Heinrich Simon: Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk [1. Aufl.]
 978-3-642-49648-6;978-3-642-49942-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages i-xii
Familie. Kindheit. Gymnasial- und Universitätszeit (Johann Jacoby)....Pages 1-44
Brandenburg (Johann Jacoby)....Pages 45-58
Duell. Abführung zur festung (Johann Jacoby)....Pages 59-80
Festung Glogau (Johann Jacoby)....Pages 81-97
Die Referendariatszeit bis zum dritten Examen (Johann Jacoby)....Pages 98-124
Heinrich Simon als Assessor. Literarische Thätigkeit, das „Fünfmännerwerk“. „Die Verfassung und Verwaltung des preußischen Staates“ (von Simon und von Rönne). Das preußische Staatsrecht (Johann Jacoby)....Pages 125-133
Simon’s Liebe (Johann Jacoby)....Pages 134-139
Aus den Jahren 1836 bis 1841. Das Eichhornsche Kommillorium. Schweizer Reile (Johann Jacoby)....Pages 140-217
Breslauer Verhältnille zu Anfang der Vierziger Jahre. Simon läßt sich dauernd in Breslau nieder (Johann Jacoby)....Pages 218-229
Simon als führer der Appolition. Kamps für die Unabhängigkeit der Richter (Johann Jacoby)....Pages 230-259
Simon’s häuslichkeit in Breslau. Sein Wirken bis zum Jahre 1847 (Johann Jacoby)....Pages 260-275
Das Patent vom 3. februar 1847 und Simons Schrift: „Annehmen oder Ablehnen.“ Die Aberlchlelische hungerpest (Johann Jacoby)....Pages 276-293
Die Märztage von 1848. Breslauer März Deputation (Johann Jacoby)....Pages 295-310
Vorparlament und fünfziger—Auslchuk. Das deutlche Parlament. Reichsregentlchaft. Uebertritt auf Schweizerboden (Johann Jacoby)....Pages 311-414
Am Genfer See. Kauf des Gutes Mariafeld. Wiederhergeftelltes familienleben. 1849–1851 (Johann Jacoby)....Pages 415-437
Ueberhedlung nach Zürich. Induftrielle Unternehmungen (Johann Jacoby)....Pages 438-484
Wiedereintritt in die Politik (Johann Jacoby)....Pages 485-494
Die lekten Monate (Johann Jacoby)....Pages 495-515
Erratum to: Brandenburg (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Erratum to: Festung Glogau (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Erratum to: Heinrich Simon als Assessor. Literarische Thätigkeit, das „Fünsmännerwerk“. „Die Verfassung und Verwaltung des preußischen Staates“ (von Simon und von Rönne). Das preußische Staatsrecht (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Erratum to: Aus den Jahren 1836 bis 1841. Das Eichhornsche Kommillorium. Schweizer Reile (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Erratum to: Das Patent vom 3. februar 1847 und Simons Schrift: „Annehmen oder Ablehnen.“ Die Aberlchlelische hungerpest (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Erratum to: Am Genfer See. Kauf des Gutes Mariafeld. Wiederhergeftelltes familienleben. 1849–1851 (Johann Jacoby)....Pages 549-549
Back Matter ....Pages 517-548

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Heinrich S i m o n .

U n d w e n n der W e g der. W a h r h e i t q u e e r l u r c h m a i n H e r z d u r c h f ü h l t ; _ i c k w e r d e ihn e i n s c h l a g e n ! J o h d a r f e s s a g e n , d e n n ich. h a b e e s g e r h a n . ' '

Heinrich Simon.

Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk. Herausgegeben von Dr. Johann Jacoby. Erster Theis. Mit Heinrich Simon's Portrait.

Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1865.

ISBN 9 7 8 - 3 - 6 4 2 - 4 9 6 4 8 - 6 ISBN 9 7 8 - 3 - 6 4 2 - 4 9 9 4 2 - 5 DOI 1 0 . 1 0 0 7 / 9 7 8 - 3 - 6 4 2 - 4 9 9 4 2 - 5

(eBook)

„ltnfere (Geschichtsschreibung ist erbärmlich, weil es an Söiograpljieen fe^lt; diese sind komponirt, statt objektiv.

Sßenn mir @in Menschenleben von Sag

3u Sag vorliegt in seinem Rändeln und denken, soweit das an äußerlichen Momenten darstellbar ist, so giebt mir dies eine bessere ©insicht in die (Geschichte der S e i t , als die beste allgemeine Darstellung der* selben."

Heinrich Simou. £hl. II. . welcher nur eine fogenannte „nationale Neorganifation Pofens unter der Oberherrfchaft Prenßens'' Statt haben foll.

„Der Erfolg einer folchen halben Maßregel scheint uns nicht zweifelhaft. Es liegen unseres Erachtens nur zwei Fälle vor. Pofen ist mit Gewalt zu unterdrücken — dann keine Hoffnungen; oder Posen ist freizugeben — dann mit beiden Händen. „Statt eines dieser Fälle ist wie wir annehmen, ein

unglückseliger Mittelweg eingeschlagen, der alle Nachtheile des ersten Weges ohne die Bortheile des zweien in sich vereinigt. Man hat mit Worten den polen Hoffnungen auf volle Wiederherstellung erweckt und in der That sich ihnen feindlich gegenüber gestellt; man nnterhandelte mit ihnen wie Macht gegen Macht und erklärte gleichZeitig Posen in Belagerungszustand. „Welche aber von den beiden erwähnten Nichtungen je^t noch einzuschlagen, ist uns unbedenklich. Der Weg der Gewalt ist, abgesehen von allen Gründen des Nechts und der Politik, einfach schon deshalb zu verwerfen, weil er nach dem Zeugniß, welches die legten sechs Wochen in ganz Europa abgelegt, unmöglich ist. Dagegen bietet die Freigebung Polens, ungeachtet aller bamit verbunbenen Berluste, bie größten Bortheile, könnte man selbst bavon absehen, baß es uns ber Weg erscheint, ben bie Ehre Prenßens gebietet. Nur auf biese Weife ist Polen, welches ungeachtet alles Temporisirens wieber auserstehen wirb, als besreunbeter Nachbar zu gewinnen; nur so ist es in bie Macht Preußens gelegt, bie von Deutfchen bewohnten GtenzTheile bei Preußen zu behalten; nur so erhalten wir einen Bunbesgenossen gegen Afien; nur fo kann Preußen



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sich vollständig Deutschland hingeben; nur so kann Prenssen sich selbst genug thun, — d. h. vorangehen, wo es Entfaltung und Stärkung deutschen Geistes und deutscher Macht gilt. „Wir beschwören Ew. Excellent, in dieser gefahrdrohenden Angelegenheit auf ein schnelles und entscheidendes Handeln hinzuwirken, ehe auch hier sich das verhängnissvolle „zu spät" geltend macht. Man gebe die offene Erklärung öffentlich ab, dass man ein selbstständiges polnisches Neich wolle, und dass man lediglich zu dem Zwecke noch provisorisch die Negierungs-Gewalt inne behalte, um den polen Gelegenheit zu geben, sich als Staat Zu organisiren. „Deutschland und Frankreich fordern die Wiederherstellung Polens; Deutschland fordert die Mitwirkung seiner Negierungen hierzu. Wir beschwören Sie, nicht ferner in einer Angelegenheit, in der die preussische Ehre zwei Ges nerationen hindurch gelitten, durch Massregeln, welche von Misstrauen, Halbheit und Unwahrheit zeu9euf Alles verlieren zu lassen ohne Etwas zu gewinnen. „Wir haben zu diesem Schreiben auch noch eine besondere Beranlassung. Binnen Kurzem dürste der Fünfziger-Ausschuss, von einer Deputation des polnischen Komites aufgefordert, sich in ähnlicher Art an die preussische Negierung wenden, und es erscheint uns wünschenswert, dass die Freigebung Pofens Seitens dieser Letzteren selbstständig und nicht abgedrungen erfolge; dass ferner die Stimmung, die jetzt fchon leider eine höchst ungünstige für Preussen ist und in diefer Richtung noch verstärkt wurde durch die Deputirten-Wahlen Seitens des Bereinigten Sandtages für die deutsche National-Bersammlnng, nicht durch das



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diplomatische Berhalten gegen Polen auf einen dem Baterlande verderbenbringenden Grad gesteigert werde. Hochachtungsvoll und ganz ergebenst H. Simon. Johann Sacoby. Abegg. Frankfurt a. M., 25. April.

,,Woher kommt die Langsamkeit des preussischen Gouvernements bei den Wahlen jum dentfchen Parlamente, — in einer Angelegenheit, der keine in diesem Momente an Wichtigkeit gleichsteht? Woher kommt dies bei Ministern, denen der gute Wille bei Beschleunigung dieser Wahlen nicht abzusprechen sein durfte? „Die Antwort ist einfach. Es kommt von jener Armee der noch aus dem alten Negime stammenden Beamten, die ihrerseits gar kein so ausserordentlichesInteressedabei finden, die seste Äonstituirung einer neuen Zeit zu sördern. Wir fangen bei den Direktoren im Ministerium des Innern, Herren v. Manteuffel*) und Matthies, an und hören bei den Landräthen auf. Sehr viele von diefen Herr Sodann hinunter nach Transtevere, und da habe ich Schönheiten gesehen, — o! ich sage Schönheiten. Ein fchwarzes Mädchen, mit einem Gesicht! der äussersten Leibenfchaft fähig, an* scheinend ganz ruhig, wundervolle reine 3üge. Dann ganje Gruppen, die augenblicklich dem Maler fitzen konnten. 3nm Schluffe gingen wir in eine gewöhnliche Kneipe, um Or= vieto zu trinken, da stand der schöne Barfüssermönch mit der unendlich dicken hübfchen Wirthin fchwatzend Barrikaden dutzendweife, heut fchon über die ganze Stadt. Sehr genussreich! ich hoffe doch noch, dass die Nömer Ehre einlegen werden." Nom, 30. April 1849, Mittags.

„Seit einer Stunde donnern Kanonen, der Generalmarfch, hier und da Pelotonfeuer; der Kampf hat fich etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfponnen! So eben rückt aus der im Franziskaner-Kloster, am Platz, wo wir



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wohnen, befindlichen Kaferne ein Theil der Karabiniers aus, prächtige Seute, jubelnd und fpringend, die Dreiecker zum Theil auf den Bajonets, und die Umstehenden klatfchen in die Hände und werfen die Hüte. Wir find vor einer Biertelstunde aus der Assemblee nationale gekommen, im fchönsten Momente. Die Bersammlung befchloß, sich in einer Stunde anf's Onirinal §u einer Strung zu begeben und von dort an die Spile der Bevölkerung zu stellen. Bonaparte (Pring Eanino) präsidirte, ein behäbiger Mann mit geistvollem Gesichte; starker Klingelverbrauch; die Deputirten mit prachtvollen Köpfen sprechen von ihren Pläfcen Ziemlich durcheinander. E i n e r grüßte mich zur t r i b u n e heraus als Neifefährten — ich fei zum rechten Momente gekommen. — Barrikaden sind je|t durch die ganze Stadt gebaut; wollen sich die Römer vertheidigen, fo können sie es; denn baß die Franzosen nicht Nom bombardiren werden, das ist klar. — Prächtig hallt der Kanonendonner herüber, die Knppel des Pantheon, die vor meinen Augen, sieht in den ßärm hinein; sie hat Manches gesehen, moderne Republik aber kämpsend gegen Republik für Papst und Absolutismus noch nicht. Die Franzosen spielen eine traurige Rolle, sie mögen siegen oder nicht. — Das mußten fie den Neapolitanern, die fchon bei Terracina stehn, und den

Oesterreichern überlassen."

Abends 11 uhr.

,,Die Statt ist erleuchtet. Die Römer haben sich fehr brav gefchlagen; die Franzofen sind zurückgedrängt, haben angeblich zwei Kanonen verloren und, was gewiß ist, gegen 180 Gefangene. Wir waren Nachmittags mehrere Stunden auf dem Thurm des archäologifchen Gebäudes, N um den Kampf zu beobachten, wohl eins der fchönsten Panoramen Roms; dann stiegen wir mit Braun stundenlang durch



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die Barrikaden, und ein Negen zwang uus, in die ächteste Sokanda zum Glase Orvieto, eine jener, die ihr Sicht durch die Thören bekommen, beiläufig im Marcellus-Theater, in dem Niebuhr seine römische 'Geschichte schrieb. Nachher aus dem deutschen Kasino und dann mit mehreren Künstlern nochmals auf jenes Obfervatorium, von wo wir eben kommen. Die Haltung der Stadt ist bewundernswerth, Frauen und Kinder auf den Strassen, während um die Thore gekämpft wurde; nicht die geringste Unordnung, jedem Angriff der Eivica gehorchend, die Nömer haben vierzig Todte und molti Berwundete; die franzöfifchen Berwundeten konnte man den Abend noch draussen liegen sehen. Die Studenten sind wie rasend drauf gegangen und haben viel verloren. Einer der Künstler, der Unteroffizier bei der Nationalgarde ist, erzählte mir, dass die Mutter eines prächtigen Inngen, Studeuten, ihres einzigen Sohnes, zu ihnen gekommen, sich nach ihm zu erkundigen; sie hätten nicht den Muth gehabt, ihr zu fagen, dass er todt. Wirselbsttraten in Transtevere an einen Haufen Weiber, die um einen zweirädrigen Karren tobten; eine Frau in den Bierzigern und ein sechszehnjähriges Mädchen bildeten den Mittelpunkt; der Bube, der mit dem Karren herausgefahren war, war nicht bei dem zurückgekehrten Karren; fechs Weiber auf einmal erzählten auf unsere Frage mit höchster Seidenschaft. Die Transteverinerinnen wollen die Franzofen zerreissen. Und die Männer fragen: Was wollen sie von uns? Nepublikaner gegen Nepublikaner? In der That, es ist eine Schmach, die sie aus sich laden, sie mögen nun in den nächsten Tagen eindringen oder nicht. Eine Kanonenkugel, 36pfünder, hat bereits in die Bibliothek des Vatikans eingefchlagen, nnd mehrere Kasten mit Manufcripten vernichtet; alle Philologen Deutfchlands werden sich auf die Köpfe stellen."



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Nom, 1. Mai 1849, Morgens.

„Die Bevölkerung ist in Folge dessen, was der gestrige

Tag gebracht, entfchieden, gu kämpfen — und ich fehe, wenn

die Franzosen eindringen wollen, einem Straßenkamps entgegen; wir werden dann wohl in dem mit einer Schuf-

wache versehenen Palais Easarelli, dem preußischen Gesandtschafts-Hotel, fein. Wir sind von den Deutfchen hier Über die hiesige Bevölkerung fchlecht unterrichtet worden

Gestern haben die Nömer höchst ehrenhaft

gekämpft, leider dem Anfcheine nach mit zu großer Hi£e und dadurch mehr als nöthig verloren. Ein Offizier, der in unferem Hotel wohnte, ist geblieben; eben fo ein Kellner, der uns noch vorgestern bediente, als Nationalgardist ge-

fallen. Die Studenten, die Nationalgarden, die Garibaldis

haben fich vortrefflich gefchlagen; es ist bis zum Kamps aufs Schwert gekommen. Die Franzofen hatten auf Seitern die Mauern an den Gärten des Batikans erstiegen, wurden aber blutigst zurückgeworfen Garibaldi hat den Seinen den Befehl gegeben, gegen den Feind nicht Zu fchießen, fondern mit dem Meffer vorzugehen. Um dies zu verstehen, muß ich erwähnen, daß Garibaldi in Montevideo unter Nofas diente und auf die Nachricht von der italienifchen Erhebnng mit etwa hundert Stalienern in fein Baterland eilte, wo er bisher in Oberitalien nicht mit Glück gekämpft, während er heut der Held des Tages ist. Seine etwa 2000 Mann starke Truppe ist die zusammen* gewürfelt-denkbarste; er hält sie durch eiserne Disciplin; während sie unter sich nach Belieben raufen, bestraft er den Diebstahl mit dem Tode. 3ene Südamerikaner agiren mit dem gaffo und haben franzöfiche Offiziere fo gefangen. Das lange Meffer im Munde, mit angelegter Flinte gehen sie



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auf ihren Mann los, und herangekommen brauchen sie das Messer."

Rom, 2. Mai 1849.

,,Der gestrige Tag ist vollkommen ruhig vorubergegangen, nur entfernter von der Stadt kleine Plänkeleien, und noch eine Anzahl eingebrachter Gefangenen, die bis jetzt in den Weinbergen versteckt waren. Hätten die Franzosen gestern gewagt, in die Stadt einzudringen, fo wären sie höchst wahrfcheinlich völlig aufgerieben worden, der Sieg hat den Geist der Bevölkerung ausserordentlich gehoben. Barrikaden entstehen an Barrikaden, zum Theil kleine Festungen, vortrefflich angelegt, und da ich nicht daran glauben kann, dass die Franzosen Nom bombardiren werden, so ist an einen gewaltsamen Einzug derfelben, ohne Hülfe eines neuen Heeres, etwa der heranruckenden Neapolitaner, nicht zu denken. Die ganze Expedition der Franzofen lässt sich nur aus der Borausfetzung erklären, dass die Neaktion hier die entfcheidenste Oberhand habe, wie in ihrem eigenen Lande; dass sie daher nur einen Spaziergang zu machen hätten, etwa wie die Preussen es im Inhre 1791 fur Frankreich annahmen; dass sie bei ihrem Einmarsch in Nom mit offenen Armen, mit Kränzen und gestreuten Blumen empfangen werden wurden, und die Nepublikaner rafch zum entgegengesetzten Thore hinausfliehen wurden. Das war fo hiibfch in Oberitalien mitNadetzky, und dann in Florenz; da wollten die lieben Franzofen doch auch bei einer fo angenehmen Gelegenheit ihre Nafe hineinstecken und Napoleon Bonaparte wie sein Herr Onkel den Potentaten zeigen, dass er ebenbürtig in der Neaktion. Mit jener Borausfetzung harmonirt, dass die Expedition ohne alle nöthigen Borberei-



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tungen unternommen; fie haben keine Brückeneqnipagen mit und können daher nicht iiber den Tiber; fie haben keine WnndärZte, fo haben fie ihre Berwundeten vierundzwanzig Stunden anf dem Felde liegen lassen und endlich WundärZte von den Nömern verlangt, die sich aber die Berwundeten ausgebeten und hier verpflegen. Die ersten Damen Noms sind hier in den gazarethen, so die Fürstin Altieri, Belgiojofo n. s. w 3ene Boransfefung der FranZofen trog, die Assemblea nationale erklärte: Gewalt fei mit Gewalt zu vertreiben, und das Bolk handelte danach. Sechs Kanonenkugeln haben übrigens den Batikan getroffen; wer hat fie abgelenkt von dem gaokoon, dem Apoll von Belvedere. Wie unterfcheiden fich alfo die Franzofen von den Barbaren des Mittelalters, den viel verschrieenen Horden des Attila u. f. w.? Sehr wefentlich dadurch, daß diefe gar keinen Anfpruch darauf machten, die 3dee zu vertreten, und daß jene Prahlenden, als „erstes Bolk der Eivilifation," als „Bertreter der 3dee der politischen Freiheit,'' hier gegen die Freiheit, sür die Neaktion kämpfen.

„Wir wanderten gestern, aller politischen Aufregung Zum Tro£ über das Forum romannm, beim Koloffeum vorbei, weit hinaus zum Sateran, der an der neapolitanischen Porta liegt, der Mutterkirche aller christlich-katholischen Kirchen, mit unendlichen Gnadenschäfen versehen. Eine gewöhnliche prächtige Kirche, aber mit ungewöhnlich schönem, von Säulenhallen umgebenen Klosterhos aus dem dreizehnten 3ahrhundert. Der Hof bedeckt mit blühenden Nofen, von denen der freundliche Führer uns die fchönsten pflückte. Wir freuten uns dann auch dort der Barrikaden — gegen die heranrückenden Neapolitaner. Die schöne Allee von ansländifchen Bäumen, die von der Nähe des



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Laterans zur St. Maria Maggiore fuhrt, ein Hauptspaziergang der Nömer, ist umgehauen; die Bäume lagen, überschüttet mit rothen und weissen Blüthen, hinüber und herüber, und die Sungen sreuten sich der bequemen Gelegenheit. Sch bin ein solcher Baumnarr, dass mich diese gefällten Frühlingsbäume quälten, uud doch überwog weit die Freude, dass die Nömer diefe Energie zeigen, denn dazu gehört Energie, eine der wenigen hiefigen Alleen umzuhauen.''

Rom, 3. Mai 1849.

„Sch erwähne nur noch eines Abendereignisses. Aus dem Eorfo wälzte sich plötzlich eine tobende Menge heran; man unterfchied bald eine hohe sich fortbewegende Masse; ein Prachtwagen, in uud auswendig mit Menschen gefüllt und von Zwanzigen gezogen und gestossen; es war ein päbstlicher Wagen. Seit drei Tagen gefällt sich der Bolkshumors darin, abendlich einige Äardinalwagen zn zerschlagen (während nach allen sonstigen Nichtnngen hin die Achtung des Eigenthums gewissenhaft beobachtet wird; denn das Lob gaben Feind und Freund der Nepublik, dass das Bolk, sowie die Nationalgarden, sich all diese Seit musterhaft betrageu, und nicht minder ward mir der hohe Sinn für Ordnung im Nömer obenangestellt). Sene Wagen sind kostbare Gebäude im Gefchmack Ludwig X I Y , Gold, Sammet und Spiegel; heut galt jenes auto da fe einem päbstlichen Wagen. 3m Borwärtsrollen flogen die heruntergerissenen Stücke, Wagenpolster, Borhänge, Bronzestäbe nach allen Seiten und wnrden von den Nachfolgenden als Tro* phäen aufgehoben und jubelnd nachgetragen. So ging es, unter gewaltigem Hämmern anf das grosse Gebäude, durch Heinrich imrn II. 8



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den Eorfo und da diefer durch Barrikaden gehemmt, durch Nebenstraßen, endlich iiber eine Barrikade vorbeigezwängt auf die piazza del Populo; dort unweit des Obelisken wurde Halt gemacht und unter infernalifchem Gefchrei der Wagen vollends zu zertrummeru gesucht; plö&lich war Feuer in dem Wagen; ich stieg einige Stufen des Sockels am Obelisken hinan, lehnte an einen der Sphinxe und fah auf die vielleicht taufend Menfchen, deren Gefichter im hellsten Feuerwerkslichte beleuchtet im großen Kreife den brennenden Wagen umstanden; jubelnde Freude; sie verbrannten das Pabstunwefen; es war Gefchichte — und doch mir war als wenn auf einen Menfchen losgefchlagen würde. Alle gegen einen Webrlofen. Da endlich rief Einer: Yiya la Republica! unb der ganze Ehor antwortete: Evyiva! Nun wußte ich gewiß, daß es ein Antodafe war, welches dem pabstthnm bereitet war. Während ich sinnend zuschaute, kletterte ein bildhübfcher Snnge von etwa z^ölf 3ahren auf den Sphinx, an den ich lehnte, und legte fich ein rothfeidenes Äiffen unter, das er erbeutet; mit vollster Behaglichkeit fchaute und fchwafte er drein. 3ch handelte es ihm ab, und er brachte es mir nach Haufe. Es foll ein Oreiller Zum Andenken des Abends werden." 4. Mai.

„Siebenswürdig, geistreich, graziös sind die Staliener. Gestern Abend fah ich in einer Seitenstraße hellen Fackelschein.

Als ich näher kam, schien es mir ein seierlicher Sei-

chenkonbnkt. Ein Mann mit hoher Fackel voran, dann Einer mit hoher schwarzer Fahne, dann ein großer Wagen mit vier jungen Männern, Fackeln in den Händen. Mit gedämpfter feierlicher Stimme rief einer der Bier in längeren Paufen: Per i fratelli feriti — für die verwundeten Brii-

der! — und ans den Fenstern der Häuser in der engen Strasse, aus dem ersten, zweiten, vierten Stockwerke hers

uuter kam die Wäsche herabgeflattert, Betttücher, Hemfcen, Strümpfe und dazwischen rief Einer ans dem mitziehenden Bolke, wenn eine grosse Spende kam: Yiya 1a caritä! und der ganze Bolkschor antwortete: Eyviya! 3ch sage Euch, es war ganz fchön. — Die gefammte Wäfche des Pabstes ist gestern in die Spitäler gesendet werden, und die Berwundeten haben die feinen Hemden des Pabstes an.'' Nom, 5. M a i 1849.

„Gestern habe ich hier und da von Nom Abschied genommen, — war gegen Abend noch allein in Trastaverere, mit seinen wundervollen Frauengesichtern, die dadurch noch interessanter werden, dass jede Frau dort ihren Dolch oder ihr Messer im Korsett trägt Den Abend brachten wir bei p. zu, wo B r a u n war. Gegen elf Uhr im hellsten Mondenfchein erklärte ich noch auf das Kolosseum zu wollen. Braun, wenngleich vielleicht etwas unruhig, da man gegen ihn sehr übel gestimmt (er ist Korrespondent der Augsburgerin) begleitete uns über das Forum hinaus. Das Forum im Mondlicht mit seinen Tempelsäulen, Triumphbogen, Ehrensäulen und tausend Trümmern; „hier war die Nednerbühne!" 3ch hörte Eicero donnern. Dann die Bia Sacra entlang über die gefällten Sindenbäume. Wir stiegen in lautloser Einsamkeit weiter, bei den Tempeln vorüber, durch Titus Triumphbogen hindurch, an den Niesenbau lHnan, jeder Zoll eine Königreiche, Iniposanter noch als am Tage traten die Niesenverhältnisse heraus. Sange, lange stand ich hier sinnend. — Auf dem Nückwege kam uns eine Kompagnie Garibaldis entgegen, die den Neapolitanern zumÄrschirten. Die Strassen waren, als wir nach Hause kehr-



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t e n , f c h o n v ö l l i g still, u n d d i e g r o ß e n r e i n e n F o r m e n d e s v e -

netianischen, simonettischen und vieler anderen Palläste traten im Mondenlicht herrlich heraus. „Wir

wollen n u n heute fort.

D i e Sache hier wird

fehr ernst, und es wäre an und für sich von dem höchsten Snteresse, der Entwicklung beizuwohnen, wenn nicht die Pflicht nach Haufe riefe.'' Genua, 10. M a i 1849. „Nach den Nachrichten a n s Deutschland, die w i r gestern hier vorfanden,

werden w i r

unverweilt

nach

Frankfurt

Z u r ü c k g e h e n . — B o r zehn 3ahren im September faß ich w i e heut i m Angesicht desH a f e n g e w ü h l e s v o n G e n n a u n d d e s w e i t e n M e e r e s , u n d ich e n t s i n n e m i c h f e h r d e u t l i c h d e r G e fühle, die mich d a m a l s b e w e g t e n , e s w a r e n perfönlichste, w e h e ;

fie find heut nicht minder schmerzlich, aber a l l g e m e i n e . Unser armes Baterland! 3ch Thor, der ich so schnell wenigstens auf einen kleinen S i e g der Bernunft über die Selbstsucht gehofft! Wenn ich auch hundert Mal selbst gepredigt, daß die Aufgabe zu groß, daß nur 3 a h r e fie lösen könnten; im Geheimen hoffte und lebte ich dem Glanben, daß der Genius des geliebten Bolkes im rechten Momente den löfenden Schlüssel bringen würde, und als der König von Preußen die dentsche Krone nicht annahm, und die Stämme, ihres Stammeshasses baar, den ungeliebten Mann drängten zur Annahme des ersten Planes der Ehriftenheit — da fah ich diefen Genins er ist gefcheitert an der Kleinheit e i n e s Menschen. Nun, ich denke, es soll der Nation nicht so leicht gemacht werden. D i e 3uden gingen vierzig 3ahre durch die Wüste, um fich von den Merkmalen der Knechtschaft zu reinigen. Auch w i r sollen mit schweren 3ahren die heilige Freiheit und das stolze Bolksbewußtfain

— 117 — erkaufen — nie zu theuer. Seder preis ist gering und wäre es das Glück einer Generation; denn die wahre sittliche Entwicklung im Menschen kann nicht stattfinden in dem alten Staate, nur ein sittlicher T r ä u m e r , kein sittlicher

Mann kann entstehen, und ich gebe für einen Mann eine Million Sklavenfeelen in den Kauf, und ein Mannesvolk

ist noch was Anderes als ein Bolk von vielen Männern.

„Die Fürsten können jetzt siegen; es ist möglich und wahrscheinlich; aber, denkt an mich, es kommt dann im Sanfe nicht ferner 3ahre eine zweite Nevolution, die wird schauderhaft gründlich sein. Wir wiffen jetzt, woran wir scheitern. Das Bolk wird es erkennen; diese Tage werden eine Epoche in der geistigen Anschauung desselben bilden.— Doch Nichts weiter von Genna ans über diesen Punkt! 3ch wünschte, ich hätte heut auf der Tribüne sprechen können, mein Herz war übervoll von Gram und Feuer.''

Negentschaft. Am 15. Mai 1849 nahm Simon feinen Platz in der Paulskirche wieder ein. In Nord- und Sübdentschland wurden die Bolkserhebungen für die deutsche Neichsverfaffung mit Gewalt niedergehalten, schliesslich besiegt. Die Negierungen, die Prenssische voran, riefen die Frankfurter Parlaments-Deputirten heim. 3n der Sitzung vom 16. Mai 1849 wurde diefer Nuf fast einstimmig von der Nationalversammlung als „ u n v e r b i n d l i c h " erklärt.

Dennoch lichteten sich die

Neihen von Tag zn Tag. — 3n der Sitzung vom 30. Mai 1849 beschloss das Parlament, nach S t u t t g a r t überznsiedeln. Am 6. 3nni hielten die Mitglieder dort in befchluss-



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fähiger 3ahl die erste Sitzung. Am felben Tage wurde die N e i c h s r e g e n t f c h a f t gewählt. ,,3ch hatte mich," fchreibt S i m o n am 2. 3uni 1 8 4 9

von H e i l b r o n n aus, „bis juleft entfchieden d a g e g e n er* klärt,

a n d e r s von Frankfurt wegzugehen,

als gewaltsam

vertrieben. Nachdem ich in den Klubfifungen überstimmt war, und am 3 0 . M a i der Antrag im Parlament eingebracht wnrde, f o f o r t nach S t u t t g a r t " z u gehen, hielt ich es für meine Pflicht, meine Anficht unterzuordnen." 3 n der Nacht vom 6. zum 7. 3 u n i 1 8 4 9 fchreibt er aus K a n n s t a d t (bei Stuttgart): „ S i e haben mich zum

M i t r e g e n t e n v o n D e u t s c h l a n d gemacht, und ich komme

eben von Stuttgart, wo wir fünf*) uns konftituirt und die ersten Maßregeln getroffen haben. ,,3ch habe in der heutigen Borberathung heftig gegen meine Wahl protestirt; aber dies bewirkte tro£ alles Ernstes nur, daß ich eine Anzahl Stimmen weniger hatte. 3ch proteftirte, weil ich Geeignetere wußte. 3ch täusche mich natürlich nicht einen Augenblick Über die Bedeutung des Ereignisses; aber ich bin Sohn des Baterlandes, und nachdem man mich gewählt, tro£ aller meiner Einsprache, wäre es Feigheit, diefe Stellung abzulehnen. 3ch habe keine großen Hoffnungen, aber ich werde f o handeln, als fei ich des Erfolges gewiß." Am 18. 3uni 1 8 4 9 wurde die National-Berfammlung mit Waffengewalt an der Sitzung gehindert; über die greifen Häupter Uhlands und Schotts, die den Präfidenten Söwe begleiteten, wurden die Säbel gefchwungen an dem Tage, an welchem die Bölker vierunddreißig 3ahre oorher *) Die fünf erwählten waren: N a v e a u x , B o g t , B e c b e r und H e i n r i c h S i m o n .

Schüler,"

$arl

— 119 — den Fürsten die Throne wieder gegeben. Den Depntirten, der Negentschaft jubelte das Bolk unausgesetzt zu — aber unbewaffnet, und die Pferde der Soldaten sprengten in das dichte Gewoge. Das Büreau der National-Bersammlung, welches uumittelbar daranf zufammengetreten war, befchloss, die Sitzuugen der Letzteren nach Karlsruhe zu verlegen. In Folge diefes Beschluffes begab sich die Negentschast auf den Weg dorthin. In Hechingen fchrieb Simon einen Gruss in die H^imath, unterhalb des Berges Hohenzollern, und — ,,die schwarzweisse Fahne erinnerte ihn trübselig an Preussen." Bon Hechingen ab bis Frei bürg war ihre Neise überall von den lebhaftesten Bolkssympathieen begleitet. Wohin sie kamen, empfing sie die gesammte Bürgerwehr, Musik, die fämmtlichen Behörden stellten sich ein; von Ort zu Ort begleiteten sie Kommissare, ganze Wagenzüge folgten ihnen, — überall empfing fie Enthufiasmus und ungefchminkte Herzlichkeit. Bon Simons Briefen aus jenen Tagen und Wochen lässt sich — aus leicht denkbaren Gründen — kaum Etwas mittheilen; doch mögen folgende Worte hier eine Stelle finden. Freiburg, 23. Inni 1849.

„Der Geist der Bevölkerung ist ein ausgezeichneter, überall brennender Kampfesmuth und die Ueberzeuguug, dass man Alles an Alles fetzen müsse; all die infamen Ausftreuungen, als herrfche Anarchie in Baden, haben auch nicht den geringsten Anhaltspunkt; es herrfcht die ungetrübteste Ordnung; aber sreilich diefer Muth, sich der von aussen kommenden Gewalt nicht zu fügen, ist die strafwürdigste,



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die abscheulichste Anarchie. Wer in der Erhebung des badischen Belkes ein Unmotivates sieht, — weil der Großherzog die deutsche Berfaffung anerkannt, ist einfach ein Alberner oder ein Heuchler. Sie erkannten an mit Worten, aber nicht im Geist, das zeigt wohl genügend schon jeftt ber allgemeine Abfall der Anerkennenden Das Entfet3liche des Bürgerkrieges, des Brnderkrieges ist über uns gekommen, — aber nie so lange ich geistige Kraft habe, werde ich mich anders wohin stellen, als wo nach

meiner Ueberzeugung das Necht ist und die Freiheit, und w o ich stehe, werde ich mit Kraft handeln. „Als ich die Stelle in der Neichsregentfchaft annahm,

war ich mir klar bewußt, daß ich mich vielleicht auf Sahre vom Baterlande, von Euch, S h r mir Theuersten, trenne: aber meine Annahme war keine willkürliche. Seder hätte dasselbe Necht gehabt, das Opser zn weigern als ich, und so war es Pflicht für den, dem es geboten, fich hinzugeben — und nachdem ich es gethan, bin ich sofort mit beiden Füßen hineingesprungen Das Bolk wird unterliegen. Aber für Eins stehe ich ein: ans seinen diesmaligen Kämpsen wird einstens der deutsche Phönix auferstehen.'' Am 22. Sunt war die Negentschaft nach BadenBaden gekommen; dort fanden fich gegen vierzig Depu= tirte zusammen. A n eine Bollzähligkeit war nicht mehr Z11

denken. — S i m o n s A u f g a b e a l s M i t g l i e d d e r N a t i o n a l - B e r s a m m l u n g u n d der N e g e n t s c h a f t w a r

b e e n d e t . Zehn Tage darauf schrieb er von S c h w e i z e r 5 b o b e n — als F l ü c h t l i n g ! —

— 121 —

III. Am Genfer See. - K a u f des Gutes Mariafeld. Wiederhergestelltes familienleben. 1849-1851.

Nachdem das deutsche Parlament gesprengt war, ging Heinrich S i m o n - in den ersten Lagen des Juli 1849 — nach dem Genfersee, um in dessen großartiger Natur Erholung und Ruhe zu fuchen. Dort traf er mit 3 o h a n n S a c o b y und M o r i £ H a r t m a n n zufammen, und sie verlebten in B e r n ex eine Reihe von Wochen in stiller Zu* ruckgejogenheit, bis S o h a n n 3 a coby nach Deutfchland juruckging, um in Königsberg sich seinen Nichtern ju stellen, und M o r i f c H a r t m a n n feine mehre 3 a h r e dauernde W a n = d e r u n g dnrch E u r o p a a n t r a t .

Auch gegen S i m o n war injwifchen von dem Breslauer Kriminalgericht eine Anklage auf Hochverrath erhoben worden; aber er fprach jedem preußischen Gerichte die Kompetenz ab, über ihn in seiner Eigenschaft als dentfcher Bolksvertreter zn erkennen; er blieb in der Schweiz, wo er Zunächst f e i n e juristisch literarischen A r b e i t e n w i e d e r i n A n griff n a h m .

3 n Bürich gefellte fich fein Freund Konrad v. Nappard zu ihm, an den er fich während des Parlaments noch enger angefchloffen. Mit Diefem gemeinfam kauffe er am 17. April 1850 das Bauerngut M a r i a f e l d am Zürcherfee,

-

122 —

unweit Meilen — Horgen gegenüber. Die vom Baterlande Abgetrennten wollten feften Boden unter den Füssen gewinnen.

Sobald S i m o n in dem neuen Befitze sich eingerichtet hatte, folgte ihm seine Eoufine, Frau Gärtner,*) mit ihren Kindern nach. Auch fein Bruder Guftav sendete ihm den ältesten feiner Söhne znr Erziehung nach der Schweiz, und der Kinderliebende war nun, da er anfs Nene von einem Familienkreise fich umgeben fah, wieber ganz in seinem Elemente. Der Arbeit gab es in Mariafelb, ba das Gnt vernachläsfigt worden, die Menge, nnd doch machte das Leben dabei noch andere Ansprüche an Simon geltend. Die Zahl dentfcher Flüchtlinge nahm in der Schweiz mit jedem Tage zu, unb ihre Noth war eben so briickenb wie schnelle Hülfe forbernb. Um bes eigenen Lebens Nothbnrft kämpfenb bilbete S i m o n fofort in Gemeinfchaft mit anbern Freunben einen Berein znr Unterstützung der Hülfsbedürftigen, und ohne uns über feine umfassende Thätigkeit nach dieser Seite weiter zu verbreiten, wollen wir eines liebevollen Zeugnisses über bie Art feines Gebens hier noch Erwähnuug thun: „Simon" — fo lantet bas 3euguiss, aus einem bankbaren Herzen gefchrieben — „gab mit Anmuth, er gab mehr als materielle Hülse, er gab Glück mit ber Gabe; benn er war glücklich, dass man annahm, unb ihm gegeuüber nahm man gern. Er hatte bie seltene Eigenschaft, seinen Schützlingen gerabe mit berselben rücksichtsvollen Achtung zu begegnen wie Nichtbebürftigen!" Mit bem Herbst, mit bem Fallen ber Blätter, brach auch ber S t a m m zufammen, aus bem bie Simon'fche Familie *) Siehe oben Kap. X I .



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weitverzweigt, lebenskräftig erblüht war. Heinrich Simon erhielt am 23. Oktober 1850 die Nachricht von dem Tode der M u t t e r , von der unheilbaren und qualvollen Krankheit feines Baters. Während eines halben Inhres wnsste er Diefen mit dem Tode ringend und war ihm fern. Erst im Mai 1851 sand der tapfere Greis Oinhe neben der Gesährtin feines Lebens. In der Nacht vor feinem Tode fprach er zn einer der Töchter: „Erinnerst Du Dich wohl der Berfe an die geliebte Mutter zu unferem zweiunddreissigsten Hochzeitstage? der letzte Bers kommt mir nicht aus dem Sinn!" Diefer Bers lautete: „und soll uns einst das Leben enden, ' E n d ' es f u r uns zft gleicher Zeit!''

Die Sehnfucht war erfüllt. Er ruhte nnn neben der Trenen, die beinahe ein halbes Jahrhundert die beglückende Gefährtin feines Lebens gewesen war.

Wir lassen einige Briefe S i m o n s aus jener Zeit folgen: Zurich, 20. Sanuar 1850. „Mein lieber, guter Onkel! ,,Es ist zwifchen zehn und elf Uhr Abends; der Föhn stürmt über den See, der zweihundert Schritt von meinem Haufe, und zerwühlt die hohen Bäume des Gartens, in welchem meine Wohnung liegt; der Negen schlagt gegen die Fenster, und wir, d. h. N. und ich sitzen in meinem traulichen Stübchen, in welchem wir die Theestnnde unter schönen Gesprächen beendet; den Diener haben wir zu Bett geschickt, — er ist ein Flüchtling wie wir — aus dem

— 124 — Baierland, deffen wir uns angenommen. N. liest in 8amartine's Gefchichte der Girondisten, und mir fiel der geheime Borfatj ein, den ich bei Tifche gefaßt, als ich heute meinem Genoffen, vom Schachfpiel plandernd. Dein feiten fchönes Spiel in der Bertheidigung fo geschildert, daß er mir sagte: Dein ganger Onkel steht vor mir.

^ „Wie lange habe ich D i r nicht ein Wort gefagt! Ge s hört habe ich von D i r , namentlich auch von Deinem A u f -

enthalte in B r e s l a u , iiber den ich mich fehr gefrent, da er allen Theilen fo wohlthuend fein mußte. D u hast damals vermieden, von mir zu fprechen, mich aber beim Abfchied

herzlich grüßen lassen, was mich sehr gefreut, während Erfteres mir wehe that. Wer mir einmal nahe steht, wen ich achte, der b l e i b t mir nahe, mögen seine Ansichten von

den meinigen noch so fehr abweichen. 3ch habe leider in den legten zwei 3ahren die Erfahrung machen müffen, daß diefe Anfchanungsweife ziemlich allein und verlaffen steht; ich habe namentlich im Parlamente gesehen, wie die entgegengefe^ten Parteien sich wie die wilden Thiere gegenfeitig anfahen; die linke Seite des Haufes hielt die rechte für Schufte und die rechte die linke; wir sind unserer Wenige gewesen, die gegen diese Unmenschlichkeit ankämpften.

W a s Dich betrifft, so denke ich mir immer, wenn D u mir

anch zuruft, darauf müffest D u doch durch die langjährige Äenntniß meines Handelns gekommen fein, daß die reinsten Motive meinem Thun zu Grunde liegen, und dies müsse Deine alte Siebe zu mir aufrecht erhalten. Gedanken halte ich fest.

Und an diefem

,,Mir geht es äußerlich fo, wie es entfernt vom Baterland und im Bewußtfein des Exils Einem gut gehen kann. 3ch trage die F o l g e meines Handelns in Nuhe, weil ich in gleichem Falle nicht e i n e n Schritt von meiner betretenen

— 125 — Bahn weichen wurde, aber dies schlitzt mich freilich nicht vor tiefer Trauer, dass ich, abfehend von allem Andern, die letzten Inhre meiner Eltern entfernt von ihnen fein foll. Beide leidend und vielleicht nur noch kurze Zeit bei uns. ,,Heute habe ich vom geliebten Bater seit lange wieder den ersten und zwar mit seiner früheren sicheren fchönen Hand gefchriebenen längeren Brief erhalten. 3e mehr ich die Welt gesehen habe, desto mehr liebe und ehre ich unsere Familie; ich habe wenige getroffen, in welchen ein solch liebendes Berständftiss wäre, wie in ihr.

„3ch lebe hier gänzlich zurückgezogen mit Nappard ein ganz gemüthliches, sehr fleissiges Leben, nur mit wenigen Personen im Umgang. Ein treffliches Institut, das Mufeum, mit fämmtlichen Zeitungen, Zeitfchriften nnd neuen Büchern, welches ich meist ein Stündchen Nachmittags befuche, erhält im Zufammenhang, und mit Preussen insbesondere thut dies die Berliner National-Seitung, die wir uns halten und am vierten Tage bekommen. Wenn die Schweiz im Stande ist, sich das Asylrecht zu erhalten, so dürften wir die nächste Seit hier bleiben, anderenfalls würde ich, wiewohl sehr ungern, nach England oder Schottland gehen; ich liebe das aristokratische Land nicht. Nnn, vor* läufig denke ich daran noch nicht, sondern stecke hier bis an die Ohren in naturwissenfchaftlichen Studien, die mich mit grosser Macht fesseln. Es waren die Studien, für die ich, wie mir schon früh deutlich geworden, eigentlich Beruf hatte; jetzt kann ich blos als Dilettant an fie herantreten, denn man erfchrickt, sowie man etwas nur hineinsieht, über die bodenlose Tiefe des Studiums, uud gerade in dieser wirklich vorhandenen Bodenlosigkeit liegt der Hauptreiz. Alle Tage kann hier ein neuer Kolumbus auftreten und unentdeckte Kontinente auffinden; dass Unsägliches noch nicht



126 —

entdeckt ist, das kann man mit Sicherheit aus Allem, was

wir wiffen, schließen; wie lockend also, mit dem nöthigen Ballast des Wissens und Proviant an Geist und Kombinationsgabe versehen, folche Fahrten anzutreten. 3ch verkenne nicht einen Moment die f o r m a l e Bildungskraft der fogenannten

klaffifchen Studien

und

ihre

ethifch

bildende

Kraft: aber ich lebe mich immer mehr in die Ueberzeugung hinein, daß sie den Naturwissenfchaften den größten Theil der Jugenderziehung binnen Kurzem werden übertragen müffen; es ist ein merkwürdiger Srrthum, diefen Naturwissenfchaften dieselbe sormale, diefelbe ethifche Bildungskraft abzusprechen, die aber a u ß e r d e m das AnfchauungsBermögen wecken, den Schönheitssinn kultiviren und vor

Allem den Menfchen lehren, feine Stellung erkennen, die

er nie richtig auffassen wird, wenn er sich isolirt und nicht im Berhältniß zur Gesammtschöpfung, deren fo unbedeu-

tendes Partikelchen er ist, ansfaßt.

„Der Bogen ist all; ich wollte D i r , mein geliebter

Onkel, eben nur fagen, d a ß ich i n alter Siebe v e r b l e i b e der D e i n i g e .

Heinrich Simon." A n die Seinigen. Zurich, Seefeldgarten, 22. gebruar 1850.

„Wenn ich mir hier die Zustände und die Menfchen immer genauer betrachte, fo frage ich mich mauchmal mit

bittrem Schmerze: Warum muß das fchöne große Deutfchland fo entfernt fein von dem Glücke, welches die S c h w e i z genießt, und welches, um alles Uebrige bei Seite zu lassen, darin besteht, daß sich der Einzelne, auch der Niedrigste und £e£te, als bewußtes Mitglied der bürgerlichen Gefell-



127 —

fchaft fühlt, wodurch ihm ein fester Grnnd für fittliche Würde gegeben ist; er ist sich bewnsst seiner Nechte und seiner pflichten gegen den Bürger-Berband, in dem er lebt; diefer Berband ist klein; der Schweizer geht in seinen Gedanken in dieser Beziehung selten Über seinen Kanton hinaus und höchstens bis an die Grenzen der Schweiz; aber welcher Unterschied zwischen einem solchen Menschen und der Masse u n s e r e r Genossen, die in dumpfem Taumel sich

als Nichts fühlen, denn als steuertragende Lastthiere. Und welch' materielles Glück hat sich ans jener sittlichen Grundlage erbaut, welche Berfchiedeuheit auch hier mit Deutschland! 3ch frage, ist es denkbar, dass ein von der Natur gleich begabtes Land, welches von demselben Stamme bewohnt ist, dazu bestimmt sein könnte, solcher Borbilder ungeachtet immer in der entwürdigenden und so entsetzliches Elend verbreitenden Knechtschaft zu verbleiben, und ist nicht jedes Opfer gering, welches zur A ende rung folcher Zustände hinführt?» 3ch lese das letzte Budget von preussen. 3st denn das nicht vollendeter Wahnsinn, wenn sich ein Bolk gefallen lässt, jährlich gegen dreissig Millionen aus seinem Schweisse erpreffen zu lassen, um dieses ungeheure Heer zu erhalten, welches die ausschliessliche Bestimmung hat, die Zahlenden zu hindern, ihre Lage zu verbessern; weitere siebeuzig Millionen sich jährlich abpressen lässt, von denen zum eigentlichen, wahren Wohl des Bolkes nicht die Hälfte verwendet wird? Herrscht denn der Wahnwitz, herrscht denn der Teufel auf Erden? „Man muss hier seheu, was die Freiheit wirkt und in wie kurzer Zeit. Es ist ganz unglaublich, was hier in den zwanzig Sahren seit der Nevolution von 1831 'für das wahre Glück des Bolkes geschehen ist; und wie hat sich diese Nevolution gegen ein mehrhundertjähriges Patriciat



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gemacht? Ohne Blutvergiessen dadurch, dass sich das Bolk ausgesprochen hat; allenfalls ein bewaffneter Sujug, und die Sache ist fertig. Solche unblutige, natnrgemässe Krisen eines ungefunden Staatskörpers sind aber bei uns gar nicht möglich, so lange Deutfchland an feinen Spitzen krankt Seder sich thätlich äussernde Wnnsch des Bolkes nach Gluck in Deutfchland hat nicht, wie in der Schweiz, diesen

Erfolg, fondern immer Berfchlechterung feiner Sage herbeigeführt; deshalb kann nur eine Nadikalknr helfen. Was hat Preussen jetzt? Eine Konstitution,-die materiell Nichts sür das Bolk thnt und der schlechten Negierung die Mittel giebt, das Bolk noch gründlicher dnrch Schnldenanfbürdnng zu ruiniren. Man fasse.diese Geldverschleuderung und die damit erstrebten Mittel in's Ange. 3ch betrachte diese Bersassung allerdings nur als einen Durchgangspunkt „Nachmittags.

,,M., Du siehst in Deinem lieben Briese sehr schwarz in Betreff der politischen Berhältnisse; ich theile ganz und gar nicht Deine Ansicht. Es geht ein Geist dnrch nnser Haus — ich meine das ganze alte Europa damit — der nie in dieser Weise früher erblickt worden; wie sich dieser Geist körperlich Bahn brechen wird, vermag kein Sterblicher vorher zu ermessen; dass er sich aber eine körperliche Bahn brechen wird, das vermögen wir mit absoluter Bestimmtheit vorherzusagen, mit der Bestimmtheit, wie sie nie ein aprioristisches Denken, sondern wie sie nur die Erfahrung giebt, die Erfahrung der Weltgeschichte. Auch unsere Zeit wirb kommen; sie könnte — Dank ben Fürsten und Aristokraten — ein entmenschtes Bolk treffen! fie könnte deshalb einen blutig rothen Anfang haben! nnb es werben vielleicht lange Sahre vergehen, ehe bas Bolk bas materielle

— 129 — Gluck erlangen wird, das durch Sahrhunderte untergraben

worden, ein materielles Gluck, welches zur s i t t l i c h e n Existeng die n o t h w e n d i g e Grundlage bildet, denn der Hungernde und Frierende muß ein Heros sein, um sittlichen Zwecken nachzustreben. Die Zeit wird kommen, ich weiß das mit der Sicherheit, mit der ich diefe Zeilen schreibe, und ich fehe sie befchwingt heranrauschen. Sie kann aber nur dann früher kommen, wenn alle Guten, die daheim bleiben können, daheim bleiben und mitarbeiten und sich nicht bequemere Plä£e in Amerika snchen; das ist blanke Untreue, ob sie nun an sich oder an ihre Kinder denken. ,,Also heute sind in Berlin die sämmtlichen S t e u e r v e r w e i g e r e r freigesprochen worden! D a s ist auch e i n e sortgese^te Niederlage der Negierung gewesen. E s ist Schade, daß 3 h r die Nationalzeitung nicht lest, einmal ist sie je£t meist recht gut redigirt mit kräftigen leitenden Artikeln, und dann wäre es eine unausgesetzte geistige Berbindung zwischen uns Einige Male habe ich die Kreuzzeitung in die Hand genommen und sand da eine geistvolle Sanuariibersicht, offenbar aus der Feder Gerlachs. Aber so dick der Geist ist, er kann doch nicht den Betrug und das Bewußtsein des Betrugs übertünchen. Die Kerle haben fast Alle ein böses Gewissen, so B. und Konsorten Und so ist es bei den G e i s t v o l l e n mit fast Allem; nach meiner

Erfahrung ist die Ausnahme wohl vorfanden, namentlich bei Solchen, die in aristokratischer Familie geboren und erZogen, und deren gebensnmgang aus ihren Kreis beschränkt blieb, — aber sie ist selten. Das böse Gewissen der MehrZ a h l stürzt die Partei eben, denn gerade durch dieses werden sie zu ihren Uebertreibungen gesührt. „Und nun zu @uch, meine Geliebten! möge es Dir, mein Baterchen, nur erträglich gehen; schreib mir aber Heinrich ©nrnrn. Tl. 9



130 —

doch mindestens zwei Worte immer mit; Du glaubst nicht, wie ich mich freue, wenn ich nur Deine Hand fehe. Dir, Mutterchen, habe ich einen reizenden Nahmen geben laffen, in welchem fich das Bild noch einmal fo fchön ausnimmt...... Du, kleines Sohannchen, hast mir mit Deinem Briefe grosse Frende gemacht. Dass Dn fo eine konragöse Person bist! feht einmal! Und dann muss ich Dir sagen, 1) dass mir der Epaminondas auch einer von meinen Lieblingen ist, und 2) dass es mir scheint, als wenn Dn Deine Pnppen zu fehr an Staat gewöhnst. Nichts, als Seide nnd Spitzen, wo foll das einmal hinaus! 3ch warte fehr auf weitere Briefe. Und nun feid taufend Mal gegriisst! — Allesammt und Alle sonders.

Heins-" A n die Seinen. Zürich im Seeseld, 23. April 1850.

,,Wir sind in der besten Uebersiedlnng begriffen; Nappard zieht heut Nachmittag hinaus nach Mariafeld, ich werde noch ein bis drei Tage hier bleiben, um wegen meiner Meubles zu sorgen. 3ch habe das Meiste alt gekaust uud lasse mir nur ein Sopha und einen Lehnstuhl bauen, die ich in etwa vierzehn Tagen erhalte. Dass ich von Mariechen keinen Bries bekomme, macht mich sehr besorgt, da sie schreiben wurde, wenn sie nicht krank wäre.

„Wir sind die Tage öfter draussen gewefen; ich vorgestern allein, fuhr am fchönen Sonntag Morgen eilf Uhr in einem leichten Wägelchen, mich selbst kutfchireud, mein schöner, grauer Neufundländer nebenher, dem See entlang. Die Leute gingen mit dem Gefangbuch fleissig zur Kirche, hier und da fuhr ich an, Bestellungen machend.



131 —

und als ich endlich im vollen Trabe zum offnen Gitterthor

in meine Besitzung hineinfuhr und Schnlthess (der Knecht) herauskam, mir die Bügel abnahm, das Pferd in den Stall, das Wägelchen in den Schuppen gezogen wurde, fo hatte ich zum ersten Mal das poetische Gesuhl des Grundbesitzthums, die Bermählung des menfchlichen Geschickes mit einem Theile der allgemeinen Mutter. Es ist ein schönes Stuck Erde, aus dem man leben und sterben kann. Alles ist jetzt erstaunt — wie das so zu gehen pflegt — wie wir so wohlfeil hätten kaufen können, und ganz anders werden die Leute erstaunt sein, wenn etwa fünfzehnhundert Thaler hinein gesteckt sind. „Wäre ich nicht miide, so schriebe ich Euch noch man-

ches vom letzten Sonntag, wie ich mit Schnlthess im Acker, im Baum- und Gemüsegarten umhergegangen, und wir überlegt, welchen Dünger wir den Kartoffeln geben wollen, dann mein Kampf mit ihm über den Schnitt der fündlich vernachlässigten Obstbäume. Er will durchaus nicht mehr daran, einmal, weil das Gras niedergetreten wird, dann weil der Saft schon in den Bäumen. „Herr Simon, es thut wahrhastig nicht gnt!" Fröbel ist n. b. bei Birnen nnd Aepfel entgegengesetzter Ansicht. Um fünf hatte ich mir unten am See im Wirthshaus einen Eierknchen bestellt. Es waren viele Nachbarn beim Schoppen Wein da; Schnlthess kam anch hin; das Gespräch richtete sich sofort darauf, denn der Gedanke erregte Nevolution, nnd wie wenn es fich nm Wohl nnd Weh von Europa handelte, sagte mir Einer um den Andern: „Herr Simon, ich rathe es Shnen nicht!'' „Herr Simon, wir Bauern verstehen das besser, wie ein Gärtner." „Das mag bei den kleinen Gartenbäumen ganz gut sein, aber bei Bauerbäumen!!" Und als ich Schnlthess sagte: „Nun da oben giebt's was Braves zu 9*

— 132 — schaffen," sagte er: „Herr Simon (mit dem Ausdruck einer

Antäuslast auf der Brust des rechtschaffenen Mannes) machen S i e mir nicht bange!"

Die Andern fielen einr ,,Ach,

der wird's machen," „das ist der Mann u. f. w." @r ants wortet mit edler, felbstbewnßter, aber höchst bescheidener Manneswürbe: „Das Werk muß loben, nicht Worte." „Srn Knhstall fragte ich ihn: „Schultheß, wie viel nährt das Gut?

reifem Ermeffen:

wie viel wintern wir£ durch?"

Nach

„Herr Simon, zwei fchwere Stuck1 Horn 5

vieh!" Das Gut ist drei Sahre nicht gedüngt und hat einen Graswuchs, wie Shr es nicht kennt, hat aber auch

den fchwersten Boden in M e i l e n , — in Meilen, wo der

Suchart bereits mit 2,000 bis 2,600 Gulden bezahlt wird. Nun müßt Shr aber sehen, wie dieser Boden gedüngt wird; ich sehe oft Sandstrecken, die mit Dung im Wortsinne bedeckt sind. Der Suvelier kann dennoch nicht sorgfältiger mit seinen Bijouterien umgehen, als hier der Bauer mit seinem Dung; er nennt ihn höchst bezeichnend: „Frncht." 26. April 1850.

„Den ganzen gestrigen Tag war iCmit Fröbel draußen; wir haben den Garten abgesteckt und den Weg durch's Grundstück; heut arbeiten bereits sechs [Menschen im Gemüsegarten und dem Ziergarten, es wirb wnndervoll, und die erste Einrichtung ist in acht bis zehn Tagen vollenbet. Mutterchen! im Gemüsegarten Alles, ich sage Alles und vom Besten; genügende Kartoffeln für uns uub bas „salva yenia", wie sie hier sagen, Schwein auch. Sch werde mor5

gen Nachmittag hinaus, da ich bie Möbel sür mich fo ziem5 lich beforgt, unb braußen fchon Alles fo weit, baß jeber Tag jammerfchabe, ben man nicht bort ist.



133 —

„Eben unterbrochen durch Deinen lieben Brief, Marie, der mich sehr erfreut, da ich ernstlich besorgt war . . . . . . Deine Stuben sind im Wefentlichen fofort bewohnbar, nur an der Täfelung zu repariren. Die Möbel kaufe ich, wenn D u sie uicht selbst aussuchen willst wissenfchaften hat sich N a p p a r d

Fur die Naturbereits zum Lehrer der

Kinder erboten; fur Ernst wird die hiesige Schule sehr gut fein."

,,Bou Magdeburg hatte ich in diefen Tagen einen Brief. Sch hatte nämlich ein kleines Bildchen dorthin gefendet, das Eorvin in der Gefängnisszelle von fich gezeichnet, da ich auf die Sdee kam, dass man es in seinem Sn s teresse verwenden muffe. Darauf werden mir siebenzig Fl. und ausserdem noch einhundert und dreissig Fl. zur beliebigen Berwendung gefchickt. Sch habe immer eine grosse Freude, wenn eine fluchtige Sdee vou mir folch hübsche Folgen hat. Bon den 130 Gulden kommen gleich dreissig einem hiesigen Flüchtlinge zn Gute, der sett neun Monaten an einer Herzkrankheit im Spital, und dessen ich mich thätig angenommen; ich hoffe aus Baiern — er ist aus Frauken — Bedeutendes sür ihn zu erhalten. Uralte Eltern, beide bettlägerig, so dass sie Nichts für ihn thun können. Der Nest wird anch bald in ähnlicher Weise gut verwendet sein. — Die Frauen Zürichs haben eine grosse Lotterie für die Familien der Flüchtlinge veranstaltet, NB. bei politischer Gegnerschaft, da die Stadt zum Unterschied vom Kanton aristokratifch; es sind über dreitaufend Loofe ä fünf gute Groschen abgesetzt worden. „Nun wünschte ich nur noch, dass es Euch recht gut gehen möge, dass der Frühling seine Schuldigkeit an Euch

— 134 — thue, und daß ich Ench Alle küssen könnte und zwar bier in Maria im Felde; es ist zn schön! Sch war gestern beim

Blick aus dem Fenster wieder einmal angezaubert; und im

Springbrunnen, Kinder, werden wir Forellen halten; das Wasser kommt nnmittelbar in Nöhren aus den Bergen.

Emmy! Nachmittags wollen wir, zum Nachmittags 5 Schläf s chen, unter den Bäumen Hängematten ansfpannen.

Tausend

Grüße. Heinz."

Mariafeld, 23. Oktober 1850.

„Mein Bater! und Shr geliebteste Geschwister! von Euch

getreunt! Und meine Mutter foll ich nicht mitnennen. Sch habe Euch bei diefem Schmerze nicht zur ® e it e gestauden.

Aber Shr habt mich bei Euch empfunden. Der ewig thenren Mntter ist wohl; sie hat ausgelitten. Ach, ich habe ihr unfägliche Sorgen und Kummer gemacht, aber ich habe

sie fehr geliebt, wir waren zu untrennbarer Siebe geeint. S i e war uns Allen, Sedem, während unferes ganzen Sebens ein Schwengel,

und fie wird es auch nach ihrem Tode

bleiben. Saßt uns nie, nie auseinanderfallen, um ihretwillen nicht.

„Könnt ich Dich, D u theuerster Bater, in meine Arme schließen. D i r Deine unendlichen körperlichen und geistigen Seiden mildern. Dn wirst, wie Du stets ein Mann warst. Deinen Muth ausrecht halten, für Dich und für uns. Könnte ich D i r zur ©eite stehen! Seden von Euch schließe ich in meine Arme und weine und weine. „Sch habe Euren Brief vor einigen Stunden erhalten und nach einer Stnnde den Andern mitgetheilt, die wir in gleicher Siebe zur Mutter geeint find.

Sch wollte heut



135 —

Heinz nach 3urich bringen und werde ihn nuu bis ©onns tag hier behalten. Ener Heinrich."

25. Oktober.

,,3ch habe eben alle Briefe durchgelesen, die mir die geliebteste Mutter seit Frühjahr 1848 gefchrieben hat. Sie wird mir für den Nest meines Lebens daffelbe fein, was sie mir war — gegenwärtig, — mit all meinem Sein und Fühlen verflochten. Sie ist mir unverloren, eine Abwesende. 3ch weiss vollkommen, was sie zu Allem, was mir begegnet, fagt und denkt — ja ich habe ungeachtet ihres Todes das volle Gefühl ihrer Gegenwart. 3hr Armen, Geliebten, die 3hr sie leiben gesehen in folchem Grade. Mir fchnürt sich der Hals bei dem Gedanken znfammen, und Du armer geliebter Bater! Aber wir sind uns nur enger in ihr verbunden, im Geiste eines herrlichen Menfchen, und ihr fchönes Leben ist mit ihrem Tobe nicht vorüber; ihr Sein, ihr Denken, ihr Fühlen, ihre Hoheit lebt in uus fort, die fie durch ihr Sein gebildet zu dem, was wir siud, — in ihren Enkeln, in allen Kreisen, auf die ihre Nachkommen einwirken; sie war die Liebe, und die Liebe ist lebendig. ,,3ch habe die Mutter nie an sich felbst denken fehen. 3chr ganzes Wesen strahlte unausgesetzt und ausschliesslich Liebe auf ihre Umgebung. Meine geliebte Mutter, Du bleibst mir ewig nahe und mein! ,,Es ist mir ein unsäglich bittrer Schmerz, dass ich nicht bei Euch war und jetzt nicht bei Euch bin, uub boch bin ich hier unter Euch und 3hr seid in Marie und den Kinbern bei mir. 3hr aber habt, jeber Einzelne, noch mehr verloren als ich, weil es Euch gegönnt war, in ihrer



136 —

unmittelbaren Nähe zu fein, weil Shr mit jeder Faser Eures Wesens dnrch tägliche Gewohnheit mit Shr verwebt wart. Shr geliebten Menschen! was habt Shr in dieser Beit gelitten. Haltet Eure Herjen aber offen allem Guten, Edlen, Schönen, dann lebt Shr in ihr fort. Ener Heinrich.'' Mariafeld, 27. Oktober 1 8 5 0

,,Mein geliebter, theurer Bater, ich bin in Deinen Schmerjen unausgesetzt bei Dir — es ist ja das Einzige, was ich Dir geben kann. Möge Dich je£t nicht der Muth und bie Kraft verlassen, die D u in einem langen, reichen Seben stets bewährt zum Gluck und jum Trost der Deinen. Erinnere Dich in Deinen Sei den, wie D u , soweit Deine Kraft reichte, stets die Seiden Anderer zu lindern strebtest. Meine frühesten Erinnerungen sind mit solchen Zügen Deiner thätigen Theilnahme für Anderer Seiben verwebt, und Überhaupt, was ich bin unb was ich habe an Güte für Anbere unb an Eharaklerfestigkeit unb Bravheit, das danke ich Dir, mein einzig geliebter Bater! und Dir, meine thenre Mutter, das danke ich nicht Euren Sehren, fondern Eurem Beispiel; ich habe nie von Euch etwas Anderes gesehen, als Menschenfreundlichkeit, zärtlichste Familienliebe, S i n n für alles Gute und für das Hohe nnd Edle, wegen dessen es sich allein lohnt zu leben. Und so, Shr theuren Eltern, habt Shr viele Kinder unb Enkel herangebildet, gute Menschen; möge all der Segen, all das Gute auch, was noch Deine Kinder unb Enkel einst in weiten Kreisen wirken werben, möge Dir bas. D u geliebter Bater, je£t in Deinen persönlichen Schmerzen ein Trost sein, mit bem D u ben Tribut ber irbischen Natur trägst.

— 137 — „Mein bewusstes Streben zum Guten beginnt im Inhre 1816. Du hattest damals Dein ganzes Bermögen darangefetzt, um ein redlicher Mann zu bleiben. Du nahmst mich im panoffa'schen Hause in die kleine Eckstube an's Fenster und jagtest mir. Du feiest nun arm, das sei aber gleichgültig, die Hauptsache sei, dass man ein braver rechtschaffener Mann fei, und das feile ich auch werden. Mein Bater, nie find mir diese einfachen Worte und Deine damals bewiesene Eharakterkraft ans dem Gedächtniffe gefchwunden, und oft, wenn Bersuchungen des bewegten Lebens an mich herantraten, mischte sich in halb unbewußter Weise Dein Bild und das Bild der Mutter in meine Gedanken. Glücklich der, der solche Eltern hat oder gehabt, wie wir sie haben und gehabt. So oft ich an Dich denke, ist es an den Mann, der das Herz auf der rechten Stelle jederzeit hatte, in Theilnahme für Fremde, für Gemeinnütziges und in Zorn über Schlechtes und Gemeines. Dass Du nicht reich geworden, wollen wir Dir danken, denn es lag begründet in diefem Deinem edlen Wesen.

,,Mit mein erstes Erinnern ist es, dass ich vielleicht

als drei- oder vierjähriges Kind an Deiner Hand ans einer grossen Brandstätte, wahrscheinlich in Neudorf bin; da fass ein Mann an einem Tifche, sammelnd in einem Becken für die im Elend dumpf Herumstarrenden. Da schüttetest Du eine ganze grosse Tasche voll Geld, Alles was Dn hattest, mehr als Alle zusammen bisher gegeben, in jenes Becken. D a s ist Dein Wesen, mein lieber, lieber Bater! und das werden wir D i r in unserem S e i n fort und fort danken.

„3ch habe Bieles in meinem Leben gethan, was Dir und der Mutter Kummer gemacht; vergieb mir Alles um Deiner Liebe willen und gieb mir Deinen Segen. Es ist

— 138 — der Segen des Gerechten! Sn tausend Thränen beuge ich mich iiber Dein Haupt und küsse Dich in Deinen Seiden mit Snbrunst.

Heinrich." Mariaseld, 28. Oktober 1850.

„Wie geht es Dir, mein armer geliebter Bater! Sch sehne mich unaussprechlich, an Deinem Bett zu si£en und Deine liebe Hand zu haben.

„Heute werde ich Eure Briese iiber den Begräbnißtag

erhalten, und ich bejammere Euch vorzugsweise wegen diefes Tages, der den Berlnst erst zur vollen Besinnung kommen

läßt, die Trennung von der geliebten Hülle, an die alle Erinnerung und Siebe anknüpft. Aber in meinem innern Seben steht mir die Mutter unzerstörbar da, in all ihrer sansten Güte nnd Siebe, ihrer Wahrheit, ihrem Ernste, ihrer Eharakterfrast, fo sehr, daß ich es nicht bedarfr mir ihr Bild anzusehen.

Mir ist durchaus, als lebte die Mutter,

und sie lebt mir auch, aber sie ist Euch gestorben. Shr ver5 liert das tägliche liebe Zufammensein mit all seinem Glück nnd Sorgen, die unansgesefcte Ausstrahlung ihrer Siebe, — aber Shr habt auch ihr Seiden gesehen und ihr das Scheiden endlich wünschen müssen. Das, was die Mntter war,

bleibt sie uns, eine der schönsten menschlichen Erscheinungen, die wir nach wie vor lieben, die uns gelehrt hat zu lieben, die immer unser Mittelpunkt bleiben wird, u n s e r e Mutter. „ S i e hat ein schönes Seben gehabt, wenn es die Aus-

gabe des Menschen ist, der Sdee der Menschheit in sich Ausdruck zu geben, dadurch aus M i t - und Nachwelt zn wirken. Unzählige haben sich an ihrem schönen S e i n erqnickt und

gehoben, und wie jede einzelne Welle fort und fort leisere



139 —

Wellen schlägt bis an das ferne Ufer, so wirkt in der moralifchen Welt jede einzelne Menschenwelle bis an das Ende der Menschheit — gut und böfe, je nachdem sie schön gestaltet war oder nicht. Ein grosses Gesetz geht durch die Geschichte: die Entwickelung des Menschengeistes. Der hat reich gelebt, der durch sein Sein hierzu in edler Weise mitgewirkt hat; unsere geliebte Mutter hat ein reiches geben gehabt. „Sch habe ihre Hand in meiner Hand und küsse und küsse fie. Heinrich."

Mariafelb, 8. Mai 1851.

„Meine geliebten thenren Geschwister!

„ D e r Name bindet uns nunmehr anders als bisher.

Wir sind uns noch näher, nachdem Mntter und Bater von uns. Dass diese Leiden von dem geliebtesten Bater genommen, endlich, endlich, dasür bin ich mit Euch innig dankbar. Mein geliebter, guter Bater! Mir ist, als wären mir Wurzeln umgehauen. Ein edler, hochgesinnter und guter Mann hat uns mit der Borzeit verbunden; wir haben in Mutter und Bater Borbilder gehabt, wie nicht Biele, und ich bin mir dessen mit der innigsten Liebe und Dankbarkeit siir die Eltern, seit ich denke, bewusst gewesen. Mit unendlicher Sehnsucht habe ich seit einem halben Inhre dieses Ende

Seiner und Eurer Oualen herbeigewünscht; jetzt, wo das jammervolle Ziel erreicht, kommt es dennoch unerwartet. Wenig Männer mögen kindlicheren Herzens durchs Leben gegangen und in's Greisenalter getreten sein, als unser Bater. Er sei gesegnet und die Mutter von uns, so lange



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wir denken unb suhlen; sie werden ihren späteren Nachkommen noch Borbilber sein. „Euch meine geliebten Schwestern, die Shr in mir eine Stütze zu verlangen habt. Euch brauche ich es nicht zu sagen, baß ich es sein werde, so weit meine Kräfte es erlauben. Sch möchte mit einem Seden von Euch einzeln sprechen, vor Allem die treuen Hände drucken. Sch küsse Euch, Seden von Euch zärtlichst mit der Siebe, die ein Abglanz ist von der Mutter- und Baterliebe und umarme Dich, mein thenrer Brnder, noch mit einem befonderen, mit dem tiefsten Brudergefühl. ,,Es ist viel Sammer und Elend aus Erden; für Alles nur Ein Erfa£, die Siebe. Saßt uns treu lieben! „Am Dienstag, wo Shr mir den Bater begraben habt, arbeitete ich harmlos im Garten. Ener Heinrich." Mariaseld, 16. März 1851.

,,3a wohl, mein lieber : S e i treu und ich will Dir die Krone des Sebens geben. Dein Brief ist mir eine Wonne — fo weit er das Wort Deiner unveränderten Gefinnung gegen mich enthält. Sch glaube es Dir voll. Dennoch bednrfte ich Deiner Zuficherung, da D u mir in diesen fchweren Sahren nie mit einem Freundes-Worte zur Seite gestanden, — es ist dies einer meiner größten Schmerzen gewesen.

„Sch reiche Dir über Gräber jeder Art, Gräber vieler Hoffnungen und vieler Siebe die treue Hand „Das Seben hat in diesen Sahren — feit dem Beginn der Bewegung im Sahre 1847 — oft fchwer auf mir gelastet; ich habe viel Gemeinheit und Niederträchtigkeit ge-

— 141 — sehen, viel niedrige, unmännliche Gesinnung in grossen Momenten; ich habe persönliches Unglück in mannigfacher Nichtnng erfahren — das fchwerste, was mich im Elternhanfe getroffen und trifft, kennst Du: aber ich habe auch Männer kennen lernen, antike, sich aufopfernde Tugeud — die treuste Siebe der Meinigen hat bei mir ausgehalten — und vor Allem der eigene ungefchwächte Muth, die innerliche Einheit, gestützt auf eigene Treue, und der zuversichtliche Blick in die Zukunft — wenn auch nicht meines Glücks. „Unsere Anfchanungen auch der letzten Sahre sind, wie sich nicht anders erwarten lässt, sehr divergirende. Das Inhr 1848 ist mir ein innerlich mit Notwendigkeit gegebenes Nefultat der durch ein Jahrhundert herangebildeten Anfichten Europas über politische und sociale Berhältniffe. 3ch betrachte den Menfchen und die Gefchichte seines Geschlechts als ein Naturprodukt wie jedes andere.

,,Es giebt keinen Stillstand der Geschichte des Mensehen, wie in der Natur überhaupt nicht. 3ch sehe diese sortschreitende Entwicklung, so lange wir Geschichte kennen. 3n dem gebildeten Theile Europas wird sich, nachdem diefe 3ahre ein Bewusstfein für uud gegen hervorgerufen, im Saufe der nächsten Generation entscheiden, ob die Kräfte vorhanden sind zu einer vernünftigenstaatlichenEntwicklung, oder ob wir uns überlebt haben und vor gänzlichem Untergange (etwa durch östliche Bölkerschaften) vorher jenem Zustande der Fäulniss überwiesen werden, den uns die G e -

schichte bei so vielen Bölkern zeigt, deren Sebenskraft erfchöpft war. ,,Es ist nicht unwahrscheinlich, dass, wie Europa einst an die Stelle des alternden Afiens trat, jetzt Amerika mit



142 —

feiner wundergleichen Entwicklung an die Stelle des alternden Europas tritt. Was bei uns in der Sugend dnrch die Glanzgefchichte der Griechen und Nömer zuerst an uns herantritt, und bei männlicher Gereiftheit mindestens der 3dee nach als das A l l e i n v e r n i i n f t i g e von uns erkannt wird, die Nepublik, ist dort die in Gefittung und Be-

wußtfein bereits durch Menfchenalter ubergegangene Grundlage, auf der fich ein vernunftgemäßes Zufammenleben unseres Geschlechtes hoffentlich immer mehr und mehr entwickeln wird.

„Noch hoffe ich mit jugendlicher Zuverficht, daß

Deutfchlands Greifenalter nicht

gekommen ist; ob diefe

Hoffnung begründet, wird fich bei der nächsten Aktion zeigen, die naturgemäß früher oder fpäter der heutigen Gegenrevolution folgen wird. Es ist möglich, daß ich mich täusche, daß Deutfchland bereits feine Nolle in der Gefchichte des menschlichen Geistes ausgespielt; es spricht dasür die Erkenntniß ohne das Können, indem feine Kraft ans den Armen ausschließlich in den Kopf gestiegen ist: dann möge uns der Gedanke trösten, daß die einzelnen Bolker eben nur die einzelnen Gedanken in der menschlichen Ent-

wickelung darstellen, und daß sür Severe von Deutschland

unendlich viel geschehen ist.

E i n Nord-Amerikaner nannte

mir Deutschland „das H e r z der Welt''.

„Was Preußen speziell betrifft, welches feine Stel-

lnng zu Deutfchland fo gänzlich verloren hat, fo ist ihm dies je£ige Fegefeuer, wenn immerhin ungleich fchmerzlicher als die Niederlage von 1806 bis 1813, — zn feiner dents

fchen Entwickelung vielleicht nothwendig. 3ch gestehe offen, ich konnte jefct in Preußen nicht leben. Was mich vor 1848 empörte, und mit innerlicher Notwendigkeit durch meine Beamtenstellnng in die entfchiedenste Oppofition trieb.



143 —

die Luge in öffentlichen Berhältniffen — fie war jungfräuliche Neinheit gegen die Söge, die heute alle Staatsverhältuiffe zerfrisst. — Sch wurde mein Wort hierüber anch jetzt nicht zurückhalten, wenn Worte heute nicht fo völlig unnütz wären und Alle Bedeutung verloren hätten. ,,Sch erschrecke oft im Snnersten, wenn ich diese vaterländischen Zustände mit den hiesigen vergleiche. — Bei allen Mängeln im Einzelnen sind hier Ehrlichkeit und Wahrheit die Grundlage aller staatlichen Einrichtungen, und diefe Entrichtungen fo vernünftig, dass — wenn ich das Glück der Maffe des hiesigen Bolkes erwäge, ich von tiefer Trauer ergriffen werde, so oft ich damit unfereZustände vergleiche. Aus materiellem Wohlfein hat sich hier eine Selbständigkeit des Eharakters entwickelt, die den Menfchenfreund mit Freude erfüllt. ,,Ueber meine persönlichen Berhältniffe lasse Dir von erzählen; möglich, dass ich aus der Schweiz vertrie-

ben werde; ich werde das in Nuhe hinnehmen, wie mein

ganzes Schicksal, — als eine Konsequenz meiner Ansichten und meiner Handlungen, von welchen letzteren ich nicht Eine zurücknehmen möchte, da fie ans vollster tiefster Ueberzeugung entsprungen „Treulich Dein Freund Heinrich Simon."



144 —

IV. Uebersiedlung nach Zürich. Induftrielle Unternehmungen. 1852 bis 1857.

S i m o n sollte nicht lange in dem ungetrübten Besitz des ihm so werth gewordenen Gütchens bleiben. Der diplomatische Druck, den die Großmächte im Jahre 1851 besonders stark auf die Schweiz ausübten, blieb nicht ohne Wirknng. Schaarenweis mußten die Flüchtlinge das Sand verlassen, und anch S i m o n fing an, fich mit dem Gedanken einer Answandernng nach A m e r i k a vertraut zn machen. U m jedenfalls die Möglichkeit freier und rafcher Bewegung zu

erhalten, entfchloß er fich — w i e w o h l m i t fchwerem Herzen — fein G n t wieder zu verkaufen.

3 m Herbste des

3ahres 1851 siedelte er mit den Seinen nach Zürich über, wo er i n dem herrlich gelegenen, von Goethe i n feiner Schweizerreife viel befprochenrn Bodmerschen Hanse fich

niederließ.

W i e früher fein H a n s i n Mariafeld, fo ward n u n die „ B o d m e r l i n d e / die der Dichter selbst gepflanzt hatte, der Mittelpunkt für S i m o n ' s zahlreiche Freunde und der

Ort, wo feine in Deutfchland zurückgebliebenen Berwandten ihn in größeren und kleineren Zwifchenräumen aufzufuchen kamen. Seine älteste Schwester 3 u l i e hatte fich inzwischen



145



mit dem hochbetagten Oheim, Geh. Instizrath S i m o n in Berlin, vermählt; fein Bruder Gustav, einer der ersten Beamten der oberfchlesifchen Eisenbahn,*) nahm den Abschied und zog mit feiner ganzen Familie nach Zürich, um in Heinrich Simon's Nähe zu leben; unter den vielen stets

willkommenen Gästen brachte der Sommer des Inhres 1856 auch den traten, wackeren Neinstein und Dr. B o r chardt aus Manchester, der Simon einst in Breslau ein thätiger Parteigenosse gewesen war; dann kam Adolf S t a h r mit seiner Gattin Fanny Lewald, unb mit Letzteren fast zugleich Sohann Incoby. Die Schweiz, für beren Natur uub Bolk Simon von jeher eine Borliebe gehegt hatte, war ihm — trotz feines Festhaltens an bem Baterlande — mit jedem Tage lieber geworben. Er verkehrte gern mit Schweizern. Als er feine Eoufine, Frau Gärtner, auf Schweizerboben empfing, fagte er: „Bon vorn herein mache ich Dich barauf auf« merksam, bass ber Schweizer viel mehr ist als er scheint. Unsere Nachbarn in Mariafelb, Männer in Amt unb Würden, bestellen eigenhändig ihre Weinberge und Felder, thnn die niedrigst scheinende Arbeit, Du findest aber bei denselben Lenten oft fiberrafchenb ausgebreitetes Wiffen. Das ist bnrchgängig so in ber Schweiz; bie anerzogene Einfachheit bes Schweizers, feine perfönliche Anfpruchslosigkeit unb weise Sparsamkeit sinb wahrhaft unschätzbar." — Warb ihm bei ähnlichen Lobeserhebungen ber Einwand gemacht, bass bie Schweizer „trocken" und „berechnend" seien, so erwiderte er wohl: ,,3ch wollte, wir hätten Etwas von dieser trocknen Berechnetheit; ich wollte, wir Deutsche lernten von den Schweizern, dann wären wir das erste *) Siehe oben Thl. I. Kap. X I . S . 263.

Heinrich ©itnßn. IL

10

— Bolk

der E r d e ! "



146 — D a ß bei dieser Ansicht die Ber-

lobung seiner Pflegetochter, S o h a n n a Gärtner, mit dem tüchtigen jungen Advokaten K a r l H i l t y aus E h u r ihm fehr erwünfcht kam, versteht sich von felbst. —

Trol3 der großen Sympathie sür die Schweizerverhältnisse hielt Simon sich grunbsäklich fern von jeder B e -

t h e i l i g n n g an den politifchen Borgängen innerhalb der-

selben. Es dünkte ihm dies in seiner Sage als Flüchtling geboten, aber es isolirte ihn mehr, als es ihm lieb war. Natürlich wurde auch seine Thätigkeit dadnrch beschränkt, und doch bedurfte dieselbe eines realen Bodens. Einen Augenblick schien es, als böte sich ihm ein entsprechendes

Feld. D i e U n i v e r s i t ä t Zürich ernannte Simon im 3ahre 1852 zum Doctor juris, eine Anerkennung, die ihm außerordentliche Freude machte. D i e 3dee lag nahe, sich in Folge dessen bei der Universität zu habilitiren, aber weber der Schreibtisch, an ben er dann ausschließlich gefesselt gewesen wäre, noch die si^enbe Sebensweise wollte dem Geist und Körper mehr znfagen. Aus gleichen Gründen unterblieb die Ausführung feines Planes, ein fchweizerifches S t a a t s r e c h t zu fchreiben, wozu er viel Material gesammelt und eingehende Studien über die allgemeine fchweizerische und Kantons-Gese^gebung gemacht hatte. Unter diesen Umstanden wenbeten sich nun Simon's Gebanken allmälig i n b u s t r i e l l e n Unternehmungen zu. 3 m Herbst 1853 hörte er bei einer Fahrt über ben W a l l e n s e e viel Günstiges über bas reichliche Borkommen von Kupfer auf ber Mürtfchenalp. D a s machte ihn anfmerkfam, um fo mehr, als er kürzlich in Büchern über bie Schweiz ebenfalls baranf hingewiefen worben war. Er ließ bie Sager durch verfchiebene tüchtige bentfche Techniker unterfuchen, unb kaufte, gestützt auf bie ihm vorgelegten Nesnltate, im

Berein mit mehreren Familiengliedern nnd anberen Perfonen das Bergwerk. Der Wallensee war damals noch ziemlich aller Sndustne baar, — fie nach Kräften zu heben,

war neben den materiellen Hoffnungen,

an das Unternehmen

fur

fich und die übrigen

die er

Besser

knüpfte, sein Sieblingsplan. Die in Ausficht stehende Eisenbahn verhieß günstige Ehancen. Zweimal schienen die Hoffnnngen sich erfüllen zn wollen. 3 m Sommer 1856 wnrden ihm anf Grund des Gutachtens eines ausgezeichneten französischen Technikers, der im Auftrage französischer Ge= schäftsmänner das Bergwerk besichtigt hatte, höchst vortheilhafte Kaufbedingungen angetragen. Die Sache zerschlug sich aber der Geldkrisis wegen, bie im Frühherbst bes nämlichen Sahres eintrat. An der bei weitem größeren europäischen Handelskrise im Herbst 1858 scheiterte anch bie von Simon versuchte Bilbung einer größern Aktiengesellschaft zur Ausbeutung bes Bergwerks. Die Gesellschaft konstitnirte sich zwar unb setzte das Unternehmen sort, aber bie Aktienbetheiligung fand weber bamals noch in den folgenden Sahren in hinlänglichem Maßstabe statt, um bem Betrieb die entsprechende Ansdehnung zu geben. — Das Unternehmen, dem er einen großen Theil seiner besten Kräfte gewidmet, an das er für sich und Andere manche Hoffnung geknüpft, wnrde tro£ der erfreulichen Nesnltate des Erzgewinnes, zu einer Onelle mannigfacher Sorge für ihn. Zwei Sahre nach seinem Tode löste sich die Gesellschaft mit größerem oder geringerem Berlnste der einzelnen Theilnehmer auf. Ein zweites von Simon gegründetes

Unternehmen,

ein

Schiesergeschäst

ist

industrielles

dagegen

nach

manchen Fährlichkeiten zn umfassender Blüthe gekommen. Die Schieferbaugesellschaft zu P f ä f s e r s und E n g i erkennt 10*

— 148 — nur noch die grossartigen Schieferbruche in England und Frankreich als ebenbürtige Koncnrrenten; sie versieht, abgesehen von dem Bertrieb in der Schweiz, einen grossen Theil Süddentfchlands und liefert ihre Waaren bis hinter Wien,

nenerdings anch nach Ober-Stalien. — Nachstehende Briefe mögen eine Ergänzung der Zeit von 1852—58 bilden. An die hochverehrliche juristifche Fakultät der Univerfität zu Zürich. Zürich, 9. Inli 1852. Hochverehrteste Herren Profefforen! Sie haben mich durch die honoris causa erfolgte Berleihung der Würde eines Doktors beider Nechte in einer Weise beehrt, die mich ebenso überrascht, als zu grossem Danke verpflichtet. 3ch danke Shnen diese Anerkennuug meiuer literärischen Arbeiten sür ein partikulares deutsches Privat- und Staatsrecht, aber ich lege einen noch höheren Werth auf 3hre Anerkennung, dass es mir während meines richterlichen und schriftstellerischen Wirkens ein geheiligtes Streben war, den Kultus des Nechts, als dessen erste Priester wir den Nichter uud den Lehrer des Nechts betrachten dürfen, anch im praktifchen Staatsleben in feiner Neinheit bewahren zu helfen. Erlauben S i e

mir diefen Worten

des Dankes

ein

Wort des Strebens beizufügen. Meine Studien dürften diesen Winter eine Nichtnng fortfetzen, welche mich hoffen lässt, später vielleicht mit der hochgeehrten Fakultät, welche meine Leistungen fo gütig beurtheilt, den Umständen nach dnrch Borlesungen an der

— 149 — Universität in eine nähere Berbindung zu treten. Es würde mir dies eben fo znr Ehre als Freude gereichen. In vorzüglicher Hochachtung verharre ich, hochgeehrte Herren, Shr ganz ergebenster Dr. Heinrich Simon.

Aus dem Tagebuche. 21. Inli 1852.

Sch habe in der That lange nicht eine folche Freude gehabt, als hente anf der Staatskanzlei. Es war dort der Glanzpnnkt eines zweijährigen Bestrebens, als man mir ein prachtvolles Dokument, ein Schweizer Passformular vorlegte, um meine Unterschrift darunter zu setzen.*) Und als nun gar mein Signalement aufgenommen wurde, o welche Wonne, welche Lust! Als ich mich unter das Ma£ stellte und erfuhr, dass ich fechs Fuss einen Zoll gross sei, wunderte ich mich gar nicht darüber, dass mich die Freude um fast drei Zoll grösser**) hier in der Schweiz gemacht, und als dann Herr Staatsschreiber Hagenbuch zu mir sagte: ,,3n künftigen Fällen branchen Sie Sich nicht mehr an die Polizei zn wenden, das ist sür Sie nicht mehr nöthig" — ich hatte bei dem Direktor der Polizei meinen Pass beantragt — ach, wie bebte die Brnst, — und als mich der Schreiber fragte, ob er mir den Pass vom fardinifchen *) Seit Jahren hatte sich Simon, weil er eines Masses entbehrte, in der freien Schweiz wie in einem ©esängnisj gesuhlt; konnte er doch die Schweizergränze nicht aus eine Biertelmeile uberschreiten! **) Das schweizer Maft ist kleiner als das preußische.



150 —

und franzöfifchen Gefandten vifiren lassen seilte — alle Engel im Himmel musiciren nicht fo melodifch! S o begab sich's Nachmittag drei Uhr am 21. 3 n l i 1852. Zurich, 5. September 1854, Morgens 8 Uhr.

,,Mein lieber guter Onkel, ich habe eben zum Fenster hinaus aus die im hellsten Sonnenglanze daliegenbe Stadt,

den S e e ,

das Hochgebirge gefehen und dabei Deiner in

Herzlichkeit gedacht, und das will ich D i r nun sagen und

alles Gute für den kommenden Festtag wünfchen. Heut ist der Geburtstag des Baters meines Frenndes Nauwerf; er wird 83 Sahr und ist körperlich und. geistig noch von hoher Sugendfrische, daß Du Dir heute in neun Sahren an ihm ein Borbild nehmen kannst; — er war im vorigen Sahre hier den S o h n besuchen, und D u — kommst nicht einmal

bis zum Bodensee, u n s zu sehen. „Sch wurde hier durch die kommende Morgenpost unterbrochen, die mir in meiner einstigen Studentenmappe

des Morgens 8 Uhr die deutfchen Zeitnngen, die fchweizerifchen und die Briefe bringt. D a war denn zunächst wieder einer jener Briefe,, durch den ein angesehener, beamteter M a n n aus Deutfchland meinen N a t h wünfcht betreffs der z w e c k m ä ß i g s t e n U e b e r s i e d e l n n g nach d e r S c h w e i z . Solcher Briefe habe ich feit S a h r und S a g mindestens ein Dn£end erhalten, und sie zeigen mir am tranrigsten die deutschen Zustände; denn es gehört B i e l dazn, ehe man sich sreiwillig oom Baterlande trennt. „ D a n n habe ich Nnndfchan gehalten, erst durch das

Züricher Tagblatt in Sürich, dann durch den „Bund" in der Schweiz und der Welt, dann durch die Oderzeitnng fpeciell in Schlesien und Deutfchland.

Unser armes liebes Schle-

fien! Welch' entsetzliche Ueberschwemmung in welch' ungeheurem Umfange! Und mit doppelter Trauer, weil es Schlesien ist, lese ich und sehe ich, daß man es zunächst der Privatwohlthätigkeit uberläßt zu helsen, die denn auch bei einem Unglücke, welches allein an Bermögen Massen von Millionen verschlungen hat, glücklich in Breslau etwa zehntausend Thaler zusammengebracht. Der Staat werde sich beschränken, die unzureichenden Dämme, welche Unglücksfälle ähnlicher Art periodisch wiederkehren lassen, wieber herzustellen. Daß in ben sünfhunbert Sahren angeblicher Gefittung der Staat noch nicht einmal dafür gesorgt hat, das Sand gegen das Wasser zu schufen, spricht ausnehmend gegen diese Art des Staates. Wenn das Geld, das Schlefien bei dieser einen Ueberschwemmung verliert, dazu verwendet worden wäre, Wasserbauten anszusühren, so wäre Schlesien seit Sahrhnnderten vor diesen wiederkehrenden Bernichtnngen des Glücks von Hunderttausende« von Menschen geschürt. 3n einem kleinen Städtchen von Kalifornien — an. der legten Gränze der Gesittung — Sacramento mit 10,000 Einwohnern, hat man seit seiner Gründung, die im Sahre 1846 erfolgte, also seit 8 Sahren, fünf Millionen Dollars zu Wafferbauten gegen das Meer verwenbet. Da weiß man, wozu bas Gemeinwesen, wozu der Staat da ist, nämlich zuerst als Berbinbung zum Schu£. Unb wenn mein liebes Schlesien eine für fich bestehende Nepnblik wäre, fo würde man auch nicht vierzehn Tage nach einem folchen Unglück in den Zeitungen lesen, daß der Staat zur Befichtigung einen Kommissair gefchickl, fondern die Nepnblik würde zwanzig Millionen Thaler aufnehmen, die Oder kanalifiren nnd ein für alle Mal Derartigem einen Niegel

vorfchieben.

„Die großen Staaten sind das große Unglück der

Menschheit — und zwar deshalb, weil sie meistens, zusammengewürfelt aus sich widersprechendsten Elementen, nnr durch Druck herrschen können, um ihr Auseinanderfallen zu verhüten. Da können die Individualitäten und also anch die Kräfte nicht zur Entwicklung kommen. Man vergleiche Athen, Korinth, oder die Kantone Zürich, Genf mit Ehina, Nussland, Oesterreich oder — leider müssen wir sagen: Preussen, das Preussen, welches heut regiert. In diesen letzteren vier Staaten sind grosse Abstufungen, aber meiner innigsten Ueberzeugung gemäss — auf Geschichte, Natur der Dinge und Erfahrung gegründet, — nicht grösser sind diese Abstufuugen, als zwischen der Monarchie Preussen einerseits und den Nepubliken Schlesien, Westphalen :c., die zur deutschen Nepublik conföderirt, andererseits. Und das wird kommen, falls Preussen fortfährt in sein eigenes Leben zu wühlen, diefer Staat, der glücklich organisirt wie Wenige und — beifpielsweise im Gegensatze zu Oesterreich — gerade in Stärkung seiner Einzelglieder seine Gesammtmacht stärkt. „Für Deutschland giebt es zwei Wege zu nationaler Macht und Blüthe: den oben angedeuteten einer FöderativNepublik oder den Andern, wenn Preussen endlich seine welthistorische Aufgabe begreift und sich an die Spitze des deutschen Bolksgeistes stellt. Naturgemäss können und werden dann die deutschen Bolkskräste zur rechten Entwickelung kommen. „Der Menschenfreund hat Einen grossen Trost: im Allgemeinen geht das Geschlecht mächtig vorwärts, nnd dankbar muss man das Geschick verehren, wie es aus den schlechtesten Motiven Honig für das Geschlecht zn bereiten versteht. Wer hätte vor zwei Inhren daran gedacht, dass dieser Alp des Menschengeschlechts, dieses odium generis humani — dass dieses widerwärtige Nussland so rasch die Früchte lang-



153 —

jähriger Bergewaltigung verlieren, moralisch und materiell so schnell heruntergebracht werden wurde. Und wer thut es? Die See-Herrfchfncht Englands, welche die russische Flotte vernichten will, und Napoleon, der, um sich zu halten, seinen Franzosen etwas gloire geben mnss. ,,So könnte ich eine Nnndschan iiber die Erde halten, von Ehina und Inpan an bis Spanien und näher liegenden Ortschaften, und überall gehts vorwärts auf dem ewigen Webstuhle der Zeit. Doch genug, übergenug der Politik. „Dein Brief, lieber Onkel, athmet Heiterkeit und Frische, und Ench Allen, insbesondere auch Dir, mein geliebtes S n l chen, geht es den Umständen nach gut und das ist schon Biel. 3nm künftigen Inhre aber will ich mich selbst davon überzeugen, und dann wird es Dir, lieber Onkel, dadurch erleichtert, dass alsdann die Eisenbahn vom Bodensee bis Zürich vollendet ist; serner findest Du alsdann hier die männliche Secundogenitur unseres Geschlechts vereinigt durch die Uebersiedelung des geliebten Bruder Gustav—. Heinrich Simon." An die Geschwister und die Frenndin Frau Marie Pinder.*) Wädenswyl im @ngel, den 30. Januar 1855. Dienstag.

„Der alte Herrgott scheint mir doch noch gut 3u sein, denn drei schönere Wintertage, wie dieser Sonnabend, Sonntag und Montag hat er in seinen sämmtlichen Albums nicht, weder in denen in Onaxt, noch in Ouerfolio. Und damit ist's noch nicht ans. Am Mittwoch, Donnerstag, Freitag war ein ziemlich abscheuliches Wetter in *) (£ine von Simon hochverehrte, ihm innig befreundete Frau.

— 154 —

Bnrtch, fo was man fagt, gemeines Wetter; es stöberte wie verrückt, blos N o land*) sand die Straße zum Wälzen angenehm; dabei ein Himmel, daß man ans jedem StÜck desselben hätte Blei gießen können, und ich sollte Freitag weg, ans die MÜrtfchenalp, nnd ich war die ganze Woche erkältet — ich konnte darin keinen Accord, keine

Harmonie erkennen.

Aber ein S i m o n ist ein Nackerchen.

3ch hatte mein Besprechen gegeben, Sonnabend anf der MÜrtfchenalp zu fein, alfo — mit Gott Kinder anfs Eis! Der Anfang miferabel und unheilkündend. Um acht Uhr geht das Dampffchiff; zwanzig Minuten vor acht kommt M a r i e herein zu mir, der ich arglosen Gemüths mit ungepacktem Nachtsack Allotria treibe, der Ansicht, es sei erst fieben — ,,ob ich denn nicht frühstücken wolle, ich müsse ja weg." Wenn ein Simon sich verfpätet, fo mnß Großes in der Natur vorgehen, das war mein erster Gedanke — vielleicht eine Störnng im magnetischen Erdenleben, Oder wohl gar die Wegnahme von Sebastopoi. 3ch wars den Nachtsack voll, schickte ihn sort nnd war zehn Minuten draus mit Ernst, der meine Handtasche trng, aus dem Wege. Es stöberte, glatteiste und ich in spiegelglatten Gummi-Ueberschuhen sollte lausen. Ernst stü£te mich zum ersten Male in seinem geben mehrere Male recht kräftig. 3 n gutem Dauerlaufe kamen wir rechtzeitig am ,,Bufchänzli'' auf dem Dampffchiffe an; meine Sachen waren da, die Zeitnngen vom Mädchen von der Post geholt, und ich las meine Oder-Zeitung, lang hingestreckt auf der Sophabank und drei Stühlen, im Nücken an der Wand auf meinen pelz gelagert, der feit 3ahr und Tag zum ersten Male wieder Dienste leistete und sich aus *} Simons Bernhardiner Hund.



155 —

der Neife fehr brav und als wirklich warmer Frennd genommen hat. S o wie ich in Napperswyl im Schneegestöber das Dampffchiff verließ, ging ich, ehe ich mich in

den Postfchlitten setzte, aus das Telegraphen-Bureau und meldete nach Hanse, daß Mittwoch und Donnerstag (wie ich gehört) am Wallensee Prachtwetter gewefen. Und wahr-

haftig, als wir in W e f e n ankamen, fchneite es mindestens nicht mehr, wenngleich mir der langbärtige Wallenfee-Schiffs-

kapitain, der in den englifchen Neifebüchern als der fchönste Mann Europa's figurirt — die Phantasie eines KürassierWachtmeisters muß es erfunden haben — für morgen Stnrm nnd zwar Schneesturm prophezeite. 3ch sagte ihm: „Sie kennen mich zu wenig.''

Gut. 3n Murg heißt's

noch Abends: „Morgen wird's fchlimm fein."

M i t impo-

nirender, Nnhe in den Gemüthern verbreitenden Weife: „Wir wollen es abwarten."

„Und Sonnabend, Sonntag, Montag bis 9 Uhr Abends, wo ich hier anlangte, himmlisches Wetter.

Heut die ganze

Nacht und je£t — wüthendes Schneegestöber. Mein Gott! wozn wäre noch gntes Wetter nöthig?

3ch fe£e mich ja

um eilf Uhr gut geborgen anf's Dampffchiff.

O der alte

Herrgott lebt noch und 3hr seht, die ganze Portion mei5

nes Uebermuthes ist vom geben noch nicht aufgegessen —

und so wird wohl ein Nestchen sich bis fchließlich erhalten. Anf dem Schlitten nach W e f e n ein englifcher 3ngenieur der Südostbahn, mit dem ich hübfche Gespräche — er kannte Enropa — und ich gab ihm Grüße an den Ober-3nge= nienr in Ehnr mit, mit dem ich im Herbst einen Tag zusammen gereist. 3 n Wesen und anf dem Schiff mit Ständerath B l u m er, der in Eifenbahn- Sachen als Mitglied der Direktion nach Ehur ging. 3n Murg, wo ge= wiffermaßen der Ausgangspunkt unferes Unternehmens ist.

— 156 — kehrte ich im weissen Kreuz beim Gemeinde-Präsidenten Gmur ein. Der Präsident ein älterer, grosser, schlanker, ruhiger Mann, die Frau finster ausfehend nnd doch die beste Frau, eils Kinder, Karle vierSahr, mit dicken Zinnober-Backen, der mich sehr liebt, und von der ältesten Techter ältere Enkel; eine Menge Bnben wie die Orgelpfeifen, deren Aeltester mir Tags darauf mein Gepäck hinauftrug, und die sehr hxibfche älteste unverheiratete Tochter Sosephe. Und ich zeitweise mitten darunter. — 3ch war um halb drei Nachmittags in Murg angekommen und fass Abends noch in der Wirthsstube mit einigen Gästen, dem regelmässigen Doktor der Gegend, der wie eine Uhr so genau den Tag zwei Mal am See ans und nieder geht von Muhlhorn bis Quanten und zur Minute in den Wirthshäusern einkehrt. Während ich mit Gmur in der Nebenstube ernst sprach, lag im Bettchen daneben der acht= jährige Sunge, wimmernd vor Zahn- und Halsschmerzen und allmälig laut phantasirend — es klang eigentümlich schauerlich, denn mein sremdes Hochdeutsch tönte in seinem heissen Gehirn wieder und bildete den Hintergrund seiner Phantasieen ,,Am andern Morgen blitzte die helle Sonne dnrch die angefrorenen Scheiben und machte mich sröhlich. Knrz vor nenn ging ich fort, die wollenen Schneestrümpfe, gleichzeitige Kamaschen, über den Knieen geschnallt, unter den Füssen die Steigeisen, den Alpenstock mit gutem Stachel. 3ede Beschreibung verfagt, um diesen unendlich srisch kräftigen Eindruck zu fchildern, den in folch erhabener Gegend ein krystallheller Wintermorgen macht. Kaum zehn Minuten gestiegen, lag unter mir das Dörfchen mit der kleinen Kirche, mitten in Bäumen, der herrliche See und drüben die wilden sieben Kurfürsten, an denen der Schnee, bei ihrer Schroff-

— 157 — beit, höchstens einige Abhänge bekleiden konnte. Zwei S t u n -

den ging es nun ans dem G e m e i n d e w e g e steil hinanf, der fo glatt war und fpiegelmäßig von den Holzfchlitten, daß ich ohne meine Steigeifen fchwerlich hinanf gekommen wäre.

Es war ein frisches geben. Wohl hundert Männer auf

Schlitten mit Holz kamen mir entgegen, oder arbeiteten am Wege, die Banmstämme aufzuladen, oder fausten, auf den

Stämmen si£end, an mir vorüber, oder stürzten von den Seitenwänben, den bewaldeten des Mnrgthales, die gefchlagenen Hölzer herunter, die wafferfallartig und mit fort-

dauerndem Donner sich in wilden Säj3en überbietend, wohl taufend Fuß herunterstürzten. Aber nun beim Merlen, wo u n f e r Weg begirnft, da fing es an fchwieriger zu gehen. D e r Schnee liegt, wo nicht Wehen ihn erhöht, zur Zeit

fünf bis sechs Fuß hoch und ist tro£ der Kälte puderartig. Seder der Taufende und Tausende Felsblöcke, von zehn bis

hnndert Fuß Höhe, die wild im Thale liegen, hatte feine Schneeperrücke von diefer Dicke auf, um fich keinen Schnupfen zu holen. N u n vom M e r l e n an war durch die von der

M Ü r t f c h e n a l p Kommenden eine Heerstraße durch denSchnee gebahnt, die netto einen Fnß breit und etwa ein bis zwei Fuß tief in den Schnee eingriff. 3n dieser Heerstraße tritt Seder in die Fußstapfe des Früheren und sinkt dann wenig ein; tritt man einige Zoll rechts oder links, so sinkt man bis an1s Knie, auch bis an den Seib, auch bis an die Brust in den Schnee, und meine zwei Träger hatten daher eine Schausel mitzunehmen nicht verabfäumt. Seder Sturm verweht diese mühsam gebildete Bandstraße und dann wird von Frischem angefangen. So trafen wir zwei Mal zu halben Stunden die jungfräulichste Schneestäche, unberührt;

und den ersten Abhang gleich hinauf, den unfer Weg in

Serpentinen hinaufführt, stürzte der junge Gmür, als



158



Erster, Schritt vor Schritt bis an den Seib in den Schnee, fo B a h n brechend, worauf der alte M a y e r bis a n ' die K n i e i n diefe w ü s t e M a s s e brach, u n d ich h a l b w e g festen S c h n e e s a n d , aber o s t g e n u g tief h i n e i n p l u m p t e . B o n o b e n war zeitig am Morgen ein Knappe mit der Schaufel ausgegangen, und als wir noch weit unten waren, fah er uns an der S e r p e n t i n e krebfend und jodelte uns feine Hülfe entgegen, die bestens rufend erwidert wurde. E t w a ein Drittel dieses böfen Weges wnrde uns fo etwas erleichtert. Und wir kamen um 1 Uhr hinauf — ich nicht im geringsten e r m ü d e t , obgleich e s w o h l e i n M a r f c h w a r , d e r nach f e i n e r A n s t r e n g u n g e i n e m zweisach w e i t e r e n W e g e gleich stand. 3 m nächsten Winter, wo wir Erze*zu Schlitten hinunterbringen, wird u n f e r Weg eben fo fchön sein, wie d e r G e m e i n d e w e g , und der geht sich unendlich besser als z n r S o m merzeit, wo der steinige Boden belästigt. E s wird prächtig sein! Denkt, daß ich gestern diesen ganzen Weg in 1 y 2 S t u n d e n h i n u n t e r g e k o m m e n , m e i s t rntschend a u s d e n F ü ß e n . D a s w i r d nächsten W i n t e r e i n e S c h l i t t e n p a r t i e f ü r m e i n e F r e u n d e , d e r sich a n E r h a b e n h e i t u n d w i l d e r P r a c h t w e n i g e in der ganzen Welt zur Seite stellen lassen. Das D a m p s f c h i f f k o m m t , ich m u ß l e i d e r i m besten Z n g e a u f hören."

Zürich, 31. Sanuar, Abends.

,,3e£t habe ich nnn freilich keine Zeit mehr. Die beiden Tage oben waren herrlich. 3ch stellte die Knappschaft — es arbeiten je£t fünfzehn M a n n — dem nenen D i r i genten.vor, entließ den Bisherigen, führte 3enen ein, leitete die Uebergabe n. f. w. D a n n ging ich bei barbarifcher Kälte, wohl zehn Grad (Tages znvor war der kälteste Tag —

— 159 — 12 Grad) zur Grube hinauf, noch etwa 600 Fuss an stei-

ler Sehne. Die Gemsspur fiber unsern Weg; — sie hatte an einer alten Tanne geknabbert — war so frifch, dass sie eben weg sein mnsste. Tags vorher hatte der Fuchs in der Grnbe gebellt, er wohnt jetzt in der Hütte, die bei der Grube ist, zu der die Knappen aber nicht mehr können, weil sie vor Schnee unsichtbar. Zurück rutschten wir in zwei Minnten hinunter, und fo machen es die Knappen alle Tage. Himmlisch ist Kinderei dagegen; denn durch die Wiederholung ist eine zwei Fuss tiese Ninne gebildet, in der man fliegt. Bon der Schönheit dieser Gegend bei dieser Sonne hat man keinen Begriff, wenn man es nicht fah. Der M ü r t fchen in klarer Majestät. Das Weiss des Schnees, das Schwarzgrün der Tannen, das Kalkweiss des Mürtschen und das tiefe Noth der Felsen, in denen das Knpfer, sind die einzigen Farben. Zwei kleine Meisen zwitscherten in Höhe von 5,500 Fnss in einer uralten Tanne. 3ch hatte brav Wein, ein Filet, einen grossen ächten Strietzel, den unsere Köchin vortrefflich macht — in meinem Ofen — mitgenommen, nnd dem nenen Betriebsdirektor, einem Sachfen, machte der sächfische Stollen anf der Mürtschenalp ein nicht enden-

des Bergnügen, da er sehr gross war. ,,Am schönsten war der Montag, wo ich den Weg hinunter machte; in Mnrg eine Stunde arrangirte, dann einen wahrhast göttlich schönen Weg zn Fuss auf einem Fussweg längs des See's durch Waldung und Hügel machte, in Mühlhorn den Schlitten traf, nach Obstalden fnhr, Geschäfte und Besnche bei den Präsidenten, Tagwenvogt, Nathsherrn sc. machte, sehr nett. Zu Schlitten dnrch den tiefen Wald ans spiegelglatter Strasse nach Mollis, von wo mich der Gemeindepräsident zu Schlitten über Sachen nach Wädenswyl brachte. Gestern um 2 Uhr

— 160 — hier D a s nennt man einen Eykelbrief, nicht mit einem Z zu schreiben. Auch verbleibe ich stets Heinrich." A n Onkel Heinrich. Zurich, 14. August 1855.

„ D a s war einmal wieder sast ein altes Zusammenleben; um den Exilirten schaarte sich ein guter Theil der

Familie, jüngerer und älterer Sinie! Wer nennt sie Alle, die Simoniden? Das Duzend war übervoll, nnd dazn kam ein anderer lieber S i m o n , 2 n d w i g , * )

der einen Theil

jenes Zusammenseins durch seine geistvolle und liebenswürdige Persönlichkeit verschönte — eine einheitliche, noble Natnr. Bruder Gustav's und meine Näume waren überfüllt Wir haben Alle überaus glückliche Tage in innigem Berständniß verlebt Nun ist es an Euch,

uns zu besuchen, und zum nächsten 3ahr sei hiermit eine förmliche Einladung feierlich niedergelegt.

„Dir, mein lieber Onkel, danke ich fehr die äusendung des jüngsten Kindes Deiner Sanne, Deiner Biographie der 3 m m e d i a t - E x a m i n a t i o n s k o m m i s s i o n , * * ) die von dem Bestehenden ans sehr interessante Ueberblicke gewährt, wenn

gleich ich sehr ketzerische Sdeen gegen die gesammte Büreankratie habe, der alle diese Examina ihr Dasein und ihre Notwendigkeit verdanken. Nachdem ich hier im Sanse von sechs Sahren gesehen, daß ohne alles Dieses eine Suftij *) Ludwig S i m o n aus Trier, 1848 und 1849 Parlamentsmitglied, zur Zeit in P a r i s . **) „©eschicbtliches uber die 3mmediat-3uftiz=@xaminationskom= mission'' vom ©eh. Sustizrath S i m o n in Berlin.

administrirt wird, die sich unbedenklich mit der deutschen messen darf — in jeder Beziehung, — muss ich sehr bedenklich halten, jnnge Leute bis in ihr fechsnndzwanzigstes, siebenundzwanzigstes Lebensjahr und länger, zu demselben Zwecke blos vorzubereiten, während der Mann hier in diefen fchönsten, kräftigsten, that- und drangvollsten Lebensjahren bereits zum eigenen und allgemeinen Besten in voller Lebensthätigkeit steht. Das hängt nnn aber tieser zufammen. Die Monarchie bedarf eines abgerichteten Heeres Beamter, welches der Nepublik überflüsfig — einer der vielen Borzuge der Letzteren. Und fo ständen wir ja bei einem der Gegenfätze, die Du bei Deiner Widmung der Schrift mir gegenüber hervorhebst. „Auch die übrigen von Dir hervorgehobenen Gegensätze erkenne ich an, lege aber keinen grossen Werth auf diefelben und ich nehme fast an, in Uebereinstimmung mit D i r ; denn wenn Du meine guten sittlichen Eigenfchafien — in viel zu lobender Weise — ausdrücklich anerkennst, fo fcheint es mir Nebensache, ob mir diese oder jene religiöse Anficht innewohnt: die Hauptfache ist und bleibt, welche Wirkung hat die betreffende religiöfe Anschauung hervorgebracht. Und ich muss gestehen, dass ich nicht finde uud durch alle Zeiten hindurch nicht finde, dass irgend eins der vielen, im Laufe der Menschengeschichte auftretenden Neligionsbekenntniffe betreffs der Wirkung auf die Berfittlichung mit Hochmuth auf das andere hinunterfehen darf und am wenigsten auf die reine Bernunftreligion eines Sokrates, eines Kant. 3n Deutschland insbesondere bekennen fich im letzten dnrchgeistigten Sahrhnnderte die höchsten Spitzen, welche die Nation hervorgebracht, nicht zu einer fpezifisch christlichen Neligion. Und während diefe wie aller pofitive, geoffenbarte Glaube jederzeit zu feinem Bestehen die Staatsmacht Heinrich «Simon. II. 11

— 162 — in Ansprnch genommen hat und nach Kräften Propaganda macht, wodurch das meiste Elend über das Gefchlecht gekommen, fällt weder das Eine, noch das Andere einer nicht g e o f f e n b a r t e n Neligion ein, —

u n d d i e s h a l t e ich f ü r d a s

Wohl und Weh des Menschengeschlechts von ausserordentlichem Werthe. Doch, wie gehören diefe Themata, die die Weltgefchichte von Anfang bewegt, in einen Brief; es follte nur eben die Andeutung fein, dass die Deinige nicht an mir vorübergegangen

Simon.'' Zürich, 29. August 1855.

„Du klagst, mein lieber Freund, in Deinem Briese über die sittlichen Zustände Deutschlands, die schlimmer als seine politischen. Aber, Sieber, wer in den letzten sechstausend Sahren hat nicht über die sittlichen Zustände der Gegenwart geklagt. Sch fage Dir, Freund, betrachte unbefangen die Bölker ringsnm: Frankreich, England, Nordamerika, und Du wirst Deutfchlauds heutigen fittlichen Znstand als ungemessen fortgeschritten und keinen Bergleich fchenenden anerkennen müffen. Sch stelle also die Thatfache selbst, die Du behauptet, in Abrede, aber ich protestire auch gegen das vorgeschlagene Heilmittel. Dn findest jenen tiesen Stand der sittlichen Zustände darin begründet, dass der Geist der Bosheit, der Satan, der srüher das Werk der Unterdrückung durch die Kirche versucht, dann das Denken selbst zum Mittel der Täuschung gemacht, zuerst durch den ansgeklärten Despotismus, dann durch jene nen-fcholastische Philosophie, jetzt den modernen Naturalismus ersonnen habe, welcher Begeisterung und Sehnsucht nach idealer Schönheit vernichte, Wahrheit und Güte zu idealogischen Gütern mache und Sinnengenuss an deren Stelle setze.



163



,,Mir scheint, lieber Freund, daß diefer Geist der Bosheit, diefer Satan, von dem D u sprichst, G o t t ist, nämlich

sein Ausfluß, der Menfch eng eist, dessen böse wie gute Seiten sich — wechselnd — aber zum Höheren — entfalten, und im Sanfe der Jahrhunderte tritt bei jedem Umfchwung des-

felben, mit den neuen Facetten naturgemäß neues Gute und n e u e s Böfe auf, fofern wir nun einmal bei diefen Bezeichnungen verharren wollen. Dein Unrecht besteht nach

meinem Dasiirhalten darin, daß D u in der je£t eben fort5 fchreitenden Menfchengeistgefchichte nnr das fich neu entwickelnde B ö f e auffaßt; das führt aber immer bei Beurtheilung jedes Znstandes zu falfchen Nesultaten. Sch faffe auch je£t, fo gut wie für die Bergangenheit das Gute auf, das in dem von D i r angegebenen Gange der menschlichen Gefellfchaft liegt.

Wenn der Menfchengeist sich von der

Kirche, durch den aufgeklärten Despotismus und die neuscholastische Philosophie endlich zur N a t u r gewendet, so ist er endlich, nachdem er lange aus abgeleiteten und mehr oder weniger verunreinigten Gewäffern feinen heißen Durst zu löschen vergeblich verfucht, — zur O u e l l e felbst gegangen. „Hierin erkenne ich ein Glück, gegen welches ich daher kein Heilmittel angewendet sehen möchte, am wenigsten das von Dir angegebene. D u verordnest förmlich medicinifch: „rückhaltlose religiöse Sehre und Begeisterung" im Gegenfa^e des Naturalismus und denkst an Ehristus. Sch kann keine Hoffnung auf ein derartiges Zurückfchrauben des Menschengeistes fe£en, hielte ich es felbst für möglich, was es nicht ist. W a s wir von Ehristus wissen, ist — von der Fabel entblößt — herrlich, groß und schön, und ich liebe ihn. Aber wir wissen wenig, und die Poesie und die Fabel hat an die große Gestalt hinantreten müssen, 11*



164 —

um sie sur die Massen der Borzeit zu bearbeiten, und wir sehen, was ihr gelungen. ,,Nein, Freund, heut braucht das Bolk was Anderes, als einen Mann, der vor Jahrhunderten gelebt, — wir brauchen, nach unendlichen Inhrhundertlangen Kämpfen, das Leben in der Gegenwart; wir brauchen vor Allem ein freies Baterland, und wenn „Berordnen" gälte, fo verordnete ich als Feldgefchrei: Freiheit, Nepnblik! Aber fo geht die Gefchichte nicht vorwärts. Die Menfchheit verordnet fich felbst, und fie verordnet fich heute N a t u r a l i s mus. Wohin wir mit der ruckhaltlofeu christlichen und sonstigen Begeisterung gekommen, das wissen wir fehr genau; wohin wir mit dem Naturalismus kommen werden, wissen wir noch nicht, und können wir nicht wissen, weil erst dnrch die Entdeckungen, die der Menfchengeist in den letzten siebenzig Inhren gemacht, einige wenige Blicke in die Natur gethan wurden, die aber bereits sur das Gluck des Menschengeschlechtes Unendliches gewirkt.

„Sch halte dafür, dass der Ausschwuug, den der Men-

schengeist vor drei Jahrhunderten genommen, nicht die hohe Bedeutung hat wie der jetzige, der endlich nnd endlich dahin strebt, sich mit offnen Augen die Dinge anznfehen, wie fie wirklich sind, nnd ich erfchrecke, wenn ich fo manche beste, herzliebe und geistvolle Menfchen sich diefer Morgenröthe der Neuzeit verfchHessen fehe. Hierbei stosse ich — nämlich bei diefen Gnten, die nicht ganz andere Abfichten im Hintergruude haben — meist anf einen grossen Srrthnm, ich nenne ihn fo nach meinen Lebenserfahrungen. Die Opponirenden und unter diefen vorzugsweis die, welche sich viel mit Metaphysik befchäftiget, legen einen viel zu hohen Werth auf die fo oder fo befchaffeneAnfchanung uberfinnlicher Dinge betreffs deren praktifchen Einflnsses aus den

— 165 — Menschen und sein sittliches oder unsittliches Handeln. Sch fur meine Person habe nie mit Nucksicht aus Gott und Unsterblichkeit gehandelt, sondern einfach aus meiner Eigentümlichkeit heraus, und ich habe gefunden, daß nur bei den Noheften. Ungebildetsten es hie und da vorkommt, daß Himmel und Hölle betreffs der Frage: Fastenbrechen oder nicht und dergleichen praktifch entfcheidet. Sch finde daher, daß die Konsequenzen, welche man aus dem Naturalismus mit Schaudern für die Bölker zieht, der praktischen Bafis entbehren.

,,3n der £hat, die Preisangabe wäre von Snteresse: „Welches würden die Folgen sein, wenn die Mehrzahl der Menfchen nicht mehr an Unsterblichkeit glaubte. Der Pfaffe verlöre feinen Einfluß, mit ihm und aus andern Gründen der Despot, — das ist gewiß; die üblen Folgen dagegen scheinen mir keinesweges fo gewiß, fich er aber fielen fie bei dem Gebildeten gänzlich hinweg.

„Schließlich gebe ich Dir betreffs Deiner Philippika gegen den Naturalismus zur Erwägung, daß auf Deiner Seite alle von D i r bezeichneten Feinde der Freiheit stehen,

die Pfaffen, die aufgeklärten Despoten, die neu-scholastischen Philosophen. Auch das ist ein praktischer Wink. „Herzlichst Dein Freund Heinrich Simon." A n Onkel Heinrich.

Zürich, 12. Dezember 1855. „Deine Bnfchrlft, wein lieber Onkel, thnt mir weh, und ich glaube nicht, sie um Dich verdient zn haben. 3ch habe Dich von je herzlich lieb gehabt, und diese Sufchrift ist @is. Da D u mir noch vor 3ahr und Sag fast zärtliche Briefe



166 —

geschrieben, fo muß ich Dich feitdem in irgend welcher be-

fonderen Weife verlebt haben, ohne es zu ahnen; nur fo erklären sich Deine Worte. Wenn gelteres geschehen, so bitte ich Dich, es vergessen zu wollen, weil es nicht mein Wille je gewefen. Dich zu verleben oder Dir wehe zn thun. jedenfalls aber meine ich, beurtheilst D u meinen Standpunkt unrichtig.

Dein geliebtes P r e u ß e n t h u m ,

Du, sei mir ein ,,Aergerniß oder Spott."

meinst

„Beides ist thatfächlich unrichtig; überdies treibe ich mit Nichts Spott, was einem Andern lieb ist.

,,3ch bin P r e u ß e wie Du. D u hast kein größeres Necht daraus es zu fein wie ich. D u hast mit Siebe gewirkt in Deinem Kreise, ich mit Siebe in meinem, jeder nach besten Kräften. Was mich betrifft, fo habe ich fo ziemlich Alles für mein Baterland eingefet3t, was ein Mensch einzusehen hat, meine äußere Existenz, meine Freiheit, mein Seben und glaube dadurch nicht zu Biel oder etwas Befonderes gethan zu haben; aber ich bin keinesweges gefonnen, dem, der eine andere Meinung hat »on dem, was Preußen ist, d. h. was in Preußen das Wesentliche nnd Gute, und was das Unwesentliche, Borübergehende und zu Berbeffernde,

weil Schlechte und Berwerfliche ist, — ich sage, ich bin nicht

gesonnen. Dem und irgend Wem ein mich verwerfendes Urtheil einzuräumen. 3ch bin innerlich nicht gefonnen, es zu thun, d. h., derartige Urtheile gehen an mir fpnrlos

vorüber, nnb nnr, wenn ich bei mir lieben Perfonen einen Mangel an Siebe darin erblicke, wie diefen Deine Znfchrift enthält, kränken sie mich um ihrer- und meinetwillen. „Aeußerlich hat ja die siegreiche Partei das Mögliche versucht, mich als schlechten Preußen zu erklären; man hat mich als Hochverräther an Preußen — ich weiß nicht, ob zu lebenslänglichem Zuchthaus oder zum Tode — verdammt.

Sch weiss es nicht, weil ich die vielen Berfuche, mir dies

serhalb Borladungen und Erkenntniffe eines preussifchen Gerichtshofes über meine' Handlungsweise als Depntirten des deutschen Neiches und demnächst als Mitglied der deut5 scheu Neichsregentfchaft zu infinniren, mit dem wiederholten Bemerken zurückgewiefen, dass ein chinefifcher Gerichtshos diefelbe Berechtigung hierzu haben würde, wie ein prenssifcher. Die rechtmässige deutsche Neichsgewalt ist im offenen Kampfe gegen die revolutionäre Gewalt einiger deutschen Partikularstaaten, Oesterreichs und Preussens nämlich, unter* legen; sie wurde besiegt, und ihre Träger verfolgt und zu Hochverräthern erklärt und nach besten Kräften vernichtet, eingekerkert und getödtet. sticht ich bin von Gott und Nechts wegen Nevolutiouair, fondern die jetzt in Preussen herrschende Negierung ist eine revolutionäre Gewalt gegen Dentschland.

, , D a s ist der rechtliche Sachverhalt.

W e r es anders

auffasst, neigt fich eben der Gewalt zu, oder kann aus den alten mit ihm verwachsenen Berhältniffen innerlich nicht heraus, oder stellt Preussen über sein deutsches Bater- und Mutterland. ,,3ch erachte mich sür besiegt, nicht für vernrtheilt. ,,Dass ich die preussifchen Zustände, gegen die ich seit einer Neihe von Sahren mit offenem Bisir gekämpft, znerst ziemlich isolirt gegen die gefammte Staatsmacht, später siegreich im Bereine mit dem gefammten deutfchen Bolke, — dass ich diefe preussifchen Zustände nicht sür das ächte Prenssenthnm erachtet und erachte, sondern sür mangelhast, zum Theil sür schlechte Ausgeburten des Preusseuthums; dass ich eiue Eutwickelung des Preusseuthums — feiner inneren Natur uach — für nothwendig angenommen habe und annehme, versteht sich von felbst; denn ich würde fönst znr

— 168 — Beseitigung jener Zustände nicht meine Existenz eingesät haben; und daß ich heute in meiner Entwickelnng weiter bin als im Sahre 1848, versteht sich anch von selbst, und ich theile diesen innerlichen Zustand nnn mit der Mehrzahl

der Deutfchen, an denen jene große herrliche Zeit und das feitdem eingetretene Berfahren der Aristokratie und Bnreaukratie

gleichfalls nicht vergebens vorübergegangen find, fondern fie entweder innerlich zum Guten, wie ich es verstehe, vorwärts geführt, oder znm Gegensatze desto fchroffer zurück. Setzteres zeigt fich bei der je£t herrfchenden Partei in Preußen, die zu meiner Freude fich, verblendet vom Gefchick, immer mehr

überstürzt, uns das in diesem ganzen Sahrhunderte durch große Geschicke Gewonnene nehmen und uns, bewnßt oder unbewußt, den Nnffen überliefern will. Diefe Partei insbesondere giebt mir die sicherste Zuversicht, daß ich in wenigen Sahren, wenn mir das Seben bleibt, wiederum in meinem Baterlande leben werde. Diefe Herren Ger lach und Konsorten, denen felbst jene einstigen Ansänge eines Besser-

werdens, die S t e i n ' f c h e Nevolntion, ein Greuel sind, und die

unter Preußen ausschließlich die Gerechtsame märkischer und pommerscher Sandjunker verstehen, erkennen Dich ebensowenig als guten Preußen an, wie Du es mit mir thust. ,,Der Unterschied zwischen D i r und

mir besteht also

darin, daß ich eine fortgefetzte historifche Entwickelnng anerkenne, und Du nicht, d. h. daß Du Preußen, wie es zur 3eit ist, als Kanon betrachtest, ich nicht; oder richtiger, daß D u eine historifche Entwickelnng zugestehst, aber eine fehr l a n g f a m e , während ich jede für berechtigt erachte, die das betreffende Bolk für sich angemessen erklärt, fei sie langfam, rafch, fortfchreitend oder rückschreitend, — denn selbst der

brutalste Gewaltznftand hat, bei aller Berwerflichkeit der

agirenden Personen, eine gewisse innerliche Berechtigung, in

— 169 — so weit das Bolk die Herabgekommenheit und marklofe Schwäche doknmentirt, sie nicht beseitigen zu wollen oder zu können.

„Hiermit, mein lieber Onkel, fchliesse ich ab. 3ch kann nicht daran denken. Dich zu mir herüber zu ziehen, aber ich hatte einen entfchiedenen Protest einzulegen gegen Deine Borausfetzungen unrichtiger Art. 3ch betrachte dies hiermit als gefchehen und werde nie mehr ein Wort politischer Nichtung gegen Dich änssern.

„3ch im höheren Mannesalter, D u im Greisenalter,

durch tausend Bande verbunden, wollen uns die wenige Zeit, welche die unsere ist, nicht ans die Punkte stützen, die uns trennen, sondern auf die, welche uns einen. „Herzlichst der Deine.

Simon."

An Dr. Detroit.*) Zürich, 4. Januar 1856.

„Liebe Freunde! „Denn auch S i e , mein lieber Detroit, sind bei A n -

kunft dieser Zeilen den 3hrigen wiedergegeben und sitzen nur uoch hübsch warm am Kamine im anschmiegenden Hausrocke, — liebe Freunde, liebe Frau Detroit, S i e haben mir da eben einen schönen Schreck bereitet. Es ist Morgens acht Uhr, vor tiner Biertelstunde wurden mir die Postsachen gebracht, eine Fülle von Zeitungen und vier Briefe. Die liegen bis auf den Shrigen noch unerbrochen, dessen Snhalt *) grüher Prediger in Königsberg (s. oben Thl. I. Kap. X I . S . 266), zur Zeit Pfarrer der holländisch «deutschen resormirten @e= meinde zu L i v o r n o .



170 —

mich erschrecken machte. Aber ich las ihn n o c h m a l s durch, und der Gefammteindruck, den ich mir zu bilden fuchte, aus

Zustand und Berichterstatterin, fiel weit günstiger ans. Freilich find folche Briefe dadurch i m m e r peinigend, weil

Tausenderlei zur Beurteilung nicht gegeben, weil, je inniger

die Theilnahme, man je mehr mit eigenen Augen fehen

möchte, um

das gute W o r t

fprechen zu können.

Aber

mir ist's, als könne ich mit Zuverficht vorausfagen, daß Euer fchöner und liebenswürdiger Kreis noch lange fortblühen wird. Mnth, Tapferkeit und klare Nnhe in Mann und Frau find Ein Moment für diefe Zuverficht, da fie fo mächtig über Fährlichkeiten hinweghelfen. S i e werden mir, liebe Frau, nach Empfang diefer Zeilen hoffentlich mittheilen, daß S i e glücklich find. ,,Nach dem ersten Schrecken kommen Borwürfe gegen mich, daß ich Shnen auf die innige Freude, die S i e , Detroit und die kleine liebe Nuth mir gemacht, noch nicht Dankesworte gesendet. E s ist sonst meine Art, unmittelbar zu antworten, theils weil man dann vollerfüllt ist, theils weil ich ohne ersten Smpuls ein träger Brieffchreiber. Daß ich aber damals von meiner Art abging, war zu vergeben; denn ich erhielt meine Geburtstagsbriefe, eine Siebesfluth aus allen Himmelsgegenden, in der ich im Wortfinne einen ganzen Bormittag felig fchwamm, beraufcht und doch lieblich, gehoben und doch gemüthlich, — ich erhielt fie in P a r i s , wo ich mit meinem Brnder vierzehn Tage war, theils in Geschäften, theils der Ausstellung wegen. Und da ich dort von je oierundzwanzig Stunden etwa sechszehn bis achtzehn mit allen Fibern lebte, fo stahl ich mir hochstens des Morgens eine halbe Stnnde ab, um nach Haus zu schreiben. ,,Es waren prachtvolle Tage, die mich gefaßt, gepackt

haben. Sch war und bin entzückt von der Grossartigkeit der Sdee, von der diefe Ausstellung ausging, und von der Grossartigkeit ihrer Ausführung. Zum ersten Male hat sich — in London und Paris — das Gefchlecht der Menschen die Hand gereicht, sich als ein Ganzes gegenseitig begrüsst. Es ist eine Bruderidee, die mich ergriff. Und diefe Ausfuhrung! Alles, was das Menfchengefchlecht gefchaffen hat, ich fage Alles, fo weit es darstellbar ist, und Alles in herrlichster Auswahl war in diefen unermesslichen Näumen vereiniget nnd die Kunst und ihr heutiger Standpuukt auf Erden

dabei voll repräfentirt.

3ch

war

fehr

glücklich. Dabei wollte es mein Glücksstern, dass ich nn-

vermnthet die endlich verbundenen S t a h r s dort sand, die

ich seit 1849 nicht gesehen, und dass wir uus fo fehr wiederfanden, dass er das Wort wagte, das Zusammenfein mit mir fei ihm das Liebste in Paris. Sie sehen, es giebt auch sreche Liebesworte. Sndess habe ich Fanny dafür einen Theil meiner Geburtstagsbriefe gegeben, anch den von einer Frau Detroit, und Fanny entwickelte alsdann fehr viel Provinzialstolz aus ihre Ostpreussen. „ S t a h r studirte seit sechs Wochen die Kunstausstellung und wollte ein Buch über diefelbe schreiben; so hatte ich denn in ihm den trefflichsten Führer, und das war nöthig, denn man ertrank sonst in den sechstaufend Kunstwerken.

3 n der Sndustrieausstellung habe ich in den sieben oder acht Befuchen, jeder von vier bis fechs Stenden, bei der Maffe des Borhandenen eben nnr hier und da Etwas gesehen, was mich aber doch vor diesem Gefchlecht, man nennt

es Menfchen, in der That mit Hochachtung erfüllt hat; ich glaube, es ist Anlage da, und die Leutchens bringend noch zu was.

3ch möchte wohl wissen, was ein Merkur- oder

Benus-Bewohner zu feinem Nachbarn fagen würde, wenn

— 172 — er diefe Ausstellung gesehen, nnd wer weiter ist?

N a , und

dieser Gefchmack in der Aufstellung! — Den lieben Sudw i g S i m o n habe ich anch wieder in Paris genoffen; das ist einer der liebenswürdigsten und geistreichsten Sterblichen. „ S i e mögen sich denken, was ich nach all dem E r -

lebten hier zu erzählen hatte, und was ich erzählt. — B o r

Allem aber habe ich die süße Ueberzeugung aus Paris mitgebracht, daß das dortige Despotenthum rechtzeitig znfammenstürzen wird. D i e europaische Geschichte hat sich mit Napoleon liirt, pour fumer la liberte. Nnr durch einheitliche Despotenkrast war hente Nußland zu brechen, und die Gefahr war über dem Haupte Europas, von diesem Ogre verzehrt zu werden. — — Aber der Mohr thut feine Schuldigkeit.

„Bei uns geht Alles gut, doch war meine Schwägerin krank, fo daß wir, nachdem dem Soose gemäß der Weihnachtsabend beim Bruder gefeiert, den Sylvester noch nicht bei uns bescheeren konnten; der schöne von Ernst wacker ausgesuchte Tannenbaum soll Sonnabend angezündet werden; ich schreibe es, damit S i e unserer denken. „Änrz vor Weihnachten machte ich mein dem Freunde gegebenes Besprechen gut, ihn noch in diesem Sahre zn besuchen nnd reiste den 17ten zu N a p p a r d nach Wabern bei Bern. Da verlebte ich drei schöne Tage in der Familie. Am 20 sten und 2 1 sten fuhr ich mit ihm auf offenem Schlitten in's Gebirge, nach Thnn, Snterlaken, in das Santerbrunner Thal. Natürlich hielten uns fämmtliche ehrbare Menfchen für übergefchnappt; die waren fehr gütig, die lächelten u. f. w. Wir waren fehr glücklich, hatten die besten Gefpräche und dazn ein Wetterchen!! Einen größeren Gegenfa^ als Shre italienische Südpracht mit dieser nordisch glänzenden Eddapracht ist schwer denkbar. Wollte ich diese Tour in einem

— 173 — englifchen Blatte befchreiben — Hunderte dieser langen Insulaner lockte ich nächsten Winter genau, aber sehr genau denselben Weg; aber ich werde mich wohl hüten, die arme Natur auch Winterszeit rnaltraitiren zu lassen; einige Monate muss fie doch haben, in denen fie fich wieder auf fich felbst besinnen kann. Sch empfinde m i t ihr auf's tiefste, wie fie an fich herumgreifen und zerren lassen muss. , , S i e kennen das Lauterbrunner Thal, diefes Prototyp

eines fchönen Hochalpenthals — unten die wilde Lütschine durch die Fläche über Felsgeröll tobend, rechts und links an den Thalwänden mehrere tausend Fuss hinauf die üppigsten Matten, die idyllifchen Häuschen drüber hingeftrent; drüber mehrere taufend Fuss herrlicher Wald — Buchen, £erchen, Edeltannen; — drüber mehrere taufend Fuss der wilde, nackte Fels, und da drüber rageu sie nun erst die ewigen Schneehäupter, meine liebe Sungfrau, die herrliche, ernste, ja kalte, bis sie Abends erglüht und bezaubert; — ihr Bufen in fchneeiger Pracht gebildet von den nntadeligen Formen der Silberhörner, — in ihrem Gefolge ihre Ehrenwächter, der Mönch und der Eiger. Das war ein Anblick! Die Luft fo rein und durchsichtig, dass von beginnender Schneeregion, d. h. vom Aufhören der Wälder bis zur nahe dreizehntaufend Fuss hohen Spitze der Snngfran — dass man diefe mehr als fechstaufend Fuss, über welche man einen vollen halben Sommertag zu klettern hat, in einem halben Stündchen glaubte hinaufspringen zn können. Die unzähligen Ouellen und Fälle, die rings hernntergiessen ins Sauterbrunner Thal — verwandelt in Eis-Stalaklyten von einer Höhe von hunderte« Fussen, und ungehenre Felsen in Nordpol-Eisberge verzaubert; und der Staubbach, aus Eis fchoss er heraus, zerftäubte, glucklich der gewonnenen Freiheit, in feinem achthundertfüssigen Falle und erstarb in



174 —

Eis. Als wir zu ihm gelangt, zuerst durch schönen Wald mit Schneelaub, dichterisch, duftig traumartig bekleidet, mussten wir zu Fuss vorwärts; da donnerte uns der Gebirgsgeist seinen Gruss zu. Eine immense Lawine löste fich von dem Schmadrigletfcher. Das war Gluck. Alles athmete einfame, sich felbst genugende Majestät. — Und dann den folgenden Nachmittag die Fahrt über den Thuner See; ein Alpenglühen der ganzen Bergkette, anfangend beim Niefen, das Doldenhorn, die Blümlisalp, Wetterhorn, Inngfrau u. f. w. — fchöner fah ich's nie, und danach ein Nosenduft über Himmel und vorkam.

Erde,

dass

ich mir

verzaubert

„So! nun hab' ich dem lieben Nekonvalescenten etwas Ordentliches vorgeplaudert, nun fchreiben Sie fofort: „es geht gut!"

D e r Schrige Heinrich Simon."

An Fanny Lewald-Stahr und Adolf Stahr. Zürich 12. Januar 1856.

„Guten Tag, 3hr Lieben, im neuen Sahre; feid mir herzlichst gegrüsst! Setzt kommt der Torfo dran, denn vor acht Tagen habe ich „die Wandlungen" beendet; viel unterbrochen, da das Buch hier viel von dem Mufeums-Publi-

kum gelesen wird. Die Abendstunden von eils, zwei Mal bis zwei Uhr Morgens, waren der geistvollen Bekanntschaft gewidmet. Sie macht auf mich durchweg den Eindruck einer fehr bedeutenden, und sie gewinnt bei längerem 3u 5 fammenfein. Das innerlichst Erlebte ist — für Dich nur zu deutlich — aufgeprägt, das innerlichst Erlebte eines reichen Menfchen; daher ist aber auch in dem Buche sehr viel wirkliches Leben, und dies mit ernstem Studium dar-

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gestellt, also innerliche und äußerliche Arbeit. Bieles erachte ich meisterhaft, fo daß ich rechte Freude dran hatte. aufweil das Urtheil etwas größeren „3hr Werthmögt legen, ich, — um mit deswillen einem alten Wiener unvollständigen Nachdrnck des Göthe aufgewachsen, immer tro£ meines Hängens an der Schmn£ausgabe mit der S e h n -

fucht im Herzen nach einer besseren, — mir endlich die Prachtausgabe felbst zu Weihnachten geschenkt und nun feit vier Wochen — nach etwa achtjähriger pause — zwifchen den Wandlungen G o e t h e gelesen, die Ehampagne u. s. w. 3ch denke, das ist ein anständiger Priisstein sur Dein Buch. ,,Mit der 3dee des Werkes bin ich einverstanden. 3ch bestreite, daß der Mensch sich selbst bildet; die Berhältnisse bilden ihn; auf letztere hat der Mensch einen mikroskopischen

Einfluß. D i e „Wandlungen" hängen mit der Frage vom

f r e i e n W i l l e n genau zusammen. Diesen stelle ich heut als gereifter M a n n entschieden in Abrede. B o n vorn herein

ist es unwahrscheinlich genug, daß derjenige, dessen Exi-

stenz selbst o h n e seinen Willen ist, i n n e r h a l b dieser Exi-

stenz sreien Willen haben soll. 3ch nenne dies unwahrscheinlich, weil ich nirgend sehe, daß die Natur sich 3nkon s sequenzen dieser Art zu Schulden kommen läßt. Abgesehen

hiervon schien mir S p i n o z a ' s Ansicht jederzeit schlagend,

daß die menschliche Freiheit, deren Alle sich rühmen, allein darin bestehe, daß die Menschen sich ihres Willens bewußt und der Ursachen, von denen sie bestimmt werden, unbe-

wußt sind. 3ch denke mir, daß eine Kugel, auf eine unmerklich abschüsfige Fläche gesetzt, sofern fie B e w u ß t f e i n hätte, annehmen würde, fie laufe aus freiem Willen. „Und

welch

aufklärendes Sicht

werfen

diefe

durch

großenteils außer uns liegende Berhältnifse herbeigeführten „Wandlungen" auf die Unsterblichkeitsfrage. 3 n der That

hat der Drang nach Unsterblichkeit bei einem Menfchen, der Beobachtungsgabe und Einficht in sich hat, etwas Auffallendes. Denn augenfcheinlich hat die Unsterblichkeit sur Niemanden auch nur den mindesten Werth, wenn nicht Sdentität der Perfönlichkeit vorausgefetzt wird. Denn bin ich künftig nicht mehr Sch, so kann es mir völlig gleichgültig fein, ob die Kräfte, ans denen mein Sein zufammengefetzt, demnächst als Sonnenatom fortleben oder als Nelkenduft oder als fonft was. Wie ist aber eine Sdentität denkbar, da ich an mir fchon während diefer fünfzig Sahre fehe, dass ich heut eine ganz verfchiedene Perfönlichkeit von der vor dreissig Sahren bin, völlig verschieden in den wesentlichsten geistigen Funktionen, ich — eine ziemlich krästig konstruirte .Perfönlichkeit, bei der Eharakterzuge mindestens ziemlich durchlaufend erfcheinen! Wie nun bei folchen Perfonen, die hent anders sind, wie gestern? Wo ist da die Sdentität? Bom Körper will ich sogar schweigen. Und welcher Zeitpunkt soll nun sür die Sdentität gewählt werden? Das Kind? Der poetische Süngling? Der reale Mann? Der kindisch gewordene Greis? ,,Wie kann ein Sustand für den durchgebildeten Menfchen etwas Tröstliches haben, der vollständig im Unklaren und Dunklen liegt, von dem ich rein Nichts weiss, ja den ich mit vernunftmässiger Phantafie nicht einmal zu gestalten vermag! Es hat was Gespensterhaftes. „Und gehen wir billig zurück zn diefem Leben, so wäre es allerdings ganz unbegreiflich, warum der einzelne Mensch, dies abgelöste Stückchen Natur, nicht seine Wandlangen, d. h. keine Geschichte haben sollte, da die gesammte Natur fie im grössten Massstabe hat. Durch die Forfchungen der letzten dreissig Sahre haben wir das Nesultat, dass unsere heutige Pflanzen- nnd Thierwelt in keiner Art ab-



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geschloffen, fondern nur die vorläufig le£te „Wandlung* einer langen Neihe von Wandlungen ist; daß ihr heutiger Zustand nur em momentaner — Momente von der Dauer von Millionen Sahren gedacht —, und fich dergestalt geändert hat, daß von der ersten Flora unb Fauna, die wir umfänglicher kennen, der der Steinkohlenperiode, auch nicht ein Snbividium, ja nicht ein Gefchlecht mehr vorhanden.

Fast neun

Zehntheile aller Gefchlechter find bei jeder neuen „Wand-

lung " befeitigt , un d be i jede r Etag e näher n fic h di e Gestal tungen den heutigen höheren Bilbungsmomenten: während die innere Organifation, die Athmungswerkzeuge u. f. w.

jederzei t diefelbe n geblieben , werde n nn r di e Forme n immer fremdartiger, je entfernter bie Etage von ber Gegenwart.

„Alles in ber Natur hat feine Gefchichte, feine Wanblung. Bon ber Erbe wiffen wir es; von ihren Probnkten wiffen wir es im erhabensten Maßstabe, von einem ein= zelnen feiner Probnkte, bem Menfchengefchlechte, wiffen wir es ; wi e in alle r Wel tkäm e nn n da s einzeln e Menfch lein dazu, eine Ausnahme machen zu wollen?! „Ueberhaupt der Hochmnth diefes Gefchlechts ist mir das Widerwärtigste an demfelben. Das Menfchengefchlecht ist ei n Berline r durc h un d durch : siifstfan t un d au f Alle s vornehm hinunterguckenb, unb ben Berliner kann ich gar nicht leiben, vollends draußen. Hätte das Gefchlecht nicht einige andere angenehme Eigenfchaften — wahrhaftig Seh r komisc h wir d Folgende s fein . Be i de r nächste n Erd formation geht ein großer Theil diefes Gefchlechts unter — die Erfahrung lehrt's —, und aus der 3bee ber neuen Formation bilben sich wiebernm höhere Gestaltungen; — nun benkt Euch ben hochmuthigen Bengel neben höher organisirten Wefen; es wird Auftritte hochkomifcher Art Heinrich ©irncn. II.

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geben! Uebrigens fällt mir eben ein, daß in ©ullivers Steifen mindestens ein Anklang an diefe Sdee durchgeführt ist, dort aber war es verworrene Phantasie; mein Gedanke hat Anfprnch auf reale Gestaltung. „Sch hätte die größte Sust mit Euch je£t eben über freien Willen zu fprechen. Euch zu erzählen, was ich in den zehn Minuten Stube-auf- und abgehen gedacht, aber es ist zu langweilig, dies zu schreiben. Nämlich 1. ist im Kleinen ein freier Wille vorhanden? 2. giebt nicht der Wahn des freien Willens freien Willen? wie ja überhaupt die menschlichen Schwächen feine Stärke sind und dgl Und machte sich nicht jener schwer erkrankte Bauer fein Schickfal, zu deffen Todtenbette der salbungsreiche Pfarrer gerufen wurde und ihn dringend ermahnte, er möge fich in den Willen Gottes ergeben und fich auf das bevorstehende Ende gefaßt machen, wenn mein Bauer dem Pastor ununterbrochen verficherte: „Nee, Herr Pastor, ick doo't nich, ick doo't nich; ick gäw mi nich, ick gäw mi nich!" und natürlich gefnnd wurde. ,,Es ist nur leider ein Zirkelfchluß.— Genug, genug! Das Beste ist die Erfahrung, daß alle metaphyfifchen Fragen anf das Berhalten der Menfchen fo gut wie keinen Einfluß haben. „Damit D u , liebe Fauny, aber mindestens in Etwas eine Erinnerung an meine Sektüre der „Wandlungen'' hast, fende ich Dir anbei einen lieblichen Zeugen der Wandlungen en gros, in einem versteinerten Ahornblatt und einer versteinerten Muschel — das weniger Belebte hat fich besser in den Millionen Sahren konservirt. — Sie sind ans den in der Nähe von Schaffhansen liegenden Steinbrüchen von Oeningen, für die Tertiärzeit die reichsten der Welt. Profeffor Heer, von dessen flora tertiana so eben der zweite Pracht-



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band erfcheint — Shr müsst ihn einfehen — hat mir einige fchöne Bersteinerungen ausgesucht und sie bestimmt. 3ch denke mir das Blatt als Deinen künstigen Briesbefchwerer. Zn diefem Zwecke fank es vor jenen Aeonen — ich denke mir, da es fo frifch und lebenskräftig, nicht aus Schwäche, fondern vom Orkan gefasst — auf den Boden des Oeninger See's und verfank in den kalkigen Niederfchlägen; im Lanfe von Sahrtansenden verhärteten sich diefe; der Seeboden wurde, gelegentlich einiger Krämpfe der Mutter Erde, gehoben und dient heute den Kalköfen der Gegend als Material. Da hast Du den Pendant Deiner Wandlungen. „Goethe! 3hr glaubt uicht, welchen eigentümlichen Eindruck er aus mich macht. 3ch habe ihn abgöttifch verehrt — seiner Zeit. Hent trägt auch er dazu bei, mich in meiner Anffaffung Deutfchlands zu bestärken: Deutschland ist ein reicher liebenswerter Menfch, der Unglück im Leben hat. Giebt es für ein Bolk ein grösseres Unglück, als dass sein grösster Dichter in seiner Entwickelnng Zopf wird. Und diese abscheuliche Prachtausgabe uuferes ersten

Dichters, ich habe diesen E o t t a bereits mehrfach beim Lesen

verwünfcht. Keine Spur einer Nedaktion und eine Ouantität Druckfehler. „Slahr, wollen wir folgende 3dee realisiren? Unfere Gefchichtsfchreibung ist erbärmlich, weil es an Biographieen fehlt; diefe find komponirt, statt objektiv. Wenn mir 6in Menschenleben von Tag zn Tag vorliegt in seinem Handeln und Denken,

soweit das an äusserlichen M o m e n t e n darstellbar

ist, fo giebt mir dies eine bessere Einsicht in die Geschichte der Zeit, als die beste allgemeine Darstellung derfelben. 3st diefer Menfch verwebt mit allem Bedeutenden feiner Zeit, fo gilt dies hundertfach. Goethe 12*



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z . B. gieb't ein Bild des betreffenden halben Sahrhunderts in vollendet plastifcher Weife. Alles Material ist in Fülle für: „Goethe" oder „Deutfchland zur Seit Goethes" vor5 handen. Es durften diefem vielleicht dreißig Bände füllenden Material, nämlich feinen Briefen und den Antworten u. f. w. nur aus feinen Tagebüchern und sonstigen Werken Notizen und Hinweifungen auf feine Werke eingeschaltet werden. — Diese Arbeit und die Goetheschen Werke find das völlig objektiv geschilderte Seitalter Deutschlands. Was Deutschland damals gedacht und gewollt ist drin. — Borarbeiten find bekanntlich da, umfängliche. Buchhändlerisch und rechtlich steht Nichts im Wege. 3n tiefer ©tille oorS bereitet, demnächst ein zweckmäßiger Berlagsvertrag Deutschland und nmliegende Dorfschaften, wie wir, hätten Frende und Bortheil davon. Natürlich arbeiten wir das hier zusammen. Wann kommt Shr?

„ A m 2 1 sten nnd 22sten Dezember war ich mit Nap= pard im Sauterbrunner Thal, und wenn die Schweiz sonst

schön ist , wa r fi e diesma l erhaben . Eis-Stalaktyte

n vo n

hunderten Fußen, Eisfelfen ringsnm, donnernde Sawinen,

Staubbach aus und in Eis und diefe Sungfran!

„ D i e Seute hielten uns — in dem leichten offenen

Schlitten, dann zu Fuß — natürlich für etwas übergefchnappt. Es war himmlifch! Ade. Der Eure Simon.'' Zürich , 2 . Apri l 1856 .

„Mein geliebter Onkel!

„Dein Brief erinnerte mich an eine Anekdote, die der liebe Bater mit großer £nst uns manchmal erzählt — vom alten Neiter-General Favrat, dem Niefenstarken. Der lag



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doch auch einmal, alt, im Bette und hatte den Arzt holen

lafsen müssen. Als Der nnn neben ihm am Bette fass, fing der Alte zu klagen an: ,,Ach, Herr Doktor, Sie glauben gar

nicht, wie fchwach ich bin, alle meine Kräfte sind hin; sehen Sie, lieber Herr Doktor, Das'' — dabei fasste er mit der Nechten das Bein des Stuhles, auf welchem der Arzt fass, und hob Stuhl mit Arzt langfam in die Höhe, — „Das wird mir förmlich saner."

„Dein Brief, mein geliebter Onkel, und fein Inhalt zeigen, dass Dn Stuhl fammt Arzt für einen Sechsundsiebenziger recht passabel noch in die Höhe hebst. Das Examiniren junger Männer in bester geistiger Blüthe aeqnivalirt mindestens einen Arzt von 1 y 2 Eentner Schwere; —

die fchöne Einsicht in Dein ganzes geistiges, sittliches, körperliches Sein, Deine Klarheit, körperlich Deine Spaziergänge — mein lieber Onkel, der Arzt ist mindestens ein Geheimerath Wendt, der neben Dir fass. Welche feste Handfchrift fchreibst Dn — dem Inngsten gleich — aber der Arzt würde zn dick werden, wollte ich Alles vorsühren. „Mein geliebter Onkel, unter den sterblichen Menfchen find nnr Seltene gleich Dir hochbeglückt, mit diefer geistigen Frifche und körperlichen Kraft im hohen Alter zu stehen. 3ch sehe Deinen Brief mehr als das Ergebniss momentaner Beschwerden nnd Unannehmlichkeiten an, und habe die Ueberzengnng, dass Dn aus den oben gedachten Gründen noch Sahre gnter innerer Heiterkeit und Friedens vor Dir hast. Aber darin stimme ich Dir voll bei, dass Du jetzt beabsichtigest. Deine Stellung bei der Sustiz* Examinations-Kommission aufzugeben. 3ch habe allen Gründen, welche Du dafür angiebst, reiflich nachgedacht uud finde, dass es eine Pflicht gegen Dich ist, so wie Du vor hast, 5U handeln, nach allen Nichtungen hin. Du hast so reich im



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Staatsleben überhaupt und insbesondere auch in diefer Stellung gewirkt, daß ich die Krönung wünfche durch einen schönen Schluß, durch ein rechtzeitiges Abtreten vom öffentlichen Schaupla^. Wäre ich bei Dir, so würde ich Dic h z u eine m rasche n Entschluff e drängen , be i eine m Borgehen, das Du Dir feit fo lange überlegt hast, und* bei welchem daher von einer Uebereilung

nicht die Nede

sein kann.

,,Und wie Biel hast Du dann, bei eintretender Nnhe von änßeren staatlichen Berpflichtnngen, noch vor Dir. Das ist die Zeit, wo der Staatsmann feine Memoires fchreibt, feine Mittheilungen über Menfchen und Begebenheiten, die ihn näher, entfernter berührt haben; objektiver als früher steht er ihnen gegenüber, und die eigene Abklärung sührt ihn zur schmucklos wahren Darstellung, ohne die vielen Leidenschaften, die den mitten

im Seben Stehenden fchön und unschön

bewegen . Di e reiche n Brieffammlungen , welch e Di r z u

Gebote stehen, geben Dir tresfliche Anhaltspunkte, und ich bedaure nur wiederholt hierbei, daß Deine früheren Papiere jenem Dämon geopfert wurden. „Außer diefem Schaffen, das ich für höchst werthvoll als Abfchluß für Dich, als Geschenk für die größere Umi gebung und vor Allem auch für uns. Deine Nächsten, betrachten würde, — anßer diesem Schaffen bietet Dir die unermeßliche deutsche und franzöfifche Siteratnr und das Nückgehen auf einige Deiner Lieblinge des klassischen Alterthums eine fo reiche Ernte für Dein Empfangen, daß man fie eine nicht zu erfchöpfende nennen darf. „Meiner herzlieben Schwester sage ich für heute nur den innigsten Gruß; Dir, die Du der gute Genius unseres Hauses warst, der gute Engel sür Mutter, Bater und uns Alle, die ewig thatige Siebe, die volle Selbstlosigkeit und



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die D u n n n von Neuem eine i n n i g s t e Berbindnng hergestellt hast zwifchen den beiden Bruderhäusern. M e i n Inlchen,

wenn Schönleben Lieben heisst, fo hast Du ein reiches, ein

schönes Leben!

„Sch griisse Euch Beide aus das Herzlichste und mit Euch die lieben Mädchen.

„Bon hier wird meine kleine Hannah berichten. Der Eure. Heinrich."

An Professor Hottinger. Zürich , 22 . Apri l 1856 . Berehrte r H e r r !

„Erlauben Sie dem Shnen Unbekannten eine Anfrage an de n Gefchichtsschreiber , de n Schweizer . „Tschudis schweizerische Ehronik, eins der herrlichen Schriftdenkmale des Mittelalters ist mehr im Munde als in den Hänben der Mitlebenden, und schon Füssli klagte darüber in seiner Beschreibung der schweizerischen Eidgenossenschast. Die äusserlichen Gründe liegen nahe; die Ehronik ist theuer, schwer zu finden, ihres Formates wegen unbequem zu lesen. „Nach meinem Erachten würde es ein gutes, segenbringendes Werk sein, das kernhaste Buch näher zu bringen. Dies liesse fich, wie mir scheint, bewerkstelligen. Bergebung, wenn ich mir in dieser Nichtung verstatte, an Shre Persönlichkeit zn denken. Wollten Sie Shren Namen etwa dem Fleisse eines Shrer vielen Schüler einen, so könnte die Schweiz und Deutschland sich in nicht gar langer Zeit des trefflichen Tfchndi in einer verbefferten Ausgabe freuen, die gleichzeitig nicht zu theuer und doch anständig ansge-

stattet sein könnte, wie es einem solchen Nationalwerke ziemt. Shr Anfruf zur Subskription anf eine solche Berjüngnng des Alten wurde in der Schweiz allein, fo weit ich die hiefigen Berhältniffe kennen gelernt, eine fast genugende Zahl Unterzeichner finden, nnd wenn schon kein

Bnchhändler Anstand nähme, bei etwa fünfhundert Subfkribenten das Werk mit angemeffenem Honorar für den Heransgeber zu drucken; fo würde es doch bei folcher Subskriptions-Zahl nach meiner Annahme vorzuziehen sein, wenn einer der vielen patriotischen Schweizer-Bereine, vor Alle m ei n historischer , de n Berla g übernähme , s o da ß de r wegfallend e Buchhändlerisch e Gewin n eine m billigere n Ber kaufspreis e z u Gut e käme . S o könnt e de r schweizerisch e Herodo t Tschud i auc h de n mittlere n un d durc h di e Schul bibliotheke n alle n Schichte n de s Bolke s zugänglic h werden , namentlic h wen n etw a ei n Erscheine n i n Monatshefte n di e Geldausgabe vertheilte, überdies dem geistigen Aufnehmen des weitläufigen Werkes zu Hülfe käme. „Diese Wiedereinführung wäre ein National-Gewinn; meinte doch Goethe, daß man einen trefflichen Menfchen heranbilden könnte, ohne dabei ein ander Buch zu gebrauchen

als Tschndis oder Arentins Ehronik. Persönlich danke ich diesem Buche, das mir in früher Sngend in die Hände kam, meine Siebe für die Schweiz. „Nochmals, vergeben Sie, hochgeehrter Herr, diefe Zeile n de m Wnnfche , möglicherweif e ei n Schöne s un d Gu -

tes anznregen, was billigerweife nnr durch einen Schweizer

zur Ausführung zu bringen; ja, der Schreiber bedarf diefer

Bergebnng um fo mehr als ihm das Wiffen nicht mangelt, daß eine derartige fchwieriger ist.

Anregung fehr leicht, die Ansführung

«,3ch fchließe mit der Bitte, meinen Namen gegen



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Dritte in diefer Angelegenheit nicht zu erwähnen, hochachtungsvoll H . Simon."

Zurich, 6. Mai 1856.

Lieb Inlchen, lieber Onkel!

„Seid herzlich gegriisst in Eurer neuen Wohnung, in der es Euch recht behaglich und wohnlich fein möge! Was Du, mein Inlchen, uber sie schreibst, kliugt sehr lieblich: Garten, zwei Balkons ist wohltönend und die Lage gut, da der in Berlin unfchätzbare Thiergarten nicht weit. Greift nur gleich noch ohne Weiteres in den Bentel,. um Euer Plätzchen im Garten so comfortable als möglich einzurichten, au fdas s 3hr un d da s Bölkchen , da s liebe , mi t rech 5 tem Gennss , mi t rechte r Sehnfuch t dahi n eil t uu d hi n ver lockt werdet.

„Und Dich, lieber Onkel, denke ich mir, fobald die amtlichen Arbeiten befeitiget, an diesem prächtigen Sommerund Herbstplätzchen — es ist, so viel ich vorläufig annehme, ein höchst bequemer grosser Tisch mit Schublade, eine lange und breite Bank mit bequemer, gut ausgeschweifter Niicklehne, zwei amerikanifche Stuhle, die vermittelst einiger Oreillers zu einem Paradiese umgeschaffen werden können, einige Fussbänke — Alles in einem Nund, etwas erhöht, von wegen der Trockenheit, wozu einiger vaterländifcher Sand gute Dienste leistet; zu zwei Drittel umgeben von dickem Gesträuch, welches der Gärtner noch heute — es ist noch nich t z n spä t i m Inhre — z u fetze n ha t i n Exempla ren bis zehn Fnss Hölje; von der offenen Seite ein grösserer Nafenplatz und die Sicht auf ferne Stadtthurme, was den Eindruck süsser Stille und Zurückgezogenheit im Gegensatz



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zum fernen Stadtgewnhl und 8ärm macht, den die phantaste vorsührt . S o ungefähr , mi t de r Grazi e de r Mädche n variirt. „Also was macht mein Onkelchen anf diefem pla£e? O , da s fe h ic h gan z deutlich . E r sitz t au s eine m diese r mehrerwähnte n amerikanische n Stuhle ; de r lange n pfeif e entsteigen blaue Wölkchen reinen amerikanischen Kanasters; ein Portefeuille mit Briefschaften und Schriften liegt vor ihm; das kleine T r u d l i sit$t am Tifch, die eingetauchte Feder i n de r Hand , vo r sic h ei n Hest , da s fcho n ziemlic h ge füllt mit ihrer zierlichen Schrift, und der Onkel diktirt ihr feine Zeitgefchichte. Onkel, wirklich. Deine Memoiren mußt D u schreiben. D n hast Biel gefehen, Biel erlebt, Biel gedacht, ein starkes Gedächtnis steht D i r zur Seite; ein unmittelbares Parteinehmen ist zurückgetreten, soweit es durch Snteressen veranlaßt, anch dem unpartheiischen Manne wider seinen Willen entsteht; nnr die partheinahme bleibt und soll bleiben als Zeugniß der Zeit, die eben Du ist. Alle seffelnden Nücksichten sallen bei einer Schrist, die D u eine länger e Neih e vo n Sahre n vo r jede r Berösfentlichun g fchü^est , ode r auc h later e gänzlic h befeitigest . S o kan n e s ein Beitrag zur Zeitgeschichte von großer Bedentung werden, als Zierd e unsere r Famili e aber , al s Eröffnun g de s vo n mir bezweckten Familienarchivs jedenfalls, und von diefer allgemeinen Bedeutung abgefehen, von unfchäparem Werthe. „Meine ganze geistige Nichtnng ist eine entschieden historische , un d ic h hab e mic h dahe r Bie l mi t Geschicht e be schäftigt nnd thue es noch; als Nesultat habe ich gefunden, daß nur die Spezialgerichte, vor Allem ehrliche Memoiren , de n Name n de r Gefchicht e verdienen , fofer n i n ihnen eben am Meisten noch relative Wahrbeit, am Meisten noch die fables convennes ausgefchloffen sinb. Unb



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während nur das Genie, das mit instinktivem, rückwärtsblickendem Prophetenthnme sich in entlegenere Zeiten mit etwelcher, höchst zweifelhafter Wahrheit zurückversetzen kann und nur bei dem Borhandenfein fehr mannigfaltiger Kenntnisse, vor Allem nach praktifchem unmittelbarstem Eingriffe in das Staatsleben, Staatsgeschichten fchreiben kann, und während nach meinem Dafürhalten mit wenigen raren Ansnahmen alle Gefchichtswerke der letzten 3000 Inhre zn der wirklichen Gefchichte noch nicht einmal in dem Berhältnisse stehen, wie ein von Motten und Staub zerfrefsenes Herbabarinm zu den ehemals blühenden, von Bänmen und Gethier und Menfchen umgebenen Pflanzen; — während folche Ketzereien in mir stecken, nehme ich doch an, dass jeder gnt angelegte, einfache, ehrliche Mann höchst werthvolle Beiträge zur Gefchichte feiner Zeit fchreiben kann, wenn er das Motto drüber fchreibt: Ehrlich und wahr, was ich gefehen und was ich gedacht. „Diefer Mann kann falfch gefehen, er kann falsch gedacht haben; ist es aber eine nnr gnt angelegte Natur, und er berichtet ehrlich: fo fchildert er in diefem falschen Sehen und Denken fo gnt eine Partikel feiner Zeit, als in der thatfächlichsten Begebenheit. ,,So stimme ich z. B. mit Dir nicht überein über den Werth einer gnt organisirten Büreaukratie, und Deine Memoiren in spe werden sich mit mancherlei Ereignissen befchäftigen, die sie indirekt in ihr volles, vorteilhaftes und weniger vorteilhaftes Licht fetzen; sie werden sich dadurch weit mehr verdient machen um wahre Darstellung der Zeit und der Frage, als es ein philosophifches Naifonniren Über

dieselbe thun könnte. Bitte, mein lieber Onkel, nimm Dir die Sache zu Herzen! und wenn Du mir erlauben wolltest, ein Wort über die Art der Ansführnng zn fagen, so würde



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ich im Snteresse der Annehmlichkeit des Unternehmens für Dich und der Lebendigkeit der Darstellung den Wunfch ausfprechen, nicht von vorn anzufangen, fondern einzelne Zeitabfchnitte, ja einzelne Momente darzustellen, wie sie Dir grade vor die Seele treten. Aus solchen Materialien ergäbe sich im Laufe von ein, zwei Inhren ein belebtes, fchönes Gefammtgemälde von felbst. „Wie ich mich sreue, dass Du Deinen Abschied genommen, mnss Dir aus meinem letzten Briese hervorgehen, der

Dir diesem Schritte welchezu Deinem Wnnfchezuredete. entfpricht,MitbinderichKabinets-Ordre, nicht entfernt einverstanden. 3ch gehe hierauf nicht weiter ein und bin der Anficht, dass einem Manne, dem während einer bedeutenden Wirksamkeit durch fast zwei Menschenalter die Pflicht und nnr sie als unwandelbare Nichtfchnnr vorleuchtete, hierin auch die vollste Belohnung gegeben ist, die einem Menfchen überhaupt werden kann.

„Uns Allen geht es gut, und wir haben unter der

Bodmerlinde ein folches liebes Plätzchen, wie ich es Euch

oben fchilderte; wir leben hübfch znfammen, und an 3ohannchen habe ich meine befondere Frende; wir haben fo eben an einem Gessner'schen Bilde, das sie kopirt, eine kleine

3dylle, gemeinschaftliche Stadien gemacht, und in wenigen Minuten wird die Suschen eintreten, um sich von hier aus zu ihrem morgenden Geburtstage eine Partie entferntere Freundinnen zu bitten. 3ch fchenke ihr — für Euch Frauen — einen vollständigen hiesigen Heerd, mit Allem Zubehör, um eine glänzende Mahlzeit aus Spiritus zu kochen, gestern höchsteigenhändig in vielen Kupferfchmiedladen ausgefucht. „Lebt wohl 3hr Lieben Alle! ®er Eure

Heiurich."



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Zürich, 2. Oktober 1856. Morgens halb acht. Siebe Sndovike!*) Auge und HersMorgen; am offenen „Scheshabe erquickt; ist eben ein milder, weicher StadtFenster und sandschaft lächeln, nachdem es gestern abwechselnd gegossen; es ist so der Znstand, wenn sich das Kind ausgeweint, es lächelt, während es hie und da noch einmal schluckst, — halb getrocknete Wäfche, auf die der Sonnenstrahl fällt — a kli menfchliches seben

„Gestern hatte ich iiber Euch vielfältige ältere und

neuere Nachrichten. Trudchens Gluck ist eine Herzensfreude!

Wie folch eine Familie fich ausbreitet! Die Unfrige, die ihre Herz- und phalwurzel in fernem Welttheil, fernen Sahrtaufenden und fernen Berhältniffen hat und einen Zweig und Ableger mit dem Ehristenthum begoß und befruchtete — wi e steht fie ih n wachfen , fic h verbreite n un d mit dem Sanbe fchon befchatten, mit den Fruchten wirken und ansfäen. Ein Kind der Seit, theilnehmend an den Siiften der Gegenwart, mit feinen Sdeen, feinen Freuden

und Seiden, feinen Borurtheilen, Neigungen und Abneigungen. Der Herzenszufammenhang jeder Familie, ja jedes Sndividuums mit der gefammten Gefchichte des Menfchengefchlecht s is t etwa s mic h immerfor t Ergreifendes ! — Dem Menfche n is t unendlic h vie l Schöne s gegebe n — e r soll fich begnügen.

„Sudovike, Du wirst Dich gar gut auf Dein herrliches

Exemplar der Mimosa pudica erinnern, das Du zum Blühen brachtest ; ic h hab e be i Di r dies e gelb e Doldenblöth e zum erste n Male gesehen . Bo r zwe i Sahre n ha t mi r Fra u Schw.. . ei n solche s Bäumche n vo n etw a ei n un d eine m *) Simon's jüngste Schwester.



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halben Fuß Höhe geschenkt, das je£t wohl vier Fuß hoch ist, und eilf angehende Bluthen hat, die wohl aber noch Monate bis zur Entwickelnng haben. Danebenstehteine Dachwurzel, die ich, wie ein Pfennigstück groß, auf fchönem Punkte des Wallenfees vom Fels kragte; je$t überwuchert fie einen großen Topf. Daneben auf der anderen Seite ein großer Bufch Sawendel, den ich fehr kultivire, aus Ablegern, weil er hier selten und es fo eine eigenthümliche Heimathserinnernng. Wenn die Büfche groß, fe£e ich sie in den Garten.

„Es ist mir ziemlich gleich, was ich in den Blumen-

töpfen habe; das Zufehen der Entwickelnng und die fach-

gemäße Pflege bilden auch bei dem unfcheinbarften Pflänzchen bald zwischen ihm und mir ein freundfchaftliches Berhältniß ans, was, wenn liebenswürdige Eigenfchaften bei ihm dazntreten, zum Siebesverhältniß wird. Die Mimosa pudica liebe ich, vernachläffige aber die Dachwurzel nicht im Mindesten; sie kann wahrhastig nicht klagen. Am anderen Fenster stehen zwei große apart dazu gemachte Thonkästen, ganj gefällt mit Alpenveilich, Eyclamen, deren Zwiebeln ich vom G r ü t l i vor Sahren mitgebracht; fie haben fast drei Monate geblüht und lange Zeit in jedem der Kästen gleichzeitig wohl fünfzig Blüthen; es war ein himmlifcher Duft „Sch plage mich noch immer mit meinem Fuße, gehe seit drei Tagen wieder ein wenig aus, aus das Unentbehrlichste mich befchränkend. „Möge Dir Siebes und Gutes werden! Haltet Euch brav, gesundet Alle sehr! Der Enre Heinrich.''



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V. Wiedereintritt in die Politik 1858 . 1859 ,

Am 26. Oktober 1858 hatte der Prinz von Preußen die Regentichaft übernommen. Die demokratische Partei, die feit dem Jahre 1849 von jeder staatlichen Wirksamkeit sich fern gehalten, betrat aufs Neue den politischen Kampfplatz. Alle Blicke richteten sich wiederum auf Preußen, und allgemein wurde die Ertheilung einer Amnestie erwartet. S i m o n spricht fich hierüber in einem Briefe also ans: Zürich , 18 . Novembe r 1858 .

„Liebe Freundin!

„Der Gedanke, dass, wie ich ans Shrem Briefe an Marie ersehe, Semand für mich bitten könnte, und vollends ein Menfch, der mir fo nahe steht wie Sie, ist mir entfetzlich. 3ch würde nie die Nückkehr ins Baterland als Gnade annehmen, vielmehr lediglich als eine Thatfache erachten, zu der ich berechtigt bin. Eine Amnestie mnss als eine politisch verföhnende Massregel ausgesprochen werden

„ M e i n Standpunkt ist der folgende, und ich würde einem mir lieben Menfchen nie gestatten, sür mich von anderem Standpunkt aus zu handeln.



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„Sch bin mit dem deutfchen Parlamente gefallen in Bertheidigung deffen, was diefes anstrebte. Gegen die Beschlöffe uud Massregeln des deutfchen Parlaments, welche auf gefetzlicher uud rechtlicher, von fämmtlichen deutfchen Staaten, insbefondere auch von Preussen, anerkannter Grundlage standen, empörten sich die Grossstaaten Deutfchlands, und in dem abgebrochenen Kampfe unterlag das dentfche Parlament. Wir waren Befiegte. Und wir gingen als folche ins Exil. „Hätte ich je eine Spnr von Necht in dem Berfahren Preussens anzuerkennen vermocht, hätte es in diefem Kampfe einen andern Nichter für mich geben können, als den faktifchen Kampfesausgang, fo würde ich mich meinem Nichter - in Preussen gestellt haben. Sie trauen mir so viel Herzensstärke zu.

„Eine heutige Begnadigung unter folchen Umständen wäre ein Hohn, der mir jeden Blutstropfen in Wallung brächte, uud ich werde lieber fern vom Baterlande sterben, als dnrch mein Berhalten eine Berhöhnung des Heiligsten und Höchsten gutheisseu, was das deutfche Bolk — nach tiefem, jahrhundertelangem Falle — begeistert anstrebte. Das ganze deutsche Baterland, und Prenssen insbesondere, geniesst die Erfolge diefes Auffchwunges. Preussen hat in Folge Deffen mit der Berfaffuug eine staatsrechtliche Gruudlage gewonnen statt bisheriger Nechtslosigkeit, uud es kann nun das Bolk aus Ersterer das aufbaueu, was in ihm lebt; es hat die formelle Freiheit der Preffe erobert; es hat das Gefchwornengericht; es hat vor Allem neue staatliche Sdeen. „Es ist eines Staatsmannes von sreiem Blicke und eines ächten Menschen würdig, in dem Momente, wo Preussen ausathmet uud zum ersten Male in Nuhe die segensreichen Früchte jenes Stnrmes von 1848 gemessen



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wird, betreffs der Ehrenmänner,

welche hierzu m i t

oer-

h a l f e n , im Konflikte aber nnterlagen und feitdem eine furcht-

bare zehnjährige Strafe erlitten, — vor Allem die Fortdauer diefes äustandes 8u hindern, jene Männer nicht ferner leiden zu lassen, während 3hr Euch sreut, und wir uns aus der Ferne mit Euch freuen. Denn Sie können denken, liebe Freundin, daß ich — weit entfernt, dies mit meiner Person in Berbindnng zu bringen, — entzuckt bin über mein geliebtes Preußen und die noble Weife, in der sich Alles bewegt von oben bis unten. , , 3 m Uebrigen bin ich nicht vertrauensselig; auch glaube D i e Männer ich insbefondere nicht an eine A m n e s t i e .

sind mi r nich t dan ach, welch e Herr n v . Manteusse l un d

Konsorten mit Orden ansfcheiden und die Herren Simons und Heydt zu ihren Kompagnons machen lasten. 3mmer= hin ist es ein neues Athmen in erfrifchter 8uft, und weitaus die Hauptsache ist mir, daß das Bolk von Neuem

politifch lebt.

„Smmer der Alte.

H. Simon.''

Bei Gelegenheit der durch den italienischen Krieg von 1859 hervorgerufenen Debatten trat Simon zuerst wieder in die politifche Diskuffion ein. Während man damals in Süddeutschland sast allgemein verlangte, daß Preußen für Oesterreich Partei ergreifen sollte, schrieb Simon im entgegengesehen Sinne einige Seitartikel sür die schweizerische Zeitung: ,,Der Bnnd", die er später gesammelt als besondere Flugschrist unter dem Titel: f ,Don

Ouixote der Legitimität oder Deutschlands BeHeinrich ©itncn. II.

13



194 —

freier?"*) herausgab. Wir theilen hier den dritten Abfchnitt der Schrift mit, welcher die Ueberfchrift hat: „Preussische Wege''. „Das augstvolle Kriegsgefchrei der Suddeutschen erinnert fehr lebendig an jenen Menfchen, der ans Angst vor dem Tode sich das Leben nahm. Ans Angst vor einem möglichen Kriege mit Frankreich wollen sie sich in den gewissen Krieg stürzen. Die Leute wissen nicht mehr, was ein Krieg ist; sie würden sonst nicht als einen der Hanptgründe sür denselben ausführen, dass znr Zeit Handel nnd Gewerbe stockt, und das 'Gespenst der Noth durch Deutfchland zu jiehen beginnt. Sie begreifen nicht, dass dies, wenn ein deutfcher Krieg wirklich ausbricht, kaum der Anfang des Anfanges ist. Wer verbürgt es diesen Lenten, dass sich nicht ans dem mnthwillig entfponnenen Kampf ein zehnjähriger Krieg entwickelt, wie ihn der Anfang des Jahrhunderts gefehen? Mit wahrhaft kindlicher Leichtfertigkeit hört man fagen: wir gehen mit fünf-, mit fechshnnderttanfend Mann nach Paris und nehmen das Nest aus. Dass in einem folchen Falle die Franzosen eine Million Nationalgarden entgegenstellen würden, wenn sie nicht die verlumpteste Nation der Welt, das wird ignorirt; — dass es keinem Zweifel unterworfen ist, wie in solchem Fall auch Nussland sein Wort mitsprechen würde, das wird ignorirt. Dass wir, wenn der Fall ihrer Todesangst sich verwirklicht, und Napoleon nach wirklich besiegtem Oesterreich Deutschland an= greift, — dass wir alsdann noch eben fostarksind wie heute, das wird ignorirt. Oder wären wir nach der Ansicht der heutigen Schreier alsdann etwa weniger stark? Würde *) Zürich , Druc k un d Berla g vo n K i e s l i n g

, 1859 .



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vielleicht dann Süddeutschland, worauf mehrfach bereits mit Schamlofigkeit hingedeutet worden, fich vom Kriege zurückziehen? den Nheinbnnd in erneuter Auflage geben? ,,Das ganze wüste Geschrei zengt, was die große Masse anlangt, von Gedankenlofigkeit. Anders steht es mit den Leitern der Bewegung. Sie wiffen genau, was sie wollen: ein wohlkonservirtes reaktionäres KonkordatOesterreich; ein geschwächtes Preußen; die deutsche 3ammerwirthfchaft i n a l t e r Blüthe. „Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß prenßen bei

diesen Berhältniffen in einer nnendlich fchwierigen Lage ist.

Einen blutigen Krieg ohne Beranlassung beginnen, — das Tollhänslerische eines solchen Unternehmens steht ihm klar

vor Augen; denn Alles steht dabei auf dem Spiele, während auch im besten Falle weder fur Preußen noch fur Deutfchland von irgend einem vernunftigen Gewinne die Nede sein kann. Folgt Prenßen aber nicht dem Andrange, so riskirt es gegenüber den perstden österreichischen Sntrignen, die von den Negierungen aller deutschen kleinen Großstaaten kraft ihres Hasses und ihrer Furcht vor Preußen unterstütz wer-

den, sich gänzlich in Deutschland zu isoliren.

„Durch bloße Klugheit kommt Preußen aus diesem Dilemm a nich t heraus . Zu m Beherrsche n s o zerfahrene r Berhältnisse gehört neben der Klugheit vor Allem — ein stählerne r Eharakter . „Preußen hat anscheinend nur zwei Wege, wenn es sich nicht für immer von Deutschland als Basall Oesterreichs, ja als Schleppträger einiger reaktionären kleinen deutschen Staaten betrachtet wissen, wenn es nicht, mit einem Worte, bloß eine Fortsetzung von B r o u z e l l und Ollmütz liefern will. Für beide Wege ist Energie erforderlich. 16*



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„Entweder Preussen erkläre mit runden und netten Worten, dass es vor Allem Front machen werde gegen den deutschen Staat oder die deutschen Staaten, welche es verfnchen follten, in irgend welcher Weife den deutfchen Bnnd in einen Krieg zn verwickeln, der ihn nichts angeht; mit bestimmter, unzweideutiger Erklärnng, dass es sofort gegen diese deutschen Staaten losschlagen werde. Wir sind versichert, dieses Berfahren würde die Herren füddentfchen Ultramontanen nnd Neaktionäre ein wenig zur BefinnungEbringen, da es ihnen viel bequemer vorkommt fünfhunderttanfend Prenssen den Strauss gegen Frankreich ansfechten zn laffen, als sich felbst dabei in Ungelegenheiten zu setzen. Mit diesem Berfahren wäre die Gefahr eines Bürgerkrieges verbunden. Prenssen wäre innerlichst berechtigt, es hierauf ankommen zn lassen, da kein vernünftiger Menfch ihm zumuthen kann, fich nnd ganz Dentfchland wider feinen W i l l e n und wider befferes Wiffen in einen nnabsehbaren Krieg stürzen zn laffen. Die Schmach des Bürgerkrieges fiel anf jene Unken, die ans dnnkelm Hinterhalte Prenssen in diefe Lage verfetzt. „Der zweite mögliche Weg für Preussen ist in'seiner Ausführung für alle Theile weniger gefahrvoll, in seinem Erfolge ficherer; er bände für ewige Zeiten mit nnzerreissbaren Ketten Preussen nnd alle jetzt vereinzelten dentfchen Lande an Deutfchland: „Preussen stütze fich anf das deutfche Bolk! „Wie der jetzige preussifche Negent dem preussifchen Bolke Necht und Gerechtigkeit wiedergegeben hat, fo verkünde er Necht und Gerechtigkeit dem deutfchen Bolke. Die deutfche Neichsverfaffung vom Inhr 1849 ist zu vollem Necht beständig. Erkenne der Prinz-Negent von Prenssen



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die Thatsache ihrer Nechtsbeständigkeit an, nnd wie heute das preußische Bolk

mit ihm Hand in Hand geht,

ein

Schanspie l unerhör t i n alle n Länder n Europas , — i n

gleicher Weise geht dann von jenem Moment an Hand in

Hand mit ihm das deutsche Bolk. Aller Unkenruf ist in demselben Momente verschollen; das deutsche Bolk fühlt sich mit demselben Moment als große Nation und hat den Begriff verloren für schmachvolle Angst vor einem ehrgeizigen Abentenrer. Ewiger, gerechter Nachruhm einem solchen Negenerator Deutschlands!'' Der Schlnß der Simon'schen Schrift lautet: „Deutschland hat menschlichem Ermessen nach zwei Wege, groß zu werden: durch die Föderativ-Nepnblik oder durch Preußen. Mit Preußen und Oesterreich wird und muß Deutschland siechen, werden und müssen die heutigen unseligen Berhältnisse fortdauern. Darum soll der denkende, vom Gesühl für das Baterland beseelte Staatsmann in dem vom Geschicke gewährten Momente zur rettenden That greifen, und diefe kann ihre Nichtung nur nach folgender höchst hausbackener Negel nehmen: Erst im Haufe Ordnnng, dann draußen! „Umgekehrt machen es die Wirthshaus-Politiker. „Preußen hat heute die Aufgabe, Deutfchland zu einer vernünftigen Staatsverfaffung zu helfen, in der es endlich fein langes staatliches Dahinsiechen abschütteln kann. Es mnß dies thun, wenn es Deutschland vor den es bedrohenden Gefahren schüren will. „Der von der Neaktion hochgefeierte Nadowitj sagt in seiner Denkschrift vom 20. November 1849: „„Gegen den Widerstand Oesterreichs in Betreff der Bundesreform anzukämpfen, giebt es für Preußen nnr ein Mittel, aber



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diefes ist vollkommen genügend: die 1Berbindnng mit dem befferen Geiste der Nation."' „Und wir wollen heut die Antwort nicht vorenthalten, die hierauf Graf Fiquelmont in der offiziellen öfterreichifchen Staatsfchrift „Deutfchland, Oesterreich und Preussen" gab: „ „Der unpraktifche Gedanke einer dentfchen Einheit ist die erste Urfache der irrigen Politik Prenssens gewefen. Der Grundsatz der Nationalität ist in Deutfchland wie in Stalien eine lediglich revolutionäre Sdee, sobald sich daran irgend ein Gedanke von politischer Existenz knüpst. E s ist ein Hanptirrthnm der preussischen Politik, dass sie den Grundsatz der deutschen Einheit für lebensfähig gehalten hat. Das geben des modernen Europas hat sich so gestaltet, dass Deutfchland nothwendig unter der Macht der vermiedenen Sntereffen getrennt fein mnss. Man muss daher von allen diefen Einheitsträumen zurückkommen zu der Bundesakte von 1815 und sich genau an deren Bestimmungen halten."" — Seder Kommentar würde schwächen. ,,3m M a i diefes Sahres fprach sich nach Ergebniss des betreffendem Blaubuches in gleich offener Weise Graf B u o l gegen Lord Eowley ans. Oesterreich vertritt eben mit energifcher Konfeqnenz das Prinzip des Abfolntismus und der Bernichtung deutscher N a t i o n a l i t ä t . „Will Preussen sicher gehen, so wird es sich an die deutsche Bersassung halten, die aus deutschem Geiste im Sahr 1849 geboren und durch die Fürsten jener Seit erstickt worden. Prenssen ist berechtigt hiezn, weil diese Bersassnng Preussen an die Spitze von Deutschland stellt. Seder andere Bersuch, Deutschland im Grossen zu helfen, würde von Nenem fcheitern an Taufenden von Hindernissen. Gegen die Neichsverfaffung von 1849 können sich die kleinen deutfchen Fürsten nicht erheben, weil Erstere dem



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deutfchen Bolke entstammt, nnd das deutsche Bolk fie unter Preußens Aegide aufrecht zu erhalten wiffen wird. „Ein s vo r Alle m steht fest , un d wi r wiederhole n es : Prenßen hat gegen Deutfchland die Berpflichtung, es nicht auf Grund der reaktionären Gelufte der kleinen Staaten und zum Zweck der Aufrechthaltung österreichifcher Despotie in Italien — ohne jeden vernunftigen Grnnd in einen auswärtigen Krieg stürzen zn lassen nnd am wenigsten, bevor es seine staatlichen Berhältnisse geordnet hat; Prenßen hat die Berpflichtung, weil es der einzige Staat ist, welcher Deutschland hent vertreten kann. „ S o l l durchaus Konjektural-Politik getrieben werden, so darf man behaupten: „Daß nach einem folchen uudeutschen Kriege laut alter bewährter Erfahrung die fchlechte alte deutfche Wirthschast erneut ausblühen und ein zweiter Uhland einige 3ahre nach dem Frieden fein: „Wenn heut ein Geist herniederstiege!" singen würde; daß insbesondere Oesterreich mit seiner historischen Undankbarkeit antworten würde, über die dann die Welt billig nicht mehr erstaunen sollte. „Daß es vielleicht der einzige Weg ist, Napoleon auf

lange Daner zu h a l t e n ,

wenn seitens Deutschlands ein

gänzlich unmotivirter Einsall in Frankreich beliebt würde. Frankreich müßte sich alsdann, — nud es wäre das erbärmlichste Bolk unter Gottes Sonne, wenn anders, — mit der legten Kraft Napoleon anfchließen. „Daß dnrch einen solchen srevelhasten Krieg der alte Nationalhaß zwischen Deutschland und Frankreich von der Neaktion glücklich ans der Asche zur hellsten Flamme angeblase n wäre , a n de r si e vo n Neue m ei n Menschenalte r hin dnrch recht behaglich in ihren Hexenkesseln die zerstückten Gliede r Deutschland s brodel n lasse n könnte .



200 —

„ W i r fassen unsere Ansicht zusammen:

„Was Deutschland heute nicht thnn soll, liegt klar vor. „Was es thnn solle in dem möglichen Falle, dass Frankreich deutsches Gebiet bedrohte, oder sich in Stalien erobernd niederlassen wollte, versteht sich von selbst. „Sosort aber soll Deutfchland, den günstigsten, nicht wiederkehrenden Moment mit Krast ersassen, sein eigenes Hans zu bestellen. „Dafür wirke Seder nach seinen Ärästen, der es gut meint mit dem Baterlande! „Das wird uns auch das alleinige Bollwerk geben gegen ängstlich besürchtete sremde Angriffe:

Den Geist und die Form einer Nation.''



201



VI.

Die lekten Monate. I860.

Es war gegen Abend in der M i t t e des Jaunar I860, als S i m o n vom Museum (dem Züricher Lefekabinet) nach Haufe kommend, ziemlich erregt sagte: „Jch habe vor einigen Stunden die Rede des Prinz-Regenten bei Eröffnung der Kammern gelesen. Er kündet die heeresorganisation an, ganz in der Art, wie ich's vorausgesehen. Währen d meine s fpätere n Spaziergang s hab e ic h mic h mi t einer Entgegnung befchäftigt, die dazu dienen dürfte, dem Bolke über das ihm zugedachte Geschenk die Augen zu öffnen. Sch trage die Sache fertig im Kopfe und würde sie am liebsten sofort diktiren/ Das geschah denn auch, und nac h einige n Stnnde n wa r di e Flugschrif t fertig . Durch zufällige Umstände wurde der Druck verzögert, und

so schrieb S i m o n Mitte Februar an einen Parteigenossen in Leipzig: ,,Bor mehr als einem Monat wurde in Preußen eine Aenderung der M i l i t a i r v e r f a f f u n g angekündigt, des einzigen preußischen volkstümlichen Snstituts, das andern Staaten zum Borbild dienen konnte. Es soll bei Seit e geschobe n werden , u m in di e Nichtun g de s stehen den Heeres einzulenken; einem auf kurze 3eit aus. dem Bolke genommenen und daher mit diefem gleichfühlenden



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Kriegsmanne zieht man begreiflich einen möglichst lange drefsirten Soldaten vor. Die Sache ist für Preussen und ganz Dentfchland von erster Bedentung. Keine Stimme erhob sich bis jetzt in dem ganzen grossen Prenssen, die Zeitnngen brachten nicht Eine Befprechnng. Nichts beweist deutlicher, in welche Apathie man verfnnken ist; Nichts zeigt wieder einmal in klarerem Sichte die Gotha er. Das sögenannte liberale Ministerium wagt nicht zn athmen gegen die Neaktion, giebt sich felbst zn diesem Gefetze her; und die liberalen Zeitnngen wagen nicht gegen das Gefetz zu sprechen, um nicht die Minister zu geniren.'' Inzwischen war die motivirte Negiernngs-Borlage für die preussischen Kammern erschienen. Simon arbeitete feine Schrift mit Nücksichtnahme anf diese Borlage nochmals dnrch und sendete sie nach Seipzig an den oben erwähnten politischen Freund. Acht Tage darauf wurde die Broschüre: „ S o l l die

M i l i t ä r l a f t in Prenssen erhöht werden?'' in Berlin

ausgegeben und machte — trotz der Anonymität des Berfassers — als das erste entfchiedene Wort über die beabsichtigte Armee-Neorganifation — Aufsehn. Die Schrift beleuchtet gleich im Eingang den praktischen Kern der Frage.

„Wäre wirklich" — heisst es darin — „einem Preussen

die ausserordentliche Bedeutung der von der Negierung vorgefchlagenen nenen Militairverfaffuug nicht deutlich, fo würde ihm das Gewicht dieser Angelegenheit ans der Art und Weise klar werden, wie die Thronrede sie hervorhebt. Diese besagt, dass eine ähnlich wichtige Frage der prenssischen Bolksvertretnng noch nicht zur Entscheidung vorgelegt worden. „Der Gesetzentwurf betreffend die Berpflichtung zum Kriegsdienste unb feine Motive find jetzt veröffentlicht.



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„Nachdem das preußifche Budget sich seit 1849 während der Manteusferfchen Negiernng in einer anßerordent-

lichen Weife vergrößert, und die Kräfte des Bolkes dadurch dauernd bereits stramm angefpannt sind, — nachdem die preußifche Staatsschuld fich in einer bis dahin ganz unerhörten und dem Geiste der preußifchen Finanzgefchichte

widerfprechende n Weif e i m sauf e jene r zeh n unglückliche n sahre vermehrt hat: um fünfzig Millionen im sahre 1848, um achtzehn Millionen für die bei Bronzell endende Union, um dreißig Millionen für die Neutralität in der orientalifchen Krise und um dreißig Millionen für den italienifchen Krieg zwifchen Frankreich nnd Oesterreich, — nach diesen wohl zu berücksichtigenden Borgängen fordert heute das Projekt einer neuen Kriegsverfassung außer dem so hohen bisherigen Militair-Bndget jährlich die weitere Summe von neun nnd einer halben Million Thaler für das Militair, abgesehen von weiteren bereits angekündigten, aber noch nicht bekannt gemachten anßerordent-

lichen, , E sMillionen. wird dies

verlangt, während der Finanzminister

erklärt, für diefe neuen ungebenren Summen keine Fonds zu haben , si e vielmeh r dnrc h neu e Steuer n aufbringe n zn müffen; und man verlangt diefe Summen zn dem Zwecke, um die herrlichste Snstitntion Preußens, fein ein 5 ziges, wirklich volksthümliches Snstitntf seine Mili 5 tairversaffnng, zu Gunsten eines vergrößerten stehenden Heeres umzugestalten.

„Die Gründe, welche in den Motiven der Gefeitesvorlage für die Nothwendigkeit diefer Umgestaltung angeführt werden, erledigen sich vollständigst, wenn man bei ber bisherigen Heeresverfaffnng stehen bleibt und lediglich die Dienstzeit von drei auf zwei Sahre wieder herabseht.



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wenn man, statt die Berbesserung in der Bergrössernng des stehenden Heeres zu suchen, die Berbesserung der Heeresversassung in einer angemessenen Berkurzung der Dienstzeit uud dadurch herbeigeführten Berallgemeinernng der Dienstpflicht findet. Wird der Kriegsdienst von drei Sahren ans zwei Sahre wieder herabgesetzt, wie diefer Znstand so lange Sahre bestanden, so ist Alles erreicht, was die Motive des Gesetzentwurses als wünschbar, als nothwendig darstellen. ,,Das preussische Bolk fordert hier nichts Neues. Sn Folge der Kabinetsordre vom 24. September 1833 dauerte die militärische Dienstzeit des Prenssen von da ab bis 1852, alfo volle zwanzig Sahre, nur zwei Sahre. Erst unter dem unglückseligen MantenffeFfchen Ministerium erhöhte man die Dienstzeit wieder aus 2y2 Sahre und 1856 fogar wieder auf drei Sahre. Heute will man nicht etwa hierbei stehen bleiben, sondern die Dienstzeit im stehenden Heere aus acht Sahre erhöhen, wovon drei uud bezüglich vier Sahre ununterbrochener Dienstzeit bei der Fahne. ,,Die Frage, ob der Gesetzentwurs anzunehmen oder zu verwerfen, hängt, um in die Mitte der Sache zu kommen, ausschliesslich von der Beantwortung der Borfrage ab: Berliert der preussifche Staat an feiner M i litairkraft, wenn die Dienstzeit der Soldaten von drei Sahren wiederum aus zwei Sahre herabgesetzt wird? ,,Was spricht gegen die zwei Sahre? „Die Motive zu dem nenen Gefetzentwurf halten sich dieserhalb fehr allgemein. Sie beziehen sich ohne näheren Nachweis aus die Ersahrung. ,,Wir setzen dem die Erfahrung entgegen und weisen diese in unumstösslicher Weise nach." —



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Die betreffende Ausführung S i m o n ' s , anf die Geschichte und anf Aussprüche Napoleons gestüfct, übergehen wir, d a di e Sach e seither durc h Preff e un d Kammerver handlungen hinlänglich dargelegt worden. Wir erwähnen nur noch, daß er im Sanfe feiner Abhandlung sich den M o tiven der Negierungs-Borlage — betreffs der Ungleichheit und somit Ungerechtigkeit bei Ableistung der Militairpsticht — vollständig anfchließt; aber er weist zugleich nach, daß dieselbe in gleicher Ausdehnung, wie die Negierung es wünscht, ausgeglichen und das Z i e l der Negiernng, Bergrößerung des stehenden Heeres, durch Festsetzung der zweijährigen Dienstzeit vollständig erreicht wird, — und zwar

dann Am ohneSchluß E r h ö der h u nSchrift g des weist M i l i tSimon a i r - E t aauf ts.

die m i l i -

tairische A u s b i l d u n g der S u g e n d und auf die be-

treffenden fchweizerifchen Berhältniffe hin. „Für diefen Zweck" — auf den er, wie anf die zn verkürzende Dienst-

zeit, fchon im Sahre 1841 — in feiner Denkfchrift an den

damaligen Kultusminister Eichhorn*) — die Aufmerkfamkeit lenkte — „würde er mit Frenden eine Million Thaler auf dem preußifchen Budget begrüßen." —

Simon' s Schrif t fag t nicht s Neues ; e s fe i ih r über -

haupt nur das Berdienst zugetheilt, daß sie in allgemein verständlicher Form die von Allen gefühlte Wahrheit — das rechte Wort zu rechter Zeit aussprach. *) S . das „(gichhorn'sche Kommissorium/ Thl. I. Kap. VIII.

S . 163 flg.

-

206 —

„Pfingstgruss an Deutfchland." Die Erregnng, welche im Frühjahr 1860 durch die landesverrätherifche Drohung des Ministers von Borries (in der hannövrischen Ständekammer) hervorgerufen wurde, veranlasste vermiedene Kundgebungen der freisinnigen Partei. Simon wurde aufgefordert sich der sog. Heidelberger Erklärung gegen Borries anzufchliessen. Er lehnte es ab. Auch ein Theil der deutfchen Auswanderung in der Schweiz erliess zwei von Zürich ausgehende Proteste, von denen er sich ebenfalls fern hielt. Sie Alle legten nur Berwahrung ein gegen den Ausfpruch des Herrn v. Borries; er aber wünfchte ein nicht blos abwehrendes, fondern ein positives

Wort.

„Es kommt damns an,'' — so schrieb er bei diefer Gelegenheit einem Freunde, — „allen diesen Willeleien, Triasfen, Duafsen uud Sudaffen entgegen zu treten. Es liegt auf der Hand, dass eine Einigung Deutschlands überhaupt nur möglich in sehr bewegter Zeit. Kommt aber ein solcher Enthusiasmus, wie damals, wiederum über das deutfche kühle Bolk, fo soll der kostbare Moment nicht mit Disknfsionen über die Form verpufft werden; sondern es sollen die theuer erkausten Ergebnisse der konstituirenden National-Berfammlung als Fundament benutzt werden, u m a d r e m zu kommen."

In diefem Sinne ging im Frühling 1860 durch die deutfchen Tagesblätter die nachstehende Simon'fche Erklä-

rung, die er „feinen Pfingstgruss" nannte: „Gelegentlich des Minister v. Borries. „Es istselbstverständlich,dass alle deutsche Ehrenmänner den gedrohten Berrath verabscheuen. „ I n bedeutender Zeit wird es aber neben der Zurück-



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weifnng eines frechen Angriffs und anderer verwerflicher oder auch nur anseinandergehender Bestrebungen znr Pflicht, die Fahne hoch zn halten, Mn die fich alle Baterlandsfreunde einige n follen . Si e wurd e un s durc h di e sahr e 1848 und 1849 theuer erruugen: Die deutsche Neichsverfaffung! Beschloffen von dem gefammten deutschen Bolke!

„Seine erste Willenserklärung seit dem Beginn seiner

Geschichte und bis heute feine le£te Willenserklärnng.

„ S i e ist die legitime Fahne Deutschlands, und es giebt

keine andere , bi s da s dentsch e Bol k i n seine m zweite n par lamente gefproche n hat ; jed e ander e wirb t unwiffentlic h oder wissentlich der Sonderbundelei, nicht der E i n i g u n g Deutschlands. „Hinweg also mit allem leichtfinnigen Aufgeben schwer erworbener Nechte; hinweg mit allen Sonderwillen gegeniiber einer großen geschichtlichen Errnngenschaft! „Prenßen hat die Berechtigung und die Berpstichtnng, diefe legitime Fahne dem deutschen Bolke vorzntragen. Eine nicht lang ansbleibende schwere Zeit wird Preußeu an seine Pflicht und an sein Necht mit der Wucht der Thatsachen mahnen. Alle Baterlandsfreunde aber sollen das Hereinbreche n derselbe n nich t abwarten , sonder n gegen Über de n ernste n Berhältnisse n heut e di e Einberufun g des deutschen Parlaments mit der Allgemeinheit und

Beharrlichkeit sordern, die des Erfolges ficher ist. „Zürich, am pfingstfonnabend 1860.

Heinrich Simon.''



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In der letzten Hälste des Inni 1860 verbreitete sich die Nachricht: Friedrich Wilhelm I V sei todtkrank, er werde in den nächsten Tagen sterben. Sowohl die Briese aus Preussen, als die Stimmung unter den im Ausland e lebenden Deutfchen, namentlich den Berbannten in der Schweiz, zengten von nnverkennbarer Spannnng nnd Aufreguug. Die Amnestiefrage trat wieder in den Bordergrnnd nnd ward anch von S i m o n nnd den ihm Nahestehenden viel-

fach befprochen.

S i m o n war all die Zeit ansnehmend heiter gewesen; da — am 4ten 3 u l i — ereiguete es sich, dass ein uns gewohnt trüber Gesichtszug, ein Schleier, der seine Stimmung und feine Stimme an jenem Tage bedeckte, der Familie überraschend uud beunruhigend auffiel. Freilich glich sich dies bald wieder aus; und da er aus die Frage, ob er unwohl fei , e s verneinte , auc h Abend s wiede r heite r un d di e nächsten Tage besonders thätig war, so dachte man dem weiter nicht nach. Nnr das geübte Ohr der Siebe konnte einen weicheren, innigeren Ton entdecken. Indess eben an diesem 4ten 3 u l i hatte Simon, — wie man nach seinem Tode sah, — in sein Tagebnch Folgendes geschrieben: ,,Hent 4. Inli 1860, knrz nach dem Aufstehen, ohne jede mir erkennbare äussere Beranlassnng ein so heftiger Schwindelanfall, dass ich nnr mit energischem Willen die Ohnmacht verhüte. ,,3ch müsste mich tänschen, oder die Anzeichen eines bevorstehenden Nervenschlages treten bei mir hervor; träfe ein Solcher edle Theile des Organismus, so wäre en cas que dies einem Herzenswunsche gemäss. ,,,,Ganz oder gar nicht"" ist mein Spruch. 3ch bin sehr ruhig." Am 6. 3uli gab er den nachstehenden Brief znr Abschriftnahme, nnd am 8ten beförderte er ihn an seine Adresse:



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An den königl. preußischen Wirklichen Geheimen Staatsminister Herrn N. v. Auerswald, Nitter u. s. w. zu Berlin. Zürich , 8 . Juli I860 .

Hochgeehrter Herr!

„Bor langen Sahren*) wendete sich der Unterzeichnete als Mitglied des Fünfziger-Ausschusses an Ew. Excellenz, den damaligen Minister, ohne ein anderes Mandat als sein Snteresse für Preußen und Deutschland. Es geschieht dies heut zum zweiten Mal unter Berhältnissen, die nur in sofern gleichen, als das nämliche und kein persönliches Snteresse die Beranlassuitg giebt. „Nach den öffentlichen Nachrichten dürste die schwere Prüfung des Königs von Preußen ihrem Enbe nahen. Man bezweifelt in Deutfchland nicht, daß nnter die ersten Handlungen feines Nachfolgers die Amnestie für politifch Berurtheilte der Sahre 1848, 1849 zählen werde. Bon der Art, in welcher diefe Maßregel erfolgt, wird es abhängen, wie fie von prenßen und Deutfchland aufgenommen wird. Nachdem die preußischen Trauerzustände des vergangenen SahrSehnts beseitigt, wußte unb weiß man sich nicht begreiflich zn machen, warum dennoch das schönste Borrecht der Krone geruht, warum der Prinz von prenßen es bis je£t unterlassen, fich auf so gegebene Weise anch in bieser Nichtnng mit bem Herzen bes Bolkes in Übereinstimmung zu se^en. Als ansschließlichen Erkläruugsgrunb giebt man persönliche Nücksichten gegen ben König an, währenb allgemein anerkannt wirb, daß kein Staatsinteresse irgend welcher Art vorliegt, einige Personen länger im Kerker zu behalten, oder jene über Europa und Amerika zerstreute. *) S . obe n Thl . II . S . 25 .

Heinrich ©irncn. II.

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durch das Elend des Exils gelichtete kleine Schaar von ihrem Baterlande nach Berlans von zwölf Sahren länger auszufchliessen; während Oesterreich es wagen konnte, eine Amnestie zu erlassen und das ans reine Gewalt gegründete französische Gonvernement; wahrend andererseits eine volle Bersöhnnng mit dem Bolke, dessen innerstem geben das Sahr 1848 angehört, nicht erfolgt ist, fo lange.man jene Berbannte, — zufällige und nur vereinzelte Träger diefes Gefchichtsabfchnittes, dessen wahre Träger das gesammte Bolk, ganz Enropa, — vom Baterlande strafweife fern hält, Männer, die für Sdeen leiden, welche hente i'n Preussen gesiegt und staatsrechtliche Berhältnisse herbeisühren halsen, deren sich jeder Prensse mit Stolz und Wohlgefühl bewnsst ist. ,,Wäre nicht wiederholt dnrch die Zeitungen seit zwei Sahren das Gerücht gegangen, dass nur sür diejenigen ans politischen Gründen Berbannten Begnadignng eintreten werde, welche Letztere, nnter Neuebezeugung über ihre Bergangenheit, nachfuchen; wäre nicht unbegreislicherweise selbst ein Begnadigungs-Gesuch noch in neuester Zeit, wie mir bekannt geworden, ans rein bürokratischem Wege abgelehnt worden; hätte nicht der Herr Sustizminister sich in einem einzelnen Falle vor etwa einem Sahre gegen einen Mann, der sich damals dem Gerichte gestellt und von letzterem sreigesprochen worden, in ähnlicher Nichtung ansgesprechen; so würde ich mein Schreiben für völlig unnütz halten. So aber fei mir gestattet das Wort zn sagen: „Nnr in Einer Weise kann und dars die Amnestie erfolgen. Unbedingt, ohne jeden Borbehalt und in versöhnendster Form. „Es wäre für das gesammte deutsche Bolk schmerzlich zu bedauern, wenn ein staatsmännischer Akt, der gleichzeitig



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ein Akt der Siebe und Bersöhnung, statt in hochherziger Weise vom Bolke empsangen zu werden, in kleinlicher Art erfolgte, wie dies in Preußen auch gute Maßregeln so hänstg abschwächt. Es würde eine Begnadignug statt der Amnestie, vollends eine an Bedingungen geknüpste Be-

gnadignng, von allen edlen Männern, die sich in so reicher

Zahl unter den Berbannten befinden, mit voller Entschie-

denheit verworfen werden, und es würden sicher Biele derselben die Berpfiichtnng sühlen, ihren öffentlichen Protest gegen einen derartigen Berfnch ihrer Demüthigung, ja Entwürdignng auszubrechen. Die Nation aber würde es in zwiefacher Nückficht beklagen, wenn unter Denjenigen, denen einst Hnuderttaufende ihr öffentliches Wohl und Wehe anvertraut, wirklich auch nur Einer durch langes Elend dahin gebracht wäre, einen sich felbst verleugnenden Schritt zu thun; fände sich aber ein Solcher, was gewönne die preußifche Negierung durch feine Erklärnng? einen entehrten Preußen. Es würde ein Berföhnnngsfest, dem, wenn ans vollem Herzen gegeben, das deutsche Bolk als einem nenen wesentlichen Grundsteine der Zuneigung znr jetzigen preußischen Negierung zujubelte, auf erwähnte Weife gegeben, an den kaum gelegten Grundsteinen rütteln. Und doch thnt Deutschland zunächst und vor Allem Eins Noth: das gerechte, also aus seste Grundlage gestü^te Bntrauen zn Preußen. Nur auf diefer Grundlage kann Deutfchland ohne furchtbare, nicht abzufehendeJKämpfe zu einer glücklichen 3nknnft ge5 langen. Der Berstand des deutfchen Bolkes ist in dieser Beziehun g mi t feine m Herze n i m Widerfpruche . Erstere r sagt ihm, daß Dentfchlands politifcher Sammerzustand, der es zu einer Nnll unter den Bölkern macht, nur durch Preußen gehoben werden könne, und die klare Einficht hiervon wirkte fo tief, daß das deutfche Bolk dem Könige von 14*



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Preussen die deutsche Krone gab, nnd nenn und zwanzig dentsche Negiernngen sich ausdrucklich hiermit einverstanden erklärten. Dem folgten inzwischen zehn Inhre, in denen Prenssen aus das deutsche Herz trat. Der Ehrenmann, der heut an der Spitze Prenssens steht, wird seine Berurtheilung dieser sur immer zu beklagenden Zeit in einer nie wankenden Weise bethätigen müssen, wenn Dentschlands neue Hossnnngen kraftige, tiefe Wnrzeln fchlagen follen. Es ist bei uns nicht bekannt, wie abgeneigt man Preussen, von Oesterreich abfehend, namentlich in den süddeutschen Staaten ist. Was aber ist Preussen ohne Deutschland in hentiger Zeit? Was stünde wohl heute dem zweiten Nheinbunde und dessen Konsequenzen entgegen, wenn nicht der unendlich höher als die deutschen Fürsten stehende deutsche Bolksgeist? — „Unpersönlich durfte ich meine Ansicht über die Amnestiesrage nennen, da ich die Berbannnng ans meiuem schmerzlich geliebten Baterlande während fo langer Sahre meines bewussten Lebens niemals als eine rechtliche betrachtet habe, fondern als ein rein thatfächliches Berhältniss, das

von einer Uebermacht über mich verhängt worden, ein thatfächliches Berhältniss, welches ich daher sich ändern sehn werde, ohne mich dadurch irgend wem zu Danke verpflichtet zu fühlen, und zwar um so weniger, als die Benutzung einer Aufhebung des Exils— in Folge der Notwendigkeit, fich im Lause von zwöls Sahren eine neue Lebensbahn zu gründen, nnr mit den schwersten Opfern für jeden in diefer Lage Befindlichen möglich ist. Betreffs der Bielen, welche mit mir in gleicher Lage, kann es von Snteresse sein, Ersteres mit einigen weiteren Worten zn berühren. Es find dies diejenigen Persönlichkeiten, welche damals die in der Lnst und in allen europäischen Bölkern lebenden Sdeen im deut5 scheu Neichsparlamente und in der preussischen national-



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Berfammlung vertraten, auch d a n n noch vertraten, als fie

hierdurch mit der fiegenben entgegengesehen Nichtnng in Konflikt kamen nnd somit ihre bürgerliche Existenz ihrer Ueberzengnng opferten, gieße sich die Negierung von den Gerichtshöfen Bericht über die gegen diese Berbannten ergangenen Urtheile erstatten, so würde diese Znsammenstellung sehr wunderliche Nesnltate ergeben. Die Frage beispielsweise, ob Derjenige sich bes Hochverraths ober überhaupt schulbig gemacht, ber ben ihm anvertrauten Posten als deutscher Neichstags-Abgeordneter auch noch in Stuttgart behauptet, ist durch preußische Nichtersprüche völlig verschieden, ja gänzlich entgegengesetzt benrtheilt worden! „Oesterreich — das vielgeschmähte Oesterreich — leitet gegen diese Personen gar keine Untersuchung ein. „Baiern schlägt in allen betreffenden Fällen die Unterfuchung nieder. „ W ü r t e m b e r g leitet keine Unterfuchung ein. „ S a c h f e n - W e i m a r desgleichen.

„Für das Königreich Sachsen seht der oberste Gerichtshof, das Ober-Appellationsgericht zn Dresden, trotz bekannter damaliger äußerster Neaktion in Sachsen, in allen betreffenden Fällen die bereits zur Unterfuchung Gezogenen anßer Berfolgung. „Der großherzoglich hefsische Gerichtshof spricht sie srei.

„Das Ober-Appellationsgericht zn Nostockspricht sie frei. „3u dem ganzen außerpreußischen Deutschland vernrtheilt in diesem Falle lediglich Knrhessen, jedoch erst unter Haffenstug, zu zwei Sahren Festung nnd Schwarzburg-Nudolstadt zu Einem Sahre Festung. „Und dagegen Preußen? „3n Preußen vernrtheilen wegen derselben Thatfache



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zum Tode das Schwurgericht zu Berlin, das Schwurgericht Dusseldorf, das Schwurgericht Trier. „Es verurtheilt zu lebenslänglichem Zuchthaufe, fage Zuchthaus, das Schwurgericht Breslau, das Schwurgericht Naumburg. „Es verurteilt zu fünfzehn Sahren Suchthaus der politische Staatsgerichtshof des Kammergerichts. „Es verurteilt zu zwölf Sahren Snchthans das

Gericht Spandau.

„Zu zehn Sahren Buchthaus das Schwurgericht Breslau in einem zweiten Falle. „Zn fünf Sahren Gefängniss das Schwnrgericht Heiligenstadt. „Sn Einem Falle wird gar feine Untersuchung eingeleitet. „Das Sand"- und Stabt-Gericht Oppeln befindet in einem anderen Falle, dass kein Grnnd znr Unterfuchung vorliege unb setzt den Berhafteten in Freiheit. „Es sprechen die betreffenden Angeklagten vollkommen frei: der Schwnrgerichtshof zn Köln, der Schwurgerichtshof zu Königsberg, der Schwnrgerichtshof zn Magdebnrg, der Schwnrgerichtshof zu Münster, der Schwnrgerichtshof zu Grünberg, der Schwurgerichtshof zu Siegnitz. „Sedes hinzngefügte Wort über dies gerichtliche Würfelfpiel mit der Wohlfahrt, der Ehre, dem Seben fo vieler trefflicher Männer wäre Ueberflnss. Anch nicht Einer jener Männer würbe heute vou irgeub welchem preussischen Nichterkolleginm verurteilt werden. Es ist nicht der Ort, hierauf

näher einzugehen; der Hinweis genügt auf die vielen ans erkanntesten Nichterkollegien in Prenssen nnd ganz Deutsch* land, welche damals in den Momenten blutiger Neaktion freisprechende Urtheile erlassen mussten. Die Berbannten, die ihrer Ueberzengnngstreue ihre Existenz geopfert, werden betreffs der Nechtsmässigkeit ihrer Handlnngsweife zweifellos übereinstimmen mit der Ansicht weitaus der meisten nnd

berühmtesten Gerichtshöfe des gefammten Dentfchlands, dass sie völlig frei sind von jedem Bergehen gegen ihr Baterland; daher ihr mehr als zehnjähriges „Elend" — wie nnsere deutschen Altvorbern das Exil nannten, — welches sie hent noch erbnlben als bas schwerste Unglück, aber als ein rein tatsächliches Berhältniss betrachten — bas nicht im Stande,5 ihnen ihr Bewnsstsein zn rauben, als gnte Patrioten gehan belt zu haben. „Das Interesse an ber bnrch bie Folgen des Erils klein geworbenen 3ahl von Unglücklichen bleibt jeboch das völlig untergeordnete gegenüber bem allgemeinen Interesse. Eine Amnestie kann unb soll kein Akt bes M i t l e i b s sein. Es soll der staatsmännische Akt sein, der die Berföhnnng mit der Bergangenheit, der bas in einer Krankheitskrisis momentan zerrissene Band zwifchen Bolk nnb Fürst voll wieder herstellen will; ein Akt, ber die Anerkennung enthält, dass eine weit über die Kraft des Einzelnen hinansreicheude Macht es war, welche jene Staatskrifis herbeiführte uud das Schickfal Einzelner hineinflocht; der feierlich ausgefpro* cheneWnnfch, dass alle Schulb, bie berBefiegten unb ber Siegenben, entfühnt, ein neuer Bunb geschlossen sein solle. „Kleinlichkeit bei einem folchen Akte verriethe nicht uur ben Mangel an Hochherzigkeit, sonbern vor Allem ben Mangel an politischem Blicke.



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, r 3 n Hochachtnng , — durc h da s Bertraue n diefe s Schrei -

bens bezeugt, —

Ew. Excellenz ganz ergebenster Dr. Heinrich Simon.'' Sorge fur die Ehre feines Baterlandes, fur das Wohl feiner Schicksals- und Gesinnungsgenossen hatte S i m o n den obigen Brief eingegeben. Er war eine lehte Siebesthat.

Gegen Ende 3uli beschloß S i m o n eine Erholungsreise nach Ober-3talien zu machen, während sein Bruder Gustav ihn in seinen Geschäften vertreten sollte. 3n Belaggio am Eomersee traf er verabredetermaßen mit Advokat H i l t y * ) zusammen. Beide Freunde gingen nach Mailand, Genua, T u r i n ; sie genossen einander doppelt inmitten der schönen Natur, inmitten des Ausschwungs der wiedererstandenen Nationalität eines unterdrückten Bolkes. 3n Genna traf Simon den als Militairschriftsteller bekannten W. Nüstow, der im Austrage Garibaldis für die bevorstehende geheime Expedition nach S i c i l i e n und Neapel thätig war. Bon ihm vernahm er Einiges über die gefaßten Pläne, — genug, um neben dem Selbstgeschanten sein Herz mit schöneu Hoffnnngen für Stalien zu erfüllen. Ueber den gehabten Eindruck schrieb er an Max S i m o n in Breslau: ,,3ch habe Stalien zum zweiten Male in höchster Glnt nationaler Begeisternng gesehen, etwa aussehend wie das schönste Mädchen in Siebesglut, wie ein Apollo im Äampse, den Sieg im Herzen. Erzählen möchte ich Dir, von Schreiben ist keine Siede. Es geht dort unaufhaltsam vor*) Sieh e obe n Thei l I i . Kap . 4 .

— wärts

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A u f diefer Neife bin ich mit sehr vielen Deut-

fchen zusammen gewesen, und ich habe bessere Eindrucke davon als ich erwarten konnte; es regt sich überall. Lernen wir Unterordnung der Willen unter den Gesammtwillen, lernen wir nns um eine Fahne schaaren, so ist alles Uebrige da. Fur den Moment kann diese Fahne schlechthin nnr die von dem Bolke beschlossene Neichsverfaffung fein. Sch habe vielfach in jenen Gefprächen den Anklang meines betreffenden Anfrufs mit Freude gehört " Auch a n di e Schwester n i n Schlesie n schrie b e r i n gleichem Sinne, noch voll des Erlebten. Am sechsten Angnst, Montag, kehrte Simon über den Gotthardt nach Zürich zurück. Dort verlebte -er mit den Seinen und mit Freund Neinstein, der ans Wabern (bei Bern) znm Besuche herüber gekommen, einige frohe Tage und trat dann Sonnabend, den 11. August, eine Inspektionsreise an nach den Schieserbrüchen von Psäffers und Engi nnd nach dem Kupferbergwerk Mürtfchenalp. Brnder Gustav und Hilty geleiteten ihn znm Bahnhos. „Möcht' es Dir doch recht gut gehen!." wünfchte Frau Marie Gärtner beim Abschiebe. „Warnm sollte es nicht!" sagte er heiter unb frenndlich. Sie fah ihm vom Fenster nach, er grüsste mit der Hand hinauf und verschwand ihr hinter den Bäumen. Seine Neise war günstig, die Geschäste befriedigend. Unterwegs fprach er viele ihm näher und ferner stehende Personen. 3n Nagatz traf er K a r l Boigt. „Wir unterhielten uns natürlich vortrefflich!" schrieb er. 3n ihrer Frende über die Ereignisse in Statten stimmten sie überein. 3n Pfäffers, wo er die Schieferbrüche befichtigte, wnrde er gebeten, ein niedliches zehnjähriges Mädchen ans Stnttgart, bas unwohl geworben, in seinem Wägelchen mit nach

— N a g a l zu nehmen.

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„Sie wurde ganz munter, erzählte

mir tausend Dinge." erhielten Bon Nagat3 gingBriese es nachvonGihm, l a r u— s, Engi. Die Seinen sast täglich

den legten am Donnerstag, den 16. Angnst — an seinem Todestage! — Er schrieb ans Glarus, Abends 9 Uhr, nachdem ihm znm legten Mal die Sonne untergegangen: „ . 3ch habe mich aus meine Stube fo eben zurückgezogen nud sihe bei offenem Fenster. Yis ä yis im Eastno ist der große Äinderball, der die Tanzstunden beschließt, und der Plat$ mit Glarnern, zu Ehren des großen Ereignisses, gesüllt. Sch suhr gestern Abend nach Engi, war heut bei schönstem Wetter im Bruche Die Fahrt gestern wnnderschön, und eben so heut hierher — wunderschön! Sch konnte mich nicht satt sehen an den in der Sonne glänzenden Smaragdwiefen, den noch tief befchneiten Bergriefen " Ueber feinen — am 16. August erfolgten — Tod bleibt noch Folgendes zu berichten.

Am gedachten Tage Bormittags fuhr S i m o n in einem

Wägelchen von Glarus über Obstalden nach M n r g am Wallenfee. Der Äntfcher, der ihn fuhr, kannte ihn von früher her, er follte mit dem Pferde, das Simon von Mnrg ans reiten wollte, mit zur MÜrtfchenalp hinauf. „Der Herr war fo freundlich wie immer, und freute sich Über den fchönen Weg;'' fagte der Äutfcher. Als sie auf die Höhe kamen , la g de r Wallenfee , lachen d i m Sonnenfchein , vo r ihnen. Simon sagte, hent fei's fchön znm Baden; da aber fpäter der See etwas unrnhig fchien, gab er die 3dee anf. Um zwei Uhr in M u r g angelangt — kehrte er, wie immer, beim Äreuzwirth ein. Da die Fahrt heiß gewefen, kleidete er sich um, bestellte fem Mittagbrod, wollte während des



219 —

mit dem Wirth, Gemeinde-Präsident Gmur, plaudern. Dieser aber hatte Gemeindesitzung. Ein Bnch war nicht zur Hand, das Essen noch nicht fertig. Er trat hinans auf den Borfprung des Hanfes; der See mnsste wohl in bestrickender Pracht und Stille vor ihm liegen; denn er ging ins Haus, bat das Essen noch eine halbe Stunde hinauszufchieben: ,,es fei gar zu schön, er wolle doch erst baden, das werde ihn erfrifchen zu dem weiten Wege, den er heut noch vor fich habe.'' Das Bubchen des Kreuzwirths bestellte den Schiffsmann. Noch ehe Dieser das grüne Schifflein losgemacht, war S i m o n schon am User. Der Schiffer, ein älterer Mann, mit gutem sanften Gesicht, sagte später: „Es war ein gar so stattlicher Herr! so freundlich und fo jovialifch wie ich noch Keinen gesehen." Sie fnhren anf die Höhe des See's. Simon gebrauchte alle Borsichtsmassregeln gegen zu fchnelle Abkühlung, reckte sich noch recht in der Wonne des Wohlbefindens und sprang kopfüber in den See. Längere Zeit schwamm er nm den Kahn herum, sprach und scherzte mit dem Schiffer. Zwei, drei Minuten nach feinen letzten scherzenden Worten sah ihn der Schiffer plötzlich einen Moment gleichfam aufrecht im Waffer stehen, dann neigte sich das Hanpt anf die Brnst und lantlos sank er in die Tiefe. Ein Nervenschlag hatte ihn getroffen, die vollste Wonne des Lebens hatte die Schranke des Lebens gefprengt. Der Schiffer fuhr noch lange mit dem Schiffchen anf

der nämlichen (360 Fnss tiefen) Stelle umher. — E r kam nicht wieder.

„Noch haben wir ihn nicht gefnnden," fchrieb Simon's Pflegetochter einige Tage daranf an Ludwig Simon. „Er foll in Mnrg am See's Nand begraben werden, wenn wir ihn gefnnden haben."

„ „ I n , da begrabt ihn, — wenn Shr



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ihn gefunden habt!'''' antwortet der Frennd schmerzerfüllt. ,,,,Er ist es werth, daß sein Grabhügel sich irnnitten diefer großartigen Natur erhebe. Schaut auf ihn hinab, ihr stolzen Schneehänpter! bespüle sein Gebein, du trjo^ig schöner See ! D a lieg t ei n ganze r Man n i n de s Worte s vollste r Bedeutung Und sollte sein Gebein ans dem majestätischen Wassergrabe nicht mehr emporsteigen, so se^t ihm am Nande ein Denkmal, damit der deutsche Wanderer, wenn er über den See ins Nheinthal oder nach Zürich sährt, wisse, wo er sein Schisflein abzulenken hat, nm dem dentfchen Ehrenmanne anf fremder Erde den Zoll feiner Achtung und Dankbarkeit darzubringen!''''

Wir fchließen die Sebensgefchichte Heinrich S i m o n ' s mit dem Dichterworte, das Mori£ Hartmann dem dahingeschiedenen Freunde gewidmet hat: De r tief e Se e is t sei n wilde s ®rab , Ju Freihei t lieg t e r begraben ; Di e Kurfürsten* ) blicke n trauri g hera b Au f ihn , de n gekür t wi r haben . De n Hutte n beherberg t de r ander e Se e M it einsame n Juselborden: Di e Brüde r i n (bedanke n un d We h Sin d nu n auc h Nachbar n geworden . Nu n wolle n wi r glauben , das ) s o e s kommt : Das } sic h beid e nächtlic h besprechen . Wa s Deutschland , ihre m theuern , frommt . Und wi e di e gesse l z u brechen .

*) Siebe n Bergspi^e n a m Wallensee .



221 —

Sh r Wor t vo n Win d un d Welle n belausch t Wird flüstern d weite r getragen . Bi s e s empo r i n de r Heima t rausch t Ju Auferstehungstagen . Bie l Zukunf t berge n di e beide n See'n , Wie jene r Ber g Kyffhäuser ; Die Beide n ha t sic h da s Bol k ersehn . De s Bolke s heutig e Kaiser . — Wen n eins t ih r ©eis t au s de n Welle n brich t Ju seine r lauter n Neinheit , Dan n fliege n auc h nimme r di e Nabe n nicht , und komm t di e verkündet e (Einheit . Nun suche n si e noc h i n tiefe m Se e — (Wi e i m Saleph* ) einst ) — nac h de r Leiche : S o suche n wi r noc h i n tiefe m We h Nac h de m heilige n deutsche n Neiche . O lasse t ih n ruhn , w o e r je^un d ruht . De r ©eis t schweb t übe r de n gluthen . (§r schlummer t sanft , e r schlummer t gu t 3m ©xil , de r Heima t de r ©uten . * ) Saleph, der Sluss, in welchem Barbarossa ertrank.

Anhang.



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I. ©(Jrensdjenfumg. Nachdem die Hinterlaffenen des im Wallenfee den 16. August 1860 verunglückten Herrn Dr. Heinrich S i m o n gewünfcht haben, die Leiche deffelben auf Gemeindeboden der Ortsgemeinde M u r g beizufetzen und ihm dafelbst ein Denkmal zu errichten, so hat dieselbe in ihrer ordent-

lichen, rechtsgültigen Berfammlnng vom 26. August 1860 in Erwägung: dass sich der verstorbene Herr Dr. Simon ans Breslan, Niedergelassener in Sürich, als Gründer des Kupferbergwerks Mürtfchenalp nm die Gemeinde Mnrg wohl verdient gemacht, indem er dadnrch der Gegend ein Unternehmen zngefichert, welches vielfachsegensvollin derselben gewirkt hat, und von dem wir hoffen, dass es immer kräftiger erblühe nnd gedeihe; in Erwägung: dass er durch fein freundliches, liebevolles, wohlwollendes Benehmen, dnrch seine wahrhast ächte Humanität eines biedern deutschen Mannes die hohe Achtung und warme Liebe aller Bürger genossen; in Erwägnng der Berdienste, die er sich durch seine öffentliche Wirksamkeit, in der er mit Geist und Kraft, unHeinrich ©irncn. II. 15



226 —

wandelbarem Eharakter und männlicher Tugend für Fortbildung und Hebung nnd Entwicklung besserer gesellschaftlicher Zustände wirkte, in allen deutschen Ganen, in allen Sandern deutscher Zunge erworben. Einstimmig beschlossen:

Art. 1.

Es cebirt und überläßt die besagte Gemeinde dem Herrn Gustav S i m o n von Breslau, Niedergelassenem in Zürich, und seinem Nechtsnachfolger eigentümlich zu freier, beliebiger Benü£nng für alle Zeiten ein Stück Fels und Boden in der Mitte des neuen Neutbodens ob Kaspar Eberharden Haus, beim Dorfe gelegen, von mindestens 10, höchstens 20 Quadrat-Nuthen Flächeninhalt, grenzend an allen Seiten an Gemeinbeboden der Ortsgemeinbe Murg, frei, lebig und los von allen gasten unb Beschwerben ohne irgenb welchen Abtrag hiesür.

Art. 2.

Nach Erstellung des Denkmals, welches Herr Gustav Simon feinem verstorbenen Herrn Brnder Dr. Heinrich Simon aus diefem Boden zu errichten gedenkt, und bes Grabes, welches allfällig bie Seiche desselben aufnehmen foll, kann Herr Gustav Simon nach Art. 1 die Marchen und Ziele des Bodens innerhalb der bestimmten Maße festfe^en.

Art. 3.

Bon allen Borfallenheiten, durch welche dieses Grab und Denkmal in irgend einer Weise berührt werden möchte, werden die jeweiligen Gemeindebehörden jederzeit der Familie oder deren Bertretern Äenntniß geben, so wie darauf bebacht fein, baß zu allen Zeiten bies Grab unb Denkmal, fo wie allfällige Bänme nnb Gewächfe, Anpflanzungen vor allen Nachtheilen, Befähigungen bewahrt bleiben und nötigenfalls den polizeilichen Schn| stnben.



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Art. 4.

Die zum Bau des Grabes, Denkmals oder zu einer

Umsassnngsmaner nöthigen Steine, so wie alle hiezu benöthigten Erde, Sand und Kalksteine dursen auf Gemeindeboden unentgeltlich bezogen werden; fur allfällige Berhee-

rung und Befchädigung des Gemeindebodens, fei sie welcher Art sie wolle, beim Denkmal-Bau, Bau des Grabes und Weges hiezn, wird keine Entschädigung verlangt.

Art. 5.

Herr Gustav Simon und feine Nechtsnachfolge ist berechtigt allenthalben über Gemeiudeboden einen Weg von beliebiger {Richtung 3 bis 5 Fuss Breite anznlegen und gemesst zn diefem Zwecke die gleichen in Art. 4 benannten Nechte, wie zur Errichtung des Grabes und Denkmales felbst, ohne besondere Entschädigung dafür zahlen zn* müssen. 3m Fernern ist er berechtigt, bie zu der Anlage des Weges nach dem Denkmale hindernden Gebüsche, Sträucher und Bäume jetzt und zu allen Zeiten ohne Weiteres wegzunehmen.

Art. 6.

Die Gemeinde übernimmt die Berpflichtnng, dass in der Nichtung, welche in grader Linie auf die Eifenbahn vor dem Denkmal und Grab führt, keinerlei Bänme gepflanzt werben, unb in Hinficht dessen wirb angestanden, dass bas Nnssbänmchen, welches jetzt grabe unterhalb des Denkmalplatzes steht, sosort weggenommen werben kann.

Art. 7.

So lange Herr Gustav Simon lebt, ist berfelbe Eigenthumer bes gebachten Bobenstückes mit allem Zubehör, wie Wegen :c. Es steht ihm natürlich frei, über basselbe sowohl bei Lebzeiten als letztwillig zu versügen. 15*



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Nac h feine m Tod e wir d da s Eigenthu m be i Abgan g

anderer Berfugungen auf seine naturlichen Erben iiberzugehen haben. Art. 8.

Es ist Herrn G. Simon gestattet, ohne weitere Boll-

macht sich durch Herrn Dr. K a r l H i l t y von Ehur in allen Angelegenheiten, diefes Grundstück und Grab betreffend, rechtskräfti g vertrete n zu lassen . Art. 9. Fü r dief e Schenkungsurkund e wir d di e Genehmigun g des Kleinen Nathes des Kantons S t . Gallen und die Natistkation des Gemeinderathes Ouarten anmit vorbehalten.

August 1860. Murg,Namens den 26. der Genossen-Berfammlnng: Der Präsident: sig. Gmür. Der Berwaltnngsrathsfchreiber: sig. Klein.

Kraft Befchluffes des Gemeinderathes Ouarten vom 22. Septembe r 1860 ist de r obbenannte n Ehrenfchenkung , nachdem diefelbe vom Kleinen Nath des Kantons S t . Gallen sanktionirt, die gemeinderäthliche Natistkation ertheilt worden. Ouarten, den 22. September 1860. Namens des Gemeinderathes: Der 'Gemeindeammann: 3. Eberhard. De r Gemeinderathsschreiber : Zeller 3. M .



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II. (Etnroei§uni} öes Stmon=Den&mafs am WafTensee.*) (Das ©rittlt der Deutschen.)

Mitten in die Berfaffungskämpfe der Bertreter des preussifchen Bolkes um dessen gutes Necht fällt die Erinnernngsfeier an einen der verdienstvollen Borkämpfer deffelben. Sie gilt den Manen Heinrich Simons von Breslan, der eben so entschieden, wie die Bersassnng seines engeren Heimatlandes, die Nechte des grossen deutschen Bolkes im Parlament zu Franksnrt vertrat. Fluchtig betrat er, einer der Setzten des kleinen in Stuttgart ausharrenden Hänsleins, den Asyl gewährenden Boden der Schweiz, in der er sich eine nene Thätigkeit zu gründen wnsste, bis ihn die Wellen des trügerischen Wallensens am 16. Angnst 1860 beim Baden dahinrafften. Sein mit ihm nm die Palme mnthiger Bertheidigung der Bolksrechte ringender Freund SohannSacoby zn Königsberg ergriff die Initiative, um dem Dahingefchiedenen ein Denkmal an der Unglücksstätte beim Dorse M n r g zu errichten. Dem Aufrufe wurde von den Freunden bereitwillig entfprochen, und

*) Neue Frankfurter Zeitung vom 12. Oktober 1862. — .Festfahrt zu Heinrich Simon's Denkmal" von K. M a y e r aus Ehlingen (Deutsche Jahrbucher, gebruarhest 1863).



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fo konnte fchon jetzt das Denkmal, fur dessen Ausführung in dem jungen Architekten Snigi Ehialiva, Semper's Schüler und Freunde, ein talentvoller Künstler gesunden wurde, eingeweiht werden. Dem Eharakter der großartigen Umgebung entsprechend, bildet es in zwei breiten Beranden mit steinernen Bänken einen Nuhepunkt znm Ueberschanen des prächtigen Wallensens mit den gegenüberliegenden majestätifchen Kurfürsten. Das eigentliche Monument bestebt in einem fchlanken Tempelportikus, im Hintergrunde mit

einer fchwarzen Marmortafel und dem Hantrelief-Brustbild

des Berstorbenen, vom Prof. Keys er in Bürich modellirt. 3m Giebelfelde liest man in goldenen Settern: Virtuti! Die schwarze Marmortafel trägt die Segende: Heinrich Simon, geb. den 29. October 1805, gest. den 16. August I860. Davor steht in der von zwei fchlanken Säulen gebildeten Blende ein lorbeergefchmückter Altar, mit der Snfchrift: ,,Den Manen Heinrich Simon's gewidmet vonseinenFrennden und Gefinnungsgenoffen." Zu beiden Seiten des Altars-sind in die mittlere Höhe der veranda-artigen Steinwand zwei Snschriften eingelassen, links: „Er kämpfte sür das Necht des dentfchen Bolkes und starb im Exil'' — und rechts: „Der Seib ruht in der Tiefe des Wallenfees, fein Andenken lebt im Herzen des Bolkes.'' Die Matte, auf welcher das Monnment sich befindet, kann vom See und

von der Eifenbahn aus gefehen werden. 3hre Sage hat Aehnlichkeit mit der des N ü t l i * ) am Bierwaldstätter See. Zu diesem „Nütli der Deutschen in der Schweiz", wie es von einem schweizerischen Nedner treffend bezeichnet wnrde, brachten am prachtvollen Herbsttage des 5. Oktober 1862 die Eisenbahnzüge von Bürich, Ehnr und St. Gallen Schaaren

*) Die Schweizer nennen es © r u t l i .



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von Festtheilnehmern . Zu m Thei l an s weite r Fern e herbei geeilt, z. B. Sohann Incoby von Königsberg, Dr. Borchardt von Manchester, Ludwig Simon und Bamberger von Paris, Heinrich Simon jun. von Warschau :c., begrüssten sich die Beteranen der Freiheitsmänner, die das dreizehn^ jährige Exil oft weit anseinander gefchlendert. Bon ehemaligen Parlaments-Mitgliedern waren da: Peter oon Konstanz, Nanwerk von Berlin, Gottsried Keller aus Zürich, Moritz Hartmann von Gens, Pros. Temme, Ph. Schwarzenberg aus Florenz, Mayer von Esslingen, Noediger von Hanau, Würth von Sigmaringen, jetzt in Ehur, Wis lice uns ii. 51. Das Wiedersehen war bei Bielen ein wahrhast rührendes. Ebenso erhebend war die Theilnahme der deutschen Ingend. Die Polytechniker-Berbindung „Teutonia" und der deutsche Arbeiterbildungs-Berein von Zürich hatten Deputationen mit ihren prachtvollen Fahnen geschickt, die Arbeiter-Bereine von Glarus, Schwanden und M o l l i s waren, über 70 Mann stark, ebenfalls mit zwei deutschen Fahnen erschienen. Zur wesentlichen Berschönerung der Feier trug der Züricher Gesangverein „Harmonie", etwa vierzig Mann stark, bei. Um eils Uhr ordnete sich der Festzug, gegen dreihundert Männer zählend, darunter viele angesehene Schweizer. Beim Austritt aus dem Dorse, am Fusse des Hügels, sührte der Weg durch einen grünen Ehrenbogen, den die Gemeinde M u r g errichtet und mit dem biblischen Spruche ausgestattet hatte: „Die zur Gerechtigkeit weisen, werden leuchten wie die Sterne immer und ewiglich." Oben auf der Bergwiefe angelangt, reihten sich die Festtheilnehmer inmitten der herbeigeströmten Bevölkerung in seierlicher Stille um das Denkmal. Der Sängerverein des Dorfes M u r g begann mit einem choralartigen Siebe



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den Akt der Weihe; ihm folgte mit einem meisterhast ge-

fungenen Siede „Des Pilgers Trost" die Harmonie. Dann trat Sacoby in die Mitte der Halle nnd sprach:

„Deutsche Bruder und Männer des Schweizerlandes! Bollendet ist das Denkmal, zu dessen Weibefeier wir heute versammelt sind. Dem Andenken Heinrich Simon's gewidmet — foll es zugleich den kommenden Geschlechtern Bengniß geben von den Kämpfen unserer Beit, deren Frncht sie einst genießen werden. Welchen Antheil Heinrich Simon an diefen Kämpfen genommen, wie er — im Bordertreffen stets — als Mann des Bolks, als unerfchutterlicher H o r t

des Nechts uud der Freiheit sich bewährt

hat, — ein beredterer Mnnd wird es Shnen hente zu schildern versuchen; meinem Herzen stand der Dahingeschiedene zn nah, als daß es mir ziemte, als daß ich das Necht hätte, sein Sobredner zu feiu. „Wohl aber liegt eine andere Psticht mir ob, und ich erfülle sie mit Wehmuth zugleich und mit Freude. An Euch, Shr Männer der Schweiz! richtet sich mein Wort. 3m Namen des geliebten, nun auf ewig verstummten Freundes fage ich Euch Dank, ans Herzensgrunde Dank für die vielen Beweife liebevoller Theilnahme nud ehrender Anerkennnng, für alles Gnte und Siebe, das Shr dem Freunde im Seben wie im Tode erwiesen habt! — Als im Sahre 1849 die Freiheitsbestrebuugen des deutfchen Bolkes an den Nänken treuloser Fürsten scheiterten, da fnchte, da fand bei Ench der edle Berbannte eine fchü£ende Znstuchtsstätte. Eine großartige Natur gab hier seinem für das Schöne und Erhabene empfänglichen Gemüthe reiche Befriedigung; in vollen Bügen athmete feine Brust die reine Suft der Freiheit, die er fo lauge schmerzlich entbehrt, so lange vergeblich ersehnt hatte.

Doch nicht selbstische Nücksicht, nicht das



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persönliche Wohlbehagen, — vor Allem war es vielmehr feine hingebende Liebe fur das deutsche Baterland, was die neue Heimat ihm werth und theuer machte. In ihr, in dem Lande der Tell und Winkelrieds, erkannte, ja erlebte er bereits im voranschauenden Geiste die staatliche Zukunft, den anbrechenden Freiheitstag Dentschlands. Und so auch eudete Heinrich Simon! Angesichts diefer mächtigen Alpenriefen, die frei und stolz ihr weisses Haupt in den Himmel erheben, starb er voll Ingendmuth, voll Ingendhosfnnng, wie er selber wenige Tage vor dem Tode es ausdruckte, den Sieg im Herzen! „Das Herz aber täufcht den Menfchen nimmer. Mag auch der Abfolutismus jetzt wieder frech das Hanpt erheben, kommen wird sicher der Tag, da der sreie deutfche Mann dem freien dentschen Schweizer die Brnderhand drucken und Beide vereint einen frischen Siegeskranz auf Heinrich Simon's Denkstein legen werden. Wohl ihm, dem das Gluck zn Theil ward, sür die Freiheit zn kämpfen nnd zn dulden; fein Leben war edel und schön, im Tode selbst ist er glücklich zu preisen! ,,Eine Pflicht noch bleibt mir zu erfüllen. Die Gemeinde M u r g , in deren Mitte Heinrich Simon fo gern verweilte, hat hochherzig dem Fremdlinge — in dankbarer Anerkennung feiner Berdienste — diefen Wiefenplatz zur Denkmalstätte eingeräumt. 3m Namen der hier verfammelten Freunde des Dahingefchiedenen danke ich den Männern von Murg für diese Ehrenschenkung; ihrem Schutze, ihrer Fürsorge übergebe ich zugleich — im Namen und Auftrage des Äomite's — das nun vollendete Denkmal.'' Hierauf verlas der Neduer die von den Betheiligten vereinbarte Urkunde über Erhaltung des Monuments und fchloss mit den Worten:



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„Shnen, geehrter Herr Präsident, als dem Bertreter der Gemeinde M n r g , ubergebe ich die eben verlesene Urkunde. Möge, nnter dem Schule und der Pstege Shrer Gemeinde, das Denkmal fort nnd fort von Gefchlecht zu Gefchlecht erhalten bleiben, möge es den fpätesten Nachkommen noch das Andenken Heinrich Simon's, des trenen begeisterten Freiheitskämpfers, ins Gedächtnis rufen! Der Himmel gebe der braven Gemeinde Mnrg, gebe der Schweiz lind dem thenern dentfchen Baterlande Heil, Segen nnd Gedeihen!'' Mit kurzen herzlichen Worten und bem Besprechen treuer Hnt des Denkmals nahm dann Herr Präsident Gmnr von Mnrg jene Urkunde entgegen. Unb wiebernm gab ein Sieb ber „Harmonie'': „O Schn£geist alles Schönen steig1 hernieder" ber gehobenen Stimmuug aller Anwesenben ben ergreisenbsten Ausbruck. Nnn trat Morit$ Hartmann, eine gewinnenbe Persönlichkeit mit liebestrahlenbem Ange, hervor unb sprach: „Wo unsere Bäter einen Bunb schlossen, ba bauten sie einen Altar; wo sie Quellen unb Brnnnen an ben Wegen nnd in der Wüste sanden, da errichteten sie ein Zeichen. Das Bnch vergißt nicht, es zn erwähnen, nnd sie benannten darnach Städte nnd Sänder. Ein solches Zeichen sür das Bolk errichteten wir hier am Wege, ein lange währendes, einen Brunnen der Erinnerung, ans welchem die Geschlechter schöpfen. Unser Denkmal ist kein Denkmal der Eitelkeit, der Herrschsucht, es ist ein Denkmal still erfüllter Psticht. „Es ist ein Denkmal der Milde nnd Siebe. Der Nnhm Simons klingt nicht lant wie Kanonendonner und wie das Brechen geschworner Eide, oder wie Hammer und Ambos beim Kettenschmieden; es ist der Nnhm des gnten Gewissens,



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und ein unbeweglicher Nuhm ist wie das Necht selbst. Darum errichten wir dieses Monument hinter gewaltigen Bergen und umgeben von den Finthen des blauen Gebirgssees; es steht da wie das nnnahbare Bewnsstsein, das nnangreifbare Gewissen. Als er für das Necht des preussifchen Bolks, fur die Unabhängigkeit.des Gerichts aufgetreten war, damals brachte ihm eine Zahl von Freunden und Gleichgefinnten einen Pokal dar, mit der Inschrift: „Yirtuti!" Dies wnrde das Symbol feines Lebens. Sein Kelch trng diefe Snschrift, worin er mit der ganzen Welt kommnnicirte. Yirtuti! steht hier in feinem Monumente, das einzige, bedeutende Wort: Die Mannhaftigkeit, die Tapferkeit, die Tugend! Männertngend, das ist es, was sein ganzes Leben erfüllt hat. So kämpfte er und ging aus dem Kampfe hervor, der mauche Nüstung befleckt hat. Sein ganzes Leben schliesst sich in die eine Thatsache zusammen, dass er im Exil gestorben. Dies Eine Wort: Virtus erzählt in einem kurzen Kommentare seine ganze Geschichte. Soll ich Shnen das Leben, das Allen bekannt ist, noch einmal erzählen? Sa! S?enn es ist ein Spiegel des Schönsten und Besten im deutschen Bolke; sein Leben ist ein Sammelpunkt aller jener edlen Strömuugen, die feit Lessing nnd Schiller die deutsche Nation bewegten. Keine edle Bestrebung unseres Bolkes ist ihm sremd geblieben. Es ist jener Thantropfen, in dem sich die ganze Sonne spiegelt; sein Leben ragt in jene klare Atmosphäre der Höhen, die wie in die serne Sukunft blitfen. Sein Wirken für das öffentliche Wohl begann natnrgemäss in der Zeit, da in feinem Baterlande die Liebe für das Abgestorbene und Dahingeschiedene den Thron bestiegen. Sn diesem Zeitpunkte musste feine Liebe für die Zukuuft hervortreten, wie in der grossen Natnr Heilmittel und Gift eng bei einander fprosfen. Der erste



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Gang , de n e r kämpfte , gal t de r Neligionsfreiheit . Sei n zweiter Kampf war für die Unabhängigkeit der Gerichte, welche di e Unabhängigkei tde s Necht s felbs t ist . Sein e größte That aber in Prenßen war, als er zum dritten Male auftrat, da man dem Bolke anstatt des Brodes einen Stein, anstatt des Weines Efsig und anstatt der Wahrheit Heuchelei bieten wollte. Dies war, als in Prenßen das sogenannte Februarpateut veröffentlicht wurde. Wie freute fich ein Theil des Bolkes, daß nnn der Schein gewahrt fei, und wollte fich damit begnügen. Nun brauchte man doch nicht zu kämpfen, es war ja ausdrücklich gefagt, daß einem nicht ein bloßes Stück Papier geboten werden folle, und es war doch anders nichts als ein Papier. Da zückte er fein zweifchneidiges Schwert. Annehmen oder Ablehnen, und feine Antwort: „Ablehnen'' fuhr wie ein Strahl dnrch die 3ags beit der Zeit und durch die Wirrfal der 8üge. Bon diesem Augenblicke an treffen wir S i m o n überall in den Neihen der Kämpfer für das Necht des Einzelnen, wie für das Necht des Baterlandes. Seine Baterftadt schickte ihn deshalb an Friedrich Wilhelm IY., als fie wollte, daß ein Man n vo r eine m Thron e fpreche . Da s Bertrane n feine r Mitbürger fchickte. ihn ins Borparlament, das Bertranen diefer Männer in den Fünfziger-Ansfchuß, das Bertrauen des ganzen Bolkes ins dentfche Parlament. Sie kennen

feine Stellnng Sie in Frankfurt, uud Biele von Shnen als wissen, mit welcher Achtung, ja Ehr-

Angenzeugen.

snrcht man horchte, wenn er sprach. Er war einer der Wenigen, die felbst die B e r l e u m d u n g nicht angriff. Man

wußte zu gut, daß die deutfche Nation es wiffe, wie Simon fein Auge und Herz nur dem Einem 3iele, der Größe und Freiheit des Baterlandes, zugewandt habe. Bezeichnend ist es, daß feine Stellnng anfangs eine vermittelnde war, daß



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er fich aber der kämpfenden und thätigen Partei mehr und mehr näherte, je grösser die Gefahr wurde. Wer ihn kannte, konnte es vorausfagen, dass er auch beim letzten Häuflein stehen wurde. So kam es auch. Als die Bertreter des Bolkes gefprengt wurden, da war er der Fuhrer des letzten Häusleins. Auf diesem Posten beharrte er bis zum letzten Augenblicke, denn Beharren, das war der Grundzug seines Wesens. Schritt fur Schritt, Fussbreit um Fussbreit kämpfte er fur das Necht, bis er mit dem letzten Schritte das Land des Exils betrat. Auch hier endete nicht feine Wirksamkeit, aber dabei wollen wir nicht verweilen. Wir wissen es, dass er sein Brod mit feinen Gesinnungs- nnd Seidensgenossen theilte. Der grosse Ghibelline, der in der Berbannnng die Hölle malte, fchildert fein eigenes Elend in den Worten: ,,Mit allen Unglücklichen empfinde ich Mitleid, aber das grösste mit den Unglücklichen, denen es nnr im Tranm vergönnt ist, ihr Baterland zu sehen.'' Doch follen wir von den Seiden des Exils fprechen? Nein! das hiesse den Triumph unserer Feinde vermehren. Dürfen wir aber von Simon nnd feinem Exil reden, ohne des Sandes zn gedenken, das ihn gastlich und edel ansnahm? Diefes Freistaats, diefer Freistätte aller freien Gedanken aller Welt! An allen Seen der Schweiz, nicht nnr am Wallenfee, liegen die Märtyrer aller Nationen; die Märtyrer für den Glanben, die Stalien, Frankreich nnd selbst Spanien hieher gefandt hat; am Sem an die Nichter der Stnarts, die Märtyrer jener grossen Freiheit des englischen Bolkes, die ans ihrer That so herrlich aufgegangen ist. Drüben im Züricher See, auf jener kleinen Snsel, die nns hente die Morgennebel halb verhüllten, liegt der ritterliche Hntten, ein früherer Borlänfer unserer Kämpfe, dessen Schatten mit Simon gute Nachbarfchaft halten wird. Gesegnet fei dieses Sand, dessen Freiheit das Dach war für so



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viele Obdachlose, fur Alle, die ein Afyl in ihm fachen. Wir stehen hier wie um eiu Grab. Aber selbst die Gegenwart eines Grabes soll uns nicht betrüben. Wir seiern kein Todtensest, wir feiern ein Fest der Heiterkeit, da n>ir auf einen Menfchen und anf ein geben znrückblicken, das von der Heiterkeit beständiger pstichtersüllnng. getragen war. 3n Übereinstimmung mit dem Wesen Simon's, hat der Künstler jene rein griechischen Formen gewählt, die Formen jenes Bolkes, das sich dem Staate nnd der schonen gebenslnst geweiht hatte. S i m o n ' s geben war selbst ein schönes Kunstwerk, er selbst ein schönes Menschenbild; er starb, wie Einer, den die Götter lieben, in der Fülle seiner Krast, wie Einer, der ewige 3ngend in sich fühlt. Ein Borbild für die Bürger, die wir erwarten, ein Beispiel für diejenigen, deren Mitbürger er war, so feiern wir ihn nicht besser, als mit jener heitern Hoffnung, die ihn beseelte, und der Znkunft fest, wie er selbst, vertrauend endigen wir mit dem Nuse: „Es lebe das gastliche gand, die sreie Schweiz, es lebe das thenre Baterland: Dentschland, es lebe allwaltend die Freiheit!'' Nach H a r t m a n n ' s Nede sang die „Harmonie'' das herzerfrischende Sieb: „ D i e Wacht am Jfthein.'' Hiermit sollte das Weihefest geschlossen sein; man rüstete sich znm Abzug — da trat O b e r s t B e r u o l d v o n W a l l e n s t a d t , ein i n der ganzen Eidgenossenschaft hochgeachteter M a n n , hervor und fügte unerwartet dem Feste einen schonen S c h l u ß hinzu. E r sprach von der Berwandtschast der Schweiz mit Deutschland. ,,Wir Schweizer," — sagte er — „sind ja

auch Deutsche. Unsere ganze Bildnng ist eine deutsche. Unser Höchstes uud Tiefstes, wo holen wir es? Draußen bei Euch! Eure Dichter, sind sie nicht unsere Dichter? Unser T e l l , ist er nicht ber E u r i g e ? Euer Schiller, ist er nicht

— unser Schiller?"

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,,Wenn ich bedenke, wie in Wissen-

schaft nnd Kunst nnd in hnmaner Eivilisation dieses Deutschland das Höchste erreicht hat, so iiber alle Bölker das Höchste, und wenn ich dann wieder denke, wie es im politischen

Znstand so gar arg znrück ist, fo hülflos und gar nicht vorwärts zu bringen, fo frage ich mich, wie kommt doch das, woher, warum? und da steht mir, wie man zu sagen pflegt, der Berstand still. Und ich habe anch diese Frage nicht aufgeworfen, um sie nun hier zu beantworten; ich weiss in der That keine Antwort darans, sie ist mir ein Näthfel." Der Nedner blieb jedoch nicht bei dieser tranrigen Betrachtnng stehen: „die Märtyrer nnd sieglosen Kämpfer der Freiheit find ja bei allen Nationen nur Borläufer glücklicherer Kämpfer gewefen, die endlich Das durchsetzen und in gelungener That erreichen, was vorangegangene Generationen nmfonst erstrebten/' Sein gläubig hoffendes Herz reisse ihn hin, auch dem alten Deutschland „trotz Kabale, List und Gewalt'' diesen kommenden Sieg, anch den „cheruskischen Wäldern einen zweiten Barussieg über die Feinde der Freiheit'' vorherzusagen. Der Hermann dieser Wälder müsse aber das deutsche Bolk selber werden. Dazn solle jeder brave Deutsche sich und Andere vorbereiten. Wie die Spartaner durch das Denkmal in den Thermopylen an die Männer erinnerten, die dem Baterland die Pflicht geleistet, fo werde dieses Denkmal noch in ferner Beit den hier Borübergehenden von einem edlen Manne reden, der seinem Baterlande die Pflicht geleistet habe nnd als ein Borkämpfer und Borläufer von Dentschlands Freiheit im Exil gestorben fei. Wenn der Todte sich noch einmal aus bem See ausrichten könnte, fo würbe er bas heutige Thun feiner Freunbe segnen, nnd Sicht und Segen werde anch künftig von diefer geweihten Stätte ausgehen. Der Nedner fchloss mit dem Besprechen,



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daß die Gemeinde, die ganze Gegend, ja das Schweizervolk diefes deutfche Denkmal in treue Obhut nehmen und vor jeder Unbill fchulen werde. Nach diefer Nede kehrte der Bug in gleicher Ordnung zum Gasthaufe zurück. Auf der Wiefe hinter dem Gasthaufe, dem gegenüber die hohe Nnine der durch Brand zerstörten Blnmer'fchen Fabrik sich erhebt, und eine mächtige Fontaine aus der Wasserleitung hervorbringt, vereinigte ein ländliches Mahl die Festtheilnehmer im Freien. D a machten sich die patriotischen Gesühle von Neuem in zahlreichen gelungenen Toasten geltend, deren ersten Dr. H i l t y , Fürfprech ans Ehnr, Namens der Familie brachte. ,,Der Berstorbene," fagte er , „gehört e nich t blo s de r Familie , fonder n de m Ba terlande und der Menfchheit an." Diefe erweiterte Fa-5 milie fe|te ihm das fchöne Denkmal, daher er den Ur hebern desselben, voraus Dr.Sacoby nud dem Baumeister E h i a l i v a , ein Hoch bringe." Dr. Sacoby antwortete und benulte die alte Weissagung, daß „der Brocken einst mitten i n der Schweiz stehen werde," zu einem Toaste ans die Bruderliebe zwifchen dem sreien Deutfchland und der freien Schweiz. Hierauf erhob fich SudwigBamberger aus Paris zu eiuer, man* chem ergrauten Berbannten die Thränen in die Augen lockenden Ansprache. Diefelbe bietet ein fo treues Bild der Gefinnung der hente noch nach 13 Sahren im Exile leben* den Männer, daß wir sie den Sefern möglichst vollständig geben wollen. Anknüpsend an die Nebe des Oberst Bernold nnd der ihm entfallenen Bemerkung: daß ihm der Ber stand stille stehe, wenn er den Widerspruch zwifchen der dentfchen

Geistesreife und dem politifchen Elend ins Auge

fasfe, erkennt der Nedner an, baß allerbings ber Oberst den



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Kernpunkt der Sache herausgegriffen habe, und dass in dem Widerfpruche zwifchen dem fortgeschrittenen Bewusstsein der deutschen Nation uud der zurückgebliebenen staatlichenBildung ein peinliches Näthsel liege. Bieles Hesse sich zur Auflösung sagen, mehr als wozu hier Ort und Zeit sei. 5ftnr Eins fei hervorgehoben, weil es fich an den heutigen Tag anknüpfen laffe. ,,Anch der Bortreffliche, dem diefer Tag gilt, hat die Bitterkeit des Exils erfahren: was es heisst, die Bahn des Lebens mitten entzwei gebrochen zu fehen und mit Aufgebung aller geistigen Ziel= und Strebe* punkte, von Neuem eine materielle Grundlage sür's Leben ansbanen zu müssen. In diefer felben Lage befand fich D eutschland am Ende des dreissigjährigen Krieges. Biel zu wenig ist noch den Deutschen selbst bekannt, wie ties gesunken die ökonomischen Zustände des Baterlandes aus jenem Streit hervorgegangen, der aus seinem Boden sür ganz Europa gesochten wurde; während die Nebenländer ihr intellektuelles Leben fortentwickeln konnten, musste Deutschland erst wieder huudert Sahre lang sür die Nothdurst des Lebens arbeiten. Dann erst erklomm es die geistige Höhe, ans welcher endlich auch die Blüthe, der unentbehrliche Schluss des politischen Daseins, auszuschiessen verspricht. Und wir können, wie Dr. Sacoby gesagt, mit Gewissheit dem Tage entgegensehen, an dem die grosse Erlosnngsftnnde schlagen wird. Dann werden wir vor Allem auch diefes edlen Todten, den wir heute feiern, gedenken und rufen: ,,Ach, dass er fie doch erlebt hätte, die fchöne Stunde!" So wie er dieses Looses würdig gewesen wäre, so lassen Sie uns Alle leben! Wie der Priester zum Gläubigen spricht: ,,Lebe so, als könnte jede Stunde die deines Todes sein!" so spricht das Baterland zum Berbannten: „Wandle so, als ob du lange genug zu leben hättest, um die Stunde Heinrich ©irnen. II.





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der Freiheit zu fchauen. Halte dich fo anfrecht, daß du mit gehobener Stirn und mit reinen Händen hintreten kannst am Tage des großen Sieges, um aus dem Altare zu opfern.'' Zwei Dinge sind es vor allen, die den politischen Menfchen machen: Die hehre Anfchauung vom Baterlande und das Gefühl der perfönlichen Würde. Beide aber sind, als Ansgleichnng für die Schmerzen des Exils, dem Berbannten vom Schickfal in die Seele gelegt. Entrückt dem Boden der Heimat nnd dem täglichen Empfinden ärgerlicher thatfächlicher Schranken, steht vor feinem Ange das B a t e r l a n d in seiner ganzen fleckenlosen Schönheit und

Neinheit; und die herbe Notwendigkeit des Exils, die ihn zwingt , feine m Bernf , feine m Stolze , feine m beffere n hal ben geben zn entfagen, treibt um fo mehr das Selbstgefühl den Selbsterhaltnngstrieb des geistigen 3chs in die Brns t znrück , w o si e sic h z n seste m Erz e bilden . Ei n

s mb

folcher nuerfchütterlicher Berbannter war der B e r s t o r b e n e . W e n n S i e , denen es vergönnt ist, heimkehren ins Bater-

land, fo bringen Sie unfern Sandslenten den Gruß der Berbannten und sagen Sie ihnen, daß wir dem Tag entgegenfehen, an dem wir als freie, nngebengte Männer heimkehren werden; bringen Sie ihnen anch den Gruß diefes edlen Todten, fagen Sie ihnen, fein letter Gedanke fei ihrer Aller Freiheit und Wohl gewesen; nnd dies Denkmal am Wallenfee warte hier, bis daß ihm das echte und rechte gefeit werde auf dem Markte der guten Stadt Breslau, und dann anch ein Denkmal errichtet werde zn Wien auf

der B r i g i t t e n a u und eine hohe Ehrensänle zu Nastadt im Sande Baden."

Hierauf brachte Sud wig Simon dem Manne der That, dem fchmahlich gefangenen Sofeph Garibaldi, ein

feuriges Hoch. Der Arbeiter Netwifch aus Holstein schil-



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derte, wie die Arbeiter in der Schweiz ihre wenigen Mussestunden dem Baterlande widmen, und brachte seinen Gruss an die Arbeiter in Deutfchland. Oberst Bernold bezeichnete in einem warmen Lebehoch ans Deutfchland und feine Bestrebnngen die hentige Feier als den ,,Nutlifchwur der Deutfchen in der Schweiz", und Dr. Borchardt gedachte der kämpfenden Bruder in Amerika. Mayer von Esslingen bewährte fich als echter Bolksredner durch ein feuriges Lob der Schweizer; er fprach den Wunfch ans, dass die bruderliche Annäherung zwifchen Deutfchen uud Schweizern immer mehr und mehr befestigt werde. So fchloss die erhebende Feier, die — ein hellleuchtender Stern im Dnnkel des Lebens der Berbannten, ihre Strahlen auch nach dem geliebten Baterlande und in die Herzen des deutschen Bolkes senden wird.

16*



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III. Deirind)

Stmon.

(Sin Nachtnf.*)

Das deutfche Bolk hat einen großen Bürger verloren: Heinrich S i m o n von Breslau ist todt. 3n dem Berlaufe der eilfJuhre, welche feit dem Berfuche zur Erhebung Dentfchlands zur Einheit, Größe und Freiheit verstoffen find, hat keines politifchen Mannes Tod in Deutfchland ein folches Gefühl der Trauer, ein fo einmuthiges Bewußtfein des damit verbundenen fchweren Berlustes wachgerufen, als das unerwartete und plö|liche Dahinfcheiben diefes tapfern uud muthigen Borkämpfers unferer Nationalfache. Und diefer Mann, deffen Tod unfer Bolk als einen Nationalverlust beklagt, diefer Mann, für den je|t, wo fein Herz nnd fein Muth, seine Begeisterung und seine Thatkraft unwiederbringlich bahin find, fich das Mitgefühl aller edlen patriotifchen Männer in Nachrnfen der Anerkennung unb bes Schmerzes 8uft macht — er war ein Geächteter, ben die fiegreiche Partei aus bem Baterlanbe vertrieben, zn lebenslänglichem Zuchthaufe verurtheilt hatte, weil er von fich fagen burfte, was einst von bem legten Nömer, von bem ruhmwürbigen Besiegten im Kampfe gegen * ) ,,National=Zeitnng" vom 7. September i860.



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den ersten Iniperator, gesagt worden ist: Yictrix causa Diis placuit, sed yicta Catoni. Das ist eine Erscheinung, die zu ernsten Gedanken ausfordert! — Doch wir haben die Pflicht, dem Dahingefchiedenen den gerechten Zoll unserer schmerzvollen Dankbarkeit dadurch darzubringen, dass wir dem jungern Gefchlechte, welches feit den Tagen, wo Heinrich Simon's Name im deutschen Bolke unterseinenvordersten Kämpfern genannt ward, zu Männern erwachsen ist, fagen: was er gewefen'uud gethan hat, um ihnen ein Borbild zu sein in dem Streben und in dem Kampfe, in der ausharrenden Energie und in dem freudigen Opfermuthe, dessen die Sache, fur die er gelebt hat, bedarf und in nächster Zeit im vollen Umfange bedürfen wird. Wie sich in dem geben jedes Theils das Ganze offenbart, so ist auch in der Entwickelungsgefchichte jedes einzelnen Menfchen dem f eh enden Auge der Bildungsgang der gefammten Menfchheit erkennbar. In frühester Kindheit — unmerklich nnd unbewusst — durchläuft die Entwickelung des Einzelmenfchen die feiner Gebnrt vorangegangenen geschichtlichen Bildnngsphasen der Menschheit; langfamer, mehr oder minder bewusst und mitthätig durchlebt er die Entwickelungsepoche seiner eigenen Zeit. — So ist jedes einzelne Menschenleben ein trener Spiegel der Zeitgeschichte, aber ein thätiger, lebendiger Spiegel, der selbst an dem Bilde, das sich in ihm spiegelt, mitschafft, mitarbeitet, mitgestaltet. In höher der Mensch steht, je grösser seine Einsicht und Thatkrast sind, desto klarer dieser lebendige Spiegel, desto mächtiger wird durch Betrachtung desselben die Selbsterkenntniss der Zeitgenossen gefördert, desto stärker der Thatdrang, das Borwärtsstreben nach dem grossen Ziele der



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Menschheit in ihnen erweckt. Wenn irgend ein Seben in unserer an Eharakteren so armen Zeit dies Gepräge trägt, fo ist es das Seben Heinrich S i m o n ' s , das jetzt vollendet vor uns liegt. Wer treu das innereand ändere Seben diefes Manne s z u fchilder n verstände , de r hätt e dami t zugleic h die vollstäudige vaterländische Gefchichte der leiten dreißig Sahre gegeben, deren religiöse, foziale und politifche Kämpfe fur die Eutwickelung des dentfchen Bolkes von fo großer Bedentnng gewefen. Es find diefe dreißig Sahre die erst beginnende mühsame Erndtezeit einer vorangegangenen langen Arbeit geistiger Ansfaat. E s kan n hie r nich t nufer e Absich t feiu , ein e folch e Sebensfchilderung zu geben, wir können und wollen andeutend nnr daran erinnern, wie warm nnd lebendig Heinrich Simon an allen jenen Kämpfen — und zwar stets im Bordertreffe n — mi t felbstlofe r Hingab e — theilgenommen . Aber fchon Dies wird genügen, fein Bild und fein Andenken in dem Herzen des Bolkes wach zn rnfen, das er fo fehr geliebt, für das er freudig Alles hingegeben, nnd das fo viel Urfache hat, ihm dankbar zu feiu. fast

Heinrich S i m o n ' s erstes öffentliches Anftreten begann

gleichzeitig mit der Thronbesteigung Friedrich Wil-

helms IY., von welcher sür Preußen wie sür ganz Dentfchland eine Periode der Bewegung nnd des Auffchwungs im öffentlichen Seben datirt. Diefes Auftreten nahm feinen Ansgangspnnkt von den Stndien und von der Sebensstellnng, in welcher Heinrich Simon sich befand. Nechtsgelehrter und praktischer Snrist, in richterlicher Stelluug thätig — waren es Gese| und Jftecht seines Baterlandes, deren Aufhellung und Berbefsernng er seine Kräste widmete. Wir erinnern hier an seine Schriften über die Ge= felgebnng in Betreff der Suden in Prenßen und über das



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•preu&ifche Staatsrecht, von denen er die erste allein, die zweite im Berein mit seinem Freunde Nonne herausgab. Die bedrohte Unabhängigkeit des preußischen Nichterstandes rief seine Schrift zur Bertheigigung diefer Unabhängigkeit, und damit einen Kampf hervor, welcher, als Simon's Anstrengungen vergeblich blieben, mit feinem freiwilligen Aus. tritte aus dem Staatsdienste endete. Schon hier bethätigte er jenen Muth der Konsequenz und jene Alles an Alles fetzende Energie, welche bald auf einem grössern Felde fich erproben sollte. Seine juristifche öffentliche Thätigkeit war abgeschlossen, seine politische begann. In seinem Werke über das preussische Staatsrecht hatte er auf die bisher unerfüllt gebliebene Berheissung einer reichsständischen Bersafsung aus demInhre 1815 mit Nachdruck hingewiesen. Die Erfüllung dieser Zusage erschien ihm als das Ziel, aus deffen Erreichung alle Kraft der Bürger gerichtet sein müffe. Als daher im Inhre 1847 statt folcher Erfüllung dem vereinigten Sandtage das Patent vom 3. Februar vorgelegt wurde, erhob er in feiner Schrift „Annehmen oder Ablehnen?'' seine Stimme laut zu Gunsten jenes srüheren königlichen Wortes, indem er vom Standpunkte des positiven Nechts die Ablehnung des Patents den Bertretern des preussischen Bolkes als unabweisbare Pflicht darstellte. Trotz des Berbotes durchflog diese Schrift und der Name ihres Berfassers ganz Deutschland. Mochten auch sogenannte praktische Politiker die Einseitigkeit des juristischen Standpunktes in einer grossen staatsrechtlichen Frage tadeln, die Wirkung der Schrift, in welcher mit dürren Worten das Anerbieten der Krone als eine Umgehung der Nechtsansprüche des Bolkes aus eine reichsständische Bersassung dargethan war, blieb darum nicht minder von hoher Bedeutung. Für den Berfasser hatte sie



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zunächst die tatsächliche Folge, daß er in Anklagestand gese&t und anf einer Neife von Breslau nach Ostpreußen begriffen, steckbrieflic h verfolg t wurde , worau f e r sic h sofor t freiwilli g dem Gericht e stellte . 3ndessen die Ereignisse folgten einander fchnell in jenen Tagen. Bergebens hatte der Bereinigte Sanbtag, wie einer feiner Fuhrer, der spatere Minister Eamphansen, sich ausdruckte, weit vorgebogen die Hand zur Bereinignng nnb Bersöhnnng hingestreckt; biese Hanb warb znruckgewiesen, unb der Ansang des nächsten Sahres brachte, als Frucht des ausgesägten Windes, den Stnrm der MärzNevolntion. Der erste Beginn der Bewegung verschlang mit allen andern kleinlichen Dingen anch den gegen Heinrich Simon erhobenen Prozeß und siihrte den Bersolgten, statt ans die Bank der Angeklagten, an bie Stnfen bes Thrones, wo er als Abgesandter Breslaus die Wunsche und Forderungen jener Tage geltend machte, siihrte ihn in das Borparlament und in den Fünfziger-Ansschnß, fowie in das erste dentfche Parlament, in welches ihn die Achtung und das Bertranen seiner Mitbürger berief: ein Umfchlag des Schickfals, wie er für einen deutfchen Bürger jäher nicht gedacht werden konnte. Die Geschichte des deutschen Parlaments ist bekannt. Heinrich Simon war in demselben Führer einer der großen Parteien, in welche diese Bersammlung sich spaltete. Nicht der Schimmer glänzender Nedeknnst, wohl aber die Tüchtigkeit und der Adel seines Eharakters, seine Einsicht und seine Kenntnisse, verbnnden mit der ebenso gewinnenden als imponirenden Persönlichkeit seines Wesens, bildeten die Gnrndlage seiner Stellung, so wie der Achtung, die ihm selbst von Gegnern gezollt ward. Er sprach selten und immer nu r be i de n wichtigste n Beranlassungen , uberal l



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nachdrucklich, klar, fachlich, gehaltvoll, und feine Neden werden vielen Zeitgenofsen noch erhebend im Gedächtniss leben. Mehr aber als dnrch seine Parlamentsreden wirkte er als Parteiführer dnrch das Talent und die Kunst verständigender Bermittelnng. Denn derselbe Mann, der an zäher Beharrlichkeit und eiferner Konfeqnenz wenige feines Gleichen hatte, war zngleich eben so gefchickt als befähigt, da, wo höhere Gründe der Zweckmässigkeit vorwalteten, der Uebnng jener Eigenschaften zn Gunsten ausgleichender Bestrebungen zu entsagen, wobei ihm eine gewinnende Liebenswürdigkeit und die Freiheit und Feinheit seiner Umgangsformen vorzüglich zu Statten kamen. Einen Beweis dieser letzteren Eigenschaft gab er in der berühmt gewordenen Unterhandlung wegen der Kaiserwahl. Das Original des Doknments, in welchem Herr v. Gagern und seiue Partei ihre Ehre dafür verpfändeten, dass fie an der vom Parlament beschaffenen Neichsverfaffnng unverrückbar festhalten wollten, wenn die Partei Heinrich Simon's ihr in Sachen der Kaiferwahl nachgäbe, bewahrte Heinrich Simon noch in der Berbannnng. Heinrich Simon stand vom Beginne der Bewegung an aus Seiten der gemässigten Linken; aber durch die Macht der Berhältnisse und Ereignisse wurde er Schritt sür Schritt aus die Seite derjenigen hingedrängt, welche nur in der äussersten Konfeqnenz — wenn nicht Nettung, fo doch einen ehrenvollen Untergang des deutfchen Parlaments erfahen. Er ging mit der dentfchen National-Berfammlung nach S t u t t g a r t und ward dafelbst in die deutfche Neichsregentfchaft gewählt. Bisher hatte er keine Amtsstellung angenommen, jetzt, wo die Aussicht auf Sieg immer geringer, der Untergang immer wahrfcheinlicher und die Gefahr immer drohender ward, trng er kein Bedenken, feine



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ganze Bufunft der Sache zum Opfer zu bringen, die er fur

die gerechte hielt.

Nach der gewaltfamen Anflöfung der

National-Berfammlung in Stuttgart begab er sich mit einigen Gefährten nach Baden, von wo er, nachdem hier die Bewegung jener Zeit ihr Ende gefunden, nach der Schwei z ging . E r ha t di e Heima t nich t wiede r gefehen . Aber bis zu feinem legten Athemznge waren alle feine Gedanken unb Wünfche, feine Sehnfncht und feine Hoffnnng, ja, foweit davon die Nebe fein konnte, feine Äraft unb Thätigkeit bem Baterlande und feinem Bolke geweiht. Seine nächste Sorge galt bem goofe der zahlreichen deutfchen Flüchtlinge in der Schweiz. Mehrere Sahre hindurch verwandte er feine Zeit und seinen Fleiß auf die Herbeifchaffnng von Unterstü|ungen sür diefe Unglücklichen, um ihnen bie Mittel zu nener Selbststänbigkeit zu gewähren; es ist im wörtlichen Sinne zu nehmen, baß er fein karges Brob in jenen Zeiten oft mit feinen Seidensgenossen theilte.

Schwere Prüfungen kamen über ihn. Bon Baterland nud Familie getrennt, mnßte er ben greifen Bater, mnßte er die Mutter, die er über Alles liebte, sterben lassen, ohne den nach ihm Nnfenden die Angen fchließen zn können. Eben so fchwer drückte die Unthätigkeit, zu der er verdammt war, den an thätiges Wirken gewöhnten Mann. Aber auch hier bewährte sich die Energie und Bielfeitigkeit

feiner

Natur. Theil s u m sic h ein e Thätigkei t z u schaffen , theil s

gezwungen dnrch die Notwendigkeit, fich feinen Unterhalt zu gewinnen, begründete er, der bisher fich nur in ben Sphären der Jurisprudenz und Staatswiffenfchaft bewegt hatte, zwei großartige industrielle Unternehmungen. Das Glück begünstigte ihn nnr kurze Zeit; ba brach die große europäifche Geldkrisis des Sahres 1857 ans, und nur feine

Festigkeit nnd unermüdliche Thätigkeit, verbunden mit einer feltenen Umsicht, vermochten diefem Stosse zu stehen. Doch zogen felbst diefe Sorgen und Arbeiten für feine unb feiner Familie Existenz keinen Moment sein Auge ab von ben allgemeinen Gefchicken des deutschen Baterlandes. Er, der Berbannte, der Ausgestossene, begrüsste sreudig den in Preussen im Inhre 1858 eingetretenen Umschwung der Dinge, wenngleich er sich keinen Sllusionen über die Natur und Tragweite desselben und am Wenigsten über dessen Bedeutung sür sein eigenes Schicksal hingab. Er gehörte zu ben wenigen Eharakleren, bie im Exil nicht ben Hass schärfen, fonbern die Berföhnlichkeit steigern, bei denen der Schmerz über die nicht erreichten Sdeale nicht die gerechte Würdigung deffen zurückdrängt, was der Augenblick und die veränderte Lage Tröstliches und Hoffnungsvolles bieten. In! er befass fogar die feltene Kraft, sich zu fagen, dass ein langes Exil, wie das feine, fast jede Aussicht aus spätere eigene Wirkfamkeit in der Heimat raube, felbst wenn, woran er stets zweifelte, die fiegreiche Partei fich entfchliessen sollte, der besiegten eine annehmbare Amnestie zu ertheilen. Aber je drohender die deutschen Berhältnisse sich gestalteten, um so tiefer empfand er feine Betheiligung an dem Gefchick des Baterlandes. Die Schrift: ,,Don Ouixote der Legitimität oder Deutschlands Befreier?", welche er im Sahre 1858 schrieb, war ein Warnungsruf an Preussen, feine Zukunft und damit die Zukunft Deutschlands nicht zu Gunsten eines Systems und einer Macht zu verfcherzen, die von jeher der Feind Beider gewesen ist. Als dann endlich die feit den Zeiten des ersten deutfchen Parlaments niedergehaltene deutfche Einheitsbewegung fich in dem deutfchen Nationalverein den ersten Ausdruck zu geben verfnchte, da trat er mit der Mahnung an das deutfche



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Bol k hervor , da ß e s da s Banne r de r Einigun g i n de r vo n feinen frei gewählten Bertretern rechtsgültig befchlossenen und von vielen Negierungen bereits anerkannten Deutschen Neichsverfaffung beside. Er hat diefe Mahnnng noch wiederholt an dem Tage, welcher dem legten feiner Tage voranging.

Fasten wir je|t das Gesammtbild des Mannes, dessen kraftvolles geben am 16. August 1860 die Wasser des Wallensens in ihre Tiefe hinabzogen, in wenigen Hanptzugen znfammen. Heinrich Simon war 3nrist, und er hat den Stempel, den ihm feine Studien und fein Wirken als Mann des Nechts aufprägten, nie verlengnet. Die Wurzel aller feiner Eigenfchaften, die ihn als Bürger den bedentendsten Männern unseres Bolkes zugesellen, war ein hoher Gerechtigkeitssinn, ein tiefes Nechtsgefithl, dem sein juristifcher Scharfsinn und sein juristifches Wissen keinen Abbruch thaten. Nnhiges Selbstgefühl, männliche Thatkraft, bürgerlicher Muth im Erfaffen und Zähigkeit im Festhalten des für Necht und Psticht Erkannten waren ihm im hohen Grade eigen. Seine Empfänglichkeit und geisterung für die 3dee war eine folche, die nicht zurückfchreckt vor irgend einer Berantwortlichkeit in Betreff der erforderlichen Mittel, und feine Energie reichte stets fo weit wie seine Einsicht. Feind war er stets jenem Na uscheder Begeisterung, der — mit dem physischen Nausche verwandt — von gleich kurzer Dauer ist. Sein Wahlspruch hieß: „nicht müde werden!" Männer wie Heinrich Simon verkünden durch ihr geben eine bessere Znknnft, find selbst eine trostreiche, frohe Botschaft für unser, tro| feiner hohen Eigenfchaften zurückgefeites und verkanntes Bolk. Auch in dem Bewußtfein des deutfchen Bolkes taucht endlich wieder jener antike



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Begriff der Sittlichkeit auf, der so lange durch ein missverstandenes Ehristenthum verdunkelt und getrübt worden, jener Sittlichkeit, die von jedem Menschen B ü r g e r tugend, Gemeinfinn, Hingebung für das Baterland fordert und ohne diese Tugenden keinen sittlichen Werth des Menschen anerkennt,r wäre er im Familien- uud Privatleben auch noch so fromm und gnt. Diefe antike Sittlichkeit befass H e i n r i c h S i m o n in vollem Masse. D e r zärtlichste S o h n und Bruder, der treuste Freund feiner

Freunde, ein unermüdlicher Helfer aller Gedrückten und Notleidenden, war doch über Alles dieses hinaus der Stern feines hellen Auges vorwiegend auf das A l l g e meine , au f di e Ineen de s Necht s un d de r Freiheit , au f ihre Berwirklichung im Baterlande gerichtet. Und so soll auch dieser Nachruf, den die bebende Hand des Freundes fchreibt, und bei dem im Angedenken an die herrliche Erscheinung, die noch vor kurzer Zeit in ihrer ganzen Stattlichkei t vo r un s stand , uu s da s Her z erzittert , kein e Lob preifung des Mannes fein — eine folche wäre wenig in feinem Sinne —, vielmehr eine tröstende Ermutigung, ein heller A u f r u f an das deutfche Bolk: auf dem Wege vorwärts zu streben, den Heinrich Simon als tapferer Borkämpfer mit angebahnt. Eine Mahnung soll es sein, dass das Bolk inne werde, welche Kräfte und Männer fich im Elend verzehren, was fie im Baterlande für das Baterland zu leisten vermöchten. Es foll das Bolk auf fein Anrecht an diefe Männer und deren Wirkfamkeit hingewiefen —, es soll bestimmt werden, fie auf jede gefetzliche Weise mit Ernst und Festigkeit von seinen Fürsten zurückzufordern. Männlich und fchön, wie Heinrich Simon's geben, ist fein Ende gewefen. Schönheit aber war feiner innersten Seele Bedürfniss, und seine ganze Bildung als Mann der



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Erkenntni s un d de r Tha t erhiel t ihr e Kron e durc h fein e Empfänglichkeit fur das S c h ö n e .

S e i n Sdeal war der

vollendet e Menfc h i m edelste n Sinn e de s Hellenifche n Alter -

thnms, war ,,das Schöne znm Guten/ Erstrebte und verstand es, ans feinem geben felbst ein Kunstwerk zu machen, und das Gefchick, das ihn bei diefem Streben begunstigte, vergönnte ihm einen dem Ganzen entsprechenden

schönen Abfchlnß. 3m Bollgefühl aller feiner Kräfte, das Herz von neuer Hoffnnng belebt für die Bukunft feines Baterlandes, die Brust von Subel und Freude geschwellt über di e Erfolg e de s Freiheitskampfes , di e e r wenig e Woche n zuvor in dem von ihm geliebten S t a l i e n mit eigenen Augen gefchant hatte, fo ist er an jenem sonnig hellen Nachmittage des 16. August 1860 i n freudiger Sebensfülle

dem Element e i n di e Arm e gefunken , i n welche m fic h z u

bewegen von jeher fein größter Genuß gewefen war. Mögen *di e Geiste r de r Tief e de n Sei b de s Dahin gefchiedene n festhalte n i m fenchte n Elemen t — fei n Geis t ist nicht mit niedergesunken: er lebt fort in den Herzen feiner Freunde, in dem Andenken eines dankbaren Bolkes; er

fchließt sich dem herrlichen Geisterzug aller j e n e r T a p f e r n

an, die jemals für die höchsten Güter der Menfchheit gestritten nn d gelitte n haben .

3 u

berichtigen:

(£r|1er S^etf. Seit e 2 0 Zeil e 3 v . o . statt : Schreck' s lies : Schrockh's . ,, 4 4 , , 1 3 v . o . statt : v . O . . . . lies : v . Ohlen .

,, 52 ,, 4 v. n. statt: A lies: Auguste. ,, 84 ,, 14 v. o. statt: Lothes lies: (Goethe's. ,, 112 ,, 8 v. u. statt: immermehr lies: immer mehr. ,, 142 ,,

9 v. o. statt: de rig. lies: de reg.

„ 174 ,, 3 v. o. die Worte: ,,Das Kommissorium'' K. bis: „zu

(Sud e ist " — sin d durc h Berseh n a n diese r Stell e abgedruckt ; si e • gehöre n eine m gleich z e i t i g e n , aber an einen a n d e r n Freund Simon's gerichteten Briefe an.

,, 178 ,, 178

,, ,,

5 v. o. statt: des lies: der. 6 v. o. statt: Albinon lies: A l b i n e n .

,, 281 ,, 8 v. u. statt: Brot lies: Brod. Broetter £§etf.

Seite 23 Zeile 12 v. o. statt: Raveau lies: Raveaux. ,, 84 „ 13 v. o. statt: F u r t h lies: Fluth.