Herbst des Mittelalters - Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden [1 ed.]

Mit 14 farbigen Tafeln -- Deutsch von Wolff-Mönckeberg, Mathilde (alias T. Jolles Mönckeberg) -- Das Bedürfnis, die Kuns

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German Pages [550] Year 1924

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Herbst des Mittelalters - Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden [1 ed.]

Table of contents :
Vorwort des Verfassers
Inhalt
Verzeichnis der Tafeln
Kapitel 1-22
Anhang
Register

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J.Huizinga / Herbst des Mittelalters

Brüder von Limburg / April (Monatsbild) aus « Les tres riches teures du Duc de Berry» (Chantilly, Musee Conde)

J. HUIZINGA

HERBST DES MITTELALTERS Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich

und in den Niederlanden

Deutsch von

T. Jolles Mönckeberg

Mit 14 Tafeln

DREI MASKEN VERLAG MÜNCHEN 1924

Alle Rechte vorbehalten Einzige berechtigte Übertragung aus dem Niederländischen

Vorwort des Verfassers Das Bedürfnis, die Kunst der Brüder van Eyck und derer, die ihnen

gefolgt waren, besser zu verstehen und sie im Zusammenhang mit dem Leben ihrer Zeit zu erfassen, bildete die erste Veranlassung zu diesemBuche. ImLaufe der Untersuchung jedoch ergab sich ein anderes, in vieler Hinsicht umfassenderes Bild. Es zeigte sich, wie gerade das 14. und 15. Jahrhundert in Frankreich und in den Niederlanden viel mehr dazu geeignet sind, uns von dem Ende des Mittelalters und von den letzten Erscheinungsformen der mittelalterlichen Kultur einen Begriff zu geben, als uns die erwachende Renaissance vor Augen zu führen.

Unser Geist richtet sich mit Vorliebe auf das Erkennen der „Ursprünge“ und „Anfänge“. Das Versprechen, das eine Zeit an die kommende bindet, scheint uns meistens wichtiger als die Erinnerungen, die sie mit der vorhergehenden verknüpfen. Da konnte es geschehen, daß man so emsig und so lange in der mittelalterlichen, den Keimen der modernen Kultur nachspürte, bis der Begriff Mittelalter ins Schwanken geriet und es den Anschein gewann, als ob diese Epoche kaum etwas anderes als die Adventzeit der Renaissance bedeutet hätte. Sterben und Werden halten aber in der Geschichte ebenso gleichen

Schritt wie in der Natur. Das Ableben überreifer Kulturformen zu verfolgen ist von keiner geringeren Bedeutung — und keineswegs weniger fesselnd — als den Werdegang der sich neu entwickelnden zu

beobachten. Nicht nur Künstlern wie den van Eycks, sondern auch Dichtern wie Eustache Deschamps, Historiographen wie Froissart und Chastellain, Theologen wie Jean Gerson und Dionysius dem Karthäuser, ja, allen Vertretern dieses Zeitgeistes wird man besser gerecht, wenn man sie nicht als Anfänger und Herolde des Kommenden, sondern als Vollender betrachtet.

Der Verfasser war sich zur Zeit, da er dieses Buch schrieb, noch weniger als heute der Gefahr bewußt, die darin liegen kann, historische

VI VORWORT Abschnitte mit Jahreszeiten zu vergleichen; er bittet deshalb, den Titel nur als eine figürliche Ausdrucksweise aufzufassen, die die Stimmung des Ganzen wiedergeben soll. Die Übersetzung folgt genau der zweiten umgearbeiteten holländischen Ausgabe von 1921 (die erste erschien 1919). Wenn die deutsche Zunge hie und da noch den Geschmack des Holländischen verspürt, so bedenke man, daß selbst bei so verwandten Sprachen, wie es Deutsch und Niederländisch sind, eine Übersetzung im eigentlichen Sinne eine Unmöglichkeit ist. Weshalb sollte man bei dem, was fremden Ursprungs ist, die Spuren des Fremden allzu ängstlich verwischen?

Viele haben diese Arbeit in wertvoller Weise unterstützt. Unser Dank gebührt außer der Übersetzerin an erster Stelle unsern Freunden Prof. Andre Jolles, Leipzig, Prof. W. Vogelsang, Utrecht, und Prof. Paul Lehmann, München. Prof. Eugen Lerch, München, der sich der Mühe unterzog, die französischen Zitate im Anhang zu übersetzen, danke ich aufrichtig für diese wertvolle Bereicherung des Werkes.

Leiden, November 1923

Inhalt Seite

1. Kapitel / Die Spannung des Lebens. 1

2. Kapitel / Die Sehnsucht nach schönerem Leben.35 3. Kapitel / Die hierarchische Auffassung der Gesellschaft . . 71

4. Kapitel / Der Rittergedanke.82

5. Kapitel / Der Traum von Heldentum und Liebe.96 6. Kapitel / Ritterorden und ritterliche Gelübden.107 7. Kapitel / Die politische und militärische Bedeutung des

Rittergedankens.121 8. Kapitel / Die Stilisierung der Liebe.146

9. Kapitel / Die Umgangsformen der Liebe.164

10. Kapitel / Das idyllische Lebensbild.174 11. Kapitel / Das Bild des Todes.180

12. Kapitel / Der religiöse Gedanke und seine bildliche Ge-

staltung. 199 13. Kapitel / Frömmigkeitstypen.235

14. Kapitel / Religiöse Erregung und religiöse Phantasie . . . 256

15. Kapitel / Niedergang des Symbolismus.273

16. Kapitel / „Realismus“ und die Grenzen des bildlichen

Denkens.291 17. Kapitel / Die Denkformen im praktischen Leben . . . . 312

18. Kapitel / Die Kunst im Leben.342 19. Kapitel / Die ästhetische Empfindung.374 20. Kapitel / Bild und Wort, I.383 21. Kapitel / Bild und Wort, II.416

22. Kapitel / Das Kommen der neuen Form.437

Anhang: Übersetzung der wichtigeren Zitate.454

Register ..503 ❖

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Verzeichnis der Tafeln Seite

1. Brüder von Limburg / Monatsbild (April) aus „Les tres riches

heures du Duc de Berry“ (Chantilly, Musee Conde). (Nach der Ausgabe von P. Durrieu, Paris, Librairie

Pion 1904).III

2. Jan van Eyck / „Leal Souvenir“ (London, National Gallery) 28 3. Karl der Kühne von Burgund inmitten seines Hofes (MS Brit. Museum). (Nach P. Durrieu, La miniature flamande ä la cour des Ducs de Bourgogne, Paris und Brüssel,

van Oest, 1921).50

4. Alexander Bening / Miniatur aus dem Münchener „Jou-

vencel“ (Cod. monac. galt. 9).92 5. Totentanz (Holzschnitt aus der Pariser „Danse macabre“ des Guyot Marchant).190

6. Jehan Foucquet / Madonna von Melun (Antwerpen, Museum) 210

7. Rogier van der Wey den / Bildnis Philipps des Guten von

Burgund (Antwerpen, Museum) .240

8. Rogier van der Weyden / Bildnis des Kanzlers Rolin

(Beaune, Hospital).368 9. Jan van Eyck / Bildnis des Giovanni Arnolfini (Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum).384

10. Jan van Eyck / Verkündigung (Petersburg, Eremitage) . . 390 11. Unbekannter Meister / Miniatur aus der Wiener Handschrift des Romans „Le Cuer d’amours espris“ von König Rene 400 12. Brüder von Limburg / Monatsbild (September) aus „Les tres riches heures du Duc de Berry“ (Chantilly, Musee Conde).

(Nach der Ausgabe von P. Durrieu, Paris, Librairie

Pion 1904). 406

13. Unbekannter Meister / Lysbet van Duvenvoorde (Slg. Teixeira

de Mattos, Vogelenzang) (nach „Beeidende Kunst“,

3. Jahrg., Nr. 57). 426

14. Jan van Eyck / Madonna des Kanzlers Rolin (Paris, Louvre) 436

Erstes Kapitel Die Spannung des Lebens "Als die Welt noch ein halbes Jahrtausend jünger war, hatten alle Ge7A schehnisse viel schärfer betonte äußere Formen als jetzt. Zwischen Leid und Freude, zwischen Unheil und Glück schien der Abstand größer als für uns; alles was man erlebte, hatte noch jenen Grad von Unmittelbarkeit und Absolutheit, den Freud und Leid jetzt noch im Gemüte des Kindes haben. Jede Begebenheit, jede Tat war umringt von bestimmten und ausdrucksvollen Formen, war eingestellt auf die Erhabenheit eines

straffen, festen Lebensstils. Die großen Ereignisse: Geburt, Eheschließung, Sterben standen durch das Sakrament im Glanz des göttlichen Mysteriums. Aber auch die geringeren Geschehnisse: eine Reise, eine Arbeit, ein Besuch waren von tausend Segnungen, Zeremonien, Sprüchen und Umgangsformen begleitet. Für Elend und Gebrechen gab es weniger Linderung als jetzt. Sie kamen wuchtiger und quälender. Krankheit hob sich stärker von Gesundheit ab. Die schneidende Kälte und das bange Dunkel des Winters waren ein wesentlicheres Übel. Ehre und Reichtum wurden inniger und gieriger genossen, denn sie unterschieden sich noch intensiver als jetzt von der jammernden Armut. Einpelzverbrämtes Staatskleid, ein helles Herdfeuer, Trunk und Scherz und ein weiches Bett hatten noch den hohen Genußgehalt, zu dem sich vielleicht der englische Roman in der Beschreibung der Lebensfreude am längsten bekannt hat. Und all die Dinge des Lebens hatten etwas prunkend und grausam Öffentliches. Die Aussätzigen klapperten mit ihrer Schnarre und hielten Umzüge, die Bettler jammerten in den Kirchen und stellten ihre Mißgestalt dort zur Schau. Jeder Stand, jeder Orden, jedes Gewerbe war durch sein Kleid kenntlich. Die großen Herren bewegten sich nie ohne prahlenden Aufwand von Waffen und Livreen, ehrfurchterweckend und beneidet. Rechtspflege, Feilbieten von Waren, Hochzeit und Beerdigung 1 Huizinga, Mittelalter

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ERSTES KAPITEL

— alles kündigte sich laut durch Umzüge, Schreie, Klagerufe und Musik an. Der Verliebte trug das Zeichen seiner Dame, der Genosse das Abzeichen seiner Brüderschaft, die Partei die Farben und Wappen ihres Herrn. Auch in dem äußeren Anblick von Stadt und Land herrschte jener Kontrast und jene Buntheit. Die Stadt verlief sich nicht so wie unsere Städte in nachlässig angelegten Vorstadtvierteln von öden Fabriken

und eintönigen Landhäuschen sondern lag, von ihrer Mauer eingesclilossen, mit ihren zahllosen, stachligen Türmen da wie ein abgerundetes Bild. Wie hoch und schwer auch die steinernen Häuser der Adligen oder der Kaufherren sein mochten, die Kirchen beherrschten doch mit ihren hoch emporwachsenden Steinmassen das Städtebild. Ebenso wie der Gegensatz zwischen Sommer und Winter damals stärker war als in unserem Leben, so war es auch der Unterschied von Licht und Dunkel, Stille und Geräusch. Die moderne Stadt kennt kaum noch die lautere Dunkelheit und die wirkliche Stille, die Wirkung eines einzigen Lichtleins oder eines vereinzelten, fernen Rufes. Durch den fortwährenden Kontrast, durch die bunten Formen, womit alles sich dem Geiste aufdrängte, ging von dem täglichen Leben ein Anreiz, eine leidenschaftliche Suggestion aus, die sich in der schwankenden Stimmung von roher Ausgelassenheit, heftiger Grausamkeit, inniger Rührung offenbart, zwischen welchen das mittelalterliche Stadtleben sich hin und her bewegt. Es gab einen Laut, der das Getöse des geschäftigen Lebens immer

wieder übertönte und der, wenn auch noch so bunt durcheinander klingend, doch nie verworren, alles vorübergehend in eine Sphäre des Geordneten emporhob: die Glocken. Die Glocken waren im täglichen

Leben wie warnende gute Geister, die mit bekannter Stimme bald Trauer, bald Freude, bald Ruhe, bald Unruhe verkündeten, bald zusammenriefen, bald ermahnten. Man kannte sie mit vertrauten Namen: die dicke Jacqueline, Glocke Roelant; man wußte, was das Anschlägen bedeutete und was das Läuten. Man war trotz des übermäßigen Glockenläutens nie abgestumpft gegen ihren Klang. Während des berüchtigten Zweikampfes zwischen zwei Bürgern von Valenciennes, der 1455 die Stadt und den ganzen burgundischen Hof in außergewöhnliche Spannung versetzte, läutete die große Glocke, solange der Kampf andauerte,

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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„laquelle fait hideux a oyr“ sagtChastellain1). „Sonnerl’effroy“, „faire l’effroy“ heißt das Läuten der Alarmglocke2). Wie betäubend muß es gewesen sein, wenn die Glocken in allen Kirchen und Klöstern von Paris von morgens bis abends läuteten, ja selbst während der ganzen Nacht, weil ein Papst gewählt worden war, der dem Schisma ein Ende machen sollte, oder wegen eines Friedens zwischen Bourguignon und Armagnac3).

Von einer tief rührsamen Wirkung müssen auch die Prozessionen gewesen sein. Waren trübe Zeiten, und das kam oft vor, so fanden sie manchmal Tag fürTag, ja Wochen hintereinander statt. Als der verhängnisvolle Zwist zwischen den Häusern von Orleans und Burgund endlich

zum öffentlichen Bürgerkriege geführt hat und der König Karl VI. 1412 die Oriflamme ergreift, um mit Johann ohne Furcht die Armagnacs zu bekämpfen, die durch ein Bündnis mit England zu Landesverrätern geworden sind, da läßt man zu Paris, sobald der König sich auf feindlichem Gebiet befindet, das Abhalten täglicher Prozessionen verordnen. Sie dauern von Ende Mai bis in den Juli hinein, immer wieder andere Gruppen, Orden oder Gilden, immer wieder längs anderen Wegen mit anderen Reliquien: „les plus piteuses processions qui oncques eussent ete veues de aage de homme“. Alle liefen barfuß und mit nüchternem Magen, die Herren des Parlaments genau so wie die armen Bürger; jeder, der es konnte, trug eine Kerze oder eine

Fackel, es waren immer viele kleine Kinder dabei. Auch aus den Dörfern um Paris herum kamen die armen Landleute mit bloßen Füßen herbeigelaufen. Man ging mit oder schaute es sich an: „en grant pleur,

en grant lermes, en grant devocion“. Und fast während der ganzen Zeit regnete es heftig4).

Dann gab es die fürstlichen Einzüge, vorbereitet mit der ganzen *) Oeuvres de Georges Chastellain, ed. Kervyn de Lettenhove, 8 vol., Bruxelles 1863—6 6, III, p. 44.

2) Chastellain, II, p. 267; Memoires d’Olivier de la Marche, ed. Beaune et d’Arbaumont (Soc. de l’histoire de France), 1883—8 8, 4 vol., II, p. 248. 3) Journal d’un bourgeois de Paris, ed. A. Tuetey (Publ. de la Soc. de l’histoire de Paris, Doc. no. III), 1881, p. 5, 56. 4) Journal d’un bourgeois, p. 20—2 4. Vgl. Journal de Jean de Roye, dite Chronique scandaleuse, ed. B. de Mandrot (Soc. de l’hist. de France), 1894—9 6, 2 vol., I, p. 330. 1*

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ERSTES KAPITEL

sinnreichen Kunstfertigkeit, die zur Verfügung stand. Und in einer ununterbrochenen Häufigkeit Hinrichtungen. Der grausame Reiz und die grobe Rührung, die vom Schaffott ausgingen, waren ein wichtiges Element in der geistigen Nahrung des Volkes. Für greuliche Räubereien ersann das Gericht furchtbare Strafen; ein junger Brandstifter und Mörder wurde zu Brüssel mit einer Kette, die sich an einem Ring um einen Pfahl drehen konnte, mitten in einen Kreis brennender Reisigbündel gestellt. Er stellt sich selbst dem Volk in rührenden Worten als Beispiel hin: „et tellement fit attendrir les coeurs que tout le monde fondait en larmes de compassion.“ „Et fut sa fin recommandee la plus

belle que l’on avait oncques vue.“1) Messire Mansart du Bois, ein Armagnac, der 1411 zu Paris enthauptet wurde, zur Zeit der burgundischen Schreckensherrschaft, gewährt dem Henker nicht nur Verzeihung, um die dieser ihn der Sitte gemäß bittet, sondern er bittet ihn sogar, ihn zu küssen. „Foison de peuple y avoit, qui quasi tous ploroient ä chaudes larmes.“2) Oft waren die Schlachtopfer große Herren; dann genoß das Volk die Genugtuung über die strenge Gerechtigkeit und die ernste Mahnung an die Wandelbarkeit irdischer Größe lebhafter als bei der Anschauung irgendeines gemalten Beispieles oder eines Totentanzes. Die Obrigkeit trug dafür Sorge, daß dem Eindruck des Schauspiels nichts fehlte. Mit den Abzeichen ihrer Größe traten die Herren ihren kläglichen Gang an. Jean de Montaigu, grand maitre d’hötel des Königs, ein Schlachtopfer des Hasses von Johann ohne Furcht, fährt zum Schaffott, hoch oben auf einem Karren sitzend, zwei Trompeter voran; er trägt sein Staatsgewand, Kappe, Wams und Hosen, halb weiß, halb rot und goldene Sporen an den

Füßen; mit den goldenen Sporen hing die enthauptete Leiche am Galgen. Der reiche Domherr Nicolas d’Orgemont, 1416 Schlachtopfer

der Rache der Armagnacs, wurde in einem Müllkarren durch Paris gefahren, in einem großen violetten Mantel und gleicher Haube, um der Enthauptung zweier Genossen beizuwohnen, bevor er selbst zu lebenslänglicher Einkerkerung abgeführt wurde: „au pain de doleur et ä eaue d’angoisse“. Das Haupt von maitre Oudart de Bussy, der J) Chastellain, III, p. 461, vgl. V, p. 403. 2) Jean Juvenal des Ursins, 1412, ed. Michaud et Poujoulat, Nouvelle Collection des memoires, II, p. 474.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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einen Platz im Parlament ausgeschlagen hatte, wurde auf besonderen Befehl von Ludwig XL wieder ausgegraben und in einer scharlachenen, mit

Pelz gefütterten Haube „selon la mode des conseillers de parlament“ auf dem Markte zu Hesdin mit einem erklärenden Gedicht zur Schau gestellt. Der König selbst schreibt über diesen Fall mit grimmigem Witz1). Seltener als die Prozessionen und Hinrichtungen waren die Predigten der Wanderprediger, die von Zeit zu Zeit kamen, um das Volk

mit ihrem Wort aufzurütteln. Wir Zeitungsleser können uns kaum noch die gewaltige Wirkung des gesprochenen Wortes auf einen unbefangenen und unwissenden Geist vorstellen. Der Volksprediger Bruder Richard predigte 1429 zu Paris an zehn aufeinander folgenden Tagen. Er sprach von morgens fünf bis vormittags zehn oder elf Uhr auf dem Friedhof des Innocents, unter dessen Galerien der berühmte Totentanz gemalt war, den Rücken den offenen Beinhäusern zugekehrt, in denen über dem Bogengang die Schädel vor den Blicken aufgestapelt lagen. Als er nach seiner zehnten Predigt mitteilte, daß es die letzte sein würde, da er keine Erlaubnis für weitere erhalten hatte, „les gens grans et petiz plouroient si piteusement et si fondement, comme s’ilz veissent porter en terre leurs meilleurs amis, et lui aussi.“ Als er endlich Paris verläßt, glaubt das Volk, daß er den Sonntag noch zu St. Denis predigen wird; in großen Haufen, wohl sechstausend an der Zahl, sagt der Bourgeois de Paris, ziehen sie am Samstag Abend aus der Stadt, um sich einen guten Platz zu sichern, und übernachten auf dem Felde2). Auch dem Franziskaner Antoine Fradin wurde in Paris das Predigen

verboten, weil er gegen die schlechte Regierung zeterte. Aber gerade deswegen war er dem Volk lieb. Sie bewachten ihn Tag und Nacht in

dem Kloster der Cordeliers; die Frauen standen dort Wache, ihre Munition von Asche und Steinen bereit. Man lacht über die Proklamation, die diese Wache verbietet: der König weiß nichts davon! Als b Journal d’un bourgeois, p. 6, 70; Jean Molinet, Chronique, ed. Buchon, Coll, de chron. nat., 1827—2 8, 5 vol., II, p. 23; Lettres de Louis XL, ed. Vaesen, Charavay, de Mandrot (Soc. de l’hist. de France), 1883—1 909, 11 vol., 20. Apr. 1477, VI, p. 158; Chronique scandaleuse, II, p. 47, id. Interpolations, II, p. 364. 2) Journal d’un bourgeois, p. 234/7.

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ERSTES KAPITEL

endlich Fradin, verbannt, doch die Stadt verlassen muß, gibt ihm das Volk das Geleite, „crians et soupirans moult fort son departement“1). So oft der heilige Dominikaner Vincent Ferrer zu predigen kommt, zieht ihm aus allen Städten das Volk, der Magistrat, die Geistlichkeit bis zu den Bischöfen und Prälaten mit Lobgesängen entgegen, um ihn zu empfangen. Er reist mit einer zahlreichen Schar von Anhängern, die jeden Abend nach Sonnenuntergang in Prozessionen herumgehen mit Geißelung und Singen. Aus jeder Stadt gesellen sich ihm neue Scharen hinzu. Er hat die Verpflegung und das Unterkommen all seiner Begleiter sorgfältig geregelt, indem er unbescholtene Männer zu Quartiermeistern anstellt. Zahlreiche Priester aus verschiedenen Orden reisen mit, um ihm beim Abnehmen der Beichte und der Bedienung der Messe fortwährend zu assistieren. Einige Notare begleiten ilm, um die gerichtlichen Versöhnungen, die der heilige Prediger überall zustande bringt, zu Protokoll zu nehmen. Wo er predigt, muß ein hölzernes Zimmerwerk ihn und sein Gefolge vor dem Andrange der Menge beschützen, die ihm Hand oder Kleid küssen möchte. Das Gewerbe steht still, solange er predigt. Nur selten war es, daß er seine Zuhörer nicht zum Weinen brachte, und wenn er vom Jüngsten Gericht und den Höllenstrafen oder von den Leiden des Herrn sprach, brach er

ebenso wie die Hörer immer in so großes Weinen aus, daß er geraume Zeit schweigen mußte, bis das Weinen sich beruhigt hatte. Büßende warfen sich vor allen Anwesenden auf die Erde nieder, um ihre großen Sünden mit Tränen einzugestehen2 3). Als der berühmte Oli-

vier Maillard 1485 zu Orleans die Fastenpredigten abhielt, kletterten dort so viele Menschen auf die Dächer der Häuser, daß der Schieferdecker 64 Tage für Reparationsarbeiten in Anrechnung brachtes). Es ist die Stimmung der englisch-amerikanischen Revivals und der Heilsarmee, aber ins grenzenlose gesteigert und weit mehr an die Öffentlichkeit tretend. Man braucht bei der Beschreibung der Wirkung Ferrers *) Chron. scand., II, p. 70, 72. 2) Vita auct. Petro Ranzano 0. P. (1455), Acta sanctorum Apr. t. I, 494 sq. 3) J. Soyer, Notes pour servir ä l’histoire literaire. Du succes de la predicatiou de frere Olivier Maillart ä Orleans en 1485, Bulletin de la societe archeo-

logique et historique de l’Orleanais, t. XVIII, 1919, nach Revue historique, t. 131, p. 351.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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keine fromme Übertreibung seiner Biographen zu vermuten; der nüchterne, trockene Monstrelet schildert fast in derselben Weise die Wirkung, die ein gewisser Bruder Thomas, der sich für einen Karmeliter ausgab, aber später als Betrüger entlarvt wurde, 1428 mit seinen Predigten in Nordfrankreich und Flandern hervorrief. Auch ihn holte der

Magistrat ein, während Adlige den Zaum seines Maultieres hielten; auch um seinetwillen verließen viele, darunter Herren, die Monstrelet mit Namen nennt, Haus und Gesinde, um ihm überallhin zu folgen. Die angesehenen Bürger verzierten die hohe Kanzel, die sie für ihn aufrichteten, mit den kostbarsten Teppichen, die man nur auftreiben konnte. Nächst der Leidensgeschichte und den letzten Dingen war es vor

allem die Bekämpfung von Luxus und Eitelkeit, mit der die Volksprediger ihre Hörer so tief ergriffen. Das Volk, sagt Monstrelet, war Bruder Thomas vor allen Dingen dankbar und zugetan, weil er Prunk und Putzsucht geißelte, und insbesondere, weil er Adel und Geistlichkeit mit Tadel überhäufte. Er pflegte, wenn angesehene Damen sich mit ihrem hohen Kopfputz unter seine Zuhörer wagten, die kleinen Jungens auf sie zu hetzen (mit dem Versprechen des Ablasses, behauptet

Monstrelet) mit dem Ausruf ,au hennin! auhennin’, so daß die Frauen während jener ganzen Zeit keine hennins mehr zu tragen wagten und Hauben trugen wie Beguinen. «Mais ä l’exemple du lymegon», sagt der treuherzige Chronist, „lequel quand on passe pres de luy retrait ses cornes par dedens et quand il ne ot (hört) plus riens les reboute dehors, ainsy firent ycelles. Car en assez brief terme apres que ledit prescheur se fust departy du pays, elles mesmes recommencerent

comme devant et oublierent sa doctrine, et reprinrent petit ä petit leur viel estat, tel ou plus grant qu’elles avoient accoustume de porter“x). Sowohl Bruder Richard als auch Bruder Thomas ließen die Scheiter-

haufen der Eitelkeiten aufflammen, so wie Florenz sie sechzig Jahre später in ungeheurem Umfange und mit unwiderbringlichem Verlust für die Kunst vor Savonarola entzünden ließ. In Paris und Artois blieb es 1428 und 1429 bei Spielkarten, Spielbrettern, Würfeln, Haarputzen und allerhand Zieraten, die Männer und Frauen willig herbeibrachten. D Enguerrand de Monstrelet, Chroniques, ed. Douet d’Arq. (Soc. de l’hist. de France) 1857—6 2, 6 vol., IV, p. 302—3 06.

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ERSTES KAPITEL

Diese Scheiterhaufen waren im 15. Jahrhundert sowohl in Frankreich wie in Italien ein häufig wiederholtes Element in der großen Ergriffenheit, die die Prediger verursachten1). Es war die zeremonielle Form, in der sich die reuevolle Abkehr von Eitelkeit und Lustbarkeiten ver-

körpert hatte, die Stilisierung einer leidenschaftlichen Ergriffenheit in eine gemeinschaftliche feierliche Tat, so wie jene Zeit in allem zum Schaffen stilvoller Formen neigt. In all diese Empfänglichkeit des Gemüts, diese Empfindlichkeit für Tränen und geistige Umkehr, diese Reizbarkeit muß man sich hineindenken, um ermessen zu können, welche Farbigkeit und Intensität das Leben besaß. Eine öffentliche Trauer mutete einen damals noch wie eine Kalami-

tät an. Bei der Beerdigung Karls VII. gerät das Volk ganz außer sich vor Rührung, als es den Leichenzug sieht: alle Hofbeamten „vestus de dueil angoisseux, lesquelz il faisoit moult piteux veoir; et de la grant tristesse et courroux qu’on leur veoit porter pour la mort de leur dit maistre, furent grant pleurs et lamentacions faictes parmy tout ladicte ville“. Da waren sechs Pagen des Königs, auf ganz mit schwarzem Samt verkleideten Pferden: „Et Dieu scet le doloreux et piteux dueil qu’ilz faisoient pour leur dit maistre.“ Einer der Burschen hatte aus Kummer vier Tage weder etwas gegessen noch getrunken, erzählte das Volk ganz gerührt2).

Es ist aber nicht nur jene durch eine große Trauer oder durch eine ungestüme Predigt oder durch die Mysterien des Glaubens hervor-

gerufene Ergriffenheit, die einen Überfluß von Tränen zur Folge hat. Auch bei jeder weltlichen Feierlichkeit wurde eine Flut von Tränen vergossen. Ein Höflichkeitsgesandter des Königs von Frankreich an Philipp den Guten bricht bei seiner Ansprache wiederholt in Tränen aus. Beim Abschied des jungen Johann von Coimbra vom burgundischen Hofe weint alles laut, ebenso bei der Begrüßung des Dauphin und bei der Zusammenkunft der Könige von England und Frankreich zu Ardres. Man sah Ludwig XI. Tränen vergießen bei seinem Einzug *) Wadding, Annales Minorum, X, p. 72; K. Hefele, Der h. Bernhardin von Siena und die franziskanische Wanderpredigt in Italien. Freiburg 1912, S. 47, 80. 2) Chron. scand., I, p. 22, 1461; Jean Chartier, Hist, de Charles VII, ed. D. Godefroy, 1661, p. 320.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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in Arras; zur Zeit seines Aufenthaltes als Kronprinz am burgundischen Hofe beschreibt ihn Chastellain zu wiederholten Malen schluchzend und weinend1). Selbstverständlich übertrieben diese Beschreibungen, man kann sie mit dem „es blieb kein Auge trocken“ eines Zeitungsschreibers vergleichen. Bei der Beschreibung des Friedenskongresses zu Arras 1435 läßt Jean Germain die Zuhörer bei den ergreifenden Ansprachen der Gesandten vor Rührung auf die Erde fallen, sprachlos, mit Seufzern, Schluchzen und Geheul2). Es wird sicher nicht so

gewesen sein, aber der Bischof von Chälons fand, daß es so sein mußte; in der Übertreibung sieht man den Hintergrund von Wahrheit. Es ist damit wie mit den Tränenfluten der Empfindsamen des 18. Jahrhunderts. Das Weinen war erhebend und schön. Und außerdem: wer

kennt auch jetzt nicht die starke Rührung, bis zu Schaudern und Tränen, die ein Einzug hervorrufen kann, auch wenn uns der Fürst, dem das Gepränge gilt, gleichgültig ist. Damals ward solche unmittelbare Ergriffenheit mit einer halbreligiösen Verehrung für Pomp und Größe erfüllt, und brach sich in echten Tränen Bahn.

Wer den Unterschied an Reizbarkeit zwischen dem 15. Jahrhundert und unserer Zeit nicht sieht, der kann ihn an einem kleinen Beispiel aus einem anderen Gebiet als dem der Tränen, nämlich dem

des Jähzorns verstehen lernen. Wir können uns wahrscheinlich schwerlich ein friedlicheres und ruhigeres Spiel als das Schachspiel vorstellen. La Marche sagt, daß bei dem Schachspiel Streitigkeiten

entstehen „et que le plus saige y pert patience“3). Ein Zwist von Königssöhnen über dem Schachbrett war im 15. Jahrhundert noch ein ebenso gangbares Motiv wie in den Karlromanen. ** *

Das tägliche Leben bot fortwährend unbegrenzten Spielraum für glühende Leidenschaftlichkeit und kindliche Phantasie. Unsere Gex) Chastellain, III, pp. 36, 98, 124, 125, 210, 238, 239, 247, 474; Jacques du Clercq, Memoires (1448—1 467), ed. de Reiffenberg, Bruxelles 1823, 4 vol., IV, p. 40, II, p. 280, 355, III, p. 100; Juvenal des Ursins, p. 405, 407, 420; Molinet, III, p. 36, 314. 2) Jean Germain, Liber de virtutibus Philippi ducis Burgundiae, ed. Kervyn de Lettenhove, Chron. rel. ä l’hist. de la Belg, sous la dom. des ducs de Bourg. (Coll, des chron. beiges), 1876, II, p. 50. 3) La Marche, I, p. 61.

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ERSTES KAPITEL

Schichtsforschung des Mittelalters, die wegen der Unzuverlässigkeit

der Chroniken mit Vorliebe soviel wie möglich aus offiziellen Urkunden schöpft, verfällt dadurch wohl mal in einen gefährlichen Fehler. Die Urkunden geben uns wenig von dem Unterschied im Lebenston, der uns von jenen Zeiten trennt, sie lassen uns das heftige Pathos des mittelalterlichen Lebens vergessen. Von all den Leiden-

schaften, die es mit Farbe durchziehen, erwähnen die Urkunden in der Regel nur zwei: die Habsucht und die Streitlust. Wer hat sich nicht schon oft gewundert über die schier unbegreifliche Heftigkeit und Beharrlichkeit, mit der Habsucht, Zanksucht, Rachegier sich in den gerichtlichen Urkunden jener Zeit hervortun! Erst im Zusammenhänge mit der allgemeinen Leidenschaftlichkeit, die auf jedem Gebiet das Leben durchglühte, werden die Züge für uns annehmbar und erklärlich. Deshalb bleiben die Chronikschreiber, sie mögen, was Tatsachen anbelangt, noch so oberflächlich sein, und sich noch so oft irren, zum richtigen Erfassen jener Zeit unentbehrlich. Das Leben trug in mancher Beziehung noch die Farbe des Märchens. Wenn die Hofchronisten, gelehrte, angesehene Männer, die ihre Fürsten

aus der Nähe kannten, die durchlauchtigen Personen nicht anders sehen und beschreiben können als in einer archaischen, hieratischen Gestalt, wie groß muß dann für die naive Volksphantasie der Zauberglanz des Königtums gewesen sein. Um ein Beispiel jenes Märchentons aus dem Geschichtswerk von Chastellain zu geben: Der junge Karl der Kühne, noch Graf von Charolais, ist aus Sluis zu Gorkum angekommen und vernimmt dort, daß sein Vater, der Herzog, seine Pension und all seine Benefizien eingezogen hat. Chastellain beschreibt,

wie nun der Graf seinen ganzen Hofhalt bis zu den Küchenjungen herab vor sich bescheidet und allen sein Mißgeschick mitteilt, in einer rührenden Ansprache, in der er seine Ehrfurcht für den Vater, seine Sorge um das Wohl der Seinen und seine Liebe für sie alle bezeugt. Die selbst bemittelt sind, fordert er auf, mit ihm sein Schicksal abzuwarten; denen, die arm sind, läßt er es frei, fortzugehen, und wenn sie hören sollten, daß des Grafen Geschick sich zum Bessern gewendet:

„Kommt dann zurück, und ihr werdet alle euern Platz offen finden und werdet mir willkommen sein und ich werde euch die Geduld lohnen, die ihr um meinetwillen gezeigt habt.“ — „Lors oyt-l’on voix

_ DIE SPANNUNG DES LEBENS 11 lever etlannes espandre et clameur ruer par commun accord: Nous tous, nous tous, monseigneur, vivrons avecques vous etmourrons.“ — Tief gerührt nimmt Karl ihre Treue auf: „Orvivez doncques et souffrez; et moy je souffreray pour vous, premier que vous ayez faute.“ Dann kommen

die Edlen und bieten ihm alles an, was sie besitzen, „disant l’un: j’ay mille, l’autre: dix mille, l’autre: j’ay cecy, j’ay cela pour mettre pour vous et pour attendre tout vostre advenir.“ Und es ging alles seinen gewohnten Gang, und es kam darum kein Huhn weniger in die Küche1).

Die Ausmalung des Gemäldes ist natürlich von Chastellain. Wir wissen nicht, inwieweit sein Bericht hier das wirklich Geschehene stilisiert. Worauf es aber ankommt: er sieht den Fürst in den einfachen Formen der Volksballade, der Fall wird für ihn gänzlich von den allerprimitivsten Regungen gegenseitiger Treue beherrscht, die sich in epischer Schlichtheit äußert. Während der Mechanismus der Staatsverwaltung und des Staats-

haushalts in Wirklichkeit schon komplizierte Formen angenommen hatte, projiziert sich die Politik im Geiste des Volks in einzelnen, festen, einfachen Figuren. Die politischen Vorstellungen, in denen man lebt, sind die des Volksliedes und die des Ritterromanes. Man führt gleich-

sam die Könige seiner Zeit auf eine beschränkte Anzahl von Typen zurück, jeder von diesen mehr oder weniger einem Motiv aus Lied oder Aventüre entsprechend: der edle gerechte Fürst, der durch böse Räte betrogene Fürst, der Fürst als Rächer der Ehre seines Geschlechts, der

Fürst durch die Treue der Seinen im Unglück gestützt. Die Bürger eines spätmittelalterlichen Staates, schwer belastet und ohne Stimme

in der Verwaltung der Gelder, leben in einem fortwährenden Mißtrauen, ob ihre Pfennige nicht verschwendet, ob sie auch zu Nutz und

Frommen des Landes verwendet werden. Dieses Mißtrauen in die Staatsverwaltung setzt sich in die vereinfachte Vorstellung um, der König ist umringt von habsüchtigen, listigen Ratgebern, oder der Aufwand und die Verschwendung an der königlichen Hofhaltung sind schuld daran, daß es um das Land schlecht steht. So lassen sich die politischen Fragen für das Volk zu den typischen Geschehnissen des Märchens zurückbringen. Philipp der Gute begriff, welche Sprache demWolkjverständlich war. Während seiner Festlichkeiten im Haag *) Chastellain, IV, p. 333 s.

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ERSTES KAPITEL

1456 hat er, um den Holländern und Friesen, die glauben konnten, daß es ihm an Geld fehle, um sich des Bistums Utrecht zu bemeistern, Eindruck zu machen, in einem Zimmer nächst dem Rittersaal dreißigtausend

Mark Silber an köstlichem Geschirr ausstellen lassen. Ein jeder darf kommen, es sich anzuschauen. Außerdem sind aus Lille zwei Geldkisten mitgebracht, mit zweimal hunderttausend goldenen Löwen. Man darf versuchen sie hochzuheben, aber die Mühe ist umsonst1). Kann man sich eine pädagogischere Mischung von Staatskredit und Jahrmarktsbelustigung vorstellen? Das Leben und Treiben der Fürsten hat noch manchmal ein phantastisches Element, das uns an den Khalifen aus Tausendundeine Nacht erinnert. Sie handeln inmitten der kühl berechneten politischen Unternehmungen manchmal mit einem verwegenen Ungestüm, der einer persönlichen Laune wegen ihr Leben und ihr Werk in Gefahr bringt. Edward III. setzt sich selbst, den Prinzen von Wales und sein Land aufs Spiel, um eine Flotte spanischer Kauffahrer zur Vergeltung einiger Seeräubereien2) anzugreifen. Philipp der Gute hat es sich in den

Kopf gesetzt, einen seiner Bogenschützen mit einer reichen Brauerstochter aus Lille zu vermählen. Als sich der Vater dem widersetzt und das Parlament von Paris in die Sache hineinzieht, bricht der Herzog wutentbrannt die wichtigen Staatsgeschäfte, die ihn in Holland festhielten, plötzlich ab und unternimmt, sogar noch in der heiligen Zeit dicht vor Ostern, eine gefährliche Seereise von Rotterdam nach Sluis, um seinen Kopf durchzusetzen3). Ein andermal ist er in sinnlosem Zorn wegen eines Streites mit seinem Sohn wie ein durchgebrannter

Schuljunge still aus Brüssel fortgeritten, und verirrt sich nachts im Walde. Als er wieder da ist, fällt die heikle Aufgabe, ihn wieder in seinen gewohnten Gang zu bringen, dem Ritter Philippe Pot zu. Der gewandte Höfling findet das richtige Wort: „Bonjour monseigneur, bonjour qu’est cecy? Faites-vous du roy Artus maintenant ou de messire Lancelot“4)? 1) Chastellain, III, p. 92. 2) Jean Froissart, Chroniques, ed. S. Luce et G. Raynaud (Soc. de l’hist. de France), 1869—1 899, 11 vol. (nur bis 1385), IV, p. 89—9 3. 3) Chastellain, III, p. 85 ss. 4) Ib. III, p. 279.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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Wie khalifartig mutet es uns an, wenn derselbe Herzog, als die Ärzte ihm verschrieben hatten, sich den Kopf kahl scheren zu lassen, befiehlt, daß es ihm alle Edeln nachmachen sollen, und Peter von Hagenbach damit beauftragt, jeden Edelmann, den er ungeschoren findet, seines Haar-

schmucks zu entledigen1). Oder wenn der junge König Karl VI. von Frankreich, zusammen mit einem Freunde auf einem einzigen Pferd, sich den Einzug seiner eigenen Braut, Isabella von Bayern, vermummt anschaut und in dem Gedränge von den Schutzleuten Prügel bekommt2). Ein Dichter rügt es, daß die Fürsten ihren Narren oder Spielmann zum Hofrat oder Minister ernennen, so wie es Coquinet le fou de Bourgogne zuteil wurde3). Die Politik ist noch nicht ganz und gar in die Grenzen von Bureau-

kratie und Protokoll eingepfercht: jeden Augenblick kann sich der Fürst diesen entziehen, um anderswo die Richtschnur für seine Verwaltung zu suchen. So suchen die Fürsten des XV. Jahrhunderts wiederholt Rat in Staatsangelegenheiten bei den visionären Asketen und den exaltierten Volkspredigern. Dionysius der Karthäuser, Vincent Ferrer traten als politische Ratgeber auf; der geräuschvolle Prediger Olivier Maillard war in die geheimsten Unterhandlungen von Fürstenhöfen eingeweiht4). So wurde ein Element religiöser Spannung in der höheren Politik lebendig. Um das Ende des 14. und den Anfang des 15. Jahrhunderts herum müssen die Geister beim Hinaufschauen nach dem hohen Anblick fürstlichen Getriebes und Schicksals wohl mein- denn je von dem Gedanken erfüllt worden sein, daß sich dort in einer blutig romantischen Sphäre lauter wüste Trauerspiele abspielten, voll der ergreifendsten Abstürze aus Majestät und Herrlichkeit. In demselben Septembermonat 1399, als das englische Parlament in Westminster zusammentrat, um zu erfahren, daß König Richard II., besiegt und gefangen genommen von seinem Vetter Lancaster, der Krone entsagt hatte, waren in Mainz x) La Marche, II, p. 421. 2) Juvenal des Ursins, p. 379. 3) Martin Le Franc, Le Champion des dames, bei G. Doutrepont, La litterature framjaise ä la cour des ducs de Bourgogne (Bibi, du XVe siede t. VIII), Paris, Champion, 1909, p. 304. 4) Acta sanctorum Apr. t. I, p. 496; A. Renaudet, Prereforme et humanisme ä Paris 1494—1 517, Paris, Champion, 1916, p. 163.

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ERSTES KAPITEL

schon die deutschen Kurfürsten versammelt, um auch ihren König ab-

zusetzen: Wenzel von Luxemburg, ebenso wankelmütig von Geist, ebenso unfähig zu herrschen, von ebenso launischer Gemütsart wie sein Schwager von England, nur nicht so tragisch in seinem Ende. Wenzel blieb noch lange Jahre König von Böhmen, Richards Absetzung aber folgte sein geheimnisvoller Tod im Gefängnis, der die Ermordung

seines Urgroßvaters Eduard II. siebzig Jahre früher wieder in das Gedächtnis zurückrief. War die Krone nicht ein trauriger Besitz voller Gefahren? Im dritten großen Reiche der Christenheit einWahnsinniger auf dem Throne, Karl VI., und das Land alsbald zerrüttet durch wilden Parteikampf. 1407 brach die Eifersucht zwischen den Häusern Orleans und Burgund in öffentliche Feindschaft aus; Ludwig von Orleans, des Königs Bruder, fiel durch Meuchelmörder, die sein Vetter, der Herzog von Burgund, Johann ohne Furcht, dazu gedungen hatte. Zwölf Jahre später die Rache: 1419 wurde Johann ohne Furcht bei der feierlichen

Zusammenkunft auf der Brücke von Montereau verräterisch umgebracht. Diese beiden Fürstenmorde, mit ihrem endlosen Nachspiel von Rachsucht und Streit haben der französischen Geschichte eines ganzen Jahrhunderts einen Grundton düsteren Hasses aufgeprägt. Denn der

Volksgeist sieht alles Unglück, das Frankreich widerfährt, im Lichte jenes großen dramatischen Motivs: er kann noch keine anderen Ursachen fassen, als persönliche und leidenschaftliche.

Zu all dem kommen noch die Türken, die stets drohender vordringen und die wenige Jahre zuvor bei Nicopolis 1396 das prächtige französische Ritterheer vernichtet haben, das unbesonnen unter demselben Johann von Burgund, damals noch Graf von Nevers, ausgezogen war. Und die Christenheit zerrissen durch das große Schisma, das nun schon ein Vierteljahrhundert dauert, zwei, die sich Papst nennen, jeder

voll leidenschaftlicher Überzeugung von einem Teil der abendländischen Länder anerkannt; sobald das Konzil von Pisa 1409 in seinem Versuch, die Einheit in der Kirche wieder herzustellen, schmählich

scheitert, werden es drei sein, die sich um die päpstliche Würde streiten. „Le Pappe de la Lune“ hieß in Frankreich im Volksmunde der hartnäckige Aragonese, Peter von Luna, der sich als BenediktusXIII.

zu Avignon behauptete; wird dieses „Le Pappe de la Lune“ für das einfache Volk nicht einen halb irrsinnigen Klang gehabt haben?

_DIE SPANNUNG DES LEBENS___15 In jenen Jahrhunderten irrte an den Fürstenhöfen so manch entthronter König herum, meist karg an Mitteln und reich an Plänen, umwoben von dem Glanz des wunderlichen Ostens, von wo er herkam: Armenien, Cypern, wohl gar Konstantinopel, jeder eine Gestalt aus dem Bild von dem Rad der Fortuna, von dem Könige mit Szeptern und Kronen herabtaumeln. Zu ihnen zählte nicht Rene von Anjou. War er auch ein König ohne Krone, es ging ihm ausgezeichnet in seinen reichen

Besitztümern in Anjou in der Provence. Doch war in Niemandem der Wechsel des fürstlichen Glücks deutlicher verkörpert zu sehen als in diesem Prinzen aus dem Hause Frankreichs, der immer wieder die höch-

sten Chancen verpaßt hatte, der nach den Kronen Ungarns, Siziliens und Jerusalems gestrebt und nichts anderes geerntet hatte als Niederlagen, mühseliges Fliehen und lange Gefangenschaften. Der Dichterkönig ohne Thron, der sich an Hirtengedichten und Miniaturkunst ergötzte, muß wohl von einer tiefeingewurzelten Frivolität gewesen sein, sonst hätte ihn sein Los geheilt. Fast alle seine Kinder hatte er sterben sehen, und die Tochter, die ihm geblieben war, hatte ein Schicksal, das an düsterer Schwere das seine noch übertraf. Margarethe von Anjou, voll Geist, Ehrsucht und Leidenschaft, hatte, sechzehn Jahre alt, den König von England, Heinrich VI., einen Schwachsinnigen, geheiratet. Der englische Hof war eine Hölle des Hasses. Nirgends war der Argwohn

gegen königliche Verwandte, die Anklage gegen machtvolle Diener der Krone, die heimlichen und die Justizmorde um der Sicherheit und der Parteisucht willen, so in die politischen Sitten verwoben wie in England. Lange Jahre lebte Margarethe in jener Sphäre von Verfolgung und Angst, ehe der große Familienzwist zwischen den Lancasters, dem Hause ihres Gemahls, und den Yorks, dem ihrer zahlreichen und rührigen Vetter, in das Stadium blutiger und öffentlicher Gewalt überging. Da verlor Margarethe Krone und Besitztum. Die Schwankungen des Rosenkrieges hatten sie durch die schrecklichsten Gefahren und

die bitterste Not hindurchgeleitet. Endlich geborgen in einer Unterkunft am burgundischen Hof, erstattete sie mit eigenen Worten ChastellainJ), dem Hofchronisten, den ergreifenden Bericht über ihr Miß‘) Chastellain, IV, p. 300 s., VII, p. 75; vgl. Thomas Basin, De rebus gestis

Caroli VII. et Lud. XI. historiarum libri XII, ed. Quicherat (Soc. de l’hist. de France), 1855—1 859, 4 vol., I, p. 158.

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ERSTES KAPITEL

geschieh und ihre Irrfahrten: wie sie sich und ihren jungen Sohn dem Erbarmen eines Wegelagerers hatte anvertrauen müssen; wie sie einmal bei der Messe einen schottischen Bogenschützen um einen Pfennig für das Opfer hatte bitten müssen, „qui demy ä dur et ä regret luy tira un gros d’Escosse de sabourse et leluypresta“. Der gute Geschichtsschreiber, gerührt von soviel Leid, weihte ihr zum Trost einen Temple de Bocace, „aucun petit traite de fortune, prenant pied sur son inconstance et deceveuse nature.“ Er glaubte nach dem festen Rezept jener Tage die vielgeprüfte Königstochter nicht besser stärken zu können als durch eine düstere Galerie von Fürstenunglück. Keiner von beiden konnte ahnen, daß das Ärgste ihr noch bevorstand: bei Tewkesbury 1471 wurden die Lancasters endgültig geschlagen, ihr einziger Sohn fiel in der Schlacht oder wurde nach derselben ermordet, ihr Gemahl wurde heimlich umgebracht, sie selbst kam fünf Jahre in den Tower,

um schließlich von Edward IV. an Ludwig XL verkauft zu werden, dem sie zum Dank für ihre Befreiung das Erbe ihres Vaters, Königs Rene, abtreten mußte.

Wo echte Königskinder solche Schicksale erlebten, wie sollte da ein Bürger von Paris nicht den Erzählungen von verlorenen Kronen und Verbannung Glauben schenken, durch welche Vagabunden zuweilen Teilnahme und Barmherzigkeit zu erwecken suchten. 1427 erschien eine Zigeunerbande in Paris, die sich als Büßende ausgaben, „ung duc et ung conte et dix hommes tous ä cheval“. Der Rest, hundertzwanzig Personen stark, mußte draußen bleiben. Sie sollten aus Ägypten sein. Der Papst habe ihnen als Buße für ihren Abfall vom christlichen Glauben auf erlegt, sieben Jahre umherzustreifen, ohne in einem Bette zu schlafen. Es waren, hieß es, ungefähr zwölfhundert gewesen, aber

ihr König und ihre Königin und alle anderen wären unterwegs gestorben. Als einzige Erleichterung sollte der Papst befohlen haben, daß jeder Bischof und Abt ihnen 10 Pfund tournois geben solle. Die Pariser kamen in hellen Haufen herbei, um das fremde Völkchen zu betrachten, und ließen sich von den Frauen aus der Hand wahrsagen, die das Geld aus den Börsen der Leute in die eigenen übersiedeln ließen „par art magicque ou autrement“x). ) Journal d’un bourgeois, p. 219.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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Eine Sphäre von Abenteuerlichkeit und Leidenschaft umgab das Fürstenleben, aber es war nicht nur die Volksphantasie, die ihm diese Farbe verlieh. Der moderne Mensch macht sich in der Regel keine Vorstellung von der zügellosen Extravaganz und Entflammbarkeit des mittelalterlichen Gemüts. Wer sich nur bei den offiziellen Dokumenten, die man mit Recht für die zuverlässigsten Angaben zur Kenntnisnahme der Geschichte hält, Rat holt, der könnte sich aus diesem Stück mittelalterlicher Geschichte ein Bild machen, das sich in nichts wesentlich von einer Beschreibung der Minister- und Gesandtenpolitik des 18. Jahrhunderts unterscheiden würde. Aber solch einem

Bild fehlt ein wichtiges Element: die grelle Farbe der gewaltigen Leidenschaft, die sowohl die Völker als auch die Fürsten beseelte. Zweifelsohne ist ein leidenschaftliches Element auch jetzt noch in der Politik vorhanden, aber es stößt, mit Ausnahme von Tagen der Umwälzung und des Bürgerkrieges, auf mehr Hemmungen und Hindernisse; es ist auf hunderte von Weisen durch den komplizierten Mechanismus des Gemeinschaftslebens in feste Bahnen geleitet. Im 15. Jahr-

hundert kommt der unmittelbare Affekt noch in einem Maße zum Ausdruck, daß Nutzen und Berechnung immer wieder durchbrochen werden. Geht dieser Affekt Hand in Hand mit Machtgefühl wie bei den Fürsten, dann wirkt er doppelt heftig. Chastellain drückt dies in seiner feierlichen Ausdrucksweise bündig aus: Es ist kein Wunder, sagt er, daß Fürsten oft miteinander in Feindschaft liegen „puisque les princes sont hommes, et leurs affaires sont haulx et agus, et leurs natures sont subgettes ä passions maintes comme ä haine et envie, et sont leurs coeurs vray habitacle d’icelles (des passions) ä cause de leur gloire en regner“3). Ist dies nicht ungefähr dasselbe, was Burckhardt „das Pathos der Herrschaft“ genannt hat? Wer die Geschichte des burgundischen Fürstenhauses schreiben

möchte, müßte als Grundton seiner Erzählung immer wieder ein Rachemotiv durchklingen lassen, so schwarz wie ein Katafalk, das einem bei jeder Tat zu Rate und im Felde den bitteren Geschmack ihres Geistes voll düsterer Rachgier und zerrissenem Hochmut gäbe. Sicher wäre es sehr naiv, zu der allzu unkomplizierten Ansicht zurückD Chastellain III, p. 30. 2 Huizinga, Mittelalter

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ERSTES KAPITEL

kehren zu wollen, die sich das fünfzehnte Jahrhundert selbst über die Geschichte machte. Es geht natürlich nicht an, den ganzen Machtkontrast, aus dem der jahrhundertelange Streit zwischen Frankreich und den Habsburgern herauswuchs, aus der Blutrache zwischen Orleans und Burgund, den beiden Zweigen des Hauses Valois, herleiten zu wollen. Aber man sollte sich, mehr als es in der Regel bei der Erforschung der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Ursachen geschieht, fortwährend dessen bewußt bleiben, daß für die Zeitgenossen, sowohl für die Zuschauer als auch für diejenigen, die selbst die Handelnden in dem großen Rechtsstreit waren, die Blutrache das wesentliche Moment war, das die Handlungen und Schicksale der Fürsten und Länder

beherrschte. Philipp der Gute ist für sie in erster Linie der Rächer, „celluy qui pour vengier l’outraige fait sur la personne du duc Jehan soustint la gherre seize ans“x). Als heilige Aufgabe hat Philipp es auf sich genommen: „en toute criminelle et mortelle aigreur, il tireroit ä a vengeance du mort, si avant que Dieu luy vouldroit permettre; et y mettroit corps et äme, substance et pays tout en l’aventure et en la disposition de fortune, plus reputant oeuvre salutaire et agreable ä Dieu de y entendre que de le laisser.“ Es war dem Dominikaner, der beim Totendienst für den ermordeten Herzog die Predigt hielt, 1419 schwer genug verübelt worden, daß er es gewagt hatte, auf die Christenpflicht, sich nicht zu rächen, hinzuweisen1 2). La Marche stellt es so dar,

als ob die Ehren- und Rachepflicht auch für die Länder des Herzogs das Motiv ihrer politischen Wünsche sei: alle Stände seiner Länder schrieen mit ihm nach Rache, sagt er3). Der Vertrag von Arras, der 1435 scheinbar Frankreich und Burgund den Frieden bringen sollte, beginnt mit der Buße für den Mord von Montereau: zu stiften sei eine Kapelle in der Kirche von Montereau, wo Johann zuerst begraben war, wo bis in alle Ewigkeit ein Requiem jeden Tag gesungen werden sollte, desgleichen in derselben Stadt ein Karthäuserkloster, ein Kreuz auf der Brücke selbst, wo die Tat geschehen, und eine Messe in der Karthäuserkirche zu Dijon, wo 1) La Marche, I, p. 89. 2) Chastellain, I, p. 82, 79; Monstrelet, III, p. 361. 3) La Marche, I, p. 201.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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die burgundischen Herzöge begraben liegen1). Das war aber nur ein Teil der ganzen öffentlichen Buße und Schande, die der Kanzler Rolin im Namen des Herzogs forderte: außerdem Kirchen mit Kapiteln nicht nur zuMontereau, sondern auch zu Rom, Gent, Paris, Santiago de Compostella und Jerusalem, mit steinernen Inschriften, die die Tat erzählen mußten'2).

Ein in so weitschweifige Formen gekleidetes Rachebedürfnis muß

wohl den Geist völlig beherrscht haben. Und was hätte das Volk auch besser von der Politik seiner Fürsten begreifen können, als diese einfachen primitiven Motive von Haß und Rache. Die Anhänglichkeit an den Fürsten trug einen kindlich-impulsiven Charakter; es war ein

unmittelbares Gefühl der Treue und Gemeinschaft. Es ist eine Erweiterung der alten starken Empfindung, die die Eideshelfer mit dem Kläger, die Mannen mit ihrem Herrn verband, und die in Fehde und Streit zu alles vergessender Leidenschaft emporflammte. Es ist Partei-

gefühl, kein Staatsgefühl. Das spätere Mittelalter ist die Zeit der großen Parteikämpfe. In Italien konsolidieren sich die Parteien schon im 13. Jahrhundert, in Frankreich und den Niederlanden kommen sie überall im 14. Jahrhundert auf. Jeder, der die Geschichte jener Zeit

studiert, muß wohl gelegentlich von der Unzulänglichkeit, mit der man jene Parteischaften in der modernen Geschichtsforschung aus wirtschaftlich-politischen Ursachen herleitet, betroffen werden. Die wirtschaftlichen Gegensätze, die man diesen zugrunde legt, sind rein schematische Konstruktionen, die man mit dem besten Willen nicht aus den Quellen herauslesen kann. Niemand wird das Vorhandensein wirtschaftlicher Ursachen bei diesen Parteigruppierungen leugnen

wollen, doch unbefriedigt von dem Erfolg, mit dem sie bis heute erläutert sind, ist man wohl zu der Frage berechtigt, ob zur Erklärung des spät-mittelalterlichen Parteikampfes ein politisch-psychologischer Gesichtspunkt nicht vorläufig größeren Vorteil bieten würde, als ein politisch-ökonomischer. Was sich aus den Quellen wirklich über das Entstehen der Par-

teien ergibt, ist ungefähr folgendes: In der rein feudalen Zeit sieht man überall abgesonderte, begrenzte Fehden, in denen man kein D Der Vertrag u. a. bei La Marche, I, p. 207. 2) Chastellain, I, p. 196. 2*

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ERSTES KAPITEL

anderes wirtschaftliches Motiv verspüren kann, als Neid des einen um das Hab und Gut des andern. Jedoch nicht nur um seine Güter, sondern nicht minder heftig um seine Ehre. Familienstolz und Rachsucht, leidenschaftliche Treue von Seiten der Anhänger sind hier vollkommen primäre Triebe. Je nachdem sich nun die Macht des Staates befestigt und ausbreitet, polarisieren sich all diese Familienfehden gewissermaßen hinsichtlich der landesherrlichen Gewalt, und nun ballen sie sich zu Parteien zusammen, die selbst die Ursache ihres Gespaltenseins nicht anders als von der Basis der Solidarität und Gemeinschaftsehre aus auffassen. Sehen wir tiefer in die Ursachen hinein, wenn wir

wirtschaftliche Gegensätze postulieren? Wenn ein scharfsichtiger Zeitgenosse erklärt, daß für den Haß zwischen Hoecken und Kabeljauen in Holland keine triftigen Gründe zu entdecken waren1), so muß man nicht verächtlich die Schultern hochziehen und klüger als er sein

wollen. Es gibt ja in der Tat keine einzige befriedigende Erklärung dafür, warum die Egmonds kabeljauisch und die Wassenaers hoeckisch

gewesen sind. Denn die wirtschaftlichen Kontraste, die ihre Geschlechter kennzeichnen, sind erst das Produkt ihrer Stellung dem Fürsten gegenüber als Anhänger dieser oder jener Partei 2).

Wie heftig die durch Anhänglichkeit an den Fürsten verursachte Gemütsbewegung wirken konnte, liest man auf jeder Seite der mittelalterlichen Geschichte. Der Dichter des Mirakelspiels Mariechen von Nymwegen zeigt uns, wie Mariechens böse Muhme, nachdem sie sich mit den Nachbarsfrauen halb zu Tode gekeift hat über den Streit zwischen Arnold und Adolf von Geldern, sich schließlich aus Unwillen darüber, daß der alte Herzog aus seiner Gefangenschaft erlöst wird, aufhängt. Es ist diesem Dichter darum zu tun, vor den Gefahren der 1) Basin, III, p. 74.

2) Daß eine Auffassung wie diese eine Anerkennung der wirtschaftlichen Faktoren durchaus nicht ausschließt, geschweige denn als Protest gegen wirtschaftliche Geschichtserklärung formuliert sein soll, kann durch das folgende Zitat von Jaures bewiesen werden: „Mais il n’y a pas seulement dans i’histoire des lüttes de Masses, il y a aussi des lüttes de partis. J’entends qu’en dehors des affinites ou des antagonismes economiques il se forme des groupements de passions, des interets d’orgueil, de domination, qui se disputent la surface de

I’histoire et qui determinent de tres vastes ebranlements.“ Histoire de la revolution frangaise, IV, p. 158.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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„partiscap“ zu warnen; er wählt dafür ein extremes Beispiel: einen Selbstmord aus Parteisucht, — zweifelsohne übertrieben, aber doch trotzdem ein Beweis dafür, welch einen leidenschaftlichen Charakter der Dichter dem Parteigefühl zusprach.

Es gibt aber auch trostreichere Beispiele. Mitten in der Nacht lassen die Schöffen von Abbeville die Glocken läuten, weil ein Bote von Carl von Charolais mit der Bitte angekommen ist, für die Genesung seines Vaters zu beten. Die erschrockenen Bürger strömen zur Kirche, zünden Hunderte von Kerzen an, und liegen knieend oder zu Boden

geworfen in Tränen die ganze Nacht, während die Glocken immer weiter läutenT). Als das Volk von Paris, das 1429 noch englisch-burgundisch ge-

sinnt ist, vernimmt, daß Bruder Richard, der sie noch vor kurzem so innig durch seine Predigten ergriffen hatte, ein Armagnac ist, der die Städte heimlich für sich gewinnt, da verflucht es ihn bei Gott und allen Heiligen; statt des zinnernen Pfennigs mit dem Namen Jesus, den er ihnen gegeben hat, nehmen sie das Andreaskreuz, das burgundische Parteizeichen. Man nimmt selbst das Würfelspiel, wogegen Bruder Richard so geeifert hatte, wieder auf, „en despit de luy“, meint der Bürger von Paris* 2 3).

Man sollte annehmen, daß das Schisma zwischen Avignon und Rom,

das doch keinen dogmatischen Grund hatte, auch keine Glaubensleidenschaft erwecken konnte, jedenfalls nicht in den Ländern, die weit von den beiden Zentren entfernt waren, wo man beide Päpste nur bei Namen kannte, und nicht unmittelbar von der Spaltung betroffen wurde. Doch entwickelt sich das Schisma auch hier unverzüglich zu einer scharfen und heftig bewegten Parteisache, ja zu einer Gegenüberstellung wie von Gläubigen und Ungläubigen. Als Brügge von dem römischen Papst zu dem von Avignon übergeht, verlassen zahlreiche Leute Haus und Stadt, Gewerbe oder Pfründe, um in Lüttich oder einem andern Gebiet der urbanistischen Obödienz ihrer Partei gemäß leben zu können8). Vor der Schlacht von Rosebeke 1382 sind die Anführer *) Chastellain, IV, p. 201; vgl. meine Studie Uit de voorgeschiedenis van ons nationaal besef, in De Gids 1912, I.

2) Journal d’un bourgeois, p. 242; vgl. Monstrelet, IV, p. 341. 3) Jan van Dixmude, ed. Lambin, Ypres 1839, p. 283.

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ERSTES KAPITEL

des französischen Heeres in Zweifel, ob man gegen die flämischen Aufständischen die Oriflamme, die heilige Königsfahne, die nur in einem heiligen Kampfe benutzt werden durfte, entfalten solle oder nicht. Die Entscheidung fällt so aus: ja, denn die Flamen sind Urbanisten, deshalb Ungläubige1). Der französische politische Agent und Schreiber, Pierre Salmon, kann bei Gelegenheit seines Besuches in Utrecht keinen Priester finden, der ihn seine Ostern feiern lassen will, „pour ce qu’ils disoient que je estoie scismatique et que je creoie en Benedic l’antipape“, so daß er alleine in einer Kapelle beichten muß,

als ob er es vor einem Priester täte und die Messe im Karthäuserkloster hört2). Das stark bewegte Gepräge des Parteigefühls und der Fürstentreue

wurde noch durch die mächtige suggestive Wirkung erhöht, die von all den Parteiabzeichen, Farben, Emblemen, Devisen, Losungen ausging, welche sich manchmal in buntem Wechsel ablösten, meistens von Mord und Totschlag schwanger, aber auch wohl gelegentlich Merkmale heiterer Dinge. Wohl an die zweitausend Personen zogen 1380 dem jungen Karl VI. bei seinem Einzug in Paris entgegen, alle gleich gekleidet, halb grün, halb weiß. Bis zu drei Malen sah man in den Jahren 1411—1 413 ganz Paris plötzlich mit anderen Wahrzeichen geschmückt: lila Kappen mit dem Andreaskreuz, weiße Kappen, dann

wieder violette. Selbst Geistliche, Frauen und Kinder trugen sie. Während der Schreckensherrschaft der Bourguignons zu Paris 1411 wurden die Armagnacs jeden Sonntag unter Glockengeläut exkommuniziert. Man behing die Heiligenbilder mit dem Andreaskreuz, ja einige Priester, behauptete man, wollten bei der Messe und der Taufe das Kreuzzeichen nicht gerade machen, so wie der Herr gekreuzigt war, sondern machten es schräg3). Die blinde Leidenschaft, mit der man sich seiner Partei, seinem Herrn und auch seinen eigenen Angelegenheiten hingab, war auch zum *) Froissart, ed. Luce, XI, p. 52.

2) Memoires de Pierre le Fruictier dit Salmon, Buchon, 3e suppl. de Froissart, XV, p. 22. 3) Chronique du Religieux de Saint Denis, ed. Bellaguet (Coll, des documents inedits) 1839—( 1852, 6 vol., I, p. 34; Juvenal des Ursins, p. 342, 467—4 71;

Journal d’un bourgeois, p. 12, 31, 44.

_DIE SPANNUNG DES LEBENS_23 Teil eine Ausdrucksform jenes unerschütterlichen, steinharten Rechtsgefühls, das den mittelalterlichen Menschen eigen war, die unumstöß-

liche Gewißheit, daß jede Tat ihre letzte Vergeltung heischte. Das Gerechtigkeitsgefühl war noch zu Dreivierteln heidnisch. Es war Rachebedürfnis. Die Kirche hatte zwar danach getrachtet, die Rechtsgebräuche zu mildern, indem sie auf Sanftmütigkeit, Frieden und Ver-

söhnlichkeit drang, aber das eigentliche Rechtsgefühl hatte sie dadurch nicht verändert. Im Gegenteil: sie hatte es noch gesteigert, indem sie dem Vergeltungsbedürfnis den Haß gegen die Sünde hinzufügte. Nun war die Sünde für den heftigen Geist nur allzuoft: dasjenige, was mein Feind tut. Das Gerechtigkeitsgefühl hatte sich allmählich zu einer äußersten Spannung zwischen den beiden Polen eines barbarischen Begriffs von Auge um Auge, Zahn um Zahn und einem religiösen Abscheu vor der Sünde gesteigert, während die Aufgabe des Staates, streng zu bestrafen, außerdem mehr und mehr als dringende Notwendigkeit empfunden wurde. Das Gefühl der Unsicherheit, die bange Furcht, die in jeder Krisis die Staatsgewalt um Schreckensherrschaft anfleht, war im späteren Mittelalter chronisch geworden. Die Auffassung von der Sühnbarkeit des Verbrechens wich allgemach zurück, um ein fast idyllisches Überbleibsel alter Treuherzigkeit zu werden, je nachdem sich die Vorstellung stärker durchsetzte, daß das Verbrechen zu gleicher Zeit eine Gefährdung der Gemeinschaft und einen Angriff auf die Majestät Gottes bedeute. So wurde das Ende des Mittelalters eine berauschende Blütezeit peinlicher Gerechtigkeit und justizieller Grausamkeit. Man zweifelte keinen Augenblick, ob der

Übeltäter seine Bestrafung verdient habe. Es gab innigste Genugtuung über vorbildliche Taten der Gerechtigkeit, die die Fürsten selber übten. Von Zeit zu Zeit erhob sich die Obrigkeit zu Kampagnen strenger Gerechtigkeit, bald gegen Räuber und Diebsgesindel, bald gegen Hexen und Zauberer, bald gegen Sodomie. Was uns an der justiziellen Grausamkeit des späteren Mittelalters auffällt, ist keine krankhafte Perversität, sondern das tierische, abgestumpfte Ergötzen, das Jahrmarktsvergnügen, das das Volk daran hat. Die Leute von Mons kaufen einen Räuberhauptmann für einen viel zu

hohen Preis nur um des Vergnügens willen, ihn zu vierteilen, „dont le peuple fust plus joyeux que si un nouveau corps sainct estoit res-

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ERSTES KAPITEL

suscite“1). Während der Gefangenschaft Maximilians zu Brügge 1488

steht auf dem Markte vor den Augen des gefangenen Königs die Folterbank auf einer hohen Estrade, und das Volk kann nicht genug davon bekommen, die des Verrats verdächtigen Magistratspersonen immer wieder foltern zu sehen, und hält die von jenen erflehte Hinrichtung zurück, nur um immer wieder neue Qualen auszukosten2). Zu welchem unchristlichen Äußersten gerade die Vermischung von Glaube und Rachsucht führte, beweist die in England und Frankreich herrschende Gewohnheit, dem zu Tode Verurteilten nicht nur das Viatikum, sondern auch die Beichte zu verweigern. Man wollte ihre Seelen nicht retten, man wollte ihre Todesangst noch durch die Gewißheit der Höllenstrafen verschärfen. Vergebens befahl Papst Clemens V.

1311 wenigstens das Bußsakrament zu gewähren. Der politische Idealist Philippe de Mezieres drang von neuem darauf, erst bei Karl V.

von Frankreich, dann bei Karl VI. Aber der Kanzler Pierre d’Orgemont, dessen „forte cervelle“, sagt Mezieres, mühsamer umzuwenden sei als ein Mühlstein, widersetzte sich, und Karl V., der weise, friedliebende König, erklärte, daß bei seinen Lebzeiten die Sitte nicht ver-

ändert werden sollte. Erst als die Stimme Jean Gersons in fünf Bedenken mit der Mezieres’ sich gegen den Mißbrauch vereinigte, da befahl

ein königliches Edikt vom 12. Februar 1397, dem Verurteilten die Beichte zu bewilligen. Pierre de Craon, dessen Bemühungen der Beschluß zu verdanken war, errichtete ein steinernes Kreuz beim Galgen

von Paris, wo die Minoriten den Missetätern beistehen konnten3). Doch schwand die alte Gewohnheit auch damals noch nicht aus den Volkssitten; noch kurz nach 1500 mußte der Bischof von Paris, Etienne Ponchier, die Satzung Clemens V. erneuern. 1427 wird ein räuberischer Junker zu Paris gehängt; bei der Hinrichtung macht ein angesehener Beamter, Großschatzmeister im Dienste des Regenten, seinem Haß 1) Molinet, III, p. 487. s) Molinet, III, p. 226, 241, 283—2 87; La Marche, III, p. 289, 302. 3) Clementis V constitutiones, lib. V. tit. 9, c. 1.; Joannis Gersonii Opera

omnia, ecl. L. Ellies Dupin, ed. II, Hagae Comitis 1728, 5 vol., II, p. 427; Ordonnances des rois de France, t. VIII, p. 122; N. Jorga, Philippe de Mezieres et la croisade au XlVe siede (Bibi, de l’ecole des hautes etudes, fase. 110), 1896, p. 438; Religieux de S. Denis, II, p. 533.

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gegen den Verurteilten dadurch Luft, daß er verhindert, daß ihm die

Beichte bewilligt wird, um die er bittet; scheltend klimmt er hinter ihm die Leiter hinauf, schlägt ihn mit einem Stock, und verprügelt den Henker, weil er das Schlachtopfer ermahnt, an das Heil seiner Seele zu denken. Der Henker, erschrocken, übereilt sich; der Strick reißt, der arme Missetäter fällt herab, bricht Beine und Rippen und muß so nochmal die Leiter herauf1).

Im Mittelalter fehlen all jene Gefühle, die unsern Begriff von Gerechtigkeit schüchtern und schwankend gemacht haben: die Einsicht in halbe Zurechnungsfähigkeit, die Vorstellung von derFehlbarkeit des Richters, das Bewußtsein, daß die Gesellschaft mit Schuld trägt anVerbrechen des einzelnen, die Frage, ob man ihn nicht bessern kann, statt ihn leiden zu lassen. Oder vielleicht besser gesagt: Es fehlte nicht an einem dunklen Gefühl dafür, aber dieses konzentrierte sich unausgesprochen in einer unmittelbaren Anwandlung von Barmherzigkeit und Vergebung, die unabhängig von der Schuld immer wieder die grausame Genugtuung über das ausgesprochene Recht plötzlich durch-

bricht. Wo es bei uns ein zauderndes und halb schuldbewußtes Zumessen gemilderter Strafen gibt, da kennt das Mittelalter nur die zwei Extreme: das volle Maß grausamer Strafe oder Gnade. Bei der Begnadigung wird viel weniger als jetzt gefragt, ob der Schuldige aus besonderen Gründen die Gnade verdient: für jede Schuld, auch die

offenbarste, ist völliger Straferlaß zu jeder Zeit am Platze. In der Praxis gab beim Freisprechen nicht immer nur lauter Barmherzigkeit den Ausschlag. Es ist erstaunlich, mit welchem Gleichmut die Zeitgenossen berichten, wie die Vermittlung angesehener Verwandten einem Missetäter „lettres de remission“ besorgt. Trotzdem gelten die meisten von jenen Briefen keinen angesehenen Übertretern des Gesetzes, sondern armen Leuten aus dem Volk, die keinen hohen Fürsprecher gehabt haben2). Die unmittelbare Gegenüberstellung von Hartherzigkeit und Barmherzigkeit beherrscht auch außerhalb der Rechtspflege die Sitten. Auf 1) Journal d’un bourgeois, p. 223, 229. 2) Jacques du Clercq, IV, p. 265. Petit-Dutaillis, Documents nouveaux sur

les moeurs populaires et le droit de vengeance dans les Pays-Bas au XVe siede (Bibi, du XVe siede), Paris Champion 1908, p. 7, 21.

26 ERSTES KAPITEL der einen Seite die schreckliche Härte gegen Armselige und Gebrechliche, auf der andern die unbegrenzte Rührung, das innigste Verwandtschaftsgefüh] mit Armen, Kranken und Irrsinnigen, so wie wir es zusammen mit der Grausamkeit noch aus der russischen Literatur kennen. Der Genuß an Hinrichtungen wird immerhin noch begleitet und bis zu

einem gewissen Grade gerechtfertigt durch ein stark befriedigtes Rechtsgefühl. In der unglaublichen, naiven Härte, dem Mangel an Zartgefühl, dem grausamen Spott, der Schadenfreude hingegen, mit denen man das Unglück der Elenden betrachtet, fehlt selbst das Element des befriedigten Rechtsgefühls. Der Chronikschreiber Pierre de Fenin beschließt seinen Bericht vom Umkommen einer Räuberbande mit den Worten: „et faisoit-on grand risee, pour ce que c’estoient tous gens de povre estat“x). In Paris wird 1425 ein „esbatement“ abgehalten von vier geharnischten Blinden, die um ein Ferkel kämpfen. Am Tage vorher ziehen sie in ihrer Waffenrüstung durch die Stadt, ein Dudelsackpfeifer und ein Mann mit einer großen Fahne, auf der das Ferkel abgebildet ist, ihnen voran* 2).

Velazquez hat uns die rührend traurigen Mienen jener Zwerginnen überliefert, die zu seiner Zeit als Närrinnen am spanischen Hofe noch in Ehren standen. Sie waren ein begehrter Zeitvertreib an den Fürsten-

höfen des 15. Jahrhunderts. Bei den kunstvollen „entremets“ der großen Hoffeste zeigten sie ihre Künste und ihre Mißgestalt. Madame

d’Or, die goldblonde Zwergin Philipps von Burgund, war allgemein bekannt. Man ließ sie mit dem Akrobaten Hans ringen3). Bei den Hochzeitsfesten von Karl dem Kühnen und Margarethe von York 1468 kommt Madame de Beaugrant, „la naine de Mademoiselle de Bourgogne“, als Hirtin geschmückt hereingeritten auf einem goldenen Löwen, größer als ein Pferd. Der Löwe kann den Rachen auf- und zuPierre de Fenin (Petitot, Coll, de mem. VII), p. 593; vgl. seine Erzählung des 'totgeschlagenen Narren, p. 619. 2) Journal d’un bourgeois, p. 204. 3) Jean Lefevre de Saint-Remy, Chronique, ed. F. Morand (Soc. de l’hist. de France), 1876, 2 vol., II, p. 168; Laborde, Les ducs de Bourgogne, Etudes sur les lettres, les arts, et l’industrie pendant le XVe siecle, Paris 1849—1 853, 3. vol., II, p. 208.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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machen und singt ein Willkommensliedchen. Das kleine Schäfermädchen

wird der Herzogin als Geschenk dargebracht und auf den Tisch gesetzt1). Wir kennen keine Klagen über das Los jener Weiblein, wohl aber Posten aus Rechnungen, die uns noch etwas mehr über sie sagen. Sie berichten, wie eine Herzogin solch ein Zwerglein aus seinem elter-

lichen Hause fortholen ließ, wie Vater oder Mutter kamen und sie brachten, wie sie sie auch später ab und zu besuchten und dann ein Trinkgeld bekamen: „au pere de Belon la folle, qui estoit venu veoir sa fille . ..“ Ging der Vater wohl erfreut und hochgeehrt durch den Hofdienst seiner Tochter wieder nach Hause? Im selben Jahre lieferte ein Schlosser zu Blois zwei eiserne Halsbänder, eins „pour attacher Belon la Folie et l’autre pour mettre au col de la cingesse de Madame la Duchesse“2). Wie die Geisteskranken behandelt wurden, kann man aus einem Bericht, die Versorgung Karls VI. betreffend, beurteilen, der als König doch eine Verpflegung genoß, die günstig von dem, was andere ausstehen mußten, abstach. Um den armen Wahnsinnigen zu reinigen, wußte man nichts Besseres zu bedenken, als ihn durch zwölf schwarz gemachte Männer erschrecken zu lassen, als ob die Teufel ihn holen kämen3).

Es liegt ein Grad von Naivität in der Hartherzigkeit jener Zeiten, der uns die Verurteilung auf den Lippen ersterben läßt. Inmitten einer Pestepidemie, die Paris heimsuchte, fordern die Herzoge von Burgund und Orleans dazu auf, um der Zerstreuung willen einen „cour d’amour“ einzusetzen4). In einer Pause des grausamen Gemetzels der Armagnacs

1418 gründet das Volk von Paris in der Kirche des Heiligen Eustathius die Brüderschaft vom Heiligen Andreas; jeder Priester oder Laie trägt einen Kranz von roten Rosen; die Kirche ist ganz voll davon und duftet „comme s’il fust lave d’eau rose 5). Als die Hexenprozesse, die Arras 1461 wie eine höllische Plage heimgesucht hatten, endlich aufgehoben wurden, feiert die Bürgerschaft den Sieg des Rechts mit x) La Marche, III, p. 135, Laborde, II, p. 325. 2) Laborde, III, p. 355, 398. Le Moyen-age, XX, 1907, p. 193—2 01. 3) Juvenal des Ursins, p. 438, 1405, vgl. aber Rel. de. S. Denis, III, p. 349. 4) Piaget, Romania, XX, p. 417 en XXXI, 1902, p. 597—6 03. 5) Journal d’un bourgeois, p. 95.

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ERSTES KAPITEL

einem Wettstreit im Aufführen von „folies moralisees“; erster Preis eine silberne Lilie, vierter Preis ein Paar Kapaunen; die gemarterten Schlachtopfer waren unterdessen lange tot1).

So grell und bunt war das Leben, daß es den Duft von Blut und Rosen durcheinander vertrug. Zwischen höllischen Beklemmungen und kindlichstem Spaß, zwischen grausamer Härte und schluchzender

Rührung pendelt das Volk wie ein Riese mit einem Kinderkopf hin und her. Zwischen der absoluten Verleugnung aller weltlichen Freude und einem wahnsinnigen Hang zum Reichtum und Genuß, zwischen düsterem Haß und der lachlustigsten Gutmütigkeit lebt es in Extremen. Von der hellen Hälfte jenes Lebens ist nur wenig auf uns gekommen:

es scheint, als wäre die heitere Milde und Serenität der Seele des 15. Jahrhunderts in ihre Malerei versunken, und hätte sich kristallisiert in der durchsichtigen Reinheit ihrer hehren Musik. Das Lachen jenes Geschlechts ist gestorben, seine unbekümmerte Freude und natürliche Lebenslust lebt nur noch im Volkslied und in der Posse. Es genügt, um unserm Heimweh nach vergangenem Schönen anderer Zeiten auch ein Verlangen nach der Sonnigkeit des Jahrhunderts der

van Eyck hinzuzufügen. Wer sich aber wirklich in jene Zeit vertieft, muß sich oft Mühe geben, den heiteren Aspekt festzuhalten, denn

überall außerhalb der Kunstsphäre herrscht das Dunkel. In den drohenden Warnungen der Predigten, in den müden Seufzern der höheren Literatur, in dem eintönigen Bericht der Chroniken und Urkunden, aus allem hervor schreien die bunten Sünden und jammert das Elend. Die Zeiten nach der Reformation haben die Hauptsünden Hoch-

mut, Zorn und Habgier nicht mehr in ihrer purpurnen Vollblütigkeit und unverschämten Dreistigkeit gesehen, mit denen sie unter der Menschheit des 15. Jahrhunderts umherwandelten. Der maßlose Hoch-

mut von Burgund! Die ganze Geschichte jenes Geschlechts von der Tat ritterlicher Bravour an, in der das hoch emporschießende Glück des ersten Philipps Wurzel schlug, über die bittere Eifersucht Johanns ohne Furcht und die schwarze Rachsucht nach seinem Tode hin, durch den langen Sommer jenes anderen Magnifico: Philipps des Guten, bis zu d Jacques du Clercq, III, p. 262.

Jan van Eyck / “Leal Souvenir” (.London, National Gallery)

DIE SPANNUNG DES LEBENS 29 der wahnsinnigen Halsstarrigkeit, in welcher der immer hochstrebende Karl der Kühne untergeht, — ist sie nicht ein Poem heroischen Hochmuts? Ihre Länder waren die meist intensiv lebenden des Westens:

Burgund, schwer von Kraft wie sein Wein, „la colerique Picardie“, das gierige, reiche Flandern. Es sind dieselben Länder, aus denen die

Pracht der Malerei, Skulptur, Musik aufblüht, und wo das heftigste Racherecht herrschte und die gewalttätigste Barbarei sich unter Adligen und Bürgern breitmachtQ.

Kein Übel ist jener Zeit mehr bewußt als die Habsucht. Man kann Hochmut und Habsucht einander als die Sünde der alten und neuen Zeit gegenüberstellen. Der Hochmut ist die Sünde der feudalen und hierarchischen Periode, in der Besitz und Reichtum noch wenig beweglich sind. Das Machtgefühl hängt da noch nicht an erster Stelle mit dem Reichtum zusammen, es ist persönlicher, und die Macht muß sich, um erkannt zu werden, durch großen Aufwand manifestieren: zahlreiches Gefolge von Getreuen, kostbare Verzierungen und imposantes Auftreten der Machthabenden. Das Gefühl, mehr als ein anderer

Mensch zu sein, wird durch den feudalen und hierarchischen Gedanken fortwährend mit lebendiger Form genährt: durch kniende Huldigung und Dienstbarkeit, feierliche Ehrenerweisung und majestätische Pracht, was alles zusammengenommen die Überlegenheit als etwas sehr Wesentliches und Berechtigtes empfinden läßt. Der Hochmut ist eine symbolische Sünde und eine theologische; seine Wurzeln sitzen tief im Boden aller Lebens- und Weltanschauung. Superbia war die Wurzel alles Bösen: Luzifers Hochmut war Anfang und Ursache alles Verderbens. So sah Augustin es, und so blieb es auch in der Vorstellung der Späteren: der Hochmut ist die Quelle aller Sünden, aus ihm wachsen sie heraus, wie aus ihrer Wurzel und ihrem Stamm* 2). Doch neben dem Schriftwort, das diese Auffassung stützte: A superbia initium sumpsit omnis perditio3), stand ein anderes Wort: Radix

omnium malorum est cupiditas4). Im Anschluß hieran konnte man b Jacques du Clercq passim; Petit Dutaillis, Documents etc., p. 131.

2) Hugo von St. Victor, De fructibus carnis et Spiritus, Migne CLXXVI, p. 997.

3) Tobias, 4, 14.

4) I Timotheus 6, 10.

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ERSTES KAPITEL

auch die Habsucht als Wurzel alles Übels anschauen. Denn unter cupiditas, die als solche in der Reihe der Todsünden keinen Platz

hat, wird hier avaritia verstanden, wie es selbst in einer andern Lesung des Textes heißt1)- Und es scheint, als ob seit etwa dem 12. Jahrhundert die Überzeugung, daß es die zügellose Habgier sei, die die Welt verdirbt, den Hochmut in der Einschätzung der Geister von seinem Platz als erste und verhängnisvollste der Sünden ver-

drängt habe. Die alte theologische Voranstellung der Superbia wird durch den immerfort anschwellenden Chor übertönt, der alles Elend der Zeiten der stets zunehmenden Habgier zuschreibt. Wie hat Dante sie nicht verflucht: la cieca cupidigia! Der Habsucht nun fehlt der symbolische und theologische Charakter

des Hochmuts; sie ist die natürliche und materielle Sünde, die rein irdische Leidenschaft. Sie ist die Sünde jener Zeitperiode, in der der Geldverkehr die Bedingungen von Machtentfaltung umgestellt und losgemacht hat. Die Abschätzung des menschlichen Wertes wird ein Rechenexempel. Nun ist ein viel größerer Spielraum frei zur Befriedigung zügelloser Begierden, und zum Anhäufen von Schätzen. Und die Schätze haben noch nicht jene gespenstische Ungreifbarkeit, die das moderne Kreditwesen dem Kapital verliehen hat; es ist noch das gelbe Gold selbst, das im Vordergrund der Phantasie steht. Und die Verwendung des Reichtums hat noch nicht das Automatische und Mechanische von fortgesetztem Anlegen der Gelder: die Befriedigung liegt noch in den heftigsten Extremen von Gier und Verschwendung. In der Verschwendung geht die Habsucht die Ehe mit dem alten Hochmut ein. Der war noch stark und lebendig: der hierarchische, feudale

Gedanke hatte noch nichts von seiner Blüte eingebüßt, die Lust an Pracht und Prunk, Putz und Gepränge war noch purpurrot. Gerade die Verbindung mit einem primitiven Hochmut gibt der Gier- oder Habsucht des späteren Mittelalters jenes Unmittelbare, Leidenschaftliche, Verzweifelte, was spätere Zeiten ganz verloren zu haben scheinen. Der Protestantismus und die Renaissance haben der Habsucht ethischen Gehalt verliehen, sie legalisiert als nützliche 3) Petrus Damiani, Epist. lib. I, 15, Migne CXLIV, p. 234, id. Contra philargyriam ib. CXLV, p. 533; Pseudo-Bernardus, Liber de modo bene vivendi 44, 45, Migne CLXXXLV, p. 1266.

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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Förderung der Wohlfahrt. Ihr Stigma flaute ab, je nachdem die Verleugnung aller irdischen Güter weniger überzeugt gepriesen wurde. Im späten Mittelalter dagegen konnte der Geist schlechterdings den unaufgelösten Gegensatz sündiger Habsucht gegenüber Mildtätigkeit oder freiwilliger Armut erfassen. Überall klingt durch die Literatur und die Chroniken jener Zeit, vom Sprichwort bis zum frommen Traktat, der bittere Haß auf die Reichen, die Klage über die Habgier der Großen hindurch. Es ist manchmal wie eine dunkle Ahnung von Klassenstreit, durch die Mittel sittlicher Entrüstung ausgedrückt. Auf diesem Gebiete können uns ebensogut die Urkunden wie die erzählenden Quellen die richtige

Empfindung für den Lebenston jener Zeit geben, denn aus allen Dokumenten von Prozessen blinkt die unverschämteste Habsucht hervor. 1436 war es möglich, daß der Dienst in einer der meistbesuchten Kirchen zu Paris zweiundzwanzig Tage aussetzte, weil der Bischof die Kirche nicht neu weihen wollte, bevor er eine bestimmte Summe von Pfennigen von zwei Bettlern, die infolge eines Handgemenges die Kirche durch eine blutige Schramme entweiht hatten, dafür empfing, und die Armen die Summe nicht hatten. Der Bischof Jacques du Cha-

telier galt denn auch als „ung homme tres pompeux, convoicteux, plus mondain que son estat ne requeroit“. Aber unter seinem Nachfolger, Denys de Moulins, war es 1441 schon wieder so. Diesmal konnte vier Monate lang auf dem Friedhof des Innocents, dem berühmtesten und begehrtesten vonParis, nicht begraben noch Prozession

dort abgehalten werden, weil der Bischof mehr dafür verlangte, als die Kirche aufbringen konnte. Dieser Bischof hieß: „homme tres pou piteux ä quelque personne, s’il ne recevoit argent ou aucun don qui le vaulsist, et pour vray on disoit qu’il avait plus de cinquante proces en Parlement, car de lui n’avoit on rien sans proces“ Q. Man muß die Geschichte der „nouveaux riches“ jener Zeit, einer Familie d’Orgemont z. B. in aller Niederträchtigkeit ihrer Knauserei und Prozeßsucht verfolgen, um den gewaltigen Haß des Volks, den Zorn der Prediger D Journal d’un bourgeois, p. 325, 343, 357; in der Note die Belegstellen aus den Parlamentsregistern.

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ERSTES KAPITEL

und Dichter zu verstehen, die unaufhörlich über die Reichen ausgegossen wurden1). Das Volk kann sein eigenes Schicksal und die Ereignisse jener Zeit

nicht anders erfassen, denn als eine fortwährende Aufeinanderfolge von Mißwirtschaft und Aussaugerei, Krieg und Räuberei, Teuerung,

Not und Pestilenz. Die chronischen Formen, die der Krieg anzunehmen pflegte, die fortwährende Beunruhigung von Stadt und Land durch allerlei gefährliches Gesindel, die ewige Bedrohung einer harten und unzuverlässigen Gerichtsbarkeit und außerdem noch der Druck

von Höllenfurcht, Teufel- und Hexenangst nährten ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit, das wohl dazu angetan war, den Hintergrund

des Lebens schwarz zu färben. Es war nicht nur das Leben der Kleinen und Armen, das in Unsicherheit verlief. Auch in dem Leben von Adel und Magistrat werden die stärksten Schicksalswechsel und andauernde Gefahren fast zur Regel. Mathieu d’Escouchy, ein Picarde, ist einer von jenen Geschichtsschreibern, von denen das 15. Jahrhun-

dert so viele zählt; seine Chronik, einfach, genau und unparteiisch, erfüllt von der gebräuchlichen Verehrung für das Ritterideal und der hergebrachten moralisierenden Tendenz, läßt uns einen ehrsamen Schriftsteller in ihm vermuten, der pünktlicher historischer Arbeit seine Gaben weihte. Aber welch ein Bild vom Leben des Verfassers zeichnet uns der Herausgeber dieses Geschichtswerks nach den Urkunden2)! Mathieu d’Escouchy beginnt seine Magistratslaufbahn als Rat, Schöffe, Geschworener und Schulze (prevöt) der Stadt Peronne zwischen 1440 und 1450. Von Beginn an findet man ihn in einer Art von Fehde mit der Familie des Prokuratoren jener Stadt, JeanFroment, einer Fehde, die in Prozessen ausgefochten wird. Bald ist es der Pro-

kurator, der d’Escouchy wegen Fälschung und Mord verfolgt, bald wegen „exces et attemptaz“. Der Schulze seinerseits bedroht die Witwe

seines Feindes mit einer Untersuchung wegen Zauberei, deren sie verdächtigt war. Die Frau aber weiß sich ein Mandat zu verschaffen, *) L. Mirot, Les d’Orgemont, leur origine, leur fortune, etc. (Bibi, du XVe siede), Paris, Champion 1913; P. Champion, Francois Villon, sa vie et son temps, id. Paris, Champion 1913, II, p. 230s. 2) Mathieu d’Escouchy, Chronique, ed. G. du Fresne de Beaucourt (Soc. de l’hist. de France), 1863—1 864, 3 vol., I, p. iv—X XIIL

DIE SPANNUNG DES LEBENS

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kraft dessen d’Escouchy seine Untersuchung in die Hände der Justiz legen muß. Die Sache kommt vor das Parlament von Paris und d’Escouchy kommt zum erstenmal in Gefangenschaft. Noch sechsmal finden wir ihn danach als Angeklagten in Haft und einmal in Kriegsgefangenschaft. Es sind jedesmal ernste Kriminalfälle und mehr als einmal sitzt er in schweren Ketten. Der Wettstreit gegenseitiger Beschuldigungen zwischen den Familien Froment und d’Escouchy wird durch einen gewalttätigen Zusammenprall unterbrochen, bei dem der Sohn Froments ihn verwundet. Beide dingen sich Hallunken, um sich gegenseitig nach dem Leben zu stehen. Nachdem diese langwierige Fehde aus unserem Gesichtskreis verschwunden ist, tauchen neue

Anschläge auf. Diesmal wird der Schulze durch einen Mönch verwundet. Neue Beschwerden, dann 1461 d’Escouchys Umzug nach Nesle unter Verdacht von Freveltaten, wie es scheint. Doch dies verhindert ihn nicht, Karriere zu machen. Er wird Bailli, prevöt von Ribemont, procureur du roi in Saint Quentin, er wird in den Adelstand erhoben. Nach neuen Verwundungen, Einsperrungen und Bußen

finden wir ihn im Kriegsdienst, er kämpft 1465 bei Montlhery für den König gegen Karl den Kühnen und wird kriegsgefangen. Aus einem späteren Feldzug kehrt er verkrüppelt heim. Dann heiratet er, aber

es bedeutet für ihn nicht den Anfang eines ruhigen Lebens. Wir finden ihn unter Anklage der Siegelfälschung, gefangen nach Paris überführt „comme larron et murdrier“, wieder in neuer Fehde mit einem Magistrat von Compiegne, durch Folter zum Geständnis einer Schuld gebracht und von der Berufung zurückgehalten, verurteilt, rehabilitiert, von neuem verurteilt, bis die Spur dieses Daseins von Haß und Verfolgung aus den Dokumenten verschwindet. Überall, wo wir den Schicksalen von in den Quellen jener Zeit genannten Personen nachforschen, entsteht solch ein heftig bewegtes Lebensbild. Man lese z. B. die Einzelheiten, die Pierre Champion über alle gesammelt hat, die durch Villon in seinem Testament bedacht oder genannt wurden Q oder die Aufzeichnungen von Tuetey zu dem Tagebuch des Bürgers von Paris. Es sind immer Prozesse, Verbrechen,

Zwiste und Verfolgungen ohne Ende, die uns begegnen. Und dabei D P. Champion, Francois Villon, sa vie et son temps (Bibi, du XVe siede), Paris, 1913, 2 vol. 3 Huizinga, Mittelalter

34 ERSTES KAPITFL: DIE SPANNUNG DES LEBENS handelt es sich um das Leben beliebiger Leute, aus richterlichen, kirchlichen oder anderen Dokumenten ans Licht gebracht. Chroniken, wie die von Jacques du Clercq, eine Sammlung von Freveltaten, mögen

ein zu schwarzes Bild jener Zeit entwerfen. Selbst die „lettres de remission“, die uns das tägliche Leben in so lebendiger Genauigkeit vor Augen bringen, beleuchten, da sie nur von Verbrechen reden, ausschließlich die bösen Seiten des Lebens. Doch jede Probe, beliebigem Material entnommen, bekräftigt unsere düstersten Vorstellungen. Es ist eine böse Welt. Das Feuer des Hasses und der Gewalt lodert hoch empor. Das Unrecht ist mächtig, der Teufel bedeckt mit seinen

schwarzen Fittichen eine düstere Erde. Und in Bälde erwartet die Menschheit das Ende aller Dinge. Aber die Menschheit bekehrt sich nicht; die Kirche kämpft, Prediger und Dichter klagen und ermahnen vergebens. ** *

Zweites Kapitel Die Sehnsucht nach schönerem Leben Jede Zeit schmachtet nach einer schöneren Welt. Je tiefer die Ver-

zweiflung und die Niedergeschlagenheit über das verworrene Heute, desto inniger jenes Schmachten. Gegen Ende des Mittelalters ist der Grundton des Lebens der bitterer Schwermut. Der Ton mutiger Lebensfreude und des starken Vertrauens auf die eigene Tatkraft, so wie er in der Geschichte der Renaissance und durch die der Aufklärung hindurchklingt, wird in der französisch-burgundischen Sphäre des 15. Jahrhunderts kaum vernommen. War das Leben damals wirklich unglück-

licher als sonst? Man könnte es bisweilen glauben. Wo man auch sucht in der Überlieferung jener Zeit: in den Geschichtsschreibern, den Dichtern, den Predigten und religiösen Traktaten und sogar in den Urkunden, fast nur die Erinnerung an Zwist, Haß und Bösartigkeit, Habsucht und Elend scheint sich darin erhalten zu haben. Man fragt sich wohl: konnte sich jene Zeit nicht anders freuen als aus

Grausamkeit, Hochmut und Unmäßigkeit, ist dort nirgends milder Frohsinn und ruhiges Lebensglück zu finden? Freilich läßt jede Zeit

in der Überlieferung mehr Spuren ihres Leids als ihres Glücks zurück. Es sind die Mißgeschicke, die zur Geschichte werden. Eine instinktive Überzeugung sagtuns jedoch, daß die Summe alles Lebens-

glücks, heiterer Freude und süßer Ruhe, die den Menschen je beschieden wurde, sich in einer Periode nicht sehr von der einer anderen

unterscheiden kann. Der Glanz des spätmittelalterlichen Glücks ist auch nicht ganz vergangen; er lebt noch im Volkslied, in der Musik, in den stillen Horizonten der Landschaft und den ernsten Antlitzen des Porträts. Doch war es im 15. Jahrhundert noch nicht Sitte, es verstieß, könnte man beinahe sagen, gegen den guten Ton, das Leben und die Welt laut

zu preisen. Wer ernsthaft den täglichen Lauf der Dinge betrachtete 3*

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ZWEITES KAPITEL

und dann sein Urteil über das Leben aussprach, pflegte nur Leid und Verzweiflung zu erwähnen. Er sah die Zeit sich ihrem Ende und alles Irdische sich seinem Verderben zuneigen. Der Optimismus, der von der Renaissance ab emporwachsen wird, um im 18. Jahrhundert seine

Blütezeit zu erleben, war dem französischen Geist des 15. Jahrhunderts noch unbekannt. Welche Menschen sind es, die zuerst voller Hoffnung und Befriedigung über die eigene Zeit sprechen? Nicht die Dichter, noch viel weniger die religiösen Denker, auch nicht die Staatsmänner, sondern die Gelehrten, die Humanisten. Es ist die

Freude über die wiedergefundene antike Weisheit, die zuerst den Geistern Jubeltöne über das Heute entlockt; es ist ein intellektueller Triumph. Ulrich von Huttens bekannter Jubelruf: 0 saeculum, o literae! juvat vivere! - 0 Jahrhundert, o Literatur, es ist eine Lust zu leben, wird meistens in zu weitem Sinne aufgefaßt. Es ist viel mehr der begeisterte Literat, der hier frohlockt, als der ganze Mensch. Man könnte aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts eine ganze Anzahl ähnlicher Jubeltöne über die Herrlichkeit der Zeit zitieren, würde aber stets die Erfahrung dabei machen, daß sie fast ausschließlich der wiedergewonnenen Geisteskultur gelten und keineswegs dithyrambische Äußerungen der Lebenslust in ihrer ganzen Fülle sind. Auch die Lebensstimmung des Humanisten ist noch durch die alte fromme Abkehr von der Welt temperiert. Besser als aus Huttens zu oft angeführtem Wort kann man sie aus den Briefen von Erasmus um 1517 kennenlernen, etwas später schon nicht mehr, - denn bald unterliegt der Optimismus, der ihm jene frohen Töne entlockt hatte, in ihm. „Ich bin“, schreibt Erasmus zu Anfang 1517 an Wolfgang Fabricius

Capito1) „wahrlich nicht so sehr auf das Leben erpicht, sei es, weil ich nach meinem Willen schon beinah genug gelebt habe, ich habe ja mein 51. Jahr schon begonnen, sei es, weil ich in diesem Leben nichts so Herrliches oder Angenehmes sehe, dem nachzujagen sich für jemanden lohne, den der christliche Glaube wahrlich glauben gelehrt hat, daß jene, die hier nach ihren Kräften sich der Frömmigkeit ergeben haben, ein viel glücklicheres Leben erwartet. Dennoch b Allen no. 541, Antwerpen, 26. Februari 1517; vgl. no. 542, no. 566, no. 862, no. 967.

DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN

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könnte es mich zurzeit fast gelüsten, noch eine kleine Zeit wieder jung zu werden, nur weil ich in der nächsten Zukunft ein goldenes Zeitalter gleichsam aufziehen sehe/ Er beschreibt dann, wie alle Fürsten Europas einig sind und zum Frieden (ihm so teuer) geneigt und fährt fort: „Es drängt mich zu der festen Hoffnung, daß nicht nur die rechtschaf-

fenen Sitten und die christliche Frömmigkeit, sondern auch ein gereinigtes und echtes1) Schrifttum und eine sehr schöne Wissenschaft zum Teil wieder aufleben, zum Teil sich neu entfalten werden. Durch den Schutz der Fürsten, wohl zu verstehen.* Ihrem frommen Sinn ver-

danken wir es, daß wir überall wie auf ein gegebenes Zeichen die glorreichen Geister aufgeweckt und emporsteigen sehen, sich untereinander verschwörend um die gute Literatur wiederherzustellen (ad restituendas optimas literas). Hier kommt rein zum Ausdruck, was das 16. Jahrhundert an Optimismus gekannt hat. Die Grundstimmung von Renaissance und Humanismus ist etwas ganz anderes als die ungemäßigte Lebenslust, die man gewöhnlich für den Grundton der Renaissance ansieht. Die Lebensbejahung des Erasmus ist schüchtern und ein wenig steif und vor allem sehr intellektuell. Nichtsdestoweniger ist es eine Stimme, die im 15. Jahr-

hundert außerhalb Italiens noch nicht gehört wurde. Die Geister in Frankreich und in den burgundischen Ländern um 1400 lieben es noch, die Schmähungen auf das Leben und die Zeit recht dick aufzutragen, und merkwürdigerweise (doch nicht ohne Parallele; man denke an den Byronianismus) je dichter sie bei dem weltlichen Leben stehen, desto schwärzer ihr Gemüt. Diejenigen, welche jener tiefen Melancholie, die der Zeit eigen ist, den stärksten Ausdruck verleihen, sind nicht in erster Linie jene, die sich endgültig ins Kloster oder in die Gelehrsamkeit von der Welt zurückgezogen haben. Vor allem sind es die Chronikschreiber und die Modedichter der Höfe, welche bei ihrem Mangel an höherer Kultur und in ihrer Unfähigkeit aus den Freuden des Begriffs

eine Aussicht auf Besserung zu schöpfen, immer wieder die Altersschwäche der Welt beklagen und an Friede und Gerechtigkeit verzweifeln. Niemand hat so endlos die Klage, daß alle guten Dinge die Welt verlassen haben, wiederholt als Eustache Deschamps. L) Germanae, das hier nicht durch „Deutsch“ übersetzt werden kann.

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ZWEITES KAPITEL

„Temps de doleur et de temptacion, Aages de plour, d’envie et de tourment, Temps de langour et de dampnacion, Aages meneur pres du definement, Temps plains d’orreur, qui tout fait faussement, Aages menteur, plain d’orgueil et d’envie, Temps sanz honeur et sanz vray jugement, Aage en tristour qui abrege la vie“1).

In diesem Ton hat er seine Balladen zu Dutzenden gedichtet, eintönige, matte Variationen desselben dumpfen Themas. Es muß doch wohl eine starke Schwermut unter den höheren Ständen geherrscht haben; sonst hätte der Adel seinen Leibdichter jene Töne nicht so oft wiederholen lassen: „Toute leesse deffaut, Tous cueurs ont prins par assaut Tristesse et merencolie“ 2).

Jean Meschinot singt Dreivierteljahrhundert später als Deschamps noch in genau demselben Ton: „0 miserable et tres dolente vie! . . . La guerre avons, mortalite, famine; Le froid, le chaud, le jour, la nuit nous mine; Puces, cirons et tant d’autre vermine Nous guerroyent. Bref, miser^re domine Noz meehans corps, dont le vivre est tres court.“

Auch dieser spricht immer wieder die bittere Überzeugung aus, daß alles in der Welt schlecht gehe; Gerechtigkeit ist abhanden gekommen, die Großen plündern die Kleinen, und die Kleinen sich wieder 1) Eustache Deschamps, Oeuvres completes, ed. De Queux de Saint Hilaire et G. Raynaud (Soc. des anciens textes frangais) 1878—1 903, 11 vol., no. 31 (I, p. 113), vgl. nos. 85, 126, 152, 162, 176, 248, 366, 375, 386, 400, 933, 936, 1195, 1196, 1207, 1213, 1239, 1240 usw.; Chastellain, I, p. 9, 27, IV 5, 56, VI 206, 208,

219, 295; Alain Chartier, Oeuvres, ed. A. Duchesne, Paris 1617, p. 262; Alanus de Rupe, Sermo, II, p. 313 (B. Alanus redivivus, ed J. A. Coppenstein, Neapel, 1642).

2) Deschamps no. 562 (IV, p. 18).

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untereinander. Seine Hypochondrie bringt ihn sogar nach seiner Aussage an den Rand des Selbstmords. Er beschreibt sich selbst: „Et je, le pouvre escrivain, Au cueur triste, faible et vain, Voyant de chascun le dueil, Soucy me tient en sa main; Toujours les larmes ä l’oeil, Rien fors mourir je ne vueil“ 4).

Alle Äußerungen der Lebensstimmung der Vornehmen zeugen von einem sentimentalen Bedürfnis zu einer schwarzen Aufmachung der Seele. Fast jeder erklärt, daß er nur Elend gesehen habe, daß man noch auf Schlimmeres gefaßt sein müsse, und daß er den zurückgelegten Lebensweg nicht noch einmal machen möchte. „Moi douloreux homme, ne en eclipse de tenebres en espesses bruynes de lamentation“, so meldet Chastellain1 2) sich an. „Tant a souffert La Marche“ hat sich der Hofpoet und Chronikschreiber Karls des Kühnen zur Devise erkoren; er findet einen bitteren Geschmack am Leben und sein Porträt zeigt

uns jene morosen Züge, welche auf so vielen Bildnissen jener Zeit unsern Blick fesseln3 4).

Gibt es ein Leben, ähnlich erfüllt von irdischem Hochmut und prah-

lender Genußsucht, und dabei so von Erfolg gekrönt, wie das von Philipp dem Guten? Und doch lauert auch darunter die Lebensmüdigkeit jener Zeit. Als man ihm den Tod seines einjährigen Söhnchens meldet, sagt er: „Hätte es Gott nur gefallen, mich auch so jung sterben zu lassen, so hätte ich mich wohl glücklich geachtet“4).

Ist es nicht merkwürdig, daß in dieser Zeit in dem Wort Melancholie die Bedeutungen von Trübsinn, ernsthaftem Nachdenken und Phantasie zusammenfließen? So sehr schien jede ernste Beschäftigung des Geistes in das Düstere hinüberschweben zu müssen. Froissart sagt 1) A. de la Borderie, Jean Meschinot, sa vie et ses oeuvres, Bibi, de l’Ecole des chartes, LVI, 1895, pp. 277, 280, 305, 310, 312, 622 usw. 2) Chastellain, I, p. 10 Prologue, vgl. Complainte de fortune, VIII, p. 334.

3) La Marche, I, p. 186, p. 89; H. Stein, Etüde sur Olivier de la Marche, historien, poete et diplomate (Mem. couronnes etc., de l’Acad. royale de Belg. t. XLIX), Bruxelles 1888, frontispice. 4) Monstrelet, IV, p. 430.

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von Philipp von Artevelde, der über eine soeben empfangene Nachricht nachsinnt: „quant il eut merancoliet une espasse, il s’avisa que il rescriproit aus commissaires dou roi de France“ usw. Deschamps sagt von etwas, was an Häßlichkeit alle Einbildungskraft übertrifft: „Kein Maler ist so ,merencolieux‘, daß er es würde malen können“1). In dem Pessimismus dieser Gesättigten, Enttäuschten, Ermüdeten liegt ein religiöses Element, aber nur ein sehr schwaches. In ihrer Lebensmüdigkeit spricht sicher auch die Erwartung des nahenden Weitendes mit, die durch die in neuer Blüte stehenden Volkspredigten der Bettelorden überall mit erneuter Drohung und gesteigerter Einbildungskraft in das Gemüt geschüttet wurde. Die düsteren und verworrenen Zeiten, das chronische Kriegselend waren wohl dazu angetan, den Gedanken zu bestärken. Es scheint in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts ein Volksglaube existiert zu haben, daß niemand seit dem großen Schisma mehr in das Paradies aufgenommen worden sei ’2 3).

Die Abkehr vom eitlen Schein des Hoflebens machte von selbst reif dazu, der Welt Lebewohl zu sagen. Dennoch ist die Depressionsstimmung, so wie fast alle Fürstendiener und Höflinge sie äußern, kaum von religiösem Gehalt. Höchstens haben religiöse Vorstellungen die allgemeine Lebensmüdigkeit leicht gefärbt. Diese Sucht, das Leben und die Welt zu schmähen, ist von wesentlich religiösem Bewußtsein weit entfernt. Die Welt, sagt Deschamps, ist wie ein kindischer Greis: anfangs war er unschuldig, dann lange Zeit weise, gerecht, tugendsam

und tapfei. wOr esj. ehetis et molz, Vieux, convoiteus et mal parlant; Je ne voy que foles et folz . . . La fin s’approche, en verite . . . Tout va mal. . .“ 2).

Es ist nicht nur Lebensmüdigkeit, sondern auch Lebensfurcht, ein Zurückschrecken vor dem Leben, um der unvermeidlichen Schmerzen x) Froissart ed Luce, X, p. 275; Deschamps no. 810 (IV, p. 327); vgl. Les Quinze joyes de mariage (Paris, Marpon et Flammarion), p. 64 (quinte joye); Le livre messire Geoffroi de Charny, Romania, XXXVI, 1897, p. 399. 2) Joannis de Varennis responsiones ad capitula accusationum etc. § 17, bei Gerson, Opera, I, p. 920. 3) Deschamps no. 95 (I, p. 203).

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willen, die es begleiten, die Haltung des Geistes, die den Lebensanschauungen des Buddhismus zugrunde liegt: bange Abkehr von den Mühen des täglichen Lebens, Furcht und Abscheu vor Sorge, Krankheit und Alter. Diese Lebensfurcht teilen die Blasierten mit denen, die nie den Versuchungen der Welt erlagen, weil sie immer vor dem Leben zurückgescheut waren. Die Gedichte von Deschamps fließen von jenem armseligen Schmä-

hen des Lebens über. Glücklich, wer keine Kinder hat, denn kleine Kinder sind nur Geschrei und Gestank, Mühe und Sorge. Sie müssen gekleidet, beschuht, gefüttert werden, immer sind sie in Gefahr, zu fallen oder sich zu verletzen. Sie werden krank und sterben, oder sie werden groß und schlecht; sie kommen ins Gefängnis. Nichts als Mühe und Verdruß, kein Glück vergilt die Sorgen, Anstrengungen und Unkosten der Erziehung. Kein größeres Unglück als mißgestaltete Kinder zu haben. Der Dichter widmet ihnen kein Wort der Liebe; der Mißgestaltete ist schlechten Herzens, läßt er die Schrift sagen. Glücklich derjenige, der unverheiratet ist, denn mit einer bösen Frau ist es

schlecht leben, und eine gute muß man fortwährend zu verlieren fürchten. Mit dem Unglück wird also auch das Glück gemieden. Im Alter sieht der Dichter nichts als Böses und Ekelhaftes, den jämmer-

lichen körperlichen und geistigen Verfall, die Lächerlichkeit und Widerwärtigkeit. Früh ist der Mensch alt, die Frau mit dreißig, der Mann mit fünfzig Jahren, und sechzig ist ihre normale Lebensgrenze *)• —

Wie weit entfernt ist man hier von der reinen Idealität, mit der Dante in seinem Convivio die Würde des edlen Greises beschrieben hat* 2). Eine fromme Tendenz, wie wir sie bei Deschamps kaum finden, kann Betrachtungen über Lebensfurcht wie diese gewissermaßen erheben, während man doch als Grundstimmung immer noch das mutlose Ver-

sagen stärker fühlt als die wahre Frömmigkeit. Auch aus ernsthaften Ermahnungen zu einem heiligen Leben klingt oft mehr von diesem Negativen als von dem echten Willen zur Heiligung hindurch. Als der untadelige Kanzler der Pariser Universität, Jean Gerson, für D Deschamps, Le miroir de mariage, IX, p. 25, 69, 81, no. 1004 (V, p. 259), ferner II, p. 8, 183—1 88, III, p. 39, 373, VII, p. 3, IX, p. 209 usw. 2) Convivio lib., IV, cap. 27, 28.

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ZWEITES KAPITEL

seine Schwestern eine Abhandlung schreibt über die Vortrefflichkeit des Jungfrauentums, da stehen unter seinen Argumenten eine lange Reihe von Leid und Qualen, die mit der Ehe verbunden sind. Ein Gatte konnte sich vielleicht als Trunkenbold erweisen, oder als ein Verschwender, oder ein Geizkragen. Oder wenn er brav und gut ist, so kann es eine Mißernte geben, oder Seuchen und Schiffbruch ihn all seiner Habe berauben. Welch ein Elend ist nicht die Schwangerschaft, wie viele Frauen sterben im Wochenbett! Hat die nährende Mutter je ruhigen Schlaf, was für Heiterkeit und Freude? Vielleicht werden die Kinder mißgestaltet oder ungehorsam, vielleicht wird der Mann sterben und die Mutter als Witwe in Sorge und Armut Zurückbleiben’’). Tiefste Niedergeschlagenheit über das irdische Elend ist die Stimmung, in der die tägliche Wirklichkeit betrachtet wird, sobald die kindliche Lebensfreude oder das blinde Genießen dem Grübeln weicht. Wo ist die schönere Welt, nach der jede Zeit schmachten muß? Die Sehnsucht nach einem schöneren Leben sah zu allen Zeiten drei Pfade, die nach dem fernen Ziel weisen, vor sich. Der erste führte regelrecht aus der Welt heraus: der Weg von der Verleugnung der Welt. Hier scheint das schönere Leben nur im Jenseits zu erreichen zu sein, kann es nur eine Erlösung von allem Irdischen sein. Alle an die Welt verschwendete Teilnahme verzögert nur das gelobte Heil. In jeder höheren Kultur ist dieser Pfad beschritten worden. Das Christentum hatte dieses Streben sowohl als individuellen Lebensinhalt, als auch als Kulturgrundlage so machtvoll den Geistern aufgeprägt, daß es für lange Zeit das Einschlagen des zweiten Pfades fast ganz verhinderte. Der zweite war der Weg, der zu der Verbesserung und Vervollkommnung der Welt selbst führte. Das Mittelalter hat dieses Streben noch kaum gekannt. Ihm war die Welt so gut und so schlecht, wie sie sein konnte, das heißt, daß alle Anordnungen, da Gott sie gewollt hatte, gut waren: die Sünde der Menschen ist es, die die Welt im Elend h Discours de l’excellence de virginite, Gerson, Opera III, p. 382; vgl. Dionysius Cartusianus, De vanitate mundi, Opera omnia, cura et labore monachoruni sacr. ord. Cart., Monstrolii-Tornaci 1896—1 913, 41, vol., XXXIX, p. 472.

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hält. Die Zeit kennt kein bewußtes Streben nach Verbesserung und Reform gesellschaftlicher oder politischer Einrichtungen als Triebfeder des Denkens und Handelns. Die Tugend ausüben im eigenen Beruf ist das einzige, was der Welt nützen kann, und auch dabei ist das eigentliche Ziel doch das andere Leben. Auch wo tatsächlich eine neue gesellschaftliche Form geschaffen wird, betrachtet man dies prinzipiell wie eine Wiederherstellung von gutem, altem Recht oder als ein Kämpfen gegen Mißbräuche durch eine vorsätzliche Machtübertragung von Seiten der Obrigkeit. Die bewußte Einsetzung von wirklich als neu empfundenen Gebilden ist selten, auch in der vielfältigen gesetzgebenden Arbeit, welche die französische Monarchie seit Ludwig dem Heiligen kannte und welcher die burgundischen Herzöge in ihren Erblanden nachahmten. Daß sich in jener Arbeit tatsächlich eine Entwicklung der Staatsordnung zu zweckmäßigeren Formen vollzieht, ist ihnen noch nicht oder kaum bewußt. Sie erlassen Verordnungen oder setzen Behörden ein, weil ihre unmittelbare Aufgabe, das allgemeine Wohl zu fördern, es mit sich bringt, nicht weil eine politische Zukunft ernstlich erstrebt wird. Nichts hat bei der Stimmung von Lebensfurcht und Verzweiflung an den kommenden Zeiten so stark mitgewirkt als diese Abwesenheit eines festen Willens aller, um die Welt selbst besser und glücklicher zu machen. In der Welt selbst lag keine Verheißung besserer Dinge. Wer nach Besserem schmachtete und doch von der Welt und all ihrer Herrlichkeit keinen Abschied nehmen konnte, dem blieb nur Verzweiflung; nirgends sah er Hoffnung oder Freude mehr; der Welt blieb nur noch eine kurze Zeit, und was ihrer darin wartete, war Elend. Wenn erstmal auch der Weg nach positiver Verbesserung der Welt selbst eingeschlagen sein wird, dann beginnt eine neue Zeit, in der die Lebensangst Mut und Hoffnung Platz macht. Es ist eigentlich erst das 18. Jahrhundert, das diese Erkenntnis bringt. Die Renaissance verdankt

ihre energische Lebensbejahung anderen Befriedigungen. Erst das 18. Jahrhundert erhebt die Perfektibilität von Mensch und Gesellschaft zu ihrem Hauptdogma und das wirtschaftliche und soziale Streben des folgenden Jahrhunderts hat davon nur die Naivität und nicht den Mut und den Optimismus eingebüßt. Der dritte Pfad nach einer schöneren Welt führt durch das Traum-

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ZWEITES KAPITEL

land. Es ist derbequemste Weg, aber einer, dem das Ziel immer gleich fern

bleibt. Ist dann die irdische Wirklichkeit so hoffnungslos jämmerlich und die Verleugnung der Welt so mühsam, so läßt sie uns das Leben mit schönem Schein färben, uns hineinleben in das Traumland leuchtender Phantasien, die Wirklichkeit dämpfen durch die Verzückung des Ideals. Es ist nur ein einfaches Thema, ein einziger Akkord nötig, um die herzerhebende Fuge erklingen zu lassen: ein Ausblick auf das geträumte Glück einer schöneren Vergangenheit ist genug, ein Blick auf ihr Heldentum und ihre Tugend oder auch der frohe Sonnenschein des Lebens in der Natur und des Naturgenusses. Auf die wenigen Themata: das Heldenthema, das bukolische Thema hat sich vom Altertum her die ganze literarische Kultur aufgebaut. Mittelalter, Renaissance

und das 18. und 19. Jahrhundert finden alle miteinander nicht vielmehr als nur neue Variationen auf das alte Lied. Ist aber dieser dritte Pfad zu einem schöneren Leben, das Entfliehen vor der harten Wirklichkeit in eine schöne Illusion nur eine Sache literarischer Kultur? Sicher ist es mehr als das. Es berührt ebensogut wie die beiden anderen Bestrebungen die Form und den Inhalt des Gemeinschaftslebens selbst, und zwar um so stärker, je primi-

tiver die Kultur ist. Die Wirkung der drei obengenannten Geisteseinstellungen auf das wirkliche Leben selbst ist sehr verschieden. Der engste und beständigste Kontakt zwischen Lebensarbeit und Ideal entsteht dort, wo die Idee nach der Verbesserung und Vervollkommnung der Welt selbst hinweist. Hier ergießt sich die beseelende Kraft und Zuversicht in die materielle Arbeit selbst. Hier wird die direkte Wirklichkeit mit Energie erfüllt. Indem man an seiner Lebensaufgabe arbeitet, strebt man mit danach, das Ideal einer besseren Welt zu erreichen. Wenn man will, ist auch hier ein Glückstraum das beseelende Motiv. Bis zu einem gewissen Grade strebt jede Kultur nach der Verwirklichung einer Traumwelt in der realen, durch das Umgestalten der Gesellschaftsformen. Während es sich jedoch sonst nur um eine geistige Umgestaltunghandelt:

das Aufstellen imaginärer Vollkommenheit gegenüber rauher Wirklichkeit, um letztere vergessen zu können, ist hier das Objekt des Traums die Wirklichkeit selbst. Man will sie umformen, säubern und verbessern. Die Welt scheint auf dem guten Wege nach dem Ideal, wenn der Mensch

DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN 45 nur weiter schafft. Die ideale Lebensform scheint von der des arbeitenden Daseins nur wenig entfernt; es existiert nur eine geringe Spannung zwischen Wirklichkeit und Traum. Wo einem das Streben nach höchster Produktion und billigster Verteilung der Güter genügt, wo der Inhalt des Ideals Wohlfahrt, Freiheit und Kultur ist, da werden verhältnismäßig geringe Ansprüche an die Lebenskunst gestellt. Da gibt es kein Bedürfnis des Menschen mehr, sich als einen Erhabenen oder einen Helden oder einen Weisen oder einen Höfisch-Verfeinert en aufzuspielen.

Ganz anders ist bei der ersten der drei Geisteseinstellungen, der von der Verleugnung der Welt, der Einfluß auf das wirkliche Leben: Das Heimweh nach einem ewigen Heil macht uns den Verlauf und die Form des irdischen Daseins gleichgültig, wenn nur die Tugend darin erzeugt und unterhalten wird. Man läßt die Lebens- und Gesellschaftsformen sein, was sie sind, trachtet aber danach, sie mit

transzendentaler Sittlichkeit zu durchdringen. Hierdurch wirkt die Abkehr von der Welt auf die irdische Gemeinschaft nicht rein negativ, durch Verleugnung und Entsagung, sondern sie strahlt auch in segensreicher Arbeit und praktischer Barmherzigkeit auf sie zurück.

Wie wirkt nun die dritte Einstellung auf das Leben? Das Verlangen nach schönerem Leben einem geträumten Ideal gemäß? Sie wandelt die Formen des Lebens in Kunstformen. Aber es sind nicht nur die Kunstwerke als solche, in denen sie ihren Schönheitstraum zum ^Ausdruck bringt, sie will das Leben selbst mit Schönheit ver-

edeln und erfüllt das gesellschaftliche Leben selbst mit Spiel und Formen. Gerade hier werden an die persönliche Lebenskunst die höchsten Anforderungen gestellt, Anforderungen, denen nur eine Elite nachstreben kann, in einem kunstvollen Lebensspiel. Das Nachleben des Helden und des Weisen ist nicht jedermanns Sache; es ist ein kostspieliges Vergnügen, das Leben mit heroischen oder idyllischen Farben anzumalen, und es gelingt in der Regel nur sehr teilweise. Dem Streben nach der Verwirklichung des Schönheitstraums in den Formen der Gesellschaft selbst ist als vitium originis ein aristokratischer Charakter eigen.

Hiermit haben wir uns dem Punkt genähert, von dem aus die Kultur des ausgehenden Mittelalters hier betrachtet werden soll: die Verschö-

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nerung des aristokratischen Lebens mit den Formen des Ideals, das Kunstlicht der ritterlichen Romantik über dem Leben, die Welt maskiert in das Gewand der Tafelrunde. Die Spannung zwischen Lebensform und Wirklichkeit ist äußerst groß; das Licht ist falsch und grell. Das Verlangen nach dem schönen Leben gilt als eigentlichstes Kennzeichen der Renaissance. Hier sieht man die vollste Harmonie in der Befriedigung des Schönheitsdurstes sowohl im Kunstwerk wie im Leben selbst, hier dient die Kunst dem Leben und das Leben der

Kunst, wie nie zuvor. Aber die Grenze zwischen Mittelalter und Renaissance ist auch hier zu scharf gezogen worden. Der leidenschaftliche Sinn, das Leben selbst mit Schönheit zu bekleiden, die verfeinerte Lebenskunst, die bunte Auswirkung eines Lebensideals, alle sind sie viel älter als das italienische Quattrocento. Die Motive der Lebensverschönerung selbst, auf denen die Florentiner weiterbauen, sind nichts anderes als alte mittelalterliche Formen; Lorenzo de’ Medici huldigt noch ebenso wie Karl der Kühne dem alten Ritterideal

als der edlen Lebensform. Er sieht sogar in letzterem trotz seiner barbarischen Pracht in gewisser Beziehung das Vorbild. Italien hat neue Horizonte von Lebensschönheit entdeckt, das Leben auf einen neuen Ton gestimmt, doch die Haltung dem Leben gegenüber, die man gewöhnlich als charakteristisch für die Renaissance bezeichnet: das Streben, das eigene Leben zu einer Kunstform umzuarbeiten, wenn nicht gar hinaufzuschrauben, ist keineswegs durch die Renaissance eingeführt. Die große Spaltung in der Auffassung der Lebensschönheit fällt vielmehr zwischen die Renaissance und die Neuzeit. Der Umschwung liegt da, wo Kunst und Leben auseinander zu gehen beginnen, da, wo man anfängt, die Kunst nicht mehr mitten im Leben zu genießen als einen edlen Teil der Lebensfreude selbst, sondern außerhalb des Lebens

als etwas hoch zu Verehrendes, an das man sich in Augenblicken der Erhebung oder des Ausruhens wendet. Der alte Dualismus, der Gott

und Welt trennte, ist damit in einer anderen Form, in der Trennung von Kunst und Leben, zurückgekehrt. Nun ist ein Strich mitten durch die Genüsse des Lebens hindurchgezogen. Sie sind fortan in zwei Hälften geteilt, eine niedrigere und eine höhere. Für den mittelalterlichen Menschen waren sie alle zusammen sündig; jetzt gelten sie alle

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für gestattet, aber ihre ethische Würdigung ist verschieden nach ihrer höheren oder geringeren Geistigkeit. Die Dinge, die das Leben zum Genuß machen können, bleiben die-

selben. Jetzt wie früher sind es: Lektüre, Musik, bildende Kunst, Reisen, Naturgenuß, Sport, Mode, gesellschaftliche Eitelkeit (Ritterorden, Ehrenämter, Versammlungen) und Berauschung der Sinne. Die Grenze zwischen dem Höheren und dem Niederen scheint jetzt noch für die meisten zwischen Naturgenuß und Sport zu liegen. Aber die Grenze liegt nicht fest. Wahrscheinlich wird der Sport über kurz oder lang, jedenfalls insoweit er die Kunst der Körperkraft und des Mutes ist, wieder allgemein zu den höheren Genüssen gezählt werden. Für den mittelalterlichen Menschen lag die Grenze im besten Falle sofort nach der Lektüre; selbst der Genuß des Lesens konnte nur durch das Streben nach Tugend oder Weisheit geheiligt werden, und in der Musik und der bildenden Kunst wurde ausschließlich ihre Glaubensdienstbarkeit als gut anerkannt. Der Genuß an sich war sündhaft. Die Renaissance hatte sich von der Verwerfung der Lebensfreude als etwas an sich Sündiges freigerungen und eine neue Trennung zwischen höherem und niederem Lebensgenuß noch nicht gefunden; sie wollte das ganze Leben unbekümmert genießen. Die neue Scheidung ist das Resultat des Kompromisses zwischen Renaissance und Puritanismus,

auf dem die moderne Geisteseinstellung beruht. Es war eine beiderseitige Kapitulation, wobei die eine sich die Rettung der Schönheit,

der andere die Verurteilung der Sünde ausbedingte. Der strenge Puritanismus verurteilte noch, wie das Mittelalter, die ganze Sphäre der Lebensverschönung als im Grunde sündig und weltlich, es sei denn, daß diese ausgesprochen religiöse Formen annahm und sich durch eine Verwendung im Dienste des Glaubens heiligte. Erst nachdem die puritanische Weltanschauung abflaute, gewann die renaissancistische Empfänglichkeit für alle Lebensfreude wieder Boden, ja, selbst mehr Terrain als früher; denn seit dem 18. Jahrhundert kommt die Neigung auf, in dem Natürlichen an sich ein Element des ethisch Guten zu sehen. Wer jetzt versuchen wollte, die Trennungslinie zwischen höherer und niederer Lebensfreude so zu ziehen, wie unser ethisches Bewußtsein es uns diktiert, würde nicht mehr die Kunst vom Sinnengenuß scheiden, den Naturgenuß

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ZWEITES KAPITEL

von der Körperkultur, das Erhabene vom Natürlichen, sondern nur das Egoistische, Lügnerische und Eitle von dem Reinen. Gegen Ende des Mittelalters, als ein neuer Geist sich regte, war prinzipiell immer nur noch die alte Wahl möglich zwischen Gott und der Welt: die totale Verwerfung aller Herrlichkeit und Schönheit des irdischen Lebens oder ein vermessenes Ergreifen auf die Gefahr hin, der Seele zu schaden. Die Schönheit der Welt wurde durch ihre erkannte Sündhaftigkeit doppelt verlockend; ergab man sich ihr, dann genoß man sie auch mit einer unbegrenzten Leidenschaftlichkeit. Diejenigen aber, die die Schönheit nicht entbehren konnten und sich doch

nicht der Welt ausliefern wollten, mußten die Schönheit adeln. Sie konnten die ganze Gruppe der Kunst und Literatur, wo Bewunderung das Wesen des Genusses ausmachte, indem sie sie in den Dienst des Glaubens stellten, heiligen. Und wenn es auch tatsächlich die Freude an Farbe und Linie war, die die Liebhaber der Gemälde und Miniaturen beseelte, so nahm der heilige Gegenstand derselben doch dem Genuß

den Stempel der Sündhaftigkeit. Wie war es aber um die Schönheit mit einem hohen Sündengehalt bestellt? Die Körpervergötterung des ritterlichen Sports und der höfischen Mode, der Hochmut und die Gier nach Amt und Ehren, die berückende Unergründlichkeit der Liebe, wie war dies alles, was der Glaube verurteilt und ausgestoßen hatte, zu veredeln und zu erheben? — Hier half der Mittelweg, der in das Traumland leitete: man bekleidete alles mit dem schönen Schein alter phantastischer Ideale. Die starke Kultivierung des schönen Lebens in den Formen eines Heldenideals ist der Zug, der die französisch-ritterliche Kultur seit

dem 12. Jahrhundert mit der Renaissance verbindet. Die Naturverehrung war noch zu schwach, um mit voller Überzeugung der Schönheit des Irdischen in ihrer Nacktheit gedient haben zu können, so wie der griechische Geist es getan hatte: der Sündebegriff war zu gewaltig dazu; nur indem man sie in das Gewand der Tugend hüllte, konnte die Schönheit zur Kultur werden. Das ganze aristokratische Leben des späteren Mittelalters, man denke

an Frankreich und Burgund oder an Florenz, ist ein Versuch, einen Traum zu spielen. Immer denselben Traum, den der alten Helden und Weisen, vom Ritter und der Magd, von den einfachen und vergnügten

DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN 49 Schäfern. Frankreich und Burgund spielen das Stück noch immer im alten Stil; Florenz dichtet auf das gegebene Thema ein neues und schöneres Spiel. Das adelige und fürstliche Leben ist zu seinen höchsten Ausdrucks-

möglichkeiten emporgetrieben; alle Lebensformen sind gleichsam zu Mysterien erhoben, verziert mit Farben und Schmuck, vermummt als Tugend. Die Ereignisse des Lebens und die Gemütsbewegungen, die sie in uns auslösen, sind in schöne und erhebende Formen eingerabmt. Ich weiß wohl, daß dies nicht alles spezifisch spätmittelalterlich ist, es keimt schon in den primitiven Stadien der Kultur; man kann es auch Chinoiserie und Byzantinismus nennen und es stirbt nicht mit dem Mittelalter aus, wie der Sonnenkönig beweist. ( Der Hofstaat ist das Gebiet, wo sich die Ästhetik der Lebensform am vollsten entfalten kann. Es ist bekannt, wie viel Gewicht die burgundischen Herzöge auf alles, was die Pracht und den Staat ihres Hofes betraf, legten. Nach dem Kriegsruhm, sagt Chastellain, ist der Hofstaat die erste Sache, auf die man sein Augenmerk richtet und dessen Regelung und gute Aufrechterhaltung von höchster Notwendigkeit sind1). Olivier de la Marche, der Zeremonienmeister von Karl dem Kühnen, schrieb auf Veranlassung des englischen Königs Eduard IV. den Traktat über den Hofstaat des Herzogs, um dem König das Vorbild von Zeremoniell und Etikette zur Nachahmung zu empfehlen '2 3 4). Von Burgund haben die Habsburger das schön aufgemachte Hofleben ge-

z erbt und nach Spanien und Österreich importiert, deren Höfe bis vor kurzem dessen Bollwerk geblieben waren. Der burgundische Hof wurde von allen als der reichste und am besten geordnete gerühmt8).

Vor allem Karl der Kühne, der Mann mit dem gewalttätigen Geist von Disziplin und Regelmaß, der doch nichts als Unordnung hinterließ, hatte eine Leidenschaft für das höchst formelle Leben. Die alte 9 Chastellain, V, p. 364.

2) La Marche, IV, p. cxiv. — Die alte niederländische Übersetzung von seinem Estat de la maison du duc Charles de Bourgogne bei Matthaeus Analecta, I, p. 357—4 94. 3) Christine de Pisan, Oeuvres poetiques, ed. M. Roy (Soc. des anciens textes

framjais), 1886—1 896, 3 vol., I, p. 251, no. 38; Leo von Rozmitals Reise, ed. Schmetter (Bibi, des lit. Vereins zu Stuttgart, t. VII), 1844, p. 24, 149. 4 Huizinga, Mittelalter

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Illusion, daß der Fürst selbst die Klagen der Armen und Kleinen anhört und sofort gerichtlich behandelt, war von ihm in eine schöne Form gekleidet Zwei- oder dreimal die Woche hielt er nach der Mahlzeit eine öffentliche Audienz ab, bei der jedweder sich ihm mit Bittgesuchen nahen durfte. Alle Edlen seines Hauses mußten zugegen sein; niemand

wagte, fern zu bleiben. Sorgfältig ihrem Range gemäß getrennt, saßen sie zu beiden Seiten des Durchgangs, der zu dem hohen Sessel des Herzogs führte. Zu seinen Füßen hingekniet lagen die zwei maitres

des requestes, der audiencier und ein Sekretär, die die Bittschriften verlasen und erledigten, je nachdem der Fürst es gebot. Hinter Ballustraden, rund um den Saal herum, stand der niedere Hofhalt. Es war, sagt Chastellain, dem Schein nach „une chose magnifique et de grand los“, aber die gezwungenen Zuschauer langweilten sich weidlich, und an dem guten Erfolg dieser Art von Rechtsprechung zweifelt er; es war eine Sache, die er zu seiner Zeit bei keinem anderen Fürsten gesehen hatte1). Auch die Erholung mußte bei Karl dem Kühnen jene schöne Form annehmen. „Tournoit toutes ses manieres et ses moeurs ä sens (Ernst)

une part du jour, et avecques jeux et ris entremesles, se delitoit en beau parier et en amonester ses nobles ä vertu, comme un orateur. Et en cestuy regart, plusieurs fois, s’est trouve assis en un hautdos pare (ein Prunksessel) et ses nobles devant luy, lä oü il leur fit diverses remonstrances selon les divers temps et causes. Et toujours, comme prince et chef sur tous, fut richement et magnifiquement habitue (ge-

kleidet) sur tous les autres“ 2). Diese bewußte Lebenskunst ist trotz ihrer steifen und naiven Formen eigentlich vollkommene Renaissance. Was Chastellain seine „haute magnificence de coeur pour estre vu et regarde en singulieres choses“ nennt, ist die charakteristische Eigenschaft von Burckhardts Renaissancemensch. Die hierarchischen Verordnungen des höfischen Haushaltes sind

von einer Rabelaisartigen Üppigkeit, wo sie sich auf die Mahlzeiten und die Küche beziehen. Die Hoftafel von Karl dem Kühnen mit all den mit nahezu liturgischer Würde geregelten Diensten von panetiers *) La Marche, IV, p. 4ss.; Chastellain, V, p. 370. 2) Chastellain, V, p. 368.

Karl der Kühne von Burgund inmitten seines Hofes (M. S Brit. Mus., London)

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* und Vorschneidern und Mundschenken und Küchenmeistern glich der Aufführung eines großen und ernsten Schauspiels. Der ganze Hof aß

in Gruppen zu zehn, in abgesonderten Zimmern, bedient und bewirtet wie der Herr, alles sorgfältig nach Rang und Stand geordnet. Alles war so gut geregelt, daß all diese Gruppen rechtzeitig nach ihrer Mahlzeit den Herzog, der noch an der Tafel saß, begrüßen konnten: „pour luy donner gloire“x). In der Küche (man stelle sich die heroische Küche vor, jetzt der einzige erhaltene Überrest des herzoglichen Palastes zu Dijon, mit ihren sieben riesenhaften Herdstellen) sitzt der diensttuende Koch in einem Sessel zwischen Herd und Anrichte, von wo aus er den ganzen Raum übersehen kann. In seiner Hand muß er einen großen hölzernen Löffel halten, „der ihm zu zweierlei Zwecken dient: zum ersten, um Suppe und Saucen zu kosten, zum andern: um die Küchenjungens aus der

Küche zu treiben, ihre Pflicht zu tun, und wenn nötig, auch mal draufzuschlagen“. Bei seltenen Gelegenheiten, z. B. bei den ersten Trüffeln oder dem ersten Hering erscheint der Koch wohl einmal selbst zum Servieren, eine Fackel in der Hand. Für den gravitätischen Höfling, der uns dies alles beschreibt, sind es heilige Mysterien, von denen er mit Respekt und einer Art scholastischer Wissenschaftlichkeit spricht. Als ich Page war, sagt La Marche,

war ich noch zu jung, um Fragen von preseance und Zeremoniell zu verstehen * 2)- Er legt seinen Lesern wichtige Fragen über Vorrang und Hof dienst vor, um sie mittels seiner reifen Kenntnis zu lösen. Warum wohnt der Koch und nicht der Junker von der Küche des Herrn Mahlzeit bei? Auf welche Weise muß der Koch angestellt werden? Wer muß ihn im Falle von Abwesenheit vertreten: der Bratmeister (hateur) oder der Suppenmeister (potagier)? Hierauf antworte ich, sagt der weise Mann: Wenn am Hofe eines Fürsten ein Koch angestellt werden muß, müssen die Hofmeister (maitres d’hötel) die Junker der Küche (escusiers de cuisine) und alle diejenigen, die in der Küche angestellt sind, einen nach dem andern aufrufen; und durch feierliche Wahl, von jedem unter seinem Eid vollzogen, muß der Koch angestellt werden. x) La Marche, IV, Estat de la maison, p. 34 ss.

2) La Marche, I, p. 277. 4*

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Und auf die zweite Frage: weder der Bratenmeister noch der Suppenmeister können ihn vertreten, sondern gleichfalls durch Wahl soll der Vertreter des Kochs ernannt werden. - Warum stehen die panetiers und Mundschenken als erster und zweiter Rang über den Vorschneidern und Köchen? Weil ihr Amt das Brot und den Wein betrifft, heilige Dinge, verklärt durch die Würde des Sakraments'). Man sieht, es gibt hier eine tatsächliche Verbindung zwischen den Gedankensphären des Glaubens und denen der Hofetikette. Es ist

nicht zuviel gesagt, daß sich in jenem Apparat schöner und edler Lebensformen ein liturgisches Element birgt, das die Würdigung jener Formen gleichsam in eine quasi religiöse Sphäre emporgezogen hat Nur dies kann die außergewöhnliche Wichtigkeit erklären, die man, nicht nur im spätem Mittelalter, allen Fragen von Vorrang und Anstand beimajL | Im alten russischen Reich vor den Romanows hatte sich der Streit um den Vorrang am Thron zu einem festen Departement des Staatsdienstes entwickelt. Jene Form kennen die westlichen Staaten des Mittelalters nicht, aber auch hier spielt der Neid um den Vorrang eine große Rolle. Es würde leicht fallen, die Beispiele dafür zusammenzufassen. Hier handelt es sich jedoch darum, die Ausschmückung der

Lebensformen zu einem schönen und erhebenden Spiel und das Wuchern jener Formen bis zum leeren Aufwand anschaulich zu machen. Dazu folgende Beispiele. Die schöne Form kann gelegentlich die zweckmäßige Handlung gänzlich beiseitedrängen. Direkt vor der Schlacht bei Crecy haben vier französische Ritter die Schlachtordnung der Engländer rekognosziert. Der König, voller Ungeduld ihren Bericht erwartend und langsam über das Feld reitend, hält sein Pferd an, als er sie zurückkommen sieht. Sie dringen durch das Gedränge der Kriegsleute vor bis zu dem König. „Was gibt’s Neues, meine Herren?“ fragt der König. Sie sahen sich gegenseitig an, ohne ein Wort zu sprechen, denn keiner wollte vor seinem Kameraden reden. Und der eine sagte zum andern: „Herr, sagt Ihr es, sprecht Ihr zum König, ich werde nicht vor Euch sprechen.“ So stritten sie eine Weile hin und her, weil keiner „par honneur“ zu sprechen anfangen wollte. Bis der König es einem *) La Marche, IV, Estat de la maison, p. 34, 51, 20, 31.

DTE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN

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von ihnen befiehlt1). — Noch völliger mußte die Zweckmäßigkeit der schönen Form weichen im Fall vom messire Gaultier Rallart, Chevalier du guet zu Paris 1418. Dieses Haupt der Polizei pflegte nie die Runde zu machen, ohne von drei oder vier voraufgehenden Musikanten begleitet zu werden, die lustig bliesen, so daß das Volk sagte, daß er gleich-

sam die Gauner warne: Flieht, denn ich komme2 3). Dieser Fall steht nicht vereinzelt da. 1465 findet man aufs neue, daß der Bischof von Evreux, Jean Balue, die nächtliche Runde in Paris mit Klarinetten, Trompeten und andern Musikinstrumenten macht, „qui n’estoit pas acoustume de faire ä gens faisans guet“8). Selbst auf dem Schafott wurden die Ehren von Rang und Stand streng beobachtet: das vom connetable de Saint Pol ist reich mit gestickten Lilien geschmückt, das Betkissen und das Augentuch sind von karmesinrotem Sammet, und der Henker ist jemand, der noch nie einen andern hingerichtet hat, ein zweifelhaftes Vorrecht für den Verurteilten4). Das Wetteifern in Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten, das jetzt einen kleinbürgerlichen Charakter angenommen hat, war im Hofleben des 15. Jahrhunderts außergewöhnlich stark entwickelt. Man empfand es als eine eigene unerträgliche Schande, wenn man den Höhergestellten

nicht den Platz ließ, der ihnen gebührte. Die burgundischen Herzöge lassen ihren königlichen Verwandten in Frankreich peinlich genau den Vorrang; Johann ohne Furcht erwies seiner jungen Schwiegertochter, Michelle de France, allzeit übertriebene Ehre; er nannte sie Madame, kniete immer vor ihr auf dem Boden und wollte sie stets bedienen, was sie jedoch nicht leiden wollte5 *). Als Philipp der Gute vernimmt, daß sein Vetter, der Dauphin, im Zwist mit seinem Vater nach Brabant entwichen ist, unterbricht er die Belagerung von Deventer, die eine Expedition zur Unterdrückung Frieslands einleiten sollte, und eilt nach Brüssel zurück, um den hohen Gast zu bewillkommnen. Je näher man der Begegnung kommt, um so mehr wird es ein Wettlauf, wer dem *) Froissart, ed. Luce, III, p. 172. 2) Journal d’un bourgeois, § 218, p. 105. 3) Chronique scandaleuse, I, p. 53. 4) Molinet, I, p. 184; Basin, II, p. 376.

5) Alienor de Poitiers, Les honneurs de la cour, ed La Curne de Sainte Palaye, Memoires sur l’ancienne chevalerie, 1781, II, p. 201.

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andern in Ehrenbezeugungen zuvorkommen wird. Philipp ist in großer Angst, daß der Dauphin ihm entgegenreiten wird; spornstreichs reitet er weiter und schickt Bote auf Bote, um den Dauphin zu veranlassen, ihn doch dort, wo er ist, abzuwarten. Käme der Königssohn ihm persönlich entgegen, dann würde er selbst umkehren, so beschwor er ihn, und so weit wegreiten, daß dieser ihn nirgends finden würde, denn es würde ihm, dem Herzog, zum Spott und zur Schande gereichen, und

würde ihm von der ganzen Welt ewiglich vorgehalten werden. Mit bescheidenem Abstand vom gewohnten Gepränge reitet Philipp in die Stadt Brüssel hinein; hastig steigt er vor dem Palast ab, tritt ein und läuft schnell weiter. Da erblickt er den Dauphin, der mit der Herzogin sein Gemach verlassen hat und ihm auf dem Hof mit offenen Armen entgegenkommt. Sofort entblößt der alte Herzog sein Haupt, kniet einen Augenblick nieder und läuft dann hastig weiter. Die Herzogin hält den Dauphin fest, damit dieser keinen Schritt tue, der Dauphin hält vergebens den Herzog fest, um ihn zu verhindern zu knieen, und versucht umsonst, ihn zum Aufstehen zu veranlassen. Beide weinen vor Rührung, sagt Chastellain, und alle Dabeistehenden mit ihnen. Während des ganzen Verbleibs dieses Mannes, der alsbald als König der ärgste Feind seines Hauses werden sollte, überbietet sich der Herzog in chinesischer Unterwürfigkeit. Er bezeichnet sich und seinen Sohn „de si meschans gens“, er läßt sein sechzigjähriges Haupt naß regnen,

er bietet dem Dauphin all seine Länder an1). „Celuy qui se humilie devant son plus grand, celuy accroist et multiplie son honneur envers soy-mesme, et de quoy la bonte mesme luy resplend et redonde en face.“ Mit diesen Worten beschließt Chastellain den Bericht, wie der Graf von Charolais sich hartnäckig weigert, zusammen mit der Königin Margaretha von England und ihrem jungen Sohn das Waschbecken vor der Mahlzeit zu gebrauchen. Die Edlen sprachen den ganzen Tag

davon: der Fall wurde dem alten Herzog vorgelegt, der durch zwei Edle das Für und Wider von Karls Haltung verfechten ließ. Das feudale Ehrgefühl war noch so lebendig, daß man diese Dinge anscheinend

wirklich noch bedeutungsvoll, schön und erhebend fand. Wie ist es q Chastellain, III, p. 196—2 12, 290, 292, 308, IV, p. 412—4 14, 428; Alienor de Poitiers, p. 209, 212.

_ DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN_55 sonst zu verstehen, daß das Ablehnen des Vorrangs regelmäßig eine Viertelstunde lang fortgesetzt werden konnte?1)- Je länger man sich weigert, je erbauter waren die Umstehenden. Jemand, dem der Hand-

kuß zukommt, verbirgt seine Hand, um der Ehre zu entgehen. Die Königin von Spanien verbirgt auf diese Weise ihre Hand vor dem jungen Erzherzog Philipp dem Schönen, dieser wartet einige Zeit, aber

als ihm die Gelegenheit günstig ist, ergreift er ganz unerwartet die Hand und küßt sie. Und diesmal lachte der ernsthafte spanische Hof, denn die Königin war nicht mehr darauf gefaßt gewesen2 3)Alle spontanen Zärtlichkeiten des Umgangs sind sorgfältig in Formen gebracht. Es ist genau vorgeschrieben, welche Hofdamen Hand in Hand zu gehen haben. Und nicht nur dieses, sondern auch ob die eine die andere dazu zu ermutigen hat oder nicht. Diese Aufmunterung, das Sichzuwinken oder Zurufen (hucher) zum Mitgehen, ist für die alte Hofdame, die das burgundische Zeremoniell beschreibt, ein technischer Begriff8)- Die Formalität, einen scheidenden Gast nicht gehen lassen zu wollen, wird bis zum lästigsten Extrem durchgeführt. Die Gemahlin

Ludwigs XI. ist für einige Tage zu Gast bei Philipp von Burgund; der König hat einen bestimmten Tag für ihre Rückkehr festgesetzt, aber der Herzog weigert sich, sie fortzulassen, ungeachtet der flehentlichen Bitten ihres Gefolges und wie sehr sie auch selbst vor dem Zorn ihres Gemahls bebt4). — Goethe hat gesagt: „Es gibt kein äußeres Zeichen der Höflichkeit, das nicht einen tiefen sittlichen Grund hätte“; „virtue gone to seed“ hat Emerson die Höflichkeit benannt. Man kann vielleicht nicht mit vollem Recht behaupten, daß dieser sittliche Grund im 15. Jahrhundert noch empfunden wurde, sicher aber der ästhetische Wert, der zwischen der aufrichtigen Gewogenheitsbezeugung und der dürren Umgangsform liegt. Es versteht sich von selbst, daß diese weitschweifige Lebensausschmückung vor allem an den Fürstenhöfen stattfindet, wo man sich Zeit und Raum dafür nehmen kann. Daß sie aber auch die niederen x) Alienor de Poitiers, p. 210; Chastellain, IV, p. 312; Juvenal des Ursins, p. 405; La Marche, I, p. 278, Froissart, I, p. 16, 22 usw. 2) Molinet, V, p. 194, 192. 3) Alienor de Poitiers, p. 190; Deschamps, IX, p. 109. *) Chastellain, V, p. 27—3 3.

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Sphären der Gesellschaft erfüllen, beweist schon die Tatsache, daß bis heutzutage gerade im kleinen Bürgertum (abgesehen von den Höfen selbst) noch am meisten von jenen Formen erhalten geblieben ist. Das wiederholte Nötigen, noch etwas von einer Speise, einem Gericht zu nehmen, das Ermutigen, noch etwas zu bleiben, das Weigern, voranzugehen, ist im letzten halben Jahrhundert aus den höheren bürgerlichen Umgangsformen zum größten Teil verschwunden. Im 15. Jahrhundert stehen diese Formen in vollster Blüte. Während sie aber pein-

lichst beobachtet werden, trifft die Satire sie nichtsdestoweniger mit lebendigem Spott. Vor allen Dingen ist es die Kirche, die die Schaubühne schöner und anhaltender Höflichkeitsbezeugungen sein muß. Zuerst bei der „offrande“. Niemand will als erster sein Almosen auf den Altar legen. „Passez. — Non feray. — Or avant! Certes si ferez, ma cousine.

— Non feray. — Huchez (ruft) no voisine, Qu’elle doit mieux devant offrir. — Vous ne le devriez souffrir.“ Dist la voisine: „n’appartient A moy: offrez, qu’ä vous ne tient Que li prestres ne se delivre“1).

Nachdem endlich die Angesehenste vorangegangen ist, unter der demütigen Beteuerung, dies nur zu tun, um endlich ein Ende damit zu machen, erneuert sich der Streit wiederum beim Küssen von dem „pacificale“, la „paix“, dem hölzernen, silbernen oder elfenbeinernen Täfelchen, das im späteren Mittelalter bei der Messe nach dem Agnus Dei anstatt des Friedenskusses von Mund zu Mund in Aufnahme gekommen war2). Daß die „paix“ unter den Vornehmen von Hand zu Hand ging, mit der höflichen Weigerung, sie zuerst zu küssen, war zu einer feststehenden und langwierigen Störung des Gottesdienstes geworden. 1) Nur um Euretwillen muß der Priester warten. Deschamps, IX, Le miroir de mariage, p. 109/110.

2) Mehrere Exemplare von solchen „paix“ bei Laborde, II, nos. 43, 45, 75, 126, 140, 5293.

DIE SEHNSUCHT NACH SCHÖNEREM LEBEN 57 „Respondre doit la juene fame: — Prenez, je ne prendray pas, dame. — Si ferez, prenez, douce amie. — Certes, je ne le prandray mie; L’en me tendroit pour une sote. — Baillez, damoiselle Marote. — Non feray, Jhesucrist m’en gart! Portez ä ma dame Ermagart. — Dame, prenez. — Saincte Marie, Portez la paix a la baillie. — Non, mais ä la gouverneresse1).“

Diese nimmt es endlich. — Selbst ein heiliger, der Welt abge-

storbener Mann wie Franz von Paula hält es für seine Pflicht, diese Schöntuereien mitzumachen, und sie werden ihm von seinen frommen Verehrern als Zeichen echter Demut angerechnet, woraus hervorgeht, daß der ethische Inhalt aus diesen Formalitäten noch nicht ganz und gar verschwunden war2). Die Bedeutung dieser Formen wird übrigens erst ganz deutlich durch die Tatsache, daß sie die Kehr-

seite heftiger und hartnäckiger Zwiste um denselben Vorrang in der Kirche waren, den man sich gegenseitig so höflich aufzuzwingen suchte3). Es war eine schöne und löbliche Verleugnung eines noch lebendig empfundenen adeligen oder bürgerlichen Hochmuts. Der ganze Kirchgang wurde auf diese Weise zu einer Art von Menuett, denn beim Herausgehen wiederholte sich der Streit; dann kam der Wetteifer, den Höhergestellten rechts gehen zu lassen, das Vorangehen über einen Steg oder durch eine Gasse. Beim Hause angelangt, mußte man, so wie es die spanische Sitte noch verlangt, die ganze Gesellschaft auffordern, mit hineinzukommen, um etwas zu 1) Deschamps ib., p. 300, vgl. VIII, p. 156 ballade no. 1462; Molinet, V,

p. 195; Les cent nouveiles nouvelles, ed. Th. Wright, II, p. 123; vgl. Les Quinze joyes de mariage, p. 185. 2) Kanonisationsprozeß zu Tours, Acta Sanctorum Apr. t. I, p. 152.

3) Solche Rangzwistigkeiten unter dem holländischen Adel, auf welche schon durch W. Moll, Kerkgeschiedenis van Nederland voor de hervorming, Utrecht 1864—6 9, 2 Teile (5 Stücke), II, 3, p. 284, hingewiesen worden ist, sind ausführlich beschrieben bei H. Obreen, Bydragen voor Vaderlandsche Geschiedenis en Oudheidkunde, X) Froissart, ed. Kervyn, XIII, p. 50, XI, p. 99, XIII, p. 4.

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Auch die Poesie wendet dies Stilmittel reichlich an. In einer kurzen Versreihe wechseln manchmal Frage und Antwort bis zu zwei Malen:

„Mort, je me plaing. — De qui? — De toy. —Que t’ay je fait? — Ma dame as pris. —C’est verite. — Dy moy pour quoy. — II me plaisoit. — Tu as mespris1).“

Hier ist die immer wieder abgebrochene Wechselrede nicht mehr

Mittel, sondern schon Zweck: eine Virtuosität. Der Dichter Jean Meschinot verstand diese Kunstfertigkeit bis ins Extrem zu steigern. In einer Ballade, in der das arme Frankreich seinem König (Ludwig XI.) seine Schuld vorhält, wechselt die Rede in jeder einzelnen der dreißig Reihen drei- bis viermal. Und es muß zugegeben werden, daß die Wirkung des Gedichts als politische Satire unter dieser sonderbaren Form nicht leidet. Die erste Strophe lautet folgendermaßen:

„Sire ... — Que veux? — Entendez ... — Quoy? — Mon cas. — Or dy. — Je suys ... — Qui? — La destruicte France! — Par qui? — Par vous. — Comment? — En tous estats. — Tu mens. — Non fais. — Qui le dit? — Ma souffrance. — Que souff res tu? — Meschief. — Quel? — A oultrance. — Je n’en croy rien. — Bien y pert2 3 * * *). — N’en dy plus!

— Las! si feray. — Tu perds temps. — Quelz abus! — Qu’ay-je mal fait? — Contre paix. — Et comment? —Guerroyant ... — Qui? — Vos amys et congnus. — Parle plus beau. — Je ne puis, bonnement8).“

Eine andere Äußerung jenes oberflächlichen Naturalismus in der damaligen Literatur ist folgendes. Obgleich Froissarts Sinn auf die Beschreibung ritterlicher Heldentaten gerichtet ist, beschreibt er trotzdem, wider seinen Willen möchte man sagen, in hohem Maße die prosaische Realität des Krieges. Ebenso wie Commines, der das Rittertum satt hatte, beschreibt Froissart gerade die Ermüdung, die vergeblichen x) Dichter unbekannt, gedruckt Deschamps, Oeuvres X, no. 18, vgl. Le Debat du euer et du corps de Villen, ebenso Charles d’Orleans, rondel 192. 2) Das scheint so. 3) Ed. de 1522, fol. 101, beiA. de laBorderie, JeanMeschinot etc., Bibi, de l’öcole des chartes LVI, 1895, p. 301. Vgl. die Balladen von Henri Baude, ed. Quicherat (Tresor des piäces rares ou inädites, Paris 1856), p. 26, 37, 55, 79. 26*

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Verfolgungen, die zusammenhangslosen Bewegungen, die Unruhe eines

Nachtlagers besonders gut. Er versteht es meisterhaft, Zaudern und Warten zu beschreiben1). In der einfachen und genauen Wiedergabe des äußerlichen Sachverhalts bei einem Ereignis erreicht er manchmal sogar eine fast tragische Kraft, wie z. B. in dem Bericht vom Tod des jungen Gaston

Phebus, der von seinem Vater im Zorn erstochen wurde2). — Er arbeitet so photographisch genau, daß man in seinen Worten die Qualität der Erzähler, denen er seine endlosen faits divers verdankt, erkennen kann. Alles was er z. B. von seinem Reisegefährten, dem Ritter Espaing

du Lyon hat, ist ganz vortrefflich erzählt. Überall, wo die Literatur einfach beobachtend arbeitet, olme durch Konvention behindert zu werden, ist sie der Malerei vergleichbar, wenn sie ihr auch nicht gleichkommt. Gerade weil es uns hier auf die unbefangene Beobachtung eines Einzelfalls, der erzählt werden soll, ankommt, muß man die literarischen

Beschreibungen, die der Malerei am nächsten kommen, nicht unter

der Naturbeschreibung suchen. Denn diese beruht im 15. Jahrhundert noch nicht auf unmittelbarer, unbefangener Beobachtung. Man erzählt einen Fall, weil er wichtig erscheint, und gibt dann die äußeren Umstände wieder, so wie eine lichtempfindliche Platte sie auf-

nimmt. Da ist von einem bewußt literarischen Verfahren noch keine Rede. Die Naturbeschreibung aber, die in der Malerei nur Zubehör ist, also sich ganz unbefangen gibt, tritt in der Literatur als bewußtes

Kunstmittel auf. In der Malerei war die Naturdarstellung reinstes Beiwerk und konnte sich dadurch rein und einfach erhalten. Gerade weil es für den Gegenstand selbst auf den Hintergrund nicht ankam, und dieser keinen Teil an dem hieratischen Stil hatte, konnten die Maler des 15. Jahrhunderts ein Maß von harmonischer Natürlichkeit in ihre Landschaft hineinlegen, die die strenge Disposition ihres Gegenstandes ihnen in der Hauptdarstellung noch verbot. Wir haben in der ägyptischen Kunst eine reine Parallele dieser Erscheinung: sie gibt in der Modellierung einer kleinen Sklavenfigur, weil diese belangx) Froissart, ed. Luce, I, p. 56, 66, 71, XI, p. 13, ed. Kervyn, XII, p. 2, 23; vgl. auch Beschamps, III, p. 42. 2) Froissart ed. Kervyn, XI, p. 89.

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los ist, den Formenkodex preis, der sonst die menschliche Gestalt verzerrt, sodaß manchmal die nebensächlichen menschlichen Figuren dieselbe unvergleichlich schlichte Naturtreue besitzen wie die Tierfiguren. Je weniger Zusammenhang zwischen der Landschaft und der Hauptdarstellung besteht, ein umso harmonischeres und natürlicheres Ganzes

bildet sie. Hinter der unruhigen, bizarren, pompösen Anbetung der Könige in den „Tres riches heures de Chantilly“1) taucht die Aussicht auf Bourges in verträumter Zartheit, atmosphärisch und rhythmisch vollkommen, auf.

In der Literatur ist die Naturbeschreibung noch ganz in das Gewand der Pastorale gehüllt. Es war schon oben die Rede von dem höfischen Streit für und wider das einfache Landleben. Es gehörte, genau wie in den Tagen, da Rousseau Erfolg hatte, zum guten Ton, daß man sich der Eitelkeit des Hoflebens müde erklärte und eine weise Hofflucht affektierte, um sich mit Schwarzbrot und der sorglosen Liebe von Robin und Marion zu begnügen. Es war eine sentimentale

Reaktion auf den vollblütigen Prunk und den stolzen Egoismus der Wirklichkeit, nicht ganz und gar unecht, dennoch aber in der Hauptsache eine literarische Einstellung.

Und zu dieser Einstellung gehört die Naturliebe. Ihr poetischer Ausdruck ist herkömmlich. Die Natur war ein begehrtes Element im großen Gesellschaftsspiel der höfisch-erotischen Kultur. Der Ausdruck für die Schönheit von Blumen und Vogelsang wurde absichtlich in den

gebräuchlichen Formen kultiviert, die jeder Spieler verstand. Auf diese Weise steht die Naturbeschreibung in der Literatur auf einem ganz anderen Niveau als in der Malerei. Abgesehen vom Schäfergedicht und den Gedichteingängen mit obligatem Motiv des Frühlingsmorgens, verspürt man kaum noch eine Sehnsucht nach Naturbeschreibung. Obwohl in der Erzählung manchmal ein paar naturbeschreibende Worte einfiießen, wie z. B. bei Chastellain, wenn er das eintretende Tauwetter beschreibt (und gerade die unabsichtliche Naturbeschreibung ist dann fast immer bei weitem am suggestivsten), bleibt es doch die pastorale Poesie, in der man das Aufblühen des literarischen Naturgefühls an erster Stelle zu suchen 3) P. Durrieu, Les tres-riches heures de Jean de France duc de Berry, 1904. pl. 38.

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hat. Neben die Seiten von Alain Chartier, die oben zitiert wurden, um

die Wirkung der ausführlichen Details im allgemeinen deutlich zu machen, kann man z. B. das Gedicht „Regnault et Jehanneton“ legen, in das der königliche Schäfer Rene seine Liebe für Jeanne ^de Laval einkleidete. Auch hier haben wir keine zusammengefaßte Vision eines

Stückes Natur, keine Einheit, wie sie dei' Maler seiner Landschaft durch Farbe und Licht verleihen konnte, sondern nur ein gemütliches Aneinanderreihen von Einzelheiten. Erst die singenden Vögel, einer nachdem andern, die Insekten, die Frösche, dann die pflügenden Bauern:

„Et d’autre pari, les paisans au labour Si chantent hault, voire sans nul sejour, Resjoyssant

Leurs beuf's, lesquelx vont tout-bel charruant La terre grasse, qui le bon froment rent; Et en ce point ilz les vont rescriant, Selon leur nom: A l’un Fauveau et l’autre Grison, Brunet, Blanchet, Blondeau ou Compaignon; Puis les touchent tel foiz de Taiguillon Pour avancer1).“

Es steckt wohl eine gewisse Frische darin und ein froher Ton, man stelle sich aber daneben die Kalenderdarstellungen der Breviere vor. König Rene gibt uns sozusagen all die Ingredienzen für eine gute Naturbeschreibung, eine Palette mit Farben, mehr aber auch nicht. Weiterhin, wenn das Sinken der Dämmerung beschrieben wird, ist das Streben,

eine Stimmung auszudrücken, unverkennbar. Die andern Vögel schweigen, aber die Wachtel ruft noch, Rebhühner schwirren nach ihrem Lager, Hirsche und Kaninchen kommen zum Vorschein. Eben noch erblinkt die Sonne auf einer Turmspitze, dann wird die Luft kühl, Eulen und Fledermäuse fangen an herumzuflattern und das Glöckchen der Kapelle läutet zum Ave. Die Kalenderblätter der „Tres-richesheures“ bieten uns Gelegenheit, dasselbe Motiv in Kunst und Literatur zu vergleichen. Die prächtigen Burgen, die im Werk der Gebrüder van Limburg den Hinter-

grund des Kalenders ausfüllen, sind allgemein bekannt. Als lite) Oeuvres du roi Rene, ed. de Quatrebarbes, II, p. 105.

Brüder von Limburg / September (Monatsbild) aus «Lestres riches heures du Duc de Berry» (Chantilly, Musee Conde)

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rarisches Gegenstück dazu kann man die Dichtung von Eustache Deschamps nehmen. In einer Anzahl von sieben kurzen Gedichten singt dieser das Lob von verschiedenen nordfranzösischen Burgen: Beaute, die später Agnes Sorel aufnehmen würde, Bievre, Cachan, Clermont, Nieppe, Noroy und Coucy1). Deschamps hätte ein Dichter mit sehr viel mächtigerem Flügelschlag sein müssen, um hier dasselbe, was die Gebrüder van Limburg in diesen zartesten und feinsten Äußerungen der Miniaturkunst auszudrücken wußten, zu erreichen. Auf dem Septemberblatt taucht hinter der Weinernte das Schloß von Saumur wie aus einem Traum auf: die Turmspitzen mit ihren hohen

Windfahnen, die Fialen, die Lilienornamente auf den Zinnen, die zwanzig schlanken Schornsteine, das blüht alles wie ein wildes Beet

hoher weißer Blumen in der dunkelblauen Luft auf. Daneben der majestätische breite Ernst des fürstlichen Lusignan auf dem Märzblatt, die düsteren Türme von Vincennes, die drohend über den dürren Blättern des Dezemberwaldes hervortreten2). Besaß nun der Dichter, wenigstens dieser, ein gleichwertiges Aus-

drucksmittel, um solche Bilder herauf zu beschwören? Natürlich nicht. Die Beschreibung der architektonischen Formen des Schlosses,

wie in dem Gedicht auf Schloß Bievre, konnte keine Wirkung hervorrufen. Eine Aufzählung der Genüsse, die das Schloß bot, ist eigentlich alles, was er zu geben weiß. Natürlich befindet sich der Maler außerhalb des Schlosses und schaut hin, während der Dichter sich in der Burg befindet und herausschaut: „Son filz ainsne, daulphin de Viennois, Donna le nom ä ce lieu de Beaute. Et c’est bien drois, car moult est delectables: L’en y oit bien le rossignol chanter; Marne l’ensaint3), les haulz bois profitables Du noble parc puet l’en veoir branler . . . Les prez sont pres, les jardins deduisables, Les beaus preaulx, fontenis bei et der, Vignes aussi et les terres arables,

_Moulins touroans, beaus plains ä regarder.“ *) Deschamps, I, nos. 61, 144; III, nos. 454, 483, 524; IV, nos. 617, 636. 2) Durrieu, 1. c., pl. 3, 9, 12. 3) Umringt es.

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Wie wirkt dies anders auf uns als die Miniatur! Trotzdem haben Bild und Gedicht hier sowohl Verfahren wie Stoff gemeinsam: sie zählen das Sichtbare (und im Gedicht auch das Hörbare) auf. Des Malers Blick ist aber fest auf einen bestimmten und begrenzten Komplex eingestellt: er muß im Aufzählen Einheit, Beschränkung und Zusammenhang geben. Paul von Limburg mag in seinem Februarbild alle Einzelheiten des Winters zusammenstellen: die Bauern, die sich vorn am Feuer wärmen, die Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt ist, die Nebelkrähen auf dem Schnee, die Schafshürde, die Bienenkörbe,

die Fässer und die Karre; dazu der ganze winterliche Hintergrund mit dem stillen Dörfchen und dem einsamen Gehöft auf dem Hügel. Die ruhige Einheitlichkeit des Bildes bleibt doch vollkommen. Des Dichters Blick hingegen irrt herum, findet keinen Ruhepunkt; er weiß sich nicht zu beschränken und gibt nichts Einheitliches. Die Form ist dem Inhalt voran. In der Literatur sind Form und Inhalt beide alt, in der Malerei dagegen ist der Inhalt alt, die Form aber neu. In der Malerei liegt in der Form viel mehr Ausdruck als in der Literatur. Der Maler kann seine ganze unausgesprochene Weisheit in die Form hineinlegen: die Idee, die Stimmung, die Psychologie, alles kann er wiedergeben, ohne daß er sich damit abzuquälen braucht, es in Worte zu übertragen. Die Epoche ist vorwiegend visuell veranlagt. Dies erklärt uns, warum der pikturale Ausdruck dem literarischen so überlegen ist: eine Literatur, die vorwiegend visuell wahrnimmt, versagt. Die Dichtkunst des 15. Jahrhunderts scheint fast ohne neue Gedanken dahin zu leben. Es herrscht eine allgemeine Ohnmacht, Neues zu ersinnen; es gibt nur ein Bearbeiten, Modernisieren des alten Stoffes.

Es ist eine Pause im Denken eingetreten; der Geist hat das mittelalterliche Gebäude fertiggestellt und zögert ermüdet. Überall ist nur Leere und Dürre. Man verzweifelt an der Welt; alles geht zurück; es herrscht nur eine starke Gemütsdepression. Deschamps seufzt : „Helas! on dit que je ne fais mes rien, Qui jadis fis mainte chose nouvelle; La raison est que je n’ay pas merrien1) Dont je fisse chose bonne ne belle 2).“ 0 Stoff. 2) Deschamps, VI, p. 191, no. 1204.

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Nichts scheint uns stärker von Stillstand und Verfall zu zeugen als die Tatsache, daß man die alten gereimten Ritterromane und andere Gedichte in ellenlange, gleichmäßige Prosa übertrug. Trotzdem kündet dieses „Entreimen“ des 15. Jahrhunderts einen Übergang zu einem neuen Geist an. Noch im 13. Jahrhundert konnte man alles in Reime bringen, bis zur Medizin und Naturgeschichte, ebenso wie die altindische Literatur die Versform für alle Wissenschaft anwandte. Die gebundene Form bedeutet, daß der Vortrag der beabsichtigte Weg der Mitteilung ist. Nicht der persönliche, gefühlvolle, expressive Vortrag, sondern das Herunterleiern, denn in primitiveren literarischen Epochen wird der Vers auf eine feste eintönige Melodie halb gesungen. In dem neuen Bedürfnis nach Prosa liegt nun ein Trieb nach Ausdruck, der Aufschwung des modernen Lesens gegenüber dem alten Vortragen. Hiermit steht auch die Einteilung des Stoffs in kleine

Kapitel mit zusammenfassenden Titeln im Zusammenhang, die im 15. Jahrhundert ganz allgemein wird, während vorher die Werke wenig gegliedert zu sein pflegten. Man stellte an die Prosa verhältnismäßig

höhere Ansprüche als an die Poesie; in der alten gereimten Form nimmt man noch alles in Kauf, die Prosa dagegen ist die Kunstform.

Die höhere Qualität der Prosa im allgemeinen steckt aber in ihren formalen Elementen; von neuen Gedanken ist sie ebenso wenig erfüllt wie die Poesie. Froissart ist der vollkommene Typus des Geistes, der im Wort nicht denkt, sondern nur darstellt. Er hat kaum Gedanken, nur Vorstellungen von Tatsachen. Er kennt nur einige wenige sittliche Motive und Gefühle: Treue, Ehre, Habgier, Mut, und diese nur in ihrer allereinfachsten Form. Er wendet keine Theologie an, keine Allegorie, keine Mythologie, mit knapper Not etwas Moral; er erzählt nur, korrekt, mühelos, ganz dem Fall entsprechend, aber trotzdem inhaltlos und nie packend, mit der

mechanischen Äußerlichkeit, mit der das Kino die Wirklichkeit wiedergibt. Seine Betrachtungen sind von beispielloser Banalität; alles langweilt, nichts ist gewisser als der Tod, manchmal verliert man und manchmal gewinnt man auch. Bei bestimmten Vorstellungen bringt er mit automatischer Sicherheit dieselben festen Urteile: so behauptet er z. B., so oft er von Deutschen spricht, daß

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sie ihre Gefangenen schlecht behandeln und besonders habgierig sind1).

Selbst die oft zitierten geistreichen Aussprüche Froissarts verlieren, wenn man sie in dem Zusammenhang liest, viel von ihrer Kraft. Man

hält es z. B. für eine scharfe Charakteristik des ersten Herzogs von Burgund, des berechnenden und beharrlichen Philipp dem Kühnen, wenn Froissart ihn „sage, froid et imaginatif, et qui sur ses besognes veoit au loin“ nennt. Aber Froissart sagt dies von jedem!2) Auch das bekannte „Ainsi ot messire Jehan de Blois femme et guerre qui trop luy cousta“3) hat im Zusammenhang eigentlich nicht die Pointe, die man darin empfindet. Ein Element fehlte Froissart ganz: das Rhetorische. Und gerade die Rhetorik war es, die die Zeitgenossen über den Mangel an neuem Inhalt hinwegtäuschte. Sie schwelgen geradezu in der Pracht des gekünstelten Stils; die Gedanken erscheinen ihnen neu durch ihre stattliche Aufmachung. Die Begriffe tragen alle steife Brokatgewänder. Die Ehr- und Pflichtbegriffe tragen das bunte Kostüm der ritterlichen Illusion. Der Natursinn steckt in dem Kostüm der Pastorale, und die Liebe ist meist eingeengt in die Allegorie des Roman de la Rose. Kein einziger Gedanke steht nackt und frei da. Sie können sich kaum noch

anders als gemessenen Schrittes in endlosen Aufzügen fortbewegen.

Das rhetorisch-ornamentale Element fehlt übrigens in der bildenden Kunst durchaus nicht. Es gibt zahllose Partien, die man gemalte Rhetorikerkunst nennen könnte. So z. B. auf van Eycks Madonna des Domherrn Van de Paele der Heilige Georg, der den^Stifter der Jung-

frau empfiehlt. Wie deutlich hat der Künstler in jenem goldenen Panzer und dem Prunkhehn antikisieren wollen; wie schlaff rhetorisch ist die Gebärde, mit der der Heilige auftritt. Der Erzengel Michael auf dem Dresdener Triptychon trägt denselben allzuschönen

Putz. Auch das Werk von Paul von Limburg weist dies bewußt rhetorische Element in dem überladenen, bizarren Prunk auf, mit x) Froissart, ed. Luce, V, p. 64, VIII, p. 5, 48, XI, p. 110, ed. Kervyn, XIII. p. 14, 21, 84, 102, 264. 2) Froissart, ed. Kervyn, XV, p. 54, 109, 184, XVI, p. 23, 52, ed. Luce, I, p. 394.

s) Froissart, XIII, p. 13.

BILD UND WORT I

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dem die drei Könige auftreten, im unverkennbaren Streben nach einem exotischen, theatralischen Ausdruck. ❖*

Die Poesie des 15. Jahrhunderts zeigt sich am vorteilhaftesten, wenn

sie nicht danach trachtet, schwerwiegende Gedanken auszudrücken und der Aufgabe, dies auch noch schön zu tun, enthoben ist; wenn sie nur einen Augenblick ein Bild, eine Stimmung heraufbeschwört. Ihre Wirkung beruht auf ihren formalen Elementen: dem Bild, dem Ton, dem Rhythmus. Daher versagt sie in groß angelegten, langatmigen Kunstwerken, in denen die rhythmischen und Tonqualitäten unter-

geordnet sind, ist aber frisch in den genres, in denen die Form Hauptsache ist; dem Rondeau, der Ballade, die sich durchweg auf einen

einzigen leichten Gedanken aufbauen und ihre Kraft dem Bild, Ton und Rhythmus entlehnen. Es sind die einfach und unmittelbar gestaltenden Eigenschaften des Volksliedes; dort wo das Kunstlied sich dem Volkslied am nächsten anschließt, geht der größte Zauber von ihm aus.

Im 14. Jahrhundert findet ein Umschwung in dem Verhältnis zwischen lyrischer Poesie und Musik statt. In der älteren Periode war das Gedicht, sogar nicht nur das lyrische, unverbrüchlich an den musikalischen Vortrag gebunden, ja man nimmt sogar an, daß auch die chansons de geste gesungen wurden, jede Reihe von zehn oder zwölf Silben auf dieselbe Weise (genau wie die indische Qloka). Den Nor-

maltypus des mittelalterlichen lyrischen Dichters bildet jener, der sowohl das Gedicht verfaßt wie auch die Musik dazu komponiert. Im 14. Jahrhundert finden wir das bei Guillaume de Machaut. Er ist es zugleich, der die gebräuchlichsten lyrischen Formen für seine Zeit festlegt: die Ballade, das Rondel usw., er findet auch die Form des Debat. Das Kennzeichnende für Machauts Rondels und Balladen ist eine große Schlichtheit, geringe Farbigkeit und leichter Gedanken-

inhalt, und das sind Vorzüge, weil hier das Gedicht nur die Hälfte des Kunstwerkes ausmacht. Das Lied mit Musik ist um so besser, je weniger bunt und ausdrucksvoll es ist, wie z. B. das einfache Rondel:

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ZWANZIGSTES KAPITEL

„Au departir de vous mon euer vous lais Et je m’en vois dolans et esploures. Pour vous servir, saus retraire jamais, Au departir de vous mon euer vous lais. Et par m’ame, je n’arai bien ne pais Jusqu’au retour, einsi desconfortes. Au departir de vous mon euer vous lais Et je m’en vois dolans et esploures1).“

Deschamps ist nicht mehr selbst der Komponist seiner Balladen, und er ist daher auch viel bunter und unruhiger als Machaut, deswegen oft interessanter, aber von geringerem poetischen Stil. Natürlich stirbt das flüchtige, Uchte, fast inhaltslose für Musik bestimmte Gedicht nicht aus, wenn die Dichter nicht selbst mehr die Musik dazu machen. Das Rondel bleibt im Stil, wie z. B. folgendes von Jean Meschinot: „M’aimerez-vous bien, Dictes, par vostre ame? Mais que je vous ame Plus que nulle rien, M’aimerez-vous bien? Dieu mit tant de bien En vous, que c’est basme; Pour ce je me clame Vostre. Mais combien M’aimerez-vous bien?2)“

Das saubere einfache Talent von Christine de Pisan eignete sich ganz besonders für diese flüchtigen Effekte. Sie hatte dieselbe Leichtigkeit im Versemachen wie all ihre Zeitgenossen, wenig variiert in Form und Gedanken, glatt und farblos, still und ruhig, mit einer leisen scherzenden Melancholie. Es sind echt literarische Gedichte, gedanklich und im Ton vollkommen höfisch. Sie erinnern uns an die elfenbeinernen Plaketten des 14. Jahrhunderts, die in rein konventioneller Darstellung immer wieder dieselben Motive geben: eine Jagdszene, ein Motiv aus Tristan et Yseult oder aus dem Roman de la Rose, anx) G. de Machaut, Poesies lyriques, ed. V. Chichmaref (Zapiski ist. fil. fakulteta imp. S. Peterb. universiteta XCII, 1909) no. 60, I, p. 74. 2) La Borderie, 1. c., p. 618.

BILD UND WORT I

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mutig, kühl und reizvoll. Und wo nun Christine mit ihrer sanften Verfeinerung zugleich den Ton des Volkslieds trifft, da entsteht manchmal etwas ganz Reines. Ein Wiedersehen z. B.: „Tu soies le tres bien venu, M’amour, or m’embrace et me baise Et comment t’es tu maintenu Puis ton depart? Sain et bien aise As tu este tousjours? Qa vien Coste moy, te sie et me conte Comment t’a este, mal ou bien, Car de ce vueil savoir le compte.

— Ma dame, a qui je suis tenu Plus que aultre, a nul n’en desplaise, Sackes que desir m’a tenu Si court qu’oncques n’oz tel mesaise, Ne plaisir ne prenoie en rien Loings de vous. Amours, qui cuers dompte, Me disoit: ‘Loyaute me tien, Car de ce vueil savoir le compte.’ — Dont m’as tu ton serment tenu, Bon gre t’en sgay, par saint Nicaise; Et puis que sain es revenu Joye arons assez; or t’apaise Et me dis se scez de combien Le mal qu’en as eu a plus monte Que eil qu’a souffert le euer mien, Car de ce vueil savoir le compte. — Plus mal que vous, si com retien, Ay eu, mais dites sanz mesconte, Quans baisiers en aray je bien? Car de ce vueil savoir le compte1).“

Ein Entbehren: „II a au jour d’ui un mois Que mon ami s’en ala. ) Christine de Pisan, Oeuvres poetiques. I, p. 276.

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ZWANZIGSTES KAPITEL

Mon euer remaint morne et cois,

II a au jour d’ui un mois. ‘A Dieu, me dit, je m’eu vois’; Ne puls a moy ne parla, IJ a au jour d’ui un mois *).“ Eine Hingabe: „Mon ami, ne plourez plus; Car tant me faittes pitie Que mon euer se rent conclus A vostre doulce amistie. Reprenez autre maniere; Pour Dieu, plus ne vous doulez, Et me faittes bonne chiere: Je vueil quanque vous voulez“.

Die zarte, spontane Weiblichkeit dieser Liedchen, ohne die männlich-wichtigen phantastischen Betrachtungen und den farbigen Aufputz der Figuren aus dem Rosenroman, macht sie uns genießbar. Sie bieten uns nur eine einzige, eben gespürte Stimmung, das Thema hat nur eben im Herzen angeschlagen und ist dann sofort verbildlicht, ohne daß der Gedanke nachzuhelfen brauchte. Deswegen hat aber auch diese Poesie so besonders oft jene Eigenschaft, welche für die Musik

wie auch für die Poesie aller Perioden charakteristisch ist, in der die Inspiration ausschließlich auf der einfachen Vision eines Augenblicks beruht: das Thema ist rein und stark, das Lied setzt mit klarem und festem Ton ein, wie ein Amselschlag, aber schon nach der ersten Strophe hat sich der Dichter oder Komponist ausgegeben; die Stimmung sinkt weg, und die Ausführung versandet in schwacher Rhetorik. Es ist die ewig gleiche Enttäuschung, die uns fast alle Dichter des 15. Jahrhunderts bereiten. Es folge hier ein Beispiel aus Christines Balladen: „Quant chacun s’en revient de Tost Pour quoy demeures tu derriere? Et si scez que m’amour entiere T’ay baillee en garde et depost2).“ 1) Ib. I, p. 275, no. 5. 2) Ib. p. 164, no. 80.

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Man sollte nun eine feine, mittelalterlich-französische Lenorenballade darauf erwarten. Die Dichterin hat aber nichts anderes als diesen Anfang zu sagen und nach zwei weiteren kurzen unwichtigen Strophen macht sie der Sache ein Ende.

Wie frisch setzt „Le debat dou cheval et dou levrier“ von Froissart ein: „Froissart d’Escoce revenoit Sus un cheval cui gris estoit, Un blanc levrier menoit en lasse. ‘Las’, dist le levrier, ‘je me lasse, Grisel, quant nous reposerons? II est heure que nous mengons’* 2).“

Dieser Ton wird aber nicht durchgeführt, sofort klappt das Gedicht zusammen. Das Thema ist nur gesehen, nicht gedacht. Die Themen sind übrigens manchmal prächtig suggestiv. In Pierre Michault’s „Danse aux Aveugles“ sieht man die Menschheit in ewigem Tanz rund um die Throne von Liebe, Glück und Tod3). Die Ausführung bleibt jedoch von Anfang an unter dem Mittelmaß. Eine „Exclamacion des os Sainct Innocent“ von einem Unbekannten beginnt mit dem Zuruf der Knochen in den Beinhäusern des berühmten Kirchhofs: „Les os sommes des povres trespassez. Cy amassez par monceaulx compassez, Rompus, cassez, sans reigle ne compas . . . *)“

Ein Ansatz, als Eingang der düstersten Totenklage wohl geeignet; aber es kommt nichts anderes dabei heraus als ein memento mori der allergewöhnlichsten Art.

Es sind alles für Bildwerke geeignete Vorwürfe. Für den Maler umfaßt solch eine einzelne Vision in sich schon den Stoff für die durchgearbeitete Ausführung, für den Dichter aber reicht sie nicht aus. *) Froissart, Po6sies, ed. Scheier, II, p. 216. 2) P. Michault, La dance aux aveugles etc., Lille, 1748. 3) Recueil de poesies fran^oises des XVe et XVIe si^cles, ed. de Montaiglon (Bibi, elzevirienne) t. IX, p. 59.

Einundzwanzigstes Kapitel Bild und Wort II

Ist denn die Malerei des 15. Jahrhunderts an Ausdrucksfähigkeit der Literatur in jeder Beziehung überlegen? Nein. Es bleiben immer Gebiete, auf welchen die Literatur über reichere und unmittelbarere Ausdrucksmöglichkeiten verfügt als die bildende Kunst. Solch ein Gebiet haben wir vor allen Dingen im Spott. Die bildende Kunst kann,

wo sie sich zur Karikatur erniedrigt, nur ein geringes Maß von Komik ausdrücken. Das Komische, rein sichtbar dargestellt, hat die Neigung, wieder in Ernst überzugehen. Nur dort, wo die Beimischung des komischen Elements in der Lebensgestaltung sehr klein ist, wo es nur Gewürz ist und nicht im Geschmack des Gerichts vorherrschen darf, kann die Darstellung mit dem sprachlichen Ausdruck gleichen Schritt halten. Als solch eine Komik in schwächster Potenz mag man die Genremalerei betrachten. Hier ist die bildende Kunst noch ganz und gar auf ihrem eigenen Gebiet. Die ungezügelte Ausführung der Einzelheiten, die wir schon oben der Malerei des 15. Jahrhunderts zuerkannten, geht unauffällig in das behagliche Erzählen von Kleinigkeiten, in das Genreartige über. Bei dem Meister von Flemalle ist die Detaillierung ganz „genre“ geworden. Sein Zimmermann Joseph sitzt und verfertigt Mausefallen. Das Genrehafte steckt in all seinen Details: von der Manier, auf welche van Eyck einen Fensterladen offenstehen läßt, eine Anrichte oder einen Kamin malt, zu der des Meisters von Flemalle ist der Schritt von der rein malerischen Vision zum Genre gemacht. Aber schon auf diesem Gebiet hat plötzlich das Wort eine Dimension mehr als die Darstellung. Es vermag die Gemütsstimmung explicite wiederzugeben. Man erinnere sich noch einmal an Deschamps Beschreibungen von der Schönheit der Schlösser. Eigentlich waren sie mißglückt und blieben unendlich weit hinter dem, was die Miniatur-

BILD UND WORT II

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kunst daraus zu machen verstand, zurück. Aber man vergleiche nun die Ballade, in der Deschamps in einem Genrebild beschreibt, wie er selbst krank liegt in seinem armseligen Schlößchen zu FismesQ. Die Eulen, Krähen, Stare, Spatzen, die in seinem Turme nisten, verhindern ihn zu schlafen: „C’est une estrange melodie Qui ne semble pas grant deduit* 2) A gens qui sont en maladie. Premiers les corbes font sgavoir

Pour certain si tost qu’il est jour: De fort crier font leur pouoir, Le gros, le gresle, sanz sejour; Mieulx vauldroit le son d’un tabour Que telz cris de divers oyseaulx, Puis vient la proie3); vaches, veaulx, Crians, muyans, et tont ce nuit, Quant on a Je cervel trop vuit, Joint du moustier 4) la sonnerie, Qui tout l’entendement destruit A gens qui sont en maladie.“ Abends kommen die Eulen und erschrecken den Kranken durch ihr klagendes, Todesgedanken weckendes Schreien: „C’est froit hostel et mal reduit A gens qui sont en maladie.“ Sobald nur ein Schein von Komik, oder auch nur vom gemütlichen Erzählen hindurchdringt, wirkt das aneinanderreihende, aufzählende Verfahren nicht mehr so ermüdend. Lebendige Schilderungen bürgerlicher Sitten, lange behagliche Beschreibungen der weiblichen Toilette unterbrechen die Eintönigkeit. In seinem langen allegorischen Gedicht „L’espinette amoureuse“ erquickt Froissart uns plötzlich mit einer Auf-

zählung von ungefähr sechzig Kinderspielen, die er alle als kleiner Knabe in Valenciennes zu spielen pflegte5). Der literarische Dienst 9 Deschamps, VI, no. 1202, p. 188. 2) Vergnügen. 3) Das Vieh, das auf die Weide geht.

4) Die Kirche. 5) Froissart, Poesies, I, p. 91. 27 Huizinga, Mittelalter

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EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

des Teufels der Völlerei hat schon begonnen. Die üppigen Mahlzeiten eines Zola, Huysmans, Anatole France haben ihre Prototypen schon im Mittelalter. Wie appetitlich beschreibt Froissart die Brüssler Bonvivants, die den fetten Herzog Wenzel in der Schlacht bei Bäs-

weiler umringen; sie haben ihre Diener bei sich mit großen Weinflaschen am Sattelknopf, mit Brot und Käse, Lachs, Forellen und Aalpasteten, alles fein säuberlich in kleine Servietten eingewickelt; so stehen sie der Schlachtordnung hemmend im Wege1).

Zufolge ihrer Veranlagung für das Genrehafte ist die Literatur jener Zeit imstande, auch das Nüchternste in Verse zu setzen. Deschamps

kann in einem Gedicht um Geld mahnen, ohne dabei von seinem gewohnten Dichterniveau herabzusinken; er bettelt in einer Reihe von Balladen um ein versprochenes Staatskleid, um Brennholz, um ein Pferd, um rückständigen Gehalt2 3).

Nun ist nur noch ein Schritt vom Genrehaften zum Bizarren, Burlesken oder wenn man so will: zur Art des Breughel. Auch noch in dieser Form des Komischen ist die Malerei der Literatur gleichwertig.

Das Breughel-Element ist in der Kunst um 1400 schon völlig vorhanden. Man entdeckt es in dem Joseph auf Broederlams Flucht nach

Ägypten zu Dijon, in den schlafenden Kriegsknechten auf den drei Marien am Grabe, die Hubert van Eyck zugeschrieben worden sind. Keiner ist in dem absichtlich Bizarren so stark wie Paul von Limburg. Ein Zuschauer bei Marias Tempelgang trägt eine meterhohe, krumme Zaubermütze und klafterlange Ärmel. Burlesk zeigt er sich am Taufbecken, das drei ungeheuerliche Masken mit ausgestreckten Zungen trägt, und in der Einrahmung von Maria und Elisabeth, wo ein Held aus einem Turm heraus eine Schnecke bekämpft, ein anderer Mann auf einem Schubkarren ein Ferkel schiebt, das auf dem Dudelsack spielt8).

Bizarr ist die Literatur des 15. Jahrhunderts fast auf jeder Seite; ihr gekünstelter Stil, die sonderbar phantastische Kostümierung ihrer Allegorien können es bezeugen. Motive, in denen später Breughels x) Froissart, ed. Kervyn, XIII, p. 22. 2) Deschamps, I, p. 196, no. 90, p. 192, no. 87, IV, p. 294, no. 788, V, no. 903, 905, 919, VII, p. 220, no. 1375, vgl. II, p. 86, no. 250, no. 247. 3) Durrieu, Les tres riches heures, pl. 38, 39, 60, 27, 28.

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ausgelassene Phantasie sich austoben sollte, wie z. B. der Streit zwischen Fasten und Fastnacht, der Kampf zwischen Fleisch und Fisch,

sind in der Literatur des 15. Jahrhunderts schon sehr beliebt. Im höchsten Maße Breughelisch ist Deschamps’ scharfe Vision, in der er

dem Wächter die Truppen, die sich in Sluis gegen England versammeln, wie ein Heer von Ratten und Mäusen erscheinen läßt: „‘Avant, avant! tirez-vous ga. Je voy merveille, ce nie semble’. — ‘Et quoy, guette, que vois-tu lä?’ ‘Je voy dix mille rats ensemble Et mainte souris qui s’assemble Dessus la rive de la mer’ . .

Ein anderes Mal sitzt er traurig und zerstreut am Tisch bei Hofe; mit einemmal sieht er, wie die Höflinge essen: der eine kaut wie ein Schwein, der andere knabbert wie ein Mäuschen, einer gebraucht seine Zähne wie eine Säge, dieser verzerrt sein Gesicht, bei jenem fegt der Bart auf und ab, „während sie aßen, schienen es Teufel“ 1).

Sobald die Literatur Volksleben schildert, verfällt sie von selbst in jenen saftigen, mit Laune gewürzten Realismus, der sich alsbald so

blühend in der bildenden Kunst entwickeln wird. Chastellains Beschreibung des armen Bauern, der den verirrten Herzog von Burgund

aufnimmt, fällt wie ein Stück Breughel aus2). Die Pastorale wird in ihrer Beschreibung von essenden, tanzenden und werbenden Schäfern immer wieder von ihrem sentimentalen und romantischen Grundthema

zu einem frischen Naturalismus von leicht komischer Wirkung hingezogen. Hierhin gehört auch das Interesse für das Zerlumpte, das sich

sowohl in der Literatur wie in der bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts schon zu regen beginnt. Die Kalenderminiaturen betonen voller Wohlgefallen die durchgescheuerten Knie der Mäher im Korn oder die Malerei die Lumpen der Bettler, die Barmherzigkeit finden. Hier haben wir den Amsgangspunkt der Linie, die über Rembrandts Radierungen und Murillos Bettelknaben zu den Straßentypen von Steinlen

hinführt. 9 Deschamps, no. 1060, V, p. 351, no. 844, V, p. 15. 2) Chastellain, III, p. 256 ff. 17*

420 * EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL Hier springt aber auch wieder der große Unterschied zwischen der malerischen und literarischen Einschätzung ins Auge. Während die bildende Kunst schon das Malerische des Bettlers erfaßt, also den Zauber

der Form empfindet, ist die Literatur vorerst nur erfüllt von der Bedeutung des Bettelnden, sei es, daß sie ihn beklagt, preist oder verwünscht. Und gerade in diesen Verwünschungen nun liegen die Urbilder für den literarischen Realismus der Armutsschilderung. Die Bettler waren zu Ende des Mittelalters zu einer entsetzlichen Plage geworden. In den Kirchen lag ihre jammervolle Schar herum und störte den Gottesdienst mit ihrem Geschrei und Lärm; unter ihnen war viel böses Volk „validi mendicantes“. Das Domkapitel von Notre Dame zu Paris versuchte 1428 vergeblich, sie nach den Kirchtüren zu

verweisen; erst später gelingt es, sie wenigstens vom Chor in das Schiff der Kirche abzudrängen1). Deschamps wird nicht müde, seinen Haß gegen jene Elenden kund zu geben; er betrachtet sie sämtlich als

Heuchler und Betrüger. Prügelt sie aus der Kirche hinaus, ruft er, laßt sie hängen oder verbrennen2)! Der Weg von hier zur modernen literarischen Beschreibung des Elends scheint viel länger als der, den

die bildende Kunst zurückzulegen hat; in der Malerei kam ganz von selbst ein neues Sentiment in das Bild hinein, in der Literatur hingegen mußte sich ein neugereiftes soziales Gefühl erst ganz neue Ausdrucksformen schaffen. Dort, wo das komische Element, ob schwächer oder stärker, gröber

oder feiner, schon in dem äußeren Sachverhalt an sich, wie beim Genre und der Burleske, gegeben ist, da kann die bildende Kunst mit dem Wort gleichen Schritt halten. Aber es gab außerhalb dessen Sphären des Komischen, die dem pikturalen Ausdruck durchaus unzugänglich waren, in denen weder Farbe noch Linie irgend etwas aus-

zudrücken vermochten. Überall, wo das Komische einen positiven Lachreiz ausüben will: in dem Lustspiel, der Posse, der Burleske, den Schwankerzählungen, kurzum in allen Formen des Grob-Komischen 1) Journal d’un bourgeois, p. 3252. 2) Deschamps, nos 1229, 1230, 1233, 1259, 1299, 1300, 1477, VI, p. 230, 232, 237, 279, VII, p. 52, 54, VIII, p. 182, vgl. Gaguin’s De validorum mendicantium astucia, Thuasne, II, p. 169 ss.

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herrscht die Literatur unbeschränkt. Aus jenem reichen Schatz spatmittelalterlicher Kultur spricht ein ganz eigener Geist. Auch dort, wo der Spott seine feinsten Töne anschlägt und sich über das Ernsteste im Leben, die Liebe und das eigene Leid ergießt, auf dem Gebiet des leisen Lächelns, ist die Literatur Meister. Durch die Einmischung der Ironie wurden die gekünstelten, geglätteten und abgenutzten Formen der Erotik einer Verfeinerung und Säuberung unterzogen.

Außerhalb des Erotischen ist die Ironie noch plump und naiv. Der Franzose von 1400 beachtet ab und zu noch die Vorsicht, seine Leser zu warnen, wenn er ironisch spricht. Deschamps preist die gute Zeit; alles läuft vortrefflich, überall herrscht Friede und Gerechtigkeit: „L’en me demande chascun jour Qu’il me semble du temps que voy, Et je respons: c’est tout honour, Loyaute, verite et foy, Largesce, prouesce et arroy, Charite et biens qui s’advance Pour le commun; mais, par ma loy, Je ne di pas quanque je pense.“

Oder an einer anderen Stelle am Schluß einer Ballade derselben Tendenz: „Tons ces poins a rebours retien1)“; und noch anderswo mit dem Refrain: „C’est grant pechiez d’ainsy blasmer le monde“: „Prince, s’il est par tout generalment Comme je say, tonte vertu habonde; Mais tel m’orroit qui diroit: ‘II se ment’ . . ,'2)“

Ein Schöngeist aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts be-

titelt ein Epigramm: „Soubz une meschante paincture faicte de mauvaises couleurs et du plus meschant peinctre du monde, par maniere d’yronnie par maitre Jehan Robertet“3). Wie fein dagegen kann die Ironie schon sein, sobald sie sich mit

der Liebe befaßt. Sie vermischt sich dann mit der sanften Melancholie, mit der matten Zärtlichkeit, die die Erotik des 15. Jahrhunderts 0 Deschamps, no. 219, II, p. 44, no. 2, I, p. 71. D Ib. IV, p. 291, no. 786.

8) Bibliotheque de l’ecole des chartes, 2e serie III, 1846, p. 70.

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EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

in den alten Formen zu etwas Neuem gestaltet. Das dürre Herz zerschmilzt in einem Schluchzen. Ein Ton erklingt, der in der irdischen Liebe noch nicht angeschlagen war: de profundis. Dies ist die Selbstverspottung, die Gestalt des „amant remis et

renie“, die Villon annimmt; es sind die matten kleinen Lieder der Desillusion, die Charles d’Orleans singt, das Lächeln unter Tränen: „Je riz en pleurs“, was nicht nur Villons Erfindung gewesen ist. Ein alter biblischer Gemeinplatz: „risus dolore miscebitur et extrema gaudii luctus occupat“Q lebte in einer neuen Anwendung wieder auf, bekam einen verfeinerten bitteren Gefühlswert. Alain Chartier, der glatte Hofpoet, kennt dies Motiv ebenso genau wie Villon, der Vaga-

bund. Früher als beide hat es schon Othe de Granson. Folgende Beispiele sind von Alain Chartier. „Je n’ay bouche qui puisse rire, Que les yeulx ne la desmentissent: Car le cueur l’en vouldroit desdire Par les lermes qui des yeulx issent.“

Oder von einem betrübten Liebhaber: „De faire chiere s’efforgoit Et menoit une joye fainte, Et ä chanter con cueur forgoit Non pas pour plaisir, mais pour crainte, Car tousjours ung relaiz de plainte S’enlassoit au ton de sa voix, Et revenoit ä son attainte Comme l’oysel au chant du bois1 2).“

Am Schluß eines Gedichtes verleugnet der Dichter, im Ton des Vagantenliedes, sein Leid: „C’est livret voult dicter et faire escripre Pour passer temps sans courage villain Ung simple clerc que l’en appelle Alain, Qui parle ainsi d’amours pour oyr dire3).“ 1) Proverbia, 14, 13.

2) Alain Chartier, La belle dame sans mercy, p. 503, 505, vgl. Le debat du reveille-matin, p. 498; Chansons du XVe siede, p. 71, no. 73; L’amant rendu cordelier ä l’observance d’amours, vs. 371; Molinet, Faictz et dictz, ed. 1537, f. 172. 8) Alain Chartier, Le debat des deux fortunes d’amours, p. 581.

BILD UND WORT II

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Oder in einer detaillierten Phantasie wie die am Schluß von König Renes endlosem „Cuer d’amours espris“; der Kammerdiener schaut mit einer Kerze nach, ob des Königs Herz nicht verschwunden sei; aber er kann kein Loch in der Seite entdecken: „Sy me dist tout en soubzriant Que je dormisse seulement Et que n’avoye nullement

Pour ce mal garde de morir1).“ Die alten konventionellen Formen bekamen durch das neue Gefühl

wieder neue Frische. Keiner hat die gebräuchliche Personifizierung der Gefühle so weit wie Charles d’Orleans durchgeführt. Er sieht sein Herz ganz wie ein abgesondertes Wesen: „Je suys celluy au cueur vestu de noir . . .2).“ Die ältere Lyrik, selbst der dolce stil nuovo hatten die Personifikationen noch heilig ernst genommen. Bei Orleans jedoch sind die Grenzen zwischen Ernst und Spott nicht mehr zu ziehen; er übertreibt die Personifizierung, ohne daß das feine Gefühl dabei verlorengeht: „Un jour ä mon cueur devisoye Qui en secret ä moy parloit, Et en parlant lui demandoye Se point d’espargne fait avoit D’aucuns biens quant Amours servoit: II me dist que tres voulentiers La verite m’en compteroit, Mais qu’eust visite ses papiers.

Quant ce m’eut dit, il print sa voye Et d’avecques moy se partoit. Apres entrer je le veoye En ung comptouer qu’il avoit: Lä, de §a et de lä queroit, En cherchant plusieurs vieulx cai'ers Car le vray monstrer me vouloit, Mais qu’eust visitez ses papiers . . .3).“ ') Oeuvres du roi Rene, ed. Quatrebarbes, III, p. 194. 2) Charles d’Orlöans, Poesies completes, p. 68. 3 L. c., p. 88, ballade no. 19.

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EIN UNDZ WANZIGSTES KAPITEL

Hier hat das Komische das Übergewicht, im folgenden aber der Ernst: „Ne hurtez plus ä l’uis de ma pensee, Soing et Soucy, sans tant vous travailler; Car eile dort et ne veult s’esveiller, Toute la nuit en peine a despensee. En dangier est, s’elle n’est bien pansee; Cessez, cessez, laissez la sommeiller; Ne hurtez plus ä l’uis de ma pensee, Soing et Soucy, sans tant vous travailler. . .*).“

Die Verkleidung des Amoureusen in kirchliche Formen dient nicht nur obszöner Bildersprache und grober Irreverenz, wie in den ‘Cent nouvelles nouvelles’. Sie gab auch dem zartesten, fast elegischen Liebesgedicht, das das 15. Jahrhundert hervorgebracht hat, seine Form: „L’amant rendu cordelier ä l’observance d’amours“. Durch die

Beimischung der Profanierung des Kirchlichen, wie sie der Geist des 15. Jahrhunderts liebte, bekam die traurig-weiche Erotik für ihn einen noch ausgesprocheneren Geschmack.

Das Motiv von den Liebhabern als den Observanten eines geistlichen Ordens hatte schon im Kreis Karls von Orleans Anlaß zu einer dichterischen Brüderschaft, die sich „les amoureux de l’observance“ nannte, gegeben. Sollte es wirklich Martial d’Auvergne gewesen sein, der dieses Motiv zu dem rührenden Gedicht, das so weit über seinen anderen Werken steht, ausgearbeitet hat? Der arme enttäuschte Liebhaber begibt sichderWelt in dem wunderlichen Kloster, in dem man nur die betrübten Verliebten „les amoureux

martyrs“ aufnimmt. In stillem Zwiegespräch mit dem Prior erzählt er die sanfte Geschichte seiner verschmähten Liebe und wird ermahnt, dieser zu vergessen. Unter dem mittelalterlich-satirischen Gewand steckt schon vollkommen die Stimmung eines Watteau und des Pierrot-

Kults, nur ohne Mondenschein. — Hatte sie nicht die Gewohnheit, fragt der Prior, Euch einen lieben Blick zuzuwerfen, oder im Vorübergehen ein „Dien gart“ zu sagen? — So weit kam es nie, antwortet der Liebende; aber nachts stand ich drei Stunden lang vor ihrer Tür und schaute hinauf nach der Dachrinne: ) L. c., chanson no. 62.

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„Et puis, quant je oyoye les verrieres De la maison qui cliquetoient, Lors me sembloit que mes prieres Exaussees d’elle sy estoient.“

„Wart Ihr sicher, daß sie Euch bemerkte“? fragt der Prior. „Se m’aist Dieu, j’estoye taut ravis, Que ne savoye mon sens ne estre, Car, sans parier, m’estoit advis Que le vent ventoit sa fenestre Et que m’avoit bien peu congnoistre, Eq disant bas: ,Dointbonne nuyt’, Et Dieu scet se j’estoye grant maistre Apres cela toute la nuyt1).“

In dieser Seligkeit schlief er herrlich: „Tellement estoie restaure Que, sans tourner ne travailler, Ja faisoie un somme dore, Sans point la nuyt me resveiller, Et puis, avant que m’abiller, Pour en rendre ä Amours louanges, Baisoie troys fois mon orillier, En riant ä par moy aux anges.“

Bei seiner feierlichen Aufnahme in den Orden fällt seine Dame, die ihn verschmäht hat, in Ohnmacht, und ein goldenes Herzchen, mit Tränen emailliert, das er ihr geschenkt hat, fällt aus ihrem Gewand heraus.

„Les aultres, pour leur mal couvrir A force leurs cueurs retenoient, Passans temps a clorre et rouvrir Les heures qu’en leurs mains tenoient, Dont souvent les feuilles tournoient En signe de devocion; Mais les deulz et pleurs que menoient Monstroient bien leur affection.“ 1) Vgl. Alain Chartier, p.549: „Ou se le vent une fenestre boute Dont il cuide que sa dame l’escoute S’en va coucher joyeulx ...“

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EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Als der Prior ihm schließlich seine neuen Pflichten aufzählt und ihn warnt, nie der Nachtigall zu lauschen, nie unter „eglantiers et aubespines“ zu schlummern und vor allem nie in Frauenaugen zu blicken,

da klagt das Gedicht auf das Thema „Doux yeux“ in einer endlosen Melodie von immer wieder variierenden Strophen: „Doux yeulx qui tousjours vont et viennent; Doulx yeulx eschauffans le plisson, De ceulx qui amoureux deviennent . . .“ „Doux yeulx a cler esperlissans, Qui dient: C’est fait quant tu vouldras, A ceulx qu’ils sentent bien puissans . . .1).“

Mit diesem sanften, matten Ton der gelassenen Melancholie sind

im 15. Jahrhundert unvermerkt alle konventionellen Formen der Erotik durchsetzt. Eine ganz andere verfeinerte Stimmung durchdringt damit auf einmal die alte Satire cynischer Frauenverhöhnung: in den „Quinze joyes de mariage“ wird die frühere blöde Schmähung der Frau durch einen Ton stiller Desillusion und Gedrücktheit gemäßigt, wodurch sie das Trübe einer modernen Ehenovelle bekommen; die Gedanken sind dünn und flüchtig ausgedrückt; die Gespräche ent-

sprechen in ihrer Zartheit nicht der bösartigen Absicht. Hinsichtlich der Ausdrucksmöglichkeit der Liebe hatte die Literatur eine Schule von Jahrhunderten hinter sich, mit Meistern so verschiedenen Geistes, wie esPlatoundOvid, die Troubadours und die Vaganten, Dante und Jean de Meunwaren. — Die bildende Kunst hingegen war auf diesem Gebiet noch ungewöhnlich primitiv und ist es auch noch lange

geblieben. Erst im 18. Jahrhundert holt in Verfeinerung und Fülle des Ausdrucks die künstlerische Darstellung der Liebe die literarische Beschreibung derselben ein. Die Malerei des 15. Jahrhunderts kann

noch nicht frivol oder sentimental sein. Der Ausdruck des Schalkhaften ist ihr noch versagt. Das Bildnis der Jungfer Lysbet van Duvenvoorde, von einem unbekannten Meister vor 1430, zeigt eine Figur von so strenger Würde, daß sie einmal als Stifterin eines Andachtsbildes beschrieben worden ist: auf der Banderole, die sie in der x) Huitains 51, 53, 57, 167, 188, 192, ed. de Montaiglon, Soc. des anc. textes frangais, 1881.

Unbekannter Meister / Lysbet van Duvenvoorde

BILD UND WORT II

427

Hand hält, steht aber: „Mi verdriet lange te hopen, Wie is hi die syn hert hout open?“x) Diese Kunst kennt das Keusche und das Obszöne: für die Zwischenstufen besitzt sie noch keine Ausdrucksmittel. Über das Liebesleben sagt sie wenig und dies in naiver und unschuldiger Form. Natürlich muß man hier aufs neue bedenken, daß das meiste,

was in dieser Art bestand, verloren gegangen ist. Es wäre von außergewöhnlichem Interesse für uns, wenn wir das Nackte bei van Eyck auf seinem „Frauenbad“, oder auf demjenigen Rogiez’s, wo zwei junge Männer lachend durch einen Riß guckten (beide Bilder

beschreibt Fazio) mit den Adam und Eva des ersteren vergleichen könnten. In Adam und Eva fehlt übrigens das erotische Element durchaus nicht ganz; der Künstler hat ja ganz bestimmt den konventionellen Code der Frauenschönheit in den kleinen, zu hoch sitzenden Brüsten, den langen, schlanken Armen, dem vortretenden Leib eingehalten. Wie naiv jedoch hat er das alles getan, ohne die geringste Fähigkeit oder den leisesten Trieb, die Sinne zu reizen.—C harme soll hingegen das wesentliche Element des kleinen Liebeszaubers sein, das mit „Schule Jan van Eycks“ bezeichnet ist* 2), ein Zimmer, in dem

ein Mädchen, nackt, so wie das zur Zauberei gehört, des Geliebten Erscheinen durch Zaubermittel heraufbeschwört. Hier ist das Nackte von jener anspruchslosen Lüsternheit, die wir in Cranachs Akten weiter verfolgen können.

Nicht aus Prüderie wurde die Rolle der Abbildung in der Erotik so beschränkt. Das ausgehende Mittelalter zeigt einen sonderbaren Kontrast zwischen einem stark ausgeprägten Schamgefühl und einer erstaunlichen Freiheit. Für letztere brauchen wir keine Beispiele zu zitieren; sie äußert sich auf jeder Seite. Das Schamgefühl geht z. B. aus folgendem hervor: Bei den schlimmsten Mordszenen und Plündereien läßt man den Schlachtopfern Hemd oder Unterhose; der Bürger von Paris ist über nichts so entrüstet wie über die Tatsache, daß diese Regel verletzt wurde: „et ne volut pas convoitise que on leur laissast neis leurs brayes, pour tant qu’ilz vaulsissent 4 deniers, qui estoit un des plus grans cruaultes et inhumanite chrestienne ä aultre de quoy x) Mich verdrießt lange zu hoffen. Wer ist es, der sein Herz hält offen? 2) Museum zu Leipzig, no. 509.

EINUNDZ WANZIGSTES KAPITEL

428

on peut parier“1). In dem Bericht über die Grausamkeit des Bastards von Vauru gegen eine arme Frau entsetzt ihn das Bubenstück, daß er ihr die Kleider kurz unter der Taille abschneiden läßt, weit mehr als die übrigen Marter2). — Mit Rücksicht auf die damals herrschenden Schambegriffe ist es doppelt merkwürdig, daß man dem weiblichen Akt, der in der Kunst noch so wenig gepflegt wird, solch einen freien Platz im tableau vivant einräumte. Bei keinem Einzug fehlten die Vorzeigungen, „personnages“, von nackten Göttinnen oder Nymphen, wie Dürer sich beim Einzug Karls V. in Antwerpen 15203) anschaute und die Hans Makart irrtümlicherweise so auffaßte, als ob die Frauen im Aufzug mit gelaufen wären. Diese Darbietungen wurden auf kleinen Bühnen auf bestimmten Plätzen vorgeführt, manchmal sogar im Wasser,

wie z. B. die Sirenen, die bei der Brücke in der Leie schwammen, „toutes nues et echevelees ainsi comme on les peint“, beim Einzug Philipps des Guten in Gent 14574). Das Urteil des Paris war der beliebteste Gegenstand dieser Aufführungen. — Man muß weder griechischen Schönheitssinn noch triviale Schamlosigkeit, sondern nur eine naive, volkstümliche Sinnlichkeit darin suchen. Jean de Roye beschreibt die Sirenen, die beim Einzug Ludwigs XL in Paris 1461, nicht weit von einem Gekreuzigten zwischen zwei Schächern, aufgestellt waren, in folgenden Worten: „Et sy avoit encores trois bien beiles filles, faisans personnages de seraines toutes nues, et leur veoit on le beau tetin droit, separe, rond et dur, qui estoit chose bien plaisant, et disoient de petiz motetz et bergeretes; et pres d’eulx jouoient 1) Journal d’un bourgeois, p. 96. Prof. D. C. Hesseling, Leiden, machte mich darauf aufmerksam, daß hier außer dem Schamgefühl wahrscheinlich noch eine andere Vorstellung mit im Spiel ist, daß es sich nämlich darum handelt, daß der Tote nicht ohne Totenhemd beim letzten Gericht erscheinen darf, und verwies

mich auf eine griechische Beweisstelle aus dem 7. Jahrhundert (Johannes Moschus c. 78, Migne Patrol. graeca, t. LXXXVII, p. 2933 D.), die vielleicht mit Parallelen aus dem Westen zu belegen sei. Andererseits darf man nicht vergessen, daß in den Auferstehungsdarstellungen in Miniatur und Malerei die Leichen immer nackt aus den Gräbern auferstehen.

2) Juvenal des Ursins, 1418, p. 541; Journal d’un bourgeois de Paris, p. 92, 172.

3) J. Veth und S. Muller, A. Dürers Niederländische Reise, Berlin-Utrecht, 1918, 2 Bde., I, p. 13.

4) Chastellain, III, p. 414.

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plusieurs bas instrumens qui rendoient de grandes melodies“.J) Molinet

berichtet, mit welchem Wohlbehagen sich das Volk das Urteil des Paris beim Einzug Philipps des Schönen in Antwerpen 1494 anschaute: „mais le hourd oü les gens donnoient le plus affectueux regard tut sur l’histoire des trois deesses, que l’on veoit au nud et de femmes vives“.2)

Wie weit entfernt von jeglichem reinen Schönheitssinn war man in Lille 1468, als man die Aufführung jenes Themas beim Einzug Karls des Kühnen durch eine beleibte Venus, eine magere Juno und eine bucklige Minerva, mit goldenen Kronen auf den Häuptern, parodierte 3 4)-

— Bis tief ins 16. Jahrhundert hinein blieben die Darbietungen des Nackten in der Mode: beim Einzug des Herzogs von der Bretagne in Reims 1532 sah man eine nackte Ceres mit einem Bacchus1), und sogar noch Wilhelm von Oranien wurde bei seinem Einzug in Brüssel am 18. September 1578 mit einer Andromeda traktiert, „eine Jungfrau,

mit Ketten gefesselt, so nackt, wie sie vom Mutterleib geboren war; man sollte wirklich gesagt haben, daß es ein marmornes Bild gewesen sei“, so äußert sich Johan Baptista Houwaert darüber, der die tableaux arrangiert hatte5). ** *

Die Rückständigkeit der pikturalen Ausdrucksfähigkeit gegenüber der Literatur beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Gebiete, die wir bisher behandelten: auf das Komische, das Sentimentale und das

Erotische. Jene Fähigkeit hat ihre Grenzen, sobald sie nicht mehr durch die übermäßige visuelle Veranlagung gestützt wird, in der wir den Grund für die damalige Überlegenheit der Malerei im allgemeinen über die Literatur zu sehen glaubten. So oft man etwas mehr braucht, als nur ein unmittelbares scharfes Bild des Natürlichen, versagt die Überlegenheit der Malerei nach und nach, und man erkennt plötzlich, wie wohlbegründet Michel Angelos Vorwurf ist: diese Kunst will viele 9 Chron. scand., I, p. 27. 2) Molinet, V, p. 15. 3) Lefebvre, Theatre de Lille, p. 54, bei Doutrepont, p. 354. 4) Th. Godefroy, Le ceremonial fran^ois, 1649, p. 617.

5) J. B. Houwaert, Declaratie van die triumphante Incompst van den . .. Prince van Oraingnien etc.; t’Antwerpen, Plantijn, 1579, p. 39.

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Dinge zugleich vollkommen darstellen, von denen ein einziges wichtig genug wäre, um alle Kräfte darauf zu verwenden. Kehren wir noch einmal zu einem Gemälde von Jan van Eyck zu-

rück. Seine Kunst bleibt unübertroffen, so lange sie aus der Nähe, sozusagen mikroskopisch arbeitet: in den Gesichtszügen z. B., den Stoffen der Gewänder, den Juwelen. Die absolut scharfe Beobachtung genügt hier. Sobald jbdoch die wahrgenommene Wirklichkeit gewissermaßen umgerechnet werden muß, wie das schon in der Darstellung von Gebäuden und Landschaften der Fall ist, wird man, trotz des innigen Reizes, der von der frühen Perspektive ausgeht, einige Schwächen gewahr, wie z. B. eine gewisse Zusammenhangslosigkeit, eine etwas

mangelhafte Disposition. Und je mehr absichtliche Komposition die Darstellung bedingt, und für den betreffenden Fall eine Bildform frei gestaltet werden muß, desto deutlicher wird das Versagen. Niemand wird der Behauptung widersprechen, daß in den illustrierten Brevieren die Kalenderblätter jene mit Darstellungen aus der Heiligen Geschichte übertreffen. Dort genügte die unmittelbare Wahrnehmung und das erzählende Wiedergeben derselben. Um aber eine wichtige Handlung, eine bewegte Vorstellung mit vielen Personen zu komponieren, war vor allem ein Gefühl für rhythmische Konstruktion und Einheitlichkeit notwendig, das Giotto früher eigen war und das von Michel Angelo wiederum richtig erfaßt wurde. Nun war aber das Wesen der Kunst des 15. Jahrhunderts Mannigfaltigkeit. Nur dort, wo die Mannigfaltigkeit selbst wieder zur Einheitlichkeit wird, wird der Effekt hoher Harmonie erreicht, wie in der Anbetung des Lammes. Dort haben wir tatsächlich Rhythmus, einen unvergleichlich starken Rhythmus, den siegreichen Rhythmus all’ jener zum Mittelpunkt hinstrebenden Scharen. Er ist jedoch gewissermaßen durch eine rein arithmetische Koordination, aus der Vielheit selbst, gefunden. Van Eyck umgeht die Schwierigkeiten der Komposition, indem er nur Darstellungen in strenger Ruhe gibt; er erreicht eine statische, keine dynamische Harmonie.

Liier vor allem liegt der große Abstand zwischen Rogier van der Weyden und van Eyck. Rogier beschränkt sich, um den Rhythmus zu finden; er erreicht es nicht stets, aber immer erstrebt er es. Es gab nun für die hauptsächlichsten Themen der Heiligen Ge-

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schichte eine strenge alte Tradition der Darstellung. Der Maler brauchte die Anordnung seines Gemäldes nicht mehr selbst zu suchenx). Einige jener Sujets brachten einen rhythmischen Aufbau beinahe von selbst

mit sich. In einer Beweinung, einer Kreuzabnahme, einer Anbetung der Hirten kam der Rhythmus wie von selbst. Man denke nur an die Pieta von Rogier van der Wey den in Madrid, an die der Avignonschen Schule im Louvre und in Brüssel, an die von Petrus Cristus, Geertgen tot Sint Jans, der Beiles heures d’Ailly1 2 3 *).

Wird aber die Szene belebter, wie bei der Bespottung Christi, der Kreuztragung, der Anbetung der Könige, dann wachsen die Schwierigkeiten der Komposition und eine gewisse Unruhe, eine ungenügende

Einheitlichkeit der Vorstellung ist meistens die Folge davon. Und wenn die kirchliche ikonographische Norm den Künstler ganz im Stiche läßt, dann steht er so ziemlich hilflos da. Schon die Gerichtsszenen von Dirk Bouts und Gerard David, die noch eine gewisse feierliche Anordnung mit sich brachten, sind in der Komposition ziemlich schwach. Linkisch und unbeholfen wird sie in der Marter des Heiligen Erasmus in Löwen und in der des Heiligen Hippolytus, der von Pferden

auseinandergezerrt wird, in Brügge. Hier wirkt der mangelhafte Aufbau schon abstoßend. Sobald nun aber nie gesehene Phantasien gestaltet werden sollen, verfällt die Kunst des 15. Jahrhunderts ins Lächerliche. Ihre strengen

Sujets bewahrten .die große Malerei davor; die Buchillustration aber konnte sich nicht der Darstellung all’ der mythologischen und allegorischen Phantasien, die die Literatur herbeischaffte, entziehen. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Illustration der „Epitre d’Othea ä Hector“ 8), einer detaillierten mythologischen Phantasie von Christine de Pisan. Hier haben wir wohl das Unbeholfenste, was man sich nur vorstellen kann. Die griechischen Götter tragen große Flügel hinten an ihren Hermelinmänteln oder burgundischen Staatsröcken; die ganze Anlage ist ebenso wie der Ausdruck verfehlt: Minos, Saturnus, der 1) Die These von Emile Male, was den Einfluß der Theatervorstellung auf die Malerei anbelangt, möge hier auf sich beruhen. 2) Siehe P. Durrieu, Gazette des beaux arts, 1906, t. 35, p. 275. 3) Christine de Pisan, Epitre d’Othea ä Hector, Ms. 9392 de Jean Mielot, ed. J. van den Gheyn, Bruxelles 1913.

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seine Kinder verschlingt, Midas, der die Preise verteilt, alle fallen sie gleich einfältig aus. Sobald sich jedoch der Illustrator im Hintergrund an einem kleinen Hirten mit Schäfchen oder einem Hügelchen mit Galgen und Rad erfreuen konnte, zeigt er die gewohnte Geschicklichkeit1). Hier liegt die Grenze der Gestaltungskraft dieser Künstler. In frei schöpferischem Gestalten sind sie letztenEndes ungefähr ebenso begrenzt wie die Dichter. Die allegorische Darstellung hatte die Phantasie in eine Sackgasse

geführt. Das Bild kann nicht frei gestaltet werden, weil es den Gedanken vollständig umschreiben soll, und der Gedanke wird in seinem Fluge durch das Bild gehemmt. Die Phantasie hat sich daran gewöhnt, den Gedanken so nüchtern wie nur möglich, ohne irgendein Gefühl

für Stil, auf das Bild zu übertragen. Temperantia trägt auf ihrem Haupte ein Uhrwerk, um ihr Wesen anzudeuten. Der Illustrator der „Epitre d’Othea“ nahm dafür einfach die kleine Wanduhr, die er auch bei Philipp dem Guten an die Wand hängte2). — Wenn ein scharf natürlich beobachtender Geist wie Chastellain aus eigener Erfindungallegorische Figuren zeichnet, dann fallen sie außerordentlich gekünstelt

aus. Er erblickt z. B. in seiner „Exposition sur verite mal prise“ eine Rechtfertigung im Anschluß an sein gewagtes politisches Gedicht „Le dit de verite“3), vier Damen, die ihn anklagen. Sie heißen Indignation, Reprobation, Accusation, Vindication. Man höre, wie er die zweite beschreibt4 5). „Ceste dame droit-cy se monstroit avoir les conditions seures6), raisons moult agues et mordantes; grignoit les dens et mächoit

ses levres: niquoit de la teste souvent; et monstrant signe d’estre argueresse, sauteloit sur ses pieds et tournoit l’un coste puis gä, l’autre costepuis lä; portoit maniere d’impatience et de contradiction; le droit oeil avoit clos et l’autre ouvert; avoit un sacq plein de livres devant 1) L. c., pl. 5, 8, 26, 24, 25.

2) Van den Gheyn, Epitre d’Othea, pl. 1 en 3; Michel, Histoire de l’art IV, 2, p. 603, Michel Colombe, Grabmonument aus der Kathedrale von Nantes, id. 616, Figur der Temperantia am Grabmal der Kardinale von Amboise in der Kathedrale von Rouen. 8) Siehe darüber meinen Aufsatz Uit de voorgeschiedenis van ons nationaal besef, De Gids 1912, I. 4) Exposition sur verite mal prise, Chastellain, VI, p. 249. 5) sauer.

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lui, dont les uns mit en son escours* 2 3 4) comme cheris, les untres jetta

au loin par despit; deschira papiers et feuilles; quayers jetta au feu felonnement; rioit sur les uns et les baisoit, sur les autres cracha par vilennie et les foula des pieds; avoit une plume en sa main, pleine d’encre, de laquelle roioit maintes ecritures notables ..d’une esponge aussy noircissoit aucunes ymages, autres esgratinoit aux ongles ... et les tierces rasoit toutes au net et lesplanoit comme pourlesmettre hors de memoire; et se monstroit dure et feile ennemie ä beaucoup de gens de bien, plus volontairement que par raison.“ An einer anderen Stelle sieht er, wie Dame Paix ihren Mantel ausbreitet und hoch lüftet und in vier andere Damen auseinanderfällt: Paix de coeur, Paix de bouche,

Paix de semblant, Paix de vrax effet2). In noch einer andern seiner Allegorien kommen Frauengestalten vor, die „Pesanteur de tes pays, Diverse condition et qualite de tes divers peuples, L’envie et haine des Frangois et des voisines nations“ heißen, als ob sich ein politischer

Leitartikel allegorisieren ließe8). —Daß all diese Figuren nicht gesehen, sondern erfunden sind, geht noch zum Überfluß aus der Tatsache hervor, daß sie ihre Namen auf Banderolen tragen; er schöpft die Bilder nicht unmittelbar aus seiner lebendigen Phantasie, sondern stellt sie sich wie auf einem Gemälde oder bei einer Aufführung vor. In „La mort du duc Philippe, mystere par maniere de lamentation“ sieht er seinen Herzog als eine Fiasche voll köstlicher Salbe dargestellt, die an einem Faden aus dem Himmel herunterhängt; die Erde hat die

Flasche an ihren Brüsten gesäugt4). Molinet sieht, wie Christus als Pelikan (ein gebräuchliches Bild) nicht nur seine Jungen mit seinem Blute nährt, sondern zugleich den Spiegel des Todes damit abwäscht5 *). Schönheitsinspiration ist hier abhanden gekommen: ein spielender und falscher Witz, ein erschöpfter Geist harren hier neuer Befruchtung.

In dem immer wieder angewandten Traummotiv als Rahmen einer Handlung sind fast nie echte Traumelemente, so wie sie bei Dante und bei Shakespeare so ergreifend vorkommen, zu verspüren. Nicht einx) Gürtel. 2) Le livre de paix, Chastellain, VII, p. 375. 3) Advertissement au duc Charles, Chastellain, VII, p. 304 ss. 4) Chastellain, VII, p. 237 ss. B) Molinet, Le miroir de la mort, Fragment bei Chastellain, VI, p. 460. 28 Huizinga, Mittelalter

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EINUNDZW ANZIGSTES KAPITEL

mal die Illusion, daß der Dichter seine Vorstellung wirklich als Vision erlebt hat, wird immer durchgeführt: Chastellain nennt sich selbst „Tinventeur ou le fantasieur de ceste Vision“3). Auf dem dürren Feld der allegorischen Darstellung kann nur der Spott neue Blüten zeitigen. Sobald die Allegorie mit Laune gewürzt wird, geht noch eine Art Wirkung von ihr aus. Deschamps fragt den Arzt, wie es den Tugenden und dem Recht geht: \ „Phisicien, comment fait Droit? — Sur m’ame, il est en petit point . . . — Que fait Raison? . . . Perdu a son entendement, Elle parle mais faiblement, Et Justice est teufe ydiote . . .* 2)“

Die verschiedenen Phantasiesphären werden stillos durcheinander

geworfen. Es gibt kein so bizarres Produkt wie das politische Pamphlet im Gewand der Pastorale. Der unbekannte Dichter, der sich Bucarius nennt, hat in „Le Pastoralet“ die ganze burgundische Verleumdung der Orleans im Ton der Schäferei beschrieben: Orleans, Johann ohne Furcht und ihr ganzes stolzes und grimmiges Gefolge als sanfte Hirten. Der Schäferrock ist mit Lilien oder aufgerichteten Löwen bemalt; es gibt „bergiers älong jupel“,das sind die Geistlichen3).

Der Schäfer Tristifer, Orleans, nimmt den andern ihr Brot und ihren Käse, ihre Äpfel und Nüsse, ihre Schalmeien weg und den Schafen die Glöckchen; er bedroht die Widerstrebenden mit seinem großen Hirtenstab. Bis er selbst mit einem Hirtenstab erschlagen wird. Gelegentlich vergißt der Dichter beinahe seine düstere Tendenz und ergeht sich in der süßesten Pastorale, dann wieder wird die schäferliche Phantasie wunderlich durch böse politische Schmähungen unterbrochen4).

Molinet wirft alle Glaubens-, Kriegs-, Wappen- und Liebesmotive durcheinander, in der Form einer Proklamation des Schöpfers an alle wahrhaft Liebenden: 1) Chastellain, VII, p. 419. 2) Deschamps, I, p. 170. s) Le Pastoralet, vs. 501, 7240, 5768.

4) Vergleiche für die Vermischung von Pastorale und Politik Deschamps, III, p. 62, no. 344, p. 93, no. 359.

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„Nous Dieu d’amours, createur, roy de gloire Salut ä tous vrays amans d’humble affaire Comme il soit vray que depuis la victoire De nostre filz sur le mont de Calvaire Plusieurs souldars par peu de congnoissance De noz armes, font au dyable allyance . . .“

Deshalb wird ihnen das rechte Wappen beschrieben: ein Schild von Silber, der Oberteil aus Gold mit fünf Wunden; der streitenden Kirche wird Werberecht verliehen, um alle in ihren Dienst aufzunehmen, die zu diesem Wappen zurückkehren wollen, „mais qu’en pleurs et en larmes, De cueur contrict et foy sans abuser1).“

Die Kunstgriffe, mit denen sich Molinet das Lob seiner Zeitgenossen

als geistreicher Rhetoriker und Poet erwarb, kommen uns wie die letzte Ausartung einer Ausdrucksform vor ihrem Untergang vor. Er ergeht sich in den abgeschmacktesten Wortspielchen: „Et ainsi demoura l’Escluse en paix quilui fut incluse, car la guerre fut d’elle excluse plus solitaire que rencluse2 3).“ In der Einleitung seiner moralisierten Prosabearbeitung des Roman de ]a Rose spielt er mit seinem

Namen Molinet. „Et affin que je ne perde le froment de ma labeur, et que la farine que en sera molue puisse avoir fleur salutaire, j’ay intencion, se Dieu m’en donne la grace, de tourner et convertir soubz mes rüdes meulles le vicieux au vertueux, le corporel en l’espirituel, la mondanite en divinite, et souverainement de la moraliser. Et par ainsi nous tirerons le miel hors de la dure pierre, et la rose vermeide hors des poignans espines, oü nous trouverons grain et graine, fruict, fleur et feuille, tres souefve odeur, odorant verdure, verdoyant floriture, florissant nourriture, nourrissant fruict et fructifiant pasture8).“

Wie sieht das nach Verfall einer Zeit aus — wie abgenutzt und verbraucht! Trotzdem bewunderte der Zeitgenosse gerade dies als etwas neues; die mittelalterliche Poesie kannte eigentlich jenes Spielen mit Worten nicht, sie spielte mehr mit Bildern. Wie z.B. Olivier de la Marche, Molinets Geistesverwandter und Bewunderer: 1) Molinet, Faictz et dictz, f. 1. 2) Molinet, Chronique, IV, p. 307. 3) Bei E. Langlois, Le roman de la rose (Soc. des anc. textes 1914, I, p. 33. 28*

436 EINUNDZ WANZIGSTES KAPITEL : BILD UND WOBT II „Lä prins fievre de souvenance Et catherre de desplaisir, Une migra ne de souffrance, Colicque d’une impascience, Mal de dens non ä soustenir, Mota cueur ne porroit plus souffrir Les regretz de ma destinee Par douleur non accoustumee * *).“

Meschinot ist noch ebenso Sklave der kraftlosen Allegorie wie La Marche; die Gläser seiner „Lunettes des princes“ sind Prndence und Justice, Force ist die Fassung, Temperance der Nagel, der alles Zusammenhalt. Raison gibt dem Dichter jene Brille mit einer Gebrauchsanweisung. Vom Himmel gesandt, dringt Raison in seinen Geist ein und will dort ihren Schmaus anrichten, findet aber alles durch Desespoir verdorben, sodaß nichts dort ist, „pour disner bonnement“ 2). — Alles scheint Entartung und Verfall. Und doch sind wir schon in der Zeit, wo bereits der neue Geist der Renaissance durch die Lande fährt. Seine große Neubeseelung, die neue reine Form — wo finden

wir sie? J) Recueil de Chansons etc. (Soc. des bibliophiles beiges), III, p. 31. 2) La Borderie, 1. c., p. 603, 632.

** *

Jan van Eyck / Madonna des Kanzlers Rolin

(Paris,

Zweiundzwanzigstes Kapitel Das Kommen der neuen Form Das Verhältnis des aufblühenden Humanismus zum absterbenden Geist des Mittel alters ist viel komplizierter, als wir es uns vorzustellen geneigt sind. Uns, die wir die zwei Kulturkomplexe ganz scharf getrennt sehen, kommt es so vor, als wäre die Empfänglichkeit für die ewige Jugend des Altertums und die Verleugnung des ganzen abgenutzten Apparates des mittelalterlichen Gedankenausdrucks einer plötzlichen Offenbarung gleich über alle gekommen. Als ob die Geister,

tödlich ermüdet von Allegorie und flamboyantem Stil, plötzlich Gegriffen hätten: nicht dieses, sondern jenes! Als ob ihnen die goldene Harmonie des Klassischen mit einemmal wie eine Erlösung vor Augen

gestanden, und sie die Antike mit dem Entzücken desjenigen, der endlich sein Heil gefunden, umarmt hätten. So ist es aber nicht. Mitten im Garten des mittelalterlichen Gedankens, zwischen der üppig wuchernden alten Saat, ist der Klassizismus nach und nach emporgewachsen. Zu Anfang ist es nur ein formales Phantasieelement. Eine große Neubeseelung wird es erst später, und der Geist und die Ausdrucksformen, die wir für die alten, mittelalterlichen zu halten gewohnt sind, sterben selbst dann noch nicht ab. Um dies deutlich zu erkennen, wäre es nutzbringend, das Nahen der Renaissance ausführlicher als es hier geschehen kann, zu beo-

bachten nicht in Italien, sondern in Frankreich, dem Land, das der fruchtbarste Eoden für alles, was den herrlichen Reichtum der echt-mittelalterlichen Kultur ausmacht, gewesen war. Betrachtet man das italienische Quattrocento in seinem glorreichen Kontrast zum spätmittelalterlichen Leben irgendwo sonst, so bekommt man einen Gesamteindruck von Ebenmaß, Heiterkeit und Freiheit, rein und klang-

438 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL voll. Diese Eigenschaften zusammen hält man für Renaissance uni vielleicht für die Signatur des neuen Geistes. Mittlerweile hat man,

dank der unvermeidlichen Einseitigkeit, ohne die kein historisches Urteil zustande kommt, vergessen, daß auch im Italien des Quattrocento die feste Grundlage des Kulturlebens noch immer echt mittelalterlich geblieben ist, ja, daß in den Geistern der Renaissance selbst die mittelalterlichen Züge viel tiefer eingefurcht stehen, als man sich dessen bewußt ist. Aber in der Vorstellung dominiert der Renaissanceton .

Überschaut man dagegen mit einem Blick die französisch-burgundische Welt des 15. Jahrhunderts, dann ist der Haupteindruck eine düstere Grundstimmung, eine barbarische Pracht, bizarre und überladene Formen, eine fadenscheinig gewordene Phantasie, — alles Kennzeichen des mittelalterlichen Geistes in seinen letzten Zügen. Diesmal vergißt man, daß auch hier die Renaissance von allen Seiten naht; hier dominiert sie noch nicht, die Grundstimmung hat sie noch nicht umgewandelt. Das Bemerkenswerte ist nun, daß das Neue als Form kommt, ehe es wirklich zu neuem Geist geworden. Mitten in die alten Lebensauffassungen und Lebensverhältnisse hinein kommen die neuen, klassizistischen Formen auf. Das Einsetzen des Humanismus war durch nichts anderes bedingt, als daß ein gelehrter Kreis sich etwas mehr als gewöhnlich eines reinen lateinischen und klassischen Satzbaus befleißigte. Solch ein Kreis blühte um 1400 in Frankreich; er besteht aus einigen Geistlichen und Magistratsmit-

gliedern: Jean de Monstreuil, Domherr von Lille und königlicher Sekretär, Nicolas de Clemanges, dem berühmten Wortführer der reformistischen Geistlichkeit, GontierCol, Ambrosius de Miliis, fürstliche Geheimschreiber wie der zuerst Genanntex). Sie schreiben sich gegen-

seitig schöne und prunkhafte Humanistenbriefe, die hinter den späteren Produkten der Gattungin keiner Weise zurückstehen, weder in hohler Allgemeinheit des Gedankens, in dem gewollt Wichtigen, dem gezwungenen Satzbau und dem unklaren Ausdruck, noch in dem Bex) Alma Le Duc, Goutier Col and the French Prerenaissance, 1919, war mir nicht zugänglich.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM 439 I I ■■■«■■ ■ ■ ■ ■■■■■■■ II ■ I —■>

hagen an gelehrten Spielereien. Jean de Monstreuil ereifert sich darüber, wie „orreolum“ und „scedula“ geschrieben werden, mit oderohne h, und über die Anwendung des k in lateinischen Worten. „Wenn Ihr mir nicht zu Hilfe kommt, werter Lehrmeister und Bruder — schreibt er an Clemanges1) — gehe ich meines guten Namens verlustig und bin des Todes schuldig. Da habe ich nun bemerkt, daß ich in meinem letzten Brief an meinen Herrn und Vater, den Bischof von Cambray an Stelle des Komparativus ‘proprior’, übereilt und flüchtig, wie die Feder ist, ‘proximior’ gesetzt habe! Verbessert es doch, sonst werden unsere Krittler Schmähschriften darüber verfassen'2).“ Man sieht, die Briefe sind als gelehrte literarische Übungen für die Öffentlichkeit bestimmt. Echt humanistisch ist auch seine Bekämpfung seines Freundes Ambrosius, der Cicero des Widerspruchs beschuldigt hatte und Ovid über Virgil stellte3).

In einem der Briefe gibt er eine gemütliche Beschreibung des Klosters Charlieu bei Senlis, und es ist auffallend, wie er mit einemmal viel lesbarer wird, sobald er im mittelalterlichen Stil einfach erzählt, was dort zu sehen ist. Wie die Spatzen im Refektorium mitessen, so daß es einem zweifelhaft scheinen könnte, ob der König die Präbende für die Mönche oder für die Vögel eingesetzt habe, wie ein kleiner Zaunkönig tut, als wäre er der Abt, wie der Esel des Gärtners den Briefschreiber bittet, auch seiner in seiner Epistel zu gedenken; das klingt alles frisch und reizvoll, aber nicht spezifisch humanistisch4). Vergessen wir nicht, daß es Jean de Monstreuil und Gontier Col sind, die wir schon als leidenschaftliche Verehrer des „Roman de la rose“ und

als Mitglieder des Cours d’amours von 1401 kennen lernten. Geht daraus nicht hervor, welch ein rein äußerliches Lebenselement dieser

frühe Humanismus noch war ? Er ist eigentlich nur eine verstärkte Wirkung der mittelalterlichen Schulerudition und unterscheidet sich wenig von der Wiederbelebung der klassischen Latinität, welche man bei Alkuin und den Seinen zur Zeit Karls des Großen, und x) N. de Clemanges, Opera ed Lydius, Lugd. Bat., 1613; Job. de Monasteriolo,

Epistolae, Martene et Durand, Amplissima Collectio, II, col. 1310. 2) Ep. 69, c. 1447, ep. 15, c. 1338. 3) Ep. 59, c. 1426, 58, c. 1423. 4) Ep. 40, col. 1388, 1396.

440 ZWEIUNDZWANZTGSTES KAPITEL später in den französischen Schulen des 12. Jahrhunderts beobachten kann.

Obgleich dieser erste französische Humanismus noch, ohne eine unmittelbare Fortsetzung zu finden, in dem kleinen Kreis der Männer, der ihn groß gezogen hat, ausblüht, hängt er trotzdem schon mit der großen internationalen Geistesbewegung zusammen. Für Jean de Monstreuil und die Seinen gilt Petrarca schon als leuchtendes Beispiel. Auch Coluccio Salutati, der Florentiner Kanzler, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts die neue lateinische Rhetorik in die Sprache der

Staatsakten eingeführt hatte, wird wiederholt von ihm genannt2). Petrarca ist dennoch, wenn man so sagen darf, in Frankreich noch in den mittelalterlichen Geist aufgenommen. Er war persönlich mit den führenden Geistern einer früheren Generation befreundet gewesen, dem Dichter Philippe de Vitri, dem Philosophen und Politiker Nicolas Oresme, der den Dauphin (Karl V.) erzogen hatte; auch Philippe de Mezieres scheint Petrarca gekannt zu haben. Und diese Männer sind, wenn auch Oresmes’ Gedanken viel Neues enthielten, in keiner Beziehung Humanisten. Wenn wirklich, wie Paulin Paris vermutete1), Machaut’s Peronne d’Armentieres in ihrem Verlangen nach einem dichterischen Liebesumgang nicht nur durch Heloise’s Beispiel, sondern auch schon durch Laura beeinflußt wurde, dann haben wir in „Le Voir-Dit“ ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, wie ein Werk, in dem wir vor allem das Nahen des modernen Gedankens spüren, trotzdem wieder zu einem rein mittelalterlichen Erzeugnis inspirieren konnte. Sind wir nicht ohnehin in der Regel dazu geneigt, Petrarca und Boccaccio zu ausschließlich von der modernen Seite zu sehen? Wir halten sie für die ersten der Neuerer und mit Recht. Aber unrichtig wäre es, anzunehmen, daß sie als erste Humanisten eigentlich nicht

mehr recht ins 14. Jahrhundert paßten. Sie fußen mit ihrem ganzen Werk, welch neuer Atem auch darin wehen mag, auf der Kultur ihrer Zeit. Außerdem waren Petrarca und Boccaccio beide außerhalb Italiens im ausgehenden Mittelalter nicht an erster Stelle wegen ihrer Schriften in der Volkssprache, die sie unsterblich machen sollten, berühmt, sondern durch ihre lateinischen Werke. Petrarca 1) Ep. 59, 67, col. 1427, 1435.

2) Le livre du Voir-Dit, p. xvm.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM

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war für seine Zeitgenossen vor allem ein Erasmus avant la lettre gewesen, ein vielseitiger und geschmackvoller Verfasser von Abhandlungen über Moral und Leben, ein großer Briefsteller, der Romantikus

des Altertums mit seinem „Liber de viris illustribus“ und „Rerum memorandum librilV“. Die Themen, die er behandelte, De contemptu mundi, De otio religiosorum, De vita solitaria, schließen sich noch

vollständig an den mittelalterlichen Gedanken an. Seine Verherrlichung des antiken Heldentums steht viel dichter bei der Verehrung der „neufpreux“'), als man annehmen möchte. Es ist durchaus nichts so Absonderliches, wenn es Beziehungen zwischen Petrarca und Geert Groote gegeben hat. Oder wenn Jean deVarennes, der Fanatiker von Saint-Lie* 2), Petrarca’s Autorität in Anspruch nimmt, um sich gegen den Verdacht der Ketzerei zu verwahren3), und Petrarca den Text für ein neues Gebet: Tota caeca christianitas, entlehnt. Was Petrarca für sein Jahrhundert bedeutete, drückt Jean de Monstreuil in folgenden Worten aus „devotissimus, catholicusac celeberrimus philosophusmoralis“4). Sogar eine Klage über den Verlust des heiligen Grabes, jenen echt mittelalterlichen Gedanken, konnte Dionysius der Karthäuser noch

Petrarca entlehnen; „aber da der Stil des Franciscus rhetorisch und schwierig ist, will ich lieber den Sinn seiner Worte als die Form zitieren“5). Durch sein höhnisches Wort, es gäbe außerhalb Raliens überhaupt keine Redner und Dichter, hatte Petrarca jene klassischen literarischen Übungen der schon erwähnten ersten französischen Humanisten noch ganz besonders gefördert. Denn das ließen die Schöngeister in Frankreich nicht auf sich sitzen. Nicolas de Clemanges und Jean de Monstreuil erheben lebhaften Protest gegen solch eine Behauptung 6). Boccaccio hatte auf einem beschränkteren Gebiet einen ähnlichen

Einfluß wie Petrarca. Man verehrte ihn nicht als Verfasser des DeD Siehe S. 88. 2) Siehe S. 264.

3) Gerson, Opera, I, p. 922. 4) Ep. 38, col. 1385.

B) Dion. Cart, t. XXXVII, p. 495. 6) Petrarca, Opera, ed. Basel 1581, p. 847; Clemanges, Opera, Ep. 5, p. 24; J. de Monstr., Ep. 50, col. 1428.

442 ZWEIUND ZWANZIGSTES KAPITEL camerone, sondern als „le docteur de patience en adversite“, den Ver-

fasser der „Libri de casibus virorum illustrium“ und „De Claris mulieribus“. Boccaccio hatte sich mit diesen sonderbaren Sammelwerken über die Unbeständigkeit des menschlichen Schicksals zu einer Art

Impresario der Fortuna aufgeworfen. Und in dieser Auffassung begreift ihn Chastellain1). „Le Temple de Bocace“ betitelt er eine recht bizarre Abhandlung über allerhand tragische Schicksale seiner Zeit, in dem der Geist des „noble historien“ angerufen wird, um Margarethe von England Trost in ihrem Mißgeschick zu spenden. Man kann durchaus nicht behaupten, daß Boccaccio durch die noch so mittelalterlichen Burgunder des 15. Jahrhunderts mangelhaft oder falsch verstanden worden sei. Sie erfaßten seine stark mittelalterliche Seite, die wir ganz zu vergessen Gefahr laufen. Es ist nicht so sehr eine Verschiedenartigkeit des Strebens oder der Stimmung, die den aufblühenden Humanismus in Frankreich von jenem in Italien unterscheidet, als vielmehr eine Geschmacks- und Eruditionsnuance. Die Nachahmung der Antike geht den Franzosen nun einmal nicht so leicht von der Hand als den unter dem Himmel Toskanas oder im Schatten des Kolosseums Geborenen. Zwar beherrschen die gelehrten Autoren schon früh mit vollkommener Gewandtheit den klassisch-lateinischen Briefstil. Die weltlichen Schriftsteller jedoch sind in den Finessen der Mythologie und Geschichte noch

unerfahren. Machaut, der trotz seiner geistlichen Würde kein Gelehrter war und als weltlicher Dichter zu gelten hat, wirft die Namen der sieben Weisen hoffnungslos durcheinander. Chastellain verwechselt

Peleus mit Pelias, La Marche Proteus mit Pirithous. Der Dichter des Pastoralet spricht von „le bon roy Scypion d’Afrique“, die Verfasser von Le Jouvencel leiten „politique“ von zroZJc und einem angeblich griechischen „icos, gardien“ ab, „qui est ä dire gardien de pluralite“ 2). Gleichwohl will bei ihnen mitten in ihre mittelalterliche allegorische Form hinein ab und zu die klassische Vision hindurchbrechen. Ein Dichter wie der des verzerrten Schäferspiels „Le Pastoralet“ legt über 1) Chastellain, VII, p. 75—1 43, vgl. V, p. 38-40, VI, p. 80; VIII, p. 358, Le livre des trahisons, p. 145. 2) Machaut, Le Voir-Dit, p.230; Chastellain, VI, p.194; La Marche, III, p. 166; Le Pastoralet vs. 2806; Le Jouvencel, I, p. 16.

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eine Schilderung des Gottes Silvanus und in ein Gebet an Pan plötzlich einen Schimmer vom Glanz des Quattrocento, um dann sofort

wieder in den ausgefahrenen Spuren des alten Wegs weiter zu zuckeln1). Genau wie Jan van Eyck manchmal klassizistische Architekturformen auf seinen rein mittelalterlich gesehenen Gemälden anbringt, so versuchen die Schriftsteller, rein formal noch und als Ornament, antike Züge zu verarbeiten. Die Chronisten erproben ihre Kräfte an Staats- und Kriegsreden, „contiones“, im Stil des Livius, oder erwähnen Wunderzeichen, „prodigia“, weil Livius es auch tat '2). Je unbeholfener die Verarbeitung der klassischen Formen ausfällt, desto mehr können wir daraus in bezug auf den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance lernen. Der Bischof von Chälons, Jean Germain, versucht den Friedenskongreß von Arras 1435 im eindringlichen markanten Stil der Römer zu schildern. Er hat es mit kurzen Satzwendungen und lebendiger Anschaulichkeit auf einen Livianischen Effekt

angelegt: was aber dabei herauskommt, ist eine Karikatur antiker Prosa, ebenso aufgebauscht wie naiv, gezeichnet wie die kleinen Figuren eines Kalenderblatts aus einemBrevier, aber im Stil mißglückt3). Die Anschauung der Antike ist noch außerordentlich fremdartig. Bei

Gelegenheit der Leichenfeier Karls des Kühnen in Nancy erscheint der junge Herzog von Lothringen, der ihn besiegt hat, in einem Trauer-

gewand „ä l’antique“, um der Leiche seines Feindes die letzte Ehre zu erweisen, d. h. er trägt einen langen goldenen Bart bis auf den Gürtel herab, wodurch er einen der neun „preux“ darstellt und seinen eigenen Triumph feiert. In dieser Maske betet er eine Viertelstunde lang4).

Die Begriffe „rhetorique,orateur, poesie“ decken sich für die Geister in Frankreich um 1400 mit dem Begriff des Antiken. Für sie bedeutet diebeneidenswerte Vollkommenheit des Altertums vor allem eine gekünstelte Form. Alle diese Dichter des 15. Jahrhunderts (z.T. schon etwas früher) machen, wenn sie ihrem Gefühl folgen und regelrecht etwas x) Le Pastoralet vs. 541, 4612. 2) Chastellain, III, p. 173, 117, 359 usw.; Molinet, II, p. 207.

3) J. Germain, Liber de virtutibus Philippi ducis Burgundiae (Chron. rel. ä l’hist. de Belg, sous la dom. des ducs de Bourg. III). 4) Chronique scandaleuse, II, p. 42.

444

ZWEIUNDZWANZTGSTES KAPITEL

zu sagen haben, ein fließendes, einfaches, oft kraftvolles und gelegentlich zartes Gedicht. Soll es aber ganz besonders schön werden, dann ziehen

sie die Mythologie heran und verwenden pretiöse latinisierende Aus-

drücke und nennen sich „rhetoricien“. Christine de Pisan unterscheidet ausdrücklich ein mythologisches Gedicht von ihrer gewöhn-

lichen Arbeit als „balade pouetique“ Q. Als Eustache Deschamps seinem Kunstbruder und Bewunderer Chaucer seine Werke zuschickt, verfällt er in den ungenießbarsten, quasiklassischen Mischmasch. ,,O Socra es plains de philosophie, Seneque en meurs et Anglux en pratique, Ovides grans en ta poeterie, Bries* 2 3) en parier, saiges en rethorique

Aigles tres haulz, qui par ta theorique Enlumines le regne d’Eneas. L’Isle aux Geans, ceuls de Bruth, et qui as Seme les fleurs et plante le rosier, Aux ignorans de la langue pandras, Grant translateur, noble Geffroy Chaucier!

A toy pour ce de la fontaine Helye Requier avoir un buviaige autentique, Dont la doys est du tout en ta baillie. Pour lafrener d’elle ma soif etbique, Qui en Gaule seray paralitique Jusques a ce que tu m’abuveras8).“

Hier haben wir den Beginn jener sich alsbald zu der lächerlichen Latinisierung des edlen Französisch auswachsenden Manier, die Villon und Rabelais mit ihrem Spott geißeln werden4). Immer wieder in der dichterischen Korrespondenz, in den Zueignungen und Reden, kurz, wenn es besonders schön ausfallen soll, trifft man diesen Stil an. Dann spricht Chastellain von „vostre tres-humble et obeissante serve et ancelle, la ville de Gand“, „la viscerale intime douleur et tribulation“,

La Marche von „nostre francigene locution et langue vernacule“, !) Christine de Pisan, Oeuvres poetiques, I, no. 90, p. 90. 2) kurz. 3) Deschamps, no. 285, II, p. 138. *) Villon, ed. Lognon p. 15, h. 36—3 8; Rabelais, Pantagruel, 1. 2, ch. 6.

_DAS KOMMEN DER NEUEN FORM 445 Molinet von „abreuve de la doulce et melliflue liqueur procedant de la fontaine caballine“, „ce vertueux duc scipionique“, „gens de muliebre courage“1).

Diese Ideale der verfeinerten „rhetorique“ sind nicht nur Ideale des rein literarischen Ausdrucks, sondern zugleich die Ideale des höheren literarischen Verkehrs. Der ganze Humanismus ist genau in der Art, wie es die Poesie der Troubadoure gewesen war, ein Gesell-

schaftsspiel, eine Form der Konversation, ein Streben nach einer höheren Lebensform. Sogar die Gelehrtenkorrespondenz des 16. und 17. Jahrhunderts hat dies Element keineswegs verleugnet. Frankreich hält nun in dieser Hinsicht die Mitte zwischen Italien und den Niederlanden ein. In Italien, wo sich Sprache und Gedanke noch am wenig-

sten vom echten reinen Altertum entfernt hatten, konnten die humanistischen Formen ungezwungen in die natürliche Entwicklung des höheren Volkslebens aufgenommen werden. Der italienischen Sprache wurde kaum durch eine etwas stärkere Latinität des Ausdrucks Gewalt angetan. Der humanistische Klubgeist schloß sich bequem den Sitten der Gesellschaft an. Der italienische Humanist repräsentierte die allmähliche Entwicklung der italienischen Volkskultur und damit den ersten Typus des modernen Menschen. In den Ländern Burgunds hingegen war Geist und Form der Gesellschaft noch derartig mittel-

alterlich, daß das Streben nach einem erneuerten und gereinigten Ausdruck sich dort anfangs nur in vollkommen altmodischer Form in den „Rhetorikerkammern“ verkörpern konnte. Als Genossenschaften sind sie nur eine Wetterführung der mittelalterlichen Brüderschaft, und der Geist, der aus ihnen spricht, ist vorerst nur in dem ganz äußerlich Formellen ein neuer. Erst der biblische Humanismus des Erasmus inauguriert dort die moderne Bildung. Frankreich außer den nördlichen Provinzen kennt nicht den altmodischen Apparat der Rhetorikerkammer, aber seine „nobles rhetoriciens“ sehen auch noch nicht den italienischen Humanisten ähnlich. Auch sie behalten noch viel vom Geist und den Formen des Mittelalters bei. In bezug auf die französische Literatur des 15. Jahrhunderts kann *) Chastellain, V, p. 292 ss.; La Marche, Parement et triumphe des dames, Prologue; Molinet, Faictz et dictz, Prologue, id. Chronique, I, p. 72, 10, 54.

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ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

man wohl, ohne zu übertreiben, behaupten, daß jene Schriftsteller und Dichter, die sich am meisten vom Klassizismus freihalten, der modernen Entwicklung der Literatur näherstehen als diejenigen, die den Idealen derLatinität und der oratorischenForm huldigen. Die Modernen, das sind die unbefangenen Geistes, selbst wenn sie ihn noch in mittelalterliche Formen kleiden, wie Villon,Coquillart, Henri Baude, auch Charles d’Orleans und der Verfasser von „L’amantrenducordelier“. Gerade das klassizistische Bestreben macht sich hier, wenigstens was Poesie und Prosa anbelangt, als hemmender Einfluß geltend. Die pompösen Wortführer des schwer drapierten burgundischen Ideals, wie Chastellain, La Marche, Molinet, das sind die altmodischen Geister der französischen Literatur. Sobald auch sie sich hie und da von ihrem Kunstfertigkeitsideal losmachen und dichten oder schreiben, was aus dem Herzen kommt und zu Herzen geht, ohne viel Umstände, dann werden sie lesbar und muten uns zugleich moderner an. Ein Dichter zweiten Ranges, Jean Roberte! (1420—1 490), Sekretär dreier Herzöge von Bourbon und dreier französischer Könige, sah in Georges Chastellain, dem flämischen Burgunder, den Gipfel edelster Dichtkunst. Dieser Bewunderung entsproß eine literarische Korrespondenz, die zur Illustration des eben Gesagten dienen möge. Um die Bekanntschaft Chastellains zu machen, bedient Robertet sich der Vermittlung eines gewissen Montferrant, der als Gouverneur eines jungen, am

Hof seines Oheims von Burgund erzogenen Bourbons in Brügge wohnte. Er sandte diesem außer einem hochtrabenden Loblied auf den bejahrten Hofchronisten und Dichter zwei Briefe für Chastellain: einen französischen und einen lateinischen. Als dieser nicht sofort auf den

Vorschlag einer literarischen Korrespondenz einging, verfertigte Montferrant eine weitläufige Aufmunterung nach dem alten Rezept: „les Douze Dames de Rhetorique“ waren ihm erschienen, Science, Eloquence, Gravite de Sens, Profondite usw. benannt. Dieser Versuchung erlag Chastellain und rund um die Douze Dames de Rhetorique gruppieren sich nun die Briefe dieser Dreix); es dauerte übrigens x) Auszüge bei Kervyn de Lettenhove, Oeuvres de Chastellain, VII, 1. p. 45—1 86; siehe P. Durrieu, Un barbier de nom frangais ä Bruges, Academie des inscriptions et belles-lettres, Comptes rendus 1917, p. 542—5 58.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM 447 nicht lange, da hatte Chastellain genug davon und verzichtete auf weitere Fortsetzung des Briefwechsels.

Bei Robertet äußert sich die quasi-moderne Latinität am törichtsten. „J’ay este en aucun temps en la case nostre en repos, durant une partie de la brumale froidure“, so schildert er eine Erkältung'). Ebenso einfältig sind die hyperbolischen Ausdrücke, in denen er seine Bewunderung äußert. Als er endlich seinen dichterischen Brief von Chastellain (in der Tat sehr viel besser als seine eigene Poesie) erhalten hat, schreibt er an Montferrant: „Frappe en l’oeil d’une clarte terrible Attaint au coeur d’eloquence incredible, A humam sens difficile ä produire, Tout offusquie de lumiere incendible Outre pereant de ray presqu’impossible Sur obscur corps qui jamais ne peut luire, Ravi, abstrait me trouve en mon deduire, En exstase corps gisant ä la terre, Foible esperit perplex ä voye euquerre Pour trouver lieu et oportuue yssue Du pas estroit oü je suis mis en serre, Pris ä la rets qu’amour vraye a tissue.“

Und fährt in Prosa fort: „Oü est l’oeil capable de tel objet visible, l’oreille pour ouyr le haut son argentin et tintinabule d’or?“ Und was sagt Montferrant „amy des dieux immortels et cheri des hommes, haut pis Ulixien, plein de melliflue faconde“ wohl darüber? „N’est-ce resplendeur equale au curre Phoebus?“ Ist es nicht mehr als Orpheus Leier, „la tube d’Amphion, la Mercuriale fleute qui endormyt Argus?“ usw.* 2).

Mit der äußersten Geschwollenheit hält die tiefe Schriftstellerdemut, mit der diese Dichter sich treu an die mittelalterliche Vorschrift halten, gleichen Schritt. Und nicht nur sie allein; all ihre Zeitgenossen huldigen noch dieser Form. La Marche hofft, daß man seine Memorien als bescheidene Blümchen in einem Kranz wird verwenden

können und vergleicht seine Arbeit mit dem Wiederkäuen eines x) Chastellain, VII, p. 146. 2) Ib. p. 180.

448 ZWEIUNDZWANZ1GSTES KAPITEL Hirsches. Molinet ersucht alle „orateurs“, an seinem Werk alles Überflüssige zu beschneiden. Sogar Commines hofft, daß der Erzbischof von Vienne, dem er seine Arbeit sendet, sie vielleicht in ein lateinisches Werk wird auf nehmen können1). In der dichterischen Korrespondenz zwischen Roberte!, Chastellain und Montferrant sieht man, wie die Vergoldung des neuen Klassi-

zismus auf ein echt mittelalterliches Bild nur aufgeklebt ist. Und dieser Robertet ist, wohl zu verstehen, in Italien gewesen, „en Ytalie. sur qui les respections du ciel influent aorne parier, et vers qui tyrent toutes douceurs elementaires pour lä fondre harmonie2).“ Aber von jener Harmonie des quattrocento hat er scheinbar nicht viel mit nach Hause gebracht. Die Vortrefflichkeit Italiens bestand für diesen Geist nur in dem „aorne parier“, in dem rein äußerlichen Kultivieren eines künstlichen Stils. Das Einzige, was diesen Eindruck von zierlich aufgeputzter Alter-

tümlichkeit für einen Augenblick zweifelhaft macht, ist der Anflug von Ironie, der in den geschraubten Herzensergüssen manchmal unverkennbar zutage tritt. Euer Robertet, sagen die Damen der Rhe-

torik zu Montferrant3), — „il est exemple de Tullian art, et forme de subtilite Terencienne ... qui succie a de nos seins notre plus infer-

iore substance par faveur; qui, outre la gräce donnee en propre terroir, se est alle rendre en pays gourmant pour refection nouvelle (d. h. Italien), lä oü enfans parlent en aubes ä leurs meres, frians d’escole en doctrine sur permission de eage.“ Chastellain gibt die Korrespondenz auf, weil er sie über hatte: das Tor hat lange genug

weit offen gestanden für „Dame Vanite“; er verriegelt es jetzt. „Robertet m’a surfondu de sa nuee, et dont les perles, qui en celle se congreent comme gresil, me font resplendir mes vestements; mais qu’en est mieux au corps obscur dessoubs, lorsque rna robe deQoit les voyans?“ Wenn Robertet so fortfährt, wird er seine Briefe ungelesen ins Feuer werfen. Will er gewöhnlich reden, so wie es sich 1) La Marche, I, p. 15, 184—1 86; Molinet, I, p. 14, III, p. 99; Chastellain, VI:

Exposition sur värite mal prise, VII, p. 76, 29, 142, 422; Commines, I, p. 3; vgl. Doutrepont, p. 24. 2) Chastellain, VII, p. 159. 3) Ib.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM

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unter Freunden gehört, dann wird George ihm seine Zuneigung nicht entziehen.

Daß unter dem klassischen Gewand noch ein mittelalterlicher Geist haust, tritt weniger deutlich hervor, wenn der Humanist sich nur des Lateinischen bedient. Dann verrät sich die unvollkommene Vorstellung vom wahren Geist der Antike nicht in einer ungeschickten Verarbeitung; dann kann der Gelehrte ohne weiteres nachahmen, und zwar täuschend nachahmen. Ein Humanist wie Robert Gaguin (1433—1 501) mutet uns in seinen Briefen und Reden schon beinahe ebenso modern an wie Erasmus, der ihm seine erste Berühmtheit zu verdanken hatte; Gaguin hatte nämlich unter seinem Compendium der französischen Geschichte, dem ersten wissenschaftlichen Ge-

schichtswerk in Frankreich (1495), einen Brief von Erasmus publiziert, der sich auf diese Weise zum ersten Male gedruckt,sah1). Wenn auch Gaguin noch ebenso wenig Griechisch konnte wie Petrarca2), so ist er deshalb doch nicht minder ein echter Humanist. Zugleich sehen wir jedoch, wie auch in ihm der alte Geist fortlebt. Er widmet seine lateinische Beredsamkeit noch den alten mittelalterlichen Themen, wie der Diatribe gegen die Ehe3) oder der Mißbilligung des Hoflebens, indem er Alain Chartier’s „Curial“ wieder in das Latein zurückübersetzt. Oder er behandelt auch, und zwar diesmal in einem französischen Gedicht, den gesellschaftlichen Wert der Stände in der häufig angewandten Form eines Streithandels, „le Debat du Labou-

reur, du Prestre et du Gendarme“. In seinen französischen Gedichten aber macht gerade Gaguin, der den lateinischen Stil vollkommen beherrschte, die rhetorischen Zierlichkeiten gar nicht mit; keine latinisierten Formen, keine hyperbolischen Wendungen, keine Mythologie; als französischer Dichter steht er ganz auf Seite derjenigen, die sich in ihrer mittelalterlichen Form ihre Natürlichkeit und damit ihre Lesbarkeit bewahren. Die humanistische Form ist ihm noch kaum etwas anderes als ein Gewand, das er überwirft; es paßt ihm wohl, aber er bewegt sich freier ohne jenes Pracht1) Thuasne, R. Gaguini Ep. et Or. I p. 126; Allen, Erasmi Epistolae no. 43 I, p. 145.

2) Thuasne, I, p. 20. 3) Thuasne, I, p. 178, II, p. 509. 29 Huizinga, Mittelalter

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ZWETUN DZ WANZIGSTES KAPITEL

gewand. Die Renaissance hängt nur locker mit dem französischen Geist des 15. Jahrhunderts zusammen.

Man pflegt gewöhnlich das Erscheinen heidnisch klingender Äußerungen als ein schlagendes Kriterium für den Anfang der Renaissance anzusehen. Aber jeder Kenner der mittelalterlichen Literatur weiß, daß dieser literarische Paganismus sich durchaus nicht nur auf die Sphäre der Renaissance beschränkt. Wenn die Humanisten

Gott „princeps superum“ und Maria „genitrix tonantis“ nennen, so begehen sie nichts Unerhörtes. Das rein äußerliche Transponieren von Personen des christlichen Glaubens in Benennungen der heidnischen Mythologie ist schon sehr alt1) und bedeutet für den Inhalt des

religiösen Gefühls wenig oder nichts. Schon der -Archipoeta des 12. Jahrhunderts reimt in seiner Beichte unbekümmert: „Vita vetus displicet, mores placent novi; Homo videt faciem, sed cor patet lovi“.

Wenn Deschamps von „Jupiter venu de Paradis“ spricht2), beabsichtigt er keinerlei Gottlosigkeit, ebensowenig wie Villon, wenn er

in der rührenden Ballade, die er für seine Mutter machte, um zu unserer Lieben Frau zu beten, sie „haulte Deesse“ nennt3). Ein gewisses heidnisches Kolorit gehört auch zum Schäfergedicht dazu; dort konnte man ruhig Götter auftreten lassen. In „Le Pastorale!“ heißt das Cölestinenkloster in Paris „temple au haulz bois pour les diex prier“ 4). Durch solch ein unschuldiges Heidentum wurde nie-

mand irregeführt. Und zum Überfluß erklärt der Dichter noch: „Se pour estrangier ma Muse je parle des dieux des pai’ens, sy sont les pastours crestiens et moy5).“ Ebenso schiebt Molinet, wenn er in einem Traumgesicht Mars und Minerva auf treten läßt, die Verantwortung auf „Raison et Entendement“, die ihm sagten: „Tu le dois faire non pas pour adjouter foy aux dieux et deesses, mais pour ce x) Siehe F. von Bezold, Das Fortleben der antiken Götter im mittelalterlichen Humanismus, Bonn und Leipzig 1922. 2) Deschamps, no. 63, I, p. 158. 3) Villon, Testament, vs. 899, ed. Longnon, p. 58. *) Le Pastoralet, vs. 2094. 3) Ib. vs. 30, p. 574.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM 451 que Nostre Seigneur seul inspire les gens ainsi qu’il lui plaist, et souventes fois par divers inspirations 1).a Viel vom literarischen Heidentum der voll entwickelten Renaissance hat man nicht ernster als diese Äußerungen zu nehmen. Wenn sich aber ein Gefühl von Anerkennung des heidnischen Glaubens als solchem, namentlich des heidnischen Opfers ankündigt, dann ist dies für das Durchdringen des neuen Geistes schon von tieferer Bedeutung. Aber dieses Gefühl kann auch bei jenen zum Durchbruch kommen, die mit ihren Gedankenformen noch fest im Mittelalter wurzeln, wie Chastellain es tat. „Des dieux jadis les nations gentiles Quirent l’amour par humbles sacrifices, Lesqueis, pose que ne fussent utiles, Furent mentmoins rendables et fertiles De maint grant fruit et de haulx benefices, Monstrans par fait que d’amour les Offices Et d’honneur humble, impartis oü qu’ils soient Pour percer ciel et enfer suffisoient2 3).“

Mitten im mittelalterlichen Leben erklingt manchmal plötzlich der Ton der Renaissance. Bei einem pas d’armes in Arras 1446 erscheint Philippe de Ternant, ohne nach der damaligen Sitte eine „bannerole de devocion“, ein Band mit einem frommen Spruch oder einer Figur, zu tragen. „Laquelle chose je ne prise point“, sagt la Marche von dieser Verruchtheit. Noch verruchter aber ist der Wahlspruch, den Ternant trägt: „Je souhaite que avoir puisse de mes desirs assouvissance et jamais aultre bien n’eusse8).“ Das konnte auch der Leibspruch des freidenkendsten Libertiners des 16. Jahrhunderts sein. Die Geister brauchten nicht aus der klassischen Literatur diesen wirklichen Paganismus zu schöpfen. Sie konnten ihn aus ihrem eigenen mittelalterlichen Schatz, aus dem „Roman de la Rose“ lernen. In den erotischen Kulturformen lag das wahre Heidentum. Dort hatten Venus

und der Liebesgott von altersher einen Schlupfwinkel gehabt, wo sie x) Molinet, V, p. 21. 2) Chastellain, Le dit de veritä, VI, p. 221, vgl. Exposition sur verite mal prise, ib. p. 297, 310. 3) La Marche, II, p. 68.

4-52 ZWEI UNDZ WANZIGSTES KAPITEL etwas mehr als nur rein rhetorische Verehrung fanden. In Jean de Meun haben wir den großen Heiden. Nicht daß er Götternamen der Antike mit denen von Jesus und Maria vermengte, sondern irdische Wollust mit christlichen Seligkeitsvorstellungen durchsetzt aufs verwegenste anpries, war für zahllose Leser seit dem 13. Jahrhundert die Schule des Heidentums gewesen. Keine größere Blasphemie war denkbar als die Verse, in denen er das Wort aus der Genesis: da bereute es der Herr, daß Er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, mit umgekehrtem Sinn Frau Nature in den Mund legte, die bei ihm

vollkommen als Demiurgos auftritt: Nature bereut es, daß sie die Menschen gemacht hat, weil diese ihr Gebot der Fortpflanzung außer acht lassen: „Si m’aist Diex li crucefis, Moult me repens dont homme fis1).“ Es ist verwunderlich, daß die Kirche, die vor kleinen dogmatischen Abweichungen spekulativer Art so ängstlich auf der Hut war und so heftig gegen sie auftrat, die Lehren dieses Breviers der Aristokratie in den Geistern unbehindert fortwuchern ließ. **

Die neue Form und der neue Geist entsprechen einander nicht. Eben-

sogut wie die Gedanken der kommenden Zeit im mittelalterlichen Gewand ausgedrückt wurden, ebensogut wurden die mittelalterlichsten Gedanken in sapphischen Metren mit einem ganzen Gefolge von mythologischen Figuren vorgetragen. Klassizismus und moderner Geist sind zwei ganz verschiedene Dinge. Der literarische Klassizismus ist ein altgeborenes Kind. Die Antike hat für die Erneuerung der schönen

Literatur kaum mehr Bedeutung gehabt wie die Pfeile des Philoktet. Ganz anders lag es bei der bildenden Kunst und dem wissenschaftlichen Denken: für sie bedeutete die antike Reinheit der Darstellung und des Ausdrucks, die antike Vielseitigkeit des Interesses,

die antike Beherrschung des Lebens und die Einsicht in den Menschen viel mehr als nur einen Stab, auf den man sich stützen ) Roman de la rose, vs. 20141; ai’st — helfe, dont = daß ich.

DAS KOMMEN DER NEUEN FORM

453

konnte. In der bildenden Kunst war das Überwinden des Überflüssigen, des Übertriebenen, des Verdrehten, der Grimasse und des flamboyanten Schnörkels alles das Werk der Antike. Und auf dem Gebiet des Denkens war sie noch viel unentbehrlicher und frucht-

barer. Im Literarischen dagegen war der Klassizismus für die Entfaltung des Einfachen und Harmonischen mehr ein Hemmnis als eine Forderung. Die Wenigen, die im Frankreich des 15. Jahrhunderts humanistische

Formen annehmen, läuten noch keine Renaissance ein. Denn ihre Stimmung, ihre Orientierung ist noch mittelalterlich. Die Renaissance

kommt erst, als sich der „Lebenston“ verändert, als die Ebbe tödlicher Lebensverleugnung einer neuen Flut gewichen ist und eine steife, frische Brise weht; sie kommt erst, als die frohe Erkenntnis (oder war es ein Wahn?) heranreift, daß man all’ die Herrlichkeiten der antiken Welt, in denen man sich schon so lange gespiegelt, wird zurückerobern können.

Anhang Übersetzung der wichtigeren Zitate S. 3, Z. 1: „die gräßlich zu hören ist“. — sonner l’effroy eigentlich „den Schrecken läuten“; effroy heißt seiner Herkunft nach „Unfrieden“ (aus lateinisch ex und deutsch Frieden in seiner älteren Form). S. 3, Mitte: „die rührendsten Prozessionen, die seit Menschengedenken gesehen worden waren“. S. 3, unten: „in großem Weinen, großen Tränen, großer Frömmigkeit“. S. 4, Z.9: „und solchermaßen brachte er die Herzen in Rührung, daß alles in Tränen verging“. „Und sein Ende wurde als das schönste gerühmt, das man je gesehen hatte.“ S. 4, Mitte: „Eine Menge Volkes gab es dort, und so gut wie alle weinten heiße Tränen.“ S. 4, unten: „zum Brot der Trübsal und zum Wasser der Ängste“ (hebräische Konstruktion; Anspielung an Jesaja 30, 20). S. 5, oben: „nach der Mode der Parlamentsräte“. S. 5, Mitte: „die kleinen und die großen Leute weinten so erbärmlich und so aus Herzensgrund, als sähen sie ihre besten Freunde hinwegtragen — und

er selbst mit“. S. 6, oben: „übei’ sein Scheiden gar sehr weinend und seufzend“. S. 7, unterhalb der Mitte: „Indessen hielten sie’s in der Weise der Schnecke, die ihre Fühler einzieht, wenn man ihr nahekommt, und sie wieder ausstreckt, sobald sie nichts mehr hört. Denn, nachdem besagter Prediger das Land verlassen hatte, begannen sie in gar kurzer Frist wieder wie zuvor und taten allmählich wieder ihren alten Staat an: so groß oder noch größer als sie gewohnt

waren, ihn zu tragen“. S. 8, Mitte: (alle Hofbeamten), „gekleidet in angsterregendes Trauergewand, so daß sie gar rührend anzusehen waren; und ob der großen Trauer und Herzeleid, die man sie um den Tod ihres besagten Herrn tragen sah, wurde großes Weinen und Wehklagen erhoben durch die ganze besagte Stadt hin“. — „Und Gott weiß, welch schmerzensreiche und rührende Trauer sie zeigten um ihren besagten Herrn.“

S. 9, unten: „und daß auch der Klügste dabei die Geduld verliert“. S. 10, unten und 11, oben: „Da hörte man Stimmen sich erheben und Tränen

fließen und Rufen erschallen in Einstimmigkeit: Wir alle, wir alle, hoher Herr,

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 455 wollen mit Euch leben und sterben!“ — „So lebt denn und leidet; und ich will für Euch leiden, eher als daß Ihr Mangel habt.“ — „indem der eine sagte: ,Ich habe tausend“, der andere: zehntausend“, der dritte: ,Ich habe dies oder das, um es für Euch einzusetzen und abzuwarten, wie es mit Euch ausgeht““. S. 12, unten: „Guten Tag, hoher Herr, guten Tag; was bedeutet dies? Spielt Ihr itzt den König Artus (den Herrn der Tafelrunde) oder den Junker Lancelot?“ (Held eines berühmten Romans von Christian von Troyes, herausgegeben von W. Foerster, Halle 1899). S. 16, oben: „der halb widerwillig und ungern einen schottischen Groschen aus seiner Börse zog und ihn ihr lieh“. — „einen kleinen Traktat über das Schicksal, mich berufend auf seine Unbeständigkeit und trügerische Natur“. S. 16, unterhalb der Mitte: „ein Herzog und ein Graf und zehn Mann, alle zu Pferde“. S. 17, unterhalb der Mitte: „denn die Fürsten sind Menschen und ihre Angelegenheiten hoch und spitzig, und ihre Natur ist mancherlei Leidenschaften

untertan, als da sind Haß und Neid, und es sind ihre Herzen eine wahre Wohnstätte derselben, ob ihrer Glorie im Herrschen“.

S. 18, Mitte: „er würde in jeglicher peinlicher und tödlicher Hitzigkeit nach der Rache für den Toten trachten, so weit wie Gott es ihm gewähren würde; und er würde dabei Leib und Seele, Gut und Land, alles auf das Spiel und in die Laune des Schicksals setzen, indem er es als ein heilsameres und gottgefälligeres Werk erachte, darauf zu sinnen als davon zu lassen“. S.21, Mitte: „ihm zum Trotz“. S. 22, oben: „weil sie sagten, ich sei ein Schismatiker und glaube an Benedikt den Gegenpapst“. S. 23, unten: „was das Volk mehl' ergötzte, als wenn ein neuer heiliger Leichnam auferweckt worden wäre“. S. 26, Mitte: „und man erhob großes Lachen, weil das lauter Leute armen Standes waren“.

S. 26, unten: „die Zwergin des Fräuleins von Burgund“. S. 27, oben: „dem Vater der Närrin Belon, der gekommen war, seine Tochter

zu besuchen“. — „(eines) um die Närrin Belon anzubinden, und das andere, um es der Äffin der Frau Herzogin um den Hals zu legen“. S. 27, unten: „als sei sie mit Rosenwasser gewaschen“.

S. 30, oberhalb der Mitte: „die blinde Habgier“. S. 31, unterhalb der Mitte: „ein Mann, der sehr pomphaft, begehrlich und weltlicher war als sein Stand erheischte“. S. 31, unten: „ein Mann, der sehr wenig mitleidig war gegen wen immer, so er nicht Geld oder sonst eine Gabe erhielt, die es lohnte; und man erzählte als wahr, daß er mehr als fünfzig Prozesse bei Gericht habe, denn von ihm war ohne Prozeß nichts zu erlangen“. S. 33, unterhalb der Mitte: „als Räuber und Mörder“.

456

ANHANG S. 38, oben:

„0 Zeit des Schmerzes und der Anfechtung, Zeitalter voll Weinen, Leid und Qual, Zeit des Siechtums und der Verdammnis, Zeitalter, das dem Ende nahebringt,

Zeit voll von Greuel, die alles töricht treibt, Zeitraum voll Trug, voll Stolz und Neid, Zeit ohne Ehre, ohne wahres Urteil, Zeitalter in Trauer, die das Leben verkürzt.“

S. 38, Mitte: „Alle Fröhlichkeit schwindet, Alle Herzen nahmen im Sturm Trübsinn und Melancholie.“ S. 38, unten:

„0 elendes und gar schmerzvolles Leben!... Krieg haben wir, Sterben und Hungersnot; Kälte, Hitze höhlt uns aus bei Tag und Nacht, Flöhe, Milben und soviel anderes Geziefer Bekriegen uns. Kurz, erbarm’ Dich, Herr, Unserer elenden Leiber, deren Leben gar kurz ist.“ S. 39, oben:

„Und wie ich, der arme Schreiber, Mit dem traurigen, schwachen und unnützen Herzen, Eines jeglichen Trauer mit ansehe, Da hält mich der Kummer in seiner Hand; Immer mit Tränen im Auge, Möchte ich nichts als: sterben.“

S. 39, oberhalb der Mitte: „Ich schmerzensreicher Mann, geboren in der tiefsten Finsternis, im dichten Sprühregen des Wehklagens.“ — „Soviel hat La Marche gelitten.“ S. 40, oben: „als er eine Weile melancholisiert hatte, beschloß er, an die Sachwalter des Königs von Frankreich zurückzuschreiben“.

S. 40, unten: „Nun ist sie feige, erbärmlich und schlaff, Alt, begehrlich und verleumderisch;

Ich seh’ nur Närrinnen und Narren... Das Ende kommt heran, in Wahrheit... Alles geht schlimm ...“ S. 50, Mitte: „In gewissen Tagesstunden pflegte er sein Gehaben und Betragen auf sinnige Gespräche zu richten, und, Spiel und Lachen einstreuend, gefiel er sich darin, schön zu sprechen und seine Edelleute zur Tugend zu ermahnen wie ein Redner. Und in dieser Absicht sah man ihn oft in einem Prunksessel mit hoher Lehne sitzen, seine Edelleute vor ihm, während er

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 457 mancherlei Ermahnungen an sie richtete nach den mancherlei Anlässen und Ursachen. Und, als der Fürst und Herr über alle, war er reich und prächtig gekleidet über alle anderen.“ — „hohe Erlauchtheit des Herzens, weil er in besonderen Dingen gesehen und betrachtet wurde“. S. 51, oben: „um ihm Glanz und Ruhm zu geben“. S. 52, unten: „aus Ehrsinn (Respekt)“. S. 53, oben: „was Leute, die Wache halten, nicht zu tun pflegten“. S. 54, unterhalb der Mitte: „als so schlechte Leute“. — „Wer sich demütigt

vor dem, der größer ist als er, der vermehrt und vervielfältigt seine Ehre bei sich selbst, und dessen Güte erstrahlt ihm überquellend im Antlitz.“ S. 56, Mitte:

„Bitte geht voran!“ — „Aber nein doch!“ — „Geht doch! Ganz gewiß müßt Ihr’s tun, liebe Base.“ — „Nein, ich tu’s nicht.“ — „Ruft unsere Nachbarin, Denn ihr steht es noch mehr zu, vorher zu opfern.“ — „Ihr solltet das nicht dulden.“ — Spricht die Nachbarin: „Das gehört sich nicht Für mich: Opfert, denn nur an Euch liegt es, Daß der Priester nicht atmet.“ S. 57, oben:

Antworten soll die junge Frau: „Nehmt Ihr’s; ich nehm’ es nicht, hohe Frau.“ — „Doch, doch, nehmt es, süße Freundin.“ — „Ich nehme es bestimmt nicht; Man hielte mich ja für eine Närrin.“ — „Gebt es dem Fräulein Marote.“ — „Aber nein, Jesus Christus bewahr’ mich davor! Reicht es meiner Herrin Ermagart.“ — „Herrin, bitte, nehmt es.“ — „Bei der heiligen Maria, Reicht das Friedenstäfeichen der Frau Amtmann.“ — „Nein, vielmehr der Frau Statthalter.“

S. 58, Mitte: „Wobei Mehrere sich sehr verwunderten ob seiner großen Freigebigkeit.“ S. 59, unten: „und es wurde der Leib begraben“. S. 60, unten: „doch sobald man einen oder zwei von ihnen aufstehen ließ, setzten sich sieben oder acht auf der anderen Seite“.

S. 61, unterhalb der Mitte: „ohne ihm ein Wort zu sagen, kamen sie auf ihn zu; Lhuillier stößt ihm den Ellenbogen in den Magen, die anderen zerrissen den Priesterhut und dessen Schnüre“. — „mehrere Schmähungen ausrufend, ihm den Finger ins Gesicht streckend und ihn solchermaßen am Arm packend, daß er ihm das Vorhemd zerriß; und wenn der Erzbischof nicht die Hand vorgehalten hätte, hätte er ihn ins Gesicht geschlagen“.

458

ANHANG

S. 64, oben: „und er hielt weder Maß noch Ziel, und zwar solchermaßen, daß er jeden in Erstaunen setzte ob seines maßlosen Schmerzes“. — „...war es ein Jammer, alle Arten Volkes schreien und weinen und ihre mannigfachen Schmerz- und Leidrufe ausstoßen zu hören“. S. 64, unten: „ob er wahrhaftig tot und hinübergegangen ist“ (mort de mort gebildet wie aimer cZ’amowr = .wahrhaftig lieben'). S. 65, Z. 2: ,yechy merveilles!“ = „Das ist fauler Zauber!“ , S. 65, oberhalb der Mitte: „Herr Kanzler, ich danke Euch für die Briefe usw., doch ich bitte Euch, mir keine mehr durch den zu schicken, der sie überbracht hat, denn ich habe sein Gesicht fürchterlich verändert gefunden, seit

ich ihn zuletzt sah, und ich versichere Euch auf Ehre, daß er mir große Furcht eingeflößt hat; und Gott befohlen.“ S. 66, unterhalb der Mitte: „Wenn die hohe Frau im Privatstande war, lag sie keineswegs immer zu Bett, noch auch in einem und demselben Zimmer.“ S. 67, unten: „die sehr schöne Zerknirschung über ihre Sünden“. S. 68, Mitte: „Twelfth Night“ = Shakespeares „Was Ihr wollt.“ — „Wenn du weder Herrin noch Mignon hast.“ S. 74, unten: „Um von dem dritten Gliede zu reden, das das Reich vollständig macht, so ist das der Stand der guten Städte, der Kaufleute und des Arbeitsvolkes, ein Stand, von dem es sich nicht ziemt, eine ebenso lange Darlegung zu geben wie von den anderen, aus dem Grunde, daß er an sich hoher Merkmale

kaum fähig ist, weil er dienenden Ranges ist.“

S. 75, unten: „dieser rebellische, bäuerische Brauer“; „und dabei ein so verächtlicher Tölpel“. S.76, Mitte: „So müssen die Unschuldigen vor Hunger umkommen, Mit denen sich die großen Wölfe tagtäglich den Bauch vollschlagen, Aisweiche zu Hunderten und zu Tausenden Die falschen Schätze anhäufen: nämlich das Korn und das Getreide, Das Blut und die Knochen, womit die armen Leute

Ihr Feld pflügen — worüber ihr Geist Nach Rache schreit zu Gott, und weh! zur Herrschaft.“

S. 76, unterhalb der Mitte: „der Fürst weiß nichts davon“. — „Arme Schafe, armes dummes Volk.“ S. 77, oben: „Del’ Arme hat kein Brot zu essen außer vielleicht ein wenig Roggen oder Gerste; sein armes Weib liegt im Wochenbett, und sie haben vier

bis sechs Kinder am Herd, oder im Backofen, der vielleicht warm ist; diese fordern Brot, schreien in der Wut des Hungers. Die arme Mutter aber hat nichts, das sie ihnen zwischen die Zähne stopfen könnte als ein wenig Brot mit Salz. Wohl sollte solches Elend genügen: — da kommen diese Lumpenkerle, die alles aufladen . . . alles wird gepackt und weggeschnappt — und sucht den, der dafür zahlt!“

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

459

S. 78, oben:

„0 Gott, schau an des gemeinen Volkes Dürftigkeit, Schaff’ Abhilf’ in höchster Schnelligkeit; Ach! Es zittert vor Hunger, Kälte, Furcht und Elend. Hat es gesündigt oder eine Nachlässigkeit Gegen dich begangen, so erbittet es Nachsichtigkeit. Ist es nicht ein Jammer um das Gut, das man ihm fortnimmt? Es hat kein Getreide mehr, um es zur Mühle zu tragen, Man zieht ihm Tücher aus Wolle oder Linnen fort, Wasser, sonst nichts, bleibt ihm zum Trinken.“

S. 79, oben: „Als Adam grub und Eva spann, Wo war damals der Edelmann?“ S. 79, oberhalb der Mitte: „Woher kommt allen der hohe Adel? — Aus dem adligen Herzen, geschmückt mit edlen Sitten. ... Keiner ist bäuerisch, wenn das Bäuerische ihm nicht aus dem Innern kömmt.“ S. 79, unten:

„Ihr Kinder, ihr Kinder, aus mir, Adam, entsprungen, Der ich nach Gott der erste Vater bin, Von ihm erschaffen: Ihr alle seid entsprossen Auf natürliche Weise aus meiner Rippe und aus Eva; Sie war eure Mutter. Wie wäre von euch der eine ein Bauer, Und der andere nimmt den Adelstitel an, Ihr Brüder? Woher kommt ein solcher Adel? — Ich weiß es nicht — es wäre denn: von den Tugenden, Und die Bauern (kommen) von jeglichem Laster, das Ärgernis gibt; Ihr seid ja alle mit einer Haut umkleidet. Als Gott mich schuf aus dem Schmutz, darin ich war, Als einen sterblichen, schwachen, schwerfälligen und nichtsnutzigen Menschen,

Und Eva aus mir — da schuf ei’ uns ganz nackt; Doch den unvergänglichen Geist flößte er uns In Fülle ein; dann wurde uns Hunger und Durst, Arbeit und Schmerz, und Kinder in Traurigkeit; Um unserer Sünden willen gebären in Ängsten Alle Weiber; auf gemeine Weise werdet ihr gezeugt. Woher kommt dieser Name „Bauer“, der die Herzen kränkt? Ihr seid ja alle mit einer Haut umkleidet. Die mächtigen Könige, die Grafen und die Herzöge, Die Leiter des Volkes und die Souveräne —

460

ANHANG

Womit sind sie bei ihrer Geburt bekleidet? — Mit einer schmutzigen Haut. Fürst, bedenket, ohne die armen Leute Zu mißachten, daß der Tod die Zügel hält.“ S. 81, oben: „Ritterschaft und Wissenschaft, die sehr gut zueinander passen“. S. 82, oberhalb der Mitte: „als irdische Miliz und menschliche Ritterschaft“.

S. 83, unten: „Tapferkeit“ und „große Waffentaten“. S.85,oben: „der Glanz der Fürsten besteht in Hochmut und im Unternehmen sehr gefährlicher Dinge; alle fürstlichen Machtäußerungen laufen in einem engen Punkte zusammen, der ,Hochmut4 heißt“. S.85,Mitte: „Nunist aber unter den tiefverwurzelten Gefühlen des Menschen keines, das geeigneter wäre, sich in Redlichkeit, Vaterlandsliebe und Gewissenhaftigkeit umzusetzen; denn der Stolze bedarf der Selbstachtung, und um sie zu erlangen, ist er versucht, sie zu verdienen.“ S. 86, unten:

„Die Ehre ermahnt jede edle Natur, Alles, was in seinem Wesen edel ist, zu lieben. So fügt der Adel seine Rechtschaffenheit hinzu.“ S. 87, Mitte: „Und wohl pflegte er die Zucht der Ritterschaft, wie es einst die Römer taten.“ S. 88, oben: „die hohen Geschichten von Rom“. — „denen er nachfolgen und die er nachahmen wollte“. — „Er trachtete nach großem Glanz des Ruhms, welcher das war, was ihn mehr als alles andere zu seinen Kriegen bewog; und sehr gern hätte er jenen alten Fürsten geähnelt, von denen nach ihrem Tode

so viel gesprochen worden ist.“ S. 88, Mitte: „Und da merkte ich, daß ihm das Herz auf hohe, einzigartige Gedanken für die Zukunft stand und danach, Ruhm und Glanz zu erwerben durch einzigartiges Werk.“ S. 92, oben: „von den dahingeschiedenen Helden, seien es Römer oder

andere“.

S. 92, oberhalb der Mitte: „Hoher Herr, wer sind die zwei Frauen, denen Ihr so große Ehrbezeugungen erwiesen habt?“ — „Huguenin“, sagte er, „ich weiß nicht.“ — Darauf jener: „Hoher Herr, es sind öffentliche Mädchen.“ — „öffentliche Mädchen“, sagte er, „Huguenin, es ist mir viel lieber, ich mache zehn öffentlichen Mädchen meine Ehrbezeugung, als daß ich sie bei einer ehrenhaften Frau verabsäumt habe.“ S. 92, Mitte: „Was Ihr wollt.“ S. 94, unterhalb der Mitte: „Es ist ein fröhlich Ding um den Krieg... Man liebt einander so sehr im Krieg. Sieht man seine Sache für gut an, und sieht man sein Blut (seine Landsleute) trefflich kämpfen, so steigt einem die Träne ins Auge. In das redliche und fromme Herz kommt eine Süßigkeit, wenn man seinen Freund sieht, der so wacker seinen Leib einsetzt, um das Gebot unseres

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

461

Schöpfers zu halten und zu erfüllen. Und dann nimmt man sich vor, mit ihm zu sterben oder zu leben und ihn um (irgendeiner) Liebe willen nie zu verlassen. Dahinein kommt ein solches Entzücken, daß keiner, der es nicht erfahren hat,

sagen könnte, welch ein Gut das ist. Glaubt ihr, einer, der das tut, fürchtet den Tod? — Keineswegs; denn er ist so gestärkt, er ist so entrückt, daß er nicht weiß, wo er ist. Wahrlich, Furcht hat er vor nichts.“ S. 96, Mitte: „..dem Gefühl, wenn nicht der Wirklichkeit nach, die militärische und aristokratische Lebensauffassung. Wir rühmen den Soldaten als den gänzlich unbeschwerten Menschen. Da er nichts besitzt als das nackte Leben und bereit ist, es von sich zu werfen, wann immer die Sache ihn dazu auffordert, ist er der Repräsentant fesselloser Freiheit in idealen Richtungen“. S. 100, unten: „Allen diente er, alle ehrte er aus Liebe zu der Einen. Seine Rede war zierlich, höfisch und schön vor seiner Herrin.“ S.102, Mitte: „Sind wir in den Schenken, jene starken Weine trinkend, Mit den Damen uns zur Seite, die uns anschauen, Mit ihren glatten Busen, mit den verführerischen Halsbändern, Mit den schillernden Augen, die vor lächelnder Schönheit leuchten,

Dann treibt uns Natur, ein tatenlustiges Herz zu haben, ... Dann besiegen wir Yaumont und Agoulant, Und andere gar Olivier und Roland. Wenn wir aber im Feld sind auf den schnellen Rossen, Die Schilde am Hals und die Lanzen gesenkt, Wenn der scharfe Frost uns ganz einfrieren läßt, Wenn die Glieder uns brechen, so vorn wie hinten, Und die Feinde an uns herankommen, Dann möchten wir in einem so großen Keller sein, Daß wir nie auch nur ein bißchen gesehen würden!“

S. 102, darunter: „Ach, wo sind Damen, um uns zu unterhalten, uns zur Tapferkeit anzufeuern, oder uns mit Kampfzeichen 1), Abzeichen, Kopftüchern und Busenschleiern zu beladen!“ (Schon Joinville, der Kreuzfahrer und Geschichtsschreiber des heiligen Ludwig, erzählt aus der Schlacht bei Mansurah am Nil [1250], wie der Graf von Soissons mitten im Gewühl der Schlacht zu ihm sagte: „Herr Seneschall, lassen wir dieses Hundepack nur brüllen; denn, bei der Eisenhaube Gottes! wir beide werden von diesem Tage noch in den Zimmern der Damen reden!“ Also auch die frommen Kreuzfahrer ließen sich durch den Gedanken an die Damen und ihre Huld für den Tapferen begeistern. — Goethe zitiert jenes Wort in seiner „Campagne in Frankreich“. Vgl. Lanson, Hist, de la litt, fr., ed. 1912, p. 79; V. Klemperer, Einf. ins Mittelfranzösische, Leipzig 1921, S. 62, 64; Goethe, Cotta’sche Jubiläumsausgabe, Band 28, S. 72, 281.)

) Zur Erklärung von emprise, „Kampfzeichen“, vgl. S. 118.

462

ANHANG

S. 104, oben: „sie zogen wegen ich weiß nicht welcher törichten Unternehmung aufs Kampffeld“. S. 105, Mitte: „der Brunnen der Tränen, der Baum Karls des Großen“. S. 106, oben: „Dame von der verborgenen Insel“; „edler Ritter, Sklave und Diener der schönen Riesin mit der blonden Perücke, der größten der Welt“. S. HO, oben: „Nicht zum Spiel noch zur Ergötzung, Sondern darum, daß zu allererst Gott Lob erwiesen werde, Und den Guten Ehre und hoher Ruhm.“ S. 110, oberhalb der Mitte: „(Euer Vater) hat diesen Orden nicht, wie gesagt wird, als müßiges Ding errichtet.“ S. 111, unten: „Verächtlich bei Gott und den Menschen

Ist Trug und Verrat, Deshalb wird das Bild Jasons Nicht auf den Tisch der Tapferen gebracht, Jasons, der meineidig ward, Um das Vließ von Colchis wegzutragen. Räuberei bleibt nicht verborgen.“ S. 114, unterhalb der Mitte: „eine sehr strenge Ordensregel“. S. 115, oben: „Und ich fürchte sehr, daß jene Galois und Galoisen, die in diesem Aufzug und bei diesen Liebesspielen starben, Märtyrer der Liebe wurden.“ S. 115, unten: „Schöne, ist es recht geschlossen?“ — „Ja, gewiß.“ S. 116, oben:

„Nun komme was kommen mag, denn anders ist es nicht. Da nahm die Jungfrau mit dem schmucken Leib ihren Finger hinweg, Und das Auge blieb geschlossen, so daß alle es sahen.“ S. 116, Mitte: „Nun denn, sprach die Königin, wohl weiß ich, daß ich seit langem

Mit einem Kinde schwanger bin, und daß mein Leib es schon gefühlt hat; Noch eben erst hat es sich in meinem Leibe umgedreht. Und ich gelobe und verspreche Gott, der mich schuf..., Daß diese meine Frucht aus meinem Leibe nicht hinausgehen wird, Bis Ihr mich in das Land da drüben geführt habt, Um das Gelübde zu erfüllen, das Ihr gelobt habt; Und wenn sie hinausgehen will, bevor sie das Recht dazu hat, So werde ich selbst mit einem großen Stahlmesser mich töten; Meine Seele wird verloren gehen, und die Frucht wird umkommen.“ S. 117, unten: „in dem Wunsch, dem Müßiggang zu entgehen, und in dem Gedanken, dadurch guten Ruhm und die Gnade der sehr Schönen zu erringen,

deren Diener wir sind“.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

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S. 118, oben: „bis zum Äußersten“. S. 119, unten: „Nicht gefällt es meinem sehr gefürchteten Herrn, daß Herr

Philippe Pot in seiner Gesellschaft mit unbewaffnetem Arm auf die heilige Fahrt gehe, die er gelobt hat; vielmehr ist er damit einverstanden, daß er mit ihm gehe, gut und ausreichend bewaffnet, wie es sich gehört.“ S. 120, unterhalb der Mitte: „wenn sie will“ — „als armer Schildknappe“1). S. 124, unterhalb der Mitte: „wenn es Gott, seinem Schöpfer, gefallen hätte, ihn sein Leben zu Ende leben zu lassen“. S. 125, oben: „Die Fahrt nach dem Türkenland“. S. 126, oben: „Man steht im Dienste der Fehde der Burgunder.“ S. 126, unten: „um das Vergießen christlichen Blutes und die Vernichtung des Volkes zu vermeiden, mit dem ich in meinem Herzen Mitleid fühle“, „auf daß dieser Streit durch meinen Leib (mich selbst) ohne weiteres zu Ende gebracht werde, ohne daß man den Weg der Kriege beschreitet, wobei mancherlei Edelleute und andere, sowohl aus Eurem wie aus meinem Heer, ihre Tage auf klägliche Weise beschließen müßten“. S. 127, oben: „sowohl durch Enthaltsamkeit seines Mundes, als indem er sich befliß, sich zu trainieren“. S. 129, oben: „der sehr schönen Zeremonie“. S. 129, unten: „0, hoher Herr von Burgund, ich habe Euch so gut gedient

bei Euerm Genter Krieg! 0, hoher Herr, um Gott, ich bitte Euch um Gnade, rettet mir das Leben!“ S. 131, oben: „Wenn wir andere Wege suchen als den rechten,... so bezeigen wir nicht, daß wir rechtschaffene Kriegsleute sind.“

S. 131, unten: „Einige betrachteten ihn als Tapferkeit, andere als Unbesonnenheit und großen Übermut.“ S. 134, oberhalb der Mitte: „und diese Waffentat wurde von jenem Tage an das Treffen von Mons in V. genannt. Sie wurde aber nicht als eine Schlacht

anerkannt, weil die Parteien sich nur zufällig trafen und so gut wie keine Banner entfaltet wurden.“ — „sintemalen alle Schlachten den Namen der nächsten Festung tragen sollen, bei der sie stattgefunden haben“. S. 134, unten: „Da kämpfte der König sehr lange mit Herrn Ustasse und dieser mit ihm, und so, daß es ein Vergnügen war, sie zu sehen.“ S. 135, unterhalb der Mitte: „Als man ihn eine Zeitlang betrachtet hatte, nahm man ihn von da fort und hängte ihn an einen Baum. Solches war das (letzte) Ende jenes Philipp von Artevelde.“ — „indem er ihn als vilain (Bauern) behandelte“.

S. 136, oben: „einen Edelmann (gentleman)“.

S. 136, unten: „denn dabei gibt es Gefahr und Verlust des Lebens, und Gott weiß, wie kläglich es ist, wenn ein Seesturm kommt, und überdies ist die ) Berichtigung zu S. 120, Fußnote 3: Lies „Oben S. 102“.

464

ANHANG

Seekrankheit für viele schwer zu ertragen. Dazu das harte Leben, das man (dort) leben muß, was dem Adel nicht wohl entspricht“. S. 137, oben: „nach der Mode von Burgund“. S. 137, oberhalb der Mitte: „Ich bin ein armer Mann, der sein Vorwärtskommen erstrebt.“ — „welche wünschen, sich durch Waffentaten vorwärts zu bringen“. S. 137, Mitte: „Und wann wird der Schatzmeister kommen?“ S. 137, unten: „ein Edelmann von zwanzig Talern“. S. 138, Mitte: „Meine Meinung ist: wäre er in dieser Nacht fortgegangen,

so hätte er gut daran getan... Aber freilich: wo die Ehre in Frage kam, hätte er nicht der Feigheit beschuldigt werden mögen.“ S. 139, oben: „Wilhelm, da es dein Wille ist, nach Ungarn und in die Türkei zu gehen und Kampf zu suchen mit Leuten und Ländern, die uns nie etwas zu Leide taten, und du keinen vernünftigen Grund hast, dorthin zu gehen

außer dem eitlen Ruhm in dieser Welt —, so laß Johann von Burgund und unsere Vettern von Frankreich ihre Unternehmungen ausführen, und führe die deinige für dich aus, und geh nach Friesland und erobere unser Erbe.“

S. 139, unten: „Ohne diese Heftigkeit der Willensrichtung bei Mann und Frau, ohne einen Stich von Bigottem und Fanatischem, gibt es keinen Aufschwung, keine wirksame Kraft. Wir zielen über das Ziel hinaus, um das Ziel zu treffen. Jedwede Handlung hat etwas Verfälschung durch Übertreibung an sich“. S. 142, oben:

„Unter grünem Blattwerk, auf köstlichem Gras, Neben rauschendem Bach und bei klarer Quelle Fand ich eine tragbare Hütte befestigt; Dort aß Günter mit Frau Helene Frischen Käse, Milch, käsige Butter, Sahne, Rahmkäse, Apfel, Nuß, Pflaume und Birne, Knoblauch und Zwiebeln, Schalotte (Zwiebel aus Askalon), Auf braune Kruste gestrichen, mit grobem Salz, zu besserem Durst.“

S. 142, darunter: „sowohl Mund wie Nase, den glatten wie den wohl-

bebärteten“.

S. 142, Mitte:

„Ich hörte Günter beim Baumfällen Gott danken für sein sicheres Leben; ,Ich weiß nicht', — sprach er — ,was Marmorpfeiler sind, Glänzende Knöpfe, mit Malerei bekleidete Mauern; Ich fürchte nicht den Verrat, der gesponnen wird Unter freundlicher Miene, noch daß ich vergiftet werde In goldener Schüssel. Mein Haupt entblößt sich nicht Vor einem Tyrannen, noch beugt sich mein Knie vor ihm.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 465 Keines Pförtners Gerte treibt mich je hinweg,

Denn bis dahin treibt mich nicht Raffsucht, Ehrgeiz, noch gierige Gefräßigkeit.

Die Arbeit ernährt mich in froher Freiheit; Gar sehr liebe ich Helene, und sie mich ohne Falsch, Und das ist genug. Um das Grab sorgen wir uns nicht.“ — Da sprach ich: ,Ach! ein Knecht des Hofes ist keinen Heller wert,

Doch der freie Günter soviel wie ein Edelstein in Gold“.“ S. 143, oben:

„Heimkehrend von einem der höchsten Höfe, Wo ich lange geweilt hatte, Fand ich in einem Gebüsch bei einer Quelle Robin, den Freien, mit einem Hute geschmückt; Hüte aus Blumen hatten aufgesetzt Er und Marion, seine Liebste ...“

S. 143, Mitte: „...Ich will von nun an leben Im mittleren Stand, das ist mein Sinn, Den Krieg lassen und als Landmann leben: Denn Kriegführen ist nur Verdammnis.“ S. 143, unten:

„Ich begehre nichts von Gott als daß er mir gebe In dieser Welt ihm dienen und ihn loben zu können, Für mich zu leben, ein ganzes Gewand oder Wams, Ein Pferd, um meine Arbeit zu tragen, Und daß ich meinen Stand führen kann Im Mittleren, in Frohsinn, ohne Neid, Ohne zu viel zu haben oder um Brot zu betteln, Denn das ist heute das sicherste Leben.“ S. 144, oben:

„Ein Arbeiter und ein armer Fuhrmann Geht schlechtgekleidet, zerrissen und barfuß, Doch beim Schaffen gewinnt er seine Arbeit lieb Und bringt sein Werk fröhlich zu Ende. Nachts schläft er gut; deshalb sieht solch ein redliches Herz Vier Könige und ihr Reich enden.“

S. 145, Mitte: „Der Hof ist ein Meer, von dem sich erheben Wogen des Hochmuts, Stürme des Neids... Zorn erregt Streit und Kränkung, Die die Schiffe oft hinabziehn; Verrat spielt dort seine Rolle. Schwimm anderswo zu deiner Ergötzung!“ 30 Huizinga, Mittelalter

466

ANHANG

S. 148, unten: „für sie und für wen immer sie bei sich hatten, nämlich Bäder, mit allem versehen, was zum Dienste der Venus erforderlich ist, wobei mit Wahl und Auslese zu beschaffen ist, was am meisten gewünscht wird; und alles auf Kosten des Herzogs“. S. 149, oben: „eine Maschine, um die Damen naß zu machen, wenn sie darunter vorbeigehen“. S. 150, oben: „handgreifliche Späße“. S. 150, oberhalb der Mitte: „ruhmreiches und erbauliches Werk“; „sehr ergötzlich zu erzählen in jeder guten Gesellschaft“. S. 151, unterhalb der Mitte: Arrests d’amour — Gerichtsentscheidungen in Liebessachen (von dem Parlamentsprokurator Martial d’Auvergne, 1430—1 508; noch von Lafontaine nachgeahmt). S. 152, oben: „Das hier sind die zehn Gebote, Wahrer Gott der Liebe .. S. 152, darunter:

„Dann rief sie mich und ließ mich die Hände legen Auf ein Buch und hieß mich versprechen,

Daß ich redlich meine Pflicht tun würde In den Punkten der Liebe.“ S. 152, darunter:

„Und ich hege die Hoffnung, daß er bald Im Paradies der Liebenden gar hoch sitzen wird, Als Märtyrer und hochgeehrter Heiliger.“ S. 152, unten: „Ich habe die Leichenfeier für meine Herrin In der Kirche der Liebe begangen, Und das Amt für ihre Seele Hat Schmerzensgedanke gesungen.

Viele Kerzen aus kläglichen Seufzern Waren da zu ihrer Beleuchtung, Auch ließ ich das Grabmal machen Aus Sehnsucht...“

S. 156, oberhalb der Mitte: „die nicht aus jungfräulichem Wachs war“. S. 158, unten: Epistre au dieu d’amours = Brief des Liebesgottes (nicht: an den Liebesgott; das Gedicht gibt sich als Brief des Cupido selbst). S. 160, oben: „des lästerlichen Romans von dei' Rose“. S. 160, oberhalb der Mitte: „auf den Federn und Flügeln mannigfacher Gedanken (entflieht ihm das Herz) von einem Ort zum andern, bis zum heiligen Hofe der Christenheit“. S. 160, Mitte: „Scham, Furcht und Tugendwacht1), der gute Pförtner, der

*) Über die Bedeutung von Dangier ist noch keine Einigkeit erzielt. Das Wort leitet sich ab von dominarium und heißt demnach ursprünglich „Herr-

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

467

nicht einmal einen gemeinen Kuß oder einen unkeuschen Blick oder ein verführerisches Lächeln oder ein leichtfertiges Wort zu bewilligen geruht oder gewagt hätte.“ S. 160, unterhalb der Mitte: „wie alle jungen Mädchen ihren Leib schnell und teuer verkaufen sollen, ohne Furcht und ohne Scham, und daß sie es für Nichts achten sollen, zu betrügen oder meineidig zu werden“. S. 162. Mitte: „um einen Teil der Zeit lieblicher zu verbringen und das Erwachen neuer Freude zu finden“. — „zu Ehre, Lob, Empfehlung und Dienst aller Frauen und Fräulein“. S. 162, unten: „in der Form von Liebesprozessen, um verschiedene Meinungen zu vertreten“. S. 164, unten: „was Sucht nach Neuem (wetterwendische Gesinnung) be-

deutet“, — „Statt des Blau, Herrin, legt Ihr Grün an.“ S. 165, oben: „die Gecken vom Hofe und Umsteller von Namen“.

S. 165, oberhalb der Mitte: „Liebchen von hohem Mut, Das haufenweis’ Wahlsprüche trägt.“ S. 165, Mitte:

„Ich verkauf’ Euch die Stock-Rose.“ — „Schöne, nicht zu sagen wag’ ich’s Euch,

Wie die Liebe mich zu Euch zieht,

Drum sollt Ihr es ganz von selber merken!“ schäft“; die heutige Bedeutung „Gefahr“ hat sich erst in der Redensart soimetre

en dangier (vom Vieh gebraucht) = „sich in das Herrschaftsgebiet, d. h. in Gefahr begeben“ entwickelt (unter Einfluß von damnum). Dangier im Rosenroman kann nach v. Ettmayer in seinem Kommentar (Heidelberg 1919, S. 36) „nur die Allegorisierung der eheherrlichen Gewalt verkörpern“, was jedoch nicht möglich ist, wenn man mit Huizinga (oben S. 157) annimmt, daß es sich um die Eroberung einer Jungfrau handelt. Also Aufsichtsgewalt (der Ehern usw.) schlechthin? — Dem steht entgegen, daß die anderen Allegorien (Scham, Furcht usw.) Eigenschaften der als Rose dargestellten Jungfrau verkörpern. Also dürfte Dangier eher „Selbstbeherrschung“ bedeuten, und so wird es denn auch von Hermann Suchier in seiner Gesch. d. franz. Literatur, 2. Aufl., Leipzig 1913 (I, 216), mit „Sprödigkeit' ‘, in der deutschen Übersetzung des Rosenromans

von Fährmann-Gregor (Wien 1922, Ed. Strache) mit „Frauenstolz“ und in Emil Winklers Nachwort dazu mit „weibliche Zurückhaltung“ wiedergegeben. „Tugendwacht“ haben wir gewählt, weil man Dangier später nicht mehr als innere Eigen-

schaft verstand, sondern als einen Wächter veräußerlichte; das zeigt sich unter andern in der 27. und in der 37. der Cent nouvelles und vielleicht auch in obigem Zitat. Vgl. auch oben im Text, S. 166 und S. 285. 30*

468

ANHANG S. 165, unten:

„Vom Liebesschloß frag’ ich Euch: Sagt mir den ersten Grundstein!“ — „Redlich lieben.“ — „Nun nennt mir die Hauptmauern, Die es hübsch, stark und sicher machen!“ — „Klug verschweigen.“ —

„Sagt mir, wer sind die Zinnen, Die Fenster und die Quadern?“ —

„Verführerischer Blick.“ — „Freund, nennt mir den Pförtner!“ — „Tugendwacht1), der falsch Redende.“ — „Wer ist der Schlüssel, der es öffnen kann?“ — „Höfisches Bitten.“

S. 166, oberhalb der Mitte: „anmutige Fragespiele“. — „Streitfragen der Liebe und ihrer Begebenheiten“. S. 166, unterhalb der Mitte: „Fraue, mir wäre es lieber, ich hörte gut über sie reden und erfände sie schlecht.“ S. 167, unten: „zu Euerm Ruhm und Lob will ich etwas schreiben, das in gutem Gedächtnis bleiben soll“. S. 168,oben: „UndIhr,mein gar süßes Herz, Ihr ärgert Euch, daß wir so spät

begonnen haben? — Bei Gott, ich auch; doch ich weiß ein Mittel: richten wir uns das Leben so gut ein, wie wir können, nach Ort und Zeit, daß wir die verlorene Zeit ausgleichen, und daß man noch nach hundert Jahren von unserer

Liebe spreche, in aller Tugend und in aller Ehre; denn wenn es Schlechtes dabei gäbe, so würdet Ihr es (selbst) Gott verhehlen, wenn Ihr könntet.“ S. 168, unten: „von Ehre und Ehrbarkeit“. S. 169, unten: „in sehr frommer Weise“. — „ ... Als man das Agnus Del sprach, Da gab sie mir — beim heiligen Crispin! — Sachte den Friedenskuß

Zwischen zwei Pfeilern der Kirche. Und ich brauchte ihn (den Frieden) gar sehr, Denn mein verliebtes Herz war Verstört, als sie so schnell fortging.“ S. 171, oberhalb der Mitte: „mit falschen, langen und schmachtenden Blicken und kleinen Seufzern und sonderbaren affektierten Gesten, und die mehr Worte zur Hand haben als andere Leute“.

S. 171, unterhalb der Mitte: „Mein Fräulein, es wäre besser, Euer Gefangener zu sein als der von soundso viel anderen, und ich denke, Euer Ge) Siehe die letzte Fußnote.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

469

fängnis wäre nicht so hart wie das der Engländer.“ — „Und sie antwortete mir, sie habe erst kürzlich den gesehen, von dem sie möchte, daß er ihr Gefangener

wäre. Und da fragte ich sie, ob sie ihm ein schlimmes Gefängnis machen würde, und sie sagte: ,Keineswegs'; vielmehr würde sie ihn ebenso hegen wie ihren eigenen Körper. Und ich sagte ihr, der Betreffende wäre sehr glücklich, daß er ein so süßes und edles Gefängnis habe. — Was soll ich euch sagen? Sie besaß ziemlich viel Zungenfertigkeit, und nach ihren Worten schien es, daß sie ziemlich gut beschlagen war, und dazu hatte sie ein lebhaftes und bewegliches Auge.“ S. 171, unten: „Und als wir aufgebrochen waren, sagte mein Herr Vater zu mir: ,Was meinst du von der, die du gesehen hast? Sag mir deine Meinung.“' S. 172, oben: „Herr Vater, sie scheint mir schön und gut, aber ich möchte doch mit ihr nicht näher bekannt werden (so es Euch gefällt), als ich es bin.“

S. 172, unterhalb der Mitte: „denn ich habe viele, die in ihrer Jugend verliebt gewesen waren, sagen hören, in der Kirche habe die nachdenkliche und düstere Stimmung sie öfter an jene innigen Gedanken und Wonnen ihrer Liebe denken lassen als an den Gottesdienst; und die Kunst der Liebe ist von solcher Art, daß ihnen um so mehr zärtliche Gedanken kamen, je mehr man im heiligen

Amte begriffen war, nämlich wenn der Priester unseren Herrn über den Altar hält“. S. 176, oben: „Einen König von Sizilien Sah ich Schäfer werden Und seine edle Frau Den gleichen Stand ergreifen; Sie trugen die Brottasche, Den Hirtenstab und den Hut, Sie wohnten in der Heide Bei ihrer Herde.“

S. 177, oben: „Herr, du bist Gottes Hirte; Hüte seine Tiere getreulich, Tu sie aufs Feld oder in den Garten, Doch laß sie ja nicht umkommen. Für deine Mühe sollst du guten Lohn erhalten.

Wenn du gut hütest — wenn aber nicht, Empfingst du diesen Namen mit Unrecht.“

S. 177, Mitte: „die edlen Schäferinnen, die vormals die Hirtinnen und Hüterinnen der Schafe von diesseits (= der Niederlande) gewesen sind.“ S. 177, unten: Eine alte Übersetzung des ganzen Wilhelmus von Nassau findet sich bei Fr. L. v. Soltau, Histor. Volkslieder, 2. Ausgabe, Leipzig 1845, S. 430 ff.; hier lautet die im Text zitierte Strophe: „Urlaub mein armen Schaafen,

Die hier in großer Not,

470

ANHANG

Ewer Hirt dei’ sol nit schlafen, Und seid ihr nun verstrewt, Zu Gott wollt euch begeben, Sein heilsam Wort nempt an, Als fromme Christen leben, Soll hie bald sein gethan.“ S. 177, darunter: „der Schäfer und die Schäferin“. S. 177, Fußnote 2: „die Hammel sperrten den Hirten in seinem Park ein“. S. 178, Mitte:

„Mein Brot ist gut, niemand braucht mich zu kleiden; Das Wasser ist gesund, das ich zu trinken begehre, Ich fürchte keinen Tyrannen und kein Gift.“ S. 178, unterhalb der Mitte: „nach der Cornemuse (— Dudelsack), diesem Instrument der bäuerischen (tierischen) Leute“. S. 178, unten: „die scharfen Atem verursachen“. S. 179, oben: „Alle Vögel von hier bis Babylon.“ S. 180, oben: „Ein süßes Ding ist die Ehe, Ich kann es wohl durch mich erweisen.“ S. 182, Mitte:

„Wo ist nun der Glanz Babylons? Wo ist nun Der furchtbare Nebukadnezar, und des Darius Kraft, und jener Cyrus? Wie ein Rad, das seine Kräfte nicht kennt1), so gingen sie dahin; Ihr Ruhm bleibt übrig, er festigt sich — sie aber vermodern Wo ist nun die Julische Kurie, wo die Julische Prozession2)? Caesar, du schwandest dahin! Und du bist der Grimmigste in der ganzen Welt und der Mächtigste gewesen!

Wo ist nun Marius und Fabricius, dem das Gold fremd war? Wo ist der ehrenvolle Tod und die denkwürdige Tat des Paulus3)? Wo die göttliche philippischeStimme (Demosthenes), wo die göttliche Ciceros?

Wo ist Catos Friedfertigkeit gegen die Bürger und sein Zorn gegen die Aufrührer? Wo ist nun Regulus? Und wo Romulus, und wo Remus? Dem Namen nach steht die gestrige Rose4) noch da — und uns bleiben die nackten Namen.“

*) Oder: „wie ein Rad, von Kräften verlassen“, „wie ein sich selbst überlassenes Rad“?

2) Caesar erbaute für den Senat eine neue Kurie (Curia Julia); bei der feierlichen Prozession (pompa) anläßlich der circensischen Spiele ließ er sein Bild unter den Götterbildern tragen. 3) Wohl L. Aemilius Paulus, der bei Cannae befehligte und fiel. 4) Statt rosa „Rose“ ist vielleicht zu lesen Roma „Rom“.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

471

S. 183, oben:

„Sag, wo ist Salomo, der einst so herrliche, Und wo ist Simson, der unbesiegliche Heerführer, Und der schöne Absalom, wunderbar von Antlitz, Und der süße Jonathan, der gar liebwerte? Wohin ging Caesar, erhaben an Herrschgewalt? Wohin der Reiche (Crassus), der schon beim Frühstück schwelgte?1) Sag, wo ist Tullius (Cicero), berühmt durch Beredsamkeit, Oder wo Aristoteles, der höchste an Geisteskraft?“

S. 183, Mitte: „Ballade von den Damen der vergangenen Zeit“, mit dem Refrain:

„Doch wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?“ S. 183, darunter:

„Ach! (und wo ist) der gute König von Spanien, Von dem ich den Namen nicht weiß?“ S. 183, unten: „Schmuck und Triumph der Damen“. S. 186, unten:

„Einst war ich schön über alle Frauen — Doch durch den Tod ward ich so. Mein Fleisch war sehr schön, frisch und zart — Nun ist es ganz zu Asche geworden. Mein Leib war gar reizend und gar schmuck, Nun aber muß ich mit Fug ganz nackt sein. Ich pflegte mich in Seide zu kleiden — Eingehüllt war ich in Grauwerk und feinen Buntpelz, In großem Palast wohnte ich zu meiner Lust — Nun hause ich in diesem kleinen Sarg. Mein Zimmer war mit schönen Tapeten geschmückt, Nun ist meine Grube mit Spinnweb’ umzogen.“ S. 187, Mitte: „Diese süßen Blicke, diese Augen, geschaffen zur Lust,

Bedenkt es wohl! werden ihren Glanz verlieren, Nase und Braue, der wohlberedte Mund Werden vermodern...“ S. 187, unten:

„Wenn Ihr den geraden Lauf der Natur durchlebt, i) Oder: „der berühmte Reiche, dessen ganze Seele bei der Mahlzeit war.“ So interpretiert Huizinga, der außerdem Dives als den Reichen der Bibel (im Gegensatz zu Lazarus) deutet. Da aber vorher von Caesar und nachher von Cicero die Rede ist, kann der Dichter auch an Crassus gedacht haben.

472

ANHANG Der mit sechzig Jahren für viele zurückgelegt ist, So wird Eure Schönheit sich in Häßlichkeit wandeln, Und Eure Gesundheit in düstere Krankheit, Und Ihr werdet hienieden nur ein Hindernis sein. Habt Ihr eine Tochter, so werdet Ihr ein Schatten sein, Sie wird gesucht und begehrt werden, Die Mutter aber von jedem verlassen.“ S. 188, oben:

„Was ist geworden aus dieser glatten Stirn, Diesen blonden Haaren, den gewölbten Brauen, Der breiten Spanne zwischen den Augen, dem frohen Blick,

Womit ich selbst die Gewitztesten fing, Der schönen graden Nase, nicht zu groß noch zu klein, Den kleinen, anliegenden Ohren, Dem gegabelten Kinn, dem hellen ovalen Antlitz, Und diesen schönen roten Lippen?

Die Stirne runzlig, die Haare grau, Die Brauen kahl, die Augen erloschen ...“ S. 189, unten: „Ich schrieb den Tanz des Macabre.“

S. 192, unten: „Ich bin der Tod, der allen Kreaturen gewiß ist.“ S. 195, oben:

„Mein Freund, betrachtet mein Antlitz, Seht, was der schmerzvolle Tod macht, Und vergeßt es fürder nicht; Das ist sie, die Ihr so sehr liebtet, Und diesen Leib, der Euer ist, Werdet Ihr, häßlich und schmutzig, für immer verlieren; Er wird eine stinkende Mahlzeit sein Für die Erde und das Gewürm; Der harte Tod endet alle Schönheit.“ S. 195, Mitte:

„An ihm ist kein Glied und kein Teil Das nicht sein Vermodern spüre. Bevor der Geist entflohen ist, Hebt das Herz, das brechen will

Im Leib, die Brust in die Höhe, Die sich mit dem Rückgrat vereinigen möchte. — Das Antlitz ist farbig und bleich, Und die Augen im Kopf vergittert. Die Sprache bleibt aus,

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

473

Denn die Zunge klebt sich an den Gaumen. Der Puls zittert und er keucht dabei. Die Knochen renken sich überall aus; Kein Nerv, der sich nicht zum Zerreißen spanne.“ S. 195, unten:

„Der Tod macht ihn zittern, erbleichen, Die Nase sich krümmen, die Adern sich spannen, Den Hals sich blähen, das Fleisch sich auflösen, Gelenke und Nerven sich dehnen und spreizen.“ S. 196, oben:

„Du Frauenleib, der so zart ist, So glatt, so weich, so köstlich — Mußt du auf solche Schrecken gefaßt sein? — Ja — oder lebendig zum Himmel eingehn.“ S. 197, oben: „schöne Beinkammern“.

S. 197, unten: „göttliche Tiefe der Trauer“. S. 198, oben:

„Tagelöhner, der du in Mühe und Plage All deine Zeit zu Ende lebtest, Sterben mußt du, das ist gewiß, Kein Zurückbeben hilft und kein Widerstreben. Des Todes mußt du froh sein,

Denn von großer Sorge befreit er dich...“ S. 200, unten: „in der Minne, in der die himmlische Mutter ihrem zarten Kindlein Jesus ein Äpfelchen zu essen gab“. S. 203, unten: „aus der bloßen Phantasie der Menschen und der melancholischen Einbildungskraft“. S. 205, oben: „denn der stoffliche Samen, woraus der Körper zusammenzufügen war, war weder zu hart noch zu dünnflüssig“. S. 206, Mitte: „um Gott im Vorbeigehen zu sehen“. — „Ein Gott auf einem Esel.“ — „Und sie glaubte mit dem Tode abzugehen und ließ sich den lieben Herrgott bringen.“ S. 206, unten: „Laßt Gott machen, der ja ein Mann von reifem Alter ist.“ — „und bittet ihn mit gefalteten Fländen, als einen so hochgestellten Mann, wie Gott ist“.

S. 208, Mitte: „So sehr ergötz’ ich mich“; „Ist mein Antlitz bleich“; „Der Bewaffnete“. S. 208, unten:

„Dann wird er, beim Klang der Trompete, Seine große allgemeine Rechnungskammer öffnen!“

474

ANHANG S. 209, oben:

„Hört, hört die Ehre und den Ruhm Und die sehr große Vergebung der Waffen.“

S. 209, unten: „Seht hier ein Abbild der Dreieinigkeit: den Vater, den Sohn und den heiligen Geist.“ S. 210, Mitte: saints — ,Heilige“, seins = ,Busen“; devotion = ,Ergebenheit, Frömmigkeit“, confesser = ,beichten“, benir = ,segnen“.

210, darunter: „unehrbare Körperteile und schmutzige und häßliche Sünden““.

S. 211, unter der Mitte: „Küßt mich, rote Nasen“. S. 211, darunter: „wie ein Eroberer von Ländern, ein weltlicher Fürst es sein würde“. S. 211, Fußnote 2: „Es werden jetzt den nichtswürdigsten Melodien heilige Worte unterlegt, was von nicht besserem Anstand ist, als wenn man dem Cato den Schmuck der Thais (Hetäre) anlegen wollte. Und durch die schamlose Leichtfertigkeit der Sängei1 werden zuweilen auch die Worte nicht verschwiegen.“ S. 212, oben: „Früher pflegte man

In der Kirche gar fromm In Demut zu knien Ganz dicht am Altar, Und ehrerbietig das Haupt zu entblößen — Heute aber kommt man wie ein Vieh Gar oft zum Altar Mit der Kappe oder dem Hut auf dem Kopf.“ S. 213, unterhalb der Mitte: „in großer und hoher Feierlichkeit und Ehrbezeugung““. — „ein Haufen von Lumpenpack und üblen Burschen“.

S. 214, oberhalb der Mitte:

„Wenn ich oft in die Kirche gehe, So allein deshalb, um die Schöne zu sehen, Die frisch ist wie eine junge Rose.“ S. 215, oben: „und deshalb gibt es hier gutes Beispiel, wie man nicht zu irgendwelcher törichten Lust auf die heiligen Fahrten gehen soll“. S. 216, Mitte:

„Es gibt keinen noch so Geringen, der nicht sage: Ich verleugne Gott und seine Mutter.“

S. 218, oben: „mein guter Hund, dem Gott vergebe“. — „geradenwegs in das Paradies der Hunde“. — papelard —, Heuchler“. — „Aus einem jungen Engelchen wird ein alter Teufel.“ S. 219, Mitte: „Liebe Herren, ich habe auf meine Angelegenheiten geschaut und glaube in meinem Gewissen Gott gar sehr erzürnt zu haben, denn schon

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 475 seit langem bin ich am Glauben irre geworden und kann nicht glauben, daß an der Dreieinigkeit etwas sei, noch daß Gottes Sohn geruht hätte, sich so weit herabzulassen, daß er von den Himmeln in den menschlichen Leib einer Frau herabgestiegen wäre, und ich glaube und sage, daß es, wann wir sterben, nichts

mit der Seele ist... Ich habe diese Meinung gehegt, seit ich zu Verstand kam, und werde sie halten bis ans Ende.“ S. 221, ziemlich unten: „Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen.“ S. 222, oben:

„Eine arme und alte Frau bin ich, Die nichts weiß; nie las ich einen Buchstaben; In der Kirche, deren Pfarrkind ich bin, Seh ich das Paradies gemalt, mit Harfen und Lauten, Und eine Hölle, wo die Verdammten gekocht werden: Das eine macht mir Furcht, die andere Freude und Wonne ...“

S. 224, ziemlich unten: „gar oft und gar laut“. S. 226, oben:

„Ihr, die Ihr Frau und Kindern dient, Sollt Joseph alle Tage im Gedächtnis haben:

Einer Frau diente er immer, traurig, leidend, Und Jesum Christum hütete er als Kind; Zu Fuß trippelte er, ein Bündel auf seiner Lanze; An mehreren Orten ist er so dargestellt, Neben einem Maultier, um ihnen gefällig zu sein, Und so hatte er nie einen Festtag hinieden.“ S. 226, unten:

„Was hatte doch Joseph für Armut Und Qual Und Elend,

Als Gott geboren ward! So manches Mal hat er ihn herumgetragen Und aufgehoben Aus Güte.

Mitsamt seiner Mutter Führte er ihn hinweg auf seinem Maultier: Ich sah ihn So gemalt; Nach Ägypten ist er gegangen. Der gute Mann ist abgebildet Ganz müde

Und gehüllt In einen Rock und in ein Gewand mit Querstreifen (?); Einen Stab hatte er an den Hals gelegt,

476

ANHANG

Alt war er und verbraucht, Und gewitzigt. Keinen Festtag hat er hinieden, Doch von ihm Geht das Geschrei: Das ist Joseph der Dummkopf!“ S. 227, unterhalb der Mitte: „Gott wollte, daß sie den heiligen Mann Joseph

heiratete, der alt und bieder war; denn Gott wollte unter dem Schatten der Ehe geboren werden, um dem Gesetz zu gehorchen, das damals lief, um dem Gerede der Leute zu entgehen.“

S. 227, unten: „So es dir gefällt, werde ich mich verheiraten und einen großen Haufen Kinder und Anhang haben.“ S. 228, oben: „Schwarz bin ich, doch schön.“ — „Wiewohl dieses Mädchen schwarz ist, ist sie nichtsdestoweniger anmutig und hat eine schöne Bildung

des Körpers und der Glieder und ist wohl geschickt, eine Menge Kinder zu tragen.“ — „Mein lieber Sohn hat mir gesagt, daß sie schwarz und bräunlich ist. Gewißlich will ich, daß sein Gemahl jung, höfisch, hübsch, anmutig und schön sei und schöne Glieder habe.“

5.228, Mitte: „Nimm sie, denn sie ist gefällig, Um ihren süßen Liebhaber wohl zu lieben; Und nimm von unserem Gut in Fülle Und gib ihr davon reichlich.“ 5.229, Mitte:

„Es sind fünf Heilige in der Genealogie, Und fünf heilige Frauen, denen Gott in Gnaden Am Ende ihres Lebens gewährte, Daß, wer immer sie aus Herzensgrund anriefe In jedweder Gefahr, so würde Gott erhören Ihre Fürsprach für jedweden Notstand. Weise ist drum, wer diesen Fünfen dient: Georg, Dionys, Christophorus, Ägidius und Blasius.“

S. 229, unten: „Gott, der du deine erkorenen Heiligen Georg usw. usw. mit sonderlichen Vorrechten vor allen anderen ausgestattet hast, daß alle, die in ihren Notständen derselbigen Hilfe erflehen, nach der Verheißung deiner Gnade eine heilsame Bewirkung ihrer Bitte erfahren.“ S. 231, Mitte: „Der heilige Antonius verbrenne mich!“ „Der heilige Antoniusverbrenne die Spelunke, der heilige Antonius verbrenne das Reitpferd!“ —

„Der heilige Antonius verkauft mir sein Übel Zu teuer, er wirft mir das Feuer in den Leib!“ S. 231, darunter: „Der heilige Maurus wird dich nicht zittern machen.“

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 477 S. 233, oben:

„Bildet die Götter nicht aus Silber, Aus Gold, aus Holz, aus Stein oder Erz, Die die Leute zum Götzendienst verleiten ...

Denn das Bildwerk ist eine ergötzliche Form; Ihre Malerei, darob ich mich beklage, Die Schönheit des glänzenden Goldes Lassen so manchen im Glauben Schwankenden Wähnen, das seien wahrhaftige Götter,

Und sie dienen mit törichten Gedanken Solchen Bildern, die in der Runde stehn

In den Kirchen, wo wir ihrer zu viele auf stellen; Das heißt sehr übel tun; in kurzen Worten: Solche Götzenbilder wollen wir nicht anbeten.

Fürst, an einen Gott allein laßt uns glauben Und ihn in vollkommener Weise anbeten Auf den Feldern, überall, denn das ist das Rechte — Nicht aber falsche Götter, weder Eisen noch Magnet, Noch Steine, die keine Vernunft haben: Solche Götzenbilder wollen wir nicht anbeten.“ S. 236, unten: „damit er von allem losspreche“.

S. 237, oben: „Bitten wir Gott, daß die Jacobinermönche Die Augustiner aufessen möchten, Und daß die Karmeliter gehenkt werden An den Stricken der Minoriten.“ S. 237, unten: „Und es verfluchten ihn die, so vorher für ihn gebetet hatten.“ S. 239, Zeile 13: Gilles de Rais: vgl. J. K. Huysmans’ Roman Lä bas (1891); deutsch Potsdam, G. Kiepenheuer 1922. S. 240, Ende des 1. Absatzes: „Wenn Gott mir Sieg verliehen hat, so wird

er ihn mir bewahren.“ S. 242, unten: „ohne allen Unterschied, so, wie die Tröge, darinnen man gemeinhin den Mist und den Kot trägt“. — „Und ich hörte erzählen und sagen, daß er in allen Städten, in die er kam, aus Demut solche Einzüge machte.“ S. 243, Mitte: „wenn Gott ihn so gehaßt hätte, daß er an den Höfen der Fürsten dieser Welt gestorben wäre“.

S. 246, Zeile 8: „Da wurde in guter Form besagter Herr Karl von Blois getötet, mit dem Gesicht gegen die Feinde, und ein Bastard von ihm, der Herr Johann von Blois hieß, und mehrere andere Ritter und Knappen der Bretagne.“ S. 246, unterhalb der Mitte: „den Heiligen mit geringem Geist“. S. 247, unten: „Freundlich, höfisch und leutselig, jungfräulich an Leib, ein

478

ANHANG

gar freigebiger Almosenspender. Den größten Teil des Tages und der Nacht lag er im Gebet. In seinem ganzen Leben gab es nichts als Demut.“ S. 248, oben: „Ich sehe wohl, daß man mich vom guten auf den schlechten Weg bringen will; wahrlich, wahrlich, wenn ich mich darauf einlasse, so werde ich es dahin bringen, daß jedermann von mir redet.“ S. 249, oben: „Ludwig, der die Gnade Gottes und der Jungfrau Maria gegen größere Heller kaufte als je ein König sie gekauft hat.“ S. 251, Zeile 9: „Herr von Genas, ich bitte Euch, mir Zitronen und süße Orangen und Muskateller-Birnen und Pastinaken (Pflanzen mit eßbaren Wurzeln)1) zu schicken, und zwar für den heiligen Mann, der weder Fleisch noch Fisch ißt; und Ihr werdet mir einen großen Gefallen tun.“ S. 251, Mitte: „Er lebt noch, so daß er sich sehr wohl (sei es zum Besseren oder zum Schlechteren) ändern könnte, weswegen ich schweige, da mehrere sich

über die Ankunft dieses Eremiten, den sie ,heiligen Mann' nannten, lustig machten.“ — „von so heiligem Leben, noch einen solchen, bei dem es mehr so ausgesehen hätte, als spräche der Heilige Geist durch seinen Mund“. S. 252, unterhalb der Mitte: „der berühmte Fromme und größte Fürst und Herzog“. S. 253, Mitte: „Wer den Dionysius liest, hat alles gelesen.“ S. 259, unten: „Meine Tränen waren mir das Brot bei Tag und Nacht.“

S. 265, oben: „Und er hatte einen gar großen Zulauf von Volk, das aus allen Landen ihn sehen kam ob des sehr edlen und gar ehrbaren Lebens, das er führte“. — „den heiligen Mann von Saint Lie“. S. 265, Mitte: „Auf den Wolf, auf den Wolf!“ — „Halali, auf die Wölfe, liebe Leute, auf die Wölfe!“ S. 275, oben: „Dadurch, daß wir den steten Sinn für unsere Verknüpfung mit jener Macht pflegen, die die Dinge so schuf, wie sie sind, werden wir williger zu ihrer Aufnahme gestimmt. Die äußere Oberfläche der Natur braucht sich nicht zu ändern, doch es ändert sich die Bedeutung, die sie ausdrückt. Sie war tot und ist wieder lebendig. Es ist der gleiche Unterschied wie darin, ob man einen Menschen ohne Liebe betrachtet, oder ob man den gleichen Menschen mit Liebe betrachtet... Wenn wir alle Dinge in Gott sehen und alle Dinge auf Gott beziehen, so lesen wir in den gewöhnlichen Angelegenheiten höhere Bedeutungskundgaben.“

S. 280, unten: „In dieser Zeit, wo die Spekulation noch ganz schulmäßig ist, stehen die definierten Begriffe leicht in Disharmonie mit den tiefen Intuitionen.“ S. 282, unten: „ohne irgendwelche Beimischung von Zeugungssamen“. *) Da Pastinaken eine allzu gewöhnliche Nahrung ist, vermutet Huizinga,

daß der König sich geirrt und Wassermelonen (pasteques) gemeint hat.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

479

S. 284, oben:

„Aus dem Pantoffel kommt uns nur Gesundheit Und lauter Nutzen ohne schwere Krankheit; Um ihm einen Autoritätstitel zu geben, Geb’ ich ihm den Namen der Demut.“

S. 284, Zeile 12: („..daß sich beinahe von selbst jeder Gedanke in ein ,Personnage‘, d. h. ein Schauspiel umsetzen konnte“): Wie im Lateinischen persona eigentlich ,Maske, Larve des Schauspielers, Rolle* bedeutet (die farblose Bedeutung ,Person' ist erst die spätere), so hieß personnage im franzö-

sischen Mittelalter (und noch zur Zeit der Klassiker) so viel wie ,Rolle'. So haben wir aus dem 14. Jahrhundert „Quarante Miracles de Nostre Dame par personnages“ (in sieben Bänden, herausgegeben von Gaston, Paris und

U. Robert, Paris, 1876—1 883), was mit „Vierzig dramatisierte Marienwunder“ wiederzugeben wäre (vgl. H. Suchier, Gesch. der franz. Literatur, 2. Aufl., Band I, S. 292). Auch im Deutschen liegt, wenn wir sagen, „das Stück hat zehn Personen“, eigentlich die Bedeutung „Rolle“ vor, und so sagt noch Goethe: „Ich spielte doppelte Person,“ oder Schiller: „Welche Person ist’s, die Ihr selbst hier spielt?“ (vgl. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, unter „Person“); im Mittelhochdeutschen war persönier soviel wie „angenommene Gestalt (Maske), Mummerei“. Auch in dem biblischen „Gott siehet nicht

die Person an (sondern das Herz)“1) und „ohne Ansehen der Person richten (urteilen)“2) heißt „Person“ soviel wie „Rolle, die der Betreffende in der Welt spielt, äußeres Ansehen, zufällige Stellung“. — Ähnlich zu erklären

ist der Gebrauch des Wortes in der Juristensprache: eine perso7ia ist jemand, der im Recht eine Rolle spielt, der mit Rechts w ü r d e bekleidet ist, so daß auch hier die Begriffe „Person“ und „Mensch“ nicht (wie im heutigen Sprachgebrauch) identisch sind: einerseits gab es Menschen, die keine „Personen“ waren, insofern ihnen die Rechtsfähigkeit fehlte (die Sklaven, da sie als Sachen betrachtet wurden), und anderseits gibt es noch heute „Personen“, die keine Menschen sind, da auch Gemeinden, Aktiengesellschaften u. dgl. mit der Rechtswürde (Rechtsfähigkeit) bekleidet sein können („j u -

ristische Personen“). — Auch wenn in der Theologie von den drei göttlichen Personen gesprochen wird, ist von der Grundbedeutung „Maske“, „Rolle“ auszugehen: es sind die drei Rollen oder Erscheinungsformen, in denen die

einige Gottheit (die „Dreieinigkeit“) auftritt3). — Endlich wurde im Mittelalter x) 5. Mose 10, 17; 2. Chronika 19,7, Hiob 34, 19, Weisheit Salomos 6, 8, Jesus Sirach 35, 15, Apostelgeschichte 10, 34, Römerbrief 2, 11, Galater 2, 6, Epheser 6, 9, Kolosser 3, 25, 1. Brief Petri 1, 17. 2) 3. Mose 19, 15; 5. Mose 1, 17 und 16, 19, Sprichw. Salomos 24, 23, Jesus Sirach 42, 1, Jacobusbrief 2, 1. — Matth. 22, 16, Lucas 20, 21. 3) Meister Eckehart wettert (Schriften und Predigten, herausgeg. von Herrn. Büttner, Jena 1912, I, 3): „Da wundern sich ungläubige Menschen und manche

480

ANHANG

mit personne und personnage auch der Geistliche bezeichnet (daher noch englisch parson = „Pfarrer“), wobei wohl auszugehen ist von der Bedeutung „Würde“1). Vgl. Adolf Trendelenburg, Zur Geschichte des Wortes Person, „Kantstudien“ XIII (1908), S. 2—1 7; Ernst Ziteimann, Begriff und Wesen der juristi-

schen Person (1873); Rudolf Hirzel, Die Person. Begriff und Name derselben im Altertum (Sitzungsberichte der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 5. Dez. 1914).

S. 285, Mitte: Über die ursprüngliche Bedeutung von dang er siehe oben S. 466, Fußnote.

S. 286, Zeile 10: „Da erhob sich die Göttin der Zwietracht, die im Turm ,Übler Rat' war, und weckte Zorn den Sinnlosen auf und Begehrlichkeit und blinde Wut und Rachsucht, und sie ergriffen Waffen von jeglicher Art und stießen Vernunft, Gerechtigkeit, Gottgedenken und Mäßigung in gar schändlicher Weise aus ihrer Mitte heraus.“ — „Und seit sie tot waren, hatten sie binnen kürzerer Zeit, als man braucht, um hundert Schritte zu gehen, nur noch ihre Hosen an, und sie lagen in Haufen wie Schweine, mitten im Schmutz.“ S. 287, oben: Fol cuidier — „NärrischerWahn“; FoZfe&om&ance = „Närrisches

Schwelgen“; Pauvrete = „Armut“; Maladie = „Krankheit“; le Temps = „die Zeit“. S. 287, Mitte: „nach Art eines Mummenschanzes (einer Maskerade) und zur Erhöhung der Stimmung, um das Fest auf das Ergötzlichste zuzurüsten“. S. 287, darunter: „Bataille de Karesme et de charnage“ = „Schlacht zwischen der Fasten- und der Fleischzeit“. S. 288, Mitte: Doux Semblant — „freundliche Miene“; sodann: „Jugend, Gefälligkeit, Weigerung, Tugendstolz (vgl. S. 466, Fußnote), Abweisung, Freimut“.

S. 289, unten: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort“ (Paulus, 1. Korintherbrief 13, 2 in Luthers Übersetzung). S. 292, oben: „der Geiz ist eine Wurzel alles Übels“ (1. Timotheus 6, 10). ungelehrte Christenleute, und auch manche Pfaffen wissen davon so wenig wie

ein Stein: die nehmen drei Personen wie drei Kühe oder drei Steine!“ — Gleichwohl hat der Übersetzei’ „Personen“ stets belassen (statt es durch „Erschei-

nungsformen“ wiederzugeben); vgl. seine Einleitung, Seite LIII. x) Belege in den Wörterbüchern von Littre und Godefroy, ferner in BartschWiese, Chrestomatie de l’ancien frangais, 12. Auflage, Leipzig 1920, Stück 39, Vers 315 ff. (Roman de Renard). — Man könnte meinen, personnage (personne) bezeichnete zunächst nicht den Geistlichen schlechthin, sondern nur eine bestimmte Art von Geistlichen, nämlich die Inhaber eines „Personals“, d. h.

solche, die es nur der Rolle, nicht dem Wesen (der Dignität) nach waren (also so etwas wie Titulargeistliche) — aber bei dieser Bedeutung ist es nicht geblieben; im Englischen bezeichnet parson den Pfarrer im allgemeinen (aber

auch nur diesen). Vgl. K. H. Schäfer, Pfarrkirche und Stift im deutschen Mittelalter (Kirchenrechtliche Abhandlungen von Stutz, Heft 3), S. 70 ff.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 481 S. 293, unten: „Ich habe nicht den Mann geküßt, sondern den köstlichen Mund, daraus so viel gute Worte und tugendsame Reden hinausgegangen und gequollen sind.“ — „Ich werde im Glauben irren können, doch ein Ketzer werde ich nicht sein.“ S. 298, oben: „gemacht aus schmutzigstem Samen, empfangen im Kitzel des Fleisches, genährt mit Monatsblut, das so verächtlich und unrein sein soll, daß

bei seiner Berührung die Früchte nicht gedeihen und die Pflanzungen verdorren ..., und wenn Hunde davon fressen, so verfallen sie in Tollwut“. S. 299, unten: „Frommer Pelikan, Herre Jesus, Reinige mich Unreinen durch dein Blut, Davon ein Tropfen erlösen kann Die ganze Welt von jeder Sünde.“ S. 299, Fußnote 5: „Sieh dorthin, wo Christi Blut in das Firmament strömt! Ein Tropfen Blutes wird mich erlösen.“ S. 300, unten: „Überwesentliche, überanbetungswürdige und übergute Drei-

einigkeit ... leite uns zur überlichten Betrachtung deiner selbst.“ — „überbarmherzigst, überwürdigst, überfreundlichst, überglänzendst, überallmächtig und überweise, überherrlichst“. S. 301, Z. 11: „Es gibt in den Äußerungen der Mystik eine ewige Übereinstimmung, die dem Kritiker Halt gebieten und ihn nachdenklich stimmen sollte, und die es mit sich bringt, daß die Klassiker der Mystik (wie man gesagt hat) weder einen Geburtstag noch eine Heimat haben.“ S. 303, oben: „Wohlauf da, Herz und Sinn und Gemüt, in den grundlosen Abgrund aller lieblichen Dinge!“ S. 303, Z. 8: „Diesem Funken1) ... genügt es nicht am Vater noch am Sohne noch am heiligen Geiste noch an den drei Personen (Erscheinungsformen, vgl. oben zu S. 284), sofern eine jegliche in ihrem Eigenwesen besteht. Ja, ich behaupte: diesem Lichte (dem Funken) genügt es auch nicht, wenn die göttliche

Natur fruchtzeugend sich ihm eingebiert. Ich will noch ein weiteres sagen, das noch wunderlicher klingt: ich behaupte in allem Ernst, daß diesem Lichte auch nicht genüget an dem einigen, in sich ruhenden göttlichen Wesen, welches weder gibt noch empfängt: vielmehr will es wissen, von wannen dieses

Wesen komme, es will in den einfältigen Grund, in die stille Wüste, in die niemals irgendein Unterschiedliches hineingelugt hat: nicht Vater noch Sohn noch heiliger Geist; in dem Innersten, wo niemand heimisch ist, da erst findet dieses Licht Genügen, und dem gehört es inniger zu als sich selber. Denn dieser Grund ist eine einfältige (aller Besonderung bare) Stille, die *) Das Fünklein der Seele, die „Synteresis“ oder scintüla des Hieronymus und der Scholastiker (vgl. Rob. Eisler, Philosophisches Wörterbuch, unter „Synteresis“, Überweg-Heinze, Grundriß der Gesch. d. Philosophie, Band II, 10. Aufl., Berlin 1915, S. 645). 31 Huizinga, Mitteialter

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ANHANG

unbeweglich in sich selber ruht.“ (Mit Benutzung der Übersetzung von Hermann

Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten, 2. Auflage, Jena 1912, Band I, S. 152). — (Die Seele wird nur dadurch vollkommen selig), „daß sie sich in die leere Gottheit wirft, so weder Werk noch Bild ist, daß sie sich da verliere und versenke in die Einöde“. S. 303, unten (Tauler): „In diesem versinket der geläuterte verklärte Geist in die göttliche Finsternis1), in ein stilles Schweigen und in ein unbegreifliches und unaussprechliches Einswerden, und in diesem Versinken wird verloren alles Gleich und Ungleich, und in diesem Abgrunde2) verliert der Geist sich

selbst und weiß nichts von Gott noch von sich selbst noch von Gleich und Ungleich, noch von Nutzen, — denn er ist versunken in Gottes Einheit und hat verloren alles Unterscheiden.“

S. 304, oben: „Ruft denn alle mit offenem Herzen: 0 gewaltiger Schlund! Ganz ohne Mund,

Führe uns in deinen Abgrund2), Und mache uns deine Liebe kund!“ S. 306, Mitte: „Und hier stirbt sie ihren höchsten Tod. In diesem Tod verliert die Seele alles Begehren und alle Bilder und alle Fassungskraft und alle

Form und wird beraubt alles Seins. Und des seid sicher wie Gott lebt: so wenig ein toter Mensch, der leiblich tot ist, sich bewegen kann, so wenig kann die Seele, die solcherart geistlich tot ist, irgendeine Weise oder irgendein Bild offenbaren irgendwelchen Menschen. Denn dieser Geist ist tot und begraben in der Gottheit.“ S. 308, Z. 9: „Sie schwebte hoch über ihm in einem bewölkten Himmel; sie leuchtete wie der Morgenstern und schien wie blinkende Sonne; ihre Krone war Ewigkeit, ihr Kleid war Seligkeit, ihre Worte Süßigkeit, ihr Umfahen war Genügen aller Lust: sie war fern und nahe, hoch und nieder; sie war gegenwärtig und doch verborgen; sie ließ Umgang mit sich pflegen, und doch konnte niemand sie erfassen.“

*) Der Gedanke, daß das völlige Einswerden der Seele mit Gott in ihr alle

Anschauungen, Begriffe und Worte austilge und sie in Finsternis und Stille versenke, findet sich schon bei Plot in (im 3. Jahrhundert). 2) Von dem Abgrund des göttlichen Wesens, in den der Mensch sich versenken solle, spricht schon Dionysios der Areopagit (um 500). — So erklärt sich die Gleichförmigkeit in den Äußerungen der Mystiker, von der James (oben S. 301) spricht, mindestens teilweise aus gemeinsamen Quellen. Vgl. Jos.

Bernhart, Die philosophische Mystik des Mittelalters von ihren antiken Ursprüngen bis zur Renaissance, München, Ernst Reinhardt 1923 (= Geschichte der Philosophie in Einzeldarstellungen, Band 14).

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 483 S. 309, oben: „Alle Kreaturen sind ein lauteres Nichts. Ich sage nicht, sie seien klein oder sie seien irgend etwas — sie sind ein lauteres Nichts. Was kein Sein hat, das ist nichts. Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein schwebt an der Gegenwart Gottes.“ S. 311, unten: „Liebe es, unbekannt zu bleiben.“

S. 313, oben: „und da hörte ich die Alten sagen, welche wußten...“ — „worüber man sehr die Nase gerümpft hat“. — „aber heutzutage tut ein jeder nach seinem Gefallen; weshalb zu fürchten ist, daß alles schlimm gehen wird“. S. 313, mittlerer Absatz: „Warum hatte in seinem Departement der Aufseher über das Obst (le fruitier) gleichzeitig die Aufsicht über die Beleuchtung (le mestier de la cire, eigentlich: ,das Amt des Wachses)'?“ — „so daß man das sehr gut geordnet hat“. S. 314, unten: „So hatte der gute Herzog Johann dieses Begebnis zu einer moralischen Lehre gewendet.“ S. 316, oben: „eine so große Furcht schlägt mir aufs Herz, wahrlich eine so große, daß mein Geist und mein Gedächtnis entfleucht, und das Wenige an Verstand, das ich zu haben wähnte, hat mich gänzlich verlassen“. — Radix omnium malorum cupiditas = „Der Geiz ist die Wurzel aller Übel.“ S. 316, unten: „von dem Moralphilosophen Boccaccio“. S. 317, unten: „Ich billige Euch.“ S. 318, Z. 12: „Die großen Fische fressen die kleinen.“ — „Die schlecht Gekleideten setzt man mit dem Rücken gegen den Wind.“ — „Keiner ist keusch,

wenn es nicht nötig ist.“ — „Der Mensch ist solange gut, bis er um seine Haut fürchtet.“S. 319, unten: „Wer von allem schweigt, hat in allem Frieden.“ — „Gut gekämmtes Haupt trägt den Helm schlecht.“ — „Aus der Haut des Nächsten breite Riemen.“ S. 320, oben: „Wie der Herr, so der Knecht. Wie der Richter, so das Urteil. Wer dem Volke dient, bezahlt niemand. Wer grindig ist, soll die Mütze nicht abnehmen.“

S. 320, Ende des mittleren Absatzes: „So geht es mit den Waffentaten: einmal verliert man, das andere Mal gewinnt man.“ — „Nun aber gibt es nichts, dessen man nicht überdrüssig werde.“ — „Man sagt — und wahr ist es — daß nichts sicherer ist als der Tod.“ S. 320, unten: „Wann wird es sein? — Es komme früh oder spät. — Geh

vorwärts! — Ein andermal besser. — Mehr Leid als Lust.“ S. 321, oben: „Eine andere werd’ ich nicht haben. — Euch zur Lust. — Es möge Euch gemahnen. — Mehr als alle anderen (Frauen).“ — „Ihr habt mein Herz. — Ich wünsche es. — Auf ewig. — Ganz für Euch.“ S. 326, oben: „und man wußte nicht, wie man die Schande tragen sollte nach so großer Lust, die man bezeigt hatte“. — „und für immer verfehmt“. 31*

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ANHANG

S. 326, Ende des mittleren Absatzes: „Gute Leute, sagt eure Vaterunser für die Seele des verschiedenen Laurent Guernier, zu seinen Lebzeiten wohnhaft zu Provins, den man neuerlich tot aufgefunden hat unter einer Eiche.“

S. 329, oben: „die Kinder, die schmucken Scholaren wie unschuldige

Lämmer“.

S. 331, oben: „Ich habe Unerhörtes gesehen: Einen Toten aufstehen Und auf sein Wiederkommen hin Geld zu Tausenden aufnehmen. Der eine spricht: Er ist am Leben — Der andere: Das ist nur Wind (leeres Gerede). Alle guten neidlosen Herzen Sehnen sich oft nach ihm.“ S. 333, oben: par plaisance = „zur Ergötzung“.

S. 333, Ende des mittleren Absatzes: „(Namen), die gar sehr übereinstimmen mit den Namen der weltlichen Kleidungsstücke, der Instrumente und Spiele der gegenwärtigen Zeit, als da sind: Pantoffel, Courtaulx und Mornifle (siehe Fußnote 3).“

S. 334, unterhalb der Mitte: statt „alte Hexen“ müsse es „adlige Hexenmeister“ lauten.

S. 334, unten: „nicht konnte er nach seinem Willen recht aus seinem Herzen ausjäten die besagten Zeichen und ihre Wirkung gegen Gott“. — „von jener großen Torheit, die der christlichen Seele feind ist“. S. 335, oben: nach dem „wilden Schottland“.

S. 335, unten: „Habe ich nicht hier vor mir die Wachsstümpfe, getauft auf teuflische Art und voll von abscheulichen Geheimnissen wider mich und die andern?“ S. 336, oben: „denn in allen Dingen zeigte er sich als Mann von redlichem und ganzem Gottvertrauen, ohne etwas von seinen Geheimnissen erforschen zu wollen“.

S. 336, unten: „Und wann man gegen ihn argumentierte (mochten es Kleriker sein oder Laien), so sagte er, man sollte sie ergreifen als der waldensischen Ketzerei verdächtig.“

S. 337, Z. 12: „nie hatte man in den diesseitigen Ländern derartiges ge-

schehen sehen“.

S. 337, Mitte: „eine von einigen schlechten Subjekten ersonnene Sache“. S. 338, oben:

„Es gibt keine noch so blöde Alte, Die die geringste dieser Sachen verbrochen hätte.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE Doch um sie verbrennen oder hängen zu lassen, Verwirrt der Feind der Menschennatur, Der soviel Listen zu legen weiß, Ihr boshaft die Sinne. Es gibt weder Stock noch Stecken, Darauf ein Mensch fliegen könnte; Doch wenn der Teufel ihnen verblendet Den Kopf, so glauben sie zu fahren Irgendwohin, um sich zu ergötzen Und ihre Lust zu büßen.

Dann kann man sie von Rom reden hören, Und dabei sind sie nie dort gewesen.

Die Teufel sind alle in der Hölle Gefesselt — sagt Franc-Vouloir (freies Wollen), Und sie werden nie eine Zange oder Feile bekommen, Daß sie enthaftet werden könnten. Wie also sollten sie kommen können Und den Christenkindern so viele Listen bereiten Und soviel zuchtlose Abenteuer? — Ich kann deine Albernheiten nicht verstehen.“ S. 338, darunter:

„Solang’ ich lebe, glaub’ ich nicht, Daß ein Weib körperlicherweise Durch die Luft fahre wie Amsel oder Drossel (Sagt der Vorkämpfer1) sogleich).

Sankt Augustin sagt klärlich, Das sei nur Täuschung und Einbildung; Und anders denken darüber nicht Gregor, Ambrosius und Hieronymus. — Wenn das arme Weib auf dem Lager liegt, Um zu schlafen und zu ruhen, So kommt der (böse) Feind, der niemals ruht, Und legt sich ihr zur Seite. Dann weiß er so sehr raffiniert Trugbilder vorzugaukeln, Daß sie zu tun und zu planen glaubt Das, was sie lediglich träumt. So mag die Alte wohl träumen, Sie fahre auf einer Katz’ oder einem Hund Zur Versammlung der Hexen; ) Vgl. den S. 339, Fußnote 1, angeführten Titel der Dichtung.

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ANHANG Doch wahrlich, daran ist nichts, Denn es gibt keinen Stock oder Balken, Der sie einen Fuß weit davontragen könnte.“ S. 339, unten: „(die Alraunen), die gar manche dumme Leute an stillen

Orten aufbewahrten, und sie hatten in diesen Schmutz so großes Vertrauen, daß

sie wahrhaftig fest glaubten, solange sie ihn hätten (wofern er nur recht fein in schöne Tücher aus Seide oder Linnen eingehüllt wäre), würden sie ihr Lebtag nie arm werden“. S. 347, Z. 8: „die Person des Toten zu seinen Lebzeiten darstellend“. —

„Fünf Sou dem Blaise für die Darstellung des toten Ritters bei der Bestattung.“

S. 349, Mitte: „Man konnte, um es hübscher zu machen, nichts ersinnen noch erdenken, was der Herr von der Tremoille in seinen Schiffen nicht hätte machen lassen. Und alles das bezahlten die armen Leute in ganz Frankreich.“ S. 352, Fußnote 1: „und überdies trug sie keinen Staat auf dem Haupt wie andere ihr ebenbürtige Damen“. S. 355, unterhalb der Mitte: „Weil große und ehrenvolle Werke langen Ruhm und dauerndes Gedenken fordern.“ S. 356, Mitte: „Und wahrlich, das war eine gar schöne Einlage, denn es waren darin mehr als vierzig Personen.“ S. 358, Z. 9: „Kammerdiener des Herrn Herzogs von Burgund.“ S. 359, unten: „Und ein jegliches Häuflein im ganzen Israel soll’s schlachten

zwischen abends.“ — „Sie haben meine Hände und Füße durchgraben; ich kann alle meine Gebeine zählen.“ — „Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scherer, und seinen

Mund nicht auftut.“ — „0 ihr alle, die ihr vorübergehet: Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz.“ — „Und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden.“ — „Und sie wogen dar, wieviel ich galt, dreißig Silberlinge“ (nach Luthers Übersetzung der in der Fußnote zu S. 359 zitierten Stellen). S. 361, oben: plourants = „die Weinenden“. S. 362, Z.8: „durch gut gemachte Vorrichtungen“. — Z. 13: „wie wenn er

von selber in den Himmel zurückgekehrt wäre“. — Z. 21: „auf künstlichen Pferden“, „springend und hüpfend, daß es schön anzusehen war“. S. 363, unterhalb der Mitte: „Hernoul der Feine mit seiner Frau in einem Zimmer“.

S. 364, Z. 7 von unten: „ein imitiertes Buch“, „aus einem Stück weißen Holzes, bemalt zur Vortäuschung eines Buches, worin es keine Blätter gibt noch irgend etwas Geschriebenes“.

S. 366, oben: „Bekleidet mit Goldtuch und königlicher Zier, wie es ihr zustand, und scheinbar die weltlichste von allen, jedem leeren Worte Gehör sehen-

_ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 487 kend (wie manche tut), und nach außen hin solches Wesen zur Schau tragend

mit den Leichtfertigsten und Eitelsten — trug sie Tag für Tag auf nacktem Fleisch das härene Gewand, fastete manchen Tag heimlich bei Wasser und Brot, und schlief, wenn ihr Gatte abwesend war, manche Nacht in dem Stroh ihres Bettes.“

S. 366, unterhalb der Mitte: „die ein gar schönes und frommes Leben führten“. — „Pomp und Schmuck“. — „die übertriebenen Ausschweifungen und die großen Ausgaben, die um dieser Gelage willen gemacht worden sind“. — „tugendhaftes Bestreben“. S. 368, unterhalb der Mitte: venu de petit lieu — „von geringer Abkunft“. — „Er pflegte alles ganz allein zu regieren und alles auf eigene Faust zu handhaben und auszuführen, ob es sich um Krieg oder um Frieden oder um Finanzangelegenheiten handelte.“ S. 369, oben: „Besagter Kanzler galt als einer der weisesten Männer des

Reiches, was dieses zeitliche Leben angeht — denn hinsichtlich des geistlichen Lebens will ich schweigen.“ S. 375, Z.9: „Denn zur Schönheit gehört dreierlei. Einmal Reinheit oder Vollkommenheit: denn was unvollendet ist, ist eben dadurch häßlich. Sodann gehörige Entsprechung oder Übereinstimmung. Und schließlich Klarheit: weshalb das, was eine reine Farbe hat, schön gennant wird.“ S. 377, oben: „Denn Musik ist der Widerhall der Himmel, die Stimme der Engel, die Freude des Paradieses, die Hoffnung der Luft, das Organ der Kirche,

der Gesang der Vögelein, die Erholung aller traurigen und verzweifelten Herzen, die Verfolgung und Vertreibung der Teufel.“ S. 380, Mitte:

„Der eine kleidet sich für sie in Grün, Der andere in Blau, der dritte in Weiß, Wieder ein anderer rot wie Blut, Und der sie am meisten begehrt Legt um seines großen Schmerzes willen Schwarz an.“

S. 380, unten: „Du mußt dich in Grün kleiden, Das ist die Livree der Verliebten.“ S. 381, oben:

„Seine Herrin lieben, hängt nicht daran, Daß man Blau anlegt oder Abzeichen trägt, Sondern daran, sie mit reinem redlichen Herzen Ohne Hintergedanken zu lieben, und sie vor Schande zu bewahren.

... Darin liegt die Liebe — mit nichten im Blau-Anlegen; Aber vielleicht glauben einige die Missetat Der Falschheit bemänteln zu können Durch Blau-Anlegen ...“

488

ANHANG S. 381, Mitte:

„Daß der, der mich mit dem blauen Rock ausstaffierte Und machte, daß man mit Fingern.nach mir zeigt, erschlagen werd’!“ S. 382, oben:

„Über alle Farben lieb’ ich die der Gerberlohe, Und weil ich sie lieb’, hab ich mich darein gekleidet, Und alle anderen Farben hab’ ich vergessen.

Ach! was ich liebe, ist nicht hier.“ S. 382, darunter:

„Grau und Lohfarben muß ich wohl tragen, Denn der Hoffnung bin ich müde.“ S. 382, Mitte: „und dem Herzog ward mitgeteilt, daß das gegen ihn gerichtet wäre.“

S. 389, darunter: „Und wenn der Tag sinkt, eine Minute bevor die Stimme der Aufseher Eurer Versunkenheit ein Ende macht: seht wie das Meisterwerk in der Weichheit der Dämmerung sich umgestaltet; wie sein Himmel noch tiefer wird; wie die Hauptszene, deren Farben verblaßt sind, in das unendliche Geheimnis der Harmonie und der Einheit untertaucht.“ S. 394, Mitte:

„Um der Melancholie zu vergessen Und mich aufzuheitern, Ging ich an einem süßen Morgen auf die Felder hinaus, Am ersten Tage, da Arnor die Herzen vereint

In der fröhlichen Jahreszeit...“ S. 394, unten:

„Um mich herum flatterten die Vögel Und sangen so gar lieblich, Daß es kein Herz gibt, das davon nicht froh geworden wäre. Und singend stiegen sie in die Luft, Und dann stieg einer über den andern hinaus, Um die Wette und je mehr, desto besser.

Das Wetter war gar nicht wolkig, Mit Blau war der Himmel angetan, Und die schöne helle Sonne leuchtete.“ S. 395:

„Die Bäume sah ich blühen Und Hasen und Kaninchen laufen. Des Frühlings freute sich alles. Dort schien Amor zu residieren.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

489

Niemand kann dort altern oder sterben — So scheint es mir —, solange er dort ist. Vom Grase ging ein süßer Duft aus, Der die heitere Luft versüßte, Und brausend rann durch das Tal Ein kleines Bächlein, Das die Länder befeuchtete, Und dessen Wasser nicht salzig war. Daraus tranken die Vöglein, Nachdem sie an Grillen, Kleinen Mücken und Schmetterlingen Ihre Nahrung genommen hatten. Blaufalken, Geier, Lerchenfalken Sah ich, und Stachelfliegen, Die aus schönem Honig Zelte machten An den Bäumen mit Bedacht. Auf der anderen Seite war die Umhegung Einer anmutigen Wiese, wo Natur Die Blumen in das Grün säete: Weiße, gelbe, rote und pfirsichfarbene. Die Umgürtung war aus blühenden Bäumen, So weiß, wie wenn reiner Schnee Sie bedeckt hätte; es war wie ein Gemälde, Soviel verschiedene Farben gab es dort.“ S. 396, unten: „rechtschaffener Franzose, Franzose von Geburt.“ — „einen

geborenen Flamen, der jedoch auf Französisch schreibt.“ — „seiner rohen Sprache“; „einen Flamen, einen Menschen aus bäuerischem Sumpfland, unwissend, mit der Zunge lispelnd *), fettig (sprechend) an Mund und Gaumen und ganz beschmutzt mit anderen körperlichen Gebrechen nach der Art des Landes.“ — „Großrednerei.“ — „diese dicke, so laut tönende Glocke.“

S. 398, Mitte: „An einem Montag nun, dem Sankt-Antonstage (17. Januar), rief der Herzog, der sehr wünschte, daß sein Haus ruhig bleibe und ohne Zwist unter seinen Dienern, und daß auch sein Sohn nach seinem Wunsch und Willen tue, seinen Sohne zu sich (nachdem er schon einen großen Teil seiner Stundengebete gesagt hatte und die Kapelle leer war von Leuten) und sagte sanft zu ihm: ,Karl, was den Streit angeht zwischen den Herren von Sempy und von Hemeries wegen der Kämmerling-Stelle, so will ich, daß Ihr ein Ende damit macht und daß der Herr von Sempy diese unbesetzte Stelle erhalte/ Dawider sagte der Graf (der Sohn): ,Hoher Herr, Ihr habt mir einmal Eure Verordnung gegeben, worin der Herr von Sempy nicht steht; und, hoher Herr, so es Euch

1) bloiser eigentlich: „Zahnlaute, stimmhafte und stimmlose Konsonanten beim Sprechen verwechseln“ (= neufranzösisch bleser).

490

ANHANG

gefällt, so bitte ich Euch, daß ich es dabei lassen kann/ — ,Heda4, so sagte da der

Herzog, ,kümmert Euch nicht um Verordnungen: mir kommt es zu, zu erhöhen und zu erniedrigen, und ich will, daß der Herr von Sempy dort eingesetzt werde4. „Potz!4 so sagte der Graf (denn so fluchte er immer), ,hoher Herr, ich bitte Euch um Verzeihung, denn ich könnte es nicht tun, ich halte mich an das, was Ihr mir

verordnet habt. Das hat mir der Herr von Croy eingebrockt — ich sehe es wohl'. — ,Wie!‘, so sagte der Herzog, ,wollt Ihr mir ungehorsam sein? wollt Ihr nicht tun, was ich will?4 — ,Hoher Herr, ich will Euch gern gehorchen — aber das werde ich nicht tun.4 Und der Herzog, rasend vor Zorn über diese Worte, erwiderte: ,Ha! Bursche, wirst du meinem Willen ungehorsam sein? geh mir aus den Augen!’, und das Blut, mitsamt den Worten, drückte ihm aufs Herz, und er wurde bleich und dann plötzlich flammend rot und so schrecklich in seinem Gesicht (wie ich es berichten hörte, vom Schreiber der Kapelle, der allein bei ihm war), daß es gräßlich anzusehen war.44 S. 399, Mitte: „ ,Caron, öffnet! 4 44 — „ ,Bah, hohe Frau Mutter, der gnädige

Herr (= mein Vater) hat mir verboten, ihm vor die Augen zu treten, und ist erbost über mich, weswegen ich, nach diesem Verbot, nicht so bald zu ihm zurückkehren werde, sondern ich werde im Schutze Gottes Weggehen, ich

weiß nicht wohin.4 44 — „,Lieber Freund, schnell, schnell öffnet, uns, wir müssen fort oder wir sind tot!4 44

S. 399, unten: „Zu jener Jahreszeit waren die Tage kurz, und es war schon tiefe Dämmerung, als dieser Fürst geradewegs zu Pferd stieg und nach nichts anderem verlangte, als allein und für sich mitten in den Feldern zu sein. Nun wollte es der Zufall, daß gerade an jenem Tage, nach einem langen und scharfen Frost, Tauwetter eintrat, und nach einem laugen dichten Staubregen, der den ganzen Tag über niedergegangen war, setzte der Abend mit einem sehr feinen, aber recht naßmachenden Regen ein, der die Felder durchtränkte und mit dem Wind, der dagegen stieß, die Eismassen zerbrach.44 S. 400, unterhalb der Mitte: „Doch je mehr er sich näherte, desto mehr erschien es als etwas Schreckliches und Gräßliches, denn Feuer ging aus von einem Hügelchen an mehr als tausend Stellen, mitsamt dickem Rauch wovon niemand zu jener Stunde etwas anderes gedacht hätte, als daß es entweder das Fegefeuer irgendeiner Seele oder eine andere Vorspiegelung des bösen Feindes sein müßte . . .“

S. 401, oben: „eine Menge von Gesichtern mit Helmen, die verrostet waren und deren Innenseiten zähnefletschende Bauernbärte und beißende Lippen waren“.

S. 402, vorletzter Absatz: „Da hörte er Nachrichten, daß ihre Stadt eingenommen sei. ,Und von was für Leuten?4, fragt er. Antworten die, so mit ihm sprachen: , Es sind Bretonen!4 — ,Ha4, sagte er, ,die Bretonen sind üble Leute, sie werden die Stadt plündern und verbrennen und dann abziehen.4

,Und welches ist ihr Kriegsruf?4 sagte der Ritter. — ,Fürwahr, Herr, sie schreien: La Tremouille!4 “

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

491

S. 402, letzter Absatz: Hoher Herr, Gaston ist tot.‘ — ,Tot?‘ sagter der

Graf. — ,Fürwahr, tot ist er wahrhaftig, hoher Herr/ “ — „Und er fragte ihn, in Sachen der Liebe und der Sippschaft, um Rat. — ,Rat', erwiderte der

Erzbischof, ,wahrlich, liebwerter Neffe, das ist zu spät. Ihr wollt den Stall schließen, wann das Pferd verloren ist/ “ S. 403, oben:

„,Tod, ich beklage mich/ — ,Über wen?‘ — ,Über dich!4 — ,Was tat ich dir?4 — ,Meine Herrin hast du weggenommen/ — ,Das ist wahr/ — ,Sag mir, warum!' — ,Es gefiel mir so/ — ,Du hast übel daran getan/ “ S. 403, Mitte:

„ ,Herr .. / — ,Was willst du?' — ,Hört an.. / — ,Was?' — ,Meine Sache.' — ,So sprich!' — ,Ich bin.. / •— ,Wer?‘ — ,Das zerstörte Frankreich/ — ,Durch wen (zerstört)?' — ,Durch Euch.' — ,Wie?‘ — ,In allen Ständen.' — ,Du lügst!' — ,Nein doch!' — ,Wer sagt es?' — ,Mein Leiden.' — ,Was leidest du?' — ,Mißgeschick.' — ,Was für eins?' — ,Übermäßiges.' — ,Ich glaub’ nichts davon.' — ,Es liegt klar zu Tage.' — ,Sag nichts mehr davon!' — ,Ach! ich tu’s doch!' — Du verlierst deine Zeit.' — ,Welch ein Unrecht!' — ,Was tat ich Übles?' — ,Gegen den Frieden.' — ,Und wie?' — ,Durch Kriegführen .. / — ,Gegen wen?' — ,Eure Freunde und Bekannten.'

— ,Sprich lieblicher!' — ,Ich kann nicht, wahrhaftig!'“ S. 406:

„Und auf der anderen Seite singen die Bauern bei der Arbeit So laut, wahrlich ohne Unterlaß, Erfreuend

Ihre Ochsen, die wacker durchpflügen

Die fette Erde, die das gute Getreide hervorbringt; Und dabei rufen sie sie Mit ihren Namen: Den einen ,Falbe' und den andern ,Grauchen', ,Bräunling', ,Weißling', ,Blondchen' oder ,Genosse';

Dann schlagen sie sie oftmals mit dem Stachel, Daß sie vorwärts gehen.“ S. 407, unten:

„Sein ältester Sohn, Erbprinz des Viennois, Gab diesem Ort den Namen von der Schönheit Und das ist recht getan, denn er ist sehr ergötzlich: Wohl hört man dort die Nachtigall singen; Die Marne umgürtet ihn; die hohen ergiebigen Wälder Des edlen Parkes kann man wogen sehn . . .

492

ANHANG Die Wiesen sind nahe, die kurzweiligen Gärten, Die schönen Auen, die schönen klaren Quellen, Auch Weinberge und ackerbare Grundstücke, Sich drehende Mühlen, und Triften, schön anzuschauen.“ S. 408, unten: „Ach! Man sagt, daß ich nichts mehr schaffe, Ich, der ich früher mancherlei Neues schuf; Der Grund ist, daß ich keinen Stoff habe, Woraus ich etwas Schönes und Gutes machen könnte.“

S. 410, oben: „klug, kalt und phantasievoll, ein Mensch, der in seinen Angelegenheiten ins Weite sah.“ S. 410, darunter: „So bekam Johann von Blois Frau und Krieg, der ihm zu viel kostete.“ S. 412, oben:

„Beim Scheiden von Euch laß’ ich Euch mein Herz Und gehe leid- und tränenvoll hinweg. Daß es Euch diene, und ohne es je hinwegzuziehen, Laß ich Euch beim Scheiden von Euch mein Herz. Und bei meiner Seel’! Ich werde nicht Gutes noch Frieden haben Bis zur Wiederkehr, so trostlos wie ich bin. Beim Scheiden von Euch laß’ ich Euch mein Herz Und gehe leid- und tränenvoll hinweg.“ S. 412, Mitte:

„Werdet Ihr mich recht lieben, Sprecht, bei Eurer Seel’? Wofern ich Euch liebe Mehr als irgend was,

Werdet ihr mich recht lieben? Gott tat so viel Gutes In Euch, daß es ein Balsam ist; Deshalb bekenne ich mich

Als der Eure. Doch wieviel Werdet Ihr mich (recht) lieben?“ S. 413, oben:

„Mögest du der sehr Willkommene sein, Mein Liebster; nun umarme mich und küsse mich! Und wie ist es dir ergangen Seit deinem Abschied? Warst du immer Gesund und munter? Komm her An meine Seite, setz’ dich und erzähl“ mir Wie es dir ergangen ist, schlecht oder gut, Denn davon will ich den Bericht wissen.

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE

— Meine Herrin, an der ich hafte Mehr als ein anderer — keinem mag es mißfallen —, Wißt, daß die Sehnsucht mich So kurz hielt, daß ich niemals solches Unbehagen hatte, Und daß ich an nichts Vergnügen fand Fern von Euch. Amor, der die Herzen zähmt, Sprach zu mir: ,Halt mir Treue, Denn davon will ich den Bericht wissen/

— So hast du mir denn deinen Eid gehalten, Guten Dank weiß ich dir dafür, beim heiligen Nikasius; Und da du gesund wiedergekehrt bist, Werden wir viel Freude haben; nun beruhige dich Und sag mir, ob du weißt, um wieviel Das Leid, das d u gehabt hast, schwerer wiegt Als das, welches mein Herz gelitten hat, Denn davon will ich den Bericht (die Abrechnung) wissen.

— Mehr Leid als Ihr, das halt’ ich aufrecht, Hab ich gehabt; doch sagt mir ohne Trug Wieviel Küsse werd ich dafür wohl bekommen? Denn davon will ich die Abrechnung wissen.“ S. 413, unten:

„Heute ist es ein Monat, Daß mein Freund von hinnen ging.

Mein Herz ist düster und still geblieben, Heute ist es ein Monat. ,Mit Gott', so sprach er zu mir, ,geh ich von hinnen'; Und seither hat er zu mir nicht mehr gesprochen, Heute ist es ein Monat.“ S. 414, oben:

„Mein Freund, weinet nicht mehr; Denn Ihr rührt mich so sehr, Daß mein Herz sich endlich hingibt Eurer süßen Freundschaft. Nehmt andere Weise an; Um Gott, seid nicht mehr traurig, Und zeigt mir ein frohes Gesicht:

Ich will, was immer Ihr wollt.“ S. 414, unten:

„Da jeder vom Heer zurückkommt, Warum bleibst du dahinten?

493

494

ANHANG Und doch weißt du, daß ich meine ganze Liebe Dir zu Schutz und Obhut übergab.“ S. 415, oben: „Der Disput des Pferdes und des Windhundes.“ — „Froissart kam von Schottland zurück Auf einem Pferde, das grau war; Ein weißes Windspiel führte er an der Leine. ,Ach“, sagte das Windspiel, ,ich werd’ müde, Grauchen, wann werden wir ausruhen?

Es ist Zeit, daß wir essen!““ S. 415, unten:

„Die Knochen sind wir der arme Abgeschiedenen, Hier angehäuft in abgezirkelten Hügeln, Zerbrochen, zerknickt, ohne Regel noch Richtschnur ...“ S. 417, oben:

„Das ist eine seltsame Melodie, Die nicht als große Lust erscheint

Den Leuten, die in Krankheit sind. Zuerst machen es die Raben kund, Unfehlbar, sobald es Tag ist: Mit lautem Schreien brüsten sie sich, Der Dicke wie der Schlanke, ohne Unterlaß; Lieber noch wäre einem der Klang einer Trommel Als solch ein Geschrei von verschiedenen Vögeln; Dann kommt das Weidvieh: Kühe, Kälber, Schreiend, blökend, und all das schadet einem, Wenn man das Gehirn zu leer hat; Dazu von dei' Kirche die Läuterei, Die den ganzen Verstand zerstört Den Leuten, die in Krankheit sind.“ S. 417, unterhalb der Mitte: „Das ist eine kalte Herberg’ und ein schlechtes Obdach Für Leute, die in Krankheit sind.“ S. 418, oben: „Über die Schilderung von Tafelfreuden in der hier behandelten

Zeit und Gegend siehe Helmut Hatzfeld, „Der Geist der Spätgotik in mittelfranzösischen Literaturdenkmälern“ (in: Klemperer-Lerch, Idealistische Neuphilologie, Heidelberg 1922, C. Winter, S. 194 ff.), wo auch der hier charakterisierte Realismus belegt wird. S. 419, oben:

„,Vorwärts, vorwärts! Richtet Euch dorthin. Ich seh ’was Wunderbares, so scheint es mir.“

_ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE_495 — ,Und was, Wächter, was siehst du da?c — ,Ich sehe zehntausend Ratten beisammen,, Und manche Maus, die sich versammelt Auf der Küste des Meeres.“ S. 421, Mitte:

„Man fragt mich täglich, Was ich meine über die gegenwärtige Zeit, Und ich antworte: Das ist lauter Ehrbarkeit, Redlichkeit, Wahrheit und Treue, Freigebigkeit, Tapferkeit und Bereitschaft, Wohltat und Gut, das dahingegeben wird Für das gemeine Wohl; doch, meiner Treu, Ich sag nicht, was alles ich denke.“

S. 421, darunter: „Alle die Punkte versteh’ gegen den Strich (ironischerweise).“ — „Es ist eine große Sünde, so die Welt zu tadeln.“ „Fürst, wenn es überall und durchweg so ist, Wie ich weiß, dann ist Überfluß an lauter Tugend; Doch mancher würde mich hören, der spräche: ,Er lügt . . .‘“

„Unter ein schlechtes Bild, das mit schlechten Farben und vom schlechtesten Maler der Welt gemalt ist, in ironischer Weise von Meister Johann Robertet.“

S. 422, oben: „abgewiesener und verleugneter Liebhaber“.

S. 422, darunter: „Ich lache unter Tränen.“ — „Auch beim Lachen kann das Herz trauern, und nach der Freude kommt Leid.“ (Luther.) S. 422, Z.14:

„Ich habe keinen Mund, welcher lachen könnte, Ohne daß die Augen ihn Lügen straften: Denn das Herz möchte ihn verleugnen Durch die Tränen, die aus den Augen quellen.“ S. 422, darunter:

„Ein frohes Gesicht zu machen, bemühte er sich Und gab erheuchelte Freude kund, Und zwang sein Herz zu singen Keineswegs aus Lust, sondern aus Furcht. Denn immer verflocht sich ein Rest von Klage In den Ton seiner Stimme hinein,

Und er kam zurück auf sein Leid, Wie der Vogel auf sein Lied im Gebüsch.“

496

ANHANG S. 422, unten:

„Dies Büchlein tat diktieren und schreiben lassen (Um mutlose, garstige Zeit zu vertreiben) Ein einfacher Kleriker, den man Alain heißt Und der so durch Hörensagen von der Liebe spricht.“ S. 423, oben:

„Und er sagte lächelnd zu mir, Ich sollte nur schlafen gehen Und brauchte keineswegs

Um dieses Leides willen zu sterben.“ S. 423, darunter:

„Ich bin der mit dem schwarzgekleideten Herzen.“ S. 423, Mitte:

„Eines Tages pflog ich Zwiesprach mit meinem Herzen, Das heimlich zu mir sprach,

Und ich fragte es unter dem Reden Ob es keine Ersparnis gemacht habe

An irgendwelchem Gut im Dienste Amors: Es sagte mir, sehr gern würde es mir Die Wahrheit darüber erzählen, Nur müsse es erst seine Papiere durchsehen. Als es das zu mir gesagt hatte, machte es sich auf den Weg

Und ging mit mir fort. Dann sah ich es eintreten In eine Zahlstube, die es besaß: Dort schaute es hier und da nach, Mehrere alte Hefte durchsuchend;

Denn es wollte mir das Wahre zeigen, Nur müsse es erst seine Papiere durchsehen . . .“ S. 424, oben:

„Stoßt nicht mehr an das Tor meines Denkens, Sorge und Kummer, und müht euch nicht so ab; Denn es schläft und will nicht erwachen, Die ganze Nacht hat es in Qual zugebracht, Es ist in Gefahr, wenn es nicht gut verbunden wird; Hört auf, hört auf, laßt es schlummern; Stoßt nicht mehr an das Tor meines Denkens, Sorge und Kummer, und müht euch nicht so ab . . .“ S. 424, unten:

Dieu gart = „Gott schütz Euch“. —

ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE 497 S. 425, oben:

„Und dann, als ich die Glasscheiben Des Hauses klirren hörte, Da schien mir’s, daß mein Flehen Von ihr erhört worden wäre.“ S. 425, darunter:

„Gott helfe mir, ich war so entzückt, Daß ich nicht um meinen Sinn noch um mein Sein wußte, Denn, ohne daß ich gesprochen hätte, schien es mir,

Daß der Wind an ihr Fenster wehte Und daß sie mich wohl hatte erkennen können Und leise sagte: ,Gute Nacht!', Und Gott weiß, ob ich ein großer Herr war Danach die ganze Nacht!“ S. 425, Mitte:

„Solchermaßen war ich erquickt, Daß ich, ohne mich umzuwenden noch mich abzuquälen, Einen goldenen Schlummer schlief Ohne die Nacht über irgend aufzuwachen; Und dann, bevor ich mich ankleidete, Küßte ich, um Amor Lob dafür darzubringen, Dreimal mein Kopfkissen, Wobei ich innerlich den Engeln zulächelte.“ S. 425, unten:

„Die andern hielten, um ihr Leid zu verbergen, Mit Gewalt ihre Herzen zurück, Und verbrachten die Zeit damit, die Stundenbücher, Die sie in Händen hielten, zu öffnen und zu schließen; Oft wandten sie die Blätter um Zum Zeichen der Frömmigkeit; Doch die Trauer und die Tränen, die sie kundgaben,

Zeigten gar wohl ihre Bedrücktheit.“ S. 425, Fußnote: „ . . . Oder wenn der Wind an ein Fenster stößt. Wobei er glaubt, seine Herrin erhöre ihn, und fröhlich schlafen geht“. S. 426, oben:

„Sanfte Augen, die immerfort hin- und hergehen, Sanfte Augen, die den Pelz entflammen Von denen, die verliebt werden . . .“ „Sanfte Augen, perlenklare, Welche sagen: ,Das ist geschehen, wann du wollen wirst'

Zu denen, die sie recht mächtig fühlen . . . .“ 32 Huizinga Mittelalter

498

ANHANG

S. 427, unten: „und Habgier ließ es nicht zu, daß man ihnen auch nur die Hosen ließ, sofern sie vier Heller wert waren — was eine der größten Grausamkeiten war und eine der größten christlichen Unmenschlichkeiten gegen den Nächsten, von der man überhaupt sprechen kann.“ S. 428, Mitte: „ganz nackt und mit aufgelösten Haaren, so wie man sie malt.“ S. 428, unten: „Und dann gab es noch drei recht schöne Mädchen, die ganz

nackte Sirenen darstellten, und man sah an ihnen die schöne Brust, gerade, frei, rund und hart, was sehr hübsch war; und sie sagten kleine Sprüchlein und Schäferverse auf; und bei ihnen spielten mehrere tiefe Instrumente, die gewaltige Melodien hervorbrachten.“ S. 429, oben: „Diejenige Tribüne aber, auf die das Volk den interessiertesten Blick wandte, bezog sich auf die Geschichte der drei Göttinnen, die man nackt

sah und durch lebende Frauen dargestellt.“ S. 432, unten: „Sie heißen Entrüstung, Tadel, Anklage, Rache.“ — „Diese Dame zeigte, daß sie bittere Bedingungen und gar spitze und beißende Gründe hatte; sie knirschte mit den Zähnen und kaute ihre Lippen; sie nickte oft mit dem Kopf; und durch ein Zeichen zeigend, daß sie Beweisführerin war, hüpfte sie auf den Füßen und wandte sie bald auf diese, bald auf jene. Seite; sie trug die Weise der Ungeduld und des Widerspruches an sich; das rechte Auge hatte sie geschlossen und das andere offen; sie hatte einen Sack voller Bücher vor sich, von denen sie die einen in ihren Gürtel steckte als ihr lieb und wert,

während sie die andern mit Verachtung wegwarf; sie zerriß Papiere und Blätter; Hefte warf sie heimtückisch ins Feuer; den einen lachte sie zu und küßte sie, die andern spuckte sie in gemeiner Weise an und trat sie mit Füßen; sie hatte eine Feder in der Hand, voll mit Tinte, womit sie manche ansehnliche

Handschrift ausstrich...; auch schwärzte sie einige Bilder mit einem Schwamm, und andere zerkratzte sie mit den Nägeln . . . , und wieder andere radierte sie radikal aus und machte sie eben, wie um sie aus dem Gedächtnis auszulöschen; und sie erzeigte sich gegen viele ehrenwerte Leute als eine harte und schurkische Feindin, und zwar mehr aus Willkür als aus Vernunft.“ S. 433, gleich danach: „Herzensfriede, Mundfriede, Scheinfriede, Friede wahrer Wirkung.“ — „,Schwere deiner Länder', ,Verschiedene Lage und Eigenschaft deiner verschiedenen Völker', ,Neid und Haß der Franzosen und der Nachbarvölker'.“ S. 434, oben: „den Erfinder und Erdichter dieser Vision“. S. 434, Zeile 8: „ ,Arzt, wie geht es dem Recht?' — ,Meiner Seel', es liegt danieder' . . . — ,Und wie der Vernunft?' — ,Sie hat das Verstehen verloren, Sie spricht nur noch schwach,

Und die Gerechtigkeit ist ganz verblödet...' “

_ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE _499 S. 434, Mitte: Ganz ähnlich hat A r i o s t die furchtbare Rache, die Alfons von Este an seinen Brüdern nahm, als diese sich gegen ihn und den anderen regierenden Bruder, den Kardinal Hippolyt, empört hatten, in der beschönigenden Form eines Hirtengedichtes behandelt. Vgl. oben S. 176, Fußnote 2; ferner Ariost, Sämtliche Werke, übertragen von Alfons Kissner, Berlin, Prop.-Verlag, Band IV, S. 485 ff.; dazu Band I, S. CLVI ff. und die dort angeführte Literatur. S. 435, oben:

„Wir, Gott der Liebe, Schöpfer, glorreicher König, Entbieten Heil allen wahrhaft Liebenden demütigen Standes. Da es wahr ist, daß mit dem Siege Unseres Sohnes auf dem Kalvarienberge Einige Söldner, aus geringer Kenntnis Unseres Wappens, mit dem Teufel sich verbünden . . .“ S. 435, darunter: „Wenn nur in Weinen und in Tränen,

Mit zerknirschtem Herzen und mit Treue ohne Trug.“

S. 435, Mitte: „Und so blieb die Stadt Sluys *) in Frieden, der ihr eingeschlossen war, denn der Krieg wurde davon ausgeschlossen, und blieb einsamer als eine Eingeschlossene.“

S. 435, darunter: „Und auf daß ich den Weizen meiner Arbeit nicht verliere, und daß das Mehl, das daraus gemahlen werden wird, eine heilsame Blüte habe

— ist es, so Gott mir die Gnade dazu verleiht, meine Absicht, unter meinen rauhen Mühlen das Lasterhafte in das Tugendhafte, das Leibliche in das Geist-

liche, das Weltliche in das Göttliche zu drehen und zu verwandeln, und es erhaben zu moralisieren. Und so werden wir aus dem harten Stein den Honig herausziehen, und die rote Rose aus den stechenden Dornen, wobei wir Korn und Samenkorn finden werden, Frucht, Blume und Blatt, sehr lieblichen Duft, duftendes Grün, grünendes Blühen, blühende Nahrung, nährende Frucht und fruchtbare Weide.“ — Eine andere bezeichnende Probe für Molinet’s Wortspielerei bei Suchier, Gesch. der franz. Lit., 2. Auflage (Leipzig 1913), Band I, S. 260.

S. 436, oben:

Da ergriff mich Fieber des Gedankens Und Katarrh des Mißvergnügens, Eine Migräne von Leiden, Kolik von Ungeduld, Unerträgliches Zahnweh; Mein Herz könnte nicht länger dulden Das Bedauern meines Geschicks Durch ungewohntes Weh.“

) Stadt in Flandern, französisch Escluse (eigentlich = 'Schleuse“). 32*

500

ANHANG S. 436, unten: „um gehörig zu essen“. S. 440, Mitte: Über Machaut und Peronne d’Armentieres siehe oben S. 167 f.

S. 442, unten: „dem guten König Scipio von Afrika“. — „was ,Wächter der Mehrheit* besagt.“ S. 444, Mitte:

„0 Sokrates voller Philosophie, Seneka an Sitten und Anglux x) an Lebensführung, Ovid, groß in deiner Dichtkunst, Knapp im Sprechen, weise in Rhetorik, Sehr hoher Adler, der du durch deine Theorie Das Reich des Äneas erleuchtest, Die Insel der Riesen, derer des Brut* 2), und der du Die Blumen gesät und den Rosenstock gepflanzt hast, An den Unwissenden der Sprache wirst du hängen3), Großer Übersetzer, edler Gottfried Chaucer!

Von dir will ich einen echten Trank Von der Quelle des Helikon (Hippokrene) haben, . Deren Wasserleitung ganz in deiner Herrschaft ist. Um an ihr meinen ethischen Durst zu zügeln, Der ich in Gallien paralytisch sein werde, Bis daß du mich tränken wirst.“

S. 444, unten: „Eure sehr demütige und gehorsame Dienerin und Magd, die Stadt Gent“; „die eingeweidige innerliche Weh- und Drangsal.“ — „unsere fränkischgeborene Ausdrucksweise und einheimische Sprache“. — „getränkt mit dem süßen und wie Honig fließenden Trank, der von der Roßquelle (Hippokrene) herkommt“; „dieser tugendhafte scipionische Herzog**; „Leute von weibischer Gemütsart“.

S. 447, oben: „Ich bin für einige Zeit in unserem Hause in Ruhe gewesen, während eines Teils der nebligen Kälte.“ S. 447, Mitte:

„Ins Auge getroffen von einer furchtbaren Helligkeit, Die von menschlichem Sinn schwer zu erzeugen ist,

1) Dr. C. de Boer meint, Anglux sei = Anglus 'Engländer*.

2) Brut (Brutus), von Nennius als Stammvater der Briten angesetzt, als solcher von Wace etc. behandelt; vgl. Suchier, Gesch der frz. Lit., 2. Auflage, I 127. Die vorher genannten Riesen wurden von Brut vernichtet. 8) Wörtlich übersetzt: auch im Original kaum verständlich. Vielleicht ist

pandras Eigenname: Deschamps könnte an Pandaros gedacht haben, den Solin des Lykaon und Führer der Lykier im trojan. Kriege. Dann wäre zu übersetzen: „Der Pandaros (Führer) für die Unwissenden der Sprache.“

_ÜBERSETZUNG DER WICHTIGEREN ZITATE_501 Ganz geblendet von entflammendem Licht, Das mit fast unmöglichem Strahl hinausdringt Über einen dunklen Körper, der niemals leuchten kann, Hingerissen, hinweggetragen finde ich mich in meinem Erwägen, In Ekstase mit dem Körper am Boden liegend, Ein schwacher Geist, der verdutzt ist, einen Weg zu suchen, Um einen Ort und einen günstigen Ausgang zu finden

Aus dem engen Paß, wo ich in Gefangenschaft gesetzt bin, Gefesselt im Netz, das wahre Liebe gewebt hat.“ S. 447, darunter: „Wo ist das Auge, das eines solchen sichtbaren Gegen-

standes fähig wäre, wo das Ohr, um den hohen silbernen und wie Gold klingenden Ton zu hören?“ — „der Freund der unsterblichen Götter und Liebling der Menschen, die hohe odysseische Brust, voll von honigsüßer Beredsamkeit.“ — „Ist es nicht ein Glanz, der dem Wagen des Phoebus gleichkommt?“ — „das Rohr des Amphion, die merkurische Flöte, die den Argus einschläferte?“ S. 448, zweiter Absatz: „in Italien, auf das das Wohlwollen des Himmels geschmücktes Sprechen herabgießt, und zu dem hin alle elementaren Süßig-

keiten streben, um dort in Harmonie zu verschmelzen“ — „geschmücktes Sprechen“.

S. 448, unterhalb der Mitte: „Er ist ein Beispiel von tullischer (ciceronischer)

Kunst und eine Form terenzischer Subtilität... er, der aus unserem Busen durch Gunst unsere innerste Substanz gesogen hat; der sich, über die auf eigenem Boden gewährte Grazie hinaus, zu neuer Erquickung in feinschmecke-

risches Land (Italien) begeben hat, dorthin, wo Kinder in Alben (Morgengesängen) zu ihren Müttern sprechen, lecker nach der Schule und gelehrt weit über ihr Alter hinaus.“ — „Robertet hat mich aus seiner Wolke überschüttet, er, dessen Perlen, die sich in derselben sammeln wie Graupeln, mir das Ge-

wand erglänzen lassen — was aber hat davon der dunkle Körper darunter, wann mein Kleid die Klarblickenden täuscht?“ S. 449, unterhalb der Mitte: „der Streit des Landmanns, des Priesters und des Soldaten.“ S. 450, Mitte:

„Das alte Leben mißfällt, die neuen Sitten gefallen; Der Mensch sieht das Antlitz, doch das Herz liegt dem Jupiter offen.“ Jupiter offen.“ S. 450, darunter: „Jupiter, aus dem Paradies gekommen“, — „hohe Göttin“. S. 450, letzter Absatz: „Tempel im hohen Gehölz, um zu den Göttern zu beten.“ — „Wenn ich, um meine Muse fremdartig zu machen, von den Göttern

der Heiden spreche, so sind doch die Hirten Christen und ich selbst.“ —

„Vernunft und Verstand“; „Du sollst es nicht tun, um den Göttern und Göttinnen Glauben beizumessen, sondern weil allein Unser Herr die Leute so

inspiriert, wie es ihm gefällt, und oftmals durch verschiedenartige Inspirationen.“

502 ANHANG S. 451, Mitte:

„Die heidnischen Völker strebten einst Nach der Liebe der Götter durch demütige Opfer, Welche, mochten sie auch unnütz sein, Gleichwohl ergiebig und fruchtbar waren In mancher großen Frucht und in hohen Wohltaten, In Wahrheit zeigend, daß die Spenden der Liebe Und der demütigen Ehrbarkeit — wohin immer sie erteilt werden — Genügen, um Himmel und Hölle zu durchbohren.“

S. 451, darunter: „Was ich keineswegs billige“. — „Ich wünsche, daß ich Sättigung aller meiner Wünsche haben könnte und niemals ein anderes Gut hätte.“

S. 452, oberhalb der Mitte:

„Gott der Gekreuzigte helfe mir: Gar sehr bereu’ ich’s, daß ich den Menschen schuf.“

Register Kursiv gedruckte Namen verweisen auf bibliographische Nachweise

Ä.

Anjou, Margarete von —, Königin

Aberglaube 333 ff.

von England (1429—1 482) 15, 54, 106, 442.

Abuze en court, L’— 145. cf. Charles de Rochefort. Adel, Aufgabe des —s 73, 80/81. Adel, als Ausdruck der Tugend 78 f.

Adlige Lebensformen, von Bürgern nachgeahmt 56, 121 f.

Anjou, Rene von; — cf. Rene, König. Anthropomorphismus 278. Antike, Die — 146, 437. Antike Helden 87.

Agricola, Rudolf (1443—1 485) 211. Ailly, Pierre d’— (1350—1 420) 144, 201, 217, 224, 237, 291 f., 377. Alain de la Roche (1428—1 475) 202, 271 f., 281, 310.

Aquino, Thomas von—( 1227—1 274) 223, 299, 341, 375.

Alain de la Roche 38 anm. Alanus de Rupe cf. Alain. Alienor — cf. Poitiers.

Archipoeta (12. Jahrh.) 450. Ariosto, Ludovico (1474—1 533) 100, 383.

Alkuin (72 5—8 04) 439.

Arkel 138. Armagnac, Bernard (VII) d’— 237. „Armagnacs“ (Anhänger des Herzogs von Orleans) 3,4,21,22,27. Armentieres, Peronnelle d’—

Allegorie 154—1 57, 278, 418,432. Amadis — Romane 99. Amant rendu cordelier, L’— 152, 424, 446. Amoureux de l’observance 152. Amulette 340. Andreaskreuz 21, 22, 127.

Anjou, Isabella von Lothringen, Herzogin von — 193. Anjou, Ludwig von — 59, 246.

Arbre des batailles, L’— 322. Arc, Jeanne d’— (1412—1 431) 90, 93, 189, 204, 224, 330, 343.

167ff., 172, 440.

Arnemuiden, Margarete von — 138.

Arnolfini, Giovanni 363, 385. Arrestz d’amour 151, 167. Ars moriendi 194.

504

REGISTER

Artevelde, Jakob von — (+ 1345) 121.

Artevelde, Philipp von — (f 1382) 40, 121, 135.

Artois, Philipp von — 101. Artois, Robert von — 115, 120. Atharvaveda 299. Aubriot, Hugues (fi382) 206 f., 291, 319.

Aufklärung 35. Augustin (354—4 30) 29, 311, 341, 374.

Aurea mediocritas 141. Ausarbeitung der Einzelheiten388. Auswüchse des religiösen Lebens 201 f.

Auvergne, Martial d’— (1440—1 508) 167, 193, 198, 424.

Azincourf, 91,130,133 f., 176,189, 394.

Azincourt, Regnault d’ — 163.

B. Bach, Joh. Seb. (1685—1 750) 387.

Baerze, Jacques de 350. Bajasid 91, 101. Baker, John 313. Ball, John (fi383) 79. Balue, Jean de La — (1421—1 491),

Basin, Thomas 15. Baude, Henri (ca. 1415—1 495) 324, 446.

Bauern 76, 80. Baudricourt, Robert von —, Stadt-

hauptmann von Vaucouleurs 330.

Bayard, Pierre de Terrail, seigneur de — (1476-1524) 104, 132. Bayern, Albrecht von —, Graf von

Hennegau, Holland und Seeland 111, 139. Bayern, Johann von —, Elekt von Lüttich 58, 239.

Bayern, Margarete von —, Herzogin von Burgund 252. Bayern, Wilhelm VI. von —, Graf von Hennegau, Hollandund Seeland 139. Beaugrant, Madame de — 26. Beaumanoir, Jean de —, 86, 131, 245.

Beaumont, Jean de — 102, 120. Beauneveu, Andre (f ca. 1390) 364. Bedford, John of Lancaster, Herzog von — (1389—1 435) 59, 66, 109, 132, 238. Begarden 264.

Bischof von Evreux 53. Bamborough, Robert 86.

Begräbnis, Fürsten — 59. Beichte, Verweigerung der — 24f. Belon la Folie 27.

Bandello (1480—1 561) 127.

Benedikt XIII. (Petrus de Luna)

Bar, Louis, Kardinal von — 58. Barante, De — (1782—1 866) 342.

Basin, Thomas —, Bischof von Lisieux (1412—1 491) 83, 330.

(t 1424) 14, 22, 117, 315.

Bernhard von Clairvaux (1091 bis 1153) 253,256,259,271,299, 311, 370.

REGISTER

Bernhardin von Siena (1380—1 444) 8, 68, 236, 244, 351. Berry, Johann Herzog von — (1340 bis 1416) 132, 158, 190, 197, 224, 247, 315, 346, 364.

Berry, Karl, Herzog von — 135. Berry, Herold 84. Berthelemy, Jean 270. Betisac, Jean (fi389) 219. Bettler 419.

Bizarre in Malerei und Literatur, Das — 418f. Bladelyn, Pieter (f 1472) 368. Blois, Charles de — 245 f. Blois, Jean de —, Herr von Gouda und Schoonhoven 245, 410. Blois, Jean de —, Bastard 246. Blut des Erlösers 271, 299. Blutrache 17 f. Boccaccio (1313—1 375) 79, 316, 440. Bodin, Jean (1530—1 590) 334.

Boeufs, Pierre aux — 315. Boiardo (1434—1 494) 100.

Bois, Mansart du — 4. Bonaventura (1221—1 274) 271, 289, 370.

Bonet, Honore —, Prior von Selonnet (Salon) 322. Boniface, Jean de — 118. Bonifaz VIII. (1294—1 303) 189. Borgia, Caesar (f 1507) 127. Borromeus, Karl (1538—1 584) 244.

Bosch, Hieronymus (1470—1 518) 333. Botticelli, Sandro (1447—1 515) 157.

505

Boucicaut, Jean le Meingre, marechal de — (1364—1 421) 81, 91, 100,110,137,158,162,163,197, 200.

Boucicaut Livre des faits du mareschal de — 81. Bourbon, Isabella cf. Charolais. Bourbon, Jacques von — 242. Bourbon, Jean von — 117. Bourbon, Ludwig von — 110,162, 247.

Bourgeois de Paris cf. Journal. Bourgeois de Paris 5, 286, 427. Bourgogne, Mademoiselle de — 26. Bourgogne, Madame de — 150.

„Bourguignons“ (Anhänger von Johann ohne Furcht) 3, 4, 22, 126, 286 (burgundische Morde). Bouts, Dirk (1410—1 475) 345, 367, 431.

Brabant, Anton, Herzog von — cf. Burgund. Brabant, Wenzel, Herzog von — 418.

Breaute, Pierre de — 132. Bremen, Adam von — (11. Jahrh.) 104.

Bretagne, Franz II., Herzog von der — 135. Bretagne, Johann V., Herzog von der — 315.

Bretagne, Franz III., Herzog von der — 429. Breughel, Pieter d. Ä. (ca. 1528—1 569)

287, 349, 418f.

Brigitta von Schweden 262.

506

REGISTER

Broederlam, Melchior (2. Hälfte des

14. Jahrh.) 205, 225, 348, 349, 350, 418.

Brüder des freien Geistes 268.

Brüderschaft vom Heiligen Andreas 27. Brugman, Johannes (1400—1 473) 253, 269, 292, 310, 371. Bucarius cf. Le Pastoralet. Buddhismus 41, 294. Bueil Jean de — (f 1477) 90ff.; cf. Jouvencel. Burckhardt, Jakob (1818—1 897) 17, 50, 85, 86, 199.

Bürger von Paris cf. Bourgeois. Bürgertum 74. Burgund, Anna von —, Herzogin von Bedford 238. Burgund, Anton von —, Herzog von Brabant 150, 162. Burgund, David von —, Bischof von Utrecht 211, 365. Burgund, Herzöge von —: siehe die Vornamen. Busnois, Antoine (f 1492) 365. Bussy, Oudart de — 4. Byron (1788 — 1824) 182.

Byronianismus 37.

C.

Capeluche, Henker von Paris (t 1418) 58. Capistrano, Johannes (1385—1 456) 244.

Capito, Wolfgang Fabricius (1472 bis 1541) 36.

Carr, Robert, Graf von Somerset (f ca. 1638) 68.

Castiglione, Baldassare (1478—1 529) 383.

Caxton, William (i4io—1 491) 361. Cent ballades 92, 158.

Cents Ballades, Le livre des 101.

Cent nouvelles nouvelles 150,151, 172, 210, 218, 424. Chaise-Dieu, La — 192. Champion, Pierre 33 — cf. Villon. Champmol 242, 359, 360.

Charny, Geoffroy de — (f 1356) 322.

Charny, Le livre messire Geoftroi de — 40 anm. Charolais, Isabella von Bourbon, Gräfin von — 64, 65f., 327. Charolais cf. Karl der Kühne. Chartier, Alain (1386—1 449) 77,111, 145,293, 319, 393, 406, 422, 449.

Chartier, Alain 38 anm. Chartier, Jean (f 1462) 8 anm. Chastellain, Georges (1404—1 475) 3,

9, 10, 11, 15, 17, 39, 49, 50, 54, 63, 64, 68, 73 ff., 83, 85, 86, 88, 90,109,125,129,135 f., 137,175f., 183, 194f., 211, 213, 283, 329, 336, 342, 368, 396 ff., 401, 405, 419, 432ff., 442f., 444ff., 451.

Chastellain, Georges 3 anm. Chätel Guillaume du— (f 1441)131.

Chätelier, Jacques du —, Bischof von Paris 31. Chatten 152.

507

REGISTER Chaucer, Geoffrey (1328—1 400) 444.

Chevalier, Etienne (f 1474) 210f. Chevalier du guet 53.

Combat des Trente (1351) 86, 131, 138.

Comines, Philippe de La Clyte,

Chevaliers Nostre Dame de la

Sire de — (ca. 1445—1 509) 69, 83,

Noble Maison cf. Sternenorden. Chevrot, Jean —, Bisch, von Tournay (f 1460) 64f., 125, 357, 367. Chopinel cf. Clopinel Chronique scandaleuse 3.

88, 135, 137, 138, 140, 251, 329, 330, 403, 448.

Cicero (t 44 v. ehr.) 79, 439.

Clemanges, Nikolaus von — (f ca. 1435) 77, 144, 159, 201, 212, 215,

Commines, Philippe de 69. Contemptus mundi cf. Weltverachtung. Coquillart, Guillaume (1421 bis ca. 1490) 165, 31 9, 446.

Coquinet, le fou de Bourgogne 13.

438ff. Clemanges, Nikolaus von — 77.

Coucy, Enguerrand VII. de -

Clemens V. (1305—1 314) 24. Clemens VI. (1342—1 352) 298.

Cour d’amours 27, 162, 439. Courtenay, Pierre de—( f 1492) 132. Coustain, Jean (f ca. 1480) 239.

Clercq, Jacques du — (1420—1 475) 34,112, 219, 327, 337, 369.

Clercq, Jacques du — 9 anm. 1.

(t 1397) 110, 131, 247.

Cranach, Lukas (1472—1 553) 427.

Craon, Pierre de —, seigneur de

Cleve, Johann L, Herzog von — 69.

la Ferte-Bernard et de Sabie

Cleve, Adolf von —, Herr von

(f ca. 1400) 24, 69.

Ravenstein 64. Clisson, Olivier de —, Connetable von Frankreich (1336—1 407) 131.

Clopinel, Jean (Jean de Meun) (t ca. 1315) 147,155,158,159,426. Coeur, Jacques (f 1456) 76, 122.

Coimbra, Johann von — 8. Coitier, Jacques (f 1506) 251. Col, Gontier (f 1418) 145, 159,163, 438, 439. Col, Pierre 159, 160, 163. ColetteBoellet,Sainte—( 1380-1446) 242, 244, 252,256,263,365, 366. Colombe, Michel (1430 bis ca. 1512) 358.

Cresecque 101. Cristus, Petrus (ca. 1415 —c a.1473) 431.

Crokart 138. Croy, Haus — 368, 398. Croy, Anton von — 355. Croy, Philipp von — 102, 378. Curial, Le — 145, 449. Curtius, Quintus (l.Jahrh. n.Chr.) 87. Cusa, Nikolaus von — (f 1464) 244, 252, 253, 284, 310.

D. Danse aux aveugles cf. P. Michaut. Dante, Alighieri (1265—1 321) 30, 41, 86, 146, 289, 295, 426, 433.

508

REGISTER

Daret, Jacques (t nach 1468) 357. David, Gerard (ca. 1450—1 523) 345. 348, 382, 431.

Debat des herauts d’armes 136.

Debat des herauts darmes . . . 84 anm.

Deschamps, Eustache (genannt Morel) (f 1422) 37f.,40f., 59, 79f., 89,136,137,142ff., 150,153,178, 205, 216, 225f., 231, 232f., 240, 331, 378, 407, 408, 416f., 418f., 420f., 434, 444, 450.

Dufay, Guillaume (14OO_ 1474) 208’ 342.

Du Guesclin cf. Guesclin. Dunois, Johann von Orleans, Graf von — (f 1468) 90.

Durand-Greville, E. 389. Durandus, Guilielmus (1237—1 296) 289.

Dürer, Albrecht (1471—1 528) 372.

E. Eck, Johannes (1486—1 543) 227.

Devisen 165, 320 f.

Eckhart, Meister (ca. 1260—1 327) 301, 306, 309.

devotio moderna 235, 253, 257,

Eduard II., König von England

Deschamps, Eustache 38.

258ff., 284, 310f., 343, 365.

Dichtkunst und Musik 41 If. „Dieu“, Gebrauch von — für die Hostie 206.

Dionysius der Karthäuser (Dionysus von Rvckel) (t 1471) 13, 183,

213, 244, 252, 253f., 273, 284, 289, 292, 294, 295f., 299, 300ff., 305 f., 307, 309f., 340, 366, 371, 374ff., 441.

Dionysius Cartusianus 42 anm. Dixmude, Jan van — 21 anm. Dolce stil nuovo 146, 152. Domburg, Jan van — 325. Donatello (1383—1 466) 350.

Douet d’Ärcq, Pieces inedites — 118.

Doutrepont, G. 13.

Drei Toten und drei Lebenden, Legende der — 190f.

(1307—1 327) 14.

Eduard III., König von England (1327 — 1377) 12, 114, 115, 116,120,

130, 134, 245.

Eduard IV., König von England (1461 — 1483) 16, 49, 203.

Egmont, Das Haus — 20.

Egmont, Lamoraal, Graf von — (1522—1 568) 117.

Ehe 42, 75.

Ehrfurchtslosigkeit gegen die Kirche 212. Ehrgefühl 54, 58, 85, 325. Einzüge, fürstliche 3f., 22, 54.

Elisabeth, Die Heilige — Landgräfin von Thüringen (1207—1 231) 223. Emerson, R. W. (1803—1 882) 55,140.

Emprise 118. England, Könige von —: siehe die Vornamen.

509

REGISTER

England, Maria von — 150.

Fenelon, Franz von (1651—1 715) 78.

Engel 228, 233. Entremets 26, 122, 352. Envoütement 335. Epithalarnischer Stil 149 ff. Erasmus, Desiderius (von Rotter-

Fenin, Pierre de — (t 1506) 26, 330.

dam) (t 1536) 36 f., 232, 388, 445, 449.

Fesseln bei Gelübden 117f. Feste 60f., 352ff. Fillastre, Guillaume —, Kardinal

Erotik 149 ff., 421. Erotische Allegorie 151 ff.

Escouchy, Mathieu d’— (f 1482) 32 f., 83.

Escouchy Mathieu d’— 32.

Fenin, Pierre de 26. Ferrer, Vincent (ca. 1350—1 419) 6, 13, 244, 257 f., 260, 263.

Ferrer, Vincent — Vita 8 anm.

(f 1428) 412.

Fillastre, Guillaume —, Bischof von Tournay (f 1473) 64, 110, 112, 125.

Estats cf. Stände.

Fillastre, Guillaume —, Toison

Estienne, Henri (II.) (1532—1 598) 232.

d'or 112. Flemalle, Meister von — (Robert

Etikette 52 cf. Hofzeremoniell. Exclamacion des os Sainct Innocent 415.

Extravaganter Charakter der bildenden Kunst 349. Eyck, Brüder van — 28, 342, 345, 367, 383. Eyck, Hubert van — (ca. 1370—1 426) 418.

Eyck, Jan van — (ca. issi—1 440) 346, 348, 356, 358, 360, 363 ff., 368ff., 396ff., 401, 410, 416, 427, 430, 443.

F. Farben, Symbolische Bedeutung der — 164, 379 f. Farbensinn 379. Fastolfe, Sir John — 189. Faukemont, Jehan de — 116. Fazio, Bartolomeo (t 1457) 371,427.

Campin) (ca. 1420—1 460 tätig) 416.

Flüche 216 f.

Foix, Gaston von — 69, 404.

Foix, Gaston III. Phebus, Graf von — (1331—1 391) 239.

Formalismus 324 f. Foucquet, Jehan (ca. 1415—1 480) 210.

Fradin, Antoine —, Volksprediger (1478 verbannt) 5f.

Franc Gontier, Le dit de — 141 f., 178.

Franc Gontier, Les contrediz —178.

France, Anatole 418. Frankreich, Könige von —: siehe die Vornamen. Franz von Assisi (1182—1 226) 238, 243.

Franz von Paula cf. Paula.

510

RERISTER

Franz L, König von Frankreich (1515—1 547) 89, 128.

Frauenverachtung 158, 179. Frauenverehrung 157f. Freundschaft 68 f. Friedens-Ideal 82. Friedrich III., Kaiser (1440—1 493) 209, 257. Froissart, Jean (1337 bis ca. 1410)

39f., 83, 84, 87, 99, 111, 116, 130f., 135 ff., 139,150,206,246 f., 283, 288, 320, 330, 339, 349,364,

378, 402ff., 410, 415, 417f.

Froissart, Jean 12 anm. Froment, Jean 32. Fulco von Marseille, Bischof von Toulouse (t 1231) 293. Fürsten 12 f., 17,50 — cf. Hofleben.

Fürstenduell 125f. Fürstentreue 10 f. G.

Gaguin, Robert (f 1501) 77, 145, 231, 449.

Gaguin, Robert 77. Galois et Galoises 114f. Geertgen tot Sint Jans (Ende des 15. Jahrh.) 401, 431.

Gefangene 323. Gegenreformation 244. Geisteskranke 27.

Geldern, Adolf von — 20,252,330.

Geldern, Arnold von — 20, 252. Gelübden cf. Ritterliche Gelübden und Voeu.

Genf, Ludwig von Savoyen, Graf von — 379. Genremalerei 416 ff. Geffroi de Paris (ca. 1310 tätig) 320.

Gerechtigkeitsgefühl 23. Geringschätzung der Geistlichkeit 236.

Germain, Jean —, Bischof von Chälons (f 1460) 9, 112, 209, 285, 443.

Germain, Jean —, Uber de virtutibus etc. 9. Gerson, Jean Le Charlier, dit — (1363—1 429) 24, 41f., 77, 159f., 179, 183, 201, 203ff., 207, 210,

217, 218, 221, 227, 233f., 256, 261, 262ff., 266ff., 281,283,289, 310, 319, 328, 329, 335,339,371.

Gerson, Jean 24 anm. 3. Gesellschaftsspiele 165. Gevaert, Fierens — 383. Giotto di Bondone (ca 1266—1 337) 430.

Glasdale, William 189. Gleichheitsidee 79. Glocester, Elumphrey von — 126. Glocken 2f. Godefroy, Denis (1549—1 622) 211.

Godefroy, Theodore (1580—1 649) 60 anm. Goethe (1749—1 832) 55, 278.

Goldenes Vließ 84, 109. Gonzaga, Aloysius von — (1568 bis 1591) 244, 264.

Gonzaga, Francesco (f 1519) 127. Goujon, Jean (ca. 1515—1 565) 358.

REGISTER

Grabmäler 70, 347, 357. Grabow, Matthaeus 334. Grausamkeit 23 ff. Gregor L, der Große (590—6 04) 79. Groote, Geert (1340—1 384) 241,261.

Guernier, Laurent 326. Guesclin, Bertrand du —(f 1380) 90, 117, 245, 347. FL

Habsucht 29 f.

Hacht, Hannekin de — 360. Hagenbach, Peter von — (f 1474) 13.

Haies, Alexander von— (ca. 1180 bis 1245) 298, 374.

Hames, Nikolaus von — 113. Hans, Akrobat 26. Hartherzigkeit 24 f. Hautbourdin, Jean de Saint-Pol, Herr von ■— 104. Hauteville, Pierre de — 162. Heilige und Krankheiten 228,230 f. Heiligenbilder 221 f., 230. Heiligenverehrung 220—2 34. Heilo, Friedrich von (t 1455) 215.

Heinrich IV. (Lancaster), König von England (1399—1 413) 13,126.

Heinrich V., König von England (1413—1 422) 59, 87,124,130,134, 189, 333, 352.

Heinrich VI., König von England (1422-1461) 60, 66, 89.

511

Herolde 84, 112f. Herp, Heinrich von — (f 1477) 268. Heures d’Ailly 401, 431. Heures de Chantilly, Tres riches — 405, 406f. Heures de Turin 367. Hexenhammer cf. Mailens maleficarum. Hexen Verfolgung 27, 333 f. Hieronymus (f 420) 298. Hinrichtungen 4, 24 f. Hochmut 28 f., 85. Hochzeit 149f. Hoecksche und Kabeljausche (niederländische Parteinamen) 20.

Hofflucht 141 f. Höfische Minne 146ff., 157. Hofleben, 50 f., 53, 59. Hofstaat 49 f. Hofzeremoniell 49 ff. Höflichkeit 53, 55, 56 f. Holanda, Francesco de — 372. Holbein, Hans (1497—1 543) 191 f.

Holland 138f. Hölle, Vorstellung der — 295 f. Houdon, Jean Antoine (1741—1 828) 358.

Houwaert, Johan Baptista 429.

Hugo, Victor (1802—1 885) 342.

Humanismus 93, 333 f., 437—4 53. Humanisten 36, 144.

Heldenideal 48f.

Hus, Johannes (1378—1 415) 266.

Heloise (f 1164) 440. Henouars 59 f.

Hutten, Ulrich von (1488—1 523) 36.

Huysmans, Joris Karl 418.

512

REGISTER

I. Idealismus 292, 297, 321. Imitatio Christi 310 f., 320, 365. Innocenz III. (1198—1 216) 185f.

Innocents cf.Unschuldige Kindlein. Innocents, Friedhof der — in Paris 5, 31, 191f., 196f., 207.

Institoris, Heinrich (Hch. Krämer) (f ca. 1502) 272.

Ironie 421. Isabella von Bayern, Königin von

Frankreich 13, 150, 165, 215, 328, 347 anm., 362.

Journal d’un bourgeois de Paris 3 anm.

Jouvencel, Le — 89, 92ff., 132, 238, 320, 323, 442.

Jouvencel, Le 81 anm. Jouvenel cf. Juvenal. Jungfrau, Befreiung der — Motiv 98.

JustinUS (3. Jahrb.) 89.

Justiz 23, 25. Juvenal des Ursins, Jean — (Jouvenel) (1388—1 473) 77, 103.

Juvenal des Ursins 4 anm.

Isabella von Frankreich, Königin von England 346. J.

Jakob L, König von England (1603 — 1625) 68.

Jaille, Sire de ■—, 131. James, William (1842—1 910) 96,246, 264.

Jannequin 377. Jaures, Jean (f 1914) 20 anm. Jerusalem 82, 123.

Johann II., König von Frankreich (1350 — 1364) 109, 110, 122, 130, 322.

Johann ohne Furcht, Herzog von

K. Kabeljausche cf. HoeksChe. Karl der Große (f 814) 439.

Karl V., deutscher Kaiser (f 1558) 68, 127 f., 428.

Karl V., König von Frankreich (t 1380) 24, 238,440.

Karl VI., König von Frankreich (t 1422) 13,14, 22, 24, 27, 58, 59, 82, 92, 125, 126, 135, 150, 162, 215, 223f., 322, 346, 362.

Karl VII., König von Frankreich (t 1461) 8, 60, 90, 122.

Karl VIII., König von Frankreich, (t 1498) 362.

Burgund, zuvor Graf von Nevers (t 1419) 4, 14, 18, 28, 53, 58, 62,

Karl der Kühne, Herzog von Burgund, zuvor Graf von Charolais

66, 67, 91, 101, 139, 162, 176,

(t 1477) 10, 21, 26, 29, 33, 39, 46,

314, 315, 321, 327, 358, 434. Johanniter 108. Joseph, der heilige — 204, 225 f., 418.

49f., 54, 64, 73, 87, 88,102,109, 112, 128,134,135,148,177, 252, 314, 330, 333,335, 352,356, 365, 366, 376, 378,398ff., 429, 443.

REGISTER

Kasuistik 166, 321. Kempis, Thomas a — (1380—1 471) 215, 259, 310f., 343, 365.

Kethulle, Ludwig von der — 132. Kinder 198. Klassicismus 443 f., 452.

Kleidertracht 69 f, 351, 378f. Koch 51. Köln, Hermann von — 360. Komposition in der Malerei 429 ff. Königtum 13f. Kreuzzugsideal 82 f, 123f. Krieg 93, 132f., 136, cf. Ritterideal. Kriegsmusik 133. Kriegsmut 94. Krönungsmahl 60. Küche 51.

L. Laborde, L. de — (1807—1 869) 26.

La Borderie, A. de —39. La Bruyere (1645—1 696) 78.

La Curne de Sainte Palaye (1697—1 781) 118.

La Curne de Sainte Palaye 53 anm.

513

355f., 366, 377, 378, 379, 435f., 442, 444f., 447 f.

La Marche, Olivier de — 3 anm. Lamm, Anbetung des — es (Genter

Altar) 345, 365, 372, 390, 392, 430.

Lamprecht, Karl (1856—1 915) 293.

Lancaster, das Haus — 16. Lancaster, John of Gaunt, Herzog von — 126, 346. Lannoy, Familie de — 368.

Lannoy, Balduin von — 385. Lannoy, Ghillebert von — (1386— 1462) 238.

Lannoy, Johann von — (f 1492) 355. Lannoy, Hue von — (1384—1 456) 58.

La Noue, Francois de —, genannt Bras-de-fer (1531—1 591) 99. La Salle, Antoine de — (1398—1 462) 198, 240.

La Salle, Antoine de — 92, 198. Latinisierung 444.

La Tour Landry, Ritter von — 114, 170f. 215, 227.

La Tremoille, Guy de — genannt le Vaillant (fi398) 132, 349.

La Hire, Etienne de Vignolles, dit

Laura de Noves (ca.1307—1 348)440.

— (t 1442) 90, 378. Lalaing, Jacques de — (f 1453) 68,

Laval, Jeanne de — 106, 406. Lebegue, Jean 161. Lebensfurcht 40 f., 184f. Lebensgenuß 46 f.

91, 94, 122, 135f.

Lalaing, Le livre des falls de Jacques de — 69 anm. La Marche, Olivier de —

Le Fevre, Jean —, Dichter (2. Hälfte des 14. Jahrh.) 190, 191.

(1426-1502) 9, 18, 39, 49, 51, 83,

Lefevre de Saint Remy, Jean —,

109, 129, 136, 183f., 187, 242,

genannt Toison d’Or (f 1468) 84, 113, 362.

283 f., 286, 312 f., 325 f., 328, 330, 33 Huizinga, Mittelalter

514

REGISTER

Lefevre de Saint Remy, Jean 26 anm.

Le Franc, Martin (f ca. 1460) 337.

Le Franc, Martin 13 anm. Legris, Estienne 161. Leichenbegängnis 8. Leichenfeier 62. Leidenschaften 9f, 17, 139. Leichtgläubigkeit 330. Lekkerbeetje, Gerard Abrahams, genannt — 132. Leo X. Papst (1513—1 521) 91.

Leo von Lusignan, König von Armenien (1365—1 393) 63.

Lhuillier, Jean 61.

Lichteffekte, Malerische und dichterische Behandlung von —n 401. Lidwina von Schiedam 239. Liebe und Ehe 170 ff. Limburg, Brüder von — (ca. uoo) 364, 367, 406 f.

Limburg, Paul von—4 08,410, 418.

L’Isle-Adam, Jean de Villiers de — (1384—1 437) 59.

Livius (f 17 n. Chr.) 91.

Ludwig XL, König von Frankreich (1461—1 483) 5, 8, 16, 53f., 55, 60,

65, 69, 109, 138, 196, 203, 249, 250 f., 255, 257, 327, 336, 366, 378, 403, 428.

LudwigXI.: Lettres de Louis XI. 5 anm.

Ludwig XII.,König von Frankreich (1498 — 1515) 127.

Lumey, Wilhelm von der Marek, Herr von — 117. Luna, Petrus de —, cf. Benedikt XIII. Lunettes des princes 177, 436, cf. Meschinot. Lusignan, Leo von — cf. Leo. Lusignan, Peter von — 110. Luther (1483—1 546) 289.

Luxemburg, Andreas von — 247. Luxemburg, Guy von — 246. Luxemburg,Peter von — 244,246 f., 264.

Luxus 7, cf. Prunk. Lyon, Espaing du — 404. Lysbeth van Duvenvoorde 426.

Livre des Trahisons 58 anm. Longuyon, Jacques de — 89. Lorris, Guillaume de —( fca. 1260) 147, 154, 155. Loyola, Ignatius de — (1491—1 556) 244.

Lucena, Vasco de — (f ca. 1499) 87.

Ludwig IX., der Heilige, König von Frankreich (1226—1 270) 43, 90, 224.

M. Macabre 189 f. Machaut, Guillaume de — (+1377) 89, 164, 165, 166, 172, 411, 412, 440, 442.

Mach aut, Guillaume de — 164 anm.

Madame d’ Or, cf. Or. Maelwel, Jean (Malouel) (fi4i5) 360.

REGISTER

Maerlant, Jakob von — (1235— ca. 1300) 87.

Mahuot 128f.

Maillard, Olivier, Volksprediger (tca.1502) 6, 13, 205, 258, 319. Makart, Hans (1840—1 884) 428.

Male, Ludwig von —, Graf von Flandern 348. Male, Emile 191. Malleus maleficarum 272,333,336. Mandragora 339. Mapes, Walther (12. Jahrhundert) 141.

Marchant, Guyot (1479—1 500 tätig) 191, 193. Marche, Jean de — 248. Märchenton 10 f.

Margarete, Königin von England cf. Anjou. Margarete von Östreich (1480—1 530)

177, 252, 363.

Margarete von Schottland, Königin

von Frankreich 293. Margarete von York, Herzogin von Burgund 26, 330, 352, 366. Maria von Burgund (1457—1 482)64, 67, 209, 252.

Mariechen von Nymwegen 20 f.

Marienbildchen mit der Dreieinigkeit 207. Mannion, Colard 357. Marmion, Simon (1425—1 489) 357. Marot, Clement (1496—1 544) 161, 393.

Martianus Capella (5. Jahrhund.) 278.

Martin V., Papst (1417—1 431) 274. 33*

515

Maupassant, Guy de —(1850—1 893) 175.

Maximilian I (1493—1 519) 24, 209, 252, 257, 348. Medici, Cosimo de’ — (1389—1 464) 114.

Medici, Lorenzo de’ —, il Magnifico (1448—1 492) 46,114,147,249.

Meditationes vitae Christi 370. Melancholie 37, 39f., 106. Meliador 99. Memling, Hans (1430—1 494) 342.

Meschinot, Jean (1420-1491) 38, 78, 145, 177, 403, 412, 436. Meschinot, Jean 39 anm. Metapher, Religiöse — weltlicher Dinge 151, 210. Metsys, Quinten (ca.1460—1 530) 372.

Meun, Jean de —, cf. ClopineL Mezieres, Philippe de — (1312— 1405) 24, 82, 83, 108, 117, 124, 241, 243, 246, 317, 334, 440. Mezieres, Philippe de — 24 anm.

Michael, Skt. — 82. Michault, Pierre q 1467) 110, 415. Michel Angelo (1475 — 1564) 360, 372, 389, 430. Michelle de France, Herzogin von

Burgund 53, 63. Mignons 68. Miliis, Ambrosius de — 144, 219, 438.

Minimen, Orden der — 250, 251. Miolans, Philibert de — 111. Mirabeau, Marquis de —, Victor Riquetti (1715—1 789) 78.

516

REGISTER

Mode 69 f. Molinet, Jean (t 1507) 77, 83, 89,

Navarra, Margarete von — (1492

161, 209, 236, 240, 283, 319, 331, 429, 433, 434, 435, 445,

Nietzsche, Friedrich (1844—1 900)

448, 451.

Nikopolis 14, 91, 101, 124, 139,

Molinet, Jean 5 anm. Molinet, Jean — Faictz et Dietz 77.

Monstranz 274.

Monstrelet, Enguerrand de — (1390-1453) 7, 83, 126, 134, 330, 336, 342.

Monstrelet, Enguerrand de — 7. Monstreuil, Jean de — (ca. 1361— 1418) 144, 158, 163, 219, 438.

Monstreuil, Jean de — 144 anm. Montaigu, Jean de — (t 1409) 4. Montferrant 446 f. Montfort, Jean de — 245. Morlay, Bernhard von — 182. Mosesbrunnen 350, 358 f.

Moulins, Denys de —, Bischof von Paris 31. Murillo (1618—1 682) 419.

Musik 28. Musikästhetik 375 ff. Mystik 300 ff. Mystische Ehe 227. Mythologie 288, 431 f., 442.

N.

Nackt, Das —e in Kunst und Literatur 427 ff. Name, Der — Jesu 273. Naturschilderung 404ff.

bis 1549) 383.

329. 351.

Nilus, Sankt — 251. Nominalismus 277. Nothelfer, Vierzehn — 224, 229 f. Nugis curialium, De — cf. Mapes.

O. Oberflächlichkeit 329. Obrecht, Jakob (ca. 1430—1 505) 365.

Optimismus 36 f. Or, Madame d’ — 26. Oranien, Wilhelm I. von — (f 1584) 68, 429. Oranien, Wilhelm II., Prinz von — (fl650) 150.

Orden 72f., 108ff. Annunciaten — 110. St. Antonius — 110. Distel — 110. — vom Goldnen Schild 110. — vom Goldnen Vließ (gegr. 1429) 109ff., 112f.

- vom Windspiel 111. St. Georgs — 111. Strumpfband — 109. Kronen — 110.

Stachelschwein — llOf. Sternen — 110, 130, 322. Schwert — 110.

Ordre de la Dame blanche 101, 110, 162.

REGISTER

Ordre de la Passion 108,117, 241. Oresme, Nikolaus von — (f 1382)

Pastorale u. Politik 176f., 434 anm.

Pastorale!, Le — 176, 434, 442, 450.

440.

Orgemont, Nikolaus von — 4. Orgemont, Familie — 31 f. Orgemont, Pierre, d’ — 24. Orleans, Charles d’ — 152 anm.

Pastorale!, Le — 176 anm.

Orleans, Karl von — (1391—1 465) 151, 239, 368, 385, 422, 423 f.,

Pauli, Theodericus 112.

446.

Orleans, Ludwig von — 14, 27, 69, 83, 90, 110, 126, 166, 176, 209, 239, 241. 242,246,247,314, 315, 321, 328, 332,334,369,434.

Oulmont, Ch. 228 anm. Ovid (43 v. Chr. bis 20 n. Chr.) 426, 439.

P. Paele, Georg van de — 368, 385, 410.

Paganismus 450 ff.

Paix 56, 170, 213f. Pajou, Augustin (1730—1 809) 358.

Panetiers 50.

Parement et triumphe des dames 183, 187. Paris, Paulin (1800—1 881) 440.

Parteibildungen 19 f. Parteien 19. Parteiabzeichen 22. Pas d’armes 105 f., 209.

Pas de la mort, Le — 194 ff. Pascal, Blaise (1623—1 662) 303.

Pastorale 141, 174ff., 405f., 419, 434.

517

Pastourelle 175.

Paula, Franz von — (t 1507) 57, 244, 249 ff.

Pauli, Theodericus 66 anm. Penthievre, Jeanne de — 245( Perceforest 99. Personifikation 154. Personnages 362, 428. Pessimismus 39 f. Petit, Jean (f 1413) 315f., 319, 332, 334.

Petif-Dutaillis 25 anm. Petrarca, Francesco (1304—1 374) 104, 141, 146f., 169, 393, 440f.

Phantasiesphären, Vermengung der — 434. Philippa von Hennegau, Königin von England 116. Philipp VI., König von Frankreich (1328—1 350) 52, 115, 133, 335.

Philipp der Gute, Herzog von Burgund (1419—1 467) 8, 11 f. 18, 26, 28, 39, 53, 55, 62, 63, 64, 73, 75,

109, 110,114,118,123,124,125, 126, 127, 128, 133, 134f., 148, 162, 191, 239, 240,246,252,285, 321, 327, 330, 335 f., 337, 346, 352, 355, 362’, 366, 369, 380, 398 f., 419, 428. Philipp der Schöne, Erzherzog von

I Österreich 55, 209, 257, 429.

518

REGISTER

Philipp der Kühne, Herzog von Burgund (i363—1 404) 27,28,58f.,

123,125,132,158,162,224,242, 247, 349, 358, 359, 410.

Piers the Plowman, The Vision concerning — (14. Jahrh.) 237.

Prudentius (348 — ca.4io) 278.

Prunk 356. Pseudo-Dionysius Areopagita302, 305, 374. Pulci, Luigi (1432 — 1487) 100.

Puritanismus 47.

Pilgerfahrten 214 ff. Pisan, Christine de — (ca. 1363 bis 1429) 92, 158, 162,163,175,179, 180,214,241,288,381,412,413f., 431, 444.

Pisan, Christine de — 49 anm.

Q. Quentin, Jean (ca. 1480 tätig) 251.

Quinze joyes de mariage 179f., 210, 215, 426. Quinze joyes de mariage 40 anm.

Plato (t 347 V. Chr.) 426.

Plourants 64, 350, 361. Plouvier, Jacotin 128f. Poggio Bracciolini, Giov. Franc. — (1380—1 459) 78.

Poitiers 122.

Poitiers, Alienor de — 53, 66, 312 f.

Poitiers, Alienor de — 53 anm. Politik 11, 13,19, 43, 78, 84,125f. Ponchier, Etienne —, Bischof von

Paris, Erzbischof von Sens (1456—1 525) 24.

Porete, Margarete 268.

Porträt 346. Pot, Philippe (1428—1 494) 12, 119.

Poursuivants 112. Prediger 5, 256 ff. Pres, Josquin de — 377. Preuses, Les neuf — 89. Preux, Les neuf — 88 f., 441, 443. Processionen 3, 197, 213, 292. Prosa und Poesie 409. Protestantismus 30.

R. Rabelais, Frangois (1495—1 553) 164,

165, 232, 383, 444.

Rachsucht 17f., 24, 29, 326, cf. Blutrache. Rais, Gilles de — 76, 239, 336.

Rallart, Gaultier 53. Ravenstein, Beatrix von — 366. Ravenstein, Philipp von —1 78. Raynaud, Gaston 144. Realismus 277 f., 297f. cf. Nominalismus. Rechtsgefühl 23. Rebreviettes, Jennet de — 120.

PeconfortdeMadame du Presne, Le — 198. Reformation 292, 333. Reformpartei 144, 284. Religieux de Saint Denis, Le — 103.

Peiigieux de Saint Denis, Le — 22 anm. Reliquien 223 f.

519

REGISTER

Rembrandt (i 606—1 669) 364, 419.

Renaissance 30, 36 f., 38, 43, 46, 47, 48, 50, 78, 86, 88, 99, 121, 127,156, 243, 288, 345, 372, 373, 383, 384, 436, 437—4 53.

Renaudet, A. 13 amn. Rene von Anjou, König von Sicilien (1434—1 480) 15, 16, 87, 106,

145, 175, 186, 193, 239, 242, 380, 401, 406, 423.

Rene, König 87 amn. Rene II. von Lothringen 203, 443. Rhetorik 410, 443 ff. Rhetorique, Les Douze Dames de — 446 f.

Ribeumont, Eustache de — 134 (üstasse), 137.

Richard II., König von England (1377—1 399) 13, 68, 82, 126.

Ritterorden 107 ff. cf. Orden. Ritterschaft 80 f. Rittertum 71—1 41. Robertet, Jean (ca. 1480 tätig) 421, 446 f., 448.

Rochefort, Charles de — 145, 286, cf. T Abuze. Rolin, Nicolaus (1376—1 462) 19, 64, 355, 357, 368 f., 388.

Roman de la rose 113,147,154 bis 161, 163, 165,178,179, 210,285, 287, 386, 410, 412, 435, 439, 451.

Roman, Ritter-99, 105 f., 386. Romanow, Herrscherhaus — 52. Romantik 71. Romantismus der Heiligkeit 243 f. Romuald, Der Heilige — 223, 251. Ronsard, Pierre de — (1524—1 585), 161.

Richard, Bruder—, Volksprediger

Rosa von Viterbo, Sankt — 188.

5, 7, 21, 339. Ritterideal 46, 78, 83 f., 88. Ritterideal und Askese 95,96,114.

Rose, cf. Roman. Rosebeke 21. Rosenkranz, Brüderschaft vom —

Ritterideal und Erotik 97ff., 102f., 147 ff.

Ritterideal und Ethik 85. Ritterideal und Geschichte 84. Ritterideal und Kriegführung 84, 125, 130f., 134.

Ritterideal und Sport 99 f. Ritterideal u. Staatsgedanke 122 ff.

Ritterliche Gelübde 113—1 20.

Ritterlichkeit als Standesgefühl 135f.

Rittertum und materieller Gewinn 92, 137.

202, 281 f.

Rousseau, Jean Jacques (1712— 1778) 405.

Roye, Jean de — 428.

Roye, Jean de —, cf. Chronique scandaleuse. Rozmital, Leo von — 49 anm. Ruhmsucht 85 f. Ruiz, Juan —, Erzpriester von Hita 287.

Ruusbroec, Jan van — (1294—1 381)

267, 269, 304f., 309, 311, 343, 365.

520

REGISTER

s. Sainfe Palaye cf. La Curne. Saint Pol, Ludwig von Luxemburg, Graf von —, Connetable von Frankreich 53, 249, 378. Saintre, Petit Jehan de — 118. Salazar, Jean de — 378. Salisbury, Johann von — (t 1180) 141.

Salisbury, WilliamMontague, Graf von — 115.

Salmon, Pierre 22. Salutati, Coluccio (1330—1 406) 440.

Sancerre, Louis de —, Marechal de France (1342—1 402) 60.

Saulx, Simon de — 315. Savonarola, Girolamo (1452 -1498) 7.

Savoyen, Amadeus VI. von — (1343—1 383) 110.

Savoyen, Amadeus VIII. von — (1391—1 451) 242.

Schachspiel 9. Schäferideal cf. Pastorale. Schamgefühl 427. Schamlosigkeit 148 f. Scheiterhaufen der Eitelkeiten 7 f. Schisma 3, 14, 21, 315. Schönheit und Sünde 47 f. Schönheitssinn 371. Schwermut 37 f. cf. Melancholie. Scorel, Jan van — (1495 — 1562) 372.

Scotus (Eriugena), Johannes (f ca. 877) 301.

Seekrieg 136.

Segenssprüche 340. Selbstverspottung 422. Seneca 79.

Sens, Etienne Tristan de Salazar,

Erzbischof von — (f 1519) 61. Seuse, Heinrich (1300—1 365) 200,

271, 273, 303, 308, 311.

Seuse, Heinrich 201 anm. Shakespeare (1564—1 616) 68, 433.

Sicilien, Herold 164. Silesius, Angelus 301 f. Sluter, Claus (t nach 1403) 342, 357 ff., 383. Sodomie 68.

Sorel, Agnes (ca. 1409 —1 450) 68, 211, 407.

Sotomayor, Alonzo de — 132. Spiel und Ernst, Mischung von — 332 f.

Sprenger, Jakob (f ca. 1495) 272. Sprichwörter 318 ff.

Staat cf. Politik, Fürsten. Stände 7 2 ff. Standonck, Jean (1443—1 504) 251.

Stavelot, Jean de — 58 anm. Steinlen, Alex. Theophile (18591923) 419.

Stilisierung der Liebe 146 ff.

Substantielle Vorstellung des Abstrakten 298f., 313, 318f. Suffolk, Michael de la Pole, Graf von — 189. „Summis desiderantes“, Bulle — 333.

Suso, cf. Seuse. „Süße“ (suavitas) 267.

521

REGISTER

Symbolismus 278ff. Systematik von Tuff end und Sünde 294 ff.

T. TacituS (f nach 117 n. Chr.) 118.

Taine, Hippolyte (i 828—1 893) 85.

Trommeln 133. Troubadours 79, 146, 426, 445. Tuetey A. 33, Türken 14, 82, 123. Turlupinen 189, 220, 268. Turnier 101 ff.

Taufe 67. Tauler, Johannes (f 1361) 303, 309.

Templerorden 108.

Ternant, Philippe de — 451. Tertullianus (ca. 160—2 20) 298.

Testamente 324. Teufelsphantasie 333. Theokrit (geb. ca. 305 v. Chr.) 141.

Thomas, Bruder —, Volksprediger 7, 241, 263.

Thomas, Saint Pierre — 311. Thukydides 84.

U.

Ubi sunt . . . Motiv 182f. Umgangsformen 53. Unglauben 217 f. Upanishads 307. Unschuldige Kindlein 203, 336. Unsicherheit 32.

Upton, Nicolas —, De officio militari 113 anm. Urbanisten 21. Usener, Herrn. (1834—1 904) 285.

V.

Todi, Jacopone da — (f 1306) 183.

Toison d’or cf. Lefevre. Toisy, Joffroy de — 125. Tonnerre, Louis de Chalon, Graf von — 163.

Vaganten 426. Varennes, Jean de — 264f., 319,

Totenmaske 347. Totentanz 5, 79, 190—1 98. Todeskampf 194. Tournay, Jean de Thoisy, Bischof

Velasquez (1599—1 660) 26.

von — 63. Tournay, Jean Chevrot, Bischof von —; cf. Chevrot. Tränen 87, 64. Trastamara, Heinrich von — 132. Trauer — 8, 62 f., 65, 70. Trazegnies, Gilles de — 91, 94. Trois Chevaliers ef del chainse,

Des — 103 anm.

441.

Vauderie 336. Verallgemeinerung 328.

Vere, Robert de — 68.

Vereinfachung in der Motivierung — 328. Vergil (70—2 1 v. Chr.) 439.

Verspottung des Glaubens 217, 218.

Verwesung, Motiv der — 184f. Vienne, Angelo Cato, Erzbischof von — (t 1495) 448.

Vier Äußerste 194, 296. Villiers, George 68.

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REGISTER

Villiers de L’Isle Adam, cf. L’Isle.

Werve, Claes van de — 358.

Villen, Frangois (ca. 1431—1 484) 33,

Wey den, Rogier van der — (ca. 1399

■178, 179, 183, 188, 195, 221 f.,

319, 324, 343, 385, 422, 444. 446, 450.

Villon, Frangois 33 anm. Visionen 224. Visueller Charakter 396. Vita nuova 188.

bis 1464) 342, 345, 356, 368. Wier, Johannes (Weyer) (1515 bis 1588) 334, 337. Wilhelmus vonNassau (1533—1 584)

177 cf. Oranien.

Vitri, Philipp von — 81 anm.

Wilhelm IV., Graf von Hennegau und Holland 133, 138. Windesheimer Kongregation cf. Devotio moderna. Wissenschaft 81.

Veen du Heron, Le -— 102, 115,

Witte, Emanuel de — (1607—1 692)

Vitri, Philipp von — 81, 141, 178, 440.

116, 120.

Voeux du faisan 118f.

Voir-Dit, Livre du — 167 f. cf. Machaut.

Volksprediger cf. Wanderprediger. Vorrang 52 f. Vydt, Jodocus 368.

W. Waffengeschrei 133. Wallfahrten 169, 214 f. Wanderprediger 5 ff., 13. Wappenkönig 112f. Wassenaer, Geschlecht 20.

| 393.

1 Wochenzimmer 66 f.

I Wortspiel 435. Würfelspiel 21. Württemberg, Heinrich von—3 82.

X. Xaintrailles, Pothon de — (f 1461) 90.

Xaverius, Franciscus (1506—1 552) 244.

V. York, Edward von — 189.

Watteau, Antoine (1684—1 721) 424.

Z. Zauberei 334, cf. Vauderie.

Wechselrede als Stilmittel 402f.

Zigeuner 16, 340.

Wenzel, König (1378—1 400) 14.

Zola, Emile (1840—1 902) 418.

Weltverachtung (contemptus mundi) 184f., 297 f. Weltverbesserung 42 f. Weltentsagung 42.

Zweikampf 131 f.

Zweikampf von V alenciennes (1455) 2f., 128, 400.

Zwerginnen 26f.

Druck von J. B. Hirschfeld (A. Pries), Leipzig.