Heimat: Eine künstlerische Spurensuche 9783412502478, 9783412502058

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Heimat: Eine künstlerische Spurensuche
 9783412502478, 9783412502058

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Burcu Dogramaci

Eine künstlerische Spurensuche

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Julian Rosefeldt, Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land / My home is a dark and cloud-hung land, 2011, 4-Kanal Filminstallation / 4-channel film installation, shot in HD, converted to HD-SR and transferred onto BluRay disc, aspect ratio 16:9, 29 min 23 sec loop, © Julian Rosefeldt / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com © 2016 by Burcu Dogramaci Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Claudia Macho, Wien Register: Susann Kühn, München Einbandgestaltung: Guido Klütsch, Köln Satz: Punkt für Punkt ∙ Mediendesign, Düsseldorf Reproduktionen: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung: Westermann Druck, Zwickau Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50205-8

Inhaltsverzeichnis 6 – Heimat – Hier und Überall 20 – Fotografische Heimatbilder 28 – Nation und Geschichte im Bewegtbild 39 – Pass als Heimat 47 – Die Deutschen – Porträts einer Nation 67 – Heim und Heimat 85 – Topographien. Wald-Heimat 99 – Heimaten in Bewegung 112 – Heimatlos – Orte des Übergangs 123 – Unheimatlich, unheimisch, unheimlich 132 – Heimat ist, wo man isst 137 – Anmerkungen 158 – Bibliografie 173 – Bildnachweis 174 – Dank 176 – Register

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Heimat – Hier und Überall Im Jahr 1971 folgte der Schweizer Schriftsteller Max Frisch einer Einladung der Columbia University in New York, als Gastdozent für mehrere Monate zeitgenössische Literatur zu unterrichten. Während seines Aufenthaltes schrieb Frisch seinen Fragebogen fort, an dem er in den zurückliegenden Jahren mit Unterbrechungen gearbeitet und nach Überzeugungen, Ideen und Handlungen des Subjekts gefahndet hatte. In der Metropole am Hudson River jedoch erhielten die Fragen eine neue Wendung; aus der Perspektive des Auslandes und fern seiner Heimat reflektierte Frisch ausführlich zur heimatlichen Befindlichkeit. Er erkundete die multiplen Definitionsmöglichkeiten von Heimat, befragte Heimatliebe und Fernweh: „Können Sie sich überhaupt ohne Heimat denken? Hat Heimat für Sie eine Flagge? Was bezeichnen Sie als Heimat: a. ein Dorf? b. eine Stadt oder ein Quartier darin? c. einen Sprachraum? d. einen Erdteil? e. eine Wohnung? Haben Sie schon Auswanderung erwogen? Wieviel Heimat brauchen Sie?”1 Frischs Fragen zielen in den neuralgischen Kern des Begriffs ‚Heimat’, seine nur schwer zu fassende Bedeutung, seine Suggestionskraft und emotionale Beladung. Zugleich berühren die Fragen weiterführende Themen wie Nation, Staat und Vaterland, die dem Heimatdiskurs anhaften. Und immer wieder bezieht sich Frisch auf die Fremde, die er weniger als antagonistische Figur zur Heimat auffasst. Vielmehr ist sie ihm die andere Seite einer Medaille, der Januskopf des Heimatlichen: „Worauf könnten Sie eher verzichten: a. auf Heimat? b. auf Vaterland? c. auf die Fremde? [...] Auch Soldaten auf fremdem Territorium fallen bekanntlich für die Heimat: wer bestimmt, was Sie der Heimat schulden? Kann Ideologie zur Heimat werden?” Anlass und Zielrichtung des Fragebogens sind bislang kaum erforscht, doch lässt sich mutmaßen, dass erst der transatlantische Aufenthalt das Interesse des Schriftstellers auf das Thema der Heimat und der Fremde(n) lenkte. Dies lässt sich durch zeitnah entstandene Tagebucheinträge stützen, in denen Frisch über die Präsenz lateinamerikanischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten, deren schulische Probleme, die Kluft zwischen Schwarz und Weiß schreibt.2 Reisen können den Blick für das Eigene und das Fremde verändern. „Seinen Platz hat das Fremde außerhalb des Eigenen. Das Eigene kann als eine Ordnung verstanden

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werden, die gegeben ist und zunächst nicht hinterfragt werden muss”3, doch wenn sich der Standort des Subjekts in die Fremde verändert, so geraten die klaren Verhältnisse aus den Fugen. Der Einheimische wird zumindest vorübergehend zum Fremden und blickt aus der Ferne in sein Herkunftsland. Im Schaffen von Max Frisch findet sich beständig ein Oszillieren zwischen schweizerischem Mikrokosmos und einer Sehnsucht nach der Ferne, wobei den Reisen in die Welt stets die Heimkehr folgte; in einem der ersten Einträge seines zwischen 1946 und 1949 entstandenen Tagebuches heißt es: „Wie klein unser Land ist. Unsere Sehnsucht nach Welt, unser Verlangen nach den großen und flachen Horizonten, nach Masten und Molen, nach Gras auf den Dünen, nach spiegelnden Grachten, nach Wolken über dem offenen Meer; unser Verlangen nach Wasser, das uns verbindet mit allen Küsten dieser Erde; unser Heimweh nach der Fremde [...].”4 Frischs Notizen verdeutlichen, dass Fernweh und Heimweh zusammen gehören wie Zwillinge.5 Heimweh kann als Trennungsschmerz, als körperlich erfahrbares Weh, in Erscheinung treten. Robert Walsers wehmütige Gedanken „An die Heimat”6 resultierten aus dem Bewusstsein räumlicher Entfernung, und in W.G. Sebalds Erzählband Die Ausgewanderten, der von jüdischen Migranten und ihren unüberwindbaren Traumata der Trennung berichtet, formuliert sich das Heimweh für eine nach Amerika ausgewanderte Protagonistin in tränenreichen Aufenthalten in ihrem Herkunftsland: „Der Kasimir ist auch immer seltener gekommen, und bloß die Tante Theres kam noch mit einiger Regelmäßigkeit, einesteils, weil sie als ledige Person bei weitem am besten gestellt war, und zum anderen, weil sie zeit ihres Lebens an einem unstillbaren Heimweh litt. Drei Wochen nach ihrer jeweiligen Ankunft weinte sie noch aus Wiedersehensfreude, und bereits drei Wochen vor der Abreise weinte sie vor Trennungsschmerz.”7 Erst die Distanz zum Ausgangsort konturiert dessen Eigenarten, lässt Bindungen und Emotionen sichtbar werden, verändert die Perspektive auf das Gewohnte. Die räumliche und zeitliche Distanz scheint die Sehnsucht nach der Heimat noch zu verstärken. Heimat ist nicht allein ein gegenwärtiger Ort, zu der das Individuum gehört, sondern verweist sehr häufig in die Vergangenheit, auf uralte Bindungen, familiäre Verwurzelungen, auf Gerüche und Geräusche der Kindheit oder auf diese selbst. So schreibt auch Ernst Bloch während seiner Emigrationszeit in den USA über die sich ständig entziehende und doch so nahe Heimat als etwas, „das allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war”8. Heimat, so wird deutlich, ist ein Sehnsuchtsbegriff, der in sich das Verlangen nach dem Vergangenen und Entlegenen enthält. Diese emotionale Erinnerungsqualität von Heimat erfasst auch Alexander Mitscherlich, wenn er schreibt: „Heimat ist gewiß kein objektiver Tatbestand. Vielmehr läßt mich eine Fülle an Empfindungen mit einem Ort, einer Landschaft heimatlich verbunden sein, weil ich in ihr und vornehmlich in meiner Wohnung mitmenschliche Erfahrungen

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gemacht habe, die mein Leben bestimmt – und waren es gute Erfahrungen oder wenigstens überwiegend befriedigende –, es glückhaft bestimmt haben.”9 Ins Ungefähre verschiebt Boris von Brauchitsch den Heimatbegriff, indem er ihn fasst als eines „jener irrationalen, emotionalen, metaphysischen Dinge jenseits des Verstandes [...] Heimat beginnt, wo das Denken aufhört.”10 Heimat ist dabei ein im deutschen Sprachgebiet verorteter Begriff, eine Übersetzung in andere Sprachen fällt schwer, ist bisweilen unmöglich. Darauf verweist Carl Jacob Burckhardt in seiner Heimat titulierten Rede zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1954: „Heimat ist ein Wort, das unser Sprachgeist geschaffen hat, das in anderen Sprachen nicht zu finden ist und das völlig andere Gefühle weckt, stillere, stetigere, zeit- und geschichtslosere, als das leidenschaftliche Wort Vaterland. Wir verlassen die Heimat, um uns hinaus in die Fremde zu begeben. Wo endet Heimat, wo beginnt das Unvertraute, das andere?”11 Auch Vilém Flusser hat über die Unmöglichkeit der Übersetzung geschrieben: „Das deutsche Wort ‚Heimat’ findet, unter den mir geläufigen Sprachen, nur im tschechischen Wort domov ein Äquivalent, und dies wohl dank des Drucks, den das Deutsche auf das Tschechische ausgeübt hat. Vielleicht ist der Begriff ‚Heimat’ nur im Deutschen heimisch – der Begriff, nicht aber das Erlebnis?”12 Wenngleich es zwar keine wortgetreue Übersetzung, zumindest aber Entsprechungen in anderen Sprachen geben dürfte,13 lässt sich der Kontext, der den Begriff Heimat vor allem im 19. Jahrhundert prägte, kaum adäquat übertragen – Bausinger verweist zurecht auf die „romantischen Hypotheken des Heimatbegriffs, die in Deutschland eine Rolle spielen”14 Vom germanischen Wort „Heim” abgeleitet, bedeutete es bereits in seiner Entstehungszeit um das Jahr 1000 das „Haus”, den „Wohnort” und damit auch schon die „Heimat”. Etymologisch lässt sich rekonstruieren, dass die Begriffsbildung mit der Sesshaftigkeit der Menschen korrespondierte15 – Heim und Heimat fielen in eins: „Seit der neolithischen Revolution, seit etwa zehntausend Jahren, ist ein Teil der Menschheit seßhaft geworden. Der Ackerbau und die Viehzucht haben ihn geographisch verankert: Heimaten sind entstanden.”16 Neben dem Lebensbereich, in dem jemand geboren und aufgewachsen ist, an dem er wohnt, den vertrauten (Stadt-)Landschaften, können auch soziale Beziehungen und Traditionen Heimat sein.17 Im Laufe des 19. Jahrhunderts erweiterten und vervielfältigten sich die Konnotationen von Heimat, weg von einer konkreten ortsbezogenen Kategorie und hin zu einer semantischen Diffusion: Heimat wird im Zeitalter der zunehmenden Mobilität und Industrialisierung, der Verstädterung und Verbürgerlichung ein emotional gefasster Begriff und zur ideellen Alternative einer modernen Industrialisierung und Urbanisierung.18 Bausinger spricht von einer „Besänftigungslandschaft”, die Unruhen und Verwerfungen kompensiere.19 Zugleich

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gewinnt reale Landschaft als heimatliche Topografie und als Bezugsraum an Bedeutung: In Liedern und Gedichten wird auf die unbestimmte Naturlandschaft das Bild der Heimat und der Sehnsucht danach projiziert: Während in dem Heimatlied des 19. Jahrhunderts, Wilhelm Ganzhorns Im schönen Wiesengrunde (1851), zunächst das heimatliche Haus aufgerufen wird, erweitert sich die Vorstellung von Heimat in den folgenden Zeilen und Strophen auf Tal, Wald, Bach und Wiesen.20 Heimat wird im Zuge des deutsch-französischen Krieges zur politischen Kategorie, wird mit Vaterländischem und Nationalem zusammengebracht. Flankiert wurden diese offensiven Auseinandersetzungen mit Vaterland und Nation von Versuchen, die Wurzeln einer mythischen deutschen Kultur- und Sprachgemeinschaft zu finden, indem Volkslieder, Geschichten und Märchen gesammelt wurden – neben Die teutschen Volksbücher von Joseph Görres (1807) sind Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Arnim (1805–08), die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (1812–15) sowie Ludwig Uhlands Alte hoch und niederdeutsche Volkslieder (1844–45) zu nennen.21 Neben der Sammlung bereits existierender Märchen und Lieder wurden in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Dichtern und Komponisten neue romantische Volkslieder geschaffen. Dabei fanden auch verschiedene Kategorien wie Heimweh und Natur zueinander, so wie es Eichendorff in seiner Naturlyrik gelang. Seine ­Gedichte und deren Vertonungen, in denen der Dichter einen Naturraum beschwört, basieren auf chiffrehaft eingesetzten Bildern: „Ihre hochgradige Rekurrenz garantiert einen starken Wiedererkennungseffekt, der die breite Wirkung und die bis in die ­Gegenwart reichende Popularität der Lieder erklären kann. ‚Jäger’, ‚Reh’, ‚Nachtigall’, ‚Lerche’, ‚Wolken’, ‚Strom’ und ‚Wald’; ‚Post- oder Waldhörner’, die das Motiv der Reise ankündigen und einer ‚Sehnsucht’ die Richtung weisen; ‚Morgenröte’, ‚Zwielicht’ und ‚Mondnacht’; ‚Himmel’ und ‚Erde’; [...] Entfremdungsmotive, die in verführerischen, aber schreckbesetzten ‚Venus’-Bildern gipfeln. ‚Heimat’ und ‚Fremde’.”22 Nicht nur Sprache und der gemeinsame Ort können einigende Elemente, auch Kleidung kann Ausdruck der Heimatverbundenheit sein. Nach dem Sieg gegen die napoleonischen Armeen bei der Völkerschlacht von Leipzig im Jahr 1813 wurde rege über eine nationale deutsche Kleidung diskutiert. Ernst Moritz Arndt reflektierte 1814 in seiner Schrift Über Sitte, Mode und Kleidertracht – ein Wort zur Zeit über eine deutsche Nationaltracht. Seine Beschreibungen einer idealen deutschen Herrentracht synthetisierten politische und vestimentäre Begriffe. So sollte der „Hals befreit […] von dem knechtischen Tuche” sein und, so Arndt: „In solcher bestimmten Tracht, welche alle Männer tragen müßten, die ihre eigne Herren sind, würden die deutschen Männer wieder stattlich ernst und würdig erscheinen.”23 Nur ein Jahr zuvor hatte Arndt in einem patriotischen Gedicht gefragt Was ist des Deutschen Vaterland? und proklamiert,

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dass der gesamte deutschsprachige Raum zum Vaterland gehöre; Sprachraum wird zur Heimat.24 Die Reichsgründung 1871 und die zeitgleich prosperierende Industrialisierung verstärkten das Bedürfnis nach geschichtlicher Rückversicherung über die eigene Identität und der Sicherung des kulturellen Erbes. Eine Folge war das Aufleben der Heimatbewegung, die Gründung von Heimatvereinen seit den 1870er Jahren und später das Prosperieren der architektonischen Heimatschutzbewegung mit ihrer Hinwendung zu regionalen Baumaterialien und lokalen Traditionen.25 Korrespondierend zur Institutionalisierung von Heimat am Ende des 19. Jahrhunderts entstand eine Vielzahl von Heimatromanen – zu nennen sind Ludwig Ganghofers Martinsklause (1894) und Das Schweigen im Walde (1899) – wobei darin vor allem auf dem Land als Gegenbild zur prosperierenden Stadt das Heimatliche gesucht wird.26 Heimat als politisch instrumentalisierte Vorstellung vom kulturell und territorial Eigenen erhielt besonders in der Zeit des Nationalsozialismus neue Brisanz. Zwischen 1933 und 1945 wurde im „Dritten Reich” Heimat in seiner radikalen Anbindung an Nation zu einem abstrakten, mythisch aufgeladenen Begriff, der Heimat, Volk und Vaterland in einer kausalen Verkettung zusammenführte. Ziel war über die regionale Verwurzelung hinaus eine Identifikation des Kollektivs mit dem Staat – also eine Nationalisierung von Heimat: „Vorgänge auf nationaler Ebene erzeugten so eine unmittelbare Betroffenheit beim einzelnen Menschen. Eine Betroffenheit, die insbesondere für den Aspekt der Landesverteidigung ausnutzbar war.”27 Heimat wurde zum „Kampfbegriff”28, ein Raum, den es gegen potentielle Bedrohungen von außen und gegen die inneren Feinde gemeinschaftlich zu verteidigen galt. Der Zweite Weltkrieg beeinflusste das Verständnis von Heimat nach 1945; die umfassenden Menschenbewegungen auf deutschem Territorium und ehemals besetzten Ländern – Rückkehrer aus Gefangenschaft und aus den Konzentrationslagern, Vertreibungen aus den deutschen Ostgebieten – waren Indiz von oftmals unwiederbringlichem Heimatverlust. Enzensberger beschreibt die Zwangsverschleppungen unter den Nationalsozialisten, die kriegsbedingten Truppenbewegungen, die heimatlosen „displaced persons” nach Kriegsende sowie die Fluchtbewegungen aus dem Osten in die vier Besatzungszonen als „katastrophale Bewegungen”29. Besonders die causa der deutschen Vertriebenen nährt kontinuierlich politische Debatten um Schuld, Vertreibung und Verlust von ­emotionaler Heimat und zurückgelassenen Besitztümern, wobei es auch um kausale Zusammenhänge von durch Deutsche verübtes Unrecht und an Deutschen verübtes Unrecht geht.30 Heimat blieb ein zutiefst politischer Begriff. So ist die Verwertung der Heimat durch die deutsche Kulturindustrie in Heimatfilmen und Heimatromanen in den 1950er Jahren als Entpolitisierung lesbar, die mit

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einem Antimodernismus korrespondierte – Thomas Koebner zählt die Erzählungen und Bilder des deutschen Heimatfilms zu den „Träumen dieses kollektiven Heilsschlafes”31 als Flucht vor der Mitverantwortung für die Taten des nationalsozialistischen Regimes. Heimat wird in Filmen wie Schwarzwaldmädel (1950, Regie: Hans Deppe) oder Der Förster vom Silberwald (1954, Regie: Alfons Stummer), entschlackt von der aggressiven Vereinnahmung des Nationalsozialismus, ein klischeebehafteter Sehnsuchtsort. Stereotypisierende Besetzungen des Heimatlichen durch deutsche Landschaften und triviale Geschichten fanden großen Publikumszuspruch und propagierten intakte Familienstrukturen in der ländlichen, heiteren Idylle, die sich gern als sympathischer Fremdenverkehrsort präsentiert, an dem der angereiste Städter sein Glück finden darf.32 Ein anderes Verständnis von Heimat-Film postulierte der seit 1981 entstandene, in seinen Einzelfilmen anachronistische Mehrteiler Heimat von Edgar Reitz, der das Dorf Schabbach im Hunsrück als Pars pro Toto deutscher Geschichte zwischen den 1840er Jahren bis zur Wende fokussiert, und in den einzelnen Protagonisten und sozialen Beziehungsgefügen die Ablagerungen nationaler Zeitläufte zu erkennen sucht. Der Filmhistoriker Georg Seeßlen deutet die Episoden der ersten Heimat, Heimat – Eine deutsche Chronik (1984), als „ein System von Geschichten über das Weggehen, Dableiben und Wiederkommen”33. Distanz und Nähe zum Herkunftsort prägen die Geschichte(n) in der Hunsrücker Heimat, fliehen die Protagonisten doch immer wieder die dörfliche Enge und werden wieder in sie zurückgezogen, wobei Reitz sich den Daheimgebliebenen ebenso wie den Auswanderern widmet. Dialekt und Sprachgestik, Naturlandschaft, familiäre Beziehungen und Traditionen bilden den Humus, aus dem Heimatliches gedeiht: „Aus diesem in sich ruhenden Mythos der Heimat, aus der Vorgeschichte der sesshaften Großeltern Mathias und Katharina Simon, entwickelte Reitz eine Vielzahl von WandererGeschichten, von Weggehern und Heimkehrern, Emigranten und Vertriebenen.”34 Oftmals verbleibt es auch beim Fernweh und den unerfüllten Sehnsüchten – so im jüngsten Film der Reihe, Edgar Reitz’ Die andere Heimat (2013), in dem der Protagonist Jakob Simon Mitte des 19. Jahrhunderts von der Auswandererwelle ergriffen wird und seinen ersehnten Platz auf dem Schiff nach Brasilien schließlich doch seinem Bruder abtreten muss. Zumindest bis nach München und zum Musikstudium schafft es 100 Jahre später sein Nachfahre Hermann Simon in Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend (1992). Im Künstlermilieu Münchens der 1960er Jahre findet Hermann eine Ersatzheimat,35 und kehrt 1970, nach zehn Jahren der Abwesenheit, doch wieder nach Schabbach zurück. Der Bruch der Filmfigur Hermann mit seiner Heimat nach 1960 hat ein reales zeitgeschichtliches Pendant: Mit Abstand zur nationalen Ideologisierung der „Heimat” durch den Nationalsozialismus und nach dem allmählichen Verblassen der Heimatidyllen in Film, Literatur und Musik, verlor Heimat in der Bundesrepublik der 1960er Jahre im

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Kontext der Bedeutung von materiellem Wohnstand und Konsum zumindest für eine Weile an Aktualität.36 Erst in den 1970er Jahren erlebte der Begriff eine Renaissance im öffentlichen Diskurs. Diese Hinwendung zu einer alten und problematischen Idee von emotionaler Bindung an einen Ort, seine Geschichte und Kultur war vermutlich eine Reaktion auf eine vermeintliche Bedrohung: Umweltzerstörung und Kalter Krieg befeuerten eine Verlustangst, die Ausdruck in Texten wie Alexander Mitscherlichs Die Unwirtlichkeit der Städte (1965) fand. Die Angst um und die Bewahrung von Heimat schien eine Antwort auf Szenarien der massiven Gefährdung menschlicher Existenz zu sein.37 Zudem befand sich die Gesellschaft der 1970er Jahre in einem sichtbaren Umbruch durch Einwanderung. Anwerbeabkommen führten seit 1955 Arbeiter aus Italien, Spanien, Türkei und anderen Ländern nach Deutschland, die zunächst als temporär beschäftigte Arbeitskräfte kommen sollten und doch mit den Jahren ihre Familien nachziehen ließen. Mit der Einwanderung veränderte sich vor allem sehr rasch das Erscheinungsbild der Großstädte, die historisch seit jeher durch ein hohes Maß an Heterogenität und Diversität geprägt sind: „Insofern handelt es sich bei der metropolitanen Gesellschaft nicht um eine durch homogene Lebensverhältnisse, sondern durch radikale Differenz und Inkompatibilität geprägte Gesellschaft; eine Gesellschaftsform, in der unterschiedliche Differenzen ihren Platz haben und in der unterschiedliche Verortungen möglich sind.”38 Migration schreibt sich in Stadtstrukturen ein, sie überlagert bereits existierende Spuren und Bedeutungen. Soziale Aneignungen des Raumes können durch architektonische wie städtebauliche Modellierungen erfolgen, die sich in „Zeitschichten” übereinander legen und auf eine Pluralität von Geschichte und Geschichten verweisen.39 Der Migrationsforscher Rainer Ohliger führt das Beispiel des Marktes am Berliner Maybachufer an, der sich vom brandenburgischen Bauernmarkt über den ‚Türkenmarkt’ hin zu einem Ort kultureller Vielfalt und Ökomarkt verändert hat: „Orte haben wechselnde Bedeutungen, die nicht zuletzt vom Blickwinkel, von der an den Ort gerichteten Frage und von der jeweiligen historischen Narration abhängen, die einem Ort als bedeutend oder dominant zugeschrieben werden.”40 Migration kann sich also durch Aneignung und Umdeutung von städtischen Plätzen, Stadtteilen und Quartieren in die Textur von Metropolen einprägen. Diese Veränderungen lassen Einwanderung auch bereits dann sichtbar werden, wenn das Zielland, in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland, aus politischen Gründen bestreitet, ein Einwanderungsland zu sein. Eben diese veränderte urbane Öffentlichkeit, die vermehrt von kultureller Heterogenität geprägt ist, zeigen fotografische Arbeiten von Candida Höfer oder von Barbara Klemm aus den 1970er Jahren. Heimat wurde im Kontext der Zu- oder Einwanderung zu einem Begriff, der neu überdacht und definiert werden musste – von den einen als

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ausgrenzende kulturelle oder nationale Kategorie des Deutschen, von anderen als performativ zu beurteilende Größe, die potenziell auch die „Gastarbeiter” inkludieren konnte. Politisch werden Definitionen von Heimat, wenn sie der Abgrenzung von ­Eigenem und Fremden dienen. Denn wo Heimat ist, ist keine Fremde. Mechanismen der In- und Exklusionen schließen jene ein, die aufgrund bestimmter Merkmale – Kultur, Sprache, Religion, Herkunft, Staatsangehörigkeit – zur Heimat gehören und jene aus, die den Status des Fremden besitzen. Obgleich insbesondere die staatsrechtliche Definition von Heimat von festen territorialen Grenzen ausgeht, wird Heimat in der soziologischen Forschung als Konstruktion beschrieben. Unhinterfragt werde an eine identitätsstiftende Gemeinsamkeit geglaubt.41 In den vielen Publikationen42, die seit den späten 1960er Jahren in Deutschland den Status der Einwanderung konstatierten (ohne diese meist als solche zu benennen), die Empfehlungen für den Umgang mit den „fremden” Arbeitern gaben, die vor Überfremdung und Kriminalität warnten oder die „Gastarbeiter” auch als neue Deutsche wahrnahmen, sind die Reflexionen über Heimat(en) und die Sorge um Veränderung und Verlust stets zugegen – die importierten Arbeiter waren und blieben Fremde, die einerseits in symbolischen Gesten willkommen geheißen wurden, andererseits ein beständiges Unbehagen provozierten – fremde Menschen, „die eine andere kulturelle Herkunft besitzen, andere Traditionen verfolgen, eine andere Sprache sprechen und damit häufig krisenhafte Begegnungen provozieren”43. Bereits 1969 versuchte eine rechtswissenschaftliche Untersuchung, Zusammenhänge zwischen kulturellen Konflikten und Kriminalität unter „Gastarbeitern” nachzuweisen. Diese „culture conflicts” würden eben dort große Ausmaße annehmen, wo südländische Arbeiter (der „sizilianische Bauer” oder „portugiesische Fischer”) mit norddeutschen Industriegesellschaften zusammenprallten: „Im Falle der Wanderung von einem Kulturbereich in den anderen werden ‚culture conflict’ und ‚social disorganisation’ Hand in Hand gehen. Je ausgiebiger der Kontakt zur neuen kulturellen Umwelt, desto ausgeprägter wird sich die Folge auf dem Gebiet der Kriminalität erweisen.”44 Die Broschüre Warum brauchen wir Gastarbeiter? (1970) kreist um Differenzen zwischen den eingereisten Fremden und den Einheimischen, wobei für Toleranz und Verständnis plädiert wird: „Der Gastarbeiter ist auch insofern anders als wir, als er sich viel direkter und unmittelbarer gegenüber anderen Menschen verhält, er zeigt seine Gefühle. Er lacht viel, schimpft laut und schämt sich auch nicht, einmal zu weinen. [...] Wenn er seine Heimat verläßt, verläßt er sie mit einem erheblichen Ausmaß an Ungewißheit: Was ist das für eine Stadt, in der ich arbeiten werde? Treffe ich dort Landsleute aus meiner Heimat? [...] Kommt unser Gastarbeiter nun bei uns an, so ist ihm zunächst so ziemlich alles fremd: Er weiß nicht, wie er bestimmte Auskünfte einholen soll, denn er versteht die Sprache nicht; als Grieche

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oder Türke kann er noch nicht einmal die Straßennamen lesen, denn bei ihm zu Hause gibt es ein anderes Alphabet. [...] Und dann kommt irgendwann das Heimweh! Er hat seit Tagen nichts mehr von seiner Familie gehört; wie wird es ihnen gehen?”45 Aus Perspektive der evangelischen Ausländerarbeit verlangt das Handbuch Gastarbeiter werden Bürger (1978), die ausländischen Arbeitnehmer als dauerhaft Bleibende zu akzeptieren, sich tolerant und solidarisch mit ihnen zu zeigen. Kritisiert wird der fragile Aufenthaltsstatus: „Die Lebensverhältnisse ausländischer Arbeitsnehmer und ihrer Familien werden gegenwärtig entscheidend von der Unsicherheit über ihre Zukunft bestimmt. Die Angst unter ihnen nimmt ständig zu. Die menschlichen Probleme werden dadurch verschärft, daß sie durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verstärkt spüren: Wir sind Fremde.”46 Zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und zum Ziele der Integration in die bundesrepublikanische Gesellschaft wird eine Erweiterung des Aufenthaltsrechts gefordert.47 Ernüchtert konstatiert Verena McRae jedoch 1980 in ihrem Buch Die Gastarbeiter. Daten, Fakten, Probleme, dass viele Eingewanderte aus politischen Gründen – auch sie kritisiert die mangelhafte Ausländerpolitik der Bundesregierung – mental noch immer nicht in ihrem Zielland Deutschland angekommen seien: „Im Hinblick auf die mangelnde Assimilation vieler Gastarbeiter findet das Vorurteil, diese waren an einer Integration gar nicht wirklich interessiert eine gewisse Bestätigung und dient seinerseits wieder als Rechtfertigung dafür, daß die sozialen Folgekosten der Ausländerbeschäftigung bislang weitgehend eingespart wurden.”48 Selbst Jahrzehnte nach Einreise der ersten angeworbenen Arbeiter aus dem Ausland schien die Bundesrepublik für viele von ihnen noch nicht zur Heimat geworden zu sein. Und zugleich taten sich die nativen Deutschen schwer, die Fremden als gleichberechtigte deutsche Bürger zu akzeptieren.49 Das Verhältnis war und ist problembehaftet, was sich auch in den Buchtiteln zum Thema artikuliert. Bereits einige Jahre vor diesen Debatten, die auf eine sich diversifizierende Gesellschaft reagierten, setzen jene fotografischen Projekte ein, die den zeitlichen und inhaltlichen Ausgangspunkt für das vorliegende Buch bilden: Erst mit einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren zu den nationalsozialistischen Vereinnahmungen von Nation und Vaterland konnte in den 1960er Jahren Stefan Moses fotografische Serie über die Deutschen entstehen, die ein humorvolles und poetisches Bild einer Nation zeichnete und einen zeitlichen Anfangspunkt für diese Untersuchung bildet. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten prosperierten fotografische und künstlerische Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Heimatbegriff innewohnenden Kategorien wie Volk, Nation und Staat, sondern auch mit verwandten Termini wie Heim / Heimat oder heimatlich konnotierten Topografien. Der Verweis auch aktuellster künstlerischer Produktionen auf die Romantik lässt deutlich werden, welche Wirkmacht jene Epoche in der Konstruktion

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von Heimat hatte. Dabei sind vielen künstlerischen Arbeiten auch die Kehr- und Gegenbilder von Heimat eingeschrieben: Fernweh und Heimatlosigkeit sind keine Alternativmodelle, sondern Paraphrasen des Heimatlichen, untrennbar verwoben sind das Heim und das Unheimliche. Oftmals konstituiert erst der Blick aus der Distanz das Bild von Heimat. Diese Distanz kann, wie bei dem Schriftsteller Max Frisch, nur ein temporär befristeter Aufenthalt im Ausland bedeuten, oder wie bei der Fotografin Irina Ruppert aus der Erfahrung der Auswanderung motiviert sein. Ruppert, die als Kind gemeinsam mit den Eltern aus Kasachstan in die Bundesrepublik Deutschland migrierte, besann sich als ausgebildete Fotografin ihrer Herkunft – zumal einige ihrer Geschwister und zahlreiche Verwandte noch immer in Sibirien, im Kaukasus und in Weißrussland leben. Auf einigen Reisen zwischen 2006 und 2010 suchte sie die Orte ihrer Kindheit auf, traf Verwandte, die inzwischen weit über den osteuropäischen und asiatischen Raum verstreut sind und konzentrierte sich auf Dinge, die für sie das Gestern prägten. Im Vorsatz ihrer in Buchform veröffentlichten Aufnahmen formuliert Ruppert diese Erinnerungsreise wie folgt: „I travelled to Eastern Europe, to Russia, Kazakhstan and the Carpathian Mountains, to find these feelings of home, turning my memories into photographs.”50 Ruppert beschreibt in diesem kurzen Zitat ihre Suche nach dem Heimatgefühl, das sie besonders mit Erinnerungen verbindet, die wieder in Fotografien überführt werden. Das Fotobuch Rodina, das russische Wort für Familie aber auch für Vaterland, ist das einfühlsame Porträt einer Heimat, die sich aus Erinnerungsfragmenten zusammensetzt. Das Buch beginnt mit der Aufnahme eines rostigen Flugzeuges (Abb. 1), das vor einer Wohnsiedlung abgestellt ist. Vermutlich ehemals der Stolz der Bulgarian Airlines deutet der gestrandete Flieger mit dem symbolträchtigen Schriftzug „Balkan” auf den Untergang eines politischen und wirtschaftlichen Systems. Die Perspektivierung der trostlosen Mietskaserne im Hintergrund verdeutlicht, dass die Menschen Angesicht zu Angesicht mit dem Erbe ihrer Geschichte leben. Die mit dem Motiv des Flugzeugs verbundene Mobilität und Technisierung ist hier einem Stillstand gewichen, der auf Armut und sozialen Abstieg im Zeichen politischer Umbrüche verweist. So verblichen der Schriftzug auf dem Flugzeug erscheint, so zurückgenommen ist die Farbigkeit der Aufnahme mit vielen Braun-, Grau- und Ockertönen. Der Blick der Kamera zeigt das Flugzeug dabei nur im Ausschnitt und als Fragment, das damit zu einem Erinnerungsstück wird – für die Fotografin ebenso wie für die vor Ort lebenden Menschen. Dieser Fotografie folgt eine drastische Aufnahme eines frisch geschlachteten Huhnes (Abb. 2). Auch das Tier ist nur im Anschnitt, als Fragment, zu erkennen, vor seinem Kopf ergießt sich eine Blut­lache auf grobem Beton, daneben liegt ein Messer mit blutiger Klinge. In Aufsicht und aus nächster

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Nähe beobachtet die Kamera das sterbende Tier. Die Hässlichkeit des Todes erscheint in seltsamer Harmonie mit der ästhetischen Anmutung der Komposition. Die Kamera ist hier ein Instrument der Vergewisserung über kulturelle Praktiken und Rituale, die in anderen Regionen der Welt bereits ihre Alltäglichkeit verloren haben. Zugleich hält Ruppert einen Moment fest, der eng mit ihrer persönlichen Fa­miliengeschichte verwoben ist. Das Tier schlachtete ihr Bruder zum Abschied. Die folgenden Aufnahmen zeigen Landschaften und Menschen – in dunklen Innenräumen und in sommerlich grünen Dorflandschaften. Ruppert lenkt ihren Sucher auf Speisen wie eine Suppe mit gekochter Hühnerkralle oder zeigt eine Trauerprozession, die einen geöffneten Sarg mit sich führt (Abb. 3). Darin liegt der graue Leichnam einer alten Frau. Auch hier bannte die 1 — Ruppert, Balkanblock, 2007 2 — Ruppert, Huhnschlachtung, 2003

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Fotografin augenscheinlich ein Ritual, das sie in ihrem eigenen, westlich geprägten Leben – Ruppert lebt in Hamburg – kaum mehr findet. So ist ihr Blick in dieser Aufnahme der einer distanzierten Beobachterin, die am Rücken einer Anwesenden vorbei die Trauernden fotografiert und das Ritual als Teil ihres eigenen kulturellen Wissens versteht, dem sie sich jedoch als Fremde erneut nähert. Rupperts fotografische Arbeiten führen die vielen semantischen Schichten von Heimat in nachdrücklichen Bildern vor Augen: Heimat ist in ihrer Arbeit eng an die biografischen Erfahrungen geknüpft, wird erst durch das Erleben der Ferne erfahrbar. Die Sentimentalität, die mit Erinnerungen verknüpft sein kann, trifft bei Ruppert auf die realen Erfahrungen vor Ort, dem faktischen Dorfleben, in dem Rituale und kulturelle Praktiken in einer Kontinuität weitergelebt werden. Heimat befindet sich in einem unbegreiflichen Raum zwischen 3 — Irina Ruppert, Beerdigung, 2007 4 — Irina Ruppert, Mädchen am Fenster, 2006, alle Aufnahmen aus

dem Fotobuch Rodina, 2011

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dem Hier und dem Vergangenen. Das Verfahren der Foto­grafie ist dabei ein Mittel, um Erinnerungen in ihrer zeitlichen Dimension und die damit verbundenen Orte und Menschen zusammenzuführen. Die künstle­rischen Perspektiven heben dabei das Erlebte aus der ­Nostalgie. In einer Schlüssel­aufnahme (Abb. 4) ist eine junge Frau zu sehen, die seitlich zum Betrachter in einem nur karg eingerichteten Raum sitzt, in dem sich die Zeit an anti­quierten technischen Geräten wie dem schwarzen Telefon mit Wählscheibe oder einer alten Blumentapete abgelagert hat. Die Frau hat ihren Kopf zum Fenster gewandt und blickt hinaus. Sie blickt in das helle Außen, dessen Konturen verschwimmen. Dieser sehnsüchtige Blick hat sein Äquivalent in den vielen Rückenfiguren des romantischen Malers Caspar David Friedrich und bringt die „Sehnsucht” als Metapher in die Fotografie. Mit dieser romantischen Referenz verortet sich Ruppert in einer kulturellen Vielheit, die sie an verschiedene Räume, Orte, Länder und Kulturen bindet. Irina Rupperts Fotobuch Rodina führt zur übergreifenden Frage, welche Relevanz ein Begriff wie Heimat für die aktuelle künstlerische Produktion in einer Epoche der Globalisierung noch haben kann? Sind doch viele zeitgenössische Künstler längst zu Global Playern mit internationalen Atelieraufenthalten und Stipendien geworden, sodass sich an der Bedeutung der Kategorie Heimat für die Gegenwartskunst zweifeln lässt. Doch lässt sich bei genauer Auseinandersetzung feststellen, dass die Beschäftigung mit Heimat nie aufgehört hat und ungebrochenes Potential auch für Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit besitzt. Auch wenn Heimat als Begriff nicht offensiv und explizit verhandelt wird, begegnet er als dichotomische Figur in Arbeiten, die sich mit Ortswechseln, Migration oder Displacement beschäftigen. Bisweilen wird gerade die Nicht-Sesshaftigkeit zur Heimat, so in den Daseinsformen nomadisch lebender Kulturen, die sich historisch im altweltlichen Trockengürtel – in Westafrika, über die Arabische Halbinsel bis nach Ostasien – entwickelten. Dieser archaische, noch in der Gegenwart existierende Nomadismus ziehender Volksgruppen findet sich auch in anderen Geografien, so in den Protagonisten von Birte Kaufmanns Fotoserie The Travellers (2011 / 12)51, eine traditionell früher mit dem Pferdewagen ziehende Volksgruppe in Irland, die Pferde der Rasse Irish Cob züchtet. Die meisten von ihnen sind des Lesens und Schreibens nicht mächtig, sie sprechen eine eigene Sprache und gehören als nomadisch Lebende zu den Minoritäten der irischen Gesellschaft. Die sich als geschlossene Clans verstehenden „Pavee” leben nach eigenen Normen und Regeln, wenngleich sie sich den neuen Zeiten anpassen, ihren traditionellen Broterwerb durch Kesselflicken, Beschlagen von Hufeisen oder Messerschleifen teilweise aufgeben mussten und von der Regierung zur Sesshaftigkeit aufgefordert werden.52 Doch auch auf den „Haltingsites”, den Stellplätzen, die für sie geschaffen wurden,

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bleiben ihre unangepasste Haltung, die Herausforderungen und Härten ihres Alltags sichtbar. Ein Blick in einen Wohnwagen zeigt ein Paar, dessen Gesichter früh gealtert sind; der Mann liegt auf einem Matratzenlager und beobachtet, wie seine Partnerin sich eine Zigarette dreht. Armut und Intimität, Sprachlosigkeit und wortlose Beziehungen verdichten sich in diesem Heim, in das die Fotografin Einlass fand. Die Existenz dieser Fotografie ist Zeugnis des Vertrauens, das Birte Kaufmann entgegengebracht wurde, da die Travellers eigentlich abgeschlossen und zurückgezogen leben. Eine weitere Fotografie ist nicht nur Ausweis der prekären Lebensbedingungen sondern verdichtet symbolhaft das Leben der Pavee zwischen mobiler Vergangenheit und der (erzwungenen) Sesshaftigkeit der Gegenwart. Ein abgestellter Wohnwagen ist im Grünen gestrandet, auf der Front sitzt ein Junge in Schuluniform. In der Linken hält er ein Gebäck, die Rechte stützt sich ab. Unter ihm quellen einige Kleidungsstücke aus dem Gepäckraum. Auch das Mädchen auf der linken Seite trägt Schulkleidung – Hinweise auf das Bemühen der irischen Regierung, bei den Travellers die Schulpflicht durchzusetzen und zu kontrollieren.53 Das Mädchen versucht Wäsche auf- oder abzuhängen. Der triste Wäschetrockner ist von Gestrüpp umfangen und ragt wie ein knorriger Baum ins Bild. Das abweisende Umfeld mit Müllsack, einer Holzplatte und leeren Verpackungen wirkt provisorisch und unwirtlich. Der Trostlosigkeit des Umfelds wird jedoch auch etwas entgegen gestellt: dynamisch ragt der Wohnwagen in das Bildfeld hinein, deutet auf Ortsveränderung und die Möglichkeiten des Reisens. Diese Sehnsucht nach der Ferne mag auch im ernsten Blick des Jungen enthalten sein, der sich auf einen Punkt außerhalb des Bildraumes richtet. Auch wenn es hier zu einem Stillstand auf Zeit gekommen zu sein scheint, so ist das Reisen und Ziehen als Lebensmodell noch in der Fotografie präsent. Mit dieser Aufnahme aus Birte Kaufmanns The Travellers ist auch die Perspektivierung dieses Textes beschrieben, der keine wehmütige Aufwertung von Heimat oder des Heimatbegriffs in einer globalisierten Welt einfordert. Im Gegenteil. Vielmehr soll versucht werden, Heimat im Kontext globaler Migrationsphänomene und Entgrenzungen neu zu fokussieren und das Potenzial einer zeitgenössischen künstlerischen Reflexion herauszustellen. Nur auf diese Weise kann die kreative Aneignung eines politisch und historisch belasteten Begriffs wie „Heimat”, für Martin Walser 1967 „der schönste Name für Zurückgebliebenheit”54, überhaupt erfolgen. Die ausgewählten künstlerischen Positionen sind dabei exzeptionelle Beispiele einer Auseinandersetzung und Übersetzung von Zugehörigkeiten, Verwurzelungen, Herkunft, Nationen und Nationalitäten sowie Identitäten, die sicherlich noch von anderen Werken hätten ergänzt werden können.

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Fotografische Heimatbilder Heimat heißt ein Fotobuch von Peter Bialobrzeski (2005), das sich ausgiebig deutschen Landschaften widmet und in dieser Zusammenschau von Heimat und Landschaft postuliert, dass Landschaft Heimat sein kann. Bialobrzeskis Heimat enthält 34 ganzseitige Farbfotografien, die einer leeren Seite gegenübergestellt und auf ­weißen Seiten ohne Texte positioniert sind. Jeder einzelnen Aufnahme ist damit ­Freiraum gegeben, sodass sich auch die Projektionsmöglichkeiten der Betrachter un­endlich potenzieren können. Der Aufmacher ist eine Winterlandschaft (Abb. 5): der Horizont ist tief im unteren Drittel des Bildes angelegt, ein schneebedeckter Hügel ist in der Bildmitte erkennbar. Die aus der Distanz erfassten 13 Personen sind, obgleich sie sehr klein im Bild erscheinen, ob ihrer bunten Kleidung vor dem Weiß ihrer Umgebung deutlich zu erkennen. Ohnehin enthält die Fotografie eine Vielzahl feiner Weißnuancen, die nur mit Mühe die Unterscheidung von Himmel und Erde zulassen. Wolken in feinstem Grau heben sich nur sanft vom schneehellen Himmel ab, ebenso sind die Spuren im Schnee erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Die Fernsicht auf eine weiße Landschaft, die auf weißen Seiten angeordnet ist, provoziert die meditierende Betrach­tung. Weiß als Farbe der Absenz und Leere55 beeinflusst die Wahrnehmung der fokussierten Natur, bei der die Personen dem Bild einen besonderen Rhythmus verleihen. Später folgen im Buch Kameraperspektiven auf bewaldete Berge, weite Meere, lange Strandabschnitte. Dabei fokussiert der Fotograf stets aus erhöhter Perspektive, nur selten, wenn die Kamera auf ein noch höheres Gebirgsmassiv gerichtet ist, rutscht der Horizont ins obere Drittel. Ansonsten vermitteln die Fotografien – durchgehend im Breitformat abgezogen – durch den distanzierten Blick auf die Ferne den Eindruck von Erhabenheit und Größe der Natur im Vergleich zum miniaturhaft kleinen Personal. Selbst dicht besiedelte Strandabschnitte werden auf diese Weise in Relation zu dem sich über ihnen auftürmenden Himmel zu pittoresken Orten. Zivilisation und Natur, Mensch und Landschaft sind in dieser Zusammensicht keine Antagonismen; Naturlandschaft, auch wenn sie als vom Menschen gestaltete Kulturlandschaft daherkommt, ist die dominante Größe und der Rahmen, innerhalb dessen sich die Mensch

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heit bewegt. Dabei wirken auch schroffe Gebirge wie die Zugspitze nicht beängstigend, wild und dominant, sondern sind durch das Auge der Kamera gezähmt. Die extreme Tiefenschärfe, die durch die Aufnahmetechnik der Plattenkamera entsteht, lässt selbst fernste Kuppen und Gebirgsketten in feinsten Details hervortreten, die Distanz vermittelt Sicherheit, die Modulationen von Licht und Schatten sowie die sensiblen Farbabstufungen lassen den Eindruck von Kontrolliertheit entstehen. Natur ist intellektuell beobachtet, durch Ratio und Verstand gesehen

5 — Peter Bialobrzeski, Bayerischer Wald, 2005, aus dem Foto-

und bildlich übersetzt. Nicht nur

buch Heimat, 2005

in diesem Punkt begegnen sich der zeitgenössische Fotograf Peter Bialobrzeski und der romantische Maler Caspar David Friedrich. Denn obgleich Friedrichs Landschaften auf eigenen Naturstudien beruhten, entstanden die ­Gemälde erst später im Atelier; dort schöpfte der Künstler aus dem Speicher der ­Erinnerungen wie der Bildnotizen und fügte die Stücke so zusammen, dass sie seiner Vorstellung von Landschaft entsprachen und ihre suggestive Wirkung entfalten ­konnten.56 Friedrichs Arbeitsweise ist also einer konzeptionellen Ausführung verpflichtet, und wenngleich Bialobrzeskis „Heimat” kein Produkt digitalen Sampelns ist, sondern auf einer uralten Kameratechnik basiert, beruhen seine Heimat-Bilder auf der sorgfältigen Auswahl des geeigneten Ausblicks. So reiste der Fotograf zwei Jahre lang und 15.000 Kilometer weit durch Deutschland, fotografierte oft mehrere Tage nicht und wartete, bisweilen vergeblich, auf das richtige Motiv, das richtige Licht, das richtige Wetter.57 Erst sukzessive trug Bialobrzeskis seine Fotografien zusammen. Mit seinen fotografierten Landschaften, den vielen Gebirgen, den Ostseebildern und seiner Fotografie von der Insel Rügen58 tritt Bialobrzeski in konkreten, motivischen Dialog mit Caspar David Friedrich.

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Diese Referenz an den Romantiker, der sich intensiv den deutschen Landstrichen und Landschaften seiner Zeit widmete, äußert sich auch in den vielen Rückenfiguren, die sich in Heimat finden. Zwei Wanderer mit Rucksäcken sitzen auf einer Bank im Allgäu und blicken auf einen malerischen Gebirgssee, dahinter zeichnen sich diffus im 6 — Peter Bialobrzeski, Allgäu, 2003, aus dem Foto-

Nebel die Silhouetten der Berge

buch Heimat, 2005

ab (Abb. 6). Diese Fotografie

7 — Caspar David Friedrich, Der Morgen im Gebirge,

adressiert motivisch und kom-

um 1823, Öl auf Leinwand, 135 x 170 cm, Staatliche

positorisch vermutlich Gemälde

Eremitage, St. Petersburg

wie Caspar David Friedrichs

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Der Morgen im Gebirge (Abb. 7). Die Horizontlinie ist bei Friedrich und Bialobrzeski nahezu identisch auf gleicher Höhe, beide Bilder zeigen eine Bergwelt, die sich eingetrübt vom Nebel sanft in die Ferne fortsetzt. Eine zeitgenössische Rezension des Friedrich’schen Werkes aus dem Jahr 1823 ließe sich ohne große Veränderungen auch auf Bialobrzeskis Fotografie beziehen: „Ein Gedanke und eine Empfindung belebt dieses hohe einsame Gebirge (Friedrichs große Landschaft in Öl), welches auf festem Gestein sich emporhebt, Nebel schwimmen aus den Tälern in der Tiefe, wie auf dem Boden der Vergangenheit, aber hinter dem Nebelmeer dämmert vor den beiden, auf der Felsenkuppe im Vordergrund ruhenden Fremden das ferne Land auf, wie die Zukunft sich entschleiert vor dem Seher, der auf der Höhe des Lebens steht.”59 Bei Friedrich – und bei Bialobrzeski – können sich die Betrachterinnen und Betrachter in die Rücken-figuren hineinversetzen und mit ihnen das Erlebnis der Weite wahrnehmen, zudem wird durch ihre winzige Präsenz erst die unendliche Erhabenheit der Gebirgslandschaft evident.60 Obgleich die beiden Figuren bei Friedrich etwas weiter entfernt sitzen, ist doch die Bildwirkung und Komposition ähnlich, wobei Bialobrzeski die linke Rückenfigur in roter Jacke und blauem Rucksack farblich weitaus stärker aus der Landschaft hervorhebt. Ähnlich exponiert sitzt in einer weiteren Fotografie eine Frau im roten Kleid an einem Fluss im Schwarzwald, sie wendet sich leicht nach rechts, so als fixiere sie etwas am gegenüberliegenden Ufer, an dem sich einige nur winzig im Bild erscheinende Badende befinden.61 Farblich hat sie ein Äquivalent in einem roten Schlauchboot, das ebenfalls auf der anderen Flussseite befestigt ist. Rot (Frau und Boot) und Grün (die Tannen, das Gras am Ufer, der Fluss) kontrastieren als komplementäre Farben und lassen die Beobachterin im Bildvordergrund besonders hervortreten. Wie bei Friedrich blicken die Sitzenden stellvertretend für den Urheber der Werke, sie geben die Blickrichtung der Betrachter vor, ebenso wie sie von ihnen dieselbe Versenkung fordern, die sie selbst zeigen.62 Blicken und Aneignen sind thematisiert, wobei der Fotograf (ebenso wie der Maler) ein Beobachter erster und zweiter Ordnung ist.63 Er sieht, was die Rückenfiguren sehen, er sieht jedoch auch sie. Bei Friedrich sind die in Rückenansicht gemalten Personen weitaus weniger Staffage als vielmehr zentrales Motiv für Komposition und Bildwirkung, sie verbinden Nahbereich und Ferne, führen unsere Blicke vom Standpunkt ins unendlich Weite.64 Dabei verleiht ihnen die altdeutsche Tracht, die viele von ihnen tragen, als Ausdruck ihrer gegen die bestehenden Verhältnisse gerichteten Gesinnung eine politische Konnotation, die sich auch auf die Landschaft übertragen lässt: Natur kann bei Friedrich zeitpolitisch gedeutet werden, teilweise als Verweis auf eine „politisch-historische Zukunft”65. So ist in vielen Gemälden Caspar David Friedrichs auch ein vorausschauendes, utopisches Moment enthalten, das mit den Fernblicken korrespondiert. Die letzte Fotografie in Bialobrzeskis Buch

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(Abb. 8), aufgenommen 2002 an der Ostsee, ist eine Hommage an Friedrichs Der Mönch am Meer (Abb. 9).66 Über dieses von ihm besonders bewunderte Bild schreibt der Fotograf: „Und ‚Der Mönch am Meer’ ist für mich die Quintessenz der Übersetzung der deutschen Seelenlandschaft ins Bildnerische. Depressiv und 8 — Peter Bialobrzeski, Ostsee / Baltic Sea, 2002, aus

ungeheuer hoffnungsvoll.”67

dem Fotobuch Heimat, 2005

Zwar ist bei Friedrich Nacht und

9 — Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer,

bei Bialobrzeski Tag, zwar ist der

1808 / 09, Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Staatliche

Protagonist bei dem romanti-

Museen zu Berlin, Nationalgalerie

schen Maler ein in Mönchs-

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kutte gekleideter Mann, bei dem Fotografen eine Frau in schwarzer Jacke, doch existieren einige kompositorische und motivische Übereinstimmungen. Beide Bilder sind an der Ostsee loziert, verwenden Schiffe, Wasser, Möwen und Spaziergänger als Ingredienzien. Ebenso wie Friedrich formuliert Bialobrzeski eine dreigeteilte Bildlandschaft, die aus Strand, Meer und bewölktem Himmel besteht. Sehr nah am Übergang zwischen Ufer und Wasser ist jeweils eine Rückenfigur platziert. In seinem kurzen Vorwort nennt der Fotograf Movens und Stimulans für sein Projekt: „Ich wollte mein Verhältnis zu meinem Deutschlandbild klären, zu einem Land, das für mich emotional und kulturell prägend ist, also Heimat. Vielleicht ist es ein wenig konservativ, aber die Gemälde Caspar David Friedrichs haben meine Vorstellung von ‚deutscher Landschaft’ mehr beeinflusst als die Anselm Kiefers.”68 Interessant ist bei dieser Aussage, dass Bialobrzeski nicht etwa sein Verhältnis zu Deutschland auf den Prüfstand bringen wollte, sondern sich vielmehr mit den medialen Übersetzungen und Konstruktionen auseinandersetzte, die Heimat als Bild konstituieren. Dabei nennt er den romantischen Maler Caspar David Friedrich als besonders einflussreich. Bialobrzeski steht damit nicht allein; in der künstlerischen Auseinandersetzung zeitgenössischer Fotografen und Künstler mit Heimat ist die Romantik ein wichtiger und konstanter Impulsgeber, dies gilt für ihre literarische wie auch ihre bildliche Produktion.69 Neben dem Romantiker Friedrich nennt Bialobrzeski auch die Serie American Prospects des amerikanischen Fotografen Joel Sternfeld von 1987 als Inspirationsquelle. Sternfelds Arbeit steht im Kontext von Amerika-Fotografen, die als Reisende, oftmals in Form einer Road Story, in einer fotografischen Durchmessung der USA ihre Oberflächen und Abgründe, Landschaften und Menschen im Bild festhielten und damit eine subjektive fotografische Erzählung über die Vereinigten Staaten entwickelten. „Homeland” und „Belonging” sind in Fotobüchern wie Andy Warhols America (1985) oder Stephen Shores American Surfaces (2005), die als amerikanische Fotografen von innen auf das Land blickten, durchaus wichtige Kategorien, doch auch Robert Franks Fotobuch Les Américains von 1958, der als Schweizer eine Perspektive des Fremden auf ein Land und seine Leute entwickelte, lässt sich in diese Reihe einordnen. In allen genannten Büchern ist allerdings „Amerika” bereits als titelgebender Begriff benannt und damit die kulturelle, geschichtliche, politische und topografische Eigenheit des beobachteten Landes als besonders leitend für die fotografische Arbeit unterstrichen. Dagegen bleibt Deutschland als Thema seiner Landschaftsporträts bei Bialobrzeski im Buchtitel unerwähnt. Auch sind die Aufnahmen ohne kontextvermittelnde Untertitel reproduziert und lassen zunächst ungewiss, wo die Fotografie entstand. Erst auf den letzten Buchseiten klärt eine Bildlegende über die Orte und das Entstehungsjahr auf, erfahren die Leser, dass diese Aufnahme an der Nordsee entstand, die andere in Hamburg, im

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Erzgebirge oder im Allgäu. Diese Dramaturgie verweist darauf, dass es dem Fotografen weniger darum ging, ein Deutschland-Buch zu schaffen, sondern Bilder zu kreieren, die vielmehr seiner Vorstellung von Landschaften in Deutschland entsprachen. Nicht unbedeutend ist der Umstand, dass Bialobrzeski ein global arbeitender Fotograf ist, der sich intensiv mit Städten und Landschaften befasst, die er oftmals als Orte des Übergangs und der Metamorphose fasst. Ausdruck dieser Beschäftigung sind Bücher wie Neon Tigers (2004), Lost in Translation (2007) oder Paradise Now (2009). Das Gesehene ist dabei Material für Bildschöpfungen, die oft unwirklich wirken, Beobachtetes ist Ausgangspunkt für Transformationen. Die minutenlangen Belichtungszeiten der Plattenkamera lassen Details besonders hervortreten, während Anderes verschwindet oder diffus wird. So wirken bedrückend verbaute Autobahnen in asiatischen Megacities wie digital konstruierte Miniaturstädte, menschenleer und seltsam schwebend.70 In diesem Kontext sollte auch „Heimat” gelesen werden, wobei der Blick des Reisenden nun zur Perspektive des Beheimateten wird. Konstant bleibt aber die Verfahrensweise: Das Fotografierte ist kein Dokument des Realen, sondern eine Transzendierung durch das Kameraauge und den Fotografen. Bialobrzeski beschreibt dies grundsätzlich für seine Arbeit als: „Mir geht es nicht darum, zu zeigen, wie es da ist. Ich will zeigen, wie es sein könnte, wenn ich es fotografiere.”71 Auch in dieser Deutung des Bildes als autonome Schöpfung ohne mimetischen Auftrag findet sich eine lose Bindung an die Kunst der Romantik. Denn die zeitüberdauernde, einnehmende Wirkung der Bildwelten Caspar David Friedrichs sind nicht (nur) auf ihre Realitätsreferenzen zurückzuführen. Friedrich, der in der zeitgenössischen Rezeption als vormoderner Künstler wahrgenommen wird, studierte Natur mit naturwissenschaftlichem Interesse, verfremdete diese jedoch durch eigenwillige „ästhetische Ordnung[en]”72. Seine aus Versatzstücken zusammengesetzten Landschaften sind zwar auf reale Topographien zurückzuführen – Rügen, Riesengebirge, Hünengräber – dennoch sind sie als verfremdete, einer Gesamtkomposition untergeordnete Räume eher einer Vision und Idee von Heimat verpflichtet, als dass sie diese porträtieren.73 Neben dem transzendentalen, religiösen Interesse an Natur, der wissenschaftlichen Neugier an Naturphänomenen sind besonders Friedrichs Patriotismus und seine Leidenschaft für speziell deutsche Landschaften als Movens für seine Bildfindungen zu nennen. Nicht nur Heimat ist ein genuin deutscher Begriff, auch die Romantik gilt ­weitgehend als deutsche Erfindung: „In Friedrich’s work, too, a pronounced love for German nature is combined with strong feelings for all nature, and the yearning is also a yearning for a fatherland that the Germans had yet to secure. The mountains, forests and coasts, and the churches and ruins that Friedrich painted were also German, and even the figures express this sometimes by their clothing.”74 Dieses politische Moment ist in Bialobrzeskis Fotografien nur noch als schwaches Echo wahrnehmbar; seine Auf-

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nahmen reflektieren die Macht der Bilder zur Generierung von Heimat und deuten auf Caspar David Friedrich als einen der einflussreichsten Bildlieferanten zur Konstruktion einer genuin „deutschen Heimat”. Friedrichs Naturbilder sind gerade vor der Folie des zeitpolitischen Kontextes als politische Landschaften lesbar. Die Aktualität der Bildwelten Caspar David Friedrichs zeigt sich in mannigfaltigen Rezeptionen zeitgenössischer Künstler, die auf Friedrichs Motive, Kompositionen und mediale Aspekte seiner Werke reagieren.75 Besonders aus der Perspektive einer bildgewordenen Heimat sind die Arbeiten des romantischen Malers und überhaupt die Epoche der Romantik nochheute eine wichtige Informations- wie Inspirationsquelle – dies zeigt nicht nur Peter Bialobrzeskis Heimat als Reflexion und Translation der Bildwelten Caspar David Friedrichs. Zehn Jahre nach Erscheinen seines Fotobuchs arbeitet Bialobrzeski nun an einer aktuellen Serie mit dem Arbeitstitel Die zweite Heimat. Eine fotografische Untersuchung Deutschlands im dokumentarischen Stil.76 Darin widmet sich der Fotograf den neuen Bundesländern, ihren Topografien wie den Menschen und zeigt, wie das politisch Vergangene immer wieder in die Gegenwart bricht – wenn etwa von Graffitis gezeichnete Bauten des Sozialismus massiv ihren Platz im Stadtraum beanspruchen oder Ruinen mit ehr­ geizigen Neubebauungen koexistieren. Bialobrzeskis Die zweite Heimat lässt Gestern, Heute und Morgen in den sozialen Texturen sichtbar werden.

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Nation und Geschichte im Bewegtbild In seiner 4-Kanal-Filminstallation Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land (2011), die für die Ausstellung Heimatkunde im Jüdischen Museum Berlin entstand, reflektiert Julian Rosefeldt unter anderem romantische Verhandlungen des Heimatlichen, der Geschichte und der Traditionen, romantische Mythen und Erzählungen.77 Neben dem Wald als zentrales Motiv inspirierten ihn die Märchen und Schlachten, Sehnsüchte und Projektionen der Romantiker zu seinem Film. Rosefeldt eröffnet mit einer Rede vor dem Theater(vorhang): der Schauspieler Lars Eidinger steht auf einer Bühne und rezitiert in seiner flammenden Ansprachen aus Texten zweier Emigranten – Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) sowie Elias Canettis Masse und Macht (1960). Hier dürfte Rosefeldt die Perspektive dieser zumindest temporär Heimatlosen interessiert haben: Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen” ist gesättigt von Projektionen und Erfahrungen des Exilierten, der nach zwölf Jahren der Abwesenheit aus Frankreich nach Deutschland reiste. Den aus politischen und beruflichen Gründen 1831 nach Paris ausgewanderten jüdischen Dichter Heine bewegt in seinem satirischen Gedicht zunächst das Heimweh nach Sprache und Land: „Im traurigen Monath November war’s, Die Tage wurden trüber, Der Wind riß von den Bäumen das Laub, Da reist’ ich nach Deutschland hinüber. / Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu tropfen.”78 Doch das Verlangen nach Heimat währt nicht lange, vielmehr entwickelt sich das Gedicht rasch zur Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen in Deutschland. Über Aachen heißt es: „Ich bin in diesem langweiligen Nest Ein Stündchen herumgeschlendert. Sah wieder preußisches Militär, Hat sich nicht sehr verändert. [...] Noch immer das hölzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter Winkel In jeder Bewegung, und im Gesicht Der eingefrorene Dünkel.”79 Der fern der Ursprungsheimat lebende Dichter erkennt durch die zeitliche und geografische Distanz umso deutlicher die Missstände in Deutschland, auf die er mit dem Finger weist – und war dafür mit Zensur, Beschlagnahmungen und heftigen Attacken seiner Zeitgenossen konfrontiert.80

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Der etwa 100 Jahre später aus dem „angeschlossenen Österreich” vertriebene und vor den Nationalsozialisten fliehende Schriftsteller Elias Canetti erklärt das deutsche Wesen aus den historischen Erfahrungen, den kollektiven Traumata und Mythen. In seiner Perspektivierung verschmelzen Militarismus, historische Gewalterfahrung, Ordnungssinn (als vermeintlich charakteristische nationale Eigenschaft des Deutschen) und Waldliebe: „Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer; es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. [...] Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. Die Rinden, die einem erst wie Panzer erscheinen möchten, gleichen im Walde, wo so viele Bäume derselben Art beisammen sind, mehr den Uniformen einer Heeresab­ teilung. Heer und Wald waren für den Deutschen, ohne daß er sich darüber im klaren war, auf jede Weise zusammengeflossen.”81 Eidingers Ansprache steigert sich zum wütenden Monolog, in dessen Verlauf das Publikum mit einer Motorsäge bedroht wird. In einer Schuss-Gegenschuss-Einstellung wechselt der Kamerablick zwischen dem erregten Sprecher und einem im Parkett sitzenden Paar, die Schauspieler Eleonore Weisgerber und Max Volkert Martens, das später vom Beobachter zum Akteur werden wird. Eidinger beendet seine Ansprache mit den Worten „Meine sehr verehrten Damen und Herren, der deutsche Wald!”, der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf ein Bühnensetting mit künstlichem Wald. Gekleidet in die schwarze Ledermontur eines Bikers singt der Opernsänger René Pape dort ­Schumanns romantische Eichendorff-Vertonung In der Fremde, um schließlich in Wehklage zu enden. Papes Schrei, „Mein Wald”, wird überlagert vom lauten Geräusch der Motorsäge. Hinter ihm erscheint auf einer Leinwand die Projektion einer Miniaturlandschaft; die Kamera fliegt über ein Open-Air-Konzert, eine Zeltstadt, dann einen Wald bis zum Hermannsdenkmal in Miniaturform. In einer Überblendung wird daraus das reale Denkmal im Teutoburger Wald, von dem aus die Kamera in den dichten Wald hineinfliegt. Historisches Ereignis (Hermannsschlacht), Rezeption und Mythisierung im 19. Jahrhundert (Errichtung des Denkmals) und der deutsche Wald als symbolhafte Topografie werden in diesen Einstellungen miteinander verflochten. Ein Schnitt lässt zu einer Autofahrt durch einen düsteren Wald wechseln, im Wagen sitzt das Paar aus dem Theater, das sich über den Wald, die Natur, die gute Luft streitet. „Unser Deutschlehrer hat uns damals den Wald buchstäblich mit dem Stock einverleibt”, erinnert sich der Mann, zitiert Eichendorffs Waldeinsamkeit und Tacitus’ Germania. Nun fällt auch das titelgebende Zitat „Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land”82 des deutschjüdischen Philosophen Theodor Lessing, der 1933 im tschechoslowakischen Exil erschossen wurde.83

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Der Dialog zwischen dem Paar steht für die ambivalenten Emotionen, die deutsche und emigrierte Intellektuelle ihrem Land gegenüber artikulierten, ebenso geht es um Vorurteile und Projektionen von außen (Tacitus), die dann zu einer Aneignung und Verinnerlichung führen können – der Soziologe Stuart Hall hat darauf verwiesen, dass Identitäten als Prozess stets innerhalb von Diskursen und normativen Zuschreibungspraxen entstehen.84 Die Autofahrt des Paares ist zugleich eine weitere Anspielung auf einen deutschen Mythos: die Serie Tatort, die seit 1970 ausgestrahlte sonntägliche Kriminalreihe von ARD, ORF und SWF, in denen Ermittlerteams aus verschiedenen deutschen Regionen und Städten an der Auflösung von Kriminalfällen arbeiten. Ein beliebter Schauplatz für die Gewalttaten oder für die „Entsorgung” der Leiche in diesen Filmen ist der Wald.85 Rosefeldts Fahrt rekurriert auf zahlreiche Sequenzen dieser deutschen Kriminalserie, in denen eine Leiche im muldigen Wald verscharrt oder aufgefunden wird. In diesem filmisch inszenierten Wald scheinen all jene Bedrohungen weiterzuleben, die im deutschen Märchen etabliert wurden. Diese Ängste wirken in den Alltag hinein. So folgt auch die Fahrt des Paares bei Rosefeldt einer kausalen Logik; sie endet in einem Waldstück, das von allerlei märchenhaften und schrecklichen Gestalten bevölkert wird, ein Jäger, Hänsel und Gretel, eine angsteinflößende Handpuppe als Inkarnation des Bösen. Eine Sängerin und einige Schauspieler proben, Tänzer in Radfahrermontur bewegen sich in Formation zwischen den Bäumen – ein Verweis auf die zahlreichen Aktivitäten zur Körperertüchtigung, die in zeitgenössischen deutschen Landschaften stattfinden und den Wald in einen „Freizeit- und Fitneßraum”86 verwandelten. Steinzeitmenschen intonieren Mir san vom Woid dahoam als Ode an den Bayerischen Wald. Aktivisten tragen Transparente wie „Heimat als Terrorwelt” auf eine Waldbühne, auf der Tribüne spielen Blechbläser. Immer wieder laufen Bau- und Bühnenarbeiter mit Holzbrettern durch das Bild. Die Kamera, die ihren Weg zielstrebig durch das geschäftige Treiben findet, endet bei den märchenhaften Figuren von Rotkäppchen und dem Wolf. Im deutschen Märchen ist der „Märchenwald” eine topografische und symbolhafte Konstante und findet in den verschiedenen Illustrationen zu den Sammelwerken der Brüder Grimm seinen Niederschlag. Wald ist hier ein anziehender wie unheimlicher Ort, in dem die Protagonisten auf einer gefährlichen Reise zu sich selbst ihre Reifeprüfung erleben: „Wer wieder aus der Wildnis herausfindet und die Begegnungen mit den dort hausenden Wesen übersteht, dem winken Glück, Reichtum, Mündigkeit.”87 In Nachfolge des in Märchen wie Rotkäppchen, Brüderchen und Schwesterchen oder Hänsel und Gretel entworfenen Bildes des Waldes als Ort des Wunders und der Gefahren fanden bis in die jüngste Gegenwart immer neue Waldgeschichten Eingang in den Kanon des Kinder- und Bilderbuches, darunter Otfried Preußlers Räuber Hotzen-

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plotz (1962), Axel Schefflers und Julia Donaldsons The Gruffalo (1999) und auch Maurice Sendaks Where the Wild Things Are (1963), in dem der Wald im Kinderzimmer des jungen Protagonisten wächst und den Beginn einer Reise markiert. Bei Rosefeldt hört der Wolf als ­Reminiszenz an den romantischen Maler Caspar David Friedrich auf den Namen „Caspar”. Das Tier läuft fort, ihm wird die Kamera fortan mit einigem Abstand folgen. Einsam durchstreift das Tier die Waldlandschaft, durch deren sattes Grün sich Männer in bayerischer Tracht be­ wegen (Abb. 10). Der Wolf führt uns schließlich – ans Meer. Oberhalb eines schmalen Küstenstreifens hat der opernsingende Biker (Pape) sein Campingzelt aufgeschlagen, dahinter steht sein ­Motorrad (Abb. 11). Der Biker, der hier mit Kopftuch, Lederhose und -weste (die sogenannte Kutte) in Erscheinung tritt, hat sich in Deutschland als „Rocker” ausgeprägt.88 Diese Mitglieder einer motorradfahrenden Subkultur sind oftmals in Motorradclubs organisiert. In Rosefeldts Film ist der Biker eine Spielart des Deutschen,

10–12 — Julian Rosefeldt, Meine Heimat ist

ein düsteres wolkenverhangenes Land / My home is a dark and cloud-hung land, 2011, 4-Kanal Filminstallation / 4-channel film instal­ lation, shot in HD, converted to HD-SR and transferred onto BluRay disc, aspect ratio 16:9, 29 min 23 sec loop

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die im Bild erscheinenden Gegenstände wie Grill, Kühlbox und das Bier sind als stereotypisierende Attribute lesbar. Auf der Kühlbox steht ein tragbares Fernsehgerät, auf dessen Kanälen verschiedene Waldbilder laufen – düstere Verfolgungsszenen, Landschaftsaufnahmen –, zuletzt zeigt der Fernseher den Blick auf ein Theaterpublikum, der wiederum auf die Eröffnungssequenz verweist. Damit endet der Film in einem Loop an seinem Anfang. Rosefeldts Kamera zieht die Betrachterblicke immersiv in den filmischen Raum, führt von Ort zu Ort und Bild zu Bild, die sich wie russische Matroschka-Puppen ineinander staffeln: Die verschiedenen Displays – Theater- und Opernbühne, Kinoleinwand, Fernsehbildschirm – rahmen die Settings, sind räumlich und narrativ miteinander verschränkt. Die Kamerasicht verbindet in einer horizontalen Bewegung Bühne und Filmraum, Wald und Küstenlandschaft. Diese medialen Positionierungen lassen sich mit den artikulierten Inhalten in Verbindung setzen. Da es weitaus mehr um Vorstellungen von Heimat als um deren dezidierte Festschreibung und Definition geht, lässt Rosefeldt literarische, musikalische, performative und mediale Bilder aus der Geschichte in Erscheinung treten. So rezitiert die furchteinflößende Handpuppe, die im Wald ihren Auftritt hat, aus dem nationalsozialistischen Propagandafilm Ewiger Wald (Deutschland 1936, Regie: Hanns Springer): „Ewig lebt, was ewig kämpft. Ewig siegt, was ewig grünt. Ewiger Wald, ewiges Volk.” Springers Film vereinnahmte den Wald als „Lebensraum”, Ursprung und Kraftquelle wie auch als symbolhaften Vertreter des deutschen Volkes und artikulierte biologistische Vorstellungen der germanischen „Rasse”, die selbstverständlich wie der deutsche Wald im deutschen Boden verwurzelt sei. Tod und Erneuerung werden in „Ewiger Wald”, in Analogie zum Lebenskreislauf des Waldes, als notwendige Bedingungen zum Erhalt und zur Erneuerung der Gemeinschaft gedeutet.89 Diese völkische Botschaft kommt allerdings in der Tarnung einer Naturphantasie daher, die bei Rosefeldt als betörende und lenkende Machtphantasie in Gestalt der von fremder Hand bewegten Handpuppe Ausdruck findet. Filmische, musikalische und literarische Verhandlungen von Heimat bilden starke Referenzen für Rosefeldts Video; daneben bezieht sich der Künstler auch auf die Malerei als tradierte identitätsstiftende Gattung. Bereits in der medialen Repräsentation seiner Arbeit nimmt Rosefeldt offensiv Bezug auf die Malerei, indem er das narrativ angelegte Geschehen weitgehend auf eine Projektion konzentriert, während die drei anderen als nur leicht bewegte Tableaus in Erscheinung treten. Eine dieser ruhigeren Projektionen zeigt als Allusion auf die deutsche Reinlichkeit die Gestalt eines Hausmeisters in Kittel und mit Besen, der ohne Unterlass ein Bergplateau kehrt und in seiner sinnentleerten Arbeit verharrt. Der aus der Vogelperspektive fokussierte Hausmeister steht in Rückenansicht zu den Betrachtenden und gibt den

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Ausblick auf eine bewaldete Landschaft frei. Rückenfigur und Landschaft sind als Referenz auf Caspar David Friedrich lesbar, ebenso wie sich in den anderen beiden Projektionen Verweise auf den romantischen Maler finden lassen. Ein in gelbes Regenzeug gekleideter Mann schwenkt eine Nebelmaschine (Abb. 12). Er steht auf einem flachen Gebirgsplateau, von dem er weit über bewaldete Berge blickt. Die Rückenansicht und der künstlich erzeugte, wabernde Nebel sind Kommentare auf Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer (Abb. 13). Friedrichs Wanderer blickt aus erhöhter Perspektive auf einen unfassbaren und unermesslich weiten Raum, der die Trennung zwischen Gebirge und Himmel auflöst, entgrenzt und dabei den Blick auf den festen Grund verhindert.90 So immersiv dieser Nebel auf den Wanderer wirkt, so wenig gibt er dem Betrachter Halt, der hinter ihm steht. Bei Rosefeldt weicht die dramatische Figur des Wanderers, dessen Haare vom Wind zerzaust

13 — Caspar David Friedrich, Der Wanderer über

sind, der seine eigene Nichtigkeit im

dem Nebelmeer, um 1818, Öl auf Leinwand,

Verhältnis zum Naturschauspiel erkennt,

94,8 x 74,8 cm, Hamburger Kunsthalle

einem handfesten, zupackenden Mann in Regenzeug. Keine Demut, keine Geste der Verinnerlichung ist hier zu finden, Friedrichs romantische Vision tritt hier nurmehr als ironisierendes Echo in Erscheinung. Dabei wird die Künstlichkeit des Nebels, der bei Friedrich für eine kunstvolle, atmosphärische Verschleierung steht, die die Erhabenheit des Gesehenen noch steigert, durch den maschinell erzeugten Kunstnebel paraphrasiert. In Rosefeldts filmischer Installation ist auf einer weiteren Projektion (Abb. 14) ebenfalls in Rückenansicht ein Mann vor einem Wald zu erkennen, der immer wieder seine Kettensäge anwirft. Er steht im Regen und betrachtet davon ungerührt die grünen Bäume. Auch hier ist die Handlung auf ein Minimum beschränkt, sodass der Eindruck

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14 — Julian Rosefeldt, Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land / 

My home is a dark and cloud-hung land, 2011, 4-Kanal Filminstallation / 4-channel film installation, shot in HD, converted to HD-SR and transferred onto BluRay disc, aspect ratio 16 : 9, 29 min 23 sec loop 15 — Caspar David Friedrich, Der Chasseur im Walde, um 1813, Öl auf Leinwand, 65,7 x 46,7 cm,

Privatbesitz Deutschland

eines Tableaus entsteht, das seine Präfiguration in Caspar David Friedrichs Der Chasseur im Walde (Abb. 15) hat – ein Gemälde, das Friedrich einst auf einer dezidiert patriotisch ausgerichteten Dresdner Ausstellung91 nach der Niederlage napoleonischer Truppen zeigte, dem sich bald eine Interpretation des Bildes als symbolische Land-

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schaft für die Niederlage Napoleons anschloss. Der von Friedrich gemalte französische Krieger (Chasseur) werde demnach, im Angesicht von Rabe und Schneelandschaft als Verschlüsselungen des Todes, bald sterben – ein von den Rezipienten gedeuteter Ausdruck der französischen Niederlage, sodass das Bild zum Zeichen des deutschen Befreiungswillens wurde. Wenngleich die Uniform wohl nur schwerlich als „französisch” entziffert werden kann und dabei diffus bleibt, ist die Kennzeichnung des Ortes als „deutscher Wald” sehr deutlich. Dieser tritt als undurchdringliches Grün in Erscheinung, das „von den preußischen Patrioten zwischen 1808 und 1813 zur Entscheidungswaffe im Kampfe gegen Napoleon erklärt wurde”92. Ein historisches Vorbild für die proklamierte militärische Strategie des Waldes als Verbündeten der Deutschen gegen den Feind begegnet bereits in der historischen Varusschlacht. Welche Projektionsfläche diese Schlacht in Zeiten territorialer Bedrohung bot, zeigt sich an der Rezeption durch die Romantiker. Die Epoche der Romantik fiel in eine Zeit der nationalen Selbstbewusstwerdung und stand im Zeichen der Französischen Revo­ lution von 1789, der Expansionsbestrebungen Napoleons und des Krieges, der Europa seit Mitte der 1790er Jahre bis 1815 prägte. Die französische Okkupation wurde von vielen Deutschen als „nationale Erniedrigung” empfunden und beförderte das Erstarken eines ausgeprägten Nationalbewusstseins.93 War der deutsche Nationalismus zunächst eine Minderheitenerscheinung, die vor allem vom Bildungsbürgertum sowie von Künstlern und Intellektuellen getragen wurde, entwickelte er sich bis 1840 zum „Massenphänomen”94. Das 19. Jahrhundert war allgemein die Zeit der Nationenbildung in Europa, und „Nation und Nationalstaat [wurden] zum obersten handlungsleitenden Wert in der Gesellschaft”95. Zugleich verschränkten sich im 19. Jahrhundert Kunst und Nation als einander bedingende Kategorien: „Die Kunst in den Dienst der Nation zu stellen, das Nationale mit den Mitteln der Kunst zu verhandeln, war eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Form und Ikonografie der Kunstwerke, Kategorien der Ästhetik, Werturteile der Kunstkritik und die Genealogien der Kunstgeschichte wurden mit dem Konzept der Nation kurzgeschlossen.”96 Im 19. Jahrhundert wurde viel von Nation gesprochen, neue Wortkomposita entstanden wie etwa „Nationalkirche”, „Nationaltheater”, „Nationalgefühl”, „Nationalliebe”, und erst nach der Revolution von 1848 wurde wohl auch der Begriff „Nationalstaat” verwendet.97 Eine einheitliche deutsche Nation war das Ideal, doch folgte die frühe Nationalbewegung föderativen Idealen, indem sie die Unabhängigkeit der bestehenden deutschen Staaten gewahrt wissen wollte. Erst mit der Gründung des deutschen Nationalstaates 1871 gerieten diese föderativen Anfänge in Vergessenheit.98 Besonders beeinflusst wurde die Genese eines deutschen Nationalgefühls wohl im Austausch und in Abgrenzung oder Ablehnung zu Frankreich; insbesondere in Preußen „erwuchs [...] der

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deutsche Nationalismus vor allem aus der Erfahrung, von Frankreich politisch unterdrückt, wirtschaftlich ausgebeutet und als Staat existentiell gefährdet worden zu sein”99. Zeichnete die frühen romantischen Dichter und Denker wie August Schlegel, Novalis und Clemens Brentano noch ein radikaler Individualismus aus, so fokussierte die Romantik nach 1815 vermehrt Tradition und Geschichte, Gemeinschaft und Religion.100 Die Suche nach den Traditionslinien der eigenen Geschichte fand Ausdruck in Volksliedsammlungen oder den Märchensammlungen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm. Erfindungen wie die Dampfmaschine und die Telegrafie, Technisierung, industrieller Fortschritt und Beschleunigung im Übergang zum 19. Jahrhundert führten nicht nur zur Mobilisierung der Menschen, sondern lösten zugleich Irritationen und Abwehrreaktionen aus: „Gegen eine Auflösung gesicherter sozialer Positionen und Orientierungen steht das Beharren auf einem substantiellen Zusammenhang von Ich und Welt, Mikro- und Makrokosmos, Natur und Geschichte.”101 Nation und Nationalismus waren für die Künstler der Romantik bedeutungsvolle Kategorien und wurden in Synthese mit Vorstellungen eines empfindsamen Künstlerindividuums und Naturprojektionen gebracht. In jener Epoche etablierten sich wesentliche künstlerische Metaphern und literarische Bilder, die große Wirkmacht entfalteten.102 Die Romantik vermochte ein von Heimweh und Sehnsüchten aufgeladenes Bild- und Textkonvolut auszubilden, auf das noch heute viele Kunstproduzenten zurückgreifen. Heimat und Heimatverlust als Kategorien waren dabei neben Naturphilosophie, Mystizismus und Mythologie Konstanten romantischer Dichtung, Musik und bildender Kunst.103 In der Rückprojektion auf die deutsche Geschichte wurden zeitgenössische politische Ereignisse verklausuliert. So ist das 1808 von Heinrich von Kleist verfasste Drama Die Hermannsschlacht unter anderem als Reaktion auf die preußische Niederlage gegen Frankreich im Jahr 1806 lesbar, in dem der Autor den römischen Imperialismus als Metapher für die napoleonische Expansionspolitik anlegte.104 Der Befreiungskampf der Germanen gegen die Römer im Teutoburger Wald in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, der als Varusschlacht (clades Variana) in die Annalen Tacitus’ einging, war Sinnbild für den Kampfgeist der germanischen Partisanen, die in einem ungleichen Kampf gegen drei römische Legionen einen Sieg errangen, der den Rückzug der Römer aus dem rechtsrheinischen Germanien auslöste. Diese Schlacht und der Sieg unter dem Heerführer Arminius, den Martin Luther in Ableitung des lateinischen „dux belli” (Anführer im Krieg) „Heer man” nannte, aus dem schließlich der deutsche Name Hermann entstand105, beflügelten den Traum von einem zeitgenössischen befreiten Deutschland. Die Schlacht fand Eingang in Gedichte von Heinrich Kleist (Germania an ihre Kinder), Friedrich Hölderlin (Das untergehende Vaterland), Heinrich Heine

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(Deutschland. Ein Wintermärchen) und in Gemälde von Caspar David Friedrich (Der Chasseur im Walde). Der Mythos der Hermannsschlacht wird in der Romantik als Präfiguration der Zeitgeschichte gedeutet, Gestern und Heute literarisch und bildlich synchronisiert.106 Vermutlich inspiriert von Kleists Die Hermannsschlacht entstand 1812 Caspar David Friedrichs Gemälde Gräber gefallener Freiheitskrieger.107 Der Maler erfand darin ein imaginäres Grabmal des cheruskischen Feldherren Arminius, dessen eigentliche Ruhestätte unbekannt ist. Indem er es in nächster Nähe zu Soldatengräbern der Freiheitskriege platzierte, brachte er Geschichte und Gegenwart zusammen. Arminius / Hermann wird hier zu einer Leitfigur im Freiheitskampf der Deutschen gegen die Franzosen.108 So werden Mythen im Lauf der Zeit beharrlich fortgeschrieben, wobei in der Aktualisierung eine politische Aneignung zu erkennen ist: „Mit narrativer Variation ist dabei gemeint, dass Mythen nicht bloß weitererzählt, sondern auch fort- und umerzählt werden und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifisch politische Deutungsleitungen darstellen, in denen einer Neuorientierung des politischen Verbandes vorgearbeitet wird.”109 Um den politischen Impetus einiger Bilder von Caspar David Friedrich zu verstehen, ohne sie einseitig als rein patriotische Bildfindungen verstehen zu wollen, wie in der Friedrich-Rezeption am Vorabend des Ersten Weltkrieges geschehen, sind dennoch die gesellschaftlichen und politischen Kontexte, in denen der Maler arbeitete, bedeutsam. Zu nennen sind seine Kontakte zu Protagonisten der deutschen Nationalbewegung wie Freiherr vom Stein oder Ernst Moritz Arndt, ebenso wie seine antifranzösische Haltung in seinen Briefen oder durch Verweise auf die Freiheitskriege und antinapoleonische Symbole in einigen seiner Bilder.110 Rosefeldts Mehrkanalprojektion rekurriert auf historische Ereignisse und deren Mythisierungen (durch Bilder): die Hermannsschlacht ist für ihn ein Wendepunkt für die deutsche Selbstwahrnehmung und die Codierung des Walds als genuin deutsche Topographie.111 So bezieht er sich nicht vorrangig auf die historische Hermannschlacht, sondern reflektiert deren Aneignungen und politischen Umdeutungen des 19. Jahrhunderts, in dem sich die Vorstellung etablierte, dass die deutsche Geschichte mit der Schlacht im Teutoburger Wald und dem Sieg des Arminius über die römischen Heere begonnen habe; Arminus / Hermann war demzufolge der „erste historisch fassbare Deutsche”112. Zudem sollte die Schlachtführung des Arminius vorbildhaft sein: Diese war nicht nach den Vorgaben einer symmetrischen, offenen Feldschlacht und eines rationalen Kabinettkrieges geführt worden, den die hochaufgerüsteten römischen Legionen – den Tugenden virtus und disciplina folgend – meisterhaft beherrschten, sondern zeichnete sich durch eine Abfolge überfallartiger Einsätze im sumpfigen Waldgelände aus.113 Diese „Tirailleur-Taktik” als „kleiner Krieg” kannte keine Unter-

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scheidung zwischen Schlachtfeld und Hinterland oder Sumpf.114 Bereits in der Adaption der historischen Schlacht durch Friedrich Gottlieb Klopstock im 18. Jahrhundert sind die Germanen als besonders naturliebend beschrieben, wobei die Eiche zum Ausdruck für die Einheit der Germanen mit der Natur sowie zum Symbol des Vaterlandes stilisiert wird; nach dem Sieg über die Römer strahlen die Wälder grüner als zuvor.115 So bildet der Wald als Verbündeter der Deutschen oder als Inkarnation des Deutschen, deutscher Tugenden und Kultur das bestimmende Setting für Rosefeldts filmische Installation. Dazu der Künstler über die Folgen der Hermannsschlacht und der Errichtung des Limes für das Selbstverständnis der Deutschen: „Die Römer hingegen zogen sich hinter den Rhein zurück und überließen die germanischen Stämme im bewaldeten Osten weitgehend sich selbst, nachdem sie im Teutoburger Wald quasi mit den Mitteln der Natur geschlagen worden waren. Hier stehen die Grenzlinie und die dahinter liegende Natur [...] für Abschottung und Isolation. Und diese Erfahrung des Sich-Verbarrikadierens im Wald hat sich wohl tief in die ‚deutsche Seele’ – was auch immer das ist – eingebrannt.”116 Dass die Projektionen, die jede auf ihre Art die kollektiven Heimat-Bilder der Deutschen verhandeln, einander vorbringen, sich bedingen und im jeweils anderen fortleben, zeigt sich daran, dass die Bilder und die Tonspur der jeweiligen Kanäle ­aufeinander abgestimmt sind. So wabert nicht nur der Nebel, den der Wanderer in Regenzeug versprüht, in die benachbarten Bilder, in die narrativ angelegte Projektion bricht auch bisweilen die Motorsäge der „Chasseur”-Referenz. Das aggressive ­Geräusch verweist auf die Forstwirtschaft, auf den von Menschenhand gestalteten Wald, die Verkettung von Natur und Mensch. Spätestens seit den 1950er Jahren löste die Motorsäge die Axt und die Handsäge als Waldwerkzeuge ab und veränderte das Berufsbild: der „motorisierte Einzelkämpfer”117 verdrängte das aus zwei Personen bestehende Waldarbeiterteam, das noch mit der Zugsäge operiert hatte. Dieser „bewaffnete” Einzelkämpfer steht nun als Nachfahre des Friedrich’schen Chasseurs vor dem Wald. Seine Säge ist als lautes, martialisches Werkzeug ein Sinnbild für die Bedrohung des Waldes, der wiederum für die Deutschen oder das Deutsche stehen kann. In einer Verkehrung der Antipoden – Wald / Deutsch und Säge / Feind – intoniert Lars Eidinger bei seinem Auftritt auf der Bühne mit der Kettensäge die Nationalhymne der Deutschen. Diese gerinnt zur aggressiven Geräuschmusik und kann so auf den politischen Missbrauch dieser Hymne im Nationalsozialismus verweisen. In Meine ­Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land ruft Rosefeldt in einer Selbstreflexion über sein „eigenes ambivalentes Heimatgefühl”118 jene kollektiven Bilder auf, die ­gemeinhin als charakteristische, deutsche heimische (Seelen-)Landschaften gelten dürften.

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Pass als Heimat Der Schriftsteller Jean Améry, der als jüdischer Emigrant aus seinem unter den Nationalsozialisten „angeschlossenen” Geburtsland Österreich fliehen musste, bedient sich wie bereits die Schriftsteller Heine oder Eichendorff des Begriffs des „Heimweh”, das er jedoch explizit von der „volksliedhaft-traulichen” Bedeutung bei Eichendorff abgrenzt und als Selbstentfremdung bezeichnet. Die Vertreibung nahm ihm die Sprache, den Dialekt, das soziale Umfeld und das Heimatland, sie verunmöglichte ihm, sich als Österreicher zu definieren: „... alles, was mein Bewußtsein angefüllt hatte, von der Geschichte meines Landes, das nicht mehr meines war, bis zu den Landschaftsbildern, deren Erinnerung ich unterdrückte: Sie waren mir unleidlich geworden [...]. Ich war ein Mensch, der nicht mehr ‚wir’ sagen konnte und darum nur noch gewohnheitsmäßig, aber nicht im Gefühl vollen Selbstbesitzes ‚ich’ sagte. [...] Ich war kein Ich mehr und lebte nicht in einem Wir. Ich hatte keinen Paß und keine Vergangenheit und kein Geld und keine Geschichte.”119 Amérys Beschreibungen verdeutlichen, dass das Zerbrechen der Rahmen, die der Ich-Bildung dienen, ein substantielles Verlustgefühl erzeugt. Heimat ist damit mehr als ein Herkunftsland, es ist im Verständnis von Améry eine Prägung durch Sprache, soziale und kulturelle Erfahrung. Doch zugleich verwehrt sich der Schriftsteller einer Unterscheidung zwischen Heimat und „Vaterland” – ein „Obdach in einem selbständigen, eine unabhängige staatliche Einheit darstellenden Sozialkörper”120 – und postuliert, dass der Mensch seiner Zeit beides benötige: Heimat und Vaterland. Améry schrieb diese Zeilen, die ein Plädoyer für Heimat sind, Mitte der 1960er Jahre im Zeichen einer prosperierenden Tourismusbranche, neuer Reisemöglichkeiten und eines zusammenwachsenden Europas. Historisch gesehen bedeutet die nicht nur von Améry gleichgesetzte Heimat mit dem Vaterland eine Verschiebung und Politisierung: Der über Jahrhunderte dominierenden engen Vorstellung von Heimat als Besitz von Haus und Hof ist damit ein viel weiteres Verständnis entgegengesetzt.121 Dabei wird das Vaterland als Heimat zu einer Aufgabe, die gemeinschaftliche Gestaltung verlangt. Heimat impliziert die Gebundenheit an einen Ort, was sich bereits in der etymologischen Herkunft des mittelhoch-

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deutschen Begriffs der „heimuot(e)” äußert, was als „Stammsitz” übersetzbar ist.122 Obgleich Heimat und Staat nie identisch waren, kann der Staat die Funktion eines Heimatlandes übernehmen. Dies zeigt sich recht eindrucksvoll im Akt der Ausbürgerung: Als nationalsozialistische Behörden die im Ausland befindlichen Emigranten ausbürgerten, wurden sie nicht nur zu staatenlosen – sondern auch zu heimatlosen Menschen. Der Terminus „heimatlos” wurde in die Pässe gestempelt und ging beispielsweise als „haymatloz” in die türkische Sprache ein.123 Die Papiere, die Staatsbürger folglich als zu einem Staat zugehöriges und dort beheimatetes Individuum auszeichnen, sind der Personalausweis oder Reisepass. In dem im 19. Jahrhundert prosperierenden Format des Nationalstaats offenbart sich, wie territoriale und kulturelle Vorstellungen von Staat und Nation kulminieren. So definiert Kocka den Nationalstaat „als besondere Art der Entsprechung von Staat und Nation auf der Grundlage eines beiden eigenen, klar abgegrenzten Territoriums und verknüpft durch eine nationale Kultur, d. h. durch einen gedachten, gewollten, praktizierten und erfahrbaren Zusammenhang, in dem kollektives Gedächtnis und historische Erinnerung (durchweg höchst stilisiert) meist auch verbindende Sprache, Bilder und Kommunikation, gemeinsame Bildung und Normen zentral sind, und der durch staatliche Anstrengung (vor allem über das Bildungssystem) mit hergestellt wird.”124 In ihrem sozialkritischen Fotobuch Passport (1974) kondensiert die Magnum-Fotografin Mary Ellen Mark Begriffe wie Zugehörigkeit, Ver- und Entwurzelung und Heimat in der Fotografie einer Frau mit Kopftuch und eines Kindes, die aus dem Bullauge eines Schiffes blicken.125 Nur die Gesichter sind sichtbar, die Blicke weisen in entgegengesetzte Richtungen, so als sollte das gesamte, aus dem Schiffsbug sichtbare Blickfeld abgemessen werden. Die Hand des Mädchens umklammert die Öffnung des dunklen Schiffsauges, unter dem sich ein Tau abhebt. Hoffnung und Skepsis sind ebenso wie Angst und Zuversicht in dem mimischen Spiel der Gesichter enthalten, die sich hell vor dem dunklen, rauen Grund der Schiffsoberfläche abheben. Unterschrieben ist diese Fotografie, mit der das Buch aufmacht, mit dem Bildtitel Turkish Immigrants, Istanbul, wodurch der Zustand des Einwanderns mit dem Bild der beiden Porträtierten synchronisiert wird. Die Aufnahme entstand um das Jahr 1965, als sich die junge Fotografin, dekoriert mit einem Fulbright-Stipendium, in der Türkei aufhielt. Mark selbst deutet die Aufnahme als ein allgemein gültiges Zeichen für die Ortlosigkeit, die zumindest in der ersten Phase einer Aus- oder Einwanderung zur prägenden Befindlichkeit von Migranten gehöre: „This picture says PASSPORT to me … It’s a picture of two travelers […] not really refugees. They’re coming from a small town along the Black Sea, moving to the big city, Istanbul … it’s been a long voyage. They’re tired and scared … and excited. It could have been taken on Ellis Island. The same kind of feeling … the beginning of

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a big adventure.”126 Obgleich Mark in ihrer Fotografie Binnenmigrantinnen zeigt, die vermutlich über die türkische Staatsangehörigkeit verfügten und eben nicht aus einem anderen Land einreisten, steht der von ihr benutzte Begriff des „Passes” für die schwierige soziale wie rechtliche Situation, mit denen Einwanderer häufig konfrontiert sind. Die unsicheren Zukunftsperspektiven, die für die meisten einhergeht mit einer unklaren Wohn- und Finanzierungssituation, wird potenziert, wenn keine Ausweispapiere vorhanden sind oder diese den Besitzer als „Ausländer” markieren – ein Pass belegt staatliche Zugehörigkeit, ist „Ausdruck kollektiver und zugleich individueller Identität”127. Papiere können über Inklusion und Exklusionen zur Heimat entscheiden – die ein neues Heimatland sein kann, oder, wie in der Fotografie von Mark, eine neue Heimatstadt. Das Schiff ist hier ebenso wie der Pass eine Metapher für den Transit. Auf die metaphorische Kraft des Passes als Eintritt in eine neue Welt verweisen zwei Werke des amerikanischen Künstlers Felix Gonzalez-Torres. Die Arbeit „Untitled” (Passport) (Abb. 16) von 1991, als Teil der Werkgruppe „stacks”, ist ein Stapel weißen Papiers, wobei die Blätter eben kein zu einem Land gehörender Ausweis sind. Vielmehr können diese von den jeweiligen Besitzern – die Arbeit ist ein Mitnahmeobjekt – beschrieben und markiert werden. Aus dem statischen Ausstellungsstück wird ein mobiler Gegenstand, denn die neuen Besitzer des Blattes aus „Untitled” (Passport) führen diesen mit sich an einen beliebigen Ort. Über den „Passport” entscheiden die jeweiligen Autoren. Dies kontrastiert zum amtlichen Ausweis oder Reisepass, der von einer Behörde ausgestellt wird und die territorialen Zugehörigkeiten ihrer Besitzer definiert. An die Ausstellung eines Ausweises und die damit einhergehende Staatsbürgerschaft können sich andere Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit anschließen, der Aufenthalt ist gesichert, das Reisen wird erleichtert. Die Zusicherung von Mobilität, um Grenzen zu passieren, ist im Begriff des Passes historisch verankert. So verweist das italienische „passo” auf die Erlaubnis zum Durchgang, das Dokument wird in einem Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert definiert als „obrigkeitsgeleitlicher geleits-, freibrief zu ungehinderter fortsetzung des weges, reisepasz”128. Der Reisepass erfasst als amtlicher Ausweis die Identität und Staatszugehörigkeit, ermöglicht das Reisen von einem souveränen Staat in den anderen, ebenso wie die Rückkehr in das eigene Hoheitsgebiet. Die Etablierung des Passes zunächst im Mittelalter als königlicher Geleitbrief, der Schutz versprach, über die Umdeutung als Kontrollinstrument in der Französischen Revolution bis zum gesetzlichen Identifizierungsdokument der modernen bürgerlichen Gesellschaft veranschaulicht, dass der Pass ein Werkzeug ist, um über Erfassung und Verwaltung der Bürger die Sicherheit des Staates zu gewährleisten: „Der Prozess des sich Ausweisen-Müssens hatte etwas zu tun mit der Herausbildung

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16 — Felix Gonzalez-Torres, „Untitled”

(Passport), 1991, Paper, endless supply, 10 cm at ideal height x 60 x 60 cm (original paper size) (4 in. at ideal height x 23 5 / 8 x 23 5 / 8 in. (original paper size)), © The Felix Gonzalez-Torres Foundation, Courtesy of Andrea Rosen Gallery, New York

17 — Felix Gonzalez-Torres, „Untitled”

(Passport II), 1993, Print on paper, bound in booklets, endless copies, 20,3 cm at ideal height x 76,2 x 61 cm (original paper size) (8 in. at ideal height x 31 1 / 2 x 29 1 / 2 in. (original paper size)), Each booklet: 12 pages: 15,2 x 10,2 cm each (6 x 4 in. each), © The Felix GonzalezTorres Foundation, Courtesy of Andrea Rosen Gallery, New York

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moderner Staaten, ihrem Drang zu erfassen, zu regeln, zu organisieren und Grenzen im Verhalten seiner Bürger zu ziehen. Das ist die Voraussetzung – so die Staatsraison – um regieren zu können.”129 In Gonzalez-Torres’ Arbeit findet nicht die Autorität des Staates Ausdruck im Dokument, der Pass ist hier kein Instrument der Disziplinierung oder Regulierung, sondern der Eigner darf über Inhalt und Zuschreibung bestimmen. Die weiße Seite kann mit eigenen Erinnerungen, Erfahrungen, Grenzüberschreitungen (dies in einem mehrdeutigen Sinne) beschrieben werden – ähnlich wie der klassische Reisepass aus Papier, wenn er mit Stempeln versehen ist, eine Geschichte über seinen Eigner zu erzählen weiß.130 Der Künstler verstand seinen fiktiven Passport als „a chance to alter one’s life, an empty passport for life: to inscribe it with the best, the most painful, the most banal, the most sublime, and yet to inscribe it with life, love, memories, fears, voids, and unexpected reasons for being”131. Gonzalez-Torres, der als geborener Kubaner zunächst in Puerto Rico lebte, um sich 1979 in New York niederzulassen, beschäftigte sich in seinem Œuvre kontinuierlich mit dem Reisen und seinen Metaphorisierungen. Dabei fasste er den Ortswechsel nicht nur rein geografisch, sondern auch in übertragenem Sinne als innerliche, emotionale oder ontologische Reise, reflektierte immer wieder über Kategorien von Heimat und Ferne.132 Die Auseinandersetzung mit dem Reisen findet Ausdruck in mehreren, noch zu Lebzeiten des Künstlers ausgerichteten Ausstellungen, die unter dem Titel Travel #1, Travel #2 (beide Paris 1993) und Felix GonzalezTorres: Travelling (Los Angeles 1994) gezeigt wurden. In einer andere Arbeit veränderte Gonzalez-Torres die Form der einzelnen Objekte. „Untitled” (Passport #II) von 1993 (Abb. 17) wird aus Stapeln kleiner, gebundener ­Broschüren gebildet, deren Umschläge ein grauer Wolkenhimmel ziert. Auf den Innenseiten ziehen Vögel ihre Bahnen. Damit findet der Künstler eine poetische Metapher für das Reisen, verbindet die in ihrer Form an einen reellen Pass erinnernden Büchlein mit einem abstrakten Bild für Mobilität und einem Dasein im Flug oder Fluss. In einem Reisepass werden zur Identifizierung für gewöhnlich Geschlecht, Alter, Meldeadresse und Staatsangehörigkeit genau definiert. Diesen Zuschreibungen entzieht sich der Künstler, indem er diese Daten in seinem „Passport” nicht vermerkt, sondern Freiräume schafft, die sowohl die geografische als auch die imaginäre Ortsungebundenheit betonen. Dazu Jens Hoffmann und Adriano Perosa, die Felix Gonzalez-Torres ins Zentrum der von ihnen kuratierten 12. Istanbul Biennale 2011 stellten: „Rather than a governmentissued, individualized marker, this passport is a symbol of humanity and universality. Without constraints of documentation, the artist suggests, there are no limits. […] „Untitled” (Passport #II) suggests a poetic space where the act of leaving one place and entering another is forever in process, where national and social identities are

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never fixed, but constantly coming into being.”133 Gonzalez-Torres entwirft eine Welt mit anderen Bewegungsspielräumen. Der Himmel, in den sich nationale Grenzen eben nicht einschreiben können, und die ihn auf ihren Routen durchmessenden Vögel werden zum Zeichen einer Weltordnung, die sich einer politischen oder ethnischen Kartierung entzieht. Der Himmelsraum ist die Zone eines unendlichen Übergangs. Dabei beruhen die „stacks” von Gonzalez-Torres grundsätzlich auf dem Partizipationsgedanken: die Rezipienten müssen das unausgesprochene Gebot des White Cubes, Kunst nicht zu berühren, überwinden, ein Papier vom Stapel nehmen und es mit sich aus dem Raum tragen. Diese Praxis ist bereits ein Ausdruck von Selbstbestimmung und Haltung, sich gegen die Gesetze der Kunstinstitution zu erheben. Damit enthält „Untitled” (Passport) wie viele andere Arbeiten des Künstlers nicht nur ein kunstkritisches Moment134, sondern provoziert ein Reflektieren über Institutionen wie den Staat, seine Organe, Einrichtungen und Dokumente. Bereits als Gonzalez-Torres in den 1990er Jahren seine Arbeiten „Untitled” (Passport) und „Untitled” (Passport #II) konzipierte, hatte die Optimierung der weltweiten Passkontrolle durch Maschinenlesbarkeit begonnen, die durch Digitalisierung beschleunigt wurde. Jahre später führten die Anschläge vom 11. September 2001 zu einer intensiven Diskussion über die Einführung biometrischer Ausweisdokumente, die Ausdruck eines exponentiell gestiegenen ­Sicherheits- und Kontrollbedürfnisses sind.135 Die biometrische Identifizierung unver­ änderlicher Körpermerkmale dient dazu, Menschen das Passieren der Staatsgrenzen zu gewähren oder zu verunmöglichen. Auf diese äußeren Merkmale und die mit ihnen verbundenen Zuschreibungen bezieht sich der Berliner Künstler Nasan Tur. Identität und die Frage nach dem „Wer bin ich?” sind schwer zu fassen; Orientierungen vermitteln die „Bindungen und Identifikationen, die den Rahmen oder Horizont abgeben”136, so etwa moralische und spirituelle Bindungen oder Volkszugehörigkeiten. Dabei ist die Frage nach Identität und Zugehörigkeit oftmals mit äußeren Zeichen und medial geprägten Bildern verbunden: Verhüllungen wie das Kopftuch, der Schleier, Tschador oder Çar¸saf verweisen vermeintlich auf eine religiöse Ausrichtung oder eine nichteuropäische Provenienz, lange Mäntel auch im Sommer können Frauen als nichteuropäisch kodieren. Das Kopftuch wird in der öffentlichen Debatte zum „Symbol des Scheiterns der als GastarbeiterInnen in Länder wie Frankreich und Deutschland gekommenen ImmigrantInnen, sich der Kultur ihres europäischen Gastgeberlandes anzupassen, selbst nach generationenlanger Abwesenheit.”137 Bei Männern war der Schnurrbart oder Vollbart, noch vor seinem modischen Revival der Gegenwart, ein Zeichen der Differenz, ein Indiz einer machistischen, patriarchalen Gesellschaft. Mit Insignien der Männlichkeit spielte Tur, als er 2000 mehrere Monate mit einem Schnurrbart lebte. Während türkische Männer, die ihn sahen, wohl ihre

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18 — Nasan Tur, Selfportrait, 2000, Original deutscher Pass, 7 x 10 cm

Anerkennung ausdrückten, und sich ihm nahe fühlten, stieß Tur bei Deutschen auf Verwunderung oder Ablehnung – Indiz für die große Wirkung einer kleinen physiognomischen Veränderung und „kulturelle[n] Mimikry”138. Dieses lebensweltliche Experiment setzte sich mit Klischees auseinander, mit auf Zuschreibungen basierenden Vorstellungen einer kollektiven Identität der Türken in Deutschland, die von einer Kongruenz von Identität und äußeren Zeichen ausgehen: der türkische Mann trägt Schnurrbart, die türkische Frau Kopftuch. Eine Emanzipation von diesen Codes wird von den Anderen als positiv und als Hinweis auf die Assimilationsbereitschaft gewertet. Tur verstand den Schnurbart als Branding, der ins Gesicht ein kulturelles Erkennungsmerkmal einbrachte. Als Abschluss seines Projektes ließ Tur sich einen neuen Personalausweis ausstellen, für den er ein Passfoto mit Schnurrbart fertigen ließ (Abb. 18). Dieser bis August 2010 gültige Ausweis begleitete ihn als Alter Ego seines „assimilierten” und inzwischen schnurrbartlosen Ichs. Dabei markierte der Pass, der später als Ausstellungsobjekt den Weg auf Museumswände finden sollte, auch einen Moment von Differenz und der Kluft zwischen dem Passinhaber und der fotografisch abgebildeten Person, sind doch Pässe „papierne ­Doppel unserer Person, von denen wir wenig wissen”139. Zugleich wird ein Begriff wie

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„Identität” mit seinen Brüchen in Frage gestellt: Ausweispapiere sind Dokumente, die bescheinigen, dass eine Person sie selbst ist. Identität entsteht nicht nur durch ein Selbstverständnis sondern auch durch Fremdzuschreibungen sowie Kennzeichnung einer Person. Ausweisliche, fotografische Identifizierung beruht auf Annahme von zeitlicher und räumlicher Kontinuität: „Identität setzt die Tatsache voraus, daß jemand als dieselbe Person zu verstehen ist, die er oder sie vor einem Monat war.”140 Ähnlichkeit und Identifikation stehen bei Tur auf dem Prüfstand. Denn kann das fotografische Porträt tatsächlich für Unverwechselbarkeit einstehen, und welche Aussagekraft hat das menschliche Antlitz?141 Zwar unterscheidet den Ausweisbesitzer Tur von seinem Foto im Personalausweis nur ein winziges Detail, der Bartwuchs, doch steht diese ­symbolhaft für eine kulturelle Kodierung und Differenz. Turs Arbeit veranschaulicht, dass Identitätsbildung nie selbstreferentiell erfolgt, sondern stets kontextgebunden ist, denn das eigene Selbst existiert nur unter anderen Selbsten; der Ort und die Gesellschaft, soziale Systeme haben Einfluss auf die Ich-Bildung.142 Valentin Groebner ­definiert Identität nicht nur als Beschreibung und Wahrnehmung eines Individuums, sondern „als Zuschreibung zu einer bestimmten Gruppe”, als „Ensemble kollektiver Eigenschaften”143. Der Künstler Nasan Tur verweist mit seinem Ausweisfoto, das Produkt eines künstlerischen Projekts ist, auf äußere Merkmale, die zu einer vorschnellen ethnischen, kulturellen oder sozialen Zuweisungspraxis verleiten und den Betroffenen festschreiben.144 Der Schnurrbart könnte als „kollektive[n] Identitätskategorie”145 ver­ standen werden, der sich über die individuellen Merkmale legt und wie ein „Trigger” Zuschreibungen provoziert. Diese können durchaus in Abweichung zur staatlichen oder nationalen Zugehörigkeit eines Subjekts stehen. Beck-Gernsheim spricht in diesen Fällen von der Enttäuschung des „mononationalen, monokulturellen Erwartungsblick[s]”: „Wer Michael Schmid oder Petra Paulhuber heißt, dazu blaue Augen hat, blond oder braunhaarig ist, der wird, wenn er sich auf öffentlichen Plätzen, in deutschen Geschäften, Schulen, Diskotheken bewegt, selbstverständlich als Einheimischer ­gelten: Er – oder sie – paßt ins Bild des Normaldeutschen. Anders dagegen bei den­ jenigen, die zwar einen deutschen Pass haben, aber einen fremd klingenden Namen, eine dunklere Haarfarbe, etwas anders geschnittene Gesichtszüge. Sie werden, weil sie vom standarddeutschen Format abweichen, regelmäßig mit der Frage konfrontiert: „Wo kommen Sie her?”146 Turs Passport datiert auf das Jahr 2000, in dem in Deutschland ein neues Staatsbürgerschaftsrecht eingeführt wurde. Bereits nach acht Jahren Aufenthalt in Deutschland sollte nun die Einbürgerung möglich sein, wenn – und auch dies war eine neue Regelung – „ausreichende Sprachkenntnisse” nachgewiesen werden können. Zudem wurde erstmals das Geburtsrecht (ius soli) gewährt.

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Die Deutschen – Porträts einer Nation Während das amerikanische Recht alle auf US-amerikanischem Boden geborene Personen automatisch zu seinen Staatsbürgern erklärt („Birthright citizenship”), gilt dieses Geburtsortprinzip in Deutschland erst seit Januar 2000 – allerdings unter der Voraussetzung, dass mindestens ein Elternteil mehr als acht Jahre in der Bundesrepublik lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.147 Grundsätzlich unterscheidet das deutsche Grundgesetz zwischen Nationalität und Staatsbürgerschaft, da auch Personen als Deutsche gelten, die eine deutsche Abstammung nachweisen können (ius sanguinis), womit Spätaussiedlern, Bürgern der DDR aber auch jüdischen Überlebenden der NS-Zeit eine (Wieder-)Einbürgerung möglich ist. Diese rechtlichen Dispositionen führen zur Frage, welche Menschen und welche Gesellschaft Fotobücher wie René Burris Die Deutschen (1962), Stefan Moses’ Deutsche (1980) oder Herlinde Koelbls Deutschlandbuch Hierzulande (1987) wohl perspektivieren? Die Buchtitel geben Anlass zur Vermutung, dass es den Autoren um eine – wie auch immer zu definierende – nationale Identität geht, die Ausgangspunkt für eine fotografische Auseinandersetzung mit deutschen Bürgern oder Landschaften ist. Heimat und Nation sind historisch gesehen ein Paar, dessen Einheit im Laufe der Jahrhunderte immer wieder beschworen wurde. Dabei ist die Nation eine kulturelle Konstruktion, für die territoriale und sprachliche Grenzen zwar bedeutsam sind, diese aber auch überwunden werden können. Nationen basieren maßgeblich auf einem kollektiven historischen Bewusstsein, das retrospektiv formuliert ist und seinen Ausgangspunkt in der Gegenwart hat.148 Nationen sind komplexe Gefüge, die sich zugleich aus historischen Fakten und Ereignissen, politischen Überzeugungen, existierenden Sprachen und gelebten Religionen konstituieren, wie sie auch durch Erinnerungen und Interpretationen dieser „gemeinsamen” Erfahrungen gespeist werden. Jürgen Kocka beschreibt dies wie folgt: „Umgekehrt ist aber kaum zu bestreiten, daß Nationen als Produkte des Denkens, Wollens oder gar des ‚Erfindens’ allein nicht erklärt werden können, vielmehr auch auf gemeinsamen Erfahrungen aufgrund angebbarer Strukturen, Prozesse und Ereignisse fußen: auf historischen Bedingungen, die sie selbst

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nicht schaffen, sondern voraussetzen, so wenig sie sich eindeutig aus ihnen ergeben.”149 In nationalen Mythologien und Geschichten wird nach der unverwechselbaren Eigenart und dem mythischen Ursprung einer Nation gesucht.150 Mythen können politisch anschlussfähig sein, nationale Identität konstruieren, kollektive Distinktionsprozesse auslösen oder rechtfertigen, zu Abgrenzung sowie nationaler Unverwechselbarkeit beitragen.151 Bedeutsam für das Selbstverständnis von Nationen ist eine Rückbindung an einen definierten Ort: Politische Nationen definieren sich territorial. Die auf ihrem Territorium befindlichen oder geborenen Menschen sind „citoyens” oder können zu solchen werden, wenn sie sich mit der Gemeinschaft identifizieren – deshalb ist eine Einbürgerung von Einwanderern grundsätzlich möglich.152 Der Akt der Einbürgerung und die Aufnahme in die nationale Gemeinschaft implizieren dabei, dass der aufnehmende Körper als „Kulturnation” homogen ist. Um die Widersprüche angesichts regionaler Eigenarten wie Bräuche und Dialekte zugunsten einer übergreifenden nationalen Kultur aufzuheben, bedarf es der Konstitution gemeinschaftlicher Leitideen, die auch in Zeiten historischen Wandels konstant bestehen bleiben. Diese Angleichungsprozesse funktionieren über In- und Exklusionen, was die Abgrenzung nach Außen153 ebenso wie nach Innen meinen kann – beispielhaft sind aufgeregte Debatten wie um die „deutsche Leitkultur” oder um den wirkmächtigen Ausspruch des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff im Jahr 2010, „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland”, anlässlich des 20. Jahrestages der Deutschen Einheit.154 Eine zentrale Leitidee zur Konstruktion von Nationen ist die nationale, ethnische oder kulturelle Identität, deren Verlust angesichts vermeintlicher „Überfremdung” oder zu geringer Traditionspflege große Ängste befördern kann.155 Gleichzeitig veranschaulichen diese Debatten, dass gerade das Fremde zur Profilierung der nationalen Identität gebraucht wird: „Eine Nation konstituiert sich über Selbst- und Gegenbilder. Im Bild von dem Fremden gewinnt man ein Bild von sich selbst. Und umgekehrt: Am Selbstbild formt sich das Bild des Fremden.”156 Der Gedanke der nationalen Identität lebt dabei vor allem durch plurale Imaginationen und Ideen, die einen großen Abstraktionsgrad haben, da ihre Konkretisierung in Widersprüche münden würde: Deutschsein kann sich kaum in einer einheitlichen Verhaltensweise, Physiognomik oder (hochdeutschen) Sprache äußern, vielmehr wird das Deutsche über prozessuale Diskursformationen verhandelt, die in sich die multiplen Zuschreibungen und Abgrenzungen enthalten.157 Die Erfahrungen der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts, in die das Deutsche Kaiserreich maßgeblich verstrickt war und den das „Dritte Reich” als Aggressor auslöste, haben in der Geschichtswissenschaft die Frage entstehen lassen, inwiefern das 19. Jahrhundert als Vorgeschichte des folgenden zu lesen und welche spezifisch

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deutschen Ursachen der Katastrophen zu destillieren seien.158 Im eben nicht – wie in Frankreich – durch (politische) Revolution formierten deutschen Nationalstaat, ohne festen Territorialstaat als Bezugsrahmen, wurde Nation, von oben durchgesetzt, als Kultur- und Sprachgemeinschaft verstanden: „Aus gemeinsamer Geschichte, Sprache und Kultur, nicht aus staatlicher Zugehörigkeit, freiheitlicher Verfassung oder demokratischer Selbstkonstitution ergab sich das Besondere der Nation nach Herder, wenngleich sie auch hier auf lange Sicht nach Staatlichkeit auf eigenem Territorium streben mochte.”159 Diese Selbstdefinition als ethnisch-kulturelle Gemeinschaft hat vermutlich ihre Nachwirkung bis in die Gegenwart, fand jedoch auch Ausdruck in Texten wie Richard Wagners Essay Was ist deutsch (1865 / 78). Der Komponist verweist in seinem Verständnis des „Deutschen” auf das Wörterbuch der Brüder Grimm, nach dem „‚diutisk’ oder ‚deutsch’ nichts anderes bezeichnet als das, was uns, den in uns verständlicher Sprache Redenden, heimisch ist [...], somit das Vertraute, uns Gewohnte, von den Vätern Ererbte, unserem Boden Entsprossene”160. Zum einen wird in dieser Deutung die deutsche Sprache und das Deutsche mit dem Heimischen und damit mit dem Heimatlichen assoziiert, zum anderen erklärt Wagner das Deutsche über Blutsverwandtschaft, vaterländische und territoriale Bindung. Wagners Reflexionen über deutsche Wesensart tragen völkische und antisemitische Elemente, indem vor dem „Juden” als „des Eindringens eines allerfremdartigsten Elementes in das deutsche Wesen”161 gewarnt wird. Damit weist Wagners Essay voraus auf den aggressiven Nationalismus, den der Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert in Deutschland etablierte und dessen Kunst- und Kulturtheorien sich wiederholt auf Wagner bezogen.162 Zugleich bemüht Wagner das Bild des Fremden und warnt vor Überfremdung, womit ein bis in die Gegenwart wirkmächtiges Schlagwort in den Debatten um die Gefährdung von Heimat Verwendung findet. Die Frage, was deutsch sei oder sein könne, beschäftigte seit Ende des Zweiten Weltkrieges besonders unter der Last der Schuld, angesichts eines geteilten Landes und einer wirtschaftlich erstarkenden Bundesrepublik erneut Intellektuelle und Kulturproduzenten. Bereits im Mai 1945 formulierte der exilierte Schriftsteller Thomas Mann in einer Rede in der Library of Congress in Washington seine Gedanken zu Deutschland und die Deutschen, die wenige Monate später in deutscher Übersetzung publiziert wurden.163 Hier setzte sich der Dichter kritisch mit der Geistes- und Kulturgeschichte des Deutschen und der Deutschen auseinander, ging auf spezifisch „deutsche” Epochen wie Mittelalter und Romantik ein, verwob dunkle Mythen, Verführbarkeit und Machtwillen in der Figur des Faust, dem Thomas Mann 1947 seinen Roman Doktor Faustus widmen sollte: „Unser größtes Gedicht, Goethes ‚Faust’, hat zum Helden den Menschen an der Grenzscheide von Mittelalter und Humanismus, den Gottesmenschen, der sich

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aus vermessenem Erkenntnistriebe der Magie, dem Teufel ergibt. Wo der Hochmut des Intellektes sich mit seelischer Altertümlichkeit und Gebundenheit gattet, da ist der Teufel. Und der Teufel, Luthers Teufel, Faustens Teufel, will mir als eine sehr deutsche Figur erscheinen, das Bündnis mit ihm, die Teufelsverschreibung, um unter Drangabe des Seelenheils für eine Frist alle Schätze und Macht der Welt zu gewinnen, als etwas dem deutschen Wesen eigentümlich Naheliegendes.”164 Faust wird bei Mann zur deutschen Symbolfigur eines Erkenntnis- und Weltmachtstrebens.165 Im Sommer 1965 lud der Deutschlandfunk zur Gesprächsreihe Was ist deutsch?, und Wissenschaftler wie Hans Mayer, Karl Jaspers und Theodor W. Adorno stellten sich dieser schwierigen Frage.166 Zwar wird nicht explizit erwähnt, dass Wagners gleichnamiger Text aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu den Gesprächen inspirierte, doch liegt nahe, dass hier ein Gegenentwurf zur völkischen Ideologisierung des Deutschen versucht werden sollte. Der remigrierte Philosoph Adorno reagierte verhalten auf die Frage „Was ist deutsch?” und wehrte sich gegen eine feste Zuschreibung: „Ungewiß, ob es etwas wie den Deutschen, oder das Deutsche, oder irgendein Ähnliches in anderen Nationen überhaupt gibt.”167 Etwa zeitgleich zu dieser Hörfunkreihe entstanden zwei Fotoserien, die auf äußerst unterschiedliche Weise einen Blick auf die deutsche Bevölkerung warfen. Im Jahr 1962 erschien im Züricher Verlag Fretz & Wasmuth ein kleiner Bildband mit dem Titel Die Deutschen.168 Bildautor dieser Monografie war der junge Schweizer Fotograf René Burri. Begleitend zu den Fotografien wurden, ausgewählt durch Hans Bender, Texte aus dem Kreis der Gruppe 47 wie Alfred Andersch, Max Frisch und Hans Magnus Enzensberger, Uwe Johnson und Heinrich Böll gestellt, die sich mit Deutschland, dem Kollektiv und Individuum, der politischen Lage und Geschichte des geteilten Landes beschäftigten. Die Nüchternheit der Texte, das fehlende aufklärerische Pathos und eher Beiläufige ist auch in den Fotografien des Buches zu finden.169 Burri war seit Ende der 1950er Jahre immer wieder durch Deutschland gereist, fotografierte als Schweizer Staatsbürger recht frei in West und Ost. Einige seiner Aufnahmen visualisieren politisch kontaminierte Stadtlandschaften wie die zerschossene Fassade eines Wohnhauses in Berlin oder aber von der Geschichte gezeichnete Menschen wie einen auf der Erde sitzenden Invaliden auf der Düsseldorfer Königsallee.170 Burris Fotografien sind nahsichtige Porträts aus deutschen Gesellschaften, die zugleich über die Geschichte dieses Landes erzählen. Dabei überlagern sich oft Epochen und Generationen, gesellschaftliche Umbrüche manifestieren sich im Bild: Während auf nächtlicher Straße eine ältere, ärmlich gekleidete Frau mit Stock und angespanntem Gesichtsausdruck vorbeischreitet, ist in einem Imbiss ein junger Mann mit seiner Mahlzeit beschäftigt (Abb. 19). Das hell erleuchtete Innenleben des Schnellrestaurants, das auf den Anbruch einer neuen Ess(un)kultur verweist, nimmt einen

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weitaus größeren Raum im Bild ein als die alte Dame, die sich eng an den dunklen Bildrand drückt. Hier begegnen sich in einem ungleichen Kräfteverhältnis Gestern und Heute. Gleichzeitig lassen Burris Bilder die Deutung zu, dass dem Gegenwärtigen auch noch immer die eigene Vergangenheit und Geschichte anhaftet. Viele Menschen, die Burri fotografierte, sind Zeitzeugen der NS-Diktatur, ihre Präsenz bringt ebenso wie zerstörte Architekturen die Historie mit ins Bild. Ein Mädchen beschreibt

19 — René Burri, Hohenzollernplatz, West-Berlin, aus dem

Fotobuch Die Deutschen, 1962

in einer Münchner Volksschule vor einer riesigen Deutschlandkarte und mit einem Zeigestock (der auf Hamburg zeigt) das Land, dessen Grenzen sich im Laufe der vergangenen 50 Jahre immer wieder veränderten (Abb. 20). Das Bild der Landkarte und das darauf zeigende Mädchen verweisen auf Grenzverschiebungen, geographische Räume und die Möglichkeiten einer vielfachen Schreibung und Umschreibung von Geschichte. Der Historiker Karl Schlögel spricht nicht umsonst von der „Sprache der Karten” oder der „Kartensprache”, durch die sich Welt repräsentiere, Karten, die einem bestimmten Code folgten und dadurch manipulierten.171 Burri beobachtete in einem Klassenzimmer, wie über Deutschland gesprochen wurde, er fotografierte das Material und die Zeichensysteme, mit denen die Lehrer ihren Schülern das Land erklärten und deuteten. Burris Aufnahmen sind oft überraschende, manchmal unbequeme Porträts eines geteilten Landes im Umbruch. Dies gilt umso mehr, als dass Burri eben in West- und in Ostdeutschland fotografieren konnte. In Ost-Deutschland begleitete er offizielle Anlässe mit der Kamera wie einen militärischen Akt am Russischen Ehrenmal in Ost-Berlin oder aber er fotografierte in einem Weimarer Tanzcafé, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.172 Der sehnsüchtige Blick einer Tänzerin und die sorgfältig gekämmten Haare ihres Tanzpartners gerinnen zu einem Symbol für eine undefinierbare Sehnsucht nach Vergangenem. Doch wo findet sich hier „das Deutsche”, wie lässt sich eine (heimatliche) Klammer zwischen den verschiedenen Bildern finden?

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20 — René Burri, Schule, München, aus dem Fotobuch Die Deutschen, 1962

Heimat ist in Burris Serie das Gestern, Heute und Morgen, das sich in den verschiedenen Aufnahmen kondensiert. So wie die Vergangenheit noch immer präsent in Stadtlandschaften, den Menschen und ihrem Erscheinungsbild ist, so findet sich im Bild eines rasenden VW Käfers, dessen Gestalt sich auf der Autobahn nur unscharf fixieren ließ, ein Zeichen, das auf Aufbruch und Veränderung deutet.173 Ebenso verweist die Fotografie zweier Jugendlicher in einer Bar auf der Reeperbahn in Hamburg auf eine politisch und gesellschaftlich veränderte deutsche Landschaft (Abb. 21). Burris Kameraperspektive zeigt die beiden nur im Anschnitt, da der Bildvordergrund verstellt ist. Das Paar sieht sich in inniger Umarmung an, und ähnlich wie bei dem Pariser Fotografen Brassaï in den 1930er Jahren werfen die verspiegelten Oberflächen der Wände die gleißenden Lichter der Nacht zurück. Die Lederjacke des in Rückenansicht stehenden jungen Mannes verweist, wie die in aller Öffentlichkeit exponierte Intimität zwischen dem Paar, auf die seit den 1950er Jahren prosperierende, unter amerikanischem Einfluss stehende Jugend- und Musikkultur, die Ausdruck in einer Musikbox im Hintergrund findet. Die Uhr oben an der Wand steht auf vier Minuten vor zwölf, der Höhepunkt der

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Nacht ist noch nicht überschritten, doch die Zeit verinnt. Zwei junge Männer am Wannsee zeigen ihre freien, muskulösen Oberkörper (Abb. 22), während sie in ihren (amerikanischen) Jeanshosen und ohne Schuhe modisches Bewusstsein artikulieren. Die Haare sind mit Pomade zurückgekämmt, einer von ihnen trägt eine zeitgemäße Sonnenbrille und ein Transistorradio im Arm. Den Fotoapparat nicht bemerkend, gehen die beiden mit ausgreifenden Schritten durch den Bildraum der Fotografie, ihr Schritt ist energisch aber nicht militärisch, der Habitus atmet ein laisser-faire. So wird Burris Aufnahme zum Ausdruck einer Freizeit- und Musikkultur, die mit der Internationalisierung der noch jungen Bundesrepublik einherging. Obgleich Burri also durchaus politische Fotografien formulierte, haftet seiner Serie kein moralischer Impetus an. Burris Kameraperspektive steht für den forschenden Beobachterblick. Der Fotograf arbeitet mit Stellvertreterfiguren, die im Vordergrund in das Bild hineinblicken, den Bildraum

21 — René Burri, Reeperbahn, Hamburg, aus dem

versperren und damit teilweise das

Fotobuch Die Deutschen, 1962

zentrale Motiv verunklären, das die Betrachtenden erst für sich erkennen müssen. Unschärfen und Akteure, die handeln und sprechen, den Fotografen oft nicht bemerken und dennoch aus nächster Nähe aufgenommen wurden, vermitteln Lebendigkeit und Spontanität. Die später um weitere Bilder ergänzten Neuauflagen des Buches veranschaulichen, dass Burri aus einem größeren Konvolut wählte, oftmals ganze Serien

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von Anlässen fotografierte – wie vom Kölner Karneval – und sich für die Erstausgabe für eine bestimmte, vermutlich für ihn besonders aussagekräftige und zentrale Aufnahme entschied. Burris Buch wurde nach Erscheinen auch in deutschen Zeitungen diskutiert.174 Nur kurze Zeit später begann der deutsche Fotograf Stefan Moses für die Zeitschrift Stern eine fotografische Feldforschung durch die Bundesrepublik. Ob Burris Buch ein Auslöser für diese andere deutsche Reise war, lässt sich nicht sagen, zumal in der Moses-Forschung nicht auf diesen Zusammenhang verwiesen wird. Dort heißt es, dass Stefan Moses für den Stern im Jahr 1962 erfolgreich eine Reportage über Engländer erstellt habe, und daraufhin den Folgeauftrag erhielt, ein Gesellschaftsporträt der Deutschen zu fotografieren.175 Dennoch ist es durchaus aufschlussreich, beide Ansätze zu vergleichen. Während Burri in seiner Arbeit dem seit den 1920er Jahren starken fotojournalistischen Paradigma einer situativen Fotografie folgte, arbeitete Moses deutlich konzeptioneller, indem er die Porträtierten in einem von ihm bestimmten Rahmen posieren ließ. Gemeinsam mit dem Journalisten Carl 22 — René Burri, Wannsee

Schmidt-Polex reiste der Fotograf in den Wirt-

Park, aus dem Fotobuch Die

schaftswunderjahren 1963 bis 1965 durch die

Deutschen, 1962

Bundesrepublik, um unbekannte Deutsche zu fotografieren, entschied sich jedoch gegen genrehafte Szenen und erarbeitete ein Konzept,

das die Porträtierten aus ihrem alltäglichen Kontext herauslöste – eine „Synthese aus journalistischer Arbeitsweise und inszenierter Atelierfotografie”176. Moses ließ die unbekannten Bürger, denen er auf seinen Reisen begegnete, auf einem mitgebrachten, großen Leinentuch posieren. Dabei orientierte er sich an Verfahrensweisen der Wanderfotografen, rezipierte aber auch die formalisierten Gesellschaftsfotografien von August Sander aus dem frühen 20. Jahrhundert oder die Studiofotografien des Amerikaners

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Irving Penn. Penn nahm seine prominenten Modelle vor einem Tuch oder zwischen zwei Stellwänden auf und lud seit 1950 Repräsentanten verschiedener Berufsgruppen in sein Studio ein, um sie vor neutralem Hintergrund zu fotografieren. Während Penn jedoch ein Treffen arrangierte und dem fotografischen Akt die Verabredung vorausging,177 entstanden Moses Fotografien größ-

23 — Stefan Moses, Setting für das Porträt des Landpfarrers, Bühl 1962

tenteils unter freiem Himmel und vor Ort. Moses verließ das Studio und folgte der bildjournalistischen Prämisse in situ zu arbeiten. Und dennoch veränderte er die natürliche Umgebung, indem er ein Tuch mitbrachte, es auf Straßen, vor Mauern und auf Hinterhöfen anbrachte und damit die natürliche Umgebung veränderte. Aufnahmen der Settings (Abb. 23) zeigen, wie theatralisch und fremd sich diese Eingriffe ausnahmen und die oftmals karge und schmutzige Umgebung in eine poetische Bühne verwandelten. An den Seiten ist bisweilen noch der sie umgebende Raum zu erkennen, Faltenwürfe offenbaren den improvisierten Charakter der Inszenierung, die als konstruiert dechiffriert werden soll. Es vermittelt sich der Eindruck einer bühnenhaften Inszenierung, die den Modellen Gelegenheit bietet, für das Auge der Kamera zu posieren. Dabei exponieren sie nicht nur ihre Körper und Kleidung, sondern agieren mit den Attributen ihres Berufsstandes. Über eines der ersten Modelle, einen Kölner Losverkäufer (Abb. 24), den Moses angesprochen und ihn auf das eigens präparierte Setting in einer Nebenstraße eingeladen hatte, heißt es: „Er (Moses) befestigte mit seinem Kollegen Schmidt-Polex ein hellgraues Tuch an der Mauer und ließ es über den ganzen Bürgersteig auslaufen. Dann bat er den Losverkäufer, seinen kleinen Stand mit Geldtrommel und Papierkorb auf diesem Fond zu errichten. Als er sich nun über die Mattscheibe der Tele-Rolleiflex beugte, die er auf einem Stativ in der Mitte der Straße aufgebaut hatte, sah er, wie der Mann beim Betreten des Tuchs eine

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24 — Stefan Moses, Losverkäufer, Köln 1963 25 — Stefan Moses, Landpfarrer, Bühl 1962

eigentümliche Veränderung erfuhr. Er war aus der Menge [...] mit einem Schritt herauspräpariert. Das Tuch wirkte wie eine optische Insel, und er gewann auf ihm die Würde der Einzigartigkeit zurück.”178 Der erwähnte Losverkäufer nutzt den durch das Tuch markierten Ort als Agitationsraum, indem er sich tänzerisch mit festem Stand und seitlich ausgestrecktem Spielbein und einem leger in die Taille gestützten Arm zum Betrachter orientiert. Als Tanzpartnerin dient sein Loswagen, eine auf Rollen zu transportierende,

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hoch aufgetürmte Vorrichtung, an der ein Abfalleimer aus Draht, eine Aktentasche, eine Holzkiste mit Losen und eine kleine Glasvitrine mit Geldscheinen befestigt ist. Oben kündigt ein Plakat einen Sofortgewinnen von 500 DM an. Der Verkäufer strahlt Optimismus aus und ist offensichtlich daran gewöhnt, sein Umfeld durch ein performatives Rollenspiel zu amüsieren, um seine Lose verkaufen zu können. Besonders im Vergleich mit anderen Posierenden fällt auf, dass das Tuch zwar einen homogenisierenden Rahmen bot, diesen jedoch jede Person auf andere Weise bespielte. Die beim Losverkäufer zu beobachtende Freude am Performativen wich bei der Fotografie eines pensionierten Landpfarrers aus Bühl (Abb. 25) einer betonten Ernsthaftigkeit, die offensichtlich der Bürde und dem Ansehen des Amtes geschuldet war. Der Pfarrer richtet sich frontal zum

26 — Stefan Moses, Rollmopspackerinnen, Büsum 1962

Fotografen aus und fixiert ihn mit einem wachen, ernsten Blick. Sein schwarzer Anzug mit den zu kurzen Hosenbeinen, den abgeriebenen Säumen und der schräg geknöpften Weste hat sicherlich schon bessere Zeiten gesehen und weist ihn als bescheidenen und vermutlich sparsamen Menschen aus. Unter dem rechten Arm hält er ein Buch, links eine alte Arzttasche. Seine Tätigkeit als Seelsorger im badischen Bühl, damals eine Ortschaft mit etwa 9.000 Einwohnern, hat ihn sichtlich geprägt und gezeichnet. Dagegen wirken die drei Rollmopspackerinnen aus Büsüm (Abb. 26) freudig und ausgelassen. Im Abzug fasste

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27 — Stefan Moses

(Bild) und Erich Kuby (Text), Nachbarn, in: Stern, H. 41, 11. Oktober 1964

Moses den Bildausschnitt sehr schmal, sodass kaum noch zu erkennen ist, dass die Frauen auf einem Tuch posieren, nur vorn rückt die Stoffgrenze ins Blickfeld. Die drei Arbeiterinnen, die in ihrer Arbeitskleidung mit verschmutzten weißen Schürzen und einheitlichen, grauen Blusen fotografiert sind und weiße Kopftücher tragen, wirken harmonisch vereint. Dieser Eindruck entsteht durch die achsensymmetrische Komposition: um die kleine, rundliche Packerin stehen ihre größeren Kolleginnen und halten sich an ihren Schultern fest. Die Zuversicht und die Gemeinschaft, die in der Aufnahme der drei Arbeiterinnen Ausdruck findet, kann im übertragenen Sinne für die wirtschaftlich prosperierenden Wunderjahre der Bundesrepublik adaptiert werden. So wird Moses Fotografie zum Sinnbild eines nationalen Zukunftsoptimismus. Moses bot seinen Modellen einen Raum, in dem sie sich exponieren konnten, dabei war ihnen die Kamera ein Dialogpartner. Gleichzeitig manifestiert sich in seinen Inszenierungen auch sein konzeptioneller Ansatz: Das kompositorische Mittel der Isolation aus dem Umraum erzeugte für einen Moment einen Stillstand und schuf ein Framing für seine Bilderzählung. Die Fotografierten stehen Pars pro Toto für ihren Berufsstand, für ihre soziale Klasse, für eine Gesellschaft und Nation. Stefan Moses’ Porträt der Deutschen ist eine Sozialstudie, die Habitus, Selbstbild und -darstellung von westdeutschen Bürgern fokussiert, die über ihre Berufe gefasst werden. Dabei ist die

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28 — Stefan Moses

(Bild) und Erich Kuby (Text), Nachbarn, in: Stern, H. 41, 11. Oktober 1964

zeithistorische Situation der Bundesrepublik im Wirtschaftsaufschwung zu beachten; die Fotografierten sind alt genug, um Zeitzeugen des Nationalsozialismus zu sein, sie sind darüber hinaus auch Gestalter eines demokratischen Deutschlands, teilweise in Alter und Profession noch stärker einem gestrigen Land verhaftet als der gegenwärtigen Zeit oder Zukunft: „Immerhin war der Zweite Weltkrieg noch keine 20 Jahre her, waren viele Städte noch immer von Bombardierungen gezeichnet. Trotzdem lässt sich eine gewisse Angstfreiheit in den gekonnten Ausfallschritten und selbstgewissen Haltungen der Menschen bemerken.”179 Erstmals erschienen Moses’ Fotografien im Jahr 1964 als Bildessay im Stern; die erste Geschichte trug den Titel Nachbarn (Abb. 27) und brachte damit zum Ausdruck, dass diese Personen auch nebenan wohnen konnten und sie aus der Mitte der Gesellschaft stammten. So heißt es einleitend: „Stefan Moses wendete ein Jahr seines Lebens an den Versuch, ein Land, nämlich unseres, und seine Menschen, nämlich uns, der verwehenden Zeit mit der Kamera abzulisten. [...] Es sind Menschen wie Sie und ich.”180 In den Bildunterschriften werden größtenteils die Namen der Modelle verschwiegen, nur ihre Profession und der Ort der Aufnahme übermitteln sich anekdotisch (Abb. 28). Die unbekannten Durchschnittsbürger, die Moses hier mit großer Sorgfalt porträtierte,

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waren Projektionsflächen für die Zeitschriftenleserinnen und -leser, die in ihnen sich selbst erkannten; zugleich formulierte Moses aus vielen Gesichtern ein mosaikartiges Bild der Deutschen. Hans Georg Puttnies interpretierte die Serie als Beitrag zur Identitätsbildung einer Nation: „Die Deutschen von Stefan Moses trugen so in sehr verhaltener Weise zu einem neuen Nationalbewußtsein bei. [...] Sie gaben dem Illustriertenleser mehr als manche andere Fotofolge die Identität in der Zeitgeschichte, die er verlangte.”181 Dabei ist zweifelhaft, ob die Serie tatsächlich zu einem neuen Nationalbewusstsein führte. Vielmehr entfaltete der Fotograf ein vielfältiges Panorama von Menschen, die in der Bundesrepublik der 1960er Jahre lebten und arbeiteten – Moses zeigte die multiplen Gesichter der Deutschen. Seine Serie erschien dabei erst 1980 gesammelt in Buchform und war damit ein Rückblick auf eine längst vergangene Zeit. So sind in der Person des Losverkäufers oder der Zigarettenverkäuferin Berufsbilder porträtiert, die aus der deutschen Gesellschaft längst verschwunden waren. Sie zeigen Uniformen und Kleidungsstücke, die aus der Zeit gefallen scheinen. Diese Zeitgebundenheit einiger Berufe wurde bereits 1964, bei Erstveröffentlichung der Fotografien im Stern, diagnostiziert: „Langsam sterben sie aus, die Gepäckträger und die Schaubudendarstellerinnen.”182 Moses’ Serie ist die unausgesprochene Annahme inhärent, und darauf verweist auch der spätere Buchtitel Deutsche, dass nationale Identität und damit ein gemeinsames Bezugssystem wie Heimat existiert. Ein- und Auswanderung spielt in dieser Inszenierung keine Rolle; obwohl bereits seit Jahren durch die ersten Anwerbeabkommen sogenannte „Gastarbeiter” angeworben wurden, sind sie in den Bildwelten von Moses über die Deutschen zu jener Zeit noch nicht existent. Auch in den Ostdeutschen Porträts ist Migration eher zurückhaltend repräsentiert – eine Serie, die Moses 1990 nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall des „Ostblocks” im Auftrag des Deutschen Historischen Museums realisieren konnte. Erneut benutzte er ein Tuch, um den Fotografierten eine „Bühne” zu geben. Hier begegnen zwar in einer Fotografie von Arbeiterinnen einer Fischfabrik einige Einwanderinnen, doch ist dies für Moses in seinen beiden Fotoserien zu den Deutschen und den Ostdeutschen augenscheinlich kein besonders zu exponierendes Thema gewesen.183 Es wäre zu viel, die beiden Bücher des Fotografen als Ausdruck eines Selbstverständnisses eines Landes als explizit kein Einwanderungsland zu begreifen; vielmehr kann die Absenz von Einwanderern darauf hindeuten, dass im langläufigen Verständnis ein Migrant eben kein Deutscher war, da er im deutschen Recht weder über seine Staatsbürgerschaft noch über die Abstammung als solcher gefasst werden konnte. Ausdruck finden derlei exkludierende Kategorisierungen in der Unterteilung deutschsprachiger Literatur in deutsche und „Gastarbeiter”- oder Migrantenliteratur, eine Bezeichnung, die gegenwärtig von

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Bindestrichbezeichnungen wie etwa „deutsch-türkische Literatur” abgelöst ist.184 Diese sich wandelnden Kategorisierungen entsprachen dem offiziellen Selbstverständnis des deutschen Staates und seiner Regierungen. Denn obgleich bereits seit Mitte der 1950er Jahre Anwerbeabkommen mit Ländern wie Italien, Griechenland und der Türkei abgeschlossen wurden, um dem deutschen Arbeitsmarkt Arbeitskräfte zuzuführen, bezeichnete sich die Bundesrepublik über Jahrzehnte explizit nicht als Einwanderungsland. Denn Ausländerbeschäftigung galt als vorübergehende Erscheinung, da eine befristete Arbeitserlaubnis angestrebt wurde, die eine absehbare Rückkehr der

29 — In Deutschland. Aspekte gegenwärtiger Dokumen-

Betroffenen in ihr Heimatland vor-

tarphotographie, Ausst.-Kat. Rheinisches Landesmuseum

sah.185 Doch immer mehr der ein-

Bonn 1979

geladenen Arbeiter blieben, Familien zogen nach, und vor allem die Städte, in denen die meisten der Migranten einen neuen Lebensort fanden, veränderten ihre Gesichter, waren seit den frühen 1970er Jahren durch Diversität und Pluralität der Kulturen, Nationen, Sprachen und Religionen geprägt. Erst im Jahr 1998 reagierte im Übrigen die Politik; die amtierende rot-grüne Regierung erkannte Deutschland endlich und erstmals als Einwanderungsland an. Einen Umbruch zumindest in der Kunst und Fotografie markiert die Ausstellung In Deutschland. Aspekte gegenwärtiger Dokumentarfotografie (Abb. 29), die 1979 von Klaus Honnef im Rheinischen Landesmuseum Bonn organisiert wurde. Die Schau entwickelte eine fotografische Perspektive auf die Bundesrepublik der 1970er Jahre und inkludierte das Thema der Einwanderung als bundesrepublikanische Wirklichkeit und Migranten als Mitglieder der deutschen Gesellschaft. Dass die Ausstellung nicht „Deutsche” sondern In Deutschland hieß, mag einen Möglichkeitsrahmen eröffnet haben, innerhalb dessen auch die Präsenz von Einwanderern im Bild zu rechtfertigen

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war. Zumindest präsentierte die junge Fotografin Candida Höfer hier ihre Doppelprojektion Türken in Deutschland und Türken in der Türkei, eine Zusammenstellung von 80 farbigen Kleinbilddiapositiven.186 Damit erhielt die fotografische Verhandlung von Migration im deutschen Kontext Sichtbarkeit. Höfer hatte bereits seit einigen Jahren an ihrer Serie Türken in Deutschland gearbeitet. Nach zweijähriger Abwesenheit war sie 1972 in ihre Heimatstadt Köln zurückkehrt, wo sie tiefgreifende Veränderungen im Stadtbild feststellte. Die Zuwanderung türkischer Gastarbeiter hatte das Gesicht der rheinischen Metropole verändert.187 Höfer begann ein mehrjähriges Fotoprojekt, für das sie Orte aufsuchte, die von Türken belebt und gestaltet wurden, darunter Teestuben, Straßen rund um den Kölner Hauptbahnhof, aber auch öffentliche Parkanlagen. Sie fotografierte oftmals wartende oder gesellig zusammenstehende oder -sitzende türkische Migranten, die auf Parkbänken situiert sind oder auf dem Gras picknicken. Die Orientalisierung des öffentlichen Raumes drückt sich besonders in den Picknick-Bildern aus (Abb. 30): Hier rasten oder ruhen die Personen auf Decken oder auf dem Rasen. Ein Mann ist mit einem Transistorradio beschäftigt. Die vier Frauen haben sich teils ihrer Schuhe entledigt und nutzen den Park als sozialen Raum oder Ort der Rekreation im Gespräch und bei der Handarbeit. Es ist auffällig, dass hier sowohl kunsthistorische Vorbilder wie Manets Le Déjeuner sur l’herbe (1863) in die Repräsentation und die Fremdsicht Höfers einfließen, als auch Ikonographien der Orientmalerei aus dem 18. und 19. Jahrhundert als Metabilder enthalten sind.188 In der Perspektive der jungen Fotografin Höfer scheint das Lagern im Park eine Verhaltensweise zu sein, die sich eklatant von westeuropäischen oder genuin deutschen Codes unterschied und ihr damit als Eigenart auffiel.189 Neben den Außenaufnahmen entstanden auch Interieurs, die Wohnungen und Geschäfte der türkischstämmigen Besitzer zeigten. In einer seriellen und typologischen Arbeitsweise nahm Höfer die Lebensmittelläden und Wohnungen ihrer Modelle aus einer distanzierten, eher registrierenden Perspektive auf (Abb. 31): Ein Händler posiert vor einem Regal, auf dem die Konservendosen in wohl geordneter Reihung präsentiert werden. Die im Tresen zum Verkauf angebotenen Oliven und der Schafskäse verweisen auf damals noch fremde, heute längst alltägliche Lebensmittel. Der Laden, der in Aufnahmen anderer Geschäfte auch mit orientalischen Bildern und Einrichtungsgegenständen gestaltetet ist, wird als Um-Raum für die Fotografierten gefasst, die sich in ihm meist für die Fotografin aufstellen und somit als sich selbst reflektierende Individuen aufgenommen sind. Mitte der 1970er Jahre war Höfer in die Türkei gereist, wo ihr auffiel, dass sich Möbel, Dekorationen und Einrichtungsstile von Einheimischen und den ausgewanderten Türken ähnelten.190 In die deutschen Metzgereien brachten die neuen türkischstämmigen Besitzer ihre eigenen Vorstellungen von einer Schlachterei ein, Ideen von der Anordnung der Waren, der Einrichtung, die von ihren eigenen Erfahrungen

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30 — Candida Höfer,

Volksgarten Köln II, 1974, aus der Diaprojektion Türken in Deutschland, 1979 31 — Candida Höfer,

Eckermannstraße Hamburg, 1978, aus der Diaprojektion Türken in Deutschland, 1979

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geprägt waren. Die Vorstellungen von Heimat legten sie über das Vorgefundene; aus der deutschen Metzgerei wurde somit eine türkische Metzgerei in Deutschland – ein hybrider Raum, der sowohl das eine als auch das andere sein kann, vielleicht auch die Tür zu etwas Neuem ist. Während sich in den Fleischereien oder Lebensmittelläden noch öffentlicher und privater Raum vereinen, stieß Candida Höfer bei ihren Hausbesuchen auch in den engsten Kosmos der Migranten vor: Sie fotografierte in den Wohnzimmern. Ihre Modelle stellten sich vor Schränke und dekorierte Wände, die sowohl Insignien ihrer türkischen ­Heimat ­tragen – ein Atatürk-Bildnis, eine Flagge, ein Wand­teppich –, aber auch in Tapetenmustern, Gummibaum oder Wohnzimmer­ garnitur ein übernationales kollektives Interieur jener 1970er Jahre zeigen. Das Eigene ist dabei Teil des ­Kollektiven, wenngleich ­Kleidung und Haarfarbe, ­Teetassen und Dekor einer spezifischen kulturellen Herkunft geschuldet sind. Die Interieuraufnahmen Höfers verweisen in den Tapetenmustern, in Schränken und Couchgarni­turen auf ästhetische Konvergenzen zwischen den deutschen Wohnzimmern, die beispielsweise Herlinde Koelbl für ihre Serie Das deutsche Wohnzimmer191 fotografierte, und den von türkischen Migranten in Deutschland gestalteten Innenräumen. Ohne explizit Deutschland als Konnex ihres Fotoprojekts zu erwähnen, widmete sich Herlinde Koelbl in ihrem Fotobuch Hierzulande der bundesdeutschen Gesellschaft der 1980er Jahre. Publiziert im Jahr 1987, damit noch vor dem Fall der Mauer und der Auflösung der Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten, gibt das Buch Einblick in westdeutsche Befindlichkeiten. Wie Moses porträtierte Koelbl quer durch die Gesellschaft, wobei sie jedoch eher Hausbesuche in verschiedenen Milieus durchführte. Das breite Panorama des deutschen Zusammenlebens, die Blicke auf Bürger und Politiker, Vereine und Verbindungen, Schulen und Hochschulen, Innen- und Außenräume, Verkaufsmessen und Festivitäten der Freiwilligen Feuerwehr, auf Stadt und Land lassen ein äußerst heterogenes Bild entstehen. Leser und Porträtierte werden unter die Klammer des gemeinschaftlichen „Bei-uns” zusammengefasst, das der Begriff Hierzulande, also „hier in Deutschland”, impliziert. Dabei kann der Mann, der in einer Münchner Trabantenstadt sorgsam sein Auto reinigt, ebenso für Deutschland stehen wie die Renter im Tanzcafé. Zusammengeführt werden die inhaltlich divergierenden Aufnahmen durch einen ästhetischen Handgriff: Koelbl wählte den aufwendigen Kupfertiefdruck – ein Druckverfahren, das seit den 1910er Jahren verstärkt für die abbildungsreichen Beilagen der Tageszeitungen eingesetzt wurde und zu einem Druckergebnis mit sehr guter Abbildungsqualität, großer Schärfe und samtartigen Tiefen führt. Das kleine Format und die hochwertige Druckqualität geben dem Buch das Erscheinungsbild einer Preziose, was in einem Kontrast zu den unspektakulären Motiven und eigenwilligen Bildkompositionen steht. Deutschland als Heimat der angesprochenen

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32 — Herlinde Koelbl, Neuperlach, aus dem Fotobuch Hierzulande, 1987

Rezipienten sowie der Fotografin selbst ist ein in viele Bilder zerfallendes Land, das einen auffälligen Drang zur Selbstorganisation in Gruppen, Vereinen und Vereinigungen hat – davon berichten Impressionen vom Appell bei der Bundeswehr, einem Treffen ehemaliger, inzwischen betagter Mitglieder eines Gebirgsschützen-Bataillons oder der Festakt einer dörflichen Freiwilligen Feuerwehr. Der zweite Schwerpunkt liegt auf der Vergesellschaftung – den sozialen Beziehungen von Familien, Dorfgemeinschaften und in Schulen. Ein weiteres Thema findet sich in den Lebens- und Wohnformen – auf dem Lande und in der Stadt –, die Koelbl von Anbeginn ihres Schaffens interessierten. Die bildfüllenden hellen Hochhäuser, die sich gleich mehrmals im Buch finden, stehen für den Auf- und Umbruch im Wohnungsbau seit den 1960er Jahren, als neue Trabantenstädte entstanden und mit dem Wohnen im Grünen, außerhalb der überfüllten Innenstädte, warben. Konformismus und Entindividualisierung finden Ausdruck in den seriellen Strukturen der gleichförmigen Balkone und der nicht enden wollenden Hochhaussilhouetten am Horizont (Abb. 32), vor denen sich die Bewohner auf tristem Pflaster-

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stein wie Nebendarsteller ausnehmen. Da das Buch keine Bildunterschriften oder Bildlegenden hat, könnten diese Betonsiedlungen überall „hierzulande” stehen – in Berlin-Gropiusstadt, Hamburg-Mümmelmannsberg oder in München-Neuperlach. Der Verzicht auf erklärende Texte, die das Motiv eben nicht an einen spezifischen Ort rückbinden, lässt Freiräume, um im Spezifischen das Allgemeine zu suchen.

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Heim und Heimat Die Zusammenführung von Heim und Heimat ist bereits etymologisch bedingt und findet ihren Ausdruck im englischen „Home”, das die Doppelbedeutung von Behausung und heimatlicher Herkunft, von Wohnen und Zugehörigkeit („Belonging”) in sich trägt. Das Wohnen hat aus Perspektive von Auswanderern eine besondere Bedeutung, gilt es doch, das Heim aufzulösen und sich in der Fremde einen neuen, persönlich konnotierten Ort aufzubauen. Die Gegenstände, die von Migranten und Flüchtlingen transportiert werden können, sind an die Besitzer gebunden; sie geben der fremden Umgebung etwas Eigenes, verleihen dem Fremden Vertrautes. Die persönlichen, geliebten Objekte können in Zeiten des Umbruchs Stabilität suggerieren, den Alltag strukturieren helfen. Nicht zuletzt diese Bedeutung des Objekts als Mittler zwischen Herkunfts- und Zielland ist ursächlich dafür, dass den wandernden Gegenständen in Forschung und Musealisierung der Migration vermehrt Beachtung geschenkt wird.192 Heimat ist ein Begriff, der in der Architektur und im Wohnungsbau eine wichtige identitätsstiftende Bedeutung hat. Ein geflügeltes Wort ist die Rede von „Quartier [zu] machen in der Heimat”, die unter Victor Aimé Huber das soziale Berliner Wohnungsbauprogramm der 1840er Jahre begleitete.193 Jahre später wurden im Nationalsozialismus ursprünglich gewerkschaftseigene Wohnungsbauunternehmen enteignet und in Neue Heimat umbenannt; sie hatte unter diesem Namen noch bis zur Abwicklung in den 1990er Jahren Bestand. Die von der Neuen Heimat entwickelten Siedlungsbauten in Trabantenstädten suggerierten ihren Mietern ihrem Namen nach ein Beheimatetsein. Eine weitere begriffliche Verschränkung von Heim und Heimat findet sich in Bezeichnungen wie „Kinderheim” oder „Altersheim”. Das Heim als Nukleus von Heimat wird in vielen künstlerischen Arbeiten reflektiert, wobei oftmals soziologische Ansätze einflussreich sind, die das Wohnen als Spiegel der Bewohner befragen. Ein Pionierprojekt ist die Sozialstudie von Walker Evans und James Agee Let Us Now Praise Famous Men (1941), die dem harten Überlebenskampf dreier Pächterfamilien im „Baumwollstaat” der USA gewidmet ist. Evans Kamerablick zeigt

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Stillleben aus Dingen der Armut, Küchenutensilien aus billigstem Material, die müde an den rauen Holzwänden hängen, davor ein Stuhl ohne Sitzfläche und zerschlagenes Holz in der staubigen Zimmerecke (Abb. 33). Detailliert und Raum für Raum beschreibt Agee, was Evans Fotografien in ihrer schonungslosen Sachlichkeit auf unabhängiger visueller Ebene artikulieren. Über das Haus der Farmersfamilie Rickett heißt es: „Im vorderen Raum stehen parallel, mit den Kopfenden gegenüber dem Kamin, zwei Betten, nicht aus Eisen, sondern 33 — James Agee und Walker Evans, Let Us Now

aus Holz, die bis auf den Pfad

Praise Famous Men, 1941 / 1965

zur Tür zwischen sich das Zimmer ausfüllen. Eines dieser Betten ist aus schlicht bearbeitetem und

nicht sehr schwerem Holz; das andere ist aus dunklem schweren und viktorianischen Holz, und am Kopfende hoch und überladen vor der dunklen Plankenwand, und von vielen Jahren des Gebrauchs voller Narben und Kerben, und sie sind mit fast schwarzen, aufgerissenen Steppdecken bedeckt, sehr viel zerschlissener als die, die man gewöhnlich auf Müllhaufen findet, und an den Kopfenden liegen Kissen, manche ohne und manche mit Bezug, immer aber sind der Drell oder die Bezüge zerrissen und zu einem vermoderten Grau und dem Uringelb heruntergekommen, das Haar hinterläßt.”194 In der detailreichen, „hyperrealistische[n]”195 Deskription von Grundrissen, Einrichtungen und Kleidungsstücken, die Material und Form gleichermaßen in den Blick nimmt, ist nicht nur ein Sozialrealismus zu erkennen sondern auch das Bemühen, Personen und Lebenswelt als von einander abhängige Kategorien zu fassen. Armut, der Kampf ums Überleben und Lebenstragödien äußern sich nicht nur in Erscheinungsbildern sondern materialisieren sich im Verständnis der beiden Autoren ganz besonders in den Gegenständen, die Personen umgeben. Agee nimmt dies wortwörtlich und integriert in seine Beschreibungen stets die Gebrauchsspuren der Besitzer, sodass sich Ding und Mensch

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annähern, überlagern und identisch werden: „Das Kinderbett im hinteren Zimmer hat eine abgenutzte und verrostete Stahlmatratze; die Federung der beiden anderen Betten besteht aus einem Drahtnetz, ähnlich verrostet und durchgelegen. [...] Jedes hat zwei Matratzen, beide sehr dünn, die eine, schätze ich, mit roher Baumwolle gestopft und die andere mit Maislieschen. Sie riechen alt, muffig und feucht und sind mit Wanzen, mit Flöhen und, glaube ich, mit Läusen infiziert. [...] Die Laken sind aus grober und schöner, ungebleichter, aber fast weißer Baumwolle, selbstgenäht, mit einem Saum die Mitte entlang, der entweder zu Wülsten aufgeworfen oder auseinandergezogen ist. Es ist Stoff der Art, der Körperhitze rasch aufnimmt und hält, und der jede Feuchtigkeit, die in der Luft sein mag, anzieht, und das Material fühlt sich kratzig an.”196 Agees Beobachtungen und Walkers Fotografien fügen sich zu einem Wort-Bild zusammen, dass das Heim weißer Baumwollpflücker als Ausdruck der sozialen Härte im Amerika der Depressionszeit liest. Die Autoren ziehen die Einrichtung und Wohnsituation von Pächterfamilien in Alabama nicht nur als Gradmesser für den sozialen Stand heran, sondern entwerfen auch ein Bild des amerikanischen „Cotton State”. Damit werden Heim, Gesellschaft, Nation und Heimat zusammengeführt. In ironisierter Form begegnet diese Suche nach der Ablagerung einer nationalen Ästhetik und damit als Ausdruck einer (nationalen) Gemeinschaft in Martin Parrs ­Fotoserie Signs of the Times (1992), die eine BBC-Dokumentation des Filmemachers Nicholas Barker über den Geschmack der Britischen Mittelklasse begleitete. Parr war bereits früh von der britischen Dokumentarfotografie beeinflusst worden – die sich im Übrigen intensiv auf Walker Evans Let us now Praise Famous Men berief –, rezipierte jedoch auch William Egglestons Farbfotografien des Everyday America.197 Englische Traditionen und deren Verdrängung durch Globalisierung und Massenkonsumkultur in Zeiten eines durch Margaret Thatcher propagierten Neoliberalismus stehen im Fokus vieler Parr-Serien wie The Last Resort (1986) und The Cost of Living (1989). Für Signs of the Times blickte Parr fotografisch in die Einrichtungswelten britischer Familien der Post-Thatcher-Ära. Aus 80 Familien, die von einem BBC-Team aufgesucht, mit denen Gespräche geführt und die in ihrem Eigenheim gefilmt werden, wählte Parr auf der Basis des Filmmaterials und der Interviews 30 aus. Die in seinem Buch versammelten Aufnahmen sind mit kurzen Aussagen der Besuchten versehen, die in äußerst komischem Kontrast zu den Bildinhalten stehen. Diese Ironisierung wird evident in einer Aufnahme, die einen hölzernen Toilettenpapierhalter mit geblümtem Toilettenpapier in Nahsicht zeigt, der auf braun-weiß gemusterten Fliesen befestigt ist (Abb. 34). Parrs Objektiv würdigt dieses unscheinbare Detail, als sei es ein besonders bemerkenswertes Stillleben, wobei er die Kamera leicht schräg auf den Gegenstand richtet, sodass die Linien der Fliesenfugen schräg in das Bild hineinfluchten und sich in der linken unteren

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Bildecke in Unschärfe auflösen. Der Fotografie wird damit eine amateurhafte Ästhetik gegeben, die mit den unprätentiösen Inhalten eine spannungsvolle Liaison eingeht – dabei sind Einflüsse des amerikanischen Farbfotografen William Eggleston sichtbar, der das Unprätentiöse, Abwegige und Alltägliche zu bildwürdigen Sujets erhob. Bei Parr zitiert der Bildkommentar „Sue has definitely given the bathroom the feminine touch” den männlichen Bewohner, der sich stolz über den Einrichtungsgeschmack seiner Partnerin äußert, der sich augenscheinlich im zarten Blumenmuster des Toilet­ ten­papiers offenbart. Martin Parr sucht seine Motive mit großem Gespür für das Komische und Bizarre im Alltäglichen aus, und Signs of the Times ist Ausdruck für diesen

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34–36 — Martin Parr und Nicholas Barker, Signs of the Times. A portrait of the nation’s tastes, 1992

besonderen Blick des Fotografen, der sich in absurden Kompilationen wie die von ihm gesammelten Boring Postcards (2004) ebenfalls artikuliert. Die Protagonisten von Signs of the Times wurden 1990 und 1991 durch Aufrufe in Zeitungen und im Teletext der BBC akquiriert.198 Ausgewählt wurden Haushalte der englischen Mittelklasse, die weniger außergewöhnlich, exotisch oder exaltiert waren, als sich vielmehr in der Ausstattung und Dekoration ähnelten – dies sicherlich um einen „Durchschnitt” zu erhalten: „Ordinary and unexceptional tastes were generally chosen in preference to the exotic, and we were gratified by the frequency with which people enquired ‚why are you filming us? We’re not that different, are we?’”199 Parr blickte in den britischen Wohnungen und Häusern auf die Bewohner, die sich einzeln oder als Paare zueinander und zum Fokus der Kamera in Verhältnis setzten (Abb. 35). Sie stehen nebeneinander, drehen sich den Rücken zu oder umarmen sich. Diese zwischenmenschliche Interaktion wird gerahmt durch ein Interieur, in das sich Leben und Geschmack der Bewohner eingeschrieben haben. Oftmals werden in den publizierten Interviewpassagen geschlechtsspezifische Eigenarten in der Einrichtung exponiert – „It was very masculine when I came in here, so I put my quilt out – the flowery one which he

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37–38 — Martin Parr und Nicholas Barker, Signs of the Times. A portrait of the nation’s tastes, 1992

detests”200. Dieses „domestic power struggle”201 findet seine Kommentierung durch das Auge der Kamera, das zwei Stofftiere vor einem Drachenbaum in Plastikübertopf fokussiert oder die üppigen Volants glänzender Vorhänge in ihrem barocken Überfluss exponiert (Abb. 36). In ihren Details verweisen die Aufnahmen auf ein spezifisches Traditionsbewusstsein der Bewohner, ihren Hunger nach Edwardian- oder Tudor-Ausstattung oder die besondere Sehnsucht nach dem Ländlichen. Signs of the Times zeigt auf dem Buchcover eine Schlüsselfotografie (Abb. 37), die dieses Zurückgreifen auf die eigene Kulturgeschichte in seiner Oberflächlichkeit bloßstellt: Ein mit zwei Schrauben an die Wand montierter Lichtschalter ist von einem Dekorationselement aus Kunststoff umfasst, das nur ein müder Nachhall auf historische Stukkaturen aus Gips und die reichen Dekors vergangener Zeiten ist. „We want a cottagy stately home kind of feel”, als Zitat der Bewohner, betont die Kluft zwischen dem Wunsch nach ländlicher Pracht und der nur mäßig gelungenen Imitation – Sehnsucht und Handlung stehen hier in Kontrast. Zudem erinnert der Lichtschalter an üppig verzierte Torten; das von Adolf Loos einst verdammte Ornament hat sich längst seinen Platz in allen Teilen des Wohnens zurückerobert. Die Befragten versuchen ihre britische Heimat noch in den absurdesten

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Details zu verklären; so wie die Kunststoffverzierung um den Plastiklichtschalter den Traum eines englischen Cottages heraufbeschwören soll und eigentlich ein ästhetischer Alptraum ist, so finden andere im Pseudo-Tudorstil „a little bit of Old England” (Abb. 38). Ein Kamin mit künstlichem Feuer soll ebenfalls Traditionsbewusstsein vermitteln, da er von seinen Besitzern als „warm, comfortable, traditional” empfunden wird. Letztlich ist Signs of the Times ein fotografisches Essay über die Träume der Menschen von ihrer kulturellen Vergangenheit, die sie in der Gegenwart konservieren möchten.202 Einen Resonanzraum für Martin Parrs und Nicholas Barkers Suche nach dem unverwechselbar britischen Geschmack, der an gemeinsame Normen, Konditionen und Traditionen gebunden ist, boten Publikationen wie Patrick Wrights On Living in an Old Country (1985) oder Paul Theroux Kingdom by the Sea: A Journey Around the Coast of Great Britain (1995), die nach kulturellen Überlieferungen fragen.203 Das Eigene schien stärker in den Fokus zu rücken in Zeiten, die für wirtschaftliche Entgrenzungen standen: Sinnbild dieses Verlusts an territorialer Konturierung ist beispielsweise das Schengener Abkommen, das seit 1985 im ersten Vertrag von Schengen den Wegfall stationärer Grenzkontrollen der teilnehmenden Staaten propagierte. Interessant ist dabei, dass Großbritannien im Jahr 2000 nur eine eingeschränkte Teilnahme mit justizieller und polizeilicher Zusammenarbeit ratifizierte, die Grenzkontrollen jedoch beibehielt. Vor diesem wirtschaftspolitischem Hintergrund ist Parrs und Barkers Signs of the Times ein Seismograph für die Suche der Menschen nach ihren Traditionen in einer kapitalistischen Gegenwart und globalisierten Welt. So zeigen die fotografierten Haushalte ein oftmals bizarres Gemenge aus vermeintlich traditionsreichen Dekorationen und exotisch anmutenden Dingen, die von Fernreisen (die dank des wirtschaftlichen Aufschwungs unter Thatcher nun möglich waren) oder auch nur aus dem Giftshop der Nachbarschaft mitgebracht worden waren. Dieses Porträt des Geschmacks einer Nation war ein Versuch, aus der breiten Masse eine gemeinsame Sprache, einen Einrichtungswillen und ein nationales Scheitern zu destillieren.204 Auf das Heim, das hier zugleich Heimat ist, projizieren die Bewohner ihre Wünsche und Obsessionen – die meist in Gegensatz zu den tatsächlichen Interieurs stehen. Parr ist dabei kein zurückhaltender Dokumentarist; seine Auseinandersetzung mit dem Nebensächlichen, mit dem überflüssigen Tand, den ausufernden Dekorationen und Ausstattungen führt zur Beobachtung, dass Nostalgie und Konsumwut in britischen Haushalten eine verstörende Synthese eingegangen sind. In seinem Essay zu Signs of the Times führt Nicholas Barker die Neigung zu Konsumgegenständen auf die politische Prägung des Landes zurück: „The Thatcher years may have given the public new opportunities to define themselves through patterns of consumption rather than their social and educational background. […] Mass retailers responded with

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sales techniques which left little to the imagination. They began to display fully furnished replica rooms, and stocked wide ranges of completely co-ordinated goods.”205 Signs of the Times ist angesichts dieser politischen wie kulturhistorischen Verortung des Projekts ein dezidiert nationales Vorhaben – das zur Frage führt, ob Geschmack zur Heimat werden kann und eine gemeinsame Sozialisation auch bestimmte, geschichtlich determinierte Präferenzen für Inneneinrichtungen prägt. Dieser kulturgeografische und ethnografische Ansatz wurde von Parr auch in weiteren Projekten weiterverfolgt, so in seinem Fotobuch Think of England (2000), das dem vermeintlich Englischen im Close-up unprätentiöser Marmeladenpackungen, im Habitus britischer Touristen oder nationaler Gartenkultur näher zu kommen sucht. Dabei verweist der Titel, dass in den Bildern von England ebenso viele gedankliche Konstruktionen wie vielleicht nachweisbare Faktizitäten enthalten sind. Parr interessiert sich in vielen seiner Arbeiten für das Vernakuläre, Regionale und Nationale, wobei seine Fotografien keine Verifikationen hohler Klischees sind, indem sie die „Englishness”206 suchen. Vielmehr scheint sich Parr zu fragen, welche Selbst- und Fremdzuschreibungen das vermeintlich „Englische” prägen, warum, in welcher Form und um welchen Preis überlieferte Werte und Normen aufrechterhalten werden – und was Tradition und Kultur in der Gegenwart noch bedeuten –, beispielsweise in einer frühen Serie zum Leben in Nordengland.207 Die Frage nach der Aussagekraft des Lebensortes über das Individuum und – in übergeordnetem Maß – auch der Gesellschaft, lässt sich in modifizierter, einem anderen Lebens- und Zeitkontext entsprechender Form auch in Herlinde Koelbls Projekt Das deutsche Wohnzimmer erkennen. Die Fotografin blickte um 1980 in bundesdeutsche Wohnstuben. Zur Vergleichbarkeit des Bildmaterials sammelte Koelbl die Bilder in sozialen Gruppen: „Bilder – eins” führte Personen zusammen, deren Berufe keiner akademischen Vorbildung bedurften – Arbeiter, Landwirt oder Raumpflegerin. „Bilder – zwei” widmete sich dem bürgerlichen Wohnzimmer des Pfarrers, des Lehrers oder Bankangestellten, während „Bilder – drei” die Wohnungen der Wohlhabenden, Einflussreichen und Eliten fokussierte: des Vorstandsvorsitzenden, Abgeordneten oder Hochschullehrers. „Bilder – vier” wiederum gab Einblick in die Einrichtungen von Kreativen, Selbständigen und Lebenskünstlern. In dieser Vorgehensweise, die das Individuum als Vertreter einer besonderen sozialen Schicht oder eines Berufsstandes versteht, schließt Koelbl an das Großprojekt Antlitz der Zeit (1929) des rheinischen Fotografen August Sander an,208 der ebenfalls ein Zeitbild der Deutschen entwarf. Dem Schnitt durch die bundesdeutsche Gesellschaft entspricht der geografische Ansatz, da Koelbl die Republik von Süd nach Nord – von Lindau am Bodensee bis zur Halbinsel Eiderstedt vermaß. Das Wohnzimmer wird in den 1970er Jahren zum Gradmesser der Befindlichkeit einer Nation. Koelbl stellt die Frage: „Ist die Wohnung

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ein Spiegel der Seele ihrer Bewohner? Ist das Wohnzimmer Ausdruck der kulturellen und zivilisatorischen Situation einer Gesellschaft, Nation oder Generation?”209 Bei ihren Besuchen in den Wohnzimmern der Deutschen stellte die Fotografin fest, dass viele von ihnen komplette Einrichtungen aus Möbelhäusern erworben hatten und deshalb kaum mehr individuelle Freiräume und ästhetische Eigenarten erkennbar waren: „Zu wohnen, wie ‚man’ wohnt, ‚komplett eingerichtet” zu sein, sind offenbar Zwänge, von denen sich die meisten unserer Zeitgenossen kaum zu befreien vermochten. Sie sind den massiven ‚raumgestalterischen Einflüssen’ marktbeherrschender Möbelhäuser und millionenfach verteilter Prospekte ausgesetzt.”210 Dieser konsumkritische Ansatz impliziert, dass das einzelne Möbelstück in vielen Haushalten an Aussagekraft über seinen Besitzer verloren hatte; im Gegenzug verrät die fremdbestimmte Wohnkultur etwas über eine Neigung zur Anpassung und zur kollektiven Unterordnung unter das Diktat des Massenkonsums. So folgten viele der von Koelbl fotografierten Wohnzimmer (Abb. 39) einer einheitlichen Choreographie mit Schrankwand in Furnier, Couch und Sessel. Das Zentrum des Wohnzimmers bildet der niedrige Wohnzimmertisch, der zwar eine kommunikative Schlüsselstelle ist, jedoch mit dem Fernseher um Aufmerksamkeit konkurriert, der entweder auf halbhohen Schränken wie teewagenähnlichen Möbeln positioniert ist oder sich in die Nischen der Schrankwände schmiegt. Der Ausblick aus den Fenstern verbirgt sich hinter bodenlangen Tüllgardinen, die von schweren Vorhängen umfangen sind.211 Die Wände schmückt – gemäß der Mode der Endsiebziger Jahre – oft eine gemusterte Tapete, an der sich als Lieblingspflanze jener Jahre der Gummibaum emporrankt oder auf der gerahmte Reproduktionen von heimeligen Landschaften oder Klassiker der Kunstreproduktion wie Der Mann mit dem Goldhelm, das damals noch für ein Original aus der Hand Rembrandts gehalten wurde, hängen. Das deutsche Wohnzimmer ist bei Koelbl ein vollgestellter Raum, der seine Bewohner in feste Bewegungsdramaturgien dirigiert. Gemütlichkeit ist das Leitwort, das mit dem Sitzen auf niedrigem Polstermöbel assoziiert werden kann, und es ist wie „Heimat” ein dezidiert deutscher, unübersetzbarer Begriff, wobei die „deutsche Gemütlichkeit” in sich viele stereotype Assoziationen mit ländlicher Folklore und Volkstümlichkeit enthält.212 Der Boden, der mit Auslegeware bedeckt ist, ist nur noch Zwischenraum für die vielen voluminösen Möbelstücke, die, wie der Kunsthistoriker Martin Warnke ausführt, sowohl Artefakte einer erledigten Wohnkultur als auch Ausdruck einer veränderten Wohnsituation sind. Schlaf- und Esszimmer zogen sich im Laufe der bürgerlichen Wohngeschichte in eigene Bereiche zurück, hinterließen die Vitrine oder den Schrank, in dem das „gute Porzellan” noch exponiert wird; die Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit äußert sich in der Gardine, die fremde Blicke abwehren soll.213 Die beengten Raumverhältnisse in den Neubauwohnungen

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kollidieren dabei mit den aus der bürgerlichen Salonkultur geerbten Repräsentationsbedürfnissen, sind „ein Fürstenzimmer ohne das Schloss im Hintergrund”214. Doch zeigen einige Aufnahmen aus dem Buch, dass es immer wieder Aus­brüche aus dem Einrichtungsdiktat und dem gesellschaftsübergreifenden Distinktionsverhalten gibt. So besuchte Koelbl auch Wohnzimmer, die Sammelleidenschaften oder ästhetische Interessen ihrer Bewohner exponieren: Antiquitäten, Fundstücke vom Flohmarkt, Erbstücke, vollgestellte Bücherregale, unkonventionelle Sitzgelegenheiten auf dem Boden durchbrechen die stereotype Anordnung der Möbel im Zimmer. Dass sich diese Ausbrüche mehren, je weiter die 39 — Herlinde Koelbl, Das deutsche Wohnzimmer, 1980

Leser im Buch voranschreiten, lässt den Kurzschluss zu, dass Intellektualität, Kreativität,

zumindest aber Bildung und Solvenz mögliche Voraussetzungen sind, um sich individuell einzurichten und dem Konventionellen zu entkommen. Um diese Ungleichheit der Stile kenntlich zu machen, griff Koelbl auf eine vereinheitlichte strenge Komposition und Bildsprache zurück. So fotografierte sie konsequent in Schwarzweiß, was die besondere Farbgebung des Wohnens am Ende der 1970er Jahre zurückdrängte und stattdessen deutlicher die Formen hervorhob. Damit betonte die Fotografin zugleich den nachrichtlichen, sachlichen Charakter ihres Bildessays. Die Bewohner wurden mit Weitwinkel stets in ihren Wohnzimmern fotografiert, wobei ihre Blicke die Fotografin adressieren. Häufig sitzend, manchmal stehend und

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sehr selten liegend positionieren sie sich im Interieur und inszenieren sich allein oder in der Gruppe. Es ist zu vermuten, dass Koelbl in dieser seriellen Arbeit tatsächlich eine „Grammatik des Wohnens”215 zu entwerfen versuchte, die von einer kulturellen oder sogar nationalen Determinierung ausgeht. In der Entäußerung des Status durch Mobiliar und Dekoration erkannte Mitscherlich bereits Mitte der 1960er Jahren ein Indiz für restaurative Tendenzen in Deutschland und führte die Bedeutung des Wohnens darauf zurück, dass sich Geselligkeit damals vornehmlich im Privaten abspielte: „Die Wohnung wird nicht zuerst unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Bedürfnisse gesehen, denen sie zu dienen hat, sondern der Struktur unserer Gesellschaft entsprechend entweder unter Ausbeutungs- oder unter Prestigegesichtspunkten; sie demonstriert Herrschaft und Status. [...] zeige mir deine Wohnung, und ich sage dir, wer du bist.”216 Angesichts der gesellschaftlichen Heterogenität, die sich in Koelbls Das deutsche Wohnzimmer offenbart, das ausdrücklich auch die kleinbürgerlichen oder sozial schwachen Haushalte inkludiert, ließe sich diese Beschreibung eher modifiziert anwenden: Zeige mir deine Wohnung, und ich sage dir, wer du sein möchtest. Viele der bei Koelbl auftretenden Menschen versuchen auch jenseits ihrer finanziellen Mittel, ein komplettes Wohnzimmer zu besitzen und scheinen das Gros ihrer Ersparnisse in den Ankauf von Mobiliar investiert zu haben. Auf die Bedeutung speziell des Wohnzimmers als „Bühne” haben Autoren wie Stephen Riggins hingewiesen,217 und auch Manfred Sack thematisiert in seiner Einführung zu Koelbls Buch die besonderen Repräsentationsqualitäten speziell des Wohnzimmers, wenn er schreibt: „Je größer eine Wohnung ist, desto größer muß auch das Wohnzimmer sein, dieses die Einkommensverhältnisse spiegelnde Repräsentationsobjekt, dieses Zeugnis gehobenen Lebensstils, dieses Party-Wohnzimmer, das ja meist nur in der Theorie so etwas ist wie ein Familienzimmer, ein ‚Raum für alle’ und gewöhnlich nur abends und sonntags wirklich benutzt wird. Das Wohnzimmer ist die Hauptsache der Wohnung, es ist ein Erwachsenen-Reservat. Für seine Ausstattung werden auch die meisten sozialen Signale aus der Umwelt empfangen. Hier werfen sich die Bewohner in die Brust.”218 In den Interieurs präsentieren sich die Bewohner inmitten ihrer Habseligkeiten und Sammelstücke; lassen sich einige verlegen ob ihrer ärmlichen Behausungen mit der Kamera ablichten, exponieren andere voller Stolz ihre Einrichtungen. Ordnung und Unordnung geraten ebenso in den Blick wie Einrichtungsdetails – ein seltsames Stillleben an Sammelstücken wie Nussknacker, Vase aus Zink und Puppe oder ein Hochzeitsbild. Die Bildunterschriften liefern nur geringe Informationen: Vorname und abgekürzter Nachname sowie Beruf werden von einem kurzen Zitat begleitet, das augenscheinlich dem Gespräch zwischen der Fotografin und ihren Modellen entstammt. Doch gerade die dürftigen Informationen werten das wenige Gesagte und die Bildinformationen auf.

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40 — Herlinde Koelbl, Das deutsche Wohnzimmer, 1980

Diese gezielte Beweisführung ist kritisch zu beurteilen: Indem Teile aus den Gesprächen isoliert werden, die Kamera nur das Wohnzimmer als repräsentativen Raum an der Schwelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit fokussiert, die Situationen von den Modellen und / oder der Fotografin präpariert und konstruiert wurden, lässt sich kaum von einem Dokumentarismus sprechen. Auch eine semiotische Arbeit am Bild, die Einrichtungen ohne Umwege als Ausdruck einer sozial determinierten Ästhetik liest

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41 — Herlinde Koelbl, Das deutsche Wohnzimmer, 1980

und auf einen vermeintlichen sozialen Status schließen lässt, führt unweigerlich zu weiteren Fragen und Leerstellen. Denn Objekte und ihr Arrangement im Raum verweisen zwar auf eine besitzende und inszenierende Persönlichkeit, doch obliegen die Entscheidungen zum Erwerb, zur Situierung im Raum und Kontextualisierung vielen äußeren und inneren Faktoren. Soziale Beziehungen wie Verwandtschaft (Erbstücke) oder Freundschaft (Geschenke) können hier ähnliche Bedeutungen haben wie der

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Wunsch nach Bewahrung von Traditionen oder der Bruch mit diesen. Dennoch kann Koelbls Projekt zum deutschen Wohnzimmer unter Berücksichtigung der Perspektive der Fotografin einiges über das Verhältnis deutscher Bundesbürger zum Wohnen aussagen. Die von Martin Warnke 1979 prophezeite Desorientierung und Auflösung der hermetischen Couchecke219 wird durch das Gros der Fotografien Koelbls widerlegt. Denn das Sofa und die Couchecke bilden das unhinterfragte soziale Zentrum im Gefüge der Wohnzimmer – „Wir treffen uns fast täglich. Unsere Familie hält zusammen”, ist die Aufnahme einer vierköpfigen Familie untertitelt, die sich um einen gläsernen Couchtisch zusammengefunden hat (Abb. 40). Der Patriarch umarmt Frau und Kind, die Wohnzimmerwelt ist in Ordnung und zentraler Bezugspunkt. Wort und Bild betonen, dass die sozialen Beziehungen im Wohnzimmer hier Heimat sind, denn, so Mitscherlich, „nicht schöne Möbel, nicht weiche Teppiche, nicht große Zimmer, nicht helle Fenster, nicht Lage und Kunst des Architekten” lassen eine Wohnung zur Heimat werden, sondern „die menschlichen Beziehungen, die an einen Ort geknüpft sind”220. Teppich, Couchtisch, Stehlampe, Schrankwand und Sofa sind die immer wiederkehrenden, vertrauten Versatzstücke des Wohnzimmers, Bestandteile und Rahmungen der Inszenierung eines geschützten, „gemütlichen” Raums im Raum.221 Bei Koelbl stehen die meisten Protagonisten selbstbewusst und unerschüttert in geordneten und normierten Ensembles, wobei gerade die Absenz, die Leerstellen, interessant erscheinen. So spielt das Thema der Entortung oder des Heimatwechsels in Koelbls Arbeit kaum eine Rolle; die Frage, wie Wohnen unter den Konditionen von Einwanderung zu fassen ist, wird nicht thematisiert. Nur die Bildunterschriften verweisen latent auf die um 1980 längst veränderte deutsche Gesellschaft, etwa wenn das Paar Heinrich und Ursula T. mit dem Ausspruch zitiert wird (Abb. 41): „Wir wohnen in einer Neubausiedlung. Jetzt ziehen immer mehr Ausländer, Griechen, Türken und Rumänen ein. Die Spielplätze werden nun oft zerstört. Es gibt jetzt viel mehr Ärger und Probleme.”222 Im Bild erscheinen die angesprochenen Migranten jedoch nicht. So lässt sich nur vermuten, dass Koelbl mit der Betitelung Das deutsche Wohnzimmer nur jene Bürger subsummierte, die deutsche Staatsbürger und deutscher Herkunft waren. Das Wohnzimmer wird auf diese Weise zu einem Ort, der das Eigene gegen das Andere und Fremde abgrenzt. In einer Verschiebung dieser Semantik kann es aber auch zum Ort werden, der das Eigene in der Fremde ist. Ausgehend von Flussers Überlegungen zum Exil, der eben in der Wohnung und ihren Gegenständen, die mitgenommen werden können, das Vertraute im Fremden erkennt,223 ließe sich vom Wohnzimmer als stabilem Gefüge auch in Zeiten von Veränderung und Mobilität sprechen. In ihrer seit 2006 entstehenden, mehrteiligen Videoarbeit Modelle der Wirklichkeit folgt die Künstlerin Sandra Filic für einen Tag dem Leben einer anderen Person –

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42–47 — Sandra Filic, Modelle der Wirklichkeit IV, 2011, Video, Screenshots

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darunter ein Blinder und zwei Migrantinnen. Diese beschrieben Filic zunächst ihren Tagesablauf, den die Künstlerin dann in Begleitung eines Kameramannes nachlebte. In Modelle der Wirklichkeit IV, einem 2011 entstandenen Film der Reihe, folgt Filic den Erzählungen der kroatischen Migrantin Slavica. Zu einem Voice Over betritt die Künstlerin eine Wohnung (Abb. 42), benutzt Slavicas Gegenstände, verrichtet ihre Arbeit und bewegt sich in deren sozialen Räumen. Wir sehen Filic beim Aufbrühen des morgendlichen Kaffees, beim Geschirr spülen, Wäscheaufhängen (Abb. 43, 44) und Spazieren in einem Park. Stumm folgt sie den Beschreibungen des Voice Over, der einen Tagesablauf der Person wiedergibt. Dabei entsteht eine Dissonanz zwischen Bild und Ton. Die Irritation der Zuschauerinnen, die an der Glaubwürdigkeit des Gesehenen oder des Gesprochenen zweifeln, ist ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt. Indem Filic den Ritualen des Alltäglichen nachspürt, wird die Wiederholung des Immergleichen evident. Filic rekonstruiert die Abhängigkeiten zwischen Selbstverständnis, Lebensgeschichte und Lebensumständen, sie durchschreitet die sozialen Räume, innerhalb derer sich ihre Rollenvorbilder bewegen, und thematisiert, wie Alltagsverhalten durch äußere Bedingungen modelliert wird. Dabei gibt es weniger Antworten als Bruch- und Leerstellen. In der Aneignung und der Verkörperung des Anderen wird die Identität zum fragilen Konstrukt. Als Fremde hantiert Filic dabei mit den Dingen ihrer eigentlichen Besitzer, sie blickt aus ihrem Fenster auf menschenleere Wohnsiedlungen, sie trinkt aus ihren Tassen, füttert Enten im nahe gelegenen Park. Obgleich die Videoarbeit keine Orts- oder Personenangaben macht, erschließen sich aus dem Beobachteten einige Informationen: Slavica, die Frau, der die Stimme und die Wohnung gehören, lebt am Stadtrand von London, sie geht keiner geregelten Arbeit nach, ihr Tag strukturiert sich durch Haushalt, Yogaübungen, dem Fernsehen und Blättern in Zeitschriften, die ihr jedoch nur mühsam Entspannung und Ablenkung von den Alltagssorgen schenken (Abb. 45, 46). Ihr Seelenheil sucht sie in einer katholischen Gemeinde im Zentrum Londons. Erfüllung findet Slavica auch bei der Lektüre von Reiseliteratur (Abb. 47), die sie gedanklich in die Ferne trägt: „Mein größter Wunsch ist es, um die Welt zu reisen”, äußert sie und beschreibt die Sehnsucht als Migrantin eine Reisende zu werden, um dort eine Fremde unter anderen reisenden Fremden zu sein. Die Wohnung, das Heim, ist in der Arbeit von Filic ein persönlicher Raum, in dem sich das eigene Leben ausdrückt, das von den Erfahrungen, ästhetischen Vorlieben, von Ängsten und Sehnsüchten geprägt ist, ein Raum auf der Schwelle zwischen Bleiben und Gehen. Die Relevanz des persönlichen Umfelds „Heim” in unbeständigen Zeiten und einer Heimatlosigkeit begegnet auch in Roman Ondáks Serie Antinomads (2000). Ondák befragte Freunde und Bekannte nach ihrer Einstellung zum Reisen und ob sie

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48–53 — Roman Ondák, Antinomads, 2000, jede Postkarte 10,5 x 14,8 cm

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54 — Roman Ondák,

Casting Antinomads, 2000, Serie von 120 Fotografien, jede 22 x 32,5 cm

sich als Nomaden oder Anti-Nomaden definierten. Die Anti-Nomaden mit negativer Einstellung zum Reisen fotografierte er in einem Setting, das diese selbst auswählten: auf dem heimischen Balkon, im Wohnzimmer, auf dem Bett, im Garten oder am Arbeitsplatz (Abb. 48–53). Die Produktion dieser Fotografien als Postkarten in Serie mit jeweils 12 Motiven brachte das Bleiben (die Personen auf den Fotografien) mit der Bewegung zusammen (das Medium der Postkarte) (Abb. 54). Jahre später ließ sich Ondák diese Postkarten aus verschiedenen Ländern zurücksenden und mit dem Schriftzug „Wish you were here” versehen. Die Reisen der Postkarten, die große Distanzen überwinden und immaterielle Botschaften tragen, kontrastieren zu den Motiven, die das Häusliche und Heimische als idealen Rückzugsort akzentuieren. Die visualisierten Antinomads legen Wert auf das Hierbleiben, schätzen ihre privaten Räume und ihr Heim mehr als die Ferne und Fremde: „This series [...] traces the movements of these ‚anti-nomads’, planting the notions of displacement and the uninterrupted flux of time in our imagination, reminding us that it is possible to travel ever more easily and quickly, both mentally and physically.”224 Ondáks Arbeit Antinomads kreist um Nähe und Distanz, Heimat und Ferne, um Heim als Hort und Grenze zur Fremde.

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Topographien. Wald-Heimat Heimat ist häufig ortsgebunden, wird mit bestimmten Orten oder Regionen in Verbindung gebracht. In der Heimat ist deshalb ein territorialer Verweis enthalten, was sich bereits in der Etymologie des Begriffs und seiner Verhandlung in Wörterbüchern zeigt: Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm von 1877 wird „Heimat” örtlich und geografisch als Raum definiert, als Geburts- oder Ursprungsort oder Ort, an dem man wohnt. So heißt es, Heimat sei „das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat”, zweitens „der geburtsort oder ständige wohnort”; an dritter Stelle wird hinzugefügt: „Selbst das elterliche haus und besitzthum heiszt so, in Baiern”.225 Doch greift diese Definition noch in der Zeit größter Mobilität? Das 21. Jahrhundert gilt als Dezennium der Migrationen; Menschen wechseln Orte und ihr Zuhause – können lokale Bindungen heute noch Heimat determinieren? „Es hat sich vieles verändert. Heimat ist nicht mehr Schicksal, sondern Zufall. [...] Sind nicht andere Erfahrungen, andere Teile der eigenen Identität mindestens ebenso wichtig wie das Landsmannschaftliche, das Lokale? Und so erscheint Heimat immer mehr als eine biografische Zufälligkeit, die der Selbstdefinition im Rückblick eine bestimmte Note hinzufügt. Nicht mehr, nicht weniger. Identität ist nicht mehr an ein Territorium gebunden”,226 schreibt Ariel Hauptmeier im Jahr 2005. Vielleicht ist Heimat für viele nicht mehr territorial zu fassen (wobei diese Einschätzung prosperierende Tendenzen der Nationalisierung unterschätzt), topografisch oder geografisch ist sie dennoch zu definieren. So sind Landschaften, gleich welcher Provenienz, wie schon in Peter Bialobrzeskis Buch „Heimat” deutlich wurde, ganz besonders dazu geeignet, Heimaten zu versinnbildlichen. Auch die Zeitschrift Der Spiegel entschied sich im Jahr 2012, ihrer Titelgeschichte Was ist Heimat? Eine Spurensuche in Deutschland mit ­verschiedenen Landschaften besonderen Ausdruck zu verleihen.227 Das Magazin erschien mit unterschiedlichen Titelbildern, die der Leserschaft das Angebot unterbreiteten, die jeweilige Heimatlandschaft wählen zu können. Unter diesen Titelbildern fanden sich im Übrigen auch einige von Peter Bialobrzewski geschaffenen HeimatFotografien wieder.

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Neben dem Gebirge und dem Meer birgt vor allem der Wald besonderes Potenzial für eine Aufladung als Heimat – und als Alternative zu einer geschäftigen Welt. Eichendorff spricht von der Geborgenheit im „grüne[n] Zelt”228, wobei der Wald weniger als Ort der Rekreation beschrieben denn als mentaler Rückzugsort aufgerufen wird. Dabei stellt sich die Frage, ob der Wald eine dezidiert nationale Topographie ist, wird seine spezifische Bedeutung für die Deutschen doch in Literatur und Kunst immer wieder benannt: „Was ist uns Deutschen der Wald?”229 fragt Erich Fried im gleichnamigen Gedicht. Bazon Brock benennt die deutsche Mythologie als „unser[en] kollektive[n] Erinnerungsfundus” und schreibt von der wirkmächtigen „Topologie und Milieuprägung des Waldes”230. Das 19. Jahrhundert verschrieb sich mit großer Leidenschaft dem Wald als Mythos und Klammer für das Nationale – Nation, Mythos und Wald fanden besonders im Werk Richard Wagners eine intensive Verflechtung und prägten die Sicht auf den Wald noch im folgenden Jahrhundert; der Komponist benannte den Wald als besonders deutsche Landschaft: „Selbst aus dem lieblichen Italien verlangt der Deutsche nach seiner Heimat zurück. Er verläßt deshalb den römischen Kaiser und hängt desto inniger und treuer an seinem heimischen Fürsten. In rauhen Wäldern, im langen Winter, am wärmenden Herdfeuer seines hoch in die Lüfte ragenden ­Burg­gemaches pflegte er lange Zeit Urvätererinnerungen, bildete seine heimischen Göttermythen in unerschöpflich mannigfaltige Sagen um.”231 Wagners Opernzyklus Der Ring der Nibelungen ist ein Nukleus dieser germanischen Sagenwelten, und für die Premiere der gesamten Tetralogie Der Ring im Sommer 1876 in Bayreuth schuf der Bühnenbildner Josef Hoffmann für Wagner ein urwüchsiges Waldszenario. Seine ­Bühnenbildentwürfe, die den Bretterboden der Bühne als natürlich gestalteten Naturgrund verstanden,232 inszenieren die Landschaft als den Schauspielern gleichwertigen Akteur, wobei der Wald als spröder, dunkler und geheimnisvoller Ort in Erscheinung tritt. So gewährt sein Entwurf für die Rheintöchterszene in Götterdämmerung (3. Aufzug, 1. Bild) nur einen schmalen Ausblick auf den Rhein, während die knorrigen Äste des verwachsenen Waldes die Bühne dominieren sollten. In einer weiteren Ölskizze für Siegfried (2. Aufzug) verbannte Hoffmann den Kampf gegen den Drachen auf ein Steinplateau im Hintergrund, während der titelgebende Tiefe Wald die Blicke versperrte (Abb. 55). Wald wird hier als mythische Landschaft ins Bild gesetzt. Obgleich Wagner durchaus Kritik an Hoffmanns Entwürfen artikulierte233, vermittelt sich dennoch eine Ahnung von der Bedeutung der Naturlandschaft im Ring. Natur ist bei Wagner nicht nur wesentlicher Teil der Dramaturgie, sondern zugleich Inkarnation des Mythischen – wie auch der Mythos sich als organische und lebendige Natur äußert.234 So werden das Rheintal und die ihn umgebenden Wälder, an denen die Nibelungen-Sage situiert ist, zum Mythos selbst.

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55 — Josef Hoffmann,

Tiefer Wald, Bühnenbildentwurf für Richard Wagners Siegfried, 2. Aufzug, aus der Tetralogie Der Ring der Nibelungen, 1876

Die Nibelungensage, die ihre Präfiguration in den Heldenliedern der Edda hat, ist ein explizit germanisch-nordischer Epos und hatte nicht ohne Grund eine besondere Konjunktur im 19. Jahrhundert. Die Selbstbeschreibung Deutschlands als heroischer, ungestümer Siegfried fand weite Verbreitung, so etwa in Heinrich Heines Gedicht Deutschland von 1840, in dem das Land als kraftvolles, rasch heranwachsendes Kind Siegfried beschrieben wird, das den Drachen tötet und die Insignien des Kaisertums heimholt.235 Das Nibelungenlied wurde zur „Ilias der Deutschen”, erlebte eine Stilisierung zum deutschen Nationalepos und war eine Projektion nationaler Denkmuster.236 Die in ihm thematisierte Landschaft wurde damit zum mythischen Ursprungsort des Deutschen; Wald steht in dieser Lesart für die deutsche Natur. Jahre später ließ auch der Regisseur Fritz Lang zentrale Szenen seines Stummfilms Nibelungen (1924) im Wald spielen. Lang schwärmte von den Settings seiner Filmarchitekten Otto Hunte und Fritz Kettelhut, die ihm „auf dem Neubabelsberger Gelände Worms und den Rhein, Isenland und Etzels Reich, den deutschen Dom und den deutschen Wald erbaut” hätten – und fügt hinzu: „Nicht in amerikanischem Stil.”237 An anderer Stelle spricht Lang nicht nur von den Nibelungen als „geistige[s] Heiligtum einer Nation”, sondern auch vom „deutschen Wald”, den Hunte ihm „wie einen Dom” aufgebaut habe.238 Der Wald erscheint als spiritueller Ort, und inspiriert von Arnold Böcklins symbolistischen Bildwelten einer mythisch

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erlebbaren Natur fand Lang eine Filmsprache, die Siegfried in einer zentralen Szene beim Ritt durch den Wald zeigt (Abb. 56).239 Die auf dem Studiogelände errichteten Baumstämme ragen in unendliche Höhen; nicht das Grün der Bäume ist hier betont, sondern die Stärke, Statuarik und Überzeitlichkeit der Holzstämme, durch die mystisches Licht fällt und den auf dem weißen Pferd sitzenden Siegfried illuminiert. Der deutsche Wald ist hier wortwörtlich sagenhaft – und nicht gleichzusetzen mit den Wäldern in Deutschland.240 Landschaften können, wie der Kunsthistoriker Martin Warnke analysierte, in ihrer politischen wie künstlerischen Aneignung als Ideologisierungen und Umdeutungen von Geografien in Erscheinung treten; Berge können zum Herrschaftszeichen werden, Topografien politische 56 — Fritz Lang, Nibelungen, 1. Teil: Siegfried, 1924,

Stimmungen und Absichten

Deutsche Kinemathek, Berlin

artikulieren.241 Warnkes Ansatz der politischen Ikonographie postuliert die politische Lesbar-

keit vermeintlich unverfänglicher Inhalte. Auch Lehmann bezeichnet den „Wald als politisches Symbol”, indem er auf mentalitätsgeschichtliche Aneignungen bewaldeter Landschaften als nationale Topographien verweist.242 Wenn der Fotograf Stefan Moses seine Großen Deutschen in die Kulisse deutscher Wälder stellt, dann verwebt er unweigerlich die Geschichte der Personen und ihrer Nation mit jener ureigenen deutschen Topographie, die wohl stärker mit Mythen gesättigt ist,

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als jede andere Landschaft: „In der Serie der ‚Grossen Alten im Wald’ greift er bewusst das Mythische und Dämonische dieser deutschesten aller deutschen Szenerien auf”243, schreibt Christoph Stölzl, was zur Frage führt, welche Konsequenz dieses Setting für die Lesbarkeit der fotografischen Serie hat. Während Moses seine unbekannten Deutschen der 1960er Jahre vor einem neutralen, weißen Prospekt fotografierte und sie damit aus ihrem natürlichen Kontext herauslöste, tauschte er den hellen Hintergrund bei seinen Porträts der prominenten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, die seit 1963 entstanden, gegen die Folie alter Bäume und dichten Grüns aus. Damit holte er einen Subtext ins Bild, der die Porträts kommentiert und diesen abverlangt, sich zu dem sie umgebenden Wald ins Verhältnis zu setzen.244 Nach den Erfahrungen des „Dritten Reiches” galt der Wald vielen Intellektuellen als Sinnbild schlechthin für die Abgründe deutscher Seele. Noch 1960 beschrieb der Emigrant Elias Canetti das deutsche Heer als „der marschierende Wald” und wies dem Wald eine noch immer virulente politische und symbolische Funktion zu: „Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen.”245 Dass Moses seine Serie der Großen Deutschen im Wald nur drei Jahre später, also 1963, begann, mag darauf verweisen, dass nicht nur das Motiv „Wald” als Ausdruck der deutschen Naturverbundenheit gewählt wurde, sondern sich auch der ‚innere Wald’ dieser Zeitzeugen in das Bild einprägen sollte – Moses spricht selbst vom „Wald in uns”246. Der Wald kann in diesem Sinne für das Ringen mit jener deutschen Heimat stehen, deren Geschichte die Fotografierten einerseits prägten, und deren Historie andererseits sie nachhaltig beeinflusste. So finden sich in den Wald-Fotografien von Moses nicht nur Politiker wie Herbert Wehner, Schriftsteller wie Ernst Jünger und Ilse Aichinger, sondern auch Emigranten wie der Politiker Willy Brandt, die Schauspielerinnen Camilla und Steffi Spira oder der Publizist Sebastian Haffner. Moses rückte bei seinem über mehrere Jahrzehnte verfolgten Langzeitvorhaben die vergessenen, oftmals zumindest nicht mehr im Blickpunkt stehenden Geistesgrößen wieder in das Bewusstsein. Damit versuchte er auch jene politischen und kulturellen Zäsuren zu kitten, die das nationalsozialistische Regime mit seiner Verfemungs- und Verdrängungspolitik verursacht hatte. Dabei ging es weniger darum, Opfer, Täter oder Mitläufer zu identifizieren – vielmehr verfährt Moses nach dem Prinzip des Bildarchivs, in das Personen gleich welcher politischen Gesinnung247, die deutsche Geschichte gestaltet hatten, eingestellt werden können. Der Wald bietet dafür die Folie der formalen Vereinheitlichung und ruft vielerlei Assoziationen auf – dies auch in den Blicken und Kompositionen des Fotografen und den Interaktionen der Fotografierten mit dem Wald. Während Ilse Aichinger sich an den

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57 — Stefan Moses, Ilse Aichinger, Wien 1995

massiven Stamm eines altehrwürdigen Baumes schmiegt, der die Hälfte des Bildraumes einnimmt (Abb. 57), ist die Tänzerin Gret Palucca in der Totalen fotografiert und blickt elfenhaft zart aus dem üppigen Grün einer Waldlandschaft hervor; sie scheint in Harmonie in ihr aufzugehen (Abb. 58). Die Schriftstellerin Grete Weil dagegen ist bereits gezeichnet vom Alter und sitzt in gebückter Haltung auf einem Erdhügel, ihren Hund hält sie auf dem Schoß. Die abgebrochenen Äste und das verdorrte Gestrüpp der nächsten Umgebung verweisen auf ein gelebtes Leben.248 Wie ein Baumstamm unter anderen Stämmen steht Oskar Maria Graf (Abb. 59) mit entschlossenem Ausdruck und verschränkten Armen frontal zum Fotografen. Gekleidet in die bayerische Tracht

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58 — Stefan Moses, Gret Palucca, Dresden 1990

59 — Stefan Moses, Oskar Maria Graf, Berg 1964

in Referenz auf seinen Geburtsort Berg am Starnberger See scheint sich der Schriftsteller gut in die Umgebung der Waldlandschaft bei Starnberg einzufügen. Und dennoch war Oskar Maria Graf weite Teile seines Lebens ein Unangepasster und Heimatloser; auf der Flucht vor dem engen ländlichen Leben blieb Graf auch in Münchner BohèmeKreisen ein Fremder. 1933 ging er scharf auf Distanz zum Nationalsozialismus. Als man nur einen Teil seiner Bücher bei der öffentlichen Bücherverbrennung verbrannte, den Rest als „unbedenklich” einstufte, forderte Graf die Verbrennung seines gesamten Werkes: „Verbrennt mich!” und weiter „Verbrennt die Werke deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!”249 1934 folgte die Emigration in die

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Tschechoslowakei, später in die Niederlande und schließlich in die USA. Obgleich er nie nach Deutschland remigrierte und 1958 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, blieb Graf vestimentär und sprachlich seinem Geburtsland Bayern verhaftet, trug auch in New York Lederhosen und Trachtenhut, lernte nur schwer die englische Sprache und versuchte sich auch im Alltag auf Bayerisch zu artikulieren – was die Assimilation erschwerte oder verhinderte. Über die Sprache als Brücke zur verlorenen Heimat schreibt Graf: „Ob das bei anderen Völkern genauso ausgeprägt ist, weiß ich nicht, aber wir Deutschen hängen sehr an unserer Heimat. Das habe ich besonders augenfällig in Amerika erlebt, und nicht etwa nur in New York, wo sich seit eh und je die aus allen überseeischen Ländern zugereisten in bestimmten Vierteln seßhaft machen. Neben einem notdürftig gelernten Englisch behalten diese Einwanderer fast durchweg ihre Muttersprache und leben meist bis ans Ende ihrer Tage nach den ererbten Sitten und Gebräuchen.”250 Angesichts der Unmöglichkeit der kulturellen Ankunft im Exil, der zahlreichen Brüche in Leben und Wirken des Schriftstellers weicht die vermeintliche Kohärenz von Erscheinungsbild und Umgebung in Moses Fotografie von Graf einer Dissonanz. Graf ist ein im deutschen Wald Unbeheimateter, den seine Erinnerungen und sein Heimweh vermutlich weitaus stärker an die verlorene Heimat banden als an die bayerischen Landschaften von 1964. Im selben Jahr wurde Graf korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste in Ost-Berlin. So schreibt der Schriftsteller in einem Brief: „Die Heimat ist nur da, wo unsere Freunde sind. Ich merke das, je älter ich werde, immer mehr. Nach meiner ‚Heimat’ zieht mich höchstenfalls noch manchmal die vage Erinnerung an eine Landschaft; die Menschen und das ganze Getriebe dort entfernen sich von Tag zu Tag ganz in einen Nebel.”251 Somit ist der Wald in dieser Aufnahme das Bild einer verlorenen Heimat und Erinnerungslandschaft – und damit tatsächlicher Ausdruck des ‚inneren Waldes’. Während Moses seine Großen Deutschen im deutschen Wald fotografierte und seine Modelle damit in das kollektive Gedächtnis wiedereinschrieb, stapfen Anna und Bernhard Blume als lustiges und lustvoll wanderndes Ehepaar durch ein deutsches Waldszenario, das längst zum Kampf- und Schauplatz des Waldsterbens252 geworden ist. Als Kommentar zu ihrer 1982/83 entstandenen Großfoto-Serie Waldeslust schreiben Blumes: „So trotteten sie denn durch unseren deutschen Wald. Vertreter der Besinnungslosigkeit, das Auge fest auf’s Schöne gerichtet, derweil der Wald schon sauer wird und die Natur als innerliche Triebertötung im äußeren Desaster sichtbar wird.”253 Die Angst um den geliebten Wald durch den Sauren Regen führte in den 1980er Jahren zur Prägung des deutschen Begriffs „Waldsterben”, den man ins Englische und Französische übernahm, vermutlich da dieses Problem im eigenen Land nicht als gravierend wahrgenommen wurde.254 In ihrer mehrteiligen Serie (Abb. 60)

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60 — Anna und Bernhard Blume, Waldeslust, drei Fotografien aus sechsteiliger Sequenz, 1982–83

inszenieren sich Blumes als biedere Spaziergänger, die den Wald mit großen Schritten durchmessen, sich unter und auf Bäumen positionieren. Der sonntägliche Spaziergang, ein Relikt der gesellschaftlichen Segregation um 1800, als die Kleinbürger den werkfreien Tag zum Spaziergangstag machten und ihn damit von ihrem arbeitssamen Dasein entkoppelten255, wird bei Blumes zum performativen Akt. Die freizeitliche Waldnutzung als Waldspaziergang oder Waldwanderung, die sich in Deutschland in einem organisierten Vereinsleben Wald- und Wanderinteressierter ausdrückt,256 bildet die Folie für Blumes Waldserien. Als spießbürgerliches Paar, deren geschlechtliche Zuschreibungen oder Rollen sich in Kleidung, Mimik und Gestik artikulieren – Anna Blume als Hausfrau, Ehefrau und Spaziergängerin, Bernhard Blume als vitaler Wanderer –, agieren die Künstler in der Kulisse des Schwarzwaldes. Anna Blume im geblümten Kleid und mit Perücke wird von ihrem Mann Bernhard begleitet. Dieser trägt neben Halbglatze eine karierte Anzugsjacke und bisweilen auch die weiße Handtasche seiner Frau. Konsequent grinsen beide mit verzerrtem Gesicht in das Objektiv der Kamera, die von einem unsichtbar bleibenden Dritten geführt wird – vermutlich entstanden die Paarbilder mit Selbstauslöser. Die betont fröhliche Stimmung ruft private Bild- und Urlaubswelten auf mit ihren ins-

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zenierten Familienporträts vor Naturkulisse. Zugleich wird der Spaziergang damit als Vergnügen betont. Blumes Arbeit verweist auf den Wald als Ort der Rekreation und des Freizeitvergnügens, zu dem er spätestens seit dem 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung geworden war. Dabei dienten Wälder wie der Grunewald, der Schwarzwald oder der Thüringer Wald nicht nur als kleine Fluchten für nervöse Städter, sondern etablierten sich zu Tourismusgebieten, die auch aus weiter Entfernung die Urlauber anzogen. Im Jahr 1975 gewährte das Bundeswaldgesetz den Aufenthalt im Wald zu Zwecken der Rekreation: „Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist ausdrücklich gestattet.”257 Das Spazierengehen oder Wandern durch den Wald ist noch in der Gegenwart eine tradierte Freizeitpraxis. Dabei hat sich der Spaziergang erst seit Ende des 18. Jahrhunderts als Alltagshandlung etabliert und ging einher mit der moralischen Vorstellung der guten und ursprünglichen Natur, die als Antipode zur städtischen Umgebung des Bürgers begriffen wurde: erst der drohende Verlust motivierte das Sein und Blicken in der Landschaft. Dabei beeinflusste auch „die Entdeckung der Heimat als Ort der Identifikation und Verbundenheit” die Wahrnehmung von Landschaft als eine „Aneignung von Raum und Zeit im Sinne einer historischen Selbstvergewisserung”258. Mit ihrem Rollenspiel paraphrasieren Anna und Bernhard Blume in einem absurden Theater auch jene Projektionen auf den Wald, die ihn erst zu einem nationalen Symbol und Topos werden ließen. Dazu Bernhard Blume: „Die Waldaktion ist übrigens auch deshalb ein postromantisches Projekt und in dieser Fassung ein typisch deutsches Syndrom, weil DER WALD ebenso wie DAS WOHNZIMMER per se und symptomatisch deutsche Gemüts- und Seelenräume sind.”259 So sind die Allusionen auf die Märchenfiguren „Hänsel und Gretel” evident; als deren Alter Ego spazieren Blumes Hand in Hand durch einen immer dichter werdenden Wald. Die dunkle Natur ist hier Ort der Verlockung und Initiation als auch Erholungsraum. Deutlich wird die märchenhafte Referenz in Blumes Serie Hänsel und Gretel (1989 / 90): die Protagonisten verlieren darin die Kontrolle über den Wald, sie haben keinen Halt mehr, nur der Schrecken und das Erschrecken bleiben. Bei Blumes überkreuzen sich die national determinierten Seelenzustände mit zementierten Geschlechterkategorien und den auf sie projizierten Phantasien. So artikulieren sich beispielsweise in der Figur, die Anna Blume besetzt, in parodistischen Überzeichnungen die spastischen Körperbewegungen der „Hysterikerin”, die im Gewand der keuschen und „typisch beschränkten Hausfrau”260, wie die Künstlerin selbst es ausdrückt, daherkommt. Die Kleidung der Blumes loziert diese in den 1960er Jahren; biedere Kostüme und gedeckte Farben verweisen auf die bürgerliche Herkunft. Der in

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den sechziger Jahren noch verbreitete Hut ist in der Geschichte des Spaziergangs ein tradiertes Attribut des Mannes, das zur Ausübung des Grußrituals in der Öffentlichkeit, dem Hutziehen, benutzt wird.261 In den Ausstellungsinszenierungen werden die Großfotografien als mehrteilige Tableaus präsentiert, sodass der Eindruck eines dekonstruierten Waldes und einer Bilderzählung entsteht. Das Dickicht des Waldes, das viele Holz (dieses Wort wird aus diesem Material geformt präsentiert) verdrängt dabei die Protagonisten, überwuchert diese, sodass diese nur noch winzig klein auf Geäst sitzend erkennbar sind (Abb. 61). Diese Fotografie entstammt der Sequenz Im Hochschwarzwald (1985) und verweist auf einen der Lieblingswälder der Deutschen, der in den 1950er Jahren zu sehnsüchtigen Liedern animierte: „Schwarzwald, mein Schwarzwald, du bist ja so schön, ohne dich kann ich nimmermehr sein! [...] Schwarzwald, mein Schwarzwald, wer dich je gesehn, kann die Liebe zur Heimat verstehn!”262 In einer grotesken Umkehrung dieser Projektion auf den Schwarzwald als „schöne” Heimat

61 — Anna und Bernhard Blume, Auf der Schwarzwald-

wird der Wald bei den Blumes zu einem

höhe II, 1985, Fotografie aus zwölfteiliger Sequenz

zertrümmerten Geäst mit nur noch schwach begrünten Wipfeln – der Wald wird zum Trümmerfeld, dem die Wanderer, da sie nur sehen, was sie sehen möchten, mit bewährter Fröhlichkeit trotzen. In ihren Erinnerungen an einen Kurzurlaub im Schwarzwald beschreiben Blumes die Kluft zwischen wahrhaftigem Erleben und den Imaginationen wie Projektionen: „Im Sommer 85 machten wir Kurzurlaub am Mummelsee, schön

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62 — Anna und Bernhard Blume, Metaphysik ist Männersache, Fotografie aus der Serie Im Wald, 1990 63 — Anna und Bernhard Blume, Kontakt mit Bäumen, 1987, Fotografie aus vierteiliger Sequenz

gelegen an der Schwarzwaldhochstraße. Die uralten Schwarzwaldtannen sind natürlich durch den sauren Regen angekränkelt, aber gut erholt haben wir uns trotzdem, und beim Spazierengehen fällt es nicht weiter auf und im Erinnerungsfoto ist nichts davon zu sehen.”263 Einige der an Urlaubsfotografien orientierten Aufnahmen zeigen die Blumes in der Optik von Geisterfotografien (Abb. 62): ihre Konturen verschwimmen, verzweifelt klammern sie sich an Baumstämme, werden von diesen durch den Raum geschleudert, taumeln und fliegen mit erschrockenen Gesichtern durch das Dunkel des Waldes. Die verwischten Konturen geben den Fotografien eine mysteriöse Anmutung, die wie von

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Geisterhand gemacht sind – der Wald ist ein Ort, an dem Wundersames geschieht. In ihm brechen sich das Unbewusste und das Unterbewusste Bahn, die Angst deutscher Spießbürgerlichkeit um Kontrollverlust ist nicht mehr zu unterdrücken. Das enthemmte Ego und die unterdrückte, nunmehr befreite Sexualität gewinnt die Oberhand, das Paar gerät außer Rand und Band. Der Wald wird zum Ort einer entfesselten Libido264, ebenso wie er in einem frühen Text (1974) Bernhard Blumes ein Gegenstand von Heilserwartungen ist. Im Kontakt mit Bäumen, speziell mit deutschen Eichen, beschreibt Blume, wie er diese Pflanzen stundenlang umfasst und umarmt. In Folge gesundet der Künstler, fühlt Energie in sich strömen. Zudem empfiehlt er die Lektüre der „Gedichte von Eichendorff oder einem anderen Romantiker”265 und parodierte dabei all jene Erwartungen an den deutschen Wald als Stimmungs- und Seelenwald, indem sich „quasi-sakrale Dinge”266 abspielen. Jahre später griffen Blumes in ihrer Fotosequenz Kontakt mit Bäumen (1987, Abb. 63) diese Reflexionen auf. Blume umfasst darin in inniger Umklammerung einen Stamm, den Boden hat er unter den Füßen verloren und scheint zu schweben. Das Gesicht unter dem Filzhut ist eng an die Baumrinde gepresst, der heimatliche Baum, die Heimat selbst, wird festgehalten und sich in einem Akt der „Selbstverholzung”267 angeeignet. Die Absurdität der Szenerie treibt dem Wald den eigenen schweren Mythos aus, der auch noch in den ökologischen und spirituellen Aktionen eines Joseph Beuys zentral bedeutsam war, mit dem die Blumes übrigens gut bekannt waren und zusammenarbeiteten.268 Beuys’ Aktion 7000 Eichen für die Kasseler documenta 7 von 1982 sah die Pflanzung und „Verwaldung” des Stadtraumes vor. Jedem neu gepflanzten Baum wurde eine Basaltstele zur Seite gestellt; der ökologische Impetus erhielt durch die Wahl des Materials (Basalt als Urgestein, jedoch auch als Gegenstand des sogenannten „Basaltstreites”269 um 1800) und der titelgebenden Baumart (Eiche) eine zutiefst symbolische Bedeutung.270 Beuys selbst verwies auf die mythische Verankerung der gleichermaßen gesellschaftspolitischen wie archaischen Aktion: „Ich denke, der Baum ist ein Element der Regeneration, welches in sich selbst ein Konzept der Zeit ist. Die Eiche ist besonders so, weil sie ein langsam wachsender Baum ist mit einer Art von wirklich dauerhaftem Herzholz. Sie war immer eine Form der Skulptur, ein Symbol für diesen Planeten von jeher, seit den Druiden, die nach der Eiche benannt sind. Druide bedeutet Eiche. Sie benutzten ihre Eichen, um ihre heiligen Plätze zu bezeichnen. Ich kann solch einen Gebrauch für die Zukunft sehen [....]. So werden ‚7000 Eichen’ ein sehr stark sichtbares Ergebnis in 300 Jahren sein.”271 In der Gestalt der Eiche und des Basaltsteines repräsentieren sich in dieser Deutung Überzeitlichkeit; der gepflanzte Baum wird zur Konstanten, die in sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint und zur Identifikationsfigur der Bewohner werden kann. Zugleich provoziert Beuys’ Aktion unweigerlich die Frage

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nach der nationalen Vereinnahmung und Ideologisierung der Eiche als Symbol der Deutschen oder deutscher Heimat. So waren die Kriegerdenkmäler im deutschen Kaiserreich und nach dem Ersten Weltkrieg mit Eichenlaub dekoriert – 1926 schrieb Theodor Lessing in seinem Mitte der zwanziger Jahre publizierten Essay Deutsche Bäume: „Wenn man von Deutschland spricht, so denkt man an die Eichen. Ich wüßte auch kein Natursymbol, darin ich so unmittelbar das Wesen deutscher Erde fände.”272 Im Nationalsozialismus wurden „Hitler-Eichen” gepflanzt, und auch in der Bundesrepublik zierte das Eichenblatt die 10-Pfennig-Münze.273 Die Allusion auf diese nationalen Ikonographien ist in Beuys’ Aktion durchaus enthalten, wobei das Projekt den Baum als „Hoffnungsinvestition”274 auf eine übernationale, spirituelle Ebene heben sollte. Dennoch überlebt noch immer ein Rest nationaler Konnotation in Beuys’ kultisch inszenierten Eichen, die dieser als dezidiert „eingeborenen Baum”275 bezeichnet. Nicht umsonst erinnert die Kombination von Basaltsteinen und Eichenbaum an romantische Bildfindungen wie Caspar David Friedrichs Hünengrab im Schnee (1807), das drei Eichen um ein steinernes Hünengrab zeigt. 276

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Heimaten in Bewegung Besonders in der Romantik wurde Heimat als Sehnsuchtsmetapher entorteter und entwurzelter Poeten ein Topos, das das eigene In-der-Ferne-sein mit den zeitpolitischen Umständen – einer zunehmenden Nationalisierung angesichts der Besetzung durch napoleonische Truppen – zusammenführte. Erst aus der Ferne und angesichts der Befreiungskämpfe wurde, so scheint es, die Heimat als solche erkannt. Den Begriff des Heimwehs übernahmen die Dichter der Romantik aus der medizinischen Fachliteratur, wo er für ein seelisch-körperliches Leiden aufgrund von Trennung von der gewohnten Umwelt stand.277 Dieses Displacement als Lebensgefühl ist eine Konstante nicht nur in der stereotypen Zuschreibung an Künstler als ewig Ungebundene und vagabundierende Outlaws sondern zugleich ein starkes Bild der Moderne als transnationale und die Gattungen durchkreuzende Bewegung. Diese Ortlosigkeit als Verlust von Heimat ist im 20. Jahrhundert und der Gegenwart jedoch auch eine starke politische Grundfigur, die Folge von Kriegen, Verfolgungen und prekärer Lebenssituationen ist. Das Displacement als jenseits der Heimat und als ‚unsichtbare Empfindung’ lässt sich übersetzen und damit materialisieren in Objekten und Bildern. Eva Leitolfs verstörende Serie Postcards from Europe ist ein fotografisches Archiv von Orten, die in Zusammenhang mit der europäischen Flüchtlingspolitik stehen. Die Fotografin widmet sich den hermetischen Außengrenzen der Europäischen Union und den Ereignissen, die sich an Grenzübergängen manifestieren oder materialisieren, den verschiedenen Orten, an denen sich Illegale aufhalten – und doch unsichtbar bleiben. Ein zunächst verträumt anmutender Picknickpark in Melilla (Abb. 64) gibt den Blick auf ein Stück Stahlzaun frei, das der Abwehr potentieller Einwanderer an der spanisch-marokkanischen Grenze dient. Dieser Zaun ist die Verbindung zwischen dem Paradies(-Garten) und der Flüchtlingshölle auf der anderen Seite der Grenzanlage. Leitolfs Fotografien, die eben nicht die Flüchtlinge selbst und ihr Elend zeigen, sondern vielmehr ihre Unsichtbarkeit thematisieren, widmen sich den für politische Flüchtlinge unüberwindbaren Grenzen zwischen Heimat, die aus politischen oder ökonomischen Gründen verlassen werden möchte, und der Fremde, die für die meisten unerreichbar bleibt – sei es, dass

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PfE0135-ES-080109 Picknickpark Rostrogordo, spanisch-marokkanische Grenze, Melilla 2009 Melilla, eine von Spanien 1497 eroberte Stadt an der Mittelmeerküste Marokkos, wird, wie auch die Stadt Ceuta, seit 1956 von Marokko beansprucht und verfügt seit 1995 als spanische Exklave über ein Autonomiestatut. Zum Schutz vor undokumentierter Einwanderung wird ab 1999 mit Unterstützung der Europäischen Union um die Stadt eine 11 Kilometer lange Grenzanlage mit drei bis zu sechs Meter hohen Zäunen, sogenannten Stacheldrahtkissen, Bewegungsmeldern, Infrarotkameras und Wachtürmen errichtet. Tagesschau, 28.8.2000; Der Tagesspiegel, 24.6.2008

Rostrogordo Picnic Park, Spanish-Moroccan Border, Melilla 2009 The North African city of Melilla has been a Spanish possession since 1497. Morocco declared its claim to Melilla and the second Spanish exclave, Ceuta, as soon as it became independent from Spain in 1956. With the support of the European Union, the eleven kilometres of border defences have been repeatedly upgraded to repel unauthorised immigration. Three parallel fences up to six metres high are topped with rolls of razor wire and monitored by movement sensors, infrared cameras and watchtowers. Tagesschau, 28 August 2000; Der Tagesspiegel, 24 June 2008

Eva Leitolf, Postcards from Europe, work from the ongoing archive

64 — Eva Leitolf, PfE0135-ES-080109, Picknickpark Rostrogordo, spanisch-marokkanische Grenze,

Melilla 2009, aus: Postcards from Europe. Offenes Archiv aus Fotografien und Texten, seit 2006

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PfE0238-ES-190109 Playa de los Lances, Tarifa, Spanien 2009 In einem schweren Sturm am 1. November 1988 sinkt ein Boot mit 23 marokkanischen Einwanderern bei Tarifa. Am Strand Los Lances werden zehn Ertrunkene angespült. Vier Menschen überleben, neun bleiben verschwunden. Am 15. September 1997 sinkt ein Boot mit über 30 Personen in der Nähe von Tarifa. Am Strand Los Lances werden 14 Leichen gefunden. Sechs Migranten überleben, eine unbestimmte Anzahl von Menschen bleibt vermisst. El País, 2.11.1988 und 16.9.1997; Diario de León, 9.10.2002

Playa de los Lances, Tarifa, Spain 2009 A boat carrying twenty-three undocumented Moroccan immigrants went down off Tarifa during a severe storm on 1 November 1988. The bodies of ten who drowned were washed up on the beach. Nine were never found and there were four survivors. A vessel with more than thirty people on board sank near Tarifa on 15 September 1997. Six passengers survived, fourteen corpses were found on the Playa de los Lances and an unknown number were lost at sea. El País, 2 November 1988 and 16 September 1997; Diario de León, 9 October 2002

Eva Leitolf, Postcards from Europe, work from the ongoing archive

65 — Eva Leitolf, PfE0238-ES-190109, Playa de los Lances, Tarifa, Spanien 2009, aus:

Postcards from Europe. Offenes Archiv aus Fotografien und Texten, seit 2006

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sie diese Grenzposten nicht überwinden können, oder aber auf den gefährlichen Reisen ums Leben kommen. Leitolfs Fotografie des Palaya de los Lances auf Tarifa (2009, Abb. 65) zeigt einen Tatort, der für die vielen gescheiterten Fluchtversuche und Grenzübertritte steht. An diesen Strand wurden 1988 zehn Ertrunkene und marokkanische Staatsbürger angespült, deren Boot bei schwerem Sturm gesunken war. 1997 wiederholte sich das Gesche66 — Reisepass des 1935 nach England emigrierten

deutschsprachigen Bildhauers Jussuf Abbo (1888–1953)

hen, da erneut ein Flüchtlingsboot in der Nähe Tarifas gesunken war.278 Leitolfs Aufnahme eines zunächst unschuldigen

Strandabschnittes wird, beladen durch diese Information, zu einem politisch kontaminierten Ort. Die vom Wind zerrissene Coca-Cola-Fahne im Vordergrund steht für die Erosion eines von Tourismus und Konsum geprägten, unbefangenen Strandlebens. Tarifa sowie die italienische Insel Lampedusa symbolisieren die Koexistenz von Tourismus und Migration sowie die disparaten Bedeutungen von Grenzlinien: Während das Schengener Abkommen die innereuropäischen Übergänge durchlässiger werden ließ, haben sich die harten Grenzen an den Außenrand verlagert. Die zunehmenden Reiseerleichterungen von EU-Bürgern gehen mit einer verschärften Flüchtlingspolitik einher, die irregulären Migranten die Einreise auf europäisches Terrain erschwert.279 Für legal Reisende ist der Reisepass das wohl wichtigste Dokument zum Grenzübertritt und steht fast zeichen- und symbolhaft für Migration überhaupt – auch hier in dem Dokument des Künstlers und Emigranten Jussuf Abbo, der auf seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland einen ägyptischen Pass mit sich führte (Abb. 66).280 Der Pass etablierte sich erst im Zeichen einer zunehmenden Mobilisierung von Gesellschaft seit der Neuzeit: „Das Wachstum der Städte, schließlich die Bevölkerungsexplosion und die anschließende Massenmigration des 19. Jahrhunderts schufen eine ‚society of strangers’. Diese Gesellschaft der Fremden, in der sich die Menschen als Unbekannte begegneten, machte moderne Identifikationstechniken notwendig.”281

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Als starkes, wiederkehrendes Symbol für Migration und als künstlerisch transformiertes Objekt identifizierte Irit Rogoff in ihrer Studie „terra infirma” vor allem den Koffer: „Like many other important terms such as ‚exile’, ‚diaspora’, ‚migration’ or ‚hybridity’, the suitcase has become the signifier of mobility, displacement, duality and the overwrought emotional climates in which these circulate.”282 Während der Koffer in der ­Geschichte der Emigration und Migration häufig für Heimatlo-

67 — Marcel Duchamp, From or by Marcel Duchamp or Rrose

sigkeit und das Entwurzeltsein

sélavy / The Box in a Valise / De ou par Marcel Duchamp ou

steht, kann das Gepäckstück

Rrose Sélavy / La Boîte-en-valise / Von und durch Marcel Duchamp

in einer künstlerischen Aneig-

oder Rrose Sélavy / Die Schachtel im Koffer, 1941, Pappschachtel

nung und im übertragenen

mit Miniaturrepliken und Farbreproduktionen, 39 x 35 x 8 cm,

Sinne für Ideen, Theorien und Konzepte in Bewegung stehen –

Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. 19315 Gr

wobei sich bisweilen beide Implikationen überlagern, wie das Beispiel Marcel Duchamps zeigt. Duchamp gehörte zu einer ganzen Zahl französischer Künstler, die auf der Flucht vor den nationalsozialistischen Truppen um 1940 nach New York emigrierten. Anders als viele seiner Kollegen hatte der Künstler jedoch bereits zuvor intensivere Kontakte in die USA; so ebnete ihm sein Erfolg in der Armory Show 1913 in New York seinen Weg. Eng mit seiner Emigration verknüpft ist Duchamps zentrale Arbeit Boîte-en-Valise (1941), da das Werk als Ausdruck einer konzeptuellen Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Produktion in historisch instabilen Zeiten lesbar ist. Bereits 1935 befasste sich der Künstler mit Überlegungen zur Katalogisierung und Komprimierung des eigenen Œuvres und entschied sich gegen ein Werkverzeichnis in Buchform. Stattdessen ließ er eine Schachtel in einem Koffer anfertigen (Abb. 67), in die er 69 Reproduktionen seiner Arbeiten in Miniaturform integrierte. Im Jahr 1942, als Duchamp den europäischen Kontinent verließ und nach New York emigrierte, konnte er die Boîte mit sich führen, die zahlreiche Schlüsselwerke seines Schaffens abbildete. Da der Transport von Gepäckstücken

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­wesentliches Merkmal von Auswanderung ist und vor allem der Koffer in der Rezeption zum „Metasymbol von Migration und Mobilität”283 avancierte, kann Duchamps künstlerischer Valise eine zeichenhafte Bedeutung zugeschrieben werden. Denn der Künstler führte nicht nur kleine Nachbildungen seiner originalen Werke mit sich, sondern transportierte ein Konzentrat seiner Ideen, die eben nicht ortsgebunden sind: „Alles Wichtige, was ich getan habe, kann in einen kleinen Koffer gepackt werden.”284 In Adaption der von Tilmann Habermas beschriebenen, an ihren Besitzer gebundenen, „geliebten Dinge”285, ließe sich bei Duchamp eher von „geliebten Ideen oder Theorien” sprechen, die der Künstler in ihrer Verdinglichung als Reproduktion in die Emigration mitführen konnte. Dieser Koffer war Duchamps Archiv in Zeiten von Instabilität und Mobilität, eine „Dokumentation seines Schaffens, die er bei seiner Emigration 1942 nach Amerika leicht transportieren, zeigen und verbreiten konnte”278. Duchamps Koffer beeinflusste konzeptuell arbeitende Künstler der 1960er und 1970er Jahre, die ebenfalls eigene Gepäckstücke entwarfen. Die seit 1964 entstehenden FLUXKITs versammelten verschiedene Beiträge von Fluxus-Künstlern wie George Maciunas, George Brecht und Nam June Paik in einem handlichen Koffer. Die in kleine Fächer unterteilten mobilen Boxen, die auch Assoziationen an den Koffer eines Handlungsreisenden aufrufen, enthalten dreidimensionale Objekte und grafisches Material, das mit einem Namensschild versehen den jeweiligen Künstler repräsentiert. Diese ­„Enzyklopädie der FLUXUS-Kunst”287 hatte einen institutionskritischen Impetus und bot zudem einen dinglichen Rahmen für das Künstlerkollektiv. Dabei ist die Koffermetapher nicht nur Ausdruck der transnationalen Zusammensetzung der beteiligten Künstler, sondern hat partizipatorischen Charakter. Der Besitzer des FLUXKIT kann seinen „Bausatz” mit sich führen und die einzelnen Werke beim Auspacken in immer wieder neue Relationen zueinander setzen. Beweglichkeit wird hier auf verschiedenen Ebenen übersetzt. Zu Fluxus gehörte zumindest zeitweise der französische Künstler Robert Filliou, für den geografische Entgrenzung ein Wesensmerkmal seiner künstlerischen Arbeit wie auch seines Daseins war. Im Zweiten Weltkrieg aktiv in der kommunistischen Résistance gegen die deutschen Besatzer, wohnte Filliou nach 1945 in den USA, wurde später im Auftrag der Vereinten Nationen nach Japan und Korea entsandt und lebte in Ägypten, Spanien und Dänemark, bis er 1959 erneut nach Frankreich zurückkehrte.288 Diese biografischen Details sind nicht unwichtig, da Filliou im Jahr 1971 seine Territory of the Genial Republic gründete, die jenseits staatlicher Zugehörigkeiten auf eine ideelle Gemeinschaft zielte und die Unabhängigkeit des forschenden und fragenden Individuums betonte – nach Filliou „You’re your own territory”289. So richtete Filliou beispielsweise am Stedelijk Museum in Amsterdam einen Ausstellungsraum als Territorium der Genialen Republik ein, an dessen Gestaltung die Besucher mitwirken konnten.290

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Operationeller und beweglicher Ausgangspunkt seiner Forschungen war Filliou ein Anfang der 1970er Jahre erworbener VW-Bus, der markierte, dass die Geniale Republik weniger an einen festen Ort als vielmehr an das Denken und Handeln seiner Bürger gebunden sein sollte. In der Selbstbeschreibung griff Filliou auf den Begriff des Vagabunden und Reisenden zurück: „Le vagabond de l’art est toujours en voyage”291, damit korrespondierend bediente sich der Künstler in seinen konzeptuel-

68 — Robert Filliou, La Valise. Research in Dynamics and

len, installativen und skulptura-

Comparative Statics, 1973, Privatsammlung, Neuss

len Arbeiten immer wieder Rhetoriken der Mobilität, des Temporären und des Transports. So begegnet neben dem Hotelkleiderbügel (I comme dans Poisson, 1961) und der Schachtel auch das Motiv des Koffers. Fillious La Valise – Research in Dynamics and Comparative Statics (Abb. 68) ist ein Holz­ koffer, an dem zwei Metallverschlüsse, Drahtbügel statt Koffergriff und Aufkleber sowie Zettelanhänger angebracht sind. Dass Fillious Koffer sicherlich auch eine Referenz auf Duchamp ist, zeigt sich an anderen, auf den Künstler verweisen-

69 — Robert Filliou, Permanent Creation – Tool Shed, 1984–87,

den Arbeiten wie For Duchamp

Bauwagen mit Neoninstallation, Skulptur Projekte Münster 1987

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70 — Andrea Zittel, A–Z Escape Vehicle Owned

and Customized by Dean Valentine, 1996, Shell: steel, insulation, wood, and glass; interior: metal, wood, glass, paint, television, wiring, and various objects, 60 x 40 x 84 inches (152 x 102 x 213 cm), ARG #: ZA1996-007, Collection of Dean Valentine and Amy Adelson, Los Angeles, © Andrea Zittel, Image courtesy Andrea Rosen Gallery, New York

(1969) oder Frozen Exhibition (1972). Die in Fillious Valise verwahrten Manuskripte, Konzepte und eine besprochene Tonbandkassette mit der „Geflüsterten Kunstgeschichte” artikulieren erneut den Gedanken portabler Ideen und Theorien: „Der Koffer ist ein notwendiges, unverzichtbares Utensil in Fillious Leben. Er artikuliert seine Mobilität, die oft mangels sozialer Absicherung den Charakter des Vagabundierens besaß, die ihn aber zum Kosmopoliten werden ließ. [...] Letztendlich signalisiert der Koffer auch die Nichtseßhaftigkeit der Gedanken ...”292 Filliou brachte in seinen Arbeiten das körperliche und ideelle Nomadieren mit einer andauernden Beweglichkeit des Denkens zusammen, das darauf zielte, scheinbare Gewissheiten, wie eben den Kanon der Kunstgeschichte, in Frage zu stellen. Hier finden sich Übereinstimmungen zu Theorien des Nomadismus bei Gilles Deleuze und Félix Guattari, die das nomadische Denken wie Handeln als Deterritorialisierung und Entgrenzung und damit als produktive Destabilisierung von Strukturen verstanden.293 Für Robert Filliou waren (kindliche) Unschuld und Neugier („Innocence”)

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und Vorstellungskraft („Imagination”) wesentliche Parameter eines befreienden ­Denkens. Diese beiden Begriffe wurden vom Künstler in Neonschriftzügen umgesetzt und in einem Tool Shed genannten Arbeitsraum (1969) installiert. Dieser Permanent Creation Tool Shed erlebte eine mobile Neuformulierung in der Form eines Bauwagens (Abb. 69), den Filliou anlässlich der Skulptur Projekte Münster 1987 im Stadtraum vor dem Museum für Archäologie parkte. Die A-Z Escape Vehicles (Abb. 70) der amerikanischen Künstlerin Andrea Zittel sind Fillious Tool Shed verwandte, transportable kleine Wohneinheiten, die von ihren Besitzern individuell ausgestattet werden können. In ihrer Form ähneln die Objekte klassischen Wohnwagen und wurden auch von der auf Campingwagen spezialisierten, kalifornischen Firma, Callen Camper, hergestellt; Zittel beschreibt, dass sie sich ursprünglich an deutschen Modellen orientierte, die sie während eines DAAD-Aufenthaltes in Berlin sah: „Später entwickelte sich ihre Struktur und Formensprache weiter und bekam einen stärkeren südkalifornischen Einschlag, als ich von Deutschland nach Südkalifornien reiste.”294 Dennoch sind sie – im Gegensatz zur 1995 entstandenen A-Z Travel Trailer Unit – explizit ohne Räder konzipiert. Sie können in verschiedene Räume transportiert und dort für eine nicht bestimmte Dauer abgelegt werden. Ihren Nutzern bieten sie dabei jedoch Möglichkeiten der geistigen Flucht und des imaginären Reisens; sie behaupten für sich ein eigenes abgeschlossenes Territorium innerhalb des Ausstellungskontextes. Beim Eintritt in den Rückzugsort der „Escape Vehicles” verlassen die Besucherinnen und Besucher den Ausstellungsraum und begeben sich in einen autonomen Imaginationsraum. Die A-Z Escape Vehicles aus rostfreiem Stahl zeigte Zittel unter anderem auf der documenta X in Kassel (1997). Der Titel der zwischen Skulptur und Design oszillierenden Arbeit impliziert die Frage nach der Fluchtrichtung oder den Motor für den zitierten „Eskapismus”. In der Werkserie These things I Know For sure (2005) stellt die Künstlerin das Postulat auf: „We are most happy when we are moving forwards towards something that is not yet attained.” Bewegung kann demnach ein zielloses Umherstreifen sein. Zittel fährt allerdings fort: „... we are happier in a car because we are moving forward towards an identifiable and attainable goal.”295 Der Plakatentwurf (Abb. 71), auf den diese Reflexionen geschrieben sind, zeigt den Blick durch eine Windschutzscheibe auf eine einsame, karge, vermutlich us-amerikanische Landstraße. Die Reise als „permanent tourism”296 erscheint in Zittels künstlerischer Übersetzung als eine Möglichkeit des Kenntnis- und Erkenntnisgewinns – wobei das Ende der Straße im Schatten liegt. Ausgangspunkt für Zittels A-Z Escape Vehicles waren multifunktionale Wohneinheiten, die sie Anfang der 1990er Jahre zunächst für ihr erstes New Yorker Wohnatelier konzipierte und die wesentliche Bereiche ihres Lebens und Wirkens zusammenführten: Arbeit- und Schlafzimmer, Küche und Bad, Wohn- und Ankleidebereich. Diesem für

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71 — Andrea Zittel, Prototype for Billboard at A–Z West: ‘These Things I Know for Sure #14, 2005, Flashe

and polyurethane varnish on birch plywood, 41 x 71 inches (104,14 x 180,34 cm), ARG# ZA2005-011, © Andrea Zittel. Image courtesy Andrea Rosen Gallery, New York

einen konkreten Ort und Zittels spezifische Bedürfnisse fokussierten Entwurf folgte die serielle Produktion anderer A-Z Living Units (Abb. 72), die als „Mitnahmelebenseinheiten” gestaltet waren und auf die beengten Lebensräume insbesondere von Großstädten reagierten: „Einem alten großen Reisekoffer vergleichbar, in dessen Fächern sich eine Waschgelegenheit oder ein komplettes Teeservice mit Kochgelegenheit unterbringen ließ und der dem Reisenden allen gewohnten Komfort in der Fremde bieten wollte, konstruiert A-Z die ‚Living Units’ um die zentralen Alltäglichkeiten des Lebens.”297 Die Metapher des Reisekoffers verdeutlicht, dass die Wohneinheiten Zittels von Anbeginn auf Beweglichkeit und Ortsveränderung ausgerichtet waren. Wohnen wird hier nicht als an einen spezifischen Ort fixiert begriffen, sondern vielmehr als veränderlich aufgefasst; die Rationalisierung des Lebens auf einen reduzierten Wohngegenstand, der die Bedürfnisse des Menschen auf einen komprimierten Raum konzentriert, schafft Freiheiten der Mobilität. Dass die Lebens- oder Wohneinheiten Zittels im nächsten Schritt unweigerlich in die Form des Wohnwagens übertraten, erscheint als logische Konsequenz –

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72 — Andrea Zittel, A to Z 1994

Living Unit Customized for Eileen and Peter Norton, 1994, Steel, wood, paint, mattress, glass, mirror, lighting fixture, upholstery, Closed: 36 3 / 4 x 84 x 82 inches (93,3 x 213,4 x 96,5 cm), Open: 57 x 84 x 82 inches (144,8 x 213,4 x 208,3 cm), ARG# ZA 1994-038, © Andrea Zittel. Image courtesy Andrea Rosen Gallery, New York

eine Entwicklung, die ähnlich in der Geschichte des Wohnzimmers beobachtet werden kann: „Vor allem aber expandiert das Wohnzimmer nach außen: [...] mit dem Wohnwagen wird ein oft intakt gehaltenes Interieur mobil.”298 Obgleich Andrea Zittel wie zuvor schon Robert Filliou Bewegung und räumliche Übergänge ins Zentrum ihrer Arbeiten stellen, ist Heimat als Ort oder Territorium dennoch weiterhin als Kategorie vorhanden. Dabei liegt jedoch ein veränderter Heimatbegriff zugrunde, der weniger das Verwurzeltsein an einem Ort meint. Vielmehr sind Raum und Zeit gleichermaßen prozessuale Größen, sind veränderbar und erneuerbar. Während sowohl Zittel als auch Filliou das Leben in Bewegung mit dem Erforschen verbinden – bei Zittel werden Möglichkeiten der Reduktion und Rationalisierung des Wohnens erkundet, bei Filliou ist der Wohnwagen ein Agent der künstlerischen Kreativität – verhandeln andere Positionen die Mobilität als Entwurzelung. Die in Südkorea geborene und in den USA lebende Künstlerin Kimsooja, die in ihrem Œuvre seit den 1980er Jahren Themen wie Gender, Identität und Globalisierung verhandelt, produziert seit 1991 ihre sogenannten Bottari (Abb. 73). Diese traditionsreichen Bündel, die in Korea zum Aufbewahren und Transport von Gegenständen, teilweise auch des gesamten Hab und Guts, verwendet werden, verweisen damit einerseits auf eine kulturelle Verwurzelung in althergebrachten Sitten und Traditionen, ­anderseits ist dem Bündel – auch kulturübergreifend – das Moment des Wanderns und

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73 — Kimsooja, Deductive

Object, 1994, site specific Bottari installation, Yangdong Village, Kyungju, Courtesy of Kewening Gallery, Berlin and Kimsooja Studio

(Aus-)Reisens inhärent. So heißt es über das Bündel der Gesellen auf der Walz, den „Charlottenburger”: „Im ‚Charlie’ trägt der Geselle auf der Wanderschaft seine Habseligkeiten. Nicht umsonst ist ‚sein Bündel schnüren’ ein Synonym für Weggehen.”299 Da die koreanischen „Bottari” auch in ihrer ursprünglichen Verwendung oftmals recyclte Kleidungsstücke sind, haftet ihnen stets Erinnerung sowie ein Verweis auf die ehemaligen Träger, ihre Körper und Biografien an. Symbolhaft verweisen Kimsoojas Bottari auf die Migrantin oder den Migranten, die ihre Besitztümer sowie die eigenen Erinnerungen und Traditionen bei sich tragen, von Ort zu Ort wandern: „Promoted from implement to art-object and presented in a museum, Kim‘s bundles become symbols of the restive or restless, the stateless, uprooted, and uninvited, of the stranger or foreigner.”300 In den internationalen Ausstellungskontexten, in denen Kimsooja ihre Bottari präsentiert, werden diese Transportmittel zumindest zeitweilig abgelegt, entfalten dialogische Kraft in immer neuen Kontexten, um dann erneut mitgeführt zu werden. Damit werden auch über dieses Werk hinaus Reflexionen über wandernde Ideen, Kunstgegenstände und Künstler ausgelöst, die grenzübergreifend präsent sind, auf Wechselausstellungen weltweit und in internationalen Kontexten zu sehen sind, um für eine begrenzte Dauer wieder an ihren Ursprungsorten (bei Kunstwerken das Museum oder die private Sammlung, bei Künstlern das Atelier oder die Wohnung) zurückzukehren. Weitergeführt werden diese Reflexionen im Bottari Truck, einem Laster, der über und über mit bunten Bündeln beladen ist, und mit dem die Künstlerin 1997 für ihre Videoperformance Cities on the Move – 2.727 Kilometers Bottari Truck elf Tage durch

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74 — Kimsooja, Bottari Truck,

2000, 2,5 ton truck stacked with Bottaris, Courtesy of Plateau, Samsung Museum of Art, Seoul, Kukje Gallery and Kimsooja Studio

Korea fuhr. Sie selbst thront auf den „Bottari”, ist zugleich Subjekt und transportiertes Objekt, und, wie in vielen ihrer Arbeiten, aufrecht sitzend in Rückenansicht zu sehen. Kimsooja erkundete Orte, mit denen sie persönliche Erinnerungen verbanden, die durch das neuerliche Aufsuchen von ihr und den mitgeführten Bündeln förmlich aufgesogen werden.301 Der Bottari Truck erscheint nicht nur im Video, sondern wird von der Künstlerin als mobile Skulptur ausgestellt – beispielsweise als Bottari Truck in Exile / dAPERTutto auf der Biennale in Venedig 1999 oder wenig später im Samsung Museum in Seoul (Abb. 74). So wie sich im Staub auf den Transportern und dem Dreck auf den Reifen die Spuren der verschiedenen Orte, die von der Künstlerin passiert wurden, abgelagert haben, so ist den bunten Stoffbündeln einerseits die ursprüngliche Nutzung als Gepäckstück inhärent. Andererseits sind die Bottari auch Erinnerungs­ speicher für Gesehenes und Erlebtes. Im beladenen Gefährt, das im Kunstraum zum Exponat wird, begegnen sich verschiedene globale Räume und Zeiten, die Vergangenheit und Gegenwart. Damit ließe sich für den Truck jene Beschreibung formulieren, die Flusser für den Wohnwagen entwickelte: „Ein Wohnwagen ist ein Haus auf Rädern. Häuser sind Orte, und die Zeit rollt über ihnen und durch sie. Zum Beispiel werden sie Schatten je nach dem Stand der Sonne. Räder sind Instrumente, dank denen der Raum durch die Zeit rollt.”302 Als Fahrzeug verweist der Truck darauf, dass die Reise weitergehen kann und eröffnet Perspektiven auf eine noch unbekannte Zukunft. Der Bottari Truck vereint auf diese Weise sowohl Herkunftsheimat als auch den Transit als Daseinsform.

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Heimatlos – Orte des Übergangs Flughäfen, Bahnhöfe, Wartesäle sind Orte, an denen sich nur schwerlich individuelle Spuren ablagern können. Sie sind Ausdruck einer transitorischen Existenz, für viele Ausgang oder Ziel einer Reise, Orte des Übergangs, die nicht für einen dauerhaften Aufenthalt geeignet sind. Nicht umsonst konzentriert sich das Thema der frühen Arbeitsmigration nach Deutschland beharrlich in Bildern der Hauptbahnhöfe, an denen viele Einwanderer erstmals bundesdeutschen Boden betraten. Die Sonderzüge mit „Gastarbeitern” aus Italien, Griechenland, der Türkei und Jugoslawien endeten in den 1960er Jahren auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs, von wo sie zu ihren Arbeitgebern im gesamten Bundesgebiet weiter verteilt wurden.303 Zeitgenössische Fotografien zeigen die erschöpften, ängstlichen oder hoffnungsfrohen Menschen, die gerade den Zügen entstiegen waren (Abb. 75). Marc Augé bezeichnet Bahnhöfe als „Nicht-Orte” (Non-Lieux), an denen sich keine relationale Verbundenheit von Menschen ausprägen kann. An diesen Nicht-Orten treffen sich die Wege vieler Menschen, ohne dass sie unweigerlich tatsächlich in Beziehung zueinander stehen. Augé nennt die Nicht-Orte „das Maß unserer Zeit, ein Maß, das sich quantifizieren lässt und das man nehmen könnte, indem man – mit gewissen Umrechnungen zwischen Fläche, Volumen und Abstand – die Summe bildete aus den mobilen Behausungen, die man als ‚Verkehrsmittel’ bezeichnet (Flugzeuge, Eisenbahnen, Automobile), den Flughäfen, Bahnhöfen und Raumstationen, den großen Hotelketten, den Freizeitparks, den Einkaufszentren ...”304 Obgleich sich moderne Transportmittel und ihre Ankunfts- oder Abfahrtsorte eigentlich wenig mit Begriffen wie Heim oder Heimat assoziieren lassen, sind insbesondere Bahnhöfe nicht selten Anziehungspunkte für Marginalisierte oder Minoritäten, darunter auch Kumulationsort für Migranten, wie Aufnahmen von Candida Höfer aus Köln und Düsseldorf der 1970er Jahre sichtbar werden lassen. Der deutschtürkische Schriftsteller Aras Ören beschreibt in seinem Gedicht Bahnhoflar, eine Adaption des deutschen „Bahnhofs” ins Türkische, die zentrale soziale Bedeutung dieses Ortes: „Wo sind / auf Bahnhöfen Pauken und Trompeten? / Sie spielen nicht / sind nicht da. / Oberflächlich gesehen: Landsleute umarmen, / von Einkauf und Teuerung, von Lohn

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75 — Felicitas Timpe, Hauptbahnhof München, Ankunft türkischer Gastarbeiter, 1964, Bayerische Staats-

bibliothek München, Bildarchiv 76 — Candida Höfer, Hauptbahnhof Düsseldorf, 1975, aus der Serie Türken in Deutschland, 1979

und Verdienst / zu reden, / kommt man hin.”305 In Höfers Fotografien sind eben diese Bahnhofsviertel als klassische Ankunftsorte der Migration immer wieder im Blick, wenn sie „Gastarbeiter” beim Ausharren auf öffentlichen Sitzgelegenheiten oder im Gespräch auf der Straße mit der Kamera fokussierte, wie hier am Hauptbahnhof in Düsseldorf (Abb. 76). Höfer visualisiert die Männer aus größerer Distanz, um sie als Gruppe zu erfassen. Sie reden miteinander, einige haben Plastiktüten in den Händen, als seien sie nur kurz von einem Einkauf vorbei gekommen, andere blicken auf die Uhr. Hier dehnt sich die Zeit, das Warten ist zugleich Freizeitbeschäftigung und Möglichkeit der sozialen Kommunikation. Der Schriftsteller John Berger schreibt über den Anziehungspunkt Hauptbahnhof: „Arbeitsemigranten, die bereits in der Metropole leben, haben die Gewohnheit den Hauptbahnhof aufzusuchen. Um beieinanderzustehen und zu reden, die einlaufenden Züge zu beobachten, die neuesten Nachrichten aus der Heimat zu erfahren, den Tag zu erwarten, da sie die Rückreise antreten werden.”306 Das Warten und der implizierte Stillstand sind in den frühen Fotografien Höfers Gegenbilder zu den Reisewegen, die hinter diesen Menschen liegen. Als „Gastarbeiter” mussten sie erst viele Tausend Kilometer hinter sich lassen, um in ihrer neuen Heimat zu Wartenden zu werden.

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Das Gegenbild zu den wartenden Migranten, die am Zielort ihrer Ausreise scheinbar unendlich rasten, sind die Touristen, die von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit pilgernd, nirgends etwas nur für ihre Augen Bestimmtes zu erblicken scheinen. Martin Parr hat diesen Orten des Durchgangstourismus sein Fotobuch Small World (1995) gewidmet und zeigt in unprätentiös anmutenden Aufnahmen, welche Verhaltensweisen das touristische Reisen provoziert – Verhaltensweisen, die in der Interaktion mit dem Torre pen77 — Martin Parr, Spanish Steps, Rome, Italy, aus dem

dente di Pisa zu abenteuerlichen

Fotobuch Small World, 1995

Verrenkungen motivieren, den Blick der Gruppenreisenden im Kollektiv himmelwärts lenken

oder ihn von der real erlebbaren Umwelt wegdirigieren: So versenkt sich ein Tourist vor der Spanischen Treppe in der italienischen Hauptstadt nicht in das römische Altstadtbild, sondern steckt die Nase tief in eine Stadtkarte (Abb. 77). Der visualisierten Stadt wird damit gegenüber dem eigenen Augeneindruck der Vorzug gegeben. Die Erfolgsgeschichte des Baedeker und der ihm nachfolgenden Reiseführer hat seit dem frühen 19. Jahrhundert das virtuelle Erleben präfiguriert: das Selbstverständnis des Baedeker als „Reise-Kursbuch”307, das den Leserinnen und Lesern in sachlicher und knapper Form, in Text und Bild, die Beschreibungen wichtiger Sehenswürdigkeiten und Reiseinformationen an die Hand gab, prägte die Reiseerfahrungen ganzer Generationen. Unter Fritz Baedeker prosperierte die Koblenzer Verlagsbuchhandlung und brachte seit 1875 Reiseführer auch über entlegenste Reiseziele wie Palästina und Syrien (1875), Canada (1894) oder Konstantinopel und Kleinasien (1905) heraus, die bereits vor der Abreise in fremde Gegenden ein Bild des Reisezieles entwarfen. Denn indem der Baedeker nicht alle Sehenswürdigkeiten erfasste, sondern nur eine Auswahl eingehender beschrieb und Reiserouten vorschlug, beeinflusste er die Reiseplanungen der Rezipierenden.308 Die Bild- und Textwerdung realer Orte, Länder und Sehenswürdigkeiten beeinflusste

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das spätere Erlebnis, ebenso wie touristische Aneignung der Reiseländer durch Stift und Papier, Fotoapparat und Videokamera das eigene Seherlebnis begleiten und konturieren konnte. So lässt sich postulieren, dass erst die Erfahrung durch Buch, Karte und Postkarte, durch Fotoapparat oder Filmkamera ein Reiseziel zur touristischen Attraktion erhob und erhebt. Parrs Bilder zeigen Touristen, die Ikonen des Tourismus fotografieren, Sehenswürdigkeiten, deren mediales Abbild sie zu Vertrauten werden ließ, lange bevor das eigene Auge sie überhaupt erstmals erblickte. Viele Fotografien von Reisenden folgen einer tradierten Bildikonografie, indem sie Bilder vom Bekannten wieder aufrufen; nicht umsonst fotografieren Reisende oftmals jene Ziele, die ihnen von textlichen und bildlichen Überlieferungen bekannt sind. In diesem Kontext sei auf Vilém Flusser verwiesen, der von Bildern spricht, die zwischen den Menschen und der Welt stehen, die Vorstellung davon aber derart prägen, dass die Menschen diese Bilder auf „die Welt ‚dort draußen’„309 projizieren. Normierungen und Konditionierungen der Reisenden an diesen Nicht-Orten des Massentourismus werden bei Parr augenfällig in der einheitlichen Instant-Regenkleidung, durch die sich etwa asiatische Fernreisende in Hawaii oder Venedig schützen. Die Reisenden verlassen die Heimat dabei längst nicht mehr, um die Fremde zu entdecken, zu lernen oder sich kontemplativ zu versenken. Längst begegnen sie sich im Ausland nur mehr sich selbst, gespiegelt in den vielen anderen Touristen, die wie sie auf der Suche nach dem Anderen sind. Dabei ist das Hotel ein klassischer „Nicht-Ort”, bietet es doch zumeist nur temporären Aufenthalt, ist, anders als die Wohnung, ein Transitraum. James Clifford beschreibt das Hotel als „station, airport terminal, hospital: a place you pass through, where the encounters are fleeting, arbitrary.”310 In Romanen und Filmen, die ihren Schauplatz im Hotel haben, wird das Gasthaus oftmals zum Synonym für die Anonymität der Gesellschaft (Vicki Baum, Menschen im Hotel, 1929), ist Ort der Heimatlosen und Outsider (Wim Wenders, The Million Dollar Hotel, 2000) sowie der Kommunikationsschwierigkeit und Einsamkeit (Sofia Coppola, Lost in Translation, 2003). Zugleich birgt das Hotel in sich die Dialektik zwischen Intimität und Anonymität. Nirgends sonst wird derart intim – schlafend, duschend, frühstückend – Zeit verbracht, in einer zugleich derart unper­ sönlichen Umgebung. Menschen, die viel Zeit in Hotels verleben, wie Berufsreisende oder Dauerresidierende, stellen bisweilen private Gegenstände auf, um ein wenig Heimat in die Anonymität zu bringen. Doch nach jeder Abreise eines Hotelgastes wird das Zimmer wieder in seinen Urzustand überführt: Es muss gereinigt, Spuren der Gäste beseitigt werden, denn die nachfolgenden Bewohner der Zimmer möchten ein für sie erneuertes, jungfräuliches Hotelzimmer betreten. Das dort bereitliegende Briefpapier kann indes zum Träger persönlicher Aufzeichnungen werden, die den anonymen Ort an den Autoren / die Autorin zurückbinden.

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Seit 1982 zeichnete der Künstler Martin Kippenberger auf Hotelbriefpapier (Abb. 78), sodass es nahe liegt, von den verschiedenen Briefbögen, die stets mit dem Logo, Namen und Adressen der Hotels versehen sind, auf die Reiserouten des Künstlers zu schließen. Allerdings benutzte Kippenberger kaum das Papier des Hotels, in dem er sich gerade aufhielt, zudem brachten ihm Freunde Hotelbriefpapiere mit. So arbeitete Kippenberger auch auf Papieren von Hotels, in denen er nie gewesen war oder erfand eigene Hotelnamen. Damit ist die Überblendung von Künstler und Reisestationen problematisch, zugleich wird das romantische Bild des umherstreifenden, heimatlosen Künstlerindividuums konterkariert, da die von den Hotelbriefpapieren scheinbar abzuleitenden biografischen Verweise mitunter ins Leere führen.311 Dennoch ist Kippenbergers obsessives Zeichnen auf Hotelbriefpapier – ganze Konvolute entstanden auf Auslandsaufenthalten in Tokio oder auf Syros – Ausdruck der Aus78 — Martin Kippenberger, Untitled (Kempinski

Hotel), 1996, Gouache and ink, hotel stationary, 30 x 21 cm, Collection of David Nolan

einandersetzung mit Objekten, die für das Reisen stehen: „Die Metapher der Reise spielt in diesen Aufzeichnungen eines Nomaden eine große Rolle, denn die Zeichnungen bekommen den ‚Geschmack’ des imaginierten Ortes,

an dem sie virtuell entstanden sind: die verbrieften Orte der Zeichnung können in der Vorstellung auch zu Orten des Zeichnens werden.”312 Papierformat und Materialität der Papiere gaben Kippenbergers Zeichnungen einen vorgegebenen Rahmen, und die künstlerische Einbindung des Briefkopfes durch Übermalungen oder Interaktionen

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79 — Nezaket Ekici, Work in Progress – Personal Map, Performance Installation, seit

2008, gezeigt 10th Asiatopia International Performance Festival, Bangkok, Thailand, 1.–30.11.2008

verweist auf die kreative Kraft, die der Künstler aus diesen äußeren, selbstauferlegten Zwängen schöpfte. Da er sich zudem inhaltlich und motivisch nicht linear bewegte – Kippenberger griff in seinen Zeichnungen häufig auf vergangene Werkphasen zurück – verschränken sich in seinen Hotelbriefzeichnungen Zeit und Raum auf höchst komplexe Art. Bewegung und Reise werden, auch ohne dass sie tatsächlich auf wahre Reiseroute verweisen, zum inhärenten Bestandteil eines Œuvres. Die Unrast des Künstlers ist Teil der eigenen Erzählung, wie sie auch von der Künstlerin Nezaket Ekici in ihrer eindrucksvollen Performance-Installation Work in Progress – Personal Map seit 2008 an verschiedenen Orten formuliert wird (Abb. 79). Auf einer imaginären Landkarte markiert sie mit Hammer und Nagel die globalen Stationen ihres beruflichen Daseins und verbindet diese mit einer Schnur. So entsteht eine Kartografie des eigenen Lebens, bei dem die

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Fäden sich immer stärker überkreuzen und zum symbolhaften Muster eines transnationalen Schaffens werden. Ekicis Performances bringt wie einem Tagebuch ihre Aktionsorte auf der ganzen Welt zusammen. Welt wird in diesem Verständnis zu einem Beziehungsgeflecht, das verschiedene Orte durch Bewegung des Individuums in Zusammenhang bringt. Diese Bewegungsprotokolle313 verdeutlichen, dass Reisen zu einer Konstanten werden kann. Damit sind Verwurzelung und Beheimatetsein keine unweigerlichen Antagonismen zu einer transitorischen Existenz – Heimat kann überall und nirgendwo sein. Ekicis Performance Work in Progress plädiert für das Nichtabgeschlossene; der Progress ist wesentlicher Bestandteil ihres Schaffens und Lebens, wobei kein teleologisches Fluchten zu einem Endpunkt, keine „Heimkehr” zu einem Anfang existiert. Vielmehr bildet jeder Ort in Verbindung zu dem reisenden Subjekt sein eigenes Narrativ aus, ist stets Aufenthalts- und Übergangsort. Auf die Frage, ob für sie als „Global Player” ein Begriff wie Heimat relevant sei, antwortet Ekici: „Ich weiß gar nicht, was Heimat überhaupt ist. Ich glaube, dass sie irgendwie in mir ist. Ich wohne in Berlin und Stuttgart, bin aber dauernd auf Reisen. Ich will auch permanent weg. Aber wo ist denn dann das Heimatgefühl? Wahrscheinlich kann jeder Punkt, an dem ich gerade bin, Heimat sein.”314 Ekicis Aussage betont, dass Heimat ein relativer und relationaler Begriff ist, dass Bleiben und Gehen oftmals nicht deutlich voneinander zu trennen sind. Die Arbeiten der Künstlerin reflektieren konsequent die Umbrüche und Verschiebungen, die sich durch Ortswechsel und Auswanderung ergeben. Rituale und kulturelle Codes können sich in ihrer Bedeutung verändern, wenn sie an anderen Orten wiederholt oder reaktiviert werden. Besonders evident werden die Bedeutungsverschiebungen, wenn Migranten als Touristen in ihr Ursprungsland zurückkehren, die Perspektive des Außen mit der Innensicht wechseln. Auf die Koinzidenzen zwischen den Routen der Immigranten und der Reisenden ist in der Forschung und in Theorien zur Migration im Zeitalter der Globalisierung wiederholt verwiesen worden. Dazu Paul Virilio: „Ich glaube auch, dass sie [die Touristen] das gespiegelte Pendant der Migranten des Elends und der Verzweiflung sind, mit symmetrischer und umgekehrter Logik. Die Migranten des Wohlstands wollen die Welt als Ganzes sehen, denn sie wissen irgendwie, dass sie dieses durch die Interaktivität, das Fernsehen, den Bildschirm verloren haben. Die Migranten des Elends fließen ihrerseits aus einer unbewohnbaren Welt, aus Haiti oder Afrika.”315 Auf die Berührungen der Routen von Touristen und Arbeitsmigranten gehen auch Tom Holert und Mark Terkessidis in ihrem Buch Fliehkraft ein: In eindringlicher Weise zeigen sich diese Kreuzungen im Bild der gestrandeten afrikanischen Boat People auf der Insel Teneriffa, die damit ins Herz des spanischen Tourismus eindringen. Stranden und Strand bekommen in diesem Kontext eine denkwürdige Doppelbedeutung.316 In seinen

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80 — Adrian Paci, Home to go, 2001, Farbfotografien auf Aluminium, 150 x 150 cm 81–82 — Adrian Paci, Home to go, 2001, Farbfotografien auf Aluminium, 155 x 155 cm

Forschungen zur Auswanderung beschreibt Terkessidis das Pendeln und die fortwährende Bewegung zwischen Herkunfts- und Zielland der Auswanderung als ein Wesensmerkmal der Migration. Viele Arbeitsmigranten würden von ihrem im Migrationsland erworbenen Geld ein Eigenheim in ihrer alten Heimat bauen, indem sie aber nur den Sommer verbringen.317 Arbeitsmigration ist häufig verbunden mit einem Rückfluss von Kapital in Form von Bargeld und Gütern von den Zielländern der Migranten in ihre alten Heimatländer.318 Über diesen Austausch reflektieren zwei Arbeiten des in Italien lebenden und aus Albanien stammenden Künstlers Adrian Paci. Heim und Heimat sind hier ebenso reflexive Kategorien wie die fragile Existenz jener, die auf die ungewisse Reise in das Unbekannte aufgebrochen sind. In der fotografischen Arbeit Home to go (Abb. 80–82) trägt Paci wie ein hilfloser Atlas das Gebälk eines Hauses auf seinem Rücken. Gleich einer antiken Statue zeigt er sich als Akt, der zunächst erschöpft auf dem First eines Ziegeldaches liegt, das ihm auf den Rücken geschnallt ist. Er hat die Augen geschlossen und scheint Kraft zu schöpfen, um sich erheben zu können. Auf allen vieren strauchelt Paci unter der Last des kleinen Daches, nur mühsam gelingt es ihm aufzustehen. Die letzten Aufnahmen zeigen ihn schließlich stehend, doch mit gebeugtem Rücken. Immer wieder betont Paci in Interviews, dass seine eigene Migrationsgeschichte nur im übertragenen Sinne Einfluss auf seine Arbeiten habe, sie ihm nur Kontext aber nicht Thema sei.319 So kann die mühevolle Tragearbeit eine grundlegende Metapher für ein Ringen um die eigene Existenz sein, jedoch auch als Sinnbild für ein besonderes Verständnis von Heimat gelten, die nicht an einen Ort gebunden ist

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sondern dem Individuum selbst anhaftet oder inhärent ist. Es sind die Erinnerungen, die kulturellen Prägungen, die Sprachen und Geschichten, die in der Gestalt des Daches Ausdruck finden.320 Dass Paci hier bis auf die Unterhosen nackt ist, spricht für eine über seine spezifischen Erfahrungen hinausweisende Deutung, zumal der Künstler dieselbe Situation in einer Skulptur adaptiert hat (Abb. 83). Hier trägt die Figur aus gemahlenem Marmor mit gebeugtem Rücken das Ziegeldach und kann als Stellvertreter für den migrierenden Menschen an sich gelesen werden, der sein Dach an jedem Ort, an den es ihn verschlagen hat, mit sich führt. In Back Home (2001, Abb. 84) beschäftigt sich Paci erneut mit den Konnotationen des Heims und der Heimat für Migranten, indem er albanische Auswanderer83 — Adrian Paci, Home to go,

familien porträtierte. Diese posieren in einem

2001, Skulptur, gemahlener

Innenraum vor bemaltem Prospekt, der ihre

Marmor, Harz, Ziegel, Holz, Seile,

Häuser und Wohnungen in ihrem Herkunftsland

165 x 90 x 120 cm

zeigt. Mal ist die Außenarchitektur zu sehen, mal das Innenleben. Die gedämpfte Farbpalette in Grau, Ocker und Weißtönen lässt das Gemalte

wie eine ferne Erinnerung an das Gestern erscheinen. Paci nimmt mit dieser Serie Bezug auf die Fotografien, die viele Immigranten als Beweis ihrer „Ankunft” in der neuen Heimat zu ihren Verwandten und Freunden schicken. Doch zeigen Pacis Familienfotografien nicht etwa den neuen sozialen Raum, sondern konservieren im Prospekt jene Heime, die von den Personen zurückgelassen wurden. Damit thematisiert Paci kulturelle Erfahrungen und Erlebnisse, die Individuen prägen und nicht an Landesgrenzen abgegeben werden können, sich stattdessen im Gedächtnis der Migranten ablagern, sie nie verlassen und sie auch in ihrem neuen Leben nachhaltig prägen. Damit „wird deutlich, dass die Erinnerung, ein Teil des alten Lebens auch in der Gegenwart präsent ist; die Tatsache, dass man einmal neu angefangen hat, prägt das Leben und wird immer Teil davon sein.”321 Der Bildraum der Fotografien wird dabei zum Ort des Übergangs, ist weder Herkunfts- noch Zielland, kann stellvertretend für die grenzüberschreitenden Räume stehen, die Arjun Appadurai als „ethnoscapes” bezeichnet. Diese sind Landschaften, die Staatsgrenzen überschreiten und vom Herkunftsland bis zur neuen Heimat

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84 — Adrian Paci, Back Home 2, 2001, Farbfotografie, 105 x 125 cm

der Migranten und wieder zurück führen. Dabei handelt es sich um komplexe räumliche Strukturen und Relationen, deren Konfiguration sich je nach Perspektive verändern. Über die „ethnoscapes” wie auch über die verwandten Wortschöpfungen „technoscapes” und „ideoscapes” heißt es bei Appadurai: „These terms with the suffixscape also indicate that these are not objectively given relations that look the same from every angle of vision but, rather, that they are deeply perspectival constructs, inflected by the historical, linguistic, and political situatedness of different sorts of actors…”322 Damit betont Appadurai das Unabgeschlossene und das Vielschichtige menschlicher Existenzen in Bewegung, das den „ethnoscapes” zu Eigen ist und das sich auch in Pacis Back Home finden lässt.

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Pacis Arbeiten zeigen ebenso wie Kippenbergers Hotelbriefzeichnungen oder Nezaket Ekicis Performance-Installation, dass die künstlerischen Transformierungen der Reisen, der Routen und von Ortsveränderungen äußerst vielfältig sind. Aus Perspektive der Literaturwissenschaften schreibt Caren Kaplan über die pluralen kulturellen Repräsentationen des Reisens: „Obviously, travel generates a complex system of cultural representation.”323 Nicolas Bourriaud hat im Motiv des umherschweifenden Kunstschaffenden eine zeitgenössische Figur entdeckt: „Um diese neue Figur des Künstlers zu bezeichnen, habe ich den Ausdruck Semionaut erfunden: Der Schöpfer von Wegen in einer Zeichenlandschaft. Eine fragmentierte Welt bewohnend, in der die Objekte und Formen das Bett ihrer ursprünglichen Kultur verlassen, um sich im globalen Raum zu verstreuen, irren die KünstlerInnen auf der Suche nach herzustellenden Verbindungen umher. Als Eingeborene eines Territoriums ohne apriorische Grenzen, sehen sie sich in die Position des einstigen Jägers und Sammlers versetzt, des Nomaden, der sich sein Universum erschafft, indem er unaufhörlich den Raum durchmisst.”324 Nicht zuletzt, seitdem sich das Kunst- und Theaterfestival Steirischer Herbst Mitte der 1990er Jahre der Nomadologie als künstlerischer Ausdrucks- und Arbeitsform widmete, ist die archaische Figur des Nomaden Synonym für die mobilen Protagonisten einer postindustriellen Gesellschaft geworden, für die Pendler, Arbeitsmigranten, politischen Flüchtlinge, Mitarbeiter globaler Unternehmen, Studierenden, (Welt-)Reisenden, Künstler, die als Stipendiaten oder Ausstellungsbeteiligte globale Präsenz zeigen.325 Orts- und Heimatwechsel prägen zwar die genannten Figuren und ihre Biografien, dennoch sollte deutlich zwischen den auf festen Routen ziehenden Nomaden, den sich treiben lassenden Vagabunden oder Flaneuren, den auf Dauer ihren Wohnort wechselnden Migranten oder den nur temporär Reisenden unterschieden werden. So fragt auch Caren Kaplan nach den „continuities and discontinuities between terms such as ‚travel’, ‚displacement’ and ‚location’ as well as between the particularized practices and identities of ‚exile’, ‚tourist’ and ‚nomad’. All displacements are not the same.”326 Doch gerade die oft eindimensionale Rezeption und Konnotationen dieser verschiedenen transitiven Existenzformen – Migration als Entfremdung, Reisen als Erfahrung, Nomadismus oder Vagabundieren als (künstlerische) Freiheit – fordert dazu auf, sie weniger als voneinander trennscharf abgegrenzte Daseinsmöglichkeiten zu sehen, als vielmehr die Schnittmengen und die sich daraus formierenden Denkpotenziale zu fokussieren. Nomaden, Migranten und Reisende verbindet der Wechsel und die Bewegung, die zumindest zeitweise Instabilität ihrer Existenz, die Erfahrung neuer Räume, Gesellschaften und Sprachen – die Heimatlosigkeit (auf Zeit) ebenso wie die multiplen Heimaten, die sie besitzen.

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Unheimatlich, unheimisch, unheimlich In Sigmunds Freuds Abhandlung Das Unheimliche (1919) sind die Begriffe heimlich und unheimlich als einander erklärende Antagonismen zusammengeführt, wobei Freud „heimlich” in etymologischer Verwandtschaft zu „heimisch, vertraut” oder „zum Hause gehörig” oder „häuslich” definiert.327 Unheimlich könnte also im Umkehrschluss auch als „nicht häuslich” übersetzt werden – ein Heim, was nicht heimisch zu wirken oder werden vermag. Auf das Heim als trügerischen Garanten für das Beheimatet- und Behütetsein bezieht sich Anna und Bernhard Blumes Fotoserie Trautes Heim (Abb. 85), die ebenfalls als Ausdruck der Freud’schen Unheimlichkeit gedeutet werden kann, die aus den Verdrängungen und Verschiebungen geboren wird. Die umherfliegenden Gegenstände und Personen, die sich der Schwerkraft trotzend durch die Wohnung der Protagonisten bewegen, ja fliegen, stehen für den „Aufstand der Dinge als Ausdruck einer unbewussten Aggression der frustrierten Hausfrauenseele. [...] Die frustrierte Seele der Hausfrau, deren Revolte sich lediglich mediumistisch äussert, als ein Aufstand der Dinge, in den sie dann selbst mit hineingezogen wird. [...] ‚Unheimlich’ ist die Verschiebung bzw. Verdrängung seelischer Turbulenzen in die Dingwelt.”328 Dass diese menschlichen Beziehungen auch Sinnbild für geschlechtsspezifische Normierungen sein können,

85 — Anna und Bernhard Blume, Trautes Heim, 1990, Fotografie

aus fünfteiliger Sequenz

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zeigt sich in Serien des Künstlerpaares Anna und Bernhard Blume, die die sprechenden Titel Küchenkoller (1985 / 1986), Tellertraum (1986 / 87), Mahlzeit (1985 / 86), Trautes Heim (1986) und Im Wahnzimmer (1984) tragen. Darin überführen die Blumes den Wahnsinn deutscher Wohnzimmer-Heimeligkeit in ein absurdes Szenario: In Bewegung und außer Kontrolle geratene Objekte überwinden den hausfraulichen Ordnungssinn.329 Blumes inszenieren sich als „typisch-kleinbürgerliches, katholisch-deutsches Ehepaar”330, das den sich verselbständigenden Möbeln und ihren durch die Luft fliegenden Nahrungsmitteln (Kartoffeln) hoffnungslos ausgeliefert ist.331 Ihre Settings entsprechen den standardisierten Wohneinrichtungen, die von Möbelherstellern in Massenproduktion hergestellt werden und ein vermeintliches Einrichtungsglück versprechen. Walter Grasskamp beschreibt in einer feinen Analyse, wie sich die Blumes als „Opfer dieses KulturArrestes” präsentieren, „in dem die Möbel eine geisterhafte Oberhand über den Bewohner gewinnen und sein Alltagsleben über dessen intimste Gestaltung kontrollieren”332. Die aus den Fugen geratene bürgerliche Wohnwelt der Künstler ist ein Pendant, vielleicht sogar ein Antagonist, zu Herlinde Koelbls Projekt Das deutsche Wohnzimmer und entstand nur wenige Jahre, nachdem das Buch der Fotografin erschien.333 Während Koelbl mehr beobachtete und erst die Zusammenschau der Bilder eine kritische Perspektive auf deutschen Wohnsinn entwickelte, überführten Anna und Bernhard Blume die deutsche bürgerliche Wohnästhetik in ein dada-eskes Szenario und Rollenspiel, in dem sie aus dem Wohnzimmer ein „Wahn”zimmer werden ließen. Doch zurück zu Freuds Beschäftigung mit dem Unheimlichen: Das Unheimliche, das zum „Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden”334 zählt, wird von Freud auf das „Altbekannte, Längstvertraute”335 zurückgeführt, ist also eine Kippfigur, die je nach Perspektivierung das eine (das Vertraute) oder das andere (das Unheimliche) werden kann: „Es mag zutreffen, daß das Unheimliche das Heimliche-Heimische ist, das eine Verdrängung erfahren hat und aus ihr wiedergekehrt ist, und daß alles Unheimliche diese Bedingung erfüllt.”336 Der Moment des Umschlagens und des Kippens interessierte Freud dabei ganz besonders: „Wie das möglich ist, unter welchen Bedingungen das Vertraute unheimlich, schreckhaft werden kann, das wird aus dem Weiteren ersichtlich werden.”337 Freud konzentriert sich in seinen Ausführungen auf E.T.A. Hoffmanns Novelle Der Sandmann aus den Nachtstücken, indem er verschiedene verstörende Motive und Doppelfiguren – die Puppe / Tänzerin Olimpia, der Advokat Coppelius / Sandmann / der Optiker Coppola – benennt, die zur unheimlichen Wirkung des Textes führten. Die Unheimlichkeit des Sandmannes und die Furcht, die Augen zu verlieren, verschlüsselt, so Freud, die Kastrationsangst des Protagonisten.338 Besonders in der Figur des Doppelgängers sind all jene Abweichungen, Verschiebungen und Vertauschungen in der Wiederkehr des scheinbar Gleichen zu finden, die

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erst die Unheimlichkeit im Vertrauten entstehen lassen.339 Freud bezieht das verstörende Doppelgängermotiv auch auf räumliche Situationen, etwa die ungewollte Wiederkehr an den immer gleichen Ort beim Spaziergang durch eine unbekannte Stadt oder beim Wandern durch einen nebligen Hochwald: „Oder wenn man im unbekannten, dunklen Zimmer wandert, um die Türe oder den Lichtschalter aufzusuchen, und dabei zum xten Male mit demselben Möbelstück zusammenstößt ...”340 Das von Freud als Beispiel verwendete „unheimliche Haus”341 (in dem es spukt) soll gemeinsam mit der Figur des Doppelgängers zu den Installationen Gregor Schneiders führen, die in eindringlicher Weise die Kippfigur des Vertrauten und Unheimlichen oder des Unheimischen in sich tragen. Die Installation Die Familie Schneider, die Schneider 2004 im Londoner East End verwirklichte, besteht aus zwei baugleichen, nebeneinander liegenden Reihenhäusern aus dem 19. Jahrhundert, zu denen die Besucher nacheinander Zugang erhielten. Zuvor wurden ihnen die Schlüssel für die beiden Häuser ausgehändigt, der Zutritt – jedes Haus durfte nur von jeweils einer Person betreten werden – erfolgte also durch den Vorgang des Aufschließens.342 Damit begann der Ausstellungsbesuch mit eigenen, alltäglichen Erfahrungen. Die Erinnerung an die persönliche Erfahrungswelt ist insofern wichtig, als dass Die Familie Schneider mit der Erschütterung des Altbekannten und Alltäglichen, dem Erinnerten und Vertrauten arbeitet. Persönliche Erlebnisse und Erinnerungen – wie das Aufschließen einer Eingangstür (Abb. 86) – sind dabei zugleich kollektive Erfahrungen. Indem Schneider seine Arbeit nicht in einer als Kunstinstitution ausgewiesenen Umgebung sondern an einem als Wohnraum konnotierten Ort lozierte, konnten bei den Rezipierenden gänzlich andere Erfahrungsvoraussetzungen entstehen. Das Reihenhaus ist ein Erinnerungsraum, der unwillkürlich dem privaten Erfahrungshorizont zugeordnet ist. Wenngleich den Besuchern die Künstlichkeit der Situation als Ausstellungsbesuch durchweg bewusst ist, so wird dennoch die Erinnerung des Häuslichen die des öffentlichen Raumes überblenden. Für den Kontext dieser Untersuchung ist das häusliche Szenario insofern interessant, als dass in den lexikalischen Definitionen, wie bereits hervorgehoben, das Heim oder die Wohnung als eine mögliche Ausprägung von Heimat angenommen wird: „Heimat ist Bezeichnung für den Geburtsort, auch für den Ort, wo jemand sein Heim, d. h. seine Wohnung hat.”343 Besonders jene Orte, an denen Personen aufgewachsen sind, an denen sich Fami­ liengeschichte(n) abbilden, können einen intensiven Abdruck im Gedächtnis hinterlassen. Aleida Assmann spricht von „Familien- oder Generationsorten”344. Wenngleich die von Schneider bespielten Reihenhäuser im East End kaum tatsächlich „Heimat” oder „Familienort” für die Besucher sein können, so wecken sie vermutlich Assoziationen an Bekanntes: ein dem Eingang folgender Flur, der auf eine Treppe zuläuft

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(Abb. 87), die Küche im Erdgeschoss mit PVC- oder Linoleumboden, der Spültisch v ­ or dem Fenster, daneben ein Wohnzimmer. Der Treppenaufgang führt in die Schlafräume, unten geht es in den Keller. Dieser Grundriss und die Zuordnung der Räume folgen einer Typologie englischer Reihenhäuser345, sodass die Raumordnungen zur Identifikation herausfordern: „Herr Schneider knows enough to make the viewer, the participant, the visiting ghost, enter into dialogue with his or her own domestic past, and the results are neither cosy nor forgettable”346, schreibt der Schriftsteller Andrew O’Hagan über seinen Besuch der Ausstellung. Dieses Erkennen und Erinnern an Vertrautes erfährt jedoch empfindliche Störung. In den Räumen agieren Akteure, die in keinerlei Dialog mit den Besuchern treten. In der nur sporadisch eingerichteten Küche tätigt eine Frau den Abwasch und blickt aus dem Fenster (Abb. 88). In der oberen Etage begegnet nicht nur ein nackter Mann unter der Dusche, der – so lassen es Bewegungen und Geräusche vermuten – mit abgewandtem Körper masturbiert (Abb. 89). Im Schlafzimmer steckt eine sitzende, kleine Gestalt mit dem Oberkörper in einem schwarzen Müllbeutel. Im Keller liegt eine verschmutzte Matratze in dunklen Räumen. Diese Details rufen Ängste hervor, die durch Literatur, Film oder medial

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86–87 — Gregor Schneider, Die Familie Schneider, Walden Street No. 16 und No. 14, London, Großbritannien,

28.9.–23.12.2004

­vermittelte Nachrichten bereits präfiguriert wurden – nicht ohne Grund bezieht sich Andrew O’Hagan in seinem Essay über Die Familie Schneider auf Sir Arthur Conan Doyle, Marcel Proust und Samuel Beckett. Der eigentliche Horror jedoch beginnt mit der Erfahrung des Geschwisterhauses. Dort findet sich eine identische Konstellation mit der gleichen Einrichtung, den Akteuren, Handlungen und Geräuschen. Um die irritierende, unheimliche Täuschung der Wiederholung zu erreichen, verpflichtete Schneider Zwillinge als Akteure. Das bereits Erlebte wirkt so noch verstörender, der Horror im Häuslichen steigert sich. Die Installation ist dabei partizipativ konzipiert, da die Besucherin oder der Besucher das Haus begeht und sich in ein Verhältnis zum Raum und den Handelnden setzen muss, die eigenen, zurückliegenden biografischen Erfahrungen wie die rezipierten nachrichtlichen oder fiktiven Erlebnisse Anderer mit dem Gesehenen verbindet. Die Besucher greifen bei ihrem zweiten „Hausbesuch” auf kurz zuvor Erlebtes zurück, das Bekannte, das in sich bereits das Abgründige trug, erfährt eine weitere Steigerung ins Unheimliche. So wie das eine Haus der Doppelgänger des Anderen ist, so sind auch die engagierten ­Zwillinge in der Inszenierung Wiedergänger ihrer Selbst. Freuds Ausführungen zum

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88–89 — Gregor Schneider, Die Familie Schneider, Walden Street No. 16 und

No. 14, London, Großbritannien, 28.9.–23.12.2004

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90 — Gregor Schneider, u r 10, (with inventory) KAFFEEZIMMER „Wir sitzen, trinken Kaffee

und schauen einfach aus dem Fenster, Haus u r, Rheydt, 1993

­Unheimlichen in der Figur des Doppelgängers finden in Die Familie Schneider einen späten Nachhall. Die Doppelung und die Replik gehören zum festen Themen- und Motivrepertoire von Gregor Schneider. So ist das für das MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main geschaffene Werk N. Schmidt der Nachbau des Kabinetts für aktuelle Kunst in Bremerhaven. Schneider duplizierte den Raum in seinen Maßen, den verbauten Materialien, in Farbgestaltung, Beleuchtung, Details wie Lichtschalter und Steckdose und den Gebrauchsspuren.347 Wie hier transplantiert Schneider auch andernorts bereits existierende oder konzipierte Werke in immer wieder neue Kontexte: Totes Haus u r, das 2001 den Goldenen Löwen der Biennale zu Venedig gewann, ist eine Übertragung des Haus u r in Rheydt, ein Lebenswerk Schneiders. In diesem „Haus u r” verwirklichte Schneider die wohl raffinierteste Umsetzung des „doublings”348: Gregor Schneiders Haus u r ist sowohl Urzelle349 und Elternhaus als auch in seiner Aneignung durch den Künstler widerspenstig und unheimlich. Wie kann also dieses Haus zu einer Anti-Heimat werden? Mitte der achtziger Jahre begann Gregor Schneider, das im elterlichen Besitz

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befindliche Mietshaus am Stadtrand des nordrhein-westfälischen Rheydt zu beziehen und dies baulich zu verändern – ein unabgeschlossener Umbau, der bis in die Gegenwart fortgeführt wird. Äußerlich unverändert erlebte das Gebäude im Inneren eine umfassende Transformation, die nach und nach alle Räume erfassen sollte. Viele dieser Umbauten sind erst auf den zweiten Blick erkennbar. So existieren unschuldig anmutende Räume mit gedecktem Kaffeetisch (Abb. 90), die mit einem Mechanismus ausgestattet sein können, der sie um ihre eigene Achse dreht oder Fenster besitzen, die statt eines Ausblicks ins Freie nur die Sicht in ein weiteres Zimmer bieten – eine Lampe dahinter imitiert Tageslicht –, ebenso wie ein Ventilator den Eindruck von Zugoder Frischluft evoziert. Fenster öffnen sich zu weiteren Fenstern und diese zu Mauern, Hohlräume wechseln mit Zwischenräumen.350 Während der äußere Rahmen des Hauses, sein unverändertes Äußeres, sich kaum von anderen Häusern in dieser und anderen Städten unterscheidet351, verbirgt sich hinter der Hülle ein unheimlich verändertes Interieur. Ähnlich wie in Die Familie Schneider berührt die Gestalt, in der das Werk daherkommt, kollektive Erinnerungen und Gefühle. In diesem Kontext lässt sich auf den Phänomenologen Gaston Bachelard rekurrieren, der davon ausgeht, dass der Umgang mit Behausungen, das Leben und Aufwachsen in Wohnungen und Häusern nicht nur ­Spuren an den Wohnwelten hinterlässt, sondern sich gleichermaßen Spuren in unserem Gedächtnis abdrücken. Bestimmte Handgriffe, eine knarrende Treppenstufe oder der Geruch von Bohnerwachs oder alten Holzes können Erinnerungen aufrufen, auch wenn sie Jahre zurückliegen. Bachelard sieht im Haus das Bild eines sehr persönlichen Erinnerungsspeichers und schreibt „Wohlgemerkt, dem Haus ist es zu danken, daß eine große Zahl unserer Erinnerungen ‚untergebracht’ sind, und wenn das Haus etwas kompliziertere Gestalt annimmt, wenn es Keller und Speicher, Winkel und Flure hat, dann bekommen unsere Erinnerungen mehr und mehr charakteristische Zufluchtsorte.”352 Bachelard macht dies fest an der Erinnerung an das Elternhaus: „... über die Erinnerungen hinaus ist das Elternhaus physisch in uns eingezeichnet. Es besteht aus einer Gruppe von organischen Gewohnheiten. Aus einem Abstand von zwanzig Jahren, allen anonymen späteren Treppen zum Trotz, würden wir noch die Reflexe jener ‚frühesten Treppe’ wiedererkennen, über eine bestimmte, etwas zu hohe Stufe würden wir nicht stolpern. [...] Wir würden die Tür aufstoßen, die noch das gleiche Knarren hat, ohne Licht würden wir in den entlegenen Speicher gehen. Das Gefühl der kleinsten Klinke ist noch in unserer Hand.”353 Diese gespeicherten Emotionen, die an Erinnerungen gekoppelt sind, sind Voraussetzungen für die Irritationen, die Schneiders Interventionen hervorrufen können. Gleichzeitig löst er durch suggestive Details Imaginationen aus, die an merkwürdige Erdlöcher oder vermauerte Fenster gebunden sind.

130

Indem der Künstler sich eines Hauses aus Familienbesitz, also in privater Beziehung, annimmt und in dessen Strukturen eingreift, sie sinister umformt, ihre natürliche Folge destruiert und durch die Verschachtelungen eine Verkomplizierung des Gefüges erreicht, entsteht aus dem tradierten Zwilling Heim / Heimat ein monströser Doppelgänger. Das Unheimliche354 ist hier mit dem Heimeligen, Heimischen und Heimatlichen verwoben und zugleich seine Antipode. Dazu lässt sich auch Mitscherlichs Beobachtung zum Unheimlichen zitieren: „Um noch einmal an den dämmrigen Korridor zu erinnern: zur Heimat wird ein allmählich dem Unheimlichen [d. h. das Unheimliche ist die Wiederkehr des verdrängten Vertrauten] abgerungenes Stück Welt. [...] Für viele Menschen bleibt etwas von diesem Unheimlichen im Wohlbekannten erhalten; sie fühlen es beim Gang in den Keller oder beim nächtlichen Betreten der Wohnung.”355 Schneider erschüttert mit seinen Interventionen die Zuversicht der Besucher, die er zu Führungen in sein Haus ur hineinlässt, diese Räume – oder besser gesagt: ähnliche Räume – zu erkennen, er destabilisiert sie, indem er den Dingen und Orten ihre vertraute Erscheinung und Nutzbarkeit nimmt – so wie auch Klaus Herding das Unheimliche an das Vertraute bindet: „Das Vertraute kann nur dadurch unvertraut und fremdartig wirken, dass es den Schein des Vertrauten zugleich behält und sprengt.”356 Aus der etymologischen Urzelle der Heimat, dem Heim, wird so ein Ort der Ungewissheit, der Destabilisierung und des latenten Grauens.

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Heimat ist, wo man isst Meine Heimat ist kein Koffer (Abb. 91) postuliert das Kollektiv Art in Ruins in seiner konzeptuellen, politischen Arbeit, die ein Dutzend karierter Taschen zeigt. Diese gehören zu den stereotypisierenden Zeichen der Migration, sind als günstig produzierte und verkaufte Produkte in Import-Export-Läden mittlerweile Symbol für Migranten und ihr Dasein als transitorische Subjekte. Dies zeigt die Verwendung der karierten Tasche in zahlreichen künstlerischen Arbeiten, die sich mit Migration beschäftigen.357 Mit der Bildunterschrift „My Homeland is not a suitcase” verweigern Art in Ruins jedoch eine einseitige Festschreibung der karierten Tasche als Attribut der Migration.358 Gleichzeitig stellen Art in Ruins in Frage, was das Heimatland sein kann: Das Land, in dem wir geboren und aufgewachsen sind, dessen Sprache wir als Kleinkinder lernten, dessen Traditionen und Riten wir inhalierten – oder kann es jeglicher Ort sein, an dem das Individuum für eine bestimmte Zeit lebt und wohnt, dessen Sprache es vielleicht lernt, in dessen Sozialsystem es verspannt wird? Kann Heimat nicht auch als innere Heimat begriffen werden, die weitaus weniger einen konkreten locus meint, als vielmehr die Erinnerungen und Erlebnisse, die gegenwärtigen Beziehungen und Emotionen, die Befindlichkeit konstituieren? Die Installation war Teil des Kunstprojekts Conceptual Debt, das Art in Ruins nur wenige Jahre nach Fall der Mauer und Wiedervereinigung in Berlin realisierten. Ihr Thema war die globale Wanderung von arbeitenden Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die im ehemaligen Ost- und West-Berlin unterschiedliche Ausprägungen fand. Während in den Westen Arbeitsmigranten aus Ländern wie der Türkei, Jugoslawien, Italien und Spanien kamen, „importierte” die DDR Arbeitskräfte aus verbündeten kommunistischen Ländern wie Kuba oder Vietnam.359 Art in Ruins repräsentierten als britisches Künstlerkollektiv eine weitere Variante des / der Fremden in Berlin: sie kamen als visiting artists mit dem DAAD.360 Heimat ist in allen genannten Fällen eine fragile Kategorie, da sie in Relation zur Veränderbarkeit des geografischen Standpunktes und einer ungewissen Lebenssituation steht. My Homeland is not a suitcase ist dabei eine widerständige Position, die auf Xenophobie und Zuschreibungen an das Fremde

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91 — Art in Ruins, My Homeland is not a suitcase, um 1992

antwortet. Tabus und Rituale der Gastfreundschaft sind bereits in altertümlichen Gesellschaften zu finden, regeln den Kontakt mit dem Fremden und sind zugleich Modi, um den Status des Fremden als „Gast” aufrechtzuerhalten.361 Die transitorische Existenz des Einwanderers, der in Deutschland über Jahrzehnte als „Gastarbeiter” betitelt wurde, findet Ausdruck in Attributen wie dem Koffer, der Tasche, dem Reisepass, dem Arbeitsvertrag. Davon zeugen Inszenierungen von weltweiten Migrationsmuseen und -ausstellungen von Ellis Island in New York über das Musée in Paris bis zum Auswanderermuseum in Bremerhaven.362 Angesichts dieser eindimensionalen Inszenierungspraxis und Museumsdidaktik muss die Frage formuliert werden, wie lange ein Einwanderer ein solcher bleibt, welche Metaphorik das Gepäckstück als Zeichen des Migranten assoziiert und welches Verständnis von Heimat und Fremde diesen Vorstellungen von Migration inhärent ist. Der Koffer beschreibt im Kontext der Migration ein Hinter-sich-lassen und Aus-der-Welt-sein, deutet auf Verlust des Herkunftsortes und ist im übertragenen Sinne ein Behältnis für Erinnerungen, die das Subjekt bei seiner Auswanderung mit sich führt.363 Wenn die Künstlergruppe Art in Ruins ihre Installation karierter Taschen mit dem Titel My Homeland is not a suitcase versieht, dann werden

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hegemoniale und stereotypisierende Zuschreibungspraktiken kommentiert. Zugleich verweist das Possessivpronomen „mein” auf die Zugehörigkeit der Heimat zum / zur Sprechende[n], also auf eine individuelle Konnotation von Heimat. „Homeland”, das Heimatland, ist in diesem Verständnis kein kollektives Zugehörigkeitsmerkmal, ebenso wie kollektive Zuschreibungspraktiken an die „Anderen” negiert werden. Der Koffer ist nicht die Heimat der Migranten. Auch die Künstlerin Gülsün Karamustafa reflektiert in ihrer Installation Vatan Do ˘gdu ˘gun De ˘gil Doydu ˘gun Yerdir (Abb. 92) darüber, was Heimat sein kann, 92 — Gülsün Karamustafa, Vatan Do˘gdu˘gun

setzt sich mit globaler Migration,

De˘gil Doydu˘gun Yerdir, 1994, Installation

Heimat(losigkeit) und Kulturen in Bewegung auseinander.364 Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit ist ein türkisches

Wortspiel, das kaum übersetzt werden kann: die Begriffe „do˘gdu˘gun” (dort wo du geboren bist) und „doydu˘gun” (dort wo du satt wirst) veranschaulichen deutlich, dass nur ein ausgetauschter Buchstabe neue Bedeutungen schaffen kann. Die in Katalogen benutzte deutsche Übersetzung Heimat ist wo man isst kann dies kaum wiedergeben, zumal „vatan” hier eher das Vaterland als die Heimat meint, worauf auch das „Geborensein” hinweist. In ihrer Installation verwendet Karamustafa drei Löffel ihrer Großmutter, die sie mit einem weißen Tuch umschlingt und auf einer weißen Stoffserviette drapiert, eine symbolische Handlung, die einerseits genealogische Verweise in sich trägt, andererseits aber auch Assoziationen auf museal gesammelte und ausgestellte Gegenstände weckt. Mit den Löffeln führt der Besitzer oder die Besitzerin eine Heimat mit sich, wenngleich der Gegenstand nur metaphorisch für das Beheimatetsein stehen kann. Aus dem Sein – „Heimat ist, wo man ist” – wird in Karamustafas Wortspiel das Essen, im übertragenen Sinne schafft der Broterwerb also ein Heimatgefühl. Zugleich erinnern der Gegenstand und seine Präsentation in der Vitrine an Dinge, die in Migrationsmuseen Einwanderung stellvertreten. Nicht nur Karamustafas Arbeit zeigt, dass Heimat in der Kunst der Gegenwart als Suchbegriff durchaus relevant ist und die verschiedenen Definitionsmöglichkeiten

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reflektiert. Offensiv verhandelt der Künstler Stefan Strumbel die Koexistenz regionaler Heimatinsignien und deren globale Rezeption. Die Kuckucksuhr oder der Schwarzwälder Bollenhut sind durch ihre Verbreitung längst zu Synonymen für deutsche Tradition schlechthin geworden. Strumbel verändert diese Heimatsymbole durch popkulturelle Modifikationen, etwa durch Hinzufügungen von pinken Totenköpfen, Herzen oder Waffen.365 Strumbels Objekte stehen dabei ein für ein Klischeebild von Heimat, das losgelöst vom Entstehungsort der Dinge – der Künstler lebt und arbeitet tatsächlich im Schwarzwald – funktioniert. Diese regionalen Zeichen sind weltweit genauso zu dechiffrieren wie etwa ein Palästinensertuch oder ein Maschinengewehr, mit dem eine Schwarzwälderin in Tracht frontal für die Betrachtenden posiert. Strumbels Arbeiten vermitteln die Nähe zwischen lokalen und globalen Codes, ihre Hybridisierung und Destabilisierung. Die in diesem Buch thematisierten Positionen führen in der Zusammenschau vor Augen, dass es kaum nur eine – rein örtliche oder territoriale – Bedeutung für Heimat gibt, sondern die Dynamik und Veränderlichkeit der Kategorie Heimat thematisiert wird. Zugleich wird Heimat als höchst fragiles Konstrukt identifiziert und nach seinen politischen Implikationen befragt. Kritische Ansätze fokussieren Bedeutungsverlust ebenso wie die Exklusivität von Mobilität – von der Heimat in die Ferne und wieder zurück – in Zeiten harter Flüchtlingspolitik und zunehmender Flüchtlingsströme. Für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart lässt sich konstatieren, dass Ortsungebundenheit, geografische Unbestimmtheiten, globale Migrationsbewegungen und virtuelle Weltreisen das Bedürfnis nach Abgrenzung und Einordnung zu potenzieren scheinen und mit der Sehnsucht nach Beheimatung auch die Heimatlosigkeit oder die mehrfachen Heimaten zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung haben werden lassen.366 Dabei soll keine kulturpessimistische Perspektive entwickelt werden, vielmehr lässt diese Untersuchung die These zu, dass Heimat, Heimatlosigkeit, das Unheimatliche und Unheimische in kreativer Weise perspektiviert und diskursiviert werden, wobei das Potenzial für die künstlerische Auseinandersetzung immens ist. Dabei ist die (Kunst-)Geschichte noch immer wirkmächtig, da insbesondere die Romantik einflussreiche Bilder für Heimat und Heimweh ausgebildet hat, die ihren Nachhall bis in unsere Zeit haben. Diese bildlichen Annäherungen an den Heimatgedanken durch romantische Dichter und Maler sind Ausgangspunkt für kritische Auseinandersetzungen der Gegenwart, die auch das Nationale, Territoriale, Exkludierende thematisieren, die der Figur der Heimat inhärent sein kann. Die politische Kontaminierung des Begriffs meint auch Peter Härtling, indem er schreibt: „Heimat – das ist ein vertracktes Thema. Leicht läßt es sich anschlagen und ebenso leicht falsch spielen. Wie oft ist Heimat verraten worden von politischen Menschenfängern, wie oft wurde sie verhöhnt in billigen, sich anbiedernden Liedern und Geschichten. Im Grunde sollten wir ohne Beschwernis

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und Beschwerde über sie reden können, denn schließlich hatten wir sie alle einmal. Ob wir sie noch haben, hat mit unserer individuellen und sehr häufig mit der Geschichte überhaupt zu tun.”367 Heimat ist politisch, ist eine räumliche (mein Hof, mein Haus, meine Stadt) wie zeitliche (Kindheit, Vorfahren, Vergangenheit) Kategorie, ist Sehnsuchtsbegriff ebenso wie faktisch zu definieren, da Heimaten auch von geografischen Grenzen umschlossen werden. Der Begriff der Heimat wurde und wird mitunter ideologisch missbraucht, kann jedoch fern von Semantiken der patria, kollektiver oder nationalen Kodierungen in seiner Mehrdeutigkeit auch Freiheiten vermitteln: nicht der kollektive gemeinsame Nenner ist bei diesem Gedanken leitend, sondern die Pluralität und Heterogenität des Heimatbegriffs, wie er bereits in einer Person und ihren Vorstellungen Ausdruck finden kann: so kann Heimat als Utopie auf ewig immateriell bleiben, eine „Variante der Unerfülltheit und Unerfüllbarkeit”368, sie kann jedoch auch ein Stück Literatur oder Musik sein, ein Gegenstand, Geruch oder Geräusch, ein Dorf oder eine Stadt ebenso wie die Weiten des World Wide Web, das – so bereits sein Titel – keine Grenzsteine oder Zäune kennt.369 Umgekehrt ließe sich dann fragen, warum wir für diese verschiedenen Felder dann überhaupt noch einen zusammenfassenden Begriff wie „Heimat” benötigen. Heimat kann ein Sich-in-Beziehung-setzen meinen, schafft Verbindungen oder ein Verbindungsgeflecht. Heimat kann für Verortungen oder Beziehungen im sozialen Raum stehen, so wie es Pierre Bourdieu beschreibt: „Jeder Akteur ist charakterisiert durch den Ort, an dem er mehr oder minder dauerhaft situiert ist, sein Domizil (wer ohne ‚Herz oder Heim’ ist, ohne ‚festen Wohnsitz’, besitzt nahezu keine Existenz – Beispiel: der Obdachlose), und durch die Position seiner Lokalisation – der zeitweiligen (zum Beispiel die Ehrenplätze, protokollarisch geregelte Sitzordnungen) wie vor allem der dauerhaften (seine private und berufliche Adresse) – im Verhältnis zur Position der Lokalisationen der anderen Akteure.”370 Diese Relationalität, die der „Heimat” inhärent ist, kann Ausgangspunkt für Spurensuchen sein: Eine Spurensuche, die in die Vergangenheit weist, um das Individuum und seine Geschichte zu konturieren, so wie es Irina Ruppert in ihrer Fotoserie Rodina und auf den Spuren ihrer ukrainischen Verwandtschaft unternahm. Die Spurensuche kann aber auch in die Zukunft weisen, dann etwa wenn diese Heimaten, wie in Werken von Andrea Zittel oder Robert Filliou, mobil sind, uns begleiten und ein vertrautes Umfeld auch an fremden oder befremdlichen Orten bieten. Heimat kann weit entfernt und unerreichbar sein oder aber als ständiger Begleiter in Erscheinung treten, sie kann statisch ebenso wie mobil sein. Die Frage des Schriftstellers Max Frisch, mit der dieses Buch begann, „Wieviel Heimat brauchen Sie?”, kann in dieser Logik nur eine Antwort haben: Viele Heimaten. Mehr als ich zählen kann.

136

Anmerkungen 1

Diese und alle weiteren Fragen Frischs finden sich in Frisch 1992. Erstmals publiziert wurde

2

Ebd., S. 386–390.

3

Lockemann 2008, S. 21. Für die Literaturgeschichte ist vor allem Heinrich Heine zu nennen,

der Fragebogen in Frisch 1972, S. 382–385.

der im Ausland ein Bewusstsein für die Differenz zwischen Vertrautem und Fremdem ausbildete: „Nur wer im Exil gelebt hat, weiß auch was Vaterlandsliebe ist, Vaterlandsliebe mit all ihren süßen Schrecken und sehnsüchtigen Kümmernissen!” Heine 1964, S. 107. 4

Frischs Eintrag datiert auf März 1946 und entstand in Basel. Frisch 1983, S. 24. Siehe auch

5

So heißt es auch bei Seeßlen 1984, S. 5: „Der Kern aller Heimat ist die Sehnsucht wegzugehen.”

das Kapitel „Max Frisch und die Schweiz” in: Lüthi 1997, S. 118–146. Elisabeth Bronfen nähert sich der Doppelfigur Fern- und Heimweh über den Film The Wizard of Oz (1939) an, in dem die Protagonistin Dorothy sich aus ihrem leidvollen Farmleben in ein fernes Land jenseits des Regenbogens wünscht. In der verzauberten Welt Oz angekommen macht sich Dorothy wieder auf den Weg nach Hause und muss nach allerlei bestandenen Abenteuern erkennen, dass es keinen anderen Platz als das Heim / die Heimat gibt („there’s no place like home”). Bronfen 1999, S. 199–243. 6

„Die Sonne scheint durch das kleine Loch in das kleine Zimmer, wo ich sitze und träume, die Glocken der Heimat tönen. [...] Ich war so weit entfernt von meiner Heimat; es lagen so viele Berge, Seen, Wälder, Flüsse, Felder und Schluchten zwischen mir und ihr, der Geliebten, der Bewunderten, der Angebeteten.” Walser 1980, S. 12.

7

Sebald 2013, S. 99 f. Auch Georges-Arthur Goldschmidts autobiografische Erzählung Un jardin en Allemagne (1986) artikuliert Heimweh als körperliches Leid. So empfindet der junge Protagonist, fern seiner Eltern in einem norddeutschen Kinderheim einquartiert, tiefen Schmerz: „Il n’avait plu même le temps pour son chagrin, pour le Heimweh, cette douleur de ne pas être chez lui, un mal de la poitrine ...”. Goldschmidt 1986, S. 49. Vgl. auch Bonn 2005, der sich intensiver mit dem Heimweh bei Goldschmidt befasst.

8

Bloch 1973, S. 1628. Bloch verfasste Das Prinzip Hoffnung, aus dem das Zitat stammt, im

9

Mitscherlich 1971, S. 107 f.

10

Brauchitsch 1996, S. 9.

11

Burckhardt 1954, S. 5.

12

Flusser 2007a, S. 16.

amerikanischen Exil zwischen 1938 und 1947.

13

Begriffe wie das englische „home” oder „homeland”, das tschechische „domov” oder das türkische „vatan” sind semantisch verwandt, wenngleich doch Abweichungen existieren. So heißt „vatan” Vaterland, „home” meint auch das Zuhause oder Haus.

137

14

Bausinger 2002, S. 72.

15

Vgl. Bystrina 1987, S. 24.

16

Flusser 1987, S. 42.

17

Vgl. Bollnow 1984, S. 28 f.

18

Vgl. Eisert-Rost / Eschbach 1989, S. 15; vgl. auch Bausinger 2002, S. 72.

19

Bausinger 1990, S. 80.

20

Die ersten beiden Strophen lauten: „Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus; da zog ich manche Stunde ins Tal hinaus. Dich, mein stilles Tal, grüß ich tausendmal! Da zog ich manche Stunde ins Tal hinaus. / Wie Teppich reich gewoben steht mir die Flur zur Schau: O Wunderbild! – und oben des Himmels Blau ...” Arnold 1969, S. 80 f. Darin (S. 24) auch ein Faksimile der ältesten erhaltenen Gedichtfassung, aus der ersichtlich ist, dass Ganzhorn sein Gedicht zunächst wie folgt begann: „Im schönen Wiesengrunde da steht mein kleines Haus”, dann die zweite Zeile ausstrich und stattdessen „ist meiner Heimat Haus” schrieb. Damit diffundierte die Heimat als übergreifende Leitidee in den Text. Zum Heimatgedanken in Ganzhorns „Im schönen Wiesengrunde” siehe Korfkamp 2006, S. 40 f., der jedoch nicht auf die Genese des Textes eingeht.

21

Kremer 2001, S. 26 und 48.

22

Ebd., S. 297.

23

Arndt 1814, S. 170. Zu diesem Thema vgl. Dogramaci 2011, S. 62–69.

24

„So weit die deutsche Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt / Das soll es sein! / Das, wackrer Deutscher, nenne dein!” Vgl. Schulze 1992, S. 69.

25

Vgl. Korfkamp 2006, S. 45. Zur Heimatschutzbewegung, die seit 1904 bis in die 1940er Jahre prosperierte, und ihrem Apologeten Paul Schultze-Naumburg siehe die kritische Annäherung von Hägele 2013, S. 166–168. Zu Schultze-Naumburg siehe auch Sauerländer 2000.

26

Vgl. Eisert-Rost / Eschbach 1989, S. 16.

27

Neumeyer 1992, S. 38.

28

Vgl. Korfkamp 2006, S. 56.

29

Enzensberger 1993, S. 49.

30

So heißt es in der Einleitung zur Ausstellung Flucht, Vertreibung, Integration, 2005 im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: „Heute liegt offen auf der Hand, dass der von Adolf Hitler entfesselte Krieg nach dem anfänglichen Siegeslauf der Wehrmacht mit brutaler Konsequenz auf die Deutschen zurückschlug. Ohne den Waffengang, der von deutscher Seite vor allem im Osten als Rassen- und Vernichtungskrieg geführt worden war, wäre es nicht zu millionenfacher Flucht und Vertreibung gekommen. Der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistischen Verbrechen waren unmittelbarer Anlass für die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Gleichwohl muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass in einigen mittel- und osteuropäischen Staaten – vor allem in der Tschechoslowakei – bereits im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges Entflechtungspläne existierten, die geprägt waren vom Traum eines ethnisch homogenen Staatsvolkes.” Schäfer 2005, S. 8 f. Siehe dazu auch den Beitrag von Bernd Faulenbach im selben Katalog, der sich den Debatten im Kontext des seit 1999 vom „Bund der Vertriebenen” geplanten Berliner „Zentrums gegen Vertreibungen” widmet: „Auf den Plan, ein ‚Zentrum gegen Vertreibungen’ in Berlin zu gründen, reagierte die polnische Öffentlichkeit jedoch heftig. Offensichtlich betrachteten sie das Zentrum als gegen Polen gerichtet. Sie hoben die Leiden der Polen unter der deutschen Besatzungsmacht hervor sowie den Tod von sechs Millionen Menschen.” Faulbach 2005, S. 194. 2008 rief die Bundesregierung an Stelle des Zentrums die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ins Leben.

138

31

Koebner 2005, S. 110.

32

Vgl. Waldherr 2012, S. 97; vgl. auch Breymayer / Ulrich 2011, S. 28 f.

33

Seeßlen 1984, S. 5.

34

Marschall 2005, S. 50.

35

Ebd., S. 55: „Hermanns Rückzug in die emotionale Unantastbarkeit hat in der Großstadt München, in der er sein persönliches und sein künstlerisches Glück sucht, nicht lange Bestand. Auch sein emphatisch vorgetragener Bruch mit der Heimat, mit der Herkunft aus dem Hunsrück, gelingt ihm nicht wirklich. Aber er findet heimatliche Ersatzwelten – eine ‚zweite’ Heimat – in der Kunst, im illustren Freundeskreis der Münchner Bohème in den fünfziger und sechziger Jahren und immer wieder bei den Frauen, die er auf eingeschränkte Weise dann doch lieben kann.”

36

Vgl. Bausinger 1984, S. 21; Neumeyer 1992, S. 48.

37

Mitscherlich 1965. Vgl. auch Neumeyer 1992, S. 1.

38

Yildiz 2004, S. 23.

39

Zu den Zeitschichten siehe vor allem die Überlegungen in Koselleck 2000; vgl. auch Assmann 1999, S. 151–157, die mit dem Begriff des Palimpsests operiert. Beispielhaft für diese Überlegungen sind Czesław Miłoszs autobiografische Ausführungen zu Städten wie Königsberg, Breslau oder Wilna, die durch wechselnde politische Systeme, Nationalitäten, Sprachen und Kulturen geprägt sind. Vgl. Miłosz 2002.

40

Ohliger 2011, S. 15.

41

Anderson 1991, S. 5 f. schreibt dazu: ”In an anthropological spirit, then, I propose the following definition of the nation: it is an imagined political community – and imagined as both inherently limited and sovereign. It is imagined because the members of even the smallest nation will never know most of their fellow-members, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion.”

42

Siehe beispielsweise die Bibliografie „Bürger auf Zeit. Bücher zur ‚Gastarbeiterfrage’”, die eine Auswahl an Publikationen zusammenführt, die bis 1971 in Deutschland erschienen sind. Die sicher nicht vollständige Liste umfasst bereits 45 Seiten. Vgl. Dapper 1972.

43

Reuter 2010, S. 165.

44

Grüber 1969, S. 11.

45

Anonym 1970, S. 23–25. Interessant ist, dass die Broschüre, die sich gegen Ausländerfeindlichkeit positioniert und im Komar-Verlag erschien, ohne Autorennamen erschien. Es ist nur zu vermuten, dass sich der Urheber / die Urheberin ggf. vor Anwürfen schützen wollte.

46

Micksch 1978, S. 89.

47

Ebd., S. 99: „Die entscheidende Voraussetzung für das Angebot einer sozialen Integration ist und bleibt aber die Verbesserung des Ausländerrechts. Ohne diese Verbesserung werden alle anderen Maßnahmen nutzlos bleiben. Deshalb ist einer politisch durchsetzbaren Initiative zur Änderung des Ausländerrechts Priorität einzuräumen.”

48 49

McRae 1980, S. 120. „Die deutsche Bevölkerung steht einer Eingliederung der Gastarbeiter im Sinne von ‚Gleichberechtigung’ eher ablehnend gegenüber, eine Haltung, die selbst im täglichen Umgang mit den Ausländern gut beobachtet werden kann.” McRae 1980, S. 123.

50

Ruppert 2011, Vorsatz.

51

Die Fotoserie ist abgebildet in Becht / Raab 2014, S. 62–71.

52

Vgl. Neumann 2014, S. 56. Über die Traditionen und kulturellen Praktiken der irischen Traveller heißt es bei Burke 2009, S. 2: „Contemporary Travellers in Ireland share common descent

139

and history and possess discrete cultural practices: boundary rules against outsiders, rigid gender roles, an aspiration to be mobile, an adaptive tradition of self-employement and involvement in marginal trades, a preference for flexibility of occupation over job security, a pattern of providing short-term labour in accordance with market demands, adherence to Catholicism involving public displays of religiosity, early marriage and substantial dowry payments when the families are affluent, a unique material culture, and distinct rituals of death and cleansing.” 53

Zu den Integrationsversuchen der Regierung siehe Neumann 2014, S. 56. Bereits Noonan 1994, S. 170 ff. verweist auf Diskriminierungen und Repressionen, denen Travellers ausgesetzt sind. So konfrontieren sie sesshafte Bürger mit andauernden Vorbehalten und Anwürfen, während Staat und Kommunen die Travellers drängen, ihren nomadischen Lebensstil zu ändern und sesshaft zu werden.

54

Walser 1968, S. 40, der in Süddeutschland deutlich mehr Heimatlust als in anderen Landstrichen Deutschlands erkennt, mit dieser rückständigen Heimatverbundenheit jedoch kokettiert: „Man [und damit auch Martin Walser selbst, der am Bodensee geboren wurde und dort noch immer lebt] versucht natürlich wegzukommen. Ernsthaft. Ich versuche es immer wieder einmal. Immer weniger ernsthaft. Sicher ist, ich bin bis jetzt ohne Absicht hiergeblieben. Ohne einen leicht mitteilbaren Grund. Manchmal gegen besseres Wissen. Gegen ausgezeichneten Rat.” Walser 1968, S. 41.

55

Weiß gilt als Farbe mit psychologischen wie religiösen Semantiken von Unschuld, Keuschheit, Unantastbarkeit (vgl. Oettl 2008, S. 66 u. 79) und steht in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts für einen „Endpunkt jeder erdenklichen Reduktion” für „Nichtkomposition, Nichtform, Nichtillusion [...] Negationen” (Meinhardt 1995, S. 210).

56

Vgl. Stumpel 2008, S. 54.

57

Vgl. Hauptmeier 2005, S. 12, der diese tour de force sehr eindrücklich beschreibt und zu

58

Peter Bialobrzeski, Rügen, 2003,aus dem Fotobuch Heimat, Abb. in: Bialobrzeski 2005, S. 25

dem Schluss gelangt: „Seine [Bialobrzeskis] Heimat verlangte viel Geduld.” 59

Literarisches Conversationsblatt 1823, S. 965 f., zit. n. Märker 2007, S. 45.

60

Vgl. Holsten 1974, S. 42.

61

Peter Bialobrzeski, Schwarzwald, 2004, aus dem Fotobuch Heimat, Abb. in: Bialobrzeski 2005,

62

Zur Rückenfigur bei Friedrich vgl. Busch 2006, S. 32.

63

Termini nach Niklas Luhmann, der davon ausgeht, dass Beobachter zweiter Ordnung nicht

S. 59.

nur Subjekte beobachten müssen, sondern auch Texte und Bilder Beobachtungen erster Ordnung sein können. Zum Beobachter zweiter Ordnung vgl. Luhmann 1997, S. 92–164. 64

Vgl. Lüttichau 2006, S. 229.

65

Märker 2007, S. 46, der in seinem Buch ausführlich auf die Interpretation der Rückenfiguren

66

Darauf verweist bereits Ariel Hauptmeier in seinem kurzen Essay zu Bialobrzeskis „Heimat”.

als politische Demagogen eingeht. Vgl. Hauptmeier 2005, S. 10. 67

Bialobrzeski 2005, S. 5.

68

Ebd., S. 5.

69

Zur Rezeption der Romantik in der Gegenwartskunst siehe Ausst.-Kat Bad Homburg 2012, der Arbeiten u. a. von Hiroyuki Masuyama, Darren Almond und Kris Martin vorstellt. Bei Masuyama gibt es Nachempfindungen von Friedrich-Gemälden wie Das Grab des Arminius (2006).

140

70

Z.B. Neon Tigers, Nr. 53, Shanghai 2001, publ. in: Ausst.-Kat. Zürich 2009, S. 17.

71

Bialobrzeski in: Ausst.-Kat. Zürich 2009, o. S.

72

Busch 2006, S. 32.

73

Vgl. Grütter 1984, S. 47.

74

Stumpel 2008, S. 43. Safranski schreibt: „Es [das Romantische] ist nicht nur ein deutsches Phänomen, aber es hat in Deutschland eine besondere Ausprägung erfahren, so sehr, daß man im Ausland bisweilen die deutsche Kultur mit Romantik und dem Romantischen gleichsetzt.” Safranski 2007, S. 12.

75

Vgl. Zacharias 2006, der mit Kimsooja, Darren Almond und Olga Chernysheva drei von Friedrich beeinflusste, zeitgenössische Positionen nennt. Auch Nakama 2011, S. 210–228 verweist auf die Aktualität Caspar David Friedrichs, indem sie Arbeiten von Anselm Kiefer und Gerhard Richter anführt. Kiefers Auseinandersetzung mit Kunst, Kultur und Geschichte des 19. Jahrhunderts zeigt sich bereits in seiner frühen Arbeit „Besetzungen” (1969), in der er sich als Rückenfigur und mit Hitlergruß an verschiedenen Orten, Denkmälern und Landschaften zeigt. Hier erkennt Nakama 2011, S. 210 beispielsweise Referenzen an Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer (um 1818; Abb. 13 in diesem Buch): „In den 1970er und 1980er Jahren nahm er [Kiefer] die in der deutschen Romantik beliebte Landschaft auf und vergegenwärtigte, sei es positiv, sei es negativ, dem Publikum zum ersten Mal seit Kriegsende die romantische Tradition als ‚schwieriges Erbe’.”

76

Einige Fotografien dieser neuen Arbeit waren zu sehen in der Ausstellung Zoom! Architektur und Stadt im Bild, 2. April–21. Juni 2015, Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, München.

77

Es handelt sich um eine Auftragsarbeit für die Berliner Ausstellung. Im lesenswerten Ausstellungskatalog, der verschiedene künstlerische Perspektiven auf Heimat und Einwanderung entwickelt, ist auch ein Interview mit Rosefeldt abgedruckt. Siehe Ausst.-Kat. Berlin 2011b, S. 132–134.

78

Heine 2006, S. 3.

79

Ebd., S. 7.

80

Vgl. dazu vor allem Woesler 2006.

81

Canetti 1960, S. 190. Auf die im Nationalsozialismus verbreiteten Um-und Beschreibungen von Waldlandschaften mit militärischen Begriffen – „Waldformation und Gesellschaftsformierung stimmen überein” – verweist z. B. Weyergraf 1987, S. 7.

82

Bei Theodor Lessing heißt es: „Meine Heimat ist ein düstres wolkenverhangenes Land, Dort blüht die Heide, die Birke steht an der Felder nebligem Rand, Zäh ist die Birke, auf steinigem Fels sie noch Wurzel faßt, Aber sie trägt das lieblichste Laub und im Frühling den zartesten Bast.” Das Zitat ist Lessings Essay Birken auf der Heide vorangestellt, das der nordischen Ebene gewidmet und in seinem Buch Blumen von 1928, S. 37–42, publiziert ist. Teilweise wieder abgedruckt in Lessing 1986, S.287–290.

83

Zuvor hatte die nationalsozialistische Regierung ein Kopfgeld über 80.000 Reichsmark ausgelobt. Bereits vor 1933 hatte der politische Journalist, Pazifist, Schriftsteller und Philosoph mit seinen staats- und systemkritischen Texten im Visier rechtsnationaler Kräfte gestanden. Auch die Flucht aus Deutschland im Februar 1933, die vehementen Bedrohungen folgte, konnte indes sein Leben nicht retten. Lessing wurde aus dem Hinterhalt und durch das Fenster seiner Prager Fluchtstätte erschossen. Zu Lessings Leben und Wirken vgl. umfassend Kotowski 2008, zu Lessings kurzer Exilzeit besonders S. 144–183.

84

Vgl. Hall 2008, S. 4.

141

85

Siehe Vogt 2011, S. 239–242., der verschiedene Folgen der Fernsehserie Tatort nach der

86

Weyergraf 1987, S. 10.

87

Breymayer / Ulrich 2011, S. 20 f. Zum Wald in den Märchensammlungen der Brüder Grimm

dramaturgischen Relevanz des Schauplatzes Wald befragt.

siehe auch Lehmann 2008, S. 37–43. Bei Schütz 2011, S. 110 f. heißt es: „Bei den unheimlichen deutschen Wäldern denkt man zuallererst an die Wälder der Märchen. Gemeinhin erfährt man vom Grimm’schen Märchenwald zwar auf den ersten Blick kaum mehr, als dass er groß, tief, dunkel, düster und gefährlich ist. Doch ist bei näherem Hinsehen der Wald der Märchen differenzierter und auch komplexer. Er ist zunächst zwar stets Ort der Verwilderung und der (bedrohlichen) Sexualität wie der eingeschlossenen Zufluchten und Idyllen, ob nun täuschend oder echt; er enthält aber nicht nur Wölfe und Hexen, sondern auch Räuber und Königssöhne, Jäger und Holzhauer, Köhler und Vogelsteller ...” 88

Zu Kleidung, Accessoires und Motorrädern als „Ausdrucksformen und Werthaltungen” der

89

Vgl. Stutterheim 2008, 245–247.

90

Zum Nebel bei Friedrich vgl. Lüttichau 2006, S. 224 f.; vgl. auch Hofmann 2000, S. 33.

Rockerkultur vgl. Simon 1989, S. 145–159.

91

Diese Ausstellung wurde initiiert durch den russischen Generalgouverneur Fürst RepninWolkonski und wurde zum Jahrestag der Thronbesteigung Zar Alexander I. ausgerichtet. Sie galt später als „Ausstellung patriotischer Kunst”. Vgl. Howoldt 2006, S. 63.

92

Ebd., S. 65. Vgl. auch Hofmann 1999, S. 19, der im Chasseur „die in Bedrängnis geratene Grande Armee” erkennt, der Soldat sei „Symbolfigur der Ausweglosigkeit angesichts der Übermacht nicht des Feindes, sondern der Natur”. Als „Erfinder des mythischen deutschen Waldes” wird Caspar David Friedrich bezeichnet in Bernhard 2011, S. 132. Zum Wald als politische Topographie in der künstlerischen Moderne siehe Gebhardt 2004, S. 354–362.

93

Vgl. Kremer 2001, S. 11.

94

Kocka 2001, S. 85.

95

Langewiesche 2000, S. 17.

96

Bertz 2011, S. 43.

97

Vgl. Langewiesche 2000, S. 83.

98

Ebd., S. 84.

99

Ebd., S. 199.

100

Vgl. Hahn / Berding 2010, S. 373.

101

Kremer 2001, S. 5.

102

Vgl. Bystrina 1987, S. 30.

103

Eben diese Heimatverbundenheit und das Eintreten für die nationale Einheit wurden in der späteren, völkischen Rezeption der Romantik im Nationalsozialismus exponiert; romantische Maler wie Caspar David Friedrich und Autoren wie Ernst Moritz Arndt wurden als Protagonisten einer dezidiert deutschen, vaterlandsliebenden Malerei und Literatur politisch vereinnahmt und ideologisiert. Dies führte zu Publikationen wie: Kurt Wilhelm-Kästner, Ludwig Rohling und Karl Friedrich Degner: Caspar David Friedrich und seine Heimat, Berlin 1940. Zur Vereinnahmung Caspar David Friedrichs im Nationalsozialismus vgl. Hinrichs 2011, S. 171–196.

104

Safranski relativiert dies, indem er die politische Gesinnung des Dichters nur als Schutz für die eigenen Vernichtungsphantasien deutet, die im Stück Ausdruck gefunden hätten. Safranski 2007, S. 189. Auch Essen 1998, S. 147 verweist auf den nur vordergründig „kompromißlosen Freund-Feind-Dualismus ohne Zwischentöne”, denn eigentlich weise sich das Stück durch Komplexität und Brüchigkeit sowie ein Interesse an Maskierungen und Demaskierungen,

142

Rollenerwartungen und Selbst- wie Fremdbildern aus. Vgl. auch Michelsen 1987, S. 117, der ebenfalls vor einer eindimensionalen Lesart als „ein den politischen Ereignissen des Tages verpflichtete[s] Zeitstück” warnt, wenngleich er Kleist eine zweifelsohne antinapoleonische Haltung attestiert (S. 119). 105 106

Vgl. Märtin 2008, S. 290. Münkler 2010, S. 98 bezieht sich in seiner Analyse des Mythos als „Präfiguration der jeweiligen Gegenwart”, der Wahrnehmung tatsächlicher Ereignisse „durch den Wahrnehmungsfilter mythischer Deutungen” zwar auf das Nibelungen-Epos, doch ist dieser Ansatz sicherlich auch auf die Varusschlacht und deren Rezeption im 19. Jahrhundert übertragbar – zumal Münkler darauf verweist, dass es am Ende des 19. Jahrhunderts zur Identifikation von Arminius und Siegfried kam (S. 176 f.).

107

Caspar David Friedrich, Gräber gefallener Freiheitskrieger, 1812, Öl auf Leinwand, 49,5 x 70,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Abb. in: Hofmann 2000, S. 93. Hinrichs 2011, S. 26 weist darauf hin, dass Kleist sein Stück vermutlich in patriotisch gesinnten Kreisen verlas, zu denen auch Friedrich in Kontakt stand.

108

Vgl. Leppien 1993, S. 12, der ebenfalls wie Howoldt 2006, S. 62, betont, dass die politische Botschaft stark verschlüsselt auftritt, da das Arminius-Grab in Dunkel getaucht ist. Ebenso subtil trägt eine nur schwer erkennbare Schlange die französischen Farben. Vgl. Hofmann 1999, S. 19.

109

Münkler 2010, S. 15.

110

Vgl. Hinrichs 2011, S. 24–32; vgl. auch Howoldt 2006, S. 58–62.

111

Dieser Wald, der in sich die Sedimente deutscher (Kultur-)Geschichte trägt, prägt die Bildräume, die Anselm Kiefer seit den 1970er Jahren in Auseinandersetzung mit der Historie seines Heimatlandes schuf. Deutsche Geschichte, große Namen deutschen Geistes, deutsche Mythen und Topographien fanden Eingang in Werke wie Wege der Weltweisheit. Die Hermannsschlacht (1980) oder Varus (1976), die bereits in ihrem Namen Bezüge zur Schlacht des Arminius aufweisen. Da die Hermannsschlacht in der Rezeption des 19. Jahrhunderts zum „Gründungsakt der deutschen Nation” (Märtin 2008, S. 299) ausgerufen wurde, wird die Schlacht bei Kiefer zu einem zentralen Ausgangspunkt für die Reflexion über die Ursprungsmythen der Deutschen. In Wege der Weltweisheit ist die Materialität des Waldes bereits in die künstlerische Technik des Holzschnitts eingegangen, der einen Wald zeigt. Porträts deutscher Künstler, Dichter, Philosophen und Politiker, vor allem aus dem 19. Jahrhundert, sind über die Bildfläche verteilt, bilden den Boden des Waldes und sind auf dem dichten Geäst exponiert. Geisterhaft blitzen diese Bildnisse am mythischen, urdeutschen Ort der Hermannsschlacht auf, Krieg und Geist verweben sich, labyrinthische Linien verbinden diese Figuren, während mit Kinderschrift der Werktitel an den unteren Bildrand geschrieben ist. Kiefers deutsche Geschichte als Wald oder der deutsche Wald als Geschichte ist ein Blick zurück, geprägt durch die Erfahrung der Gewalthistorie des Nationalsozialismus, der wiederum deutsche Geschichte um- und weiterschrieb. In Kultur und Geschichte des 19. Jahrhunderts erkennt Kiefer sichtlich ein Kraftfeld, das bis in seine Gegenwart ausstrahlt und deutsche Geschichte nachhaltig vorgeprägt und bestimmt hat. Dabei ist der Wald, nicht zuletzt durch seine semantische Aufladung als deutsche Topographie, ein den geistigen Größen gleichwertiger Akteur.

112

Münkler 2010, S. 165, der auch darauf verweist, dass Arminius die Reihe der großen ­Deutschen in der Walhalla eröffne und dass auch das Treppenhausfries zur deutschen Geschichte in der Berliner Nationalgalerie, geschaffen von Otto Geyer, seinen Beginn bei Arminius habe.

143

113

Vgl. Märtin 2008, S. 142 f. Der Verlauf der Schlacht wird von Märtin auf der Basis von textlichen Überlieferungen und archäologischen Funden eingehend beschrieben (S. 191–207).

114

Vgl. Essen 1998, S. 176; vgl. auch Münkler 2010, S. 169.

115

Vgl. Essen 1998, S. 127–129.

116

Julian Rosefeldt, in: Wenzel 2011, S. 132. Die Bedeutung der historischen Varusschlacht für diese Filminstallation bestätigte Julian Rosefeldt auch in einem Gespräch mit der Verf. am 19.7.2013 in München.

117

Urmersbach 2009, S. 109, die auch darauf verweist, dass die Kettensäge heute auch für Waldwettkämpfe eingesetzt wird, bei denen Sportholzfäller um die Meisterschaft kämpfen (S. 116).

118

Rosefeldt, in: Wenzel 2011, S. 134.

119

Améry 1966, S. 75.

120

Ebd., S. 91.

121

Vgl. Bausinger 1984, S. 14–17.

122

Vgl. Kluge 1995, S. 365.

123

Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 2000.

124

Kocka 2001, S. 84.

125

Mary Ellen Mark: Turkish Immigrants, Istanbul, 1965 / 66, Abb. in: Mark 1974, o. S.

126

Mary Ellen Mark im Interview mit Eleanor Lewis, New York City, 15. Juni 1974, in: Mark 1974.

127

Claes 2010, S. 93.

128

Grimm 1889, S. 1495.

129

Claes 2010, S. 9.

130

Spector 1995b, S. 10 spricht vom Pass als einem „Tagebuch der Bewegung”, einer „Chronik geographischer Wanderungen”, einem „Palimpsest anderer Räume und vergangener Zeiten”.

131 132

Felix Gonzalez-Torres an Andrea Rosen, 14. Februar 1992, in: Ault 2006, S. 160. So in seiner Arbeit „Untitled”, 1989–90, zwei Papierstapel, die die Sätze „Somewhere better than this place” und „Nowhere better than this place” tragen. Dazu Spector 1995a, S. 83: „Travel presupposes a circular route – a going forth, a turning around, and a return – a search for ‘elsewheres’, and a homecoming. Of course, within the artist’s nomadic vision, ‘home’ could be anywhere and mean anything: literally to be in that safe place, but also to have one’s health, to be with one’s lover, to share in a community that is both ‘personally’ satisfying and ‘publicly’ accepted. In the metaphoric journey mapped and remapped in Gonzalez-Torres’s art, the definition of ‘home’ is constantly shifting, as points of departure and destinations change over time.”

133 134

Hoffmann / Pedrosa 2011. Gonzalez-Torres sagt dazu in einem Interview über seine Arbeit „Untitled” (Beginning) von 1994: „Diese Arbeit besteht einfach aus Perlen, durch die man hindurchgehen kann und die sich auf dem Körper wirklich gut anfühlen. Sie machen dieses Geräusch, und der Vorhang schimmert, wenn ihn Leute berühren. Man muß ihnen nicht erst zeigen, daß sie näherkommen und ihn berühren dürfen, sie tun es einfach. Die Leute kommen rein und spielen mit meiner Arbeit; man muß ihnen nicht sagen, daß sie die Kunst nicht berühren, geschweige denn, die Kunst nicht in die Hand nehmen dürfen.” Felix Gonzalez-Torres, in: Storr 1995, S. 27. Zur kunstinstitutionellen Kritik bei Gonzalez-Torres siehe auch Reichensperger 2006, S. 38.

135

Dazu ausführlich und anschaulich Claes 2010, S. 81–90.

144

136

Taylor 1994, S. 55.

137

Ewing 2008, S. 19. Vgl. auch Beck-Gernsheim 2004, S. 59 f.

138

Vgl. Plank 2009, S. 4 f.

139

Groebner 2004a, S. 7.

140

Groebner 2004b, S. 85.

141

Besonders das fotografische Porträt dient aufgrund der ihm zugesprochenen hohen mimetischen Fähigkeit Identifikationszwecken. Bereits das malerische Bildnis wird seit ehedem als Sichtbarmachung von Physiognomie und Charakter interpretiert: „Das Bildnis verspricht daher sowohl authentisches Abbild eines ausgewählten Individuums als auch ein komplex gestaltetes Sinnbild seiner einzigartigen Persönlichkeit zu sein.” Gördüren 2013, S. 12.

142

Vgl. Taylor 1994, S. 69, der schreibt: „Es ist nie möglich, ein Selbst zu beschreiben, ohne auf diejenigen Bezug zu nehmen, die seine Umwelt bilden. [...] Ich definiere, wer ich bin, indem ich den Ort bestimmte, von dem aus ich spreche: meinen Ort im Stammbaum, im gesellschaftlichen Raum, in der Geographie der sozialen Stellungen und Funktionen, in meinen engen Beziehungen zu den mir Nahestehenden und ganz entscheidend auch im Raum der moralischen und spirituellen Orientierung, in dem ich die für mich wichtigsten definierenden Beziehungen durch das Leben selbst herstelle.”

143

Groebner 2004b, S. 85.

144

Zu Problemen kultureller Exklusion durch physiognomische Differenz verweise ich auf einen ergreifenden, autobiografischen Text des deutschen Theaterregisseurs Dan Thy Nguyen: „In den meisten Theaterproduktionen bin ich der einzig asiatisch Aussehende. Die deutsche Sprechtheaterwelt ist zur Zeit eine Weiße Hochburg, und ich muss mir oft den Respekt als Regisseur erkämpfen – auch in der freien Theaterszene. Einige meiner Kolleg_innen wollen mir nicht glauben, dass ich mich auch in westlicher Literatur auskenne, vieles in Originalsprache lese und mich in verschiedenen kulturellen Räumen nahezu problemlos bewege. Sehr oft begegne ich der Angst vor der ,Asiatisierung’ der Kulturszene, insbesondere im Bereich der klassischen Musik. [...] Ich hätte nie erwartet, dass meine vietnamesische Herkunft in Deutschland mich und meine Arbeit so beeinflussen würde. Sehr oft will ich gar nicht auffallen und lieber in der Masse verschwinden. Wenn mich jemand fragt, woher ich stamme, dann überflutet mich die Angst. Ich befürchte, dass ich in dem Land, in dem ich geboren wurde, niemals zu Hause sein werde. Und so ist meine bisher noch junge künstlerische Arbeit auch die eines Heimatlosen.” Nguyen 2013, S. 66 f.

145

Peter von Moos spricht vom „universellen Aspekt der persönlichen Identität”. Moos 2004,

146

Beck-Gernsheim 2004, S. 170.

S. 12. 147 Vgl. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/IB/Einbuergerung/ gp-a1-voraussetzungen.html (Abruf 31.5.2015). 148

Vgl. Schneider 2001, S. 19–21. Schneider verweist auf Nationen, die sich über natürliche Grenzen hinweg imaginierten – wie Frankreich und seine überseeische Territorien – und Nationen, die mehrere Sprachgebiete umfassen oder mehrere Staatssprachen besitzen – wie die Schweiz oder Kanada.

149

Kocka 2001, S. 83.

150

Vgl. Langewiesche 2000, S. 25; vgl. auch Enzensberger 1993, S. 15 f.: „Vielen, aber nicht allen Nationen ist es gelungen, ältere Formen der Identifikation auf sich zu übertragen. Das ist eine psychologisch diffizile Operation. Mächtige Gefühle, von denen früher kleinere Verbände beseelt waren, sollen auf diese Weise zugunsten der modernen Staatenbildung

145

mobilisiert werden. Dabei geht es selten ohne Geschichtslegenden ab. [...] Die abstrakte Idee der Nation konnte aber nur dort ein selbstverständliches Leben gewinnen, wo der Staat sich organisch aus älteren Zuständen entwickeln durfte.” 151

Vgl. Münkler 2010, S. 13.

152

Vgl. Schneider 2001, S. 28.

153

Brauchitsch benennt die Konstruktion von Feindbildern, so etwa im Vorfeld des deutschfranzösischen Krieges 1870 / 71, als die geforderte Einheit Deutschlands in Abgrenzung zum „Feind” Frankreich proklamiert wurde – und zur Kriegserklärung Frankreichs führte. Brauchitsch 1996, S. 8 f. Brauchitsch bezieht sich vor allem auf Karl Strack: Feindseligkeiten der Franzosen gegen Deutschland. Ein Warnungsruf aus der Vergangenheit an die Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1862.

154

Maßgeblich initiiert wurde die Debatte durch die Forderung des CDU-Politikers Friedrich Merz nach einer deutschen Leitkultur im Jahr 2000; geprägt wurde der Begriff durch den Politologen Bassam Tibi und sein Buch Europa ohne Identität von 1998, in dem er über eine europäische Leitkultur schrieb. Zu beiden Positionen vgl. Pautz 2005, S. 70–84 (Tibi) und 90–93 (Merz). Zur politischen Idee des Begriffs vgl. Wesel 2006. Christian Wulffs Rede ist nachzulesen auf http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/ Christian-Wulff/Reden/2010/10/20101003_Rede.html (Abruf 25.5.2015).

155

Vgl. Schneider 2001, S. 34.

156

Langewiesche 2000, S. 49.

157

Vgl. Schneider 2001, S. 56.

158

Vgl. Kocka 2001, S. 33.

159

Ebd., S. 88.

160

Wagner 1975, S. 82.

161

Ebd., S. 89.

162

Kneif 1975, S. 129; vgl. u. a. auch Müller 2013, S. 148–152, der zwar die Wagner-Rezeption durch Hitler beschreibt, sich jedoch dagegen verwehrt, Wagner als „Spritus Rector Hitlers” zu erkennen; Porat 2000 betont, dass es weniger einzelne Texte oder ein gemeinsamer Antisemitismus gewesen seien, sondern dass vielmehr der Komponist Wagner dem Politiker Hitler in einem übergeordneten Sinne als „Inspirationsquelle” oder kreativer Genius gedient habe.

163

Thomas Manns Rede wurde im Oktober 1945 zunächst in der Zeitschrift Die neue Rundschau veröffentlicht und 1947 erneut im Suhrkamp-Verlag publiziert.

164 165

Mann 1947, S. 10 f. Siehe dazu u. a. Lörke 2010, S. 58. Ein kurzer Überblick zur Kulturgeschichte der Frage „Was ist deutsch?” findet sich bei Borchmeyer 2010, darin auch ein schmaler Verweis auf Thomas Mann (S. 20–23).

166

Einige der Beiträge fanden sich auf http://www.dradio.de/dlf/sendungen/deutsch /  (Abruf 30.7.2013), sind nun aber nicht mehr abzurufen.

167

Adorno 1977, S. 691.

168

Die Deutschen erschien im Format 19 x 21 Zentimeter und hatte einen Umfang von 170 Seiten. Spätere erweiterte Neuauflagen wurden in größerem Format publiziert. Zu nennen ist noch die französische Ausgabe Les Allemands, die 1963, also ein Jahr nach der Erstausgabe, von Robert Delpire in Paris verlegt wurde. Delpire war ein besonderer Förderer junger Fotografie. So veröffentlichte er bereits 1958 Robert Franks Les Américains. Zu diesem Thema vgl. Puttnies 1984, S. 85.

146

169

Vgl. Magnaguagno 1984, S. 19.

170

Berliner Wohnbauten: Burri 1962, S. 71 und Burri 1999, Abb. 35; Invaliden: Burri 1962, S. 91

171

Schlögel 2011, S. 96–98.

172

Russisches Ehrenmal: Burri 1962, S. 20 und Burri 1999, Abb. 53; Tanzcafé: Burri 1962, S. 155.

173

VW Käfer: Burri 1962, S. 11. Burri 1999, Abb. 64

und Burri 1999, Abb. 69.

Burri 1999, Abb. 59. 174

Koetzle verweist auf Berichterstattungen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Hamburger Abendblatt, die Burris Buch teilweise kritisch beurteilten: „So häßlich sind wir nicht.” (FAZ) Vgl. Koetzle 1999, S. 7.

175

Vgl. Puttnies 1980, S. 12 f. Die Serie über die Engländer erschien als Unser Nachbar England, Stern, Nr. 3, 20. Januar 1963, S. 24 ff., Streiken und Teetrinken, Nr. 4, 27.1.1963, S. 30 ff., Große und kleine Lords, Nr. 5, 3.2.1963, Das Reich der goldenen Mittelklasse, Nr. 6, 10.2.1963, S. 18 ff.

176

Eskildsen 1982.

177

Vgl. Harder 2002, S. 18.

178

Puttnies 1980, S. 5.

179

Eggebrecht 2002, S. 29.

180

Moses 1964, S. 34 f. Die erste Folge der Reportage erschien unter dem Titel Nachbarn in: Stern, Nr. 41, 11. Oktober 1964, S. 34–48; es folgten weitere Folgen wie Mitglieder, Nr. 42, 18. Oktober 1964, S. 110 und Gesellschaft, Nr. 43, 25.10.1964, S. 82–88.

181

Puttnies 1980, S. 16 f.

182

Moses 1964, S. 40.

183

Stefan Moses, Facharbeiterinnen für Textiltechnik, Leipzig, 1989/90, Abb. in: Ausst.-Kat. Berlin 1991, S. 235. Explizite Beschäftigung mit Einwanderung zeigt beispielsweise das Buch München (1980) von George Bailey, für das Moses die Fotografien lieferte. Ein Kapitel darin beschäftigt sich mit „Gastarbeitern”, die als Straßenkehrer, Reinemachefrauen oder Straßenarbeiter im Bild erscheinen. Siehe Bailey 1980, S. 132–142. Auch im Projekt 24 Stunden Ruhrgebiet von 1985, an dem auch Moses als Fotograf beteiligt war, findet das Thema der Einwanderung Artikulation. So stellte er neben deutschen auch türkischstämmige Bewohner des Ruhrgebiets vor das mitgebrachte Tuch. Vgl. 24 Stunden Ruhrgebiet, hg. v. Kommunalverband Ruhrgebiet, Essen, Berlin u. a. 1985.

184

Zur Problematik dieser begrifflichen Zuweisungen vgl. u. a. Dörr 2009.

185

Vgl. Yano 2007, S. 1–7; Zur deutsch-türkischen Anwerbepolitik vgl. Hunn 2002.

186

Ausst.-Kat. Bonn 1979, S. 208–221.

187

Vgl. Ganteführer-Trier 1999, S. 10.

188

Bezugnehmend auf das Stichwerk Receuil Ferriol waren die europäischen Frauenbildnisse à la turque, also von Europäerinnen in orientalischer Kleidung, einander ähnelnden Darstellungsmustern verpflichtet. Man ließ sich à la turque portraitieren, wobei das Türkische nicht nur das äußere Erscheinungsbild meinte, sondern auch die Art und Weise des Lebens. Die Europäerinnen ließen sich im Schneidersitz oder im Liegen, beim Kaffeetrinken oder Rauchen malen, also in Posen, die ihnen die westeuropäische Etikette eigentlich verbot. Vgl. Ribeiro 2002, S. 270.

189

In der Rezeption von Höfers Serie Türken in Deutschland sind diese Parkbilder wiederum auf das Verhalten der Migranten der 1970er Jahre zurückprojiziert worden. So formuliert Paul Tanner in seiner recht eindimensionalen Auseinandersetzung mit Höfers Serie: „Vor allem im Gebiet unweit des Hauptbahnhofs hatten sich mehr und mehr türkische Familien nieder-

147

gelassen, beziehungsweise dort türkische Geschäfte übernommen. Den erwähnten Park hatten sie gleichsam im Sitzen in Besitz genommen. So kann eine türkische Grossfamilie allein durch ihr Auftreten, vielleicht müsste man besser sagen: durch ihr Hinsetzen, Platz beanspruchen und Besitz vom Park ergreifen.” Tanner 2008, S. 262. 190

Ebd., S. 262. Aus dieser Erfahrung entstand auch die bereits genannte Doppelprojektion Türken in Deutschland und Türken in der Türkei.

191

Siehe das folgende Kapitel „Heim und Heimat” in diesem Buch.

192

Vgl. Bischoff / Schloemer 2013, darin auch Dogramaci 2013.

193

Vgl. Führ 1985, S. 13.

194

Agee / Evans 1989, S. 271. Das englische Originalzitat lautet: „In the front room, parallel, heads opposite the fireplace, and filling all their part of the room except the path to the door between them, are two beds not of iron but of wood. One of these beds is of simply designed and not very heavy wood; the other is of dark, heavy and ornate Victorian wood, high and florid at the head against the dark plank wall, and scarred and chopped with many years of use, and these are spread with nearly black gashed quilts, considerably further gone than are ordinarily found on dump heaps, and at the heads are pillows, some bare and some in slips, in either case the ticking or slipcloths torn and reduced to a festered gray and the urine yellow that is the stain of hair.” Agee / Evans 1965, S. 199

195

Sartorius 1989, S. 531.

196

Agee / Walker 1989, S. 249. Im englischen Originalzitat heißt es: „The children’s bed in the rear room has a worn-out and rusted mesh spring; the springs of the other two beds are wire net, likewise rusty and exhausted. […] There are two mattresses on each, both very thin, padded, I would judge, one with raw cotton and one with cornshucks. They smell old, stale, and moist, and are morbid with bedbugs, with fleas, and, I believe, with lice. […] The sheeting is of a coarse and beautiful unbleached but nearly white cotton, homesewn down the length of each center with a seam either ridged or drawn apart. It is cloth of a sort that takes and holds body heat rapidly, and which is humid with whatever moisture may be in the air, and the fabric is sharp against the skin.” Agee / Walker 1965, S. 175.

197 198

Vgl. Phillips 2007, o. S. Aus den 2000 Haushalten wählte BBC 80 Haushalte aus, die in einer Serie dokumentiert wurden. Vgl. Barker 1992, o. S.

199 Ebd. 200

Parr / Barker 1992, o. S.

201

Barker 1992, o. S.

202

Dazu schreibt Williams 2002, S. 213 überzeugend: „‚Signs of the times‘ may, ostensibly, have been about taste, but really, it was about our dreams, our desires, to be better people than we feel we are, to be more glamorous, more impressive, more satisfied.”

203

Williams nennt noch Robert Hewisons Culture and Consensus: England, Art and Politics Since 1940 von 1995. Williams 2002, S. 213.

204 Dass Signs of the Times ein repräsentativer Querschnitt aus der breiten Masse sein sollte, zeigt sich nicht nur daran, dass das zugehörige Buch mit 9,90 Pfund Verkaufspreis erschwinglich war. Auch wurden einige Fotografien mit zugehörigen Kommentaren in der Londoner Tube plakatiert, um wiederum zu der Masse zu gelangen, die in Bild und Wort repräsentiert wurde. 205

Barker 1992, o. S.

148

206

Zur „Englishness” siehe Nikolaus Pevsners 1955 über BBC verbreitete Reith Lecture The Englishness of English Art, in der der aus Deutschland emigrierte Kunsthistoriker nach einer genuin englischen Kunst und Ästhetik fragte. In Buchform fand dieser kunstgeografische Ansatz weite Verbreitung, siehe Pevsner 1956.

207

Siehe das Kapitel Northern life and ideals in Val Williams Monografie über Martin Parr: Williams 2002, S. 73–154.

208

Darauf verweist bereits Koetzle 2009, S. 280.

209

Koelbl 1980, S. 132.

210 Ebd. 211

Peter Richter interpretiert die schweren Gardinen vor deutschen Fenstern als typisch natio-

212

Vgl. Schmidt-Lauber 2003, S. 171–178.

213

Vgl. Warnke 1979, S. 674 f.

214

Mitscherlich 1971, S. 120.

215

Koetzle 2009, S. 278.

nale Eigenart einer Abschottung nach außen. Vgl. Richter 2006, S. 160.

216

Mitscherlich 1971, S. 119.

217

Riggins schreibt über das Wohnzimmer: „This architectural feature that is found in practically every house and apartment constitutes a transactional space for the household as well as a stage for selective contacts with the outside world.” Riggins 1994, S. 101.

218

Sack 1980, S. 15.

219

Vgl. Warnke 1979, S. 684–687.

220

Mitscherlich 1971, S. 108.

221

Zur Gemütlichkeit in deutschen Wohnzimmern siehe ausführlich Schmidt-Lauber 2003,

222

Koelbl 1980, o. S.

223

„Man hält die Heimat für den relativ permanenten, die Wohnung für den auswechselbaren,

S. 161–165.

übersiedelbaren Standort. Das Gegenteil ist richtig: Man kann die Heimat auswechseln oder keine haben, aber man muss immer, gleichgültig wo, wohnen. [...] Ich baute mir [...] ein Haus, um dort zu wohnen. Im Kern dieses Hauses steht mein gewohnter Schreibtisch mit der gewohnten, scheinbaren Unordnung meiner Bücher und Papiere. [...] Ich bin in Gewohntes eingebettet, um Ungewöhnliches hereinzuholen und um Ungewöhnliches machen zu können. [...] Wohnen ist die Weise, in der ich mich überhaupt erst in der Welt befinde; es ist das Primäre.” Flusser 2007a, S. 27. 224

Royer 2010, S. 137. Zu Antinomads siehe auch Ausst.-Kat. Wien 2012, S. 120.

225

Grimm 1877, S. 865.

226

Hauptmeier 2005, S. 11.

227

Die Titelgeschichte von Dirk Kurbjuweit erschien in Spiegel-Heft 15 des Jahres 2012 (vgl. Kurbjuweit 2012) und suchte das Gespräch mit zwölf Menschen an sechs Orten in Deutschland. Ergebnis waren verschiedene Definitionen von Heimat, die von geografischen Zuschreibungen („Dortmund ist meine Heimat”), über Mikrogeografien („Mein Zimmer ist meine Heimat”) bis zu digitalen Aneignungen („Das Netz ist eine meiner Heimaten”) reichten. Die Geschichte schlug hohe Wellen, wurde z. B. in Ausstellungen rezipiert. So diskutiert der Katalog zur Ausstellung Heimat 3.0 den Spiegel-Artikel umfangreich. Vgl. Ausst.-Kat. Neuhausen ob Eck 2013, S. 20 f. Auch die Süddeutsche Zeitung brachte 2012 einen umfangreichen Beitrag zum Thema Das Prinzip Heimat in ihrem allwöchentlichen Beilage Wochenende, vgl. Winkler 2012. Und im Dezember 2012 folgte

149

dann Zeit-Campus mit der Geschichte Was ist Heimat?, einem Interview mit dem Soziologen Hartmut Rosa, vgl. Klüber 2012. 228

In Eichendorffs Gedicht Abschied (1810) heißt es: „Da draußen, stets betrogen / Saust die geschäft’ge Welt / Schlag noch einmal die Bogen / Um mich du grünes Zelt.” Siehe dazu Bausinger 2002, S. 73.

229

Fried 2010, S. 26. In seinem 1969 veröffentlichten Gedicht widmet sich Fried den ambivalenten Gefühlen der Deutschen für ihren Wald. So heißt es als Antwort auf Was ist uns Deutschen der Wald: „Ein ewig grünender Vorwand / zur Definition von Geräuschen / als Rauschen oder als Stille / zum Hören des Schweigens / sowie zur geselligen Freude / an seiner zwanglos befreienden Einsamkeit. [...] Ein Grund in ihm zu lieben und in ihm zu schießen / ihn tief ins Herz und für den Durchgang zu schließen / in ihm geborgen die ganze Welt zu verneinen / uns sich in ihm oder mit ihm zu vereinen / sein Schweigen zu feiern in schallenden Chorgesängen / in ihm Fallen zu stellen und sich in ihm zu erhängen.” Bezeichnenderweise ist das Gedicht auch publiziert in Klaus Wagenbachs Anthologie Deutsche Orte (Berlin 1991).

230

Brock 1992, S. 73.

231

Wagner 1975, S. 91.

232

Vgl. Bauer 2006, S. 28 f.

233

Dazu ausführlich Bauer 2008, S. 67–71.

234

Ebd., S.  170 f.

235

Vgl. Münkler 2010, S. 74 f.

236

Vgl. Martin 1991, S. 1 und 129.

237

Fritz Lang: Arbeitsgemeinschaft im Film, in: Der Kinematograph, H. 887, 17.2.1924, in: Gehler /

238

Fritz Lang: Worauf es beim Nibelungen-Film ankam, o. D. [1924?], in: Gehler / Kasten 1990,

Kasten 1990, S. 164–168, hier S. 165 f. S. 170–174, hier S. 170 und 173. Bereits in der Romantik figurierte der Wald als Dom. Vgl. Arens 2011, S. 62. 239

Dazu Eisner 1990, S. 158: „Arnold Böcklins Nymphe auf dem Einhorn inmitten dunkler Baumstämme, durch die Lichtnebel flutet, wird für jene Szene verwendet, in der Siegfried auf dem weißen Zelter durch den flimmernden Zauberwald reitet.”

240

Vgl. Bausinger 2002, S. 74. Zur politischen Bedeutung des Waldes für die Deutschen siehe auch Weyergraf 1987, S. 6: „Am Anfang war der Wald. Keine Freiheitsgöttin, kein dynastisches Emblem, kein revolutionäres Ideal der Menschen- und Bürgerrechte, ein Natursymbol verkörpert die Idee, in der sich vor gut zwei Jahrhunderten die Deutschen wiedererkennen. [...] Über alle inneren Grenzen der Länder und Ländchen des reichsdeutschen Flickenteppichs hinweg sollten die deutschen Stämme zusammenfinden: Im Deutschen Wald. Deutscher Wald, hinter dieser uns immer noch vertrauten, wenn auch nicht mehr ganz selbstverständlichen Wortfügung verbirgt sich eine lange Geschichte politischer wie kultureller Ansprüche, eine Geschichte besonderer und auch sonderbarer Vorstellungen, Gefühle, Phantasien, Wunschträume.”

241

Vgl. Warnke 1992.

242

Lehmann zitiert aus dem Buch Land und Leute des Waldideologen Wilhelm Heinrich Riehl aus dem 19. Jahrhundert: „Das deutsche Volk bedarf des Waldes, wie der Mensch des Weines bedarf.” Zum Wald als politisches Symbol vgl. Lehmann 1999, S. 25–41.

243 244

Stölzl 2006, S. 9. Nicht umsonst war Moses mit seiner Serie auch 1987 in der Ausstellung Waldungen. Die Deutschen und ihr Wald (Akademie der Künste, Berlin) vertreten. Vgl. die Doppelseite mit

150

zwölf Fotografien der hier Die alten Deutschen genannten Arbeiten aus den Jahren 1962– 65, die unterschiedslos politisch divergierende Protagonistinnen und Protagonisten der 1930er und 1940er Jahre versammeln, darunter Exilanten, NS-Mitläufer und NS-Apologeten wie Hjalmar Schacht, Oscar-Maria Graf, Bischof Dibelius, Magnus von Braun, Admiral Dönitz, Alfred Kantorowicz, Käthe Kruse, Tilla Durieux, Gertrud von Le Fort, Mary Wigman, Elly Ney und Meret Oppenheim. Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1987, S. 260 f. 245

Canetti 1960, S. 190. Siehe dazu auch das Kapitel „Nation und Geschichte im Bewegtbild”

246

Moses 1987, S. 59.

247

So sind neben national eingestellten Schriftstellern wie Ernst Jünger, dem im nationalsozia-

in dieser Untersuchung.

listischen Deutschland zumindest über einige Jahre protegierten Boxer Max Schmeling oder dem Politiker und Bankier Hjilmar Schacht, der im Nationalsozialismus Karriere machte, auch Emigranten wie Golo Mann fotografiert. Diese fotografische Homogenisierung von Opfern, Mitläufern und Tätern könnte Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein. 248

Stefan Moses: Friederike Mayröcker, Wien 1963, in: Moses 1997, S. 60.

249

Oskar Maria Graf, zit. n. Weidermann 2009, S. 85.

250

Oskar Maria Graf: Bayern in Amerika, in: Recknagel 1977, S. 289.

251

Oskar Maria Graf an G. u. E. Fischer, 16.12.1954, http://www.oskarmariagraf.de/biographie-

252

Lehmann verweist auf die massenmediale Kommentierung des Waldsterbens, die Mitte der

omg-alphabet.html (Abruf 30.5.2015). 1980er Jahre, also parallel zu Blumes Serie, ihren Höhepunkt erreicht habe. Vgl. Lehmann 1999, S. 263–268. Zum gefährdeten Wald als Medienphänomen siehe vor allem Brüggemeier 2011. Zur politischen Bedeutung des Waldsterbens in Deutschland siehe Küster 2011, S.  74 f. 253

Anna und Bernhard Blume: Statement zu Waldeslust (1983), in: Ausst.-Kat. Hamburg 1992,

254

Dazu Bausinger 2002, S. 74, der schreibt: „Aber es ist richtig, daß die Diskussion um die Wald-

255

Vgl. König 1996, S. 17.

256

Lehmann nennt für 1994 zwei Millionen Wanderer auf 89.000 registrierten Wanderungen,

S. 40. schäden in den Nachbarstaaten oft als Hysterie abgetan wurde ...”

die der „Verband deutscher Gebirgs- und Wandervereine e.V.” verzeichnet. Lehmann 1999, S. 249. 257

Bundeswaldgesetz vom 2.5.1975, § 14, Artikel 1, http://www.gesetze-im-internet.de/bundes-

258

König 1996, S. 15. Zur Natursehnsucht des Städters vgl. insbesondere S. 32 ff. (ff. bitte auflösen)

259

Bernhard Johannes Blume, in: Fehle 1994, S. 11.

260

Anna Blume: Keine Botschaft, vielleicht Utopie? Antworten auf Fragen von Hans-Joachim

recht/bwaldg/gesamt.pdf (Abruf 30.5.2015).

Lenger, in: Ausst.-Kat. Hannover 1996, S. 56. Zur Figur der Hysterikerin vgl. die wirkmächtige Studie von Josef Breuer und Sigmund Freud: Studien über Hysterie, 4. Aufl. Leipzig / Wien 1922, die unter anderem auf Beobachtungen im Pariser Nervenkrankenhaus Hôpital de la Salpêtrière beruhte. 261

Vgl. König 1996, S. 259–279.

262

Lied aus dem Film Schwarzwaldmelodie (1956, Regie: Géza von Bolváry).

263

Anna und Bernhard Blume, Im Hochschwarzwald (1985), in: Blume 1995, S. 96.

264

Dies verweist auf die traditionsreiche Konnotation des Waldes als Ort der Liebe und der sexuellen Erfahrung. Vgl. Lehmann 1999, S. 247–249.

151

265

Bernhard Johannes Blume: Kontakt mit Bäumen (1974), in: Ausst.-Kat. Hamburg 1992, S. 54 f.

266

Bernhard Blume im Interview mit Jörg-Uwe Albig, Süddeutsche Zeitung-Magazin, 17.6.1994,

267

Anna und Bernhard Blume: Zum „Raumproblem in der Kunst” (1989), in: Blume 1995, S. 134.

268

Gemeinsam mit Beuys initiierten Blumes 1983 die Baumpflanzaktion Kontakt mit Bäumen

269

Zum Basaltstreit siehe Ishihara 2005, S. 24–27.

270

Wenngleich insgesamt 15 Baumarten gepflanzt wurden, wurden dem Titel des Werks ent-

271

Joseph Beuys, in: Demarco 1987, S. 16.

272

Theodor Lessing: Deutsche Bäume (1924 / 26), in: Lessing 1986, S. 304–308, hier S. 305.

273

Zur Symbolik der Eiche als deutscher Baum vgl. Lehmann 1999, S. 39–41, der jedoch auch

in: Blume 1995, S. 191.

auf dem Gelände der Hamburger Kampnagelfabrik.

sprechend größtenteils Quercus robur gepflanzt. Vgl. Scholz 1987, S. 105.

darauf verweist, dass die Eiche seit dem 16. Jahrhundert als „English Oak” auch Nationalsymbol der Engländer ist. Vgl. auch Struss 1986, S. 259–268; Hürlimann 1987, S. 62–68. 274

Dieser Terminus fällt in einem Gespräch zwischen Bernhard Blume und Joseph Beuys 1982 in Bonn, bei dem auch die ideologische Dimension des Baumes speziell in Deutschland intensiv erörtert wird. Vgl. Beuys / Blume 1982, S. 22. Annemarie Hürlimann spricht der Beuys’schen Arbeit ein deutliches Problembewusstsein für die politischen Vereinnahmungen und symbolischen Konnotationen zu: „Er wollte die Eiche von der Symbolik des Kaiserreiches und des Nationalsozialismus entlasten, sie als Baum verstanden haben, der wie kein anderer religiöse, geistige und historische Assoziationen provoziert und auch die deutsche Frage aufwirft ...” Hürlimann 1987, S. 68.

275

Beuys, in: Beuys / Rappmann 2006, S. 46. Zudem sind auch im Akt der Baumpflanzung historische Referenzen zu erkennen, z. B. auf Luther-, Kaiser- oder Bismarckbäume, vor allem auf die Pflanzung der Hitlerbäume, die bevorzugt Eichen- oder Lindenbäume waren. Zu dieser politischen Praxis, allerdings ohne Verweis auf Beuys, siehe Lehmann 1999, S. 127 f.

276

Darauf verweist auch Blume in seinem Gespräch mit Beuys 1982. Vgl. Beuys / Blume 1982, S. 17. Caspar David Friedrich, Hünengrab im Schnee, 1807, 61,5 x 80 cm, Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister, Abb. in: Hofmann 2000, Abb. 29.

277

Vgl. Neumeyer 1992, S. 14.

278

Im Mappenwerk zur Fotoserie sind jeder Aufnahme auf der Rückseite Informationen aus Presseberichten zu den Orten und Ereignissen hinzugefügt. Siehe Leitolf 2013. In ihren Ausstellungen, beispielsweise 2013 im Sprengel-Museum Hannover, sind den Fotografien Postkarten beigegeben, die von den Besucherinnen und Besuchern mitgenommen werden können. Über das titelgebende Medium der Postkarte verwebt Leitolf erneut das touristische Souvenir mit den Tatorten, die auf das Schicksal der Flüchtlinge verweisen.

279

Eine besondere Lektüre zum Thema Grenzlinien – auch unter Einbeziehung künstlerischer Perspektiven – bietet Taxer / Gschrey 2013, in deren Vorwort es über irreguläre Migranten heißt (S. 16): „Ihre Bewegungen werden von Grenzen und Grenzkontrollen entscheidend beeinflusst. Die Grenzen der EU sind also nicht verschwunden, sondern wirken rasterartig: je nach Status, Nationalität und ökonomischem Hintergrund der Akteure auf verschiedenen Weisen.” Im Buch sind auch Beiträge zur Flüchtlings- und Touristeninsel Lampedusa zu finden.

280

Zu dem bislang kaum gewürdigten Schaffen Jussuf Abbos und seinem Schicksal eines

281

Claes 2010, S. 91 f.

Emigranten in der Zeit des Nationalsozialismus siehe Dogramaci 2015, S. 18–22.

152

282

Rogoff 2000, S. 36.

283

Hinrichsen 2010, S. 155.

284

Weiss 1971, S. 976.

285

Habermas 1999.

286

Eiling 2010, S. 17.

287

Kellein 1986, S. 86.

288

Vgl. Jouval / Filliou 2003, S.  8 f.

289

Filliou, zit. in: Gintz 1985, S. 134.

290

Vgl. Ausst.-Kat. Düsseldorf 2003, S. 101.

291

Robert Filliou, zit. in: Ausst.-Kat. Liechtenstein 2003, S. 137.

292

Schmidt 1988, S. 72.

293

Vgl. Deleuze / Guattari 1977; Deleuze / Guattari 1997; Deleuze 1979.

294

Zittel 2008, S. 55. Zur kalifornischen Provenienz der in zwei Serien 1996 und 1997 erschienenen (?)

295

Zittel, in: Morsiani / Smith 2006, S. 14.

296

Morsiani 2006, S. 24.

Escape Vehicles vgl. Zittel 1996, S. 39.

297

Schumacher 2003, S. 21; Zu den von Zittel entworfenen frühen Wohneinheiten, den mobilen Wohnkapseln vgl. auch Grögel 2013, S. 51 f. Dort finden sich auch kurze Ausführungen der A–Z Escape Vehicles, die als „kleine Fluchten aus dem Alltag” bezeichnet werden. Ebd., S. 171.

298

Warnke 1979, S. 686.

299

Vgl. Lemke 2002, S. 179 f.

300

Reckert 2001.

301

Vgl. Zugazagoitia 2003, S. 28: „Hoch oben auf den Bündeln thronend, die der Transporter befördert, derweil die Straße sich entrollt, durchsticht die Nadel-Frau [Kimsooja] die Landschaft und vernäht sie sogleich wieder, wie man eine Wunde schließt. Schließlich stellt diese „Kreuzweg” des Gedächtnisses eine Möglichkeit dar, eine Verbindung zu ihrer Geschichte herzustellen, ihre Wanderung mit einem Schuss Gefühl neu aufzuladen. Darüberhinaus gleichen die Bottari, die sie spazieren fährt, den Geistern vergangener Zeiten, denen sie mit ihrer Reise huldigt.”

302

Flusser 2007b, S. 47.

303

Terkessidis 2000, S. 19. Zur türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland vgl. Eryılmaz / Jamin 1998, S. 140–143 mit einer Bildstrecke von Selahattin Kaya / DoMIT-Archiv zur Ankunft im Deutschland der 1960er Jahre. Zu sehen sind Migranten am Münchner Hauptbahnhof, Gleis 11, und im Warteraum des Bunkers in der „Weiterleitungsstelle”. Vgl. auch die verschiedenen privaten Ankunftsfotografien von MigrantInnen in Ausst.-Kat. Köln 2005.

304

Augé 2012, S. 84.

305

Aras Ören: Bahnhoflar – Bahnhöfe, in: Anadil. Yurtdı¸sındaki türklerin yazın ve sanat dergisi, H. 1, 1980, Bd. 1, S. 2. In Eryılmaz / Jamin 1998, S. 237 finden sich Fotografien von Erika SulzerKleinemeier, die türkische Einwanderer am Frankfurt Bahnhof zeigen: „Bahnhöfe in den Städten waren anfangs Haupttreffpunkte ausländischer Arbeitsnehmer in der Freizeit. Hier traf man Landsleute aus verschiedenen Betrieben. Im Wohnheim war dazu nur wenig Platz.”

306

Berger 1976, S. 64.

307

Anonym 1998, S. 41.

308

Vgl. Bock 2010, S. 256, wo es über die modernen Reiseführer des späten 19. Jahrhunderts heißt: „Die Inhalte des Reiseführers hatten Auswirkungen auf das Reiseverhalten seines Nutzers, beispielsweise durch die Auswahl von Sehenswürdigkeiten oder Reiserouten.”

153

309

Vgl. Flusser 1983, S. 10.

310

Clifford 1997, S. 17.

311

Vgl. Kempkes 2003, S. 234; Hermes 2005, S. 129. Zu den Briefzeichnungen vgl. auch Kippen-

312

Melcher 2003, S. 18.

313

Vgl. dazu auch die Künstlerin Morgan O‘Hara, die Bewegungsprotokolle verschiedener

berger 1992.

Persönlichkeiten in Zeichnungen übersetzt und so Bio-Kartografien anfertigt. Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1990. 314

Nezaket Ekici, in: Dogramaci 2013, S. 96.

315

Virilio 2011, S. 71.

316

Holert / Terkessidis 2006, S.  9–11.

317

Vgl. Terkessidis 2011, S. 82.

318

Vgl. dazu Brunnbauer / Novinšc´ak / Voß 2011, S.  7 f.

319

Paci / Varadinis 2010, S. 9: „In diesem Sinne ist Albanien für mich nichts anderes als ein Kontext, in dem mir die Dinge mit einem vertrauteren Gesicht erscheinen. Dank dieser Vertrautheit und Nähe kann ich über diesen spezifischen Kontext hinausgehen, und das ist genau das, was mich interessiert. Albanien interessiert mich als Metapher für die Welt und nicht als Realität, die ich objektiv darstellen möchte. Ich rede auch nie von Albanien, sondern von bestimmten Personen, Geschichten und Stimmungen, die sicher eine bestimmte Herkunft haben, die gleichzeitig aber auf ganz unterschiedliche und viel weiter gefasste Art gelesen und interpretiert werden können.” Vgl. auch eine Aussage Pacis aus dem Jahr 2002 in: Grothe 2007, S. 33: „Albanien und Migration sind vielleicht eher der Kontext meiner Arbeiten als ihr Thema. Wenn man die letzte Dekade in Albanien miterlebt hat, können einem die Spuren, die solch eine Erfahrung auf diejenigen, die dabei waren, hinterlässt, nicht gleichgültig sein.”

320

Vgl. dazu auch Ausst.-Kat. Wien 2012, S. 124.

321

Grothe 2007, S. 41.

322

Appadurai 2010, S. 33.

323

Kaplan 1996, S. 5.

324

Bourriaud 2009, S. 108.

325

Vgl. u. a. die Publikation von Haberl / Strasser 1995 zum Steirischen Herbst. Zur problematischen Übersetzung des Nomadentums in die westliche Kunstwelt vgl. Haehnel 2007, S. 29.

326

Kaplan 1996: S. 3; vgl. auch Adolphs 2007, S. 25.

327

Freud 1919, S.  299 / 300.

328

Bernhard Blume, in: Wettengl 2006, S. 96 f.

329

Vgl. Anna und Bernhard Blume: Trautes Heim. Dia-Vortrag von Anna Blume mit 80 Dias aus

330

Anna und Bernhard Blume: Mahlzeit. Statement zur gleichnamigen Sequenz im Museum of

331

Über die beliebte deutsche Stärkebeilage in ihrer Arbeit Küchenkoller äußern sich Blumes:

der gleichnamigen Sequenz, in: Ausst.-Kat. Köln 1992, S. 117–120. Modern Art New York 1989, in: Ausst.-Kat. Köln 1992, S. 36. „Das in den Photos festgemachte und nicht alltägliche Verhalten der Kartoffel legt dies nahe: Es ist bedrohlich, oder doch zumindest ungewöhnlich! Das für eine Mahlzeit Vorgesehene gehorcht nicht mehr Naturgesetzen, sondern eher sozusagen akausalen, hier z. B. hausfraulichen Seelenkräften.” Blume 1996, S. 38. 332

Grasskamp 1992, S. 167.

333

Zu Koelbls Das deutsche Wohnzimmer siehe das Kapitel „Heim und Heimat” in diesem Buch.

334

Freud 1919, S. 297.

154

335

Ebd., S. 298.

336

Ebd., S. 318.

337

Ebd., S. 298.

338

Ebd., S.  308 f.

339

Ebd., S.  310 f.

340

Ebd., S. 311.

341

Ebd., S. 315. Zum Zusammenhang zwischen dem Haus oder Heim mit dem Unheimlichen

342

Zutritt erhielten nur zwei Besucher, die jeweils in eines der Häuser gelassen wurden. Die

siehe u. a. die Überlegungen bei Adolphs 2013, S. 14 f. Besucher mussten zuvor den Schlüssel in einem kleinen Büro abholen, hatten einige Minuten Zeit für ihren Rundgang, um dann die Schlüssel auszutauschen und das jeweils andere Haus aufzusuchen. Vgl. Ausst.-Kat. London 2004, S. 154. 343

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 9: Hautgewebe bis Jonicus, Leipzig / Wien 1909 (6. Aufl.), S. 82.

344

Assmann 1999, S. 301, die sich auch auf Goethe bezieht, der gewissen Orten eine symbolische Kraft zuschreibt: „der Platz auf dem ich wohne” und „der Raum meines großväterlichen Hauses, Hofes und Gartens”. Vgl. Assmann 1999, S. 299.

345

Zu den „Normalgrundrissen” englischer Reihenhäuser schreibt Muthesius: „Der Grundriss eines normalen Reihenhauses ist so simpel, daß er mit sehr wenigen Worten beschrieben werden kann: Es gibt zwei Etagen mit je zwei Räumen. Zur Variation und Erweiterung konnte man mehrere Stockwerke draufsetzen und ferner Souterrains oder Rückanbauten hinzufügen, vielleicht gar beides. Schon im späteren 18. Jahrhundert hatte sich dieser Normalgrundriss im ganzen Land durchgesetzt.” Muthesius 1990, S. 79.

346

Hagen 2004, S. 156. Eine anschauliche Beschreibung von Schneiders Arbeit „Die Familie Schneider” findet sich auch in Pauls 2009, S. 91–106 mit weiterführender Analyse vor allem der räumlichen Disposition S. 237–258.

347

Vgl. Kramer 2011, S. 13. Das Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven war einst ein Ladenlokal und Off-Space, der nach seiner Gründung 1967 durch Jürgen Wesseler ein wichtiger Ort der zeitgenössischen Kunst wurde. In seiner Replik brachte Schneider jedoch ein irritierendes Moment ein – den toten Körper eines Mannes im schwarzen Anzug, der durch das raumbegrenzende Schaufenster zu beobachten ist.

348

Begriff in Bezug auf Schneider (doch ohne Freud-Referenz) bei Haase 2006, S. 20.

349

Auch hier ließe sich Freuds Theorien des „Unheimlichen” anführen, der von der Angst neurotischer Männer vor der weiblichen Genitale schreibt, diese sei ihnen unheimlich: „Dieses Unheimliche ist aber der Eingang zur alten Heimat des Menschenkindes, zur Örtlichkeit, in der jeder einmal und zuerst geweilt hat. ‚Liebe ist Heimweh’, behauptet ein Scherzwort, und wenn der Träumer von einer Örtlichkeit oder Landschaft noch im Träume denkt: Das ist mir bekannt, da war ich schon einmal, so darf die Deutung dafür das Genitale oder den Leib der Mutter einsetzen. Das Unheimliche ist also auch in diesem Falle das ehemals Heimische, Altvertraute.” Freud 1919, S. 318.

350

Eine Beschreibung der Raumabfolgen und Dramaturgien wie Raumkonzeptionen findet

351

Dazu Daniel Birnbaum, der gemeinsam mit Udo Kittelmann Anfang der 2000er Jahre das

sich (Stand 2001) bei Kittelmann 2001, S. 11–13. Vgl. auch Titz 2008, S. 52 f. Haus u r besuchte: „Die Fassade des Hauses – sie sieht aus wie die jedes anderen anonymen Gebäudes in einer anonymen deutschen Stadt – gibt keines seiner Geheimnisse preis.” Birnbaum 2001, S. 70.

155

352

Bachelard 2007, S. 34.

353

Ebd., S. 40. Auch Tietz 2008, S. 54 f., operiert in ihrer Auseinandersetzung mit Schneider mit dem Begriff der Erinnerung, wenngleich sie diesen vor allem auf die doppelte Erfahrung in den scheinbar identischen Häusern der Arbeit Die Familie Schneider erklärt: „Mit der Doppelung indessen kam es im Londoner Projekt [...] zum Phänomen der Nach- und Erinnerungsbilder, einer distanzierteren Wahrnehmung, die von der unmitttelbaren Gegenwart hin zu einer Bildhaftigkeit dieser Situation führte. Schneiders narrative Aufladung durch Figuren war bereits 2004 in London erlebbar, wo die räumliche Erfahrung des Betrachters gleichermaßen mit dem Phänomen von Erinnerungs- und Nachbildern imprägniert war.”

354

Zum Freud‘schen Unheimlichen in Schneiders Haus u r siehe Bronfen 2001, S. 45–48. Zur beunruhigenden Fremdheit des Vertrauten bei Freud siehe die fruchtbaren Ausführungen bei Kristeva 1990, S. 199–208.

355

Mitscherlich 1971, S. 118.

356

Herding 2006, S. 193.

357

Siehe z. B. die Verwendung und Visualisierung der karierten Tasche in Barthélémy Toguos Arbeit Climbing Down (2004) oder Thomas Mailaenders Fotoserie Les Voitures Cathédrales (2004), die beide zur Sammlung des Pariser Migrationsmuseum Musée National de l’Histoire de l’Immigration gehören.

358 359

Zu dieser Arbeit siehe auch Rogoff 2000, S. 59. Zur Einwanderung in die Bundesrepublik und die DDR vgl. Stach / Hussain 1991; Motte /  Ohliger / Oswald 1999; Müller 2005; Hunn 2005.

360

Zum Selbstverständnis von Art in Ruins vgl. Weinmayr 2010, wo ein unveröffentlichtes Interview mit den Künstlern aus dem Jahr 1994 publiziert ist. Conceptual Debts ist in einem schmalen Katalog überliefert. Zu diesem Projekt vgl. Rogoff 2000, S. 56–60.

361

Vgl. Enzensberger 1993, S. 13 f.

362

Zum Koffer im Museum vgl. Hinrichsen 2010. Auch in der Publikation Fremde Heimat, in der die Geschichte der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland behandelt wird, sind Koffer und Verträge wichtige Illustrationen und Dokumente der Einwanderung. Vgl. Eryilmaz / Jamin 1998, S. 32 (Koffer türkischer Arbeitsmigranten) und 105 (Arbeitsvertrag eines türkischen Arbeitsnehmers).

363

Dazu Irit Rogoff überzeugend: „This equation of the suitcase with some thing, some part of the self’s being or history which has been left behind, both affirms and celebrates feelings of loss and of nostalgia.” Rogoff 2000, S. 38.

364

Zu Gülsün Karamustafa vgl. Ausst.-Kat. Kassel 1998. Speziell zu der hier besprochenen Arbeit vgl. Heinrich 2007, S. 56.

365

Eine Übersicht über Stefan Strumbels Werk bietet Ausst.-Kat. Karlsruhe 2012.

366

Der Soziologe Hartmut Rosa sieht eine direkte Kausalität zwischen einer beschleunigten Moderne und der Suche der Menschen nach Bindungen und Verortungen: „In vormodernen Gesellschaften war unsere Position in der Welt fest. Wer als Sohn eines Bauern geboren wurde, war Bauer. [...] Das große Versprechen der Moderne ist hingegen: Jeder kann seinen eigenen Platz in der Welt finden. Der Heimatbegriff trat deshalb zu einem Zeitpunkt auf, als die Positionen der Menschen seltener vorbestimmt waren. Stattdessen mussten sie von jedem Einzelnen selbst gesucht werden.” Rosa, in: Klüber 2012, S. 23.

367

Härtling 1982, S. 5.

368

Schlink 2000, S. 27.

156

369

Im Geleitwort zu seiner Ausstellung Heimat (1995) berührte der Schriftsteller Joachim Riedl diese verschiedenen Facetten: „Es gibt Heimatland und Heimatstadt, es gibt aber auch die geistige Heimat – und bereits an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Ist es ein geographischer, ist es ein ideeller Begriff, oder läßt sich beides unter einen Hut bringen? Kann jemand heimatverbunden sein, der sich in keiner geistigen Heimat zuhause weiß und darf, entgegengesetzt, jemand als heimattreu angesehen werden, der sich auf kein territoriales Eigenheim beschränken läßt, sondern sich lediglich einer geistigen Heimat verbunden fühlt, die allerding von Demarkationslinien und Grenzpatrouillen unbehelligt bleibt, da ein freier Geist solchen Heimatschutz nicht anerkennt? Kann es etwa sein, daß Gedankenfreiheit und Heimatgesinnung in Widerspruch stehen, einander sogar ausschließen? Derart ließe sich der Heimatfaden solange weiterspinnen, bis er sich gänzlich zu einem gordischen Knäuel verknotet hätte.” Riedl 1995, S. 7.

370

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172

Bildnachweis Abb. 1–4: Irina Ruppert; Abb. 5, 6, 8: © Peter Bialobrzeski / laif, Agentur für Photos und Repor­ tagen GmbH; Abb. 7, 15: Caspar David Friedrich – Die Erfindung der Romantik, Ausst.-Kat. Museum Folkwang, Essen, München 2005, S. 216, 250; Abb. 9: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders; Abb. 10–12, 14, Umschlag: © Julian Rosefeldt / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 13: bpk / Hamburger Kunsthalle / Elke Walford; Abb. 16, 17: © The Felix Gonzalez-Torres Foundation, Courtesy of Andrea Rosen Gallery, New York; Abb. 18: © Courtesy Nasan Tur / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 19–22: © René Burri / Magnum Photos / Agentur Focus; Abb. 23–26, 57–59: Stefan Moses; Abb. 27–28: Stefan Moses (Bild) und Erich Kuby (Text); Abb. 29: In Deutschland. Aspekte gegen­wärtiger ­Dokumentarphotographie, Ausst.-Kat. Rheinisches Landesmuseum Bonn 1979, Titelbild; Abb. 30, 31, 76: © Candida Höfer / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 32, 39–41: © Herlinde Koelbl / Agentur Focus; Abb. 33: James Agee und Walker Evans: Let us now praise famous men. Three tenant families, London 1965, o. S.; Abb. 34–38: Martin Parr und Nicholas Barker; Abb. 42–47: Sandra Filic; Abb. 48–54: Courtesy Galerie Martin Janda, Vienna; gb agency, Paris, Johnen Gallery, Berlin; kurimanzutto, Mexiko City; Abb. 55: Oswald Georg Bauer: Josef Hoffmann. Der Bühnenbildner der ersten Bayreuther Festspiele, München / Berlin 2008, S. 103; Abb. 56: Horst von Harbou – Deutsche Kinemathek; Abb. 60–63, 85: © Anna und Bernhard Blume / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 64, 65: © Eva ­Leitolf /  VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 66: Estate of Jussuf Abbo; Abb. 67: © Staatliches Museum Schwerin / Succession Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 68: Privatsammlung, Neuss; Abb. 69: Skulptur Projekte in Münster 1987, hg. v. Klaus Bußmann und Kaspar König, Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in der Stadt Münster, Münster, Köln 1987, S. 79; Abb. 70–72: © Andrea Zittel. Image courtesy Andrea Rosen Gallery, New York; Abb. 73: Courtesy of Kewenig Gallery, Berlin and Kimsooja Studio; Abb. 74: Courtesy of Plateau, Samsung Museum of Art, Seoul, Kukje Gallery and Kimsooja Studio; Abb. 75: Bayerische Staatsbibliothek München, Bildarchiv, Sign. timp-016732; Abb. 77: © Martin Parr; Abb. 78: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain,Cologne; Abb. 79: © Nezaket Ekici / Asiatopia International Performance Festival; Abb. 80– 84: Courtesy Adrian Paci, Galerie Peter Kilchmann, Zürich und Kaufmann repetto, Mailand; Abb. 86–90: © Gregor Schneider / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; Abb. 91: Art in Ruins. Conceptual debt, Ausst.-Kat. Gemeentemuseum Arnheim 1992, o. S.; Abb. 92: Gülsün Karamustafa

173

Dank Als ich an diesem Buch schrieb, fielen mir immer wieder Plakate, Ausstellungen, Artikel oder Bücher auf, die sich mit dem Thema „Heimat” beschäftigten. Ich fragte mich oftmals, ob sich nur mein Blick geschärft hatte. Oder hatte Heimat tatsächlich eine neue gesellschaftliche Relevanz erhalten? Ohne darauf tatsächlich eine Antwort zu finden, bestärkten mich diese Beobachtungen in meinem Vorhaben, der Bedeutung von Heimat für die künstlerische und fotografische Produktion seit den 1960er Jahren nachzugehen. Eine Lehrveranstaltung am Institut für Kunstgeschichte der LudwigMaximilians-Universität München gab diesem Projekt zusätzliche Impulse, denn in den Diskussionen mit den Studierenden erschlossen sich mir neue Felder und Motive, die zur Konturierung des Begriffs „Heimat” und seiner künstlerischen Konnotation beitragen konnten. Zu einer dieser Seminarsitzungen bat ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, einen Gegenstand ihrer Wahl mitzubringen, der für sie Heimat symbolisiere. Das Ergebnis zeigte einmal mehr, wie vielschichtig und zugleich diffus unser Verhältnis zu diesem emotional beladenen Begriff ist: Mitgebracht wurden Fotografien, Stifte oder Obst, die meist auf Erinnerungsorte der Kindheit – das Haus oder der Garten der Großeltern, die Eltern oder den Geburtsort – verwiesen. Es schien also, dass Heimat häufig mit etwas Vergangenem verbunden war, denn nur einige benannten die Stadt oder Wohnung, in der sie derzeit lebten, als heimatlich. Und nur eine Studentin wehrte sich kategorisch gegen den Begriff, der ihr ewig gestrig und national konnotiert erschien. Diese Beiträge und Reaktionen machten mich neugierig – und beflügelten meine eigene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Heimat und ihrer Schwester, der Heimatlosigkeit. Den Ertrag dieser Spurensuche bildet nun die vorliegende Monografie. Nicht zu realisieren gewesen wäre dieses Vorhaben ohne das Vertrauen und die Unterstützung der Künstlerinnen und Künstler, Fotografinnen und Fotografen, der Galerien, Archive, Nachlassverwalter und Museen, die mir Bildmaterial zur Verfügung stellten und somit ganz entscheidend zu meinem Projekt beitrugen. Mein großer Dank richtet sich an: Andrea Rosen Gallery, Bayerische Staatsbibliothek München, Bildarchiv,

174

Peter Bialobrzeski, Anna Blume, Deutsche Kinemathek, Nezaket Ekici, Estate Jussuf Abbo, Sandra Filic, Galerie Gisela Capitain, Galerie Martin Janda, Galerie Peter Kilchmann, Candida Höfer, Gülsün Karamustafa, Kimsooja Studio, Herlinde Koelbl, Eva Leitolf, Stefan Moses, Roman Ondák, Adrian Paci, Martin Parr, Julian Rosefeldt, Irina Ruppert, Gregor Schneider, Sammlung Andersch, Staatliches Museum Schwerin, Nasan Tur. Erste Ideen für dieses Publikationsvorhaben konnte ich mit meinen Freunden Knut und Grit Peters bei einem Spaziergang an der Trave diskutieren. Meine Mitarbeiterin Susann Kühn verantwortete die Erstellung des Registers und half verlässlich bei letzten Korrekturen am Manuskript. Ganz besonders gilt mein Dank Elena Mohr, Programmplanerin beim Böhlau Verlag, die das Publikationsangebot mit Begeisterung annahm. Ich freue mich, dass unsere Zusammenarbeit mit diesem Buch weitergeführt wird. Die Drucklegung wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne das Zutun von Förderern: Als Arbeitgeber zahlreicher Arbeitsmigranten seit den 1960er Jahren sind die Bayerischen Motoren Werke (BMW Group) ein ganz wesentlicher Teil der bundesdeutschen Migrationsgeschichte. Ich freue mich deshalb sehr, dass das Unternehmen diese Publikation großzügig unterstützt. Gewidmet ist das Buch jenen Menschen, die als Migrantinnen, als Flüchtlinge und Asylsuchende den Herausforderungen eines Orts- und Heimatwechsels begegnen: Wherever I Lay My Hat (That’s My Home).

175

Register A

Brassaï, Gyula Halász gen.  52

Abbo, Jussuf  102, 152, 175

Braun, Magnus von  151

Adorno, Theodor W.  50, 146, 158

Brecht, George  104

Agee, James  67–69, 148, 158, 170

Brentano, Clemens  9, 36

Aichinger, Ilse  89–90

Burckhardt, Carl Jacob  8, 137, 161

Alexander I., russ. Zar  142

Burri, René  47, 50–54, 147, 161,163, 166–167, 169

Almond, Darren  140–141 Améry, Jean  39, 144, 158

C

Andersch, Alfred  50, 175

Canetti, Elias  28–29, 89, 141, 151, 161

Appadurai, Arjun  120–121, 154, 158

Chernysheva, Olga  141,

Arminius  36–37, 140, 143

Coppola, Sofia  115

Arndt, Ernst Moritz  9, 37, 138, 142, 158 Arnim, Achim von  9

D Delpire, Robert  146

B

Deppe, Hans  11

Bachelard, Gaston  130, 156, 159

Dibelius, Friedrich Karl Otto  151

Baedeker, Fritz  114

Donaldson, Julia  31

Bailey, George  147, 159

Dönitz, Karl  151

Barker, Nicholas  69, 71–73, 160, 169

Doyle, Arthur Conan  127

Baum, Vicki  115

Duchamp, Marcel  103–105

Bender, Hans Friedrich  50

Durieux, Tilla  151

Berger, John  113, 153 Beuys, Joseph  97–98, 152, 160, 162

E

Bialobrzeski, Peter  20–27, 85, 140–141, 159–160,

Eggleston, William  69–70

164, 175

Eichendorff, Joseph Freiherr von  9, 29, 39, 86,

Bloch, Ernst  7, 137, 160 Blume, Anna und Bernhard  92–97, 123–124, 151–152, 154, 159–161, 163–164, 172, 175 Böcklin, Arnold  87, 150

97, 150 Eidinger, Lars  28–29, 38 Ekici, Nezaket  117–118, 122, 154, 162, 175 Enzensberger, Hans Magnus  10, 50, 138, 145,

Böll, Heinrich  50 Bonaparte, Napoleon  35

156, 162 Evans, Walker  67–69, 148, 158, 170

Bourdieu, Pierre  136, 157, 161 Bourriaud, Nicolas  122, 154, 161

F

Brandt, Willy  89

Filic, Sandra  80–82, 175

176

Filliou, Robert  104–107, 109, 136, 153, 159, 165, 170

K Kantorowicz, Alfred  151

Flusser, Vilém  8, 80, 111, 115, 137–138, 149, 153–154, 163

Karamustafa, Gülsün  134, 156, 159, 164, 175 Kaufmann, Birte  18–19

Franks, Robert  25, 146

Kaya, Selahattin  153

Freud, Sigmund  123–125, 151, 154–156, 163

Kettelhut, Fritz  87

Fried, Erich  86, 150, 163

Kiefer, Anselm  25, 141, 143

Friedrich, Caspar David  18, 21–27, 31, 33–35,

Kimsooja, Kim Sooja gen.  109–111, 141, 153,

37, 140–143, 152, 161, 164–165, 167–168, 171–172

175 Kippenberger, Martin  116–117, 122, 154, 165–167

Frisch, Max Rudolf  6–7, 15, 50, 136–137, 163, 167

Kleist, Heinrich von  36–37, 143, 168 G

Klemm, Barbara  12

Ganghofer, Ludwig  10

Klopstock, Friedrich Gottlieb  38

Ganzhorn, Wilhelm  9, 138, 158

Koelbl, Herlinde  47, 64–65, 74–80, 124, 149, 154,

Geyer, Otto  143, 177

166, 170, 175

Goethe, Johann Wolfgang von  49, 155, 165

Kruse, Käthe  151

Goldschmidt, Georges–Arthur  137, 161, 163

Kuby, Erich  58–59

Gonzalez-Torres, Felix  41–44, 144, 158, 169, 171 Görres, Joseph  9

L

Graf, Oskar Maria  90–92, 151, 169

Lang, Fritz  87–88, 150, 163

Grimm, Jacob Ludwig Karl und Wilhelm Karl,

Le Fort, Gertrud Auguste Lina Elsbeth Mathilde

gen. Brüder Grimm  9, 30, 36, 49, 85, 142, 144, 149, 164

Petrea Freiin von  151 Leitolf, Eva  99–102, 152, 167, 175 Lessing, Theodor  29, 98, 141, 152, 166–167

H

Loos, Adolf  72

Haffner, Sebastian  89

Luther, Martin  36, 50

Halász, Gyula [d.i. Brassaï]  52 Hauptmeier, Ariel  85, 140, 149, 164

M

Heine, Heinrich  28, 36, 39, 87, 137, 141, 164, 172

Maciunas, George  104

Hermann  s. Arminius

Mailaender, Thomas  156

Hewison, Robert  148

Mann, Golo  151

Hitler, Adolf  138, 146, 169

Mann, Thomas  49–50, 161, 163, 167

Höfer, Candida  12, 62–64, 112–113, 147, 163,

Mark, Mary Ellen  40–41, 144, 167

171, 175

Martens, Max Volkert  29

Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus  124

Martin, Kris  140

Hoffmann, Josef  86–87, 160

Masuyama, Hiroyuki  140

Hölderlin, Johann Christian Friedrich  36

Mayer, Hans  50

Honnef, Klaus  61, 159–160

Mayröcker, Friederike  151

Huber, Victor Aimé  67

Merz, Friedrich  146

Hunte, Otto  87

Miłosz, Czesław  139, 168 Mitscherlich, Alexander  7, 12, 77, 80, 131,

J

137, 149, 156, 168

Jaspers, Karl  50

Moses, Stefan  14, 47, 54–60, 64, 88–92,

Johnson, Uwe  50

147, 150–151, 159, 162–165, 168–169, 171,

Jünger, Ernst  89, 151

175

177

N

Schneider, Gregor  125–131, 145–146, 155–156,

Ney, Elly  151

159–161, 164, 166, 169, 171, 175

Nguyen, Dan Thy  145, 168

Schultze-Naumburg, Paul  138, 170

Norton, Eileen und Peter  109

Schumann, Robert  29

Novalis, Georg Philipp Friedrich von

Sebald, W. G.  7, 137, 170

Hardenberg gen.  36

Sendak, Maurice  31 Shore, Stephen  25

O

Spira, Camilla  89

O’Hara, Morgan  154, 159

Spira, Steffi  89

Ondák, Roman  82–84, 170, 175

Springer, Hanns  32

Oppenheim, Meret Elisabeth  151

Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr

Ören, Aras  112, 153

vom und zum  37 Strumbel, Stefan  135, 156, 159

P

Stummer, Alfons  11

Paci, Adrian  119–122, 154, 164, 169, 175

Sulzer-Kleinemeier, Erika  153

Paik, Nam June  104 Palucca, Gret  90–91

T

Pape, René  29, 31

Tacitus, Publius Cornelius  29–30, 36

Parr, Martin  69–74, 114–115, 148–149, 160, 169,

Thatcher, Margaret Hilda  69, 73

172, 175

Theroux, Paul  73

Paulhuber, Petra  46

Tibi, Bassam  146

Penn, Irving  55

Timpe, Felicitas  113

Pevsner, Nikolaus Bernhard Leon  149, 169

Toguo, Barthélémy  156

Preußler, Ottfried  30

Tur, Nasan  44–46, 160, 169, 175

Proust, Marcel  127 U R

Uhland, Ludwig  9

Reitz, Edgar  11, 167, 170 Repnin-Wolkonski, Nikolai Grigojewitsch  142

W

Richter, Gerhard  141

Wagner, Richard  49–50, 86–87, 146, 150, 161,

Riedl, Joachim  157, 159, 170

166, 168–169, 171

Rijn, Rembrandt Harmensz. van  75

Walser, Martin  19, 140, 172

Rosefeldt, Julian  28, 30–34, 37–38, 141, 144,

Walser, Robert  7, 137, 172

172, 175 Ruppert, Irina  15–18, 136, 139, 175

Warhol, Andy  25 Wehner, Herbert  89 Weil, Grete  90

S

Weisgerber, Eleonore  29

Sack, Manfred  77, 149, 166, 170

Wenders, Wim  115

Sander, August  54, 74

Wesseler, Jürgen  155

Schacht, Horace Greeley Hjalmar  151

Wigman, Mary  151

Scheffler, Axel  31

Wright, Patrick  73

Schlegel von Gottleben, August Wilhelm 

Wulff, Christian  48, 146

36 Schmeling, Max  151

Z

Schmid, Michael  46

Zittel, Andrea  106–109, 136, 153, 164, 168, 170,

Schmidt-Polex, Carl  54–55,

178

172

BURCU DOGRAMACI (HG.)

IN DER SCHLACHT BRIEFE DES JÜDISCHEN KÜNSTLERS BRUNO JACOB AUS DEM ERSTEN WELTKRIEG

Nur wenige Tage nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich der 21-jährige Kunststudent Bruno Jacob als Freiwilliger. Wie viele andere Künstler seiner Generation wechselte er begeistert Feder und Pinsel gegen Gewehr und Soldatenleben. Von der Front schrieb er regelmäßig an seine Geliebte , die Künstlerin Lieselotte Friedlaender , die wie er bei dem Expressionisten Georg Tappert studierte. Die Briefe und Postkarten sprechen von Enthusiasmus und Siegeshoffnungen , enthalten jedoch zunehmend drastische Schilderungen von Gewalt , Kampf und Tod. Kurz vor Kriegsende fiel Bruno Jacob. Er gehört damit zu den mindestens 12.000 deutschen Juden , die für das Kaiserreich als Soldaten ihr Leben ließen , und zu den jung verstorbenen Künstlern , deren Werk unvollendet blieb. Durch glückliche Umstände sind seine Briefe aus den Kriegsjahren 1914 und 1915 fast vollständig erhalten. Die hier erstmals publizierten , bewegenden Schriftstücke vermitteln einen intensiven Eindruck von den gescheiterten Hoffnungen einer im Auf bruch befindlichen Künstlergeneration im frühen 20. Jahrhundert. 2014. 240 S. 21 S/W- UND 19 FARB. ABB. FRANZ. BR. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-412-22407-3

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ANTHONY COLES

JOHN HEARTFIELD EIN POLITISCHES LEBEN

John Heartfield (1891–1968) schuf einige der bekanntesten Propagandabilder des 20. Jahrhunderts. Neben graphischen Werken für die KPD waren es vor allem die über zweihundert politischen Fotomontagen, mit denen er die Grausamkeiten des Naziregimes anprangerte, die ihn bekannt machten. Der als Helmuth Herzfeld geborene Künstler stellte sein Werk schon früh in den Dienst seiner politischen Überzeugung. Als KPD-Mitglied galt sein Interesse der Arbeiterschaft, seine künstlerische Arbeit widmete er ihrer Bildung und Auf klärung. Das Gesamtwerk von John Heartfield ist beeindruckend: Neben politischen Karikaturen gestaltete er Bücher, Buchumschläge und Zeitungen. Er war Verleger, unterrichtete und kuratierte Ausstellungen, sogar im Film versuchte er sich. Bisher ist Heartfields Werk noch nicht zu seinem Leben und den politischen Ereignissen in Bezug gesetzt worden. Das Buch des Kunsthistorikers Anthony Coles schließt diese Lücke. 2014. 408 S. 505 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-20999-5

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NORBERT SCHNEIDER

THEORIEN MODERNER KUNST VOM KLASSIZISMUS BIS ZUR CONCEPT ART

Im Zentrum des Buches stehen die Theorien der wichtigsten Kunstrichtungen der Moderne. Die Darstellung deckt den Zeitraum von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis etwa 1980 ab. Der Fokus ist auf die Argumentationen der Künstler gerichtet, mit denen sie ihre ästhetische Praxis zu erläutern und rechtfertigen suchten. Dabei werden die philosophischen und wissenschaftlichen Denkmuster, die diesen Kommentaren zugrunde lagen, ebenso herausgearbeitet wie die sozialen und politischen Aspekte des jeweiligen künstlerischen Selbstverständnisses. In exemplarischen Analysen wird somit ein historisch-kritischer Zugang zu dem theoretischen Fundament der Kunst vom Klassizismus bis zum Ende der klassischen Moderne vermittelt. Ein ausführliches Glossar und eine umfangreiche Bibliographie runden das Buch ab. 2014. 553 S. 54 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22172-0

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ELISABETH FRITZ

AUTHENTIZITÄT – PARTIZIPATION – SPEKTAKEL MEDIALE EXPERIMENTE MIT »ECHTEN MENSCHEN« IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST (KUNST – GESCHICHTE – GEGENWART, BAND 3)

Die Vorstellung, authentisches menschliches Verhalten innerhalb von eigens für die Beobachtung mit der Kamera inszenierten Situationen herstellen zu können, ist im 20. und 21. Jahrhundert nicht nur im »RealityTV« zu finden. Vielmehr begleitet dieser Topos die Reproduktionsmedien Fotografie, Film und Video seit ihrer Erfindung und regte neben der Populärkultur auch die Sozialwissenschaften sowie zahlreiche bildende Künstlerinnen und Künstler zu medialen Experimenten an. Das Phänomen wird aus der Perspektive der zeitgenössischen Partizipationskunst mit detaillierten Verweisen auf die anderen Bereiche diskutiert. Ausführlich werden Werke von Phil Collins, Danica Dakić, Rineke Dijkstra, Omer Fast, Aernout Mik, Christoph Schlingensief, Gillian Wearing und Artur Żmijewski analysiert. 2014. 336 S. 83 S/W-ABB. FRANZ. BR. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-22164-5

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