Hegel-Studien Band 36: (2001) 9783787334568

Texte und Dokumente Walter Jaeschke: Eine neue Phase der Hegel-Edition Jørgen Huggler: Eine neue Vorlesungsnachschrift

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Hegel-Studien Band 36: (2001)
 9783787334568

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HEGEL-STUDIEN / BAND 36

H E G E L - ST U D I E N In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von WA LT E R J A E S C H K E und L U D W I G S I E P

BAND 36

2001 FE LI X M EI N ER VE R L AG H AM B UR G

 Felix Meiner Verlag, Hamburg 2003. ISSN 0073-1578 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Druck und Bindung: „Thomas Münzer“, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DINISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

V O RW O RT D E R H E R A U S G E B E R Vor vierzig Jahren haben Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler das Jahrbuch „Hegel-Studien“ begründet – „im Zusammenhang mit der Arbeit an einer historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke, Vorlesungen und Briefe“ Hegels, wie Heinz Heimsoeth damals in seinem Geleitwort betont. „Aus allen Ländern“, so schreibt er weiter, „sollen sich hier philosophisch-systematische und philologisch-historische Arbeiten zum Hegelthema zusammenfinden. Darüberhinaus ist beabsichtigt, durch Literaturberichte, Besprechungen und bibliographische Beiträge fortlaufend über das internationale Hegelschrifttum zu orientieren.“ Diese Zielsetzung der „Hegel-Studien“ gilt unverändert – auch wenn nun, nach Veröffentlichung von 35 Bänden der „Hegel-Studien“ und 45 Beiheften zu den „Hegel-Studien“, die Herausgeberschaft des Jahrbuchs in die Hände der Unterzeichneten übergegangen ist. Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler aber gebührt der Dank von zwei Generationen von Forschern dafür, daß sie die „Hegel-Studien“ nicht allein begründet, sondern durch vier Jahrzehnte geführt haben – durch Jahrzehnte, in denen die Hegel-Forschung ungeachtet aller Konjunkturen der Hegel-Aneignung und -Kritik weltweit ein hohes Niveau errungen hat. Dieser Veränderung entsprechend werden die neuen Herausgeber bei der Auswahl der Beiträge künftig durch einen internationalen Beirat unterstützt – durch Andreas Arndt (Berlin), Myriam Bienenstock (Tours), Masakatsu Fujita (Kyoto), Klaus Düsing (Köln), Miguel Giusti (Lima), Rolf-Peter Horstmann (Berlin), Francesca Menegoni (Padua), Robert Pippin (Chicago), Pirmin Stekeler-Weithofer (Leipzig) und Ludovicus de Vos (Leuven). Den Mitgliedern des Beirats sei für ihre Bereitschaft gedankt, gemeinsam mit den neuen Herausgebern dafür zu wirken, daß die „Hegel-Studien“ auch künftig der Ort sein werden, an dem sich die Hegel-Forschung in der Vielfalt ihrer Richtungen präsentiert. Walter Jaeschke

Ludwig Siep

I N H A LT

TEXTE UND DOKUMENTE WALTER JAESCHKE (BOCHUM) Eine neue Phase der Hegel-Edition...............................................

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JØRGEN HUGGLER (KØBENHAVN) Eine neue Vorlesungsnachschrift zu Hegels Berliner Vorlesungen zur Philosophie des Geistes von 1827/28.......................

33

ABHANDLUNGEN R ÜDIGER BUBNER (H EIDELBERG ) Überlegungen zur Situation der Hegel-Forschung ...............

39

ROBERT B. B RANDOM (P ITTSBURGH ) Holism and Idealism in Hegel’s Phenomenology..................

57

ROBERT B. PIPPIN (CHICAGO) Hegels Begriffslogik als Logik der Freiheit .............................

93

P IRMIN STEKELER-W EITHOFER (L EIPZIG ) Hegels Naturphilosophie. Versuch einer topischen Bestimmung .........................................................................................

113

D IETER W ANDSCHNEIDER (AACHEN ) Hegels naturontologischer Entwurf – heute ...........................

143

H ANS F RIEDRICH F ULDA (H EIDELBERG ) Hegels Begriff des absoluten Geistes ........................................

167

PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG M ICHAEL JOHN P ETRY (R OTTERDAM) Hegelianism and the natural sciences: Some current developments and interpretations .................................................

197

L I T E R AT U R B E R I C H T E U N D K R I T I K Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Schriften und Entwürfe (1799– 1808). Gesammelte Werke. Band 5. Unter Mitarbeit von Theodor Ebert herausgegeben von Manfred Baum und Kurt Rainer Meist. Verfasser des Anhangs: Kurt Rainer Meist. (THOMAS KISSER, München) ........................................................... 237 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. (1817). Gesammelte Werke. Band 13. Unter Mitarbeit von Hans-Christian Lucas † und Udo Rameil herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Klaus Grotsch. (ANDREAS ARNDT, Berlin) ........................... 246 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Berlin 1819/1820. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier. Hrsg. von E. Angehrn, M. Bondeli und H. N. Seelmann. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie des Rechts. Nachschrift der Vorlesung von 1822/23 von Karl Wilhelm Ludwig Heyse. Hrsg. und eingeleitet von E. Schilbach. In: Hegeliana. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus. Hrsg. von Helmut Schneider. Band 11. (ELISABETH WEISSERLOHMANN, Bochum) ....................................................................... 249 G. W. F. Hegel „Estetica“. Edizione italiana a cura di Nicolao Merker. Introduzione di Sergio Givone. Due Tomi. [„Ästhetik“. Italienische Ausgabe herausgegeben von Nicolao Merker. Einleitung von Sergio Givone. Zwei Bände.] ....................... 261

G. W. F. Hegel: Lezioni di estetica. Corso del 1823. Nella trascrizione di H. G. Hotho. Traduzione e Introduzione di Paolo D’Angelo. [Vorlesungen über Ästhetik. Kolleg 1823. Nachschrift von H. G. Hotho. Übersetzung und Einleitung von Paolo D’Angelo.] (FRANCESCA IANNELLI, Roma/Hagen) 261 Bernard Bourgeois: L’idéalisme allemand. Alternatives et progrès. (MARTÍN SISTO, Bochum/Buenos Aires) ...................................... 266 Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Hegel. Die Vollendung der abendländischen Metaphysik. Herausgegeben von Herbert Edelmann. (HOLGER GLINKA, Bochum) .......................................

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Mauro Vespa: Heidegger e Hegel. (CLAUDIA MELICA, Roma) ...............................................................................................

279

Henry S. Harris: Hegel's Ladder. Bd. I: The Pilgrimage of Reason. Bd. II.: The Odyssey of Spirit. (KENNETH R. WESTPHAL, Norwich, UK) ......................................................................................... 281 Jacob Ahn: Vom Ideal zur Reflexion. Die Entwicklung von Hegels Denken bis zum Ende der Frankfurter Zeit. (MARTIN BONDELI, Bern) ................................................................................ 284 Roberto Finelli: Mythos und Kritik der Formen. Die Jugend Hegels (1770–1803). (FRANCESCA IANNELLI, Roma/Hagen) .......... 286 Adriano Tassi: Teologia e Aufklärung. Le radici del giovane Hegel. [Theologie und Aufklärung. Die Wurzeln des jungen Hegel.] (MONICA RIMOLDI, Milano) ................................................... 290 Christophe Bouton: Temps et esprit dans la philosophie de Hegel. De Francfort à Iéna. (MYRIAM BIENENSTOCK, Tours) ..................

291

Pierluigi Valenza: Logica e filosofia pratica nello Hegel di Jena. [Logik und praktische Philosophie beim Jenaer Hegel.] (GIOVANNA PINNA, Cosenza) .........................................................

295

Stewart, Jon: The unity of Hegel’s Phenomenology of spirit: a systematic interpretation. The Phenomenology of spirit Reader: critical and interpretative essays. Edited by Jon Stewart. De la Maza, Luis Mariano: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Weckwerth, Christine: Metaphysik als Phänomenologie. Eine Studie zur Entstehung und Struktur der Hegelschen „Phänomenologie des Geistes“. (HEINRICH CLAIRMONT, Bochum) 299 Jørgen Huggler: Hegels skeptiske vej til den absolutte viden. En analyse af Phänomenologie des Geistes. (JON STEWART, København) ..................................................................................... 308 Carlo Boris Menghi: L’identità normativa. Critica della Fenomenologia dello spirito di Hegel. [Die normative Identität. Kritik an Hegels Phänomenologie des Geistes.] (RENATO CAPUTO, Bochum/Roma) .............................................................................. 312 Paolo Vinci: „Coscienza infelice“ e „Anima bella“. Commentario della Fenomenologia dello Spirito di Hegel. [„Unglückliches Bewußtsein“ und „Schöne Seele“. Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes.] In: Istituto Italiano per gli Studi Filosofici. Hegeliana 28. (FRANCESCA IANNELLI, Roma/ Hagen) .............................................................................................. 316 Annette Sell: Martin Heideggers Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. (Hegel-Studien. Beiheft 39.) (ANDREAS LUCKNER, Leipzig) .......................................................................... 319 Paolo Giuspoli: Verso la “Scienza della logica”. Le lezioni di Hegel a Norimberga. [Unterwegs zur „Wissenschaft der Logik“. Hegels Nürnberger Vorlesungen.] (PIERLUIGI VALENZA, Roma) .................................................................................................... 325

Stefano Fuselli: Forme del sillogismo e modelli di razionalità in Hegel. Preliminari allo studio della concezione hegeliana della mediazione giudiziale. [Formen des Syllogismus und Modelle der Rationalität. Einleitungen in Hegels Begriff des gerichtlichen Vergleichs.] (CLAUDIA MELICA, Roma) ................. 328 Gudrun von Düffel: Die Methode Hegels als Darstellungsform der christlichen Idee Gottes. (TOBIAS TRAPPE, Bochum) ............

332

Marco Bormann: Der Begriff der Natur. Eine Untersuchung zu Hegels Naturbegriff und dessen Rezeption. (WOLFGANG BONSIEPEN, Bochum) ...................................................................... 334 Nicolas Février: La mécanique hegelienne. Commentaire des paragraphes 245 à 271 de l'Encyclopédie de Hegel. Éditions de l'Institut Supérieur de Philosophie Louvain-La-Neuve. (CINZIA FERRINI, Triest) ................................................................... 337 Lambros Kordelas: Hegels kritische Analyse der Schädellehre Galls in der „Phänomenologie des Geistes“. Christof Schalhorn: Hegels enzyklopädischer Begriff von Selbstbewußtsein. Hermann Drüe: Kommentar zu: Die Philosophie des Geistes. Erste Abteilung: Der subjektive Geist. – In: Hegels Philosophie. Kommentar zu den Hauptwerken. Hrsg. v. Herbert Schnädelbach. Bd. 3. Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‘ (1830). (CHRISTOPH J. BAUER, Bochum) ................. 343 Elisabeth Weisser-Lohmann, Dietmar Köhler (Hgg.): Verfassung und Revolution. Hegels Verfassungskonzeption und die Revolutionen der Neuzeit. (FRANK KUHNE, Hannover) ................ 356 Christoph Mährlein: Volksgeist und Recht. Hegels Philosophie der Einheit und ihre Bedeutung in der Rechtswissenschaft. (ANDREAS GROSSMANN, Hamburg) .............................................. 361

Emanuele Cafagna: La libertà nel mondo. Etica e scienza dello Stato nei „Lineamenti di filosofia del diritto” di Hegel. [Die Freiheit in der Welt. Sittlichkeit und Staatswissenschaft in Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“.] (FIORINDA LI VIGNI, Wassenaar) ....................................................................... 364 Sergio Dellavalle: Freiheit und Intersubjektivität. Zur historischen Entwicklung von Hegels geschichtsphilosophischen und politischen Auffassungen (ROSSELLA BONITO OLIVA, Napoli) ....... 371 Rossella Bonito Oliva: L’individuo moderno e la nuova comunità. Ricerche sul significato della libertà soggettiva in Hegel. [Das moderne Individuum und die moderne Gemeinschaft. Untersuchungen zur Bedeutung der subjektiven Freiheit bei Hegel.] (VANNA GESSA-KUROTSCHKA, Cagliari) ....................................... 373 Steven V. Hicks: International Law and the Possibility of a Just World Order. An Essay on Hegel’s Universalism. (NICHOLAS CAPALDI, Tulsa) ................................................................................ 378 Diesing, Paul: Hegel’s Dialectical Political Economy. A Contemporary Application. (PETER KRIEGEL, Bochum) .......................... 381 Marcello Monaldi: Hegel e la storia. Nuove prospettive e vecchie questioni. [Hegel und die Geschichte. Neue Perspektiven und alte Fragen.] (FEDERICO PERELDA, Venezia) ................................. 386 Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hgg.): Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart. (HOLGER GLINKA, Bochum) ...........................................................

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Kirk Pillow: Sublime Understanding. Aesthetic Reflection in Kant and Hegel. (BEATE MARSCHALL-BRADL, Heidelberg) .................

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Mark W. Roche: Tragedy and Comedy. A Systematic Study and a Critique of Hegel. (ANDREAS SPAHN, Bochum) .......................... 397

Changyang Fan: Sittlichkeit und Tragik. Zu Hegels AntigoneDeutung. (RENATO CAPUTO, Bochum/Roma) ............................. 402 Vizzardelli, Silvia: L’esitazione del senso. La musica nel pensiero di Hegel. Collana diretta da Gianni Carchia e Vittorio Stella. [Das Zögern des Sinnes. Die Musik in Hegels Denken. Herausgeber der Reihe Gianna Carchia und Vittorio Stella.] (STEFANO FRIGHETTO, Padua) ........................................................ 410 Jens Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. (ORRIN F. SUMMERELL, Bochum) .................................................................... 416 Giancarlo Movia: Hegel e il Neoplatonismo: Atti del Convegno internazionale di Cagliari (16–17 aprile 1996). [Hegel und der Neuplatonismus. Akten des internationalen Kongresses in Cagliari (16.–17. April 1996).] (MIRANDA ALBERTI RAPPMANNSBERGER, München) .............................................................. 421 The Reception of Kant’s Critical Philosophy. Fichte, Schelling, & Hegel. Hrsg. von Sally Sedgwick. (DIETMAR HERMANN HEIDEMANN, Köln) .......................................................................... 425 Xavier Tilliette: L’intuition intellectuelle de Kant à Hegel. (PASQUALINO MASCIARELLI, Pisa) ................................................. 433 Elliot L. Jurist: Beyond Hegel and Nietzsche: Philosophy, Culture, and Agency. (SUSANNE BRAUER, Chicago) ................................... Ludwig Siep: Der Weg der „Phänomenologie des Geistes”. Ein einführender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift” und „Phänomenologie des Geistes”. Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Hermann Drüe, Annemarie Gethmann-Siefert, Christa Hackenesch, Walter Jaeschke, Wolfgang Neuser und Herbert Schnä-

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delbach: Hegels ›Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‹ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß. (LU DE VOS, Leuven) .............................................................................. 439 Helmut Schneider: Geist und Geschichte. Studien zur Philosophie Hegels. In: Hegeliana. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus. Hrsg. von Helmut Schneider. Band 9. (EGBERT WITTE, Bochum) ........................................................... 444 Andreas Knahl, Jan Müller, Michael Städtler (Hgg.): Mit und gegen Hegel. (HANS-GEORG BENSCH, Hannover) ........................... 447 Martin Gessmann: Hegel. Herbert Schnädelbach: Hegel zur Einführung. (CHRISTIAN KLUWE, Bochum) ............................................................................. 454

BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1999 Zusammenstellung und Redaktion: H OLGER G LINKA (Bochum) ..........................................................................................

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TEXTE UND DOKUMENTE

WALTER JAESCHKE (BOCHUM)

EINE NEUE PHASE DER HEGEL-EDITION Die Edition der Schriften und Entwürfe Hegels in der ersten Abteilung seiner Gesammelten Werke steht nunmehr, gut drei Jahrzehnte nach ihrem Beginn, kurz vor dem Abschluß. Parallel zu den letzten hierfür erforderlichen Arbeiten ist inzwischen mit der Edition der zweiten Abteilung, der Nachschriften zu Hegels Vorlesungen, begonnen worden. Der unterschiedliche Charakter der Quellen der ersten Abteilung gegenüber der zweiten erfordert für die letztere eine Reihe neuer Entscheidungen. Sie müssen sich an einer Vielzahl von Kriterien orientieren – an äußerlich-zufälligen wie der Überlieferungslage, aber auch an immanenten wie der Stellung von Hegels Vorlesungen im Kontext seines Gesamtwerks. Die folgenden Ausführungen suchen solche Kriterien für die Gestaltung der Abteilung „Vorlesungen“ herauszuarbeiten und informieren über den Stand der Planung. 1. Überlieferungsform und Werkform (1) Die Wirkungsgeschichte philosophischer wie literarischer Werke zeigt in der Regel einen engen Zusammenhang zwischen den Geschichten ihrer Edition und ihrer Rezeption. In ihm scheint der Edition insofern eine fundierende Rolle zuzukommen, als sie allererst den Raum für die Rezeption erschließt, ihn damit aber auch begrenzt: Unzureichende Editionen führen die Forschung durch fehlerhafte Präsentation und Datierung des Materials auf Irrwege – und sie verschließen potentielle Interpretationshorizonte, indem sie Problemstellungen gar nicht erst in den Blick treten lassen, die für das Verständnis eines Werkes unverzichtbar wären. Doch trotz dieser materialen Fundierung der Rezeption durch die Edition regt in vielen Fällen allererst die Rezeption zur Edition an; eine Steigerung des Interpretationsniveaus erfordert eine Perfektionierung auch der Edition. Rezeptions-

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prozesse können Editionsprozesse, aber auch umgekehrt Editionsprozesse Rezeptionsprozesse auslösen. In dieser Verflechtung beider Geschichten kommt im allgemeinen der Rezeption der Primat zu – und nicht allein in den Fällen, in denen die Editionsgeschichte unter dem Diktat der Rezeption steht, wie bei der Sekretierung oder gar Vernichtung von Schriften, etwa im Falle Giordano Brunos. Sofern die Rezeption sich auf noch so spärliche Quellen stützen kann, löst sie neue, wenn auch nur partielle Editionsprozesse aus,1 die wiederum die Rezeption verstärken. Auch Spinozas Gesamtwerk ist wegen seiner Verketzerung nach dem Erscheinen seiner Opera posthuma nicht aufgelegt worden und – wie auch das Werk Brunos – erst durch den Anstoß Jacobis, durch die von ihm ausgelöste Spinoza-Renaissance, wieder einem größeren Umkreis zugänglich geworden: durch Paulus‘ Ausgabe, an der auch Hegel editorischen Anteil hat.2 (2) Gegenüber der Rezeptionsgeschichte kommt der Editionsgeschichte zumeist eine dienende Rolle zu – doch ist die Editionsgeschichte nicht allein durch die Rezeptionsgeschichte bedingt. Die Bedeutung, die der Edition eines Werkes („Werk“ hier immer im Sinne von „Gesamtwerk“ verstanden) für die Rezeption zukommt, steht nicht minder unter den internen Bedingungen seiner Überlieferungsform, also der Form der Überlieferung des zu edierenden Materials. Neuzeitliche Philosophie ist fast stets in den drei Formen „publizierte Schriften“, „Nachlaß“ und „Briefe“ überliefert; im Einzelfall tritt „Sekundäre Überlieferung“ als vierte Form hinzu. Diese Überlieferungsform kann das Prinzip der Gliederung einer Edition in Reihen bilden; es ist insofern erschöpfend, als zumindest in der neueren Philosophie und Literatur die Form der späteren Aufzeichnung von mündlich Tradiertem nicht vorkommt. Ohnehin bildete sie nicht eine fünfte Form neben den genannten, sondern sie träte – als eine völlig unterschiedliche Weise der Überlieferung – an deren Stelle. Bereits in der Überlieferungsform eines Werkes liegen wichtige Bedingungen für die spätere Editions- und zugleich für die Rezeptionsgeschichte. Je geringer der Anteil des Publizierten, je größer der Zunächst durch Jacobis Auszüge aus De la causa, principio e uno. Vgl.: Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Hrsg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke. Bd. 1: Schriften zum Spinozastreit. Hrsg. von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske. Hamburg/Stuttgart 1998. 185–205. 2 Benedictus de Spinoza: Opera quae supersunt omnia. 2 Bde. Hrsg. von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus. Jena 1802/03. – Zu Hegels Anteil vgl. GW 5. 513–516; 720–729. 1

Eine neue Phase der Hegel-Edition

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Anteil der postumen Edition von Nachlaß und Sekundärer Überlieferung, um so abhängiger wird die Rezeptionsgeschichte von der Editionsgeschichte – was sich paradigmatisch an der Editionsgeschichte des Leibnizschen Werkes studieren läßt. Die editorische Aufgabe besteht dann weniger in einer Bereitstellung des Bekannten, bei der sich die Erschließung im wesentlichen auf die Verzeichnung von Varianten und den Kommentar beschränkt, als vielmehr in der Veröffentlichung nicht bekannter Texte – und vielleicht geschlossener Textgruppen wie des Jugend- oder Spätwerks. So können Konjunkturen der späteren Rezeptionsgeschichte bereits durch die Überlieferungsform eines Werkes und die durch sie bedingte Editionsgeschichte vorgezeichnet sein – wenn auch daneben fraglos eine Vielzahl weiterer Faktoren wirkt. (3) Einer dieser Faktoren gehört ebenfalls dem für die Editionswissenschaft relevanten Bereich an: die „Werkform“. Von der – häufig durch Zufall bedingten – Überlieferungsform ist sie zu unterscheiden als diejenige Form, in der ein Verfasser sein Werk gestaltet hat. Sie steht gleichsam zwischen der Überlieferungsform und der literarischen Form als der Entfaltung eines Werkes in Form eines „Systems“ oder von „Aphorismen“, in Dialogform oder diskursiven Abhandlungen, in einem „Lehrgedicht“ oder in einem – philosophischen – Roman. All diese Unterschiede der literarischen Form können auch innerhalb des publizierten Werkes auftreten. Die Werkform hingegen bezeichnet zunächst diejenige Gattung – Publikation, Brief oder auch Vorlesung –, die ein Verfasser für die Entfaltung seines Denkens gewählt hat. Es prägt die Signatur eines Werkes, wenn etwa entscheidende Partien in Form von Briefen vorliegen, wie bei Jacobi, bei dem sogar die veröffentlichten Werke häufig Briefform haben, oder wenn ein Großteil des Werkes in Vorlesungen oder in Predigten vorliegt, wie bei Schleiermacher. Doch die genannten Gattungen treten wohl nie rein auf; kaum ein Verfasser dürfte sich in nur einer von ihnen ausgesprochen haben. Die Werkform ist deshalb komplex: Sie besteht im Verhältnis der Gattungen, in denen ein Autor ein Werk vorgelegt hat. Unter dem Begriff „Werkform“ läßt sich aber auch die spezifische Ausformung dieser Gattungen selbst begreifen, etwa die Strukturierung des publizierten Werkes durch die Differenz von „Hauptwerken“ und „Paralipomena“ – wobei das, was der bloß formalen Betrachtung als Paralipomenon erscheint, sich als philosophisch wichtiger herausstellen kann als umfangreiche publizierte vermeintliche „Hauptwerke“. Auch hier ist wiederum an Leibniz zu erinnern. Eine Werkform, die den Akzent vom Einen „Hauptwerk“ auf die vielen „Paralipome-

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na“ verschiebt, bildet ein Erschwernis für die Rezeptionsgeschichte und eine Herausforderung für die Editionsgeschichte. (4) Zwischen diesen beiden Formen – Überlieferungsform und Werkform – besteht eine partielle, in einzelnen Fällen sogar weitgehende, aber nie nahtlose Übereinstimmung. Zwar spiegelte im idealen Fall die Überlieferungsform die Werkform wieder: Das Überlieferte wäre exakt das vom Verfasser als Werk Intendierte. Aber selbst dann bildeten Werkform und Überlieferungsform unterschiedliche Kategorien. Der „Nachlaß“ etwa, eine der wichtigsten Überlieferungsformen, bildet keine Werkform; er ist mehr ein Produkt des geschichtlichen Zufalls als der Intention: Ein Verfasser schreibt Aufzeichnungen, Entwürfe, aber nicht Nachlaß – es sei denn in Form einer literarischen Fiktion. Doch dann handelt es sich um ein Werk.3 Andererseits sind im Blick auf die Werkform Gattungen zu nennen, die keine eigenständige Überlieferungsform bilden, wie etwa Predigten oder Reden oder Vorlesungen. Überlieferungstechnisch gesehen fallen Predigten wie auch Reden unter die Rubriken „publiziertes Werk“, „Nachlaß“ oder „sekundäre Überlieferung“ – doch bedarf ihre Sonderstellung gegenüber anderen Texten dieser Rubriken keiner weiteren Ausführung. (5) Neben Überlieferungsform und Werkform kann die „Zeitform“ eines Werkes als eine dritte, die Anlage einer Edition bestimmende Form erscheinen – die Differenz zwischen seiner statischen oder dynamischen, entwicklungsgeschichtlichen Verfassung. Dieser Aspekt ist erst im Anschluß an Wilhelm Dilthey für die Editionsphilologie bestimmend geworden. Er betrifft jedoch nur die Differenz zwischen der traditionellen und der neueren historischen Thematisierung eines Werkes, und nicht eine Differenz zwischen Werken mit oder ohne Zeitindex. Jedes Werk ist Produkt des Geistes, und deshalb hat jedes eine innere Geschichte und kann somit entwicklungsgeschichtlich ediert werden – das Werk Platons nicht anders als das Heideggers, wenn auch sicherlich in jeweils abgestufter Akzentuierung: Die Entwicklungsgeschichte eines Werkes ist ein unverzichtbarer, aussagekräftiger Teil des Werkes selbst. Ausnahmen hiervon ließen sich allein dort denken, wo unglückliche Lebensumstände die Ausbildung der geschichtlichen Dimension eines Werkes verhindert haben. Gleichwohl eignet sich die Entwicklungsgeschichte nicht als domi3 Vgl. Robert Musil: Nachlaß zu Lebzeiten. [1936] In: Robert Musil. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. von Adolf Frisé. Hamburg 1957. 445–535. – Diesen Hinweis verdanke ich Holger Glinka.

Eine neue Phase der Hegel-Edition

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nierendes Prinzip für die Strukturierung einer Edition. Sie ist ein „zweites“, den Kategorien der Überlieferungsform nachgeordnetes, erst auf die durch sie gebildeten Reihen anwendbares Prinzip. Eine strikt entwicklungsgeschichtliche Ordnung, die Publikationen, nachgelassene Werke, Briefe und gegebenenfalls Texte weiterer Gattungen aneinanderreihte, wäre wenig besser zu rechtfertigen als eine alphabetische. Das Gattungsprinzip ist als Ordnungsprinzip nicht zu ersetzen, sondern allenfalls zu modifizieren. So haben die Hegel- und die Schleiermacher-Ausgabe (als die der Hegel-Ausgabe am nächsten verwandte) das entwicklungsgeschichtliche Prinzip insofern der Überlieferungsform übergeordnet, als Publikationen und Nachlaß (oder Teile des Nachlasses) zu einer Abteilung zusammengefaßt werden; die Abteilungen „Vorlesungen“ und „Briefe“ werden davon jedoch nicht berührt. Und selbst innerhalb dieser jeweils einen Abteilung wird das Entwicklungsprinzip in den beiden genannten Editionen nicht streng durchgeführt: veröffentlichte Schriften, Entwürfe und Vorlesungsmanuskripte werden in gesonderten Bänden ediert. Wegen dieses sekundären Charakters der Entwicklungsgeschichte bilden die Überlieferungsform und die Werkform zusammen das Fundament für die Entscheidung über die Anlage einer Edition. Deren Aufgabe ist es im allgemeinen, auf der Basis der – weitgehend zufälligen – Überlieferungsform der Werkform gerecht zu werden: das Werk in der spezifischen Form zu präsentieren, in der es vom Autor geschaffen worden ist. Nach Maßgabe der jeweiligen Werkform wird eine Edition gegebenenfalls über die Kategorien der Überlieferungsform hinausgehen und neben „Publikation“, „Nachlaß“, „Briefe“ und „Sekundäre Überlieferung“ weitere Modifikationen einführen müssen – etwa „Predigten“, „Übersetzungen“ oder „Vorlesungen“. 2. Überlieferungs- und Werkform der Philosophie Hegels (1) Anders als die Form des Schleiermacherschen Werkes nötigt die Werkform der Philosophie Hegels nicht zur Erweiterung der durch die Überlieferungsform für die Edition vorgegebenen traditionellen Gattungen. Ihre Überlieferungsform ist jedoch durch einen vergleichsweise starken Anteil des Nachlasses bestimmt. Der Umfang des Nachlasses scheint sich zwar mit dem publizierten Werk die Waage zu halten – wenn man berücksichtigt, daß von den 22 Bänden der ersten Abteilung der Gesammelten Werke exakt die eine Hälfte den Druck-

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schriften, die andere dem Nachlaß gewidmet ist. Doch schon hierbei deutet sich insofern ein Übergewicht des Nachlasses an, als die Bände mit Druckschriften z.T. umfangreiche nachgelassene Texte als Beilagen enthalten. Und eine weitere Verschiebung ergibt sich, wenn die Zweitund Drittauflagen der Schriften Hegels nicht als separate Einzelwerke gezählt werden. Dann ist sein veröffentlichtes Werk deutlich schmaler als das nachgelassene Werk. Es umfaßt neben der kleinen Habilitationsschrift nur fünf Bücher: die Differenzschrift, die Phänomenologie des Geistes, die Wissenschaft der Logik (in drei Bänden), die Enzyklopädie und die Grundlinien der Philosophie des Rechts, sowie zwei Bände „Paralipomena“: Abhandlungen aus der Jenaer, der Heidelberger und der Berliner Zeit. Dieses Übergewicht des Nachlasses hat zwei Phasen der späteren Verknüpfung von Editionsgeschichte und Rezeptionsgeschichte bestimmt: Die Hegel-Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts steht im engen Zusammenhang mit der Edition der frühen Schriften Hegels, die bis dahin unbekannt gewesen sind – abgesehen von dem knappen Referat in Rosenkranz‘ Hegels Leben.4 Und auch die erneute Rezeption in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts steht unter der Bedingung der neuen Edition des Nachlasses der Jenaer Zeit. Diese letztere Phase der Verbindung von Editions- und Rezeptionsgeschichte zeichnet sich dadurch aus, daß es sich bei ihr nicht um die Edition bis dahin unbekannten Materials handelt, sondern um die methodisch neue, historisch-kritische Präsentation bekannter Manuskripte. Wie nach Hegel das Bekannte darum noch nicht erkannt ist, so ist auch ein „bekannter“, nämlich entzifferter und veröffentlichter Text damit noch lange nicht „erkannt“. Eine notwendige Voraussetzung dieser „Erkenntnis“ eines Textes liegt in seiner relativen Einordnung in die Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens, da durch sie ja erst übergreifende Sinnzusammenhänge konstituiert werden und die Ausformung des Systemgedankens nachvollziehbar wird. Die Texte sprechen erst eine verstehbare Sprache, wenn sie von der irreführenden Chronologie befreit werden, in deren Zwangsjacke Karl Rosenkranz sie – wohlmeinend – geschnürt hat. Erst die Einsicht in die wirkliche zeitliche Folge der Texte hat deshalb auch die entwicklungsgeschichtliche Interpretation der Philosophie Hegels etabliert. Und über die relative Chronologie der Entwicklungsgeschichte hinaus ist die absolute Datierung von Texten nicht minder erforderlich. Denn 4

Karl Rosenkranz: G.W.F. Hegel's Leben. Berlin 1844. 45–62; 94–99.

Eine neue Phase der Hegel-Edition

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wie wollte man Hegels Verfassungsschrift interpretieren, wenn man sie mit Rosenkranz erst in das Jahr 1806 datiert, oder wie das Verhältnis von Hegels Jenaer Texten zu den gleichzeitig veröffentlichten Schriften Schellings beschreiben? Während die Hegel-Rezeption des 20. Jahrhunderts nachhaltige Anstöße durch die Edition des Nachlasses erfahren hat, ist die erste Phase der Rezeptionsgeschichte durch die Edition seiner Vorlesungen bestimmt worden. Die Freundesvereinsausgabe der Freunde und Schüler Hegels hat zwar den Nachlaß der frühen Jahre vollständig und den der Jenaer Jahre weitgehend ignoriert, doch hat sie sich ausführlich auf Vorlesungsmaterialien gestützt: Neun Bände enthalten Hegels Vorlesungen, und da die „Zusätze“ zur Enzyklopädie (in den Bänden VI und VII/1 bzw. VII,2) zumeist auf Vorlesungsmaterialien zurückgehen,5 umfassen diese mehr als die Hälfte der Ausgabe. In welchem (geringen) Umfang sich die Freundesvereinsausgabe über die Vorlesungsnachschriften hinaus der Manuskripte Hegels bedient hat, ist bisher allein für die religionsphilosophischen Vorlesungen herausgearbeitet worden, und da Hegels Manuskripte für die anderen Disziplinen sich nicht erhalten haben, wird sich diese Frage auch nie mit letzter Bestimmtheit beantworten lassen. (2) Mit diesem umfassenden Rückgriff auf Nachschriften von Hegels Vorlesungen hat die Freundesvereinsausgabe dem vierten zur Überlieferungsform des Hegelschen Werkes gehörenden Teil, der Sekundären Überlieferung, gleichen Rang mit den veröffentlichten Schriften Hegels eingeräumt – wobei sie Teile des Nachlasses mit der Sekundären Überlieferung vermischt, und die Briefe nicht berücksichtigt hat; letzteres freilich schon aus dem plausiblen Grund der zeitlichen Nähe zu den Briefschreibern bzw. -empfängern. Mit dieser Verteilung der Gewichte hat sie aber ein spezifisches Bild der Werkform der Philosophie Hegels entworfen: Publikationen und Vorlesungen erscheinen als etwa gleichgewichtig. Gegen dieses Bild der Werkform könnte man auf die Überlieferungsform verweisen wollen, auf die Bedeutung des Nachlasses. Doch besteht der Nachlaß zum überwiegenden Teil aus Vorlesungsmanuskripten. Wenn man die Nürnberger Texte einbezieht (die zwar nicht im engeren Sinn Vorlesungsmanuskripte bzw. -nachschriften sind, aber 5 Der Titel von Band VII/1 lautet sogar: Vorlesungen über die Naturphilosophie als der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse Zweiter Theil. Hrsg. von Carl Ludwig Michelet. Berlin 1842.

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gleichfalls Unterrichtsmaterialien), enthalten sechs der elf Handschriftenbände der Gesammelten Werke Vorlesungsmanuskripte aus Jena und Berlin, weitere zwei Bände Exzerpte (wobei die späten Exzerpte in GW 22 ebenfalls in den Kontext der Vorlesungen gehören), und zudem entstammt ein beachtlicher Teil der Manuskripte aus GW 5 dem Umkreis der Vorlesungen.6 Lediglich die frühen Manuskripte – bis zur Verfassungsschrift – stehen nicht im Kontext von Vorlesungen. Somit belegen nicht allein die rund einhundert überlieferten Vorlesungsnachschriften, sondern ebenso Hegels nachgelassene Manuskripte eindrucksvoll die Bedeutung der Vorlesungen für die Werkform seiner Philosophie. Es ist kein Zufall, daß Hegels erste Systemskizzen in Fragmenten aus seiner ersten Jenaer Vorlesung überliefert sind.7 (3) Doch selbst abgesehen vom Nachlaß: Die Bedeutung der Werkform „Vorlesung“ spiegelt sich ebenso in Hegels veröffentlichten Schriften. Im Kontext der akademischen Lehre stehen schon die frühen, nicht realisierten Buchprojekte der Jenaer Jahre, denen auch die Phänomenologie entwachsen ist.8 Allein die Differenzschrift und die Wissenschaft der Logik sind nicht auf Vorlesungen bezogen. Die drei Auflagen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (!) hingegen wie auch die Grundlinien (!) der Philosophie des Rechts sind nicht Teile eines in Wissenschaftsform ausgeführten „Systems“, sondern Kompendien für den Vorlesungsbetrieb. Diese Zuordnung wird selbst heute noch verdeckt durch die von den „Freunden des Verewigten“ veranstaltete Verunstaltung seines Vorlesungsgrundrisses zum System der Wissenschaft. Hegel hat sich über die Differenz der Ausführung einer Disziplin in Wissenschaftsform, als Teil seines Systems, und in der „gedrängten Kürze, welche ein Grundriß nöthig macht“, hinreichend deutlich ausgesprochen: Ein Kompendium dient als „Vorlesebuch“, „das durch den mündlichen Vortrag seine nöthige Erläuterung zu erhalten hat“. Es ist ein „Leitfaden“, der der Ergänzung durch den mündlichen Vortrag bedarf, und nicht Teil der adäquat ausgeführten „Wissenschaft“.9 Darin liegt das Spezifikum der Werkform der Hegelschen Philoso6 Für das System der Sittlichkeit hat dies jüngst Kurt Rainer Meist geltend gemacht. Vgl.: Hegel: System der Sittlichkeit [Critik des Fichteschen Naturrechts]. Mit einer Einleitung von Kurt Rainer Meist hrsg. von Horst D. Brandt. Hamburg 2002. XXXIII–XXXIX. 7 GW 5. 255–275. 8 Dies zeigen noch die Vorlesungsankündigungen vom Sommersemester 1806 bis zum Sommersemester 1807. Vgl.: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801– 1807). Hrsg. von Heinz Kimmerle. In: Hegel-Studien 4 (1967). 55 f. 9 GW 19. 5; vgl. GW 20. 27, 31.

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phie: Das Gleichgewicht, das in ihrer Überlieferungsform zwischen Publikation und Nachlaß wie auch zwischen Publikation und Vorlesungen herrscht, verschiebt sich in der Werkform eindeutig zu Gunsten der Vorlesungen: Die weit überwiegende Zahl der im Nachlaß erhaltenen Manuskripte wie auch die Hälfte der Publikationen gehören zur Werkform „Vorlesungen“. Und diese Werkform ist im Blick auf das ihr zu Grunde liegende Material jeweils dual strukturiert: Bei den Vorlesungen, die nach einem Kompendium gehalten sind, den „Kompendiumvorlesungen“, wird sie durch Kompendium und Nachschrift gebildet; bei den „Manuskriptvorlesungen“, für die Hegel ein eigenes Manuskript ausgearbeitet hat, durch Manuskript und Nachschrift. Die Vorlesungen bilden somit nicht gleichsam einen (ignorablen) Appendix des „eigentlichen“ Werkes; sie sind ein nicht bloß gleichberechtigtes, sondern das dominierende Element der Werkform der Hegelschen Philosophie. Man mag dies bedauern, aber im Blick auf die Werkform ist die Wissenschaft der Logik geradezu atypisch für Hegels Philosophie – was ihre für das System grundlegende und überragende Bedeutung fraglos nicht schmälert. Vielleicht verdankt sie sich gar dem Umstand, daß Hegel zur Zeit ihrer Abfassung seine Philosophie nicht in Form von Universitätsvorlesungen ausbilden konnte. Denn nach Antritt seiner Heidelberger Professur hat Hegel nicht mehr die Muße gefunden, eine weitere Disziplin in Systemform auszuführen – so sehr er dies auch gewünscht hat. Die Werkform seiner Philosophie ist deshalb – entgegen seiner Absicht – nicht das „System der Wissenschaft“. Es ist zwar stets intendiert, doch liegt von seinem späteren „System“ einzig die Wissenschaft der Logik in Wissenschaftsform vor – und neben ihr stehen die Vorlesungen, von denen Hegel zwar einige zu Systemteilen ausarbeiten wollte, ohne doch über Ansätze hinauszugelangen. Die unmittelbare Wirkungsgeschichte seiner Philosophie ist deshalb ein getreues Spiegelbild ihrer Werkform: Ihre Wirkung beruht zum großen Teil auf den Vorlesungen, und insbesondere auf den Vorlesungen über die „realphilosophischen“ Teile seiner Philosophie. Auch der Streit um sein „System“ wurde überwiegend an Hand der Vorlesungen ausgetragen. Paradox formuliert: Die Wirkung des Hegelschen „Systems“ ist die Wirkung eines Systems, das er nicht, zumindest nicht in der ihm vorschwebenden Form der „Wissenschaft“ oder des „Systems“ ausgeführt, sondern lediglich in der Enzyklopädie skizziert und in seinen Vorlesungen provisorisch ausgearbeitet hat. Hegels „System“ ist überwiegend ein „System in Vorlesungen“, und nicht das angestrebte „System der Wissenschaft“.

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(4) Die dominante Bedeutung der Vorlesungen für die Werkform der Philosophie Hegels beruht nicht etwa auf einem (un)glücklichen Zufall seiner Überlieferungsform. Sie setzt natürlich Hegels Lehrtätigkeit voraus, aber sie verdankt sich letztlich nicht einem besonderen didaktischen Eros – und allenfalls zu einem Teil den bekannten rhetorischen Defiziten Hegels, die ihn zu einer intensiven Ausarbeitung seiner Vortragsmanuskripte genötigt haben. Entscheidend ist jedoch etwas anderes: Die starke Akzentuierung oder gar Dominanz der Werkform „Vorlesung“ entspringt aus einer allgemeinen Veränderung in der Auffassung und Funktion des akademischen Vortrags, die sich um 1800 auch bei seinen Zeitgenossen zeigt – noch nicht bei Reinhold, wohl aber seit Fichte, der seiner Jenaer Lehrtätigkeit die Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen vorausschickt und dessen Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre den Untertitel führt: als Handschrift für seine Zuhörer. Für Schelling sind die frühen Vorlesungen – soweit sich jetzt erkennen läßt – weniger bedeutend für die Werkform seiner Philosophie; anders steht es um seine „Spätphilosophie“. Für Schleiermacher hingegen haben die Vorlesungen wiederum eine große Bedeutung – auch wenn sie durch andere Werkformen wie Predigten und Übersetzungen nivelliert wird. Diese Verlagerung des Akzents von der Publikation auf die Lehrtätigkeit ist fraglos eine Folge des Endes der „Schulphilosophie“ des 18. Jahrhunderts: ihres festgefügten Kanons philosophischer Disziplinen, aber auch ihrer Lehrform, Kompendien – auch anderer Autoren – dem eigenen Vortrag zu Grunde zu legen. Unter diesen Bedingungen bleiben akademische Lehre und Ausarbeitung des eigenen „Systems“ getrennt. Doch mit dem Erlöschen der „Schulphilosophie“ am Ende der Aufklärung beginnt eine überaus fruchtbare Epoche der Ausbildung der Philosophie im Kontext der akademischen Lehre: Der Kanon der philosophischen Wissenschaften wird neu gestaltet, und auch die einzelnen Disziplinen werden – unter Einbeziehung der Geschichte – neu entworfen. Auch Hegel schreibt aus Heidelberg an Immanuel Niethammer, er habe die Wissenschaften, die er vortrage, „eigentlich meist erst zu machen“.10 Diese Formulierung beschreibt sehr treffend eine Situation, in der Vorlesungen zu einem konstitutiven, ja dominanten Element der Form eines philosophischen Werkes

10 Hegel an Niethammer, 11. Dezember 1817. In: Briefe von und an Hegel. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Bd. 2. Hamburg. Dritte Auflage 1969. 169.

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werden: Sie sind die Akte der Erfindung einer neuen, nicht der Entfaltung einer schon bestehenden Wissenschaft. (5) Aus dieser Einsicht in die Dominanz der Vorlesungen in der Werkform der Philosophie Hegels folgt für den Interpreten die Verpflichtung, der Funktion gerecht zu werden, die Hegel selber ihnen zugewiesen hat. Sie bilden nicht einen Bereich minderen Rechts gegenüber den Publikationen. Sie sind sogar die primäre Form der Entfaltung seiner Philosophie. Doch – kann den Vorlesungen auf Grund ihrer gegenwärtigen, wenig befriedigenden Überlieferungsform diejenige Funktion zukommen, die sie in der Werkform der Philosophie Hegels haben? Sicherlich sind sie nicht – wie in ihrer frühen Wirkungsgeschichte – als in Wissenschaftsform ausgeführte Systemteile mißzuverstehen: Sie sind Versuche Hegels, in der dualen Struktur von Kompendium bzw. Manuskript und Vortrag die philosophischen Wissenschaften allererst zu erfinden: aus dem gegebenen Material ihre innere Form herauszuarbeiten – und zumal unter den Bedingungen des akademischen Lehrbetriebs. Aus diesem Status der Vorlesungen erwächst ferner die Forderung, sie nicht als erstarrten, in logische Fesseln gebannten Geist anzusehen, sondern ihre entwicklungsgeschichtliche Varianz ernstzunehmen und diese nicht als Einwand und Selbstwiderspruch anzusehen. Wer die Bewegung ihrer Entwicklung nicht wahrnimmt – und sei es aus Gründen einer unzureichenden Edition –, kann sie freilich nur als statisch mißverstehen. Doch nichts ist absurder als der seit Dilthey kursierende Einwand, sie dokumentierten die fortschreitende Sklerotisierung des Systems; sie sind ja nicht einmal Teile des in Wissenschaftsform ausgeführten Systems. Die ausgeführte Wissenschaft kann in anderer Weise zum Thema werden – und selbst sie kennt die Varianz, wie das Verhältnis der zweiten zur ersten Auflage der Wissenschaft der Logik zeigt. Doch alle anderen Disziplinen seiner Philosophie hat Hegel nicht als Bestandteil des „Systems der Wissenschaft“, sondern in der vorbereitenden Werkform „Vorlesungen“ und der durch sie begünstigten Varianz ausgeführt. Für die Interpretation stellt sich deshalb nicht die Frage der hermeneutischen Priorität, sondern allein das Problem der Authentizität – freilich nur für die Nachschriften, nicht für die Kompendien und nachgelassenen Manuskripte. Daß den Nachschriften geringere Authentizität zukommt als von Hegel verfaßten Texten ist unabänderlich. Doch der schmale Umfang der überlieferten Vorlesungsmanuskripte sowie die thematische Beschränkung und sehr geraffte Ausführung der

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Kompendien machen die Nachschriften zu unverzichtbaren Quellen für Hegels Denken: Die Ästhetik ist nur durch Nachschriften überliefert, und auch unsere Kenntnis von Disziplinen wie der Geschichtsphilosophie, der Religionsphilosophie oder der Geschichte der Philosophie muß sich weitgehend auf Nachschriften stützen. Auf die Nachschriften zu verzichten bedeutete, auf diese Disziplinen zu verzichten und Hegels Philosophie durch Eliminierung von Disziplinen zu verstümmeln, die nicht allein in ihrer Wirkungsgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt haben, sondern eben integrale Teile der Werkform seiner Philosophie sind. Für die gegenwärtige Diskussion ist bislang ein doppelbödiges Verfahren charakteristisch: Verständlichen Skrupeln gegen die Interpretation von Nachschriften stehen in mittlerweile größerem Umfang Editionen einzelner, oft mehr oder weniger glücklich gefundener Nachschriften gegenüber, die allenfalls eine minimale kritische Kontrolle des edierten Textes erlauben. Und vor allem gegenüber den „Zusätzen“ zu den Kompendien erscheinen die Skrupel häufig als suspendiert – obgleich die Authentizität der „Zusätze“ weit geringer ist als die der Nachschriften: Sie sind durch ein undurchsichtiges Auswahlverfahren teils aus Nachschriften, teils aus anderen Quellen kompiliert. Den „Zusätzen“ gegenüber haben deshalb die Nachschriften Quellencharakter – selbst wenn sie gelegentlich unreine Quellen sein mögen. Diesen Grad der Reinheit oder Unreinheit zu bestimmen und der letzteren entgegenzuwirken ist jedoch die Aufgabe ihrer kritischen Edition. 3. Aufgaben der Edition der Hegelschen Vorlesungen (1) Diese kritische Edition der Vorlesungsnachschriften Hegels im Rahmen der Gesammelten Werke hat vor kurzem begonnen. Die Gesammelten Werke verzichten zwar auf die ausdrückliche Unterscheidung der Reihen „Schriften und Entwürfe“, „Vorlesungen“ und „Briefe und amtlicher Schriftwechsel“, doch folgt ihr Aufbau dieser Gliederung. Insofern erkennen auch sie nicht der Entwicklungsgeschichte den Primat für die Konzeption der Ausgabe zu, sondern der Überlieferungsform – auch wenn sie die gemeinhin übliche Differenz zwischen veröffentlichten und nachgelassenen Schriften mit gutem Grund aufheben, wie auch die erste Abteilung der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Schleiermachers. Anders als diese werden die Gesammelten Werke Hegels das Ge-

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staltungsprinzip „Entwicklungsgeschichte“ als primäres Prinzip auf die erste Abteilung begrenzen. Sie werden die Abteilung „Vorlesungen“ nicht geschichtlich strukturieren, sondern nach Disziplinen, geordnet nach dem enzyklopädischen Aufriß des Systems. Zu diesem bereits von der Freundesvereinsausgabe befolgten Prinzip ist – zumindest für Hegels Philosophie – keine erfolgversprechende Alternative in Sicht. Die Kritische Gesamtausgabe Schleiermachers hingegen erhebt die Entwicklungsgeschichte zusätzlich zum Ordnungsprinzip zwar nicht der einzelnen Kollegien, aber doch der Disziplinen der Abteilung „Vorlesungen“: „Für die chronologische Anordnung der Vorlesungsdisziplinen ist dasjenige Semester maßgebend, in dem Schleiermacher die jeweilige Vorlesung zum ersten Mal gehalten hat.“11 Zumindest auf Hegels Philosophie angewandt führte dieses Prinzip nicht zu befriedigenden Resultaten. In Hegels Gesammelten Werken wird die Entwicklungsgeschichte nicht die Konzeption der Abteilung, sondern allein die interne Struktur des jeweils einer Vorlesungsdisziplin gewidmeten Bandes bestimmen. (2) Noch in einer weiteren Hinsicht orientiert sich die Konzeption der Gesammelten Werke auf Grund früherer Entscheidungen an der Überlieferungsform statt an der Werkform oder der Entwicklungsgeschichte: Sie trennt die Edition der Vorlesungsmanuskripte – in den Bänden 17 und 18 – von der Edition der Vorlesungsnachschriften, als einer sekundären Überlieferung des gesprochenen Hegelschen Wortes. Vielleicht hat die – in heutiger Perspektive völlig inakzeptable – Vermischung von Manuskripten und Nachschriften in der Freundesvereinsausgabe zu einer derart weitgehenden Lösung angeregt: zur Trennung dessen, was sowohl geschichtlich als auch in der Werkform „Vorlesung“ eine Einheit bildet. Daß es hierzu eine Alternative gibt, zeigt die Kritische Gesamtausgabe Schleiermachers: Sie faßt die Manuskripte und Nachschriften zu einer Vorlesung in einem Band zusammen, räumt also der jeweiligen Disziplin der Werkform „Vorlesung“ den Primat für den Aufbau der Edition ein. Als zweites Gliederungsprinzip für ihre interne Strukturierung berücksichtigt sie jedoch die Gattungsdifferenz zwischen Manuskript und Nachschrift, statt – was ebenfalls möglich gewesen wäre – die Entwicklungsgeschichte.

11 Siehe die „Einleitung der Herausgeber“ der Kritischen Gesamtausgabe. In: Schleiermacher: Vorlesungen über die Lehre vom Staat. Hrsg. von Walter Jaeschke. KGA, Abt. II, Bd. 8. Berlin-New York 1998. VIII.

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Dann wäre auch noch die Einheit eines Kollegs in ihrer Überlieferung durch Manuskript und Nachschriften erhalten geblieben. Die Integrität der Werkform „Vorlesung“ ist allerdings nicht erst durch die Konzeption der Gesammelten Werke zerstört, sondern bereits durch die Überlieferungslage – und dies seit dem Abschluß der Freundesvereinsausgabe. Von den zahlreichen „Heften“ Hegels, seinen Vorlesungsmanuskripten, und den ergänzenden Konvoluten mit Materialien hat sich allein das Manuskript zur Religionsphilosophie erhalten – doch dieses hat nur dem ersten der vier religionsphilosophischen Kollegien als Grundlage gedient.12 Die zweitgrößte Gruppierung bilden die Manuskripte zu den geschichtsphilosophischen, und die drittgrößte zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen. Sie umfassen aber jeweils fast ausschließlich die Einleitungen, und auch sie nur fragmentarisch. Von den Vorlesungen über Ästhetik haben sich gar nur zwei kleine Fragmente erhalten.13 (3) Durch die Trennung der Vorlesungsmanuskripte von den -nachschriften haben diese in den Gesammelten Werken – formal gesehen – den minderen Status der nur sekundären Überlieferung. Durch die Ungunst der Überlieferungslage, nämlich den Verlust der überwiegenden Zahl von Hegels Vorlesungsmanuskripten, bilden die Nachschriften jedoch für die Manuskriptvorlesungen das einzige Zeugnis – von den genannten Ausnahmen abgesehen. Für unsere heutige Kenntnis der Philosophie Hegels kommt somit den Nachschriften von Manuskriptvorlesungen eine größere Bedeutung zu als den Nachschriften der Kompendiumvorlesungen. Dieser Bedeutungsunterschied ist jedoch nur durch die Überlieferungslage bewirkt; ihm korrespondiert kein realer Unterschied im Typus der Nachschriften – abgesehen von den Hinweisen auf die Hegels Vortrag zu Grunde liegenden Paragraphen des jeweiligen Kompendiums. Gleichwohl besteht eine erhebliche Differenz zwischen Kompendium- und Manuskriptvorlesungen – allerdings nicht zwischen einzelnen Nachschriften zu diesem oder jenem Vorlesungstypus, sondern zwischen den in diesen beiden Formen vorgetragenen Disziplinen: Bei Manuskriptvorlesungen ist die entwicklungsgeschichtliche Differenz zwischen den Kollegien einer Disziplin bei weitem größer; sie betrifft stets auch die Systemform der jeweiligen Disziplin. Die Kompendiumvorlesungen sind demgegenüber – durch die Orientierung am unver12 13

Vgl. den Editorischen Bericht zu GW 17. Vgl. den Editorischen Bericht zu GW 18.

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änderten Kompendium – konzeptuell festgelegt; die Varianz zeigt sich hier in Akzentverschiebungen bei der Ausarbeitung des Details. Ein Kompendium fungiert somit zwar als Übersicht für die Hörer und als Stütze für die Entwicklung des jeweiligen Vortrags; andererseits behindert es die konzeptuelle Weiterentwicklung einer Disziplin. Allerdings hat Hegel die Rechtsphilosophie erst nach ihrem mehrfachen Vortrag in Form eines Kompendiums veröffentlicht – wohl in der Annahme, daß er diese Wissenschaft nun zumindest insoweit „gemacht“ habe, als ihre systematische Form gefunden, wenn auch nicht notwendig zur „Wissenschaft“ ausgearbeitet sei.14 (4) Für die Edition sind diese Überlegungen zur Differenz zwischen Kompendium- und Manuskriptvorlesungen unter der Voraussetzung relevant, daß der Gegenstand einer Edition nicht selbstverständlich gegeben sei, sondern daß es zu ihren grundlegenden Aufgaben gehöre, diesen Gegenstand, das „Edendum“, allererst zu definieren. Die Freundesvereinsausgabe hat die Disziplinen der Hegelschen Philosophie zu ihrem Gegenstand gemacht – die Geschichtsphilosophie, die Ästhetik, die Religionsphilosophie und die Geschichte der Philosophie. Zu diesem Zweck hat sie die formale Identität und die gedankliche Eigenständigkeit ihrer Quellen zerstört – mit dem bekannten, schon auf Grund ihrer Simplizität zwar wirkungsmächtigen, jedoch die Differenziertheit der Hegelschen Denkstruktur und -bewegung durch selbst fabrizierte Konzeptionen verdrängenden Resultat. Das gegenteilige Extrem wäre es, die einzelne Nachschrift als Edendum zu bestimmen – mit der Konsequenz, Hegels Denken unter der Edition von gegenwärtig rund einhundert Nachschriften sehr unterschiedlicher Qualität zu begraben. Die Gesammelten Werke vermeiden diese beiden Extreme „Disziplin oder Nachschrift“ und bestimmen – bei den Manuskriptvorlesungen – das jeweilige Kolleg als Edendum. Denn Hegels Gedanke hat jeweils im Vortrag eines einzelnen Kollegs während eines Semesters eine „wirkliche“, historisch definite Form erhalten. Der eigentliche Text der Nachschriftenedition ist der vorgetragene und gehörte Text – ein

Man muß den Umstand, daß in der Enzyklopädie die Logik sowie die Naturphilosophie und die Philosophien des subjektiven und des objektiven Geistes verhältnismäßig ausführlich, hingegen die Philosophien der Weltgeschichte, der Kunst, der Religion und der (Geschichte der) Philosophie nur sehr knapp skizziert sind, im Zusammenhang auch damit sehen, daß Hegel zur Zeit ihrer ersten Abfassung (1817) diese Disziplinen noch nicht in Vorlesungen abgehandelt und somit noch nicht „gemacht“ hat. 14

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idealer Text, der sich jedoch von einem fiktiven Text dadurch unterscheidet, daß er historisch definit und damit durchgängig bestimmt ist.15 Schon die Rede vom „idealen“ Charakter des Edendums deutet an, daß keine Edition ihn erreichen wird. Viele Kollegien sind überhaupt nicht durch Nachschriften belegt, andere durch eine einzelne, wenige durch zwei oder mehrere, und sehr wenige durch viele und qualitativ gute Nachschriften, so daß versucht werden kann, das gesprochene Wort aus dem schriftlich gebrochenen Wort zu rekonstruieren. Doch wie groß der Abstand zwischen dem idealen Text des Vortrags und seiner schriftlichen Überlieferung auch sein mag – für die Nachschriftenedition bleibt der Vortrag zumindest eine „regulative Idee“. Für die Kompendienvorlesungen hingegen erscheint dieses Prinzip, den Vortrag als das ideale Edendum zu bestimmen, aus zweifachem Grund als problematisch. Zum einen hat Hegel zumindest einige der Kompendienvorlesungen bei geringer Varianz so oft vorgetragen – die „Logik und Metaphysik“ allein in Berlin dreizehn Mal –, daß eine gesonderte Edition auch nur der überlieferten Kollegien einen vertretbaren Rahmen zu sprengen droht. Zum anderen sind gerade die Kompendienvorlesungen weit weniger dicht durch Nachschriften belegt. Hegels Hörer haben sich hier offensichtlich zumeist am Kompendium genügen lassen und weniger genötigt gesehen, die Vorlesung als ganze nachzuschreiben. Deshalb scheint sich hier als ein mögliches Prinzip die Einheit des jeweiligen Kompendiums anzubieten, da der an Hand desselben Kompendiums gehaltene Vortrag im zu Grunde gelegten Text und in der Paragraphengliederung übereinstimmt. Doch wäre dieses Prinzip einerseits zu eng: Es erlaubte z.B. nicht, Griesheims und Hothos Nachschriften zur Rechtsphilosophie zu edieren, da sie ja auf der Basis desselben Kompendiums, der Grundlinien, angefertigt worden sind. Andererseits dürfte sich das Prinzip als noch zu weit erweisen, da es z.B. verlangte, zumindest ein Kolleg über „Logik und Metaphysik“ zu 15 Vgl. vom Vf.: Gesprochenes und durch schriftliche Überlieferung gebrochenes Wort. Zur Methodik der Vorlesungsedition. In: Zu Werk und Text. Beiträge zur Textologie. Hrsg. von Siegfried Scheibe und Christel Laufer. Berlin 1991. 157–168. – Manuskript und Nachschrift. Überlegungen zu ihrer Edition an Hand von Schleiermachers und Hegels Vorlesungen. In: Textkonstitution bei mündlicher und bei schriftlicher Überlieferung. Basler Editoren-Kolloquium 19.–22. März 1990, autor- und werkbezogene Referate. Hrsg. von Martin Stern unter Mitarbeit von Beatrice Grob, Wolfram Groddeck und Helmut Puff. In: editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft. Beiheft 1. Tübingen 1991. 82–89.

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edieren, das auf der Basis der Enzyklopädie (1827) vorgetragen worden ist – ohne Ansehung der Qualität der Nachschrift. Es erscheint deshalb als ein sinnvolles Verfahren, die Identität des Kompendiums zwar als einen wichtigen Gesichtspunkt für die Auswahl der zu edierenden Nachschriften anzuerkennen, diese Orientierung jedoch nicht mechanisch zu befolgen, sondern unter Berücksichtigung der jeweiligen Quellenlage – auf Grund kritischer Abwägung zwischen Nachschriften aus unterschiedlichen Kollegien – nach beiden Seiten hin von ihm abzuweichen: sowohl die Möglichkeit zuzulassen, auch mehrere Nachschriften zum Vortrag einer Vorlesungsdisziplin auf der Basis desselben Kompendiums zu veröffentlichen, wenn ihre Qualität und ihre Varianz dies erfordern, als auch dann auf die Edition einer Nachschrift zu verzichten, wenn deren Qualität zu wünschen übrig läßt und zudem das zu Grunde gelegte Kompendium ohnehin nur geringfügig von einer anderen Auflage abweicht – wie im Fall der zweiten und dritten Auflage der Enzyklopädie. (5) Die Edition der Vorlesungsnachschriften wird nicht von einem positivistischen Vollständigkeitsideal geleitet, sondern von dem philosophischen Interesse, Hegels Philosophie dadurch besser zu verstehen, daß sie in ihrer ursprünglichen – oder einer der ursprünglichen nach Möglichkeit angenäherten – Form zugänglich wird. Diese Form ist mit den Mitteln der historisch-kritischen Edition wiederherzustellen – gegenüber den Deformationen, die sie in der bisherigen Editionsgeschichte erlitten hat. Diese Deformationen mögen wirkungsgeschichtlich wichtig geworden sein – dies bleibt bei künftigen Interpretationen zu berücksichtigen. Die Hegel-Edition hat jedoch die Quellen nicht in ihrer vielleicht wirkungsgeschichtlich wichtigen, aber deformierten, sondern in der ihnen von Hegel gegebenen Gestalt zu präsentieren. Erst dann wird sich auch ermessen lassen, wieweit die Wirkungsgeschichte unter den Bedingungen einer unzulänglichen Quellenlage gestanden hat. Lang ist die Liste der – berechtigten – Klagen über die Behandlung der Vorlesungen durch die früheren Editoren – von der Freundesvereinsausgabe über Lasson bis zu Hoffmeister: Manuskripte Hegels und Nachschriften wurden in einander gearbeitet, Texte aus unterschiedlichen Jahrgängen wurden mit einander vermischt; an Stelle der zerstörten Gliederungen wurden völlig neue, vornehmlich triadische erdacht, in die dann – nach Ermessen des Editors – die Quellen eingefügt wurden, oft unter erheblichen Umstellungen; hierbei wurde ihr Gedankengang bedenkenlos zerstört, und was sich gleichwohl nicht

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fügen wollte, wurde abgeschnitten, also nicht in die Edition aufgenommen, selbst wenn es sich um Passagen handelte, denen ein Schlüsselcharakter für das Verständnis der jeweiligen Disziplin zukommt. Es bedarf keiner umständlichen Begründung dafür, daß ein derartiger Umgang mit Quellen, der Prokrustes zum Heiligen der Editionspraxis erhebt, ein angemessenes Verständnis unmöglich macht – und zumal das Verständnis der Hegelschen Philosophie, die ja beansprucht, ihren Gegenstand im streng notwendigen Gang des Begriffs zu entwickeln, da der Gang der Darstellung zugleich der Gang der Begründung ist. (6) Es ist die erste Aufgabe der historisch-kritischen Edition, die Texte von späteren Deformationen zu befreien und ihre ursprüngliche Form wiederherzustellen. Doch gerade durch diese Restaurierung geht sie über die bloße Restauration hinaus: Während der Hörer Hegels im allgemeinen nur einen Vortrag der jeweiligen Disziplin hörte, wird sein Leser mehrere Kollegien lesen. Hierdurch erschließt sich ihm ihre Varianz – und bereits das Prinzip „varietas delectat“ stünde dem vielerorts liebevoll gepflegten Bild des zunehmend verknöcherten Systematikers Hegel entgegen. Doch wird über eine bloße, vielleicht spielerische Varianz hinaus auch die Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Disziplinen erkennbar – und sie läßt sich bis in die letzten Kollegien Hegels verfolgen. Diese Entwicklung ist jedoch nicht in irgend welchen plakativen Umschwüngen zu suchen – gleichsam in der Wandlung Hegels vom Rechtszum Linkshegelianer oder umgekehrt. Sie betrifft vielmehr die Ausbildung der jeweiligen Disziplinen – die Prozesse ihrer Grundlegung wie auch der Veränderung und Erweiterung der ursprünglichen Ansätze, zum Teil auf Grund der umfassenden und intensiven Auswertung der Quellen, die Hegel sich jeweils von Kolleg zu Kolleg neu erschlossen hat, zum Teil aber auf Grund der fortschreitenden Bestimmtheit des Gedankens. In ihr liegt die entscheidende Dimension der Entwicklung: in der Ausbildung der Systemform der jeweils erst zu „machenden“ Wissenschaft, in der eigentümlichen Spannung zwischen der Identität des allgemeinen Ansatzes und der Differenz seiner speziellen Ausformung. Zwar spannt sich von Hegels erster Vorlesung in Jena (1801/02) ein Bogen bis hin zu seinen späten Vorlesungen. Doch seit dieser Vorlesung ist Hegels Systemgedanke zugleich mit dem Prinzip der (freilich nicht unendlichen) Perfektibilität verknüpft – und es wäre ein schaler Einwand, beide Prinzipien für unvereinbar zu erklären: Die spezifische Ausformung der einzelnen Disziplinen erfolgt erst sukzessiv, durch die Vorlesungen, auch wenn sie das System nicht materialiter darstellen.

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In der Erkenntnis der sukzessiven Herausbildung der Systemform liegt der systematische Ertrag der entwicklungsgeschichtlichen Darbietung. Denn diese Erkenntnis gewinnt für sich selbst systematische Bedeutung, insofern sie zeigt, wie der Gedanke auf dem Wege der Negation seine Bestimmtheit gewinnt. Deshalb wäre es ebenfalls verfehlt, statt der Phantasieprodukte früherer Herausgeber jeweils die späteste – und zumindest in diesem Sinne reifste – Form eines Kollegs der Edition zu Grunde legen. Denn auch hierdurch ginge die Einsicht in den Prozeß der Herausbildung der Systemform, in die Motive, die ihn steuern, verloren. Eben die Verständigung über diesen Prozeß bildet ein konstitutives Moment unseres Wissens von der jeweiligen Disziplin. Aufgabe der Nachschriftenedition ist es deshalb, ergänzend zur Edition der Vorlesungsmanuskripte die Kluft zwischen der Werkform der Hegelschen Philosophie und der Überlieferungslage nach Möglichkeit zu überbrücken: Seit Beginn seiner Tätigkeit als Hochschullehrer entfaltet sich Hegels Philosophie fast ausschließlich auf dem Fundament und in Abhängigkeit von seiner Lehrtätigkeit. Die Lehre ist für Hegel – wie für viele seiner Zeitgenossen – nicht ein „Abfallprodukt“ seiner Publikationen, sondern der Ort, an dem seine Philosophie ihre Gestalt, ihre gedankliche Bestimmtheit gewinnt. Für die Jenaer Zeit ist dies unstrittig – doch wird es selten wahrgenommen, weil die Rückbindung der drei Systementwürfe an Hegels damalige Vorlesungen ignoriert wird. Gleiches gilt – selbst unter den Bedingungen der nichtakademischen, sondern gymnasialen Lehre – für die Wissenschaft der Logik und die Enzyklopädie, wie demnächst die Edition der Nürnberger Gymnasialkurse und Gymnasialreden (1808–1816) in Band 10 der Gesammelten Werke zeigen wird. Und es gilt weiterhin für die Heidelberger und die Berliner Vorlesungen, wie deren Edition in den kommenden Jahren belegen wird.

JØRGEN HUGGLER (KØBENHAVN)

EINE NEUE VORLESUNGSNACHSCHRIFT ZU HEGELS BERLINER VORLESUNGEN ZUR PHILOSOPHIE DES GEISTES VON 1827/28

Mitteilung über einen Fund Nachdem Werner Stark 1985 von der Existenz der Nachschrift Walter in der Universitätsbibliothek Torun berichten konnte,1 die ergänzend zu der Publikation der Nachschrift Erdmann von Franz Hespe und Burkhard Tuschling veröffentlicht wurde,2 kann der Anzahl der bekannten Vorlesungsnachschriften zu Hegels Vorlesungen zur Philosophie des Geistes nun eine weitere hinzugefügt werden: In Det kongelige Bibliotek zu Kopenhagen befindet sich das Manuskript einer weiteren Nachschrift des Vorlesungsjahrgangs von 1827/28. Der Name des Nachschreibers geht nicht aus dem Manuskript hervor. Aus noch darzulegenden Gründen kann dieser jedoch als Stolzenberg bezeichnet werden. Das Manuskript ist in der Handschriftensammlung von Det kongelige Bibliotek zu Kopenhagen unter „Add. 421, 4 t o .“ katalogisiert und wird auf dem Kartothekzettel mit dem Titel: „Hegel, Georg Wilh. Fried.; Psychologie oder Philosophie des Geistes nach H e g e l , 1828 (Ved Stolzenberg). 88 Bl. 19,0–29,0“ bezeichnet. Das Manuskript befand sich früher im Besitz der Universitätsbibliothek Kopenhagen, ist aber 1938 in die Handschriftensammlung der Kongelige Bibliotek eingegangen.

1 Werner Stark: Eine neue Quelle zu Hegels Berliner Vorlesungen. In: Hegel-Studien 20 (1985). 121–123. 2 G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 13. Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Berlin 1827/1828. Nachgeschrieben von Johann Eduard Erdmann und Ferdinand Walter. Hrsg. von Franz Hespe und Burkhard Tuschling. Hamburg 1994.

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JØRGEN HUGGLER

1. Die oben vorgenommene Zuschreibung der Vorlesungsnachschrift an Stolzenberg kann von daher gerechtfertigt werden, daß sich in der Sammlung der königlichen Bibliothek zwei weitere Vorlesungsnachschriften befinden, welche insofern mit größerer Sicherheit jenem Stolzenberg zugeschrieben werden können, als sie dessen Namen tragen. Es handelt sich hierbei zum einen um die Nachschrift der Vorlesung Christliche Moral nach Neander vom Sommersemester 1827 (Add. 420, 4 t o , (Ved Stoltzenberg (sic!)), 105 Bl., Format 19,0 x 29,0 cm)3 und zum anderen um die Mit- bzw. Nachschrift der Vorlesung Logik und Metaphysik nach H. Ritter vermutlich vom Wintersemester 1825/26 (Add. 422, 4 t o . (Ved Stolzenberg), 132 Bl., Format 17,5 cm x 22,2 cm).4 Die Handschriften Add. 420 und 421 stimmen weitestgehend überein; Add. 422 unterscheidet sich bezüglich des Papiers, des Formats und der Ausarbeitung von den zuerst genannten. Bei der NeanderNachschrift findet sich dagegen das gleiche gerippte und ab Blatt 42 auch mit demselben Wasserzeichen versehene Papier wie jenes, auf welchem die Hegel-Nachschrift angefertigt wurde. 2. Die Handschrift Add. 421, 4 t o ., die eine vollständige Vorlesungsnachschrift von Hegels Vorlesung über Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes vom WS 1827/285 enthält – d.h. sie entspricht den §§ 378–481 von Hegels Enzyklopädie von 1827 –, ist in schwarz-grauer, schwerer Pappe gebunden. Auf dem Rücken befindet sich auf einer roten Marke im Golddruck die Aufschrift: „Philosophie des Geistes 3 Ein sich im Archiv der Kgl. Bibliothek (Nr. E. 110) befindender Katalog aus den Jahren 1821–84, „Additamentum ad catalogum Manuscriptorum“, nennt den Verfasser der zwei Nachschriften, Add. 421 und 422, vorsichtiger „Stolzenberg?“. 4 August Neander (1789–1850) war seit 1813 Professor der Theologie in Berlin; Heinrich Julius Ritter (1791–1869) war in den Jahren 1824–1833 a.o. Professor der Philosophie in Berlin, danach in Kiel und Göttingen. 5 Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. Johannes Hoffmeister. Bd. IV. T. 1. Dokumente und Materialien zur Biographie. Hrsg. v. Friedhelm Nicolin. Hamburg 1977. 123. Aus dem deutschsprachigen Verzeichnis der Vorlesungen. Im Index Lectionum lautet der Titel der Vorlesung „Psychologiam et anthropologiam sive philosophiam mentis duce libro suo (Encyclop. d. philos. Wiss. Vol. III, P. I ed. II)“. Ebd. 117. Vgl. Übersicht über Hegels Berliner Vorlesungen. (Geheimes Staatsarchiv Berlin, Rep. 76 V. Sekt. II. Abt. XIII, Nr. 1.) In: G.W.F. Hegel: Berliner Schriften. Hrsg. v. Johannes Hoffmeister. Hamburg 1956. 747.

Neue Nachschrift zu den Vorlesungen zur Philosophie des Geistes (1827/28)

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nach Hegel“, dazu (oben) auf einer kleinen Papiermarke die Katalogsignatur und (unten) in Gold die Insignien der Universitätsbibliothek: „B.U.H.“. Das Titelblatt, das aufgrund der Schriftähnlichkeit ebenfalls dem Nachschreiber zugeordnet werden kann, trägt die Aufschrift „Psychologie od[er] Philosophie des Geistes nach Hegel“. Das Manuskript zeigt eine saubere, gleichmäßige, allerdings schwer lesbare Handschrift (mit Tinte)6 von einer Hand, die sich durch die ausgeprägte Verwendung von Siglen und Abkürzungen auszeichnet. Gerade die Übereinstimmung der Handschrift und die Verwendung der gleichen Siglen wie in der erwähnten Neander-Nachschrift legt die Identität der beiden Nachschreiber nahe. Der Band Add. 421, 4 t o . enthält 89 doppelseitig beschriebene sowie hinten zwei unbeschriebene Blätter, wobei das Blatt 90 recto noch die Eintragung „XIII“ aufweist. Die Blätter der Hegel- und NeanderNachschrift sind im Gegensatz zu der Ritter-Nachschrift fast lückenlos beschrieben. Die Blätter der Hegel-Nachschrift sind auf den rectoSeiten in den oberen äußeren Ecken mit Bleistift – vermutlich nachträglich von fremder Hand (Bibliothekar) – paginiert, beginnend mit 1 (Titelblatt) und endend mit 88 auf der letzten Textseite. Zwischen Blatt 37 und 38 findet sich ein nicht numeriertes Blatt. Die Blätter sind senkrecht gefaltet. Jede Seite enthält einen engzeilig geschriebenen Haupttext (23 cm x 10 cm; bis zu 41 Zeilen), einen 1,5 cm breiten Innenrand und einen 7 cm breiten Außenrand. Oberer und unterer Rand sind durch Faltungen vorgezeichnet. Auch in Hinsicht der beschriebenen Faltungen lassen sich Übereinstimmungen mit dem Neander-Manuskript feststellen. Das Titelblatt ist unten vom Verfasser mit der Notiz „Psych. I.“ versehen worden, in ähnlicher Weise findet sich auf den Außenrändern (jeweils unten) von Blatt 9r die Notiz „Psych. II“, auf Blatt 17r: „Psychol. III“, 21r: „Psychol.“, 33r: „Psych. IV“, 42r: „Phil. d. Geistes V“, 50r: „Phil. d. Geistes VI“, 58r: „Phil. d. G. VII“, 66r: „Phil. d. Geistes VIII“, 74r: „Phil. d. G. IX“ und auf Blatt 82r: die Notiz „Phil. d. Geistes X“. Die mit I–X markierten Einträge numerieren die Bogenlage, jedoch so, daß der Bogen 66r–67v für sich eingebunden ist. Bei dem Blatt 21r handelt es sich nicht um den Anfang eines Bogens. Die Bogenlage kann also wie folgt beschrieben werden: I: 8 Blatt; II: 8 Bl.; III: 16 Bl.; IV: 10 Bl.; V–VII: jeweils 8 Bl.; VIIIa: 2 Bl.; VIIIb: 6 Bl.; IX und X jeweils 8 Bl. Die letzten zwei leeren Blätter scheinen eher eingeklebt als eingebunden zu sein. 6

Nach einigen Datumseinträgen fand eine andere Tintenmischung Verwendung.

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Auf den Rändern des Manuskripts finden sich einige wenige Bemerkungen, jedoch zahlreiche Hinweise auf die Paragraphen der Enzyklopädie von 1827, verschiedentlich befinden sich solche Hinweise jedoch am Anfang einer Zeile. Weiterhin finden sich auf den Rändern einige Zwischenüberschriften, welche die Gliederung des Haupttextes erläutern, sowie einige ausführliche Literaturhinweise sowie Datumsangaben. Diese beginnen auf Blatt 13v: 13v: 15r, Innenrand: 17r, Innenrand: 21r, Innenrand: 33r, Innenrand: 46v: 51v, Innenrand: 53r, Innenrand: 54v: 55v: 59v: 62r, Innenrand: 67r, Innenrand: 72v: 76r, Innenrand, 78v: 81v: 83, Innenrand:

15. Nov. 16 N. 20. Nov. Montag 13. Dez. 24. Jan. 31 1. Febr. 3. Febr. 5. Febr. 11. Febr. 14. Febr. 21) 28. Febr. eingekreist: 3. Febr. 6. M. 10. März 12.

(§ 393) (§ 393) (§ 396) (§ 398) (§ 406) (§ 418) (§ 428, Anfang) (§ 433, Anfang) (§ 435) (§ 438, Anfang) (§ 445) (§ 449) (§ 456) (§ 461) (§ 465) (§ 467) (§ 472, Anfang) (§ 473)

88r, am Schluß des Manuskripts: 14. März 1828.7

7 Dem Index Lectionum der Berliner Universität zufolge (vgl. Briefe von und an Hegel. A.a.O. 117) hat Hegel „dieb. Lun. Mart. Iov. Ven.“ gelesen. Die im Manuskript angegebenen Daten stimmen in den Kalendarien 1827–28 mit diesen Wochentagen überein, der 3. Febr. — ein Sonntag — und der 12. [März] ausgenommen. Möglicherweise las Hegel in der letzten Semesterwoche zusätzlich an einem Mittwoch. Diese Vermutung läßt sich jedoch nicht durch die bereits publizierten Nachschriften Erdmann/Walter stützen. Vgl. den Editorischen Bericht von Franz Hespe und Burkhard Tuschling. In: G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Bd. 13. A.a.O. 273–280.

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Auf dem Außenrand von Bl. 40r befindet sich weiterhin eine Federzeichnung (3,5 bis 4,5 cm breit und 4,0 bis 5,0 cm hoch), welche vermutlich Hegel im Profil darstellt.

3. Die Tatsache, daß die Stolzenbergschen Nachschriften ursprünglich in der Kopenhagener Universitätsbibliothek aufbewahrt wurden, könnte die Vermutung nahelegen, daß Stolzenberg irgendeine Beziehung zur Kopenhagener Universität hatte. Diese Hypothese läßt sich allerdings nicht bestätigen. Weder unter den Lehrern8 noch unter den immatri8 Vgl. Ejvind Slottved: Laerestole og laerere ved Københavns Universitet 1537–1977. København 1978.

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kulierten Studenten9 gab es zwischen 1790 und 1829 in Kopenhagen einen Stolzenberg (oder Stoltzenberg/Stoltenberg). Vermutlich sind die Nachschriften demnach durch Verkauf oder Erbschaft in die Sammlung eingegangen. Das bereits erwähnte ältere Additamenta-Protokoll10 macht deutlich, daß die hier genannten Nachschriften später als Teile des Nachlasses von Hans Brøchner (1820–75, Professor der Philosophie in Kopenhagen) in die Additamenta-Sammlung eingegangen sein muß, d.h. später als 1875.11 Ein Accessions-Protokoll der Universitätsbibliothek ließ sich bis heute allerdings nicht finden. Die Additamenta 423 und 424, 4 t o enthalten weitere Nachschriften zu Vorlesungen von Berliner Professoren, so: „Sprachwissenschaft oder philosophische Grammatik mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Sprache, und der beiden Sprachen des klassischen Alterthums nach dem Vortrage des Prof. Heyse ausgearbeitet; Berlin 1843/4“ (299 Seiten; 18,0 x 22,3 cm)12 und „Plato's Republik nebst Einleitung in seine Schriften und Philosophie nach Böckh, Winter [1]841/2“ (48 Blatt; 17,0 cm x 22,0 cm). Die Urheber dieser zwei Handschriften sind nicht bekannt. Die gesamte Sammlung, Add. 4 t o , 420–424, könnte von einem dänischen Gelehrten oder Sammler in Berlin nach 1840 gekauft worden sein; es besteht jedoch auch die Möglichkeit, daß Add. 423/24 von anderer Herkunft sind. Die Identifikation des Nachschreibers Stolzenberg müßte von daher nicht im Zusammenhang mit dem Fundort, sondern mit dessen Studien an der Berliner Universität erfolgen. Schritte in dieser Hinsicht sind vom Hegel-Archiv bereits unternommen worden. Ein Ergebnis liegt jedoch noch nicht vor. Die Nachschrift der Vorlesung Hegels wird zur Zeit transkribiert und neben den bereits bekannten Nachschriften dieses Jahrgangs von

9 Vgl. S. Birket-Smith: Københavns Universitets Matrikel. Tredie Bind: 1740–1829. København 1909; H. Friis-Petersen: Studenter ved Københavns Universitet. Vol. III. 1740–1828. 1949; Ders.: Danske og norsge (og slesvig-holstenske) studierende ved udenlandske universiteter og Kiels Universitet. Vol. V. 1961. Manuskript im „Rigsarkivet“, Kopenhagen. 10 Vgl. Anm. 1. 11 Unter Add. 414, 4 t o , 415, 4 t o sind Manuskripte von Brøchner früher als die hier besprochenen in das Protokoll der Universitätsbibliothek eingetragen worden. 12 Karl Wilhelm Ludwig Heyse (1797–1855), seit 1829 a.o. Professor der klassischen Philologie und allgemeinen Sprachwissenschaften in Berlin. In dem AdditamentaKatalog ist die Nachschrift fälschlicherweise seinem Vater Joh. Chr. Aug. Heyse (1764– 1829) zugeschrieben. Auch ist die Nachschrift im Katalog auf 1833/34 datiert.

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Erdmann, Walter und Hueck13 Eingang in die Edition des Bandes 25 der Gesammelten Werke, der zur Zeit von Christoph Bauer am HegelArchiv vorbereitet wird, finden. Zusammen mit den Mit- bzw. Nachschriften von Hotho für die Vorlesung vom Sommer 1822 sowie Griesheim und Kehler vom Sommer 1825 stehen für den projektierten Band nunmehr sieben Manuskripte zur Verfügung.

Vgl. die bereits von Hespe/Tuschling edierten Nachschriften in: G.W.F. Hegel: Vorlesungen. A.a.O. 13

ABHANDLUNGEN

RÜDIGER BUBNER (HEIDELBERG)

Ü B E R L E G U N G E N Z U R S I T U AT I O N D E R HEGELFORSCHUNG Die Philosophie von Platon oder Kant hat für alle Epochen Denkanforderungen gestellt, und das wird vermutlich so bleiben. Hegel gehört dagegen zu jenen Autoren, die Konjunkturen des Auf und Ab erleben. Konjunkturen heißen ursprünglich die günstigen oder ungünstigen Gestirnkonstellationen, auf die der astrologische Kenner blickt. Der unbefangene Zeitgenosse merkt von solchem Geheimwissen wenig. Er beobachtet ganz einfach, daß nach einer Phase heftiger Auseinandersetzung und einer nachfolgenden Phase hingebungsvoller Bemühung um den bleibenden Gehalt der Philosophie Hegels nun eine Ermattungsphase eingetreten ist. Da auch wir Philosophen über keine astrologischen Einsichten im akademischen Betrieb verfügen, kann die Parole nur lauten, sich von den Bewegungen der Mode, von Ebbe und Flut der massenhaften Aufmerksamkeit unabhängig zu halten. Ohnehin stehen die hermeneutischen Aufgaben in geringem Maße zu unserer freien Disposition. Sie sind weniger ein Gegenstand unserer bewußten Entscheidung, als wir annehmen. Jeder Anfänger wird in Konjunkturen hineinversetzt. Er bekommt auf undefinierbare Weise mitgeteilt, daß ein bestimmtes Thema hochaktuell ist und eine entsprechende Bemühung dringend sei. Er folgt dem Appell, oder er widersteht ihm, oder er bleibt indifferent. Jedenfalls bedeutet die Erwartung des Anfängers, er könne seine intellektuellen Energien wie ein autonomes Subjekt hier oder dort engagieren, eine nützliche Täuschung, die immerhin Fleiß und Energie freisetzt. Natürlich ist alles Denken, Hegels Diktum zufolge: seine Zeit in Gedanken erfaßt. Diejenige Übersicht und Souveränität, die man besitzen müßte, um zwischen gleichgewichtigen Alternativen wirklich frei zu entscheiden, wird dem Gelehrten erst im Reifestadium zuteil, keineswegs aber am Beginn einer Karriere. Im Alter ist allerdings die vollkommene Unbefangenheit und Verfügungsgewalt über Themen eben-

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sowenig erreicht. Denn zu dem späten Zeitpunkt seiner Biographie ist der Forscher meist so festgelegt, wie er selber sich das kaum eingesteht. I. Wer sich für Hegels Philosophie interessiert, steht jenseits einer Indifferenz der Themenwahl. Wenige philosophische Positionen waren in vergleichbarer Heftigkeit umstritten. Das beginnt schon am Lebensende des Philosophen und wird sogleich nach seinem Tode eine Sache des Diadochenkampfes. Die Scheidung in eine linke und eine rechte Fraktion benennt Schuldifferenzen der damaligen Epoche, die mit den nachrevolutionären Distinktionen im Felde der Politik korrespondieren. Das alles ist gut erforscht und muß hier nicht erneut vorgeführt werden. Allein die weiterwirkende Stellungnahme von Marx wäre der Erinnerung wert. Denn der Marxismus, der die Studentengeneration und die Intellektuellenkontroversen der späten Bundesrepublik westlichen Typs beherrscht hat, fehlt uns nach dem atemberaubend radikalen Verschwinden des „real existierenden Sozialismus“. Seit einer guten Dekade ist das Ideenpotential dieser Hegelfortsetzung durch Fundamentalkritik ausgefallen. Vertraut ist dagegen der Historiographie die Formel vom „Zusammenbruch des Idealismus“ geblieben. Dieses Schlagwort geht auf das 19. Jahrhundert zurück und beweist gegenüber dem jüngsten Verschwinden des Sozialismusprojekts die größere Anciennität. Die hochfliegenden systematischen Pläne der nachkantischen Philosophie und ihr Aufblühen in den Versuchen von Fichte, Schelling und Hegel waren vor den Augen eines Jahrhunderts zusammengebrochen, das den überzeugenden Fortschritt aller Spezialwissenschaften beobachtete. Die Wissenschaften der Natur und im treuen Gefolge dessen die Verwissenschaftlichung der menschlichen Dinge wiesen eine Erfolgsgeschichte auf, deren Erfolg zu bezweifeln als abenteuerlich erschienen wäre. So entsteht recht früh, in Analogie zum Zeitgeist, die Rückbesinnung der Philosophie auf Kant, der von der Hybris eines panlogistischen Allesbegreifens immer Abstand gehalten hatte. Insbesondere gegen den zeitweiligen Triumph der Spekulation Hegels soll die Bescheidenheit und Seriosität einer permanenten Unterwerfung der philosophischen Reflexion gestärkt werden, die sich planmäßig an der si-

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cheren Wegbahnung der neuzeitlichen Wissenschaften orientiert. Daraus entspringt die Methodologie des Neukantianismus, die sich auf das historisch klar gegebene „Faktum der Wissenschaft“ bezieht. Friedrich Eduard Beneke schreibt bereits 1831 zum fünfzigjährigen Jubiläum des Erscheinens von Kants Hauptwerk Kritik der reinen Vernunft und zugleich im Todesjahr Hegels, der den Kantischen Neuansatz in sein teleologisches Ziel zu bringen gedachte, man möge „einen Blick tun auf unsere nächste Vergangenheit, wo von jedem neuen Systeme das Ende der philosophischen Irrfahrten versprochen und dann doch dem neuen Systeme das neuere und diesem wieder das neueste gefolgt ist [...] Überdies haben wir das beneidenswerte Beispiel des Naturwissenschaftlers vor uns, wo das einmal gewonnene Kapital ohne Verminderung, und indem ihm ein täglich neuer Gewinn erwächst, von einem Forscher auf den anderen übertragen wird. [...] Was Kant erstrebte, den Streit und Wechsel der Systeme für immer zu beenden, und unveränderlich die philosophische Erkenntnis zu begründen, das erstrebte von jeher jeder wahre philosophische Forscher, und das soll jeder philosophische Forscher auch in Zukunft erstreben“.1 Der Schlachtruf des jungen Tübinger Privatdozenten Otto Liebmann ist in Erinnerung geblieben, der eine Generation später verkündete: Zurück zu Kant! Liebmanns Pamphlet Kant und die Epigonen (1865) hatte die Akzente für eine publikumswirksame Zustimmung gesetzt. Die südwestdeutsche Schule des Neukantianismus in Freiburg und Heidelberg ebenso wie die Marburger Parallelentwicklung beherrschten die Diskussion des ausgehenden 19. Jahrhunderts und noch des beginnenden 20. Jahrhunderts. Rickert hatte mit dem bedeutenden Buch über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung (1902) von innen heraus den Neukantianismus in seine Schranken gewiesen und neben eine Erforschung der Natur die Würdigung der „Werte“ der Kultursphäre gestellt. Die induktiv erarbeitete Verallgemeinerung von Gesetzesaussagen erreicht niemals die historische Konkretion, die in ihrer Besonderheit gewürdigt werden muß. Das ist Rickerts Haupteinsicht, die Max Weber für die entstehenden Sozialwissenschaften übernimmt. Windelband, der spätere Heidelberger Kollege von Rickert, hatte zunächst in seiner Straßburger Antrittsvorlesung von 1894 über Geschichte und Naturwissenschaft das „nomothetische“ Verfahren, das

1 Kant und die philosophische Aufgabe unserer Zeit. In: Kopper/Malter (Hrsg.): Kant zu ehren. Frankfurt/M. 1974. 113 f.

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auf eine Kantische Terminologie zurückverweist,2 von der neuerfundenen „idiographischen“ Aufgabe aller historischen Wissenschaften unterschieden, die das Besondere beschreiben, welches unter Gesetze nie paßt. Windelbands Akademierede in Heidelberg über die Erneuerung des Hegelianismus (1910) eröffnet die Perspektive einer „Gesundung“ durch Verbindung des historischen Denkens, das sich auf Hegel berufen kann, mit der wissenschaftsbezogenen Methodologie. Aus der Marburger Schule kommend schlug Ernst Cassirer in den zwanziger Jahren einen ähnlichen Weg ein. Die „Philosophie der symbolischen Formen“, die aus den Hamburger Jahren Cassirers hervorgeht, stand im Umkreis der Warburg-Schule und ist inzwischen auf breiter Front wiederentdeckt worden. Cassirer nahm einen ganz eigenen Standpunkt gegenüber den Tendenzen der Epoche ein, wie Historismus, Lebensphilosophie oder Existentialismus sie repräsentierten. II. Wilhelm Dilthey, der die Nachwirkung der Philosophie Hegels im historischen Denken lobte, aber die metaphysische Überanstrengung des Denkens verabschieden wollte,3 ist zugleich der erste Geschichtsschreiber Hegels geworden. Das in der Mitte des 19. Jahrhunderts erschienene und damals berühmte Buch von Rudolf Haym Hegel und seine Zeit (1857) hatte den Stempel des Vergangenseins auf das Unternehmen Hegels gesetzt, aber war noch in Auseinandersetzung mit dem Anspruch befangen, die eigene Zeit in Gedanken zu erfassen. Es ist dann die Entdeckung der Jugendschriften Hegels in der Berliner Bibliothek gewesen mitsamt der dank einer Anregung Diltheys erfolgten Veröffentlichung der Theologischen Jugendschriften Hegels durch Nohl (1907), die den definitiven Theoretiker des Historismus auf die Entstehungsbedingungen seines eigenen Ansatzes zurückbezog. Der junge Hegel stand im Zeichen der unmittelbaren Erfahrung der französischen Revolution sowie der Parallelbeobachtung der Kantischen Denkrevolution. In Kenntnis von Montesquieu und von Rousseau entwirft er eine Vorstellung von Philosophie als System, die ihn mit KrV, A 424. Z.B. Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. In: Gesammelte Schriften VII. 148 ff. 2

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den Nachkantianern von Reinhold über Fichte bis zum Jugendfreund Schelling verbindet. Allerdings war Hegel nicht allein auf die systematische Erarbeitung der ungenannten „Prämissen“ der Philosophie Kants verpflichtet.4 Er will ganz dringend in das aktuelle „Leben“ der Menschen eingreifen.5 Das System muß also institutionelle Folgen zeitigen und deren Legitimation im Selbstverständnis der Epoche erbringen. Die Rechtsphilosophie Hegels von 1821, die seit ihrem Erscheinen bis auf den heutigen Tag keine einmütige Leserschaft finden will, löst im Sinne ihres Autors jedenfalls diese Verheißung ein. Georg Lukács hat im stalinistischen Exil in Moskau die von Dilthey inaugurierte Deutung des jungen Hegel als „reaktionäre Legende“ entlarven wollen.6 Der junge Hegel sei vielmehr Nationalökonom gewesen, wie Marx es vom reifen Hegel behauptet hatte. 7 Der Deutungsstreit hat sich später zwischen Ritter, Rohrmoser und Habermas hingezogen. Er dürfte sich gelegt haben. Damit stehen wir an der Schwelle der innovativen, kritischen und utopisch ausgerichteten Interpretation der Hegelschen Philosophie, welche die von Marx ausgehende Denkrichtung hervorgebracht hat. Die Spannung, welche Hegelsche Denkmomente in den Dogmatismus der Marxschen Lehre eingebracht hat, war wohl die fruchtbarste Linie der Kontroverse, die im zwanzigsten Jahrhundert zwischen Hegel und Marx angesponnen wurde. Der klassische Lukács von Geschichte und Klassenbewußtsein (1923) ist der folgenreiche Autor, der die marxistische „Orthodoxie“ mit der Flexibilität des Hegelschen Reflexionsbegriffs zu kombinieren verstand. Korsch und andere stehen in seiner Schuld. Vor allem hat die „Kritische Theorie“ die Ideen von Lukács fortentwickelt. In einem unerwarteten Vollzug des von Leo Strauss beschworenen Prinzips einer Persecution in the Art of Writing hat man sich dabei versagt, als Neo-Marxisten aufzutreten. Horkheimer und Adorno verstanden bei ihrer glanzvollen Anwendung der marxistischen Methode auf deren eigene, sklerotisierte Gestalten, das meiste aus der Position von Lukács herauszuholen. Der Text unter dem schlagenden Titel Dialektik der Aufklärung aus dem kali4 Vgl. die Briefe von Schelling an Hegel (Dreikönigsabend 1795), Hegels an Schelling (Januar 1795 und 16.4.1795). 5 Vgl. Hegels berühmten Brief an Schelling vom 10.11.1800 beim Übergang von der Frankfurter Hauslehrerexistenz zur akademischen Karriere in Jena. 6 Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie. Zuerst Zürich 1948. 7 Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844). In: Frühe Schriften I. Hrsg. Lieber/Furth 1962. 646.

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fornischen Exil hat das Ideenpotential nachhaltig bewußt gehalten, während Lukács seinerseits sich der rituellen Selbstkritik unterwerfen mußte und froh sein durfte, die Säuberungen der dreißiger Jahre zu überleben. Sogar das Risiko eines kurzzeitigen Kultusministers der ungarischen Revolution von 1956 hat er überstanden. In seinen letzten Jahren pilgerten westliche Intellektuelle scharenweise zu ihm nach Budapest, so wie andere den grollend alternden Carl Schmitt im Sauerland aufsuchten. III. Der Systemanspruch von Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, die sich auf eine bayerische Schulvorschrift für den Nürnberger Gymnasialrektor bezog,8 obgleich jener das französische Vorbild wegen mangelnder Kohärenz von sich wies,9 war mit Diltheys hermeneutischer Neugründung des Gesamtkomplexes der historischen Geisteswissenschaften überholt. Das Methodenideal des „Verstehens“ hatte die von Hegel favorisierte Genese, d.h. die sachnotwendige Entwicklung eines Gegenstands aus dem jeweils vorangehenden in logischer Konsequenz abgelöst. Die Hermeneutik sollte dann über den Heidegger der existenzphilosophischen Analysen von Sein und Zeit (1927) und Gadamers Fortsetzung im historisch-hegelianisierenden Sinne von Wahrheit und Methode (1960) einen eigenen Weg nehmen, der hier nicht zur Betrachtung ansteht. Dilthey hat vielmehr die Forschungen nach der Jahrhundertwende, (Adolf und Georg Lasson, Vater und Sohn), bis zu den dreißiger Jahren (Hoffmeister) vorbereitet, die auf den Wegen geistesgeschichtlicher und philologisch-rekonstruktiver Arbeit sich dem umfassenden Werke Hegels widmeten. Aus diesem positiven Schulgeiste ist die hingebungsvolle und über Jahrzehnte hinweg höchst resultatreiche Arbeit des Hegel-Archivs unter Leitung von Nicolin und Pöggeler sowie in der Verantwortung seiner wechselnden Mitarbeiter hervorgegangen. Wir alle verdanken der Arbeit des Archivs ganz wesentliche Klärungen und Editionsresultate, ohne welche die internationale Forschung gegenwärtig nicht weiter käme. Andere Taten sind zu erwähnen wie K. H. Iltings auf bescheidener Basis erstellte Präsentation der Nachschriften der Hegelschen Rechtsphilosophie, womit einiges Licht in das 8 9

Karl Rosenkranz: Hegels Leben. 1844. 255. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. 1830. § 16.

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umkämpfte Dickicht gebracht wurde. Die Italiener, Franzosen und neuerdings die Amerikaner treten ein in die Ehrengalerie des engagierten Studiums an Hegels Texten, die das Verstehen vor dem Besserwissen der Späteren und gar dem ideologischen Verdikt à la Popper und anderen bewahren. Die sechziger und siebziger Jahre des inzwischen vergangenen 20. Jahrhunderts sahen eine Wiederbelebung der marxistischen Theorietradition, die durch einen unbedenklichen Anachronismus erkauft war. Marx, Engels und Lenin wurden wie Schlüsselautoren der Gegenwart gelesen. Die Frankfurter Schule feierte zunächst im studentischen Raubdruck und dann in hohen Auflagen nach über dreißig Jahren fröhliche Urständ. Obwohl der Marxismus sich im konkreten Zeitbezug als Analyse des Industriekapitalismus versteht, ist seine literarische Wirkung von den beschworenen sozialökonomischen Realbedingungen ablösbar. In den mittleren Jahren der saturierten Bundesrepublik figurierte er als pures Überbauphänomen. Die Revolutionshoffnung, welche aus der Analyse der Widersprüche resultierte, die dem kapitalistischen System inhärent sein sollten, war enttäuscht worden. Das hatte weniger die Theorie dementiert, als vielmehr zu Ersatzlösungen mannigfacher Art Anlaß gegeben. In der Regel kamen Momente der Hegelschen Dialektik zum Zuge, wo es galt, die Orthodoxie aus der Erstarrung zu lösen, die gesellschaftlichen Transformationsprognosen neu zu beflügeln und vor allem die Zeitkritik auf flinke Füße zu stellen. Denn mit dialektischen Operationen im weiten Sinne vermochte jeder, wo immer er ideologisch stand, auf aktuelle Gegebenheiten zu reagieren, und dies zu jedem denkbaren Zeitpunkt. Die ohne genaue Positionsbestimmungen von Hegel und Marx pauschal kontinuierte Kulturkritik der Frankfurter Schule erschien bei Adorno etwa wie eine fortgeschriebene Phänomenologie des Geistes, mit der Absicht, die neuerdings auftretenden Gestalten allen Scheins von Wissen zu destruieren, ohne im Telos eines „absoluten Wissens“ zu enden. IV. In Frankreich war seit langem das Interesse an Hegel durch die Präferenz desjenigen Werkes charakterisiert, welches das System des Geistes nur „vorbereiten“ sollte, nämlich der Phänomenologie des Geistes. Die wurde trotz des anfänglichen Mißerfolgs nach der Publikation inzwischen angesehen als das an historischen Einsichten reichste und im

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Vergleich zu den Rätseln der Wissenschaft der Logik mit echter Konkretion aufwartende Werk Hegels. In Frankreich verband sich das Konkretionsbedürfnis nun mit der von Husserl ausgehenden, recht anders gelagerten Methode der neuen Phänomenologie. Jean Wahl war hier ein Vorläufer.10 Jean Hyppolite schuf nach dem Zweiten Weltkrieg die lange gültigen akademischen Grundlagen mit seinem zweibändigen Opus über Genèse et structure de la Phénomenologie de l’Esprit de Hegel (1946). Derrida hat noch 1959 dank eines Wortspiels „Genèse et structure“ an Husserls Unternehmen gebunden.11 Weithin bekannt geworden sind die Vorlesungen des Außenseiters A. Kojève über Hegels Phänomenologie, die in der Spur von Marx um die zentrale Dialektik von Herr und Knecht angeordnet wurden.12 Kojève kam aus Rußland und war unter dem Druck der Oktoberrevolution wie viele Gebildete nach Westen gezogen. Zuerst lag Deutschland auf dem Wege, das Ziel war aber Paris. Koyré, der als Wissenschaftshistoriker Weltruhm erlangen sollte, hat eine ähnliche Wanderschaft gewählt. Zu Füßen Kojèves, so erzählen die Anekdoten, hat eine ganze Equipe junger Studenten sich versammelt, die dann die französische Philosophie der vierziger und fünfziger Jahre dominieren sollte. Sartre und Merleau-Ponty sind nur zwei prominente Beispiele.13 Der amerikanische Politologe Fukuyama konnte unmöglich zu Kojèves Hörern gezählt haben. Er rief aber anläßlich der welthistorischen Zäsur von 1989/90 unter Rückgriff auf dessen Deutung des „Herr-Knecht-Verhältnisses“ The End of History aus.14 Mancherorts wurde das mit ungläubigem Staunen vernommen. Inzwischen hat uns alle der Gang der Dinge eines anderen belehrt. Von diesen eher weltanschaulichen Tendenzen abgesehen, arbeitet die französische Hegelforschung nicht zuletzt dank eines Spezialinstituts zur Erforschung des deutschen Idealismus in Poitiers energisch weiter an ihren Gegenständen. Die Namen von Bernard Bourgeois und Jüngeren sind zu nennen. Anders sieht die Lage im englischsprachigen Raum aus. Vermutlich angeregt durch die englische Romantik und ihre Begeisterung für die Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel (1929). Jetzt in: Derrida: L’écriture et la différence (1967, deutsche Übersetzung 1972). 12 Vgl. die genauen Untersuchungen von Gwendoline Jarczyk und Pierre-Jean Labarrière: De Kojève à Hegel. Cent-cinquante ans d‘études hégéliennes en France, Paris 1996. 13 Rüdiger Bubner: Kritische Fragen zum Ende des französischen Existentialismus. In: Philosophische Rundschau 14. 1967. 14 Deutsche Übersetzung München 1992. 10

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deutsche Kultur hatte sich in Oxford und Cambridge schulmäßig ein Typ von viktorianischem Idealismus etabliert,15 der den autochthonen Commonsense reizen mußte. Diejenigen Nachwuchskräfte, die die überlegene Geltung der englischen Philosophie im 20. Jahrhundert begründen sollten, B. Russell und G. E. Moore vor allem, hatten Studienerfahrungen bei den Idealisten Bradley und McTaggart hinter sich. Wie es rebellischen Geistern geziemt, verwarfen sie die unenglische Abweichung mit allem Nachdruck und lenkten die Philosophie auf die Bahnen des Empirismus zurück.16 Ein Dokument dieser höchst erfolgreichen Richtungsstellung kann man im Erstlingswerk von A. Ayer erkennen, der seine Erfahrungen, die er im Wiener Kreis gemacht hatte, in die Sprache Humes übersetzte.17 Ihm gelang ein für ein philosophisches Buch ungewöhnlicher Erfolg beim Publikum. Damit und dank der Lehrwirkung Wittgensteins war Hegel endgültig zum toten Hund in England geworden. Ich persönlich erinnere mich jedenfalls an Gelegenheiten in den sechziger Jahren, wobei im Gespräch allein die Nennung des Namens Hegel als Verletzung simpler Anstandsregeln inkriminiert wurde. Indes hatte Collingwood als einer der ganz wenigen am Idealismus festgehalten und brachte dementsprechend vereinsamt seine letzten Jahre in Oxford zu.18 Es war angesichts des akademischen Mainstreams nahezu unwahrscheinlich, daß er seinerseits in Stephen Toulmin doch noch einen Nachfolger fand, der im Felde der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie eigene Wege ging. Eines der wichtigen Bücher von Toulmin Human Understanding19 schließt in Anspielung an Hegels List der Vernunft mit dem verheißungsvollen Kapitel The Cunning of Reason. Leider ist nur der umfangreiche erste Band erschienen. Seit längerem existiert übrigens eine British Hegel Society, in der sich jüngere Gelehrte versammeln, die mit den Üblichkeiten des Stils von „Oxbridge“ unzufrieden geworden sind, wo im Wechselgesang mit Amerika alle kontinentalen Optionen übertönt werden. Es wiederholt 15 Vgl. zu der Entwicklung Melvin Richter: The Politics of Conscience. T.H. Green and his Age. Bristol 1996. 16 Das geht aus den Autobiographien von Russell und Moore hervor, wird aber selten beachtet. Vgl. hingegen: Rolf Peter Horstmann: Ontologie und Relationen. Königstein 1984. 17 Language, Truth and Logic. 1936. 18 An Autobiography (1939). With a new introduction by Stephen Toulmin. Oxford 1978. 19 Princeton 1972 (deutsche Übersetzung: Kritik der kollektiven Vernunft. Frankfurt/M. 1978).

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sich gewissermaßen das Schema der Ablösung von Generationen, das vor hundert Jahren den Idealismus von den Britischen Inseln vertrieben hatte. Der amerikanische Pragmatismus hatte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine andere Ausgangsposition bezogen. In die pragmatistische Grundauffassung, die Wissen mit praktischen Interessen vermitteln wollte, war ein gutes Stück Hegelscher Dialektik eingegangen. Diese unbefangene und von ideenpolitischen Bedenken noch unbeschwerte Rezeption hat deutschen Kommunikationstheoretikern erlaubt, sich mit G. H. Meads Ansätzen der Intersubjektivitätsanalyse zu befreunden. Auf amerikanischem Boden kann man letzthin die Renaissance von John Dewey beobachten. Rorty war einer der Protagonisten, der Dewey mit dem kontinentalen Existentialismus und der Hermeneutik verglich. Andere sind darin gefolgt. Immerhin ist es ein Schüler Rortys, Robert Brandom, von dem es heißt, er habe in der amerikanischen Philosophie der Gegenwart eine Revolution ausgelöst, die derjenigen vergleichbar sei, mit der Rawls und seine Theory of Justice vor Jahrzehnten das internationale Diskussionsterrain eroberte. Die deutsche Wirkung von Brandoms umfassender und weitausladender Studie Making it explicit (1994) kann man nach dem kürzlichen Erscheinen einer Übersetzung schon beobachten. Nicht nur das Problem des Titels Expressive Vernunft hat die Übersetzungsarbeit langwierig und mühsam gemacht (2000). Man spricht im Blick auf Brandom und McDowell inzwischen von der „Pittsburgh School of Neo-Hegelianism“. Was immer von derlei Etikettierungen zu halten ist, so hat sich die Prognose bewahrheitet, daß nach der Integration von Kant in den internen Diskurs der Sprachphilosophie durch Strawson und andere allmählich auch die Nachkantianer wieder Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Mit Pippin und Pinkard an der Spitze ist eine Forschungsgruppe auf dem Vormarsch, der die alten Verdikte gar nichts bedeuten. Sie wenden sich vielmehr der Hegelschen Philosophie als einer Theorie der Moderne neugierig zu, deren Potential noch gar nicht erschöpft ist. V. Im deutschen Sprachraum hat die verdienstvolle Editionstätigkeit schließlich eine verläßliche Textbasis geliefert. Ob die Anstrengungen im bisherigen Sinne mit unvermindertem Aufwand und ohne Grund-

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satzrevision fortlaufen müssen, ist eine Frage, die von den zuständigen Spezialisten ernsthaft zu erörtern wäre. Es macht sich bemerkbar, daß entwicklungsgeschichtliche Einordnungsfragen so weit durchdekliniert sind, daß künftige Philosophenherzen in dem Feld vermutlich nicht mehr höher schlagen werden. Der unerwartete Abbruch einer ganzen sozio-historischen Denkschule, die mit dem Untergang der „zweiten Welt“ zusammenhängt, hat dem Gesinnungsstreit um Zukunftsprojekte und bürgerliche Reaktion, der scholastische Höhen erklommen hatte, mit einem Mal den Boden entzogen. Daher scheint es bizarr, daß wir unterschiedliche Hegel-Gesellschaften weiter kultivieren, deren Herkunft aus Frontlinien des Kalten Krieges erkennbar ist. Eine sachliche Kooperation in geeigneten Formen ist das Gebot der Stunde. Ebenfalls neu zu bewerten sind die langwährenden Bemühungen, nach Gewinnung der verläßlichen Textbasis das vielschichtige Werk Hegels als die Systematik des absoluten Geistes mit Abschlußcharakter überzeugend zu rekonstruieren. So war es vom Autor gedacht worden. Die äußere Differenz autorisierter Bücher des Meisters und seiner großen Vorlesungen, die in Kompilationsform der Werkausgabe des „Vereins der Freunde des Verewigten“ sowie in mancherlei Nachschriften durch Hörer auf uns gekommen sind, sollte nicht überspielt werden. Die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften liefert das Grundgerüst, dessen Ausfüllung dem Systematiker eigentlich nur mit der Logik und der Rechtsphilosophie gelungen ist. Dennoch tragen etwa die Ästhetik oder die Geschichtsphilosophie zur anhaltend breiten Studienbereitschaft gegenüber Hegels Philosophie bei. Das substantielle Gewicht des Gedankengangs spielt die Hauptrolle. Editorische Detailkenntnisse helfen da nicht weiter. Hegel nur ernst nehmen zu können, sofern man sein System im Ganzen überblickt, war eine Parole, welche die genannten Rekonstruktionsversuche befeuert hat. Aber auch dieser Weg ist im wesentlichen abgeschritten. Neuerdings ist eine Kommentierung im Systemrahmen vorgelegt worden, die man schon als Gemeinschaftsleistung rühmen muß und die ein echtes Desiderat bedient.20 Es wird jedenfalls

20 Ludwig Siep: Phänomenologie; Herbert Schnädelbach: Praktische Philosophie; Drüe, Gethmann-Siefert, Hackenesch, Jaeschke, Neuser, Schnädelbach: Enzyklopädie. (In: Herbert Schnädelbach u.a.: Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken. 3 Bände. Frankfurt/M. 2000.) Siehe meine Rezension Eine Kommentierung Hegels. In: Philosophische Rundschau 47. 2000.

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deutlich, daß die systematische Verknüpfung aller Inhalte im Sinne eines „Panlogismus“ nur ein Weg, und keinesfalls der Königsweg des Philosophierens am Ende der abendländischen Kultur ist. Hegel hat das zwar vertreten, alle Kritiker Hegels ermangelten dieser Überzeugung seit eh und je, was sonst sie auch trennen mochte. Von Friedrich Fulda ist eine Darstellung zu erwarten, die den Test auf das Ganze noch einmal wagen will. Das Zwingende der Sachbehandlung liegt eben im konkreten dialektischen Durchlauf durch die relevanten Gedankenbestimmungen. Daß Dialektik ein grundsätzlich überlegener Typ von Theorie sei, der sämtliche Alternativen aus dem Felde zu schlagen vermöchte, beweist sich, wenn es sich überhaupt beweist, jeweils vor Ort. Nichts hängt von einer Grundsatzentscheidung für oder gegen Rationalismus ab, wie der Schlachtenlärm um den „Positivismus“ ehedem verkündete. Popper hatte im Gefolge des Wiener Kreises eine solche Attacke geritten, die der Dialektik Hegels vorwarf, sie sei „dangerously misleading“.21 Dieses Urteil, gefällt im neuseeländischen Exil, stand unter realem Kriegseindruck. Die Gegenattacke wurde später in friedlichen Zeiten von marxistischen Soziologen im wesentlichen geführt. Tatsächlich gehört der Streit in das Feld einer Wissenschaft der Logik, die der soeben erwähnte Werkkommentar mit Vorsicht ausspart. Denn hier haben wir es nicht nur mit einer Art von methodologischem Organon aller Disziplinen zu tun — das auch. Wir betreten in Wahrheit das Feld der Metaphysik, und dazu verspürt das allseitig beschworene „nachmetaphysische Zeitalter“ nicht die geringste Neigung. Nun verhält sich diese Metaphysik nicht wie die klassischen Ausprägungen von Parmenides‘ Oberwelt oder der Ideenlehre Platons bis zur alleinen Weltsubstanz des Spinoza gegenüber jeglichem geschichtlichen Wandel abstinent. Das Skandalon der Wissenschaft der Logik, oder, wenn man will, ihre exzeptionelle Kühnheit besteht darin, die historisch vorliegenden Konzepte der Metaphysik nacheinander durchzuarbeiten, in eine geregelte Ordnung zu versetzen und dank dieses Schachzugs schließlich zu synthetisieren. Die herkömmliche Opposition von Geschichte und Metaphysik wird im Zuge dessen niedergelegt. Wenn reine Gedankengehalte am Ende der europäischen Metaphysikgeschichte noch eine genaue Erörterung verdienen, so verdankt sich das mitnichten dem

21

What is Dialectic? (1940) Jetzt in: Conjectures and Refutations. 1963.

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historisch blinden Sprung in die Transzendenz, sondern der planmäßigen Integration der Geschichtsspuren in das Denkgebäude.22 Hieraus ließe sich lernen, daß die herkömmliche Einteilung in sog. historische und sog. systematische Untersuchungen innerhalb der Philosophie im Kern nicht zu halten ist. Mag es der Verständigung dienen, so zu sortieren, daß der eine bloß Doxographie betreibe, während der andere problemorientiert arbeite. Aus der eigentlichen Erfahrung des Denkens aber ergibt sich, daß jedes Interesse für ferngerückte Theorien, das nicht einer antiquarischen Liebhaberei frönt, von sachlich benennbaren Fragen ausgeht. Und umgekehrt gibt es gar keine Problemorientierung ohne eine gewisse Auswahl von Leittexten, welche immer und notwendig ein historisches Moment mit sich bringt, ob man das nun hermeneutisch reflektiert oder nicht. Wir stehen zu den großen Philosophen des letzten Jahrhunderts, nämlich Heidegger und Wittgenstein, ohne Wenn und Aber in einem Verhältnis historischer Distanz, obwohl wir mit vollem Recht diesen Umstand vernachlässigen beim Eindringen in die offerierte Problemfassung, welche mit den Namen bezeichnet wird. Wer „mit Wittgenstein“ philosophieren will, begeht einen gebahnten Weg. Hegel ist jedenfalls im Unterschied zu Kant und dem Verwissenschaftlichungspathos, das von den Neukantianern bis zu Popper und gewissen zeitgenössischen Schulen in der Philosophie weitergetragen wird, der erste bedeutende Denker, der die Reflexion darauf zur Pflicht gemacht hat, daß Problembewußtsein und geschichtliche Stellung nicht vollkommen voneinander abzukoppeln sind. Mit Hilfe dieser Überlegung läßt sich durchaus eine Brücke schlagen zu dem Modell des „Paradigmenwechsels“, das Thomas Kuhn anhand wissenschaftshistorischer Fallstudien formuliert hat.23 Gemeint sind Umschläge in der Gestalt von Weltbildern, die keinem teleologischen Steigerungsmuster gehorchen. Der Terminus hat erstaunliche Verbreitung gefunden. Die scharfsinnige Nachfolgedebatte unter Philoso-

22 Genauer dazu: Aufhebung oder Vollendung der Metaphysik in Hegels „Wissenschaft der Logik“. In: Rüdiger Bubner: Innovationen des Idealismus. Göttingen 1995. 23 Zunächst Kuhn: The Copernican Revolution. 1957. In Verallgemeinerung dann: The Structure of Scientific Revolutions. (1962) Kuhn verweist im Vorwort seines epochemachenden Buches auf einen damals unbekannten polnischen Wissenschaftssoziologen: Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Basel 1935. Neuausgabe durch L. Schäfer und Th. Schnelle. Frankfurt/M. 1980. Der bezog sich seinerseits auf wissenssoziologische Ansätze der zwanziger Jahre wie Jerusalem und Scheler (a.a.O. 64 u.ö.).

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phen wie Feyerabend und Lakatos24 dreht sich um logische Verknüpfung zwischen Paradigmen bzw. um deren „Inkommensurabilität.“ Parallel verläuft die semantische Linie des Holismus (Quine, Davidson), wo Sprachsysteme mit Weltbildbedeutung — seien es wissenschaftliche Theorien oder Anschauungen der „Naturvölker“ — sich als nicht streng ineinander übersetzbar erweisen. Der Semantiker wandelt sich mithin zum Ethnologen. Da Sprachen nur als ganze aus sich heraus verstehbar sind, existiert keine logische Blaupause für alle Sprachen, die auf evolutionärer Schiene miteinander korrespondieren. Nur falls wir Wort-für-Wort-Äquivalenz zwischen Sprachen einbauen könnten, was bei jeder echten Übersetzungsarbeit klar scheitert, nur dann ließen sich Umstellungen vermeiden, die revolutionär getauft worden sind, weil keine Superstrategien sie leiten. Es liegt auf der Hand, daß diese in vierzig Jahren aufgetürmte Sophistikation eine Durchforstung der Hegelschen Logik inspirieren könnte, wenn nur beide Seiten nicht in zäher Ignoranz Rücken an Rükken verharrten. Hegelianer pflegen selten Quine zu studieren und ahnen nichts vom „semantic ascent“, während Philosophen, die Wert auf sprachanalytische Loyalität legen, bei Strafe der Exkommunikation Kontakt mit dem „gefährlichen“ Obskurantismus des „absoluten Geistes“ vermeiden müssen. Dank Rorty, Taylor und weniger Vermittlerfiguren beginnt sich die intellektuelle Misere der Lagerbildung freilich zu mildern. VI. Neben die Logik tritt in Hinsicht auf die von Hegel selbst veröffentlichten Teile des Systems nur die Rechtsphilosophie von 1821. Die Umstände ihrer Entstehung aus regelmäßig gehaltenen Vorlesungen, ihrer Publikation unter den Bedingungen der Zensur, ihrer Aufnahme bei Zeitgenossen und Kritikern — all das ist gründlich untersucht worden. Immerhin hängt von der Würdigung des rechtspolitischen Unternehmens im Rahmen des Geist-Systems das Urteil über Hegels früh bekundete Intention ab, in das Leben der Menschen mit Mitteln der Philosophie einzugreifen. Man erinnere sich des zitierten Briefes an Schelling von 1800. Im Lichte dieser deutlichen Kontinuität wird das gern wiederholte Bild vom zweifachen Hegel hinfällig: vom jungen Revolutionär einer24

Beide operieren übrigens bei Gelegenheit mit Hegelschen Motiven.

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seits und vom „akkomodierten“ Professor andererseits. Viele glaubten zu wissen, was der gute Hegel in Aufbruchstimmung vorhatte, und was der Amtsträger notwendig versäumte. Dieser simplen Autorenpsychologie und den mitlaufenden Klischees vom Enthusiasmus für das französische Experiment sowie den finsteren Verhältnissen des nachnapoleonischen Preußen gilt es prinzipiell zu widersprechen. Bei aller Seelengemeinsamkeit unter den Jugendfreunden im Tübinger Stift war der Schrecken im Gefolge der Revolution ein europäisches Thema, das Hegel keineswegs unberührt ließ. Über die „ganze Schändlichkeit der Robespierroten“ klagt er sehr früh in einem Brief aus Bern.25 Die spätere Verdammung der grellen Bilder der Terreur, für deren Ursache er Rousseaus abstrakten Willensbegriff verantwortlich macht, stellt in den Grundlinien der Philosophie des Rechts keinen kategorialen Meinungswandel dar. Dazu gehört auf geradem Wege die Erhebung der Institutionen zu verläßlichen, dem kontingenten Sinnen und Trachten der Individuen entzogenen, dafür aber die Freiheit der Subjekte rechtlich garantierenden Lebensformen. Die Institutionenlehre stellt die Antwort auf diejenige Frage dar, welche das gewaltige Ereignis der französischen Revolution den denkenden Köpfen präsentiert hatte. In den Theologischen Jugendschriften Hegels steht bei aller Theologenschelte diese Aufgabe vorne an. Weder Schillers ästhetisierender Volkspädagogik, noch Burkes konservativem Plädoyer, noch W. v. Humboldts liberaler Begrenzung der „Wirksamkeit des Staates“ schien es gelungen, auf Dauer die Überzeugungen zu binden, obwohl das nachrevolutionäre Spektrum der Parteirichtungen sich hier bereits spiegelt. Nimmt man den Hegel-Kritiker Marx hinzu, so überblickt man im Grundzug die parlamentarische Sitzordnung der letzten zweihundert Jahre. Hegel schert aus diesem Zusammenhang aus, weil er nicht den Meinungsabgleich unter den Massen der heimatlos gewordenen Individuen der Moderne anstrebt, sondern eine Erneuerung der antiken Polisbeziehung aller Bürger, die primär ihr „allgemeines Leben“ im sittlichen Staate führen. Allerdings sind die legitimen Freiheitsansprüche des modernen Subjekts zu respektieren, wenn Institutionen eine Existenzgarantie erhalten sollen. Der Staat Hegels ermöglicht die Verwirklichung der Freiheit auf historischem Boden im Unterschied zu Forderungen, Idealen, Utopien und dem ominösen Sollen, die sich alle nur im weichen Medium des Meinens vor aller Prüfung an der Realität 25

An Schelling, Heiliger Abend 1794 (Briefausgabe. Ed. Hoffmeister. I 12).

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der Verhältnisse aufhalten. Damit nimmt Hegels Rechtsphilosophie eine kritische Stellung zum Hauptstrom des neueren Rechtsdenkens ein, die keineswegs als „alteuropäisch“ abzutun ist. Angemessene Beschäftigung mit Hegels Rechtsphilosophie führt nicht in eine museale Portraitgalerie, sondern mitten hinein in die gegenwärtige Konkurrenz politischer Konzepte. Angesichts der totalen Herrschaft des rechtsphilosophischen Vertragsmodells von Hobbes bis Rawls mitsamt den Varianten erhebt nur Hegel Protest. Leben wir doch nirgends und zu keinen Zeiten so, als könnten wir wie frei agierende Partizipanten am Markt der Ideen dank spieltheoretisch raffinierten Nutzenkalküls die für alle „beste“ Staatsform erfinden oder aushandeln. Die unbelastete Ursituation stimuliert naturgemäß Philosophenphantasie. Da mag man sich dies und das ausdenken, wünschen und konstruieren. Die historische Befangenheit unseres gesamten Kollektivhandelns hat uns indes immer schon in eine Situation versetzt, die zu beliebiger Auswahl gar nicht stehen kann. Eine Rechtstheorie, eine Staatsauffassung und alles, was politische Philosophie zur Sache beizutragen hat, erfordert eher Bodenhaftung als den Beweis des kontrafaktischen Einfallsreichtums. Alle gegenwärtig umlaufenden Vorschläge über das Fairness-Prinzip und die herrschaftsfreie Kommunikation, über die systemfunktionale Balancierung und universalistisch zu erweiternde Menschenrechtskataloge leiden daran, den Theoretikern zu gefallen, ohne der Substanz von gelebten Lebensformen adäquat zu sein. Der kommunitaristische Einwand traf hier durchaus ins Schwarze. Ich will damit sagen, daß neben der Logik die Rechtsphilosophie Hegels ein Projekt ist, das trotz aller bislang erworbenen Kenntnisse der Forschung keineswegs zu den Akten gelegt werden kann. VII. Wenn ich zum Schluß noch einmal auf das unlenkbare Spiel der Konjunkturen zurückkomme, von dem eingangs die Rede war, so darf man vielleicht festhalten, daß Hegels Philosophie nicht den allgemeinen Grundton einer Phase der „normal science“ abgibt, wie wir sie gegenwärtig erleben. Hegels Dialektik setzt dynamische Reaktionen frei, die in Kulturkrisen großen Ausmaßes von vielen mehr oder weniger begierig gesucht werden. Die in das Philosophieren eingepflanzte Dynamik läßt Zielprognosen blaß erscheinen und schießt meist über das für jedermann Absehbare hinaus.

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Die kulturelle Erschütterung, die nach dem Ersten Weltkrieg tiefer saß als je zuvor eine, bereitete mit mancherlei Aspekten die Wiederkehr der Hegelschen Denkexperimente vor, die vom Systemanspruch pauschal gedeckt waren.26 Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage vergleichbar. Existenzphilosophie und existentialistische Hegelianer wie Kierkegaard boten sich an. Der Kalte Krieg, der eine welthistorisch todernste Konkurrenz der Lebensformen gewesen ist und kein Schattenspiel von Manipulationen, mobilisierte das Hegelsche Denken, das dialektisch operationalisierbar schien und in der Stoßrichtung doch ohne Schwanken und massenpsychologische Sirenenklänge den Entscheidungsgehalt der tatsächlichen Auseinandersetzung auf das Engste umschrieb. Orientierungskrisen in der politischen Stellungnahme, ebenso wie im Wissenschaftsbetrieb das gängige Unangreifbarkeitsgefühl, dem die Zweifel noch bevorstehen, sind daher günstige Indizien für eine Wiederkunft Hegelscher Einsichten. Wir dürfen die Fähigkeit nicht preisgeben, wieder und wieder in Anwendung auf vorfindliche Lagen die Zuspitzung zur Kontroverse zu betreiben, ohne im bloßen Eklat wohlfeile Befriedigung zu finden. „Anything goes“ ist jedenfalls keine dialektische Parole. Im Herrschaftsraum der Wissenschaften, welche sich die öffentliche Meinung unterworfen haben, soll die Philosophie nicht die Rolle des Hofnarren spielen, dem hie und da unerhörte Paradoxien gestattet werden. Ob es der Philosophie noch einmal gelingt, ganze Wissenschaftsbataillone in Marsch zu setzen wie ehedem die natürlichen Sympathisanten in den Geisteswissenschaften, ist fraglich. Auch ein plötzlicher Sturm, der durch den Blätterwald der Meinungen und partikularen Präferenzen weht, bedeutet keine große Leistung. Denn dergleichen läßt sich medial inszenieren: polemische Totsagungen, Erinnerungspflichten gegenüber Vergessenem, Vergangenheitsschuldigkeit, Betroffenheitsarien usw. Aber mit intellektueller Begleitmusik „die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen“, das sollte mitunter gelingen. Denn das Wissen der Menschen erschöpft sich nicht voll und ganz in Spezialkenntnissen und Expertenkompetenzen. Dieser Weg wird in aller Regel begangen und die Resultate werden begrüßt. Menschliches Wissen verlangt mindestens ebenso dringend nach Zusammenhängen, wie vielleicht kein abgeschlossenes System sie bietet, während die ins 26 Hermann Glockner spricht von einer „Hegelatmosphäre“ (Hegels Philosophie hundert Jahre nach seinem Tod. 1930. In: Hegel-Studien. Beiheft 2. 277 ff.).

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Ungreifbare sich verlierende Summierung von Details uns das „wissenschaftliche Weltbild“ vorenthält, das die Propheten ehemals ankündigten. Zusammenhänge findet man nicht empirisch, wie man Daten sammelt. Zusammenhänge stiftet die synthetische Kraft des Geistes, der von dem Subjektivitätszentrum auf die Welt übergreift.

ROBERT B. BRANDOM (PITTSBURGH)

H O L I S M A N D I D E A L I S M I N H E G E L’ S PHENOMENOLOGY I. Introduction The opening Consciousness section of Hegel’s Phenomenology addresses our understanding of the physical world around us. The next section, Self-Consciousness, begins to consider our understanding of ourselves and each other. This order of discussion is neither arbitrary, nor merely convenient. Rather, one of the principal lessons we are to have learned by the end of the development of Consciousness is that our best conception of the world that is the object of our cognitive activities is intelligible only as part of a story that also considers the nature of the subject engaging in those activities. The rationale for this expository transition is an important strand in Hegel’s idealism. In this essay I’ll offer a rational reconstruction of an argument that I see as supporting this transition and the kind of idealism it embodies.1

1 By way of warning, if not preparation, I should say that it is a de re reading of the relevant portions of the text, not a de dicto one. As I use and develop these notions in Making It Explicit, these are two styles in which one can specify the contents of the very same claims. By “content” I understand broadly inferential role. Grasping a content is, to a first approximation, knowing what follows from it, what is incompatible with it, and what would be evidence for it. But now an issue arises concerning the source of the auxiliary hypotheses one conjoins with it in order to extract those inferential consequences. Presenting the content in the de dicto way requires restricting oneself to appeal only to other collateral commitments specified in terms that one takes it the one to whom one attributes the claim in question would also acknowledge commitment. Presenting the content in the de re way relaxes this restriction, and permits the employment of auxiliary hypotheses the interpreter takes to be true, whether or not the target of the ascription knows or believes them. At several crucial junctures in my story, I will help myself to moves that Hegel does not explicitly make, but which I endorse as correct and important insights, in characterizing the thought that Hegel is expressing. (As an alternative model of this procedure, one might think of domain extension in mathematics. Often an important pattern involving one domain of objects-say, the distribution of roots of polynomial equations with coefficients in the real numbers-only becomes apparent when one considers them as a subset of a wider domain, for instance, the complex numbers. Only the perspective of the extended structure lets us see what is already true of the more restricted one.) In the present case, I will signal explicitly when I am importing something into the Hegelian story to make the underlying rationale I discern more visible.

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II. The problem: understanding the determinateness of the objective world Hegel starts the line of thought I’ll be rehearsing with the everyday idea of how things are – the idea that there is some way the world is. Understanding how things are or might be is grasping a certain sort of content. And his first observation is that that content – the way things are or could be taken to be – must be determinate. That is to say at a minimum that there must be a distinction between things being that way and them being some other way. 1. The way things objectively are must be definite or determinate. Determinateness is a matter of identity and individuation. It concerns how one thing is distinguished from others. In thinking about the sort of difference implicit in the notion of determinateness, it is important to distinguish between two different kinds of difference. Properties (for instance) can be different, but compatible, as s q u a r e and r e d are. We might call this “mere” difference. But properties can also be different in the stronger sense of material incompatibility – of the impossibility of one and the same thing simultaneously exhibiting both – as square and triangular are. We might call this “exclusive” difference. Although I cannot discuss here how the point is made, in Sense Certainty Hegel argues that the idea of a world exhibiting definiteness or determinateness as mere [gleichgültige, translated by Miller as “indifferent”] difference, without exclusive [ausschließende] difference, is incoherent. This is why compatibly different properties always come as members of families of exclusively different ones.2 Hegel embraces the medieval (and Spinozist) principle omnis determinatio est negatio. But mere difference is not yet the negation that determinateness requires according to this principle. For an essential, defining property of negation is the exclusiveness codified in the principle of noncontradiction: p rules out not-p, they are incompatible. For Hegel, it is this exclusiveness that is the essence of negation. He abstracts this feature from the case of formal negation, and generalizes it to include the sort of material incompatibility that obtains between the All citations from the Phenomenology are paragraph numbers from A.V. Miller’s Oxford University Press translation, hereafter cited as M. Cf. (M 114), quoted below (note 4). 2

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properties s q u a r e and t r i a n g u l a r . (Formal negation can then reappear as the shadow of material incompatibility: not-p is the minimal incompatible of p. It is what is entailed by everything materially incompatible with p.) In a conceptually deep sense, far from rejecting the law of noncontradiction, I want to claim that Hegel radicalizes it, and places it at the very center of his thought.3 So his idea is that 2. The essence of determinateness is modally robust exclusion. One understands items (for instance propositions or properties) as determinate just insofar as one understands them as standing to each other in relations of material incompatibility. The many determinate properties are only determinate in so far as they differentiate themselves from one another, and relate themselves to others as to their opposites.4 It is through its determinateness that the thing excludes others. Things are therefore in and for themselves determinate; they have properties by which they distinguish themselves from others. They are determinate properties in it only because they are a plurality of reciprocally self-differentiating elements.5 The idea Hegel is working with here is a common feature of both contemporary information theoretic and possible worlds approaches to semantics. The concept of the i n f o r m a t i o n conveyed by a signal is defined in terms of the way its reception serves to restrict, for the receiver, some antecedent set of possibilities. Before receiving the message I only knew the number lay between 0 and 100. Afterwards I know that it is an even number in that range. (This fundamental idea must not be confused with the much more specific strategy for working it out that assigns numbers as measures of information in that sense.) The defining function of information is to rule out possibilities. Again, possible worlds semantics sees a proposition as significant just insofar as it effects a partition of the space of possible worlds. Its correctness excludes the actual world from one element of the partition (although rhetorically the focus is usually put on its being included in the other). The concept of m a t e r i a l i n c o m p a t i b i l i t y , or as Hegel calls it He can then reject the merely formal principle in the sense that he does not take it to be an adequate expression of the crucial relation of determinate negation. 4 M 114. 5 M 120. 3

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“determinate negation”, is his most fundamental conceptual tool. Here are two uses of it that are particularly important for articulating the sort of idealism that is my topic. First, relations of determinate negation allow the definition of consequence relations that are modally robust in the sense of supporting counterfactual inferences – what show up at the end of Consciousness in the form of laws. The proposition or property p entails q just in case everything incompatible with (ruled out or excluded by) q is incompatible with (ruled our or excluded by) p. For instance having the property square entails having the property polygonal, because and in the sense that everything materially incompatible with square (for instance circular) is incompatible with polygonal. In this sense, it is impossible for something to be square without its also being polygonal. So we can see (though Hegel never makes the point explicitly) that: 3. Material incompatibility relations induce modally robust material consequence relations Taking his cue from the role played by the middle term in a classical syllogism, Hegel uses the term “mediation” [Vermittlung] in discussing the inferential articulation of contents induced by relations of determinate negation. Thus mediation can be understood in terms of determinate negation.6 This is to say that for Hegel s c h l i e ß e n is rooted in a u s s c h l i e ß e n (conclusion in exclusion). Together, these two sorts of relation define what Hegel means by “conceptual” [begrifflich]: 4. To be conceptually articulated is just to stand in material relations of incompatibility and (so) consequence (inference). In this sense, conceptual articulation is a perfectly objective affair. It has nothing obviously or explicitly to do with any subjective or psychological process. Showing that it nonetheless does have an implicit connection to such processes, and what that connection is, is the task of motivating objective idealism (that is, idealism about the objective conceptual structure of the world). Given this definition, Hegel’s conceptual realism can be seen as just the form taken by a modal realism. There really are modally qualified states of affairs: possibilities and necessities (necessitations being the As can universality, though that is another story. Cf. Science of Logic (A. V. Miller, trans. Humanities Press International, 1990, hereafter, SL) “[…] universality is a form assumed by the difference, and the determinateness is the content”. (SL 608.) 6

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inferential version of this categorical notion, and conditional possibility being the corresponding weaker conditional modality). Further, without acknowledging them, we cannot make intelligible ordinary descriptive predicates and properties. Again, Hegel will claim that modal realism requires objective idealism. Second, I started this story with the idea of how things are – the idea that there is some way the world is. Understanding how things are is grasping a certain sort of content. In talking about objectivity and subjectivity in terms of ‘truth’ and ‘certainty’, Hegel wants us to start by focusing on this notion of content rather than on the objects of (claims to) knowledge. One reason to do this, of which Hegel’s Introduction reminds us, is so our philosophical idiom will not rule out from the beginning as incoherent the possibility that how things are in themselves might also be how they are for some consciousness – that there is a sense of ‘content’ in which, at least in some cases, truth and certainty may be two different forms taken by the same content. If we start by terminologically committing ourselves to a picture of consciousness as a relation between two sorts of thing, subjects and objects, we cut ourselves off from the shift in theoretical perspective that Hegel wants to recommend under the heading of ‘idealism’, which is my topic here. Talk of subjects and objects comes late in the story, not at the beginning. And when they do officially become a topic, in Perception, 5. The concepts s u b j e c t and o b j e c t can be defined in terms of determinate negation or material incompatibility. Both are to be understood as loci or units of account that in a generic sense “repel” or “exclude” incompatibilities. Objects repel objectively incompatible properties (such as square and triangular), in that one and the same object cannot at the same time exhibit both – though they can be exhibited by different objects. And subjects repel subjectively incompatible commitments (for instance, commitment to something being square and commitment to it being circular) in that one and the same subject ought not at the same time endorse both (though the same prohibition does not apply to the commitments of different subjects). The different ways in which objects and subjects “repel” or “exclude” them make it clear that i n c o m p a t i b i l i t y obj and i n c o m p a t i b i l i t y subj are different concepts. (Since while one object cannot simultaneously exhibit objectively incompatible properties, one subject merely ought not simultaneously undertake subjectively incompatible commitments.) The intimate relation between these concepts – the way

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in which i n c o m p a t i b i l i t y obj and i n c o m p a t i b i l i t y subj turn out to be two sides of one coin, each intelligible in principle only in relation to the other – is the essence of Hegel’s objective idealism concerning the relation between the subjective and the objective poles of consciousness.7 III. Holism The notion of immediacy presupposes determinateness of content, but cannot by itself underwrite it. Determinate content must be articulated by relations of material incompatibility. That realization entails rejecting the semantic atomism that lies at the core of what Wilfrid Sellars would later call the “Myth of the Given”, in a work that opens by invoking “Hegel, that great foe of immediacy.” The concept of i m m e d i a c y can itself be made intelligible only against a background of mediating relations of exclusion. This is the conclusion of Hegel’s discussion of Sense Certainty.8 Understanding determinate conceptual content in terms of relations of exclusion among such contents commits one, then, to some kind of semantic holism. Although earlier thinkers outside the empiricist tradition (especially Kant) had dipped their toes in the water, Hegel is the first thinker explicitly to take the plunge and try to think through rigorously the consequences of semantic holism. But what exactly is he committed to? To begin with, 6. We can distinguish two grades of holistic commitment. Weak individuational holism: Articulation by relations of material incompatibility is necessary for determinate contentfulness (for instance, of states of affairs and properties, on the objective side, and propositions and predicates on the subjective side).

Note that I will only try to sketch one part of this story. An account of how representational relations can be understood in terms of relations among graspable senses, of how the concept of n o u m e n a arises out of relations among phenomena, is a story for another occasion. 8 But the thought is, of course, pervasive in Hegel’s writings. Thus for instance “Immediacy in general proceeds only from mediation, and must therefore pass over into mediation. Or, in other words, the determinateness of the content contained in the definition, because it is determinateness, is not merely an immediate, but is mediated by its opposite; consequently definition can apprehend its subject matter only through the opposite determination and must therefore pass into division.” (SL 800.) 7

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Strong individuational holism: Articulation by relations of material incompatibility is sufficient – all there is available to define it – for determinate contentfulness (for instance, of states of affairs and properties, on the objective side, and propositions and predicates on the subjective side). Hegel is clearly committed to the weaker claim. So, for instance, in a characteristic expression introducing it in the discussion of Perception, Hegel says of "differentiated, determinate properties" that "many such properties are established [gesetzt] simultaneously, one being the negative of another."9 One property can be understood as determinate only by understanding many other properties – those incompatible with it – as similarly determinate. But is he also committed to the stronger form? There are reasons to think that he is. Standard contemporary ways of thinking of conceptual content in terms of the exclusion of possibilities – paradigmatically information theoretic and possible worlds accounts – treat the space of possibilities partitioned by such a content as fixed and given in advance of any such partition. By contrast to both, the line of thought Hegel develops here does not take it that the possibilities are available conceptually antecedently to the possible (indeed, actual10) contents of messages or claims, or that the properties are already sitting there intelligibly determinate before the relations of exclusion among them have been considered. For what would that determinateness consist in? If immediacy as immediacy is indeterminate, it seems that the relations of exclusion must be what their determinateness consists in. What might be called “asymmetric relative individuation” of one sort of item with respect to another is a relatively straightforward matter. Thus if I understand the property red as selecting out of the set of objects a privileged subset, namely those that exhibit that property, I can identify and individuate another property, not-red, entirely in terms of its contrast with the original property. I understand it also as selecting out of the set of objects a privileged subset, defined in terms of the other, namely, the complement of the first. But this is not what Hegel offers us. He is committed to symmetric relative individuation, in which a whole set or system of determinate contents – comprising red, blue, yellow, and so on – is ‘posited’ at once, each individuated by

M 113. See the discussion of this point in: Some Pragmatist Themes in Hegel’s Idealism (European Journal of Philosophy, August 1999). 9

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its relations to (its strong differences from) the others.11 If such a view does not entail strong individuational holism, a story will have to be told about why not. The second reason to attribute to Hegel commitment to strong individuational semantic holism is the nature of the transition from Perception to Force and Understanding that is driven by making explicit the holism that turns out to be implicit in understanding properties as identified and individuated by the relations of determinate negation and mediation in which they stand to one another (and, at a higher level, to the objects ultimately defined as centers of exclusion of them). Thus even in its first appearance, where the concept of f o r c e is understood as dividing into forces playing the roles of soliciting and solicited, we are told: These moments are not divided into two independent extremes offering each other only an opposite extreme: their essence rather consists simply and solely in this, that each is solely through the other, and what each thus is it immediately no longer is, since it is the other. They have thus, in fact, no substance of their own, which might support and maintain them.12 At this point, relations to other items of the same category are not merely one necessary element in the individuation of the items being considered. It seems that they are all there is. The whole discussion of Consciousness leads up to putting on the table the final holistic conception of the conceptual that Hegel calls “infinity”. At the very end of that part of the Phenomenology Hegel says: Infinity – in which whatever is determined in one way or another – is rather the opposite of this determinateness, this no doubt has been from the start the soul of all that has gone before.13 The conception of the conceptual as “infinite” is the axis around which Hegel’s systematic thought revolves. Grasping it is the primary goal towards which the exposition of the whole Logic is directed. In the discussion at the end of Force and Understanding, the “Notion of inner difference”14, contrasting with the inadequate atomistic conception of 11 (Cf. § 42 Z of the Encyclopedia.) Worse, Hegel insists that we cannot help ourselves to the category o b j e c t in defining properties, since the categories o b j e c t and p r o p e r t y themselves stand in a symmetric holistic relation, each in principle intelligible only in terms of the other. 12 M 141. 13 M 163. 14 M 161.

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“absolute” difference, is repeatedly equated with i n f i n i t y . In fact, the term is introduced for the first time as characterizing what is itself and its opposite in one unity. Only thus is it difference as inner difference, or difference as its own self, or difference as an infinity.15 Inner difference is material incompatibility among items understood to be the items they are solely in virtue of standing in those relations of necessary mutual exclusion. Inner difference is a difference which is no difference, or only a difference of what is self-same, and its essence is unity. The two distinguished moments both subsist [bestehen]; they are implicit and are opposites in themselves, i.e. each is the opposite of itself; each has its ‘other’ within it and they are only one unity.16 Understanding such a holistic unity requires “the distinguishing of what is not to be distinguished, or the unity of what is distinguished.”17 The holistic successor conception to a world of facts – namely, the world as having the structure of infinity – emerges as the lesson of the discussion of the constitutive holistic interrelations of laws. That the simple character of law is infinity means, according to what we have found, a) that it is self-identical, but is also in itself different; or it is the selfsame which repels itself from itself or sunders itself into two. b) What is thus dirempted [Entzweite], which constitutes the parts, exhibits itself as a stable existence but c) through the Notion of inner difference, these unlike and indifferent moments are a difference which is no difference or only a difference of what is self-same, and its essence is unity. The two distinguished moments both subsist; they are implicit and are opposites in themselves, i.e. each is the opposite of itself; each has its ‘other’ within it and they are only one unity.18 We are now to think of the whole as having its differences within it, as an articulating structure essential both to the constitution of the whole and to the constitution of its “self-differentiating” components. Those components can be thought of as particular facts, particular laws, and general laws, provided we do not forget that these cannot be understood as atomistic elements intelligible independently of and antecedently to consideration of the modal relations of exclusion and inclusion in which they stand to one another. If we keep firmly in mind 15 16 17 18

M 161. M 161. M 168. M 161.

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that the topic is a holistically understood system of determinately contentful elements that are determinately contentful, conceptually contentful, just because and insofar as they are articulated by relations of material incompatibility, and hence material inferential relations, we can at least begin to see what Hegel is trying to get across in passages such as this one: This simple infinity, or the absolute Notion, whose omnipresence is neither disturbed nor interrupted by any difference, but rather is itself every difference, as also their supersession; it pulsates within itself but does not move, inwardly vibrates, yet is at rest. It is self-identical, for its differences are tautological; they are differences that are none that very self-identicalness is an inner difference. These sundered moments are thus in and for themselves each an opposite – of an other; thus in each moment the ‘other’ is at the same time expressed; or each is not the opposite of an ‘other’ but only a pure opposite; and so each is therefore in its own self the opposite of itself. In other words, it is not an opposite at all, but is purely for itself, a pure, self-identical essence that has no difference in it. But in saying that the unity is an abstraction, that is, is only one of the opposed moments it is already implied that it is the dividing of itself; for if the unity is a negative, is opposed to something, then it is eo ipso posited as that which has an antithesis within it. The different moments of self-sundering and of becoming self-identical are therefore likewise only this movement of self-supersession; for since the self-identical, which is supposed first to sunder itself or become its opposite, is an abstraction, or is already itself a sundered moment, its self-sundering is therefore a supersession of what it is, and therefore the supersession of its dividedness. Its becoming selfidentical is equally a self-sundering; what becomes identical with itself thereby opposes itself to its self-sundering; i.e. it thereby puts itself on one side, or rather becomes a sundered moment.19 The concept of i n f i n i t y in play here is clearly a holistic one. But should we understand it as holist in the strong sense? It turns out that there is a real question as to whether we even can so understand it.

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M 162.

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IV. Conceptual Difficulties of Strong Holism For Hegel also realizes, what the difficulty of his language perhaps makes manifest: it remains far from evident just how to understand such holistic claims in detail. We will see that one of the primary tasks driving Hegel’s exposition – in particular, the crucial transition from Consciousness to Self-Consciousness – is unpacking the commitments implicit in holist conceptions of content, and assembling the conceptual raw materials needed to explain them. Strong individuational semantic holism asks us to think of conceptual contents – that is, for Hegel, whatever is in any coherent sense determinate – as forming a holistic relational structure. Such a structure would consist of a domain and set of relations of material exclusion defined on that domain. But, further, it asks us to understand the domain elements themselves as constituted by the relations of material exclusion it stands in to other domain elements. The relata are in a sense dissolved into the relations between them. And at this point we have a chicken-and-egg problem: the relations are individuated by their relata, and the relata by the relations they stand in. But relations between what, exactly? The intelligibility of the relations themselves is threatened. Can we really understand relations of incompatibility without any prior grip on what is incompatible? How does the whole thing get off the ground? Once we have eschewed asymmetric relative individuation in favor of the symmetric variety, the strong version of holism threatens to dissolve into unintelligibility. What is supposed to be the very structure of determinateness itself seems wholly indeterminate and unconstrained. The strongly distinguished items are defined in terms of their strong differences. There is an evident danger of circularity involved in trying to individuate some items in terms of others when the situation is symmetric. For in that case those others to which one appeals are themselves only individuated in terms of their relations to the so-far-unindividuated items with which one began. The sort of structure being described threatens to be “unendlich” in the sense that we chase our tails endlessly in search of some firm distinctions and distinguished items to appeal to in getting the process of identification and individuation started. I think there is not just a prima facie problem in making strong individuational semantic holism intelligible, but one that is unsolvable in principle.

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7. Strong individuational semantic holism is not a coherent position. If we are to make good sense of Hegel, we must come to see that, in spite of the ways in which his language repeatedly invites us to attribute this view to him, he is in fact not committed to this sort of strong holism. But we must also, then, see what it is about the view he does endorse that makes these forms of expression tempting. Hegel’s understanding of determinateness – whether thought of objectively, as a matter of how things really are, or subjectively, in terms of our grasp of how things might really be – in terms of modally robust exclusion entails a certain kind of holism. And I have indicated that I think Hegel’s idealism should be understood as motivated in the Phenomenology by being revealed as an implicit presupposition of the intelligibility of that holism. In evaluating the philosophical credentials and significance of Hegel’s idealism, the argument for this claim is of the utmost importance. So it is worth some care to get it right. V. A Bad Argument Unfortunately, the texts that discuss this move – basically, those that describe the rationale for the transition from the consideration of the objects of consciousness, in Consciousness, to the subjects of consciousness, in Self-Consciousness – invite a reading in which only a very weak argument is visible. For Hegel emphasizes from the beginning that consciousness itself must be thought of as having a certain kind of holistic structure: it is a unity that essentially consists in the relation between its distinct subjective and objective poles (what appear for instance as “the immediately self-differentiating moments within perception” (M 111)). And it can look as though what he is saying is that once we discover the holistic character of the objects of consciousness, we see that they resemble consciousness itself in this respect, so that consciousness of everything should be understood on the model of consciousness of objects that themselves have the holistic structure characteristic of consciousness – that is, that we should understand consciousness generally on the model of self-consciousness. I’ll call this the “analogical argument from holism” for the sort of idealism that models consciousness on self-consciousness, thereby underwriting the expository transition from Consciousness to Self-Consciousness. Thus in the penultimate paragraph of Consciousness, after

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the discussion of “infinity” we find this summary of what appears to be the rationale for moving at this point to concern with self-consciousness: Since this Notion of infinity is an object for consciousness, the latter is consciousness of a difference that is no less immediately canceled; consciousness is for its own self, it is a distinguishing of that which contains no difference [Unterscheiden des Ununterschiedenen], or selfconsciousness. I distinguish myself from myself, and in doing so I am directly aware that what is distinguished from myself is not different. I, the selfsame being, repel [abstoßen] myself from myself; but what is posited as distinct from me, or as unlike me, is immediately in being so distinguished not a distinction for me. It is true that consciousness of an ‘other’, of an object in general, is itself necessarily self-consciousness […] consciousness of itself in its otherness […]. Not only is consciousness of a thing possible only for a self-consciousness, but that self-consciousness alone is the truth of those shapes.20 The object of consciousness has the holistic relational structure Hegel calls “infinity”. This is a structure of differences (exclusions) that are canceled or superseded [aufgehoben] in that the identity or unity of the differentiated items is understood as consisting in those relations of reciprocal exclusion. But consciousness itself is such a structure. So consciousness of objects is consciousness of something that has the same structure as consciousness. It is therefore structurally like consciousness of selves rather than objects. Generically, then, it is to be understood as self-consciousness. This is a dreadful argument. If it were intended to show the identity of consciousness and self-consciousness (if that were the intent of the ‘is’ in the claim “consciousness of an ‘other’, of an object in general, is itself necessarily self-consciousness”, it would have the same form as what has been called the “schizophrenic syllogism”: Men die. Grass dies. ______________ ¶ Men are grass. That is, it would illegitimately infer identity from mere similarity. On the other hand, if it is intended merely to show a structural analogy, the 20

M 164.

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situation seems entirely symmetrical. Why should self-consciousness be privileged because of its holistic character as the fixed end of analogy on the basis of which to understand the holistic character of the objects of ordinary consciousness, rather than the other way around? In any case, the analogy does not seem very strong. On the face of it, the relation between subjects and objects in consciousness is asymmetric: there cannot be subjects of consciousness without objects, but the very same things that can be the objects of consciousness (e.g. the physical forces theoretically postulated by natural science) can be there without subjects to be conscious of them. Of course they are not there qua objects of consciousness, but so what? The asymmetry would still seem to be real. Hegel might mean to deny that there is any asymmetry of this sort between the status of subjects and objects of consciousness, but if so he would hardly be entitled to assume such a view in arguing for an idealist conclusion. And there does not seem to be any corresponding asymmetry in the holistic relational structure he has discerned as implicit in the determinateness of the objective world. (One could try to work one up from the asymmetry underlined by the discussion of the inverted world – the asymmetry, namely, between the actual facts about what objects have what properties, on the one hand, and the merely possible instantiations of properties by those same objects that they, as determinate, exclude. But this seems importantly different from the subject-object asymmetry.) If this is right, then the analogy between the underlying holistic structure of the objective world arrived at by the end of Consciousness and the holistic structure consciousness is supposed to have would depend on a very thin and abstract respect of similarity – a slender reed on which to build an idealist edifice. Things would look, if anything, worse if Hegel is relying on his terminology to shore up the comparison. Thus one might seek to appeal to the formula that determinate objective content (say, of a property) is a kind of “dentity in difference”, and then use the same words to describe consciousness. But the mere fact that the same phrase could be used about both surely counts for very little here, especially given the differences just pointed to. Again, the fact that Hegel can say that “in general, to be for itself and to be in relation to an other constitutes the essence of the content”21, and that one could also say that consciousness was both “for itself and in relation to an other” (i.e. essentially involved consciousness of itself and of its object) may just show the 21

M 134.

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flexibility of this somewhat figurative way of speaking, rather than evidencing any very illuminating similarity. Calling the relations something stands in its “being for others” would be a pretty cheap way to buy the right to model the objects of consciousness on the subjects of consciousness, especially in the context of a social theory of selfconsciousness, which explains being-for-self in terms of being-forothers. The point is not that using the same terminology for both cases cannot be earned, or that it cannot be illuminating. The point is that it must be earned in order to be illuminating. At the end of the story, we may see why it is useful to talk this way. But it is hard to see how these tropes by themselves can move that story along. The mere fact that it is possible to talk about the objects of consciousness and consciousness itself in terms that are so generic that we say some of the same things about both is a very weak rationale for the expository transition to SelfConsciousness. The most it would provide is an excuse for a shift of topic, along the lines of saying “Now, let’s look at s e l f - c o n s c i o u s n e s s , since it has come up in the story [...]”. But it would provide no argument at all for any sort of interesting or controversial idealism, and no clarification of such a thesis. If this sort of argument – really a verbal slide that conflates two quite different points, one wholly on the side of objective content (facts, objects, properties), the other about the relation between such contents and knowers – were the best we could find Hegel presenting at this crucial juncture in his account, there would be no reason to take his idealism seriously. VI. Objective Relations and Subjective Processes A good place to start is with a distinction between inferential processes and inferential relations that emerges first in thinking about logic. Gilbert Harman has argued provocatively that there are no such thing as rules of deductive inference.22 For if there were, they would presumably say things like “From p and if p then q, infer q.” But that would be a bad rule. One might already have much better evidence against q than one had for either p or the conditional. In that case, one should give one of them up. What deductive logic really tells us is not to believe all of p, if p then q, and ~q. But it does not tell us what to do inferentially. It merely specifies some deductive relations of entailment 22

Logic and Reasoning, Synthese. 1984; 60, pp. 107-128.

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and incompatibility, which constrain what we should do without determining it. Inference is a process; implication is a relation. Nothing but confusion can result from running together the quite different concepts of inferential processes and inferential relations. What I will call “the Harman point” is 8. One must distinguish, and consider the relations between, inferential relations (and hence relational structures23) and inferential processes. He makes the point in connection with formal deductive logic, but it has broader applicability. In particular, Hegel’s term “Schluß” exhibits just this relation/process ambiguity. It is usually translated “syllogism”, on the perfectly reasonable grounds that “Schluß” is the term historically used in Germany to discuss Aristotelean syllogistic inferences. And there are places, particularly in the Science of Logic discussion of the forms of syllogism, where this is the only proper translation. But the term means inference more generally. And while it is clear that sometimes he is talking about the relations between the different elements of a classical syllogism – for instance, about having the status or playing the role of a middle term – as we shall see, it is also clear that sometimes he is talking about the movement from the premises to the conclusion.24 (Related terms, such as “mediation” [Vermittlung] take similar double senses.) Indeed, one of his major concerns, I shall argue, is with the relation between inferential relations and inferential practices or processes. As we have seen, Hegel has a deeper notion than that of material inference, namely material incompatibility. The only sorts of inference Hegel considers as contributing to determinate conceptual content are the modally robust ones that derive from relations of exclusion. Taking material inferential relations (mediation, schließen) to be grounded in material incompatibility relations (determinate negation, ausschließen) suggests a generalization of the Harman point, to relational structures defined by exclusion, and (so) by necessitation. Hegel’s version of the Harman point accordingly is something like To begin with, grounded ones. This fact is sometimes obscured for those reading the Phenomenology in English translation, since “syllogism”, unlike “Schluß”, doesn’t have a naturally associated verb form. In the Science of Logic, Hegel often explicitly uses the phrase “Verlauf der Schlüsse” (e.g. at SL II 597). 23

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9. In thinking about determinateness in terms of material incompatibility, and so in terms of inference, we should also distinguish between relations and processes. I think it is helpful to construe the distinction between the objective incompatibility of situations, properties, states of affairs, or the determinate elements of an “infinite” holistic conceptual relational structure, on the one hand, and the subjective incompatibility of commitments, on the other hand, on the Harmanian model of relations and processes (or practices). The process on the subjective side of certainty that corresponds to the relation of incompatibility of facts or properties on the objective side of truth is resolving incompatible commitments, by revising or relinquishing one of them. As a version of the point was put above, objectively incompatible properties cannot characterize the same object (objectively incompatible facts cannot characterize the same world), while subjectively incompatible commitments merely ought not to characterize the same subject. Any case where they do is a case of error, the acknowledgment of which (as Hegel has argued in the Introduction) is what taking one’s commitments to be answerable to an objective world (in the sense constitutive of treating them as representations of such a world) consists in. But to acknowledge an error, that is, to acknowledge the incompatibility of two of one’s commitments, is to acknowledge an obligation to do something, to alter one’s commitments so as to remove or repair the incompatibility. I think that the idealism that emerges from the expository transition from Consciousness to Self-Consciousness claims, broadly, that one cannot understand the relations of objective incompatibility that articulate the conceptual relational structure in virtue of which the objective world is determinate, unless one understands the processes and practices constituting the acknowledgment of the subjective incompatibility of commitments that are thereby treated as representations of such a world – in the sense of being answerable to it for their correctness. Such a view about the relation between subjective cognitive processes and the relations that articulate potential objects of knowledge involves extending the Harman point along another dimension. It requires not just that there be a distinction between conceptual relations (paradigmatically, material inferential and incompatibility relations) and conceptual processes (of belief and concept revision), but further, that grasp of the relations consists in engaging in the corresponding processes. This view is a more specific version of

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10. Conceptual pragmatism: grasp of a concept (conceptual content) is a practical capacity, mastery of a practice, or the capacity to undergo or engage in a process; it is the capacity to do something. (Sellars propounds a linguistic version of conceptual pragmatism, in claiming that grasp of a concept is always mastery of the use of a word.) Applied to the case in hand, understanding the objective relation of determinate negation or material incompatibility, which provides the most basic structure of the conceptual, is acknowledging in practice a subjective obligation to engage in the process of resolving incompatible commitments.25 Read back into the very simple Harman case with which we began, endorsement of conceptual pragmatism supports a stronger claim than Harman makes: the claim that one does not understand the concept of deductive implication relations unless one understands them as constraints on inferential processes of rationally altering one’s beliefs. This the idea that what it is for the relations in question to be implication relations just is for them to play a certain role in constraining rational belief change. Endorsing this thought is moving beyond the original point. For Harman does not say that what it is for one proposition to stand in a relation of implying or entailing another just is for certain inferential moves and not others to be correct or appropriate (and vice versa). He does not take the process of grasping inferential relations to be an essential defining element of what those relations are.26 VII. Sense Dependence, Reference Dependence, and Objective Idealism It will be helpful here to introduce some definitions. 11. Concept P is sense dependent on concept Q just in case one cannot count as having grasped P unless one counts as grasping Q.

25 As Hegel says at Encyclopedia § 555: “The subjective consciousness of the absolute spirit is essentially and intrinsically a process [...].” 26 This relation should be understood as symmetrical and reciprocal: one also does not understand the idea of purportedly representational commitments, and so i n c o m p a t i b i l i t y subj , unless one also understands the idea of a determinate world whose determinateness means that it can be other than as it is represented. This is an idea articulated by relations of i n c o m p a t i b i l i t y obj.

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12. Concept P is reference dependent on concept Q just in case P cannot apply to something unless Q applies to something.27 A paradigmatic sense dependence claim is Sellars’ classic argument in Empiricism and the Philosophy of Mind that one cannot master the use of ‘looks’ talk without having mastered the use of ‘is’ talk. The concepts n a i l and h a m m e r may be related like this: one cannot understand what a nail is – something meant to be driven by a hammer – without understanding what a hammer is.28 One important point to keep in mind is 13. Sense dependence does not entail reference dependence. That is, even if the concept n a i l is sense dependent on the concept h a m m e r , it would not follow that it was impossible for there to be nails without there being hammers to drive them. (Maybe the nails were invented first, or all the hammers were destroyed.29) The point is clearest if we look at intensions and extensions in a possible worlds framework. Consider a property or intension defined by a de re comparison: b e i n g m o r e m a s s i v e t h a n t h e E a r t h ’ s s u n ( i n f a c t ) i s . (Calling it a “de re” comparison just marks the familiar distinction of scope: in evaluating its application, one first determines the mass of the Earth’s sun in this world, and then compares it to the mass of bodies in other possible worlds.) Now I take it that this intension is intelligible only in the context of another: t h e m a s s o f t h e E a r t h ’ s s u n . No-one who did not understand the latter could count as understanding the former. (Of course, understanding the concept does not require knowing what the mass of the Earth’s sun is in the sense of being able to specify a number of kilograms or pounds.) And this is not just a point about understanding. It is a point about the intensions themselves: one is defined in terms of (as a function of) the 27 This might be called ‘coarse’ reference dependence, which claims only that if one property is instantiated somewhere in a world, the other is instantiated in that same world. ‘Fine’ reference dependence would then claim that if some object instantiates the one property, that same object instantiates the other. t e a c h e r and s t u d e n t are (given some straightforward stipulations) related in the first way, while s q u a r e and r e c t a n g l e are related in the second. 28 Since hammers are meant to be used to do many things besides driving nails, the relationship would not be reciprocal in this case. 29 I’m not sure whether Heidegger was confused on this point in Division One of Being and Time, but certainly some of the commentators on the “equipmental involvements” that structure Zuhandensein have failed clearly to distinguish the two claims I am calling “sense dependence” and “reference dependence”.

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other. But it is clear that there could be stars that have the property being more massive than the Earth’s sun even though they are in possible worlds in which the Earth and its sun never formed. That is, the dependent intension can be instantiated even though the intension it depends upon is not. Another example: the property being produced by a reliable beliefforming mechanism is conceptually dependent on that of being a true belief, because to be a reliable belief-forming mechanism is to produce beliefs that are likely to be true. But a belief can exhibit the dependent property without exhibiting the property it is conceptually dependent on – it can be produced by a reliable mechanism without being true. From the fact that P2 is defined as an intension that is a function of the intension of P1, it simply does not follow that wherever P2 is instantiated, so is P1. Definitional dependence of intensions does not entail de facto dependence of extensions. If one first extends the Harman point from formal logic, and applies it also to material inferential and incompatibility relations, and then strengthens it into commitment to a kind of conceptual pragmatism, what one gets is a characteristic kind of reciprocal sense dependence claim: 14. One can only understand the concept of a determinate objective world to the extent to which one understands subjective process of acknowledging error – what Hegel calls ‘experience’ – which is treating two commitments one finds oneself with as incompatible. I think one should understand the strand in Hegel’s idealism we might call objective idealism as codifying this genus of reciprocal sense dependence between the realm of truth and that of certainty. Given Hegel’s most basic concept, a slightly more articulated version is: 15. Objective Idealism: The concepts of i n c o m p a t i b i l i t y obj and i n c o m p a t i b i l i t y subj, and therefore the concepts of an o b j e c t i v e l y d e t e r m i n a t e w o r l d , on the one hand, and of e r r o r , and e x p e r i e n c e – which characterize the process of resolving incompatible commitments – on the other, are reciprocally sense dependent. For Hegel, the conceptually fundamental reciprocal sense dependence is that between i n c o m p a t i b i l i t y obj and i n c o m p a t i b i l i t y subj, epi-

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tomized in the different senses in which objects and subjects “repel” incompatibilities, respectively of properties and of commitments.30 But the force of the claim is probably clearer for us if we consider its applicability to what Hegel takes pains in Consciousness to show are phenomena definable in terms of those incompatibilities: o b j e c t and p r o p e r t y , f a c t , and l a w (or n e c e s s i t y ). In fact, these are three examples of objective idealist theses that I think can and should be defended on their own merits by contemporary conceptual pragmatists.31 First, the concepts s i n g u l a r t e r m and o b j e c t are reciprocally sense dependent. One cannot understand either without at least implicitly understanding the other, and the basic relations between them. Only people who know how to use singular terms can pick out objects and distinguish them from properties, situations, or states of affairs. And one cannot master the use of singular terms without understanding that they stand for objects. Kant’s version of idealism depends in part on his understanding of the relation between our judgments being about objects and their containing (directly or indirectly) singular representations. Frege (who would be no less horrified by the appellation “idealist” than any of our contemporaries – but who also had perhaps no less flat-footed an understanding of what the German idealists were after) argues vigorously and cogently for at least one direction of sense dependence, of o b j e c t on s i n g u l a r t e r m (that is, the direction that is most important for idealists), in the Grundlagen. Second, the concepts a s s e r t i n g and f a c t are reciprocally sense dependent. That facts can be the contents of assertions, judgments, beliefs – that they are claimable, thinkable, believable – is an essential feature of them. One does not know what a fact is unless one understands that they can be stated. This line of thought is opposed to an explanatory strategy that would start with objects, and try to construe facts as arrangements of objects – what might be called the “tinkertoy” picture of facts. One would then go on to understand sentences as a special kind of complex representation, one that represented not objects, but objects as characterized by properties and standing in rela30 Though both of these structures are eventually aufgehoben in favor of something even more holistic, the ‘infinite’ holistic incompatibility relational structure of the end of Consciousness, and situated, embodied communities, by the end of Reason. 31 I have defended the first two explicitly in Making It Explicit, and also there set out some of the raw materials that would need to be assembled to back up the third, Sellarsian claim.

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tions. (The Tractatus is often misread as promulgating a view of this sort.) I think such an approach is doomed to failure at making propositional contents as such intelligible. The evident difficulties this strategy has with modal facts, probabilistic facts, and normative facts, for instance, are merely the surface manifestations of the deeper difficulties in making the notion of p r o p o s i t i o n or f a c t intelligible in a context in which one is not also taking into account what it is to use an expression as a declarative sentence. My aim here, however, is not to argue for this sense dependence claim, but merely to place it relative to a contrary approach to things, and to suggest that it is not a view that ought to be dismissed out of hand. Third, the concepts n e c e s s i t y and l a w , on the one hand, and c o u n t e r f a c t u a l l y r o b u s t i n f e r e n c e on the other, are reciprocally sense dependent. Sellars has argued for the more controversial direction of sense dependence, on the basis of his conceptual pragmatism: one has not grasped the difference between lawlike regularities and mere regularities unless one understands that the former, but not the latter, support counterfactual reasoning. (Hegel’s version is the connection between l a w and e x p l a n a t i o n , which stand to each other roughly as do the concepts p e r c e p t i b l e p r o p e r t y and a c k n o w l e d g i n g e r r o r .) In assessing these claims about the sense dependence of concepts that articulate our understanding of the structure of the objective world on concepts pertaining to our cognitive and practical activities, it is important to keep firmly in mind that sense dependence does not entail reference dependence (claim (14) above). The claim is not that if there were no cognitive activity – no resolving of subjectively incompatible commitments, no use of singular terms, no asserting, no counterfactual reasoning – then there would be no determinate way the world is, no objects, facts, or laws. There is not the slightest reason to believe that Hegel thought any such thing. Certainly making the sense dependence claims that I take to constitute objective idealism does not commit him to such an idea. It may be helpful in clarifying this crucial feature of idealism to focus on a less controversial case that is somewhat analogous to objective idealism, in that it involves the sense dependence of properties of objective things on subjective activities. Consider response dependent properties. By this I mean properties defined by their relation to the responses of something else. The general form of such a definition might be this:

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An object has property P just in case a creature of kind K would (in circumstances of kind C) respond to it with a response of kind R. To say that P is a response dependent property in this sense entails that it is sense dependent (by definition) on other concepts, notably R, the response, (as well as K and C). One could not understand what property P is unless one also understands what the response R is. It doesn’t matter for our purposes here just what properties are properly thought of as being response dependent in this sense. It is plausible that the property humorous or funny is a property of this sort; a remark or event is humorous or funny just in case the right people (those with a sense of humor) are disposed in appropriate circumstances to take it to be funny, that is, to laugh at it. Some have thought that beautiful is a response dependent property. The notion of response dependence has also been forwarded as an analysis of secondary quality concepts picking out properties such as red: to be red just is to be such that properly sighted creatures respond to it in a certain way, by having a certain kind of experience, by its looking red to them.32 Regardless of whether any of these particular potentially philosophically puzzling sorts of properties are best thought of as response dependent, the concept of response dependent properties is clearly a coherent one. And it should be equally clear that it does not follow from a response dependent definition of the form above that in a world that lacks creatures of kind K, responses of kind R, or circumstances of kind C, nothing has the property P. For things might still have the dispositional property (counterfactually, in the cases imagined), that if they were placed in circumstances C, and there were creatures of kind K, those creatures would produce responses of kind R. Even if response-dependent analyses of the sort gestured at above were correct for concepts such as b e a u t i f u l and r e d , it would not follow that there were no beautiful sunsets or red things before there were creatures to respond to them as such, or that there are not such things in worlds that are never shared with such creatures. In the same way, and for the same reason, the objective idealist subjective-objective sense dependence claim does not entail that there would be no objects, facts, laws, or (to sum these all up 32 Of course, those who are sufficiently impressed by Sellars’ analysis of the relation between l o o k s - r e d and i s - r e d , in Empiricism and the Philosophy of Mind, will not be much tempted by such an account. But a more sophisticated analysis of secondary quality concepts is available to them. I discuss one in Non-inferential Knowledge, Perceptual Experience, and Secondary Qualities: Placing McDowell’s Empiricism, forthcoming.

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in Hegel’s master concept) objective incompatibilities (and hence a determinate objective world) unless and until there were singular term uses, assertions, practices of drawing conclusions from counterfactual situations, or activities of attempting to resolve incompatible commitments. Such a claim would be crazy (or at least, both obviously and demonstrably false). But no claim of that sort is a consequence of objective idealism as here adumbrated. VIII. Beyond Strong Holism: a Model With these conceptual raw material in hand, we are in a position to be somewhat clearer about individuational holism. Earlier I distinguished two grades of holistic commitment: according to the weaker one, relations among holistically individuated items are necessary for them to be determinate, and according to the stronger one, they are sufficient. But now we can ask: should Hegel’s holism – whether understood as strong or as weak – be understood as a sense dependence claim, or a reference dependence claim? Hegel’s answer is clear: 16. Individuational holism is a reciprocal sense dependence claim. Understanding it as a reciprocal reference dependence claim would be making the mistake of the First Inverted World33: thinking that because an object’s being determinate is intelligible only in terms of its exhibiting properties that are each themselves determinate in virtue of their modally robust exclusion of other, strongly contrasting properties, that therefore where one property is possessed by an object, the contrasting ones must also be possessed by that or other objects. The conception of the Inverted World is what results if one mistakenly thinks that because the exclusive contrast between being positively charged and being negatively charged is essential to each being the determinate electrical property that it is, that therefore in saying that one thing is actually positively charged one must implicitly be claiming that some other, corresponding thing is actually negatively charged. Hegel invokes this flat-footed way of misconstruing the significance of the holism that follows from his understanding of what determinateness consists in – in a portion of his text that many have

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M 157–160.

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found puzzling – in order to mark the necessity for a more nuanced construal of just what that holism does involve. Notice that on this account, 17. Objective idealism is itself the assertion of a reciprocal sense dependence relation, and hence a kind of holism. The looming problem we have identified concerns strong individuational holism: the case where all there is to appeal to in individuating elements of a holistic relational system are the relations they stand in to each other. The examples I offered of clearly intelligible sense dependence without reference dependence, where one intension is a function of another (paradigmatically as in response dependent properties) did not involve reciprocal, but only asymmetric sense dependence. One intension is taken as already specified, apart from its relations to others. Strong holism asks us to do without such antecedent, independent individuation of the items that stand in sense dependent relations of modally robust exclusion. And my claim was: without antecedent relata, we cannot really understand the relations (and so the relata). As we will see, immediacy plays a crucial role in Hegel’s distinctive kind of holism. So in the end, it is a distinctive kind of weak, not strong holism, that characterizes the “infinite” relational structures within which alone anything can be understood as having determinate conceptual content, which is accordingly a version of the weak, not strong sort. The passages that seem to commit him to strong holism should be understood rather as corresponding to one (ultimately inadequate) phase in the process of grasping or understanding a holistic relational structure. For, as conceptual pragmatism would lead us to expect, making holistic relational structures intelligible requires engaging in a fairly specific sort of process. The relations between the holistic relational structure and that process can then be seen both to instantiate and to support the objective idealism that results from extending and supplementing the Harman point. This, I think, is the ultimate shape of Hegel’s argument for objective idealism in the first part of the Phenomenology: determinateness requires a kind of holism, and that holism is intelligible only on the hypothesis of objective idealism. Here is one way to think systematically about holistically individuated roles that items play with respect to a set of relations: Start with some already identified and individuated signs, say proposition letters. These are things we can immediately distinguish, that is, noninferen-

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tially discriminate or tell apart. But initially, we assume nothing about their content. That they are discriminably different is enough.34 Next, we look at relations among them. As an example, consider the relation two sign kinds p and q stand in if in some community, tokening both of them is subjected to a distinctive sanction.35 One can then define the roles played by signs with respect to that relation – for instance, by associating with each sentence letter the set of sentence letters that stand in the first, practical-incompatibility, relation to it. We can think of such a set of incompatible sentence letters as a kind of incompatibility content that is expressed by the sentence letter it is associated with. And then we can define new relations on these roles or contents that are induced naturally by the relations on the signs they comprise. For instance, content-incompatibility relations among the roles will shadow practical incompatibility among the underlying signs. But we can also define entailment relations among the contents, by p (the content expressed by ‚p’) entails q just in case q is a subset of p. Roles defined this way are abstracted from the underlying signs in a way somewhat analogous to orthodox mathematical abstraction by the formation of equivalence classes.36 Such abstract roles are identified and individuated entirely by relations. If we squint just enough not to distinguish the two levels of relations (the latter definable entirely in terms of the former), then the roles would appear to be identified and individuated wholly by the relations they themselves stand in to each 34 Doing this need not be assuming that the notion of immediate difference is autonomously intelligible. There will always be some actual content to the difference: the sign designs exhibit incompatible shapes, for instance. But we can abstract from that content and employ in our reasoning only some of its consequences: the mere difference of the signs. As Hegel says in the Encyclopedia Logic (§ 115): “Abstraction is […] the transformation of something inherently concrete into this form of elementary simplicity. And this may be done in two ways. Either we may neglect a part of the multiple features which are found in the concrete thing (by what is called analysis) and select only one of them; or, neglecting their variety, we may concentrate the multiple character into one.” 35 The sanction might be being (counted as being) obliged to do something that one would not otherwise be obliged to do – for instance, to alter the conditions under which one is disposed to produce tokenings of other signs in the domain in systematically (systematizably) constrained ways. In this example, the relations are generically socially instituted normative relations of relative practical incompatibility of act kinds. But this is just an example (though not chosen at random). 36 Abstraction in the usual sense requires an equivalence relation on the underlying domain, while the variety considered here relies on an nonreflexive, nontransitive relation. (Indeed, it need not even be considered as symmetric, though Hegel seems to treat determinate negation as symmetric.)

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other. That is the paradoxical formulation of strong holism. But if we do keep track of the (somewhat subtle) distinction of levels, we see that there need be nothing paradoxical about defining an abstract relational structure of roles by such a three phase process. However, the only way to pick out the roles and their relations is by engaging in the process that proceeds through the recognition of the signs and their relations at the lower level. This is a sense dependence relation: what it is to be an incompatibility role (at the second level) is defined in terms of relations on signs (at the first level). The symmetric sense dependence at the second level depends on the asymmetric sense dependence of the second level on the first. IX. Traversing the Moments: Dialectical Understanding Here is where I think the two-level model of holistic role formation can help in understanding Hegel: 18. The process of grasping or understanding holistically identified and individuated items is what Hegel calls “traversing the moments”.37 Because of the holistic character of the conceptually articulated objective determinate contents it must grasp in order to know the world as it is, consciousness must be posited in a two-fold manner: once as the restless movement [Bewegung] to and fro through all its moments [welches alle seine Momente durchläuft], aware in them of an otherness which is superseded in its own act of grasping it; and again, rather as the tranquil unity certain of its truth.38 Understanding objective idealism requires understanding the relation between the “restless movement to and fro through all the moments” on the subjective side, and the content on the objective side that is grasped thereby.

37 “Traversing” is Miller’s translation of “durchlaufen” – literally, running or walking through. See for instance (M 47), where Hegel says that the topic of philosophy is “existence within its own Notion. It is, and this whole movement constitutes what is positive the process which begets and traverses its own moments [in it] and its truth.” (Emphasis added.) 38 M 237.

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In essence, the object is the same as the movement: the movement is the unfolding and differentiation of the two moments, and the object is the apprehended togetherness of the moments.39 What, then, are the “moments” of the holistic structure, articulated by objective, modally robust relations of exclusion and (so) inclusion, which Hegel thinks we must “traverse” in order to grasp the world as determinate? And what sort of “movement” is it that we are to perform? What do we need to do in order to count as “traversing the moments”? Almost everything Hegel wrote is structured by some version of this conceptual progression. In his hands, the basic thought is a flexible one, which he adapts to many disparate topics and circumstances. So it is not easy to come up with a formula that will do justice to them all. But the basic outlines of the thought are not hard to discern. We start with two “moments” or aspects that can be abstracted from a determinately contentful thought or way the world could be. These are variously characterized: identity and difference, immediacy and mediation, being-for-self and being-for-others.40 Traversing the moments is how one understands the relations between these concepts and that of determinateness according to the metaconcept of Ve r n u n f t . Thinking that one can first understand the logical notions of, say, i d e n t i t y and d i f f e r e n c e , and then somehow put them together to get an adequate conception of d e t e r m i n a t e n e s s is how one understands the relations between these concepts and that of determinateness according to the ultimately unsatisfactory and unworkable metaconcept of Ve r s t a n d . “Running through” the two moments yields three stages, one corresponding to each moment, and the third to the distinctive way of understanding their combination and relation that is the goal and result of the process. What one does at each of those stages is, in Hegel’s terminology, to “posit” [setzen] something determinate as, for instance, simply immediate being. Doing that is understanding it according to the conception of simple identity or being-for-self. “Positing X as Y” means taking or treating X as Y, understanding or representing X as Y, applying the

M 111. “Force is the unconditioned universal which is equally in its own self what it is for another; or which contains the difference in its own self – for difference is nothing else than being-for-another.” (M 136) “Being for another” is Hegel’s way of talking about relations – in the case that matters, relations of strong exclusion. 39

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concept Y to X, characterizing a referent X as picked out by a sense Y, specifying an extension X by means of an intension Y.41 Hegel envisages an expressively progressive transition from one construal to another of the objects of knowledge, each of which presupposes those that come before it. It can be illustrated to begin with by the course of thought we go through in understanding properties as holistically identified and individuated – the first category in which this point comes up. We can see our understanding of properties as comprising three stages: A. First, one grasps the property as immediately contentful. It is just the thing it is, brutely there. To say that one initially understands it as objectively immediate is to say on the objective side that one has an atomistic conception of it. One takes it to be possible for that property to be what it is apart from its relations to other properties. Thus, on the subjective side, one need not consider those relations or those other properties in order to judge that something has the property. The properties in play are restricted to sense universals, that is, to observable properties – those about which one can make judgments that are subjectively immediate in the sense of being noninferentially elicited in observation. These play the role of the primitively individuated signs at the first stage of holistic role abstraction. Thinking about these apart from the subjective incompatibility relations among those commitments is thinking about the objective world they present as itself consisting in observable states of affairs that are objectively immediate in the sense that the things presented in sensation are taken as being what they are apart from any relations among them. This is a position that is unstable, however. For it does not include a coherent conception of what one grasps as determinately contentful. Beginning to make explicit what is implicit in such a conception requires moving to the next stage, by considering the next “moment”. That is B. Next, one sees that the property is determinate only insofar as it strongly differs from other properties, excluding them in the sense that it is impossible for one object (at one time) to have two properties that are incompatible in this sense. At this point, one has moved away from considering the property in terms of its immediate identity or unity, to 41 Hegel sometimes – I think, less happily – talks about the situation in which one posits, say, properties now as immediate and again as mediated, as one in which the same content (a determinate property) shows up in two different forms.

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considering its relations to, mediation by, difference or disparity from other properties. At this stage, relations of subjective incompatibility among the commitments are considered. They present relations of objective incompatibility among the states of affairs represented by the original commitments. Doing this, Hegel says, is moving out (in thought) from the thing (here, property) into its other. Being-for-self has dissolved into being-for-others. The property is now understood exclusively in terms of its relations to, in particular (given the relations of material incompatibility Hegel has argued articulate determinateness) its determinate strong differences from other properties. This is the dissolution of the original conception of the identity of properties as immediate, without yet putting in place any stable successor conception of identity. It, too, is unstable, because positing the property as – understanding it just in terms of – mediation, exclusion, relation to others puts the relations in place without yet providing the conceptual resources to make sense of the relata. This is essentially the position I gestured at above, as threatening to leave us with no ultimately intelligible conception of properties (facts, “forces”, etc.) as elements in a holistic relational structure articulated by relations of determinate exclusion. Put slightly differently, the first stage asks us to understand properties as contentful independently of the relations among them: as each picked out by senses independent of one another. The second stage is then a strong construal of them as reciprocally sense dependent. But how are we to make sense of this? If none of the senses, as it were, start off as determinate, how can distinctions among them (among what?) make them determinate? The conception of reciprocal sense dependence threatens to send us around in (infinite!) circles, without making progress on determining the content of any of the senses we run through. How are we to understand the whole thing as getting off the ground? The model of holistic role abstraction tells us exactly how we must combine the first two conceptions (content as immediate and content as strongly holistic) to yield a third. We must reconceive the things we are talking about – here properties – in such a way that the immediacies that became first available are construed as signs, expressing a reality articulated by the relations that we first understood at the second stage. It is relations among these roles that can be played by what is immediate that should ultimately be understood as standing in holistic relations one to another. C. In the final stage, then, one returns to the determinate content of the property, but now understands its identity as essentially consisting

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in its relations of exclusion of or difference from those it contrasts with (as well as its relations of inclusion to those it entails or that entail it). Where before one treated the determinate content as something merely immediate, and then as something merely mediated, one now grasps it as fully mediated immediacy.42 One sees its being-for-self as consisting in its being-for-others. Thus at this stage we construct the roles and the new relations among them, which are taken to be expressed by the immediacies considered in the first stage. The underlying only theoretically (that is inferentially, i.e. by mediation) accessible reality is expressed by the observationally (noninferentially, i.e. immediately) accessible appearance, which serves as a sign of it. These determinately contentful roles are constituted entirely by their relations to one another – but these are the higher-order relations induced by the lowerlevel relations on the signs (immediacies). The final stage is a conception of the property as “infinite”, as a holistic role with respect to relations of material incompatibility or exclusion, but one to which the immediacy of the sense universals makes an essential contribution. The subjectively immediate commitments acquired noninferentially through sense perception are now understood as presenting an objective world whose immediacy (brute thereness) is merely a sign, an appearance expressing a richly mediated determinate, and therefore holistic structure. This is not a picture which has the immediacy as a mere sign for something else, a content. That would be a representational, not an expressive model. An immediacy-as-sign is imbued with the content it expresses; it shows up as itself, an immediacy as mediated – as it must be to be determinately contentful. The inferential and incompatibility relations that make such immediacies revelatory of only inferentially accessible, theoretical features of reality is not a passage beyond itself to something else, but only to something implicit (in a straightforward inferential sense) in it, in the content it has. This third stage, the holistic “infinite” conception we are ultimately aiming at, is made intelligible only by the process of arriving at it. For one must build the holistic roles in stages, starting with something construed as immediate, and then investigating the mediation implicit in taking it to be determinate. 42 “In the consummation of the syllogism […] where objective universality is no less posited as totality of the form determinations, the distinction of mediating and mediated has disappeared. That which is mediated is itself an essential moment of what mediates it, and each moment appears as the totality of what is mediated.” (SL 703.)

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Here is another of the many passages in which Hegel describes this fundamental process (and I hope by this point in our story he can be heard struggling here to say something that we can now put in somewhat clearer terms): The movement of a being that immediately is, consists partly in becoming an other than itself, and thus becoming its own immanent content; partly in taking back into itself this unfolding (of its content) or this existence of it, i.e. in making itself into a moment, and simplifying itself into something determinate. In the former movement, negativity is the differentiating and positing of existence; in this return into self, it is the becoming of the determinate simplicity.43 This “movement” is what we must rehearse in order to trace the relations that articulate the sort of determinate content Hegel calls “individuality”. “Negativity” appears here in its characteristic double guise: on the objective side, in the form of relations of modally robust material exclusion, and on the subjective side as movement, as the doing of something, the alteration of commitments that is the grasping and acknowledging of the significance of those relations.44 Looking back from the perspective achieved in Absolute Knowledge, Hegel sums up in this way the conception we are supposed to have: Thus the object is in part immediate being, or, in general, a Thingcorresponding [entspricht] to immediate consciousness; in part, an othering of itself, its relationship or being-for-another, and being-for-itself, i.e. determinateness-corresponding to perception; and in part essence, or in the form of a universal-corresponding to the Understanding. It is, as a totality, a syllogism [Schluß] or the movement [Bewegung] of the universal through determination to individuality, as also the reverse movement from individuality through superseded individuality, or through determination, to the universal. It is, therefore, in accordance with these three determinations that consciousness must know the object as itself (emphasis added).45 This, then, is the framework of Hegel’s idealism, providing the context in which are situated both more specific idealist claims I have sugM 53. Here, as often, he talks about this movement as something that happens, rather than something we do. But that is just a way of emphasizing that all we are doing in moving this way is bringing out into the explicit light of day what is implicit in each conception we entertain. The path of the movement required to understand them is accordingly determined by the holistic, relational nature of the conceptual contents we are grasping. 45 M 789. 43 44

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gested (concerning the relations between the concepts of s i n g u l a r t e r m and o b j e c t , of a s s e r t i o n and f a c t , and c o u n t e r f a c t u a l r e a s o n i n g and l a w ) and the generic Hegelian reading of objective incompatibility in terms of experience: the process of resolving incompatible commitments. The objective world is a holistic relational structure, determinate just insofar as it is articulated by modally robust relations of material incompatibility. Such a conceptual structure is in principle intelligible only by means of a process of traversing the moments: holistic role abstraction ascending from immediacy through mediation to immediacy as expressive of purely mediated contents. The determinateness of the objective world and the structured process of grasping it are reciprocally sense dependent concepts, each intelligible only in terms of the other. So understood, objective idealism does not entail or involve any claims of reference dependence – as though our concept using activity were required to produce, as opposed to being required to make intelligible, the conceptually structured world. The thought that that world is always already there anyway, regardless of the activities, if any, of knowing and acting subjects, has always stood as the most fundamental objection to any sort of idealism. It is a true and important thought; but it is not an objection to Hegel’s objective idealism, as here construed. X. Conclusion I have argued: – that understanding the objective world as determinate for Hegel entails that it must be understood as a holistic relational structure; – that there is a prima facie problem with the intelligibility of strongly holistic relational structures; – for the strengthened Harman point, a specific kind of conceptual pragmatism, about construing the relation between objective relations and subjective processes; – for an understanding of idealism as a sense dependence relation of objective determinateness on subjective processes of resolving incompatible commitments; and – for an understanding of holism also as a sense dependence relation. Hegel’s claim is then that the only way to make h o l i s m , and so d e t e r m i n a t e n e s s , intelligible is objective i d e a l i s m .

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It then remained only to say what subjective process can make intelligible objective weakly holistic semantic relational structures. For that I offer a model: holistic role abstraction, beginning with signs, and ending with roles played by those signs, or contents expressed by them, thought of in terms of higher order relations among sets of those signs. So objective idealism – a sense dependence thesis relating the concept of objective holistic relational structures to the concept of a certain kind of subjective process – emerges as a response to conceptual difficulties attendant on the conception of strongly holistic relational structures. Disentangling issues of sense dependence from those of reference dependence shows idealism as a respectable and potentially defensible response to genuine conceptual problems. An unforeseen bonus of this way of approaching things is the provision of a novel (though admittedly telegraphic46) account of the dialectical method that structures all Hegel’s philosophical accounts. That method responds to the need to understand holistic structures by traversing the moments, by starting with conceptions of what things are immediately or in themselves, then moving to grasp them as what they are mediately or for others, and then to understand what they are in themselves as constituted by what they are for others, as mediated immediacy. Not only objective idealism, but Hegel’s distinctively structured dialectical process of understanding emerge as required to understand the (weakly) holistic relational structures that Hegel takes to be implicit in the notion of a world that is determinately one way rather than another. Situating a central strand of Hegel’s idealism47 in this structure, it 46 Particularly noticeably by its absence in this sketch is an account of how the subject’s engaging in the process of revising the commitments it finds itself with in response to their material incompatibilities underwrites understanding them as presenting (representing, being about, answering for their correctness to) a world articulated by objective relations of material incompatibility. Hegel begins to tell such a story in the Introduction to the Phenomenology. It is an account of how the representational dimension of concept use emerges from the process of rectifying one’s commitments, about how concern with reference emerges from concern with sense and the sorts of sense dependence considered here. I tell that story elsewhere. 47 Another strand is what I call “conceptual” idealism. I understand absolute idealism as roughly the product of objective and conceptual idealism. Conceptual idealism is the sort discussed in my essay Some Pragmatist Themes in Hegel’s Idealism, under the slogan “The structure and unity of the concept is the same as the structure and unity of the self-conscious self.” From the point of view of the current essay, it is what one gets by applying the strengthened Harman point one more time, and construing subjective processes and objective relations, not as standing to each other as elements in a relational structure, but as aspects of a process. This is construing how things stand

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seems to me, sheds light both on his thought and on the issues he thought about.48

between objective relations and subjective processes, as modeled on the processes of subjects, rather than the relations of objects. It is within this process that the “for others” of the second stage comes to encompass relations between the objective and the subjective. But that is another story. 48 I am grateful to John McDowell for helping me to separate out distinct threads in this argument and to see just how to characterize the view I am attempting to reconstruct and attribute to Hegel.

ROBERT B. PIPPIN (CHICAGO)

HEGELS BEGRIFFSLOGIK ALS LOGIK DER FREIHEIT 1. Meine Frage lautet, was Hegel eigentlich meint, wenn er sagt: „Im Begriffe hat sich daher das Reich der Freiheit eröffnet.”1 Wir müssen uns dieser Frage stellen, weil Hegels eigene Erklärung dieser Behauptung alles andere als transparent und klar ist. Seine Erläuterung sieht wie folgt aus: „Er ist das freye, weil die an und für sichseyende Identität, welche die Nothwendigkeit der Substanz ausmacht, zugleich als aufgehoben, oder als Gesetzseyn ist, und diß Gesetztseyn als sich auf sich selbst beziehend, eben jene Identität ist. Die Dunkelheit der im Causalverhältnisse stehenden Substanzen für einander, ist verschwunden, denn die Ursprünglichkeit ihres Selbstbestehens ist in Gesetztseyn übergegangen, und dadurch zur sich selbst durchsichtigen Klarheit geworden; die ursprüngliche Sache ist diß, indem sie nur die Ursache ihrer selbst ist, und diß ist die zum Begriffe befreyte Substanz.“2 Da der in Frage stehende Übergang derjenige von einer „objektiven” zu einer „subjektiven” Logik ist, bzw. derjenige von der Dunkelheit einer Vorstellung objektiver Relationen, die (erfolgloser Weise) in Unabhängigkeit von den Urteils- und Schlußfolgerungsprozessen des Subjekts verstanden werden, zu einem neuen Verständnis von Substanz als eines „Gesetztseins” ist, steht Hegels Idealismus selbst zur Debatte und so viel auf dem Spiel. Was ist nun die subjektive Logik, und was hat diese mit Freiheit zu tun? lauten die sich hier aufdrängenden Fragen. 2. Die zentrale Fragestellung in der Wissenschaft der Logik, besonders der Begriffslogik, ist eine der schwierigsten in der Philosophie. Weil alles diskursive Denken die Fähigkeit erfordert, Begriffe zu gebrauchen, und damit das Vermögen, Attribute oder Prädikate zuzuschreiben, wie auch die Fähigkeit, zwischen korrektem und inkorrektem Gebrauch von Begriffen unterscheiden zu können, bedürfen wir einer Er1 Wissenschaft der Logik (1816). In: Gesammelte Werke. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Hrsg. Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke. Bd. 12. Hamburg 1981. (Im folgenden: WL) WL 15. 2 WL 16.

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klärung der begrifflichen Bestimmtheit: Aufgrund wessen sind wir in der Lage zu verstehen, daß ein Begriff dieses, nicht aber jenes (erfolgreich) bezeichnet? Um in der Lage zu sein, darüber zu urteilen, was etwas ist, also ein Prädikat zuzuschreiben, müssen wir fähig sein, in der Weise zu klassifizieren und zu unterscheiden, daß ein Gegenstand mittels einer Prädikation von dem differenziert wird, was er nicht ist; wir müssen grundsätzlich in der Lage sein, zu erklären, was es bedeutet, eine solche Prädikatszuschreibung richtig oder falsch vorzunehmen, und Hegel faßt die Wissenschaft der Logik teilweise als Antwort auf Fragen nach der begrifflichen Bestimmtheit als einer normativen Aufgabe auf. Mit diesem Problem im Blick können wir nun versuchen, eine Erklärung dafür zu liefern, was für begriffliche Fähigkeiten wir haben müssen, um überhaupt in der Erfahrung bestimmend unterscheiden zu können, damit jede Vorstellung einen Inhalt hat. Diese kantische Untersuchungsweise findet sich zum Teil auch in der Wissenschaft der Logik wieder. Die „Reflexion” auf eine solche Möglichkeit ist hier das Thema, aber eine philosophische Reflexion muß von dem modernen „neuen Weg der Ideen”, nämlich einer Betrachtung des Geistes von seinen eigenen Inhalten und Operationen usw., unterschieden und auf eine neue Frage hin ausgerichtet werden, nämlich zunächst auf die Frage nach der Möglichkeit eines bestimmten Inhalts „für sich” in der Erfahrung. Sicherlich ist diese kantische Wende natürlich nicht die ganze Geschichte von Hegels Wissenschaft der Logik, und ich werde in kürze die Begrenztheiten eines solchen transzendentalen Rahmens diskutieren. Gleichwohl ist dieser Rahmen ein vernünftiger Ausgangspunkt, um sich zu orientieren. In der Seinslogik wird uns dann als erster Schritt eine Art Gedankenexperiment vorgeführt, als ob die erforderliche Bestimmtheit durch die Berufung auf einen voraussetzungslosen (bzw. so voraussetzungslos wie eben möglich) direkten Realismus erklärt werden könnte, der die direkte Anwesenheit von Seiendem in qualitativer Intensität, quantitativem Ausmaß und „gemessenen” zweckmäßigen Abhängigkeiten zwischen solchen Manifestationen beinhaltet. Der Anspruch ist aufzeigen zu können, daß solche Mittel nicht ausreichen, um die Möglichkeit eines bestimmten Gedankeninhalts nachzuweisen, und daß die Unzulänglichkeit der Sache nach selbst nahe legt, daß eine Unterscheidung zwischen dem, was unmittelbar erscheint und dem, was essentiell ist, erforderlich ist, und daß das bestimmte Seiende immer das „r e f l e k t i e r t e Seiende” ist und sein muß. Aber weil das

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Wesen sich als nicht identisch mit der „ z u G r u n d e l i e g e n d e n Substanz” erweist, die hinter den Erscheinungen versteckt und für diese verantwortlich ist, muß die gesuchte bestimmte Einheit der Erscheinungen als gesetzmäßige Beziehung zwischen den Erscheinungen, die selbst das vollständige „Scheinen” des Wesens ausmachen, verstanden werden, ohne daß noch ein „Rest” oder „Dahinter” angenommen wird. Und damit wird die Untrennbarkeit zwischen objektiver Bestimmtheit und unserer normativen Regulierung von Erfahrung in die begrifflichen Regeln für Urteile und in die Etablierung schlußfolgender Gedankensysteme eingeführt (und folglich auch eine „subjektive” Logik, der wichtigste Wendepunkt, an dem die Substanz explizit zum Subjekt wird). Nach dem obigen Zitat geht die „substantielle Identität” jetzt „in Gesetztsein” über, und das „An-und-Fürsichseyn” wird mit dem „Gesetztsein” identifiziert.3 Natürlich unterscheidet Hegel, der bezüglich der Thesen und der Stellung der subjektiven Logik mit Fichte in Verbindung gebracht und so auf die Freiheitsproblematik hingewiesen wurde, sofort sein Projekt von dem Fichtes. Die „Widerlegung des Spinozismus” kann nicht durch ein Argument der praktischen Priorität oder der rein praktischen Annahme des Standpunktes der Freiheit geleistet werden. „Das Substantialitäts-Verhältniß […] führt sich zu seinem Gegentheil, dem Begriffe, über.”4 Die gesetzmäßige Notwendigkeit, die für die Substanz und die Substanzrelationen (Kausalität) konstitutiv ist, ist, wenn man sie richtig versteht, eine „innere Notwendigkeit” und so Ausdruck der „Selbstsetzung”, die Hegel die „Identität des Begriffs” oder „Freyheit” nennt.5 Weil eine derart regulierte Einheit und die Behauptungen materialer Inkompatibilität, die daraus folgen, normativ sind bzw. die Spezifizierung einschließen, was als mögliche Begriffe in der Bestimmung der Einheit zählen kann, kann nicht jede Spezifizierung eines bestimmten, erforderlichen Gesetzes vollständig empirisch sein (oder ‚durch und durch’ empirisch sein), und kein empirisches, psychologisches oder soziologisches/anthropologisches Forschungsprogramm wird irgendwie hilfreich sein können. Für die Untersuchung, wie wir tatsächlich diese „Bestimmungsaufgabe” leisten können, müssen wir bereits spezifiziert haben, auf was „die Aufgabe” hinaus will, und damit, was als 3 4 5

WL 14. WL 15. Ebd.

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ein erfolgreiches Absolvieren dieser Aufgabe zählt. Die Wissenschaft der Logik führt mögliche Antworten auf die Frage vor, „kraft deren” wir erklären können, daß wir die Aufgabe erfüllt haben. Weil nach Hegel Begriffe nicht durch eine Referenz auf einen abstrakten Inhalt oder auf Realuniversalien bestimmt werden, sondern als Prädikate möglicher Urteile (den Inhalt verstehen bedeutet lediglich, solche möglichen und nicht gestatteten Rollen verstehen), ist die Frage möglicher Bestimmtheit schwierig auf Begriffe allein zu begrenzen, weil für Hegel nicht der Begriff oder gar Urteile und Urteilsformen die Einheit der Intelligibilität bilden, da Urteile wie Argumente in einem schlußfolgernden System bestimmt sind, bzw. sie Momente dessen sind, was Hegel „den Schluß” nennt. Letztendlich bedeutet das alles, daß für Hegel, seiner berühmten These gemäß, die Einheit der Intelligibilität einfach „das Ganze” ist. 3. Ich werde mich auf Hegels einleitende Bemerkungen Vom Begriff im allgemeinen und den Abschnitt Der Begriff des Begriffs konzentrieren. Wie bereits angedeutet, wollen wir in Erfahrung bringen, was Hegel unter einer Begriffslogik versteht, das über das bereits Erwähnte hinausgeht, um letztlich zu verstehen, was das mit einem Reich der Freiheit zu tun hat. Zu diesem Zweck werde ich verschiedenen Hinweisen und Leitfäden nachgehen. Der erste Hinweis ist der schwierigste und kontroverseste, und er wurde bereits kurz in der obigen Zusammenfassung erwähnt. Fast zwei Drittel der Einleitung der Begriffslogik handeln von den Verbindlichkeiten und einigen Unterschieden zu Kants Argumenten über die Natur der Begriffe und Urteile in der Kritik der reinen Vernunft. Darüber hinaus wird auch mehrmals auf die Verbindung zwischen der kantischen Ausrichtung und der These über die Freiheit als eine Art Selbstgesetzgebung hingewiesen, obwohl all diese Referenzen ziemlich unklar bleiben und, wie wir gesehen haben, eine solche Verbindung zumindest teilweise durch eine erkennbare fichtianische Terminologie herzustellen scheinen. (Das ist bereits auffällig durch die Betonung auf das „Gesetztsein” in der gerade zitierten Passage. Eine andere typische These lautet: „Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frey ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein […] Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Daseyn gekommen ist.“6 6

WL 17.

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(Dieser Textstelle folgt einige Zeilen später die Behauptung, auf die eine vollständige Interpretation aufgebaut werden könnte7, nämlich Hegels uneingeschränkte Preisung von Kants „Einsicht”, daß die Einheit des Begriffs nichts anderes ist als die Einheit der Apperzeption.8 Der dortige Hinweis auf „die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht”, deutet auf das Problem von begrifflichem Inhalt bzw. begrifflicher Bestimmtheit hin; und die Gleichsetzung „des Begriffs” mit der „Einheit des: Ich denke” deutet auf einen nicht-empirischen Ursprung oder eine Selbstsetzung hin, was eine Brücke zur Freiheitsthese zu schlagen scheint.) 4. Der häufige Gebrauch von Kant als einem Orientierungspunkt für die gesamte Begriffslogik beinhaltet verschiedene Komponenten. Am offensichtlichsten ist, daß beide, Kant wie auch Hegel, Einwände gegen eine realistische Theorie oder eine ausschließlich empirische Erklärung eines begrifflichen Inhalts haben. Die Bestimmung oder angemessene Fixierung eines Inhalts schließt eine Art von der Empirie unabhängige Aktivität ein („unabhängig” ist hier in einem normativen Sinne gemeint, d.h. in einer Weise, die nicht gänzlich auf einen empirischen Inhalt als Grund oder Rechtfertigung angewiesen ist). Folglich beruhen Urteile auf ausschließenden und schlußfolgernden Relationen, die einschränken, was wir intelligibel denken und artikulieren können, indem sie normativ einschränken, „was wir denken sollten”, und nicht, weil diese Relationen psychologische Grenzen s i n d . Ein solcher Status weist bereits auf das umfassende Thema der Freiheit hin, weil eine derartige normative Autorität nicht von einer empirischen oder realistischen These abgeleitet werden kann. Und die in Frage stehende Abhängigkeitsbeziehung hat nichts mit Existenzbehauptungen über solche Inhalte zu tun, als ob die Existenz der Welt von einer solchen Aktivität abhängig wäre. Die „Abhängigkeit” betrifft den einzig möglichen Sinn (nämlich die Rechtfertigung), den die mit Inhalt angereicherten Behauptungen über die Welt haben können. Das große Problem ist dann offensichtlich die „Quelle” einer solchen Normativität, besonders die von bestimmten Normen. Diese Situation scheint philosophisch gesehen nicht vielversprechend zu sein, wenn wir uns an unsere ursprüngliche Frage7 Robert Pippin: Hegel’s Idealism: the Satisfactions of Self-Consciousness. Cambridge 1989. 8 WL 17 f.

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stellung erinnern: Daß Hegel die Begriffslogik das Reich der Freiheit nennt, regt sogar noch nachdrücklicher einen Anti-Empirizismus an, der dem ‚bösen Zwilling’ des Empirizismus, Realismus und Naturalismus, gleicht: eine Theorie des „sich selbst setzenden” begrifflichen Inhalts, der in keiner Weise auf die Welt zu reagieren scheint, sondern diese bloß subjektiv konstitutieren würde. Und das Problem verschärft sich weiter, wenn wir uns die zahlreichen Angriffe Hegels auf die Begrenztheiten der transzendentalen Version des Idealismus Kants in Erinnerung rufen. Die Ergebnisse einer transzendentalen Philosophie, sei es in einer „regressiven” oder „progressiven” Form, werden stets in einer Weise relativiert. Man kann erst dann davon sprechen, daß Thesen über die begriffliche Struktur von Gegenständen gerechtfertigt sind, insofern solche Thesen über mögliche Gegenstände, z.B. in der Mathematik als einem System von wahren synthetischen Urteilen a priori, notwendigerweise vorausgesetzt sind, oder von ihnen gesagt werden kann, daß sie als „Bedingungen” für Erfahrende wie uns, vor allem für Wesen mit unseren Anschauungsformen, objektiv gültig sind. Aber Hegel macht sehr deutlich, daß die begrifflichen, urteilenden und schlußfolgernden Fähigkeiten, die in der Wissenschaft der Logik dargestellt werden, nicht als „unsere” Weisen des Intelligibelseins und Erklärungenabgebens verstanden werden sollten. Teil der Aufgabe der Jenaer Phänomenologie, die als „Deduktion des Begriffs” bezeichnet wird, war zu zeigen, daß wir gerade auf „unsere” „subjektiven” und „endlichen” Qualifikationen der transzendentalen Philosophie verzichten können, obgleich wir nicht auf die Thesen über die „Wirklichkeit” solcher Begriffe zu verzichten brauchen. Es ist möglich, solche Begriffe getrennt von ihrer Verwirklichung zu untersuchen (wie es die Wissenschaft der Logik unternimmt), aber wir müssen stets die Unvollständigkeit einer solchen Perspektive bedenken. Der wahre Gegenstand der philosophischen Wissenschaft ist die Idee, die Hegel überall als den Begriff in oder zusammen mit seiner Verwirklichung versteht. Die Schwierigkeit, die Natur von Hegels absolutem Idealismus zu verstehen, nimmt noch weiter zu, weil man solch eine „Realität” nicht als das Resultat einer Setzung oder als etwas, worauf man empirisch stößt, oder als etwas durch die reinen Anschauungsformen Begrenztes verstehen darf. In unterschiedlichen Formulierungen findet man bei Hegel häufig die Behauptung, der Begriff habe „sich selbst” Realität gegeben oder sich verwirklicht und sei dadurch zur Idee geworden (am Anfang der Rechtsphilosophie, am Anfang der Vorlesung über die Philosophie der Kunst, um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen). In

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dieselbe Richtung deutet auch der Anfang des Abschnitts Vom Begriff im allgemeinen hin. „Ob nun wohl der Begriff nicht nur als eine subjective Voraussetzung [ich möchte anmerken, daß das auch eine subjektive Voraussetzung ist], sondern als absolute Grundlage anzusehen ist, so kann er diß doch nicht seyn, als insofern er sich zur Grundlage gemacht hat.“9 Ich fasse die Wendung, daß der Begriff „sich selbst” zu einer „Grundlage gemacht hat”, in Apposition zu einem Begriff, der „sich selbst Realität gibt”, auf, was zeigt, daß die in Frage stehende „Realität” so etwas wie einen tatsächlichen oder wirklichen normativen Status hat. Was das für ein normativer Status sein könnte, ist nach meiner Auffassung die relevante Frage der Begriffslogik. Hegel wiederholt solche Formulierungen später noch des öfteren, zum Beispiel: „Es muß nun allerdings zugegeben werden, daß der Begriff als solcher noch nicht vollständig ist, sondern in die Idee sich erheben muß, welche erst die Einheit des Begriffs und der Realität ist; wie sich in dem Verfolge durch die Natur des Begriffes selbst ergeben muß. Denn die Realität, die er sich gibt, darf nicht als ein äusserliches aufgenommen, sondern muß nach wissenschaftlicher Foderung aus ihm selbst abgeleitet werden.“10 Und am Ende heißt es: „Vielmehr zeigt die Logik die Erhebung der Idee zu der Stuffe, von daraus sie die Schöpferin der Natur wird und zur Form einer concreten Unmittelbarkeit überschreitet, deren Begriff aber auch diese Gestalt wieder zerbricht, um zu sich selbst, als concreter Geist, zu werden.“11 5. All diese Passagen (und zwei weitere, denen wir uns zuwenden müssen, in denen Hegel die kantische Idee eines anschauenden Verstandes als ein Model dafür vorschlägt, wie dieses „[Sich-selbst-] Wirklichkeit-geben” verstanden werden sollte) scheinen eine „unkontrollierte” Form eines Begriffsschema-Idealismus nahezulegen. Während Hegel in einem Sinne eindeutig seine Leser und Leserinnen für den Übergang von der Logik zur Realphilosophie vorbereitet, entwirft er zudem ein allgemeines Bild davon, wie wir über die Wirklichkeit des Begriffs bzw. Objektivität nachdenken sollten, was allerdings schwierig 9 10 11

WL 11. WL 20 f. WL 25.

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ins Blickfeld zu rücken ist, zumal wenn wir weiterhin die Frage stellen, wie das mit dem Reich der Freiheit in Verbindung steht. Die vielleicht verständlichste Passage, wo die beiden Themen „Realität” und „Diskurs der Freiheit” zusammengebracht werden, entstammt einem Zusatz aus der Logik der Enzyklopädie: „Unter den alten Philosophen müssen wir uns Menschen vorstellen, die ganz in sinnlicher Anschauung stehen und weiter keine Voraussetzung haben als den Himmel droben und die Erde umher, denn die mythologischen Vorstellungen waren auf die Seite geworfen. Der Gedanke ist in dieser sachlichen Umgebung frei und in sich zurückgezogen, frei von allem Stoff, rein bei sich. Dieses reine Beisichsein gehört zum freien Denken, dem ins Freie Ausschiffen, wo nichts unter uns und über uns ist und wir in der Einsamkeit mit uns allein dastehen.“12 6. Aber nun müssen wir uns einigen Voraussetzungen zuwenden, auf denen Hegel insistiert hat; Voraussetzungen, die offen legen, daß er sich sehr wohl – wie McDowell es nennt – des Problems eines ‚reibungslosen Spinnens’ („frictionless spinning“)13 bewußt war und daß er annahm, er selbst habe es, so wie jede „Setzung” und „schöpferische” Erklärungsweise der Wirklichkeit, vermieden. Diese Voraussetzungen werden uns dann zu der ursprünglichen Frage nach dem Reich der Freiheit – und wie dieses mit den anderen Behauptungen über die Wirklichkeit zusammenpaßt – zurückführen. (In der praktischen Philosophie selbst, der expliziten Philosophie der Freiheit, sehen wir uns einem ähnlichen Problem gegenüber: einen Weg zu finden, wie wir unsere „tatsächliche” Empfänglichkeit für Forderungen der Vernunft beschreiben können, die weder auf eine Aufzwingung des rationalen Willens auf die widerspenstige Sinnlichkeit hinausläuft noch auf eine Identifikation unserer empirischen, sinnlichen Natur mit dem, was eine rationale Handlungsfähigkeit erfordert, so daß wir nicht zu derselben Art von unvermittelter Identität gelangen, die Hegel im sittlichen Leben der Griechen kritisierte. Die Argumentation in der Wissenschaft der Logik legt nahe, daß, wenn wir solch eine Vernunftempfänglichkeit verstehen sollen, die weder eine Aufzwingung noch eine unreflektierte Identifikation ist, wir zunächst begreifen müssen, 12 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. In: Werke. Hrsg. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt/M. 1986. 98. 13 John McDowell: Mind and World. Cambridge 1996.

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was es heißt, die Beziehung von Begriff und Wirklichkeit in diesem, zumindest nicht standardisierten Sinne zu verstehen.) Es ist eine gute Idee, uns zunächst einmal an die Komplexität der ursprünglichen kantischen Position zu erinnern. Die wahrscheinlich bekannteste Formel aus Kants Kritik der reinen Vernunft steht in A 52/ B 75. Diese These zitiert Hegel an einem entscheidenden Punkt seiner eigenen Exposition von Kant in diesem Zusammenhang. Nachdem Kant die Vermögen von Verstand und Anschauung voneinander unterschieden hat, stellt er die Behauptung auf, daß „[k]eine dieser Eigenschaften […] der andern vorzuziehen” sei und daß „[o]hne Sinnlichkeit […] kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden” könne. Dann fährt er mit seinem berühmten Epigramm fort: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, und Anschauungen ohne Begriffe sind blind.” Begriff und Anschauung, ja sogar Geist und Welt, müssen zwar als untrennbar voneinander verstanden werden, aber gerade nicht als nicht unterscheidbar, als ob sie ineinander fallen würden (wie einer der vielen Vorwürfe gegen den „Panlogismus” bei Hegel lautet). Dieser Ausdruck ist uns ebenso vertraut wie die gut bekannte Implikation, die wir bereits diskutiert haben: daß ein letztbegründeter Empirizismus jeglicher Ausprägung, sei es eine frühe britische oder späte positivistische Version, unmöglich ist. Die Vorstellung eines bloß „Gegebenen” ist als „Mythos” entlarvt worden (vgl. Sellars‘ Myth of the Given). Das, was uns die Sinnlichkeit liefert, kann nichts begründen. Solches ist blind. Jedoch ist das Epigramm selbst, obgleich so vertraut, auch paradox, sogar dialektisch. Zunächst einmal scheint hier etwas übertrieben zu werden. Gedanken ohne sinnlichen Inhalt können nicht vollständig leer sein. In einem solchen Fall wäre es noch nicht einmal möglich, geschweige denn notwendig, zu versuchen, eine Kategorientafel des reinen Verstandes mit Hilfe einer metaphysischen Deduktion, die jeder transzendentalen Deduktion vorhergeht, zu erstellen.14 Zweitens können Anschauungen nicht vollständig blind sein. Wären sie das, wie könnte von unserem empirischen Wissen dann behauptet werden, daß es durch bestimmte sensorische Informationen geleitet wird? Wenn der Verstand und die Anschauung wirklich so untrennbar miteinander verbunden sind (= keiner von beiden kann etwas zu einer Wissensbehauptung beitragen, außer wenn sie bereits in Relation zu14

Vgl. Hegels Bemerkungen, WL 22 f.

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einander stehen), dann wäre aufgrund derselben Argumentationsführung nicht nur ein letztbegründeter Empirizismus unmöglich, sondern darüber hinaus auch die Standardvorstellung von einem Wissen a priori oder einer philosophischen „Logik”; sogar ein kantischer Apriorismus und eine transzendentale Logik müßten revidiert werden („Gedanken ohne Inhalt sind leer.”). Kant dachte, er könnte eine solche Revision durchführen, indem er, was er „den transzendentalen Inhalt” nannte, zur Hilfe nahm. Er war der Ansicht, er könnte dem untrennbaren Anschauungsinhalt der Begriffe gerecht werden und eine Vorstellung von einem Wissen a priori bewahren, indem er die These aufstellte, daß es reine Formen der Anschauung gebe, und behauptete damit, daß es einen Weg geben könne, unabhängig von einer tatsächlichen Erfahrung den Erfahrungsinhalt von jedem reinen Begriff zu bestimmen, und zwar a priori (letztlich durch Hilfe eines Schematismus, der der Schlüssel zu dieser Dimension von Kants Projekt ist).15 Das scheint eine Trennbarkeit jedoch wieder einzuführen und bringt Kant dazu, seine Schritte neu abzustecken und in der zweiten Auflage der Kritik mehrere Sachen zugleich zu behaupten (besonders in der vieldiskutierten Fußnote B 160). Im Gegensatz zu Kants Position stehen die Aussagen Hegels, die anscheinend leichtsinnig die Sprache der praktischen Philosophie einführen, um sein Gegenargument vorzubringen. Untrennbarkeit scheint hier zu heißen: man kann davon ausgehen, daß sich Begriffe „ihre Realität selbst geben”, und dadurch sind sie nicht äußerlich durch die Realität begrenzt, weder empirisch, noch im Sinne von Kants ungewöhnlicher Berufung auf die reine anschauende Realität als solche. Eine derartige normative Selbstgesetzgebung kann frei genannt werden bzw., um Hegels stärksten Ausdruck seiner These heranzuziehen, eine „unendliche” Selbstbeziehung. 7. Zusammengefaßt heißt das: Hegels außergewöhnlich ausführliche Nutzung von Kant für seine Darlegung, was eine Begriffslogik sei, kann nur so weit tragen. Wenn wir Hegels Behauptung vernehmen, der Begriff „gibt sich selbst” Realität, sind wir verständlicherweise aufgrund der Referenzen in diesen Passagen versucht, uns den spekulativsten Passagen Kants zuzuwenden. Zum Beispiel: „[…] die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der

15

Robert Pippin: Kant’s Theory of Form. New Haven 1981. Kapitel 3.

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Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori“.16 Und besonders: „Es hat aber die Transzendental-Philosophie das Eigentümliche: daß sie außer der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen.“17 Angesichts dieser Passagen scheint es, daß Kant und Hegel ein Argument führen, welches dem in einem linguistischen Kontext vorgebrachten Argument von Sellars ähnlich ist, nämlich daß das objektive Begreifen eines Begriffs nichts anderes ist als die Beherrschung des korrekten Gebrauchs eines Wortes, und infolgedessen, gemäß einer Weiterführung der Sellarschen These durch Brandom, daß der Sinn eines jeden möglichen Nicht-Ich, sagen wir einmal eines jeden objektiven Inhalts, untrennbar mit der Struktur unseres Behauptens, Schlußfolgerns und Rechtfertigens von Praktiken (sagen wir einmal unseres Setzens) verbunden ist. (Und daher ist unser Verstehen der Möglichkeit eines individuellen Objekts untrennbar verbunden mit bzw. eine Tätigkeit unseres Verstehen des Gebrauchs singulärer Termini, und unser Verstehen einer möglichen Tatsache ist die Tätigkeit unseres Verständnisses davon, was mit einer Proposition behauptet werden kann, und unsere Bedeutung von einem Gesetz der Natur ist eine Tätigkeit von unserem Verständnis von kontrafaktischem Schlußfolgern.) Die kantische Formulierung, die diesen Punkt zusammenfaßt, ist genau das, was Hegel zitiert: „Object, sagt Kant, […] ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist.“18 Diese These übersetzt Hegel sogleich in seine spekulative Sprache: „Durch das Begreiffen wird, das An-und-Fürsichsein, das er im Anschauen und Vorstellen hat, in ein Gesetztseyn verwandelt; Ich durchdringt ihn denkend.“19 Aber dann begegnen wir wiederum all den Einwänden Hegels gegen die Endlichkeit der transzendentalen Philosophie. Kant führt gegen einen Rationalismus die Möglichkeit ein, daß die Formen des Denkens vielleicht nicht die Formen der Objekte sind (also keine „Realität” 16 17 18 19

B 197/A 158. B 174/A 135. WL 18. Ebd.

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haben), und er glaubt, diese Lücke schließen zu müssen. Dies tut er, entweder mit einer Version der Aufzwingungsthese, aus der die untragbare Phänomenon-Noumenon Trennung hervorgeht, oder durch eine Berufung auf die reine Anschauung, welche die Metapher der Aufzwingung soweit wie möglich in die Rezeptivität selbst ausdehnt. Hegel macht mehrere Male sehr deutlich, daß die „Aufzwingungs”Vorstellung für die kantische Philosophie und ihre Abkömmlinge verhängnisvoll und sie der „hauptsächliche Mißverstand”20 ist. Sie liefert uns nur eine zweitklassige und unbefriedigende „Wahrheit” oder „Realität.” An dieser Stelle haben wir wieder nur Hegels Gegenmetapher zur Hand, nämlich daß die Idee sich selbst Realität gibt oder sonst auf irgendeine Weise die Schöpferin der Natur ist. Dies wird auf verschiedene Weisen zum Ausdruck gebracht, aber sie alle führen uns zu demselben Problem zurück, daß ein Begriff sich selbst Realität gibt, und zwar in „freier” Aktivität.21 8. Es bleibt nur noch ein letzter Anhaltspunkt, der auf dieses Mysterium verweist, und dieser ist nicht besonders aussichtsreich: Hegels zwei vielversprechende Referenzen auf Kants Idee eines „anschauenden Verstandes”. Hegel nennt es „verwunderungswürdig”, daß Kant letztlich eine Vorstellung von der Beziehung zwischen Wirklichkeit und Begriff gemäß einem Bild von einer Aufzwingung und somit einem relativierenden Bild haben konnte, während er fähig war, die richtige Idee in der Kritik der Urteilskraft, nämlich „die Idee eines anschauenden Verstandes” zu artikulieren, was ihn in die Lage hätte versetzen sollen, eine „höhere Einheit beyder in der Idee”22 zu sehen. WL 21. Obwohl dies ein äußerst kompliziertes Thema einführt, ist es wichtig zu betonen, bevor man auf die Bedingungen dieser Berufungen auf die „Freiheit“ eingehen kann, daß man beachten muß, daß Hegel Freiheit nicht im Kantischen Sinne verstanden hat, nämlich als Spontaneität oder in irgendeinem Sinne als kausale Kraft, sondern als eine Angelegenheit, in einem bestimmten Zustand zu sein, in dem ich meine Taten als meine eigenen anerkenne, nicht von ihnen entfremdet bin, sie nicht als dem Willen anderer unterworfen erfahre etc. Letztendlich wird dieser Zustand mit dem „bei sich selbst sein im Anderen“ bezeichnet, ein Zustand, der selbst das Verständnis seiner Taten und die Ansprüche gegenüber anderen als gerechtfertigt und durch Normen beschränkt einschließt. Ich stelle eine umfassendere Interpretation dieser alternativen Sicht auf die Freiheit vor in: Hegel, Freedom, The Will: The Philosophy of Right. §§ 1-33. In: G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hrsg. Ludwig Siep. Berlin 1997. 31-53, und in: Naturalness and Mindedness: Hegel's Compatibilism. In: The European Journal of Philosophy. Vol. 7, n. 2, (1999). 194-212. 22 WL 25. 20 21

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Kurze Zeit später schreibt Hegel: „Wenn Kant die Idee eines anschauenden Verstandes an jene Definition der Wahrheit gehalten hätte, so würde er diese Idee, welche die geforderte Uebereinstimmung ausdrückt [d.i., zwischen Begriff und Realität], nicht als ein Gedankending, sondern vielmehr als Wahrheit behandelt haben.“23 Weil Hegel, wie wir gesehen haben, bereit ist, zuzugeben, daß jedes Denken die Existenz anschaubarer Gegenstände voraussetzt24, bleibt es anfänglich unklar, welche Relevanz die Idee eines solchen göttlichen Verstandes hat, der fähig ist, Dinge, die er denkt, sogleich zu erschaffen, weil er sie denkt. Und da es, glaube ich, sicher ist zu sagen, daß wir keinen göttlichen Verstand haben, bleibt die philosophische Wichtigkeit einer solchen These zunächst einmal verborgen. Leider würde eine umfassende Diskussion dieser Berufung auf den anschauenden Verstand uns etwa zehn Jahre zurück zu Glauben und Wissen führen, und man würde eines besseren Verständnisses der historischen Rezeption von Kants Kritik der Urteilskraft bedürfen, besonders derjenigen Schellings, bevor man diese Thematik wirklich richtig begriffen hat. Stattdessen möchte ich lieber nur auf einige wichtige Implikationen hinweisen. 9. Zunächst ist es wichtig, festzuhalten, daß weder in Glauben und Wissen noch in dem Abschnitt der Begriffslogik Hegel zu den Problemen des Lebens, des organischen Seins, der Schönheit oder Zweckmäßigkeit zurückkehrt, wenn er die Wichtigkeit der intellektuellen Anschauung oder des anschauenden Verstandes zitiert. Er folgt Kant nicht in dessen Trennung von verschiedenen Bereichen, wodurch eine bestimmte „Idee” zur Voraussetzung für die Möglichkeit eines solchen normativen Bereichs gemacht würde, was jedoch eine spekulative Setzung wäre und inkommensurabel mit anderen Bereichen bliebe. Stattdessen behandelt Hegel Kants Grenzspekulationen über den anschauenden Verstand nicht als den bloßen Gedanken einer schöpferischen Göttlichkeit, sondern als eine Einsicht in die richtige Auffassung der Geist-Welt-Beziehung, und zwar in einem nicht-restriktiven und nichtendlichen Sinne. (Er behauptet nicht so etwas Abwegiges, daß unser Verstand uns selbst Wirklichkeit „geben”, indem wir Gegenstände erschaffen, wenn wir sie denken, und er hat auch kein Interesse an einer 23 24

WL 26. WL 22.

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getrennten göttlichen Handlungsfähigkeit an sich. Er pflichtet dem bei, daß der Verstand, betrachtet als ein „kognitives Vermögen”, „Möglichkeit” und „Wirklichkeit” unterscheiden muß.25 Aber das ist eine begrenzte, bloß scheinbare Manifestation des Verstandes, und „[…] die Idee dieses urbildlichen, intuitiven Verstandes ist im Grunde durchaus nichts anders als dieselbe Idee der transzendentalen Einbildungskraft.“26 Es gibt noch andere Formulierungen, die die Diskussion noch näher an die hier verwendeten Begriffe rückt. Er behauptet, daß „[…] die Kantischen Formen der Anschauung und die Formen des Denkens gar nicht als besondere isolierte Vermögen auseinander liegen, wie man es sich gewöhnlich vorstellt. Eine und eben dieselbe synthetische Einheit […] ist das Princip des Anschauens und des Verstandes […].“27 In diesem Sinne legt Hegel dar, „was den Hauptumstand betrifft”, nämlich, „daß die productive Einbildungskraft eine wahrhaft speculative Idee ist.”28 Das bedeutet, daß Hegel durch die Berufung auf diesen anschauenden Verstand einfach nochmals betont, wie dialektisch kompliziert Kants These der Untrennbarkeit von Begriff und Anschauung ist. Diese Einsicht allein beweist, daß man von uns sagen kann, wir hätten einen anschauenden Verstand und eine begrifflich geformte Anschauung.29 Glauben und Wissen. In: Gesammelte Werke. Op. cit. Bd. 4. 341. Ebd. 27 Glauben und Wissen. 327. 28 Glauben und Wissen. 328. 29 Ich verteidige diese Interpretation von Glauben und Wissen detaillierter in Kapitel 4 von Hegel’s Idealism, op. cit., und in: Avoiding German Idealism: Kant, Hegel, and the Reflective Judgment Problem. In: Idealism as Modernism: Hegelian Variations. Cambridge 1997. 129-53. Die Standardsicht dieser Verbindung, die ich hier kritisch hinterfrage, ist, daß während für Kant das Subjekt eine synthetische Aktivität ist, welche stets auf das mannigfaltig Gegebene von Außen gerichtet ist, für Hegel das Subjekt nicht in dieser Weise durch solch ein Mannigfaltiges limitiert ist, weil für Hegel ein Subjekt (letztlich das absolute Subjekt) das Mannigfaltige eigentlich produziert und weniger sich nach demselben richtet. Mir scheint es, daß selbst die minimalste Anwendung des CharityPrinzips in der Interpretation uns für längere Zeit zögernd machen sollte, bevor wir solch eine lächerliche Doktrin Hegel zusprechen, und ich versuche in den zwei oben zitierten Aufsätzen und in diesem zu zeigen, daß, was Hegel denkt, was wir in „unbegrenzter“ Weise „produzieren“, die normative Autorität unserer Urteile ist und nicht die reale Welt. Folglich ist in diesem Abschnitt der Begriffslogik Hegel daran interessiert zu zeigen, wie Aufhebungen und Umwandlungen zu begreifen sind, was er gerade heraus die „Unmittelbarkeit, mit der er (der Gegenstand) zunächst vor uns kommt” und dadurch „so ein Gesetztseyn aus ihm” macht, nennt. (WL 18, meine Betonung) Vgl. auch: 20 f. sowie insbesondere: „Anschauung oder Seyn sind wohl der Natur nach das Erste oder die Bedingung für den Begriff, aber sie sind darum nicht das an und für 25

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10. Wir haben nun das nötige Material, um zumindest einige provisorische Vorschläge zu machen. Wie wir gesehen haben, ist das Problem der begrifflichen Wirklichkeit hauptsächlich ein normatives Problem. Das heißt, daß, wie sehr Hegel auch auf der absoluten Untrennbarkeit von Begriff und Anschauungsinhalt insistieren mag, er doch nicht die Legitimität der normativen Frage leugnet. Die Frage betrifft nicht eine empirische Unterscheidung, sondern wie sich zwischen Erfolg oder Mißerfolg, die vorhergehenden Thesen über die notwendigen Bestandteile einer begrifflichen Bestimmung zu spezifizieren, unterscheiden läßt. Das bedeutet, daß wir einen Weg finden müssen, recht radikal in neuer Weise auszuformulieren, was es für die besagten Vorstellungen heißt, mögliche Kandidaten eines solchen Status zu sein, darin aber zu versagen; oder was es für die Erscheinung eines zugehörigen Elements heißt, als bloße Erscheinung entlarvt zu werden bzw. als etwas Unvollständiges von etwas Anderem. Es wäre nicht genug, einfach darauf zu bestehen, daß es unter der Voraussetzung der „Ungebundenheit des Begrifflichen” eine Art der vor-urteilshaften Bestimmtheit bloß aufgrund der Art des Begriffsschemas, das wir haben, geben müßte, obgleich dieser Erwerb eines Inhalts vor-urteilshaft ist, also nicht auf eine Aufzwingung oder Anwendung zurückgeht.30 (Auf diese Art von These wollte Kant in seinem berühmten Leitfaden hinaus, und wenn wir die genaue Formulierung hier zitieren, kann uns einsichtig werden, daß Hegels Rede von einem „Begriff-der-sich-selbst-Realität-gibt” nach all dem Kant nicht so fremd ist: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit […].”31 Wir bräuchten eine sehr viel detailliertere Ausarbeitung, um zu erklären, was uns zu einer solchen Untrennbarkeitsthese berechtigt hat, ohne auf die Aufzwingungsmetapher zurückzugreifen. Und es ist nicht genug, lediglich die generelle These über Sozialität und Schlußfolgerung anzuführen, daß Objektivität nicht eine Angelegenheit der direkten Verantwortlichkeit der Welt gegenüber ist, sondern eine Sache sich Unbedingte, im Begriffe hebt sich vielmehr ihre Realität und damit zugleich der Schein auf, den sie als das bedingende Reelle hatten.” (WL 22.) 30 So verstehe ich McDowells gegenwärtige Position in seinen Woodbridge lectures. Vgl. Having the World in View: Sellars, Kant, and Intentionality. In: The Journal of Philosophy. Vol. XCV, no. 9 (September 1998). Vgl. auch meine Diskussion in: Leaving Nature behind: Two Cheers for Subjectivism, die in einem Sammelband erscheinen wird (Hrsg. Nick Smith, Routledge Press). 31 A 79.

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innerhalb der Praxis von Geben und Einfordern von Gründen einander gegenüber. Eine solche Praxis ist vorhanden, lenkt sich selbst und ist sogar in einem radikalen Sinne sich selbst autorisierend; aber wir streben nach einer generellen Antwort auf die Frage, auf was man sich innerhalb solcher Praktiken als Garant und Rechtfertigung beruft und wie diese Kriterien selbst bewertet werden. Das alles müssen wir in einer Weise tun, die die Bestimmtheit der „Momente” des Begriffs erklärt, eine Weise, die einige Möglichkeiten ausschließt, andere einschließt. Ohne einen wirklichen Zugriff auf das Problem der normativen Notwendigkeit wird Hegel schnell zu Rorty verkehrt werden. Wir finden es, zugegebenermaßen, fast unmöglich, darüber in irgendeiner anderen Weise nachzudenken als in der folgenden: Entweder klärt uns die Welt darüber auf, daß es einen solchen Inhalt nicht gibt, oder daß der Begriff in diesem Beispiel nicht angewandt werden kann, oder man muß von uns behaupten, daß wir einen solchen Inhalt als Bedingung der Erfahrung „vor-formen”. Mit solchen dualistischen Formulierungen fehlt Hegel in einem normalen empirischen Kontext wiederum ein Argument. Trotzdem besteht er darauf, daß solche empirischen Unterscheidungen möglich gemacht werden, weil vorausgesetzt wird, daß der Begriff „sich selbst Realität gibt”, und er nennt dies durchgängig eine Form von Freiheit. Was würde es dann bedeuten, in diesem Sinne auf der Untrennbarkeit von Begriff und Inhalt zu bestehen? 11. Bisher haben wir nur die naheliegenden Optionen ausgeschlossen: Unser Gesinntsein kann nicht durch eine unabhängige Berufung auf das, was ist, oder auf das objektiv Gute im praktischen Kontext gerechtfertigt werden. Und man kann nicht von uns sagen, daß wir uns gegenseitig und der Welt eine Grammatik des Denkens auferlegt haben. Wie wir gesehen haben, oder zumindest begonnen haben zu sehen, was es für einen Begriff heißt, daß er sich selbst „Realität” gibt, bedeutet dies für den Begriff, oder für eine bestimmte Begrifflichkeit selbst, sich eine normative Autorität anzueignen, wirklich und daher legitimierbar Denken zu „beherrschen”, ohne irgendeine von den genannten Berufungen in Anspruch zu nehmen, und wir werden mit dem Erstaunen darüber zurückgelassen, wie Hegel sich dieser Frage unter der Voraussetzung einer Untrennbarkeit von Begriff und Anschauung stellen will. Was könnte die Frage nach der normativen Legitimität, quid iuris, bedeuten, wenn eine derartige Untrennbarkeit vorausgesetzt wird?

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12. Ich möchte hier mit einem sehr allgemeinen Vorschlag schließen, der sich durch die Ähnlichkeiten in der Sprache, die in den verschiedenen Projekten verwendet wird, aufdrängt. Kant hat in der Kritik der praktischen Vernunft die Behauptung aufgestellt, daß die reine Vernunft als praktisch dargestellt werden könnte „[…] durch ein Faktum, worin sich reine Vernunft bei uns in der Tat praktisch beweist.”32 Wie schon bei Hegel gibt es auch in diesem Fall einen Weg, aufzuzeigen, daß gerade dadurch, daß eine solche Möglichkeit in Betracht gezogen wird, deren praktische Realität hergestellt wird. Von einer praktischen oder ersten-Person-Perspektive aus gesehen führt gerade die Möglichkeit meines Bewußtseins von den Diktaten einer rein praktisch verstandenen Vernunft dazu, daß ich von dieser Perspektive aus nicht leugnen kann, daß ich einem Gesetz unterworfen bin und dadurch erwiesen ist, daß ich demgemäß handeln kann. Entsprechend sagt Kant, daß gerade die „Exposition” einer Vorstellung ihre Realität herstellt, und nach seiner spekulativsten Formulierung kann die Wirklichkeit des moralischen Gesetzes weder philosophisch noch empirisch „bewiesen“ werden, sondern sie „[…] steht dennoch für sich selbst fest.” Er hätte vielleicht ebenso sagen können, daß „der Begriff sich seine eigene Wirklichkeit gibt.”33 13. Von diesem Blickwinkel auf Hegels Begrifflogik aus stellen sich viele Fragen. Die offensichtlichste betrifft immer noch, wie diese praktische oder selbst-gesetzgebende Konzeption der Realität als normative Autorität in den Argumentationen des Textes fungiert. Jedoch kann man bereits einige generelle Schlüsse ziehen. Zunächst zieht Hegel in Hinblick auf die Frage der Bestimmtheit einige ziemlich radikale Schlußfolgerungen von der These über die Untrennbarkeit von Begriff und Anschauung, Schlußfolgerungen, die zeiKritik der praktischen Vernunft, AA 42. Im Kontext der Begriffslogik besteht der Dualismus, den Hegel zu vermeiden wünscht, zwischen Begriff und Anschauung. Aber der Gebrauch des praktischen Kontextes für die Erhellung dessen, was Hegel vielleicht mit einer selbst autorisierenden Normativität meint, muß offensichtlich einen anderen vermeiden. Die Ergebnisse einer solchen Selbstgesetzgebung dürfen nicht als Imperative aufgefaßt werden, die einer widerspenstigen Sinnlichkeit aufgezwungen werden. Der Dualismus von Vernunft und Sinnlichkeit muß also vermieden werden. Wie in so vielen anderen Fällen ist auch hier die Schlüsselübergangsfigur Fichte und was ich für seinen Versuch halte, die zentrale Aktivität, das „Setzen“ als normatives Setzen oder Selbstgesetzgebung zu interpretieren. Ich verteidige eine solche Interpretation in: Fichte's Alleged One-Sided, Subjective, Psychological Idealism. In: The Reception of Kant's Critical Philosophy. Fichte, Schelling and Hegel. Hrsg. Sally Sedgwick. Cambridge 2000. 147-70. 32

33

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ROBERT B. PIPPIN

gen, daß wir mit Vorsicht die Logik als eine vollständig reine Wissenschaft betrachten sollten, die, ähnlich einem Magier, der 100 Hasen aus einem Hut zaubert, ihre Momente aus sich selbst ableitet. Bedenken Sie zum Beispiel die Logik der Enzyklopädie: „Indem die Philosophie so ihre Entwicklung den empirischen Wissenschaften verdankt, gibt sie deren Inhalte[n] die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewährung der Notwendigkeit, statt der Beglaubigung des Vorfindens und der erfahrenen Tatsache, daß die Tatsache zur Darstellung und Nachbildung der ursprünglichen und vollkommenen selbständigen Tätigkeit des Denkens werde.“34 Diese Passage faßt ebenfalls sehr schön die hier verteidigte These über die Gleichstellung der Freiheit mit „dem Apriorischen” zusammen und weist darauf hin, daß Hegel die Frage des empirischen Inhalts von der philosophischen Frage der Legitimation oder quid iuris trennt. Fähig zu sein, solch eine quid-iuris-Frage zu beantworten, ohne sich auf ein Gegebenes, eine reine Form der Anschauung zu berufen und ohne eine Revision einer Aufzwingungsthese zu bemühen, ist, was es bedeutet, dem Inhalt die Gestalt der Freiheit des Denkens zu geben. Es gibt hierzu eine vergleichbare Passage in Vom Begriff im allgemeinen: „Aber die Philosophie soll keine Erzählung dessen seyn, was geschieht, sondern eine Erkenntniß dessen, was wahr darin ist, und aus dem Wahren soll sie ferner das begreiffen, was in der Erzählung als ein blosses Geschehen erscheint.“35 Natürlich bringt uns das Behaupten, daß „die Bewährung der Notwendigkeit” im ersten Zitat auf die praktische Nötigung referiert, auf die Kant sich in seinem Fall für die Realität der praktischen Vernunft beruft, nicht sehr weit, um zu bewerten, ob Hegel solch eine Nötigung beweisen kann. Aber diese Passagen weisen zumindest darauf hin, wo man nachzusehen hat, wenn man nach der „Quelle” der bestimmten Kandidaten für einen solchen normativen Status schauen will (nämlich auf die tatsächliche Entwicklung der empirischen Wissenschaften und auf verschiedene Erzählungen). Und wir haben einige Hinweise auf den normativen Status von Begriffen. Eine solche Autorität ist aufgerichtet, oder wir könnten sogar sagen: konstruiert und nicht entdeckt, durch das andauernde Erfahren der praktischen Unmög34 35

Enzyklopädie, Teil 1: Logik. 58. WL 22.

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lichkeit, eine solche Autorität zu leugnen. Wenn man versucht, sie zu leugnen oder zu vermeiden, eine normative Verpflichtung auf sich zu nehmen, wird einem klar gemacht, daß sie eine Voraussetzung ist. Diese Formulierung ist mindestens ebenso abstrakt wie die Wissenschaft der Logik selbst, aber ich hoffe, daß sie zumindest einen Weg anregt, wie die Verbindung zwischen dem Begriff, der sich selbst Realität gibt, und dem Reich der Freiheit zu denken ist. Diese Richtung wird durch eine der sonderbarsten und schönsten Stellen von Hegels vielen Reformulierungen dieses Themas nahegelegt. Wenn er den „Allgemeinen Begriff“ und die Thesen, daß „[d]as Allgemeine [...] daher die freye Macht“ ist, diskutiert, weist er eiligst darauf hin, daß das nicht etwa als eine Übung der legislativen Gewalt über etwas Separates und Widerstandsfähiges zu verstehen ist. Was das „Andere“ als der Begriff ist, kann selbst seine Rolle als das „Andere“ nur spielen, wenn es als solches konzeptualisiert ist; es gibt kein „Selbst“, dem Gesetze auferlegt werden, außer kraft der Einschränkung der Gesetzgebung. Das ruft wieder das große Paradox der „Selbstgesetzgebung“ auf den Plan (die Tatsache, daß es kein bindendes Gesetz gibt, bis wir uns einem solchen unterwerfen, schiene zu beinhalten, daß dieser Akt der Unterwerfung selbst gesetzlos ist, gleichsam ein „Vor-Gesetz“, daß es einen gesetzlosen Urzustand gibt, der eingeschränkt werden muß), und wiederum legt die Passage nur nahe, wie Hegel seinen Weg aus diesem Paradox denken möchte, aber dieser Vorschlag ist ein reichhaltiger und interessanter. „[…] es (sc. das Allgemeine) ist es selbst und greift über sein Anderes über; aber nicht als ein gewaltsames, sondern das vielmehr in demselben ruhig und bey sich selbst ist. Wie es die freye Macht genannt worden, so könnte es auch die freye Liebe, und schrankenlose Seeligkeit genannt werden, denn es ist in Verhalten seiner zu dem Unterschiedenen nur als zu sich selbst, in demselben ist es zu sich selbst zurückgekehrt.“36 Translated from the American by Susanne Brauer (Chicago)

36

WL 35.

PIRMIN STEKELER-WEITHOFER (LEIPZIG)

H E G E L S N AT U R P H I L O S O P H I E . V E R S U C H EI NER TO PI SCHEN BESTI MMUN G

1. Der verrückte Blick der Naturphilosophie Zumindest prima facie wird jeder, insbesondere jeder Naturwissenschaftler, Hegels Naturphilosophie schlichtweg für verrückt erklären. Was sind das für merkwürdige Aussagen wie: „Die tierische Natur ist die Wahrheit der vegetabilischen“1 oder „die Erde ist die Wahrheit des Sonnensystems“2? Warum soll der meteorologische Prozeß nicht materiell, am Ende sogar ‚mechanistisch’ erklärbar sein? Ist nicht die These Lichtenbergs, es regne aus trockener Luft3, schon damals lächerlich gewesen? Warum soll es, wie Hegel sagt, „formeller Unfug“ sein zu behaupten, die Tiere und das Leben überhaupt seien aus dem Wasser hervorgegangen?4 Widerspricht dem nicht eklatant Hegels eigener ‚Vitalismus’, nach welchem das Meer oder „die konkrete Salzigkeit als ein Organisches“ zu verstehen sei, „das sich überall als gebärend zeigt [...]“?5 Ist es nicht noch größerer Unfug, wenn Hegel sagt: „Ich sehe die Berge also nicht als Sammler von Regenwasser an, das in sie eindringt. Sondern die echten Quellen, die solche Ströme wie Ganges, Rhône, Rhein erzeugen, haben ein innerliches Leben, Streben, Treiben, wie Najaden“?6 Ist es nicht Unfug, wenn Hegel offenbar vernünftige Erklärungen für Unfug erklärt?

1 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Mit den mündlichen Zusätzen. Hgg. E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt/M. (Im folgenden: Enz. II.) 32. 2 Enz. II, 32. 3 Enz. II, § 286, 147. 4 Enz. II, 32. 5 Enz. II, 363 f. 6 Enz. II, 363.

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1.1 Topik Bevor wir diese Frage weiter verfolgen, werden einige allgemeine methodische Bemerkungen zur Ortsbestimmung der Überlegungen Hegels selbst und zu ihrer Deutung als topische Analysen verschiedener Zugänge und Verhältnisse zur Natur nötig. Topik ist die Bestimmung des Orts einer Rede, ihres Themas und Bereichs, ihrer Relevanz im Sinne der zugehörigen (‚beabsichtigten’) Orientierungsleistung. Eine solche ist oft nur als Umorientierung im Blick auf mögliche Fehlgänge ‚richtig’, wenn sie nämlich ‚richtiger’ ist als die entsprechenden Alternativen, die gerade in der Kritik stehen. Sowohl für das ‚unmittelbare’ d. h. implizit-empraktische Verstehen als auch für eine explizite Reflexion oder Interpretation ist eine topische Bestimmung des Relevanzrahmens von zentraler Bedeutung. Das liegt daran, daß kein Satz und kein Text in seinem Inhalt und seiner Wahrheit, also darin, was er zu verstehen gibt, absolut situationsinvariant ist. Man sollte die Offenheit des Verstehens und des Begriffs der Wahrheit, ihre Gegenwartszentriertheit und Kontextabhängigkeit anerkennen, ohne sie zu einer überschwänglichen Theorie der Abhängigkeit jedes Inhalts von einem Gesamttext hochzustilisieren. Eine Kritik an der Fundierung der Sprache in der Rede und des Verstehens im je gegenwärtigen Handlungszusammenhang, wie sie Derrida gegen Heidegger vorbringt, ist daher einseitig und überzogen. Was Sätze besagen, was wir aus ihnen folgern dürfen und wie die zugehörigen Richtigkeits- oder Geltungsbedingungen angemessen zu erfassen sind, das alles ändert sich je nach Thema und Bereich. Wegen dieses Kontextprinzips des Verstehens erweisen sich topische Sinnbestimmungen als ebenso wichtige Momente einer sinnkritischen Textanalyse oder eines gebildeten Textverstehens wie ‚grammatische’, syntaktische und begriffliche Disambiguierungen. Der Grund, warum ich mit diesem allgemeinen Hinweis auf die Rolle der Topik für ein angemessenes Verstehen eines Textes beginne, ist dieser: Möglicherweise ‚bedeuten’ die Aussagen einer Naturphilosophie im allgemeinen, die Sätze und Wörter in Hegels Naturphilosophie, sogar das Wort „Physik“ selbst durchaus etwas anderes als im Kontext der Naturwissenschaft.7 In vielerlei Hinsicht spricht Hegel 7 Enz. II, § 246 (15): „Was Physik genannt wird, hieß vormals Naturphilosophie [...]“, „[...] die Entstehung und Bildung der philosophischen Wissenschaft hat die empirische Physik zur Voraussetzung und Bedingung.“ Der Philosophie geht es um die Begriffsbestimmung des Gegenstands (qua topisch begrenztem, in diesem Sinn endlichem) Gegen-

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sozusagen eine tote Sprache, die sich nicht unmittelbar dem Verständnis erschließt. Das Problem ist dann aber, wie zwischen einer Fehldeutung des Gemeinten und der Zuschreibung von Fehlern zu unterscheiden ist. Es kann zum Beispiel sein, daß viele einzelne Passagen, insbesondere in den von den Herausgebern hinzugefügten Vorlesungsmitschriften, gerade deswegen unverständlich oder problematisch sind, weil uns der besondere Mikrokontext der mündlichen Rede fehlt. Noch schwieriger werden die Verhältnisse dadurch, daß Hegel verschiedene Interessen und Gesichtspunkte, Sprachebenen und Erklärungen miteinander verwebt, etwa begriffliche Reflexionen mit empirischen Behauptungen. Gerade indem er sich weigert, Metastufe und Objektstufe zu trennen, gerät Hegel in die Gefahr, daß seine Kritik an Unzulänglichkeiten vorgelegter Theorien selbst zu Fehlurteilen auf der Stufe der Wissenschaft und Empirie führt. Außerdem geht es in der Naturphilosophie nicht etwa nur um kritische Reflexion auf die Methoden und Grenzen der Naturwissenschaften, sondern auch um ästhetische und ethische Naturverhältnisse und um deren sprachliche Artikulationen bzw. ihre Beurteilung als vernünftig oder unrichtig. Die kontextabhängige Verschiedenheit der Bedeutung von Worten und Sätzen besteht in den unterschiedlichen verbalen (theoretischen, urteilsorientierenden) und praktischen (handlungsorientierenden) Inferenzen, die mit ihnen verbunden sind, die sie uns ‚erlauben’ und für deren Verläßlichkeit sie bzw. ihr Autor einstehen. Wir müssen daher zunächst die Frage nach dem allgemeinen Ort der Naturphilosophie und nach den besonderen Kontexten ihrer verschiedenen Teile klären. Erst danach können wir ihre Aussagen in ihrem Inhalt erfassen und beurteilen.8

standsbereich einer Wissenschaft. In Enz. II, 32 findet sich der für das Verständnis wichtige Satz: „In einem System ist das Abstrakteste das Erste, das Wahre jeder Sphäre das Letzte [...].“ Gemeint ist, daß wir zunächst immer abstrakt, objektstufig, schematisch denken und uns erst bei Auftreten von Problemen, in oft schwierigen Reflexionen, die präsupponierten Schemata explikativ bewußt machen und damit Momente dessen, was wir konkret tun. 8 Eine ganz andere wichtige Ortsbestimmung der Hegelschen Naturphilosophie, nämlich die Einbettung in die Entwicklung der Naturwissenschaft, liefert Wolfgang Neuser. In: Herbert Schnädelbach (Hrsg.): Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß. (= Bd. 3 von: Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken.) Frankfurt/M. 2000. 139-205. Klärungsbedürftig ist dort insbesondere die Rede von einer A-priori-Deduktion von Begriffen. (143)

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1.2 Naturphilosophie vs. Naturwissenschaft Eine der Grundthesen oder vielleicht auch schon Grundeinsichten Hegels besagt, daß naturgeschichtliche ‚Wahrheiten’ nicht einfach als kausaldeterministische Erklärungen nach dem Modell der ‚mechanischen’ causa efficiens verstanden werden dürfen und können. Sie sind nicht einmal einfache Berichte post hoc. Sie sind Rekonstruktionen von Entstehungsgeschichten anhand von Relikten. Wir rekonstruieren die Vergangenheit des Weltalls, der Erde und des Lebens auf der Erde unter Zuhilfenahme unseres gesamten physikalischen, chemischen und biologischen Wissens auf der Basis der Erfahrungen der Gegenwart und der gegenwärtigen Wissenstradition. Die Ergebnisse dieser Rekonstruktion sind die kosmologischen Erzählungen einer Kosmogonie im Bereich der (Astro-)Physik, die geologischen Entwicklungsgeschichten der Erde als Extrapolationen der in der Chemie erforschten Stoffe und die verschiedenen Varianten einer biologischen Evolutionslehre, deren wichtigste vor Charles Darwin mit dem Namen Lamarcks verbunden ist. Wir können daher Hegel zumindest dieses zugestehen: Es ist Unfug, eine Entstehungsgeschichte wie einen Bericht zu lesen.9 Es ist zwar nicht formal falsch, zu sagen: Wenn wir dabei gewesen wären, hätten wir dieses und jenes unmittelbar gesehen oder erfahren. Falsch ist es nur zu glauben, daß die Wahrheitsbedingungen eines irrealen Konditionalsatzes dieser Form unmittelbar festliegen.10 Vielleicht sollten wir noch genauer sagen: Die Frage, wie die Wahrheitsbedingungen für solche Sätze definiert sind, ist erstens nicht einfach zu 9 Zur Kritik der Erklärung der Arten sowohl durch Evolution als auch durch Emanation vgl.: Enz. II, § 249, 31 ff. Die Kritik besagt im wesentlichen, daß beide Erklärungsarten Post-Hoc-Erzählungen sind; ihre erklärende Kraft ist von der Art der vis dormitiva, der Disposition zu schlafen, durch die wir erklären, warum jemand eingeschlafen ist. Zur Evolution der Erde vgl. aber auch Enz. II, § 339, 347: „Dies dem Geschichtlichen Angehörige muß als Faktum aufgenommen werden“, und 348: „Die Geschichte der Erde ist [...] ein Schließen aus empirischen Daten.“ Unerhört freilich klingt der Satz auf 349, daß für Tier und Mensch gelte, „jedes ist auf einmal ganz, was es ist.“ Dieser offenbar begriffliche Satz ist nicht leicht auszulegen. 10 Hegel ironisiert (in den Zusätzen, Enz. II, 17) die schon von Kant angegriffene Idee von einer ‚intellektuellen Anschauung‘, der zufolge „das geistige Auge unmittelbar im Zentrum der Natur“ stehe, indem er von „Sonntagskinder[n]“ spricht, „denen Gott die wahrhafte Erkenntnis und Wissenschaft im Schlafe mitteile“, und die „Einfälle [...] haben [...], um prophetisch das Wahre auszusprechen.“ Die Idee der Einheit von Denken und Anschauung, versprachlichtem Wissen und in ihm dargestellter Wahrheit ist kulturelles Projekt und Ziel (18), keine „natürliche Einheit“. Das Problem ist das der Verfassung des Ding- und Objektivitätsbezugs. Die konstitutiven Eigenschaften der Dinge und der Dingwelt, auf die wir uns empirisch beziehen, werden oft als bloße ‚Merkmale’ mißverstanden. (19 ff.)

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beantworten. Zweitens ist sie im Kontext der Bewertung von naturhistorischen Behauptungen oder Möglichkeitserwägungen auch nicht so wichtig. Wichtiger als die Frage nach einer idealen Wahrheit ist hier die Frage, welche Bedingungen wir an eine Begründung einer kosmologischen Behauptung oder Erwägung stellen, und zwar im Blick auf welche Folgerungen, die wir mit der Behauptung verbinden. Begründet werden muß zumindest, daß die Behauptung oder Möglichkeitserwägung nicht willkürlich ist. Sonst bliebe sie bloß subjektiver Glaube. Nur wenn sie besser begründet ist als eine willkürliche Meinung oder als eine bloße Möglichkeit im Sinne der reinen formallogischen Konsistenz, verdient sie als ernsthafte Erwägung überhaupt Gehör. Die metaphysischen Glaubenssysteme des Rationalismus bzw. der Scholastik und die leider um sich greifende Meinungsphilosophie der Gegenwart, nach der jeder ‚seine’ eigene Theorien zu allerlei Themen produziert und argumentativ verteidigt, haben dieses gemeinsam, daß sie die formaldeduktive Konsistenz eines Satzsystems für ausreichend halten, um es als mögliche Artikulation realer Verhältnisse oder überhaupt als sinnvoll anzusehen. Das gemeinsame Problem klassischer und gegenwärtiger Metaphysik besteht darin, daß man sich mit dem Aufweis der Konsistenz einer Theorie begnügt, um einen persönlichen Glauben an die Theorie für sinnvoll zu halten. Inkonsistenz und Inkohärenz sind aber nur notwendige Bedingungen. Sie sind nur Ausschlußkriterien einer gewissen Form von Falschheit, Unsinn oder Irreführung.11 Zumindest was die Begründungsbedingungen angeht, verhalten sich Wahrheit und Anerkennung (bzw. faktische Anerkennbarkeit) im Allgemeinen, irreale Konditionalsätze und geschichtliche Rekonstruktionen im Besonderen geradezu umgekehrt zueinander, als man üblicherweise glaubt. Nicht eine absolute Geltung irrealer Konditionalsätze bestimmt, welche geschichtliche Rekonstruktion einer Genese ‚richtig’ ist, sondern das, was wir für eine richtige oder akzeptable oder mögliche Rekonstruktion erklären, bestimmt, welche irrealen Konditionalsätze wir verteidigen können. Der verrückte Zugang der Natur11 So reichen z. B. auch Kants Konsistenzbetrachtungen in der Ethik nicht aus. Wenn ich eine Maxime oder Handlungsweise anderen nicht zugestehe, ist sie auch mir nicht erlaubt. Dieses ‚moralische’ Prinzip der Gleichheit der Personen ist durchaus verteidigungswürdig. Aber aus der von mir zugestandenen Erlaubnis folgt noch lange nicht, daß ich selbst entsprechend handeln darf. Das hängt ab von der realen Zustimmung der anderen, wie Hegel gegen Kant bemerkt, nicht einfach von meinem eigenen konsistenten Wollenkönnen.

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philosophie besteht eben daher nicht darin, daß sie, wie Hegel selbst plastisch sagt, auf dem Kopf zu gehen versucht.12 Es geht eher um die Verrückung der Perspektive vom Glauben an eine unmittelbare Wahrheit und Objektivität zu einer realen Betrachtung der Bedingungen für sinnvolle Begründungen, und zwar nicht bloß von Behauptungen, sondern auch noch von Möglichkeitsurteilen – und ihrer topischen Grenzen. Im Grunde ist daher die gesamte Naturphilosophie Begriffsreflexion auf phänomenologischer Basis. Das allerdings wird in der von Hegel gewählten Sprachform keineswegs immer klar, zumal er zwischen einer Reflexion auf die Praxis des begrifflichen Redens und auf die sich in einer Praxis der Beobachtung und Handelns zeigenden Phänomene nicht klar genug unterscheidet. Daß er sich auch der Urteile über angeblich richtigere Erklärungen der Phänomene nicht enthält, sollte nicht weiter verwundern. Immerhin ist die Zielsetzung seiner Begriffsreflexion klar. Sie richtet sich gegen einen einfachen, metaphysischen, unterstellten Objektivismus. Ein solcher appelliert, um dies anschaulich zu sagen, an ein göttliches Wesen, das in die Vergangenheit und in die Zukunft ‚sehen’ kann. In der üblichen ‚unmittelbaren’ oder ‚realistischen’ Auffassung von Aussagen über die Welt im Allgemeinen, über die historische Entwicklung im Besonderen appelliert man nämlich in der Tat an einen kontrafaktischen Blick von einem ortlosen Nirgendwo und zeitlosen Niemals, oder, was auf das Gleiche hinausläuft, an einen zeit- und ortsinvarianten, insofern vollständig abstrakten Blick von einem Irgendwo und Irgendwann. Ein solcher Appell, wie wir ihn bei Descartes oder Leibniz oder Berkeley explizit finden, hilft uns aber überhaupt nicht weiter, gerade weil er im Detail ganz unkontrollierbar bleibt. Die konkreten Folgen, die man aus seinen Überzeugungen in Bezug auf das, was man für objektiv in diesem Sinn hält, sind eben daher rein willkürlich. Daher wird auch die übliche realistische Auffassung von Naturgeschichte und Naturwissenschaft als unmittelbare, wenn auch möglicherweise fallible Darstellung dessen, was ist, am Ende zu einer Art kryptotheologischen Metaphysik: In ihr wird die reale, je gegenwärtige Debatte um Methoden der Kontrolle sinnvoller Geltungsansprüche und konkret zu berücksichtigender Möglichkeitsurteile ersetzt durch einen unmittelbaren Glauben. Der Ruf des Theologen „Herr! Herr!“, mit dem dieser die Anmaßung seines angeblich unmittelbaren

12

Enz. II, 30.

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Zugangs zu Gott demütig verbrämt13, wird dabei ersetzt durch einen Anruf der Natur. Eben dieser Anruf ist in der Rede von einer Welt oder Wahrheit oder Realität an sich enthalten. Die Behauptung der Unabhängigkeit der Wirklichkeit von unserem Erkennen und die Bescheidenheit der ‚skeptischen’ These, konkrete Wissensansprüche seien immer fallibel, subjektiv oder gruppenrelativ, verbrämen in analoger Weise wie in der Theologie eine tiefe, transzendente Unbescheidenheit. Denn es ist schon der Glaube an eine objektive Natur an sich, und es sind schon die zugehörigen Bekenntnisse etwa der Art: „ich bin überzeugt, daß es eine Einheit der Natur und eine natürliche kausale Erklärung für das menschliche Bewusstseins gibt“ als solche transzendent, überschwänglich, unbescheiden. Sie artikulieren schon der Form nach eine dogmatische und metaphysische Haltung, unabhängig von ihrem je konkreten Inhalt. Transzendent ist nämlich jede Meinung, die unterstellt, es gäbe möglicherweise einen unmittelbaren Bezug auf das, was objektiv wahr ist – über die reale Praxis des vernünftigen Begründens von Urteilen, Warnungen und Empfehlungen hinaus. Metaphysisch ist die Ersetzung der Praxis des Argumentierens im kooperativen Zweck-, Erfahrungs- und Lebensbezug durch einen Beginn mit subjektiven Bekenntnissen oder mit einem hypothetischen Glauben. Die sogenannte axiomatische oder hypothetisch-deduktive Methode in den Wissenschaften – so wie sie üblicherweise verstanden wird – hat diesen Beginn mit Bekenntnissen leider gerade nicht beendet, sondern sogar neu installiert und geheiligt. Indem man die Axiome als zwar bloß hypothetische, aber doch möglicherweise wahre (oder falsche) Beschreibung einer Welt (‚an sich’) deutet – in der Mathematik wäre dies etwa eine platonistische Mengenwelt an sich –, hat man trotz aller Erkenntniskritik und trotz allem Fallibilismus schon einen metaphysischen Glauben an einen unerklärten Begriff der Wirklichkeit (an sich) hinter unseren Erfahrungen und unserer Praxis der Wissenschaft unterstellt. Gerade diese Unterstellungen prägen den ‚Realismus’ eines K. Popper oder auch eines H. Putnam, um grob auf zwei Beispiele zu verweisen. Hier verbirgt sich ein grundsätzliches Problem zeitgenössischer Philosophie: Sie ist auch noch als erkenntnisskeptischer Fallibilismus Apologetik eines szientistischen Weltbildes bzw. eines begrifflich ungeklärten, ganz diffusen Realismus und Naturalismus. Es ist eben dieser moderne Glaube an eine eigentliche Natur nach Art einer hypostasierten Hinterwelt mit ihren Atomen und angeblich 13

Vgl. dazu Hegels Vorrede zur 3. Ausgabe zur Enzyklopädie (Enz. I, 34, 36).

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kausaldeterministischen Partikelbewegungen, den Hegel als Weltanschauung der Naturwissenschaften angreift. Dabei wird selten gesehen, daß sich diese Kritik nicht so sehr gegen die Naturwissenschaften selbst richtet, als gegen die mit ihnen verwobenen Weltbildern und damit gegen eine bestimmte Selbstdarstellung der Wissenschaften: In ihren Sonntagsreden werden überschwängliche Erklärungsansprüche geltend gemacht. Dauerndes öffentliches Interesse findet nämlich weniger das wirkliche Können und prognostische Wissen, auch wenn dieser technische Erfolg der Wissenschaft alle weiteren Ansprüche beglaubigt. Dauerndes Interesse findet die wissenschaftliche Kosmologie, welche die Tradition religiöser Mythen beerben möchte. Im Allgemeinen sind dann aber die weltanschaulichen oder weltbildschaffenden Teile oft bis zur Unkenntlichkeit mit den in der konkreten Erfahrung kontrollierten wissenschaftlichen Geltungsansprüchen selbst vermengt. Die Differenz zwischen Wissenschaft und szientistischer Weltanschauung gilt es daher erst zu erarbeiten. Daß Hegels Naturphilosophie diese Differenzierung anstrebt, scheint mir sicher, ob sie ihm hinreichend überzeugend gelungen ist, bleibt fraglich. Wenn Hegel, um ein konkretes Beispiel zu nennen, gegen die Porentheorie der Dichte und des spezifischen Gewichts argumentiert14, so geht es ihm nicht nur um eine in der Tat unhaltbare Theorie, sondern um den mit dieser Theorie verbundenen, ebenfalls unhaltbaren Anspruch der Reduktion von allem natürlichen Geschehen auf eine Mechanik der Partikelverteilung und Partikelbewegung. Hegel sieht, daß alle derartigen Reduktionismen Ideologien sind, welche sogar noch hinter Einsichten Bacons, Humes oder Kants zurückfallen. Es gibt nämlich weder empirische, noch apriorische Gründe für den Glauben an derartige Reduzierbarkeiten. Sinnvoll ist freilich der Wunsch, den Darstellungen und Erklärungen der erfahrbaren Phänomene eine möglichst einfache Form zu geben. Über diese vernünftige Zielsetzung hinaus gibt es dann aber immer auch eine kontrafaktische Selbsterfüllung eines solchen Wunsches durch Sätze der Art: „Im Prinzip läßt sich alles so oder so, also etwa im Rahmen des Bildes determinierter oder stochastischer Partikelbewegungen erklären“. Daß eine solche Selbsterfüllung eines Wunsches sinnleer ist, wird durch die Ontologisierung der Ausdrucksweise und die zugehörige Begründung der Erklärbarkeitsaussage vollends vertuscht. Man sagt jetzt nämlich, daß unabhängig von realen Erklärbarkeiten die Welt selbst ‚eigentlich’ nur aus den be14

Enz. II, § 293, 160.

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treffenden mechanischen Partikelbewegungen bestehe, wobei die Bewegungen durch entsprechende kausale Wirkungen kausaler Ursachen bestimmt seien. Als willkürlicher und daher metaphysischer Glaube an den Reduktionismus und damit dann auch daran, was die Natur im Kern sei, verdienen solche kontrafaktischen Aussagen weder in der Wissenschaft noch in der Philosophie Gehör und Berücksichtigung. In Bezug auf die konkrete Erklärung der Dichten und Massen von Körpern verlangt Hegel daher gegen die Porentheorie die reale Anerkennung der Tatsache, daß es einfach erfahrbare qualitative Unterschiede verschiedener Stoffe in Bezug auf ihre Masse und ihre chemische Eigenschaften gibt.15 Damit kritisiert er die willkürliche Unterstellung eines materiellen Basisstoffs, aus dem alles zusammengesetzt sei. Er tut dies mit gutem, empirischem Recht. Ebenso wehrt er sich z.B. gegen Klangstofftheorien und betont, daß Klang entstehe, indem sich innere Schwingungen (etwa von festen Körpern) in anderen Medien (Luft, Wasser oder festen Körpern) fortsetzten.16 In ähnlicher Weise kritisiert er Wärmestofftheorien17 und fordert die Anerkennung der Ausbreitung von Wärme, der Existenz verschiedener Wärmeleiter usf. Er zeigt Verständnis für Goethes Farbenlehre und nimmt gegen Newton insofern Stellung, als er den Reduktionismus der Newtonianer nicht anerkennt, nach welcher Farben ‚nichts anderes’ seien als Ergebnisse der Brechung weißen Lichts.18 Hegel übt außerdem Kritik an der Vorstellung, das Licht sei eine Emission von Partikeln, indem er ‚schließt’, daß ein so mit Partikeln vollgestopfter Raum eher undurchsichtig wäre.19 Insgesamt klagt er den Handlungsbezug unseres Wissens über mechanische und chemische Verhältnisse ein und beklagt, daß die materialistische bzw. mechanistische Naturauffassung sich in der Regel auf einseitige Verständnisse formaler, in ihrer Metaphorik und damit in ihrem analogischen Inhalt erst noch genauer auszulegender Ausdrucksweisen stützt. Eine dieser Einseitigkeiten sieht er z.B. auch in der These, daß

15 Der folgende Satz (Enz. II, 161) zeigt m.E. Hegels ‚phänomenologischen’ Zugang: „Das spezifische Gewicht ist [...] eine [...] Grundbestimmung der Körper.“ 16 Enz. II, § 300, 171 ff. 17 Enz. II, § 303, 188. 18 Enz. II, § 320; Hegel überzieht seine Polemik gegen Newton (246 f., 250, 254), aber auch sein Lob auf Goethe (248): Weder das relative Recht der Newtonschen Optik, noch der besondere Ort einer Phänomenologie der Farbwahrnehmung ist genau genug bestimmt. 19 Enz. II, 246, 248, 250.

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sich Lichtpartikel in endlicher Geschwindigkeit (halb)kugelförmig um die Quelle ausbreiteten.20 In der Tat ist bis heute nicht entschieden, ob Licht besser als Emission von Wellen oder von Lichtpartikeln aufzufassen sei. Das liegt daran, daß wir diese Frage nicht einfach unabhängig von unserem Interesse und dem zugehörigen Erfahrungskontext entscheiden können – und daher auch nicht absolut entscheiden müssen bzw. sollten. Es ist das Bild der Licht-Partikel-Emissionen ohnehin nicht wörtlich zu verstehen. Die Verhältnisse sind hier bestenfalls in manchen Aspekten analog zum Fall des Wegstoßens einer Menge von Billardkugeln. Auch die ‚Zusammensetzung’ des weißen Lichts ist von anderer Art als die Überlagerungen von Wasserfarben oder als die Zusammensetzungen von Legosteinen. Soweit es dieses ist, was Hegel uns sagen will, behält er Recht. Aber geht Hegels Kritik nicht in vielem, allzu vielem, zu weit? Etwa wenn er, zumindest prima facie, alle analogischen, modellartigen Erklärungen ablehnt, die wir heute als wesentliche Fortschritte der Naturwissenschaft bewerten? Zumindest dem ersten Anschein nach lehnt er z.B. die schon damals entdeckten Grundzusammenhänge von Molekularphysik, Chemie und Elektrochemie, von Elektrizität und Magnetismus, von Licht und Energie als Rückschritte ab. In seiner Naturphilosophie greift er, so scheint es, stattdessen auf die antike und inzwischen doch wohl endlich und endgültig zu begrabende Vier-Elementen-Lehre zurück. Dabei setzt er das Tüpfelchen auf das i, wenn er die vier Elemente in das Prokrustesbett seiner dialektischen Dreischritte einzwängt, etwa indem er das Feuer zur ‚komprimierten Luft’ erklärt.21 Überhaupt scheint zunächst nichts absurder als Hegels Selbstplatzierung, wenn er von seinem eigenen, für uns heutige Leser äußerst sprunghaften Vorgehen sagt, es folge dem Begriff, während die Methode der Wissenschaft nicht schlüssig sei, sondern begriffslos oder gar begriffswidrig. Eine solche Rhetorik der verbalen Selbstzuschreibung von begrifflicher Folgerichtigkeit ist ebenso billig wie falsch. Ein Urteil wird nicht dadurch vernünftig, daß man versichert, es sei vernünftig. 20 Enz. II, § 276, 118. Die Halbkugel erklärt sich dadurch, daß der das Licht aussendende Körperpunkt auf einer Körperoberfläche liegend angenommen wird. Hegel scheint zu bemerken, daß die Annahme einer solchen Kugel bei bewegten Körpern im Widerspruch dazu steht, daß sich das Licht, wenn es einmal ausgesendet ist, frei (‚selbstisch’) im Raum fortpflanzt und daher vom Bewegungszustand des Sendekörpers unabhängig sein müßte. Wie kann dieser dann das Zentrum der Kugel bleiben? 21 Enz. II, § 283.

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Ein Schluß wird nicht dadurch folgerichtig, daß man dies glaubt oder sagt. Wenn es aber nicht bloße Rhetorik sein sollte, was Hegel hier treibt, dann scheint es zumindest eine schwer nachvollziehbare ‚spekulative Logik des Begriffs’ zu sein, auf welche er sich stützt.22 Gegenüber dem, was wir normalerweise als Logik kennen, erscheint Hegels spekulative Logik und ‚Dialektik’ einfach als verrückt. Warum in aller Welt sollten wir einer derartigen Verrückung folgen, selbst wenn Hegel in manchen seiner kritischen Bemerkungen gegen andere Positionen zufälligerweise Recht behalten sollte? Was hätten wir überhaupt zu tun, um Hegel zu folgen? Gibt es über das Gerede von einem System hinaus überhaupt einen Leitfaden, eine Methode? 1.3 Analogische Erklärungen und ihre Reifizierung Möglicherweise haben wir in die Darstellung von Hegels Verrücktheit schon einen anachronistischen, modernen Zug gebracht, indem wir die Wissenschaft auf eine Weise darstellen, die alles andere als selbstverständlich ist. Es könnte sein, daß Hegel gerade für diese moderne Sicht kämpft. Er wäre nicht der erste philosophische Autor, dessen impliziter Einfluß allzu erfolgreich gewesen ist. Mit der modernen Selbstverständlichkeit meine ich den Hinweis darauf, daß wir in der Naturwissenschaft ideale analogische Modelle entwerfen, die als solche nicht einfach beschreiben, wie die Natur – in Hegels Ausdrucksweise: ‚an und für sich’ – ist, sondern nur, wie wir sie uns als eine Natur ‚an sich’ vor- und gegenüberstellen. Erklärende, etwa mechanistische Theorien lassen die Dinge, von denen sie handeln, nicht das sein, was sie als Phänomene sind und nicht so, wie sie uns zunächst gegenübertreten. Sie machen sie zu etwas Abstraktem. In der Theorie kann man aus Sätzen andere Sätze ableiten oder berechnen. Damit lassen sich Voraussagen artikulieren. Theorien sind sprachliche Techniken. Sie sind Techniken der Artikulation und damit der Konstitution gemeinsamer Erfahrungen und gemeinsamer Orientierungen. Dazu freilich muß man sie bzw. ihre Sätze auf angemessene Weise auf die erfahrbare Welt projizieren. Und dabei werden allerlei Formen

22 Einen wichtigen Hinweis finden wir in Enz. II, 22: „Das begreifende Erkennen ist [...] die Einheit des theoretischen und praktischen Verhaltens“.

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des Handelns, etwa des Messens und der Kontrolle von Messung und Meßgerät, eine Rolle spielen. Wenn wir daher begreifen wollen, was Hegel meint, müssen wir verstehen, daß die Natur ‚an sich’, von welcher die Naturwissenschaften reden, realiter immer bloß das Korrelat der naturwissenschaftlichen Theorien und Modelle ist, mit denen wir unsere Erfahrungen darstellen und ‚erklären’. Daher ist die Natur ‚an sich’ von dem, was wir als Natur realiter erfahren, zu unterscheiden. Man überhöre dabei in Ausdrücken wie „Natur an sich“ oder „Welt an sich“ nicht die Distanz und das Zitationsartige des Ausdrucks! Die Natur ‚für sich’ ist dagegen die Erfahrungsrealität. Die Natur ‚an und für sich’ ist eine entsprechend ‚richtig’ dargestellte und erklärte Realität unserer Lebenserfahrung – wobei ein Wissen um unsere Formen der Darstellung und Normen der rechten Erklärung, ja ein kritisches Bewußtsein über diese Formen und Normen als implizite, empraktische und als zu explizierende schon im Begriff ‚enthalten’ sein muß. Kurz, wir verstehen den Begriff der Natur an und für sich erst dann, wenn wir das gesamte Feld der Praxis der Rede über die Natur und unseres Naturverhältnisses topisch überblikken, insbesondere aber das Verhältnis von theoretischer Darstellung und Erklärung zu der Erfahrung selbst, unter Einschluß unserer empraktischen Erfahrung im Umgang mit Theorien, und zwar im Rahmen einer allgemeinen Praxis unseres Umgangs mit Natur und mit ‚uns selbst’. Eingeschlossen sind darin auch entsprechende normative Urteile über das Richtige und Unrichtige. Mit anderen Worten, eine materialistische Weltanschauung, die glaubt, die Modelle der Naturwissenschaft stellten die Natur wenigstens der Möglichkeit nach unmittelbar so dar, wie sie ist, bemerkt weder das Konstruktive, Ideale und bloß Analogische der begrifflichen Darstellungen ‚natürlicher’ Verhältnisse in den Wissenschaften noch die begriffskonstitutiven Rollen verschiedener Momente im Begriffsnetz. Diese Momente oder Sphären sind: die Möglichkeiten der individuellen Wahrnehmung als Basis der Kontrolle von Geltungsbedingungen und damit der Existenz empirisch-phänomenaler Gegebenheiten (1), die Verfolgung individueller Interessen durch technisches Mittelwissen und dessen Erfolg (2), die kooperativen Orientierungen, deren rechte Befolgung normativ beurteilt wird (3), die Tradition einer Darstellungs- und Erklärungspraxis, in deren begrifflichem Netz wir uns je schon bewegen (4). Diese vier Momente sind in jeden konkreten Geltungsanspruch und jede Wahrheitsbewertung längst schon eingebaut, in einer je konkreten Form implizit enthalten. Wenn man diese

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Momente übersieht, entsteht ein defizitäres Bild dessen, was wir in den Naturwissenschaften wirklich tun und was z.B. eine ‚kausale Erklärung’ wirklich ist. Der sogenannte ‚objektive Idealismus’ Hegels ist möglicherweise nichts anderes als die Einsicht in diesen Idealismus der Naturwissenschaft – und in die Folgen des Wissens darum, wie ‚idealistisch’, d.h. formalistisch und abstrakt, das naturwissenschaftliche Welt- und Selbstbild ist. Das Folgende ist mit der obigen Vermutung gemeint, Hegels in der Regel alles andere als klar, deutlich oder einfach formulierten Einsichten könnten allzu erfolgreich gewesen sein: Erstens stehen seine Überlegungen durchaus in der Nachfolge Humes und Kants (1). Gegen deren Fixierung auf das Individuum betont Hegel freilich die allgemeine Form unserer Praxis. Gegen die Fixierung auf Wahrnehmung und Verhalten setzt er die komplexe Kultur begrifflichen, sprachlichen, artikulierten Wissens. Zweitens wurde der naive ‚objektive Materialismus’ später besonders von Ernst Mach erneut einer phänomenologischen oder radikalempiristischen Kritik unterzogen (2), allerdings ohne hinreichende Berücksichtigung der Bedeutung der unterschiedlichen begrifflichen Netze. Ganz analog wie Hegel den Platonismus der infinitesimalen Größen mit guten Gründen angegriffen hat, indem er die synkategorematische Bedeutung von Ausdrücken wie „dx“ in der Notation von Integralen und Differentationen absolut richtig erkennt23, hat, drittens, auch Frege den abstrakten Glauben an ein platonisches Reich mathematischer Ideen, etwa der Mengen eines Georg Cantor, erschüttert: Seine logische Analyse der konkreten Konstitution unserer Rede über Wertverläufe, Anzahlen und Zahlen erweist einen solchen Glauben als überflüssig und ersetzt ihn durch die sprachliche Technik der Mengenabstraktion. In der Hilbert-Tradition wird diese aus bekannten Gründen durch eine andere Technik, die Formulierung von Axiomensystemen, ersetzt (3). Schließlich wird, viertens, auch im Amerikanischen Pragmatismus die reale Erklärungsleistung der (Natur-)Wissenschaft in einen instrumentalistischen Rahmen gesetzt. Ch. S. Peirce, W. James und J. Dewey betten wie Hegel das Wissen in den Kontext des Lebens und des praktischen Handelns ein (4). Bei James geschieht dies mit dem Ziel, das Besondere der deskriptiven Methode der Psychologie als Verhaltenswissenschaft aufzuzeigen und die Anerkennung des wichti23 Vgl. dazu meine Rekonstruktion der entsprechenden Passagen der Wissenschaft der Logik unter dem Titel: Hegels Philosophie der Mathematik. In: Ch. Demmerling/ F. Kambartel (Hgg.): Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretation zur Dialektik. Frankfurt/M. 1992. 214–249.

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gen Phänomens sich selbst erfüllender Hoffnungen (‚Prophezeiungen’) im Entscheidungsprozeß und Handeln gegen Vorurteile zu verteidigen, die sich aus dem Weltbild des ‚medizinischen’ (neurophysiologischen) ‚Materialismus’ ergeben. Bei Dewey geschieht dies mit dem Ziel, die Möglichkeit einer emanzipatorischen Pädagogik begreifbar zu machen. Beide, James und Dewey, müssen sich dabei zumindest partiell von der Orientierung an den Erklärbarkeitsurteilen und den zugehörigen ontologischen Unterstellungen der Naturwissenschaft bzw. des Paradigmas der physikalischen Mechanik absetzen, an denen Ch. S. Peirce trotz seiner kooperationstheoretischen Einsichten in die Konstitution von Wissenschaft offenbar doch festgehalten hat. Die Entwicklung dieser materialismuskritischen Ansätze endet im Wiener und Berliner Kreis zunächst in einer Art Kotau vor dem herrschenden Zeitgeist. Denn der Basisglaube an den Physikalismus und an die axiomatische Methode der hypothetisch-deduktiven Erklärung der Welt bedeutet für die Philosophie faktisch den Verzicht einer offenen Reflexion auf die an verschiedene Phänomen- und Problembereiche bzw. Zwecksetzungen angepaßten Untersuchungsmethoden und sprachlichen Darstellungsformen der unterschiedlichen Disziplinen. Die Folge ist eine unkritische Anerkennung der Physik als Leitwissenschaft und des mathematisierten Modells als Paradigma für jede ‚echte’ wissenschaftliche Darstellung und Erklärung. Allerdings entwickelt sich seit Wittgenstein und Thomas Kuhn immerhin auch bei manchen analytischen Philosophen die Einsicht in die Bedeutung der Vielfalt der grundlegenden Kategorien und Formen der sprachlichen Darstellungen verschiedener Bereiche der Erfahrung und in die Theorie- und Modellabhängigkeit unseres Wissens. Es wächst außerdem die Einsicht, daß die logizistische Wende der Philosophie mit ihrem apriorischen Vorurteil, nach dem nur mathematisierte Sätze als klar und deutlich und nur formale Deduktionen als Argumente anzuerkennen seien, noch keine wirkliche sprachphilosophische Wende ist. Damit wächst auch die Einsicht in den analogischen, bildhaften, topischen und idealen Charakter jeder Wissensartikulation. Allerdings scheint man nicht mehr zu wissen, daß man dabei insgesamt eine ganz analoge Denkbewegung vollzieht, wie wir sie schon aus der Tradition kennen: Gegen die Newtonianer und Mechanisten einerseits, eine ‚physiologische’ Erkenntnislehre bei Locke andererseits richtet sich die ‚radikalempiristische’ Kritik des subjektiven Idealismus Berkeleys und die zwischen einem empiristischen Subjektivismus und hypostasierten Naturalismus hin und her schwankende Philosophie

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Humes. Dies führt zunächst zur Idee eines logisch-begrifflichen Aufbaus der Dingwelt bei Kant, dann zu Hegels Verschränkung von Logik und Erfahrung, von theoretischer Form, gegenständlichem Inhalt und Begriff. Hegel erkennt als Thema kritischer Metaphysik das Geflecht von vorgegebenen Begriffen und Kategorien, das „diamantene Netz, in das wir allen Stoff bringen und dadurch erst verständlich machen.“24 Er erkennt damit zugleich, daß sinnanalytische Metaphysikkritik nicht einfach konstruktiv vorgehen kann, wie Kant dies versucht und später dann auch Carnap, in ihren jeweiligen Versionen der Konstitution eines Gegenstandsbereichs möglichen objektiven Erfahrungswissens bzw. eines Logischen Aufbaus der Welt auf der Basis von individuellen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Kritischer Philosophie geht es um eine Reflexion auf die reale Verfassung sinnvoller Rede, begründeter Urteile und wissenschaftlicher Kooperation. Sie flicht das in der Tradition gegebene Netz begrifflicher Üblichkeiten sozusagen partiell auf und knüpft es, rekonstruktiv, neu zusammen. Hegel erkennt damit auch die Bedeutung des Paradoxes der Analyse, nach welchem jede Rekonstruktion immer auch die impliziten Formen, die expliziert werden, in einem besonderen Licht erscheinen lassen und diese nicht etwa einfach beschreiben. Methoden- und zweckbewußte Explikation impliziter Formen einer Praxis ist kritische Reflexion auf sonst bloß dogmatisch, d.h. unmittelbar gelernte und eben dadurch möglicherweise unbegriffen tradierte Formen des Urteilens und Schließens und auf die normalen Methoden, die ausgetretenen Pfade der Wissenschaft. „Revolutionen in den Wissenschaften“ bestehen nach Hegel eben darin, daß grundlegende Kategorien, theoretische Darstellungsformen und Begriffsnetze (in der Regel implizit, d.h. nicht durch expliziten Beschluß) geändert oder neu begriffen werden.25 Naturphilosophie ist dann zunächst rationelle Physik.26 Als solche ist sie kritische Analyse der in den Naturwissenschaften je unterstellten Naturbegriffe, der methodischen Zugänge zur Natur und der metaphysischen Bilder von der Natur. Ihr erster Aufgabenbereich ist die Wissenschaftstheorie, zumal die der jeweiligen Leitwissenschaften. Dabei geht es unter anderem um die (grobe) Aufdeckung der formalen Präsuppositionen, des begrifflichen Rahmens und des begrenzten Anwendungsbereichs der theoretischen Mechanik. Enz. II, 20. Enz. II, 20 f.: „Alle Revolutionen [...] kommen nur daher, daß der Geist [...] seine Kategorien geändert hat [...].“ 26 Enz. II, 11. 24

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Ziel ist die ideologiekritische Platzierung der physikalischen Dynamik oder Bewegungslehre, samt einer Analyse ihrer Grundbegriffe: Raum, Zeit und Materie. Dabei geht es weniger um eine apologetische Rechtfertigung großer Erklärbarkeitsbehauptungen, als um die Einschränkung des Orts mechanischer Erklärungen, die Eindämmung überschwänglicher Thesen über die Natur, die angeblich nichts als ein mechanisches System von Bewegungen von Atomen, materiellen Partikeln sei. Ein zweiter Bereich ist die Wiederaufnahme des Programms der Aristotelischen Physik. Diese ist Naturphilosophie im Sinne einer Begriffsanalyse unserer verschiedenen Rede- und Wissensformen, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Natur beschäftigen. Reflektiert wird dabei auf den Gesamtbereich unseres Redens über die (lebende) Natur und auf die geschichtliche Entwicklung der Redeformen, des Begriffs der Natur, selbst. Als Reflexion auf den komplexen Naturbegriff ist Naturphilosophie nicht schon Naturwissenschaft. Entsprechend den Differenzen zwischen den verschiedenen Naturwissenschaften auf der einen Seite, der Naturphilosophie auf der anderen sind die zugehörigen Zugangsweisen zur Natur und Auffassungen des Natürlichen zu unterscheiden. Dabei verteidigt Hegel den systematischen (nicht historischen!) Primat der topischen Begriffs- und Methodenreflexion: Naturphilosophie hat methodischen Vorrang vor dem ‚normalen’ empirischen Gang in den einzelnen Disziplinen der Naturwissenschaften. Daß man in den Naturwissenschaften diesen Anspruch auf Platzanweisung als anmaßende Intervention zurückweist und sich in dieser Zurückweisung insbesondere die vielen Fehler und Naivitäten Hegels zunutze macht, ist zwar verständlich, dennoch ein Mißverständnis, zumal keiner sagt, daß naturphilosophisches Nachdenken nur von bestallten Philosophen kompentent beherrscht wird. Ein dritter Bereich ist die Erinnerung an die Entwicklungsgeschichte der vielfältigen Methoden der realen Naturwissenschaften und der vielfältigen Naturbilder, und zwar in ideologiekritischer Absicht. Die Formen unserer Darstellung der Natur und die Formen unserer Selbstplatzierung in die Natur sind nämlich nicht selbstverständlich, nicht natürlich, nicht ewig, nicht a priori vorgegeben. Sie ergeben sich in einer gemeinsamen Praxis. Die Anerkennung ihrer Formen ist in der impliziten Teilnahme wirklicher als in den verbalen Reden über sie. Aber werden die Möglichkeit und Grenzen der Naturphilosophie wirklich gewahrt, wenn Hegel sie als Naturerkenntnis aus Gedanken

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auffaßt? Welcher Art ist der damit offenbar vertretene Apriorismus? Was meint er, wenn er der wissenschaftlichen Physik viel mehr Gedanken, begriffliche Formen und Reflexionen zuschreibt, als sie selbst von sich weiß?27 2. Der Begriff der Natur und der Zweck der Naturphilosophie 2.1 Was ist Natur? Als bestimmende Grundfrage der Naturphilosophie nennt Hegel die Frage: „Was ist die Natur?“28 Dies ist keineswegs die Grundfrage der Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften wollen wissen, wie sich ‚die Natur’ verhält, wobei hier der Ausdruck „die Natur“ schon als etwas ‘Gegenständliches’ genommen wird, im Sinne von etwas, das uns irgendwie gegenübersteht. Wir selbst, als Forscher oder Gesprächspartner, stehen dabei zunächst auf der einen Seite dieser Entgegensetzung und sind damit zunächst keine Objekte, sondern Subjekte des Wissens. Als Subjekte müssen wir uns selbst – aus formalen, begrifflichen Gründen – zumindest zunächst aus dem Objektbereich ausschließen, da sonst gar nichts als Gegenstand beobachtet oder erfahren und niemandem das Verhalten dieser objektiven Dinge erklärt würde. Dieser begriffliche Satz, so einleuchtend er ist, wird selten in seiner Bedeutung und Bedeutsamkeit festgehalten. Wenn man ihn und damit eine Einsicht Fichtes ernst nimmt, bemerkt man, warum die Frage: ‚Was ist Natur als Gegenstand der Naturwissenschaft?’ nur eine Teilfrage ist bei der Verfolgung der Frage nach dem (Gesamt-)Begriff der Natur bzw. dem ‚Korrelat’ dieses Begriffs, dem Gesamt der Natur, zu der wir selbst gehören. Wie bedeutsam die Frage ist, wird klar, wenn man den logischen Widerspruch bemerkt zwischen dem Satz, daß wir die Natur dem Geist, der Vernunft, dem Wissen gegenüberstellen, daß andererseits ‚sich der Geist in diesem von ihm selbst Abgestoßenen ahnt’ 29. Das heißt, wir ahnen, daß die formale Entgegensetzung von Geist und 27 Enz. II, 11, wo Hegel in Fortsetzung der obigen Aussage erklärt, „wenn etwa gar das Denken in der Physik für etwas Schlimmes gelten sollte, daß sie schlimmer ist, als sie meint.“ 28 Enz. II, Einleitung, Zusatz, 12. 29 Enz. II, 12.

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Natur, von Naturerkenntnis und objektiver Wirklichkeit nur die halbe Wahrheit ist. Die erste und allzu unmittelbare Folge dieser Ahnung ist der Versuch, den Geist, das Erkennen, die Vernunft selbst naturwissenschaftlich erklären zu wollen. Es ist das Projekt der Naturalisierung des Geistes, etwa im Rahmen einer evolutionären Theorie der Lebensstufen und der Erkenntnis. Dabei könnten wir gleich auch die Gefahr erahnen, daß ein derartiger Versuch sich bloß auf eine geahnte Halbwahrheit stützt und daher von vornherein begrifflich verwirrt ist. Die Verfolgung der Grundfrage der Naturphilosophie: „Was ist die Natur?“ wird gerade im Rahmen der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Geist bzw. erklärender Naturwissenschaft und reflektierender Geistes-‚Wissenschaft’ zur zentralen Basis für jede kritische Philosophie des Geistes und dann auch für jede philosophische Anthropologie. Neuzeitliche und zeitgenössische Theorien menschlicher Kognition, die sich, wie bei Locke schon zu sehen ist, auf eine Physiologie des Wahrnehmens und auf die Vorstellung schematischer Verarbeitungen des Wahrnehmungsinputs durch einen logischen Apparat stützen, der als irgendwie im Gehirn verdrahtet angenommen wird, bemerken nicht, daß sie selbst Folge eines Mangels an Naturphilosophie sind. Sie sind Folge eines Verzichts auf begriffliche Analyse des beschränkten Gegenstands und der beschränkten kategorialen Darstellungs- und Erklärungsformen der Naturwissenschaften. Als Folge dieses Verzichts sind sie provinziell. Hegel spricht in diesem Sinn von einem ‚endlichen’ Standpunkt. Das Provinzielle besteht in der Nichtanerkennung der topischen Begrenzungen naturwissenschaftlicher Methoden der Forschung und theoretischen Erklärung im Allgemeinen, der Physiologie im Besonderen. Provinziell ist dabei nicht der, welcher in der Provinz lebt, sondern der, welcher seinen Ort, und wäre er eine Metropole, für die Welt hält. Die Weltanschauung der Naturwissenschaften ist insbesondere im Blick auf die Sprachform provinziell. Dies liegt daran, daß sich nicht alles, was kritisch zu befragen ist, in den Sätzen und Theorien den Sprachformen des empirischen Berichts, der Statistik oder der mathematikanalogen Modellierung angemessen behandeln läßt. Auch lassen sich allfällige Antworten nicht einfach nach vorbestimmten Formen des Beweisens oder Begründens als richtig oder unzulänglich beurteilen. Das Problem ist die Einsicht in die Grenzen der Artikulationskraft einer mathematisierten Sprache im Besonderen, einer rein ‚objektstufigen’ Sprache im Allgemeinen. Im Gebrauch dieser ‚endlichen’ Sprachformen lassen sich die nötigen begrifflichen Präsuppositionen nicht

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explizit thematisieren. Sie bleiben gerade im Gebrauch dieser Formen bei der Artikulation empirischer Erfahrungen notgedrungen implizit. Analoges gilt für die Untersuchungsmethoden, Zwecksetzungen und Bereiche einer normalen, etablierten wissenschaftlichen Disziplin. Gerade durch den implizit definierten Objektbezug bleiben ihre Aussagen bloß objektstufig. Auf der Objektstufe werden ihre Sätze einfach als Aussagen über reale Objekte gelesen. Der Objekt-, Realitäts- und Wahrheitsbegriff selbst wird als gegeben und klar unterstellt. Die Provinzialität dieser Sicht besteht darin, daß der eigene Standpunkt nicht explizit verortet ist. In diesem Sinn denkt eine objektstufige Wissenschaft als solche nicht über sich selbst und über die begriffliche Verfassung ihres Gegenstandsbereichs und Wahrheitsbegriffs nach. Sie tut dies dort am wenigsten, wo sie überschwängliche Ansprüche auf die Erklärbarkeit oder auf ein Wissen über die Verfassung des Ganzen der Wirklichkeit oder auch nur des eigentlichen Kerns der Natur an sich erhebt. Was hier über die Wissenschaft gesagt ist, betrifft natürlich die Personen nur insofern, als sie den entsprechenden Rahmen des Redens, Denkens und Überlegens nicht verlassen (wollen oder können). Es gibt freilich durchaus auch Provinzialitäten in der Philosophie selbst. Provinziell ist z.B. eine Philosophie der normalen Sprache bzw. des angeblich gesunden Menschenverstands, die sich in eine allzu unmittelbare Nachfolge Humes stellt. Dessen Kritik an angeblichen oder wirklichen metaphysischen Überzeugungen mag in vielem berechtigt sein. Problematisch und einseitig wird sein positives Verständnis dessen, was Erkenntnis und Wissen angeblich sei. Für Hume gibt es Erkennen nämlich am Ende bloß im erfolgreichen differentiellen Verhalten individueller Menschen, die gewissen Wahrnehmungen aufgrund bisheriger Erfahrungen folgen. Damit wird der Unterschied zwischen dem Verhalten eines Tiers und dem Handeln der Menschen zu einem bloß graduellen. Eine solche individualistische Theorie macht aber nicht einmal den begrifflichen Unterschied zwischen einem impliziten Erkennen (oder Nichterkennen) und einem expliziten und objektiven Wissensanspruch sichtbar. In Humes Rahmen ist die Praxis der Naturwissenschaft und die Konstitution des Begriffs der wissenschaftlichen Objektivität überhaupt nicht begreifbar, wie Kant bemerkt hat. Selbst wenn uns die Antworten, die uns Hegel in seiner Naturphilosophie präsentiert, alle unbefriedigt lassen sollten, wäre immerhin an den Fragen, die sie aufwirft, festzuhalten. Diese beziehen sich nicht etwa nur auf die Natur für sich im Sinne eines unfaßlichen Proteus der je gegenwärtigen Erfahrungen, dessen Erscheinungsart sich dauernd

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wandelt.30 Hegel fragt durchaus direkt: „Was ist die Natur?“ Er ist sich dabei der Verständnisschwierigkeiten dieser Frage bewußt, wenn er erklärt: „In welchem Sinn wir dies hier fragen, indem wir die Philosophie der Natur kennenlernen wollen, dies ist es, was wir hier untersuchen wollen.“31 Die Frage selbst zu klären ist Hauptthema der Reflexion. Ein anderer methodisch zentraler Satz steht an einer weniger hervorgehobenen Stelle: „Es handelt sich hier, wie überall in der Naturphilosophie, nur darum, an die Stelle der Verstandeskategorien die Gedankenverhältnisse des spekulativen Begriffes zu setzen und nach diesen die Erscheinung zu fassen und zu bestimmen.“32 Verstandeskategorien bilden dabei ein Gesamtsystem dessen, was wir im normalen Gebrauch der Sprache oder einem wissenschaftlichen Sprachdesign, einer Terminologie etwa im Bereich einer besonderen wissenschaftlichen Disziplin und im zugehörigen verbalen und nonverbalen (praktischen) Schließen an impliziten Schemata und Formen des Handelns beherrschen bzw. mehr oder minder richtig zu beherrschen gelernt haben. Der spekulative Begriff ist einfach die Artikulation einer topischen Übersicht und Ordnung eines Systems dieser Art. Jede kritische, bewußte und selbstbewußte Analyse scheinbarer Selbstverständlichkeiten objektstufigen Redens und konventionellen Handelns verlangt in der Tat eine topische Übersicht, eine Ortsbestimmung der jeweiligen Rede- und Untersuchungsformen. Das gilt insbesondere auch für die Naturwissenschaften und ihren je besonderen Zugang zur Natur. 2.2 Natur als das Andere Für eine Analyse des Begriffs oder besser: der Idee der Natur ergibt sich aus dem bisher Gesagten, daß uns in der ersten Stufe Natur als Gegensatz, als das von uns als Natur Dargestellte und Behandelte erscheint. Diese Natur ist das Andere, d.h. der Bereich der widerständigen Gegen-Stände oder brauchbaren Mittel. Gerade im praktischen Verhalten zur Natur – und wenn die Theorie einer technischen Praxis dient – tritt uns Natur als sperriges Objekt oder als Mittel zum Zweck gegenüber.33 Die Bestimmungen des Dings als Zuhandenes, das wir uns zu Eigen 30 Cf. Enz. II, 12: Es geht darum, die Natur, diesen Proteus, zu nötigen, „daß er uns [...] auf einfachere Weise in der Sprache zum Bewußtsein bringe, was er ist.“ Cf. auch 19. 31 Enz. II, 12. 32 Enz II, § 305, 192. 33 Cf. Enz. II, § 245, 13 f.

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gemacht haben und das unserer Sorge und Begierde34 dienlich ist oder mit List in diesen Dienst gezwungen wird, liegen dann an uns, nicht in den Dingen selbst. Dabei gibt es Zwecke nur als von uns gesetzte Zwecke. In der Natur selbst gibt es keinen expliziten Zweck. Sie ist als Dingwelt, aber nur als solche, mechanisch bestimmt: als Bereich von Dingbewegungen, die man sich durch Herstellung von Ausgangsbedingungen gelegentlich gefügig machen kann, die man ansonsten unter dem Schema der dynamischen Ursache (Stoß) und Folge (Wirkung) darstellt, oft indem man kontrafaktisch so tut, als liefe sie selbst nach diesen Schemata ab. Damit unterschlägt man die Kontrolle des endlichen Bereichs, auf den das Erklärungsschema paßt, das nach Hegel (wie später auch nach von Wright) ohnehin in einer analogischen Extrapolation von Handlungsmöglichkeiten besteht. (Auf die Ambivalenz der Ausweitung des Begriffs der Ursache-Wirkung-Beziehung im Probabilismus gehe ich hier nicht weiter ein.) Zur Dingwelt im engeren Sinn gehören dann weder schon die Phänomene des Chemischen, die Stoffe, noch der Magnetismus bzw. die Elektrizität noch die der Optik und Akustik, schon gar nicht das Reich des Lebendigen, der Gegenstand der Biologie und Physiologie. 2.3 Natur als freie Lebendigkeit Gegen das (sowohl platonisch-pythagoräische als auch demokritische) Bild von der Natur als bloßen Bereich von Elementen, die sich nach ewigen (mechanischen) Gesetzen bewegen, hatte schon die aristotelische Physik eine adäquatere Behandlung des Lebendigen gefordert und eben dafür eine Reflexion auf die Konstitution der Begrifflichkeiten entworfen, in denen wir Natur als Phänomenbereich gliedern. Dies ist dann auch für Hegel der erste, wichtigste Schritt auf dem Weg dahin, Natur als frei in ihrer Lebendigkeit zu betrachten, als Physis, in der sie sich selbst bildende Formen gibt. Es geht dabei darum, die Natur als natura naturans, als Welt des Seins und des Lebensvollzugs zu begreifen und von der natura naturata, der uns als Bereich von Objekten entgegentretenden Natur der Objektwissenschaften zu unterscheiden. Hier können nur einige der Aspekte der Hegelschen Idee einer begrifflichen Konstitutionsanalyse der natura naturata, der unserem Sein entgegengesetzten Natur, beispielhaft genannt und erläutert werden. 34

Enz. II, § 246.

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Hegel rückt zunächst die Verschiedenheit der menschlichen Sinne und der mit ihnen zusammenhängenden Grundunterscheidungen ins Zentrum der Betrachtung. Dazu gehören: das Licht und das Dunkel als Grundkategorien der Differenzierung optischer Gestalten, das Starre und Schwere zunächst in Bezug auf den körperlichen Widerstand, der in der unmittelbaren Berührung, haptisch und taktil, empfunden wird, dann aber auch in seinem Zusammenhang, oder besser: Gegensatz zur ‚absoluten Leichtigkeit’ des fernwirkenden Lichts. Dieser Zusammenhang ist es zunächst, der uns optische Gestalten mit der Annahme von Körpern verbindet, als Sterne oder Lichtquellen oder als Planeten und Monde oder Lichtreflektoren bzw. als Schatten werfende Objekte. Eine Sonne ist dabei durch ihre relative (nämlich zentrale) Stellung in einem Planeten- und Mondsystem bestimmt. Daß eine verallgemeinerte Optik die Basis jeder Kosmologie ist, ist eine Wahrheit, die in ihrer begrifflich-systematischen Allgemeinheit unabhängig ist von speziellen Fragen der optischen Entfernungsmessung, wie sie zur Relativitätstheorie geführt haben. Es wäre daher verfehlt, Hegel als Vorläufer der Relativitätstheorie zu preisen. Und doch hängen die Dinge im Allgemeinen durchaus zusammen. Wenn Hegel nämlich das Licht als das „existierende allgemeine Selbst der Materie“35 auffaßt, so ist daran zu erinnern, was in der Logik „Existenz“ heißt: Die Identität (und der Ort) der (kosmischen) Körper wird durch Identifizierung wahrnehmbarer, also sich wirklich bzw. möglicherweise zeigender Lichtsignale ‚definiert’, die als optische Manifestationen der betreffenden Körper gewertet werden. Die Bedeutung einer derartigen Überlegung für Hegel ist unter anderem folgende: Während die mechanistisch-dynamistische Darstellungsform der Bewegung der Planeten nach Kopernikus, Kepler und Newton die Erde in der Kosmologie aus dem Zentrum wirft, bleibt sie epistemisch, pragmatisch und begrifflich Zentrum der Welt insofern, als wir hier und heute es sind, die das ‚wahre Bild’ des Kosmos als Gesamt der äußeren Natur samt seiner Geschichte entwerfen. In dieses Bild als systemische Ordnung möglichen theoretischen Wissens und praktischen Könnens passen wir unsere Wahrnehmungen ein, unsere Urteile über mögliche Wahrnehmungen und mögliche Handlungen und erklären das Bild, die Theorie für wahr, wenn die Einpassung hinreichend gut ist. Man denke als analoges 35

Enz. II, § 275.

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Beispiel daran, wie wir eine Landkarte als richtig oder faktentreu (wahr) beurteilen und sie in unseren Orientierungen benutzen. Demgegenüber halten es manche, etwa F. Kaulbach, für einen Fehler, daß Hegel das, was in der Naturwissenschaft bloß ‚empirisch gemeint’ sei, im Sinn des absoluten Wissens deute: Hegel habe die „an der Unterscheidung der Sinnesgebiete des Sehens, Hörens, des Tastens usw. orientierte empirisch-physikalische Einteilung in Optik, Akustik, Mechanik und Thermodynamik [...] seinsphilosophisch zu deuten“ versucht.36 Nun muß ich gestehen, daß ich nicht weiß, was Kaulbach glaubt, was Seinsphilosophie sei. Ich lese Hegels Vorgehen insgesamt eher so: Er versucht erstens gegen die dogmatische Übermacht des mechanistischen Paradigmas die Eigenständigkeit der physikalischen Disziplinen der Optik und Akustik, der Meteorologie und dann auch der weiteren Disziplinen der Elektrodynamik, der Chemie, der Geologie, der Biologie und Physiologie im Blick auf den je begrenzten empirischen Phänomenbereich und den Zweck in ihren unterschiedlichen Begrifflichkeiten zu begreifen. Wenn später die Schüler von Johannes Müller (Helmholtz, du Bois-Reymond) die Physiologie als Wissenschaft begründen, so emanzipieren sie sich durchaus von den zu engen Erklärungsformen der klassischen Mechanik. Daß der Erfolg dieser Entwicklung Hegel im Grunde Recht gibt, wird allerdings keineswegs erkannt oder anerkannt. Das liegt daran, daß man – wenigstens in der abstrakten Reflexion auf das werktägliche Vorgehen am Sonntag – an einem einheitlichen Erklärungs- und Kausalbegriff verbal festhält. Hegel dagegen setzt gegen den Glauben an die allgemeine Herrschaft des Prinzips der causa efficiens explizit eine Analyse, in welcher Erklärungen durch theoretische Entitäten gerade nicht als Kausalerklärungen, sondern als Darstellungshilfen erfahrbarer Phänomene im Rahmen der Konstruktion eines je zweckorientierten Sprachdesigns zu lesen sind. Er begrenzt den Bereich der möglichen ‚deterministischen Erklärungen’ auf den Bereich des kontrollierten instrumentellen Handelns und der kontrollierten, in der Regel selbst schon zweckorientierten Prognose.

36 Cf. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1971 ff. Stichwort: „Naturphilosophie“, 553.

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2.4 Die (All-)Einheit der Natur Eine Konstitutionsanalyse der Kategorien unserer Naturdarstellungen zielt nicht etwa, wie mancher erwarten würde, auf den Beweis der ‚bloßen Idealität’ einer von uns selbst als Gegenmodell gegen unser unmittelbares Leben entworfenen objektiven Natur. Nicht ein subjektiver Idealismus ist es, für den Hegel hier eine Lanze bricht. Diesem sind nur seine eigenen Erfahrungen und Modelle gewiß. Zwar stützt sich Hegel mit Fichte auf Grundeinsichten der immer schon zugleich rationalistischen, empiristischen und transzendentalphilosophischen Revolution der Erkenntnistheorie bei Descartes, Hume und Kant. ‚Romantische’ Philosophen und Dichter wie Herder, Novalis oder die Gebrüder Schlegel hatten allerdings schon den präsentistischen Anthropozentrismus dieser Denktradition mit durchaus bedenkenswerten Gründen als einseitig kritisiert. Schelling hatte daher eine entsprechende Naturphilosophie zu entwickeln versucht, welche den Menschen als Naturwesen begreifbar machen sollte. Hegels Überlegungen zielen ebenfalls ab auf ein Verständnis der Naturgebundenheit der condition humaine, aber ohne die Kulturgebundenheit unseres Verstehens und Wissens und der die menschliche Vernunft leitenden begrifflichen Netze aus dem Blick zu verlieren. Das Ergebnis ist ein anderes, neues Verständnis der Natur. Die Natur als ganze, als Rahmen des Lebens steht uns demnach nicht bloß als Gegenstand theoretischer Vor- oder Darstellung möglicher Erfahrung und als Mittel möglichen Handelns gegenüber, sondern ist Welt, Bereich und Gesamt-Ort unseres Lebens. Das Problem ist, Welt als solche sprachlich begreifbar zu machen, ohne in Vergegenständlichungen zu verfallen. Fürsprecher dieser Idee der Natur als Welt war u.a. auch der ‚Romantiker’ Hölderlin. Hegel anerkennt explizit die im romantischen Gefühl implizierten kritischen Urteile gegenüber einer bloß gegenständlichen, letztlich mechanistischen Auffassung der Natur als Bereich gegenständlicher Dinge37, strebt aber eine ambitionierte Versöhnung von Geist und Natur an, eine Versöhnung der Einsichten des Empirismus und der Transzendentalphilosophie mit dem romantischen Gefühlsnaturalismus, eine Versöhnung insbesondere zwischen dem cartesischen und kantischen Dualismus und Spinozas Monismus. Dazu gilt es zu begreifen, in welcher Perspektive Natur als eine bloße Provinz unseres Wissens, in welcher Perspektive Natur als Welt und da37

Enz. I, Einleitung, § 2.

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mit als das Ganze des Lebens aufzufassen ist, in dem wir selbst situiert sind. Die Einheit von Intellekt und Gefühl, von Theorie und praktischer Haltung ist für Hegel nicht Anfang, sondern Ziel der Analyse. Wenn man will, ist das Ziel eine Art neuer Mythos, eine neue Geschichte der Natur, in die wir uns selbst situieren. Ziel ist eine besondere Art der Einsicht in die Einheit von Natur und Geist, von Mensch und Welt. Es handelt sich erstens um die Einsicht, daß wir Menschen das, was wir sind, als Naturwesen sind. Zweitens besteht unser ‚Geist’ in nichts anderem als in unserem besonderen Verhältnis zu Natur und Geschichte. Drittens ist der Glaube an eine Reduzierbarkeit dieses besonderen Verhältnisses auf einen bloß instrumentellen, verständigrationalen oder mechanisch-technischen Bezug zu Natur und Umwelt selbst unvernünftig. Nicht einmal die besonderen Bedingungen der Möglichkeit instrumentellen Handelns selbst lassen sich so begreifbar machen. Technik und Wissenschaft setzen nämlich selbst schon eine gemeinsame Kultur des Wissens und Könnens, der Sprache und des Lernens voraus samt der gemeinsamen Kontrolle des richtigen Urteilens und vernünftigen Handelns. Eben daher ist auch der bloß abstrakte Hinweis auf die Rationalität nicht ausreichend, um den Menschen vom Tier zu unterscheiden. Im Vergleich zur instrumentellen Handlungskompetenz der Menschen sind die Verhaltungen eines Tieres zwar relativ unfrei, nämlich soweit sie nur von unmittelbarer Begierde und Trieb und Sorge geleitet sind. Rationalität als Erweiterungen der Techniken der Tiere und ihrer Instinkte ist aber nur die eine Sache, Vernunft als Mitbestimmung und Selbstbestimmung in einem gemeinsamen Kulturprojekt die andere, wichtigere. Das Ende der Naturphilosophie ist daher der Übergang in eine kritische philosophische Anthropologie, in die Philosophie des Geistes. Im Blick auf diesen Kontext wird vielleicht grob verständlich, was es heißt, wenn Hegel, etwas mystisch, sagt, von der Idee entfremdet sei die Natur nur „der Leichnam des Verstandes.“38 Und es läßt sich begreifen, zu welchem Zweck er allerlei Theologisches und Christologisches in die Naturphilosophie hineinträgt. Er interpretiert dabei religiöse Rede als Artikulation von Haltungen zum Leben, zur Natur im Ganzen und nicht als Aussagen über irgendwelche Einzelheiten, Besonderheiten und formelle Allgemeinheiten (und damit eben wieder bloße Besonderheiten) in diesem Leben. Als Bereich des freien Seins, als natura 38

Enz. II, 25.

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naturans, als Welt, in der wir leben und als Leben, das wir sind, ist Natur mehr und anderes als sie in der Darstellung der technischen Mechanik im Besonderen, der Naturwissenschaften im Allgemeinen je erscheinen kann. Der Anspruch der Naturwissenschaften, mit ihrer empirisch-theoretischen Methode im Prinzip alles erklären zu können, ist für Hegel (wie schon für Fichte) transzendente Weltanschauung. Daß die Entwicklung des Geistes, des Wissens, der humanen Kultur und kognitiven Kompetenzen selbst in der Natur und im Leben stattfindet, daß wir also keinen cartesischen und kantischen Dualismus brauchen, daß dieser vielmehr zu überwinden ist, das übernimmt Hegel freilich von Spinoza. Er übernimmt aber nicht dessen Idee, die Natur sei das, was die Naturwissenschaft im Prinzip erklären kann. Die Natur für sich ist frei insofern, als sie offen ist für manche konkrete Kausalerklärung, aber auch für Einsichten in die Grenzen solcher Erklärungen und Erklärbarkeiten. Soweit das Wort „Gott“ für die ideale Idee des Geistes steht, ist Gott dann auch keineswegs Natur im Sinne Spinozas. Er ist vielmehr Begriff oder Idee, das Gesamt der Möglichkeiten geistiger Erfassung von Welt. Realiter gibt es diese Möglichkeiten für jeden von uns nur im Rahmen einer humanen Kulturtradition, einer großangelegten Kooperation in der Bereitstellung von Mitteln im Wissen und Können, in Wissenschaft und Technik und der Entwicklung von Kultur- und Lebensformen in Staat und Gesellschaft, Religion und Kunst. Diese humane Kultur und ihre Tradition im Lebensvollzug ist keine sich ‚automatisch’ entfaltende Natur. Sie ist nicht zuletzt auf Grund der freien Gestaltung der Kooperation selbst gemeinschaftliche Entwicklung von Autonomie. Sie ist zugleich Bedingung der Möglichkeit von Freiheit im Handeln und damit von Personalität. 2.5 Vom Kopf zurück auf die Füße Am Ende läßt sich vielleicht doch etwas mehr zu den merkwürdigen Beispielsätzen des Anfangs sagen, als daß sie Unfug sind, auch wenn es eine unübersehbare Menge weiterer derartiger Sätze gibt. Warum z.B. soll im „Tiere das Licht sich selbst gefunden“ haben?39 Etwa weil Tiere sich wahrnehmungsgesteuert verhalten? Warum soll Afrika das Lunarische sein, „wo der Mensch in sich selbst verdumpft“?40 Etwa 39 40

Enz. II, § 350, 430; § 351, 431 f. Enz. II, § 339, 351.

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weil hier wegen der natürlichen Bedingungen das Bedürfnis nach kooperativer Wissensentwicklung geringer ist? Warum vermeidet Hegel nicht die offenkundigen Metaphern etwa in seinen opaken Reden über den Kristall (der wohl als ein durchsichtiger, aber begrenzter Raumkörper ohne weitere Bestimmung zu denken ist, analog zur res extensa des Descartes)? Die folgenden Auflösungen können nur exemplarisch die Richtung angeben, in welche eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Hegels Naturphilosophie erst einmal zu gehen hätte, bevor das Urteil gefällt wird, daß das prima facie Unpassende sich wenigstens aus heutiger Sicht wirklich, d.h. auch nach wohlwollendem Nachdenken, als Unfug herausstellt. Daß der meteorologische Prozeß nicht rein mechanisch erklärbar sei, meint möglicherweise nur, daß Hegel und Lichtenberg mit den damals vorgelegten Theorien noch unzufrieden waren, da sie das Phänomen eines Gewitters aus heiterem Himmel, ohne vom Meer zugeführte Wolken, noch nicht erklärt hatten. Es mag auch sein, daß sie an die Möglichkeit einer ‚chemischen’ Erklärung des Regens geglaubt haben. Aber das ist methodisch nicht wichtig. Systematisch wichtiger ist, daß Hegel das antike Verfahren der ‚Rettung der Phänomene’ verteidigt: Eine Theorie kann nie die Phänomene für irreal erklären. Sie kann bestenfalls einen neuen Umgang mit ihnen empfehlen. Diese Einsicht der Antike, nach welcher jede Wissenschaft nur soweit einen Wahrheitsanspruch verteidigen kann, wie sie den Phänomenen treu bleibt, ist im modernen Glauben an die universale Erklärungskraft des mechanistischen Paradigmas tatsächlich nicht gut aufgehoben. Die These, daß die Tiere bzw. das Leben überhaupt aus dem Wasser hervorgegangen seien, wird von Hegel wohl nur in ihrem Erklärungsanspruch als problematisch dargestellt. Als naturgeschichtliche Erzählung des Verlaufs einer Genese, des Gangs der Dinge, bleibt sie richtig. Daß die Kriterien dieser Richtigkeit ‚oberflächlich’ seien, bedeutet dann wohl, daß wir die Erzählung schon dann als möglich oder richtig bewerten, wenn sie sich kohärent oder sehr gut an das gegenwärtige Wissen anschließen läßt.41 Daß die tierische Natur die Wahrheit der vegetabilischen sei, verweist möglicherweise kernthesenhaft darauf, daß der Begriff des pflanzlichen Organismus nur unter der Voraussetzung, daß wir schon wissen, daß es Tiere gibt, in Differenz zu ihnen und nicht etwa nur zu den unbelebten Dingen bestimmt ist. Die begriffliche Ordnung erweist 41

Cf. Enz. II, § 249, 33.

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sich damit als eine ganz andere als die historische Ordnung einer Entwicklungsgeschichte. Dieser zufolge sind die Tiere weiter als die Pflanzen entwickelt, weil sie sich bewegen können und sich die Vegetation (oder andere Tiere) zum Objekt ihrer Begierde und deren Erfüllung machen. In der begrifflichen Ordnung geht die Gliederung dessen, was wir heute erfahren können, jeder Erzählung einer natürlichen Entwicklung voran, wird als gegenwärtiges Leben und Wissen schon voraussetzt. Schließlich ist die Erde die Wahrheit des Sonnensystems, weil trotz aller Zentrierung der dynamischen oder ballistischen Erklärung der Planetenbewegungen um die Sonne und trotz der Dezentrierung der Erde durch die kopernikanische Revolution das Zentrum und der Anfang des Wissens das Leben auf der Erde bleibt. Der Kernsatz rückt den Kopernikanismus zurecht, und zwar durchaus im Sinne von Descartes’ und Kants zweiter kopernikanischer Revolution: Hier wird das Wissen und Erkennen in den Subjekten re-zentriert. Das ist die relative Wahrheit des cartesischen ‚Rationalismus’, auch von Humes (Radikal)Empirismus und der kantischen Präsuppositionsanalyse oder Transzendentalphilosophie. Für Hegels Platzierung des Geistes bzw. der Rede von der Vernunft wird dann aber die Überschreitung des subjektivistischen Individualismus bei Descartes, Hume und Kant durch Einsicht in die Form des Gemeinschaftsprojekts der Wissenschaft im Besonderen, eines humanen Lebens im Allgemeinen wichtig. Allgemeines Wissen setzt Begriffe, damit Sprache und, in der je besonderen Anwendung, vernünftiges Urteilen voraus. Nur in der Praxis der begrifflichen Fassung von nicht bloß individueller Erfahrung werden wir zu denkenden Personen. Und nur in der (Praxis der) Beurteilung der Einzelakte im Blick auf allgemeine Normen des Richtigen gibt es ‚Vernunft’. Mit der Einsicht in die Abhängigkeit unserer personalen Kompetenzen von einer allgemeinen Praxis und eben damit von unserer Kulturtradition läßt sich der Ort ‚des Geistes’ oder ‚der Vernunft’ in der Welt bestimmen: als Ergebnis einer Kulturgeschichte. Nur bei Anerkennung dieser (Einsicht in die) Abhängigkeit der je besonderen Möglichkeiten, Mensch und Person zu sein, gibt es Selbstbewußtsein, nicht etwa durch den rein verbalen Widerspruch gegen das angeblich ‚bloß’ Traditionelle. Der Ort des Vernünftigen in der Geschichte liegt immer am Ende der Geschichte, in der Gegenwart, genauer in den heute von uns anerkannten Krtiterien des Vernünftigen, die wir in unserem Urteilen voraussetzen bzw. explizit aufrufen. Nur von hier und heute aus können wir unseren Standort erkennen, aber wie in der Geographie

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nur dadurch, daß wir den eigenen Ort in der Welt ‚topisch’ situieren und nicht etwa u-topisch, sub specie aetermitatis, zu betrachten suchen.

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H E G E L S N AT U R O N T O L O G I S C H E R E N T W U R F – HEUTE

1. Einleitung Der Cartesianische Naturbegriff, der das neuzeitliche Denken bis in die Gegenwart hinein bestimmt hat, ist obsolet geworden. Natur ist für uns mehr als pure Ausdehnung.1 In dieser, so hatte schon Leibniz kritisiert, sei nicht einmal das zentrale physikalische Phänomen der Kraft zu entdecken.2 Dem entspricht, daß sich die Naturwissenschaft in ihrer faktischen Entwicklung – wenn auch nicht in ihrem Selbstverständnis – immer mehr von Descartes’ Naturkonzept entfernt hat. Selbst das alte Leib-Seele-Problem, das über Jahrhunderte im Korsett des Descartesschen Körper-Seele-Dualismus aporetisch fixiert war, konnte vom Fortschreiten naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht unberührt bleiben und ist in Bewegung geraten. Damit hat sich das Bedürfnis eines neuen, nicht-cartesianischen Naturbegriffs ergeben. Die Philosophie der Gegenwart hat dem bislang nicht zu entsprechen vermocht. Indem sie zuließ, daß die Naturphilosophie durch die Wissenschaftstheorie verdrängt wurde, hat sie versäumt, einen zeitgemäßen Naturbegriff zu entwickeln. In dieser Situation ist es nur naheliegend, daß sich der Blick auch zurückwendet, um die philosophische Tradition zu befragen, inwieweit sich das von ihr Erarbeitete nutzbar machen läßt. Die vorliegende Untersuchung knüpft in diesem Sinn an die objektiv-idealistische Naturkonzeption Hegels an. Daß diese veraltet, unbrauchbar, versponnen sei, ist heute eine längst überholte Meinung.3 Zweifellos ist im Detail auch Vgl. hierzu Wandschneider, D.: Was stimmt nicht mit unserem Verhältnis zur Natur? In: Fornet-Betancourt, R. (Hg.): Armut im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und dem Recht auf eigene Kultur: Dokumentation des VI. Internationalen Seminars des philosophischen Dialogprogramms. Frankfurt/M. 1998. 2 Leibniz, G. W.: Metaphysische Abhandlung. In: Krüger, G. (Hg.): Leibniz. Die 3 Hauptwerke. Stuttgart 1949. 49. 3 „Bis 1970 gab es kaum jemanden unter den Hegelianern, geschweige denn unter den Philosophen der Naturwissenschaften, der bereit war, Hegels Naturphilosophie als 1

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Zeitbedingtes darin enthalten – in welchem historischen Text ist das nicht der Fall? –, aber im Folgenden geht es mehr um das Prinzipielle in Hegels Denkansatz und dessen Tragweite unter dem Aspekt eines neuen, nicht-cartesianischen Naturkonzepts. Entscheidend für eine diesbezügliche Auffassung ist, daß sie argumentativ konsistent entwickelt werden kann. Hegels eigene Argumentation in der ‚Naturphilosophie’, d.h. im Rahmen der ‚enzyklopädischen’ Darstellung seines philosophischen Entwurfs, ist freilich weithin so knapp, daß sie gewissermaßen interpretierend ‚nachgeschaffen’, rekonstruiert werden muß. Zur Durchführung dieses Projekts hier zunächst einige Sätze vorweg: Was Hegel selbst intendiert, ist „begreifende Betrachtung“ des Naturseins, die als solche „kein Berufen auf die Erfahrung“ ist (9.15)4; gemeint ist eine apriorisch-dialektische Naturphilosophie. Diese apriorische Seite kann im gegenwärtigen Zusammenhang vielfach nur angedeutet werden, nicht zuletzt aufgrund der prinzipiellen Schwierigkeit, daß eine Theorie naturphilosophischer Dialektik bislang nicht verfügbar ist.5 Auf der andern Seite ist der apriorische Anspruch möglicherweise gar nicht streng durchzuhalten, insofern die naturphilosophische Argumentation in bestimmten Punkten, so will scheinen, grundsätzlich nicht ohne empirische Elemente auskommt. Im Blick auf Hegels Aprioritätsanspruch ist das eine zweifellos sehr irritierende Konjektur, deren Berechtigung zu prüfen ist. Hier zunächst nur einige Andeutungen dazu: Wesentlich in diesem Zusammenhang ist, denke ich, daß die angesprochene rekonstruktive Interpretation letztlich auch Realisierungsbedingungen von Naturseiendem zu bedenken hat und damit unumgänglich auch auf empirisch-wissenschaftliche Sachverhalte verwiesen ein ernstzunehmendes Forschungsgebiet anzuerkennen“. So in: Petry, M. J.: Hegels Naturphilosophie – Die Notwendigkeit einer Neubewertung. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 35 (1981), 618. Ab 1970 nahm die Zahl der einschlägigen Publikationen dann sprunghaft zu. Vgl. hierzu Neuser, W.: Sekundärliteratur zu Hegels Naturphilosophie (1802–1985). In: Petry, M. J.: Hegel und die Naturwissenschaften. Stuttgart 1987. Wichtige Beiträge zu dieser Umkehr waren in der Folge besonders die Arbeiten von D. v. Engelhardt und M. J. Petry. 4 Quellenangaben dieser Art verweisen hier und im Folgenden auf: Hegel, G.W.F.: Werke. Hgg. E. Moldenhauer/K. M. Michel. Frankfurt/M. 1969 ff. Hier insbesondere Bd. 9, 15; ‚Zus.’ verweist auf die eingefügten Zusätze. 5 In meinem Buch Grundzüge einer Theorie der Dialektik habe ich Elemente einer dialektischen Logik ausgearbeitet. Versuche zu einer Dialektik der Naturkategorien finden sich in meiner Arbeit Natur und Naturdialektik im objektiven Idealismus Hegels, in: Gloy, K./ Burger, P. (Hgg.): Die Naturphilosophie im Deutschen Idealismus. Stuttgart 1993.

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ist. So müssen im Folgenden etwa auch systemtheoretische Aspekte berücksichtigt werden, beispielsweise wenn der Organismus als reales System in einer realen Umgebung verstanden werden soll, oder, auf animalischer Ebene, auch physiologische Grundtatsachen der Nervenorganisation und Sinneswahrnehmung. Solche empirischen Anleihen sind wohl unvermeidlich, wenn es darum geht zu klären, unter welchen konkreten empirischen Bedingungen so etwas wie ‚Selbsterhaltung’ in einer empirischen Welt realisierbar sein kann.6 Vielleicht ist es nicht einmal ganz abwegig anzunehmen, daß Derartiges grundsätzlich auch apriorisch herleitbar sein könnte. Aber unter den Bedingungen des endlichen Geistes, scheint mir, bedarf die naturphilosophische Argumentation unumgänglich der empirischen Konkretisierung. Freilich: Indem die Argumentation empirische Elemente aufnimmt, kann sie nicht mehr absolute apriorische Stringenz beanspruchen, sondern in diesen Punkten nur noch Wahrscheinlichkeit, was der Hegelschen Intention ‚begreifenden Erkennens’ eigentlich zuwider läuft (auch wenn er davon spricht, daß sich „das Materielle [...] widerspenstig gegen die Einheit des Begriffes“ (9.539, Zus.) zeige und daher „die Zufälligkeit [...] in der Sphäre der Natur ihr Recht“ (9.34) habe). Doch dieser Verlust an apriorischer Stringenz wird aufgewogen durch den Gewinn an Konkretion. Gegenstand der Naturphilosophie ist eben das konkrete Naturseiende. Dieses Konkrete muß die naturphilosophische Argumentation ‚einholen’ und in seiner Konkretion treffen. Im übrigen kommt dies mit Hegels Forderung ‚konkreten’ Denkens überein (wobei Ein Beispiel hierfür ist etwa auch Kants These von der Unmöglichkeit eines ‚Newtons des Grashalms’: Er begründet dies damit, daß Leben durch Selbsterhaltung und damit durch ‚innere Zweckmäßigkeit’, d.h. durchgängige Wechselseitigkeit von Mittel und Zweck charakterisiert sei (Kant: Kritik der Urteilskraft (KU), zitiert nach der 3. Originalausgabe, Berlin 1799, § 63 ff., § 82). Kausal sei etwas Derartiges aber nicht realisierbar, denn das erforderte (a) die Umkehrbarkeit von Ursache und Wirkung und (b) eine zielgerichtete Kausalität. Tatsächlich aber seien kausale Prozesse einsinnig gerichtet (von der Ursache zur Wirkung) (KU, 289) und überdies ‚blind’ (KU, 270, 326), also nicht zielgerichtet. Heute wissen wir, daß beide Bedingungen technisch sehr wohl erfüllbar sind, nämlich in Form einer ‚Rückkopplung’ der Wirkung an die Ursache, vermittelt und kontrolliert durch einen zwischen-geschalteten ‚Sollwert’. Wäre die technische Phantasie zu Kants Zeiten in der Lage gewesen, in dieser Weise Realisierungsbedingungen ‚innerer Zweckmäßigkeit’ zu imaginieren, hätte Kants ‚Kritik der (teleologischen) Urteilskraft’ ein anderes Resultat gehabt: Nicht eine bloß subjektive Als-ob-Teleologie, sondern die Auffassung einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur. (Ausführlich hierzu Wandschneider, D.: Kants Problem der Realisierungsbedingungen organischer Zweckmäßigkeit und seine systemtheoretische Auflösung. In: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie, XIX (1988).) 6

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Hegel selbst freilich nicht den Rückgriff auf Empirie im Sinn hatte). Insofern kann die Einbeziehung empirischer Aspekte nicht nur als akzeptabel, sondern in naturphilosophischen Kontexten sogar als unvermeidlich gelten – natürlich nur dort, wo es die Sache selbst erfordert. Diese Form empirischer Konkretisierung ist nun gewissermaßen auch eine Aktualisierung der Hegelschen Argumentation, indem sich diese der aktuellen Naturwissenschaft damit als affin erweist. Hinzu kommt ein Weiteres: Mit der Einbeziehung empirischwissenschaftlicher Argumente werden zugleich die in ihnen stets auch enthaltenen Voraussetzungen mit übernommen, die ihrerseits aber erst philosophisch zu klären und zu legitimieren wären. Dieser philosophisch bedenklich erscheinende Umstand verkehrt sich jedoch unmittelbar in einen Vorteil, wenn sich zeigt, daß jene Voraussetzungen gerade auf der Basis des Hegelschen Denkansatzes begründbar sind. Um ein Beispiel zu haben: Jede Evolutionstheorie setzt voraus, daß die Natur nicht in ihrem faktischen Sein aufgeht, sondern Möglichkeit enthält. Begründbar ist dies aber erst im Rahmen einer objektiv-idealistischen Naturontologie, was für diese umgekehrt ebenfalls eine Möglichkeit der Aktualisierung bedeutet. Aktualisierungsmöglichkeiten der Hegelschen Naturphilosophie sind so grundsätzlich im Sinn einer wechselseitigen Erhellung empirischwissenschaftlicher und objektiv-idealistischer Argumente denkbar: zum einen in der Weise empirisch-wissenschaftlicher Konkretisierung Hegelscher Argumente, zum andern unter dem Aspekt objektiv-idealistischer Fundierung empirisch-wissenschaftlicher Argumentationen. Diese Doppelstrategie von Konkretisierung und Fundierung wird sich, als methodisches Leitprinzip, im Folgenden als fruchtbar erweisen. Soviel zum Methodologischen; nun zum Inhaltlichen: Hegels allgemeine Bestimmung der Natur soll hier nur kurz skizziert werden:7 Zum Logisch-Ideellen, das als unbedingt ausweisbar ist, gehört nach dem Gesetz der Dialektik auch dessen Gegenteil, das NichtIdeelle, und dies ist Hegel zufolge die Natur – sozusagen als ein ewiges Begleitphänomen des Logischen.8 Ist das Ideelle durch begriffliVgl. Wandschneider, D.: Die Absolutheit des Logischen und das Sein der Natur. Systematische Überlegungen zum absolut-idealistischen Ansatz Hegels. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 39 (1985); Wandschneider, D. (1985): Natur und Naturdialektik im objektiven Idealismus Hegels. In: Gloy, K./Burger, P. (Hgg. 1993). 8 Vgl. hierzu Wandschneider, D.: Der überzeitliche Grund der Natur. Kants ZeitAntinomie in Hegelscher Perspektive. In: prima philosophia, Bd. 2 (1989). 7

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chen Zusammenhang charakterisiert, so ist die Natur, als das NichtIdeelle, als Außereinandersein bestimmt. Als Nicht-Ideelles bleibt es freilich dialektisch an das Ideelle zurückgebunden, mit andern Worten: Die Natur ist nicht logisch-ideell, aber ihr liegt Logisch-Ideelles zugrunde. Außereinandersein ist die Art und Weise, wie das Natursein in Erscheinung tritt, aber das ihm zugrunde liegende Wesen ist das Logisch-Ideelle, durch das es implizit bestimmt bleibt. Diese Diskrepanz von Erscheinung und Wesen ist Hegel zufolge für das Natursein charakteristisch. Von daher wird ein Grundzug des Naturseins deutlich: Indem Erscheinung und Wesen desselben einander inkongruent sind, ist es durch eine Spannung bestimmt, die sich, so Hegel, in der Tendenz äußert, diese Inkongruenz zu überwinden, und das heißt, die Erscheinung dem zugrunde liegenden ideellen Wesen anzugleichen. Die Natur zeigt gleichsam einen Trend zur Kohärenz, zur Aufhebung des Außereinanderseins, bis hin zur Idealität des ihr zugrunde liegenden Logischen: Idealität ist danach als ihr immanentes, ihr selbst freilich nur näherungsweise erreichbares Telos zu begreifen. Zu beachten ist hier und im Folgenden, daß Hegel dies allerdings nicht im Sinn eines Naturprozesses versteht, sondern ‚kategorial’, d.h. als einen Grundzug der begrifflichen Entwicklung nicht der Natur, sondern der Kategorien der Natur, also der naturphilosophischen Argumentation, nicht eines zeitlich-realen Evolutionsprozesses, dessen Annahme Hegel im übrigen für falsch hält (obwohl sich gelegentlich Formulierungen finden, die eine solche Interpretation nahelegen könnten).9 Diese Auffassung, wonach das Natursein – wie gesagt: unter kategorialem Aspekt – die Tendenz zur Aufhebung des Außereinanderseins im Sinn einer Rückannäherung an das Ideelle zeigt: Diese zweifellos hoch spekulative Naturdeutung bildet in inhaltlicher Hinsicht die Leitthese der folgenden Untersuchung, d.h. es soll zum Einen gezeigt werden, daß und in welcher Weise eine solche Kohärenz- und Idealisierungstendenz für das Natursein charakteristisch ist, zum Andern daß sich in dieser Perspektive ein innerer Zusammenhang der Naturphänomene ergibt – vom elementaren Außereinandersein bis hin zur Idealität seelischen Seins in der Natur. Diese wäre so nicht länger, wie bei Descartes, das strikte Gegenteil des Seelischen, sondern schlösse dessen Möglichkeit Vgl. Wandschneider, D.: Hegel und die Evolution. In: Breidbach, O./Engelhardt, D. v. (Hgg.): Hegel und die Lebenswissenschaften. Berlin 2001. 9

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mit ein – ein völlig un-cartesianisches Naturbild, das im Blick auf unsere gegenwärtigen Probleme mit der Natur zweifellos Interesse verdient. Im Folgenden wird es vor allem um diese von Hegel her zu entwickelnde Gesamtperspektive der Natur zu tun sein, wohlgemerkt unter Beachtung des charakterisierten methodischen Doppelprinzips im Sinn empirischer Konkretisierung und idealistischer Fundierung, das in dieser doppelten Hinsicht zugleich, wie dargelegt, auch Aktualisierungsmöglichkeiten der Hegelschen Naturphilosophie sichtbar macht. 2. Raum und Zeit Die erste Bestimmung der Natur im Sinn Hegels ist das reine, noch völlig bestimmungslose Außereinandersein. Schon hier wird dessen immanente Tendenz, sich aufzuheben und kohärente Strukturen zu bilden, erkennbar, genauer: Die Kategorie des Außereinanderseins nötigt zur Einführung weiterer Kategorien, die ein Mehr an Struktur beinhalten. Hegels Argumentation zur Entwicklung der Kategorie des Außereinanderseins ist denkbar knapp und daher in erheblichem Maß interpretationsbedürftig. Eine Interpretation dieser Zusammenhänge habe ich an anderer Stelle vorgelegt;10 ich beschränke mich hier darauf, Hegels diesbezügliche Intention sichtbar zu machen: Zur Kategorie des Außereinanderseins gehört nach dem Gesetz der Dialektik auch die des Nicht-Außereinanders, dieses verstanden als bestimmte Negation des Außereinanderseins, und das ist die Kategorie des Punkts. Die Entfaltung von deren Dialektik führt über die Bestimmungen der Linie und Fläche schließlich zu der des Raumelements, d.h. eines durch Flächen begrenzten Raums. Hegel sieht in dieser dreistufigen Entwicklung eine Folge des der Natur zugrunde liegenden ‚Begriffs’ und seiner drei ‚Momente’, Einzelheit, Besonderheit, Allgemeinheit, und darin zugleich ein Argument für die Dreidimensionalität des natürlichen Raums.11 Hegels Argumentation führt weiter auf die Kategorie der Zeit Wandschneider, D.: Raum, Zeit, Relativität. Grundbestimmungen der Physik in der Perspektive der Hegelschen Naturphilosophie. Frankfurt/M. 1982. 11 Die von der physikalischen ‚Superstring-Theorie’ postulierten zusätzlichen sieben (oder auch acht) Dimensionen, die aber ‚aufgewickelt’ seien, haben wesentlich hypothetischen Status im Rahmen eines theoretischen Modells, für das es zudem erheblichen Erklärungsbedarf gibt. Vgl. Geene, B.: Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel. Berlin 2000. 10

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und deren charakteristische Struktur von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier ist vor allem wesentlich, daß diese Argumentation – ihre Stringenz vorausgesetzt – zugleich deutlich macht, wie sich aus der Annahme völlig amorphen Außereinanderseins Kohärenzbeziehungen im Sinn der Raum-Zeit-Struktur des Naturseins herleiten lassen. Dies betrifft zum einen die dimensionalen Verhältnisse des Raums und der Zeit, zum anderen aber auch die essentielle Zusammengehörigkeit von Raum und Zeit. Natürlich ist das räumliche Nebeneinander ebenso wie das zeitliche Nacheinander immer auch ein Außereinander, aber eben doch ein strukturiertes und damit schon kohärentes Außereinander. Solche Strukturen sind z.B. Gegenstand der Mathematik, etwa wenn diese nach den Bedingungen fragt, die von den Punkten einer Fläche erfüllt werden. In gewissem Sinn noch enger ist die Beziehung zeitlich aufeinander folgender Zustände, insofern der frühere Zustand gewissermaßen den späteren hervorbringt. Die unaufhebbare Verknüpfung von Raum und Zeit schließlich kommt darin zum Ausdruck, daß zur Bestimmung eines Ereignisses nicht nur der Ort, sondern auch der Zeitpunkt wesentlich ist: Für fundamentale Kohärenzen dieser Art, wie sie schon für das raum-zeitliche Außereinander der Natur charakteristisch sind, bietet Hegels Argumentation einen interessanten Erklärungsansatz. 3. Bewegung und Masse, relative und absolute Bewegung Auf der Grundlage derartiger fundamentaler Kohärenzbeziehungen des Außereinanderseins werden sodann auch spezifischere Zusammenhänge möglich, konkret: Mit den Kategorien des Raums und der Zeit sind, Hegel folgend, weiter die Kategorien der Bewegung, der Ruhe und – zunächst vielleicht überraschend – der Masse involviert. Ich gebe auch hier nur eine knappe Zusammenfassung der Hegelschen Argumentation (vgl. 9.55 ff.) bzw. einer rekonstruktiven Interpretation derselben:12 Die Explikation der zunächst nur inneren Zusammengehörigkeit von Raum und Zeit nötigt zur Einführung der Kategorie der Bewegung. Nun hat Bewegung nur Sinn relativ zu einem Nicht-Bewegten, Vgl. Wandschneider (1982), Kap. 6; Wandschneider, D.: Die Kategorien ‚Materie‘ und ‚Licht‘ in der Naturphilosophie Hegels. In: Petry (Hg. 1987); Wandschneider, D.: Prinzipientheoretisches zur Speziellen und zur Allgemeinen Relativitätstheorie. In: prima philosophia, Bd. 3 (1990). 12

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d.h. mit der Kategorie der Bewegung ist so immer auch die der Ruhe impliziert. Ruhend kann aber nur etwas sein, das in der Bewegung identisch erhalten ist und dadurch einen bestimmten, einzelnen Ort als Bezugsinstanz von Bewegung definiert. Ein solches in der Bewegung identisch erhaltenes Einzelnes ist nun nach Hegel die Masse. Die ‚Logik’ des Bewegungsbegriffs fordert so auch die Kategorie der Masse: Masse als ein sich identisch erhaltendes Einzelnes, wodurch allererst ‚Ort’ im Sinn der für Bewegung notwendigen Bezugsinstanz realisiert ist, die als solche Nicht-Bewegung oder ‚Ruhe’ repräsentiert. Relativ zu einer anderen Masse kann eine Masse natürlich selbst auch bewegt sein. In diesem Fall ist die Bewegungsrelation symmetrisch: Jede der beiden Massen kann gleichermaßen als ruhend oder bewegt betrachtet werden. Damit ist aber ein Relativitätsprinzip der Bewegung formuliert, das in dieser Form besagt: Massenbewegung ist äquivalent mit relativer Bewegung. Dieser Zusammenhang hat nun unmittelbar die bemerkenswerte Konsequenz, daß die Bewegung einer Nicht-Masse eine nicht-relative Bewegung ist, die als Bewegung zwar auf eine Masse bezogen, als nichtrelative aber von der jeweiligen Bezugsinstanz unabhängig ist und somit auf jede Masse in gleicher Weise bezogen ist, mit anderen Worten: Eine nicht-relative Bewegung hat bezüglich aller Massen die gleiche Geschwindigkeit. Eine solche Nicht-Masse kann zudem – ihrem Begriff gemäß – selbst nicht in Ruhe, sondern nur bewegt sein – ein sehr merkwürdiges Phänomen, das empirisch indes, in Gestalt der Lichtbewegung, tatsächlich realisiert ist. Doch was ist unter einer Nicht-Masse zu verstehen? Hegel hat Gründe dafür geltend gemacht, daß es in der Natur etwas Derartiges geben müsse, dieses mit dem Licht identifiziert und seiner Bewegung in der Tat absoluten (also nicht-relativen) Charakter zuerkannt (9.111 f., Zus.). Empirisch ist dies für das Licht, wie gesagt, zutreffend, ein Umstand, der Einstein zur Entwicklung der (‚speziellen’) Relativitätstheorie geführt hatte. Es wäre natürlich absurd zu sagen, Hegel habe Einsteins Theorie vorweggenommen, denn diese ist vor allem eine komplexe mathematische Theorie, deren Leistung gerade darin besteht, die mathematische Vereinbarkeit von relativer und nicht-relativer Bewegung gezeigt zu haben. Doch deren Grundgedanken lassen sich, Hegel folgend, tatsächlich aus der ‚Logik’ des Bewegungsbegriffs gewinnen. Hier werden eindrucksvolle Aktualisierungsmöglichkeiten einer naturphilosophischen Argumentation vom Hegelschen Typ (um mich ganz allgemein auszudrücken), mit bemerkenswertem Erklärungswert im

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Sinn einer Philosophie der modernen Physik sichtbar: Die entwickelte Überlegung ist als ein Beitrag zur philosophischen Durchdringung der Relativitätstheorie zu werten, wie sie auch von den ansonsten außerordentlich differenzierten Untersuchungen E. Cassirers13 und H. Reichenbachs14 nicht geleistet worden ist. So hat sich gezeigt, daß eine nicht-relative Bewegung nicht nur nicht im Widerspruch zum Relativitätsprinzip der Bewegung steht, sondern sogar ein Implikat desselben ist: Dies ist eine notwendige, nicht-triviale Konsequenz der angegebenen philosophischen Deutung des Relativitätsprinzips.15 Und weiter: Daß das Licht bezüglich aller Massen den gleichen Bewegungszustand besitzt, bedeutet umgekehrt auch, daß sich die vereinzelten und damit auch verschiedenen Massen in dieser Hinsicht gleichen, mit anderen Worten: Im Phänomen der Lichtbewegung tritt die innere Wesensidentität der Massen, und zwar unabhängig von deren Quantität, auch explizit in Erscheinung, und ihre Verschiedenheit, die in ihrer Vereinzelung begründet ist, erweist sich so als ein Aspekt ihrer Äußerlichkeit. 4. Dynamische Bestimmungen Auf der Grundlage der Kategorie der Masse kommt man, Hegel folgend, weiter zu dynamischen Bestimmungen: Entsprechend dem Relativitätsprinzip der Bewegung kann eine Masse entweder als ruhend, nämlich in bezug auf sich selbst, oder als bewegt, nämlich in bezug auf eine andere (relativ zu ihr bewegte) Masse betrachtet werden. Die Masse kann somit prinzipiell beides sein, ruhend oder bewegt. Sie sei darum, so Hegel, „gleichgültig gegen beides“ und in diesem Sinn träge: „Insofern sie ruht, ruht sie und geht nicht durch sich selbst in Bewegung über; ist sie in Bewegung, so ist sie eben in Bewegung und geht nicht für sich selbst in Ruhe über“. (9.65, Zus.) Dies führt nun beim Zusammenstoß zweier Massen zu folgender Situation: Beide zusammen machen dabei „momentan […] einen Körper aus“ (66); „sobald sie einander berühren, haben sie Gesetztsein in Einem“. Da beide aber unterschiedliche Bewegungszustände haben, ist dies zugleich, bildlich gesprochen, „der Kampf um einen Ort“. (9.67, 3

Cassirer, E.: Zur modernen Physik. Darmstadt 1972. 14 Reichenbach, H.: Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre. Braunschweig 1924; Reichenbach, H.: Philosophie der Raum-Zeit-Lehre. Berlin, Leipzig 1928. 15 Vgl. Anm. 12. 13

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Zus.) Diese ‚Wechselwirkung’ der Massen ist sonach durch gegensätzliche Bewegungszustände charakterisiert: einer jeweils als ruhend, der jeweils andere als bewegt. Ein solcher in sich entgegengesetzter Bewegungszustand kann nun nicht mehr rein kinematisch faßbar sein (denn das würde bedeuten: entweder ruhend oder bewegt, je nach Bezugsinstanz) und besitzt damit eine neuartige, als dynamisch zu charakterisierende Struktur – ‚dynamisch’ insofern damit so etwas wie Widerstand, Bewegungsänderung, also Abweichung vom Trägheitsverhalten der Massen involviert ist. Die Physik hat dafür die Bestimmungen ‚Kraft’, ‚Energie’, ‚Impuls’ etc. eingeführt. Wie Hegel betont, ist das Dynamische eine in der Masse oder Materie16 selbst liegende Möglichkeit, „als das eigene Wesen der Materie, das selbst zugleich ihrer Innerlichkeit angehört; deswegen geht die Physik zur Reflexionsvorstellung der Kraft über“. (9.68, Zus.) In der Tat wird dieser Übergang von rein kinematischen zu dynamischen Bestimmungen, was hiermit nur angedeutet ist, erzwungen durch den Charakter der Vereinzelung und damit auch Verschiedenheit der Massen, die so auch verschiedene Bewegungszustände haben können, so daß ihre ‚Wechselwirkung’, wie dargelegt, nicht mehr rein kinematisch faßbar sein kann. Hier könnte wohl auch der physikalische Begriff des Kraftfelds seinen Ort finden: Dieses ist heute verstanden als ein System von ‚Feldpartikeln’, die durch Wechselwirkung Energie und Impuls übertragen können und dadurch Kraftwirkungen ausüben. Wesentlich ist hier zum Einen der Aspekt wechselwirkender Partikeln, zum Andern der eines raum-zeitlichen Systems solcher Wechselwirkungen im Sinn eines ‚Feldes’ (was gleich noch zu erläutern sein wird). Bei Hegel selbst tritt der Begriff des Kraftfelds der Sache nach (wenn auch nicht terminologisch) im Zusammenhang mit der Schwerkraft auf. Ein wichtiger, von Hegel betonter Punkt ist hier der, daß der Körper „qua Körper [...] unzertrennlich verknüpft mit seiner Schwere“ (9.69) sei. In der Sprache der heutigen Physik würde man sagen, daß das Gravitationsfeld an die Masse ‚gekoppelt’ ist; diese ist sozusagen als ‚Quelle’ des Feldes zu verstehen. Das Feld ist an die Quelle gebunden und bildet mit dieser ein System – also eine Form der Kohärenz dynamischer Zustände, die so zugleich eine neue Stufe der Aufhebung naturhaften Außereinanderseins ‚Masse‘ und ‚Materie‘ werden hier ganz allgemein und deshalb synonym verwendet; Hegel versteht unter ‚Masse’ näher ein Quantum der Materie. (Vgl. 9.64.) 16

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darstellt. In diesem Sinn wird von Hegel insbesondere die als Massenanziehung erscheinende Schwerkraft gedeutet: Dieses Streben nach Aufhebung des Außereinanderseins sei „die erste wahrhafte Innerlichkeit“ (72, Zus., auch 63, Zus.) in der Natur. Aus der essentiellen Kopplung des Kraftfelds an seine Quelle ergibt sich unmittelbar die weitere Konsequenz, daß Raum- und Zeitbestimmungen für das Kraftfeld äußerlich-kontingenten Charakter haben. Das heißt nun auch, daß es invariant, also unabhängig z.B. gegenüber Verschiebungen in Raum und Zeit ist. Solchen Invarianzen entsprechen, wie die mathematische Physik zeigt, dynamische Größen, z.B. der Gesamtimpuls oder die Gesamtenergie des Systems, die bei derartigen Operationen zeitlich erhalten sind. Das Auftreten derartiger Erhaltungsgrößen kann so interpretiert werden, daß darin gewissermaßen die Identität des dynamischen Systems – als ein System mit dieser Gesamtenergie, diesem Ge-samtimpuls usw. – explizit in Erscheinung tritt. In der Vielheit und Verschiedenheit der Feldzustände repräsentiert das System so nicht nur, wie schon bemerkt, eine Form der Kohärenz, sondern wesentlich auch eine die Vielheit übergreifende Identität und in diesem stärkeren Sinn Einheit. Die Unabhängigkeit eines dynamischen Systems von seiner Lozierung in Raum und Zeit (mathematisch seiner Invarianz gegenüber raum-zeitlichen Verschiebungen und Drehungen) bedeutet weiter auch, daß sich das (isolierte) System überall und stets gleichartig verhält, mit anderen Worten: Sein Verhalten zeigt gesetzmäßigen Charakter. Unter dynamischem Aspekt ist dergestalt der Begriff des universellen Naturgesetzes impliziert, das als solches raum-zeit-invariante Geltung besitzt. Nach objektiv-idealistischer Auffassung wird darin nichts anderes als die dem Natursein zugrunde liegende Logik sichtbar, die als solche natürlich nur vom Denken erfaßt werden kann. Auf Seiten der realen Naturerscheinung entspricht dem, wie gesagt, ein raum-zeitlich invariantes Verhalten dynamischer Systeme oder allgemeiner formuliert so etwas wie Naturkonstanz oder Uniformität der Natur. Das universelle Naturgesetz als Ausdruck der der Natur zugrunde liegenden Logik bzw. Naturkonstanz als dessen reales In-ErscheinungTreten: Beides ist Ausdruck einer viel stärkeren Form der Aufhebung naturhaften Außereinanderseins auf dynamischer Ebene im Vergleich mit der dimensionalen Struktur der Raum-Zeit und der kinematischen Äquivalenz der Massen: Während das raum-zeitliche Außereinander lediglich einen gewissen Ordnungszusammenhang aufweist und Massen in ihrer Vereinzelung nur ‚unter kinematischem Aspekt’ als äqui-

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valent erscheinen, sind die dynamischen Zustände des Kraftfelds real voneinander abhängig und konstituieren so eine deren Vielheit und Verschiedenheit übergreifende reale Einheit, eben ein dynamisches System. 5. Systembildung und Organismus Mit dem Begriff des Kraftfelds ist auch impliziert, daß es so etwas wie Anziehung und Abstoßung gibt.17 Hegel selbst spricht der Masse in einem grundsätzlichen Sinn „Repulsion“ und „Attraktion“ zu, nämlich in dem an Kants Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft anknüpfenden Sinn, daß die Materie durch Repulsion vereinzeltes Bestehen hat, d.h. ausschließend gegen andere Materie ist, und durch Attraktion ihr interner Zusammenhang gewährleistet ist. (9.60 f., 62 f. Zus.) Hegels Argumentation hat ihre Grundlage in der Logik der Quantität. (5.190 ff.) Ich möchte dies hier jedoch auf sich beruhen lassen und gleich die empirisch-physikalische Seite ins Auge fassen, um der Frage nachzugehen, wie sich die von Hegel geltend gemachte prinzipielle Kohärenz- und Idealisierungstendenz der Natur in dieser Perspektive darstellt: Ganz generell sind auf der Grundlage von Kraftfeldern immer auch die Bedingungen für die Phänomene der Anziehung und Abstoßung gegeben. Beides zusammen ermöglicht grundsätzlich die Bildung komplexer materieller Systeme,18 wobei diese verstanden sind als eine – auch zeitlich variable – reale Gefügeeinheit aus materiellen Elementen. Dies ist nun nicht mehr ein nur abstrakter Ordnungszusammenhang, wie er bezüglich Raum und Zeit konstatiert worden war, oder eine Äquivalenzrelation wie im Fall vereinzelter Massen, auch nicht lediglich ein Ordnungszusammenhang dynamischer Zustände wie im Fall des Kraftfelds: Charakteristisch für alle diese Formen der Kohärenz ist, daß sie nur implizit realisiert sind, d.h. sie müssen durch Denken gewissermaßen erst sichtbar gemacht werden, z.B. in Gestalt eines das Kraftfeld beschreibenden mathematischen Ausdrucks. Für die im materiellen System realisierte Kohärenz ist demgegenüber kennzeichnend, daß sie nun explizit, d.h. ihrerseits in materieller Form in Erscheinung tritt. Physikalisch: aufgrund unterschiedlicher Energiezustände im Raum. Physikalisch: aufgrund der Möglichkeit stabiler dynamischer Zustände, z.B. in der Form relativer Minima der potentiellen Energie im Kraftfeld. 17

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Ohne hier weiter ins Detail zu gehen, möchte ich mich einer Klasse materieller Systeme von besonderem Interesse zuwenden, nämlich den Organismen. Wird hierzu zunächst Hegels Naturphilosophie befragt, so sind Organismen dadurch charakterisiert, daß sie Subjektcharakter besitzen (9.337, 339 ff., Zus.), und das heißt für Hegel näher die Struktur des Begriffs. (339, Zus.) Der Regenwurm ist sozusagen ein sich durch das Erdreich hindurchschlängelnder Begriff! Entscheidend für diese Auffassung ist der Umstand, daß der Organismus Selbsterhaltung zeigt in dem Sinn, daß er sich selbsttätig als dieses so-geartete System, d.h. in seiner Artallgemeinheit zu erhalten sucht. Der Lebensprozeß der Fliege ist in eins das fortdauernde Streben nach Erhaltung des in ihr realisierten ‚Fliegenhaften’, eben weil der Organismus, so Hegel, wesensmäßig ein Allgemeines ist, das sich in seinen Besonderungen identisch zu erhalten strebt, und damit in der Tat so etwas wie ein tätig gewordener Begriff,19 eben Subjekt ist. Der Begriff, der nach objektividealistischer Auffassung dem Natursein insgesamt zugrunde liegt, erscheint im Organismus gewissermaßen selbst in realer Gestalt; „was bisher nur unser Erkennen war, ist jetzt in die Existenz getreten“. (340, Zus.) „Hier hat die Natur also das Dasein des Begriffs erreicht“ (336, Zus.); „das Leben ist der zu seiner Manifestation gekommene Begriff“. (37, Zus.) Es ist wichtig zu sehen, daß damit wiederum ein neuer, höherer Status der Kohärenz naturhaften Außereinanders erreicht ist: Diese Kohärenz hat hier geradezu begrifflichen und damit schon ideellen Charakter, allerdings noch in der Form eines materiellen Systems. Der Organismus ist in Hegels Interpretation gleichsam ein in materieller Form existierendes Ideelles. Hier muß sich wieder die Frage stellen, inwieweit sich für diese ‚spekulative’ Auffassung tatsächlich auch empirische Realisierungsbedingungen angeben lassen. Eine grundsätzliche Antwort darauf wird im Rahmen der Systemtheorie möglich: Ein selbsterhaltendes System kann der Organismus nur dadurch sein, daß er eine Kontrollinstanz enthält, die die Systemfunktion im Sinn der Selbsterhaltung kontrolliert und regelt,20 also gleichsam einen Repräsentanten seiner selbst, eine SelbstVgl. hierzu Hegels Bestimmung der Allgemeinheit des Begriffs. (Z.B. 6.274 ff.) 2 Vgl. Ashby, W. R.: Design for a Brain. London 1966. Bes. Ch. 7 und 9. Ashby spricht diesbezüglich – etwas irreführend – von ‚Ultrastabilität‘. Organismische Selbsterhaltung ist danach grundsätzlich so zu verstehen, daß die Selbstregulation des Systems durch die Sollwerte der Systemexistenz selbst, also die konstitutiven physiologischen Systempa19 20

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instanz. Wie wir heute wissen, sind diese Prozesse letztlich durch die dem System zugrunde liegende Geninformation bestimmt. Diese repräsentiert den Bau- und Funktionsplan des Systems, somit dessen ‚Norm’ oder Allgemeines, und besitzt so in der Tat ideellen Charakter. Zugleich ist damit überhaupt erst eine bestimmte Identität des Systems definiert, was im Vergleich mit nicht-organismischen Systemen unmittelbar deutlich wird: Die Zerteilung eines Kieselsteins ergibt zwei Kieselsteine; die Zerteilung einer Fliege hingegen zerstört diese, eben weil ihre artspezifische Identität, ihr Artallgemeines dadurch zerstört wird. Sie ist darum im wörtlichen Sinn ‚In-dividuum’, Unteilbares,21 dies aber genau deshalb, weil sie zugleich ein Allgemeines ist. Hegels Deutung des Organismus als eines existierenden Begriffs ist so in der Tat systemtheoretisch rekonstruierbar und in diesem Sinn somit auch aktualisierbar. 6. Evolution Unter dem Aspekt der von Hegel prätendierten Kohärenz- und Idealisierungstendenz der Natur ist der Organismus offenbar am weitesten fortgeschritten. Kann dies nun als Resultat einer Evolution der Natur verstanden werden? Generell sei die Natur, so Hegel, als „ein System von Stufen zu betrachten, deren eine aus der anderen notwendig hervorgeht“. Allerdings sei dies „nicht so“ zu denken, „daß die eine aus der andern natürlich erzeugt würde“ (9.31), mit andern Worten: Hegel verwirft die Auffassung einer realen Evolution der Naturformen, die für uns heute in keiner Weise zweifelhaft ist. Begründet wird dieses Verdikt mit der schon erwähnten ‚kategorialen’ Auffassung von Entwicklung, der zufolge Entwicklung allein dem ‚Begriff’ zukomme, nämlich als ein Ausdrücklichwerden dessen, „was an sich schon vorhanden ist“ (8.308 f., Zus.), während es in der Seinssphäre nur ein Übergehen in Anderes gebe. (8.308, Zus.) Die einzige Ausnahme sei der individuelle Organismus, eben weil dieser, wie dargelegt, als ein real existierender Begriff zu verstehen sei. Eine reale Entwicklung der Arten anzunehrameter, gesteuert ist: Ein solches System strebt danach, die eigene Existenz zu erhalten. 21 Daß die Querteilung eines Regenwurms zwei Individuen ergibt, beruht in diesem besonderen Fall auf einer artspezifischen Anlage (im Sinn einer spezifischen Überlebensstrategie); eine Längsteilung des Regenwurms wäre dagegen lethal. – Analog sind offenbar auch die sehr weitgehenden Teilungsmöglichkeiten bei der Pflanze zu verstehen.

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men, verbiete sich hingegen. ‚Entwicklung’ kann für Hegel bezüglich der Natur so immer nur den Charakter einer begrifflichen Entwicklung der Kategorien der Natur haben. Demgegenüber habe ich an anderer Stelle gezeigt,22 daß gerade im Rahmen der Hegelschen Naturontologie auch für einen zeitlich-realen Aufstufungsprozeß der Natur, wie ich sagen möchte, argumentiert werden kann, ohne daß dafür Hegels Entwicklungsbegriff (im Sinn begrifflicher Entwicklung) benötigt würde. Der Sache nach ist damit das bezeichnet, was wir heute unter ‚Evolution’ verstehen. Um dies kurz anzudeuten (wobei ich hier von kosmogonischen Prozessen absehe): Unter der Voraussetzung einer sogenannten ‚abiotischen’ Evolution (d.h. einer Entstehung des Lebens aus dem Unbelebten23) kann eine biotische Evolution stattfinden, d.h. die Entstehung von Leben aus Leben, mehr noch: die sukzessive Weiterentwicklung des Lebens in der Natur. Für eine solche Evolution läßt sich, in empirisch-wissenschaftlicher Perspektive, grundsätzlich ‚Darwinsch’ argumentieren: ‚Mutationen’ im Genbestand können zu Vorteilen im Überlebenskampf führen, die durch Vererbung weitergegeben werden und in der Konkurrenz der Individuen zur ‚Selektion’ neuer Varietäten führen. Dieser Zusammenhang von Mutation, Selektion und Vererbung bietet eine theoretisch im Prinzip befriedigende Erklärung für die empirisch beobachtete Entstehung der Arten – so der Titel von Darwins epochalem, 1859 erschienenen Werk –, die zugleich eine Höherentwicklung im Sinn höherer Komplexität und Organisation ist. Auch für die Höherentwicklung lassen sich auf Darwinscher Grundlage Argumente beibringen,24 und zwar gemäß folgendem Argumentationsschema: Weil es das Land gibt, müssen aus Wassertieren auch Landtiere entstehen (genauer: auf der Basis einer zunächst im Wasser lebenden Population entsteht ein Selektionsdruck, der – in the long run – in Richtung einer Entwicklung von Landtieren wirkt); weil es die Luft gibt, müssen auch Vögel entstehen. In the long run kommt Wandschneider, D.: Hegel und die Evolution. A.a.O. M. Eigen hat hierzu eine differenzierte bio-mathematische Theorie vorgelegt. Vgl. Eigen, M.: Wie entsteht Information? Prinzipien der Selbstorganisation in der Biologie. In: Berichte der Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie 80 (1977); instruktiv auch die Darstellung der Eigenschen Theorie bei: Stegmüller, W.: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Bd. 2. Stuttgart 1975. 24 Darwin selbst war bezüglich der Möglichkeit einer Erklärung evolutionärer Höherentwicklung allerdings skeptisch. Vgl. Hösle, V./Illies, C.: Darwin. Freiburg/Basel/Wien 1999. 90. 22

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es so, grundsätzlich gesehen, zu einer sukzessiven Besiedelung der schon vorhandenen potentiellen Lebensräume. In Analogie dazu kann nun auch im Sinn einer Entstehung neuer Lebensräume argumentiert werden: Wenn es einzellige Lebewesen gibt, können auch mehrzellige Lebewesen entstehen; wenn es Pflanzen gibt, können auch pflanzenfressende Tiere entstehen; wenn es pflanzenfressende Tiere gibt, können auch tierfressende Tiere entstehen. Die Evolution bringt in dieser Weise selbst Lebensräume hervor: Der jeweils realisierte Zustand bildet zugleich die Basis neuer Lebensmöglichkeiten, und in diesem Sinn kann in der Tat von einem evolutionären Aufstufungsprozeß gesprochen werden. Zugleich ist deutlich, daß diese neuen Lebensmöglichkeiten auch ein Mehr an Komplexität bedeuten und deshalb grundsätzlich komplexere Lebewesen erfordern. Betrachten wir den Übergang von Pflanzen zu pflanzenfressenden Tieren als Beispiel: Pflanzen sind autotroph, d.h. sie sind in der Lage, aus den an ihrem Standort im Boden gelösten Stoffen organische Substanz selbst herzustellen. Tiere hingegen sind heterotroph, d.h. sie benötigen von anderen Lebewesen – hier zunächst Pflanzen – hergestellte organische Substanz. Dieser auf den ersten Blick eher unwesentlich scheinende Umstand hat indes (worauf übrigens schon Hegel hinweist, vgl. § 9, 350 ff.) entscheidende Konsequenzen für die Organisation des Tieres: Nicht nur daß es zur Aufnahme der Nahrung mit einem geeigneten Gebiß ausgerüstet sein muß und zur Weiterverarbeitung derselben mit einem komplexen Verdauungssystem; es muß die Nahrung vor allem auch erst einmal finden. Dazu muß es sich fortbewegen und in seiner Umwelt orientieren können. Dies erfordert eine Sinnesorganisation, ein Nervensystem und – grundsätzlich – eine zentrale Steuer- und Kontrollinstanz, ein Gehirn, zur Verarbeitung der Sinnesdaten ebenso wie zur Koordination und Überwachung der lebensnotwendigen Aktionen, während es für die Pflanze lediglich um die biochemische Steuerung ihrer internen Funktionen geht, mit anderen Worten: Die tierische Organisation ist notwendig komplexer als die der Pflanze, d.h. der evolutionäre Aufstufungsprozeß ist zugleich ein Fortschreiten zu höherer Komplexität. Im Zug biologischer Evolution entsteht so fortgesetzt Neues – wie ist das naturontologisch zu verstehen? Gehen wir die Frage des Neuen zunächst empirisch-wissenschaftlich an: Die Systemtheorie hat dafür den Begriff der Emergenz. Emergenz erklärt das Auftreten qualitativ neuer Eigenschaften, und zwar aufgrund von Systembildung. Dies ist als ein Ganzheitsphänomen zu verstehen: Emergente Eigenschaften sind Systemeigenschaften, die dem

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System als ganzem zukommen und darum gegenüber den Eigenschaften der Teilsysteme völlig neuartig sein können.25 Auf der andern Seite kommt durch Emergenz offenbar nur etwas zur Erscheinung, was im Natursein immer schon als Möglichkeit enthalten ist: In der elementaren Materie ist dies noch verborgen, aber durch Systembildung treten die in ihr liegenden Möglichkeiten zutage. Das ist kein mystisches Phänomen, sondern eine unmittelbare Konsequenz daraus, daß die Materie Naturgesetzen unterliegt: Systembildung ist ja nichts anderes als eine Zusammenschaltung elementarer Naturgesetze zu komplexeren Gesetzlichkeiten, eben Systemgesetzen, die so zur Emergenz qualitativ neuer Phänomene führen können. Kosmogonie, biologische Evolution, aber etwa auch die Technik bieten diesbezüglich reiches Anschauungsmaterial: Supernova, Ameise und Laser sind Beispiele dafür, daß das Natursein nicht auf seine primitiven Erscheinungsformen beschränkt ist, sondern wesenhaft Möglichkeit enthält, die ihrerseits aus den Naturgesetzen stammt und in Emergenzphänomenen ans Licht kommt. Diese mit dem Natursein verknüpfte Möglichkeitsdimension ist somit für das Verständnis von Systembildung, Evolution, Emergenz und natürlich auch Technik von entscheidender Bedeutung. Ihr Grund ist im Naturgesetz zu erkennen. Hier zeigt sich ein weiteres Mal die Fruchtbarkeit des Hegelschen Naturbegriffs: So ist das Naturgesetz nach objektiv-idealistischer Deutung ja Ausdruck der der Natur zugrunde liegenden Logik. Erst von daher wird die für jede Evolutionstheorie zentrale Voraussetzung begründbar, daß die Natur nicht in ihrem je faktischen Sein aufgeht, sondern Möglichkeit enthält, die im Evolutionsprozeß zunehmend in Erscheinung tritt, ‚emergiert’. Eine überzeugende ontologische Fundierung beispielsweise der Evolutionstheorie ist so nur im Rahmen einer objektiv-idealistischen Naturontologie möglich, auch wenn Hegel selbst, wie dargelegt, die Annahme eines realen Evolutionsprozesses verwirft. Trotz dieser unzeitgemäßen Ablehnung des Evolutionsgedankens ist sein Denkansatz in ontologischer Hinsicht von eminentem Erklärungswert.

Ein einfaches Beispiel: Zwei Zylinder von unterschiedlichem Radius zeigen, wenn sie angestoßen werden, auf einer glatten Fläche eine gleichmäßige Rollbewegung. Werden sie aber ineinandergesteckt, so rollt das so entstandene neue System in Form einer Zitterbewegung. 25

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7. Emergenz von Psychischem in der Natur Welche Möglichkeitsfülle im Natursein angelegt ist, zeigt sich zuletzt in der Emergenz von Psychischem. Zur Verdeutlichung werde ich zunächst die Argumentationslinie der entwickelten systemtheoretischen Interpretation fortführen und zeigen, daß sich von daher auch Hegels Deutung der Empfindung rekonstruieren läßt. Ich knüpfe hierzu an Vorheriges sowie an eigene Arbeiten an und fasse deren Argumentation zunächst kurz zusammen: Organismen haben, wie dargelegt, Subjektcharakter im Sinn eines sich im Lebensprozeß selbsttätig erhaltenden Allgemeinen. Systemtheoretisch gesehen heißt dies, wie schon angedeutet, daß es so etwas wie eine Kontrollinstanz gibt, die die Selbsterhaltung des Organismus kontrolliert und regelt, oder, mit dem traditionellen Begriff, eine Selbst-instanz, ein Selbst. Dieses nun ist bei der Pflanze und beim Tier aber von unterschiedlicher Struktur: Für die autotrophe Pflanze geht es allein um die Selbstregulation biochemischer Funktionen; in diesem Sinn möchte ich von einem Funktionsselbst sprechen. Das heterotrophe Tier hat darüber hinaus – auf der Basis der schon erwähnten Nerven- und Sinnesorganisation – auch die Kontrolle und Koordinierung von Aktionen zu leisten und besitzt dementsprechend nicht nur ein Funktionsselbst, sondern außerdem ein Aktionsselbst, wie ich es genannt habe. In systemtheoretischer Perspektive ist für das animalische Subjekt also eine solche Doppelstruktur von Funktionsselbst und Aktionsselbst kennzeichnend. Ein solches ‚gedoppeltes Selbst’ wird nun bemerkenswerterweise auch von Hegel geltend gemacht: Im Unterschied zur Pflanze sei für das Tier eine „Verdoppelung der Subjektivität“ in ihrer „Einheit“ charakteristisch (9.430, Zus.), gewissermaßen ein „Selbst-Selbst“ (432, Zus.), d.h. ein „Selbst, das für das Selbst ist“ (430, Zus.; auch 432, Zus.; 465, Zus.), mit andern Worten: Das Selbst hat „sich selbst zum Gegenstande“. (432, Zus.) Dieses „Sich-selbst-in-sich-Finden“ des Subjekts nun ist nach Hegel die „Empfindung“. (342, Zus., Hvh. D.W.; auch 432, Zus.) Die der Empfindung sonach zugrunde liegende subjektive Doppelstruktur selbst wird von Hegel allerdings nicht näher begründet. In der angegebenen systemtheoretischen Rekonstruktion indes ist sie unmittelbar evident; auch die Struktur der Empfindung wird in dieser Weise systemtheoretisch faßbar: Wesentlich für die charakterisierte Zweiheit von Funktionsselbst und Aktionsselbst ist offenbar, daß beide im Sinn der Selbsterhaltung des Organismus kooperieren. Das Funktionsselbst steht dabei für die Bedürfnislage des Organismus, die auch der Regel-

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tätigkeit des Aktionsselbst die Norm vorgibt. Das gilt insbesondere für die Wahrnehmung des Aktionsselbst, die dadurch immer zweiseitig orientiert ist: Sie ist einerseits Außenwahrnehmung, aber sie muß anderseits stets auch Selbstwahrnehmung enthalten, d.h. Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit des Organismus. Beispielsweise enthält die Temperaturwahrnehmung zugleich Information darüber, inwieweit die wahrgenommene Temperatur dem Organismus selbst zuträglich ist; oder indem ich einen Gegenstand ertaste, ertaste ich zugleich mich selbst. (Vgl. 9.466, Zus.) Die animalische Wahrnehmung schließt so grundsätzlich – und zwar zunehmend mit der Entwicklungshöhe – ein subjektives Element ein; sie ist eine subjektivierte Wahrnehmung, somit ein Sich-selbst-in-sich-Finden des Subjekts oder Empfindung, die elementare Form des Seelischen in der Natur. Charakteristische Eigenschaften des Seelischen wie dessen Ortlosigkeit (9.431, Zus.), Innerlichkeit (9.377, Zus.; auch 10.20, Zus.), Selbstidentität (‚Beisichselbstsein’) (9.430, Zus.; 10.97, Zus.) und Idealität (9.465, Zus.), auf die auch Hegel aufmerksam macht, finden im Rahmen des entwickelten systemtheoretischen Modells ebenfalls eine Erklärung: Indem sich Seelisches, wie dargelegt, in der Verschmelzung von Außenund Selbstwahrnehmung konstituiert, ist es nicht an einer bestimmten Stelle des Leibes lokalisierbar, sondern in allen Empfindungen gleichermaßen präsent; die Ortlosigkeit des Seelischen ist so im Grunde seine Allgegenwärtigkeit als dieselbe einfache Subjektivität in der Vielheit und Verschiedenheit der Empfindungen. Das bedeutet weiter, daß sich im Vollzug der Außenwahrnehmung zugleich ein subjektiver Innenhorizont der Wahrnehmung aufspannt, eine nur dem Subjekt selbst zugängliche, private Sphäre der ‚Innerlichkeit‘. Und schließlich: In dieser Innerlichkeit ist das Subjekt in der Verschiedenheit der Empfindungen durchgängig bei sich selbst; es verliert sich nicht nur nicht in den wechselnden Empfindungen und erhält darin seine Identität, sondern hat solchermaßen auch die Wahrnehmung dieser Identität, also für sich selbst Identität, Selbstidentität. Ortlosigkeit, Innerlichkeit und Selbstidentität sind aber nur verschiedene Seiten ein und desselben Sachverhalts, der Hegel zufolge insgesamt durch den Begriff der Idealität charakterisiert werden kann: In den wechselnden Empfindungen ist stets dieselbe Subjektivität enthalten, die solchermaßen ein diesen Gemeinsames, ein Allgemeines repräsentiert. Die Empfindungen haben so quasi begrifflichen Status und damit den Charakter der Idealität. (Vgl. 16.87 f., 9.432, Zus.)

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In dieser Weise, denke ich, ist eine systemtheoretische Rekonstruktion von Hegels Deutung der Empfindung möglich und damit auch eine empirisch-wissenschaftliche Konkretisierung des Hegelschen Denkansatzes. Psychisches wird so als Emergenzphänomen erklärbar, und zugleich tritt die von Hegel pointierte Idealisierungstendenz der Natur hier in maximaler Deutlichkeit zutage: In der Ortlosigkeit, Innerlichkeit, Selbstidentität und damit auch Idealität seelischen Seins zeigt sich, daß das Natursein nicht in dumpfer Materialität aufgeht, sondern in der Tat immer schon die Möglichkeit der Idealität enthält. Wenn Seelisches in diesem Sinn als Emergenzphänomen der Materie rekonstruiert wird, ist das also keineswegs als Argument für eine materialistische Deutung zu werten. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Argumentationszusammenhang: Für die emergenztheoretische Argumentation ist wesentlich, daß die Materie durch Naturgesetze bestimmt ist; nur so kann es Systembildung und so auch organismische Systeme und insbesondere animalische Organisationsstrukturen mit Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung und Empfindung geben. Naturgesetze aber bestimmen zwar das Verhalten der Materie, sind ihrerseits indes – als logisch-begriffliche Strukturen – nicht-materieller Natur. Insofern ist die Materie selbst gewissermaßen schon über den Materialismus hinaus, der die Naturgesetzlichkeit nicht zu erklären vermag. Dies ist grundsätzlich nur von einem objektiv-idealistischen Naturbegriff zu erwarten. Daß die Natur zudem Seelisches, d.h. eine Form ideellen Seins hervorbringt, ist in dieser Perspektive nicht verwunderlich und bestätigt die Relevanz einer objektiv-idealistischen Naturontologie. 8. Aktualisierungsmöglichkeiten der Hegelschen Naturphilosophie Hegels Naturphilosophie vermittelt in ihrer rekonstruktiven Interpretation ein beeindruckendes Gesamtbild der Natur: einen durchgängigen Zusammenhang der Naturphänomene in der Form einer Stufenfolge, die eine Tendenz im Sinn zunehmender Kohärenz und Idealität zeigt – vom elementaren Außereinandersein bis zur Idealität des Psychischen. Hegels Natur ist so Welten entfernt von der Natur Descartes’, die als pure Ausdehnung und damit als striktes Gegenteil des Psychischen konzipiert war. Gemäß Hegels Naturbegriff geht das Natursein nicht in der Faktizität des Materiellen auf, sondern enthält wesentlich Möglichkeit, insbesondere auch die Möglichkeit des Psychischen, das so nicht

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länger als ein abgeschiedenes Jenseits des Physischen erscheint. Dieser Charakter einer wesensmäßigen Einheit der Natur macht dieses Naturbild so faszinierend, das sich damit als attraktive, aktuelle Alternative zur Cartesianischen Konzeption darbietet. Ein solches einheitliches Naturbild schwebt im übrigen auch dem Materialismus oder, in szientifischer Perspektive, dem Physikalismus vor. Doch wird hier ein gravierender Unterschied deutlich: Diese Positionen sind, wie schon bemerkt, naturphilosophisch von beschränkter Tragweite, weil sie über keine zureichende Naturontologie verfügen; denn sie sind nicht in der Lage, die von ihnen gleichwohl vorauszusetzende Naturgesetzlichkeit zu erklären. Erst im Rahmen einer objektividealistischen Naturontologie, die ihrerseits gute Gründe für sich hat, wird dies leistbar. Wesentlich dafür ist zunächst einmal die Möglichkeit einer apriorischen Entwicklung der Naturkategorien, die nach objektividealistischem Verständnis die dem Natursein zugrundeliegende Logik faßbar machen. Hegel selbst geht davon aus, daß eine solche Kategorienentwicklung grundsätzlich durchführbar ist.26 Man wird indes nicht behaupten können, daß dieser Anspruch vom Hegeltext durchgängig eingelöst ist, auch wenn das von Hegel faktisch Geleistete Bewunderung verdient. Hinzu kommt – darauf wurde einleitend schon hingewiesen –, daß eine solche Argumentation, auch wenn sie wirklich ausgeführt wäre, offenbar immer auch durch Argumente bezüglich der Realisierungsbedingungen von Naturphänomenen ergänzt werden muß: Insofern diese nämlich der realen Welt angehören, kann der Realisierbarkeitsaspekt schlechterdings nicht ausgeblendet werden, und in diesem Sinn wird die Einbeziehung empirisch-wissenschaftlicher Argumente unumgänglich. Diese eingangs schon formulierte Auffassung wird z.B. durch die dargelegten systemtheoretischen Zusammenhänge illustriert. Hegel selbst bietet hierfür ein Beispiel: Er erklärt, wie dargelegt, die Empfindung aus der Selbst-Selbst-Struktur animalischer Subjektivität, ohne freilich diese eigentümliche Doppelstruktur zu begründen. Zugleich weist auch er schon auf empirische Bedingungen der Existenzweise des Tieres hin (Selbstbewegung, unterbrochene Nahrungsaufnahme, Nervensystem etc., vgl. § 9, 350 ff.). Die hier entwickelten systemtheoreti-

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Vgl. z.B. 9.15.

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schen Überlegungen nehmen im Grunde diese Argumentationslinie auf und setzen sie nur konsequent fort. Tatsächlich ist es auch philosophisch von Interesse zu klären, ob überhaupt, inwieweit und in welcher Weise jene ‚Selbst-Selbst-Struktur’ real möglich ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Zu diesen Konsequenzen gehört hier die systemtheoretische Rekonstruierbarkeit der Empfindung, oder allgemeiner gewendet: der Erweis der Emergenz von Psychischem aus Physischem. In der Tat kann nur dieser Nachweis wirklich als Antwort auf die philosophische Frage gelten, die mit dem Leib-Seele-Problem gestellt ist; alles andere bliebe, wie gehabt, bloßes Versichern. Insofern scheint mir, daß Hegels naturphilosophische Argumentation eine Aktualisierung im Sinn empirischer Realisierungsbedingungen nicht nur zuläßt, sondern einer solchen Aktualisierung auch bedarf; daß die naturphilosophische Argumentation also empirisch-wissenschaftliche Hinsichten nicht nur aufnehmen kann, sondern sogar aufnehmen muß. Auf der andern Seite, und damit kehre ich zum Ausgangspunkt dieser methodologischen Überlegungen zurück: Wenn der Übergang von der physischen zur psychischen Seinsebene als Emergenzphänomen erklärt wird, drängt sich auch die Frage auf, wieso auf der Grundlage von Physischem Psychisches emergieren, ‚auftauchen’ kann: Woher stammt es; ist es im Physischem schon ‚enthalten’ und, wenn ja, in welcher Form? Fragen dieser Art sind, wie schon betont, nur im Rahmen einer Naturontologie vom Hegelschen Typ zu beantworten, der zufolge das physischem Sein zugrundeliegende Wesen ideeller Natur, also psychischem Sein wesensmäßig affin ist. Nur unter dieser Bedingung ist die empirisch-systemtheoretische Argumentation naturphilosophisch adaptierbar. Diese fordert so von sich her eine idealistischontologische Fundierung. Damit ist eine zu der eben genannten komplementäre Form der Aktualisierung Hegelscher Naturphilosophie gegeben: im Sinn der ontologischen Fundierung empirischer Argumente im Rahmen einer objektiv-idealistischen Naturontologie, die so, und nur so, in ein Gesamtbild der Natur integrierbar werden. Insgesamt gesehen haben die entwickelten Überlegungen, wie schon in der Einleitung antizipiert, Aktualisierungsmöglichkeiten der Hegelschen Naturphilosophie in einer doppelten Hinsicht ergeben: zum Einen als empirisch-wissenschaftliche Konkretisierung Hegelscher Argumente, d.h. im Hinblick auf Realisierungsbedingungen derselben, die zur Einbeziehung empirisch-wissenschaftlicher Aspekte nötigen; zum Andern umgekehrt im Sinn der ontologischen Fundierung empirisch-

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wissenschaftlicher Argumentationen auf der Basis einer objektiv-idealistischen Naturontologie. In dieser wechselseitigen Verschränkung und Erhellung naturwissenschaftlicher und idealistischer Denkansätze wird insgesamt eine erstaunliche Aktualität der Hegelschen Naturphilosophie erkennbar, nicht nur in einzelnen Punkten, sondern vor allem auch im Prinzipiellen, d.h. im Sinn eines zeitgemäßen Naturbegriffs.

HANS FRIEDRICH FULDA (HEIDELBERG)

HEGELS BEGRIFF DES ABSOLUTEN GEISTES Wer fast nichts kennt von Hegels Philosophie, weiß wahrscheinlich doch, daß darin Kunst, Religion und Philosophie als absoluter Geist bezeichnet werden und daß Hegel diesen Geist unterscheidet von einem zuvor abgehandelten objektiven sowie einem noch früher thematisierten subjektiven Geist. Bekannt ist auch weithin, daß die einzige systematische Abhandlung dieses Ganzen nicht von Kunst, Religion und Philosophie überhaupt handelt, sondern speziell von der klassischen griechischen Kunst, der christlichen Religion und der neuzeitlichen europäischen Philosophie, die Hegel in seinem eigenen philosophischen Programm münden sieht. Was aber soll diese Konzentration auf je eine exemplarische Gestaltung von Kunst, Religion und Philosophie? Das wird im Folgenden nicht das Hauptthema sein. Denn es führt nicht auf den Begriff des absoluten Geistes, sondern betrifft erst die Entwicklung dieses Begriffs. Was aber macht den Unterschied des absoluten Geistes vom objektiven (und vom subjektiven) Geist aus? Warum besteht hier in Hegels Augen eigentlich ein grundsätzlicher Unterschied? Gibt es überhaupt einen absoluten Geist, und wenn „ja“ – wodurch können wir uns davon überzeugen? Darüber erfährt man selbst in umfangreichen Darstellungen der Hegelischen Geistphilosophie so gut wie nichts. Man vergleiche z.B. die über 550 Seiten umfassenden 28 einschlägigen Kapitel der Hegelmonographie von Kuno Fischer! Mit der neueren Hegel-Literatur steht es in dieser Hinsicht nicht besser: Fast die einzigen, die den Gehalt und Anspruch von Hegels Philosophie des absoluten Geistes heutzutage einigermaßen ernst nehmen, befassen sich damit als christliche Theologen oder weil sie aus christlicher Glaubensüberzeugung philosophieren. Sie haben also überwiegend, wenn nicht ausschließlich Interesse an Hegels Deutung der christlichen Religion. Das bringt mit sich, daß man Argumente gegen einen „Finitismus“ des Geistes, der ohne die Behauptung eines unendlichen Geistes auskommen möchte, hier vergeblich sucht. Wer etwas schon weiß, und sei’s im Glauben, für den werden Gründe, aus denen man es erkennen kann, ziemlich witzlos. Er will es immer tiefer verstehen,1 kann sich damit aber auch begnügen. 1

Am weitesten scheint mir darin Michael Theunissen gekommen. Seine Monogra-

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Ohne die Interessen philosophischer Deutung des christlichen Glaubens hat Hegels Lehre vom absoluten Geist (als solchem) derzeit fast keinen Kredit mehr. Das gilt nicht nur für die Marxistischen und Postmarxistischen Erben Hegels. Wie Jürgen Habermas jüngst treffend festgestellt hat2, besteht unter den zeitgenössischen Hegel-Spezialisten der USA die Neigung, den Begriff absoluten Geistes zu „deflationieren“ zu demjenigen eines die ganze Menschheit einbeziehenden Grundes für intersubjektive Identitäten. Der absolute Geist wird dem objektiven Geist einer gemeinsamen Lebensform assimiliert. Habermas ist fern davon, dem in der Sache entgegenzutreten. Er besteht nur darauf, daß damit eine ausdrückliche Hegel-Kritik verbunden werden muß. Auf deren wichtigste Punkte wird noch einzugehen sein.3 Zuvor aber sollte auf ein merkwürdiges Schwanken aufmerksam phie (Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin 1970) macht sämtliche 25 Paragraphen der encyclopädischen Philosophie des absoluten Geistes, die meisten davon sogar einen nach dem anderen, zum Gegenstand einer über 200 Seiten umfassenden Exegese. (103-322) Doch Hegels Gründe für den Fortgang philosophischen Denkens vom objektiven zum absoluten Geist werden darin nicht wirklich aufgehellt. Es wird sogar darauf verzichtet, im Hegelischen Begriff des Geistes überhaupt die Ansätze für specifica des Begriffs eines absoluten Geistes aufzusuchen. Außer aus den vorherrschenden Interessen erklärt sich dies allerdings auch aus einer der Hauptthesen Theunissens: Hegels Philosophie des absoluten Geistes beruhe auf einem System, das durchweg geschichtsphilosophisch und desgleichen religionsphilosophisch konzipiert sei – ja sogar selber eine universale Geschichtsphilosophie und in seiner Ganzheit ebenso Religionsphilosophie. Geschichtsphilosophie sei bei Hegel gar keine besondere Disziplin. (60, 77) Wenn das Thema „Weltgeschichte“ in Hegels „Encyclopädie“ (§§ 548-552) nicht als dasjenige einer besonderen philosophischen Disziplin gilt, ist es nicht der Mühe wert zu fragen, warum die Grenzen des Gegenstandes, mit dem man es bei diesem Thema zu tun hat, überschritten werden müssen. – Einig hingegen weiß ich mich mit Theunissen hinsichtlich seiner These, Hegels „Theorie des Absoluten“ sei als Ursprungsphilosophie Emanzipationsphilosophie. (22) Auch in Verteidigung Hegels gegen den Einwand, dem Begriff des absoluten Geistes würden die Spuren seiner Herkunft aus den intersubjektiven Gestalten des objektiven Geistes abgestreift, bin ich mit Theunissen eins. Der Zusammenhang zwischen objektivem und absolutem Geist im Übergang vom einen zum anderen ist wahrlich keiner der Ausblendung aller Zeitlichkeit, Geschichtlichkeit, Intersubjektivität und emanzipatorischen Interessen. 2 Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze. Frankfurt/M. 1999. 217 f. 3 Die von Habermas gegen Hegels Philosophie des absoluten Geistes erhobenen Einwände machen geltend: (1) Wir haben keinen Grund zu der Erwartung, in Ansehung der äußeren Natur lasse sich der naturwissenschaftliche „Objektivismus der beobachtenden Vernunft überwinden“. – (2) Wir können nicht aus dem „Horizont unserer Sprache und unserer diskursiven Praktiken ausbrechen“. – (3) Als einziges Modell für ein „höheres Subjekt“, dem ein höheres Wissen zugeschrieben werden kann, steht im absoluten Geist nur noch das Fichtesche „Selbst“ eines obskuren Selbstbewußtseins zur Verfügung. Hegels absoluter Geist verkörpert und perpetuiert Fichtes „Tathandlung“ des sich selbst „setzenden“ Ich. Das Zu-sich-kommen dieses absoluten Geistes wird just mit Hilfe jenes Begriffs von Subjektivität gedacht, den Hegel in seiner frühen Jenenser Zeit selber überzeugend kritisiert hat. (220-23) – (4) Die Leser, an die sich He-

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gemacht werden, das an Habermas’ Einstellung zu Hegels Lehre vom absoluten Geist wahrzunehmen ist: Einerseits ist der Geist, mit dem sich eine philosophische Erkenntnislehre zu befassen hat, nach Habermas’ Überzeugung bloß ein endlicher. Das kennzeichnet die Position, die oben als Finitismus des Geistes bezeichnet wurde. Andererseits aber und ungeachtet dessen soll laut Habermas „das spekulative Interesse“ „auch nach der Metaphysik“ seine „Würde“ behalten. (223) Doch wer sich fragt, worin diese Würde denn bestehen mag und was sie von uns fordert, der wird nicht umhin können, sich auf Hegels Geistphilosophie näher einzulassen, als Habermas uns zumutet. Dabei wird sich schnell herausstellen, daß die Habermas’schen Einwände gegen Hegel gar nicht Hegels systematische Geistphilosophie als solche berücksichtigen, ja sogar den Begriff des absoluten Geistes völlig im Dunkeln lassen. Ein wenig genauer sollte man es mit der encyclopädischen Philosophie des Geistes bei Hegel schon nehmen, wenn der Philosophie des absoluten Geistes ihre Berechtigung begründetermaßen abgesprochen, dem spekulativen Interesse „nach der Metaphysik“ aber seine „Würde“ bewahrt werden soll. Nach dieser Devise wird im Folgenden verfahren. Zuvor aber ist Rechenschaft darüber abzulegen, warum man einen Finitismus des Geistes, wie ihn Habermas vertritt, meiden sollte. I. Finitismus des Geistes? Der endliche Geist, den wir als Menschen haben, der wir sogar sind und den wir in gewissen Hervorbringungen objektivieren können, ist der einzige Geist, den wir zweifelsfrei kennen. Warum also sollte man sich in der Philosophie, jedenfalls wenn es um epistemologische Fragen geht, nicht mit Begriffen begnügen, die diesen Geist betreffen – und mit Behauptungen über ihn oder Präsuppositionen in Bezug auf ihn? Anderer Geist als der unsere, uns bekannte wäre dann höchstens gel mit der Darstellung seiner Geistphilosophie wendet, sollen „konvertieren“ „zur Erkenntnis einer alles bloß Subjektive überwältigenden Macht des Geistes“, „die schicksalhaft über die Sphäre des Volksgeistes, also durch die Geschichte intersubjektiver Lebensformen hindurchgreift“. – (5) Der intersubjektivistische Ansatz des jungen Hegel liefert seinerseits keinen gewichtigen internen Grund dafür, daß man ihn zugunsten des Konzepts eines Übergangs vom objektiven zum absoluten Geist aufgibt. (224-29) – (6) Beim Übergang zum absoluten Geist werden dem Begriff des Geistes „die Spuren seiner Herkunft aus den intersubjektiven Gestalten des objektiven Geistes abgestreift“. – Die Einwände (1) bis (6) werden mich in der Reihenfolge beschäftigen, in der sie hier angegeben sind.

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Gegenstand nachträglicher Vermutungen. Diese Erwägung ist auf den ersten Blick sehr plausibel. Bei näherem Zusehen aber stellt sie sich als irreführend heraus. Mindestens sechs Gründe sprechen dagegen, sich ihr anzuvertrauen. 1. Was bekannt ist, ist damit noch lange nicht erkannt. Um es zu erkennen, bedarf man klarer und deutlicher Begriffe. Die aber erlangt man in der Philosophie anders als in den Fachwissenschaften nicht, indem man Theorien bzw. Theoreme aufstellt, sie möglichst gut miteinander vernetzt und formale Beweise für sie liefert oder wenigstens Bestätigungen – sei’s durch entsprechende, zuvor unbekannt gewesene Tatsachen, sei’s via Einbettung in eine Axiomatik. Ergebnisse solchen Vorgehens werden, wenn das Vorgehen erfolgreich war, in der Philosophie vorausgesetzt und genutzt, hingegen nicht in Konkurrenz zu den Fachwissenschaften gesucht. Aber es gibt andere Bemühungen um Erkenntnis, die der Philosophie eigentümlich sind. Sie müssen sich vor allem auf Begriffe konzentrieren, welche die Fachwissenschaften (für ihre Unternehmen wohlweislich) im Dunkeln lassen. Verlangt ist, daß man diese Begriffe bestimmt macht – durch Abgrenzung und durch Integration (ihres vernünftigen Gehalts) in Begriffe von Komplexerem; so nicht zuletzt für den Fall einer Beschränkung der Erkenntnis auf Bekanntes, was immer es sei. Dessen Begriff ist also vom Begriff seines Anderen abzuheben, und sei dies Andere auch inexistent oder von bloß problematischer Existenz. Man entlastet sich in der Philosophie mithin, wenn man sich ans Bekannte hält, nicht von der Aufgabe, zusätzlich zu seinem Begriff, sobald es den zu klären gilt, auch den Gegenbegriff zu untersuchen, und sei’s der eines Unbekannten oder Problematischen – in unserem Fall z.B. der Begriff eines unendlichen Geistes. Diesen Begriff unbestimmt zu lassen oder bloß vorauszusetzen ist einer philosophischen Erkenntnis unwürdig – nicht zuletzt, weil damit auch die Bestimmtheit für den Begriff eines endlichen menschlichen Geistes bloß vorausgesetzt und unausgemacht bleibt. 2. Wenn man sich ausschließlich an unseren endlichen Geist hält, soweit er uns bereits bekannt ist, so kann man in epistemologischer Hinsicht nicht umhin, sich für die Klärung speziellerer Begriffe auf zwei Arten von Erkenntnis zu beschränken: die theoretische, die durch Bildung von Theorien ausmacht, was der Fall ist (sei’s generell, sei’s im Einzelnen aufgrund von Gesetzen und erfüllten Anwendungsbedingungen für Gesetzesaussagen); und die praktische, die uns sagt, was (unter gewissen Normen durch willentliche Setzung und Ver-

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wirklichung von Zwecken) geschehen soll. Von beiden Erkenntnisarten ist leicht zu zeigen, daß sie sich antinomisch zueinander verhalten hinsichtlich einiger ihrer fundamentalen mentalen Bestimmungen und unter Umständen auch hinsichtlich ihrer Erfordernisse. Die Antinomieprobleme, die sich hier auftun, lassen sich innerhalb des Gegensatzes von theoretischer und praktischer Erkenntnis wahrscheinlich nicht lösen. Wir kommen also, auf die Alternative theoretischen oder praktischen Erkennens beschränkt, wohl nicht einmal zu einer konsistenten Exposition des Begriffs für den endlichen Geist. Oder wir müssen den Phänomenen Gewalt antun und die Bestimmungen unseres Begriffs von erkennendem Geist reduzieren zugunsten einer Definition, die einseitig die theoretische oder einseitig die praktische Erkenntnis favorisiert. 3. Wenn wir uns auf den endlichen Geist beschränken, der wir als Menschen sind, – was rechtfertigt dann eigentlich die Annahme oder gar Behauptung, daß nicht nur er der Erkenntnis auf adäquate Weise zugänglich ist, sondern auch von ihm Unterschiedenes, wie z.B. die Natur? Warum soll die Zugänglichkeit, falls sie überhaupt besteht, adäquater sein als diejenige, durch welche sich andere Arten von Lebewesen auszeichnen? Warum sollte sie, wäre sie nicht erkennbarerweise adäquater, höher zu schätzen sein als die Weisen, in denen Naturphänomene anderen Lebewesen zugänglich sind? Man sieht: Gerade indem wir unseren philosophischen Horizont verengen auf endlichen Geist, der zufälligerweise wir Menschen sind, oder diesen Geist gar von der Natur absondern (jedenfalls aber von allem, was vielleicht sonst noch Geist ist), setzen wir uns zurecht dem Verdacht einer Spezies-chauvinistischen Auffassung von Geist und Erkenntnis aus. Hingegen können wir uns von einer solchen Auffassung so fern wie nur möglich halten, wenn wir erkennend zunächst zu einem Geistbegriff gelangen, welcher der Differenz von endlichem und unendlichem Geist vorausliegt, und erst von ihm aus fortgehen zur Erkenntnis desjenigen Geistes, der wir als endliche Wesen sind. 4. Beschränkt auf die Alternative unseres theoretischen oder praktischen Erkennens können wir den endlichen Geist, der wir sind, nur als ein Seiendes (unter anderem Seienden, das von ihm verschieden ist) denken, so daß auch ein unendlicher Geist, den wir doch wenigstens als Problem denken müssen, dann nur als ein vom endlichen Geist verschiedenes Seiendes zu nehmen wäre. Damit aber wird der unendliche Geist nur noch in einer ihn verendlichenden Weise konzipiert. Denn Seiendes hat an anderem Seienden, wovon es sich unterscheidet,

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seine Grenze. Zudem aber macht gerade diese in sich defekte Weise, unendlichen Geist zu denken, von vornherein jeden Versuch, ihn zu erkennen, gegen leicht zu erhebende skeptische Einwände erfolglos. Der Ausgang vom Bekannten ist durch willkürliche Beschränkung also gar nicht so unvorgreiflich, wie er sich gibt. 5. Das Problem einer Philosophie des Geistes ist dessen Zusammenhang mit der Natur. Hinsichtlich seiner war die neuzeitliche Metaphysik in die größten Schwierigkeiten gekommen. Gilt es einen Dualismus von Natur und Geist zu lehren oder einen – sei’s naturalistischen, sei’s spiritualistischen – Monismus? Kein Glied dieser doppelten Alternative erlaubt eine überzeugende Position. Im Fall des Dualismus werden wir uns z.B. vergeblich fragen, wie und warum denn, gegeben das eine beider, das andere zu ihm hinzukommt; wie und warum die Natur als das eine von beiden der Erkenntnis seitens des anderen zugänglich sein soll und wie ein Teil der Natur – als Leib – mit einer lebendigen Vereinzelung des Geistes – als Seele – eine personale Einheit soll bilden können. Alle Versuche hingegen, unserem Freiheitsbewußtsein dualistisch gerecht werden zu wollen, setzen sich dem vernichtenden Spott Spinozas aus: sie wollen ein „imperium in imperio“ (naturae) errichten. Im Fall des Monismus aber bleibt es ein unauflösliches Rätsel, warum unsere Begriffe für Naturales und Geistiges so verschiedenartig sind und sich so dauerhaft gegen Reduktion nach der einen oder anderen Seite hin sperren. Im Fall seiner spiritualistischen Variante müssen wir uns zudem bezüglich der Frage, ob die Außenwelt real ist, zu einem Idealismus bekennen, den schon der „transzendentale Idealist“ Kant einen Skandal genannt hat und der gegen den Realismus der Naturwissenschaften nur durch fromme Hartnäckigkeit oder Reduktion der ganzen Philosophie auf einen eigensinnigen Phänomenalismus, wenn nicht gar Solipsismus zu behaupten ist. Gegen den naturalistischen Monismus aber wird sich immer unser praktisches Selbst- und Freiheitsbewußtsein sträuben. Fazit: Wir brauchen eine Philosophie des Geistes, die sowohl der Dualität von Natur und Geist Rechnung trägt als auch zwischen beiden (und zwar ebenso für den Geist überhaupt wie, in je spezifischer Weise, für den endlichen und den unendlichen Geist, wenn es ihn gibt) einen so engen Zusammenhang zu begreifen vermag, daß man nicht von Dualismus sprechen kann wie andererseits – wegen der Dualität – auch nicht von einem Monismus sei’s der Natur, sei’s des Geistes. Wenn Monismus, weil kein Dualismus –, dann jedenfalls weder einer der Natur noch einer des Geistes, nämlich einer der absoluten Idee. Aussicht, die Probleme zu bewältigen,

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in die sowohl die dualistischen wie die monistischen Konzepte geführt haben, besteht gewiß nur, wenn wir den Geist in seinem größtmöglichen Umfang berücksichtigen. Man wird diese Probleme nicht dadurch los, daß man keine Notiz von ihnen nimmt und sein Denken zu einem „nachmetaphysischen“ erklärt. Man legt diesem Denken mit einem Finitismus des Geistes lediglich Scheuklappen an. 6. Zwei der oben aufgelisteten Habermas’schen Einwände gegen Hegel lauten: (1) Der naturwissenschaftliche „Objektivismus der beobachtenden Vernunft“ lasse sich nicht „überwinden“, und (2) wir seien nicht imstande, aus dem „Horizont unserer Sprache und unserer diskursiven Praktiken“ „auszubrechen“. Wenn das triftige Bedenken gegen Hegels Konzept eines absoluten Geistes wären, so träfen sie zweifellos auch schon den Ansatz der ganzen Hegelischen Geistphilosophie und wären ein wirkliches Hindernis, den Finitismus in der Philosophie des Geistes von Anfang an zu meiden. Aber die Bedenken beruhen, glaube ich, auf einem Mißverständnis. Hegels philosophisches Denken und begreifendes Erkennen soll nicht außerhalb des Horizonts unserer Sprache stattfinden. Es vollzieht sich innerhalb davon und soll eine genuin philosophische Diskurspraktik zum Einsatz bringen, die von bereits gängigen diskursiven Praktiken aus formulierund erreichbar ist: diejenige nämlich, in deren Ausübung das genuin philosophische Denken und Erkennen am Werk ist. Die Ausübung verlangt freilich, daß man sich mit Natur nicht nur in der Einstellung theoretischer Naturwissenschaften befaßt, wie wir das ja auch sonst nicht tun: z.B. im täglichen Leben, in ästhetischer Betrachtung und in religiösen Symbolhandlungen. Aber das heißt nicht, daß man dazu die naturwissenschaftliche Einstellung in sich oder gar in der institutionalisierten Fachwissenschaft „überwinden“ müßte. Man darf die Betätigung dieser Einstellung nur nicht zum einzig vernünftigen Umgang mit der Natur und mit Natürlichem erklären. Ich sehe daher nicht, was uns vom Umgang mit der Natur her einen Finitismus des Geistes besonders empfehlen oder gar abnötigen würde. Die weiteren Einwände nämlich, die Habermas gegen Hegels Philosophie des absoluten Geistes erhebt, sind nicht stärker als die ersten beiden. Aber die Auseinandersetzung mit ihnen gehört in den Kontext des nächsten Abschnitts.

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II. Vom objektiven zum absoluten Geist 1. Hegels objektiver Geist versteht sich (im Unterschied zu demjenigen Diltheys4) nicht als Objektivation und intersubjektives Dasein irgendwelchen geistigen menschlichen „Lebens“, sondern viel spezifischer als Zwecktätigkeit desjenigen freien Willens, welcher sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat. Allerdings ist die Freiheit dieses Willens in ihrer Tätigkeit der Zweckverwirklichung bezogen auf intersubjektive Verhältnisse von Willenstätigkeiten, die andere Zwecke verfolgen, wie auch auf intersubjektive Bewußtseinshorizonte und anthropologische, letztlich bedürfnisabhängige Relationen zwischen individuellen geistigen Subjekten. Aber nicht schon solche intersubjektiven geistigen Bezüge machen den objektiven Geist als solchen (und seine „Objektivität“) aus. Konstitutiv ist hier vielmehr erst die zusätzliche Bestimmung, daß sich in den Bezügen der seine Freiheit bezweckende Wille (eines eben dadurch freien Geistes) objektiviert hat, so daß seine Freiheit damit in Form von Notwendigkeit gegeben ist für geistiges, individuell-menschliches und zwischenmenschliches Leben. (§§ 482-484) Der subjektive Geist geht der Objektivierung als Ausgangspunkt sowie äußerliches Material voraus. Ebenso wie er ist auch der objektive Geist, so verstanden, relativ auf etwas, das sein Anderes ist: eine als selbständig vorausgesetzte Natur. Im Unterschied aber zum subjektiven Geist bezieht sich der objektive in diesem Reflexionsverhältnis aktiv gerade auch auf das so vorausgesetzte Andere und nicht mehr nur auf sich selbst: Er setzt in dieser aktiven Beziehung die Natur als seine Welt. (§ 384) Natürlich aber ist er auch in dieser komplexen Aktivität ebenso wie der subjektive ein endlicher Geist (§ 385): Er hat seine Schranke an der als selbständig vorausgesetzten Natur. Von diesen Bestimmungen des subjektiven und des objektiven Geistes aus kann man gut verstehen, was der Ausdruck „absolut“ im Terminus absoluter Geist primär besagt: Im Unterschied zu einem subjektiven oder objektiven, also wegen der genannten Voraussetzungen endlichen Geist ist ein absoluter Geist nicht mehr relativ zu einer ihm vorausgesetzten Natur, sondern davon abgelöst; und nicht mehr relativ auf die eine oder andere Seite des Gegensatzes von bloß subjektivem und bloß objektivem Geist, sondern auch von diesen einseitigen Beziehungen abgelöst. Aber das kann vorläufig vielerlei heißen: z.B. abgelöst von der Natur oder von ihrem Vorausgesetztsein; abgelöst von 4

W. Dilthey: Ges. Schriften. Bd. 7. 150 f.

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der einseitigen Relation zu subjektivem oder zu objektivem Geist durch eine doppelte Relation oder durch etwas anderes als bloße Relation, nämlich Einheit mit beiden Relaten; abgelöst vom einen oder anderen bloß durch Abstrahieren und Wegwerfen dessen, wovon abstrahiert wurde, oder aber durch Einheit des sich Ablösenden mit einem Umfassenderen, in welchem die Natur nicht mehr bloß vorausgesetzt, in welches sie vielmehr (zusammen mit dem endlichen Geist und seinen Relationen zu ihr) integriert ist; kurz: abgelöst nur in der Bedeutung „losgemacht von [...]“ oder in der Bedeutung „frei gemacht zu [...] und vollendet“. Es wird gerade darauf ankommen, durch methodisch geregelten Fortgang des Denkens vom objektiven zum „absolut“ genannten Geist auszumachen, was „absolut“ hier des Näheren heißt und warum im Denken zu einem weiteren Begriff des Geistes – zusätzlich zu dem des subjektiven und des objektiven Geistes – fortgegangen werden muß. Längst vor dem Übergang vom objektiven zum absoluten Geist kann man sehen, daß ein „Ablösungsprozeß“ wie der mit dem Ausdruck „absolut“ zu denkende unter dem Hegelischen Begriff des Geistes überhaupt in der einen oder anderen Bedeutung möglich ist. Um die Begründung wenigstens anzudeuten: Der Geist wird durch spekulatives Begreifen in terminis der absoluten Idee als absolut Erstes der Natur erkannt. Er hat gemäß dieser Erkenntnis die Natur also nicht in jeder Hinsicht zu seiner Voraussetzung. Er ist ferner ein „Subjekt-Objekt“, nämlich (in der Hegelischen Terminologie) die „zu ihrem Fürsichsein gelangte“ absolute Idee, „deren Objekt [ihres Sich-Darstellens] ebensowohl als das Subjekt der Begriff ist“. (§ 381) Er steht als solches Subjekt-Objekt gewiß nicht von vornherein wie ein selber Einseitiges in einseitiger Beziehung – sei’s zu einem bloß subjektiven, sei’s zu einem bloß objektiven Geist. Zu seinen grundlegenden begrifflichen Bestimmungen gehören verschiedene Weisen von Offenbar-machen (δηλóειν), durch die Erkenntnis allererst ermöglicht wird; und unter ihnen ist auch ein Offenbaren „im Begriff“. In diesem „Offenbaren“ wird die Natur ausdrücklich nicht mehr vorausgesetzt. Sie wird darin vom Geist, der ja das absolut Erste im Verhältnis zur Natur ist, „erschaffen“ als Sein des Geistes, in welchem sich der Geist die Affirmation (also Bekräftigung) und Wahrheit (also Übereinstimmung mit sich) seiner Freiheit gibt. So mag es wohl sein, daß der Geist freigemacht wird (absolvitur) von jenen Relativitäten, die den endlichen, subjektiven und objektiven Geist auszeichnen. Wenn irgend etwas, so ergibt dies bei Hegel das „Modell für ein hö-

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heres Subjekt“, dem schließlich ein höheres Wissen als dasjenige bloß endlichen Geistes zugeschrieben werden kann. Doch ganz im Gegensatz zu Habermas’ Behauptung steht dafür durchaus nicht das Fichtesche „Selbst“ eines obskuren Selbstbewußtseins Pate – oder Fichtes „Tathandlung“ des sich „setzenden“ Ich. Daß Hegel nur dies zur Verfügung stehe, war ein weiterer (nämlich (3)) der Habermas’schen Einwände. Wer das „höhere Subjekt“ und sein Wissen ausfindig machen, aber auch feststellen will, was das spekulative Denken nötigt, vom objektiven Geist aus zu diesem Subjekt und Wissen fortzugehen, der sollte sich vor einem Mißverständnis hüten, das Habermas zu dem Einwand verleitet, man müsse, um vom objektiven zum absoluten Geist zu gelangen, (4) nach Hegel „konvertieren“ (also eine Art religiöse Bekehrung vollziehen) zur Erkenntnis einer Macht des Geistes, die „alles bloß Subjektive überwältigt“ und zudem „schicksalhaft“ über die Sphäre des Volksgeistes hinweg durch die Geschichte intersubjektiver Lebensformen hindurchgreife. Die „Konversion“5 wird uns angeblich von Hegel abverlangt, um das Vertrauen zu tragen, daß die Geschichte im Ganzen der Vernunft unterworfen und die sittliche Wirklichkeit der modernen Welt „ohne unser Zutun“ im Begriff ist, vernünftig zu werden. Dieses geschichtsphilosophische Vertrauen wiederum soll Hegel deshalb nötig scheinen, weil eine Kultur, die sich auf dem Weg der Revolutionierung von Staat und Gesellschaft neue Grundlagen schaffen will (wie Protagonisten der Französischen Revolution es wollten), sich selbst überfordern würde. (226 f.) Daran ist fast kein wahres Wort. Aber das vorliegende Thema erlaubt es hier nur anzudeuten, was nicht stimmt: Zum einen bringt Habermas mit dem „weil“ und „um zu“ die Ordnung der Erkenntnisgründe in der Hegelischen Philosophie der Sittlichkeit völlig durcheinander.6 Zum anderen bedarf es gar nicht der Sie wird bei Habermas auch „Konstruktion“ eines Übergangs vom objektiven zum absoluten Geist genannt. 6 An der Französischen Revolution wird von Hegel nicht verurteilt, daß sich ihre Protagonisten mit der revolutionären Selbstkonstitution einer Kultur „überfordert“ haben, sondern daß die „Kultur“, die mit ihren Abstraktionen allenfalls zustande zu bringen war, keine sittliche sein konnte. Aber selbst wenn eine sittliche Kultur von ihnen intendiert gewesen wäre, also eine Überforderung vorgelegen hätte, wäre nach Hegel nicht deshalb das Vertrauen nötig, daß es in der sittlichen Welt vernünftig zugegangen ist und zugeht. Nötig, d.h. vom philosophischen Denken verlangt, ist hier auch gar nicht ein Vertrauen, sondern Einsicht. Und die wird nicht der Erfahrung einer Selbstüberforderung der französischen Revolutionäre verdankt, sondern begreifender Erkenntnis dessen, was sich aus der erscheinenden Dialektik der Endlichkeit individueller Staaten begrifflich ergibt. Die philosophische Einsicht (und das von ihr bestärkte Ver5

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„Konversion“, für die sich Habermas die erwähnte, angeblich Hegelische Begründung zurechtlegt. Es geht nämlich hier gar nicht um Erkenntnis einer „alles bloß Subjektive überwältigenden Macht“ (des Geistes). Weder der schlechthin allgemeine sittliche Geist, „Weltgeist“ genannt, noch der absolute Geist ist eine solche Macht. Wie könnte der Weltgeist andernfalls objektiver Geist, also Objektivation freien subjektiven Geistes sein, der Begriff des absoluten Geistes aber bereits im freien Geist bestehen?7 Die Macht schließlich, welche der Weltgeist in der Tat ist, übergreift die Sphären der Volksgeister gerade nicht „schicksalhaft“. Geschweige denn kann dies vom absoluten Geist gesagt werden, der ja vom Weltgeist aus (als Ergebnis eines Loslösungsprozesses) zu denken ist, aber ihm nicht wie ein Schicksal in die Parade fährt. Genug der Polemik! Man muß Habermas zugute halten, daß der Gedanke, der über den objektiven zum absoluten Geist hinauszugehen nötigt, von Hegel in einen einzigen Paragraphen zusammengezwungen wird, der wahrlich nicht leicht zu verstehen ist. 2. Um zu verstehen, muß man sich klar machen, daß Hegels Philosophie der Weltgeschichte nicht nur von Sittlichkeit (und den anderen Themen der Rechtsphilosophie) handelt, sondern auch schon von Religion und Verwandtem, wenn auch noch ohne einen abgeleiteten und berichtigten Begriff davon, also nur in einer vorläufigen Bedeutung des sie bezeichnenden Ausdrucks: als Bewußtsein all dessen, was den Menschen, welche in einem sittlichen Ganzen zusammenleben, als das Höchste und zugleich als Grund ihrer Sittlichkeit gilt; aber solches Bewußtsein nicht bloß äußerlich (wie von etwas, das man kennt), sondern als innere, subjektive Gesinnung diesem Höchsten gegenüber. Darum gehört zu solchem Bewußtsein bei dem, der es hat, auch ein Sich-Erheben zu diesem Höchsten. Es kann verschiedensten Anlaß haben, kann ganz momentan, ja selbst bewußtlos geschehen8, aber auch eine bewußte religiöse Handlung sein, individuell oder kollektiv vollzogen. Auf die ganze Weltgeschichte gesehen ist das abstrakte Konzept solchen Sich-Erhebens mehrfach unbestimmt: nicht nur hinsichtlich trauen), daß Vernunft in der Weltgeschichte am Werk war und in der Gegenwart am Werk ist, wird auch nicht davon „getragen“, daß ein Übergang vom objektiven zum absoluten Geist konstruiert wird. Die Einsicht hat solches Getragen-werden so wenig nötig, daß sie (und nach Hegels Auffassung auf philosophisch überzeugende Weise sogar nur sie) vielmehr umgekehrt allererst zum Übergang vom objektiven in den absoluten Geist hinführt. 7 Vgl. § 482. 8 Vgl. Notizen zu Hegels Encyclopädie, § 453. In: Hegel-Studien 9 (1974). 16.

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des subjektiv-geistigen Mediums, in welchem die Erhebung stattfindet – im Erleben, Gefühl, Bewußtsein, in der Anschauung, Einbildung, im Denken. Das Konzept ist unbestimmt auch hinsichtlich des den Ausgangspunkt bildenden geistigen Gehalts und dementsprechend nicht weniger hinsichtlich des Endpunkts, zu dem der sich Erhebende gelangt. Gerade auch in ausgebildeten Lebensformen einer Religion kann die Erhebung schlicht „ein Wegwerfen, nur bey Seite setzen [...] des Endlichen“9 sein, von welchem dabei ausgegangen wird. Ferner kann denen, die diesen Schritt vollziehen, dadurch nicht nur Wahres zuteil werden, sondern auch Unwahres, für wie wahr sie es immer halten mögen. Aber es muß sich nicht allemal um Unwahres handeln, wenn gilt, was wir vom Geist als solchem oben registriert haben. Sollte im philosophischen Denken die Sphäre des objektiven Geistes zu überschreiten sein (und mit ihr auch die Schranke des subjektiven Geistes), so wird dies zweifellos zu geschehen haben in Thematisierung des einen oder anderen Sich-Erhebens, von dessen mannigfaltigen Vorkommnissen uns die Historie Kenntnis gibt. Und der Überschritt, welcher der zu thematisierenden Erhebung philosophisch nachdenkt, wird dann wohl auch selbst den Charakter eines Sich-Erhebens (zu dem, was dem philosophischen Denken das Höchste ist) haben. Für den Fall der Unumgänglichkeit aber kann der Überschritt nicht so unbestimmt sein wie die Erhebung nach dem bisherigen, aus der Historie geschöpften Konzept. Es muß sich wohl beide Male (bei der zu thematisierenden und der philosophierend zu vollziehenden Erhebung) um ein Denken handeln und in ihm nicht bloß um ein beliebiges Wegwerfen und Beiseitesetzen des Ausgangspunktes, sondern um ein Verfahren mit formell bestimmtem Charakter: dem einer Tüchtigkeit, den Inhalt des Ausgangspunktes auf eine dem bloßen Zufall oder Belieben entzogene Weise zu bearbeiten und dadurch zu einem nicht zufälligen, sondern inhaltlich bestimmten Endpunkt zu gelangen. Desgleichen aber auch um einen Ausgangspunkt, der bezüglich seiner inhaltlichen Bestimmtheit kein beliebiger ist. Die Frage ist also, worin dieser Ausgangspunkt besteht, was den formellen Charakter des zu thematisierenden Denkens ausmacht und was sich diesem Charakter gemäß, aber auch aus Gründen, die mindestens dem philosophischen Denken einsichtig sind, für den Endpunkt an inhaltlicher Bestimmtheit ergibt. Was gibt unser Text (§ 552) und sein Umfeld zur Beantwortung dieser Frage an die Hand? 9

Ebd.

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Wie man auf den ersten Blick sieht, ist im Text (sogar zweimal) ein denkendes Sich-Erheben behauptet. Es wird auch (gleich mit dem ersten Satz beginnend) der Zustand beschrieben, von dem aus das SichErheben erfolgt: Der Volksgeist enthält Natur-Nothwendigkeit, und steht in äußerlichem Daseyn (§ 483); die in sich unendliche sittliche Substanz ist für sich eine besondere und beschränkte (§ 549. u. 550), und ihre subjective Seite mit Zufälligkeit behaftet, bewußtlose Sitte, und Bewußtseyn ihres Inhaltes als eines zeitlich Vorhandenen und im Verhältnisse gegen eine äußerliche Natur und Welt. Am Ende wird dasjenige gekennzeichnet, zu welchem sich das Denken schließlich erhebt, das Ende des Sich-Erhebens also: Es ist Wi s s e n d e s a b s o l u t e n G e i s t e s , als der ewig wirklichen Wahrheit, in welcher die wissende Vernunft frei für sich und die Nothwendigkeit, Natur und Geschichte nur seiner Offenbarung dienend und Gefäße seiner Ehre sind. Die Charakterisierung des Ausgangszustands ist keine beliebige, sondern gibt uns die Charakteristika der Sittlichkeit, wie von dieser erkannt ist, daß sich (an ihr) eine Weltgeschichte vollziehen mußte. Allen Bestimmungen, die den Ausgangszustand beschreiben, kann man Gegenstücke in den Bestimmungen zuordnen, die den Endpunkt charakterisieren, und den meisten Ausgangsbestimmungen sogar Gegenstücke in Hegels eigenen Worten.10 Wir haben es mithin, wenn der Gang vom Anfang zum Ende begründet ist, nicht mit Unbestimmtem zu tun, sondern mit etwas Wohlbestimmtem; nicht mit beliebig Bestimmtem, sondern mit etwas, das erkennbarerweise so bestimmt sein muß, wie es charakterisiert ist; vor allem aber der zentralen Inhaltsbestimmung nach nicht mit Unwahrem, sondern mit Wahrem, ja mit der Wahrheit, sogar der „ewig wirklichen“ – und dies als Resultat eines Denkens, dem wir von der in ihrem Wesen erkannten Sittlichkeit aus mit dem philosophischen Denken folgen können; das Resultat ist außerdem das einzige und ist die einheitliche Variante an Vollendung, auf welche dieses Denken erkennbarerweise angelegt ist. Falls die Begründung gelingt, begreifen wir, daß und wie „die wahrhafte Religion und wahrhafte Religiosität“ „hervorgeht“ „aus der Sittlichkeit“, die wir zuvor begriffen haben. (§ 552 A, 2) Wir haben damit den nach Hegels Auffassung einzigen internen Grund für einen Übergang vom obDas ist im Anhang übersichtlich zu machen versucht. Es braucht hier nicht Punkt für Punkt durchgegangen zu werden. Die Pendants im Endpunkt bilden zu den entsprechenden Ausgangsbestimmungen entweder einen Gegensatz (G) oder sozusagen eine Vollendungsvariante (V), charakteristischerweise aber nur eine einzige. 10

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jektiven zum absoluten Geist identifiziert. Diesen Grund scheint Habermas gänzlich übersehen zu haben. Anders nämlich macht es keinen Sinn, (5) einzuwenden, der intersubjektivistische Ansatz des jungen Hegel liefere keinen gewichtigen internen Grund dafür, daß man ihn aufgibt zugunsten des Konzepts eines Übergangs vom objektiven zum absoluten Geist. Wir hingegen können im Vorgriff auf alle weiteren Ausführungen zum absoluten Geist aus diesem Grund auch schon entnehmen, welche Absicht Hegel mit der späteren Konzentration auf klassische griechische Kunst, christliche Religion und neuzeitliche Philosophie verbindet: Er wird uns erweisen wollen, daß absoluter Geist im vollen Sinn seines Begriffs sich nur Wissensgestalt gibt als die wahre Kunst, als die wahrhafte Religion und als diejenige Philosophie, die Wissenschaft ist; und daß diese drei nur zu finden sind in der klassischen griechischen Kunst, der christlichen Religion und der neuzeitlichen Philosophie. Fehlt nur das Wichtigste: die Begründung mit Hilfe einer näheren Auskunft über das Denken, das vom Ausgangs- zum Endpunkt führt. 3. Wie schon gesagt, soll es sich um zweierlei Denken oder zweierlei Tätigkeit eines Denkens handeln. Subjekt der Tätigkeit soll im einen Fall der in der Sittlichkeit denkende Geist sein, im anderen Fall hingegen der denkende Geist der Weltgeschichte. Was aber ist die Struktur ihrer denkenden Tätigkeit? „Denken“ in allgemeinster Bedeutung dieses Ausdrucks ist für Hegel das Haben von Gedanken (§ 465) und deren erkennende Wirksamkeit im Urteilen oder Schließen. (Vgl. § 467.) Das ist für unseren Kontext natürlich zu unbestimmt. Das Denken soll ja nun eines in der Sittlichkeit und ein Denken der Weltgeschichte sein; und es soll den schon festgestellten Ausgangspunkt haben. Die Anmerkung zu § 552 macht uns darauf aufmerksam, daß in § 50 A11 bereits Näheres über den formellen Charakter dieses Denkens als einer „Erhebung des Geistes zu Gott“ gesagt wurde. Doch daß etwas wie eine solche Erhebung nun im philosophischen Denken vollzogen werden muß, wollen wir ja allererst einsehen. Wir können aus jenen Bemerkungen daher allenfalls entnehmen, was schon auf den in der Sittlichkeit denkenden Geist und den denkenden Geist der Weltgeschichte zutrifft. Hierzu gehört zweifellos, daß das Denken, um das es nun zu tun ist, die (sittliche) Welt auf ihr Wesen, ihre Substanz hin betrachtet und daß diese Substanz sich im Denken als die allgemeine Macht und Im gedruckten Text: § 51 A. Aber das ist zweifellos ein Druckfehler oder ein Versehen. 11

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Zweckbestimmung der sittlichen Welt herausstellt. Der Form nach hat dieses Denken den Charakter eines Schlusses, den Peirce „Abduktion“ genannt hat: Es wird von der Beschreibung eines Wahrgenommenen, sinnlich Gegebenen aus, nämlich gegebenen sittlichen Verhältnissen, (via Rückgang in die bestmögliche Erklärung) zurückgeschlossen auf ein nicht Wahrnehmbares, das den inneren Gehalt des Wahrgenommenen ausmacht – oder dessen Wesen, das in der Conclusio mit Negation und Entfernung des Äußerlichen, Wahrnehmbaren herausgehoben wird. (Vgl. §§ 13, 23.) So kommt’s für den in der Sittlichkeit denkenden Geist dazu, daß dieser, wie behauptet, sich zum Wissen seiner in seiner Wesentlichkeit erhebt. Die denkende Betrachtung der Weltgeschichte belehrt uns darüber, daß diesem Geist qua Denken das Produzieren von geistigen Erzeugnissen charakteristisch ist, in denen ihm seine wahrhafte Natur zum Vorschein kommt. Aber die historische Belehrung ist tief in der erkannten Struktur der Sittlichkeit verankert. Die Sittlichkeit nämlich ist ihrer Idee nach (deren Am-Werk-Sein mit dem Staat erreicht ist) die Erweiterung12 des besonderen substantiellen Willens zum wahrhaft allgemeinen Willen einer in sich unendlichen sittlichen Substanz. Unter Berücksichtigung der Struktur der Weltgeschichte ist dem hinzuzufügen: Bei welcher relativen Allgemeinheit das sittliche Denken innerhalb einer konkreten sittlichen Welt mit der immanenten Beschränktheit eines Volksgeistes immer stehen bleiben mag, – dieses Denken gelangt im Zuge der genannten Erweiterung doch auch zu einem wissenden Bewußtsein von dem, was für seine sittliche Welt wesentlich ist; und es gelangt mit diesem Für-sich-Werden des Wesens formell auch bereits über das bloß (wissende) Wollen und In-der-Sitte-Stehen hinaus. In diesem Sinn sagt die Anmerkung zu § 552, die Sittlichkeit sei denkende als „der freien Allgemeinheit ihres konkreten Wesens bewußt werdende“. (Abs. 2) Die Notizen zur Heidelberger „Encyclopädie“ (§ 453) machen darauf aufmerksam, daß dies in weltgeschichtlichen Betrachtungen am historischen Material studiert werden kann13: „Dichter, Philosophen erfassen“ – „in Gedanken ihres Volkes“ – „die Idee, die ihnen durch den Weltgeist bestimmt ist“. Der denkende Geist der Weltgeschichte hat wohl denselben, schon anVgl. Hegels Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg. v. Dieter Henrich. Frankfurt/M. 1983. 207 f. 13 A.a.O. 17. Vgl. auch die paradigmatische Bezugnahme auf Plato und die griechischen Dichter in § 552 A, 7 ff. und Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1955. 177 ff. 12

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gegebenen Ausgangspunkt wie der in der Sittlichkeit denkende (und in ihren jeweiligen Schranken verbleibende). Sein Denken ist für Hegel vermutlich auch kein schlicht anderes als dasjenige des in der Sittlichkeit denkenden Geistes, sondern eine Spezifikation davon: Es hebt in sich die jeweilige Schranke des in der Sittlichkeit denkenden Geistes auf und vermag dies zu leisten, da die Schranke eine des objektiven, nicht eine des subjektiven Geistes ist; es geht also auf ein schlechthin Allgemeines zu, das als Idee alle besonderen Prinzipien der sittlichen Wirklichkeit in sich enthält. Aber es ist gründlich zu überlegen, in welchem Sinn hier von solcher Allgemeinheit zu reden ist. Zunächst gilt mindestens, daß dieses Denken seine Struktur mit derjenigen des Weltgeistes teilt. Es erhebt sich nicht nur zum Wissen seiner in seiner jeweiligen Wesentlichkeit; sondern das Erfassen seiner je besonderen konkreten Allgemeinheit ist ihm – gemäß der Struktur des Bewußtseins – im Stadium von Vollendung, das weltgeschichtlich allemal erreicht wird, auch ein neues Sich-Auslegen auf höherer Allgemeinheitsstufe seines Prinzips; und auf dieser Stufe nicht nur wiederum Erfassen des neu Ausgelegten, sondern auch ein tieferes Erfassen des vorherigen Erfassens. (R § 343) Der Weg dieses Denkens führt darum nicht nur zum Erfassen immer höherer und konkreterer Allgemeinheit im Sinn einer Allgemeinheit für immer größere Sittlichkeits- und Volksgeistbereiche. Das Denken, das ihn zurücklegt, geht auch in sich und geht aus der Objektivität des Geistes zurück in den freien Geist, der schon als der Begriff des absoluten Geistes (wenngleich noch in Abstraktion von der Objektivität) erkannt wurde. (§ 482) Die Allgemeinheit ist nicht nur eine über größtmöglichem Umfang an (objektiver) Sittlichkeit, sondern auch eine über größte Tiefe der Subjektivität sittlicher Subjekte, die freier Geist sind. Man muß daher auch sagen, daß dieses Denken zuläuft auf ein Sich-Wissen des Geistes, das nicht mehr ausschließlich dem sittlichen Willen (qua zwecksetzender und -verwirklichender Aktivität) immanent ist; daß es also die Sphäre der Sittlichkeit überschreitet.14 Aber wenn das Gesagte den denkenden Geist der Weltgeschichte charakterisiert und deren Fortschritt doch in die Gegenwart mündet (mit einem nur vorläufigen Ende der Geschichte, das über sich hinausweist in unbestimmte Zukunft der Sittlichkeit), warum soll dann das Denken, mit dem wir es jetzt zu tun haben, gleichwohl die Sittlichkeit in toto überschreiten und zum Wissen eines Geistes kommen, 14

Vgl. den Hinweis auf das delphische γνHθι σεαυτ¨ν in R § 343 und E § 377!

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der von den Relativitäten des objektiven sowie des subjektiven Geistes losgelöst, also absolut ist? Die Antwort wird vorbereitet in der schon erwähnten Anmerkung (§ 50) zum Formellen der denkenden Erhebung. Dort ist Hegel auf jenes Transzendieren zu sprechen gekommen, das für alle Gottesbeweise erforderlich ist, am offenkundigsten aber für den kosmologischen Gottesbeweis (e contingentia mundi). Er hat darauf hingewiesen, daß das Hinausgehen über alles Sinnliche (zum Unendlichen und Übersinnlichen) geschehen muß durch einen Sprung und daß dieser Sprung nur im Denken vollzogen werden kann. Falls er in der Form eines Schlusses vollzogen werden soll, muß dieser Schluß in der Conclusio mindestens eine der Prämissen hinsichtlich ihres begrifflichen Gehalts destruieren; und falls der zu vollziehende Übergang zurückführen soll vom Vielen zum Einen, muß der Schluß einer sein, in dessen Vermitteln (der Conclusio sowie der PrämissenTerme) sich sogar Übergang und Vermitteln aufheben. An späterer Stelle hat Hegel dann dargetan, daß und warum es nach seiner Auffassung solche Schlüsse gibt und daß sie sogar eine vorzügliche Vernünftigkeit besitzen. (§ 192) Warum aber soll ein solcher Schluß in unserem Fall (des denkenden Geistes der Weltgeschichte) unumgänglich sein? Die Frage ist zu konkretisieren: Warum muß das Denken dieses Geistes (der doch bis jetzt als allgemeiner Geist der sittlichen Welt, also Weltgeist, zu denken ist) das in seinen Prämissen enthaltene Konzept einer sittlichen Welt, ja sogar das Konzept von Welt überhaupt (als einem Compositum aus Natur und endlichem Geist) überschreiten? Die Frage spitzt sich daraufhin zu, warum das Denken bei keinem Zweck des Willens stehen bleiben kann. Damit aber wird die Frage beantwortbar und das Erkenntnisproblem lösbar, das wir mit ihr haben. Denn mit dem umrissenen Konzept schlechthinniger Allgemeinheit müssen wir die Weltgeschichte (als die bisher umfassendste Zweckverwirklichung des an und für sich freien Willens) in der Idee denken. In der Idee aber, die nach Maßgabe der spekulativen Logik aus der äußeren Teleologie hervorgeht, ist alles äußerliche Material für die Zwecktätigkeit des Willens zusammengeschlossen mit dieser Zwecktätigkeit und ihrem Objekt sowie Subjekt; und das Subjekt der Zwecktätigkeit mit sich selbst zusammengeschlossen – gemäß der Form eines Schlusses wie des erwähnten Schlusses „der Notwendigkeit“ (in Form einer Vermittlung nämlich durch Aufheben der Vermittlung) als ein „Zusammenschließen des Subjekts nicht mit Anderem, sondern mit aufgehobenem Anderen, mit sich selbst“. (§ 192; vgl. § 204 A, 4) Nun liegt die Lösung

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Lösung unseres Erkenntnisproblems auf der Hand: Zum „Material“ der Zweckverwirklichung gehört hier nicht nur das anthropologische Material menschlicher Bedürfnisse und das weite Gebiet intersubjektiver Beziehungen von Individuen und Institutionen, die endlicher Geist sind. Es gehört dazu auch die Natur (im Bewußtseinshorizont des willentlich Handelnden) als ein selbständiges Ganzes, das Voraussetzung sowohl des subjektiven wie des objektiven Geistes ist. Bei dieser Voraussetzung kann es somit nicht mehr bleiben. Das Wissen also, zu dem wir von der umfassendsten, unter den höchstmöglichen Willenszweck (der Freiheit) gestellten äußeren Teleologie mit dem Übergang zur Idee gelangen, ist vielleicht auch noch dem Willen in seinem subjektivsten, aller Zwecksetzung vorausliegenden Inneren immanent; aber es ist jedenfalls nicht mehr beschränkt auf Willenszwecke, die allemal endliche sind. Das Wissen ist selbst wieder freier Geist sowie Sich-Wissen; aber nun nicht mehr in Abstraktion vom objektiven Geist, sondern konkretisiert, d.h. zusammengewachsen mit dessen voller Entfaltung bis zur Gegenwart, also in Einheit mit ihm. Sein Subjekt sowie Objekt ist von den oben genannten Relativitäten endlichen Geistes abgelöst, also absoluter Geist. Man versteht somit, daß dieser Geist hinausgeht „über das Aggregat von Endlichkeit, welches Welt genannt wird“. (§ 50 A, 2) Aber als Geist, der in denkender Erhebung des endlichen freien Geistes zu ihm gedacht ist, ist er nicht ein diesem endlichen Geist fremdes, jenseitiges Unendliches, sondern im Sich-Wissen eine schwierig zu beschreibende wechselseitige Durchdringung von endlichem und unendlichem Geist. Das wird zum Schlüssel für die Exposition des Begriffs absoluten Geistes werden. (§ 554) Doch schon jetzt läßt sich sagen: Als Subjekt seines Sich-Wissens ist der absolute Geist nicht mehr die zeitliche Wahrheit des Gedankens, der über die Beschränktheit eines Volksgeistes zu einem allgemeiner verfaßten, gleichwohl aber noch beschränkten, anderen Volksgeist hinausgeht und – als Vernunft in der Geschichte – diesen Übergang bewirkt; sondern er ist eine Wahrheit (d.h. Übereinstimmung des Gedankens mit sich), die ewig wirklich ist, da sie auch „über“ der Natur und somit über der Zeit steht. Im Wissen, als der Tätigkeit dieses Subjekts, ist die Vernunft frei für sich. Aber wir befinden uns mit dem Denken nicht in einem kosmologischen Gottesbeweis. An die Stelle der sittlichen Welt und Welt überhaupt ist darum nun nicht ein zweckloses ens necessarium getreten. Vielmehr ist (gemäß der spekulativen Logik) eine innere Teleologie zum Vorschein gekommen just an dem, womit wir schon längst befaßt sind, d.h. an

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der Natur und am endlichen Geist. Man hat daher keinen Grund mehr zu protestieren, wenn noch gesagt wird, daß diese beiden mit ihrer Notwendigkeit der „Offenbarung“ des Geistes dienen. Das „Offenbaren im Begriff“ gehört ja schon zu dessen Ausgangsbestimmung. Nun wird die Realisierung dieser Ausgangsbestimmung als Sollzustand der zutage getretenen inneren Teleologie erkannt, in welcher an die Stelle eines Willenszwecks Kantisch gesprochen eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ getreten ist. Wenn man bedenkt, was in der Philosophie der Weltgeschichte über den Ruhm ausgemacht wurde, den weltgeschichtlich bedeutsame Taten ihren Tätern verschaffen, kann man sogar sagen: Wer sich zum Wissen des absoluten Geistes erhebt, der läßt sich nicht vom Ruhm weltgeschichtlicher Individuen blenden oder dazu verleiten, mit seinem zufälligen Schicksal zu hadern. Er gibt dem Höchsten die Ehre. Er kann dies auch, da ihm die Natur und Geschichte „Gefäße“, d.h. Behälter und Ausflußpotentiale zu bezeugender Ehrerbietung sind; und er hat sich zu einem Geist erhoben, den er sich als Macht vorstellen kann, solche „Gefäße der Ehre“ „aus einem Klumpen“ zu schaffen.15 Man beachte aber, daß der Gedanke, der zu diesem Ergebnis führte, im Gegensinn zur Richtung des physikoteleologischen Gottesbeweises verlief und auch inhaltlich zu ihm unter mehreren Gesichtspunkten einen Gegensatz bildet. In diesem „Beweis“ wird ausgegangen von einer Prämisse, welche eine teleologisch geordnete Natur und natürliche Welt behauptet, aber bestenfalls problematische Wahrheit beanspruchen kann; geschlossen wird auf einen unendlichen Verstand, der diese Ordnung verursacht hat, so daß die Teleologie bloß eine äußere ist und das (vermeintlich) Bewiesene die Existenz eines außerweltlichen, von uns verschiedenen Geistes. Das Hegelische Argument hingegen geht im Ausgang von der assertorischen, durch Naturphilosophie sogar apodiktisch gemachten Behauptung einer nicht-teleologisch bestimmten Natur und einer willentlichen, aber nicht willkürlichen Zwecksetzung endlichen Geistes ohne Verursachungskonzept schlüssig fort zur inneren Teleologie einer Einheit von unendlichem Geist, endlichem Geist und Natur. Bleibt ein letzter Punkt wenigstens anzudeuten: Die skizzierte Reproduktion des Hegelischen Arguments mußte den Eindruck erVgl. Paulus im Römerbrief 9, 20 f.: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren und das andre zu Unehren?“ (Den Hinweis, daß Hegel hierauf anspielt, verdanke ich Gerd Theißen.) 15

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wecken, das Denken des Geistes der Weltgeschichte, dem sich der Übergang vom objektiven Geist zum Wissen des absoluten Geistes (und damit auch zu diesem selbst) verdankt, könne nur das in der Hegelischen Philosophie selber betätigte Denken sein. Für eine explizite Version dieses Denkens trifft das der Sache nach (und wohl auch nach Hegels Auffassung) zu. Doch die explizite Version basiert in Hegels weltgeschichtlicher Betrachtung auch auf einer impliziten Version, die innerhalb des römischen Weltreichs der untergehenden antiken Sittlichkeit zur Existenz gekommen ist. Wie ist dieses implizite Denken des Geistes der Weltgeschichte als Basis der expliziten Version zu verstehen? Kann es als zusätzliches Argument zugunsten der behaupteten Notwendigkeit dienen, im philosophischen Denken vom objektiven zum absoluten Geist überzugehen? Das wäre erst noch auszumachen. Wer es ausmachen wollte, müßte auch darlegen, was es besagen soll, wenn Hegel an prominenter Stelle behauptet, alle Bildung und Philosophie, Religion und Wissenschaft habe auf den Punkt hingedrängt, nicht nur zu entdecken, daß das Absolute der Geist ist, sondern auch den Sinn und Inhalt dieser Definition zu erfassen; und allein aus diesem Drang sei die Weltgeschichte zu begreifen. Darauf wird hier nicht mehr eingegangen. Was ergibt sich aus der obigen Interpretation des § 552? Soweit sie gediehen ist, mindestens viererlei: 1. Unter Voraussetzung der Hegelischen Logik, Naturphilosophie, Exposition des Geistbegriffs und Philosophie des endlichen Geistes ist Hegels Begründung für den Übergang vom objektiven zum absoluten Geist sehr stark. Sie kann über das Ausgeführte hinaus an der bezeichneten Stelle sogar noch verstärkt werden. 2. Der Begriff des absoluten Geistes, der in der Begründung abgeleitet wird, legt durchgängig fest auf die zweite der oben genannten Alternativen, wie man das Absolut-, d.h. Abgelöstsein dieses Geistes verstehen kann: „absolut“ heißt hier nicht bloß soviel wie „losgelöst von [...]“, sondern auch „befreit zu [...] und vollendet“ in den genannten Hinsichten, in denen eine innere Zweckmäßigkeit zum Vorschein kommt; losgelöst nämlich von bloßem Vorausgesetztsein der Natur und des jeweils anderen endlichen Geistes, aber eben damit befreit zur Einheit mit dem, was vorher bloß vorausgesetzt war. 3. Schon aus diesem Grund kann man einem letzten, in Habermas’ Augen gewichtigsten (6.) Einwand gegen Hegel nicht beipflichten: Im Begriff des absoluten Geistes werde die zwischenmenschliche Intersubjektivität verdrängt. Soweit sie nichts Zufälliges ist, bleibt sie viel-

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mehr mit allem erhalten, was zur Freiheit als vorhandener Notwendigkeit gehört. Zusätzlich zu ihr aber wird im Begriff des absoluten Geistes eine weitere Intersubjektivität Thema: diejenige „zwischen“ dem endlichen und dem für sich unendlichen Geist als absoluter, aber selbst geistiger Substanz. 4. Der finitistische Verzicht, diese Intersubjektivität zu thematisieren, bekundet nicht bloß eine sympathische philosophische Zurückhaltung gegenüber religiösen Überzeugungen. Mit der üblichen Aversion gegen den Begriff eines Weltgeistes gepaart verdammt er die Philosophie auch zu einer Position, welche die mentalen Krankheiten unserer Zeit nicht mehr erfolgreich abwehren kann: den historistischen Nihilismus, den kulturalistischen Relativismus und den naturalistischen species-Chauvinismus in Bezug auf alle Bemühungen um Erkenntnis, vorab die philosophischen. III. Die Einleitung in die Lehre vom absoluten Geist (§ 553-555) Um Hegels Philosophie des absoluten Geistes recht zu verstehen, sollte man sich insbesondere klar machen, was ihre drei grundlegenden Paragraphen wollen und wie sie sich voneinander unterscheiden. Sie gliedern sich in eine Auskunft über die Einstellung, welche der begreifenden Erkenntnis des absoluten Geistes angemessen ist (§ 553); in die eigentliche Exposition des Begriffs solchen Geistes (§ 554) und in eine Orientierung der Arbeit mit diesem Begriff. (§ 555) Ähnlich war Hegel schon zu Beginn der Naturphilosophie und zu Beginn der Philosophie des Geistes überhaupt verfahren. Nun befaßt er sich mit diesen drei Aufgaben in je einem Paragraphen. Was wird darin ausgeführt? Schon der erste Satz von § 553 kündigt an, was wir nicht mehr zu erwarten haben: „Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste“. Die „Realisierung“ des Begriffs wird uns also nicht über dessen Umfang hinaus zu anderer Realität als derjenigen führen, welche unter den Begriff des Geistes fällt, – im Unterschied zu allen Begriffen, deren Exposition und Realisierung bisher zu verfolgen war. Die neu in der Sphäre des Geistbegriffs zu berücksichtigende Realität ist das Wissen des absoluten Geistes. Die ihm entsprechende Einstellung begreifender philosophischer Erkenntnis muß, positiv bestimmt, nun darauf gerichtet werden, daß diese Realität „in vollendeter Identität mit jenem“

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Begriff (HEnc § 453), also in Wahrheit (und wohl auch in Identität speziell mit dem Begriff des absoluten Geistes) „als das Wissen der absoluten Idee sei“; als ein Wissen nämlich, wie „wir“ es schon am Ende der „Logik“ erlangt haben. Das entspricht bereits dem in § 382 formell charakterisierten Wesen des Geistes als Freiheit und dem im § 552 angegebenen Inhalt des Wissens als u.a. „Wahrheit, in welcher die wissende Vernunft frei für sich“ ist. Aber es hat auch seine „notwendige Seite“. Auf die kommt es nun an, sofern die Forderung, daß man sich in besonderer Weise auf philosophische Erkenntnis einstelle, zu begründen und inhaltlich näher zu bestimmen ist: Die „an sich“, mithin der Möglichkeit nach, freie Intelligenz (vgl. §§ 443 ff.) muß „in ihrer Wirklichkeit“ (d. h. in der selbstbewußten Freiheit, die als Sitte zur Natur geworden ist, vgl. § 513) „zu ihrem Begriff befreit“ sein, um die dieses Begriffs „würdige Gestalt zu sein“. (§ 553) Eine Würde nämlich besitzt nur, was höchsten intrinsischen Wert hat und dabei Ausdruck herrschenden Geistes ist. „Würdig“ darf heißen, was an so verstandener Würde Teil hat. Nur eine Wissensgestalt von solchem Wert ist völlig der Ehre angemessen, welche dem absoluten Geist als ewig wirklicher Wahrheit gebührt. Aber sie könnte nicht zustandekommen und begriffen werden ohne den bisher betrachteten subjektiven und objektiven Geist. Fern davon, für unsere Einstellung auf spekulativ begreifende Erkenntnis des absoluten Geistes irrelevant zu werden, sind beide, subjektiver und objektiver Geist, daher in der geforderten Einstellung nun „als der Weg anzusehen, auf welchem sich diese Seite [...] ausbildet“. (Ebd.) So dienen sie mit der in ihnen enthaltenen Notwendigkeit geistiger Natur und Geschichte demjenigen Offenbarmachen des Geistes, welches Offenbarung des absoluten Geistes ist. Man wundere sich also nicht, in der Philosophie des absoluten Geistes auf neu gedeutete Bestimmungen des endlichen, subjektiven (insbesondere psychologischen) und objektiven (insbesondere weltgeschichtlichen) Geistes zu stoßen. Doch was dabei wie gedeutet wird, sagen vor allem die Ausführungen der „Encyclopädie“, nicht die Vorlesungen über Religionsphilosophie. Es liegt nahe zu fragen, ob des Begriffs der in ihrer Wirklichkeit zu diesem Begriff befreiten Intelligenz nur eine einzige Wissensgestalt „würdig“ ist oder außer derjenigen des logischen Wissens der absoluten Idee in gewisser Weise noch andere Gestalten. Die Antwort kann nicht im Voraus gegeben werden. Sie hängt vom „Weg“ der Ausbildung ab, an deren Ende das Befreit-Sein in einem reinen Wissen stehen wird. So oder so aber wird auf diesen Weg zu achten sein. Wenn das

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klar ist, hat man keine Schwierigkeiten mehr, anhand der BegriffsAbleitung, die in § 552 umrissen wurde, den Begriff des absoluten Geistes zu exponieren. Darum geht es in § 554. Hegels Angaben hierzu vermeiden wie schon bezüglich der absoluten Idee als logischer den Namen „Gott“ und erst recht den Namen irgendeines besonderen Gottes. Sie können den Anspruch erheben, auch einen Atheisten zu überzeugen, wenn der sich ernsthaft auf die Argumente einläßt, welche bis zum Ende der Philosophie des objektiven Geistes geführt haben. Der absolute Geist ist nicht nur „ewige“ (also nicht auf Zeit relative) „Wahrheit“ (§ 552), d.h. Übereinstimmung des Begriffs in seiner Realität mit sich. Er ist als ewig wirkliche eine Wahrheit, die wie die absolute Idee „ebenso ewig in sich seyende als in sich zurückkehrende und zurückgekehrte“ Übereinstimmung des Begriffs mit sich ist. Er ist diese Übereinstimmung wie die absolute Idee in der intensivsten Form als „Identität“ (des Begriffs, in seiner Realität, mit sich als bloßem Begriff, vgl. § 553); und ist dabei, ebenfalls wie die absolute Idee, eine Identität, die auch Wissen ist: nicht mehr diese oder jene besondere sittliche Substanz nämlich mit bzw. in diesem oder jenem Fürwahrhalten; sondern die in sich unendliche „Eine und allgemeine Substanz als geistige“. Als geistige Substanz ist er Freiheit (d.h. „absolute Negativität des Begriffs als Identität mit sich“, vgl. § 382), die sich ursprünglich teilt (also „das Urtheil“ vollzieht) „in sich und in ein Wissen, für welches sie als solche ist“. Das Wissen „des“ absoluten Geistes ist also nicht nur eines „vom“ absoluten Geist, das diesem gar bloß äußerlich wäre. Es gehört zu ihm selbst, auch als sein Sich-Wissen. Zudem ist der Prozeß der urspünglichen Teilung, ohne welchen das Wissen nicht wäre, und das im Prozeß von der Substanz unterschiedene, endliche Subjekt „zurückgebunden“ in das Eine, das ja in sich zurückkehrt. Man kann diese ganze „Sphäre“ geistiger Realität daher füglich als „Religion“ (im allgemeinsten Sinn einer Rückbindung und rücksichtlichen Beachtung) bezeichnen. Aber man muß dabei bedenken: Die Religion geht nicht nur vom endlichen Subjekt (durch seine Erhebung zum Wissen des absoluten Geistes) aus und befindet sich nicht nur in diesem Subjekt als subjektivem Geist, während die Substanz jenseits und unberührt davon wäre. (Diesem verkürzten Religionsverständnis nämlich huldigen diejenigen, die den Inhalt der Religion preisgeben oder für unbestimmbar und beliebig erklären.) Die Religion ist ebenso zu betrachten „als objektiv von dem absoluten Geist ausgehend [...], der als Geist in seiner Gemeinde ist“. Andernfalls könnte sie nicht jene Wissensgestalt ausbilden, für welche

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die an sich freie Intelligenz in ihrer objektiven, sittlichen Wirklichkeit zu ihrem Begriff befreit sein muß. Die Exposition des Begriffs kommt also nicht allein schon dadurch zustande, daß der zuvor (§ 552) abgeleitete Begriff analysiert wird. Sie hat auch die Einstellung (§ 553) zu berücksichtigen, die das philosophische Denken seinem Gegenstand gegenüber einnehmen muß. Für die Arbeit mit dem exponierten Begriff wird (symmetrisch zum abzuwehrenden Mißverständnis) bereits im zweiten Satz des § 554 eine Anweisung gegeben: Man betrachte die „Religion“ (= Rückbindung des Wissens an die Eine Substanz) nicht nur „objektiv“ als vom absoluten Geist ausgehend, sondern eben so sehr als vom Subjekt ausgehend und in demselben sich befindend. Darauf verweist uns nicht zuletzt die Notwendigkeit (und Suche nach) einer „würdigen“ Gestalt jenes Wissens oder nach mehreren solchen Gestalten. Denn die wahrhafte Religiosität, die es zu entdecken gilt, ist „der freien Allgemeinheit ihres konkreten Wesens bewußt werdende Sittlichkeit“. (§ 552 A, 2) Zur Orientierung der Begriffsarbeit ist daher nun das „subjektive Bewußtsein des absoluten Geistes“ näher ins Auge zu fassen. Das geschieht in § 555, und zwar in doppelter Perspektive: sowohl im Blick darauf, was dieses Bewußtsein „in sich“ ist bzw. subjektiv wird, als auch daraufhin, was mit ihm objektiv geschieht, sofern solches Geschehen für die Ausbildung würdiger Wissensgestalt relevant ist. Da es hierbei um eine „Sphäre“, d.h. Kugel und Kreisbahn, von Realitäten zu tun ist, die Bahn aber einen wohl-, wenn auch doppeltbestimmten Ausgangs- und Endpunkt hat, so daß das sie Durchlaufende wirklich „prozediert“, wird man sich nicht wundern zu erfahren, dieses Bewußtsein sei „wesentlich in sich Prozeß“; und man wird die wahrhafte Religiosität sowie würdige Gestalt ihres Wissens am Ende dieses Prozesses zu erwarten haben. Ein Prozeß nämlich ist mehr als bloß eine Bewegung von etwas, das einen Weg zurücklegt. Er ist seinem Begriff nach (§ 326) ein Vorgang der Differenzierung eines Identischen und/oder der Indifferentierung bzw. des Zusammenwachsens von Verschiedenem. Beides zusammen mag einen Kreislauf ergeben, der von einer unmittelbaren und „substantiellen“ Einheit über Differenzierungen, Verhältnisse, vielleicht sogar Gegensätze zu vermittelter Einheit zurückführt, die eine „höhere“ und konkretere als die ursprüngliche ist. Man darf die innere Zweckmäßigkeit, unter deren Begriff der absolute Geist zu denken ist, daher nicht zu simpel und harmonistisch konzipieren. Das gilt zweifellos auch für eine „an sich freie Intelligenz“, die sich im subjektiven Be-

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wußtsein des absoluten Geistes auf dem Weg befindet, als welcher nun der subjektive und der objektive Geist anzusehen sind. Denn ganz zu Anfang, begrifflich sogar dem subjektiven Bewußtsein des absoluten Geistes vorausgehend, ist diese Intelligenz Selbstgefühl des in seiner sittlichen Substanz stehenden Subjekts und damit ein Zeugnis-Geben von dieser Substanz sowie von ihren Gewalten als von dem eigenen Wesen. In solchem Zeugnis des Geistes ist die Einheit des Subjekts mit seiner Substanz „unmittelbar noch identischer als selbst Glaube und Zutrauen“. (R 147) Aber nicht weit von hier beginnt der begriffliche Weg des Prozesses, welcher das subjektive Bewußtsein des absoluten Geistes ist. Die „unmittelbare und substantielle Einheit“ dieses Prozesses nämlich ist „der Glaube in dem Zeugnis des Geistes als die Gewißheit von der objektiven Wahrheit“. (§ 555, 1. Satz) Als Bewußtsein ist der Glaube jedoch nicht nur diese unmittelbare Einheit; sondern er „enthält“ zugleich Einheit als das Verhältnis der im Begriff des absoluten Geistes unterschiedenen Bestimmungen einschließlich derjenigen von subjektiver Gewißheit und objektiver Wahrheit. Er ist also in sich der (begriffliche) Prozeß von substantieller Einheit zu deren Differenzierung in Verhältnisse. Unter spezifischen Bestimmungen solcher Verhältnisse mag das Glauben ein Wissen sein, das inhaltlich kein wahres, sondern bloß ein vermeintliches ist. Als solches kann es auch in Gegensatz kommen zur „geistigen Befreiung“, die sich in der Sittlichkeit, im frei werdenden subjektiven Geist oder in anderen Realitätsbereichen des absoluten Geistes vollzieht. Aber im Hinblick auf wahrhafte Religiosität und eine würdige Gestalt ihres Wissens ist das nur ein Durchgangsstadium. Denn allemal ist der Glaube auch unmittelbare Einheit und als religiöser Vollzug dieser Einheit „re-unio“. Jedenfalls in der Andacht, als einem „impliziten [...] Cultus“, sowie in expliziteren Formen des Kultus, die in Sitte gewordenen Handlungen bestehen, ist er je schon in den gegenläufigen Prozeß übergegangen; und das gilt nicht nur in der Innenperspektive des religiösen Bewußtseins, sondern auch in Ansehung dessen, was diesem Bewußtsein objektiv geschieht: Durch den Kultus, wie z.B. den einer Opferhandlung, wird hervorgebracht, daß der Mensch sich seiner Subjektivität entledigt. (Vgl. XII, 236.) Dadurch wird ein „Gegensatz zur geistigen Befreiung“, wenn sich ein solcher im Bewußtsein und seinen auf Gegenständliches Bezug nehmenden Betätigungen ausgebildet hat, im Prinzip wieder aufgehoben. Es wird „durch diese Vermittlung jene erste Gewißheit“ bewährt.

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Tendenziell zumindest geht dieser Prozeß dahin, für die erste Gewißheit „die konkrete Bestimmung, nämlich die Versöhnung und Wirklichkeit des Geistes zu gewinnen“. (§ 555, Schluß) Um im Begriff des absoluten Geistes die wahre Religiosität zu erkennen und deren Wissensgestalt als eine zu begreifen, die des Begriffs einer freien Intelligenz würdig ist, muß man also diese beiden, die wahrhafte Religiosität und ihre Wissensgestalt, am Ende eines Prozesses wie des umschriebenen aufsuchen. Die Religion vollendet sich als Sittlichkeit. (XII, 302) Die ihres Begriffs freier Intelligenz würdige Wissensgestalt kann sich daher nicht noch im Gegensatz zur Sittlichkeit befinden. Vielmehr ist in ihr nichts anderes als deren Grund im religiösen Glauben gewiß. Doch solange der Fortgang geistiger Befreiung nicht abgeschlossen ist, kann eine Wissensgestalt die Würde, die sie in der Wirklichkeit einer bestimmten sittlichen Epoche besitzt, in derjenigen einer anderen verlieren. Man tut also gut, sich für die Ausführung der Lehre vom absoluten Geist auf mehr als eine Gestalt solchen Wissens mit bewährter Glaubensgewißheit und auf die Ablösung einer Gestalt durch eine (oder mehr als eine) andere in einem geschichtlichen Prozeß einzustellen. Die Gründe dafür, daß das Denken oder auch die Weltgeschichte von einer Gestalt solchen Wissens zu einer anderen fortgeht, sind im skizzierten Kontext zu suchen. Man findet sie ausschließlich auf dem sozusagen zweibahnigen „Weg“, als welcher der subjektive und der objektive Geist weiterhin anzusehen sind. Doch bevor man sie mit Sinn suchen kann, muß bereits eine erste, unmittelbare Gestalt gefunden sein. Da deren Bestimmung nicht diejenige des Begriffs absoluten Geistes als solchen ist, gehört sie nicht mehr zu unserem Thema. Aber worin sie wohl bestehen muß und was auf sie folgen wird, wäre nun unschwer zur Einteilung der Entwicklung des Begriffs wenigstens im Umriß anzugeben: Sie muß jedenfalls eine sein, die in der Abfolge begriffsadäquater sittlicher Welten als die erste auftrat. Sie muß ferner in ihrer sittlichen Welt unmittelbar realisiert gewesen; und die absolute Einheit des Geistes mit sich muß dabei in Tätigkeiten des subjektiven Geistes auf unmittelbare Weise, d.h. anschauend, vollzogen worden sein. – Auf sie mußte wohl eine Gestalt folgen, die erst durch den Untergang dieser „schönen“ sittlichen Welt möglich geworden sein wird. Sie wird die eines sich in sich vermittelnden Wissens in einer durch und durch mittelbaren, d.h. vorstellenden Tätigkeit des subjektiven Geistes sein müssen. Aber würdig des Begriffs, zu welchem die an sich freie Intelligenz in ihrer Wirklichkeit befreit ist und so zum Wissen der absoluten Idee führend, wird diese Ge-

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stalt erst werden, wenn sie in einem selbstbewußten philosophischen Denken die früher entstandenen Tätigkeiten, den Geist „absolut“ anzuschauen und vorzustellen, in sich vereinigt. Nicht die Vorlesungen, sondern nur die betrachteten einleitenden Paragraphen machen Hegels Philosophie des absoluten Geistes als ganze begreiflich. IV. Anhang: Schema der Hegelischen Bestimmungen des Ausgangszustands und Endpunkts denkender Erhebung Angegeben wird:

Ausgangszustand

1 Das Ganze

[der absolute Geist] Der Volksgeist – [worin Natur-] Notwen– enthält Naturnotwendig- digkeit nur seiner Offenbarung dienend [ist] (G) keit [die das Opake, im endlichen – [ist Wahrheit], in welcher Geist funktionslos Vorausge- die wissende Vernunft frei für sich ist (G) setzte ist] – steht in äußerlichem Dasein

2 Binnenstruktur a objektive Seite

Endpunkt

die sittliche Substanz – in sich [= abgesehen v. Grenze nach außen, = zuinnerst, in sich verschlossen?]

unendlich – für sich eine besondere und beschränkte

b subjektive Seite:

– mit Zufälligkeit behaftet

[die Unendlichkeit ist im Wissen herausgetreten] (G) – [mit dem denkenden Geist, der] konkrete Allgemeinheit (G), [sind] Beschränktheiten der besonderen Volksgeister abgestreift (G) [Zufälligkeit ist mit Besonderheiten abgestreift, außer Freiheit besteht nur noch

[einerseits:] – – bewußtlose Sitte [andererseits:] – – Bewußtsein des In-

Notwendigkeit] (G)

[nichts Bewußtloses] [G] [nicht Bewußt-, sondern

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halts

Erfaßt- und Erhobensein zu der] (G)

[der Sitte, der subj. Seite, der sittl. Substanz?] – als eines zeitlich Vor- – ewig wirklichen handenen – im Verhältnisse gegen eine äußerliche Natur Wahrheit [die Übereinstimund Welt mung mit sich ist u. nicht im Verh. geg. ein Anderes, Äußerliches] (G)

c punctum saliens in b:

3 wieder das Ganze:

der denkende Geist – in der Sittlichkeit, welcher als Volksgeist Endlichkeit hat – der Weltgeschichte [obj. sittl. Substanz u. subj.

Wissen des absoluten Geistes (V)

Gesinnung als zwei Seiten

wohl subjektiv als auch ob-

oder Teile]

jektiv; vgl. die nachfolgende

Weltlichkeit abgestreift (G) [„des“ als Genitiv, der so-

Apposition; mit Gewußtem / Wissendem:] als der ewig

Notwendigkeit [in der vorausgesetzten] Natur [und in dem] zeitlichen Systeme der Gesetze und der Sitten [also auch in der Geschichte] [besitzt Substantialität]

wirklichen Wahrheit, in welcher die wissende Vernunft frei für sich [ist] und Notwendigkeit, Natur und Geschichte nur seiner [sc. des absoluten Geistes] Offenbarung dienend und Gefäß seiner Ehre. (G)

Legende: kursiv: Hegels Worte; fett und kursiv: bei Hegel hervorgehoben; in „[ ] “: meine Zusätze (G): Gegenbestimmung zu dem links auf Höhe der Eintragung stehenden Ausdruck (V): Vollendungsalternative zu dem links stehenden Ausdruck

PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG

MICHAEL JOHN PETRY (ROTTERDAM)

H E G E L I A N I S M A N D T H E N AT U R A L SCIENCES: SOME CURRENT DEVELOPMENTS A N D I N T E R P R E TAT I O N S Despite the vastly increased attention paid to the Philosophy of Nature over the last generation or so, there has, as yet, been little sign of the work's establishing a generally accepted significance for itself within the broad tradition of scientific thinking. This is, perhaps, a little strange, since if we are to judge from the lectures on the History of Philosophy, Hegel himself almost certainly saw it as having its closest affinity with the corresponding works of Aristotle: ”Aristotle is a thoroughgoing empiricist, that is, at the same time one who thinks. He is an empiricist in that he takes up the determinations of the object of observation as we know it in our ordinary consciousness; rejecting empirical conceptions, earlier theories, he holds firmly to what has to be retained from the empirical. By connecting all these determinations and holding them together, he constructs the Notion. He is speculative to the highest degree in so far as he shows himself to be empirical. This is quite peculiar to him. His empiricism is total, for he neither omits determinations, nor does he hold first to one and then to another, in the manner of the reflective understanding, which follows the rule of identity, and can only break with it in that the one determination involves its forgetting and setting aside the other. Aristotle holds the determinations together in one.” Although there is much to be said for this assessment, if a modern interpreter is to make anything of it, there has to be a careful reevaluation of the scholasticized Aristotelianism of the middle ages and of the Baconian revolution. The Philosophy of Nature is presented as a permanent contribution to man's understanding of nature. Since its empirical content is drawn almost exclusively from the natural science of the time, however, understanding it demands an extensive and detailed historical know-

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ledge of early nineteenth-century scientific culture. To a certain extent, it is therefore of interest to those who see not only nature itself but also the natural sciences in chronological terms, an approach which was, in fact, widespread in Hegel's own day. He himself shows little interest in it, however, and on one occasion at least goes out of his way to condemn such attempts at clarifying matters by: ”relegating them to the murkiness of the past”. (§ 249, I. 212) In nearly every section of the work there are numerous references to the experiments which have brought about advances in our understanding of nature, and several of the sections provide evidence that Hegel himself performed experiments in order to confirm or refute certain hypotheses. To this extent, therefore, he stands firmly within the general eighteenth-century tradition of experimental philosophy. What he objects to very early on, however, most notably in the Dissertation on the Orbits of the Planets (1801), is the way in which experimentation was being used to banish general ideas from the Philosophy of Nature. Newton had paraded his experimental work in order to discredit the freewheeling hypothesizing of the Cartesians, Nieuwentijt had done the same in attempting to expose the untenability of Spinozistic metaphysics, Diderot had devoted himself to experimentation and technology in order to strengthen his hand in dealing with the Jesuits and the theists. Hegel accepted wholeheartedly the importance of experimental work, but was very reluctant indeed to draw any general metaphysical conclusions from this. Since Hegel never tires of praising not only the procedures by which Kepler discovered the laws of planetary motion but also his attempt to breathe new life into the age-old doctrine of the harmony of the spheres, one might be tempted to suspect a romantic element in the Philosophy of Nature, to see it as advocating the importance of hypothetical modelling, or even of the idea that knowing is making: ”It is however irrational to regard contingency as the basic factor here, as Laplace does when he treats Kepler's attempts at grasping the order of the solar system according to the laws of musical harmony, as the mere aberration of a bemused imagination, and so fails to appreciate the deep faith which Kepler had in the inherent rationality of this system; a faith which was the sole foundation of the brilliant discoveries made by this extraordinary man.” (§ 280, II. 30) In Hegel's view, however, it is not the hypothesizing itself, but the factually and pragmatically verified validity of the laws and the search for rationality, which constitute the true value of the Keplerian accom-

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plishment. Even a cursory dip into any section of the Philosophy of Nature will soon make it apparent that Hegel is much readier to fasten upon what he takes to be indisputable facts, than to speculate on the significance of the theorizing which has given rise to them. Newton's overwhelming success in reducing the field of mathematical mechanics to rational order, and equally overwhelming failure in extending this order to chemistry and the organic sciences, made it inevitable that progressive scientific thinking throughout the eighteenth century should have been drawn to an ever-increasing extent to the problems presented by the organic sciences. Once the wider significance of this predominantly scientific development became apparent, philosophers began to advocate the organism as providing a more satisfactory principle for the co-ordination of knowledge than the mechanistic models promulgated by their seventeenth-century counterparts. A purely mechanistic model could only prove itself by reducing what was chemical or organic to its own terms, and by the end of the eighteenth century there was evidence enough of the futility or even harmfulness of much of this attempted reductionism. An organic model, however, while highlighting the intrinsic complexity of living beings and so providing the foundation for getting to grips with the way in which consciousness is rooted in anatomy and biology, also allowed a subsidiary validity to chemistry, physics and mechanics. There is ample evidence, not only throughout the Philosophy of Nature, but also throughout every other part of Hegel’s philosophical system, that he was fully aware of the significance of this general paradigmatic shift from mechanistic to organic modelling, and that he thoroughly approved of the change that was taking place. One might be tempted, therefore, to claim him as a forerunner of the Kuhnian movement, were it not for the fact that he was not prepared to relativize the significance of this shift to organicism. There is no evidence that he ever wavered from the view that the Philosophy of Nature is in fact a permanent contribution to man's understanding of nature precisely on account of its being structured in organicist terms, and on account of its accepting the living being or the organism as the culmination and rounding-off of nature, and as the initiation and immediate foundation of spirit or consciousness. In many branches of the organic sciences, from the end of the seventeenth century onwards, taxonomy replaced the search for causality as the predominant methodology. In the medical sciences in particular, as the futility of mechanistic explanations became increasingly apparent,

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attempts were made to classify what was effective and what was ineffective in the treatment of diseases, in the hope that such accumulations of data might eventually bring to light general principles. As in the case of Linnaeus' system of botanic classification, the overriding demand for practical effectiveness gave rise to the formulation of avowedly artificial classifications, which it was hoped would eventually evolve into natural systems, more closely attuned to the actual relationships of the natural world. Hegel takes note of this when discussing the turmoil of developments then taking place in zoology: ”Linnaeus' systematic classification of plants is merely a rigid product of the understanding, and by the French it has been discarded in favour of Jussieu's division of plants into monocotyledons and dicotyledons.” (§ 370, III. 186) Although there is much to be said for interpreting the Philosophy of Nature as a comprehensive move in the direction of establishing a natural classification of the various sciences, there would appear to be little point in regarding it as simply another aspect of this general approach within the organic sciences of the time. It is part of a wider philosophical undertaking, and understanding it requires seeing it as an integral part of this wider undertaking, not as the outcome of any particular movement within the narrower tradition of purely scientific thinking.

John W. Burbidge: Real Process: How Logic and Chemistry Combine in Hegel's Philosophy of Nature. Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press 1996. 274 S. Renate Wahsner: Zur Kritik der Hegelschen Naturphilosophie. Über ihren Sinn im Lichte der heutigen Naturerkenntnis. Frankfurt a. M./Berlin/ Bern/New York/Paris/Wien: Peter Lang 1996. 244 S. The fundamental assumption of both these works is that the essence of the wider philosophical whole of which the Philosophy of Nature is a part is the Science of Logic, that it is this systematization of logical categories, also conceived of as a whole, which provides the key to understanding the way in which Hegel's treatment of the natural sciences is integrated into his philosophical system. Neither work makes any attempt to bring out the ways in which various movements within the

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tradition of more purely scientific thinking contribute to the overall texture of the Philosophy of Nature. Since the Jena Phenomenology (1807) and the Science of Logic (1812/16) were Hegel's first major publications, it was only natural that his contemporaries should have regarded them as basic to his Encyclopedia (1817, 1827, 1830), that they should have assumed that the abbreviated expositions of this work, which included condensed versions of the Logic and of the Phenomenology as well as the first published sketches of the Philosophy of Nature and the Philosophy of Spirit, were to be regarded as little more than reformulations of the fundamental principles first enunciated in depth and detail in these earlier publications, – both of which are elaborately discursive. The first reasonably complete version of the Philosophy of Nature was not published until 1842, the early versions of the work (1803/04, 1804/05, 1805/06) did not become available in print until well into the twentieth century, and it is only very recently that any serious attempt has been made to trace the origins of Hegel's knowledge of the exact sciences during the Stuttgart, Tübingen and Bern period. It was not until 1970 that the scientific sources of the 1842 text were documented and opened up to scholarly research. Not everyone has the time or inclination to keep abreast of such advances. It is hardly surprising, therefore, that by and large the view of Hegel's contemporaries concerning the relationship between the Jena Phenomenology, the Science of Logic and the Philosophy of Nature, should have remained that of many of our own contemporaries. It is by no means the case, however, that there is now nothing to be said for this traditional view. Looked at within the historical perspective of what was going on in the general philosophy of the natural sciences during the seventeenth and eighteenth centuries, one might very well pick out the phenomenological approach as a matter of prime importance. Bacon is characterized by Hegel in the History of Philosophy as the antithesis of Jacob Böhme, as: ”setting forth the general principles of procedure in an empirical philosophy. The spirit of his philosophy is to take experience as the true and only source of knowledge, and then to regulate the thought concerning it. Knowledge from experience stands in opposition to knowledge arising from the speculative Notion, and the opposition is apprehended in so acute a manner that the knowledge proceeding from the Notion is ashamed of the knowledge from experience, just as this again takes up a position of antagonism to Notional knowledge.” It is certainly worth noting, therefore, that in the Instauratio Magna,

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the experimental discovery of causes which is to enable us to mould nature and society to our purposes, is conceived of as being based on the appearances or phenomena assembled in the various histories or collections of data. For Bacon, therefore, the objective and pragmatic effectiveness of philosophy is necessarily rooted in subjective and phenomenological procedures. Despite the materialistic turn given to Newtonianism during the course of the eighteenth century, and Hegel's well-known reaction to it, much the same is true of the natural philosophy behind the Principia and the Opticks. In the History of Philosophy, however, Hegel was rash enough to proclaim that: ”’Physics, beware of metaphysics’ was Newton's maxim, which signifies, Science, beware of thought; and all the physical sciences, even to the present day, have, following in his wake, faithfully observed this precept, inasmuch as they have not entered upon an investigation of their conceptions, or thought about thoughts. Physics can, however, effect nothing without thought; it has its categories and laws through thought alone, and without thought it does not effect any progress.” Although he made a close and rewarding study of parts of the pirated Amsterdam version (1714) of the second edition of the Principia when preparing his habilitation thesis (1801), and took the trouble to consult the 1719 Latin edition of the Opticks when preparing his Berlin lectures on colour theory (§ 320, II. 147, 150), in general, his view of Newton's methodology was clearly derived from secondary sources rather than a careful analysis of his actual scientific procedures and of the manner in which he theorized about them. In the first two books of the Principia, Newton lays the foundations of his approach to concrete problems by dealing mathematically in a meticulously graded sequence with the relatively abstract issues of bodies moving in nonresisting and resisting media. In book three, in the second and third editions of the work (1713, 1727), the concrete problems themselves, – the movements of the planets and satellites in accordance with Kepler's laws, are dealt with under the heading of 'phenomena', the reason for this being given in the fourth of the 'rules for the study of natural philosophy': ”In experimental philosophy, propositions gathered from phenomena by induction should be considered either exactly or very nearly true notwithstanding any contrary hypotheses, until yet other phenomena make such propositions either more exact or liable to exception.” That this was indeed Newton's conception of the subject matter of natural philosophy is confirmed by the Opticks, in which the properties

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of light are ”proved by reason and experiments”, in the course of progressing in a similarly graded sequence from a consideration of light, colour and interference phenomena in books one and two, to what was then the enigmatic phenomenon of diffraction in book three: ”[…] the main Business of natural Philosophy is to argue from Phenomena without feigning Hypotheses, and to deduce Causes from Effects, till we come to the very first Cause; which certainly is not mechanical.” (Query 28) It is certainly difficult to imagine how such a transparent methodology and such unequivocal statements concerning the foundations and broader implications of it could ever have given rise to the popular conception of Newton as a crass materialist. Among Hegel's contemporaries in the English-speaking world, the most accomplished advocate of the phenomenological approach in the natural sciences was John Robinson (1739–1805), professor of natural philosophy at the University of Glasgow. In his Outlines of a Course of Lectures on Mechanical Philosophy (Edinburgh, 1797), he drew upon his Baconian and Newtonian inheritance, and brought out the wider methodological implications of the approach: ”This points out to us a principle for arranging the mechanical phaenomena of the universe. Those ought to be first considered which are most general. This will make us acquainted with the most general mechanical qualities of bodies, which extend their influence to phaenomena which are more particular and subordinate.” (II. 260) A parallel phenomenological approach to the basic data of the natural sciences flourished within the German tradition during this period, although with quite distinctive variations. Hegel's earliest acquaintance with it almost certainly dates from the Stuttgart and Tübingen period, where he learnt his physics from teachers well versed in Wolffianism. In his Cosmologia generalis (1737), Wolff had defined a phenomenon as that which when it presents itself to the senses is perceived in a confused manner. (§ 225) It is the task of physics to extract order from this confusion: ”Explanations of the particular phenomena exhibited by the perceived bodies are to be sought in the qualities of the derivative parts, and in the manner in which they cohere.” (§ 235) Lambert, also extremely well-known among Hegel's teachers in Stuttgart and Tübingen, in the fourth and final part of his Neues Organon (1764), working on the analogy of the way in which astronomers make use of optics, geometry and mechanics in order to distinguish

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what is from what seems to be, had attempted to be more precise about the way in which physics extracts order from confusion, defining phenomenology as that part of basic science which concerns itself with the theory of seeming, and the influence of seeming on the correctness and erroneousness of human knowledge: ”Phenomenology concerns itself with the general determination of what is real and true in each kind of seeming, and in order to do so it brings out the particular causes and conditions which elicit and alter what seems, so that from what seems one can deduce what really and truly is.” (§ 266, II. 421) Kant was impressed by Lambert's work, and set about developing a ”general phenomenology” centred exclusively on the basic subjectobject dichotomy, – postulating a thing-in-itself or noumenon giving rise to phenomena, that is, to the appearances which we know through the senses and co-ordinate into experience. This doctrine appears in the Critique of pure Reason (1781) as the ”transcendental aesthetic”, in which: ”[…] we shall first isolate sensibility, by taking away from it everything which the understanding thinks through its concepts, so that nothing may be left save empirical intuition. Secondly, we shall also separate off from it everything which belongs to sensation, so that nothing may remain save pure intuition and the mere form of appearances, which is all that sensibility can supply a p r i o r i .” (A 22). In the Metaphysical Foundations of Natural Science (1786), in which Kant attempts to introduce apodictic certainty into the foundations of Newtonian mechanics, the doctrine reappears under its original designation but in a more specific form: ”In Phenomenology matter's motion or rest is determined merely with reference to the mode of representation, or modality, that is, as an appearance of the external senses.” (AA 4, 477.) It was only natural, perhaps, that in developing his Philosophy of Nature, Hegel should have reacted first and foremost to this German phenomenological tradition. His main criticism of it, in so far as it professes to provide a philosophical foundation for the natural sciences, is that it needlessly narrows its scope by concentrating so exclusively on the basic subject-object dichotomy. There is certainly more to nature and man's experience of it than a rationalization of the foundations of Newtonian mechanics: ”According to a metaphysics prevalent at the moment, we cannot know things because they are uncompromisingly exterior to us. It

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might be worth noticing that even the animals, which go out after things, grab, maul and consume them, are not so stupid as these metaphysicians.” (§ 246, I. 200) In the ”consciousness” and ”observing reason” sections of the Jena Phenomenology, without actually mentioning Kant, Hegel had already analyzed the ”transcendental aesthetic” and ”metaphysical foundations”, bringing out the contradictions and shortcomings inherent in ordinary conceptions of sense-certainty, perception and the search for natural laws, and emphasizing the impossibility of explaining the organism in purely mechanical terms. By the time he was lecturing on the Philosophy of Nature in Berlin he had come to appreciate Kant's mature conception of the organism. What is more, by reformulating this earlier criticism within the purely systematic context of the Encyclopedia, he had managed to show precisely why it was that Kantianism is incapable of developing anything more than the most basic outlines of a satisfactory philosophy of nature. In that its pivotal point was the bare and naked ego of consciousness, it was itself on the verge of sinking back into the confusions of the sub-conscious. There was not that much difference between sticking to the basic subject-object dichotomy and straightforward mental derangement. (§§ 407–412) In that it did in fact maintain itself as consciousness, however, it was also capable of engendering a prefiguration of the Philosophy of Nature proper, in a graded sequence of levels, – in consciousness of otherness, of space, time and manifoldness, of the externality, content and concrete alteration of things; in the perception of experiences, of connections, of objects and their properties; in the understanding of necessity, of laws, of the objective subjectivity of motion, animation and living being. (§§ 418–423) Nevertheless, despite the care and precision with which Hegel formulates this sequence in the Berlin Phenomenology, there was quite clearly no point in attempting to present it as the main principle of a fully mature philosophy of nature: ”The precise stage of consciousness at which the K a n t i a n p h i l o s o p h y grasps spirit is p e r c e i v i n g , which is in general the standpoint of our o r d i n a r y c o n s c i o u s n e s s and to a greater or lesser extent of the sciences. It starts with the sensuous certainties of single apperceptions or observations, which are supposed to be raised into truth by being considered in their connection, reflected upon, and at the same time, turned by means of certain categories into something necessary and universal, that is, e x p e r i e n c e s .” (§ 420) Consideration of this radical revision of Kantian phenomenology

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naturally raises the question of how Hegel might have reacted had he been reared in the parallel British tradition, within which it was not the basic subject-object dichotomy, but the objective sequence or hierarchy of levels which constituted the central determining factor. It is certainly the case that the mere prefiguration of his comprehensive treatment of the natural sciences articulated in the Berlin Phenomenology would have been fleshed out into playing a more central role in determining the concrete levels, hierarchies and spheres of the mature Philosophy of Nature. In range, structure and content, the subject matter of this work has a much closer affiliation with Bacon's collections of data, with Newton's comprehensive analysis of the movement of bodies and the nature of light and colours, with Robinson's survey of mechanics, than it does with anything in the published works of the later Kant. It is rather disappointing, therefore, that although both Burbidge and Wahsner often touch upon Hegel's relationship to Kant when discussing his treatment of chemistry and mechanics, and although Wahsner makes a central issue of what she sees as the contrast between Newtonian mechanics and the procedures of the Philosophy of Nature, neither of them notices this crucial convergence of views in respect of the phenomenological foundations of empirical knowledge. This can, perhaps, be explained by taking into consideration the overriding objectives of the two writers. Burbidge is intent on showing that the Logic as a whole is the main determining factor in the formulations of the Philosophy of Nature. The first half of his book is therefore concerned with extensive expositions of those sections of the Logic dealing with categories which Hegel illustrates by referring to certain of the preoccupations of the empirical chemistry of his time, – notably real measure as dealt with in the transition from b e i n g to e s s e n c e (§§ 107–111), and m e c h a n i s m , c h e m i s m and t e l e o l o g y as dealt with in the middle or objective section of the subjective logic. (§§ 194–212) One suspects that in the first instance he must have taken up the study of the history of chemistry simply because these sections of the Logic led him on into investigating the mass of clearly historically contingent material worked over in the Philosophy of Nature. (§§ 326–336, II. 178–222) Nevertheless, he does not shirk the task of making a valiant effort at explaining how Hegel attempted to think through the rapid and radical developments then taking place in both inorganic and organic chemistry. In the second half of his book he should, perhaps, have said something about the contrast between the

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weird and wonderful world of Newton's chemistry, and the sober and meticulous treatment of the subject evident throughout Hegel's work from the Jena period onwards. No significant notice is taken of the Jena sketches, however, perhaps because they pre-date the formulation of the mature Logic, and curiously enough there is an almost complete silence concerning the extensive lecture notes from the Berlin period. Burbidge does go to town, however, on the treatment of chemistry in the 1830 edition of the Encyclopedia, reprinting the German text together with his own translation of it, explaining in detail the meaning of such words as ”totality”, ”finite”, ”posited”, ”sublation” etc., and providing some insight into the way in which the text developed out of its predecessors (1817, 1827). For Burbidge, to maintain that the Logic as a whole is the main determining factor in the formulations of the Philosophy of Nature is to make a positive judgement, since: ”If any part of Hegel's system is to be immune to the ravages of time it should be the Science of Logic.” (56) For Wahsner, it is Hegel's preoccupation with the abstractions of the Logic which sets the Philosophy of Nature at odds with what she sees as the concrete realism of Newtonian science, with Kant's essential distinction between the thing-in-itself and appearances, and thus with the world of modern science as we now know it. Like Burbidge, although she only concerns herself in detail with a limited section of the Philosophy of Nature, in her case the field of mathematical mechanics (§§ 254–261, I. 223–240), the implication is that what she has to say about Hegel's treatment of space, time and motion is also relevant to our understanding of the rest of his work on natural science. Wahsner was trained in philosophy, mathematics and physics at the Humboldt University in East Berlin during the 1950s. She is now a very active member of the Max Planck Institute for the History of Science, producing a regular stream of works on the mathematics and the natural science of the eighteenth century, and the way in which Hegel reacted to the issues then being raised in these disciplines. Given the way in which Feuerbach and Marx criticized Hegel for having committed the fundamental error of treating the abstraction of the Logic as subject and the concrete world of nature and spirit as its predicate, it is hardly surprising that throughout much of her book she might appear to be agreeing with Burbidge that it is the Logic as an abstract whole which is the prime determining factor in the formulations of the Philosophy of Nature. She certainly speaks of the Logic as ”constituting the universal implicit in nature and spirit”, and even goes so far as to prai-

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se the Hegelian transition from logic to nature as harmonizing with classical mechanics, in that it indicates ”[…] the role of space-time as the basis of the theoretical measurings of physics, that is, the basis which makes possible the transition from the pure abstraction of mathematical theory to the description of actual systems, from what is abstractly to what is concretely possible.” (78) The real value of her book lies not in the run of the mill retailing of generalizations of this kind, however, but in her ability to take up specific issues in mathematics and mechanics, and mull them over in the light of her understanding of what Hegel calls the ”Notion” and the ”Idea”. Strangely enough, she does this extremely effectively, without going on to ask herself whether the method she is employing in analyzing Hegel's treatment of space, time and motion might not also be profitably employed in analyzing his treatment of abstract logical categories. In this respect, her general philosophical stance bears a remarkable resemblance to that of Schelling as it was expressed in the lecture on Hegel which he delivered in Munich in 1827. Schelling also shows that he was fully aware that the real nerve-centre of Hegelianism, throughout the whole of the Encyclopedia, was not the Logic as a whole, but the Notion and the Idea elucidated in their universal significance at the very end of it. On the other hand, much of his criticism is directed at the way in which the Logic as a whole relates to the Philosophy of Nature, the difference being that he, unlike Burbidge and Wahsner, sees no genuine relatedness, – the work is nothing more than an attempt to systematize and update Wolff's Ontology (1736); although the categories have been derived by consciousness from nature, they are presented as the beginning of philosophy and therefore prior to nature; since no convincing transition from logic to nature is formulated, Hegel manages to outdo Jacobi in degrading the logical status of the natural sciences, etc. It is difficult to imagine interest in Hegel's Philosophy of Nature having any worthwhile future without the establishment of a wellfounded consensus on this central issue. Inconsequentially enough, Wahsner manages to circumvent it by simply letting it drop, and getting on with the infinitely rewarding procedure of examining specific topics in the light of what turns out to be a pretty sound understanding of the ”Notion” and the ”Idea”. Reasonably enough, the ”Notion” and the ”Idea” are regarded as logical entities, essentially distinct from the subject matter they are elucidating. Rather less reasonably, they are assumed to be transforming or obfuscating what

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should be treated as purely scientific issues. Wahsner comes up with the beguiling thesis that Hegel's criticism of eighteenthcentury Newtonianism is really concerned not with Newtonian science, but with the metaphysical interpretations of it being promulgated by the French materialists. She even goes so far as to assert that since the whole procedure of the Philosophy of Nature is essentially phenomenological, logical and synthetic, it can allow no ultimate validity to such central scientific activities as testing, experimenting and falsifying. (85) This gives rise to a blanket condemnation of every instance of Hegel's having criticized Newton directly, even when later developments in mathematics and the sciences have shown his criticism to be justified, or when he is in fact in agreement with Newton's own procedures. She picks him up, for example, on having praised Newton's general conception of the calculus, but criticized it for having mixed it with determinations pertaining to motion and velocity, for having developed his exposition of the subject with reference to Lagrange's Theory of analytical Functions while ignoring his Analytical Mechanics. As Cauchy was to show toward the close of Hegel's career, however, a rigorous formulation of the calculus depends upon formalizing the limit as a purely abstract or logical concept. Given the fact that Newton opens the Principia by stating that: ”Quantity of matter is a measure of matter that arises from its density and volume jointly”, and that he concludes the Opticks by confessing that it seemed probable to him: ”that God in the Beginning form'd Matter in solid, massy, hard, impenetrable, moveable Particles”, it is certainly somewhat perverse of Wahsner to assert that: ”Newton's physics could never have functioned on the basis of the classical atomistic principle”, and then to criticize Hegel for attempting to establish a more dynamic conception of matter (§§ 260–261, I. 236–240): ”Hegel's graded sublation and reformulation of this classical conception of matter immediately becomes the driving principle of his philosophy of nature. It is in this idiosyncratic manner that he interprets the actual sublation of classical atomism already brought about through the principle of modern thinking. In its own way, therefore, his graded sublation and reformulation brings out the necessity of regarding physical matter as a third factor, as an ancillary moment, necessary to the unity, but it only does so by allowing a certain validity to the metaphysical view of mechanics.” (68–69)

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In an earlier draft of a paper now published as an appendix to the present volume, Wahsner criticized Hegel for presuming to deduce the Newtonian inverse square law from the third of Kepler's laws of planetary motion. It was subsequently pointed out to her that Newton himself had carried out such a deduction, by means of simple algebra, as early as 1665. In a footnote to the reprinted version of the paper, she justifies her original criticism by distinguishing between deduction in ”a physical-mathematical sense”, and Hegel's ”deduction by means of Notional logic.” (164–165) It is clear from Hegel's account of the matter, however, that he too had in mind the simple algebraic deduction employed by the young Newton. (§ 270, I. 275) If one looks at this issue in the light of ”deduction by means of Notional logic”, it becomes even more intriguing. Newton knew from Kepler and observation that the planets move around the sun in orbits approximating to ellipses. When stating this in the Principia, he goes on to observe: ”We have already discussed these motions from the phenomena. Now that the principles of motions have been found, we deduce the celestial motions from these principles a priori. Since the weights of the planets toward the sun are inversely as the squares of the distances from the centre of the sun, it follows (from book 1, props. 1 and 11, and prop. 13, corol. 1) that if the sun were at rest and the remaining planets did not act upon one another, their orbits would be elliptical, having the sun in their common focus, and they would describe areas proportional to the times.” (Book 3, prop. 13, theor. 13) It was therefore Newton, not Hegel, who claimed to be providing an a priori deduction of Kepler's laws on the basis of the phenomena and their ”graded” or ”Notional” presuppositions. What is more, as Hegel points out, and as is evident from even a cursory examination of the preliminary references cited by Newton, what has been established is simply that the planets must move in ”some one of the conics”, not that their paths are necessarily elliptical. In the interest of good history and clear thinking, it is essential that Wahsner should be pulled up on points such as these. The great merit of her book is, however, that it encourages the reader to raise such specific issues. She is undoubtedly justified in rejecting the thesis that there can be any point in simply treating the natural sciences as ancillary to the Logic as a whole. Like Schelling, she realizes, however, that a distinction has to be drawn between the Logic as a whole and the essentially logical entities of the ”Notion” and the ”Idea”. What she fails to grasp is the extent to which what she characterizes as the ”graded”

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element in Notional comprehension coincides with the methodology of such works as the Principia and the Opticks. Had she realized this, she would have developed a much clearer conception of the way in which Hegel's philosophical methodology manages to elucidate and universalize the procedures of mathematics and the findings of the natural sciences.

Luca Illetterati: Natura e Ragione. Sullo Sviluppo Dell'Idea di Natura in Hegel. Trento: Pubblicazioni di Verifiche 1995. 401 S. (No. 22) Gilles Marmasse: G. W. F. Hegel. Vorlesung über Naturphilosophie Berlin 1823/24. Nachschrift von K.G.J. v. Griesheim. Frankfurt a. M./ Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien: Peter Lang 2000. 277 S. Richard Hamblyn. The Invention of Clouds. How an Amateur Meteorologist forged the Language of the Skies. New York/London/ Basingstoke/Oxford: Picador 2001. 292 S. Illetterati's approach to the Philosophy of Nature is historical, his central concern being the way in which it developed during the various stages of Hegel's career. Although this requires some discussion of the relationship in which it stands to the Jena Phenomenology and the Logic, he is much more prepared than Burbidge and Wahsner to consider the work on its own merits as a rational assessment of the natural sciences. It is true that its mature form is part of a wider philosophical undertaking on account of its constituting the central section of the Encyclopedia, flanked by the abstractions of the Logic and the more concrete and complex human world of the Philosophy of Spirit. In itself, however, it is very largely self-contained. It is worth noting, for instance, that in the form in which it was published by Michelet in 1842, it contains one single reference to the Jena Phenomenology (I. 191), and no more than eleven to the Logic, nearly all of which are purely perfunctory. In this respect it contrasts sharply with both the Logic and the Philosophy of Spirit, which are peppered throughout with telling references to the natural sciences. When seeking to evaluate the intrinsic significance of the Philosophy of Nature, there is therefore much to be said for allowing the wranglings of the phenomenologists and the logicians to fall into

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an historical perspective, and concentrating upon examining the stages by which the work came to assume its final form. Recent developments in the wider world of Hegel scholarship, notably the progress being made with the Bochum edition of the collected works, have helped to highlight the importance of such an historical approach. The Dissertation on the Orbits of the Planets (1801) has appeared in a critical edition, the three Jena systems, all of which contain a wealth of material on the natural sciences, have been reliably dated and properly edited, as have the three versions of the Encyclopedia. In Italy, in which the historical approach to philosophy is widely encouraged from the sixth-form onwards, a certain amount of this German scholarship has even appeared in translation, and many of the basic texts have been the subject of detailed studies. Hegel lectured on the Philosophy of Nature six times at Berlin (1819/20, 1821/22, 1823/24, 1825/26, 1828, 1830), and all these courses are documented in one way or another. As early as 1982 Manfred Gies began to make this basic material available by publishing a set of notes taken down during the 1819/20 lectures, and Gilles Marmasse is now continuing the good work. Since the whole body of material available is now being prepared for publication by Wolfgang Bonsiepen at the Hegel-Archiv in Bochum, it is to be hoped that before very long the historical approach will be throwing fresh light on the developments that lie behind the very considerable differences between the three editions of the Encyclopedia. By and large, Hegel managed to follow developments in an impressively wide range of the natural sciences remarkably well, and a close study of the ways in which he revised the Philosophy of Nature in order to reflect them will throw much light on the manner in which he employed the general principles with which he was working. Since Illetterati has been widely involved in research of this kind for a number of years, he is well qualified to attempt a general survey of it. His book was published too early for him to take account of the recent breakthrough in our understanding of Hegel's conception of mathematics and the natural sciences during the Stuttgart and Tübingen period, so that by present standards one has to regard his opening chapter as somewhat sketchy. He provides a useful and reliable survey of the Jena period, however, bringing out the influence of Kant, Fichte and Schelling, the importance throughout the attempts at establishing a comprehensive system of the evolving concept of distinguishing nature from both logic and spirit, and the growing awareness of the crucial importance of the organism as a central philosophical principle.

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The Jena Phenomenology is given ample coverage, and interestingly enough characterized as not quite in the main stream of Hegel's development. Although no reference is made to the way in which its treatment of the natural sciences is revised and streamlined in the later Berlin version, the point is made that by bringing out the inadequacies of observation, especially in grasping the nature of the organism, the work points to the necessity of developing the more purely philosophical methodology of Notional comprehension. He also presents a balanced and realistic assessment of the Science of Logic, taking due note of the references made to the natural sciences in the course of defining and systematizing the categories, but insisting that the fact that the Logic precedes nature and spirit within the Encyclopedia does not imply that these two spheres are simply ancillary to it. This leads him on into a levelheaded discussion of what Hegel lists as the three main sources of the subject matter and the structuralization of the Philosophy of Nature, – man's practical involvement in the natural world, the theoretical means by which he attempts to understand nature, and the Notional exposition by means of which these attempts are raised to the level of philosophical comprehension. (289–320; §§ 245–251, I. 195–216) Although Illetterati does not discuss the development of the Philosophy of Nature during the Berlin period, he does consider in some detail the way in which Hegel adopted and adapted Goethe's views on colours and plants, showing that their assimilation also involved criticism and modification. Similar attention is paid to his treatment of Spallanzani's views on digestion (§ 365, III. 153–166), and Cuvier's conception of comparative anatomy. (§ 370, III. 177–193) It is, indeed, detailed studies of this kind which will help to bring home the full importance of the developing and critical aspects of Hegel's thought, once all the manuscript materials relating to the Berlin period have been published. The notes taken down by the army officer Karl Gustav von Griesheim (1798–1854) during the lectures on the Philosophy of Nature which Hegel delivered at Berlin in the autumn and winter of 1823/24 are of particular interest, not only on account of their being so carefully and conscientiously assembled, but also because they were used extensively by Michelet in preparing the 1842 text, and because only one other of Michelet's sources, the Jena manuscript of 1805/06, is now extant. Like all the other sets of Hegel lecture notes which von Griesheim bequeathed to the Royal Library of Prussia in 1850, it is so clearly and

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beautifully written, that it must have been prepared from shorthand notes taken down while Hegel was actually speaking. It is interesting to learn from Marmasse, therefore, that it is still not certain that the hand is not that of a professional copyist. (55) In the case of a person of von Griesheim's prominence, it ought to be possible to trace some other document, – legal, military or political, containing his signature. The text now made available by Marmasse throws important light on the ways in which Hegel reacted to certain scientific developments then taking place, and on the manner in which he revised the Notional structure of the Philosophy of Nature. The lectures were based on the 1817 edition of the Encyclopedia, which the students were expected to have before them, or at least to be familiar with. It may be useful to give a few examples of the developments documented by the von Griesheim text. i) In the printed text, Mathematics (§§ 197–203) constituted the first of the three major spheres of the Philosophy of Nature, and Mechanics (§§ 206–217), which was rounded off with a consideration of Kepler's laws, the first of the three major sub-divisions of Inorganic Physics. (§§ 204– 259) We know from the notes taken down by Gottfried Bernhardy (1800–1875) in 1819/20, that in that series of lectures Hegel kept to these divisions. In 1823/24, however, we have a Notional structure approximating much more closely to that of the mature Philosophy of Nature, Finite Mechanics (§§ 197–217) constituting the first of the three major spheres of the work. ii) In § 238 of the 1817 printed text Hegel dealt with magnetism, making no mention of the pendulum, the situation remaining the same in 1819/20 and again in 1823/24. (179) In Michelet's addition to the corresponding paragraph in the 1830 edition of the Encyclopedia (§ 312, II. 106), however, we find a lengthy discussion, taken from the 1805/06 text, of the effect of geomagnetism upon the pendulum. Michelet does point out that Hegel also discusses the pendulum in a more purely mechanical context (§ 270, I. 274), as indeed he did in all three of the Jena systems, and as he continued to do in the 1817 text (§ 215), in 1819/20 and in 1823/24. (218) The evidence now available certainly indicates, therefore, that the treatment of the pendulum at these two quite distinct levels in the third Jena system was nothing more than a oneoff, probably influenced by an article published by J. B. Biot in the Journal de Physique in 1804 (vol. 59, 429–450), and that Michelet should not have included it in the addition to § 312. iii) In the printed text of 1817 the relative merits of the Newtonian

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and Goethean theories of colour are discussed as a sub-section of the treatment of light in § 221, and the production of colour by refraction in § 246, the situation remaining the same in 1819/20 and 1823/24. In the 1827 Encyclopedia, however, the paragraph corresponding to § 221 (§ 278) is devoted exclusively to a criticism of Malus' polarization theory, as it is in the 1830 edition, the Newtonian and Goethean theories of colour being treated in the paragraph corresponding to § 246 (§ 320) as essentially a matter of refraction. This radical shift in Hegel's Notional analysis of the matter, which must have taken place between 1824 and 1827, is unimpeachably documented in Michelet's additions. It looks as though only the appearance of the still unpublished documentation of the 1825/26 lectures will enable us to be more specific about the exact dating of this momentous development in Notional analysis. It is not only those sections of the Philosophy of Nature which underwent Notional revision which throw up important new insights into Hegel's methodology and the cultural milieu in which it was operating. His assessment of meteorology, for example, remained much the same throughout the whole of his career as a systematic thinker. Conceiving of it in what one might regard as a very broad Aristotelian sense, he took it to be a process involving the classical elements of air, fire, water and earth, to include a consideration of winds, thunderstorms, the northern lights, hot springs, aerolites etc., and as finding its placing as the culmination or rounding off of elementary physics. (§§ 286–289, II. 42–54) Prior to 1823/24, he devoted a certain amount of attention to cloud formation without referring to Goethe. In these lectures, however, he makes mention of Goethe's threefold classification of clouds (§ 232, 159), and the reference is duly reproduced by Michelet: ”G o e t h e is the first to have spoken intelligibly about clouds, and he distinguishes three principal forms. Delicately curled or fleecy clouds (cirrus), are either in a state of self-dissolution, or in the initial stage of formation. The rounder forms which may be seen on summer evenings are those of cumulus; finally, there is the broader form (stratus) which is the immediate source of rain.” (§ 288, II. 52) As Goethe was only too ready to acknowledge, he had taken this classification over from Luke Howard (1772–1864), who had first published his ideas on the subject in 1803, and with whose work Goethe had first become acquainted through a German translation published in Gilbert's Annalen der Physik in 1815. Howard was an English Quaker, by profession a manufacturer of iron and tin goods, for whom, as for

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Linnaeus, the ability to classify correctly and effectively was of the very essence of what is rational and godlike in man. Goethe first sought contact with him in December 1821, and during the next few years was much concerned with clouds. It looks, therefore, as though Hegel's reference to this preoccupation in 1823/24 may well have been the direct result of his personal contacts with Goethe, which often involved the exchange of ideas on natural science. The recent appearance of Hamblyn's book on Howard has helped to throw a flood of light not only on the broader historical background, the personal contacts, the international culture in which this breakthrough in meteorology was rooted, but also on the scientific, aesthetic and philosophical issues it embodied: ”It is not hard to see how the idea of natural changeability provided much of the conceptual background for the development of scientific meteorology. Clouds and weather, perhaps more than any other world phenomena, show clearly that there is no moment in nature when nothing can be said to be happening. As clouds race towards their own release from form, they are replenished by the mutable processes which created them. They drift, not into continuity, but into other, temporary states of being, all of which eventually decompose to melt into the surrounding air. They rise and fall like vaporous civilizations, and the challenge to early meteorology was to reveal their hidden dynamics to our sight […]. There is nothing mechanical or life-denying in Howard's classification of clouds. He sought to celebrate rather than to contain nature, and while offering a physical account of the formation and appearance of atmospheric vapour, he allowed nonetheless for the pleasure of reverie and reverence, for a simple delight in the passing of clouds. And therein lay the genius of his approach: by allowing for the mutability of clouds, for their wayward and changeable life over time, it allowed aerial nature to retain the whole of its ancient and sensual appeal in the face of an empirical taxonomy. The physical beauty of the clouds was preserved, as were the dynamic elements of their mystery, undiminished by an otherwise powerful moment of scientific clarity and truth.” (11, 139)

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Cinzia Ferrini: Guida al ”De orbitis planetarum” di Hegel ed alle sue edizioni e traduzioni. Bern/Stuttgart/Wien: Paul Haupt 1995. 259 S. Paul Ziche: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1996. 350 S. Klaus Vieweg (Hrsg.): Hegels Jenaer Naturphilosophie. München: Fink 1998. 407 S. These publications are important in that they bring home to us the fact that mathematics and the natural sciences were as crucial to Hegel's development and teaching during the Jena period, as they were to the refinement and elaboration of his encyclopedic system during the years when he was teaching in Berlin. In 1801 he opened his teaching career at Jena by defending his habilitation thesis on celestial mechanics. All three of his attempts at developing a philosophical system (1803/04, 1804/05, 1805/06) involve an extensive treatment of natural science, based upon a detailed knowledge of what was then going on in an extremely wide range of empirical disciplines. The common ground that he found with fellow philosophers, as well as the extent to which he felt obliged to criticize them and work out his own position, were often determined by the ways in which they were assessing current developments in the exact and the biological sciences. It should not be forgotten, moreover, that it was during this period (1804) that Hegel became a member of the Jena Mineralogical Society and the Westphalian Society for Research in Natural Science, and that when his colleague Franz Joseph Schelver (1778–1832), professor of botany, moved on to Heidelberg (1806), he wrote to Goethe offering to supervise the university garden and deliver lectures on the plant sciences. It is the preparation of reliable editions of the basic works over the last few decades which has opened this period up to scholarly research. The attempts at developing a philosophical system presented a particular problem, since all three had to be prepared from manuscript material, much of which had undergone extensive revision, and some of which had been wrongly dated by former editors. In the case of the Dissertation on the Orbits of the Planets, although the text was seen through the press by Hegel himself, it is not in German but in Latin, and very few copies of the original have survived. Ferrini is perfectly justified, therefore, in devoting considerable attention to the esta-

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blishment of a reliable text. She has tracked down no less than five copies, and has chosen to reproduce in facsimile (19–50) the one now in the possession of the Hegel-Archiv in Bochum. In doing so, she has not been well served by her publishers, since the lettering in parts of the facsimile (21, 25, 27) is by no means as clear as it is in the originals, and in some cases even looks as though it has been tampered with. In 27,26, for example, the word t r a n s i t u appears in its correct form, whereas in the originals it clearly contains a misprint. Curiously enough, despite her meticulous attention to detail, Ferrini fails to note eight pretty obvious misprints (8,8, 11,9, 21,25, 22,29, 25,27, 25,29, 28,27, 32,25), none of which, fortunately, makes any difference to the meaning of the text. She proposes an emendation of Hegel's grammar in 7,12, which she explains in some detail in the commentary (93–94), and which would certainly appear to be justified. In respect of the scientific significance of the text, the most important outcome of her work in grammatical analysis has been the clarification of what Hegel is saying in 17,26–28. All former translators, Lasson (1928), De Gandt (1979), Negri (1984), Neuser (1986), Adler (1987), had assumed that Hegel was ignoring what Newton had suggested in the Principia (book 3, prop. 20, prob. 4), and what Maupertuis and Clairaut had proved by geodetic measurements made in Lapland (1738), namely that the earth is flattened at the poles. She points out (166–169), that the passage only presents a difficulty if a x i is taken to be dative or if one regards it as an ablative of comparison. In point of fact, since c u j u s d i a m e t e r refers to t e r r a and not to a e q u a t o r , and since a x i is an ablative of limitation indicating the particular respect in which the statement is true, the passage ought to be translated as follows: ”Let us observe, finally, that this interpretation accords remarkably well with the configuration of the earth's being higher around the equator, its diameter being shorter in respect of the axis.” Unlike the attempts at establishing a system, Hegel's text does not contain many direct references to sources. Ferrini's commentary (53– 201) is an attempt to help translators and interpreters, not only by analyzing and explaining the language being used, but also by filling in on the historical background to the mathematical and scientific issues being raised. She does so by referring back to usage in classical and renaissance Latin, to other commentators (De Gandt, Neuser etc.), to parallel expositions in Hegel's later writings, and to a very wide range of standard eighteenth-century works on mathematics,

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mechanics and physics. Since we know that what Hegel presented in Latin in 1801 was prepared from a much lengthier and more detailed text which he had brought with him to Jena from Frankfurt, it might seem reasonable to assume that much of the reading on which it was based was done between 1793 and 1796, when he was private tutor to the Steiger von Tschugg family in Bern. What is more, since soon after Hegel left Bern an inventory was made of the contents of the family library he had at his disposal during these years, Ferrini has been encouraged to argue with some certainty as to the ultimate origin of his ideas on a whole range of mathematical and scientific issues. We now know, however, that many of these ideas may be traced back to Pfleiderer's teaching at Tübingen, and even to the instruction given at the Grammar School in Stuttgart. Ferrini confines her commentary to the first main section of the dissertation (1–23), in which Hegel is concerned with a critique of Newtonianism, – the confusing of geometrical lines and physical forces, the conception of opposed forces, the law of gravitation. In order to draw the welter of detailed notes into one perspective, a collaborator has supplied a substantial essay on 'The Hegelian arguments against the Newtonian model' (203–240), in which it is assumed that this model is clearly definable and readily intelligible, and that it was this and not Newtonianism that Hegel was concerning himself with. It is to be regretted that she did not go on to deal with the second main section (23–31), in which Hegel is concerned with attempting to explain the planetary system in the light of Coulomb's work on magnetism, with Kant's attempt at reconstructing matter, and with establishing a new basis for applied mathematics, which is a remarkable anticipation of the work of William Rowan Hamilton (1805–1865) on quaternions. Even more disappointing is the fact that in this work she has chosen not to include what she has published elsewhere on Hegel's treatment of Bode's law in the third and final section of the dissertation. (31–32) In respect of Hegel's reputation among those who have never read anything by him, it is these two pages before all others which stand in need of being properly elucidated, placed fairly and squarely in their historical and scientific context. What has come to be known as Bode's law was first formulated by Christian Wolff in 1724: ”The planets that move around the Sun are located very far from one another. If one divides the distance of the Earth from the Sun into 10 parts, the distance of Mercury takes up 4 of them, that of Venus 7,

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that of Mars 15, that of Jupiter 52, and that of Saturn 95. If one then imagines the centres of all the planets as constituting a line drawn from the centre of the Sun to the centre of Saturn, the whole of which is divided into 95 parts, then Mercury is at the end of the fourth part, Venus at the end of the seventh, Earth at the end of the tenth, Mars at the end of the fifteenth, Jupiter at the end of the fifty-second, and Saturn at the end of the ninety-fifth. Mercury and Venus are therefore separated by 3 parts, Venus and Earth also by 3, the Earth and Mars by 5, Mars and Jupiter by 37, Jupiter and Saturn by 43 parts.” When it was confirmed by the discovery of Uranus in 1781, the mean distance of which from the sun was discovered to be 192, Bode and others set about searching for a planet to fill the gap between Mars and Jupiter. On September 20th 1800 this research was co-ordinated throughout Europe through the establishment of the Lilienthal Society, a move which Hegel evidently approved of: ”These distances do indeed yield the relation of a certain arithmetical progression, but since there is no planet in nature to constitute the fifth member of it, there is a belief in the real existence of a planet between Mars and Jupiter which is wandering through the celestial spaces unknown to us. This body is being searched for with great assiduity.” (31,33–39) Bode, who was then in Berlin, did not receive news of Piazzi's discovery of the asteroid Ceres on January 1st 1801 until March 20th. Although Piazzi thought he had discovered a comet, Bode was convinced that it was the planet being sought for by the Lilienthal Society, and saw to it that announcements of the discovery appeared in the Jena papers on May 6th, the Berlin papers on May 12th and the Hamburg papers on May 13th. It was not until November, however, that Gauss was able to make known his famous calculation of the elliptical orbit by means of the method of least squares, which he applied to three observations made on January 2nd, January 22nd and February 11th. He found that the mean distance of the asteroid was 27.67, as compared with the Bode's law prediction of 28. Since Hegel submitted his dissertation to the faculty board in Jena on October 18th, while he was preparing it the true nature of Piazzi's discovery had not yet been settled. Had it been settled, however, it is difficult to imagine what reason he could possibly have had for attempting to call the validity of it in question, and there is no evidence that he ever did so. What he quite evidently did call in question was the value of the attempts then being made, notably by Schelling, to

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complicate the simplicity of Bode's law by Platonizing it, – hence the ironical observations and computations with which he rounds off the dissertation: ”Since this progression is arithmetical, since it does not proceed by the powers, or the generation of the numbers out of themselves, it is in no respect philosophical. The Pythagoreans are known to have devoted much attention to the philosophical relations between numbers, however, and it is therefore permissible to adduce a numerical series handed down to us from that source and preserved in the two Timaeus texts. True, Timaeus does not refer these numbers to the planets, but he is of the opinion that the Demiurge shaped the universe in accordance with the ratio between them. The series is as follows: 1, 2, 3, 4, 9, 16, 27: there is no reason to abstain from reading 16 instead of the 8 found in the original. Allow this series to be truer to the order of nature than the arithmetical progression: one then sees that there is indeed a large gap between the fourth and the fifth position and that there is no point in wanting to fill it with a planet.” (31,40–32,12) Given this heavyhanded parading of a blatantly mock reverence for antiquity, the gratuitous acceptance of arbitrary premisses, the transparently sophistical drawing of conclusions, it is simply not possible to maintain that Hegel was not writing with his tongue in his cheek. The very suggestion that if modern mathematicians and astronomers were having difficulty in fitting together theory and observation anything worthwhile might be expected from a pre-Copernican Platonic approach which even Kepler had abandoned for better things, the hauling in of the heated controversy then raging between those who regarded the Timaeus Locrus as the source of the mathematicizing ascribed to the Demiurge in Plato's dialogue and those who regarded it as a later and derivative work, can, surely, leave us in no doubt as to Hegel's true intentions in this final section of the dissertation. Hegel took courses at Tübingen leading up to his master's degree from 1788 until 1790. Schelling went through roughly the same procedure two years later, being matriculated in 1790 and graduating in 1792. Both of them, therefore, would have had instruction in mathematics, theoretical and experimental physics from Christoph Friedrich von Pfleiderer (1736–1821), the professor responsible for these subjects. Hegel brought with him from the Grammar School in Stuttgart considerable expertise in matters mathematical, and a great enthusiasm for the natural sciences. We know from his sister that in the sixth form, that is to say from the age of fifteen onwards, physics was his favourite

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subject. Mathematics and physics were then being taught at the school by Philipp Heinrich Hopf (1747–1804), a Tübingen graduate who had studied under Pfleiderer's mentor and predecessor Johann Kies (1713– 1781), one of the most accomplished and well-known of the German proponents of Newtonian astronomy. Schelling on the other hand had little training in mathematics or physics at school, and quite evidently felt out of his depth when confronted with the empirical and technically mathematical aspects of Pfleiderer's teaching. He did pick up the philosophical significance of a number of mathematical concepts, however, and as Ziche shows in his erudite, lucid and comprehensive survey of the philosophical issues Hegel and Schelling were concerning themselves with during the decade or so after leaving Tübingen, the most central of these issues arose directly out of a consideration of mathematical models and concepts, – the relationship between the finite and the infinite, the laws governing the movements of the celestial bodies, the identity and differentiation apparent in the lever, the nature of the absolute. Ziche's book complements Ferrini's in that it contains a detailed analysis of the more purely mathematical issues raised in the Dissertation on the Orbits of the Planets. It supplements it in that it documents the extent to which so many of these issues were also raised by Pfleiderer, from which it can be assumed that if Hegel did come across them again in the works at his disposal in Bern, he was already well equipped for assessing them constructively. One of the most important features of Ziche's exposition is the way in which it brings out the affinity in methodology between Pfleiderer's teaching, the Dissertation, and the later attempts at a system: ”Mention is already made of all these forms of motion in the Dissertation, where certain connections between them are also established. In this work, however, there is as yet no attempt to range the various kinds of motion in a systematic sequence of graded and ordered transitions. Hegel makes more use of the argumentation employed in physics, in which the law-like nature of certain motions is interpretated as a generalization or specification of other forms of motion. This gives rise to his criticism of the way in which Newton uses the connection between fall, projection and planetary motion in deducing the law of gravitation. In this criticism of Newton, however, he already brings out the necessity of establishing a precise ordering of the various kinds of motion, – more precise than that employed in the physics of the time, and more precise than that of Pfleiderer, who had also investigated

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the relationship between fall and projection and planetary motion.” (254) Vieweg's book is in fact the edited proceedings of a conference held at Jena in 1994 on Hegel's natural philosophy during his first period of university teaching. It brings out in a most impressive manner the quality and variety of the research now being undertaken as a result of the period's having been opened up by the appearance during the 1970s of reliable editions of his three attempts at working out a philosophical system. Surprisingly little attention is paid to the Dissertation and the Jena Phenomenology. One of the main themes to emerge from the papers is the middle way Notional thinking enables Hegel to steer between the idealization of nature, the conviction that man's noblest approach to it is one of disinterested reverence and awe, and the equally onesided approach of treating it as nothing more than a field for human control and exploitation. In academic terms, this involves the establishment of a philosophical approach to nature which does justice not only to the accomplishments of the individual sciences, but also to the norms and values of a balanced and humane society. Implicit in quite a number of the papers is the point that it is the pursuit of this middle way which gives rise to Hegel's criticism of the attitude of mind so typical of what he dubs the ”understanding”, of the lopsidedness of crass empiricism, of the blinkered pursuit of pure facticity. By and large, the papers fall into two main sections, those dealing with Hegel's intellectual development and the Notional approach to nature, and those dealing with the way in which he responded to specific fields of research, – mathematics, astronomy, galvanism, geology, the organic sciences etc. There is much material illustrating in detail what was going on in the natural sciences and philosophy in Jena at the time. Vieweg, for example, publishes a series of letters by a Hungarian student who was studying both subjects, which provide many fascinating insights into the period 1801/03, and as one might expect, one of the recurrent themes throughout is the part played in the general philosophical debate by idealism and scepticism, by Plato, Spinoza, Kant, Fichte, Reinhold and Schelling.

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Christoph Friedrich von Pfleiderer: Physik. Naturlehre nach Klügel. Nachschrift einer Tübinger Vorlesung von 1804. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Paul Ziche. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1994. 525 S. F. W. J. Schelling: Timaeus (1794). Herausgegeben von Hartmut Buchner. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1994. 176 S. Thomas Kalenberg: Die Befreiung der Natur. Natur und Selbstbewußtsein in der Philosophie Hegels. Hamburg: Meiner 1997. 422 S. Pfleiderer's lectures on physics, meticulously introduced and edited by Ziche, are of immense importance on account of the detailed insight they provide into the topics Hegel had to concern himself with while studying for his master's degree (1788/90). Pfleiderer was appointed to the chair of mathematics and physics at Tübingen in 1782. Up until the end of the summer term of 1792, his lectures on physics followed the layout of the first edition of a standard work on the subject, Anfangsgründe der Naturlehre (1780), by Wenceslaus Johann Gustav Karsten (1732–1787), professor of the mathematical sciences at Halle. His personal copy of this book, annotated in his own hand, is still preserved in the University Library at Tübingen, and throws a lot of light on the precise manner in which he elaborated on the basic text. From 1792 until 1815 he made use of a similar but more up-to-date work with the same title, by Georg Simon Klügel (1739–1812), and it is therefore this book which forms the basis of the lecture notes now published. At this stage in his career, however, he had got into a wellestablished routine, and the similarities between these 1804 lectures and the way in which he annotated Karsten, indicate that the notes also give a pretty accurate account of the way in which he was teaching the subject a decade or so earlier. Like the whole of Pfleiderer's private collection of books, the manuscript of the notes is preserved in the University Library at Tübingen, which acquired it in 1879. The notetaker was Gottlieb Friedrich Harttmann (1785–1853), who studied at Tübingen from 1799 until 1804, subsequently took holy orders and taught at Maulbronn, and eventually emigrated to America. Pfleiderer's classification of the natural sciences, by truly Newtonian or Hegelian standards, was a somewhat relaxed affair, not so very different from that of the textbooks on which he was basing his lectures, or, indeed, from that of the great majority of the scientific compendi-

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ums of the time. There is nothing in the Harttmann text corresponding to the carefully graduated kinematics of the first books of the Principia, to Newton's strenuous attempt to sort out the exact sequences brought to light by analysis in the basic and abstract science of motion. The first main section of the lectures, dealing as it does with motion, equilibrium, impact, weight, fall, pendulums, and projectiles, corresponds very roughly to the middle sections of Hegel's mature Mechanics. The second main section deals with motions in resisting mediums, corresponds roughly to the second book of the Principia, and has an equally rough equivalent in the opening sections of Hegel's Physics. This is followed by a ”view of the cosmos”, – 317–336 in the present edition, corresponding to §§ 543–553 (653–667) in Karsten's textbook, and to a lesser extent to §§ 149–153 (79–82) in Klügel's, – in which Pfleiderer deals in detail with the three Keplerian laws, Newton's exposition of them, and some of the developments that had taken place since, notably as a result of work on the motions of the moon by Clairaut, Buffon and Johann Bernoulli. Most of the material dealt with here is reconsidered in Hegel's Dissertation. The last main section of the lectures is devoted to chemistry, and owes much more to Klügel than it does to Karsten. It seems quite likely that it had some influence on the way in which Hegel dealt with this discipline in the final sections of his mature Physics, but it is of course quite unrelated to Newton's treatment of the subject, which was almost entirely unknown to the eighteenth century, and has only recently been opened up as a field of historical research. As a mathematician, Pfleiderer's main interest was Euclid. He had in his private library no less than thirty-eight separate editions of the Elements, and as Ziche shows, this personal enthusiasm for both the history of Euclid scholarship and for the importance of Euclidean methodology in mathematics and physics had a pervasive influence upon his teaching in general. In the examination which Hegel took for his master's degree in August 1790, for example, most of the theses presented for comment were concerned with the problems arising from the interrelating of straight lines and circles and from the theory of proportions, as expounded in books three and five of the Elements. Candidates were evidently expected not only to be able to handle the geometrical conceptions themselves, but also to have a good grasp of the general history of Euclid scholarship, specific reference being made not only to Campanus but also to a whole range of renaissance editors and commentators, – Orontius Finaeus, Tartaglia, Scheubel, Comman-

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dino, Clavius, as well as their seventeenth-century counterparts, – Henrion, Herigonus, Tacquet, Barrow, Borelli. Curiously enough, less attention was paid to more recent editors, although the names of Simson, Koenig and Lorenz do appear in the theses. It looks as though Pfleiderer presented the Elements as a body of a priori knowledge the overall coherence of which derived from the basic procedures of analysis and synthesis. The intrinsic validity of the Euclidean accomplishment was therefore to be regarded not simply as having been derived from the phenomena of the concrete sciences, but as the one absolutely essential presupposition of the rationality of these empirical disciplines. Individual involvement with the phenomena might be the immediate occasion for the bringing to light of the general principles being employed, but these principles in themselves had to be regarded as systematically and logically prior to the historically contingent situations within which their significance became apparent. The history of Euclid scholarship was, therefore, merely a matter of taking note of the adjustments that had had to be made to an essentially timeless body of mathematical truths. Schelling drew up his commentary on Plato's Timaeus during the spring of 1794, and at long last, thanks to Hartmut Buchner's exemplary and minutely assiduous work on it, this difficult and complicated manuscript is now available in a beautifully printed critical edition. In an extended essay appended to the main body of the work, Hermann Krings suggests (153) that Schelling's preoccupation with this dialogue may have been due to the influence of Pfleiderer, whose courses he had attended while preparing for his master's degree. There is every likelihood that this intuition is justified, since one might well expect Pfleiderer to have made mention of Euclid's reputed Platonism. In doing so, he almost certainly referred to Proclus' well-known statement in his commentary on the first book of the Elements: ”In his aim Euclid was a Platonist, being in sympathy with this philosophy, whence he made the end of the whole Elements the construction of the so-called Platonic figures.” In the Timaeus (55–56), Plato proceeds synthetically from the geometrical abstractions of the five figures to the physical entities of the four elements and the cosmos as a whole, and so to the ways in which we experience the creation through the sensations and the soul, the health, disease and death of the body. The implication of Proclus' statement is, therefore, that although the Elements are presented in a rigorously syn-

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thetic manner, their architectonic was arrived at analytically, by working back through the presuppositions of the Platonic figures. Plato opens the main exposition of the Timaeus by considering objectivity synthetically, – the rationality and goodness of God, the creation of the physical world through the demiurge, the mathematical coordination of what has been created through the world soul, the further concentration of this co-ordination in the human body and mind. From the material now made available by Buchner, it is quite clear that it was this opening exposition which interested Schelling, not the treatment of the geometrical presuppositions of the elements and the cosmos, nor the processes by which we become aware of the world about us. In his essay, Krings is therefore undoubtedly justified in maintaining that the main interest of the manuscript lies in the insight it provides into the development of the later natural philosophy. Judging from what he noted down in 1794, one would expect Schelling to attempt to Platonize the simple arithmetical progression of Bode's law, and in 1827 to express puzzlement as to what was actually going on in the Hegelian transition from logic to nature. Hegel was well equipped, through the tutoring he was given by Hopf at the grammar school in Stuttgart, to appreciate to the full the way in which Pfleiderer was interpreting the Elements. We know that during his first year in the sixth form he was impressed by the way in which Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800) had managed to provide a comprehensive and very plausible view of the scope of mathematics, – beginning with basic disciplines such as arithmetic, geometry, plane and spherical trigonometry, progressing to applied arithmetic and geometry, co-ordinating this in the analysis of finite and infinite quantities, and finally applying the insights so gained to the solution of problems in mechanics and hydrodynamics. Kästner began his Anfangsgründe der Arithmetik etc. (41786) with a series of ”preliminaries to mathematics” which quite evidently made a deep impression on the young Hegel, since many of them reappear in a clearly recognizable form in all his later expositions of the subject. Basic to the whole discipline is the principle of quantity, which can be defined as ”that which is susceptible to being augmented and diminished”. Our perception of quantity can be verified, ”either by immediate presentation or by our being confronted with another quantity”. There is a fundamental difference between the pure mathematics of arithmetic, geometry and algebra and the applied mathematics of mechanics, astronomy and optics. The methodology of Euclid's Elements, with its definitions, postulates,

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common notions, lemmas, propositions, demonstrations and corollaries, is basic to any sound exposition, and in general has to be interpreted in the manner of Proclus as a synthetic procedure. It seems to have been while he was thinking over Kästner's general conception of mathematics, that Hegel realized that the persuasive orderliness of it, the way in which it kept revealing new and well-founded perspectives as one put it to the test and examined its details, derived fundamentally from the procedures of analysis and synthesis, since on October 16th 1786 he took particular note of the observation with which Kästner rounded off his ”preliminaries”: ''In the s y n t h e t i c m e t h o d , it is sufficient that truths already discovered should be presented in a convincing manner, even if the way in which they have been arrived at is not apparent from their proof. In the a n a l y t i c m e t h o d , one has to indicate the way in which one can attain to that which is sought.'' What seems to have struck Hegel about Pfleiderer's teaching, however, was the fairly sharp contrast between the order and clarity of his conception of Euclidean geometry, and the somewhat imprecise and relaxed manner in which he dealt with the empirical sciences. Although there was a general progression in complexity in the sequence in which disciplines were discussed and topics raised, the basic methodology had little of the rigour of its geometrical equivalent. This problem may well have been the origin of the so-called Geometrical Studies manuscript, dated September 23rd 1800, in which Hegel examines in detail the synthetic procedure of the first book of the Elements. In it, he reaches the interesting conclusion that a geometrical entity is ”positive” in respect of what it sublates, and ”negative” in respect of that by which it is sublated. A line, for example, is positive in respect of the points it sublates, and negative in respect of its being sublated in a surface. In any case, as Ziche has noted, the Dissertation of 1801, particularly in its critique of Newtonianism, marks a definite advance on Pfleiderer in respect of reproducing in its consideration of the concrete empirical disciplines something of the rigour of Euclid's treatment of abstract geometrical entities. In the fully developed Hegelian system, the analytic and synthetic procedures implicit in Notional comprehension are as central to the treatment of abstract and universal categories, as they are to that of the natural sciences or the sphere of spirit. It is certainly worth noting, moreover, that despite the persistence with which Hegel continued to criticize Newtonianism throughout the whole of his career as a university

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teacher, it is in the work of Newton that we find the fullest and most complete anticipation of the central methodology of the mature Philosophy of Nature. In the final query of the fourth and final edition of the Optics (1730), we find the following declaration: ”As in Mathematicks, so in Natural Philosophy, the Investigation of difficult Things by the Method of Analysis, ought ever to precede the Method of Composition. This Analysis consists in making Experiments and Observations, and in drawing general Conclusions from them by Induction, and admitting of no Objections against the Conclusions, but such as are taken from Experiments, or other certain Truths. For Hypotheses are not to be regarded in experimental Philosophy. And although the arguing from Experiments and Observations by Induction be no Demonstration of general Conclusions; yet it is the best way of arguing which the Nature of Things admits of, and may be looked upon as so much the stronger, by how much the Induction is more general. And if no Exception occur from Phenomena, the Conclusion may be pronounced generally. But if at any time afterwards any Exception shall occur from Experiments, it may then begin to be pronounced with such Exceptions as occur. By this way of Analysis we may proceed from Compounds to Ingredients, and from Motions to the Forces producing them; and in general, from Effects to their Causes, and from particular Causes to more general ones, till the Argument end in the most general. This is the Method of Analysis: And the Synthesis consists in assuming the Causes discover'd, and establish'd as Principles, and by them explaining the Phenomena proceeding from them, and proving the Explanations.” For Newton, as for Hegel, the overriding methodology is as timeless and as central to the systematic or rational exposition of the abstractions of mathematics or logical categories, as it is to the concrete findings of the natural sciences. As we have seen, both acknowledge natural science to be fundamentally phenomenological. Both accept it as yielding truths which in that they are necessarily open to qualification through induction, have to be regarded as contingent and temporal rather than permanent. For Hegel, what is phenomenological in natural science is part of the practical relationship between man and nature: ”In the practical relationship which man establishes between himself and nature, be treats it as something immediate and external; he is himself an immediately external, and therefore sensuous individual,

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who is nevertheless also justified in acting as p u r p o s e in the face of natural situations.” (§ 245, I. 195) What is inductive or experimental, like the Aristotelian, historical, hypothetical, paradigmatic and taxonomic approaches mentioned at the beginning of this article, is an aspect of the theoretical relationship man establishes with nature: ”In the theoretical approach (a) the initial factor is our withdrawing from natural things, leaving them as they are, and adjusting to them. In doing this we start from our sense-knowledge of nature […]. (b) In the second relation of things to us, they either acquire the determination of universality for us, or we transform them into something universal […]. (c) Both these determinations are opposed to both practical ones, and we also find that the theoretical approach is inwardly selfcontradictory, for it appears to bring about the precise opposite of what it intends. We want to know the nature that really is, not something which is not, but instead of leaving it alone and accepting it as it is in truth, instead of taking it as given, we make something completely different out of it. By thinking things, we transform them into something universal; things are singularities, however, and the lion in general does not exist. We make them into something subjective, produced by us, belonging to us, and of course peculiar to us as men; for the things of nature do not think, and are neither representations nor thoughts.” (§ 246, I. 197, 198) It is important to note that for both Newton and Hegel, induction is conceived of not in primarily subjectivist or phenomenological terms, as it is by Hume, Kant and Mill, but as it is by Bacon, Whewell and Comte, – that is, as a predominantly intersubjective and social process, carried forward not only by individuals, but also by communities and cultures. For Newton, as for Hegel, although the subject matter of mathematics and the sciences may vary and develop, the method of analysis and synthesis, of Notional cognition, is permanent and universal: ”In the relationship of philosophy to what is empirical […] it is not only that philosophy must accord with the experience nature gives rise to; in its f o r m a t i o n and in its d e v e l o p m e n t philosophic science presupposes and is conditioned by empirical physics. The procedure involved in the formation and preliminaries of a science is not the same as the science itself, however, for in this latter case it is no longer experience, but rather the necessity of the Notion which must emerge as the foundation. It has already been pointed out that in the procedu-

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re of philosophic cognition, the object has not only to be presented in its Notional determination, the e m p i r i c a l appearance corresponding to this determination also has to be specified, and it has to be shown that the appearance does in fact correspond to its Notion.” (§ 246, I. 197) In itself, the method of analysis, the ”proceeding from compounds to ingredients”, gives rise to a series or sequence of presuppositional levels or stages. The initial analysis of the sphere of nature as a whole, for example, yields the three major levels of organics, physics and mechanics. Looked at purely as the outcome of such an analysis, therefore, synthetic exposition cannot be regarded as expounding anything more than the logical or Notional progression of these stages: ”Nature is to be regarded as a s y s t e m o f s t a g e s , the one proceeding of necessity out of the other, and being the proximate truth of that from which it results. This is not to be thought of as a n a t u r a l engendering of one out of the other, however, but as an engendering within the inner Idea which constitutes the ground of nature. M e t a m o r p h o s i s accrues only to the Notion as such, for development is nothing but the alteration of the same.” (§ 249, I. 212) If we look at the matter more closely, however, we soon realize that each of these stages is in fact a highly complex sphere analogous to that of nature as a whole. The stage of organics, for example, has to be analyzed out into the subsidiary levels of the animal sciences, botany and geology. Then once again, each of these subsidiaries has to be seen not only as a level, but also as a sphere involving further levels. It is apparent, therefore, that any detailed and comprehensive philosophy of nature, as indeed, any thoroughly worked out doctrine of logical categories, or any worthwhile philosophy of spirit, is bound to supplement the basic method of analysis by also thinking in terms of spheres, and of the sequences or hierarchies of levels or stages which they contain: ”The science of philosophy is a sphere, and each member of the sphere has its antecedent and sequel, so that the philosophy of nature appears as only one sphere within the whole of the encyclopedia. Nature's proceeding forth from the eternal Idea, the proof indeed that there necessarily is a nature, lies in that which precedes it (§ 244). Here we have to presuppose this as known.” (I. 192) What precedes nature within the Encyclopedia is, of course, the Logic, the Notional cognition of abstract and universal categories, and as one might expect, this is rounded off, under the general heading of the

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A b s o l u t e I d e a or the universalized N o t i o n , with a very similar statement: ”By virtue of the nature of the method just indicated, the science exhibits itself as a c i r c l e returning upon itself, the end being wound back into the beginning, the simple ground, by the mediation; this circle is moreover a c i r c l e o f c i r c l e s , for each individual member as ensouled by the method is reflected into itself, so that in returning into the beginning it is at the same time the beginning of a new member, each of which has an a n t e c e d e n t and s e q u e n t , – or, expressed more accurately, h a s only the a n t e c e d e n t and i n d i c a t e s its s e q u e n t in its conclusion.” The original conception of the Logic clearly had its origin in the way in which Pfleiderer was interpreting Euclid, and although much was subsequently developed and transformed, certain marked features of the original are still to be traced in the mature work. The subject matter of mathematics is confined to the first major sphere of the later Logic, and treated in recognizably Kästnerian terms as primarily the science of quantity. As Ziche points out, early in his career Pfleiderer had spent some years in Geneva as assistant to Georges-Louis Lesage (1724–1803), and it is evident from his unpublished correspondence with him that he concerned himself extensively with Kant's critical philosophy. In 1784, for example, at Lesage's request, he translated the whole of the Prolegomena into French. He was not enthusiastic about this philosophy, however, aware as he was of the rather pointless restrictiveness of Kant's subjectivism in respect of examining the foundations of mathematics and actually getting to grips with the pressing issues of the natural sciences. It is certainly significant, therefore, that despite having invoked Pfleiderer's help in enquiring into the merits and demerits of Kant's conception of dynamicized matter, Lesage should have seen no reason to abandon his corpuscular theory of gravitation. On May 28th 1798 he wrote to Pfleiderer concerning Kant's theory: ”I have no desire to pay any more attention to it, now that you have given me the assurance and unabled me to see for myself, that it is not worth the trouble.” This judgement concerning the significance of Kant remained with Hegel throughout his life. Although he was appreciative, he was also severely critical. In the Logic, Kant's classification of judgements and their categorial equivalents is presented in the opening sections of the third major sphere, where it is subordinated to the treatment of the Aristotelian syllogism. In the Philosophy of Nature, his ”attempt at a so-

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called c o n s t r u c t i o n of matter” is presented as being radically flawed (§ 262, I. 241). Analysis and synthesis, however, are given pride of place in the final sphere of the Logic, shown to be central to cognition in general, and illustrated with reference to Euclid, who has: ”always been justly recognized as the master in this synthetic method of cognition.” Within each of the spheres throughout the whole of the Encyclopedia, the levels are not simply presented in a sequence, but also arranged into a triadic or syllogistic pattern, constituting a progression: ”from the universal to the particular, and to the whole that is determined in and for itself.” It is by no means improbable that this procedure also derives from what Hegel learnt from Pfleiderer, since the Elements fall naturally and easily into the universality of the planimetric, the particularity of the arithmetical and the three-dimensional completeness of the stereometric books. What is more, as we have seen, in the examination which Hegel took in August 1790, he was required to comment on the French edition of Euclid by Samuel Koenig (1712–1757), professor of philosophy at Franeker, published posthumously at The Hague (1758/62). Koenig had studied under Wolff at Marburg, and in his edition he attempted to work out what his mentor, in Die Anfangsgründe aller mathematischen Wissenschaften (71750), had taken to be the essence of geometrical reasoning: ”The manner in which conclusions are drawn from the premisses given is none other than that expounded as a matter of course in all books on logic or the art of reasoning. The proofs or demonstrations of the mathematicians are simply drawn from the rules for reaching conclusion by inference. Everything that follows in mathematics does so in accordance with the syllogism. On occasions, however, and sometimes as a general rule, one of the premisses is omitted, either because the reader will have no difficulty in thinking it out for himself, or because it can be easily discovered from the reference supplied.” Kalenberg takes as the central theme of his book Hegel's statement concerning the duality of man's relationship with nature. On the one hand, man has sprung from nature, is part of it, nature sublating or liberating itself in spirit, or the world of man's thought. On the other hand, part of this world of thought involves man's rational or Notional comprehension of nature, his ability to grasp the process by which he has freed himself from it. Kalenberg opens his exposition by quoting the following passage from the Philosophy of Nature: ”The determination and the purpose of the philosophy of nature is

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therefore that spirit should find its own essence, its counterpart, i.e. the Notion, within nature. The study of nature is therefore the liberation of what belongs to spirit within nature, for spirit is in nature in so far as it relates itself not to another, but to itself. This is likewise the liberation of nature.” (§ 246, I. 204) Kalenberg pays careful attention to the way in which Hegel's views on the natural sciences developed during the Berlin period, supplementing what he gathers from the Michelet edition by quoting regularly from the lecture notes. His main concern, however, is not the critical analysis of the scientific validity of Hegel's treatment of the individual sciences, but the illustration of his own central theme. He manages to do this rather well, by concentrating upon the Mechanics and showing how it eventually passes over into the Physics, by attempting to show how the defence of Goethe's Theory of Colours arises out of the levels of physics by which it is preceded, and by providing an overview of the Organics, – progressing from chemistry to life, and tackling the problem of the way in which this crucial transition is to be regarded in the light of later theories of evolution. Although he does not notice the fact, the duality taken up by Kalenberg is discussed by Hegel in the final sphere of the Logic, where the transition is made from the Notional comprehension of analysis and synthesis, to the universalization of this in the a b s o l u t e I d e a . Hegel deals with it under the heading of the G o o d , which he takes as involving a subjective view, which has to be superseded in that what is objective still has its freedom. In reading this final section of the Logic, ones mind goes back to the genius of Luke Howard's treatment of clouds, to the way in which the recent papers on the philosophy of nature during the Jena period bring out the importance of the norms and values of a balanced and humane society, to Hegel's striking characterization of the theoretical approach to nature: ”The more thought predominates in ordinary perceptiveness, so much the more does the naturalness, individuality, and immediacy of things vanish away. As thoughts invade the limitless multiformity of nature, its richness is impoverished, its springtimes die, and there is a fading in the play of its colours. That which in nature was noisy with life, falls silent in the quietude of thought; its warm abundance, which shapes itself into a thousand intriguing wonders, withers into arid forms and shapeless generalities, which resemble a dull northern fog.” (§ 246, I. 198) Above all, however, one cannot help recalling what Newton sees as

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the wider outcome of the universalization of natural science through analysis and synthesis: ”And if natural Philosophy in all its Parts, by pursuing this Method, shall at length be perfected, the Bounds of Moral Philosophy will also be enlarged. For so far as we can know by natural Philosophy what is the first Cause, what Power he has over us, and what Benefits we receive from him, so far our Duty towards him, as well as that towards one another, will appear to us by the Light of Nature.” (Opticks (1730), final paragraph)

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Schriften und Entwürfe (1799–1808). Gesammelte Werke. Band 5. Unter Mitarbeit von Theodor Ebert herausgegeben von Manfred Baum und Kurt Rainer Meist. Verfasser des Anhangs: Kurt Rainer Meist. Hamburg: Meiner 1998. 827 S. Eines der gängigen Bilder der Hegelschen Philosophie erklärt diese zu einer Apparatur der Versöhnung und Vereinheitlichung, die alle Geschichte nur als ihr eigenes Vorher zu erkennen vermag. Man kann diese Interpretation aber auch umdrehen und Hegels Denken als Bewegung hin zu jenem Ort sehen, von dem aus die modern werdende Welt sich überhaupt noch erkennen läßt. Ein fundamentales Konzept bilden in der Jenaer Zeit die Begriffe von Idealität, der analytischen Dimension des Verstehens, die ihre Schwundstufe im bloßen Gedankending hat (197), und Realität, der synthetischen Dimension des Wirklichen, die sich aber auflösen kann, wo der Gedanke sie nicht mehr erreicht. Da die Idealität nicht mehr auf eine vorgegebene Realität verweisen kann, sondern diese selbst erst bestimmt, muß die Einheit von Idee und Realität als Anspruch an sich selbst gestellt und in sich selbst ausgetragen werden. Der Begriff der Einheit der Welt und die Gewinnung des Selbstverhältnisses gerät dabei zur Rechenschaft über die Zerrissenheit der Welt, in der Phänomenologie des Geistes betrifft diese Rechenschaft eine Serie der scheiternden Konzepte des Zusammenhangs von Selbst und Welt. Im Gedicht Entschluß von 1801 (511) wird der Protagonist, der Göttersohn, der den Frieden mit sich und mit dem Werk der Welt bricht, selbst zur Zeit, „aber aufs Beste sie“. Diese Bewegtheit, von der Hegel beständig spricht und die in der Reifezeit eine immer erneute Überarbeitung der Logik und Enzyklopädie und ihrer Teile erzwingt, zeigt sich deutlich in den frühen Manuskripten, die nicht nur das Scheitern reflektieren, sondern es selbst sind. Wo die philosophische Bewegung die Texte daran hindert, eine endgültige Form zu finden, erreicht diese Fluchtlinie auch den Editor. Das ist vor allem – nicht nur im Falle Hegels – bei Publikationen aus dem Nachlaß der Fall. Der Editor kann keine Einheit herstellen, wo keine entstand. Der Band 5 der Werke Hegels beschließt – unter anderem mit einigen erstmals publizierten Texten – die Edition der Texte der Jenaer Zeit, der experimentellen Phase des Hegelschen Denkens. Es finden sich darin Texte ganz unterschiedlicher Herkunft und Gattung, entstanden vor allem zwischen 1799 und 1803, sowie einige Texte aus der Bamberger Zeit 1807/8, zum größten Teil in fragmentarischer Verfassung und aus problematischer Überlieferung. Da die Manuskripte selbst entweder gar nicht mehr oder offenkundig aus ihrem Kontext gerissen vorliegen, finden sich die Hgg. öfter vor dem Problem, Umfeld und Struktur der Manuskripte aus der Beschreibung jener zu rekonstruie-

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ren, denen diese Texte bzw. ihr ursprünglicher Zusammenhang noch vorlagen. Das sind in diesem Falle Rosenkranz und Haym. Der Editorische Bericht nimmt diese Herausforderung mit detektivischem Scharfsinn, großer Präzision und dem Risiko zum offenen Ausgang an, denn viele Fragen lassen sich nur bis zu einem bestimmten Grade beantworten. Die Schilderung des Zustands der Manuskripte, die Bestimmung ihrer meistens eher problematischen Zusammengehörigkeit, ihre Datierung mit philologischen und historischen Argumenten kann nur als vorbildlich bezeichnet werden. Der Kommentar bzw. Anmerkungsteil erfüllt die Bedürfnisse des Lesers vor allem im ersten Komplex des Bandes. Diesen bilden die Fragmente einer Kritik der Verfassung Deutschlands (1799–1803) (5–219), gegliedert in Vorarbeiten und Entwürfe (1799– 1801), Entwürfe der ersten Jenaer Zeit (1801), das Fragment der abgebrochenen Reinschrift (1801/02) sowie Exzerpte und Notizen, die auf 1801/02 datiert werden. Zwei der Texte werden erstmals veröffentlicht (Der Nahme für die Staatsverfassung … und dennoch war Deutschland …). Die Hgg. verzichten dabei im Gegensatz zu den bisherigen Editionen auf eine integrierende Anordnung, machen die problematische Überlieferung deutlich und stellen deren disparaten Charakter heraus. Hegel, so der Editorische Bericht, habe „zwischen 1799 und 1803 mit unterschiedlich langen Unterbrechungen im Zuge von insgesamt vier voneinander abzuhebenden Arbeitsphasen den Plan einer Vollendung und Publikation dieser Untersuchung letztlich erfolglos einzulösen gesucht“. (554) Dabei verzweigt sich einerseits Hegels Gedankengang, andererseits sind die Texte in Abhängigkeit von den Tagesereignissen und ihren wechselnden Konstellationen geschrieben – im Text sichtbar etwa durch einen Verweis auf laufende Friedensverhandlungen. (5; vgl. dazu 567.) Die Hgg. versuchen an diesem Maßstab die Chronologie der Texte zu rekonstruieren. Der ersten Phase in Frankfurt (1799 – Frühjahr 1801, 3–26) folgt eine zweite Phase in Jena vom 9. 2. 1801 (Friede zu Lunéville) bis zum 16. 3. 1801 (förmliche Ratifizierung des Friedens durch Kaiser und Reich), eine dritte Phase im Sommer 1801 (zusammen 27–158) und eine letzte Überarbeitung im Zusammenhang der Reinschrift, die dann abbricht, im Spätherbst 1802 bis zum Februar 1803, dem Zeitpunkt des Reichsdeputationshauptschlusses. Die Entschädigung der Reichsfürsten für anderweitige Verluste aus dem Deutsch-Französischen Krieg, die dann durch Säkularisation und Mediatisierung stattfindet und die Struktur des Deutschen Reiches grundlegend verändert, bildet ja das Ausgangsthema der Manuskripte Hegels. (5; vgl. 593–595.) Gesondert abgedruckt werden die offensichtlich nur noch in äußerst geringem Umfang erhaltenen Exzerpte und Notizen. (203–219) Dabei gilt es besonders, so der Editorische Bericht, die Reinschrift den vorherigen Bearbeitungsphasen gegenüberzustellen und nicht, wie die bisherigen Editionen, einen einheitlichen Text herstellen zu wollen. (555) Die Fragmente bilden vielmehr die Vorarbeiten der Reinschrift, in der sie, wie der Leser an den vorhandenen leicht nachvollziehen kann, in durchaus veränderter Version auftauchen. Die Gründe der Umarbeitungen und Verwerfungen werden zum Teil im Editionsbericht deutlich, teils sind sie Aufgabe der

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Forschung, doch eine strikte Einheit des Textes ist offenkundig nicht rekonstruierbar. Jedenfalls sucht der Text eine Wirkung innerhalb des noch bestehenden Reiches, weswegen er in die frühe Jenaer Zeit datiert werden muß, eine Ansicht, von der nur Rosenkranz mit einer ersten Datierung in die Bamberger Zeit abweicht und die er selbst nach einer Kritik von Haym zurückgenommen hat. (562) Daher ist die Einordnung eines Manuskripts wie Der immer sich vergrössernde Widerspruch …, der eine spekulative Dimension eröffnet, in das Gesamtprojekt durchaus problematisch. (569 f.) In äußeren Gründen vermutet der Editorische Bericht auch den Grund des Abbruchs der Arbeit an dem Text der Reinschrift. (557) Auf die Datierung und Zuordnung der Manuskripte im einzelnen, etwa der Erwägungen Hegels in Religion zu Exzerpten aus Pütter (573, 753), einer neuen Gliederungsskizze zum Frieden von Lunéville (574, 587), der Exzerpte zu den Quellen (595–611) kann hier nur hingewiesen werden. Die dabei gezeigte Präzision verleiht dem Editionsbericht die geradezu detektivische Qualität, die schon erwähnt wurde. Die Anmerkungen zur Verfassungsschrift situieren den Text historisch und belegen die Rezeption der Staatsrechtslehren der Zeit. Rez. fand etwa die Erläuterungen zu Hegels Theorie der Repräsentation, die sich ja in Phänomenologie und Rechtsphilosophie weiter entwickelt und offensichtlich in den Staatsrechtslehrern der Zeit wie Pütter einen wichtigen Ausgangspunkt hat, interessant. Mit dem Anmerkungsteil insbesondere zur Verfassungsschrift und zur Dissertation sticht der Band aus der Hegel-Edition heraus; hier hat man sich ja manchmal schon mehr oder weniger mit Annotierungen, deren Ursprung der Text selbst angibt, und internen Textverweisungen, letzteres eine in einer kritischen Edition eher fragwürdige Praxis, zufrieden gegeben. Der Sache nach stellt die Verfassungsschrift die Divergenz zwischen der Realität und dem Ideal des Deutschen Reiches fest, die offenkundig und auch den Staatstheoretikern der Zeit wie Pütter zu entnehmen war, doch Hegel gibt dieser Begrifflichkeit einen mehr als deskriptiven Sinn, denn, wie er schreibt, hat das „hartnäkkige Wesen der deutschen Natur auf Selbstständigkeit […] alles dasjenige, was zur Errichtung einer Staatsmacht und zur Verbindung der Gesellschafft in einen Staat dienen möchte, zu einem durchgängig formellen Dinge gemacht, und eben so hartnäkkig an dieser Formalität festgehalten. Diese Hartnäkkigkeit an der Formalität ist nicht anders zu begreiffen als daß sie der Widerstand gegen die Realität der Verbindung ist, die durch die Behauptung jenes formellen Wesens abgewendet wird, und diese Unveränderlichkeit der Form wird für Unveränderlichkeit der Sache ausgegeben.“ (103) In der Reinschrift wird diese abgespaltene und verselbständigte Idealität mit dem Begriff der Formalität erfaßt. Formalität ist die Formel Hegels für den Verlust von konkreter Wirklichkeit. In diesem Fall ist es das Deutsche Reich, das seine konkrete Wirklichkeit verliert, weil eben die Teile dieses Ganzen, die Reichsstände, sich nicht mehr in Bezug zum Ganzen setzen, sondern allein ihre Eigeninteressen zum Maßstab des Handelns machen. Diese Eigeninteressen werden zunehmend als Privatrecht durchgesetzt, so daß das Staatsrecht als solches zu einer Scheinwirklich-

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keit ausgehöhlt wird. Diese Vertauschung von Staats- und Privatrecht bildet, so die Hgg. (588), die inhaltliche Hauptthese der Verfassungsschrift. Man sieht, die Dynamik des begrenzenden und an der Grenze festhaltenden Verstandesdenkens, die Hegel in Kant und Fichte als subjektivistische Verhinderung einer Systemschließung und Realitätsgewinnung zu erkennen glaubt, findet er auch in der sozialen Dynamik der Reichsstände wieder, die ihre Privilegien dem Staatsrecht entziehen, zu Privatrecht machen und so die Ganzheit des Reiches verhindern bzw. zerstören. Das Auseinanderdriften von Idealität und Realität ist ein dynamischer Vorgang, und die Begriffe erlangen daher eine erklärende Kraft. Ganz ähnlich im nächsten hier edierten Textkomplex, Hegels Schriften zu seiner Habilitation, der Dissertation, in der offenkundige Fehler mit Angabe des Originals verbessert sind, und der Thesen sowie Schellings handschriftlicher Bemerkungen anläßlich des Verfahrens. (In der ersten Zeile der Bemerkungen Schellings (612) muß es wohl heißen: vatis, nicht wie die Hg. ohne Lesart bieten: satis. Vgl. dazu: Hegel, G. W. F.: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Neuser. Weinheim 1986. 144, wo 142 f. auch eine fotomechanische Reproduktion des Manuskripts vorliegt.) Diese werden unter Zuhilfenahme der von Kimmerle edierten Dokumente (Kimmerle, Heinz: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801– 1807). Hegel-Studien 4 (1967). 21–100.) durch eine minutiöse Darstellung des Ablaufs im Editorischen Bericht ergänzt. Dabei ist vielleicht die kurioseste Feststellung, daß Hegel in einem zeitlich sehr knapp bemessenen und äußerst hektischen Verfahren nicht zuletzt deswegen habilitiert wurde, weil er seine Gebühren für die Habilitation incl. der Gebühr für die Zensur durch den Dekan den Professoren der Jenaer Fakultät vorab bezahlt hatte. (631, n. 66.) Die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Dissertation durch den Editorischen Bericht zielt dabei auf die Struktur eines vorhergehenden deutschen Manuskripts, das Rosenkranz noch in Händen hielt und dessen hohen inhaltlichen Wert der Editorische Bericht nachzuweisen sucht. Von Rosenkranz‘ Darlegungen bleibt dabei nicht viel mehr übrig, als daß er – hoffentlich – die Seitenzahlen der Manuskripte mit verschiedener Bogengröße ins richtige Verhältnis setzen konnte. (635) Dabei, so der Editorische Bericht, ist unter anderen auch auf Rosenkranz das Mißverständnis zurückzuführen, Hegel habe in seiner Dissertation den gerade entdeckten Planetoiden zwischen Mars und Jupiter, der die Bode-Titiussche Planetenreihe schließt, sozusagen wegdeduzieren wollen und so seine Inkompetenz in naturwissenschaftlichen Fragen demonstriert. (Vgl. auch: Neuser: A.a.O. 4 ff.) Abgesehen davon, daß – wie der Editorische Bericht zeigt – die Entdeckung des Planetoiden durch Piazzi zur Zeit der Abfassung der Hegelschen Dissertatio noch durchaus umstritten war (633), ist die konkrete Berechnung der Planetenbahnen nur ein Anhang zu der umfassenderen Frage, wieweit die Mathematik mit ihren analytischen Verfahren (resolutio) zur Ableitung von Phänomenen und Gesetzmäßigkeiten der Physik, d.h. der Realität selbst, in Anspruch genommen werden dürfe, wobei

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man Rosenkranz wohl zugestehen muß, daß er diesen Sinn der Abhandlung durchaus erkannt hat. Es geht auch hier, wie Hegel selbst schreibt, um das Verhältnis von ideal und real oder Analysis und Synthesis, wobei für Hegel die analytisch gewonnenen, sich gegeneinander abgrenzenden Einzelbestimmungen durch ein gemeinsames Prinzip wiedervereint und so ihre Realität zeigen müssen, das generelle Thema also, das an die Kritik des Verstandesdenkens anschließt. Dabei behandelt die Dissertation den Aspekt, inwiefern Newton mit seinem analytischen Konzept von Kraft, der Zentripetal- und Zentrifugalkraft, aus denen er die Bewegungen bzw. die Schwere zusammensetzt, durch Synthese einen zureichenden Begriff von Realität bilden kann. Das vorangegangene Manuskript, das Hegel, so der Editorische Bericht wie auch Neuser, zweifellos bereits aus Frankfurt mitgebracht haben muß (645 f.), hat offensichtlich diese Frage in einen noch allgemeineren begrifflichen Rahmen gestellt. Man kann hier auch nicht wie Rosenkranz von einer Abhängigkeit Hegels von Schelling sprechen, denn der fragliche Punkt, die Kritik an Newton, wird von Schelling vor 1802 nie auch nur im Ansatz berührt. (637 f.) Dabei verweist der Editorische Bericht auf die expliziten Verweise Schellings auf Hegel im Kapitel VII der Ferneren Darstellungen, die die Kenntnis und Nutzung des gesamten deutschen Ursprungsmanuskripts der Dissertation belegen. Man wird die Unvereinbarkeit von Hegelscher und Schellingscher Kraftkonzeption, die später immer deutlicher wird, auch hier schon erkennen, wie ja überhaupt mittlerweile die Diskussion der Abhängigkeit Hegels von Schelling oder umgekehrt als Forschungsperspektive ersetzt ist durch die Betonung der von vorneherein unterschiedlichen Konzeptionen. Damit zu den hier erstmals veröffentlichten Vorlesungsmanuskripten. Die zum Teil stark überarbeiteten und daher etwas unübersichtlichen Manuskripte entstammen einer Mappe, die wohl Rosenkranz zusammengestellt hat und die er aufgrund der Einleitungsproblematik, die in allen Manuskripten u.a. unter dem Stichwort des Bedürfnisses der Philosophie behandelt wird, als ein und dieselbe Vorlesung identifiziert hat. (672) Die Hgg. zerlegen die Mappe und ordnen einen Teil der Manuskripte zwei Vorlesungen zu, die 1801/02, also unmittelbar nach der Habilitation, gehalten wurden und wovon eine identisch ist mit der von Troxler zusammengefaßten. Drei Manuskripte werden auf den Sommer 1803 datiert, wovon eines seiner Form … offenkundig kein Vorlesungstext ist, sondern, so der Editorische Bericht, zum Systementwurf 1803 gehört. Unmittelbar anschließend an seine Habilitation hält Hegel die Vorlesung Introductio in Philosophiam, zu der nach Ansicht der Hgg. das Manuskript Die Idee des absoluten Wesens … gehört. Ebenso im Wintersemester 1801/02 liest Hegel Logica et Metaphysica, die in der Troxler-Nachschrift (Troxler, I. P. V.: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Herausgegeben, eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing. Köln 1988.) vorliegt. Diese erste Vorlesung Hegels mußte bekanntlich wegen des Ausbleibens der Studenten abgebrochen werden und wurde privat fortgesetzt. Immerhin begann der Pri-

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vatdozent seine Einleitung in die Philosophie mit der Bemerkung, daß die Philosophie „weder einer Einleitung bedarf, noch eine Einleitung verträgt“. (259) Doch war es eher der Vortragsstil als der Inhalt, der das durchaus paradoxiegewöhnte Jenaer Auditorium vertrieb. Der Beginn im Paradox und als Paradox setzt sich durch die ganzen Manuskripte fort und bezeugt die Schwierigkeiten, das Absolute als Bewegung zu denken in einer Weise, die nicht nur architektonisch auf die Phänomenologie und das spätere Werk vordeuten, sondern als eigenständige kleine Texte in den Gedanken Hegels hineinführen. Die Manuskripte verändern natürlich unser Hegelbild nicht, erlauben aber einige Einsichten in die Gedankenentwicklung der Jenaer Zeit. Man lese das Manuskript Ist auf das Allgemeine … (365–369), in dem Hegel die dem Subjekt selbst so unsichtbare wie es beherrschende Verschränkung von Allgemeinheit und Individualität darlegt, die zu entdecken den existentiellen Charakter der Philosophie ausmacht. Diese latente Herrschaft des Allgemeinen zeigt sich dabei wegen der unzureichenden, der Abgrenzung dienenden Begriffe als subjektivistische Form der Idealität und bleibt dem Individuum selbst verborgen. Auf diese Fragen sind die Hgg. bereits in ihrem Aufsatz Durch Philosophie leben lernen (Baum, Manfred / Meist, Kurt R.: Durch Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten. In: Hegel-Studien 12 (1977). 43–81.) – der Titel ist ebenfalls ein Zitat aus einem Vorlesungsmanuskript – eingegangen. Abgesehen von dieser inhaltlichen Seite verdichtet sich hier das Fließen der Hegelschen Worte und Sätze in eine wunderbare, geradezu packende philosophische Prosa, wie sie auch für einen so großen Stilisten wie Hegel nicht alltäglich ist. Alle diese Vorlesungstexte haben eine sachliche Dynamik und sprachliche Kraft, die sie auch zu seminartauglichen Einführungen in den Gedankenkreis Hegels und des Idealismus machen, in der die prozessuale und konstruktivistische Bestimmung des Geistes die prekäre Gesellschaftlichkeit und die problematisch gewordene Existenz des Individuums versöhnen soll. Das von Rosenkranz so genannte System der Sittlichkeit, kürzlich von Schnädelbach erneut ausführlicher kommentiert (Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Frankfurt/M. 2000. – Als Textgrundlage wird hier allerdings noch Lasson verwendet, während Göhler bereits mit den Druckfahnen der kritischen Ausgabe arbeitete. Vgl.: Hegel, G. W. F.: Frühe politische Systeme. Herausgegeben und kommentiert von Gerhard Göhler. Frankfurt/M. et al. 1974. 342.), ein Reinschriftmanuskript (276–361) mit einer mutmaßlichen, allerdings eher unwahrscheinlichen Lücke (326), die eigentlich nur aus dem Zustand des Manuskripts erschlossen wird, stellt einen wichtigen Text Hegels dar, der es erlaubt, die frühe Systementwicklung in der praktischen Philosophie zu sehen und deren grundlegende methodische und inhaltliche Veränderung in den späteren Jenaer Jahren zu erkennen. Dieses System mit seiner harten Unterordnung des Individuums unter das Allgemeine, sprich: den Staat, macht deutlich, wie sich Hegel sukzessive seine dynamische Konzeption und die in-

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haltliche Modernität, die eine gewisse Relativierung des Staates erfordert, erarbeitete. Der Text muß, wie schon Rosenzweig und dann Kimmerle (Kimmerle, Heinz: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien 4. (1967) 125–176. 153 f. – Auch Rosenzweig (Hegel und der Staat. München/Berlin 1920. Nd. Aalen 1962. 130.) datiert den Text so, während Rosenkranz den Text in die Frankfurter Zeit setzt. (Vgl. Hegels Leben. 103.)) mit sachlichen und buchstabenstatistischen Argumenten meinen, in den Winter 1802 bis Frühjahr 1803, in die Jenaer Zeit und den Umkreis der Vorlesungen zu Fichtes Naturrecht (700) und der Verfassungsschrift datiert werden. Der Editorische Bericht macht klar, daß die Vorarbeiten, auf die dieser Reinschriftentwurf verweist, nicht mit den Vorlesungsentwürfen dieser Zeit, die noch Rosenkranz und Haym vorlagen, identisch sind. Das Thema ist auch hier explizit die Einheit von Idealität und Realität, wobei deren Identität hier vielleicht die statischste Form der Jenaer Zeit annimmt. Hegel gewinnt diese Einheit konzeptuell im Staate – sozusagen kontrapunktisch zur Auflösung des Deutschen Reiches – durch den sukzessiven Aufbau des Gegensatzes und seine schließliche Vereinigung in den sogenannten Potenzen. Die dazu gehörende Methode der Subsumtion wird noch in die Logik von 1804/05 übernommen, zeigt aber schon dort ihre Vorläufigkeit gegenüber einer neuen, dynamischeren Konzeption des Geistes. Eine Idealität, die sich sozusagen von der Realität abhebt und keinen Zugang zu ihr mehr findet, ist eine Abstraktion, dies der Gehalt der kleinen Schrift Wer denkt abstract? Es ist eine „gemeine alte Frau, ein Spitalweib“ (385), die den Sonnenglanz auf dem abgeschlagenen Kopf eines Mörders schön findet und so die Abstraktion derjenigen tötet, die in einem Mörder eben nur noch einen Mörder entdecken wollen, indem sie die Gnade auf dem Mörderhaupt sieht. (385) Über die Zwecksetzung des wahrscheinlich vollständigen Textes, vielleicht eine Lesung im engeren Kreise, ein Privatdruck, lassen sich jedoch keine zuverlässigen Angaben machen. (680 f.) Die Heterogenität der Texte, die hier versammelt sind, wird vor allem an den Artikeln deutlich, die Hegel in der Bamberger Zeitung publiziert hat und die hier zum ersten Mal außerhalb des Erstdrucks, von dem nur noch ein Exemplar zu finden ist, publiziert werden. (Vgl. zum folgenden auch den kommentierenden Vorabdruck einiger Stücke der Bamberger Zeitung durch die Herausgeber: Baum, Manfred / Meist, Kurt R.: Politik und Philosophie in der Bamberger Zeitung. Dokumente zu Hegels Redaktionstätigkeit 1807–1808. In: HegelStudien 10 (1975). 87–127.) Wie damals üblich, so der Editorische Bericht, läßt sich in diesen journalistischen Arbeiten kaum ein eigenes Raisonnement (685) finden, auch ist die Angabe des Autors in den Tageszeitungen unüblich – für uns kaum zu fassen in einer Zeit, in der jeder Fünfzeiler eine Autorschaft prätendiert. Seinerzeit Interessantes also, mehr oder auch weniger unparteilich: Ein Fall in Lille, wo ein junger Mann durch den Unterricht in Mnemotechnik zum Idioten wird und der Vater den Anbieter verklagt. (391–394) Hegel findet es ganz plausibel, daß die Mnemotechnik, die mittels Bildern Themen abrufbar machen soll – was nach Hegel etwas anderes ist als das Gedächtnis –, zum

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Schwachsinn führt. Hegel weiß auch, wie Schweizer Bauern, im gegebenen Fall als kleine Sekte organisiert, als Gruppe durch Erdrücken Menschen töten können, so daß dabei weder Spuren im eigentlichen Sinne hinterlassen werden noch ein Täter identifizierbar ist. (397 f.) Interessant auch die Konflikte Hegels mit der Zensur anläßlich einiger Klatschgeschichten über den Fürstentag in Erfurt (694, 441), aber auch über den Druck von Aufstellungsplänen Bayerischer Truppen, die Bündnisverpflichtungen mit Frankreich zu erfüllen hatten. (694 f., 437) Konflikte dieser Art sind ja wieder vorstellbar geworden. Im übrigen läßt sich die Entrüstung Hegels über die Bemerkung eines schwedischen Kommandeurs, seine Truppen hätten es noch nicht gelernt, Gefangene zu machen (394), ebenso nachlesen wie Hegels kurze Analyse der Kontinentalsperre und des Verhaltens der englischen Flotte am Bosporos im Jahre 1807. (404 f.) Hegel bestreitet die Meldung eines konkurrierenden Blattes, seine Zeitung habe unzuverlässige Nachrichten über einen Friedensschluß im Reich gedruckt (405), er verteidigt sich dafür, die Schuldhaft eines bekannten Publizisten, K. J. Lange, d.h. persönliche Dinge, gemeldet zu haben. (406) Er mokiert sich darüber, daß der preußische König die Tapferkeit der Familienmitglieder des Königs und der Generäle bei Jena lobt und meint, besser wäre es gewesen, sie hätten die Schlacht gewonnen, denn „mit seiner Person in einer Schlacht [zu] bezahlen, ist die vorzüglichste Eigenschaft eines Soldaten, aber nicht die eines Fürsten“. (407) Zentral sind natürlich die Ereignisse des vierten Koalitionskriegs mit den Schlachten von Eylau, Friedland und dem Frieden von Tilsit, der Preußens Bestand als Rumpfstaat bestätigt. Neben der Mitteilung von Naturbeobachtungen über Meteore, Kometen und Behandlungen der Schwindsucht verliert Hegel aber sein Fach nicht ganz aus dem Auge: Dr. Stutzmann gibt in einem Leserbrief ausführlich kund, daß und warum seine Philosophie des Universums nicht von Schelling abgeschrieben sei. (413 f.) Hegel selbst kündigt seine Phänomenologie des Geistes an (420), berichtet von Schellings Bestellung zum Generalsekretär der Akademie der bildenden Künste (435) und gibt die Preisträger des Bamberger Gymnasiums im Fach Philosophie bekannt. Als aus der Nachricht über einen aufgeschnittenen Haifisch, der einen Delphin enthielt, der seinerseits einen fliegenden Fisch enthielt, ein rheinischer Journalist die Weisheit vom Fressen und Gefressenwerden als das Grundgesetz, das auch die Menschen beherrscht, herbeizitiert, mokiert sich Hegel über eine solche Schlußfolgerung „aus der Supplementar=Verdauung von Hayfischen“, die „auf das deutsche Journal=Wesen ein nachtheiliges Licht werfen müssen“. (426 f.) Die Qualitäten des sich anschließenden Jenaer Notizbuchs, erstmals von Rosenkranz im Königsberger Literaturblatt 1841/2 als Wastebook publiziert, sind bekannt. Neben Studiertips: „Nur nicht Schritt vor Schritt begriffen und bewiesen haben wollen“ (43, 495), oder: „Am Schädlichsten ist es, sich vor Irrthümern bewahren zu wollen.“ (45, 495), enthalten sie Ironisches, Polemisches, ja Sarkastisches, wobei tatsächlich die Schönheit der kurzen Texte oft überrascht, wie Rosenkranz in seiner hier ebenfalls abgedruckten Einleitung

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schreibt. (486) Der Datierung von Rosenkranz – zwischen 1803 und 1806 –, der als einzig Bekannter das Buch in Händen hatte, stimmen die Hgg. im großen und ganzen zu, da die als Exzerpte erkennbaren Stücke und das Erscheinungsdatum der Originale dazu stimmen, eine Bemerkung über Gall stellt allerdings die relative Chronologie so in Frage, daß der Editorische Bericht es für problematisch hält, aus der Rosenkranzschen Anordnung auf die ursprüngliche zu schließen. (715) Ergänzungen aus sekundären Quellen, Rosenkranz und Haym, die Beiträge zur Spinozaedition von Paulus, die zweifelhafte Zeichnung aus Dreiecken sowie Mathematica komplettieren den Band und damit die Texte der Jenaer Zeit. Der insgesamt beeindruckende Band regt allerdings auch zu einigen kritischen Bemerkungen an. Der Editorische Bericht und die Anmerkungen erfordern häufig einzig und allein wegen des überaus komplizierten Satzbaus eine mehrmalige Lektüre. Rez. erlaubt sich die Bemerkung, daß man auch dem willigsten Leser die Lust zur Lektüre austreiben kann, wenn dieser ständig seinen Weg in drei- bis vierfache Nebensatzbildungen, verbunden durch bezüglich oder hinsichtlich (auf manchen Seiten drei- bis viermal gebraucht) nehmen muß. Zwei Beispiele: Zur generellen Problematik, Exzerpte abzudrucken: „Hier entsteht aber das Dilemma, daß die oftmals herausragende historische Bedeutsamkeit der von Hegel selbstverständlich in vollem Wortlaut rezipierten Dokumente, von deren Gesamtkenntnis jedoch nicht selten das Verständnis von Hegels Ausführungen in entscheidendem Maße abhängig ist, bezüglich des Exzerptes eine formale Beschränkung auf die bloße selektive Gegenüberstellung des originalen Textausschnittes mit den daraus ausgezogenen Passagen unbefriedigend, wenn nicht sogar als bloße Verdoppelung desselben Wortlautes unsinnig erscheinen läßt.“ (747) Oft verstellt der Satzbau den Inhalt eher, als daß er ihn zugänglich macht. Wer die Chronologie genau verstehen will, wird mit solchen Sätzen konfrontiert: „Hegels früheste und in dieser ersten Stufe ab April 1799 bis zum Ende Januar 1801 vorerst letzte einschlägige Ausarbeitungen für diese Schrift sind also insgesamt auf das Ende des Jahres 1798 oder die ersten Monate von 1799 definitiv zu begrenzen.“ (568) Hegel hat die hier zur Diskussion stehende Schrift zweimal überarbeitet, das erste Mal Ende 1798 bis Anfang 1799, das zweite Mal ab April 1799 bis Ende Januar 1801. Beides zusammen macht eine erste Arbeitsphase an dem Text aus. Zur Kommentierung: Die Prinzipien der Edition erlauben bedauerlicherweise keinen Kommentar (549), doch dieses Prinzip wird dann in den Anmerkungen eigentlich doch durchbrochen, wenn etwa eruiert wird, was oder wen Hegel mit einem gewissem Hinweis hätte meinen können, so daß man als Leser sich mehr Kommentar und manches anders wünscht. Wenn Hegel mit dem Verweis „Müller S. 70“ (124) auf diese Seite bei Johannes von Müllers Darstellung eines Fürstenbundes von 1788 verweist und die Hgg. in der Anmerkung diesen Text paraphrasieren und eine Vermutung über Hegels Absicht mit diesem Verweis äußern, wäre es nicht besser und auch für die Hgg. entlastender, diese Seite abzudrucken und die Interpretation des Zusammenhangs dem Leser zu

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überlassen? Ein auszugsweiser Abdruck wäre wohl auch im Falle der häufig genannten und paraphrasierten Werke von Pütter sinnvoll gewesen. Mit Zitaten aus der Literatur der Zeit hätte sich auch manche Auskunft über staatsrechtliche Begriffe wie „Kammerzieler“, „Römermonate“, „Austrägalinstanzen“, „Achts=Executionskrieg“ geben lassen. Unkomfortabel für den Leser ist es, daß Anmerkungen im Text selbst nicht angezeigt werden und man daher in der Lektüre nicht weiß, wann eine Anmerkung gegeben wird. Manche Bemerkung kann man mehrmals lesen, so die These des Editorischen Berichts zum Manuskript Religion, Hegel reflektiere darin Pütters Darstellung in Bezug auf das Verhältnis von Staat und Religion im Deutschen Reich, noch einmal in der Anm. zu 21, 21–23, das zweite Mal in der folgenden Anmerkung zu 24, 11–13 (752 ff.). Eine Kleinigkeit: 131, 16 bringt im Text selbst mit Seitenangabe recte einen Verweis auf ein weiter unten abgedrucktes Manuskript, was eigentlich in eine Anmerkung gehört. Es gibt nur ein sparsames Personenregister, kein Sachregister, kein Literaturverzeichnis. Das sind Kleinigkeiten, doch schränken sie den Wert der mit so hoher Kompetenz und Genauigkeit getanen Arbeit ein, eine Kompetenz, von der man als Leser noch mehr hätte profitieren können. Thomas Kisser (München)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. (1817). Gesammelte Werke. Band 13. Unter Mitarbeit von HansChristian Lucas † und Udo Rameil herausgegeben von Wolfgang Bonsiepen und Klaus Grotsch. Hamburg: Meiner 2000. 774 S. Mit dem hier angezeigten Band der Gesammelten Werke wird die Erstauflage der Enzyklopädie wieder zugänglich gemacht, die in der sogenannten „Freundesvereinsausgabe“ gar nicht berücksichtigt und seit 1817 erst im 20. Jahrhundert wieder durch Hermann Glockner 1927 und im Rahmen der „Jubiläumsausgabe“ 1956 als Faksimile nachgedruckt worden war. Über die kritische Edition des gedruckten Textes von 1817 hinaus (1–247) bietet die neue Ausgabe aber noch eine Reihe von weiteren Materialien, die teils – wie Hegels eigenhändige Korrekturen in seinem Handexemplar – im textkritischen Apparat verwertet oder als Fußnoten zum Haupttext berücksichtigt, teils als „Beilagen“ ediert wurden (250–296), welche in dem vorliegenden Band den größten Raum einnehmen. Hierbei handelt es sich vor allem um Hegels Notizen zum dritten Teil der Enzyklopädie, also zur Geistesphilosophie, in seinem durchschossenen Handexemplar. Sie werden hier erstmals vollständig und im Zusammenhang veröffentlicht, nachdem Karl-Heinz Ilting bereits 1973 die Notizen zum objektiven Geist bekannt gemacht hatte (Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Rechtsphilosophie 1818–1831. Hg. v. K.-H. Ilting. Bd. 1. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973. 136–213. – Diese Edition sei zwar, wie es im Editorischen Bericht des vorlie-

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genden Bandes heißt, „richtungsweisend“ durch ihre „Ansätze zur Textschichtendifferenzierung“, weise aber in der Wiedergabe des Textes „gravierende Mängel“ auf (636).) und 1974 und 1975 Vorauseditionen der Notizen zum absoluten bzw. subjektiven Geist erschienen waren (Hegels Notizen zum absoluten Geist. Eingel. u. hg. v. Helmut Schneider. In: Hegel-Studien 9 (1974). 9– 38; Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist. Eingel. u. hg. v. Friedhelm Nicolin u. Helmut Schneider. In: Hegel-Studien 10 (1975). 11–77.). Hierbei handelt es sich vor allem um Aufzeichnungen für Hegels Vorlesungen über Enzyklopädie 1817/18, 1818 und 1818/19 sowie über Anthropologie und Psychologie 1820, 1822 und 1825; auch ein 1818 gehaltenes Privatkolleg für den Schwedischen Prinzen Gustav hat seinen Niederschlag gefunden. Schwierigkeiten bereitet jedoch nicht nur die Zuordnung der Notizen zu den einzelnen Paragraphen der Enzyklopädie (wo immer es möglich ist, werden die Verweise dankenswerterweise am Seitenrand gegeben), sondern vor allem auch die Differenzierung der einzelnen Textschichten und mithin die Zuordnung der Notate zu den Vorlesungen, wenn hierfür auch im Editorischen Bericht Beträchtliches geleistet werden konnte (643–697). In Anbetracht dieser Schwierigkeiten und wohl auch der zum Teil extrem schwer zu entziffernden Handschrift hat man sich entschlossen, erstmals im Rahmen der Gesammelten Werke auf ein in letzter Zeit von der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe propagiertes Verfahren zurückzugreifen und dem edierten Text jeweils Faksimiles der beschriebenen Durchschußseiten in Originalgröße gegenüberzustellen. Das bedeutet zwar eine gewisse Uneinheitlichkeit innerhalb der Ausgabe – so hätte ein solches Verfahren sich z.B. auch bei dem ersten Jenaer Systementwurf rechtfertigen lassen, bei dem für zahlreiche Fragmente eine „Erststufe“ rekonstruiert werden mußte –, jedoch ist diese Entscheidung uneingeschränkt zu begrüßen, weil hierdurch ein der Handschrift kundiger Forscher in die Lage versetzt wird, Schichten des Textes voneinander abzuheben und die Entwicklungsgeschichte der Geistesphilosophie zwischen 1817 und 1825 zu rekonstruieren. Auch wenn nur wenige hiervon wirklich Gebrauch machen dürften, so erhöht die Beigabe der Faksimiles doch in jedem Falle die Transparenz der editorischen Entscheidungen in Textkonstitution, Zuordnung und Chronologie. Weiterhin umfassen die Beilagen Notizblätter Hegels zu den aufgrund der Enzyklopädie gehaltenen Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Naturphilosophie sowie Anthropologie und Psychologie (545–580). (Diese Texte waren als Vorauseditionen der Forschung bereits zugänglich, vgl.: Ein Blatt aus Hegels Heidelberger Zeit. Hg. u. erl. v. Klaus Düsing u. Heinz Kimmerle. In: HegelStudien 6 (1971). 39–51; Unveröffentlichte Vorlesungsmanuskripte Hegels. Hg. u. erl. v. Helmut Schneider. In: Hegel-Studien 7 (1972). 9–59; Ein Blatt zu Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik. Hg. u. erl. von Friedrich Hogemann u. Walter Jaeschke. In: Hegel-Studien 12 (1977). 19-26.) Und schließlich sind auch Hegels erläuternde Diktate zur Enzyklopädie (581–596) abgedruckt, die ein Hörer – wohl der Vorlesung von 1818 – in ein durchschossenes Exemplar ein-

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getragen hatte und die sich vor allem auf die Logik und die Philosophie des Geistes (mit Ausnahme des absoluten Geistes) beziehen. (Vgl.: Unveröffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung Hegels. Eingel u. hg. v. Friedhelm Nicolin. In: Hegel-Studien 5 (1969). 9–30.) Mit dem angezeigten Band liegen nun im Rahmen der Gesammelten Werke alle drei Auflagen der Enzyklopädie vor, die zu Hegels Lebzeiten erschienen waren. In Verbindung mit den Beilagen, welche die Entwicklung zwischen der ersten und zweiten Auflage erschließen, sind damit die grundlegenden Materialien für eine entwicklungsgeschichtliche Rekonstruktion der Hegelschen Systemkonzeption im Ganzen seit 1817 in einer kritischen Edition zugänglich. Aber auch für das Verständnis der Vorgeschichte bis 1817, für welche der Band mit den Nürnberger Schriften als unentbehrliche Grundlage noch aussteht, leistet der Editorische Bericht des vorliegenden Bandes bereits Erhebliches, indem er die Entwicklung zwischen Jena und Heidelberg im Blick auf alle drei Systemteile detailliert nachzeichnet (vgl. bes. 617–626). Es bleibt nur zu hoffen, daß die Forschung mit diesen durch die Gesammelten Werke bereitgestellten Materialien noch angemessen umzugehen und damit auch den Dank an die Editoren abzustatten weiß, den sie für ihre ebenso mühe- wie verdienstvolle Arbeit verdient haben. Angesichts des wachsenden Drucks nicht nur auf die angeblich ineffizienten Editionen, sondern auch auf die philosophiehistorische Forschung überhaupt muß aber wohl leider festgestellt werden, daß hierfür die Aussichten nicht eben günstig sind. Wo unmittelbare Nützlichkeit und Aktualität verlangt werden, erscheinen historisch-philologische Anstrengungen und philosophiehistorische Forschungen oft nur als ein selbstgenügsamer, ins Leere laufender Betrieb. Gerade der vorliegende Band jedoch böte in mehrfacher Hinsicht Anlaß, über solche Anmutungen und Urteile kritisch nachzudenken. Hegels fortgesetzte Arbeit nicht nur an der Darstellungsform des Systems, sondern auch an der Integration empirischer Gehalte, die hier eindrucksvoll dokumentiert wird, drängt die Frage auf, wie sich beide Seiten zueinander verhalten. Dies könnte zur Revision gängiger (Vor-)Urteile über die Abgeschlossenheit des Systems und den Charakter dessen, was Hegel als absolutes Wissen beansprucht, führen. Dann aber wäre auch zu fragen, ob das in der Enzyklopädie verfolgte Programm, die Philosophie als System „auch als ein Ganzes von mehreren besondern Wissenschaften“ darzustellen (20, § 9), tatsächlich historisch obsolet ist und ob die sogenannte Interdisziplinarität hierzu wirklich eine systematische Alternative darstellt. Weiterhin wäre angesichts mancher unbekümmerter Unterscheidungen zwischen (systematischer) Philosophie und Philosophiegeschichte an Hegels Feststellung der Unbequemlichkeit zu erinnern, daß schon der Gegenstand der Philosophie seinem Gehalt und seiner Form nach „sogleich dem Zweifel und Streite notwendig unterworfen ist“ (16, § 2). Dies könnte ja gerade bedeuten, daß die Philosophie sich ihres Gegenstandes jeweils nur in der Reflexion auf die geschichtlich erscheinenden Philosophien (vgl. 19, § 8) zu versichern und in Bezug darauf systematisch zu begründen

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vermag. Und schließlich ist darauf hinzuweisen, daß bereits Hegel sich mit den Forderungen nach unmittelbarer Nützlichkeit kritisch auseinandergesetzt hat, indem er in seinen Vorlesungsnotizen beklagt, „daß für den Aufenthalt auf der Universität zu wenig Zeit bestimmt wird und gleich mit dem Eintritt das besondere Bestimmungsstudium als das Nützliche unmittelbar begonnen wird.“ (545) In einer Situation, in der die besonderen Wissenschaften „ins Empirische und Breite des Verstandes ausgelauffen“ seien, beharrt Hegel darauf, daß der Geist zunächst „ohne particuläres Interesse […] sich umsieht und orientirt hat […], ehe er zum Positiven zum willkührlichen und Zufälligen sich entschließt“. (546) In diesem Sinne ist der systematische Anspruch der Enzyklopädie eine Provokation nicht nur für einzelwissenschaftliche Bornierungen, sondern auch für die Bornierungen der Wissenschaftspolitik. Diesen Anspruch ernstzunehmen, historisch zu verstehen und sich mit ihm kritisch auseinanderzusetzen ist alles andere als eine selbstgenügsame historische Beschäftigung. Andreas Arndt (Berlin)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Berlin 1819/1820. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier. Hrsg. von E. Angehrn, M. Bondeli und H. N. Seelmann. Hamburg: Meiner 2000. 256 S. (Zitiert als: Nachschrift Ringier.) Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie des Rechts. Nachschrift der Vorlesung von 1822/23 von Karl Wilhelm Ludwig Heyse. Hrsg. und eingeleitet von E. Schilbach. In: Hegeliana. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus. Hrsg. von Helmut Schneider. Band 11. Frankfurt/M., Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Wien: Peter Lang 1999. 89 S. (Zitiert als: Nachschrift Heyse.) Für jene Systemteile, die Hegel zwar in den großen Berliner Vorlesungszyklen vorgetragen hat, zu denen er selbst aber nur weniges, in knapper enzyklopädischer Darstellung veröffentlicht hat, sind die überlieferten Dokumente und Berichte der Zeitgenossen oft die einzige Quelle. Da nur relativ wenig Material in Form Hegelscher Vorlesungsmanuskripte überliefert ist, kommt den Schülernachschriften für die Rekonstruktion dieser Systemteile eine große Bedeutung zu. Für den Systemteil „Objektiver Geist“ scheinen die Nachschriften der Schüler auf den ersten Blick nicht diese Relevanz zu besitzen, liegen hier doch neben dem ausgearbeiteten Kompendium, den Grundlinien der Philosophie des Rechts, auch die Hegelschen Vorlesungsnotizen als Quelle für die Rechtsphilosophie-Vorlesungen nach 1820 vor. Die Bedeutung der überlieferten Rechtsphilosophienachschriften wurde aber schon durch Eduard Gans, den Herausgeber der zweiten Auflage der Grundlinien, hervorgehoben. Die Knappheit, ja Unzulänglichkeit der gedruckten Fassung mache den Rückgriff auf die Vorlesungen unverzichtbar. Durch die Hinzufügung von „Zusätzen“, die er Vorle-

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sungsnachschriften entnahm, versuchte Gans die Defizite des Kompendiums auszugleichen. Leitend war für dieses Vorgehen die Überzeugung, daß Drucktext und Vorlesungsdokumente im wesentlichen eine Einheit bilden. Dieses Verständnis ist im vergangenen Jahrhundert zunehmend problematisiert worden. So zog Hoffmeister in seiner Edition der Grundlinien (Hamburg 1955) Konsequenzen aus der ihm zweifelhaft gewordenen Authentizität der durch Schüler überlieferten Vorlesungsdokumente und verzichtete auf eine Wiedergabe der Gansschen Zusätze. In den siebziger Jahren verband Karl Heinz Ilting mit seinem Editionsprojekt das Anliegen, Hegels politische Philosophie gegen die Darstellungsform der Grundlinien in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederzugewinnen. Die Druckfassung der Grundlinien sollte vor dem Hintergrund der Vorlesungen als ein Produkt der Karlsbader Beschlüsse und der Zensur in Preußen kenntlich werden. Die „liberale Stimme“ der Vorlesungen sollte den wahren Gehalt der Hegelschen Rechtsphilosophie ins rechte Licht rücken. So verteidigt Ilting in einem Brief an Karl Larenz (abgedruckt im Vorwort zur Nachschrift Heyse. XI.) die Hegelsche Staatskonzeption der Grundlinien mit dem Hinweis auf die Karlsbader Beschlüsse. Die in Preußen einsetzenden Zensurmaßnahmen verhinderten die Ausarbeitung der Staatsphilosophie im Sinne einer parlamentarischen Monarchie. „Daß dies der Grundgedanke seiner Staatsphilosophie war und daß er ihn im Blick auf die französischen Verfassungsdiskussionen in der ersten Phase der Restaurationszeit ausarbeitete, ist m.E. jetzt nicht mehr zu bezweifeln.“ Mit diesem Forschungsansatz erhalten die Nachschriften für die Auseinandersetzung mit Hegels Rechtsphilosophie ein ganz neues Gewicht. Mit den hier vorzustellenden Editionen der Vorlesungsnachschriften Ringier und Heyse liegen nunmehr zwei weitere Texte zu Hegels Rechtsphilosophie-Vorlesung vor. Auch die Herausgeber der neu aufgefundenen Nachschrift des Schweizer Studenten Ringier verbinden ihr Editionsprojekt mit dem von Ilting angeregten Interpretationsansatz. Auch sie sprechen von einem „innertheoretischen Wandel“ in der Konzeption der Rechtsphilosophie, der durch die realgeschichtlichen Umstände und die politischen Ereignisse um 1819 veranlaßt worden sei. Die glückliche Überlieferungslage zu den Hegelschen Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft (alle Jahrgänge sind in einer Nachschrift dokumentiert) begünstigt den Versuch, durch Vergleich der einzelnen Vorlesungsnachschriften Aufschluß über Konstanz und Wandel von Hegels politischer Philosophie zu erhalten. Bis auf die Vorlesung des Wintersemesters 1821/22 (vgl. hierzu den Bericht von H. Hoppe: Hegels Rechtsphilosophie von 1821/22. In: Hegel-Studien 26 (1991). 74–78.) liegen alle bekannten Nachschriften zur Rechtsphilosophie in veröffentlichter Form vor. Im einzelnen sind dies: – die Nachschrift Wannenmann aus dem Wintersemester 1817/18 (Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Hrsg. von C. Becker u.a. mit einer Einleitung von O. Pöggeler. Hamburg 1983. (Im folgenden zitiert als: Nachschrift Wannenmann.));

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– die Nachschrift eines Anonymus aus dem Wintersemester 1819/29 (G.F.W. (?) Hegel, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hrsg. von D. Henrich. Frankfurt/M. 1983. (im folgenden zitiert als: Henrich.); – die Nachschriften Hotho (Berlin 1822/23), Griesheim (Berlin 1824/25) und Strauß (Berlin 1831/32) sind veröffentlicht in Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831. (Edition und Kommentar in sechs Bänden von K.-H. Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 ff.) Gerade für die entscheidende Phase nach den Karlsbader Beschlüssen, in der Hegel der Druckfassung seiner Rechtsphilosophie die endgültige Gestalt gab, lag – was die Dokumentation der Vorlesung 1819/20 anbelangt – bisher nur eine Nachschrift in Form einer Abschrift vor – eine Abschrift, die von einem bezahlten Abschreiber angefertigt worden war, der – so die Einschätzung des Herausgebers – kein Verhältnis zu der im Manuskript behandelten Materie hatte. Als Vorlage für die Abschrift dienten eine oder vielleicht auch mehrere Hörernachschriften. (Vgl. Henrich, 303.) Da in der Mitschrift des Studenten Ringier nunmehr ein Paralleltext zu dem von D. Henrich herausgegebenen Text vorliegt, wird ein Vergleich zwischen den überlieferten Dokumenten möglich. Inwieweit auf dieser Basis allerdings der „originale Vorlesungstext“ rekonstruierbar wird, scheint fraglich, ist doch das vorhandene Material für eine solche Rekonstruktion keineswegs ausreichend. Die unterschiedliche Interessenlage und der divergierende Kenntnisstand der Mitschreibenden verlangt für die Rekonstruktion des Vorlesungsvortrags mehrere gesicherte Nachschriften. Erschwerend kommt noch hinzu, daß zu den Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft Colloquien und Repetitorien abgehalten wurden, Unterrichtsformen, die gleichfalls auf die Gestalt der überlieferten Quellen Einfluß gehabt haben können. Darüber hinaus hat etwa L. v. Henning im Sommersemester 1822 „Die Philosophie des Rechts und Politik“ nach Hegels Grundlinien vorgetragen – ein Titel, der sich als Überschrift in der Nachschrift des Anonymus wiederfindet. (Vgl. Henrich, 46.) Darüber hinaus hat ein solches Verfahren das Vorliegen eindeutiger Kriterien zur Voraussetzung, die eine Unterscheidung zwischen Mitschrift (d.i. während der Vorlesung entstanden) und Nachschrift (häusliche Ausarbeitung auf der Grundlage von Mitschriften eines Hörers bzw. auf der Basis von in der Vorlesung notierten Skizzen) gestatten. Gerade das damals unter Studenten übliche Verfahren, eine Abschrift aus mehreren Mit- bzw. Nachschriften anzufertigen, verlangt nach eindeutigen Kriterien, um einen Text als Mitschrift bewerten zu können. Die Bewertung des von Hegel unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Zensuredikts gehaltenen Vortrags wurde auf der Basis der bisher bekannten Quelle durch den Umstand erschwert, daß aufgrund der Textform der Nachschrift Zweifel an deren Authentizität geäußert wurde. Die von D. Henrich herausgegebene Nachschrift dokumentiert den Vortrag Hegels als fortlaufenden Text. So entsteht der Eindruck, Hegel habe entgegen der Vorlesungsankündigung nicht auf der Basis seines Kompendiums, d.h. am Leitfaden von

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Paragraphen (die, solange das Kompendium den Studenten nicht vorlag, diktiert wurden) vorgetragen. Die Nachschrift gibt den Eindruck, daß Hegel hier den Stoff fortlaufend entwickelt hat, ohne dabei auf die Paragraphen der früheren Vorlesungen (1817/18 oder 1818/19) zurückzugreifen bzw. von dem demnächst erscheinenden Kompendium Gebrauch zu machen. Die Herausgeber suchen diesen Wandel damit zu erklären, daß Hegel aufgrund des bald zu erwartenden Kompendiums darauf verzichtet hat, den Studenten Paragraphentexte zu diktieren. Hegel könnte auf die im Umlauf befindlichen Diktate früherer Vorlesungen verwiesen haben. Wie allerdings die erhaltenen Nachschriften zu den Jahrgängen 1821/22, 1822/23 und 1824/25 zeigen, hat Hegel auch nach dem Erscheinen der Grundlinien die Paragraphentexte fest in seine Vorlesung eingebaut. Auch ist damit nicht geklärt, warum die Nachschriften zum Jahrgang 1819/20 in keiner Weise auf die Paragraphen rekurrieren – lediglich am Rande enthält die Nachschrift des Anonymus Einträge mit Paragraphenzeichen. Diese für die Rechtsphilosophie-Vorlesung einmalige Darstellungsform wird durch die neu aufgefundene Nachschrift bestätigt. Vor dem Hintergrund der zeitlichen Nähe zwischen dem Inkrafttreten der Karlsbader Beschlüsse (18. Oktober 1819) und dem Beginn der Vorlesungen (25. Oktober 1819) geben die Herausgeber politische Gründe an, die Hegel dazu führten, „seine Vorlesung nicht mit dem Diktat vorformulierter, thetischer Paragraphen“ zu eröffnen, sondern „den Stoff in der Vorlesung eher reflektierend“ zu erarbeiten. Dabei hat er „frühere Fassungen vertieft, revidiert und erweitert.“ (Vgl. Nachschrift Ringier. XIX.) Einen Hinweis für die Richtigkeit dieser Vermutung gibt die Gestalt der ersten Abschnitte der Vorlesung. Der Vortrag des Jahres 1819/20 enthält gegenüber den Vorlesungen der Vorjahre gerade in den Anfangsteilen (Vorrede, Einleitung und Abstraktes Recht) „eine eingehende Überarbeitung und erhebliche Ausweitung“. (Vgl. Nachschrift Ringier. XIX.) Mit der kontinuierlichen Darstellungsform erweist die Nachschrift Ringier in einem entscheidenden Punkt Identität mit der von Henrich herausgegebenen Nachschrift eines Anonymus und stärkt damit die These, daß Hegel hier, von seiner bisherigen Darstellungsform abweichend, einen durchgehenden Text vorgetragen hat. Zusätzlich gestärkt wird diese Einschätzung durch den Umstand, daß hier gegenüber der von Henrich edierten Nachschrift nicht nur der Autor der Nachschrift eindeutig zu identifizieren ist, darüber hinaus ist die Nachschrift Ringier „unzweifelhaft“ als „direkte Mitschrift“ zu klassifizieren. In sorgfältiger Recherche analysieren die Herausgeber das Manuskript und erläutern die Kriterien, die für eine Bewertung des Manuskripts Ringiers als während der Vorlesung entstandene Mitschrift sprechen: „Bei dem Manuskript Ringiers handelt es sich […] um eine Nachschrift, die man eindeutig als Mitschrift einstufen darf.“ (Vgl. Nachschrift Ringier. 214.) Der häufige Gebrauch von „Abkürzungen, die alle Wortarten betreffen“, das schwankende Schriftbild, das die Angabe des Beginns und des Endes einer Vorlesungsstunde anzugeben gestattet, die Unvollständigkeit mancher Sätze sowie die mangelnde

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grammatikalische Korrektheit weisen darauf hin, daß der überlieferte Text während der Hegelschen Vorlesung entstanden ist. Die genannten Gesichtspunkte legen in der Tat den Schluß nahe, daß es sich bei der vorliegenden Nachschrift um eine Mitschrift handelt. Mit der Vorlesungsedition Ringiers liegt zum rechtsphilosophischen Vortrag des Wintersemesters 1819/20 eine solide Textgrundlage vor, auf deren Basis eine Überprüfung der Thesen Iltings zur Akkommodation der Grundlinien an die Zensurbestimmungen möglich wird. Für diese Auseinandersetzung kann hier nur auf einige inhaltlich augenfällige Aspekte der Mitschrift hingewiesen werden, wobei deren Verhältnis zum Grundlinien-Text geprüft werden soll. Die Vorlesung über „Naturrecht und Staatswissenschaft“ wird – gemäß der Nachschrift Ringier – mit der Darstellung der Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart eröffnet. Die in der Vorrede zu den Grundlinien vorgetragene Polemik gegen die zeitgenössische Philosophie kam in diesem Zusammenhang nicht zur Darstellung. Wie später in den Grundlinien wird das Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit ausgehend von Platons Forderung nach philosophierenden Königen erläutert. Dabei entwickelt die Vorlesung die Aufgabe der Philosophie ganz im Sinne des Kompendiums, wenn sie der Philosophie die Aufgabe überträgt, die Idee als die „schlechthin allkräftige, belebende Gegenwart“ zu erkennen. Gegenüber der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 ist die einleitende Auseinandersetzung mit Platons politischer Philosophie neu hinzugekommen. Auffällig – gegenüber früheren Darstellungen des Stoffs – ist der vollständige Verzicht auf die Erläuterung des Begriffs des Naturrechts. (Vgl. Nachschrift Ringier. 13.) Daß dieser Verzicht konzeptionelle Ursachen hat, zeigt die Vorlesungsankündigung: Erstmals betitelt Hegel 1819/20 seine Vorlesung nicht nur „Naturrecht und Staatswissenschaft“, sondern auch „philosophiam iuris“. Fortan kündigt Hegel diesen Zyklus ausschließlich unter diesem Doppeltitel an, der auch in die Titelei der Druckfassung eingegangen ist. Daß Hegel mit diesem Doppeltitel nur die Konsequenz aus früheren Einsichten zieht, zeigt Paragraph zwei der Nachschrift Wannenmann, wo Hegel fordert, den Namen des „Naturrechts“ aufzugeben und durch die Benennung „philosophische Rechtslehre“ zu ersetzen. (Vgl. Nachschrift Wannenmann. 6.) Die Gründe für das Festhalten am Titel „Naturrecht und Staatswissenschaft“ sind wohl darin zu suchen, daß Studenten die Vorlesung so leichter in den tradierten Fächerkanon einordnen können. Eindeutig verfolgt die Vorlesung 1819/20 insbesondere in der einleitenden Darstellung das Anliegen, das Programm einer „Philosophie des Rechts“ zu entwickeln. Dabei wird der Zusammenhang von freiem Willen und Dasein dieses Willens als Recht ins Zentrum gerückt. Konsequent wäre es von diesem Ansatz her, daß der Gesichtspunkt „Recht“ zum Leitfaden der gesamten Darstellung gemacht wird. Dies hätte für die Darstellung des „Abstrakten Rechts“ allerdings die Konsequenz, daß der Aufweis des Daseins des Rechts nicht bei „Eigentum“ und „Vertrag“ stehen bleiben darf. Die Darstellung der „Philosophie des Rechts“ hat nicht nur zu zeigen, wie sich in „Unrecht“, „Betrug“ und „Verbrechen“ die Begrenztheit

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dieses Rechts offenbart, sondern auch – und diesen Gesichtspunkt vernachlässigt die Nachschrift Ringier – die in diesen negativen Gestalten deutlich werdende Anerkennung einer von der einzelnen Sache unabhängigen Allgemeinheit des Rechts durch den besonderen Willen. Jener für die „Philosophie des Rechts“ entscheidende Gesichtspunkt der Anerkennung eines allgemeinen Willens, der in der Forderung nach einem Richter, welcher als „besonderer Wille nur den allgemeinen Willen habe und die Macht sei“, gegen das Prinzip Rache sich geltend zu machen, kommt in der Nachschrift nicht zur Darstellung. Gegenüber der Nachschrift Wannenmann, die diese Funktion des „Abstrakten Rechts“ – Überleitung vom besonderen Willen zum allgemeinen Willen, und damit zur Anerkennung des Rechts als Recht – deutlich herausstellt, zeigt die Nachschrift von 1819/20 hier klare Defizite. Diese wiegen um so mehr, als es Hegel im Blick auf die Druckfassung und die Änderung in der Ankündigung gerade um diesen Gesichtspunkt gehen mußte. In dieser Hinsicht zeigt die Nachschrift Ringier eindeutig Lücken, die entweder auf die Darstellung Hegels oder aber auf das Interesse des angehenden Juristen zurückzuführen sind. Was den zweiten Teil der Vorlesungen anbelangt, so hat die Nachschrift Ringier einen weit größeren Umfang als die bisher zur „Moralität“ überlieferten Darstellungen aus den Vorlesungen der Winterhalbjahre 1817/18 und 1818/19. Neu hinzugekommen sind die Ausführungen zur Ironie, die auch in der Druckfassung einen breiten Raum einnehmen. Mit dem „Gewissen“ hatte Hegel bereits in der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 eine Gestalt eingeführt, in der das Moment der Subjektivität nicht mehr von der Seite der Subjektivität betrachtet wird, sondern als Allgemeines, in dem das Besondere negiert ist, auftritt: „Vor dem Gewissen gilt nichts als Recht und Pflicht, gilt kein Dasein. Was das Gute ist, bestimmt das Gewissen; aber eben dieses Gewissen weiß sich selbst als Gesetz, es ist diese absolute Macht der Substanz, des Guten […]. Wenn ich wahrhaft nach meinem Gewissen gehandelt habe, so ist dies kein Subjektives, sondern es ist eine allgemeine objektive Pflicht.“ (Vgl. Nachschrift Wannenmann. 78.) Mit dieser sich absolut setzenden Gestalt des „Gewissens“ hatte Hegel 1817/18 im Übergang zur Sittlichkeit nur das „unterschiedslose Verglimmen in sich selbst, das Zurückgehen in die einfache Unmittelbarkeit“ als rein negative Beziehung herausgestellt. Sowohl die Vorlesung des WS 1817/18 als auch des WS 1819/20 entwickelt den Standpunkt des „Gewissens“ nicht als Rechtsgestalt des subjektiven Willens. Dieser für die „Philosophie des Rechts“ entscheidende Gesichtspunkt wird erst in den Grundlinien herausgestellt. (Vgl. Grundlinien. § 132.) So bleibt trotz der umfangreichen Ergänzungen im zweiten Teil auch in dieser letzten Vorlesung vor dem Erscheinen der Grundlinien die Sphäre der Moralität im Wesentlichen negativ bestimmt. Wie der Standpunkt des abstrakten Rechts bleibt der der Moralität einseitig negativ, beide tragen in sich den Widerspruch, daß das, was ihnen gilt, nur das allgemeine Gute bzw. das Recht als allgemeines ist. (Vgl. Nachschrift Ringier. 83.) Für den Übergang von der Mora-

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lität zur Sittlichkeit im Rahmen einer „Philosophie des Rechts“ ist es aber unverzichtbar, daß die moralische Gestalt als Rechtsform herausgearbeitet wird. Für diese Bestimmung gibt die Nachschrift Ringier gegenüber der Darstellung der Vorlesung 1817/18 im Begriff des subjektiven Willens wesentliche Differenzierungen, die dann in § 140 der Druckfassung aufgenommen werden. Hier leistet die Darstellung der Vorlesung 1819/20 wesentliche Vorarbeit. Gleichwohl wird der Zusammenhang zwischen Moralität und Sittlichkeit in der Nachschrift wenig deutlich. Die moralische Sphäre wird wesentlich mit dem Standpunkt der Kantisch/Fichteschen Philosophie identifiziert, eine Position, von der Hegel sich durch die Differenzierung zwischen moralischem und philosophischem Bewußtsein abzugrenzen sucht. Nur letzteres vermag vernünftiges Bewußtsein zu sein, wodurch es aufhört, „formelles Bewußtsein zu sein“. (Vgl. Nachschrift Ringier. 83.) Jenen Übergang, den Hegel in den Grundlinien und später noch in den „Handschriftlichen Notizen“ herauszuarbeiten versucht, gibt die Vorlesung nicht einmal ansatzweise, wie überhaupt das Recht als Leitfaden für die Darstellung der Sphäre der Moralität wenig Berücksichtigung findet. Dieser Mangel betrifft auch die Darstellung der Sphäre der Sittlichkeit. Geht man mit den Grundlinien davon aus, daß Hegel auf der Basis des abstrakten Rechts und des Rechts des subjektiven Willens die Institutionen der Sittlichkeit als die Integration beider Rechte erweisen will, so verfehlt die Darstellung der Vorlesung 1819/20 dieses Ziel vollständig. Für die Darstellung der unmittelbaren Sittlichkeit etwa wird die Rechtsförmigkeit der Ehe vollständig vernachlässigt. Ist für die Grundlinien Zentralbestimmung der Ehe der Wille zweier Individuen, eine Person auszumachen, so spricht die Vorlesung davon, daß das Wesentliche der Ehe die religiöse Seite sei: „was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen“. (Vgl. Nachschrift Ringier. 99.) Laut Nachschrift Ringier gibt es in der Ehe kein Recht, insofern die Persönlichkeit verschwunden ist. (Vgl. Nachschrift Ringier. 94.) Die Vorlesung greift hier die Darstellung der Enzyklopädie (1817) auf, die Hegel in den Notizen zu § 433 erweitert hat und in der Zweitauflage in überarbeiteter Form darbietet. Schwerpunkt der enzyklopädischen Darstellung ist die spezifische Substantialität der unmittelbaren Sittlichkeit. Im Unterschied zur „Philosophie des Rechts“ geht es ihr nicht um die Rechtsförmigkeit der sittlichen Gestalt. (Vgl. G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). Unter Mitarbeit von H.-C. Lucas und U. Rameil hrsg. von W. Bonsiepen u. K. Grotsch. GW 13. 467.) Lediglich dann tritt das Recht als formelles auf, wenn die Familie in die Auflösung übergeht. Indem die Darstellung des Wintersemesters 1819/20 die unmittelbare Sittlichkeit der Ehe und Familie nicht als Dasein der Freiheit, als Verwirklichung des Rechts veranschaulicht, verfehlt die Vorlesung das angestrebte Begründungsziel einer „Philosophie des Rechts“. Statt dessen greift die Darstellung auf die enzyklopädische Darstellung zurück, indem sie die substantielle Sittlichkeit gegen ein bloß formelles Recht ausspielt, ohne daß – wie dann die Druckfassung – das Eingehen dieser

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Substantialität in rechtsförmige Strukturen entwickelt wird. Eine in der Tendenz ähnliche Argumentationsstruktur findet sich in der Darstellung der Stände der bürgerlichen Gesellschaft. Bereits in den Dokumenten zur Heidelberger Vorlesung 1817/18 finden sich Hinweise, daß Hegel den Übergang vom „Abstrakten Recht“ zu den substantiellen inhaltlich gefüllten Rechtsformen der Sittlichkeit am Leitfaden der Zentralgestalten des „Abstrakten Rechts“, Eigentum und Vertrag, veranschaulichen will. Die „Philosophie des Rechts“ soll – ausgehend von dem Verhältnis der Person zu einer Sache – konkretisieren, wie dieses Verhältnis aus dem Blickwinkel der Sittlichkeit sich als eine bloße Möglichkeit erweist. Was im „Abstrakten Recht“ als Sache begegnet, hat seinen Ursprung in der sittlichen Fundiertheit dieses Verhältnisses im Vermögen. Aus diesem „Vermögen“ entwickelte Hegel bereits in der Heidelberger Vorlesung (1817/18) die Differenz zwischen den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft. (Vgl. Nachschrift Wannenmann. § 103.) Die ständische Gliederung geht auf unterschiedliche „Vermögen“ zurück, ein Gliederungsprinzip, das Hegel dann auch für die Ständelehre der Grundlinien (§ 203) übernimmt. Die Argumentation der Vorlesung 1819/20 vernachlässigt diesen Zusammenhang, der ja darauf abzielt, das Dasein der Stände als Realisierung von freiheitlichem Handeln begreifbar zu machen. Statt dessen insistiert die Nachschrift auf der Substantialität des ersten Standes, dessen Gut gerade kein Vermögen ist. Als „Gut“ ist die Basis dieses Standes der Gestaltbarkeit durch das Handeln vielmehr entzogen. (Vgl. Nachschrift Ringier. 123.) Zum Handeln gehört für Hegel auch die bewußte Aneignung und Anerkennung der Bedingungen der Standeszugehörigkeit. In der Nachschrift Wannenmann findet sich die Forderung, daß „die natürliche Verschiedenheit der Stände […] nicht bloß eine natürliche bleibe, sondern […] auch als ein Allgemeines existieren, damit es als Allgemeines anerkannt sei“, müsse. (Vgl. Nachschrift Wannenmann. § 121.) In der Darstellung der Vorlesung 1819/20 tritt dieser Aspekt in den Hintergrund. Wenn für das „Abstrakte Recht“ aus dem Verbrechen die Anerkennung der Allgemeinheit des Rechts folgt, so führt diese Anerkennung im Aufbau der „Philosophie des Rechts“ nicht unmittelbar zur Einsetzung einer staatlichen Gewalt, die in ihren Urteilen diese Allgemeinheit des Rechts durchsetzt. Auf dem Standpunkt des „Abstrakten Rechts“ wird lediglich die Forderung nach einer strafenden Gerechtigkeit laut, diese strafende Gerechtigkeit kann hier allerdings nur in Form eines Menschen gedacht werden, der nicht mehr im Interesse der eigenen Willkür handelt, sondern die Durchsetzung allgemeiner Normen zum Zwecke seines Handelns erhebt. Die „moralische Sphäre“ hat die Aufgabe, die Voraussetzungen solchen Handelns zu klären. Im „Gewissen“ und im ironischen Bewußtsein beschreibt Hegel formal ein „Handeln“, das die Anforderungen einer strafenden Gerechtigkeit erfüllen könnte. Darüber hinaus entwickelt Hegel im Moralitätskapitel am Leitfaden des Handelns die zum Subjekt-Sein gehörenden Rechte. Diese Erfüllung dieser Rechte wird zur Voraussetzung sittlicher Institutionen wie der strafenden Gerechtigkeit.

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Das in der Sphäre der Sittlichkeit allgemein geltende Recht fordert von den besonderen Individuen die Einhaltung der Normen. In gleicher Weise hat das Individuum das Recht zu fordern, daß die Zwecksetzung des Staates mit der eigenen vereinbar sein können muß. Die Einheit beider Rechte erst macht die Sittlichkeit dieser Gestalten aus. Die Aufteilung der „Philosophie des Rechts“ in „Abstraktes Recht“ und „Moralität“ auf der einen Seite sowie „Sittlichkeit“ auf der anderen Seite hat K.-H. Ilting dazu veranlaßt, von zwei verschiedenen Systemen der praktischen Philosophie zu sprechen. Das Anliegen Hegels, die Synthese der „beiden“ Systeme zu erweisen, muß sich in der Darstellung der Sphäre der Sittlichkeit einlösen. Für Ilting muß Hegel am Begriff der Souveränität die angestrebte Synthese zwischen neuzeitlichem Vernunftrecht und antiker Sittlichkeitskonzeption verdeutlichen. In der durch die Nachschrift Ringier belegten Vorlesung präzisiert Hegel die Staatslehre erstmals ausgehend vom Gedanken der Souveränität. Die Vorlesung dokumentiert damit für die Abschnitte über den Staat die endgültige Ausarbeitung der Systematik: Der Staat wird hier wie in den wenig später erscheinenden Grundlinien vom Begriff der Souveränität her entfaltet. Die Nachschrift Ringier zeigt, daß Hegel sich in diesem Semester schwerpunktmäßig auf die Ausarbeitung des dritten Teils des Abschnitts „Sittlichkeit“ konzentrierte. Iltings Forderung, diesen Begriff im Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft zum Staat einzuführen, erfüllt auch diese Vorlesung nicht. Vielmehr manifestiert sich die Souveränität des Staates auch hier – wie in den Grundlinien – im Monarchen. Wie die Vorlesung in diesen Passagen die Darstellung der Druckfassung vorbereitet, läßt sich für alle drei Prinzipien dieser Souveränitätslehre zeigen: Die Ausführungen der Vorlesungen über die substantielle Idealität (vgl. Nachschrift Ringier, 170) bereiten den § 278 der Grundlinien vor, die Darstellung der Subjektivität als Idealität (vgl. Nachschrift Ringier, 170 f.) den § 279 und die Entwicklung der Einzelheit des Selbst (vgl. Nachschrift Ringier, 171 f.) finden in § 280 der Druckfassung ihren Niederschlag. In diesen Passagen zeigt sich deutlich, wie der Vortrag Hegels gegenüber der Vorlesung des Wintersemesters 1817/18 eine Weiterentwicklung der Staatslehre in Richtung auf die Konzeption der Grundlinien vollzieht. Sicherlich zeitgeschichtlich bedingt nimmt die Begründung der Erblichkeit der Monarchie in der Vorlesung einen breiten Raum ein. Der Rückgriff auf organizistische Argumente ist auffällig; dort, wo in der Druckfassung die Zweckdienlichkeit als zentrales Argument für eine Primogenitur genannt wird, beschwört die Vorlesung verstärkt substantialistische, naturhafte Gründe. Sie setzt die Natürlichkeit des Erbfolgeprinzips als Kontrapunkt zur geistigen, durch Handeln geschaffenen Welt. In diesem Zusammenhang ist es allerdings wenig sinnvoll, die beiden Darstellungen gegeneinander auszuspielen, finden sich doch organizistische Argumente auch in der Druckfassung. Für die Bewertung der Stellung des Monarchen ist vielmehr der Versuch Hegels, den Staat wie auch alle anderen Rechtsgestalten als Gestalten des Willens zu entwickeln (vgl. die Einleitung zu den Grundlinien), von zentraler Bedeutung. In

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diesem Zusammenhang wird der Monarch auch als das letzte Selbst des Staatswillens eingeführt. Die im Moralitätskapitel entwickelte Grundstruktur der Handlung bildet den Hintergrund für die Verfassungslehre des Staates. Handeln in der Sphäre der Sittlichkeit setzt die Entscheidung durch ein Selbst ebenso voraus, wie Gewalt und Vermögen für die Ausführung des Entschlusses benötigt werden (Regierungsgewalt). Die Regeln, die das Zustandekommen der Entscheidung normieren, werden von der Gesetzgebenden Gewalt festgelegt. Behält man das Anliegen Hegels im Auge, das Zusammenspiel der verschiedenen Verfassungsglieder als das wirklicher Rechtsgestalten, die im gemeinsamen Handeln das Gute hervorzubringen vermögen, zu rekonstruieren, so bleibt für eine Akzentverlagerung in der Bestimmung der einzelnen Verfassungsmomente – etwa durch politische Rahmenbedingungen verursacht – wenig Raum. Politische Konstellationen mögen die Konzentration auf einen spezifischen Aspekt begünstigt haben, gegenüber dem Anliegen, die praktische Philosophie als „Philosophie des Rechts“ zu entwickeln, sind diese Gesichtspunkte allerdings eher von sekundärer Bedeutung. Dafür, daß dies das Anliegen der Hegelschen Rechtsphilosophie ist, gibt die Nachschrift Ringier mit ihrer Konzentration auf die Verfassungslehre ein beredtes Zeugnis. Mit dieser Nachschrift legen die Herausgeber eine für die Entstehung der Druckfassung wichtige Quelle vor. Anhaltspunkte für eine durch politischen Druck ausgelöste, von den Grundlinien abweichende Konzeption finden sich allerdings nicht. Die für die Rechtsphilosophie ungewohnte Darstellungsform hat wohl ihre Veranlassung im Anliegen Hegels, die Vorlesung auf die für die Ausarbeitung der Druckfassung wichtigen Abschnitte zu konzentrieren. Der Rückgriff auf die bereits vorliegende Paragraphengliederung hätte den Ablauf der Vorlesung stark vorherbestimmt und wenig Raum für die Entwicklung neuer Abschnitte gelassen. Anhaltspunkte für einen mit der neuen Darstellungsform verknüpften Konzeptionswandel lassen sich nicht finden. Durch den freien Vortragsstil konnte Hegel jenen Teilen, die ihm für die Ausarbeitung der Druckfassung wichtig waren, mehr Aufmerksamkeit widmen, andere dagegen vernachlässigen. Wie weit diese Vernachlässigung ging, zeigt die Nachschrift Ringier, wenn sie für die Darstellung der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft hinter die Heidelberger Darstellung zurückgeht und auf die Grundbegriffe der Enzyklopädie zurückgreift. Die Nachschrift Ringier zeigt deutlich, daß die inhaltlichen „Differenzen“ bzw. Defizite zwischen Druckfassung und Vorlesung in erster Linie dem Anliegen Hegels geschuldet sind, die Ausarbeitung der Druckfassung voranzutreiben. Nicht auszuschließen ist allerdings, daß einzelne Schwerpunktsetzungen auf die neue politische Situation in Preußen oder die spezifischen Interessen des Nachschreibers zurückgehen. Dafür mag die ausführliche Behandlung der Erblichkeit der Monarchie als Beispiel gelten. Zu den Dokumenten, die über die Entwicklung der politischen Vorstellungen Hegels nach dem Erscheinen der Grundlinien Auskunft zu geben vermögen, gehören neben den erhaltenen Nachschriften Hegels „Handschriftliche

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Notizen“. Für die These von der Akkomodation des Drucktextes sind in letzteren allerdings keine Anhaltspunkte zu finden, enthalten die „Notizen“ Hegels doch keinerlei inhaltliche Korrekturen der Formulierungen des Drucktextes, die auf eine Korrektur des politischen Standorts hinweisen. Ausschließlich dienten die „Notizen“ dem Zweck einer inhaltlichen Präzisierung sowie der Herausarbeitung von Zusammenhängen, die in der gedruckten Fassung nicht hinreichend deutlich werden. Weit mehr als Hegels eigene „Notizen“, so das einstimmige Urteil der Herausgeber der nach 1820 entstandenen Vorlesungsnachschriften, vermag der Vergleich zwischen den Vorlesungsnachschriften und der gedruckten Rechtsphilosophie Aufschluß über die politische Entwicklung Hegels zu geben. Die zweite hier vorzustellende Nachschrift dokumentiert Hegels politische Vorstellungen in den Jahren nach den Karlsbader Beschlüssen. Die von E. Schilbach herausgegebene Vorlesung entstammt dem Vortrag des Jahres 1822/23. Die Nachschrift Heyse zeigt, so Schilbach, daß Hegel es sich in seiner Wintervorlesung 1822/23 erlauben konnte, taktisch bedingte Polemiken seiner Rechtsphilosophie von 1821 (1820) gegenüber demokratischen Tendenzen und Verfassungsbestrebungen teilweise wieder zurückzunehmen und statt dessen nun zu versuchen, „durch Argumentation und Eingehen auf die Vorstellungen Andersdenkender zu überzeugen.“ (Vgl. Nachschrift Heyse. X.) Die von Hoffmeister geäußerten Zweifel gegenüber der Zuverlässigkeit der Nachschriften können hier insofern entkräftet werden, als mit der Nachschrift Heyse wiederum eine Doppelbelegung eines Jahrgangs vorliegt, stammt sie doch wie die Nachschrift Hotho aus dem Wintersemester 1822/23. Mit der Nachschrift Heyse wird auch für diesen Jahrgang der direkte Vergleich zwischen zwei Nachschriften möglich. Bei der neu edierten Nachschrift handelt es sich um einen Text, der in ein Exemplar der Erstausgabe von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts geschrieben wurde, und zwar mit Bleistift auf den Seitenrändern und sonstigen unbedruckten Stellen. (Vgl. Nachschrift Heyse. XII.) Die Notierung wurde zum Teil später wieder ausradiert (so etwa die Notizen zu § 21–§ 99). Der leserliche Teil des Eintrags setzt erst auf S. 98 mit § 100 ein. Auch fehlen im nicht ausradierten Teil „immer wieder über mehrere Paragraphen hinweg Notizen […], die sich weitgehend mit bestimmten bei Hotho gekennzeichneten Vorlesungsstunden decken.“ Schilbach benennt aufgrund des Vergleichs mit der Nachschrift Hotho insgesamt 17 Fehlstunden, bei fünf Einzelstunden wöchentlich ist Heyse mehr als drei Wochen der Vorlesung ferngeblieben. Neben dem Datumseintrag beim Eigentumsvermerk (1822, Nov.) sind es die oft wörtlichen Übereinstimmungen der Nachschrift Heyse mit der Nachschrift Hotho, die dafür sprechen, die Nachschrift Heyse in das Winterhalbjahr 1822/23 zu datieren. Es war Iltings Vorwurf an die Grundlinien, daß hier die Philosophie (nämlich Hegels eigene) mit dem Staat ein Bündnis eingehe. Die Forderung der Wissenschaften und der Kirche nach „Unabhängigkeit vom Staate wird daher als ein liberales Vorurteil verworfen“. Ilting unterstellt Hegel ein Interesse an

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„offizieller Anerkennung und Privilegierung“ seiner Philosophie. Gegenüber dieser Linie vollziehe die Vorlesung des Wintersemesters 1822/23 eine Korrektur. Taktisch gehe Hegel nun auf der Linie Altensteins vor, wie Ilting der Nachschrift Hothos entnimmt, und nehme nach zwei Jahren Konzessionen, die er in seinem Buch gemacht habe, bereits wieder zurück. Die entscheidende Differenz zur Druckfassung sei, daß in „der Staatslehre der Vorlesung von 1822/23 […] das entscheidende Gewicht auf den konstitutionellen Elementen der Verfassung und auf der Einschränkung der monarchischen Gewalt“ liege. (Vgl. K.-H. Ilting: Einleitung des Herausgebers. In: G.W.F. Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818 – 1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden von Karl Heinz Ilting. Dritter Band. Philosophie des Rechts. Nach der Vorlesungsnachschrift von H. G. Hotho 1822/23. 47.) Diese Einschränkung der monarchischen Gewalt zeige sich in der Betonung der Souveränität des Volkes. Wie wenig präzise Hotho allerdings diesen Gedanken erfaßt, vermag der Vergleich mit der Nachschrift Heyse deutlich zu machen. Hotho notierte zum § 279: „Sagt man daher: das Volk ist souveräin, so ist dieß ein Praedicat des Volkes. Das Praedicat soll existieren, die Bestimmung soll wirklich sein, und ist es als Monarch.“ (Op. cit. 760.) Vor dem Hintergrund, daß die im Moralitätskapitel entwickelte Handlungslehre die Prinzipien der Verfassungslehre bereitstellt – ein Zusammenhang, auf den Hegel in § 279 (Grundlinien) hinweist –, bleibt die von Hotho notierte Formulierung undeutlich. Die Nachschrift Heyse erfaßt den Gedanken Hegels dagegen ganz im Sinne der Druckfassung: „Die letzte Entscheidung, subjektive Willensbestimmung muß von einem Subjekte ausgehen. Die Souveränität des Volkes kann an diesem nur Prädicat seyn. Zur wirklichen Gestaltung kommt sie erst durch die Person des Monarchen.“ (Vgl. Nachschrift Heyse. 72.) Die Wiedergabe dieses Gedankens bei Heyse verfügt nicht nur über größere Klarheit, sondern weist eindeutig auf die Nähe der Vorlesungsdarstellung zum Drucktext hin. Die Druckfassung schließt eine Volkssouveränität gegen die im Monarchen existierende Souveränität aus. (Vgl. Grundlinien: § 279. 244 f.) Hier konnten nur einige wenige zentrale – im Kontext der Akkomodationsthese immer wieder vorgetragene – Gesichtspunkte überprüft werden. Der Vergleich zwischen den edierten Nachschriften und der Druckfassung machte an den ‚neuralgischen‘ Punkten der Hegelschen Rechtsphilosophie deutlich, daß der Vorwurf einer Akkomodation der Grundprinzipien dieser Rechtsphilosophie an die Zensurbestimmungen auf der Basis der bisher vorliegenden Nachschriften nicht haltbar ist. Hegels Festhalten an den Grundsätzen seiner praktischen Philosophie schließt allerdings nicht aus, daß je nach Interessenlage und Aktualität ein spezifischer Gesichtspunkt in einzelnen Vorlesungsjahrgängen ein besonderes Gewicht erhalten konnte. Elisabeth Weisser-Lohmann (Hagen)

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G. W. F. Hegel „Estetica“. Edizione italiana a cura di Nicolao Merker. Introduzione di Sergio Givone. Due Tomi. [„Ästhetik“. Italienische Ausgabe herausgegeben von Nicolao Merker. Einleitung von Sergio Givone. Zwei Bände.] Torino: Enaudi 1997. 1426 S. G. W. F. Hegel: Lezioni di estetica. Corso del 1823. Nella trascrizione di H. G. Hotho. Traduzione e Introduzione di Paolo D’Angelo. [Vorlesungen über Ästhetik. Kolleg 1823. Nachschrift von H. G. Hotho. Übersetzung und Einleitung von Paolo D’Angelo.] Roma-Bari: Editori Laterza 2000. XXXIX, 310 S. Etwa 35 Jahre nach der ersten, 1963 beim italienischen Verlag Feltrinelli erschienenen Edition wird hier die beachtenswerte Übersetzung der Hegelschen Vorlesungen zur Ästhetik, die Nicolao Merker unter Mitwirkung von Nicola Vaccaro erstellt hat, wieder veröffentlicht. Diese Übersetzung, die in Italien immer schon einen sehr guten Ruf gehabt hat, basierte auf der von Friedrich Bassenge herausgegebenen (und 1955 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar erschienenen) deutschen Fassung, und diese ihrerseits auf der zweiten Auflage der Vorlesungen über die Ästhetik, die der Kunsthistoriker und Hegelschüler Heinrich Gustav Hotho 1842 in Druck gegeben hatte. Dieses 1967 ebenfalls vom Verlag Einaudi herausgegebene Werk wird heute nach dreißig erfolgreichen Jahren vom selben Verlag noch einmal präsentiert. Auch das ursprüngliche Vorwort Nicolao Merkers zu seiner Übersetzung, in dem er die Entwicklung der Hegelschen Überlegungen über die Kunst beschreibt und die Rezeption der Ästhetik der verschiedenen Strömungen des Hegelianismus (z.B. bei den rechten Hegelianern wie Göschel, den Hegelianern der Mitte wie Rosenkranz, den spekulativen Theisten wie I. H. Fichte, Ulrici und K. Ph. Fischer und den linken Hegelianern wie A. Ruge, F. Th. Vischer bis zu K. Marx) skizziert, wird noch einmal publiziert. Dieser Aufsatz, den der neue Herausgeber Sergio Givone als Beweis für die weitverbreitete Marxistische Deutung der Hegelschen Ästhetik während der sechziger Jahre in Italien anführt, ist immer noch von wissenschaftlichem Interesse und noch nicht überholt, leider auch dort, wo der Autor über den damals – wie auch heute – unvollständigen Charakter eines Kommentars zu Hegels Ästhetik nachdenkt. In dieser Neuauflage werden dem Leser abermals eine Einleitung von Sergio Givone (XXI–XXXV) und ein kurzes Literaturverzeichnis von Gianluca Garelli (XXXVII–XLVI) geboten. Am Anfang der knappen, aber anregenden Einleitung werden die Zusammenhänge zwischen den Vorlesungen zur Ästhetik und anderen Hegelschen Werken analysiert, um zu erfassen, wie die Hegelsche Ästhetik-Konzeption sich vom Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus bis hin zu den Vorlesungen zur Ästhetik gewandelt hat. Zuerst thematisiert Givone die Rolle, die im Systemprogramm dem Mythos zukommt. Mythos ist sowohl das prae als auch das post der Kunst. Aus dem Mythos ist die Kunst hervorgetreten, und nach ihm strebt sie. Insofern hat der Mythos nicht nur einen vergangenen Charakter, er ist nicht nur der Ursprung der Kunst, sondern auch ihr Morgen. Desweiteren wird das Schicksal der mo-

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dernen Kunst eine neue Mythologie sein, und zwar eine „Mythologie der Vernunft“. Hauptsächlich verweist er jedoch auf die Phänomenologie des Geistes. Er konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen Kunst und Religion in der Phänomenologie und in den Ästhetik-Vorlesungen, um festzustellen, inwiefern Hegels Ausführungen über die Kunst aus dem Jahre 1807 und aus der Berliner Zeit sich aufeinander beziehen. Er vertritt eine zweideutige These, in der sich der phänomenologische Weg dem der Vorlesungen über die Ästhetik zugleich nähert als auch abwendet. a) Einerseits liegt sowohl in der Phänomenologie des Geistes als auch in der Ästhetik die Wahrheit der Kunst jenseits der Kunst, nämlich in der Religion. In der Tat bewirkt anders als im Systemprogramm, bei dem nach Hegel das Gute, Wahre und Schöne einander entsprechen, in der Phänomenologie das regulierend-ansteigende Vorgehen, daß die Wahrheit der Kunst nicht in der Kunst selbst, sondern vielmehr zuerst in der Religion und dann im absoluten Wissen zu finden ist. Dieser im wesentlichen religiöse, der Phänomenologie eigene Charakter der Kunst findet sich – nach Givones Auffassung – auch in der Vorlesungen über die Philosophie der Kunst wieder. In der Ästhetik als anschauliche Erscheinung der Idee ist die Kunst tatsächlich zutiefst verknüpft mit der Materialität, in der sie Ausdruck findet; da diese jedoch gleichzeitig die entfremdete Form des Geistes ist, ergibt sich, daß die Kunst an ihre eigene (religiöse) Überwindung eng gebunden ist. Es würde sich also jenes Vorgehen wiederholen, das die Phänomenologie bereits belebt hatte und aufgrund dessen die Kunst von der natürlichen Religion auf die offenbare Religion überging, wobei die Kunst selbst überwunden wird. Der religiöse Charakter der Kunst würde sich außerdem auch darin zeigen – meint Givone –, daß es gerade die Religion ist, die der Kunst ihr wahrstes Wesen zeigt. In der Ästhetik, behauptet Givone, geht man von einer Religion aus (Hegels symbolischer Kunst), in der die künstlerische Seite noch völlig unbewußt bleibt, und gelangt zu einer (nach Hegel romantischen) Kunst, die ein so starkes Selbstbewußtsein hat, daß die Kunst sogar Unwesentliches darstellen kann und darf. b) Andererseits überwindet aber im Gegensatz zur Phänomenologie – in der Ästhetik – die Wahrheit nicht mehr die Kunst, sondern sie manifestiert sich in der Kunst selbst. Und dies würde – nach Auffassung Givones – dadurch bewiesen, daß die Dreiteilung der Ästhetik in symbolische, klassische und romantische Kunst an die Stelle der drei phänomenologischen Gestalten (natürliche, künstlerische und offenbare Religion) tritt, um die es sich im siebten, der Religion gewidmeten Kapitel der Phänomenologie handelt und im Laufe dessen die Behandlung der Kunst aufgehoben wird. Nachdem er diese komplizierte Verschränkung zwischen Kunst und Religion diskutiert hat, umreißt er die Hegelsche Rezeption und die Weiterentwicklung seiner Ansätze. Zuerst befaßt er sich mit der Theorie des dialektischen Materialismus von Georg Lukács, wonach die Kunst vom religiösen Mystizismus, zu dem die Dialektik des Geistes sie zwangsläufig führt, zu be-

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freien und von der Entäußerung zu lösen ist. Der starke Einfluß dieser Überlegungen, die nach Givone in der Neomarxistischen Philosophie einen noch stärkeren Einfluß als die Theorien von Bloch und Adorno ausgeübt haben, wird von Givone unter Hinweiß auf einige Interpretationen der Hegelschen Ästhetik bewiesen, in denen die von diesen Interpretationen implizit vorausgesetzte Lukács‘sche Forderung sichtbar ist, den Widerspruch zwischen Methode und System, Geschichte und Selbstbewußtsein, Realität und absolutem Wissen zu überwinden. Nachgewiesen wird dieser starke Einfluß zuerst durch den Verweis auf die Überlegungen von Peter Szondi über die Notwendigkeit, die Kunst von der Systematik zu befreien, in die sie Hegel zwingt, sowie durch die Anspielung auf die Konzeption von Dino Formaggio über die These des „Endes der Kunst“, woraus sich deutlich ergibt, daß die Kunst keinem a priori unterstellt ist. Im Anschluß widmet Givone seine Aufmerksamkeit anderen wichtigen Interpreten Hegels aus dem zwanzigsten Jahrhundert, wie Hans Blumenberg, Odo Marquard und Manfred Frank, die, anders als die Marxistische Auslegung, die Paradoxalität der Hegelschen Dialektik anerkannt und akzeptiert haben. Mit der von ihnen initiierten bekannten Debatte über den Mythos sind Gegensätze wie die Frankfurter Neuaufklärerische Orientierung mit Hegelschen Thesen des Systemprogramms – nach denen der Mythos der Vernunft gehorchen sollte – in Einklang gebracht worden. Diese interessanten Überlegungen verknüpfen sich mit einer Übersicht über die Bedeutung und den aktuellen Stand der Forschung zu Hegels Ästhetik und mit einigen Reflexionen Givones über die Folgen (z.B. die strenge Systematik) der Bearbeitung der Hegelschen Philosophie der Kunst von Seiten Hothos. Gleich zu Beginn seiner Einleitung fragt sich nämlich der Herausgeber, wie Hegels Ästhetik verstanden worden und wie sie eigentlich zu begreifen ist. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß eine wirklich innovative Übersetzung nicht verfügbar sein kann, solange die Forschungsarbeit über die unveröffentlichten Schriften nicht beendet ist, und daß es daher mehr als gerechtfertigt ist, die auf der Grundlage des Textes von H. G. Hotho erstellte Übersetzung von Nicolao Merker aus dem Jahre 1963 wieder zu veröffentlichen. Diese italienische Neuauflage (1997) der Druckfassung der Hegelschen Ästhetik ist also unbestritten wichtig. Sie allein ist jedoch wissenschaftlich nicht mehr ausreichend. Bereits Georg Lasson, als er 1931 die kritische – unvollendet gebliebene – Ausgabe der Ästhetik besorgte, setzte all das (fast ein Drittel!) in Klammern, wovon er in den von ihm untersuchten Nachschriften der von Hotho herausgegebenen Druckfassung keine Entsprechung fand. Somit revidierte er nicht nur die äußere und formale Gestalt des Textes von Hotho; Lasson war vielmehr der erste, der leise einen Text in Frage gestellt hat, der ungefähr ein Jahrhundert lang als unproblematisch galt, dessen Zuverlässigkeit jedoch erst nach einer ausführlichen Prüfung der unveröffentlichten Texte – von der die heutige Forschung über die Hegelsche Ästhetik nicht mehr absehen kann – wirklich festgestellt werden muß und kann. Die gedruckte Ästhetik ist also un-

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bedingt durch die Publikation der Nachschriften zu ergänzen, und zwar nicht nur, um rein formale und strukturelle Fragen zu beantworten, sondern vor allem inhaltliche – wie einige Studien auf der Basis der unveröffentlichten Schriften (z.B. von A. Gethmann-Siefert bezüglich der nicht mehr schönen Kunst und Jeong-Im Kwon und Paolo D'Angelo in Bezug auf die symbolische Kunst) bereits gezeigt haben. Langsam findet auch in Italien die lange Arbeit an den Nachschriften aus Hegels Vorlesungen über die Ästhetik, die seit Jahren in Deutschland hauptsächlich im Umkreis des Bochumer Hegel-Archivs durchgeführt wird, die Resonanz, die ihr gebührt, wie das vorliegende Buch bestätigt. Mit dieser Publikation bietet Paolo D’Angelo eine Übersetzung der Mitschrift des Hegelschülers und späteren Kunsthistorikers Heinrich Gustav Hotho zu Hegels Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst aus dem Jahr 1823 ins Italienische, die Annemarie Gethmann-Siefert 1998 im Rahmen der Reihe Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte im Felix Meiner Verlag veröffentlicht hat. Da Hegels Ästhetik, wie Paolo D’Angelo hervorhebt, so wie wir sie kennen und viele Philosophen und Hegelforscher sie geschätzt haben und immer noch schätzen, von Hegel so eigentlich weder geschrieben noch konzipiert wurde, wird im Laufe der Einleitung (V–XXXVI) zur übersetzten Mitschrift Hothos vor allem die Bedeutung und der Wert dieser (und jeder) Nachschrift zu Hegels Berliner Vorlesungen für die zeitgenössische Forschung zur Hegelschen Philosophie der Kunst klar gestellt. An erster Stelle umreißt D’Angelo in seiner Einleitung knapp aber prägnant den Kontext, in dem der Text, der nach Hegels Tod veröffentlicht wurde, zustande gekommen ist. Einige Gründe für die große Bedeutung dieser Veröffentlichung und ihrer Übersetzung ins Italienische werden von Paolo D’Angelo selber in seiner Einleitung zum Text betont. Es handelt sich hier nicht um eine spätere Ausarbeitung des Nachschreibers, sondern um eine Mitschrift, die uns heute zuverlässigste zur Verfügung stehende Quelle, da die zwei eigenhändig von Hegel angelegten Hefte für die Vorlesungen über die Ästhetik verschollen sind. Außerdem geht es hier um eine Mitschrift, auf die sich Hothos Veröffentlichung der Vorlesungen über die Philosophie der Kunst ganz wahrscheinlich gestützt hat. Dafür scheint einiges zu sprechen, da Hotho Jahre später, vermutlich bei der Erarbeitung der Druckfassung, am Rand viele Anmerkungen hinzugefügt hat, aus denen sich Hothos Versuch eines Gliederungsentwurfs ergibt. Dieser Text ermöglicht uns nach D’Angelo also zu postulieren, wie er nach Hegels Tod die editorische Arbeit konzipiert und durchgeführt hat. Außerdem ist die Veröffentlichung dieses Textes nach D’Angelo auch bedeutsam, da genau 1823 der Charakter von Hegels Reflexionen auf die Kunst sich deutlich hervortut, und zwar dadurch, daß sie nicht mehr so schlicht wie im Wintersemester 1820/21 sind (vgl.: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift. I. Textband. Hg. von Helmut Schneider. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang 1995), sondern eine gewisse Reife und Stär-

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ke erreichen, die sie vorher noch nicht besaßen. Hinzu kommt, daß durch diese Mitschrift von 1823 dem italienischen Leser zum ersten Mal Hegels Überlegungen über die Ästhetik genau und ausschließlich aus einem einzigen Jahrgang präsentiert werden, was anhand der beachtenswerten Übersetzung der Edition Hothos von Nicolao Merker und Nicola Vaccaro, wo verschiedene Vorlesungsjahrgänge vermischt werden, nicht möglich ist. Jeder Leser kann also endlich selber feststellen, ob es eine Diskrepanz zwischen Hegels Erörterung einer bestimmten These in der gedruckten Ästhetik und in dieser Vorlesungsnachschrift gibt. Demselben Übersetzer erscheint es zweckmäßig, am Ende seiner Einleitung einige Vergleiche anzustellen um zu verifizieren, ob hinsichtlich Hegels Erörterung der symbolischen Kunstform, des natürlichen Schönen und des Endes der Kunst gewichtige Veränderungen zu konstatieren sind, die durch die Edition Hothos nicht belegbar sind. Nach der Einleitung (XXXVII–XXXIX) gibt D’Angelo akkurat Auskunft zu seiner Vorgehensweise bei seiner Übersetzung, zur Normalisierung und zur besonnenen Wahl einiger Lösungen problematischer Termini, die, wenn es notwendig ist, auf deutsch innerhalb des übersetzten Textes in runden Klammern gesetzt werden. Lobenswert erscheint uns die Entscheidung des Übersetzers, den mündlichen Charakter des Textes zu respektieren. Er verzichtet nämlich auf einen eleganteren Stil, um exakt in der gesprochenen Sprache Hegels zu bleiben, auch wenn dadurch der Satzbau sehr einfach ist und sich Wiederholungen ergeben. Beachtung verdient außerdem die große Mühe, die sich der Übersetzer gibt, sowenig als möglich von der Terminuswahl der alten Übersetzung ins Italienische von Merker und Vaccaro abzuweichen, zum Nutzen insbesondere derjenigen Leser, die noch wenig mit der deutschen Sprache vertraut sind. Gut gelungen ist diese Übersetzung nicht nur wegen ihrer Lesbarkeit, sondern auch wegen der klaren inneren Struktur. Die zusammenfassenden Randbemerkungen Hothos sowie seine späteren Anmerkungen unterscheiden sich durch eckige Klammern und Fußnoten vom Rest des Textes. Das Namensverzeichnis liegt am Ende der Übersetzung in einer leicht gekürzten Fassung vor. (305 ff.) Auf den Seiten XL–XLIII werden dann die wichtigsten biographischen Notizen Hegels erwähnt, so daß dem Leser ein schneller Überblick über Hegels wichtigste philosophische und existenzielle Daten präsentiert wird. Die Relevanz dieser Publikation besteht also unserer Ansicht nach einerseits darin, daß zum ersten Mal in Italien dem Laien wie dem Berufsphilosophen und selbst dem Hegelkenner ein Text zugänglich wird, der bis vor wenigen Jahren nur ausgewählten Forschern bekannt war (das gilt leider noch für andere Mitschriften aus den Jahrgängen 1826 und 1828/29, die aber in den nächsten Jahren nach und nach veröffentlicht werden). Andererseits wird diese Veröffentlichung das Interesse der italienischen Philosophen an Hegels Ästhetik wiederwecken, da diese Publikation die Autorität und die Zuverlässigkeit Hegels edierter Ästhetik und der Forschungsarbeiten, die ausschließlich auf dieser fundieren, scharf in Frage stellt. Durch die Übersetzung der Mitschrift

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Hothos ins Italienische stellt also Paolo D‘Angelo klar, daß nun auch außerhalb Deutschlands die Notwendigkeit eines Vergleichs der neuen Quellen zu den Hegelschen Vorlesungen über die Ästhetik mit der bisher bekannten, aber problematischen Grundlage, auf die sich bis heute die meisten Forscher gestützt haben, besteht, um dadurch zu überprüfen, inwiefern sie miteinander korrespondieren oder voneinander abweichen. Francesca Iannelli (Roma/Hagen)

Bernard Bourgeois: L’idéalisme allemand. Alternatives et progrès. Paris: Libraire philosophique J. Vrin 2000. 321 S. (Bibliothèque d’histoire de la philosophie) Auch wenn Bourgeois den Ausdruck „Deutscher Idealismus” für problematisch hält, gibt er in diesem Buch zu, daß er ein Fundament hat, und er rechnet Kant dazu. Die Unterschiede zwischen letzterem und Fichte, Schelling und Hegel entwickeln sich innerhalb einer gemeinsamen Weise zu philosophieren, die mit Kant begonnen hat und die „ne lui fait accueillir un contenu que […] comme une détermination du penser requise par la réflexion en soi ou identité vivante à soi – le Je o le Moi – en laquelle ce penser se saisit comme l’être à l’origine de tout sens, comme ce qui pense tout être en se pensant soi-même.” (8) Hieraus geht eine neue Auffassung des Seins hervor: „la réalisation de ce qui est d’abord une idée”. (8) Dieses „idealistische” Bewußtsein des Seins „devient consciente d’elle même, en son identité réflexive à soi par là même prototypique de tout être affirmé, comme origine subjective ou spirituelle de l’être naturel ou objectif”. (8) Entweder handelt es sich um eine endliche und relative Ontologie, oder um eine absolute naturalisierte Ontologie oder um den absoluten Geist. Diese grundlegenden Elemente erlauben, jedes philosophische System auf das vorige als dessen Vertiefung und Radikalisierung zu beziehen „de ce qu’elle s’évertue d’abord à combattre et à réfuter”. (8) Aus der Perspektive eines Wissens, das die Identifikation von Gedanke und Wirklichkeit akzeptiert, stellt der Verlauf der Bewegung hingegen eine „progression continue“ (8) dar. Aus der Perspektive, die diese Identifikation nicht akzeptiert, kann man hingegen von „Regression” (9) sprechen. Das bisher Erwähnte bestimmt die Zuordnung der Kapitel zu zwei Oberbegriffen, „Duels” (Teil 1) und „Parcours” (Teil 2). Der erste Teil konzentriert sich auf die Gegensätze innerhalb des Deutschen Idealismus, der zweite Teil auf dessen Entwicklung. Als Grundlage der Kontinuität, die dem Ausdruck „Deutscher Idealismus” das Fundament gibt, findet sich nach Bourgeois das Cartesianische Cogito. Das erste und letzte Kapitel unterstreichen diesen Einfluß. Der Autor definiert das Cogito als „la pensée – philosophique – du penser se pensant lui-même et, par cette réflexion originaire, s’affirmant

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comme un sujet que la réflexion dérivée du philosophe peut alors même exprimer comme un ‘Je’”. (13) Das erste Kapitel Cogito kantien et cogito fichtéen stellt die Implikationen des Cartesianischen Cogito in den Philosophien Kants und Fichtes dar. Einerseits ist das „Je pense” nach Kant eine Vorstellung, die alle Vorstellungen begleiten können muß, weil nur sie diese möglich macht, mit anderen Worten ist sie Bedingung aller Gedanken – „penser, c’est toujours aussi se penser” (24); andererseits macht das „Je pense“ wegen seiner Absolutheit die übrigen Gedanken notwendig, d.h. in determinierter Weise, „penser, c’est toujours d’abord se penser” (Fichte). Für Kant gibt mir das Selbstbewußtsein keine Erkenntnis darüber, was ich bin. Das „Je pense” hat nur den epistemischen Status einer unbestimmten Wahrnehmung. Noch weniger kann ich die übrigen Erkenntnisse durch Analyse des „Je pense” erhalten; der menschliche Verstand ist endlich und behauptet das „Je pense” nur in dem Maß, in dem er eine empirisch bestimmte Einsicht behauptet. Kant gelangt zu folgendem Paradox: „Ou bien le sujet s’affirme dans l’être, mais pas comme sujet (theoretische Vernunft), ou bien il s’affirme comme sujet, mais pas dans l’être (Ich soll, praktische Vernunft)”. (19) Fichte wird versuchen, auf das Problem der „jonctions des deux Moi” (19) mit seiner These der angeborenen Selbstgegenwart des Subjekts als Subjekt zu antworten und auf diese Weise die Erkenntnismöglichkeit des Cogito wiederzuerlangen. Im zweiten Kapitel Anthropologie kantienne et anthropologie hégélienne nimmt Bourgeois als Kriterium das Verhältnis von Vernunft und Empfindung (Natur) unter dem praktischen Gesichtspunkt. Beide Ansätze haben „Befreiung” als Ziel; beide verstehen diese als Herrschaft der Vernunft über die Natur. Diese Herrschaft wird aber unterschiedlich aufgefaßt. Kant geht von einem scharfen Dualismus zwischen Vernunft und Natur aus; der menschliche Leib stellt keinen Unterschied zu dem eines Tieres dar. Hegel geht von einer ursprünglichen Einheit zwischen rationaler Freiheit und sinnlicher Natur aus; „l’esprit, en tant que milieu ontologique de l’existence humaine, imprègne toutes les déterminations naturelles”. (38) Kant postuliert die Aufhebung des Dualismus, aber existenziell zeigt sich seine Einstellung in einer konstanten Askese und Vorsicht gegenüber dem Egoismus (militante Vernunft); bei Hegel zeigt sich die Befreiung im Kampf für die Humanisierung der Natur (triumphierende Vernunft). Zum Beispiel entdeckt Hegel die Leidenschaft, die Kant mit Mißtrauen sieht, und schreibt ihr aus geschichtlicher Sicht eine Schlüsselrolle zu. Kurz, während Kant die menschliche Endlichkeit entscheidend berücksichtigt, legt Hegel – ohne die Endlichkeit des Individuums zu leugnen – den Nachdruck auf die Unendlichkeit der Menschheit aus geschichtlicher Perspektive. (40) Auch der Staat ordnet sich nach beider Meinung in Funktion der äußeren Verwirklichung der menschlichen Freiheit. Aber hinsichtlich ihrer Konkretisierung gibt es große Unterschiede, die im dritten Kapitel Ou Kant ou Hegel: choisir en philosophie (politique) zur Sprache kommen: in Bezug auf die Konzeption der Freiheit, auf die Funktion des gesellschaftlichen Lebens für deren

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Realisierung, auf das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Recht und bezüglich anderer Punkte. Für beide Denker ist es die Existenz des Staatsbürgers (Pflichten/Autorität des Staates), die die Existenz des Menschen (Rechte/Freiheit des Individuum) gewährleistet; aber für Kant, „c’est l’affirmation, en l’individu, de sa libre humanité, qui fonde celle de l’État”, für Hegel hingegen „le droit de l’État fonde celui de l’individu”. (56) Da das Hegelianische System die Rolle der Institutionen und im allgemeinen der Zivilgesellschaft anerkennt, wird das Individuum hier mehr geschützt gegen die eventuelle staatliche Willkür als im Kantischen System. (51) In Bezug auf das politische Problem der Freiheit legt Kant den Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Normativität; Hegel schenkt hingegen dem mehr Aufmerksamkeit, was er bereits für eine Verwirklichung der Freiheit und ihrer Bedingungen hält. Die Freiheit ist damit der Begriff, der in den beiden Philosophien auf je andere Weise die Geschichte artikuliert, wie im vierten Kapitel Art de la nature et ruse de la raison erläutert wird. Im Einklang mit der Interpretation des Kantischen Essays Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) durch A. Renouts (Le Système du droit: Philosophie et droit dans la pensée de Fichte. Paris: PUF 1986. 60 f.) gibt es zwei sich ausschließende Anschauungen der geschichtlichen Dynamik hinsichtlich des Problems der Einrichtung einer rechtmäßigen Gesellschaft: einen „praktischen Pessimismus” neben einem „quasi-theoretischen Optimismus”. Laut Kant braucht der Mensch einen Herrn, der seine Freiheit begrenzt, um andere zu respektieren. Weil aber dieser ebenfalls einen anderen braucht, führt dies in einen unendlichen Regreß – es sei denn, es fände sich jemand, der Herr seiner selbst ist. Die „Idee” kann nur ein Ideal sein, das ganz und gar zu realisieren der Mensch nie sicher sein kann: praktischer Pessimismus. Der „theoretische Optimismus” gründet sich hingegen auf die Forderung einer Naturabsicht, die die geschichtliche Dynamik führt. In Zum ewigen Frieden (1795) wird dieser Optimismus bestätigt; nach dem Zusatz Von der Garantie des ewigen Friedens macht die „große Künstlerin Natur” mittels der Zwietracht „de nous ce que nous devrions faire, mais ne faisons pas, de bons citoyens pacifiques, et cela en développant le mécanisme naturel du jeu conflictuel des égoïsmes”. (64) Die Hypothese eines Volks von Teufeln bestätigt dies. In der Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nichts für die Praxis (1793) bemerkte Kant bereits: „Denn eben die Entgegenwirkung der Neigungen, aus welchen das Böse entspringt, unter einander verschafft der Vernunft ein freies Spiel, sie insgesamt zu unterjochen und statt des Bösen, was sich selbst zerstört, das Gute, welches, wenn es einmal da ist, sich fernerhin von selbst erhält, herrschend zu machen“. (Teil III) Das Gute entstehe aus der „Negativität selbst des Negativen”, aus dem selbstzerstörerischen Bösen. Können wir nicht, wenn wir Hegels Definition der List der Vernunft in § 209 der Enzyklopädie (1830) bedenken, das, was Kant unter Naturkunst versteht, mit der List der Vernunft gleichsetzen? Bourgeois antwortet mit „nein”, vor allem aus vier Motiven: 1. Nach Kant

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will der Mensch „die Eintracht”, d.h. gegenüber der „ungeselligen Geselligkeit” ist die Geselligkeit fundamentaler (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Vierter Satz). 2. Ohne die Moral kann sich die Republik nur „mit viel Ungemächlichkeit” (Erster Zusatz) konstituieren, und ihre „instauration est sans solidité”. (68) Deshalb schwankt nach Bourgeois Kants Auffassung nicht; vielmehr behauptet Kant eine Mitwirkung der Natur in der Verfolgung des moralischen Zwecks: „Bref, l’auto-négation du négatif (du mal) n’est pas, comme telle, dans le kantisme, la position du positif (du bien)”. (69) 3. Mit der Unterscheidung zwischen den „Gebieten” (Natur und Freiheit) und deren gemeinsamem „Boden” (Geschichte) (Einleitung zur Kritik der Urteilskraft (1790)) erlaubt die Kantische Rationalität keine Erkenntnis einer ursprünglichen Einheit von Freiheit (Gegenstand der praktischen Vernunft) und Natur (Gegenstand der theoretischen Vernunft). (69 f.) 4. Die praktische Vernunft würde sich selbst aufheben, weil ihr Wert eigentlich in der Autonomie liegt. (70) Aber was ist genau nach Hegel die Rolle der List der Vernunft in der Geschichte? 1. Hegel setzt eine innere Einheit zwischen Freiheit und Natur voraus. Diese sind einfache Momente der Geschichte als Manifestierung des Absoluten. 2. Die Handlungen des einzelnen stellen die Veräußerlichung des Absoluten dar; der einzelne will aber ihre Handlung. Die Dynamik der Geschichte verwirklicht sich nur durch die individuellen Interessen; diese können sich aber nur in dem Maß Raum schaffen, wie der allgemeine Verlauf der Welt es ihnen erlaubt. 3. Dies gilt besonders für die großen Persönlichkeiten der universalen Geschichte: „Ils ne logent pas leur intérêt personnel dans le contenu privé de leur bonheur […] mais dans la satisfaction formelle de leur vouloir héroïque d’un but universel”. (72) Diese „praktischen Menschen” wissen nicht, daß sich durch ihre Handlung die Idee vergegenwärtigt, aber sie „appréhendent de façon mondaine les exigences de la raison historique”. (72) Die List der Vernunft bedeutet für Hegel also nicht die Verteidigung oder die Gewährung der Willkür. 3. Der von Hegel selten verwendete Ausdruck „List der Vernunft” bezieht sich nur auf die Objektivierung in der Handlung; ist noch nicht die Wahrheit des Begriffs. Er entspricht nur dem Moment der Entfremdung der Vernunft, wenn sie Natur wird. Deshalb ist die Vernunft in ihrer „List” retrospektiv zu begreifen. Vielleicht ist es dieselbe persönliche geschichtliche Erfahrung von Hegel – „désolé par la poursuite des troubles politiques en 1830 […]” (74) –, die ihn dazu bringt, die Reichweite zu begrenzen. Die vollkommene Versöhnung der Vernunft entspricht dem philosophischen Wissen, dem spekulativen Leben, nicht dem objektiven Geist. Das Opfer – wesentliches und bei Kant sehr gegenwärtiges Moment der Moral – findet sich auf dem Urgrund der Idee; die Objektivierung selbst ist Opfer. (74) Bourgeois bemerkt zum Abschluß, daß dieses Thema „de l’art de la nature et de la ruse de la raison ne permettent de rapprocher, sinon fort superficiellement, Kant et Hegel”. (78) Aber es zeigt sich dadurch, wie Kant und Hegel „ont, différemment, mais aussi in-

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tensément, respecté les exigences de l’affirmation totalement responsable de la raison, même dans le champ où semble régner la déraison”. (78) Mit dem fünften Kapitel Savoir et foi: réconciliation hégélienne contre conciliation kantienne endet der mit „Duels” überschriebene Teil. Die ersten drei Kapitel des zweiten Teils beziehen sich auf die Idee des Systems (VI) als Ideal der Philosophie und ihr wissenschaftliches Merkmal, auf die Vorstellung des lebenden Organismus (VII) als Modell für die Vernunft und schließlich auf die Frage nach dem Wesen der Schönheit und nach dem Verhältnis zwischen der Schönheit der Natur und der Schönheit der Kunst (VII). Nach Bourgeois wird zwischen Kant und Hegel „la sphère complète de la justification philosophique possible de l’expérience du beau” bestimmt. (148) Die Kapitel IX bis XIV beschäftigen sich mit dem Problem der kulturellen und historischen Identität eines Volks und ihrer politischen Ausprägung. Den Bezugspunkt des Deutschen Idealismus bildet die Französische Revolution und ihre philosophische Grundlage. Dies drückt Bourgeois in provokativ erscheinender Form aus: „La philosophie qui a eu, non seulement pour objet – comme la philosophie allemande – mais d’abord pour sujet, la Révolution française, s’est, en effet, développée autour d’une idée de la nation qu’on ne retrouve ni chez Kant, ni chez Fichte, ni chez Hegel.“ (161) Kapitel IX (La culture et l’étranger) behandelt ein brisantes Thema: das Problem der Staatsangehörigkeit des Ausländers und ihres Fundaments. Die revolutionären Begriffe der Staatsangehörigkeit und der Nation (Kapitel XII: La nation: révolution et raison) werden definiert durch „une unité nationale issue du rassemblement volontaire d’individus qui font abstraction de toutes les différences réelles ([…] en un mot: culturelles) qui les conditionnent, et se posent, ainsi librement, tout simplement comme des hommes”. (161) Die deutschen Denker finden eine solche Abstraktion jedoch unmöglich. Es gibt geistige Unterschiede, die sich in nationalen Unterschieden konkretisieren. Der Staat ist der politische Ausdruck eines Volks; nur wer die Kultur des Volkes annimmt, kann die volle Staatsangehörigkeit genießen. Diese kulturellen Unterschiede sind nicht negativ zu bewerten. Die Dynamik der Geschichte setzt vielmehr eine Vielfalt von Staaten voraus, die sich im Konflikt befinden, und eine solche Vielfalt setzt diese Unterschiede voraus. Das zehnte Kapitel (Les droits de l’homme) betont erneut das geschichtliche Bewußtsein des Deutschen Idealismus im Verhältnis zu den französischen Revolutionären in Bezug auf das Problem der Realisierung der Rechte. Bourgeois untersucht im elften Kapitel (Société et État) das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat in der politischen Theorie des Deutschen Idealismus. Er hebt hier Hegels Anerkennung der Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verwirklichung der Freiheit hervor. Das dreizehnte Kapitel (Philosophie de l’Europe) prüft die Thesen von J. Nurdin (L’idée d’Europe dans la pensée allemande: L’Europe bismarckienne. Lille: éd. Universitaires 1978.) und von H. Gollwitzer (Europabild und Europagedanke: Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhun-

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derts. München: Beck 1964. 2., neubearb. Aufl.), nach welchen der deutsche Europagedanke der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts großenteils aus der Philosophie Kants, der Romantiker, Fichtes und Hegels entstammt. (205. Vgl.: Nurdin: A.a.O. 19.) Bourgeois möchte diese These widerlegen. Zu Beginn des Kapitels stellt er, hauptsächlich anhand von Zitaten aus den beiden Büchern, die deutsche Europaidee des 19. Jahrhunderts dar. In der zweiten Hälfte des Kapitels rekonstruiert er Kants, Fichtes, Schellings und Hegels Auffassung über Europa, für die „l’éloge philosophique de l’Europe n’est rien d’autre que l’éloge de la philosophie par elle même”. (213) Nach Bourgeois kann der Europazentrismus und Germanozentrismus von Kant bis Hegel „jamais autoriser une quelconque politique exclusiviste de puissance”. (213) Gemeinsam ist jenen Denkern die Auffassung, daß sich die europäische Einheit keinesfalls in Form eines einzigen Staates artikulieren darf, sondern daß sie eher eine Konföderation bilden sollte. Im vierzehnten Kapitel Philosophie de l’histoire mondiale analysiert der Autor, wie die Französische Revolution das neuerliche Aufblühen der Geschichtsphilosophie ab Kant motiviert. Die Kapitel XV und XVI (De l’agir à l’action, Politique et spéculation) greifen Bergsons Bemerkung seines Buchs La philosophie française auf, wonach zwei französische Denker den Deutschen Idealismus beeinflußt haben sollen (271): Descartes in der theoretischen und Rousseau in der praktischen Philosophie. Descartes legt eine Philosophie ohne politische Philosophie vor. Rousseau legt kein metaphysisches Fundament für seinen Freiheitsgedanken vor. Es ist bemerkenswert, wie sich diese Verbindung ergibt. Zunächst stellt der Autor einen parallelen Einfluß fest: „ […] Descartes et Rousseau ont réellement libéré, l’un le penser, l’autre l’agir […]”. (253) Aber der Einfluß verläuft nicht nur parallel; es gibt eine neue Synthese, die bei Kant mit dem häufigen Gebrauch der politischen Metapher zur Erklärung der konstruktiven Rolle des Subjekts in der Erkenntnis beginnt. Dieser Aspekt vertieft sich bei seinen Nachfolgern: „la vérité se libère philosophiquement: la raison, d’abord théorique, se fait subjectivement liberté, tandis que la liberté s’avère politiquement: la liberté, d’abord pratique, se fait objectivement raison”. (271) Im Rest des Kapitels betont Bourgeois eher die idealistischen Überlegungen über das Verhältnis von Philosophie und Politik. Im siebzehnten Kapitel L’Esprit et les esprits bewertet der Autor den Verlauf der Metaphysik des Subjekts von Kant zu Hegel als Fortschritt. (290) Im letzten Kapitel Retour sur l’origine: la reconnaissance spéculative de Descartes untersucht Bourgeois die Bezugnahmen der Deutschen auf Descartes. Zum Beispiel erwähnt Kant in der kurzen Geschichte der reinen Vernunft am Ende der Kritik der reinen Vernunft nicht direkt Descartes. Die Kommentare Schellings sind fast immer kritischer Natur. Lediglich Hegel erkennt ihm mehr Geltung zu, sogar als „Held” der Geschichte der Philosophie; trotzdem unterstreicht er eher den geschichtlichen als den philosophischen Aspekt. Wenn Bergson behauptet, „l’action de penser est première: voilà le cogito cartésien. Tout

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l’idéalisme moderne est sorti de là, en particulier l’idéalisme allemand” (A.a.O.), warum ist Descartes dann nicht genügend bei diesen Denkern anerkannt, außer gewissermaßen bei Hegel? Was der Deutsche Idealismus bei Descartes schätzt, ist folgendes: „Elle ne se contente plus à être une pensée de l’être, une ontologie, elle pense l’être en tant que pensée et a donc pour objet et contenu l’ontologie elle-même, ou l’identité de l’être et de la pensée, c’est-àdire, la vérité”. (308) Sie kritisieren: 1. „cette naïveté non critique qui fait reposer le lien affirmé de la pensée et de être, de l’idée et de la réalité, de la subjectivité et de la objectivité, sur la seule pensée, idéalité ou subjectivité, qui fait absorber la vérité dans la certitude”. (309) Ein Beispiel ist der Vorwurf, den Kant an Descartes wegen seiner Identifikation des Wirklichen mit dem Möglichen richtet; wenn dieser z.B. die Physik auf die Mathematik zu verringern versucht oder die Existenz auf ein Prädikat des Wesens reduziert. 2. Besonders für Schelling und Hegel zerstört die Cartesianische Ordnung die wahre Ordnung, weil sie subjektiven Motiven folgt und nicht der Logik des Gegenstands. In diesem Sinn a) sind sie nicht einverstanden mit dem Cartesianischen Zweifel, weil dieser einen willkürlichen Weg verfolgt, und b) sei die Ordnung der Begründung der Gegenstände letztendlich empirisch, wie Hegel bemerkt. (311) Bourgeois entwickelt die Auffassung dieser Denker über Descartes bezüglich der Auswirkungen des „Je pense” sowie des ontologischen Arguments der Existenz Gottes. Hegel akzeptiert vor allem die Identifikation des Seins mit dem Gedanken, des Subjekts mit dem Objekt, aber er behauptet, daß die unmittelbare Feststellung nicht ausreicht, sondern vielmehr der ganzen Entwicklung bedarf, welche die Enzyklopädie darstellt. Nach Hegel „la révolution cartésienne fut sans doute la plus considérable de l’histoire de la philosophie […] affirmant l’identité suprême des extrêmes opposés, à savoir identité pensante de la pensée et de l’être […]. […] cette auto-position, dans la pensée, de l’essence universelle comme le Soi singulier fut, en philosophie, l’équivalent de l’affirmation religieuse de l’Incarnation. L’idéalisme allemand ne pouvait ainsi, à travers Hegel, rendre un plus bel hommage à Descartes”. (317) Es ist zweifelhaft, ob Descartes mit einer solchen Huldigung einverstanden gewesen wäre. Bourgeois stellt eine starke Verbindung zwischen Descartes und dem Deutschen Idealismus (Kant inbegriffen) her, dank einer besonderen Interpretation des Cogito. Diese Interpretation ist jener sehr nahe, die Hegel selbst von Descartes vorlegt. In Bezug auf Rousseau ist die Beziehung, die Bourgeois zwischen seiner politischen Theorie und der Erkenntnistheorie der deutschen Denker feststellt, eine Einladung zu einer fruchtbaren Weiterentwicklung. Der Autor benutzt häufig das Adjektiv „revolutionär”. Es scheint das wichtigste und höchste Kriterium seiner geschichtlichen Bewertung zu sein. Seine Definition dieses Worts ist indirekt bereits in den erwähnten Begriffen der Staatsangehörigkeit und Nation dargestellt. (Sie offenbart eine ähnliche Anschauung wie jene Rousseaus und in der Gegenwart Rawls.)

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Obwohl das Buch eine Anthologie ist, bilden die Kapitel eine enge organische Einheit. Sie folgen nicht einer künstlichen Ordnung. Daher wäre es nützlich, wenn das Buch ein Schlußwort enthielte. Bourgeois hat sorgfältig über die großen Themen von Kant bis Hegel nachgedacht und legt eine Geschichte dieser Periode nicht nur bezüglich ihrer Entwicklung vor, sondern stellt auch einen Vergleich an. Er konfrontiert die besprochenen Autoren miteinander, als ob sie untereinander einen Dialog führten. Außerdem läßt er sie in Bezug auf Themen zu Wort kommen, denen die Denker kein eigenes Kapitel gewidmet haben, wie etwa den Europagedanken. Bourgeois gibt Anlaß, diese Themen auch in anderer Weise zu durchdenken. Er bezieht Gedanken Kants, Fichtes, Schellings und Hegels auf aktuelle Probleme, wie z.B. die Frage der Staatsangehörigkeit, der europäischen Identität usw. Martín H. Sisto (Bochum/Buenos Aires)

Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Hegel. Die Vollendung der abendländischen Metaphysik. Herausgegeben von Herbert Edelmann. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998. 147 S. Der Band gibt eine Vorlesung wieder, die Volkmann-Schluck (1914–1981) im Sommersemester 1979 an der Universität zu Köln gehalten hat. Sie interpretiert zunächst die Differenzschrift, geht dann über zur Phänomenologie des Geistes („Der Entwurf des Ganzen der Philosophie“ [73–132]) und endet mit Auslegungen zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften („Das System des Wissens als Problem“ [133–146]) – ohne der Wissenschaft der Logik gesonderte Aufmerksamkeit zu gönnen. Volkmann-Schlucks Ausführungen zur Differenzschrift beziehen sich ausschließlich auf ihren ersten programmatischen Teil, „Mancherlei Formen, die beym jetzigen Philosophiren vorkommen“, der die systematische Entwicklung der isolierten zur philosophischen Reflexion thematisiert. Ausgehend von Hegels im Abschnitt „Geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme“ erörterten Diktum, die Aufgabe der Philosophie bestehe darin, „Endlichkeiten des Bewußtseyns […] zu überwinden, und das Absolute im Bewußtseyn zu konstruieren“, zeichnet Volkmann-Schluck zunächst minutiös Hegels den spekulativen Einheitsgrund der Vernunft rekapitulierendes, damals jedoch bereits von Schelling abweichendes (was unverstanden bleibt [71 f.]) Konzept nach, demgegenüber die lediglich sondernden Strategien der von Hegel so begriffenen Reflexionsphilosophien (Kant, Fichte, C. G. Bardili [der ungenannt bleibt] und Reinhold) in ihrem Bestreben, sich mit dem Absoluten in eins zu setzen, unterlegen sind. Die seit Platon und Aristoteles gesuchte, jedoch nur in Ansätzen enthüllte Wissensstruktur des Absoluten sieht Volkmann-Schluck erst von Hegel letztgültig, weil in ihrer Vollständigkeit gefun-

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den: „Im Wissen ist nicht nur das präsent, was die Sache ist, sondern im Wissen ist auch das Wissen sich selbst als Wissen präsent.“ (42) Wenn im sechsten Abschnitt „Die Entfaltung der Philosophie zum System“ (66–72) (vgl. „Verhältniß des Philosophirens zu einem philosophischen System“) allerdings bemerkt wird: „Nur dann, wenn beide Entgegengesetzte, das Subjekt sowohl wie das Objekt, als Subjekt-Objekt gesetzt werden, sind sie mit dem Absoluten vereinigt“ (66), bleiben die im weiteren Verlauf unternommenen Interpretationen der doppelten Problematik ausgesetzt, ob VolkmannSchluck einerseits hier nicht dem Begriffsrealismus erliegt, ihm einen ontischen Status, dessen Grund die beschriebene Vereinigung überhaupt erst ermögliche, zu verleihen, oder ob nicht andererseits die Figur der vereinheitlichenden Entgegensetzung von Subjekt und Objekt selbst schon die Form des absoluten Inhalts zu erfüllen vermag. Die Ausführungen zur Phänomenologie sind gegliedert in „1. Erörterung einiger Grundbegriffe Hegels aus der ‚Vorrede‘ zur ‚Phänomenologie des Geistes‘“, „2. Die ‚Einleitung‘ in die ‚Phänomenologie des Geistes‘“, „3. Die sinnliche Gewißheit“ und „4. Die Wahrnehmung oder das Ding und die Täuschung“. Auch hier sucht der Leser vergeblich einen vollständigen Zugriff auf das behandelte Werk. In 1. bezieht Volkmann-Schluck Hegels bekannte Verhältnisbestimmung von Subjekt und Substanz auf die in der Folgezeit besonders von Heidegger betonte Unterscheidung von hypokeimenon und ousia und macht zunächst auf den einfachen, in Exegesen jedoch nicht selten verschwindenden Tatbestand aufmerksam, daß die Phänomenologie das Wahre „nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken“ (GW 9, 18) unternimmt. Daß diese Modifikation jedoch zur Aufgabe des Systems insgesamt gehört, wird nicht erörtert. VolkmannSchluck betont zurecht die Substanz als das noch nicht als Subjekt begriffene Subjekt und erklärt, wie Hegels Behebung dieses Mangels die bisherige ontologische Metaphysik, deren Kern die platonisch-aristotelische Substanz (ousia), der „Wesensbestand des Seienden“ (74), bilde, zu überbieten vermag, indem bereits hier die (allerdings erst in der Wissenschaft der Logik explizierte) Unterscheidung von Subjekt und Subjektivität ermöglicht wird, denn Subjekt hat hier nicht die Bedeutung von Subjektivität, die der Objektivität gegenübersteht: „Der Name ‚Subjekt’ nennt hier das Absolute selbst in seinem wahren Wesen. Der Gegenbegriff zu ‚Subjekt’ ist hier nicht etwa ‚Objekt’, sondern der Begriff der Substanz, als deren Wahrheit sich im Denken Hegels das Subjekt erweist. […] Der Name ‚Subjekt’ nennt also das sich nach jeder Hinsicht wissende Bei-sich-selbst-Sein.“ (74 f.) Diese notwendige Verlebendigung einer je schon ‚selbstbewußten‘ Substanz führt nach Volkmann-Schluck geradewegs zu Hegels Geistbegriff: sich von sich trennen und anders werden, um im anderen bei sich einzukehren. Die wahre, d.h. kraft einer Philosophie der Negation (oder hinsichtlich des Ich: der Philosophie der Reflexion des Sich-auf-sich-Beziehens als Ausschluß alles anderen) gesättigte Substanz ist die „Sich-selbst-Gleichheit“, die durch das „Sich-

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ungleich-Werden“ (78) hindurchgegangen ist. Zu diesem wahren Selbst gehört demnach die „Unwirklichkeit seiner selbst“. (78) Volkmann-Schlucks anschließende Erörterungen zum sog. spekulativen Satz Hegels, der aus der Not der alten Begriffslogiken erwachse, betreffen die dialektische Satzbewegung vom Subjekt zum Prädikat und von dort wieder zurück. Diese rückläufige Bewegung bewahre vor einem Rückfall in den alten Wesenssatz. Der spekulative Satz (dessen Aussage darin bestehe, das Absolute sei wesentlich Geist) enthalte in Wahrheit drei Sätze: Der erste besagt sein An-sich-Sein (oder „das sich Verhaltende“), der zweite sein Fürsich-Sein und der dritte mit dem An-und-für-sich-Sein „die geistige Substanz“, sein wesentliches Einheitsmoment. Allerdings handele es sich hierbei noch um Reflexions- oder Denkbestimmungen, deren letztliche Überführung in das Element des Geistes „als Gegenstand des Wissens des Geistes selbst“ (85) eben der Phänomenologie aufgegeben sei, denn „erst der sich als Geist wissende Geist ist der wahrhafte Geist.“ (Ebd.) Erst dergestalt sei eine Verabschiedung alter Substanz-Philosophie möglich. In Form dieser Verflüssigung des Gedankens zum Begriff einer geistigen Wesenheit, der den Gegenstand und sich selbst als seinen letztlich allein wahren Gegenstand umgreift, ergebe sich das Absolute als Einheit von Identität und Verschiedenheit und werde zugleich die Konzeption eines Systems des Wissens, das „Vollständigkeit“ (90) in der Sphäre des Sich-selbst-Erkennens im Anders-Sein impliziert, ermöglicht. Volkmann-Schluck erkennt in der in Hegels ‚Einleitung’ zur Phänomenologie mit dem Maßstab des Wahren vorgenommenen Selbstprüfung des Bewußtseins, d.h. im „Gespräch“ (94) des philosophischen mit dem natürlichen auf der Stufe des natürlichen Bewußtseins, Dialektik. (98) Die Phänomenologie entlarvt die Unterscheidung von Begriff und Gegenstand als Bewußtseinsleistung. Doch nicht genug, daß Volkmann-Schluck die Beweggründe für Hegels Wendung vom Geist zum Bewußtsein in den Begriff der Vorstellung (90) verlegt, der bei Hegel hier aber gänzlich unthematisch bleibt; darüber hinaus verschleift er Hegels Unterscheidung der Begriffe Bewußtsein und Selbstbewußtsein – bekanntermaßen eine Differenz, deren philosophische Legitimierung die Phänomenologie aufwendig inszeniert (Volkmann-Schluck zitiert Hegel nämlich wie folgt: „Die Philosophie verlangt von dem Bewußtsein [bei Hegel steht „Selbstbewußtseyn“! (GW 9, 23)], ‚[…] daß es in diesen Äther sich erhoben habe‘“ (90)). Immerhin wird Hegels dreischrittige Lösung des Problems, ob der Prüfungsmaßstab (d.h. das Wahre) nicht bereits vor dem Prüfungsgang bekannt sein müsse, mit Hinweis auf Aischylos‘ Agamemnon auf der Basis einer akkuraten Analyse des Bewußtseinsbegriffs, der dem Leser in Hegels Buch wirklich begegnet, eingängig nachvollzogen. (94– 104) Den Charakter einer „Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins“ erhält die Phänomenologie dadurch, daß jede Bewußtseinsgestalt samt deren Genesen des Wissens als in sich notwendig aufgewiesen werden. Die Phänomenologie deskribiert nicht. Hier sind natürliches Bewußtsein und spe-

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kulative Wissenschaft zwar schon vermittelt, gewährleisten jedoch noch nicht die Verschränkung von Wissen und Sein: „Die Phänomenologie ist die Darstellung des sich erscheinenden Geistes in seinem Sich-Erscheinen. Die Logik ist die Darstellung des Geistes in seinem Wesen, eben als des im anderen bei sich Seienden.“ (105) Die Phänomenologie als erster Teil der Philosophie habe, so Volkmann-Schluck, gezeigt, „daß das natürliche Bewußtsein in all seinen Gestalten nur das erscheinende und nicht das wahre Wissen ist. […] Das absolute Wissen erweist sich als die Wahrheit aller Weisen des Bewußtseins.“ (106 f.) Hier entsprechen sich Wissen und Gegenstand. „Die eigentliche Wissenschaft setzt somit die Phänomenologie des Geistes voraus, den Gang der Prüfung des Bewußtseins, an dessen Ende die Befreiung von dem Gegensatz des Bewußtseins steht“. (107) Letztlich gehe es um den Begriff, der sich selbst begreift, der keinen Unterschied mehr mache zwischen dem Gegenstand und dem Wissen darum: Es gehe um den absoluten Begriff. Diesen absoluten Begriff halte Hegel für den Gegenstand der eigentlichen Philosophie, sprich der neuen Logik, die „die unbedingte Entsprechung von Gedanke und Sache, die unbedingte Entsprechung zwischen Begriff und Sein“ (108) zur Darstellung bringe. Hegels philosophisches Thema ist diese sich wissende Einheit seiner und des Gegenstandes: das Absolute, das sein Wesen im Wissen des Geistes hat, „das Sein dessen, was ist“. (109) Diese Formulierungen lassen Volkmann-Schlucks ontologisierende, an Heidegger orientierte Interpretation erkennen. Die folgenden Kapitel „3. Die sinnliche Gewißheit“ (110–120) (deren Analyse der Begriffe Wissen und Ansicht oder Meinung auf Platons, insbesondere jedoch auf Aristoteles’ im VI. Buch der Nikomachischen Ethik vorgenommene Unterscheidung von doxa und episteme bezogen wird) und „4. Die Wahrnehmung oder das Ding und die Täuschung“ (120–132), dessen große Leistung Volkmann-Schluck in der „Konstitutionsanalyse“ (121) des Gegenstands der Wahrnehmung zum Ding mit Eigenschaften erblickt, bieten plastische, aber keine originellen Darstellungen der entsprechenden Partien aus der Phänomenologie. Der „III. Teil: Das System des Wissens als Problem“ (133–146) untersucht zunächst die in neuerer Zeit vielfach problematisierte These, Hegel habe ein vollständiges philosophisches System des Wissens entwickelt. Mit Recht widerspricht dem Volkmann-Schluck: Hegel habe „die möglichst an das System angenäherte Enzyklopädie an seine Stelle treten lassen.“ Ihre Dreiteilung in „Logik“, „Naturphilosophie“ und „Philosophie des Geistes“ zeige vor allem, wie sich Hegels System im Vergleich mit seinen früheren Planungen gewandelt habe: In der Enzyklopädie taucht (stark reduziert) die Phänomenologie des Geistes in der Lehre vom subjektiven Geist wieder auf – und nicht im absoluten Geist, der ja die Objektivität mit umfaßt. Hegels „Notiz zur Überarbeitung des Werkes von 1807“ (GW 9, 448), in der das Ganze der Phänomenologie des Geistes rückschauend aus Sicht der Enzyklopädie als ein „Voraus, der Wissenschaft“ bezeichnet wird, das in der „Vorrede“ das damals herrschende „ab-

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stracte Absolute“ (d.h. einen Begriff des Absoluten, der dem Endlichen nur entgegensteht, ein Jenseits des Endlichen ausmacht) entwickelt, nehme dergestalt, so Volkmann-Schluck, die neuzeitliche Trennung auf, die die Kantische Philosophie in das Denken eingeführt habe. Nun könne sich das Absolute im System der Wissenschaft ausbreiten. Das Absolute der Phänomenologie des Geistes habe notgedrungen abstrakt bleiben müssen, da der Standpunkt des Bewußtseins niemals über die Entgegensetzung seiner gegen den Gegenstand hinauskomme, immer nur das Für-das-Bewußtsein-Sein des Gegenstandes von seinem An-sich-Sein als dem Wahren unterscheide. Das Wahre bleibe stets ein Jenseits seiner selbst: „Die Herrschaft des abstrakt Absoluten – oder die Philosophie des Bewußtseins – ist die unfreie, gegebene Seite der Hegelschen Philosophie.“ (137) So gesehen könne die Phänomenologie kein Teil des Systems sein, „in welchem sich ja das Absolute in seiner Freiheit und Ganzheit und Totalität uneingeschränkt darstellt.“ (137) Volkmann-Schluck bemerkt zwar, daß die Phänomenologie die philosophische Situierung des Bewußtseins als Beginn der Neuzeit – und damit „nur eine bestimmte geschichtliche Phase“ (140) – beschreibe; doch seine Identifizierung von Absolutem und Seiendem erhellt erneut die Strategie, aus Heideggers ontologischer Differenz von Sein und Seiendem heraus Hegels Absolutes – ob abstrakter oder konkreter Art – in dessen „Geschichte des Seins“ verfallen zu lassen. Nur so erklärt sich sein Urteil, die Wahrheit über das Seiende sei das absolute Wissen und die Phänomenologie der geschichtliche Schritt, den die Philosophie gegangen sei, „um sich als absolutes Erkennen des Absoluten aufzustellen“, wobei sich dieser Schritt „selbst nicht in das System der absoluten Erkenntnis aufheben“ (141) lasse. Hegels Denken verlasse „den Umkreis der Metaphysik überhaupt, […] das Sein als das in unbedingter Gewißheit bei sich Anwesende zu denken.“ (142) Hegel selbst ist es doch aber, der in der Wissenschaft der Logik die „objective Logik […] vielmehr an die Stelle der vormaligen Metaphysik“ (vgl.: GW 11, 32 bzw. GW 21, 48.) setzt. Diese Disziplinenverschiebung bedeutet indes keineswegs Tilgung, sondern Umfunktionierung, oder mit Blumenberg zu sprechen: Umbesetzung. Und darüber hinaus: Gesetzt den Fall, Volkmann-Schlucks Urteil, Hegels Denken verabschiede die Metaphysik, träfe zu – dann entspräche es doch exakt dem Heideggerschen Anforderungsprofil des sog. „anfänglichen Denkens“, das die gesamte bisherige Philosophie, sprich Metaphysik zugunsten des Seinsdenkens zu „verwinden“ fordert. Es zeigt sich demnach ein zumindest diskussionswürdiges Verhältnis zum von Heidegger seit Sein und Zeit verfolgten Destruktionsgeschäft. Wenn Volkmann-Schluck Hegel bescheinigt, er habe „ins Ziel“ gedacht und verstehe sophia fortan nicht mehr als Suche, sondern als „wirkliches Wissen“, läßt sich wohl schwerlich das Projekt der Phänomenologie als Vorwurf beibringen mit der Bemerkung: „Die Metaphysik ist selbst ein geschichtliches Ereignis, das nicht in das absolute Wissen aufgehoben werden kann.“ (143) Volkmann-Schlucks, will sagen Heideggers Gedanke, „daß die Wahrheit sich dem Denken nicht nur ge-

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währt, sondern sich auch immer entzieht“ (144), hat sicherlich sein Recht; doch es bleibt zumindest bedenkenswert, ob Hegels spekulative Dialektik – freilich unter anderen Vorzeichen – einem exakt derart umrissenen Wahrheitsgeschehen nicht immer schon Rechnung trägt. Die Vorlesung legt Zeugnis davon ab, wie sich stufenweise, d.h. die jeweiligen dialektischen Schritte mitvollziehend, über das Denken Hegels verständigen läßt, ohne die Hegel-Forschung näher zu Rate zu ziehen. Volkmann-Schlucks Hegel-Vorlesung beeindruckt dadurch, daß sie ihren Leser – eine Wendung der Phänomenologie bemühend – in das „reine Zusehen“ (GW 9, 59) versetzt und es ihm so ermöglicht, Zug um Zug höhere Grade der Einsicht bei der Erzeugung der thematischen Begriffe Hegels zu erlangen. Insofern kann die Vorlesung als engagiert, ja didaktisch geglückt bezeichnet werden. Ob allerdings der Aufbau des Ganzen dazu taugt, in das Denken Hegels einzuführen, steht auf einem anderen Blatt. Und auf diesem müßte nun in extenso diskutiert werden, ob es sinnvoll ist, eine Hegel-Vorlesung, die dem Denken des Philosophen überdies die „Vollendung der abendländischen Metaphysik“ (d.h. „des durch das Wissen geprägten Denkens, das sich im absoluten Wissen beschließt und beendet und vollendet“ (145)) unterstellt, am chronologischen Kriterium der von Hegel selbst publizierten Schriften zu orientieren. Dieses Kriterium hätte zwar ermöglicht, den Einflüssen, denen Hegel und seine Zeitgenossen wechselseitig unterlegen sind, nachzuspüren; doch gerade dies unternimmt die Vorlesung nicht: Vielmehr insinuiert Volkmann-Schluck einen angeblich originalinspirierten, stringenten gedanklichen Fortschritt einer Philosophie des Absoluten bei Hegel – was erstaunt, dokumentieren doch besonders die Schriften des jungen Hegel das auffällige Bedürfnis, ja den Drang, sich – beeinflußt von so unterschiedlichen Denkern wie Platon und Kant – erst einmal philosophisch zu orientieren und permanent neue Systementwürfe zu versuchen, ohne jedoch Altes je wirklich zu verwerfen. Die Vorstellung, Hegel habe seit seinen ersten philosophischen Versuchen eine Philosophie des Absoluten zu entwickeln gesucht (133), müßte präzisiert werden, indem erst der Jenaer Hegel als Ausgangspunkt eines solchen philosophischen Programms genommen wird. Die Forschungen zum Jenaer Hegel hätte auch Volkmann-Schluck noch zu Rate ziehen können. Der Herausgeber Herbert Edelmann bietet einen durchgängigen Text, Unterteilungen in separate Vorlesungen sind nicht vorgenommen worden. Leider macht Edelmann keine Angaben über die Basis seiner Edition, ob beispielsweise eine Nachschrift, Tonbandaufzeichnungen o.ä. der schließlich erzeugten „Reinschrift“ (147) zu Grunde liegen. Auch hinsichtlich sonstiger editorischer Informationen tappt man im Dunkeln, heißt es doch lakonisch, „Gliederung sowie Anmerkungen stammen zum Teil vom Herausgeber.“ (Ebd.) Doch eine Edition philosophischer Vorlesungen sollte heutigentags einfachen formalen Standards genügen, und zwar gerade dann, wenn wie im vorliegenden Fall auf Lesarten, Anmerkungen, Register oder sonstige Appa-

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rate bewußt verzichtet wird. Ein solchermaßen schlicht gehaltener Editionstyp eines Vorlesungstextes, der ganz gezielt das Wort zwecks vorgeblich besseren gedanklichen Nachvollzugs in den Vordergrund zu rücken beabsichtigt, hätte seinen Text dann aber auch mit der gebotenen Akribie zu präsentieren. Leider ist nur allzu augenfällig, daß der von Edelmann gebotene Text eine bessere Schlußredaktion verdient hätte, denn neben einer ganzen Reihe zweifelhafter Interpunktionsentscheidungen stören die Lektüre leider auch offensichtliche Tippfehler (S. 32, Z. 32; 33,21; 39,13; 74,20; 144,5), ein mißglückter Seitenumbruch (von 81 nach 82) sowie Verstöße gegen die deutsche Grammatik bzw. sinnentstellte Sätze (17,2 f.; 27,30; 45,8–11; vgl. hierzu auch 99,8; 59,5 f.). Doch diese editorischen Mängel ändern nichts daran, daß die Publikation der Hegel-Vorlesung als verdienstvoll angesehen werden muß, da der auch heute noch vernehmbare philosophische Einfluß Volkmann-Schlucks sich in nicht geringem Maße gerade auch seinen universitären Lehrveranstaltungen verdankt. Diesem Umstand Rechung tragend, werden seit einigen Jahren seine wichtigsten Vorlesungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Holger Glinka (Bochum)

Mauro Vespa: Heidegger e Hegel. Padua: Cedam 2000. 256 S. Unter Benutzung der neuen Materialien, die von der Gesamtausgabe zur Verfügung gestellt werden, nimmt sich der Band von Mauro Vespa mit dem kurzen aber anspruchsvollen Titel Heidegger und Hegel vor, die Bedeutung Hegels in den zahlreichen Arbeiten, Kursen, Seminaren und Kolloquien zu vertiefen, die Heidegger der Hegelschen Philosophie widmete. Der italienische Wissenschaftler, der bereits das Gespräch über die Dialektik von Heidegger herausgegeben hat, untersucht nun die beiden Philosophen und versucht dabei, den Einfluß des einen auf den anderen zu vertiefen, da Hegel mehr als andere tatsächlich eine besondere Rolle innerhalb des Heideggerschen Denkens gespielt zu haben scheint. Dieser Vergleich wird als eine Art „denkendes Gespräch“ charakterisiert, da Heidegger sich in mehreren Texten bezüglich der „Sache des Denkens“ (10) auf Hegel zu beziehen scheint. Bei der Rekonstruktion der Heideggerschen Interpretation der Philosophie Hegels bewegt sich der Autor auf zwei Ebenen. Einerseits möchte Vespa herausfinden, „wie sein Verständnis – oder Unverständnis – Hegels aussieht; andererseits die Suche nach der Bedeutung dieses Verständnisses […] für den Weg seines Denkens“ beurteilen. (11) Vespas in einem ausgesprochen theoretischen Ton und in einem Stil, der so sehr Heideggers Sprache, seine Art des Philosophierens und Fragens ange-

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nommen hat, daß er sich davon nicht mehr zu unterscheiden scheint, geschriebene Arbeit unterteilt sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel analysiert Vespa eines der Lieblingsthemen sowohl Heideggers als auch Hegels: den Begriff der Zeit. Aufgrund der Jugendtexte Heideggers bis zu einigen ausschlaggebenden Paragraphen in Sein und Zeit (wie z.B. § 82) zeigt der Autor, wie die Kritik des Marburger Philosophen an Hegel das Verdienst hatte, die Aufmerksamkeit auf das Problem der Zeitlichkeit als zentrales Thema der Hegelschen Philosophie zu lenken. Hier macht Vespa wichtige Unterscheidungen in Bezug auf Heideggers irrtümliche Annäherungen. Denn daß er bei der Thematik der Zeit Hegel an Aristoteles angenähert hat, ist um so falscher, als Hegel selbst Aristoteles gerade hinsichtlich der Frage nach der Zeit kritisiert, ganz abgesehen davon, wie das Thema von beiden Philosophen behandelt wird. Außerdem scheint Heidegger nach Auffassung des Autors die Ebenen der beiden von Hegel in zwei wohlunterschiedenen Werken durchgeführten Abhandlungen über die Zeitlichkeit oft zu vermischen, d.h. in der Naturphilosophie der Enzyklopädie und in der Phänomenologie. Der dann vom Autor aufgeworfene Zweifel besteht darin, ob nicht stattdessen in dieser direkten Kritik Heideggers an Hegel eine indirekte Kritik an Husserl zu sehen ist, die gerade von der Lektüre Hegels „im Lichte der Darstellung und der formalen Apophantik“ Husserls ausgeht. (75) Im zweiten Kapitel untersucht der Autor den Verlauf des Kollegs des Sommersemesters 1929 über den deutschen Idealismus, um zu sehen, wie Heidegger von Hegel ausgeht und „wie er seine Rolle charakterisiert“ (79) innerhalb dieses Idealismus. Daraus geht auch Heideggers Originalität hervor, das absolute Hegelsche System zu interpretieren. Der Vergleich zwischen den beiden Philosophen vollzieht sich dann im letzten Teil des Kapitels aufgrund der ersten Schriften aus Hegels Jenaer Zeit und vor allem aufgrund der Unterschiede bei der Interpretation der transzendentalen Einbildungskraft Kants durch die beiden Philosophen. Und gerade bei der Interpretation des Kantischen Textes beginnt sich die unterschiedliche Art abzuzeichnen, sich zu ihm in Beziehung zu setzen. Das dritte Kapitel ist das Kernstück des gesamten Bandes von Vespa. Hier vertieft sich der Autor einerseits in eine minutiöse Analyse der Heideggerschen Interpretation von Hegels Phänomenologie des Geistes; andererseits untersucht er einen der Schlüsselbegriffe der Dialektik: den Widerspruch, der innerhalb der spekulativen Proposition eine entscheidende Rolle spielt. Die von Vespa dargebotenen Ergebnisse dieser Analysen sind alles andere als voraussehbar, denn wir wohnen nach und nach – über einen vom Autor aufgestellten detaillierten theoretischen Apparat – dem Abbau des Widerspruchs im logisch-sematischen Sinne bei, um stattdessen zum pragmatischen Widerspruch zu gelangen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich im einzelnen mit den beiden Heideggerschen Aufsätzen der 40er Jahre, die der Einleitung zur Phänomenologie gewidmet sind, d.h. mit Interpretation der Einleitung und Der hegelsche Erfah-

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rungsbegriff, die einige in den Jahren 1930–31 ausgeführte Begriffe fortzuführen scheinen. Und hier will Heidegger im Vergleich zum bekannten § 82 von Sein und Zeit Hegel nicht kritisieren, sondern ihn „in die Geschichte des Seins und seiner Zukunft“ (160) stellen, so daß die Phänomenologie jene Art „ihres wesentlichen Nichtgesagten“ enthüllen und „in Richtung Zukunft“ (ebd.) sprechen kann. Hegel wird auf diese Weise von Heidegger nicht eindeutig interpretiert. Wenn Heidegger einerseits in der Zeit der Veröffentlichung seines grundlegenden Werks Sein und Zeit in Hegel nur einen Gegner sieht, der unfähig ist, die Thematiken der Ontologie zu verstehen, scheint er andererseits hermeneutisch die Phänomenologie wiederzugewinnen und sie im „zukünftigen Denken“ unterzubringen gemäß den Schemata der Fundamentalontologie von Sein und Zeit. Ausgehend vom Untersuchten kann Vespa deshalb den Band mit einem Kapitel schließen, dem fünften, in dem er Sein und Zeit entsprechend einer Interpretationslinie liest, die Hegel nicht mehr entfernt von Heidegger sieht, sondern „nahe“ an der Fundamentalontologie, besonders wenn sie „innerhalb der Entwicklung der Frage nach dem Sein überschritten wurde“. (15) Am Ende bleibt nur noch die Frage, wie der Autor in der Einleitung behaupten kann, Heidegger überhole Hegel, ohne ihn auf irgendeine Weise wieder zu bestätigen. Es handelte sich kurz gesagt um eine tatsächliche Aufhebung, die in der Lage ist, die von jener Philosophie erworbenen Ergebnisse zu „überschreiten“ und gleichzeitig „aufzubewahren“. Der von Vespa dargebotene Interpretationsweg würde so zu einer „paradoxen Umkehrung“ führen, die wegen der inneren Dynamik dieses besonderen „Gesprächs“ zu dem Glauben führen könnte, es handele sich zuweilen um ein Gespräch Hegels mit Heidegger. Claudia Melica (Roma)

Henry S. Harris: Hegel's Ladder. Bd. I: The Pilgrimage of Reason. Bd. II.: The Odyssey of Spirit. Indianapolis: Hackett Publishing Co. 1997. XVII, 658 S.; XIII, 909 S. Die Veröffentlichung von Harris‘ magnum opus, Hegel's Ladder, sollte unter Hegelforschern gefeiert werden. Sein Buch bildet den ersten echten Kommentar zu Hegels Phänomenologie, weil es zum ersten Mal einen basalen hermeneutischen Maßstab erfüllt: Hegel's Ladder liefert eine durchgehende, übergreifende, in sich detaillierte Deutung des ungeheuer reichen Textes der Phänomenologie des Geistes. Aber Harris’ Kommentar bietet auch ein Lesevergnügen, da der Verf. die Sache, die verschiedenen Materialien samt ihrer Darstellung meisterhaft beherrscht. Der Rezensent hat ihn wohl vier Mal von Anfang bis Ende gelesen und kann die Lektüre kaum unterbrechen, so spannend ist sie!

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Ein Hauptzweck von Hegels Phänomenologie besteht darin, die philosophische Geschichte Europas zu entwickeln, um die geistige Grundlage der Neuzeit herauszuarbeiten. Hegels Kulturgeschichte ist durch seine umfangreichen, vielseitigen, aber unzitierten Forschungen geprägt. Ein großer Fortschritt von Hegel's Ladder ist, Hegels Quellen durchgehend zu identifizieren, samt ihres Gebrauchs in Hegels philosophischer Geistesgeschichte. Harris rekonstruiert die sehr komplizierte Struktur von Hegels Buch und zeigt, daß es dennoch ein einheitliches Werk ist. Diejenigen, die schon mit den zwei vorherigen Bänden von Hegel's Development vertraut sind, werden genau das finden, was sie erwarten: eine sonnenklare Darstellung und differenzierte Organisation bedeutsamer Strukturen und Details. Aber auf Grund des viel reichhaltiger gedeuteten Textes ist Hegel's Ladder beträchtlich aufschußreicher als Hegel's Development. Hegel's Ladder ist ein Markstein: Alle Forschungen zu Hegels Phänomenologie werden bald dadurch datiert, ob sie vorhergehen oder nachkommen. Sein Reichtum läßt sich kaum zusammenfassen. Hier mag nur ein Leitfaden resümiert werden. Nach Harris hat die Entwicklung des Geistes aus der Natur zwei Seiten: Einerseits gibt es von Natur aus den biologischen Organismus ,homo sapiens’; andererseits gibt es die historische Bildung, wodurch ,homo sapiens’ wirklich wissend wird. Das Leben selbst erlegt uns Menschen die Aufgabe auf, uns dadurch zu rekonstruieren, daß wir unser Bewußtsein unseres Zwecks im Leben – der uns ursprünglich als Selbsterhaltung und -reproduktion gegeben worden ist – umgestalten. Daß sich die Philosophie nur historisch verstehen läßt, ist schon weitgehend anerkannt. Aber Hegels ,Wissenschaft der Erfahrung’ fordert uns auf zu begreifen, daß sich Philosophie und Religion nur zusammen und nur innerhalb der eigentlichen Geschichte des Menschengeschlechts begreifen lassen. Ein jeder vernünftige Mensch, der wirklich wissen will (in dem philosophischen Sinne, wonach Apollo uns auffordert: Erkenne Dich!), muß danach streben, die Welt zu ergreifen, die ihn hervorgebracht hat und in welcher er sich zu seinem Besten entwickeln muß. Diese Bildung ist die eigentliche Selbstentwicklung des Geistes. Das Wesen des Geistes ist, unsere physische Umgebung, zugleich organisch und nicht-organisch, zu erfassen und zu begreifen, sie aber zugleich auch praktisch und theoretisch umzuformen, so daß das absolute Wissen dazu kommt, die ganze Natur als seine eigene Substanz zu erkennen. Aber als der erkennende, selbstvermittelnde Aspekt der Entwicklung des absoluten Geistes ist diese Selbstentwicklung zugleich die historische Bildung unseres gemeinschaftlichen Bewußtseins. Die Religion ist das Bewußtsein der Gemeinschaft von ihrem Weltverhältnis samt ihrer selbsterkennenden Struktur als Einheit mit vielen Mitgliedern. Genau dann, wenn sich diese Struktur mit sich selbst als Wissen vollkommen verträgt, ist die Gemeinschaft rational. Dieser These nach ist das absolute Wissen nur dann möglich, wenn dieses Wissen durch die Religion einer Gemeinschaft, die sich vernünftig zur Welt wie auch zu sich selbst verhält, geäußert wird. Hegels ,Wissenschaft der Erfahrung’ ist nur dann möglich, wenn das re-

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ligiöse Bewußtsein der menschlichen Gemeinschaft durchaus rational ist; d.h. genau dann, wenn wir zeigen können, daß es die objektive Äußerung eines logischen Bewußtseins des eigentlichen Wesens der menschlichen, zugleich theoretischen wie auch praktischen Rationalität ist samt der natürlichen Grenzen und gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Verwirklichung. Die soziale Struktur der Gemeinschaft – d.h. unser allgemeingültiger Konsens darüber, wie wir handeln sollen, wie wir einander behandeln sollen, worin die eigentlichen Endzwecke, die das Leben wertvoll machen, bestehen – all dies, zusammen mit denjenigen Institutionen, durch die jener Konsens geprüft, bewahrt und gegebenenfalls geschützt wird, ist die Substanz der Vernunft. Der ,Gott’ oder das Heilige ist bloß der Name der kategorialen Stuktur desjenigen Selbstbewußtseins, das gemeinschaftlich als notwendig anerkannt ist. In ihrer Religion erkennt eine Gemeinschaft die eigene Deutung ihres weltlichen Lebens und ihres Weltverhältnisses. Daher ist die ganze Perspektive der ,theologischen’ Sprache verkehrt. Die ,offenbare’ Religion ist die Gestalt des Weltbewußtseins, in welcher diese Umkehrung endgültig korrigiert worden ist. Der Glaubenssatz der Schöpfung ist eine mythische Beschreibung unserer Freiheit in unserer Deutung der Welt (worin die gedeutete Welt überhaupt keine Welt wäre, ohne ihre eigentliche, notwendige Struktur zu haben). Der Begriff der Vernunft als die allgemeine selbstbewußte (bzw. wissenschaftliche) Gemeinschaft, die die Welt rational deutet, ist die Grundlage für Hegels Deutung der verschiedenen religiösen Gestaltungen und Vorstellungen. Das Christentum gilt für Hegel als die ,absolute’ bzw. ,offenbare’ Religion, weil sein Glaubenssatz der Menschenwerdung eine Deutung der religiösen Sprache begründet, die sich mit unserer wissenschaftlichen (phänomenologischen) Herausstellung der religiösen Erfahrung verträgt. Der größte Vorteil gegenüber seinen Vorgängern, den Harris zu haben behauptet, ist, ein klares Verständnis davon zu haben, warum genau die Periode von Augustus bis Napoleon einen basalen logischen Erfahrungszyklus bildet und warum er immer wieder neu vergegenwärtigt werden muß. Nur wenn wir genau wissen, was als eigentliche Welt gedeutet wird, sind wir im Stande, die Logik dieser Deutung – nämlich Hegels – einzuschätzen. Harris behauptet nicht, daß Hegels Deutung tadellos ist, aber er zeigt, daß, wenn sie richtig verstanden wird, Hegels geistesgeschichtliche Deutung unserer Welt viel besser ist, als vorher schon geahnt wurde und hinreichend konkreter, historisch und vollständig ist, als Hegelianer bisher gezeigt haben. Hegel's Ladder ist ein unentbehrlicher Beitrag zum Verständnis der Phänomenologie des Geistes, sogar der Philosophie Hegels. Er sollte weit- und tiefgehend studiert werden. Er kann mit Gewinn aus verschiedenen Hinsichten gelesen werden. Er kann von Anfang bis Ende gelesen werden oder auch zwecks separater Einsichten – insbesondere hinsichtlich Hauptteilen, Kapiteln, Abschnitten bzw. Absätzen – zu Rate gezogen werden. Insbesondere heute, da Neohegelianer wie Charles Taylor die Quellen des neuzeitlichen ,Selbst’ betonen bzw. da die Postmoderne die Haltbarkeit irgendeiner historischen ,Meta-Geschichte’

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verwirft und daher das ,Selbst’ als eine bloß kontingente, herkömmliche Fiktion schildert, ist es besonders wichtig, daß Harris uns zum ersten Mal ermöglicht zu sehen, wie genau und wie erfolgreich der Urmeister der Kulturkritik, nämlich Hegel, die gemeinschaftliche bzw. geschichtliche Entwicklung unserer Vernunft herausgearbeitet und systematisiert hat, kraft deren wir allein im Stande sind, sowohl die Natur als auch unsere eigene kulturelle und rationale Entwicklung zu erkennen. Schon dieser kurze Bericht genügt zu zeigen, daß Harris’ Deutung von den üblichen Deutungen der Phänomenologie stark abweicht. Dies muß jedoch allererst verstanden werden, beherrscht Harris doch die erforderlichen Deutungsmuster erheblich besser als bisher. Es wäre nicht übertrieben vorzuschlagen, daß die gesamte Forschung zu Hegels Phänomenologie auszusetzen habe, bis Hegel's Ladder gründlich studiert und sorgfältig eingeschätzt worden ist. Und eine solche Diskussion beginnt auch schon im englischen Sprachraum, wie die Fülle der bereits erschienenen Aufsätze, Diskussionen und Rezensionen zeigt. Kenneth R. Westphal (Norwich, UK)

Jacob Ahn: Vom Ideal zur Reflexion. Die Entwicklung von Hegels Denken bis zum Ende der Frankfurter Zeit. Göttingen: Cuvillier 1999. 214 S. Der aus Korea stammende Autor dieser Studie, die 1999 an der Universität in Wuppertal als Dissertation vorgelegt wurde, ist, wie man dem Vorwort entnehmen kann, der Überzeugung, „dass das Geheimnis der Hegelschen Dialektik, d.h. Negativität und Widerspruch, erst durch die Strukturanalyse der Reflexion, die vor allem auf Fichte zurückzuführen ist, zu verstehen ist.“ Davon ausgehend sieht er das Hauptziel seiner Untersuchung in einer Aufhellung von Hegels frühem, sich in der Zeit vor der Jenaer Systembildung entwickelndem Verständnis von Reflexion. Ein großes Gewicht legt der Autor von Anbeginn auf die Präsentation naheliegender Anregungskontexte von Hegels frühem Reflexionsverständnis. In einem einleitenden Teil (9 ff.) wird auf die profilierten unterschiedlichen Bedeutungen und Bewertungen des Terminus „Reflexion“ hingewiesen, die im philosophischen Diskurs zur Zeit von Hegels Berner und Frankfurter Denkversuchen gegenwärtig waren. Erwähnung findet die von Rousseau ausgehende wertnegativ gemeinte Bedeutung der Reflexion als ‚Trennung’, eine Bedeutung, die signifikant bei Schiller und beim Frankfurter Hölderlinkreis wiederkehrt. Erwähnt wird eine Reihe wertpositiv verwendeter Bedeutungen von Reflexion, die sich vor allem bei Fichte festmachen lassen. Neben der gewöhnlichen Auffassung von Reflexion als ‚Überlegung’ ist bei Fichte von Reflexion in der Regel dort die Rede, wo es um ein spielerischerfindendes oder auch um ein die Tätigkeit des Ich nachvollziehendes Den-

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ken geht. Ferner hat Reflexion bei Fichte ebenfalls häufig die originäre Bedeutung von ‚Zurückbiegung’ oder ‚Umkehrung’, was vor allem bei der Thematisierung von Phänomenen des Selbstbewußtseins, des aktiven Denkens in Abhebung von einem naiven oder natürlichen Bewußtsein zum Ausdruck kommt. Aufmerksam gemacht wird weiter auf das ambivalente Reflexionsverständnis beim jungen Schelling. Schelling versteht Reflexion (bzw. Reflexion = Spekulation) bald – unter der Annahme, daß die intellektuelle Anschauung als solche zwar nicht diskursiv ist, jedoch nicht anders denn diskursiv dargestellt werden kann – als „abgenötigte Rückkehr in uns“, bald – im Blick auf die naturphilosophische Erweiterung des Fichteschen Vereinigungsgedankens – als „Geisteskrankheit des Menschen“. Nach vorbereitenden Ausführungen zu Hegels Berner Denkansatz (19–42) und zu Hölderlins Entwicklung zur Vereinigungsphilosophie (43–69) stößt der Autor bei der Skizzierung von Hegels philosophischer Neuorientierung in der Frankfurter Zeit (70–173) zur entscheidenden Frage vor, wo dessen Position vor dem Hintergrund dieser diversen Bedeutungen von Reflexion zu verorten ist. Auf der Basis von Hegels Diktum aus dem frühen Frankfurter Fragment Moralität, Liebe, Religion, wonach der „Begriff“ eine „reflektierte Tätigkeit“ ist, geht der Autor davon aus, daß Hegel sich in einer ersten Phase ein Fichtesches bzw. Schellingsches („abgenötigte Rückkehr in uns“) Verständnis von Reflexion zu eigen macht (bes. 81–91). Die späteren Frankfurter Fragmente liefern sodann seiner Ansicht nach Indizien dafür, daß sich Hegels Reflexionsverständnis in einer zweiten Phase in die Richtung der Rousseauschen Bedeutung wendet. Diese Wende hat nach Meinung des Autors nicht, wie häufig angenommen wird, hauptsächlich damit zu tun, daß Hegel sich Hölderlins Vereinigungsposition und Ansicht von Urteil = Teilung annähert. Ausschlaggebend für diese Wende sind seines Erachtens Einflüsse durch die zum Frankfurter Hölderlinkreis gehörenden Sinclair und Zwilling. Während Sinclair in seinen philosophischen Beiträgen die kommende Hegelsche Gleichsetzung von Fichtescher Ich-Philosophie und bloßer Reflexion vorbereitet, operiert Zwilling bei der Darstellung seines Vereinigungsideals in pointierter Weise mit dem Gegensatz von Gefühlsvereinigung und Reflexionstrennung und nimmt damit den Hegelschen Gegensatz von Liebe und Reflexion (= Trennung) vorweg, der sich erstmals in der zweiten Fassung von dessen Fragment Die Liebe findet (bes. 140 ff.). Nach Ansicht des Autors ergibt sich mit diesem letzteren Gegensatz eine Konstante in Hegels weiterem Verständnis von Reflexion. Er dominiert, wie der Autor in einem letzten Kapitel (174–208) darlegt, das Vereinigungskonzept in den Fragmenten Der Geist des Christentums und sein Schicksal und kehrt im Systemfragment von 1800 im Gedanken des „Seins außer der Reflexion“ wieder (199). Obschon Hegel nach der Frankfurter Periode den Reflexionsbegriff zum Teil aufwertet, bleibt er in der negativen Bedeutung von Trennung, die besonders bei der kritischen Behandlung der Reflexionsphilosophie manifest wird, erhalten. Ermöglicht wird dies nicht zuletzt dadurch, daß in der Jenaer Zeit

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Denkstrukturen des vernünftigen Begriffs, die zuvor unter den Terminus der Reflexion gefallen sind, nun dem Bereich des spekulativen Denkens zugeordnet werden. Insgesamt gibt die Studie einige interessante kontextuelle Sequenzen von Hegels frühem Reflexionsverständnis wieder. Und als fruchtbar erweist sie sich durchaus auch im Versuch, Hegels Frankfurter Denkansatz sowohl unter dem Aspekt einer „negativen“ (den Trennungsgedanken betreffenden) als auch „positiven“ (den Einheitsgedanken betreffenden) Vereinigungsphilosophie (47) begreifen zu wollen. Dadurch läßt sich in erhellender Weise zeigen, daß in Hegels Frankfurter Denkansatz die Herausbildung des Verständnisses von Reflexion mit der Entfaltung einer sich schrittweise erweiternden Prinzipieneinheit verklammert ist. Ungünstig wirkt sich aus, daß sich der Autor nicht auf die Reflexionsfrage beschränkt hat. Die offensichtliche Ambition, gleichzeitig „die Entwicklung von Hegels Denken bis zum Ende der Frankfurter Zeit“ erklären zu wollen, führt ihn zu manchen lediglich thesenartig hingeworfenen, alles in allem oberflächlichen Ansichten und Stellungnahmen. Ein gravierender Mangel besteht außerdem darin, daß der Autor zwar eingehend Hegels Reflexionsverständnis vor dem Hintergrund vergleichbarer Verständnisse von Hegels philosophischen Mitstreitern erörtert, jedoch diejenige Strukturanalyse des Hegelschen Reflexionsbegriffs, die den Nachweis erbringen könnte, daß die dialektischen Denkfiguren der Negation und des Widerspruchs ihren Ursprung in der ‚Reflexion’ haben, in keiner Weise leistet. Dies wäre in Form einer systematisch orientierten Behandlung des vom Autor einige Male erwähnten Systemfragments von 1800 möglich gewesen. In diesem Fragment wird ausgehend von der Vorstellung des Eintritts des Seins, Lebens oder höchsten Einen in die Reflexion ja erstmals die Idee einer antinomischen, totalisierenden Bewegung des Begriffs greifbar. Martin Bondeli (Bern)

Roberto Finelli: Mythos und Kritik der Formen. Die Jugend Hegels (1770–1803). Frankfurt/M.: Peter Lang 2000. 338 S. Die 1989 von Friedhelm Nicolin und Gisela Schüler vorgenommene neue und endgültige Anordnung der Hegelschen Manuskripte der Jahre 1785 bis 1796, die Herman Nohls klassische Ausgabe von Hegels theologischen Jugendschriften aus dem Jahr 1907 in Frage gestellt und ersetzt hat und die vielen hochqualifizierten Untersuchungen zum jungen Hegel der letzten 30 Jahre ermöglichen nach Roberto Finelli der Hegelforschung immer klarer, den Weg herauszuarbeiten, der Hegel allmählich zur Dialektik und seinem System geführt hat. Von daher, einerseits von der wichtigen Publikation der kritischen Ausgabe des ersten Bands der Frühen Schriften Hegels in den Gesammelten Werken (ins Italienische übersetzt von Edoardo Mirri: G. W. F. Hegel: Scritti giovanili. I. Napoli

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1993.) sowie von den Frühen Exzerpten (1785–1800), andererseits von der Fülle und Vielfalt der Untersuchungen über den jungen Hegel, vor allem in Deutschland (u. a. dank Otto Pöggeler und Dieter Henrich), ist Finelli 1996 angeregt worden, dem italienischen Publikum eine Übersicht über die Produktion des jungen Hegel (Mito e critica delle forme. La giovinezza di Hegel 1770–1803. Roma: Editori Riuniti 1996.) vorzulegen, die dann 2000 ihre erste Übersetzung ins Deutsche erfahren hat. Ohne vorzugeben, eine analytische Untersuchung der einzelnen Texte zu bieten, die er mit leichter Hand und reichem Wissen in seiner Abhandlung anführt, gelingt es Finelli, dem Leser ein vielseitiges Bild vorzulegen, aus dem deutlich sowohl die Errungenschaften wie auch die Beschränkungen des Denkens des jungen Hegel hervorgehen. Die erste Formulierung der Dialektik als Schicksal wie auch die ersten Anstrengungen, dem „System” Gestalt zu geben, aber auch die zahlreichen auf falschen Verallgemeinerungen beruhenden Fehlschläge, die den schwierigen Weg der Phänomenologie vorwegnehmen, beleben die vorliegende Arbeit von Roberto Finelli, der mit bemerkenswert klarer Darstellung zum Verständnis des reiferen Denkens Hegels hinführt. Es sind zwei Gesichtspunkte, unter denen Finelli im vorliegenden Buch die Entwicklung des Denkens des jungen Hegel von der Zeit des Stuttgarter Gymnasiums bis zur Ernennung zum Privatdozenten an der Universität Jena betrachtet. Der erste ist ein philosophisch-anthropologischer, der das komplexe Verhältnis Hegels zur Philosophie Kants in den Tübinger, Berner und Frankfurter Jahren betrifft und seine fortschreitende Entfernung von ihr. Der zweite Gesichtspunkt für Finelli ist ethisch-politisch; in besonderem Maße richtet er seine Aufmerksamkeit auf das Problem der politischen Freiheit und die Antwort, die Hegel auf diese Frage gibt. In seiner zuerst philosophisch-anthropologischen Analyse der Hegelschen Suche nach einer authentischen Modalität der Verallgemeinerung und Vergesellschaftung des Einzelnen beschäftigt sich Finelli im vorliegenden Buch insbesondere mit den Texten Nr. 12–15 (GW 1) sowie dem Tübinger Fragment Nr. 16 (GW 1), die Nohl in seiner klassischen Edition Volksreligion und Christentum. Fragmente genannt hatte, in denen Hegel über den Unterschied zwischen der klassischen griechischen Religion und der zeitgenössischen christlichen deutschen Spiritualität sowie über die Religion als weitverbreitete Form des Bewußtseins nachdenkt. Wie alle Stiftler zeigt sich Hegel hier laut Verf. als Kantianer. Jedoch einige Überlegungen Rousseaus über die Tugend als individuelles und kollektives Individuationsprinzip und Herders über den Volks- und Nationsbegriff spielen hier nach Finelli schon eine große Rolle und ermöglichen dem jungen Hegel die wichtige Transformation der Kantischen transzendentalen Subjektivität in das kollektive Selbst eines Volkes. Das Volk als allgemeines Subjekt wird also die erste Hegelsche Auffassung des Ganzen. In diesem Kontext meint Hegel, die Religion besitze gar keinen Privatstatus mehr, sie werde Religion eines Volkes, und als Muster einer solchen Volksreligion nimmt er die Religion der Griechen. Das ist jedoch, wie Finelli herausstellt, eine pro-

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blematische Auffassung, da dieses Ganze organizistisch und widerspruchsfrei von Hegel konzipiert wird, und zwar noch ohne Anerkennung irgendwelcher Unterschiede. Dann betrachtet der Autor die Berner Texte über das Christentum als positive Religion (Nr. 17–26, GW 1), in denen nach Hegel die christliche Religion wesentlich Glaube an einen Einzelnen, und zwar an Christus, ist, der verallgemeinert wird auf Kosten des wahren Allgemeinen, das in der Vernunft jedes Menschen liegt. Über ähnliche Themen reflektiert Hegel auch in weiteren vom Verf. behandelten Texten (Nr. 32–34, GW 1, von Nohl Die Positivität der christlichen Religion betitelt), in denen erklärt wird, daß die Positivität genau in der illegitimen Verallgemeinerung einer Besonderheit bestehe. Hegels primäres Ziel ist hier nämlich nach Ansicht Finellis die Vereinbarung des Christentums mit einer (individuellen sowie kollektiven) emanzipierten Menschheit, wo jede Form von Positivität überholt wird. Zwangsläufig, stellt Finelli heraus, ist Hegel, wenn so etwas „Positives” vorkommt, immer wieder gezwungen, die untersuchten Lebensmodalitäten als unzureichende „Formen” eines wahren und effektiven Allgemeinen zu interpretieren. D.h., daß sich der junge Hegel in der Berner Zeit, obwohl er noch ein im wesentlichen Kantisches Begriffssystem verwendet, gerade in der Bewertung der christlichen Religion radikal von Kant entfernt. Wenn letzterer das Christentum für die Religion par excellence hält, so radikalisiert Hegel dagegen das immer und überall gültige Kantische Universal der Vernunft, indem er ständig das harmonische Modell der griechischen Antike vor Augen hat und vor allem unter dem Einfluß der Kritik Rousseaus an den Christen, sich auf der Suche nach einer fernen Seligkeit in der Zukunft der Gegenwart zu entfremden, steht und also die reine Vernunft für das einzige, wahre Göttliche hält, unvereinbar mit der Lehre Jesu und mit seiner konkreten geschichtlichen Gestalt. Nach Finelli wird also das Denken des jungen Hegel wesentlich von der Kritik an einer falschen Verunendlichung eines Endlichen und von der leidenschaftlichen Suche nach einem Allgemeinen charakterisiert, das die Differenzen nicht eliminiert, sondern ermöglicht. Gerade in dieser Hinsicht ist besonders das von Nohl Der Geist des Christentums und sein Schicksal betitelte Manuskript für Finelli interessant, da dieser Text deutlich die Abweichung von der Kantischen Philosophie und das erste Entstehen einer Dialektik des Schicksals dokumentiert, durch die Hegel von Kant weiter abweicht. Hier kommt eindeutig zum Ausdruck, wie Hegel auch in seiner Frankfurter Zeit nach einer echten Verallgemeinerung als „Grundlage und Stütze der Entwicklung seiner individuellen Eigenheit” (104) strebt, nach einem Allgemeinen, das das Besondere nicht unterdrückt. Und genau in dieser Zeit wird sich Hegel darüber klar, wie die moralische Verallgemeinerung und die Theoretisierung einer in sich getrennten Subjektivität in der Philosophie Kants abstrakt und mangelhaft bleibt wie das Allgemeine (der jüdische Gott) und auch das bei Abraham archetypisch gezeigte Subjektivitätsmuster und das Indivi-

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duationsmodell des jüdischen Volkes. Die Philosophie Kants theoretisiert nämlich in der Tat eine Subjektivität, die man nur frei nennen kann, wenn man von jeder Neigung absieht; sie erscheint Hegel leer, genau so wie die jüdische Subjektivität, von der sich herausstellt, daß sie beim Versuch, Herrin der Welt zu sein, dazu verurteilt ist, vom Leben beherrscht zu werden. Ein unheilbarer Bruch mit dem Kant der Kritik der praktischen Vernunft tritt also nach Meinung des Verf.s im Text Der Geist des Christentums und sein Schicksal zu Tage, und Kants ganzer theoretischer Apparat, den Hegel bis dahin immer wieder verwendet hat, wird hier auf eine nicht wiedergutzumachende Weise in Frage gestellt und besonders durch die Nähe und den Umgang mit Hölderlin grundsätzlich überwunden. Es ist dann die Nähe zu Schelling in der Jenaer Zeit, die, wie Finelli zeigt, schließlich die sich seit Frankfurt entwickelnde Auffassung Hegels vom Absoluten bereichert. Wenn im Systemfragment von 1800 Hegel die Einschließung jeder Form der Trennung und der Entgegensetzung in einer Gesamtheit, die sich als solche verstehen will, für notwendig hält, so wertet er dann in Jena unter dem Einfluß von Schelling die Bedeutung der Erkenntnis des Absoluten, die man als spekulatives Wissen der Vernunft und nicht des Verstandes verstehen muß. Aber im ständigen Herausarbeiten der Rolle der Negation in seinem Begriff des Absoluten wird Hegel origineller, fruchtbarer und entfernt sich auch von seinem Freund Schelling. In Glauben und Wissen wird dann die Kritik an Kant auch theoretisch weiterentwickelt sein und im Naturrechtsaufsatz, wo Finelli die Reife der Kritik Hegels an der Moral Kants hervorhebt, bestätigt. Wie schon oben angedeutet, spielt im vorliegenden Buch auch ein zweiter Gesichtspunkt eine Rolle, unter dem Roberto Finelli einige der Texte, die schon früher unter philosophisch-anthropologischer Sicht untersucht wurden, sowie weitere Texte mehr theoretisch-politischen Inhalts untersucht, dieses Mal jedoch ist die Sichtweise rein politisch. Wenn nach Finellis Ansicht Hegel ohne Zweifel nicht umhin kann anzuerkennen, daß der Gewinn der modernen Zeit und besonders der Philosophie Kants sicherlich die Entdeckung der Subjektivität und des Selbsts ist – das ist nämlich gerade der Grund des Untergangs der antiken Welt –, so gelang es dem jungen Hegel noch nicht, das Subjekt Kants mit einer politischen Kollektivität in Beziehung zu setzen, weil „die Einrichtung durch Vernunft nur in der Innerlichkeit des Subjekts” (192) sich vollzieht. Allmählich konstatiert Hegel in der Berner und Frankfurter Zeit den unüberwundenen Dualismus der praktischen Lehre Kants, sowohl der moralischen wie der rechtlichen. So erläutert Finelli: „Mit seiner Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität, zwischen privat und öffentlich gelingt es Kant nämlich nicht, die Trennung im modernen Menschen zwischen einem eigenen und innerlichen Selbst und einer nur als Äußerlichkeit und Zwang erlebten Gesellschaftlichkeit zu überwinden, die im Gegenteil noch bestätigt wird”. (195) Das besondere Interesse Hegels ist also in dieser Periode, in der Hegel die Philosophie Kants als Philosophie der Entzweiung bezeichnet, das Verstehen, in welcher Beziehung die Begriffe der Verallgemeinerung und der

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politischen Integration zueinander stehen können, um die Teile gegenseitig dem Ganzen zu öffnen und sich in ihm zu erkennen, ohne daß anderes außen abstrakt bleibt, wie Hegel laut Finelli exemplarisch im Der Geist des Christentums und sein Schicksal darlegt. Besonders interessant ist jedoch trotz der Entfernung von den praktischen Lehren Kants durch seine Schicksalsmetaphysik die Verbindung von Erneuerung und Kontinuität in Hegels Auffassung des Staates, die Finelli prinzipiell in der Verfassung Deutschlands (1799/1803) entdeckt. Einerseits ist offensichtlich, besonders in der Verfassung Deutschlands, wie sich die von Hegel verwendeten Kategorien der Interpretation geändert haben (immanente Deutung des Allgemeinen, anti-empiristische Geschichtsauffassung), auf der anderen Seite aber wird die Hegelsche Konzeption des Staates als Zusammenspiel von Autoritäts- und Freiheitsfunktionen das Interesse Hegels an der Thematik der Freiheit, die auf Kant zurückgeht, deutlich bestätigen. Wie jedoch Finelli vor allem in Bezug auf das System der Sittlichkeit (1802– 1803) zeigt, handelt es sich beim jungen Hegel noch um eine aporetische und problematische Freiheit, die noch den provisorischen Charakter zeigt, den alle Lösungsansätze des jungen Hegel haben. Auch die erste bedeutende Lösung des Hauptproblems der Jugendzeit Hegels, nämlich eines Allgemeinen, das nicht die Individualität gewaltsam unterdrückt, die sich im ausführlich von Finelli besprochenen Manuskript System der Sittlichkeit findet, ist immer noch eine vorläufige Lösung. Das Subjekt dieses Jenaer Systems der Sittlichkeit ist nämlich wie in Tübingen wieder das Volk, aber nicht mehr nach dem unbrauchbaren klassischen Ideal der polis, sondern nach dem Muster einer Ständegesellschaft. Es fehlt jedoch, wie der Autor unterstreicht, eine authentische Kontinuität zwischen dem individuellen Subjekt mit seinem Freiheitsanliegen und der allgemeinen Subjektivität, so daß das Übergehen in die Allgemeinheit des Volks ein Auf-sich-Verzichten des Ich zu sein scheint. Mit anderen Worten: Die Negation ist noch nicht von Hegel als Selbstnegation konzipiert, und von daher werden nur die Errungenschaften der Philosophie des reifen Hegel diese ersten Ansätze integrieren und weiterentwickeln. Francesca Iannelli (Roma/Hagen)

Adriano Tassi: Teologia e Aufklärung. Le radici del giovane Hegel. [Theologie und Aufklärung. Die Wurzeln des jungen Hegel.] Napoli: La città del sole 1998. 232 S. Der Bildungsprozeß des Hegelschen Denkens bildet den Forschungsschwerpunkt von Tassi, der sich in Teologia e Aufklärung vornimmt, die philosophischen und theologischen Strömungen jener Zeit zu beleuchten und schließlich

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ihre Präsenz in Hegels Schriften bis zum Jahr 1794 (Tübinger Zeit und erstes Berner Jahr) zu prüfen. Der Einfluß der Theologie auf die Philosophie des jungen Hegel – so die Kernthese des Textes – stellt eine Konstellation dar, der in der bisherigen Forschung nur dürftige Aufmerksamkeit gewidmet wurde, da man sich einerseits auf Lessing und die Aufklärung beschränkt, andererseits das konfliktgeladene Verhältnis zu den theologischen Strömungen als Mittel verwendet habe, um Hegels Studienjahre im Stift und konsequenterweise seine Schriften zu erklären. Stattdessen geht Tassi von einer umgekehrten Forschungshypothese aus, indem er die begriffliche Gesamtheit, die den Ausgangspunkt Hegels bildet, als Fortsetzung oder Vollendung spätaufklärerischer theologischer Überlegungen auslegt (9–11). Während Lessings, Mendelsohns, Kants und Fichtes Anwesenheit in den Tübinger und Berner Schriften Objekte zahlreicher Forschungen gewesen seien, hält sich Tassi bei den – üblicherweise in den Schatten gestellten – von der theologischen Orthodoxie und Aufklärungstheologie ausgeübten Einflüssen auf; in diesem Zusammenhang betont er Fragen wie den Rationalisierungsprozeß der Dogmatik, die Entwicklung der historischen Methode in der Bibelauslegung, den Vorrang der moralischen Bestimmtheit des Menschen als die kennzeichnenden Merkmale von Jerusalem, Lessing, Michaelis, Semler, Spalding, die er in bezug auf den Kontext der Ausbildung im Stift behandelt. Die Interpretation des Stiftes als eines dem Neuen verschlossenen Ortes, der im jungen Hegel die Abweisung der Theologie verursacht hätte, wird abgelehnt, da Storr und Flatt nicht als Anhänger des biblischen Supranaturalismus, vielmehr wegen der von ihnen im Stift geführten Diskussion über die Kantische Philosophie einen nicht zweitrangigen Einfluß auf Hegel ausgeübt hätten. Monica Rimoldi (Milano)

Christophe Bouton: Temps et esprit dans la philosophie de Hegel. De Francfort à Iéna. Paris: Vrin 2000. 319 S. Au point de départ de ce bel ouvrage, rédigé sur la base d'une thèse de doctorat, se trouve la critique faite par Heidegger, dans Sein und Zeit, de la conception hégélienne du temps: Heidegger eut-il raison d'affirmer que Hegel, paraphrasant Aristote, s’était contenté de reprendre dans son système „la compréhension vulgaire du temps“, et n’avait pas réussi à élucider le lien entre esprit et temps? La question est bien connue, et le concept hégélien de temps a déjà souvent été examiné dans cette perspective: par Herbert Marcuse, par exemple, dans L'ontologie de Hegel et la théorie de l'historicité (1932); mais aussi, en France même, par Alexandre Koyre dans un article important sur „Hegel à Iéna“ (1934); ou encore par Denise Souche-Dagues, dans son excellente contribution sur „Une exégèse heideggerienne: le temps chez Hegel d'après le § 82

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de Sein und Zeit“. (In: Revue de Métaphysique et de Morale. 1979.) Bouton connaît ces travaux, ainsi que la vaste littérature, française et allemande, déjà consacrée à la question. Mais il fait remarquer que dans cette littérature – et même, plus largement, dans les philosophies de l'idéalisme allemand en général – la question de la temporalité de l'histoire ou, en d'autres termes, la question du rapport entre le temps en tant que tel et l'histoire, est rarement posée: comment Kant concilie-t-il la conception du temps qu'il développe dans la Critique de la raison pure, celle du temps comme „forme a priori de l'intuition“, et l'idée d'une histoire universelle? Quel est le lien entre le temps analysé par Hegel dans la Philosophie de la nature et l'histoire proprement dite, l'histoire de l'esprit? La remarque est tout à fait pertinente, et les questions méritent sans aucun doute d'être posées. Heidegger avait fondé sa critique du concept hégélien de temps sur les longs développements consacrés par Hegel à ce concept, au tout début de sa Naturphilosophie: une „place stratégique“ (103), nous dit Bouton, qui s'attache à montrer que la philosophie de la nature forme pour Hegel – comme d'ailleurs pour Schelling – „le sol et l'horizon de l'analyse du temps“. (101) Plutôt que de revenir sur le paragraphe de la Naturphilosophie relevé par Heidegger, Bouton choisit cependant de concentrer son analyse sur les écrits de jeunesse de Hegel, jusqu'à la Phénoménologie de l'esprit: traitant d'abord, dans une première partie, de „La genèse de la question du temps“ chez Hegel, de 1796 à 1803, il envisage ensuite, dans une seconde partie – la partie centrale, la plus longue et sans aucun doute la plus importante – „La dialectique du temps dans les Projets de système d'Iéna“; puis enfin, dans une troisième partie beaucoup plus brève, „Le dépassement du temps dans la Phénoménologie de l'esprit“. Il privilégie manifestement les textes sur le temps des Systementwürfe d'Iéna (1804/05 et 1805/06: GW 7. 194–197 et GW 8. 10–14), dont il donne, en annexe de son ouvrage (299–305), une traduction française dont on appréciera la clarté et la précision. Ce sont les Leçons de 1804/05 qui lui semblent les plus importantes pour son propos: Heidegger, rappelons-le, avait eu en main le texte, alors édité par Lasson sous le titre de Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. Mais il n'avait vu là rien de vraiment nouveau. Alexandre Koyre pensa au contraire que ces manuscrits „appartiennent à ce que Hegel a jamais écrit de plus beau“; et ce fut précisément sur eux qu'il s'appuya, pour affirmer que la philosophie hégélienne n'est en fin de compte rien moins qu'une philosophie du temps. Bouton, qui le cite (124 s.), s'associe manifestement à son avis, tout en déplorant que Koyre, s'opposant à Heidegger, en soit en fin de compte resté dépendant: c'est la thèse Heideggerienne d'une „temporalité originaire et authentique“, dans laquelle le primat serait accordé à l'avenir, qu'aurait reprise Koyre, lorsqu'il affirma que la „primauté donnée à l'avenir sur le passé“ constitue justement la plus grande originalité de Hegel en 1804/05. Rappelant que Heidegger lui-même avait explicitement souligné, dès 1924, la totale différence entre la position de Hegel et la sienne, Bouton explique alors pourquoi la conception élaborée par Hegel à Iéna en 1804/1805 lui semble nouvelle, et im-

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portante: ce n'est pas parce qu'elle anticipe, de quelque manière que ce soit, Heidegger. Si la conception est importante, c'est plutôt parce qu’en 1804/05 Hegel réussit à élucider l‘„essence éminemment dialectique du temps“: dans la représentation courante, le temps est en quelque sorte identifié à une ligne infinie, où le passé va vers l'avenir en passant par le présent, ou encore – et c'est le même modèle – l'avenir devient présent, puis sombre dans le passé. La conception dialectique „rétablit plutôt le commencement du temps dans le maintenant. A partir de là, elle se déploie du maintenant vers le passé par la médiation de l'avenir, pour substituer au maintenant la dimension concrète du présent“. (138) Il y a donc une différence essentielle entre le „maintenant“ (Jetzt) et le „présent“ (Gegenwart); et c'est non pas le „maintenant“, mais le „présent“, le présent concret, qui constitue selon Hegel la dimension privilégiée du temps. A Iéna, en 1804/05, Hegel étaie aussi cette thèse centrale par une distinction entre deux conceptions de l'infini: la „mauvaise infinité“ s'exprime, pour ce qui concerne le temps, dans une répétition indéfinie du „maintenant“ (153), excluant toute totalisation – ce serait là, en fait, le „temps proprement naturel“. Dans la véritable infinité (un concept que Hegel élabore justement à cette époque), le temps signifie au contraire „la totalité du présent“. Cette infinité est celle du temps historique, et permet de comprendre le „principe même de l'historicité: la reprise vivante du passé, son retour dans le présent“. (184) – Le „primat hégélien du présent“ ne serait donc nullement celui d'une „substance permanente“, comme le pensait Heidegger. Il y aurait plutôt, chez Hegel, „une corrélation profonde entre l'esprit et le temps“. (295) Dans L'ontologie de Hegel et la théorie de l'historicité (1932), une thèse qu'il avait préparée sous la direction de Heidegger lui-même, Marcuse, rappelonsle, avait déjà affirmé cette corrélation. Mais il avait pris comme ligne directrice de son interprétation la théorie de l'historicité élaborée par Dilthey; ce qui l'avait conduit à privilégier l'étude, dans les textes de Hegel jusqu'à la Phénoménologie de l'esprit, du concept de „vie“ (Leben): une notion qui se trouverait, selon lui, au fondement de l'ontologie hégélienne, et dont naîtrait la problématique de l'historicité. Bouton concentre son attention sur ces mêmes textes. Il consacre même la première partie de son livre à l'examen des écrits sur lesquels Dilthey avait fondé ses thèses, dans Die Jugendgeschichte Hegels: les premières ébauches de Berne sur la „Positivité de la religion chrétienne“, les différentes esquisses de l'Esprit du christianisme et son destin, mais aussi les Premières publications d'Iéna. On notera cependant que la perspective qu'il adopte n'est en aucune manière Diltheyenne: rappelant la centralité, pour le jeune Hegel et ses contemporains, du débat sur le panthéisme, il montre plutôt que ce sont les questions posées par Jacobi dans ses Lettres sur la doctrine de Spinoza qui conduisirent Hegel à formuler une nouvelle „ontologie“, une autre conception de l'être (28–30). Ce sont aussi ces questions et, plus précisément, la question de la réalité du temps chez Spinoza, elle aussi formulée par Jacobi dans les Lettres, qui conduisirent Hegel à „préciser“ (78) – et sans doute, ajouterions-nous pour notre part, à reformuler – sa propre conception du temps.

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Le choix, par Bouton, de cette ligne de fond est remarquable, et potentiellement très fructueux. Il est remarquable: rares sont aujourd'hui les études de la notion de Geschichtlichkeit, ou „historicité“, qui n'adoptent pas la compréhension Diltheyenne du terme comme point de départ et ligne directrice. De cette notion, c'est pourtant Hegel qui devrait être considéré comme l'inventeur – non pas seulement parce que, comme le rappelle Bouton dès les premières lignes de son ouvrage, il fut sans doute le premier à l'utiliser, mais aussi parce qu'il lui donna le sens – très différent de celui de Dilthey – que nous lui donnons encore communément aujourd'hui. Et le choix est fructueux, ne serait-ce que, déjà, parce que la question spinoziste, ou plutôt jacobienne, de la réalité du temps se trouve aussi au fondement de l'interrogation de Schelling. Bouton, qui consacra un très bel article, il y a quelques années, à la théorie schellingienne du temps dans les Weltalter (l'article fut publié en 1997 dans la Revue philosophique de Louvain), ne traite pas ici de ce dernier texte – à juste titre: Hegel ne connut sans doute pas cet écrit. Mais un chapitre est consacré au „dialogue avec Schelling“ (221–235), et le compagnon de Hegel est régulièrement mentionné, tout au long de l'ouvrage. Bouton a, de toute évidence, une excellente connaissance des acquis de la recherche la plus récente sur le sujet. Qu'on nous permette donc de regretter quelque peu qu'il ait choisi de se montrer si discret, dans le présent ouvrage, sur l'évolution de la pensée du jeune Schelling: sur sa réflexion sur le temps, mais aussi sur son élaboration d'une Naturphilosophie. L'élaboration par Hegel, à Iéna, d'une Naturphilosophie ne peut guère être examinée indépendamment de l'élaboration de cette discipline par Schelling. Bouton affirme même, nous l'avons vu, que la philosophie de la nature forme pour Hegel „le sol et l'horizon de l'analyse du temps“ (101). N'est-ce pas alors le débat avec Schelling qui aurait dû se trouver au fondement de toute son analyse? Dans sa présentation des Systementwürfe de Hegel en 1805/06, Bouton note qu’à l’époque l‘„interlocuteur principal de Hegel est non plus Aristote mais le premier Schelling, avec lequel s'engage un débat implicite dont l'enjeu est la remise en cause de la prééminence de l'éternité sur le temps“ (190). Mais ce débat – le débat implicite, en tout cas – fut probablement bien antérieur à 1805/06; et je me demande si l'on peut dire que l'interlocuteur principal de Hegel fut jamais Aristote: montrer, comme le fait Bouton dans un solide chapitre sur „Hegel, lecteur d'Aristote“ (170–185), que Hegel ne „paraphrasa“ pas l'auteur de la Physique ne suffit pas pour conclure que celuici fut son „interlocuteur“, au sens où le fut Schelling – au sens propre, mais aussi au sens figuré du terme. Le point est important, car il concerne la place accordée à la Physique – c'est-à-dire, en fin de compte, à la philosophie de la nature – dans l'élaboration, par Hegel, de sa conception du temps. En 1804/05, et sans doute même encore plus tôt, Hegel prend ses distances par rapport à Schelling, qui veut – je cite Bouton – „voir la nature en Dieu et Dieu dans la nature“; et il situe la philosophie de la nature elle-même – Bouton nous l'explique fort bien – „dans l'horizon implicite de l'esprit“. (126) N'est-ce pas alors de la philosophie de l'e-

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sprit, et non de la philosophie de la nature, qu'il faut dire qu'elle forme pour lui „le sol et l'horizon de l'analyse du temps“? (101) La distinction faite par Bouton entre le „maintenant“ (Jetzt) et le „présent“ (Gegenwart), la préséance qu'il accorde au présent, comme présent concret, sur le „maintenant“ renforcent, me semble-t-il, cette conclusion, que confirme bien sûr aussi la lecture des nombreux écrits consacrés par Hegel, dès sa jeunesse, à la religion, à la politique, et à l'histoire elle-même. L'article que Bouton vient de publier sur „L'analytique de l'histoire: l'apport de Hegel dans la constitution du concept moderne de Geschichte“ (in: Hegel: droit, histoire, société. Revue germanique internationale. 15/2001) semble d'ailleurs s’orienter en ce sens, et remplir déjà la promesse annoncée dans son premier livre: comme il le montre brillamment, ce fut Hegel, et nul autre que lui, qui „inventa“ la notion moderne de Geschichtlichkeit. Myriam Bienenstock (Tours)

Pierluigi Valenza: Logica e filosofia pratica nello Hegel di Jena. [Logik und praktische Philosophie beim Jenaer Hegel.] Padova: Cedam 1999. 423 S. Thema des vorliegenden Bandes ist die Entwicklung von Hegels logischem und praktischem Denken in der ersten Jenaer Periode, und zwar von der Differenzschrift bis zum Naturrechtsaufsatz. Die Aufgabe seiner gründlich durchgeführten Arbeit sieht Valenza darin, einerseits die Grundzüge eines frühen Systems zu rekonstruieren anhand von Texten, die meistens als ausschließlich philosophisch-kritisch betrachtet werden, andererseits eine praktische Aufgabe der Logik als Einleitung in die Metaphysik zu demonstrieren. Was die Stellung dieser Periode in der gesamten Entwicklung der Philosophie Hegels anbelangt, bekennt sich Valenza zu einer Interpretationslinie, die eine hauptsächliche Kontinuität zwischen der Frankfurter Lebensmetaphysik und den systematischen Entwürfen der ersten Jenaer Jahre propagiert. Der Lebensbegriff bildet folglich den roten Faden, der in den analysierten Aufsätzen und Fragmenten aus den Jahren 1800–1804 das theoretische Denken mit dem praktischen verbindet. Der Band umfaßt drei Teile: Im ersten Teil (17–79) behandelt der Verf. das Thema der praktischen Vernunft in den Jugendschriften, von der Auseinandersetzung Hegels mit den Kantischen Positionen ausgehend. Valenza rekonstruiert die Entwicklung der Frage nach der Positivität der christlichen Religion, die im Systemfragment zum Projekt einer Subjektivierung der objektiven Religion sowie der Versinnlichung moralischer Prinzipien führt. Berücksichtigt wird außerdem die in Zusammenarbeit mit Hölderlin entstandene Auffassung der Liebe und des Lebens als Einheit. In der Frankfurter Lebensmetaphysik sei eine Konstellation von Termini zu finden (Einheit, Vereinigung, Wiederversöhnung), die auf die späteren spekulativen Begriffe hinweisen.

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Reflexion und Verstand sind in den Jugendschriften als Vermögen der Trennung bezeichnet, wodurch die Einheit des Lebens nicht adäquat erfaßt werden kann. In Bern und in Frankfurt wird dem Verstand, der im praktischen Bereich im Dienste des Egoismus steht, die Einbildungskraft entgegengesetzt. Somit scheint die Poesie einen privilegierten Zugang zur Einheit des Lebens zu besitzen. Auf der praktischen Ebene sieht Hegel die mögliche Fundierung des moralischen Handelns in der Vereinigung von Vernunft und Liebe im Altruismus. Im Systemfragment ist die Vernunft bzw. die Philosophie in der Lage, das Leben als Einheit von Vereinigung und Nicht-Vereinigung zu erfassen, noch nicht aber den Gegensatz von Wirklichkeit und Denken zu überwinden. Das spezifische Anliegen dieser Phase der philosophischen Tätigkeit Hegels besteht nach Valenza darin, die Frage nach dem Verhältnis des Theoretischen zum Praktischen über die von Kant und Fichte dargebotenen Lösungen hinaus zu stellen. Mit einer systematischen und inhaltlichen Neuformulierung der grundlegenden Ideen der Metaphysik ziele Hegel darauf, ihre Gültigkeit im praktischen Bereich zu prüfen. Der zweite Teil (81–297), der umfassendere und detailliertere, vom Autor als der eigentliche Kern der Arbeit bezeichnet, untersucht das Verhältnis von Wissen und Wirklichkeit sowohl in der Logik als Einleitung zur Metaphysik als auch in der philosophischen Kritik als Einleitung zum spekulativen Denken. Das erste Kapitel behandelt die Differenzschrift. In diesem Text (sowie in anderen Fragmenten und Manuskripten, z.B. der Nachschrift Troxler) hebt Valenza eine Idee des Systems hervor, in der Wissen bzw. Wissenschaft und Wirklichkeitsprozeß zusammenfallen. Im System, als ein organisches Ganzes verstanden, wird die Einseitigkeit der einzelnen Kenntnisse aufgehoben, so daß die Form der Organisation zum eigentlichen Gegenstand des Wissens wird, zum Absoluten. Diese von Hegel parallel zu den zeitgenössischen Positionen Schellings (Synthese des Bewußten und des Unbewußten im Kunstwerk) entwickelte Auffassung bezieht sich auf die Kritik an den Philosophien der Subjektivität. Sie stellt den Anspruch, durch die Anschauung über die Grenzen der Verstandeserkenntnis hinaus zur Spekulation zu kommen. Hegel sieht eine prinzipielle Kontinuität der Formen des Lebens, der Natur und der Intelligenz. Daher erweist sich die Philosophie als Entwicklung einer zum Verständnis der Lebenskomplexität geeigneten Begrifflichkeit. In diesem Sinne, so Valenza, könne man von einer praktischen Bedeutung der ersten Systemkonzeption Hegels sprechen. In der Differenzschrift und in den Vorlesungsfragmenten aus den Jahren 1801–02 wird die Logik als Analyse der Formen der Verstandeserkenntnis behandelt und erscheint insofern als Einleitung zum System, was eigentlich eine Selbstauflösung des negativen Wissens von der Endlichkeit in die Metaphysik bedeutet. Da die Logik hier als Darstellung eines Denkfehlers gilt, die in die Anerkennung der Beschränktheit des subjektiven Denkens münden soll, gleicht sie in einem gewissen Sinne der Kantischen Idee der Dialektik und schließt das skeptische Moment ein. So erscheint die Metaphysik als ein der Wirklichkeit angemessenes, unendliches

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Denken, in dem jedes Endliche und Einzelne auf das Ganze bezogen wird. Eine so definierte Metaphysik sei aber nicht nur als ein theoretisches oder sogar formelles Wissen zu verstehen, sondern als ein praktisches, da sie auf eine prägnante Weise die Frage nach der Freiheit sowie die Lebensformen der Gemeinschaft (Kunst und Religion) einschließt. Hegels Kritik an den Philosophien der Subjektivität in Glauben und Wissen wird im zweiten Kapitel erarbeitet und bildet einen Schwerpunkt der Darstellung Valenzas. Neben Hegels Bewertung des spekulativen Gehalts Kantischer Philosophie wird besonders der Nihilismusstreit zwischen Jacobi und Fichte berücksichtigt. Hegel sehe, trotz aller polemischen Entgegensetzung, eine gewisse Nähe zwischen den Positionen Fichtes und Jacobis in der radikalen Ablehnung des absoluten Nichts. Denn auch der Fichteschen Philosophie, die die reelle Tatsache (als dem Ich entgegengesetzt) als solche behält, bleibt das reine Nichts unerreichbar. Die Philosophie Jacobis spielt aber eine tragende Rolle für die Bestimmung der Funktion der konkreten Individualität, die zur Überwindung des Dualismus dient. Eine solche Stellung von Jacobi, dem zwar ein geringerer Rang als Kant und Fichte in der Entwicklung des spekulativen Denkens zukomme, sei auch im praktischen Bereich von Bedeutung, denn Hegel gehe von der Diskussion über Subjektivität und Individualität aus um zu zeigen, daß die wahre individuelle Freiheit eine konkrete ist, d.h. auf den sittlichen Gehalt eines Volkes gründet. Die Definition der Freiheit in Glauben und Wissen ist mit der Entgegensetzung von Moralität und Sittlichkeit eng verbunden und impliziert die Idee der Selbstaufopferung des Einzelnen. Einerseits thematisiert Hegel durch Jacobi angeregt die systematische Funktion der Negation der Negation, andererseits expliziert er die spekulative Bedeutung der absoluten Freiheit mit dem Hinweis auf den Tod Gottes. Hier gelinge also Hegel die in den Jugendschriften vergeblich gesuchte spekulative Interpretation des Christentums. Der dritte Teil (299–397) ist der Auffassung der Tragödie im Sittlichen gewidmet und konzentriert sich vor allem auf die Bedeutung von Freiheit und Notwendigkeit im Naturrechtsaufsatz und im System der Sittlichkeit. Valenza geht auf Hegels kritische Bemerkungen über das Verständnis des Freiheitsbegriffs als Überwindung von Grenzen oder als Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Optionen ein. In der empirischen sowie der naturrechtlichen Auffassung der Freiheit sieht Hegel eine Entgegensetzung von allgemeiner und individueller Freiheit, die jede Versöhnung im Sittlichen verhindert. Die Freiheit erscheint eigentlich als Indifferenz von Freiheit und Notwendigkeit, wobei Indifferenz die Negation alles Bestimmten und Einzelnen bedeutet. Die Negation ist Aufhebung der einzelnen Bestimmungen auf der höheren Ebene der Organisation als Totalität, als „positives Element der Sittlichkeit“. (313) Freiheit bedeutet also das Vernichten der Individualität. Das Buch kommt immer wieder auf die zentrale Stellung der Idee der Freiheit als des Todes, die den Angelpunkt der ersten praktischen Philosophie Hegels bil-

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de, zurück. Dadurch wird der im Geist des Christentums dargestellte tragische Held mit der in den Jenaer Schriften entworfenen Synthese von Freiheit und Notwendigkeit in Verbindung gesetzt. Die Identität des Subjektiven und des Objektiven erfordet das Leiden, das in der von Jacobi als nihilistisch verworfenen Negation des Endlichen besteht. Im Naturrechtsaufsatz bestimmt Hegel das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit als Verhältnis von Innerem und Äußerem und bezieht sich gleichzeitig auf die in der Differenzschrift formulierte Idee des Ganzen als Notwendigkeit. Die Freiheit als Tod „zeigt den Übergang vom Individuum zur sittlichen Gemeinschaft als dem Positiven der Sittlichkeit“. (318) Die in den Texten aus den Jahren 1802/03 präsentierte praktische Philosophie stellt nach Valenza den Ausgangspunkt der Logik dar, obwohl letztere anscheinend nicht das zentrale Anliegen von Hegels Ausführungen bildet. Der Schlußteil des Buches befaßt sich mit der spekulativen Bedeutung der Tragödie und der Komödie. Die erste als „Tragödie im Sittlichen“ erfaßt die Notwendigkeit des Konflikts und des Sterbens für die Freiheit des Individuums. Somit erscheint sie mit der ethischen Dimension der Gemeinschaft positiv verbunden. Im Gegensatz dazu depotenziert die Komödie durch das Lachen die wahre Bedeutung des Konflikts. Betont wird, daß Tragödie und Komödie nicht als Figuren oder Metaphern, die auf sittliche Verhältnisse hinweisen, sondern als zeit- und historisch bedingte Darstellungsformen des Absoluten zu verstehen sind. Der Verf. interpretiert die Idee der Freiheit als Tod, „das Sittliche als Göttliches, das die Tragödie von sich selbt erlebt“, als erste Realisierung der im Glauben und Wissen programmatisch formulierten Auffassung der absoluten Negation. Und dieser ethisch und theologisch nuancierte Begriff der Negation bilde letztendlich die grundsätzliche Struktur der Wirklichkeit. Giovanna Pinna (Cosenza)

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Zur Phänomenologie des Geistes Stewart, Jon: The unity of Hegel’s Phenomenology of spirit: a systematic interpretation. Evanston (Illinois): Northwestern University Press 2000. XV, 556 S. (SPEP Studies in Historical Philosophy) The Phenomenology of spirit Reader: critical and interpretative essays. Edited by Jon Stewart. Albany: State University of New York Press 1998. XV, 507 S. (SUNY Series in Hegelian Studies) De la Maza, Luis Mariano: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Bonn: Bouvier 1998. 222 S. (Neuzeit und Gegenwart. Bd. 9.) Weckwerth, Christine: Metaphysik als Phänomenologie. Eine Studie zur Entstehung und Struktur der Hegelschen „Phänomenologie des Geistes“. Würzburg: Könighausen & Neumann 2000. 231 S. (Epistemata: Reihe Philosophie. Bd. 273.) An Einführungen, Kommentaren und monographischen Darstellungen zur Phänomenologie des Geistes mangelt es nicht; Jon Stewarts einläßliche und umfangreiche Gesamtinterpretation des Werks darf dennoch nicht nur für den angloamerikanischen Raum (und etwa gegenüber den Arbeiten von John Findlay und Howard P. Kainz) den Anspruch erheben, einem Desiderat abzuhelfen. Zwar darf der Text auch als Resultat und in manchem kritische Revision langjähriger Studien des Autors zur Phänomenologie des Geistes gelten, entstanden aber ist vor allem ein Arbeitsbuch, das in textnaher Deutung und begrifflicher Präzision über die Intention, „a simple yet thorough and accurate introduction […] for the average undergraduate“ (1) zu liefern, weit hinausreicht. Dies vor allem darin, daß Stewart gegenüber der vor allem von Walter Kaufmann in der Tradition Rudolf Hayms mit Nachdruck vorgetragenen und weithin rezipierten Hypothese vom inkonsistenten „patchwork“ der Phänomenologie hartnäckig und konsequent auf deren argumentativer Stringenz und kompositorischer Kohärenz und ihrem systematischen Ort in der Philosophie Hegels beharrt – ohne sich allerdings näher um die Korrelation zur Wissenschaft der Logik und zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften zu bemühen. Darum allerdings ist es ihm vorrangig ebensowenig zu tun wie um die doxographische Genese der Phänomenologie, die die Forschungsdebatten der letzten Jahrzehnte nicht unwesentlich bestimmt hat und angesichts der avisierten Zielgruppe und des Verfahrens immanent-systematischer Rekonstruktion der Erfahrungen des Bewußtseins mag man diese Bescheidung ebenso akzeptieren wie die nur tentative Interpretation der Vorrede. Wie die einleitenden Daten zu Hegels Lebens- und Wirkungsgeschichte (4–13) und die methodologischen Überlegungen zu Hegels Kant-Kritik (14–31) wird man sie als Präliminarie gewichten, die der in fortlaufendem Kommentar präsentierten Deutung konziseren Zugriff erlaubt. Die Analyse der Phänomenologie des Geistes selbst erfolgt abschnitt- und kapitelweise mit kontinuierlichem Hinweis auf die in der beigezogenen verläßli-

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chen Übersetzung von A. V. Miller eingerichtete Paragraphenzählung (die Verweise auf die Gesammelten Werke sind in den zugehörigen Anmerkungen gegeben); Forschungsliteratur wird, wo nötig, von Stewart in eigener Übersetzung angeführt. Die im Umfang austarierte Interpretation der Einzelkapitel selbst ist jeweils dreigegliedert: Nach systematischer Entfaltung des kategorialen Inventars, Hinweisen auf maßgebliche Interpreten und Deutungsansätze sowie mit Blick auf parallele oder alternierende Bezugsstellen in Hegels Schriften werden die spezifischen Erfahrungen des Bewußtseins detailliert geschildert, um schließlich in resümierender Vergewisserung den je aktualen Stand des erscheinenden Wissens zu markieren; den schematisierenden Skizzen zu einzelnen Argumentationszusammenhängen kommt eher heuristischer Wert zu. Diesem didaktisch geschickten Arrangement entsprechend ist die Auseinandersetzung mit der Forschung konsequent in die Anmerkungen ausgelagert; sie beschränkt sich auf wirkungsgeschichtlich relevante Positionen. Eine umfangreiche Auswahlbibliographie, der Aktualisierung zu wünschen wäre und ein knapper kombinierter Personen- und Sachindex, der den Anmerkungsteil nicht erfaßt und auch nicht als Begriffsglossar ausgebaut ist, beschließen den solide ausgestatteten Band, der nicht nur für die avisierte Gruppe von Rezipienten erste Orientierung und willkommene Hilfestellung zu eigener Textexegese bieten wird. Als Komplement zu diesem Arbeitsbuch hat Stewart aus dem Zeitraum von 1965 bis 1995 eine Sammlung von etablierten Forschungsbeiträgen zusammengestellt, die auch in der Vielzahl der Stimmen dessen Intention, die Phänomenologie des Geistes als systematisch kohärenten Text zu deuten, stützen kann. Der Aufbau des Bandes wahrt – mit Ausnahme der Arbeiten zum GeistKapitel, das auch den Schwerpunkt in Stewarts eigener Interpretation bildete – die Proportionen auch darin, daß erläuternde Interpretation und Detailstudien aus der Perspektive ihres strukturellen Zusammenhangs kombiniert werden: Zu Vorrede und Einleitung sind Beiträge von John Sallis (Hegel’s Concept of Presentation: Its Determination in the Preface to the Phenomenology of Spirit, 1977), Kenley R. Dove (Hegel’s Phenomenological Method, 1969/70) und Kenneth R. Westphal (Hegel’s Solution to the Dilemma of the Criterion, 1988) aufgenommen. Sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung, Kraft und Verstand behandeln Arbeiten von Katharina Dulckeit (Can Hegel Refer to Particulars?, 1986), Merold Westphal (Hegel’s Phenomenology of Perception, 1973) und Joseph C. Flay (Hegel’s „Inverted World“, 1970), die Erfahrungen des Selbstbewußtwerdens diejenigen von Howard Adelman (Of Human Bondage: Labor, Bondage, and Freedom in the Phenomenology, 1980), George Armstrong Kelly (Notes on Hegel’s „Lordship and Bondage“, 1965) und John W. Burbidge („Unhappy Consciousness“ in Hegel: An Analysis of Medieval Catholicism, 1978). Der Beobachtenden Vernunft und der Individualität widmen sich Alasdair MacIntyre (Hegel on Faces and Skulls, 1976) und Gary Shapiro (Notes on the Animal Kingdom of the Spirit, 1979); Sittlichkeit, Bildung und Moralität, näherhin die phänomenologischen Gestalten des Geistes analysieren Patricia Jagentowiczs Mills (Hegel’s Antigone, 1986), David W. Price (He-

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gel’s Intertextual Dialectic: Diderot’s Le Neveu de Rameau in the Phenomenology of Spirit, 1991), Karlheinz Nusser (The French Revolution and Hegel’s Phenomenology of Spirit, 1970), Moltke S. Gram (Morality and Literary Ideals in Hegel’s Critique of „The Moral World-View“, 1978) und Daniel P. Jamros, S. J. („The Appearing God“ in Hegel’s Phenomenology of Spirit, 1990). Die Religion innerhalb der Phänomenologie des Geistes untersuchen Jean-Louis Viellard-Baron (Natural Religion: An Investigation of Hegel’s Phenomenology of Spirit, 1971), Harald Schöndorf, S. J. (The Othering (Becoming Other) and Reconciliation of God in Hegel’s Phenomenology of Spirit, 1982) und Martin J. de Nys (Mediation and Negativity in Hegel’s Phenomenology of Christian Consciousness, 1986), dem absoluten Wissen und der Systematik der Komposition des Werks widmen sich Mitchell H. Miller Jr. (The Attainment of the Absolute Standpoint in Hegel’s Phenomenology, 1978) und abschließend der Beitrag des Herausgebers Jon Stewart (The Architectonic of Hegel’s Phenomenology of Spirit, 1995). Der Beitrag von Westphal und diejenigen von Nusser, Schöndorf und Viellard-Baron, letztere in der Übersetzung des Herausgebers, erscheinen erstmals in englischer Sprache, Zitate aus der Phänomenologie des Geistes sind weitgehend nach der Übersetzung A. V. Millers vereinheitlicht: Auch darin entspricht die Zusammenstellung der Konzeption eines Studienbuchs. Mit Auswahlbibliographie und Index ausgestattet, bietet der Band, fast ein kooperativer Kommentar, eine vielstimmige und fundierte Auswahl vorwiegend textnaher und nicht immer leicht zugänglicher Analysen – er läßt sich also zudem als weithin repräsentativer Abriß der angloamerikanischen Rezeption der Phänomenologie des Geistes nutzen und leistet so einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Einheit der Forschung. Luis Mariano de la Mazas Monographie (eine Überarbeitung seiner Dissertation, Bochum 1990) nutzt das selten distinkt interpretierte Religionskapitel der Phänomenologie des Geistes als bestimmende Perspektive für die Analyse der Struktur- und Entwicklungsprinzipen des Textes und die Untersuchung der Korrelation von logischem Inventar und phänomenologischem Material. Leitende Interpretamente sind dabei die Metapher des „Knotens“, mit der Hegel in der Bewegung des Geistes von seinen unmittelbaren Erscheinungsformen bis zum vermittelten Selbsterkennen eine prinzipienbestimmte Verknüpfung einzelner, heterogener Elemente umschreibt und diejenige des „Bundes“, in dem die Religion, aus der Reihe der Knoten heraustretend und die ihnen aggregierten Gestalten neu und „symmetrisch“ (GW 9. 367) arrangierend, die gesamte Entwicklung des erfahrenden Bewußtseins zusammenfaßt. Dabei darf das Bedeutungsspektrum der Metapher des „Knotens“ besonderes Interesse beanspruchen: Hegel, weist de la Maza im Detail nach, nutzt sie, um Unterbrechung und Neuanfang innerhalb eines Kontinuums zu umschreiben, um die Verknüpfung einzelner Elemente zu Momenten einer Totalität zu benennen, um Anhalts- oder Richtungspunkte einer Entwicklung zu markieren, er verwendet sie als Chiffre für die Verbindung von Idealem und Empirischem und als solche, mit der, ähnlich der tradierten poetologischen Bedeutung des Knotens, Konfliktkonstellationen, die zur Auflösung drängen, gefaßt sind.

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(10–16) Der Knoten, Stellenwert und Funktion des Religionskapitels angemessen erst im Horizont des gesamten Textes zu bestimmen, anderseits jedoch diese Perspektive erst aus Interpretation dieses Kapitels erlangen zu können, wird allerdings auf nicht unübliche Weise zerschlagen: in einer auf die „Einleitung“ bezugnehmenden Erörterung der Begründungsprobleme spekulativer Philosophie und des Konzepts einer voraussetzungslosen Selbstprüfung des Bewußtseins unter den Bedingungen spekulativer Relevanz. Daß und wie Hegel sein Vorhaben in Auseinandersetzung mit Fichtes und Schellings Versionen einer Geschichte des Selbstbewußtseins positioniert, führt in Konsequenz zur theoriegeschichtlichen Leitlinie der Arbeit, die strukturell-systematische Rekonstruktion der Phänomenologie vor dem doxographischen Hintergrund der Korrelation von Logik, Geschichts- und Religionstheorie zu entwickeln; dies in drei Arbeitsschritten, deren erster das chronologische und argumentative „Vorfeld“ behandelt (27–82). Hier gelingt es de la Maza präzise, chronologische und argumentative Fundierung und Entwicklung von Hegels frühen Positionen und Jenaer Systementwürfen im Konspekt der zeitgenössisch konkurrierenden Theorien zu synthetisieren. Nicht unerwartet sind als „Knoten“ dieser Darstellung die Ausbildung der Idee einer spekulativen Philosophie (1801/02), die Systemkonzepte mit den Schwerpunkten Naturrecht und Sittlichkeit (1802/03), die Jenaer Systementwürfe zur spekulativen Philosophie (1803/04), zur Logik, Metaphysik, Naturphilosophie (1804/05) und zur Realphilosophie (1805/06) eingeflochten, um von ihnen aus die Genesis des Geistkonzepts, der jeweiligen Zusammenordnung von Logik und Metaphysik und die in Entsprechung dazu modifizierte Deutung von Sittlichkeit, Kunst und Religion zu konturieren. Aus guten Gründen, und zwar sowohl solchen der inhaltlichen wie strukturellen Neukonzeption der Logik wie solchen der Transformation der Phänomenologie zu einem Teil der Philosophie des subjektiven Geistes schon in Nürnberg, sind dagegen Bezugnahmen auf die Wissenschaft der Logik weitgehend unterblieben. Vor diesem Hintergrund also werden im zweiten Teil der Arbeit die bis zum Religionskapitel der Phänomenologie in der Erfahrung des Bewußtseins unterschiedenen Hauptmomente als „Verknüpfungskomplexe“ betrachtet, in denen „Kriterien und Prinzipien eines angemessenen Verständnisses der Logik und somit des Systems der Philosophie in seinem Kern mit Hilfe von Beispielen aus den verschiedensten Bereichen der Realität wie im Zusammenhang einer Einübung im Gebrauch zentraler Kategorien propädeutisch vermittelt werden“. (85) Zu Recht weist de la Maza mit A. Graeser und W. Bonsiepen darauf hin, daß Hegel das Strukturprinzip des sich in der Unterscheidung von etwas sich auf sich beziehenden Bewußtseins der Erläuterung des rationalen Bewußtseins von Carl Leonhard (nicht Leopold, wie die bis 1990 meist zuverlässige und ausführliche Bibliographie behauptet, 209) Reinholds verdankt und daß er es in der Phänomenologie nicht eigens thematisiert, sondern lediglich operativ einsetzt und ihm das Entwicklungsschema von unbestimmter Unmittelbarkeit, deren Reflexion und aus ihr hervorgehender bestimmter oder reflektierter Unmittelbarkeit zur Darstellung typi-

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scher Bewegungsformen des Bewußtseins, des ihnen zu Grunde liegenden kategorialen Inventars und schließlich auch für die Perspektivierung des gesamten Textes abgewinnt. De la Maza widmet den Passagen, in denen die Kohärenz der internen Argumentation durchbrochen, in denen also durch „Zutat“ (GW 9. 61.) einer externen Instanz die Erfahrungen des Bewußtseins nach der notwendigen Abfolge der in ihnen exemplifizierten logischen Momente geleitet wird, besondere Aufmerksamkeit; es sind dies die „Knoten“, an denen er den propädeutischen Charakter der Phänomenologie und ihre gedoppelte Intention, als Einleitung in das System philosophischer Wissenschaft schon selbst mit deren Anspruch aufzutreten, plausibel macht. Konsequent entfaltet er seine Deutung von Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist jeweils zunächst als Explikation der je zu Grunde liegenden logischen Bestimmungen, erläutert dann die je bestimmende „allgemeine leitende“ (122) metalogische Modellstruktur (also diejenige der Anerkennung, die der Einheit von Denken und Sein, die der Versöhnung) und behandelt abschließend die Erfahrungen des Bewußtseins. Überzeugend ist, daß auch hier zur kontrastierenden Erläuterung frühere Positionen in ihrer Alterität berücksichtigt werden und also z.B. detailliert (und mit L. Siep) gezeigt wird, daß „Anerkennung“ in diesem Kontext zwar strukturelle Ähnlichkeit mit den Jenenser Realphilosophien von 1803/04 und 1805/06 aufweist, daß sie allerdings nun zur Veranschaulichung für den „spekulativen Komplex des Lebens und Erkennens“ an Hand der Vermittlungsversuche „zweier entgegengesetzter Selbstbewußtseine“ (110) in ihrer wechselseitigen, teleologisch überformten Bedingtheit dient. Eher skeptisch dagegen ist die anfänglich strikte, nach Textabschnitten ausgezählte Differenzierung zwischen rekapitulierendem „Besinnungstext“ (89 u.ö.) und Bewußtseinserfahrung anzusehen; sie wird denn auch von Darstellung der beobachtenden Vernunft ab und in Einklang mit ihr aufgegeben. Anwachsende Komplexität der Bewußtseinsgestalten und ihre je nach Argumentationszusammenhang differierende Gewichtung als eines Erfahrungsmoments oder als präzis konturierter phänomenologischer „Gestalt“ sind penibel vermerkt, aber unter der Prämisse ihrer lediglich veranschaulichenden Funktion nicht interpretativ gewichtet; dies gilt auch für die konkreten geschichtlichen Gestalten, an denen sich das Bewußtsein, das sich als Geist erfahren und begriffen hat, im praktisch-gesellschaftlichen Leben erprobt. Zwar sind sie innerhalb ihres Bezugsmoments diachron bestimmt, aber diese Bestimmtheit gilt auch nur innerhalb eines solchen „Knotens“ und entspricht so der „begriffnen Organisation“ (GW 9. 434) des erscheinenden Wissens, die bestimmte historische Erscheinungsformen nach bestimmten systematischen Prinzipien in den Zusammenhang der Momente des Geistes bringt und sie als Beispiele im Dienste der Wissenschaft des erfahrenden Bewußtseins fungieren läßt. De la Maza sieht eine Selbsterfahrung des Geistes als in der Zeit Daseiendes erst im „Bund“ der Religion vollzogen; für ihn hat das Religionskapitel seine kompositorische Bedeutung darin, daß „das absolute Wissen als ein Drittes die aus Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist zusammengefügte Totalität

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mit der einfachen Totalität der Religion synthetisiert“ (155) und daß erst hier, in der mit der Metapher des „Bundes“ benannten Totalisierungsfunktion der Religion, ihrer „Resumtion des Ganzen in Eins (GW 5. 262), der sich wissende Geist sich selbst durchsichtig wird. Insofern also die Religion als Selbstbewußtsein des ganzen sich wissenden Geistes die Totalität des Geistes zum Gegenstand hat, kann sie die „Weltgeschichte in idealtypischen Gestalten der Religionsgeschichte konzentriert darstellen“. (158) Dementsprechend verkehrt sich hier die Beziehung der als wissenschaftliche Abfolge der Bewußtseinsgestalten und als Ordnungsgefüge der Momente des Geistes beschreibbaren synchronen Entwicklungslinien der Phänomenologie zur diachronen Geschichte des Bewußtseins und zur Weltgeschichte, in der sie zwar ihr „gegenständliches Dasein“ (159) findet, zu der sie aber keine lineare Entsprechung hat: Erst im Religionskapitel paßt sich die Reihenfolge der Gestalten der wirklichen Entwicklung der Weltgeschichte an, und es kommt dahin, daß „der wirkliche Geist so beschaffen ist wie die Gestalt, in der er sich in der Religion anschaut“ (GW 9. 370) – wozu er auf die bis dahin skizzierten Gestalten so zurückgreift, daß der vielschichtige „Bund“ der Religion die bis dahin an bestimmte „Knoten“ oder Momente der Wissensgenese fixierten Gestalten neu arrangiert. Die weit ausholende und textnahe Interpretation des Religionskapitels (160–197) belegt hier im Detail, daß die Relation der Religionsgestalten zu den Gestalten und Momenten der zusammengefaßten Totalität des Geistes wiederum diachron und systematisch zu fundieren ist, wenn sie in ihrer Komplexität beschrieben werden soll. Fraglich bleiben hier lediglich Einzelheiten: So will etwa mit Blick auf Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion, allerdings auch mit Rücksicht auf mögliche Bezüge auf Herder, eine Engführung der ersten Gestalt der „natürlichen Religion“ (nebenbei zumindest im Verständnis des Letzteren keine „Naturreligion“ im ethnologischen Sinne des frühen 19. Jahrhunderts), des „Lichtwesens“ also, mit dem Judentum „sehr sonderbar“ (167) nicht scheinen. Das mag unentschieden bleiben, mindert auch die Tragfähigkeit der Argumentation nicht, daß Hegel einzig im Religionskapitel der Phänomenologie des Geistes systematisch in der Korrelation von Gegenstand und Begriff Weltgeschichte und Geschichte der Erfahrungen des Bewußtseins in direkte Beziehung setzt. „Knoten“ und „Bund“ – Hegel beim Wort zu nehmen, kann sehr fruchtbar sein. Ob und wie der „Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt“ (GW 9. 55), auch als Genese geschichtlicher Objektivierung des Geistes zu deuten sei, ob also der Geschichte der Desillusionierungen des Bewußtseins zugleich der Bildungsprozeß moderner Sozialität eingeschrieben sei, ist seit Veröffentlichung des Textes ein wichtiger Impuls für die Rezeption der Phänomenologie des Geistes. Auch Christine Weckwerths Arbeit zur Struktur und Entstehung des Werks (die Überarbeitung ihrer Dissertation Philosophie als Wissenschaft von den Objektivierungsformen des Geistes, Berlin 1993) geht von einer systematisch eigenständigen phänomenologischen Genese des erscheinenden Geistes aus – wobei ‚Geist’ „in einem umfassenden Sinne für den ge-

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samten zivilisatorischen Prozeß der Menschheit“ (90) steht – und fragt also in Konsequenz auch danach, ob Hegel „die philosophischen Kategorien […] tatsächlich auf der Grundlage des individuellen wie geschichtlich kulturellen Bildungsprozesses“ (13) entwickele. Ansatzpunkt auch ihrer Überlegungen ist die problemgeschichtliche Konstellation, in der sich Hegels frühe Jenaer Arbeiten positionieren, näherhin zunächst seine Auseinandersetzung mit Fichtes Konzeption des transzendentalen Selbstbewußtseins und Schellings System des transzendentalen Idealismus. (15–36) Als Hegels Gegenentwurf wird ausführlich das System der Sittlichkeit vorgestellt (37–69), auch wenn es nur implizit Auskunft über eine Theorie des Geistes zu geben vermag. Der Text wird in der von G. Irrlitz besorgten Fassung präsentiert, er gilt hier als „Versuch, die moderne bürgerliche Gesellschaft wie den Staat in genetisch systematischer Form zu entwickeln“ (37) und wird präzis hinsichtlich der „elementaren Handlungsmuster“(43) von Vernichten, Arbeiten, Lieben und Sprechen, hinsichtlich der „Sozialisierungsformen“ (44) von Arbeitsteilung, Tausch und Anerkennung, schließlich hinsichtlich der Rechtsformen rekonstruiert. Ebenso präzis wird der methodisch als Logik von Subsumtionsverhältnissen wie im Arrangement der Formen der Sittlichkeit experimentelle Status des Textes dargelegt, und es ist kein geringes Verdienst der Arbeit, resümierend noch einmal auf Anknüpfungspunkte, aber auch Divergenzen zu Schellings Darstellung meines Systems der Philosophie und zu den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie hinzuweisen. Der anschließende Exkurs (71–78) prüft vornehmlich anhand des Systems der spekulativen Philosophie von 1803/04, ob darin, daß Hegel nun die Struktur des Bewußtseins mit der des Geistes identisch setze und es also zu einer „Umformulierung der Philosophie der Sittlichkeit zu einer Theorie des Bewußtseins“ (R.-P. Horstmann) komme, tatsächlich eine „grundlegende bewußtseins- oder geistphilosophische Kehre“ (71) vorliege. Für Weckwerth fällt diese Prüfung negativ aus, und sie hat aus ihrer Perspektive Recht sicherlich darin, daß Hegel „nicht prinzipiell von der Objektivierungsproblematik abrückt und zum transzendentalen Subjektbegriff zurückkehrt“ (75); das allerdings war auch nicht behauptet, sondern, daß von nun an systematisch das Absolute als Geist, als Beziehung zu sich selbst im Andern, in Form des Erkennens oder, wie konstatiert wird, im notwendigen „Duktus von Wissensformen“ (75) entfaltet wird. Und dieses, daß „die heterogenen Verhaltens- bzw. Objektivierungsformen […] als Organisationsformen des Bewußtseins“ oder „als Formen der (spekulativen) Selbstbewußtwerdung betrachtet werden“ (77 f.), wird zugestanden. Im Folgenden wird die Phänomenologie des Geistes „als Hegels erste umfassende Antwort auf seine Kritik an der Subjektphilosophie“ (79–95) begriffen, und in diesem Soliloquium sind zunächst Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 und Realphilosophie (1805/06) dem neuen Konzept einer propädeutisch-systematischen Einleitung der „Geschichte der Bildung des Bewußtseins [sc. selbst zur Wissenschaft]“ (86; GW 9. 56.) kontrastiert, das anhand der in Argumentation und systematischem Anspruch nicht differenzierten „Einleitung“ und Vorrede umrissen wird. Dieser Umriß be-

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schreibt als zentrales Thema „die Geschichte des sich selbst erzeugenden und produzierenden Geistes [als] Wissenschaft von [seinen] geschichtlichen Objektivierungsformen“. (90) Er benennt die daraus resultierende Problematik, diese „Gegenstandsbildungen“ (ebd.) in ihrer Selbständigkeit und zugleich in zusammenhängender Abfolge zu schildern und sieht gegenüber Fichtes und Schellings Versuchen einer ‚Geschichte des Selbstbewußtseins’, aber auch Hegels Jenaer Systementwürfen die entscheidende Differenz darin, daß Hegel nun versuche, „den geschichtlich kulturellen Prozeß zum Leitfaden des philosophischen Erkennens zu erheben“. (91) Wie dies nun damit zusammengehen soll, daß das „System der logischen Formen […] auf das in der Zeit (Geschichte) tätige und erkennende Subjekt bezogen [wird und also] die Kategorientheorie der Metaphysik spezifisch in den realgeschichtlichen Prozeß“ (92) eingeschrieben sei, bleibt hier – zu Gunsten beider, ist zu vermuten – unerläutert. Statt dessen folgt ein Exkurs über C. L. Reinholds Theorie des Bewußtseins (97–101) und Ch. G. Bardilis Grundriß der Ersten Logik, als „Grundmuster“ der Rezeption werden die Deutungen von Rudolf Haym, Karl Marx, Wilhelm Dilthey und die „logische Interpretation“ präsentiert (103–127), letztere in der pointiert reduzierten Form, daß in ihr der Text als „tatsächlich restlos aus einer Folge logischer Grundmomente konstituiert“ (127) – als Allegorie mithin – erscheine. Schließlich wird, und das erstaunt, wo es um die „originäre Logik der phänomenologischen Wissensgenese selbst“ (129) zu tun ist, auf Basis der Wissenschaft der Logik die Funktion der Erfahrungen des Bewußtseins als „Scheinlehre“ (129–150) konstatiert und anhand der sinnlichen Gewißheit erläutert: Hegel entwickele, so wird behauptet, den „Geistbegriff“ der Phänomenologie des Geistes „durchgehend vom Standpunkt des naiven Bewußtseins aus. Damit hat seine Darstellung des erscheinenden Wissens generell Scheinformen zum Gegenstand“. (141) Das klingt für die Erfahrungen und Gestalten des Bewußtseins aus Perspektive des sich wissenden Wissens plausibel – hinzuweisen bleibt aber darauf, daß auf Ebene der sinnlichen Gewißheit das ‚naive Bewußtsein’, das Weckwerth als „Alltagsbewußtsein, gesunder Menschenverstand“ (137) begreift, nicht einmal dieses ist, sondern – etwa für die Gegenstandswahrnehmung – die nahezu experimentell gesetzte Konstellation einer Form des Gewahrwerdens und Gewißseins, die sich in ihrem Gegenstandsbezug als unfähig zu Selbstthematisierung und Selbstprüfung erweist – weswegen „wir“ es sind, die den Anstoß zu jeglicher Erfahrung dieser Form zu geben haben, dies selbst darin, daß „wir“ es auf etwas „aufmerksam machen“ (GW 9. 67); Entsprechendes, durchgehend nur darin bestimmt, daß ihm Naives nicht eignet und es nicht als psychologisches Verhaltensmuster mißverstanden werden sollte, ließe sich für den Status des Bewußtseins vor jeder seiner Erfahrungen zeigen. Die „Scheinlehre“, wie sie im weiteren als „Schauplatz dauernder Illusionen und zahlloser Selbsttäuschungen des naiven Bewußtseins“ (146) und hinsichtlich der jeweils behaupteten Wesenhaftigkeit der Erfahrungen und Gestalten entfaltet wird, tut schließlich, wozu ihre logische Konstitution sie verpflichtet: Sie geht zu Grunde darin, daß der Geist sich als absolutes

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Wissen versteht oder daß „Hegels propädeutische Wissenschaft [versucht], den Perspektivismus des naiven Bewußtseins systematisch in philosophische Wesenserkenntnis umzubiegen“. (149) Als „Logik der phänomenalen Wissensgenese“ (151) entbehrt die „Scheinlehre“, wie sie hier vorgeführt wird, jedoch eines eigenen Entwicklungsprinzips, und eingesetzt ist sie als wenig überzeugender Versuch, den Gestalten des Bewußtseins durchgehend über ihre im Schein vermittelte Wesenhaftigkeit den Status verhaltenstypologischer, historischer oder kultureller Realien zuzumessen, anstatt sie, wie Hegel es unternimmt, entweder in der exemplarischen Funktion kontingenter Geschichtlichkeit, in derjenigen, die ihnen „nach der Seite ihrer begriffenen Organisation [in einer] Wissenschaft des erscheinenden Wissens“ (GW 9. 434) zukommt oder als begriffene Geschichte zu fassen. Die Frage nach dem „materialen Gehalt“ der Erfahrungen des Bewußtseins ist damit ebensowenig beantwortet wie diejenige, ob Hegel sich in ihrer Abfolge von der „reellen Dialektik der Objektivierungsweisen“ in ihrer Heterogeneität oder von der Dynamik des „Prozesses der abgeschlossenen Bewußtseinsgenese“ (151) leiten läßt. Ihnen widmen sich Weckwerths Überlegungen zum „Strukurierungsproblem der Phänomenologie“ (151–201), dies zum einen in der Überprüfung, ob das „entfaltete transzendentalphilosophische Schema“ (155) einer Sequenz von theoretischer, praktischer und ästhetischer/religiöser Sphäre etwa im Sinne Schellings hier Gültigkeit beanspruchen darf, was zu Recht bestritten wird. Zum andern wird untersucht, ob sich – darin der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften vorgreifend – eine subjektive , objektive und absolute Strukturebene ausmachen läßt; auch dieser kompositionellen Gliederung wird vor allem heuristischer Wert zugemessen für die sich anschließende und weit ausgreifend behandelte „Frage, inwieweit der erscheinende Geist bei Hegel auf der Grundlage realer (außerphilosophischer) Vermittlungszusammenhänge entwickelt wird“ (164) und wie weit sich diesbezüglich innerhalb der Bildungsgeschichte des Bewußtseins allgemeine Strukturierungsprinzipien nachweisen lassen. Festgestellt wird, daß für die individuellen wie für die intersubjektiven Formen der Bewußtseinserfahrung und auch für die „ideale Spiegelung und Synthese der individuellen wie der gesellschaftlich medialen Welt“ (191) in der Sphäre der Religion durchgehend vom „unvermittelten alltagspraktischen Dasein“ über vermitteltere Formen „zur Ebene systematisch philosophischer Begriffsbildung“ mit einem „genetischen Verfahren“ operiert wird, daß zudem eine neue Ebene der Bewußtseinserfahrung als Transzendierung der vorhergehenden in dem Sinne gefaßt werden kann, daß – im „Modus der Wiederholung“ (196) – frühere Gestalten des Bewußtseins auf neuer Vermittlungsebene neu fungieren. Den einzelnen Gestalten selbst dagegen eigne „unübersehbar ein willkürliches Moment“ (196), statt in Stoizismus und Skeptizismus etwa hätte sich die Freiheit des Selbstbewußtseins, wird vorgeschlagen, als „das hedonistische Bewußtsein oder auch der Neuplatonismus“ (197) figurieren lassen – was leider nicht näher ausgeführt ist. Weckwerth vertritt die von ihr vorgetragene These, daß „eine bestimmte Notwendigkeit“ auch der phä-

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nomenologischen „Erhebung des unvermittelten, partikularen Individuums in den geschichtlich-kulturellen Raum“ (203) zukomme, bei mancher Redundanz der Argumentation und auch in der Deskription nicht immer zureichender terminologischer Präzision (das unglückliche Bewußtsein etwa ist ein „Unglücksbewußtsein“ kaum, 193 u.ö.) mit einiger Hartnäckigkeit, konsequent und redlich auch darin, sie an ihre Grenze zu führen: Es ist dies Hegels Anspruch, daß auch der einleitend erste Part der philosophischen Wissenschaft als Wissenschaft auftritt darin, das logische Gefüge der spekulativen Philosophie in den Entäußerungsformen der Bewußtseinsgestalten bestimmend sein zu lassen. Diese „spekulative Prämisse“ (211) bestimmt die abschließenden Überlegungen, wobei zunächst davon ausgegangen ist, daß Hegels Begriff des Geistes noch 1807 beides fasse: die „Objektivierungsprozesse des individuellen, sozialisierten sowie seiner kulturellen Formierung bewußten (endlichen) Subjekts“ und den „Selbstrealisierungsprozeß eines überempirischen, in seinem Kern dynamisch-logischen Prinzips“. (203) Dieser „Doppelcharakter“ (210), gäbe es ihn denn anders als im Amalgam heterogener Systementwürfe, bewirkt allerdings für die beschriebenen „realgenetischen Aufbauprinzipien“ (211) Überformungen in dreierlei Hinsicht: in derjenigen einer „Hierarchisierung“ (212) der Wissensformen, in derjenigen einer „Homogenisierung“ (215) der Objektivierungsprozesse ob ihres Telos im absoluten Wissen und schließlich hinsichtlich einer „Idealisierung“ (215) in der Darstellung einzelner Phänomene – wie nicht selten kumuliert die Kritik auch hier im Vorwurf der „qualitativen Abschließung der Geschichte“ (217) und im Monitum, „daß Hegel sein phänomenologisches Konzept in einer nicht mehr adäquaten metaphysischen Form entwickelt“. Daß eben dieses Konzept anders nicht zu haben ist, als daß die hypostasierte „originäre Logik […] phänomenologischer Genese des Geistes“ (218) in Hegels Sinn letztlich diejenige der spekulativen Philosophie ist, ist auch nach Lektüre von Weckwerths weitgefächerter Studie kaum zu bezweifeln. Heinrich Clairmont (Bochum)

Jørgen Huggler: Hegels skeptiske vej til den absolutte viden. En analyse af Phänomenologie des Geistes. København: Museum Tusculanums Forlag 1999. 363 S. Obwohl Hegels Philosophie in Dänemark zwischen 1830 und 1850 beträchtlich rezipiert wurde, ist sie nach dieser anfänglichen Periode bis vor kurzem fast vollkommen vernachlässigt worden. Der Aufstieg der analytischen Philosophie, die für die dänische philosophische Szene bis heute größtenteils bestimmend ist, hat eine Mißachtung von Hegels Philosophie mit sich gebracht. Hegel war lange Zeit ein Feindbild und wurde für alles – von Marxismus bis Faschismus – verantwortlich gemacht. Vor Jørgen Hugglers Abhandlung gab es nur wenige Monographien über Hegel in dänischer Sprache. Viele von die-

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sen waren eher kurz und nicht selten voll von den wohlbekannten Mythen und falschen Klischees über Hegel. Das beste Beispiel dafür ist ohne Zweifel Niels Thulstrups Monographie (Hegel. Kopenhagen: G. E. C. Gads Forlag 1967). Etwas brauchbarer ist Oskar Hansens Einführung (Hegel. Kopenhagen: Berlingske Forlag 1971), welche neben einigen Übersetzungen von Primärtexten auch einen langen einführenden Essay über Hegels Leben und Denken enthält. Nennenswert ist zudem Jørgen K. Bukdahls Introduktion til Hegel (Kopenhagen: Vinten 1980; Århus: Philosophia 1996). Erst in den 90er Jahren dieses Jahrhunderts wurde die frühere Tradition durch eine neue Welle von wissenschaftlich kompetenten Studien ersetzt. Hier sollte man z.B. Justus Hartnacks lobenswerte, aber kurze Untersuchung Hegels Logik (Kopenhagen: C. A. Reitzel 1990, 1995) und H. C. Winds Anerkendelse; et tema i Hegels og moderne filosofi (Århus: Aarhus Universitetsforlag 1998) erwähnen. In diesem Zusammenhang muß man aber auch auf ein neues Werk in schwedischer Sprache hinweisen, nämlich auf Carl-Göran Heidegrens hervorragende Studie Hegels Fenomenologi. En analys och kommentar (Stockholm: Symposion 1995). Hugglers Werk kann als der bisherige Höhepunkt dieser jüngsten Welle der dänischen Hegel-Forschung betrachtet werden. Ich habe die obigen Werke aufgelistet, damit man die Wichtigkeit von Hugglers Leistung nachvollziehen kann. Das Buch stellt nach jeglichem Maßstab einen Meilenstein in der dänischen Rezeptionsgeschichte dar. Meines Wissens gibt es kein anderes Werk in dänischer Sprache, welches in Bezug auf wissenschaftliche Genauigkeit und Tiefe die Qualität von Hugglers Werk erreicht. Hugglers Studie ist die erste Habilitationschrift über Hegel an einer dänischen Universität (Institut für Ideengeschichte, Universität Aarhus) seit Anton Thomsens Hegel: Udviklingen af hans Filosofi til 1806 aus dem Jahr 1905. Man kann deswegen keinen Zweifel haben, wie wichtig Hugglers Buch in der dänischen, aber auch im allgemeinen in der skandinavischen Sekundärliteratur ist. Hugglers Studie ist in zwei große Teile gegliedert. Der erste trägt den Titel „Prinzipieller Teil“. Dieser erste Teil besteht aus drei Kapiteln und hat einleitenden Charakter. Hier diskutiert Huggler die Methodologie der Phänomenologie, eingebettet in deren zeitgenössischen Zusammenhang. Er behandelt in diesem Teil auch einige der frühen Kritiker der Phänomenologie, wie z.B. den jüngeren Fichte, Rudolf Haym und Karl Philipp Fischer. Der Verfasser versucht in diesem ersten Teil die Phänomenologie gegen diese Kritik zu verteidigen. Ganz konkret argumentiert er z.B. gegen die Behauptungen, daß die Phänomenologie eine petitio principi enthalte oder daß das Buch diesen Interpreten zufolge als Ganzes kein einheitliches Werk sei und daß es verschiedene, sogar widersprüchliche Ziele verfolge. Das fragwürdige Verwenden der konkreten historischen Figuren im Werk und das umstrittene Verhältniß zwischen der Phänomenologie und dem System im allgemeinen oder der Wissenschaft der Logik im besonderen werden ebenfalls diskutiert. Huggler nimmt im ersten Teil seiner Studie einzelne Passagen der Phänomenologie als Ausgangspunkt, um die folgenden Fragen beantworten zu

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können: Hegels allgemeine Absicht und philosophische Zielsetzung (Kapitel 1), seine umstrittene Methodologie zum Zweck der Erreichung dieser Zielsetzung (Kapitel 2) und schließlich die Folgen in Anbetracht der Interpretation des Werkes (Kapitel 3). Huggler gibt damit im ersten Teil seiner Studie einen sehr guten Überblick über Hegels Werk und die darin behandelten Hauptfragen, bevor er sich der eigentlichen Analyse der einzelnen Textabschnitte widmet. Der zweite Teil von Hugglers Studie, der sogenannte „Kommentarteil”, setzt sich mit Hegels Werk mit Hilfe einer eher analytischen Methodologie auseinander. Die philosophischen Probleme werden für sich und ohne Bezug auf deren historischen Zusammenhang analysiert. Auch dieser Teil besteht aus drei Kapiteln. Das erste (Kapitel 4) ist ein detaillierter Kommentar zum Ende des Geist-Kapitels, d.h. „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung”, und zum Ende des Religion-Kapitels, d.h. „Die offenbare Religion”. Diese Abschnitte aus dem Hegelschen Werk werden im Hinblick auf das letzte Kapitel „Das absolute Wissen” behandelt. Huggler widmet zudem die letzten zwei Kapitel seiner Studie (Kapitel 5–6) diesem letzten Kapitel von Hegels Werk. Er versucht, „Das absolute Wissen” gegen die vielen abschätzigen Meinungen zu verteidigen. Er befaßt sich zudem intensiv mit dem Fragment „C. Die Wissenschafft”, welches als ein Entwurf zum Kapitel „Das absolute Wissen” betrachtet wird. Bei diesen letzten zwei Kapiteln in Hugglers Studie handelt es sich jedoch keineswegs um einen mechanischen Kommentar, vielmehr setzt er sich auch mit anderen einzelnen Abschnitten und Kapiteln der Phänomenologie auseinander, um die Einheit und Kohärenz des Textes als Ganzes darstellen zu können. Hugglers Interpretation stellt keine radikal neue oder revolutionäre These dar, sondern ist vielmehr eine Präzisierung von vielen Standardinterpretationen. Dies kann jedoch kaum als ein Mangel angesehen werden. Bedenkt man nämlich, wie viele Studien über die Phänomenologie im Laufe der Jahre erschienen sind, scheint es eher unrealistisch zu sein, daß eine vollkommen neue und originelle Interpretation des Werkes noch möglich sein kann. Hugglers These ist, daß Hegels Werk, allgemein betrachtet, eine Kombination von zwei Elementen ist, und zwar eine von Kant stammende, aber stark modifizierte transzendentale Philosophie auf der einen, und eine von den antiken Skeptikern geliehene und in den Werken von Sextus Empiricus gefundene argumentative Struktur auf der anderen Seite. Die Behauptung, daß die Phänomenologie eine Art transzendentales Argument ist, kann natürlich kaum als eine originelle These gelten, sie gehört vielmehr zu den Standardinterpretationen des Werks. (Man kann in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten von z.B. Robert Pippin, Klaus Hartmann und Ulrich Claesges hinweisen, um nur einige Beispiele zu nennen.) Hugglers kurzer historischer Überblick im ersten Kapitel seiner Studie über die Entwicklung des deutschen Idealismus von Kant über Fichte und Schelling bis hin zu Hegel gehört ebenfalls zu den wohlbekannten Darstellungen über die Ge-

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schichte der Philosophie. Die Skizzierung dieser historischen Entwicklung ist jedoch aus didaktischen Gründen von Bedeutung, sie dient nämlich als eine sehr gute Einleitung des historischen Zusammenhangs von Hegels Werk, geeignet vor allem für Studenten und weniger für Fachleute. Interessant und originell ist hingegen Hugglers Behauptung, daß Hegels argumentative Strategie derjenigen des antiken Skeptizismus folgt. Laut Huggler werden bei dieser Strategie sogenannte „aequipollente Argumente” verwendet, d.h. man argumentiert gegen eine bestimmte Meinung, indem man eine ebenso einleuchtende Alternative aufzeigen kann. Hegels Interesse an dieser Strategie, die in den Werken von Sextus Empiricus verwendet wird, kann mit seinem Artikel aus der Jenaer Zeit, Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten, belegt werden. Nach Hugglers Einschätzung verwendet zwar Hegel diese skeptische Argumentationsform, aber auf eine antiskeptische Art und Weise. Er benutzt sie als die Grundlage für eine positive Entwicklung des Begriffs, bestehend aus weiteren wechselseitigen und komplementären Momenten, anstatt, wie die Skeptiker, um eine bestimmte Meinung zu widerlegen und zu einem negativen Resultat zu kommen. Auf diese Weise kann Hegel seine Behauptung der Ausschließlichkeit der Phänomenologie zur Geltung bringen. Er kann daher beweisen, daß alle anderen Meinungen nur einseitig und endlich sind, wohingegen das absolute Wissen die Möglichkeit einer aequipollenten Alternative ausschließt, d.h. daß es tatsächlich „absolut” ist. Hugglers Buch ist eine ausgezeichnete selbständige Einführung in die Phänomenologie. Es stellt die grundlegenden interpretativen Probleme des Werks in einer klaren und leserfreundlichen Sprache dar, und es werden die verschiedenen philologischen Probleme bezüglich der Einheit und Entstehung des Buchs knapp diskutiert. Obwohl Huggler streng genommen nur einen kleinen Teil der Phänomenologie kommentiert, kann er immerhin zeigen, wie das Werk als Ganzes zusammenhängt. Seine genaue Analyse des Kapitels „Das absolute Wissen” gibt ihm Anlaß, zurückzugehen, frühere Kapitel und Abschnitte zu untersuchen und sie in ihrem systematischen Zusammenhang zu sehen. Auf diese Art und Weise kommt er dazu, fast jeden Abschnitt des Werks zu behandeln und nicht nur diejenigen, mit denen er sich im Kommentarteil seiner Studie explizit auseinandersetzt. Dieses Verfahren führt zu einer Verteidigung von Hegels Behauptungen über die systematische Einheit des Werks. Sehr wertvoll sind auch die Teile von Hugglers Studie, in denen es um die Rezeption der Phänomenologie im 19. Jahrhundert geht, vor allem, weil die Hauptwerke dieser Rezeption nicht einmal unter den Hegel-Experten allgemein bekannt sind. Es ist daher vollkommen berechtigt, daß Huggler die Bedeutung dieser frühen Kritik unterstreicht. Eine ähnliche Darstellung der frühen Rezeption der Phänomenologie ist leider selten in der Sekundärliteratur. Die originellsten Teile der Arbeit sind indessen das 4. und das 5. Kapitel. Wenige Hegel-Interpreten haben mit dem kurzen, aber sehr wichtigen Kapitel

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„Das absolute Wissen” etwas anfangen können. Oft ist es einfach abgeschrieben worden. Im Gegensatz zu vielen, die über dieses Kapitel einfach hinweggegangen sind, beschäftigt sich Huggler mit ihm eingehender als alle anderen Interpreten bisher. Als ein kleiner Mangel der Studie kann angesehen werden, daß man darin keine wirkliche Konklusion findet. Obwohl der Verfasser einzelne Passagen mit großer Genauigkeit und Präzision analysiert, macht er dem Leser nicht ausreichend klar, welche Schlüsse er oder sie aus den Analysen ziehen soll bzw. welche Aspekte seiner Interpretation Huggler selbst als innovativ betrachtet. Das letzte Kapitel von Hugglers Studie (Kapitel 6) ist nämlich der zweite Teil der Analyse vom Kapitel „Das absolute Wissen”, und diesem letzten Kapitel folgt kein weiteres Kapitel oder ein selbständiger Abschnitt, in dem man solche allgemeinen Konklusionen eigentlich finden müßte. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß es am Ende des letzten Kapitels einen Anhang gibt, der einer Polemik gegen Johann Heinrich Tredes Artikel Phänomenologie und Logik, Zu den Grundlagen einer Diskussion (Hegel-Studien 10 (1975). 173–209) gewidmet ist. In Tredes Artikel geht es um die Beziehung zwischen dem Fragment „C. Die Wissenschafft” und der Phänomenologie. Dieses Problem hat aber keine zentrale Bedeutung in Hugglers Studie als ganzer, und dadurch, daß es am Ende des Buchs steht, hat man das Gefühl, daß das Buch in mediis rebus endet. Aber wohlgemerkt, es geht hier um einen kleinen Mangel in einer ansonsten hervorragenden Studie. Wie eingangs erwähnt, ist Hugglers Buch ein Meilenstein in der dänischen Rezeptionsgeschichte von Hegels Philosophie. Die Studie hält aber auch den Maßstäben der internationalen Hegel-Forschung stand. In den letzten Jahren sind eine große Anzahl von hervorragenden neuen Bücher über die Phänomenologie des Geistes erschienen. Im Hinblick auf die Rigorosität, mit der die Analysen durchgeführt werden, und im Hinblick auf die didaktischen Vorzüge erreicht Hugglers Buch ohne weiteres das Niveau dieser Werke. Es ist zu hoffen, daß das Buch bald in eine der großen internationalen Sprachen übersetzt wird, damit es auch in der internationalen Hegel-Forschung Beachtung finden kann. Jon Stewart (København)

Carlo Boris Menghi: L’identità normativa. Critica della Fenomenologia dello spirito di Hegel. [Die normative Identität. Kritik an Hegels Phänomenologie des Geistes.] Torino: Giappichelli 1999. 229 S. (MultiVersum 23) The present study on The Phenomenology of Spirit by Carlo Boris Menghi, professor of Philosophy of law at the University of Macerata, concludes his trilogy on the normative elements of Hegel’s thought. The starting point of this re-

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search is the attempt to rethink the modern State’s functional crisis in the face of the emergence of civil societies, from a perspective involving the identity’s right. Moving from the issues of Hegel’s Philosophy of Right – the question of the State’s ethical order as a universal normative identity – to the analysis of his former study on Logic and the dialectical structure of the concept as a normative negation, the author tries to bring both aspects at the initial normative identity through the analysis of the concept of Spirit. This process of turning back, based on a supposed circularity of Hegel’s system, is justified by the idea that the concept is both a State’s prerequisite and result. The main problem would be understanding whether the Phenomenology of Spirit should be considered as a “faithful premise”, or as the “anticipated treason” of the fundamental thesis that concludes the Philosophy of right: the State’s ethical order. In order to resolve the question, Menghi comments the text often using direct quotations and paraphrases, without critical references (“in order to let this work take all it’s own responsibility”) as well as without digressing to other work’s of Hegel (“in order to limit this research to the only substantial autonomy of the Phenomenology”). He follows its development analytically from the Preface. The interpretative foundation of this reading is that the final result of the phenomenological process, as well as all partial consequence, is an identity of neutralisation from Auflösung, it is neither characterised by harmony or compatibility of the opposed terms, nor by a superior synthesis as solution (Aufhebung). The author thinks that because Truth exists only in the form of the concept, the main point of both Phenomenology and Logic is Hegel’s idea of identity between philosophy as a science and pure logic. In this interpretation, truth is meant to be the identity “that is and is found in self-reflection”. Identity, as an essential characteristic of Spirit, would be constituted by the self-referential exclusion of the other. Difference and inequality are therefore destined to succeed temporality, reduced to pure reminiscence of the I, falling in identity. Now, science’s nature is made by a circular movement of pure essences, by concepts as self-movements and circles. Central function in this lecture is assumed by the supposed immediacy of reflection, its “self-reference”, as a main point in the development of the phenomenological perspective, which will also structure the entire Science of Logic, and play a fundamental role in being an engine for the action of man achieving goals, for reason itself. “Rationality of the immediate is a self-reflection and the rational knowledge asks for self-consciousness to be elevated to the absolute self-recognising in absolute being-other.” (20) The author begins then to deal with the analysis of the first three chapters of the Phenomenology, Consciousness, Self-consciousness, Reason which he considers united as a progressive development of the logic of the phenomenon. As far as the analysis of the sense certainty is concerned, the circular process of identity remains fundamental. The simple immediacy is resolved, by becoming something reflected in itself, a simple that in being another remains identical with itself. The result of this first figure is consciousness of universality, the

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immediate here and now. The immediate knowledge has now been discovered to be more than itself, to be ready for understanding the generality of the manifold. Generality brought by the experience of sense-certainty still remains indifferent and undetermined, or, to say it as Menghi, remains identity. In the “resolute identity of knowing, which consciousness is”, difference, negation and the variety of the multitude are only admitted in the following moment: perception. But identity is gained in the experience of perception as well. In fact perception catches identity abstracting from the diverse and multiple properties of the objects. “As far as conscience here becomes a universal mean, it maintains his own identity and with it Thing’s truth, otherwise said, unity.” (40) The difference now has the form of the Absolute, therefore it remains something external, through which the Thing, differs from the others but not yet from itself. But the difference, negation addressed outside by having the character of absolute, is also addressed to the Thing itself which at last has its proper essence in another. To Menghi’s point of view, the passage from the affirmative self relationship to the negative one is inconsequent. On the other hand in his interpretation, having the proper essence in another is the same as posing it to another. Therefore this negative process “in its infinite detour” seems, in spite of Hegel, to conclude in a new self-affirmative or positive result. As far as intellect is concerned, Menghi, concentrates above all on the force’s game, because here as well, the difference is lost in the unity of the middle term, that is to say, immediate identity. The description of the dialectical forces brings Menghi to the conclusion that “the force’s truth is its positive identity as a concept or an inner.” (47) The resulting supersensible world, the quiet kingdom of laws is thus deprived from opposition and difference, which belong to the real world. Intellect’s dialectic in this interpretation is nothing more than a “non progressive circle”, a “tautological trick” incomprehensive of difference. What remains is the inner difference, a difference that is not difference; its proper essence is for the inner intellect’s tautology nothing more than unity, homonymic. The second moment of the knowing process is characterised by a full recomprehension of difference within identity, because at this point consciousness differs only by the inside of identity. “Self-consciousness is tautology, the immobile circle of identity deprived of difference” (57) whose truth is always self-referrential. Either from subject’s point of view, or from the object’s, what is important is the pure self-affirmation of being. Menghi dedicates particular attention at the lordship and bondage dialectic. The first interpretative solution is rather original. “The power over things is the first truth or selfconsciousness for Hegel.” (66) But as the argumentation goes on, the logic of identity becomes dominant. “In the identity of being for another, contradiction contradicts and resolves itself in a perfectly circular game, indifferent to the roles, in the immediate trinity of the one as lordship/thing/bondage.” (70) One of the most important spots in Menghi’s analysis is the chapter dealing

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with Reason. It is interpreted as a solution of knowledge and as a principle of knowledge at the same time. The main thesis that the author tries to prove is that the importance of reason is due to its universal immediacy which makes it a decisive mediation for knowledge. “The truth/certainty of Reason is based on the immediate and self-referrential middle as unity.” (77) The main question that is present in the whole analysis of the chapter and proposes itself in the following ones is whether this unity should be considered as a connection or an identity. Now, what is to be observed is that although Reason is treated in the chapter dedicated to the “logic of the phenomenon”, as a matter of fact constitutes for Menghi an important part of the following “logic of Spirit”. It is the first moment and the common territory for the structure of Spirit’s dialectic, Religion and Absolute Knowledge. Regarding the first moment of Spirit, the ethical one, the main thesis is that “the way to justify the public natural right begins with the illegitimacy of the individual” while on the other hand “the ethical right, as a divine effective right begins with the family as a pursuit of the action that removes the individual from death and natural fate.” (135) The moment of difference and splitting reappears only in the second moment of Spirit, the culture’s one. As a negative essence of the I, the subject dissolves personality as a first positive identity. Anyhow, the last act of Spirit, morality, is again the pure identical certainty of itself. In front of him all other external reality is destined to vanish. We are still back at the self-referrential knowledge, a knowledge of which, in Menghi’s mind, Hegel’s dialectic inexorably brings as a vain trick. In the analysis of religion, what catches the author’s interest is mediation of the spiritual process, insofar as Religion is neither an immediate nor a resolute moment of the triadic dialectic of knowledge. Spirit in this penultimate moment remains still in his pure identity because “it is supposed to belong to time, the unique time that is known by Hegel, the absolute time, in other words, Eternity”. (197) What is supposed in the Natural Religion is the way of selfrepresentation, because “determination as self-consciousness belongs to the moment of natural religion”. (198) In the second moment, that of Religion in the form of art, it has reached the form of self-conscious activity, of absolute essence as ethical spirit. This ethical spirit has lost its own effective subsistence, its only existing truth. Revealed Religion is reached and interpreted as “a mystical identity of difference”, where every unity turns back to the universal self-certainty. The last paragraph dedicated to Absolute Knowledge has the meaningful title of Circle of identity. The Absolute Knowledge itself in order to reach its aim must always consider the “first and immediate phenomenological question”, the Aufhebung of the thing. Here consciousness is exceeded by perfect selfconsciousness to the degree that the knowledge of the thing coincides with self-knowledge as a “universally syllogistic conscience”. Menghi’s conclusions could well be anticipated by those who have followed the development of the

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interpretation: “This is the last, infinite, unbearable trick of Hegel on the dominant identity of concept as well as the last resolute trick of Knowledge”. (228) Difference is definitely taken away from the self-equivalence of the I in its “impossibility of being other from the self reflected tautology”. Now apart from all Hegel’s trick, with Absolute Knowledge we should be back to the circle of absolute identity that necessarily concludes the path of the Phenomenology. The “identical word”, the “abstract kingdom of language”, the “absolute absoluteness of tautology”, denying negativity and making mediation immediate has definitely sacrificed historical development, erased multiplicity. The concept as Spirit conforms to the concept as Rational in the Science of logic, in fact what matters is that both are “Two definitions of the same identity: two conditions assumed of the same tautology”. (228) Nathan Ross danke ich für die sprachliche Überarbeitung dieser Rezension. Renato Caputo (Bochum/Roma)

Paolo Vinci: „Coscienza infelice“ e „Anima bella“. Commentario della Fenomenologia dello Spirito di Hegel. [„Unglückliches Bewußtsein“ und „Schöne Seele“. Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes.] Milano: Guerini 1999. 561 S. (Istituto Italiano per gli Studi Filosofici. Hegeliana 28) Überzeugt davon, daß Hegels Philosophie hauptsächlich Reflexion über die Modernität sei, konzipiert Paolo Vinci im vorliegenden Buch zwei phänomenologische Gestalten, nämlich das unglückliche Bewußtsein und die schöne Seele, als die in der Phänomenologie des Geistes bedeutendsten (jedoch unvollkommenen und daher problematischen) Etappen der Hegelschen Analyse der Subjektivität als Frucht der Moderne. Beide Figuren sind laut Verf. von so entscheidender Bedeutung (und dem folgt der Titel des Buchs), weil sie exemplarisch die Mängel einer einseitigen Subjektivität zeigen, die noch im Laufe der phänomenologischen Entwicklung überwunden werden müssen. Sie fungieren also als eine Art „Gegenmuster“, von dem Hegel laut Verf. in der Phänomenologie mit seinem Subjektivitätsparadigma stark abweicht. Mit diesem Buch bietet Vinci einen ausführlichen Satz-für-Satz-Kommentar in italienischer Sprache über die ihm zum Beleg seiner Interpretation bedeutsam erscheinenden Teile, nämlich über die Einleitung (GW 9, 53–62) sowie über das vierte, dem Selbstbewußtsein gewidmete Kapitel (GW 9, 103–131) und über den Abschnitt C. Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität (GW 9, 323–362) des sechsten Kapitels der Phänomenologie des Geistes. Jeder kommentierte Teil wird außerdem von einer nutzbringenden, leicht lesbaren kritischen Untersuchung des Autors eingeleitet, so daß dem Hegelleser, auch wenn nicht Berufsphilosoph, die Möglichkeit gegeben wird, den Autor in der Vorstellung und Überprüfung seiner These zu begleiten.

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Die vielen Thematiken, die Hegel in der Einleitung seines Werks darstellt, nämlich u.a. die Kritik an der Kantischen Deutung der Erkenntnis, die Fassung des Absoluten als etwas bei uns Vorhandenes, die Struktur des Bewußtseins und seine Erfahrung als dialektische Bewegung, werden im ersten Teil des Buchs (23–84) kommentiert. Das ganze Selbstbewußtsein-Kapitel wird dann im zweiten Teil des Buchs (85–303) präzis berücksichtigt und analysiert. In seinem Kommentar zum Anfang des vierten Kapitels Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst (GW 9, 103– 109) untersucht Vinci alle Eigenschaften, durch die Hegel das phänomenologische Moment des Selbstbewußtseins charakterisiert. Er verdeutlicht zuerst, daß das Selbstbewußtsein „Wissen von sich selbst“ und von daher Aufhebung der Dimension des Bewußtseins als „Wissen von einem Anderen“ (GW 9, 103) ist, da es nicht mehr, wie das Bewußtsein, einfach ein Objekt, sondern ein anderes Selbstbewußtsein außer sich hat, das mit sich letztendlich gleich ist. Mit diesen Ausführungen zum Selbstbewußtsein hauptsächlich als „Bewegung“ (GW 9, 104) setzt sich Hegel deutlich vom statischen und tautologischen Ich=Ich ab und entfaltet eine Selbstbewußtseinsdeutung als Sich-selbst-Werden, wo laut Verf. die dialektische Bewegung, die die Subjektivität am Schluß des Geisteskapitels charakterisiert, ihre Wurzeln hat. Mit großer analytischer Aufmerksamkeit betrachtet also Vinci diese Seiten der Phänomenologie über das Selbstbewußtsein, wo Hegel ausdrücklich eine Vorwegnahme des Geistes sieht, da sich für uns hier bereits der „Begriff des Geistes“ (GW 9, 108) ergeben hat, obwohl das Selbstbewußtsein es noch nicht weiß. Im Kommentar zum Abschnitt A. des Selbstbewußtsein-Kapitels, Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft (GW 9, 109–116), beschäftigt sich Vinci dann mit einem interpretativen Brennpunkt der Phänomenologie, nämlich mit der Dialektik des herrschenden und des knechtischen Bewußtseins. Der Scheinsieg des Herrn, das Erzittern vor dem Tod sowie die Erhebung des Knechts durch die Arbeit über die Abhängigkeit vom natürlichen Dasein werden besonnen vom Verf. betrachtet. In diesem Kontext behandelt Vinci aufwendig und akkurat den Anerkennungsbegriff, dem er eine sehr große Bedeutung in Hegels Fassung der Subjektivität in der Phänomenologie beimißt. Hier akzentuiert der Autor, wie Hegels Intention darauf zielt, die für Vincis Phänomenologie-Deutung äußerst wichtige Erfahrung der Anerkennung keineswegs als eine einseitig gerichtete Bewegung zu interpretieren, sondern immer als eine zweifache Aktivität, die ein Selbstbewußtsein mit einem anderen verwickelt. Es ist jedoch erst im Kommentar zum Abschnitt B. Freyheit des Selbstbewußtseins; Stoicismus, Skepticismus und das unglückliche Bewußtsein (GW 9, 116– 131), und genauer gesagt in der letzten Figur des Selbstbewußtsein-Kapitels, daß Vinci eine nach seiner Ansicht Schlüsselgestalt der Hegelschen Untersuchung der Subjektivität entdeckt. Das unglückliche Bewußtsein stellt nämlich in seiner Beziehung zum Göttlichen emblematisch den intimen Widerspruch dar, der in jedem Bewußtsein vorhanden ist, da jedes Bewußtsein Verhältnis zu sich selbst, aber auch zu dem Anderem ist. Dieser Widerspruch wird jedoch im

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selbst, aber auch zu dem Anderem ist. Dieser Widerspruch wird jedoch im unglücklichen Bewußtsein immanent und spitzt sich zum inneren Kampf des Bewußtseins mit sich selbst zu, da es in sich gleichzeitig das Moment der Einheit und das der Differenz, des Unwandelbaren und des Wandelbaren, ohne sie wirklich zu vereinigen, enthält. Nur „an sich“ ist dies in sich entzweite Bewußtsein Einheit dieser Entzweiung und noch nicht „für sich“, von daher sein unendlicher Schmerz und seine Unvollkommenheit als phänomenologische Gestalt. In dieser Dynamik zwischen dem endlichen Bewußtsein und seinem Gott fehlt dem Verf. nach klarerweise ein unverzichtbarer Aspekt für den Geistesbegriff, es ergibt sich nämlich ein Mangel an Symmetrie, der sicherlich zu überwinden ist, um ein adäquates Subjektivitätsmuster anzubieten. Im zweiten Teil des Buchs (305–561) werden die Abschnitte a. Die moralische Weltanschauung, b. Die Verstellung und c. Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung des Geisteskapitels behandelt und im Detail kommentiert. Hier findet Vinci eine andere (unvollkommene) Schlüsselgestalt für Hegels Analyse der Subjektivität, und zwar die selbstreferente schöne Seele, die am besten zeigt, welcher Aspekt noch vom Erreichen des Hegelschen Subjektivitätsmodells abhält. Subjektivität ist in der Phänomenologie laut Verf. von Hegel prinzipiell als Anerkennung und als intersubjektives Verhältnis konzipiert. Die Selbstreferenz der schönen Seele ist von daher einerseits eine notwendige Voraussetzung für den absoluten Geist, andererseits ist sie aber auch das letzte Hindernis, da diese Gestalt von der Entäußerung und vom Verhältnis zum Anderen in einem einseitigen und handlungslosen In-sich-Geschlossen-Sein absieht. Wenn also Hegel mit der Phänomenologie des Geistes laut Vinci das Problem seiner Zeit sowohl kognitiv als auch praktisch zu lösen versucht, nämlich die Notwendigkeit, einen Gleichgewichtszustand zu finden zwischen dem Ganzen und dem Recht der Individuen, ihre individuelle Besonderheit zu behaupten, findet dieses Problem erst am Ende des Geisteskapitels eine Lösung. Durch eine Versöhnungsbewegung zwischen dem handelnden und dem urteilenden Bewußtsein zeigt sich hier laut Verf. ein Subjektivitätsparadigma als Öffnung zum Anderen. Sowohl das eine wie das andere Bewußtsein, die beide Anspruch auf die Allgemeinheit erhoben haben, erfahren sich, das eine im Handeln, das andere in seiner Verschließung, als Besonderes. Sie verstehen, sie können von der Anerkennung des Anderen, was nämlich die schöne Seele in ihrer abstrakten Isolierung ignoriert, nicht absehen. Die Versöhnung wird also hier möglich durch und in der dynamischen Bewegung sowohl des einen wie des anderen Selbstbewußteins, die beide auf die Allgemeinheit ihrer Sicht verzichten, um die Gültigkeit der anderen Perspektive anzuerkennen, um dann in sich bereichert zurückzukehren. Durch diese Entäußerung, die nicht mehr (wie beim unglücklichen Bewußtsein) als bloßer Verlust seiner selbst zu verstehen ist, entdeckt jedes, daß die Wahrheit seiner selbst, so wie die Freiheit, nur ein Ergebnis dieser gegenseitigen Anerkennung sein kann. Im Eingeständnis des Bösen und in der Verzeihung erleben beide am Anderen wie auch an sich

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selbst den Unterschied von Allgemeinheit und Einzelheit, der das unglückliche Bewußtsein nicht dominieren konnte und die schöne Seele nicht beachtet. Wie das Wissen ja unabhängig, jedoch immer noch der Berücksichtigung der historischen Praxis bedürftig ist, so kann das Selbstbewußtsein die Perspektive des Anderen auf keinen Fall negieren, da es mit dem Anderen wesentlich gleich ist und in dieser Negation auch sich selbst negieren würde, so wie in diesem gegenseitigen Anerkennen, dem „versöhnenden JA“ (GW 9, 362), sowohl das eine wie das andere Bewußtsein sich als gleichgültige Momente behaupten und eben in diesem Prozeß der absolute Geist entsteht. Francesca Iannelli (Roma/Hagen)

Annette Sell: Martin Heideggers Gang durch Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Bonn: Bouvier 1998. 175 S. (Hegel-Studien. Beiheft 39.) Annette Sells Bochumer Dissertation aus dem Jahre 1997 ist im wesentlichen die kritische Darlegung und Erläuterung von Heideggers Vorlesung über Hegels Phänomenologie des Geistes. Er hielt sie im Freiburger Wintersemester 1930/31; erst 1980 wurde sie als Band 32 der Gesamtausgabe veröffentlicht. Nach Sells Studie bestätigt sich einmal mehr der oft gehegte Verdacht, daß Heidegger zumindest den Hegel der Phänomenologie des Geistes auf denkbar gründliche Weise mißverstanden hat. Leider vertritt Sell diese These eher zaghaft und oftmals versteckt, wie überhaupt das Buch sehr vorsichtig angelegt ist – schon der Titel ist ja eigentlich ein Untertitel. Das Hauptanliegen ihrer Arbeit sieht sie im „Vergleich“ der beiden Autoren hinsichtlich der systematischen Fragen des „Anfangs“ in der Philosophie (1. Kapitel), der „Zeit“ (2. Kapitel), des „Lebens“ (3. Kapitel) und des „Seins“ (4. Kapitel) – also hinsichtlich zentraler Begriffe des Heideggerschen Denkens. Dieser Vergleich soll letztlich auch der systematischen Erörterung der ganz grundlegenden Fragen dienen, wie es um Zeit und Sein und Leben eigentlich bestellt ist; aber, so scheint es, Sell möchte sich dabei – klugerweise – nicht in die Gigantomachie um das Sein einmischen. Das Ergebnis des Vergleichs klingt dadurch allerdings erst einmal bescheiden: Die Auseinandersetzung mit der Phänomenologie des Geistes sei für Heideggers späteren Denkweg, so erfährt man, von einiger Wichtigkeit gewesen, aber sein ‚Gang‘ durch die Phänomenologie des Geistes weiche in mancher Hinsicht vom Argumentationsgang Hegels ab. Sell meint dabei dennoch in Heideggers Vorlesung „einer neuen, produktiven Auslegung der ‚Phänomenologie‘“ (16) zu begegnen, ohne daß man allerdings näherhin erführe, worin genau diese Auslegung produktiv ist. Die Gegenthese, daß nämlich die Auslegung Hegels durch Heidegger nicht produktiv ist, würde allerdings genauso gut, wenn nicht sogar besser zum Buch Sells passen. Immerhin zeigt sie allenthalben, daß „der richtige Aufbau

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der „Phänomenologie“ […] von Heidegger nicht gesehen“ (154) wird. Während Heideggers Heraklit, Heideggers Parmenides, Heideggers Aristoteles, ja sogar Heideggers Kant‚ Heideggers Schelling und Heideggers Nietzsche philosophisch interessante Figuren sind – selbst wenn oder gerade weil sie auf Interpretationen fußen, die zum Teil und sogar explizit ‚gewaltsam‘ sind –, kann man dies für Heideggers Hegel kaum behaupten. Denn schon in Sein und Zeit zeichnet er von Hegel tendenziell das Bild eines selbstzufriedenen Denkers, der nicht mehr fragt, sondern nur noch antwortet und dem seine Methode, die Dialektik, erlaubt, die entlegensten Dinge miteinander so in Verbindung zu bringen, daß ein System entsteht, in dem alles zu seinem Ende gekommen und gut aufgehoben ist. Das Bild, das Heidegger damit unproduktiverweise präsentiert, ist dasjenige des alten Hegel, des sprichwörtlich gewordenen ‚toten Hunds‘, wie es seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts verbreitet war. Viele von Heidegger beeinflußte Philosophen fingen nun allerdings in den 1930er Jahren an, die Phänomenologie des Geistes ganz anders zu lesen, nämlich als Schrift eines jungen Hegel, dem es um Liebe, wechselseitige Anerkennung, den ‚Kampf um Leben und Tod‘ und ‚Herrschaft und Knechtschaft‘ geht. Man denke nur an die einflußreichen Hegel-Vorlesungen Kojèves, die, vermittelt über die französische Nachkriegsphilosophie, auch für das Hegelverständnis in Deutschland prägend wurden. Diese neue Lesart von Hegels frühem Hauptwerk ist nun aber sicherlich nicht durch Heideggers eigene Hegelinterpretationen, sondern durch sein (vermeintliches) Anti-Hegel-Denken im Namen von Zeit und Endlichkeit inspiriert worden. Man hat also diese Themen – mit Recht! – gerade dort wiederentdeckt, wo sie der Meister nicht hat sehen wollen oder können. Auch wenn diese Lesart ebenfalls von Gewaltsamkeiten nicht frei ist, sie wäre ein Beispiel für eine ‚produktive‘ Auslegung der Phänomenologie. Es mag daher weiterhin bezweifelt werden, ob die Vorlesung Heideggers zu einem Verständnis der Philosophie Hegels allzuviel beizutragen hatte bzw. hat. Für das Verständnis des Denkens Heideggers allerdings ist sie überaus aufschlußreich; und in der Klärung dieser Seite des Verhältnisses Heideggers zu Hegel liegen auch die Stärken von Sells Buch. Man kann förmlich sehen, wie sich Heideggers Denken wie an einem Prisma an Hegels Text bricht. Die Phänomenologie des Geistes setze, so die Leitthese von Heideggers Interpretation, von Anfang an das Absolute voraus und sei daher aus dem Herzen der Metaphysik heraus geschrieben. ‚Metaphysik‘ ist bekanntlich Heideggers Titelwort für die bestimmte Form des Denkens, die mit den Griechen anhebt und sich heute, in ihrer letztgültigen Gestalt, im Wesen der planetarisch sich entwickelnden neuzeitlichen Technik zur alles beherrschenden Macht aufsteigert. ‚Metaphysik’ heißt: ‚Sein‘ reduktiv nur im Sinne ständiger Anwesenheit zu begreifen, als unendliche Gegenwart, als Parousie. Metaphysik heißt: ‚Zeit‘ als eine bloße Folge von Jetztpunkten zu denken und dementsprechend Endlichkeit als bloße Vergänglichkeit aufzufassen, nicht aber als Transzendenz,

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d.h. als Möglichkeit der Selbstüberschreitung auf dasjenige hin, was sich dem denkerischen und handelndem Zugriff entzieht. Seit seinen Freiburger Anfängen, in denen er religionsphänomenologisch die Erfahrung des kairos, des richtigen Zeitpunkts des Handelns und der erfüllten Gegenwart gegenüber einem uneigentlichem Verständnis von Gegenwart als bloßem Jetztpunkt herausstellte, bis hin zu seinem späten Denken des ‚Ereignisses‘, durch das und in dem sich das Sein den Menschen gibt, ging es Heidegger immer darum, diesen unkalkulierbaren und unverfügbaren Augenblick vor dem alles nivellierenden Omnipräsentismus technisch-wissenschaftlicher Konstruktivismen zu retten. Man kann sagen: Das Ferment der Subversion metaphysischer Denkordnungen durchdringt alles, was Heidegger geschrieben und verlautbart hat. Vor der Hintergrundfolie der als Vollendung metaphysischen Denkens interpretierten Hegelschen Philosophie wird dieser durch das ganze Werk Heideggers springende Punkt auffällig sichtbar. So heißt es in der Vorlesung, daß die These Hegels sei: „Das Sein ist das Wesen der Zeit, das Sein nämlich qua Unendlichkeit“. (GA 32. 209; vgl. Sell 75 f.) Heidegger setzt, ungewöhnlich genug für seine Verhältnisse, hier die Gegenthese: „Das Wesen des Seins ist die Zeit.“ (Ebd.) Diese Differenz der beiden Denker arbeitet Sell unter den Stichworten Endlichkeit/Unendlichkeit, Zeit/Ewigkeit und Sein und Zeit/Sein und Logos auch deutlich heraus. Aber die Entgegensetzung der beiden Denker trifft auf eine andere Weise zu, als Heidegger denkt. Auch Sell betont dies: „Der Gegensatz, den Heidegger hier zu Hegel herstellt, ist […] als seine Konstruktion zu bezeichnen, da er weder den Geistbegriff bei Hegel, noch den Zeitbegriff in angemessener Weise erarbeitet und die Parallelisierung auf diese Weise an Hegels Denken vorbeigeht.“ (76) Denn Heidegger mißversteht Hegel, wenn er ihm unterstellt, er wolle mit der Phänomenologie überhaupt die Möglichkeit einer Überwindung endlicher Bewußtseinsformen aufweisen – so, als wenn nach dem ‚Aufstieg‘ zum absoluten Wissen die sinnliche Gewißheit, die Wahrnehmung, der Verstand usw. gewissermaßen ausgedient hätten. Nein, sie sind nur nicht mehr länger als mögliche Kandidaten für absolutes, d.h. philosophisches bzw. voraussetzungsfreies Wissen anzusehen – was aus der Perspektive der jeweiligen Bewußtseinsformen aber beansprucht wird. Sie sind nicht voraussetzungslos, weil ihre jeweilige Gegenständlichkeit (z.B. ‚Dinge‘ und deren ‚Eigenschaften‘ bei der Wahrnehmung, ‚Kräfte‘ beim Verstand) auf konstitutiven Voraussetzungen beruhen, die ihnen gleichsam im Rücken liegen. Der entscheidende systematische Gedanke in der Phänomenologie des Geistes ist darin zu sehen, daß eben dieser Umstand – daß ein Bewußtsein nicht voraussetzungsfrei auf seine Gegenstände bezogen ist, oder, mit anderen Worten, daß das unmittelbare Wissen, das es zu haben beansprucht, kein unmittelbares ist – sich wiederum als Erfahrung für die jeweilige Bewußtseinsform darstellen läßt, nämlich als jeweils spezifische Endlichkeits- bzw. Zeitlichkeitserfahrung. Dies sieht Heidegger offensichtlich nicht. Wie so viele Hegelinterpreten bis heute erkennt er damit auch nicht den wichtigen systematischen Unterschied

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der Phänomenologie zur Philosophie des Geistes, wie sie den dritten Teil des späteren enzyklopädischen Systems (neben Logik und Naturphilosophie) bildet. In der Phänomenologie haben wir es nicht mit den sich entwickelnden Strukturen des Geistes selbst zu tun, sondern mit der Erscheinung des Geistes für ein endliches Bewußtsein, genauer: mit den Erfahrungen, die ein endliches Bewußtsein mit den Erscheinungen des Geistes macht bzw. machen kann. Auch das absolute Wissen ist kein ‚unendliches Bewußtsein‘ – schon begrifflich eine Unmöglichkeit –, sehr wohl aber Bewußtsein des Unendlichen (wie auch schon die ‚Religion‘). Gewußt wird hierin die ‚Endlichkeit‘ als durchgängige Bestimmung von Bewußtsein-von-etwas; und in dieser ‚Endlichkeit‘ drückt sich eine (im Prinzip) unendliche und unausschöpfbare, ex negativo erschließbare Begriffstätigkeit aus, die diese Bestimmungen vornimmt. Weil jede Bestimmung Ausschluß anderer möglicher Bestimmungen ist, haben wir es dabei mit einer grundsätzlichen Negativität zu tun, die im absoluten Wissen sich rein auf sich selbst bezieht. Heidegger dagegen scheint zu unterstellen, in der Absolutheit des Geistes wäre diese Negativität selbst verschwunden; weshalb Hegel die Erfahrungen von Endlichkeit und Zeitlichkeit, von Tod und Angst nicht wirklich ernst nehmen würde. Der im Prinzip unendliche Geist wohnt aber auch bei Hegel beim Negativen; in und durch die Negativität zeigt sich ihm seine eigene Tätigkeit als Zeit. Das Mißverständnis Heideggers also liegt in seiner Meinung, in der Phänomenologie des Geistes spiele sich „nichts Geringeres als die Verabschiedung der Zeit als des Weges zum Geist, der das Ewige ist“ (GA 32, 212.), ab. Heidegger hört, mit anderen Worten, bei ‚absolut‘ immer ‚absolutiert‘, so als wenn der Geist letztlich erlöst würde von seiner Endlichkeit und Zeitlichkeit. Nun stimmt es zwar, daß im absoluten Wissen, wenn der Begriff sich in seiner Tätigkeit selbst begreift, die Zeit – als dasjenige, was sich aus der Perspektive des endlichen Bewußtseins begrifflich nicht einlösen läßt – gleich einer Schuld ‚getilgt‘ wird. Die Zeit hat bei Hegel daher in der Tat gleichsam nur ein Schattendasein, sie ist wie ein Schatten der Begriffstätigkeit. Aber das bedeutet eben nicht schon, wie Heidegger meint, daß sie dadurch schon ‚verabschiedet‘ wäre. Auch für Hegel ist es schließlich so, daß man nicht über seinen eigenen Schatten springen kann. Heidegger kann dies nicht sehen, weil er den Beschreibungen aus der Binnenperspektive der jeweiligen Bewußtseinsform keine Beachtung schenkt, obwohl gerade die dort zu Tage tretenden Widersprüche der Motor der Phänomenologie des Geistes sind. Sell deutet diesen Punkt an, wenn sie schreibt: „Sieht man die „Phänomenologie“ nur von dem Standpunkt des immer schon Wissenden aus, so hat man einerseits Hegels propädeutische Intention mit diesem frühen Werk, das Bewußtsein erst in die logischen Bestimmungen einzuführen, nicht erfaßt. […] Andererseits ist die ausführende Bewegung innerhalb der „Phänomenologie“ nicht genügend von Heidegger hervorgehoben worden.“ (156) Es ließe sich aber durchaus noch schärfer formulieren: Heidegger hat sie offenbar nicht für relevant erachtet, weil er die Phänomenologie als ein Stück Philosophie des Gei-

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stes und damit als eine Art Erlösungsgeschichte liest. Dann muß man geradezu daran vorbeigehen, daß die Phänomenologie von Anfang bis Ende ‚Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins‘ ist. Nach dieser Bestimmung aber ist klar: Wenn irgendwo Endlichkeit und Zeitlichkeit als solche bei Hegel thematisiert sind, dann hier, denn die hier beschriebenen Erfahrungen sind immer auch solche der Negativität, des Verschwindens, der Inkonsistenz, der Unhaltbarkeit und der Auflösung sowohl des Gegenstands wie auch des auf ihn bezogenen Bewußtseins. Diese Erfahrungen können, wie gesagt, immer nur auf der ‚Innenseite‘ des jeweiligen Bewußtseins, in Beschreibungen aus dessen jeweiliger Binnenperspektive artikuliert werden – und gerade um diese kümmert sich Heidegger nicht. Sell hat daher zwar völlig Recht, wenn sie in der ihr eigenen vorsichtigen Art Heidegger dahingehend kritisiert, „daß er die Selbstprüfung des Bewußtseins nicht im Hegelschen Sinne anerkennt“ (92), aber sie faßt dies nicht deutlich genug als eine Mißinterpretation, d.h. als eine solche, die nicht nur den Intentionen des interpretierten Autors zuwiderläuft – dies ist unter Erhellungsgesichtspunkten erlaubt –, sondern die der inneren Logik des interpretierten Werks widerspricht. Die Leitthese Heideggers, Hegel setze im Gang der Phänomenologie des Gestes das Absolute immer schon voraus, ist entweder trivial oder falsch. Falsch ist sie in Bezug auf den geschilderten Prozess. In einem alten Bild der Philosophie gesprochen: Das Wissen darum, wie alles enden wird, mag eine notwendige Voraussetzung für eine gute Hebammentätigkeit sein: Aber nicht die Hebamme bringt das Kind – resp. das philosophische Bewußtsein bzw. das absolute Wissen – zur Welt, sondern die Schwangere, resp. das Bewußtsein selbst. Eben deswegen ist dieses Wissen nicht schon Voraussetzung für den Prozeß der Schwangerschaft, sondern nur für denjenigen der Beschreibung der Schwangerschaft – und diesbezüglich ist die These von der Vorabinvestierung des Absoluten freilich trivial: Denn die Voraussetzung, daß der Erfahrungsprozeß des Bewußtseins beim absoluten Wissen enden wird bzw. genauer: enden kann, gehört sicherlich zu Hegels Intention, dieses Buch zu schreiben, so wie es von allem Anfang an auch eine Voraussetzung Heideggers in Sein und Zeit gewesen sein wird, die Zeit als Horizont allen Seinverständnisses auszuweisen. Der Philosoph hat, hier wie dort, nur zuzuschauen, kann höchstens versuchen, den Klärungsprozeß zu moderieren, darf aber nicht willkürlich in den Prozeß eingreifen, den er auf den Begriff bringen will. Zu wissen, wo der Prozeß enden wird, heißt aber weder, ihn auszurichten – dann hätte man tatsächlich eine petitio principii vor sich, eben weil es sich um eine Voraussetzung des Argumentierens, nicht des Verstehens handeln würde – noch schon zu wissen, wie der Weg dorthin verläuft. Sell ist daher auch in diesem Punkt zuzustimmen: Es kommt im Verständnis der Phänomenologie des Geistes alles auf den Nachvollzug des Argumentationsganges an (vgl. 18), den Heidegger nicht oder jedenfalls nicht angemessen verfolgt. Er verkannte die propädeutische Funktion der Phänomenologie, indem er die Ebene des Bewußtseins und die Ebene der den Bewußtseinsprozeß moderierenden philosophischen Instanz

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nicht unterschied; kurz und im Bilde gesprochen: Er verwechselte die Hebamme mit der werdenden Mutter, den Coach mit dem Spieler. Die Heideggersche Ausblendung von Zeit und Endlichkeit als Themen der Phänomenologie des Geistes wird ganz besonders deutlich in der Interpretation des Selbstbewußtseinskapitels. Nicht nur die Passagen über den „Kampf auf Leben und Tod“, über „Herrschaft und Knechtschaft“ und über die „Arbeit“, sondern selbst die Einführung des Begriffs der Anerkennung werden geradezu unterschlagen, worauf Sell aufmerksam macht. (Vgl. 86.) Hierbei handelt es sich um die (zum Teil metaphorischen) Titelwörter für die Erfahrungen, die ein Selbstbewußtsein in dem Versuch, sich auf sich selbst zu beziehen, macht (Sell spricht hier irreführenderweise von „Beispielen“ – wenn überhaupt, dann sind es freilich paradigmatische, nicht beliebige Beispiele). Dabei ist „Anerkennung“ der Name für das Verhältnis eines endlichen Bewußtseins zu sich selbst, welches Verhältnis zu sich nur über ein anderes Selbstbewußtsein, wie durch einen Spiegel, vermittelt denkbar ist. Denn ein Selbstbewußtsein kann nicht wie ein äußerer Gegenstand erkannt werden, sondern muß anerkannt werden – sonst ist es nicht. ‚Geist‘ wiederum existiert überhaupt nur in der Sphäre der wechselseitigen Anerkennungsbeziehung solchermaßen endlicher Selbstbewußtseine. Nur wer sich selbst als ein endliches Wesen begreift, kann überhaupt mit anderen einen gemeinsamen Willen haben und sein Handeln unter Gesetze stellen – was wiederum Grundlage von Institutionalität bzw. Sittlichkeit ist usw. Weil Heidegger diese Dimension der Endlichkeit, nämlich die intersubjektive oder ‚interexistentielle‘ (Thomas Rentsch) Bezogenheit endlicher Subjekte aufeinander bei Hegel geradezu ausblendet, kann er den Geist und letztlich das Absolute bei Hegel nur als ein metaphysisches solus ipse fassen und sieht nicht die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, die gerade die Erfahrungen des intersubjektiv existierenden Selbstbewußtseins prägen. Genau dies scheint mir das Problemzentrum des gesamten Heideggerschen Denkens zu sein, von dem aus sich sein ganzer Ansatz zur Philosophie der Zeit aufrollen ließe. So ist es nicht zufällig, daß die Interpretation des Kapitels über das Selbstbewußtsein diejenige Stelle ist, an der Heideggers Mißverständnis der Phänomenologie des Geistes am deutlichsten sichtbar wird; Heidegger verortet die besagte Absolution des Geistes und die angebliche Verabschiedung der Zeit ja schon hier – nach etwa einem Fünftel des Haupttextes also. Man möchte sagen: Dort, wo die Phänomenologie des Geistes erst richtig anfängt, ist Heidegger schon mit ihr fertig. Sell hierzu: „Wenn Heidegger an dieser Stelle bereits alle Schwierigkeiten als geklärt erachtet, verkürzt er das Anliegen der „Phänomenologie des Geistes“ sowohl auf das Selbstbewußtsein hin […] als auch auf den Begriff des Geistes hin, der zwar jetzt mit vorhanden, aber noch nicht in seinen Gestalten entwickelt ist.“ (87) Allerdings setzt Sell auch hier nicht nach; sie stellt die Hegelsche Alternative hier nicht dar, sondern beläßt es bei dieser Behauptung. Dabei könnte man hier noch viel weiter gehen und den frühen Hegel, kon-

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trär zur Heideggerschen Interpretation, gerade als einen Denker der Zeit stark machen. Die ganze Phänomenologie des Geistes kann nämlich als eine Genealogie der verschiedenen Formen von Endlichkeit und damit auch Zeitlichkeit gelesen werden. (Vgl. hierzu meine Genealogie der Zeit. Zu Herkunft und Umfang eines Rätsels. Dargestellt an Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘. Berlin: Akademie 1994.) Dabei sind die ersten drei Kapitel formalen Bestimmungen von Zeit zugeordnet, wie wir sie aus den naturphilosophischen Diskussionen über den Zeitbegriff kennen. Ab dem Selbstbewußtseinskapitel werden von den Bewußtseinsformen immer reichere materiale Zeitbestimmungen entwickelt, über die Formen geschichtlicher Zeit bis hin zu den erfüllten Augenblicken von Kunst, Religion und Philosophie. Hier, in der Auseinandersetzung mit den materialen Zeitkonzeptionen, wie sie als Horizonte der reicher entwickelten Bewußtseinsformen entworfen werden können, hätte Heidegger den Kampf ums Sein mit Hegel austragen müssen; hier erst hätte er fruchtbar sein können. Andreas Luckner (Leipzig/Stuttgart)

Paolo Giuspoli: Verso la “Scienza della logica”. Le lezioni di Hegel a Norimberga. [Unterwegs zur „Wissenschaft der Logik“. Hegels Nürnberger Vorlesungen.] Trento: Verifiche 2000. 293 S. (Pubblicazioni di Verifiche. Band 26.) Das Buch von Paolo Giuspoli trägt dazu bei, eine Lücke der Hegelforschung zu schließen: Wie Verf. bemerkt, wurde die Nürnberger Zeit in der Sekundärliteratur insgesamt erstaunlich vernachlässigt. (1) Der Grund ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß man den veröffentlichten Werken dieser Periode, vor allem der Wissenschaft der Logik, den Vorrang gegeben und dadurch die gymnasialen Unterrichtsmaterialien in den Hintergrund gedrängt hat, die Karl Rosenkranz mit Überarbeitungen und Lücken herausgegeben hatte. Es fehlt noch eine kritische Ausgabe solcher Schriften, was gleichermaßen zu ihrer Vernachlässigung beigetragen hat. Durch seine Arbeit über Hegels Handschriften und die Nachschriften der Gymnasialschüler stellt sich Verf. die Aufgabe zu zeigen: „come a partire dall’analisi di questi manoscritti ginnasiali sia possibile osservare le tappe più significative dello sviluppo della logica hegeliana in questi anni di Norimberga“. (25) Verf. betrachtet außer den schon veröffentlichten Schriften die folgenden unveröffentlichten Materialien über die Logik: Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie für die Mittelkasse 1808–09; Philosophische Encyklopädie für die Oberklasse 1808–09; Subjektive Logik für die Oberklasse 1809–10; Logik für die Mittelklasse 1810–11; Philosophische Encyklopädie für die Oberklasse 1812–13. Hegel wurde bekanntlich von seinem Freund Friedrich Immanuel Niethammer, Zentralschulrat des Bayerischen Innenministeriums, zum Gymnasium in Nürnberg als Rektor und Professor berufen und hielt seine Kurse im Rahmen einer von Niethammer selbst eingeleiteten Schulreform,

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die den Gymnasialkurs in vier Jahren und drei Klassen, und zwar eine einjährige Unterklasse, eine einjährige Oberklasse und eine zweijährige Mittelklasse, eingeteilt hatte. Die philosophische Ausbildung sollte die Schüler durch eine stufenweise Übung zum spekulativen Denken führen. (8) Dabei spielte die Logik den von Niethammer redigierten Vorgaben zufolge eine wichtige Rolle und besaß ein ausführliches Programm, das sogar die jedes Jahr in Betracht zu ziehenden Texte festlegte. (9 f.) Hegel aber veränderte dieses Programm wesentlich gemäß seiner eigenen Auffassung der Logik, die sich gerade in diesen Jahren bedeutend entwickelte. Bis zur Jenaer Zeit hatte Hegel die Logik als Einleitung zum System und als einen von der Metaphysik getrennten Bereich aufgefaßt. Von der Lehrtätigkeit in Nürnberg ab gewinnt die Logik eine neue Stellung: Sie wird in der Mittelklasse zusammen mit der Psychologie und in der Oberklasse als erster Teil der philosophischen Enzyklopädie gelehrt. (14– 16) Daraus geht eindeutig hervor, daß wir in Hegels Nürnberger Jahren ein Hauptmoment seines philosophischen Wegs vor Augen haben, wo die Phänomenologie als Einleitung zum absoluten Wissen wegfällt und die Logik zum ersten Teil des Systems wird, ohne eine einleitende Funktion zu behalten, denn sie wird völlig ein Bestandteil des Systems. Darum wählt Verf. in seiner Schrift diese Änderung als Thema und teilt die Betrachtung der Logik gemäß der Struktur der reifen Auffassung Hegels: ein erstes Kapitel ist dem Verhältnis zwischen der Phänomenologie und der Logik gewidmet, dann folgt eines über den allgemeinen Wert der Logik im Vergleich zu vorangegangenen Konzeptionen derselben in der Geschichte der Philosophie und schließlich die Kapitel über die verschiedenen Teile der Logik, und zwar über die Logik des Seins (Kapitel 3), über die Logik des Wesens (Kapitel 4) und über die subjektive Logik (Kapitel 5, 6, 7). Diese endgültige Struktur der Logik bildet sich im Verlauf der Lehrtätigkeit Hegels langsam heraus, was die eigenhändigen Korrekturen und Änderungen Hegels auf den Heften der Schüler zeigen. Hier werde ich die wichtigsten Änderungen erwähnen, um diese mühsame Entwicklung zu beleuchten. Meines Erachtens ist die Logik schon von den ersten Jenaer Systementwürfen ab als freie Selbstbewegung des Wissens aufzufassen, was Verf. als „l’unica, effettiva metacategoria della logica“ (280) definiert: Diese Metakategorie stellt die Freiheit als das Wesen des Denkens heraus. Dieses Wesen kündigte sich in der Jenaer Logik als skeptisches, dialektisch-negatives Moment an, während nunmehr die Logik genügt, um die Bewegung des Absoluten in seiner Reinheit zu zeigen. Diese „holistische“ Orientierung der Logik wird dank einiger metakategorialen Prinzipien („principi meta-categoriali“), wie Verf. sie nennt, erreicht: 1) die Unendlichkeit als grundlegende Struktur der Logik des Seins, wo der Begriff der Schranke eine wichtige Rolle bei der Rückkehr des Denkens in sich selbst spielt; 2) das Wesen, dessen Betrachtung mit der Rückführung des Vergänglichen auf das Bestehende anfängt und zu dem neuen Begriff der Erscheinung führt, der den im Sinne Kants verstandenen

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Subjekt-Objekt-Dualismus zerstört; 3) der die Entwicklung der subjektiven Logik bestimmende Begriff des Zwecks, der traditionelle Themen der formalen Logik (Begriff, Urteil, Schluß) mit der an die Spitze der Logik gestellten Idee verbindet. Sehr bekannte Passagen der Logik gewinnen in den Kursen ihre endgültige Struktur. Vor allem wird der Anfang der Logik mittels der Triade Sein – Nichts – Werden zum Thema gemacht. Die Definition der Reflexion mittels der Trennung als Hauptcharakteristikum hilft, das Wesen als Wahrheit des Seins aufzufassen, was Hegel hauptsächlich in der Logik für die Mittelklasse 1810–11 erreicht, denn er faßt den mittleren Teil der Logik neu auf und teilt die Logik in die endgültige Struktur Sein – Wesen – Begriff. Auch die subjektive Logik erreicht allmählich ihre reife Fassung. Zum ersten Mal betrachtet Hegel die Idee in der Philosophischen Encyklopädie für die Oberklasse 1808–09, wobei die Analyse des Lebens neu ist. Im Verlauf der Lehrtätigkeit wird der Bereich des Lebens aus der logischen Perspektive besser begrenzt: „Sensibilität“, „Irritabilität“ und „Reproduction“ als allgemeine Hauptmomente des Lebens werden von Hegel anfänglich in die Logik einbezogen und dann in die Naturphilosophie verschoben. Auch der abschließende Teil der Logik unterliegt bedeutenden strukturellen Änderungen: Ebenso in der Logik wie im ganzen System produziert sich der Unterschied zwischen Natur und Geist, der sich in der Logik als Gegensatz zwischen Leben und Erkenntnis darstellt. In der Subjektiven Logik für die Oberklasse 1809–1810 wird die Erkenntnis als „Idee der Erkenntnis und des Guten“ weiter dargestellt; dadurch thematisiert Hegel die Verwirklichung der Idee. Erst in der Idee des Wissens fällt die letzte Grenze zwischen Innerlichem und Äußerlichem weg: Das absolute Wissen kennt keine Voraussetzung, entwickelt sich aus sich selbst und schafft eine spekulative Totalität. (270) Verf. zufolge ist keinerlei narzißtische Selbstbetrachtung, sondern die totale „Durchsichtigkeit“ der richtige Schlüssel zur Auffassung der ganzen Bewegung des Denkens. Diese Einschätzung resümiert auch die ganze Deutung der Hegelschen Philosophie in diesem Buch: Darin kann man die Absicht erkennen, den Topos des in sich selbst geschlossenen Systems zu demontieren, denn die Logik als Teil des Systems gewinnt ihre neue Funktion durch ein ständiges Suchen nach Lösungen, wobei die Abstraktion des Denkens danach strebt, die Sachlichkeit des wirklichen Werdens von dem elementaren Niveau bis zu den komplizierten Prozessen wiederzugeben. Man könnte also die Logik als ein Streben nach der Rationalisierung der natürlichen und menschlichen Komplexität lesen. Eben darum sollte man meines Erachtens die Logik Hegels im Vergleich zur Phänomenologie nicht als verarmte Systematisierung der Philosophie, sondern als eine neue Sprache zur Darstellung der Arbeitsweise des Denkens betrachten. Daß die Logik alles einschließt, wird vom Verf. letzten Endes keineswegs als eine Gefahr, sondern als Ausdruck der Möglichkeit des menschlichen Denkens wahrgenommen: „La funzione fondamentale della logica, intesa come filosofia speculativa, è infatti proprio quella di superare qualsiasi forma di

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trascendenza tra attività pensante e contenuto pensato, e di manifestare l’attività del pensare come un’attività libera, che non patisce alcuna forma di limitazione o pre-determinazione esterna, né si arresta di fronte ad una qualche residua forma di alterità. La logica viene quindi a manifestare l’essenza del pensare come libertà“. (280) Ich stimme dieser Einstellung des Verf.s, die er aus seiner ausführlichen Analyse gewinnt, zu. Ich würde anmerken, daß Verf. diese Schlüssel im Lauf der Darstellung besser hätte benutzen können, was dazu beigetragen hätte, die einzelnen Kurse in ihrer jeweiligen Einheit besser zu verstehen, denn die jedenfalls nützliche Wahl, die Kurse nach der Struktur der reifen Logik darzustellen, gibt solche Einheit preis. Die Forschung und die Rekonstruktion der einzelnen Momente dieser Periode des Hegelschen Denkens kündigen sich als eine lange und interessante Arbeit an, die das Bild des Systems noch weiter berichtigen können wird. Pierluigi Valenza (Roma)

Stefano Fuselli: Forme del sillogismo e modelli di razionalità in Hegel. Preliminari allo studio della concezione hegeliana della mediazione giudiziale. [Formen des Syllogismus und Modelle der Rationalität. Einleitungen in Hegels Begriff des gerichtlichen Vergleichs.] Padova: Verifiche 2000. XXV, 260 S. Das Buch von Stefano Fuselli verbindet eine entwicklungsgeschichtliche Perspektive mit einer begrifflichen Analyse so, daß es ein häufig für trocken und pedantisch angesehenes Thema der Hegelschen Philosophie wieder interessant macht. Allgemeiner Zweck des Buchs ist, die Grundzüge der Hegelschen Schlußlehre zu untersuchen und dadurch die eigene Struktur der Vernunft und die verschiedenen Aspekte ihrer innerlichen Zweckmäßigkeit zu erforschen. In dieser Perspektive will das Buch auch zeigen, daß der Schluß, als Vernunftprozeß begriffen, nicht nur in einem formellen logischen Rahmen einzuschränken ist, sondern auch eine bestimmte ontologische und gnoseologische Bedeutung hat. Der Schluß stellt somit „die begriffliche Beziehung jeder Bestimmtheit zu dem eigenen Prinzip“ (233) dar. Das Buch besteht aus vier Kapiteln. Durch die Analyse verschiedener Hegelscher Texte wird gezeigt, daß der Hegelsche Schlußbegriff reichhaltiger als der Inhalt des Schlußkapitels der Logik ist. Aus Fusellis Untersuchung ergibt sich, daß die eigene Bedeutung des Hegelschen Schlußbegriffs aus der „Totalität der Beziehungen“ besteht, die jeder Terminus, sei es der Mittelbegriff oder auch die Extreme, in sich selbst wiedergibt. Das dritte Kapitel des „Subjektivität“-Abschnitts in der Wissenschaft der Logik zeigt einerseits, wie die zehn Schlußformen in ihrer „Entwicklungsfolge allmählich der vernünftigen Totalität sich annähern, anderseits aber, wie diese noch von keiner der Schlußformen erreicht wird“. (Vgl. Vorrede von F. Chiereg-

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hin. XXIV.) Die Nichterreichung der Totalität bedeutet aber nicht, daß die Schlußformen bedeutungslos werden, weil sie die verschiedenen Realitätsniveaus darstellen. In diesem Sinne sind sie, wie der Titel sagt, die „Vernünftigkeitsmodelle“ der Endlichkeit. Alles ist ein Schluß in dem Sinne, daß jedes Ding sich mit dem eigenen Prinzip auf zwei verschiedene Weisen zusammenschließt. In den endlichen Dingen ist das Prinzip etwas Äußerliches, so wie in den Verstandesschlüssen; in den der Selbstbestimmung fähigen Dingen ist das Prinzip innerlich, so wie in den Vernunftschlüssen. Die Aufhebung der ersten in die zweiten Schlußformen bedeutet Fusellis Meinung nach, daß die ersten „sich selbst inadäquat“ sind; d.h. sie sind unfähig, in Einheit mit sich selbst zu bleiben. In den Vernunftschlüssen, wie z.B. in der Idee des Lebens oder des Erkennens, „zeigt sich die durch die Schlußvermittlung erreichte Totalität als die Fähigkeit, bei sich selbst zu bleiben“. (236) Im ersten Kapitel wird die systematische Rolle der Schlußlehre nicht nur in der Wissenschaft der Logik, sondern auch in den ersten Jenaer Schriften analysiert. Hier werden die wichtige ontologische Bedeutung des Schlusses und seine doppelte Rolle innerhalb der Logik als Verstandes- und Vernunftform betrachtet. Der Schluß spielt in den Jenaer Entwürfen wie auch in der Logik eine zentrale Rolle, „weil er die Natur des Ganzen und der ursprünglichen Einheit des Endlichen und des Unendlichen zum Ausdruck bringt“. (32) „Das Unendliche und das Endliche zu vereinigen“ bedeutet in diesem Sinne bei Hegel, „die Immanenz des ersten in dem zweiten“ (38) zu zeigen. Aber der Schluß wird in den Jenaer Schriften noch als ein endliches Produkt des Verstandes angesehen, der unfähig ist, die Vernunfteinheit angemessen zu begreifen. Dagegen ist die Proportion dazu geeignet, weil sie das Modell einer Einheitsform darstellt, die selbst eine Einheit mit den vereinigten Elementen bildet. Erst in den folgenden Schriften – und besonders in der Wissenschaft der Logik – wird Hegel die Eigenschaften der Proportion dem Schluß zuschreiben. In der Analyse des Schlusses als Proportion oder als „schönstes Band“ wird der Einfluß des Platonischen Denkens besonders sichtbar, wie z.B. einige Seiten der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zeigen. Der Einfluß des Platonischen Timaios auf Hegel ist so groß, daß er die Rolle des Mediums in dem spekulativen Schluß nach dem Platonischen Vorbild denkt. Das Medium wird eins mit den Extremen und macht diese selbst zur Mitte, d.h. zum Vereinigungs- und Vermittlungsprinzip. Fusellis Meinung nach ist das Bewußtsein in der Phänomenologie des Geistes ein Beispiel dieser Selbstbewegung der Mitte. In diesem Sinne kann man die Phänomenologie als „einen einzigen Schlußprozeß oder als die Entwicklung einer selbstbegründenden Vermittlung“ (56) verstehen. Im zweiten Kapitel analysiert Fuselli erst die Schlußtafel und ihre Entstehungsgeschichte und dann die allgemeine Struktur des Schlußkapitels in der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie. Es stellt sich heraus, daß Hegel die Schlußtafel der Jenenser Reinschrift 1804/05 gründlich geändert und sich

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seit der Nürnberger Zeit in ständiger Auseinandersetzung mit der Kantischen Logik befunden hat. (52–76) Originell und frei von leichtfertigen Generalisierungen ist auch die Stellungnahme Fusellis Hegels Einschätzung der formalen Logik des Aristoteles: Die von Hegel geübte Kritik sei nicht gegen die gesamte formale Logik des Aristoteles gerichtet. Einerseits bestehe Aristoteles‘ Verdienst Hegels Meinung nach darin, die allgemeine Schlußlehre entwickelt zu haben; andererseits liege die Grenze der Aristotelischen Syllogistik darin, daß sie innerhalb eines für das Endliche typischen Dualismus bleibe und den „Begriff“ nicht erreichen könne. Nach Fuselli „ist die formale Syllogistik […] nicht etwas, wovon Hegel einfach loskommen will, weil sie die eigentliche Vernünftigkeit jedes Realitätsniveaus darstellt, wo das Ding und sein eigener Begriff, das Bestimmte und sein Bestimmungsprinzip getrennt bleiben“. (85 f.) Was aber ist dann die Absicht der Hegelschen Schlußlehre? Der Schluß scheint in eine Art Aporie verstrickt zu sein. Einerseits ist er Form des Vernünftigen, das in seiner Manifestation auch das Wirkliche ist. Andererseits soll aber gezeigt werden, daß die endlichen Schlußformen notwendig sind, obwohl sie ungeeignet sind, „die Selbstbestimmung des vernünftigen Ganzen“ (87) zum Ausdruck zu bringen. Solch ein Ganzes wird von Hegel als eine unterschiedsreiche Einheit gedacht, in welcher „jedes Bezogene die ganze Beziehung ist“ (90) und der Vernunftschluß die notwendige Natur des Ganzen darstellt, das sich selbst bestimmt und gleichzeitig über jede Bestimmtheit hinausgeht. Das dritte Kapitel – „La razionalità del finito“ (Die Vernünftigkeit des Endlichen) – will zeigen, daß „das Ganze in jeder Schlußform ist“ und das „Vernünftigkeitsmodell“ jeder endlichen Schlußform bestimmt. Der Autor führt hier eine detaillierte Analyse der verschiedenen Schlußformen durch. In jeder Schlußgattung ist jede Schlußfigur in sich eine Vermittlung, „aber sie ist gleichzeitig nicht die Totalität ihrer Bedingungen und kann deswegen nicht als formale Darstellung des begrifflichen Ganzen gelten“ (109), weil sie von äußerlichen Voraussetzungen abhängt. Der Formalismus des Verstandes bedingt auch die letzte Schlußfigur, den disjunktiven Schluß, der die spekulative Einheit von Identität und Nichtidentität darstellen soll. Dieser Schluß ist gleichzeitig die Vollendung der Verstandesschlüsse und der Anfang des Vernunftschlusses, der sich als die „Vermittlung selbst“ oder – wie Hegel in der Wissenschaft der Logik schreibt – als „der vollständige Begriff in seinem Gesetztsein“ zeigt. Die Grenze des disjunktiven Schlusses liegt darin, daß er einerseits über den Formalismus führt, andererseits aber seine eigene logische Natur, ein Schluß zu sein, verliert. Die Neuigkeit der Analyse von Fuselli liegt also in dem Versuch, über die formelle Schlußlehre des subjektiven Begriffs bis zur „sich selbst wissenden Vernunft“ zu kommen, auf der Suche nach „Formen der syllogistischen Totalisierung, die den in der vernünftigen Natur des Ganzen selbst liegenden Widerspruch ertragen können“. (158) In diesem Sinne ist das Ziel des vierten Kapitels, „Vernunft und Schluß“, zu zeigen, wie das Wort „Schluß“ bei Hegel über die Figuren und die Gattungen

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hinausgeht und dem Vernünftigen selbst gehört, wo andere Schlußformen als die subjektiven eine besondere Vermittlungsform verwirklichen. Fuselli richtet seine Analyse auf die Idee des Lebens und des Erkennens und auf den Versuch, den Hegel schon in den Jenaer Entwürfen unternimmt, „die logische Struktur der nicht endlichen Dinge zu denken“. (161) Es folgt daraus, daß der Schluß als Selbstbewegung gedacht wird und die Mitte „den eigenen Charakter der Subjektivität, und zwar die Selbstbestimmung, bekommt“. (167) Die Schlußvermittlung drückt die innere Zweckmäßigkeit eines jeden selbstbestimmenden Dings aus. Deswegen bezeichnet Hegel in der Wissenschaft der Logik den Zweck als Schluß, da die innere Zweckbeziehung eine Selbstvermittlung ist, die sich selbst bestimmt und sich als Ganzes in sich selbst vollendet. In dieser Perspektive ist das Individuum die Einheit schlechthin, die sich mit sich selbst vermittelt. Die Idee des Lebens als Einheit von Subjekt und Objekt ist ein nicht formelles Vereinigungsmodell, in dem die Mitte der Organismus selbst in Beziehung auf seine eigenen Glieder ist. Hier gibt es keine Trennung zwischen Form und Inhalt, denn das Lebendige ist in jedem seiner Momente eine Totalität. Das Leben ist aber eine beschränkte Form der Subjektivität, die vom Geist in die Idee des Erkennens – so wie „diese in der theoretischen und praktischen Tätigkeit des Ichs erscheint“ (194) – aufgehoben wird. Es gehört zur Idee des Erkennens, daß sie sich – als „Identität des Unterscheidens“ – „in jeder ihrer Bestimmungen“ (205) in sich unterscheidet. Durch die Anerkennung dieser grundsätzlichen Andersheit geht der Geist in sich und versöhnt sich mit sich selbst. Hier wird der Unterschied zwischen Verstandes- und Vernunftschluß besonders sichtbar. In den Schlüssen der Ideen des Lebens und des Erkennens erscheint die Einheit von Form und Inhalt so, „daß die Andersheit seiner selbst (das Bedürfnis oder die Aufgabe) das konstitutive Prinzip der Vermittlungsform ist“ und „der Prozeß und seine Ergebnisse nicht äußerlich sind“. (207 f.) Man kommt so zu einer besonderen Schlußform, die nach der systematischen Entwicklung der Enzyklopädie „die Form der Idee der Philosophie ist“. Fuselli erklärt, daß die Negativität innerhalb des absoluten Wissens nicht als diejenige des Bedürfnisses oder des Sollens zu verstehen ist, sondern als solche, „die das Prinzip ihrer Ganzheit nicht in der Form des Mangels hat“. (208) In den drei letzten Schlüssen der Enzyklopädie macht die Idee selbst die Vermittlung aus. Hier liegt der dritte Schluß „auf einem anderem Niveau“, weil die Vermittlung die „Selbstvermittlung der Vernunft“ (224) und deswegen eine innerliche Bewegung der Philosophie selbst ist. Die Vereinigungsform des letzten Schlusses besteht also darin, daß „die in der Negativität der Mitte bewahrte Untrennbarkeit sich als absolute Freiheit manifestiert, die aus nichts anderem kommt und zu nichts anderem führt als solcher Freiheit“ (228), denn diese Vermittlungsform besteht aus „einer ewigen Verwandlung der Bedingungen selbst der eigenen Freiheit“. (229) Die Schlußbetrachtungen des Buchs betreffen das in der Einleitung schon gestellte Problem, und zwar inwiefern die Möglichkeit besteht, das gerichtliche Verfahren – wo ein Dritter den Streit zwischen den Parteien schlichten soll – als Vermittlungsprozeß anzudeuten.

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Das Buch mit seinen reichen Literaturangaben ist ein wichtiger Beitrag in der italienischen Hegel-Forschung der letzten Jahre. Claudia Melica (Roma)

Gudrun von Düffel: Die Methode Hegels als Darstellungsform der christlichen Idee Gottes. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. 246 S. (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie. Band 285). Hegels Logik ist sicher immer noch eines der rätselhaftesten Werke in der Geschichte der Philosophie. Der Leser, der es mutig und anfangs vielleicht noch unbefangen wagt, mit den bescheidenen Mitteln seines „Verstandes“ einen Zugang zu diesem erhabenen Bau zu suchen, findet es lange wie verschlossen und versiegelt, ja von solch kühler und abweisender Glätte, daß sich ihm (manches Mal wohl auch mit einem gewissen Ärger) der Eindruck aufdrängt, der Architekt habe bei Entwurf, Planung und Aufbau dieses kristallenen Palastes an wirklich „Alles“ gedacht, nur nicht an so etwas wie Fenster oder gar Türen. Wem es dennoch gelingt, durch die verspiegelte Fassade dieses Gebäudes einen Blick ins Innere zu erhaschen, der stößt dort auf eine Sprache, die – einem Gewitter nicht unähnlich – trotz ihrer Dunkelheit wie durchzogen zu sein scheint von Blitzen des Verstehens, in deren grellem Licht der gesamte monumentale Raum ebenso plötzlich wie freilich auch nur für einen kurzen Augenblick klar zu werden beginnt. Das mag nicht nur erklären, warum die Kommentare von McTaggart (1910) bis F.-P. Hansen (1997) und K. Hartmann (1999) oft nicht über eine Paraphrasierung des Inhalts hinausgehen, es mag vielleicht auch plausibel werden lassen, warum die Forschung sich zunächst auf einzelne Teile oder Kapitel der Logik konzentriert hat, um sich so – man denke etwa an die große Arbeit von B. Burkhardt (1993) – auch einen Zugang zur Logik und ihrer Stellung zum Ganzen des Hegelschen Systems zu bahnen. Auch die jetzt veröffentlichte Arbeit von G. von Düffel wählt diesen Weg, und zwar mit Blick auf das Schlußkapitel der (großen) Logik über Die absolute Idee (als Teil II unter dem Titel „Die absolute Idee als systematische Totalität“ [115–229]). Dieser Abschnitt hat es nun freilich „wahrhaft in sich“, und das im doppelten Sinne des Wortes: Denn hier wird (erstens) streng genommen keine „neue“ logische Kategorie, kein neuer „Inhalt“ generiert – dieser ist ja gar nichts anderes als das ganze entwickelte „System des Logischen“, als die „Totalität der Kategorien“. Was vielmehr in der „spekulativen“ oder „absoluten Idee“ eigens ausgesprochen ist und in dem diesbezüglichen Kapitel zur Darstellung kommt, ist daher nicht dieser Inhalt, sondern (zweitens) das – von diesem freilich nicht abzulösende – Allgemeine seiner Form: die Methode. Daß sie im Begriff der „Dreieinigkeit“ ihr begründendes, jedoch bisher kaum beachtetes (vgl. 74) Prinzip besitzt und daß darum im dritten und abschließenden Teil, in der subjektiven oder Begriffslogik, der spezifisch christliche, d.h.

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trinitarische Gottesbegriff zur vollendeten Darstellung kommt (7), kurz: daß die Logik wesentlich als „Theologik“ (25) verstanden werden muß, ist das über Theunissen hinausführende (vgl. 30, 68 f.) Anliegen von Düffels. Um dieses Ziel zu erreichen, geht dem analytischen Kommentar als erster Teil der Studie der Versuch voraus, die Funktion der „Bewegung des Begriffs“ im Hinblick auf den Aufbau des (logischen) Systems im Ganzen ebenso wie für jeden einzelnen Begriff deutlich werden zu lassen („Die Struktur der Bewegung des Begriffs“ [9–114]). Im Einzelnen wird zu zeigen beansprucht, daß und wie das Offenbarungsgeschehen durch seine Übersetzung auf die Ebene des Gedankens die Form der „Selbstbewegung des Begriffs“ erhält. Diese wird motiviert und ermöglicht durch die sowohl dichotomische als auch triadische, insgesamt also paradoxale Struktur des Begriffs, der sich somit nur als System von „Drei-Einheiten“ vermitteln kann (50; vgl. Kap. 1). Damit ist der Hintergrund geschaffen für den Nachweis, daß die drei Teile der Logik sich zueinander verhalten wie die drei Momente einer Begriffsbewegung, die sowohl das System der Logik umgreift, wie sie durch das System hindurchgeht. Da diese Bewegung sich nach dem neuplatonischen (Proklos) Modell von „Beharren“, „Fortschreiten“ und „Zurückkehren“ vollzieht, kommt dem Schlußteil, der Begriffslogik, die Funktion zu, beide Teile der objektiven Logik mit sich selbst als einer höheren Einheit zusammenzuschließen. In dieser Einheit, der „Idee“, tritt eine vierte Bestimmung hervor, mit welcher ein neuer Kreislauf beginnen muß (76; vgl. Kap. 2). Ihm widmet sich das 3. Kapitel (unter dem Titel „Die Selbstbewegung der Idee“), das vor allem durch eine Gliederung des Schlußabschnitts der Logik (bes. Kap. 3.2) den im zweiten Teil der Arbeit versuchten Kommentar vorbereiten soll. Auch hier: Beim Fortgang der Methode greift, so von Düffel, die gleiche Gesetzmäßigkeit wie bei der Entwicklung des spekulativen Begriffs sowie jedes Logisch-Rellen innerhalb des logischen Systems im ganzen (128), so daß zunächst die Idee des Logischen in ihrer „abstrakten“, dann „dialektischen“ und schließlich in ihrer „spekulativen“ „Darstellungsform“ thematisiert wird. (Teil II, Kap. 1) Insofern so jedoch die Idee nur in ihrer unmittelbaren Totalität vergegenwärtigt wird, steht das letzte Kapitel und damit zugleich auch das Ende der Logik vor dem Problem, daß und wie sie sich als die Methode des Ganzen selbst als Objekt gegeben ist. (Kap. 2) Ob sich auf diesem Wege tatsächlich zeigen läßt, was von Düffel als den eigentlichen „Zweck der spekulativen Logik“ glaubt ausmachen zu können: „die Existenz Gottes durch die Entwicklung eines anschaubaren Modells, das die Dreipersonalität Gottes konkretisiert, zu beweisen“ (235), kann hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Eine solche Diskussion – wenigstens das soll angemerkt werden – wird durch eine merkwürdig verschlungene, zumindest mir oft undurchsichtige Argumentationsweise nicht gerade vereinfacht – „ablesbar“ bereits an dem vielleicht gar nicht so äußerlichen Tatbestand, daß die Gesprächspartner, die von Düffel bei ihrem Gang durch das dunkle Gewölbe der Logik heranzieht, bis auf wenige Ausnahmen einer „neueren Hegelforschung“ angehören, die aus der Sicht der Verfasserin offenbar Mitte der 80er

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Jahre des letzten Jahrhunderts zu einem gewissen Abschluß gekommen zu sein scheint. Und so ist es vielleicht auch kein Zufall, daß dem Leser einerseits mühsam Erkenntnisse präsentiert werden, die ihm noch nicht sehr überraschend zu sein scheinen (so kristallisiert sich auf der Mitte der Arbeit „immer deutlicher“ heraus, „dass der Methodenbegriff Hegels entscheidend ist für das Verständnis seiner spekulativen Logik“ (127)); andererseits trifft er auf Äußerungen, die trotz ihres grundsätzlichen Aussagewertes eher beiläufig erwähnt als wirklich begründet werden (vgl. etwa den 235 f. unternommenen Versuch, der Methoden-Idee die Rolle der „Idee des Schönen“ zuzuweisen). Tobias Trappe (Bochum)

Marco Bormann: Der Begriff der Natur. Eine Untersuchung zu Hegels Naturbegriff und dessen Rezeption. Herbolzheim: Centaurus 2000. 111 S. Die vorliegende Monographie beschränkt sich auf eine Untersuchung des Programms der Hegelschen Naturphilosophie. Da von der Begründbarkeit der Logik entscheidend die der Naturphilosophie abhängt, behandelt Verf. zunächst ausführlich Hegels Konzeption der Logik. Es stellt sich die Frage, wie Hegel seine spekulative Logik als System inhaltlich bestimmter Begriffe, die die Struktur der Wirklichkeit darstellen sollen, begründet. Verf. setzt sich mit D. Wandschneiders und V. Hösles Versuchen auseinander, die Hegelsche Logik in Abwandlung einer transzendentalpragmatischen Letztbegründung zu begründen. Solche Versuche berufen sich auf Aussagen, die vor jedem Zweifel sicher sein können. In diesem Sinn wäre die Hegelsche Logik als unhintergehbare Grundlage einer jeden Argumentation zu interpretieren. Verf. bezweifelt nun, daß die transzendentalpragmatische Letztbegründung eine wirkliche Letztbegründung ist, da doch immer die eine Voraussetzung gemacht werden muß, nämlich die Annahme konkreter Menschen in einer Kommunikationsgemeinschaft. Der erkenntnistheoretische Ansatz der Transzendentalpragmatik scheitert also daran, daß immer schon ein konkretes Erkenntnissubjekt vorausgesetzt werden muß. Eine Begründung der Hegelschen Logik kann deshalb nach Auffassung des Verf.s nicht rein erkenntnistheoretisch vorgehen, sondern muß ontologische Annahmen machen. Wie Verf. zugesteht, ginge eine solche Rekonstruktion der Logik, die deren Erweis als ontologisch unhintergehbarer Instanz zum Ergebnis hätte, weit über Hegels Ausführungen hinaus. Mit D. Wandschneider wäre zwischen Begriffsbedeutung (als semantischer Gehalt) und Begriffseigenschaft (als pragmatische Supposition) zu unterscheiden. Mit jener ist nicht analytisch diese gegeben. Durch Berücksichtigung des pragmatischen Kontextes würde den ontologischen Voraussetzungen Rechnung getragen, d.h. den antinomischen Verhältnissen, in denen Begriffe zueinander stehen.

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Zu den Ausführungen des Verf.s ist anzumerken, daß seine Kritik am transzendentalpragmatischen Letztbegründungsversuch insofern berechtigt ist, als es nicht genügt, begriffliche Voraussetzungen unseres Argumentierens aufzuzeigen. Man muß auch deutlich machen, in welchen Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Erkenntnissubjekts solche Voraussetzungen gründen. Dies würde zu einer anthropologisch-psychologischen Untersuchung führen, die Hegel aber gerade vermeiden will (trotz seiner Phänomenologie des Geistes als Hinführung des Bewußtseins zum absoluten Wissen und seiner Philosophie des subjektiven Geistes in der Enzyklopädie). Insofern entsteht für ihn die Schwierigkeit, den ontologischen Status seiner Logik zu vermitteln. Ob D. Wandschneiders Rekonstruktion hier weiterführt, läßt sich erst anhand späterer Darlegungen des Verf.s (zu Hegels Theorie des konkreten Allgemeinbegriffs) beurteilen. Als nächstes thematisiert Verf. das Problem des Übergangs der Logik in die Natur. Wenn die Logik ihre Vollendung in der absoluten Idee erreicht hat, wie kann dann überhaupt noch ein Übergang in etwas Anderes stattfinden? Verf. diskutiert drei verschiedene Interpretationen: I. Das Resultat des Übergangs der Logik in die Natur ist die Logik selbst, nur in einer anderen Form. Die Natur als das Andere der Idee kann nur komplementäres Gegenstück zur Logik, nicht ein vollkommen Alogisches sein. II. Die Naturdinge sind alogisch, von der Logik unabhängig. III. Der Übergang der Logik ist ein Übergang zu Naturbegriffen, denen Naturdinge entsprechen. Nimmt man mit Verf. den Anspruch der Hegelschen Logik ernst, dann kann nur Interpretation I in Frage kommen. Bei der von D. Wandschneider vertretenen Interpretation III stellt sich das Problem, wie die Zuordnung von Naturbegriffen zu Naturdingen geschieht. Bei Interpretation II würde man Naturerkenntnis den Naturwissenschaften überlassen müssen, eine Naturphilosophie wäre im Grunde nicht mehr möglich. Außerdem führt diese Position zur Annahme eines Rests in der Natur, der der Logik nicht zugänglich ist; dies wäre ein Ding an sich. Ferner würde man auf die Anschauung rekurrieren, in der uns die Natur gegeben wäre, und auf eine begriffliche Erfassung der raum-zeitlichen Verhältnisse verzichten. Zu dieser Verteidigung des Hegelschen Standpunkts ist zu bemerken, daß sie gleichzeitig dessen Schwächen bloßlegt. Es stellt sich die Frage, ob die anvisierte rein begriffliche Erkenntnis der Natur möglich ist. Angesichts einer so radikalen Forderung lernt man Kants kritische Philosophie schätzen, die raum-zeitliche reine Anschauungen annimmt und in der Antinomienlehre zugesteht, daß die Natur uns nur als Erscheinung, nicht als Ding an sich gegeben ist. Dann müßte man sich allerdings auf eine spezifische, endliche Subjektivität zurückziehen. Dem empirisch Zufälligen wäre ein größerer Spielraum einzuräumen, als es Hegel – nach Darstellung des Verf.s (55 ff.) – will. In der Konsequenz der Hegelschen Argumentation liegt, daß es keine prinzipielle Trennung zwischen unseren Gedanken (im Sinne der Logik) über die Natur und den konkreten Naturdingen gibt. Das Induktionsproblem existiert

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nicht, da man von allgemeinen Begriffen ausgeht, die das empirisch Konkrete enthalten. Wie sich aus Hegels Darlegungen in der Einleitung zur Naturphilosophie ergibt, stellen die konkreten Allgemeinbegriffe eine Synthese von praktischem und theoretischem Verhalten zur Natur dar. Das dem begrifflichen Zugriff entgegenstehende empirisch Konkrete wird im praktischen Verhalten zur Natur in seiner Widerständigkeit aufgehoben und im theoretischen Verhalten zur Natur in seiner dem Begriff entsprechenden Objektivität erkannt. Wie Verf. betont, findet sich hier der pragmatische Kontext, der die anfangs erläuterte Rekonstruktion der Hegelschen Logik durch D. Wandschneider fundiert. (74, 25 f.) Kritisch ist zu diesen Überlegungen zu bemerken, daß sie nur überzeugen, wenn man Interpretation I zum Übergang der Logik in die Natur folgt. Es wird deutlich, daß die ontologische Begründung der Logik von der Annahme eines konkret Allgemeinen abhängig ist, die wiederum eine bestimmte Einheit von Theorie und Praxis impliziert. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft konstatiert Verf., daß Hegel nicht so konsequent verfährt, wie er es eigentlich hätte tun müssen. Es existiert in Hegels Naturphilosophie eine fatale Abhängigkeit der Naturphilosophie von der Naturwissenschaft, die in Widerspruch zur Absolutheit der Logik steht. (77 ff.) Nach Auffassung des Verf.s kann die Bedeutung der Naturwissenschaft für die Naturphilosophie lediglich darin liegen, die autonomen theoretischen Annahmen der Naturphilosophie an die experimentelle Praxis der Naturwissenschaften zurückzubinden. Auch die konkrete Durchführung der Naturphilosophie, die Verf. nur in bezug auf Hegels Raum-Zeit-Theorie und seine Entwicklungslehre verfolgt, entspricht nicht ganz dem Anspruch der Logik. Verf. vermißt in der Raum-ZeitTheorie eine rein begriffliche Bezeichnung des Punktes: „Im Folgenden möchte ich nun zeigen, daß Hegels Argumentation mehr und mehr den apriorischen Pfad der Tugend verläßt und sich der Empirie ausliefert. […] Wenn Hegel den Punkt als die Negation des Raums oder die Fläche als Synthese von Punkt und Linie bezeichnet, läßt sich damit kein Sinn verbinden. Punkt und Raum sind nichts begriffliches (sic!) und Negation ist eine Relation von Begriffen.“ (91, 93) Hegels Kombination von Evolutions- und Emanationstheorie sowie die damit verbundene gegenseitige Integration von teleologischen und kausalen Überlegungen verteidigt er jedoch, weil sie das bei Darwin fehlende qualitative Moment der evolutiven Entwicklung berücksichtigt. Im übrigen ist das Ziel der Naturentwicklung für Hegel die Darstellung des Formenreichtums der Logik. Abschließend läßt sich festhalten, daß Verf. zwar die entscheidenden Momente der Hegelschen Position treffend benennt, ihre Problematik jedoch nicht herausarbeitet, sieht man davon ab, daß er in überraschender Weise eine Kritik an Hegel im Namen Hegels, d.h. eines konsequenteren Hegels, übt. Wolfgang Bonsiepen (Bochum)

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Nicolas Février: La mécanique hegelienne. Commentaire des paragraphes 245 à 271 de l'Encyclopédie de Hegel. Éditions de l'Institut Supérieur de Philosophie Louvain-La-Neuve. Louvain-Paris: Éditions Peeters 2000. 170 S. (Bibliothèque Philosophique de Louvain. 52.) Since the 1980s it has been common practice to start a review concerning Hegel's philosophy of nature by remarking that this was previously an area of investigation that was not to be taken seriously. Indeed, Hegel was often charged with a kind of speculative insanity that disregards the achievements of natural science. In the 1990s, however, we entered a more reflective period, with the aim to clear Hegel's Philosophy of Nature from charges of apriorism, panlogism, dogmatism, deductivism and so on. Notwithstanding Février’s view, according to which in Hegel scholarship “Philosophy of Nature plays a minor part in the account of Hegel's speculative project” (see his La théorie hégélienne du movement à Jéna. Paris: L'Harmattan 1999. 5), I think that one can no longer maintain this opinion. Rather, the considerable degree of interest shown in recent years, which has been followed by a host of running commentaries and translations, falls roughly under two headings: 1) a systematic approach, based on conceptual analysis, and also aimed at contemplating possible present-day applications; 2) a historical line of inquiry especially devoted to the study of Hegel's contemporaneous sources of scientific literature. Against this broad sketch of the state of the field, Février’s book stands out from other critical literature, for he tries to combine the examination of Hegel's relationship with Galileo, Kepler and Newton with the systematic placement of Hegel’s speculative physics in the Aristotelian tradition. More precisely, Février aims to provide a comprehensive study of Hegel's treatment of Mechanics in 1830, by interpreting the text of the Encyclopaedia in light of the role played by the Aristotelian notion of finality in “constituting” the dialectical method. (La mécanique. 9) From a methodological point of view, and despite initial appearances (the first chapter is devoted to the Lectures on the History of Philosophy on Aristotle), this approach neither focuses only on the historiographical context of Hegel's theory of motion, nor confines itself to a synthetic commentary based on an internal exegesis of Hegel's system. Rather, Février explicates the line of speculative reasoning that leads Hegel to advance his theory of nature and Mechanics, distances it from a strict Platonic influence (following Dubarle and criticizing Hösle's well-known view on the point) and claims that Hegel recognizes the positivity of natural being, together with the necessity that philosophy must agree with experience: a recognition that would constitute the common ground both of his dialogue with modern scientific consciousness and with Aristotle's thought. (Ibidem. 7 f.) Indeed, the author aims to reach conclusions of contemporary interest for the understanding of more comprehensive cultural forms of scientific rationality, overcoming the opposition between empiricist positivism and speculative metaphysics. (Ibidem. 1, 157–161) This book presupposes the analysis of Hegel's theory of motion in the Jena

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writings provided by Février's 1999 book on Hegel's Jenaer theory of motion, where we find the proper introduction to the central issue at stake in La mécanique. When examining Hegel's treatment of Mechanics in his third 1805/06 systematic project, Février points to the novelty of introducing finality: “the concatenation of the natural forms appears as a process that is ordered by the realization of the self”. (La théorie hégélienne. 136 f.) Indeed, the dialectical method that exposes “matter in its truth” is reconstructed as the concatenation of three moments: 1. immediacy (the moment of essence, in-itself), 2. opposition (the moment of difference, for-itself), and 3. singularity (the moment of the being in-and-for-itself). This universal movement, according to which everything is a sphere of coming forth out of itself and turning back into its center “is explicitly associated by Hegel with subjectivity”. (Ibidem. 137) Within this frame, the solar system as totality is regarded as the first manifestation of the internal structure that animates phenomena (Février had already extensively studied the matter in his Das syllogistische Bild des Sonnensystems in der absoluten Mechanik Hegels (1830). In: Jahrbuch für Hegelforschung. 1998/99. Nr. 4/5. 153–170; the analysis returns in La mécanique. 107–119). In this way, mechanics becomes the explication of a teleological process. In the final pages of his 1999 book, Février stresses that the dialectical method as method for investigating natural phenomena “coincides” with a conception of difference as essentially qualitative. (La théorie hégélienne. 147.) In the same vein, at the outset of La mécanique, Février places the philosophy of nature within the systematic activity of self-realization of the Idea as absolutely self-opposed, pointing to the recognition of the progressive levels of realisation of the absolute as subject within the world of phenomena. Thus, subjectivity is conceived as an internal moment of the rational articulation of nature, by identifying the logical Idea in its being-other (used in the second part of the Encyclopaedia) with “the universal intelligibility of the Logos” that assumes the particular (and inadequate) form of the phaenomenon. (La mécanique. 2) Against this background, Hegel's theory of motion is viewed as a reaction against the reduction of nature to a quantitative abstraction from the sensed world carried out by the GalileanNewtonian mechanicism as applied mathematics. Moreover, since subjectivity is the point of convergence of all the natural phenomena and constitutes the universal structure that governs the presentation of natural forms in their systematic unity, Février views Hegel's theory of motion as an attempt to inaugurate a speculative qualitative physics, by substituting (sic) the teleological causation of the concept for efficient causality (ibidem. 3) and by harmonizing such a qualitative causality with the purely kinematic laws discovered by experience. (Ibidem. 101) Curiously enough, Février does not take into account A. Ferrarin's important study on the specific sense in which we can compare Hegel and Aristotle on mechanical motion, so that Hegel’s analysis of motion (qualified by uniform mathematical relations) is quite distinct from Aristotle’s analysis. (Qualified by tending naturally to the rest, see: A. Ferrarin: Aristotelian and Newtonian Models in Hegel's Philosophy of Nature. In: R. S. Cohen and A. I.

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Tauber (eds.): Philosophies of Nature: the Human Dimension. Boston Studies n. 195. 1998. 87.) In the first chapter (La mécanique. 11–23), Février accounts for Hegel's pitting Aristotle's superior speculative empirism, based on the concepts of life and finality, against Plato's inert idealism, devoid of actuality. Moreover, Aristotle's idealistic empirism (sharply distinguished from any empirical knowledge whose scientific criterion rests on experience) is opposed to the onesidedness of modern scientific culture, whose mechanicism cannot grasp phenomenal immediacy as “realisation of the concept”. The second chapter (ibidem. 25–59) analyses §§ 245–250 of the 1830 Encyclopaedia, which deal with our ways of regarding and relating to nature. Février emphasises the inadequacy of the conceptual model of external finality, i.e. the standpoint of utility, and focuses on the final lines of the Addition to § 245. There Hegel, referring to Aristotle, states the immanency of purposive activity in natural objects, as constituting their living nature or simple determinateness, and as directed solely to self-preservation. Hegel concludes that the true teleological method consists in regarding nature as free in its own peculiar vital activity, a remark that Février restates as follows: the finality that Hegel ascribes to nature is not external to it, for the Idea, the principle that governs the natural process, is immanent to nature itself: immanent finality is “the manifestation of the Idea”. (Ibidem. 29) From this standpoint, Février develops his reading of the a priori speculative deduction of the content of the empirical sciences: by “assuming the logical Idea as point of departure”, Hegel's philosophy of nature accounts for laws first discovered empirically; by relying solely on pure thought, it assures necessity to the achievements of the empirical sciences. Therefore, the philosophy of nature “produces its own content” because of the a priori deduction (starting form the Idea) of the determinations of nature. (Ibidem. 42) In chapters three, four and five (ibidem. 61–144), Février examines concrete cases of “applying” the dialectical method as an a priori deduction of natural forms, starting from the parallelism between the category of quality and the determinations of mechanics. For instance, chapter three emphasises point, line and surface, insofar as they are qualitative determinations of space (which is the quantitative with which nature begins) and time as “the subjectivity of the Idea” in the development of natural being. Février views space, time, place, motion and matter as “realizations” (sic) in the element of externality of the logical categories of: pure being, becoming, being-there, infinity and beingfor-self. In particular, to regard matter as the position of the ideal Fürsichsein within real nature implies that “subjectivity and final cause appear in nature with matter”. (Ibidem. 86) Confining myself to points of more general philosophical interest, I would like to stress four related main issues. The first addresses Février's identification of self-determination with subjectivity. The second stresses the extent to which, and the level at which, the formal understanding at work in mechanics

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can offer adequate conceptual tools to grasp matter. The third focuses on the “realization” of the logical categories in nature. Fourthly, I conclude by showing that Février's level of analysis does not adequately highlight some key conceptual distinctions, e.g., the specific sense in which the dialectical treatment of space and time is a qualitative relation within Hegel’s development of his system. (I) Starting in the 1801 De orbitis planetarum Hegel conceived the selfdetermination of matter in absolute mechanics (the free motion of the heavenly bodies) as an internal and immanent principle of opposed forces. Note, however, that Hegel centrally linked his speculative or “true” assessment of gravity as principium identitatis quod in se ipso differentiam ponat with a living consideration of nature versus the dead mechanism of the principle of inertia and of external combination of self-sufficient abstract forces (philosophically grounded on the alleged Kantian Leblosigkeit of matter: Kant’s Werke. Akademie-Ausgabe. Berlin: Georg Reimer 1911. Bd. IV. 544.). Mechanical free selfdetermination, that is, matter viewed as being endowed with an inner principle of change, however, does not at all imply “individuality” as a dimension of the “self”. Starting in the Phenomenology, Hegel instead understood subjectivity as the process of the mediation of the self with the self, the actuality of substance (Spinoza's Dei actuosam essentiam in: Ethics. 2. Prop. 3. Schol.), understood as active self-realization (associated to the Aristotelian energeia). The subjective stucture of the concept sketched in §§ 160 f. of the Encyclopaedia recalled by Février (La mécanique. 107 f.), does indeed present the development of the concept as the development of what is free, i.e., the substantial power which is for self, as a universality that remains within itself in its selfdifferentiation. However, Hegel stresses that conceptual freedom is to be understood as totality insofar as any singular moment is the totality (the universality) that the concept is, and any moment is posited as undivided unity with the concept itself. Février's standpoint focuses on recognising progressive levels of realisation of the absolute as subject within the world of phenomena by retracing the subjectivity of the logical Idea in the development of natural being. Clearly enough, from such a perspective, matter cannot be said to be subjective and selbstisch (i.e. endowed with individuality) within the realm of Mechanics, for the conceptual relation between the parts and the whole that characterises individuality is organic, not mechanical. Hegel of course says: “The planet is the veritable prius, the subjectivity in which these differences are merely moments of an ideal nature […] the whole solar system is an entirety, for the Sun and the planets are engendered reciprocally”, and accordingly Hegel understands the solar system as system of three syllogisms, and accounts for its essential coherent totality. However, all this is at a physical (not mechanical) level. To this extent, the solar system is the organism of mechanism. (See §§ 272, 279. Remark and Addition; § 280. Addition.) Indeed Hegel says: “It is the property […] of organic being to digest the completely universal astral powers which appear to have independence as heavenly bodies, and to

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bring them under the sway of individuality, so that these gigantic members reduce themselves to moments”. (§ 280. Addition: my emphasis.) Février is certainly right to stress the correspondence between the logic and the philosophy of nature, according to which the logic of being appears to be the framework of mechanics (§ 254), and the sphere of essence appears to be the framework of physics. (§ 274. Addition.) However, only by stating that the subjective logic is the framework of organics does Hegel characterize nature as essentially selbstisch and subjektiv (§ 337) and retrospectively characterizes the emergence of organics in mechanics, leading that first stage back into its conceptual ideality. (§ 252. Addition.) Precisely because the concept distinguishes according to qualitative determinateness, we have not a 'progressive realisation' of the absolute as subject, but rather “leaps”, discontinuity, in the process of nature. (§ 249. Addition.) (II) If we focus on Hegel's speculative criticism of Newton's mechanistic account of nature, from the 1801 De orbitis to the 1830 § 270 of the Encyclopaedia, we may see how the determinacies initially set up by the activity of Verstand are constantly recognized as untenably one-sided, isolated and finite. It is worth noting, however, that as finite determinations, they also have their proper, adequate field of use in knowing isolated and finite forms of external impressed motion, e.g., in the cases of “impact” (Stoß), “push” (Druck), “pull” (Ziehen), though not in astronomy, where what is at stake, in Hegel’s view, is the free self-determined motion of the heavenly bodies, and the relevant force is not something external to the body, but is its proper nature or concept. Février disregards this distinction. For the sake of his argument it is worth noting that in the Addition to § 28 of the 1830 Encyclopaedia, we find Hegel’s remark: “In the case of finite things it is certainly true that they must be determined by means of finite predicates, and here the understanding with its activity has its proper place […] finite things behave as ‘cause’ and ‘effect’, as ‘force’ and its ‘expression’; and when they are grasped according to these determinations, they are known in their finitude. But the objects of reason cannot be determined through such finite predicates”. In my view, this is a case in which speculative philosophy does not allow the use of dialectical rational (merely destructive) negation against the finite. Whereas inert matter is wholly inadequate to its concept, we have essential congruence between the external, finite determination of the understanding and the actual extrinsicality of the forces that put a terrestrial body in motion in an immediate form of existence of matter. Take, for instance the main headings under which the fallacies of Newton’s “spurious building” of experimental philosophy (a mixture of mathematics and physics, in Hegel’s eyes) fall in the Dissertatio. Roughly speaking, Hegel identifies two kinds: 1) when the finite determinations of thoughts claim to know the nature of infinite things (as is the case with God in the General Scholium added to the second edition of the Principia; or with the undue extension of the forces to which the bodies are submitted on earth to the free self-motion of the heavenly bodies); 2) when the constructions of abstract

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thought demand actual and concrete reality (as is the case with the physical significance ascribed to geometrical lines in Newton’s mechanics, or with the way in which forces “are” opposed, versus the requirements of construction within mechanical physics of phenomenal motion; quite aside from the quest for a real planet to fill the gap in Bode’s arithmetical and aconceptual series). Dialectical rational negation occurs, then, only when mechanics claims to apply to non-finite objects. The ratio mechanica has its proper, adequately explanatory (though subordinate) role for a kind of existence of matter (terrestrial bodies) as immediately posited, put in motion by external forces. To study Hegel's speculative treatment of Mechanics as a process that is directed to the realization of the self, risks overlooking the merits Hegel accords to reflective (finite-)conceptual reasoning, as in the finite mechanics of matter and motion. (III) Care should be taken not to look at the Philosophy of Nature as if it were a logic applied to the realm of externality, though this constitutes the main presupposition of Février’s inquiry. In my view, the stages of Hegel's Philosophy of Nature are not to be taken as an instantiation of the conceptual moments of the Science of Logic. In an Addition to § 24 of the Encyclopaedia Hegel takes care to avoid any straightforward interpretation of this kind, which would imply more the power, rather than the impotence of nature to present in her own configuration the logical forms of pure thought. Hegel says that the Philosophy of Nature (and the Philosophy of Spirit as well) “appear” (erscheinen) as it were as an applied logic (gleichsam als eine angewandte Logik: my emphasis). That the use of ‘gleichsam’ is a serious warning is testified to by Hegel’s account of how the syllogistic structure can be retraced in nature, where differences maintain immediate autonomy within a relational unity (paradigmatically, in the magnet). In his 1801 De orbitis, Hegel distinguishes between a real and an ideal difference of gravity: the former is matter, objectiva gravitas, self-settling into the duplicity of poles, to form a cohesion line; the latter was the duplicity of the powers of space and time. Although the second of the 1801 Praemissae Theses declares that Syllogismus est principium Idealismi, in the third of the Theses the duplicity that expresses the being of nature is sharply distinguished by the triplicity that is proper to spiritual (knowing) subjectivity: Quadratum est lex naturae, triangulum mentis. The same holds in the Encyclopaedia, where we have “disjunction” into a tetrad of universal/particular/singular triadic syllogistic movements that characterize the form of necessity proper to the concept. The duality regards the second term after universality, as is the case with the tetradic (Empedoclean) order of the elements in Physics (§ 281. Addition.), which rises up to the quintuplicity of the senses in Organics. There, the moment of particularity (i.e. the opposition to universality, difference) itself appears as a triad. (§ 358. Addition.) (IV) Finally, Février’s analysis of Hegel’s 1830 treatment of the qualitative relationship between space and time overlooks an important feature of Hegel's mature dialectical method. As is well known, in the 1827 and 1830 editions of the Encyclopaedia, the first section of the philosophy of nature is called Mecha-

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nics, and not any longer Mathematics, where the first 1817 edition located the dialectic of space and time. In § 203 of the Heidelberg edition, space is the transition into time, where this passage is viewed as a “becoming” that is also immediately “the identical existing unity” of space and time. This transition gives rise to motion, but is conceived as “passing away” (Vergehen), a vanishing, disappearing quality that involves the "regeneration" (Wiedererzeugen) of space in time and vice versa. In the Berlin editions Hegel reflectively revises the modality of this dialectical transition between opposites, by substituting Sich-wiedererzeugen for Wiedererzeugen. The first immediate model of Becoming is changed into a transition that in itself is the falling together of its contradictions: now the dialectic occurs within the interrelationship of space and time and on the basis of their unity; the moment of relation is both inherent and immanent in the two opposite terms taken together. In 1827 and 1830, the modes of reflection (the logic of essence) are anticipated within the immediacy of being, affecting the philosophy of nature in the core of its processuality. Considering the fruitfulness of strategies for analysis in scholarship, it seems to me that to provide an account of Hegel's 1830 dialectical method by focusing on the role played by the Aristotelian notion of finality in “constituting” it runs the risk of failing to appreciate the systematic developments in Hegel's treatment of these issues. Nathan Ross danke ich für die sprachliche Überarbeitung dieser Rezension. Cinzia Ferrini (Triest)

Auf dem Weg zum ‚freien Geist‘. Neue Arbeiten zu Hegels ‚subjektivem Geist‘ Lambros Kordelas: Hegels kritische Analyse der Schädellehre Galls in der „Phänomenologie des Geistes“. Würzburg: Königshausen und Neumann 1998. 234 S. Christof Schalhorn: Hegels enzyklopädischer Begriff von Selbstbewußtsein. Hamburg: Meiner 2000. 243 S. (Hegel-Studien. Beiheft 43) Hermann Drüe: Kommentar zu: Die Philosophie des Geistes. Erste Abteilung: Der subjektive Geist. – In: Hegels Philosophie. Kommentar zu den Hauptwerken. Hrsg. v. Herbert Schnädelbach. Bd. 3. Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‘ (1830). Frankfurt/M.: Suhrkamp 2000. 206–289. (Vgl. die Rezension auf den Seiten 445 ff. dieses Bandes.) Nachdem zu Beginn der neunziger Jahre im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Vorlesungsnachschriften Erdmann und Walter eine Anzahl von Arbeiten zu Hegels Philosophie des subjektiven Geistes erschienen waren, schien das Interesse an diesem Teil des Hegelschen Systems erneut zu erlahmen. Zwar wurden verschiedentlich Aufsätze und Abhandlungen zu Detail-

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problemen dieses Themenbereichs veröffentlicht, jedoch keine größere Arbeit, welche die Analyse der systematischen Verschränkung der Bereiche Anthropologie, Phänomenologie des Geistes und Psychologie zu leisten beanspruchte oder etwa eine Widerlegung der bereits 1842/44 durch Exner an Hegels Geistphilosophie geübten Kritik versuchte, er vermische in seiner Begriffsbildung „rezeptives und autonomes Verfahren.“ (Drüe, 284.) Um es vorwegzunehmen: Keine der hier erörterten Arbeiten erfüllt die genannten Ansprüche, wenngleich zumindest Drües Kommentar einen auf Vollständigkeit angelegten Interpretationsansatz verspricht. Jedoch deutet die bloße Zahl der nun erschienenen Arbeiten – die Besprechung weiterer Veröffentlichungen zum Themenkomplex wird in der nächsten Ausgabe der Hegel-Studien folgen – darauf hin, daß eine Anzahl meist jüngerer Hegel-Forscher die Beschäftigung mit selbigem nicht in gleichem Maße als obsolet ansieht wie Drüe, welcher der Hegelschen Geistphilosophie die Relevanz schon für die zeitgenössische, erst Recht aber für die aktuelle Diskussion bezüglich des Verhältnisses der hier genannten Wissenschaftsbereiche zur Philosophie abspricht. (Drüe, 251.) Das Urteil Drües ist allerdings schon insofern von fundamentaler Bedeutung für die Kohärenz des enzyklopädischen Systems, als im Durchgang durch die Bereiche des subjektiven Geistes sich jener „freie Geist“ konstituiert, der schließlich in die Sphäre des objektiven Geistes eintritt, um sich dort handelnd auf Gemeinschaft zu beziehen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Aussage Drües, daß der Geist auf diesem Wege „Subjektivität so frei für sich gewinnt, daß er sie damit endlich überwinden kann, um objektiv und absolut zu werden“, der Hegelschen Intention entspricht. (Drüe, 289.) Vor dem Hintergrund der der Hegelschen Konzeption innewohnenden Entwicklung des vereinzelten Subjekts zum Staatsbürger muß weiterhin gefragt werden, ob diese Hinführung allein nach den Maßstäben der jeweiligen Erscheinungsformen einer ausdifferenzierten Wissenschaft vom Menschen, von der Seele usw. beurteilt werden kann, wie Drüe dies versucht. Vor dem Hintergrund der systematischen Bedeutung der Analyse des subjektiven Geistes auf dem Weg zum objektiven Geist muß dagegen die Auseinandersetzung mit Hegels Kritik an Galls „Schädellehre“ gesehen werden. I. Das Buch von Kordelas beschäftigt sich nur vordergründig nicht mit dem Bereich des subjektiven Geistes in der Enzyklopädie. Denn Hegel behandelt das gleiche Thema in der Enzyklopädie in vergleichbarer Weise – wenn auch an anderer Stelle, ein Umstand, der die Frage nach dem ‚Warum‘ der systematischen Verschiebung aufwirft. Der Name Gall fällt explizit zwar lediglich in den Notizen zum dritten Teil der Encyklopädie von 1817 (GW 13, 299.), jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum der Verfasser sich auf die Kritik der Gallschen „Schädellehre“ in der Phänomenologie beschränkt.

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Als sich Franz Joseph Gall zwischen 1805 und 1807 auf Vortragsreise durch Deutschland befand, war der Erfolg phänomenal. Offensichtlich verlangte schon jene Zeit, als Philosophen auf die Eigenverantwortung der Einzelnen verwiesen oder gar – wie Hegel – einen „Weg der Verzweiflung“ zu beschreiten vorgaben, den das Bewußtsein auf sich nehmen müsse, um zu sich selbst zu gelangen, nach Erkenntnissen einer Naturwissenschaft, welche in einer zunehmend unübersichtlich erscheinenden Welt mit deutlicher Klarheit die Ordnung der Dinge benennt. Galls Lehre versprach den Zeitgenossen Antworten in den Bereichen des Erziehungswesens, der Analyse und Behandlung von Geisteskrankheiten und der Rechtsprechung. Während etwa Fichte, Schleiermacher und Goethe die Vorträge Galls besuchten, blieb Hegel dem Vortrag in Jena (1805) fern. Dieser Umstand brachte Gall, der sich zu jener Zeit in einem Zustand befand, daß er sich „selbst Weihrauch streuen“ und zurufen wollte: „ach du seliger Gall!“, wohl schon deshalb in Rage, weil seine Vorträge ein derartiges gesellschaftliches Ereignis darstellten, daß „eine Abwesenheit schon einer Ablehnung gleichkam“. (23) Kordelas behandelt nach einem kurzen biographischen Abriß, der auch die enorme Wirkungsgeschichte der Gallschen Lehre in Frankreich, England und den USA dokumentiert, die „Frühwerke“ von 1791 und 1798. Die Beschränkung auf diese Werke rechtfertigt sich durch den Umstand, daß Hegel lediglich auf ihrer Grundlage seine Kritik an Galls Lehre formuliert haben kann. Aus den gleichen Gründen widmet Kordelas den zeitgenössischen „SekundärDarstellungen“ der Lehre Galls breiten Raum. (47–89) Jedoch läßt sich weder belegen, daß Hegel die Werke Galls noch die „Sekundär-Darstellungen“ gekannt hat, was die Notwendigkeit ihrer ausführlichen Präsentation zweifelhaft erscheinen läßt, wenngleich etwa die Kritik J. F. Ackermanns, bei dem Hegel in Jena Vorlesungen über Physiologie gehört hatte und der sich wie Hegel auf die spöttische Kritik Lichtenbergs bezieht, wichtig ist, weil sie bereits wesentliche Punkte der Kritik Hegels vorwegnimmt. Schon im Erstlingswerk wird Galls Leitgedanke deutlich, „die Wahrheit“ „nicht durch metaphysische Machtansprüche, sondern durch physische Thatsachen zu bestimmen“. (1791. 28; 45.) Allerdings fehlt seinem Ansatz einer „empirischen Naturforschung“ die Einbeziehung des Experiments, und seine „zuweilen sehr willkürlichen und naiv anmutenden Analogien“ sind mit dem modernen Wissenschaftsverständnis nicht kompatibel. (133) Darüber hinaus übersieht Gall offensichtlich völlig, daß jede Empirie „immer schon durch leitende theoretische Konstrukte im vorhinein selektiert und strukturiert“ ist. (134) Gall geht von der Theorie der scala naturae aus, die er – wie auch die Methode des Vergleichs, den Begriff des Organs und dessen Unterscheidung von der Kraft – bei Herder kennenlernt. 1798 formuliert Gall als Ziel seines Vorhabens, „die Verrichtungen des Hirns überhaupt und seiner Bestandtheile insbesondere“ auf der Grundlage der Annahme zu bestimmen, daß man „in der That mehrere Fähigkeiten und Neigungen aus Erhabenheiten und Vertiefungen am Kopfe oder Schedel erkennen kann“ und die Folgerungen, welche

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sich „hieraus für die Arzneywissenschaft, für die Sittenlehre, Erziehung, Gesetzgebung, u.s.w. und überhaupt für die nähere Menschenkenntniss ergeben, einleuchtend vorzutragen.“ (1798. 35.) Er wendet sich jedoch gegen die Physiognomik Lavaters und betont, daß der Gegenstand seiner Untersuchung das Hirn sei und nicht der „Schedel“; er selbst warnt ausdrücklich vor dem „schnöden Gebrauch“ seiner Lehre. Insofern wäre die Hegelsche Bezeichnung des Gallschen Ansatzes als „Schädellehre“ als unangemessen zurückzuweisen. Gegen den Vorwurf des Materialismus verteidigt sich Gall, indem er sich auf den Standpunkt zurückzieht, er setze sich als Naturforscher lediglich mit physischen Phänomenen auseinander und überlasse „alles Übrige den Gottesgelehrten und der Offenbarung.“ Die Seele sei als „Einheit der Organisation“ nicht mit den von ihm im Gehirn identifizierten pluralen „Organen“ zu verwechseln, mit welchen er sich ausschließlich beschäftige. Zwar stellt er fest: „Fähigkeiten und Neigungen sind dem Menschen und dem Thiere angeboren“ (1798. 49.), jedoch unterscheide sich der Mensch vom Tier dadurch, daß er u.a. über das „Gefühl von Sittlichkeit“ verfüge und seine Willensfreiheit sich diesbezüglich im „Kampf“ gegen die angeborenen Neigungen zeige. Auf der anderen Seite sei es nicht gerecht, etwa einen Verbrecher, der Opfer eines übermächtigen Reizes ist, mit dem gleichen Strafmaß zu belegen wie einen „gemeinen Verbrecher“. Neben den bisher genannten Themenfeldern erläutert Kordelas ausführlich auch den „ideengeschichtlichen Ort“ der Gallschen Lehre. (90–140) Wenn er sich aber lediglich auf den Seiten 164–175 mit dem eigentlichen Thema seiner Arbeit auseinandersetzt, so wird deutlich, daß der Titel seines Buchs doch in die Irre führt. Diesem Kapitel geht zunächst eine allgemeine Erläuterung des Projekts der Phänomenologie des Geistes und die Interpretation des Abschnittes „A. Beobachtende Vernunft“ voran, wo jener Vorgang thematisiert ist, in welchem das „unglückliche Bewußtsein“ erkennt, daß es selbst der Urheber seiner, der Wirklichkeit und der Entfremdung von dieser Wirklichkeit ist. Hegel geht es darum, eine Arbeit zu leisten, die „jegliches Anderssein für es selber verschwinden läßt, indem es dies Anderssein nur für es, das Bewußtsein, erweist.“ (151) Zunächst will sich die Vernunft durch Beobachtung als „alle Realität“ in den „Gegen-Ständen“ finden; sie wendet sich der Natur zu, sodann dem Geist und schließlich der Beziehung beider. Hier findet die Gallsche „Schädellehre“ ihren systematischen Ort. Die „Beobachtende Vernunft“, welche zwar im Unterschied zum Bereich der sinnlichen Gewißheit bereits auf ein Allgemeines ausgerichtet ist, erkennt bald, daß sie sich bei der Suche nach sich selbst gleichbleibenden Entitäten lediglich als ein „geschäftiges, aber orientierungsloses Beobachten und Beschreiben erweist“ (153), wenn sie nicht die Figur des Organischen einführt, dessen Wesen der Zweckbegriff ist. Jedoch unterscheidet sie zunächst zwischen „dem Zweck als solchem und der Darstellung des Zwecks in der organischen Natur“ und verfällt aus diesem Grunde auf die „unwahre Unterscheidung“ zwischen Innerem und Äußerem, wobei das Äußere als Ausdruck des Inneren verstanden wird, wie in der Physiognomik

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Lavaters, deren Skandalon für Hegel darin besteht, daß „tatsächlich beobachtbare Handlungsweisen zu Gunsten anderer Kriterien […] zur Beurteilung einer Person in moralischer Hinsicht“ mißachtet werden. (162) In dieser Sichtweise, wo die Tat als uneigentlicher Ausdruck des Innern, die Gestalt dagegen als wahre Äußerung der Absicht genommen wird, sieht Hegel eine Verkehrung der Ordnung, denn für ihn steht fest: „Das wahre Sein des Menschen ist vielmehr seine Tat“. (GW 9; 178.) Während für Hegel die beobachtende Vernunft in der Physiognomik noch in der äußeren Wirklichkeit des Individuums das Spiegelbild zum Geist suchte, betrachtet die „Schädellehre“ die äußere Wirklichkeit des Individuums nur noch als ein bloßes Ding. (164) Drüe konstatiert diesbezüglich, daß die von Hegel bekämpfte Dingentsprechung der Seele und ihrer Eigenschaften inzwischen auch von allen psychologischen Richtungen aufgegeben worden sei. Gleichwohl wird ihm die Betonung des geistigen bzw. geistig motivierten Tuns des Menschen durch Hegel zu einem der Schwachpunkte von dessen „optimistischer Geistideologie“, derzufolge „das universale Arbeitsgebot des Geistes mit der Aufgabe der Selbstherstellung“ nicht durchbrochen und „der Anspruch des arbeitenden Denkens“ sogar erzwungen werden dürfe. Der „Haupttenor“ der Anthropologie Hegels sei von daher „die Abstreifung der Passivität der Seele durch aggressives Tun“. (Drüe, 227; 231; 242 f.; 248.) Allerdings wird aufgrund der fehlenden systematischen Auseinandersetzung mit den von Hegel aufgeworfenen Fragen die Stichhaltigkeit der zum großen Teil vom Standpunkt der gegenwärtigen Psychologie vorgebrachten, oft pauschalen Zurückweisungen des Hegelschen Ansatzes bei Drüe nicht deutlich. Für Hegel bleibt die von Gall behauptete Wirkung der Organe auf den Schädelknochen, die Harmonie der so postulierten Beziehung von Innen und Außen – Kordelas analysiert dieses Verhältnis in einem gesonderten Abschnitt (200-219) anhand des wesenslogischen „wesentlichen Verhältnisses“ – unbewiesen. Die Differenz zwischen Hegels und Galls Auffassung besteht aber auch darin, daß Hegel die „Organpluralität und ihre distinkte Lokalisation“ grundsätzlich anzweifelt, widerstreitet sie in seinen Augen doch der „Natur der Sache“, wonach die „reine Einfachheit des Geistes sich nicht in anatomische Pluralität diverser Eigenschaften und Vermögen zerfransen läßt“. (167) Die „Schädellehre“ hat für Hegel zwar den „ungeheuren Schritt vollbracht“, festzustellen, daß der Geist „Wirklichkeit“ ist, auf der anderen Seite aber – wie gesagt – „den krassesten Fehler“ begangen, zu behaupten, daß „das Sein des Geistes ein Knochen“ und so „das Selbst ein Ding ist“. (GW 9, 190.) Mit dieser Feststellung fällt sie jedoch ein „unendliches Urteil“, ein Urteil, das sich selber aufhebt und die Vernunft zwingt, die Stufe der „beobachtenden Vernunft“ aufzulösen und zu einer Gestalt überzugehen, welche mit der Aufgabe befaßt ist, „Bewußtsein, Dingheit und ihr Verhältnis zueinander zu verknüpfen.“ (174) Für Hegel ist die Erscheinungsform der „beobachtenden Vernunft“ allerdings logisch notwendig, da nur im Anschluß an ihren Irrgang die sich entwickelnde Vernunft einsehen könne, daß das Sein des Geistes und die Ver-

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nünftigkeit der Wirklichkeit nicht im leblosen Schädelknochen zu ergründen sei. Kordelas widmet auch dem (begriffslogischen) „unendlichen Urteil“ ein eigenes Kapitel. (219–229) Dieses erweist hinsichtlich eines spekulativen Inhalts, daß die Nichtidentität von Subjekt und Prädikat wesentliches Moment dieses Inhalts ist: Wahrheit ist insofern dialektisch, als sie nicht in „fixierten Bestimmungen“ gefunden werden kann. So ist davon auszugehen, daß im „wirklich Wahren“ der „Widerspruch inkorporiert“ ist. (226) Entsprechend der Unangemessenheit des unendlichen Urteils der Gallschen „Schädellehre“ verwendet Hegel den Begriff des caput mortuum auch an anderer Stelle, um einen „verwirrten oder verzagten Reflexionstypus zu kennzeichnen“ (230), so etwa hinsichtlich der Kantischen ‚Dinge an sich‘ oder in Bezug auf Tendenzen, die etwas Totes als Existenzweise des Geistes ansehen, wie etwa für Schellings, Okens und Troxlers Naturphilosophie. Für Kordelas handelt es sich bei der Hegelschen Betonung der Handlungen als Grundlage der Beurteilung eines Menschen um den Versuch, „die praktische Philosophie vor dem Abdriften in eine Gesinnungsethik zu bewahren“. Es handelt sich um das Zutrauen Hegels, „sich an die Wirklichkeit halten zu wollen, die Wirklichkeit, die er als die anundfürsichseiende Identität des Inneren und des Äußeren definiert“, unter der man sich jedoch nicht das „handgreiflich Ephemere und das Unmittelbare“ vorzustellen habe. (215) Kordelas bemüht sich zwar, deutlich werden zu lassen, daß es Hegel letztlich darum geht, „in der Erscheinung, dem, was wir als Welt erfahren, tatsächlich auch das Absolute erkennen zu können“ (216), jedoch unterläßt er es, die möglichen Konsequenzen der Hegelschen Forderung für die Bereiche der Gesellschaftswissenschaften näher zu diskutieren. Ebensowenig beschäftigt er sich mit den von Hegel ja durchaus problematisierten Voraussetzungen, welche es dem Menschen ermöglichen, überhaupt zu handeln. Auch die Verständigung darüber, was unter ‚Handlung‘ in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, unterbleibt. Eine solche Analyse gilt es allerdings zu leisten, da der Begriff der Handlung wiederum zur Voraussetzung dafür wird, daß der Mensch die Handlungen anderer Menschen überhaupt beurteilen kann. Erst eine solche Analyse gestattet es aber, die Gründe für Hegels „erkenntnistheoretischen Optimismus“ offenzulegen, der hinter der Behauptung zu stecken scheint, daß alles Wirkliche vernünftig sei und das ‚Wirkliche‘ auch uneingeschränkt erkannt werden könne. Diesem Problembereich widmet sich die Arbeit von Christof Schalhorn. II. Während sich Kordelas einem Gegenstandsbereich der Phänomenologie des Geistes zuwendet, der in der Enzyklopädie einen anderen systematischen Ort findet, richtet Schalhorn seine Aufmerksamkeit ausdrücklich auf Hegels enzyklopädischen Begriff von Selbstbewußtsein. Die bislang noch nicht befriedigend beantwortete Frage nach der veränderten systematischen Stellung der Phäno-

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menologie des Geistes wird in dieser Arbeit nicht thematisiert, obgleich Schalhorn hofft, mit seiner Exegese eine „Voraussetzung zur Bestimmung des Verhältnisses zur Phänomenologie von 1807 zu erfüllen“. (2) Gegen Horstmanns These, daß „Hegel mit dem Terminus ‚Selbstbewußtsein‘ primär nicht das psychologische Phänomen gleichen Namens bezeichne, sondern ein metaphysisches Konstrukt“ (2), entwickelt Schalhorn seine „typologische Hauptthese“, wonach Hegel „einen Typ von Selbstbewußtsein als Selbsterkenntnis annimmt, der zwar empirisch auftritt, dessen Inhalt jedoch in der zugleich transempirischen ‚Idee‘ besteht“. (5) Weiterhin beabsichtigt er, eine Antwort auf die Frage nach der Struktur von Hegels Begriff des Selbstbewußtseins zu geben, die ihm zufolge der „Grundstruktur seiner gesamten systematischen Philosophie“ folgt, in deren Zentrum der „Gedanke der Selbstbeziehung steht“. (6) Zunächst weist Schalhorn in einem „Präludium“, in welchem er die „immanente Kommentierung“ der enzyklopädischen §§ 424 (Selbstbewußtsein) und 413 (Bewußtsein) versucht, den zweifelhaften Nutzen dieser Methode im Allgemeinen und die besonderen Schwierigkeiten der Lektüre der Hegelschen Enzyklopädie nach: Der Text wird nur dann verständlich, wenn man zur Interpretation die Hegelsche Logik und die erläuternden Vorlesungsnachschriften mit heranzieht, eine Notwendigkeit, welche sich bereits in der Arbeit von Kordelas zeigte. Nimmt man das Ergebnis dieses Abschnitts zur Kenntnis, so verwundert es nicht, daß Schalhorn sich genötigt sieht, über zwei Paragraphen der Enzyklopädie ein ganzes Buch zu schreiben. Um so mehr erstaunt demgegenüber aber der geringe Umfang (251–263) und der Duktus der Interpretationssicherheit, mit denen Drüe trotz des erwiesenen Voraussetzungsreichtums den Bereich der enzyklopädischen Phänomenologie abhandeln zu können glaubt. Einen ersten Hauptteil widmet Schalhorn der systematischen Rekonstruktion von Bewußtsein. Bewußtsein wird zunächst als „externe Relation nach dem Subjekt-Objekt-Modell“ beschrieben, sodann als ein „Komplex, genauer: als der Weltkomplex“ gedeutet und schließlich als das „Fürsichsein der Idee als subjektive in Reflexion der objektiven Idee“ begründet. Gemäß der begriffslogischen ‚Idee des Erkennens‘ wird unter „Erkennen“ die Einheit von Subjekt und Objekt verstanden. Als Subjekt ist das Bewußtsein die ‚für sich seiende Totalität‘, welche sich vom ‚Natürlichen‘ als der ‚Außenwelt‘ unterscheidet, um sich erkennend auf sie zu beziehen. Das Relat Objekt ist nach seinen inhaltlichen Merkmalen das Außereinander der Natur, welches sich in das Nebeneinander des Raums und das Nacheinander der Zeit spezifiziert. Die inhaltlichen Merkmale des Relats Subjekt lassen sich unter dem Gesamttitel Denken als Aktivität beschreiben, die mit dem Ich in Verbindung gebracht wird, welches Hegel allerdings als über-individuelle Instanz versteht. Ich ist für Hegel nicht lediglich ein sprachlicher Ausdruck, sondern hat darüber hinaus eine „ontische Valenz“. In der Wendung: ‚ich als dieser alle anderen Ausschließende‘ wird die Individualität des Subjekts zum Ausdruck gebracht. Das formelle

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Merkmal der Identität grenzt das Subjekt von dem Mannigfaltigen ab, dessen es sich bewußt, das ihm aber äußerlich ist. Der Terminus Idealität steht für die Form des Denkens, welche als Allgemeinheit zu bezeichnen ist. Die Welt ist im Denken strukturell vorhanden. Der Begriff ist als das „Generierungsprinzip“ zu verstehen, „dem alle besonderen Strukturbegriffe unterliegen“ und aus dem sie sich gemäß der „immanenten Selbstproduktion“ entwickeln. (60) Hegels Erkenntnistheorie setzt sich von der Auffassung Kants ab, wonach „das Subjekt an den Stoff“ hintrete und „in ihn die Formbegriffe des Objekts“ hineinlege (62), indem er davon ausgeht, daß das Objekt schon fertig strukturiert sei und sich der Transformationsprozeß bezüglich eines solchen Objekts als Idealisierung vollzieht, dessen Resultat als Repräsentation (Vorstellung), die Zuordnung des repräsentierten Objekts zu den im Denken vorhandenen Strukturbegriffen wiederum als Subsumtion unter den allgemeinen Begriff zu bezeichnen ist. Die Deutung von Bewußtsein wird anhand von drei Schritten entwickelt. Entsprechend dem Theorem der Negativen Einheit sind Subjekt und Objekt numerisch identisch. Subjekt und Objekt umfassen darüber hinaus „gemeinsam den Bestand all dessen, was überhaupt ist“, so daß der Komplex Bewußtsein als Weltkomplex zu bezeichnen ist, wobei die negative Einheit von Subjekt und Objekt das Subjekt ist, weshalb entsprechend dem Theorem der Übergreifenden Subjektivität der „Weltkomplex Bewußtsein“ „asymmetrisch“ genannt werden kann. Im Theorem des Wissenden Fürsichseins schließlich soll deutlich werden, daß „im Gewußtsein des Objekts“ der „Weltkomplex ‚Bewußtsein‘ als Subjekt für sich“ ist. Das Subjekt übergreift das Objekt und ist so „das Ganze von Subjekt und Objekt.“ (73) Konsequenz des Theorems der Übergreifenden Subjektivität ist, daß das Subjekt, indem es „nicht nur um das Objekt, sondern um die Wissens-Relation insgesamt weiß“, auch um sich selbst weiß. Die alltagssprachliche Bedeutung des Begriffs ‚Fürsichsein‘ als Negation des Anderen wird dahingehend umgedeutet, daß durch die Negation nicht das Andere insgesamt, sondern lediglich dessen Selbständigkeit ‚aufgehoben‘ wird: Das Andere wird zu einem ‚Moment‘ und so in negierter Form erhalten. Das Problemfeld Negative Einheit läßt sich anhand der „negations- und relationslogischen“, das des Wissenden Fürsichseins auf der Grundlage der „begriffs- und reflexionslogischen Explikationsform“ analysieren. (88) Das Problemfeld Welt kann dagegen nicht logisch begründet werden, vielmehr muß eine ontische Begründung erfolgen. Die negationslogische Explikationsform kann als ein „Strukturgebilde“ bezeichnet werden, das mit dem Terminus ‚absolute Negativität‘ zu umschreiben ist. Hegel versteht Sachverhalte als Fälle von Selbstbeziehung. Negativität, welche Prinzip aller natürlichen und geistigen Lebendigkeit ist, ist auch Prinzip realer Sachverhalte. Der Bewegungszyklus vollzieht sich gemäß den drei Zuständen „abstrakte Affirmation“, „Trennung in sich qua erste Negation“ und „aus der Negation dieser Negation erneut hervorgehende Affirmation“, wobei Hegel das formallogische Gesetz der duplex negatio affirmatio est insofern umdeutet, als der dritte Zustand gegenüber der Ausgangsgröße zusätzlich bestimmt ist. Im Fall von Bewußtsein bedeutet dies, daß das Ich das „Negative seiner“, d.h.

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das Objekt setzt. Die Aufhebung dieser Trennung vollzieht sich sodann im Wissen (bzw. Erkennen) des Objekts. Das Deutungs-Theorem der Negativen Einheit ist als „Grundstruktur von Hegels Philosophie“ zu bezeichnen. (96) Die darüber hinaus gehende „Ergänzung“ der relationslogischen Grundstruktur, welche in der Feststellung besteht, daß es sich „bei der Selbstbeziehung der Grundstruktur um eine Selbstbestimmung handelt“, in welcher Etwas sein definitorisches Kontradiktum integriert, enthält „das Zentrum von Hegels Philosophie als spekulativer Dialektik“. (98) Zentral ist in diesem Zusammenhang bekanntlich die Rolle des Widerspruchs, der als „Motor der Bewegung“ eine qualitative Veränderung bewirkt. Hegel leugnet keineswegs die „Möglichkeit und Notwendigkeit eindeutiger Aussagen“ (104), jedoch treten die an sich kontradiktorischen Sachen lediglich als nicht-kontradiktorisch in Erscheinung. Dies tun sie in Verhältnissen, welche durch die Begriffe Identität, Verschiedenheit und konträrer Gegensatz definiert sind und dem natürlichen Weltbild entsprechen. In Wahrheit liegt diesen „Reflexionsbestimmungen“ jedoch der Widerspruch zugrunde, der für Hegel in sich bewegenden Sachen real in Erscheinung tritt, aber auch in den sich nicht bewegenden Sachen letztlich darin zu sehen ist, daß diese endlich sind. In der Einleitungspassage der begriffslogischen ‚Idee des Erkennens‘ liegt für Schalhorn der Schlüssel zum Verständnis der enzyklopädischen Begriffe Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Neben dem „Trennungsurteil“ in Subjekt und Objekt wird hier jenes zweite Urteil thematisiert, das Hegel als „reines Unterscheiden innerhalb ihrer“, d.h. der Idee qua fürsichseiendem Allgemeinen bezeichnet, wodurch er nichts anderes als die Beschreibung der Merkmale des Subjekts liefert. Darin, daß dem Subjekt die objektive Welt als vorgefundene, unmittelbare erscheint, zeigt sich, daß der Akt des ‚Setzens‘ vom Subjekt noch nicht als ein solcher erkannt ist. Die „explikatorische Neuerung“ der §§ 223/224 der Enzyklopädie besteht in der „Charakterisierung der Differenz von Subjekt und Objekt in reflexionslogischen Termini“. (125) Anders als die negations-, relations- und begriffslogische Explikationsform formuliert die reflexionslogische den Komplex Bewußtsein nicht selbständig, sondern tritt als „Einlagerung“ in die begriffslogische Explikationsform auf, da Hegel das zweite Urteil als Reflexionsverhältnis bestimmt und mit dem ersten Urteil kombiniert. Von dieser Reflexion des Bewußtseins unterscheidet Hegel den wesenslogischen Charakter der gesetzten Differenz zweier Größen („Scheinen in Anderes“). Hier haben die Größen „zugleich keinen Sinn ohne einander“, weshalb sich in ihrem Aneinander-Scheinen ihre Einheit bekundet. Der Reflexionsaspekt der wesenslogischen Explikationsform ist in die begriffslogische integriert, wo das Scheinen ein dem Identischen immanentes ist: Der Begriff als die Grundstruktur widersprüchlicher Selbstbeziehung ist die ‚totale Reflexion‘ bzw. der ‚Doppelschein‘, der in der Gleichzeitigkeit der Momente ‚Reflexion in Anderes‘ und ‚Reflexion in sich‘ besteht. Der logischen Begründung der Struktur von Bewußtsein schließt Schalhorn nun die Frage an, wie diese Struktur ontisch zu denken ist. Demnach ergeben

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sich aus Hegels Konzeption von Bewußtsein als Welt zwei ontische Probleme: dasjenige des Seins und das des Subjekts. Vordergründig scheint Hegel, indem er die ontische Differenz von Innenwelt und Außenwelt anerkennt, auch die ontische Differenz von Geistigem und Materiellem anzuerkennen. Unter diesen Umständen ist das Hegelsche Modell der Immanenz des Materiellen im Geistigen problematisch. Hegel thematisiert das Leib-Seele-Problem, das für Drüe von Hegel nicht ausreichend analysiert wird (Drüe, 249.), folgendermaßen: Zunächst erkennt Hegel die Differenz zwischen Materiellem und Geistigem an, jedoch weist er die Modelle von Materialismus und Dualismus mit dem „Argument der vollständigen Denkbarkeit der Materie“ zurück. (142) Hegel vertritt insofern einen Monismus des Denkens, jedoch folgt daraus nicht, daß es die Außenwelt nicht gebe: Die Differenz zwischen Geist und Materie ist bei Hegel eine begriffliche, Materie und Geist stellen zwei unterschiedliche Spezifikationen des einen Denkens dar. Das zweite ontische Problem betrifft die „Stellung des Subjekts als Weltkomplex Bewußtsein“. (148) Hegel faßt die Einwände gegen die subjektive Setzungslehre als Mißverständnis auf, das in der Annahme besteht, diese „würde auf das empirische Subjekt abheben, in dessen Bewußtsein und Willkür Setzung und Zustand des Objekts fielen.“ (151) Für ihn ist die Setzung aber dem empirischen Subjekt vorgeordnet, indem er diesem ein objektives Subjekt zugrunde legt. Hegel trachtet den subjektiven Idealismus Kants und Fichtes zu überwinden, indem er deren ‚ontischen‘ Dualismus von Subjekt und Objekt von einem Dualismus unterscheidet, welcher lediglich die Erscheinungsform des Bewußtseins betrifft und keine Wahrheit besitzt. Gemäß Hegels Monismus des Denkens liegt die Idee gleichermaßen Subjekt und Objekt zugrunde, insofern verantwortet sie, nicht das empirische Subjekt, die Objektivität der Welt. Seiner Position liegt aus zwei Gründen eine Metaphysik der Immanenz zugrunde. Zum einen existiert die Idee nicht außerhalb ihrer Spezifizierung als Subjekt und Objekt, zum anderen ist sie auf zweifache Weise im Subjekt präsent: „das Subjekt ist die Idee und das Subjekt erkennt die Idee“: „Die reale Gestalt, in der die Idee sich selbst erkennt, ist nun nichts anderes als das Selbstbewußtsein.“ (157) In einem zweiten Hauptteil entwickelt Schalhorn eine „systematische Typologie“, derzufolge sich bei Hegel fünf Haupttypen von Selbstbewußtsein identifizieren lassen: das unthematische und thematische Ich-Bewußtsein, die unthematische und thematische Selbst-Erkenntnis und die Selbst-Kenntnis. Die Typen des Ich-Bewußtseins stehen für ein bloß formales Bewußtsein, das allgemein im Sinne von überindividuell ist. Der Terminus ‚Ich‘ steht für das „empirische Bewußtsein, für die Erfahrung der identischen Geschlossenheit des Subjekts“, welches die subjektiv gesetzte Idee ist, insofern sie „sich formal zum Gegenstand hat“. (162) Das unthematische Ich-Bewußtsein besteht darin, daß die Idee nicht dem Inhalt, sondern der Form nach aufscheint. Der Ich-Gedanke begleitet jeden Fall von Objektbewußtsein, weshalb jedes Objektbewußtsein Selbstbewußtsein ist, weil sich das Subjekt im Objekt auf sich selbst bezieht. Das thematische Ich-Bewußtsein tritt dagegen nicht in Begleitung von Objektbewußtsein

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auf, weshalb in ihm der Ich-Gedanke thematisch ist. Hierbei handelt es sich um das Cartesianische Selbstbewußtsein, das exklusive Bewußtsein von sich als Ich. In ihm muß jeglicher Objektbezug ausgeschlossen sein, denn nur so ist die subjektive Idee exklusiv präsent. Weil die Idee aber nur mit Bezug auf die Realität von Objekten selbst Realität haben kann, wendet das Selbstbewußtsein sich auf sich selbst, sein Gegenstand ist nur es selbst als Form. Der in den beiden Selbstbewußtseinstypen der Selbst-Erkenntnis erkannte Inhalt betrifft die überindividuelle Idee, deren Inhalt die Welttotalität als Weltstruktur ist, weshalb sie die „absolute Wahrheit“ (Identität von Subjekt und Objekt) enthält, welche das ‚natürliche Bewußtsein‘ zu erkennen hat. Im IchGedanken, in der formalen ‚Gewißheit seiner selbst‘ bekundet sich bereits die ‚Gewißheit‘ dieser Identität, wobei das Selbstbewußtsein jedoch erst in der „Thematischen Selbst-Erkenntnis“, dem Bereich des ‚absoluten‘ Geistes um sie weiß. Darüber hinaus weiß das Subjekt nun auch um den Zweck, zu dem die Idee sich in den Anschein der Differenz begibt, nämlich erst durch die Aufhebung der Differenz von Subjekt und Objekt für sich zu sein und zur Erkenntnis ihrer Identität zu kommen. Während im absoluten Geist Kunst (Anschauung) und Religion (Vorstellung) noch der Struktur der unthematischen SelbstErkenntnis (Außenbezug) folgen, hat die Philosophie als die Form der thematischen Selbst-Erkenntnis ausschließlich „Innenbezug“. (194) Die ‚reinen Gedanken' der philosophischen Selbst-Erkenntnis sind zwar als solche abstrakt, jedoch sind „die Differenten, deren Abstraktionen sie sind, in ihnen aufbewahrt“, weshalb sie prinzipiell welthaltig sind. (197) Das individuelle Selbstbewußtsein wurde bislang noch nicht erörtert, obgleich für Hegel Bewußtsein und Selbstbewußtsein empirische Phänomene sind, d.h., daß sie individuell existieren. Die individuelle Selbst-Kenntnis muß für Hegel deshalb prinzipielle Bedeutung haben, weil die Selbsterkenntnis der überindividuellen Idee gerade im empirischen Individuum existiert, was ja die Pointe seiner Metaphysik der Immanenz sei. Diesbezüglich ist von Hegels eigener Definition von Selbst-Kenntnis auszugehen, wobei es sich um einen Fall von Objektbewußtsein handelt, weshalb auch das allgemeine Erkenntnismodell gilt, wonach das Subjekt von Erkenntnis die subjektiv gesetzte Idee ist, die als solche allgemein, überindividuell ist. Das Spezifische der Selbst-Kenntnis liegt nun darin, daß „das Subjekt im Objekt das Bewußtsein seiner selbst als ‚unendlich mannigfaltiger Welt‘“ hat, was bedeutet, daß das „überindividuelle Subjekt seiner selbst als individuelles Objekt bewußt ist.“ Wenn das überindividuelle Subjekt aber sich selbst als individuelles Objekt erkennen soll, kann es nur selbst das individuelle Objekt sein, das als einzelnes Objekt faktisch existiert. Zu dieser individuellen Existenzweise der Idee kommt es, „wo die Idee sich als Geist konstituiert“. (207) Das individuelle Selbstbewußtsein thematisiert Hegel indirekt im Kontext der Erörterung des allgemeinen Selbstbewußtseins als Resultat des ‚Kampfes um Anerkennung‘, in welchem sich der „Kernbestand von sozialem Selbstbewußtsein“ konstituiert. Obwohl es ihm vordergründig nur um das ‚allgemeine Selbstbewußtsein‘ geht, begründet er, davon ausge-

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hend, daß etwas durch sein definitorisches Kontradiktum bestimmt ist, ebenso Individualität, weil diese das Gegenteil der Überindividualität ist. Jedes Selbstbewußtsein erlangt nur als anerkennendes und anerkanntes den Begriff seiner Individualität. Die praktische Konsequenz dieser Struktur besteht darin, daß „das Selbstbewußtsein erst dadurch, daß es den Begriff von seiner eigenen Individualität besitzt, sich auf sich selbst als Individualität erkennend beziehen kann“ (212), wozu es einer Distanz zu sich selbst bedarf, wohingegen es in der Hingabe an seine Bedürfnisse in einem unmittelbaren Verhältnis zur Welt und so ohne Distanz zu sich selbst ist. Die Inhalte der ‚Selbst-Kenntnis‘ unterteilen sich in das Physische und das Geistige. Während das Geistige als Bewußtsein der Identifikationsformen überindividuell ist, muß es laut Schalhorn auch ein individuelles Bewußtsein der Identifikationsformen geben, für das Voraussetzung ist, daß das Subjekt über den Begriff seiner Individualität verfügt. Die Antwort darauf, warum „ich mir ausschließlich diesen Körper und diese Sozialsphäre oder Geschichte“ zuschreibe, besteht „in der individuellen Identität der subjektiv gesetzten Idee mit ihrer Existenzform als Objekt“. (220) Obwohl aufgrund der unmittelbaren bzw. analytischen Gewißheit meiner als individuelles Objekt und der ebenso unmittelbaren Gewißheit meiner als Aufhebung der Objektivität der Schluß nahe liegt, Selbst-Kenntnis müsse „gänzlich infallibel“ sein, trifft dies nicht zu, da Hegel Identität als kontradiktorische Identität denkt, in der die Differenz (prozessual) erhalten bleibt. Die Fallibilität des Subjekts hinsichtlich seiner eigenen wie hinsichtlich anderer Objektiviät zeigt sich für Hegel in der Geisteskrankheit und im Irrtum über sich selbst. Genau genommen bezieht er diese Selbst-Fallibilität jedoch nur auf den Bereich des Physischen (raum-zeitliche Gehalte), dagegen ist im Geistigen „im Normalfall kein Irrtum möglich“, da „die geistigen Identifikationsformen das subjektive Fürsichsein als solches konstituieren“. (223) Allerdings besteht die Infallibilität im Geistigen nur im Normalfall, für den Voraussetzung ist, daß das Subjekt überhaupt über jenen Begriff seiner eigenen Individualität verfügt. Das Bewußtsein seiner selbst als Ich ist in Hegels Konzeption irrtumsfrei, da der Ich-Gedanke aus dem formalen Fürsichsein der subjektiv gesetzten Idee resultiert: „Das Ich liegt allem Weltbezug überhaupt zugrunde.“ Jedoch bleibt der Ich-Gedanke überindividuell: „Erst indem ihm die physische Individualität zugeordnet wird, wird aus dem überindividuellen Ich das individuelle der betreffenden Person“, das ‚ich‘. (224) Dieser Vorgang, der von Drüe dahingehend beschrieben wird, daß die ‚Seele‘ sich den Leib willentlich zum Werkzeug mache, wird für ihn zum Gegenstand seiner Kritik an Hegels „Dilettantenpsychologie“ (Drüe, 250.), und das nicht nur deshalb, weil die von Hegel „gepriesene“ Hand „auch der Vermittler der meisten Aggressionen“ ist. Eine Beschreibung der vielschichtigen Auseinandersetzung Hegels mit der Leib-Seele-Problematik, die bei Schalhorn m.E. eine durchaus angemessene Interpretation erfährt, oder die Auseinandersetzung mit den komplexen Formen der Verleiblichung des Geistes, wie Hegel sie auch in den Grundlinien – unter anderen Gesichtspunkten – erörtert, wird

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von Drüe nicht geleistet. Insbesondere die oben angesprochene „Fallibilität“ des Selbstbewußtseins im Zusammenhang mit dem Bereich des Physischen liegt ihm aber am Herzen, stellt doch der angebliche Hegelsche Standpunkt, daß die „Geisteskrankheit in der Entwicklung systematisch eine Aufbauleistung vollbringt“ (Drüe, 243.), für ihn „wahrscheinlich“ den „schrecklichsten Fall einer – diesmal säkularisierten – Rechtfertigung“ der Geisteskrankheiten „in der Philosophiegeschichte“ dar. (Drüe, 244.) Schalhorn dagegen ist es wichtig herauszustellen, daß für Hegel jener Typ von „isolierter Individualreferenz“ – die extreme Betonung der Singularität des Individuums unter Ausschluß aller anderen – dann abzulehnen ist, wenn sie vom Subjekt fixiert wird, da sie inhaltslos und darüber hinaus inkonsequent ist, weil sie die eigene Individualität von dem Ausschluß ausnimmt. Sie erweist sich als das „eitle Selbstbewußtsein“, welches deshalb unwahr ist, weil es mit der „Welt das ausschließt, was sein Wesen ausmacht“. (225) Hier droht auch der Verlust der eigenen Individualität und deren Bewußtseins, da diese sich – wie gesagt – nur in „der Anerkennung und Auseinandersetzung mit anderer Individualität profilieren.“ Das Subjekt muß also die „Welt anerkennen und sich selbst in sie begeben. Denn nur im konkreten Vollzug der Welt vermag es sein Selbst zu erkennen“. (226) Schalhorns Arbeit endet an dieser Stelle abrupt, eine Zusammenfassung seiner Thesen erfolgt nicht. Er verlangt – mit Recht – vom Leser einen Gang durch sein gesamtes, sehr dichtes Buch. Als ein Verdienst seiner detaillierten Bemühungen kann insofern genannt werden, die Komplexität von Hegels Bewußtseins- und Selbstbewußtseinstheorie erhellend dargestellt zu haben, insbesondere was deren logische Implikationen angeht. Als ein weiteres Verdienst ist zu nennen, daß er die Rolle des anderen Selbstbewußtseins in Hegels Selbstbewußtseinstheorie etwa gegen die reflexionstheoretischen Interpretationsansätze der ‚Selbstbezüglichkeit‘ betont. (176 ff.) Geht man nämlich, wie eingangs gesagt, von der Frage aus, wie sich der subjektive Geist dahingehend entwickelt, als ‚freier Geist‘ in die Sphäre des objektiven Geistes zu treten, so läßt sich dies kaum denken, ohne daß bereits der empirisch Einzelne die Voraussetzungen für das soziale Leben mit sich bringt, d.h. eine Identität als soziales Wesen erreicht, die als Identität von Identität und Nicht-Identität zu denken ist. Drües Ansatz dagegen hilft – auch aufgrund seines polemischen Tons – insbesondere dem unbefangenen Leser überhaupt nicht, Hegels Intention bei der Konzeption des Systemteils „subjektiver Geist“ zu verstehen. Indem Drües Kommentar Hegels Anliegen nicht ernst nimmt, trägt er aber dazu bei zu verhindern, daß die – auch aus heutiger Sicht – interessante Frage nach den Gründen für die Loslösung der Psychologie als Einzelwissenschaft aus der Philosophie sowie die Frage nach möglichen, durch diesen Bruch verschütteten gemeinsamen Fragestellungen angemessen diskutiert werden. Christoph J. Bauer (Bochum)

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Elisabeth Weisser-Lohmann/Dietmar Köhler (Hgg.): Verfassung und Revolution. Hegels Verfassungskonzeption und die Revolutionen der Neuzeit. Hamburg: Meiner 2000. 225 S. (Hegel-Studien. Beiheft 42) „Deutschland ist kein Staat mehr“, urteilt Hegel 1802/03 in seiner Verfassungsschrift. Der Versuch, „von der deutschen Verfassung einen Begriff festzusetzen“, sei aufgegeben worden zugunsten der „Beschreibung von dem, was empirischerweise […] vorhanden ist“. Was sich aber nur empirisch beschreiben und nicht auf den Begriff bringen läßt, hat nach Hegel keine Wirklichkeit. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist noch – bis 1806 – formell „vorhanden“, aber nicht „wirklich“. Hegel zufolge können die damaligen Zustände also nicht begriffen werden. Der vorliegende Band fragt nun, inwiefern die Begriffe der politischen Philosophie Hegels geeignet sind, heutige Zustände und aktuelle Probleme theoretisch zu durchdringen. Es ist, so die Herausgeberin in der Einleitung, „die Grundfrage zu klären, inwiefern mit dem Verfassungsbegriff und den Grundbestimmungen der politischen Philosophie, wie sie im Umfeld der französischen Revolution von Hegel und seinen Zeitgenossen diskutiert wurden, die aktuellen Probleme noch adäquat zu erfassen sind.“ (4) Für die Beantwortung dieser Frage, die für alle, die Hegel nicht im Museum der Philosophiegeschichte verstauben lassen wollen, zentral ist, wollen die acht Beiträge Grundlegendes an die Hand geben. Eine erste Gruppe von Beiträgen kreist um das Thema „Revolution und Verfassungskonzept in Jena“, eine zweite befaßt sich mit dem Thema „Revolution und Verfassungskonzeption im Umfeld der ‚Grundlinien‘“. H. Lübbe („Politische Organisation in Modernisierungsprozessen. Verfassungspolitische Aspekte“) variiert Hegels Satz: „Was nicht mehr begriffen werden kann, ist nicht mehr“, um ihn auf die Zukunft der Europäischen Union zu beziehen: „Was nicht begriffen ist, kann auch nicht werden“. Das Konzept der Europäischen Union, „das als Unionsverfassung konkret werden müßte“, ist nach Lübbe von vielen Mißverständnissen geprägt, darunter dem, die Zukunft der Union „nach dem aus der deutschen Geschichte vertrauten Muster einer Bundesstaatsbildung“ zu denken. (17) Die Unangemessenheit dieser Vorstellung wird nach Lübbe deutlich, wenn man sich einige „Trends politischer Organisation in der modernen Zivilisation“ vergegenwärtigt. Erstens die Autarkieverluste der Staaten. Ihre Souveränität wird eingeschränkt, zugleich erhöht sich der Zwang zur Kooperation in internationalen Organisationen. Zweitens die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der Staaten und die Effizienz der internationalen Organisationen. Sie begünstigen die Tendenzen der Pluralisierung der Staatenwelt und fördern den Zerfall von Großstaaten, wenn diese nicht mehr den Selbstbestimmungsansprüchen ihrer Bürgerkommunitäten genügen. Drittens die zivilisatorische Komplexität moderner Lebenswelten. Diese erzwingt die politische Selbstorganisation kleiner Einheiten und begünstigt die Herausbildung föderaler Strukturen. Viertens schließlich die Abnahme der Homogenität der Bevölkerung moderner Staa-

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ten, wodurch der sogenannte Grundkonsens minimalisiert und formalisiert wird. Jeder aufmerksame Zeitungsleser hat von diesen vier „Trends“ gehört. Ob er allerdings durch Lübbe mehr erfährt, als er ohnehin weiß, ist unwahrscheinlich. Das liegt vor allem daran, daß Lübbe in der Manier einer Soziologie operiert, die die Dinge dadurch zu erklären meint, daß sie ihre Funktionalität beschreibt. Der zentrale Terminus „Modernisierungsprozeß“ bleibt bei Lübbe ein Leertitel, dem andere folgen: die „komplexe Kausalität“ der „Sachzwänge“ (21), die „wachsende zivilisatorische Komplexität“ (31), die „hochverdichtete(n) Netze“, welche die Industriegesellschaft zusammenbinden, der „Grad der Komplexität moderner Lebensverhältnisse“, welcher der „Netzverdichtung“ korrespondiert. (34) Es mag ja sein, daß die UdSSR nach 1945 in ihrem Machtbereich „Autarkieideale“ verwirklichen wollte und daß ihre diesbezüglichen Anstrengungen als „zivilisationsevolutionär rückwärtsgewandte Versuche“ zu beurteilen sind, „sich dem Prozeß regional und sozial expandierender wechselseitiger Abhängigkeiten maximal zu entziehen“. (19 f.) Doch hätte man gerne erfahren, ob Lübbe dem „zivilisationsevolutionär“ vorwärtsgerichteten Prozeß außer dem nichtssagenden Prädikat „modern“ auch das Prädikat „vernünftig“ beilegen möchte, und, gesetzt er möchte, ob er meint, damit auf Hegels Seite sich zu befinden. M. Pape zeichnet unter dem Titel „Revolution und Reichsverfassung“ die Verfassungsdiskussion zwischen der Gründung des Deutschen Fürstenbundes (1785) und dem Rheinbund (1806–1813) nach. Das Spezifikum dieser Diskussion sieht Pape in dem Fortwirken der Reichstradition und den gleichzeitigen Bestrebungen, die Errungenschaften der französischen Diskussion in modifizierter Form auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Dabei wurde die Frage der Repräsentation schließlich entscheidend: Sollte an der ständischen Repräsentation festgehalten werden oder die Repräsentationsverfassung der Französischen Revolution eingeführt werden? Der Streit zwischen den verschiedenen Parteien wurde – ein Novum – öffentlich geführt in Zeitschriften, Streitschriften und Rezensionen. Durch die Auswertung dieser Quellen gelingt es Pape, ein differenziertes Bild des Streits um die politische Zukunft des Reichs zu entwerfen. So wird das intellektuelle Umfeld deutlich, in dem Hegels Verfassungsschrift entstand, und es werden die theoretischen Motive nachvollziehbar, die Hegel bewogen, seine politischen Hoffnungen zunächst mit Österreich „als Sachwalter der deutschen Interessen“ zu verbinden, um 1806 auf Napoleon als den „Friedensstifter Europas“ zu setzen und schließlich, nach dessen Abtreten von der Weltbühne, auf Preußen als „den Staat der Unterrichts- und Bildungsreform“. Wenn Pape Hegel und andere „reformorientierte Aufklärer, die damals nach politischer Kontinuität und Reform strebten“ und sich dabei „ständig ändernden Mächteverhältnissen gegenübergestellt sahen“, gegen Diltheys Vorwurf des Opportunismus in Schutz nimmt, mag er damit Recht haben. Die Person Hegels des Opportunismus zu überführen oder von diesem freizusprechen, ist aber kaum von

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philosophischem Interesse. Von philosophischem Interesse, daran hat gerade Hegel keinen Zweifel gelassen, ist nicht der Philosoph, sondern sein Argument. Solche Bedenken gegen eine Auflösung der Argumentation in die subjektiven Bedingungen ihres Zustandekommens betreffen auch M. Bienenstocks Beitrag über die von Hegel in seinem Aufsatz über das Naturrecht erhobene Forderung nach der Kodifikation der Sitten. Hegel bezeichnet dort das Fehlen einer Gesetzgebung in systematischer Form als ein „Zeichen der Barbarey“. Der Umstand, daß sich Hegel bereits 1802, also vor der Veröffentlichung des Code civil, dafür stark macht, die Sitten zu einem System von Gesetzen zu erheben, verbietet es nach Bienenstock, „Hegels Stellungnahme des Jahres 1802 mit Hilfe seiner späteren (Berliner) Haltung zu deuten […]. Eine echte Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens müßte gerade umgekehrt vorgehen, d.h. die frühe Position müßte die spätere erklären. Nicht die Auseinandersetzung mit von Savigny darf im Mittelpunkt stehen, noch kann es direkt um den Code civil […] gehen, denn die Chronologie verbietet diesen Bezugspunkt.“ (86) Bienenstock dient die Hegelsche Gegenüberstellung von „Barbarey“ und Kodifikation, von „barbarisch“ und „civilisiert“ als Leitfaden, um seinen Motiven nachzuspüren. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß trotz der Übernahme spezifisch antiker Bestimmungen Hegels Identifikation der fehlenden Kodifikation mit der „Barbarey“ nicht durch die griechische Philosophie, sondern durch den zeitgenössischen Kontext, insbesondere die Rezeption Montesquieus vermittelt ist. D. Köhler betont zu Beginn seines Beitrags über „Freiheit und Geschichte in Hegels Phänomenologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift“, daß „aus philosophischer Perspektive“ eine Diskussion der politischen Begriffe von Verfassung und Revolution bei Hegel nicht unter Abstraktion von dem ihnen zugrunde liegenden Freiheits- und Geschichtsbegriff möglich ist. Zudem ist zwischen Freiheit überhaupt und politischer Freiheit zu unterscheiden. Köhler verfolgt die Bestimmung der Freiheit und die Darstellung der Bedingungen ihrer geschichtlichen Realisierung in der Phänomenologie des Geistes, um schließlich Hegels geschlossener Systemkonzeption in Gestalt von Schellings Freiheitsschrift eine „offenere“ Konzeption zu konfrontieren. „Während bei Hegel die begriffne Geschichte als Zu sich selbst Werden des Geistes prinzipiell das Gelingen von Freiheit widerspiegelt, impliziert die radikalere Fassung des Freiheitsbegriffs als ‚Vermögen des Guten und des Bösen‘ (durch Schelling, Rez.), daß die Geschichte nicht zu einer positiven Vollendung gelangt, sondern die Überwindung des Bösen erst durch Tod und Gericht stattfindet.“ (121) A. Grossmanns Untersuchung „Hegel über Genese und Grund des modernen Staates“ eröffnet den zweiten Abschnitt des Bandes, der „Revolution und Verfassungskonzeption im Umfeld der ‚Grundlinien‘“ thematisiert. Grossmann fragt, inwieweit Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Sittlichkeit den Formen moderner Staatlichkeit entspricht, die sich

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seit dem Westfälischen Frieden herauskristallisierten. Zwar hat Hegel die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Entstehung des modernen, säkularen Staates nicht ausreichend gewürdigt, doch gebührt ihm „das Verdienst, das Faktum der Glaubensspaltung philosophisch für ein zureichendes Verständnis des modernen Staates bedacht zu haben“. (133) Der moderne Staat hat nach Hegels Rechtsphilosophie seine Grundlage, nicht aber seinen Grund in der Religion. Staat und Religion stimmen im Prinzip freier Vernünftigkeit überein, kommen jedoch in unterschiedlichen Formen „zur besonderen Existenz“. Deshalb kann die Religion in Gestalt der Kirche nicht wie ein Staat handeln, und der Staat hat „das Recht der Innerlichkeit“ zu respektieren. (Grundlinien, § 270.) Grossmann sieht darin eine „grundsätzliche Rechtfertigung des freiheitlichen Rechtsstaats“ und stellt die Frage, wie sich diese mit der von Hegel später behaupteten Übereinstimmung von Staat und protestantischer Religion vereinbaren läßt. Und: „Wie sollte sich diese versöhnliche […] Sicht zumal mit dem heutigen weltanschaulich-neutralen Staat vertragen?“ (134) E. Weisser-Lohmann („‚Sittlichkeit‘ und ‚Verfassung‘ bei Hegel“) beansprucht das praktisch-philosophische Anliegen der Verfassungskonzeption der Grundlinien zu „rekonstruieren“: die Bestimmung des Staats als Gestalt der Sittlichkeit. Hegels Konzeption der Sittlichkeit ist zu Beginn der Jenaer Zeit noch stark dem Polis-Modell der Antike verpflichtet. Erst gegen Ende der Jenaer Zeit rückt für Hegel die Frage ins Zentrum, wie unter der Voraussetzung der durch die Französische Revolution proklamierten Freiheit der Einzelnen noch allgemein verbindliche Gesetze gedacht werden können. Hegel löst das Problem, so Weisser-Lohmann, indem er die bürgerliche Gesellschaft als den Ort bestimmt, an dem die Einzelnen Einsicht in das Allgemeine erlangen, und indem er die staatliche Einheit funktionalistisch begründet. „Das Hegelsche Verfassungmodell konzipiert staatliche Einheit als Vollzug, der sich im Zusammenwirken der ausgebildeten Gewalten immer aufs neue bewahrheiten muß.“ (166) Weisser-Lohmann sieht darin „die konsequente Fortsetzung des Hegelschen Programms einer praktischen Philosophie, deren einzelne Bestimmungen (abstraktes Recht, Moralität, Familie, bürgerliche Gesellschaft) letztlich durch die begrenzte Konfliktlösungsfähigkeit zu neuen Institutionen bzw. zur Suche nach leistungsfähigen Einrichtungen weitergetrieben wird.“ (166) Ob dies eine adäquate Beschreibung des „Hegelschen Programms“ ist, sei dahin gestellt. Weisser-Lohmann läßt jedenfalls keinen Zweifel daran, daß Hegel seine Forderung aus dem System der Sittlichkeit, die politische Verfassung müsse das gesellschaftliche Ordnungsgefüge zur Voraussetzung haben, in den Grundlinien erfüllt hat. H. Boldts Beitrag „Hegel und die kontitutionelle Monarchie“ möchte den sattsam bekannten Etikettierungen Hegels als liberal oder illiberal, als totalitär oder als preußischer Staatsphilosoph keine weitere hinzufügen, sondern Hegels Ausführungen über den Staat in den Kontext der damaligen Verfassungsdebatte und Verfassungswirklichkeit stellen. Hegels Rechtsphilosophie

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von 1821 erscheint zu einer Zeit, in der sich viele deutsche Länder auf Betreiben einer aufgeklärten Bürokratie in Verfassungsstaaten transformiert hatten. Bei diesen Verfassungen handelte es sich nach Boldt um schriftlich fixierte Staatsgrundgesetze, die „im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika und zu Frankreich 1791 nicht von einer verfassungsgebenden Versammlung erlassen, sondern vom Monarchen oktroyiert […] wurden“. (168 f.) Grundrechte in Form von Bürgerrechten und der gegen feudale Privilegien gerichtete Grundsatz staatsbürgerlicher Gleichheit machten trotz mancher gesetzlicher Vorbehalte die auf Freiheit und Gleichheit zielende Richtung der „Gewährungen“ unverkennbar. Das Prinzip der Gewaltenteilung kannten die deutschen Verfassungen nicht. In dem zentralen Problem der Verfassungsgebung in Deutschland, der Frage der Beteiligung des Volkes an der Ausübung der Staatsgewalt, kann Hegel keiner der sich herausbildenden Parteien eindeutig zugeordnet werden. Boldt skizziert in 20 Punkten, inwiefern Hegels Staatsvorstellung in den Grundlinien aus verfassungsgeschichtlicher Sicht „quer“ zu den zeitgenössischen Konzeptionen steht. Dabei sieht er „interessante Differenzen zwischen der philosophischen und der verfassungsgeschichtlichen Einschätzung“ (182) mancher Hegelschen Bestimmung. O. Pöggeler („Hegel und die Französische Revolution“) skizziert „eine Diskussion mit Hegel“, die nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend durch Joachim Ritter angestoßen wurde. Nach Ritter, so Pöggeler, hat Hegel erkannt, daß die Verselbständigung der bürgerlichen Gesellschaft als Sphäre von Gewerbe und Handel gegenüber dem Staat die Voraussetzung dafür ist, daß der Mensch in der modernen politischen Ordnung nicht mehr als „Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf.“ (Grundlinien, § 209.), sondern zunächst als Bürger und Rechtsperson gilt. Ritter und seine Schüler sehen, mit einem Vortragstitel E.-W. Böckenfördes zu sprechen, die „verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit“. Wenn sie die Deutung der Verfassungsgeschichte und Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik prägten, dann war darin eingeschlossen „eine liberale und soziale Interpretation oder Uminterpretation der Verfassungslehre von Carl Schmitt“. (211) Schmitt selbst hat in den 30er Jahren bei A. Kojève „Aufklärung“ über Hegel gesucht. Pöggeler liefert Stichworte zu der Kontroverse zwischen Schmitt, Kojève und L. Strauss um den Begriff des Politischen und zu den Motiven, die dabei den jeweiligen Positionen zugrunde lagen. Der Band, der die Vorträge des Bochumer Kolloquiums von 1998 dokumentiert, beleuchtet Hegels Verhältnis zur Französischen Revolution aus sehr unterschiedlichen, auch unvereinbaren „Perspektiven“. Betrachtungen der Entwicklung des Hegelschen Denkens, die sich die Ordnung der Argumente durch deren zeitliche Abfolge vorgeben lassen und systematische Untersuchungen, die sich in den Umkreis der Stärke Hegels stellen und seine entwikkelte Argumentation überprüfen, sind nicht kompatibel. Nur von den letzteren könnte der Nachweis geführt werden, daß Hegel nicht ins Museum ge-

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hört. Freilich setzen systematische Arbeiten zu Hegel historische, mitunter auch biographische Kenntnisse voraus, und in dieser Hinsicht enthält mancher Aufsatz des vorliegenden Bandes aufschlußreiche Hinweise. Frank Kuhne (Hannover)

Christoph Mährlein: Volksgeist und Recht. Hegels Philosophie der Einheit und ihre Bedeutung in der Rechtswissenschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. 265 S. In nachgelassenen Fragmenten Nietzsches aus dem Jahre 1873 heißt es, alles rede fortwährend vom Volksgeist, „aber für die Gegenwart“ komme „nichts dabei heraus“. Nun ist heute nicht mehr und schon gar nicht fortwährend vom Volksgeist die Rede, und wer es nicht mit Nietzsche halten will, mag den Volksgeist, Habermas folgend, schlicht als „Ideologie“ brandmarken und in die Rumpelkammer der Metaphysik verweisen. Die vorliegende Studie Christoph Mährleins, eine Heidelberger juristische Dissertation, gibt demgegenüber Anlaß zu der Vermutung, daß ein derart großzügiger Umgang mit der Tradition durchaus zu kurz greifen könnte. Die Perspektive des Juristen beschränkt sich dabei verständlicherweise auf Rolle und Funktion des Volksgeistbegriffs in Rechtsphilosophie und Jurisprudenz; so bleibt etwa das Feld der von Lazarus und Steinthal begründeten Völkerpsychologie ausgespart. Wie der Untertitel des Buches anzeigt, geht es dezidiert um Hegels „Philosophie der Einheit und ihre Bedeutung in der Rechtswissenschaft“. Primär problemgeschichtlich orientiert, versteht sich die Untersuchung indes gleichwohl als ein Beitrag zu gegenwärtigen Debatten, verspricht sie, von Bedeutung „für die Gegenwart“ zu sein – ohne sich darüber im unklaren zu sein, daß die Vokabel „Volksgeist“ spätestens seit 1945 als „ein Unwort“ gilt. (15, 17) Hegel wiederum steht „exemplarisch“ im Mittelpunkt: Bei ihm gewinne „das Volksgeistdenken systematische Geschlossenheit“, im Anschluß an bzw. im Widerspruch zu welchem sich wesentlich der rechtswissenschaftliche Diskurs in der Folgezeit formiere. (15) Nach einem ersten, „Inhalt und Entstehung des Volksgeistdenkens im 18. Jahrhundert“ gewidmeten Kapitel, das u.a. auch für Hegel „wichtige Vorläufer“ wie Vico, Montesquieu und (leider weniger eingehend) Herder behandelt (17–61), wendet sich Mährlein im zweiten und umfänglichsten Kapitel sogleich „Hegels Volksgeistdenken“ zu. (63–135) Tatsächlich ist aber weit mehr als die Volksgeistthematik im Visier. Mährlein meint, Hegels Volksgeistdenkens „nur in einer Gesamtschau“ seines „Systems“ ansichtig zu werden. (63) Das wäre an sich schon, sollte man meinen, Stoff genug für ein Buch. Damit bescheidet sich der Verfasser allerdings keinesfalls. Berücksichtigen will er darüber hinaus die vorkritische Naturrechtslehre, Hegels Verhältnis zu Kant

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und Fichte, schließlich das Verhältnis zur zeitgenössischen Rechtswissenschaft sowie den Einfluß Hegels auf Gans, Puchta und Haym. Weniger wäre vermutlich mehr gewesen, zumal bei dieser tour de force manches Entscheidende auf der Strecke bleibt bzw. zu undifferenziert gerät – und wohl geraten muß. Denn wie sollte es möglich sein, auf siebzig Seiten nicht nur das Hegelsche „System“, sondern dieses auch noch in den genannten Bezügen angemessen zur Darstellung zu bringen? In der Sache stützt sich Mährlein vor allem auf den Naturrechtsaufsatz und die Berliner Rechtsphilosophie. Warum aber finden die Jenaer Systementwürfe keine Berücksichtigung? Markiert doch Hegels erster Entwurf einer Philosophie des Geistes (von 1803/04) bereits die entscheidende Differenz seiner Volksgeistlehre zu derjenigen der Historischen Rechtsschule, wenn sie den Volksgeist nicht naturalistisch, sondern bewußtseinsphilosophisch deutet: als tätige „Substanz“, die im „gemeinschaftlichen Werk aller“ allererst zu sich selbst komme. Mährlein entgeht dieses wichtige Scharnier in der Entwicklung von Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie, wie es bedauerlich ist, daß Hegels politischen Schriften, vor allem den Entwürfen zur Verfassungsschrift und der späteren Besprechung der Verfassungsverhandlungen in Württemberg, keine Aufmerksamkeit zuteil wird. So aber bleibt die Untersuchung konzeptionell defizitär. Transportiert wird stattdessen ein Hegel-Bild, das man durch die Forschungen der letzten Jahre und Jahrzehnte eigentlich revidiert glaubte: Hegels Rechtsphilosophie, lesen wir, ist „ein politisches Bekenntnis für die herrschenden Verhältnisse“ in Preußen bzw. gibt diesen „nur noch ganz oberflächlich einen philosophischen Mantel“ (96); Hegels Bekräftigung des monarchischen Prinzips sei zu verstehen als „ein Akt des politischen Opportunismus“ (98), die „geistige Grundhaltung seiner Philosophie“ überhaupt „der Veränderung abgeneigt“ (134), kurz: „Hegel ist mit Sicherheit kein freiheitlich gesinnter Mann im herkömmlichen Sinne“. (Ebd.) Was soll man dazu sagen? Mährlein findet Hegels Ansatz zwar „interessant und faszinierend“ (106), grundlegende Zweifel bleiben ihm gleichwohl an der „Schlüssigkeit von Hegels Dialektik“. (88) „Hegels Dialektik und sein Volksgeistansatz für den Staat ruhen“, so Mährlein, „auf angreifbaren Prämissen“, lassen im Vergleich zu Kant „das kritische Potential“ vermissen. (106) Mit der Rechtswissenschaft seiner Zeit habe sich Hegel „nicht tiefergehend“ auseinandergesetzt, sich vielmehr „nur Einzelfragen angelesen“. (108, vgl. 112.) Seine Replik etwa auf Hugo ermangele einer inhaltlichen Auseinandersetzung, biete demgegenüber bloß „billige Polemik“. (116) Selbst im Streit mit Savigny kann Mährlein Hegel nur „argumentative Hilflosigkeit“ attestieren. (125) Während Savigny „zu einer viel konkreteren Methode der Auslegung“ der Gesetze gelange, bleibe Hegel „im Allgemeinen stecken“. (126) Nach alledem scheint es ein unmögliches, mindestens schwieriges Unterfangen, „Hegel für die Rechtswissenschaft zu verwerten“. (134) Es mag mit an dieser beiläufig eingestandenen, dennoch aber aufschlußreichen ‘Verwertungs’perspektive des Juristen liegen, daß das zentrale Hegel-Kapitel des Buches eine philosophische Enttäuschung darstellt.

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Das Denken Hegels scheint Mährlein zwar irgendwie fasziniert zu haben, im letzten jedoch eben kein überzeugendes Theorieangebot zu liefern, rechtswissenschaftlich geradezu auf Abwege zu führen. Ist mithin Hegels Volksgeistdenken für die Irrwege der Rechtswissenschaft verantwortlich zu machen? Diese Schlußfolgerung wäre nach Mährlein denn doch verfehlt, wie er insbesondere im Bezug auf die Hegel-Rezeption Karl Larenz’ konstatiert. Sie steht im Zentrum des vierten Kapitels über „Das III. Reich und Hegels Volksgeist“ (171–211), nachdem zuvor die Überwindung des Volksgeistdenkens (bei Rudolf v. Jhering und Philipp Heck) und die beginnende Hegel-Renaissance seit 1900, namentlich bei Julius Binder, Larenz’ Lehrer, verhandelt wurde. (137–170) Anders als im Hegel-Kapitel seiner Arbeit gelingen Mährlein hier bemerkenswerte und luzide Bestandsaufnahmen. Vor dem Hintergrund eines zeitdiagnostischen Panoramas wird erörtert, wie es dazu gekommen ist, daß Volksgeist jenes „Unwort“ geworden ist, als das es heute gemeinhin gilt. Zu Recht und eingehend macht Mährlein in diesem Kontext auf die unrühmliche Rolle des Neuhegelianismus, vornehmlich Karl Larenz’, aufmerksam. Deutlich betont der Verfasser aber auch, daß die Berufung auf Hegel zum Zwecke einer ideologischen Rechtfertigung des Nationalsozialismus mit Hegel selbst nichts mehr zu tun hatte. „Larenz verliert bei seiner völkischen Lehre jeden Bezug zu Hegel […] Hegel eignete sich als Philosoph des Nationalsozialismus nur bei großer Verbiegung seiner Lehre. Zu dieser Verbiegung war Larenz bereit.“ (187) So aber wurde die Rechtswissenschaft bedenkenlos „für den politischen Opportunismus geopfert“. (210) Man kann freilich bezweifeln, daß es, wie Mährlein meint, in der Endphase des Dritten Reiches bei Larenz eine „Entfernung vom Politischen“ gegeben habe. (192) Die Töne, die Larenz noch 1943 in seiner Studie Sittlichkeit und Recht anschlägt – Mährlein berücksichtigt den Text, der in dem von Larenz herausgegebenen Band Reich und Recht in der deutschen Philosophie erschien, merkwürdigerweise nicht –, lassen jedenfalls uneingeschränkt völkische Rhetorik anklingen: ein „völkisches Gewissen“ bzw. „völkische Wertmaßstäbe“ sollen das individuelle Gewissen orientieren, was Führer, Recht und Sitte verlangten, habe der Einzelne zu tun. Eine „Entfernung vom Politischen“ bezeugen derlei Äußerungen wohl kaum. Vorbehaltlos wird man hingegen Mährleins Einschätzung der sich im rechtswissenschaftlichen Werk Larenz’ niederschlagenden problematischen Konsequenzen seiner Hegel-Adaption zustimmen können. So legt Mährlein überzeugend dar, daß und wie Larenz nach 1945 einerseits das eigene Scheitern als ein Scheitern Hegels ausgab (217), andererseits, das Dritte Reich und seine Methodenlehre stillschweigend übergehend, an Grundmomenten seiner im Dritten Reich entwickelten Rechtslehre und seines methodischen Instrumentariums festhielt. Überblicke man Larenz’ Entwicklung, zeige sich „wie bei Hegel eine methodische Schwäche bei der Gegenwartskritik“. Als Lehre von Einheit und Gemeinschaft fehle es der Volksgeistlehre an „Kriterien, um gegenüber der Gegenwart standhaft zu sein“. (220) Die vom Verfasser selbst geltend gemachte Unterscheidung zwischen der totalitä-

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ren Volksgeistlehre eines ideologischen Neuhegelianismus und der Volksgeistlehre Hegels scheint damit am Ende freilich wieder nivelliert. Dennoch will Mährlein in seinem Resümee nun nicht so weit gehen, die Volksgeistlehre en gros zu verabschieden. Zwar habe sie als methodisches und philosophisches Konzept für die heutige Rechtswissenschaft ausgespielt. Als ihre „bleibende Einsicht“ gelte es jedoch in rechtspolitischer Hinsicht anzuerkennen, „daß eine Gesetzgebung die konkreten Verhältnisse der Bevölkerung im Auge haben muß und daß diese Verhältnisse dem gesetzgeberischen Gestaltungswillen eine Grenze setzen“. (222) Bleibt damit, trotz aller Kritik, auch noch Hegel im Spiel, oder beschränkt sich die „Bedeutung“ seines Denkens für den Juristen letztlich doch nur auf eine vergangene – und glücklicherweise überwundene – Epoche der Rechtswissenschaft? Darauf versagt sich das Buch leider eine Antwort. Andreas Großmann (Hamburg)

Emanuele Cafagna: La libertà nel mondo. Etica e scienza dello Stato nei „Lineamenti di filosofia del diritto” di Hegel. [Die Freiheit in der Welt. Sittlichkeit und Staatswissenschaft in Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“.] Bologna: Il Mulino 1998. 478 S. Das Buch bietet sich als ein ausführlicher Kommentar zur Hegelschen Philosophie des Rechts an. Der Autor will zuerst zeigen, daß der Philosoph seine Staatstheorie auf der Basis einer tiefen Kenntnis und eines weiten geschichtlichen Bewußtseins der gegenwärtigen Debatte im Rahmen der Wirtschaftslehre und der Verwaltungswissenschaft seiner Zeit entwickelt hat. Vom Standpunkt der Forschung über die Voraussetzungen der Hegelschen Reflexionen ergeben sich dann als wirksame Analysen – beispielsweise – diejenigen Seiten, die der Aufnahme des Begriffs „General Stock of Society” (Nationalvermögen) von Adam Smith gewidmet sind (145–164); oder der Aufmerksamkeit, die auf das Werk von Patrick Colquhoun gelegt wird und auf seine Untersuchung über die Rolle der Kolonien in Verbindung mit der Funktion der Polizei. (190–202) Der Verfasser hebt so vor allem das Interesse der Hegelschen philosophischen Argumentation hervor, die sich in einer ständigen Diskussion mit unphilosophischem Wissen entfaltet. (12) Cafagnas Forschung beschänkt sich aber nicht nur auf die Wirtschaftslehre oder auf die Verwaltungswissenschaft, d.h. auf diejenige Debatte, die den Prozeß der preußischen Reformen begleitet. Zugleich berücksichtigt er den gründlichen Dialog, den Hegel mit der ganzen Tradition des westlichen Denkens führt. In diesem Sinne besteht die Eigentümlichkeit der Deutung des Autors in der Ablehnung einer ‚phänomenologischen’ Konzeption der begrifflichen Entwicklung der Sittlichkeit. Nach Ansicht des Verfassers verkörpert

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sich die Idee der Sittlichkeit nicht in verschiedenen ‚Figuren’ des philosophischen Denkens, welche sich fortscheitend als abstrakte und aufgehobene ‚Momente’ beweisen. Vielmehr sei die Hegelsche Behandlung in der Philosophie des Rechts ‚negativ’ bzw. ‚widerlegend’: Die Idee der Freiheit – als Hauptziel der Hegelschen Betrachtung – werde nicht aus den dargestellten und aufgehobenen Gesichtspunkten abgeleitet – aus der abstraken Rechtslehre oder aus der Moralität –, sondern diese Idee werde schon in der Einleitung des Werks deduziert. Die Einleitung der Philosophie des Rechts bietet nämlich – so Cafagna – eine Freiheitslehre, die auf der Substantialität der gegenseitigen Anerkennung zwischen verschiedenen Individuen beruht, und es ist tatsächlich diese vorausgesetzte Idee des freien Willens, die die begriffliche Entwicklung des Werks bewegt. (38) Eine solche Prämisse hat bedeutende Folgen für die ganze Deutung der Hegelschen Theorie: Das Individuum, dessen Willen noch durch einzelne Ziele bestimmt ist, erfährt nicht fortlaufend, daß seine wahre Freiheit nicht in dieser Willkür besteht, sondern im Gehorsam gegenüber den Normen – so lautet beispielsweise die Ilting-Interpretation; dem Individuum muß vielmehr bewußt werden, daß diese Befreiung ihren Ursprung in einer ‚Welt’ und nicht in seiner Einzelheit hat. (42) Also entwickelt sich die Hegelsche Theorie der Sittlichkeit nicht durch die Berichtigung und die Integration einer der Naturrechtsphilosophie gemäßen Gesellschafts- und Staatsauffassung. In diesem Fall hält man an demjenigen ‚Staat der Notwendigkeit und des Verstandes’ fest, den Fichte vorgeschagen hat: Hier rührt das politische Verpflichtungsverhältnis von der Befriedigung der Privatzwecke her, die man aus der Sicherheitsleistung des Staates ableitet. Der Staat verwandelt sich in einen bloß ‚zwingenden Apparat’, dessen einziges Ziel es ist, die einzelnen Zwecke wieder auf den allgemeinen Willen zu bringen. Wie der Verfasser hervorhebt, hat die Hegelsche Theorie vielmehr ihre Quelle in einer starken und originellen Idee: Die Verbindung zwischen der Selbständigkeit des Menschen und der als ein ‚Objektiv’ verstandenen Freiheit. In sich selbst ist die Idee der individuellen Selbständigkeit keineswegs originell – so Cafagna; selbstverständlich verweist Hegel auf Rousseau und Kant. In Hegels Auffassung aber wäre die Selbständigkeit kein Prärogativ des Individuums, sondern das Ergebnis einer bestimmten geschichtlichen Epoche und des politischen und institutionnellen Prozesses, der sie erschaffen habe. (34) Cafagnas Buch erläutert die Entfaltung dieser Idee der Freiheit als ‚Welt’ in der gesamten Hegelschen Darstellung der Sittlichkeit. Außerdem erkennt er darin eine neue Begründung der Beziehung zwischen Sittenlehre und Politik. Das bringt eine neue Deutung des Übergangs von der Moralität zu der Sittlichkeit mit sich, die die Gegenüberstellung eines freien und selbständigen Subjekts einerseits und die Pflichten des Zusammenslebens anderseits ausschließt. Hegels Auffassung besteht nicht darin, eine Idee der Sittlichkeit zu begründen, die durch ihre Institutionen die Wirklichkeit derjenigen Moralität versichern soll, die Kant den schwachen Kräften des Subjekts übergab. Die

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Sittlichkeit als ‚Welt’ ist keine für das selbständige Subjekt und für ein abstraktes Gutes vorbereitete Gegenständlichkeit. Die Wirklichkeit liegt nicht im Handeln des Subjekts, sondern in der Tätigkeit der sittlichen Substanz selbst. (100–108) Auf dieselbe Weise schließt der Autor die Gegenüberstellung zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat aus. In dem scheinbaren Verlust der Sittlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft ist die Idee der Freiheit noch wirkend, und zwar besonders mit denjenigen Eigentümlichkeiten, die ihre Zugehörigkeit zur modernen Welt zeigen. Das System der gegenseitigen Abhängigkeit von individuellen Interessen, selbst wenn es das Wohlsein der Individuen als Zweck zu haben scheint, hat nämlich in der sittlichen Substanz ihr letztes Ziel. Das sittliche Element wird in der bürgerlichen Gesellschaft dieser Spaltung unterzogen, um zu beweisen, daß es selbst, was der Selbstfinalität der Idee fremd ist – d.h. der Besonderheit des Individuums –, keinen Gegensatz zu seiner Realität darstellt: Solche Besonderheit wird tatsächlich in dieser Selbstfinalität zugleich ihre eigenen Zwecke finden. (125–130) Hegel teilt die Anschauung von Mendelssohn, Kant oder Fichte – gegen Rousseau – und denkt, daß die bürgerliche Gesellschaft genau der Ort der Bildung des Individuums ist. Aber er hält die Verbesserung der menschlichen Gattung nicht für einen Zweck an sich. Die Bildung des Individuums hat vielmehr ihre Finalität in der Substanz, die die politischen Beziehungen zwischen den Menschen regelt (so formuliert Hegel in einem modernen Sinne das Platonische Prinzip des Zusammenlebens). Wie der Autor bemerkt, ermöglicht nur die spezifische Gestaltung des modernen Staates die Entstehung der Ideen von Rechten, die dem Individuum als solchem gehören, und dann der Idee der Freiheit selbst. (131–139) Die Hegelsche Auffassung der Zünfte spielt dann eine wichtige Rolle in Cafagnas Versuch, die Deutung des Philosophie des Rechts als Theorie der Trennung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat aufzuheben. Der Autor will die Zünfte als einen philosophischen Standpunkt verstehen, in der Überzeugung, daß es immer eine gesamte Vorstellung der Entwicklung des Staates in der modernen Zeit ist, die die Hegelschen Urteile führt, und nicht der bestimmte Staat, in dem er tätig war. (314) Andererseits schlägt der Autor auch eine ‚geschichtliche’ Deutung der Zünfte vor unter Berücksichtigung der polemischen Ziele und der besonderen Zustände, die auf Hegel in der Ausarbeitung seiner Lehre einwirkten. Im besonderen rekonstruiert der Verfasser denjenigen Prozeß der Gewerbefreiheit, der durch die von Hardenberg geförderten Reformen eingeführt wurde. Die Hegelsche Behandlung der Zünfte gewinnt so einerseits die Bedeutung einer tiefen Kritik gegen den Versuch, wirtschaftspolitische Beschlüsse in abstrakter Weise von England nach Deutschland zu versetzen; andererseits zeigt sie sich eng mit der gesamten Auffassung der Sittlichkeit verknüpft. (210–216) Tatsächlich erlangt die bürgerliche Gesellschaft genau in der Zunft die Kohäsion der sittlichen Bande wieder. Hier verwirklicht sich diejenige Verschmelzung zwischen der Befrie-

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digung des Besonderheitsprinzips und der politischen Verpflichtung, die das Einhalten der staatlichen Verfassung garantiert. (223) Diese Theorie bildet dann den Kern einer theoretischen Alternative gegenüber der Vertragslehre. Nach Hegel entwickelt die Vertragslehre mit Rousseau und Fichte eine Staatstheorie, die der modernen Idee einer unendlichen menschlichen Persönlichkeit widerspricht; der Staat wandelt sich in einen zwingenden Apparat, der sich durch die Spaltung zwischen citoyen und Mensch rechtfertigt. (239–242) Hegel würde dagegen das Freiheitsprinzip selbst aus dem Aristotelischen (und im allgemeinen alten) Übergewicht des Politischen ziehen. (238) Um das Individuum in seiner Vollständigkeit zu beachten, müßte man den Staat mit einer Verfassung ausstatten, die ihn nicht auf diejenige administrative Tätigkeit beschränkt, welche zur bürgerlichen Gesellschaft gehört. Man kann das Problem einer wirklichen individuellen Freiheit, die dem höchsten Zusammenhalt des Staates entspricht, nur mit einer Verfassung lösen, die eine Übereinstimmung zwischen der Subjektivität des Einzelnen und der Objektivität des Gesetzes gestaltet, ohne sich eines unmittelbaren Verhältnisses zwischen Individuum und Staat zu bedienen. (244–245) Das Wort Bürger, das Hegel im inneren Staatsrecht gebraucht, verweist nicht mehr auf die Privatperson des Systems der Bedürfnisse; es drückt vielmehr die Aufhebung der Opposition aus, die im Gebrauch der Wörter bourgeois und citoyen inbegriffen ist. Der Ausdruck Bürger enthält sowohl die Rolle des Einzelnen als Mitglied des politischen Körpers als auch seine Rolle im praktischen bürgerlichen Leben. Er entspricht einer Bürgerlichkeit, die sich nicht auf die politische Funktion beschränkt. Das scheint Hegel in den Rahmen des aufgeklärten Absolutismus zurückzubringen, fügt Cafagna hinzu. Tatsächlich besteht die Vermutung einer festen Entsprechung zwischen der Hegelschen Lehre und dem Allgemeinen Landrecht. (248 f.) Aber der Autor lehnt diese Hypothese ab. Die Zünfte haben in Hegels Auffassung nicht die Bedeutung einer Rückkehr zu einer ‚dualistischen’ Verfassung, in der die mittleren Körperschaften Inhaber eines Freiheitsrechts dem Staat gegenüber sind. (262) Die Zünfte haben vielmehr nach Hegel die Aufgabe, eine Bürgerlichkeit zu bestimmen, die sich dem citoyen Rousseaus widersetzt; sie sind aber keine bevorzugten Körperschaften, die eine staatliche Gewalt ausüben. (263) Es handelt sich vielmehr darum, innerhalb einer vollendeten staatlichen Souveränität eine neue Begründung der Funktion dieser Körperschaften zu geben. (265) In Hegels Lehre realisiert sich die vollkommene staatliche Bürgerlichkeit in Beziehung auf die Rolle des Individuums in der bürgerlichen Verfassung, ohne daß dies eine Loslösung von der politischen Verpflichtung mit sich bringt. Der Ausdruck Staatbürger wird gebraucht, um die Rolle des Individuums dem politischen Körper gegenüber zu berücksichtigen. In diesem Sinn besteht bei Kant eine Unterscheidung zwischen Bürger als bourgeois und Staatbürger als citoyen. Die Abwesenheit des Worts hat trotzdem in der Hegelschen Auf-

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fassung die Bedeutung, daß die vollendete staaatliche Bürgerlichkeit sich nicht nur durch die Ausübung der sogenannten ‚politischen Rechte’ äußert – (Stimmrecht oder Beteiligung an der gesetzgebenden Versammlung) –, sondern eine Bedingung ist, die sich im praktischen bürgerlichen Leben bildet. Diese Abwesenheit ist also – eingedenk des bedeutenden Beispiels Montesquieus und des Vorrangs der Politik bei Aristoteles – an die Idee gebunden, eine Zugehörigkeit des Individuums zum Staat zu zeigen auf der Grundlage seiner ‚praktischen’ Rolle in der Verfassung. (265 f.) Wie Cafagna behauptet, ist das Individuum (und sein Handeln) in der Hegelschen Auffassung nicht das, was bürgerliche Gesellschaft und Staat trennt: In diesem Fall wäre das Individuum zwischen seiner substantiellen Pflicht und der Befriedigung seines Wohlseins gespalten. Es ist vielmehr – als Mitglied einer Zunft – das, was in seiner praktischen Existenz die Einheit der staatlichen Verfassung sichtbar werden läßt. (273) In Übereinstimmung mit dieser Deutung versucht der Verfasser die Hegelschen Vorschläge über die Vertretung als Umrisse einer Reform zu lesen, die keine geschichtliche Verwirklichung gehabt hat; sie zielt nämlich auf die Anerkennung der Selbständigkeit für die Staatsverwaltungen, die aber durch den Staat reorganisiert werden, mit der Abschaffung jenes Vorrechts. (312) Auch hier handelt es sich nicht um eine Rückkehr oder eine Verteidigung der altständischen Tradition gegenüber den Vertretungsmodellen, die aus dem französischen konstitutionellen Laboratorium stammten. Hegel dagegen will eine Verbindung zwischen Verwaltung und politischer Vertretung vorschlagen. Er lehnt eine bloße Differenzierung auf der Grundlage von Einkommen und Lebensalter ab und führt vielmehr ein Kriterium der Wahl ein, das durch die wirkliche Leistung des Individuums innerhalb der verschiedenen Gemeinwesen bestimmt ist. (299 f.) Wie Cafagna hervorhebt, bedeutet eine solche Selbstverwaltung nicht, daß die bürgerlichen Staatsbestandteile in diesen mittleren Ständen, die ausschließlich ihre eigenen Vorrechte verteidigen, aufgegeben würden. In den veränderten Verfassungsangelegenheiten sind die örtlichen Gemeinwesen nicht mehr eine Gewalt, die sich der Staatssouveränität widersetzt; zugleich hat sich tatsächlich auch die fürstliche Gewalt in die des souveränen Staates verwandelt. (298) Im Preußen der Reformer, die durch eine kluge Kulturpolitik die Bildungsprozesse einer rationellen Verfassung förderten, war es – so Cafagna – möglich, den Zünften ihre eigene Stellung zu erteilen, ohne daß dieses als Begünstigung einer Rückkehr zu einer dualistischen Verfassung betrachtet würde. (320 f.) Die „Regierungsgewalt” in den Grundlinien des Philosophie des Rechts wäre dann ein Mittel, durch das Hegel die Vereinbarkeit zwischen einem zentralistischen Verfassungsmodell – das aus der Napoleonischen Tradition stammte – und einem sich um die Zünfte drehenden Selbstverwaltungsmodell vorschlug. Bei Hegel haben die Zünfte die Absicht, den administrativen Zentralismus zu mäßigen, der zwar wesentlich ist, um die zahlreichen Interessen der bürgerlichen Gesellschaft mit dem allgemeinen

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Wohl zu verbinden, sich aber unfähig zeigt, das Individuum in der Konkretheit seines bürgerlichen Lebens mit der politischen Einheit zu verknüpfen. (322–325) Aus diesem Gesichtspunkt gewinnt die Ständeversammlung die spezifische Funktion, einen Zusammenhang zwischen den Interessen des Staates einerseits und denjenigen der bürgerlichen Gesellschaft andererseits zu finden. Nach dem Verf. besteht hierin die Eigentümlichkeit der Hegelschen Stellungnahme. Schon in der bürgerlichen Gesellschaft versammeln sich tatsächlich die verschiedenen Interessen um wichtige Kerne herum, d.h. den Stand der landwirtschaftlichen Arbeit (Ackerbauer), den Stand des Gewerbes und des Handels, den allgemeinen Stand. Die politische Vertretung ist deshalb nicht durch die Idee einer Nation von Individuen bestimmt, die in ihrer Einzelheit mit einem abstrakten politischen Interesse versehen sind, sondern durch die Art und Weise, in der diese wirklichen Gemeinsamkeiten der Interessen die Dreiteilung der Stände festsetzten. Die Zünfte wären dann ein Mittel, um nicht die Teilung, sondern die ‚Ansammlung’ von großen Individuengruppen zu begreifen. Dagegen löst eine bloß politische Vertretung die schon in diesen Kreisen bestehenden Gemeinwesen auf und hält genau so das bürgerliche vom politischen Leben getrennt. (332–335) Der Autor vergleicht dann die Hegelsche Stellungnahme zum Problem der Gewaltenteilung und der Verfassung mit derjenigen von Sieyès: Beide – so Cafagna – stellen die Frage nach den wirklichen Gewalten, die die politischen Beziehungen eines Staates bestimmen. Aber die Antworten sind entgegengesetzt. Nach Hegel entsteht der Staat nicht bloß aus einer Übereinstimmung zwischen Teilnehmern, denen allein die abstrakte Besonderheit der Verteidigung ihrer Sicherheit gemeinsam wäre, sondern aus der Totalität der Einzelnen, die in der bürgerlichen Verfassung organisiert sind. Auf diese Weise würde die verfassunggebende Gewalt mit der wirklichen Verfassung eines Staates übereinstimmen. (365–367) Cafagna behauptet, daß Hegel keine Rechtfertigung der geschichtlichen Wirklichkeit versucht. Hegel benutzt die Geschichte nicht, um ‚positive’ Rechte – in Gegenüberstellung mit dem ‚idealen’ Bild des Vertragslehre – zu verteidigen, sondern um die Evolution der Souveränität im modernen Staat zu verstehen. Eine solche Entwicklung zerfällt – nach der Rekonstrution des Verf. – in zwei hauptsächliche Momente: Im ersten gestaltet sich die fürstliche Gewalt als diejenige, die die staatliche Einheit wiederherstellt gegenüber der Pluralität der Gemeinden und der Zünfte. Sie gründet ihre innere Souveränität durch die Beseitigung des Privateigentums der Ämter und durch die Schaffung eines sich unterwerfenden Beamtenstandes. In dieser Phase der Entwicklung der Souveränität entsteht der notwendige Raum für die Etablierung der Staatsgewalt. Aber eine andere Phase folgt, in der sich das Prinzip durchsetzt, nach dem jede Staatsgewalt allein rechtmäßig ist, wenn sie ihre Funktion in Abhängigkeit vom Gesetz ausübt. (370 f.) Aber in einem modernen konstitutionellen Staat verwirklicht sich nach He-

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gel die innerliche Souveränität weder durch die Etablierung der fürstlichen Gewalt noch durch das Übergewicht der gesetzgebenden Gewalt, sondern durch Institutionen, die dem Volk ein organisches Leben, unter Mitwirkung des Beamtenstandes, geben und die die Vertretung dieses organischen Lebens in der Ständenversammlung gestatten. Die Hegelsche Auffassung, weit entfernt von der Idee einer Gegenüberstellung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat, würde es vielmehr vorziehen, daß auch die Ständeversammlung und die Selbstverwaltung der verschiedenen Gemeinwesen zur Staatssouveränität beitrügen. (373) In den letzten Abschnitten des Buchs geht der Verf. an die Fragen der fürstlichen Gewalt – ‚politische Transkription der modernen Idee der Freiheit’ (407) – und des Kriegs heran. Der Krieg betrifft die äußerliche Souveränität des Staates, der hier als Individuum gilt. So fällt der Krieg unter das Gebiet der Zufälligkeit, die sich jeder Regelung entzieht, und steht dann derjenigen Analyse der konkreten Vernünftigkeit fern, die den Philosophen in der Untersuchung der staatlichen Souveränität geführt hat. (438) Meiner Meinung nach ist der Standpunkt des Verf. sicherlich theoretisch begründet und mit Dokumenten gut belegt; man kann ohne Zweifel die Idee teilen, daß die Hegelsche Auffassung der Staatsgewalt und ihrer innerlichen Artikulierung keine bloße Wiederherstellung von archaischen staatlichen Formen ist, sondern der Versuch, diejenigen Probleme zu lösen, die die Entwicklung eines modernen Staates heraufführt. Aber wenn dieses Modell auch keine ‚Rechtfertigung’ oder ‚Anpassung’ an die gegenwärtige Realität war, ist es auch unbestreitbar, daß es keine geschichtliche Verwirklichung hatte, wie der Autor betont. Das hindert nicht, daß die Hegelsche Voraussetzung teilweise gültig sein könnte. Eine indirekte Bestätigung dieser Interpretation kann man in der Deutung finden, die ein Autor wie Antonio Gramsci darüber gab: Nach dem Theoretiker der Hegemonie stammt die Hegelsche Auffassung der bürgerlichen Vereinigungen als ‚private Textur’ des Staates aus den politischen Erfahrungen der französischen Revolution: „Regierung mit der Zustimmung der Regierten”, so Gramsci, „aber mit der organisierten Zustimmung, und nicht mit einer unbestimmten und vagen Zustimmung, so wie diejenige, die in dem Augenblick der Wahlen sich durchsetzt: Der Staat hat und fordert die Zustimmung, aber zugleich ‚erzieht’ er sie durch die politischen und gewerkschaftlichen Vereinigungen, die aber der privaten Initiative von der führenden Klasse zugewiesen sind”. Von diesem Gesichtspunkt aus wäre Hegel – nach Gramsci – nicht nur kein Theoretiker des preußischen Staates; er würde darüber hinaus den bloßen Konstitutionalismus aufgehoben haben, um den modernen parlamentarischen Staat mit seinem Regime der Parteien zu überdenken. (Vgl. Antonio Gramsci: Quaderni del carcere. Hrsg. von V. Gerratana. Torino: Einaudi 1975. § 47. 56. [Übersetzung von F.L.V.]) Fiorinda Li Vigni (Wassenaar)

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Sergio Dellavalle: Freiheit und Intersubjektivität. Zur historischen Entwicklung von Hegels geschichtsphilosophischen und politischen Auffassungen. Berlin: Akademie 1998. 303 S. Die Hegelliteratur hat inzwischen ein bemerkenswertes Ausmaß erreicht, das durch die verdienstvollen kritischen Ausgaben und diejenigen der Vorlesungen, die vom Hegel-Archiv selbst in der zweifellos nötigen Treue gegenüber Hegels Publikationsentscheidungen herausgegeben werden, noch weiter anwächst, wobei ein Weg gewiesen wird, der abseits der durch Jahre hindurch auf der Basis von Texten, die Eingriffe und Verbesserungen der direkten Schüler enthielten, begangenen Pfade verläuft. Wollte man zwei Momente benennen, die in den letzten Jahren in dieser Weise eine Neubewertung erfahren haben, die vielleicht mit einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber dem jungen Hegel, der, weniger monolithisch, der zeitgenössischen Sensibilität näher steht, so sind diese in der Philosophie des subjektiven Geistes auf der einen Seite und der nicht immer linearen Darlegung seines politischen Denkens auszumachen, was sogar zu der Annahme eines geheimen Hegels führte, der sich hinter der öffentlichen Darstellung seiner Theorie verberge. Gerade in diesem Punkt zeichnet sich der Text von Sergio Dellavalle aus durch seine rigorose und genaue Darstellung des komplexen Hegelschen Werdegangs, dessen Knotenpunkt sicher seit den Jugendjahren im Nachdenken über die Freiheit im Lichte des kulturellen Erbes besteht, allerdings mit dem vollen Bewußtsein, daß ein begriffliches Verständnis dessen erreicht werden müsse, was aus einem tiefen Überdenken der Idee und der Ausübung von Freiheit – etwa in der Philosophie von Kant, Fichte, Rousseau und in den revolutionären Ereignissen, die daraus mehr als eine Idee, eine Realität in itinere, allerdings mit noch unsicheren politischen Grenzen, gemacht haben – hervorgegangen war. Es scheint uns daher wichtig, daß der Autor in dem nötigen Bewußtsein, daß die Fragestellungen, mit denen man heute Hegel liest, stark von der zeitgenössischen Diskussion zwischen Liberalismus und Kommunitarismus (vgl. Einleitung 5–9) beeinflußt sind, nicht die Notwendigkeit einer rigorosen Erforschung der Art und Weise und der Momente unterschätzt, in denen Hegel sich letztlich bewegt angesichts der Notwendigkeit einer Anerkennung der modernen Freiheit, ohne sie nur in der Abgrenzung zur antiken Freiheit zu denken. So zeichnen sich die Bedeutungen ab, die der Begriff Freiheit für Hegel annimmt, von dem modernen Antrieb zu einer subjektiven Freiheit zum nötigen objektiven Kontext, in dem die Freiheit die effektive Möglichkeit ihrer Ausübung findet, und schließlich zu ihrer systematischen Verbindung, die ihren Endpunkt in einer absoluten Freiheit hat, die diese Momente in sich vereinigt, ohne in die Dimension der leeren und zernichtenden Willkürlichkeit einer Freiheit des Terrors zu münden. Man kann demnach nicht einfach auf der Basis der Gegenüberstellung eines liberalen Hegel und eines konservativen Hegel argumentieren, ohne die Probleme zu kontextualisieren, die Hegel seit den

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Jugendjahren zu schaffen machen: die Impotenz und Eversivität einer Ausbreitung des modernen Individualismus und die Schwierigkeit für den modernen Menschen, einen konstruktiven Weg zu finden, der es diesem Prinzip der individuellen Freiheit erlaubt, in seinem ganzen differenziellen und qualifizierenden Wert für die Moderne einen Weltentwurf zu errichten. Anders gesagt: Das Problem hat für Hegel notwendigerweise einen politischen Ausgang, und sei es im Raum einer neuen Gemeinschaft, die nicht mehr als Kompromiß oder gegenseitige Beschränkung von Interessen gedacht wird, sondern als Ort, in dem sich, und zwar nicht nur als Endpunkt, der intersubjektive Hintergrund einer Individualität konstituiert, die sich ihrer Rechte bewußt ist und der notwendigen Interdependenz derselben in der Wahrung der Rechte Aller. (30–60) Von daher ist der Hinweis des Autors auf die enge Verbindung in Hegels Werdegang zwischen seinem durchgängigen Augenmerk auf die Weltgeschichte und dem Reifen einer Idee von Ethizität sehr nützlich, die auf der Basis einer nicht einfach nur kritischen Bewertung des modernen Subjektivismus ihren Wendepunkt hat in einem Überdenken des Begriffs der Subjektivität vor dem Hintergrund dessen, was der Autor „eine Verschiebung der subjektiven Option“ nennt. Dort, wo diese Verschiebung sich in ihrer ganzen Macht in der Phänomenologie des Geistes zeigt, bringt dies natürlich „in der phänomenologischen Krise des Systems“ ein Überdenken nicht nur einer modernen politischen Philosophie mit sich, sondern auch eine Aufarbeitung der Interpretation der Weltgeschichte, die der Artikulation und der Komplexität der Bedeutung von Subjektivität gerecht wird. Dies geschieht in dem Moment, wo unwiderruflich die Anerkennung des Reichs des Rechts als zweite Natur, als Welt der verwirklichten Freiheit erfolgte, was notwendigerweise das problematische Aufeinandertreffen von heiligem Respekt des moralischen Gewissens, des sich Behauptens einer Welt von Menschen, die von konkreten und bewußten Bedürfnissen belebt sind und sich von daher wenigstens auf der Linie einer impliziten Konfliktualität befinden, und dem Erfordernis einer rationalen Organisation der Gemeinschaft im Staat als Ort einer Versöhnung dieser Übergänge und des Strebens nach einem wirklich wahren Leben durch die Individuen, zur Folge hat. Es läßt sich sicher nicht behaupten, daß die systematische Organisation Hegels genüge, um eine reale Konfiguration einer modernen Ethizität aufzuweisen, und zwar in dem Maß, in dem gerade die Problematizität und die nicht vollendete Auflösbarkeit der negativen Freiheit und der positiven Freiheit in der absoluten Freiheit Raum und letztlich auch das letzte Wort auf der einen Seite der Stimme des Gewissens und auf der anderen dem Urteil der Geschichte läßt, wobei der Philosophie nur die Möglichkeit bleibt, sich als neue Theodizee zu erheben, der jedoch nichts anderes übrig bleibt, als den Dingen der Welt in ihrer Realität ihren Lauf zu lassen. In diesem Sinn kann der Versuch des Autors, das Interesse Hegels für eine Reflexion auf die Freiheit nachzuzeichnen, denn auch am meisten Zustimmung finden – mehr als in dem oft und notwendigerweise instrumentellen

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Gebrauch für die heutigen Probleme in der historischen und kulturellen Rekontextualisierung des Hegelschen Werdegangs, woraus von jeder neuen und bereichernden Lektüre immer nur der Sinn der systematischen Zirkularität jenseits einer totalisierenden Öffnung oder Schließung hervorgeht, und zwar in einer Beachtung der notwendigen und immer erneuerten Komplementarität der Ebenen des Rechts, der Moralität und der Ethizität, die sich nicht entlang einer wachsenden und auflösenden Serialität aufreihen, sondern immer eine Beziehung bewahren, in deren Innerem für Hegel die politische und kommunitarische Dimension liegt. Rossella Bonito Oliva (Napoli)

Rossella Bonito Oliva: L’individuo moderno e la nuova comunità. Ricerche sul significato della libertà soggettiva in Hegel. [Das moderne Individuum und die moderne Gemeinschaft. Untersuchungen zur Bedeutung der subjektiven Freiheit bei Hegel.] Napoli: Guida 2000. 190 S. Die Frage nach der Beziehung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt des Interesses. Von verschiedenen philosophischen Voraussetzungen ausgehend wird ein Problem in Angriff genommen, das sowohl die Beziehung des Individuums zu sich selbst und zu anderen als auch eine Neubestimmung des „öffentlichen Raums” ins Spiel bringt. Die philosophischen Mittel, die benutzt wurden, um eine solch komplexe Frage zu behandeln, sind vor allem die vom Kantianismus angebotenen. In diesem Diskursraum sind zuerst in Amerika, dann auch in Europa, besonders in Deutschland, aber auch in Italien die Grenzen einer philosophischen Einstellung aufgezeigt worden, die dazu führte, die Öffentlichkeit als leeren Raum anzusehen. Um einen nur negativen Begriff der individuellen Freiheit, auf dessen Basis sich eine Gemeinschaft gründen konnte, die nur das Verbot verwaltete, Inhalt zu geben, hat man hauptsächlich auf besondere, aus dem traditionellen Kontext gerissene Aspekte der Theorie des praktischen Aristotelismus zurückgegriffen. Begriffe wie Ethos, Gewohnheit, Tugend, Gemeinschaft sind nach einer Zeit, in der sie aus dem Sprachgebrauch verbannt schienen, wieder zu philosophischen Ehren gekommen, obwohl sie häufig in einer Bedeutung benutzt werden, die nicht derjenigen entspricht, die sie in ihrem ursprünglichen theoretischen Kontext hatte. Aristoteles wurde also erneut die Quelle, aus der auch in den 80er und 90er Jahren die Antworten geschöpft wurden, um zu einer Theorie zu gelangen, die die Öffentlichkeit nicht mehr als leeren, sondern als von Individuen besetzten Raum verstanden hat, Individuen, die Anerkennung für ihre besonderen und substantiellen Auffassungen des Guten forderten. Im Rahmen dieser Forschungsrichtung, die einen neuen Begriff von politischer Gemeinschaft philosophisch artikulieren wollte, ist auch Hegel wieder interessant geworden: ein

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vielschichtiger Hegel, der nicht gegen Aristoteles, sondern über ihn hinaus benutzt wurde. Die philosophische Forschung von Rossella Bonito Oliva ordnet sich in diesen Kontext ein. Gegenstand ihres wissenschaftlichen Interesses sind nicht die vielen veröffentlichten Texte und die Vorlesungen, die Hegel der Definition der Idee des objektiven Geistes gewidmet hat. Die Analyse geht auch nicht von der Jenaer Produktion Hegels aus, die reicher an Anregungen ist, die wenigstens auf den ersten Blick leichter als andere Teile des Systems in dem erwähnten philosophischen Kontext zu benutzen sind. Gegenstand der Untersuchung von Bonito Oliva sind dagegen die noch heute wenig untersuchten, von Hegel dem subjektiven Geist gewidmeten Seiten seiner Philosophie. Über den subjektiven Geist hat Rossella Bonito Oliva einen umfangreichen Band publiziert (Rossella Bonito Oliva: La „Magia dello Spirito” e il „Gioco del Concetto”. Considerazioni sulla filosofia dello spirito soggettivo nell’Enciclopedia di Hegel. Milano: Guerini 1995. 412 S.), in dem eine genaue Exegese des komplexen Hegelschen Textes vorgenommen wird. Die italienische Wissenschaftlerin hat außerdem Hegels Vorlesungen über die Philosophie des Geistes (Berlin 1827/28) ins Italienische übersetzt. Der Band ist im Jahr 2000 bei Guerini in Mailand erschienen. Mit Giuseppe Cantillo hat sie die Ausgabe einer Sammlung von Beiträgen über die Philosophie Hegels der Jenaer Zeit herausgegeben (Rossella Bonito Oliva/Giuseppe Cantillo [Hgg.]: Fede e sapere. La genesi del pensiero del giovane Hegel. Milano: Guerini 1998. 591 S. [Hegeliana. Bd. 27.]). Die Kompetenz der Autorin und die Verdienste, die sie sich bei der interpretatorischen und philologischen Arbeit an den Hegelschen Texten erworben hat, sind demnach ausreichend dokumentiert. Was hier herausgestellt werden soll, sind jedoch nicht so sehr solche Verdienste bezüglich der Exegese der Texte und der philologischen Arbeit als Übersetzerin und Herausgeberin eines Materials, das der Hegelforschung auch in Deutschland erst seit kurzem zur Verfügung steht. Solche Verdienste sollen keineswegs verschwiegen, sondern vielmehr unterstrichen werden. Ganz besonders will man aber hier hervorheben, daß die Untersuchungen Bonito Olivas zum subjektiven Geist die Aufmerksamkeit auf einen Teil des Hegelschen Systems gelenkt haben, der einen neuen und theoretisch angemesseneren Zugang zur viel diskutierten Frage nach der Beziehung des Individuums zur Gemeinschaft eröffnen wird. Es ist schon gesagt worden, daß die Hegelsche Philosophie benutzt worden ist, um Antworten auf philosophische Fragestellungen zu finden, die zumindest teilweise innerhalb der theoretischen Entwicklung der Diskussion über das philosophische Erbe Kants aufgeworfen worden waren. Gerade um einen bestimmten impliziten Konservativismus in diffusen Formen der Aristoteles-Rezeption zu überwinden – die jedoch wenig treu gegenüber der komplexen Aristotelischen Lehre gewesen sind –, hat man auf die von Hegel entwickelte Vorstellung von moderner Sittlichkeit zurückgegriffen. Als moderne Neuformulierung des antiken Begriffs gründete Hegels Sittlichkeitsauffassung

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auf der Anerkennung der subjektiven Freiheit und schien unserem Sprachgebrauch angemessener zu sein. Unsere Epoche, so Hegel, kann als die Epoche definiert werden, in der das Prinzip der durch das Christentum entdeckten Freiheit der Einzelnen eine angemessene politische Interpretation gefunden hat und zum Zentrum der Konfiguration einer realen politischen Welt geworden ist. Wenn mit den vom Kantianismus angebotenen Kategorien der von den Menschen zusammen geteilte Raum nur als leere Szene dargestellt werden konnte, schien die Philosophie Hegels geeignetere Mittel bereitzustellen, um die positive Konfiguration einer individuellen Freiheit, die die soziale und politische Welt durchdrungen hat, zu erfassen. Die von Bonito Oliva durchgeführten Forschungen erweitern somit das theoretische Feld, in dem die Frage der Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft behandelt werden muß, indem sie ein philosophisch ausgearbeitetes Material zur Verfügung stellt, das man heute bei der Formulierung der Fragen und Antworten berücksichtigen muß. Der theoretische Vorschlag des von Hegel formulierten Modells der politischen Gemeinschaft gründet, wie Hegel selbst in der Einleitung zur Philosophie des Rechts von 1821 sagt, nicht nur in der individuellen Freiheit der rechtlichen Person und im moralischen Subjekt, sondern auf einem Begriff von Freiheit, der einen langen Weg hinter sich hat und inmitten der Entwicklung des subjektiven Geistes entstanden ist. Wenn man sich vornimmt, den Reichtum von Bestimmungen im Auge zu behalten, die Hegel der individuellen Freiheit als Voraussetzung des modernen Begriffs der Sittlichkeit zukommen läßt, erscheint die Notwendigkeit unvermeidbar, den Weg der Entwicklung des subjektiven Geistes, der von der Anthropologie durch die Psychologie zum freien Geist führt, noch einmal zu durchlaufen. Es ist hier nicht möglich, den langen und komplexen Weg, der schließlich im subjektiven freien Geist mündet, mit Bonito Oliva zu verfolgen. Die folgenden Betrachtungen sollen vielmehr dazu dienen, das Verständnis des neuen philosophischen Szenariums, innerhalb dessen die Beziehung des Individuums zur Gemeinschaft denkbar geworden ist, wenn man diesen Weg durchlaufen hat, nachzuvollziehen. Als Voraussetzung für Hegels Sittlichkeitsbegriff erscheinen Recht und Moralität – das Erbe Kants – nur als der Ankunftsort eines Wegs, der ein reiches und vielfältiges Material hervorgebracht hat, ein Material, das diese beiden abstrakten Begriffe hinter sich zurückgelassen haben, der jedoch wieder in Erinnerung gebracht werden muß, wenn man den Charakter der Individualität, wie sie Hegel verstanden hat, im Auge haben will. Das treibende Zentrum, die Seele, um die herum sich die Welt des Sittlichen konstituiert, ist jene freie Individualität, die sich durch den von Hegel innerhalb des subjektiven Geistes beschriebenen Weg ausgebildet hat. Die Theorie des subjektiven Geistes wird von Hegel mit der Absicht gedacht, die spekulative Bedeutung der Schriften von Aristoteles über die Seele neu zu formulieren. An jene Schriften wollte Hegel erneut die theoretische und praktische Spekulation binden, nachdem all das, was seit Descartes über den Unterschied von Seele und Körper gesagt worden war, von Hegel wieder beiseite

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geschoben wurde. Die Unterscheidung dessen, was zur Seele gehört, und dessen, was zum Körper gehört, die Descartes im Artikel 47 der Leidenschaften der Seele in direkter Polemik mit den, laut Descartes, in der Position von Aristoteles vorhandenen Widersprüchen vornimmt, wird zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert zum gemeinsamen Nenner der philosophischen Spekulation. Von dieser Unterscheidung ausgehend werden jetzt die verschiedenen Lösungen des Problems, das diese Unterscheidung aufwirft, ausgearbeitet. Wenn Kant in dem reinen, durch das Attribut der Rationalität potenzierten Willen die Quelle der moralischen Norm ansiedelt und in der äußerlichen Phänomenalität des Körpers den Angelpunkt der Reflexion über die Legalität situiert, behält er positiv, wenn auch mit den nötigen Differenzierungen, jene von Descartes getroffene Spaltung der Seele vom Körper im Auge. Die von Hegel in der dem subjektiven Geist gewidmeten Abteilung des Systems dargelegte Theorie geht von einem philosophischen Ort aus, in dem jene Unterscheidung zwischen Seele und Körper noch nicht vorhanden ist. Es ist ein Ort, an dem Seele und Körper sich gegenseitig durchdringen, ein Ort, der theoretisch von der mechanischen Gesetzmäßigkeit, die die Wissenschaft seit dem 17. Jahrhundert benutzt hat, um die Bewegung der Körper zu erklären, nicht besetzt ist. Die geistige Gattung – das eigenste Sein des Menschen – hat seinen Ursprung in jener gemischten Materie. Sie konstituiert sich, so Bonito Oliva, als zweite Natur und bringt Bestimmungen hervor, die jenes komplexe, für die Philosophie zur Zeit Hegels fremd gewordene psycho-physische Element als Grund haben. Hegels Philosophie vom subjektiven Geist revolutioniert die philosophischen Kategorien, die durch die Moralphilosophie Kants zur Disposition standen. Jene Philosophie unterschied im Menschen eine phänomenale und eine noumenale Seite und siedelte dann das öffentliche Handeln innerhalb des theoretischen Raums des Phänomens an, um dann den Raum, der vom Noumenon eröffnet wurde, als Moralität zu bestimmen. Hegel dagegen siedelt im Zentrum der philosophischen Szene ein Individuum an, dessen eigenstes Sein als geistige Gattung bestimmt ist. Die geistige Gattung ist der Ankunftsort des Wegs des subjektiven Geistes, ist der Geist, der sich als freie Subjektivität ausgebildet hat. Die Freiheit des Individuums, jene Freiheit, um die herum sich die ethische Welt anordnet, ist die kultivierte und gebildete Freiheit, die Gewohnheit, die zweite Natur geworden ist. Die individuellen Vorstellungen vom Guten eines Individuums werden in der Philosophie Hegels nicht als von den Bedürfnissen und Wünschen bestimmt, die in einem von einer mechanischen Kraft durchdrungen Körper entstehen, verstanden. Die Natur des freien Individuums ist nicht als idiosynkratisch gegenüber allen Überlegungen über Werte zu verstehen. Ein Individuum, dessen eigenster Charakter dadurch verstanden werden kann, daß er wie eine zweite Natur vom Geist magischerweise bis zur Freiheit des Begriffs erzogen wird, ein solches Individuum hat Vorstellungen vom Guten, die durch die Gemeinschaft anerkannt und gefördert werden sollen.

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In dem von Hegel vorgeschlagenen Modell stehen sich das Individuum und die Gemeinschaft nicht tragisch gegenüber. Das als durchdrungen von der Kraft des Begriffs gedachte Individuum hat sein wesenhaftes Sein – seine Spiritualität – als zweite Natur erworben. Um seine Freiheit zu behaupten, ist es also nicht gezwungen, ein unabwendbares Schicksal zu verraten. Es ist auch nicht gezwungen, Trost im Jenseits zu suchen. Für Hegel kann die Freiheit sich „eine Existenzform nur in der doppelten oder parallelen Bewegung erobern, die sich im Individuum als Bildungsarbeit einer Subjektivität erzeugt, die aus den Grenzen der Partikularität hervorgeht und in der gemeinschaftlichen Dimension” durch die Konstitution „eines universell Konkreten, das weder abstrakt und formal-vorschreibend noch informell-autoritär ist”. (179) Der Weg der wirklichen Versöhnung, die von Hegel lange gesucht wurde, führt über die Opposition von Individuellem und Universellem hinaus. Laut Bonito Oliva ist eine solche Versöhnung für Hegel nur denkbar, wenn die gesamte Entwicklung des Geistes vollendet ist. Sie manifestiert sich als das Bewußtsein und das Gefühl der Zugehörigkeit des Menschen zur geistigen Gattung, die das Sein mit der Kraft des Begriffs durchdringt. Wenn das Individuum nicht als ein aus unterschiedlichen Teilen Zusammengesetztes und abstrakt Verbundenes verstanden wird, sondern in seinem wahren Sein gedacht wird, dann kann „die Distanz zwischen dem Ausdruck der individuellen Freiheit und der Konsistenz einer freien Welt […] nicht von dem Raum des Konflikts und des Kompromisses überbrückt werden […]”. (186) Das von Hegel vorgeschlagene Modell der Versöhnung zwischen der individuellen Freiheit und der politischen Gemeinschaft ist wahrscheinlich heute der Aspekt seiner Philosophie, der die schärfsten Diskussionen heraufbeschworen hat. Das Mißtrauen gegenüber diesem Modell rührt in der Regel nicht von dem Projekt der Konstitution eines Begriffs vom Sein des Menschen als geistige Gattung her, sondern von der spezifischen philosophischen Sprache, die Hegel zur Verwirklichung dieses Programms benutzt. Die Frage, die von mehreren Seiten an Hegels Philosophie gestellt wird, ist die, ob die Wahrheit des Einzelnen wirklich nur das Universelle sei – wenn auch das Universelle als Begriff im Sinne Hegels verstanden wird –, und ob also die erneute Konstitution einer Ontologie des Menschlichen durch ein Vorgehen realisiert werden soll, das die Partikularität und die Singularität auslöscht, um den intrinsischen und universellen Charakter des freien Individuums zu erweisen. Das philosophische Programm, die uns von Kants Philosophie hinterlassene leere Szene auszufüllen, ist noch heute eine philosophische Aufgabe, die in Angriff genommen werden sollte. Die Idee einer erneuerten Ontologie des Menschlichen, die im Begriff der geistigen Gattung enthalten ist, hat demnach nichts von ihrer Aktualität verloren. Sie wird heute vielmehr auch durch den direkten Rückgriff auf einen Essentialismus Aristotelischen Ursprungs wieder aufgegriffen und neu formuliert, wobei man zum Teil zu anderen Resultaten gelangt, als wenn man die philosophischen Mittel Hegels benutzt. Es sind aber nicht nur die philosophischen Kategorien, die Hegel und Aristoteles zur Ver-

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fügung stellen, auf die man heute in dem theoretischen Kontext einer Neuformulierung einer Ontologie des Menschlichen zurückgreift, die als normativer Horizont der Praxis dienen könnte. Unterschiedliche philosophische Sprachen – die nicht auf der Basis der Notwendigkeit entstanden sind, ein versöhntes Modell von Sittlichkeit zu denken – treten heute auf, um beunruhigende Aspekte der freien Individualität zu artikulieren. Innerhalb des neuen Verständnisses sind solche Aspekte der freien Individualität fähig, so scheint es wenigstens, sogar der durchdringenden Kraft des magischen Spiels des Begriffs zu widerstehen. Vanna Gessa-Kurotschka (Cagliari)

Steven V. Hicks: International Law and the Possibility of a Just World Order. An Essay on Hegel’s Universalism. Amsterdam: Rodopi 1999. 272 S. (Volume 78 of the Value Inquiry Book Series. Edited by Michael H. Mitias.) In his editorial Foreword, Michael Mitias informs us that the book will show us how Hegel is “relevant to the contemporary debate” on whether “it is possible for the nation states of the world to coexist under the conditions of peace, justice, mutual respect, and prosperity?” This is exactly what Hicks tries to do. Specifically, Hicks tries to construct out of Hegel an account of world order that is “just”. This raises three important issues: First, how does Hicks understand the issue of world order? Second, how does Hicks understand Hegel? Third, what does Hicks mean by ”just”? To begin with, in the introduction to Chapter One Hicks eschews the attempt to understand world order in terms of ”democracy, liberalism, and free market capitalism” (1), which he understands to be equivalent to ”multinational or transnational corporate capitalism and geopolitical oligarchy.” We are told that this is not a desirable framework because it is based upon a ”social atomism” that leads to ”inequalities of wealth and power, illiteracy, homelessness, crime, drug abuse, pollution, economic instability, and so on.” So, on page one Hicks establishes with breath taking candidness that he is a man of the left and thinks it sufficient to invoke its clichés. What is even more astonishing is that the Fukuyama-Kojeve thesis on the end of history is not mentioned anywhere in the book. The same can be said of the Samuel Huntington thesis about the clash of civilizations. How does Hicks understand Hegel? He begins with Hegel’s critique of Greek communalism and Kantian Individualism. Hicks understands Hegel’s critique of Kant to mean that individuality requires the ”solidarity, support, and recognition of communal groups”. (8) An important issue is immediately reached: granted that Hegel stresses the contextual setting of individuality, is it the case that individuality is nothing but the product of the context or is it the case that the context leads to the recognition of the ontological priority of auto-

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nomy and the desire for it to be reflected back? In short, with regard to individual and community, which is ontologically prior and which is the historical variant? In the end, Hicks interprets Hegel as making the community ontologically prior and individual autonomy the historical product. This is what distinguishes the ”Left’s” reading of Hegel. Let me put this issue another way. How are we to understand the common good? One reading [right] is that the common good is the promotion of universal autonomy and, therefore, the individual good of autonomy is not only compatible with the common good but requires its active promotion. Nevertheless, there is no good higher than personal autonomy. Another reading [left] is that there is a communal good over and above the autonomy of individuals and that it is the promotion of this common good that leads to personal autonomy as a by-product. The difference has enormous political or public policy implications. The reading of the left puts the emphasis on creating the common good whereas the reading of the right would put the emphasis on fostering individual autonomy. Both sides see the importance of intermediate institutions, but each stresses a different dimension of what such institutions are designed to provide. It would have been better if Hicks had pointed out that Hegel’s critique of Kant was meant to emphasize the historicized nature of our recognition of autonomy rather than thinking of it abstractly. One of the most important and persuasive aspects of Hegel’s own case is the grand historical narrative in which he described the development of the recognition of autonomy. Hicks wants to downplay this aspect of Hegel because it reflects what he calls Hegel’s ”Eurocentrism”. (19) If Hegel was right, then, in an important sense, nonwestern cultures, whatever the value of their achievements, were and may yet to some degree remain morally retarded. Which non-western cultures have a sense of individual autonomy? Granting recognition to them in some sense other than political may make no more sense than respecting the ”rabble”. Hicks does not miss the opportunity to point out that Hegel did tell us how modern society produces the ”rabble”, but he fails to discuss Hegel’s moral critique of the rabble. In addition, if we take the historicization seriously then the only way to think about extending autonomy would be to examine the ways in which it emerged in the West. All of this precludes the abstract rationalistic approach that Hicks himself favors. What Hicks proposes to do is to generate a conception of world order compatible with Hegel’s philosophy of right, specifically out of Hegel’s understanding of law. The problem is that Hegel’s understanding of law will turn out to be incompatible with Hick’s political agenda. How did Hegel understood the rule of law? The best summary is provided by Michael Oakeshott: ”Das Recht […] is a system of known, positive, selfauthenticating, non-instrumental rules of law (Gesetze) […]. To be associated in terms of das Gesetz is to be related in terms of conditions which can be observed only in being understood, which can be subscribed to only in self-chosen acti-

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ons and cannot themselves prescribe substantive conduct; which not only allow ‘free’ agency but postulate ‘free’ agents as their subjects. Acknowledgement of their authority does not entail approval of what they prescribe; they can demand nothing which might compromise the authenticity of the conduct they govern; they neither enjoin nor forbid any other mode of association.” (Michael Oakeshott: On Human Conduct. Oxford: Clarendon Press 1990. 261–62.) The rule of law is not to be understood as producing a specific substantive outcome for such a view is incompatible with human freedom as Hegel understood it. Hicks wants to supplement Hegel’s philosophy of law with a theory of justice. Unfortunately, ”Hegel has regrettably little to say about the concept of justice”. (189) We should not be surprised because Hegel’s focus was on freedom and not justice. Hick’s own conception of justice presupposes the Leftist idea of a collective good. Hicks believes that Hegel had in mind ”the willingness of a people […] jointly to work for the attainment of their common good” (187); that this involves overcoming the fact that the ”world’s resources remain arbitrarily distributed” (202); and that this will be done through fostering ”transnational democratic forces”. Hicks fundamentally misunderstands what Hegel says about law, and this is reflected in Hicks claim that freedom in Hegel means that ”in a democratic society, the basic policy decisions, projects, and expenditures that affect the well-being of the society as a whole are determined by a constitutionally specified body of legislators who represent the interests of the people. ” (194) Moreover, what Hicks expects to emerge is a Rawlsian redistribution of resources: ”put in Rawlsian terms, ‘justice’ is the first virtue of social institutions. ” (207) Hegel, for Hicks, is Rawls manqué. The foremost problem with political and legal theorists is that they are ideologues who fail to grasp the nature of what they claim to understand. Either they are engaged in wish fulfillment or they present an abstract principle, or a set of related abstract principles, which has been independently premeditated. They mistakenly believe that political activity is implementing the theory, that what is to be done is independent of how, and that the purpose of political education is to enable us to expound, defend, implement, and possibly invent a political ideology. Recent writers (e.g., Rawls) present a state as an association ruled by law but they mistakenly identify law as a consideration of ”fairness” in the distribution of scarce resources. In Rawls’ case ”fairness” is what rational competitors, in certain ideal circumstances, must agree is an equitable distribution. Here, law is understood in terms of the consequences of its operation and as a guide to the achievement of a substantive state of affairs. But Rawls and Hicks fail to see that the rule of law is incompatible with an enterprise association (collective good). According to Oakeshott, ”there is no place in civil association for so-called ‘distributive’ justice; […]. Such a ‘distribution’ of substantive benefits or advantages requires a rule of distribution and a distributor in possession of what is to be distributed; but lex cannot be a rule of distribution of this sort, and civil rulers have nothing to distribute.” (Michael Oakeshott: On Human Conduct. 153. N 1.)

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Hicks’ treatment of Hegel is not serious scholarship but ideology. It presents a view and extension of Hegel that is preposterous. Nicholas Capaldi (Tulsa)

Paul Diesing: Hegel‘s Dialectical Political Economy. A Contemporary Application. Boulder/Colorado-Oxford: Westview Press 1999. 190 S. Über das, was in diesem Buch abgehandelt wird, gibt der Untertitel mehr Auskunft als der eigentliche Titel. Von 8 Kapiteln beschäftigen sich die Kapitel 2–4 explizit mit Hegel, d.h. von den 190 Seiten des Buches beziehen sich nur die Seiten 9–75 explizit auf die Hegelsche Philosophie. Im Mittelpunkt von Diesings Ausführungen zu Hegel steht ausschließlich die Rechtsphilosophie von 1820: „Chapter 4, the central chapter, will be a detailed study of Hegel‘s mature political treatise, the PR.“ [= Grundlinien der Philosophie des Rechts, P. K.] (8) Dieses Kapitel umfaßt dann die Seiten 37–75. Trotz der Kürze gibt der Autor seinem Anspruch nach einen Abriß der gesamten Rechtsphilosophie Hegels auf im Kern 31 Seiten (37–68). Diesing geht es darum, zugespitzt instruktiv auch auf solche Philosophen und Ökonomen zu wirken, die sich noch nie mit Hegel beschäftigt haben: „So my approach will be dialectical, empirical, and somewhat holistic. […] We will treat Hegel‘s work on political economy, the Philosophy of Right […], as a study of a whole western European society, including its government, as of 1800–1820 or so. Consequently, this work will be most useful, and comprehensible, to political economists and philosophers who think in terms of dynamic social processes – tensions, conflicts, pressures, path dependence – rather than static abstract models. […] The main point of this book is to show how Hegel‘s dialectic can be used in empirical research today.“ (7 f.) Als problematisch stößt hier die Interpretation einer programmatischen Gleichsetzung von politischer Ökonomie und Rechtphilosophie bei Hegel auf. Hegel selbst hat keinen Text hinterlassen, der sich ausdrücklich der politischen Ökonomie widmet. Auch da, wo für Hegel im Rahmen seiner Rechtsphilosophie von 1820 die bürgerliche Gesellschaft thematisch wird, redet er in § 189 explizit von „Staatsökonomie“, die er im Zusammenhang eines ‚Systems der Bedürfnisse‘ als Moment der bürgerlichen Gesellschaft abhandelt. Damit verbunden kennt Hegels Rechtsphilosophie bei der Abhandlung der „Sittlichkeit“ zwei weitere Sphären, in denen das Ökonomische gegenständlich wird: (1) In den von Hegel im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft in Aussicht genommenen berufsständischen Korporationen wird die Perspektive des Wohls des Einzelnen, die aus dem „System der Bedürfnisse“ herstammt, zwar beibehalten, aber das Allgemeine tritt hier als gemeinsame Sorge um die Subsistenz der einzelnen Kooperationsmitglieder auf. (2) In der sogenannten ‚Staatswirtschaft‘ verwirklicht sich dann bei Hegel das ökonomische Allgemeine als solches, d.h.

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das allgemeine Wohl als Allgemeines; dies betrifft einerseits Steuerfragen und andererseits z.B. die Bildung, die Gesundheitsvorsorge, das Militär etc. Die Dreiteilung des Ökonomischen bei Hegel rechtfertigt es aber nicht, die Rechtsphilosophie insgesamt als politische Ökonomie zu betrachten. Systematisch gesehen wird für Diesing Hegels Zusammenhang von Individualität und Allgemeinheit im Ökonomischen zum entscheidenen Anliegen seines Buches. Im „Summary“ überschriebenen Schlußabschnitt des zentralen vierten Kapitels seines Buches heißt es resümierend über Hegels Rechtsphilosophie: „The economy is damaged by intended or unintended consequences of individual development: externalities, crime, impoverishment, exploitation […]. So a still larger community, the state, is needed to maintain the economy as a faciliator of individual development […]. Throughout this contradictory dialectic, individuality depends on community for its development but damages the community on which it depends […]. One could go a step beyond Hegel by observing that an actual, effective political state would require an approximate balance between individuality and community.“ (74 f.) Das, was „community“ heißt, ist das eigentliche Thema, das Diesing sich philosophisch vornimmt, in die gegenwärtige Politik einzubringen; dabei muß man bedenken, daß er sich zuerst an ein amerikanisches Publikum wendet. Politisch gesehen ist damit eine kritische Wendung gegen einen gegenwärtig grassierenden, individualitätszentrierten Neoliberalismus unübersehbar. Diesing allerdings sieht mit Recht den Individualismus historisch tiefer in der amerikanischen Geschichte verwurzelt und konfrontiert in seinem zentralen vierten Kapitel Hegels Rechtsphilosophie von 1820 mit den Federalist Papers, die, von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay verfaßt, zuerst 1787/88 als Artikelserie in New Yorker Zeitungen veröffentlicht wurden und bis heute als grundlegender politisch-philosophischer Kommentar der amerikanischen Verfassung gelten: „In The Federalist Papers, individuals appear as fully formed, with adult interests, tastes, intelligence, and moral principles. […] Individuals differ in their interests, called “passions,“ […]. According to Hegel, the United States, like Germany in 1821, is not yet a state at all […]. Obviously for the Federalists the United States was a state, and a very good one […]. […] For Hegel the Federalists were confusing state with civil society, § 258. The movement from the individual consciousness of civil society to the community or the universal consciousness of the political state is missing.“ (68 f.) Diesings Gegenüberstellung hängt dabei nicht an der Frage, ob Hegel die Federalist Papers gekannt habe, diese Gegenüberstellung rechtfertigt sich in erster Linie begrifflich. Diesing macht deutlich, daß auf den Staat bezogen entsprechend der verschiedenen Stellung des Individualismus bei den Federalists und bei Hegel die Verfaßtheit der Gewaltenteilung anders ausfällt. Bei den Federalists gibt es eine scharfe Trennung der Gewalten, deren gegenseitige Kontrolle als ‚checks and balances‘ organisiert ist, was in höherer Form nur die kämpfenden Gegensätze der Privatinteressen im Staat – sozusagen gegen ihn – verankert. Hegel entwickelt demgegenüber ein Gewaltenteilungsmodell, das sich gegen eine bloße Gewaltentrennung

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absetzt, indem jede Gewalt an sich ein Ganzes bildet, das die anderen Gewalten als Momente in sich enthält. (Vgl. Grundlinien, a.a.O., § 272, Zusatz.) Hegel ist darum bemüht, sein Gewaltenteilungskonzept gegen die Willkür oder sogar entpolitisierte „Gleichgültigkeit“ (vgl. Grundlinien, a.a.O., § 311) der nur besonderen individuellen Interessen dadurch abzusichern, daß in den sogenannten Korporationen der bürgerlichen Gesellschaft das Individuum notwendig zu einem praktizierten Allgemeininteresse aufschließen muß, um überhaupt an der Gründung und der Fortexistenz nicht nur dieser Korporationen selbst, sondern auch an der darauf aufbauenden, umfassenden Repräsentation im Staat aktiv teilnehmen zu können. (Vgl. Grundlinien, § 288; § 321.) Für Diesing ist dann im Umfeld seiner „community“-Orientierung die Korporation ein ganz entscheidendes Stichwort. Zum einen sieht Diesing, daß die amerikanische Geschichte sich nicht rein auf die Perspektive der Federalists hat festlegen lassen, zum anderen aber ist die Korporationsidee als Ausdruck eines annähernden Gleichgewichts von Individualismus und Kommunität nicht soweit ausgeprägt, daß für die Gegenwart in bezug auf die U.S.A. von einem „rational political state today“ (129 ff.) die Rede sein könnte. (148) Hier betritt dann bei Diesing in unverkennbar korrigierender Absicht Europa beispielhaft die Bühne. Diesing sieht die kleineren europäischen Länder und Landschaften, namentlich die Schweiz, in Skandinavien hervorgehoben Schweden, die Niederlande, die Emilia-Romagna als Region in Norditalien und besonders Österreich als staatliche Modellfälle für einen praktizierten, wohl gemerkt bürgerlich demokratischen Korporatismus an; er spitzt seine Argumentation dabei auf Österreich zu: „The […] interest groups are represented politically in government licensed economic chambers, with compulsory membership. The Chamber of Labor speaks for wage and salary earners and consumers; the Economic Chamber represents […] public industry; the agriculture chamber represents farmers. Here we have Hegel‘s corporations.“ (149) „The Austrian corporations operate like Hegel‘s corporations, with one big difference: Labor and small farmers have their own corporate representatives on the Joint Commission. Hegel would have been very pleased with that. As a result, Hegel‘s insoluble problem of unemployment and poverty has been solved, temporarily.“ (155) Diese Sichtweise verausgabt einerseits die Vernunft als vorgeblich wesentlich schon verwirklichte an ein zwar musterhaft herausgehobenes, aber dabei für sich selbst nicht auf Dauer zu stellendes Beispiel, dessen genauere Verallgemeinerungsbedeutung für eine sich so selbst beschränkende Vernunft zudem dunkel bleibt. Andererseits deutet Diesings eigene rechtsphilosophische Korporationsorientierung gleichwohl auf eine Kritik an Hegels Rechtsphilosophie hin, die deren eigenes Vermittlungsanliegen gegen die im Ökonomischen auftretenden Unvermittelbarkeiten radikalisiert, wie sie u.a. am Armutsproblem (vgl. Grundlinien, § 245), an der Zufälligkeit einer ‚unverhältnismäßigen‘ Vermögensverteilung (vgl. Grundlinien, § 237) und an der „Abhängigkeit und Not“ der „Vereinzelung und Beschränktheit der besonderen Arbeit“ (vgl. Grundlinien, § 243) manifest werden. Trotz der Einsicht in diese sozialen Kollisionen im

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Rahmen der politischen Ökonomie als strukturelle Hindernisse für die Vernunftverwirklichung hält Hegel an einer gelingenden Gesamtperspektive der Versittlichung des objektiven Geistes im Allgemeinen fest, dagegen betont Diesing stärker die Möglichkeit des Entstehens unvermittelter Härten für die gesellschaftlichen Individuen im Angesicht der Notwendigkeit des Staates als erst zu bewährender Vermittlungsinstanz und stößt dabei auf Grenzen eben dieser staatlichen Vermittlungskapazität: „The institution that maintains and repairs the economy is government, the political state […].“ (59) „Poverty is a special case that goes beyond ordinary repair.“ (58) Damit wird aber bei Diesing eigentlich keiner Kritik der politischen Ökonomie das Wort geredet. Die affirmative Rede von einer politischen Ökonomie schon im Titel des Buches hätte es – interessanterweise – eigentlich notwendig erfordert, eine Kritik der Kritik der politischen Ökonomie – wenigstens umrißhaft – anzudeuten. Diese Art von hegelianisierender Marx-Auseinandersetzung aber erübrigt sich für Diesing dadurch, daß er dem Marx-Bild von Jean Hyppolite folgt: „The Hegelian dialectic still perserves the tension of conflict at the very core of the mediation, whereas Marx‘s real dialectic works for the complete suppression of that tension“. (75) Marx kommt so als Vermittlungsdenker nicht in den kritischen Blick der restituierten politischen Ökonomie, er erscheint nur als Romantiker einer objektiv teleologischen Widerspruchsfreiheit. Stattdessen erweitert Diesing kritisch den Geltungsbereich von Hegels Korporationskonzeption in vermittlungskonstituierender Absicht: Nach Hegels Einsicht in die politische Ökonomie kann jeder im individuellen oder allgemeinen Krisenfall von der bürgerlichen Gesellschaft seine Subsistenz als Recht verlangen, aber eben nicht die Arbeit als solche. Daran knüpft Diesing (97, 133) an, wenn er unter Berufung auf den Zusatz zu § 290 der Rechtsphilosophie darlegt, daß es eigentlich einer notwendigen Repräsentation der Mittellosigkeit als eines korporativen Zusammenschlusses bedarf, um im Staat das Armutsproblem konkret faßbar zu machen, denn das einfache, staatliche Hinnehmen der Armut nur als Subsistenzproblem führt – nach Hegel selbst (vgl. Grundlinien, § 244, Zusatz) – im Gegenteil dadurch zu einer gesellschaftlichen Politikunfähigkeit der Armen, weil deren zuerst sich geltend machende, bloße Subsistenzsorgen auf eine eingeschränkte Interessenausprägung führen, für die Arbeit und Austausch – und damit Gesellschaftlichkeit überhaupt – außerhalb ihrer Privatkultur liegen bleiben, was das Personwerden der Armen untergräbt und im Rückstoß die Tendenz bestärkt, daß die „Gewerbefreiheit“ qua begrenzter Arbeitsmöglichkeiten das „allgemeine Beste“ in „Gefahr“ bringt. (Vgl. Grundlinien, § 236, Zusatz.) Nur sieht Diesing dann selbst Grenzen jedes an Hegel abgearbeiteten und erweiterten korporativen Projektes: „Consequently, policy in the corporate states must be flexible, ready to adapt to some new technology, new political developments […], and so on. Policy changes might require retraining of workers for new occupations, […] early retirement, gradual dissolution of some industry, and so on. Such shifts constrain individual self-development to take unexpected and perhaps undesired forms. Hegel may not have liked that. In addition a prolonged world economic sta-

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gnation might break up the whole collaborative arrangement […].“ (157) „The increasing size and market power of the multinational corporations has moved us into a new feudalism, which is still developing.“ (172) Mit dem Stichwort der begrifflich unbewältigten Weltökonomie, die in ihrer Eigendynamik auch jeden demokratisch-korporativen Staat gefährdend übergreift, gesteht Diesing selbst einen Mangel seiner Konzeption von politischer Ökonomie ein. Er nimmt von Hegels Umgang mit dem Ökonomischen imgrunde nur die politisch strukturelle Seite auf. Da wo Hegel selbst Andeutungen für eine systematische Behandlung der Ökonomie als solcher hinterließ, werden sie von Diesing in seinem zentralen vierten Kapitel, das sich interpretierend auf nahezu alle §§ der Hegelschen Rechtsphilosophie bezieht, einfach überlesen. Hegel schrieb in seinen eigenhändigen Notizen zum § 63 der Rechtsphilosophie: „Was Geld ist, kann nur verstanden werden, wenn man weiß, was Wert ist“. (Vgl. Grundlinien, zu § 63.) Das ist ein unabgearbeiteter Hinweis Hegels auf eine aufkommende, aber nie ganz in ihrer Notwendigkeit durchgesetzte, eigene rudimentär an wissenschaftsbegründenden Elementarbegriffen orientierte politische Ökonomie in seinem enzyklopädischen System der Philosophie. (Vgl. GW 20, §§ 7, 12.) Leider überzeichnet Diesing mit seiner eigenen politischen Ökonomie auch noch die Tradition dieses Hegelschen Mangels an politischer Ökonomie, denn er und nicht Hegel unterläßt es, der politischen Ökonomie den Weg zur eigenen systematischen Abhandlung im Rahmen einer philosophischen Enzyklopädie offen zu halten. Hegel sah sich noch in einer – wie auch immer unzulänglich gebliebenen – Auseinandersetzung begriffen mit Adam Smith, J. B. Say und David Ricardo. Bei Diesing fehlt dann dieser Blick auf die Systematik und die Geschichte der politischen Ökonomie völlig. Wer allerdings – unter der gemachten Voraussetzung eines notwendigen Fortschreibens der politischen Ökonomie – die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit der Weltökonomie rechtsphilosophisch beurteilen will, insbesondere in bezug auf die verbliebene Macht der Einzelstaaten als in diesem infragestehenden Rahmen unbedingt notwendig auf reelle Wirksamkeit festgelegte Vermittlungsinstanzen zwischen Kapital und Arbeit als fixierten Extremen, muß grundlegend systematisch mehr abzuhandeln in Aussicht nehmen als nur Wert und Geld – ein systematischer Aufstieg zum politisch ökonomischen „Grundbegriff“ (vgl. GW 20, § 16) des Weltmarktes als zu begreifendes Zusammenhangsphänomen von vermitteltem Wert und spezifischer Bedürfnisbefriedigung wird so – mit Hegel über Hegel hinausgehend – unvermeidlich. Diesing geht bezeichnenderweise ausweichend dann da in eine andere Richtung, wo er die gegenwärtige Weltökonomie der Gefahr eines neuen Feudalismus ausgesetzt sieht. Dieses epochenwechselnde und eskapierende Urteil hat jedenfalls keinen Hintergrund mehr in Hegels Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft. Peter Kriegel (Bochum)

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Marcello Monaldi: Hegel e la storia. Nuove prospettive e vecchie questioni. [Hegel und die Geschichte. Neue Perspektiven und alte Fragen.] Napoli: Guida 2000. 344 S. Das Hauptthema der Publikation ist, in philosophischer Weise Geschichte zu denken; aber die gegenwärtigen Überlegungen dazu scheinen Wege eingeschlagen zu haben, welche in Vergleich zu den Hegelschen andere, wenn nicht sogar gegensätzlich sind. Diejenigen, welche diese Aufgabe nicht aufgegeben haben, teilen sich in zwei Gruppen. Einerseits findet man den Versuch, den Ursprung der Geschichte als das Andere, als reines Anderssein zu denken, so daß die Geschichte – von ihrem Ursprung getrennt – Geschichte des Endlichen ist; anderseits kommt die Neigung vor, die Gegenwart als die Zeit der Technik und folglich als die Epoche jenseits der Subjektivität, des Geistes und deswegen auch der Geschichte zu betrachten. In diesem Bild erscheint Hegel wegen seines Anspruchs, die Weltgeschichte als Manifestation des Absoluten und dessen Freiheit aufzufassen und darzustellen, als ein endgültig untergegangener Denker. Der Ausgangspunkt von Monaldi ist hingegen, daß, wenn die Epochen nicht zufällig aufeinander folgen, jede derselben sich über sich selbst hinaus ausdehne und auf die anderen bezogen sei. Dies führt erneut zur Aufgabe, die Geschichte philosophisch zu denken, und Monaldi schlägt vor, diese Frage innerhalb der Hegelschen Perspektive anzuschneiden. Es handelt sich also um ein Buch, welches, wie der Verfasser schreibt, „bei Hegel verweilt“. (15) Ein erster Grund dafür ist, daß die neue Ausgabe der Vorlesungen über die Religionsphilosophie Material für neue Interpretationsmöglichkeiten der Hegelschen Philosophie der Geschichte anbietet. Insbesondere legen diese Vorlesungen Zeugnis gegen die These ab, daß sich Hegel während der späten Berliner Jahre allmählich der Komplexität der Geschichte bis zu dem Punkt bewußt geworden wäre, daß er, obgleich ungern, die Unmöglichkeit einer spekulativen Einsicht der Geschichte hätte eingestehen müssen (vgl. hierzu: Otto Pöggeler: Geschichte, Philosophie und Logik. In: Logik und Geschichte in Hegels System. Hrsg. v. H. C. Lucas u. G. Planty-Bonjour. Stuttgart: Frommann-Holzboog 1989. 101–126.) und sich beschränkt hätte, empirische Daten zu sammeln und die Geschichte zu erzählen. Monaldi bestreitet diese These, leugnet aber dennoch exegetische und theoretische Spannungen und Schwierigkeiten in den Hegelschen Texten nicht. Im Gegenteil hebt er hervor, wie komplex und manchmal sogar inkohärent die Hegelsche Theorie der Geschichte des Geistes ist. Einerseits behauptet Hegel eine Hierarchie unter den Gestalten des Geistes, andererseits entsprechen aber die von ihm in den verschiedenen Vorlesungen dargelegten Geschichten dieser Gestalten nicht der vorgesehenen Systematik. Das ist z.B. der Fall bei der Kunst, Religion und Philosophie, welche zwar Manifestation des absoluten Geistes sind, aber doch in dem objektiven Geist so verwurzelt sind, daß es nicht klar ist, wie und inwiefern sie diesem übergeordnet sind. Ein weiteres

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Beispiel findet Monaldi eben in den Vorlesungen über die Geschichte der Religion. Der Verf. zieht insbesondere Hegels Betrachtungsweisen und spekulativen Bewertungen der orientalischen Religionen in den verschiedenen Kursen in Erwägung und hebt hervor, wie Hegel mit der Zeit seine Thesen nicht nur in den Einzelheiten geändert hat. Diese Sachlage gibt Monaldi den Anlaß, die gesamte Frage auf einer theoretischen und nicht nur exegetischen Ebene zu behandeln. Die Hegelsche Philosophie sieht eine historische Manifestation des Geistes und deshalb eine spekulative Deutung der Geschichte vor. Die von Monaldi aufgeworfene Frage ist also die folgende: Was soll denn die Tatsache bedeuten, daß die Hegelsche Darlegung der Geschichte des Geistes – oder wenigstens eines so bedeutsamen Teils derselben wie Geschichte der Religion – ambivalent ist? Wie soll darüber hinaus das Auseinanderstreben zwischen Systematik und Geschichte des Geistes beurteilt werden? Das Problem stellt sich im theoretischen Kern der Hegelschen Philosophie. Wenn diese nämlich beansprucht, dem Absoluten Stimme zu geben, wenn sie absolute Darstellung desselben ist, kann sie Versuche oder Annäherungen an die absolute Wahrheit durchaus nicht zugeben. Außerdem können die Änderungen der Darstellungsweise der Geschichte nicht als verschiedene Gesichtspunkte, Blickwinkel auf das Absolute betrachtet werden, da in der absoluten Wissenschaft keine Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte, überhaupt keine Meinung Platz haben kann. Diese Sachlage bringt, so Monaldi (vgl. 53 ff.), die Hegelsche Philosophie der Geschichte zu einer schwierigen Alternative: Entweder räumt Hegel, um die empirischen Daten zu verfolgen, die Möglichkeit ein, das theoretische Gitter der philosophischen Interpretation der Geschichte auszutauschen oder zu ändern – um den Preis einer großen Inkohärenz allerdings –, oder, wenn er sich darauf beschränkt, ein apriorisches Modell auf die Daten anzuwenden, ist er zwar kohärent, in diesem Falle aber mit der Konsequenz, unplausibel wenn nicht sogar absurd zu werden. Früher wurde vornehmlich diese zweite These vertreten, während die Interpreten heute dazu neigen, der ersten Seite des Dilemmas beizupflichten, wovon die oben erwähnte These des Hegelschen Verzichts auf eine philosophische Einsicht der Geschichte Zeugnis ablegt. Die interessante Stellungnahme Monaldis diesbezüglich besteht darin, die gesamte Alternative beiseite zu schieben, um den Versuch zu unternehmen, die Systematik der Hegelschen Philosophie unter Bezugnahme auf Hegels Notwendigkeits- und Wahrheitstheorie mit der Mannigfaltigkeit der Darstellungsweise der Geschichte des Geistes in Einklang zu bringen. Das Denken ist insofern objektiv, als es der objektiven Selbstbewegung, dem „Gang der Sache selbst“ folgt. Wird aber dieser Gang hypostasiert, vergegenständlicht, als ob er „ein Vorausseiendes“ wäre, so entsteht eine Trennung zwischen der Sache und ihrer Bewegung einerseits und dem ihr zusehenden Denken andererseits. Das widerspricht aber der von Hegel geübten Kritik am Begriff der Wahrheit als adaequatio, als Entsprechung zu einer Realität, welche, an sich schon erschöp-

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fend, ihrer Natur nach bestimmt wäre. Das Hegelsche Prinzip des Idealismus ist hingegen, daß das Denken weder in sich noch außer sich, im empirischen Bereich der Weltgeschichte, ein vorausseiendes Substrat hat, welchem es sich angleichen müßte. Die Reflexion des Denkens ist also der Sache nicht äußerlich, sondern immanent und macht deren Bewegung und folglich die Notwendigkeit des Gangs aus. Der Vorrang steht vielmehr (vgl. 59) dem Selbstbegreifen des Geistes zu, was Monaldi als einen Kreis zwischen Selbstbewußtsein des Geistes und Beredtsamkeit der empirischen Tatsachen auslegt. Dieser Kreis schließt Änderungen und Versuche nicht aus, wenn diese nicht als Annäherungen an eine vorausseiende Wahrheit, sondern als Momente des Prozesses der Selbstbildung, des „An-das-Sein-Kommens“ (59) der Wahrheit verstanden werden. Der Prozeß ist also deswegen keine unendliche Flucht der unzähligen Perspektiven und Interpretationen, weil der Geist auf seine vollendete Selbstmanifestation hinausläuft und sich als System der Philosophie vollzieht. Ein weiterer Interpretationsvorschlag Monaldis ist, die Rolle des subjektiven Geistes bei der Entwicklung des Selbstbegreifens des Geistes hervorzuheben. Er behauptet, daß sowohl die objektiven Stufen des Geistes – wie der Volkgeist oder der Weltgeist – als auch die absoluten Stufen desselben – wie Kunst, Religion und Philosophie – sich als Verwirklichung der ebensovielen Formen des subjektiven Geistes (Wille, Anschauung, Vorstellung und Denken) bilden. Mithin schlägt Monaldi vor, den Horizont der Geschichte als Prozeß der Vernunft zu den subjektiven Formen des Denkens zurückzuführen: „der absolute Geist ist in der Geschichte in der Weise vorhanden, in der er dem menschlichen Bewußtsein und niemals jenseits desselben erschient: Er bildet sich vielmehr als Absolutes, nur wenn er den Menschen als nicht zu beseitigendes Glied seiner Offenbarung miteinbezieht“. (17) Monaldi deutet diese These in der Einführung an und vertieft sie ausführlicher in einigen Kapiteln des zweiten Teils des Buchs. Im Weiteren widmet der Verf. der Erläuterung des schwierigen Themas des Hegelschen Begriffs der Zeit ein eigenes Kapitel. Er zieht dabei sowohl den Unterschied zwischen Zeit der Natur und Zeit des Geistes als auch die verschiedenen Abhandlungen des Themas in Betracht, welche Hegel während der Jenenser Jahre und später während der Berliner Jahre verfaßte. Diesbezüglich hebt Monaldi heraus, daß Hegel seit dem Jahr 1817 allmählich dazu neigte, die Zeit der Natur von der Zeit des Geistes zu trennen, und daß die Unterschiede unter den temporalen Dimensionen, welche in den Jenenser Texten für die natürliche als auch für die geistige Zeit noch unbestimmt galten, nur für die letztere wahr sind. Anstatt die in der Enzyklopädie enthaltene, kurze Darlegung des Begriffs der Zeit im Lichte der früheren, diesbezüglich aber doch ausführlicheren Jenenser Entwürfe zu betrachten (wie es üblich ist), schlägt Monaldi vor, die Abschnitte der Enzyklopädie nur in Hinsicht auf die Philosophie der Natur zu berücksichtigen und die Jenenser Überlegungen hingegen als eine wichtige Erläuterung des Verhältnisses zwischen Zeit und Geist anzusehen.

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Die Jenenser Schriften über die Zeit enthalten also bedeutsame Hinweise auf das Verhältnis zwischen Zeit, Geschichte und Ewigkeit, welches Hegel in den Berliner Vorlesungen zu untersuchen versucht, ohne aber die nur versprochene metaphysische Abhandlung desselben zu verfassen. Federico Perelda (Venezia)

Julian Nida-Rümelin/Monika Betzler (Hgg.): Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart: Kröner 1998. XXXIX, 838 S. (Bd. 375) Nach eigenem Bekunden möchten die Herausgeber den in Rede stehenden Band nicht im Sinne einer Sammlung thematischen Nachschlagewissens verstanden wissen, wie es anhand der Konzeption üblicher Lexika vermittelt wird, sondern mit ihm vielmehr die Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand: dem Verhältnis Kunst – Philosophie, anregen helfen. Beleuchtet werden soll die philosophische Perspektive auf die Kunst, wobei gemäß der Unterschiedlichkeit der Beiträge aus allen Epochen westlichen Philosophierens die Bedeutungsverwendung des von A. Baumgarten etablierten Ästhetik-Begriffs erweitert wird: Ästhetik kann demnach verstanden werden (1) als allgemeine Theorie des Schönen, (2) als Kunstphilosophie (rezeptions- bzw. produktionsästhetisch), (3) als Theorie der sinnlichen Erkenntnis oder Wahrnehmung generell. Auf der Grundlage dieses flexiblen Ästhetikbegriffs bietet das Werk 152 Einzeldarstellungen, die in alphabetisch namentlicher Ordnung größtenteils zeitgenössische (hermeneutische, phänomenologische und analytische) kunstphilosophische Positionen referieren. Das 20. Jahrhundert wird in insgesamt 60 Artikeln behandelt; auffällig ist jedoch, daß auf die 13 bzw. 15 Seiten umfassenden Beiträge zu Kant und Hegel, die damit zu den ausführlichsten des Bandes zählen, ein besonderes Schwergewicht gelegt worden ist. Jeder Artikel fächert sich nach einer entsprechend einleitenden biographischen Skizze auf in die einzelnen Unterpunkte „Ästhetik“ bzw. „Kunsttheorie“, „Kontext“ und „Rezeption“, wobei am Ende eines jeden Artikels eine einschlägige Bibliographie an die Hand gegeben wird. Der Hegel-Artikel von Annemarie Gethmann-Siefert und Bernadette Collenberg-Plotnikov bekräftigt aufs neue, daß die gegenwärtige historisch-kritische Bearbeitung der Vorlesungsnachschriften der Hegelschen Ästhetik den von G. Lasson bereits 1930 vorgebrachten Hinweis, zwischen dem publizierten Text der Ästhetik und den Quellen zu den Berliner Ästhetik-Vorlesungen bestünden beträchtliche Differenzen, bestätigt. Entlarvt wird in diesem Zusammenhang Hegels Schüler H. G. Hotho, der nach dem Tod seines Lehrers aus dessen eigenen Notizen sowie studentischen Vorlesungsnachschriften im Rahmen der ersten Werkausgabe in drei Bänden (Berlin 1835–38, 2. Aufl. 1842–43) Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Kunst im Sinne eines vorgeblich

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abgeschlossenen „Systems“ der Ästhetik kontaminiert hat. In der Folgezeit sollte die Hotho-Ausgabe, so die Verf., bis auf weiteres maßgeblich bleiben, da die gesamte Debatte um die Aktualität bzw. Inakzeptabilität der Hegelschen Ästhetik auf diesem nicht authentischen Text basiere, was jedoch keinesfalls den Blick dafür verstellen dürfe, daß gerade vor diesem Hintergrund verschiedene überkommene Lehrstücke der Hegelschen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst in einem anderen Licht erscheinen: Eine Nachzeichnung der Stadien der Berliner Ästhetikvorlesungen Hegels (in vier Phasen zwischen 1820–1829) erzwinge nämlich eine Revidierung des für gewöhnlich gegen die Hegelsche Ästhetik-Konzeption vorgebrachten „Klassizismusvorwurfes“, d.h. Hegels vermeintliche Konzentration auf die allein schöne (und damit nach antikem Vorbild sittlich wertvolle) Kunst. Zudem analysiere Hegel in den Berliner Vorlesungen nicht nur viele andere als in der Hotho-Ausgabe genannte Kunstwerke, sondern gewichte im Vergleich zu der posthum publizierten Ästhetik vor allem systematisch abweichend: Hegel orientiere sich nach Lage der Quellen nicht an der Kunstbegeisterung und dem Kunsturteil des Kenners, sondern erblicke in der Kunst eine Möglichkeit, einem jeden (Bürger der modernen Welt) geschichtliche Wahrheiten zu vermitteln. Die Grundlage hierfür bilde ein Kunstbegriff von einem derart allgemein gehaltenen Profil, daß nicht allein das Schöne, sondern sowohl das Charakteristische als auch das Häßliche umgriffen werde. Demgemäß stellen die Verf. den bildungsgeschichtlichen Wert der Hegelschen Philosophie der Kunst in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Hegels (an Herder anknüpfende) Grundthese, die Kunst bestimme sich durch ihre kulturelle Funktion in der vergangenen sowie gegenwärtigen Kultur und vermag dergestalt an der Stiftung eines geschichtlichen Selbstbewußtseins mitzuwirken, erfordert demnach keine formale (d.h. die schöne Gestalt zur Anschauung bringende), sondern eine inhaltliche (d.h. zunächst auf das Göttliche, dann beim reiferen Hegel auf die sich im Menschen als neuen Heiligen realisierende Vernunftidee bezogene) Ästhetik, deren Besonderheit in einer Verknüpfung der philosophischen Bestimmung des Begriffs der Kunst (des „Ideals“ als des bewußt gesetzten Schönen) mit der profunden Kenntnis der Kunsttheorie und der Kunst der Vergangenheit wie der Gegenwart (symbolische, klassische und romantische „Kunstformen“) zu sehen ist. Die Verf. wehren sich dagegen, die Bedeutung der Architektur („Werke der Nation“) für Hegels Ästhetik zu unterschätzen, weil er sich in Auseinandersetzung mit ihr den für ihn zentralen Begriff des Werks erarbeite: Das in gemeinsamem Bewußtsein errichtete Bauwerk bündele verschiedene Interessen und eröffne dem in einer Handlungsgemeinschaft eingebundenen Individuum eine WeltAnschauung, welche sich in diesem vereinigenden Vorgang: Sittlichkeit im Vollzug gemeinsamer Arbeit zu stiften, herstelle; dergestalt gelinge der Schritt von der Natur zur Humanität, welche in bewußterem Formen zum Ausdruck komme. Erst mit der Malerei und ihrem hauptsächlichen Mittel: der Farbe (noch für Kant ist es die Kontur), erfahre die Kunst als ganze eine subjektive Wendung, indem ein bewußt gestalteter Weltausschnitt geschichtlich überhöht

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wird, wofür die spezifisch mythologischen Vorstellungen des Christentums (der Gott erscheint handelnd in einer konkreten Situation) paradigmatisch sind. Doch ist hier zu beachten: „Im Gegensatz zur gedruckten Ästhetik nennt H. in den Vorlesungen lediglich zwei „schöne“ Gestalten, die ein Symbol der christlichen Gottesvorstellung sein können: die Madonnendarstellungen und die Darstellung der Maria Magdalena als der schönen Sünderin, deren liebende Hinwendung zu Gott Schönheit und Bedeutsamkeit vereint.“ (370) Demgemäß begreife Hegel portraithafte Darstellungen Gottes und Christi nicht als schön im klassischen Sinne, was ebenso für die Rekapitulation der Geschichte Gottes mit den Menschen (häßliche Martern und Greuel) gelte. Folgerichtig verlagere sich in Hegels Augen das Interesse der Kunst auf den Menschen und seine Welt („Prosa des Lebens“), was eine Aufwertung der seinerzeit wenig beachteten niederländischen Genre- und Stillebenmalerei mit sich führe; dagegen vergibt noch die Hothosche Ästhetik von 1835 die Spitzenposition der Kunst an die schöne christliche Renaissancemalerei. Vergleichbare Schwerpunktverschiebungen im Hinblick auf Musik (skizzenhafte Überlegungen zu großen solistischen Leistungen in der Vokal- und Instrumentalmusik sowie eine mit Bezug auf die Poesie vorgenommene Erörterung der Oper in den spätesten Vorlesungen) und Poesie (und den nicht-mehr-schönen, häßlichen Dramen Schillers, welche den veränderten modernen Sittenkodex im Vergleich zur antiken Tragödie zur Sprache bringen) seien kaum auszumachen. Doch hebe Hegel im Unterschied zur Hothoschen Edition in den Vorlesungen nicht Goethes Faust („absolute philosophische Tragödie“), sondern vielmehr den damals wenig geschätzten West-östlichen Divan als geglückte Darstellung der fernen und fremden Lebensform des Orients als Beispiel des „objektiven Humors“ hervor. Schließlich, so die Verf., sei zu beachten, daß die in der Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik viel bemühte „These vom Ende der Kunst“ (in der modernen Welt) das gesamte Quellenmaterial durchwirke; dies bestätige sich mit Blick auf die Neufassung der Enzyklopädie [1827 und 1830]), was jedoch die gängige Kritik an diesem Hegelschen Ästhetik-Lehrstück stets verkannt habe (sei es im Sinne einer „unabschließbaren Zukunft“: H. G. Hotho, F. Th. Vischer, Th. Mundt u.a.; oder einer hellsichtigen Kritik der Kunst unserer Zeit: K. Haries; oder in der Vermutung, die Vorlesungszeugnisse könnten die These als einen für Hegel selbst marginalen Gedanken entlarven: D. Henrich). Hegel überprüfe vielmehr seine „These vom Ende der Kunst“ in den Vorlesungen immer wieder kritisch an konkreten Beispielen und begreife die Kunst „ihrer höchsten Möglichkeit nach“ (d.h. ihre kultische Einbettung) prinzipiell als etwas Vergangenes; dennoch werde ihr kraft der Institution reflektierender Betrachtung: des Museums, ein neuer gesellschaftlich relevanter Stellenwert verliehen und zudem der subjektiven Geschicklichkeit des Künstlers ein anschaulicher Nährboden bereitet. Und dies eröffne der Kunst selbst unerschöpfliche neue Möglichkeiten. Die Aktualität Hegels als des Vaters der Kunstgeschichte – eine so sicherlich kaum haltbare Einordnung, ist man versucht einzuwenden – beweise sich darin, daß seine Thesen zu Fragen der

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Sammlung und Kunstpräsentation in der zeitgenössischen Ausstellungspraxis wieder präsent seien. Insgesamt ist der Band mitsamt der instruktiven Einleitung Formationen der Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart von Monika Betzler ein so gelungenes wie nützliches Hilfsmittel, sich fundiert und in übersichtlicher Form über kunstphilosophische Positionen ins Bild zu setzen. Besonders erfreulich ist, daß neuere Ansätze (z.B. Deleuze, Derrida, Dickie, Dufrenne, Flusser, Kristeva, Lyotard, de Man, Osborne, Sloterdijk, Sontag, Virilio, Weitz und Wollheim) in der Breite Berücksichtigung gefunden haben. Die kleine Bibliographie des Hegel-Artikels von A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-Plotnikov ist insofern dankbar, als sie, solange innerhalb der großen Hegel-Ausgabe die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst insgesamt noch nicht endgültig vorliegen, einen Überblick über die bislang maßgeblichen, teils in Vorbereitung befindlichen Editionen der einschlägigen Quellentexte gibt. Der Band kann als eine vergleichsweise preisgünstige und durch seine personenbezogene Organisation anders funktionierende Ergänzung zum großen, gleichwohl noch nicht zum Abschluß gekommenen Projekt des Wörterbuchs ästhetischer Grundbegriffe dienen. (Vgl.: Karlheinz Barck, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt, Burkhart Steinwachs und Friedrich Wolfzettel [Hgg.]: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden [ÄGB]. 2000–2003. 6 Bände. Wörterbuch von A bis Z und ein Registerband.) Holger Glinka (Bochum)

Kirk Pillow: Sublime Understanding. Aesthetic Reflection in Kant and Hegel. Massachusetts: The MIT Press 2000. 377 S. Pillow unternimmt mit seiner Studie Sublime Understanding keinen weiteren Versuch, Licht in das Dickicht von Kants Theorie des ästhetischen Urteils zu bringen oder zu untersuchen, in welcher Beziehung Hegels Ästhetik zu Kants Theorie steht, wie der Untertitel Aesthetic Reflection in Kant and Hegel suggerieren mag. Vielmehr möchte der Autor von beiden Philosophen ausgehend eine Theorie des Verstehens entwickeln, die das andere unseres begrifflichen Verstehens thematisiert. Dieses andere Verstehen nennt Pillow erhaben. (Aufgrund der Schwierigkeit, für den Ausdruck sublime understanding eine griffige deutsche Formulierung zu finden, werde ich den englischen Ausdruck in der Folge beibehalten.) Mit Hilfe von Kant und Hegel, auf die er sich nur so weit bezieht, wie es für seine Zwecke nützlich ist, soll ein Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion über den Begriff der Interpretation, das Verständnis und die Leistung von Metaphern und das Verhältnis zwischen ästhetischem und begrifflichem Bewußtsein geboten werden. (11) Zwar geht es Pillow in erster Linie um die

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Verständigung über Werke der Kunst. Aber nicht nur. In Frage steht auch der ästhetische Unterbau von Weisen unseres Weltverstehens. Pillows Arbeit umfaßt drei Teile. Im ersten, grundlegenden Teil, der sich mit Kants Kritik der Urteilskraft beschäftigt, extrapoliert der Autor aus Kants ästhetischer Theorie einen Typus von Reflexion, den er erhaben (sublime reflection) nennt. Diese Art von Reflexion ist nach Pillow nicht nur beim Urteil über das Erhabene am Werk, sondern auch bei der Urteilsbildung über Werke der Kunst. Pillow weist dem Prinzip der Zweckmäßigkeit eine zentrale Rolle für die ästhetische Urteilsbildung zu. Sublime reflection soll zwar strikt unterschieden werden von der Reflexion über das Schöne, die in das Geschmacksurteil mündet, beiden gemein ist aber, daß sie als ästhetische Reflexionen geleitet sind vom Prinzip der Zweckmäßigkeit als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, das als regulative Idee fungiert. Denn sie suchen eine Einheit, die weder die technische Einheit eines Zwecks ist, noch die systematische eines Schemas, beides würde der Begriffslosigkeit des ästhetischen Urteils widersprechen. Pillow stellt sich mit den Kantinterpreten in eine Reihe, die behaupten, die formalen, raum-zeitlichen Relationen von Objekten seien Gegenstand der Reflexion über das Schöne. Die Theorie des Geschmacksurteils wäre somit eine formal-ästhetische. Das freie Spiel zwischen Einbildungskraft und Verstand, das nach Kant für die ästhetische Reflexion konstitutiv ist, erklärt Pillow damit, daß wir in der Einbildungskraft nicht die Form des Objekts reproduzieren, sondern neue Wege suchen, das Objekt als formale Einheit zu betrachten. Die Einbildungskraft entdeckt damit verschiedene Möglichkeiten, die Teile des Objekts zur Einheit zu verbinden. So qualifiziert der Reichtum formaler Möglichkeiten ein Objekt als schön. Folgt man dem Autor in diesem Punkt, wird man ihm zustimmen müssen, daß eine solche ästhetische Theorie kaum hinreichend aussagekräftig für die Reflexion über Kunst sein kann. Folglich sieht er die ästhetische Reflexion, die zum Geschmacksurteil führt, auch in erster Linie bei der Betrachtung des Naturschönen am Werk. Dagegen soll für die Beurteilung von Werken der Kunst eine doppelte Reflexion erforderlich sein. Zum einen die Reflexion über die schöne Form, in der der Inhalt präsent wird und bei der sich ein Gefühl des Wohlgefallens einstellt, und zum anderen eine Reflexion über den Inhalt, die sublime reflection. Für diese Art der ästhetischen Reflexion interessiert sich Pillow insbesondere. Als Modell für sublime reflection dient Pillow das Mathematisch-Erhabene. Wie bei diesem die Fähigkeit der Einbildungskraft, die Ausmaße des Objekts zu apprehendieren, überstiegen wird, so gelingt es der Reflexion über ein Kunstwerk nicht, dessen unerschöpflichen Inhalt zu fassen. Die Einbildungskraft vermag keine einheitliche Bedeutung der ästhetischen Idee, die eine unbestimmte Vernunftidee ausdrückt und die Pillow mit dem Inhalt des Werks identifiziert, zu produzieren und führt insofern zu einem Urteil über das Erhabene. Die ästhetische Idee ist aber nicht einfach gegeben, sondern wird von der Einbildungskraft bzw. der sublime reflection produziert. Damit wird nach Pillow die Idee interpretiert. Das Reflexionsmaterial sind die ästhetischen Attribute, die die Reflexion veranlas-

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sen, auch Elemente einzubeziehen, die nicht im Werk selbst, sondern im reflektierenden Subjekt und seinem kulturellen Milieu liegen. Man darf hier wohl an Kants doch wenig ausgeführte Vorstellung des Gemeinsinns denken. Die Bedeutung des Werks bleibt auf diese Weise unbestimmt. Und so mag es viele Interpretationen eines Werkes geben. Pillow zeigt in der Folge, daß die ästhetische Idee als Metapher verstanden werden kann, legt man die interaktionistische Theorie der Metapher zu Grunde. Denn auch Metaphern produzieren eine unbestimmte Einheit zwischen verschiedenen Bereichen der Erfahrung, insofern ein Ding in Begriffen eines anderen gedacht und so in neuem Licht gesehen wird. Metaphern produzieren eine offene Serie von Verwandtschaften. Dies genau geschieht auch in der Produktion einer ästhetischen Idee, bei der die Einbildungskraft die unbestimmte Affinität des Mannigfaltigen und Verschiedenen zeigt. Jeder Versuch einer sublime reflection zeigt eine neue Einsicht in das, was unser Verständnis des Werkes in seiner Totalität wäre. Diese Einsicht hat die Form interpretativer Netzwerke der Affinität. (120). Mit dem Anspruch auf Einheit hat die sublime reflection eine ästhetische Idee produziert und damit eine Bedeutung des Werks. Die Basis dieser Art der ästhetischen Reflexion liegt in unserer Achtung vor der Einheit der Vernunft. So interessant es ist, Kants Konzeption der ästhetischen Idee für eine Theorie der Kunstinterpretation fruchtbar zu machen, so fragwürdig scheint mir aber die Annahme einer doppelten Reflexion bei der Kunstinterpretation zu sein. Und dies nicht nur, weil man schwer sehen kann, wie sich dieser Gedanke aus Kants Kritik der Urteilskraft gewinnen läßt. Fraglich ist auch, ob die doppelte Reflexion gut das Phänomen unserer ästhetischen Beurteilung von Kunstwerken beschreibt. Gibt es wirklich eine Reflexion des Inhalts, die nicht immer auch Reflexion der Form ist? Im zweiten Teil der Arbeit wendet sich Pillow Hegel zu. Wenngleich dieser kein geeigneter Kandidat für das Programm von sublime reflection zu sein scheint, weil seine Theorie den Schwerpunkt auf das Schöne als organisch organisierter Ganzheit legt, die als solche nicht begriffslos ist, sondern begriffsbestimmt durch die Idee, die im schönen Werk zur Darstellung kommt, findet Pillow in Hegel doch Ansatzpunkte, um den Gedanken von sublime reflection fortzuführen. Man muß sich Pillow zufolge nur auf die eher am Rand liegenden Theorieelemente bei Hegel stützen, die Theorie der symbolischen und romantischen Kunstformen, die im Hinblick auf die Darstellung der Idee defizitär sind und sich gerade deshalb für das Programm von sublime reflection qualifizieren. Pillow will Hegels Konzeption der Einbildungskraft in der romantischen und symbolischen Kunst nutzen, um den Prozeß von sublime reflection weiter zu spezifizieren und zu klären, welche Rolle der Einbildungskraft dabei zukommt. Bei der symbolischen Kunstform interessiert Pillow vor allem Hegels Abhandlung über die Metapher, da er hier eine Balance zwischen Affinität und Heterogenität am Werke sieht, die dem Netzwerk der Relationen in der ästhetischen Idee nach Kant entspricht. Denn Metaphern stellen Verwandtschaften zwischen verschiedenen Bereichen der Erfahrung her, und

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durch diese Verbindung wird ein Reichtum an Inhalt erzielt, der in keinem Begriff ausgedrückt werden kann. Dies leistet die assoziierende Einbildungskraft, die neue Perspektiven eröffnend Relationen zwischen Bildern, Ideen und Erfahrungen herstellt. Im Hinblick auf die romantische Kunstform dagegen konzentriert sich Pillow vor allem auf den subjektiven und objektiven Humor. Der subjektive Humor ist eine Form, in der sich die Kunst selbst destruiert. In ihm nehmen kontingente, willkürlich assoziierte Details überhand, es können sich keine Netzwerke der Relation bilden. Damit wird jede thematische Einheit wie auch die mögliche Kommunikation über Kunst zerstört. Die Einbildungskraft ist überwältigt in ihrem Versuch, die Vielheit als Einheit zu verstehen. Dagegen reflektiert der objektive Humor nicht mehr die Kontingenz isolierter Subjekte, sondern die Realität einer intersubjektiv geteilten Welt. Der objektive Humor enthüllt nach Pillow nicht nur einen intersubjektiv geteilten Fundus an Konnotationen, sondern zeigt das Fehlen einer rationalen Einheit, die Veränderbarkeit des Netzes von Bedeutung, deren kontingente Historizität durch eine improvisierte Unordnung deutlich wird. Er bringt alternative Metaphern ins Spiel, um zeitgenössische Gewohnheiten und Gedanken zu durchbrechen und neue Interpretationsmuster anzubieten. Als solcher ist der objektive Humor – für Pillow vor allem in Werken moderner Kunst wie in Collagen, im Photorealismus oder im Surrealismus zu finden – ein gutes Beispiel für sublime understanding. Im dritten Teil seiner Arbeit entwickelt Pillow sein Verständnis von sublime understanding und in dessen Kontext metaphorisches Verstehen in der Auseinandersetzung und im Anschluß an zeitgenössische Theoretiker weiter. Für ihn zentral ist die Unterscheidung zwischen begrifflicher Subsumtion und metaphorischer Bedeutung, die beide ihre eigene Berechtigung haben. Damit wendet er sich sowohl gegen Davidsons Kritik metaphorischer Bedeutung als auch gegen Nietzsche oder Paul de Man, die die Allgemeingültigkeit begrifflichen Denkens durch Metaphorizität zerstört sehen. Aber auch Gadamer wird kritisiert, weil er Metaphern eine Rolle bei der Begriffsbildung zuschreibt und damit Metaphern und begriffliches Denken in einen engen Zusammenhang bringt. Pillow lehnt sich an die interaktionistische Theorie der Metapher an, wie sie von Max Black entwickelt wurde. Danach ist es für Metaphern wesentlich, neue Verbindungen zwischen bisher unverbundenen Dingen zu schaffen, wobei diese Gegenstände wechselseitig in ihrem Verständnis transformiert werden. Denn ein Gegenstand wird jeweils im Licht der Konnotationen des anderen gesehen. Dadurch wird sozusagen die Welt neu verstanden. Welche Konnotationen hervorgerufen werden, hängt u.a. von den Subjekten ab, die Metaphern erfinden oder interpretieren. Neue Verbindungen sind nicht regelgeleitet, sie greifen zurück auf einen Hintergrund von Konnotationen. Metaphern haben eine unbestimmte Bedeutung, weil eben die Konnotationen verschieden sein können. Wie bei der ästhetischen Idee gibt es ein offenes Ende der Sinnfindung. Damit kann nach Pillow die ästhetische Idee als metaphorisch angereicherter Begriff bezeichnet werden. Bevor aber Metaphern bedeu-

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ten können, müssen die Konnotationen intersubjektiv geteilt sein. Damit ist keine strenge Allgemeinheit im kantischen Sinn gemeint, sondern allenfalls eine quasi-lokale, deren Gültigkeit so weit geht, wie die Interpreten die Produktionen als Teile ihrer Welt annehmen. Nicht nur die Kunst und unsere Kunsterfahrung ist durch Metaphern organisiert, sie organisieren auch Aspekte unserer Welt, um neue Ordnungen zu schaffen und unser Handeln, unsere Praktiken zu orientieren. Pillow schließt hier an Goodmans Weisen der Welterzeugung an. Viele unserer Begriffe sind metaphorisch strukturiert, so zum Beispiel der Begriff Argumentation. Was Argumentieren für unsere Praktiken bedeutet, kann die Metapher Argumentieren ist Krieg führen gut verdeutlichen. Wie die Metapher verstanden wird, hängt von den Konnotationen ab, die die interpretierenden Subjekte ins Spiel bringen. Noch einmal auf die Kunst bezogen behauptet Pillow im Anschluß an Eco, daß jede Kunst ein offenes Ende hat, insofern die Verschiedenheit potentiell relevanter Eigenschaften zu verschiedenen Interpretationen führt, wobei die fragmentarischen postmodernen Werke uns am besten die Erfahrung von sublime reflection machen lassen. Im Unterschied zu Lyotard, für den das Erhabene die negative Grenze traditionaler Weltsichten darstellt und dasjenige ist, was totalem Verstehen widersteht, hilft sublime understanding nach Pillow unsere unbestimmte Welt zu erfinden, hilft uns im Weltverstehen. Die Netze der Bedeutung situieren uns und orientieren uns in der Welt und leisten so einen Beitrag zu unserem Realitätssinn. Sie reduzieren Komplexität und binden Phänomene an fixe Strukturen, vermitteln uns aber auch das Bewußtsein der Kontingenz und zeigen uns, daß wir immer außerhalb von dem sind, worüber wir sicher sein können. (305) Pillow hat mit seiner Arbeit einen interessanten und inspirierten Beitrag zur aktuellen Diskussion über das Erhabene und das Verständnis und die Leistung von Metaphern geliefert. Welchen Beitrag Metaphern im Unterschied zu empirischen Begriffen für unsere Weltverständigung leisten können, scheint mir eine besonders lohnenswerte Fragestellung zu sein. Unklar bleibt allerdings, welchen Stellenwert die Auseinandersetzung mit Kant und Hegel für die Entwicklung des Konzepts von sublime understanding hat. Einerseits möchte sich Pillow nicht als Interpret von Kant und Hegel verstehen. Andererseits ist die Arbeit aber über weite Strecken gerade eine solche Interpretation und liefert damit auch einen Beitrag zur Kant- und Hegelforschung. Geht es nur darum zu zeigen, daß und wie das Konzept von sublime understanding bei Kant und Hegel philosophiegeschichtlich vorgebildet ist, was wohl Pillows erklärtes Ziel ist, hätten einige Ausführungen zu beiden Philosophen auch knapper ausfallen können. Beate Marschall-Bradl (Heidelberg)

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Mark W. Roche: Tragedy and Comedy. A Systematic Study and a Critique of Hegel. Albany: State University of New York Press 1998. 450 S. (SUNY Series in Hegelian Studies) Das Buch von Mark Roche geht über eine bloße Darstellung der Hegelschen Dramentheorie weit hinaus. Vielmehr versucht Verf. eine kritische und zeitgemäße Weiterführung des Hegelschen Programms. Zum einen schlägt er Erweiterungen der Dramentheorie Hegels vor, insbesondere durch eine viel ausführlichere Unterteilung der einzelnen Gattungen. Zum anderen versucht er Hegels Konzeption im Lichte jüngerer Erkenntnisse oder eigener Einsichten zu verbessern, so etwa in der Einbeziehung der Kategorie der Intersubjektivität und in einem alternativen Vorschlag zur Entwicklung der Dialektik innerhalb der Komödie. Im ersten Kapitel argumentiert Roche für eine Verwendung des dramentheoretischen Ansatzes von Hegel auch in der heutigen Zeit, ungeachtet aller postmodernen ästhetischen Theorien, die von dem Hegelschen Anliegen denkbar weit entfernt sind. Verf. bemüht sich, in vielen gängigen Allgemeinplätzen der aktuellen Literaturwissenschaft performative Selbstwidersprüche aufzuzeigen, um die Überlegenheit des Hegelschen Ansatzes deutlich zu machen. So weist er diejenigen Thesen als selbstwidersprüchlich zurück, die die Möglichkeit von Wahrheit oder von ethischen Normen negieren (9) – etwa mit Verweis auf die historische Genese und vermeintliche Zeitgebundenheit von Kunstwerken, dem Roche nur bedingt zustimmen kann. (21 ff.) Darüber hinaus plädiert er für eine wertende Literaturwissenschaft und argumentiert gegen werturteilsfreie Ästhetiken mit dem Hinweis, daß jede Auswahl, wie sie faktisch von allen Universitätsprofessoren gemacht wird, eine Bewertung ausdrücke und es daher gar nicht möglich sei, sich der Bewertung zu enthalten. Daher solle man also versuchen, Klarheit über Bewertungskriterien zu erlangen, und das Buch von Roche ist sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Lösung dieses Problems. Weiterhin schlägt Verf. eine Erweiterung des Hegelschen Systems um die Kategorie der Intersubjektivität vor. (In diesem Punkt folgt Roche der Analyse von V. Hösle, der in seinem umfangreichen Werk die Bedeutung der Kategorie der Intersubjektivität für eine zeitgemäße Weiterführung des hegelianischen Programms herausgearbeitet hat. Vgl. Vittorio Hösle: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität. Hamburg: Meiner 21998.) Gemäß dieser allgemeinen Ergänzung des Hegelschen Ansatzes ist für Roche daher das Versöhnungsdrama (‚Drama of Reconciliation‘) – das Hegel zwar als synthetische Kategorie diskutiert, aber dann überraschend schnell wieder fallen läßt – die eigentliche Wahrheit des Dramas, während der Tragödie die Objektivität und der Komödie die Subjektivität als jeweils zentrale Kategorien zugeordnet werden. In den folgenden drei Kapiteln diskutiert Roche die einzelnen Gattungen Tragödie, Komödie und Versöhnungsdrama. In der Analyse der Tragödie führt

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Roche vier Unterkategorien ein: eine thetische, zwei antithetische und eine synthetische. So analysiert er zunächst die Tragödie des Selbstopfers (‚Tragedy of Selfsacrifice‘), in der der Held Gutes tut, in dem vollen Bewußtsein, daß er dafür leiden, womöglich gar sterben muß. Es folgen die beiden antithetischen Untergattungen der Tragödie des Eigensinns (‚Tragedy of Stubbornness‘) und der Tragödie des Gegensatzes (‚Tragedy of Opposition‘). Während in der Tragödie des Eigensinns die Hauptfigur nur über sekundäre Tugenden verfügt (z.B. besondere Ausdauer in der Verfolgung eines Ziels), so entspricht die Tragödie des Gegensatzes der Hegelschen Definition des Tragischen: Es gibt eine Kollision zwischen zwei moralischen Werten, die beide gerechtfertigt sind, die jedoch vereinzelt absolut gesetzt werden – beide werden nicht als Momente einer spekulativen Einheit erkannt, sondern unversöhnlich gegeneinander gestellt. Während Hegel mit der Darstellung dieses Konflikts, der ihm zufolge mit dem Tod des Individuums endet, zufrieden ist, argumentiert Roche, daß erst die Tragödie des Bewußtseins (‚Tragedy of Awareness‘) den Höhepunkt der Tragödie bildet. Nicht nur im Kopfe des Zuschauers soll die Kollision der Werte erkannt werden, die Hauptfigur selbst soll sich beider Seiten dieses Konflikts bewußt sein und nicht nur auf die eigene Position reflektieren. Das bei Hegel nur Implizite, nur für den Zuschauer Erkennbare soll nach Roche auch auf der Bühne explizit gemacht werden, soll ein Teil der Reflexion des Helden sein. Für die dialektische Entwicklung innerhalb der Gattung der Tragödie ist für Roche nämlich die allmähliche Steigerung des Bewußtseins bzw. der Erkenntnis des Helden zentral. Während Roche überzeugend argumentiert, daß die Tragödie des Gegensatzes die beiden vorherigen Untergattungen aufhebt, so bleibt die Frage, ob es wirklich nötig ist, daß die Hauptperson selbst diesen Konflikt begreift. Zwar wäre damit der Übergang zur subjektiven Form der Komödie fließender, allerdings wird dadurch möglicherweise der Konflikt entschärft: Wenn die Hauptperson einen gleichsam spekulativen Standpunkt einnimmt, ist nicht mehr ersichtlich, warum eine Versöhnung ausbleibt. Warum sollte der Held nach dieser Einsicht weiter einseitig sein Gut auf Kosten der Gegenpartei verfolgen? Neben diesen Tragödienformen diskutiert Roche noch das Leidensdrama (‚Drama of Suffering‘), in dem zwar ein großes Leid dargestellt wird, das allerdings in keiner Beziehung zur moralischen Größe der Hauptperson steht – ja häufig verfügt die Hauptperson nicht einmal über eigentliche moralische Größe. Damit fehlt die eigentlich tragische Dimension des Konfliktes. Bei der Komödie unterscheidet Roche zwischen der Komödie der Koinzidenz (‚Comedy of Coincidence‘) als These; der Komödie der Reduktion (‚Comedy of Reduction‘), der Komödie der Negation (‚Comedy of Negation‘) und der Komödie des Sich-Zurückziehens (‚Comedy of Withdrawal‘) als drei antithetischen Kategorien und schließlich der Komödie der Intersubjektivität (‚Comedy of Intersubjectivity‘) als Synthese. Hier weicht Roche beachtlich von Hegel ab, sowohl in der Ausführlichkeit der Darstellung als auch in der spekulativen Bewertung. So ist für Hegel die Komödie des Zufalls die Synthese, die bei Ro-

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che den Ausgangspunkt bildet. Dies hat sicherlich mit der Vernachlässigung der Intersubjektivität bei Hegel zu tun. Da für Hegel die Intersubjektivität nicht die höchste Kategorie ist, ist innerhalb der Synthese der Komödie somit die Harmonie nur eine zufällige, wohingegen Verf. die allmählich steigende Bedeutung der Intersubjektivität in den Untergattungen der Komödie hervorhebt. Eine zufällige Harmonie erscheint ihm daher als These, während nur in der Komödie der Intersubjektivität diese Harmonie wirklich verdient ist. Daß wir in der Behandlung der Komödie fünf Unterkategorien haben, begründet Roche mit der These, daß innerhalb der Antithese (‚Komödie‘) Pluralität vorherrschend sei. In der Komödie der Koinzidenz spielt das Subjekt nur eine untergeordnete Rolle gegenüber dem Zufall, der Natur, magischen Geistern oder der Umwelt im Allgemeinen. In der Komödie der Reduktion versucht ein Held ein hohes Gut zu erreichen, aber seine Mittel sind kläglich. Don Quichote, obgleich ein Romanheld, ist wohl das Musterbeispiel der Komödie der Reduktion. In der Komödie der Negation hat die Hauptperson ein falsches Ziel, das sie darüber hinaus auch nicht erreicht. Die Komödie des Sich-Zurückziehens ist der Tragödie am nächsten: Der Held hat ein gültiges Ziel, erreicht es aber nicht, weil die verdorbene Umgebung es nicht zuläßt. Also zieht er sich aus der Gesellschaft zurück. In der synthetischen Form der Komödie der Intersubjektivität schließlich beginnt die Hauptperson als instabile Persönlichkeit mit falschen oder unklaren Zielen, wird aber durch die Vorfälle des Stücks gleichsam geläutert und erreicht am Schluß die Harmonie, die auch in der thetischen Form zu finden ist – hier aber ist sie verdient. Neben diesen Formen untersucht Roche die Komödie der absoluten Ironie (‚Comedy of Absolute Irony‘), die insbesondere in der jüngeren Geschichte des Dramas unter dem Namen des absurden Theaters eine große Rolle spielt. In dieser Form der Komödie wird alles ironisiert, und es gibt keine Normen mehr, auch keine negative Beziehung zu ihnen. Am ehesten läßt sich diese Form des Theaters nach Roche mit Hegels Konzeption der romantischen Ironie in Verbindung bringen. Darüber hinaus kann man die Komödie der absoluten Ironie auch als eine Weiterführung der Komödie der Negation auf einer Metaebene begreifen: Der Autor versucht ein Stück über Nichts zu schreiben. Die Dramen aus diesem Bereich sind für verschiedene Interpretationen offen und lassen sich nach Roche je nach Lesart verschiedenen Untergattungen der Komödie oder der Tragödie zuordnen. Als konsequente Beispiele der Komödie der absoluten Ironie betrachtet sind diese Stükke, so Verf., selbstaufhebend: Da in ihnen alles ironisiert wird, wird zugleich auch das Stück selbst ironisiert, und durch diesen infiniten Ironisierungsregreß verschwindet die Möglichkeit einer inhaltlichen ‚Botschaft‘ des Stücks. Das Versöhnungsdrama ist die Synthese der Haupttrias und behandelt einen schwerwiegenden moralischen Konflikt, der gleichwohl intersubjektiv gelöst wird. Obwohl diese Form des Dramas für Roche die Höchste ist, sind seine Ausführungen zu den Untergattungen vergleichsweise kurz und haben nicht die gleiche systematische Kraft wie die Unterteilungen von Tragödie und Ko-

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mödie. Das Melodrama (‚Melodrama‘) ist gleichsam die Hollywoodvariante des Versöhnungsdramas. Ein einfacher Schwarz-Weiß-Konflikt wird von einem Helden auf Kosten der Bösewichte gelöst, das Gute siegt, ohne daß eine Versöhnung mit der Gegenpartei erreicht wird. Die Antithese hierzu ist das Problemstück (‚Problemplay‘), in dem ein Konflikt zwar gelöst wird, aber um einen sehr hohen Preis, der das Happy-End fragwürdig erscheinen läßt. Die Synthese ist das Versöhnungsdrama (im engeren Sinne, so muß man wohl hinzufügen); hier wird der Konflikt einvernehmlich gelöst. Zugleich sind die beiden konkurrierenden Seiten nicht einfach schwarzweiß gezeichnet wie im Melodrama, wo das Böse vernichtet, aber nicht integriert oder gar versöhnt werden kann. Die interessante Frage, wie einvernehmlich die Lösung sein muß, damit ein Stück die Bezeichnung ‚Versöhnungsdrama‘ verdient, wird vom Verf. nicht näher diskutiert, und es ist insgesamt bedauerlich, daß gerade bei dieser höchsten Form des Dramas viele Fragen offen bleiben. Welche Rolle spielt die Intersubjektivität im Versöhnungsdrama – ist nur Nathan der Weise oder auch Faust, in dem die Versöhnung nicht in gleichem Maße intersubjektiv geschieht, ein Versöhnungsdrama? Inwieweit muß eine Integration des Bösen stattfinden – ist Wilhelm Tell ein Melodrama oder ein Versöhnungsdrama? Die nähere Ausarbeitung einer Theorie des Versöhnungsdramas ist sicherlich eine lohnenswerte, noch ausstehende Aufgabe, die diese und andere Fragen viel gründlicher thematisieren müßte als Roche dies tut. Nach der Darstellung der einzelnen Genres folgen zwei weitere Kapitel, in denen Verf. die dialektische Entwicklung der Kategorien analysiert und die Frage nach der Tragödie und der Komödie in der Gegenwart diskutiert. Während für die Haupttrias Tragödie-Komödie-Versöhnungsdrama die Abfolge ObjektivitätSubjektivität-Intersubjektivität zentral ist, versucht Roche auch innerhalb der einzelnen Gattungen die jeweiligen Untergattungen dialektisch zu entwickeln. Interessant sind hierbei die Parallelen, die Roche zwischen verschiedenen Unterkategorien aufzeigt, etwa zwischen der ‚Tragödie des Selbstopfers‘ und der ‚Komödie der Koinzidenz‘, aber auch zwischen dem ‚Leidensdrama‘ und der ‚Komödie der absoluten Ironie‘. Auffällig bleibt, daß die Synthese der Haupttrias, das Versöhnungsdrama, in diesem Kapitel so gut wie überhaupt nicht vorkommt, ja beinahe entsteht der Eindruck, daß der Unterschied zwischen der Komödie der Intersubjektivität (als Synthese innerhalb der Komödie) und dem Versöhnungsdrama, das in diesem Kapitel nur noch in parenthetischen Anhängseln erwähnt wird, aufgegeben wird. Es scheint, als ob der Vorwurf, den Roche Hegel gegenüber äußert, auch gegen ihn selbst erhoben werden kann – sowohl in der Darstellung der Gattungen des Dramas als auch in der Diskussion der dialektischen Entwicklung kommt das Versöhnungsdrama viel zu kurz. Dies hat sicherlich seinen Grund darin, daß es Roche in seinem Buch primär um die Komödie geht. Für die Gegenwart konstatiert Roche dann auch nicht zu Unrecht, daß wir in Zeiten der Komödie und nicht der Tragödie leben – und auch nicht in Zeiten des Versöhnungsdramas, wie man geneigt ist hinzuzufügen. Präzise analysiert

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er das philosophische Weltbild, das der Tragödie zugrunde liegt und untersucht die Ursachen für das heutige Mißtrauen gegenüber diesen Grundannahmen. Da die Tragödie Vertrauen in absolute Werte und die Bereitschaft, für diese sein Leben zu opfern, ebenso voraussetzt wie die Wertschätzung von Primär- und Sekundärtugenden, kann es in einer Zeit wie der unseren, die den Glauben an überzeitliche Werte und Tugenden weitgehend verloren hat, keine Tragödie geben, sondern höchstens ein Leidensdrama. Die Komödie, das Genre der Endlichkeit und der Subjektivität, ist daher die wichtigste Gattung unserer Zeit: „I would suggest that our literary works have become increasingly conscious of the social, rhetorical, and psychological conditions that cause suffering, but at the price of transforming all heroes into victims, and that comedy may be the most promising genre for an age immersed in the finite, an age like ours that refuses to recognize any absolutes.“ (301 f.) Verf. warnt vor den Gefahren des Relativismus unserer Zeit, der nach seiner Ansicht letztlich in einen Machtpositivismus umschlagen muß. Ähnlich wie der Relativismus auf sich selbst angewendet sich in seinem Geltungsanspruch relativieren und damit letztlich aufheben muß, kann nach Roche die Komödie als Negation der Negation zu der Synthese überleiten. Daher ist für ihn diejenige Variante der Komödie höher zu bewerten, die nicht konkrete Endlichkeit negiert, sondern die das Endliche als solches negiert. Nicht konkretes Leiden, sondern das Leiden an der vermeintlichen Sinnlosigkeit der Welt bei einer gleichzeitigen Überbewertung der eigenen Partikularität sollte in der Komödie nach Roche ironisiert werden. Dem Verf. scheint hier ein Komödientypus nach der Art der Filme von Woody Allen vorzuschweben. Das Buch schließt mit einem Nachwort, in dem Roche zu weiterer Arbeit auffordert und Anregungen für weitere Fragen, etwa nach der historischen Entwicklung einzelner Untergattungen oder der Anwendung der Kategorien nicht nur auf die Kunst, sondern auch auf die Wirklichkeit, skizziert. In einem Anhang ordnet Roche zahlreiche Beispiele aus der Literatur- und Filmgeschichte seinen Definitionen der einzelnen Formen der Tragödie, der Komödie und des Versöhnungsdramas zu. Die Stärke von Tragedy and Comedy liegt sicherlich in der differenzierten Ausgliederung und Erweiterung des Hegelschen Ansatzes, insbesondere in der fundierten und reichen Analyse der Komödie. Die Untergliederungen der Haupttrias sind treffend und erlauben somit nicht nur eine viel detailliertere Analyse von Dramen, sondern auch ein tieferes Verständnis von Tragik, Komik und Versöhnung an sich. Von daher ist es nur konsequent, wenn sich Roche bei der Fülle von Beispielen nicht nur auf Dramen, sondern auch auf Romane und Filme bezieht. Überhaupt ist es eine weitere Stärke des Buchs, daß Roche sich nicht mit einer theoretischen Entwicklung der Kategorien begnügt, sondern in oft erhellenden Analysen konkreter Beispiele ihre Fruchtbarkeit und Tragweite zeigt. So interpretiert Verf. ausführlich Don Carlos (Schiller), The Mission (Bolt/Joffe), Der Schwierige (Hofmannsthal) und I confess (Hitchcock).

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Allerdings bleibt auffällig, daß es Roche nicht gelingt, die Tragödie des Leidens, die Komödie der absoluten Ironie und die Tragikomödie in die dialektische Entwicklung zu integrieren. Sowohl in der Entwicklung seiner Typologie als auch in der anschließenden Reflexion auf die dialektischen Beziehungen bleiben diese Formen unbehandelt. Zwar mag etwa die Unterscheidung zwischen einer echten Tragödie und dem bloßen Leidensdrama sehr wichtig sein, aber daß die meisten modernen Stücke in Kategorien fallen, die nicht mit der dialektischen Entwicklung erfaßt werden können, wirft unwillkürlich die Frage auf, ob hier nicht die Grenzen eines Hegelschen Ansatzes liegen. Die Kategorien zur Analyse gerade der modernsten Dramen werden außerhalb der deduktiv-dialektischen Bewegung entwickelt. Freilich mag man auf diesen Vorwurf erwidern: Wenn die (spät)modernen Werke nicht zur Dramentheorie passen, um so schlimmer für die Werke. In diesem Sinne bemerkt Roche zu der Frage der Aktualität einer hegelianischen Dramentheorie: „The question, whether one is up-to-date if one analyzes tragedy and comedy from a Hegelian perspective, must be answered negatively if by up-todate one means according to the newest trends; but the question can be answered affirmatively if by up-to-date one means dealing with current issues in an objective and justified manner.“ (41) Andreas Spahn (Bochum)

Changyang Fan: Sittlichkeit und Tragik. Zu Hegels Antigone-Deutung. Bonn: Bouvier 1998. 168 S. (Neuzeit und Gegenwart 13) Although Sittlichkeit und Tragik has been published in 1998, it is the result of a dissertation discussed at the Ruhr-Universität Bochum during the years 1990–1991. The book focuses on the debated interpretation of Hegel’s Antigone in the Phenomenology of Spirit and, as the author explains, intends to avoid the common philological objection which reproves Hegel for not having followed analytically Sophocle’s text. As a matter of fact, the most relevant argument of Changyang’s book seems to be the assumption that this tragedy’s interpretation inspired the comprehension of the historical world and that of over-historical collisions (such as the ones between universal and singular, state and family), as well. Especially in Antigone’s tragedy Hegel seemed to find the presence of a structural and historically determined transformation, one which involved social relationships between men and woman which, especially in Hegel’s time, were deeply transforming. Hegel’s lecture should thus be considered as a paradigmatically hermeneutical one (in Gadamer’s sense). On a metaphysical point of view, Changyang thinks that the background of a “lecture” which aimed to understand ethicity and Weltgeschichte through the work of art, could be a pan-tragical conception of the world, as Hegel may have developed it with Hölderlin during his early years. These two

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elements, metaphysical and historical-critical meaning, are not always brought to a dialectical harmony by the author. Still, Changyang’s study remains the most complete and well documented recognition of Hegel’s concept of tragedy in its historical and systematical development. In fact, the main thesis of the book is that, what Hegel has drawn from the interpretation of this work is not only the understanding of a historical world, but also a full comprehension of extra historical collisions as those of universal and particular, State and family. In Antigone’s role, in particular, Hegel has seized the presence of a structural transformation of fundamental social relationships historically determined, as the ones between man and woman are. In the first chapter the author historically reconstructs the interpretation of tragedy and its relationship to Sittlichkeit in Goethe’s Zeit. On Changyang’s mind, the attempt at defining the art’s function in a problematical context of “der geschichtlichen Realisierung der Aufklärung” (35) provides a fundamental basis for the connection of classical tragedy and Sittlichkeit. Changyang’s interpretation tends to slight on the differences between various readings of tragegdy in Goethe’s Zeit. Goethe, Schiller, the Schlegel brothers, Solger, are all considered as “classical” ways of expressing an ethical-humanistic concept of drama as it was influenced by Kant and not very different indeed from Lessing’s illuministical conception, based on Aristotelian cathartic effect of the work on public. “In der Rezeption der griechischen Tragödie entdeckte man die Möglichkeit, die Humanitätsideale der Aufklärung, die Kantische Forderung der moralischen Autonomie ad oculos zu demonstrieren.” (35) Schelling’s lecture is considered though as a bit different from the others, it renews and emphasises contrast between freedom and necessity resolving it in an idealistical theory of identity. Instead, Hegel’s concept of tragedy definitely breaks with all traditional interpretations founded on a Kantian conception of the moral, which he was able to develop and exceed. The second chapter of Sittlichkeit und Tragik is meant to restore Hegel’s theory of tragic by following its historical birth since the gymnasium years. In Tübingen and Bern a kantian conception of morality still seems to condition Hegel’s interpretations. On the other hand, in Frankfurt a radical transformation of the Hegelian concept of tragedy occurs. Hegel is spurred by discussions with Hölderlin to consider the phenomenon tragedy not only in relation to Greek tragedy but also to modernity’s questions. What catches Hegel’s attention now, is to explain tragedy’s effects and historical actuality, more than finding models of kantian morality in single tragedy’s characters. “Als Ausgangspunkt wählt Hegel nicht mehr allein die Kollision von Individuum und Welt, die sich als Leiden des Individuums trotz der Moralität darstellt, sondern jene schicksalhafte Kollision, die der Konfrontation unterschiedlicher sittlicher Orientierungen entspringt.” (44) The author analyses this important transformation by describing the developmental context of Hegel’s political ideas during these years. They clearly point out contradictions between single persons, State and private property that Hegel certainly considered important. Changyang remarks how, on Schil-

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ler’s example, Hegel tended to abandon a kantian conception of the moral which he had developed in other writings. By addressing the question of the historical realisation of moral, Hegel criticises the opposition of law and instinct and thus the following separation of universal and particular. Law in its concreteness cannot be considered on the simple basis for an abstract principle, but should be analysed by comparing it to other laws or ethical principles that tend to contrast it. This could also sound like the solution of Hegel’s debt to Schiller. Hegel follows Schiller in his attempt to define and concretely realise historically an abstract Kantian concept of morality. Yet, in trying to deepen Schiller’s critique, Hegel leaves it behind by grasping the problem at a more general and concrete level, somehow a political one. His conception of tragic differs from Schiller’s one, still firm in a Kantian position due to its restriction to interior dimension and concentrating on the single person’s morality. The most important contradiction lays not in a supposed split of subject and the world. On Hegel’s point of view in fact, subjective contradiction refers back to a contradiction of the world. Thus, in Changyang’s mind, the authentic Hegelian concept of the tragic develops from a debate with Hölderlin, a really discussed debate and that is hard to prove by evidence. From a philological point of view Changyang’s considerations are supported by what Johannes Schulze says about Hölderlin having discussed with Hegel for years his project of a drama. The author states that the two gymnasium friends could have talked repeatedly about Hölderlin’s draft and reflections on Empedocle’s, dealing with problems of common interest such as those of the tragic, guilt and destiny. On the other hand, Changyang, who sometimes seems to forget the historical precedent of Schelling’s Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus, upholds that, in spite of its fragmentary nature, Hölderlin’s conception should be considered as an important turning-point in the interpretative tradition of tragedy because it favours “metaphysischen und existenzialen Perspektive” (56) instead of focusing on tragedy’s effects. Finally Hölderlin would have considered the tragical process dialectically because of his emphasis of the conciliation of art and life, organic and inorganic as occurring in the final catastrophe. What we would like to notice is that, in Changyang’s interpretation, the common aspects of Hegel’s and Hölderlin’s concept of tragedy (relationships between tragedy’s interpretation and the political conditions of their age, metaphysical interpretation of tragic) run the risk of losing the differences among the two interpretations. Anyway, the author seems to be conscious of the problem when he asserts: “Im Rahmen seiner Religionskritik modifiziert Hegel schon in der Frankfurter Zeit seine Auffassung des Tragischen in einer Weise, die den Einfluß Hölderlins unverkennbar werden läßt.” (58) Hegel’s conception of fate as he had found it in classical tragedies constitutes a turning-point in his interpretation of religion. By analysing Jesus’ tragical fate as that of all beautiful souls, Hegel intends to reproach critical philosophy for all difficulties met in the attempt of conciliating the moral as-

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pect of the universal aspect with the historical situation, with life’s particular one. Changyang considers the tragical fate of Jesus as the universal destiny of all human nature, as a metaphysical fate of all universal trying to particularise. Thus, this interpretation seems to contradict with what he had said before about Hegel considering Jesus particular fate as unavoidable, as over determined by the historical destiny of his people. Anyway, the author seems to escape partially the occult risk of a contradiction between a historical and concrete interpretation of Hegel’s concept of tragic and the pan-tragic and metaphysical one, by treating the question of tragical guilt. After having greatly restored the historical genesis of this concept from Aristoteles to Lessing, Schelling, Hölderlin, he points at the historical comprehension of tragedy as the most important development from a metaphysical and existentialist interpretation of the tragic according to Hölderlin’s influence. Hegel had concluded his critical studies about religion by saying that questions concerning truth in religion could only be resolved considering its relationship to the character and customs of the people where it was born. That was the starting point for analysing connections between constitution, laws and ethical customs of people. Hegel had learned from Montesquieu and Herder that, because of the different ways of developing virtue in distinct nations and states, the existence of a universal and autonomous moral law is quite impossible. In his Frankfurt years he had also been stimulated to analyse the question of “life” for the opportunities its understanding gave in uniting morality and legality of positive law in the concept of Sittlichkeit. So Hegel, on Schelling’s traces could formally distinguish between Sittlichkeit and Moralität, thus arguing that rethinking the Aristotelian concept of ethos could deepen Schelling’s concept of ethicity by putting it in historical concrete form. The evolution of Hegel’s thought on the tragic appears in a systematical form in his Jena’s years, in particular in the System der Sittlichkeit which, in Changyang’s mind, constitutes the main development of the third and last part of hegelian system: the “philosophy of spirit”. In fact, the concept of spirit is meant by Hegel during these years as “absolute Sittlichkeit“. The single elements of the empirical treating of natural right find their unity in the concept of Sittlichkeit. “Diese Einheit ist dann nicht bloße Leerheit, sondern „ein Allgemeines und der reine Geist eines Volkes”, d.h. sie erscheint für Hegel als konkrete, lebendige Einheit.” (71) The notion of people embodying the living unity of universal and singular, led him to supersede both the formalism of Kantian practical philosophy and the empirism of traditional natural right’s. Spirit, embodied in people appears only in their political institutions. For Hegel, as already for Montesquieu, freedom’s realisation is possible only under specific social conditions, laws and institutions. The author considers particularly important the Naturrechtsaufsatz where Hegel tried to define Sittlichkeit on the basis of the tragic, from a structural and historical point of view. Hegel rethought here succession of historical ages in Weltgeschichte in terms of tragic conflicts and conciliations illustrated by the interpretation of Eschylus

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Oresteide and probably exemplified through Greek tragedy’s model the essential contradiction of modernity, that of bourgeois and citoyen. Now all these topics can be found in a systematic order in the Phenomenology of Spirit, a work whose main methodological principles Changyang tries to summarise. What we have to underline in this short reconstruction of phenomenological process and criterions is that the author’s interest is principally focused on the fact that „das Absolute nicht „vorkantische-dogmatisch” als Seiendes aufgefaßt, sondern nur als die Einheit von Substanz und Subjekt verstanden werden kann. Für die Phänomenologie wird diese Überlegung zum grundlegenden Gedanken und zugleich zum methodischen Prinzip.“ (89) This is how the absolute can be comprehended, not only as substance but also as thought’s self-determination through a historical movement and proves where a Spinozistic substance becomes conscious of itself as Spirit and transforms to self-consciousness. Changyang concentrates mostly in Hegel’s chapter about Geist. In this section, in fact, Spirit as ethical substantiality runs through subject and Absolute Spirit. But here, on the contrary of the later Rechtsphilosophie, the moment of ethicality is not yet to be considered as a fulfilling of the dialectical process but only as its first moment, where substance and subject, right and morality have not yet reached their concrete identity. In the intersubjective figure of “people’s spirit” Hegel can well “verschiedene Etappen der Welt thematisieren, die zugleich die Geschichte der Menschen auf spekulative Weise demostrieren.“ (90) In the Geist chapter, a work of art’s comprehension in general and that of tragedy in particular are brought back to the philosophical reflection on Weltgeschichte. Hegel can thus definitely develop his ‘reading’ of Antigone and tragedy. In order to explain relationships between a work of art’s interpretation and the phenomenological process, Changyang tries to illustrate conscience’s path in this stage of development. The important aspect of this recognition is the centrality of contradiction, collision between two substantial powers and their successive conciliation, which informs the whole chapter’s tragic structure. The author thinks that tragedy’s conception in the Phenomenology of Spirit is not so different from that of the later Lessons on Aesthetic. Although the last interpretations of the tragic have tried to affirm the superiority of Antigone’s point of view, of divine over human law, the author stands firmly resolved for the classical interpretation of an essential balance of both laws, the only interpretation that really seems to be coherent with Hegel’s text. “Nach dieser Deutung resultiert der tragische Untergang des einzelnen Individuums nicht bloß aus dem Bösen, aus individuellem Unrecht und Verbrechen oder einem Konflikt zwischen Recht und Unrecht, wie es viele moderne Dramen darstellen, sondern es geht um den unausweichlichen Konflikt zwischen zwei Welten, zwei grundlegend differierenden sittlichen Sphären.“ (97/98) In any case the collision that has been illustrated here is not only a collision between two opposite ethical powers but also “um die Kollision zwischen dem un-

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entzweiten Bewußtsein und der entzweiten Welt, oder um die Kollision zwischen der Pflicht des Einzelnen und der Wirklichkeit.“ (96) An individual’s action is based on his own character’s law while the law of Wirklichkeit is the necessary reflection of an ethical power on its opposite. A single person in fact, can act only according to one of these ethical powers, he cannot consider both because he is not able to keep the distance from particularity, from his natural immediacy, thus he is no able to suppress his own unilaterally. This unguilty guilt (unschuldige Schuld) is due to the substantial fact of the existence of social relations. (99) Changyang philologically critizises Hegel’s interpretation which seems to think toward a conciliation of Creon and Antigone at the end of the tragedy but he also notices the importance of this moment for Hegel’s practical philosophy and for the Phenomenology in general. Freedom is necessarily possible only in a nation’s social dimension, and this explains the importance of the moment of Anerkennung. So: “Durch Überwindung der beiden Seiten geht das Bewußtsein in seine anderen Gestalten über.“ (101) Modern tragedy, which in Changyang’s opinion is not so different from the Christian-medieval one, is also guided in Hegel’s ‘lecture’ by the interpretation of ancient tragedy. But the author seems here to lose sight of the essential historicity of Hegel’s conception of art, which is based on the subsumption that spirit has different sensible representations and indifferent historical ages, therefore their tragedies could not be the same. So Changyang interprets the important opposition of State and Church in Christian world on the basis of a simply formal analogy in the opposition of divine and human laws. The author funds this extrahistorical interpretation of ancient tragedy’s collision on its resemblance to Hölderlin’s point of view, which deliberately twisted the sense of ancient tragedy, in order to use it for the comprehension of the modern world. Changyang sustains in fact that the Hegelian interpretation of Antigone “nicht für das historisch Vergangene, sondern für die Gegenwart aktuell ist“. (112) So the author notices a fundamental parallelism between Hegel’s interpretation of Antigone and gender’s opposition in modern societies. Therefore, in order to maintain historical differences, he finishes by considering the collisions of Antigony and Creon as based on the modern opposition between man and woman. Only the last section of the book, analysing the theory of tragedy in the Berliner writings and lessons, underlines the important difference between ancient and modern tragedy as different historical representations. Changyang finds the main difference between the latter conception of tragedy and the former in the transformation of the concept of Sittlichkeit. To begin with Heidelberg’s Encyclopaedia, ethicity is always more conditioned by Hegel’s concept of freedom and subjectivity as important characteristics of modernity. Sittlichkeit becomes here the accomplishment of objective Spirit and the truth of subjective and objective Spirit. “Diese neue Konzeption ergänzt Hegels frühe Auffassung der Sittlichkkeit, die mit Vorstellungen von Aristoteles, Spinoza,

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Montesquieu etc. verbunden ist, und damit wird die Freiheitsidee durch ihre nähre Bestimmung als sowohl substantielles wie subjektives Phänomen umfassend bestimmt, nach den Möglichkeiten ihrer geschichtlichen Wirkung expliziert.“ (131) The effects of this new conception of ethicity on the Hegelian interpretation of tragedy are obvious in the Lectures of Aesthetics. Drama, whose most important part is constituted by tragedy, assumes here a fundamental role, so important as to be considered by Hegel to be the most complete and elevated form of art. Anyway, the important aspects of Hegel’s theory of tragedy remain the same. Changyang focuses principally on questions generally present in other works but better developed here. The critique of modern drama occupies the most relevant place, although in Hotho’s lessons its role appears secondary. This critique is due to the fact that modern drama is not still founded on Sittlichkeit but remains characterised by a new relevance assumed by a non substantial subjectivity founded on individual passions. “Das moderne Drama, bzw. die moderne Tragödie, konzentriert sich nach Hegel auf die Darstellung des individuellen Charakters, der subjektiven Neigung und des Gemüts.“ (138/139) This common tendency of all modern art is brought to extreme consequences by romanticism and its theory of irony. The author considers particularly Hegel’s critique to Shakespeare’s, Schiller’s and Goethe’s dramas, by referring principally to the manuscripts of the aesthetic lessons during the years 1820–21 till 1928–29. Changyang’s interpretation is quite the opposite of that of many other experts of the topic: He thinks that manuscripts prove a continuous and radical Hegel’s critique to Shakespeare’s dramas, not appearing either in the Phenomenology of Spirit, nor in Hotho’s edition. What Hegel reproaches to Shakespearean dramas is their passionate, not substantial nature, their formalism. Hamlet’s character could be considered as a forerunner of the romantical beautiful soul, a melancholical figure totally deprived of world and thus incapable of acting. Macbeth’s character appears as completely dominated by passions and unable of reflecting while King Lear seems to embody the pure evil of human nature, an aspect that in ancient tragedies was reasonably refuted because of its lack of likelihood due to its abstract schematismus. While in Shakespeare’s case Hegel has moved from a juvenile appreciation to a successive critique, Changyang thinks that in Schiller’s case, Hegel’s judgement was negative since his review of Wallenstein. To say it better, Schiller’s dramas were considered by Hegel as an example of the impossibility of modern drama to reach ancient tragedy’s spirit. The substantial interest of the classical tragedy, here, would be sacrificed at the representation of the attempt of one single person to become independent from the legal and ethical order of his own age. This attempt is destined to fail as the example of Karl Moor shows: “Aus Gründen der differenzierteren Bestimmtheit der modernen Welt, aus der Tatsache, daß die Bedingungen des Handelns durch Institutionen festgelegt sind, die dem individuellen Handeln vorausliegen und nicht mehr

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übersprungen werden können, macht Hegel deutlich, daß eine Wiederherstellung der Selbständigkeit der Heroenzeit für das neuzeitliche Leben unmöglich bleibt.“ (152) Therefore, in dramas such as Wallenstein more than a tragic confrontation of an individual with his proper fate, the result is the inevitable failure of a subjectivity that pretends to contrast a universal instance. “Diese Einseitigkeit und Mangelhaftigkeit der modernen Tragödie spiegelt den Charakter der romantischen Kunst wider, die eine Synthese von Idee und Realität, von Subjektivität und Objektivität in ihrer künsterlischen Darstellung nicht ermöglicht.“ (153) Even more critical appears Hegel’s judgement of Goethe’s dramas, especially the juvenile ones where romantic tendencies appear in all their weakness. So Götz von Berlichingen is condemned for his abstract opposition to the values of his proper time. In this case, Hotho’s attempt to reverse Hegel’s negative judgement by including it in another context arbitrarily named Rekonstruktion der individuellen Selbständigkeit, seems even more clear. Changyang concludes his book with a section dedicated at the attempt of proving that theory of tragedy should be considered as the basis of Hegel’s thesis about the ‘end of art’. A very interesting topic, in spite of a questionable attempt of making tragedy the main, or better the only, font for the concept of „Ende der Kunst“, and it probably deserved a bit more space than the single little page that Changyang has left for it. The author thinks that Hegel’s preference for the unexcelled model of Greek tragedy in front of modern drama, should not be considered as a turning back to Winckelmann’s classicism. The majesty of Greek tragedy is due to its capacity to mediate truth by representing oppositions produced in the substantial ethicity of the ancient world. Modern dramas errors do not depend on subjective errors of single writers but on the impossibility of a modern artist to show the ethical complexity of the modern world in a sensible way: “die Kunst habe in der modernen Welt die Fähigkeit einer Vermittlung der Sittlichkeit verloren, sie sei für uns „ihrer höchsten Möglichkeit nach“ etwas Vergangenes.“ (157) But a possible objection to Changyang’s thesis could be removed, he may have mistaken cause for effect. In other words, we could reasonably sustain the argument that not the interpretation of tragedy but the philosophical-historical thesis of the end of art, and its systematical meaning independent from the sphere of art, really explains Hegel’s preference for the ancient tragedy and his negative judgement of modern drama. Nathan Ross danke ich für die sprachliche Überarbeitung dieser Rezension. Renato Caputo (Bochum/Roma)

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Vizzardelli, Silvia: L’esitazione del senso. La musica nel pensiero di Hegel. Collana diretta da Gianni Carchia e Vittorio Stella. [Das Zögern des Sinnes. Die Musik in Hegels Denken. Herausgeber der Reihe Gianna Carchia und Vittorio Stella.] Roma: Bulzoni 2000. 266 S. (Estetica e Critica. 2.) Mit diesem Werk möchte die Autorin Hegels Befangenheit beim Umgang mit der musikalischen Ästhetik hervorheben. Das Buch unterteilt sich in fünf Kapitel mit der Absicht zu beweisen, daß Hegels Verbindung der zweiten romantischen Kunst mit der Dichtung – und deshalb mit dem dramatischen Text – keine systematische Nebeneinanderstellung bewirkt sowie keine einfache Kritik gegenüber dem Vertrauen in die reine Musik der Romantik ausüben möchte, sondern eher den Versuch unternimmt, die Notwendigkeit einer Vermeidung der „egoistischen Auswirkung“ (24) dieser Musik zu thematisieren. Wenn einerseits diese Musik als frei von jeder Bedeutung und jeder objektivierenden Vorstellung verstanden wird, kann man andererseits beweisen, daß sie selbst durch die Objektivität des Klangs irgendwie zugleich Nachahmung und Darbietung der Wirklichkeit sein muß. Das erste Kapitel (19–70) stellt eine geschichtliche Einführung in Hegels Denken dar. Durch Autoren wie Herder, Novalis und Wackenroder sollten Unzulänglichkeiten der Vorurteile über den gegensätzlichen Beziehungen zwischen romantischer und rationaler Ästhetik verdeutlicht werden. Erstere wurde immer in die Philosophie der Gefühle eingegliedert, letztere in die bloße formale und regelmäßige Struktur. Hegels Abstand von der Romantik tritt nicht in seinen Betrachtungen über die Beziehung Musik-Mathesis zutage, sondern eher in der Beharrlichkeit, womit er die Notwendigkeit einer objektiven Verbindung mit der Dichtung betont. Damit möchte Hegel die Gefahr der „Unsachlichkeit“ (70) vermeiden, welcher die romantische Auffassung der Kunst und besonders der Musik scheinbar entgegengeht. In diesem Punkt scheint er, anstatt seinen Zeitgenossen offen zu widerstehen, eine verbreitete Besorgnis zu teilen, wodurch er zu einem „extramusikalischen Ergebnis“ geführt wird (70), während andere innerhalb derselben Tonkunst nach einer Lösung fragen. Das zweite Kapitel (71–127) beginnt mit der Analyse des grundlegenden physischen Elements der Musik, des Tons, in Bezug auf Behauptungen der Hegelschen Ästhetik (in der Hotho-Ausgabe), welche dieses Element als „das Formelle der Musik“ erscheinen lassen, durch das sich die Seele in eine Einheit eingebunden fühlt, worin Äußerlichkeit (der Ton) und subjektive Innerlichkeit sich gegenseitig in Bewegung setzen. Gerade die Einzigkeit dieser Sachlage, kraft deren sich die Körperlichkeit des Tons beständig ins Geistige umformen würde, ist einer der problematischen Knotenpunkte der musikalischen Ästhetik Hegels, womit sich die Autorin beschäftigt. Das dritte Kapitel (129–185) thematisiert den Begriff der Zeit mit der Absicht, die Beziehung zwischen musikalischer, „innerer“ und natürlicher Zeit zu verstehen. Die mit Takt und Rhythmus versehene Zeit der Musik drückt einen

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Vergeistigungsvorgang der Natur aus, welcher aus der Gleichmäßigkeit und somit aus der möglichen Beherrschung der verschiedenartigen natürlichen Klangphänomene hervorgeht. Die Zeit – so Hegel in der Naturphilosophie – besteht aus einer zweifachen Verneinung der Räumlichkeit, womit eine identische Folge von Jetztpunkten produziert wird, welche regelmäßig in den nächstkommenden Jetztpunkt hineingleitet. Durch den Einsatz der Subjektivität ermöglicht aber die ästhetische Erfahrung die Überwindung der Dimension des bloßen Vergehens identischer Augenblicke durch das, was in der Musik als „Thema“ bezeichnet wird. Die vergeistigte Zeit der Musik erzeugt nicht mehr einfach identische Augenblicke, sondern eine Verkettung von Tönen verschiedener Länge in einem musikalischen Stück, was eben in der Zeit sein Medium findet. Die Einführung des Taktes als nicht naturabhängiges Element ist das erste Stadium der „Vermenschlichung“ (164) der Natur; eine weitere Stufe ihrer Subjektivierung erfolgt mit der Einführung des Rhythmus. Der Rhythmus ist das, was das Zeitmaß belebt, was ihm durch die Bewegung das Leben verleiht und es möglich macht, ein Thema über rhythmische Veränderung zu wechseln. Trotz dieser Überlegungen wird Hegel vor neueren Formen der Instrumentalmusik Mißbehagen empfinden. Obwohl die forma sonata der Wiener Schule von Haydn und Mozart außerordentlich frei von naturalistischen und formalistischen Voraussetzungen zu sein scheint, stellt die Instrumentalmusik bei Hegel immer wieder eine Kunstform dar, die leicht dem völligen Inhaltsverlust und der Zuhörerverwirrung verfallen kann. Hegel wird folglich nie in der Instrumentalmusik die Struktur seines dialektischen Denkens erkennen. Neueste Ansichten von Annemarie Gethmann-Siefert lassen für möglich erscheinen, daß Geschmacksurteile in der Hothoschen Ausgabe der Ästhetik vom persönlichen Beitrag des Herausgebers verdorben seien, insbesondere bezüglich des italienischen Gesangs und der Instrumentalmusik. Im vierten Kapitel (187–222) ist der Versuch unternommen zu zeigen, daß einige Urteile nicht der gesamten Gestaltung der Vorlesungen widersprechen, sondern eher einen unter vielen Knotenpunkten der Hegelschen Behandlung der Tonkunst darstellen. Wenn für Hegel die heilige Musik diejenige Form verkörpert, die besser als andere das Gleichgewicht zwischen dem melodischen subjektiven Beitrag und der objektiven Bestimmung des dichterischen Inhalts ausdrückt, so ist die Musik Rossinis zweifellos eine Kunst, die den Stuttgarter Denker begeistert und zu Überlegungen über die Ursache der absoluten Freiheit der Instrumentalmusik auffordert. Die Wesentlichkeit der musikalischen Bedeutung würde somit nicht rein im melodischen oder im dichterischen Pol liegen, sondern aus einem ausgewogenen Zusammentreffen dieser beiden durch einen geeigneten Musiktext erfolgen. Hegels schwankende Meinung erscheint hier sehr offensichtlich und entscheidend: Der ideale Text des musikalischen Werks soll die Eigenschaft der Einfachheit, der Tiefe und des Inhaltsreichtums besitzen, aber erst die Befreiung der Musik von ihrer Wortabhängigkeit ermöglicht ihre Erhebung zum

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technischen und formalen Höhepunkt, den jeder Ausführende anstrebt, indem er sich und auch seine Zuhörer jedoch dem Abgrund der unbestimmten Objektivitätslosigkeit aussetzt. Das fünfte Kapitel (223–248) stellt eine kleine Abhandlung über die Dichtung dar, die letzte der romantischen Künste. Ihr erteilt Hegel den Auftrag, die Idee zuerst in den Religionsbereich und nachher in die Philosophie zu leiten. Sie ist jene Kunstform, worin Hegel – wie bereits gesehen – dieselbe objektivierende Bindung der Musik anvisiert. Den Grundthesen von Frank Dietrich Wagner folgend behauptet die Autorin hier den Charakter der Totalität der dichterischen Kunst. Es handelt sich um eine Totalität, die unter drei Blickwinkeln zu verstehen ist: Totalität des Inhalts, da die Kunst frei von jeder Materialität ist; Totalität des Stils gegenüber den unterschiedlichen Kunstneigungen der verschiedenen Epochen, da die dichterische Kunst jeweils bei der symbolischen Kunst und bei der klassischen und romantischen Kunst vertreten ist; Totalität der Darstellungsweisen, da diese die Eigenschaften aller darstellenden Künste zusammenfaßt und sie zur gleichen Zeit überragt. Zu diesen drei Totalitätsformen schlägt die Autorin noch zusätzlich eine vierte vor: Totalität als „Transversalität“ (229), die aus dem „darstellenden“ Charakter der Dichtung entspringt, was diese an jede andere Kunstform annähert und somit laut Hegel zur universalen Kunst macht. Dichtung darf daher als eine Art „Metawert“ (229) aller Künste angenommen werden, selbstverständlich unter Ausnahme der selbständigen Musik, die – wie gesehen – zu subjektiv ist, um einen bestimmten Inhalt darstellen zu können. Das Buch ergänzt, sammelt und vervollständigt in einem gewissen Sinne die letzten Forschungen zur Hegelschen Musikästhetik. Es stellt einen hilfreichen status quaestionis zu diesem Thema dar, welches in der internationalen Hegelforschung wieder an Interesse gewonnen hat, besonders nach der Veröffentlichung einiger Nachschriften und Mitschriften, die heute eine genaue Gegenüberstellung mit der Hothoschen Ausgabe der Vorlesungen erlauben, der einzigen bisher zugänglichen Hilfe zum Verständnis der Hegelschen Kunstphilosophie. Die philologische Erörterung liegt jedoch nicht in erster Linie in den Absichten der Autorin: Die verschiedenen heute erhältlichen Nachschriften werden nur dort ausdrücklich zitiert, wo es darum geht, aus dem Vergleich mit der Hothoschen Ausgabe der Vorlesungen einige spezifischen Behauptungen Hegels zu erklären (siehe z.B. den Abschnitt des zweiten Kapitels, welcher der Gegenüberstellung von Musik und Baukunst gewidmet ist). Umfassend sind auch die Bezüge zur ästhetischen Debatte in der Zeit Hegels und vor Hegel, von Herder bis zu Schopenhauer. Gleichermaßen interessant ist die Darstellung einiger emblematischen kritischen Stellungnahmen innerhalb einer vielleicht vergangenen Auseinandersetzung, welche aber bis heute noch unumgänglich bleibt, wie etwa der von A. Nowak, E. Bloch und F. D. Wagner.

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Der Begriff der Zeit, ein sehr kontroverser Brennpunkt, der das Hegelsche System von der Naturphilosophie bis zum Reich des absoluten Geistes durchläuft, ist zweifellos ein wichtiger Wegweiser durch die ganze Problemlage der Musik. In dem umfangreichen Literaturnachweis über natürliche und geistige Zeit bei Hegel diskutiert Verf. diejenigen Studien, die das Verhältnis dieser beiden Zeitformen im Musikbereich durchforschen. Ihr Ergebnis liegt darin, im Takt und Rhythmus eine Art geistige Zeit zu begreifen, die also aus der ungleichen Dimension des Natürlichen entrissen ist. Wahrscheinlich hätte ein längerer Aufenthalt beim Übergang von der natürlichen Zeit zur geschichtlichen Zeit – und somit zum geistigen Bereich – weit über das Ziel dieser Forschung hinausgeführt und trotzdem einen bevorzugten Einblick in das zweideutige Wesen der musikalischen Zeit angeboten. Die natürliche Zeit, bestehend aus je identischen Jetztpunkten, lebt in einer vorbewußten und unvordenklichen Dimension der einfachen Vergänglichkeit der Gegenwart. Die geistige Zeit andererseits birgt in sich das Gedächtnis, die Sprache, Geschichte also. Im Reich des Geistes sind die Seienden nicht mehr einfach an eine unmittelbar verschwindende Sinnlichkeit gebunden, sondern eher an ein bewußtes Fließen, worin einzelne Augenblicke einen Namen bekommen, der, wie Hegel selbst in den Jenaer Systementwürfen behauptet, „die allgemeine mitteilende Existenz hat“. Von diesem Standpunkt aus gesehen scheint die vergeistigende Entwicklung der Zeit in der Musik nicht nur im Takt und Rhythmus zu bestehen. Das Tonspiel des Künstlers, der sich im italienischen Belcanto und in der Instrumentalmusik übt, besteht aus einem Angleichen, einem Überwinden der Zeit durch das eigene Sagensbedürfnis. Die Rhythmik der Jetztpunkte hört doch nicht auf, den je selben „Tonverlauf“ zu verbrauchen, verliert nicht ihre vernichtende Kraft gegenüber jeder Art Endlichkeit, dennoch wird sie vom Künstler gebändigt. Diesem gelingt es, die Jetztzeit bis zur spontanen Atmung der eigenen Gefühle zu erweitern oder sie ihr anzupassen. In diesem Sinne bildet der Takt noch eine Verbindung der Musik zum Natürlichen. Das Subjekt nimmt seine Forderung an und läßt sich in den Zeitfluß herab, worin sich die Natur selbst bewegt. In der Interpretation läßt sich dagegen das musikalische Element anerkennen, das mehr der geschichtlichen Zeit ähnlich ist. Wie in der Geschichte der Geist durch das fortschreitende Übergehen die menschlichen Geschehnisse beherrscht in einer Art Unruhe, die zur Befreiung von der Endlichkeit bewegt, so wird die Zeit der Interpretation zur Zeit des Subjekts, welches im Ton die günstige Gelegenheit hat, seinen eigenen Schmerz auszudrücken, da hier der quantitative und numerische Rhythmus der Natur keinen Wert mehr besitzt. Stefano Frighetto (Padua)

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Jens Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung. Bonn: Bouvier 1999. 512 S. (Hegel-Studien. Beiheft 40) Ein seinerzeit herrschendes Bild der Verhältnisse unter den klassischen deutschen Philosophen, in welchem sich die der Hauptfiguren des antiken Denkens widerspiegeln, hat bereits Ludwig Feuerbach in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu korrigieren versucht. „Hegel ist nicht der ‚deutsche oder christliche Aristoteles‘“, so Feuerbach in § 29 seiner Grundsätze der Philosophie der Zukunft, „er ist der deutsche Proklus. Die ‚absolute Philosophie‘ ist die wiedergeborene alexandrinische Philosophie.“ Daß in Immanuel Kant ein Sokrates oder vielleicht auch ein Aristoteles wieder das Licht der Welt erblickt, in Johann Gottfried Herder, Friedrich Heinrich Jacobi oder Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ein Platon, im letzteren sogar ein Plotin, darin waren sich die einen oder anderen einig – aber welcher antike Philosoph sollte denn in Hegel wieder auferstanden sein? Victor Cousin etwa hat Schelling und Hegel den zweiten Teil des von ihm edierten Parmenides-Kommentars des Proklos als den „unius Parmenidei et Platonici Restitutoribus“ gewidmet. In dieser vorbildlichen Studie zu den philosophiehistorischen und systematischen Grundlagen der absoluten Philosophie Hegels will Jens Halfwassen die ihrerseits kritisch gemeinte Feuerbachsche These, Hegel sei der deutsche Proklos, im positiven Sinne belegen, indem er Hegels Auseinandersetzung mit dem spätantiken Neuplatonismus unter entwicklungsgeschichtlicher sowie methodischer Perspektive untersucht und dessen konstitutive Rolle bei der Konzeption der eigenen spekulativen Metaphysik definiert. Dabei folgt Halfwassen einer in den letzten 40 Jahren etablierten Richtung in der Forschung zur klassischen deutschen Philosophie, die mit Bezug auf Hegel besonders von Hans-Georg Gadamer, Werner Beierwaltes und Klaus Düsing sowie von Giuseppe Duso, John N. Findlay, Stanley Rosen und JeanLouis Vieillard-Baron geprägt und für Schelling von Harald Holz und jüngst von Michael Franz realisiert worden ist, die aber schon im 19. Jahrhundert Heinrich von Stein durch seine Sieben Bücher zur Geschichte des Platonismus thematisch vorbereitet hat. Zugleich bemüht sich Halfwassen, nicht nur die originellen Leistungen Hegels als geniale Beiträge zur philosophischen Rehabilitation des Neuplatonismus zu würdigen, sondern sie auch gegen eine noch gängige Auslegung der Platonischen Tradition geltend zu machen, welche die schulmäßige Berufung des neuplatonischen Prinzipiendenkens sowohl auf die ungeschriebene Lehre als auch auf die Dialoge Platons für eine grundsätzliche Entstellung der ursprünglichen Platonischen Denkweise hält: so etwa bei Eugène N. Tigerstedt, der Hegel in eine verfehlte Tradition der esoterischen Platon-Deutung einreiht – dies aber auch letzten Endes unter einem abschließenden Vorbehalt gegen Hegel selbst, insofern Halfwassen die irreduzible Andersheit der das Sein an Vorrecht und Macht transzendierenden Idee des Guten bzw. des Einen – also des Platonischen sowie neuplatoni-

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schen Systemprinzips schlechthin – als eine Alternative zur uneingeschränkten, wenn auch vollkommen dialektisch konzipierten Selbstbezüglichkeit des absoluten Geistes bekräftigt. Am Anfang geht Halfwassen akribisch den sowohl direkten als auch indirekten Zugängen Hegels zur Platonischen Tradition nach, die sich schon in Tübingen nachweisen lassen und deren Folgenschwere für Hegels philosophische Weiterbildung kaum zu überschätzen ist. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vornehmlich die in Friedrich Heinrich Jacobis Briefen über die Lehre des Spinoza enthaltenen Auszüge aus Giordano Brunos De la causa, principio e uno, die ihrerseits auf die Enneaden Plotins und die Docta ignorantia des Nicolaus Cusanus zurückgehen, ferner Meister Eckharts Lehren der Gottesgeburt im Seelengrund sowie der Unerschaffenheit und Unerschaffbarkeit des Intellekts, die in Johann Lorenz von Mosheims einflußreichen Institutiones historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris als Theoreme der Beginenmystik wiedergegeben werden. Beschäftigt hat sich Hegel damals nicht nur mit diesem aus orthodoxer Sicht höchst brisanten Material, sondern auch mit Philon von Alexandria, Plutarch und – höchstwahrscheinlich – Eusebios von Caesarea: Seine Praeparatio Evangelica stellt ein Programm zur Harmonisierung des Christentums und des wesentlich theologisierenden Mittelplatonismus etwa eines Numenios dar, in dem die kosmogonisch fundamentale Dreiheit von Gott, Ideen und Materie als Wirk-, Form- und Stoffursache ausschlaggebend ist. (Den von Marsilio Ficino übersetzten Alkinoos dagegen scheint Hegel weniger berücksichtigt zu haben.) Die Tragweite dieses anspruchsvollen Programms für das metaphysische Denken Hegels hat Halfwassen nun als erster präzise und folgerichtig herausgearbeitet. Hegels Frankfurter Aufenthalt begreift Halfwassen dann unter der Ägide des ästhetischen Platonismus Hölderlins, der den zu jener Zeit vielseits verschmähten Enthusiasmus fruchtbar zu machen gewußt hat, und damit vor dem Hintergrund der Vereinigungsphilosophie, die sich an einer jeglicher Trennung vorausliegenden absoluten Einheit orientiert. Auch wenn die damalige philosophische Aufmerksamkeit Hegels dem religiösen Glauben gewidmet war, hat sich diese etwa im Fragment Geist des Christentums immerhin mit Blick auf die Logos- und Nous-Spekulationen des Johannesevangeliums oder aber die vorgeburtliche Ideenschau in Platons Phaedrus artikuliert. Beide Aspekte lassen auf Hegels grundlegendes Interesse an einer Vereinigung nicht nur von Mensch und Gott, sondern auch von Glauben und Erkennen schließen, deren Verwirklichung aber noch konzeptuell ausbleibt. Nun finden sich eingehende Auseinandersetzungen mit beiden Texten bei den christlichen Platonikern, darunter Origenes, Basilius von Caesarea, Eusebios, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa. Was besonders fasziniert an einer Passage wie etwa Ioh. 4,24: „”‰î Ÿ™9• š›™ž” —™:—Ÿ‰• ‰;Ÿ2— Þ— š—•©–‰Ÿ“ […] Œ•ï š›™ž” —•ï—“ („und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist […] anbeten“), ist die behauptete Identität zwischen der Natur des Angebeteten, Gottes, der Geist ist, und dem Befinden des Anbetenden, insofern dieser in demselben ist.

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Ebendiesen Gedanken drückt Hegel folgendermaßen aus: „Der Glaube an das Göttliche stammt […] aus der Göttlichkeit der eigenen Natur; nur die Modifikation der Gottheit kann sie erkennen“. (TWA: 1.381–382.) Auch wenn Hegel orientalisches š—•:–‰ und Platonischen —™:• bisweilen etwas euphorisch ineins zu denken vermag, kann er seine Ansichten über die Wesensgleichheit des menschlichen und des göttlichen Geistes in einem mittelplatonischen Denker wie Numenios leicht bestätigt finden. Denn in dessen als 14. Fragment (bei Eusebios, Praeparatio evangelica XI) erhaltenem Text wird dieselbe Identität durch das eindeutige, von Hegel immer wieder aufgegriffene Motiv des nicht-abnehmenden Lichts dargelegt, das seinerseits auf Platons Siebten Brief (341c5–d2) zurückgeht, in dem behauptet wird, die Inhalte der eigenen Philosophie vermittelten sich „plötzlich, wie ein Licht, das von einem springenden Feuer entzündet worden ist, das in der Seele sofort sich selbst nährt“. Ob unter Einbeziehung von neuplatonisch bedingten Vorstellungen einer negativen Theologie oder ähnlich kolorierten christlichen Konzeptionen einer in sich trinitarisch differenzierten göttlichen Natur – Hegel denkt, wie Halfwassen überzeugend zeigt, zunehmend und unaufhaltsam im Sinne der Selbstvermittlung ursprünglicher Einheit, an welcher der Mensch wesentlich teilhat. Der Abschluß der frühen Denkentwicklung Hegels sowie der Aufbruch in die eigentümliche spekulative Reife finden allerdings in Jena statt. Hier bildet sich das „entscheidende, über den Frühidealismus hinaustreibende Motiv“, so stellt Halfwassen fest, der Gedanke „des wahrhaft Unendlichen, den Hegel unter dem Einfluß von Brunos Unendlichkeitsbegriff und der mittelplatonischen Konzeption des über seine Prinzipiate übergreifenden Einen ausbildet und in seinen Konsequenzen zunehmend deutlicher faßt“. (78 f.) Zwei Momente in Hegels Aneignung der Platonischen Enthusiasmus-Lehre sowie Logos- und Nous-Spekulationen kristallisieren sich in der Jenaer Zeit heraus. Das erste besteht in der Grundlegung der spekulativen Dialektik als einer systematischen Methode zur vollständigen Vernunfterkenntnis des Absoluten: Richtungweisend für Hegel in dieser Hinsicht ist wohl Platons Parmenides gewesen, dessen Auslegung des Einen im Zusammenspiel mit den Vielen Hegels Konzeption einer negativen Dialektik und des vollkommenen Skeptizismus als einer Einleitung in die Metaphysik beeinflußt, und zwar gegen Dietrich Tiedemanns Platon-Deutung. Daran schließt sich das zweite Moment in Hegels Rezeption und Transformation der Platonischen Tradition an: die programmatische Einheit von Logik, Ontologie und Theologie, die in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes in Form des Neuplatonismus als deren historisches Vorbild angesprochen wird. Es ist nun die spätantike Auffassung des Parmenides als einer absoluten Metaphysik, welche „die wahre Enthüllung und den positiven Ausdruck des göttlichen Lebens“ (GW 9. 48) für sich reklamiert, also eine dialektisch fundierte Erkenntnis eben der Selbstbewegung des Geistes zum absoluten Wissen hin, die Hegel in seiner Logik des erscheinenden Geistes nach seiner Art artikulieren will.

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Ein produktives Denken des bereits Gedachten wird nur dadurch gesichert, daß dieses Verhältnis stets ein kritisches bleibt; und so hat Hegel auch über die Philosophiegeschichte geschichtsbewußt philosophiert. Im zweiten Kapitel der Arbeit erläutert Halfwassen die Bedeutung des Neuplatonismus als Vollendung der antiken Philosophie, wie Hegel sie in seinen Berliner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie konzipiert. Hier geht es um den inneren Zusammenhang von Neuplatonismus und Christentum im Hinblick auf Hegels Abgrenzung der antiken Theorie der Idee gegen die moderne Theorie des Geistes. Dieser Zusammenhang besteht nach Halfwassen zu Recht in der gemeinsamen „Einsicht in das in sich konkrete Wesen Gottes als Geist, und d.h. für Hegel: als sich trinitarisch auf sich selbst beziehendes Denken“ (127) – einer gemeinsamen Einsicht allerdings, die mit erheblichen Differenzierungen in Hegels Auffassung der Idee als unendlicher Subjektivität verbunden ist, insofern zusammen mit der Menschwerdung Gottes die Geschichtlichkeit des Absoluten gedacht wird. Es ist insofern kein Zufall, daß Hegel die Nous-Lehre, und nicht die Lehre des seinstranszendenten Einen, die Henologie, als die Grundform des Neuplatonismus betrachtet und am neuplatonischen Geist-Begriff einen vierfachen Mangel: Geschichtslosigkeit, Prinzipienlosigkeit, Unfreiheit, unvermittelte Unmittelbarkeit, konstatiert. Indem Halfwassen diese Kritik Hegels fixiert, steckt er zugleich den Rahmen seines eigenen, stets kritischen Umgangs mit Hegel ab. Auf gebührende Weise setzt Halfwassen Hegels Verteidigung des Neuplatonismus gegen den philosophiehistorischen Vorwurf des Eklektizismus fort, der etwa von Jacob Brucker erhoben wird – eine in systematischer Hinsicht schwerwiegende Unterstellung fundamental heterogener Theorieelemente, welche u.a. die radikale Trennung der Philosophie Platons von der Platonischen Tradition impliziert. Dagegen schildert Halfwassen eindrucksvoll die Vorbereitung des Neuplatonismus bei Platon und den Pythagoreern, wie Hegel sie interpretiert, unter besonderer Berücksichtigung der Platonischen Zahlen- und Prinzipienlehren, die nicht nur durch Aristoteles und Sextus Empiricus überliefert worden, sondern auch in den Dialogen Parmenides, Philebus und Timaeus zu finden sind. Fazit dieser sorgfältigen Darlegung: „Hegel anerkennt – gegen seine eigene Konstruktion der Philosophiegeschichte – in dieser vermeintlich pythagoreischen Prinzipienlehre die erste und ursprüngliche Erkenntnis der absoluten Idee, die ihrer weiteren Entfaltung bei Aristoteles und im Neuplatonismus geschichtlich und sachlich zugrunde liegt“. (196) Spätestens bei Halfwassens Betrachtung der Monas (Einheit) und Dyas (Zweiheit) wird seine intensive, aber bewußt reflektierte Anknüpfung an die Platon-Interpretationen Konrad Gaisers und Hans Joachim Krämers unübersehbar. Zwar wird in der Forschung immer noch gestritten, ob der Platonismus durch eine Axiomatik, die für eine mathematische Ableitung der gesamten Wirklichkeit die Grundlage bildet, oder durch ein zetetisches Gespräch, das seine Inhalte erst dialogisch-dialektisch gewinnt, besser repräsentiert wird. Doch ist dies für Halfwassens Argumentation insofern ir-

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relevant, als nicht behauptet wird, Hegel gebe die eigentliche Philosophie Platons anstandslos wieder, auch wenn er die Interpretationsrichtung späterer Forscher im wesentlichen vorweggenommen hat; Halfwassen weiß genau zu differenzieren. Gerade in der schon aus philologischen Gründen schwierigen Passage des Timaeus (34b10–35b6) über die Zusammensetzung der als Prinzip des sichtbaren Kosmos dienenden Weltseele aus dem ImmerSeienden, Unteilbaren und Selbigen sowie dem Werdenden, Teilbaren und Verschiedenen – einer Passage, deren interpretatorische Schwierigkeit bereits Sextus Empiricus angemerkt hat – läßt sich Hegels spekulative Umdeutung der Mischungsverhältnisse – freilich im Einklang mit Xenokrates und Plutarch – zugunsten seiner Theorie einer absoluten, d.h. die Unterschiede in sich enthaltenden Identität nachweisen, ferner aber auch zugunsten seiner in Übereinstimmung mit dem Mittelplatonismus eines Numenios oder Alkinoos stehenden Gleichsetzung des Demiurgen mit der Idee des Guten. Die zweite Hälfte der Studie kreist um Hegels Interpretation der Henologie und Intellekttheorie Plotins sowie zu guter Letzt um seine Auffassung der Triadik des Proklos; sie baut auf Halfwassens früheren Untersuchungen zur Theorie des Einen bei Platon und Plotin auf. Nahezu von Anfang an war die Platonische Akademie Schauplatz innerschulischer Kontroversen, die sich zwangsläufig aus der Spannung zwischen den Platonischen Schriften und der von Platon mündlich vorgetragenen, über die Dialoge hinausgehenden Lehre ergeben haben; die Alte Akademie war erst durch den Pythagoreismus, danach durch den Skeptizismus und den Stoizismus geprägt. Gegenüber dem vorsätzlich theologisierenden Mittelplatonismus sowie dem Skeptizismus der Neuen Akademie argumentiert Halfwassen für die auch von Hegel so gesehene Renaissance des authentischen Platonismus in der neuplatonischen Einheitsmetaphysik, die sich eher am Parmenides als am Timaeus orientiert. Diese bestimmt ‚Philosophieren‘ als ‚Transzendieren‘, und zwar in Form eines dialektischen Aufsteigens aus dem sichtbaren Kosmos durch die Ideenwelt hindurch bis zum ekstatischen Schauen des schlechthin Absoluten – einer Bewegung, die allein wegen ihrer Hinwendung zum weltbegründenden Prinzip des überseienden Einen nicht mit einer nihilistischen gnostischen Weltflucht identifiziert werden kann. Im Unterschied etwa zu Tiedemann, der die neuplatonische Ekstase als Schwärmerei herabsetzt, begreift Hegel diese als intellektuelle Anschauung bzw. als reines Sich-selbst-Denken. Dazu das Urteil Halfwassens: Diese Interpretation „trifft somit durchaus einen wesentlichen Zug, nämlich die intellektuelle Erhebung des Denkens zum wahren Selbst des Denkenden in der Einheit von Denken und Sein im Nous. Was Hegels Deutung jedoch nicht bewahrt – oder gar nicht sieht –, ist das eigentliche Ziel und die Vollendung der Mystik Plotins in der übervernünftigen Vereinigung mit dem Einen selbst“. (255) Mit der Umdeutung des seinstranszendenten Einen zum reinen Sein, dem seienden Einen, als dem allererst zu denkenden Inhalt einer in ihrer Selbstunterscheidung zu sich selbst zurückkehrenden AllEinheit überwindet Hegel zugleich die gemeinte Einseitigkeit der negativen

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Theologie neuplatonischer Prägung durch das spekulative Erfassen des Absoluten als eines das Endliche in sich enthaltenden Unendlichen. Diese Überwindung kann als angetretene Erbschaft der für den christlichen Platonismus so einflußreichen, auf Xenokrates zurückgehenden mittelplatonischen Theologie, die das Eine als die allumfassende Ideenordnung auslegt, betrachtet werden. Es begegnen also zwei „unvereinbare Grundkonzeptionen des Absoluten, bei denen einmal der Gedanke der wahrhaften Unendlichkeit und das andere Mal der Gedanke der absoluten Transzendenz leitend ist“ (312) – so bringt Halfwassen den fruchtbaren Konflikt zwischen einer sich als Wiederherstellung der ursprünglichen Platonischen Lehre verstehenden Henologie und einer sich als Neubegründung der Metaphysik interpretierenden Subjektivitätstheorie auf den Punkt. Hegel kritisiert den Hervorgang der Vielheit aus der Einheit, der sich zuerst im Intellekt mitsamt dem Ideenkosmos niederschlägt, und zwar auf Grund eines anfänglichen Mangels an Bestimmtheit, als eine von Plotin bloß postulierte, durch Emanationsmetaphern bildlich vorgestellte und keineswegs begrifflich explizierte Handlung; dagegen betrachtet Plotin dieselbe als ein dem Denken prinzipiell unfaßbar bleibendes Ereignis, weil dieses erst im Hinblick auf die Vollkommenheit seines uneinholbaren Ursprungs als eines solchen überhaupt gestaltet wird. Greifbar macht Halfwassen diese Disparität an Hegels Interpretation von Enn. V 1, 7, 4–6, die der reflexiven Lesart der von ihm benutzten Baseler Editio princeps von 1580 folgt, und zwar gegen die zusammen mit dieser Edition abgedruckte Übersetzung Ficinos. Freilich ist die Lesart der Antwort Plotins in dieser Passage auf die eigene Frage, wie das Eine den Geist erzeugt, in der Plotin-Forschung immer noch strittig, gleichwohl aber ist allein aus philosophischen Gründen, wie Halfwassen überzeugend darlegt, wohl korrekt: „[…] 4Ÿ“ Ÿ% Þš“žŸ›™¡% š›2• ‰;Ÿ2 છ‰ […]“ statt „[…] š›2• ‰