Hannah Arendt – Eine Radikal-Konservative 9783110320282, 9783110320039

Hannah Arendt: Eine Radikal-Konservative lenkt den Blick auf die Charakterzüge und wissenschaftlichen Leistungen einer ä

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Hannah Arendt – Eine Radikal-Konservative
 9783110320282, 9783110320039

Table of contents :
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort
Quellenverzeichnis
1: Angriff auf Hannah Arendt
2. Hannah Arendt und Heidegger
3: Hannah Arendt: Eine juristische Kritik des Totalitarismus
4: Die Revolution in Frankreich und Amerika
5: Hannah Arendts politische Philosophie
6: Offene Gesellschaften und freies Denken
7: Die Entscheidung
8: Jenseits des Totalitarismus

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Irving Louis Horowitz Hannah Arendt - Eine Radikal-Konservative

Irving Louis Horowitz

Hannah Arendt Eine Radikal-Konservative

Bibliographic information published by Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliographie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de Die vorliegende Ausgabe ist eine deutsche Übersetzung der amerikanischen Originalausgabe: Irving Louis Horowitz Hannah Arendt – Radical Conservative, Transaction Publisher 2012 Übersetzung: Dr. Stephanie Singh

North and South America by Transaction Books Rutgers University Piscataway, NJ 08854-8042 [email protected] United Kingdom, Ire, Iceland, Turkey, Malta, Portugal by Gazelle Books Services Limited White Cross Mills Hightown LANCASTER, LA1 4XS [email protected]

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2012 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 978-3-86838-143-6 2012 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper ISO-Norm 970-6 FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by CPI buch bücher.de

Politics was the engrossing occupation of Hannah’s life…Her fondness for the art of foundation, and the political geniuses who framed new sets of laws perhaps reflects the importance she gave in her general thinking to beginning and beginners, to man as the animal capable of incessant novelty, of being born new each time as unique individual, in the repetitive pattern of species life. —Mary McCarthy

Diese Aussage geht zurück auf einen Vortrag der erstmals auf einer Multiuniversity Conference in New York im Oktober 1981 gehalten wurde. Veröffentlicht in Partisan Review: The 50th Anniversary Edition, herausgegeben von William Phillips, 1984.

Inhalt Vorwort zur deutschen Ausgabe Vorwort

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Quellenverzeichnis

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1: Angriff auf Hannah Arendt

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2. Hannah Arendt und Heidegger

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3: Hannah Arendt: Eine juristische Kritik des Totalitarismus

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4: Die Revolution in Frankreich und Amerika

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5: Hannah Arendts politische Philosophie

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6: Offene Gesellschaften und freies Denken

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7: Die Entscheidung

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8: Jenseits des Totalitarismus

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Vorwort zur deutschen Ausgabe In einer wichtigen, aber verstörenden Rezension des vielbeachteten Forschers Francis Fukuyama (International Studies, Stanford University), zu den postum veröffentlichten Gedanken Tony Judts (Professor für Geschichte an der New York University), Thinking the Twentieth Century, werden wir darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Ende des 20. Jahrhunderts gleichzeitig auch das abrupte Ende seiner wesentlichen intellektuellen und ideologischen Anliegen bedeutete. Fukuyama stellt fest: „Die Studienanfänger, die ich unterrichte, wurden alle nach dem Fall der Berliner Mauer geboren. Der große ideologische Konflikt zwischen Kommunismus, Faschismus und Liberalismus ist für sie weder von Bedeutung noch von Interesse. Sie sind froh darüber, dass sie nicht in einer Welt leben müssen, in der aus Ideen monströse Projekte gesellschaftlicher Transformation entstehen und in der das Selbstverständnis als Intellektueller oft mit einer Verstrickung in unvorstellbare Verbrechen einhergeht.“ (New York Times, 4. Februar 2012) Unabhängig der guten Absichten eines solches Urteils, trennt es Ereignisse des 20. Jahrhunderts von denen der Gegenwart, so als ob geologische Veränderungen, die sich mit der Zeit einstellen, dasselbe wären, wie Veränderungen politischer und wirtschaftlicher Systeme. Allerdings wäre es an dieser Stelle unpassend, den Wert solch pauschaler Urteile zu überprüfen. Freilich ist es ausgesprochen einfach zu zeigen, dass die Idee, „der Totalitarismus ist verschwunden, ausgenommen in kleinen Staaten, wie Kuba und Nordkorea“, wieder einmal ein Ereignis ist, das ganz einfach nicht

ii stattgefunden hat. Hoffnungsvolles Denken bekräftigt keine schwachen Prognosen. Arendts gesamte wissenschaftliche Arbeit zielte darauf ab zu verdeutlichen, dass „Totalitarismus“ kein Phänomen ist, welches sich auf einen bestimmten Typus von Diktatur oder absolutistischer Religion reduzieren ließe. Eine umfassende Sensibilität für unsere heutige Welt, die geprägt ist von zunehmendem Terrorismus, andauernden Völkermorden, extremistischen Regimen, die unter der Anleitung mörderischer politischer Theologien operieren, kann kaum zu der Annahme führen, die Idee des Totalitarismus sei an ihr Ende gelangt. Die anhaltende Unterwürfigkeit der Massen gegenüber den Eliten, der Bürger gegenüber ihren Tyrannen, lässt sich als wichtigster, wenn auch traurigster Beweis dafür anführen, dass der Totalitarismus, auch in unserem Jahrhundert, weiterlebt. Und solange dies der Fall ist, wird Hannah Arendts Werk als schmerzvolles Erbe erhalten bleiben, das uns ermahnt, die Augen nicht vor der Gefahr andauernder Tyrannei zu verschließen und Demokratie nicht mit gelassener Selbstverständlichkeit hinzunehmen, sondern als einen Kampf zu begreifen, der sich über Zeit, Raum und Geschichte erstreckt.

Vorwort Die acht Kapitel dieses Buchs setzen sich aus ebenso vielen Essays und Rezensionen zusammen, welche im Lauf von mehreren Jahrzehnten entstanden sind. Als solche bilden sie keine umfassende kritische Studie oder geistige Biographie. Aber sie perspektivieren Hannah Arendts Werk aus politikwissenschaftlicher – oder auch normativer oder philosophischer – Sicht. Die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt verdankt sich zum einen dem ungebrochenen Interesse an Arendts Werk und zum anderen der Tatsache, dass sich einige seriöse Wissenschaftler auf unschöne und manchmal sehr emotionale Weise eher mit Arendts Leben als mit ihrem Werk beschäftigen. Einige persönliche Angriffe gegen Arendt wurden erst lange nach ihrem Tod formuliert. Wäre sie noch am Leben, hätte sie auf diese Kritik mit der für sie so charakteristischen Direktheit und Gedankenschärfe reagiert. Doch weil sie von uns gegangen ist und die Verbindung ihres Namens mit dem meinen eine Art Ehrauftrag für mich bedeutet, fühle ich mich verpflichtet, ihre Gegner und Kritiker daran zu erinnern, dass mit Behauptungen stets auch Verantwortung verbunden ist. Meine Aufsatzsammlung ist ein Appell an diese Verantwortung. Im Folgenden sind die Erstveröffentlichungen der acht – hier mit den englischen Originaltiteln genannten – Aufsätze und Rezensionen aufgeführt. Die meisten wurden leicht überarbeitet. Es wäre deshalb falsch, zu behaupten, es handle sich hier um die Originalversionen. Zugleich wäre es nicht angebracht, die Erstveröffentlichungen zu verschweigen, finden sie sich doch in angesehenen Publikationen von mutigen und guten Herausgebern,

4 dank derer solche Zeitschriften selbst in der schnelllebigen Zeit des Internets eine segensreiche Notwendigkeit bleiben. Es sollte angemerkt werden, dass, wenn Verweise oder Zitate im Zusammenhang mit Rezensionen und Rezensions-Essays zu bestimmten Arbeiten Arendts gemacht werden, dies in Bezug auf dass im jeweiligen Kapitel behandelte Buch geschieht. Gibt es Bezüge auf andere ihrer Schriften wird dies kenntlich gemacht. Diesbezügliche Veröffentlichungen variieren sehr stark im Hinblick auf die Zitierweise und obwohl ich nach bestem Wissen versucht habe, die ursprünglichen Seitenangaben wiederzugeben, war dies nicht immer durchführbar. Aber die gewissenhaftesten unter meinen Lesern werden in jedem Kapitel durch die Anführungszeichen unterscheiden können, wo Hannah Arendt endet und mein Kommentar beginnt. Unter Berücksichtigung hervorzuhebender Einzelner. möchte ich besonders einer Reihe von Persönlichkeiten nennen, die bei der Umwandlung dieser Sammlung von Essays in ein lesenswertes Buch besonders hilfreich waren. Meine Übersetzerin Stephanie Singh war sehr wertvoll bei der Übersetzung vom englischen ins deutsche. Sie widmete sich nicht nur mit großem Fleiß der Feststellung von Wiederholungen und Inkonsistenzen, sondern arbeitete ebenso hart am Verständnis deutschsprachiger Ausgaben der Arendtschen Schriften und der Paginierung dieser Editionen. Auf gleiche Weise und mit der wahren Größe und Genauigkeit einer Spezialistin ihres Faches, begutachtete Martha FriedenthalHaase (Boston University) sowohl die englisch- als auch die deutschsprachige Ausgabe. Sie machte deutlich welche Veränderungen nach Aufmerksamkeit verlangten, damit Textfluss und narrativer Sinn sichergestellt werden und das Manuskript eine konsistente Form erhält, die sich nur schwer in Materialien bringen lässt die die Arbeit von 35 Jahren umfasst. Ihre Gelehrsamkeit war mir eine Anleitung für die schlussendliche Aufarbeitung meiner Arbeiten.

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Ein besonderer Dank gebührt Dr. Rafael Hüntelmann, dem Verleger und Direktor des Ontos Verlages. Dieses Buch stellt eine neue Entwicklung für ihn und sein Verlagshaus dar. Während der ontos Verlag sich bereits als feste Größe in der Publikation analytischer Philosophie in englischer Sprache etabliert hat, ist dies das erste Unternehmen einer Werkübersetzung ins Deutsche. Daß Rafael sich in einer Zeit großer wirtschaftlicher Unsicherheit und hoher persönlicher Risiken dazu in der Lage sah, sich in eine neue und kostenintensive Richtung zu bewegen ist eine stolze und anerkennenswerte Tat. Möge diese Arbeit für diesen hochqualifizierten Herausgeber die erste unter vielen sein. Zu guter Letzt wurde dieser Entstehungsprozess durch die herausragende editorische Arbeit meiner Frau Mary C. Horowitz begleitet. Ihrem feinen Gespür für das, was ich in dieser sich über lange Zeit entwickelnden Arbeit erreichen wollte und ihrer tiefen Dankbarkeit für mein eigenes Verständnis literarischen Schaffens, ebenso wie für intellektuell Aufgaben, kann in einer kurzen Erwähnung kaum genüge getan werden. Um das Wichtigste kurz zusammenzufassen: Ihr stetiges Bombardement an Fragen machte es mir möglich, Hannah Arendts Werk wie eine ehrenvolle Auszeichnung zu behandeln und gleichzeitig nicht jene zu enttäuschen, die von mir eine diesbezügliche, bestmögliche kritische Prüfung erwarten. Lassen Sie mich hinzufügen, dass ich die volle Verantwortung für Defizite und Unangemessenes im Text übernehme. Oft sind dies unbegründete Schlussfolgerungen im Verständnis von Autoren, die ihre Texte vor formaler Kritik zu bewahren versuchen. Für mich ist es eine gewisse Pflicht, dass ein Autor die Verantwortung für eine Arbeit übernimmt, die auf Essays und Rezensionen beruht, die sich auf über 35 Jahren erstrecken. Irving Louis Horowitz

Quellenverzeichnis 1: Assaulting Hannah Arendt: The Banality of Criticism [Angriff auf Hannah Arendt: Die Banalität der Kritik] Zuerst erschienen in: First Things (Institute on Religion and Public Life) 200, Februar 2010 (gesamtes Heft). 2: Hannah and Heidegger: Once More into the Tangled Web of Emotions and Politics [Schon wieder Arendt und Heidegger: Die Verstrickung von Gefühl und Politik] Mit Material aus »The Origins of Hannah Arendt«, zuerst erschienen in: Society 33, Nr. 4, Mai-Juni 1996, S. 74-78; »Once More into the Tangled Web of Emotions and Politics«, zuerst erschienen in: Society 47, Nr. 4, Mai-Juni 2010. 3: Hannah Arendt: Juridical Critic of Totalitarianism [Hannah Arendt: Eine juristische Kritik des Totalitarismus], zuerst erschienen in: Modern Age 39, Nr. 4, 1997, S. 397-403. 4: The Revolutionary Experience in France and America [Die Revolution in Frankreich und Amerika] Zuerst erschienen unter dem Titel: »On Revolution (Hannah Arendt)«, in: American Journal of Sociology 69, Nr. 4, Januar 1964, S. 419-21 (Rezension). 5: Making Political Philosophy Systematic Political Science [Von politischer Philosophie zu systematischer Politikwissenschaft], zuerst erschienen unter dem Titel: »The Political Philosophy of

8 Hannah Arendt (Maurizio Passerin d’Entreves)«, in: History of European Ideas 21, Nr.4, Juli 1995, S. 595-597 (Rezension). 6: Open Societies and Free Minds [: Offene Gesellschaften und freies Denken. Arendts Testamen], zuerst erschienen in: Contemporary Sociology 8, Nr.1, Januar 1979, S. 15-19. 7: Hannah’s Choice: Social Science or Political Philosophy [Die Entscheidung: Sozialwissenschaft oder politische Philosophie], zuerst erschienen in: European Legacy 16, Nr. 5, 2011, S. 659662 (Rezensions-Essay von Hannah Arendt, Totalitarianism, and the Social Sciences, Peter Baehr 8: Beyond Totalitarianism: Hannah Conservative. Erstveröffentlichung.

Arendt

as

Radical

9: Hannah Arendt as Radical Conservative", Culture and Civilization. Volume 4, 2012, pp. 195-210.

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Angriff auf Hannah Arendt Die ehrenwerte Tradition der Kritik hat auch eine unschöne Seite. Das gilt vor allem in höheren akademischen Gefilden. Allzu oft gründet dort Ansehen letztlich nur darin, dass Zwerge auf den Schultern von Riesen sitzen, dass also Ikonen oder Heldenfiguren symbolisch zurechtgestutzt werden. Getreu dem Prinzip: Wenn die Kritiker jene zurechtstutzen, die über Generationen hinweg allen Anfechtungen trotzen konnten, sind die Zwerge endlich auf Augenhöhe mit den Toten und gewinnen den Kampf. Das soll nicht heißen, dass nicht auch die Begabtesten Fehler machen können und die Kritik keine wichtige Kunst sei. Und doch ist sie eine nachrangige Kunst. Akzeptiert wird sie von Kulturen, die Erfolg an kleinen Fehlern statt an großen Erfolgen messen. Die Kritik an Hannah Arendt ist dafür ein Paradebeispiel. Der jüngste Angriff, der fünfunddreißig Jahre nach Arendts Tod erfolgte, ist auch der bislang umfassendste. Bernard Wasserstein, Professor für Europäische jüdische Geschichte an der University of Chicago, veröffentlichte sie im Oktober 2009 in The Times Literary Supplement unter dem Titel »Schuld ist das Opfer:

10 Hannah Arendt und die Nazis«.1 Er bietet nicht nur eine selektive Darstellung »der Historikerin und ihrer Quellen«, sondern fährt eine wahre Armada von Vorwürfen und Unterstellungen aus den letzten fünfzig Jahren auf. Berühmt-berüchtigt ist die meines guten Freundes Walter Laqueur, seinerseits eine bedeutende Persönlichkeit.2 Wasserstein erspart uns die genaue Auseinandersetzung mit den emotionalen Brüchen, die Arendts Karriere begleitet haben, und zeichnet sie als reichlich naive Leserin von Neonazi-Literatur und als heimliche jüdische Antisemitin, die einer geistigen Entgiftung bedürfe. Zusammengefasst behauptet er: The success of Arendt’s earlier work is owed more to the way it locked on to mid-twentieth century Western guilt over imperialism and the continued strengthening of the Cold War than to The Origins of Totalitarianism. Arendt’s conception of the dynamics of historical change is little more than a confused mishmash of the structural, the social psychological and the conspiratorial. Her works display a deep ignorance of the following areas of discourse: political economy, diplomacy, and military strategy. Furthermore, she had little grasp of or even interest in the mechanics of the political process in the states about which she wrote. Rather than examine hard evidence, she deals in trifles and inflates them into richly colored balloons of generalization. At a time when superior historians were rejecting and becoming disenchanted by the idea of totalitarianism, her work in this area did not explain the generalization. Her comparisons of Nazism and Communism were sporadic and uneven; and she hardly dealt with Italian fascism as predecessor of these test cases of totalitarianism. The concept was incorporated into the 1

Bernard Wasserstein, »Blame the Victim: Hannah Arendt among the Nazis: The Historian and Her Sources«, in: The Times Literary Supplement, 9. Oktober 2009, S.13-15. 2 Walter Laqueur, Generation Exodus: The Fate of Young Jewish Refugees from Nazi Germany, University Press of New England 2001. Seine massive Kritik »The Arendt Cult« findet sich in: Journal of Contemporary History, Bd. 33 (4), Oktober 1988, S. 483-496. Laqueur wirft Arendt »Arroganz« und »Paranoia« vor; Wassersteins Anwürfe betonen Persönliches und verleugnen historische Fakten.

11 vernacular of the 1960s–1970s only because it served the useful ideological purposes of the cold warriors at the time. The burden of her later work is blaming Jewish victims rather than anti-Semitic perpetrator. In her inversion of victims and victimizer, “her bile knew no ethnic boundaries.” There was always a special edge to her criticism of her own people. She swallowed sometimes in whole cloth the poisonous anti-Semitism hatched in the Weimar Period; much of which was shrouded in the Nazi literature of the age.

Wassersteins rabiate Kritik verstellt seinen Blick auf gewisse unangenehme Fakten. Arendts Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, das ihren Ruhm begründete, ist kein Text über den Ursprung des Imperialismus, sondern des Totalitarismus.3 Wasserstein setzt zwei verschiedene Aspekte moderner Diktaturen gleich und trivialisiert so auf geschickte Weise Arendts Darstellung. Außerdem erweckt er den Eindruck, Arendt begreife Nazideutschland und Sowjetrussland einfach nur als zwei unterschiedliche Antworten auf die europäische und amerikanische Kolonialisierung im 19. Jahrhundert. Besonders verschroben ist Wassersteins Behauptung, Arendt habe die historischen Thesen der Nazis zur Judenfrage und das überkommene leninistische Verständnis des Imperialismus nicht kritisch hinterfragt. Darauf wird später zurückzukommen sein. Denn gerade Arendts Herausarbeitung der totalitären Tendenzen in den Umbruchphasen Deutschlands und Russlands hebt ihre Arbeit über bloße Vergleichsstudien hinaus. Dass Wasserstein einen Zusammenhang zwischen demokratischer »Schuld« und den unitären Eigenschaften totalitärer Systeme zu erkennen meint, ist nicht nur unerklärlich, sondern bleibt auch unerklärt. Seine Kritik enthält kaum kausale Argumente. Weder Nazideutschland noch Sowjetrussland identifiziert er als Ausprägungen des klassischen westlichen Imperialismus. Doch dies ist zwingend, denn sonst müsste man Hitlers und Lenins Argumentation folgen, die sich durch Europas und Amerikas 3

Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 13.Aufl., München, 2009.

12 Expansion in ihren eigenen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt sahen. Die Entwicklung der diktatorischen Staatsformen hatte sowohl in Deutschland als auch in der Sowjetunion vielfältige Gründe, und einige davon entspringen zweifellos dem Imperialismus. Dieses Schlüsselelement verbindet beide Regime und ihre Ideologien. Für Arendt gab es nicht einen Grund, ihre Arbeit vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs zu betrachten. Im Gegenteil: Sie betonte die juristische Grundlage der Demokratie und warf den Soziologen vor, sich zu stark auf die Massenbewegungen zu konzentrieren und die föderalistischen Schriften, die Gründerväter und die Herrschaft des Gesetzes zu vernachlässigen. Dass sie Dwight Eisenhower (fälschlicherweise) ständig als schwachen Präsidenten schmähte, zeugt von ihrer Angst – aber nicht vor dem Kalten Krieg, sondern vor einer Regierung, die sich zu stark an der öffentlichen Meinung orientiert und unfähig ist, sich der globalen Probleme anzunehmen. Das klingt übrigens nicht gerade unzeitgemäß. Wie Arendt im Vorwort zu Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft deutlich macht, wurden große Teile des Buchs bereits 1945 fertig gestellt. Zu dieser Zeit endete das Naziregime, doch das Sowjetregime befand sich auf seinem Höhepunkt. Der Text konnte also gar nicht vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs entstanden sein. Neben dieser einfachen Tatsache kommt hinzu, dass das totalitäre Wesen des kommunistischen Systems nicht zur Entstehungszeit des Buchs, sondern erst deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg theoretisch reflektiert wurde. Aus Arendts Sicht war das fehlende Puzzlestück der Zusammenfall von Hitlers Vorstellung von der jüdischen Weltherrschaft und seiner daraus resultierenden Abneigung gegen die westliche Demokratie mit der stalinistischen Ideologie des Kosmopolitismus. Letzteren beschreibt sie als »eine fiktive Weltverschwörung«, die »sich viel besser zur Hintergrundideologie für totalitäre Weltherrschaftsansprüche eignete als die Wall Street, der Kapitalismus oder der Imperialismus.« (EUH, 656) In anderen Worten: Nicht nur die

13 historischen Entstehungsbedingungen, sondern auch der theoretische Aufbau des Buchs zeigen, dass Wassersteins Behauptungen falsch sind. Der Bedarf nach einer überarbeiteten Ausgabe 1966 ergab sich gerade aus der problematischen Entwicklung des Stalinismus in der Nachkriegszeit. Totalitarismus bedeutet eine unrechtmäßige Verbindung von Macht und Persönlichkeit, die politische Legitimität gefährdet und manchmal unmöglich macht. Arendt war eine erklärte Gegnerin McCarthys und eine Verfechterin der Herrschaft des Gesetzes. Den antikommunistischen Kreuzzug im Kalten Krieg begriff sie als Selbstzweck der Ära McCarthy und als Ausdruck der zunehmenden populistischen Gesetzlosigkeit sowie des föderalistischen Kräftegleichgewichts. An Jaspers schrieb sie: »Die Republik wird von der Demokratie, der sie den Rahmen und die Grenzen vorschreiben soll, von innen her aufgelöst. Die Gesellschaft wird mit der Republik fertig. Dieser Prozess ist losgegangen und ob er zum Halten kommen wird, ist sehr, sehr fraglich, selbst wenn [Joseph] McCarthy erst einmal eine Niederlage erleidet. Trotzdem ist diese Niederlage entscheidend, die conditio sine qua non; dann könnte man wenigstens wieder anfangen, sich für die Republik herumzuschlagen.« (B, 272) Die größten Sorgen machte sie sich über das mangelnde Verständnis der Historiker für die Instabilität der politischen Demokratie und nicht über globale Probleme oder diplomatische Taktik. Hannah Arendt als Vorkämpferin des Kalten Kriegs zu begreifen ist nicht nur völlig abwegig, sondern zeugt von umfassender Unkenntnis der Grundlagen ihres Denkens. In den frühen 1950er-Jahren äußerte sich Arendt äußerst kritisch gegenüber dem Kongress für Kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CFF), einem informellen, vom CIA unterstützten Zusammenschluss von Anti- und Exkommunisten. Sie sah darin eine Umkehrung dessen, was sie als die altbekannte amerikanische Ahnungslosigkeit begriff. Die Ideologie des CCF ging Hand in Hand mit dem gerade entstehenden Amerikanismus.

14 Mit vielen ihrer Freunde, die den Zusammenschluss unterstützten, darunter Sidney Hook und Melvin Lasky, ging sie hart ins Gericht und distanzierte sich von den Treffen. An Jaspers schrieb sie: »Bezeichnend ist auch, dass der Congress for Cultural Freedom [...] weiß Gott in diesem Lande weder für Culture noch für Freedom je einen Finger krumm gemacht hat« (B, 249). Diese Sicht auf das damalige Sammelbecken der Intellektuellen zeugt schwerlich von einer durch den Kalten Krieg motivierten Perspektive. Arendt hinsichtlich des Kalten Kriegs derart in Sippenhaft zu nehmen ist lächerlich und als journalistische Rhetorik gerade noch zu tolerieren, einem angesehenen Historiker wie Wasserstein aber nicht zu verzeihen. Arendt missbilligte nicht nur die Mission des CCF, sondern auch dessen Vorurteile gegen liberale Deutsche wie Paul Tillich und sie selbst. Dass Arendt sich mit dem italienischen Faschismus beinahe gar nicht beschäftigte, könnte schlicht auf ihr mangelndes Interesse an den speziellen und idiosynkratischen Merkmalen dieser Form des Totalitarismus hindeuten. Doch das träfe auch auf viele andere Totalitarismen zu, die eher durch die Zahl ihrer Opfer als durch systemische Eigenschaften auf sich aufmerksam machten. Eine interessante Antwort hatte Arendt auf einen berühmten Ausspruch Huey Longs: »Wenn der Faschismus [nach Amerika] käme, dann käme er im Gewand der Demokratie zuerst ins Parlament«. Sie pflichtete Long inhaltlich – wenn auch nicht hinsichtlich seiner Beweggründe – bei, als sie an Karl Jaspers schrieb, diese faschistische Infiltration geschähe gewaltlos und nur mittels politischem Druck. Es sollte deutlich geworden sein, dass sie sich der verschiedenen Erscheinungsformen totalitärer Herrschaft bewusst war. Doch Formen extremer Gewaltanwendung der Nazis und der Kommunisten ähneln einander und erinnern darin an Gaetano Moscas Vorstellung von einer politischen Klasse, die Gefährliches vollbringen kann – auch dies ist auf viele Situationen und Bedingungen anwendbar. Im Rückblick erscheint der Kampf zwischen Nazismus und Kommunismus als

15 Ausprägung eines hegelianischen Geschichtsbildes, das links wie rechts nur Hässliches bereithält. Der Gedanke, der einheitliche Charakter des Totalitarismus werde durch die Situation während Mussolinis Regierungszeit in Italien widerlegt, ist absurd. Der italienische Faschismus als eine über zehn Jahre lang existierende spezielle Ausprägung des Radikalismus; die Rolle des Pontifikats als eine in engen Grenzen agierende Statistenregierung; die kulturell tradierte Autonomie italienischer Großstädte und die Bedeutungslosigkeit Italiens als Wirtschaftsmacht im frühen 20. Jahrhundert – all diese Aspekte sprechen gegen einen stark ausgeprägten Totalitarismus. Selbst die bekannte Animosität zwischen Hitler und Mussolini könnte sich in diese Richtung ausgewirkt haben. Als Demokratie wurde Italien in keiner Weise durch den Faschismus definiert. Im Gegenteil, das Land machte sich über die Rassengesetze, den Antisemitismus und die kosmopolitenfeindliche Haltung der Nazis und Sowjets lustig. In den 1930er-Jahren versuchte Italien, sich in Nordafrika als Kolonialmacht zu etablieren. Mussolini mochte den italienischen Faschismus verändert haben, aber die Abschwächung des Totalitarismus bedeutete nicht zwangsläufig eine Hinwendung zur Demokratie, wovon unzählige Exilanten und Regierungsgegner Zeugnis ablegen konnten. In einem ihrer eher seltenen Kommentare zum italienischen Faschismus kritisiert Arendt in Über die Revolution: »[Maurice] Duverger sieht leider nicht den entscheidenden Unterschied zwischen Partei und Bewegung, und das ist die größte Unzulänglichkeit dieser vorzüglichen Arbeit. [...] Der Unterschied zwischen den faschistischen Bewegungen aller Spielarten und den Parteien demokratischer Regierungen ist vielleicht noch auffallender.«.4 Wasserstein stellt einen seltsamen Vergleich zwischen Arendts und Jacob Talmons Arbeiten an. Letzterer spielte Mitte des 20. Jahrhunderts selbst eine bedeutende Rolle. Da ich sowohl Arendt 4

Hannah Arendt, Über die Revolution, Frankfurt a., 1965, S. 404.

16 als auch Talmon kannte und über Talmon geforscht habe, will ich mir die Bemerkung erlauben, dass dieser sich erklärtermaßen nur mit den nachrevolutionären und restaurativen Entwicklungen in Frankreich befasste, nicht aber mit dem späteren, in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft untersuchten Zeitabschnitt. Zwar teilten Arendt und Talmon einige Einschätzungen, erlangten sie aber auf unterschiedliche Art.5 Talmons Untersuchungen legten den Grundstein für das Verständnis der Ereignisse der Sowjetund Nazizeit. Doch die strukturellen Überschneidungen seiner und Arendts Arbeiten waren hier noch nicht ersichtlich. Deren Berührungspunkte ergaben sich erst später, als Arendt über den Unterschied zwischen der Französischen und der amerikanischen Revolution schrieb. Sie kontrastierte das französische, grenzenlos »leidenschaftliche« Streben nach Wandel unter Einsatz von Gewalt und politischen Morden mit der »Solidarität« als Prinzip der amerikanischen Revolution, die den Wandel mit den Mitteln der Überzeugung und der Gesetze erreichte. Der Gedanke, sie habe damit Talmons Arbeiten gegenüber ihren eigenen herabsetzen wollen, ist schlicht lächerlich. Eine derartige Unterstellung hat denselben intellektuellen Wert wie der Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Wasserstein zufolge hatte Arendt so wenig Ahnung von allen sozialen, politischen und militärischen Belangen, dass man sich wundern muss, weshalb ihr überhaupt Beachtung zuteilwurde und wird. Auf den Vorwurf, sie habe Alfred Kazins redaktionelle Arbeit an Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft nicht gewürdigt, soll dieser am besten selbst antworten. In Harper's charakterisiert Kazin Arendt als »eine Wissenschaftlerin, die mit bewegender Dringlichkeit über Politik in ihrer klassischen 5

Jacob L. Talmon, Origins of Totalitarian Democracy, London: Secker & Warburg, 1955. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Wassersteins These, Talmon sei wegen Arendts Arbeiten ignoriert oder vergessen worden, völlig abwegig ist. Davon zeugt das mit seinen Forschungen befasste internationale Kolloquium Totalitarian Democracy and After, Jerusalem, Israel Academy of Sciences and Humanities 1984.

17 Bedeutung schreibt – als der Begriff nämlich noch nicht das System aus Ämtern und Verwaltungseinheiten meinte, sondern den öffentlichen Bereich, in dem allein der Mensch durch Handeln Freiheit erfuhr.«6 Andererseits war auch Kazim nicht gerade ein Carl von Clausewitz! Forschungsgebiete aufzulisten, auf denen ein Autor sich nicht auskennt, ist sicher nicht schlimmer, als jemanden eines demonstrativ vorgetragenen Wissens anzuklagen. Der emotionale Charakter von Wassersteins Vorwürfen zeugt von seinen eigenen – und nicht von Arendts – Problemen mit der Situation der Juden unter der Naziherrschaft. Auf Wassersteins klar ersichtliche Vorurteile und Abneigung gegen Arendt als Stilistin will ich nicht näher eingehen; er bescheinigt ihr jedenfalls »teutonischen Stil«, »orakelhafte Prosa« sowie eine nur »halbherzige Anerkennung« oder heuchlerische Aneignung von Kazins Erkenntnissen. Arendts scherzhafte Äußerungen bezeichnet er als »fast immer schlecht und gegen die Juden und ihre Geschichte gerichtet«. Hinzu kommt Kritik an Arendts angeblich »sich selbst widersprechenden« Thesen über verschiedene wichtige Themengebiete, und schließlich wird der Leser mit der Behauptung konfrontiert, Arendt mache sich nicht nur empirischer Fehler, sondern auch rhetorischer Entgleisungen schuldig. Wasserstein zitiert fast alle Europahistoriker, die Arendt kritisch gegenüber stehen, jedoch keinen Politik- oder Sozialwissenschaftler, der ihre Arbeiten positiv beurteilt. Eine letzte ironische Wendung liefert Wassersteins Kritik, indem sie Arendt »das Fehlen essentieller Eigenschaften eines Historikers« attestiert, nämlich »Verständnis und Ideenreichtum bei der Erkenntnisgewinnung, geistige Offenheit, Mitgefühl, ausgewogenes Urteilsvermögen und die Fähigkeit, Fakten zu sortieren und abzuwägen.« Wassersteins Vorwurf schließlich, Arendt verlasse sich bezüglich der modernen jüdischen Geschichte in perverser Weise auf Nazi6

^Alfred Kazin, »The New Books. Notes on the Writing of History Today«, in: Harper’s Magazine 223 (1337), Oktober 1961, S. 104-111.

18 Historiker, bringt wohl das Fass zum Überlaufen. Auch Arendt verachtete die Nazi-Ideologen und -propagandisten. Als emeritierter Inhaber des Hannah-Arendt-Lehrstuhls können mich derlei Anschuldigungen und Verurteilungen nicht unberührt lassen. Vielleicht hält man meine Antwort für eine Apologie und begreift ihn als Ausdruck jenes Loyalitätssyndroms, das man entwickelt, wenn man über dreißig Jahre lang in dieser Weise mit Arendts Namen verbunden ist. Und dennoch will ich den Verleumdungen etwas entgegensetzen, so naiv sie auch sein mögen. Nachdem ich so viel von Arendt gelesen und über sie geschrieben habe, begreife ich sie als eine besondere Persönlichkeit – eine unter vielen von Thomas Mann über Karl Jaspers bis hin zu Marlene Dietrich –, die den Höllenfeuern der Nazis mit unbeflecktem Gewissen entkommen ist. Das Zerbrechen jener Kultur und Tradition, die als die beste in der gesamten westlichen Welt galt und als die schrecklichste der gesamten westlichen Zivilisation endete, hypnotisierte ein ganzes Volk. Die Nation nahm ihren Anfang im Geiste von Schillers Ode an die Freiheit und fand ihr Ende mit Hitlers unbeschreiblichem Massenmord. Der Nazismus zerstörte den Ruf der deutschen Überlegenheit und der Holocaust verwandelte ihn in Bestialität. Dies verwandelte auch die Wahrnehmung des Juden als eines besonderen Menschen, zu einer Nation ohne Land, einen historischen Anachronismus, Sir Arnold Toynbee’s Fossil. Der Verlust von sechs Millionen Seelen war eine Tragödie von solch unvorstellbarem Ausmaß, dass sie jedem lebenden Juden eine Aufforderung zur Reflexion und Selbstbesinnung war. Was die Eichmann Prozesse in Jerusalem zeigten war die Unfassbarkeit des Horrors und dass es keine einheitliche Antwort gab auf das was stattgefunden hat. Jeder, der aus Deutschland in Richtung Freiheit floh, trug weithin sichtbar die Narben dieser Zeit an sich. Jeder, der floh, der sich im Stillen oder ganz aktiv dem Mord an Unschuldigen

19 entgegensetzte, musste sein Leben unter gänzlich veränderten geografischen, sprachlichen und kulturellen Bedingungen neu definieren. In diesem Sinne war Arendt eine von vielen jüdischen, christlichen oder nicht-religiösen Intellektuellen (die vielleicht sogar die Mehrheit bildeten) und Arbeitern in Deutschland, die von den Erinnerungen an ein schrecklich fehlgeleitetes Nationalstreben und den Zerfall ihrer persönlichen Hoffnungen gequält wurden. Da wundert es nicht, dass die europäischen Mächte – nicht nur Deutschland – sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf alles andere als den Holocaust konzentrierten. Nicht die Banalität als solche, sondern die Alltäglichkeit der Nazi-Diktatur machte den Umgang mit dem Nationalsozialismus zwischen und nach 1933-1945 so schwierig. Arendt weist die Schuld an den schrecklichen Taten der Nazis in keiner Weise den Opfern zu. Meiner Meinung nach macht sie die außergewöhnliche Akribie deutlich, mit der die Nazis ein Volk auszulöschen versuchten. Leider glaubte ein großer Teil der deutschen Juden, dass man die Nazis vielleicht nicht vom Völkermord abhalten konnte, aber doch davon, ihre schrecklichsten Ziele zu verwirklichen. Ein ebenso großer Teil meinte, dies sei nicht mehr möglich, wenn die Maschinerie aus Terror und Politik im Rechtssystem verankert würde. Das Ergebnis war ein Desaster für die Überlebenden. Arendts Verbitterung bezog sich auf jene Juden, die für den Kompromiss eintraten. Im Lichte der historischen Ereignisse ließe sich manches gegen Arendts Perspektive auf den Eichmann-Prozess einwenden, doch gewiss nicht, dass ihre Konzentration auf die Banalität etwas anderem entsprungen sei als der Verzweiflung über die Unfähigkeit der jüdischen Gemeinschaft, die wahre Durchseuchung des Systems und die Korrosion der rechtlichen Grundlagen der nazistisch infizierten Massenbewegungen zu erkennen. Doch dies waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, denen sich Eichmann in Jerusalem ausgesetzt sah. Die Frage nach der

20 Banalität des Bösen machte Arendt keine Freunde unter den Kritikern, und psychologische Erklärungen menschlichen Verhaltens genügen selten, um ein Thema beizulegen. Aber der Einsatz der Kritik als potentielles Ventil für beunruhigendes persönliches Verhalten, wie ihn Walter Laqueur vor vielen Jahren einführte, erfährt durch Wasserstein eine völlig neue Dimension. Er wirft Arendt vor, den Opfern mithilfe des Holocaust die Schuld zu geben. Wie eine derart groteske Lesart ohne Beweise Bestand haben kann, ist nur schwer zu begreifen. Arendt gab die Schuld am Holocaust ausschließlich den Nazis und dem deutschen Volk als Gesamtheit – genau wie viele andere deutsche Juden während der Nazizeit. Möglicherweise verkannte Arendt die Gefährlichkeit der Lage, doch dass viele sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten, begründen sie und andere mit einem Mangel an Mut und Energie. In seinem gelungenen Buch Von Berlin nach Berkeley berichtet Reinhard Bendix, dass einige Familienmitglieder noch 1939 nach Deutschland zurückkehrten, um ihre Berufe wieder auszuüben.7 Andere, wie Arendt, entschieden sich für die Emigration oder Flucht – wie auch immer man es nennen will – nach Paris, London oder New York. (Wie ich bereits andernorts dargestellt habe, schien Moskau nur wenigen eine geeignete Anlaufstelle zu sein.) Fredric Warburg schreibt in seinen charmanten Memoiren, die große jüdische Gemeinde Berlins sei in zwei Lager gespalten gewesen: Auf der einen Seite jene Hunderttausende, die bleiben und für die Rechte der Juden und aller Bürger kämpfen wollten, und auf der anderen Seite die gleich große Gruppe jener, die den steinigen Weg in die Emigration wählten und ihre Sicherheit, ihre Häuser und Besitztümer aufgaben.8 Beides waren schwierige Entscheidungen, die unter anderem vom Gesundheitszustand der Familienmitglieder, möglichen Trennungen von geliebten Personen und dem Verlust der Heimat abhingen. 7

Reinhard Bendix, Von Berlin nach Berkeley: deutsch-jüdische Identitäten, Frankfurt a. M. 1990. 8 Frederic Warburg, An Occupation for a Gentleman, Boston 1960.

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Die Juden auf beiden Seiten rangen innerhalb ihrer Familien um die Antwort auf diese moralischen Fragen. Opfer war letztlich die Gesamtheit des jüdischen Volkes – religiöse wie nicht-religiöse, nationalistische wie kosmopolitische, konservative wie liberale Juden. Diese Fakten gegen Arendt anzuführen ist zu einfach gedacht.9 Auch in einer solchen Lebenssituation war die Wahl zwischen dem Ausharren in schweigender Opposition und der Zerstörung der Familie durch die Flucht in ein fremdes Land nicht einfach. Denn die Emigration war eine Herausforderung. Zwar erging es kaum jemandem in der westlichen intellektuellen Szene besser als Hannah Arendt. Doch es ist schlicht unwahrscheinlich, dass jemand ein solches Schicksal unbeschadet überstehen konnte. Alle Menschen tragen Widersprüche in sich, doch nur wenige tragen sie als persönlichen Konflikt und zugleich als nationale Tragödie nach außen. In Arendts Briefen zeigt sich, dass sie nicht nur für das Beste steht, was Deutschland einst war, sondern auch für das Schlechteste, was aus ihm wurde. In einem sehr ehrlichen Austausch mit Jaspers schrieb Arendt 1953: »Ich kann versprechen, dass ich in Ihrem Sinne nicht aufhören werde, eine Deutsche zu sein; das heißt, dass ich nichts verleugnen werde, nicht Ihr Deutschland und Heinrichs, nicht die Tradition, in der ich groß wurde und die Sprache, in der ich denke und in der die mir liebsten Gedichte geschrieben wurden. Ich werde mir nichts

9

Das Zögern der Juden in Berlin und anderen deutschen Städten wird vor dem Hintergrund neuerer Forschungen besser verständlich. Man weiß heute, dass Hitler und Göbbels damals unter großem internationalen Druck standen und deshalb antijüdische Massenproteste vermeiden wollten. So wurde beispielsweise die große Mehrheit der Insassen der Konzentrationslager nach der Reichskristallnacht freigelassen. Es geht also nicht um die Frage, ob Arendt und die Leitfiguren der jüdischen Gemeinde sich getäuscht hatten. Vielmehr waren sie alle in einer katastrophalen, meist in den Tod führenden Spirale gefangen. Vgl. Alan E. Steinweis, Kristallnacht 1938: ein deutscher Pogrom, a. d. Engl. v. Karin Schuler, Stuttgart 2011.

22 anschwindeln, weder eine jüdische noch eine amerikanische Vergangenheit.« (B, 242f) Arendts Kritiker befassen sich nach wie vor mit der Frage nach Eichmanns Rolle innerhalb des Holocaust. Es ist gut möglich, dass ihre Formulierung von der »Banalität des Bösen« den Eindruck vermittelte, sie akzeptiere Eichmanns eigene Definition, der zufolge er ein unbedeutender Angestellter und »kleiner Befehlsempfänger« in der Todesmaschinerie der Nazis gewesen sei. Aus einer gelungenen neuen Studie von Deborah Lipstadt erfahren wir, dass er »ein disziplinierter und gut vorbereiteter Angeklagter« war und seinen Antisemitismus hinter derlei Formulierungen verbarg. Lipstadt schreibt Arendt zu, Eichmann als ganz gewöhnlichen Menschen eingeschätzt zu haben.10 Doch die Einschätzung Arendts als gedankenlos ist eine gravierende Fehlinterpretation des Begriffs »Banalität«. Zum einen ignoriert sie den zweiten Teil des Titels: »des Bösen«; zum anderen ist das Wort Banalität selbst stark pejorativ und geht somit weit über eine bloße Kommentierung hinaus. Die Frage, weshalb die Juden den Nazis nichts entgegensetzen konnten, ist vielleicht bedeutender, denn sie impliziert einen Mangel an Mut und Ehre. Doch das wahre Ausmaß des Schreckens wurde erst nach 1960 deutlich. Der Möglichkeit des Widerstands steht das Schicksal der Juden gegenüber, die sich nicht widersetzten. Solche Überlegungen unterschätzten aber die Schwierigkeiten jüdischen Lebens unter den Nazis: Es gab keine klaren Informationen; stattdessen hielt sich der – wenngleich mythische – Glaube an eine mögliche Flucht und daran, dass die Konzentrationslager nicht zwangsläufig mit den Gaskammern gleichzusetzen waren. Vielleicht ist die Kritik am Fehlen einer gewissen zionistischen Leidenschaft berechtigt, doch Arendt war in die Angelegenheiten der Juden eben als »öffentliche

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Deborah E. Lipstadt, The Eichmann Trial, New York 2011.

23 Intellektuelle« involviert. Schwer, vielleicht zu schwer wog auch ihre Liebe zur deutschen Kunst, Musik und Kultur. Ich selbst glaube, dass Arendts Wendung von der »Banalität des Bösen« bedeutsam ist, aber nicht in dem Sinne, den ihre Kritiker unterstellen. Die vielleicht beste – wenngleich unwillkürliche – Erklärung stammt vielleicht aus Nadeschda Mandelstams 1971 auf deutsch erschienenem Buch Das Jahrhundert der Wölfe.11 Eher mit Bezug auf das sowjetische denn das Nazi-Regime fasst sie präzise den zentralen Aspekt von Arendts Abneigung gegen totalitäre Regime: Es sei in diesen Systemen nicht nur um den einen Diktator gegangen. Jeder, der auch nur die geringste Macht hatte, bis hinunter zum einfachen Polizisten oder Pförtner, sei gleichermaßen ein Diktator gewesen. Vorher habe man nie begriffen, welch große Versuchung die Macht sein könne. Die Banalität des Bösen ist der Gebrauch dieser Macht. Arendts Leben zeugt sowohl von der Durchlässigkeit der jüdischen und amerikanischen Traditionen als auch vom desaströsen Scheitern des deutschen Liberalismus. Dass Wasserstein dieses Leben beschmutzt, nützt weder der Wahrheit noch der Tradition. Arendt hatte die bemerkenswerte Fähigkeit, die doppelte Tradition, der sie entstammte, äußerst klar zu fokussieren. Dies demonstriert sie auch in ihren Texten, in denen sie für die Praxis der Demokratie plädiert und sich fest entschlossen zeigt, sich und anderen das Scheitern jener Kultur – ungeachtet aller Qualitäten – zu erklären. Ich bin der Überzeugung, dass Arendts Arbeiten gemeinsam mit denen Primo Levis die Allianz aus Schweigen und Verdrängung offen gelegt haben, mit der Nachkriegseuropa dem Holocaust begegnete. Ich hatte das Vergnügen, Hannah Arendt persönlich zu kennen, wenn auch nicht gut genug. 1958 und 1959 war ich außerdem Heinrich Blüchers Assistent in dessen World Civilizations 11

Nadeschda Mandelstam, Das Jahrhundert der Wölfe: Eine Autobiographie, a. d. Russ. v. Elisabeth Maler, Frankfurt a. M. 1971.

24 Program am Bard College. Ich kann sagen, dass es nur wenige Menschen gibt, denen es gelang, in ihren Schriften und als Person die Höhen und Tiefen der europäischen Gesellschaft des letzten Jahrhunderts so klar zu umreißen. Arendt ist eine Metapher für all dies. Zwar wäre ihr selbst derlei Symbolik unangenehm, doch sie verdient den Respekt all jener, die heute von Migration und Wanderschaft betroffen sind, sowie jener, die sich in Zukunft diesen makroskopischen Herausforderungen stellen müssen. Dass gerade die Juden sich von gewissen Selbstgerechten den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie machten die Opfer zu Tätern, ist vielleicht der Preis für so viel Migration und so wenig Anerkennung der Gefährlichkeit ihrer Lage. Es ist die Konsequenz, die tragen muss, wer sich den Tyrannen dieser Welt und dem reißenden Strom der Kritiker von innen heraus entgegenzustellen versucht. Tony Judt formuliert das treffend, wenn er schreibt, falls Europas Vergangenheit weiterhin eine Warnung und moralische Verpflichtung für Europas Gegenwart sein solle, müsse sie in jeder Generation neu gelehrt werden.12 Arendt war solch eine Lehrerin.

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Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, a. d. Engl. v. Matthias Fienbork u. Hainer Kober, Frankfurt a. M. 2009.

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Hanna Arendt und Heidegger I »Das Leben ist ein Dieb«, besagt ein altes jüdisches Sprichwort. Bedeuten kann es viel, von den Risiken des Ruhms bis hin zu dem unklugen Versuch, die Vorsehung zu hintergehen. Elzbietta Ettingers Buch Hannah Arendt – Martin Heidegger ist ein diebisches Buch in genau dem Sinne, dass es den guten Ruf stiehlt. Genauer gesagt ist es eine Darstellung der großen, antitotalitären politischen Philosophin Hannah Arendt und deren lange währender Liebesgeschichte mit ihrem Mentor Martin Heidegger, dem wahrscheinlich noch größeren totalitären Philosophen. Gibt es eine deutlichere Donquichotterie? Zwei Menschen, die ausziehen, nach dem Ursprung von Gut gegen Böse zu suchen und einander dabei ihrer Größe versichern, zugleich aber genau diese Suche in den ethischen Konflikten der eigenen Lebensführung unterlaufen. Ettinger zeichnet den Sieg des Fleisches über den Geist, des privaten Betrugs über öffentliche Verzichtserklärungen. Ihr kurzer Text, der kaum mehr ist als ein längerer Essay, beschränkt sich auf wenige Charaktere und ist von einem blutleeren, positivistisch-knappen Stil geprägt. Da

26 Heideggers Affinität zu den Nazis bereits hinreichend belegt ist, stellt sich ungeachtet des Titels Arendts intellektuelle Position als das eigentliche Thema des Buchs dar. Zwar gibt Ettinger es nicht direkt zu, aber ihr wahres Interesse gilt Arendts Taktlosigkeiten. Die Monografie steht in der Tradition der französischen Chronique scandaleuse. Sie arbeitet mit sorgfältig ausgewählten Zitaten aus Arendts Briefen, paraphrasiert Heideggers Antworten und nimmt Bezug auf eine begrenzte Zahl von Personen. Darunter sind Günther Stern (Arendts erster Ehemann), der mit Arendt wie Heidegger befreundete Heinrich Blücher (zweiter Ehemann und lebenslanger Begleiter der Philosophin) und Karl Jaspers, dessen antinazistische Haltung die Mehrdeutigkeit der Texte anderer Protagonisten dieses Buchs in angenehmer Weise konterkariert. Zu den von Ettinger behandelten Personen gehört auch Heideggers Frau Elfriede, seit den 1920er-Jahren selbst eine erklärte Nationalsozialistin und Arendt zufolge der Grund für Heideggers Hinwendung zu den Nazis. Nicht einmal Strindberg hätte ein besseres Drama inszenieren können. Hannah Arendt – Martin Heidegger enthält alle Zutaten eines Dreiakters: Im ersten Akt hat die jüdische Studentin eine geheime Affäre mit dem Naziprofessor. Der zweite Akt behandelt die Zeit des Exils und der Entfremdung, in der die (von Ettinger in widerwärtiger Weise als jewess) bezeichnete) jüdische Frau selbst zur Berühmtheit wird. Im letzten Akt schließlich kommt es zu einer stillen, qua Briefwechsel erlangten Versöhnung der Heldin mit dem Antihelden. In Arendts und Heideggers Fall erstreckte sich diese auf alle betroffenen Familienmitglieder. Wir erfahren, dass es zu einer Art später Vergebung kam, indem sich die jeweiligen Ehemänner und Ehefrauen beim Vornamen nannten – wahrscheinlich eine besondere Zuneigungsbekundung, die unter sozial hochgestellten Deutschen üblich war. »Und sie lebten unglücklich und unzufrieden bis ans Ende ihrer Tage« – so könnte wohl das Schlusswort zu Ettingers Charakterstudie lauten.

27 Weil Journalisten aller möglichen Zeitungen – von der New York Times bis zu obskuren Blättern – sich einen Heidenspaß daraus gemacht haben, ausführlich über die Affäre Arendt/Heidegger zu berichten, fasse ich mich mit der Chronologie der Ereignisse kurz. Arendt traf Heidegger 1924 als achtzehnjährige Studentin in Marburg. Er war damals schon ein bekannter Philosophieprofessor. Bis 1930 hatten sie ein Liebesverhältnis, obgleich Arendt Marburg bereits nach einem Jahr verließ. Darauf folgte eine Zeit der Entfremdung, die gewiss durch das Aufkommen des Nationalsozialismus und Heideggers völlige, öffentliche Hingabe an Hitlers Kreuzzug befördert wurde. Die Beziehung setzte 1950 wieder ein und dauerte bis zu Arendts Tod im Jahr 1975. Die Qualität der Beziehung war in den ersten fünf Jahren sicherlich eine andere als in den letzten fünfundzwanzig, aber Arendt beschrieb Heidegger in einer nicht abgeschickten Notiz als den Mann, dem sie treu wie untreu in Liebe verbunden blieb. Als sie diese Zeilen schrieb, war sie vierundfünfzig und Heidegger bereits über siebzig Jahre alt. Hinter diesem Datengerüst verbergen sich auch zwei Ehen: 1929 heiratete Arendt Günther Stern, mit dem sie bis 1937 zusammen blieb. Ihr zweiter Mann wurde 1939 Heinrich Blücher, ein ehemaliger Kommunist und intellektueller Autodidakt. Mit ihm lebte sie bis zu ihrem Tod zusammen. Die Beziehung zu Heidegger lief im Hintergrund weiter – nach dem Ende ihrer Ehe mit Stern hatte Arendt die Hoffnung geäußert, sie möge ihn mit Gottes Hilfe nach dem Tod mehr lieben können. Wagners Götterdämmerung lauert in vielen Briefen – oder wenigstens in jenen, von denen wir erfahren, denn Ettinger zitiert wörtlich aus Arendts, nicht aber aus Heideggers Korrespondenz. Dessen Erben gewährten wohlweislich keine Einsicht in die Unterlagen, was von Mary McCarthy & Co. nicht behauptet werden kann. So stehen den Zitaten viele Paraphrasen gegenüber. Jenseits solcher unschönen Aspekte der verlegerischen Etikette wirft das Buch eher inhaltliche Fragen denn Authentizitäts-

28 probleme auf. Dass Arendt eine erklärte Gegnerin der Nazis war und Heidegger für dessen Beitrag zu Deutschlands Versinken im Nationalsozialismus verantwortlich machte, ist bekannt. Die Geschichte eines jungen Mädchens, dass sich in seinen Professor verliebt, hat genauso wenig Nachrichtenwert wie Arendts scharfe Kritik am Faschismus und an Heideggers Unterstützung für Hitler – von der Autorin herausragender Arbeiten zum Totalitarismus des 20. Jahrhunderts würde man nichts anderes erwarten. In Wahrheit geht es hier also um die private Versöhnung und das intellektuelle Geschwafel nach 1950 – also um jene Stellen, an denen die Moral aufweichte. Da Ettinger sich so sehr um Unparteilichkeit bemüht oder, besser gesagt, die Fehler sowohl des Nazis Heidegger als auch der Jüdin Arendt anerkennt, wundert es nicht, dass die Rezensenten jene moralische Entrüstung nachgeliefert haben, die für die sexuelle Dramaturgie so wichtig ist. Die größte Gefahr einer solchen Herangehensweise ist eine zu starke Identifikation einzelner Wissenschaftler mit nationalen Typen. Im Fall Heidegger/Arendt war der wesentliche Konnex stets philosophischer Natur; er bestand in der langen ideengeschichtlichen Verbindungslinie von Platon bis Kant. Das heißt nicht, dass konkrete Ereignisse keine Rolle für die Beziehung der beiden spielten. Es heißt aber, dass ihre Liebesgeschichte nicht einfach in eine Allegorie der deutschjüdischen Geschichte umgedeutet werden kann. Und doch nimmt Richard Wolin in seiner im New Republic erschienen scharfen Kritik Hannah und der Magier eben diesen Standpunkt ein. Wer eine elfseitige Zusammenfassung von Ettingers 132 Seiten langem Essay sucht, wird nichts Besseres finden. Tatsächlich eignet sich die Rezension bestens als Einleitung zu Wolins eigenen Büchern Seinspolitik und Labyrinth: Explorations in the Critical History of Ideas. Wolin ist ein begabter Wissenschaftler. Unter den jüngeren Forschern zur europäischen Ideengeschichte rangiert er wohl an erster Stelle. Seine Auseinandersetzungen mit Carl Schmitt, Jacques Lacan,

29 Paul deMan und, natürlich, Heidegger und Arendt bilden eine explosive Mischung und ein wichtiges Korrektiv zu der schönfärberischen Unterscheidung von Links und Rechts im Namen einer höheren, aristokratischen Synthese, einer Politik, die von Eliten gestaltet wird und die Massen verachtet. Doch die Bewertung Arendts innerhalb eines solch makroskopischen Rahmens birgt gewisse Schwierigkeiten. Metaphysische Kriege scheinen nicht besonders geeignet, lange schwelende Debatten innerhalb der deutschen Geistesgeschichte beizulegen. Ja, Martin Heidegger war ein Nazi, dessen Denken man als gigantische Rationalisierung eben dieser Tatsache begreifen könnte. Aber zugleich fand sich mindestens eine Säule des Nazismus, nämlich der Antisemitismus, auch im sowjetischen Kommunismus. So ist Wolins Behauptung schlicht falsch, dass »der Antisemitismus, die Grundlage der Nazi-Ideologie, im Weltbild des Stalinismus eine zu vernachlässigende Rolle spielte«. Mit dieser Apologie – der Darstellung des Nationalsozialismus als das im Vergleich zum internationalen Kommunismus schlechtere politische System – soll eine liberale Perspektive auf die Fehler des Nationalsozialismus aufrechterhalten werden. Selbst eine oberflächliche Lektüre belegt das genaue Gegenteil dessen, was Wolin zeigen will – nämlich die besondere Rolle des Antisemitismus für die Entwicklung der bolschewistischen Ideologie. Arendts Buch Ursprünge und Elemente des Totalitarismus vorzuwerfen, es erkläre die Zusammenhänge nicht ausreichend, weil »in einem der beiden wichtigsten historischen Fälle totalitärer Herrschaft der Antisemitismus weitgehend keine Rolle« spiele, geht in grotesker Weise am Thema vorbei. Es ist ein plumper Versuch, die Frankfurter Schule aus ihrer weitgehenden Bedeutungslosigkeit für die heutigen Sozialwissenschaften zu retten. Arendt mag, wie Wolin nahe legt, ein »jüdisches Problem« gehabt haben, doch es ist kaum das Zentrum oder Leitmotiv der Ursprünge und Elemente des

30 Totalitarismus. Zweckdienlich ist auch Wolins Einschätzung von Arendts Arbeit als »brillant [...], aber ostentativ gelehrt und oft schwerfällig in der Argumentation«. Diese Bemerkung lässt vermuten, dass Wolin sich nicht an Arendts »elitärem Denken« oder gar ihrer Affäre mit Heidegger stört, sondern am eigentlichen Kern ihrer Arbeit: dem einheitlichen Charakter des Totalitarismus. Mit einer derartigen Agenda innerhalb einer Agenda wundert es nicht, dass Wolin Ettingers knappe Bemühungen nicht nur als kritisches Kapitel im Leben zweier bedeutender Persönlichkeiten, sondern als wahren Kern von Arendts Leben betrachtet. »Hannah Arendt«, so lesen wir, »hatte nicht nur ein jüdisches Problem. Sie hatte auch ein Heidegger-Problem. Und beide waren auf vielfache Weise miteinander verwoben.« Vor diesem Hintergrund muss seine Rezension als Extrapolation einer Liebesbeziehung in eine Verurteilung von Arendts Schwächen gelesen werden – welche, glaubt man Wolin, von einer Neigung zur Originalität um jeden Preis bis zu einem antidemokratischen, handlungsorientierten Politikverständnis reichen. Noch schlimmer – falls es etwas Schlimmeres geben kann – ist die Behauptung, sie hätte ihre frühere Einschätzung des Totalitarismus als einzigartig verändert oder gar ins Gegenteil gewendet, indem sie ihn als eine Variante des banalen Bösen dargestellt habe – und das nur, um eine komplizierte Affäre mit einem seltsamen Mann zu nivellieren, dessen Liebe sie nie entkommen war. Die essayistische Rezension von Carlin Romano, dem Präsidenten des National Book Critics Circle, bietet einen weniger strengen, eher spielerischen Zugang zu Hannah Arendt – Martin Heidegger. »Heidegger gelang es vielleicht nicht, das Sein zu erfassen, doch für Hannah hatte er immer Zeit. Arendts allzu menschliche Bedingung der ewigen Treue spiegelt einfach nur die Banalität romantischer Besessenheit.« Jenseits solcher Wortspiele mit den Titeln bekannter Werke Heideggers und Arendts fährt Romano fort: »Ettingers Buch legt nahe, Arendt aufgrund der dort

31 geschilderten Informationen weniger Respekt entgegenzubringen. Doch wenigstens ein Leser respektiert sie nun noch mehr.« Romanos Tenor ist positiv, doch wir erfahren nicht, weshalb Ettingers Buch diese paradoxe Wirkung auf den Rezensenten hatte. Seine subjektive Perspektive verfehlt den Kern der Sache nicht weniger als Wolins bizarrer Versuch, Arendts Hauptwerke mit ihrer Affäre mit Heidegger in Verbindung zu bringen. Die Gefahr eines solchen Buchs liegt eben genau darin, dass der Rezensent und Leser sein Urteil auf Basis der hier vorgetragenen Darstellung bildet. Allerdings ist diese Darstellung sehr begrenzt und kurzsichtig. Wofür Arendt oder Heidegger tatsächlich – und sei es nur politisch – standen, klingt allenfalls vage an. Ob der Leser nun für oder gegen Arendt ist: Er wird in eine moralisierende Position gedrängt, ohne dass er sich tatsächlich mit ihren Arbeiten beschäftigen muss. Zwar bin ich überzeugt, dass Heideggers philosophische Schriften tatsächlich mit seinem nazistischen Gedankengut in Verbindung stehen, aber über Arendt lässt sich das Gleiche nicht so leicht behaupten. Es ist möglich, dass Arendts Kritik an Heidegger schwacher ausfiel, als dies unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre, doch all ihre Überzeugungen – von ihrem Glauben an die amerikanische Demokratie bis zu ihrer deutlichen Ablehnung der deutschen und russischen totalitären Systeme – verankern ihr Lebenswerk in einer Welt, die Heideggers Obskurantismus gänzlich fern liegt. Eben weil das so ist, wurde um Arendts Buch Eichmann in Jerusalem viel Aufhebens gemacht. Dies galt vor allem für die Verbindung zwischen dem Gauleiter der Nazis und dem jüdischen Kapo; für die eher apolitische Tradition der deutschen Juden – aufgrund derer die Nazis nach der Machtergreifung ohne ernsthafte Opposition gegen sie vorgehen konnten –; für die Situation Israels als geächteter Staat; und schließlich – der vielleicht schlimmste Punkt –, für die Konzeption des Bösen als banal und als Eigenschaft nicht nur des Täters, sondern auch des Opfers. Hier ist nicht der Ort für eine ausführliche Diskussion von

32 Arendts Haltung zur Judenfrage, doch die Behauptung, ihr Werk sei eine Art Betrug, stehe in Beziehung zu Heidegger und rechtfertige den Nazismus scheint nicht nur weit hergeholt, sondern regelrecht bösartig. Grundsätzlich wurde jeder Aspekt, den Arendt in ihrer Untersuchung des Holocaust und der Reaktionen der Juden auf Unterdrückung und Grausamkeit anführt, bereits von anderen erwähnt. Zu keinem Zeitpunkt wollte sie mit ihren Äußerungen den Nazismus rechtfertigen. Die Behauptung, sie schreibe den Nazis und den Juden gleichermaßen politische Fehler oder gar das Böse zu, kommt beinahe einer Rufschädigung gleich. Es mag sein, dass sie als Vertreterin der aufgeklärten deutschen Juden in intellektueller Hinsicht auf die osteuropäischen Juden herabsah (obwohl dies reine Spekulation ist). Möglicherweise war ihr Zionismus auch halbherzig und sie half zwar anderen, nach Israel auszuwandern, entschied sich aber selbst für Amerika. Diese Litanei der Vorwürfe ist hinlänglich bekannt, und wir müssen uns dennoch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Hannah Arendt eine der größten politischen Theoretikerinnen des Jahrhunderts war – und zudem eine Persönlichkeit, die – anders als viele mit vergleichbarem wirtschaftlichen und kulturellen Hintergrund – nicht zum Christentum konvertierte. Tatsächlich stand Arendt, wie andere zeitgenössische Philosophen, in der geistesgeschichtlichen Tradition der Griechen, der Aufklärung, Kants und der Sozialdemokratie. Ihre Ansichten zur Judenfrage unterschieden sich kaum von denen anderer Vertreter ihrer sozialen Schicht. Diesbezüglich zeigt Reinhard Bendix' Von Berlin nach Berkeley, wie tief die jüdischen Intellektuellen im deutschen Zeitgeist verankert waren – ungeachtet ihrer romantischen Verwicklungen oder ihres familiären Hintergrunds. Niemand auf dieser Welt ist perfekt. Doch es ist ein Fehler, von der grundsätzlichen Schwäche der Menschen darauf zu schließen, es könne keine Helden geben. Diesen Fehler begeht Ettinger auf

33 subtile und Wolin, der es besser wissen müsste, auf groteske Weise. Heldentum ist keine Form der Perfektion, sondern ein Bestreben. Es kann zutage treten in Gestalt altruistischer Handlungen, einer Reihe epochaler Berechnungen zum Aufbau des Universums oder – wie in Arendts Fall – kluger Werke über den einheitlichen Charakter totalitärer Systeme. Arendts Arbeiten stellen sie in eine Reihe mit Poppers Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Arons Opium für Intellektuelle oder Die Suche nach Weltanschauung, Solschenizyns Trilogie über den Archipel Gulag, Kolakowskis Die Hauptströmungen des Marxismus und, vor allem, Jaspers' Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, das die Wiedergeburt der Freiheit in Deutschland beflügelte. Mit Jaspers pflegte Arendt zweifelsohne die beste und längste Freundschaft, an der sich ein innerer Widerspruch ablesen lässt: Auf der einen Seite die private Liebesbeziehung zu Heidegger und auf der anderen die professionelle Hochachtung für Jaspers. Als Jaspers sich 1945 vor dem Entnazifizierungskomitee zum Fall Heidegger äußerte, fasste er das Problem in philosophischen Begriffen. Den Mann, mit dem Arendt eine enge, kollegiale Brieffreundschaft pflegte, beschrieb Jaspers in einer Weise, die weder Heideggers Freunde noch Feinde leicht widerlegen konnten. Heideggers Denken sei grundsätzlich unfrei, diktatorisch und unkommunikativ gewesen. Er, Jaspers, glaube, es sei falsch, einen solchen Lehrer auf junge Leute loszulassen. Diese müssten zuerst lernen, eigenständig zu reflektieren. Denkt man an Arendts Drang zum Normativen oder gar daran, wie tief sie Kant verpflichtet war, könnte es gut sein, dass ihr Einfluss auf Heidegger dessen bedingungslose Hingabe an das Regime zwar nicht verhinderte, aber doch beschränkte, selbst wenn dessen theoretische Impulse nicht so klar libertär wie bei Hannah waren. Ich weiß nicht, ob all diese großen Denker Heilige waren. Es steht zu vermuten, dass sie alle ihre Schwächen und Eitelkeiten hatten.

34 Aber bestimmt gäbe es über keinen von ihnen eine Enthüllungsgeschichte zu erzählen, die dessen Platz im Pantheon der Gelehrsamkeit gefährden könnte. Das gleiche gilt für Hannah Arendt. Ich glaube, eine ernsthafte Beschäftigung mit ihrer Persönlichkeit müsste die Spannungen in Betracht ziehen, die ihre wissenschaftlichen Beziehungen zu Jaspers und Heidegger kennzeichneten. Dass sie – nicht gefühls-, sondern vernunftgeleitet – letztlich immer auf Jaspers' Seite war, hätte der Ausgangspunkt einer Studie sein können, die Ettingers Arbeit qualitativ übersteigt. Doch dazu bedürfte es etwas mehr als den bloßen Willen, die Mächtigen zu Fall zu bringen. Ettingers Buch ist kaum mehr als die akademische Version eines HollywoodDokudramas im Gewand einer seriösen Biografie. Seine Vorbilder sind Bücher über skandalöse Liebesaffären wie die zwischen Marilyn Monroe und Arthur Miller, Spencer Tracy und Katherine Hepburn, F. Scott Fitzgerald und Zelda, Jack London und Charmian und zahllose weitere Paare. Dass Intellektuelle heute so behandelt werden, ist dem uneingeschränkten Interesse der Amerikaner am Liebesleben der Reichen und Berühmten geschuldet – insbesondere, wenn es sich dabei um Frauen handelt. Es gründet aber auch in einem gewissen Drang zur Herabwürdigung unserer akademischen Kollegen: Jeder kann nun mit dem Finger auf Arendt zeigen und sich daran freuen, dass auch sie und ihresgleichen nicht besser sind als die anderen, ja sogar schlimmer, man denke nur an die Doppelmoral heimlicher außerehelicher Beziehungen und persönlicher Eitelkeiten. So hat Ettingers Buch einen seltsamen Nivellierungseffekt: Es bringt die Eliten zu Fall, aber nicht im Namen der Demokratie, sondern durch den Beweis, dass die Menschen am oberen Ende der akademischen Karriereleiter auch nicht besser sind als jene, die unten stehen. Doch das ist nur ein kleiner Trost. Die Tatsache, dass die Autorin einer Trilogie über das Leben des Geistes so viel Zeit auf das Leben des Körpers verwendet hat, ist bestimmt keine

35 große Erkenntnis. Eine solche theologische Tradition suchte die philosophische Tradition seit jeher zu überwinden. Doch jenseits der Behauptung, das Heilige und das Profane seien zwei getrennte Bereiche, bevorzuge ich eine andere Lesart und will die Liebe zwischen Arendt und Heidegger nicht überinterpretieren. Schließlich ging es vor allem um eine außereheliche Affäre. Beide waren verheiratet, beide schienen nicht an Scheidung gedacht zu haben – wenigstens ist in Ettingers Buch davon nicht die Rede. Der Affäre waren also von vornherein enge Grenzen gesetzt. Dass Arendt Marburg und damit auch Heidegger (als Lehrer) verließ und zu Jaspers ging, verdeutlicht, dass diese Grenzen klar waren. Wir erfahren wenig über die Intensität dieser Liebesbeziehung. Sie scheint eine weitgehend geistige Dimension gehabt zu haben und war wenigstens in späteren Jahren keine verrückte, leidenschaftliche Liebe. Am stärksten verstört ein Abschnitt in Ettingers Essay, in dem es heißt, Arendt sei von vielen Männern umworben und geliebt worden, doch sei sie diesbezüglich sehr diskret gewesen und habe es nur engen Freunden gegenüber erwähnt, gar amüsiert heruntergespielt. Diese anderen Männer werden mit keinem weiteren Wort erwähnt. Müssen wir uns jetzt auf eine ganze Buchreihe zum Thema »Arendt und X« einstellen? Und wer sind diese »engen Freunde«? Nun ja, an der guten alten New School for Social Research scheint die Zeit der Enthüllungsstories angebrochen zu sein. Wir wissen, dass Freunde fürs Leben sich ihre Schwächen gegenseitig verzeihen, dass Rationalisierung oft über Ratio siegt und dass die Menschen oft versuchen, alte Freundschaften wiederzubeleben, um ihre eigene Kontinuität zu sichern. All das gilt auch für die Tausenden oder Millionen anderer Menschen, in deren private Beziehungen öffentliche Ideologien wie Nazismus oder Kommunismus auf der einen Seite und ethnisch oder rassisch verschiedene Partner unterschiedlicher politischer Ausrichtung eine Rolle spielten. Der Sieg privater Intimität über

36 öffentliche Präsenz ist nicht grundsätzlich schlecht. Im Gegenteil: In der Fähigkeit der Individuen, auch ihre Körper sprechen zu lassen, liegt die – manchmal sinnlose – Hoffnung auf Erlösung; darauf, dass sogar die tiefen Gräben des Totalitarismus überbrückt und verhärtete Positionen aufgegeben werden können. Doch nichts davon scheint Ettinger zu interessieren. Sie zieht es vor, Arendts Verhalten gegenüber Heidegger mit Küchenpsychologie zu erklären. In Wahrheit hat sie ein Buch über Arendts schlechten Charakter geschrieben, das sich eher mit den moralischen Widersprüchen der Philosophin als mit Heideggers kruder Nazivergangenheit beschäftigt. Wie einige Rezensenten bemerken, liefert uns Ettinger implizit, und zugegebenermaßen geschickt, ein hartes, zynisches Bild der im Buch auftretenden Personen. Sie verwandelt Privates in Egoismen und Sexuelles in Anstößiges. Doch ihre säkularisierte Version eines absolutistischen Guten und Bösen hat wenig mit echter Analyse oder Erkenntnisfindung zu tun. Heideggers Sein und Zeit mag viele Schwächen haben, doch gründen diese gewiss nicht in der Affäre des verheirateten fünfunddreißigjährigen Dozenten mit einer achtzehnjährigen, leicht zu beeindruckenden Studentin. Gleichermaßen ist die Annahme grundfalsch, Arendts Liebe zu Heidegger habe die Elemente und Ursprünge des Totalitarismus definiert oder auch nur beeinflusst. Das Problem liegt eher bei den ideologischen Vorlieben der Biografin als beim von ihr erwählten Opfer. Ich würde sogar sagen, dass Ettingers Kritik im Kern eher auf Arendts unkonventionelle ideologische Positionen als auf ihre nur allzu konventionellen romantischen Verwicklungen zielt. Wie Arendt in Über die Revolution deutlich macht, gehörte sie zu der seltenen Spezies der revolutionären Konservativen. Obwohl sie Kritik an Robespierres Terrorherrschaft und den späteren Faschismen und Kommunismen übte und die Föderalistenartikel sowie die Gründer der Amerikanischen Republik positiv darstellte, suchte

37 sie doch im Grunde nach einem Weg, revolutionäre Bewegungen mit traditionellen Werten zu verknüpfen. Deshalb waren für Arendt so unterschiedliche Gremien wie die Bürgerversammlungen während der Amerikanischen Revolution (townhalls) und die Räte (Sowjets) nützliche Formen direkter Demokratie. Manche Kritiker sahen in Arendts Aussagen über eine »neue Aristokratie« eine düstere Verbindung zu Heideggers Antihumanismus. Meine eigene Interpretation geht dahin, dass Arendt weniger an der heimlichen Rechtfertigung ihres Geliebten als an der Suche nach den potentiellen Grundlagen der Nachkriegsgesellschaft interessiert war. Sie forschte nach Möglichkeiten für die Mitglieder der Elementarrepubliken, die Demokratie – und mithin die Nation – zu beschützen, statt sich zu Parteien zu entwickeln und die Demokratie damit zu unterlaufen. Leider war Arendt bei ihrer Suche nach einer Synthese zwischen revolutionären Zielen und einer intellektuellen Elite, welche diese Ziele umsetzt nicht erfolgreich. Dieses Scheitern halte ich für eine Folge der Tatsache, dass sie eher metaphysische als empirische Fragen stellte. Sie orientierte sich an Denkern wie Platon und Hegel, die revolutionäre Bewegungen eher im Zaum halten als sich ihnen entgegenstellen wollten. Auch Heidegger mag auf seine eigene Art zu dieser Gruppe gehört haben. Jedenfalls zeugt Arendts Haltung zu dieser Frage von einem tradierten Politikverständnis, nicht aber von der Intrige eines heimlichen Liebespaars. Die Schwächen Einzelner sind kein Grund, die Suche nach Perfektion in deren Texten aufzugeben. Diese bieten im Gegenteil oft gerade wegen solcher Schwächen Ideen für den Umgang mit den Widersprüchen des täglichen Lebens. Ettingers klinischer, unparteiischer Stil dient nur zur Verschleierung der Inhaltslosigkeit ihres Buchs. Sie greift keines der zentralen Themen auf, die Arendt ein Leben lang beschäftigten.

38 Zwar ist Hannah Arendt – Martin Heidegger ein herausragendes Beispiel für die Recherche in Archiven. Aber aus den Rohmaterialien entstand hier keine seriöse Biografie, die erklären könnte, wie Arendts Leben mit den Grundzügen ihres Denkens in Verbindung steht. Das Fehlen eines Titels – jenseits der Namen der beiden Verliebten – unterstreicht diese Ideenarmut. Zum Glück, für Arendt wie für Heidegger, sind anderen solche Versuche besser gelungen. Auch der Einwand, die Autorin interessiere sich erklärtermaßen nicht für diese wichtige Frage, trägt nicht. Denn gerade wegen Arendts Beitrag zur politischen Theorie und Heideggers Erkenntnislehre greift der Leser allererst zu Ettingers Buch. Wenn dessen Deckel einst verstaubt ist, wird es eher als Beispiel für den antiheroischen Geist seiner Epoche denn als gelungene Untersuchung über das Privatleben zweier höchst einflussreicher Menschen betrachtet werden – zweier Intellektueller, die in ihren Handlungen genau jenen Widersprüchen nicht entgehen konnten, die sie in ihrem Denken so nachdrücklich zu überwinden suchten. Auch wenn ich Gefahr laufe, meine eigene Forderung nach einer klaren Trennung des Öffentlichen vom Privaten zu schwächen: Das Bild einer von persönlichen Abhängigkeiten dominierten Frau passt in keiner Weise zu der Hannah Arendt, die ich kannte. Natürlich war unsere Bekanntschaft nur oberflächlich; wir tauschten nie Privates aus. Und doch meine ich, sie weit besser gekannt zu haben als jene, die so überaus schnell mit Urteilen bei der Hand sind. Ich muss gestehen, dass ich dieses Buch nicht von mir aus rezensieren wollte, sondern es sich mir vielmehr aufgedrängt hat. Nach dessen Veröffentlichung, genauer gesagt nach Erscheinen der vielen überschwänglichen Kritiken bestimmter Publikationen mit akademischer Leserschaft, wurde mir ständig kondoliert. »Haben sie schon von Hannah Arendts Affäre mit dem Nazi Martin Heidegger gehört (oder gelesen)?« Danach folgte meist die Frage: »Ist es Ihnen peinlich, den Hannah-Arendt-Lehrstuhl innezuhaben?« In einem Fall erhielt ich sogar den Rat, den Lehrstuhl aufzugeben und mir einen besseren

39 zu suchen! Der Anruf einer führenden Zeitung, die eine Geschichte über den »Skandal« plante und meine Meinung dazu hören wollte, brachte das Fass zum Überlaufen. Ich hatte Ettingers Buch damals noch nicht gelesen und zum Sexualverhalten von dessen Protagonisten auch nichts Erhellendes beizutragen. Deshalb äußerte ich mich der Zeitung gegenüber nicht dazu. Mein einziges unmittelbares Wissen über Arendts Liebesleben besteht in der Tatsache, dass ich sie sonntags Arm in Arm mit Heinrich Blücher spazieren gehen sah. Mit ihm, der damals das Programm World Civilization am Bard College leitete, das jeder Student absolvieren musste, kam sie nach Annandale-on-Hudson, wo sie gemeinsam den Tag verbrachten. Ich selbst lehrte 1958 in Bard. In diesem Jahr traf ich mich regelmäßig mit Heinrich, genau wie andere junge Dozenten. Auf einem jener Spaziergänge stellte Blücher mir seine Frau Hannah Arendt vor. An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zu Blücher angebracht. Seine Vorlesungen waren manchmal katastrophal, zum Beispiel wenn er einfach die gesamte chinesische Philosophie- und Kulturgeschichte kritisierte oder grundlegendes Unverständnis der zeitgenössischen amerikanischen Kultur demonstrierte. Doch er war ein zutiefst mitfühlender Mensch, dessen private Freundlichkeit seinem pompösen öffentlichen Auftreten in nichts nachstand. Während unserer kurzen Bekanntschaft war er stets höflich und freundlich; er nannte mich seinen »kleinen Linkshegelianer«. Angesichts des in den späten fünfziger Jahren herrschenden Klimas verstand ich die Anspielung auf den Marxismus, aber das »Kleiner« irritierte mich, weil ich mindestens einen Kopf größer war als er. Vielleicht bezog er sich auf meine damalige geistige Größe! Durch ihn erfuhr ich von deutschen Sozialwissenschaftlern jenseits der Frankfurter Schule, wie beispielsweise Hans Speier. Blücher war stolz auf seine Vorfahren, die, so behauptete er, während der Amerikanischen Revolution Seite an Seite mit den Hessen gekämpft hatten. Für

40 Heinrich unterschieden sich Gedanken oft nicht allzu sehr von Fakten. In seinen Briefen zeigt Blücher sich als weiser Mann. Selbst wenn es um Heidegger ging, gab er Arendt stets nur ruhige und vernünftige Ratschläge. Ettinger begründet dies damit, dass Blücher über Heidegger nur gewusst habe, was Arendt ihn wissen lassen wollte. Das halte ich für falsch. In einer lebenslangen Partnerschaft weiß man viel über den anderen, auch wenn dieser nicht viel erzählt. Und gerade von dem scharfen Beobachter Blücher anzunehmen, er habe von den Vorgängen in seinem Privatleben nichts gewusst, ist schlicht lächerlich. Auch bei meiner letzten Begegnung mit Arendt spielte Blücher eine Rolle. Im November 1975, einen Monat vor ihrem Tod, lud sie mich in ihre Wohnung am Riverside Drive ein, um über eine mögliche Veröffentlichung von Blüchers Memoiren und Unterlagen zu sprechen. Zuvor hatte sie mir eine Auswahl davon geschickt, aber aus Respekt vor dieser großen Denkerin besuchte ich sie Zuhause, um alle Dokumente durchzusehen und erst dann meine Meinung zu äußern. Ich las alles sorgfältig und besorgt zugleich, denn die Unterlagen schienen mir – wenigstens damals – in keiner Weise für eine Veröffentlichung geeignet zu sein. Darüber sprach ich mit Arendt ganz offen und sagte, nur sie als Ehefrau und geistige Weggefährtin könne das Material überarbeiten. Natürlich hatte sie dazu weder die nötige Ruhe noch die Zeit. Wir trafen damals keine Entscheidung, sondern sprachen über andere Themen. Vor allem erinnere ich mich an Hannah Arendts Gastfreundschaft. Sie servierte mir ein Brunch mit perfektem Teegeschirr und allen Formalitäten, die für eine Europäerin ihres Standes damals selbstverständlich waren. Der Nachmittag schien wie aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort. Ich fragte, was sie als nächstes tun wolle, und sie sprach von einer

41 politikwissenschaftlichen Vorlesungsreihe irgendwo in Europa; ich erinnere mich nicht genau, wo. Lachend fügte sie hinzu, obwohl sie kein einziges Seminar in Politikwissenschaft absolviert habe, sei sie von den Vertretern dieses Fachs mit allerlei akademischen Ehren überhäuft worden. So frage sie sich, was neben der so genannten normativen Theorie von diesem Gebiet wohl noch übrig sei. Bald darauf verabschiedete ich mich. Letztlich standen das gemeinsame Leben mit ihrem Mann und ihre Gedanken über eigentlich unbeantwortbare Fragen im Mittelpunkt ihrer Gefühlswelt – und nicht ihre Romanze mit Martin Heidegger. II Daniel Maier-Katkin ist Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Florida State University. Vermutlich ist aber seine Position als Fellow am dortigen Institut für Menschenrechte die entscheidende Motivation seines Buchs über Arendt. Sein sehr anständiges Buch handelt von Arendts Beziehung zu Heidegger, in zweiter Linie von ihrer Ehe mit Heinrich Blücher und schließlich – doch weniger klar – von ihrer lebenslangen, während des Nationalsozialismus zum Teil unterbrochenen Freundschaft zu Karl Jaspers. Der Titel Stranger from Abroad (Fremde(r) aus der Ferne) ist zweideutig, und im Untertitel ist von Freundschaft und Vergebung die Rede. Katkin nähert sich den Texten seiner Protagonisten vorsichtig und korrekt. Doch ein anständiges Buch ist noch kein gelungenes Buch. Um letzteres zu schreiben, hätte der Autor mehr leisten müssen, als bloß zu behaupten, seine Untersuchung sei »fair und ausgewogen«. Er hätte ein tieferes Verständnis für die Bedeutung der behandelten Personen aufbringen und sie zugleich im globalen Kontext verorten müssen. Dann wäre ihm ein bedeutendes sozialgeschichtliches und biografisches Werk gelungen.

42 Der Verlag hat dem Autor mit dem Titel Fremde(r) aus der Ferne keinen Gefallen getan. Das bei W. W. Norton erschienene Buch ist kein Liebesroman über eine jüdische Intellektuelle und einen Naziphilosophen. Die persönlichen Eigenschaften des jeweils anderen waren den Partnern bekannt, bestimmten aber nicht die geistige oder ideologische Entwicklung. Sie machten – um eine Analogie mit entgegen gesetzten Vorzeichen zu bemühen – Dashiell Hammett nicht zu einem besseren Autor, obwohl er nach dem Krieg ein Schreibseminar an der New Yorker Jefferson School unterrichtete, die damals unter kommunistischer Leitung stand. Und sie halfen auch seiner großen Liebe Lilian Hellmann nicht weiter, die Dramen über dekadente südamerikanische und osteuropäische Familien schrieb. War aber nun Arendts kritische Wahrnehmung der im Ausland und später in Israel lebenden Juden berechtigt? Stimmt es zum Beispiel, dass, wie Katkin behauptet, der Zusammenbruch der Solidarität unter den europäischen Demokratien dem Antisemitismus zum Aufstieg verhalf, oder dass die Spaltung der deutschen Juden eine »notwendige Bedingung« für die Endlösung war? War Arendts Konzept der »Banalität des Bösen« im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess das Ergebnis von Jaspers Warnung, nicht alle Deutschen verantwortlich zu machen, oder einfach die Erkenntnis, dass die Komplizenschaft führender Juden und die Passivität der restlichen Welt den Holocaust möglich machten? Diese Themen sind sehr umstritten und können deshalb nicht wie nebenbei erwähnt werden. Katkins Reduktionismus zeigt sich auch darin, dass er ganz beiläufig einen Gedanken aus Eichmann in Jerusalem übernimmt: Während das israelische Gericht Eichmann als völlig gewissenlos einschätzt, meinte Arendt, dies sei nicht der Fall gewesen; im Gegenteil habe er nicht nur ein mörderisches, von der NaziIdeologie geformtes Gewissen gehabt, sondern dieses habe sich zudem aus einem in »angesehenen Teilen der deutschen Gesellschaft« verbreiteten Antisemitismus gespeist.

43 Ein einzelnes Buch kann solch schwerwiegende Themen nicht umfassend behandeln. Und doch hätten wir gerne mehr über die Ansichten bestimmter in Arendts Leben wichtiger Personen erfahren, zum Beispiel von Paul Tillich, Karl Jaspers oder Heinrich Blücher. Auch Martin Heideggers Einstellung zu den großen Themen, die Arendt beschäftigten, bleibt unklar. Vielleicht ist das ein allzu gut gemeinter Versuch, ihn zu entlasten, damit nicht wieder jemand die alte Leier von Arendt und dem Nazi anstimmt. In diesem Zusammenhang halte ich es für falsch, Arendts letzte Arbeit Das Leben des Geistes als eine Art »Widmung« an Heidegger zu begreifen. Tatsache ist, dass Arendts letzte drei Texte sich mit den Elementen des Kantschen Denkens beschäftigen, nämlich mit der reinen Vernunft, der praktischen Vernunft, dem Geschmacksurteil, der transzendentalen Einheit der Apperzeption und dem moralischen Kompass, der die phänomenale und die noumenale Welt miteinander verbindet. Katkin trivialisiert diese letzten Gedanken, indem er sie als Arendts Abrechnung mit einer lange zurückliegenden Liebesgeschichte präsentiert. Für eine solch tiefe Verbindung zwischen Liebe und Wissenschaft gibt es jedoch kaum Beweise. Stattdessen sind die Texte Zeugnis der Bedeutung des großen, universalistischen und liberalen Denkers Kant – und nicht etwa einer Auseinandersetzung mit Heidegger als Person oder gar mit dessen Engstirnigkeit. Jenseits dieser Aspekte ist Katkins Arbeit ein lesenswertes Korrektiv zu Victor Ferias Heidegger and Nazism (1989) Ettingers bereits erwähntem Buch oder auch Richard Wolins Heidegger's Children (2001). Gemeint sind mit »Heideggers Kindern« neben Arendt Karl Löwith, Hans Jonas und Herbert Marcuse. Zwar hat Arendt mit den dreien einige Jahre an der New School of Social Research verbracht. Aber das dortige – gut gemeinte, doch eklektische – Sammelsurium aus Links- und Rechtshegelianern repräsentierte nur die nazistischen und kommunistischen Irrtümer der Kriegszeit. Mit diesem Problem beschäftigte sich Arendt nicht. Weder von der Naziideologie mit

44 ihren großen Versprechungen jenseits jedweder Kohärenz noch vom Stalinismus, welcher Zufriedenheit qua Sozialismus versprach und weder das eine noch das andere einlöste, konnte man viel erwarten. Ähnliches galt für den zunächst von Nazis und später vom Nachkriegsamerika gefeierten Karl Schmitt. All diese Phänomene stützten Arendts These vom einheitlichen Charakter des Totalitarismus, die schon so viele widerlegen wollten – nur wenige davon auch nur ansatzweise erfolgreich. Arendts Schriften sind nicht perfekt; ihre Theorien zu empirischen Ereignissen manchmal unscharf und ihre Erklärungen wichtiger Geschehnisse wie des Vietnam-Kriegs zuweilen widersprüchlich. Aber ihr Erbe ist bedeutender als das der meisten anderen deutsch-jüdischen Wissenschaftler des Exils. Es umfasst (a) die Einheit der totalitären Ideologie; (b) die Umwandlung mörderischen antidemokratischen Gedankenguts in legale und illegale Handlungsmuster; (c) die grundlegende Unterscheidung zwischen dem Element der Solidarität in der amerikanischen Kultur (und erinnert dabei fast an Tocquevilles Demokratie in Amerika) und dem Kosmopolitismus der europäischen Kultur (mit Anklängen an Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit und der prophetischen Rede von der »Krise der europäischen Seele«). Arendts Beziehung zu Heidegger ist ein verstörendes und vielsagendes Stück Geistesgeschichte. Aber im Großen und Ganzen – und hier bemüht sich Katkin um die richtige Darstellung – stand Arendt über Heideggers Obskurantismus, Jaspers' Leisetreterei und ganz gewiss über der Verwirrtheit ihres geliebten Ehemannes Blücher. Katkins Buch ist die nüchterne und lesenswerte Geschichte einer tragischen Beziehung, bietet aber keine faire und ausgewogene Perspektive auf eine Ära, die selbst weder fair noch ausgewogen war oder sein konnte.

45 Bibliografie Elzbieta Ettinger, Hannah Arendt-Martin Heidegger. Eine Geschichte, a. d. Amerikan. v. Brigitte Stein, München 1995. Daniel Maier-Katkin, Stranger from Abroad: Hannah Arendt, Martin Heidegger, Friendship and Forgiveness, New York 2010.

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Hannah Arendt: Eine juristische Kritik des Totalitarismus Hannah Arendt kam 1906 in Hannover als Kind deutsch-jüdischer Eltern zur Welt. Sie studierte in Marburg, Freiburg und Heidelberg. Ende der 1930er-Jahre floh sie zunächst nach Frankreich und ging 1941 in die USA. 1950 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie mit der universitären Forschung und Lehre: 195253 war sie Guggenheim Fellow; 1955 kam sie als Visiting Professor nach Berkeley; 1959 erhielt sie als erste Frau in Princeton eine volle Professur; 1960 unterrichtete sie Staatskunde an der Columbia University. Von 1967 bis zu ihrem Tod 1975 arbeitete sie an der New School of Social Research. Sie war eine sehr urbane Persönlichkeit, der die Nähe zu San Francisco, Chicago und New York mindestens ebenso viel bedeutete wie die universitären Tätigkeiten als solche. Ihr Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft erschien 1951 und etablierte sie als bedeutende Denkerin innerhalb der politischen Theoriebildung der Nachkriegszeit. Die Arbeit versucht, sich dem Totalitarismus als solchem einheitlich zu

48 nähern, und begreift die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus als nachrangig im Vergleich zu den strukturellen und kulturellen Gemeinsamkeiten beider Systeme. Deren gemeinsame Basis besteht laut Arendt im Machthaberprinzip, im Einparteiensystem, in der Mobilisierung der Massen (statt individueller demokratischer Teilhabe) und nicht zuletzt in dem nahezu unstillbaren Bedürfnis einer Nation nach Expansion, ob auf direktem (militärischem) oder indirektem (politischem) Weg. Der Antisemitismus in Hitlerdeutschland unterschied sich von jenem in Russland unter Stalin, aber beide wurzelten in Klassenunterschieden und dem Bedürfnis nach einem Sündenbock, den man für alle Mängel und Niederlagen der jeweiligen Nation oder des Systems verantwortlich machen konnte. Arendts intensive Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus stand in unmittelbarer Verbindung zu ihrem Engagement für jüdische Belange, das einsetzte, sobald sie in den USA kam. Sie war zwischen 1944 und 1946 Forschungsdirektorin der Conference on Jewish Relations und 1949-1952, kurz bevor sie berühmt wurde und ihre Universitätskarriere begann, Geschäftsführerin der Jewish Cultural Reconstruction in New York. Arendts Ansichten zum Genozid gehen weit über die in Eichmann in Jerusalem vertretenen Positionen hinaus. Dominierte in diesem Buch die journalistische Erzählweise, entwickelte sie unabhängig davon eine allgemeine Theorie des Totalitarismus, innerhalb derer das Thema Genozid ausführlich untersucht wurde. Den Nazismus wollte Arendt nicht als Aberration der westlichen Kultur sehen. Sie sprach ihm im Gegenteil jede Verbindung zu dieser Tradition ab und perspektivierte ihn gerade als den Zusammenbruch der deutschen und europäischen Traditionen – und zwar der guten wie der schlechten.

49 Arendt begriff den Genozid nicht als Erfindung der Deutschen oder Österreicher (oder irgendeines anderen Volkes), sondern als aktiven Nihilismus, der von der Zerstörung als konkreter Erfahrung zehre und von dem dummen Traum, einen leeren Raum zu schaffen. Nicht wenige von Arendts Kritikern halten derlei Formulierungen für apologetisch; sie habe damit persönliche Beziehungen zu politisch konservativen Mentoren und Liebhabern wie Heidegger mit liberalen, manchmal radikalen politischen Forderungen vereinbaren wollen. Ob solche biographischen Behauptungen nun zutreffen oder nicht – ihre Ansichten zu Nationaltypen gehörten im 20. Jahrhundert zum sozialwissenschaftlichen Mainstream. Der wichtigste Aspekt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft in Bezug auf den Holocaust ist der Gedanke, der Totalitarismus als System – und nicht nationale Charakteristika – begründe Phänomene wie Massenmord und Gewalt gegen bestimmte Gruppen. Die Formen des Totalitarismus mögen variieren, doch ob Nazi, Faschist oder Kommunist: Das System ermöglicht Akte des Völkermords unabhängig von den konkreten ideologischen Tendenzen des jeweiligen extremistischen Regimes. Vorbereitet werden Genozide, indem der Opfergruppe Bürgerrechte, politische und juristische Ansprüche verweigert werden. In einer brillanten Studie von Edmund Burkes Kritik der abstrakten Menschenrechte, die der in einer Nation geltenden natürlichen Rechte entbehren, bemerkt Arendt: »Die Staatenlosen, die Überlebenden der Vernichtungslager, die Insassen der Konzentrations- und Internierungslager, sie alle jedenfalls bedurften keiner Burkeschen Argumente, um einzusehen, dass die abstrakte Nacktheit ihres Nichts-als-Menschseins ihre größte Gefahr war. Sie waren damit in das zurückgefallen, was die politische Theorie den ›Naturzustand‹ und die zivilisierte Welt Barbarei nannte. Ihr fanatisches Bestehen auf ihrer Nationalität war eine instinktive Reaktion gegen diesen Zustand der Barbarei,

50 der verzweifelte Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zu der in Nationen organisierten zivilisierten Menschheit.« (EUH, 620). Und in einem beeindruckenden Fazit des Abschnitts über Imperialismus schreibt Arendt, »wiewohl der Rechtlose nichts ist als ein Mensch, ist er [...] dies in seiner absolut einzigartigen, unveränderlichen und stummen Individualität, der der Weg in die gemeinsame und darum verständliche Welt dadurch abgeschnitten ist, dass man ihn aller Mittel beraubt hat, seine Individualität in das Gemeinsame zu übersetzen und in ihm auszudrücken.« (ebd., 623f) Dass den Juden die Rechte aberkannt wurden, indem man ihnen die Bürgerrechte per se absprach, ist für Arendt die zentrale (oder gar hinreichende) Bedingung, die den Völkermord allererst ermöglichte. Arendts Darstellung ist nicht immer eindeutig: Zwar bilden manchmal Größe und Macht des Staates die Ausgangspunkte einer totalitären Herrschaft, in anderen Fällen sind aber kulturelle und psychologische Bedingungen ausschlaggebend. Deshalb entscheidet sich der Umschlag in ein totalitäres Regime letztlich mit der Machtergreifung der Extremisten in einem Moment, in dem die Staatsmaschinerie »eingefroren« und erstarrt ist. Eine weitere Bedingung für den Totalitarismus ist laut Arendt die Verbreitung von Angst und »Terror«. Zudem wählt ein totalitäres System seine Opfer und Vollstrecker nicht nach deren persönlichen Überzeugungen oder nach Sympathie aus, sondern nach strengen »objektiven Standards«, nämlich nach Zugehörigkeit zur Gruppe der Juden oder der Arier. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft endet mit einer kreativen Offenheit, die nicht auf Arendt beschränkt ist. Ein Großteil der politischen Theorie nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich auf die Untersuchung der Entstehungsgründe des Extremismus und den Zusammenbruch von Recht und demokratischer Ordnung. Wir müssen herausfinden, ob die Politik oder die Kultur die Grenzen der Macht bestimmt, denn sonst können wir weder solch unvorstellbare Schrecknisse wie

51 den Holocaust verstehen oder darauf reagieren, noch demokratische Entwicklungen als solche begreifen. Wir müssen klären, ob der Totalitarismus nur eine Ausformung der Mobilisierung und Vermassung politischer Prozesse ist oder ein völlig anderes, dieses Prozessen gar entgegen gesetztes Phänomen. Arendt adressiert diese Unklarheit in einem ein Jahrzehnt später erschienen Text. Nach Vita activa, das mit einigem Recht als eine Art Zwischenspiel und weniger als die Fortführung der Auseinandersetzung mit ihrem Mentor Karl Jaspers gesehen werden kann, widmete sie sich erneut der Problematik totalitärer Systeme und der Entstehung politischen Wandels. Daraus entstand Über die Revolution, ihre vielleicht am stärksten unterschätzte Arbeit. Sie ist Jaspers gewidmet, der in Die Atombombe und die Zukunft des Menschen »sowohl die Vernichtung der gesamten Menschheit in einem Atomkrieg wie die prinzipielle Vernichtung der Freiheit auf der gesamten Erde durch einen totalen Herrschaftsapparat in Rechnung stellt.« (ÜR, 363) Über die Revolution ging einen Schritt weiter: Mit dem Patt der Atommächte waren Revolutionen der wichtigste politische Faktor geworden. Das Verständnis der Revolution war für Arendt deshalb der Schlüssel zur Zukunft. Sie beschäftigt sich hier nicht direkt mit dem Genozid, sondern erschließt neue Gebiete, etwa indem sie eine Art psychologisches Profil des politischen Absolutismus entwirft und darstellt, inwiefern die »Leidenschaften« und der Machtwillen den Völkermord in einem Staat allererst ermöglichen. Robespierres Konzept der revolutionären Diktatur begreift sie als Blaupause der europäischen Politik – die stets in antipolitique endet. »Denn der Wille zur Macht als solcher, die bloße Sucht zu herrschen, ohne alle Leidenschaft, sich auszuzeichnen, […] ist zwar das hervorstechendste Merkmal tyrannischer Menschen, aber man kann sie schwerlich als ein typisch politisches Laster ansprechen; dieser herrschsüchtige Wille zur Macht ist vielmehr die Eigenschaft, durch welche alles eigentlich politische Leben

52 zerstört wird, an ihm scheitert das Laster des Ehrgeizes […] nicht weniger als die Tugend des Nacheiferns.« (ebd., 153) Ist die Politik der Rahmen für den nationalen Diskurs – und hat also jene Qualität, die Arendt an der amerikanischen und britischen Gesellschaft so schätzte –, kann es keine demokratische Gesellschaft geben. So lautete selbst im revolutionären Frankreich zwischen 1789 und 1794 die Parole »Es lebe die Republik!« und nicht etwa: »Hoch lebe die Demokratie!« In ihren Arbeiten zeigte sich Arendt stets als Juristin, als Analytikerin der rechtlichen Sphäre. Immer fragte sie nach der Legitimität – aber nicht in Form eines abstrakten Diskurses über Nationalismus, sondern einer Reflexion darüber, wie ein Volk schwierige, gar tyrannische Bedingungen überleben kann. In dieser Frage war sie weder konservativ noch liberal, wenigstens nicht im konventionellen Sinn dieser Begriffe. Die Schwierigkeit, sie diesbezüglich zu charakterisieren, mag genau jene Eigenschaft Arendts sein, die ihre Kritiker stets am meisten irritiert hat. Den (im Gegensatz zu den Schriften der griechischen Philosophen) modernen Konservatismus begriff Arendt beispielsweise als zweihundert Jahre währende Antwort auf die Französische Revolution; als von Edmund Burke, Alexis de Toqueville, Eric Voegelin und deren modernen Gefolgsleuten benutzte Form der Polemik. Die Liberalen boten ihrer Meinung nach die Rationalisierung einer totalitären Revolution, die sie weder gänzlich verstehen, akzeptieren oder zurückweisen konnten. Jenseits aller Fragen, welche diese Darstellung offen lässt, lieferte Arendt damit eine bedeutende Neuinterpretation der historischen Ereignisse. Und doch ist es fraglich, ob ihre Argumentation bezüglich dieser Zusammenhänge stringent ist. Jacob Talmon, der zur gleichen Zeit The Origins of Totalitarian Democracy schrieb und zu erstaunlich ähnlichen Ergebnissen gelangte, traf vielleicht eher ins Schwarze, denn er begriff die Radikalen der Französischen

53 Revolution und der vorausgehenden Französischen Aufklärung als Ursprung der Polemik – sowohl als geeigneten Stil für Ideologien wie als grundlegende Herangehensweise an politische Macht. Ungeachtet dessen ist es möglich, dass der Konservatismus eine Zeit lang eher reaktive als proaktive Tendenzen zeigte, und zwar so lange, bis er wieder mit der Massenpolitik und den politischen Parteien der USA in Verbindung stand. Jedenfalls starb Arendt genau zu jener Zeit, in der sich der Konservatismus von einer klassenbasierten Theorie zu einer massenbasierten Praxis wandelte. Doch all diese Überlegungen betreffen demokratische Kulturen, die weit entfernt sind von jener monolithischen Welt, in der ein Genozid möglich wird. Für Arendt, die tief in der klassischen deutschen Rechtsphilosophie verwurzelt war, hatte die juristische Ordnung stets große Bedeutung. Das Rechtssystem ist jenes logische Artefakt, das die höchsten Bestrebungen der Menschen sowohl ermöglicht als auch fordert, und zugleich verhindert oder begrenzt es ihre niedrigsten Beweggründe und Begierden. Diese aus der altjüdischen und klassischen griechischen Philosophie stammende Auffassung vom Recht als dem Logischen nutzt Arendt zur Illustration des menschlichen Überlebenskampfs; sie verweist auf die Funktion des Rechts, die Versuchung namens Totalitarismus zu begrenzen und letztlich zu durchkreuzen. Das Buch war vielen und starken Angriffen ausgesetzt und erfuhr zugleich großes Lob – beides zum Teil von Kritikern, die Arendts Denken und Sichtweise gänzlich fern waren. So scheint es angebracht, auf den Text selbst zurückzugreifen. Die wohl größte Überraschung ist, dass dieses Buch ein geradliniger Bericht über den Prozess gegen einen Mann in einem Gerichtssaal wegen bestimmter Verbrechen gegen ein Volk ist, nämlich das jüdische Volk. Arendts Buch teilt die Haltung des israelischen Rechtssystems: Dass Eichmann furchtbarer Kriegsverbrechen

54 schuldig war und Israel, als Repräsentant des jüdischen Staats und Volks, den Schuldigen mit allem Recht exekutieren durfte. Den Hauptteil von Eichmann in Jerusalem bilden die Darstellung des deutschen Rechtssystems und dessen Zersetzung durch die Nazis, ein biografisches Profil Eichmanns sowie die Entwicklung des Plans für die Judenvernichtung bis zur Wannseekonferenz. Der nächste größere Abschnitt besteht aus einer Reihe brillanter historischer Skizzen der Deportationen. Deren erste Welle betraf Deutschland, Australien und die besetzten Gebiete; die zweite Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark und Italien. Zuletzt folgten Deportationen aus Zentraleuropa, insbesondere Ungarn und der Slowakei. Bezüglich dieser historischen Breite steht Arendts Buch den Arbeiten von Lucy Dawidowicz und Raul Hilberg in nichts nach. Kontrovers diskutiert werden von der Kritik tatsächlich nur die Vorrede und der Epilog. Selbst Arendts Schilderung der Todeslager Auschwitz, Bergen-Belsen und Theresienstadt sowie der Beweise und Augenzeugenberichte über den Holocaust folgen der bekannten Darstellungsweise. Sie macht keinen Versuch, den Holocaust oder die gezielte Ausrichtung auf die Vernichtung des jüdischen Volkes abzustreiten oder anzuzweifeln. Und es war ja gerade die explizite Orientierung der nazistischen Verbrechen hin auf eine bestimmte Gruppe innerhalb der Menschheit, mit der Arendt argumentierte, das israelische Gericht habe volle Rechtshoheit in der Frage, was mit Eichmann geschehen solle – genau wie die Alliierten bei den Nürnberger Prozessen Entscheidungshoheit hatten. Wir müssen uns deshalb den ethischen und psychologischen Aspekten in Arendts Buch zuwenden. Nur so können wir verstehen, weshalb ihr Werk unter Wissenschaftlern, Politikern und Juden in der ganzen Welt derart starke Reaktionen auslöste. Das Problem verbirgt sich weniger im Titel als im Untertitel: Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Die Wortwahl war kein

55 Zufall. Mehr noch als nach Details im Ablauf des Holocausts suchte Arendt nach den Gründen dafür. Sie wollte begreifen, wie dieser SS-Obersturmbannführer eine solch fürchterliche Rolle innerhalb der modernen Geschichte einnehmen konnte; wieso er wenig Reue zeigte und zugleich ein klares Verständnis vom Prozess wie auch von den Massenmorden hatte, die er mitorganisiert und überwacht hatte. Das Problem wie auch die Antwort auf ihre Frage verortete Arendt im Wesen des bürokratischen Denkens, das die Welt als eine Folge von folgenlosen Vorgängen begreift und wohl mit Informationen, nicht aber mit Wissen operiert. Und genau in diesem Sinn war »Banalität« aus Arendts Sicht die beste Beschreibung Eichmanns in einem Wort. Obwohl nicht einmal Arendts erbittertste Gegner sie als Holocaust-Leugnerin bezeichnen würden, ist der Begriff Banalität problematisch. Es impliziert eine Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit, die allen Kreaturen vertraut ist. Eichmann mit einem solchen Begriff zu belegen wirkte deshalb wie eine geschickte Form der Verteidigung und machte ihn zu einem ganz normalen, austauschbaren Funktionär, der sich in nichts von anderen unwichtigen Menschen und passiven Mitläufern unterschied. Zugleich gibt es für Arendt auch eine Banalität des Guten. In diese Kategorie fiele etwa Oskar Schindler, jener Lebemann, Geschäftemacher und NS-Parteigänger, der eintausend Juden vor den Öfen von Auschwitz rettete. Arendt hatte die besondere Fähigkeit, jene Ambivalenz menschlichen Verhaltens zu erkennen, die guten wie bösen Taten zu eigen ist. In diesem Sinne waren ihre kantianischen Wurzeln hilfreich bei der Beschäftigung mit dem Holocaust. Es stellt sich die Frage – der auch Arendt nicht ausweicht –, ob in dem Prozess wirklich eine Einzelperson für bestimmte Verbrechen bestraft werden sollte, oder ob es um einen symbolischen Angriff auf das totalitäre Regime ging, das Deutschland von 1933 bis 1945 beherrschte. Arendt argumentierte, »banal« sei nicht

56 mehr oder weniger als die Beschreibung eines bösen Menschen als eines Verrückten; es charakterisiere einen ehrgeizigen Bürokraten und keinen verblendeten Ideologen. Arendt schilderte »die sichtbare Hilflosigkeit der Richter vor der Aufgabe, der sie sich am wenigsten entziehen konnten, nämlich, den Angeklagten zu verstehen, über den sie zu Gericht saßen.« (EJ, 400). Das war natürlich Salz in einer Wunde, die bis heute weder verheilt ist noch zu schmerzen aufgehört hat. Arendt wies auf die zentrale Schwäche des Verfahrens hin: Eichmann sollte einerseits der schlimmste aller perversen Sadisten, zugleich aber nur ein kleines Rädchen in der Kriegsmaschinerie der Nazis gewesen sein, stellvertretend für die gesamte Nazi-Bewegung und den Antisemitismus als solchen. Das wäre zur Not noch akzeptabel gewesen, aber Arendt kritisierte darüber hinaus, dass die physische Auslöschung des jüdischen Volkes als Verbrechen gegen die Menschheit und nicht das Wesen des Verbrechens selbst Gegenstand des Prozesses war. Hierin sahen manche Kritiker die subtile Negation der Einzigartigkeit des Holocaust in der langen Geschichte menschlicher Grausamkeiten. Arendts minutiöse Darstellung der auf der Wannseekonferenz getroffenen Entscheidungen zur Auslöschung der Juden im Sinne eines judenreinen Europas lässt den Leser fröstelnd und betäubt zurück. Sie gehört zum Besten, was Arendt je geschrieben hat. Auch einige seltsame Argumente wie die Verbindung Eichmanns mit Kants Gebot der Gesetzestreue können nicht verhindern, dass Arendts Schilderung der Brutalität und Wut der Nazis und ihrer mehr als willigen Helfer in den besetzten Ländern noch die heutigen Leser betroffen zurücklässt. Ein Aspekt, der zusätzlichen Ärger hervorrief, war die subtile Gleichsetzung der Opfer mit dem Täter. Die Beteiligung von Juden aus verschiedenen Gremien an faulen Kompromissen und manchmal sogar an arglistigen Täuschungsmanövern, mit denen

57 Juden gerettet werden sollten (etwa durch Bestechung der Nazis) verurteilte Arendt zwar nicht, schilderte sie aber nicht gerade auf verständnisvolle Weise. Dass die Listen für die Transporte in Konzentrationslager oft von Juden zusammengestellt wurden, die damit viele in den Tod schickten und wenige retteten, ist gut belegt. Doch aus Arendts Sicht verstärkte solche Komplizenschaft noch die »Banalität« als gemeinsames Merkmal der Peiniger und der Gepeinigten. Man kann Arendts Bericht als Meilenstein in der Auseinandersetzung mit der Psychologie des Holocaust bezeichnen. Eichmann in Jerusalem ermöglicht eine politische Psychologie des Nazismus, die ausgehend von früheren Werken nicht gelungen war. Eichmann in Jerusalem wurde selbst von seinen Bewunderern als »brillant aber verstörend« (Stephen Spender) oder »belastend für unser Gewissen« (Hans Morgenthau) bezeichnet – eben weil die psychologische Perspektivierung den Holocaust nicht zu einem einzigartigen Ereignis, sondern zu einem allgemeinen Scheitern des Menschen macht, das entweder im Fehlen oder im Zusammenbruch einer Regierung gründet. Arendts Arbeit über die Juden ist einer deutschen Wissenschaftlerin und einer klassischen Humanistin würdig. Ob ihr Buch die große Tragödie des jüdischen Volks im 20. Jahrhundert oder die Vorstellungswelt der israelischen Zeitgenossen angemessen darstellt, bleibt offen. Und doch kann ein abschließendes Urteil über Eichmann in Jerusalem nur lauten: Es ist eines jener seltenen Werke, bei denen nicht nur der Gegenstand, sondern auch der Autor von großer Bedeutung sind.

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Bibliografie Hannah Arendt, Über die Revolution, Frankfurt a. M. 1965. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 13. Aufl. München, 2009. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, a. d. Amerikan, v. Brigitte Granzow, Frankfurt a. M. 1964. Hannah Arendt, Vita activa oder vom Tätigen Leben, München 1960. Hannah Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, hg. v. Ursula Ludz, München 2000. Hannah Arendt, Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie, hg. v. Ronald Beiner, a. d. Amerikan. v. Ursula Ludz, München 1998. Hannah Arendt, Der Liebesbegriff bei Augustin: Versuch einer philosophischen Interpretation, hg. v. Ludger Lütkehaus, Berlin 2003. Steven E. Aschheim, Culture and Catastrophe: German and Jewish Confrontations with National Socialism and Other Crisis, London 1997. Karl Dietrich Bracher, The German Dictatorship: Origins, Structure, and Effects of National Socialism, New York 1970. Lucy S. Dawidowicz, Der Krieg gegen die Juden: 1933-1945, München 1979. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden: Die Gesamtgeschichte des Holocaust, a. d. Amerikan. v. Christian Seeger, Frankfurt a. M./ Olten/ Wien 1983. Nora Levin, The Holocaust: The Destruction of European Jewry, 19331945, New York 1968. Isaiah Trunk, Judenrat: The Jewish Councils in Eastern Europe Under Nazi Occupation. New York 1972. Yechiam Weitz, »The Holocaust on Trial: The Impact of the Kasztner and Eichmann Trials on Israeli Society«, in: Israel Studies I (2), Herbst 1996, S. 1-26.

4 Die Revolution in Frankreich und Amerika Wer es mit intuitiver Brillanz zu tun bekommt, läuft Gefahr, eher die Persönlichkeit als deren Leistung zu betrachten. Die Schrift Über die Revolution setzt Diskussionen fort, die Arendt in Vita activa und Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft begonnen hatte. Die Arbeit ist nicht im eigentlichen Sinne sozialwissenschaftlich, geht aber auch über pure Spekulation hinaus, sodass es nötig scheint, eine gewisse Ordnung in Arendts Material zu bringen. Dabei werde ich über Arendts Vorbehalte gegenüber den – aus ihrer Sicht angeblichen – Wissenschaften Psychologie und Soziologie hinwegsehen und ihre Argumentationslinien sowie mögliche Kritikpunkte und Anschlussfragen aufzuzeigen: Krieg und Revolution haben das Merkmal der Gewalt gemeinsam. Konflikte entstehen aus Fraternisierungsinstinkten, und politische Organisationen gründen im Verbrechen. In der Moderne ist der Zusammenfall des Freiheitsgedankens mit der Erfahrung der Apokalypse, des gesellschaftlichen Neubeginns entscheidend für die Revolution. Die Revolution bekam eine neue Bedeutung, als ihr gewalttätiger Bruder namens Krieg ein Mittel wurde, um gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Die Möglichkeit der totalen Auslöschung hat das Militär vom Beschützer der civitas zu einem nutzlosen

60 Rächer gemacht. Noch vor dem Atomzeitalter waren Kriege, wenn auch nicht in physischer, so doch in politischer Hinsicht zu einer Überlebensfrage geworden, weil die unterlegene Macht befürchten musste, politisch unterworfen zu werden. Mit der Eliminierung aller nichttechnologischen Faktoren von Kriegen konnten die Ergebnisse mit absoluter Präzision vorhergesagt werden. Das Wissen um den Ausgang von künftigen Kriegen könnte deren reales Ausbrechen sogar verhindern. Wenn wir überleben wollen, darf dies kein Jahrhundert der Kriege werden, aber es wird höchstwahrscheinlich ein Jahrhundert totaler Revolutionen. Das universale Ziel des Kriegs ist die Revolution. Doch selbst ohne die Option begrenzter Übereinkünfte werden Revolutionen den modernen Einsatz von Gewalt und das Streben nach Freiheit definieren. Für Revolutionen gab es in der Moderne zwei Hauptgründe: Befreiung (Freiheit von Zwängen und höhere soziale Mobilität) und Freiheit (auf der politischen Ebene des Lebens). Während die Befreiung sich in verschiedenen Regierungsformen ausdrücken kann, ist Freiheit nur in einem republikanischen Staat möglich. Deshalb folgte auf die Amerikanische, die Französische und die Russische Revolution diese Regierungsform. Die beiden Grundmodelle der Revolution sind die amerikanische und die französische Variante (obgleich nur die Französische Revolution Modellcharakter für den Marxismus hatte). Die Amerikanische Revolution verfolgte das ursprüngliche Ziel jeder Revolution, nämlich die Umsetzung der Freiheit, während die Französische Revolution das Freiheitsprinzip im Namen der historischen Notwendigkeit aufgab. Die Amerikanische Revolution war zutiefst politisch und antihistorisch, zugleich aber – und in keinem geringeren Maß – antipolitisch und dezidiert historisch. Das Modell der Französischen Revolution, das die Oktoberrevolution ideologisch und organisatorisch beeinflusste, betraf die

61 soziale Frage, genauer Probleme wie Ausbeutung, Entfremdung und Armut. Es gründete im Gedanken des Mitgefühls und endete im Chaos. Das Modell der Amerikanischen Revolution betraf eine politische Frage und die Schwierigkeiten, die sich aus einer elitären Vorstellung über die Verhaltensweisen von Menschenmassen ergaben. Die revolutionäre Leidenschaft wurde in diesem Fall von Normen eingehegt und endete in Mitgefühl – oder wenigstens im Bewusstsein über den Eigenwert des Prozesses als solchem, unabhängig von dessen Ergebnis. Die Schwächen des klassischen französischen Modells zeigen sich in der Tatsache, dass die großen Revolutionen der Moderne unvollendet blieben – etwa die Pariser Kommune, die Oktoberrevolution oder der Ungarnaufstand. In all diesen Fällen waren zwei unterschiedliche Kräfte am Werk: Zum einen die Partei, die im Namen des Volkes handelte, und zum anderen die Kollektive (Arbeiterräte, Sowjets, Kommunen). Der Verrat an der Revolution bestand darin, dass die Macht über das Volk von den politischen Parteien ausgeübt wurde, während das Rätesystem – weil es sich selbst nicht als eine neue Regierungsform begriff – meist nicht lange Bestand hatte. So erweisen sich die modernen revolutionären Bewegungen als eine perfide Kombination aus dem Zusammenbruch freiwilliger Zusammenschlüsse und deren Ersatz durch aufgeblähte Bürokratieapparate. Soweit Arendts Morphologie der Revolution, aus der sich eine Reihe von Problemen ergeben. Zum einen das Fehlen von Fakten. Denn wie lassen sich solche Spekulationen überprüfen? Über die Revolution ist im Tonfall äußerster Überzeugung geschrieben und ist dennoch nicht überzeugend. Der unsystematische Aufbau, der den Leser zwingt, von einem Gedanken zum nächsten zu springen, unterstützt nicht gerade die Glaubwürdigkeit von Arendts Thesen, selbst wenn man dem Buch emotional nahe steht.

62 Arendt weiß wenig über moderne Kriegsführung oder über die Komplexität moderner Konflikte, in denen beispielsweise auch paramilitärische und polizeiliche Kräfte oder Guerillabewegungen eine Rolle spielen. Diese Phänomene könnten aufzeigen, dass Kriege überflüssig werden. Es mag sein, dass ein Atomschlag internationale Konflikte überflüssig machen würde – ist er doch wie eine Pistole mit zwei Läufen, die in entgegen gesetzte Richtungen zeigen. Doch die fehlende Unterscheidung zwischen Krieg und völliger Auslöschung führt in Arendts Revolutionstheorie zu der fragwürdigen Annahme, die Überflüssigkeit der Kriege gründe in deren Eigeninteresse. Das fehlende Wissen über zeitgenössische Kriegsführung ist verzeihlich, doch bloße Vermutungen sind eben keine wirklichen Antworten. Arendt verkündet: »Karl Jaspers' Buch über Die Atombombe und die Zukunft der Menschheit enthält, soviel ich weiß, die einzige Diskussion der Kriegsfrage, die im Ernst sowohl die Vernichtung der gesamten Menschheit in einem Atomkrieg wie die prinzipielle Bedrohung der Freiheit durch einen totalen Herrschaftsapparat als Möglichkeiten in Rechnung stellt« (ÜR, 363). Damit beweist sie nur ihre Unkenntnis der breiten und bedeutsamen Literatur, die zu diesem Thema vorliegt. Auch die Definition der Revolution selbst ist nicht besonders erhellend. Revolution nur als Gewalt zu begreifen heißt, nicht zwischen gesellschaftlichem Wandel und den zum Erreichen dieses Ziels manchmal eingesetzten Strategien zu unterscheiden. Selbst wenn wir großzügig unterstellen, dass Arendt nur von politischen Revolutionen spricht, ist Gewalt kein notwendiges oder ausreichendes Merkmal. Arendts Darstellung leidet unter widersprüchlichen Aussagen: »Also nicht Revolutionen zu machen, sondern die Macht zu ergreifen, wenn sie ausgebrochen sind, ist Sache der Berufsrevolutionäre. Ihr großer Vorteil im Kampf um die auf der Straße liegende Macht besteht weder in Theorien noch Ideologien, weder in geistiger noch organisatorischer

63 Vorbereitung, obwohl all dies später von Bedeutung sein kann, aber zunächst einmal ist nur die Tatsache entscheidend, dass ihre Namen bekannt und nicht kompromittiert sind« (ebd., 334). Doch an anderer Stelle heißt es: »Dass es ohne Lenins Versprechen ›Alle Macht den Räten‹ nie eine Oktoberrevolution gegeben hätte, ist bekannt genug« (ebd., 342). Welchem Klischee sollen wir glauben? Arendts öfter wiederholte Behauptung, die Folge von Revolutionen sei immer weniger Freiheit als zuvor, wird durch die Amerikanische Revolution widerlegt. Tatsächlich sucht sie gerade wegen ihrer Abneigung gegen den revolutionären Prozess nach Merkmalen der Amerikanischen Revolution, die sich in Europa nicht finden. Arendt gehört in die ungewöhnliche Kategorie der revolutionären Konservativen. Obwohl sie die negativen Aspekte des Thermidor und Robespierre und die positiven Eigenschaften der Federalist Papers und der Gründerväter der Amerikanischen Republik aufzeigt, sucht sie letztlich doch nach einem Weg, revolutionäre Bewegungen in den Dienst der Revolutionäre zu stellen. Deshalb hält sie Arbeiterräte, Sowjets etc. für geeignete Formen politischer Gestaltung. Die Revolutionäre bilden eine »neue Aristokratie«, die das Ende des allgemeinen Leids herbeiführen kann. In Arendts Worten: »[N]ur diejenigen, die freiwillige Mitglieder einer ›Elementarrepublik‹ sind, hätten den Beweis dafür erbracht, dass es ihnen um anderes und um mehr geht als ihr privates Wohlergehen [...]. Nur wer an der Welt wirklich interessiert ist, sollte eine Stimme haben im Gang der Welt.« (ebd., 360). So würde die revolutionäre Elite zur Hüterin der Nation. Wie sich dieses Konzept von dem Verrat an der Revolution durch die politischen Parteien unterscheidet und wie die Räte vermeiden könnten, zu einer politischen Partei zu werden, diskutiert Arendt nicht. Sie respektiert zwar den »Geist der Revolution«, doch zugleich referiert sie dessen Mängel auf der Suche nach einer geeigneten Regierungsinstitution auf. Diese sieht sie in den Räten, die sich

64 im Zuge von Revolutionen bilden. Es ist erstaunlich, dass Arendt überhaupt nicht versucht, für diese These konkrete Belege zu finden. So diskutiert sie weder die Stärken und Schwächen der jugoslawischen Arbeiterräte noch der israelischen Kibbuzim. Grund dafür ist ihre Weigerung, politische Revolutionen mit wirtschaftlich motivierten gesellschaftlichen Revolutionen in Zusammenhang zu bringen. Arendt ist sich zwar der potentiellen Widersprüche zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Freiheit bewusst, doch sie scheint nicht genau zu wissen, wie und wo Staat und Gesellschaft sich überschneiden und welche Folgen das hat. In der Tat ist das größte ungelöste Problem von Revolutionen die Vermischung von wirtschaftlicher Rationalisierung und politischer Notwendigkeit. Diese Gegenüberstellung dieser beiden Faktoren mag interessant sein, definiert aber nicht den experimentellen Charakter der meisten zeitgenössischen Revolutionen. Für Arendt waren die Französische und die Amerikanische Revolution Gegensätze. Für die Bewohner von in revolutionären Prozessen befindlichen Ländern sind beide Optionen für einen Neubeginn. Wenn das Jahrhundert tatsächlich von Revolutionen bestimmt wird, sollte man vielleicht eher nach neuen Formen der Zusammenführung von Politik und Öffentlichkeit fragen, als nostalgisch auf die griechischen Stadtstaaten zu blicken und deren Elitismus als Lösung für die modernen gesellschaftlichen Probleme und Klassenkonflikte zu begreifen. Diese Frage richte ich an Hannah Arendt, die mir ihrerseits schon so viele Fragen geschenkt hat, über die es sich nachzudenken lohnt. Bibliografie Hannah Arendt, Über die Revolution, Frankfurt a. M. 1965.

5 Hannah Arendts politische Philosophie Jede Propädeutik oder Einführung in das Werk einer berühmten Person muss mindestens drei grundlegende Fragen beantworten: (1) Kann sie einen Mehrwert bieten, den die berühmte Person nicht schon selbst geschaffen hat? (2) Liefert sie einen Kontext, in dem die berühmte Person besser verstanden werden kann? (3) Lässt der Autor Aspekte außer Acht, die der avisierten Systematik der Darstellung zuwiderlaufen würden? Maurizio Passerin d'Entrèves' Studie Die politische Philosophie Hannah Arendts (The Political Philosophy of Hannah Arendt) verlangt auf jede dieser drei Fragen verschiedene Antworten. D'Entrèves ist Politikwissenschaftler an der University of Manchester. Zweifelsohne kennt er sich in der angloamerikanischen Ideengeschichte (insbesondere den Werken J. G. A. Pococks) gut aus; auch Jürgen Habermas, Steven Lukes und nicht zuletzt Alessandro Pizzorno sind ihm vertraut. Dessen Versuche, den Zusammenhang von Bürgertum und kollektiver Identität zu verstehen, bieten ein nützliches, wenngleich verwirrendes Fazit für das hier besprochene Buch.

66 Die Arbeit erinnert mich an ein Gespräch (über ein ganz anderes Thema), das ich mit Arendt kurz vor ihrem Tod geführt und in dem sie sinniert hatte, ihr sei großes Lob von Politikwissenschaftlern widerfahren, obwohl sie nie ein Seminar in diesem Fach belegt hätte! Zwar schrieb Arendt profunde und innovative Bücher über Totalitarismus, Revolution und Geschichte, doch sie hinterließ kein systematisches Gedankengebäude. Sogar ihr letztes groß angelegtes Werk Das Leben des Geistes blieb unvollendet, fehlt doch der dritte Band, für den der Titel Das Urteilen vorgesehen war. Zum Teil runden ihre Texte zu Kants politischer Philosophie diese wichtige Arbeit ab. Es ist deshalb eine großartige Idee von d'Entrèves, Arendts politische Theorie systematisch umreißen zu wollen. Besonders das dritte Kapitel über Arendts Theorie des Urteilens ist wertvoll, denn es ist zugleich Konstruktion und Rekonstruktion. Das Urteilen, das im Wesentlichen durch die menschlichen Fähigkeiten der Vorstellungskraft und der Reflexion definiert wird, erfährt durch vergangene Ereignisse – vor allem die Französische Revolution – eine Revolution, doch vielleicht beschäftigt sich d'Entrèves zu wenig mit ihrer harschen Kritik an deren Erbe. Das nämlich bestand nicht nur – wie d'Entrèves bemerkt – in der Fähigkeit der Menschen, die Welt zu verändern, sondern auch in der Unfähigkeit, diesen Wandel auf mitfühlende und humane Weise umzusetzen. Der Amerikanischen Revolution hingegen gelang dieser Prozess. Die Erschaffung des Bürgers im Sinne Kants wird weniger im Paris des Jahres 1789 Wirklichkeit als vielmehr im Philadelphia von 1776. Diese Tatsache lässt Über die Revolution erstrahlen, bildet aber gleichzeitig die schwerste Bürde dieses Buchs. Denn es waren die Föderalisten und deren Gegner, die Anhänger Jeffersons, die gemeinsam das Konzept der Öffentlichkeit entwickelten, die Herausbildung einer kollektiven Identität ermöglichten und die politische Kultur in ein demokratisches

67 Regierungssystem überführten. In jeder der vier Hauptkategorien Modernität, Handlung, Urteil und Bürgerschaft – die alle hervorragende Anschlussmöglichkeiten für eine Beschäftigung mit Arendt bieten – tendiert d'Entrèves dazu, den Einfluss von Arendts Amerika-Erfahrungen auf ihr Werk zu nivellieren. Eine Ausnahme bilden seine schönen Ausführungen zu Arendts Handlungstheorie, innerhalb derer Thomas Jefferson, John Adams und die öffentliche Sphäre angemessen diskutiert werden. Arendts Erfahrungen in Europa als Ursprung ihres tiefen Misstrauens gegenüber totalitären Regimen lässt d'Entrèves jedoch außen vor. Von den einführenden Bemerkungen zu Max Weber bis zum Ausblick auf Pizzorno am Ende des Buchs ist nicht zu erkennen, worin für den Autor dieser Propädeutik Arendts Erbe oder auch ihre hin und wieder festzustellenden Schwächen bestehen. Begriffe wie »diskursiver Raum«, »kollektive Identität«, »Andersheit« und »agency« verstellen eher den Blick auf Arendts politische Philosophie, als dass sie diese erklären. So eignet sich das Buch zwar als systematischer Überblick, aber nicht zum Verständnis des Kontexts, in dem Arendts Arbeiten zu verorten sind; und wir erfahren auch nicht, was der Autor weggelassen hat, um seine Darstellung leichter lesbar zu machen. In diesem Zusammenhang können die zweite und dritte der eingangs gestellten Fragen miteinander verbunden werden: Arendts Theoriebildung war nicht nur Kant und Weber verpflichtet, sondern auch Jaspers – der bei d'Entrèves einmal nebenbei erwähnt wird – und Heidegger, der mehrfach genannt, aber nicht näher betrachtet wird. Diese Beziehungen darzustellen ist in einem als Synopsis gedachten Text vielleicht schwierig oder gar unerfreulich. Fehlt aber die eingehende Betrachtung dieser für Arendt so wichtigen Denker, so entsteht der Eindruck eines widerspruchsfreien Systems, einer Einheit frei von Nuancen. Was auf abstrakter, theoretischer Ebene gilt wird auf der konkreten historischen Ebene noch deutlicher. Für d'Entrèves ist

68 Arendts politische Theorie rein hellenistischen Ursprungs, obwohl die reale Hannah Arendt ebenso stark in der hebräischen Tradition verwurzelt war. Könnten wir uns Arendt ohne Rahel Varnhagen: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, Eichmann in Jerusalem, Wir Flüchtlinge und Menschen in finsteren Zeiten? Um deutlicher zu werden: Könnten wir über Hannah Arendt nachdenken, ohne ihre Untersuchungen zum Zustand der Menschheit auch als Reflexionen über den Zustand der Juden zu begreifen und den Holocaust als Katastrophe der Juden. Ich meine, d'Entrèves müsste seine gesamten Überlegungen zur Moderne in eine neue Richtung lenken – weg von der Frankfurter Schule mit Adorno, Horkheimer und Marcuse und hin zu einer Untersuchung der im Nachkriegseuropa eher verbreiteten Literatur. Wenn Arendt tatsächlich so tief in der »Schuld« der Frankfurter Schule steht, wie kann es dann sein, dass genau diese Schule, diese Gruppe von Theoretikern als Apotheose genau jenen totalitären Denkens betrachtet wird, das Arendt so vehement ablehnte? Zurück bleibt das unangenehme Gefühl, dass d'Entrèves Bemühen um Abstraktion nicht nur dazu dienen soll, dem Leser einen Überblick über Arendt zu verschaffen, sondern auch als eine Taktik zur Vermeidung des Konkreten. Es ist viel zu einfach, lang und breit über »participatory collective deliberation« zu referieren und dabei Themen wie Demokratie, Diktatur oder Regierung nur flüchtig zu streifen. Es genügt nicht, von den verschiedenen Dimensionen der Ausdrucksund Kommunikationsmodi der Öffentlichkeit zu sprechen und dabei zu ignorieren, wie hoch Arendt den ganz privaten Bereich der Vorstellungskraft schätzte. Nicht die »partizipatorische Demokratie«, sondern die repräsentative Demokratie als solche müsste hier genauer betrachtet werden. Der beißende Gestank europäischer Nachkriegsrhetorik umwabert grundlos dieses Buch und lässt dem frischen Wind – nämlich Arendts Versuch, die Beziehung zwischen der öffentlichen Sphäre und den Privatpersonen zu verstehen – keine Chance.

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Die politische Philosophie Hannah Arendts bedarf einer genauen, kritischen Lektüre. Die Beschäftigung mit Arendts Texten mag helfen, Fleisch an die Knochen dieser selektiven, wenngleich systematischen Interpretation ihrer Arbeit zu bringen. Sie könnte auch das Gefühl der Endgültigkeit aufheben, mit dem uns d'Entrèves' Buch zurücklässt. In Das Leben des Geistes erfahren wir den Zusammenbruch von Religion, Autorität und Tradition – aber gerade diese fragmentierte Vergangenheit, dieses Fehlen jeder Gewissheit birgt die Möglichkeit zu Individualismus und eine Perspektive auf die Moderne. D'Entrèves konfrontiert uns mit einer Kluft zwischen Vergangenheit und Zukunft, die weit geringer ausgefallen wäre, wenn er seine Arendt-Interpretation auch auf die Gegenwart bezogen hätte. Bibliografie Maurizio Passerin d'Entrèves, The Political Philosophy of Hannah Arendt, London/ New York 1994.

6 Offene Gesellschaften und freies Denken Arendts philosophischer Versuch, den Staat zu begreifen, kulminiert in Vom Leben des Geistes. Das auf drei Bände angelegte Werk blieb unvollendet; nur die ersten beiden Teile sind erschienen. Selbst derlei Augenfälligkeiten können bereits Missverständnisse auslösen; bezeichnete Arendt sich doch einerseits als »professionelle Denkerin«, veröffentlichte aber andererseits einen Großteil des ersten Bandes (Das Denken) im Magazin The New Yorker und später beide Bände bei einem angesehenen, aber gänzlich kommerziellen Verlag. Und doch handelt es sich um ein genuin philosophisches Werk in der Tradition Kants, Hegels, Nietzsches und Heideggers. Dass eine solch anspruchsvolle Arbeit, die fundierte Kenntnisse der großen Philosophen voraussetzt, auf breites Interesse stieß, ist ein weiterer Beleg für Arendts berechtigten Ruhm als Autorin von Elemente und Ursprünge des Totalitarismus, Vita activa, Über die Revolution oder Eichmann in Jerusalem. Vor diesem Hintergrund erscheint das kommerzielle Geschwafel von Seiten des Verlags nachvollziehbar. Erfreulicherweise wird Arendts Ruhm nicht auch noch posthum ausgeschlachtet. McCarthys Vorwort ist professionell und klar. Jeder, der mit diesem Projekt in Verbindung stand, verfügte über ein wichtiges Element guten Urteilsvermögens – immerhin sollte der dritte Band Das Urteilen heißen. Jenes Element ist der gute Geschmack.

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Vom Leben des Geistes greift Themen auf, die Arendt schon zwei Jahrzehnte früher in Vita activa behandelt hatte. Dennoch scheinen die ersten beiden Teile des Buchs, die Arendt zunächst 1973 und 1974 in Form von Vorlesungen präsentierte, scheinen der früheren Arbeit diametral entgegengesetzt zu sein. Ging es in Vita activa um das aktive Leben, um unser konkretes Tun – nämlich die Arbeit, das Herstellen und das Handeln –, so thematisiert das spätere Werk die kontemplativen Anteile des Lebens, also das Denken, Wollen und Urteilen. Doch die erste Trias steht nur auf den ersten Blick im Gegensatz zur zweiten. Arbeit, Herstellen und Handeln stehen als biosoziale Tätigkeiten miteinander in Verbindung, während Denken, Wollen und Urteilen als kontemplative Tätigkeiten voneinander deutlich unabhängiger sind. So bleiben zwar die beiden Triaden und deren Polaritäten bestehen, aber die Natur der Philosophie ist es, unbeantwortbare Fragen zu stellen und den Menschen damit als ein fragendes Wesen zu konturieren. Auf diese Weise versuchte Arendt, die Partikularisierung zu überwinden, die insbesondere die Sozialwissenschaften kennzeichnet und sich in der Suche nach dem jeweiligen magischen Oberbegriff ausdrückt: Gesellschaft für die Soziologie, Kultur für die Anthropologie, Politik für die Politikwissenschaften, Geld für die Wirtschaftswissenschaften und Persönlichkeit für die Psychologie. Doch die Lösung findet sich nicht in den Artefakten, sondern in der Entmystifizierung aller Artefakte. Es ist nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, Das Leben des Geistes auch im Rahmen einer Kritik als unvollendetes Werk zu betrachten. Angesichts der vielen Vorlesungsfragmente und deutlichen Äußerungen Arendts zur Thematik des Urteilens darf es jedoch als abgeschlossene Arbeit untersucht werden – insbesondere, da die Beziehungen zwischen Denken, Wollen und Urteilen schon früh im ersten Band dargestellt werden. Ein riskanter Schachzug Arendts, der Das Leben des Geistes drastisch schwächt, ist ihre Weigerung, Übertragungswege zwischen den

73 drei Kategorien zuzulassen. Statt nach Verbindungen zu suchen und etwa zu fragen, inwieweit das Denken Wollen und Urteilen umfasst, und anstatt alle drei Aspekte im Rahmen einer naturalistischen theory of mind – etwa im Sinne H. G. Meads oder Y. H. Krikorians – zu begreifen, sollen wir mit Arendt jede Kategorie als eine Art fensterlose Monade betrachten. Das ist seltsam, denn Arendt war sehr gut mit Aristoteles vertraut und mit dem Konzept der Emergenz und den aus ihr entstehenden Verbindungen: Aus der Biologie entsteht das Gesellschaftliche, aus dem Gesellschaftlichen das Politische und aus diesem das Ethische. Diese grundlegenden Kategorien haben zweitausend Jahre überdauert, und obgleich die Inhalte der modernen Wissenschaft nicht mehr aristotelisch sind, bleibt das für das 20. Jahrhundert charakteristische Streben nach einer Einheit der Wissenschaften vom Geist der Griechen inspiriert. Jenseits dieses zentralen Dilemmas ist Arendts Werk eine gründliche Untersuchung basaler Konzepte, sodass es ihr gelingt, ihr eigenes Schachmatt zu überwinden. Immerhin kann sie für sich beanspruchen, in ihrer Arbeit für ein echtes Unentschieden zwischen Idealismus und Naturalismus zu sorgen. Auch wenn diesen letzten Bänden keine Synthese von Epistemologie und Ontologie gelingt, sind sie doch die Krönung von Arendts Lebenswerk. Denn die zentrale Aussage in Das Denken, die in verschiedenen Formulierungen häufig wiederholt wird, lautet: Nicht der Kampf zwischen Theorie und Handlung prägt das 20. Jahrhundert, sondern der Kampf zwischen zwei Theorien. Denken ist das Kennzeichen von Individuen, die in einer freien Gesellschaft leben. Nach Arendt begingen sowohl der Behaviourismus als auch der dialektische Materialismus den Fehler, mit dem Verhalten umzugehen, als sei es pures Denken. Gleich, ob man es in der Sprache der Revolution oder der operanten Konditionierung ausdrückt: Reine Aktivisten begreifen nicht, dass die Reduktion des Denkens auf das Handeln das Ende des Denkens bedeutet – und zugleich den Beginn von Gedankenkontrolle und gesteuerter Verhaltensänderung.

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Statt die Plattitüde von der Umsetzung der Theorie in die Praxis zu wiederholen, gelangt Arendt schnell zu der Frage, was wir tun, wenn wir nichts anderes tun als zu denken. Der Totalitarismus nimmt an, dass all jene, die nicht am kollektiven Willen teilhaben, gar nichts tun. Es ist das metaphysische Äquivalent der theologischen Angst, Faulheit im Handeln führe zu Faulheit im Denken. Die Reduktion der Metaphysik auf eine Art Dichtung von Seiten des Positivismus zeugt von der generellen Ablehnung der Spekulation als genuin menschliche Aktivität. Geschickt bemerkt Arendt, dass die Krise der Philosophie, Ontologie, Theologie, Sozialtheorie etc. das Ergebnis der Aussagen der Intellektuellen selbst ist. Und was als Streit zwischen intellektuellen Eliten beginnt, endet in der allgemeinen Geringschätzung des Denkens als Wert eigenen Rechts. Diese modernen »Tode« - Gottes, der Metaphysik, der Philosophie und damit auch des Positivismus - haben erhebliches historisches Gewicht erlangt, denn seit Beginn unseres Jahrhunderts sind es nicht mehr bloß Gegenstände der Beschäftigung für eine geistige Elite, sondern ungeprüfte Voraussetzungen für fast jedermann. Mit dieser politischen Seite der Sache beschäftigen wir uns hier nicht. Es ist in unserem Zusammenhang vielleicht sogar besser, diese Frage, die eigentlich eine der politischen Autorität ist, auszuklammern und uns statt dessen an folgende einfache Tatsache zu halten: So stark auch unsere Denkweisen in dieser Krise betroffen sein mögen, unsere Denkfähigkeit steht nicht zur Diskussion; wir sind das was die Menschen immer gewesen sind - denkende Wesen…. daß die Menschen eine Neigung, vielleicht ein unabweisliches Bedürfnis haben, über die Grenzen der Erkenntnis hinauszudenken und mit ihrer Denkfähigkeit mehr anzufangen, als sie bloß zum Erkennen und Handeln einzusetzen. [I:21] Die Unterwerfung des Willens unter die Vernunft weist mehr als deutlich darauf hin, dass das Wollen in der Hierarchie nach dem

75 Denken und Urteilen dezidiert an dritter Stelle steht. Dieser Teil von Das Leben des Geistes wurde fertig gestellt, als nur wenige Fragmente des Buchs über Das Urteilen vorlagen. Doch diese Tatsache besagt nicht, dass der Wille zwischen Denken und Geschmacksurteil vermittelt. Arendt war eine politische Philosophin par excellence, und anders als bei Kant wurde ihr Verständnis philosophischer Kategorien vom Wissen um den Totalitarismus geprägt. Den Willen begriff sie daher als konstanten Gegensatz zum Denken. Da der Wille stets etwas will, ist ihm stets schon die Verachtung für das Denken eingeschrieben. Zudem ergibt sich aus dem Wollen die ständige Suche nach dem novus ordo saeclorum. Der Wille ist die grundlegende Referenz der handelnden Menschen. Aktivisten wollen stets Neues schaffen und Bestehendes zerstören, und zwar im Namen dessen, was sein wird. Insbesondere in dieser Kritik der Handelnden zeigt sich Arendts Konservatismus: Natürlich liegt etwas Verwirrendes darin, daß Menschen der Praxis, deren einzige Absicht die Veränderung der gesamten Struktur der zukünftigen Welt und die Schaffung eines novus ordo saeclorum war, auf diese ferne Vergangenheit der Antike zurückgehen mussten, denn sie kehrten nicht »bewusst die Zeitachse um und [sagten] der Jugend nicht, sie solle >in das klare Licht der Vergangenheit zurückkehren< (Petrarca)…« Sie suchten ein Beispiel für eine neue Regierungsform in ihrer eigenen »aufgeklärten« Zeit und waren sich kaum dessen bewusst, daß sie rückwärts blickten. Für verwirrender, als daß sie tatsächlich die Archive der Antike durchstöberten, halte ich, daß sie sich nicht gegen die Antike auflehnten, als sie entdeckten, daß die endgültige und gewiss zutiefst römische Antwort der »antiken Weisheit« lautete, die Rettung komme stets von der Vergangenheit, die Vorfahren seien »maiores«, also definitionsgemäß die Größeren. [II:204-205] Ich vermute, hier geht es um mehr als Konservatismus. Denn die Theoretiker des Handelns und der Freiheit fanden letztlich immer

76 Wege, der Freiheit gerade durch ihre jeweiligen Visionen von Gesellschaft den Garaus zu machen. Nach Arendt liegt die Möglichkeit des Anfangs in der menschlichen Fähigkeit der Erneuerung begründet und bedarf deshalb keines Endpunkts. Ein solcher wäre nicht die Freiheit, sondern der Tod. In diesem Sinn ist Freiheit als System ein Weltuntergang im Gewand der Utopie. Deshalb ist das Urteilen für Arendt so wichtig: Es ermöglicht die Transzendenz des Willens ohne den Verlust der Vernunft. Die ästhetische Urteilsfähigkeit ist kein schmückendes Beiwerk, sondern ein notwendiges Vermögen – zeigt es doch den Menschen, dass Dinge, die einer bestimmten Person oder einem Herrscher perfekt erscheinen mögen, von einer anderen Person oder einem anderen Herrscher als keineswegs perfekt und von einem Dritten gar als grässlich wahrgenommen werden können. So verortet Arendt den Grund für das Überleben der Demokratie in der Pluralität menschlicher Urteile. Neuplatoniker und Marxisten störte an Kants Konzept des ästhetischen Urteils die Unterscheidung zwischen Schönheit und Geschmack einerseits und zwischen Anwendbarkeit und Moral andererseits. Arendt fasst Kants Argumentation recht direkt zusammen: (Wenn man sagt: Was für eine schöne Rose!, dann kommt man zu diesem Urteil nicht so, daß man vorher sagt: Alle Rosen sind schön, diese Blume ist eine Rose, also ist sie schön.) Die andere Art, die im zweiten Teil behandelt wird, hängt damit zusammen, daß kein spezielles Naturprodukt aus allgemeinen Ursachen ableitbar ist…(Unter mechanischen Ursachen versteht Kant natürliche Ursachen; das Gegenteil ist »technisch« d.h. künstlich,…) [II: 209] Das Urteilen besteht also in einer Erweiterung des Geistes, die daraus entspringt, etwas zu einem bestimmten Zweck Hergestelltes einzuschätzen. Arendt nutzt dies jedoch nicht, um einen elitären Ästhetik- oder Kulturbegriff zu verfechten – im

77 Gegenteil: Geschmack ist ein gemeinschaftlicher Sinn, weshalb zwar nicht alle Menschen Genies, aber doch urteilsfähig sind. Die große Bedeutung dieser populistischen Interpretation des Urteilens als unabhängig vom Denken wie vom Handeln liegt in der Tatsache, dass sie eine Lösung des Demokratieproblems sowie der Problematik der Einheit in der Polis darstellt. Doch ein Problem bleibt, nämlich der Widerspruch zwischen dem Fortschrittsgedanken als treibende Kraft der Menschheit und dem Konzept der Menschenwürde als unhintergehbares Charakteristikum jedes Individuums. Dieses Spannungsverhältnis wäre wohl im dritten Band, Das Urteilen, thematisiert worden. Für alle, die Beschränkungen der Erkenntnis überwinden statt hinnehmen wollen, ist das von Kant dargelegte und von Arendt aufgegriffene Problem eine große Herausforderung mit ebensolchen Konsequenzen. Arendt war von einem dialektischen Interesse getrieben, mindestens aber fühlte sie sich der Problematik der realen Verdinglichung verpflichtet: Sie richtete ihren Blick auf den Kampf zwischen Denken und Gemeinsinn und zwischen der griechischen Frage und der römischen Antwort, auf die Kluft zwischen Vergangenheit und Zukunft, Denken und Handeln, dem aktiven und dem kontemplativen Leben und auf die Machtlosigkeit des Willens, die der Allmacht desselben gegenübersteht. Dadurch sind ihre Schriften von einer starken Spannung gekennzeichnet; aus ihnen spricht ein Bewusstsein für Dramaturgie. Vielleicht konnte Arendt deshalb Humes Diktum, die Vernunft sei die Sklavin der Leidenschaften, als zu schlicht gedacht abqualifizieren. Auch Locke, der an die Einheit von Seele und Geist glaube, machte es in ihren Augen kaum besser. Den britischen Empirikern ergeht es bei Arendt lange nicht so gut wie ihrem Lehrmeister Kant. Tatsächlich ist ihre auf drei Bände angelegte Arbeit Kant verpflichtet, denn ihre Unterscheidung von Denken, Wollen und

78 Urteilen ruht in weiten Teilen auf Kants Werken Kritik der praktischen Vernunft, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und Kritik der Urteilskraft. Aus der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft zog sie die wichtige Lehre, dass spekulatives Denken die Vorsehung, die Freiheit und die Unsterblichkeit nicht auflösen kann. Was Arendts Leben des Geistes so ungewöhnlich macht, ist die Verbindung von Kants tödlich logischer Prosa mit Hegels dialektischem Schafott. Sei es beabsichtigt oder zufällig – und wer Arendt und ihre Arbeit kennt weiß, dass bei ihr kaum ein Wort, geschweige denn ein Konzept zufällig ist –: Letztlich gewinnt Kant den philosophischen Streit. Dieser Sieg über Titanen wie Platon und Hegel ist hart erkämpft. Aus Arendts Sicht ermöglicht Kant uns, das Bewusstsein als ein Reich der Freiheit zu denken; er begreift Urteilen als etwas, das man tun, nicht aber lehren kann, und er betrachtet den Willen weder als Wahlfreiheit noch als bloße spontane Aktivität. So wird Kants Willen zu Arendts Willen, von der Vernunft dazu bestimmt, in allen Belangen deren ausführendes Organ zu sein. Poppers Vertreter einer geschlossenen Gesellschaft (Platon und Hegel) finden damit in Arendts Befürworter einer offenen Gesellschaft (Kant) einen würdigen Gegner. Arendt weist auf eine Kluft im modernen Streben der Wissenschaft nach Erkenntnisgewinn hin: Die Positivisten suchen nach der Wahrheit, die Rationalisten aber suchen nach der Bedeutung. Für Arendt ist die Verwechslung beider Ansätze ein grundlegender Fehler, der sogar großen Denkern wie Heidegger unterlaufen ist. Die Unterscheidung zwischen dem Bedürfnis, zu denken, und dem Wunsch, zu wissen, ist eine operative Möglichkeit, Denken und Handeln zu differenzieren. Obwohl Arendt sich bezüglich dieser Unterscheidung auf die Griechen beruft, wage ich die These, dass Arendts Jüdischsein das hier fehlende Bindeglied ist. Denn die historische Rolle der Juden besteht im Suchen und nicht im Finden der Erlösung oder des Erlösers – im Gegensatz zu der vom Christentum verkündeten

79 Wahrheit, der Sohn Gottes sei der Erlöser. Aus diesem Grund betrachtet Arendt das Denken als den ultimativen Akt. Bezüglich der Philosophiegeschichte zeigt sich Arendt erstaunlich kurzsichtig: In allzu konventioneller Weise fasst sie diese als eine Entwicklung, die von den Griechen über die Römer, Christen und mittelalterlichen Gelehrten bis zu den Deutschen reicht. Ein derart mechanistisches Geschichtsverständnis kann allerdings nicht erklären, warum der Existentialist Heidegger denselben Fehler begeht wie der Positivist Carnap. Weshalb siegt das metaphysische Streben nach Gewissheit über epistemologische Differenzierungen? Liegt die Antwort nicht wenigstens teilweise in der gemeinsamen wissenschaftlichen Vision eines Zeitalters, in dem die Suche nach Bedeutung weniger Gewicht hat als das Auffinden der Wahrheit, gar das Aufzwingen dieser Wahrheit auch jenen, die als Ungläubige, Abtrünnige oder Heiden gelten? Hätte Arendt sich im dritten Band diesen Fragen gewidmet? Ich denke nicht. Nachdem sie den philosophischen Dialog zwischen den Gegnern der offenen Gesellschaft abgelehnt hatte, konnte sie mit dem Verrat dieses Lebens in seiner postkantianischen Phase nicht umgehen. Für sie befanden sich die Grundelemente der Demokratie in einem Kampf auf Leben und Tod mit den nazistischen und bolschewistischen Ausprägungen der AntiDemokratie. Die Verbündeten des demos wurden entwaffnet und vernichtet, und zwar von Intellektuellen, die das Ende des Intellekts ausriefen. Es gab eine Zeit, in der man sich schämen musste, wenn man eine metaphysische Arbeit rezensieren wollte. Doch wo Denker wie Marx, Durkheim oder Weber die Grundlagen wichtiger Theorien bilden, bedarf es keiner Entschuldigung für die Lektüre eines solch meisterhaften Werks, und es muss auch nicht unter dem soziologischen Kopfkissen versteckt werden. Natürlich interessieren sich die Vertreter der Phänomenologie, des symbolischen Interaktionismus und einer humanistisch geprägten Soziologie weit mehr für die zwei Bände als Behavioristen und

80 funktionalistisch oder physikalistisch orientierte Soziologen. Der Versuch, all diese potentiellen Leser zu unterscheiden, ist jedoch nach Arendt gerade ein Zeichen des verkehrten Verhältnisses von Denken und Handeln: Die marxistischen und existentialistischen Vorstellungen, die im Denken des 20. Jahrhunderts eine so große Rolle spielen und den Menschen als den Produzenten oder Schöpfer seiner selbst hinstellen, beruhen auf diesen Erfahrungen, obwohl natürlich klar ist, daß niemand sich selbst »geschaffen« oder seine Existenz »produziert« hat; das scheint mir der letzte der metaphysischen Trugschlüsse zu sein, er entspricht der modernen Betonung des Wollens als Ersatz für das Denken…. Und das ist von einiger Bedeutung für eine ganze Klasse von Problemen, die das moderne Denken keimsuchen, insbesondere für das Problem von Theorie und Praxis und für alle Versuche, zu einer auch nur einigermaßen einleuchtenden Theorie der Ethik zu kommen. Seit Hegel und Marx wurden diese Fragen aus historischer Perspektive behandelt, und man ging davon aus, daß es so etwas wie einen Fortschritt der Menschheit gebe. Letzen Endes werden wir vor der einzigen Alternative stehen, die es hier gibt - entweder sagt man mit Hegel: die Weltgeschichte ist das Weltgericht, und überlässt das letzte Urteil dem Erfolg, oder man besteht mit Kant auf der geistigen Autonomie der Menschen und ihrer Fähigkeit, sich unabhängig davon zu machen, wie die Dinge nun einmal sind oder geworden sind. [II: 210-212] Solange Denken, Wollen und Urteilen als drei grundlegende, nicht voneinander ableitbare und nicht auf einen gemeinsamen Nenner reduzierbare mentale Aktivitäten betrachtet werden, muss sich Arendts Denkgebäude der gleichen Kritik stellen wie jede andere Form des Absolutismus. Drückt man es in den Begrifflichkeiten des 20. Jahrhunderts aus, so ist Das Leben des Geistes der Inbegriff des Zusammenbruchs akzeptabler Paradigmen in den Sozialwissenschaften und der Philosophie. So bleibt der Dreieinigkeitslehre von Denken, Wollen und Urteilen nichts

81 übrig, als sich auf jedem Feld, in jeder Disziplin mit sich selbst konfrontiert zu sehen. Zwar ist Arendt die große Synthese nicht gelungen, doch sie erhellt die Mängel der Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Immerhin kennen wir nun die Gründe der Aufsplitterung, und sie werden uns mit solcher Präzision und Klarheit vor Augen geführt, dass daraus neue Kreativität entspringen kann. Und genau das macht freies Denken letztlich aus. Ironischerweise war die Autorin von Eichmann in Jerusalem auch eine Verehrerin der deutschen Hochkultur. Hannah Arendt war in ihrem philosophischen, juristischen und politischen Denken zweifellos ein Produkt der deutschen Aufklärung. Ihre beiden letzten Bände drehten die Zeit zurück, als habe es Hitler und die Nazis nie gegeben; als habe das liberale deutsche Gedankengut ungebrochen Bestand. Doch das ist nicht der Fall. In ihren berühmtesten Arbeiten lehrte Arendt uns Wesen und Funktionsweise des Totalitarismus. Letztlich blieb sie aber der Tradition des deutschen Liberalismus treu. Sie liebte die französische Sprache, und doch war ihr Descartes nur eine Fußnote wert, und die englische Tradition der unwritten constitution, die Arendts Glauben an den Sieg der mitfühlenden Gerechtigkeit über das kalte, irrationale Racheprinzip sicher nährte, war für sie eher ein Gefühl als eine Struktur. Dem demokratischen Gedankengut Russlands von Herzen bis Solschenizyn schenkte sie kaum Beachtung. Für alle, die sie als jüdische Autorin begriffen, war vielleicht die Tatsache am schlimmsten, dass sie die hebräische Tradition auf ein paar Fußnoten zur christlichen Theologie reduzierte. So entpuppte sich diese bemerkenswerte Frau, Wissenschaftlerin, Kritikerin, Exilantin und Lehrerin nicht als Racheengel, die ohne Unterlass gegen den Totalitarismus anrannte, sondern als die letzte Vertreterin der deutschen Aufklärung: Sie trug die Fackel, zu deren Rettung aus dem Beinhaus Europa sie selbst beigetragen hatte. Wie Kant bemerkte, ist der dialektische Prozess tatsächlich dunkel und unauflöslich. Fünfzig Jahre zu spät, geschrieben in

82 einer fremden Sprache von einer ins Exil Geflohenen, brachte er den letzten Jubelschrei der Weimarer Republik hervor.

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Die Entscheidung Ein Buch über Hannah Arendt, das sich auf den Totalitarismus (über den sie sehr viel wusste) und die Sozialwissenschaften (in denen sie sich kaum auskannte) konzentriert, ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Mit Peter Baehr hat sich ein kundiger Sozialtheoretiker des Themas angenommen; der mit beiden Seiten dieser besonderen Medaille vertraut ist. Ich hatte bereits das Privileg, Schriften von ihm veröffentlichen zu dürfen. Bei Transaction erschienen seine drei Hauptwerke: Caesar and the Fading of the Roman World (1997), Founders, Classics, Canons: Modern Disputes over the Origins and Appraisal of Sociology's Heritage (2003) und Caesarism, Charisma, and Fate (2008). Im Bereich der Soziologie ist er der beschlagenste Mensch, den man sich vorstellen kann. Die Titel dieser Arbeiten erklären, weshalb Baehr in dem hier diskutierten Buch die Untersuchung totalitärer Regime mit der facettenreichen Geschichte der Soziologie kombiniert hat. Er überreichte mir ein Exemplar von Hannah Arendt, Totalitarianism, and the Social Sciences »mit Bewunderung und Dankbarkeit«. Ob er nach dieser Kritik an seinem Buch immer noch so empfindet, ist schwer zu sagen. Doch es wäre hinterhältig gewesen, unsere lange Beziehung nicht zu erwähnen, genauso wie

84 es unverschämt gewesen wäre, zu verschweigen, dass wir beide tun, was wir sagen, dass wir uns also auf demselben Gebiet in dieselbe Richtung bewegen, und zwar schon seit vielen Jahren. Ein Problem, das schon früh im Buch spürbar wird, ist Baehrs Zurückhaltung Arendts Randposition innerhalb der modernen Soziologie anzusprechen. Stattdessen konzentriert er sich auf David Riesmans soziologische Ethnografie, Raymond Arons politische Soziologie und Jules Monnerots historische Analysen. Letzteren bezeichnet er zutreffend als »eine weitgehend unbedeutende Figur«, wenigstens innerhalb der angloamerikanischen Soziologie. Weil Baehr den Akzent aber auf praktische, konkrete Themen im Nachkriegseuropa legt, bilden die drei ein seltsames, unzusammenhängendes Trio. Weder standen sie in Beziehung zueinander, noch – und das wiegt schwerer – zu Hannah Arendt. Dennoch trifft es zu, dass alle drei sich mit größeren Fragen beschäftigten, und das in einer Disziplin, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf Mikrothemen konzentrierte. Tatsächlich verlor die Soziologie zunehmend an Bedeutung, weil ihre gesellschaftlichen Ziele immer abstrakter wurden und immer weniger mit dem wirklichen Leben zu tun hatten. Die soziologische Literatur zwischen 1945 und 1975 – dem Jahr, in dem Arendt starb – kümmerte sich höchstens nebenbei um Themen wie Atomkrieg, den Kalten Krieg oder nationalistische Tendenzen. Das Interesse der drei von Baehr genannten Wissenschaftler am Totalitarismus entsprang in je unterschiedlichem Maße ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Sowjetkommunismus und dem deutschen Faschismus. Mit Arendt haben sie also die Ablehnung der schlimmsten Systeme des 20. Jahrhunderts gemeinsam, und wie sie verstehen alle drei den Totalitarismus als ein einheitliches Konzept, mit dem sowohl Hitlers als auch Stalins Regime vor dem Hintergrund einer europäischen Kultur beschrieben werden können, die sich selbst einst als die Apotheose der Zivilisation selbst begriffen hatte.

85 Doch Baehr versäumt es, diesen ideengeschichtlichen Zusammenhang aufzuzeigen. Arendt hatte Teil an dieser totalitarismuskritischen Gedankenwelt. Mit Riesman, Aron und Monnerot hatte sie nicht nur den tiefen Respekt vor der – gesellschaftlichen wie politischen – Demokratie gemeinsam, sondern sie sah diese darüber hinaus als das Fundament an, von dem jeder Widerstand gegen den Totalitarismus ausgehen müsse. Weshalb also unterstellt Baehr, Arendt habe gegen die drei Soziologen Animositäten gehegt? Zwar schien wenigstens Aron Arendts Arbeit zu schätzen und zu respektieren, doch gab es möglicherweise Differenzen hinsichtlich des Wesens des Totalitarismus. Alle drei standen auf Seiten der Demokratie, und alle begriffen den Totalitarismus als ein zentrales Element zum Verständnis des großen Rätsels namens 20. Jahrhundert. Und doch teilten sie nicht den Glauben an die zentrale Position und zeitweilige Dominanz jener Überzeugungen, die allererst zu diesem Elend geführt hatten. Die damalige Rhetorik war nicht so polarisierend, wie Baehr uns glauben machen will, und Arendt spielte darin eine zentrale Rolle – allerdings mit anderem Subtext. Baehr beschäftigt sich weniger mit den Ansichten zum Totalitarismus und dessen praktischen Konsequenzen, sondern eher mit dem totalitären Weltbild als solchem. Ein zentrales Element unterschied Arendts Denken von dem des großen israelischen Historikers Jacob Talmon – der parallel selbst ein Werk über den Totalitarismus vorlegte –, aber auch von den drei von Baehr genannten Theoretikern: Sie war weder Soziologin, noch war die Geistesgeschichte ihr Forschungsanliegen. Arendt ging es um die Philosophie politischer Systeme. Baehr entledigt sich Talmons wie nebenbei und mit einem Satz. Er habe »eine wie ein Glaubensbekenntnis verfasste totalitäre Demokratie entdeckt, die aus einer [Rousseaus] philosophischen Strömung im 18. Jahrhundert entstanden« sei und in »politischen

86 Messianismus« münde. Tatsächlich aber stand Talmon Arendt viel näher als die meisten anderen zeitgenössischen Historiker. Und doch hatte er, wie Riesman und Monnerot, nicht viel mit den heftigen Debatten während der Zeit des Kalten Kriegs zu tun. Für Aron galt dies nicht, wie sein Einsatz für die Befreiung Frankreichs und die Exilgaullisten in England zeigt. Aron und Arendt waren fest überzeugt, dass der Kampf gegen den Totalitarismus ein Kampf für die übergeordnete rechtliche und moralische Struktur konkreter Regime war. Ich vermute, Baehr weiß das ganz genau – er demonstriert es etwa in seiner brillanten Koda über den neuartigen islamistischen Terror – aber die intellektuellen Debatten über Kleinigkeiten faszinierten ihn so sehr, dass er den Wald vor lauter Bäumen nicht sah. Es heißt oft, Arendt sei in ihren frühen Jahren einerseits eine Vertreterin par excellence der jüdischen Exilgemeinde gewesen, andererseits aber eine heimliche Anhängerin der Wagnerschen Kultur der spirituellen und symbolischen Liebe. Arendt neben einem genuin amerikanischen Denker wie Riesman positioniert zu sehen ist erfrischend. Baehr beurteilt Riesmans Arbeit positiv; seine »Perspektive auf die totalitären Bedingungen war politisch klüger, als Arendt dachte«. Zudem ist es bereichernd, Arendt einmal nicht nur in einem strikt europäischen intellektuellen Kontext zu betrachten. Ich möchte hinzufügen, dass Riesman und Arendt auch das Interesse an rechtlichen Fragen sowie eine dezidiert liberale Haltung zum Mitgefühl als einem Ursprung der Politik in Amerika teilten. Zwar stimmt es, dass Riesman sich auf die Quellen der Freiheit statt auf die dunklen Entstehungsgründe des Totalitarismus konzentriert, doch wir sollten nicht vergessen, dass Menschen sich selbst unter den widrigsten Umständen ihr Denken und Handeln nicht vorschreiben lassen wollen. Während Riesmans Schriften über den Totalitarismus weitgehend vor dem amerikanischen Erfahrungshintergrund entstanden sind, fußen Arendts Untersuchungen auf ganz anderen Erfahrungen. Baehrs

87 Einschätzung, Arendts Darstellung des totalen Terrors im Nazistaat sei »übertrieben« gewesen, was »Riesman schon ahnte und spätere Forschungen bestätigten«, grenzt auf seltsame Weise an eine Apologie und unterstellt, es habe in Nazideutschland unterschwellig doch Pluralismus gegeben. Die wenigen Widersprüche zwischen Arendt und Riesman bezogen sich nicht auf den Totalitarismus als politische Realität oder moralische Ausrichtung, sondern eher auf den jeweiligen Fokus. Riesman fragte nach den inneren Prozessen ganz normaler Menschen, während Arendt das öffentliche Auftreten der Herrscher und Beherrschten untersuchte. Letztlich geht es hier um den Unterschied zwischen den Anhängern John Stuart Mills, der an die positiven Effekte der Freiheit noch unter den fürchterlichsten Bedingungen glaubte, und jenen, die – wie Arendt – eine gefangene, durch rigide Gesetze unterjochte Nation als Apotheose des 20. Jahrhunderts betrachteten. Es ist dies weniger eine Debatte zwischen Geistesgrößen und Dünnbrettbohrern, sondern vielmehr eine Uneinigkeit über die Vormachtstellung des Staates, dessen Fähigkeit, die Gesellschaft zu bestrafen, und dessen Überlebensmöglichkeiten. Seltsamerweise schiebt Baehr ein »versus« zwischen Arendt und Aron, verbindet Riesman und Monnerot aber mit der Konjunktion »und«. Das missfällt mir, weil Aron Arendt in dauerhaft wichtigen Fragen doch sehr nahe stand. Von Baehr erfahren wir, dass Aron »eine scharfsinnige, nüchterne und logische Darstellung des Totalitarismus« liefert. Arons Ansichten seien beeindruckend. Dennoch zeigt sich Baehr »unzufrieden«, weil Arons Analyse sich auf den Parteienprozess konzentriert, und schreibt Arendt die gleiche Haltung zu. Wir lesen, dieser Blick auf den Totalitarismus sei »zu vertraut, zu normal«. Die Unterstellung lautet, Aron habe ausreichende moralische Empörung vermissen lassen, obwohl er sich angesichts der Systeme, die den Archipel Gulag und Auschwitz hervorgebracht haben, hoch entrüstet zeigte. Es stimmt, dass Arons Stil klinisch

88 wirkt. Aber die Verwechslung von stilistischer und moralischer Gleichgültigkeit wäre ein Fehler. Insgesamt fällt es mir schwer, Baehrs Argumentation zuzustimmen. Das Buch basiert auf der Annahme, Aron habe sich nicht zum Nazismus geäußert oder das Thema gar vermieden, weil es nicht in sein Totalitarismus-Paradigma passte. Ich glaube, die leichtere und nahe liegende Erklärung ist, dass Aron den französischen Exilanten in England eng verbunden war und den Zwängen der französischen Militärtradition unterlag, die seit der Dreyfus-Affäre zwar Freiheit vorsah, die Juden dabei aber nicht berücksichtigte. Die Arbeit in einem politisch hochspezifischen Kontext scheint also eine weit bessere Erklärung zu sein – vor allem, weil Aron sich auch sehr deutlich, sogar mutig als Kritiker des Gaullismus äußerte. So war das »versus« letztlich nicht mehr als ein Persönlichkeitsunterschied, und doch bemerkt Baehr richtig, dass Arendt solche Rücksichten nicht an den Tag legte. Auch hier gilt wieder: Legt man bedeutende Denker in bleierne Prokrustesbetten, ist das hinsichtlich der Beziehungen der Menschen und Gedanken untereinander verwirrend, nicht erhellend. Ich bin nicht sicher, ob Arendts Neigung, die Dinge miteinander zu »verschmelzen«, soviel besser ist als Arons Bedürfnis, Politik und Ethik auseinander zu halten. In dieser Hinsicht ist Monnerot sicherlich der schwächste der von Baehr betrachteten Protagonisten. Zum einen, weil die These vom Totalitarismus als säkularer Religion bereits Mitte des letzten Jahrhunderts hinreichend diskutiert wurde. Sie tauchte in einer Zeit auf, in der die etablierten Religionen hinterfragt wurden. Es kann sein, dass Monneret ähnlich denkt wie Durkheim. Doch seine unnachgiebige Verteidigung der Soziologie trägt nichts dazu bei, die auf Arendts Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft ruhende Last auszugleichen. Es ist dies eine Art unangenehmer Intellektualismus, der suggeriert, Todesmaschinerie und Massen-

89 mord ließen sich in eine allgemeine Theorie der säkularen Religion überführen. Wie Arendt selbst betonte, führt diese Art Reduktionismus nicht weit: Weder lassen sich damit die verschiedenen Varianten des Totalitarismus (beispielsweise in Italien und Japan) untersuchen, noch trägt er zu einer funktionierenden Theorie undemokratischer Systeme bei. Mit Recht stellt Baehr fest, dass Monnerots Argumentation zur Untersuchung des heutigen muslimischen Terrors stark modifiziert werden müsste. Und er hat auch Recht mit der Beobachtung, dass Arendt der These vom »Anderssein des Totalitarismus« gegenüber skeptisch war und das einzigartige, einzig für das 20. Jahrhundert charakteristische Wesen dieses »Ismus« anzweifelte. Jenseits von Monnerots ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein und dezidiertem Antistalinismus ist schwer erkennbar, wie seine Perspektive zu einem Grundpfeiler der hier diskutierten Trilogie hatte werden können. Die Verbindungslinie von Marx zu Lenin und Stalin ist ein Faktum. Für Wissenschaftler ist es zu einfach, nur Gründer und Vollstrecker zu unterscheiden. Arendt hatte das begriffen, Monneret nicht. Baehrs Buch ist ein groß angelegter Versuch, Arendts Werk innerhalb der zeitgenössischen Ideengeschichte zu verorten. Er darf als gelungen betrachtet werden – bis auf einen entscheidenden Makel: Mit den drei von Baehr ausgewählten Persönlichkeiten beschäftigte sich Arendt intellektuell – und ich wage zu sagen: auch emotional – nur sehr wenig. Doch es gibt schon so viele Untersuchungen über Arendts Zeit mit den Weimarer Intellektuellen und deutschen Intellektuellen im Allgemeinen, dass eine Arbeit über zwei Franzosen und einen Amerikaner eine echte Erleichterung ist. Ein Großteil der Darstellung von Arendts Ansichten läuft auf ein stereotypes Portrait des von den autoritären Systemen marginalisierten Exils hinaus und beschäftigt sich nicht übermäßig mit ihrem Denken als solchem. Arendts Beziehungen zu Heidegger, Jaspers und

90 Blücher befeuerten bloß die Hagiografien. Baehr war klug genug, derlei bestenfalls auf Briefen und schlimmstenfalls auf Hörensagen basierende Geschichten zu vermeiden. Das nicht leicht zu lösende Problem besteht darin, dass ein Buch über Arendt im Vergleich zu Riesman, Monnerot und Aron schnell Gefahr läuft, eigenartig zu werden. Als unbeabsichtigte Folge davon erscheint Arendt geistesgeschichtlich unbedeutender, als sie tatsächlich war. Anders als bei Arendt besteht das von der Soziologie formulierte Problem nicht in verschiedenen Interpretationen des Totalitarismus, sondern darin, Beispiele für Verbrechen in demokratischen sowie autoritären Gesellschaften zu zeigen. Während der kurzen Phase, in der sich die Disziplin für abweichendes Verhalten interessierte, suchte man in amerikanischen Soziologiebüchern vergeblich nach Texten über Krieg und Frieden oder gar Demokratie und Totalitarismus. Die Disziplin mokierte sich über die Gesellschaft. Drogenkonsum war auf einmal kein Problem mehr, sondern galt als Entspannung. Sexuell abweichendes Verhalten geriet auf magische Weise zum alternativen Lebensstil. Und schließlich wurden moralische Fragen auf optionale Glaubenssysteme reduziert. Selbst die wachsenden Forderungen der Afro-Amerikaner nach Gleichberechtigung wurden in Bezug auf Wiedergutmachung oder wenigstens ordentlicher Ehrerbietung und Schuldgefühle diskutiert. All dies weiß Baehr genau. Doch weil er so sehr in die weniger bedeutenden soziologischen Themen verstrickt ist, ob Arendt mit der Sozialwissenschaft vertraut war, diese gar mochte oder ablehnte. Er stellt Arendts Ideen auf den Kopf und macht aus der Erforschung der Rolle des Staates beim Formen und Missgestalten von Persönlichkeiten – ganz einfach – einen Subtext über den Ort gesellschaftlicher Sitten und Standards innerhalb der Politik. Arendts geistige Welt umfasste die Soziologie genauso wie Politik und Philosophie. In jene Gebiete der Sozialforschung, die

91 sie als nachrangig betrachtete, verirrte sie sich nicht. Man muss bedenken, dass sie nie ein Seminar in Politikwissenschaft oder Soziologie absolviert hat! Das weiß ich von ihr persönlich. Sie lebte in der Hoffnung auf eine Erweiterung des kantischen Ethos, das eine Art transzendentale Einheit der Wahrnehmung und damit eine bessere Welt ermöglichen oder wenigstens verständlich machen könnte. Ihr einzigartiges Ziel war, die Rolle des Urteilens bei der Untersuchung der Politik zu stärken, ohne dabei die Bedeutung der Ethik zu schmälern. Vielleicht war die Soziologie nicht so seicht, wie Arendt sie sah. Sollte sie unwahrscheinlicher Weise ein bescheidenes Licht auf das Leben im 20. Jahrhundert werfen, scheint die Hinwendung zur alten Welt der Philosophie für einen Menschen wie Arendt eine folgerichtiger Entscheidung: Sie lieferte ihr Theologie ohne Religion und brachte sie dazu, das Wertespektrum einer heruntergekommenen, idealistischen Welt neu zu hinterfragen. Und genau in der Frage nach diesen normativen Grundlagen zeigt sich diese große, und ja, wütende Frau, die sich stets darum bemühte, ihre Welt wertzuschätzen – und während ihrer Zeit auf der Erde auch ein wenig zu verbessern.

Bibliografie Peter Baehr, Hannah Arendt, Totalitarianism, and the Social Sciences, Stanford CA 2010.

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Jenseits des Totalitarismus Wir kommen nun zum letzten Abschnitt dieses Buchs, in dem ich nach Hannah Arendts kulturellem Erbe fragen möchte – und nicht nach ihrem ikonischen Status. Letzterer scheint etwas abgewetzt, fielen doch im Lauf der Zeit so viele »Ikonen« auf den Status Normalsterblicher zurück, dass wir uns besser dem widmen sollten, was Arendt uns hinterlassen hat. Und der Frage, wie eine Person, die keiner Denkschule angehörte oder angehören wollte, so viele Anhänger und sogar nicht wenige Kritiker inspirieren konnte. I. Arendt konzentrierte sich auf den Totalitarismus als gesellschaftliches System, dessen rechtliche Autorität eine einheitliche politische Institution mit einer passenden organisatorischen Struktur bildet. Ihre Arbeit war damit nicht mehr eine von vielen Studien zum »autoritären Charakter«, sondern wurde zu einer Untersuchung des Giganten namens Totalitarismus und war damit meilenweit entfernt von geistigen Verrenkungen oder einer ungesunden Faszination für Führungsfiguren. Wären alle Spuren des Faschismus und Kommunismus unter den Schutthaufen des Zweiten Weltkriegs verschwunden, wäre die Sorge angesichts des Totalitarismus nicht nötig gewesen. Aber gerade der Fortbestand des Extremismus in

94 der Nachkriegspolitik ermöglichte die intensive Rezeption von Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft in den frühen 1950erJahren.1 Es blieben nicht nur Regime an der Macht, denen kein konkretes Etikett anhaftete, die aber stark an Faschismus oder Kommunismus erinnerten. Sondern der Ausgang des Zweiten Weltkriegs vernichtete den Totalitarismus auch nicht; er stattete ihn sogar mit einer humanistischen Ideologie aus. Der Frieden minimierte nur die Angst vor dem faschistischen Teil des »Ismus« namens Totalitarismus. Arendt wusste dies genauso gut wie manch andere, aber nur sie prägte das Etikett, das den gefährlichen Organismus als Ganzes definierte. Der Ausgang des Kriegs führte dazu, dass man viel über die Macht des Staates nachdachte. Darüber hinaus erzeugte er eine große Skepsis gegenüber aufgepfropften Lösungen. Die Depression wurde nicht durch ein staatliches Programm, sondern aufgrund des Bedarfs an Waffen und der Mobilisierung der Massen beendet. Scheinbar nebensächliche Bereiche wie geistige Gesundheit, Krankheit und stationäre Behandlung wurden untersucht; Massenlösungen von Unterbringung bis hin zu Krankenhäusern gerieten ins Zwielicht, weil sie weder Armut noch Krankheiten verminderten. So wurden die totalitären Einrichtungen innerhalb der sozialen Systeme Gegenstand der gleichen Kritik, die Arendt bezüglich des politischen Systems vorgeschlagen hatte. Auf seltsame Weise wurde Erving Goffmans Darstellung des Krankenhauses als totalitäre Institution zum Äquivalent von Arendts Analyse des Nationalstaats als totalitäre Institution.2 Die gesellschaftlichen Folgen des Siegs über den Nationalsozialismus führten zu einer neuen Situation. Es herrschte allgemeine Erleichterung darüber, dass der Totalitarismus wenigstens am einen Ende seines politischen Spektrums 1

Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft,13. Aufl., München 2009. 2 Erving Goffman, Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, A. d. Amerikan. v. Nils Lindquist, Frankfurt a. M. 1972.

95 besiegt werden konnte. Hinsichtlich der psychologischen Dimension verstaute David Riesmans einsame Menge hochgradig privater Personen3 den Kollektivismus – wenigstens zeitweilig – getrost wieder in der hintersten Ecke. Arendt wurde möglich durch das Überleben der demokratischen Kultur. Ihr voraus gingen Karl Popper und die Ursprünge der offenen Gesellschaft sowie George Orwell und die technologischen Ursachen des verschlossenen Geistes. Deren Erfahrung mit dem Krieg führte – zusammen mit den Erfahrungen vieler anderer – im Westen zu einer anderen Nachkriegskultur als in Osteuropa und Südostasien, wo sich totalitäre Systeme gemütlich einrichteten. All diese Entwicklungen erhöhten den Status der Individualpsychologie und wirkten sich damit noch stärker auf die Populärkultur aus als direkte Vergleiche zwischen Demokratie und autoritären Systemen. Ob von konservativer oder von radikaler Seite, ob durch Philip Rahv im William Phillips im Partisan Review oder durch William Buckley und Whitaker Chambers im National Review: Überall beschäftigte man sich wieder mehr mit dem fähigen Menschen, der in einer offenen Gesellschaft freie Entscheidungen trifft. Die Formulierung im Titel dieser Sammlung kurzer Aufsätze und Rezensionen wird hin und wieder gebraucht, um Menschen, die nicht in konventionelle Kategorien passen, innerhalb eines politischen Spektrums zu verorten. Ich habe das selbst schon zweimal getan: In Radicalism and the Revolt against Reason charakterisierte ich damit George Sorel, und später verwendete ich den Ausdruck in C. Wright Mills: An American Utopian. Vielleicht sagt das genauso viel über meine Vorlieben aus wie über die einzigartigen Menschen, von denen die Bücher handeln. Doch weil es verschiedene Formen des Radikalismus und nicht 3

David Riesman, Reuel Denney u. Nathan Glazer, Die einsame Masse: Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters, a. d. Amerikan. v. Renate Rausch, Darmstadt 1956.

96 minder verschiedene Ausprägungen des Konservatismus gibt, finde ich solche Formulierungen nach wie vor sehr interessant. Verschiedene Perspektiven auf das Thema Totalitarismus erinnern uns auch daran, dass absolutistische Systeme – sogar solche, die sich von selbst entwickelt haben – den Gesetzen des gesellschaftlichen Wandels und der biologischen Evolution unterliegen. Wörterbucheinträge helfen hier nicht weiter. The American Heritage Dictionary etwa definiert Radikalismus zuerst als eine Ideologie, »die aus einer Wurzel oder Quelle stammt oder auf diese zurückzuführen ist«. Die zweite Definition lautet: »bis an die äußerste Grenze reichend; oder extrem«. »Konservativ« nennt dieses weit verbreitete Wörterbuch als erste Bedeutung: »Veränderungen abgeneigt; traditionelle Ansichten und Werte bevorzugend«. Die zweite Definition ist eher ästhetisch als politisch: »Stilistisch traditionell, nicht protzig«. Und eine psychologische Nuance kommt hinzu: »moderat, vorsichtig und zurückhaltend«. Für meine Zwecke kombiniere ich die Rückkehr zu den Wurzeln oder zum Ursprung mit einer traditionellen Moral und Weltsicht und erhalte ein Individuum, dessen gesamtes Leben ein geistiger Balanceakt ist. Ich glaube, damit ist korrekt zusammengefasst, was Hannah Arendt zu erreichen versuchte. Und wenn sie auch manchmal hinter diesem großen Anspruch zurückblieb, so bemühte sie sich doch, eine Art Synthese der konkurrierenden, ja verfeindeten Ideologien auf der Ebene politischer Machtstrukturen zu verwirklichen. Als emeritierter Inhaber der Hannah-Arendt-Professur an der Rutgers University ist es mir eine große Ehre, dass Arendts Name nun seit über dreißig Jahren mit dem meinen verbunden ist – obwohl Horowitz (und dessen Varianten) in der Welt der Wissenschaften und Künste auch kein schlechter Name ist. Schon eine grobe Skizze von Arendts Persönlichkeit und Errungenschaften fällt äußerst komplex aus. Das Schreiben über

97 Arendt zeigt exemplarisch, wie stark Leben und akademische Tätigkeit stets miteinander verwoben sind. Die kurzen Aufsätze erheben in keiner Weise den Anspruch auf Vollständigkeit. Auch andere engagierte Wissenschaftler und Schriftsteller haben – von der Kritik entweder für gut oder schlecht befundene – Darstellungen zum Thema verfasst. Ziel dieses zusammenfassenden Kapitels ist die Beschäftigung mit einem Menschen, der bei vielen regen Widerstand, ja Wut hervorgerufen hat, weil er versuchte, getrennte akademische Lager und theoretische Perspektiven zusammenzubringen. Das ist ein sehr gefährliches Spiel. Aber keines macht so glücklich.4

II Mit meinen Texten will ich zeigen, wie viel Leidenschaft in Arendts Werk steckt und wie vielen wichtigen Themen von öffentlichem Interesse und deren philosophischen Implikationen sie sich gewidmet hat. Allein dieses Vorhaben ist schon eine Herausforderung, die ich in dem Bewusstsein annehme, das meine Arbeit fragmentarisch bleiben muss. Denn wie anders könnte man sich mit Arendt auseinandersetzen? Sie war eine Feministin, hasste jedoch diese Bezeichnung. Sie kämpfte für und schrieb über jüdische Anliegen und wurde dafür von jüdischen Autoren verachtet und geschmäht. Sie stellte die deutsche Sprache und Tradition über alle anderen, und doch ist sie als erbitterte Gegnerin der Nazis und ihres tödlichen Totalitarismus bekannt. Für Arendt stand der Nazismus in keiner Weise in der westlichen Tradition, sei sie deutsch oder nicht, sei sie katholisch oder protestantisch. Sie war ein leidenschaftlicher Mensch und blieb 4

Irving Louis Horowitz, Taking Lives: State Power and Mass Murder, 5. Aufl., New Brunswick/ London 2002. Meine Arbeit steht explizit in der Schuld Hannah Arendts und ihrer Formulierungen.

98 doch Gefühlsexzessen gegenüber misstrauisch, und sie war eine strenge Rationalistin, die fürchtete, diese geistige Verfasstheit könne allzu leicht zum Umbau der menschlichen Seele führen. Hannah Arendts Entwicklung lehrt uns etwas über die Beschaffenheit des menschlichen Geistes. Ich habe stets argumentiert, dass sie nie eines von Heideggers »Kindern« war, wie der exzellente Ideenhistoriker Peter Watson in Der deutsche Genius5 behauptet. Viel eher war sie ein Kind Immanuel Kants, wie sie selbst überzeugend in ihrem als Trilogie angelegten Werk Das Leben des Geistes darlegt. Kant ist der Autor eines großen Meisterwerks über den ewigen Frieden, und Martin Heidegger, der den Planet entflammen wollte, konnte als einziges Fazit bloß verkünden, dass die deutsche Fähigkeit zur Reflexion über die Welt nur Bestand habe, wenn diese ihr deutsches Element fänden und bewahrten. Wie Marx einst feststellte, sind zwar nicht alle Katzen grau, aber sie sind auch nicht alle schwarzweiß. Und so sind die wirklich interessanten oder faszinierenden Gedanken über unsere Welt normalerweise nichts anderes als eine Beschäftigung mit eben diesen Graustufen. Wer sich mit einer einzigen Tradition oder Kultur identifiziert, umgeht vielleicht den Relativismus, erliegt jedoch dem Absolutismus. Und genau dieses Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Traditionen, Kulturen und Systemen finde ich in Arendts Schriften. Es macht sie zu einer faszinierenden Figur innerhalb der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, und es macht sie zweifelsohne auch im 21. Jahrhundert zu einer wichtigen geistigen Kraft. Der für dieses Buch gewählte Titel Hannah Arendt: Eine RadikalKonservative ist kein Wortspiel, sondern die schmerzliche 5

Peter Watson, Der deutsche Genius: eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI, a. d. Engl. v. Yvonne Badal, München 2010.

99 Illustration einer Gesellschaft und Kultur, die für den größten Teil des 20. Jahrhunderts nicht im Einklang mit sich selbst war. Anders als die französische Aufklärung, welche die Fesseln der Religion und Theologie sprengen wollte, begriff die deutsche Aufklärung beides als verknöcherte Ausläufer ihrer selbst, die es zu bewahren lohnte. Selbst ein so brillanter Logiker, Rationalist und – nebenbei – Jude wie Ludwig Wittgenstein beendete manche seiner philosophischen Untersuchungen mit einem beherzten Sprung in die Arme von Mystizismus und Subjektivismus. Man könnte sagen, der Hegelianismus als System sei auseinander gebrochen und habe das 20. Jahrhundert in Trümmern hinterlassen. Die deutsche Rechte und die russische Linke hatten rein gar nichts mit jener Synthese zu tun, die Hegel selbst von der Geschichte erwartet hatte. Arendt trug die Narben dieser Tradition, aber sie war nicht besiegt. In diesem Sinne ist der Titel dieser Aufsatzsammlung zu verstehen.

III Der vorliegende Band begann mit dem Versuch der extremen Linken, Arendt zu diskreditieren. Deshalb scheint es passend, ihn mit einem ähnlich harten – und leider auch beunruhigenden – Angriff auf Arendt zu beenden, diesmal allerdings von Seiten der extremen Rechten. Während ich es für eine große wissenschaftliche Tugend halte, dass Arendts ideologische Erwartungen an andere nie zu einfach oder tendenziös waren, machte sie gerade diese Eigenschaft angreifbar durch all jene, für die links, rechts oder radikal-konservativ selbst verliehene Ehrentitel sind. So degeneriert die politische Rhetorik oft zu dem, was die Vertreter des logischen Positivismus der Carnap-Schule proklamierten: Hier sind meine Vorstellungen, übernimm sie! Von dieser Position aus werden dann Angriffe verübt, etwa von Michael Knox Beran in dem Buch The Pathology of the Elites, in dem er behauptet, Arendts Werk stünde für die »Tyrannei der

100 gesellschaftlichen Vorstellungskraft«. Er argumentiert gegen »arrogante Klassen«, die von Elfenbeintürmen aus agierten und sich nicht an die Regeln demokratischer Meinungsbildung hielten. Wie oder warum Arendt dieser Beschreibung entspricht, bleibt ein Rätsel und verdient die Bezeichnung »Kritik« nicht.6 Beran behauptet: Erstens mache Arendt »die Politik zum Fetisch«. Sie habe die Gefahren absoluter Macht des Staates erkannt, habe aber keine Möglichkeiten angeboten, wie diese Macht in den Rathäusern oder im öffentlichen Raum beschränkt werden könne. Sie habe auch nicht dargelegt, wie mit den »gesellschaftlichen Verwaltern des Kapitals« umzugehen sei. Zweitens behaupte Arendt, in der Politik zeige sich etwas Großes, Strahlendes. Sie sei der Ursprung transzendentaler Freiheit und der größten Leistungen, derer Menschen fähig seien. Arendts Kritik der Diktatur reiche deshalb nicht über die Politik hinaus bis in die öffentliche Kultur. Drittens habe Arendt mit einer millennaristischen Politik geliebäugelt, die das prophetische Moment der Französischen Revolution umfasst habe. Die griechische Tradition schätzte sie, weil ihre verzerrte Lesart besagte, selbst im demokratischen Athen seien Politiker letztlich räudige politische Tiere gewesen. Viertens liege Arendts Fehlerquelle in der ungerechtfertigten Konzentration auf die Politik und in der Unfähigkeit, hier ein Problem des Individualismus oder – in manchen Fällen – das Fehlen der Privatsphäre zu erkennen, die Raum für Poesie geboten hätte.

6

Michael Knox Beran, »Hannah Arendt in the Public Square: The Tyranny of the Social Imagination«, in: Pathology of the Elites: How the Arrogant Classes Plan to Run Your Life, Chicago 2010, S. 67-82.

101 Fünftens habe Arendt ihre Überlegungen nicht innerhalb eines klar definierter Vorgaben verortet. Zwar seien sie in politische Prozesse und in die politische Geschichte eingebettet gewesen, doch die Kultur – Architektur, Musik und Literatur – sei ihr fremd gewesen. Sechstens seien einige ihrer Werke mit Unterstützung der Walgreen-, der Rockefeller- und der Guggenheim Foundation entstanden, sodass ihre positiven Interpretationen der Künste und Kultur insgesamt parteiisch ausgefallen seien. Derlei Behauptungen sind das konservative Spiegelbild der linken Arendt-Kritik. Viele der Vorwürfe wirken unbedeutend oder gar weltfremd. Die Vorstellung, politische Macht könne sich aus der Kraft der Poesie speisen, ist ein Überbleibsel aus der romantischen Zeit des paternalistischen Faschismus im Stile vor allem eines d'Annunzio. Wichtiger wäre die Frage, wie die Poesie sich in jenen Randbereichen behaupten will, die ihr heute noch verblieben sind. Arendt hielt nicht die Politik an sich für vornehm, sondern den Kampf für die demokratische Opposition totalitärer Wirklichkeiten. Dies war kein Flirt mit der Französischen Revolution – im Gegenteil: Arendt stellte ihr die größeren Erfolge der vorausgegangenen Amerikanischen Revolution gegenüber. Sie hielt das amerikanische Prinzip des Mitgefühls – und nicht die Leidenschaft der Französischen Revolution – für den Schlüssel Herrschaft der Demokratie. Der Vorwurf, Arendt habe keine Voraussagen gemacht, ist besonders unfair. Denn es liegt ja gerade in der Natur einer demokratischen Regierung, dass sie Beschreibungen zur Debatte stellt, statt Vorgaben gewaltsam umzusetzen. Und der letzte Kritikpunkt, sie habe Geldmittel von großen Stiftungen erhalten, ist äußerst absurd, denn er unterstellt, solche Stiftungen hätten ideologische Regularien, die es einzuhalten gelte. Dabei sind die Aufsichtsräte solcher Stiftungen von den Geldgebern weitgehend unabhängig. Derlei Kritik von Seiten der Rechten greift nicht nur

102 die linke Vorstellung einer verschworenen, betrügerischen Elite auf, sondern zeugt auch von der Sorge vor neuen Verschwörungen, die möglicherweise Arendts Ängste vor einem totalitären Staat nicht allzu fern erscheinen lassen. IV Wenn die Schreie der Akolythen verhallen und das Zischen der Kritiker zu einem Flüstern wird, steht sie am Ende immer noch aufrecht vor uns: Hannah Arendt. Nicht, weil sie unfehlbar gewesen wäre oder keine Irrtümer begangen hätte – die im privaten Bereich wohl noch schrecklicher waren als im intellektuellen. Es hat eher mit dem monströsen Wort »Totalitarismus« zu tun, das ein so fester Bestandteil der Rhetorik des 20. Jahrhunderts – und damit Arendts und auch unserer – Sprache ist. Dieser »Ismus« überwand tradierte Konzepte wie Nationalismus, Patriotismus und Globalismus. Arendt ging über die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, über die Kämpfe zwischen Nazideutschland und Sowjetrussland, über den Krieg zwischen Demokratie und Diktatur hinaus. Sie sah und begriff in ihrem Innersten, dass der Begriff Totalitarismus den einheitlichen Charakter des politisch Bösen umfasste. Nur wenige Worte erreichen jene Bewusstseinsebene, auf der es gelingt, den Menschen begreiflich zu machen, was eint und was trennt. Vielleicht ist Solschenizyns Gulag ein solches verbindendes Element, ein so einfaches Wort, das auf kompakte Weise so vieles umfasst. Ob es um die von den Nazis in Polen oder die von den Kommunisten in Sibirien gebauten Konzentrationslager geht – das Wort, dem der Tod durch politischen Willen und das Leben im Widerstand immanent ist, wirft einen Schatten, der über uns allen liegt. Arendt erfand kein Wort, aber sie verlieh ihm eine einigende Dimension, die den Horror zum täglichen Ereignis machte. Sie gab dem Wort nicht nur seine Bedeutung, sondern definierte auch den Ursprung seines

103 Schreckens. Diese Leistung darf nicht übersehen und niemals vergessen werden. Das Wort selbst wurde kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von europäischen Wissenschaftlern geprägt. Neben einigen Politikwissenschaftlern verdanken wir es Michel Florinsky (1938) und Carlo Sforza (1941), dass der Begriff eine gewisse Form bekam, obgleich ihm damals noch keine Dynamik inhärent war, die über den Nationalstaat hinausreichte.7 Im Gefolge von Arendts Untersuchungen gab es Versuche, die theoretische Bedeutung des Begriffs zu vertiefen, unter anderem 1968 von Carl J. Friedrich,8 1977 von Jean François Revel,9 1982 von Franz Borkenau10 sowie eine große Zahl an Dissertationen und historischen Werken im späten 20. Jahrhundert, darunter Arbeiten von Michael Curtis, Ellen Frankel Paul und Abbott Gleason.11 Sie alle sehen den absolutistischen Staat äußerst kritisch oder hassen ihn gar. Meistens jedoch war ihr Blickwinkel europäisch geprägt und auf Nazismus und Kommunismus beschränkt. Die heutige Literatur zum Thema hat diesen geografisch begrenzten Raum überwunden. Britische Forscher wie Leonard Schapiro12 und in früheren Jahren die Exilschriftsteller, die auf Englisch schrieben, gebührt unser tiefer Dank für den kulturellen 7

Michael T. Florinsky, Fascism and National Socialism: A Study of the Economic and Social Policies of the Totalitarian State, New York 1938. Sowie: Carlo Sforza, The Totalitarian War and After: Personal Recollections and Political Considerations, Chicago 1941. 8 Carl J. Friedrich, Totalitarianism, New York 1964. 9 Jean François Revel, Die totalitäre Versuchung, a. d. Franz. v. Eva Brückner-Pfaffenberger, Zürich 1978. 10 Franz Borkenau, The Totalitarian Enemy, New York 1982. 11 Abbott Gleason, Totalitarianism: The Inner History of the Cold War. New York 1995; Ellen Frankel Paul, Totalitarianism at the Crossroads: Studies in Social Philosophy and Policy, New Brunswick/ London 1990; Michael Curtis, Totalitarianism, New Brunswick/ London 1980. 12 Leonard Schapiro, Totalitarianism, New York 1972.

104 Rahmen, den sie uns damit zur Verfügung stellten. Vor allem gilt dies für Aldous Huxleys Schöne neue Welt, George Orwells 1984 und Farm der Tiere sowie Arthur Koestlers Sonnenfinsternis.13 Diese Bücher bildeten eine literarische, allgemein zugängliche Grundlage für die Ablehnung des Totalitarismus, die sich dann auch in verschiedenen populären Medien ausdrückte. Es mag falsch sein, und doch ist es eine traurige Tatsache, dass wir stärker auf spezifische Morde und Angriffe auf die Menschenwürde reagieren als auf Nachrichtenmeldungen über Massenmord oder Bombenanschläge. Ein interessanter Prozess innerhalb der Ideengeschichte ist, wie sich mit der Emigration von Wissenschaftlern auf der Flucht vor den Nazis nach Nordamerika auch das Gravitationszentrum der Totalitarismusforschung verschob. Nach der Aufsehen erregenden Veröffentlichung von Elemente und Ursprünge totaler Herrschafts im Jahr 1951 trat eine neue Generation von Wissenschaftlern auf den Plan, die den Begriff nicht mehr diskutieren oder Arendts Leistung vermitteln mussten. Schließlich leitete sie keine »Denkschule« und wollte dies auch nicht. Diese Wissenschaftler schilderten zunächst den ganz konkreten Horror, der die überlebenden und noch heute, lange nach dem Ende zweier Weltkriege existierenden Gesellschaften tief prägte. Heute meint der Begriff eher Fallstudien, welche die verschiedenen, uns allen bekannten Greueltaten der Vertreter totalitärer Regimes darstellen. Heute hüllen sich diese Leute mehr denn je in das Gewand einer verheißungsvollen politischen Religion, die den normalen Menschen allerdings nichts zu bieten hat. Ohne ihr eigenes Wissen machte Arendt ein Wort zu einem Paradigma, zu einer Organisationsform des Denkens, welche die Welt der Ideen für immer verändern würde. Die Literatur über den Totalitarismus und über Hannah Arendt selbst ist mittlerweile so umfangreich, dass hier nur eine Auswahl vorgestellt und gefragt werden kann, 13

Irving Howe (Hg), 1984 Revisited: Totalitarianism in Our Century, New York 1983. 21. Arthur Koestler, Sonnenfinsternis, unveränd. Neuaufl., Coesfeld 2011.

105 was diese Literatur zum Verständnis Arendts in der Gegenwart beiträgt. Wenn es ein klar amerikanisches Element innerhalb der von Arendts Buch ausgelösten Diskussionen gibt, dann ist es in den 1980er-Jahren zu finden. Forscher wie Peter Berger und Michael Novak gingen damals über Arendt hinaus14 und verbanden transnationalen Antitotalitarismus mit der Frage nach den Beziehungen zwischen kapitalistischer Dynamik und den Durchsetzungschancen der Demokratie. Sie stellten fest, dass offene Märkte die Bedeutung von Themen wie freie Meinungsäußerung und Menschenrechte verstärkten. Aus ihrer Sicht löste der Kapitalismus die protestantische Ethik als Schlüssel zur Weberschen »Einsicht« ab. Wirtschaft und Religion in Kombination ermöglichten es gemeinsam, die Grenzen zwischen Freiheit und Tyrannei klarer abzustecken. Natürlich nahmen die Ökonomen einer früheren europäischen Phase diese sozioökonomischen Erkenntnisse vorweg, aber nicht mit der großen theoretischen Gewissheit der Amerikaner. Der amerikanische Stil unterschied sich von Arendt, insofern er die Chance auf die Überwindung des Totalitarismus nicht durch die Staatsgewalt als solche, sondern über die Wirtschaft als Instrument von unten gegeben sah. Die Wahlpolitik war in Europa nie ein so populistischer Vorgang wie etwa die gewerkschaftlich organisierten Streiks. Die Wirren der amerikanischen Expansion nach Westen nährten ein politisches System und befriedeten zugleich die Unruhen in den Städten. Bei der Suche nach solchen Synthesen haben meist die Historiker – und nicht die Soziologen – die Führung übernommen. Einen gelungenen Versuch dieser Art hat Timothy Snyder von der Yale University unternommen. Seine Arbeit über die Ukraine als 14

Peter L. Berger, Die kapitalistische Revolution: fünfzig Leitsätze über Wohlstand, Gleichheit und Freiheit, a. d. Amerikan. v. Gunther Martin u. Karl E. Lichtenecker, Wien 1992; Michael Novak, The Spirit of Democratic Capitalism, New York1982.

106 gemeinsames Schlachtfeld Hitlers und Stalins zeigt, wie beide Diktaturen ad hoc Theorien entwickeln mussten, die über ihre Unterschiede hinwegtäuschten und das Schlachten Unschuldiger plausibilisierten.15 Stalin erklärte das Morden zu einem Konflikt zwischen deutschen Truppen und russischen Nationalisten. Hitler hatte ein ähnliches Problem, denn er sah das Abschlachten der Juden als Phase im Zuge der Säuberung seines Reichs von weiteren Opfern, nämlich sexuellen Abweichlern, Kommunisten sowie Kranken und Schwachen. Diese immense Geschichtsfälschung, welche die totalitäre Maschinerie in Gesetzestexten festschrieb und in Militärbaracken verbreitete, konnte die Verbindung zwischen dem Holocaust und dem Großen Terror nicht verbergen. Snyder ist klug und direkt genug, um festzustellen, dass das Nazi- und Sowjetregime im Lichte der Fähigkeit ihrer Anführer begriffen werden müssen, diese Länder zu beherrschen und die Beziehungen dieser Gruppen untereinander einzuschätzen. Mit dem Wissen um die totalitäre Befehlskette blieben solche scheinbaren Anomalien bislang unerklärt; jetzt können sie entschlüsselt werden. Hier spricht Snyder für sich, aber auch für die Schlachtfelder der heutigen Zeit. Wie Snyder feststellt, herrscht heute weitgehende Einigkeit darüber, dass die Massenmorde des 20. Jahrhunderts für das 21. Jahrhundert von großer moralischer Bedeutung sind. Die Massenmorde hätten die Juden von der europäischen Geschichte und die osteuropäische von der westeuropäischen Geschichte abgespalten. Zwar definierten die Morde nicht die Nationen, aber sie bestimmten noch Jahrzehnte nach dem Ende von Nationalsozialismus und Stalinismus deren geistige Trennung. Soweit Snyder. Er weiß, dass die Opfer zwischen Berlin und Moskau beheimatet waren und diese Gebiete nach Hitlers und Stalins Aufstieg zu bloodlands wurden. Arendts Kritiker haben 15

Timothy Snyder, Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin, a. d. Amerikan. v. Martin Richter, München 2010.

107 nicht verstanden, dass sie niemals »Heideggers Kind«, niemals bloß ein intellektueller, verliebter Teenager war. Tatsächlich haben heute Arendts Kinder gewonnen. Mark Mazower, Direktor des Center for International History an der Columbia University, befasst sich mit einem anderen Aspekt des Totalitarismus. Er untersucht, wie der Nazistaat Europa regierte, wie ungeschickt und widersprüchlich er sich dabei anstellte und wie er zunehmend, in einem allen früheren Zivilisationen unbekannten Maß, den Terror als Instrument einsetzte.16 Bei ihrem Versuch, ganz Europa und seine verschiedenen Völker zu erobern, begegneten die Nazis zahllosen ethnischen Variationen und Arbeitern, die sich nicht so einfach kontrollieren ließen. So terrorisierte das Regime in zunehmendem Maße das eigene Volk. Die Zahl der Exekutionen stieg umso sprunghafter an, je ungünstiger die Lage für die Wehrmacht aussah. Die Einnahme fremder Länder verlangte nach außergewöhnlichen Maßnahmen – vor allem in Regionen, in denen die Nazis aus religiösen oder politischen Gründen viele Gegner hatten. Zunächst mussten sie die Opposition einhegen und dann unterdrücken. Im Zuge dieses Prozesses sank der Bedarf der deutschen Truppen nach Verbündeten. Die Herrschaftsansprüche Hitlerdeutschlands stärkten das totalitäre System, bis schließlich ein anderes Land per se oder die passive Unterwürfigkeit der Deutschen schon als oppositionell galt. Das Dritte Reich musste erkennen, dass der Totalitarismus zwar eine starke Waffe war, wenn er sich auf den Staatsapparat beschränkte, dass er aber viel von dieser Kraft verlor, wenn er zur Unterdrückung der unterworfenen Völker eingesetzt wurde. In diesem Sinne war der Holocaust der letzte Versuch, die Folgen des Antisemitismus für das jüdische Volk als Unterdrückungsmechanismus gegen die Opposition zu nutzen. Die Naziideologie verlangte, dass alle Juden, Zigeuner, Homosexuelle und Behinderte ausgelöscht 16

Mark Mazower, Hitlers Imperium: Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, a. d. Amerikan. v. Martin Richter, München 2009.

108 werden mussten. Durch diese Strategie konnte die nazistische Kriegsmaschinerie keine massenhafte Unterstützung von außen gewinnen. Mazower markiert 1945 als klaren Wendepunkt. Das Reden von den Menschenrechten sei in den 1940er-Jahren tatsächlich nur Gerede gewesen und es habe lange gedauert, bis daraus politischer Einfluss erwachsen sei. Beobachter wie Arendt hätten die Lage in den frühen 1950er-Jahren anders beurteilt und von den Staaten abverlangt, den Staatenlosen Rechte zu gewähren und das Problem auf diese Weise zu lösen. Hatte Beran Arendts Position noch kritisiert, hebt Mazower dagegen hervor, allein das Ausmaß des Flüchtlingsproblems in der Nachkriegszeit nicht nur zu mehr internationaler Zusammenarbeit geführt, sondern sei auch ein wichtiges Argument für den Wiederaufbau starker Staaten gewesen, welche all die Hilfsbedürftigen aufnehmen und versorgen konnten. So tragen am Ende Arendts Kritiker die Verantwortung für das, was Norman Podhoretz so verächtlich als Arendts »metaphysische Launen« bezeichnet hatte. Arendts Kritiker sahen im Totalitarismus eine Weiterentwicklung der autoritären Herrschaft. Sie unterschieden ihn vom Stalinismus und betrachteten ihn sogar als Grund, die Sowjetunion zu unterstützen. Wenigstens war das die Sichtweise Gershom Scholems, der den gesamten Weltkrieg als einen Versuch interpretierte, nicht nur das jüdische Volk, sondern auch dessen Geschichte und Kultur auszulöschen.17 Tatsächlich hatten die Nazi-Ideologen dieses Ziel, das Arendt nicht öffentlich thematisierte. Ihre in Eichmann in Jerusalem dargelegte Ansicht war, es seien Kräfte am Werk gewesen, welche auf die Zerstörung aller kulturellen Erscheinungen angelegt gewesen seien, die den Nazis fremd waren. In diesem Sinne war Arendt kulturellen 17

Marie Luise Knott (Hg.), Hannah Arendt und Gershom Scholem: Der Briefwechsel 1939-1945. Frankfurt/Berlin 2010. Diese Erkenntnis verdanke ich George Steiner, »Salvaged from Silence«, in: The Times Literary Supplement 5619 (10. 12. 2010), S. 11.

109 Fragen gegenüber nicht gleichgültig, sondern begriff sie als Teil des Kampfs um die Judenfrage. Aus dieser Perspektive ging es bei ihren Differenzen mit vielen älteren Zionisten nicht um die Emigration nach Israel oder um den Zionismus als solchen, sondern darum, welche Stellung die Judenfrage innerhalb der totalitären Todesmaschinerie als Ganzes einnimmt. Mit Ben Kierman kommen wir zu einer weiteren zeitgenössischen Persönlichkeit, die wichtig ist, um den Einfluss von Arendts bedeutsamem paradigmatischem Sieg zu verstehen. Das Thema Totalitarismus ist nicht nur zentral für die europäische Geschichte, sondern auch für die Betrachtung Südostasiens ab den 1970er-Jahren. Die Konflikte in und um Kambodscha – wo ein Völkermord stattfand –, Vietnam und in geringerem Maße auch im maoistischen China zeigten, dass der Totalitarismus ungeachtet seiner angeblichen Vorzüge nicht in der Lage war, nationale, ethnische und rassische Differenzen beizulegen. Was im Europa zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erst verspätet deutlich wurde, entwickelte sich bei der Betrachtung Südostasiens zum zentralen Punkt. Allein der Titel von Kiermans bedeutender Studie Erde und Blut: Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute unterstreicht Arendts Bedenken hinsichtlich der Regime, die im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden. Das entscheidende Thema war und blieb der Konflikt zwischen totalitären und demokratischen Staaten und die Frage, ob Begrenzungen der Staatsmacht ein von legaler Machtkonzentration unterstütztes Militär tatsächlich zurückhalten können.18 Die Arbeit Kiermans und seiner engagierten Forscherkollegen zeigt, dass totalitäre Systeme in kleinen wie großen Nationen oft das Potential haben, um die Rückeroberung der Macht zu kämpfen. Ob es um ein technologisch rückständiges oder versiertes Land geht: Diese Kräfte haben Ressourcen und keine 18

Ben Kierman, Erde und Blut: Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute, a. d. Amerikan. v. Udo Rennert, Berlin 2009.

110 Angst, sie zu nutzen. Aufgrund des geopolitischen Terrains, das sie abdeckt, gelingt Kiermans Untersuchung ein besonderes Verdienst: Sie zeigt, dass der Totalitarismus zwar ein listiges Monster ist, aber sehr wohl aufgehalten oder bezwungen werden kann. Natürlich werden die Widersprüche zwischen solchen Monstern im Kampf um die Macht sehr schnell deutlich. Arendt selbst hatte wenig Erfahrung mit totalitären Systemen in kleinen, unterentwickelten Ländern. Deshalb nahm sie an, beim Totalitarismus ginge es um den Konflikt von Großmächten und nur eine militärische Intervention von außen könne die Ausweitung solcher despotischen Todesregimes verhindern. Das trifft erklärtermaßen nicht zu. Nicht die Größe eines Landes ist entscheidend, sondern die in ihm wirksamen autoritären Strömungen, aus denen der Totalitarismus entstehen konnte. Die Zerstörung politischer Systeme in der Dritten Welt erinnert auf tragische Weise daran, dass nicht die Größe den extremen Despotismus vorantreibt, sondern eben das System. V Zusammenfassend muss gesagt werden, dass Totalitarismus kein „ismus“ ist, der von Arendt aus der metaphysischen Luft gegriffen wurde. Er war vielmehr durch ein tiefes Verständnis motiviert, dass etwas Neues herauf zog, als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs in Europa. Wie bei Hegel und Marx im neunzehnten Jahrhundert, gebar die Welt des Nazismus und des Kommunismus unter Hitler und Stalin eine diabolische Einheit der Gegensätze: zwei Regime, die sich erbittert bekämpften, mit Ausnahme der Zeit von 1939-1941 die als Molotov-Ribbentrop Europa bekannt ist, das ergab eine bizarre und tödliche „dialektische Synthesis“. Die Regime in Deutschland und Russland zeigten verblüffende Ähnlichkeiten in den politischen Handlungen und Zielen die das Antlitz von „Links“ und „Rechts“ veränderten, aber nicht die Rhetorik.

111 Beide Regime verbanden die folgenden Gemeinsamkeiten: 1. Ungezügelter Nationalismus, der alle Möglichkeiten pluralistische Ausdrücke von Unterschieden zerstörte. 2. Eine Verschmelzung von Partei- und Staatswesen, symbolisiert durch Führungsfiguren, mit unhinterfragter Autorität in beiden. 3. Der Aufbau von Konzentrationslagern, oder Killing Fields in entlegenen Gegenden ihrer jeweiligen Imperien, wo sie für massive Völkermorde verantwortlich waren. 4. Ethnische Säuberung der Bevölkerung von innerstaatlichen Feinden durch Folter, Exil und Tod, insbesondere von Juden. 5. Kontrolle und Zensur aller Medien, Bildungseinrichtungen, Kunstwerken oder künstlerischen Ausdrucksformen, durch den Staat. 6. Verwandlung von Wissenschaft und Technologie in Instrumente staatlicher Macht, oft mit perversen Mechanismen ausgestattet um die Ziele zu erreichen. 7. Staatliche Zeremonien, die religiöse Handlungen ersetzten, komplettierten den Kreis nationalistischen Eifers. Während die Information über diese Aspekte des Totalitarismus in der Zeit, als Arendt ihr Meisterwerk über den Totalitarismus schrieb, noch nicht so gut verstanden wurden und noch nicht jede Facette mit der Gründlichkeit aufgedeckt wurde, die aktuelle historische und soziale Forschungen an den Tag legen, war es Arendts krönendes Verdienst diese verschiedenen Stränge in einen kohäsiven Rahmen einzubetten, der als Totalitarismus identifiziert wurde. Die Tatsache, das echte Differenzen zwischen Nazismus und Kommunismus bestanden, so wie die wichtige Bedeutung von Rasse und Klasse, welche bei unzähligen Gelegenheiten einem endlosen Strom von Kritikern die Möglichkeit bot, kleine Punkte auf Arendts Kosten zu sammeln, können das Gebäude, das sie aufzubauen half, schwerlich beeinträchtigen. Hier war nicht einfach die Möglichkeit geboten Autokratie in ihrer brutalsten Form zu verstehen, sondern es war implizit hilfreich die Demokratie in ihren elementarsten Formen zu verstehen.

112 Die Studien der auf Arendt folgenden Generation haben gezeigt, dass Kriege nicht die beste Variante sind, diesen Konflikt auszutragen. In solch kleineren totalitären Systemen bestehen interne und innerhierarchische Differenzen ungemindert fort. Theorien und Paradigmen gehören nicht einzelnen Individuen. Konzepte entstehen in Diskursen, die ihrerseits aus gemeinsamen Erfahrungen in einem schwierigen, oft feindseligen Umfeld erwachsen. Genau das gilt für Arendts Konzeption des Totalitarismus. Sie fasste, oder besser barg dessen radikales Wesen, dessen ein ganzes Jahrhundert umfassende Entwicklung in einem einzigen Wort. Der konservative Aspekt besteht darin, diese Tendenz als das zu sehen, was sie war, nämlich eine Entwicklung hin zum Kollektivismus und weg vom Individualismus sowie als Ablehnung von Regierungsverantwortung. Tatsächlich nahm Arendt gerade aus Misstrauen gegenüber diesem Ungeheuer den konservativen Blickwinkel ein. Zugleich ermöglichte ihr Radikalismus, dass sie über den Liberalismus und ermüdende Differenzierungen zwischen Hitlerismus, Stalinismus und Sozialismus hinausging. Im Kampf gegen die Extremisten plädierte sie für legale Methoden, doch nicht um den Preis, auf Waffen zu verzichten. Bezüglich der Bewaffnung der politischen Machthaber stand sie eher Hobbes als Kant nahe – sodass ihr die Kritiker vorwarfen, sich in dieser von law and order dominierten Welt »hart« und nicht weise zu verhalten. Arendts Charakter wie auch ihre Schriften hatten eine harte, mutige Facette, die aber von ihren Kritikern und Anhängern erst spät entdeckt und allzu selten in deren eigenes Denken einbezogen wurde. Viel zu häufig wollten sie Arendt als eine politische Philosophin sehen, die vom Weg abgekommen war – mit der Betonung auf »Weg« –, statt als zielstrebige, mürrische Vorkämpferin für den maßvollen Einsatz von Macht in einer Welt voller Fanatiker und Ideologen. Arendt war keine abgestumpfte »Realistin«, die Interesse an der Macht vortäuschte. Eher war sie eine Denkerin, deren Möglichkeiten einer Trennung zwischen

113 Theorie und Praxis durch all jene beschnitten wurde, die Theorien für Slogans und Praktiken zur Zerstörung der menschlichen Seele hielten. Ihre einzigartige Fähigkeit bestand darin, inmitten einer demokratischen Zeit Perspektiven der Demokratie aufzuzeigen – und zwar nicht einer Demokratie, welche von libertären tendenziösen Dogmen geschwächt ist, die nur gut klingen, aber niemandem beim Überleben helfen. In harten Zeiten brachte die Ideengeschichte eine harte Denkerin hervor. Bei Arendt finden wir vielleicht seltsame Formulierungen, einen prosaischen Stil und wechselnde Metaphern. Doch am Ende bleibt ein monumentaler Beitrag zur politischen Welt, und damit zum Reich echter philosophischer Erkenntnisse.