, Hamburg.

Anmerkungen

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339  Schwarzwälder Bote, Nr. 84 vom 9. April 1935, »Dr. Rauschning geflüchtet«, hier zitiert nach Ruhnau, Freie Stadt, S. 136, Anm. 134. 340  Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 3/I, S. 214. 341  Im Anschluss an Forschungen Ernst Sodeikats hier zitiert nach Schenk, Danzig 1930–1945, S. 57. 342  Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 3/I, S. 214. 343 Levine, Hitler’s Free City, S. 85. 344  Zahlen ebd., S. 86. 345  So etwa der Leitartikel in der New York Times vom 8. April 1935. Vgl. ebd., S. 199, Anm. 31. 346  Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 3/I, S. 214. 347  Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 88. 348  PA Grube, Briefwechsel H. R./Hertha Dauben, geb. Rauschning. Mit dem »Triumph des Willens« spielte Rauschning auf den Titel des gleichnamigen Propagandafilms von Leni Riefenstahl über den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP von 1934 an. 349  »Marked man«: Grube, Windows, S. 12. 350 Ebd. 351  Rauschning an Kiewning, 7. März 1935. Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 352  A. Rauschning, No Retreat, S. 255. 353  In seinem Brief an Rauschning hatte Wiebe seine berufliche Tätigkeit in Danzig so bezeichnet. Antwort Rauschnings vom 3. Juli 1955. PA Grube, Briefwechsel Walter Wiebe. Welche »Denkschrift« Rauschning meinte, wird nicht deutlich. 354  Das Folgende im Wesentlichen nach Ruhnau, Freie Stadt, S. 135. Ähnlich Levine, Hitler’s Free City, S. 110. 355  Vgl. Nordblom/Hensel, Einführung, S. 38, Anm. 135. 356  Jan Szembek, Dziennik i teki Jana Szembeka, London 1965, S. 259 f., hier nach McNamara, Sean Lester, S. 185. Lester bat Ende 1936 um die Beendigung seiner Dienstzeit in Danzig, kehrte als stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes nach Genf zurück und wurde erst durch den Amtsantritt von Carl J. Burckhardt als neuer Hochkommissar in Danzig am 18. Januar 1937 von diesem Posten formell entbunden. 357  Nach McNamara, Sean Lester, S. 206. 358  H. Rauschning, Gespräche, S. 9. 359  Elizabeth Wiskemann, The Europe I Saw, London 1968, dt.: Erlebtes Europa. Ein politischer Reisebericht 1930–1945, Bern 1969. 360 Wiskemann, Europa, S. 46 f. 361  H. Rauschning, Hitler Speaks. A Series of Political Conversations with Adolf Hitler on His Real Aims, London 1939, S. 13. 362 Wiskemann, Europa, S. 47. 363 Wiskemann, Europe, S. 50, meine Übersetzung, A. H. 364 Wiskemann, Europa, S. 56. Seit 1940 arbeitete Elizabeth Wiskemann in der Schweiz für den britischen Nachrichtendienst Political Intelligence Department und hatte dort auch Kontakt zu Hans Bernd Gisevius, dem als deutscher Vizekonsul in Zürich getarnten Vertreter des Amtes Ausland/Abwehr in der Schweiz. 365  Das Folgende nach A. Rauschning, No Retreat, S. 250 ff. 366  Der bereits erwähnte Jochen Schmauch erinnert sich, dass sein damaliger Freund, der Sohn der Rauschnings, Fritz, auf dem Schulhof der Oberschule in Marien-

584Anmerkungen

burg an der Nogat als »Landesverräter« angefeindet wurde. Schmauch, Erinnerungen, PA Grube. 367  Original des Passes in PA Grube. Einige Stempel sind unleserlich. Hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit auf diesen Fahrten wird Rauschning möglicherweise die im Sommer 1936 in Berlin abgehaltenen Olympischen Spiele in sein Kalkül einbezogen haben. Seine Verhaftung wäre zweifellos ein Skandal gewesen. 368  PA Grube, H. R./US Government, Kopie des Affidavits vom 8. Januar 1942. 369  Vgl. Marek Andrzejewski, Hermann Rauschning: Biographische Skizze, in: Gilbert H. Gornig (Hg.), Fünfte deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur im zusammenwachsenden Europa. Schriftenreihe der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Bd. 5, Lübeck 2001, S. 170–185, hier S. 177. 370  Artikel »Landesverräterische Umtriebe Rauschnings«, in: Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 4 vom 5. Januar 1937. Kopie im Herder-Institut Marburg, Archiv, P 0301, S 943. Vgl. auch Nordblom, Glaube, S. 246 f. In einem 1950 von ihm in der Bundesrepublik veröffentlichten Buch zitiert Rauschning ohne weitere Quellenangabe einen angeblich auf ihn gemünzten Ausspruch von Joseph Goebbels: »Danzig hat eine SA, und dieser Mann lebt noch?«: H. Rauschning, Deutschland zwischen West und Ost, Berlin, Hamburg, Stuttgart 1950, S. 19. 371  Dazu im Einzelnen Hensel, Itinerar, S. 127. 372  Gespräch J. Hensels mit Brost am 9. Juni 1995 in Jelitkowo bei Danzig, ebd., S. 127 f. Die Hilfe der polnischen Seite erwähnt auch Peter Bamm, Zeit, S. 303. 373  Vgl. Stanislaw Mikos, Wolne Miasto Gdańsk a Liga Narodów 1920–1939, Danzig 1979, S. 305. Zur Bewachung des Hauses durch die polnischen Sicherheitskräfte vgl. auch Grube, Windows, S. 12. 374  Schreiben Rauschnings an Maier-Hultschin vom 11. Juni 1949: B Arch, N 1043/49 sowie Schreiben Rauschnings an Maier-Hultschin vom 8. September 1951: PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 375  Brief Rauschnings, »zur Zeit Torun, (Polen)«, an Burckhardt, als Beilage »Aufzeichnungen«: Universitätsbibliothek Basel, NL 110: B I b 3: Dossier 14. Der Brief trägt kein Datum. 376  In seinen in großer Auflage erschienenen Erinnerungen zeichnete Burckhardt ein differenziertes, um nicht zu sagen widersprüchliches, am Ende wohlwollendes Porträt Rauschnings. So hieß es bei ihm zunächst: »Kein Zweifel: Rauschning hat durch seine publizistische Tätigkeit und als politischer Redner die Autorität des Völkerbundes in Danzig zerstört, und er ist vorerst die starke Persönlichkeit, die dem Nationalsozialismus in der Freien Stadt zum Siege verhalf. Dennoch kann man seiner Wirksamkeit nur mit Hochachtung gedenken.« Und einige Zeilen später hieß es abschließend: »Nachdem er seinen Irrtum eingesehen hatte, ist er als ein Mann von Überzeugung vor keinen Konsequenzen zurückgeschreckt. Er besaß Mut und ausgesprochen staatsmännische Züge.« Vgl. Carl Jacob Burckhardt, Meine Danziger Mission 1937–1939, München 1960, S. 34. 377  O. O., o. J. (1936). 378  Brief Rauschnings an Brost. Der Briefkopf lautet: Warnau, Post Kalthof. Freie Stadt Danzig. Torun 28/XII.36 bei Schwartz, Bydgoska. Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 379 Ebd. 380  So z. B. Theodor Loevy, Zum Thema: Widerstand der Danziger Juden, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, Jg. 1966, Bd. 34, S. 190–192, hier S. 191.

Anmerkungen

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381  Grube, Windows, S. 9. 382  Th. Loevy, Thema, S. 191. Sodeikat hatte ein vertrauliches Schreiben Gauleiter Forsters an die »Parteigenossen« vom 3. Mai 1933, in dem dieser zur Besonnenheit im Umgang mit den Danziger Juden aufrief, als Teil eines »hinterhältigen Versteckspiels« der Nationalsozialisten bezeichnet, dessen Urheber nicht Forster, sondern »Hermann Göring und Dr. Hermann Rauschning« gewesen seien. Vgl. E. Sodeikat, Verfolgung, S. 111 f. 383  Kopie der Aufzeichnung Johanna Streiters, Sammlung Georg Streiter, Berlin. 384  Erwin Lichtenstein, Bericht an meine Familie. Ein Leben zwischen Danzig und Israel. Mit einem Nachwort von Günter Grass, Darmstadt 1985, S. 67. 385  Gertrud Dworetzki, Heimatort Freie Stadt Danzig. Thomas Omansen, Gdańsk– Danzig–Gdańsk: Rückblicke, Düsseldorf 1985, S. 36 und 92. 386  Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Velbert 1967, S. 337. 387  Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft, München 1983, S. 213. Irrtümlich wird hier der Parteieintritt Rauschnings auf das Jahr 1926 datiert. 388  Hermann Weiß (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt 1998, hier zitiert nach der Ausgabe des Tosa Verlags, Wien, 2003, unter dem Titel Personenlexikon 1933–1945. 389  Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 872. 390  Friedemann Bedürftig, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon, München 2002, hier benutzte Ausgabe von Dezember 2004. Bedürftig hatte bereits 1985 in München gemeinsam mit Christian Zentner Das große Lexikon des Dritten Reiches publiziert, in dem es unter dem Stichwort »Hermann Rauschning« u. a. hieß: »… leitete R. eine scharfe nat.-soz., d. h. antisemitische Politik ein (›Säuberung des Volkes von fremden/ausl., destruktiven Persönlichkeiten‹) und pflegte einen aufwendigen Führerkult«. 391  Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt 2005, hier nach der 2. Auflage Juni 2007. 392  Vgl. dazu S. 259 ff. 393  https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Rauschning (letzter Zugriff: 27.02.2016). 394  BArch, R 58/236, Nr. 245. Irrtümlich nennt das Dossier 1932 als das Jahr von Rauschnings Parteieintritt. 395  DiP, Nr. 28 vom 14. Juli 1935. Vgl. dazu auch Nordblom, Glaube, S. 247. 396  Vgl. Nordblom, Glaube, Anm. 302, S. 246. 397  Ebd., S. 245. 398  Dies und das Folgende nach ebd., S. 246 f. 399  H. Rauschning, Wir sind mitverantwortlich!, in DiP, Nr. 15 vom 9. April 1939, und Nr. 18 vom 30. April 1939. Vgl. Nordblom, Glaube, S. 247, Anm. 309. In diesem Beitrag nahm Rauschning insbesondere die Eliten des Deutschtums in Osteuropa in die Pflicht, die sich nicht »in blindem Gehorsam dazu erniedrigen« dürften, »die ausführenden Organe der deutschen Weltrevolution zu werden«. 400  Vgl. ebd., S. 209–211. 401  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 28. 402  Ebd. Vgl. H. Rauschning, Die Revolution des Nihilismus. Neu hrsgg. von Golo Mann, Zürich 1964.

586Anmerkungen

403  Ebd., S. 5 f. 404  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 76. 405  Vergleiche in diesem Sinne auch Titel und Argumentation des ansonsten verdienstvollen Beitrags von Winfrid Halder, Hermann Rauschning und das Regime Hitlers. Irrtum und Umkehr eines Konservativen, in: Kroll, Frank-Lothar (Hg.), Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik, Berlin 2000, S. 477–500. 406  H. Rauschning, Bemerkungen, Bl. 79. 407  Deutschland-Berichte der Sopade, 2. Jg., 1935, neu hrsgg., Frankfurt 1980, S. 753. Im Übrigen fiel die recht detaillierte Sopade-Berichterstattung über die Regierungszeit Rauschnings insgesamt recht wohlwollend für den Senatspräsidenten aus. Sopade steht für Sozialdemokratische Partei Deutschlands (zunächst im Prager, seit April/Mai 1938 im Pariser Exil). 408 Bamm, Zeit, S. 303. 409  Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil II, Diktate 1941–1945, Bd. 5, Juli–September 1942. Bearbeitet von Angela Stüber, München 1995, S. 605. Tatsächlich ist über angebliche polnische Jagdeinladungen an Rauschning nichts bekannt. 410  11.–12. Tausend, ergänzte und verbesserte Auflage, Zürich 1938. Das Folgende im Wesentlichen nach Peter Stahlberger, Der Zürcher Verleger Emil Oprecht und die deutsche politische Emigration 1933–1945, Zürich 1970, S. 208–211. Vgl. auch Anthony Carty, Der Nihilismus-Begriff in Hermann Rauschnings »Die Revolution des Nihilismus«, in: Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, S. 91–112, sowie Wolfram Ender, Rauschnings Kritik des Nationalsozialismus – typisch für das deutsche Bürgertum?, in: ebd., S. 113–122. 411  Ernst Nolte, Einleitung, in: ders. (Hg.), Theorien über den Faschismus, Köln 1967, S. 60, hier nach Stahlberger, Oprecht, S. 208. 412  Marek Andrzejewski, Zur deutschsprachigen Emigration in Polen 1933 bis 1939, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 18: Exile im 20. Jahrhundert, hrsgg. im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung von Claus-Dieter Krohn u. a., München 2000, S. 138–156, hier S. 149. Andrzejewski beruft sich bei dieser Information auf eine mündliche Auskunft von Jürgen Hensel, Warschau: ebd., Anm. 29. 413  Vgl. Hensel, Itinerar, S. 139 und Anm. 62 dazu. 414  BArch, N 344/16, fol. 1–, 12. März 1947. 415  Bei dem Grafen Lubienski handelte es sich um den damaligen Kabinettschef im polnischen Außenministerium. 416  H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 13. 417 Stahlberger, Oprecht, S. 209. 418  H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 43. Sperrungen im Original. 419  Ebd., S. 82 f. 420  Ebd., S. 157. 421 Stahlberger, Oprecht, S. 210. 422  H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 438 f. 423 Stahlberger, Oprecht, S. 210. 424 Ebd. 425  H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 312.

Anmerkungen

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426  H. Rauschning, Die Grundlinie der deutschen Ostpolitik, in: Maß und Wert, 2. Jg., H. 2, November/Dezember 1938, S. 167–183. 427  Ebd., S. 167 f. 428  Ebd., S. 181. 429  Eine detaillierte Rekonstruktion der Reisetätigkeit bietet Hensel, Itinerar, S. 123 f. Sie liegt auch der folgenden Zusammenfassung zu Grunde. 430  Gottfried R. Treviranus (1891–1971), protestantisch-konservatives Mitglied im Kabinett Brüning, im Zuge des »Röhm-Putsches« 1934 Flucht über die Niederlande nach England, später nach Kanada. 431  Heinrich Brüning, Briefe und Gespräche 1934–1945, hrsgg. von Claire Nix unter Mitarbeit von Reginald Phelps und George Pettee, Stuttgart 1974, S. 144. 432 Ebd. 433  PA Grube, H. R./US Government, New York, N.Y., 8. Januar 1942 (Kopie). 434 Brüning, Briefe, S. 145. 435  Thomas Mann, Tagebücher 1937–1939, hrsgg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt 1990, S. 76. 436  Hensel, Itinerar, S. 132. Zur Problematik der »Prager Akten« vgl. ebd., Anm. 30. 437  Vgl. Erich Brost, Wider den braunen Terror. Briefe und Aufsätze aus dem Exil, hrsgg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit einem Geleitwort von Anke Fuchs, bearbeitet von Marek Andrzejewski und Patrik von zur Mühlen, Bonn 2004, Dok. Nr. 22, S. 81 f. 438  Das Misstrauen Brosts gegenüber Künstler hatte eine Vorgeschichte. Bereits um die Jahreswende war Künstler zusammen mit Hans Lazarus (später in den USA Hans L. Leonhardt) als Vertreter der Danziger Opposition nach London gereist, um dort Medienvertreter und, wenn möglich, hochrangige Politiker über die fortgesetzten Verfassungsbrüche der Nationalsozialisten im Freistaat zu informieren und sogar – gegenüber dem Vertreter des Foreign Office – Neuwahlen unter Schirmherrschaft britischer und französischer Truppen zu fordern. Während dieses Vorhaben hinsichtlich der britischen Presseberichterstattung einigermaßen gelang und britische Zeitungen in ihrem Sinne ausführlich berichteten, zeigte ihnen Außenminister Eden die kalte Schulter und gab der im Foreign Office für Völkerbundfragen zuständige Sachbearbeiter Stevenson hinhaltende Erklärungen ab. Ernst Künstler soll nach einer Quelle des Foreign Office sogar mit einem Aufstand der Danziger Opposition gedroht haben, sollte sie mit den Nationalsozialisten alleingelassen werden. Mit der Erinnerung an das »behaviour« der »socialists« bei der »Machtergreifung« 1933 wurde diesem Gedanken in London wenig Bedeutung beigemessen, ganz abgesehen davon, dass die Londoner Außenpolitik wenig Neigung verspürte, sich in eine derartige Situation einzumischen. Vgl. Levine, Hitler’s Free City, S. 111 f. sowie Andrzejewski, Opposition, S. 113 f. Hans L. Leonhardt als an der Londoner Mission unmittelbar Beteiligter schildert diese ausführlich, vermeidet aber geradezu krampfhaft die Nennung des Namens von Ernst Künstler als den seines Begleiters. Vgl. Leonhardt, Conquest, S. 191–196. 439  Hensel, Itinerar, S. 133. Stempel in seinem Pass deuten die Möglichkeit einer weiteren, ca. sechswöchigen Reise gegen Ende des Jahres 1937 zumindest nach Österreich und in die Schweiz an. 440  Verkürzt wiedergegeben nach ebd., S. 136. 441 Stahlberger, Oprecht, S. 339, Anm. 38, nach einem Brief Rauschnings an Stahlberger vom 20. Mai 1968. Für welche Seite Rössler später spionierte, teilt Stahlberger

588Anmerkungen

nicht mit. Nach einer kleinen Bemerkung Rauschnings in einem Brief an Johannes Maier-­Hultschin soll Maier-Hultschin es gewesen, sein, der dem Europa Verlag das Manuskript zur Veröffentlichung anbot. Vgl. Schreiben Rauschning/Maier-Hultschin vom 8. September 1951: PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 442  Golo Mann, Briefe 1932–1992, hrsgg. von Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi, Göttingen 2007, Nr. 151, S. 279. 443  Ebd., Nr. 147, Brief vom 2. Januar 1981, S. 271. 444  Hensel, Itinerar, S. 137. Die Mainzer Historikerin Pia Nordblom hatte im November 1995 Gelegenheit, im Moskauer »Zentrum zur Aufbewahrung historisch-­ dokumentarischer Sammlungen« (OAM, deutsche Abkürzung ZAhdS), dem bis Juli 1992 so genannten »Sonderarchiv«, einige der Hermann Rauschning betreffenden Unterlagen einzusehen. Da diese Papiere bislang nur einem begrenzten Leserkreis zugänglich waren, soll aus ihnen im Folgenden etwas ausführlicher zitiert werden. Grundlage der Zitate sind ihr Abdruck bei Hensel, Itinerar, S. 137 f. sowie Pia Nordblom, Der Nachlass Hermann Rauschnings im »Zentrum für die Aufbewahrung historisch dokumentarischer Sammlungen« in Moskau. Werkstattbericht. Deutsches Historisches Institut Warschau, Arbeitskreis Hermann Rauschning, 18. März 1996. Der Verfasser dankt Pia Nordblom für die Überlassung einer Kopie des Berichts sehr herzlich. 445  Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen bei Hensel, Itinerar, S. 138 f. 446  ZAhdS Moskau, hier nach Hensel, Itinerar, S. 137. 447  Ebd. Der Polenkenner Hensel merkt hierzu an, dass Oprecht mit diesem Urteil »wenig Kenntnis des polnischen Buchmarktes bzw. der Intelligenz in Polen« verraten habe, »die im Grunde nicht auf Übersetzungen angewiesen war«: ebd. 448  Schreiben Rauschning/Spears vom 21. November 1938. Der gedruckte Briefkopf las sich folgendermaßen: Dr. Hermann Rauschning. Ehemaliger Präsident des Senats der Freien Stadt Danzig. Zürich, Rämistr. 5, Europa-Verlag. Cambridge, Churchill Archives Centre, The Papers of Sir Edward Spears, SPRS 1/285. Die Deutschkenntnisse Spears’ rührten von einem zweijährigen Internatsbesuch in Deutschland her. 449  Emil Oprecht sandte ihm Post nach Melide nach. 450  ZAhdS Moskau, hier nach Hensel, Itinerar, S. 141. 451  So z. B. Boguslaw Drewniak, Polen und Deutschland 1919–1939: Wege und Irrwege kultureller Zusammenarbeit, Düsseldorf 1999, S. 78. 452  Wiadomości Literackie, 2. Juli 1939, S. 6. 453  Vgl. Hensel, Itinerar, S. 142, dazu Anm. 79, ebd. 454  Andrezejewski, Emigration, S. 149. Allerdings hinkt dieser Vergleich natürlich ein wenig, denn die Gespräche hätten 1940 oder 1941 im deutsch besetzten Polen nie erscheinen können. 455  Ebd., S. 142, Anm. 78. 456  Adam Michnik, Schirinowski, mon amour, in: Der Spiegel, Nr. 2/1994, S. 114 f. 457 Vgl. Verbrannte und Verbannte: Hermann Rauschning, http://verbrannte-undverbannte.de/person/gnd/118749331 (letzter Zugriff: 18.10.2016). 458  ZAhdS Moskau, hier zitiert nach Grzegorz Berendt, Die Judenfrage in der Freien Stadt Danzig und die Rolle Hermann Rauschnings 1933–1934, in: Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, S. 71–90, hier S. 85–87, Dokument Nr. 2 (Durchschlag). Zumindest was den Umfang seiner Beschäftigung mit dem Antisemitismus in seinem Buch Die Revolution des Nihilismus angeht, lag Hirsch nicht ganz daneben. Gerade einmal zwei

Anmerkungen

589

von ca. 500 Seiten widmete der Autor explizit diesem Thema. Auf ihnen führte er jedoch in aller Klarheit aus, dass die nationalsozialistische Judenpolitik sowohl aus »ethischen« wie auch aus »praktischen« Gründen verwerflich sei. Er beklagte die »Zerstörung von Rechtsbegriffen, welche durch die Schulung auf einen revolutionären Umsturz durch die Befriedigung der Neidinstinkte mit der Beseitigung der jüdischen Wirtschaftskonkurrenz, der entschädigungslosen Enteignung und brutalen Entrechtung eines Volksteiles in Gang gebracht worden« sei. Es werde mit Blick auf die Zukunft »die Aufgabe des konservativen Politikers sein, die Frage zu prüfen, ob das Judentum wirklich das ›Ferment der Dekomposition‹ in der falschen populären Auffassung ist und nicht mindestens ebenso ein Element der Erhaltung und Ordnung. Sicherlich ist ein solches Ferment der Dekomposition im zerstörerischen Sinne, im populär-nationalsozialistischen, gerade dieser brutale revolutionäre Antisemitismus selbst. Eine derartige, die Rechtsbegriffe und die tief verwurzelten Anschauungen von persönlicher Würde, Freiheit und Sicherheit umstürzende Behandlungsart eines Teiles der Bevölkerung bedeutet geradezu, die Pforte der Revolution und des Aufstandes der Massen dauernd offen zu halten.« Hinsichtlich einer künftigen deutschen und europäischen Judenpolitik sah er jedoch ein »ernstes Problem einer historischen Erbschaft, insbesondere das parasitäre jüdische Proletariat«, ohne diesen Gedanken jedoch näher auszuführen. Gegen Ende seiner Ausführungen zur Judenverfolgung im »Dritten Reich« schrieb Rauschning: »Der deutsche Lebensraum wird nicht durch die Zerstörung des jüdischen vergrößert werden, sondern er wird verarmen. Die Erkenntnis von dieser fundamentalen Wahrheit wird ebenso zu spät kommen, wie die über Gewinn und Verluste im (Ersten, A. H.) Weltkriege.« Vgl. H. Rauschning, Revolution, Ausgabe 1938, S. 143–145. 459  Vgl. Berendt, Judenfrage, S. 87 f., Dokument Nr. 3 (Durchschlag). 460  Vgl. Informationsblatt des Europa Verlages mit Neuerscheinungen: Zentralbibliothek Zürich, Ms. Oprecht R.445. 461  H. Rauschning, Der verhängnisvolle Irrtum, in: Die Zukunft, Nr. 9 vom 9. Dezember 1938. 462 Stahlberger, Oprecht, S. 116. 463  Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, erweiterte und überarbeitete Neuausgabe, Stuttgart 1981, S. 14. 464  The Revolution of Nihilism. Warning to the West, Alliance Book Corporation, Longmans, Green & Co., New York 1939. Der deutsch-jüdische Verleger Fritz H. Landshoff nannte die Übersetzung von Alliance Book »sehr gut«. Das Buch »fand eine vorzügliche Aufnahme bei der amerikanischen Presse«, schrieb Landshoff, und »wurde rasch verkauft. Die ›New York Times‹ brachte eine hervorragende Kritik auf der ersten Seite der Sonntags-Buchbeilage. Die Alliance Book Co. setzte innerhalb der ersten Saison mehrere Auflagen ab.« Vgl. Landshoff, Amsterdam, Keizersgracht 333, Querido-Verlag. Erinnerungen eines Verlegers, Berlin 1991, S. 129. 465 https://www.foreignaffairs.com/reviews/capsule-review/1939-07-01/dierevolution-des-nihilismus (letzter Zugriff: 12.10.2017). 466  BArch, Nachlass Kluthe, N 1162/28. Meyer auf dem Briefpapier des »American Committee for Christian German Refugees«, New York, an Kluthe, 5. September 1939. 467  Selections from the Smuts Papers, ed. by Jean van der Poel, Vol. VI, December 1934–August 1945, London 1973, S. 172.

590Anmerkungen

468  Vgl. Eric Dreyfuß, Die Schweiz und das Dritte Reich. Vier deutschschweizerische Zeitungen im Zeitalter des Faschismus 1933–1939, Frauenfeld 1971, S. 200, Anm. 10. 469  Ebd. Zu ergänzen ist wohl der Tatbestand einer »Beleidigung fremder Staatsmänner oder Staatsformen«. Vgl. dazu im Zusammenhang mit dem Buch Hermann Rauschnings das Schreiben des Chefs der Abteilung Presse und Funkspruch im Armeestab beim Armeekommando der Schweizerischen Armee an Legationsrat Dr. Rezzonico im (Eidgenössischen) Politischen Departement, Bern, vom 17. Januar 1940, in dem dieser Tatbestand als in diesem Fall nicht gegeben angesehen wurde, sodass einer Verbreitung der 1. und 2. Auflage des Buches vorbehaltlich der Zustimmung der Schweizerischen Bundesanwaltschaft nichts im Wege stehen sollte. Schweizerisches Bundesarchiv, Schweizerische Bundesanwaltschaft, C.3.105. 470 Dreyfuß, Schweiz, S. 200, Anm. 10. 471  Schreiben vom 6. Februar 1940 an die Schweizerische Bundesanwaltschaft, Bundesanwalt Stämpfli, Bern/Bundeshaus. ETH Zürich, Archiv, Sammlung Presseausschnitte. 472  Zitiert nach Stahlberger, Oprecht, S. 283. 473  Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Staatsschutzfiche Hermann Rauschning, C.3.105. 474  Das Treffen wird indirekt durch eine Notiz zu einem Schreiben Foersters an Karl Barth in Basel vom 25. Juni 1939 aus der Nähe von Genf bestätigt, in der es heißt: »Ich hatte neulich den Besuch von H. Rauschning; er ist meiner Ansicht nach zu optimistisch in Bezug auf die Möglichkeit das Regime auch ohne vorangehenden Krieg zu stürzen. Ich teile diese Hoffnung nicht.« Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9339.394. 475  Ebd. Wilhelm Kiefer war christlich-katholischer Gewerkschafter und Schriftsteller und sollte im Leben Rauschnings nach Kriegsende in der Bundesrepublik noch eine Rolle spielen. Über Weitmanns und Rossmanns Zeit in der Schweizer Emigration berichtete Der Spiegel im Zusammenhang mit Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft gegen Weitmann wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Anlage des Vermögens von Weitmann im Zürich der Emigrationszeit: Der Spiegel, Nr. 24 vom 13. Juni 1951. Kiefer, 1933 in die Schweiz emigriert, kannte Weitmann aus ihrer gemeinsamen Zeit bei dem Zentrums-Organ Der gerade Weg, das von Weitmanns Onkel Fritz Gerlich herausgegeben wurde. Gerlich wurde am 30. Juni 1934 ermordet. Vgl. Der Spiegel, Nr. 23/1973. 476  Schreiben Rauschnings an Maier, Paris, 23. Juli 1939, hier nach Nordblom, Glaube, S. 227 f. 477  Das Folgende nach ebd., S. 228. 478  Ebd., S. 248. 479  Vgl. Dieter Marc Schneider, Johannes Schauff (1902–1990). Migration und »Stabilitas« im Zeitalter der Totalitarismen, München 2001, S. 38, Anm. 72. 480  Vgl. Werner Mittenzwei, Exil in der Schweiz, Frankfurt 1979, S. 57. 481  Ebd. Irrtümlich schreibt Mittenzwei von »Die Revolte des Nihilismus«. Im Übrigen vertrat er die Auffassung, dass der Verleger Oprecht eigentlich dem Konservatismus Rauschnings ferngestanden habe und dass mit der Veröffentlichung dieses Rauschning’schen Werkes der »Antikommunismus im Verlagshaus eine feste Position« gewonnen habe. Ebd., S. 144.

Anmerkungen

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482  NZZ vom 1. und 2. Dezember 1938. Die Zeitung erschien damals mit drei täglichen Ausgaben an Wochentagen, ferner mit einer Samstags- und zwei Sonntagsausgaben. Vgl. Dreyfuß, Schweiz, S. 203, Anm. 33. 483  Maß und Wert, 2. Jg., H. 3, Januar/Februar 1939, S. 397–403. Wiederabdruck ohne die »Nachschrift« in: Golo Mann, Geschichte und Geschichten, Frankfurt 1961, S. 26–34. Vgl. auch Tilmann Lahme, Golo Mann. Biographie, Frankfurt 2009, S. 135 f. 484  H. Rauschning, Revolution, Neuausgabe 1964, S. 8. Vgl. auch den Beitrag von Paul Sethe in der Zeit vom 4. Dezember 1964 aus Anlass der Neuausgabe mit dem Titel: »Der verhinderte Staatsmann«. 485  H. Rauschning, Revolution, Neuausgabe 1964, S. 8. 486  Vgl. Golo Mann, Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland, Frankfurt 1986, S. 325. Auch Manns Charakterisierung Hitlers als »nihilistischer Gelegenheitsergreifer« bezeugt die Wirkung des Rauschning’schen Werkes. Vgl. Golo Mann, Carl J. Burckhardts Danziger Mission, in: Merkur, XIV. Jg., 1960, S. 573–582, hier S. 576. 487  Th. Mann, Tagebücher 1937–1939, S. 329–332. 488  Vgl. dieses summarische und nicht durchgängig zwischen diesem Buch Rauschnings und den Gesprächen mit Hitler differenzierende Urteil bei Günter Scholdt, Autoren über Hitler. Deutschsprachige Schriftsteller 1919–1945 und ihr Bild vom »Führer«, Bonn 1993, S. 674. 489  Zitiert nach ebd., S. 600. Sperrung im Original. 490  Abdruck der Briefe bei: Wilhelm Hoegner, Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten, München 1959, S. 159. 491  Zitiert nach Scholdt, Autoren, S. 674. Hitler m’a dit lautete der Titel der französischen Ausgabe der Gespräche mit Hitler. 492  Die Revolution des Nihilismus 8. Mai 1939, in: Dorothy Thompson, Kassandra spricht. Antifaschistische Publizistik 1932–1942, Leipzig 1988, S. 226–232. Dieser noch in der Spätzeit der DDR im Leipziger und Weimarer Gustav Kiepenheuer Verlag erschienene Band brachte in der Anmerkung 232 eine Ergänzung zu dem Zitat Thompsons aus der Revolution Rauschnings, in welcher dieser vor einem Zusammengehen des »Dritten Reiches« mit der Sowjetunion als drohende »Apokalypse unserer Zivilisation« gewarnt hatte. In der Anmerkung Jürgen Scheberas heißt es: »D. Thompsons, dem Buche Rauschnings folgende, Einschätzung gibt damalige Vorurteile wieder, die historisch nicht haltbar sind. Die UdSSR hatte nach der Liquidierung der Tschechoslowakei durch Hitlerdeutschland den Regierungen Englands und Frankreichs nochmals – ohne positives Echo – angeboten, Verhandlungen über ein politisches Sicherheitsbündnis gegen Deutschland aufzunehmen.« Ebd., S. 291. 493  Vgl. Ian Kershaw, Hitlers Freunde in England. Lord Londonderry und der Weg in den Krieg, München 2005, S. 316. 494  Sebastian Haffner, Germany: Jekyll & Hyde, hier nach der deutschen Erstausgabe im Verlag 1900: Germany: Jekyll & Hyde. 1939 – Deutschland von innen betrachtet, Berlin 1996, S. 52. 495  Ebd., S. 108. 496  Marion Gräfin Dönhoff, Renegat oder Patriot? Zur Kontroverse um den ehemaligen Danziger Senatspräsidenten Hermann Rauschning, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 16. August 1985, S. 32. Vgl. auch Klaus Harpprecht, Die Gräfin. Marion Dönhoff, eine Bio-

592Anmerkungen

graphie, Reinbek 2010, S. 206. Harpprecht verwechselt hier das Buch mit den Gesprächen mit Hitler. Im Übrigen zeiht er Dönhoff zu Recht der Naivität hinsichtlich ihrer angeblichen Erwartung, Die Revolution des Nihilismus innerhalb der seinerzeitigen »großdeutschen Grenzen« publizieren zu können. 497  Vgl. Brüning, Briefe, S. 243. 498  Vgl. Michael F. Scholz, Herbert Wehner in Schweden 1941–1946, Berlin 1997, S. 64. Auch Karl Mewis selbst bestätigte nach dem Krieg Wehners Respekt vor dem Buch Rauschnings. Vgl. »Auszug aus dem Bericht über die Tätigkeit der Parteileitung für das Land in den Jahren 1940–1942 von Karl Mewis, Januar 1946«, in: ebd., S. 274. 499  Vgl. August H. Leugers-Scherzberg, Die Wandlungen des Herbert Wehner. Von der Volksfront zur Großen Koalition, Berlin 2002, S. 42 f. 500  Vgl. den Abdruck des Untersuchungsberichts in deutscher Übersetzung als Dokument VI in: Alfred Freudenhammer und Karlheinz Vater, Herbert Wehner. Ein Leben mit der Deutschen Frage, München 1978, S. 381. 501  Vgl. Auszug aus dem Bericht, in: Scholz, Wehner, S. 274. 502  Das Folgende im Wesentlichen nach: Nick Thimmesch, The Iron Mentor of the Pentagon. Why Even Henry Kissinger Needs Dr. Fritz Kraemer, in: The Washington Post Magazine, 2. März 1975. 503  Godfrey Hodgson, Obituary: Fritz Kraemer, in: The Guardian, 12. November 2003, http://www.guardian.co.uk/news/2003/nov/12/guardianobituaries.usa (letzter Zugriff: 28.01.2012). 504  Vgl. Vollständige Liste der Bücher in: Thimmesch, The Iron Mentor. The Redemption of Democracy war die amerikanische Ausgabe des 1941 in London publizierten Rauschning-Werkes The Beast from the Abyss, das die Notwendigkeit einer neuen freien Gesellschaftsordnung gegen jede Versuchung des »Leviathans« (Thomas Hobbes) zum Thema hatte und das nicht auf Deutsch erschien. 505  Vgl. Hodgson, Obituary: Fritz Kraemer. 506  Vgl. Samantha Novello, Albert Camus as Political Thinker. Nihilisms and the Politics of Contempt, London 2010. Novello hält es für »extrem wahrscheinlich«, dass Camus mit Rauschnings Gedankengängen vertraut war: ebd., S. 117. 507  Ebd., S. 118. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H., im Text Novellos englisch übersetzte Nachweise aus der französischen Ausgabe des Buches von Rauschning, mit dem Titel La Révolution du Nihilisme, Paris 1939. 508 Ebd. 509  BArch, N 344/18, fol. 1. 510  Kindlers Literatur Lexikon im dtv, Bd. 19, München 1974, S. 8147 f. 511  Das genaue Datum ist nicht bekannt. Am 6. Januar brachte die schweizerische National-Zeitung in ihrer Nr. 8 einen entsprechenden Bericht und nannte als Begründung für den Schritt des Senats die Buchveröffentlichung. Unter dem Datum des 11. Januar 1939 meldete das Eidgenössische Politische Departement in Bern der Schweizerischen Bundesanwaltschaft auf Grund einer Nachricht des Schweizerischen Konsulats in Danzig die Ausbürgerung. In dem Schreiben wird lediglich auf das Erscheinen der Revolution des Nihilismus im Züricher Europa Verlag hingewiesen: Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, Bestand Schweizerische Bundesanwaltschaft, C.3.105. 512  Vgl. Hensel, Itinerar, S. 150. 513  Neschke, Musikwissenschaftler, S. 54.

Anmerkungen

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514  BArch, R 58/236. 515  Zur DFP immer noch grundlegend: Beatrix Bouvier, Die Deutsche Freiheitspartei (DFP). Ein Beitrag zur Geschichte der Opposition gegen den Nationalsozialismus, Frankfurt 1972. Als Kern der DFP nennt Bouvier drei Personen: Carl Spiecker, Hans Albert Kluthe und August Weber. Ebd., S. 85. Kluthe und Weber waren in liberaler Weimarer Parteientradition verwurzelt. Die Zurückweisung einer führenden Rolle Rauschnings in der DFP auch bei: Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler, Stuttgart 1967, S. 310. 516  Vanessa Conze, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München 2005, S. 241, Anm. 118. 517  Ebd., S. 240. 518  Boris Schilmar nennt Rauschning in seiner Studie über europapolitische Vorstellungen des deutschen Exils irrtümlich einen »gläubigen Katholiken«. Vgl. Schilmar, Der Europadiskurs im deutschen Exil 1933–1945, München 2004, S. 158 f. 519  Vgl. Peer Oliver Volkmann, Heinrich Brüning (1885–1970). Nationalist ohne Heimat. Eine Teilbiographie, Düsseldorf 2007, S. 298 f. 520  Vgl. Bouvier, DFP, S. 87. Irrtümlich meint Bouvier, Kluthe habe sich Ende Februar 1939 in London um eine englische Übersetzung der Gespräche mit Hitler gekümmert. Es handelte sich jedoch um die Revolution des Nihilismus. Vgl. ebd. 521 Bouvier, DFP, S. 87 f. auf der Grundlage von Briefen Spieckers an Kluthe vom 3. Dezember 1938, 26. Dezember 1938 sowie 28. Februar 1939, die sich heute im BArch, N 1162, befinden. 522  BArch, N 1162/22, Schreiben vom 3. Mai 1939. 523  Zitiert nach Bouvier, DFP., S. 88. 524  Zitiert nach Volkmann, Brüning, S. 344, Anm. 23. 525  BArch, N 1162/20, Schreiben Rauschning/Kluthe vom 30. April 1939. Mit Schreiben vom 12. Mai 1939 teilte Rauschning Kluthe dann mit, dass Churchill hinsichtlich der Einleitung eine Absage mit der Begründung erteilt habe, er lehne grundsätzlich »derartige literarische Arbeiten« ab. Ebd. 526  Ebd., Schreiben Rauschning/Kluthe vom 6. Mai 1939. 527 Bouvier, DFP, S. 88. 528  BArch, N 1162/20, Schreiben Kluthe/Rauschning vom 15. Mai 1939. Da die DFP im Ausland keine Mitglieder aufnahm, empfahl sie dortigen Sympathisanten die Bildung von Freundeskreisen. Der Nachlass Kluthes enthält entsprechenden Schriftwechsel Kluthes mit Interessenten u. a. in den USA, dem damaligen Südwestafrika und Argentinien. 529  Ebd., Schreiben Rauschning/Kluthe vom 18. Mai 1939. 530  Ebd., Schreiben Kluthe/Rauschning vom 13. Juni 1939. 531  Ebd., Schreiben Rauschning/Kluthe vom 31. Mai 1939. 532  Ebd., Schreiben Kluthe/Rauschning vom 3. Juni 1939. 533  Ebd., Schreiben Kluthe/Rauschning vom 13. Juni 1939. Das Buch trug in Großbritannien wie oben bereits erwähnt den Titel Germany’s Revolution of Destruction und erschien bei Heinemann in London. 534 Ebd. 535  Ebd., Schreiben Kluthe/Rauschning vom 15. Juni 1939.

594Anmerkungen

536  Ebd., Schreiben Rauschning/Kluthe vom 19. Juli 1939. Möglicherweise durch diese Intervention konnte Olbrich in Großbritannien bleiben, wo er ein anerkannter Spezialist auf dem Gebiet der Gerontologie wurde. Er starb im Jahre 1957. 537 Bouvier, DFP, S. 89 f. 538  Zitiert nach ebd., S. 90. 539  Ebd., S. 89. Vgl. dazu das Manuskript im Nachlass Kluthes: BArch, N 1162/20, Manuskripte Rauschning 1939. 540  In einem Schreiben Rauschnings an Kluthe vom 19. Juli kündigte Rauschning den Text Kluthe vorab an und bat darum, ihn in London vor dem Vortrag gemeinsam durchzugehen: BArch, N 1162/20. 541  Zitiert nach: Anthony Glees, Das deutsche politische Exil in London 1939–1945, in: Gerhard Hirschfeld (Hg.), Exil in Großbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 1983, S. 62–79, hier S. 67. 542  Für Details zu Christie vgl. Andreas Krämer, Hitlers Kriegskurs, Appeasement und die »Maikrise« 1938. Entscheidungsstunde im Vorfeld von »Münchner Abkommen« und Zweitem Weltkrieg, Berlin 2014. Krämer benutzt in seinem Text auch das privat gedruckte und in Deutschland weithin unbekannte Buch von Thomas P. Conwell-Evans mit dem Titel None So Blind. A Study of the Crisis Years, 1930–1939, Based on the Private Papers of Group-Captain M. G. Christie, London 1947. Nach eigenen Angaben war es Conwell-Evans, der ein Jahr vor Hitlers »Machtergreifung« eine Zeitlang in Ostpreußen gelebt und an der Universität Königsberg gelehrt hatte, gelungen, die umfangreiche Sammlung von Privatpapieren Christies zu retten und zu diesem Buch zu verarbeiten, bevor Christie sie nach dem Kriegsausbruch im Sepember 1939 vernichtete. None So Blind (»Niemand ist blinder«) stellt Christie auf Grund dessen eigener Berichte ein konsequent antinazistisches Zeugnis aus; er habe im Charakter der Deutschen viel Licht und ebenso viel Schatten erkannt. Ganz auf der Linie Rauschnings warnte Christie vor einem Nachgeben der Westmächte gegenüber Hitler und machte als Luftwaffenexperte insbesondere und wiederholt auf die Aufrüstung Deutschlands aufmerksam Es ist möglich, dass Conwell-Evans mit dem Titel des Buches sich auch selber meinte, denn der Churchill-Biograph William Manchester bezeichnet ihn als britischen »Bewunderer der Nazis«, zumindest vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Vgl. Manchester, Winston Churchill. Allein gegen Hitler 1932–1940, München 1990, S. 119. Ich danke Andreas Krämer für die Möglichkeit der Einsichtnahme in None So Blind. Die an Vansittart gerichteten Berichte Christies befinden sich zumindest teilweise in den Churchill Archives, Cambridge. Hermann Rauschning hatte im Übrigen keine gute Meinung von Conwell-Evans. In einem wenige Monate nach dem Ende des Krieges an seinen engen Mitarbeiter aus Danziger Tagen, Georg Streiter, gerichteten Brief hieß es: »Conwell-Evans aber, den ich wiederholt in London im Traveller’s Club traf, ist ein herzlich unbedeutendes und inferiores Instrument von Vansittart. Es war geradezu ein Unglück, dass eine gewisse deutsche Opposition die Verbindung über Conwell-Evans suchte, und zwar zu einer Zeit als Vansittart schon seine Wendung machte … das heißt, daß die gemäßigten deutschen Nationalisten noch gefährlicher seien als die Nazis.« BArch, N 344/16, Schreiben vom 22. Juni 1946. 543  Churchill Archives, Cambridge, The Papers of Group Captain Malcolm Christie, CHRS 1/29. Zur verdeckten militärischen Aufrüstung der deutschen, aber auch, in geringerem Maße, der polnischen Seite in Danzig vgl. Schenk, Danzig 1930–1945, S. 80 f.

Anmerkungen

595

544  Churchill Archives, Cambridge, The Papers of Group Captain Malcolm Christie, CHRS 1/29. Meine Übersetzung des Berichtes von Christie aus dem Englischen, A. H. 545  Dies und das Folgende im Wesentlichen nach Bouvier, DFP, S. 90 ff. 546  BArch, N 1162/28, 31. August 1939. Der in der Londoner Fleet Street ansässige Verlag gab u. a. Schriften der Deutschen Freiheitspartei heraus. 547  BArch, N 1162/20, Bl. 138–159. 548  Martin Gilbert (Hg.), Winston Churchill and Emery Reves: Correspondence 1937–1964, Austin, Tx. 1997, S. 211. Reves erwähnte Rauschning in Briefen an Churchill außerdem am 24. Oktober 1939, am 14. Mai 1940 sowie am 10. Juli 1940: Ebd. Soweit ersichtlich, hat Churchill seinerseits Rauschning in seinen Schriften an keiner Stelle erwähnt. 549  Ebd., Bl. 159, Sperrung im Original. 550  Vgl. Bouvier, DFP, S. 91. 551 Ebd. 552 Ebd. 553  Ebd., S. 93 554  Das Folgende nach ebd. 555  Schreiben Kluthe/Rauschning vom 13. September 1939, hier nach ebd., S. 94. 556  BArch, N 1162/20, Schreiben Kluthe/Rauschning vom 20. September 1939. 557  Ebd. Aus den erhalten gebliebenen Briefen wird nicht ersichtlich, was es mit dieser »Einladung« auf sich hatte. Erst ein Schreiben des zu den Hitlergegnern übergelaufenen ehemaligen Diplomaten Ernst W. Meyer aus New York an Rauschning enthielt eine Art Einladung, in die Vereinigten Staaten zu kommen. »Ich fürchte daher, daß Sie Ihr Weg in nächster Zeit nicht nach Amerika bringen wird. Freilich würde ich Ihr Kommen sehr begrüßen«, schrieb Meyer – allerdings erst in einem Brief vom 11. Oktober 1939, der als Kopie einem Schreiben Meyers an Kluthe beigefügt war: BArch, N 1162/28. 558  Ebd., Schreiben Kluthe/Rauschning vom 28. September 1939. 559  BArch, N 1162/20. 560  Ebd., Bl. 161 ff. 561  Ernst Niekisch (1889–1967) war Nationalbolschewist und beeinflusste den linken Strasser-Flügel in der NSDAP. 562  BArch, N 1160/20, Bl. 171 f. »Die Inhaftierungen und Erschießungen sind offenbar sehr viel umfangreicher als bisher zur Kenntnis gelangt« sei, schrieb Rauschning. 563  Ebd., Bl. 180. 564  London School of Economics (LSE), Hugh Dalton Archives, Schreiben Philips (weiterer Name unleserlich) vom 17. November 1939. Mit »Lütkens« war wahrscheinlich die deutsch-jüdische Soziologin Charlotte Lütkens gemeint, die damals im Londoner Exil lebte. Bei »Wagner« handelte es sich wahrscheinlich um den im französischen Exil lebenden Sozialdemokraten Friedrich Wilhelm Wagner aus Ludwigshafen. 565  BArch, N 1162/20, Schreiben Rauschning/Kluthe vom 1. Oktober 1939. 566 Ebd. 567 Ebd. 568  Ebd. Es handelte sich bei »Dr. Schoeps« um den deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Hans-Joachim Schoeps, mit dem Rauschning von Paris aus auch in dessen schwedischem Exil korrespondierte. Vgl. Hensel, Itinerar, S. 141, Anm. 76. Unmittelbar nach Kriegsende kontaktierte Schoeps, wie zu zeigen sein wird, Rauschning in seinem amerikanischen Exil.

596Anmerkungen

569  BArch, N 1162/20, Schreiben Rauschning/Kluthe vom 23. Oktober 1939. 570 Ebd. 571  Thomas Mann notierte unter dem Datum des 23. Oktober 1939 in Princeton: »In den Abendblättern Nachrichten über die Bildung einer deutschen Gegen-Regierung mit Rauschning als Reichskanzler«. Vgl. Th. Mann, Tagebücher 1937–1939, S. 492. 572  Das Briefdatum des 2. November irritiert insofern, als das französische Ausreisevisum laut Rauschnings Reisepass erst am 4. November ausgestellt worden war und dabei eine Überfahrt nach England via Boulogne-sur-Mer vorschrieb. Das britische Einreisevisum war laut Passstempel erst am 6. November »für eine einmalige Einreise« erteilt worden. Vgl. Hensel, Itinerar, S. 148, Anm. 96. 573  Vgl. Grube, Windows, S. 10. 574  Vgl. zum Folgenden Wilhelm Herzog, Menschen, denen ich begegnete, Bern 1959, S. 98–102. 575  Vgl. Ruth Fabian und Corinna Coulmas, Die deutsche Emigration in Frankreich nach 1933, München 1978, S. 54. 576 Ebd. 577  Ursula Langkau-Alex, Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses einer deutschen Volksfront 1933–36, Diss., Köln 1975, hier nach ebd. Zur Emigration in Frankreich vgl. auch Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Erster Band: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004. 578  Vgl. Exponat Nr. 79 nach dem Katalog: Wolfgang Mettmann (Hg.), Erinnerung an Joseph Breitbach. Katalog zur Ausstellung anläßlich des 80. Geburtstags am 20. September 1983, Koblenz 1983, S. 32 f. Hier findet sich auch der Hinweis, dass Breitbach in Paris für die (französische?) Übersetzung von Rauschnings Buch Die Revolution des Nihilismus »gesorgt« habe. Das Zitat Breitbachs aus Exponat Nr. 79 findet sich in einem Brief Breitbachs aus Grenoble an Hermann Kesten vom 16. Oktober 1940. Vgl. Hermann Kesten (Hg.), Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933–1949, Wien 1964, S. 158 f. 579  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, Bl. 9. Das Schreiben versucht vor allem die Hintergründe für die Entstehung von Rauschnings Buch Gespräche mit Hitler nachzuzeichnen und scheint teilweise auch als eine Antwort auf Fragen während eines oder mehrerer Telefonate mit dem Adressaten zu verstehen zu sein. 580  Rudolf Pechel, Deutscher Widerstand, Erlenbach-Zürich 1947, S. 283. 581  Abschrift »mit der Einwilligung von Dr. Hagen«: ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, NL Erwin Jaeckle 1590. 582 Pechel, Widerstand, S. 297 f. 583  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, Bl. 1. 584 Ebd. 585  So der langjährige Mitarbeiter Barths, Eberhard Busch. Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, München 1975, S. 300. 586  Ebd., S. 236. 587  Karl Barth Gesamtausgabe. Karl Barth, Offene Briefe 1935–1942, hrsgg. von Diether Koch, Zürich 2001, S. 183. 588  Ebd., S. 227 Kooymans deutsche Rechtschreibung wird hier stillschweigend angepasst. 589  Ebd., S. 232. Kursive im Original.

Anmerkungen

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590  Karl Barth, A Letter to Great Britain from Switzerland, London 1941. Zur weiten Verbreitung der Schrift trug auch eine Besprechung in The Times Literary Supplement vom 23. August bei sowie ihre Verlesung im Nachrichtendienst der BBC London am 9. November 1941, die wiederum vom Schweizer Rundspruchdienst in zwei Radio-­ Abhörberichten festgehalten wurde. Zu Barths 70. Geburtstag im Jahre 1956 erinnerte der Manchester Guardian daran, dass Barths Brief »to Great Britain in 1941 was a moving epistle in a dark hour«. Karl Barth, Offene Briefe, S. 271, Anm. 14, S. 273 f. sowie S. 280. Obwohl bereits Mitte 50, meldete sich Barth 1941 selber zum Militärdienst der Schweiz. 591  Ebd., S. 285 f. 592  Ebd., S. 231. Hier auch die Äußerung Barths: »Dr. Rauschning, dessen Buch ja so großes und berechtigtes Interesse gefunden hat«. 593  Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9339.114, 9339.218. 594  Ebd., KBA 9339.218 595  In einem Postskriptum zu dem Brief schrieb Rauschning: »Sie müssen mir die vielen Tippfehler zu Gute halten. Ich bin fast blind.« 596  Ludwig hatte über einen gewissen Peter Juling aus Bonn Rauschning einen kleinen Fragenkatalog zu dessen Verhältnis zu Barth nach Portland geschickt, nachdem er im Basler Karl Barth-Archiv auf entsprechende Spuren gestoßen war. Vgl. PA Grube, H. R., Briefe, biogr. Notizen. 597  In einem Schreiben an Karl Barth vom 17. August 1958 aus Portland rief Rauschning noch einmal das Scheitern der Zeitschriftenpläne wegen der Gründung von Maß und Wert in Erinnerung. Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9358.617. 598  Willem Adolf Visser ’t Hooft (1900–1985) war niederländischer reformierter Theologe und erster Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. 599 Vgl. Karl Barth Gesamtausgabe. Karl Barth–Willem Adolf Visser ’t Hooft, Briefwechsel 1930–1968, hrsgg. von Thomas Herwig, Zürich 2006, S. 91. Am 22. April 1939 sprach sich Barth gegenüber Visser ’t Hooft unter Rückgriff auf Rauschning nachdrücklich dafür aus, zwar nicht über das Gewissen der Deutschen angesichts des drohenden Krieges »herrschen« zu wollen, ihnen aber wenigstens in das Gewissen zu reden: »Ich sehe aber nicht ein«, erklärte er Visser ’t Hooft, »warum wir ihnen nicht ins Gewissen reden dürften und müßten … Ihr solltet bedenken, was es bedeuten wird, wenn in jenem Augenblick zwar Rauschning und gewiß noch manche Andere in diesem Sinne zu den Deutschen reden werden, die Kirche aber – aus Furcht, nur ja nicht ›über die Gewissen herrschen‹ zu wollen – zwar das gute Gewissen der nicht deutschen Christen beteuern – den Christen in Deutschland aber gerade das entscheidende Wort nicht sagen wird.« Ebd., S. 95. 600  Dies und das Folgende findet sich entweder wörtlich oder aber nahezu wörtlich in dem bereits erwähnten ausführlichen Schreiben Rauschnings an seinen alten Bekannten, den Diplomaten Werner Otto von Hentig, vom 27. Mai 1947: BArch, N 344/6, fol. 1. 601  Es ist hier nicht der Ort, Rauschnings pauschale Abwertung der sozialistischen und kommunistischen Haltung gegenüber dem Hitler-Regime zu erörtern. Dass selbstverständlich auch auf der Linken im Exil über eine Beseitigung Hitlers nachgedacht wurde, zeigt detailliert und umfangreich der Band von Rainer Behring, Demokratische Außenpolitik für Deutschland. Die außenpolitischen Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten im Exil 1933–1945, Düsseldorf 1999.

598Anmerkungen

602  H. Rauschning, Herr Hitler, Ihre Zeit ist um. Offenes Wort und letzter Appell, o. O., o. J. (1939). Die 34 Seiten umfassende, einen unmittelbar bevorstehenden Kriegsausbruch antizipierende Schrift klagte Hitler in jeder nur denkbaren Weise an. Versäumnisse in der Außenpolitik, die Repression gegenüber Juden und Andersdenken, die grassierende Korruption unter Parteiführern und die Zersetzung der Gesellschaftsordnung kamen ebenso zur Sprache wie eine verfehlte Personalpolitik bei der Wehrmacht und eine ebensolche Wirtschaftspolitik. Im letzten Teil der Schrift appellierte Rauschning an verschiedene gesellschaftliche Gruppen – die Jugend, »Männer der Wehrmacht«, die Geistlichen sowie »Arbeiter, Bauern, Handwerker« –, sich dem Regime zu widersetzen. Ein »deutscher Nationalrat« solle handeln, »binnen kurzem« sei es zu spät. Ebd., S. 35. 603  Brief auf eine schriftliche Anfrage des im kanadischen Montreal lehrenden Historikers Peter Hoffmann vom 1. Oktober 1978, in der Hoffmann nach den Hintergründen der Gespräche gefragt hatte. PA Grube, H. R./Briefe biographischer Natur. 604 Ebd. 605  Abdruck des Briefwechsels bei Hoegner, Außenseiter, S. 159 f. 606  H. Rauschning, Die passive Resistenz. Bemerkungen über eine revolutionäre Waffe im Kampf gegen die Diktatur der Gewaltsamkeit, in: Maß und Wert, 2. Jg., H. 6, Juli/August 1939, S. 715–734. 607  Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig, 1939, B 2458 (Exil). 608  H. Rauschning, Resistenz, S. 719. 609  Auf Gandhis Fehleinschätzung der Nationalsozialisten hinsichtlich ihrer kompromisslosen Judenfeindschaft hatte auch Martin Buber kritisch reagiert. Vgl. Albrecht Hagemann, Mahatma Gandhi, München 2008, S. 128 f. 610  H. Rauschning, Resistenz, S. 725 f. 611  Ebd., S. 734, Sperrung im Original. Peter Stahlberger unterzog den Aufsatz Rauschnings einer knappen Kritik, die sich vor allem an fehlenden Hinweisen Rauschnings zu der Frage entzündete, wie denn der von ihm geforderte »Boden einer neuen Gesamthaltung« im Reich bereitet werden könne. »Mittel und Ziel«, so Stahlberger abschließend, »standen sich in seinen reichlich theoretischen Darlegungen dauernd gegenseitig im Wege.« Vgl. Stahlberger, Oprecht, S. 248. Rauschning hatte allerdings selber einschränkend bemerkt, dass in er seinem Aufsatz aus Sicherheits- und Platzgründen nicht ausführlicher und konkreter werden könne: H. Rauschning, Resistenz, S. 723. 612  PA Grube, H. R. 1939: Herr Hitler, Ihre Zeit ist um, Bl. 3. 613  Gemeint ist der Name des Briefadressaten, des unbekannten Diplomaten. 614  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, Bl. 4. 615  Vgl. Karl O. Paetel, Deutsche im Exil. Randbemerkungen zur Geschichte der politischen Emigration, in: Außenpolitik, 6, 1955, S. 572 ff., hier S. 581. 616  Vgl. Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933–1945, Düsseldorf 1971, S. 229. 617  Veröffentlicht unter diesem Titel in: Foreign Affairs, 18, Nr. 1, Oktober 1939, S. 1–12. 618  Ebd., S. 7 sowie Radkau, Emigration, S. 229. 619  Vor allem S. 118. 620 Ebd. 621  Ebd., zweifellos ein Irrtum, gemeint war sicherlich Nordfrankreich. Der Irrtum wurde auch unkommentiert im Nachdruck der Gespräche des Züricher Europa Verlages

Anmerkungen

599

wiederholt. Vgl. H. Rauschning, Gespräche mit Hitler. Mit einer Einführung von Marcus Pyka. Mit dem Schlusskapitel »Hitler privat«, Zürich 2005, S. 118. 622 Ebd. 623 Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 49. 624  Abdruck des Artikels in H. Rauschning, Hitler and the War. 625  Die undatierte Broschüre nennt »The Revolution of Nihilism« als jenes Werk Rauschnings, durch welches er sich als »bester Deuter der Gedanken Hitlers« erwiesen habe. Der Autor befinde sich jetzt »im freiwilligen Exil«. Ebd., S. 3. 626  Vgl. Radkau, Emigration, S. 229. 627  Vgl. ders., Die Frankfurter Schule. Geschichte. Theoretische Entwicklung. Politische Bedeutung, München 2008, S. 288. 628  Yad Vashem Archives, Jerusalem, Record Group M. 27, Public Record Office. Signatur des PRO: FO 371/22949, C 17231/62, 19 th October 1939. 629  In dem Dokument sind die beiden Namen unterstrichen und am Rand findet sich die handschriftliche Notiz: »I doubt this«. Ebd. 630  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, Bl. 1. Rougier (1889–1982) hatte sich nach einem Besuch der Sowjetunion im Jahre 1932 in Ablehnung der Planwirtschaft zu einem dezidierten Befürworter der freien Marktwirtschaft entwickelt. Wegen seiner Unterstützung des Vichy-Regimes seit 1940 geriet er in Frankreich ins akademische und politische Abseits und ging zeitweilig in die Vereinigten Staaten. Außer von Hermann Rauschning selber ist nichts über dessen Freundschaft mit Rougier bekannt. 631  BArch, N 344/6, fol. 1, Schreiben Rauschnings vom 27. Mai 1947. 632  Der im Jahre 1904 in eine ungarisch-jüdische Mittelschichtfamilie geborene Imre Révész ging in den 1920er Jahren von Budapest nach Zürich, wo er Politische Ökonomie studierte und mit einer Arbeit über Walther Rathenau promoviert wurde. In Berlin nutzte er sein journalistisches Talent bei der Firma Odol als Redenschreiber und Werbetexter, daneben knüpfte er bereits damals Kontakte zu führenden Politikern, etwa beim Völkerbund in Genf oder auch in Berlin, wo er sich u. a. mit Gustav Stresemann traf. Vgl. den mit RVR gezeichneten biographischen Abriss »Emery Reves« in: The Wendy and Emery Reves Collection, Dallas Museum of Art, Dallas, Tx. 1985, S. 14– 31. Nach seinen eigenen Angaben in einem Brief an Winston Churchill vom 24. Oktober 1939 musste Révész die Reichshauptstadt am 1. April 1933 Hals über Kopf verlassen, nachdem SA-Leute sein Büro gestürmt hatten. Vgl. Gilbert (Hg.), Churchill and Reves, S. 221. Der hier zuvor genannte Abriss »Emery Reves« des Dallas Museum of Art nennt auf S. 15 und erneut auf S. 21 irrtümlich 1930 als Fluchtjahr. Ebenso irrtümlich ist hier auf S. 17 von »inflationären Verhältnissen« im Berlin der »späten 1920er Jahre« die Rede. Bereits im Jahre 1930 gründete Révész auf den Champs-Élysées in Paris ein bescheidenes Büro, in dem er seiner neuen Geschäftsidee zum Triumph verhalf: Durch Kontakte mit Politikern sicherte er sich die Rechte zur Vermittlung und Veröffentlichung von deren Reden und Verlautbarungen weltweit. Der größte Coup seiner »Cooperation Press Service« (kurz Cooperation) bestand in der Sicherung der Exklusivrechte zur Veröffentlichung politischer Texte von Winston Churchill. Révész, der in England den Namen Emery Reves annahm, hatte die entscheidenden Kontakte zu Churchill hergestellt, als dieser zu Beginn der 1930er Jahre einen herben Rückschlag in seiner politischen Karriere verkraften musste. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erweiterte Révész sein Tätigkeitsfeld, indem er nun auch Bücher kommissionierte. In diesem Zusammen-

600Anmerkungen

hang verhalf er Fritz Thyssens I Paid Hitler, Ernst von Starhembergs Between Hitler and Mussolini sowie Hermann Rauschnings Hitler m’a dit zum Durchbruch. Für Révész war die Veröffentlichung dieser Bücher auch ein Akt der Rache an den Nationalsozialisten für seine Vertreibung aus Deutschland. Vgl. Abriss »Emery Reves«, in: Reves Collection, S. 21. Mit seinem zweiten selbst verfassten Buch The Anatomy of Peace landete Reves im Juni 1945 einen eigenen Weltbestseller. Darin machte er sich für die Schaffung einer »Welt-Föderation« stark, die nicht mehr durch Verträge, sondern durch internationales Recht funktionieren sollte. Reves Collection, S. 26. 633  PA Grube, Copies Koblenz, Schreiben Rauschnings an Reves vom 20. November 1951. 634  Antwort Reves’ an Rauschning vom 10. Dezember 1951: ebd. 635  Pia Nordblom, Wider die These von der bewussten Fälschung. Bemerkungen zu den Gesprächen mit Hitler, in: Hensel/Nordblom (Hg.), Materialien, S. 151–174, hier S. 161. Hier auch der Hinweis, dass Jan Karski bei der Veröffentlichung seines berühmten Buches über den polnischen Untergrundstaat entsprechende Erfahrungen mit Reves gemacht hatte: Ebd., S. 161, Anm. 38. 636  Vgl. Nordblom, Der Nachlass Hermann Rauschnings. 637  Ebd., Bl. 2. In einem Brief an den späteren Bochumer Historiker Hans Mommsen vom 20. Juni 1960 nannte Rauschning es »wahrscheinlich«, dass die Gestapo seine »Aufzeichnung und Handakten« aus dem Keller seiner Pariser Wohnung mitgenommen hatte. Abdruck des Brieftextes bei Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 14, Anm. 11. 638  Briefwechsel in der Dokumentensammlung Herder-Institut, Marburg, Bestand 100, R. Breyer, Nr. 21. 639  Zitiert nach ebd. Die früheste Veröffentlichung dieser Briefstelle findet sich bei Breyer, Das Deutsche Reich, S. 88, Anm. 85. In diesem Abdruck sind die Anführungszeichen, die Rauschning bei einigen seiner Begriffe gesetzt hatte, weggelassen worden. Bereits in diesem Buch von 1955 nutzte Breyer die Gespräche zwar als Quelle, wies aber konsequent auf deren fragwürdigen Wert hin, um den er seit Rauschnings eigener Mitteilung (»kümmerliche Notizen«) wusste. Später schrieb Breyer bei anderer Gelegenheit, gegen die Gespräche seien »erhebliche, ja vernichtend-quellenkritische Bedenken zu erheben«. Vgl. den von Breyer verfassten Artikel »Rauschning, Hermann Adolf Reinhold«, in: Altpreußische Biographie, Bd. IV, 1989, S. 1273–1275. Der Hinweis auf den Briefwechsel Breyers mit Rauschning findet sich auch bereits bei Theodor Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 52. 640  Vgl. Karl-Heinz Pfeffer (»Balticus«), Zum Danziger Problem, in: Zeitschrift für Geopolitik, Jg. 22, 1951, H. 10, S. 655–657, hier S. 655. 641  Eine Analogie zwischen Hitler und Rauschning einerseits und Jesus von Nazareth und den Evangelisten andrerseits mag ein wenig verwegen erscheinen, doch drängt sie sich geradezu auf, wenn man eine Formulierung des Theologen Fritz Böbel über das Jesus-Bild der Evangelisten liest: »Wie ein gemaltes Porträt wahrer sein kann als ein bloßes Paßbild, so vermitteln die Evangelien trotz oder gerade wegen ihrer nicht nur historischen Darstellungsweise einen treffenderen Eindruck von der Wirklichkeit als eine pure historische Dokumentation.« Vgl. Fritz Böbel, Grundfragen des Glaubens. Eine Glaubenslehre in Einzellektionen, Bd. 1, München 1969, S. 79 f., hier zitiert nach: Peter Kliemann, Glauben ist menschlich. Argumente für die Torheit vom gekreuzigten Gott, Stuttgart 2008, S. 123.

Anmerkungen

601

642  PA Grube, Korrespondenz H. R./K.-H. Pfeffer, Brief Rauschnings vom 19. November 1951. Im Heft 12, 1951, der Zeitschrift für Geopolitik erschien dann auf den Seiten 613 f. eine kurze Richtigstellung Rauschnings bezüglich seiner Autorschaft der Gespräche. 643  PA Grube, copies: Koblenz, Brief Scheels vom 9. April 1956. 644  Ebd., Brief Rauschnings vom 21. Juni 1956. Ludwig Hamann war von 1952 bis 1956 Regierungspräsident in Aurich/Ostfriesland. 645  So schickte Rauschning Reves am 19. August 1939 »etwa ein Drittel« des Manuskripts: Vgl. Hensel, Itinerar, S. 143. 646  Abdruck des Briefes bei Gilbert (Hg.), Churchill and Reves, S. 243 f. 647  Stockholm 1942. Fritz Thyssen, der bekanntlich nach dem Kriege die Authentizität seines mit Emery Reves erarbeiteten Buches bestritt, erwähnt Rauschning etwa in der Mitte seines Buches. Er habe Rauschning während dessen Danziger Amtszeit wiederholt im Ruhrgebiet getroffen, schrieb er dort. Nach der Lektüre von Rauschnings The Voice of Destruction habe er sich gefragt, warum Rauschning nie ein Wort über seine delikate Lage in Danzig geäußert habe, wenigstens gegenüber einigen Personen. Aber angesichts seiner eigenen gegenwärtigen Lage – als Emigrant wie Rauschning – komme er zu dem Schluss, dass dies auch nicht viel geändert hätte. Fritz Thyssen, I Paid Hitler, London 1941, S. 149 f. 648  Eine 84 Seiten umfassende Schrift, die 1944 im dänischen Silkeborg erschien, trug den Titel: Jeg betalte Hitler. Fritz Thyssen. Und im Untertitel hieß es: »Med et tillægg af Hermann Rauschning: Fritz Thyssen, en karakteristik« (Mit Anhang von Hermann Rauschning: Fritz Thyssen, eine Charakteristik). 649  BArch, N 1162/20. 650  Vgl. Gottfried R. Treviranus, Für Deutschland im Exil, Düsseldorf 1973, S. 72. Treviranus nennt Rauschning hier den »Wortführer des deutschen Bürgertums für die französisch-deutsche Verständigung«. 651  In einem Mitte der 1950er Jahre verfassten Text nannte Rauschning Münzenberg »meinen Pariser Freund«, dem er viel zu verdanken habe. PA Grube, unveröffentlichtes Manuskript »Land der Begegnung«, Bl. 16. 652  Vgl. Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1888–1957). Deutscher Patriot und Weltbürger, München 1997, S. 212 ff. Babette Gross, die Lebensgefährtin Willi Münzenbergs, hebt Arthur Koestlers Rolle als erster Chefredakteur hervor. Vgl. Gross, Münzenberg, S. 324. 653  Ebd., S. 214. 654  Vgl. H. Rauschning, Um die Wiedergeburt des Abendlandes, in: Die Zukunft, Sondernummer 1939 (o. D.), S. 334. 655  Die Zukunft, Nr. 36, 6. September 1939. 656  Der ursprünglich vorgesehene Haupttitel »Wenn Hitler siegt« entfiel auf Vorschlag des Verlegers Oprecht. Vgl. Nordblom, These, S. 153, Anm. 6. 657  Hermann Rauschning. Ancien chef National-Socialiste du Gouvernement de Dantzig, Hitler m’a dit. Confidences du Führer sur son plan de conquête du monde. Avant-propos de Marcel Ray. Traduit de l’allemand par Albert Lehman, Cooperation, Paris 1939. 658  Madame Wendy Reves/Nachlass Reves: Rauschning file, hier zitiert nach Wolfgang Hänel, Hermann Rauschnings »Gespräche mit Hitler«. Eine Geschichtsfälschung. Überarbeitete Fassung des ungekürzten Vortrages auf der Tagung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt am 14. Mai 1983, Ingolstadt 1984, S. 4.

602Anmerkungen

659  Nur die französische Ausgabe Hitler m’a dit enthielt auch das Obersalzberg-Foto. 660  Vgl. Thomas Mann, Tagebücher 1940–1943, hrsgg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt 1982, S. 6. 661  Zur Zeit der Drucklegung von Hitler m’a dit war der »Hitler-Stalin-Pakt« vom 23. August 1939 längst in Kraft, allerdings hatte Rauschning, wie gezeigt worden ist, ein solches Bündnis bereits in seiner Revolution des Nihilismus als durchaus denkbar vorausgesagt. 662  Verboten! The book that Hitler fears, by Dr. Hermann Rauschning. Introduction by Eric Siepmann, Schanghai 1940, S. 10 (aus der Einführung des Schriftstellers und Emigranten Siepmann). Hänel, Rauschnings »Gespräche« nennt bis Juni 1940 eine Verkaufszahl in Frankreich von »mindestens 219000 Exemplaren«. Ebd., S. 48, Anm. 16. 663  Nachlass Reves: Rauschning file, Brief von Reves an Rauschning vom 23. Januar 1980 auf Englisch. PA Grube, H. R./Reves Rechtsstreit (1942–43), H. R./Reves/ Oprecht/Rumpel/Europa Verlag 41/80. Deutsche Übersetzung hier nach Hänel, Rauschnings »Gespräche«, S. 5. 664  Pressestimmen in den USA äußerten sich z. T. enthusiastisch über das Buch, wenngleich etwa Newsweek leise Zweifel an der Echtheit durchblicken ließ: »Ein sprechendes Bild von Hitler, das, wenn es so authentisch ist, wie es klingt, nicht übertroffen werden kann.« Ferdinand Kuhn jr. schrieb in The New York Times Book Review, Rauschnings vorheriges Buch (gemeint ist Die Revolution des Nihilismus) sei furchterregned gewesen, sein neuestes »lasse die Haare zu Berge stehen … Eine schreckliche Warnung.« Und Sterling North meinte in den Chicago Daily News, dass »Dantes Bewohner der Hölle Sanftheit und Licht« seien im Vergleich zu Rauschnings Schilderung von Hitler und seiner Entourage; »Rauschning ist Quellenmaterial, und was er sagt, wird das Schreiben der Weltgeschichte beeinflussen«. Abdruck der Texte ohne Datumsabgaben auf dem rückwärtigen Schutzumschlag zu dem Buch von H. Rauschning, The Conservative Revolution. 665  Vgl. die Internetseite Verbrannte und Verbannte: Hermann Rauschning, http:// verbrannte-und-verbannte.de/person/gnd/118749331 (letzter Zugriff: 18.10.2016). Die dänische Tarnschrift Haandbog i Oversvömmelser (»Handbuch der Überschwemmungen«), herausgegeben vom »Kgl. Danske Afvandingsselskab« (»Königlich Dänisches DrainageUnternehmen«), Kopenhagen 1943, brachte in dänischer Übersetzung einen Abschnitt des zuvor auf Schwedisch in Stockholm erschienenen Buches Männen kring Hitler tala von Rauschning, das 1942 in London unter dem Titel Makers of Destruction erschienen war. Unter der Überschrift »Siegfrid (sic) og Hagen« (»Siegfried und Hagen«) beschrieb Rauschning in diesem Abschnitt die beiden Gauleiter Forster und Erich Koch in ihrem Verhältnis zu Hitler vor dem Hintergrund der Nibelungensage. Das dänische »Handbuch« enthielt ferner Beiträge u. a. von Thomas Mann über die Friedensaussichten und von Willy Brandt über norwegische Nachkriegsprobleme. 666  The National Archives, Kew, FO 371/24420/C499979, Notes on Dr. Rauschning’s book »Hitler Speaks«. 667  Ebd., Bl. 7 668  Rauschning schilderte Hitler hier denkbar negativ: grausam, rachsüchtig, sentimental, anspruchsvoll, verwöhnt, linkisch und geldhungrig sind nur einige der von ihm benutzten Adjektive. Eine mimosenhafte Empfindlichkeit zeichne ihn ebenso aus wie Grausamkeit und Rachsucht. Er könne nicht beurteilen, schrieb Rauschning, »ob Hitler im klinischen Sinne dem Wahnsinn nahe« sei; was er selber mit ihm erlebt habe, sei »der

Anmerkungen

603

Ausdruck einer Hemmungslosigkeit bis zum totalen Persönlichkeitszerfall«. Seinen alten Erzfeind aus Danziger Tagen, Forster, lässt Rauschning eine Anekdote erzählen, die den zuvor angedeuteten Gedanken stützen soll, Hitler sei möglicherweise homosexuell. Überhaupt schöpft Rauschning in diesem Schlusskapitel wiederholt aus Quellen zweiter Hand. Vgl. H. Rauschning, Gespräche, Neuausgabe 2005, S. 272–279. Es stellt sich die Frage, ob sich Rauschning mit dem drastischen Schlusskapitel nicht einen Bärendienst erwiesen hat, wenn es ihm um eine eindringliche aber auch seriöse Warnung des Westens ging. 669 Rauschning, Gespräche. 670  Vgl. Stahlberger, Oprecht, S. 206. 671  Peter Scholl-Latour, Mein Leben, München 2015, S. 48. 672  Vgl. Willi A. Boelcke (Hg.), Kriegspropaganda 1939–1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministerium, Stuttgart 1966, S. 272. 673  Ebd., S. 284. 674 Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 16. 675  Verboten! The book that Hitler fears, S. 1. 676  Ebd., S. 4. Auszüge aus Schweizer Pressestimmen in englischer Übersetzung, ebd. 677  Zitiert nach ebd. 678  Zitiert nach Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 16. 679  Konferenzprotokoll vom 23. Januar 1940, zitiert nach Boelcke (Hg.), Kriegspropaganda, S. 272. 680  Zitiert nach ebd., S. 285. 681  Es folgt die Unterschrift. Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9340.92. Mit Schreiben vom 26. Juli 1941 aus Fex, Hotel Sonne, wandte sich Anna Burckhardt-­ Lüscher an Bundesrat Eduard von Steiger. Diesmal ging es ihr um eine Broschüre Karl Barths mit dem Titel »Im Namen Gottes des Allmächtigen«, die am 18. Juli 1941 von den schweizerischen Behörden vorläufig verboten worden war. Burckhardt-Lüscher schrieb zu diesem Vorgang. »Nun steht Einer auf und sagt uns die Wahrheit über unsere heutige Lage – so etwa wie die Propheten im Alten Bunde –, nun wird endlich wieder einmal offen die Gefahr beim Namen genannt, in der wir stehen, der falsche Kurs wird aufgezeigt, dessen Richtung einem vielleicht erstmals beim Verbot des Rauschningbuches erschreckend bewusst wurde, und es wird eine gute Wegweisung gegeben dieser Gefahr gegenüber.« Vgl. Eberhard Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth. Zensur und Überwachung im Namen der Schweizer Neutralität 1938–1945, Zürich 2008, S. 247. In einer Fußnote erläutert Busch den Begriff »Rauschningbuch« mit der Revolution des Nihilismus, tatsächlich dürfte Burckhardt-Lüscher aber wohl die Gespräche mit Hitler gemeint haben. Zu den mit Wirkung vom 18. Juli durch die »Abteilung Presse und Funkspruch im Armeestab, Sektion Buchhandel« verbotenen Schriften gehörte auch »Rauschning, H., Hitler and the War (American Council on Public Affairs)«: Vgl. Busch (Hg.), Akte, S. 234. 682  Nach Stahlberger, Oprecht, S. 286. 683  Brief Rauschnings an Stahlberger vom 20. Mai 1968, hier nach ebd., S. 286. Urheber der Sperrung unklar. 684 Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 17. 685  Zentralbibliothek Zürich, Ms. Oprecht 14.2, Schreiben vom 25. November 1944. 686 Stahlberger, Oprecht, S. 116. 687  Joachim Grube im Gespräch mit dem Verfasser, Portland, 15. April 2011.

604Anmerkungen

688  Verboten! The book that Hitler fears, S. 6–13. 689  Ebd., S. 6. Der Text nennt irrtümlich das Datum 29. Februar 1930. 690  Ebd., S. 8. Zum Schicksal des niederländischen Verlegers nach dem deutschen Einmarsch in die Niederlande nach einer Information von Reves vgl. S. 333 f. 691  Vgl. Lutz Hachmeister, Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS, Berlin 2015, S. 159 f. 692  Summarisch stellte Siepmann die Situation der Gespräche für folgende Länder wie folgt dar: »Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland: Mittlerweile vollständiges Verbot der Herstellung oder der Einfuhr in jeder Sprache; Spanien, Italien: Keine Veröffentlichung möglich, Verbot jeglicher Einfuhr.« Verboten! The book that Hitler fears, S. 11. 693  Vgl. Th. Mann, Tagebücher 1940–1943, wo es auf S. 39 in einem Eintrag vom Donnerstag, den 29. Februar 1940 in Princeton heißt: »Meisel überlieferte in großen Zügen die lagernde Post. Zeitschriften u. Rauschnings Buch ›Gespräche mit Hitler‹«. 694  Ebd., S. 41. 695  Alfred Döblin, Zu Rauschnings Buch, unveröffentlicht, 9 Blätter im Nachlass Döblins, in: Alfred Döblin, Schriften zur Politik und Gesellschaft, Olten 1972, S. 395–403. Da Döblin vom Oktober 1939 bis zum Zusammenbruch Frankreichs im Juni 1940 im französischen Informationsministerium beschäftigt war, dürfte er Rauschning und/oder dessen Literaturagenten Emery Reves begegnet sein. 696  Ebd., S. 396. 697  Ebd., S. 397. 698  So schrieb Döblin, Rauschnings »Betrachtungen bleiben die eines diskutierenden, allgemein gebildeten Politikers vielleicht bis auf den Schluss des Buches, wo er einen Hitlertraum fingiert, der etwas kitschig anmutet«. Ebd., S. 395. 699  Vgl. Wolfram Ender, Konservative und rechtsliberale Deuter des Nationalsozialismus 1930–1945. Eine historisch-politische Kritik, Diss., Freiburg 1982, S. 83. Vgl. Hoegner, Außenseiter, S. 81 f. Hoegner kämpfte nach dem Krieg auch um die Nachzahlung seiner Ruhestandsbezüge, die ihm nach seiner Auffassung aus seiner Zeit als Reichstagsabgeordneter zustanden. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das die Grundlage für die Einbehaltung der Bezüge im Falle Hoegners bildete, war nach dessen Auffassung »rechtswidrig« weil nur auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933 zustande gekommen, für das wiederum der – so Hoegner – von den Nationalsozialisten verursachte Reichstagsbrand verantwortlich war. »Beweis« u. a., so Hoegner in einem Schreiben an das Bayerische Staatsministerium der Finanzen vom 25. August 1945, »Zeugnis des früheren Senatspräsidenten von Danzig, Hermann Rauschning, z. Zt. Foothill Farm Oregon, USA«. Hoegner bezog sich auf die Stelle in Rauschnings Gesprächen, wo es um selbstbelastende Äußerungen Görings über den Reichstagsbrand ging. Vgl. H. Rauschning, Gespräche, S. 76 f. 700  PA Grube, Undatierter und nicht mit einem Adressaten versehener Brief Rauschnings aus New York nach seiner Übersiedlung in die USA 1941 (das ergibt sich aus dem weiteren Briefinhalt, A. H.), Bl. 1. Das Hausverbot Breitscheids hat Rauschning auch in späterer Korrespondenz immer wieder erwähnt. 701  Ebd., Bl. 5. Spiecker und Rauschning hatten bis dahin den konservativen Flügel in dem im Sommer 1938 gegründeten »Thomas-Mann-Ausschuss« repräsentiert. Vgl. Radkau, Emigration, S. 120.

Anmerkungen

605

702  Vgl. Bouvier, DFP, S. 87. Entweder irrtümlich oder aber vorsätzlich falsch schrieb Walter Euchner das »Postament«-Zitat Spieckers Rauschning selber zu, der damit ein Eingeständnis abgelegt habe. Vgl. Euchner, Kritiker Nazi- und Nachkriegsdeutschlands. Zum achtzigsten Geburtstag von Hermann Rauschning, in: Stuttgarter Zeitung, Nr. 178 vom 5. August 1967. 703  Friedrich Stampfer (1874–1957), SPD-Politiker und Journalist. 704  PA Grube, Undatierter und nicht mit einem Adressaten versehener Brief Rauschnings aus New York nach seiner Übersiedlung in die USA 1941. 705  Vgl. Thomas Mann, Politische Reden und Schriften. Bd. 3, Frankfurt 1968, S. 115. 706  Tagebucheintragungen vom 13. und 18. Februar sowie 14. März 1940. Vgl. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands. Hrsgg. von Elke Fröhlich. Teil I, Aufzeichnungen 1923–1941, Bd. 7, Juli 1939–März 1940. Bearbeitet von Elke Fröhlich, München 1998, S. 307, 314 und 348. Hier zitiert nach H. Rauschning, Gespräche, Neuausgabe 2005, S. VIII. 707  Mitteilung Prinz zu Schaumburg-Lippes an den Historiker Hans Günter Hockerts. Vgl. Hockerts, Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/1937. Eine Studie zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik und zum Kirchenkampf, Mainz 1971, S. 135, Anm. 503. 708  Simon Sebag Montefiore, Stalin. Am Hof des Roten Zaren, Frankfurt 2006, S. 381. 709  Ebd., S. 382 mit dem Nachweis der Äußerung Molotows gegenüber seiner Frau Polina im Russischen Staatsarchiv für Sozial- und Politikgeschichte, Moskau. Wie der Buchtitel »Hitler Spoke to Me« zustande kam, bleibt unklar. 710  Alan Bullock, Hitler. A Study in Tyranny, London 1952, dt.: Hitler. Eine Studie über Tyrannei, Düsseldorf 1953. Auch für seine monumentale Studie Hitler und Stalin. Parallele Leben, Berlin 1991, zog Bullock die Gespräche wiederholt und unkommentiert heran, obwohl längst die wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit ihnen ihren Wert als Primärquelle stark in Zweifel gezogen hatte. 711 Dt.: Die deutsche fünfte Kolonne im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1959. Das Buch erschien als Band 4 der »Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte« des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. Grundsätzlich ist zu der Arbeit de Jongs anzumerken, dass sie in sehr geringem zeitlichen Abstand zu den fraglichen Ereignissen entstand und die Quellenbasis entsprechend schmal war. 712  Geschichte in Quellen, bearb. von Günter Schönbrunn, Bd. V: Weltkriege und Revolutionen 1914–1945, München 1961. 713  Handbuch des Geschichtsunterrichts, Bd. V. Materialien für den Geschichtsunterricht in mittleren Klassen. Die neueste Zeit 1850–1945, Frankfurt 1965, S. 235 und 304. 714  Geschichte konkret. 157 historische Darstellungen für den Geschichts- und Sozialkundeunterricht, zusammengestellt von Kurt Fina, Würzburg 1975, S. 93 f. 715  Günter Moltmann, Weltherrschaftsideen Hitlers, in: Otto Brunner und Gerhard Dietrich (Hg.), Europa und Übersee. Festschrift für Egmont Zechlin, Hamburg 1961, S. 203. 716 Jacobsen, Außenpolitik, der etwa Hitlers angebliche Äußerungen zur nationalsozialistischen Deutschtumspolitik im Ausland im Sinne der Schaffung einer »fünften Kolonne« bezweifelt. Ebd., S. 606. Hingegen stellt etwa die nationalsozialistische Deutschtumspolitik in der Südafrikanischen Union geradezu ein Musterbeispiel für die von Rauschning behauptete »Fünfte-Kolonne«-Politik dar. Vgl. dazu Albrecht Hagemann,

606Anmerkungen

Südafrika und das »Dritte Reich«. Rassenpolitische Affinität und machtpolitische Rivalität, Frankfurt 1989, insbesondere S. 80–92 717  Vgl. ders., Vorwort zu Edouard Calic, Ohne Maske. Hitler-Breiting-Geheimgespräche 1931, Frankfurt 1968, S. 6. Auf den umstrittenen Quellenwert der angeblichen Breiting-Gespräche kann hier nicht eingegangen werden. 718 Jäckel, Hitlers Weltanschauung, S. 14. 719 Schieder, Rauschnings »Gespräche«. 720  Ebd., S. 62. 721  Ebd., S. 63–65. 722  Für seine Untersuchung der Gespräche unterhielt Schieder auch eine rege Korrespondenz mit Rauschning in den USA, die so lange in freundlichem Ton verlief, bis sich beide über die angebliche Mitwisserschaft Hermann Görings am Reichstagsbrand, die Rauschning in den Gesprächen behauptet hatte, überwarfen. Zu diesem Zeitpunkt war Rauschning allerdings altersbedingt stark geschwächt und nahezu erblindet. Vgl. die entsprechenden Briefe im PA Grube, etwa das im dortigen Bestand »Hänel Correspondence« befindliche Schreiben Rauschnings an Wolfgang Hänel vom 22. Dezember 1980, das seine Tochter Heilwig für ihn schrieb und das er nach dem Vorlesen billigte. 723  Franz Meyers (1908–2002), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen von 1958 bis 1966. 724  BArch, N 344/16, fol. 1. Rauschning erhielt in der Tat die erwähnte Veröffentlichung des Schieder-Vortrages – Schieder, Rauschnings »Gespräche« –, die jedoch den Diskussionsteil nicht enthält. 725  Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 7: Europa im Zeitalter der Weltmächte, Teilbd. 1, hrsgg. von Theodor Schieder unter Mitarbeit von Lothar von Albertini, Stuttgart 1979. 726  Ebd., Anm. 51, S. 197. 727  Ebd., Anm. 55 und 56, S. 198. 728  Ebd., Anm. 6, S. 614. 729  Ein weiteres Geschichtswerk, das insbesondere auch bei angehenden Geschichtslehrern und sonstigen professionellen Historikern viel und gerne benutzt wird ist das Handbuch der deutschen Geschichte. Gebhardt, kurz Gebhardt. Noch die neunte, neu bearbeitete Auflage des von Karl Dietrich Erdmann verfassten Bandes 4 des Gebhardt – Stuttgart 1976 – mit dem Titel Die Zeit der Weltkriege machte – allerdings sehr sparsamen und zurückhaltenden – Gebrauch von den Gesprächen. Bezüglich Hitlers Kirchenpolitik heißt es dort: »Es gibt außer dem mit Vorsicht aufzunehmenden Zeugnis Rauschnings keinen Beweis dafür, dass Hitler damals schon die Zerstörung der Kirche im Auge hatte …« Ebd., S. 438. Der von Michael Grüttner geschriebene Band 19 der zehnten, völlig neu bearbeiteten Auflage des Gebhardt mit dem Titel Das Dritte Reich 1933–1945, Stuttgart 2014, erwähnt Rauschning und die Gespräche mit keinem Wort mehr. 730 Hänel, Rauschnings »Gespräche«. 731  Joachim C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973. Vgl. auch Der Spiegel, Nr. 37/1985. 732 Fest, Hitler, Taschenbuchausgabe des Ullstein Verlages, Berlin 2003. 733  Ebd., S. 1075 f. 734  Ebd., S. 21.

Anmerkungen

607

735  Joachim C. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, Neuausgabe, München 1993. 736  Ebd., S. 79. In den Gesprächen findet sich die fragliche Textstelle auf Seite 265. 737  David Irving, Hitlers Weg zum Krieg, München 1979, S. 8. 738 Ebd. 739  Vgl. dazu den Anmerkungsapparat bei Hänel, Rauschnings »Gespräche«, ab S. 47. 740  Ebd., S. 46. In einer letzten Fußnote greift Hänel den Begriff der »psychologischen Kriegführung« auf und zieht eine Parallele zwischen Rauschnings angeblicher »Fälschung« und den gefälschten »Protokollen der Weisen von Zion« und deren Instrumentalisierung im Sinne einer Warnung vor einer angeblichen weltweiten Verschwörung. 741 Vgl. Zeiten und Menschen, Bd. 3, hrsgg. von Hans-Jürgen Lendzian, Paderborn 2009, S. 162. 742  So auch bereits Martin Broszat in seinem Beitrag »Enthüllung?« in der FAZ vom 20. September 1985. Erneut gedruckt als: Enthüllung? Die Rauschning-Kontroverse, in: Broszat, Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, München 1988, S. 263–265. 743  Vgl. Hänel, Rauschnings »Gespräche«, S. 3. 744 Ebd. 745  Fritz Tobias, Auch Fälschungen haben lange Beine. Des Senatspräsidenten Rauschnings »Gespräche mit Hitler, in: Karl Corino (Hg.), Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik, Frankfurt 1990, S. 91–105. In seinem Buch Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit, Rastatt 1962, vertrat Tobias die These von der Alleintäterschaft des niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe. 746  Brief Hänels an den Verfasser vom 8. August 2011. 747  PA Grube, Hänel Correspondence. 748 Hänel, Rauschnings »Gespräche«, S. 25. 749  Der Spiegel, Nr. 37/1985. 750  Schreiben Reves’ aus Zürich an Rauschning, Gaston, Oregon, vom 10. Dezember 1951: PA Grube, H. R./Emery Reves. 751  Die Zeit, Nr. 30 vom 19. Juli 1985. Auch Janßen trug mit seinem Beitrag einmal mehr dazu bei, die Mär von den mehr als 100 Treffen Rauschnings mit Hitler zu verbreiten. Vgl. ebd. 752  Marion Gräfin Dönhoff, Renegat oder Patriot?. Zur Kontroverse um den ehemaligen Danziger Senatspräsidenen Hermann Rauschning, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 16. August 1985. Die Seite 32 dieser Ausgabe, die sich ausschließlich der Kontroverse widmete, zeigte außerdem eine Panoramaansicht des alten Danzig sowie ein Bild Rauschnings. Rechts unten auf der Seite fanden sich zwei Leserbriefe, die Rauschning verteidigten: Der eine stammte von seinem Schwiegersohn Joachim Grube in Portland, der andere von einem Helmuth Mosberg aus Kiel. Mosberg betont in seiner Zuschrift, seine Familie habe es Rauschning zu verdanken gehabt, nach ihrer Emigration aus Deutschland »wenigstens zeitweise« im Freistaat »eine neue Heimat« gefunden zu haben. Im Übrigen habe nach dem Bruch Rauschnings mit Hitler der deutsche Botschafter in Warschau, von Moltke, seine Mutter »von Warschau nach Danzig geschickt«, um Rauschning zu »veranlassen, sofort über die Grenze zu fliehen, da seine Verhaftung drohte«. 753 Ebd.

608Anmerkungen

754 Wagener, Hitler, S. 5 f. Vielleicht hatte man es im Arndt Verlag nicht gewusst: Methodisch war Wageners Text über seine Zeit bei Hitler zwischen 1929 und 1932 ganz ähnlich zustande gekommen wie jener Rauschnings. Wagener hatte – nach eigenen Angaben – in britischer Gefangenschaft nach dem Krieg seinen Bericht aus der Erinnerung mehreren schulheftartigen Kladden anvertraut, die originalen Tagebücher seien in einem Krefelder Haus durch Wasserschaden infolge von Bombenangriffen »unleserlich« geworden. Vgl. Aktenvermerk von Martin Broszat vom Münchner Institut für Zeitgeschichte vom 17. Februar 1960 nach einem längeren Gespräch mit Otto Wagener an dessen Wohnort Chieming, Bl. 1. Broszat attestierte Wagener in diesem Vermerk »eine Redseligkeit und die kardinale Überschätzung seiner ehemaligen Rolle in der Umgebung Hitlers«. IfZ, Bestand Zeugenschrifttum, ZS-1732, ZS-1732–1, 2. 755 Wagener, Hitler, S. X f. 756  Ebd., S. 5 f. 757  FAZ vom 20. September 1985. Vgl. Broszat, Enthüllung. 758  Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart 1961, S. 11. 759  Vgl. Broszat, Deutsche Polenpolitik. 760  Ebenfalls im Jahr 1985 nahmen die Militärgeschichtlichen Mitteilungen (heute: Militärgeschichtliche Zeitschrift, MGZ) Rauschning gegenüber Hänel weitgehend in Schutz: Vgl. die Besprechung des Buches von Hänel durch Gerhard Schreiber ebd., 37, S. 204–206. Ob dabei auch eine Geringschätzung des Amateurhistorikers Hänel durch die »Profis« im Militärgeschichtlichen Forschungsamt eine Rolle gespielt hat, sei dahingestellt. Noch einmal pointiert rauschningkritisch argumentierte Eckhard Jesse, Hermann Rauschning – der fragwürdige Kronzeuge, in: Ronald Smelser, Enrico Syring und Rainer Zitelmann (Hg.), Die braune Elite II. 21 weitere biographische Skizzen, Darmstadt 1993, S. 193–205. Unter Rückgriff auf die Arbeit Schieders, jedoch ohne Erwähnung jener von Hänel wärmte Werner Maser im Jahre 2004 noch einmal die These von der »Erfindung« der Gespräche durch Rauschning auf. Vgl. »Hermann Rauschnings erfundene Gespräche mit Hitler«, in: Maser, Fälschung, S. 204–206. In der angelsächsischen wissenschaftlichen Publizistik hatte 1973 ein Rezensionsartikel im »Canadian Journal of History« Hermann Rauschning und sein schriftstellerisches Werk insgesamt wohlwollend-kritisch beleuchtet, damals notabene ohne Kenntnis die Arbeit von Wolfgang Hänel. Vgl. John S. Conway, Hermann Rauschning as Historian and Opponent of Nazism, in: Canadian Journal of History, 8, 1973, S. 67–78. 761  Kenntnisreich hingegen etwa der ehemalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, in dessen Erinnerungen es heißt, er halte die Gespräche »entgegen neueren historischen Forschungen im wesentlichen für authentisch«. Vgl. Kreisky, Im Strom der Politik. Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 150. 762  Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, 2. Auflage, München 1980, S. 129. 763  Dass., 6. Auflage, München 2003, S. 164. 764  Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945, Berlin 1986, S. 401. 765  Philippe Burrin, Hitler und die Juden. Die Entscheidung für den Völkermord, Frankfurt 1993 (zuerst auf Französisch 1989), S. 184, Anm. 2. 766  Walther Hofer (Hg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933–1945, Frankfurt 1997.

Anmerkungen

609

767  Ebd., S. 88. 768  Redaktionsbüro Dr. Christian Zentner, München, o. O., o. J. Aus dem Literaturverzeichnis ist zu schließen, dass das Buch nach 1977 erschienen sein muss. 769  Ebd., S. 80. Das Quellen- und Literaturverzeichnis erwähnt vermutlich versehentlich Rauschnings Gespräche nicht, dafür aber Die Revolution des Nihilismus in der Neuausgabe von 1964. Ebd., S. 798. Theodor Schieders Abhandlung über die Gespräche findet sich ebenfalls nicht in dem Verzeichnis. 770  Christian Zentner (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Daten, Fakten, Kommentare, 2. Auflage, Rastatt 1996. Der Buchumschlag wirbt mit dem Text: »Das neue Standardwerk mit über 1000 Abbildungen«. 771  Ebd., S. 19. 772  H. Rauschning, Gespräche, S. 237. 773  Erich Kuby, Als Polen deutsch war. 1939–1945, Rastatt 1988. 774  Ebd., S. 36. Zu korrigieren an der Äußerung Kubys ist, dass die Gespräche sehr wohl erst nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 erschienen waren. 775  Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Stuttgart 1990. 776  Ebd., S. 18 f. 777  Ebd., S. 508, Anm. 35. 778  In einer »persönlichen Auskunft« soll Tobias Zitelmann den 1. August 1932 als Datum des Obersalzberg-Treffens genannt haben. Wie Tobias auf dieses Datum kam, wird nicht erklärt. Möglicherweise ist Tobias einem Lesefehler in der Arbeit Theodor Schieders über die Gespräche erlegen, der beinahe auch dem Verfasser dieser Zeilen unterlaufen wäre. In der Anlage 1 mit der Überschrift »Versuch einer Chronologie der Gespräche Rauschnings mit Hitler« heißt es: »1. August 1932: Besuch in Obersalzberg …« Die Ordnungszahl 1. steht hier aber für das erste aller 13 von Schieder recherchierten und in der »Anlage 1« durchnummerierten Gespräche Rauschnings mit Hitler, sodass es bei Schieder tatsächlich bei der unbestimmten Datierung »August 1932« bleibt. Vgl. Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 63. 779 Zitelmann, Hitler, S. 89. 780  Frank Schirrmacher, Wir haben ihn uns engagiert. Die Biographie Adolf Hitlers als Geschichte seiner Macht. Ian Kershaw entzaubert die Dämonie des Willens und zeigt, wie Deutschland sich seinen Vollstrecker schuf. Aufsatz in der FAZ vom 6. Oktober 1998, hier zitiert nach Frank Schirrmacher, Ungeheuerliche Neuigkeiten. Texte aus den Jahren 1990 bis 2014. Hrsgg. und mit einem Vorwort von Jakob Augstein, München 2014, S. 135 f. Schirrmacher bezog sich auf den ersten Teil des Werkes von Ian Kershaw: Hitler. 1889–1936, Stuttgart 1998. 781  Rolf-Dieter Müller, Der Feind steht im Osten. Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion im Jahr 1939, Berlin 2011. 782  In einer Anmerkung zu dem Zitat macht Müller auf die Forschungen Schieders, nicht jedoch auf jene Hänels, aufmerksam. Ebd., Anm. 79, S. 266. 783  Siegfried, Lohengrin, Parsifal – Hitler? Rudolf Augstein über die Beziehungen zwischen dem Weltzerstörer Adolf Hitler und dem Erbauer Walhalls. Sind Musik und Schriften Richard Wagners schuld an Hitlers Greueltaten?, in: Der Spiegel, Nr. 30/1997, S. 154 ff. 784  Ebd., S. 160.

610Anmerkungen

785  Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte, Frankfurt 2008, S. 164. 786  Sophie Scholl. Biografie, Berlin 2011, S. 136. 787  PA Grube, Hänel Correspondence, Brief Hänels an Rauschning vom 2. März 1980. Hier bezeichnet sich Hänel auch als »politischer Flüchtling aus der DDR«. 788  E-Mail von Manfred Weißbecker an den Verfasser vom 31. August 2017. 789  Joachim Petzold, Die Demagogie des Hitlerfaschismus. Die politische Funktion der Naziideologie auf dem Wege zur faschistischen Diktatur, Frankfurt 1983. 790  E-Mail Keßlers vom 29. August 2017 aus New York an Jan-Holger Kirsch, Potsdam, und Weitergabe von dort an den Verfasser. 791  Abgedruckt in: Klaus Hildebrand (Hg.), 1939 – an der Schwelle zum Weltkrieg. Die Entfesselung des 2. Weltkrieges und das internationale System, Berlin 1990, S. 303–314. 792  Ebd., S. 307, Textstelle bei H. Rauschning, Gespräche, S. 126. 793  Hermann Rauschning, Rozmowy z Hitlerem, Warschau 1994 und Hermann Rauschning, Razgovori s Hitlerom, o. O. (Zagreb) 1998. Vgl. Nordblom, These, S. 152, Anm. 5. 794  German Rausning, Govorit Gitler. Zver’ iz bezdny. Vorwort und Redaktion Al’bert Egazarov, Moskau 1993. 795  H. Rauschning, Gespräche, S. 6. 796  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–Paris/Biscarrosse. 797  Ebd., Brief vom 24. April 1940. In seinem letzten Buch, das sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigte, ging Rauschning auf die Kritiker seiner »Hitlergespräche« ein und zog dabei die Invasion Skandinaviens als Beleg für deren grundsätzliche Authentizität heran. Diese werde auch durch die marginale Tatsache (»trifling point«) nicht widerlegt, dass der Einmarsch in Norwegen und nicht in Schweden stattgefunden habe, wie er Hitler in seinem Buch hatte erklären lassen. Vgl. H. Rauschning, Makers of Destruction, S. 11. 798  PA Grube, Texte J. W. Werner. 799 Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 49. 800  BArch, N 344/5, fol. 1–, 11. August 1972. 801  Dies und das Folgende nach Hensel, Itinerar, S. 149 ff. 802  In seiner Autobiographie, die leider schon mit dem Jahre 1936 abbricht, erwähnt Vansittart Rauschning bereits einmal kurz – nach 1936 sollten beide, wie zu zeigen sein wird, häufig miteinander zu tun haben. In der Autobiographie zeichnet Vansittart im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Danzig 1933 ein knappes, unsympthisches Bild des Danziger Gauleiters »Foerster« (sic), um daran wie folgt anzuschließen: »The President of the Danzig Senate, Rauschning – another acquaintance but more prepossessing – behaved with relative moderation and had to go.« Lord Vansittart, The Mist Procession. The Autobiography of Lord Vansittart, London 1958, S. 469. 803  Vgl. Schriftenverzeichnis Hermann Rauschning im PA Grube, S. 1. 804  Cambridge University, Churchill Archives Centre, The Papers of Group Captain Malcolm Christie, CHRS 1/29. 805  Ebd., CHRS 1/31, 28. September 1939. 806  In einem weiteren, undatierten Papier über ein zu gründendes »Anglo-German Advisory Committee« nannte Christie außer Rauschning und Strasser noch den

Anmerkungen

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bayerischen Sozialdemokraten und ehemaligen Reichsbannerführer Höltermann als möglichen deutschen Mitarbeiter: Ebd. 807  Sir Robert Bruce Lockhart, Comes the Reckoning, London 1947, S. 5. 808  Gabriel Gorodetsky (Hg.), Die Maiski-Tagebücher. Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler 1932–1943, München 2016, S. 185. 809  Vgl. Lothar Kettenacker, Der Einfluß der deutschen Emigranten auf die britische Kriegszielpolitik, in: Hirschfeld (Hg.), Exil, S. 80–105, hier S. 88. 810  Vgl. Glees, Exil, S. 65 f. 811  The Papers of Mark Abrams, ABMS 1/6/4, Memorandum No. 3 by Hermann Rauschning: »Analysis of the position after the first month of war«. Möglicherweise hatte Hans Albert Kluthe das Memorandum im Sinne Rauschnings weitergegeben. 812  Ebd., Bl. 14. (Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H.). 813  Nach Kettenacker, Einfluß, S. 83. 814  Ebd. Namentlich nicht gezeichnet findet sich diese Zusammenfassung als Typoskript mit hoher Wahrscheinlichkeit als »Summary of Memorandum No. 3 by Hermann Rauschning, private and confidential« im Nachlass von Mark Abrams: Cambridge University, Churchill Archives Centre, The Papers of Mark Abrams, ABMS 1/6/4. 815  Kettenacker, Einfluß, S. 83 sowie Glees, Exil, S. 67. 816  Das Folgende im Wesentlichen nach Kettenacker, Einfluß, S. 84 ff. 817  Kettenacker, Einfluß, S. 84. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass eine Kurzcharakteristik des militärischen Geheimdienstes MI5 fast zeitgleich zu einem etwas anderen Urteil über Rauschning kam. In der Notiz für Brigadier William van Cutsem im War Office, die dieser offenbar angefordert hatte, hieß es »secret and personal« über Rauschning, dass man zwar keine Zweifel an dessen »politischen Sympathien« hege, dass aber seine Einstellung »akademisch« sei, wie sein Buch über die »Revolution of Destruction« zeige. Im Übrigen sei er »etwas eitel, persönlich ehrgeizig und ein schlechter Mitarbeiter (bad collaborator)«: The National Archives, Kew, KV 2/1746/C 499979, 16. Dezember 1939. Möglicherweise spiegelten die unterschiedlichen Beurteilungen Rauschnings aber auch Rivalitäten innerhalb des britischen Behörenapparates wider. 818  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, Bl. 2 f. 819  Den Hintergrund der Ausführungen über Göring bildete die hektische Pendeldiplomatie des schwedischen Industriellen und Göring-Vertrauten Birger Dahlerus zwischen Berlin und London unmittelbar vor dem deutschen Angriff auf Polen, mit der der Schwede mittels britischer Hilfe einen deutsch-polnischen Ausgleich vor allem in der Frage Danzigs und des Korridors erreichen wollte, die aber schließlich scheiterte. 820  Foreign Office, Political Intelligence Department, Gesprächsaufzeichnung, hier vom 14. November 1939, hier zitiert nach: Peter W. Ludlow, The Unwinding of Appeasement, in: Lothar Kettenacker (Hg.), Das »Andere Deutschland« im Zweiten Weltkrieg. Emigration und Widerstand in internationaler Perspektive, Stuttgart 1977, S. 9–48, hier S. 23. 821  The National Archives, Kew, FO 371/24420/C 499979, Bl. 200–202. Die Unterschrift unter der Aufzeichnung ist unleserlich. 822  Ebd., Bl. 203. 823  Ebd., Aufzeichnung Kirkpatricks, datiert vom 19. Dezember 1939. Vgl. auch Kettenacker, Einfluß, S. 89. 824  The National Archives, Kew, FO 371/24420/C 499979, Bl. 205–206, 20. Dezember 1939.

612Anmerkungen

825  Ebd., Bl. 206, datiert vom 23. Dezember 1939. 826  PA Grube, undatiertes Schreiben Rauschnings aus seinem New Yorker Exil an einen unbekannten Diplomaten, Misc. zu »Gespräche«. 827  BArch, N 1162/21. 828  BArch, N 1162/21. 829  Schreiben des Generalsekretärs des französischen Innenministers an Grumbach vom 11. Dezember 1939. Ich danke Herrn Alain Ruiz, Ambarès, Frankreich, für die Überlassung einer Kopie des Schreibens, dem eine Quellenangabe fehlt. 830  Nach den Angaben bei A. Rauschning, No Retreat, S. 274 ff. 831  BArch, N 1162/20. 832 Ebd. 833  Nach A. Rauschning, No Retreat, S. 277. 834  BArch, N 1162/20. 835 Ebd. 836 Ebd. 837 Ebd. 838  Ebd., Schreiben Kluthes an Rauschning vom 26. Januar 1940. 839  Ebd., N 1162/21, Schreiben Kluthes an Samuel vom 23. März 1940. 840  Ebd., Briefpapier mit handschriftlichem Text von Rauschning an »Herrn Westphal« (Kluthe) vom 23. Mai 1940. 841 Ebd. 842 Ebd. 843  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–Paris/Biscarrosse, 7/1939–5/1940, hier Brief Rauschnings vom 14. April 1940. 844  Ebd. Brief Rauschnings vom 15. März 1940. 845  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–Paris/Biscarrosse 7/1939–5/1940, Brief vom 15. März 1940. 846 Vgl. Invasion 1940. The Nazi Invasion Plan for Britain by SS General Walter Schellenberg. With an Introduction by John Erickson, London 2001. Bereits im Jahre 1960 machte William L. Shirer in seinem Standardwerk The Rise and Fall of the Third Reich auf die Fahndungsliste aufmerksam. Er bezeichnete sie als eines der »amusing ›invasion‹ documents«. Vgl. S. 783 der hier benutzten Paperbackausgabe des Buches von Shirer, das 1998 als Reprint in London erschienen ist. Interessanterweise fehlt der kleine Abschnitt mit der Überschrift »If the invasion had succeeded« mit Shirers Hinweis auf die Fahndungsliste in der deutschen Übersetzung des Shirer-Buches, das 1961 erstmals im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel Aufstieg und Fall des Dritten Reiches »Mit einem Vorwort von Golo Mann«, erschienen ist. Zur »Sonderfahndungsliste« vgl. auch Thomas Kielinger, Winston Churchill. Der späte Held. Eine Biographie, München 2014, S. 256. 847 Vgl. Invasion 1940, S. 235. Die Kürzel lauten: RSHA IV A1, IV A3 sowie II B5. Unerklärlich bleibt das Fehlen von Hans Albert Kluthe auf der Liste, während dessen enge Mitstreiter Spiecker – bei ihm wird eine Aktivität für die Deutsche Freiheitspartei erwähnt – und August Weber aufgeführt werden. 848  Vgl. Michael Seyfert, »His Majesty’s Most Loyal Internees«: Die Internierung und Deportation deutscher und österreichischer Flüchtlinge als »enemy aliens«. Historische, kulturelle und literarische Aspekte, in: Hirschfeld (Hg.), Exil, S. 155–182, hier S. 160.

Anmerkungen

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849  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–Paris/Biscarrosse, 7/1939–5/1940. 850  BArch, N 1162/20. 851 Ebd. 852  BArch, N 1162/21, Brief Kluthes an Richard Samuel vom 6. Mai. 853  Ebd., N 1162/20. 854  Dies und das Folgende nach A. Rauschning, No Retreat, S. 289 ff. 855  Vgl. Grube, Windows, S. 12. 856  A. Rauschning, No Retreat, S. 298. 857  Ebd., S. 299. Auch Heinrich Brüning in den USA zählte zu den Helfern der »Familie Rauschning«: Vgl. Volkmann, Brüning, S. 370. 858  Dies und das Folgende im Wesentlichen nach Grube, Windows, S. 15. 859  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–Lissabon, Brief vom 19. August 1940. Der 1913 in Wien geborene Possony machte nach dem Krieg eine steile Karriere in der amerikanischen Verteidigungspolitik. Er gilt als einer der Väter des »StarWars«-Projekts des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Vgl. »Stefan Possony; Pioneered Air War Strategy in WWII«, als Nachruf auf den Tod Possonys am 26. April 1995, in: Los Angeles Times, 3. Mai 1995, http://articles.latimes.com/1995-05-03/news/ mn-61669_1_stefan-possony (letzter Zugriff: 02.11.2017). 860  Grube, Windows, S. 15. 861  PA Grube, undatiertes Schreiben an einen unbekannten Diplomaten aus dem New Yorker Exil, Bl. 5. 862  The National Archives, Washington, D.C., Record Group No. 59, Lot file 52 D 408, Entry A, 1409, file 137. 863  Wie z. B. Karl Höltermann, Bernhard Menne und Wilhelm Sander auf Grund ihrer Kontakte zu Gewerkschaften und Labour-Politikern. Vgl. Seyfert, »His Majesty’s«, S. 164. 864  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–New York, Brief vom 11. April 1941. 865  Vgl. den Artikel von Elisabeth Wehrmann mit dem Titel »Großer Verleger des Exils« in: Die Zeit vom 12. März 1982. In einem Telefonat mit dem Verfasser vom 27. August 2010 erinnerte sich Wehrmann ausdrücklich daran, dass Landshoff in einem Interview mit ihr auf die Erwähnung seiner »Lebensrettung« durch Rauschning Wert gelegt habe. In seinen Erinnerungen schildert Landshoff die Umstände seines Verbleibs in England, allerdings verändert er Rauschnings Rolle dabei. Er sei bereits 1939 von Amerika aus gewarnt worden, dass eine deutsche Invasion der Niederlande bevorstehe, schreibt Landshoff in seiner Autobiographie. Er sei aber damals nicht von einer akuten Gefahr überzeugt gewesen. Er fährt dann fort: »Erst später hörte ich von Rauschning, daß in der Tat ursprünglich die Invasion Hollands für den Herbst 1939 vorgesehen war.« Vgl. Landshoff, Amsterdam, S. 133 f. Die entscheidende Warnung bei seinem Besuch in London im Mai 1940 will Landshoff nach eigenem, abweichenden Bekunden am Morgen des 10. Mai 1940 von einer Hotelangestellten bekommen haben. Ebd., S. 136. Im Jahre 2001 bzw. 1991, dem Jahr der Erstveröffentlichung des Landshoff-Buches, galten die Gespräche mit Hitler, wie wir gesehen haben, weithin als schlichte Fälschung und die Person Rauschnings als »demaskiert«, was für den Zeitpunkt der Zeit-Veröffentlichung Elisabeth Wehrmanns so noch nicht zutraf, da die Hänel-Publikation über die Gespräche

614Anmerkungen

noch ausstand. Der umfangreiche »Bremerhavener Katalog zum Querido Verlag« aus dem Jahre 1997 erwähnt Rauschning überhaupt nicht mehr und verweist hinsichtlich der Warnung Landshoffs in London auf dessen Erinnerung an die Information durch die Hotelangestellte. Vgl. Hans-Albert Walter (Bearb.), Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950. Marbacher Magazin, Sonderheft 78/1997, S. 173. In einem Fernsehinterview des WDR in der Reihe »Deutsche« vom 17. März 1985 erwähnte Landshoff zwar die kritische Situation am 9./10. Mai 1940 in London, äußerte sich aber nicht genau über die ihm gegebene Warnung vor einer Rückkehr in die Niederlande. Auch die jüngste Publikation über Landshoff und den Querido Verlag übernimmt jene Version Landshoffs, wonach er in seinem Londoner Hotel durch eine Angestellte über den deutschen Einmarsch in die Niederlande informiert worden sei. Der Text von E. Wehrmann in der Zeit wird nicht erwähnt. Vgl. Bettina Baltschev, Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur, Berlin 2016, S. 131. 866  PA Grube, H. Rauschning, Schriftenverzeichnis, S. 2. 867  H. Rauschning, Makers of Destruction, S. 100, hier insbesondere Fußnote 1. 868  PA Grube, Misc. zu »Gespräche«, undatiertes Schreiben Rauschnings an einen unbekannten Diplomaten aus seinem New Yorker Exil, Bl. 7. 869  PA Grube, H. R., Briefe biographischer Natur, Schreiben vom 8. Oktober 1946. 870  Vgl. Rheinbaben, Viermal Deutschland, S. 321 f. Den Entschuldigungsbrief Rauschnings erwähnte von Rheinbaben nicht, möglicherweise hat er ihn auch nicht erhalten. 871  PA Grube, H. Rauschning, Schriftenverzeichnis, S. 1. Robert Vansittart, Black Record. Germans Past and Present, London 1941. Vansittart widmete seine knapp 60-seitige Schrift der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson, die, wie zu zeigen sein wird, auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus eine gute Bekannte Hermann Rauschnings blieb. Hinsichtlich des Cheruskerfürsten hatte Rauschning den Black Record offenbar missverstanden: Auch der fand bei Vansittart keine Gnade, denn bereits der römische Geschichtsschreiber Tacitus habe Hermann den Cherusker, den »ersten deutschen Nationalhelden«, als »Verräter« bezeichnet. Und so, fuhr Vansittart fort, »gingen die Jahrhunderte dahin und brachten uns zu Hermann Göring! Der erste Hermann – der später ermordet wurde – war ein Betrüger wie der spätere, oder wie Hitler oder Neurath, der ›Protektor‹ Böhmens«: Ebd., S. 20. Im Übrigen unterschied Vansittart grundsätzlich zwischen einzelnen »guten« Deutschen – Martin Niemöller hebt er mehrfach hervor – und den »schlechten« Deutschen als Volk. Der sowjetische Botschafter in London, Iwan Maiski, der Vansittart gut kannte, fand diesen in jenen Tagen »ein bisschen instabil. Nach seinem ›Black Record‹ sieht er Deutsche überall, sogar unter seinem Bett«. Vgl. Gorodetsky (Hg.), Maiski-Tagebücher, S. 509. 872  Vgl. Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950. 873  Vgl. ders., Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch in einem Band, Darmstadt 1994, S. 10. 874 Ebd. 875  PA Grube, H. Rauschning, Schriftenverzeichnis, S. 2. 876  H. Rauschning, Konservative Revolution, S. 240. Sogar die Überschrift zu dem Abschnitt in seinem Buch über die Juden lautete »Das fremde Korn« bzw. »The Alien Corn«.

Anmerkungen

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877  Ebd., S. 243. 878  Ebd., S. 244–246. 879  Einmal unterstellt, dass die hier von Rauschning wiedergegebene Episode im Kern stimmt, scheint ihm doch das Gedächtnis einen Streich gespielt zu haben. Aneurin Bevan war nie Außenminister, wohl aber der Labour-Politiker Ernest Bevin. Andrerseits ist eine Verwechslung angesichts des eher ungewöhnlichen Vornamens von Bevan auch nach über 30 Jahren schwer vorstellbar. 880  PA Grube, H. Rauschning, Schriftenverzeichnis, S. 2. Vgl. auch das undatierte Schreiben Rauschnings an einen unbekannten deutschen Diplomaten aus seinem New Yorker Exil: PA Grube, Misc. zu »Gespräche«. »Aufs Tiefste« sei er, Rauschning, »schockiert« gewesen, »als im Winter Vansittarts ›Black Record‹ erschien und einen beispiellosen Erfolg in dem von Bombardements erbitterten englischen Volk« hatte. »Damals begann der große Umschwung in der öffentlichen Meinung von einer heimlichen Sympathie für Deutschland zu einem leidenschaftlichen und sturen Haß.« Ebd., Bl. 5. Unzutreffend ist die Information des Journalisten Stefan Brant in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, wonach Rauschning die Beziehung zu Vansittart abgebrochen habe, nachdem dieser als Verfasser des Black Record feststand. Vgl. Brant, Der konservative Rebell, in Die Zeit, Nr. 32 vom 8. August 1957. 881  Vgl. Jörg Später, Vansittart. Britische Debatten über Deutsche und Nazis 1902– 1945, Göttingen 2003, S. 188. 882  Th. Mann, Tagebücher 1940–1943, S. 345. Mann bezog sich auf S. 274 in The Conservative Revolution. 883  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning, London–New York. 884  PA Grube, H. R. in London. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. 885  Ebd. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. 886  Ebd. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. 887  Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes, Regesten, Bd. 2, bearbeitet von Helmut Heiber unter Mitwirkung von Gerhard Weiher und Hildegard von Kotze, München 1983, Nr. 25662a, S. 722. 888  H. Rauschning, Hitler Wants the World!, London 1941. 889  Ebd., Russia is Hitler’s Plum, S. 25. 890  Vgl. Grube, Windows, S. 17 891  The National Archives, Kew, FO 371/26581/C 499979. 892  Kurzes Dankschreiben Rauschnings an Vansittart vom 21. Juli 1941, in dem Rauschning Vansittart und Group Captain Malcolm Christie darüber hinaus zu einem Lunch einlädt: PA Grube, H. R. London. Rauschning machte deutschen Einfluss bei der »portugiesischen Polizei« dafür verantwortlich, dass Lissabon ihm das Visum verweigerte: National Archives, Kew, FO 371/26581/C 499979, Aufzeichnung über ein Telefonat des mit Rauschning befreundeten deutschstämmigen Verlegers John Holroyd-Reece mit dem FO vom 29. Juli 1941. 893  Ebd. Kaum einen Monat nach seiner Ankunft in New York bedankte sich Rauschning per Telegramm bei Mr. Crabb vom britischen War Transport Office für die ihm gewährte Hilfe und bat nun darum, dass man auch seine Sekretärin »Miss Fleminger« in die Vereinigten Staaten reisen lassen möge. Ebd., Telegramm vom 17. November 1941. Die Sache landete auf dem Schreibtisch von Frank K. Roberts, der eine recht trickreiche Verfahrensweise seitens des FO vorschlug. Da man Rauschning habe ziehen lassen,

616Anmerkungen

so Roberts, wäre es kleinkariert, bei seiner Sekretärin besondere Schwierigkeiten zu machen. Er stimme der Ansicht zu, dass es keinen Grund gebe, ihr eine besondere Priorität einzuräumen, andrerseits befürworte er auch keine direkte Abfuhr. Vorausgesetzt, es gebe keine Sicherheitsbedenken hinsichtlich Miss Flemingers Abreise, empfehle er sie dem Minister of War Transport »mit einer sehr niedrigen Priorität«. »Wir können dann«, schloss Roberts, »Rauschning wenigstens eine beruhigende Antwort geben und ihn versuchen lassen, ein US-Visum zu bekommen.« Sehr wahrscheinlich werde ihm das nicht gelingen, womit »das Problem nie wieder auftauchen wird.« Ebd., Notiz Roberts’ vom 23. November 1941. Tatsächlich finden sich keine dokumentarischen Spuren über Fleminger mehr in den Akten des FO. 894  Ebd., Telegramm No. 4786. 895  Ebd., 23. September 1941. 896  Ebd., 18. September 1941. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H.  897  Ebd., Schreiben vom 19. August 1941. Menge (engl. »lot«) im Original unterstrichen. 898  Dies und das Folgende im Wesentlichen nach Grube, Windows, S. 17 ff. 899  Mit ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten sah sich das »s« in Elisabeths Namen pragmatisch – und auch in allen offiziellen Papieren dokumentiert – durch das »z« ersetzt, weshalb die Version »Elizabeth« auch hier im Folgenden verwandt wird. 900  Bernhard H. Bayerlein (Hg.), Georgi Dimitroff. Tagebücher 1933–1943, Berlin 2000, S. 465 f. 901  Vgl. Radkau, Emigration, Anm. 1149, S. 328. 902  Ebd., S. 193. 903  The National Archives, Kew, KV 2/1746/C 499979, Datum 13. September 1942. 904  Tagebucheintrag Remarques vom 15. März 1943: Erich Maria RemarqueFriedenszentrum, Osnabrück. Ich danke Frau Claudia Glunz, Osnabrück, für diesen Hinweis und Marvin J. Taylor von der New York University für die Genehmigung zum Abdruck des Zitates. 905  Vgl. Th. Mann, Tagebücher 1940–1943, S. 454. Bei »Conny« handelte es sich um Konrad Kellen, eigentlich Konrad Moritz Adolf Katzenellenbogen, Politikwissenschaftler und von 1941 bis 1943 Privatsekretär von Thomas Mann. »Herr Riess« war der jüdisch-deutsche Schriftsteller Curt Riess. Im Nachlass Rauschnings findet sich die schriftliche Einladung Manns an Rauschning »den Thee bei uns zu nehmen (5 Uhr)«. PA Grube, Thomas Mann (Koblenz). Einladung mit der Adresse im Briefkopf: 1550 San Remo Dr., Pacific Palisades, datiert 15. Juli 1942. 906  The National Archives, Kew, KV 2/1746/C 499979. 907 Ebd. 908  Vgl. Walter C. Langer, Das Adolf-Hitler-Psychogramm. Eine Analyse seiner Person und seines Verhaltens, verfasst 1943 für die psychologische Kriegsführung der USA, Wien 1973, S. 140. Zu der Äußerung Rauschnings gegenüber Langer vgl. auch Lothar Machtan, Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators, Berlin 2001, S. 120 f. Auf die Diskussion um Machtans Buch kann hier nicht eingegangen werden. Die Materialsammlung zu Langers Bericht mit dem Titel »The Hitler-Source-Book« befindet sich in den National Archives, Washington, D.C. Mit Datum vom 24. Juni 1943 heißt es hier auf Blatt 947 zusätzlich, dass Rauschning den Danziger Gauleiter Forster als bisexuell bezeichnet habe. Die Militärakten über Hitler seien früh vernichtet worden, doch habe

Anmerkungen

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der beim »Röhm-Putsch« ermordete Ex-Kanzler Kurt von Schleicher von deren Inhalt gewusst: National Archives, Washington, Record Group 226, NND 750/40. 909  Heike Bungert, Deutsche Emigranten im amerikanischen Kalkül. Die Regierung in Washington, Thomas Mann und die Gründung eines Emigrantenkomitees 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 46, 1998, H. 2, S. 253–268, hier S. 258. 910  Ebd., S. 259. 911 Ebd. 912  Vgl. Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Berlin 1998, S. 154. 913  Ebd., S. 172. 914  Ebd., S. 178. 915 Dt.: Die Zeit des Deliriums, Verlag Amstutz, Herdeg & Co, Zürich. Der Schutzumschlag der amerikanischen Ausgabe warb mit der Information, dass es sich bei Hermann Rauschning um den Autor von The Revolution of Nihilism handelte – dies auch ein Hinweis darauf, dass die später erschienene amerikanische Ausgabe der Gespräche mit Hitler offenbar nicht sehr erfolgreich gewesen war. 916  Thomas Mann, Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans, Amsterdam 1949, S. 196. 917  Dies nach Grube, Windows, S. 21 ff. 918  In einem Brief an einen ehemaligen Klassenkameraden vom Lübecker Katharineum drei Jahre nach Kriegsende skizzierte Rauschning seine persönlichen Eindrücke von Werfel und Thomas Mann im amerikanischen Exil: »So schmerzlich es ist sich eingestehen zu müssen, ich glaube Freund Werfel, der große und gütige, der ein demütiger Mensch war (im Gegensatz zu unserem großen ehemaligen Mitbürger Thomas Mann, der mich zwar wiederholt mit Einladungen in sein Haus würdigte, den ich aber immer kalt und eng als Mensch fand): …« BArch, N 344/18, fol.1, Schreiben Rauschnings vom 23. September 1948. 919  New York 1943, dt.: Armin L. Robinson (Hg.), Die Zehn Gebote. 10 Erzählungen über Hitlers Krieg gegen die Moral. Mit Beiträgen von Thomas Mann, Rebecca West, Franz Werfel, John Erskine, Bruno Frank, Jules Romains, André Maurois, Sigrid Undset, Hendrik Willem van Loon, Louis Bromfield. Mit einem Vorwort von Hermann Rauschning, Frankfurt 1988. 920  Im Frühjahr 1937, so Rauschning in dem Vorwort, habe er Erinnerungsfragmente aus den Ausführungen Hitlers an den »damaligen Nuntius Pacelli, dem heutigen Papst Pius XII.« ebenso geschickt wie an »mir nahestehende protestantische Geistliche«. Ebd., S. 9. 921  H. Rauschning, »Immer Hungerleider nach dem Unendlichen, immer Hans im Glück«. Begegnung mit Chaplin im Jahre 1943, in: Koebner (Hg.), Film-Konzepte 2, S. 98–101. 922  Nordblom, Kommentar. 923  Ebd., S. 103. 924  Dies und das Folgende nach Grube, Windows, S. 16 ff. 925  Ebd., S. 18. 926  Rauschnings geschäftliches Verhältnis zu Reves geht in nuce aus einer Erklärung Rauschnings für den kanadischen Verleger von Hitler m’a dit bzw. Hitler Speaks vom 8. Juli 1947 hervor (meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H.): »Hiermit

618Anmerkungen

erkläre ich, dass ich im Jahre 1939 die Weltrechte an meinem Buch ›Hitler m’a dit‹ an Mr. Emery Reves und seine Firma Société d’Editions Cooperation in Paris übertragen habe. Im Jahre 1940 … verließ Mr. Emery Reves Frankreich und seine französische Firma hörte auf zu bestehen. Im Jahre 1941 etablierte er sich in 30 Rockefeller Plaza, New York, N.Y., mit der Cooperation Publishing Co., Inc., im Staate New York. Seither ist es die Cooperation Publishing Co., Inc. in New York, die die Exklusivweltrechte an meinem Buch ›Hitler m’a dit‹ hält und die die alleinige Eigentümerin der französischsprachigen Ausgabe dieses Werkes ist.« Vgl. PA Grube, Briefwechsel H. R./Reves, Schreiben Reves’ an Rauschning. Abgesehen von einer geschäftlich begründeten Verstimmung, die aus den Anteilen Reves’ aus den Verkaufserlösen auf dem britischen Markt herrührte, blieb der Ton in dem Schriftwechsel zwischen Reves und Rauschning vor, während und nach dem Krieg freundlich und vertrauensvoll. 927  Brief Reves’ an Rauschning vom 28. November 1944: PA Grube, Briefwechsel H. R.–Reves. 928 Ebd. 929  Ebd., Schreiben Reves’ an Rauschning vom 20. Oktober 1945. Zusammen mit einem Schreiben vom 27. März 1946 schickte Reves Rauschning einen Scheck über rund 1230 Dollar aus den norwegischen Verkaufserlösen vor der deutschen Invasion Norwegens: Ebd. 930  Ebd., Schreiben Reves’ an Rauschning. 931 Ebd. 932  Ebd., Schreiben Reves’ an Rauschning vom 7. August 1947. Knapp drei Jahre später beklagte Reves den Umstand, dass zwar ein Verleger in Barcelona die spanische Ausgabe der Gespräche herausbringen wolle – derselbe, der auch die Churchill-Memoiren publizierte –, dass aber derzeit kein Geld aus Spanien herauszuholen sei. Immerhin könne Rauschning ja die ihm dort zustehenden Tantiemen bei Stierkämpfen im Lande ausgeben. Schreiben Reves’ an Rauschning vom 1. März 1950, ebd. 933  Vgl. z. B. den Hauptankläger der Sowjetunion, Generalleutnant R. A. Rudenko in der Vormittgssitzung vom 8. Februar 1946, in der es u. a. um Hitlers Einstellung zu »Gewissen und Moral« ging: International Military Tribunal (Hg.), Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Bd. VII, Nürnberg 1947, S. 174. 934  H. Rauschning, Deutschland zwischen West und Ost, Berlin, Hamburg, Stuttgart 1950, S. 18 f. Theodor Schieder hat diese Passagen in seiner Studie über die Gespräche mit Hitler teilweise übernommen. Vgl. ders., Rauschnings »Gespräche«, S. 20, Anm. 26. 935  Schreiben Rauschning/Brüning vom 22. Juli 1945: Harvard University Archives, Cambridge, Mass. 02138, USA, Correspondence and subject files from the Heinrich Brüning Personal Archive and Brüning Family Archive (HUGFP 93.10), Box 30. 936 Ebd. 937  Vgl. Schieder, Rauschnings »Gespräche«, S. 20, Anm. 26. 938  Unterstreichungen im Brief offenbar von Brüning. 939  Im angelsächsischen Raum wird unter »subpoena« die Androhung einer Erzwingungsstrafe bei Weigerung, Auskünfte oder Beweismaterial zu einem Sachverhalt und dessen Aufklärung zu geben, verstanden. 940  Harvard University Archives, Cambridge, Mass. 02128, Correspondence and subject files from the Heinrich Brüning Personal Archive and Brüning Family Archive

Anmerkungen

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(HUGFP, 93.10), Box 30. Harold Laski (1893–1950) war politischer Theoretiker, Autor, Dozent und Ökonom sowie Vorsitzender der britischen Labour Party von 1945 bis 1946. 941  H. Rauschning Gespräche, S. 76. 942  IMT (Hg.), Hauptkriegsverbecher, Bd. IX, S. 483 f. 943  Gottfried R. Treviranus, Das Ende von Weimar. Heinrich Brüning und seine Zeit, Düsseldorf 1968, S. 363. 944  H. Rauschning, Gespräche, S. 76 f. 945  H. Rauschning, The Voice of Destruction, New York 1940, S. 77 f. 946  IMT (Hg.), Hauptkriegsverbrecher, Bd. VII, S. 240. 947  Ebd., Bd. XIV, S. 571. 948  Vgl. entsprechendes Schreiben der Rechtsabteilung vom 13. August 1946: The National Archives, Washington, Record Group No. 153, JA 6-Entry 144. 949  Memorandum for the officer in charge, 24. September 1946: ebd. 950  Questionnaire for Hermann Rauschning, ebd. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. 951  IfZ München, Zs-396–1 (Hermann Rauschning), Schreiben Rauschning/Berufungskammer des Hessischen Staatsministeriums vom 6. Juli 1948. 952  Ebd. Auf den Streit zwischen Thyssen und Reves im Zusammenhang mit Thyssens Buch I Paid Hitler kann hier nicht eingegangen werden. 953  Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9345.803. 954  Dieser Titel ist nie erschienen. 955  Briefwechsel Sternberger/Rauschning in: Deutsches Literaturarchiv, Marbach, A: Sternberger, Die Wandlung, 74.10461, 74.10771. 956  Wenn erst die Freie Stadt wieder existierte, würde nach Kalähnes Auffassung auch eine Besiedlung durch die vertriebenen Deutschstämmigen möglich und die Stadt dadurch deutsch. Eine Eingliederung Danzigs »in den reichsdeutschen Staatskörper« hielt sie nicht für möglich: Brief A. Kalähne an Rauschning vom 10. November 1948. PA Grube, Briefwechsel A. Kalähne. 957  Brief Rauschnings an Kalähne vom 11. November 1947: Ebd. 958  Brief Rauschnings an Kalähne vom 11. Mai 1949: Ebd. 959  PA Grube, Korrepondenz H. R./Maier-Hultschin. 960  Unser Danzig. Mitteilungsblatt des Bundes der Danziger, Jg. 2, April 1950, Nr. 4. In ihrer Bitte um die »Rauschning-Spende« hatte Anne Kalähne Rauschning noch versichert, sein Name »habe einen Klang unter den Danzigern«. PA Grube, Briefwechsel A. Kalähne, Brief Kalähne/Rauschning vom 10. November 1948. 961  H. Rauschning, Danzig im gesamtdeutschen Schicksal, in: Wir Ostpreußen, 2. Jg., Folge 3, 5. Februar 1950. 962  Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 963  Vgl. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, München 2014, S. 120. 964  Schreiben Rauschnings vom 10. Februar 1947. Sammlung Jörg Richter, Hamburg. 965  BArch, N 344, fol. 1, Schreiben Streiters vom 25. August 1946. 966  BArch, N 344, fol. 1.

620Anmerkungen

967  Ob und wie Rauschnings Intervention in München gewirkt hat, ist nicht bekannt. Streiter machte jedoch nach seiner Lindauer Zeit Karriere im Bonner Verbindungsbüro der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 968  PA Grube, Korrespondenz H. R./Fritz Grube 1945–1951. 969 Ebd. 970  Campinchi war bereits im Februar 1941 verstorben. 971  Ebd. Wenig später konnte sich die Familie in Schleswig-Holstein niederlassen. 972  Ebd., Sperrung im Original. 973  Das Original der Urkunde befindet sich im PA Grube. 974  Unterredung mit Dr. Rauschning, in: Der Westpreuße, 8, 15. April 1954, S. 2. Nach einer Mitteilung von Rauschnings Schwiegersohn Joachim Grube erlangten auch Anna Rauschning und die Kinder der Familie die amerikanische Staatsangehörigkeit über die polnische Quote, allerdings fünf Jahre nach Hermann Rauschning. E-Mail von Joachim Grube an den Verfasser vom 3. August 2017. 975 Ebd. 976  Brief Quaisers an Rauschning vom 12. September 1947: PA Grube, Korrespondenz H. R./Quaiser. 977  Brief Rauschnings an Quaiser vom 8. November 1947: Ebd. 978  Golo Mann schrieb unter dem 27. Dezember 1946 Karl Jaspers einen Brief aus Pacific Palisades, in dem er Jaspers auf dessen Rede zur Wiedereröffnung der Heidelberger Universität im August 1945 ansprach und auch erwähnte, dass Rauschning in Time of Delirium auf diese Rede Bezug genommen hatte. Sie hatte einigen Wirbel verursacht, weil Jaspers darin jeglichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus für vergeblich erklärt hatte. Mann äußerte sich weiter über Rauschning und sein neues Buch: »Er ist etwas bitter, weil es, wie er meint, gemäß höherem Dekret, eine ernsthafte konservative Opposition gegen die Nazis nicht gegeben haben darf – ein Bedauern, das ich mit ihm teile (wie übrigens die meisten seiner Ansichten). Nur treibt er es mit seinen Warnungen vor dem Treiben einer gewissen östlichen Großmacht etwas gar zu weit; das heißt hier (in den USA, A. H.), Eulen nach Athen tragen, denn von solchen Eulen oder Unken haben wir hier mehr als mir (obgleich vielleicht nicht Ihnen) recht ist. Das ist sogar der überraschendste und stärkste Eindruck den ich hier, nach dreijähriger Abwesenheit, hatte.« G. Mann, Briefe, Nr. 39, S. 86 f. 979  Brief Rauschnings an Quaiser vom 22. September 1948: PA Grube, Korrespondenz H. R./Quaiser. Zu Gentz: Golo Mann, Friedrich von Gentz. Gegenspieler Napoleons. Vordenker Europas, Frankfurt 2011. 980  Brief Schoeps’ an Rauschning: PA Grube, Korrespondenz H. R./Schoeps. Gemeint war der Diplomat Werner Otto von Hentig. Zu einer Festschrift anlässlich des 85. Geburtstages von Hentigs im Jahre 1971 steuerte Rauschning einen Beitrag mit dem Titel »Lehrer des Widerstands« bei (H. Rauschning, Lehrer des Widerstands). 981  PA Grube, Korrespondenz H. R./Schoeps. 982 Ebd. 983 Ebd. 984 Ebd. 985  Ebd., Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 986 Ebd.

Anmerkungen

621

987  Schreiben Maier-Hultschins an Rauschning, 20. Juni 1949: BArch, Nachlass Johannes Maier-Hultschin, N 1043/49. Auch gegenüber Werner Otto von Hentig offenbarte Rauschning zu dieser Zeit seine Neigung zu bestimmten Strömungen des französischen Katholizismus. Vgl. das Postskriptum zu dem Brief vom 27. Mai 1947: BArch, N 344/6, fol. 1. 988  BArch, N 1043/49. 989  Vgl. z. B.: Brief Rauschnings an seine Tochter Ise vom 29. Dezember 1949: Ebd., Korrespondenz H. R./Children. 990  Damals war dieses Guthaben Rauschning zufolge noch nicht transferierbar. 991  Brief Rauschnings an Maier-Hultschin vom 17. Oktober 1949: Ebd., Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. Rauschning nannte als Titel durchgängig »Deutschland zwischen Ost und West«, tatsächlich erschien es, wie bereits erwähnt, unter dem Titel Deutschland zwischen West und Ost. In einem Frontispiz zu dem Werk hieß es: »Der Christian-Verlag betrachtet es als eine demokratische Aufgabe, das neueste Buch des weltbekannten Autors von ›Gespräche mit Hitler‹, ›Revolution des Nihilismus‹, ›Zeit des Deliriums‹ erstmals in Deutschland zur Diskussion zu stellen.« 992 Ebd. 993  So schrieb er beispielsweise im Anschluss an eine kurze Inhaltsangabe zu Deutschland zwischen West und Ost: »Während (dieses) Buch völlig unbeachtet blieb, nicht in Buchauslagen zur Kenntnis gebracht und besprochen werden durfte …«: PA Grube, Schriftenverzeichnis, S. 3. 994  Ernest J. Salter, Deutschland zwischen West und Ost, in: Der Monat, 2. Jg., Nr. 21, Juni 1950, S. 313–317. 995  Ebd., S. 317. Eine freundlichere, jedoch auch oberflächlichere Rezension schrieb Willi Walter Puls unter der Überschrift »Rauschning« in der Zeitschrift für Geopolitik, Jg. 22, 1951, H. 5, S. 325–327. 996  Collier’s Encyclopedia with Bibliography and Index, Vol. 17, 1950; hier benutzte Ausgabe von 1995, S. 205–210. 997  Ebd., S. 210. 998  Längeres wörtliches Zitat aus dem Kohlhammer-Schreiben in einem Brief von Heinrich Rumpel, Europa Verlag, Zürich, an Hermann Rauschning vom 25. April 1951: PA Grube, Korrespondenz Oprecht/Rauschning, 1947–1981. 999  Brief Rauschnings an Joseph vom 23. Juni 1951: PA Grube, Rudolph Joseph. In diesem Schreiben bezeichnet Rauschning den Kohlhammer Verlag irrtümlich als »Schwesterunternehmen« des Europa Verlages. Nahezu wortgleich bezüglich der Gründe für die Nichtveröffentlichung von »Neutralität in unserer Zeit« äußerte sich Rauschning noch am selben Tag in einem Brief gegenüber Frank Wisbar: Ebd., Frank Wisbar in Verbindung mit H. R. Manuskript »Kindertränen«, 1944–1967. 1000  Brief Rauschnings an Maier-Hultschin vom 8. September 1951: Ebd., Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. Dieser Brief war an »Herrn J. C. Maier-Hultschin, Chef der Landespressestelle Nordrhein-Westfalen, z. Zt. Zürich, Hotel Seidenhof« adressiert. Falls Maier-Hultschin »in der Schweiz Zeit« habe, möge er doch bei Oprecht vom Europa Verlag »vorsprechen«. Rauschning schrieb irrtümlich von »Hitlers Tischreden«, dabei bezog er sich auf die Ausgabe des Seewald Verlages: Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942, Stuttgart 1951.

622Anmerkungen

1001  Brief Rauschnings an Maier-Hultschin vom 8. September 1951: PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 1002  PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 1003  Pfeffer, Problem. 1004  Ebd., S. 657. Pfeffer war selber überzeugter Nationalsozialist gewesen, hatte diesen Sachverhalt jedoch nach dem Krieg in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer öffentlich rückhaltlos zur Diskussion gestellt. 1005  BArch, N 344/6, fol. 1. 1006 Ebd. 1007  PA Grube, Korrespondenz H. R./K.-H. Pfeffer. Im Heft 12 der Zeitschrift für Geopolitik von 1951 erschien auf den Seiten 613 f. ebenfalls eine kurze Richtigstellung Rauschnings bezüglich seiner Autorschaft der Gespräche (»Die Schriften Hermann Rauschnings«). Werner Otto von Hentig war dann von 1952 bis 1953 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Indonesien. 1008  So Rauschning in einem Brief vom 10. Dezember 1955 an seine zweitälteste Tochter Luise: PA Grube, H. R./Children. 1009  Vgl. Winkler, Geschichte, S. 155 f. 1010  Ist Friede noch möglich? Die Verantwortung der Macht, Heidelberg 1953. 1011  PA Grube, H. Rauschning, Schriftenverzeichnis, S. 4. 1012  Brief Rauschnings vom 6. Februar 1953: PA Grube, Korrespondenz H. R./ R. Joseph. Rauschnings Charakterisierung des Vowinckel Verlages deckt sich mit jener in Kurt P. Taubers Standardwerk über nationalistische Strömungen in der Bundesrepublik nach 1945. Vgl. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism Since 1945, 2 Bde., Middletown, Conn. 1967. 1013  PA Grube, Korrespondenz H. R./R. Joseph, Brief Rauschnings an Joseph vom 6. Februar 1953. 1014  PA Grube, Korrespondenz H. R./Th. Mann. 1015  Benannt nach dem republikanischen Senator Joseph McCarthy, bezeichnete der McCarthyismus eine zeitweilig bis ins Hysterische gesteigerte Ideologie, die zwischen 1947 und 1954 die kommunistische Unterwanderung der Vereinigten Staaten auch durch einen falsch verstandenen Liberalismus behauptete. Vgl. Bernd Stöver, Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947–1991, München 2007, S. 230. 1016  Brief vom 26. Januar 1953: PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 1017  Ebd. Mit der »offiziellen Stelle« war wahrscheinlich die Landespressestelle des Landes Nordrhein-Westfalen gemeint, die Maier-Hultschin, wie oben bereits erwähnt, damals leitete. 1018  Brief vom 10. Februar 1953: Ebd., Korrespondenz H. R./Dr. Brüning. 1019 Ebd. 1020  Zu von Rohr vgl. die Biographie von seinem Sohn: Hans Christoph von Rohr, Ein konservativer Kämpfer. Der Agrarpolitiker und NS-Gegner Hansjoachim von Rohr, Stuttgart 2010. 1021  PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin. 1022 Ebd. 1023  BArch, B 122/2068. 1024 Ebd.

Anmerkungen

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1025  Ebd. Rauschnings »erstes großes politisches Buch« (gemeint war wohl Die Revolution des Nihilismus, A. H.) habe er gelesen, schrieb Heuss, die »späteren Arbeiten aber kenne« er nicht. 1026  Ebd., Schreiben von Heyden/Swart. 1027 Ebd. 1028  Ebd., Schreiben von Heyden/Werner. In seiner Antwort vom 24. Dezember 1953 teilte Werner von Heyden mit, dass kürzlich »hier durch einen deutschen Besucher angeregt« worden sei, »sich doch des Herrn Dr. Rauschning anzunehmen, zumal er anscheinend in wirtschaftlich sehr beengten Verhältnissen« lebe. Im Übrigen möge von Heyden wegen einer definitiven Antwort auf die Rückkehr Dr. Krekelers aus dem Urlaub warten: Ebd. 1029  Ebd., Schreiben Rauschning/Swart. 1030  PA Grube, Korrespondenz H. R./Maier-Hultschin, Sperrung im Original. 1031  BArch, B 122/2068, Schreiben von Heyden/Swart. 1032 Ebd. 1033  Vgl. den Entwurf eines Schreibens von Heydens an das Bonner Auswärtige Amt, in dem es u. a. heißt: »Dr. Rauschning wird am 10. Februar ds. Js. New York verlassen und am 18. oder 19. Februar in der Bundesrepublik zu einem längeren Aufenthalt eintreffen«: Ebd., Schreiben vom 6. Februar 1954. 1034  Ebd., Schreiben Werner/von Heyden. Mit den »vertraglichen Abmachungen« war der sogenannte Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 gemeint, der zwar das westalliierte Besatzungsregime beendete, jedoch nicht die volle Souveränität der Bundesrepublik bedeutete. Vor allem die »Bindungsklausel« in Artikel 7, Absatz 3 des Vertrages erregte die Gemüter, da sie, trotz späterer Abschwächung, die automatische Wirksamkeit aller Rechte und Pflichten dieses Vertrages nebst den Verträgen über die Schaffung einer integrierten europäischen Gemeinschaft auch für ein wiedervereinigtes Deutschland vorsah. Da die Sowjetunion diesem Automatismus niemals zustimmen würde, sahen Kritiker wie Kurt Schumacher von der SPD, aber eben auch Neutralnationalisten wie Rauschning das Ziel der Wiedervereinigung in unerreichbare Ferne rücken. Vgl. dazu: Winkler, Weg, S. 151 ff. 1035  BArch, B 122/2068, Entwurf eines Schreibens von Heydens an das AA vom 6. Februar 1954. 1036  Nach einem Schaubild bei Rainer Dohse, Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974, S. 15. 1037  So Rainer Zitelmann, Demokraten für Deutschland. Adenauers Gegner – Streiter für Deutschland. Mit einem Vorwort von Erhard Eppler, Frankfurt 1993, S. 15. 1038  Ebd., S. 210. Dort findet sich auch der genaue Wortlaut der Fragestellung. 1039  Frankfurt, Wien 1954. 1040  Ebd., S. 186. 1041  Ebd., S. 214 f. In jüngerer Zeit hat sich Peter Delvaux noch einmal kritisch mit den Masken und Metamorphosen auseinandergesetzt: Vgl. Delvaux, Der europäische Nihilismus, in: Roland Duhamel und Guillaume van Gemert (Hg.), Nur Narr? Nur Dichter? Über die Beziehungen von Literatur und Philosophie, Würzburg 2008, S. 33–58. 1042  PA Grube, Briefwechsel Prof. Dr. Schoeps, Schreiben Schoeps/Rauschning, Neumünster, vom 4. März 1954. 1043  Ebd., Briefwechsel Gottfried Griesmayr.

624Anmerkungen

1044  BArch, B 136/1737, S. 193–196. 1045  Ebd., S. 195 f. 1046  Zusammenfassung eines Berichts der Stockholms-Tidningen vom 24. März 1954 von der Pressekonferenz durch die Deutsche Gesandtschaft in Stockholm: BArch, B 136/1737, S. 189 f. 1047  BArch, B 136/1737, 6. April 1954. Der 1948 von Landrat a. D. Loeb am Ostrand des Ruhrgebietes gegründete Rhein-Ruhr-Klub verstand sich als lose Vereinigung mittelständischer Industrieller, bei deren Vortragsveranstaltungen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und kulturelle Fragen thematisiert wurden. 1048  Selbstverständlich in Unkenntnis dieses Berichts schrieb Rauschning nach dem Auftritt Johns in Ost-Berlin einen undatierten und offenbar unveröffentlicht gebliebenen Text über den »Fall John«, in dem er John zwar als »Überläufer« bezeichnete, diesen jedoch für sein Eintreten für die Wiedervereinigung »und eine Art Neutralisierung des geeinten Deutschlands« lobte. »Wahrheit wird nicht zur Lüge«, schrieb Rauschning, »weil sie von einem Überläufer mißbraucht« werde. Das »politische Leben in Deutschland« werde erst »dann gesunden, wenn eine f r e i e (Sperrung im Original, A. H.) Presse unabhängig und mutig genug ist, um die Dinge beim Namen zu nennen, gleichviel, ob es den Betroffenen und Verantwortlichen lieb oder leid ist«: PA Grube, Artikel von H. R.: Manuskripte. 1049  BArch, B 136/1737, S. 192. 1050  The National Archives, Kew, KV 2/1746/C 499979, Datum des Gesprächsberichts: 7. April 1954. Meine Übersetzung aus dem Englischen, A. H. 1051  Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Bd. 7, 1954, bearb. von Ursula Hüllbusch und Thomas Trumpp, hrsgg. für das Bundesarchiv, Boppard am Rhein 1993, S. 215 f. sowie Anm. 16 und 17 ebd. 1052  Vgl. dazu: Dohse, Der dritte Weg, S. 84 f. Dohses Buch erschien in Schenkes Hamburger Holsten Verlag. Nach Kurt P. Tauber konnte der Holsten Verlag Wolf Schenkes zum inneren Kern nationalistisch ausgerichteter Verlage in der Bundesrepublik gerechnet werden. Vgl. Tauber, Beyond Eagle, Bd. I, S. 631 ff. Vgl. auch Wolf Schenke, Siegerwille und Unterwerfung. Auf dem Irrweg zur Teilung. Erinnerungen 1945–1955, München 1988. 1053  PA Grube, Rhein-Ruhr-Klub e. V., Konservative Gesellschaft von 1950, Berlin. Das Schreiben Schenkes an Rauschning ging mit gleichem Inhalt auch an andere Personen, »die mich persönlich kennen«. 1054 Ebd. 1055  PA Grube, H. R./Hermann Schaefer. 1056 Ebd. 1057  Der Aufmacher auf der Titelseite der Ausgabe Nr. 19 vom 11. Dezember 1954 mit der Überschrift »Geplante Vergeblichkeit« sowie der Aufsatz »Die deutsche ›Lethargie‹ ist verschwunden« in der Nr. 6 vom 12. Februar 1955. 1058 Vgl. Gibt es ein deutsches Geschichtsbild? Konferenz der Ranke-Gesellschaft. Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Jahrbuch der Ranke-Gesellschaft 1954, Frankfurt 1955, S. 133–135. 1059  Ebd., S. 134. 1060  PA Grube, Oberst von Bonin, Wolfgang Werner, Dr. phil. h. c. Otto Wagener. 1061  Ebd., Schreiben Rauschnings vom 22. September 1954.

Anmerkungen

625

1062  Was aus den Avancen in Richtung Löwenthal wurde, ist unbekannt. Bei einem Vortrag im Audimax der Universität Hamburg konstatierte Löwenthal, der als einstiger »Neu Beginnen«-Ideologe Rauschning eigentlich fernstand, anlässlich eines Vortrages am 27. November 1967, Rauschning komme ein Verdienst in dem Bemühen zu, das konservative Bürgertum in der Bundesrepublik mit der Demokratie zu versöhnen, es davon abzuhalten, noch länger mit »dem Feuer des Nazismus zu spielen«. Insofern habe Rauschning bei der »Einbürgerung« des Antinazismus in Westdeutschland mitgewirkt. Aufzeichnung des Historikers Joachim Radkau, der damals in Hamburg bei Fritz Fischer (Griff nach der Weltmacht) studierte. Vgl. Radkau, Emigration, S. 230. 1063  PA Grube, Brief vom 27. September 1954. 1064  Ebd., Brief Werners an Rauschning vom 7. November 1954. … mitten ins Herz. Hermann Rauschning, Hans Fleig, Margret Boveri, J. A. von Rantzau über eine Politik ohne Angst, Berlin 1954. Unter Bezugnahme des dem Bauernkriegsführer Florian Geyer von Gerhart Hauptmann in den Mund gelegten Wortes »Der deutschen Zwietracht mitten in Herz« begründete Rauschning in seinem Vorwort die Aktualität der in dieser Schrift versammelten Aufsätze zur Frage der Wiedervereinigung und Wiederbewaffnung. 1065  PA Grube, H. R./J. W. Werner. Der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein vertrat damals eine ähnlich adenauerkritische Position wie Rauschning. 1066  PA Grube, H. Rauschning, Land der Begegnung, Bl. 16. 1067  Der Bundestag stimmte schließlich am 27. Februar 1955 den Pariser Verträgen zu, die den Beitritt der Bundesrepublik zur WEU und zur NATO bedeuteten und damit die Westintegration vollzogen. 1068  PA Grube, Briefwechsel Herbert Blank, Otto Poetsch, Walter Wiebe, Johanna Boediker. 1069  Ebd. Ein J. Galetta ließ in der April-Ausgabe von 1954 der Zeitung Unser Danzig einen Leserbrief mit der Überschrift »Die Wahrheit über Rauschning« veröffentllichen, der mit der Anmerkung »Außer Verantwortung der Redaktion« erschien. Rauschning wurde hier als »Seine Emigranz« und »Wanderprediger« bezeichnet, der »die ursprüngliche Schuld« am Verlust der Heimat der Danziger trage. 1070  PA Grube, Briefwechsel Herbert Blank, Otto Poetsch, Walter Wiebe, Johanna Boediker, Schreiben Rauschnings vom 20. Dezember 1954. 1071  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning. 1072  Einen bescheidenen Ruhm erwarb sich von Reitzenstein als geistiger Vater des sogenannten HB-Männchens in der Werbung von BAT für die HB-Zigaretten. Der BAT-Service teilte dem Verfasser auf Anfrage per E-Mail am 21. Juni 2017 mit, dass Angaben über den Verbleib des Nachlasses von Reitzensteins nicht gemacht werden könnten, da dafür eine »aufwendige Recherche« mit »vertraulichen Informationen« erforderlich sei. 1073  PA Grube, Briefwechsel H. R./von Reitzenstein. 1074  Ebd. Erich Ollenhauer (1901–1963) war damals SPD-Vorsitzender. Außer jenen von Reitzensteins, Rauschnings und Friedensburgs sind keine Namen weiterer Teilnehmer an dem Abend bekannt; ein von Reitzenstein erwähnter »Herr Dr. Sch.« lässt sich nicht mehr identifizieren. 1075  Seit seinem adenauerkritischen Vortrag im Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Klub am 2. Juni 1954 – Thema: »Die Vereinigten Staaten und Europa« – verschlechterte sich das Verhältnis zwischen dem Bundeskanzler und Brüning rapide und Brüning begann sich seither aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

626Anmerkungen

1076  Mit dem »ersten Mal« meinte von Reitzenstein wahrscheinlich Brünings Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz im März 1933. 1077  Ebd. Über Abreisepläne Rauschnings zu diesem Zeitpunkt findet sich sonst nirgends ein Hinweis. 1078  Schreiben Rauschnings vom 30. Januar 1955. 1079  PA Grube, Briefwechsel Rhein-Ruhr-Klub, Konservative Gesellschaft 1950, Deutscher Kreis, Schreiben Kiefer an Rauschning vom 25. November 1954. 1080 Ebd. 1081  PA Grube, Korrespondenz H. R./K. Graf von Westphalen, Brief vom 14. Februar 1955. 1082  Ebd., Brief vom 17. Mai 1959. 1083 Schenke, Siegerwille, S. 408. 1084  Hermann Rauschning schrieb vier Tage nach der Sitzung in Bad Godesberg an Graf von Westphalen und forderte ihn auf, im »Deutschen Kreis« – so nannte Rauschning die Teilnehmer von Bad Godesberg – mitzuarbeiten. Er brauche dabei keine Loyalitätskonflikte gegenüber dem von ihm geführten »Deutschen Klub 1954« zu befürchten. Der »Deutsche Kreis« verfolge das Ziel der Koordinierung einer großen Sammlungsbewegung für eine neue Außenpolitik. PA Grube, Korrespondenz H. R./K. Graf von Westphalen, Brief vom 14. Februar 1955. 1085 Ebd. 1086  Karsten Rudolph, Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg. Die Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie 1945–1991, Frankfurt 2004, S. 41. 1087  Der Volkswirt, Nr. 17/1952. Für die interessierte westdeutsche Öffentlichkeit dürfte folgende Information Krumms Neuigkeitswert besessen haben: »Überraschend konnten die westdeutschen Herren feststellen«, so Krumm, »daß die Warenexperten der chinesischen Delegation sich in erster Linie aus selbständigen Unternehmern rekrutierten, die laut ihren Schilderungen in ihren Betrieben unangetastet und nach kapitalistischem System arbeiten sollen.« Ebd. 1088  Zitiert nach Schenke, Siegerwille, S. 409. Vollständiger Abdruck der Erklärung bei Dohse, Der dritte Weg, S. 234–236. 1089  Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), Nachlass Andreas Hermes, 01-090-104/2. Hermes vertrat damals ähnliche politische Positionen wie Rauschning. 1090  Vgl. Schenke, Siegerwille, S. 409. Die ansonsten verdienstvolle Arbeit von Alexander Gallus, Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschland zwischen Ost und West 1945–1990, Düsseldorf 2001, S. 203, übernimmt Schenkes Version unkritisch. 1091  PA Grube, Briefwechsel H. R./J. W. Werner. 1092  Ebd., Briefwechsel Dorothy Thompson. 1093  PA Grube, Korrespondenz H. R./J. W. Werner. 1094  BArch, N 344/18, fol. 1, Schreiben vom 28. Februar 1956. 1095  PA Grube, Briefwechsel H. R./Graf von Westphalen. 1096  PA Grube, Briefwechsel Rhein-Ruhr-Club e. V., Konservative Gesellschaft von 1950, Deutscher Kreis. 1097  PA Grube, Briefwechsel Stimmen zur Agrarwirtschaft/Dr. Rohr, Brief vom 11. Februar 1955. 1098  Ebd., Die Nation, Die Stimme Deutschlands, Fritz Brehm, Dr. H. Schaefer, H. R.: »Geplante Vergeblichkeit«, (Sperrungen im Original).

Anmerkungen

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1099  PA Grube, Briefwechsel Dr. Gustav Heinemann, Dr. Diether Posser, Rauschning an Heinemann, 20. Februar 1955. 1100  Aus der Fülle der Bücher seien stellvertretend nur genannt: Gallus, Neutralisten und Mathias Friedel, Der Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF). Eine Teiluntersuchung über westdeutsche antikommunistische Propaganda im Kalten Krieg und deren Wurzeln im Nationalsozialismus, St. Augustin 2001. 1101  Im Januar 1955 hatte der Verlag Rauschnings neue Broschüre mit dem Titel Die deutsche Einheit und der Weltfriede. Mit einem Geleitwort von Botschafter a. D. Werner Otto von Hentig, Hamburg, herausgebracht. Noch einmal umriss Rauschning in dieser Schrift sein Plädoyer für ein neutrales Gesamtdeutschland. Von Hentig stärkte ihm in seinem Geleitwort den Rücken, indem er den amerikanischen Ex-Präsidenten Herbert Hoover und George F. Kennan zu dessen »Gesinnungsgenossen« erklärte. Im Übrigen widmete von Hentig in seinem knappen Beitrag dem blockfreien Jugoslawien unter Marschall Tito auffallend viel Anerkennung. Möglicherweise sah er in dem Balkanstaat ein Vorbild für ein wiedervereinigtes Deutschland. Vgl. ebd., S. 6 f. Am Ende der Broschüre machte der Verlag Werbung für Rauschnings Ist Friede noch möglich?, erschienen »im Kurt Vowinckel Verlag, Heidelberg«. 1102  Genaues Datum unleserlich, PA Grube, Briefwechsel H. R./Wolf Schenke. 1103  Ebd. Rauschning firmierte im Impressum künftig vorerst unter »Beratende Redaktion«, seit dem Sommer 1955 jedoch stand sein Name auf der Titelseite in der Herausgeberzeile neben Bogislaw von Bonin, Hermann Schaefer, Arthur Stegner und Otto Wagener. 1104  Vgl. Benedikt Bern, Oberst a. D. von Bonin, in: Die Zeit vom 11. August 1955, hier zitiert nach: http://www.zeit.de/1955/32/oberst-a-d-von-bonin (letzter Zugriff: 04.11.2017). 1105  Korb von Koerber wies in seinem Lebenslauf einige Parallelen zu Rauschning auf. Nahezu gleichaltrig, hatte er seine Militärzeit vor dem Ersten Weltkrieg in Danzig verbracht und gehörte zu den frühen Mitgliedern der NSDAP. Er schrieb ein frühes Porträt Hitlers, von dem er sich jedoch bald entfremdete und dessen Partei er enttäuscht verließ. In einer Art erzwungener innerer Emigration »überwinterte« er in seiner Heimat Rügen, um nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 im KZ Sachsenhausen inhaftiert zu werden. Dort befreiten ihn die Russen; anschließend arbeitete er vorübergehend in Ost-Berlin, bevor er sich nach Baden-Baden in die Französische Zone absetzte. Nach seiner Arbeit für die antikommunistische ADK lebte er zehn Jahre in Nizza, bevor er nach Südafrika übersiedelte, wo er 1969 starb. Sein umfangreicher Nachlass befindet sich in der University of the Witwatersrand, Johannesburg. Zur ADK vgl. Stefan Stosch, Die Adenauer-Legion. Geheimauftrag Wiederbewaffnung. Mit einem Vorwort von Ralph Giordano, Konstanz 1994. 1106  Dt.: »Rauschning schwor Hitler äußerlich (aber nicht innerlich) ab«. Kopie und Übersetzung des Artikels: BArch, B 136/1739. 1107  Vgl. dazu Stephan Stracke in Der Freitag, 4. Februar 2013, http://texte.blogsport.eu/2013/02/04/ein-etwas-anderer-nachruf-auf-otto-graf-lambsdorff/ (letzter Zugriff: 04.11.2017). Der Verfasser dankt Herrn Alexander Lohe von der Stadt Aachen für diesen Hinweis. 1108  Ebd. Über die Aachener Nachrichten veröffentlichte Schaefer eine schmale Schrift mit dem Titel Ende und Anfang: Zur Geschichte der »Aachener Nachrichten«, Aachen 1947 1109  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 268.

628Anmerkungen

1110  DID, Nr. 437 vom 14. Januar 1955. Der von Willfried Parge herausgegebene DID brachte Hintergrundinformationen vor allem zum öffentlichen Leben in der Bundesrepublik und ließ eine Nähe zur Bundesregierung erkennen. Die hier verwendeten Exemplare der Ausgabe B (»Nur zur Information«) und mit »Nur zur Information! Nicht zur Veröffentlichung« gestempelt, finden sich im BArch, Zsg. 2, 625. In dem vorliegenden Text wird aus quellenkritischen Gründen nur wenig Gebrauch vom DID gemacht. Hermann Schaefer jedenfalls war auf das Informationsblatt wenig gut zu sprechen. In dem von ihm unter dem Pseudonym Hans-Georg Hermann veröffentlichten Buch mit dem Titel Verraten und verkauft, Fulda 1959, S. 107 f. über den Prozess gegen den DGB-Funktionär Viktor Agartz, heißt es über die Arbeitsweise des DID, die nach heutigem Sprachgebrauch geradezu postfaktisch anmutet, u. a.: »In Brühl bei Bonn gibt Wilfried Parge den ›Deutschen Informationsdienst‹ heraus. Per Schließfach, versteht sich. Das Blättchen ist jahrelang – bis Parge ›Abwehroffizier‹ der Bundeswehr in München wird – Studienobjekt für die Vernichtungspraxis des kapitalistischen Gegenspielers. Es wird schlicht und einfach irgendeine politische Behauptung erfunden. Sie wird gedruckt und verbreitet. Dann geht wahrscheinlich das Amt für Verfassungsschutz her und legt über die Verleumdung ein Aktenstück an. Das Aktenstück wandert an die Strafverfolgungsbehörde, die zum Schaden des falsch Beschuldigten ein kostspieliges und nervenfressendes Verfahren einleitet. Das läuft nun jahrelang, während der Beschuldigte nicht die Möglichkeit hat, den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Man kann ein Postschließfach nicht verklagen. Der muntere Abwehrjüngling des Franz Josef Strauß erfindet in seinem ›Informationsdienst‹ geheimnisvolle Begegnungen westdeutscher Bürger mit dem Staatssekretär Dr. Girnus aus der DDR im Schatten des Stefansdoms von Wien.« Auf Dr. Girnus wird noch zurückzukommen sein. 1111  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 268. 1112  Ebd., Bericht undatiert, als Abschrift dem Schreiben an Minister Meyers vom 9. Dezember 1954 beigefügt. Die Abschrift trägt keine Unterschrift, das Anschreiben an Meyers diejenige Maier-Hultschins. 1113  DID, Nr. 453 vom 16. März 1955. Laut DID Nr. 539 vom 12. Februar 1956 teilten Schauff und Schaefer eine gemeinsame trübe Episode aus der jüngeren Vergangenheit. Schauff soll demnach in seiner Funktion als Regierungsrat im Aachener Finanzamt nach dem Krieg Schaefer die Steuerakte des damaligen NRW-Arbeitsministers Ernst zugänglich gemacht haben, die Schaefer in seiner Eigenschaft als Chefredakteur der Aachener Nachrichten für eine Pressekampagne nutzen wollte. Schauff wurde daraufhin fristlos entlassen und fand anschließend mit Hilfe Schaefers Aufnahme bei den RWN: BArch, Zsg. 2/625. 1114  Die »vielleicht nur theoretischen Stammeinlagen« bezifferten sich laut DID wie folgt: Schauff, Bonn, 4800 DM, Wagener, Krefeld, 5000 DM und Schaefer, Stockdorf bei Starnberg, 10.200 DM. Ebd. 1115  LAV NRW R, Bestand Nr. 356, Bl. 134 ff. 1116  Blankenhorn war während des Zweiten Weltkriegs Leiter der Wirtschaftsabteilung an der Deutschen Gesandtschaft in Bern. 1117  Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus, Ic/2 KV Aachen-Stadt, 27753. 1118  LAV NRW R, Bestand 650, Nr. 268, Schreiben des Leiters der Pressestelle Maier-Hultschin an Innenminister Meyers nebst Anlagen. Zu Rienhardt vgl. unten S. 438, Anm. 1207.

Anmerkungen

629

1119  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 268. 1120  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 269, 11. Oktober 1955. 1121 Ebd. 1122  Vermerk des Verfassungsschutzes NRW vom 25. November 1955, ebd. 1123  LAV NRW R, Bestand 650, Nr. 357, Aufzeichnung vom 31. Januar 1955. 1124  RWN, Nr. 5 vom 12. Februar 1955. 1125  RWN, Nr. 1 vom 15. Januar 1955. 1126  PA Grube, Rheinisch-Westfälische Nachrichten für Deutschland, Briefwechsel Dr. H. Schaefer, Schriftleiter. 1127 Ebd. 1128  Vermerk betr. Volksbund für Frieden und Freiheit und »Rheinisch-Westfälische Nachrichten«: BArch, B 137/2611, Bd. 4. Friedel, Volksbund, S. 49, nennt das Bundeskanzleramt als weiteres »Standbein« des VFF. Der amerikanische Journalist Christopher Simpson schreibt von einer Trägerschaft des VFF – bei ihm »Volksliga« – durch die CIA und die Bundesregierung. Vgl. Simpson, Der amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA, Wien 1988, S. 296. 1129  Klaus Körner, Von der antibolschewistischen zur antisowjetischen Propaganda: Dr. Eberhard Taubert, in: Arnold Sywottek (Hg.), Der Kalte Krieg – Vorspiel zum Frieden?, Münster 1994, S. 54–68, hier S. 57. 1130 Ebd. 1131  Ebd., S. 58. 1132  Ebd., S. 60. Gegen die Beschäftigung Tauberts wandte sich mit Verweis auf dessen NS-Vergangenheit der Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium und spätere Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Walter Bargatzky. Vgl. Schreiben Bargatzkys an Abteilungsleiter VI, Egidi, vom 20. Januar 1955: Friedel, Volksbund, S. 144, Anm. 706. Der Spiegel hatte bereits in seiner Ausgabe vom 18. Oktober 1950 unter der Überschrift »Taube nagt am Kohlstrunk« einige Aspekte der Vergangenheit Tauberts und seiner Mitstreiter im VFF aufgedeckt. Spätestens seit dem Buch von Lutz Hachmeister, Heideggers Testament, in dem der Autor den Einfluss ehemals führender Nationalsozialisten in der Frühzeit der Spiegel-Redaktion beschreibt, wird plausibel, auf welche Weise derartige Details etwa über Taubert und den VFF in das Blatt gelangen konnten. 1133  Kopie des Urteils: BStU, MfS-HA IX/11, PA 5008, Bd. II. 1134  Ebd., Bl. 5 f. Klotz, ein sehr frühes NSDAP-Mitglied, radikaler Antisemit und Teilnehmer am Marsch auf die Feldherrnhalle, wandte sich später der SPD zu und verbrachte einige Monate im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner. Er wurde am 3. Februar 1943 in Plötzensee hingerichtet. 1135  Zitiert nach DID, Nr. 460 vom 13. April 1955. 1136 Ebd. 1137  Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 18. März 1955, Az. 3 Q 3/55, abgedruckt ebd. Das angebliche Flugblatt der Kriegsgefangenen bezeichnete die Kammer als »fingiert«. 1138  BArch, B 137/2611, Bd. 4. Dem Vermerk angefügt ist die Abschrift einer eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen SS-Brigadeführers Leopold Gutterer vom 15. Februar 1955, der seinerzeit Vorgesetzter Tauberts im Reichspropagandaministerium gewesen war. Gutterer nahm Taubert darin gegen die Behauptungen der RWN in Schutz und kam zu dem Schluss: »Zusammenfassend ist zu sagen, daß Dr. Taubert die aktivs-

630Anmerkungen

te Kraft gegen diejenigen Bestrebungen war, die Russen zu ›Untermenschen‹ zu stempeln. Die gegen ihn erhobenen gegenteiligen Behauptungen stellen eine böswillige und hundertprozentige Verdrehung der geschichtlichen Wahrheit dar.« Ebd. 1139  Bericht des BfV über Vortragstätigkeit des Senatspräsidenten a. D. Dr. Hermann Rauschning vom 31. Januar 1955: BArch, B 136/1738, Bl. 221. Der neutralnationalistische Studienrat Dahmen war Herausgeber der Zeitschrift Das Gespräch aus der Ferne, in der auch Rauschning gelegentlich publizierte sowie Mitbegründer des Bildungswerkes »Stätte der Begegnung« in Heiligenhaus bzw. später in Vlotho/Weser. 1140  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 268, 17. Januar 1955. 1141  Ebd., Bericht vom 19. Januar 1955. 1142 Ebd. 1143  Bericht des BfV vom 20. Januar 1955: BArch, B 136/1738, Bl. 222 f., Verteiler: Ministerialrat Dr. Toyka vom Bundesinnenministerium, Staatssekretär Globke vom Bundeskanzleramt sowie Ministerialrat von Dellingshausen vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 268. Die insgesamt 250 zwischen Dezember 1950 und April 1956 abgehaltenen »Mittwochsgespräche« behandelten nicht nur politische, sondern auch kulturelle, naturwissenschaftliche und juristische Fragen der Zeit. So bestritt etwa der Norweger Torstein Raaby den letzten Vortrag vor jenem von Rauschning mit dem Titel »Kon-Tiki«, in dem es um die legendäre Floßfahrt Thor Heyerdahls von der peruanischen Pazifikküste zu den Osterinseln ging. Und am 7. März 1956 widmete sich der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek der Frage »Sind wilde Tiere im Zoo glücklich?« Vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Freier Eintritt, freie Fragen, freie Antworten. Die Kölner Mittwochsgespräche 1950–1956, Köln 1991, S. 186–188. 1144  Bericht des BfV vom 20. Januar 1955: BArch, B 136/1738, Bl. 223. 1145  Ebd., geheim. Bericht vom 24. Januar 1955. 1146  Die Nation vom 29. Januar 1955. 1147  Gemeint war damit der geforderte Rüstungsbeitrag der Bundesrepublik im Rahmen der NATO. 1148  BArch, B 136/1739, Bl. 44. 1149 Ebd. 1150  Ebd. sowie Gallus, Neutralisten, S. 238. 1151  BArch, B 136/1739, Bl. 44. 1152  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 356, 11. Mai 1956, Bl. 134 f. 1153  Wilhelm Girnus (1906–1985), Publizist und SED-Politiker, von 1955 bis 1957 Sekretär des Ausschusses für deutsche Einheit in der DDR. 1154  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 356, 11. Mai 1956, Bl. 138 f. 1155  Ebd., 16. Juni 1955, Bl. 47. 1156  PA Grube, Briefwechsel Deutscher Klub 1954, Köln, Graf von Westphalen, P. B. Neuhöffer. 1157  LAV NRW R, NW 650, Nr. 357. 1158  Ebd. Der Name der Kanzlei wird in dem Schreiben Nollaus genannt. 1159  Zu Stegners Verbindungen zur HVA des MfS der DDR vgl.: Georg Herbstritt, Bundesbürger im Dienst der DDR-Spionage. Eine analytische Studie, Göttingen 2007, S. 133 f. 1160  PA Grube, Briefwechsel H. R./Anna Rauschning.

Anmerkungen

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1161  PA Grube, Schreiben Werner/Rauschning vom 29. Juli 1955. 1162  Vgl. Friedel, Volksbund, S. 146. 1163  PA Grube, Schreiben Werner/Rauschning vom 29. Juli 1955. 1164  Ebd., Brief Rauschnings an Werner vom 31. Juli 1955. 1165  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 269, Auszug aus dem Polizeibericht/ Düsseldorf, Tgb. Nr. 12 698, Bl. 59. 1166  PA Grube, RWN, Briefwechsel Dr. Hermann Schaefer, Schreiben Rauschning/ Schaefer. Folgt man den Erinnerungen Wolf Schenkes, hatte auch Hermann Schaefer den Anpassungsdruck durch die Regierung Adenauer hart zu spüren bekommen. Als Verlagsleiter und Chefredakteur der Aachener Nachrichten habe er seinerzeit »eine Erklärung« unterschreiben sollen, der zufolge »in Zukunft jede Kritik an der Regierungsarbeit und besonders der Wiederbewaffnung« zu unterbleiben habe, und »seine Leitartikel sollte er vorher einem Gesellschafter im Verlag zur Zensur unterbreiten«. Schaefer sei »entsetzt« gewesen »über die Diskrepanz von Verfassung und Verfassungswirklichkeit«. Er habe schließlich kapituliert und die Zeitung verlassen. Vgl. Schenke, Siegerwille, S. 380. Aus zwei Gründen ist Schenkes Schilderung jedoch mit Vorsicht zu genießen. Zum einen ist von Schaefer, der sonst keine Gelegenheit ausließ, die Regierung Adenauer zu kritisieren, keine Äußerung bekannt, die Schenkes Darstellung stützen würde. Zum anderen hat auch Hermann Rauschning in seinen wiederholten Zornesausbrüchen über den auf ihn ausgeübten Anpassungsdruck keinerlei Andeutung gemacht, dass es auch seinem engen Mitstreiter bei den RWN, Hermann Schaefer, ähnlich ergangen sei. Die kleine Schrift Schaefers über die Geschichte der »Aachener Nachrichten« behandelt nur den Zeitraum bis 1947. Vgl. ders., Ende und Anfang. 1167  PA Grube, Briefwechsel Die Tat, Dr. E. Jaeckle, Dr. Hans Fleig. 1168  Abgedruckt in … mitten ins Herz, S. 13 f. 1169  Briefwechsel mit Hermann Rauschning in Die Tat vom 27. August 1955. Der Artikel »Der deutsche Teig« in … mitten ins Herz war zuvor am 21. Februar 1954 in der Tat erschienen. Darin hatte der Autor den Westdeutschen vorgeworfen, sich zwar außerordentlich energisch und auch erfolgreich um ihre wirtschaftlichen Interessen im In- und Ausland zu kümmern, hingegen die Frage der Wiedervereinigung achtlos liegen zu lassen. Rhetorisch schloss Fleig seinen Artikel auf folgende Weise: »Bloß einen Gedanken kann man kaum unterdrücken: ob die Bundesrepublikaner, wenn sie sich für die deutsche Einheit ebenso entschlossen ins Zeug gelegt hätten wie für ihr Wirtschaftswunder, sie es nicht auch schon längst zustande gebracht hätten, aus dem geteilten Deutschland eines zu machen?« Als Mitglied der Welt-Chefredaktion hatte Wolfgang Höpker Rauschning in einem Schreiben vom 25. März 1954 – »auch im Namen von Herrn Zehrer« – um einen Beitrag über seine bisherigen Eindrücke in der Bundesrepublik gebeten. Höpker schrieb abschließend: »Gewiß brauchen wir Ihnen nicht eigens zu versichern, daß dabei auch kritische Aspekte nicht zu kurz zu kommen brauchen – ich denke beispielsweise an den restaurativen Zug, der die westdeutsche Nachkriegssituation so beharrlich prägt.«: PA Grube, Briefwechsel Inge Aicher-Scholl, Pastor Niemöller, Evangelische Akademie. Bis zu seinem Zusammentreffen mit dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow in Moskau 1958 – gemeinsam mit Hans Zehrer – verfolgte Springer mit der Welt einen politischen Kurs, der auf gesamtdeutsche Neutralität, etwa im Sinne Rauschnings, ausgerichtet war. 1170  BArch, N 344/18, fol. 1, Schreiben Werners vom 16. Januar 1956. 1171  Ebd., Briefwechsel Armin Mohler.

632Anmerkungen

1172  PA Grube, Briefwechsel RWN, J. W. Werner. Bemerkenswert mutet eine Information Werners für Rauschning vom 11. April an, wonach der Redaktion der RWN »Nachrichten« zugingen, denen zufolge in CDU-Kreisen »erörtert« werde, Rauschning für die Partei zu gewinnen, »da man für die Nachfolge Adenauers keinen qualifizierten Mann, der Kanzler sein könnte, benennen kann«. Werner meinte, er könne sich vorstellen, dass diese Information stimme, da »erhebliche Teile der Abgeordneten« wünschten, dass die Wiedervereinigung »Punkt 1 der deutschen Außenpolitik« werden müsse, was »möglicherweise sogar die Zustimmung Adenauers« habe: Ebd. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Übertritt Steidls mit seinen internen und später öffentlichen Enthüllungen noch nicht erfolgt. 1173  BArch, B 137/2613, Bd. 8. 1174  Ebd. Unterstreichung der Namen Norden (gemeint ist der SED-ZK-Sekretär Albert Norden) und (Robert M. W.) Kempner, des Vertreters des amerikanischen Hauptanklägers bei den Nürnberger Prozessen, im Original. 1175  FAZ -Mitherausgeber Paul Sethe reagierte auf Rauschnings Aufsatz und bedauerte in einem Brief an diesen vom 21. August, dass Rauschning nicht direkt auf die »Glosse« der FAZ geantwortet habe, in »der davon gesprochen worden war«, so Sethe, »daß Gerüchte umlaufen, wonach die RWN Geld von den Sowjets, von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik oder von anderen bolschewikischen Stellen bekämen. Was ich gerne gesehen hätte, wäre eine ganz klare Mitteilung von Ihnen oder Ihrem Verlage, daß Sie solche Gelder nicht bekommen haben und jetzt nicht bekommen. Falls Sie uns aber brieflich eine Mitteilung darüber zugehen lassen wollen, so sind wir gern bereit, sie zu veröffentlichen.«: PA Grube: Briefwechsel RWN. Ob Rauschning auf das Schreiben Sethes geantwortet hat, bleibt unklar. 1176  BArch, B 137/2611, Bd. 4, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nachrichtenabteilung, Sowjetzonengruppe. Über die Bonner Politik sagte Schaefer einleitend: »Es gibt keinen Zweifel darüber, daß sich in der Bundeshauptstadt die Organe der karolingischen Konzeption zu einem System vollendeter Abhängigkeiten heute entwickelt haben, zu einem Verfahren römischen Totalitarismus’, der nach meiner Auffassung – und dafür gibt es genug Beweise – das sehr protestantische und halbliberale Ost-Elbien, wie man in dieser Sprache hier zu sagen pflegt, abschreiben möchte.« 1177  Ebd. Die Zeitung Freies Volk, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands mit Sitz in Düsseldorf, machte am 16. August 1955 auf der Titelseite unter der Überschrift »Es gibt echte Möglichkeiten der Wiedervereinigung« mit einem Bericht über das Interview auf. 1178  PA Grube, Briefwechsel RWN, J. W. Werner. 1179 Friedel, Volksbund, S. 146, Anm. 719, erwähnt diesen Vorgang, konnte aber den von ihm erwähnten »damaligen Studenten« nicht identifizieren. 1180  PA Grube, Briefwechsel RWN, J. W. Werner. 1181  Günther Gereke war Jurist und nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise niedersächsischer Landwirtschaftsminister. Nach Kampagnen des VFF gegen ihn wechselte er 1952 in die DDR über. Vgl. auch seine Memoiren Ich war königlich-preußischer Landrat, Berlin 1970, die sich jedoch vor allem mit seiner Pferdezucht in der DDR beschäftigen. 1182  BArch, B 137/2611, Bd. 4. 1183  Der Spiegel, Nr. 34 vom 17. August 1955, S. 12 f. Das Nachrichtenmagazin druckte den Wortlaut mehrerer Telefongespräche von Marx mit Staatssekretär von Del-

Anmerkungen

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lingshausen ab, die Marx dem Spiegel zur Verfügung gestellt hatte. Zu den Vorwürfen gegen Taubert meinte von Dellingshausen, dabei handle es sich um eine »olle Kamelle«, es gebe in den Ministerien noch ganz andere ehemalige Nazis. Taubert sei ein Mann, »den wir brauchen, er ist unentbehrlich«, eine Ablösung von seinem Posten komme daher nicht in Frage. Auf Marx’ Reaktion, dann werde er vorhandenes Material in seiner Zeitung publizieren, warnte ihn von Dellingshausen, er werde dann, wie Hans Zehrer von der Welt, »in die Gruppe derjenigen Journalisten« eingereiht, die den »antibolschewistischen Kampf« unterbänden. Auch nach einem Gespräch zwischen Marx und Minister Kaiser kam es nicht zu der von Kaiser zugesagten »gründlichen Untersuchung«, sodass Marx am 15. Juli den Artikel über Taubert in seiner Zeitung veröffentlichte. Vgl. auch Friedel, Volksbund, S. 146–148. 1184  VFF-Dienst vom 25. August 1955 mit der Meldung von Tauberts Rücktritt am Tag zuvor: BArch, B 137/2611, Bd. 4. 1185  BArch, B 137/2611, Bd. 4, Anschreiben Cramers vom 8. September 1955. Cramer machte Thedieck auch auf eine beigefügte Fotokopie eines Privatbriefes des in der Schweiz lebenden Initiators der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Waldemar Pabst, an Taubert nach dessen Rücktritt aufmerksam. Darin hatte Pabst Taubert rhetorisch gefragt, ob er denn »von allen guten Geistern verlassen« gewesen sei, es den »Schweinehunden vom Schlage eines Schaefer so leicht zu machen in Moskau bzw. Pankow mißliebige Leute auszubooten?« Wie »der Kampf zu gewinnen« sei, könne man sich in der Schweiz anschauen, wenn man sich nicht gerade mit »Moskauhörigen« dort unterhalte. Vgl. Abdruck des Briefes im DID, Nr. 501 vom 14. September 1955, S. 2. 1186  BArch, B 137/2611, Bd. 4. 1187  Die heute zugänglichen und erhalten gebliebenen Akten des MfS der DDR geben keinen Hinweis darauf, dass man dort in der RWN-Taubert-Angelegenheit ausgeholfen hätte. Allerdings zeigte sich das Ministerium von sich aus seit Anfang Oktober 1952 interessiert an Taubert in seiner Eigenschaft als zweiter VFF-Chef. Ein Aktenvermerk vom 26. August 1953 bezeichnet ihn als »in Fahndung gestellt«. Wohnortrecherchen im Bezirk Neubrandenburg sowie in Berlin-Charlottenburg (»britischer Sektor«) verliefen ergebnislos. Ein Vermerk vom 10. Mai 1954 meldete schließlich »z. Zt. angeblich wohnhaft in Elmshorn, Lorinzenstr. …« BStU, MfS-HA IX/11, PA 5008, Bd. I. An Tauberts Tätigkeit im »Dritten Reich« erinnerte sich das MfS sogar noch kurz vor dem Mauerfall. Bei einem Treffen zwischen einem namentlich nicht bekannten – der Name wurde von der Gauck-Behörde geschwärzt – Journalisten des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und dem »Genossen Nölte« vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR in Ost-Berlin informierte der Kölner Besucher Nölte über eine vom WDR geplante Fernsehsendung, in der es um Fragen der »psychologischen Kriegsführung« bei der Bundeswehr gehen sollte. Unter anderem, so ein Vermerk des MfS, habe der Journalist »großen Wert auf den Nachweis der Kontinuität, d. h. auf das ungebrochene Anknüpfen bestimmter BRD-Dienststellen an die antikommunistische Propaganda und die psychologische Kriegsführung des faschistischen Propagandaministeriums, des OKW usw.« gelegt. Dem Vermerk über das Gespräch, das offenbar in den Räumlichkeiten des MfS stattgefunden hatte, war eine Namensliste beigefügt, die auch »Taubert, Eberhard Dr., Vorsitzender ›Vineta‹ e. V., RPM Leiter Abtg. Ost« aufführte. Mit Schreiben vom 21. September 1988 wandte sich Oberst Rolf Wagenbreth von der Abteilung X (Internationale Verbindungen) der MfS-Hauptabteilung an Oberst Stolze von der Abteilung IX (Unter-

634Anmerkungen

suchungen) der HA mit der Bitte um Suche nach Material über Taubert im Zusammenhang mit der geplanten WDR-Sendung. Am 24. Januar 1989 berichtete die damals in Ost-Berlin erscheinende Berliner Zeitung durch den Bonner ADN-Korrespondenten über den ausgestrahlten WDR-Beitrag, der sich vor allem mit einer Bundeswehr-Akademie in Waldbröl östlich von Bonn beschäftigte, die angeblich der Ausbildung zur »psychologischen Kriegsführung« in der Bundeswehr diene. Ausdrücklich rief der ADN-Korrespondent die Aktivitäten Eberhard Tauberts für das NS-Propagandaministerium in Erinnerung. BStU, MfS-HA IX/11, AK 3999/88. Den Mangel an echten Dokumenten über Taubert auf dem Staatsgebiet der DDR machte das MfS wahrscheinlich durch Fälschungen wett. Anders ist kaum zu erklären, wie der mit dem HVA-Chef Wolf eng kooperierende westdeutsche Journalist und Buchautor Bernt Engelmann Taubert betreffende Dokumentenauszüge in seinen Bestseller Großes Bundesverdienstkreuz. Tatsachenroman, einarbeiten konnte. Vgl. ebd., 2. Auflage, Berlin (Ost), 1976, S. 83 und 137. Das Buch war zuvor in der Bundesrepublik in der AutorenEdition erschienen; in der 2. Auflage enthielt es ein Vorwort des DDR-Staranwalts Friedrich Karl Kaul. Zum Verhältnis Engelmanns zum MfS vgl. Hubertus Knabe, Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien, Berlin 2001, insbesondere S. 306 ff. 1188  BArch, B 137/2613, Bd. 8. 1189  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 356. 1190 Ebd. 1191 Ebd. 1192  Nach seinem erzwungenen Rücktritt Ende August 1955 gründete Taubert in Köln den Marius Verlag, ging dann als Berater des iranischen Schah-Regimes nach Teheran, wechselte sodann in gleicher Funktion u. a. nach Südafrika, um die weiße Minderheitsregierung dort zu unterstützen. Er starb 1976 in Köln. Vgl. auch Klaus Körner, Erst in Goebbels’, dann in Adenauers Diensten, in: Die Zeit, Nr. 35 vom 24. August 1990. Das Bundesamt für Verfassungsschutz zog Ende September 1955 eine Art Zwischenbilanz des Kampfes zwischen »östlichen Geldgebern« und dem VFF auf dem Boden der Bundesrepublik. Taubert, hieß es in dem »Presse- und Informationspiegel des BfV« sei nach seinem Rücktritt mit der »Gründung eines kommunistenfeindlichen Verlages beschäftigt … Bei der Kampagne gegen bolschewistenfeindliche Kampforganisationen sollte zunächst das KgU (Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, A. H.) und dann der Volksbund zur Auflösung gezwungen werden. Die gegenwärtig laufende Aktion ist als gescheitert anzusehen. So hat der VFF erneut die Initiative ergriffen …« Als Konsequenz der Enthüllungen Rudolf Steidls verlange der VFF nunmehr, dass allein der Empfang östlicher Gelder strafbewehrt sein müsse, was bisher nicht der Fall sei, solange damit »nicht eine hoch- oder landesverräterische Absicht nachgewiesen wird (Was bei einer rein publizistischen Betätigung in der Regel nicht möglich sein wird).«: BArch, B 141/4697, Bd. 1. 1193  Abdruck der relevanten Schriftstücke bei Neschke, Musikwissenschaftler, S. 54–60. 1194  PA Grube, Briefwechsel J. W. Werner/Rauschning. 1195  LAV NRW R, Bestand 650, Nr. 357, Düsseldorf, 24. August 1955. 1196  Ebd., Zusammenfassender Bericht des Polizeipräsidenten Düsseldorf vom 19. September 1955. Auch der DID, Nr. 498 vom 2. September 1955, wusste raunend zu berichten: »Hermann Schaefer … erscheint nicht mehr auf der Düsseldorfer Redaktion und in seinem Stockdorfer Haus. Der hessische did-Korrespondent weist auf Anzeichen

Anmerkungen

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hin, wonach sich Schaefer auf einem Schloß bei Hofgeismar befindet, wo ihn Kontaktleute aus der SBZ und der Redakteur Heuner von seiner Zeitung finden können, wenn sie wollen.« 1197  Rauschning fand noch einmal kurze Erwähnung in der Zeitung von Marx. In der Ausgabe Nr. 20 vom 19. August 1955 befasste sich Erwin Lichtenstein, der ehemalige Syndikus der Synagogen-Gemeinde Danzig von 1933 bis 1939, kritisch mit der Entschädigungspraxis der Bundesrepublik für Antragsteller aus der ehemaligen Freien Stadt. In diesem Zusammenhang schrieb Lichtenstein unter der Überschrift »Verfolgungsmaßnahmen in Danzig«, zunächst habe 1933 Gauleiter Forster »den Bauernführer Dr. Hermann Rauschning und, als dieser nicht scharf genug war, seinen Stellvertreter Greiser« als »Leiter der Regierung« berufen. 1198  PA Grube, Briefwechsel J. W. Werner/H. Rauschning. 1199 Ebd. 1200 Ebd. 1201  Schreiben des NRW-Innenministers an den Vizepräsidenten des BfV, Albert Radke, vom 23. Februar 1956, in dem auf eine erfolgte Parteigründung bereits im März 1955 verwiesen wird: LAV NRW R, NW 650, Nr. 357. 1202 Ebd. 1203 Ebd. 1204  PA Grube, Briefwechsel J. W. Werner/H. Rauschning. Das Schreiben trägt kein Datum, aus dem Inhalt ergibt sich aber zwingend, dass es um den 25. Oktober herum abgefasst worden sein muss. 1205  Hinter der Abkürzung v. R. verbarg sich höchstwahrscheinlich Ernst Freiherr von Reitzenstein. 1206  Rauschning und Rienhardt dürften sich bereits einmal begegnet sein, denn am 22. Mai 1954 berichtete die Westfälische Zeitung ausführlich über einen Auftritt Rauschnings in Bielefeld. 1207  Vgl. Anm. 1148. Axel Walker, Verlagsleiter der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen als Nachfolgerin der Westfälischen Zeitung, bestätigte dem Verfasser in einem Telefonat vom 25. August 2017 die damalige Tätigkeit Rienhardts für die Bielefelder Zeitung. Man verfüge aber über keinerlei diesbezügliche Unterlagen mehr. Rienhardt war seit 1928 Rechtsberater des Zentralverlags der NSDAP, der Franz Eher Verlags Nachf. GmbH, 1932 Reichstagsabgeordneter der NSDAP und 1934 Stellvertretender Direktor des Reichsverbandes Deutscher Zeitungsverleger sowie seit 1943 Mitglied der Leibstandarte-SS Adolf Hitler. Vgl. Klee, Personenlexikon, S. 497. Zu Rienhardt detailliert Oron J. Hale, Presse in der Zwangsjacke 1933–1945, Düsseldorf 1965, sowie Karl-Dietrich Abel, Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit, Berlin 1968. 1208  Der diskrete Förderer Rauschnings, Heinrich Krumm, starb 1957 auf dem Weg zur Leipziger Messe an den Folgen eines Autounfalls. Zu dieser Zeit lebte Rauschning aber schon wieder in den Vereinigten Staaten. 1209  PA Grube, Briefwechsel Thomas Mann, Brief Katia Manns vom 25. November 1955. 1210  RWN, Nr. 32 vom 20. August 1955. Dem Nachruf beigefügt war ein Foto von Thomas Mann, das ihn bei der Entgegennahme des Lübecker Ehrenbürgerbriefes am 20. Mai 1955 zeigte.

636Anmerkungen

1211  Vgl. z. B. den Vortrag »Die christliche Religion« von »Präsident Dr. Rauschning, USA« anlässlich einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum mit dem Titel »Geistiges Entscheiden und wirtschaftliches Handeln. Tagung für Männer der Wirtschaft« vom 24. bis 27. Februar 1955. Vortragstext in: Evangelische Akademie Loccum, Tagungsprotokolle, Okt. 1954–Sept. 1955. 1212  H. Rauschning, Ruf über die Schwelle. Betrachtungen, Tübingen 1955. 1213  PA Grube, H. R./Gustav Heinemann, Schreiben vom 14. Januar 1956. 1214  H. Rauschning, Ruf, S. 111–152. 1215  Ebd., S. 113. 1216  Ebd., S. 199–219. 1217  Ebd., S. 203 f. 1218  Ebd., S. 204–207 sowie H. Rauschning, Gespräche, S. 48 f. 1219  H. Rauschning, Ruf, S. 209. 1220  PA Grube, H. R./Gustav Heinemann, Brief vom 14. Januar 1956 sowie ebd., H. R./Dr. E. Gerstenmaier, Brief vom 17. Januar 1956. Dieses Datum gibt Rätsel auf, da sich Rauschning zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zurück in die USA befand. Gerstenmaier bestätigte den Empfang des Buches in einem Antwortschreiben vom 21. Januar 1956, das an Rauschnings Adresse in Portland/Oregon gerichtet war (s. u.): ebd. 1221  H. Rauschning, Ruf, S. 216. 1222  Ebd., S. 219. Alle Sperrungen im Original. 1223  Hermann Rauschning, Der saure Weg. Unterwegs. Eine evangelische Zeitbuchreihe, Nr. 4, hrsgg. von Otto Bleibtreu u. a., o. O. (Berlin) 1958, S. 2. 1224  Schreiben vom 17. August 1958: Universität Basel, Karl Barth-Archiv, KBA 9358.617. 1225  H. Rauschning, Weg, S. 4. Der evangelische Theologe Eugen Gerstenmaier (1906–1986) war wie Poelchau im Widerstand gegen das NS-Regime gewesen. 1226  Vgl. dazu Winkler, Geschichte, S. 215. 1227  ACDP, Sankt Augustin, Nachlass Andreas Hermes, 01-090-104/2. Sperrungen im Original. Die Ausarbeitung trägt kein Datum, doch muss sie dem Inhalt zufolge nach der Genfer Viermächtekonferenz von Ende Juli 1955 und wenige Tage vor Adenauers Flug nach Moskau entstanden sein. 1228 Winkler, Geschichte, S. 214. 1229  Rauschning führt diesen Punkt nicht weiter aus. Er dürfte dabei u. a. an die verstaatlichte Industrie und die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gdacht haben. 1230  Was unter der »systematischen Unsichtbarmachung« zu verstehen sei, erläuterte der Verfasser nicht. Ganz ähnlich hatte er sich bekanntlich seinerzeit als Danziger Senatspräsident hinsichtlich der politischen Grenzen in Ostmitteleuropa geäußert. 1231  ACDP, Nachlass Andreas Hermes, 01–090–104/2. 1232  Schreiben Rauschning an Wilhelm Rauber vom Rheinischen Landwirtschafts-Verband vom 30. August 1955 (Abschrift): Ebd. 1233  Ebd. Rauber taucht in allen verfügbaren Unterlagen im Zusammenhang mit Hermann Rauschnings Aktivitäten in der Bundesrepublik nur äußerst selten auf. Einem breiteren Publikum wurde er erst 1973 bekannt, als der CDU-Abgeordnete Julius Steiner, der am 27. April 1972 als einer von mindestens zwei CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten gegen das konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt gestimmt

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hatte, eine Verbindung zu Rauber offenbarte. Der »zeitweilig als ost-westlicher Doppelagent« (H. A. Winkler) tätige Steiner behauptete gegenüber dem Spiegel, der Rauschning-Bekannte Wilhelm Kiefer habe ihn zur Zeit der Kanzlerschaft Konrad Adenauers in Verbindung mit Rauber gebracht, der damals als Abteilungsleiter beim Rheinischen Landwirtschafts-Verband in Bonn gearbeitet habe. Laut Steiner war die Tochter Raubers mit dem Sohn eines Angehörigen der sowjetischen Botschaft in Rolandseck bei Bonn verlobt. In seiner Godesberger Wohnung habe Rauber ihn, Steiner, für den Gedanken der Gründung einer deutsch-sowjetischen Gesellschaft »eingenommen«. In den Zeiten des Kalten Krieges hätte dieses überparteiliche Forum zur Entspannung zwischen Bonn und Moskau beitragen sollen. Als Sympathisanten habe man u. a. Andreas Hermes, Ferdinand Friedensburg sowie den Rauschning-Vertrauten Hansjoachim von Rohr gewinnen können. Steiner zufolge scheiterte das auch von Adenauer gedeckte und von der sowjetischen Botschaft begrüßte Projekt in dem Moment, als der Bundesnachrichtendienst in Pullach ihn beauftragt habe, seine Kontakte in Rolandseck zur Abschöpfung der Sowjets zu nutzen und Pullach auf dem Laufenden zu halten. Als Adenauer von dieser Entwicklung erfahren habe, habe der Kanzler »die christdemokratischen Gründungsväter der Gesellschaft zurückgepfiffen«. Das wiederum habe zum Desinteresse der Sowjets geführt, die unbedingt »die Regierungspartei« dabeihaben wollten. Vgl. Der Spiegel, Nr. 23/1973. 1234  Gemeint war wohl das »Kuratorium Unteilbares Deutschland«. 1235  ACDP, Nachlass Andreas Hermes, 01–090–104/2. 1236  BArch, Zsg. 1, 107/3. 1237  PA Grube, B. von Bonin, 3. Dezember 1955. 1238  LAV NRW R, Bestand NW 650, Nr. 269. 1239  In diesem Sinne vgl. Gallus, Neutralisten, S. 252. Die bayerische Wochenzeitung Freie Deutsche Presse berichtete am 10. Dezember 1955 von dem Treffen von Bonins mit Cramer im Godesberger Rheinhotel Dreesen. 1240  Das Folgende laut dem Bericht in: Freie Deutsche Presse vom 10. Dezember 1955. 1241  ACDP, Nachlass Andreas Hermes, 01–090–104/2. 1242  Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt, Bestand 62, Akz. Nr. 1588. Auch dieses Einladungsschreiben war mit »Sekretär« J. W. Werner unterzeichnet. 1243  Ebd., Schreiben Niemöllers an Rauschning vom 15. Oktober 1955. 1244  B Arch B 137/2611, Bd. 4. 1245  Abgedruckt in Stimmen zur Agrarwirtschaft, hrsgg. von H. von Rohr, 20. Januar 1956. 1246 Hermann, Verraten. 1247  Ebd., S. 16. 1248  PA Grube, J. W. Werner/Rauschning. 1249  Worauf Werner seinen Optimismus stützte, machte er nicht deutlich. Vielleicht hatte er sich durch Meinungsumfragen bestätigt gesehen. 1250  Gemeint war Otto Lenz vom Bundeskanzleramt. Dokumente, die diesen Verdacht erhärten würden, konnten nicht gefunden werden. 1251  Von derartigen »Folgen« berichtete der bereits erwähnte frühere FAZ-Mitherausgeber Paul Sethe dem SPD-Politiker Fritz Erler am 4. Februar 1956. Jahrelang habe Adenauer, so Sethe, Druck auf die FAZ ausgeübt, damit diese sich von ihm als adenauer-

638Anmerkungen

kritischen Journalisten trenne. Sethe weiter: »Ich erinnere an seine Anregung an die Industriellen, der Frankfurter Allgemeinen meinetwegen keine Inserate mehr zu geben; … an meine Vorladung im Juni 1955 zum Bankier Pferdmenges (›meine Freunde und ich sind sehr unzufrieden mit Ihnen‹); den Brief eines Freundes des Kanzlers an den Verlag vom August 1955 mit dem Bemerken, man müsse die Inserenten gegen die Zeitung mobilisieren, wenn meine Schreiberei so weiterginge. Das alles hat mir viele schlaflose Nächte bereitet … Unter dem Eindruck des letzten Briefes vom August habe ich dann bereits am 22. August 1955 dem Verlag meinen Rücktritt angeboten. Mein endgültiger Sturz war am 14. September.« Zitiert nach Diether Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968, München 1991, S. 44. 1252  PA Grube, J. W. Werner/Rauschning, Brief Rauschnings vom 12. Dezember 1955. Dieser Brief überschnitt sich mit einem weiteren Schreiben Werners an seinen Onkel vom 12. Dezember, in dem er noch einmal auf die wirtschaftlich prekäre Situation der RWN nach dem Auscheiden von Bonins hinwies: »Überleben allein ist kein Erfolg, wenn vielleicht auch eine Voraussetzung dafür.«: Ebd. 1253  In ähnlicher, meist unklarer, Weise, äußerte sich Rauschning in jenen Tagen auch gegenüber anderen Briefpartnern. Nur einmal deutete er dabei an, dass er die öffentliche Bekanntmachung der sogenannten Hallstein-Doktrin durch Außenminister von Brentano am 9. Dezember als Ursache dieser jüngsten Entwicklung ansah. Die nach Staatssekretär Walter Hallstein benannte Doktrin drohte allen Staaten – mit Ausnahme der Sowjetunion – mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch Bonn, die solche Beziehungen mit der DDR eingingen. 1254  Ebd., H. R.: Rauschning Verwandte, 19. Dezember 1955. 1255  Ebd., H. R.: Ursel Kaun, 19. Dezember 1955. 1256  Ebd., Briefwechsel Stimmen zur Agrarwirtschaft/Dr. von Rohr, Schreiben Rauschnings vom 22. Dezember 1955. 1257  Ebd., H. R./Hermann Schaefer, Brief Schaefers vom 1. Januar 1956. 1258  Schreiben betr. »Verfahren bzgl. Dr. Hermann Rauschning« vom 24. August 2015. 1259  E-Mail an den Verfasser vom 31. Juli 2015. 1260  »Nur zur Information! Nicht zur Veröffentlichung«: BArch, Zsg. 2/625. 1261  Ebd., S. 4 f. Über Schaefers weiteres Schicksal war lange Zeit nichts bekannt. Erst kürzlich, in der Spiegel-Ausgabe Nr. 9/2017 vom 25. Februar 2017, berichtet der Spiegel-Zeithistoriker Klaus Wiegrefe von Verbindungen Schaefers mit dem ehemaligen leitenden Spiegel-Redakteuer und früheren SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke in den Jahren 1959/60. Dabei ging es um die Enttarnung des Kriegsverbrechers Alois Brunner in Damaskus, zu der Schaefer laut Wiegrefe die entscheidenden Informationen aus der syrischen Hauptstadt an das Hamburger Nachrichtenmagazin lieferte. Schaefer habe »nach eigenen Angaben Brunner« in Damaskus »ein knappes Dutzend Mal« getroffen, zuletzt sei er in Beirut auf Grund einer Denunziation aus der Bundesrepublik einer Entführung durch die Syrer knapp entgangen. 1262  LAV NW R, Bestand NW 650, Nr. 269, Bl. 85, 9. Januar 1956. 1263  Am 23. Oktober 1955 hatten sich 67,7 % der wahlberechtigten Saarländer und Saarländerinnen bei einer Wahlbeteiligung von 97,5 % gegen eine »Europäisierung« des Saarlandes und damit für den Beitritt zum Geltungsbereich des Bonner Grundgesetzes entschieden. Bundeskanzler Adenauer hatte auf einen anderen Wahlausgang zu Guns-

Anmerkungen

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ten der »Europäisierung« gehofft, um dadurch den Prozess der westeuropäischen Integration vorantreiben zu können. Vgl. Winkler, Weg, S. 181. 1264  PA Grube, H. R./Gustav Heinemann. 1265  PA Grube, Dr. E. Gerstenmaier. Nach Angaben in den Briefen Rauschnings und Gerstenmaiers sind sich beide nie persönlich begegnet. 1266  Vgl. Hermann, Verraten, S. 7. 1267  BArch, NL 344/5. In einem Brief, den Heinemann eine Woche zuvor an Rauschning geschickt hatte, hielt der Essener Politiker, Rechtsanwalt und Notar noch einmal kurze Rückschau auf die Zeit ihres gemeinsamen Wirkens in der Bundesrepublik im Jahre 1955. »Was zwischen Ihnen und mir differierte, war das Bild von der moralischen Erneuerung«, schrieb Heinemann. Und er fuhr fort: »Ich kann es für meinen Teil nicht mit dem Begriff eines irgendwie gearteten Nationalen umschreiben und hatte es darum bei aller Bereitwilligkeit immer wieder schwer, ganz und gar die Brücke zu den Männern zu finden, mit denen wir im letzten Jahr zusammengewesen sind.« Für ihn, Heinemann, sei die »Stuttgarter Erklärung des Rates der Evangel. Kirche in Deutschland vom Oktober 1945 oder allgemeiner gesagt die Bekennende Kirche« maßgebend. Ebd., Schreiben Heinemanns an Rauschning vom 7. Januar 1956. 1268  BArch, N 344/6. 1269 Hermann, Verraten, S. 8, Sperrung im Original. 1270  Der konservative Rebell, in: Die Zeit, Nr. 32 vom 8. August 1957. 1271  LAV NRW R, NW 650, Nr. 357, Bl. 171. 1272  Ebd., Bl. 176. Die Worte »Verbindungen erkaufte« sind in der Aktenkopie des Textes unterstrichen. 1273  Ebd., Bl. 179. 1274  PA Grube, Rückkehr von H. R. 1275  Brief Rauschnings vom 21. Mai 1962, Bl. 8: Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Sammlung Golo Mann. 1276  Leserbrief Grubes in der Zeit vom 16. August 1985. 1277  Nicht zur Veröffentlichung gelangt ist ein umfangreiches Manuskript mit dem Titel »Land der Begegnung«, in dem Rauschning seine Erfahrungen in der Bundesrepublik verarbeitete. Umfangreiche Teile der Arbeit im PA Grube. 1278  BArch, N 344/16. 1279  In einem Schreiben an den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Nellen in Münster/Westf., der ähnliche Positionen zu Westintegration und Wiederaufrüstung wie Rauschning vertrat und deshalb später zur SPD übertrat, charakterisierte Rauschning das politische System in der Bundesrepublik als »persönliche Diktatur« und »geheimes Terrorsystem«. PA Grube, Briefwechsel H. R./Peter Nellen, 12. Mai 1959. 1280  Deutsches Literaturarchiv, Marbach, A. Mohler. 1281  PA Grube, Briefwechsel H. R./Frank Wisbar. Schmunzeln lassen im Rückblick Rauschnings Bemerkungen über das noch ganz junge Fernsehen. »Von Ihren großen Erfolgen in Television habe ich aus den Zeitungsnotizen erfahren«, ließ er Wisbar wissen, um dann fortzufahren: »Mein Sohn hat zwar einen entsprechenden Apparat, um Ihre Produktion sehen zu können; ich selbst habe aber noch keine Beziehung zu dieser fragmentarischen Kunst finden können …« 1282  PA Grube, Briefwechsel H. R./Rudolf Pechel. 1283  Ebd. Bei den Wahlen am 15. September hatten CDU/CSU mit 50,2 % der gültigen Stimmen erstmals die absolute Mehrheit errungen.

640Anmerkungen

1284  Ebd., Briefwechsel H. R./Karl O. Paetel, Schreiben vom 2. September 1957. 1285 https://www.blaetter.de/aktuell/ueber-die-blaetter/geschichte-der-blaetter (letzter Zugriff: 30.10.2017). Ich danke der Geschäftsführerin der heute in Berlin ansässigen Blätter, Annett Mängel, für Informationen zu den Blättern. Sehr hilfreich für die Arbeit mit den Blättern ist die von der Blätter Verlagsgesellschaft herausgegebene DVD mit dem Titel »Blätter für deutsche und internationale Politik. Blätter Archiv 1956– 1989«, eine vollständige Sammlung aller im betreffenden Zeitraum »in der Zeitschrift veröffentlichten Analysen, Kommentare und Dokumente zum Zeitgeschehen in digitaler Form«. Vgl. auch Klaus Naumann, Nachrüstung und Selbstanerkennung. Staatsfragen im politisch-intellektuellen Milieu der »Blätter für deutsche und internationale Politik«, in: Dominik Geppert und Jens Hacke (Hg.), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960–1980, Göttingen 2008, S. 269–289. 1286  E-Mail von Frau Sylvia Glawe vom Historischen Archiv der Stadt Köln an den Verfasser, 7. April 2017. 1287  PA Grube, Korrespondenz H. R./Gustav Heinemann. 1288  BArch, N 344/18. 1289  Hinter den beiden »großen Alten« verbargen sich Konrad Adenauer und der Staats- und Parteichef der DDR, Walter Ulbricht. 1290  Blätter für deutsche und internationale Politik, 1956, H. 12, S. 34–39, hier S. 39. 1291  Vgl. Günter Bohnsack, Hauptverwaltung Aufklärung: Die Legende stirbt. Das Ende von Wolfs Geheimdienst, Berlin 1997, S. 111, hier nach: Heike Amos, Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. »Arbeit nach Westdeutschland« durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1999, S. 236, Anm. 128. Der Verfasser dankt Heike Amos für zusätzliche Informationen. 1292  Hier ist insbesondere Walter Hagemann – nicht verwandt mit dem Verfasser – zu nennen, CDU-Gründungsmitglied und seit 1946 Professor für Publizistik an der Universität Münster/Westf. Unter anderem wegen »landesverräterischer Beziehungen« sah er sich von der Staatsanwaltschaft Dortmund strafrechtlich verfolgt und setzte sich 1961 nach Ost-Berlin ab, wo er um »politisches Asyl« nachsuchte. Im Mai 1964 starb er dort. Das westfälische Münster scheint in den späten 1950er Jahren – wohl zufällig – eine Stadt mit relativ vielen Ostkontakten ihres bürgerlich-adlig-intellektuellen Milieus gewesen zu sein: Graf von Westphalen stammte von hier; Professor Arthur Wegner pflegte als Direktor des universitären Instituts für Kirchenrecht ebenso Verbindungen nach Ost-Berlin wie Walter Hagemann; schließlich hatte der bereits erwähnte frühere CDU- und spätere SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Nellen, der gelegentlich für die Blätter schrieb, ebenfalls seine berufliche und parteipolitische Heimat in Münster. 1293  Vgl. Amos, Westpolitik, S. 241. 1294  Mitteilung von Joachim Grube an den Verfasser, E-Mail vom 4. Mai 2017. 1295  Mut zu einer neuen Politik war erst 1959 in dem linksprotestantischen Berliner Käthe Vogt Verlag erschienen. Darin entfaltete Rauschning erstmals in einem Buch wirtschaftspolitische Gedanken in einer gewissen Ausführlichkeit. Er anerkannte die bisherigen Erfolge der »sozialen Marktwirtschaft«, hielt aber den Wettstreit zwischen Liberalismus und Sozialismus noch nicht für entschieden. Den Sozialismus sah er durch die gewaltsamen Methoden in der UdSSR diskreditiert, mehr aber noch durch die »verfehlten Experimente« der britischen Labour-Regierung (S. 30). Angesichts der gescheiterten letzten Viermächte-Siegerkonferenz in Genf im August forderte Rauschning Adenauer auf, seinen starren Antibolschewismus aufzugeben und zu erkennen, dass Anmerkungen

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unter den Westmächten Überlegungen kursierten, angesichts der atomaren Rüstung zu einer Entspannung mit der Sowjetunion zu kommen (S. 232 ff.). Er bestritt nicht, dass der »bolschewistische Block« versuchen könne, ein neutrales Gesamtdeutschland zu unterwandern, Gleiches gelte aber auch umgekehrt. »Geregelte Kanäle« müssten bei »wirklicher Entspannung« dafür Sorge tragen, dass keine Seite über den Tisch gezogen werde (S. 234). 1296  Gegenüber Golo Mann erklärte Rauschning in einem Brief vom 1. Februar 1964, er wolle seine »tagespolitischen Beiträge« mit einem Aufsatz über »Neutralität, Neutralisierung, Neutralismus« für die Blätter beenden, um, »was noch an Zeit übrig bleibt, für fruchtbarere Bemühungen verwenden«: Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Sammlung Golo Mann. 1297  Der Historiker Julius H. Schoeps veröffentlichte die Arbeit Meyers aus dessen Nachlass. Vgl. Richard Meyer von Achenbach, Gedanken über eine konstruktive deutsche Ostpolitik. Eine unterdrückte Denkschrift aus dem Jahr 1953, hrsgg. von Julius H. Schoeps, Frankfurt 1986. Vgl. auch Hans-Jürgen Döscher, Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, Berlin 2005, S. 263 f. Meyer von Achenbach verstarb 1956. 1298  H. Rauschning, Krieg. 1299  David L. Hoggan, Der erzwungene Krieg. Die Ursachen und Urheber des 2. Welt­ kriegs, Tübingen 1961, S. 85. 1300  Ebd., S. 804, Anm. 33 und S. 805, Anm. 56. 1301  H. Rauschning, Krieg,, S. 690 f. 1302  H. Rauschning, In memoriam John Fitzgerald Kennedy. 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1963, H. 12, S. 914–925. 1303  PA Grube, Presse (Koblenz). Ahlers unterstellte Baukloh in diesem Schreiben, dass dieser die Behauptung »wider besseres Wissen« aufgestellt habe. Gemeint war eigentlich der stellvertrende Chefredakteur Georg Wolff, wie Ahlers in dem Brief auch andeutet. 1304  Die Serie erschien von Nr. 43/1959 bis Nr. 1–2/1960. Vgl. auch Tobias, Reichstagsbrand. 1305  Der Spiegel, Nr. 43/1959, Editorial »Lieber Spiegel-Leser«. 1306  Gegen Tobias’ Befunde zuletzt Alexander Bahar und Wilfried Kugel, Der Reichstagsbrand. Geschichte einer Provokation, Köln 2013. 1307  Zum Tode Tobias’ am 1. Januar 2011, in: Der Spiegel, Nr. 2/2011. 1308  Der Spiegel, Nr. 47/1959. Hier findet sich auch ein Foto Rauschnings. 1309  Der Spiegel, Nr. 47 vom 18. November 1959, S. 62, Auslassungen ebd. 1310  Broszat hier zitiert nach Dietmar Süss, Der erfundene Umsturz, in: Zeit-­ Geschichte. Epochen. Menschen. Ideen, Nr. 3/2017, Gefälscht. Die Macht der Lüge, S. 64– 67, hier S. 66. 1311  Der Spiegel, Nr. 52 vom 23. Dezember 1959, S. 47. In der Unterzeile unter der Überschrift hieß es: »Aus einem Brief des ehemaligen Danziger Senatspräsidenten Hermann Rauschning«. 1312  ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, NL Hans Bernd Gisevius, Schreiben Gisevius’ vom 20. April 1961. Für seine umfangreiche Hitler-Studie zog Gisevius wenig später die Gespräche mit Hitler in begrenztem Maße umstandslos als Quelle heran. Vgl. Gisevius, Adolf Hitler. Versuch einer Deutung, München 1963. 1313  ETH Zürich, Archiv für Zeitgeschichte, NL Hans Bernd Gisevius. Was aus Rauschnings Zusage, unter Eid auszusagen, geworden ist, bleibt unklar. Das Düsseldorfer Landgericht verurteilte Gisevius sowie den Nannen-Verlag zur Zahlung von Schaden-

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ersatz an Gewehr in Höhe von 56.307 DM, von denen Gisevius gut 26.000 DM übernehmen musste. Das Verfahren zog sich bis zum Jahre 1969 hin. 1314  BArch, N 344/18. 1315  Hans Bernd Gisevius, Bis zum bittern (sic) Ende, 1. Bd.: Vom Reichstagsbrand zur Fritsch-Krise, Hamburg 1947 sowie spätere Ausgaben in einem Band. 1316  Hans Bernd Gisevius, Bis zum bitteren Ende. Vom Reichstagsbrand bis zum 20. Juli 1944. Vom Verfasser auf den neuesten Stand gebrachte Sonderausgabe, Hamburg 1961. 1317  Hanns Hubert Hofmann, Der Hitlerputsch. Krisenjahre deutscher Geschichte 1920–1924, München 1961, S. 11. 1318 Winkler, Weg, S. 197. 1319 Ebd. 1320  PA Grube, Dr. Brüning (Koblenz). 1321 Ebd. 1322 Ebd. 1323  PA Grube, H. R.: Ursel Kaun. 1324  Ebd., H. R./Waldemar Quaiser, Brief Rauschnings vom 14. Februar 1962. 1325  Pater Emanuel J. Reichenberger (1888–1966) leistete im Sudetenland Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Pastor Friedrich Forell (1888–1968) war ein früher Gegner des Nationalsozialismus. In seinem Brief an Quaiser teilte Rauschning mit, dass Forell derzeit in New York wirke, und er fand persönliche, herzliche Worte für den Pastor. Allerdings habe Forell nach seinem »Urteil für das für die Zukunft der Menschen einzig Notwendige kein Verständnis« und er »gehöre zu den Leuten, die da wieder anfangen, wo sie von Hitler unterbrochen wurden – als ob nicht dazwischen eine ganze Welt untergegangen sei«. 1326  Frankfurt 1961. 1327  Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Sammlung Golo Mann. 1328  Gemeint ist offenbar das »Tübinger Memorandum der Acht«, in dem sich 1961 acht prominente evangelische Theologen und Naturwissenschaftler gegen eine nukleare Aufrüstung und für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ausgesprochen hatten. 1329  Schweizerisches Literaturachiv, Bern, Sammlung Golo Mann. 1330  PA Grube, Golo Mann (Koblenz). 1331  Nur am Rande sei vermerkt, dass der Golo-Mann-Biograph Tilmann Lahme ebendiese Charakterisierung, ideologisch sich »zwischen den Stühlen« zu befinden, auch auf diesen bezog, seit er die Tage bei der Sozialistischen Studentengruppe in Heidelberg hinter sich gelassen hatte. Vielleicht erklärt sich so zumindest teilweise der recht intensive Gedankenaustausch zwischen Rauschning und Golo Mann. Vgl. G. Mann, Briefe, S. 496. 1332  G. Mann, Rauschning, ›Revolution‹. 1333  Geschichte und Geschichten. Andere Essays in dem Buch behandelten etwa Friedrich Meinecke, Arnold Toynbee, Ernst Jünger, Alexis de Tocqueville und Karl Marx. 1334  Im Vertragswerk von Locarno aus dem Jahre 1925 hatten Deutschland, Frankreich und Belgien auf eine gewaltsame Veränderung ihrer Grenzen verzichtet; Deutschland behielt sich jedoch eine Änderung seiner Ostgrenze vor und hatte einen Angriff der Westmächte nur noch zu fürchten, falls es seinerseits Polen angriff. 1335  PA Grube, Golo Mann (Koblenz). In der Ausgabe 5/1962 der Blätter hatte Rauschning unter der Überschrift »Der erste der ›kleinen Schritte‹« erneut Adenauers Anmerkungen

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Politik der Stärke kritisiert, dem Kanzler Hegemoniebestrebungen auf dem europäischen Kontinent – »wenn auch mit friedlichen Mitteln« – attestiert und behauptet, Adenauer bewege sich »auch hier unbewußt in den Fußstapfen von ›Mein Kampf‹«: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1962, H. 5, S. 338–347, hier S. 344. 1336  H. Rauschning, Kontinuität des Irrtums, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1962, H. 8, S. 580–589, hier S. 580. Rauschning nannte den Historiker Hans Herzfeld als geistigen Urheber der Artikelüberschrift. 1337  Ebd., S. 583. 1338  Ebd., S. 587 f. 1339  PA Grube, Golo Mann (Koblenz). 1340  Vgl. Schreiben Rauschnings vom 13. November 1963 und 1. Februar 1964: Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Sammlung Golo Mann. 1341  »Zur neuen Ausgabe«, in: H. Rauschning, Revolution, Neuausgabe 1964, S. 22–24. 1342  BArch, N 344/16. Kurt Schuschnigg (1897–1977) war von 1934 bis 1938 österreichischer Bundeskanzler; nach dem »Anschluss« zwangsweiser Rücktritt, Verhaftung und jahrelange KZ-Haft. Im Jahre 1945 ging er in die USA, wo es auch einmal zu einer Begegnung mit Hermann Rauschning kam. 1343 Ebd. 1344  PA Grube, Erwin Brettauer (Koblenz). 1345 Ebd. 1346  PA Grube, Rosenstock-Huessy, Brief Rauschnings vom 26. Mai 1965. LKA EK v W, Bielefeld-Bethel, Eugen-Rosenstock-Huessy-Archiv, 324, Bestand 5.16, Brief Rauschnings vom 23. Dezember 1965. Der Teilnachlass Rosenstock-Huessys in Bethel erklärt sich mit dessen Freundschaft mit dem dort früher tätigen Historiker und Pädagogen Georg Müller. 1347  In dem Brief an Rosenstock-Huessy vom 23. Dezember 1965 bekannte Rauschning, dass »ihm erst jetzt« dessen »geistige Beziehung zum Kreisauer Kreis zum Bewußtsein gekommen« sei, »indem Graf Moltke lernend zu Ihren Füßen saß, was ich, wenn auch nur bildlich nun auf meine alten Tage mit freudiger Dankbarkeit tue«. 1348  PA Grube, Manuskript »Helfer des Urteils«. Nach den Ausführungen auf der Seite 5 wird diese Übersetzung der Inschrift »MOLDER OF OPINION« dem Lebenswerk Scotts weit eher gerecht als die wörtliche: »Gestalter der öffentlichen Meinung«. E-Mail von Joachim Grube an den Verfasser vom 22. September 2017. 1349  Dies und das Folgende nach PA Grube, Grube, Windows, S. 301 ff. 1350  Formulierung Werners in einem Antwortbrief an seinen Onkel vom 24. November 1969. Werner hatte den entsprechenden Abschnitt folgendermaßen eingeleitet: »Die Hoffnung, daß Du nach Deutschland zurückkehren könntest, haben wir in all den Jahren, wie Du weißt, nicht begraben, und ich glaube, daß gerade Deine letzten Zeilen an mich über den Ausgang der Bundestagswahlen …« BArch, N 344/18. 1351 Ebd. 1352  Information per E-Mail von Joachim Grube vom 22. September 2017. 1353  BArch, N 344/18. 1354  BArch, N 344/18. 1355  Anna Rauschning starb nur zwei Tage nach dem Tod ihres Sohnes Fritz. In einem Brief an Werner Otto von Hentig datierte Rauschning den Unfall seiner Frau auf Karfreitag des Jahres 1974. Von Hentig hatte Rauschning für seine Idee gewinnen kön-

644Anmerkungen

nen, seine Schriften durch den ehemaligen Senatspräsidenten herausgeben und einleiten zu lassen. Nun musste Rauschning von einer entsprechenden Zusage zurücktreten, da seine Frau auf Grund des Unfalls ihm nicht mehr wie gewohnt helfend zur Seite stehen könne. Seine eigene »zunehmende Erblindung und Schwerhörigkeit« ließen ihm keine andere Wahl als die »Manuskripte« an von Hentig zurückzusenden. BArch, N 344/6, Schreiben Rauschnings vom 23. April 1974. 1356  Evangelische Landeskirche im Rheinland, Düsseldorf, Sammlung Schlingensiepen. Schlingensiepen hatte in der Bundesrepublik mit seinem Eintreten für die verurteilten und inhaftierten NS-Kriegsverbrecher Aufsehen erregt. 1357  PA Grube, Grube, Windows, S. 400. 1358  So jedenfalls die Information von Joachim Grube gegenüber dem Verfasser. 1359  PA Grube, Korrespondenz G. Heinemann. 1360  Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Sammlung Golo Mann. Unter der Überschrift »Hermann Rauschning 90jährig« gedachte auch Alfred Cattani in der NZZ vom 5. August 1977 des Jubilars. 1361  Życie Warszawy, Nr. 196 vom 20./21. August 1977. 1362  Hermann Rauschning, Politiker und Publizist, zum 95. Geburtstag, in: Ostdeutsche Gedenktage 1982. Persönlichkeiten und historische Daten, hrsgg. von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 198, S. 83–84. 1363  BArch, N 344/6. 1364  Im Gedenken an Hermann Rauschning (1887–1982), in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 1982, H. 3, S. 272–275. Zu den Schülern Ridders zählen auch die SPD-Politikerin Brigitte Zypries und der derzeitige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Vgl. dazu auch Naumann, Nachrüstung, S. 278. 1365  Dieser Befund verliert auch dann nichts von seiner grundsätzlichen Gültigkeit, wenn sich die eine oder andere sowjetische Gesprächsofferte als inhaltsleer erwiesen hätte. Vgl. dazu : Peter Ruggenthaler (Hg.), Stalins grosser Bluff. Die Geschichte der ­Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007.

Anmerkungen

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