Handlung statt Verhandlung: Kunst als gemeinsame Stadtgestaltung 9783868598070

A new art of taking action is intended to activate urban societies and ensure participation—and is therefore a matter of

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Handlung statt Verhandlung: Kunst als gemeinsame Stadtgestaltung
 9783868598070

Table of contents :
GLIEDERUNG
PROLOG
DIE KUNST GEMEINSAMER STADTGESTALTUNG – EINE EINLEITUNG
Einleitung
Sehnsucht nach künstlerischer Relevanz – Zur Ausgangslage
Stadtgestaltung als gemeinsamer Prozess
Autonomie und Instrumentalisierung
Social Turn
Methodisches Vorgehen
DIE KUNST DES IN-BEZIEHUNG-TRETENS
Einleitung
Vom öffentlichen zum urbanen Raum?
Urbane Kunst
Der Imperativ der Partizipation
Über die lange Geschichte der Partizipationskritik
Zur kunsthistorischen Entwicklung seit den 1960er Jahren
Relational Aesthetics oder die Kunst des geselligen Miteinanders
Teilhabe an gesellschaftlicher Gestaltung
DIE KUNST DER ZUSCHREIBUNGEN
Einleitung
Zuschreibungen und Verweigerungen – Rollenbilder
Zu Entstehung und Wandlung des Künstlermythos
Kalter-Kunst-Krieg: Stadttheater versus Freie Szene
Theater der Teilhabe
Plattform oder Player – Wie kann Theater politisch sein?
Kunst als kollektives Handeln – zur Kunstsoziologie von Howard S. Becker
Die Kunst zukunftsfähiger Arbeitsorganisation
Labeling und disziplinäre Konsequenzen
DIE KUNST DER SCHNITTSTELLEN
Einleitung
Hybride Rollen
„Creative Creatives creating creative Creative“ – Stadtgestaltung jenseits der Creative City
Kunst und Aktivismus
Was ist politische Kunst?
Kunst als Überschreibung des städtischen Raums
Reale Fiktionen – Kunst als Wirklichkeitsbehauptung
Kunst und Soziale Arbeit
Kunst als pragmatische Problemlösung?
Soziale Plastik oder soziale Praxis?
Kunst und Stadtplanung
Urbane Intervention
Urbane Praxis und direkter Urbanismus
Situativer Urbanismus als pluralistisch anti-hegemoniale Praxis
DIE KUNST DER VERANTWORTUNG
Einleitung
Urban Governance oder Wie macht man Stadt?
Kollaborative Planung oder Wer macht die Stadt?
Reinventing Institutions oder Was braucht die Stadt?
KUNST MACHT GESELLSCHAFT MACHT KUNST – EIN FAZIT
Einleitung
Handlungsfreiheit
Handlungsmacht
Handlungsfeld
Produktive Schnittstellenarbeit oder Was kann die Kunst? – Ergebnisse
Vom Planungsraum zum Lebensraum – Ausblick
LITERATUR

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HILKE MARIT BERGER

HANDLUNG STATT VERHANDLUNG

IMPRESSUM Diese Publikation wurde ermöglicht mit der freundlichen Unterstützung der Hans Sauer Stiftung.

© 2018 by jovis Verlag GmbH Das Copyright für die Texte liegt bei der Autorin. Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den FotografInnen/InhaberInnen der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten. Umschlagmotiv: geheimagentur Gestaltung und Satz: Hilke Marit und Fabian Berger Gedruckt in der Europäischen Union Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. jovis Verlag GmbH Kurfürstenstraße 15/16 10785 Berlin www.jovis.de jovis-Bücher sind weltweit im ausgewählten Buchhandel erhältlich. Informationen zu unserem internationalen Vertrieb erhalten Sie von Ihrem Buchhändler oder unter www.jovis.de. ISBN 978-3-86859-503-1

HILKE MARIT BERGER

HANDLUNG STATT VERHANDLUNG KUNST ALS GEMEINSAME STADTGESTALTUNG

MEINER FAMILIE

GLIEDERUNG 8

PROLOG

10

DIE KUNST GEMEINSAMER STADTGESTALTUNG – EINE EINLEITUNG

13

Sehnsucht nach künstlerischer Relevanz – Zur Ausgangslage

15

Stadtgestaltung als gemeinsamer Prozess

17

Autonomie und Instrumentalisierung

18

Social Turn

21

Methodisches Vorgehen

25

DIE KUNST DES IN-BEZIEHUNG-TRETENS

27

Vom öffentlichen zum urbanen Raum?

34

Urbane Kunst

46

Der Imperativ der Partizipation

47

Über die lange Geschichte der Partizipationskritik

48

Zur kunsthistorischen Entwicklung seit den 1960er Jahren

50

Relational Aesthetics oder die Kunst des geselligen Miteinanders

51

Teilhabe an gesellschaftlicher Gestaltung

54

DIE KUNST DER ZUSCHREIBUNGEN

56

Zuschreibungen und Verweigerungen – Rollenbilder

58

Zu Entstehung und Wandlung des Künstlermythos

62

Kalter-Kunst-Krieg: Stadttheater versus Freie Szene

65

Theater der Teilhabe

67

Plattform oder Player – Wie kann Theater politisch sein?

68

Kunst als kollektives Handeln – zur Kunstsoziologie von Howard S. Becker

70

Die Kunst zukunftsfähiger Arbeitsorganisation

72

Labeling und disziplinäre Konsequenzen

76

DIE KUNST DER SCHNITTSTELLEN

77

Hybride Rollen

80

„Creative Creatives creating creative Creative“ – Stadtgestaltung jenseits der Creative City

85

Kunst und Aktivismus

92

Was ist politische Kunst?

102

Kunst als Überschreibung des städtischen Raums

108

Reale Fiktionen – Kunst als Wirklichkeitsbehauptung

114

Kunst und Soziale Arbeit

116

Kunst als pragmatische Problemlösung?

124

Soziale Plastik oder soziale Praxis?

132

Kunst und Stadtplanung

133

Urbane Intervention

136

Urbane Praxis und direkter Urbanismus

149

Situativer Urbanismus als pluralistisch anti-hegemoniale Praxis

152

DIE KUNST DER VERANTWORTUNG

154

Urban Governance oder Wie macht man Stadt?

161

Kollaborative Planung oder Wer macht die Stadt?

170

Reinventing Institutions oder Was braucht die Stadt?

178

KUNST MACHT GESELLSCHAFT MACHT KUNST – EIN FAZIT

181

Handlungsfreiheit

182

Handlungsmacht

185

Handlungsfeld

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Produktive Schnittstellenarbeit oder Was kann die Kunst? – Ergebnisse

194

Vom Planungsraum zum Lebensraum – Ausblick

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LITERATUR

PROLOG ZUR FORSCHUNGSGENESE Es geht nicht um Kunst – es geht um Politik! Im Verlauf der Entstehung hatte dieses Buch eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitstitel. Mehrere Jahre stand auf der ersten Seite der Datei der Titel: Social Urban Art. Dieser Obertitel schien mir lange passend, führt er doch die zentralen Aspekte in einem sehr kompakten Begriff zusammen: Es geht in dieser Arbeit um künstlerisch initiierte Projekte im urbanen Raum, die auf Teilhabe an Stadtgestaltung ausgerichtet sind und damit an der Schnittstelle zu politischem Aktivismus, sozialer Arbeit und städtischer Planung operieren. Eine neue Definition urbaner Kunst als einer gemeinsamen urbanen Praxis war dabei das Ziel der Forschung. Social Urban Art schien als Vorschlag einer neuen Begrifflichkeit genau diese Definition leisten zu können. Für die englische Variante des Titels sprach vor allem, dass es im Rahmen des Social Turn (Bishop 2006) eine immer größere Unschärfe bei immer häufigerem Gebrauch des Wortes sozial zur Beschreibung von Schnittstellenprojekten gibt. Sozial ist längst ein gern genutztes Label, das in unterschiedlichsten Kontexten (von Planung über Architektur zu Design und Kunst) immer dann verwendet wird, wenn etwas als ganz besonders positiv gelten soll. Das Wort suggeriert, es ginge um eine verbessernde Veränderung gesellschaftlichen Miteinanders. Sehr häufig geht es in entsprechenden Projekten aber gar nicht um das Gemeinwohl, nicht um Altruismus oder gar um Gesellschaft, sondern es geht schlicht um das MiteinanderSein, um Geselligkeit und Kontaktaufnahme, bestenfalls um das Herstellen von Beziehungen. Diese rein relationale Konnotation des Begriffs sozial, die es auch im Deutschen gibt, trifft die englische Übersetzung sehr viel zielgerichteter, wie sich beispielsweise am social networking ebenso wie am social drinking sehr gut zeigen lässt. In der Intensivierung der Forschung wurde mir klar, dass der inflationäre Gebrauch des Begriffs ‚sozial’ zur Beschreibung künstlerischer Praxis auch einem Legitimationszwang der Verwendung staatlicher Mittel geschuldet ist und es damit viel weniger um Kunst als um Politik geht. Diese Gemengelage schien mir der erste Arbeitstitel, unter dem ich diese Dissertation auch angemeldet habe – Kunst macht Gesellschaft macht Kunst – sehr viel besser auszudrücken. Zentraler Gedanke dabei war es zum einen, damit die gegenseitige Einflussnahme und Abhängigkeit zu betonen. Zum anderen war mir aber das Wort Gesellschaft als Dreh- und Angelpunkt für die Projekte sehr wichtig. Die Zunahme künstlerischer Praktiken, die auf ‚Community Building‘ zielen, zeigt, dass sich eine fragwürdige Entwicklung einer Konzentration auf gemeinschaftsbildende Projekte auf Kosten tatsächlicher gesellschaftlich wirksamer Arbeiten abzeichnet (Ranciére 2008). Immer öfter wird im Rahmen einer positiven Lesart die Wirkungsmacht lokalen Handelns im Sinne eines Hands-On-Urbanism (Krasny 2012) betont. Das Lokale wird zu einem Ideal des Möglichkeitsraums (Van Heeswijk 2016). Tatsächliche gesellschaftliche Wirkungsmacht wird dabei in den seltensten Fällen avisiert. Es geht um

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konkrete, umsetzbare Veränderungen beispielsweise der eigenen Nachbarschaft vor Ort, nicht um gesamtgesellschaftliche Abstraktion. In der Masse sehen Kritiker*innen darin die Gefahr einer gesellschaftlichen Appeasement-Wirkung: Eine Beruhigung der zugrunde liegenden Konflikte ohne tatsächliche gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen, da die Motivation einer generellen (im Sinne einer systemischen) Veränderung durch die Feel-Good-Wirkung der Arbeiten im Lokalen bereits verbraucht und die Notwendigkeit politischen Handelns nicht mehr spürbar ist. (Zu nennen wären hier z.B. Urban Gardening ebenso wie Nachbarschaftsprojekte und viele Formen der Community Art.) Das Resultat ist die Konzentration auf die jeweilige (und zumeist dann doch homogene) Community auf Kosten einer (diversen) Society. Meines Erachtens verkennt diese kritische Perspektive aber die Wirkungsmacht der Initiativen in summa. Die Zunahme der lokalen Initiativen drückt die Notwendigkeit einer globalen Umorientierung aus. Politisches und soziales Handeln diffundieren ebenso wie künstlerische und aktivistische Praktiken. Für bürgerschaftliches Engagement ist der Machbarkeitshorizont wesentlich, da nur durch das eigene Handeln und Erleben auch eine Motivation für größere Veränderungen entstehen kann. Die zentrale Forderung zukunftsfähiger Stadtentwicklung müsste es sein, dieses lokale Engagement als Folie für eine Skalierung in größere Zusammenhänge zu nutzen und hierauf aufbauend Strategien zu entwickeln, die nicht in der Resignation durch erschlagende Kritik münden, sondern das lokale Community Engagement ernst nehmen. Entsprechende Projekte sollten ein Anfang und kein Ende sein. Dass dies keine naive luftleere Hoffnung ist, sondern es zunehmend Versuche einer solchen Sichtbarmachung von Möglichkeitsräumen und den Mut zu größeren Veränderungen gibt, zeigt sich auch in den Verschiebungen der Handlungsfelder etlicher Professionen wie Architekt*innen, Planer*innen und Künstler*innen. Sie werden zu Moderator*innen und Organisator*innen in urbanen Entwicklungsprozessen jenseits interdisziplinärer Zuschreibungen und Selbstverständnisse. Das Umdenken, das Neudenken von Professionen und Arbeitsfeldern hat Konjunktur, wie sich an diversen Beispielen zeigen lässt. Die Frage nach der Skalierbarkeit lokal erfolgreicher Projekte auf einen größeren und damit gesellschaftlich wirksamen Faktor wäre dabei das zentrale Thema, um das es zukünftig gehen muss. Eine Begründung der Zunahme dieser Arbeiten allein durch staatliche Förderpolitik verkennt, dass es auch ein starkes Bedürfnis der Akteure selbst gibt, in anderen Rahmungen und mit einer anderen Wirkungsmacht tätig zu werden. Immer mehr geht es damit auch um die Intention der Projekte. Es geht um eine Entwicklung von künstlerischer Praxis, die über das Stellen von Fragen hinausgeht und ganz konkrete Antworten vorschlägt: Vermeintliche Utopien werden kollektiv imaginiert und im Realversuch getestet. In diesem Sinne geht es nicht mehr um die reine Verhandlung von Themen. Es geht um eine Praxis, die nicht mehr auf Sichtbarmachung allein zielt, sondern selbst zur konkreten Handlung von Vielen wird und Stadt aktiv mitgestaltet. Es geht um Handlung statt Verhandlung – Kunst als gemeinsame Stadtgestaltung.

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1 http://www. sueddeutsche. de/kultur/britischer-kunstpreisassemble-gelingtworan-staedteplaner-scheitern-1.2766027 (Letzter Zugriff 06.12.16). 2 https://www. theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prizetoxteth (Letzter Zugriff 06.12.16). 3 http://www. zeit.de/kultur/ kunst/2015-12/ kunst-turnerprize-assemblenicole-wermers (Letzter Zugriff 06.12.16). 4 http://assemblestudio. co.uk/?page_ id=48 (Letzter Zugriff 06.12.16). 5 https://www. theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prizetoxteth (Letzter Zugriff 06.12.16).

DIE KUNST GEMEINSAMER STADTGESTALTUNG – EINE EINLEITUNG

I.

„I went from being an artist who makes things, to being an artist who makes things happen“ (Jeremy Deller, zitiert nach Thompson 2012: 17).

Liverpool: Gemeinsam mit langjährig engagierten Anwohner*innen renoviert das Londoner Kollektiv Assemble marode Backsteinhäuser, die durch den steten Einsatz der lokalen Initiativen vor dem Abriss geschützt worden waren, und gewinnt 2015 unter anderem für dieses Projekt „Granby Four Streets“ den renommierten britischen Turner-Preis für zeitgenössische Kunst. „Assemble gelingt, woran Städteplaner scheitern“1 titelte die Süddeutsche Zeitung. „Urban regenerators Assemble become first ‚non-artists‘ to win Turner prize“ 2 überschrieb der britische Guardian seinen Bericht und charakterisierte die Gruppe als „direct action collective“. In der ZEIT war zu lesen, ein Künstlerkollektiv habe den Preis gewonnen.3 Eine der wichtigsten Trophäen der internationalen Kunstszene war an ein Kollektiv aus Architekt*innen, Designer*innen, Ethnolog*innen, Philosoph*innen und Künstler*innen verliehen worden, deren gemeinsame Praxis der Stadtgestaltung sich offensichtlich mit den üblichen Kategorien nicht mehr zielsicher beschreiben lässt. Die alten Schubladen wollen nicht mehr so recht passen: Ist das Aktivismus? Kunst? Stadtplanung? Soziale Arbeit? Laut Selbstbeschreibung ist das Ziel ihrer Arbeitsweise: „To address the typical disconnection between the public and the process by which places are made.“ 4 Adressiert werden damit sowohl die gebaute wie die be- und gelebte Umwelt, der Prozess der Arbeit und dessen Ergebnis gleichermaßen. Die Juroren waren sich bei ihrer Begründung einig, dass dieses Vorgehen die bisherigen Ansätze der Stadtentwicklung auf den Kopf stelle und sich dabei der Logik klassischer Aufwertungsprozesse durch die gleichberechtigte Teilhabe (und eben nicht nur Beteiligung) der Anwohner*innen entziehe.5 Sie verliehen mit dem Preis mehr als eine Auszeichnung, sie setzten ein Statement: Diese Arbeit sei große Kunst und wegweisendes Beispiel konkreter Handlungsmöglichkeiten gemeinsamer Stadtgestaltung gleichermaßen. Was unterscheidet dieses Projekt so sehr von anderen, ähnlichen Projekten? Warum war es so erfolgreich? Irgendwo zwischen Künstler*innen und Nichtkünstler*innen, zwischen Stadtplanung und Aktivismus, an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Sozialarbeit scheint sich etwas zu manifestieren, das zumindest für die Wiederbelebung eines verwahrlosten Stadtteils in Liverpool sehr wirksam war. Wie genau dieses ‚Etwas’ der Schnittstellen gestaltet ist und welche Konsequenzen die zumeist explorative und experimentelle urbane Praxis gerade auch für das Entstehen von

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neuen Arbeitsfeldern diverser Akteure und deren Selbstverständnis hat, sind zentrale Fragen dieser Forschung. 2. Oberhausen: Das Kollektiv geheimagentur nahm den finanziellen Bankrott der Stadt zum Anlass, eine eigene Währung zu etablieren. Finanziert aus Mitteln der Kulturstiftung des Bundes über die Doppelpass Förderung,6 gründeten die Performer*innen in Zusammenarbeit mit dem städtischen Theater Oberhausen und einem Netzwerk aus Partner*innen 2012 eine eigene Bank mit einer eigenen Währung – ‚Kohle‘, die über mehrere Wochen in 80 teilnehmenden Geschäften zirkulierte. Interessierte konnten jederzeit einen Kredit aufnehmen, einzige Verpflichtung war die Übernahme einer Tätigkeit, für die man immer schon einmal bezahlt werden wollte. Vor dem in der Innenstadt platzierten Bankcontainer offerierten die Oberhausener*innen während der Projektlaufzeit mit viel Leidenschaft diverse Angebote von Sprachunterricht über Flamenco-Kurse bis hin zum Kartenlesen und erhielten dafür jederzeit ‚Kohle‘, für die man im Händlernetzwerk wiederum diverse Dinge erwerben konnte. Die Bewohner*innen Oberhausens nahmen das Konzept an und setzten es selbst um: Noch Monate nach der Performance war die ‚Kohle‘ ein etabliertes Zahlungsmittel in der Stadt. Das Projekt schuf eine Versuchsanordnung, in deren Verlauf die Grenzziehungen zwischen Fiktion und Realität brüchig wurden und sich künstlerische Arbeiten mit Alltagswelten überlagerten. Die gefestigten hegemonialen Strukturen wurden unterlaufen, einer scheinbaren Alternativlosigkeit mit einem konkreten Handlungsangebot begegnet. Auch hier fällt eine Einordung mit etablierten Begriffen schwer: Ist das Kunst im öffentlichen Raum? Urbane Performance? Soziale Skulptur? Urbane Intervention? Und wer hatte hierbei welche Rolle? Kann man überhaupt noch in klassischen Rollenmustern (Zuschauer*in, Teilnehmer*in, Akteur*in?) denken, wenn es jenseits von hierarchisierender Partizipation offensichtlich vor allem eine offerierte Struktur gibt, bei der jeder seine Rolle selbst definiert? Auch die disziplinäre Zuordnung und das Selbstverständnis der Initiator*innen steht zur Diskussion: Handelt es sich um Sozialarbeiter*innen? Um Aktivist*innen? Um Künstler*innen? Wie definieren sie ihre eigenen Rollen jenseits von Genregrenzen und Disziplinen? Welche Ziele (ästhetisch? politisch? pädagogisch?) verfolgen ihre Arbeit? Und ist eine solche Trennung überhaupt erkenntnisfördernd? In welcher künstlerischen Tradition stehen solche Projekte diverser Grenzüberschreitungen? 3. Köln: Das Magazin stadt:pilot zu den Pilotprojekten der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), konzentriert sich in seiner 11. Ausgabe 2016 auf gemeinsame Stadtgestaltung und das Engagement von diversen Akteuren. Die Projekte gelten als wegweisend und sollen Vorbildcharakter haben. Darunter das Projekt: Stadt von der anderen Seite sehen, ein Stadtprojekt des Schauspiels Köln gemeinsam mit Künstler*innen, Stadtplaner*innen und Bürger*innen, das in einem zweijährigen

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6 Mit der Doppel-

pass Förderung lässt sich die Kulturstiftung des Bundes seit 2012 auf eine für die deutsche Förderlandschaft experimentelle und umstrittene Verbindung ein. In zweijährigen Residenzprogrammen werden gezielt Kooperationen von festen Tanz- und Theaterhäusern mit freien Gruppen gefördert: „Mit diesem Programm möchte die Kulturstiftung des Bundes die freien Szenen und Theaterinstitutionen in Deutschland zum Erproben neuer Formen der Zusammenarbeit und künstlerischer Produktion anregen. Die Förderung will Künstlerinnen und Künstlern beider Seiten den nötigen Freiraum eröffnen, um ihre Strukturen und Arbeitsweisen produktiv zu verbinden.“ http://www.kulturstiftung-desbundes.de/cms/ de/programme/ doppelpass/index.html (Letzter Zugriff 06.12.16).

offenen Prozess aus Workshops, Führungen, Inszenierungen und Interventionen Ideen für die Stadt der Zukunft sammeln will. Ein Theaterprojekt als Vorbild für nationale Stadtentwicklungsstrategien? Die drei Arbeiten stehen hier exemplarisch für eine Vielzahl zeitgenössischer Kunstprojekte, bei denen es nicht länger nur um die künstlerische Verhandlung von Themen und das Stellen von Fragen geht, sondern ganz konkret um Handlung und damit um das Suchen nach Antworten. Dabei ist der Begriff der Handlung in unterschiedlichen Kontexten anders konnotiert. Während in einem dramaturgischen Verständnis damit der Inhalt einer Geschichte oder eines Stücks gemeint ist, verstehen Rechtswissenschaftler*innen darunter jedes von einem Willen beherrschte oder beherrschbare sozial erhebliche Verhalten (Tun oder Unterlassen) (vgl. Wessels/Beulke/Satzger 2013: 93). Handlungstheoretiker wiederum definieren Handlung als die Umsetzung eines intendierten Zwecks in die Realität und unterscheiden damit eine gezielte Handlung von reinem (auch tierischem) Verhalten (vgl. Gludovatz/von Hantelmann/Lüthy/Schneider 2010: 7). Das für den Hintergrund dieser Forschung zentrale Merkmal des Handelns, das auch in allen Definitionen auftaucht, ist die klare Ausrichtung der Handlung auf ein konkretes Ziel. Die intendierte Wirkung einer Handlung ist damit (im Gegensatz zu einer reinen Verhandlung) immer eine entstehende Veränderung. Diese Veränderung kann sich auch mental abspielen. Vor allem aber kann Handlung eine konkrete Veränderung der physischen Welt bewirken. Die Voraussetzung zu einer solchen Veränderung ist in vielen Fällen sicherlich zunächst einmal die Verhandlung (im Sinne einer kontroversen Diskussion) oder auch Aus-Handlung (im Sinne einer Einigung). Der praktische Vollzug aber, der die einer Handlung immer zu Grunde liegende Motivation auch einem Zweck zuführt und so erst konkrete Veränderung bewirkt, kennzeichnet die Handlung als eine auf einen Zweck gerichtete Tätigkeit und unterscheidet sie vom reinen (affektgesteuerten) Agieren. Das hier angelegte Verständnis von Handlung – als einer auf eine Veränderung gerichteten Tätigkeit – lässt sich mit Hannah Arendt für die Zielstellung dieser Forschung noch um einen anderen zentralen Aspekt – nämlich einen relationalen – ergänzen und in einem ontologischen Sinn als eine menschliche Fähigkeitsoption verstehen. Handeln galt Arendt als das höchste menschliche Gut überhaupt, da sie darunter ein Öffentlich-Werden des Menschen im Sinne eines In-ErscheinungTretens im gemeinsamen Raum verstand und Handeln somit gleichsam die Grundbedingung für jedes politische Wirken darstellt. Arendt, die sich in ihrem Hauptwerk Vita Activa (Erstveröffentlichung 1958 unter: The human condition) mit der Frage beschäftigt „Was wir tun, wenn wir tätig sind“ (Arendt 1992: 12), trennt dabei Handeln von Arbeit (die auf reinen Existenzerhalt gerichtet ist) und Herstellung (um Hinterlassenschaften zu produzieren, die auf ein Überdauern zielen) (vgl. ebd.: 14): „Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen zwischen Menschen abspielt“ (ebd.). Die grundlegende Voraussetzung für Handlung ist nach Arendt Pluralität. Denn In-Erscheinung

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Treten lässt sich überhaupt erst über das Erkennen durch andere: „Das Handeln bedarf der Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen, aber dies auf die merkwürdige Art und Weise, daß keiner dieser Menschen je einem anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder lebt oder leben wird.“ (ebd: 15). Mit dieser Per spektive lässt sich Handlung (für die hier verfolgte Fragestellung) definieren als eine kollektive und auf eine konkrete Veränderung zielende Tätigkeit. Handlung wird damit in Bezug auf die einführenden Projektbeispiele zu dem zentralen verbindenden Element, denn alle Projekte eint – trotz ihrer Diversität – ein ganz grundlegender Impuls, um den es in dieser Arbeit maßgeblich gehen wird: Die Einbindung von diversen Akteuren in einen künstlerisch initiierten Prozess, der auf die Teilhabe an Stadtgestaltung ausgerichtet ist. Dieser Prozess wird erst durch die gemeinsame Handlung von Vielen möglich. Jenseits des Werkbegriffes wird Kunst so zu einer kollektiven Handlung. Die Grenzziehungen zwischen politischem Raum, künstlerischer Recherche und Aktion werden dabei brüchig (vgl.: Emmerling/Kleesattel 2016: 9). Diese Arbeitsweise bewirkt eine deutliche Veränderung der klassischen Rollenaufteilung, der disziplinären Zuschreibungen und der Definition künstlerischer Praxis. In dieser Forschungsarbeit werden diese Veränderungen an exemplarischen Projekten nachvollzogen und in die kunsthistorische Tradition gestellt. Die Untersuchung zielt auf das Herausarbeiten von Methoden und Settings für eine produktive Stadtgestaltung von Vielen.

SEHNSUCHT NACH KÜNSTLERISCHER RELEVANZ – ZUR AUSGANGSLAGE

Vor allem seit den 1990er Jahren hat die Zahl künstlerisch initiierter Projekte im urbanen Raum auffällig stark zugenommen, die Situationen und Versuchsanordnungen kreieren, um Prozesse in Gang zu setzen, deren Wirkungen nicht mehr auf einen rein artifiziellen oder repräsentativen Rahmen beschränkt bleiben sollen. Mit (Aus-)Wirkungen auf Rollenmuster, disziplinäre Zuständigkeiten und Selbstverständnisse agieren Künstler*innen über alle Genregrenzen hinweg mit einem offensiv erweiterten Kunstbegriff an diversen Schnittstellen zu politischem Aktivismus, Sozialer Arbeit und Stadtgestaltung und damit an den Übergängen zu alltäglicher sozialer Praxis, gebauter Umwelt, politischer Steuerung und ökonomischer Marktlogik. In einer Gegenwart voller Krisen, Verunsicherungen und bedrohlicher Zukunftsszenarien reagiert auch die Kunst – als ein gesellschaftlicher Seismograph – auf das wachsende Bedürfnis nach Handlungsmöglichkeiten mit der Zunahme entsprechender Angebote. Diesen Trend, den von vielen Künstler*innen als zu eng empfundenen Handlungsrahmen eines rein ästhetischen Ausdrucks zu verlassen

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7 Nicolas Bourriaud beschreibt in seiner Publikation 2002 anhand künstlerischer Projekte, die auf Begegnung und Involvierung der Besucher*innen zielen, einen Trend in der Kunst der 1990er Jahre. Bei diesen Inszenierungen stehen des geselligen Miteinander bzw. die Einbeziehung des Publikums im Vordergrund. Kritisiert wurde an dem Konzept vor allem Bourriauds Versuch, diese geselligen Momente mit politischem Gehalt aufzuladen. Sein Konzept der relationalen Ästhetik wird im Folgenden noch ausführlich diskutiert. 8 Der Begriff Performativität geht zurück auf die in den 1960er Jahren entwickelte Sprechakttheorie des britischen Philosophen John Austin. Er beschrieb damit die Veränderung des Zusammenhangs von Sprechen und Handeln durch sprachliche Äußerungen, die konkrete Handlungen vollziehen, beispielsweise das „Ja, ich will!“ im Rahmen einer Eheschließung. Mit den Veröffentlichungen von Judith Butler in den 1990er Jahren (hier vor allem „Gender

und in das „reale“ Leben einzugreifen, resümiert auch Tom Holert bezüglich der am Berliner Theater Hebbel am Ufer über den Zeitraum von 3 Jahren statt gefundenen Diskussionsreihe zum Thema Phantasma und Politik: „Angesichts einer vielfach als katastrophal wahrgenommenen Situation an den Finanz- und Arbeitsmärkten, in Technik und Ökologie wird der Ruf nach einer Kunst laut, die diese Entwicklungen nicht nur beschreibbar macht, sondern auch als Agent gesellschaftlicher Veränderung in eine als krisenhaft wahrgenommene »Wirklichkeit« eingreift“ (Holert 2016). Seit den 1990er Jahren lässt sich quer durch alle Kunstpraxen ein Paradigmenwechsel von repräsentativen zu partizipativen Arbeiten aufzeigen, die sich vermehrt an der Schnittstelle zu sozialen Projekten bewegen und damit nicht nur im Sinne des erweiterten Kunstbegriffs etablierte Grenzen in Frage stellen, sondern auch vermehrt Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse haben: „Engagierte Kunst ist mehr als rein relationale Ästhetik7 oder Reflexion. Sie bezieht Stellung oder provoziert andere, Stellung zu beziehen. Sie will nicht nur Veränderung; sie will aktiver Teil oder gar Auslöser dieser Veränderung sein“ (Malzacher 2016: o. S.). Die skizzierten Veränderungen müssen auch im Kontext einer Krise der Repräsentation gesehen werden. Die politische und damit gesamtgesellschaftliche Tragweite einer Krise der repräsentativen Demokratie, in der sich viele Menschen offensichtlich nicht repräsentiert sehen, hat vor allem auch für die Kunst als traditionsreiches Medium der Repräsentation enorme Auswirkungen. Auch die Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus bekommt dadurch einen ganz anderen Stellenwert. Die Veränderungen disziplinärer Zuständigkeiten und die In-Frage-Stellung von Rollenmustern in der Kunst sind keinesfalls neue Phänomene, sondern sie begleiteten alle Avantgardebewegungen vergangener Jahrhunderte. Ergebnis solcher Projekte sind nicht mehr materialisierte Werke, sondern performative8 Dynamiken außerhalb der etablierten Kunsträume wie Museen, Galerien und Theater – eine Bewegung, die sich spätestens in den künstlerischen Avantgarden der 1960er Jahre deutlich abzeichnete. Die Dominanz von partizipativen Kunstformen und künstlerisch angestifteten Prozessen der Teilhabe an Stadtgestaltung – so die These dieser Arbeit – korrespondiert dem aktuellen gesellschaftlich spürbaren Wunsch nach mehr Möglichkeiten der Mitgestaltung und Beteiligung aber nicht nur, sie ging diesem voraus. Die hier untersuchten Arbeiten sind daher notwendig in einer Traditionslinie zu denken und liefern damit einen wichtigen Bezugspunkt für gesellschaftliche Veränderung.

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STADTGESTALTUNG ALS GEMEINSAMER PROZESS

„Die Stadt besteht aus festgefügten Architekturen und ist doch permanenten Veränderungen unterworfen. Sie ist zwar auch die Summe ihrer Architekturen, doch mehr noch bildet sie ein Soziogeflecht aus Handlungen und Geschehnissen, aus Begegnungen und Interaktionen. Die Stadt wird, so betrachtet, von ihren Bewohnern und Besuchern ständig neu erzeugt und aufgeführt. Ihr eigentlicher Grund ist das Soziale“ (Schütz 2013: 36). Engagierte Kunst greift gezielt in Alltagswelten ein, diffundiert in alltägliche Praxis und überlagert sich mit diversen anderen städtischen Praktiken. Die künstlerische Praxis zielt dabei bewusst auf eine Einflussnahme städtischen Zusammenlebens. Die Stadt ist in einem zeitgemäßen Verständnis kein statisches Konstrukt, sondern ein Prozess. Städtisches Leben als zentrale Funktion von Stadt zu sehen (vgl. Gehl 2015) bedeutet, ein neues Verständnis für städtische Planung zu entwickeln, in dem die Handlungen der Bewohner*innen die Gestalt ihrer Stadt entsprechend beeinflussen. Für diese Perspektive bietet sich meines Erachtens der Begriff der Stadtgestaltung sehr viel mehr an als der einer Stadtentwicklung oder Stadtplanung: Gestaltung zielt auf eine konkrete und vor allem unmittelbare Handlung (und weniger auf eine zukünftige Entwicklung). Die in dieser Forschungsarbeit untersuchten Projekte sind entsprechend dieser Definition von Stadtgestaltung als gemeinsame Praxis ein ausschlaggebender Faktor für ein produktives städtisches Zusammenleben. Denn das entscheidende Merkmal der hier besprochenen Arbeiten ist ein veränderter Umgang mit Stadt: Es geht nicht mehr um das Darstellen in der Stadt, sondern die Stadt selbst wird vom Objekt und Raum zum Subjekt der Handlung. In Anlehnung an die Theorie der Raumpraxis von Henri Lefebvre (vgl. Lefebvre 1974) wird so nicht die Repräsentation des urbanen Lebens, sondern das Experimentieren mit urbanem Leben zum Gegenstand der Projekte (vgl. Liinamaa 2014). Es geht damit um künstlerische Praktiken, die nicht mehr darauf zielen, die öffentlichen Stadträume zu bespielen, sondern sie genuin zu erzeugen! Diese ‚Produktion von Stadt’ erfordert zwingend den Einbezug unterschiedlicher Akteure. Gerade im Kontext städtischer Entwicklung ist das Stichwort Bürgerbeteiligung längst von der Kür zur Pflicht geworden und inzwischen ein problematischer, da hierarchisierender Begriff. An künstlerischen Projekten lassen sich exemplarisch Probleme von „Beteiligungsmaßnahmen“ zeigen. Als ein Beispiel sei hier auf die Gefahr der falsch verstandenen „Fürsorge“ verwiesen. Mit der Haltung der generösen Option auf Partizipation, einer Heilsbringung, die von außen kommt, um etwas zum

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Trouble“ 1990 und „Bodies that Matter“ 1993) erfuhr der Begriff nochmals eine erhebliche Bedeutungserweiterung. Performativität bezeichnet nach Butler die soziokulturell bedingte Zitation der Normen und gesetzter gesellschaftlich konstruierter Kategorien von männlich und weiblich. Der Begriff der Performance dagegen bezeichnete zunächst einmal nur eine Aufführungssituation vor Publikum. Durch den Einbezug des ‚doing gender’ von Butler wurden dem Körper in der PerformanceTheorie eine dem intentional handelnden Individuum vorausgehende Eigenständigkeit zugesprochen (vgl. Angerer 2006: 241) und die Körper der Performer damit ins Zentrum der PerformanceKunst gerückt. Der viel beachteten Publikation Kulturen des Performativen (1998) von ErikaFischer-Lichte ließe sich eine Verflachung dieser Bedeutungsaufladung vorwerfen, da sie unter dem Begriff des Performativen extrem diverse Ausdrucksfor-

men zusammenführt, so dass ‚performativ’ hier synonym dazu wird, einfach etwas ‚zu tun’. Der Begriff der Performance wird nach dem Verständnis von Peggy Phelan („Unmarked“ 1993) darüber definiert, dass sie keinerlei symbolische Reproduktion mehr zulässt. Das Nicht-Sagund NichtDarstellbare, das Abwesende wird damit ebenso zentral wie die körperliche Präsenz. Mit Marie-Luise Angerer ließe sich Performativität definieren als eine Artikulation, die Besonderes im Augenblick fixiert (vgl. Angerer 2006: 244). Diesen stark verkürzten Überblick der Begriffsgeschichte zusammenfassend ist für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit elementar, dass ein performativer Akt eine spezifische realitätserzeugende Dimension besitzt.

9 Die Bedeutung

eines Paradigmenwechsels gilt vor allem im europäischen Kontext. In den USA beispielsweise sind „kollektive, partizipatorische und aktivistische Arbeitsweisen

Positiven zu verändern, was vielleicht von den Menschen nicht als negativ empfunden wird, werden erst Teil-Öffentlichkeiten konstruiert, die immer als „die Anderen“ stigmatisiert bleiben müssen. Ein Effekt, der sich vielfach bei solchen Kunstprojekten zeigen lässt, denen es an Reflexion mangelt. Aber auch positive Beispiele für Prozesse der Teilhabe finden sich in künstlerischen Kontexten. Die Hamburger Projekte Parkfiction und die PlanBude mögen hier als die wohl bekanntesten Beispiele für viele stehen: Das Park-Projekt Parkfiction im Hamburger Stadtteil St. Pauli entstand durch einen kollektiven Protest der Anwohner*innen gegen eine geplante Bebauung. Christoph Schäfer und Cathy Skene verwirklichten in einem langjährigen Prozess unter permanenter Einbeziehung der Anwohner*innen deren Wünsche zu einem Park. Das Projekt wurde 2002 auf der documenta 11 in Kassel ausgestellt. In dieser Tradition ist auch die erfolgreiche Arbeit der PlanBude zu sehen, in der Künstler*innen gemeinsam mit einem trans-disziplinären Team aus den Feldern Statdtplanung, Architektur, Urbanistik, sozialer Stadtteilarbeit, Musik und Kulturwissenschaft involviert sind. Als Folge einer langjährigen Auseinandersetzung um das Areal der ehemaligen Esso-Häuser im Hamburger Stadtteil St. Pauli wurde ein innovatives Konzept der Teilhabe der Anwohner*innen an der Planung erarbeitet und mit offiziellem Auftrag des Bezirks umgesetzt. Dieser Prozess war der Erlassung des Bebauungsplans vorgelagert, wodurch die Möglichkeit entstand, völlig anders mit den Bedürfnissen aus dem Stadtteil umzugehen. Die Wünsche der zukünftigen Bewohner*innen konnten so bereits in die Auslobung des Architekturwettbewerbs einfließen und werden sich nun in der Bebauung manifestieren. Die Frage, ob Künstler*innen als Stadtgestalter*innen agieren, stellt sich folglich nicht mehr, denn viele Arbeiten entstehen längst im Kontext urbaner Entwicklungsprojekte und zielen dabei auf weit mehr als auf eine rein relationale Ästhetik (Bourriaud 2002) des geselligen Miteinanders: „Ob auf dem Tahrir-, Zuccotti-, Syntagma-, Taksim- oder Majdan-Platz, vor dem Kreml, in Japan nach Fukushima oder inmitten der ikonischen Architektur Brasiliens, immer sind Künstler unter den Ersten, die sich beteiligen. Aber: Welche Rolle spielt Kunst dabei, welche Rolle kann Kunst dabei spielen? Es scheint, als wären wir Zeugen eines weiteren Paradigmenwechsels im Verhältnis zwischen Kunst und Politik.“ (Malzacher 2016: o. S.) Die Folge dieses Paradigmenwechsels sind entsprechende Veränderungen normativer Zuschreibungen an die Rolle von Kunst und Künstler*innen wie Zuschauern*innen gleichermaßen.9 Eine ausführliche Analyse solcher Arbeiten bietet damit auch eine Antwort auf die Frage, ob – und wenn ja, dann wie – Praktiken gemeinsamer Stadtgestaltung Erfolg haben können.

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AUTONOMIE UND

INSTRUMENTALISIERUNG Während es auf der einen Seite viel Beifall für das Engagement von Künstler*innen gibt, sind damit andererseits auch Befürchtungen verbunden: Really Useful theatre nennen die Sophiensäle eine Veranstaltungsreihe (die im November 2015 in Berlin startete und seitdem bundesweit tourt) und hinterfragen damit bereits erkennbar ironisch die zunehmend kritisch diskutierte gesellschaftliche Indienstnahme von Kunst. Die aktuelle Entwicklung in der Förderpolitik verschärft die Debatte, denn zunehmend ist finanzielle Unterstützung gebunden an Erfüllungsansprüche im edukativen, sozialen und sogar politischen Bereich. Kann eine Kunst, die sich der Nützlichkeit unterordnet, noch frei sein? Oder anders gefragt: Darf Kunst eine Funktion haben? (Holub/Hohenbüchler 2015). Hier rücken vor allem Chancen und Risiken in den Blick, denn die Projekte agieren im Spannungsfeld der Gefahr einer Instrumentalisierung einerseits und der Hoffnung auf Aktivierung von Stadtgesellschaft durch eine neue Kunst des Handelns andererseits. Ob dieses Spannungsfeld nicht einer idealisierten Vorstellung einer autonomen Kunstwelt geschuldet ist und es diesen Freiraum vielleicht so nie gab, schreibt sich dabei in die Fragestellung dieser Arbeit mit ein.10 Denn die Dichotomie von Autonomie und Instrumentalisierung halte ich für überholt. Ins Zentrum rückt damit die große Herausforderung, künstlerische Praxis jenseits einer solchen binären Opposition zu denken. Kunst als Agentin gesellschaftlicher Veränderung fordert Antworten von Künstler*innen und Ver-Antwortung für die Ergebnisse der eigenen oder angestifteten Handlungen. Das Fragen nach Verantwortung schwingt in allen Diskursen zu Partizipation und Nachhaltigkeit mit, wird aber in den allerseltensten Fällen adressiert. Zu groß scheint die entsprechende Last, die allein das Wort ‚Verantwortung’, einmal ausgesprochen, mit sich zu bringen droht. Dabei können sich Künstler*innen, die so unmittelbar in der Gesellschaft agieren wollen, solch ethischen Fragen nicht entziehen: Sind meine Projekte Handlanger eines Sozialstaats, der sich auf Kosten prekär finanzierter „künstlerischer” Projekte zurückzieht? Oder sollte man sich sogar instrumentalisieren lassen, wie es die Künstlerin Jeanne van Heeswijk provokant fordert? Sie sei, so ihre eigene Aussage, mit ihrer Kunst gerne ein Instrument, wenn es um positive Veränderungen ginge.11 Andere Künstler*innen, wie auch wiederum die geheimagentur, verweigern die Rolle der „Community Nurses“ ganz bewusst und hintertreiben mit öffentlichen Fördergeldern lieber städtische Entwicklungspolitik.12 Wer instrumentalisiert eigentlich wen und wofür, könnte man sich fragen. Oder auch: Wer trägt die Verantwortung? Finanziell, sozial, politisch?

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in der Kunst seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre kontinuierlich präsent gewesen“ (vgl.: Rollig: 2002: 17).

10 Die Vorstellung einer autonomen Kunstwelt bezieht sich auf den Mythos der Freiheit der Kunst, welcher im Kapitel Die Kunst der Zuschreibungen thematisiert wird. 11 Vgl. Gespräch mit Jeanne van Heeswijk vom 11.11.14.

12 Vgl. Interview mit Mitgliedern der geheimagentur vom 23.05.14.

13 Max Glauner

entwickelt in seinem Aufsatz „Get involved! Partizipation als künstlerische Strategie, deren Modi Interaktion, Kooperation und Kollaboration und die Erfahrung eines ‚Mittendrin-unddraußen’“ eine Definition zur Unterscheidung unterschiedlicher Formen der Partizipation. Mit Kollaboration beschreibt Glauner eine Partizipation an der Position des Kunstschaffenden: „Jeder nimmt gleichberechtigt Einfluss auf den Verlauf und das Ergebnis. Ausgangspunkt und Rahmenbedingungen sind von allen Beteiligten jederzeit verhandelbar und neu zu definieren“ (vgl. Glauner 2016: 30ff). Bei der Kooperation geht es um eine Zusammenarbeit, bei der die Künstler*innen das Setting vorgeben. Interaktion definiert Glauner entsprechend dem Begriff des offenen Kunstwerkes als Einladung zur aktiven Teilnahme an einem bestehenden Prozess, in dem die Teilnehmenden klar Zuschauende bleiben.

14 Da es sich bei diesen paradigmatischen Ver-

SOCIAL TURN Die Zunahme von entsprechenden Arbeiten, die bestehende Verhältnisse nicht mehr nur infrage stellen, sondern sich aktiv mit dem Finden von Antworten für ein zukunftsfähiges gesellschaftliches Miteinander beschäftigen, ist im Kontext des so genannten Social Turn der Kunst zu sehen. Die Kunsthistorikerin Claire Bishop diagnostizierte eine markante Veränderung in der Hinwendung künstlerischer Praxis zu sozialen Themen unter dieser Bezeichnung erstmals in einem Aufsatz 2006 (vgl. Bishop 2006). Dieser Umschwung in der Kunst beschreibt eine Bewegung, in welcher Kunst und aktivistische Praktiken sich treffen und überlagern. Hierbei sind kollaborative Formate, im Sinne einer Definition von Max Glauner13 verstanden als eine gleichberechtigte Zusammenarbeit diverser Akteure, das avisierte Ziel. Dabei lässt sich diese Form engagierter Kunst weniger über Genre und Disziplinen denn über Methoden, Formate und Inhalte definieren: „While it is difficult to categorize socially engaged art by discipline, we can map various affinities based on methodologies. This inculdes the political issues they address, such as sustainability, the environment, education, housing, labor, gender, race, colonialism, gentrification, immigration, incarceration, war, borders, and on and on“ (Thompson 2012: 22). Der Terminus Social Turn ist (wie die meisten Analysen zeitgenössischer Kunsttheorien immer noch) vor allem auf den Bereich der Bildenden Kunst bezogen. Eine solche Trennung künstlerischer Gattungen wurde jedoch durch die Performance Art der 1960er Jahre infrage gestellt und letztlich obsolet, da performative Praktiken spätestens hier Einzug in die Bildende Kunst fanden und eine klare Trennung zwischen Bildender und Darstellender Kunst im Bereich kollaborativer Arbeitsweisen immer schwieriger wurde. Seit etlichen Jahren wird versucht, den beschriebenen Veränderungen durch neue Begrifflichkeiten gerecht zu werden.14 Dazu gehören unter anderen (und natürlich mit ihrer entsprechenden deutschen Übersetzung): Art as Social Practice (vgl. Lind 2012), Socially engaged Art (vgl. Bishop 2006; Helguera 2011; Thompson 2012), Social Works (vgl. Jackson 2011), Social Design (vgl. Banz 2011 und 2016), Community-, Social-, Project-based Art (vgl. De Bruyne /Gielen (2011); Bishop 2006; Kester 2004), Public Art (vgl. Holub 2010), Connective Aesthetics (vgl. Gablik, Suzi 1992), Dialogical Art (vgl. Kester 2004), Collaborative Art (vgl. Billing/Lind/Nilsson 2007). Die Begriffe sind zahlreich und machen das Feld nicht übersichtlicher, gleichwohl ist dieses Auftürmen an Beschreibungsversuchen symptomatisch für den Schnittstellencharakter und die Schwierigkeit einer Festschreibung (der sich diese Arbeiten ja gerade zu entziehen versuchen). Die Namensinflation ist somit keineswegs zufällig. „Sie verweist auf Konflikte, unterschiedliche Konstruktionen von (Selbst)Identifikation, vermeintliche Traditionen und diskursive Wurzeln“ (Malzacher 2016: 0. S.).

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Das professionelle Selbstverständnis der Akteure (Bin ich Planer*in? Künstler*in? Social Worker?) wird so zu einem wesentlichen Bezugspunkt sowohl für das Verständnis engagierter Kunst als auch für die disziplinären Konsequenzen. Christoph Schlingensief schreibt in seiner Autobiographie: „Am Ende, egal wann, will ich sicher sein können, dass meine Arbeit einen sozialen Gedanken hatte” (Schlingensief 2009: o.S.). Die Kunst der Zuschreibungen zu beherrschen ist beispielsweise für die Arbeit zwischen Kunst und Aktivismus wesentlich, geht es hier doch häufig um Camouflage und darum, die Grenzen zwischen legalem und illegalem Handeln unter dem Schutz der künstlerischen Freiheit zu benutzen, um tatsächliche Veränderung zu initiieren. Die untersuchten Praktiken stehen darum im Gegensatz zu dem berühmt gewordenen Konzept einer relationalen Ästhetik (vgl. Bourriauds 2002), da ein solches Konzept in der Kunstwelt verhaftet bleibt und nicht in die Alltagswirklichkeit der gemeinsam Handelnden nachwirkt (vgl. Malzacher 2016: 0.S.). Dass ein Wesensmerkmal der hier untersuchten künstlerischen Praxis der Entzug der Festschreibung ist, zeigen auch die neuen ‚Regeln’ der Public Art, die von der britischen Veranstaltungsplattform Situations 2013 veröffentlicht wurden. Sowohl die Regel Nr. 1 „It doesn҆t have to look like public art“, die Regel Nr. 3 „Create space for the unplanned“ als auch Regel Nr. 10 „Don҆t waste time on definitions“ (Doherty 2013: 2ff), rekurrieren auf genau diesen Entzug von Zuschreibungen. Die Regel Nummer 10 ist hier als Aufforderung in Bezug auf eine grundsätzlich offene Rezeptionshaltung gegenüber den Arbeiten zu verstehen, die für das Verständnis entsprechender Praktiken elementar ist und auf die Veränderungen der diversen Ausdrucksformen von Kunst im öffentlichen Raum abheben. Der Hinweis bezieht sich weniger auf die ebenso gängige Frage „Ist das überhaupt Kunst?“ als vielmehr auf die der Genrezuschreibung: „Is it sculpture? Is it visual art? Is it perfromance? Who cares? There are more important questions to ask [...]“ (Doherty 2013: 16). Eine dieser wichtigeren Fragen ist die nach den neuen Verbindungen und Konsequenzen für eine gemeinsame urbane Praxis, die durch das Angebot der Teilhabe in entsprechende Arbeiten avisiert werden. Eine treffende Begrifflichkeit also, die diese in jüngster Zeit wieder stark zunehmende künstlerische Praxis an der Schnittstelle zu sozialen Prozessen des urbanen, gesellschaftlichen Miteinanders fassbar macht, existiert – trotz der vorhandenen oder vielleicht gerade durch die diversen künstlerischen Kategorien – bisher nicht. Dennoch scheint es ein verbindendes Element zu geben, das alle Begrifflichkeiten ihrer Diversität zum Trotz eint: ein soziales Moment. „Relational aesthetics, new genre public art, connective aesthetics and dialogical art focus on the relation between the work and the public and forms of participation. It could be said that the sticky wicket they pad around is ‚the social’ or ‚sociality’, although they use very different methods to reach their public“ (Billing/Lind/Nilsson 2007: 25). Vor allem im Englischen setzt sich daher auch zusehends der Begriff Social Practice (im deutsch-

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änderungen um eine internationale Bewegung handelt, wird im Folgenden vor allem von den englischsprachigen Termini zur Beschreibung ausgegangen.

15 Beispielsweise wird an den in diesem Zusammenhang häufig genannten Ess-Settings des thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija, der in seinen Mobile-HomeInstallationen Museums- und Galeriebesuchern thailändisches Essen servierte, stark kritisiert (Bishop 2004), dass solche feel good Inszenierungen zu einer Harmonisierung und damit Verschleierung sozialer Konflikte und Spannungen führten. Diese Kritik Claire Bishops im Magazin October bezog sich dabei auf Chantal Mouffes Theorie des agonistischen öffentlichen Raums, in welchem Konsens nur durch die Sichtbarmachung der Unauflöslichkeit der Konflikthaftigkeit als möglich erachtet wird. Ein „positives“ Gegenbeispiel sieht Bishop entsprechend in den temporären Installationen von Thomas Hirschhorn wie seinem „Bataille Monument“: die Kombination einer von Anwohnern betriebenen Imbiss-Bude und einer Bibliothek, aufgestellt in

sprachigen Raum auch Soziale Praxis) zur Beschreibung durch. Eine Analogie zu dem Begriff der Sozialen Plastik (auch Soziale Skulptur) von Joseph Beuys ist naheliegend und findet sich in etlichen Projektbeschreibungen wieder. Das Wort „sozial“ ist bei diesen Arbeiten so allgegenwärtig wie unklar. Im täglichen Gebrauch ist es diffus und meint alles zwischen ‚dem Gemeinwohl dienend’ und dem ‚beziehungsknüpfenden Miteinander’. Wie im Vorwort dieser Arbeit beschrieben, wird der Begriff ‚sozial’ zunehmend als Label benutzt, um Projekte als besonders positiv und verbessernd zu beschreiben. Auch die synonyme Verwendung mit dem Adjektiv ‚politisch’ nimmt merklich zu. Hier lässt sich offensichtlich wiederum eine Reaktion auf Förderlogiken ablesen, denn in Ausschreibungen wird explizit nach sozialem Engagement verlangt, allerdings meist ohne zu definieren, was hiermit eigentlich gemeint ist. Der Begriff des Sozialen wird durch die zunehmende und stark heterogene Verwendung diffus. In ihrer Einleitung zu einer Sonderausgabe des Stadtforschungsmagazins CITY mit dem Titel: „Designed to Improve? The makings, politics and aesthetics of ‘social’ architecture and design” (Grubauer et. Al: Forthcoming in CITY) beschreiben die Autorinnen eine äquivalente Zunahme des Begriffs bei gleichzeitiger Auflösung einer klaren Bedeutung. ‚Sozial’ ließe sich für den Hintergrund dieser Forschungsarbeit zunächst ausgehend von zwei Wirkungsabsichten definieren, die jeweils unterschiedliche Ziele haben. Die folgenden Definitionen dienen für diese Forschung als Arbeitshypothesen. Wirkungsabsicht 1: Geselligkeit. Diese künstlerischen Projekte zielen vor allem auf Interaktion und Kontaktaufnahme zwischen den Zusehenden wie auch zwischen Künstler*innen und Zuschauer*innen.15 Es geht hier also eher um Sozialität im Sinne von Geselligkeit denn um Soziales im Sinne von Gemeinwohlorientierung. Eine politische Wirkung ist nicht das Ziel dieser Projekte. Wirkungsabsicht 2: Beziehungen. Das Ziel dieser künstlerischen Projekte geht über das bloße Herstellen von Kontakt hinaus und zielt auf eine Herstellung (Inszenierung) von Beziehungen, um damit tatsächlich (räumliche, bauliche, gesellschaftliche) Veränderungen zu erreichen. Solche Arbeiten sind gekennzeichnet durch die Zusammenarbeit ganz unterschiedlicher Akteure. Im Fokus dieser Arbeit stehen ausschließlich Projekte dieser zweiten Wirkungsabsicht, denn das Knüpfen neuer Beziehungen über disziplinäre Grenzen hinaus ist ein wesentliches Merkmal der hier untersuchten Arbeiten. Durch diese Form künstlerischer Praxis entstehen neue soziale Figurationen, die nicht länger auf Dauer und Festigkeit, sondern ganz im Gegenteil auf flexible und temporäre Zusammentreffen ausgerichtet sind. Dazu schreibt Gesa Ziemer in ihrem Buch Komplizenschaft, in welchem sie diese Begrifflichkeit als Kategorie zeitgemäßen kollektiven Arbeitens etabliert: „Flüchtigkeit rückt damit als soziale Figuration ins Zentrum und wird zu einer wirkungsvollen Qualität innerhalb der Komplizenschaften, da sie Aktionsspielräume eröffnet, die homogene, auf lange Zeit ausgerichtete und zu Träg-

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heit neigende Bindungsformen nicht ermöglichen würden“ (Ziemer 2013: 63-64). Dem Faktor Zeit kommt hierbei allerdings eine paradoxe Bedeutung zu. So sind die künstlerisch initiierten Beziehungen zwar zumeist temporär und Begegnungen gekennzeichnet durch Flüchtigkeit, die Projekte sind aber (insgesamt im Gegensatz zu anderen künstlerischen Arbeiten) meist deutlich länger. Die Dauer der Arbeiten über einen längeren Zeitraum ließe sich sogar als eine maßgebliche Voraussetzung für deren Erfolg beschreiben. Flüchtigkeit von Begegnungen in Projekten, die auf längere Dauer angelegt sind, wäre somit ein erstes Kriterium für das Verständnis kollaborativer künstlerischer Praxis und offenbart damit bereits erste Paradoxien.

METHODISCHES VORGEHEN In dieser Arbeit werden ganz unterschiedliche Projekte im Hinblick auf die übergeordneten Leitfragen und entsprechenden Schnittstellen reflektiert. Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arbeiten besser (be)greifbar zu machen, liegt ein Teil der Forschungsarbeit in der Entwicklung von Kriterien zur Systematisierung des Forschungsfeldes. Dabei war die Ermittlung und Beschreibung von Schnittstellen zu anderen Tätigkeitsfeldern der erste wichtige Schritt einer Eingrenzung. Die Schnittstellen zu Stadtplanung, Aktivismus und sozialer Arbeit haben sich für den Kontext der gemeinsamen Stadtgestaltung als die zentralen Felder erwiesen. Die hier besprochenen Projekte wurden ihnen zugeordnet und nach ihren Spezifika für die jeweilige Schnittstelle hin analysiert. Diese Fokussierung auf Schnittstellen spannt in ihrer Überschneidung das Forschungsfeld auf. Um trotz der großen Diversität künstlerischer Arbeiten im urbanen Raum ein klares Untersuchungsfeld zu generieren, konzentriert sich die Untersuchung auf performative Praktiken der letzten fünfzehn Jahre. Dass es sich bei den hier im Fokus stehenden Arbeiten um performative Prozesse handelt, ist für die verfolgte Fragestellung wesentlich, da es um ein gemeinsames Handeln von Vielen geht. Auch innerhalb dieser Eingrenzung ergibt sich damit noch ein extrem heterogenes Tätigkeitsfeld. Um dieser Diversität von Handlungspraxen auch gerecht werden zu können, berücksichtigt diese Forschung eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeiten. Die folgenden Auswahlkriterien wurden bei der Entscheidung über die Aufnahme von Projekten in diese Forschung berücksichtigt: a) Das Projekt ist auf die Teilhabe diverser Akteure ausgerichtet. b) Um Begegnungen zu bewirken, wird mit performativen Formaten gearbeitet. c) Der urbane Raum ist nicht mehr nur Objekt/Bühne, sondern Subjekt/Akteur der Handlung, wird also durch die Praxis genuin erzeugt.

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einem Problembezirk in Kassel während der documenta 11.

16 „Place-making – the set of social, political and material processes by which people iteratively create and re-create the experienced geographies in which they live – is an important but oft-neglected part of political theory. Placemaking is an inherently networked process, constituted by the socio-spatial relationships that link individuals together through a common placeframe.” (Pierce, Joseph / Martin, Deborah G. / Murphy, James T. 2010: 54). 17 http://www.

radius-of-art. de/conference/ (Letzter Zugriff 15.12.16).

18 http://reart-

theurban.org/ info/Home.html (Letzter Zugriff 15.12.16).

Im Gegensatz zu Projekten, die ausschließlich auf eine Entwicklung von Zuschauenden zu teilnehmenden Akteuren zielen, oder Praktiken, in denen das soziale Moment der Begegnung im Vordergrund steht, kommt bei den hier untersuchten Projekten ganz entscheidend die Transformation des urbanen Raums von einem reinen Handlungsraum zu einem Subjekt der Handlung hinzu, Raum wird also durch künstlerische Praxis genuin erzeugt. Durch die entstehenden Konsequenzen, beispielsweise der emotionalen Aufladung von Orten und Effekten wie Place Making,16 sind solche Projekte vor allem auch für stadtplanerische Hintergründe von Interesse, was wiederum die Zunahme solcher Arbeiten im städtebaulichen Kontext erklärt. Die charakterisierenden Schnittstellen der hier untersuchten künstlerischen Projekte zu Aktivismus, sozialer Arbeit und städtischer Planung erzeugen in ihrer Überschneidung so eine neue künstlerische Praxis, die als eine gemeinsame Stadtgestaltung – allen Instrumentalisierungsproblematiken zum Trotz – enormes Potenzial für Prozesse gesellschaftlicher Teilhabe besitzt. In diesem Sinne werden die diskutierten Cases vor allem hinsichtlich der leitenden Frage nach Handlungsoptionen diskutiert. Vor dem Hintergrund umfassend erarbeiteter Forschungsstände, mit denen jedes Kapitel beginnt, basiert diese Arbeit auch auf der Auswertung einer Vielzahl qualitativer Experteninterviews mit international renommierten Kurator*innen, Künstler*innen, Stadtplaner*innen und Wissenschaftler*innen, welche die Entwicklung künstlerischer Projekte an den skizzierten Schnittstellen seit Jahren begleiten und prägen. Neben gezielt geführten Interviews trugen selbstverständlich auch etliche Konferenzen und hier gesammeltes Wissen über Vorträge, Diskussionen und informelle Gespräche zum Stand dieser Forschung bei. Hier sind unter vielen anderen vor allem die Berliner Konferenz Radius of Art - Kreative Politisierung des öffentlichen Raums – Kulturelle Potenziale für soziale Transformation,17 die Züricher Tagung reArt:theURBAN 18 und die Hamburger Veranstaltung Disziplinäre Grenzgänge. Neue Arbeitsfelder in Stadtgestaltung und Stadtforschung – Ein Perspektivenwechsel zu nennen. Die Untersuchung von Schnittstellenprojekten erfordert dabei ganz besonders ein entsprechendes Forschungssetting mit transdisziplinärem Blick, um eben jenem „Dazwischen“ überhaupt gerecht werden zu können. Für die Analyse der Projekte wurden darum sowohl diverse Quellen (Selbstdarstellung der Künstler*innen, mediale Berichterstattung, Pressematerial, Programmhefte, eigene Beobachtungen und Aufzeichnungen, Filmaufnahmen und Fotodokumentationen, wissenschaftliche Analysen, aber auch Romane) sowie Theorien unterschiedlichster Fachrichtungen der Sozial- und Kulturwissenschaften im Hinblick auf urbane Praxis miteinander verschränkt. Hier sind vor allem Texte und Theorien der Urban- und der Performance-Studies zu angewandtem Theater und Raumproduktion zu nennen sowie theoretische Positionen der Kunstgeschichte und Kunstsoziologie. Diskurse

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aus der Philosophie sowie der Politikwissenschaft wurden ebenso berücksichtigt wie soziologische Positionen. Die Arbeit bezieht unterschiedliche Diskurse ein und versteht sich als einen Beitrag zu inter- und transdisziplinärer Forschung. Ein Teil des Forschungsmaterials wurde im Rahmen einer internationalen Konferenz zum Thema dieser Dissertation erhoben, die unterstützt von der Heinrich Böll Stiftung Hamburg im November 2015 an der HafenCity Universität stattfinden konnte. Dabei waren die zentralen Fragen dieser Forschung der Ausgangspunkt für die Thematik der Veranstaltung, die unter dem Titel „Social Urban Art – Eine Tagung über Verantwortung“ von mir unter der Mitarbeit von Michael Kranixfeld kuratiert und durchgeführt wurde. Sie ist als ein eigenständiges Forschungsinstrument zu betrachten, in dessen Rahmen ca. 50 Expert*innen wesentliche Fragen meiner Forschung diskutierten. In Zusammenarbeit mit dem Performance Kollektiv geheimagentur wurden hierfür explorative Dialogformate entwickelt, die sich vor allem durch neue Formate des kollektiven Feedbacks auszeichnen. Form und Inhalt wurden dadurch entsprechend miteinander in Korrelation gebracht. Die Vorträge, Dialoge und Feedbacksessions wurden auditiv und visuell aufgezeichnet. Die so gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Ergebnisse der Forschung ein. Die Auswertung von Interviews und Konferenzmaterial geht in der vorliegenden Zusammenschau der Forschung auf.

Abbildung 1

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Abbildung 1-3: Setting

der Konferenz Social Urban Art - Eine Tagung über Verantwortung von Hilke Marit Berger und Michael Kranixfeld. Fotos: Fabian Berger.

Abbildung 2

Abbildung 3

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DIE KUNST DES IN-BEZIEHUNG-TRETENS

K

„Normalerweise kommen die Leute, gucken sich etwas an, gehen wieder. Aber im 21. Jahrhundert haben sie keine Lust mehr, sich Sachen anzugucken, sie wollen Teil von etwas sein, eine Erfahrung machen. Eine Verbindung zu anderen Menschen spüren“ (Marina Abramović, zitiert nach Kippenberger 2016: 2).

ünstlerisch angestiftete Prozesse der Veränderung von Stadtgesellschaft setzen eine neue Beziehung zu den Teilnehmer*innen voraus, die weniger Zuschauer*innen denn Kompliz*innen19 einer geteilten künstlerischen Praxis werden. Die Involvierung von Zuschauer*innen in künstlerische Arbeiten ist keinesfalls ein neues Phänomen, sondern begann spätestens in den Avantgarden des 19. Jahrhunderts und fand in der Entstehung der Performance Art in den 1960er Jahren einen ersten Höhepunkt.20 Dieses Kapitel bietet folgernd einen historischen Überblick über die Entwicklung partizipativer, performativer künstlerischer Projekte im urbanen Raum seit den 1960er Jahren, da entsprechende Projekte und Diskurse als Basis für die Entwicklung neuer, zeitgenössischer Figurationen des Sozialen zu sehen sind. Hierbei wird – neben Theorien zu Gegenwartskunst aus der Perspektive unterschiedlicher Fachrichtungen – die Begriffsgeschichte des öffentlichen Raums relevant, da der Fokus dieser Untersuchung auf Projekten liegt, die in direkter Traditionslinie von Kunst im öffentlichen Raum zu verstehen sind, einem Sammelbegriff, der im englischsprachigen Raum meist unter (New Genre) Public Art firmiert. Als „neu“ galt für die Kunst im öffentlichen Raum in den 1990er Jahren im Vergleich zur skulptural manifestierten Kunst am Bau der 1960er und 1970er Jahre vor allem der soziale und interaktive Charakter der Arbeiten. So definiert Suzanne Lacy (in ihrem 1996 genreprägenden Buch Mapping the Terrain: New Genre Public Art) die künstlerischen Projekte des neuen Genres als sozial engagiert und interaktiv mit Bezügen zu sozialem Aktivismus und grenzt sie stark von der bis dato im öffentlichen Raum dominierenden bildlichen oder skulpturalen Kunst ab, da der Fokus nun auf Interaktion und Kontaktnahme lag (vgl.: Lacy 1996: 28). Die starke Zunahme dieser meist partizipativen Arbeiten im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum in den 1990er Jahren führte analog auch zu einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem deutlichen Trend. Vor allem in

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19 Der Begriff der Kompliz*innen wird hier in Bezug auf die von Gesa Ziemer entwickelte Theorie der Komplizenschaft verwendet. Ziemer beschreibt mit diesem Terminus eine Beziehung, die unterschiedliche Akteure handlungsorientiert verbindet (vgl. Ziemer 2013). 20 Die Ausführungen beziehen sich hierbei hauptsächlich auf die Entwicklungen und entsprechenden Diskurse in Europa und Nordamerika. Vor allem in Südamerika gibt es eine ganz eigene Tradition partizipativer Praktiken in der Kunst.

21 Dieser Zusammenhang zwischen dem sich verändernden Verständnis des öffentlichen Raums einerseits und der Steigerung eines Anspruchs auf Beteiligung andererseits ließe sich exemplarisch an einer Protestbewegung wie Stuttgart 21 untersuchen. 22 Einen sehr guten Überblick über den Spatial Turn und die entsprechenden fachübergreifenden Veränderungen und die wichtige neue Untersuchungsachse von Raum und Macht wie bei Foucault und der Produktion des sozialen Raums als einer habitualisierten Praxisform bei Bourdieu, bietet BachmannMedick (2006).

naheliegenden Feldern der Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft, den Theateroder Performance-Studies. Aber auch in der Philosophie, der Politikwissenschaft oder der Kunstsoziologie wurden zugehörige Arbeiten intensiv diskutiert. Die Vielfalt der hier involvierten Fachrichtungen spiegelt bereits den Schnittstellencharakter der Arbeiten wider, die für unterschiedlichste Disziplinen durchaus auch aus sehr verschiedenen Gründen interessant werden. Die häufig an partizipative Projekte gestellten Ansprüche, wie z.B. die des Community Buildings mit entsprechend aufgeladenen ideologischen Implikationen von Begriffen wie beispielsweise dem der Gemeinschaft, wurden vor allem in politikwissenschaftlichen, philosophischen und soziologischen Kontexten sehr kritisch diskutiert (vgl. u.a.: Nancy 1988, Rollig/Sturm 2002; Marchart u. a. 1999 und 2008; Rancière 2008). Die entsprechende Literatur zu Partizipationskritik ist in den letzten Jahrzehnten zu einem fast schon eigenständigen Genre angewachsen. Das zugehörige Forschungsfeld ist daher sowohl riesig als auch sehr heterogen, und die Gefahr, sich in den diversen Debatten zu verlieren, ist entsprechend groß. Um hier den roten Faden der eigenen Fragstellung konsequent verfolgen zu können, bietet dieses Kapitel einen sehr bewusst stark fokussierten und dadurch gezielt komprimierten Überblick zur Geschichte der Partizipationskritik. Für die Auseinandersetzung mit künstlerischen Praxen im öffentlichen Raum, die diesen als Handlungsort, Thema oder Spielpartner nutzen, ist eine Beschäftigung mit der Begriffsgeschichte des öffentlichen Raums elementar. Die Unklarheit des Öffentlichkeitsbegriffs führt hierbei meiner Meinung nach auch zu Unklarheiten in Bezug auf Möglichkeiten der (Bürger-)Beteiligung z. B. bei Fragen nach der Gestaltung und Definition des öffentlichen Raums. So verknüpft besteht jedoch die Gefahr, sich im ausführlichen Diskurs zum Öffentlichen – wiederum einem eigenen Forschungsfeld – zu verlieren und so den Fokus von künstlerischen Strategien in städtischen Entwicklungskontexten zu raumtheoretischen Überlegungen zu verschieben.21 Die Begriffsgeschichte des öffentlichen Raums ist in diesem Kapitel entsprechend nicht auf den Spatial Turn, sondern auf die Frage nach der Rolle künstlerischer Projekte in städtischen Entwicklungsprojekten fokussiert.22

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23 http://www.

VOM ÖFFENTLICHEN ZUM

okkupation.com/ theorie/theorie. html (Letzter Zugriff 22.02.17).

URBANEN RAUM?

„Die Entwicklung des urbanen öffentlichen Raumes ist immer auch die Geschichte über das Verhalten der Menschen gewesen, die ihn figurativ bilden“ (Jonas/Schumacher 2006).23 Öffentlicher Raum – nur an wenigen anderen Termini haben sich Wissenschaftler*innen ganz unterschiedlicher Fachrichtungen ähnlich diskursiv verausgabt wie an diesem schillernden Begriff, unter dem sich fast jeder sofort Irgendetwas und die meisten etwas ganz Unterschiedliches vorstellen. Öffentlicher Raum ist vor allem auch ein imaginäres Narrativ, aufgeladen mit normativen, idealisierten Zuschreibungen in immer wieder wechselnden Erzählungen. Es ist untrennbar gekoppelt an die Begriffe des Öffentlichen und der Öffentlichkeit mit ihren wiederum eigenen Narrativen und Diskursen: „Öffentlicher Raum ist eine Einheit des Widersprüchlichen“ (Klamt 2012: 775). Um dieser Widersprüchlichkeit gerecht zu werden, wird öffentlicher Raum im Folgenden sowohl als ein materialisierter Ort als auch als ein relationaler sozialer Raum betrachtet. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass öffentlicher Raum als Begriff sowohl ein wissenschaftliches Konzept als auch ein politisches Ideal ist. Es gilt dabei die Entwicklung des Begriffs einer bürgerlichen Öffentlichkeit (Jürgen Habermas und Hannah Arendt) zu einer genuin politischen Öffentlichkeit (wie bei Simon Sheikh oder Chantal Mouffe) von einer rein örtlichen (also konkret ‚verortbaren’) Definition zu trennen. Tatsächlich fassbar wird öffentlicher Raum weder durch planerische oder politische noch durch philosophische Theorien allein. Eine multiperspektivische Herangehensweise ist hierzu Voraussetzung und es braucht – wie gezeigt werden wird – einen Perspektivwechsel. Diesen ermöglicht die Kunst. Im Folgenden werden darum städtebauliche Überlegungen mit politikwissenschaftlichen und philosophischen Ansätzen der Culture Studies für ein möglichst differenziertes Konzept verwoben.

ÖFFENTLICHER RAUM ALS ORT Öffentlicher Raum – entstanden als das politische Ideal eines Verhandlungsraums in der Polis der griechischen Antike – wurde in Europa erst im Zuge der Industrialisierung zu einer städtebaulichen Örtlichkeit, die heute die meisten Menschen in einem alltäglichen Verständnis mit dem Begriff verbinden: Promenade, Park oder Platz sind dabei meist die erstgenannten Assoziationen (vgl. Benke 2004: 63). Die Bezeichnung des „öffentlichen Raums“ als einen konkreten Ort in unserem Sprachgebrauch ist dabei vergleichsweise jung und wird in dieser Form erst seit

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den 1950ern als eine Ableitung des englischen „public space“ gebraucht. Interessant ist hier, dass der Begriff im Deutschen damit sehr viel jünger ist als die anhängige politische Ideologie. Denn zunächst verstand man den öffentlichen Raum als einen viel expliziter an konkrete Baulichkeiten gebunden Ort und sprach von „öffentlichen Straßen und Plätzen“ oder auch „öffentlichen Anlagen“ (vgl. Bernhardt et al. 2005: 10), deren Entstehung in der zunehmenden Industrialisierung der Städte begründet ist: Um die extreme urbane Verdichtung im 19. Jahrhundert zu kompensieren, wurden zunehmend öffentliche Flächen wie Parks und Plätze angelegt mit dem Ziel, frei zugängliche Erholungsräume für jedermann zu schaffen. Dieser freie Zugang, gekoppelt an freie Nutzung, gilt gemeinhin als ein Hauptdefinitionskriterium öffentlicher Räume. Bereits mit dieser Annahme eines freien Zugangs für alle beginnt aber auch die Geschichte einer Utopie. Denn, so stellt Walter Siebel fest, öffentlicher Raum war schon immer auch exklusiver Raum (vgl.: Siebel/Wehrheim 2003: 4). Es habe noch nie und in keiner Stadt öffentlichen Raum als einen für jedermann zugänglichen gegeben. Bereits für Agora und Forum, das Idealbild des öffentlichen Marktplatzes, galten entsprechende Ausschlussregeln. Frei zugänglich war der Platz nur für Privilegierte, Frauen und Sklaven beispielsweise war ein Zutritt verwehrt. (Klamt 2012: 778). Städte unterscheiden sich in verschiedenen historischen Epochen vor allem darin, wer auf welche Weise aus welchen Räumen ausgeschlossen wird: Waren es im 19. Jahrhundert die Frauen und das Proletariat, so sind es heute vor allem Obdachlose und Drogenabhängige (vgl.: Siebel/Wehrheim 2003: 4). Genutzt wird der öffentliche Raum heute sehr unterschiedlich und oft unbewusst: als Verkehrsraum, als Konsumraum, als Kommunikationsraum, als Erholungsraum etc. Damit ist auch schon eine wesentliche Eigenschaft öffentlicher Räume benannt – ihre Multifunktionalität (vgl. Reicher/Kemme 2009: 15). Diese Multifunktionalität korrespondiert einer heterogenen Nutzergruppe mit diversen Interessen, und so lassen sich den vielfältigen Bedeutungen des öffentlichen Raums, entsprechend den unterschiedlichen Nutzerperspektiven, fünf wesentliche Aspekte zuordnen: kulturelle, soziale, ökologische, politische und ökonomische (vgl. Selle 2001). Während wegweisende Konzepte zur Theoriebildung des Öffentlichkeitsbegriffs von Hanna Arendt oder Jürgen Habermas in den 1960er Jahren noch auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen dem Privaten (Familie und Haus, also dem Eigentum) und dem Öffentlichen (dem Politischen und Kulturellen) und entsprechend normativen Zuschreibungen aufbauten, ist letztlich heutzutage – und genau da liegt das große Problem – in Städten nicht mehr erkennbar, wo sich vermeintlich öffentlicher Raum längst in Privatbesitz befindet und wie eine klare Trennung zwischen „öffentlich“ und „privat“ überhaupt noch gedacht werden kann: Der öffentliche Raum verschwimmt und entzieht sich einer klaren Zuordnung, auch durch die Überlagerung mit hier praktizierten privaten und sogar intimen Handlungen, die durch die technische Entwicklung (z. B. im Mobilfunkbereich) ermöglicht

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wurden, aber auch durch Zeitgeist-Phänomene wie den aufgeschütteten Stadtstränden, die in keiner Großstadt fehlen dürfen und an denen man sich im öffentlichen Raum zum beachen in Bikini und Badehose trifft . Richard Sennet spricht hier von einer Tyrannei der Intimität (vgl. Sennett 1985). Dennoch lassen sich öffentliche und private Räume in vier Dimensionen voneinander unterscheiden (Siebel/Wehrheim 2003: 4): funktional, juristisch, sozial und baulich/symbolisch. In allen vier Dimensionen haben in den letzten Jahren starke Veränderungen stattgefunden, welche die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit aushöhlen, wie Siebel und Wehrheim in ihrer Studie zeigen: In funktionaler Hinsicht stellen die Autoren fest, dass politisches Geschehen schon lange aus dem öffentlichen Raum der Städte ausgewandert sei in die Parteiorganisationen, die Verbände und die Medien. Jüngste Entwicklungen wie die politischen Occupy-Bewegungen, die Geschehnisse des Arabischen Frühlings oder die Demonstrationen auf dem Tahir-Platz zeigen, dass diese politische Funktion öffentlicher Räume wiederentdeckt wurde. Diese Tatsache ist gerade auch in Hinblick auf die hier untersuchten Arbeiten von Bedeutung, wie gezeigt werden wird. Bereits im 19. Jahrhundert, so Siebel/Wehrheim, habe sich auch die Funktion des öffentlichen Raums als Marktplatz aufgelöst durch eine massiv voranschreitende Einhausung in Passagen und große Kaufhäuser. Mit den großen Shopping Malls sei hier nur eine neue Qualität erreicht. Mit der Veränderung der juristischen Dimension gerieten die klassischen Funktionen des öffentlichen Raums, Markt und Politik, aus dem Geltungsbereich des öffentlichen Rechts in Räume, die dem privaten Recht des Eigentümers unterworfen seien. Auch sozial verwische die Polarität von öffentlich und privat zunehmend, beispielsweise durch Handynutzer, aber auch durch Obdachlose. Beide würden die angelernten Verhaltenscodes verletzen und private Handlungen im öffentlichen Raum ausüben. All diese Veränderungen kulminierten symbolisch in der Gestaltung öffentlicher Räume als exklusive Repräsentationen von Macht durch elitäre Zeichen und teure Materialien: Marmor, verspiegeltes Glas, Messing und Palmen, alle diese häufig in den Innenstädten verwendeten Gestaltungselemente wirkten als soziale Filter (vgl. Siebel/Wehrheim 2003: 5f). In einem klassischen Verständnis, beispielweise bei Richard Sennet, wird Öffentlichkeit als ein Raum begriffen, in dem man dem prüfenden Blick von jedermann ausgesetzt ist, ein Raum, in dem es Akteure und Zuschauer gibt, in dem man gleichzeitig Beobachter und Beobachteter ist (vgl. Sennett 1986). Hier wird bereits deutlich, dass die Sozialfiguren in Korrespondenz zum öffentlichen Raum stehen und ihn entsprechend verändern, wie auch das Zitat zu Beginn dieses Kapitels aufzeigt: In einem zeitgemäßen Verständnis begreift man öffentlichen Raum deshalb vor allem als einen Prozess, wobei Funktion und Nutzung an gesellschaftliche Transformationsprozesse gekoppelt sind, die wiederum Einfluss auf Wandlung, Wahrnehmung und Gebrauch des Raums nehmen.

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Diese Wirkung ist dabei als grundlegend wechselseitig zu verstehen, denn der Raum beeinflusst wiederum das menschliche Verhalten, wie bereits in den 1960er Jahren Jane Jacobs in Tod und Leben großer amerikanischer Städte oder Alexander Mitscherlich in Die Unwirtlichkeit unserer Städte darlegten (vgl. Jonas/Schumacher 2006). Die von Habermas skizzierte Kategorie einer ›bürgerlichen Öffentlichkeit‹ (Habermas 1962) scheint auch auf Grund dieser Veränderungen heute nicht mehr ganz zeitgemäß. Öffentlichkeit wird nicht mehr länger als Entität, also als an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden, verstanden, wie es von Habermas gedacht wurde (vgl. Sheikh 2005: 82.). Hinzu kommt eine sehr spezifische kulturelle Bedingtheit sozialräumlicher Grenzziehung zwischen dem Öffentlichen und Privaten, was ein internationaler Vergleich beispielsweise mit japanischen oder auch arabischen Vorstellungen des Privaten bzw. Öffentlichen Raums, die stark von mitteleuropäischen Vorstellungen abweichen, vor Augen führt (vgl. Klamt 2012: 781). Walter Siebel fasst in seinem Aufsatz Qualitätswandel des öffentlichen Raums zusammen: „Öffentlicher Raum entsteht aus der Überlagerung von Geschichte und Gegenwart, aus den Handlungen einer Vielzahl von Akteuren, die unterschiedliche oder sogar widersprüchliche Ziele verfolgen mit unzureichenden Mitteln und unter Bedingungen unvollständiger Information. Öffentliche Räume sind Spannungsräume, an denen gesellschaftliche Umbrüche, die Tatsache und die Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderungen erfahrbar werden“ (Siebel 2004: o. S). In diesem Spannungsverhältnis sieht Siebel aber gerade die Qualität öffentlicher Räume, da hierdurch neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Ausgleichs von Interessen entstünden. Beispielsweise wenn sich eine neue Gesellschaft die etablierten Gebäude einer historischen aneigne: „Deshalb sind heute so gänzlich verschiedene Orte wie der Prenzlauer Berg in Ostberlin, ein umgenutztes Stahlwerk im Ruhrgebiet oder ein Migrantenquartier in Frankfurt/Main Kristallisationspunkte des Urbanen.“ (Siebel 2004: o. S.) Für Siebel ist die Larmoyanz über den Verlust des öffentlichen Raums auch deshalb fragwürdig, da er neben der Privatisierung des öffentlichen Raums hierin auch ein Entstehen neuer öffentlicher Räume sieht. Öffentlicher Raum wird somit vielfältig und beweglich: nicht zwangsläufig an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden, temporär unterschiedlich genutzt, prozesshaft und situational: „Wir müssen [...] die öffentliche Sphäre als fragmentiert denken, als etwas, das aus einer Vielzahl von Räumen und/oder Formationen besteht, die sich bald miteinander verbinden, bald voneinander abschotten, und die in konflikthaften und widersprüchlichen Beziehungen zueinander stehen“, folgert auch Simon Sheikh (vgl. Sheikh 2005: 82).

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ÖFFENTLICHER RAUM ALS RELATIONALES KONZEPT

24 Der Spatial

Öffentlicher Raum ist aus dieser Perspektive nicht mehr an ein örtliches Verständnis geknüpft, an eine entsprechende Containerlogik also, denn Raum entsteht jenseits eines rein baulichen Verständnisses relational, über die Beziehungen von Menschen. Zu nennen sind hierzu natürlich vor allem die Arbeiten von Henri Lefèbvre. Erst seine Verknüpfung der Raumproduktion mit sozialer Praxis ermöglichte ein entsprechend relationales Konzept des öffentlichen Raums (vgl. u. a. Lefèbvre 1995). Im Gegensatz zu einem Konzept, in dem sich Raum eindeutig zuordnen ließ (wie z.B. in der Polis der griechischen Antike), hat sich der Begriff ‚öffentlicher Raum‘ im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte auch durch dieses Verständnis relationaler Räume stark verändert.24 Bereits 1973 wendet sich Pierre Bordieu in seinem Beitrag „Die öffentliche Meinung gibt es nicht“ skeptisch gegen entsprechend normative Theorien der politischen Philosophie (vgl. Raunig/Wuggenig 2005: 11). Die Arbeiten von Oskar Negt und Alexander Kluge in den 1970er Jahren rücken mit ihrem Entwurf der Gegenöffentlichkeiten den Einfluss der individuellen Erfahrungen in den Blick. Diese beeinflussen alle Interaktionen, die Subjekte mit Öffentlichkeiten unterhalten, und sind somit Voraussetzung für Zugang und Nutzung des öffentlichen Raums. (Negt/Kluge 1972). Sie entwerfen so eine spezifische, aber plurale (proletarische) Öffentlichkeit im Gegensatz zu einer normativ bürgerlich gedachten bei Habermas (vgl. Sheikh 2005: 82). Von der einen Öffentlichkeit kann seit Michael Warner und seiner Analyse der multiplen Öffentlichkeiten (Warner 2005) ohnehin nicht mehr gesprochen werden, da Öffentlichkeit hiernach eine veränderbare und vor allem auch variable Größe ist. Michel Warner sieht allerdings auch in diesen Gegenöffentlichkeiten wiederum hegemoniale normative Strukturen: Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bilden dabei ein komplexes Spannungsgeflecht, welches das Verständnis von Rolle und Nutzen des öffentlichen Raums immer wieder beeinflusst und verändert. Entsprechend intensiv ist der Diskurs über die Bedeutung der öffentlichen Räume für ihre jeweiligen Nutzergruppen. Öffentlichkeit ist damit eigentlich immer nur im Plural sowie in Begriffen der Relationalität zu denken (vgl. Sheikh 2005: 83). Damit werden sozialgeografische Konzepte zum Verständnis öffentlicher Räume wesentlich. Edward Soja entwickelt, aufbauend auf den Ausführungen von Henri Lefebvre, einen Dreiklang aus Räumlichkeit, Historizität und Sozialität und eine Trialektik des Raums aus Wahrnehmung physischer Gegebenheiten, mentaler Repräsentationen des Raums und der gelebten Räumlichkeit (Soja 1996: 8ff; 70ff.). „Diese Kategorien beschreiben gerade in ihrer integrativen Zusammenschau umfassend und zugleich überaus alltagsnah, worum es bei dem Thema öffentliche Räume geht: Raum, Zeit, Gesellschaft“ (Klamt 2012: 785). Raum entsteht hiernach im Zusammenwirken von Wahrnehmung, Vorstellung und alltäglichem Vollzug menschlichen Verhaltens.

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Turn in den 1980er Jahren trug durch die explizite Hinwendung zu Raum und Räumlichkeit und einer Überwindung des Historismus zu diesem Verständnis bei.

25 Den Begriff der Teilöffentlichkeiten bringt Nancy Fraser 1996 in ihrem Aufsatz „Rethinking the Public Sphere“ in den Diskurs ein. Sie beschreibt damit parallele diskursive Orte, die konträr zur herrschenden Öffentlichkeit stehen können. Fraser unterscheidet in schwache und starke Teilöffentlichkeiten, bedingt durch die jeweiligen Zugriffsmöglichkeiten (Bildung, Technik etc.) auf die herrschende öffentliche Meinung, die wiederum durch die Massenmedien geprägt ist.

Öffentlicher Raum wird damit zum Verhandlungsraum, der sowohl materiell als auch diskursiv umkämpft ist. „Er wird von heterogenen Gruppen oder auch Teilöffentlichkeiten hergestellt, benutzt und verhandelt. Das kontinuierliche Aufeinandertreffen und Aushandeln von unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen, von – auch widersprüchlichen – Bedeutungszuschreibungen, ist das, was öffentliche Räume ausmacht“ (Wildner 2004: 84).25 Welches Verhalten im öffentlichen Raum (rechtlich und sozial) als akzeptierbar gilt, ist dabei wiederum gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen und somit ebenfalls ein dynamischer, sich verändernder Prozess. Damit wird öffentlicher Raum erst durch das Verhalten der Menschen, die ihn figurativ bilden, räumlich konkret. Ohne Öffentlichkeit kein öffentlicher Raum. Wer diese Öffentlichkeit wie herstellt, ist dabei Verhandlungssache.

ÖFFENTLICHER RAUM ALS VERHANDLUNGSRAUM Dass der öffentliche Raum ein Verhandlungsraum ist, artikuliert sich – außer im Rahmen politischer Demonstrationen bzw. deren Verbot – im Alltag selten offensiv und für alle sichtbar. Neben politisch motivierten Versammlungen gibt es hierzu eine große Ausnahme: das Aufstellen moderner Kunst im Außenraum. Dazu Walter Grasskamp: „Nichts skandalisiert den öffentlichen Raum so sehr wie ein Kunstwerk; keine politische Demonstration, kein unansehnliches Hochhaus, keine anwachsende Straßenkriminalität, keine allgegenwärtige Hundescheiße noch irgendein Stau des Feierabendverkehrs vermag es, Bürger so sehr zu empören und untereinander zu solidarisieren, wie es eine Plastik von Henry Moore in einer deutschen Kleinstadt der Nachkriegszeit konnte oder ein monumentales Stahlkartenhaus von Richard Serra auf dem Bahnhofsvorplatz einer Industriestadt wie Bochum“ (Grasskamp 1997: 16f). Das damals heftig umstrittene Terminal, das Bochum bis heute in zwei widerstreitende ästhetische Lager spaltet, wurde am 20. Mai 1979 aufgestellt, und an den nicht enden wollenden Diskussionen dazu lässt sich erkennen, dass es für den öffentlichen Raum als „Benutzeroberfläche“ durchaus ein starkes Bewusstsein gibt. Dies belegt auch das von Christoph Büchel im Jahr 2006 eröffnete Bürgerbegehren Salzburg bleibt frei, das ein fünfjähriges Freihalten des öffentlichen Raums vor Gegenwartskunst avisierte. Kunst im öffentlichen Raum ist immer gekoppelt an verschiedene Interessen und Erwartungen: „Zur Diskussion stehen dabei nicht nur das Kunstprojekt per se (ob Skulptur, Installation oder Performance) und der materielle Zugang zum öffentlichen Raum, sondern zugleich elementare Fragen der symbolischen Repräsentation und der Zugehörigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zur öffentlichen Sphäre“ (Hildebrandt 2012: 721). Kunst besitzt damit die Möglichkeit, den öffentlichen Raum überhaupt erst wieder als jenen Verhandlungsraum ins Bewusstsein der Nutzer*innen zurückzuholen, denn die meisten Menschen benutzen ihn fraglos, ohne die rapiden wie umfassenden Veränderungen wahrzunehmen noch zu hinterfragen. Im Folgenden wird

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Abbildung 4:

Das Terminal von Richard Serra in Bochum. Foto: Oliver Larweczka.

Abbildung 4

dieses Zusammenspiel von Kunst und öffentlichem Raum mit den entsprechenden Konsequenzen für eine zeitgenössische urbane Kunst erläutert. Denn die hier untersuchten Arbeiten eröffnen sowohl Kommunikationsräume als auch neue Arbeitsfelder.

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26 Für den

europäischen Raum bedeutete diese Auffassung von Kunst als gezielter und v. a. gesellschaftlich wirksam sein wollender Intervention etwas Neues. Anders in Nordamerika, wo sogenannte ›Protestkunst‹ bereits seit den 1960er Jahren etabliert und künstlerischer Aktivismus auch ästhetisch als Kunst legitimiert war.

27 Dieser Para-

digmenwechsel wurde vor allem im deutschsprachigen Raum als radikal empfunden und entsprechend hochgespielt (Rolling/Sturm 2002: 8).

28 „Die Stadt muss als Ort begriffen werden, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht. Kultur in der Stadt bedeutet daher, die Kommunikation zu fördern und der Vereinzelung entgegenzuwirken, Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen, die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung und oberflächliche Ablenkung zu überwinden.“ (Vorbericht des Arbeitskreises

URBANE KUNST „Rule no. 4: Donʼt make it for a community. Create a community“ (The New Rules of Public Art – Doherty 2013: 6). Potential und Gefährdung öffentlicher Räume mit bzw. durch (öffentliche) Kunst zu thematisieren, war nicht immer selbstverständlich. In den 1970er Jahren wandten sich Künstler*innen mit einem neuen inhaltlichen Anspruch gegen die skultpturale Kunst am Bau der funktionalen Moderne, die in den 1950er und 1960er Jahren noch die Kunst im öffentlichen Raum dominierte. Vor allem in Nordamerika und Europa begannen Künstler*innen sich in den späten 70er Jahren zunehmend mit der Platzierung ihrer Arbeiten im Außenraum zu beschäftigen, und es entstand Site Specific Art bzw. Ortspezifische Kunst, welche das Umfeld des Kunstwerkes als genuinen Bestandteil des Werkes sah.26 Statt eines reinen ‚Abwurfs’ von Objekten, so genannter ‚Dropping Sculptures‘, also dem Aufstellen an beliebigen und austauschbaren Orten (einem Vorgehen, das salopp auch unter dem Stichwort der Stadtmöblierung oder Display Art diffamiert wurde), interessierten sich Künstler*innen mehr und mehr für die Form und den konkreten (gesellschaftlichen, politischen und sozialen) Ort des Projektes und betonten damit den prozessorientierten Charakter ihrer oftmals zeitlich begrenzten Arbeiten. Damit einher ging ein bewusster Auszug aus etablierten Kunsträumen wie Museen, Galerien und Theatern. Kunst also jenseits des elitären White Cubes und damit mit dem Anspruch verbunden, auch für jedermann zugänglich zu sein.27 Diesen Gedanken prägte auch die „Kultur für alle“-Bewegung der 1970er Jahre. Dieses von Hilmar Hoffmann geprägte Schlagwort (Hoffmann 1997) beschreibt ein Novum der deutschen Kulturpolitik: den Versuch einer Demokratisierung von Kultur. Dazu zählte auch ein Programm zur Rückeroberung und Humanisierung von „unwirtlich“ (Mitscherlich) gewordenen Städten: „Unter Berücksichtigung des spezifischen Aspekts des Alltags und der kommunalen Soziokultur soll Kunst im öffentlichen Raum jenseits einer exklusiven HochkulturKlientel gesamtgesellschaftliche Bedeutung erlangen. Unter dem Motto „Kunst für alle“ werden dem Kulturbereich diesbezüglich pädagogische und politische Aufgaben übertragen [...].“ (Lewitzky 2005: 83) Entsprechend wurde Kunst im öffentlichen Raum in den 1970er Jahren auch kulturpolitisch stark gefördert.28

KUNST ALS ÖFFENTLICHKEIT Der Wunsch, die Trennung zwischen Kunst und Leben endgültig aufzuheben und damit auch die Stadt bzw. den öffentlichen Raum als Aktionsfeld zu nutzen, war keineswegs neu, er konkretisierte sich spätestens in den künstlerischen Avantgarden der 1960er Jahre. So machten Fluxus, aber auch einzelne Künstler*innen wie Alain Kaprow, Yoko Ono und natürlich Joseph Beuys mit Happenings und Environments sowie die Situationistische Internationale (u.a.) mit ihren psychogeographischen

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Spaziergängen die Stadt zu ihrem Handlungsort (vgl. Schilling 1978; Dreher 2001; Brown/Anton 2011; Hildebrandt 2012). Sie knüpften mit ihrer Praxis an theoretische Vorarbeiten vor allem von Henri Lefèbvre an, der stets die bedeutende Rolle von Kunst für eine bewohnerorientierte Stadtpolitik betonte und der die Zukunft der Kunst nicht im Künstlerischen, sondern im Urbanen sah: „[T]he future of art is not artistic, but urban“ (Lefèbvre 1996: 173), eine Lesart, die beispielsweise auch Peter Osborne in seiner philosophischen Betrachtung urbaner Kunst teilt: „[c]ontemporary visual art is an urban phenomenon“ (Osborne, 2013: 133). Entsprechende künstlerische Projekte sind weniger an die gebaute denn an die gelebte Umwelt gebunden und intervenieren in urbane Räume. Sie agieren an den Übergängen zu alltäglicher sozialer Praxis, gebauter Umwelt, politischer Steuerung und ökonomischer Marktlogik. Sie zielen nicht mehr auf materialisierte Werke, sondern auf performative Dynamiken (vgl. Kwon 2002; Lewitzky 2005; Berger/Weber 2016).29 Städtischer Raum wird zu mehr als einem beliebigen, austauschbaren Ort für künstlerische Handlungen. Er wird vom Objekt zum Subjekt der Handlung. Nicht die Repräsentation des urbanen Lebens, sondern das Experimentieren mit urbanem Leben wird so zum Gegenstand der Projekte (vgl. Liinamaa 2014). Durch künstlerische Praxis wird damit nicht nur der Raum, sondern auch die ihn produzierende Öffentlichkeit genuin erzeugt. Dieser Punkt ist für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit elementar. Die Verschiebung des Fokus auf bzw. die Subjektivierung des urbanen Raums ist ein Hauptkriterium der hier untersuchten Beispiele. Exemplarisch lässt sich dies an der Arbeit „Wessen Stadt ist die Stadt? – Ein Aufstand“ (Oktober 2011/Mühlheim) der Künstlergruppe Ligna zeigen: „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine Bühne nennen. Ein Mensch geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht. Das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist“ heißt es in der Textcollage, die die Teilnehmer*innen über Audioplayer hören, während sie Anweisungen folgen und sich so durch Gebäude (ein leerstehendes Kaufhaus), Straßen und Plätze bewegen. Die gegenwärtige städtische Realität (leere Geschäfte, ausgestorbene Straßen) überlagert sich mit den erzählerischen Fragmenten historischer Streiks und Aufstände im Ruhrgebiet, als Reaktion auf die damaligen Verhältnisse, die den heutigen Umständen in Mühlheim nicht unähnlich waren. Aus Teilnehmer*innen – die zunächst nicht als Gruppe erkennbar waren – wird spätestens durch die Anweisung: „Den Menschen in Mühlheim reicht es. Sie gehen auf die Straße. Aus einem allein werden mit einem Male viele“, ein Kollektiv. Im weiteren Verlauf der Performance re-enacten die Teilnehmer*innen Demonstrationen durch symbolische Gesten. Der Körper wird durch die Bewegungsanweisungen in Beziehung zu sowohl dem Gehörten als auch der realen Umgebung gesetzt. Konkreter städtebaulicher Raum überlagert sich mit sozialem (vgl.: Bourdieu 1985; 1987) und imaginärem Raum (vgl.: Lacan 1978; 1991). So entstehen körperliche Raum(an)ordnungen (vgl.: Sasse/Wenner 2002), Bewegungs- und Bildräume (vgl.: Baxmann 2002; 2005) und Darstellungsräume

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Bildung und Kultur 1973. Zitiert nach: Büttner 1996: 137).

29 Einen sehr guten Überblick über das Themenfeld urbane Kunst gibt Paula Marie Hildebrandt (2012).

Abbildungen 5-8: 54. Stadt-

Ringlokschuppen Ruhr. Fotos: Björn Stork.

als imaginäre Räume (vgl.: Tiedemann/Raddatz 2007). Dieses Prinzip ist Grundlage für die Arbeit der Performance Gruppe, die in ihren Radioballett-Projekten, einem „kollektiven Handeln in Bewegung“ (Van Eikels 2007: 101), immer wieder die Privatisierung des öffentlichen Raums thematisiert.

Abbildung 5

Abbildung 6

Abbildung 7

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Abbildung 8

Die sich im Zuge des Spatial Turn verändernde Auffassung von Konstruktion und (De)Konstruktion von Räumen beeinflusst auch das Verhältnis von Öffentlichkeit und Intimität, ein Verhältnis, das für jede Form der künstlerischen Beschäftigung elementar ist. In diesem Kontext ist der Zusammenhang von sozialen, symbolischen und imaginären Räumen grundlegend. Diese Relation wird immer medial hergestellt. Zu fragen ist, inwieweit die Akteure im Prozess der Erfindung und Inszenierung neuer sozialer Räume, symbolischer Wirklichkeitsbezüge und kultureller Identitäten auf institutionelle und theaterästhetisch-mediale Praktiken zurückgreifen, die selbst der De- und Rekonfigurierung unterliegen. Die Relation von sozialen, symbolischen und imaginären Räumen ist ein medialer Verhandlungsprozess. Was durch diese und ähnliche künstlerische Praxis entsteht, lässt sich als einen Erfahrungsraum beschreiben. Das Herstellen solcher Erfahrungsräume, als ein wesentlicher Teil urbaner Kunst, wird einem Verständnis von urbanem Raum als bloßer Bühne oder Leinwand für Street Art (zumeist Graffitis), wie es in einer klassischen Definition urbanen Kunst entspräche, nicht länger gerecht. In seinem Beitrag zur Urban Art Biennale 2015 schreibt Frank Krämer: „Sie sprayen Graffitis an Fassaden, benutzen Schablonen auf Mauern und bekleben Wandflächen großflächig mit Papiercollagen. Ihre Kunst ist rebellisch, verstörend, gefällig und populär. Seit etwa der letzten Jahrtausendwende formiert sich weltweit eine neue Kunstrichtung, die sich in das kollektive Gefüge der Stadt einmischt und zugleich den Kunstmarkt immer stärker in ihren Bann zieht. [...] Sie sind die jungen Kreativen, die sich die Stadt als Leinwand nehmen“ (Krämer 2015: 23). Eine solche Reduktion von urbaner Kunst auf bildliche Darstellung widerspricht der Entwicklung vieler Street Artists, die wie in allen künstlerischen Genres auch in den letzten Jahrzehnten zunehmend performativ arbeiten. Das zeigt zum Beispiel auch die Veränderung der Arbeitsweise des Hamburger Street Art Künstlerduos We are visual!, das z. B. in Oberhausen im Rahmen des

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30 Der englische Begriff Urban Art ist als Begrifflichkeit und Genre inzwischen fest etabliert. Im Gegensatz dazu ist die „urbane Kunst“ im Deutschen weniger ein stehender Begriff denn eine reine Beschreibung. Für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist eine Erweiterung des Terminus Urban Art darum von größerer Bedeutung, da die Festschreibung von Urban Art als rein bildlicher Street Art (Graffiti) den Entwicklungen der letzten Jahre nicht mehr gerecht wird und einer Revision bedarf.

Projektes Actopolis. Die Kunst zu handeln“ (ein Kooperationsprojekt des GoetheInstituts und Urbane Künste Ruhr) ein mobiles Problemlösungssetting für zukünftige Städte offerierte. Mit Blick auf diese Arbeiten (als Beispiele für unzählige andere) bedarf es dringend einer Erweiterung der Definition urbaner Kunst, da diese Begrifflichkeit am treffendsten beschreibt, worum es geht: um eine Kunst des Urbanen, die sich vor allem in performativen künstlerischen Arbeiten zeigt, in denen der Raum von der Bühne zum Subjekt der Handlung wird. Die Erweiterung des Begriffs Urban Art ist darum ein Ziel dieser Arbeit.30 Die Besetzung urbaner Räume mit und durch Kunst ist dabei von Henri Lefèbvres Modell einer „Production of Space“ zu unterscheiden, bei der die Produktion des Raums direkt auf das Eingreifen in soziale Prozesse zielt (vgl. Hartmann/Lemke/Nitsche 2012: 13). Dass sich die Bedeutungszuschreibung des Etiketts urbaner Kunst verändern muss, entspricht ganz grundlegend auch dem Motiv dieser Kunst, denn das Zusammenspiel von Kunst und öffentlichem Raum ist, wie gezeigt wurde, eben kein statisches, sondern es ist an gesellschaftliche Prozesse gebunden und somit veränderbar. Um diese Veränderungen differenziert darstellen zu können, hat die koreanisch-amerikanischen Kunsthistorikerin und Kuratorin Miwon Kwon eine instruktive Trennung in erstens ›Kunst im öffentlichen Raum‹, zweitens ›Kunst als öffentlicher Raum‹ und drittens ›Kunst im öffentlichen Interesse‹ vorgeschlagen (vgl.: Kwon 1997). Hierbei handelt es sich nicht (ausschließlich) um einen historisch linearen Fortschritt, da alle drei Typen öffentlicher Kunst nach wie vor existent sind. Zu der ersten Kategorie zählt Kwon Kunstformen, die verschönern, bereichern, aufwerten oder bebildern. Ein solches Verständnis erscheint allerdings nicht mehr wirklich zeitgemäß und wurde daher um weitere Ausdrucksformen (auch um performative Praktiken) erweitert. Kwon bezog sich aber ursprünglich auf das skulpturale Verständnis der 1950er Jahre und entsprechender Kunst-am-Bau-Projekte. Arbeiten der zweiten Kategorie, Kunst als öffentlicher Raum, beziehen sich nicht mehr auf ein Objekt, sondern vor allem auf den Ort, an dem sie stattfinden. Entsprechende ortsspezifische Arbeiten entwickelten sich ausgehend von Impulsen der 1970er Jahre: durch Minimal-, Land- und Concept-Art. Diese Projekte involvierten Künstler*innen in ganz neuer Weise in Stadtentwicklung, nach 1980 allerdings auch mit der zunehmenden Tendenz, zum reinen Imagefaktor für Städte und Kommunen zu werden: „Die Idee einer Ästhetisierung der Gesellschaft beschränkt sich zunehmend auf die künstlerisch-dekorative Gestaltung innerstädtischer Räume des Konsums und einer Ästhetisierung der Warenwelt zugunsten des Profits, bei der der Aspekt der Ortspezifität zur Produktion von singulären Orten im Interesse des Stadtmarketings funktionalisiert wird“ (Lewitzky 2007: 84). Die unter den Stichworten „Eventisierung“ oder „Festivalisierung“ bekannt gewordene Vermarktung von Kunst und Kultur als reiner Publicity-Faktor unter Standortgesichtspunkten geriet so in den 1980er und 1990er Jahren zunehmend in den Fokus der Kritik.

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Kunst und Kulturschaffende fühlten sich zu Beitragenden des Corporate Design für städtisches Marketing degradiert, was wiederum zu intensiven Instrumentalisierungsdebatten führte. Gegen Ende der 1980er Jahre entwickelte sich vor diesem Hintergrund eine politisch und sozial engagierte Kunst, die interdisziplinär ausgerichtet an Schnittstellen agierte und den kritischen Diskurs inkorporierte und genuin erzeugte. Dies geschah zunehmend in hybriden, aktivistisch-interventionistischen Formen, bei denen sich die Künstler*innen explizit auf sozialpolitische Kontexte bezogen. Die Grenze zur dritten Kategorie scheint fließend, denn Kunst im öffentlichen Interesse, im Englischen auch bezeichnet als bereits erwähnte New Genre Public Art, ist immer auch Site Specific Art. Die Ortspezifik dieser Arbeiten ist aber anders als bei Kwons zweite Kategorie nicht mehr nur auf die räumliche Umgebung, sondern ebenso auf die sozialen Kontexte der Orte bezogen. Die theoretische Auseinandersetzung mit diesen Schnittstellenprojekten wurde intensiv geführt und fand in Nina Felshins Sammelband But is it Art? 1996 einen ersten Höhepunkt. Die Aufsätze reflektieren überwiegend die Arbeit amerikanischer und kanadischer Gruppen wie Guerrilla Girls, Gran Fury und Group Material und stellen die ästhetischen und sozialen Agenden hinter den meist aktivistischen Praktiken vor. Zusammenfassend stellt Felshin diese künstlerische Praxis als eine hybride dar und beschreibt damit eine Verschiebung objektzentrierter Kunst zugunsten ephemerer Praktiken und Prozesse: Von Skulpturen zu Interventionen. Der inzwischen inflationär benutzte und dadurch häufig sehr unklare Begriff der urbanen Intervention hat sich in den letzten Jahren zunehmend zu einem etablierten Oberbegriff für zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum entwickelt. Ursprünglich ein militärischer Begriff, der sich auf das Vermitteln und (kriegerische) Eingreifen in Krisensituationen bezog, wird er seit dem Beginn der 2000er Jahre zunehmend im kulturellen und künstlerischen Bereich verwendet. Die Produktivität des Begriffs für die zugrundeliegende Forschungsfrage ist jedoch gerade auf Grund der enormen Diversität der hierunter summierten Arbeiten fraglich. Die Auflösung der Objektzentrierung in den Künsten ging einher mit einer weiteren Verschiebung „[...] vom Primat der Produktion als Quelle von Bedeutung hin zur Rezeption als Ort der Interpretation [...]“ (Hildebrandt 2012: 729). Der Fokus rückt so auch vom Künstler als alleinigem Produzenten hin zu einem Kunstverständnis, in dem aus Zuschauern Akteure und Produzenten werden. Die daraus resultierende Frage stellt Paula Marie Hildebrandt in ihrem Aufsatz zu urbaner Kunst: Für wen ist urbane Kunst? Sie unterscheidet dabei in drei unterschiedliche Forschungsrichtungen oder Lesarten: 1. eine kritische, 2. eine affirmative und 3. eine paradoxe. Während die erste Lesart Kunst maßgeblich im Hinblick auf Instrumentalisierungsproblematiken hin diskutiert, betont die zweite Lesart das Potential künstlerischer Arbeit im Stadtentwicklungskontext. Paula Marie Hildebrandt schlägt als Ergänzung

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dieser oppositionellen Blicke eine dritte, die paradoxe Lesart vor: „Diese noch relativ junge Forschungsrichtung (Miessen/Basar 2004; Pinder 2006; Beyes 2010; Michels 2010) thematisiert Kunst vorwiegend als eine kontinuierliche Verhandlung und Gratwanderung zwischen sozialem Kontext und künstlerischer Freiheit, um eine aktive Teilnahme und Teilhabe (Partizipation) am Leben in der Stadt zu ermöglichen“ (Hildebrandt 2012: 730). Dieses Paradox, eine Kunst an Schnittstellen als eine Kunst der Schnittstellen zu sehen und damit weniger als Schwäche denn als ein Qualitätskriterium zu lesen, entspricht der Perspektive dieser Forschung, die sich damit der dritten Kategorie nach Hildebrandt zuordnen ließe. Dennoch ist meines Erachtens nicht zu vernachlässigen, dass bei der Betrachtung der Rolle der Künste im urbanen Raum die Spezifika dieses Raums mit allen lokalen und regionalen Problemen entscheidend für die Bewertung (Lesarten) von allen Initiativen sind, die den städtischen Raum thematisieren. Diese Thematisierungen reichen von einer Fokussierung auf die Gefahr der Instrumentalisierung auf der einen bis zur Betonung des Potentials einer Aktivierung der Gesellschaft auf der anderen Seite. An dieser Stelle scheint es wichtig, die gängige Diskussion zu ›künstlerischen Projekten im Stadtraum‹ summierend, einen Blick auf diesen urbanen Raum zu werfen, welcher bei vielen der geführten Debatten auf zahlreichen Festivals und Kongressen oft als homogenes Konstrukt vereinheitlicht wird, was meist nicht ganz unproblematisch ist, da auf diese Weise häufig Unvergleichbares gleichgesetzt wird. So existieren in Kleinstädten ganz andere Parameter für den Nutzen und die Bewertung von urbaner Kunst als in Metropolregionen, wie die folgenden Beispiele illustrieren.

INTERNATIONALE BAUAUSSTELLUNG (IBA), HAMBURG 2007-2013 In Metropolen überwiegen in Bezug auf die Thematik ‚Künste im urbanen Raum’ vor allem kritische Diskussionen zu Themen wie der Gefahr der Instrumentalisierung der Kunst, wie beispielswiese in Hamburg im Rahmen der internationalen Bauausstellung (IBA) 2007-2013 unter dem Motto Entwürfe für die Zukunft der Metropole geschehen. Im Gegensatz zu anderen Konzepten setzte die Ausstellung unter Leitung von Geschäftsführer Ulli Hellweg ganz bewusst auf Kunst und Kultur als prägende Entwicklungsfaktoren für eine ganzheitliche Stadtentwicklung beim „Sprung über die Elbe“ in den Gebieten Wilhelmsburg, Veddel und Harburger Binnenhafen. Eine Entscheidung, die spätestens seit dem Erscheinen von Richard Floridas Creative Class (Florida 2004) nur konsequent zu sein schien, da der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und kreativem Milieu damit endgültig Einzug in das Basiswissen aller Stadtentwickler hielt. Dass ein solch gezieltes Anstoßen von Gentrifizierungsprozessen in einer Metropolregion wie Hamburg, in der steigende Mieten ohnehin ein Problem darstellen, auch kritisch gesehen wurde, war eine an-

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dere zu erwartende Konsequenz. Die Hoffnung auf eine positive Entwicklung war dennoch groß: „Die IBA Hamburg setzt auf die Kraft und Stärke von Kunst und Kultur — für die Gestaltung von urbanen Räumen, die Schaffung von Teilhabe, Bildung und Ausbildung sowie die Stärkung von Toleranz und Offenheit im gesellschaftlichen Miteinander. In Hinblick auf den noch immer vorurteilsbeladenen Standort der Hamburger Elbinseln verfolgt die IBA Hamburg deshalb eine ortsspezifische Kunst- und Kulturförderung: Unter dem Stichwort „Perspektiven statt Probleme“ soll mit einzelnen, prozesshaft angelegten Handlungsfeldern, die sowohl katalysatorische als auch soziale Funktionen von Kunst aufgreifen, eine schrittweise kreative Quartiersentwicklung eingeleitet werden“ (IBA Hamburg GmbH 2008: 2). Unterschätzt wurde jedoch bei aller Euphorie anscheinend der völlig unterschiedliche Umgang mit und das divergente Verständnis von Projektarbeit: Während Stadtplaner zielorientiert arbeiten, ist für künstlerisches Wirken hier gerade Ergebnisoffenheit die zentrale Voraussetzung ihrer Arbeit. Viele eingeladene Künstler*innen empfanden den definierten Handlungsrahmen daher für ihre künstlerischen Ansprüche als unmöglich: „Hier wird die Autonomiebehauptung, die sich den Freiraum nimmt, konterkariert durch eine Einladung in einen höchst determinierten Zusammenhang, bei dem das Ziel schon bekannt ist. Man traut sich nicht mehr, ergebnisoffene Freiheiten zuzulassen. Dies erzeugte das Unwohlsein vieler Teilnehmer: Agieren wir jetzt in einer freigestellten Leerfläche, in der man machen kann, was man will, oder ist das hier Dienstleistung?“ (IBA Hamburg GmbH 2008: 13). Die teilweise sehr heterogenen Vorstellungen, Ansprüche und daraus resultierenden Enttäuschungen an der Schnittstelle von Kunst und Städtischer Planung treten bereits in der Gegenüberstellung dieser beiden Zitate deutlich hervor und werden im Kapitel Kunst und Stadtplanung ausführlich diskutiert. Eine Formulierung wie die des ‚Potentials’ der Kunst erscheint insofern verdächtig, da künstlerische Produktion so automatisch an bestimmte Erfüllungszwänge eines ausschließlich auf (Dienst-)Leistung ausgerichteten Denkens gekoppelt wird.

AKTIVIERUNG VON STADTGESELLSCHAFT: RINGLOKSCHUPPEN RUHR (2011/2012) Diese Sichtweise (entsprechend der vorgestellten zweiten, kritischen Lesart nach Hildebrandt) lässt sich allerdings in anderen urbanen Räumen auch umkehren: für von Schrumpfung bedrohte urbane Regionen ist diese Potentialität erst einmal positiv besetzt. Hier geht es meist primär um die Möglichkeit der Aktivierung von Stadtgesellschaft insgesamt durch Kunst, ohne den politischen Impetus der Diskussion möglicher, hierdurch erst stigmatisierter ›Randgruppen‹. Als ein Beispiel sei hier auf die Gefahr der falsch verstandenen ›Fürsorge‹ verwiesen. Mit der Haltung der generösen Option auf Partizipation, einer Heilsbringung, die von außen kommt, um etwas zum Positiven zu verändern, was vielleicht von den Menschen nicht als

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31 http://ring-

lokschuppen. ruhr/das-haus/ ringlokschuppenruhr/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

32 http://ring-

lokschuppen. ruhr/produktionen/2011/ festivals-2011/ schlimmcity-einstadtspiel-inrealversion/intro/ ein-stadtspiel-inrealversion-wasist-schlimmcity/? L=%2Fetc%2Fpas swd%00 (Letzter Zugriff 22.02.17).

33 http://ring-

lokschuppen. ruhr/produktionen/2011/ festivals-2011/ schlimmcity-einstadtspiel-inrealversion/intro/ ein-stadtspiel-inrealversion-wasist-schlimmcity/? L=%2Fetc%2Fpas swd%00 (Letzter Zugriff 22.02.17).

34 http://www. derwesten. de/staedte/ muelheim/ schlimmcitymuelheim-visionund-wirklichkeitid5021705.html (Letzter Zugriff 22.02.17).

negativ empfunden wird, werden erst entsprechende ›Randgruppen‹ konstruiert, die immer als ›die anderen‹ (nämlich als diejenigen, die teilhaben sollen) stigmatisiert bleiben müssen. Alltägliche Prozesse wie die kritisch zu betrachtende Indienstnahme künstlerischer Projekte im Rahmen von Aufwertungsprozessen, die in Großstädten weltweit zum Problem geworden sind, verkehren sich jenseits des Metropolenhypes schnell in eine Hoffnung, nämlich darauf, überhaupt noch irgendetwas mit und durch Kunst bewegen zu können. „Please gentrify me“ ist hierzu ein treffender Kommentar von Holger Bergmann bei dem Kongress Can҆t you crawl to another town (in Kooperation mit Urbane Künste Ruhr) im Ringlokschuppen in Mühlheim 2012 zu darstellenden Künsten im urbanen Raum. Vertreter*innen aus Theorie und Praxis gingen hier der Frage nach, wie Darstellende Künste neue Perspektiven in den Stadtraum einbringen können. Der Ringlokschuppen Ruhr, ein Koproduktionshaus für zeitgenössisches Theater, Performance und Tanz, versteht sich als Plattform, um „gemeinschaftlich an einem ‚Theater der Zukunft‘ zu arbeiten.“ 31 Mühlheim, eine Stadt im Ruhrgebiet, die nach dem Wegfall des Bergbaus mit den hierfür signifikanten Problemen kämpft, ist seit etlichen Jahren verstärkt mit dem Aussterben der Innenstadt und dem Rückzug des Einzelhandels in Shoppingreservate konfrontiert. Im Ergebnis kehren sich Peripherie und Mitte um, das Zentrum der Stadt, die öffentlichen Räume sind ohne Öffentlichkeit, die Atmosphäre einer Geisterstadt ist die Konsequenz. Der Ringlokschuppen als Kulturort nimmt sich dieser Problematik immer wieder und in unterschiedlichen Formaten an. So wurde die Frage nach Teilhabe an der Gestaltung von Stadtgesellschaft nicht nur auf dem erwähnten Symposium im klassischen Vortrags- und Diskussionsformat verhandelt. Dem Kongress war 2011 ein „Stadtspiel in Realversion“ mit dem provokanten Titel SchlimmCity vorausgegangen: „Die Stadt als öffentlicher Raum steht vom 14. September bis zum 09. Oktober im Fokus von zahlreichen künstlerischen Arbeiten, offenen Diskussionen und spielerischen Formaten. Eingeladen sind alle, die den Investorenzonen, den uniformierten Geschäftswelten und dem Verlust an öffentlichem Raum eine offene, lebendige Stadt entgegenhalten wollen“ 32 heißt es in der Beschreibung des Vorhabens, bei dem die Innenstadt zur Plattform für lokale und eingeladene Künstler*innen, Autor*innen, Schauspieler*innen, Raumphilosoph*innen und alle an einer Auseinandersetzung mit Mühlheim Interessierte werden sollte. Dabei sollten Fragen nach Sinn und Zweck eines städtischen Zentrums diskutiert werden: „Was brauchen wir überhaupt und wie sollte oder könnte das Stadtleben aussehen? Alles eine Frage des Geldes oder der Politik? Das Geld ist verschwunden und die Politik ist unsichtbar geworden. Nun löst sich auch die Stadt auf. Wo geht denn das alles hin?“ 33 Bereits im Vorfeld regte sich der zu erwartende und beabsichtigte Protest. Der Titel SchlimmCity, zum einen der offensichtliche Bezug auf den Niedergang der Innenstadt („schlimm schlimm ist das“ 34), zum anderen eine Anspielung auf das berühmte

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Computer-Strategiespiel Simcity, ging vielen zu weit. Der um seine Existenz kämpfende Einzelhandel auf Mühlheims Schlossstraße empfand das Riesentransparent zu SchlimmCity als geschäftsschädigend. Die Werbegemeinschaft der Innenstadt (WGI) sah all ihre Bemühungen des positiven Imageaufbaus zerstört, und auch in der lokalen Presse fand das Projekt wenig Anklang: „[...] jetzt kommt die Kultur, die die Krise der Innenstadt mit „Schlimm-City“ betitelt. Das ist zu viel“ heißt es dazu in der WAZ.35 Die Umbenennung der Schlossstraße in konsumberuhigte Zone und des Kaufhofs zur Leeranstalt wurde mehr als nur kritisch hinterfragt. „Ob diese Form von Galgenhumor der kaputten Innenstadt noch helfen kann?“ fragt sich besorgt der Zusammenschluss Mühlheimer Bürgerinitiativen auf seiner Website.36 Ein großes Banner in der Innenstadt mit dem Titel: 14. September bis 09. Oktober 2011 – SchlimmCity – Ein Stadtspiel in Realversion sollte nach massivem Protest zunächst wieder abgehängt werden. Am Ende einigte man sich, der Unmut aber blieb. Die Provokation sei beabsichtigt, es ginge ja gerade darum, ins Gespräch über die offensichtlichen Probleme zu kommen, versuchte Holger Bergmann, künstlerischer Leiter des Ringlokschuppens, zu beruhigen und beschrieb das Vorhaben als kreativen Forschungsdienst. Er wolle mit Kunst und Kultur Denkanstöße liefern, es gehe ihm nicht um Totschlag-Argumente, „nicht mal um Nadelstiche, sondern im besten Sinne geht es darum, mit künstlerischer Akupunktur alte Muster aufzubrechen, in denen sich die Innenstadt bewegt.“ 37 Dazu kuratierte er über 70 Veranstaltungen und konnte 4000 Besucher erreichen.

35 http://www. derwesten. de/staedte/ muelheim/ aerger-in-muelheim-schlimmcity-plakatmuss-wiederverschwindenid5033572.html (Letzter Zugriff 22.02.17). 36 http://

www.mbi-mh. de/2011/09/05/ schlimmesschlimmcityoder-nur-halbso-schlimm/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

37 http://www.

derwesten. de/staedte/ muelheim/ aerger-in-muelheim-schlimmcity-plakatmuss-wiederverschwindenid5033572.html (Letzter Zugriff 22.02.17).

Abbildungen 9-12:

Schlimmcity Ein Stadtspiel in Realversion. Ringlokschuppen Ruhr. Fotos: Björn Stork.

Abbildung 9

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Abbildung 10

Abbildung 11

Abbildung 12

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Abbildung 13: Schlimmcity

- Ein Stadtspiel in Realversion. Ringlokschuppen Ruhr. Foto: Stephan Glagla.

Abbildung 13

Künstlerische Praxis als Akupunktur, als minimal invasiver Eingriff, um Denkanstöße zu liefern dieses Bild urbaner Kunst war zumindest in Mühlheim beeindruckend erfolgreich, denn das Ergebnis war über den temporären Perspektivwechsel hinaus die Etablierung der Dezentrale, die nun als neuer innerstädtischer Ort für ganz unterschiedliche soziale und kulturelle Aktivitäten diverser Bevölkerungsgruppen von der Stadt weiterbetrieben wird. Dass sich in Bezug auf die hier untersuchten Arbeiten besser von urbaner denn von öffentlicher Kunst sprechen lässt, zeigt nicht nur die Diffusion des öffentlichen mit dem privatem Raum: Ein Kennzeichen für Urbanität ist die distanzierte Begegnung mit dem Fremden, eine Wahrnehmung von Differenz: „Urbanität beinhaltet, dass es im städtischen Raum zur Begegnung und Konfrontation von sozialen Gegensätzen, also zur Wahrnehmung (und damit auch zur Sozialisierung im Umgang mit) gesellschaftlicher Heterogenität kommt“ (Neméth 2009: 2463; Klamt 2012: 786). Die Begegnung mit Anderen eröffnet so einen neuen Raum: „Als Reflexionsund Gesprächsangebote eröffnen Kunstprojekte einen anderen Blick auf die Stadt und bringen Ideen, Anregungen, Kommentare oder Entwürfe zu alternativen Stadtnutzungen und möglichen Entwicklungen des urbanen Gemeinwesens in zentrale städtische Räume ein“ (Hildebrandt 2012: 722). Für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit kommt dieser Tatsache elementare Bedeutung zu. Wenn ein Hauptmerkmal urbanen Lebens in eben jener distanzierten Begegnung mit dem Fremden, kultureller Dichte und der Wahrnehmung von Differenz liegt (Simmel 1984), dann ermöglicht urbane Kunst ein In-Beziehung-Treten mit diesem Fremden. Dass künstlerische Praxen, die über Gesprächsangebote auf das Herstellen von Begegnungen zielen, in einer langen Tradition zu sehen sind, wird im Folgenden gezeigt.

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DER IMPERATIV DER PARTIZIPATION „The role of the artists today is no longer just about producing great works, or great representations, but about creating a concrete connection to social reality“ (Hourani/Miller 2010). So weit das Feld ‚urbaner Raum’ gefasst wird – die Frage nach der Rolle der Künste verbindet die Pole in einem entscheidenden Punkt: in der Frage nach der Rolle des Zuschauenden. Hierbei bekommt die Tatsache elementare Bedeutung, dass das Publikum nicht etwas ist, das per se existiert, sondern immer etwas ›Gemachtes‹, und dass es somit nicht nur veränderbar, sondern vor allem auch aktivierbar ist. Denn natürlich liegen hierin Potential wie Gefahr gleichermaßen. Nicht von ungefähr hat daher in den letzten Jahrzehnten das Spiel mit dem Publikum für Künstler*innen aller Bereiche an Bedeutung gewonnen. Das bewusste Forcieren von Begegnungen, die Ermöglichung von Teilhabe und Mitgestaltung von künstlerisch angestifteten Prozessen, all dies wird gern unter dem Schlagwort Partizipation zusammengefasst und gehört zum gängigen Standardrepertoire von Künstlerinnen und Künstlern wie zum Vokabular von Stadtplaner*innen gleichermaßen. Jede Beschäftigung mit der Thematik läuft schnell Gefahr, sich in den Untiefen einer seit Jahrzehnten geführten Diskussion zu verlieren. Dessen ungeachtet ist der Beteiligungsauftrag im Laufe der letzten 20 Jahre zum Imperativ in allen Sparten geworden. Partizipation ist im hier betrachteten Kontext wahrscheinlich das am häufigsten benutzte und bei vielen daher unbeliebteste Wort der letzten zwei Jahrzehnte. Quer durch alle Kunstformen und Praktiken und trotz aller Kritik nach wie vor ein ›In-Wort‹, an dem letztlich kein Förderantrag vorbeikommt. Entsprechende Projekte bewegen sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Kunstgattungen, unterlaufen tradierte Sehgewohnheiten, verlassen etablierte und gewohnte Rahmen und schaffen – so zumindest ein vielfach formulierter Anspruch – neue Räume sozialer und kultureller Interaktion. Allerorten sind aus den Zuschauenden Teilnehmende geworden, und Kunst findet längst fernab von institutionalisierten Räumen in Straßen, Parks, Cafés, Parkhäusern oder Einkaufspassagen statt (vgl. Deck/Sieburg 2008). Zuschauer*innen sind weniger Publikum als Partnerinnen und Partner bei Kunstperformances und Performancekunst – und das mit großem Erfolg: International lässt sich bei allen großen Festivals eine deutliche Zunahme von Arbeiten beobachten, welche die klassische Trennung von Publikum und Darstellenden aufbrechen und die dies durch Bewegung hinaus aus den gewohnten rahmenden Räumen hinein in den Stadtraum tun. So z. B. im deutschsprachigen Raum (mit Bezug auf die darstellenden Künste) bei den renommierten jährlichen Großevents wie dem Steirischen Herbst in Graz, bei mehrjährigen Programmen wie Playing the City der Schirn Kunsthalle Frankfurt oder

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Veranstaltungen wie dem Festival Politik im Freien Theater in Köln mit der Sparte „Made in Cologne“ oder beim Leipziger play!-Festival, welches dem Theater im Stadtraum gewidmet war, sowie in der Programmlinie Urbane Künste Ruhr, um nur eine kleine Auswahl des riesigen Angebots entsprechender Rahmen zu nennen.

ÜBER DIE LANGE GESCHICHTE DER PARTIZIPATIONSKRITIK

So bewegend solche Arbeiten in vielerlei Hinsicht sein mögen, so problematisch erscheinen sie der Kritik häufig nicht nur in Bezug auf ihre Rezeption. Kritiker*innen sehen die Gefahr des Verlusts eines ästhetischen Anspruchs und der restlosen Auflösung des Kunstbegriffs in Beliebigkeit (vgl. Raunig 2000; Bishop 2006 und 2013). In dieser konservativen Perspektive wird partizipativen Arbeiten schnell fehlender Anspruch unterstellt. Vergleiche zu „Mitmachtheater“, „Bürgerbühnen“ und Sozialarbeit werden hier schnell abschätzig geäußert. Teilnahme ist nach diesem Verständnis im positiven Sinne eine Erweiterung der Rezeption (vgl. Glauner 2016: 30 f). Hinzu kommt eine generalisierende Kritik am Konzept der Partizipation mit und durch Kunst, drohe doch den Teilnehmenden so das Gefühl einer ‚Verordnung’ und damit einer Hierarchisierung oder – im schlimmsten Fall – eine Stigmatisierung der ‚zu Beteiligenden’ im Namen der Kunst (vgl. Vorkoerper 2011). In einer dritten, positiven Perspektive ist mit Teilhabe und Beteiligung eine häufig aktivistisch motivierte Hoffnung auf Wirkungsmacht verbunden. Teilnehmende als körperlich direkt involvierte Partner, das Entstehen einer neuen kritischen Verbindung politisch Handelnder, dies ist das avisierte Ziel entsprechend politisch motivierter Arbeiten, wie es beispielsweise im Rahmen der Berlin Biennale 2012 von Autor und Kurator Artur Żmijewski verfolgt wurde oder jüngst Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit vorschwebt (vgl. Glauner 2016: 30.f). Hinzu kämen die Probleme einer vereinheitlichenden Konsensproduktion, die Konflikte nur verdecken, aber nicht wirklich lösen könne, und die ein nicht nur utopisches, sondern hochproblematisches Demokratieverständnis beinhalte, in dem immer alle einer Meinung seien und sein müssten. Der Ausverkauf der Partizipation im Politischen wird so beispielsweise von Markus Miessen in seiner Trilogie zur Partizipation im Anschluss an Chantal Mouffe kritisch diskutiert, in der er im Gegenzug die Rolle des ›interesselosen Außenseiters‹ und ›ungefragten Teilnehmers‹ wieder stark macht (Miessen 2012). Aktuelle Kritiken reihen sich in einen nun seit Jahrzehnten aufgeführten Reigen ein, denn die Partizipationskritik scheint heute bereits ein wenig in die Jahre gekommen zu sein. Sie begann spätestens in den 1960er Jahren mit Sherry Arnsteins „A Ladder of Citizen Participation“ (Arnstein 1969). Ein französisches Studierendenplakat mit dem Wortlaut »je participe // tu participes // il participe // nous participons // vous

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38 Erklärbar wird

diese typische Ungleichzeitigkeit durch die innovativen Kräfte, die sowohl der Kunst als auch der Wissenschaft als impulsgebende Sphären zuzuschreiben sind. Während Strategien hier nicht nur entwickelt, sondern bereits wieder diskutiert und gegebenenfalls verworfen worden sind, muss die bürokratisch verankerte Stadtplanung diesen Entwicklungen hinterherhinken, da die Diskurse hier erst Raum greifen müssen, um überhaupt wirkungsmächtig zu werden.

participez // ils profitent« ist Arnsteins Aufsatz als Abbildung beigefügt und fasst die Hauptpartizipationskritik treffend zusammen, denn das Plakat bezieht sich bereits auf die später heftig kritisierten Gefahren der Instrumentalisierung, der Vereinnahmung und des Ausverkaufs der Teilnehmenden. In den 1990er Jahren wurde die kritische Debatte dann so massiv geführt, dass es erstaunen mag, dass Partizipation das Diktum im Stadtplanungs- wie im kulturpolitischen Bereich geblieben ist,38 wenn es auch zunehmend mit einem anderen Wort kombiniert wird (und das ist natürlich wenig überraschend): mit der ›Nachhaltigkeit‹. Der hiermit verbundene und extrem problematische Effizienzanspruch wie auch die schwierigen Fragen nach Messbarkeit etc. werden im vorletzten Kapitel dieser Arbeit in Bezug auf die damit verbundene Frage der Verantwortung diskutiert. Denn während die hermeneutische Analyse noch die Bedeutung des Kunstwerks ins Zentrum stellte, geht es nun darum zu fragen, „was Kunst bewirken kann, d. h., worin die Bedeutsamkeit ihres Tuns liegt“ (Gludovatz et al. 2010: 9). Entsprechend ist auch das vermeintliche ‚Phänomen’ der Partizipation kein neues: Von den mittelalterlichen Mysterienspielen zu russischer Revolutionskunst, vom Dadaismus über die politische Konzeptkunst eines Hans Haackes bis zu environmental und fluxus art (event scores), von den Situationist*innen sowie der Happeningkunst der 1960er Jahre zu John Cage, Yoko Ono, Allen Kaprow, Martha Rosler und Georg Brecht, zu Organisationen wie der Art Workers Coalition und Gruppen wie Group Material lässt sich eine Traditionslinie ziehen. Diese Arbeiten verbinden die Überwindung von starren Grenzen und die Involvierung der Zuschauerin und des Zuschauers gleichermaßen (vgl. Rollig 2001).

ZUR KUNSTHISTORISCHEN ENTWICKLUNG SEIT DEN 1960er JAHREN

Die Veränderung von repräsentativen Arbeiten, die auf einer reinen Kopräsenz von Werk und Zuschauenden basieren, hin zu aktivierenden Formaten, in denen der Zuschauende zum teilnehmenden Part wird, verlief analog zu einer weiteren wesentlichen Veränderung in der Kunst des 20. Jahrhunderts: der von Objekten zu Praktiken oder Prozessen. In Bezug auf städtische Kunstprojekte löste wie beschrieben die ›Kunst im öffentlichen Raum‹ in den späten 1970er Jahren die bis dato praktizierte ›Kunst am Bau‹ ab und vermischte bildende mit performativen Kunstformen v. a. im Bereich der site-specific bzw. der new genre public art. Und so verwischen nicht nur zunehmend die Grenzen zwischen den Kunstformen und Gattungen bis hin zu ihrer Auflösung, sondern es geht entsprechend auch um die Frage nach der Veränderung von Autor*innenschaft ganz allgemein. Diese Feststellung ist eng verzahnt mit der Frage nach politischer Teilhabe. Es geht um eine Veränderung von einer „repräsentativen hin zu einer performativen Demokratie“, um Peter Weibel zu zitieren (vgl. Weibel 2011).

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Insbesondere in den 1970er Jahren fand „das Verständnis der künstlerischen Arbeit als eine explizite und notwendige Intervention im gesellschaftlichen Lebensraum, als Formbildungsprozess einer sozialen Skulptur“ (Putz-Plecko 2002: 107) mit Joseph Beuys einen renommierten Vertreter. Für den europäischen Raum bedeutete diese Auffassung von Kunst als gezielter und vor allem gesellschaftlich wirksam sein wollender Intervention etwas Neues. Im Gegensatz etwa zu Nordamerika, wo sogenannte ›Protestkunst‹ bereits seit den 1960er-Jahren etabliert und künstlerischer Aktivismus auch ästhetisch als Kunst legitimiert war.39 Das 1973 von Jörg Immendorff gemalte Bild Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege? bringt den hierzulande in den 1970er Jahren noch auszufechtenden Konflikt auf den Punkt. Es zeigt einen in seinem Atelier sitzenden Maler. Die Tür zu diesem offensichtlich privaten Raum wird von einem Mann aufgerissen, der anklagend auf eine zwar direkt vor der Tür, aber eben draußen auf der Straße stattfindende Arbeiter*innendemonstration weist, die ein Transparent mit der Aufschrift ›Kampf‹ vor sich herträgt. Die am unteren Rand des Bildes großformatig abgebildete Frage Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege? beantwortet Immendorff im Bild gleich selbst: Nicht nur sitzt der Maler getrennt von den äußeren Geschehnissen in seinem privaten, stillen Kämmerlein. An der Wand seines Rückzugraums hängt darüberhinaus ein Plakat: Auf diesem sind die dominierenden Kunstrichtungen der 1960er Jahre von Pop- über Concept- bis zur Land-Art gelistet, die so ebenfalls als von ›dem da draußen‹ getrennt gekennzeichnet sind. Philip Ursprung stellt in seiner kunsthistorischen Zusammenschau der 1960er Jahre pointiert fest: Die Frage Wo ist die Kunst? der 1970er und 1980er Jahre löste durch ihren räumlichen Bezug zur Gesellschaft die in den 1950er und 1960er Jahren noch relevante Frage Was ist die Kunst? ab (Ursprung 2012).40 Im Hinblick auf die skizzierten kunsthistorischen Veränderungen gipfelten bestimmte Entwicklungen der 1970er Jahre in einer zunehmenden Politisierung eines Teils der Kunst in den 1990er Jahren. Eben dies ist auch die Hochzeit des Aufkommens partizipativer Projekte wie auch ihrer Kritik. Die ›Kunst des sozialen Austauschs‹ wurde zu einem zentralen Paradigma im Kunstbetrieb. So ist eine neue, hybride Kunstform entstanden, die sich entsprechend klarer Genrezuschreibungen entzieht. Dazu noch einmal Peter Weibel: „Die Kunst dehnt sich vom Objekt aus zu einer Praktik, und in ihrer Praktik dehnt sie ihre Arbeitsfelder in neue Bereiche aus, die bis dahin den Sozial- und Naturwissenschaften vorbehalten waren.“ (Weibel 2011: 129) Verhandelt werden hierbei Fragen der Kulturgeschichte, der sozialen Lebensbedingungen und der Stadtentwicklung. Die Trennschärfe zwischen sozialen Projekten, Kunst oder politischer Aktion ist häufig aufgehoben. Der Versuch, diese neuen Handlungsfelder fassbar zu machen, hatte die einleitend beschriebene Anhäufung von Begrifflichkeiten zur Folge. 2002 erschien mit dem Buch des französischen Kritikers und Kurators Nicolas Bourriaud dann ein Werk, dessen Titel Relational Aesthetics so griffig zu sein schien, dass er sich zur Subsumierung der meisten genannten Strömungen eignete und damit auch im Kontext künstlerischer Partizipation nicht mehr wegzudenken ist.

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39 Dies geschah u.a. durch verschiedene Formate wie die feministische Bewegung, die Antivietnamprojekte oder die Aidsaufklärungskampagnen, die als Poster dann im New Yorker Museum of Modern Art (MOMA) wieder auftauchten. 40 Nun sind wir heutzutage zusätzlich zu dem von Immendorff skizzierten Konflikt mit dem Dilemma konfrontiert, dass es nach Negri und Hardt gar kein Drinnen und Draußen, kein ›Außerhalb‹ gibt. (Hardt/Negri 2002) Eine zwar unmittelbar daran anschließende weiterführende, aber an dieser Stelle argumentativ wegführende Frage wäre, ob vielleicht die Institutionskritik darum heute fester Bestandteil des Curriculums der meisten kunsthochschulischen Ausbildungen ist. Hiermit verordnet die Institution ihre eigene Infragestellung quasi gleich mit und läuft so Gefahr, sich jeglichen politischen Impetus zu nehmen. Ein ähnlicher Effekt wird an der Musealisierung der aktivistischen Kunst – noch während ihres politischen Pro-

tests – kritisiert, wie zuletzt bei der Berlin Biennale 2012, die der politischen Wirksamkeit durch ihre Ausstellung im Moment der Aktion quasi die Zähne ziehe. Hier wäre ein ausführlicherer Blick auf den Effekt der Inkorporation dieses vormaligen Außerhalb und die daraus resultierenden Folgen sicherlich spannend.

41 Bevor Bourriaud in der Vielzahl der Projekte, die auf soziales Beisammensein zielten, einen Trend erkennen konnte, gab es bereits ähnlich arbeitende Künstler*innen. So beanspruchte bspw. Tom Marioni in seinen Memoiren „Beer, Art and Philosophy“ mit seiner Aktion The Act of Drinking Beer with Friends is the Highest Form of Art von 1979 spätere, ähnliche Konzepte letztlich vorweggenommen zu haben. „I am the author of this idea. In the 90s the idea of social interaction in an art context became a movement“ (Marioni 2007: 93).

RELATIONAL AESTHETICS ODER DIE KUNST DES GESELLIGEN MITEINANDERS

„Basically Relational Aesthetics is when someone with an MFA [Master of Fine Arts] wants to meet new people. They spent so much time pursuing the MFA, that they don’t know how to speak to people normally. And they got so poor social skills, and they got no other way to meet new people other than forcing them into art activities at their own poorly attended art openings“ (Art Thoughtz: Relational Aesthetics 2011). Der Videokünstler Jayson Musson karikiert so mit seiner Kunstfigur Hennessy Youngman im Rahmen seiner Art-Thoughtz-Videos auf außerordentlich amüsante Art und Weise einen Aspekt, der im Rahmen der Partizipationskritik bereits angesprochen wurde: die Gefahr einer ‚Auflösung des Kunstbegriffs in Beliebigkeit‘. Musson/Youngman gibt uns eine Definition von relationaler Kunst, die alltäglichen Praktiken – wie ein gemeinsames Essen, verlegt in den institutionalisierten Rahmen einer Kunstgalerie – einen anderen Status, nämlich den von Kunst, zuschreibt und die so die intellektuelle Aufladung einer solchen Inszenierung ironisiert. Nicolas Bourriaud, der eben jenen Begriff der ‚Relationalen Ästhetik’ in den Diskurs eingebracht hat, verdeutlicht in seinem gleichnamigen Buch anhand von Beispielen – wie etwa den in der Einleitung bereits erwähnten in Galerien veranstalteten Dinnern des Künstlers Rirkrit Tiravanija, bei denen die Begegnung und Involvierung der Besucherinnen und Besucher gleichermaßen im Vordergrund stehen – einen Trend in der Kunst der 1990er Jahre. Bourriaud unternimmt hier den heftig kritisierten Versuch, die entsprechenden Aktionen, die für die Inszenierung des geselligen Miteinanders bzw. die Einbeziehung des Publikums bekannt wurden, mit politischem Gehalt aufzuladen.41 Den Hintergrund für den Erfolg solcher und ähnlicher Arbeiten sieht der Autor in einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der persönlicher, interpersoneller Kontakt mehr und mehr durch digitale Welten, technische Dienstleistungen etc. ersetzt werde. Festgestellt wird von Bourriaud letztlich aber nur eine zunehmende ähnliche Arbeitsweise vieler Künstler*innen, deren Ergebnis die Schaffung einer geselligen Rahmung mit dem Effekt der Herstellung erhöhter Sozialität ist. Über die Intention der Kunstschaffenden, die Folge der Aktionen und tatsächliche Veränderungen über den kurzen Moment des Kontakts (z. B. bei einem gemeinsamen Essen) hinaus wird nichts ausgesagt. Dabei sei das politische Anliegen der relationalen Kunst, die Brüche im gesellschaftlichen Gefüge – „cracks in the social bond“ (Bourriaud 2002: 36) – aufzuheben, was zur Stiftung neuer sozialer Gemeinschaften führe. Der politisch elementare Dissens scheint hier keinen Platz mehr zu haben. Und so ist es gerade diese Aussage, die zur Hauptangriffsfläche für die massive Kritik

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am Konzept der ‚Beziehungskunst’ geworden ist. Die kompensatorische Funktion, die Bourriaud der Kunst hier zuweist, erscheint hoch problematisch: „Das Prinzip demokratischer Egalität, das solcherart in die Zusammenhänge ästhetischer Beziehungen eingeschrieben zu werden verspricht, scheint seine konsequenteste Verwirklichung in künstlerischen Projekten zu erreichen, die nichts anderes anzielen als die Inszenierung eines gemeinschaftlichen Zusammenseins des Publikums – mit den Künstler*innen oder mit sich selbst – […]. Der Begriff droht (so) schlechterdings zu einem Synonym für eine – unproblematisch und konfliktfrei verstandene – Gemeinschaftsbildung zu werden“ (Neuner 2007: 4). Dies ist auch die Kritik in der Auseinandersetzung mit den Thesen Bourriauds durch Jacques Rancière, der bezüglich dieses „politischen Anliegens“ von Kunst zu folgendem Schluss kommt: „Als Ersatz aber läuft die Kunst Gefahr, sich in den Kategorien des Konsens’ insofern zu verwirklichen, als dieser die politische Anwandlung einer ihr Gebiet verlassenden Kunst auf die Aufgaben der Nachbarschaftspolitik und eines sozialen Heilmittels beschränkt. […] Die Politik der Kunst reduziert sich auf Wohlfahrt und ethische Ungenauigkeit“ (Rancière 2008: 96). Hier stellt sich allerdings die Frage, ob Kunst denn überhaupt ein Ersatz sein will. Gerade im Überschreiten, Umverteilen und Hinterfragen von Verantwortlichkeiten entsteht etwas Neues, das weder als Ersatz fungieren kann noch sollte, keine Alternative herstellt, sondern einen neuen Handlungsraum schafft. Unklar bleibt zudem, was dieses ‚Gebiet der Kunst’ von dem Rancière hier spricht, denn eigentlich genau ist?

TEILHABE AN GESELLSCHAFTLICHER GESTALTUNG

Mit dieser sehr allgemeinen Formulierung eines Gebiets der Kunst sind erst einmal alle künstlerischen Projekte angesprochen, die das ihnen zugeschriebene Handlungsfeld, wie auch immer man dieses definieren möchte, verlassen. Und das sind inzwischen unendlich viele. Anders als Kritiker*innen wie Rancière oder Bishop sehen die angesprochenen Künstlerinnen und Künstler gerade in dieser Diffusion der Kunst in ein ihr nicht originär zugestandenes Feld eine große Chance. Allerdings wird Kunst in diesem Verständnis weniger als ein abgeschlossenes System betrachtet, sondern vielmehr geht es um ein souveränes und emanzipiertes Überschreiten vermeintlicher Grenzziehungen. Kunst ist damit kein sozial abgesonderter und gegenüber dem Alltagsverstehen exklusiver Raum mehr, dennoch bleibt die Aufrechterhaltung der Behauptung: „Das hier ist Kunst!“ für ihre Rezeption elementar, weil viele Aktionen nur unter dem Label „Kunst“ gesellschaftlich akzeptabel sind, da sie die Grenzen zum Illegalen durchaus auch überschreiten bzw. dehnen. Künstler*innen bewegen sich unter dem Kunstlabel in einem geschützten Rahmen, der ihnen sehr viel mehr inhaltliche wie formale Freiheiten in der Gestaltung ihrer

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42 Zu nennen wären hier auch die bereits erwähnten Arbeiten der geheimagentur, des Zentrums für politische Schönheit oder des Peng! Collectives, die uns im Kapitel zu Kunst und Aktivismus wiederbegegnen werden.

Anliegen ermöglicht. Denn nur dieser ihnen zugesprochene und eingeräumte gesellschaftliche Freiraum ermöglicht es ihnen, Utopien als Wirklichkeitsbehauptungen zu denken und zu testen.

GEGENENTWÜRFE Mit dieser Lesart wird sehr deutlich, dass es vielleicht gar nicht um die immer hierarchisch anmutende ‚Aktivierung‘ von Anderen, um das Angebot einer Teilhabe an ein Publikum geht, sondern um eine Selbstermächtigung der Künstler*innen zur Teilhabe an gesellschaftlicher Gestaltung. Eine solch emanzipierte Perspektive entzieht sich auch der Kritik Adornos, der in der Vereinnahmung der Kunst durch die Kulturindustrie die bekannte „Entkunstung von Kunst“ befürchtete. Das Spiel mit legalen und illegalen Handlungen erweist sich in dieser Hinsicht nicht nur als eine genuine Stärke künstlerischer Praxis, sondern auch als eine Möglichkeit, die nur ihr, ohne mit negativen Sanktionen rechnen zu müssen, vorbehalten ist. Die Rahmung einer künstlerisch motivierten Praxis ermöglicht ja erst die Überführung von illegaler in legale Praxis: „Wenn es darum geht, Risiken einzugehen, gibt es einen großen Unterschied zwischen der Welt der Kunst und der Welt draußen. Wenn man in der Welt der Kunst provoziert, Regeln missachtet, Grenzen überschreitet, den Kanon hinterfragt, wird man entdeckt, belohnt, bejubelt. Wenn man in der wirklichen Welt die sozialen Grenzen verletzt, wird man marginalisiert, bewacht, inhaftiert“ (Jordon 2002: 348). Der Aktivist John Jordon, der mit seiner künstlerischen Praxis die Camouflage politischer Arbeit als Kunst perfektioniert hat, wäre hier ein gutes Beispiel.42 „Hier wirken Künstler*innen in Form einer Selbstermächtigung nicht nur als Seismographen gesellschaftlicher Entwicklung, sondern auch als subversive Kraft, die Anstöße zu ihrer Veränderung zu geben vermag“ (Berger/Weber 2016: 139). Entsprechend sind solche Projekte explizit als ein Gegensatz zu Bourriauds Konzept der ‚relationalen Ästhetik’ zu sehen. Während Bourriaud das Artifizielle der menschlichen Beziehungen als ästhetisches Moment beschreibt und die Arbeiten damit letztlich in der Kunstwelt verharren (Malzacher), geht es den hier untersuchten Praktiken ja gerade um die Möglichkeit, Kunst als soziale Praxis mit entsprechenden Konsequenzen für gesellschaftliches Zusammenleben zu nutzen. Die Verschiebung von Teilhabe des Publikums zur Selbstermächtigung der Künstler*innen als Teilhabende an sozialer Praxis bedarf eines genauen Blicks auf die normativen Zuschreibungen an Künstler*innen und ihre Arbeiten und darauf, welche Veränderungen damit einhergehen. Nur über das (historische) Verständnis dieser der Kunst zugestandenen Tätigkeitsfelder lässt sich ein Überschreiten hiervon und damit das Aufzeigen neuer Arbeitsfelder an Schnittstellen nachzeichnen. Im folgenden Kapitel wird daher der Frage nachgegangen, wie sich die Rollen in partizipativen Projekten verschieben und das Verhältnis von Künstler*innen, Werk und Rezipient*innen zu einer kollaborativen Praxis an Schnittstellen wird. Denn mit dem Gebiet der Kunst, von dem Rancière spricht, ist auch das Kunstfeld als soziolo-

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gische Analysekategorie adressiert. Somit werden grundsätzliche Fragen nach der gesellschaftlichen Einbettung von Kunst, ihrer gesellschaftlichen Funktion, ihrem Verhältnis zu politischen oder wirtschaftlichen Strukturen und nicht zuletzt die Frage nach der stets postulierten Autonomie moderner Kunst relevant, Fragen, die im nächsten Kapitel ausführlich diskutiert werden.

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43 Die Diskussi-

on um politische Kunst hat eine lang zurückreichende Tradition, denn wie bereits an andere Stelle betont, ist das Anliegen, Kunst mit dem ‚wirklichen Leben’ zu verschmelzen, keinesfalls ein neues Phänomen. Entsprechende Tendenzen begleiten alle AvantgardeBewegungen der letzten Jahrhunderte und waren daher von jeher an gesellschaftlichem Wandel beteiligt. So war es beispielsweise auch das erklärte Ziel von Guy Debord und den Situationisten, die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzulösen. In den 1960er Jahren gab es einige Künstlergruppen, die mit verschiedenen Taktiken eine Auflösung des artifiziellen Rahmens avisierten, nämlich Kunst als politisches Werkzeug einzusetzen, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen: „The Situationists tried to leave behind the art world and turned toward ultraleft politics. Artist Placement Group sought to use the creativity of art in contexts outside the traditional barriers of the institution of art. Art Workers’

DIE KUNST DER ZUSCHREIBUNGEN

D

„Wo sich positionieren, woraus die eigene Handlungsethik entwickeln, welche gesellschaftliche Rolle und Verantwortung sich zusprechen, wie und wozu sich von Sozial- und Politarbeit abgrenzen? Wie sich und die eigene Tätigkeit bezeichnen/lassen?“ (Rollig/Sturm 2002: 13).

er Titel des Sammelbandes von Stella Rolling und Eva Sturm, in dem die Autor*innen sich mit Fragen der Grenzüberschreitungen im Kunstfeld beschäftigen (und aus dem auch dieses einleitende Zitat stammt) lautet: Dürfen die das? Diese Frage sei symptomatisch für eine ethisch-moralische Verwirrung, in der niemand so recht wisse, wer überhaupt noch den „Sanctus“ geben könne (vgl.: Rollig/Sturm 2002: 15). Die Publikation scheint – obschon über zehn Jahre alt – aktueller denn je, denn die Diskurse über die Rolle, die Aufgaben und daraus resultierend über die Verantwortung von Kunst und Künstler*innen in unserer Gesellschaft haben trotz einer vermeintlich bereits erreichten Hoch-Zeit in den 1990er Jahren wieder stark zugenommen und werden spätestens durch die Ereignisse am 11. September 2001 und die daraus entstehenden weltpolitischen Konsequenzen immer vehementer und umfassender geführt (vgl. u. v. a.: Rancière 2008; Ziemer 2009a/b; Gludovatz/Von Hantelmann/Lüthy/Schieder 2010; Jackson 2011; Hartmann/Lemke/Nitsche 2012; Bishop 2012; Müller-Schöll 2012; Thompson 2012; Becker 2013; Doherty 2015; Bicker 2014; Groys 2014; Malzacher 2016; Holert 2016).

DAS SELBSTVERSTÄNDNIS DER KÜNSTLER*INNEN Neu ist dabei nicht die Thematisierung der Rolle von Kunst in unserer Gesellschaft oder der damit verbundene Anspruch, Kunst als handelnde Praxis zu verstehen, die ins ’reale Leben’ eingreift.43 Neu ist vor allem die Anzahl der Akteure, die in diesem Bereich der Schnittstellen handelnd tätig werden. Das Verhältnis von Kunst und Politik scheint sich durch die bedrohliche Gegenwart und die Intensität der künstlerischen Arbeiten der jüngsten Vergangenheit erneut verschoben zu haben (vgl. Malzacher 2016). Eine der weitreichendsten Konsequenzen betrifft das Auflösen disziplinärer Grenzen und der damit verbundenen Handlungsfelder. Selbstverständnis und Zuschreibung an die Rolle der Künstler*innen in unserer Gesellschaft haben sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert und sind an gesamtgesellschaftliche Verschiebungen und Veränderungen des Kunstverständnisses der jeweiligen Epo-

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chen gebunden, denn Kunst ist wie geschaffen dafür, „die normativen Vorstellungen, die sie selber mit hervorbringt – was das Schöne, was das Politische, was das genuin Künstlerische sei – fortwährend wieder abzuwählen“ (Emmerling/Kleesattel 2016: 23). In den letzten Jahren lässt sich erneut eine deutliche Veränderung des Handlungsfeldes von Kunst und Künstlern aufzeigen: „Viele Bereiche der Kunst sind nicht mehr nur Kunst der Kunst wegen, sie greifen in das reale Leben ein. Mit partizipativen und interventionistischen Praktiken betreten Künstler das Feld des Sozialen, kollaborative Projekte funktionieren als Unternehmen auf Zeit und Gestaltungsfragen überschreiten die Grenzen des Designs und werden zu gesellschaftlichen Fragen“ (Ziemer 2009 b: o.S.). Eine entsprechend notwendig gewordene neue Bilanzierung und Balancierung des Verhältnisses von Kunst und Politik sowie Kunst und Ökonomie führt zu der Notwendigkeit der Neubestimmung der Rolle des Künstlers und dem aus, „was Künstler*innen historisch und aktuell ‚machen’ und ‚was sie in Zukunft sein und tun können’ (Richard Serra)“ (Hartmann/Lemke/ Nitsche 2012: 10). In diesem Sinne geht es darum, die Zuschreibungen an die Rolle der Künstler*innen im Kontext politischer, sozialer und planerischer Arbeit neu zu bestimmen. Diese Neubestimmung betrifft auch die gesellschaftliche Wertung von künstlerischem Schaffen, denn hier werden neue Methoden der Partizipation, der Kommunikation und Distribution sowie Strukturen und Netzwerke geschaffen, die (zunächst) jenseits des etablierten Kunstbetriebs angesiedelt sind (vgl. Hartmann/ Lemke/Nitsche 2012). Zu hinterfragen ist damit ganz allgemein die historische und sich verändernde Zuschreibung an die gesellschaftliche Rolle von Kunst und Künstler*innen. Diese Zuschreibung und daraus resultierende Erwartungshaltungen können nicht mit einer statischen Definition beantwortet werden: „Die Beschäftigung mit Subjektmodellen in der Kunst der Gegenwart, mit Normierungen und Funktionalisierungen ebenso wie mit Handlungsspielräumen und Gestaltungsoptionen von Künstler*innen war und ist geprägt von Widersprüchen [...] Aus heutiger Perspektive sehen wir uns im künstlerischen Feld mit einem komplexen und konfliktträchtigen Zusammenspiel konfrontiert, in dem Interpretationen, Präsentationen, Produktion und Konzeption ineinander greifen, in dem ‚lookers, buyers, dealers, makers’ und noch einige andere mehr mitwirken und in dem Künstler*innen ganz unterschiedliche Rollen und Funktionen übernehmen beziehungsweise zugeschrieben bekommen“ (Michalka 2006: 8). Das Dürfen die das? – im einleitenden Zitat auf Arbeitsweise- und -bereich der Künstler*innen gerichtet – ließe sich (in einer selbstironischen Lesart) auf das Vorhaben, die gesellschaftliche Rolle von Kunst summierend reflektieren zu wollen, übertragen, da die entsprechenden Implikationen so groß und verzweigt scheinen, dass es an eine gewisse Hybris grenzt, dies als ein schlichtes Unterkapitel der eigenen Forschung und nicht als den einzigen, wenn nicht zentralen Punkt anzusiedeln. Darf man das? Ich denke, man muss! Denn eine Verständigung auf die der Kunst gesellschaftlich zugestandenen Aufgaben ist für das Erkenntnisinteresse hier so

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Coalition put pressure on the artestablishment in New York, trying to force it into implementing a more open and less exclusive exhibition policy as well as taking a moral stance on the Vietnam War“ (Rasmussen 2010: o. S.) Die Arbeit dieser Gruppen wird im nächsten Kapitel ausführlicher besprochen.

grundlegend, dass man nicht umhinkommt, sich dieser einerseits zentralen und andererseits fast unbeantwortbaren, da uferlos erscheinenden Frage zu nähern. Dies geschieht fokussiert – mit dem Blick auf Kunst als urbane Praxis – über die folgenden Fragen: Wie ist der Bereich der Kunst überhaupt definiert? Welche gesellschaftlichen Aufgaben wurden und werden künstlerischer Tätigkeit zugesprochen und welche Rollen werden den hier agierenden Akteuren zugeschrieben? Kommt es tatsächlich zu Grenzüberschreitungen (und wenn ja, wo verläuft diese Grenze?) oder handelt es sich eher um die Verschiebung oder Dehnung dieser Grenzen in die Bereiche Politik, Soziales und Planung? Und zentral: Welche Methoden benutzen Künstlerinnen in ihren Arbeiten? Die Suche nach Antworten geschieht im vollen Bewusstsein, dass im Rahmen dieser Untersuchung nur ein kleiner Einblick in die Rolle von Kunst und die Arbeitsbereiche von Künstler*innen gelingen kann, zumal entsprechende Zuschreibungen selbstverständlich stets im Wandel begriffen sind, denn sie hängen in einem Wechselspiel immer von gesellschaftspolitischen Entwicklungen ihrer jeweiligen Gegenwart ab. Eindeutige Antworten im Sinne einer feststehenden ontologischen Zuschreibung kann es daher auch nicht geben, denn die Auffassung, was die soziale Figur der Künstler*innen ausmacht, änderte sich im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder und ist Produkt langwieriger ideengeschichtlicher Prozesse, wie Verena Krieger in ihrer Studie Was ist ein Künstler? belegt: „Manches geht auf antike Quellen zurück und wurde in der Renaissance aufgegriffen und umgeformt, vieles entstand in der Frühromantik und anderes wiederum in der Klassischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ (Krieger 2007: 7). Im Folgenden wird zunächst die Entstehung der Zuschreibungen an die Künstlerfigur am Beispiel des Künstlermythos nachgezeichnet, um darauf aufbauend die Veränderungen künstlerischen Wirkens auf das Selbstverständnis von künstlerischen Institutionen am Beispiel des Stadttheaters zu diskutieren. Die Deutungsmacht institutioneller Verankerung geht dabei auf den Status der Akademien bis in die Renaissance zurück. Die soziologischen Betrachtungen des Amerikaners Howard S. Becker öffnen schließlich die Frage der Zuständigkeit in Richtung eines anderen Verständnisses von Kunst als kollektives Handeln.

ZUSCHREIBUNGEN UND VERWEIGERUNGEN – ROLLENBILDER

Die hier untersuchte gemeinsame urbane Praxis durch künstlerisch initiierte Stadtgestaltung bringt automatisch normative Zuschreibungen an die Rolle der Künstler*in mit sich, die historisch begründet sind und über die man sich klar sein muss, will man über fachliche Grenzen hinweg erfolgreich zusammenarbeiten. Der Kunsthistoriker Philipp Ursprung beschreibt diese Zuschreibungen als eine

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Projektionsfläche: „Vor allem im deutschsprachigen Raum ist die Auffassung weit verbreitet, dass Kultur etwas Absolutes sei, eine Sphäre, die neben oder über der alltäglichen Realität, dem Leben, existiere, jenseits ökonomischer und politischer Zwänge, quasi ein anderer Aggregatzustand, eine Intensivierung von Leben. Dies erlaubt es den Gesellschaften, Kultur oder Kunst als etwas Abgetrenntes zu behandeln, sie als Projektionsfläche für Wünsche oder Ängste zu benutzen, sie für besondere Vorkommnisse sozusagen in Reserve zu halten“ (Ursprung 2010: 105). Eine solche Sicht auf den Bereich der Kunst basiert auf der Annahme aus dem 18. Jahruhundert, dass Künstler*innen per definitionem kreativer sind als andere, ausgestattet mit Fähigkeiten, die niemand sonst besitzt. „Kaum ein Beruf ist mehr mythenumwoben und mit einem vergleichbar hohen Prestige ausgestattet. Zugleich hat der moderne Künstler eine nicht nur glanzvolle, sondern auch ‚fremde’ Außenseiterrolle in der Gesellschaft inne“ (Ruppert 1998: 11). Verantwortlich hierfür ist vor allem auch die historische Entwicklung des Künstlermythos‘, welche den Blick auf die tatsächlichen Lebensumstände der meisten Künstler*innen nach wie vor verstellt. Zu den zu Stars gehypten Großverdienern, deren ‚Prestige’ sich auch in entsprechender Bezahlung ausdrückt, gehören nur die wenigsten Künstler*innen. Die allermeisten Menschen können von ihrer Kunst, wenn überhaupt, nur eine sehr bescheidene Existenz bestreiten und leben in prekären Verhältnissen. Und so ist gerade auch das Prekäre ein Zustand, der fest mit dem Künstlerstatus verbunden scheint. Künstler*innen als Lebenskünstler*innen werden in einer positiven Lesart als Experten für das Aufzeigen von Alternativen zu fest etablierten Strukturen und vermeintlich Unveränderbarem gesehen (da sie dies in ihrem Alltag gezwungenermaßen permanent tun müssen). In einer negativen Perspektive, die hier bewusst plakativ überspitzt wird, nutzt man Künstler*innen – sind sie nicht Teil des internationalen Kunstmarktes – als billig, wenn nicht sogar ehrenamtlich zu habendes kreatives Personal. Diese letztere Sicht scheint weit verbreitet und hat folgenreiche Konsequenzen: Die Prekarisierung der Künstler*in führt dazu, dass es bei kooperativen Projekten schnell zu einer ganz klaren Hierarchisierung kommt, wenn gut bezahlte städtische Verwaltungsbeamte mit schlecht oder gar nicht entlohnten engagierten Künstler*innen verhandeln, wie es zum Beispiel aktuell bei den Verhandlungen zum Umbau des Hamburger Gängeviertels der Fall ist. Bei dem sehr langwierigen Prozess scheint eines der Probleme aus Sicht der Initiative, dass finanziell gut abgesicherten behördlichen Gesprächspartner*innen den zumeist ehrenamtlich engagierten und damit eben auch unbezahlten Kunst- und Kulturschaffenden gegenübersitzen und es so automatisch um die Frage nach Geld und damit um Macht und Kontrolle geht.44 Die fehlende Bezahlung der engagierten Künstler*innen führt so in den allermeisten Projekten zu dem Vorwurf des Rückzugs des Sozialstaats auf Kosten der prekär arbeitenden Künstler und der Frage, wie man sich in dieser Gemengelage überhaupt noch aktiv einbringen kann, ohne die neoliberale Vermarktungskette noch zu verlängern. Diese Prekarisierung – auch das ist in diesem Machtgefälle als wesentlich zu begreifen – geschieht aber häufig durchaus freiwillig in dem Glauben,

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44 Das so gennannte historische Gängeviertel, ein Ensemble aus dem 17. Jahrhundert, bestehend aus nun noch zwölf letzten Gebäuden eines ursprünglich sehr viel größeren Areals im Herzen der Hamburger Innenstadt, sollte nach zehnjährigem Leerstand verkauft, abgerissen und zu teuren Eigentumswohnungen und Büroflächen umgebaut werden. Im August 2009 besetzten Künstler*innen die Gebäude, um gegen den zunehmenden Ausverkauf der Stadt an Investoren zu demonstrieren. Aus einer als temporär geplanten Aktion wurde eine langfristige Besetzung kreativen Widerstands und eine Erfolgsgeschichte. Nach zwei Jahren, in denen die Künstler*innen das Viertel zu einem nicht kommerziellen Freiraum für Kunst, Kultur und Soziales umgebaut hatten, willigte die Stadt ein, sich auf einen gemeinsamen Sanierungsplan einzulassen. Die Umbauverhandlungen aber erweisen sich auf Grund einer fehlenden kooperativen Struktur und

den offenen und verdeckten Hierarchien als kompliziert und langwierig (vgl. Ziehl/Rabe/Haupt 2016: 75-89).

45 Eine Frage,

die inzwischen von vielen Intellektuellen mit einem kompletten Entzug jeder Handlung als einzigem Ausweg aus diesem Dilemma beantwortet wird, eine Perspektive, wie sie z. B. von dem Philosophen Alain Badiou in seinen Fifteen Theses on Contemporary Art vertreten wird: „It is better to do nothing than to contribute to the invention of formal ways of rendering visible that which Empire already recognizes as existent.“ http:// www.lacan.com/ issue22.php (Letzter Zugriff 23.02.17).

hiermit sei ein autonomerer Handlungsrahmen zu erreichen (dem Zusammenhang dieser Haltung mit governementalitären Mechanismen der Selbstregulierung wird im fünften Kapitel nachgegangen). Wichtig ist hier zu betonen, dass auch der Bereich der Kunst kein ‚Außerhalb’ zum globalen neoliberalen System bietet, wie Michael Hardt und Toni Negri in ihrer Studie Empire gezeigt haben (vgl. Hardt/Negri 2003). Sie verstehen das Empire als dezentrierten und deterritorialisierenden und damit als einen alles umfassenden Herrschaftsapparat des Kapitalismus. Ökonomie, Politik und Kultur überschneiden sich hiernach in der ‚biopolitischen Produktion’. Diesen Begriff entwickelten Hardt und Negri in Anlehnung an Foucaults Begriff der ‚Biomacht’ (Hardt/Negri 2002: 28). Gemeint ist damit die Produktion des sozialen Lebens und der körperlichen und kognitiven Subjektivität selbst (vgl. Ulrich 2001). Eine Kritik am ‚Empire‘ ist nur noch innerhalb des Systems möglich und führt damit nur zur weiteren Stabilisierung des bestehenden Herrschaftssystems, denn das ‚Gegen-Empire’ gehört genuin zum Empire hinzu.45 Die proklamierte Freiheit der Kunst wird mit dieser Perspektive zu einem absurden Paradox: Durch die Ausklammerung des tatsächlichen, monetären Preises im Sinne einer Bezahlung der Künstler*innen für ihre Arbeit (und nicht für ihre Werke) wird die existentielle Absicherung der Künstler aus der kollektiven Wahrnehmung gelöscht, die Kunst bleibt somit vermeintlich außerhalb, frei und autonom. Diese Autonomie existiert faktisch nicht, sie ist ein Narrativ und erklärt sich über die Entstehung des Künstlermythos‘.

ZU ENTSTEHUNG UND WANDLUNG DES KÜNSTLERMYTHOS

In ihrer Sammlung der ideengeschichtlichen Amalgamierung des Künstlermythos‘ zeichnet Verena Krieger die verschiedenen Mythen rund um die ‚Kunstfigur‘ des Künstlers nach. Die Figur des Künstlers sieht sie als eine Erfindung der Neuzeit. Begründet in der Trennung von artes mechanicae, den mechanischen Künsten, zu denen jene Künste zählten, die dem direkten Broterwerb dienten (hierzu zählten z. B. Malerei und Bildhauerei) und artes liberales (den freien Künsten wie Rhetorik, Arithmetik, Geometrie und Musiktheorie), die einen höheren Status genossen und nicht der existentiellen Lebenssicherung galten. Erstgenannte wurden vordergründig als Handwerker betrachtet, während die freien Künste als geistige Tätigkeit galten – und entsprechend höheres Ansehen genossen. Die Trennung zwischen Praxis und Poiesis geht auf Aristoteles zurück. Poiesis war an die Herstellung eines Werkes gekoppelt, Praxis hingegen wurde als selbstzweckhaftes Tun aufgefasst. „Das auf die Herstellung und das Machen fokussierte Verständnis von Techne (Kunst) entspricht der geschichtlichen Vormachtstellung der Poiesis und der Verweisung der Kunst aus der Praxis“ (Maset 2002: 90). So seien zunächst Maler einfach Maler und Bildhauer eben Bildhauer, beide Praktiker gewesen, bevor es die neue Kategorie des Künstlers gegeben habe (vgl. Krieger 2007:

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13). Der Kunstbegriff hatte demnach (noch) nichts mit der ihm später zugesprochenen Schöpfung gemein. Erst durch die zunehmende Intellektualisierung der bildenden Künste in der Renaissance änderte sich ihr Status und näherte sich dem heutigen Kunstverständnis erstmals an. Damit einher ging in der Neuzeit eine Emanzipierung von der Macht der Zünfte, in denen die Kunst-‚Handwerker‘ bisher organisiert sein mussten, da der Anspruch des Künstlers als universell ausgebildetem Gelehrten, wie er in der Renaissance als Ideal entstand, die Notwendigkeit einer anderen Ausbildung mit sich brachte. In ganz Europa entstanden so Kunstakademien und manifestierten den veränderten Status der Kunstschaffenden, der sich nun in einem ambivalenten Spannungsfeld bewegte: Auf der einen Seite galten Künstler*innen als außergewöhnlich begabt, im Besitz von Fähigkeiten, die nur sie besaßen, auf der anderen Seite war der Besuch der Akademie, einer Ausbildungsstätte zur Sicherung dieses Status‘, Voraussetzung, um sich als ernsthafter Künstler behaupten zu können. Der Aufstieg der Akademie als der zentralen Instanz wurde in den folgenden zwei Jahrhunderten nicht hinterfragt. Erst zu Beginn der Moderne gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen Künstler*innen, sich gegen die übermächtige neue Autorität wieder aufzulehnen (vgl. Krieger 2007: 18). Paradigmatisch zeigt die Macht der Akademie als DER zentralen Institution bereits die Bedeutung der Institutionen für die gesellschaftliche Rolle von Kunst wie Künstlern gleichermaßen. Dass Plato in seinem Entwurf des Staates die Dichter vom Gemeinwesen ausgrenzte, um so eine klare Trennung von Politik und Kunst zu bewirken, belegt, welche Macht er den Künstler*innen zutraute. Die Entwicklung des Status‘ des Künstlers von einem reinen Handwerker zu einem anerkannten Gelehrten ging einher mit der Herausbildung eines bestimmten Habitus, an dem auch heute noch viele Klischeevorstellungen der Künstlerfigur haften. Seit 1800 prägen nach Verena Krieger vor allem drei Vorstellungen das Bild des Künstlers: das Schöpfen aus dem Inneren, das gesellschaftliche Außenseitertum und das Leiden (vgl. Krieger 2007: 44). In einer der ersten Untersuchungen im deutschsprachigen Raum, die sich nicht dem Werk, sondern der Persönlichkeit der Künstler*innen widmet, beschreiben die Kunsthistoriker Rudolf und Margot Wittkower 1965 das gängige Künstlerbild in der modernen Gesellschaft damit, dass Künstler als „egozentrisch, temperamentvoll, neurotisch, rebellisch, unzuverlässig, ausschweifend, extravagant, von der Arbeit besessen, der bürgerlichen Gesellschaft entfremdet und alles in allem schwierige Lebensgefährten“ gelten (Wittkower 1965: 7). Diese Sammlung an Adjektiven, obschon inzwischen über fünfzig Jahre alt, trifft nach wie vor die gängigen und weit verbreiteten Klischees über die ‚Künstlerpersönlichkeit’. Mit diesen Zuschreibungen beschäftigt sich auch der Kunsthistoriker Wolfgang Ruppert in seiner umfassenden Analyse des modernen Künstlerbildes (vgl. Ruppert 1998). Die bürgerliche Gesellschaft habe hohe und vor allem idealistische Ansprüche in die Figur des modernen Künstlers projiziert, zum Beispiel ein hohes Ethos des Individuums und seiner Freiheit. Mit der Entstehung der Ästhetik als philosophischer Disziplin – begründet durch Baumgarten – Mitte

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46 Die Vorstel-

lung einer Autonomie der Kunst proklamierte neben Carl Philipp Moritz vor allem Immanuel Kant, der in seiner Kritik der Urteilskraft 1790 die Vorstellung festigte, dass Kunst nicht die Natur nachahmen müsse, nicht an (moralische) Zwecke gebunden sein solle und nicht von gesellschaftlichen Einflüssen geprägt sei. Er verwies aber vor allem auch darauf, dass künstlerische Tätigkeit kein ‚Lohngeschäft’ und Kunst keine ‚Ware’ sei. (Kant 2006: S. 51, 211).

des 18. Jahrhunderts wird der Begriff des schöpferischen Genies erstmals zentrales Motiv der Künstlerfigur. „Ende des 18. Jahrhunderts ist das Genie gleichbedeutend mit dem Künstlergenie“ (Krieger 2007: 38). Die Figur des „modernen Künstlers“ sah ein schöpferisches Individuum mit einzigartiger ästhetischer Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit vor. „Um diese in einem Medium in eigenschöpferischer Arbeit ausleben zu können, wurde »dem Künstler« im Verlauf des 19. Jahrhunderts »künstlerische Freiheit« zugestanden, unter deren Schutz sich seine Phantasie ohne Beschränkungen durch Zwecke entfalten sollte. Zugleich wurde aber sein Einkommen weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt“ (Ruppert 2010: 397-402).46 Die Spaltung zwischen ideeller Aufladung und völliger Unsicherheit in Fragen der Existenzsicherung geht damit vor allem auf Vorstellungen des 18. Jahrhunderts zurück. Ruppert zeichnet diese unter Bezugnahme auf Friedrich Schillers „Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts“ nach. So habe Schiller vor dem Hintergrund der sich zeitgenössisch ausbreitenden bürgerlichen Kultur in den 1790er Jahren das ‚Reich der Kunst’ als Entfaltungsraum der Phantasie und der Bildung des Individuums projektiert, welches frei von den Zwecken des bürgerlichen Gelderwerbs bleiben sollte (vgl. Ruppert 2010, o. S.). Diese Vorstellung, dass Kunst und Einkommen nicht miteinander verbunden sein sollten, beherrschte die allgemeine Vorstellung mit massiven Folgen: Freiheit und Kunst wurden zu einem untrennbaren Narrativ. Die Kosten dieser Freiheit wiederum wurden nicht problematisiert. Schon mit dem Entstehen der Rolle des Künstlers als Figur in einem gesellschaftlichen Gefüge lässt sich so nachzeichnen, dass sich der Anspruch nach einmaligem künstlerischem Ausdruck, etwas, das sich mit dem Wort ‚Potential‘ beschreiben ließe, zwar von vornherein mit der Voraussetzung künstlerischer Freiheit verband – wie diese aber gewährleistet werden sollte, das wurde gesellschaftlich nicht thematisiert. Beginnend im 18. Jahrhundert wurde die Funktion der Kunst nach ihrer Loslösung aus religiösen oder politischen Zusammenhängen primär im Ästhetischen gesehen und somit auch mit Zweckfreiheit assoziiert. Das Anliegen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts war es, die Kunst aus eben jener Zweckfreiheit zurück in Wirksamkeit und Wirklichkeit zu überführen, verbunden mit der Hoffnung, der Kunst „ein anderes gesellschaftliches Fundament und damit auch eine neue gesellschaftliche Setzungsmacht zu verleihen“ (Gludovatz/Von Hantelmann/Lüthy/Schieder 2010: 9f.). Am radikalsten verfolgten den Anspruch, mit Hilfe der Kunst das Leben neu zu gestalten, die russischen Konstruktivisten, die, beflügelt durch die Oktoberrevolution 1917, völlig neue Möglichkeiten des künstlerischen Wirkens gegeben sahen. Ihr Ziel war es, die Wirklichkeit zum Gegenstand künstlerischen Handelns zu machen. „Vor diesem Hintergrund beschloss die Gruppe der ‚Konstruktivisten’ im Jahr 1920, von der rein ästhetischen Gestaltung der sog. ‚Laborarbeit’ überzugehen zur ‚sozialen Neugestaltung des gesamten Organismus’. Als Ziel formulierten sie in ihrem Grün-

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dungsmanifest die ‚Erstellung konstruktivistischer Installationen der neuen kommunistischen Lebensform’“ (Krieger 2007: 75). Dabei ließen sie den traditionellen Kunstbegriff mit allen anhängenden Mythen des schöpferischen Genies hinter sich und definierten Künstler als „Erfinder der Dinge, Organisatoren von Materialien, Arbeiter der Form“ (Kuschner 1922, zitiert nach Krieger 2007: 77). „Nieder mit einer Kunst, die nichts ist als ein Schönheitspflaster auf dem Leben der Reichen. Nieder mit einer Kunst, die ein funkelnder Stein im trostlosen und schmutzigen Leben der Armen sein soll. Nieder mit Kunst, die dazu da ist, einem Leben zu entfliehen, das es nicht wert ist, gelebt zu werden. Arbeite fürs Leben und nicht für Paläste, Kathedralen, Friedhöfe und Museen. Arbeite mitten in allem und mit jedem“ (Rodtschenko, Slogans, 1920/21. Zitiert nach Rollig 2002: 128). Angestrebtes Ideal war dabei nicht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, sondern das Aneignen des technischen Wissens der Ingenieure, um so selbst an der Spitze jedes Produktionsprozesses stehen zu können. Der Hauptvertreter dieses neuen ‚Produktivismus’, Alexander Rodtschenko, trennte die ins Museum gebrachten ‚dekorativen’ Kunstwerke von konstruktivistischen Schöpfungen, die das Leben organisieren sollten (vgl. ebd.). Wie viele andere Entwürfe der Produktivisten wurde Rodtschenkos Leseraum eines Arbeiterclubs mit dem Zweck, durch ideales Mobiliar den Arbeitern eine gewisse Freizeit und Erholung (mit edukativem Anspruch) bieten zu können, nie wirklich eingesetzt. Die politische Entwicklung in Russland wandte sich spätestens mit der Machtergreifung Stalins und dem sozialistischen Realismus gegen die als ‚dekadent’ kritisierten Entwürfe, und Rodtschenko konzentrierte sich auf seine Plakatkunst: „Aus dem ‚Ingenieur-Künstler’ an der Spitze der Produktion war einfach ein hervorragender Graphikdesigner geworden“ (ebd.: 77f). 1920 mahnt Tatlin diese Entwicklung geradezu prognostisch in der Zeitschrift Linke Kunst Front an: „Konstruktivisten! Nehmt euch in Acht, zu einer ästhetischen Schule zu verkommen. [...] Produktionskünstler! Nehmt euch in acht davor, Handwerker der angewandten Künstler zu werden. Lernt von den Arbeitern, während ihr sie unterrichtet. Eure Schule ist die Fabrik“ (Tatlin 1920, zitiert nach Rollig 2002: 131). Zeitgleich entstand in Frankreich mit den Situationisten eine Künstlerbewegung, die noch sehr viel weitreichendere Pläne als die Konstruktivisten verfolgte: Die Aufhebung der Kunst in der Lebenspraxis. Die daran anschließende kunsthistorische Entwicklung seit den 1960er Jahren (mit Happening und Fluxus) wurde bereits dargestellt. Letztlich verunmöglichte die politische Entwicklung in Europa und der Ausbruch des 2. Weltkrieges eine produktive Fortführung der Experimente, allerdings mit anderem Ausgang als in Russland: „Anders als die russischen Konstruktivisten, deren Pläne der Weltumgestaltung durch Kunst letztlich in der Vereinnahmung der Kunst gestrandet waren, mussten sich die Surrealisten unfreiwilliger Weise in die von ihnen verachtete Kunstautonomie zurückflüchten“ (ebd: 82). Eine wichtige Konsequenz der avantgardistischen Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Infragestellung des Künstlermythos‘ als schöpferisches Genie

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47 Die Trennung in diverse künstlerische Gattungen scheint angesichts der hier in den Blick genommenen hybriden künstlerischen Projekte überholt. Dies gilt meines Erachtens für die Kunst der Gegenwart insgesamt, da die tradierte Gattungszuordnung gerade im Bereich performativer Praktiken von vielen Künstlern durchaus bewusst suspendiert wurde. 48 So führte

beispielsweise Georg Brecht das Publikum als Protagonisten ein und machte ihn zum Ausführenden des Werkes in gleicher Weise, wie ein Musiker eine Partitur aufführt und umsetzt. Unter dem Einfluss seines Lehrers John Cage mutmaßte Brecht, dass die „Erfahrung in allen Dimensionen“ als verbale Komposition synthetisiert sein könne, und entschied, dass seine Werke nicht mehr den Charakter von Objekten haben und sie nicht mehr von ihm selbst ausgeführt werden sollten. Die Arbeiten von Marina Abramović, heute wohl die bekannteste PerformanceKünstlerin der Welt, deren

und damit die Infragestellung von Autorenschaft bzw. die Entwicklung innovativer künstlerischer Verfahren als Ergebnis einer Einzelleistung. Der in den 1960er Jahren proklamierte ‚Tod des Autors’, den Roland Barthes vor allem durch die Vollendung des Werkes (in seinem Fall eines literarischen) durch den Rezipienten sah, verschob die Konstellationen von Autoren und Rezipienten und rückte damit den Leser/Zuschauer ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch die ebenfalls bereits skizzierte Entwicklung partizipativer Kunstformen ist als direkte Konsequenz dieser Hinterfragung der Autorenschaft zu sehen: „Man sieht an diesem Schnelldurchlauf deutlich, wie verzweifelt man sich bis heute am Topos des Autors abarbeitet“ (Ziemer 2009: 2). Zu nennen wären hier (nach Verena Krieger) eine Vielzahl teils sehr unterschiedlicher Verweigerungsstrategien, die vor allem auf die Überwindung des Künstlergenies zielten, wie z. B. das Konzept des Ready-made von Marcel Duchamp (1917), der Einbezug des Zufalls als maßgeblichen künstlerischen Faktor in der DaDa-Bewegung oder die Infragestellung von Original und Reproduktion in Fotografien großer ‚Meisterwerke’ der Künstlerin Sherrie Levine in den 1970er Jahren (vgl. Krieger 2007: 149-169). Trotz aller Versuche und Strategien, die auch als ‚Antikunst’ bezeichnet werden, gelang es nie wirklich, den Mythos des genialen Künstlers als schöpferisches Individuum ganz loszuwerden. Massiven Einfluss auf diese Rollenzuschreibungen hatten (beginnend mit der Entwicklung der Akademien in der Renaissance) die entsprechenden Institutionen wie Universitäten, Museen und Theater, denen nach wie vor eine enorme Deutungsmacht zukommt, wie sich im Folgenden an der so genannten Stadttheater-Debatte zeigen lässt.

KALTER-KUNST-KRIEG:

STADTTHEATER VERSUS FREIE SZENE Durch die entstehende Performance Art in den 1960er Jahren überlagerten sich darstellende Praktiken mit solchen aus der bildenden Kunst zu einer performativen Praxis und stellten so die entsprechenden Zuschreibungen – sowohl an die bekannten künstlerischen Gattungen (und ihre Trennung in z. B. bildende Kunst mit Malerei und Bildhauerei und darstellende Kunst) – als auch die Rollen von Künstlern und Zuschauern grundlegend in Frage.47 Im Rahmen der entstandenen Action Art mit Happenings und Fluxus und Künstlern wie (u. a.) Allan Kaprow, George Brecht, John Cage, Joseph Beuys und später Marina Abramović wurde das klassische Verhältnis von Zuschauer und Künstler aufgekündigt und der Handlungsrahmen von beiden erheblich erweitert.48 Der Einfluss der Performance-Kunst führte zu einer Vielzahl an Post-Studio-Praktiken in einem Teilbereich, der immer hybrider wurde (und sich vermehrt jeder Gattungszuschreibung entzog). Dies veränderte auch die Arbeitsweise für Theater und Schauspieler. Es entstand eine neue Theaterform. Vor allem in der sogenannten

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Freien Szene, später durchaus auch an den Stadttheatern. Im Mittelpunkt stand nicht mehr das Aufführen des Dramentextes in möglichst präziser Form, sondern das Entwickeln eines ganz neuen Textverständnisses. Spätestens mit Hans-Thies Lehmann wurde zur Beschreibung dieser performancenahen Form des Theaters, die sich klar vom reinen Sprechtheater abgrenzte, der Begriff Postdramatisches Theater fest etabliert (vgl. Lehmann 1999). In diesem postdramatischen Theater wurde, angestoßen durch die Entwicklung der Performance Art der 1960er Jahre, die Verhandlung des theatralen Rahmens und damit die Gesamtheit der Aufführungssituation zum Kern des Inhalts (vgl. ebd.). Die Thematisierung des theatralen Rahmes ließ die Gegensätze wie Fiktion und Wirklichkeit, Bühne und Zuschauerraum brüchig werden. „In performativen Anordnungen, in denen es eine deutliche Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum ebenso wenig gibt wie die klare ontologische Unterscheidung zwischen wirklicher und fiktionaler Welt, wird sich nicht nur die (immer auch körperliche) Präsenz der Akteure intensivieren, sie wird auch auf den Zuschauer zurückwirken. Denn der Zuschauer ist dann nicht mehr ein sich im Dunkeln versteckender Konsument oder Voyeur, sondern ein – ebenfalls körperlich – Anwesender, der selbst, wenn auch nicht auf gleichberechtigte Weise, auf den theatralen Vorgang Einfluss nimmt“ (Rebentisch 2013: 73). Mike Pearson, erfolgreicher Theatermacher mit langjähriger eigener künstlerischer Praxis in unterschiedlichen Gruppen (Cardiff Laboratory Theatre (1973-80), Brith Gof (1981-97) Pearson/Brookes (1997-heute)) und Professor für Performance Studies an der Aberystwyth University in England, schreibt, die Entwicklung treffend zusammenfassend, in seinem Manifest 1998: „I want to get rid of the theatre ‚object’, the play, the ‚well-made-show’, the raison d҆etre of the critic...I want to problematize and renegotiate all three basic performance relationsships: performer to performer, performer to spectator (and vice versa), and spectator to spectator... I want to find different arenas for performance – places of work, play and workship – where the laws and bye-laws, the decorum and learned contracts of theatre can be suspended. I want to make performances that fold together place, performance and public“ (Pearson 1998: 37). In Deutschland entwickelte sich, an diese Veränderung des Werkverständnisses anschließend, eine zunehmende Trennung zwischen der freien Szene – Künstlern, die ohne festes Engagement in unterschiedlichen Projektkonstellationen häufig sehr experimentell arbeiten – und den Stadttheatern, die, mit einem angestellten Ensemble und Repertoire aufgestellt, deutlich besser finanziert vor allem für das Sprechtheater zuständig sind. „Der Begriff der Freien Szene wurde in Deutschland mit Verspätung in den 1980er Jahren geprägt, wo er verbunden war mit einem bestimmten soziokulturellen Milieu, für das freies Theater in Abgrenzung zum institutionellen Stadt- und Staatstheater stand. Die Abgrenzung erfolgte in Bezug auf Themen, Ästhetiken, Spielweisen und verstärkt seit den 1990er Jahren auch im Hinblick auf die Produktionsweisen der Gruppen“ (Siegmund 2013: 36). Auch wenn sich in den letzten Jahren (vor allem durch den steigenden finanziellen Druck) die Stadttheater zunehmend öffnen und es auch hier zu immer mehr

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Arbeit The artist is present im New Yorker MOMA 2010 über 750.000 Menschen sahen, zielten zunächst auf existentielle Grenzerfahrungen des eigenen Körpers und die Überschreitung sozialer Barrieren. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählt die Performance Rhythm 0 (1974). Abramović lag hier passiv und schutzlos auf einer Liege in einer Galerie. Um sie herum auf einem Tisch, scheinbar zufällig arrangiert, 72 Gegenstände. Darunter eine Peitsche, ein Lippenstift, eine Schere und ein geladener Revolver. Auf einem Schild stand die Aufforderung, die Gegenstände nach Belieben einsetzen zu dürfen. Das Ergebnis der sechsstündigen Performance war ein Tumult, die Künstlerin, nackt und beschmiert mit Slogans, spürte die Waffe im Nacken, blieb reglos liegen. Die Arbeit thematisierte neben diversen körperlichen, moralischen und ethischen Grenzen vor allem die Rolle des Publikums.

49 Auf dem Portal nachtkritik. de findet sich hierzu ein guter Überblick der in einem Dossier zusammengefassten Artikel der letzten Jahre: http://www. nachtkritik.de/ index (Letzter Zugriff 18.04.16).

Mischformen und Grenzüberschreitungen kommt, es sicherlich viele Ausnahmen eines Klischees des starren Stadttheaters gibt, indem Theater mit unterschiedlichsten Formen experimentieren und innovative Kunst fördern, bleibt durch die in Deutschland so einzigartige institutionelle Verankerung eine weitreichende Erwartungshaltung an den Handlungsrahmen hier arbeitender Künstler bestehen, der fest mit der Aufführung klassischer Dramentexte verbunden ist. Diese institutionelle Festschreibung ist Fluch und Segen gleichermaßen. Auf der einen Seite bietet die staatliche Finanzierung des Sprechtheaters, das in fast jeder größeren Stadt mit einem festen Haus als „Stadttheater“ zu finden ist, einen einmaligen und schützenswerten Arbeitsplatz für Künstler, die sonst immer gezwungen sind, in unsicheren finanziellen Verhältnissen zu arbeiten und sich von Engagement zu Engagement und damit völlig ohne Planungssicherheit zu bewegen. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich die Frage, welche Kunst und vor allem was für ein Kunstbegriff in diesen Stadttheatern gefördert wird. Seit Jahren wird dazu eine emotional stark aufgeladene Stadttheater-Debatte geführt, die in letzter Zeit wieder an Brisanz gewonnen hat.49 Diesen kulturpolitischen Zwist beschreibt Tobi Müller in seinem Radiofeature: Die neue Stadt und ihr altes Theater augenzwinkernd als „Kalten-Kunst-Krieg“ (Müller 2016: 0.S.). Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit im Jahr 2016 scheint dieser ‚Krieg’ sich wieder stark erhitzt zu haben, als der Intendant der Berliner Volksbühne Frank Castorf nach 25jähriger Amtszeit nicht verlängert wurde und als sein Nachfolger, der Leiter der Londoner Tate Modern Galerie, der Belgier Chris Dercon eingesetzt wurde. Entsetzen in der deutschen Theaterlandschaft und ein heftiger medialer Disput, in dem unterstellt wurde, die Volksbühne solle zum internationalen Eventschuppen umgebaut werden, waren die Folge. Wieder einmal ging es um ein In-Stellung-bringen des abgesicherten Repertoire-Theaters fester Ensembles gegen die flexiblen Strukturen der freien Gruppen. Der Vorwurf an letztere ist vor allem, dass sie für ein Ideal neoliberaler Selbstausbeutung stehen. Für eine Prekarisierung, die aber erst durch die ungerechte Verteilung staatlicher Mittel erzwungen ist: Der Großteil staatlicher Unterstützung geht an die festen Häuser. Allein in Berlin werden die 5 großen Stadttheater jährlich mit 81 Millionen Euro bezuschusst. (Freie Produktionshäuser wie das Hebbel am Ufer (HAU) erhalten dagegen lediglich 5 Millionen, die gesamte freie Szene Berlins wird mit 11 Millionen subventioniert.) Im Fall von Dercon geraten nun die eingeübten Fronten völlig aus dem bekannten Lot, denn die Verteidiger der alten Strukturen unterstellen gerade der Neuerung einen Ausverkauf der Kunst an das neoliberalistische System. Das behäbige Stadttheater und die entsprechenden Sympathisanten ernennen sich damit selbst zu Rettern der Freiheit der Kunst und befürchten in den neuen inhaltlichen Ausrichtungen eine Wandlung von der moralischen zur sozialen Anstalt (vgl. Müller 2016: o. S). Das Festhalten am Altbewährten an Traditionen und Zuschreibungen ist emotionaler kaum vorstellbar. Der Aufschrei um die neue Ausrichtung der Volksbühne ist dabei nicht nachvollziehbar, da die vier anderen Stadttheater inhaltlich alle ähnlich homogen aufgestellt sind und die traditionelle Ausrichtung

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auf Sprechtheater als gesichert gelten könnte. Die Stadttheater-Debatte in Berlin im Jahr 2016 macht so überdeutlich, dass es neue Institutionen für unsere heterogene Stadtgesellschaft braucht, da die Zuschreibungen und Erwartungshaltungen jenseits rationeller Argumente auf einer sehr emotionalen Basis zu verorten sind. Wie widerständig eine solche Umgestaltung ist, war Bertolt Brecht bereits 1930 klar, als er im Vorwort seines Stückes Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny schrieb: „Ihre Produktion gewinnt Lieferantencharakter. Es entsteht ein Wertbegriff, der die Verwertung zur Grundlage hat. Und dies ergibt allgemein den Usus, jedes Kunstwerk auf seine Eignung für den Apparat, niemals über den Apparat auf seine Eignung für das Kunstwerk hin zu überprüfen. Es wird gesagt: dies oder das Werk sei gut; und es wird gemeint, aber nicht gesagt: gut für den Apparat. Dieser Apparat aber ist durch die bestehende Gesellschaft bestimmt und nimmt nur auf, was ihn in dieser Gesellschaft hält.“ (Brecht 1959: 101). Zur Lösung ihrer Probleme setzen Theater bundesweit seit Jahren statt auf Wandel auf Wachstum, der dann aber mit freundlicher Unterstützung von XY co-finanziert werden muss (vgl. Müller 2016: o. S.). Die Zuschauerzahlen haben sich größtenteils aber auch mit dem Versuch der massiven Ausweitung des Angebots nicht verändert. Grund hierfür ist sicherlich auch die gesellschaftliche Zuschreibung an Theater, dessen Zielgruppe ein vermeintlich bürgerliches Publikum ist. Dieses ‚bürgerliche’ Publikum gälte es für ein Theater der Zukunft ganz neu zu definieren.

THEATER DER TEILHABE So kritisiert beispielsweise der Dramaturg und Autor Björn Bicker, dass ‚klassisches’ Bühnentheater nur noch eine kleine bürgerlicher Parallelgesellschaft erreiche, die mit der Lebenswirklichkeit und den drängenden Problemen der Gesellschaft nichts mehr gemein habe. Angesichts der sich verschärfenden Herausforderungen der Gegenwart auf allen Ebenen im sozialen, politischen oder ökonomischen Bereich bricht sich ein Bedürfnis nach Relevanz von Kunst Bahn, welches sich z. B. im Verlassen des rein artifiziellen, institutionellen Rahmens sowie in dem Verschwimmen der Zuständigkeiten zwischen politischer und sozialer Arbeit und entsprechend dem Entstehen ganz neuer Projektstrukturen zeigt: „Können wir dieser rasant komplexer werdenden Welt mit der Interpretation der immer gleichen literarischen Texte überhaupt noch gerecht werden? Ergehen wir uns nicht längst in einem sich selbst genügenden Ritual, bei dem es Abend für Abend vor allem darum geht, sich selbst und den anderen zu bestätigen, wie kritisch, aufgeklärt und wissend wir sind? Ist es nicht so, dass gerade das zeitgenössische Regietheater in seiner elaborierten Form der gesellschaftlichen Trennung verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen extrem Vorschub leistet, indem es genau diese Differenzen durch seine bildungshuberischen Barrieren kunstvoll zementiert?“ (Bicker 2011: o. S.).

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Bicker empfindet Theater auf der Bühne als affirmative Selbstvergewisserung, in einem klar abgesteckten artifiziellen Rahmen als ungenügend und verlässt deshalb mit seiner Arbeit Bunnyhill 2004 auf der Suche nach der urbanen Wirklichkeit Münchens die Bühne der Kammerspiele. Er fordert ein Theater der Teilhabe und gehört damit zu einem der ersten Theatermacher, deren Arbeit als ‚soziale Intervention’ beschrieben wird (Dambekalna 2012). Gleichwohl bemerken Kritiker den fehlenden ästhetischen Anspruch der Arbeiten. Der fixierte Blick auf einen künstlerischen Output solcher Projekte verstellt den tatsächlichen Kern, der vielmehr im Entstehungsprozess zu sehen ist. Sicherlich lässt sich der großen Mehrheit experimenteller Teilhabe-Projekte attestieren, dass sie ästhetisch oder künstlerisch nicht mithalten können mit den Standards der Feuilletons und Kritiker. Der Blick auf den ästhetischen Gehalt ist aber ein Blick in die Peripherie, denn im Zentrum dieser Projekte steckt eben nicht die Aufführung am Ende. Kunst ist hier nicht zu bemessen am künstlerischen Ergebnis, sondern am Prozess der Entstehung. Alles andere liefe auf überhebliche Arroganz hinaus: „Es kann nicht darum gehen, sogenannte Kunst in die Communities zu tragen. Dies sind paternalistisch-missionarische Akte, welche mit Kunst wenig bis nichts zu tun haben. Es geht darum, den Raum zu öffnen, die Polemik, welche Poesie und Kunst mit sich tragen, auch dort zu lassen, wo die Not des Alltags die Nützlichkeit als Bedingung zu diktieren scheint“ (Dias/ Riedweg 2002: 64). Der zentrale Bestandteil der Projekte ist die thematische Recherche und Entwicklung des Projektes gemeinsam mit Akteuren jenseits des Theaters. Die Teilhabe wird in diesem Prozess der Recherche, der Aneignung, der thematischen Fokussierung realisiert. Kunst entsteht somit weniger für den Betrachter im Nachhinein als für den Teilnehmer an diesem Prozess. Das Ergebnis ist darum auch für andere Kontexte interessant und bleibt eben nicht in einer reinen Kunstwelt verhaftet. Das Besondere dieser Arbeiten liegt in der Perspektive, die Künstler hier einnehmen und anderen anbieten, im Entwickeln von Methoden und Techniken, die sich im Idealfall übertragen lassen auf Kontexte, in denen Kunst dann vielleicht gar keine Rolle mehr spielt. In dem hier angeführten Beispiel aus München – Bunnyhill – vermischt sich künstlerische mit pädagogischer, sozialer und politischer Praxis, obwohl das Entwickeln eines Stücks zunächst das Hauptziel war: Ausgehend von einer realen Figur, einem bundesweit aus den Medien bekannten Jugendlichen, der dort einfach als Mehmet betitelt wurde und der Ende der 90er Jahre nach zahlreichen Delikten – vor seiner Strafmündigkeit – in die Türkei abgeschoben wurde, entwickelt Bicker gemeinsam mit dem Regisseur Peter Kastenmüller und den Teilnehmenden in einer Suchbewegung ein Format, in dessen Zentrum die Aufführung Ein Junge, der nicht Mehmet heißt steht. Jugendliche aus einem ähnlichen sozialen Milieu arbeiten gemeinsam mit professionellen Schauspielern in gleichberechtigten Teams. ‚Spielort’ wird das in München als Problemviertel bekannte Hasenbergl. Spartenübergreifend arbeiten Jugendliche, Lehrer, Aktivisten und Künstler in über 80 unterschiedlichen For-

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maten (von Theateraufführungen bis zu Diskussionsveranstaltungen) acht Wochen lang gemeinsam daran, das Verhältnis von Zentrum und Peripherie kritisch zu hinterfragen.50 Das Projekt oszilliert zwischen Sozialarbeit, Entertainment, Therapie, Theater, Party, Diskurs, Politik und Kunst (vgl. Bicker 2011: o. S.). Bickers zentrales Anliegen ist das Verlassen des theatralen „So tun als ob“. Die Konsequenz ist hier, die artifizielle Behauptung ins reale Leben zu überführen: Bunnyhill heißt der so gegründete fiktive Staat, der einen Raum schafft für reale Utopien. Allerdings auf Zeit.51 Für Bicker ist die zentrale Frage seiner Arbeit, wie sich die Grenzen zwischen sozialer, politischer und künstlerischer Praxis auflösen lassen und eine andere, neue Relevanz des eigenen Tuns erfahrbar wird (vgl. Bicker 2011: o. S.). Theater wird so zu einem Ort, der sich als Labor nutzen lässt: „Nachdem all die großen utopischen Projekte verblüht sind, ist es die tägliche Praxis, die uns nährt. Wenn ich es verkürzt sagen soll, dann geht es um drei Begriffe: Begegnung, Teilhabe, Kunst.“ (Bicker 2014: o. S.) Bicker versucht mit seiner Arbeit das Theater aus einem elitären Nischenplatz der eigenen Selbstbeweihräucherung zu befreien und sieht in Projekten wie Bunnyhill damit auch eine andere Form der Teilhabe verwirklicht, nämlich eine Teilhabe an öffentlichen Geldern, die zu 90% auf ein und dieselbe Zielgruppe zugeschnitten sind.52

PLATTFORM ODER PLAYER – WIE KANN 53

THEATER POLITISCH SEIN?

Wenn soziale Teilhabe und die Inszenierung von Begegnungen ins Zentrum rücken, verändert sich zwangsläufig auch das Ergebnis der Arbeit. Es lässt sich nicht mehr mit klassischen Analysemaßstäben der Kunstkritik bemessen und beurteilen, da Großteile des Geschehens nicht mehr sichtbar sind. „Der Konzeptkünstler Jochen Gertz hat die Wirkung dieser Art Kunst mit dem Auflösen einer Aspirin im Wasserglas verglichen. Man sieht die Materialität des Kunstwerks nicht mehr, aber sie ist noch da. Und hat Wirkung.“ (Bicker 2014: o. S.) Die Materialität des Kunstwerkes schreibt sich in die Erfahrung der Teilnehmenden ein und wird Teil der täglichen Praxis. Dabei löst sich die Kunst weder einfach im Leben auf, noch wiederholt sie das Leben einfach ohne den Anspruch, selbst wirklich zu sein (vgl. Rebentisch 2013: 80). Die treffendsten Beschreibungen liegen damit im Unkonkreten, sich Entziehenden bei Beschreibungen von Prozessen, Erfahrungen und Dynamiken, dem Osszilierenden oder Diffundierenden der Kunst in andere gesellschaftliche Bereiche und damit in entsprechenden Unsicherheiten: „Noch Kunst oder schon Design, Architektur, Alltag, Wissenschaft, Politik, Gastronomie...?“ (Kaestle 2004: 14). Der Versuch einer festen Zuschreibung bleibt im Zweifelsfall ergebnislos. Daher scheint es wesentlich interessanter, den Blick auf die so entstehenden Schnittstellen im Sinne neuer Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten zu lenken.

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50 Eine Thema-

tik, die in der Fortführung des Projektes: Bunnyhill 2 (2006) zum inhaltlichen Kern wird.

51 Die Temporalität der Projekte ist ein wesentlicher Punkt in Bezug auf die Frage nach Verantwortung und wird darum an späterer Stelle ausführlich thematisiert. 52 Da sich an den Arbeiten von Björn Bicker exemplarisch die Überlagerungen von künstlerischer Praxis mit sozialer Arbeit zeigen lassen, wird sein Projekt New Hamburg im Kapitel Die Kunst der Schnittstellen hinsichtlich dieser Schnittstelle vorgestellt. 53 „Plattform oder Player – Wie kann Theater politisch sein?“ war der Titel einer Sektion im Rahmen der von der Heinrich-BöllStiftung 2015 veranstalteten Konferenz „Theater und Netz“.

54 Sehr anschaulich wird dieser Disput in dem Gespräch „Zwischen Tahir-Platz und Stadttheater: Was ist politisches Theater?“ zwischen Bernd Stegemann und Florian Malzacher, welches die politischen Potentiale zeitgenössischen Theaters fokussiert und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten traditioneller Theatermittel und performativer Formen thematisiert. In: Theater der Zeit 6/2016: 20-26.

Kritiker befürchten in der Ausbreitung engagierter Kunst, die den Entstehungsprozess auf Kosten der ästhetischen Wirkung ins Zentrum ihres Tuns setzt, die Gefahr eines Verlustes künstlerischen Genies – beispielsweise der Virtuosität der Schauspielkunst und ein fehlendes Diskursniveau. Gefordert wird in dieser Perspektive vor allem, dass man sich wieder auf die einmalige Rolle der Kunst als einer spiegelnden Funktion besinnen solle, die Probleme offenlege und repräsentativ verhandele, anstatt sie in direkter Handlung zu bearbeiten. Die Stärke von Kunst wird hier primär in einer ästhetischen Erfahrung gesehen, in einem Aufrütteln, einer thematischen Konfrontation, weniger in einem Moment der Teilhabe.54 Dass die Diskussionen um die jeweilige Daseinsberechtigung künstlerischer Formate so intensiv geführt wird und es überhaupt zu einem Eindruck des „Entweder/ Oder“ kam, ist nicht zuletzt auch einer Förderlogik geschuldet, die aktuell vor allem den Anspruch verfolgt, künstlerische Projekte mit sozialen Anliegen zu fördern, was wiederum Arbeiten, die vordergründig ästhetische Absichten verfolgen, schwer finanzierbar macht. Bei dieser Entwicklung bleibt kritisch zu hinterfragen, ob sie einer Auslagerung sozialstaatlicher Verantwortung auf Kosten preiswerterer Künstler entspricht oder als Reaktion auf dringende Handlungsnotwenigkeit auf Grund der Probleme einer sich rasant verändernden Gegenwart zu lesen ist. Die aufgeführten Beispiele belegen, dass der Dreh- und Angelpunkt der (Be-)Wertung künstlerischer Praktiken nur vor dem Hintergrund einer historischen Entwicklung eines der Kunst zugestandenen Tätigkeitsfeldes zu denken ist. So sehen die einen in der Lebensweise Kulturschaffender das zukunftsfähigste und beste Beispiel einer Avantgarde für die neue Arbeitswelt (vgl. Goehler 2006). Die anderen befürchten in diesem Bild des Künstlers als „flexibler Mensch“ gerade die Verfestigung neoliberaler Vorstellungen – „die eben doch wieder ökonomische Effizienz vor Sinnstiftung im Auge haben und den Menschen letztlich als Material betrachten“ (Hueck 2006: o. S.).

KUNST ALS KOLLEKTIVES HANDELN – ZUR

KUNSTSOZIOLOGIE VON HOWARD S. BECKER Die zentrale Veränderung in der Kunst ab 1960 betrifft, wie im vorigen Kapitel skizziert wurde, vor allem die sich wandelnde Rolle des Publikums. Diese Wendung meint aber nicht nur die Dominanz partizipativer Strategien in Einzelprojekten, sondern hatte Auswirkungen auf den Bereich der Kunst als Ganzes: „Bis in die 1950er Jahre war die jeweils neueste Kunst eine Angelegenheit für einen kleinen, elitären Kreis von Spezialisten, die ‚artist҆s world’. Ab den 1960er Jahren spricht man von der ‚art world’, also der Kunstwelt oder Kunstszene“ (Ursprung 2012: 13). Das entsprechende Feld ist dynamisch, die Grenzen sind nicht mehr so elitär. Mit den Begriffen Kunstwelt und Kunstfeld befinden wir uns im Forschungsbereich der

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Soziologie. Vor allem im Bereich der Kunstsoziologie werden viele der hier relevanten Fragen von sehr unterschiedlichen Theoretiker*innen seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Nicht nur versucht das Feld der Kunstsoziologie zu bestimmen, wie Kunst entstanden ist, wer darüber bestimmt, wann Kunst als Kunst gilt und welches Publikum sich hieraus ergibt. Intensiv diskutiert die Kunstsoziologie auch, „ob es überhaupt sinnvoll ist, Kunst und Gesellschaft analytisch voneinander zu trennen, und ob nicht die Verflechtungen der Künste mit ihrer jeweiligen Gesellschaft so vielfältig und komplex sind, dass Kunst grundsätzlich nur gesellschaftlich zu bestimmen ist“ (Danko 2012: 5). Die Vorstellung eines genialen Einzelschöpfers, der völlig autonom agiert, gilt dabei, wie gezeigt wurde, als überholt. Die Kunstsoziologie betrachtet Kunst als ein Sozialsystem und unterscheidet die Bereiche Produktion, Distribution und Rezeption, wobei der jeweilig spezifische soziale, kulturelle, politische und ökonomische Kontext als maßgeblicher Einflussfaktor berücksichtigt wird.55 Ein solch soziales Gebilde ist gekennzeichnet durch die spezifische Qualität von Interaktionen, die Einheit einer Organisation und die Eigenart einer gesellschaftlichen Wertsphäre (vgl. Kaupert/Eberls 2016: 6). Vor diesem Hintergrund werden die in der Soziologie etablierten Unterscheidungen in Kunstfeld (Pierre Bourdieu), Kunstwelten (Howard Becker) und Kunstsystem (Niklas Luhmann) interessant. Pierre Bourdieus Theorien (vor allem seine Habitus-Theorie) beschäftigen sich sowohl mit dem Handeln einzelner Akteure als auch mit den sie determinierenden Strukturen, die dieses Handeln prädisponieren. Niklas Luhmann hingegen thematisiert Kunst als ein sich selbst erhaltendes System jenseits individueller Akteure. Howard Becker schließlich legt dar, wie eine Kunstwelt genuin durch die Handlung einzelner Akteure erzeugt wird (vgl. Danko 2012: 10). Für die hier verfolgte Fragestellung sind die Untersuchungen des nordamerikanischen Soziologen Howard S. Becker von besonderem Interesse, da er mit seinem soziologischen Konzept der Kunstwelten eine Perspektive eröffnet, in der Kunstformen an Bedeutung gewinnen, die gemeinsames, soziales Handeln als Kunst zur Darstellung bringen (vgl. Bourriaud [1998] 2002, Bishop 2012). Für Becker entsteht Kunst aus kollektivem Handeln, sie besteht aber nicht unbedingt daraus (vgl. Danko 2015: 151). Die Theorien Beckers zu Kunst als kollektivem Handeln sind hierzulande nach wie vor wenig bekannt. Dies verwundert zunächst, scheinen sie doch aktueller denn je, erklärt sich aber durch eine in Deutschland traditionell verankerte Orientierung an der französischen Soziologie. Beckers zentrale These betrifft die Rolle einer Vielzahl von Akteuren, die bei der Entstehung von Kunst zusammenarbeiten: „Art worlds consist of all the people whose activities are necessary to the production of the characteristic works which that world, and perhaps others as well, define as art“ (Becker [1982a] 2008: 34). Im deutschsprachigen Raum hat sich vor allem die Soziologin Dagmar Danko intensiv mit den Theorien von Becker beschäftigt. Becker

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55 Dass bereits die Unterscheidung zwischen Produktion und Rezeption in den hier untersuchten Arbeiten letztlich verunmöglicht wird, verdeutlicht bereits die Verschiebung von Grenzen durch Kunst.

56 Ein Vergleich

mit dem Konzept der sozialen Plastik von Joseph Beuys, der mit seiner Vorstellung der Möglichkeit der kreativen Einflussnahme jedes Einzelnen auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse einen anthropologischen Kunstbegriff verfolgte, ist vor diesem Hintergrund wesentlich und wird an späterer Stelle mit Bezugnahme auf eine soziale Praxis an der Schnittstelle von künstlerischer und sozialer Arbeit skizziert.

führe, so Danko, die Tradition der Chicago School of Sociology und des Symbolischen Interaktionismus fort, bereichere sie um neue Gebiete und entwickele eigene Ansätze und Thesen, die stets dazu anregten, gängige soziologische Modelle und Arbeitsweisen zu hinterfragen. Zentraler Gedanke bei Becker ist dabei, dass Gesellschaft (und damit auch die Kunst) durch kollektives Handeln entsteht (people doing things together) (vgl.: Danko 2015: 147). Dabei sind im Gegensatz zu den Theorien des Kunstfeldes (Bourdieu) und des Kunstsystems (Luhmann) Beckers Kunstwelten durch Heterogenität und Instabilität gekennzeichnet: „Folglich ist jede Kunstsituation separat zu untersuchen, da jede Kunstwelt eigene Merkmale, Regeln und Interaktionsmuster hat. Die Vorstellung, dass Struktur, Aufbau und Organisation der Künste für allgemein gültig erklärt werden können, wird laut Becker nicht der Tatsache gerecht, dass für die Schaffung von Kunstwerken stets neue Personen zusammenfinden und dass jedwede Form von Kooperation mehr oder weniger temporär ist“ (Danko 2015: 89). Die Kunstwelten bestehen nach Becker und seinem Credo: people doing things togehter eben nicht nur aus Künstler*innen und deren Werken, sondern vor allem auch aus diversen Akteuren und Strukturen, die auf das Kunstwerk Einfluss haben. Die Konsequenz ist einmal mehr die Verabschiedung des romantischen Schöpfermythos‘ und des genialischen Einzelkünstlers. Für Becker sind auch jene Werke, die einzelnen Malern, Komponisten etc. zugeordnet werden, Ergebnis von kollektivem Handeln. Schöpfung wird somit zur Produktion, und die lässt sich teilen. Kooperation ist dabei das zentrale Motiv. „All das, was von dem so definierten Künstler nicht gemacht wird, muss durch andere ausgeführt werden. So arbeitet der Künstler im Zentrum eines großen Netzwerks von kooperierenden Personen, deren Arbeit für das Endprodukt wesentlich ist. Sobald er auf andere angewiesen ist, besteht eine kooperative Verbindung“ (Becker [1974] 1997: 26). Diese „anderen“ bezeichnet Becker als unterstützendes Personal. „Marcel Duchamp hat die Gemüter erhitzt, indem er darauf bestand, dass er ein wirkliches Kunstwerk geschaffen hatte, als er einen industriell produzierten Schneeschieber oder eine Reproduktion der Mona Lisa, an die er einen Schnurrbart gezeichnet hatte, signierte. Damit ordnete er Leonardo genauso wie den Designer und den Hersteller des Schneeschiebers als unterstützendes Personal ein“ (Becker [1974] 1997: 26).56

DIE KUNST ZUKUNFTSFÄHIGER ARBEITSORGANISATION

An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass Beckers Theorie auch die hierarchischen Strukturen in den Kunstwelten torpediert. Den Künstler nicht mehr als genialen Einzelschöpfer zu definieren, sondern ihn als gemeinsam Handelnden zu sehen, ist eine Perspektive, die er mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu teilt, für den das jeweilige soziale Gefüge maßgeblicher Faktor für die Arbeit des Künstlers

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ist. Diese Gemeinsamkeit bleibt aber singulär, denn Beckers Theorie der Kunstwelten, in denen das Diktum „people doing things together“ Hierarchien überwindet, gilt als Gegenstück zur Feldtheorie von Pierre Bourdieu, in der sich Klassenunterschiede und Machtverhältnisse im Kampf um Vorherrschaft stets reproduzieren (Bourdieu [1979] 1982, [1992] 1999). Becker macht im Gegensatz zu dieser determinierenden Analyse die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen viel stärker. Das Habitus-Konzept wird von ihm nicht negiert, aber er hält es für überwindbar und für zu plakativ: „Bourdieu described the social arrangements in which art is made – what he calls a field – as if it were a field of forces in physics rather than a lot of people doing something together. [...] The people who act in a field are not flesh-and-blood people, with all the complexity that implies, but rather caricatures, in the style of the homo economicus of the economists, endowed with the minimal capacities they have to have to behave as the theory suggests they will“ (Becker mit Pessin [2005] 2008: 374). Auf der Folie der forschungsleitenden Fragestellung wird Beckers Analyse der kollektiven Handlung und der damit verbundenen Verschiebung der Rollenzuweisungen zentral. Daran gekoppelt ist für ihn der kontinuierliche Wandel, der ‚drift‘, der alles gesellschaftliche Leben betrifft. Der Kunstwelt schreibt er dabei eine zentrale, weil innovative Rolle zu, denn er sieht in Künstlern Erfinder zukunftsfähiger Arbeitsorganisation: „No art world can protect itself fully or for long against all the impulses for change, whether they arise from external sources or internal tensions. But I do want to insist on the crucial importance of organizational development to artistic change. [...] Most history deals with winners. The history of art deals with innovators and innovations that won organizational victories, succeeding in creating around themselves the apparatus of an art world, mobilizing enough people to cooperate in regular ways that sustained and furthered their idea. Only changes that succeed in capturing existing cooperative networks or developing new ones survive“ (Becker [1982a] 2008: 300f.). Erprobte und konventionelle Strukturen lassen sich nicht über Nacht durchbrechen, nur weil ein genialisches Künstlergenie einen Einfall hat. Innovationen verlangen nach Kooperationen, um nachhaltig wirksam zu werden. Im Fall der Umsetzung einer künstlerischen Idee braucht es daher von vornherein ein Netzwerk von Vielen, um diese Idee auch umsetzen zu können. Künstler sind darin trainiert, ausreichend Ressourcen und Unterstützung zu mobilisieren, da ihr Erfolg von jeher davon abhing, genug Menschen von ihrer Idee zu überzeugen, um sie auch verwirklichen zu können (vgl. Danko 2015: 92). Die Kraft künstlerischer Innovation in der Entwicklung zukunftsfähiger Arbeitsorganisationen zu sehen, wird vor allem im Hinblick auf stadtgestaltenden Prozesse elementar: Wenn Kunst von jeher kollektives Handeln bedeutet, dann ist die Rolle des Künstlers als Entwickler innovativer Settings dieses gemeinsamen Handelns nicht hoch genug zu schätzen. Vor allem, wenn es um langfristige Prozesse geht, bekommt diese Organisationsfunktion zentrale Bedeutung: „As with many longterm efforts, the longer the project, the more the artists must behave like organizational

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structures in order to operate efficiently, and combat fatigue and overextension“ (Thompson 2012: 32). Zusammenfassend lässt sich beispielsweise mit Blick auf die Arbeit von Björn Bicker feststellen, dass die hier untersuchten Projekte noch einen Schritt weitergehen: Nicht nur entwickeln sie sich – wie jedes Kunstwerk mit der Perspektive von Becker – in einem kollaborativen Entstehungsprozess, sondern die Kollaboration ist hier auch Mittel und Ziel gleichermaßen. Diese Arbeiten entfernen sich zwar von dem klassischen als einem ästhetischen Kunstverständnis: der Suche nach dem Schönen, Wahren und Guten. Es lässt sich jedoch nicht von einer ‚Entkunstung von Kunst‘, wie sie Adorno vorschlägt, sprechen. Es handelt sich vielmehr um „Entgrenzungen“ als „affektive Entdramatisierung“ des Künstlerischen sowie des Kunstfeldes (vgl. Reckwitz 2012, 54 ff. und 95ff.). Wie dargelegt wurde, ist dies begründet in der Verschiebung von der Werk- zur Ereignisästhetik und damit der Hervorhebung des Prozesses gegenüber dem Produkt, durch die Distanzierung von der Idee des Künstlersubjekts als einzigem Schöpfer, durch das Einreißen der Grenze zum Publikum und die Verabschiedung von institutionellen Rahmungen. Diese Arbeiten stehen somit beispielhaft für eine Vielzahl künstlerischer Projekte, die sich einer Kategorisierung nach tradiertem Schema entziehen, da sie Genregrenzen sowohl bewusst unterlaufen als auch über das Feld der Kunst hinausweisen und andere Beziehungen als jene zum Kunstfeld eingehen (vgl. Berger/Weber 2016: 143). Mit Blick auf die künstlerische Praxis als verbindendes Element dieser Beziehungen, die im nächsten Kapitel untersucht werden, ist zuvorderst die Frage nach dem Labeling der Arbeiten wesentlich, denn neben dem Selbstverständnis der Akteure ist die Frage nach der Zuschreibung an das Ergebnis im Sinne der Frage: Handelt es sich um Kunst? in transdisziplinären Arbeiten häufig wichtig.

LABELING UND DISZIPLINÄRE KONSEQUENZEN Viele Herausforderungen transdisziplinärer Zusammenarbeit beziehen sich auf die Frage des Labelings: Wer entscheidet, wann etwas als Kunst/Architektur/Planung/Sozialarbeit usw. gilt und wann nicht? Die Lesart der Selbstermächtigung der Künstler*innen zur Teilhabe an Stadtgestaltung durch ihre Arbeiten an Schnittstellen, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, ist zuvorderst auch eine Selbstermächtigung in Bezug auf das Labeling der eigenen Arbeit als Kunst. Auf die Frage, ob Künstler*innen (wie Stadtplaner*innen und Architekt*innen) ihre Arbeit als Kunst und sich selbst als Künstler*in sehen, erhält man unterschiedliche und häufig sehr emotionale Antworten. Für viele Akteure, die in entsprechenden Kontexten arbeiten, ist ein Labeling als Kunst oder Künstler*in nicht unbedingt positiv. In dieser Rolle sehen sie sich nicht mehr als gleichberechtigt Handelnde, gerade wenn es um die Zusammenarbeit mit Behörden geht. Auf der anderen Seite gibt es gerade an der Schnittstelle zu politischer Kunst und Aktivismus eine Vielzahl von Initiatoren, die das Labeling als Künstler*in bzw. der Arbeiten als Kunst als Camouflage-Taktik

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benutzen, um Formate und Inhalte an der Grenze zum Illegalen zu entwickeln und sich so Freiräume schaffen. Die unterschiedlichen Haltungen zeigen aber vor allem, dass mit dem Label Kunst in jedem Fall Zuschreibungen verbunden sind, deren Wirkungsmacht nicht unterschätzt werden sollte. Die weit verbreitete Aversion gegen Zuschreibungen jedweder Art mit der Haltung: „Ist doch egal, ob Kunst oder nicht, wichtig ist das Ergebnis!“ mag zunächst sympathisch wirken, halte ich aber, wird sie nicht bewusst taktisch eingesetzt, für grundverkehrt. Diese Haltung verkennt grundlegend die Wirkungsmacht von Zuschreibungen und die entsprechenden Konsequenzen für die Wahrnehmung der Arbeiten.

DER PARASITÄRE KUNSTBEGRIFF Auch wenn die Freiheit der Kunst, die Autonomie von Gesellschaft und alle anhängigen Zuschreibungen auf einen Mythos zurückzuführen sind, bleibt die Aufrechterhaltung des Labels Kunst und die Anerkennung eines existierenden Kunstfeldes für den Impact der Arbeiten elementar. Zur Beschreibung dieser Wirkungsweise bietet sich der parasitäre Kunstbegriff nach Pierangelo Maset an. Aus der Vielzahl der kursierenden Kunstbegriffe summiert er vor allem drei zentrale Begriffe, einen repräsentativen, einen strategischen und einen parasitären: „Der parasitäre Kunstbegriff hingegen wohnt in einem anderen Kunstbegriff ein und benutzt ihn für seine Zwecke. Er subvertiert ein vorhandenes Paradigma durch eine zunächst kaum merkliche Veränderung. [...] Der parasitäre Kunstbegriff operiert mit der Ambivalenz, die durch die Störung der Repräsentation bewirkt wird. Durch eine allmähliche Übernahme erzielt er eine strukturelle und qualitative Transformation“ (Maset 2002: 94). Deshalb steht in dieser Arbeit weniger die Frage Ist das noch Kunst? als die Frage Was kann die Kunst? (vgl. Ziemer 2009b) im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Die Überschreitung des der Kunst zuerkannten Handlungsfeldes ist dabei genuin an das Entstehen einer neuen engagierten Kunstform gebunden, deren Ergebnis vor allem in der Bedeutung neuer Methoden bzw. des Einsetzens bewährter Methoden in anderen Kontexten ist: „Defying discursive boundaries, its very flexible nature reflects an interest in producing effects and affects in the world rather than focusing on the form itself. In doing so, this work has produced new forms of living that force a reconsideration and perhaps new language altogether. As navigating cultural symbols becomes a necessary skill set in basic communication and pedagogy, let alone community organizing, the lessons of theater, art, architecture, and design have been incorporated in a complex array of social organizing methodologies. Deep research, media campaigns, dinners, conversations, performances, and online networking are just a few of the numerous techniques deployed in this strategic and tactical playing field“ (Thompson 2012: 32f.)

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Die Antwort auf die eingangs zitierten Fragen liegt entsprechend im Entstehen einer neuen urbanen Praxis, in der sich künstlerische mit aktivistisch engagierten Handlungen mit dem Ziel überlagern, Teilhabe an der Gestaltung von Stadt zu ermöglichen. Diese neue urbane Praxis ist keine Selbstverständlichkeit, denn sie stellt viele der eingeübten Vorstellungen zu der Rolle von Kunst und Künstler*innen und ihren Institutionen in Frage und führt zu teils massiven Konflikten gerade auch im Hinblick auf disziplinäre Zuordnungen und identitäre Selbstverständnisse. „Wesentlich dabei ist die Anerkennung von Differenz und Differentem und das Verständnis von Verschiedenheit als Ressource. Wichtig ist die Bewegung an den Grenzen, die Entwicklung von Übergängen“ (Putz-Plecko, Barbara 2002: 108). Diese Forderung ist für die erfolgreiche Zusammenarbeit elementar, denn nur in der Anerkennung der Differenz, der unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge können neue Methoden und produktive Settings entstehen. Im folgenden Kapitel Die Kunst der Schnittstellen stehen darum die Beziehungen von Kunst und politischem Aktivismus, Kunst und sozialer Arbeit sowie Kunst und Stadtplanung im Fokus.

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57 www.disziplinaeregrenzgaenge.de (Letzter Zugriff: 22.02.17).

DIE KUNST DER SCHNITTSTELLEN „Die Gestaltung von Lebensraum gehört seit jeher zum Aufgabengebiet der Kunst – heute werden nicht nur Oberflächen, sondern Lebens- und Überlebensbedingungen gestaltet“ (Voigt 2015a: 56).

W

enn mit künstlerischer Praxis nicht mehr nur Fragen gestellt werden, sondern es auch darum geht, konkrete Lösungsansätze zu finden und zu testen, wenn Kunst zu einer handelnden und damit intervenierenden Praxis in ganz konkreten gesellschaftlichen Kontexten wird, dann interferiert sie automatisch mit anderen Bereichen. Im Zentrum dieses Kapitels stehen Herausforderungen und Chancen, die durch diese Interferenzen von künstlerischer Praxis an den Schnittstellen zu Aktivismus, sozialer Arbeit und Stadtgestaltung entstehen. Wie Schnittstellenarbeit wirklich produktiv funktionieren kann, ist dabei die forschungsleitende Frage. Aber was zeichnet eine Schnittstelle überhaupt aus? Die Bewegung an den Grenzen und Übergängen wird in dieser Forschung unter dem Begriff der Schnittstelle adressiert. Voraussetzung hierfür ist zunächst eine Unterteilung in verschiedene (beispielweise) fachliche, ästhetische oder auch gesellschaftspolitische Bereiche. Die unterteilten oder auch abgegrenzten Bereiche berühren sich dann wieder in den Schnittstellen geteilter Ambitionen. „Die Zwischenräume und Nischen können zu Schnittstellen werden und als Möglichkeit des Austauschs inter- und transdisziplinäre Plattformen bilden.“ 57 Die teils sehr unterschiedlichen Definitionen von Schnittstellen – einem Terminus, der in diversen Professionen Verwendung findet (jüngst vor allem im IT Bereich als Interface) – haben einen für die Fragestellung dieser Arbeit wesentlichen Punkt gemeinsam: Eine Schnittstelle stellt immer Kontakt her, sie schafft dadurch eine Berührung von unterschiedlichen Ebenen oder Bereichen und steuert oder initiiert so innovative Prozesse und gestaltet andere Beziehungen. Wie genau diese anderen Beziehungen gestaltet sind, welche neue Professionen hier entstehen und welche Verschiebungen damit verbunden sind, ist für die forschungsleitende Frage nach der Rolle der Kunst in kollaborativen Prozessen der Stadtgestaltung elementar, denn hier werden zentrale Charakteristika für eine Definition von Schnittstellen offenbar, auf die diese Analyse unter anderem zielt. Im letzten Kapitel wurde gezeigt, dass die Veränderung des Selbstverständnisses sowie der Tätigkeitsfelder von Künstler*innen ein fortlaufender Prozess ist, der immer gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen korrespondiert. Dieses Selbstver-

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ständnis steht somit auch in direkter Verbindung zu Veränderungen in anderen Berufsgruppen und Disziplinen. Ein grundlegender Ausgangspunkt dieser Forschung ist dabei die Beobachtung, dass die Hinterfragung von individuellen wie repräsentativen Rollen nicht nur im Kunstfeld zusehends an Fahrt aufnimmt. Dass das Umdenken, das Neudenken von Professionen und Arbeitsfeldern Konjunktur hat, lässt sich beispielsweise an diversen Veranstaltungen (mit ganz unterschiedlichen Hintergründen) der jüngsten Vergangenheit zeigen. Sei dies bei dem von der Stadtplanung der HafenCity Universität im Sommer 2016 initiierten Symposium Disziplinäre Grenzgänge, das mit einem Perspektivwechsel nach neuen Arbeitsfeldern in Stadtplanung und Stadtforschung fragte, bei dem im Herbst 2016 stattgefundenen Urbanize Festival der Stadtforschungszeitschrift Dérive, dem diskursiven Festival Theater und Aktion, veranstaltet am Schauspiel Dortmund im Herbst 2015, dem österreichischen Festival Steirischer Herbst 2012 mit einem Marathon Camp zu künstlerischen Strategien in der Politik und politischen Strategien in der Kunst oder des im Rahmen des Darmstädter Architektursommers 2014 stattgefundenen Symposiums Stadt als Handlungsraum, bei dem ein neues Experimentierfeld urbaner Möglichkeiten vor allem auch hinsichtlich neuer Professionen ausgemacht wurde.58 Allen diese Veranstaltungen ist gemeinsam, dass die Veränderung bzw. Verschiebung der sie kennzeichnenden Handlungsfelder hin zu anderen Bereichen so spürbar geworden schien, dass es einer entsprechenden öffentlichen und/oder akademischen Reflektion bedurfte. Sie alle eint damit die Diskussion einer deutlichen Bewegung an den Rändern und Übergängen und damit die Thematisierung von Schnittstellen.

HYBRIDE ROLLEN „Ist es nicht die Kreuzung der Felder zu einer neuen Disziplin, die wirkliche Innovation erwarten lässt?“ (Rajakovics 2015: 139). Diese Beispiele zeigen bereits eindrücklich, dass tradierte Rollenmuster in jüngster Vergangenheit offensichtlich in unterschiedlichen Fachbereichen in Frage gestellt werden. Es kommt zu Verhandlungen disziplinärer Zuständigkeiten: Architekt*innen, Künstler*innen, Stadtplaner*innen und Aktivist*innen werden zu Moderator*innen in städtischen Gestaltungsprozessen. Theater, Museen und andere kulturelle Institutionen führen Stadtprojekte durch, Künstler*innen agieren als Stadtentwickler*innen oder vice versa, Kurator*innen kuratieren Stadt und nicht mehr nur Kunst, Künstler*innen agieren als Sozialarbeiter*innen, politische Aktivisten*innen werden mit künstlerischen Auszeichnungen bedacht usw. Sehr unterschiedliche Akteure werden so zu Moderator*innen, Organisator*innen und Initiator*innen in urbanen Entwicklungsprozessen jenseits disziplinärer Zuschrei-

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58 http://www. osthang-project. org/kalender/ symposiumstadt-als-handlungsraum-12/ (Letzter Zugriff 03.04.17).

59 Diese Konsequenzen u.a. für Governance und der Verlagerung sozialstaatlicher Verantwortlichkeit in prekär finanzierte Projektarbeit wird im nächsten Kapitel unter dem Titel Die Kunst der Verantwortung ausführlich diskutiert.

bungen und Selbstverständnisse. Sie praktizieren eine neue Form der kollaborativen Stadtgestaltung, die gut organisiert sein muss, um erfolgreich zu sein, und reflektiert genug, um sich hegemonialer Mechanismen bewusst zu sein, da sie unmittelbare Folgen beispielsweise für Fragen nach Governance und sozialstaatlicher Verantwortung hat.59 Die konstatierte Hybridisierung von Tätigkeitsfeldern ist aus der Perspektive der Kunsttheorie kein neues Phänomen. Theodor W. Adorno beschrieb schon 1967 in seinem Aufsatz Die Kunst der Künste die Auflösung der Gattungsgrenzen innerhalb der Kunst als eine „Verfransung der Künste“ (Adorno 1977a: 432). Dieses Bild ließe sich auf aktuelle Diskussionen in der Kunstgeschichte, Kunstphilosophie oder der Kunstsoziologie übertragen, die längst jenseits von künstlerischen Gattungen stattfinden und die Diffusion künstlerischer Praxis in ganz andere Handlungsbereiche beschreiben. Mit neuer Dominanz und vor dem Hintergrund dieser perspektivischen Verschiebung wurde die Diskussion um die Hybridisierung der Kunst zentraler Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen der letzten Jahre: Ob kritisch hinterfragt als Selbstentgrenzung der Künste oder Entkunstung der Kunst (Kauppert 2016), als Begriffsneuschöpfung wie Artivismus (Schmitz 2015), als Beschreibung eines Prozesses wie Transformationen in den Künsten (Reiche 2011), als Bewegung über das Kunstfeld hinaus als Ausweitung der Kunstzone (Fischer-Lichte 2010), als neue Praktik wie Kunsthandeln (Gludovatz 2010), als Entgrenzung der Künste (Eiermann 2009) oder als Auflösung der Disziplinen als Verflüssigungen (Goehlers 2006). All diese Publikationen eint trotz diverser fachlicher Ausrichtungen (und teils ganz unterschiedlicher Ansätze) die Feststellung eines veränderten Profils künstlerischer Tätigkeit. Dies führt notwendig zu einer Neuverhandlung von Beziehungen. Wie beschrieben, betrifft dies beispielsweise den veränderten Umgang mit Fragen nach Teilhabe sowie den damit verbundenen veränderten Rollen von Zuschauer*innen wie Künstler*innen. Die Neuverhandlung von Beziehungen zielt aber auch auf das Verhältnis zu anderen Disziplinen und betrifft damit das professionelle Selbstverständnis von Künstler*innen wie Architekt*innen, Planer*innen, Sozialarbeiter*innen und Aktivist*innen gleichermaßen. Aus der Perspektive der Kunst ist die Schnittstelle zu anderen Arbeitsbereichen verbunden mit neuen und anderen Handlungsmöglichkeiten, die sich einer rein artifiziellen Ausrichtung verweigern und stattdessen auf die Möglichkeit tatsächlicher Veränderung, auf Aktion und Prozess zielen. Die in der Einleitung beschriebene ‚Sehnsucht nach künstlerischer Relevanz’ ist hierbei ein treibendes Motiv der starken Zunahme entsprechender Projekte, ausgehend vom Feld der Kunst. Aus der Perspektive der Stadtplanung bietet der Bereich der Kunst die verlockende Möglichkeit, deutlich experimenteller und unter Umständen ergebnisoffener zu arbeiten, eine Arbeitsweise, die in klassischen Planungsabläufen meist gar nicht

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vorgesehen ist. Künstlerisches Arbeiten lockt mit einer Freiheit im Denken und Umsetzen und der Option, Gewohntes zu hinterfragen und sich im Gestalten von Möglichkeitsräumen zu üben. „Without doubt, a somehow socially informed design thinking has entered the architectural discourse and simultaneously blurred the lines between disciplines concerned with the ‘social’ as much as between formal and informal projects” (Göbel/Grubauer/Richter: forthcoming in CITY).60 Die Stichworte Selbstorganisation (1) und Alltagsexpertise (2) werden ebenso wie der Einbezug diverser Akteure und ungewöhnlicher Allianzen (3) für diese Arbeitsweise zentrales Motiv. Das Interesse gilt dem Informellen, Temporären, Unfertigen als Trainingsfeld neuer Methoden der Stadtgestaltung, die sich in den letzten Jahren – vor allem auch durch den Einfluss künstlerischer und forschender Arbeit – erheblich erweitert haben: „The toolkit of architects and designers now includes a range of diverse methods such as interviews and story-telling, game-playing, mapping techniques, collaborative workshops, guides and manuals, public events and the use of social media” (ebd.). Aber auch die Fallstricke einer totalen Kommodifizierung künstlerischer Tätigkeit zugunsten neoliberaler Marktlogiken gilt es hier zu beachten. Denn die Forderung nach kreativen-flexiblen Identitätskonstruktionen sind Produkt eines alles umfassenden Leitparadigmas des Turbo-Kapitalismus neoliberaler Zeiten und der längst nicht mehr nur Kreative betreffenden Kreativwirtschaft (vgl. Boltanski/Chiapello 2006). Die Folgen aus dieser Entwicklung sind teils fatal, denn so wird die Kreativität Einzelner nicht mehr gebündelt, um eine andere Gesellschaft zu bewirken, „sondern es ist der Markt, der in der post-fordistischen und nach-disziplinären Gesellschaft dem kreativen Subjekt abverlangt, sein individuelles Adaptions- und Innovationsvermögen der Ökonomie zur Verfügung zu stellen“ (Emmerling/Kleesattel 2016: 12). Die Einsicht, dass es keine Autonomie der Kunst gibt, ist dabei in einem Paradox daran gekoppelt, die Freiheit der Kunst um jeden Preis aufrechterhalten zu müssen, da nur in der Behauptung dieses Freiraums eine Alternative zu hegemonialen Strukturen überhaupt noch möglich ist. Die Freiheit der Kunst ist zwar Utopie, gleichermaßen ist sie aber zwingend erforderlicher (legaler) Rahmen, um aus alten Mustern ausbrechen zu können. Die auch politisch stark geförderte Zunahme interdisziplinärer Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn die Arbeit an Schnittstellen ins Zentrum rückt und über die Anrufung von Interdisziplinarität als Allheilmittel diverser Herausforderungen hinaus auch kritisch reflektiert wird. Vor allem, wenn es um den Einbezug von Kunst geht, gilt es sich intensiv mit Kontext und Auftraggebern zu beschäftigen, gerade auch, wenn es um einen Handlungsraum jenseits der skizzierten Dichotomie von Autonomie und Indienstnahme gehen soll. Die Position der Schnittstelle ist nicht unbedingt eine angenehme, denn sie muss zwischen diversen Interessen vermitteln, sich Vorurteilen bewusst sein und helfen, diese abzubauen. Schnittstellen stellen Kontakt zwischen ggf. ungewöhnlichen

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60 Das Ver-

mischen und Verwischen disziplinärer Zuständigkeiten hat, wie bereits erwähnt, erhebliche Konsequenzen, vor allem, wenn es um die Frage nach unklaren Begriffen wie dem hier adressierten und im Vorwort dieser Arbeit thematisierten unklaren Bereich des ‚Sozialen’ geht, wie auch die Herausgeberinnen einer Sonderausgabe des Magazins CITY kritisch reflektieren.

61 Ein Beispiel hierfür wurde unter der teilweise eskalierten Zusammenarbeit der IBA Hamburg mit Künstler*innen diskutiert. 62 Diese sprach-

liche Kennzeichnung ermöglicht einen klaren Unterschied zwischen einer Ausbildung mit einem disziplinären Hintergrund und einem Arbeitsbereich, der sich fachlich nicht so ohne weiteres festlegen lässt, und ist ein Ergebnis der Forschungsarbeit des Symposiums Disziplinäre Grenzgänge. http://disziplinaeregrenzgaenge.de/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

63 http://diszi-

plinaeregrenzgaenge.de/data/ Erkenntnissicherung_ (Letzter Zugriff 22.02.17).

Partnern her, sie kombinieren Ungewohntes und brechen verkrustete Systeme auf. Gerade wenn es um neue und ungewohnte Allianzen von Akteuren geht, die sich erst darauf einlassen müssen, fremde Perspektiven zu akzeptieren und im Idealfall selbst einzunehmen, ist diese herausfordernde Vermittlungsposition der Schnittstelle wesentlich. Dabei sind Schnittstellen häufig gekennzeichnet durch fluide Prozesse, auf die sich alle Beteiligten einlassen müssen, wenn es nicht zu unlösbaren Konflikten und erstarrende Dynamiken kommen soll. Denn allzu häufig sehen sich die Beteiligten in ihren gegenseitigen Vorbehalten bestätigt, und das Ergebnis der Zusammenarbeit ist mit Enttäuschungen verbunden, die zukünftige Kooperationen massiv erschweren.61 Schnittstellenprofis verfügen dabei häufig über einen sehr spezifischen fachlichen Hintergrund, den sie durch die berufliche Erfahrung in interdisziplinären Projekten sowohl gestärkt als auch überwunden haben. Denn sie definieren sich nicht mehr über eine Disziplin, sondern über eine Profession.62 „In der Berufsbiografie eines Menschen addieren sich verschiedene Ausbildungen und Erfahrungen zu einem spezifischen Profil. Und daher können wir alle Teil einer professionellen Gemeinschaft sein, obwohl wir jeweils ganz verschiedene Disziplinen als Ausgangspunkte haben“ (Klaus Selle).63 Um die Entstehung der Schnittstellen von künstlerischer Praxis zu den Bereichen politischen Aktivismus‘, sozialer Arbeit und Stadtplanung mit den entsprechenden Aufgaben und Erwartungen an künstlerische Taktiken in Stadtentwicklungsprojekten nachvollziehen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit der Entstehung des Paradigmas des Kreativen Voraussetzung, denn in diesem Kreativitätsdispositiv (Reckwitz 2012) liegt meines Erachtens die Entstehung der Schnittstellen mitbegründet. Die mit Schnittstellenarbeit verbundenen Herausforderungen, Chancen und Konflikte werden darauf aufbauend an Hand konkreter Beispiele nachgezeichnet.

„CREATIVE CREATIVES CREATING CREATIVE CREATIVE“ – STADTGESTALTUNG JENSEITS DER CREATIVE CITY

Wenn man sich mit der Entwicklung von Städten in den letzten Jahrzehnten beschäftigt, dann ist unübersehbar, dass Kunst und Kultur zu einem Faktor städtischer Entwicklung avanciert sind. Spätestens mit dem Erscheinen von Richard Floridas Buch Creative Class 2002 ist Stadtplanung ohne den Einbezug von Kreativwirtschaft als Standorts- und Wirtschaftsfaktor nicht mehr denkbar. Diese Entwicklung wird im Zuge der anhaltenden Stadtentwicklung unter rein neoliberalistischen Dogmen

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zunehmend kritisch gesehen, da sie mit sehr deutlichen Vereinnahmungstendenzen einhergeht und zu Problemen wie der „Eventisierung“ oder „Festivalisierung“ von Städten geführt hat, wie bereits beschrieben wurde: „The creativity of the multitude, produced once as promise then as threat, then as promise again, is claimed by all sides in a global struggle over resources. All sides believe in creativity and each claims it as its own“ (Squibb 2008: 18). Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt in seinem Buch Die Erfindung der Kreativität ein Kreativitätsdispositiv, das die gesamte Gesellschaft durchzieht und unter dem Anspruch ständiger Innovation zu einem Imperativ des Kreativen geführt hat (Reckwitz 2012). Dabei fungiert das Kreativitätsdispositiv „als stummer und anonymer Zwang zur Hervorbringung des sinnlich Angenehmen und emotional Wohlgefälligen in ästhetischer Praxis“ (Kauppert/Eberl 2016: 29). Künstlerische Praxis steht mit diesem Anspruch auf das ‚Gute und Schöne’ häufig gar nicht in Verbindung, da Kunst eben auch Raum für Kritik bietet, entsprechend hat sich der Begriff des Kreativen im Zuge dieser Entwicklung sehr gewandelt und ist in seiner Bedeutung längst heterogen. Ursprünglich passte das Wortpaar ‚Kunst und Kreative‘ noch gut zusammen. Doch mit zunehmender Vereinnahmung des Kreativen, vor allem als wirtschaftlicher Kraft, veränderte sich auch die Haltung diesem Verständnis des Kreativen gegenüber – gerade auch von Seiten der Künstler*innen, da die Konsequenz in der beschriebenen Vereinnahmung jeder Kritik im Empire und der weiterführenden Prekarisierung der Künstler*innen liegt. So resümiert auch Martha Rosler, die seit mehr als 40 Jahren mit Schriften und urbanen Kunstprojekten explizit Position bezieht, den Diskurs geprägt und sich auch politisch immer wieder engagiert hat: „In the creative city, the neutralization or commodification of subcultural movements, the translation of the gritty into the quaint, and the professionalization of the artist combined with armies of eager freelancers and interns to constitute the user friendly interface of a new social sphere in which, for those who have been granted a place within it, an elaborate retooling of traditional markers of difference has allowed class distinctions to be either utterly dissolved or wilfully suppressed. The result is a handful of cities nominated by patrician elites for revitalization by upper class liberal arts progeny rather than simply desertion, where artists in search of cheap rent become the avant-garde wedge of gentrification and displacement, and one may no longer even speculate about where all of this came from and how.” (Rosler 2013: 7) Als Kreative gelten in einem landläufigen Verständnis heute vor allem all jene Professionen, die sich mit Fragen von Design und Gestaltung befassen: Graphik-, Industrie- und Modedesigner, aber auch in Werbeagenturen Tätige werden gern als „Kreative“ bezeichnet. Künstler*innen grenzen sich (nicht immer ohne Arroganz) stark von dieser vordergründig verwertbaren Kreativität ab. Aus der umgekehrten Perspektive verkennt eine Gleichsetzung von Kunst und Kreativem, dass Kreativität ohnehin noch nie ein Alleinstellungsmerkmal von Künstler*innen war: „Jeder

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Landwirt, der heute mit seinem Betrieb überlebt, jedes Elternteil, das Kinder sinnvoll begleitet, jede Wissenschaftlerin, die Erfolg hat, ist kreativ“ (Ziemer 2009: o. S.). Während das zielorientierte Kreativsein der Wirtschaft auf das Lösen von Problemen gerichtet ist, kam der Kunst lange Zeit die Rolle des Fragenstellers zu. „Kreativangebote dienen einem Unternehmen dazu, dringend notwendige Lösungen in einer komplexen Welt zu finden, verkaufbare Produkte auf den Markt zu werfen oder neue Unternehmensmodelle zu kreieren, die funktionieren. In der zeitgenössischen Kunst werden stattdessen viele Ideen produziert, die Fragen aufwerfen. Durch geschickte Strategien werden Mechanismen unserer Gesellschaft aufgezeigt, die das Publikum dazu zwingen, sich selbst zu befragen“ (ebd.). Dass es also einen entscheidenden Unterschied macht, worauf sich Kreativität richtet, ging in der neoliberalen Vereinnahmung des Kreativen als entscheidender wirtschaftlicher Kraft verloren. Das Ergebnis ist eine Verausgabung des Begriffs der Kreativität bis hin zur finalen Sinnlosigkeit, wie Joshua Ferris in seinem Roman Then We Came to the End sehr pointiert zeigt. Die folgende Szene verdeutlicht diesen inflationären Sprachgebrauch: Der Werbefachmann Jim erklärt seinem Onkel Max die Arbeit seiner Agentur und erläutert, dass alle Beschäftigten in der Werbeindustrie Kreative genannt werden und jedes Werbeprodukt, von TV-Werbespots über Zeitungsinserate, Plakate oder Radiospots als das Kreative (the creative) bezeichnet werden. Daraufhin fragt Onkel Max: “You say you call yourselves creatives, is that what you are telling me? And the work you do, you call that the creative, is that what you said? [...] And I suppose you think of yourselves as pretty creative over there, I bet. [...] And the work you do, you probably think that҆s pretty creative work. […] Well, if all that҆s true – said the old men – that would make you creative creatives creating creative creative“ (Ferris 2008: 188).

TRANSDISZIPLINÄRE KOOPERATION FACHLICHER SPEZIALIST*INNEN Dieser Absurdität der begrifflichen Deflation völlig ungeachtet versuchen Städte in den globalen Verteilungskämpfen weltweit die kreativen Szenen ihrer Städte als besonders dynamisch und produktiv zu vermarkten. Mindestens bis zur Finanzkrise 2008 agierten die allermeisten planerischen und stadtgestaltenden Professionen in Städten weltweit wettkampforientiert im Dienste von Unternehmen und Anleger*innen und weniger als Gestalter von Räumen und dem Hinterfragen bzw. dem Erfüllen von Bedürfnissen der Menschen. Dazu der dänische Architekt Jan Gehl, der als einer der einflussreichsten Stadtplaner*innen weltweit gilt: „Insgesamt ist die Stadtplanung der letzten 50 Jahre als problematisch zu sehen. Es wurde nicht berücksichtigt, dass sich die Bedeutung des Stadtlebens von reiner Tradition hin zu einer grundlegenden wichtigen Funktion der Stadt wandelte, die den professionellen Stadtentwicklern in allen Aspekten gründlich durchdachte Lösungen abverlangt“ (Gehl 2015: 10).

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Lösungen in dieser Dimension zu finden, kann nicht die Aufgabe einer einzelnen Profession sein, denn Stadt ist in einem zeitgemäßen Verständnis kein statisches Konstrukt, sondern als Prozess zu verstehen. Der Ruf nach mehr Interdisziplinarität wird derweil auch politisch immer lauter, wie sich beispielsweise auch bei der Debatte über die Qualität von Stadtgestaltung und die aktuelle und zukünftige Ausrichtung des Berufsbildes im Rahmen einer Konferenz im Januar 2015 in Berlin zeigte. Bei der von der Bundesstiftung Baukultur gemeinsam mit der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, dem Deutschen Architekturzentrum (DAZ) und der Bauwelt ausgerichteten Konferenz diskutierten ausgewiesene Expert*innen aus Planungspraxis, Verwaltung, Hochschulen sowie internationale Impulsgeber*innen. Ein zentrales Ergebnis war die Forderung nach mehr interdisziplinären Kooperationen fachlicher Spezialist*innen. Darauf Bezug nehmend lässt sich die hier forschungsleitende Frage präzisieren: Was ist die fachliche Spezialität von Künstler*innen in transdisziplinärer Zusammenarbeit jenseits der Creative City? Im Folgenden werden in der Analyse exemplarischer Beispiele nach künstlerischen Methoden und Settings herausgestellt, die zeigen, welche neue urbane Praxis durch den Einbezug künstlerischer Strategien und Taktiken entsteht. Zugleich soll aber betont werden, dass die Sehnsucht nach so genannten ‚Best Practice’ Beispielen zwar nachvollziehbar ist, aber unerfüllbar bleiben muss. Wie im zweiten Kapitel dieser Arbeit beschrieben, ist die Entwicklung einer ortsspezifischen Kunst zur heutigen urbanen Kunst vor allem gebunden an die Erkenntnis der Spezifik einzelner und damit einmaliger Konstellationen (räumlich und sozial), die sich eben nicht so ohne Weiteres auf eine andere Situation übertragen lassen. Um die spezifischen Herausforderungen, Überlagerungen und Verschiebungen der Arbeitsbereiche der unterschiedlichen Professionen nachvollziehen zu können, scheint eine Trennung in drei Schritte sinnvoll: 1. Kunst und Aktivismus, 2. Kunst und soziale Arbeit und 3. Kunst und Stadtplanung. Eine solche Trennung stellt allerdings nur eine methodische Hilfestellung zum Verständnis der Arbeiten dar, kann sie doch der Vielzahl der sehr unterschiedlichen Projekte letztlich nie wirklich gerecht werden, denn die aufgezeigten Schnittstellen lassen sich in den meisten Projekten gar nicht so differenziert trennen. Die hier untersuchten Arbeiten kennzeichnet ja gerade die Überlagerung diverser Tätigkeitsfelder und damit die Bedeutung mehrerer Disziplinen innerhalb einer Arbeit. Dennoch lässt sich an den vorgestellten Projekten etwas für die Schnittstelle jeweils Zentrales und damit Spezifisches zeigen.

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Gemein sind den Schnittstellen wiederum grundsätzlich drei zentrale Kriterien, denn eine Schnittstelle urbaner Praxis scheint immer gekennzeichnet zu sein durch: 1. Transdiziplinarität 2. Selbstverwaltung 3. Alltagsexpertise Hierbei wurden für alle Schnittstellen jeweils große Case Studies diskutiert, denen zum Teil kleinere Besprechungen von zentralen Arbeiten für diesen Bereich zur Seite gestellt sind. Für die Überschneidung von Kunst und sozialer Arbeit liegt der Fokus auf den drei Case Studies zu den Arbeiten der österreichischen Gruppe Wochenklausur, der Kooperation des Hamburger Schauspielhauses mit einer Kirchengemeinde unter dem Titel New Hamburg und dem Augsburger Projekt Grandhotel Cosmopolis. Mit der Schnittstelle von Kunst und Stadtplanung rücken zunächst einmal Begriffe ins Zentrum, deren Definitionen den Projektbesprechungen vorangestellt sind. Die Beschäftigung mit ‚Urbanen Interventionen’, ‚Urbaner Praxis’ und ‚direktem Urbanismus’ öffnet den Blick für die beiden für diese Schnittstelle exemplarisch besprochenen Arbeiten, das Projekt 2Up2Down/Homebaked der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk und Arbeiten des Londoner Kollektivs Assemble. Die mit Abstand meisten Arbeiten versammelt die hier zuerst besprochene Schnittstelle Kunst und Aktivismus. Diese Tatsache widerspiegelt das Feld politischer und aktivistischer Kunst, welches (auch mit einer Fokussierung auf performative Arbeiten) riesig ist. Dieser Tatsache Rechnung tragend, werden in bewusst konzentriert gehaltener Form Einblicke gegeben in die Arbeit des britischen Laboratory of Insurrectionary Imagination (The Labofii i), die Berline Biennale 2012 unter dem Titel Forget Fear, die Hamburger Veranstaltung The Art of Being Many von 2014, die Tätigkeit des Bürgermeisters von Bogotá, Antanas Mockus, die Arbeit der amerikanischen Yes Man sowie Projekte der deutschen Gruppen Zentrum für politische Schönheit und dem Peng! Collective. Als die zwei zentralen Cases der Schnittstelle werden hierauf aufbauend die „Oberhausen Serie“ des Performance Kollektivs geheimagentur und Christoph Schlingensiefs Bitte liebt Österreich! ausführlicher besprochen.

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64 Zitiert nach: Boyd/Mitchell 2014: 12.

KUNST UND AKTIVISMUS „Die Clowns organisieren sich. Sie organisieren sich. Ende der Durchsage“ (Britischer Polizeifunk während einer Aktion der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army, Juli 2004).64 Aktivismus lässt sich beschreiben als eine direkte Handlung, die auf ein ganz klar definiertes und vor allem politisches Ziel gerichtet ist. Diese klare Zielorientierung unterscheidet gemeinhin Kunst von Aktivismus. Mischen sich Kunst und Aktivismus, fällt die Definition ungleich schwerer, denn viele politische Kunstformen intendieren durchaus auch politische Ziele. Beginnend in den 1960er Jahren in Amerika, eingebettet in politische Konflikte wie die Bürgerrechtsbewegung und feministische Aufklärung, beanspruchten vor allem zu Beginn der 1990er Jahre Künstler*innen zunehmend den Einbezug gesellschaftlich relevanter Themen und ausgeschlossener sozialer Gruppen in das Kunstfeld. Kollektive Produktionsweisen stellten (wie im dritten Kapitel dargelegt) das künstlerische Einzelgenie zunehmend in Frage, und es entstanden neue Formen von künstlerisch-politischem Aktivismus, „der explizit versuchte, die Betroffenen etwa bei den Themen AIDS oder Rassismus selbst zu Wort kommen zu lassen“ (Römer 2006: 292). Zu nennen wären hier (ausgehend von den 1960erJahren) u. a. Künstler wie Joseph Beuys, der das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft durch den Begriff der Sozialen Plastik neu definierte. Michael Asher, der durch Ergänzungen und Subtraktionen die räumliche Umgebung veränderte. Hans Haacke, der die Einflussnahme auf politische Prozesse über Eingriffe zeigte. Klaus Staeck, dessen Agitprop-Plakate über die Zusammenhänge von Wirtschaft und Macht aufklärten. Dan Graham, der sehr früh die Autonomie eines Kunstwerkes in Frage stellte. Stephen Willats, der den Zuständigkeitsbereich der Kunst um soziale Prozesse erweiterte, und Gruppen wie die englische Artist Placement Group, die Künstler*innen in Positionen in Industrie und politische Verwaltung vermittelte. Die amerikanische Art Workers Coalition, die sich gegen den elitären Kunstbetrieb wandte. Die Arbeiten des New Yorker Kollektivs Gran Fury, das sich für die Aids-Aufklärung einsetzte. Die feministische Gruppierungen Guerilla Girls oder Group Material, die sich intensiv mit dem Verhältnis von Ästhetik und Politik auseinandersetzten, und Künstler*innen wie Adrian Piper mit Arbeiten zu Rassismus und sexueller Diskriminierung. Jenny Holzer, die mit ihrer Plakatkunst im öffentlichen Raum politische Inhalte verhandelte, und Martha Rosler in den 1980er und 1990er Jahren, deren erklärte Ziele Aufklärung und Politisierung jenseits des Kunstpublikums waren. „Das Thema, über das niemand in der Kunstwelt reden mag, ist normalerweise Politik. Weil aber jede soziale oder kulturelle Beziehung eine politische ist, halten wir es für notwendig, die Verbindungslinien zwischen Politik und Kultur zu verstehen“ (Group Material, zitiert nach Römer 2006: 294).

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65 Diese

Veränderungen künstlerischer Strategien an der Schnittstelle zu aktivistischer Praxis zeichnet vor allem der von Nina Felshin 1994 herausgegebene Sammelband But is it Art? The Spirit of Art as Activism mit Blick auf die Veränderungen in der nordamerikanischen Kunstszene nach.

Eine solche transformierte und transformierende künstlerische Strategie kann „sowohl auf einer Ästhetik des Ephemeren basieren als auch den ‘Material‘-Kanon um die Gesellschaft als nachhaltig formbaren ‚Stoff‘ und Gestaltungsaufgabe erweitern. Sie opponiert sowohl gegen die Affirmation eines selbstreferenziellen, kunstsystem-immanenten Formalismus als auch gegen eine mimetische Kunst. Und sie wendet sich gegen jene Mechanismen, die diese Art von ‚Kunst‘ kultivieren oder kapitalisieren. Beuys manifestiert dies im Jahr 1985 mit dem hoch ironischen, auf den konventionellen Kunstbegriff gemünzten Postkartenmultiple Hiermit trete ich aus der Kunst aus“ (Voigt 2015a: 56).65 Auch in Deutschland veränderten sich die Arbeitsweise und der Anspruch vieler Künstler*innen, auch politisch arbeiten zu wollen, zu Beginn der 1990er Jahre merklich. In projektorientierten und häufig eher losen Verbindungen arbeiteten künstlerisch-politische Gruppierungen mit rein politisch motivierten Akteuren zusammen (wie z.B. in der Düsseldorf/Berliner Kooperation BüroBert oder dem Münchner minimal club) (vgl. Römer 2006). „Die kritische Gesellschaftsintervention wurde zur Leitidee avancierter künstlerischer Arbeit [...]“ (Rollig 1998: 15). Die Entwicklung, die rein politisch motivierten Arbeiten der letzten Jahre genommen haben, zeigt unter dem Stichwort ‚Kreativer Protest’, dass auch Aktivist*innen zunehmend mit künstlerischen Methoden arbeiten. Aktivistische Arbeit wird dadurch immer vielfältiger, denn bereits ohne den Einbezug künstlerischer Methoden gab und gibt es diverse aktivistische Formate, die von alltäglichen Handlungen und stillen Aktionen Einzelner über kollektives Engagement in legalen und semi-legalen Rahmungen (wie Demonstrationen, Streiks, Petitionen) zu illegalen Aktionen (zivilem Ungehorsam und der Ausübung von Gewalt) reichen. Die Akzeptanz von Künstler*innen bzw. ihrer Arbeiten in Aktivist*innenkreisen ist nicht immer automatisch gegeben, da es immer wieder zu einer Vereinnahmung politisch motivierter Kunst in den Kunstkanon kam: „I am tired of artist fetishizing activist culture and showing it to the world as though it were their invention“ (Josh MacPhee, zitiert nach Thompson 2012: 31). Das ist das Dilemma politischer Kunst, deren einstiger subversiver Impuls durch die Kommerzialisierung und die Einverleibung jeder Kritik in die Ästhetik des Alltags zum kulturellen Mainstream wird (vgl. Bieber 2012: 89). Während sich Künstler*innen auf der einen Seite lang erprobter Methoden aktivistischer Kultur bedienen, nutzen Aktivist*innen wie beschrieben vor allem seit den 1990er Jahren künstlerische und vor allem performative Techniken, die ihrerseits auf eine lange Tradition in der künstlerischen Praxis verweisen. So hat sich zu Beginn der 2000er Jahre durch die Überlagerung der unterschiedlichen Praktiken eine neue politisch-künstlerische Praxis mit entsprechend neuen Methoden entwickelt: Flashmobs, virtuelle Sit-ins, Dienstverweigerungstatktiken, Media Pranks, virale Kampagnen, Subvertisements, Culture Jammings, Guerilla-Projektionen, Hoaxes, Guerilla-Theater und viele andere mehr (vgl. Boyd/Mitchell 2014: 14f). Entstanden

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sind dadurch Werkzeuge und Taktiken, die sich einer klaren Zuordnung gezielt entziehen und vielleicht am ehesten noch durch die Wortschöpfung „artivistisch“ beschreibbar werden (vgl. Schmitz 2015). Die Berührung von Kunst und politischen Zielen ist keinesfalls ein neues Phänomen und ließe sich fernab von propagandistischer Kunst, die ich hier bewusst ausklammere,66 mindestens bis zur Eroberung Trojas unter Einsatz einer Skulptur zurückverfolgen. Kreative Techniken des Protestes, die Verbindung von Kunst und Aktivismus beispielsweise, waren fester Bestandteil der Arbeiterbewegungen der 1930er Jahre ebenso wie der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1968er Jahre (vgl. Boyd/Mitchell 2014: 12f). Dass es jüngst wieder eine starke Zunahme künstlerisch-aktivistischer Arbeiten gibt, entspricht auch der bereits mehrfach beschriebenen Korrespondenz von künstlerischer und gesellschaftlicher Entwicklung und dem Bedürfnis von Künstler*innen nach mehr gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten. Das Arbeiten in aktivistischen Kontexten bringt für Künstler*innen aber noch andere Vorteile mit sich: „Partizipation, eine bestenfalls mit Angst besetzte Kategorie im Kontext von Theater, wird ein selbstverständliches Moment der Auseinandersetzung mit dem politischen Thema oder der Konfrontation der Gesellschaft mit dem Erarbeiteten“ (Von Hartz 2012: 133). Mit der „Angst besetzten Kategorie“ adressiert von Hartz hier die häufig auch als ‚Mitmachtheater’ diffamierten Inszenierungen, bei denen man als Zuschauer*in (im worst case auch gegen den eigenen Willen) aus der dunklen Anonymität des Theaters hinaus auf die Bühne oder in eine Rolle gezwungen und so zum Teil eines Narrativs wird. In diesen Aufführungen geht es nicht um Teilhabe an etwas, sondern letztlich um eine Vereinnahmung der Zuschauer*innen zu einem Teil des Geschehens und damit um einen Rollenwechsel von Zuschauer*in zu Mitspieler*in. An der Schnittstelle zu politischem Engagement zielt Partizipation aber nicht auf ein reines Mitspielen, sondern eben auf ein aktives Teilnehmen und damit automatisch auf ein anderes Setting. Deshalb wird im Moment der Berührung von Kunst und Aktivismus auch der Auszug aus institutionalisierten Rahmungen, wie beispielsweise das Verlassen der Theaterbühne, „ein selbstverständlicher Akt, über den in der Regel nicht einmal mehr gesprochen wird“ (ebd.). Im Zuge ‚praktisch-politischer Notwendigkeit’ wird auf Grund der prioritären Dringlichkeit des Inhalts Vieles mit einer neuen Leichtigkeit überwunden, so auch die Aufgabenverteilung zwischen Zuschauer*innen und Performer*innen. „Themen werden durch ihre Behandlung in dem manchmal vielleicht überraschenden Kunstkontext auf neue Agenden gesetzt und zu manchem Thema entsteht der Zugang für eine größere Öffentlichkeit gar erst durch die künstlerische Annäherung“ (ebd.). Partizipation zielt an dieser Schnittstelle zu Aktivismus nicht mehr nur auf das Einnehmen einer vorher festgelegten Perspektive, sondern alle sind gefordert, sich entsprechend zu positionieren und in Beziehung zu setzen und damit – völlig anders als im Klischee des ‚Mitmachtheaters’ – auch Teil an einem gestaltenden Moment zu haben.

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66 Die Einbeziehung der Indienstnahme künstlerischer Arbeiten zu Propagandazwecken würde den Fokus dieser Arbeit, der auf die Frage nach aktuellen Schnittstellen gerichtet ist, um ein riesiges Feld erweitern und somit das eigentliche Erkenntnisinteresse verschieben.

FORGET FEAR 2012 Aus der Perspektive der Aktivist*innen ist vor allem die im Grundgesetz festgeschriebene Kunstfreiheit für ihre Arbeit interessant, denn sie bietet einen erweiterten Handlungsrahmen für Aktivitäten an der Grenze zum Illegalen. Dieses Grundrecht der Freiheit der Kunst ist in den Verfassungen zahlreicher Länder fest verankert: „Wenn es darum geht, Risiken einzugehen, gibt es einen großen Unterschied zwischen der Welt der Kunst und der Welt draußen. Wenn man in der Welt der Kunst provoziert, Regeln missachtet, Grenzen überschreitet, den Kanon hinterfragt, wird man entdeckt, belohnt, bejubelt. Wenn man in der wirklichen Welt die sozialen Grenzen verletzt, wird man marginalisiert, bewacht, inhaftiert“ (Jordon 2002: 348). Dies ein Zitat des britischen Kunstaktivisten John Jordon, der auf Grund seiner jahrzehntelangen artivistischen Praxis als ‚alter Hase’ des kreativen Widerstands gelten kann. Er ist langjähriges Mitglied des Kunstaktivisten-Kollektivs Laboratory of Insurrectionary Imagination (The Labofii i) und Mitgründer des globalen Mime Netzwerks Clandestine Insurgent Rebel Clown Army, auf deren Protestkultur in Clownkostümen sich das diesem Kapitel vorangestellte Zitat bezieht. In Hamburg gab er beispielsweise im Rahmen der Sommerakademie Performing Politics 2010 Workshops, in denen Schwarmintelligenz als Tool zur Intervention im urbanen Raum entwickelt wurde. Diese nutzt Jordan vor allem im Rahmen von Fahrradinterventionen in Städten, so geschehen u. a. beim Klimagipfel in Kopenhagen. Bereits in den Namen dieser Gruppen finden sich Hinweise auf Methoden, die die Schnittstelle von Kunst und Aktivismus auszeichnen. Denn sowohl die ‚Aufständische Imagination’, im Sinne einer konträren Wirklichkeitsbehauptung, als auch die heimlichen (clandestinen) Rebellen verweisen auf eine kreative Vorstellungskraft des scheinbar Unmöglichen und den Entzug der Festschreibung durch eine Verunsicherung des vermeintlich Offensichtlichen, die uns in anderen explizit künstlerischen Arbeiten als reale Fiktionen wieder begegnen werden. In den letzten Jahren ist es – politisch flankiert von der weltweiten Ausbreitung der Occupy Bewegung und der Aufbruchsstimmung des so gennannten arabischen Frühlings – zu einer deutlichen Manifestation vordergründig aktivistischer Formate im Kunstfeld gekommen (vgl. Kastner 2015). „Auf den internationalen Großausstellungen überbieten sich aufklärerisch-dokumentarische oder auch einnehmend attraktive Kunstwerke geradezu darin, ‚Machtverhältnisse zu thematisieren’, ‚Verstrickungen zu enthüllen’, und ‚Ungerechtigkeiten zu kritisieren’. Zugleich ‚intervenieren’ auf Publikumsbeteiligung abzielende künstlerische Aktionen direkt mikropolitisch, indem sie Orte für Auseinandersetzung, Engagement und Subversion ‚realisieren’“ (Emmerling/Kleesattel 2016: 11). Zu nennen wären hier unter vielen anderen die Istanbul Biennale What Keeps Mankind Alive? von 2009, die Internationale Sommerakademie auf Kampnagel in Hamburg 2010 zum Thema Performing Politics, die Documenta 2012 unter dem Motto Zerstörung und Wiederaufbau, der bereits eingangs erwähnte Steirische Herbst 2012 mit dem Titel Truth is Concrete

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und die Berlin Biennale Forget Fear im selben Jahr. Letztere, kuratiert von Artur Zmijewski, äußerte den Anspruch einer direkten gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst in dem bekannt klingenden Konzept, „die Kunst müsse in der Wirklichkeit aufgehen“, wohl am radikalsten. Zmijewski lud zu der Ausstellung unter anderen den Künstler Martin Zet ein, der in einer symbolischen Aktion das Sarrazin-Buch Deutschland schafft sich ab von seinen Leser*innen zurückforderte und plante, die Exemplare anschließend zu verbrennen. Occupy Aktivist*innen zelteten im Ausstellungshaus und verteilten Flugblätter, der Künstler Khaled Jarrar stempelte Interessierten den State of Palestine in den Pass, in der Installation New World Summit von Jonas Staal wurden Fahnen von Organisationen wie der FARC, von Al Qaida, der Real IRA und anderen Organisationen gesammelt, die laut Faltblatt „durch ein intransparentes Verfahren zu Terrororganisationen gestempelt würden“. In dem Projekt Berlin-Birkenau von Lukasz Surowiec wurden die Besucher zum Mitnehmen von eingetopften Birkensetzlingen aus Auschwitz-Birkenau aufgefordert. Schon im Vorfeld wurde befürchtet, dass die Direktheit der politischen Agitation im Biennale-Rummel nur noch als Banalität erscheinen würde (vgl. Gohlke 2012). Und auch in Bezug auf die Qualitäten der Kunst blieb zumindest in einem Schillerschen Verständnis in Berlin scheinbar nicht mehr viel übrig: „Die Kunst verordnet nicht, sie lädt ein, zum Ernst und zum Spiele, zur Ruhe und zur Bewegung, zur Nachgiebigkeit und zum Widerstand, zum abstrakten Denken und zur Anschauung“ (zitiert nach Rauterberg 2012: o. S). Viele Besucher*innen fühlten sich weniger eingeladen denn belehrt, und so zielte die Kritik der Presse in summa auch auf eben jene fehlende Freiheit der Kunst im Sinne einer produktiven Uneindeutigkeit ab, die auf Kosten klarer politischer Aussagen nicht mehr vorhanden schien: „Bisher hat die Bewusstseinswerkstatt der Berlin Biennale vor allem den Widerspruch der Sachverständigen gegen die Einfachheit einer Künstlervision provoziert. Im schlimmsten Fall wäre Żmijewskis Trotz das wichtigste Kunstwerk der Biennale“ (Gohlke 2012: o. S.). Bereits Walter Benjamin thematisiert in seinem Vortrag Der Autor als Produzent (1934) die Falle politischer Zweckmäßigkeit, die auf Kosten der Beurteilung eines Kunstwerkes nach seiner künstlerischen Qualität ginge. Feinheiten schienen zumindest den Kritiker*innen in Berlin völlig in aktivistischen Forderungen und Belehrungen aufgegangen zu sein, Zwischentöne wären kaum zu finden und auch nicht erwünscht, so die Kritik. Dass dies bewusstes Programm und nicht Problem des kuratorischen Konzeptes sein sollte, ließ das Statement von Oleg Vorotnikov und Natalya Sokol, der als Ko-Kuratoren assoziierten KunstAktivisten der russischen Gruppe Voina, bereits im Vorfeld der Ausstellung vermuten: „Alles was keine Politik ist, ist keine Kunst, sondern nur eine tote Vogelscheuche, gefüllt mit Scheiße und Reflexion“ (zitiert nach Rauterberg 2012: o. S.).67 Viele Journalist*innen und Besucher*innen waren sich in ihrem Urteil erstaunlich einig, die Biennale galt den meisten als gescheitert.

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67 Die 2007

gegründete russische Gruppe Voina (Krieg) verfolgte ein ganz klares politisches Ziel. Ihr Name ist dabei durchaus programmatisch zu sehen, denn sie wollten den Staat auflösen. Die Co-Kuratoren der Berlin Biennale werden in Russland mit Haftbefehl gesucht und nomadieren seither vor allem in Deutschland und der Schweiz. Aktiv sind sie seit mehreren Jahren nicht mehr. Während die Gruppe Voina sich inzwischen zerstritten und aufgelöst hat, gründeten zwei der Ex- Mitglieder 2011 Pussy Riot.

68 http://www. kampnagel.de/ de/programm/ the-art-ofbeing-many/ (Letzter Zugriff 24.11.2016).

Dieses Beispiel zeigt sehr eindrücklich, dass die Beschäftigung mit der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus schnell ins Zentrum sehr vehementer Ansichten zu Rolle und Aufgabe von sowohl Kunst als auch Aktivismus und zur Konfrontation mit einem teils sehr emotionalen, ja moralischen Diskurs ganz unterschiedlicher Hintergründe führt.

THE ART OF BEING MANY 2014 Ein weiteres Beispiel der gezielten Verknüpfung von Kunst und Aktivismus belegt diese Problematik ähnlich deutlich: 2014 veranstaltete das Hamburger Performance Kollektiv geheimagentur (dessen Arbeiten uns noch ausführlicher begegnen werden) einen so genannten transnationalen Kongress auf Kampnagel, bei dem sich Real-Democracy-Aktivist*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und andere Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt zum Erproben einer Versammlung der Versammlungen trafen. „Thema des Kongresses sind die neuen Techniken und Ästhetiken, Strategien und Theorien des (sich) Versammelns, die in den Auseinandersetzungen der letzten Jahre erarbeitet und erstritten worden sind; von Human Microphones über Blockadecamps bis zu Nachbarschaftsversammlungen. Es geht um die Kunst, viele zu sein, um THE ART OF BEING MANY.“ 68 Während der Veranstaltung kam es zu teils heftigen Diskussionen über die Frage, ob ein theatrales „So tun als ob“ in Form einer Performance mit realen Aktivist*innen nicht deren politischen Ziele ad absurdum führen würde. Während es für die Künstler*innen um ein Forschungssetting zur Auseinandersetzung mit der Kunst der Versammlung durch das Ausprobieren einer Versammlung ging, um Wissensaustausch und Wissensproduktion, monierten einige Aktivist*innen das Fehlen eines übergeordneten politischen Ziels. Für Viele war eine Versammlung als künstlerische Methode, Versammlungen zu erforschen, äußerst fragwürdig. Das künstlerische Forschungsprojekt wollte die Dichotomien von Publikum und Performern auflösen und damit auch die Grenzen zwischen Produktions- und Rezeptionsstrategien hinter sich lassen: „As an assembly of assemblies The Art of Being Many was not meant to be a series of individual presentations, acts and keynotes but wanted to focus on what can be done together: no audience, no performers, only those who were part of the assembly for those days and only that which they wanted it to be – a congress, an endurance performance, a conference, a meeting point, etc.“ (geheimagentur/Schäfer/Tsianos 2016: 22). Für einige Aktivist*innen aber war die Rahmung so offensichtlich künstlerisch, das Nebeneinander völlig unterschiedlicher Settings so heterogen, dass der politische Impetus ihrer eigenen aktivistischen Arbeit für sie (in dieser künstlerischen Rahmung) zu einer Farce zu werden drohte. Die politische Brisanz, das Ziel (neben einer reinen Forschung) war ihnen nicht ersichtlich, nicht direkt, nicht politisch konkret genug. Hier verhakten sich direkte Aktion und performatives Setting, so dass am Ende bei Vielen eben doch das Gefühl eines theatralen „So tun als ob“ als schaler Geschmack

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blieb, ein Effekt, der für viele Projekte an dieser Schnittstelle festzustellen ist: „Bei der Proklamation von ‚politischer Kunst’ wird sich wohl meistens jemand dazu aufgerufen fühlen zu behaupten, dass es sich entweder nicht um richtige Kunst oder nicht um richtige Politik handeln könne. [...] Auffällig an solchen Vorwürfen ist die oft vehemente Forderung nach eindeutigen Verortungen: Es soll klar sein, aus welchem Lager heraus die Akteur*innen agieren und wie ihr Unternehmen dementsprechend zu rezipieren sei“ (Kube Ventura 2002: 11f.). Die Initiator*innen beschreiben diese Konflikte in der nachfolgenden Publikation 2016 sehr genau, verweigern aber ganz klar eine Erklärung durch das Schema einer künstlerischen versus einer aktivistischen Perspektive: „Conflicts of reflective assemblies cannot be explained or dealt with by relying on identity schemes like ‚artists vs. activists’. People on either side of these clashes are artists or activists or both or neither, and will find themselves on the other side of that same distinction soon enough“ (geheimagentur/Schäfer/Tsianos 2016: 24). Eine solche Analyse fordert ein hybrides Selbstverständnis der Teilnehmenden, in dem identitäre Zugehörigkeiten über Beruf (oder Berufung) sich auflösen bzw. divers und flexibel sein müssen. Sicherlich trifft ein solches Selbstbild auf Einige zu, in summa darf aber nicht verkannt werden, dass sich nach wie vor die meisten Menschen über fest verankerte Dichotomien definieren. Insofern wird die eröffnende Feststellung des Sammelbandes Performing Politics. Politisch Kunst machen nach dem 20. Jahrhundert zentral, in der die Herausgeber die Wiederkehr des Politischen in den Künsten eben auch als mit radikaler Verunsicherung einhergehend beschreiben (vgl. Müller-Schöll/Schallenberg/Zimmermann 2012).

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69 Die Überle-

gungen dieser Arbeit beziehen sich auf den Westeuropäischen und Nordamerikanischen Raum.

WAS IST POLITISCHE KUNST? „Es ist unumgänglich, mutig gegen die Idee zu kämpfen, politische Kunst brauche ein hegemoniales ‚Label‘. Das sollte die erste Geste eines politischen Künstlers sein“ (Bruguera 2010: 135). „Kunst ist immer politisch!“, „Kunst muss immer politisch sein!“, „Kunst kann nie politisch sein!“ (vgl. Vogel 2002) – politische Kunst ist umstritten, für die einen ist es ein grundsätzlicher Widerspruch, für die anderen ist künstlerisches Handeln per se bereits politisch (vgl. Papenbrock 2012: 27), für viele ist allein die Vorstellung des Labelings politischer Kunst ein Problem, wie das einleitende Zitat zeigt. Diese drei Axiome politischer Kunst stehen in direktem Zusammenhang mit der bereits diskutierten Dichotomie von Freiheit und Instrumentalisierung von Kunst und können daher meines Erachtens auch nicht mit einem „Entweder-Oder“ beantwortet werden. Die Schnittstelle von Kunst und Aktivismus erfordert aber zumindest eine Annäherung an eine Definition politischer Kunst, einen Begriff, der in keinem Lexikon definiert wird und der sich einer klaren Zuweisung automatisch entzieht, zumal eine solche Definition im Kontext unterschiedlicher Kulturen und politischer Systeme jeweils völlig anders ausfallen würde.69 „Politische Kunst“ ist als Konstrukt aus zwei für sich genommen bereits sehr gehaltvollen Begriffen schwer fassbar und behauptet durch deren Verbindung letztlich erst die Trennung von Zuständigkeitsbereichen (vgl. Kube-Ventura 2002: 12). In seiner Dissertation Politische Kunst Begriffe resümiert Holger Kube Ventura, ausgehend von der politisch-künstlerischen Praxis der 1990er Jahre, die genannten Axiome politischer Kunst und kommt zu dem Schluss, dass durch die Begriffe „Kunst“ und „Politik“ der Begriff nicht neutral begründet, sondern immer nur behauptet werden könne. Damit sei vor allem die kunsttheoretische Konstruktion ein Politikum. Kube Ventura verschiebt damit die Frage der Definition auf die der Rezeption (vgl. Vogel 2002: o. S). Das Politische lässt sich in einem grundlegenden Verständnis als etwas die Sache aller betreffend verstehen und Politik definieren „als der Bereich der Gesellschaft, in dem die für alle verbindlichen Entscheidungen getroffen werden“ (Riethmüller 2013: 16). Das Medium dieses Prozesses ist Macht. Aus aktivistischer Sicht bietet nach Riethmüller dieses Medium der Macht auch einen offenen Möglichkeitsraum, in dem gerade Kunst einen wichtigen, wenn nicht den einzigen Weg zur Intervention bietet. Im Anschluss an Luhmann, der das Machtspiel der Politik als Fiktion einer nicht realisierten zweiten Realität beschreibt, sieht er gerade in diesem Punkt die entscheidende Möglichkeit politischer Kunst, da ihre Spezialität die Fiktion ist (vgl. ebd.: 17). Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeit von Antanas Mockus, der 1995 zum Bürgermeister von Bogotá gewählt wurde. Den massiven Problemen der Stadt wie extremer Kriminalität, sich rasant ausbreitendem Drogenmissbrauch und weit

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verbreiteter Korruption, begegnete Mockus mit ungewohnten Methoden: Rollenspiele, symbolische Aktionen und inszenierte Situationen sollten den Bürger*innen das Gefühl zurückgeben, durch das eigene Handeln einen Unterschied machen zu können. Wenn er nicht mehr weiterwisse, dann würde er denken wie ein Künstler, so Mockus: „Strategien der zeitgenössischen Kunst anzuwenden hieß für ihn, Alltagssituationen zu dekontextualisieren, ihnen einen anderen Rahmen zu geben, sie greifbar zu machen. Zugleich erzeugte es ein Gefühl innerer Freiheit, die Fähigkeit, die Dinge in ihrer Komplexität aus der Distanz zu sehen und so Veränderungen zu ermöglichen. Seine Strategie nannte er ‚Subart’: Eine bescheidene Kunst ohne symbolträchtigen Anspruch, eine Möglichkeit, sich aus der ‚Hochkultur’ zu nehmen, was immer nützlich und in direkte politische Aktion umsetzbar ist“ (Malzacher 2014: 12). In seine kugelsichere Weste schnitt er ein herzförmiges Loch, um seinen festen Glauben an Gewaltfreiheit zu demonstrieren, Waffen tauschte er gegen Spielzeug in der Überzeugung, die Kinder würden anständig Druck auf ihre Eltern ausüben, bei vielen öffentlichen Auftritten trug er als symbolische Geste ein SupermanKostüm, in den gefährlichsten Stadtteilen gründete er Bibliotheken, in denen ohne Geld oder Ausweis nur auf Vertrauensbasis ausgeliehen werden konnte, bei Performances an offenen Gräbern ließ er über die Folgen von Gewalt sprechen, anstelle der von ihm entlassenen korrupten Verkehrspolizei leiteten fortan 400 Pantomimen den Verkehr (ausgehend von der Vermutung, dass eine Zurschaustellung der eigenen Sünden für viele Kolumbianer schlimmer sei als ein Bußgeld) (vgl. Malzacher 2014: 12f). Der Bürgermeister perfektionierte im Spiel mit künstlerischen Strategien sehr gekonnt einen Rollenwechsel, der es ihm ermöglichte, flexibel mit diversen Stakeholdern umzugehen: „Antanas Mockus is an excellent example of the differentiation between art projects and artistic strategies – and also of how these practices do not necessarily need to emerge from art or urban planning“ (Holub 2015: 29). Die Resultate seiner Arbeit sprechen für sich: Zehn Prozent höhere Steuereinnahmen (freiwillig gezahlt), vierzig Prozent weniger Wasserverbrauch und siebzig Prozent weniger Gewalt (vgl. Lorch 2014: o. S.). Diese Arbeitshaltung von Mockus erlaubt einen Verweis auf die Theorien von Chantal Mouffe, die Künstler*innen im Rahmen des Kampfes um die Hegemonie eine zentrale Funktion zuschreibt, da sie neue Praktiken und Subjektivitäten entwickeln würden, die zur Unterminierung bestehender Macht führten: „Künstler können heute nicht mehr vorgeben, eine Avantgarde darzustellen, die radikale Kritik übt. Das ist jedoch kein Grund, ihre politische Rolle für tot zu erklären; im Rahmen des Kampfes um die Hegemonie kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Indem sie neue Praktiken und Subjektivitäten entwickeln, können sie dazu beitragen, die bestehenden Machtkonfigurationen zu unterminieren. Tatsächlich war das schon immer die Rolle der Künstler, und nur die modernistische Illusion von der privilegierten Stellung des Künstlers hat uns etwas anderes vorgegaukelt“ (Mouffe 2014: 158f). Hier wäre als ein weiteres verdeutlichendes Beispiel die „aufständische Imagination“ von John Jordon zu nennen, denn Realitäten manifestieren sich über

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70 Hieran ließe sich auch die von Jean-Luc Godard für den Film vorgeschlagene Unterscheidung anschließen, dass es einen Unterschied macht, politisch Kunst oder politische Kunst zu machen.

Narrative. „Die Macht der kulturellen Hegemonie liegt in ihrer Unsichtbarkeit. Anders als bei einem bewaffneten Soldaten oder einem politischen System mit einer niedergeschriebenen Verfassung existiert Kultur in unserem Innern“ (Boyd/Mitchell 2015: 174). Das konsequente Entwerfen und Behaupten alternativer Wirklichkeiten wird gerade im Kontext politischer Einflussnahme das zentrale Alleinstellungsmerkmal der Kunst: „Art is the space from which one behaves as if the conditions for things to happen are in place and everybody had agreed on what we are proposing. It is about making believe, while we know that we don’t have much more than the belief itself“ (Tania Bruguera, zitiert nach Vasquez 2012: 29f). Eine grundlegende historische Aufarbeitung der Beziehung von Kunst und Aktivismus gibt es trotz oder vielleicht auch gerade wegen der geschichtlichen Verflechtungen politischer Kunst noch nicht in ausreichendem Maß. Auch wenn ich in dieser Arbeit sehr bewusst keine ästhetische Validierung der vorgestellten Projekte vollziehe, bleibt festzustellen, dass sich der Vorwurf an politische Kunst aus künstlerischer Perspektive fast immer auf Fragen der Ästhetik richtet, während der Vorwurf an diese Arbeiten aus politischer Perspektive meist auf die mangelnde Wirksamkeit zielt, sobald das ästhetische Interesse offensichtlich im Vordergrund steht. Kritisch bemerkt dazu Stella Rollig: „Muss man feststellen, dass politische Praxis von KünsterInnen immer dann als Kunst reklamiert wird, wenn die gesellschaftliche Wirksamkeit nicht (mehr) wahre Priorität hat? Weil letztlich die Affirmierung des Kunstsystems individuelle Karrieren zu ermöglichen scheint?“ (Rollig 2002: 138). Diese Kritik ließe sich aus Sicht von Aktivist*innen auch umkehren, denn die Affirmierung des Kunstsystems geht einher mit einer entsprechenden medialen Strahlkraft, die globale Wirkung entfalten kann: „(I)hre erstaunliche globale Wirksamkeit erreicht solche aktivistische Kunst hier nicht über das Werk oder dessen ästhetischen Wert (wer kennt die Musik von Pussy Riot?), sondern letztlich über den Umweg des Künstler-Körpers, über das „nackte Leben“ [...]. Selbst wo sich AktivistInnen selbst verbrennen, kennt kaum wer ihre Namen [...]“ (Riethmüller 2013: 18).70 Ein weiterer sich hieran anknüpfender Unterschied betrifft die Frage der Perspektive. Auf der einen Seite scheint es mit Blick auf die gegenwärtige Performance Art Szene ein klares Bedürfnis zu geben, nicht nur politische Inhalte zu verhandeln, sondern selbst einen Ort des Politischen zu schaffen (vgl. Malzacher 2015: 20). Auf der anderen Seite hat sich eine neue Form von Aktivismus entwickelt, der sich künstlerischer Mittel in solchem Ausmaß bedient, dass man von künstlerischen Projekten sprechen kann.

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PARASITÄRE KUNST: DIE ARBEIT VON PENG! COLLECTIVE, ZENTRUM FÜR POLITISCHE SCHÖNHEIT & DEN YES MAN Das Interesse der Aktivist*innen dabei ist es, dass die politischen Themen über eine Behandlung im ungewohnten Kunstkontext anders zugänglich werden. Ein Beispiel wäre die Thematisierung von Gemeingütern über die Entstehung eines Nachbarschaftsgartens auf St. Pauli im Rahmen des Hamburger Sommerfestivals auf Kampnagel 2011. Der Garten ist bis heute ein wichtiger Ort, den es so vorher nicht gab und der Raum für soziales Miteinander und Begegnungen schafft: „(E)in Ort mit einem vorher nicht existenten Potential gesellschaftlicher Gestaltung und Teilhabe“ (Von Hartz 2012: 133). Matthias von Hartz, ehemaliger künstlerischer Leiter des Sommerfestivals, kommt zu dem Schluss, dass, auch wenn es sich selbst beim zweiten Blick nicht um darstellende Kunst, sondern eher um eine soziale Plastik (im Sinne Beuys‘) handle, die politische und soziale Wirkung des Gartens für den Hamburger Stadtteil immens sei: „Vermutlich genügt das als Indiz dafür, dass der künstlerische, politische und soziale Interventionsraum der Darstellenden Künste und ihrer Kulturinstitution gar nicht weit genug gedehnt gedacht werden kann“ (Von Hartz 2012: 133). Im Sinne von Pierangelo Maset lässt sich dies als „parasitärer Kunstbegriff“ beschreiben: Für die Aktivist*innen geht es bei dieser parasitären Nutzung des Kunstsystems ganz pragmatisch „um Fördergelder, Sendelizenzen, Orte für Tagungen und Vorträge u.v.a.m., was sich am Rande des institutionalisierten Kunstsystems allemal besser erreichen lässt als außerhalb“ (Riethmüller 2013: 15). Beispiele hierfür wären die Arbeiten des Peng! Collectives, des Zentrums für politische Schönheit und als ‚Urväter’ dieser Arbeitsweise die amerikanischen Yes Man. Was viele dieser natürlich sehr unterschiedlichen Projekte verbindet, ist die Arbeit in Form von Kampagnen und der häufige Gebrauch von ‚Fake’ als Methode. Auch wenn die Arbeitsweisen dieser Gruppen nicht übergreifend den in dieser Forschungsarbeit angelegten Eingrenzungskriterien entsprechen, wird ihre Arbeit hier kurz vorgestellt, da sie wesentliche Methoden für die Kunst der Schnittstellen exemplarisch zur Anschauung bringt. Der Begriff Fake (englisch: Schwindel) wird im Deutschen inzwischen über seine eigentliche Bedeutung hinaus verwendet, um eine Strategie zu beschreiben, die eine Sonderform der Fälschung darstellt und im Englischen geläufiger als ‚Hoax’ (Falschmeldung, Schabernack, übertreibende Täuschung) oder ‚Prank’ (Streich) bezeichnet wird. So wie diese beiden Begriffe zielt auch die deutsche Verwendung von Fake darauf ab, dass die Enttarnung der Fälschung beabsichtigt ist (vgl. Doll 2012: 217). Die amerikanischen Yes Man sind vor allem durch gefakte Pressemeldungen berühmt geworden: Am zwanzigsten Jahrestag der Katastrophe von Bophal, bei der durch eine Giftgasexplosion der Firma Dow Chemical Tausende von Menschen ums Leben kamen, verkündeten sie – als Pressesprecher von Dow verkleidet – in ei-

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Abbbildung 14: Prospekt für

die Aktion Kindertransporthilfe des Bundes. Zentrum für politische Schöhnheit.

ner live auf BBC World ausgestrahlten Erklärung, dass Dow Chemical nun die volle Verantwortung für das Unglück übernehmen werde, und nannten die Summe von zwölf Milliarden Dollar als Entschädigungszahlung für Opfer und Hinterbliebene. Bis das Unternehmen reagieren konnte und die Meldung für sie sehr peinlich als Fake kommuniziert wurde, war der Aktienkurs von Dow bereits um mehrere Milliarden Dollar eingebrochen (vgl. Bonanno 2014). Nicht nur hatten die Yes Man damit internationale Berichterstattung zu dem Vorfall bewirkt, sie hatten auch den Zusammenhang einer solchen positiven Meldung, der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, mit dem sofortigen Wertverlust eines Unternehmens offengelegt. In ähnlicher Weise inszeniert auch das Zentrum für politische Schönheit Fakes, um Missstände anzuprangern und direkte Handlungen zu provozieren. Mit der Aktion Kindertransporthilfe des Bundes schaltete das Kollektiv z. B. vermeintlich im Namen der Bundefamilienministerin Manuela Schwesig 2014 einen nationalen Aufruf für die Unterbringung syrischer Flüchtlingskinder: „Mit der Teilhabe an der Gesellschaft geht die Verpflichtung einher, denjenigen zu helfen, die nicht so viel Glück haben. Im Namen der Bundesregierung – als Ministerin, Mutter und Mensch – bitte ich Sie um Mithilfe. Schenken Sie Zuversicht und vorübergehend ein neues Zuhause. Die schutzbedürftigen Kinder Syriens gehen uns alle an“ (Ruch 2014: 220). Die Aktion wird als Website geschaltet mit Imagefilm, Prospekten und Antragsformular. Der Fake wird hier als Hyperrealismus inszeniert und die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dem Moment des Dementis der Ministerin überdeutlich. „Eine

Abbildung 14

der wichtigsten Entscheidungen des ZPS war, den Hauptteil der Aktion dort beginnen zu lassen, wo manche Kampagnen enden: bei der Aufdeckung des Fakes. Statt Öffentlichkeit und Medien als Ministerium langfristig hinters Licht führen zu wollen, kommunizierte das Zentrum für Politische Schönheit in Pressemitteilungen, Telefonaten und den sozialen Netzwerken, wer hinter der Rettungsaktion steckte – und dass diese an die Bundesregierung übergeben werden sollte. Mit dieser Verschiebung (die eigentliche Aktion beginnt mit der Enttarnung) machten die Aktivist*innen deutlich, dass sich ihr Anliegen nicht im Aufdecken des Hoax er-

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schöpft, sondern darüber hinausgeht“ (Ruch 2014: 222).71 Die Arbeiten des ZPS sorgen für große öffentliche Irritation, und es gelingt der Gruppe, dadurch genau jene mediale Aufmerksamkeit zu generieren, auf die sie zielen. Nicht umsonst haben Gruppenmitglieder Titel wie „Eskalationsbeauftragter“. In ihrer Selbstdarstellung bezeichnet die Gruppe ihre Aktionen als erweiterte Form des Theaters und Kunst als die fünfte Gewalt im Staat.72 Aktionen – wie der gefakte Bau einer Friedhofsanlage auf dem öffentlichen Vorplatz des Kanzleramtes als Gedenkstätte für Einwanderer, der Aushub symbolischer Gräber im Rahmen eines Marschs der Entschlossenen (und tausenden Nachahmeraktionen der symbolischen Gräber europaweit) sowie jüngst eine Marketingaktion für den Bau einer Brücke von Nordafrika nach Europa verdeutlichen sehr explizit die politische Dimension städtischer Planung und baulicher Veränderungen sowohl auf einer rein symbolischen als auch auf einer konkreten Ebene. Exemplarisch wird hier die nie aufzulösende Verbindung von stadtgestaltender mit politischer Handlung in einer geradezu plakativen Kritik.

71 Das gezielte

Einsetzen von Falschmeldungen und das Behaupten einer alternativen Wirklichkeit als künstlerischaktivistische „Realitätskorrektur“ wird an späterer Stelle an weiteren Beispielen ausführlich besprochen.

72 http://www.

politicalbeauty. de/index.html (Letzter Zugriff 24.10.2017).

Abbbildung 15-16: Marsch

der Enscthlossenen. Fotos: Nick Jaussi für Zentrum für politische Schöhnheit.

Abbildung 15

Abbildung 16

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73 http://www. politicalbeauty. de/index.html. (Letzter Zugriff 24.11.2016). 74 Das Thema

medialer Falschmeldungen verspricht Material für diverse Forschungsarbeiten und scheint aktuell relevanter zu sein denn je, kann aber im Rahmen der hier verfolgten Fragestellung leider nur gestreift werden.

In Bezug auf das exzentrische Auftreten der Gruppe ist ungewiss, ob sie den expliziten Verweis auf die Kunst auch als ein ästhetisches Label ihrer Arbeiten benutzen, oder ob es ihnen – wie auch dem Peng! Collective – vor allem um den Schutzraum der Kunst für ihre aktivistische Arbeit geht. Kontroverse Rezeption ist ihnen in jedem Fall sicher, und dies ist vor allem auch dem massiven Pathos der Selbstdarstellung geschuldet: So sei des Zentrum gegründet worden „zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit – zum Schutz der Menschheit“, so die Selbstdarstellung auf der Homepage der Gruppe.73 Großen gesellschaftlichen Problemen wird hier mit großen Worten und entsprechenden Behauptungen begegnet. Diese Inszenierung von Hyperrealismus und Pathos wird überhaupt erst durch die hybride Form von künstlerischem Aktivismus möglich, denn hier zeigt sich eine explizite künstlerische Strategie: die Überhöhung der Realität zu einer Art Spiegel gesellschaftlicher Probleme.

WIRKLICHKEITSKONSTRUKTION ALS POLITISCHES INSTRUMENT Die unter dieser Strategie aktivistischer Aneignung der Kunst zu subsumierenden Methoden Fake, Hoax und Prank erfreuen sich gerade in der jüngsten Vergangenheit nicht nur im künstlerisch-aktivistischen Milieu zunehmender Beliebtheit. Die Verwendung solcher Methoden ist zudem in künstlerisch-aktivistischen Kontexten als ein Machtkampf in einer ganz neuen Ära des Ringens um die Vorherrschaft in der medialen Aufmerksamkeit und der Dominanz auf die bestimmenden Wirklichkeitskonstruktionen zu sehen.74 Dies zeigt die radikale Zunahme der globalen Bedeutung von gezielter Beeinflussung medialer Berichterstattung mit Falschmeldungen, wie sie z.B. im Rahmen der Präsidentschaftswahl von Donald Trump und rechtspopulistischen Internet-Newsportalen wie der amerikanischen Seite Breitbart, die es als bekanntestes Portal zur Verbreitung von Fake News unlängst zu zweifelhafter Berühmtheit brachte, offensichtlich wurde. Dass Steve Bannon, ehemaliger Chefredakteur bei der ultrarechten Plattform Breitbart, als Chefstratege im Weißen Haus tätig war, mag als augenfälligstes Beispiel zur Veranschaulichung hier genügen. Wichtig ist dabei vor allem auch im Blick zu behalten, dass künstlerischer Aktivismus nicht automatisch ein positives Politik-Verständnis bedingt, denn auch rechte Gruppierungen arbeiten mit inszenatorischen Methoden, mit Dramaturgie und Narrativen. Das zeigt beispielsweise die medial äußerst wirksam inszenierte Wiederaufstellung von Gipfelkreuzen durch die vom Verfassungsschutz beobachtete und als rechtsradikal eingestufte Identitäre Bewegung in Deutschland. Unter dem Motto: „Nicht Reden – Handeln!“, das mit Blick auf den Titel dieser Arbeit natürlich besonders bemerkenswert und in einer solchen Auslegung der Gegenüberstellung auch beunruhigend ist, etabliert sich die Identitäre Bewegung doch mit solchen Aktionen als positiver ‚Anpacker’ und ‚Kümmerer’ und setzt dabei ganz gezielt auf eine

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jugendliche Zielgruppe. Das zeigen auch die Online-Auftritte, in denen massenwirksam eine unschuldig anmutende Lagerfeuerromantik kreiert und diese gekonnt in Szene gesetzt wird: „Heimatliebe ist kein Verbrechen“, mit dieser Einblendung beginnt das Video der Ortsgruppe Bayern. Gezeigt werden dazu saftige deutsche Wiesen und wachsende Kornfelder, kräftige Burschen joggen Fahne schwenkend durch grüne Wälder und üben sich im Ringen. „Heimat – das ist Geborgenheit, Berge und eine unbeschwerte Kindheit“, so ein Jugendlicher ganz sanft und anteilnehmend für all jene, die wegen Krieg und Gewalt ihre Heimat verlassen müssen. Die allermeisten Flüchtlinge aber, das betont er mit treuherzigem Blick, kämen nur wegen falscher Versprechen. Ein hübsches Mädchen wünscht sich die „Wiederbelebung unserer Tradition“, eine andere Jugendliche warnt: „Der Staat greift nach den Seelen unserer Kinder.“ Und ihre Freundin ergänzt: “Die Faktenlage wird geleugnet, und Political Corretctness verhindert einen wirklichen Lösungsansatz“, bevor ein drittes bezopftes Mädchen, wie alle im Trachtenlook gekleidet, ergänzt: „Jedoch der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und wird er doch in Ketten geboren“. Die Worte „Freiheit“ und „Heimat“ werden immer wieder eingeblendet, ein Schwenk zeigt knisternde Lagerfeuer und Liederbücher der Wandervogelbewegung. Das Ganze endet zielgruppengerecht mit „Komm in die Bewegung“ – der Lösung aller aufgezählten Probleme. Die Inszenierung der Identitären Bewegung, die inzwischen in beinahe allen Bundesländern eigene Ableger hat, ist äußerst durchdacht und benutzt gekonnt Darstellungsweisen, die sie ganz klar von dumpfen rechten Hooligans abgrenzen. Das Logo, der griechische Buchstabe Lambda gelb auf schwarzem Grund, wurde in dem Hollywoodfilm 300 als Zeichen der Spartaner eingesetzt, die mit nur 300 Soldaten gegen das riesige Heer der Perser kämpften. Das bietet Identifikationsmöglichkeiten, gerade für die jugendliche Zielgruppe. Die Identitären betonen gern ihren akademischen Hintergrund und geben sich weltoffen und gewandt: „Wir gehen den Weg des friedlichen, aktiven Widerstands gegen die vorherrschende Politik: mit überspitzten Aktionen, die gern auch ein bisschen frech und satirisch sein dürfen“ (Tieg 2016: o. S.), so der Vorsteher des Hamburger Ablegers, Leon Degener. Die Hamburger Identitären schafften sich mit einer Plakataktion 2016 eine große mediale Öffentlichkeit, indem sie die Hamburger Stadtkulisse als drohendes Zukunftsszenario zeigten: Der Hamburger Michel als Minarett, Elbphilharmonie und Fernsehturm von Moscheen verdrängt. „Today, the political landscape is one of signs and symbols, story and spectacle where affect and emotion is as important as reason and rationality. To succeed on this battlefield, we need the art of activism. And, like all art forms, artistic activism is a practice“ (Duncombe/Lambert 2014: 35). Dass es extrem entscheidend ist, diese Praxis zu beherrschen, zeigt natürlich auch der Blick in die deutsche Vergangenheit: Die Rolle, die z.B. Joseph Goebbels der Kunst im Auftrag der rechten Propaganda der Nazis zuerkannt hatte, zeigt, dass die Macht der richtigen Inszenierung bei weitem kein Phänomen der heutigen Gegenwart ist. Im Zuge der medialen Entwicklung der letzten Jahre bekommt dieser ‘Kampf der Bilder’ aber noch einmal eine ganz neue Brisanz und Tragweite. Ange-

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75 Die Frage nach den Konsequenzen dieser Verschiebung von Verantwortung wird im Kapitel Die Kunst der Verantwortung diskutiert.

sichts der Ausweitung von Falschmeldungen und deren Einsatz als politisches Instrument ist die Methode des Fakes darum auch im künstlerischen Kontext durchaus umstritten. Auch Philipp Ruch distanziert die Arbeiten des ZPS von dieser vorher explizit von ihm vertretenen Strategie: „Ich bin überzeugt, dass das Etikett ‚Fake‘ unseren Projekten Unrecht täte. Das sind keine Täuschungen. Der ‚Fake‘ für die deutsche Bevölkerung – um im Beispiel zu bleiben – ist die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Wir haben nicht viel mehr getan, als die Wirklichkeit zu korrigieren. Aber nicht mit Täuschungsmanövern. Die Menschen wollen unbedingt helfen und syrische Kinder aufnehmen. Wir sollten ein Barometer auf unserer Webseite veröffentlichen, das den Wasserstand der deutschen Hilfsbereitschaft anzeigt. Nach der Kindertransporthilfe stand der Zeiger auf Sintflut. Aber das Projekt ist deshalb noch kein Täuschungsmanöver, sondern es ist und bleibt eine Rettungsmission. Es ‚faked‘ keine Rettung von syrischen Kindern, sondern es macht ziemlich offensichtlich, dass die Rettung syrischer Kinder der Bundesregierung jederzeit möglich wäre“ (Ruch zitiert nach Voigt 2015c: 158). In Bezug auf die Rezeption dieser und anderer Arbeiten bleibt wesentlich, dass das Label ‚Kunst‘ – fernab vom eigenen Selbstverständnis im elitären Kunstsystem – durchaus auch willkürlich vergeben wird. Man kann diesen Prozess des Labelings, der im dritten Kapitel thematisiert wurde, nicht steuern, sondern höchstens behaupten: „(D)ie Auszeichnung, dass das, was man da tut, Kunst ist, ist letzten Endes immer eine willkürliche Auszeichnung eines ganz besonderen sozialen Systems: des Kunstsystems, das seiner Binnenlogik nach überhaupt nicht demokratischegalitär, sondern höchst elitär strukturiert ist. Deshalb lässt sich der Kunstcharakter des eigenen Tuns durch die AktivistInnen selbst weder erzwingen noch [...] verweigern“ (Riethmüller 2013: 12f). Mit Verweis auf die Ausführungen zu Fragen des Labelings im letzten Kapitel sei hierzu noch ergänzt, dass die Frage, ob es sich um Kunst handelt, nicht nur eine Frage des Urteils der Rezipient*innen ist, sondern an erster Stelle (und für den Forschungskontext deutlich entscheidender) eine Frage der eigenen Haltung und des Selbstverständnisses bleibt. Jürgen Riethmüller kommt in seiner Untersuchung (Wann) Soll politischer Aktivismus als Kunst anerkannt werden? zu dem Schluss, dass diese Frage aus der Sicht von Aktivist*innen immer nach Kriterien der Nützlichkeit beantwortet wird. In Bezug auf Parmy Olson stellt er fest, dass es eine gegenwärtige Revolution im Aktivismus gebe, eine Entwicklung hin zu einer „Do-ocracy“, bei der die Verantwortung nicht mehr bei den gewählten Vertreter*innen liegt, sondern bei Personen, die sich diese Verantwortlichkeiten und damit ihre Aufgaben selbstständig suchen und handeln. Das schließe Künstler*innen selbstverständlich mit ein (vgl. Riethmüller 2013: 14). Dies untermauert einmal mehr meine These, dass es sich bei dieser Entwicklung vor allem um eine Selbstermächtigung von Künstler*innen handelt, die an anderen Prozessen als rein ästhetischen teilhaben wollen.75 Dies fordert auch, dass sich identitäre (Selbst)Konstruktionen langfristig emanzipieren von binären Dichotomien eines

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Entweder/Oder. Dabei gilt es die Axiome ‚Kunst ist immer politisch!’ und ‚Kunst darf nicht politisch sein’ zu überwinden (vgl.: Hartmann/Lemke/Nitsche 2012: 12), da eine solche polare Diskussion die Heterogenität künstlerischer Arbeiten verkennt, die sich in summa eben nicht auf ein Entweder/Oder festlegen lassen. Meines Erachtens ist Kunst nicht immer automatisch politisch, und die Frage „Ist es politisch? Ja / Nein“ greift zu kurz: Kunst, die politische Inhalte verhandelt, sie in einer repräsentativen Aufführungssituation vorspielt, kann durchaus auch politisch sein, sie hat aber eine völlig andere Intention als Kunst, die über ein Sichtbarmachen hinausgehen will und ins „reale Leben“ eingreift. Der zentrale Unterschied liegt hier weniger in der politischen Motivation als zwischen den Aktionen Verhandeln und Handeln. Künstlerische Tätigkeit wird gemeinhin auf das Verhandeln von Inhalten beschränkt. Sie agiert im Bereich der Sichtbarmachung. Es geht dabei nicht um ein tatsächliches Handeln im Sinne eines realen Eingriffs, der ganz anders kritisiert wird als das Verhandeln politischer Themen: „Die Grenze zwischen Kunst und Leben ist durchlässig, aber nur von einer Seite. Die Gesellschaft lagert Konflikte gern auf das Feld der Kultur aus – seien es die Arbeitslosigkeit, Kriege oder Generationskonflikte – wo sie, im Rahmen der Feuilletons, entschärft werden. Aber wehe, jemand verlässt das Feld der Kultur, geht den umgekehrten Weg und mischt sich ins Leben ein, so Salman Rushdie, Peter Handke, Elfriede Jelinek oder Schlingensief“ (Ursprung 2010: 106). Kunst, die sich einmischt, ist in dieser Lesart weniger als eine Bühne des Politischen zu sehen, sondern wird zu einer ganz eigenen sozialen Praxis (vgl.: Hartmann/Lemke/Nitsche 2012: 13). Kunst wird von einer Plattform zum Player. Wie gezeigt wurde, entsteht jener der Kunst zugestandene Handlungsrahmen durch teils rigorose normative Zuschreibungen, denen sich zu entziehen wiederum ein widerständiger Prozess ist. Gekoppelt sind diese Vorstellungen an die Idee einer Autonomie von Kunst, die immer schon ein gesellschaftliches Konstrukt war. Nach Michael Lingner können die drei großen Autonomie-Ansprüche der Kunst als überholt angesehen werden: 1. Loslösung der Kunst von Gesellschaft, 2. Individuelle Künstler-Persönlichkeit und 3. Die moderne Zweckfreit des Werkes (vgl. Lingner /Maset/Sowa 1999). Die Infragestellung eindeutiger Zuordnung betrifft aber nicht nur Handlungsfelder, sondern sie zielt vor allem auch auf die Projekte selbst, die mit dem Entzug der Eindeutigkeit als Methode arbeiten. Als exemplarisches Beispiel wird im Folgenden unter dieser Prämisse eine Serie von Arbeiten des Performancekollektives geheimagentur in Oberhausen untersucht.

101

76 Die folgenden

Überlegungen zur Arbeit des Performancekollektivs geheimagentur in Oberhausen basieren auf einer gemeinsamen Forschung mit Vanessa Weber. Unter dem Titel: „Zirkularität der Kunst. Künstlerische Praxis als Überschreibung des städtischen Raums“ sind die hier vorgestellten Ergebnisse 2016 bereits in dem Sammelband Ästhetische Praxis erschienen. (vgl. Kauppert 2016; Berger/ Weber 2016).

KUNST ALS ÜBERSCHREIBUNG DES 76

STÄDTISCHEN RAUMS

Seit 2002 initiiert die geheimagentur temporäre Projekte in Oberhausen. Hierzu gehören u.a. Bank of Burning Money, die Wunder-Annahmestelle, die Alibi-Agentur oder das Tourismus-Art-Stipendienprogramm. Häufig lassen diese Arbeiten den Aufführungsrahmen des Theaters hinter sich und entziehen sich gezielt Genrezuschreibungen. Zentraler Hintergrund für die Arbeit des Kollektivs ist die Frage, wie weit im Spiel mit Realität gegangen werden kann. Das Changieren zwischen Realität und Fiktion zeichnet die Arbeiten aus, die auf einer Kreuzung aus artifiziellem und realem Setting basieren und mit Vorstellungen von Wirklichkeit spielen.77

77 Einen guten

Überblick über den philosophischen Diskurs zum Wirklichkeitsbegriff aus theaterwissenschaftlicher Perspektive liefern Kathrin Tiedemann und Frank Raddatz in ihren Anthologien Reality Strikes Back I (2007) und II (2015).

Abbildung 17:

Schwarzbank: Kohle für alle! (2012). Foto: geheimagentur.

78 Eine Dokumentation der Arbeiten findet sich auf dem Blog http://www. geheimagentur. net. (Letzter Zugriff 15.11.16).

Abbildung 17

Oberhausen war in den vergangenen Jahren immer wieder Handlungs- und Spielort für die Gruppe. Beginnend mit dem Projekt Get Away!, einer AuswanderungsBeratungsstelle im Jahr 2010 in der Oberhausener Innenstadt, setzte sich die Auseinandersetzung mit der Stadt Oberhausen und ihren Bewohner*innen in einer Serie fort. Es folgten die Projekte: Schwarzbank: Kohle für alle! (2012), das Wettbüro: alles oder alles! (2013), die Factory (2014) sowie jüngst das Lecture Musical Sweat Shop u. a. mit dem Song Du bist der Leerstand in mir (2015), die als ortsspezifische Projekte in direktem Zusammenhang mit der Stadt Oberhausen stehen.78 Einer Stadt, die mit diversen Problemen zu kämpfen hat: Sie liegt nicht nur in einer der strukturschwächsten Regionen Deutschlands, sondern gilt als Deutschlands am höchsten verschuldete Stadt.

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Der Ruf Oberhausens lässt sich auch durch die mediale Berichterstattung als berüchtigt bezeichnen, wie unlängst ein großer Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung belegte. „Letzter in der Städtetabelle ist regelmäßig Oberhausen, das schon verschiedene Titel für sich in Anspruch nehmen konnte: die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands; das deutsche Detroit; einzige Großstadt ohne Hochschule. Und erst vor wenigen Tagen hinzugekommen: ungesündeste Stadt Deutschlands.“ 79

79 „2 Wochen in Oberhausen -Wat willste.“ Über: http:// www.sueddeutsche.de/politik/ zwei-wochen-inoberhausen-watwillste-1.3127341 (Letzter Zugriff 15.11.16). 80 Zur Doppelpass-Förderung Vergleiche Anmerkung 6.

PERFORMATIVE ÜBERSCHREIBUNG ALS SICHTBARMACHUNG VON MÖGLICHKEITEN Die interventionistischen Arbeiten der „Oberhausen-Serie“ sind von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Kooperationen des Stadttheaters Oberhausen mit der geheimagentur.80 Prozesse wie Abwanderung und damit einhergehend eine Schrumpfung von Stadt und Steuereinnahmen sind auch für das städtische Theater ein existentielles Problem. Den schwindenden Besucherzahlen versucht das Theater mit diversen Strategien zu begegnen, aber auch der in türkischer Sprache inszenierte Faust mit dem „aus Film und Fernsehen bekannten türkischen Darsteller Haydar Zorlu und diverse Aktivitäten über Migrantenorganisationen und Kontakt zu den Communities“ (Carp 2011: 30) führen nicht zu dem gewünschten Zuschauer-Anstieg. Die Hoffnung richtet sich auf Hilfe von außen: „Wir müssen durch eine permanente Selbsterneuerung und Selbsterfindung das Theater [...] wieder in die Gegenwart holen [...]“ (ebd.). Die Suche nach neuen Verbindungen und Kooperationen ist Ausdruck für die Dringlichkeit einer Selbsterneuerung, um das eigene Fortbestehen zu garantieren: So können unabhängige Künstler*innen innovative Formate erproben, was Theatern, die von städtischen Subventionen abhängen, in weitaus geringerem Ausmaß möglich ist, zumal freie Gruppen insbesondere durch den Auszug aus der materiellen Rahmung des Theaters legitimiert sind. Dieses Potential wurde in Oberhausen vom Theater anvisiert, wenn Peter Carp (Carp 2011: 30) formuliert: „Wir müssen uns öffnen. Wir müssen voneinander lernen. Wir müssen die Grenzen sowohl für die Künstler als auch für das Publikum sprengen.“ Die Kooperation eines Stadttheaters mit einer Gruppe der freien Szene steht vor allem für eine Öffnung des Theaters hin zu seinem Außen. „Und dieses Außen lässt sich einerseits als eine Öffnung zum Stadtraum verstehen, andererseits aber auch als Öffnung zu neuen Ästhetiken und Spielarten sowie zur direkten Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Es beschreibt das Sich-Einlassen auf neue, ungewohnte Allianzen des Theaters mit der Stadtbevölkerung, welche umgekehrt erfährt, dass das Konzept Theater ihnen aufgrund der theatralen Interventionen der freien Szene in ihre Alltagswelt eine andere Lesart abverlangt“. (Berger/Weber 2016: 135f). Die erste Arbeit Get Away sollte als Auftragsarbeit des Theaters Migration und Zukunft thematisieren. Sehr geschickt entzog sich das Kollektiv dieser Dienstleistungsvorstellung, indem es die Problematik ironisch verkehr-

103

81 http://www.

getawayinfo.de (Letzter Zugriff 02.02.17).

82 http://www. geheimagentur.net/ das-wettburoalles-oder-allesgeheimagenturvs-oberhausen/. (Letzter Zugriff 02.02.17). Abbildung 18: Get Away! (2010). Foto:

geheimagentur.

te. Der von vielen Bewohner*innen wiederkehrend geäußerte Wunsch, die Stadt zu verlassen, wurde wörtlich genommen und mit Migration gleichgesetzt. Dazu die Projektbeschreibung: „2008 sind zum ersten Mal mehr Menschen aus Deutschland aus- als eingewandert. Anderen jedoch bleibt eine solche Bewegungsfreiheit verwehrt. Höchste Zeit, Grenzen hinter sich zu lassen. Mitten in Oberhausen, jedoch vernetzt mit der ganzen Welt, haben wir vom 13. bis zum 19. Dezember 2010 unsere transnationale Beratungsstelle eröffnet und einen einmaligen Get-Away-Service angeboten: In einem Crash-Kurs in Theorie und Praxis der Migration, bestehend aus 5 Units, konnten BesucherInnen sich in die Kunst der Migration einweisen lassen. [...] Und zum Schluss haben wir dann Ernst gemacht mit ‚Goodbye Deutschland‘: Unter allen AbsolventInnen des Crash-Kurses wurden 3 One-Way-Tickets in eines der 11 Länder verlost. Die Gewinner werden nach Chile, Finnland und Israel aufbrechen und fern von Oberhausen ein anderes Leben ausprobieren – Gute Reise!“ 81

Abbildung 18

Ein anderes großes Thema, das in Städten wie Oberhausen umso drängender wird, als die Gegenwart zur Bedrohung zu werden scheint – die Zukunft – bot Anlass für das Projekt Wettbüro: alles oder alles!, indem man auf die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens von Zukunft wetten konnte. Oberhausener konnten gegen die geheimagentur wetten, um eine Zukunft für alle zu gewinnen. Denn: „In der Wette verspricht das Unwahrscheinlichste den größten Gewinn. Also gehen wir aufs Ganze, denn egal, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sie uns heute erscheinen mag: Wenn die Zukunft dann mal eintritt, dann tut sie das zu hundert Prozent. In Oberhausen, wo durchs Sparen die Zukunft immer mehr verknappt wird, wird das Wettbüro unwahrscheinliche Zukünfte produzieren: Zukunft für alle! [...] Und plötzlich ist nicht mehr ganz egal, was morgen passiert.“ 82 Dem drängendsten Problem Oberhausens, dem immer knapper werdenden Geld, begegnete die Gruppe mit der naheliegendsten Lösung: dem Drucken von Geld

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83 http://www.

schwarzbank.org (Letzter Zugriff 02.02.17).

84 http://www. institutobancopalmas.org (Letzter Zugriff 02.02.17).

Abbildung 19: Wettbüro:

alles oder alles! (2012). Foto: geheimagentur.

Abbildung 19

und der Einführung einer eigenen Währung: „Am Abend des 16.03.2012 wird die Schwarzbank eine eigene Währung für Oberhausen ausgeben: Kohle. Und in den folgenden zwei Wochen ist das Geld hoffentlich weniger knapp. Ganz Oberhausen hat die Taschen voller Kohle und verteilt das Geld in der Stadt: für Erdbeerschnitten und für Tätowierungen und für Theaterkarten und und und. Let’s make money!“ 83 Beratung bezogen die Künstler*innen von Expert*innen der Banco Palmas, die in einer Favela am südlichen Stadtrand von Fortaleza, Brasilien, eine eigene Regionalwährung implementiert hatten.84 Über einen Zeitraum von zwei Wochen installierte die geheimagentur einen Container als Bankfiliale in der Fußgängerzone Oberhausens. Interessierte konnten einen Kleinkredit aufnehmen. Einzige Auflage war es, im Gegenzug eine Tätigkeit zu übernehmen, für die sie schon immer einmal bezahlt werden wollten. Für je 20 Kohle offerierten die Oberhausener in dieser Zeit von der Betreuung von Kleinkindern über Gitarrenunterricht bis hin zu handwerklichen Dienstleistungen ihre Arbeitskraft. In einem angeworbenen Händlernetzwerk aus 80 teilnehmenden Geschäften zirkulierte die Währung. Der Name der Währung, Kohle, erinnert zum Einen ortsspezifisch daran, dass Aufstieg und Fall Oberhausens mit der Gewinnung von Steinkohle bzw. der Zechenschließung Anfang der 1990er Jahre verbunden sind (vgl. Farrenkopf 2013). Zum Anderen steht der Name Kohle natürlich für das alltagssprachliche Synonym der Kohle als Währung, eine sprachliche Entwicklung, die auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeht, in der Kohle eine tatsächliche Währung war, in der ähnlich wie mit Zigaretten auf Konsum-, aber auch Produktionsmärkten getauscht wurde (vgl. Kenkmann 1995: 245 ff.).

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Abbildung 20: Schwarz-

bank: Kohle für alle! (2012). Geldschein der Währung Kohle mit Bild von Christoph Schlingensief, der in Oberhausen geboren wurde. Foto: geheimagentur

Die Oberhausener reagierten euphorisch auf die Möglichkeiten dieses Projektes und versuchten, die Kohle als alternative Währung auch nach Abschluss der Aktion als feste Währung zu etablieren, was ihnen auch für etliche Monate gelang.

Abbildung 21: Schwarz-

bank: Kohle für alle! (2012). Tanzunterricht vor dem Bankcontainer Foto: geheimagentur.

Abbildung 20

Abbildung 21

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Was die Projekte der geheimagentur in Oberhausen trotz ihrer inhaltlichen wie thematischen Diversität eint, ist der Versuch, die scheinbare Alternativlosigkeit der vorherrschenden soziokulturellen Konstellationen zu desavouieren sowie bestehende Wissensordnungen und Wahrnehmungsweisen kritisch zu hinterfragen. „Sie verweisen mit ihrem subversiven Potential auf ihre strukturelle Autonomie, heben dabei jedoch Grenzziehungen innerhalb der etablierten Künste, ihren Gegenstandskonventionen – etwa zwischen bildender Kunst, Theater, Oper, Film, Musik etc. – und ihren jeweiligen Medien wie Leinwand, Notationen, Bühne etc. sowie Darstellungsweisen wie Singen, Sprechen, Filmen auf“ (Berger/Weber 2016: 130). Der verbindende Anspruch der Projekte ist, durch performative Überschreibung, als natürlich gegeben erscheinende hegemoniale Strukturen als veränder- bzw. verhandelbar darzustellen. Dies geschieht über Sichtbarmachung der Künstlichkeit (hier verstanden als Gegenteil eines naturgegebenen Zustands) aller von Menschen ausgedachten Strukturen und über das Aufzeigen von alternativen Möglichkeiten. Dazu die geheimagentur: „Meine Damen und Herren, Ökonomie ist kein Naturgesetz, die Regeln sind veränderlich, es gibt Fluchtwege aus der Verknappung.“ 85

ROLLENSPIELE Bereits im Namen der Gruppe ‚geheimagentur‘ wird deutlich, dass die Frage nach der Autorenschaft für die Rezeption der Arbeiten relevant ist. Die im letzten Kapitel beschriebene Kunst der Zuschreibung wird hier als Versuch eines anonymen Kollektivs praktiziert. Dieser lässt sich zum einen als kritische Hinterfragung eines genialen Einzelschöpfers lesen, zum anderen lässt er sich als kritischer Kommentar des Kreislaufs von kulturellen Vermarktungsformaten wie Biennalen und Festivals verstehen, bei denen das Dropping eine entscheidende Rolle spielt. Die Arbeit der geheimagentur will sich ausdrücklich nicht an einzelne Künstlerbiografien binden. Eigentlicher Anspruch der Gruppe ist es, dass der Name der Beteiligten nicht genannt wird, sondern eben geheim bleibt: „Keiner und zugleich jeder ist nach einer geheimagentur-Performance Künstler. Ist Akteur, Performer und Produzent.“ 86 Andere sind eingeladen, die Arbeit entsprechend der Grundregel, dass mindestens an einer Performance oder einem Workshop der geheimagentur teilgenommen werden muss, fortzusetzen. Danach darf der Name, die Marke, das Label für die nächste eigene und natürlich anonyme Aktion verwendet und behauptet werden, selbst geheimagentur zu sein. Diese Taktik ist vor allem von theoretischem Interesse, denn in der Praxis weiß man in der Theaterszene längst darum, wer hinter dem Kollektiv steht, und auch die Verbreitung des Labels ist sehr überschau- und nachvollziehbar. Und so ist auch die Verweigerung, die Autorenschaft der Performances zu personalisieren und konkreten Personen zuzuordnen, eher theoretisch, denn der Name geheimagentur ist längst zu einem anerkannten Label in der Theaterszene avanciert. Dies belegen auch die Vergaben wichtiger und großer Fördermittel (beispielsweise der Kulturstiftung des Bundes) wie auch die Einladungen zu den renommierten Festivals wie dem Berliner Theatertreffen oder dem Steirischen Herbst.

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85 http://www.

schwarzbank. org/blog/ (Letzter Zugriff 02.02.17).

86 http://www. goethe.de/kue/ the/pur/geh/ deindex.htm von Katrin Ullman (Letzter Zugriff 01.04.2015).

Etablierung und Subversion schließen sich scheinbar nicht aus. „Zwar versuchen die Künstler_innen die vom Kunstfeld evozierte Konstruktion des genialen Einzelkünstlers konzeptionell zu unterlaufen, jedoch bedürfen sie hierzu paradoxerweise des strukturellen – und auch autonomen – Feldes der Kunst, das ihr Wirken als künstlerische Praxis bestätigen muss“ (Berger/Weber 2016: 137). Interessant ist in Bezug auf die im dritten Kapitel skizzierte Neuverhandlung der Beziehungen zwischen Performer*in und Zuschauer*in der Umgang des Kollektivs mit seinem Publikum. Die binäre Konstellation, die Zuschreibung als Performer oder Teilnehmer, löst sich in vielen der Arbeiten auf oder wird zu einem anhaltenden Prozess. Im Fall der Schwarzbank bewirkten dies vor allem die längerfristige Präsenz im städtischen Raum und der installative Charakter der Arbeit. Von Zuschauer*innen lässt sich hier ebenso wenig sprechen wie von Teilnehmer*innen, denn die Bürger*innen Oberhausens wurden am ehesten noch zu Kunden, die sich ihren Kredit auszahlen ließen. Aber auch diese Zuschreibung ist nicht aufrecht zu erhalten, da sich das Geschehen durch immer mehr Angebote der Menschen verselbständigte. Auch die Rolle der Künstler*innen lässt sich nicht festschreiben, da mit fluiden Identitäten jongliert wird: Bankdirektor*innen oder Wettbürobesitzer*innen werden nicht nur gespielt: für den Zeitraum der Projekte werden die Performer*innen dazu. „Die Künstler_innen scheinen sich sowohl in Bezug auf ihre Subjektposition (Autorenschaft, Selbstverständnis, Rollenzuschreibungen) als auch in Bezug auf ihre Praktiken (Erprobung anderer Tätigkeitsfelder, Kollektivierung von Arbeitsprozessen) zu entgrenzen, aber dadurch, dass sie diese stets in das performative, temporäre Setting zurückführen, verschieben sie die Grenzen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern mit ihren ihnen jeweils eigenen Rollenvorschriften, etwa zwischen Kunst, Politik, Wirtschaft und Bildung, ohne diese Grenzen aber grundsätzlich aufheben zu können. Spätestens mit der Planung und Entwicklung einer nächsten Performance sind die Grenzen wieder eng abgesteckt und können erst im Verlauf des Projektes durchlässiger werden“ (Berger/Weber 2016: 138).

REALE FIKTIONEN - KUNST ALS WIRKLICHKEITSBEHAUPTUNG

„Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden. Sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen“ (Joseph Beuys, zitiert nach Boyd/Mitchell 2015: 175). Das Diffundieren zwischen Realität und Fiktion ist ein Alleinstellungsmerkmal von künstlerischer Praxis und findet in unterschiedlichen künstlerischen Methoden Anwendung. In Bezug auf die geheimagentur wäre eine Methode die des Experi-

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ments, um zu testen, inwieweit Realität durch Verfremdungen, Assoziationen und Allegorien überformt werden kann. „Sie produziert Situationen und Einrichtungen, die wie Fiktionen erscheinen und dann doch die Realitätsprüfung bestehen. Die Performances der geheimagentur überschreiten die Grenzen symbolischer Politik in Richtung auf ‚instant pleasure‘: sie lassen eine andere Realität im Kleinen entstehen, statt in kritischer Geste die alte Welt zu bestätigen.“ 87 Die Arbeiten an der Schnittstelle mit aktivistischen Formaten bringen ein Spiel mit der Grenze zum Illegalen mit sich. Dabei nutzt die Gruppe sehr bewusst die Etikettierung als Kunst (die durch die Kooperationen mit dem Stadttheater eindeutig als künstlerische Praxis gekennzeichnet ist), um so einen Spielraum im Sinne eines Freiraums zu ermöglichen. „Denn nur dieser ihnen zugesprochene und eingeräumte gesellschaftliche Freiraum ermöglicht es ihnen, Utopien als Wirklichkeitsbehauptungen zu denken und zu testen. Ohne die Behauptung, dass es sich bei den Praktiken um künstlerische Praktiken handelt, wären einige der Aktionen undenkbar, beispielsweise die Gründung einer Bank, die nicht nur eine Währung druckt und verteilt, sondern auch noch zur Kreditvergabe einsetzt“ (Braun 2012: 221 ff.). Das Spiel mit legalen und illegalen Handlungen erweist sich in dieser Hinsicht nicht nur als eine genuine Stärke künstlerischer Praxis, sondern auch als eine Möglichkeit, die nur ihr, ohne mit negativen Sanktionen rechnen zu müssen, vorbehalten ist. Die Rahmung einer künstlerisch motivierten Praxis ermöglicht ja erst die Überführung von illegaler in legale Praxis. Hier wirken Künstler*innen durch ihre Selbstermächtigung nicht nur als Seismographen gesellschaftlicher Entwicklung, sondern auch als subversive Kraft, die Anstöße zu ihrer Veränderung zu geben vermag. Die Lust, in gesellschaftliche Prozesse zu intervenieren, ohne als Community Nurse missverstanden zu werden, gehört zum Selbstverständnis der geheimagentur.88 So verfolgt sie nicht den Anspruch, dass sich aus ihren Performances verbindliche, dauerhafte Wirkungen ergeben. Ihre Projekte sind als künstlerische Praxis eindeutig gekennzeichnet und besitzen durch die rituelle Eröffnungs- und Abschlussperformance einen artifiziellen sowie zeitlich begrenzten Rahmen“ (Berger/Weber 2016: 139). Dabei verfolgt die Gruppe nicht den Anspruch, Probleme zu lösen, sondern arbeitet thematisch.89 Die Projekte entziehen sich jeglicher Verwertungslogik, „indem sie die von der städtischen Politik identifizierten Probleme (kein Geld, keine Zukunft, keine Arbeit) offensiv statt versteckt thematisieren und durch eine Art der Überhöhung (Kein Geld? Dann drucken wir welches! Keine Zukunft? Dann wetten wird darauf! Keine Arbeit? Dann gründen wir eine Fabrik!) alternative Wirklichkeiten behaupten und so normative Zuschreibungen brechen. Diese Form der Wirklichkeitsbehauptung kann nur im Rahmen künstlerischer Praxis durch das performative Austesten in der Alltagswelt funktionieren. Sie macht den Auszug aus dem theatralen Raum so zu einer Bedingung der Inszenierung von Wirklichkeit“ (ebd.).90 „Nicht nur Oberhausen ist pleite. Geld gibt es nie genug. Lässt sich das nicht mal ändern? Wäre es nicht schön, die Kontrolle über das Geld zu gewinnen? Könnten wir nicht unser eigenes Geld drucken? Doch, können wir. [...] Jedes Mal, wenn wir irgendetwas kaufen oder verkaufen, bekräftigen wir unseren Glauben an den Fortbestand des

109

87 http://www.

geheimagentur. net/about/ (Letzter Zugriff 01.04.2015).

88 Vgl. Interview mit Mitgliedern der geheimagentur vom 23.05.2014

89 Ebd. 90 Für alle

jene, die die Performances von Anfang bis Ende miterleben, bleibt der theatrale Rahmen eindeutig gekennzeichnet, da die Projekte jeweils von einer Eröffnungs- bzw. Abschlussperformance flankiert werden: „Sehr geehrte Damen und Herren, [...] Ende März ist die geheimagentur als Direktorium der Schwarzbank zurückgetreten. Um die Zukunft der Kohle kümmern sich jetzt andere. Am 17. Juni kommt die geheimagentur anlässlich des NRW-Theatertreffens noch einmal zurück nach Oberhausen. Wir werden einen filmischen Rückblick auf das Schwarzbank-Projekt präsentieren und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft wagen – im Gespräch mit den neuen Schwarzbank-AktivistInnen.“ Quelle: http://www. schwarzbank.org/ blog/. (Letzter Zugriff 02.02.17).

91 http://www. schwarzbank. org/mitmachen/ (Letzter Zugriff 02.02.17).

Geldes, darin, dass das Geld auch morgen oder übermorgen noch etwas wert ist. Und nur, weil wir daran glauben, funktioniert die ganze Sache. Deswegen können wir auch unser eigenes Geld drucken, wenn nur genügend Menschen es ausgeben und annehmen. Die einfachste Art, bei der Schwarzbank mitzumachen, ist also, dafür zu sorgen, dass die Kohle zirkuliert.“ 91 Hier wird sehr deutlich, was (wie Hermann Pfütze in Bezug auf die Arbeiten von Jochen Gerz feststellt) ein zentraler Punkt künstlerischen Wirkens ist: „Eine Fiktion ist in der Imagination real, das Imaginäre erweitert den Gegensatz ‚real-fiktiv’ um das, was möglich ist. Realität künstlerisch zu fingieren heißt also, sie um die Imagination zu bereichern.“ (Pfütze 2016: 97). Durch Camouflagetechniken sind die Inszenierungen der Orte nicht immer sofort als künstlerischer Eingriff erkennbar: „Gerade diese Räume des Dazwischenliegenden, des nicht eindeutig Zuzuordnenden bieten die Möglichkeit, Grenzen sowohl aufzuzeigen als auch zu verflüssigen und subversiv zu unterlaufen. Solche künstlerischen Arbeiten bieten somit einen einzigartigen Zugang, um über neue Handlungsformen und Wirkungszusammenhänge von Kunst und Stadt nachzudenken“ (Berger/Weber 2016: 140f). Die Auswirkungen der Realitätsexperimente der geheimagentur waren in Oberhausen spürbar. Hierzu zählt der Versuch von Bürger*innen, die alternative Währung zu etablieren, auch wenn dieser scheiterte. „Künstler können heute nicht mehr vorgeben, eine Avantgarde darzustellen, die radikale Kritik übt. Das ist jedoch kein Grund, ihre politische Rolle für tot zu erklären; im Rahmen des Kampfes um die Hegemonie kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Indem sie neue Praktiken und Subjektivitäten entwickeln, können sie dazu beitragen, die bestehenden Machtkonfigurationen zu unterminieren. Tatsächlich war das schon immer die Rolle der Künstler, und nur die modernistische Illusion von der privilegierten Stellung des Künstlers hat uns etwas anderes vorgegaukelt“ (Mouffe 2014, 158 f.). Die Arbeiten lassen sich als ästhetischer Widerstand beschreiben, „der eher in der Überaffirmation von Institutionen und ihren Praktiken denn in einem vollständigen Bruch mit ihnen liegt. Alltägliche Praktiken wie das Abheben von Geld in einer Bank, das Einlösen eines Wettscheins in einem Wettbüro oder die Suche nach Beratung in einer Beratungsstelle werden zu ästhetischen Praktiken. Sie erfolgen nicht nur mehr nur präskriptiv zweckorientiert, sondern ermöglichen sinnliche Wahrnehmung. Sie finden in künstlerisch inszenierten und doch realen Situationen statt, so dass die Grenze zwischen Fiktion und Realität sowohl für die Künstler_innen als auch für die Teilnehmer_innen nicht mehr eindeutig zu vollziehen ist: Alltägliche Praktiken dienen nicht länger nur ihren etablierten Zwecken, sondern ihnen wird eine andere Form von Aufmerksamkeit zuteil, die sie sinnlich erfahrbar werden lässt“ (Berger/ Weber 2016: 144).

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„ENGAGEMENT UND SKANDAL“92 – CHRISTOPH SCHLINGENSIEFS BITTE LIEBT ÖSTERREICH!

92 „Engagement

Wirklichkeitsbehauptung oder alternative Narration ist in meinen Augen eine Methode künstlerischer Praxis, die für eine produktive Stadtgestaltung wesentlich ist. Dabei geht es aber (vgl. die Feststellung zum Kreativitätsdispositiv am Beginn dieses Kapitels) nicht explizit um das Hervorbringen des sinnlich Angenehmen und emotional Wohlgefälligen, sondern auch um Verunsicherungen, Unterbrechungen und Störungen: „Die Macht der kulturellen Hegemonie liegt in ihrer Unsichtbarkeit. Anders als bei einem bewaffneten Soldaten oder einem politischen System mit einer niedergeschriebenen Verfassung existiert Kultur in unserem Innern.“ (Boyd/ Mitchell 2015: 174). Im Zentrum steht hierbei ein Spiel mit der Unsicherheit, eine Bewegung zwischen Fiktion und Wirklichkeit, wie sie am Beispiel der geheimagentur

Abbildung 22

detailliert gezeigt wurde. Künstlerische Praxis an der Schnittstelle zu Aktivismus bietet aber noch eine weitere Methode dieser Überschreibung der Realität, die sich als Überdetermination (vgl. Thompson 2012: 24) beschreiben ließe und sich an Christoph Schlingensiefs Projekt Bitte liebt Österreich exemplarisch zeigen lässt. Schlingensiefs als ‚Containeraktion’ international berühmt gewordene Arbeit scheint, obschon aus dem Jahr 2000, zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes 2017 mit

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und Skandal“ ist der Titel eines 1998 erschienen Gesprächs zwischen Christoph Schlingensief, Josef Bierbichler und Harald Martenstein zum Thema „War das Politik? Oder doch nur Theater?“.

Abbildung 22:

Container des Projektes „Bitte liebt Österreich!“ auf dem Herbert-vonKarajan-Platz, Wien. Foto: David Baltzer

Abbildung 23: Christoph

Schlingensief bei einer Ankündigung vor dem Container. Foto: David Baltzer/ bildbuehne.de

Abbildung 23

Blick auf den zunehmenden Einfluss rechts-populistischer Parteien in ganz Europa und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA auf extrem erschreckende Weise zeitgemäßer denn je. Im Jahr 2000 hatte der damalige österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel gerade ein Bündnis mit dem rechtspopulistischen FPÖ Chef Jörg Haider geschlossen, und die Stimmung in Österreich tendierte zu einer radikalen Verschärfung der Einwanderungspolitik. Unter einem riesigen Banner mit der Aufschrift „Ausländer raus!“ installierte Schlingensief während der Wiener Festwochen einen Wohncontainer im ‚Herzen’ Wiens (direkt neben der Staatsoper) und ließ in einem dem Big BrotherTV-Format nachempfundenen Setting Immigrant*innen gegeneinander um ihr Bleiberecht antreten. Auf dem Dach des Containers wurden Fahnen der FPÖ gehisst, und Ausschnitte aus Reden von Jörg Haider beschallten den Platz. Ein Logo der Wiener Kronenzeitung wurde an dem Container angebracht. Die Zuschauer*innen konnten die Show über CCTV im Internet verfolgen und täglich online oder via Telefon eine weitere Person „rauswählen“ und damit abschieben lassen. Wer am Ende übrig blieb, sollte Geld gewinnen und, falls sich Freiwillige fänden, eine Einheirat in die österreichische Wahlheimat möglich werden. Mediale sowie Reaktionen von Zuschauer*innen waren teilweise erschreckend, da sie das Setting als positiv lobten. Schlingensiefs Interesse galt vor allem dem Moment, in dem ein solches Setting glaubhaft und

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93 http://www. schlingensief. com/downloads/ schlinge_sloterdijk_wien.pdf (Letzter Zugriff 16.05.17). Abbildung 24:

Herbert-von-Karajan-Platz, Wien mit Container im Hintergrund, Foto: David Baltzer/bildbuehne.de

Abbildung 24

damit zu einem politischen Thema wird.93 Seine ‚Spiegeltechnik’ zielte vor allem auf die Verwischung der Eindeutigkeit und damit auf das Spiel mit der Frage, was in dieser Performance echt und was gespielt war. Der Status der Immigrant*innen blieb dabei genauso unklar wie die Frage, ob es sich überhaupt um echte Asylbewerber*innen oder aber um Schauspieler*innen handelte, und teilweise schien auf Grund sprachlicher Hürden auch noch unklar, ob die Menschen überhaupt verstanden, was dort verhandelt wurde. Diese Form der Überhöhung der Wirklichkeit als künstlerische Intervention, die nicht als solche erkennbar ist, ließe sich auch als Taktik der Ambivalenz beschreiben, denn das Spiel mit der Realität wurde für die Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt offiziell aufgelöst. Christoph Schlingensief ging es vor allem darum, starke Bilder zu produzieren und die Menschen mit dem Spiegelbild einer Wirklichkeit zu konfrontieren, die fernab von den repräsentativen Bauten unter der Oberfläche rumort: „Also die Frage nach dem Was für ein Bild kann ich denn überhaupt hinsetzen, um jetzt zu sagen wir müssen diese Welt besser machen. Was ist da überhaupt besser zu machen? Was für ein Bild muss jetzt gebaut werden, damit man sieht, Österreich ist verloren. Oder solche Sachen. Und genau da war jetzt der Reflektionsgrad einer Oberfläche, eine Oberfläche der Schönheit, Wien, Kärntnerstraße, Stephansdom, es ist da, wo die Touris ankommen, es ist da, wo man einsteigt, und dann rumfährt, die Überreste der Vergangenheit anschaut. Genau an der Stelle wird das andere

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94 www. schlingensief. com/downloads/ schlinge_sloterdijk_wien.pdf (Letzter Zugriff 22.02.17). 95 https://www. youtube.com/ watch?v=8CVq1 bp4ohc&list=P LQoUnPhwq7c zAW8NK7cK9m yqXYKmkqKR&i ndex=3 (Letzter Zugriff 22.02.17).

Bild serviert, was eigentlich eine Beschädigung vielleicht, das Gegenteil bewirken kann. Entsetzte Touristen, die sagen: nichts wie weg hier. Und jetzt fängt’s vielleicht erst an.“ 94 In einem Portrait über Christoph Schlingensief schreibt Georg Seeßlen: „Die Frage, wie viel Politik man der Kunst zumuten kann, wie viel soziale Konkretion, die stellt sich dauernd neu.“ (Seeßlen 2010:38). An diese Feststellung anschließend möchte ich für politische Kunst die Definition von Tania Bruguera vorschlagen: „Politische Kunst hat Zweifel, keine Gewissheiten; sie hat Absichten, keine Programme; sie teilt mit denen, die sie finden, und drängt nichts auf; sie definiert sich in dem Moment, in dem sie geschieht; sie ist eine Erfahrung, kein Bild; sie schreibt sich in das Feld der Emotionen ein und ist komplexer als eine Gedankeneinheit. Politische Kunst ist die eine Kunst, die gemacht wird, wenn sie nicht in Mode ist und wenn es unbequem ist, sie zu machen: juridisch unbequem, gesellschaftlich unbequem, menschlich unbequem. Sie betrifft uns. Politische Kunst ist unbequemes Wissen.“ (Bruguera 2010: 134). Im Folgenden wird die Schnittstelle zwischen künstlerischer Praxis und sozialer Arbeit in den Blick genommen. Eine Aufgleisung von politischer und sozialer Kunst wird jedoch in den seltensten Fällen trennscharf gelingen, denn künstlerische soziale Arbeit diffundiert in politischen Anspruch und umgekehrt.

KUNST UND SOZIALE ARBEIT „Gute Sozialarbeit ist mir lieber als schlechte Kunst“ (Matthias Lilienthal 2015).95 Diese provokante Aussage des künstlerischen Leiters der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal, getroffen im Rahmen eines Podiumsgesprächs bei der Konferenz Theater und Netz zum Thema ‚Artivismus‘, führt direkt hinein in ein Kernproblem der Kopplung von Kunst und sozialer Arbeit: der Gefahr einer Auslagerung sozialstaatlicher Fürsorgepflichten auf prekär finanzierte Künstler*innen. Denn entsprechende Projekte können schnell Gefahr laufen, (unwillentlich) eine perfide Sparpolitik umzusetzen, denn: „Was sonst chronisch unterfinanzierte Sozialarbeit wäre, kann durch den symbolisch wie finanziell gewichtigen Kontext Kunst valorisiert werden“ (Emmerling/Kleesattel 2016: 13). Kunst entlastet so (ungewollt) die staatliche Sozialpolitik, und es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass sie als „Trostpflaster oder kurzfristiges Ablenkungsmanöver in diskriminierenden und marginalisierenden Verhältnissen angewandt wird“ (Rollig 1998: 20). Staatlich finanzierte soziale Arbeit, die auch im Rahmen von Soziokultur stattfindet und auf langfristiger Präsenz und professioneller pädagogischer Arbeit basiert, gerät (so die teilweise berechtigte Kritik) in unreflektierten Rahmungen in eine Konkurrenzsituation mit temporär arbeitenden Künstler*innen, die für wenig Geld und nur für sehr kur-

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ze Zeit agieren. Hinzu kommen Vorwürfe aus dem Kunstfeld (denen sich, wie ausgeführt wurde, häufig auch rein politisch motivierte Kunst ausgesetzt sieht), dass entsprechende künstlerische Projekte, die ein klares Ziel avisieren, dies auf Kosten ästhetischer Qualitäten tun würden. Die Schnittstelle von Kunst und sozialer Arbeit ist damit vor allem durch Ambivalenzen geprägt. Für den Forschungskontext dieser Arbeit sind gerade diese Ambivalenzen von zentraler Bedeutung, denn der Begriff des Sozialen verweist auch auf die Bedingungen des Zusammenlebens in einem urbanen Kontext. Er ist damit für die Stadt als Gemeinwesen ein, wenn nicht der entscheidende Faktor. „Die Konstitution des Sozialen ist an Prämissen geknüpft, die sich auf die Strukturbedingungen sozialer Integration beziehen. Dazu zählen die soziale Dichte, die Heterogenität und die Diversität des Zusammenlebens. Mit der Konstitution des Sozialen ist damit auch die Logik verbunden, nach der eine Stadt integriert und ausgrenzt“ (Baum 2012: 567). Integration wird im Rahmen sozialer Arbeit verstanden als die Fähigkeit zu eigenständiger Reproduktion. Es geht darum, Menschen zu befähigen, selbständig und ohne fremde Hilfe das eigene Leben zu bestimmen und organisieren zu können (vgl.: ebd.: 577). Dieses Kernziel aller sozialen Arbeit ist mit Blick auf die Strukturbedingungen aufs engste an die Aufgaben von Stadtgestaltung gebunden. Kunst, die sich mit diesen strukturellen Bedingungen sozialer Integration beschäftigt, leistet somit automatisch auch einen wichtigen Beitrag für die Gestaltung einer Stadt und der städtischen Gesellschaft. Die skizzierten Fallstricke an der Schnittstelle von Kunst und sozialer Arbeit zunächst noch einmal außer Acht lassend, lässt sich ganz grundlegend feststellen, dass der Einfluss von sozialer Arbeit und der Soziokultur ein weiterer wichtiger Motor für die Entwicklung handlungsorientierter Kunst neben dem politischen Aktivismus war und ist. Wiederum beginnend in den 1960er Jahren mit einer Intensivierung in den 1990er Jahren entwickelte sich eine häufig als Community Art beschriebene Annäherung von Künstler*innen an das Feld der Soziokultur, die vor allem geprägt war durch einen dialogischen Zugriff in der Auseinandersetzung mit diversen Zielgruppen und Akteuren und die deshalb auch unter der Bezeichnung Dialogkunst oder Dialogical Art firmierte. Die von der kanadisch-amerikanischen Kuratorin Mary Jane Jacobs organisierte Ausstellung für Sculpture Chicago mit dem Titel Culture in Action (1992-1993) wurde zu einem Diskurs-Paradigma, „anhand dessen sich, je nach Standpunkt, die vorbildliche soziale Verantwortlichkeit, die sinnliche Verarmung oder die drohende Vereinnahmung zweckorientierter Kunst durch die Kommunal- bzw. Sozialpolitik abhandeln lassen“ (Rollig 1998: 19). Culture in Action war ein „community-based art project“, das zu Beginn der 1990er Jahre in Chicago versuchte, künstlerische mit kommunalen Arbeiten zusammenzubringen. In den acht Projekten kollaborierte je ein/e Künstler*in mit einer bestimmten Community seiner/ihrer Wahl.

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96 Alle folgenden Zitate mit der Quellenangabe WochenKlausur stammen aus der Selbstdarstellung der Gruppe auf ihrer Homepage: http://www. wochenklausur. at/index1. php?lang=de (Letzter Zugriff 09.11.17).

Die meiste Kritik verlief in den bereits aufgezeigten und inzwischen altbekannten Bahnen: So resümierte z.B. das amerikanische Kunstmagazin Frieze das gut gemeinte Culture in Action Programm kritisch: „But what happens when communities and their residents become the subjects of art? Prospects to be mined by underwriters on a social mission in the form of culture? The former question is an old one and the latter response indicates a looming dilemma, in that it appears that upper-level funding for public art and community projects currently exceeds the expressed need or desire for it, creating a situation where art (culture) is being dictated - even invented - by the agencies who sponsor it more than the artists and communities they serve. Sadly, the most telling aspect of Culture in Action was the disparity between what Sculpture Chicago and its sponsors claimed to accomplish through these projects and what most of the artists knew was really possible, and the subsequent scepticism about whom the culture was really for“ (Scanlan 1993: o. S.).

KUNST ALS PRAGMATISCHE PROBLEMLÖSUNG?

„Die gesellschaftliche Erneuerung ist eine Aufgabe der Gegenwartskunst nach der Kunst der Behandlung von Oberflächen“ (WochenKlausur).96 Angesichts dieses immer wiederkehrenden Dilemmas stellt sich die Frage: Warum sollten Künstler*innen die Arbeit von Sozialarbeiter*innen überhaupt übernehmen sollen oder wollen? „Künstlerinitiativen haben ihnen gegenüber einige Vorteile. Sie benutzen ihre Institutionen. Das mediale und bildungspolitische Potential dieser Institution ermöglicht aufgrund des gesellschaftspolitischen Stellenwerts von Kultur einen schnellen und unbürokratischen Zugang zu Entscheidungsträgern. Lästige Instanzenwege können so umschifft werden. Der begrenzte Projekteinsatz setzt Energieschübe frei und beschleunigt die Realisierung“ (Zinggl 1995: 305). Diese Begründung (im Sinne des bereits beschriebenen parasitären Kunstbegriffs) stammt von Wolfgang Zinggl, der als Mitglied der österreichischen Gruppe WochenKlausur zu den wahrscheinlich bekanntesten und seit langer Zeit aktiven Vertreter*innen der Schnittstellenarbeit von Kunst und Sozialem gehört.

DIE STADT ALS GEMEINWESEN – DIE ARBEITEN VON WOCHENKLAUSUR Die österreichische Gruppe WochenKlausur entwickelt bereits seit 1993 „kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Verringerung gesellschaftspolitischer Defizite

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und setzt diese Vorschläge auch um. Künstlerische Gestaltung wird dabei nicht mehr als formaler Akt sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft gesehen“ (WochenKlausur). Die Gruppe entstand 1993 auf Grund einer Einladung der Wiener Sezession. Zinggl lud daraufhin seinerseits 8 Künstler*innen ein, mit ihm gemeinsam in einer 11-wöchigen Klausur ein Konzept zur medizinischen Versorgung Obdachloser zu entwickeln. Das Ergebnis – eine mobile Ambulanz – behandelt bis heute monatlich über 600 Patient*innen ohne Krankenschein und ohne Kosten für die Betroffenen (vgl. WochenKlausur). In wechselnder Besetzung hat das österreichische Kollektiv inzwischen weltweit über 30 Projekte mit über 50 Künstler*innen realisiert, die sich alle mit der Lösung ganz konkreter sozialer Probleme befassen. Die geschickte Unterwanderung bürokratischer Hemmnisse und damit das zeitnahe Schaffen ganz konkreter Problemlösungen gelingt auch deshalb seit so langer Zeit, weil die Voraussetzung für die Arbeit der Gruppe immer die Einladung einer Kunstinstitution ist. Zum einen werden so das kulturelle Kapital und die infrastrukturelle Rahmung zur Verfügung gestellt, zum anderen sichert sich WochenKlausur aber durch diese Voraussetzungen einen permanenten Einfluss auf die Definitionsmacht von Kunst. Ein Faktor, der für die Arbeit der Gruppe zentral ist, denn ihr erklärtes Ziel ist es, Einfluss auf die Bestimmung dessen zu nehmen, was Kunst ist bzw. deren Erweiterung – also dessen, was Kunst auch sein kann: „Die Veränderung der künstlerischen Handlungsmöglichkeiten ist das eigentliche politische Ziel der WochenKlausur und vieler aktivistischer, interventionistischer und littoralistischer Kunst heute. Verändert sich der Kunstbegriff, so verändert sich auch der Kunstbetrieb. Durch Polemiken, Agitation und Kritik allein bewegt sich nichts, dazu ist das System zu selbstreferentiell“ (WochenKlausur).97 Dabei würde mit jedem gelungenen Projekt, welches als Kunst gewertet würde, ein sozialer Eingriff in bestehende gesellschaftliche Verhältnisse an Bedeutung gewinnen und das Wort ‚sozial’ im Sprachgebrauch wieder positiver besetzt (vgl. WochenKlausur). „So, wie bestimmte ‚Ekelmaterialien‘ durch die Kunst plötzlich salonfähig gemacht werden konnten, können auch soziale Handlungen durch ihre Aufwertung im Kunstkontext den Nimbus des Bemühten oder des penetranten Helfersyndroms wieder abbauen“ (ebd.). Dieser Verweis auf das gesellschaftliche Diskreditieren sozialer Arbeit mag zunächst polemisch klingen. Dass sich soziale Arbeit in den meisten westlichen Industrienationen keines besonders hohen Stellenwerts erfreut, lässt sich aber unter anderem an der miserablen Bezahlung beinahe aller sozialen Berufe evident belegen. „Dabei überlagert der Name ‘Kunst‘ den Namen ‘Sozialarbeit‘, die hier im Sinne eines gesellschaftlichen Reparaturbetriebs punktuelle Verbesserungen generiert. Solange dabei im Überschreiten einer Grenze die Hoffnung auf die Etablierung einer neuen Kunstdimension aufblitzt, funktioniert der Kunstbegriff. Im Alltag angekommen, wird die Kunst als Sozialarbeit letztlich zur Sozialarbeit als Sozialarbeit“ (Schütz 2013: 36). Erreichen lassen sich die oft aussichtlos erscheinenden Ziele aber nur durch die Behauptung der Kunstdimension, da die ungewohnten Strategien nur als künstlerische Aussicht auf Erfolg haben: „The frame, I assume, is the performative frame, which enables those symbolic

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97 http://www. wochenklausur. at/index1. php?lang=de (Letzter Zugriff 19.02.17).

activities and configurations known as art to appear as such. For without that frame, of course, those activities and configurations might well be visible – their coefficient of visibility might indeed be very high – but not as art per se, at least not according to current conventions. In the absence of a performative frame, objects and actions are all inclined to change their ontological status and to become art; only the presence of that frame can coax them into being something other than the ’mere real thing’, as analytical philosophers rather facetiously put it“ (Wright 2007: o. S.). Stephen Wright kommt in seiner Analyse zu dieser Bedeutung von Kunst als zentraler Rahmung aber auch zu dem Schluss, dass die Anerkennung einer Arbeit als künstlerisch ebenso negative Effekte mit sich bringt, da sie sich dann auch dem Vorwurf ausgesetzt sehen könne, eben ‚nur’ Kunst zu sein und damit keine ‚reale’ Bedeutung zu haben: „Yet that frame, like any frame, is also a limitation… a limitation, above all, to art’s transformative potential. When we say, unaware that the frame is in place, we didn’t ‘even’ know something was art, the adverb is very telling: in order for something to be perceived as art, it must be framed as such, but more importantly, the more distinctly framed the more incisive it is. This is a highly dubious claim, however, for we can just as easily say, once we are aware of the frame’s invisible but powerful presence, that it is ’just’ art. There too, the adverb is revealing: just art, not the potentially more transformatory, corrosive, even censorship-deserving real thing. In short, then, while the frame is an almost magically powerful device, it is also a debilitating one“ (Wright 2007: o. S.). Die Reflektion dieses Zusammenhangs ist für einen klugen Gebrauch des Labels „Kunst“ darum gerade auch an dieser Schnittstelle elementar. Dass sich die Künstler*innen der WochenKlausur den Implikationen des Begriffs sehr bewusst sind, zeigt auch ihr Umgang mit dem Aufmerksamkeitsmanagement zwischen Kunst und sozialer Arbeit: Sie nutzen die bevorzugte Berichterstattung über künstlerische Arbeiten gezielt für sich: „Über die spannendste Sozialarbeit berichten die Medien weniger gerne als über das langweiligste Kulturgeschehen“ (WochenKlausur). Dabei ist die Arbeit der Gruppe immer an den Anspruch von Stadt als Gemeinwesen gekoppelt, denn deutlicher als bei vielen anderen Gruppen richtet sich das Ziel der Projekte auf eine Veränderung von Strukturbedingungen für ein soziales Miteinander. Ein Hauptfokus von WochenKlausur liegt darum im Bereich von (sozialer) Orts- und Stadtentwicklung. Dazu gehörten Projekte zum öffentlichen Nahverkehr (Sligo/Irland), zur Verbesserung der Lebensqualität (Köln-Deutz), ein ThinkTank rund um Erwerbslosigkeit (Berlin-Kreuzberg), Sprachunterricht für Flüchtlingskinder (Mazedonien) und viele andere Projekte weltweit. Das Themenfeld reicht damit von Urbanität und Migration zu Defiziten in der Jugend-Bildung und ökologische Fragen, über Pauperisierung, Kriegsfolgen, den Umgang von Gesellschaften mit alten Menschen und zu Randgruppen (vgl. Voigt 2015:102). Der Gefahr eines Rückzugs sozialstaatlicher Verantwortung entziehen sich die Künstler*innen der WochenKlausur dabei geschickt, indem sie ausschließlich auf

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die Einladung größerer Institutionen hin agieren. Die öffentlichen Gelder würden damit lediglich umgewidmet und nicht eingespart (vgl. WochenKlausur). Die Budgets für Kunst werden so zu Budgets für soziale Arbeit. „Die Kunst geht in die Bereiche der Solidarität und des Rechts, nur dass die Rechtsinstanzen nicht eingehalten werden. Der Künstler als Verteidiger der Zivilgesellschaft! [...] Eine Möglichkeit der Kunst ist eben dort zu reagieren, wo die Politik versagt – das heißt, die Kunst reagiert in einer politischen Situation. Die Herstellung sozialer Gerechtigkeit ist eine der Aufgaben der Politik. Die Künstler kümmern sich nicht nur darum, dass das Besorgnisrecht eingehalten wird, sondern versuchen auch einen Rechtsbegriff und ein Rechtsempfinden zu aktivieren. Ich sehe sonst niemanden, der dies tut“ (Peter Weibel 2005: 127).98 Und auch der Kritik einer fehlenden ästhetischen Dimension tritt die Gruppe selbstbewusst entgegen: „Anlässe und Möglichkeiten für konkrete Eingriffe aus der Kunst sollten nicht gleich mit moralisierendem Übereifer verwechselt werden. Als Handlungsmöglichkeit beinhalten sie ein nicht zu unterschätzendes politisches Kapital und stehen der traditionellen Bearbeitung von Materialien in keiner Weise nach. Die Gruppe WochenKlausur geht von dieser Funktion der Kunst und ihren historischen Wegbereitern aus. Sie stellt sich präzise Aufgaben und versucht in zeitlich begrenzten Intensiveinsätzen Lösungen für erkannte Probleme zu erarbeiten“ (WochenKlausur). Bekannt wurde WochenKlausur auch durch ein Projekt, das sie auf Einladung der Shedhalle 1994 in Zürich durchführte, um Aufmerksamkeit für die dortige Drogenproblematik zu generieren. Auch dieses Projekt, die Einrichtung der Not-Schlaf-Unterkunft ZORA, finanziert aus einem Mix privater Spenden und öffentlicher Gelder, überlebte die Aktionszeit von acht Wochen um ein Vielfaches und konnte bis 2001 weiterfinanziert werden. Die Künstler*innen veranstalteten zur Genese des Projektes Bootsfahren auf dem Zürich-See, bei denen jeweils vier Gäste über die alltägliche Situation drogenabhängiger, obdachloser Frauen in Zürich informiert wurden. Die Inszenierung der Bootsfahrt fungierte hier sowohl als augenfällige Metapher des ‚In einem Boot Sitzens’, als auch als ganz praktische Verpflichtung zum intensiven Gespräch und der Auseinandersetzung ohne die Möglichkeit, sich dieser zu entziehen. Die Arbeitsweise der Gruppe zeichnet sich vor allem aus durch intensive und zum Teil investigative Recherchen zu lokalen sozialen Problemstellungen, eine diffizile Beschaffung finanzieller Mittel und das erfolgreiche Implementieren von nachhaltigen Strategien in der Verwendung von Guerilla-Taktiken (vgl. Voigt 2015: 102). In ihrer Selbstdarstellung auf der Homepage der WochenKlausur wird vor allem der Machbarkeitshorizont für den Erfolg der Projekte betont: „Wie beim Marmor oder der Malfläche auch, sind diese realen Grundlagen natürlich nicht beliebig formbar. Um sie verändern zu können, müssen, genauso wie bei traditionellen Materialien, die Grenzen ihrer Veränderbarkeit erkannt werden. Das bedeutet, die Latte der an-

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98 Peter Weibel im Gespräch mit Dieter Buchhart und Anna Karina Hofbauer. (Buchhart/Hofbauer 2005: 127).

99 Refrain des

Stücks „Die Insel“ von Björn Bicker.

100 Die Arbeitsweise von Björn Bicker wurde bereits exemplarisch an dem Münchner Projekt Bunnyhill skizziert.

gestrebten Veränderung darf nicht zu hoch liegen. Sie muss hoch genug liegen, um überhaupt bemerkt zu werden, zugleich aber auch tief genug, um übersprungen zu werden. Die Kunst besteht also darin, eine erkennbare und sinnvolle Veränderung anzupeilen und sie auch herbeizuführen“ (WochenKlausur). Die Projekte sind mal erfolgreich und es gelingt, sie über Jahre hinweg zu verstetigen, mal scheitern sie aber auch in erster Instanz. „Das bisherige Gesamtwerk der WochenKlausur besteht aus einer Kette sinnvoller Transformationsimpulse für Einzelne und soziale Gemeinschaften. Der ernste Pragmatismus, mit dem die Projekte verfolgt werden, lässt mitunter im Vergleich mit ähnlichen performativen Aktionen, deren Ironie-Potential und Doppelbödigkeit, wenig Raum für Lustvolles, Spielerisches, amüsante Irritation oder Leichthändigkeit. WochenKlausur agiert so erfolgsorientiert und zielstrebig, wie es ihr programmatischer Name verheißt“ (Voigt 2015b: 102). Angesichts der gesellschaftspolitischen Themenfelder, denen sich die Künstler*innen in ihrer Arbeit mit dem Anspruch widmen, eine tatsächliche Veränderung zu bewirken, wäre der Vorwurf, es würde an Verspieltheit fehlen, vermessen. Die Arbeit von WochenKlausur ist absolut pragmatisch, sie zielt auf ganz konkrete Problemlösung. Die erfolgreiche Implementierung zahlreicher Projekte, weit über die Laufzeit der „Klausur“ hinaus, gibt diesem Pragmatismus auch und vielleicht gerade für diese Schnittstellenarbeit Recht. Hier sei auch wieder an den parasitären Kunstbegriff von Pierangelo Maset erinnert, der in Bezug auf die Arbeiten von Wochenklausur feststellt, dass, obwohl die Gruppe immer wieder betone, dass es keine Autonomie der Kunst gäbe und ihre Arbeit nicht auf Symbolisierung hinauslaufe, ihre Arbeitsweise davon lebe, dass sie innerhalb eines Kunstsystems als Kunst betrachtet werde: „Je weniger sich nämlich eine Arbeit durch ihre Form als Kunst legitimiert, desto mehr ist sie auf die spezifizierten Resonanzen des Kunstfeldes angewiesen. Im Fall von WochenKlausur werden gerade diese Feldwirkungen besonders ausgenutzt und gegen die Funktionsweise des Feldes selbst gewendet [...]“ (Maset 2002: 94-95).

„KOMMT, DIE NEUE STADT WARTET AUF EUCH“99 DAS PROJEKT NEW HAMBURG „Sie ziehen über die Veddel, reden gewissermaßen mit jedem, den sie treffen, und setzen ihre Mikro-Wahrnehmungen zu einem facettenreichen Panorama zusammen. Sie machen Kultur mit Mitteln der Sozialarbeit oder Sozialarbeit mit Mitteln der Kultur, so genau lässt sich das nicht immer unterscheiden“ (Stock 2014: o. S.). So beschreibt Ulrich Stock in der ZEIT die eineinhalbjährige Recherche- und Vernetzungsarbeit des Teams rund um die Dramaturgen Björn Bicker, Malte Jelden und Christian Tschirner, die mit dem Bühnenbildner Michael Graessner und einem Team vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg im Auftrag der Intendantin Karin Beier das Projekt New Hamburg auf der Veddel realisierten.100 Auch in Hamburg verfolgte Bicker mit seiner Arbeit die drei zentralen Ansprüche „Begegnung,

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Abbildungen 25-27:

Aufführungen im Rahmen von New Hamburg in der Immanuelkirche, 2014. Fotos: Christian Bartsch für das Deutsche Schuaspielhaus Hamburg.

Abbildung 25

Abbildung 26

Abbildung 27

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101 http://new-

hamburg.de/wp/ idee/ (Letzter Zugriff 12.02.17).

102 http://newhamburg.de/wp/ idee/ (Letzter Zugriff 12.02.17).

Teilhabe und Kunst“ sehr nachdrücklich, in diesem Fall in der Annäherung des Deutschen Schauspielhauses an eines der sozial und kulturell vielfältigsten Hamburger Stadtviertel. Das Projekt New Hamburg beinhaltete – ähnlich wie bei Bunnyhill – die Entwicklung eines Theaterabends: Die Insel heißt das Stück, das Bicker gemeinsam mit seinem Team aus Profis und Laienschauspieler*innen auf der Hamburger Elbinsel Veddel im Herbst 2014 zur Aufführung brachte. Wie in München war auch in der Projektstruktur von New Hamburg der Theaterabend nur ein Ergebnis von vielen: In der anfänglichen Projektlaufzeit von 1,5 Jahren ging es vor allem darum, Vorurteile abzubauen und neues nachbarschaftliches Zusammenleben zu inszenieren: die Immanuelkirche auf der Veddel sollte zu einem Begegnungsraum jenseits von kulturellen und religiösen Schranken werden. „Kommt, die neue Stadt wartet auf euch!“ hieß entsprechend der Refrain im Stück. Für die Kirche war das Projekt auch eine große Hoffnung: Von den 5000 Menschen, die auf der Elbinsel zwischen Autobahn, ICE-Trassen und Hafen leben, sind 80% muslimisch. Die Einwohner*innen kommen aus 60 Nationen, mehr multikulturelle Vermischung gibt es selten. Die christliche Immanuelkirche hatte hier als klassische ‚Volkskirche’ nur durch ihre radikale Öffnung eine Chance zu bestehen, und ging daher mit der Kooperation mit dem Schauspielhaus Hamburg eine ungewöhnliche Allianz für ein ungewöhnliches Stadtprojekt ein, in dem sich Kunst, Religion, Sozialarbeit und Politik in dem Versuch mischen, die Zukunft der Stadtgesellschaft gemeinsam zu gestalten: „Wer auf die Veddel schaut, schaut in unsere Zukunft: Begriffe wie Mehrheitsgesellschaft oder Leitkultur verlieren ganz zwangsläufig ihre Relevanz. Vielmehr geht es um die Organisation von Diversität. Um das Schaffen von Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Teilhabe“, so wird die Projektidee auf der Homepage beschrieben.101 Dabei sei das Projekt auch der Versuch, gemeinsam mit den Bewohner*innen der Veddel, den Begriff des ‚Stadttheaters’ neu zu definieren und wieder im eigentlichen Wortsinn zu verstehen: „Politische, soziale und künstlerische Entwürfe für die Ankunftsstadt der Zukunft werden auf verschiedenen Ebenen entwickelt und präsentiert. Gemeinsam mit BewohnerInnen des Stadtteils, mit der Kirchengemeinde, anderen religiösen Gemeinschaften, mit SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern, mit sozialen und politischen Initiativen, mit Geschäftsleuten, HandwerkerInnen, StudentInnen, Familien, Flüchtlingen, KünstlerInnen und AktivistInnen schafft NEW HAMBURG einen Raum, in dem die Anforderungen und Chancen der Einwanderungsgesellschaft verhandelt werden können: Eine Stätte der Begegnung für die unterschiedlichsten Akteure des Stadtteils und der ganzen Stadt.“ 102 Die Stärke dieses Projektes, dessen Ergebnis eben nicht nur Entwicklung und Aufführung des Theaterabends Die Insel war, liegt in der Vernetzung mit bereits bestehenden lokalen Akteuren und Initiativen über einen (für eine Theaterarbeit) ungewöhnlich langen Zeitraum. Die Ergebnisse der ersten Phase wurden in einem Festival 2014 präsentiert. Dazu gehörten neben vielen einmaligen Ereignissen wie Workshops, einer Akademie, einem Heimatmuseum, einer Kunstgalerie, einer Gesangs-Performance und diversen Ess-Settings vor allem ein bis heute bestehendes (non-profit) Stadtteil-Café Nova,

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das an drei Tagen in der Woche (inklusive Sprachcafé) im umgebauten Gemeindesaal der Kirche geöffnet hat. Hieran knüpft das Verbindungsprojekt Welcome‘s Höft an, „das gezielt Bewohner aus der Flüchtlingsunterkunft im Quartier in das Leben vor Ort einbinden will, bspw. durch Grillfeste oder durch gezielte Vermittlung von Kinderbetreuung oder Qualifizierungsmaßnahmen.“ 103 So heißt es auf der Homepage der Nationalen Stadtentwicklungspolitik (einer Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Kommunen), die das Projekt in der Fortführung unterstützt. Diese Finanzierung zeigt einmal mehr die Relevanz dieser künstlerisch initiierten Stadtprojekte für zukünftige Stadtentwicklungspolitik.

103 http://www. nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSP/ SharedDocs/Projekte/NSPProjekte/ Soziale_Stadt/ Hamburg_NewHamburg_Gemeinschaft_leben_im_Quartier. html (Letzter Zugriff 22.02.17). Abbildung 28:

Einladungsseite Café Nova. Foto: https://www. facebook.com/ cafenovaveddel/ (Letzter Zugriff 12.02.17).

Abbildung 28

Der Erfolg von New Hamburg ist vor allem der intensiven und langjährigen Vernetzungsarbeit geschuldet. Es handelt sich hierbei eben nicht um ein künstlerisches Projekt, das für einen kurzen Zeitraum die Nachbarschaft „belebt“, um dann wieder in den geschlossenen institutionalisierten Rahmen des Theaters zurückzukehren, sondern um die langfristige Etablierung eines offenen Diskursraums. Die Struktur des Projektes war von vornherein auf maximale Öffnung in Bezug auf schon bestehendes Engagement angelegt. Bereits existierende Initiativen wurden vernetzt und gestärkt. Diverse im Stadtteil aktive Akteure wurden für das Projekt zusammengebracht und so ein Rahmen geschaffen, der vor allem aufbaut, nicht völlig neu baut. Die Leistung des Teams lag auch darin, sich damit auf ein Projekt mit offenem Ausgang einzulassen. Nur auf dieser Basis war es überhaupt möglich, die Projektverantwortung nach Rückzug der „künstlerischen“ Leitung weiterzugeben: Seit 2014 organisiert ein Programmkomitee das kulturelle Angebot und koordiniert die Theaterarbeit des Deutschen Schauspielhauses mit der benachbarten Schule auf der Veddel. An die Definition sozialer Arbeit zu Beginn dieses Kapitels anknüpfend, deren Kernziel wie beschrieben darin liegt, Menschen zu befähigen, selbständig und ohne fremde Hilfe das eigene Leben bestimmen und organisieren zu können, lässt sich New Hamburg als eine Übertragung dieses Ziels auf die Organisation des nachbarschaftlichen Miteinanders verstehen und somit als ein überaus erfolgreiches Beispiel sozialer künstlerischer Praxis lesen.

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104 http://

grandhotel-cosmopolis.org/de/ konzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

105 Die Enga-

gierten nennen sich Hoteliers, rote ConciergeKostüme mit goldenen Knöpfen gehören bei offiziellen Anlässen zur Ausstattung.

SOZIALE PLASTIK ODER SOZIALE PRAXIS? „Eine soziale Plastik in Augsburgs Herzen“ – Grandhotel Cosmopolis.104 Mit einer ähnlich praktischen Orientierung arbeitet auch die Augsburger Initiative Grandhotel Cosmopolis. Mitten im Augsburger Zentrum gelang es einer Gruppe von überwiegend jungen Künstler*innen, ein leerstehendes ehemaliges Seniorenheim zu einem multifunktionalen, künstlerisch gestalteten Hotel für Menschen mit und ohne Asyl umzugestalten. Die Diakonie, der das Gebäude gehört, ließ sich auf das Experiment ein, finanzierte den Umbau vor und übernahm die Flüchtlingsberatung. Die Stadt Schwaben mietete die Räume für die Unterbringung der Geflüchteten dann im nächsten Schritt von der Diakonie. Über ein Jahr lang renovierten die Künstler*innen (unentgeltlich) das Haus und traten von vornherein, mehr als ein Jahr vor der Inbetriebnahme, in einen intensiven Dialog mit der Nachbarschaft und versuchten Vorurteile zu thematisieren. Die einladende, offene Haltung, die Gesprächssuche, die Veranstaltungen, das Performen und Verkleiden105 zeigte Wirkung: Auch die Nachbarschaft begann sich zu engagieren, spendete Inventar, wurde Teil des Projektes: „Ein gesellschaftliches Gesamtkunstwerk“ nennen es die Initiator*innen und beziehen sich ganz explizit auf Joseph Beuys’ Begriff einer sozialen Plastik.

JOSEPH BEUYS’ BEGRIFF SOZIALE PLASTIK Die Idee der sozialen Plastik äußerte Beuys erstmals 1967. Die soziale Plastik (auch soziale Skulptur) war für ihn Kernstück seines erweiterten Kunstbegriffs. Die in diesem Kontext geäußerte Formel „Jeder Mensch ist ein Künstler“ wurde in der Rezeption häufig zusammenhanglos und damit missverständlich zitiert. Denn diese Aussage ist nicht trennbar von Beuys‘ Vorstellung, dass jeder Mensch einen sinnvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten könne. Es ging hier explizit nicht um das Schaffen von manifestierten Werken, sondern um die Möglichkeit der kreativen Gestaltung insbesondere von Wirtschaft und Politik und damit um die Einflussnahme auf gesellschaftliche Strukturen für jeden Einzelnen: „Alle Fragen der Menschen können nur Fragen der Gestaltung sein, und das ist der totalisierte Kunstbegriff. Er bezieht sich auf jedermanns Möglichkeit, prinzipiell ein schöpferisches Wesen zu sein und auf die Fragen des sozialen Ganzen“ (Beuys, zitiert nach Seidel 2007: 268). Für Beuys war mit dieser Vorstellung auch die entsprechende Verantwortung verbunden, aktiver Teil dieser gesellschaftlichen Veränderung zu werden. Kurz vor seinem Tod machte er dies in seiner Münchner Rede ganz explizit als Aufruf zur „Umgestaltung des Sozial-Leibes, an dem nicht nur jeder Mensch teilnehmen kann, sondern sogar teilnehmen muss, damit wir möglichst schnell die Transformation vollziehen“ (Beuys, zitiert nach Seidel 2007: 268). Beuys selbst verfolgte dieses Gestaltungspotential z. B. mit seiner Kandidatur für die Grünen und

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das Europaparlament 1979. Bereits sieben Jahre zuvor hatte er auf der documenta 5 die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung vorgestellt, die Deutsche Studentenpartei gegründet und mit der Freien internationalen Universität (FIU) auch versucht, sich in ein verändertes Bildungswesen einzubringen, nachdem er 1971 im Bereich Bildung bereits ein deutliches Zeichen gesetzt und 142 abgewiesene Studierende in seine Klasse aufgenommen hatte. Die Stadt Hamburg verpasste die Chance, Joseph Beuys’ Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg zu realisieren, nachdem die Projektidee – eine Renaturierung der stark mit Schwermetall verseuchten Spülfelder in Altenwerder durch das Pflanzen schnellwachsender Organismen – der Hamburger Bürgerschaft zu teuer erschien. Beuys hatte die Ausschreibung im Rahmen des Wettbewerbs „Stadt – Natur – Skulptur“ 1983 zunächst gewonnen, die Realisierung der Idee scheiterte dann aber an massiven Protesten. „Diese erste Aktivität sollte freilich den Keim für eine gesamtkünstlerische Auseinandersetzung mit Gestaltungsfragen, mit der Reorganisation des sozialen, urbanen Organismus bilden. Die praktische Handlung war insofern eine symbolische, als sie auf ein Sich-Auswachsen dieser Dekontaminierungs- und Gestaltungsanstrengungen drängte und den Keim zur Veränderung zu legen suchte“ (Voigt 2015a: 56). Diese Beuyssche Erweiterung des Kunstbegriffs Richtung Handlungspotential schließt an die in vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Ansätze wie z. B. die der russischen Konstruktivist*innen oder der französischen Situationist*innen an und fordert ganz klar eine Eigenverantwortung ein.

KUNST ALS ALLTAGSPRAXIS – HABITER IM GRANDHOTEL COSMOPOLIS An diesen Gedanken schließt auch das Augsburger Hotelprojekt an, das Platz für 65 Asylbewerber*innen und 16 Hotelgäste bietet und sich als ein Angebot zur Teilhabe an alle versteht: „Grandhotel Cosmopolis. Das ganze Versprechen der Stadt steckt in diesem Namen. [...] Überall steht die Kunst im Vordergrund, bestimmt Räume und Atmosphären. Und eine neu erfundene Alltagspraxis, die Produktion des Raums, nicht das Helfen oder die vordergründige Politik“ (Schäfer 2016: 11f.). Die Besucher*innen begrüßt schon in der Lobby das Konzept: „Welcome to your Lobby!“ steht dort und fordert damit direkt eine explizite Haltung ein. Den Aufenthalt bezahlt man entsprechend des eigenen Empfindens dessen, was angemessen scheint. Das Hotel bietet diverse Möglichkeitsräume: Küche und Café, Werkstätten und Ausstellungsräume. Christoph Schäfer beschreibt das Projekt im Vorwort zu der ersten deutschen Übersetzung von Henri Lefebvres „Recht auf Stadt“ so anschaulich, dass ich im Folgenden längere Passagen daraus zitiere: „In einem Nebenzimmer hat ein Mann aus dem Iran seine erste Installation aufgebaut, einen Teesalon mit selbstgebastelten, farbig-ornamentierten Fenstern. Einige Stockwerke darüber, unter dem Dach gibt es Ateliers. In einem kleinen Zimmer übt

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106 http:// grandhotel-cosmopolis.org/de/ konzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17). 107 http://

grandhotelcosmopolis. org/de/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

ein Mann aus Afghanistan an einem windbalgbetriebenen Tasteninstrument und singt ein Lied. Sind hier alle unterschiedslos Künstler? [...] In einem Seitentrakt leitet ein Israeli sein tägliches interkulturelles (ich hasse so was eigentlich) Begegnungsspiel an, aber der kriegt das hin, dass eine Gruppe etwas scheuer Studierender und die mehrsprachigen Geflüchteten im Handumdrehen miteinander spaßen, spielen und kurz darauf in intensive Gespräche vertieft sind“ (Schäfer 2016: 12f). Das Projekt lebt von Flexibilität und dem Willen, sich auf fluide Prozesse einlassen zu wollen: „Die anwesenden Menschen gestalten das Projekt und machen es zu dem, was es ist. So befindet es sich im ständigen Wandel.“ 106 Das gesellschaftliche Kunstwerk ist gewachsen, neue Gesichter sieht man beinahe täglich. Student*innen absolvieren Praktika, Sozialstunden werden abgeleistet, und andere Geflüchtete aus der Umgebung entfliehen hier der Öde der eigenen Einrichtungen (vgl. Schophoff 2014, o. S.). Für Schäfer ist Grandhotel Cosmopolis die in die Praxis überführte Theorie Lefebvres: „Recht auf Stadt ist voller Hinweise und theoretischer Unterfütterung ihrer Praxis. Das was im Grandhotel Cosmopolis passiert, könnte man mit Lefebvre als habiter bezeichnen, als Wohnen, das im Gegensatz steht zum habitat, dem Wohngebiet als abgegrenzter Zone. Habiter/Wohnen meint eine aktive, lebendige Totalität [...]. Habitat/Wohngebiet dagegen bezeichnet das stadtplanerische Programm der funktionalen Trennung.“ Letzteres – das top-down Geplante und Konstruierte – sieht er als negativen Gegenentwurf zu Projekten wie dem Hotel, das einen Treffpunkt schaffe, Räume aneigne, Situationen konstruiere, Potentiale des Einzelnen multipliziere. „Kunst, die das Leben verändert, sich selbst verändern, die Anwesenheit des Fremden, sich in Festen verausgaben und verschwenden, zusammen kochen, zusammen essen, teilen, In-Ruhe-gelassen-werden-aber-sehenwas-sonst-noch-passiert, Beziehungen neu erfinden, unwahrscheinliche Begegnungen, ungeplante Unterhaltungen, das Recht auf Zentralität für alle, das Recht auf Unterschiedlichkeit“ (Schäfer 2016: 13f). Hier werden die Geflüchteten nicht isoliert, verwaltet und zu Passivität verdammt, sondern das Hotel funktioniert nur über die gemeinsame Arbeit. Integration wird zu einer Selbstverständlichkeit. Die Initiator*innen haben es beispielhaft geschafft, unterschiedliche Interessen (z. B. Atelierräume für die eigene Arbeit, die nicht wieder nur zur Zwischennutzung dienen) mit langfristigem sozialem Engagement zu verbinden. Diese Mischung diverser Interessen unterschiedlicher Nutzer*innengruppen in dem Projekt unterscheidet es zunächst von einem (ja zumeist ungewollten, da unreflektierten) Ausverkauf sozialer Arbeit. Was dadurch entstanden ist, beschreibt das Team als „Verhandlungszone für die Anerkennung einer kosmopolitischen Wirklichkeit in unserer Gesellschaft.“ 107 2016 erhielt die Gruppe dafür den Sonderpreis „Soziale Impulse durch Städtebau“ im Rahmen des Deutschen Städtebaupreises. Dennoch wäre es naiv zu glauben, dass ein Projekt in dieser Größenordnung voranzutreiben ohne extreme Verausgabung Einzelner möglich wäre. Ohne den intensi-

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Abbildungen 29-30: Rücksei-

te und Lobby des Hotels. Fotos: Alexander Kohler und Wolfgang Reiserer für Grandhotel Cosmpolis, Augsburg.

Abbildung 29

Abbildung 30

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ven und vor allem unentgeltlichen Einsatz der Initiative wäre das Hotel nicht denkbar. Das Wort ‚Ehrenamt’ wird von den Initiator*innen aber gemieden, es ginge nicht um Ehre und auch nicht um Ämter, so Georg Heber, der Hauptimpulsgeber für das Projekt (vgl. Schophoff 2014, o. S.). Die Hoffnung, durch die Sensibilisierung des Sprachgebrauchs eine nachhaltige Veränderung zu bewirken, ist auch bei der Titulierung der Asylbewerber*innen deutlich, von denen ausschließlich als Gästen gesprochen wird. Aber die Vermeidung von Begriffen scheint hier (noch) keine Lösung zu sein: Nach einem euphorischen Start wurde das Projekt schnell mit den Abgründen der bürokratischen Verwaltung und der Realität des ‚Flüchtlingsmanagements’ konfrontiert: Die Geflüchteten durften nicht wie geplant in bunter Mischung mit Hotelgästen untergebracht werden, sondern ausschließlich in eigenen Etagen im Hotel mit entsprechenden Auflagen. Die Einhaltung dieser gängigen Bestimmungen für Asylbewerber*innen werden von einer staatlich eingesetzten ‚Heimleiterin’ und einem Hausmeister überwacht. Das Hotel wird nicht die erträumte Oase in der Wüste. Auch hier werden Abschiebungen radikal umgesetzt, und das Projekt muss sich täglich an den teils völlig absurden behördlichen Bestimmungen abarbeiten (z. B. darf das von einem Chirurgen unentgeltlich verlegte W-LAN anscheinend von den Bewohner*innen nicht genutzt werden, da die Nutzung in anderen Heimen nicht möglich ist. Es sollen keine Präzedenzfälle geschaffen werden, so die Heimleitung (vgl. Schophoff 2014, o. S.). Der Wille der Initiative ist dennoch stärker als die bürokratischen Herausforderungen. Das Projekt besteht bis heute und kann, trotz schmerzlicher Kompromisse, als herausragend und beispielhaft bezeichnet werden. Beispielhaft aufzeigen lassen sich hier aber auch die eingangs beschriebenen Fallstricke: Ohne die freiwillige Arbeit von Vielen wäre dieses Projekt völlig unmöglich, es ließe sich daher zu Recht von einer Prekarisierung sozialer Arbeit durch Künstler*innen sprechen. Es gibt hierzu aktuell allerdings auch keine Alternative. Solange die unflexiblen staatlichen Strukturen und die behördlichen Auflagen die gemeinsame Gestaltung von Lebensräumen verhindern, bedarf es einer solchen Verausgabung Einzelner, um überhaupt ein entsprechendes habiter zu ermöglichen, und das ist ein großes Problem. Denn die Konsequenz des unentgeltlichen und unermüdlichen Einsatzes ist mit Blick auf die Rolle der Kunst die Manifestation eines Serviceanspruchs, der im kritischen Diskurs zu der Veränderung künstlerischer Praxis spätestens in den 1990er Jahren bemerkt wurde: „Als Beauftragte untersuchen KünstlerInnen Geschichte und Struktur der jeweiligen Institution, die Lebensverhältnisse von AnwohnerInnen, lokale ökologische Probleme. Sie installieren Bars, kochen für BesucherInnen und kümmern sich um eine Verbesserung der vorhandenen Infrastruktur. Als Forscher und Reporter, Animateure, Sozialarbeiter, Raumgestalter oder Gesprächspartner werden sie zum eigentlichen Zentrum der Arbeit. Ohne KünstlerInnen läuft in dieser Praxis nichts, nicht ohne deren Anwesenheit vor Ort für einen längeren Zeitraum“ (Rollig 1998: 24). Das Fazit, das die Herausgeber Matthias Drilling und Patrick Oehler in einer Untersuchung zu sozialer Arbeit und Stadtentwicklung für eine zukunftsfähige Verände-

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Abbildung 31: Eins der von

Künstler*innen gestalteten Zimmer im Hotel. Foto: Ramona Gastl für Grandhotel Cosmpolis, Augsburg.

Abbildung 32:

Festumzug zur Eröffnung. Foto: Astarte Posch für Grandhotel Cosmpolis, Augsburg.

Abbildung 31

Abbildung 32

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rung des eigenen Berufsstandes ziehen, ließe sich problemlos auf die hier untersuchte Schnittstellenarbeit übertragen. Für den langfristigen Erfolg künstlerischer Praxis an der Schnittstelle zu sozialer Arbeit und damit für eine gemeinsame Stadtgestaltung diverser Akteure braucht es „eine soziale, solidarische, kritische, mutige und kreative Intelligenz, um den Kontakt zu den Menschen nicht zu verlieren, und zugleich den Willen, sich für sie einzusetzen; dabei gilt es, das eigene Handeln, aber auch das der anderen Akteure in der Stadtentwicklung, kritisch zu betrachten, und es bedarf der Fähigkeit, zusammen mit anderen, aber auch allein, experimentell neue Wege, Handlungsspielräume, praktikable (unkonventionelle) Lösungen und (Schutz gewährende) Rechtsmöglichkeiten zu (er-)finden und zu vertreten – und weiter fachlich zu fundieren“ (Drilling/Oehler 2016: 34). Künstlerische Praxis darf eben nicht als billiger oder gar kostenloser Ersatz falsch verstanden werden, nicht als ‚Trostpflaster’ statt einer ‚echten’ sozialen Arbeit oder als Ausverkauf sozialpolitischer Verpflichtung. Die hier beschriebene soziale Praxis sollte sich nicht in Konkurrenz zu sozialer Arbeit inszenieren, sondern als Partnerin mit dem gemeinsamen Ziel einer Stadtgestaltung unter sozialen Prämissen. Wichtiger Faktor hierfür ist eben auch die monetäre Anerkennung der geleisteten Arbeit. Dass bei einem Projekt wie Grandhotel Cosmopolis die Heimleitung entsprechend bezahlt, die Arbeit der Hoteliers aber auf freiwilliger Basis verbucht wird, ist letztlich ein Skandal, vor allem auch, wenn die Ergebnisse dieser Arbeit so offensichtlich beispielhaft sind, wie es die Verleihung des deutschen Städtebaupreises 2016 belegt. Die Taktik von Wochenklausur, erst auf Anfrage durch eine Institution hin aktiv zu werden, die Kooperation von New Hamburg mit Schauspielhaus und Kirche zeigt die Bedeutung der tragenden Institutionen als Initiatoren für diese Projekte. Zwischen Kunst als Auftragsarbeit und dem pro-aktiven Gestalten des eigenen städtischen Umfeldes lauern Abgründe. Die Frage zukünftiger Stadtgestaltung muss auch lauten: Sind diese Abgründe unüberbrückbar? Müssen sie überhaupt sein? Sind Künstler*innen, die sich engagieren, Projekte eigeninitiativ ausdenken und umsetzen, sich professionalisieren und damit subversiv die Lebensqualität für städtisches Zusammenwohnen zum Nutzen aller verbessern, am Ende selbst schuld, wenn sie dieses Risiko mit unentgeltlicher Verausgabung bezahlen? Wird hierdurch sogar eine soziale Praxis kultiviert, die in die eingangs beschriebene Falle des Ausverkaufs sozialer Arbeit durch prekär finanzierte Künstler*innen getappt ist, ohne es zu wollen? Gerald Raunig zog in seinem Text, einem ‚Rewriting’ von Walter Benjamins Der Autor als Produzent (1934), den Schluss, dass die BrechtBenjaminsche Forderung, den Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zu verändern, eines Updates bedürfe, denn es müsse nun gelten, den Produktionsapparat gar nicht erst zu beliefern, sondern ihn zu verändern (vgl. Raunig 2000: 3). Hier zeigt sich erneut die immer wieder auftauchende Paradoxie: Alternative Settings, kreative und innovative Problemlösungen im Kleinen können (ungewollt) ein System festigen und stärken, das sie eigentlich ändern müssten und wollten. Auch in Augsburg scheint es zu einer problematischen Verschiebung gekommen zu sein: Hier wird leider (noch) keine Soziale Plastik im Sinne einer tatsächlichen sys-

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temischen und damit gesellschaftlichen Veränderung im Sinne Beuys‘ geschaffen, sondern eine soziale Praxis geleistet, die alternative Strategien zwar beispielhaft aufzeigt, sich in ihnen aber auch verausgabt. Dennoch glaube ich nicht, dass der Entzug jeder Handlung, wie ihn Gerald Raunig mit seiner neuen Benjaminschen Lesart vorschlägt, eine wirkliche Lösung für dieses Problem darstellt. Stillstand würde in meinen Augen ebenso wenig bewegen wie eine unbeabsichtigte AppeasementWirkung. Ich denke sogar im Gegenteil: Ein Handlungsentzug gerade künstlerischer Praxis würde den riesigen ‚Produktionsapparat’ völlig unberührt lassen, dafür aber die Rolle der Kunst für gesellschaftliche Veränderung endgültig und wahrscheinlich unwiederbringlich marginalisieren. Es bleibt die Hoffnung, dass über die vorgestellten Praxen in summa dennoch neue politische Handlungsmöglichkeiten für systemische Veränderungen entstehen und das positive Feedback, die verbriefte Vorbildfunktion, die solche Projekte leisten, in letzter Instanz doch dazu führen, dass sich der Produktionsapparat und damit die grundlegende Struktur darüber langfristig verändern lässt. Optimismus treibt den künstlerischen Motor in der Hoffnung auf größere Veränderung an. Ob dies gelingen kann, wird sich zeigen müssen. Die Leistung des Projektes ist in Geld nicht zu bemessen. Das Konzept des Grandhotels hat aber schon heute positive Impulse gesetzt: Es gibt inzwischen etliche ‚Nachahmer-Projekte’ (beispielsweise in München). Was Kunst leisten kann, ist, Strukturen zu hinterfragen, zu kritisieren und Alternativen zu imaginieren und im Kleinen zu testen. Im Idealfall dienen entsprechende Projekte anderen als Vorlage und triggern damit langfristig ein Umdenken über praktizierte Alternativen zum Gewohnten. Dennoch: tatsächliche (systemische) Veränderung ist aber allein durch künstlerische Strategien schlicht unmöglich: „Art cannot resolve larger societal problems stemming from systems that produce social and economic inequality“ (Holub 2015: 38). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der wesentliche Faktor für die Arbeit an dieser Schnittstelle vor allem in der Gestaltung von neuen Strukturen und damit auch in der Frage nach der Rolle von kulturellen Institutionen liegt. Dass diese Feststellung die hier untersuchten Interferenzen von sozialer und künstlerischer Arbeit fest mit städtischer Planung verbindet, deren Ziel ja eben jenes Etablieren von Strukturen im städtischen Raum ist, lässt sich wiederum mit Joseph Beuys zeigen. So lautete der Slogan seiner Aktion anlässlich der documenta 7, in deren Verlauf er 7000 Eichen vor das Kasseler Fridericianum pflanzte: „Stadt-Verwaldung anstelle von Stadt-Verwaltung“ und hatte das Ziel, dass jeder Mensch zum Gestalter seiner zukünftigen Umwelt werden sollte.

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KUNST UND STADTPLANUNG „Wo Administration und Politik zwangsläufig einer Zweckökonomie sozialer, ökonomischer und politischer Bedürfnisse folgen, speist gerade künstlerisches Handeln die irreguläre und gesellschaftsverändernde Möglichkeit des aktuell nicht Vorstellbaren in städtisches Denken ein“ (Ambach 2015: 149). Die Arbeit an Schnittstellen ist, wie skizziert, auch eine ‚Kunst der Zuschreibungen’, da sich genau an den Schnittstellen des gemeinsamen Arbeitens, im Aufeinanderprallen unterschiedlichster Ansprüche und Erwartungen der beteiligten Akteure entscheidet, ob ein Projekt funktionieren wird oder nicht. Dies beginnt bereits bei der Erwartungshaltung an so gennannte ‚Projektarbeit’: Während Künstler*innen hiermit einen ergebnisoffenen Prozess verbinden, ist für Stadtplaner*innen daran häufig ein zielorientiertes Vorgehen geknüpft, denn in der Logik der behördlichen und planerischen Professionen wird meist alles im Hinblick auf Verwertbarkeit konzipiert. Die klassischen Verwaltungsabläufe lassen sich nicht einfach auf künstlerische Prozesse übertragen. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit erfordert auch den Willen von Seiten der ‚Stadtmanager*innen’, sich auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen und manchmal ‚die Katze im Sack’ zu kaufen. Kunst kann im starren Korsett des ausschließlichen Anspruchs von Verwertbarkeit nicht funktionieren: „Ich bin Künstler [...]. Ein Künstler berechnet und kalkuliert nicht. Er ist neugierig auf seine eigenen Ergebnisse. Wenn du als Künstler schon vorher weißt, wie dein Ergebnis aussehen wird: warum machst du es dann? [...] Ein Künstler ist immer in einem Forschungsprozess. Künstler suchen nach etwas Anderem, das man mit Logik und Regeln nicht finden kann“ (Schmitz 2015: 39). So formuliert es der Tänzer und Choreograph Erdem Gündüz, der durch seine Aktion Stehender Mann (türkisch Duran Adam) im Juni 2013 auf dem Taksim-Platz weltberühmt wurde. Sein stiller Protest, bei dem er acht Stunden lang das Porträt von Atatürk anstarrte, wurde zum Symbol friedlichen Widerstandes und fand weltweit tausende Nachahmer. Der Gewinn liegt auch im Ungewohnten und in einer Überraschung aller Beteiligten. Für dieses ‚Ungewohnte’ fehlt aber vor allem in Großbauprojekten häufig die Zeit. „In the projects, investors have neither the time nor the interest to consider failure or possibilities for new concepts for a contemporary city [...]“ (Holub 2015: 30). Der Faktor Zeit spiegelt damit auch die unterschiedlichen Rollen: von ganz klar als Dienstleister*innen klassifizierten Architekt*innen und Planer*innen und demgegenüber autonom agierenden Künstler*innen. Bereits in der Ausbildung wird dieser wesentliche Unterschied deutlich: Während Künstler*innen sich bereits im Studium auch mit dem kritischen Hinterfragen diverser ‚Sachverhalte’ beschäftigten, stünde dies für Planer*innen und Architekt*innen natürlich nicht im Vordergrund, so Barbara Holub (vgl. ebd.). Als Auftragnehmer*innen mit einer entsprechenden Dienstleistungsverpflichtung gehört das In-Frage-stellen per se nicht unbedingt

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zum Alltagsgeschäft von Planer*innen und Architekt*innen, da zeitliche Vorgaben eingehalten werden müssen und zu lange Verhandlungen zu dem Verlust eines Auftrags führen können: „They are not encouraged to take action, and hardly dare to contradict. Even if they do try to counteract or shift the brief, they still have to operate within certain limits or run the risk of being eliminated immediately“ (Holub 2015: 30). An der Schnittstelle zwischen Dienstleistung und kritischer Hinterfragung prallt auch der Pragmatismus einer Arbeitswelt auf das Idealbild künstlerischer Autonomie, das häufig in einem Außerhalb zu agieren scheint, das es, wie im dritten Kapitel diskutiert wurde, so gar nicht gibt. Interdisziplinäre Kooperationen bieten hier vor allem die Chance, Lernprozesse zu initiieren, denn entsprechende Konflikte können im Idealfall auch als Produktivkraft genutzt werden (vgl. Holub 2015: 8), da Strukturen, wenn überhaupt, nur durch gemeinsames Intervenieren geändert werden können. Mit dem Blick auf die Schnittstelle von künstlerischer Praxis und städtischer Planung rückt damit zunächst eine extrem häufig verwandte Bezeichnung in den Vordergrund: Urbane Intervention. Dieser Begriff, der die Beziehung zwischen künstlerischer Arbeit im Kontext städtischer Planung in den letzten Jahren vielleicht am augenfälligsten hat werden lassen, verweist auf ein Konfliktfeld, da seine ursprüngliche Bedeutung einen militärischen Eingriff in Kriegsgebiete meinte. Urbane Interventionen, eine Bezeichnung, die sich in den letzten Jahren fest im wissenschaftlichen wie alltäglichen Sprachgebrauch verankert hat und mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit in Stadtplanung, Architektur und Kunst Verwendung findet, steht darum am Anfang dieses Kapitels.

URBANE INTERVENTION „Interventionen sind das Wundermittel unserer Zeit. Schnell rein, eingreifen, schnell raus. Große Wirkung mit wenig Aufwand. Im Krieg, in der Kunst, in der Stadtentwicklung, im therapeutischen Bereich“ (von Borries/Hiller/Kerber/Wegner/Wenzel 2012: 5). Mit ihrem Glossar der Interventionen unternahmen die Autor*innen im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes eine Annäherung zu diesem „überverwendeten, aber unterbestimmten Begriff“ (von Borries/Hiller/Kerber/Wegner/Wenzel 2012). Für den Kontext der hier verfolgten Fragestellung nach den Schnittstellen ist vor allem die Tatsache von Bedeutung, dass sich künstlerische mit aktivistischer sowie stadtplanerischer Praxis im (diffusen) Bereich der urbanen Interventionen treffen. Beide sind im großen Feld diverser Praktiken von Kunst im öffentlichen Raum auf ein Ziel gerichtet, denn: „Interventionskunst ist nur effektiv, wenn genau feststeht, welche Problemlösung erzielt werden soll“ (Wochenklausur).108

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108 http://www. wochenklausur. at/methode. php?lang=de. (Letzter Zugriff 14.06.17).

Diese strategische Aufstellung künstlerischer Praxis macht die Intervention als Methode so attraktiv für andere Bereiche wie die Stadtplanung, die mit dem Interesse an temporären Aktionen auf eine sich verändernde Vorstellung von Stadt als fluiden Prozess reagiert, da ein experimenteller und spielerischer Ansatz neue Lernund Erkenntnischancen eröffne, den es im klassischen Planer-Repertoire so nicht gebe (vgl.: Berding/Kluge 2015: o. S.): „Es stellt sich die Frage: Warum eigentlich nicht? Es gibt räumliche Situationen, in denen zunächst unklar ist, ob und wie überhaupt gehandelt werden kann und soll. In diesem Moment bieten sich künstlerische Interventionen, Aktionen und Experimente an, um herauszufinden, worum es an diesem bestimmten Ort gehen sollte, was fehlt, was zu viel ist usw. Schon allein das Signalisieren von Interesse, das Bündeln von Aufmerksamkeit an einem Ort, kann diesen nachhaltig beeinflussen. [...] Für Planerinnen und Planer öffnet diese Verschiebung der zeitlichen Maßstäbe einerseits und der Zielsetzung andererseits neue Perspektiven. Denn in aller Regel lernen sie, Dauerlösungen im Entwurfsmaßstab zu entwickeln. Die Umsetzung temporärer Aktionen in Lebensgröße bedeutet auch neue Möglichkeiten, städtisches Leben zu verstehen und die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Einflussnahme auszuloten. Zugleich können Fachleute wie Laien die Erfahrung machen, wie Geplantes im Raum wirksam wird, und überprüfen, inwieweit Plan und Umsetzung korrelieren oder voneinander abweichen“ (Berding/Kluge 2015: o. S.). Urbane Interventionen sind vielfältig: Sie können architektonisch, visuell oder performativ momenthaft oder auf Dauer angelegt sein. Die ursprünglich rein militärische Bedeutung des Begriffs, verstanden als temporärer politischen Eingriff eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen, wurde im Kunstdiskurs vor allem in den 1960er Jahren u. a. durch die Aktionen der Situationistischen Internationalen umgedeutet und angeeignet. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Begriff in unterschiedlichen Fachrichtungen von Kunst über Design zu Stadtplanung und Architektur fest etabliert, wie Publikationen in zahlreichen Textsammlungen und Anthologien illustrieren (vgl. Hildebrandt 2012: 735). Antje Steidinger und Olaf Berg unterscheiden in ihrer Definition künstlerischer Interventionen zwischen Interventionskunst und kreativem Aktivismus, um im riesigen Sammelbecken Tendenzen der Wirkungsabsichten unterscheidbar zu machen, und verweisen damit auf die hier bereits dargestellten Überschneidungen von Kunst und Aktivismus: „Interventionskunst stellt ähnlich wie die Bezeichnung ‚politische Kunst‘ häufig eine Definition innerhalb des Kunstbetriebes dar, um Kunstformen zu unterscheiden, kategorisierbar und identifizierbar zu machen. Wir fassen als Interventionskunst Projekte von Künstler*innen, die sich vornehmlich und durchaus kritisch auf den Kunstbetrieb beziehen, aber die individuelle Handschrift und den (Marken-)Namen der beteiligten Künstler*innen herausstellen“ (Steidinger/Berg 2016: 522). Als kreativen Aktivismus definieren die Autor*innen einen Artivismus, der als kollektive künstlerische Praxis häufig bewusst anonym auftritt. Die Schnittstelle zu einer politischen Praxis wird hier wieder sehr deutlich: „Beispielhaft

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für diese Form von Aktivismus sind kreative Formen der Symbolpolitik, der Einsatz von Imagination und utopischen Entwürfen gegen Politiken der Alternativlosigkeit, die Infragestellung und Untersuchung gesellschaftlicher Verhältnisse durch spielerischen Umgang mit deren Normen und Regeln“ (ebd.). Nach dieser Definition lassen sich die allermeisten der hier bereits vorgestellten Projekte als kreativer Aktivismus beschreiben, was wiederum die Heterogenisierung des Begriffs der urbanen Intervention belegt. Künstlerische Interventionen zielen auf die Sichtbarmachung und Öffnung von Möglichkeitsräumen und deren temporäre Aneignung und werden darum auch als Mittel des ‚Empowerments’ marginalisierter Gruppen benutzt: „Dennoch kann und muss gerade hier zwischen Interventionen unterschieden werden, durch die der/die Künstler*in diese Räume zuweist und kontrolliert, und Interventionen, die solche Räume als offenen Prozess kollektiv entwickeln“ (ebd.: 524). Letztlich unterscheidet die Urbane Intervention mit allen Fallstricken partizipativen Vorgehens sich dadurch nicht wesentlich von einer im zweiten Kapitel dieser Arbeit skizzierten urbanen Kunst, die auf Partizipation gerichtet ist. Ein wesentlicher Unterschied, der den in dieser Forschungsarbeit beschriebenen Arbeiten fast allen gemein ist und sie deshalb von einem temporär bestehenden Eingreifen unterscheidet, betrifft die Dauer der Projekte: Sie sind auf eine nachhaltige Veränderung bestehender Verhältnisse angelegt und zeichnen sich somit gerade durch eine entsprechende Langfristigkeit aus, denn diese künstlerischen Prozesse zielen, wie im zweiten Kapitel dargelegt wurde, auf die Herstellung von Beziehungen. Daher ist in Bezug auf die Wirkungsmacht dieser Spielart strategischer urbaner Kunst wesentlich, dass der Erfolg der Arbeiten meist weniger vom künstlerischen Setting denn von den Allianzen mit anderen Akteuren abhängt. Diese Allianzen müssen – um langfristig Veränderungen herzustellen – über den temporären Charakter der Arbeiten hinausweisen (vgl. ebd.: 525). „Die gesellschaftliche Wirksamkeit künstlerischer Interventionen in Repräsentationsregimes und kulturellen Grammatiken zeigt sich daran, ob es gelingt, über die temporäre Störung der Produktion und Zirkulation von Zeichen hinaus, auf die materielle Produktion und Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen einzuwirken, und damit über das Demonstrative hinaus soziale Relevanz zu erreichen“ (ebd.: 526). Hier rückt wieder die Schnittstelle von Kunst und Stadtplanung ins Zentrum, denn eben jene Schnittstelle manifestiert sich zwischen symbolischen und materiellen Produktionen. Nicht von ungefähr werden entsprechende Arbeitsweisen, verstanden als Raumaneignung und Raumproduktion, zunehmend auch in Projekte von Stadtentwicklung und Kulturpolitik integriert. Künstlerische Praxis wird vor allem auch durch urbane Interventionen in stadtplanerische Maßnahmen transformiert (vgl. Hartmann/Lemke/Nitsche 2012: 14). Künstlerische Praxis wird also verstanden als urbane Intervention zu einer stadtplanerischen Methode. Dabei beschränken sich die ‚Aufgaben’ der Künstler*innen in stadtgestaltenden Kontexten, wie auch die bisher besprochenen Projekte zeigen, meist auf ‚commu-

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109 Vgl.: Holub/ Hohenbüchler 2015: 6.

nity building’ im weitesten Sinne und soziale Problemlösung, „d. h. [sie werden] mit sozialen und gesellschaftspolitischen Aufgaben [betraut], die von anderen Bereichen politischer Verantwortung – und eben auch von der Stadtplanung der Stadtentwicklung – nicht behandelt werden“ (Holub 2015: 7). Diesen Schluss zieht Barbara Holub, die von 2010-2013 ein Forschungsprojekt am Institut für Kunst und Gestaltung der TU Wien zum Thema Kunst und Stadtplanung leitete. Planning Unplanned – Towards a New Positioning of Art in the Kontext of Urban Development hieß das Forschungsvorhaben, das zum Ziel hatte zu untersuchen, wie das „kritische und oft widerständige Potential künstlerischer Strategien als gesellschaftlich-soziales Engagement gegenüber den dominanten neoliberal geprägten Entscheidungen in der Stadtentwicklung wirksam werden kann“ (ebd.: 9). Den in dieser Forschungsarbeit immer wieder einfließenden Diskurs zu einer entsprechenden Veränderung/Erweiterung des Kunstbegriffs hebelte Holub dabei beeindruckend pragmatisch aus, indem sie eine neue transdisziplinäre Rolle erfand, die disziplinäre Verwerfungen scheinbar obsolet werden lässt: den Urban Practitioner.

URBANE PRAXIS UND DIREKTER URBANISMUS „Man muss Unmögliches wollen, um die Grenzen des scheinbar Machbaren weiterzuschieben“ (Barbara Holub).109 Die Bezeichnung des Urban Practitioners trägt der Tatsache Rechnung, dass es eine Vielzahl professioneller Stadtakteure und Produzent*innen gibt, die eine neue Form zivilgesellschaftlichen Engagements an den Rändern der Disziplinen und im Kontext urbaner Alltagspraktiken ausüben. Das Ziel dieser urbanen Praktiker*innen sei es, Situationen zu schaffen, in denen lokale Akteure, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen wieder handlungsfähig würden. Die jeweilige Rolle der urbanen Praktiker könne sich hierbei von einer anleitenden zu einer teilnehmenden zu einer professionellen Position immer wieder verändern (vgl. Holub 2015: 41). „It is important to note that the critical voice of the urban practitioner never waives, always defending the independence of artistic strategies and of art that questions societal conditions. The outstanding potential of the urban practitioner is to be both the ‘other’ and the ‘self’, to act from inside – yet pretend to operate from outside the system (as needed according to the circumstances), to switch roles, to be discrete and overt, to be unpredictable” (Holub 2015: 41). Dieses Switchen zwischen den verschiedenen Rollen im Sinne eines ‘sowohl als auch’ anstatt eines ‘entweder oder’ unterscheidet diese urbane Praxis fundamental von einer Festschreibung der Rolle des Künstlers in städtischen Gestaltungsprozessen und ist damit für die hier zu Grunde liegende Fragestellung zentral: “Im Grunde definiert sich der Urban Practitioner aus einem transdisziplinären Rollenbild, das als Missing

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Link zwischen Kunst, Design, ‘Urban Design’, ‘Urban Planning’ und Sozialarbeit angesiedelt ist” (Rajakovics 2015: 137). Barbara Holub, die gemeinsam mit Paul Rajakovics als Künstlerin die Gruppe transparadiso bildet, bezeichnet entsprechende Strategien als direkten Urbanismus. Hier würden – unabhängig von ursprünglichen Disziplinen – künstlerische Strategien in langfristig angelegte Prozesse der Stadtentwicklung und zur Behandlung von ‚urban issues’ unter Berücksichtigung sozialer und gesellschaftlicher Fragestellungen integriert (vgl. Holub 2015: 7). Die Bezeichnung „direkter Urbanismus“ wurde in Anlehnung an Emma Goldman und ihr Konzept der direct action entwickelt, „defining it as the implementation of artistic urbanism interventions in a processoriented, long-term urban planning practice on an equal level of importance with, and in addition to, conventional planning strategies. Direct urbanism overturns the dichotomy between critical urban intervention and urban planning, emphasizing the necessity to regain and reconsider public urban space as being space for appropriation by those who use it as a major element of socially engaged planning practices. Direct urbanism operates beyond the notions of ‚bottom up’ and ‚top down’, and differentiates between art and artistic strategies“ (Holub 2015: 32).

DER SCHWIERIGE WEG ZUM DIALOG AUF AUGENHÖHE ODER FACHLICHE EXPERTISE UND DIE FRAGE DER MACHT Während der Konferenz Disziplinäre Grenzgänge – Neue Arbeitsfelder in Stadtgestaltung und Stadtforschung110 pointierte Klaus Selle sehr anschlussfähig an Holubs Verständnis eines direkten Urbanismus, es gäbe eine professionelle Gemeinschaft jenseits von Disziplinen, wenn es entsprechende Schnittmengen der inhaltlichen Aufgaben gäbe. Es brauche dafür zwar normative Orientierung, diese laufe aber nicht mehr über die Disziplinen, sondern über die Professionen. „Was die Leute tun, ist das Relevante, nicht was sie gelernt haben“ (Selle 2016, eigene Aufzeichnungen während des Symposiums). Frauke Burgdorff zitierte im gleichen Kontext dazu Kurt Sontheimer: „Das Denken, das aus der Peripherie kommt, ist dynamisch“ (Burgdorff 2016, eigene Aufzeichnungen während des Symposiums). Man solle mit Lust an die Ränder gehen, um mit starken Ideen wieder zurück ins Zentrum denken zu können. In ihrem Beitrag verwies sie vor allem darauf, die eigene Handlungsmacht wieder ins Zentrum zu stellen. Fachliche Expertise sei dabei ein Element von Machtausübung, dessen müsse man sich bewusst sein (Burgdorff 2016, eigene Aufzeichnungen während des Symposiums). Diese Feststellung scheint auch zu begründen, dass die zu einem Symposium eingeladenen Künstler*innen in Holubs Forschungsprojekt die Notwendigkeit einer Figur wie die des Urban Practitioners als neue Berufsgruppe für sich mehrheitlich ablehnten (vgl. Rajakovics 2015: 139). Hier ist zu fragen, ob durch die Neuschöpfung einer solchen Profession die Arbeit eines Künstlers in der Künstlerrolle obsolet wird, und die Ablehnung der Künstler*innen

137

110 Das

interdisziplinäre Symposium fand im Sommer 2016 an der HafenCity Universität in Hamburg statt und wurde gefördert von der Volkswagen Stiftung. (Siehe auch: http://disziplinaeregrenzgaenge.de/).

entsprechend auch mit der Angst um die Infragestellung ihrer fachlichen Expertise verknüpft ist? Böte eine solche neue Rolle im Handlungsfeld der Stadtgestaltung nicht auch eine Emanzipation des Diskursrahmens der Kunst? Oder entzöge eben dieser Rollenwechsel der Praxis den wichtigen Rahmen künstlerischer Freiheit, der eben nur über die verbriefte ‚Künstler*innen Person’ aufrechterhalten werden kann, wie die bisherigen Beispiele nahelegen? Der Künstler und Kurator Markus Ambach resümiert in seinem Text Freies Handeln in besetzten Räumen in Bezug auf die besonderen Qualitäten künstlerischer Strategien: „Der Erfolgsökonomie initiativen Handelns stellen sie auch Faktoren wie Scheitern, Aufgeben und Neudenken als kreativen Prozess gegenüber. Diese Strategien bieten sich als neue Partnerinnen für die Entwicklung zukünftiger Urbanität an. Sie als frei agierendes Agens innerhalb der Stadt zu ermöglichen, sollte ein Ziel unserer Bemühungen sein“ (Ambach 2015: 148). Die Integration dieser Position in städtische Administration wiederum hält er für kontraproduktiv: „Denn gerade da, wo die Praktiken der Administration, der Stadtplanung und der Marketingökonomien an ihre Grenzen stoßen, wird künstlerisches Handeln oft aktiv, sichtbar und effektiv. Dabei versteht sich der Wunsch nach künstlerischer Autonomie hier nicht als Ablehnung und Konfrontation, sondern als Angebot. Denn an der Schnittstelle zwischen Kunst und Planung, Verwaltung und selbstbeauftragtem Handeln, Politik und Selbstverantwortung, Zweckökonomie und Mut zum Risiko entwickelt sich ein aktueller Dialog, der auf Augenhöhe geführt werden muss, um seine Möglichkeiten entfalten zu können“ (Ambach 2015: 148f). Für Ambach ist dieser Dialog nur denkbar, wenn Verwaltung, Planung und Politik die originäre Leistung künstlerischer Arbeit im öffentlichen Raum als eigenständig anerkennen, anstatt sie unter die gegebenen Strukturen zu subsumieren: „Wenn sich die AkteurInnen in einem partnerschaftlichen Verhältnis organisieren, das jenseits von Angleichung und Assimilation seine Sprache in den Nachbarschaften, Nebeneinandern und Diversitäten sucht, entsteht ein neuer Dialog einer neuen Urbanität“ (ebd.). Die Frage, ob sich die Kunst als ein gleichberechtigter Player in einen solchen Dialog einzubringen vermag, hängt wiederum an der Gestaltung der Strukturen. Die Figur des Urban Practitioners scheint mir eine Form der Camouflage künstlerischer Praxis zu sein, die sich durch die Etablierung einer neuen Rollenbezeichnung mehr Hoffnung auf gleichberechtigte Teilhabe an Planungsprozessen erhofft. Dass es einer solchen Camouflagetechnik überhaupt bedarf, um einen Dialog auf Augenhöhe zu ermöglichen, offenbart das zugrundeliegende Problem einer Hierarchie in der städtischen Planung, in der die Gestaltung von Stadt immer noch ausschließlich im Hoheitsgebiet von städtebaulichen Interessen und nicht im Gestalten sozialer Prozesse zu liegen scheint. Ob die Erfindung eines neuen Berufsbildes, unter dem sich Handelnde aus ganz unterschiedlichen Disziplinen sammeln könnten, nicht eher eine Strukturveränderung bedingt, erscheint mir als eine gewinnbringende Überlegung. Denn die Infra-

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gestellung des Zuschnitts von Handlungsfeldern auf spezielle Berufsgruppen fand und findet nicht nur in der Kunst statt. Regina Bittner, Stellvertretende Direktorin der Bauhaus Stiftung, beschreibt eine solche Hinterfragung und Neudefinition der eigenen Rolle äquivalent für die Felder Architektur und Planung. Beginnend in den 1950er Jahren hätten sich mit Architekten wie Bernhard Rudofsky kritische Perspektiven auf das dominante Modell eines abstrakten, paternalistischen und bürokratischen Charakters der modernen Architektur und Stadtplanung entwickelt (vgl. Bittner 2015: 221). „Sie initiierten ein Neudenken des Verständnisses von Stadt sowie der daran wesentlich beteiligten Disziplinen, das oft innovative und fruchtbare Allianzen zwischen ArchitektInnen, PlanerInnen, EthnologInnen, SoziologInnen und KünstlerInnen zum Hintergrund hatte“ (Bittner 2015: 221). Für Bittner liegt in der gegenwärtigen Aktualisierung dieser Überlegungen die Suche nach einer Reformulierung einer engagierten, aber kritischen Praxis mittels der eigenen Disziplin auf der Folie neoliberaler Stadtentwicklung. Die Figur des Urban Practitioners könne in Referenz auf diese Wurzeln als eine antihegemoniale Figur (in bewusster Neutralität in Bezug auf disziplinäre Zugehörigkeit und entsprechende Hierarchisierung) verstanden werden (vgl. Bittner 2015: 221). Dieses Um- und Neudenken ‚klassischer’ Planungsvorhaben zeigt sich auch in der Absage an Masterpläne, die von einigen Wenigen (meist mit dem gleichem disziplinären Hintergrund) entwickelt werden: „Welcher Planer kann für sich in Anspruch nehmen, so weitgehende Kenntnisse über die komplexen Prozesse der Stadtentwicklung und Handlungsmuster der vielfältigen Akteure und Nutzer zu haben, dass er kraft seiner Qualifikation den einen und richtigen Entwurf für die Gestaltung stadt-räumlicher Wirklichkeiten zu erstellen in der Lage ist?“ (Kluge/Berding 2015: o. S). Diese In-Fragestellung deckt sich mit Ergebnissen der Forschung von Barbara Holub: „Die sich ständig verändernden Parameter von Gesellschaft zeigen sich direkt im urbanen Zusammenleben, das von Stadtplanung und Stadtentwicklung maßgeblich gesteuert wird. Wir müssen uns davon verabschieden, für die damit verbundenen Herausforderungen vorab konzipierte Lösungen parat zu haben“ (Holub 2015: 8). Entsprechend kann es, wie auch in dieser Forschungsarbeit bereits betont wurde, keine Handbücher mit ‚Best Practice’ Empfehlungen geben, dazu sind die Rahmungen zu spezifisch und nicht übertragbar, aber man kann von Beispielen aus anderen Kontexten viel lernen, wie sich an den hier beschriebenen Projekten bereits zeigen lässt. Die Plattform: www.urban-matters.org versammelt (als Ergebnis der Forschung von Holub und anderen) Projekte unterschiedlichster Größe und Zielsetzung. Der User findet hier eine Vielzahl an Projekten als Inspiration, sortiert nach Auftraggeber*innen und differenziert nach Tools und Strategien, Fragestellung und Kontexten. Ähnlich inspirierend sind auch die Anthologien Living is Form. Socially Engaged Art from 1991-2011 von Nato Thompson und Art and Agenda von Alain Bieber, Pedro Alonzo und Gregor Jansen. Die Sammelbände geben, wie auch die Projektsamm-

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Abbildungen 33-34: Verbarri-

kadierte Häuser und Abrissarbeiten in Liverpool, Anfiled. Fotos: Craig Rodway.

Abbildung 33

Abbildung 34

140

lung Truth is Concrete (als Ergebnis des Festivals Steierischer Herbst 2012), Einblick in die sehr präsente und mannigfaltige Szene, in der diverse Akteure mit ihren Projekten an gesellschaftlicher Veränderung arbeiten. Nato Thompson steht als künstlerischer Leiter von Creative Times (New York) einer amerikanischen Organisation vor, die entsprechende Projekte fördert und bekannt macht: „Our work is guided by three core values: art matters, artists’ voices are important in shaping society, and public spaces are places for creative and free expression.“ 111 Das britische Äquivalent hierzu findet sich in der von Claire Doherty gegründeten Organisation Situations. Deren Mission (laut Selbstbeschreibung auf der Homepage) ist es, „to unlock new opportunities and perspectives and to catalyse positive change for people and places through extraordinary art experiences that grow out of place.“ 112 Die hier vorangestellte theoretische Verhandlung der Schnittstelle zwischen städtischer Planung und künstlerischer Praxis soll auch in diesem Kapitel an konkreten Beispielen veranschaulicht werden. Im Folgenden werden dazu exemplarisch das Projekt 2Up2Down/Homebaked der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk ausführlich diskutiert und die Arbeiten des Londoner Kollektivs Assemble kurz vorgestellt.

„HOUSING IS THE BATTLEFIELD OF OUR TIME AND THE HOUSE IS ITS MONUMENT“113 - 2UP2DOWN/HOMEBAKED VON JEANNE VAN HEESWIJK Das Projekt 2Up2Down/Homebaked realisierte Jeanne van Heeswijk über einen Zeitraum von vier Jahren von 2010-2014 in dem Liverpooler Stadtteil Anfield. Gemeinsam mit Anwohner*innen gründete sie hier eine bis heute aktive CommunityBäckerei. In dem mehrjährigen Prozess gelang es, das Bäckereiprojekt als einen Ort des Widerstands gegen neoliberale Vereinnahmung zu etablieren, und in einer als ‚Antihegemonialer Urbanismus’ beschreibbaren Praxis, die Verantwortung für den eigenen Lebensraum (zumindest für einen noch nicht absehbaren Zeitraum) an die lokale Bevölkerung zurückzugeben. Der Liverpooler Stadtteil Anfield, eine klassische englische Arbeitersiedlung, die vor allem durch den hier beheimateten Liverpooler Fußballclub bekannt ist, befindet sich seit geraumer Zeit in einer Form städtischen Niedergangs, der symptomatisch für die britische Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre zu sein scheint: „Streets are boarded up, houses demolished, temporary grassed areas left. High Street consists mainly of fast food outlets catering only to match-day visitors. To the back of the stadium, where the LFC is planning to build a new stand, residents are stranded between ‚tinned-up’ houses owned by the city or the club. It is not a recent development and it was not, as some might assume, the residents who let their area fall into decline“ (Van Heeswijk 2015: 176).

141

111 http://crea-

tivetime.org/ about/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

112 http://www.

situations.org.uk/ about/ (Letzter Zugriff 14.06.17).

113 Jeanne van

Heeswijk, zitiert nach Holub 2015: 176.

114 http://

creativetime.org/ summit/author/ jeanne-vanheeswijk/ (Letzter Zugriff 07.02.17).

Der Grund für den Verfall urbanen Lebens ist das 2002 gestartete Stadtentwicklungsprogramm Housing Market Renewal Initiative (HMRI), das ursprünglich gedacht war, um die Stagnation des Immobilienmarktes in neun nordenglischen Bezirken zu verhindern. Allein in der Region Anfield/Breckfield wurden in diesem Rahmen mehrere tausend Häuser aufgekauft und deren Abriss mit dem Versprechen auf eine aufgewertete Nachbarschaft geplant, um die Bewohner*innen zu einem Umzug in hochpreisige Appartementkomplexe zu zwingen (vgl. Van Heeswijk 2015: 176). Das Projekt konnte in Folge der Weltwirtschaftskrise 2008 nicht weitergeführt werden, mit dem Ergebnis zahlreicher sozialer und städtebaulich ungelöster Probleme, wie z. B. dem hierdurch erzeugten massiven Leerstand in den betroffenen Nachbarschaften. Nach einer über zehnjährigen Phase ungeklärter Verhältnisse und einer Stagnation auf allen Ebenen (baulich wie auch sozial) hatte die Bevölkerung ihren Glauben in die positive Veränderung ihrer Lebensumstände durch staatliche Maßnahmen gänzlich verloren. Die Housing Market Renewal Initiative hatte absurderweise die Stagnation des Immobilienmarktes nicht nur nicht bekämpft, sondern sie auf zentrale Bereiche des nachbarschaftlichen Zusammenlebens ausgeweitet: Die Unsicherheit der gegenwärtigen Zustände schien nun unveränderlich an eine fatale Unplanbarkeit der nahenden Zukunft geknüpft zu sein. Dieses Setting war der Ausgangspunkt für die Beauftragung von Jeanne Van Heeswijk durch die Liverpool Biennale: Im Rahmen des Projektes Future Cities sollte die niederländische Künstlerin ein Projekt für die Region Anfield entwerfen, dessen Ausgangspunkt die Frage nach der Rolle von Kultur für die Imagination unserer zukünftigen Städte sein sollte. Im Zentrum der Arbeit von Van Heeswijk, die 2011 den Annenberg Prize for Art and Social Change114 gewann, stand hier, wie auch bei anderen Projekten, die Frage nach einer pluralistischen Koproduktion von Lebensraum. Ihre Arbeitsweise zielte dabei stets auf die Veränderung lokaler Verhältnisse unter der Maßgabe, dass die Profiteure dieser Veränderungen die sie initiierenden lokalen Akteure sein müssen. Van Heeswijk resümiert die Entwicklung der Projektidee, die sie nach einer ersten Besichtigung des Stadtviertels 2009 begann, mit Blick auf die zugrundeliegenden Strukturen: „The thing that keeps haunting me is the state of despair of the area and the fact that if anything could or should be done, it has to be something that creates change on the ground level and in a structural way “ (Van Heeswijk 2014: o. S). Wie können Orte wieder zu öffentlichen Räumen werden, zu Plattformen für Begegnungen, Diskussionen und Konflikte? Das wurden die das Projekt leitenden Fragestellungen. Dabei bezog sich die Künstlerin auf Paul O’Neills Verständnis von widerständiger künstlerischer Praxis der urbanen Gestaltung: „We might also understand participation not as a relation or social encounter with artistic production, but as a socialised process necessary for art’s co-production, in which negotiations with people and places are durationally specific, yet intentionally resistant to any prescribed outcomes, particularly within the context of urbanisation processes“ (Van Heeswijk 2014: o. S). In Liverpool war das Ergebnis

142

dieser kooperativen Arbeit mit Anwohner*innen die Eröffnung der Bäckerei Homebaked 2013 in den Räumen der alten Bäckerei Mitchell (gegründet 1903), deren Eigentümer*innen sich im Rahmen des HMRI Programms und des angedrohten Abrisses zur Aufgabe ihres Unternehmens gezwungen gesehen hatten.

Abbildung 35

Dass der Faktor Zeit in diesen und ähnlichen Prozessen urbaner Lebensraumgestaltung gar nicht hoch genug geschätzt werden kann, zeigen auch die Beobachtungen von Samantha Jones, die das Projekt im Rahmen ihrer PhD-Thesis über einen Zeitraum von vier Jahren intensiv begleitete: „The hard-won cumulative victories and long-term asset-building that is framed in every aspect of the activities of Homebaked, striving for the mobilisation of the knowledge of the local residents into methods driven by and for the local residents, is a slow and risk-laden process. This process has directed Homebaked away from its initial art-project format and this underlies how it has been able to influence urban change within Anfield. Homebaked has itself understood the importance of slow learning and cumulative change through this longitudinal model […] This open and long-term modality has been a difficult commitment to retain in the face of the urgency, and even desperation, that characterises the needs of the local residents of Anfield as regeneration strategies shift and change and continue to threaten not only Homebaked but also their own homes. But it has been crucial that Homebaked, its board, volunteers and members, have accepted this as a historic and ever-present normative reality in which to exist, so as to guarantee resilience against the ongoing risk that the needs

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Abbildung 35:

Verbarrikadierte Häuser in Liverpool, Grandby. Foto: Mikey.

Abbildung 3637: Renovierung der Häuser in Grandby. Fotos: Andrew Sides.

of large corporations may seek to obliterate the needs of the collective” (Jones 2014: o. S.). Die künstlerisch initiierte Einflussnahme der Anwohner*innen als kooperativer Prozess der Stadtgestaltung wurde durch die Gründung der Bäckerei katalysiert: Diese bot sowohl Identifikationspotential als auch eine Veränderung der Infrastruktur des Stadtteils. Für die hier Aktiven ermöglicht die Bäckerei bis heute eine alternative Einnahmequelle. „Van Heeswijk‘s approach foregrounds the social aspects of engagement and the design of processes that are interested in the buil-

Abbildung 36

Abbildung 37

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ding up of skills – from communication to construction. Aware that empowerment is strongly connected to knowledge of, for example processes, systems and mechanisms and the ability to express this knowledge, her work strategically connects different actors to enable social change.“ 115 Der für Van Heeswijk im Zentrum stehende Anspruch des Zugewinns der Veränderung für die lokalen Akteure (nicht für zukünftige Investoren im Sinne des bekannten Prozesses neoliberaler Vereinnahmung) wurde durch die Gründung des Homebaked Community Land Trust (einer kooperativen Organisationsform der Anwohner*innen) abgesichert. Der Community Land Trust ermöglichte den gemeinsamen Kauf der Grundstücke und die kooperative (Wieder)-Eröffnung der Bäckerei als ein gemeinnütziges Projekt. Das aus Manchester stammende Architekturkollektiv URBED erarbeitete im Folgenden als Auftragnehmer der Kooperative die Renovierung eines ganzen Straßenblocks (hierzu zählen die ehemalige Mitchell-Bäckerei und die zwei Nachbarhäuser): „Taking the whole community as their ‚client‘, they have designed an affordable housing scheme, bakery shop and kitchen, meeting and project spaces, with the needs of real individuals in mind. The scheme presents a positive alternative to the demolitions and clearances of recent years.“ 116/117

ASSEMBLE: GRANBY FOUR STREETS (2014) Dieser Prozess (die Gründung einer lokalen Kooperative durch die Initiative einer Künstlerin) verlief in dem Projekt Granby Four Streets, ebenfalls in Liverpool, genau andersherum: Hier beauftragte eine seit vielen Jahren aktive Initiative die Gruppe Assemble mit der Entwicklung eines alternativen Nutzungsplans. Auftraggeber*in war in diesem Fall die aktive Nachbarschaft, die zum Zeitpunkt des Einstiegs von Assemble bereits einen Community Land Trust gegründet hatte. Das Kollektiv (in dem eben jene Schnittstellenpraxis gelebter Alltag ist) wurde so zum Auftragnehmer der Community. Das Setting für die Arbeit des Londoner Kollektives Assemble, im Liverpooler Arbeiter-Viertel Toxteth, war der Ausgangslage in Anfield sehr ähnlich: Auch hier wurden als Ergebnis der Housing Market Renewal Initiative (HMRI) viele Straßenzüge geräumt, teilweise abgerissen oder dem Leerstand überlassen – ein fast schon apokalyptisches Szenario prägte die Straßen. Bereits Ende der 1980er Jahre entzog die Stadtverwaltung – als Reaktion auf massive Unruhen und Gewalt-Eskalationen – dem Stadtteil die Fürsorge. Der Müll wurde nicht mehr abgeholt, die Grünanlagen nicht mehr gepflegt. Dazu eine Anwohnerin: „After the riots an invisible red line was drawn around the area – it was an unspoken policy of no maintenance and no investment. Once houses are boarded up it sends a signal“ (zitiert nach Wainwright 2014: o. S.). Nach fast dreißig Jahren ruinöser Wohnungsbaupolitik waren in dem Grandby Areal von ursprünglich 200 Häusern nur noch siebzig bewohnt. Diese übriggebliebene Nachbarschaft aber wollte ihr Viertel retten. 2010 begannen die Anwohner*innen mit urban gardening und einem monatlichen Flohmarkt, sich den Lebensraum ihres Viertels in vier Straßen

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115 http://www. spatialagency. net/database/ van-heeswijk (Letzter Zugriff 22.02.17).

116 http://homebaked.org.uk/ context/ (Letzter Zugriff 22.02.17). 117 Ähnlichkeit

mit diesem Prozess, allerdings mit einer stärkeren Rückbindung an Kunst, hat das amerikanische Project Row Houses, das der Künstler Rick Lowe in Houston, Texas, initiierte und in dessen Verlauf acht Häuser durch eine gegründete Kooperative gekauft und renoviert wurden. Die Häuser stehen heute als Studios und Wohnungen für ein Artist in Residence Programm zur Thematisierung Afro-Amerikanischer Kultur zur Verfügung. „Inspired by both American artist Dr. John Biggers and the German artist Josef Beuys, PRH is a unique experiment in activating the intersections between art, historic preservation, affordable and innovative housing, community relations and development, neighbourhood revitalization, and human empowerment“ https://projectrowhouses.org/ about/misson-

history/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

118 „It was at

this stage, that the CLT was able to have an impact – there were no easy answers, none of the housing associations wanted to take the risk for all four streets and the council had no more ideas. We wrote to them in November 2012, asking them to look at it differently, and to consider working with several developers to make it work and to, hopefully, attract more funding. The housing associations Plus Dane and Liverpool Mutual Homes became involved as it began to look as though it would be possible to refurbish the houses if there were three or more interested parties who could share the financial risk of expensive renovations.“ Fünf der Häuser werden nach Abschluss der Renovierung als Privatwohnungen verkauft werden, die anderen fünf werden an Mitglieder des CLT und zu sozialen Preisen vermietet.

119 Ähnlich

‚unfertig’ wie das städtische surrounding ist auch die professio-

in Grandby zurückzuerobern, nachdem klar wurde, dass die übrigen Häuser durch das frühzeitige Ende von HMRI doch nicht abgerissen werden würden. „It completely turned the atmosphere around: now we had a pretty street that we could all be proud of, even if it was still empty“ (Anwohner, zitiert nach Wainwright 2014: o. S.). Ein Jahr später gründeten sie einen Community Land Trust (CLT) und erwarben zehn der Häuser als Eigentum von der Stadt durch eine Mischfinanzierung mit geteilten Risiken.118 Für die strategische Planung und Umsetzung der Renovierungsarbeiten beauftragte die Anwohner*inneninitiative das Londoner Kollektiv Assemble, das bereits über einen stetig gewachsenen Erfahrungsschatz in Prozessen gemeinsamer Stadtgestaltung verfügte. Das 2010 gegründete Arbeitskollektiv, das sich aus 18 Mitgliedern diverser fachlicher Hintergründe (Architekt*innen, Designer*innen, Ethnolog*innen, Künstler*innen, Historiker*innen u. a.) zusammensetzt, renovierte gemeinsam mit den Anwohner*innen die ersten Häuser.119 Die Verleihung des Turner Preises 2015 warf für die Gruppe scheinbar erstmals die Problematik auf, sich überhaupt fachlich positionieren zu müssen: Die Frage, ob das, was sie tun, Kunst sei, hatte sich bisher offenbar für sie selbst gar nicht gestellt. Entsprechend vage ist auch die Beschreibung der eigenen disziplinären Verankerung: „Sort of architects, sort of not, sort of maybe”,120 so definiert ein Gruppenmitglied die beteiligten Professionen im Kollektiv. Was dieses Beispiel exemplarisch zeigt, ist, dass es eine neue Generation von engagierten Stadtgestalter*innen gibt, die die hier bereits mehrfach beschriebene Zuschreibung disziplinärer Profession hinter sich gelassen haben. In Bezug auf die skizzierte Rolle des Urban Practitoniers scheint diese Arbeitsweise die Figur als bereits praktizierende Ergänzung zu den gewohnten Rollen zu bestätigen: „The more we talk about it the more we realise our practice is incredibly similar to artists and designers. The labels aren’t as important as the works”,121 so relativiert ein Gruppenmitglied die Frage nach der Bedeutung der Künstler*innenrolle. Jeanne Van Heeswijk hingegen bezeichnet sich ganz explizit als Künstlerin. Dies und die Handlungsfolge unterscheidet Grandby Four Streets auch augenfällig von 2Up2Down/Homebaked: Denn Assemble war in dem Prozess ganz klar als Auftragnehmer*in gekennzeichnet, während Van Heeswijk zwar auf Einladung der Liverpool Biennale agierte, das Projekt aber völlig eigeninitiativ entwickelte. Die Künstlerin wirkte hier als Katalysator für einen dann pluralistisch und kooperativ gestalteten Prozess. Dass Assemble mit ihrer Arbeit an bereits bestehendes und vor allem sehr erfolgreiches lokales Engagement anknüpfte, stellte die Gruppe aber bei jeder Gelegenheit sehr deutlich dar: Bei allen Presseanfragen verwies sie stets auf die hinter allem stehende Anwohner*initiative. Auch vor der Annahme des Preises besprach Assemble sich zuerst mit den Anwohner*innen. Wesentlich scheint damit vor allem die Gemeinsamkeit der beiden Projekte zu sein: ein nicht hierarchisierender Umgang mit der lokalen Bevölkerung, die stets als gleichberechtigte Partnerin fungierte.

146

Und dennoch lässt sich für die Kritik von Markus Ambach an der Figur des Urban Practitoniers und der in seinen Augen dadurch drohenden Kommodifizierung künstlerischer Praxis zumindest ein Indiz finden: Assemble nutzte die Entgegennahme des Preises – mit entsprechend großem öffentlichen Interesse und maximaler medialer Aufmerksamkeit (die Preisverleihung wurde live im britischen Fernsehen übertragen) – nicht, um nur mit einem Wort auf die das Projekt überhaupt erst notwendig machende Problematik der britischen Wohnungsbaupolitik hinzuweisen. Der wichtige politische Kontext fiel damit einfach unter den Tisch, ein Versäumnis, das der Gruppe wie den Juroren im Nachhinein auch vorgeworfen wurde: „Instead of looking to these instances of actual socially engaged practice, or even awarding the Turner Prize to the Granby Four Streets CLT and not their employees, the Turner judges have seemingly made a hollow, tokenistic gesture of pseudo-radical intent, instrumentalising a depoliticised architectural collective in order to drive home a point about ‘useful art’.“ 122 Hier bleibt zu fragen, ob das fehlende Bewusstsein einer so wichtigen Möglichkeit zu Kritik und politischer Stellungnahme einfach nur der mangelnden Erfahrung geschuldet sein mag oder ob es nicht doch auch an der hier beschriebenen fehlenden kritisch-hinterfragenden Ausbildung von Architek*innen oder auch an der anderen Position in der Rolle als Auftragnehmer*in gelegen haben könnte. Ersteres, also die fehlende Sensibilisierung von Architek*innen im Gegensatz zu einer im künstlerischen Studium zentralen Reflexion der eigenen Rolle, wird zumindest in der kritischen Diskussion als Hauptgrund für das entsprechende Versäumnis der wichtigen Kontextualisierung genannt: „In other words, contemporary art is a critically engaged field that, for the most part, produces critically engaged actors who are uncomfortable with state power and its various methods of citizen subjection – this is nowhere more prevalent, diligently observed or else thoroughly critiqued than in socially engaged practice. Because Assemble are not and do not claim to come from this discipline, because they are not critically engaged, and because they are a firm of architects employed to creatively fulfill a design brief, however open, theirs is an acritical almost completely depoliticised response to a highly politicised social situation.“ 123 Für Jeanne Van Heeswijk jedenfalls, die als langjährig praktizierende Künstlerin tief im kritischen Diskurs verwurzelt ist, war vor allem die Thematisierung des Kontextes des Anfield Projektes bei jeder sich bietenden Gelegenheit zentral für die Präsentation ihrer eigenen Arbeit, die sie als politischen Kommentar nutzte, was die kritische Perspektive auf die nicht stattgefundene politische Stellungnahme der Londoner Gruppe natürlich augenfällig bestätigt. „Assemble unquestionably have a social conscience but they also have an entrepreneurial flair. For the Turner prize show they created a shop/showroom of products made by a social enterprise set up by the collective as a result of the nomination“,124 beschreibt der britische Guardian die Vorgehensweise der Gruppe bei der Preisverleihung. Bevor man dieses Setting beurteilt, ist ein Blick auf die Folgen einer solchen Preisverleihung wesentlich, denn die Bedeutung des Preises liegt natürlich

147

nelle Ausbildung der Mitglieder von Assemble, alle noch keine dreißig, niemand von ihnen ist beispielsweise staatlich anerkannter Architekt, denn für den Abschluss fehlt allen die Zeit (vgl. Aisslinger 2016: o. S.).

120 https://www. theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prizetoxteth (Letzter Zugriff 22.02.17).

121 https://www.

theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prizetoxteth (Letzter Zugriff 22.02.17).

122 http:// conversations.eflux.com/t/ teleology-andthe-turnerprize-or-utilitythe-new-conservatism/2936 (Letzter Zugriff 22.02.17). 123 http:// conversations.eflux.com/t/ teleology-andthe-turnerprize-or-utilitythe-new-conservatism/2936 (Letzter Zugriff 22.02.17). 124 https://www. theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prize-

toxteth (Letzter Zugriff 22.02.17).

125 Er hatte zum Zeitpunkt der Preisverleihung 1995 noch nicht eine einzige Arbeit verkauft und konnte in direkter Folge der Auszeichnung im selben Jahr bereits durchschnittlich 20.000 Pfund für seine Werke verlangen. 126 https://www. theguardian. com/artanddesign/video/2015/ dec/07/turnerprize-unknownartists-multimillionairesdamien-hirst-tracey-emin-anishkapoor-video (Letzter Zugriff 22.02.17). 127 https://www.

theguardian. com/artanddesign/2015/ dec/07/urbanassemble-winturner-prizetoxteth (Letzter Zugriff 22.02.17).

nicht im vergleichsweise minimalen Preisgeld, sondern ist in der Reputation zu sehen. Das Prestige hatte immerhin zur Folge, dass von den dreißig Preisträger*innen (wovon vierundzwanzig Männer und nur sechs Frauen waren!) inzwischen drei zu den bestverdienenden Künstlern*innen der Welt gehören. Darunter beispielsweise Damien Hurst, der höchstbezahlte Künstler überhaupt, dessen Werke heute Summen von über einhundert Millionen Pfund erzielen.125/126 Die Arbeit von Assemble hingegen lässt sich nicht versteigern und auch nur schwer anschaulich ausstellen. Dass die Gruppe dennoch von der Verleihung des Preises profitieren wollte ist nachvollziehbar. Dass sie dies in Form eines Shops mit erwerbbaren Produkten tat, ließe sich in einer positiven Lesart als eine gezielte Überdeterminierung des Warenhandels in der Kunstwelt und damit als kritischer Kommentar lesen. Vielleicht zeugt es aber auch einfach nur von Geschäftssinn. In jedem Fall ließ sich die Gruppe zu keinem Zeitpunkt korrumpieren: Neun der Anwohner*innen sind von ihnen in Workshops weitergebildet worden und stellen die zur Veräußerung stehenden Artefakte aus Wegwerfmaterialien der Renovierungsarbeiten der Häuser her. Der Verkauf der Produkte fließt direkt in den Ausbau des Projektes. Aus der Entscheidung, einen so wichtigen Kunstpreis an eine Gruppe zu verleihen, die sich und ihre eigene Arbeit bis dato gar nicht als Kunst definierte, lässt sich Unterschiedliches lesen. Der Jury scheint es wichtig gewesen zu sein, die Kunstwelt dezidiert auf eine solche urbane Praxis als längst bestehenden Teil des Kunstfeldes im Sinne einer Erweiterung des Kunstbegriffs mit entsprechender Tradition hinzuweisen: „They [Assemble] draw on long traditions of artistic and collective initiatives that experiment in art, design and architecture. In doing so they offer alternative models to how societies can work. The long-term collaboration between Granby Four Streets and Assemble shows the importance of artistic practice being able to drive and shape urgent issues” 127 heißt es dazu in der Stellungnahme der Juroren. Wie in der Einleitung dieser Forschungsarbeit skizziert, ist die Verleihung des Turner Preises meines Erachtens vor allem als wichtiges Signal in Bezug auf ein stattfindendes Umdenken städtischer Gestaltung als kooperativer Praxis diverser Akteure auf Augenhöhe zu verstehen. Dass eine solche Arbeitsweise der intensiven kritischen Reflexion bedarf, haben alle hier vorgestellten Arbeiten gezeigt.

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SITUATIVER URBANISMUS ALS PLURALISTISCH ANTI-HEGEMONIALE PRAXIS

„Der situative Urbanismus konfrontiert PlanerInnen und ArchitektInnen mit der Gänze der dynamischen gesellschaftlichen Wirklichkeit, den daraus resultierenden pluralistischen Entscheidungsfindungen“ (Fezer/Heyden 2007:93). Die Frage nach der fachlichen Spezialität von Künstler*innen in transdisziplinärer Zusammenarbeit jenseits der Creative City wieder aufgreifend, zeigen die bisher skizzierten Projekte alle die Bedeutung der Behauptung von künstlerischer Autonomie zur Aufrechterhaltung eines (wenn auch nur imaginierten) kritischen Diskursraums. Die erste These lautet, dass das Testen von Utopien für eine Stadtgesellschaft von morgen ein zentrales Alleinstellungsmerkmal künstlerischer Arbeit ist. Die Imagination von Möglichkeiten jenseits des scheinbar Möglichen ist ein zentraler Bestandteil künstlerischer Praxis und wird angesichts der brennenden Probleme unsere Gegenwart immer notwendiger. Denn Kunst kann das Unmögliche in Betracht ziehen. Mit Herbert Marcuse geht es in der Kunst um „die Spannung zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen“ (Marcuse 1998: 82). Wichtig bei Marcuse bleibt aber die ästhetische Erfahrung: „Je unmittelbarer das Kunstwerk politisch sein will, desto geringer wird seine Kraft der Verfremdung“ (Marcuse 2004: 201). In der Verfremdung liegt für Marcuse die Hauptfunktion von Kunst, denn hier erfülle sie ihre Erkenntnisfunktion und spreche Wahrheiten aus, die in keiner anderen Sprache auszusprechen seien, indem sie widerspreche (vgl. Marcuse 2004: 195). Dieses Widersprechen kann in einer reinen Dienstleistungsfunktion schwerlich gelingen, da es hier automatisch zu Interessenkonflikten und Affirmation kommt. Die Offenheit des Entwicklungsprozesses ist aber, bei allem Pragmatismus, das wesentliche Merkmal von künstlerischer Praxis, die immer auch den Raum zum Scheitern, zur Umkehr, zum Neustart braucht: „Der Romantik der Vision (des Einzelnen) stellt sie damit ein ergebnisoffenes Handeln und Denken (der Stadtgesellschaft) gegenüber, das außerhalb der individuellen Vorstellungswelt den Linien, Erzählungen und Poesien des Stadtraums folgt, den irregulären Entwürfen, Rissen, Durchzeichnungen und filigranen Gebrochenheiten städtischer Heterogenität“ (Ambach 2015: 149). Die zweite These betrifft die Chance, mit Kunst Verhandlungsräume zu schaffen. Im Anschluss an Chantal Mouffes Konzept des agnostischen Raums, in dem Differenzen nicht verhindert, sondern ausgehalten werden geht es dabei nicht um Räume der harmonischen Gleichschaltung, einem befriedenden Konsens, in dem Gegnerschaften nicht mehr sichtbar sind und sich dann nur noch als Antagonismus, als Feindschaft äußern können, sondern um Raum für Differenzen und Dif-

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ferentes: „Nicht die Auflösung der Unterschiede, sondern die Überwindung von hermetischen Absolutheiten soll das Ziel der Prozessierung von Grenzen sein“ schreibt Gerald Raunig, der in seinem Text „Spacing the Lines. Konflikt statt Harmonie. Differenz statt Identität. Struktur statt Hilfe“ den Begriff der Dilatation als das Aufbrechen und Ausdehnen von (sozialen) Grenzlinien zu temporären Grenzräumen beschreibt (vgl. Raunig 2002: 121). Im Anschluss an Hegel sieht er die Aufgabe von Künstler*innen als Erzeuger von Situationen „für das eigentliche Sich-äußern und Betätigen all dessen, was im allgemeinen Weltzustand noch unentwickelt und verborgen liegt“ (Raunig 2002: 122). Das Ergebnis eines solchen Verständnisses künstlerischen Wirkens ist die Veränderung von Strukturen, in denen es die rezeptive Figur eines Publikums gar nicht mehr gibt, denn es wird dann gemeinsam mit den Künstler*innen zur aktiven Öffentlichkeit. Diese Veränderung von Strukturen ermöglicht überhaupt erst kollektive Handlungen. Künstlerischer Praxis kommt damit im Sinne von Walter Benjamin und Bertolt Brecht eine organisierende Funktion zu (vgl.: Raunig 2002: 122). Die Gestaltung dieser Organisation ist die zentrale Aufgabe für die Arbeit an Schnittstellen. Für die gemeinsame Stadtgestaltung wird so „eine neue Art des aktiven urbanen Handelns (erforderlich), das weit über die konventionellen Grenzen der Disziplinen [...] hinausgeht, um neue Formen gemeinschaftlicher Ökonomien zu entwickeln, Verantwortlichkeit in die Komplexität der Zukunftsfragen unserer Gesellschaft einzubetten und der Entscheidungsfindung aufgrund neoliberaler Wirtschaftsinteressen eine Absage zu erteilen“ (Holub 2015: 66). Allerdings scheint die Figur des Urban Practitioners hier ungewollt die gegebenen Strukturen zu bestätigen und zu stärken, indem sich diese Rolle einfach unter Gegebenes subsumieren ließe: „Erst die Zurückweisung bestimmter normativer Bedingungen eröffnet eine realistische Chance, Verhandlungen zu führen, die dem Situativen Raum geben, der über das in räumlich-soziale Situationen Eingeschriebene hinausweist“ (Fezer/Heyden 2007: 95). Diese Perspektive auf städtische Gestaltung wurde in einer Sonderausgabe der Architektur Zeitschrift arch+ unter dem Stichwort „Situativer Urbanismus – Zu einer beiläufigen Form des Sozialen“ diskutiert (vgl. arch+183 2007), in der viele der heutigen Planungsstrategien als Ergebnis der Situationistischen Internationale interpretiert wurden. Mit dem Situativen Urbanismus, der auf Öffnung, nicht auf Schließung setzt und Stadt als ein Phänomen sozialer Figurationen begreift, wird deutlich, was auch die vorgesellten Projekte belegen: dass ursprünglich künstlerische Methoden längst Einzug in planerische Methodik gehalten haben: Vom Stadtspaziergang, dem dérive, über diverse mapping Methoden, Psychogeographischen Spaziergängen, hin zur Orientierung am Alltag. Schnittstellen sind unbequem. Gerade deshalb müssen sie extrem gut organisiert sein. Dies kann mit künstlerischen Strategien gelingen: Über alternative Narrative, durch neue Dramaturgien und durch die Imagination innovativer Settings. Durch ungewohnte Allianzen und Komplizenschaften. Künstlerische Praxis ermöglicht einen stetigen Rollenwechsel, eine begleitende Reflexion und damit die Möglichkeit

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einer neuen Form der Stadtgestaltung, in der die Kompetenzen der Anderen anerkannt und Hierarchien abgebaut werden. Erfolgreich sind entsprechende Projekte nur dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum in direkter Kooperation mit bereits bestehenden lokalen Initiativen arbeiten und diese von vornherein als gleichberechtigte Partner*innen involvieren. Eine solche urbane Praxis verschiebt, wie sich gezeigt hat, vor allem die gewohnten Verantwortlichkeiten. Denn im Gegensatz zu einer im Zuge des ‚Creative City Dogmas’ vergangener Jahre praktizierten Katalyse städtischer Segregation im privatwirtschaftlichen Interesse, in der Button-Up Initiativen als ‚Raumpioniere’ das Feld für am Ende homogene Gruppen ihresgleichen bereiten und die lokalen Anwohner*innen schlussendlich verdrängt werden, unterlaufen die vorgestellten Beispiele die neoliberale Stadtentwicklung durch geteilte Verantwortung in bestehenden Nachbarschaften. Sie praktizieren damit Stadtgestaltung als einen situativen Urbanismus (vgl. Arch+ 183), der durch Öffnung und nicht durch Ausschluss gekennzeichnet ist. Mit dem Überschreiten tradierter Handlungsfelder und dem Zusammenarbeiten in ungewohnten Konstellationen wird die Frage nach den Konsequenzen dieser Überschreitungen wesentlich, denn entsprechende Projekte hinterfragen und verschieben Verantwortlichkeiten. Die hier vorgestellten Projekte praktizieren damit auch eine geteilte Verantwortung in bestehenden Nachbarschaften, in denen Stadtgestaltung zu einer gemeinsamen alltäglichen Praxis wird. Das nächste Kapitel diskutiert die Konsequenzen eines solchen Vorgehens, welche in enger Verbindung zu neuen governance Strategien zu sehen sind.

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DIE KUNST DER VERANTWORTUNG

I

„Art must not take on the responsibilities of other domains (thus exempting these domains from their responsibility)“ (Holub 2015: 38).

mmer wieder tauchte in den bisher skizzierten Diskursen die Frage nach sich verändernden Verantwortungen im und für städtisches Zusammenleben auf. Denn die Verschiebung von Verantwortlichkeiten ist auch durch ein grundlegendes Umdenken in der städtischen Entwicklung und dem Verständnis, wie Städte ‚gemacht’ werden, geprägt. Die Kunst reagierte – wie ein sehr empfindlicher Seismograph – dabei früher als andere Systeme auf diesen grundlegenden Wandel, wie beispielsweise die Entwicklung partizipativer Kunst-Projekte im urbanen Raum in den 1990er Jahren zeigt, die den zunehmenden Beteiligungsanspruch in städtischen Entwicklungsprojekten und den Wunsch nach mehr gesellschaftlicher Teilhabe der letzten Jahre vorwegnahm. Denn wenn es auch in der städtischen Planung seit den 1960er Jahren bereits Beteiligungsprojekte in der Planung gab, bleibt immer zu fragen, was für eine Form der Beteiligung avisiert wird. Die Perspektive auf künstlerische Praxis öffnet den Blick für Fragen der Formate. Die skizzierte Aktualisierung des Diskurses rund um den erweiterten Kunstbegriff ist entsprechend in diesem Kontext zu sehen: Das Ergebnis ist eine veränderte und verändernde urbane Praxis, in der alltägliches Handeln für die Gestaltung von Städten eine zentrale Rolle einnimmt. Hierbei sind Selbstorganisation und Partizipation zu neuen Kulturtechniken und politischen sowie ökonomischen Modellen gleichermaßen avanciert (vgl. Fezer/Heyden 2007:92f).

Durch den Rückzug sozialstaatlicher Verantwortung im Zuge neoliberaler Stadtentwicklung spielten, wie dargelegt wurde, die Creative Industries eine zentrale Rolle, nicht nur im städtischen Wettbewerb, sondern vor allem auch innerhalb von Strukturgestaltungen für städtisches Zusammenleben. Diese Entwicklungen werden auf der Folie der Analysen von Machtverhältnissen und dem Einfluss von Selbstregulierungsmechanismen im Sinne Michel Foucaults, für die hier verfolgte Fragestellung nach kollaborativer Stadtgestaltung, zu einem zentralen Faktor, da die Einflussnahme neuer Akteurs-Konstellationen in städtischen Entwicklungen in direktem Zusammenhang mit einer neuen Form von urban governance zu sehen ist. Governance ist gegen Ende des letzten Jahrhunderts zu einem ‚Zauberwort’ in Wissenschaften und Politik avanciert und kann inzwischen als ein „Kernbegriff der Sozialwissenschaften zur Beschreibung von neuen Formen der Kooperation und veränderten Regelungsmechanismen gelten“ (Schwalb/Walk 2007: 8).

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Dabei beschreibt der Begriff governance ein „kollektives Handeln jenseits formalerpolitischer Systeme, verbunden mit der Entwicklung neuer Systeme von Normen und Regeln und mit dem Ziel, gesellschaftlichen Wandel auch unter systematischem Einbezug verfassungsmäßig nicht legitimierter Akteure und Institutionen in Richtung auf akzeptierte Ziele zu lenken.“ 128 Die Aufgabe, ‚good governance’ zu definieren und zu implementieren, ist in den letzten Jahren zu einer Hauptaufgabe und Herausforderung für städtische Verwaltung geworden. Hierbei wird meist zwischen Government und Governance unterschieden. Government meint ein zentralistisches und hierarchisches Steuerungsprinzip, wohingegen unter Governance die Mechanismen sozialer Koordination als dezentrale Netzwerksteuerung von Kontexten gefasst werden (vgl. Lemke 2001: 25). „Die Art und Weise, wie die Beziehungen von Akteuren und deren Interaktion strukturiert werden, die auf sozialräumliche Muster wirken, steht im Mittelpunkt der GovernanceDebatte“ (Sack 2014: 92). Diese in den letzten Jahren auch in Deutschland erheblich gewachsene Diskussion bezeichnet eine „Transformation von Staatlichkeit“ (Lemke 2001: 25) und hat ihren Ursprung in dem gegen Ende der 1970er Jahre von Michel Foucault entwickelten Konzept der Gouvernementalität. Er beschrieb damit das Verhältnis von Subjektivierungsprozessen zu Herrschaftsformen als eine postfordistische Form des Regierens. Foucaults Modell dieser hegemonialen Regierungstechnik, bei der einzelne autonome Akteure auf der Grundlage regulativer Entscheidungen selbstbestimmt und selbstverantwortlich handeln (vgl. Rose 2000: 72.ff), steuert ihm zufolge die Handlung jedes Einzelnen und bestimmt die Struktur unseres Zusammenlebens. Im Zusammendenken mit den Theorien Henri Lefebvres zu Raumproduktion (1972; 1995) und Pierre Bourdieus (1987; 1991) sozialen Feldern sowie den sich im spatial turn verändernden Raumparadigma, mit dem nicht mehr nur lineare Prozesse, sondern Simultanität und Brüche in den Fokus rückten und die soziale Konstruktion von Räumen an Bedeutung gewann, wird deutlich, welches Gewicht damit städtischer Gestaltung tatsächlich zukommt: Raum ist demnach immer an die Nutzer*innen gekoppelt und wird zu einer Analysekategorie gesellschaftlicher Prozesse (vgl. Dünne 2006; Oßenbrügge/Vogelpohl 2014). Mit dieser Veränderung der Vorstellung von Raum rückten Machtverhältnisse in den Blick, da hierdurch Produktionsverhältnisse und hegemoniale Strukturen verbunden sind. Städtische Entwicklung ist sowohl ökonomisch als auch sozial immer ein Abbild gesellschaftlicher Veränderungen. Mit der Erkenntnis der Bedeutung des individuellen Handelns ist die damit einhergehende Entdeckung des Individuums als einer Ressource verbunden, wodurch die Unterscheidbarkeit zwischen Selbsttechniken und Herrschaftstechniken zunehmend verschwimmt (vgl. Fezer/Heyden 2007:92f). Diese Verschiebung wird, vor allem mit Blick auf den urbanen Kontext, als eine post-politische und post-demokratische Situation beschrieben, in der Engagement und Widerstand gleichermaßen

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128 https://

www.wiso. uni-hamburg.de/ fileadmin/sowi/ cgg/Konferenzen/Workshop_ Governance.pdf (Letzter Zugriff 22.02.17).

129 Unter Regierung fasst Foucault „die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels derer man Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung.“ (Foucault 1996: 118f).

mühelos in das neoliberale System integriert werden und es so (zumeist ungewollt) stabilisieren (vgl. Fezer 2010: o. S.), was in der Konsequenz zu den in dieser Forschungsarbeit auch immer wieder auftauchenden Paradoxien führt: „This regulatory practice replaces social conflict and protest with technocratic techniques that promote unanimity and consensus. Oriented to principles of economic efficiency, power legitimizes itself through the self-responsibility of those acting within the parameters of this post-fordist form of urban government” (Fezer 2010: o. S.).

URBAN GOVERNANCE ODER WIE MACHT MAN STADT?

„Durch die Privatisierung städtischer Leistungen entsteht ein neues Modell von ‚urban governance’, wird eine Selbstaktivierung der Bewohner*innen notwendig, wobei so genannte Raumpioniere und urbane Katalysatoren als neue ‚Figuren’ dieser neuen städtischen Regulierung beschrieben werden“ (Bittner 2015: 218). Michel Foucault erweiterte seine Analysen zu Machtbeziehungen, die er zunächst an Institutionen wie dem Gefängnis und dem Krankenhaus vornahm (Überwachen und Strafen 1976 und Der Wille zum Wissen 1977), in seinen Vorträgen 1978/79 am Collège de France um den Zusammenhang von Prozessen der Subjektivierung und Herrschaftsformen. Mit dem Begriff ‚Gouvernementalität‘ beschreibt Foucault, wie sich die Regierung129 eines Staates und die Techniken der Selbstregierung in westlichen Gesellschaften strukturell bedingen (vgl. Lorey 2006: o. S.). Der Begriff verschmilzt semantisch die Herrschaftstechniken des Regierens (gouverner) mit der Denkweise und den Praktiken des ‚Sich-selbst-Regierens’ der Subjekte (mentalité). Zentraler Punkt für Foucaults Überlegungen ist die Bedeutung der „Kunst des Regierens“, wie er Gouvernementalität auch nennt, hinsichtlich der Machtbeziehungen unter dem Blickwinkel von „Führung“ (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000: 8). In seinem Konzept zeichnet er eine Dezentralisierung von Führung nach und untersucht, wie sich Machttechniken, Wissensformen und Subjektivierungsprozesse gegenseitig konstituieren und unter dem Schirm staatlicher Herrschaft zentralisieren (vgl. Eser 2005: 157). Nach Foucault ist das Regieren in modernen Gesellschaften nicht gleichzusetzen mit repressiver Machtausübung von außen. Stattdessen führt diese Form der ‚Führung’ zu einer Verinnerlichung von Normierungen und bedingt so Selbstdisziplinierung wie -regulierung gleichermaßen. Allerdings steht für gouvernementale Regierungstechniken nicht die Regulierung von autonomen Subjekten im Zentrum, „sondern die Regulierung der Verhältnisse, durch die sogenannte autonome und

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freie Subjekte überhaupt erst zu solchen werden“ (Lorey 2006: o. S.). In seinen Vorlesungen leitet Foucault die Entwicklung dieser hegemonialen Regierungstechnik historisch von der griechischen Antike bis zur Gegenwart her, die vor allem durch die Entstehung des Liberalismus im 18. Jahrhundert katalysiert wurde. „Liberale Regierungsweisen stellten die Grundstruktur moderner Gouvernementalität dar, die immer biopolitisch war. Oder anders: Der Liberalismus war ebenso der ökonomische und politische Rahmen von Biopolitik, wie diese „ein unerlässliches Element bei der Entwicklung des Kapitalismus [war]“ (Foucault 1983: 168). Für Foucault ist die Veränderung des Regierungsmodus‘ gebunden an veränderte gesellschaftliche Sicherheitsdispositive, denn sie brachten einen Übergang von öffentlicher zu privater Sicherheit mit sich und führten so von einem gesellschaftlichen zu einem individuellen Risikomanagement, „von der Sozialversicherung zur Eigenverantwortung, von der Staatsversorgung zur Selbstsorge. Ziel dieser veränderten Programmatik ist die sozialpolitische Konstruktion verantwortungsbewusster, und das bedeutet: sich selbst wie auch der Gesellschaft gegenüber verantwortlicher, zugleich »ökonomischer« und »moralischer« Subjekte“ (Lessnich 2003: 86).130 Diese Verschiebung entspricht einer Veränderung in der sozialpolitischen Programmatik des Wohlfahrtstaates in den letzten Jahrzehnten, da so die Logik einer sozialverpflichteten Selbstführung entsteht, in der jeder Einzelne seinen gesellschaftlichen Beitrag über eigenverantwortliches Handeln einlösen muss und der „Versorgungsstaat“ zu einem neuen Schimpfwort avanciert ist. Dies hatte nicht nur die Reform der Arbeitsmarkpolitik mit Hartz IV zur Folge, sondern wirkt sich auch auf die Einforderung privater Vorsorge, gesundheitlicher Prävention und letztlich auf alle Varianten der (Selbst-)Optimierung aus (vgl. Lessnich 2003: 87f). Nicht zu vergessen ist dabei, dass dieser Zwang zur Selbstregulierung in paradoxer Weise immer daran gekoppelt ist, dass es eine solche Form der Eigenverantwortung nur durch die Freiheit autonomen Handelns geben kann: „Denn sich zu regieren, sich zu beherrschen, zu disziplinieren und zu regulieren bedeutet zugleich, sich zu gestalten, zu ermächtigen und in diesem Sinne frei zu sein“ (Lorey 2006: o. S.). Diese Gestaltbarkeit konstituiert das Paradox moderner Subjektivierungen zwischen Ermächtigung und Unterordnung, Freiheit und Regulierung: „Liberale Prekarisierung fand als immanenter Widerspruch nicht jenseits dieser Subjektivierung statt, sondern ist ein daraus mögliches Bündel sozialer, ökonomischer und politischer Positionierungen“ (Lorey 2006: o. S). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte sich zunehmend die Vorstellung, dass es in der Handlungsmacht jedes Einzelnen läge, über das eigene Glück und die eigene Gesundheit zu bestimmen. Eine solche Sichtweise auf Gestaltbarkeit ist zwingend an gouvernementale Dispositive gebunden (vgl. Lorey 2006: o. S.), in denen Eigenverantwortung an die Produktivkraft des Individuums gebunden ist, getreu dem liberalen Motto ‚Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied’. „Man muss in der Lage sein, sich selbst zu führen, sich als Subjekt einer Sexualität zu erkennen und zu

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130 „Diese

normalisierte Freiheit biopolitisch gouvernementaler Gesellschaften existiert niemals ohne Sicherheitsmechanismen und ebenso wenig ohne Konstruktionen des Anormalen, Devianten, welche wiederum subjektivierende Funktionen haben. Die Moderne scheint ohne eine „Kultur der Gefahr“ nicht denkbar zu sein, ohne die permanente Gefährdung des Normalen, ohne imaginäre Invasionen ständiger, alltäglicher Bedrohungen“ (Lorey 2006: o. S.).

lernen, einen Körper zu haben, der durch Achtsamkeit (durch Ernährung, Hygiene, Wohnen) gesund bleiben oder durch Unachtsamkeit krank werden kann. In diesem Sinne muss die gesamte Bevölkerung zu biopolitischen Subjekten werden“ (Lorey 2006: o. S.). Der Körper wurde in der Folge zum Produktionsmittel. Wie Ulrich Bröckling in seiner Analyse von Managementprogrammen, Kommunikations- und Kooperationstechniken sowie von populären Ratgebern ausführt, ist so die Maxime „Handle unternehmerisch!“ zum kategorischen Imperativ geworden (vgl. Bröckling 2007). „Ein unternehmerisches Selbst ist man nicht, man soll es werden. Und man wird es, indem man sich in allen Lebenslagen kreativ, flexibel, eigenverantwortlich, risikobewusst und kundenorientiert verhält“ (Bröckling 2007: 2). Bröckling etabliert dieses unternehmerische Selbst als ein Deutungsschema aus normativen Anforderungen und Rollenangeboten, an denen Menschen ihr Tun und Lassen ausrichten. Mit institutionellen Arrangements sowie Sozial- und Selbsttechnologien wird das Verhalten jedes Einzelnen unter dem Leitbild des unternehmerischen Selbst reguliert (vgl. Bröckling 2007: 7). Seine Untersuchung zeigt dabei nachdrücklich, dass dieses Leitbild zur politischen Zielvorgabe wurde, in deren Rahmen bereits gegen Ende der 1990er Jahre gefordert wurde, dass schöpferische und unternehmerisch handelnde Menschen bereit und in der Lage sein müssten, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen (vgl. ebd.: 7f). Dem Abschlussbericht der Kommission für Zukunftsfragen Bayern/Sachsen von 1997 zufolge, den Bröckling in diesem Zusammenhang zitiert, bestünde die Aufgabe für Politik, Wissenschaft und Medien darin, den Willen der Bevölkerung zu stärken mit diesem Wandel Schritt zu halten. Gekoppelt wurde diese Forderung mit der Inszenierung einer Drohkulisse: Nur durch ein Mehr an unternehmerischer Betätigung und Verantwortung ließe sich der materielle Wohlstand und der soziale Frieden in Deutschland bewahren. Damit wurde das politische Leitbild des unternehmerischen Selbst zu einem Kraftfeld (zwischen „Erfolgsversprechen und Absturzdrohung“), das in den folgenden Jahren zum festen Bundes-Regierungsprogramm wurde (ebd.: 8f). Die Etablierung des unternehmerischen Selbst als leitendes Paradigma der gesellschaftlichen Entwicklung hatte nicht nur für die Veränderung der Sozialpolitik, sondern natürlich auch für die hiermit in Verbindung stehende Entwicklung des Arbeitsmarktes weitreichende Folgen. Auch die Veränderungen des Berufsbildes ‚Künstler*in’ sind an dieses neue Paradigma gekoppelt: „Um als contemporary artist zu bestehen, sind umfassende Portfolios von Kenntnissen, Interessen, Strategien und Netzwerken die Norm geworden; die Fähigkeit und Bereitschaft, auf dem Hintergrund der Kunstgeschichte und des aktuellen Kunstgeschehens eine unternehmerische Haltung zum eigenen Selbst einzunehmen, Karriere und Kritik nicht als Wiederspruch zu erleben, die performativen Repertoires des Künstlerischen zu beherrschen und zu erweitern, zwischen Plattform und Projekten zu navigieren, nicht selten selbst

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als Plattform und Projekt zu handeln – all dies gehört zu den Schlüsselqualifikationen heutiger Produzentinnen und Produzenten von Kunst“ (Holert 2014: 14). Diese Auflistung „künstlerischer“ Qualitäten ist nicht zu trennen von der Frage, welcher Preis für eine solche Multifunktionalität gezahlt wird. Eine Frage, die sowohl in sprichwörtlicher als auch in ganz konkret monetärer Hinsicht viel zu selten gestellt wird.

KÜNSTLERISCHE TAKTIKEN ALS MOTOR FÜR VERÄNDERUNG ODER ALS SUBSTITUT SOZIALSTAATLICHER VERANTWORTUNG? „Nicht nur machen die gesellschaftlichen Flexibilisierungsgebote vor der Kunst nicht halt, sie werden hier, das ist das Ergebnis vieler kunstsoziologischer Studien, erst eigentlich artikuliert und modelliert. Multidisziplinarität und Multitasking gehen Hand in Hand, während die Subjetktivitäten kaum mehr in präformierte Funktionsmulden passen wollen“ (Holert 2014:15). Die Erweiterung des künstlerischen Handlungsfeldes scheint in einem defizitären Verhältnis mit Verzicht und Kompromiss für die Akteure einherzugehen: „Verkörpern prekarisierte KulturproduzentInnen durch bestimmte Selbstverhältnisse und Vorstellungen von Souveränität nicht eine ‚neue’ gouvernementale Normalität?“ fragt sich Isabel Lorey in ihrem bereits zitierten Aufsatz über Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung und beschäftigt sich, ausgehend von Foucault, mit den historischen Kraftlinien moderner bürgerlicher Subjektivierung, „die unmerklich hegemonial sind, normalisierend wirken und möglicherweise „Gegen-Verhalten“ blockieren“ (Lorey 2006: o. S.). Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch diejenigen prekarisiert wurden, die einer Norm und Normalisierung des beschriebenen freien und souveränen (weißen, männlichen) Subjektes widersprachen, war Prekarisierung zunächst ein „immanenter Widerspruch der liberalen Gouvernementalität und störte als das Anormale immer wieder die stabilisierende Dynamik zwischen Freiheit und Sicherheit. In diesem Sinne war sie häufig Auslöser für Gegen-Verhalten“ (Lorey 2006: o. S.). Lorey kommt zu dem Schluss, dass die freiwillig gewählte Prekarisierung der meisten ‚Kultur-Produzent*innen’ nach wir vor daran gekoppelt ist, irrtümlich zu glauben, dass mit der bewussten Entscheidung zum selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kontexten in selbst gewählten Strukturen eine ganz besonders ausgeprägte Form der individuellen Selbstverwirklichung als vermeintliche Alternative zu diesen Strukturen verbunden wäre. Eine explizite Souveränität also, deren Preis in Form von stetiger finanzieller Unsicherheit man meint dafür bezahlen zu müssen,

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Spaß an der eigenen Arbeit zu haben und außerhalb normierender und vorgegebener Arbeitszeiten und Strukturen arbeiten zu können. Ein Gegenverhalten werde hierdurch allerdings längst nicht mehr ausgelöst: Gerade diese Form allzeit zu leistender Flexibilität und des maximalen Ausschöpfens der eigenen Arbeitskraft – bei gleichzeitiger Auflösung von Produktion und Reproduktion (im Sinne einer nicht mehr vorhandenen Trennung von Arbeitszeit und Lebenszeit) – entsprächen – wie auch in dieser Arbeit an vielen Stellen gezeigt wurde – dem Idealbild gegenwärtiger gouvernementalitärer Lenkung im Zeichen des Kapitalismus. „Das heißt allerdings nicht, dass ehemals alternative Lebens- und Arbeitstechniken gesellschaftlich hegemonial werden. Es verhält sich eher genau anders herum: Die massenhafte Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen wird mit der Verheißung, die eigene Kreativität zu verantworten, sich nach den eigenen Regeln selbst zu gestalten, für all diejenigen, die herausfallen aus dem Normalarbeitsverhältnis, als zu begehrende, vermeintlich normale Existenzweise erzwungen“ (Lorey 2006: o. S.). Das problematische Ergebnis dieser Inklusion eben nur vermeintlich alternativer Lebensweisen in eine alles bestimmende Norm ist das Diktum der Alternativlosigkeit, die längst kollektiv verinnerlicht wurde: „Die eigenen Imaginationen von Autonomie und Freiheit werden nicht in der gouvernementalen Kraftlinie moderner Subjektivierung reflektiert, andere Freiheiten nicht mehr vorgestellt und so die Perspektive auf mögliches Gegenverhalten zur hegemonialen Funktion von Prekarisierung im Kontext neoliberaler Gouvernementalität verstellt“ (ebd.). Diese fehlende Gegenposition sich selbst prekarisierender Kulturproduzent*innen führt in der Übertragung auf künstlerische Praxis an Schnittstellen zu anderen Arbeitsbereichen automatisch zurück zu der zentralen Frage meiner Forschungsarbeit nach den Konsequenzen der Veränderung des künstlerischen Handlungsfeldes mit Fokus auf die Verschiebungen von Verantwortung. Die Diskussionen um eben jene Handlanger-Rolle von Künstler*innen, die durch ihre billige Arbeitskraft der Aushöhlung sozialstaatlicher Verantwortung Vorschub leisten (so ließen sich die Vorwürfe zusammenfasen), sind nicht neu, sie begleiten als kritischer Diskurs die Veränderungen im künstlerischen Handlungsfeld. Entsprechend genervt klingt beispielsweise auch der Ton von Gruppen wie WochenKlausur, die sich seit vielen Jahren dem Vorwurf der Übernahme originär sozialstaatlicher Verantwortung ausgesetzt sehen: „Die Übernahme von Verantwortung über tradierte Zuweisungen und Arbeitsteilungen hinweg kann zur Pflichtübung werden, wenn ganz offensichtliche Mängel anstehen, deren Beseitigung keines jahrzehntelangen Studiums und keiner einschlägigen Praxis bedürfen.“ So heißt es in einem Statement auf der Homepage der Gruppe. Sie betonen hier auch die ethische Verantwortung jedes Einzelnen (Künstler*in oder nicht) angesichts der Dringlichkeit der zu bewältigenden Probleme. Dabei übersehe die Kritik, so WochenKlausur, dass die Gruppe (wie im vierten Kapitel dieser Arbeit ausgeführt wurde) nur auf Einladung von Kunstinstitutionen handle und öffentliche Verpflichtungen darüber eingelöst würden. Die Künstler*innen wehren sich aber auch sehr entschieden gegen die Vorstellung,

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dass durch ihre „kleinen Hilfsmaßnahmen“ der Zeitpunkt hinausgezögert würde, an dem es dann möglich sei, Grundsätzliches zu verändern: „Die Ohnmacht, an bestehenden Verhältnissen konkret etwas verändern zu können, veranlasst manche, den angenehmeren Weg zu wählen und nichts zu tun [...] Das lässt sich anhand der Probleme eines Rollstuhlfahrers zeigen. Wenn er die Treppe nicht hochkommt, weil kein Lift da ist, dann kann ihm geholfen werden, indem zwei starke Arme anpacken. Damit allerdings bekäme die Kritik Nahrung, dass eine generelle Lösung des Problems verzögert wird. Der Hausbesitzer sieht, dass es auch ohne Lift geht, und spart die Kosten. Demnach wäre es also besser, den Rollstuhlfahrer an der Treppe zurückzulassen und anstelle der Hilfsmaßnahen eine politische Forderung zu erheben. Oder ihm wird geholfen, und gleichzeitig wird die Forderung nach einem Lift gestellt.“ 131 Für WochenKlausur dient also jede erfolgreiche konkrete Verbesserung als Argumentationshilfe zur Unterstützung politischer Forderungen. „Im Schutz des Wohlstandes ist es einfach, für eine generelle Systemänderung einzutreten und kleine Schritte abzulehnen, weil sie die Verhältnisse nur stützen, die zum Überlaufen kommen müssen, damit etwas passiert. Diese „Overflooding Theorie“ hat noch selten zum Erfolg geführt. Wenn erst auf eine Katastrophe gewartet werden muss, damit sich alles zum Guten wendet, könnte sie am St. Nimmerleinstag zu spät kommen“ (WochenKlausur).132 Diesen Ausführungen, die weniger an die Expertise der Kunst denn an die moralisch-ethische, ja gesellschaftliche Verantwortung jedes Einzelnen gerichtet sind, ließe sich mit den Thesen Tom Holerts zu einer zeitgenössischen Kunst (deren verändertes Handlungsfeld er unter dem Titel Übergriffe subsummiert) hinzufügen, dass sich eine ebenso wichtige Kompetenz, im Sinne von Zuständigkeit, Berechtigung und Verantwortung, nicht einfach einstellt, sondern dass diese zunächst behauptet und – ebenso entscheidend – auch zuerkannt werden muss. Diese Zuerkennung sei nicht nur eine Frage von Macht, Einfluss, Klassenzugehörigkeit oder Geld, sondern hänge auch davon ab, welcher Begriff von Kunst – und damit welche Modelle von kultureller Praxis, welche Gefüge von Ökonomie, Politik und Ästhetik vorherrschen würden (vgl. Holert 2014: 13). Dieser Zusammenhang verändert sich immer wieder (vgl. zweites und drittes Kapitel) hinsichtlich der normativen Zuschreibungen an Kunst. Diese stets zu aktualisierende Bestimmung dessen, was Kunst ist, macht, soll oder gar darf, ist so aufwendig wie notwendig, „denn nur so lässt sich, wie es scheint, gewährleisten, dass über zeitgenössische Kunst überhaupt sinnvoll diskutiert werden kann “ (ebd.: 18). Denn diese Veränderungen widerspiegeln gesamtgesellschaftliche „Zustände und Zuständigkeiten in einem internationalisierten, postkolonialen Raum neuer Märkte und Erfahrungen“ (ebd.: 19). Für die in dieser Forschung verfolgte Perspektive des Zusammenhangs von künstlerischer Praxis und städtischer Gestaltung ist dieser Blick auf die

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131 http://www.

wochenklausur. at/faq_detail. (Letzter Zugriff 22.02.17).

132 http://www. wochenklausur. at/faq_detail (Letzter Zugriff 22.02.17).

Mechanismen von urban-government zentral, denn die veränderte Haltung dazu, wie Stadt gemacht wird, lässt sich vor dem Hintergrund von Foucaults Theorien noch einmal anders einordnen: Die selbstbestimmte und souveräne Gestaltung des eigenen städtischen Umfelds ist die logische Konsequenz der beschriebenen gouvernementalitären Mechanismen. Die Selbstermächtigung von Künstler*innen, ihren eigenen Handlungsrahmen auf diverse Bereiche auszuweiten, trifft sich genau an dieser Stelle mit dem Anspruch einer Einflussnahme auf die Gestaltung von Stadt und ist damit zwingend als Ergebnis der beschriebenen gouvernementalitären Prozesse von Subjektivierung und Selbstbestimmung zu sehen. Dabei hat sich der Wille nach Selbstverwirklichung und der ausschließlich bei jedem selbst liegenden Verantwortung hierfür mit dem Anspruch, auch das eigene Lebensumfeld selbst zu gestalten und hierfür bewusst die Verantwortung übernehmen zu wollen, durch die indoktrinierten Mechanismen der Gouvernementalität zu einer neuen urban-governance verbunden in der Frage: Wie wollen wir (zusammen) leben? In Rahmen dieser Verschiebungen ist das Entstehen der (ja immer erst einmal sehr sympathisch wirkenden) kreativen Bottom-Up Bewegungen in Städten einerseits begrüßenswert, andererseits aber auch tückisch: „Denn durch die immer subtiler werdenden Strategien „guten“ Regierens trägt symbolische Gewalt gern auch die Tarnkappe des freundlich Alltäglichen und sozial Kommunikativen. In diesem Dilemma bewegt sich jegliche ‘Kunst des urbanen Handelns‘, die sich ihrer unauflösbaren Verstricktheit in die hegemoniale Konstitution des sozialen Raums bewusst ist“ (Laister/Makovec /Lederer 2014:11). Hinzu kommt, dass – wie z.B. Jesco Fezer und Mathias Heyden in ihrem Artikel Das Versprechen des Situativen darlegen – die Zunahme städtischer Planung durch kleine Initiativen und Baugruppen eher zu einer Segregation und damit zu einer Homogenisierung der sozialen Struktur von Städten beiträgt, da sich in diesen Zusammenschlüssen vor allem diejenigen sammeln, die sowohl über das entsprechende finanzielle als auch über erhebliches kulturelles Kapital verfügen, um Aushandlungsprozesse mit Entscheidungsträger*innen überhaupt führen und in bauliche Maßnahmen übersetzen zu können. Mit Blick auf eines der ersten und immer noch als beispielhaft geltenden Baugruppenprojekte, den Freiburger Stadtteil Vauban, zitieren Fezer und Heyden die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die bereits 2008 zu dem Schluss kam, es handle sich bei dem vielgelobten Stadtteil um eine „elitär alternative Kleinbürgerlichkeit: eine Gated Community by Culture and Income mit der bundesweit höchsten Dichte an Salzkristalllampen, Kinderfahrradanhängern und Atem-Therapie-Gruppen. Aber dafür ohne AusländerInnen und Arbeitslose“ (vgl. Fezer/Heyden 2007: 92f).

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Abbildung 38:

KOLLABORATIVE PLANUNG ODER WER MACHT DIE STADT?

Mit dem Blick auf die Konsequenzen der Zunahme individueller Projekte, die das urbane Umfeld immer mehr prägen, stellt sich die Frage, wie sich dieser Falle segregierender Stadtentwicklung entgehen lässt und welchen Beitrag künstlerische Praxis hierzu leisten kann – oder ob nicht gerade diese Frage bereits Teil des Problems ist. So stellen die Herausgeberinnen eines Sonderheftes der Stadtforschungszeitschrift CITY, ausgehend von Architektur und Design, eine deutliche Hinwendung zu häufig künstlerisch motivierten, informellen Praktiken fest. Sie kritisieren dabei die beschriebene Zunahme der Verwendung des Begriffs des ‚Sozialen’ zur Vermarktung entsprechender Projekte und die damit verbundene Heterogenisierung des Begriffs, dessen Gebrauch vor allem assoziativ als ‚irgendwie positiv’ funktioniert (vgl. Göbel/Grubauer/Richter: forthcoming in CITY). Ausgehend von einer Ausstellung im deutschen Architekturmuseum 2013 unter dem Titel Think global, build social! und der Verleihung zahlreicher wichtiger Architekturpreise (beispielsweise der Pritzker Preis 2016) für Arbeiten, die sich im Bereich des informellen Urbanis-

Abbildung 38

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Cover des gefakten HamburgMagazins, einem Stadtmarketing Tool der FHH.

133 Für das Forschungsinteresse dieser Arbeit wurde das Soziale in Bezug auf künstlerische Praxis einleitend über die damit in Verbindung gebrachten Wirkungsabsichten definiert. Während sich sozial zu handeln zum Einen auf eine Gemeinwohlorientierung richtet, wird darunter ebenso oft ein reines ‚gesellig sein’ im Sinne von Sozialität herstellend verstanden. In dieser Arbeit wird die Verbindung dieser beiden Verständnisse vorgeschlagen, indem sich soziales Handeln auf das Herstellen von Beziehungen richtet. 134 http://

disziplinaeregrenzgaenge.de/ data/Erkenntnissicherung (Letzter Zugriff 30.05.17) 141 http://planbude. de/planbudekonzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

135 Das Hamburger Netztwerk „Recht auf Stadt“ wurde aus der Kooperation zahlreicher Iniitiativen 2009 gegründet. Es setzt sich für bezahlbaren Wohnraum, nichtkommerzielle Freiräume, die Vergesellschaftung von Grund und Boden, eine neue demokra-

mus bewegen, stellen die Autorinnen eine Hinwendung von Architektur und Design zu Praktiken fest, die sich, inspiriert von selbstorganisierten ‚Bottom Up’ Projekten (vor allem im globalen Süden), dem (nicht definierten) Feld des Sozialen widmen: „It is not by chance that the Golden Lion at the 2012 Venice Biennale di Architettura was not given to a design project but to a documentation of a squatter community in an half-built high-rise tower in the city of Caracas, Venezuela, the Torre David (Brillembourg and Klumpner 2013). […] The ‘social’, we argue, presents a strong yet often unquestioned category in a growing number of architecture and design related discussions and practices, suggesting some sort of participatory, just and inclusive procedures and some kind of positive impacts on local communities. The precise meaning and the normative dimension of the ‘social’ in such discourses and practices are far from clear, though” (Göbel/Grubauer/Richter: forthcoming in CITY). Diese Unklarheit des Begriffs des Sozialen zeigt einmal mehr die in der Einleitung dieser Arbeit beschriebene Spannbreite der Bedeutungsszuschreibung, die von einer das Gemeinwohl betreffenden bis zu einer reine Sozialität generierenden Praxis reicht. Wird der Begriff des Sozialen als Label und Etikett benutzt, dann ist immer intendiert, dass man entsprechenden Projekten eine positivere Wirkungsabsicht unterstellt. Sozial ist eben erst einmal besser als nicht sozial oder gar unsozial, und das lässt sich natürlich auch entsprechend vermarkten. Eine solche Vermarktung des Begriffs ist aber verbunden mit einer gefährlichen Aushöhlung im Sinne eines Ausverkaufs einer mit entsprechenden Verantwortlichkeiten verbundenen sozialen Handlung, die sich für das Gemeinwohl und damit für andere einsetzt. Ein Blick auf die hier einleitend vorgestellten Wirkungsabsichten von sozialem Handeln bietet hier einen Lösungsvorschlag für eine Definition des Sozialen, in der soziales Handeln nicht nur auf das Herstellen von Geselligkeit zielt, sondern wobei es um das Implementieren von Beziehungen geht.133 Die Umverteilung sozialstaatlicher Verantwortung auf diverse Akteure besteht – gerade auch im Hinblick auf Stadtgestaltung – vor allem in der Gefahr eines Verlustes einer solchen gemeinwohlorientierten Bedeutung sozialen Handelns. Die Verantwortung für das Verhindern beispielsweise einer sozialen Homogenisierung oblag (bisher) – zumindest der Form nach – der städtischen Planung als einer per Gesetz geregelten Tätigkeit. Diese war mit einer hoheitlichen Zuständigkeit und damit auch mit der Verantwortung verbunden, für eine angemessene Stadtentwicklung zu sorgen (vgl. Koch 2016).134 Dass die Frage in den letzten Jahrzehnten nach einer solchen ‚Angemessenheit’ städtischer Großbauprojekte und der Entwicklung von Innenstädten nach ausschließlich marktorientierten Interessen zu diskutieren ist, hat die in Hamburg initiierte Recht-auf-Stadt Initiative (im Rekurs auf Henri Lefebvre, der diesen Begriff 1968 das erste Mal verwandte) 135, die inzwischen in vielen Städten weltweit Nachahmer gefunden hat, erfolgreich in den städtischen Diskurs eingebracht.136 Dieses Leitmotiv Lefebvres drückt das Bedürfnis nach einer „veränderten – differentiellen – Raumproduktion sowie die Einforderung ihrer Realisierung aus“

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(Vogelpohl 2014: 29). Mit dem Recht auf Stadt reklamiert die Initiative aber auch Zuständigkeit und Verantwortung für andere als die hoheitlichen Akteure. „Wie überträgt man dann die Verantwortung, wenn es noch andere als hoheitliche Zuständigkeit gibt? Wie macht man denn das, wenn es nicht gesetzlich geregelt ist? Wenn es nachbarschaftlich irgendwie vereinbart wird? Wenn es Akteure untereinander aushandeln und vereinbaren? In der Diskussion über eine radikale Demokratisierung der heutigen Planung oder sich selbst organisierende Systeme in der Stadtentwicklung müssen wir solche Verantwortungsfragen diskutieren“, folgert Michael Koch.137 Dabei geht es eben nicht nur um Beteiligung, sondern auch darum, wie die Übernahme von Verantwortung vereinbart und legitimiert werden kann. Ein Beispiel, wie ein solcher Prozess kollaborativer Stadtgestaltung mit neuer Aufteilung von Verantwortlichkeiten aussehen kann, ist das bereits in der Einleitung dieser Arbeit erwähnte Hamburger Projekt PlanBude. Die Arbeit des transdiziplinären Teams der PlanBude aus den Feldern Kunst, Architektur, Urbanistik, sozialer Stadtteilarbeit, Musik und Kulturwissenschaft138 war auch deshalb so erfolgreich, da es auf St. Pauli eine spezielle Partizipationskultur gibt, die sich durch Engagement für sozialen und bezahlbaren Wohnraum auszeichnet sowie durch einen mittlerweile jahrzehntelangen Anwohner*innen-Widerstand gegen städtische Planungsvorhaben, welche ökonomische Interessen in den Vordergrund stellen.

EINE STADT IST KEINE MARKE In Hamburg hat die Forderung nach einer anderen Planungskultur, für mehr sozialen Wohnungsbau und mehr Beteiligung der Anwohner*innen Tradition: Beginnend mit der Besetzung einiger Häuser in der Hafenstraße und folgenden Protesten in den 1980er Jahren, die (in zähen Verhandlungen, aber dann eben doch erfolgreich) in Pachtverträge überführt wurden, der baulichen Umsetzung der Wünsche von Anwohner*innen im eingangs beschriebenen Projekt Park Fiction und der so verhinderten lückenlosen Bebauung der Hafenkante, über die Initiierung des Hamburger Recht-auf-Stadt-Netzwerkes seit der Jahrtausendwende, die beschriebene Besetzung des Gängeviertels bis hin zu der Kampagne mit dem Manifest Not in Our Name, Marke Hamburg, in dessen Rahmen sich Kulturschaffende solidarisierten und den Blick auf soziale Fragen der Gesellschaft lenkten, sind nur einige von vielen Initiativen genannt, die sich in Fragen der Stadtgestaltung engagieren. Dabei wurde die Verstrickung von Kulturproduzent*innen mit städtischer Entwicklung von der Aktion Not in Our Name, Marke Hamburg am direktesten kritisiert: „Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen ‚bewusst für die Stadtentwicklung’ und ‚für das Stadt-Image’ einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden [...]“ 139 – so heißt es in dem Manifest, das an

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tische Stadtplanung und die Erhaltung von öffentlichen Grünflächen ein. (vgl. http://www. rechtaufstadt. net/about.html (Letzter Zugriff 30.05.17).

136 „Wenn auch die Akzente von Stadt zu Stadt verschieden sind, formieren sich von São Paulo bis Seoul, spontan und jenseits der bestehenden Parteien und Politformationen, neue Protestbewegungen. Das Weiterwirken von antidemokratischen Machtstrukturen, der Aufbau neuer totalitärer Überwachungssysteme und die techno-kapitalistischen Exzesse, die durch die bestehende Politik goutiert und begünstigt werden, führen zur Unterminierung des Sozialen – die Stadt ist sein gelebter Ausdruck“ (Schütz 2013: 36) 137 http://dizi-

plinaeregrenzgaenge.de/data/ Erkenntnissicherung (Letzter Zugriff 30.05.17).

138 http://plan-

bude.de/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

139 https://nionhh.wordpress. com/about/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

140 https://ni-

onhh.wordpress. com/about/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

die „Stadtpolitiker*innen“ Hamburgs adressiert war. Es wurde im November 2009 u. a. als gefakte Ausgabe einer Marketingzeitschrift der Stadt Hamburg veröffentlicht (siehe Bild). Die Unterzeichner*innen wehrten sich in ihrem Manifest dezidiert gegen die totale Kommodifizierung der Kulturproduktion für eine „Inwertsetzung“ des städtischen Raumes, gegen eine strategische Planung der Stadt, in der die Kunst- und Kulturschaffende gerne in so genannten ‚Kreativquartieren’ verortet würden, da sie für die vor allem ökonomisch orientierte Planung dieser Akteur*innen-Kreis als vermarktbarer Standortfaktor dienten. „Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage ‘Wie wollen wir leben?‘ nicht auf Stadtentwicklungs-Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik. [...] Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der ‘Wachsenden Stadt‘ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein.“ 140 Der Effekt der Kampagne war zumindest eine Erhöhung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema, was wiederum der fast zeitgleich gestarteten Besetzung des Gängeviertels zugutekam. Die Solidarisierung der Kulturschaffenden scheint ein wichtiger Schritt zu sein, um im Kräftefeld städtischer Entwicklung überhaupt ein Gewicht zu bekommen. Problematisch an den auch in diesem Manifest geäußerten Forderungen ist im Alltagsgeschäft städtischer Planung allerdings, dass die geäußerten (idealistischen) Vorstellungen häufig mit einem relativ naiven Verständnis bürokratischer bzw. stadtplanerischer Abläufe einhergehen. Die diskutierten Schnittstellenfunktionen, die in solchen Fällen zwischen teils sehr unterschiedlichen ‚Kulturen’ vermitteln müssen, sind vor allem dann wesentlich, wenn es um die Übersetzungen sowohl der jeweiligen (Fach)Sprache als auch um die Aushandlung des Machbarkeitshorizonts geht. Dieser Bogen zur Schnittstellenfunktion führt zurück zu der Arbeit der PlanBude, da diese vor allem auch in ihrer Übersetzungs- und Vermittlungsfunktion Exemplarisches geleistet hat. Sie vermittelte zwischen einer behördlich verankerten und damit institutionalisierten Vorgehensweise einer ‚klassischen’ Stadtplanung und der Initiative gegen den Abriss der Esso-Häuser, die vor allem durch selbstorganisierte Strukturen geprägt ist.

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141 http://

planbude.de/ planbudekonzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

Abbildung 39:

BlanBuden Container vor dem eingerüsteten Baugrundstück am Spielbudenplatz, Hamburg St. Pauli. Foto: Alexandru Pasca.

Abbildung 39

DIE PLANBUDE 2014 - HEUTE „Die PlanBude entsteht in einer dramatischen Situation. Hypergentrifizierung, Disneyfizierung und Standardisierung der Reeperbahn, Evakuierung der Esso-Häuser, Neubauten, denen die Anschlussfähigkeit an die Eigenlogik von St. Pauli fehlt: Das Vertrauen in die Stadtplanung von Investoren und Behörden ist an einem Tiefpunkt angelangt.“ 141 Dass sich die PlanBude als eine solche Art Schnittstelle zwischen Anwohner*innen, Stadt und Eigentümern erfolgreich in die anstehende Bebauung des Spielbudenplatzes auf St. Pauli in Hamburg einbringen konnte, hat sicherlich auch mit den langjährigen (Protest)Erfahrungen und dem Wissen um eben diese Bedeutung der Übersetzungsleitungen aus früheren Projekten wie Park Fiction zu tun. Hierbei ist die transdisziplinäre Aufstellung des Teams der PlanBude von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da hier Künstler*innen, Stadtplaner*innen und Kulturwissenschaftler*innen gemeinsam an einer transdisziplinären Praxis der Stadtgestaltung arbeiten. Die fachlichen Hintergründe und entsprechende Expertisen der Beteiligten sind vor allem in Momenten der Vermittlung, bei Gesprächen

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142 Vgl. Interview mit Renée Tribble (geführt am 25.02.17). 143 http:// planbude.de/ planbude-intro/ (Letzter Zugriff 22.02.17). 144 http:// planbude.de/ planbudekonzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17). 145 Dieses offi-

zielle Mandat ist zwingend an den durch die Arbeit der Esso-HäuserInitiative geleisteten Widerstand gebunden und wäre ohne den entsprechenden politischen Druck so nicht vergeben worden.

mit Ämtern, Investor*innen und Nachbar*innen von großer Bedeutung, denn nur durch die entsprechende Kenntnis von Diskursen, Fachkulturen und sprachlichen Gepflogenheiten kann eine Übersetzungsarbeit stattfinden, ohne die ein solcher Erfolg nicht zu schaffen ist. Diese Übersetzungsleistung, die nur ein transdisziplinäres Team leisten kann, ist im Fall der PlanBude ein Grund für das erfolgreiche Umsetzen der Pläne in ein konkretes Bauvorhaben. Die Übersetzungsleitung war aber auch innerhalb dieses Teams wichtig. So relativierte Renée Tribble (als ausgebildete Architektin und freiberufliche Stadtplanerin) beispielsweise die Vorgaben der Verwaltung als „ganz normale Vorgänge“ und machte unverständliche Behördenschritte für ihre Kolleginnen im Team transparent. Die fehlende Fachkenntnis des Vorgehens bei Bauprojekten dieses Ausmaßes hätte im Team sonst zu Unmut führen können.142 Missverständnisse und Unverständnis für das Vorgehen der Stadtverwaltung konnten dadurch minimiert werden, was einmal mehr zeigt, dass es unterschiedlicher fachlicher Hintergründe und entsprechenden Erfahrungswissens bedarf, um erfolgreich handeln zu können. Der Professionalisierung dieses Teams war der Protest rund um den Abriss der sogenannten Esso-Hochhäuser auf St. Pauli vorausgegangen, die im Verlauf des sich formierenden Widerstandes zum Sinnbild für Gentrifizierung und Verdrängung wurden. Der Konflikt zwischen dem Eigentümer der Bayrischen Hausbau und der gegründeten Esso-Häuser-Initiative schien zunächst nicht lösbar. Der Forderung der Initiative nach 100% sozialem Wohnungsbau inklusive Entschädigung der Anwohner*innen wollte der Eigentümer nicht nachkommen, er bestand nach Evakuierung der Häuser und Abriss auf der vom Hamburger Senat empfohlenen Lösung durch Drittelmix: ein Drittel Eigentum, ein Drittel frei finanzierter und ein Drittel sozialer Wohnungsbau. Da das Bauvorhaben der Bayrischen Hausbau einen neuen Bebauungsplan notwendig machte, entstand ein einmaliger Möglichkeitsraum, denn in diesem Fall ist ein Beteiligungsverfahren zwingend erforderlich. Für die Anwohner*innen entstand dadurch die Chance, sich ganz anders in die Pläne einzubringen. 2014 wurde die PlanBude im Rahmen einer unabhängigen Stadtteilversammlung mit dem Motto: „St Pauli selber machen“ gegründet. Das Ziel war es, die ‚Wunschproduktion’ für den Neubau zu organisieren und „damit einen neuen Ansatz zu entwickeln, wie Stadt anders geplant und gebaut werden kann und muss.“ 143 Zur Durchführung des innovativen Beteiligungsverfahrens (zugänglich, modellhaft, demokratisch, ergebnisoffen, breitgefächert, vor Ort organisiert) 144 erhielt die PlanBude den offiziellen Auftrag durch das Bezirksamt Mitte, da sie zu einem extrem frühen Zeitpunkt als handlungsfähig und hervorragend in der Nachbarschaft vernetzt auftreten konnte. So entwickelte die PlanBude eine vorgezogene Beteiligung im offiziellen Auftrag des Bezirksamtes, der dem eigentlichen Bebauungsplan noch vorgelagert war.145 Die hier angewandte Methode der Wunschproduktion hatten Christoph Schäfer und Margit Czenki, die beiden Künstler*innen des PlanBuden Teams, bereits bei der kollaborativen Planung für Park Fiction erfolgreich entwickelt und eingesetzt.

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Die Entwicklung des Widerstandes im Stadtteil schlug sich auch in einer besonderen „Partizipationskultur“ auf St. Pauli (als so genannter ‚Kontexteffekt’) nieder: „Entsprechende Kontexteffekte gehen von der jeweiligen Ortsgröße und der politischen Kultur einer Gemeinde aus, von bestehenden Konfliktstrukturen, von alternativen Beteiligungsmöglichkeiten oder Erfahrungen mit früheren Beteiligungsverfahren“ (Vetter 2008: 13). Ohne die aus St. Pauli vorhandene Protestkultur und vor allem auch das über einen langen Zeitraum gewachsene Engagement, ohne Erfahrungen mit intensiver Netzwerkarbeit, dem Einbezug diverser Akteure über künstlerische Praktiken wie beispielsweise der Wunschproduktion, wäre die proaktive Vorgehensweise nicht denkbar gewesen: „Die von Park Fiction entwickelten Methodologien – künstlerische Interventionen in den sozialen Raum, innovative Vermittlungs-Formate, tragbares Planungsstudio, Begriffsbildung – sind in ihrer Pionierfunktion anerkannt und in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten reflektiert, fanden Eingang in Anthologien politischer Kunst des 20. Jahrhunderts und haben die Entwicklung von Kunst und Planung international beeinflusst. Als meistzitiertes Werk der Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg ist Park Fiction heute das Referenzbeispiel für eine Kunst, die demokratisch, emanzipatorisch, gemeinschaftlich, plattformbildend und verändernd in den städtischen Raum eingreift.“ 146 So heißt es selbstbewusst auf der Homepage der PlanBude. Dass künstlerische Strategien hier als eine einmalige Möglichkeit verstanden werden, urbane Praxis als kollaborative Stadtgestaltung zu implementieren und umzusetzen, zeigt sich auch auf eben jener Internetpräsenz. Hier ist dem Zusammenhang von Kunst in Planungsprozessen ein eigener Eintrag gewidmet, was der Präsenz von zwei Künstler*innen im sechsköpfigen Team Rechnung trägt. Zitiert wird dazu aus der Jurorenbegründung des Edwin-Scharff-Preises, der Christoph Schäfer 2014 verliehen wurde: „Sein Studio ist der urbane Raum (als städtisches Gesamtwesen), den es mit subversiven Interventionen und auch nachhaltiger Planungskreativität lebenswert zu verbessern gilt – im Sinne und mit Beteiligung seiner BewohnerInnen. Dass künstlerische Kompetenzen durch soziale Kreativität ganz andere konstitutionelle Durchsetzungsqualitäten besitzen können, hat dieser Künstler mehrfach eindrucksvoll bewiesen.“ 147 Auf diesem Wissen aufbauend wurden mit der PlanBude unter dem Motto „Knack den St. Pauli Code“ in einem ergebnisoffenen Prozess 2.300 Wünsche und Entwürfe gesammelt. Der hieraus entstandene St. Pauli Code wurde als eine Art Forderungskatalog zur Grundlage der Auslobung des Architekturwettbewerbs, der sich aktuell in der Umsetzungsphase befindet. Dass die PlanBude auch als eine bauliche Manifestation (in Form von zwei Baucontainern, die seit der Beauftragung der PlanBude am Spielbudenplatz stehen und als Anlaufstelle, Büro und Diskursraum dienen) auf St. Pauli präsent ist, darf als ein weiterer Erfolgsfaktor nicht unterschätzt werden, wenn es um die Motivation zur Beteiligung der Anwohner*innen geht: „Bei allen Beteiligungspraktiken stand die

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146 http:// planbude.de/ planbudekonzept/ (Letzter Zugriff 22.02.17). 147 http://

planbude.de/ planbudekonzept/(Letzter Zugriff 22.02.17).

Rückkopplung an die PlanBude als physischer Ort im Vordergrund. Es wurde versucht, die Menschen bspw. über den Fragebogen hinaus in die Gestaltung weiterer Materialien in der PlanBude zu involvieren und das dortige Zusammenspiel der verschiedenen Tools zu nutzen. Dabei stellte der direkte Kontakt einen wichtigen Aspekt dar. Der PlanBuden Container war immer durch mindestens zwei so genannte PlanBuddies besetzt, welche im offenen Gespräch die Menschen mit dem Projekt und den Praktiken vertraut machten“ (Hansen 2015: 27). Die lokale Dauerpräsenz bedingte einen Authentizitäts- und Autonomieanspruch, „der ‚im Viertel’ ein ‚lokales Wissen’ über Probleme, Bedürfnisse und eben auch Wünsche verortet und daraus einen Selbstregierungsanspruch (der auch das Verständnis ‚echter Demokratie’ bestimmt) ableitet. Die Frage nach dem guten Leben in der Stadt (‚wie wollen wir in dieser Stadt leben’) wurde mit dem ‚Protagonismus’ (‚Stadt selber machen’) verbunden“ (Rinn 2012: 24). Das Ergebnis der Arbeit der PlanBude ist Ausdruck für eine neue Planungskultur, in der sehr unterschiedliche lokale Akteure ihre Zusammenarbeit selbstbestimmt gestalten. Ungewöhnliche Allianzen sind dabei Erfolgsfaktor wie Alleinstellungsmerkmal gleichermaßen und können daher als beispielhaft angesehen werden. Denn was die feste Verankerung der Planung in einem Stadtteil und den Einbezug der Nachbarschaft auf Augenhöhe mit sich bringt, war hier erklärtes Ziel: Der nachhaltige Erhalt von Diversität. Diese Diversität wiederum ist Kennzeichen und Bedingung des Städtischen gleichermaßen.

URBANITÄT DURCH DIVERSITÄT Mit Bezug auf die Frage: Wie wollen wir (zusammen) leben? bekommt diese Feststellung elementare Bedeutung, denn Stadt „machen“ eben nicht nur einige wenige. Gerade die Heterogenität von Akteuren oder, anders formuliert, die Begegnung mit dem Fremden (Simmel 1903) ist für die Produktion von Urbanität entscheidend: „Der Begriff bezeichnet eine öffentliche und demokratische Form der Entscheidung über die Entwicklung des Gemeinwesens; charakteristisch für städtische Kultur seit der Antike ist die Offenheit gegenüber dem Fremden, gegenüber kultureller und intellektueller Innovation. Dazu gehören auch die Individuation und Anonymität, die unter rein städtischen Lebensbedingungen möglich sind und die experimentelle Lebensstile und Rollenwechsel […] ermöglichen. Daraus ergibt sich kulturelle Vielfalt, die das Ferment ist für sich selbst verstärkende Prozesse kultureller und ökonomischer Differenzierung“ (Häußermann 2006: 31). Dabei bleibt festzuhalten, dass Urbanität (dieser Definition zum Trotz) ein in den letzten Jahren immer weiter zunehmend und mannigfaltig verwendeter Begriff ist, der sich einer klaren Bedeutungszuschreibung entzieht. Wie Klaus Selle in seinem Text „Sondierungen zur Urbanität“ feststellt, wurde Urbanisierung ursprünglich im Gegensatz zu einer vor allem durch bauliche Dichte geprägten ‚Verstädterung’, als eine Vielfalt gesellschaftlicher Veränderungen definiert (vgl. Selle 2012: 50). So sei auf der einen Seite in

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Bezug auf das Städtische von den äußeren Entwicklungen (Verdichtung der Bevölkerung und der Bau-/Nutzungsstrukturen) die Rede und auf der anderen Seite von gesellschaftlichen Veränderungen (vgl. ebd.). Da sich letztere nicht mehr nur auf die Stadt als einen abgegrenzten Raum beziehen, sondern auch in ländliche Räume diffundieren, ist Urbanität entsprechend nicht nur auf Städte beschränkt. Mit dieser Lesart und im Anschluss an die Definition von Häußermann wird deutlich, dass es durchaus auch städtische Zonen geben kann, die aber überhaupt nicht durch Urbanität geprägt sind. Die hier stark verkürzte Perspektive auf Urbanität zeigt dennoch: Die in vergangenen Jahrzehnten vorherrschende Meinung, Urbanität sei ein „plan- und baubares »Produkt«“ (ebd.), war eine folgenschwere Entwicklung, da so die spezifischen Qualitäten von Urbanität nicht mehr an gesellschaftliche Bedingtheit gekoppelt waren (ebd.). Die Arbeit der Planbude trägt Züge des in Amerika weit verbreiteten Konzeptes der „Anwaltsplanung“, bei der ein Anwalt (nicht zu verstehen im juristischen Wortsinn, meist handelt es sich um einen Planer oder eine Planerin) denjenigen eine Stimme gibt, die im Prozess nicht repräsentiert werden oder von diesem ausgeschlossen sind (vgl. Fezer/Heyden 2007: 94). In dieser Position, die nicht mit einem hierarchisierenden Verhältnis zu verwechseln ist, wird der Planer oder die Planerin aber nicht mehr nur als ‚Techniker*in’ verstanden, auch seine/ihre Position verändert sich, denn er/sie ist in dieser Rolle ganz anders aufgefordert, Stellung zu beziehen und parteilich zu handeln. Freie Planer*innen werden in diesem Setting zu Auftragnehmern der Anwohner*innen. „Sie haben die Aufgabe, die Betroffenen über die Hintergründe, Bedeutung und Auswirkungen von Planungsvorhaben zu informieren und sie in die Lage zu versetzen, darauf in der technischen Sprache des berufsmäßigen Planers zu antworten“ (ebd.). Stadtgestaltung wird somit an gesellschaftliche Strukturen und betroffene Akteure gebunden, sie wird im Sinne der folgenden Definition wieder urban: „‘Urban’ I take to be shorthand for the societal as congealed in cities today, and to denote the point at which the rubber of the personal hits the ground of the societal, the intersection of everyday life with the socially created systemic world about us“ (Marcuse 2009: 195).148 Die große Herausforderung der kollaborativen Stadtgestaltung liegt in der Akzeptanz von Widersprüchen: So ist selbstbestimmtes Handeln zum einen Ausdruck von Freiheit und kann im besten Fall auch zu Freiräumen führen. Es läuft allerdings andererseits stets Gefahr, sich durch Selbstverausgabung und Selbstprekarisierung jedes Freiraums zu berauben und damit Strukturen zu stärken, die man glaubte, dadurch unterlaufen zu haben.

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148 Dass die

meisten Teammitglieder der PlanBude selbst in der Nachbarschaft wohnen, ist für die Rolle der Anwälte in einem nicht hierarchisierenden Verständnis natürlich von Bedeutung.

149 Auf den

Diskurs zum Nachhaltigkeitsparadigma wird an dieser Stelle bewusst nicht weiter eingegangen, da entsprechende Ausführungen den Fokus der Fragestellung verschieben würden.

REINVENTING INSTITUTIONS ODER WAS BRAUCHT DIE STADT?

„These are changes in the social relations of artistic production and the social character of exhibition space that involve taking cultural forms of an evermore extensive character as the objects of a new constructive – that is organizatonal – intent“ (Osborne 2013: 160). Die bisher gemachten Ausführungen zusammenführend und an die Rolle künstlerischer Einflussnahme auf städtische Gestaltung rückbindend, wird nach der Auswertung der unterschiedlichen hier vorgestellten Projekte deutlich, dass künstlerische Praxis für städtische Gestaltung eine zentrale Rolle einnehmen kann, wenn hierfür die entsprechenden Rahmenbedingungen eingefordert und akzeptiert werden. Solche Rahmenbedingungen müssen zum einen gewährleisten, dass die professionelle Arbeit von hier Engagierten auch entsprechend bezahlt wird. Zum anderen müssen sie eine Struktur bieten, die auf langfristige Effekte und nicht auf einmalige Events setzt, denn es darf nicht darum gehen, den Staat aus seiner Verantwortung zu entlassen, sondern seine Verpflichtung über neue Strukturen und Institutionen einzufordern (vgl. Fezer/Heyden 2007: 94). Ein Beispiel für eine solche Rahmung sind die Community Design Center in Amerika, die als Ergebnis der Anwaltsplanung in den USA in den 1980er Jahren entstanden. Es handelt sich hierbei um gemeinnützige Vereine, die im Interesse der marginalisierten Bevölkerung Raumproduktion vorantreiben. Was hier ins Zentrum rückt, ist die Frage der Nachhaltigkeit. Dies ist ein Wort, das ähnlich wie Partizipation in den letzten Jahren in keinem Projektantrag fehlen durfte und dessen Bedeutung sich entsprechend auch gewandelt hat.149 Die Kombination der Begriffe Nachhaltigkeit und Kunst ist nicht unproblematisch, da hiermit zumeist der Anspruch einer Messbarkeit von Ergebnissen verbunden ist, der ephemere und temporäre Praktiken, die künstlerisches Arbeiten prägen, sich von Natur aus entziehen: „Soziale und gesellschaftliche Werte sind nicht über statistische Auswertungen messbar. Wir müssen uns davon verabschieden, in simplifizierten Kategorien von ‚Erfolg’ und ‚Scheitern’ zu denken“ (Holub 2015: 16). Mit Blick auf künstlerische Projekte, die sich gezielt in soziale Verantwortlichkeiten begeben, wird die Frage der Nachhaltigkeit oder auch der Langfristigkeit dennoch ungleich brisanter. In Bezug auf das Münchener Projekt Bunnyhill wurde die Temporalität der Arbeit – obschon von vornherein für alle Beteiligten bekannt – zu einem Problem, denn was passiert mit den involvierten Akteuren, nachdem das Projekt von Seiten der Theater abgeschlossen ist? Wie kann man Teilhabe aufrechterhalten, wenn die initiierenden Akteure nicht mehr da sind, um diese zu gewährleisten? Fragen, mit denen sich auch die damalige Chefdramaturgin der Münchener Kammerspiele, Barbara Mundel, konfrontiert sah: „Was

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jetzt passiert, auch aus den Abteilungen heraus, ist, dass sich die Leute Gedanken machen, was passiert jetzt mit diesen Jugendlichen, die haben jetzt vier Monate mit uns zusammengearbeitet, das ist ein Thema, was macht ihr denn, was denkt ihr denn, ihr könnt die jetzt nicht auf die Straße setzen. Das ist noch nicht klar, wir haben jetzt noch zwei Monate Zeit zu überlegen, ich fände es natürlich Klasse, wenn wir das Schwierigste schaffen würden, nämlich Lehrstellen für diese Jugendlichen zu besorgen“ (zitiert nach Ricklefs 2004, o. S.). Mit ganz ähnlichen Problemen sind nach dem Wegfall der institutionellen Unterstützung eigentlich alle Projekte konfrontiert, in denen sich eine Institution über ein ‚Stadtprojekt’ temporär in einem Viertel engagiert. Für die Projektlaufzeit generiert der institutionelle Projektträger oder Projektpartner maximale mediale und öffentliche Aufmerksamkeit. Sie werden zu Türöffnern in Gesprächen mit Ämtern und Behörden und ermöglichen so Komplizenschaften, die anders nicht herstellbar gewesen wären.150 Nach dem Ende der Projektlaufzeit schließen sich diese Türen aber und sind ohne die institutionelle Hilfe nur schwer wieder zu öffnen. Hier entsteht ein Vakuum durch den Wegfall der bisher akkumulierten Energien. So positiv das Beispiel von New Hamburg in vielerlei Hinsicht auch ist, so augenfällig ist auch das graduelle Schwinden von Öffentlichkeit und Manpower nach dem Rückzug des Theaters, das zwar namentlich noch überall vorkommt, dessen Ressourcen aber längst abgezogen wurden. Das Homebaked Projekt von Jeanne Van Heeswijk war sich dieser Gefahr offensichtlich stets bewusst. In einer Rekapitulation der eigenen Arbeit schreibt die Künstlerin: „Perhaps our biggest strength is that we repeatedly dare, in the face of great uncertainty, to ground ourselves by manifesting our ideas in a physical form. Those moments of manifestation are the ones when, as a group and as a process, you’re at your most vulnerable. The step from the project being a protest, a projection and a dream to becoming a functioning business has been the most painful. It’s still going on and we shouldn’t be afraid to travel back and forth on this trajectory or we’ll risk becoming ‚just another business‘ or even ‚just another social enterprise‘ or ‘just a temporary art event’. We’re not here to ‚save others‘, but to create a new pathway for ourselves and our neighbourhood.“ (Van Heeswijk 2014: o. S.). Dieses und viele der anderen Beispiele zeigen, dass es vor allem einer intensiven Verankerung im lokalen Engagement bedarf, um Projekte auch langfristig zu implementieren. Echte Teilhabe kann dabei nur über die Aufgabe und Neuverteilung von Macht funktionieren. Dazu müssen sich Institutionen in einer anderen Form als bisher öffnen, denn es reicht nicht aus, vereinzelt in städtischen Kontexten zu intervenieren. Auch hier ist die Aufstellung der PlanBude als exemplarisch zu bezeichnen, denn in das Projekt unmittelbar involviert ist die GWA (Gemeinwesenarbeit) St. Pauli. Im Team der PlanBude arbeitet Christina Röthig, die auch in der GWA beschäftigt ist, und deren Statement auf der Homepage die hier aufgestellte These stützt: „Im Hinblick auf städtische Segregationsprozesse muss Sozialverträglichkeit und Gemeinwohlorientierung als Maßgabe in allen Planungsprozessen verankert sein.“ Der Einbezug der Gemeinwesenarbeit in den Planungsprozess durch ein Stadtteilkulturzentrum wie

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150 Vgl. dazu

auch das von mir geführte Interview mit Isabel Finkenberger, der künstlerischen Leiterin des Projektes Stadt von der anderen Seite sehen des Schauspiels Köln am 09.02.17

Abbildung 40: Ausstel-

lungsplakat. Abbildung: Van Abbemuseum.

die GWA St. Pauli gewährleistet eine Teilhabe der Nachbarschaft auf einem ganz anderen Niveau, als es in einem gewöhnlichen Beteiligungsverfahren der Fall wäre, da die GWA über langjährig gewachsene Netzwerke in der Nachbarschaft verfügt und somit zur wichtigen Komplizin wurde. Dass das Verschränken von sozialer Arbeit mit künstlerischen Tools ein erfolgreiches Konzept bietet, zeigt die PlanBude in beeindruckender Weise. Die Kooperationsarbeit der GWA als einer soziokulturellen Institution könnte auch für andere kulturelle Institutionen wie Theater und Museen beispielhaft sein. Einen Versuch, die Institution Museum neu zu erfinden, startete die hier bereits mehrfach zitierte kubanische Künstlerin Tania Bruguera zum Jahreswechsel 2013/2014 gemeinsam mit dem Van Abbe Museum in Eindhoven unter dem Motto: „Radically Yours“.

THE MUSEUM AS A SOCIAL POWER PLANT Brugueras Konzept der Arte Útil übertrug sie dabei auf das Museum als Ganzes und eröffnete das Museum of Arte Útil.

Abbildung 40

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Abbildung 41:

Vorbau für das Museums of Arte Útil mit dem erhellten „Use“ in Museum. Foto: Peter Cox für das Van Abbemuseum

Abbildung 42:

Innenausbau mit Settings zur Diskussion, für Workshops und zum Kopieren der Projektbeschreibungen. Fotos: Peter Cox für das Van Abbemuseum.

Abbildung 41

Abbildung 42

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151 http://museumarteutil.net/ (Letzter Zugriff 04.05.17).

152 http://museumarteutil.net/ about/ (Letzter Zugriff 27.04.17).

Auch dieses Konzept geht davon aus, dass nur über das Aneignen eines Problems als Auftrag an die Eigenverantwortung genug Motivation generiert wird, diese Ideen tragfähig zu machen. „Auf hölzernen Wänden, in provisorisch anmutenden Werkstatt-Räumen der Architekten- und Designer-Kooperative constructLab wurden in Eindhoven mehr als 200 Fallstudien, Feldversuche und Projekte dokumentiert, durch Workshops und Veranstaltungen partizipatorisch aktiviert“ (Voigt 2015a: 56). Die Inspirations-Sammlung war nach den vier folgenden Kategorien in unterschiedlichen Settings sortiert, die auch die in dieser Forschungsarbeit reflektierten Diskurse abbilden: 1. Gentrification and Misuse, 2. Activism and Sincerity, 3. Social Design and Instrumentalisation, 4. 2.0 Culture and Disobedience.151 Als Basis für diese systematische Auffächerung diente ein Kriterienkatalog, den Bruguera gemeinsam mit dem Eindhovener Museumsteam um Leiter Charles Esche erarbeitet hatte. Die folgenden Regeln lassen sich auch an den im letzten Kapitel vorgestellten Projekten durchdeklinieren und treffen ohne Ausnahme auf alle vorgestellten Beispiele der Kunst an Schnittstellen zu. Die Kunst gemeinsamer Stadtgestaltung ließe sich demnach auch als Arte Útil beschreiben: “The criteria of Arte Útil state that initiatives should: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Propose new uses for art within society Challenge the field within which it operates (civic, legislative, pedagogical, scientific, economic, etc.) Be ‚timing specific’, responding to current urgencies Be implemented and function in real situations Replace authors with initiators and spectators with users Have practical, beneficial outcomes for its users Pursue sustainability whilst adapting to changing conditions Re-establish aesthetics as a system of transformation” 152

Diese Kriterien verdeutlichen, dass es sich bei Arte Útil nicht einfach um nützliche Kunst handelt. Eine solche Beschreibung würde sofort wieder in die Grabenkämpfe der Utilitarismus-Debatte führen, in der sich Kunst, die einfach „nur“ ästhetische Ziele verfolgt, in einer vermeintlichen Diskreditierungssituation sieht. Arte Útil beschreibt vielmehr eine künstlerische Praxis, die benutzbar ist. Entsprechend war auch der Appell an die Besucher*innen gerichtet: „Use the Museum!“ Während Anfang der 1980er Jahre die Ausstellung Useful Art im Queens Museum New York, welches als Partner der Ausstellung fungierte, sich noch (objektzentriert) auf diese ‚nützliche Kunst‘ fokussierte und die Transformation von Objekten durch Kunstgebrauch zur Ausstellung brachte, zeigte die Ausstellung in Eindhoven ausschließlich Interventionen in andere Handlungsfelder. „Hieraus wurden wiederum Strategien substrahiert: Partizipation („Use it Yourself“), das Umfunktionieren von Institutionen (in Eindhoven definierte man sich als „Museum as Social Powerplant“), Illegalität, Besetzungen, „Open Access“-Initiativen, die Arbeit an legislativen

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Veränderungen und die Reform des Kapitals“ (Voigt 2015a: 56). Die hier vorgestellte engagierte Kunst verlässt den selbstreferentiellen Kunstrahmen und entwickelt neue Strategien im Umgang mit den immer komplexer werdenden Anforderungen der Gegenwart. Häufig geschieht dies unter der Maßgabe des Pragmatismus. Für kulturelle Institutionen bedeutet dieser Wandel auch eine Chance zur Reorganisation: „Wenn das Museum sie annimmt, kann es zeitgemäß der Malaise der Institutionen entgehen, indem es offene, adäquate Vermittlungsformen für diese Aktivitäten findet, die spiegeln, was Individuen und die Welt bewegt, Plattformen für die ‚Erfordernisse zu einem wissenschaftlichen Kunstwerke‘, für dessen Produktion Nietzsche 1872/73 propagierte, ‚man müßte keine der menschlichen Kräfte bei wissenschaftlicher Thätigkeit ausschließen. Die Abgründe der Ahnung, ein sicheres Anschauen der Gegenwart, mathematische Tiefe, physische Genauigkeit, Höhe der Vernunft, Schärfe des Verstandes, bewegliche sehnsuchtsvolle Phantasie, liebevolle Freude am Sinnlichen, nichts kann entbehrt werden zum lebhaften fruchtbaren Ergreifen des Augenblicks, wodurch ganz allein ein Kunstwerk, von welchem Gehalt es auch sey, entstehen kann. – Sie können jeden Augenblick hervortreten‘ […]“ (Nietzsche, zitiert nach Voigt 2015a: 56). In einem Beharren auf der Repräsentation der bürgerlichen Gesellschaft (die es so letztlich gar nicht mehr gibt) vergeben Institutionen wie Museum und Theater die Chance, sowohl Plattform als auch Player zu sein. Was angesichts der aktuellen politischen und ökologischen Entwicklungen unabdingbar geworden ist, ist die Fähigkeit, reaktiv und flexibel auf die Gegenwart reagieren zu können. In Hamburg hat man mit dem Konzept der Stadtkuratorin versucht, ein solch flexibles Modell einer kulturellen Institution zu entwickeln. Als Aktualisierung des Programms Kunst im öffentlichen Raum, das es in Hamburg seit 1981 gibt, ist die Stadtkuratorin nicht mal mehr an ein festes Haus gebunden. Sophie Goltz, die künstlerische Leiterin von 2014-2016, entwickelte dafür mit ihrem Team ein dreigliedriges Programm: „Mit ‚Aktivieren’ wird die Geschichte bereits bestehender Kunstwerke im Hamburger Stadtraum erforscht sowie unter den Bedingungen einer transkulturellen Kunstgeschichte neu bewertet. Mit ‚Kuratieren’ werden materielle und performative Strategien zeitgenössischer Kunst befragt: Welche Kunst ist in Zeiten von Erosionen in öffentlichen demokratischen Räumen durch den Einfluss privater Interessen und zunehmend rebellischer Städte notwendig und angemessen? Mit ‚Vermitteln’ werden Kooperationsprojekte initiiert zum theoretischen und praktischen Lernen von Raumdenken.“ 153 Das zweijährige Programm verband dabei theoretischen Diskurs mit performativen Arbeiten und versuchte vor allem auch mit den lokalen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Dabei sei, so Sophie Goltz, die linksaktivistische Szene in Hamburg extrem hermetisch. Immerhin habe es über diskursive Veranstaltungen die Möglichkeit gegeben, sich überhaupt einmal zuzuhören.154

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153 http://

stadtkuratorinhamburg.de/ about/ (Letzter Zugriff 22.02.17).

154 Vgl. von mir geführtes Interview mit Sophie Goltz am 12.12.16.

155 Dies ein

Ergebnis unterschiedlicher informeller Gespräche mit Aktivist*innen der Szene und Kurator*innen der IBA, sowie teilnehmender Beobachtung.

156 Das Projekt Silent University wurde bereits 2012 von dem Künstler Ahmet Ögüt initiiert. „Die Silent University ist eine autonome Plattform, deren LehrerInnen geflüchtete AkademikerInnen sind, denen verwehrt ist, ihr Wissen und Können weiterhin zu teilen [...]. Die Silent University ist eine solidarische Schule von und für Asylsuchende und MigrantInnen, die als Vortragende, BeraterInnen oder research fellows zum Programm beitragen, indem sie Kurse entwickeln, spezifische Kernthemen erforschen und ihre persönlichen Erfahrungen als Geflüchtete bzw. Asylsuchende teilen. Gemeinsam planen sie Vorträge, Diskussionen, Archive und Publikationen“ (Malzacher/ Ögüt/Tan 2016: 7). 2014 entstand durch die Unterstützung der Stadtkuratorin und W3-Werkstatt für internationale Kultur und Politik

Dass man in Hamburg sehr schnell von den aktiven Szenen beurteilt wird und es nicht zu unterschätzende Ausschlussmechanismen gibt, zeigte sich auch im Rahmen des künstlerischen Programms der IBA in Hamburg. Hier wurden kooperierende Künstler*innen von der ‚artivitischen Szene’ teilweise regelrecht sozial geächtet: Beziehungen wurden abgebrochen, die Künstler*innen, die kooperiert hatten, wurden nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen oder ihre eigenen Veranstaltungen wurden von der Szene nicht mehr besucht. Betroffene Künstler*innen galten inoffiziell als ‚persona non grata’.155 Die Schnittstelle von Kunst und Aktivismus birgt damit auch Abgründe: Kunst wird oft moralisch beurteilt nach einem polemischen ‚Richtig und Falsch’, was einem Freund/Feind-Schema entspricht, dem sich Kunst gemeinhin zu entziehen sucht. Auch um diese Untiefen zumindest in einem ersten Schritt zu überbrücken, wären staatlich finanzierte flexible kulturelle Institutionen wie die Stadtkuratorin ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn sie schaffen so auch eine Plattform für wichtige Dialoge. Auch hier scheint der agonistische Raum von Chantal Mouffe die richtige Grundlage für das Neudenken von Institutionen zu sein: „Challenging the view that institutions cannot be transformed and that resistances can only develop and be successful by deserting them, the hegemonic strategy of ‚war of position’ stresses the need to combine political strategies in art and art strategies in politics“ (Mouffe 2014b: 75). Demnach bestehe eine zentrale Aufgabe demokratischer Politik darin, „für Institutionen zu sorgen, die die Möglichkeit eröffnen, dass Konflikte eine ‚agonistische’ Form annehmen, bei der die Opponenten nicht Gegner sind, sondern Kontrahenten, zwischen denen ein konflikthafter Konsens besteht“ (Mouffe 2014a: 12). Dieser konflikthafte Konsens scheint mit Blick auf die eingangs beschriebenen Machtmeachanismen gouvernemnetalitärer Subjektivierung, der man sich nicht entziehen, sondern lediglich bewusst werden kann, gerade im Hinblick auf eine urbane Praxis als Ausdruck von Diversität, die wesentliche Triebfeder für das Entwickeln von Alternativen zu sein. Kulturelle Institutionen böten sich als Raum dafür privilegiert an. Die Strukturen vieler dieser Institutionen scheinen heute nicht mehr zeitgemäß und müssten, um tatsächlich zu einer ‚social powerplant’ zu werden, vor allem hinsichtlich der Verteilung von Macht radikal umgedacht werden. Auch in Bezug auf eine solche Umverteilung im Sinne einer Kunst der Verantwortung ist die Arbeit der Stadtkuratorin beispielhaft, wie sich an dem Projekt der Silent University156 zeigen lässt. Sophie Goltz ging es hierbei vor allem auch um die Umverteilung des eigenen kulturellen Kapitals. Es ging explizit nicht darum, Verantwortung für die Geflüchteten zu übernehmen (das wäre Sozialarbeit), sondern darum, das eigene kulturelle Kapital zu nutzen und zur Verfügung zu stellen. Ähnlich geht auch Matthias Lilienthal an den Münchener Kammerspielen mit den ihm zur Verfügung stehenden staatlichen Mitteln um, indem er in den Theaterräumen ein RefugeeWelcome-Café etabliert. Lilienthal stört sich schon an der Frage, was das mit Theater zu tun haben soll: „Mir ist völlig wurscht, ob das nur ein Sozialprojekt ist. Mir ist immer ein gutes Sozialprojekt lieber als ein schlechtes Theaterprojekt. Auch dieses

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Café mit 500 Menschen, von dem man sagen kann: Was hat das mit Theater zu tun. In dem Moment, wo das in dem Bühnenraum stattfindet, wird das zu einer intellektuellen Metapher und hat seine Auswirkung. Theater ist für mich ein Labor, um urbane Lebensformen auszuprobieren, und die Kammerspiele – so wie auch viele andere in der Stadt München – versuchen genau dort, eine zukünftige Gesellschaft des Zusammenlebens von Geflüchteten und Münchnern vorwegzunehmen.“ 157 In ähnlicher Weise, ihre Funktion als Intendantin einer Kunst-Spielstätte für eine politische Handlung nutzend, ging auch die Intendantin Amelie Deufelhard vor, als sie im Rahmen des Kunstprojekts Ecofavela Lampedusa Nord Flüchtlingen auf dem Gelände von Hamburgs Kulturfabrik Kampnagel Unterkunft gewährte. Sie wurde dafür von der AfD angezeigt. In der hierauf folgenden Debatte zeigte sich sehr anschaulich, dass die Freiheit der Kunst ein immer wieder zu verteidigendes Gut ist und auch, dass Institutionen, die sich radikal öffnen, automatisch eine neue Kunst der Verantwortung praktizieren.

177

ein Ableger in Hamburg.

157 http://www.

deutschlandradiokultur.de/ refugee-welcome-theatre-anden-muenchnerkammerspielen.2159 (Letzter Zugriff 22.02.17).

KUNST MACHT GESELLSCHAFT MACHT KUNST – EIN FAZIT

D

„To put art at the service of the urban does not mean to prettify urban space with works of art. This parody of the possible is a caricature. [...] Leaving aside representation, ornamentation and decoration, art becomes praxis and poiesis on a social scale: the art of living in the city as work of art. [...] In other words, the future of art is not artistic, but urban, because the future of ‚man’ is not discovered in the cosmos, or in the people, or in production, but in urban society“ (Lefèbvre 1996: 173).

ie Forderungen nach einer neuen Planungskultur haben in den letzten Jahren zu regen Diskursen in unterschiedlichen Fachbereichen geführt. Immer häufiger ist hierbei von einem Paradigmenwechsel die Rede, in dem sich der Fokus von einem Planungsraum, der von Planer*innen und Architekt*innen vorgegeben wird, zu einem Lebensraum verschiebt, der von Anwohner*innen auf Augenhöhe mit definiert wird (vgl. Bittner 2015: 218).

Ein solcher situativer Urbanismus (vgl. Arch+ 183) ist aber auch durch den Rückzug sozialstaatlicher Verantwortung katalysiert worden und ist deshalb zwiespältig: Auf der einen Seite verändert der Perspektivwechsel auf die sozialräumliche Relevanz im Sinne Lefèbvres die Bedeutung alltäglicher Praktiken für die Herstellung von Stadt und birgt damit großes Potential für alternative Strukturen und eigenverantwortliche Lösungen. So wird Raum geschaffen für diverse Akteure, die selbstorganisiert agieren. Auf der anderen Seite entsteht hierdurch aber auch die Gefahr, dass diese alternativen Strukturen, wie am Beispiel der homogenen ‚Bottom-Up Baugruppen’ gezeigt wurde, die über entsprechend hohes soziales und kulturelles Kapital verfügen, Effekte wie Ausgrenzung und Marginalisierung durch Segregation eher vorantreiben. So sind Bottum-Up-Initiativen nur dann ein Ausdruck von ‚good governance‘, wenn sie nicht zu sozialem Ausschluss und einer neuen Form der Gated Communities führen, sondern von vornherein die lokale Bevölkerung in ihrer Diversität anerkennen und stärken. Mit Blick auf diese Konsequenzen bekommt der zu Beginn dieser Arbeit adressierte social turn eine völlig andere Konnotation: „If part of the political project of neoliberalisation lies in the shifting of responsibilities onto individuals, this undermines an understanding of the ‘social’ as the idea of the social contract. This is to argue

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that the attention to the ‘social’ on the part of the architecture and designing disciplines is not a result or symptom of a crisis of these disciplines, or perhaps not only. Rather, what the inflationary use of the notion points to is a crisis of current urbanism and of urbanised society, which can be described as anti-social. We are experiencing not merely the absence of a socially oriented urbanism, but current urbanism’s explicitly exclusive framing: it is precisely not for everybody and can therefore be described as anti-social” (Grubauer et. al.: forthcoming in CITY). Das Hinterfragen der sich verändernden Verantwortlichkeiten wird somit zu einer wichtigen, wenn nicht der wichtigsten Aufgabe für zukünftige Stadtgestaltung. Der Kunst kommt hierbei eine elementare Rolle zu, denn über künstlerische Praktiken können Freiräume für einen experimentellen und explorativen Meta-Diskurs geschaffen werden. Eine solche künstlerisch initiierte Praxis zielt nicht auf eine Strategie des ruhigstellenden Appeasements, sondern „als Widerstandskräfte und Wachsamkeit stärkendes Verstörungs-, Empörungs- und Erkenntnismittel in einer fortschreitenden Entwicklung auf ein noch nicht erreichtes Maß an Selbstbestimmung hin, die bedroht wird durch offensichtliche und latent wirkende Kontroll- und Entmündigungsinstanzen verschiedenster Provenienz“ (Voigt 2015a: 56). Das Beispiel der amerikanischen Anwaltsplanung und der community design center hat gezeigt, dass Bottom-Up Projekte aber auch anders funktionieren können und es Formen urbaner Praxis gibt, die sich gerade durch ihre sozial-performativen Qualitäten positiv auszeichnen. Auch in diesem Sinne kann die im letzten Kapitel besprochene PlanBude als exemplarisch gesehen werden. Die Untersuchung hat aber auch verdeutlicht, dass es im Hamburger Stadtteil St. Pauli eine sehr spezielle Partizipationskultur der Nachbarschaft gibt, die durch den Park Fiction täglich an die positiven Effekte gemeinsamen Handelns erinnert wird und hierüber eine ganz andere Offenheit für kollaborativ zu gestaltende Prozesse besitzt. Hinzu kommt, dass sich in diesem Projekt ein sehr starkes Bewusstsein für die sich ändernden Verantwortungen und vor allem auch die eigene Rolle dabei zeigt. Dieses Bewusstsein ist ein wichtiger Faktor, der für Erfolg oder Misserfolg gemeinsamer Stadtgestaltung maßgeblich ist. Ein solches Bewusstsein über die eigene Rolle wird am effektivsten durch eigene Handlungen und eine entsprechende Reflexion derselben hergestellt. Und so bringt mich das Ende dieser Forschungsarbeit wieder zurück an ihren Anfang und zu der Frage nach einem Titel, der die hier vorgenommenen Analysen von Kunst als einer urbanen Praxis der Stadtgestaltung von Vielen treffend zusammenfasst. Handlung statt Verhandlung, so habe ich diese Untersuchung genannt, da die vorgestellten Projekte eine Abkehr von des in der Kunst üblichen ‚Verhandelns’ von Themen vollziehen und diese in ‚Handlung’ – im Sinne eines kollektiven und auf Veränderung gerichteten ‚Tätig Werdens’ – übersetzen.158 Ein solches Verständnis

179

158 Siehe dazu

auch die einführende Definition des Begriffs Handlung.

von Handlung geht als ein zielgerichtetes gesellschaftliches Intervenieren über die reine Sichtbarmachung von Konflikten – auf die künstlerische Verhandlung häufig festgelegt wird – entschieden hinaus. Die hierfür untersuchte ‚Kunst des Handelns’ (vgl.: De Certeau 1988) hinterfragt damit automatisch auch die den verschiedenen Professionen zugeschriebenen Handlungsfelder, da die vorgestellten Praktiken den der Kunst zugewiesenen Handlungsrahmen durch seine Überschreitung in Frage stellen. Die Folge ist die beschriebene Arbeit an Schnittstellen zu anderen Tätigkeitsfeldern, die als eine Möglichkeit der Systematisierung dieser urbanen Kunst für diese Untersuchung in drei Überschneidungsfelder gegliedert wurde. Unabhängig von den jeweiligen fachlichen Spezifika dieser Tätigkeitsfelder haben die Untersuchungen gezeigt, dass Schnittstellenarbeit, die eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Informellen, Temporären und Unfertigen besitzt, gekennzeichnet ist durch: Selbstorganisation (1), Alltagsexpertise (2) und das Eingehen ungewöhnlicher Allianzen (3). Die Ergebnisse dieser Arbeitsweise sind daher auch nicht zwingend bauliche Manifestationen, sondern finden sich auch in performativen Dynamiken, die beispielsweise durch das Evozieren neuer Perspektiven auf Veränderungen zielen. Handlung, verstanden als eine gemeinsame Praxis urbaner Gestaltung, die auf eine solche Veränderung gerichtet ist – die teils durch Flüchtigkeit gekennzeichnet und als ein ergebnisoffener Prozess strukturiert sein kann – verbindet wie ein roter Faden die diversen vorgestellten Projekte über die jeweiligen Schnittstellen hinaus. Handlung ist damit das zentrale Merkmal der hier untersuchten Stadtgestaltung. Trotzdem bleibt der Titel dieser Arbeit, der die Handlung gegenüber der Verhandlung zu priorisieren scheint, auch ambivalent: Denn entgegen einem künstlerischen Verhandeln (im Sinne einer kreativen Bearbeitung eines Themas) ist Verhandeln in anderen Kontexten als ‚Aushandlung eines Konfliktes’ definiert und wird in gängigen Lexika auch als Synonym für ein stets lösungsorientiertes ‚Sich besprechen’ oder Erörtern geführt. In diesem Verständnis ist die Verhandlung natürlich genuiner Bestandteil von Handlung und so auch der meisten der hier besprochenen Projekte, denn gerade ein solches Verhandeln ist bei kollaborativen Arbeiten wesentlich, da so in vielen Fällen überhaupt erst Räume für Dialoge geschaffen werden, in denen divergente Interessen sich treffen können. Mit dieser Perspektive auf Verhandlung scheint das ‚statt’ im Titel zunächst wenig zutreffend, ist doch gerade dieses gemeinsame Verhandeln mit lokalen Akteuren Kennzeichen der vorgestellten künstlerischen Praxis.

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HANDLUNGSFREIHEIT Diese Ambivalenz des Titels, der die Handlung der Verhandlung vermeintlich vorzieht, ist beabsichtigt. Denn durch diese Behauptung – es ginge um Handlung und nicht um Verhandlung – wird ein Diskursraum geöffnet, der die zentralen Fragen dieser Forschung gerade in seiner nicht aufzulösenden Überschneidung der beiden Begriffe automatisch thematisiert: Er beschreibt die Veränderungen künstlerischer Praxis der letzten Jahre – in denen sich ein Schwerpunkt engagierter Kunst in die Stadtgestaltung verlagert hat – und verweist gleichzeitig auch auf eine hiermit zusammenhängende Frustration: Das zähe Verhandeln mit Entscheidungsträgern, die ermüdende Verhandlung mit städtischen Ämtern und das Aushandeln bürokratischer Hürden – diesen zermürbenden Prozessen setzen alternative Praktiken ein aufforderndes: Handlung! entgegen. Genau an dieser Stelle wird entscheidend, dass es sich um künstlerische Praktiken handelt. Denn wie im dritten und vierten Kapitel erörtert wurde, bietet die Kennzeichnung dieser Arbeiten als Kunst eine Freiheit, die, auch wenn sie letztlich imaginiert ist, einen wesentlichen Bewegungsraum eröffnet. Künstlerische Freiheit ist, wie dargelegt wurde, zwar letztlich eine Utopie, aber in ihrer Behauptung zentral für jede ‚reale Fiktion’ neuer Gesellschaft: „Denn die beschriebenen Qualitäten künstlerischer Arbeit entspringen gerade aus einer neuen Autonomie der Kunst, die den Begriff nicht mehr auf eine dekontextualisierte Selbstdarstellung von Künstler*innen bezieht, sondern auf ein freies Handeln in besetzten Räumen. Eine künstlerische Praxis, die ihre konsequente Kontextualität nicht nur anerkennt, sondern sich dauerhaft im Dialog mit ihrem Umfeld sieht, bewahrt sich eben im Begriff der Autonomie die notwendige Handlungsfreiheit: die Freiheit zur unvorhersehbaren Entscheidung, die Freiheit der Wahl der Mittel, der Denkprozesse und Handlungsstrukturen. Sie behält sich die Möglichkeit der Wahl der adäquaten Partner*innen, der Themen und Räume vor, anstatt sich dem Gesetz der Notwendigkeit unterzuordnen“ (Ambach 2015: 149). Diese entscheidende Freiheit der Wahl hat sich z. B. bei den Arbeiten von WochenKlausur gezeigt, deren unorthodoxe Vorgangsweise ermöglicht – nur unter dem Schutz der Kunst – die Freiheit, neue Möglichkeiten zu denken und auszuprobieren, die den kooperierenden Projektpartner*innen durch diverse Vorschriften häufig verunmöglicht sind. Der Begriff der Handlungsfreiheit bekommt vor dem Hintergrund der hier angelegten Definition von Handlung als ein kollektives, zielgerichtetes Tätigwerden damit zentrale Bedeutung: Die Freiheit der Handlung adressiert zum einen die Freiheit der Wahl der Mittel, Handlungsfreiheit meint aber viel elementarer noch, im Sinne einer ‚Freiheit zur Handlung’, sich selbst die Freiheit zu handeln in erster Instanz zu nehmen. Anders gesagt: Um handeln zu können, muss man zunächst ein Handlungsfeld definieren. Und dieses Handlungsfeld lässt sich durch eine aktiv eingeforderte (und eben nicht nur dankend akzeptierte) Handlungsfreiheit über die

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Handlung selbst genuin herstellen. Damit kommt der Kunst mit der ihr zugestandenen Kunstfreiheit als einer im deutschen Grundgesetz verankerten und damit geschützten Grundordnung (vgl. Artikel 5 Absatz 3, Grundgesetz) eine entscheidende gesellschaftliche Rolle zu. Der allererste Arbeitstitel dieser Forschung „Kunst macht Gesellschaft“, mit dem dieses schließende Kapitel auch überschrieben ist, verweist – ebenso wie die einleitend zitierte Prognostik Lefèbvres, dass die Zukunft der Kunst nicht künstlerisch, sondern urban sei (Lefèbvre 1996: 173) – auf diesen wichtigen Zusammenhang einer Kunst, die ganz gezielt nicht in einer illusionären Sphäre außerhalb gesellschaftlicher Relevanz agieren will, sondern sich in politisches Geschehen ganz konkret einmischt: Die hier besprochene Kunst macht Gesellschaft und diese Gesellschaft macht wiederum Kunst. Dabei müsste das Wort ‚macht’ eigentlich groß geschrieben werden, denn engagierte Kunst ist politische Kunst, sie stellt die Frage nach Macht. Nach Definitionsmacht, nach Gestaltungsmacht, nach allen möglichen Kraftfeldern, in denen Machtgefälle wirksam werden und das eigene Handeln steuern, wie unter Bezug auf Michel Foucault skizziert wurde.

HANDLUNGSMACHT Macht und Raum sind, das haben die diskutierten Beispiele bestätigt, die zentralen Parameter von Kunst als Stadtgestaltung. Dabei besitzt die Kunst die Fähigkeit, die hegemonialen Strukturen nicht nur sichtbar zu machen, sondern sie auch zu unterlaufen. Vermeintlicher Alternativlosigkeit werden so konkrete Handlungsmöglichkeiten entgegengestellt, und das bringt uns wieder zurück zu Handlung statt Verhandlung, denn Handlung verweist auch auf eine andere Form der Erfahrung, die nur durch die eigene – also verkörperte Handlung – vollzogen werden kann. „Räume werden dabei ästhetisch erfahrbar gemacht und unter lebenspraktischen Gesichtspunkten derart reflektiert, dass in ihnen eine neue Dimension, eine Ethik des (ästhetischen) Raums, erscheint“ (Voigt 2015a: S. 56). Die Künstler*innen werden zu Gestalter*innen eines Angebots, eines Settings, oder zu einem „Erfahrungsgestalter“ (Bätschmann 1997: 244). Die Figur der Erfahrungsgestalter*in, die Oskar Bätschmann als eine Möglichkeit der Kategorisierung erfand, um die Arbeit von Künstler*innen zu beschreiben, die das Publikum (und ihre persönliche Erfahrung mit der Kunst) als genuinen Bestandteil für die Genese des Werkes begreifen, möchte ich hier mit einer anderen, erweiterten Bedeutungszuschreibung verwenden: Die in dieser Forschung diskutierte künstlerische Praxis lässt sich durch die im Zentrum stehende gemeinsame Handlung vor allem auch als ein Angebot auf Teilhabe an städtischer Gestaltung verstehen. Die Annahme dieser Offerte führt zu einer (gemeinsamen) Schaffung von Erfahrungs- und Möglichkeitsräumen. Dieses Angebot eines künstlerischen Perspektivwechsels weist meines Erachtens noch einmal in eine andere Richtung als die skizzierte Partizipationskritik, die inzwischen

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als kanonisiert gelten kann: Kunst, die es gestattet, einen Entwurf einer vielleicht (noch) unmöglichen Gesellschaft zu imaginieren, ermöglicht, über das Angebot der Teilhabe hinaus, das eigene Ich in Beziehung zu dieser Idee zu setzen. Interessant wird diese Lesart im Hinblick auf das Ziel dieser Erfahrung. Bleibt ein solches Erlebnis am Ort des Geschehens als ein weiteres Event in der Gesellschaft des Spektakels (vgl. Debord 1967) – oder kann es gelingen, einen Blickwechsel zu vollziehen, der über einen solchen kurzen Moment des reinen Erlebnisses hinausgeht? Die hier aufgezeigten künstlerischen Strategien, die Inszenierungen, Narrative, Dramaturgien und Verfremdungen zielen auf eine solche Verstetigung der Erfahrung. Sie fungieren als Türöffner, indem sie unmöglich scheinende Wege erst einmal auf Tragfähigkeit testen und so perspektivisch für alle begehbar machen. Dabei bleibt immer nach der Intention dieses Austestens zu fragen: Während damit für Christoph Schlingensief vor allem die Produktion von Bildern verbunden war, die in einem Vexierbild die gesellschaftlichen Abgründe zeigten, generierte die geheimagentur bewusst temporäre Alternativen, um sie gemeinsam zu testen und damit grundsätzlich auf die Veränderbarkeit des vermeintlich Unveränderlichen hinzuweisen. Gruppen wie Assemble, die PlanBude und Grandhotel Cosmopolis hingegen haben mit ihrer Arbeit, wie auch Jeanne van Heeswijk, ganz konkrete, manifeste Orte in der Stadt geschaffen, die zeigen, dass eine andere Stadtgestaltung als ein Ergebnis des Wissens der Vielen auch nachhaltig möglich ist. Diese letzteren Arbeiten (zu denen auch Wochenklausur zu zählen wäre) gehen weiter, als Utopien in einem Realversuch zu testen, sie stiften zu einer gemeinsamen Handlung mit konkreten gesellschaftlichen Konsequenzen an, indem sie diese Ideen in Alltagspraxis überführen. Auch die hier vorgestellte Arte Útil zielt auf einen solchen längerfristigen Effekt des Perspektivwechsels über den kurzen Moment des Erlebens hinaus und thematisiert damit vor allem die Intention der Projekte. Das Ästhetische wird hier ganz neu, nämlich nicht als ein angewandtes Schema der Validierung von Arbeiten als Kunst, sondern als ein System zur Transformation definiert (vgl. Regel 8), das vor allem (lebens)praktische Vorteile bietet (vgl. Regel 6). Aus Autor*innen werden so ‚Initiator*innen’ und aus Zuschauer*innen werden ‚Nutzer*innen’ (vgl. Regel 5). Steht die Inszenierung von Bildern und Kampagnen im Sinne einer politischen Aussage im Vordergrund (wie bei Christoph Schlingensiefs Bitte liebt Österreich! und den Arbeiten der aktivistischen Kollektive Zentrum für politische Schönheit und Peng!Collective), lässt sich nur bedingt von einer so definierten ‚nutzbaren’ Kunst sprechen. Die Arbeiten der geheimagentur in Oberhausen, das Augsburger Grandhotel Cosmopolis, die Projekte von Jeanne Van Heeswijk und der WochenKlausur wie auch die Projekte New Hamburg, Grandby Four Streets und Teile der Arbeit des Kollektivs der PlanBude jedoch lassen sich zweifelsohne als Arte Útil lesen. Dabei wird die Ermächtigung zur Handlung von Initiator*innen wie von Nutzer*innen zwar zu einer persönlichen Erfahrung, sie wird aber durch das jewei-

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lige Setting auch wieder geteilt und für Viele ermöglicht: Handlungsmacht wird hier in neuen Kontexten ausgelotet, eingefordert und umgesetzt. Dass ein solches Handeln natürlich ganz andere Konsequenzen hinsichtlich der zu klärenden Verantwortungen und damit auch der Grenzen der Möglichkeiten von künstlerischer Praxis mit sich bringt, wurde unter dem Stichwort von Urban Governance diskutiert. Diese Folgen sind, wenn es um Stadtgestaltung als einen gemeinsamen Prozess geht, die wesentlich zu beobachtenden Veränderungen. Die Frage und Hinterfragung von Handlungsmacht bleibt damit stets die wichtigste zu diskutierende Frage in allen stadtgestaltenden Prozessen. Das Wort „Beteiligung“ im Kontext gemeinsamer Stadtgestaltung ist darum auch grundverkehrt, denn es geht ganz entschieden nicht um ein bloßes ‚Teil’-nehmen in zuvor streng abgezirkeltem Rahmen, sondern um ein Teilen dieser Handlungsmacht bereits bei der Entscheidung darüber, wer wo wie und warum teilhaben kann. Dies hat vor allem die Arbeit der PlanBude deutlich gezeigt, die sich auch auf ihrer Homepage explizit mit dem „Paradox der Partizipation“ befasst: „Partizipation ist super! Partizipatorische Prozesse finden meist in zuvor eng abgesteckten Rahmen satt. Oder sie sind vollkommen frei – und vollkommen folgenlos. Dabei negieren sie die Power der Interessierten. Hier bekundet jemand nicht nur einen vermeintlichen Widerspruch, sondern ein ernsthaftes Interesse an einem bestimmten Ort. Hier gilt es die Grenzen zu verschieben, auszuweiten, aufzubrechen und damit auszuloten, wie neue Sichtweisen neue Möglichkeiten und damit Alternativen produzieren.“ (PlanBude 2015c: 39) So werden Handlungsfelder ermöglicht, in denen Handlungsmacht produktiv geteilt werden kann. Denn in dieser neuen Form gemeinsamer Stadtgestaltung stehen auch Zuständigkeiten zur Diskussion, in denen Teilhabe anders als in bisher üblichen Top-Down-Prozessen organisiert werden muss. Umso wichtiger ist es, genau zu klären, wer welche Funktion übernimmt und wo überhaupt gemeinsam gehandelt werden kann. Dass Beteiligungsverfahren inzwischen in vielen (städtebaulichen) Prozessen gesetzlich verpflichtend sind, sagt noch gar nichts über die Qualität dieser Verfahren aus, denn häufig geht es hier letztlich nur um eine anders aufbereitete Informationsveranstaltung. So ist auch in der Kunst der Vorwurf, partizipatorische Vorhaben zielten auf die regulierende Funktion einer Gemeinschaftsutopie – mit all den dazugehörigen negativen Konnotationen – in Bezug auf viele Projekte zutreffend: immer dort, wo gezielt oder durch fehlende Reflexion eine Strategie des Appeasements, der Beruhigung und der instrumentalisierenden Konsensproduktion verfolgt wird. Ich zitiere hierzu zusammenfassend Jesko Fezer und Mathias Heyden: „Partizipation stellt die Frage der Macht. Sie problematisiert, inwieweit und zu welchem Zweck Beteiligung erwünscht, eingefordert, erkämpft, zugelassen, gefördert oder praktiziert wird. Damit ist Partizipation eben nicht private Selbstregulierung, keine gefühlte Teilhabe oder Konsensproduktion, sondern eine Bedingung des Sozialen und des Politischen.“ (Fezer/Heyden 2007: 95) Solche Bedingungen müssen geschaffen

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und langfristig implementiert werden. Die Freiheit zum Teilen von Handlungsmacht kann über künstlerische Strategien eingefordert und sichtbar gemacht werden. Die Verantwortung, sie zu verstetigen und Teilhabe als eine Grundbedingung sozialer Stadtgestaltung gesellschaftlich auch wirksam und damit dauerhaft zu machen, muss eine politische Aufgabe bleiben.

HANDLUNGSFELD Die Begriffe Handlungsfreiheit und Handlungsmacht schlagen den Bogen zurück zu den am Beginn dieser Arbeit gestellten zentralen Forschungsfragen nach den sich verändernden Rollenmustern, Zuschreibungen und Selbstverständnissen von Künstler*innen und damit nach den Konsequenzen neuer Handlungsweisen für das Entstehen von neuen Arbeitsfeldern. Denn die eingeforderte Handlungsfreiheit von diversen Akteuren ganz unterschiedlicher Hintergründe (Künstler*innen, Anwohner*innen, Aktivist*innen, Kultur- und sozial Arbeiter*innen, etc.) tangiert auch die klassischen Arbeitsfelder von Stadtplaner*innen und hat sich zu einem neuen kollektiven Handlungsfeld für diverse Professionen und Akteure verstetigt. Das Entstehen diverser Studiengänge weltweit (z. B.: Kultur der Metropole und Urban Design – HafenCity Universität Hamburg // Social Practice and Public Form – California College of the Arts // Social Design, Arts as Urban Innovation – Universität der angewandten Künste Wien // Art and Social Practice – University of Portland) lässt sich als eine ganz konkrete Reaktion auf die hier skizzierten Verschiebungen von Zuständigkeiten lesen, denn die ‚klassische’ Ausbildung verändert sich in Richtung der in dieser Forschung diskutierten Schnittstellen. Mit Blick auf den Arbeitsmarkt lässt sich allerdings feststellen, dass diese Ausbildungen die Realität städtischer Planung aktuell zu überholen scheinen. Denn während sich an vielen Universitäten längst niederschlägt, dass es eines Umdenkens im Hinblick auf die Rolle künstlerischer und gestalterischer Praxis in städtischer Planung bedarf, um den diversen und immer komplexer werdenden Herausforderungen städtischen Lebens gerecht werden zu können, hat der Arbeitsmarkt hierauf noch nicht reagiert, und entsprechende Stellenbeschreibungen existieren de facto immer noch nicht. Bekannte Ausnahmen sind meist freie Kollektive und Studios, deren Anspruch interdisziplinärer Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Kontexten ein Alleinstellungsmerkmal ihrer Arbeit ist. Hierfür stehen in Deutschland vor allem die Arbeiten von Architekt*innen wie dem raumlabor (Berlin) und in Großbritannien MUF (London), um nur zwei von diversen sehr erfolgreichen Beispielen zu nennen.159 Solche und ähnliche Zusammenschlüsse in unterschiedlichen Bereichen zeigen aber auch, dass es vielfältiger Expertisen bedarf, um erfolgreich gemeinsam zu handeln. Diese spezielle Expertise einer transdisziplinären Zusammenarbeit lässt sich gerade in Bezug auf eine Arbeit an Schnittstellen auch aneignen, da die Ar-

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159 Die Verlei-

hung des Pritzker Preis 2017 an das katalanische Architekten Kollektiv RCR Arquitectes zeigt darüber hinaus, dass diese Arbeitsweise international nicht nur etabliert ist, sondern auch entsprechende Anerkennung erfährt.

beit mit ungewohnten Partner*innen neuer Fähigkeiten und Strategien bedarf, die erst erlernt werden müssen. Dabei ist die Frage nach der Bedeutung disziplinärer Differenzierung ambivalent: unter Umständen kann es für Künstler*innen sehr sinnvoll sein, neue Professionen wie den Urban Practitioner zu erfinden. Allerdings beschneiden solche neuen Berufsbezeichnungen, so zumindest die Befürchtung, den so wichtigen Spielraum künstlerischer Freiheit. Das Spiel mit unterschiedlichen Rollen, das flexible Anpassen an die jeweilige Situation, das Behaupten von Agenturen, Organisationen oder Büros wird damit selbst zu einer (subversiven) künstlerischen Taktik, um einen Dialog auf Augenhöhe einzufordern. Denn die Identifikation mit einem bestimmten Berufsbild bleibt für Verhandlungssituationen mit Ämtern und Auftraggeber*innen häufig wesentlich. Hier werden Planer*innen und Architekt*innen meist als seriösere Gesprächspartner*innen gesehen. Die Betonung der Unterscheidung fachlicher Expertise scheint gerade in kollaborativen Komplizenschaften unausweichlich, da dieses Fachwissen auch unterschiedliche Perspektiven bedingt, die für den Erfolg der Projekte wichtig sind. Eine disziplinäre Auffächerung ermöglicht einen Blick auf Stärken und Schwächen der einzelnen Disziplinen, denn dadurch werden Handlungsfelder erst sichtbar. Klaus Overmeyer forderte von Seiten der Stadtplanung bereits vor 13 Jahren, dass auch die Rolle von Planer*innen sich verändern müsse und sie sich mehr als Ermöglicher*innen, Agent*innen oder Mediator*innen begreifen sollten (vgl. Overmeyer 2003: 48). Diese und ähnliche Beschreibungen zeugen von der Notwendigkeit, die Produktivität der Arbeit zwischen unterschiedlichen Professionen zu stärken und sich von teils veralteten Zuschreibungen zu lösen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine Disziplin auch durch veränderte Professionen nicht einfach das Aufgabenspektrum einer anderen Berufsgruppe übernehmen kann. Das Entstehen neuer Handlungsfelder darf nicht als Konkurrenz zu Berufsfeldern und -bildern gesehen werden, sondern als eine positive Ergänzung und Veränderung. So kommt beispielsweise auch Robert Pfaller in seiner Untersuchung zur Verschmelzung von Kunst mit anderen Disziplinen zu dem Schluss, dass nur durch die zugrundeliegende Existenz der unterschiedlichen Systeme ein Erfolg im jeweils ‚anderen’ System erreicht werden könne. Erst dadurch, dass Künstler*innen – auch als solche wahrgenommene – z. B. Sozialarbeit leisten (so wie WochenKlausur), entstehe die Möglichkeit, etwas Anderes zu erzeugen, als es der Auftrag klassischer Sozialarbeit vorsieht. Weniger als um Verantwortung geht es hierbei um veränderte Perspektiven, die Konsequenzen mit sich bringen. Die Gefahr des Ersatzes durch Kunst, wie von Jaques Rancière befürchtet, sieht Pfaller hierbei nicht, da ja die Existenz der unterschiedlichen Systeme als Bedingung gegeben sei (vgl. Pfaller 2010: 151 ff). Die in dieser Forschung herausgearbeiteten drei Kennzeichen für Schnittstellenarbeit – Selbstorganisation, Alltagsexpertise und ungewöhnliche Allianzen – widerspiegeln die zentralen Veränderungen dieser Arbeitsweise, die, ausgehend von definierten Berufsfeldern und damit verbundenen Expertisen, in fluiden Prozessen

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selbstorganisiert praktiziert wird und das Wissen der zentralen Akteure in kollektiven Organisationsformen neu versammelt. Auch am Beispiel der PlanBude ist deutlich geworden, dass Fachkenntnis und die beruflichen Erfahrungen der Gruppenmitglieder als Basis ein innovatives transdisziplinäres gemeinsames Handeln ermöglichen. Die künstlerischen Strategien zielen hier nicht darauf, die Verantwortung für soziale Arbeit zu übernehmen, sondern sie sind von vornherein auf einer professionellen Ebene über die GWA mit ihr verknüpft. Der große Mehrwert der künstlerischen Praxis ist in dieser Kombination auch, dass sie nie moralisch auftritt, denn es gibt (zumindest in diesem Setting) kein Richtig und kein Falsch. Zum anderen zeigt dieses Beispiel aber auch, dass im gemeinsamen Handeln ganz neue Fachkenntnisse erworben werden, die weit über die disziplinäre Verortung der Einzelnen hinausweisen. Dieses Schnittstellenwissen entsteht erst im transdisziplinären Dialog, der auch die Alltagsexpertise der Anwohner*innen als wesentlichen Faktor mit einbezieht. Nur in der gleichberechtigten Anerkennung dieses unterschiedlichen Wissens der Vielen kann eine neue Handlungspraxis als eine tatsächlich gemeinsame entstehen. Diese Feststellung führt zurück auf Hannah Arendts Theorien einer politischen Öffentlichkeit und den ausgeführten Bedingungen von Urbanität durch Diversität, denn dieses Handeln muss durch Pluralität gekennzeichnet sein (vgl. Arendt 1992). Das Umdenken in der Stadtgestaltung, weg von Städten als statische Gebilde, die sich rein statistisch erfassen lassen, hin zu einem Verständnis von Stadt als fluiden Prozess, lenkt den Blick auf die jeweilige Spezifik dieser Pluralität, die durch die sozialräumlichen Besonderheiten jedes Stadtviertels immer nur einzigartig sein kann. Eine wichtige Feststellung dieser Forschung liegt darum in der Absage an übertragbare Lösungen nach einem generalistischen Prinzip. Dennoch wurden aus der Analyse der sehr unterschiedlichen Projekte Schlüsse gezogen, die sich verallgemeinern lassen: Was all diese Strategien letztlich eint und mit den diskutierten Beispielen verbindet, ist der Anspruch einer realen Fiktion. Über das Abfragen, Austesten und Umsetzen von scheinbar Unmöglichem werden Wirklichkeitsbehauptungen nicht nur imaginiert, sondern als reale Alternative gemeinsam inszeniert: als neue Währung, als Hotel, als neuer Stadtteil, als Planungsbüro oder als Bäckerei. Hier eröffnet Kunst den Möglichkeitsraum für eine kollaborative urbane Praxis jenseits von Vereinnahmung. Dieses Ausprobieren von (Un-)Möglichkeiten, das Imaginieren und Austesten von realen Fiktionen ist das zentrale Alleinstellungsmerkmal einer künstlerisch initiierten Stadtgestaltung, da so Handlungsmöglichkeiten sichtbar und Undenkbares bestenfalls denkbar und damit vor allem auch gestaltbar wird. Das altbekannte Leitmotiv von Park Fiction, „Die Wünsche werden die Wohnungen verlassen und auf die Straße gehen“, ließe sich in diesem Sinne für das Fazit dieser Untersuchung umformulieren: „Welche Voraussetzungen sind nötig, damit die Wünsche die Wohnungen verlassen und auf die Straße gehen können?“

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PRODUKTIVE SCHNITTSTELLENARBEIT ODER WAS KANN DIE KUNST? - ERGEBNISSE

Die in der Einleitung entwickelte Frage nach der Rolle von Künstler*innen ist mit Blick auf diese Voraussetzungen zentral, denn durch die Ausrichtung der urbanen Praxis auf Teilhabe und das hieraus resultierende Teilen von Handlungsmacht verändert sich ihre Rolle ganz entscheidend: Sie werden im Sinne der Arte Útil zu Initiator*innen von Prozessen, die sich nur gemeinsam entwickeln und umsetzen lassen. An Stelle eines Einzelnen tritt damit das Kollektiv. Die eigene Rolle und die Frage nach den Auftraggeber*innen muss dabei aber stets wieder reflektiert und kritisch hinterfragt werden, denn mit den neuen Rollen und Verschiebungen von Hierarchien sind automatisch auch Konflikte verbunden. So hat sich in den hier diskutierten stadtgestaltenden Projektbeispielen vor allem auch die Hierarchie der Verhandlungen verändert, denn die erste Verhandlungspartnerin muss immer die lokale Nachbarschaft sein. Nicht die Geldgeber*innen, nicht die Amtsträger*innen, sondern die Expert*innen des gelebten und zukünftig zu lebenden Alltags werden damit zu den zentralen Gesprächspartner*innen. Dieser Punkt ist für die einleitend gestellte Frage nach Erfolg und Misserfolg von Projekten, die auf Teilhabe zielen, elementar, denn nur durch den Einbezug lokaler Initiativen, die eventuell schon erheblich länger agieren als die zum Teil ausschließlich projektbezogen arbeitenden Künstler*innen es tun, entsteht ein Handlungsrahmen, der Teilhabe auch auf einem nachhaltigen Niveau etablieren kann. Eben jene Auftragslage macht dabei einen erheblichen Unterschied, wie die hier besprochenen Beispiele zeigen, von denen keines von privatwirtschaftlichen Investoren finanziert wurde. Der Erfolg der britischen Gruppe Assemble, mit dessen Thematisierung diese Arbeit eröffnet wurde, hängt vor allem auch damit zusammen, dass die Gruppe als Auftragnehmer*innen der lokalen Nachbarschaft agiert. Sie erhielt das Mandat für ihre Handlung direkt von den Anwohner*innen, die diese Möglichkeit in den vorangegangenen Jahren in zähen Verhandlungen mit der Stadt und durch diverse Aktionen erkämpft hatten. Für die Rolle von Kunst bedeutet das, ihre repräsentative Aufgabe zu hinterfragen, denn Kunst eröffnet in diesen Settings Handlungsräume, in denen nicht die einen für die anderen sprechen müssen, sondern die Möglichkeit gegeben wird, dass jeder für sich selbst sprechen kann. Während Assemble also als Auftragnehmer*innen der Nachbarschaft arbeiten, haben sich Grandhotel Cosmopolis wie auch die PlanBude als Teil der Anwohner*innen selbst ein Mandat geschaffen und dafür eine Rechtsform gefunden, die ihnen entsprechend Handlungsmacht und Freiheit ermöglicht. Die geheimagentur, Christoph Schlingensief, die WochenKlausur und auch Jeanne van Heeswijk wiederum haben Projekte im Auftrag von kulturellen und vor allem staatlichen Mittelgeber*innen wie z.B. dem Oberhausener Theater bzw. der Kulturstiftung des Bundes, den Wiener Festwochen oder der Liverpool Biennale umgesetzt. Sie agierten damit in einer anderen,

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nämlich einer institutionellen Rahmung, die zum Einen mit anderen Sicherheiten verbunden ist, zum Anderen – durch die Verwendung staatlicher Mittel – aber auch an andere teils behördliche, teils strukturelle, teils zeitliche Modalitäten gebunden sind. Damit eine solche institutionelle Rahmung auch über den kulturellen Betrieb hinaus zu einer Triebkraft und damit zu produktiven Dynamiken der gemeinsamen Arbeit werden kann und nicht zu weiteren Hemmnissen führt, müssen auch klassische Institutionen umdenken (was bereits vielerorts geschieht) und neue Institutionen erfunden werden. Denn aktuell verausgaben sich viele Akteure bereits in der Forderung nach Teilhabe an städtischer Gestaltung, da die Strukturen in der Stadtverwaltung nur in sehr seltenen Ausnahmefällen einen tatsächlich gleichberechtigten Kompromiss ermöglichen und es nicht doch wieder lediglich um Zwischennutzungen und urbane Randzonen als Ausweichflächen für Projekte geht, wodurch Teilhabe nur temporär und sehr partiell ermöglicht wird. Die zeitliche Behäbigkeit des bürokratischen Apparates ist dabei häufig Frustrationsgrund für alle Seiten, denn Veränderungen brauchen Zeit und neue Perspektiven. Sie hängen nicht nur von behördlichem ‚Good Will’ ab, denn das Bild von Behördenvertreter*innen als Verunmöglicher*innen ist genauso wenig zeitgemäß wie das der chaotischen Aktivist*innen und der weltfremden Künstler*innen. Doch auch in der städtischen Verwaltung hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert, und es gibt eine große Bereitschaft, sich auf neue Wege einzulassen und ungewohnte Allianzen einzugehen. Dies zeigen sowohl die Hamburger Beispiele der PlanBude, die inzwischen im Auftrag des bezirklichen Baudezernats arbeitet, und der Stadtkuratorin, als ein innovatives Förderinstrument für Kunst im öffentlichen Raum der Kulturbehörde Hamburg, wie auch die Förderung von explizit künstlerischen Projekten durch Förderprogramme wie der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, einer Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Kommunen. Die Verleihung des Sonderpreises Soziale Impulse durch Städtebau im Rahmen des Deutschen Städtebaupreises an das Projekt Grandhotel Cosmopolis belegt, dass auch die institutionalisierte Stadtplanung auf der Suche nach neuen Möglichkeiten ist und es zumindest großes Interesse an Alternativen und vor allem auch an konkreten Beispielen zur Nachahmung dieser Alternativen gibt, auch wenn diese ihre Stellung gegenüber der Verwaltungsroutine nach wie vor und immer wieder behaupten müssen. Das Bundesinstitut für BauStadt- und Raumforschung (BBSR) hat im Rahmen einer Projektstudie mit dem Titel Kreative Nutzung von Freiräumen in der Stadt eigeninitiativ untersucht, „wie die Aneignung von Freiräumen durch unterschiedliche Nutzergruppen gefördert werden kann“ 160 und als Ergebnis dieser Studie die Freiraum-Fibel veröffentlicht, um allen, „die sich aktiv in die Gestaltung ihrer Stadt mit einbringen wollen und Lust haben, ihren ganz eigenen Freiraum zu schaffen“ 161, eine Starthilfe zu geben. Ein Beweis dafür, dass das Thema „Kollektive Stadtgestaltung“ längst auch in den

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160 http://www. bbsr.bund.de/ BBSR/DE/Veroeffentlichungen/ Sonderveroeffentlichungen/2016/ freiraum-fibel. html (Letzter Zugriff 01.06.17). 161 Ebd.

Bau- und Planungsämtern angekommen ist und immer mehr eingefordert und praktiziert wird. Dabei bleibt allerdings wesentlich, wie eine Zusammenarbeit nicht nur rechtlich aufgeklärt, sondern auch konstruktiv gestaltet werden kann. Zeitgemäße Stadtgestaltung darf hierfür nicht auf alte Muster zurückgreifen, um wirklich zukunftsfähige Lösungen anbieten zu können, dazu sind sowohl das städtische Wachstum mit allen diesbezüglichen Herausforderungen als auch die gesellschaftlichen und geopolitischen Veränderungen der jüngsten Vergangenheit zu massiv. Problematischerweise orientieren sich die politischen Entscheidungsträger aber zumeist an tradierten Mustern und setzen diese auch als generalisierende Norm fort, ohne die komplexen Zusammenhänge und die anzunehmenden Veränderungen auf einer Meta-Ebene zu reflektieren, wie Christine Scherzinger in ihrer Studie zu „Kunst, Kreativität und alternativer Stadtgestaltung“ feststellt (vgl. Scherzinger 2017): „Die zunehmende Komplexität blieb in Modellen zukünftiger Stadtgestaltung und Stadtpolitik jedoch weitgehend unbeachtet“ mit der Folge, „dass die institutionellen Strukturen sich machterhaltend reproduzieren und sich die Stadtgestaltung durch Stadtplanung und Stadtpolitik zunehmend von den Bedürfnissen der Menschen entfernt hat“ (ebd: 11). In diesem Kontext kann die Arbeit der hier vorgestellten künstlerischen Initiator*innen vor allem durch die diskursive Verankerung künstlerischer Praxis als impulsgebend für eine dringend benötigte alternative Stadtgestaltung gesehen werden, die das Gestalten von Stadt wieder an die Bedürfnisse der sie ja ohnehin bildenden Menschen rückbindet. Eine solche Stadtgestaltung muss immer eine Arbeit an Schnittstellen sein, da sie sich durch den Einbezug diverser Professionen und Expertisen auszeichnet und die Übergänge damit ins Zentrum rückt. Das Handlungsfeld der gemeinsamen Stadtgestaltung umfasst die hier untersuchten Schnittstellen entsprechend in der Überschreibung von Arbeitsfeldern und der Überschneidung – aber nicht Auflösung – von disziplinären Zuständigkeiten. Die Arbeit an Schnittstellen, das haben die diskutierten Beispiele verdeutlicht, ist häufig unbequem. Sie muss extrem gut organisiert sein, um gut zu funktionieren. Die Gestaltung produktiver im Sinne von gleichberechtigter und wirksamer im Sinne von gemeinwohlorientierter Schnittstellenarbeit sollte zu der zentralen Aufgabe für zukünftige Stadtgestalter werden, denn durch Schnittstellen wird Kontakt hergestellt und damit fundamentale Vermittlungsarbeit geleistet, die manchmal auch in der wichtigen Übersetzung von Fachsprachen und Gepflogenheiten liegt (vgl. Beispiel PlanBude). Hierzu braucht es langfristig auch eine institutionelle Veränderung, die anders unterstützend auf die Dynamiken selbstorganisierter Arbeitsweisen reagieren kann und sich von überholten statischen Konzepten löst. Im Vordergrund sollte hierfür

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auch die institutionelle finanzielle Unterstützung von selbstorganisierten Netzwerken und kooperativen Zusammenschlüssen der Schnittstellenarbeit stehen, da diese flexibler in der Lage sind, auf die komplexen Anforderungen gemeinwohlorientierter Stadtgestaltung einzugehen. Eine solche Kunst der Schnittstellen kann vor allem als Komplizenschaft erfolgreich sein: „Bei der Entwicklung solcher Formate stellt die Kunst eine performative und oft auch mediale Expertise bereit, die gerade deshalb sehr wirkungsvoll sein kann, weil sie ungewöhnliche und vielfältige Versammlungsformen inszenieren kann“ (Ziemer 2013: 181). Künstlerische Strategien bieten für solche Kommunikationssettings, wie gezeigt wurde, durch Experiment, Dramaturgie und Narration, durch Inszenierung, durch Assoziation, durch Allegorie, durch Verfremdung, Ironisierung, Überhöhung oder Reduktion innovative Tools. Auch dank dieser immer weiter perfektionierten Methoden einer Kunst des In-Beziehung-Tretens, die darauf zielen, Begegnungen zu inszenieren und damit Kontakt herzustellen, lassen sich Dialoge implementieren und Zusammenarbeit anders als gewohnt organisieren. Durch künstlerische Praktiken kann ein fluider Rollenwechsel gefordert und trainiert werden, der den Raum öffnet für eine neue Form der Stadtgestaltung, in der die Kompetenzen der Anderen wertgeschätzt und Hierarchien abgebaut werden. Denn an einer Anerkennung unterschiedlicher Expertisen als gleichberechtigt mangelt es in den meisten klassischen Planungsprozessen. Vor allem die künstlerische Expertise wird häufig marginalisiert. Es scheint daher angezeigt zu sein, die Alleinstellungsmerkmale künstlerischer Praxis für städtische Gestaltung ganz konkret aufzulisten, um diese Kompetenzen zukünftig klarer in Stellung bringen zu können. Denn nur durch einen gleichberechtigten Umgang dieser Praxis mit manifesten Ergebnissen und gebauten ‚Tatsachen’ von Planung und Architektur ließe sich ein Dialog auf Augenhöhe etablieren, der die Basis für jede Form der Zusammenarbeit sein muss. Sehr viel produktiver, als danach zu fragen, was an den hier vorgestellten Projekten noch Kunst sein soll, scheint es daher, zu fragen, was nur durch diese künstlerischen Strategien entstehen konnte.162

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162 Eine solche Liste, gedacht als eine Übersicht künstlerischer Qualitäten, mag zunächst nahezu banal und viel zu offensichtlich erscheinen. Jedoch zeigen Verhandlungssituationen mit ganz unterschiedlichen und vor allem auch völlig ‚kunstfernen’ Akteuren immer wieder, dass eine solche konkrete Aufzählung dessen, was künstlerische Strategien auszeichnet, als Argumentationsgrundlage bisher erstaunlicherweise fehlt. Gerade die Annahme, dass diese Expertise doch allgemein bekannt sei und deshalb nicht weiter erwähnt werden müsse, leistet einer defizitären Position von Künstler*innen Vorschub. Die hier vorgenommene Aufzählung, die sich aus den in der Arbeit vorgestellten und diskutierten Projekten ergibt, ist darum ganz gezielt zunächst einmal allgemein und niedrigschwelllig gehalten.

Die Kompetenzen künstlerischer Praxis für das Handlungsfeld gemeinsamer Stadtgestaltung werden vor diesem Hintergrund im Folgenden zusammenfassend dargestellt: Was kann künstlerische urbane Praxis?

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Wirklichkeitsbehauptungen aufstellen, testen und implementieren Erfahrungsräume schaffen Möglichkeitsräume öffnen Versammlungsräume inszenieren Kontexte verändern Rollenwechsel trainieren Perspektivwechsel inszenieren Alternative Narrative erzeugen Fluide Prozesse zulassen Brüche und Diskontinuitäten aushalten Flexible Strukturen ermöglichen Identität stiften Kommunikationsprozesse initiieren Die Grenzen von Handlungsfeldern verändern Auf Veränderungen schnell reagieren Transformationen katalysieren Neue Organisationsformen schaffen Bereitschaft haben zu scheitern Hegemoniale Mechanismen aufzeigen

Dass eine solche künstlerische urbane Praxis der Stadtgestaltung längst keine Utopie mehr ist, zeigen viele Initiativen und Künstler*innen mit ihrer Arbeit weltweit. Sie fungieren als Impulsgeber und kritische Gegenöffentlichkeiten und schaffen alternative Modelle der Raumproduktion. Die Künstler*innen werden zu Gestalterinnen und Gestaltern eines Angebots, eines Settings oder zu bereits erwähnten „Erfahrungsgestalter*innen“ von Möglichkeitsräumen.Die Schaffung und Erhaltung dieser Möglichkeitsräume ist für Prozesse der kollektiven Stadtgestaltung unentbehrlich. Ohne diese Räume kann es keine Erneuerung, kein Umdenken, keine Innovation geben. Sie sind damit elementare Voraussetzungen für eine erfolgreiche gemeinsame Stadtgestaltung. Da das entsprechende Bewusstsein in vielen Planungsprozessen häufig fehlt, werden diese Bedingungen als ein Ergebnis der in dieser Forschungsarbeit vorgenommenen Analysen im Folgenden überblicksartig dargestellt. Dabei werden zunächst die grundlegenden Voraussetzungen summiert, die als eine Art Mindestanforderung benötigt werden, um handlungsfähig zu sein. Anschließend werden die idealen Voraussetzungen gelistet, die langfristig kulturpolitisch gefordert werden müssten, um mit einem anderen Selbstverständnis gemeinsam mit diversen Akteuren der Stadtgestaltung erfolgreich zu handeln.

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GRUNDLEGENDE VORAUSSETZUNGEN FÜR KUNST ALS GEMEINSAME STADTGESTALTUNG •

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Strukturelle Neuausrichtung in der Stadtentwicklung im Sinne einer gleichberechtigten Kooperation aller entscheidenden Akteure (Lebensraum statt Planungsraum) Einbindung von lokalem Wissen über bereits bestehende Initiativen Anerkennung künstlerischer Methoden als wesentliches Potential für stadtgestaltende Prozesse jenseits von Vereinnahmung und Instrumentalisierung (weg von der Creative City hin zur Imaginationskraft der Vielen, katalysiert durch Kunst) Bewusstsein aller Akteure über die Auswirkungen der eigenen Rollen im Sinne einer Kunst der Verantwortung Freiräume für Gegenpositionen statt erzwungener Konsensproduktion Differenz und Differentes als Produktivkraft anerkennen Ergebnisoffene Prozesse, die autonom durchgeführt werden können Anerkennung einer unterschiedlichen Rhythmisierung von Zeit Verständnis für unterschiedliche Fachkulturen und Übersetzungsleistungen Akzeptanz von Ambivalenzen und Diskontinuitäten Der Erfolg dieser Prozesse lässt sich nicht in Statistiken messen und darf darum auch nicht ausschlaggebend für die Finanzierung sein Bewusstsein über die Grenzen der eigenen Möglichkeiten

IDEALE VORAUSSETZUNGEN FÜR KUNST ALS GEMEINSAME STADTGESTALTUNG •

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Neue staatlich finanzierte (kulturelle) Institutionen, die offen und flexibel genug sind, um reaktiv bleiben und so auf die Verschiebung von Verantwortungen reagieren zu können Faire Finanzierungsmodelle: Angemessene Bezahlung der professionell arbeitenden Stadtgestalter*innen statt freiwilliger Selbstprekarisierung Weg von Pilotprojekten und Zwischennutzungen hin zu einer neuen Selbstverständlichkeit im Sinne einer systemischen Veränderung

Kunst kann, das haben alle Beispiele gezeigt, ein Labor für die Zukunft städtischen Zusammenlebens sein. Künstler*innen schaffen damit auch Plattformen alternativer Wissensproduktion, die einer Krise der Vorstellungskraft eine Absage erteilen und neue Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Das sich verändernde Verständnis von Stadt erfordert dabei dringend eine neue Perspektive auf künstlerische Praxis als Ausdruck des Situativen, Temporären und eben stets Ambivalenten. Die in dieser Forschungsarbeit immer wieder auftauchenden paradoxen Effekte einer handelnden, verantwortlichen Kunst lassen sich nicht einfach auflösen.

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Die Forderung nach Augenhöhe ist darum auch die zentrale Bedingung für jede Form von gemeinsamer Arbeit, die diese Ambivalenzen aushalten muss. Bei der PlanBude klingt das so: „In dem spannungsgeladenen und asymmetrischen Dreiecksverhältnis zwischen Investor, Stadt bzw. Bezirk und Initiativen hat sich ein Feld geöffnet, das Möglichkeiten und Lerneffekte bei allen Beteiligten ausgelöst hat. Stadtentwicklung hier mal weitgehend anders gemacht: partizipativ im Wortsinn – Beteiligung nicht nur ermöglichend, sondern auf Beteiligung aufbauend“ (PlanBude 2015: 40).

VOM PLANUNGSRAUM ZUM LEBENSRAUM AUSBLICK

„Da, wo klassische Planungsstrukturen an ihre Grenzen stoßen, wo stadtadministrative Vorgehensweisen nicht mehr in der Lage sind, den komplexen Gemengelagen städtischer Sequenzen und Problemzonen nahe genug zu kommen, um sich in geeigneter Weise zu artikulieren, haben es künstlerische Projekte geschafft, die immer größer werdende Lücke zwischen städtischem Leben, Planung und Verwaltung zu schließen“ (Ambach 2015: 145). Die Euphorie über den Erfolg von Projekten wie der PlanBude halte ich für berechtigt, vor allem, weil die hier involvierten Akteure sich ihrer Rollen und der Ambivalenzen ihrer Arbeit offensichtlich sehr bewusst sind. Die kritische Hinterfragung des Wundermittels ‚Teilhabe’, der genaue Blick auf die entsprechenden Auftraggeber*innen und den Kontext, in dem Stadtgestaltung unter Einbezug der Nachbarschaft gefordert wird, muss geübt werden. Das Wissen um hegemoniale Dynamiken, um den Hintergrund von good governance und die Konsequenzen von Selbstbestimmung sind hierzu Voraussetzung und werden in Zukunft immer wichtiger werden, da sich die Kraftfelder und Machtgefälle weiter vergrößern werden. Das zeigt ein Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in vielen Ländern Europas und in den USA zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit 2017. Demokratie ist für die hier vorgestellte künstlerische urbane Praxis als eine gemeinsame Handlung von Vielen die zentrale Voraussetzung. Das stark gestiegene Aufkommen von Handlungskunst in den letzten zehn Jahren ist aber auch als Reaktion auf die Krisen repräsentativer demokratischer Systeme zu lesen, da sie Teilhabe im direkten, eigenen Erleben gemeinsamer Handlung wieder ermöglichen und Handlungsmacht teilen. In Bezug auf die Rolle der Kunst scheint mir für diese Perspektive immer noch hoch aktuell zu sein, was Holger Kube Ventura für die politische Kunst der 1990er Jahre feststellte: „Man muss anscheinend an das gesellschaftskritische Potential von Kunst glauben können oder zumindest so tun als ob – sei es aus

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taktischen oder pragmatischen Gründen oder aus Überzeugung. Dieses Glauben wendet sich gegen die Alleinansprüche einer ‚richtigen’ Kunst und eines ‚richtig politischen’ Intervenierens. Und es wendet sich gegen die radikalisierte Wirkungsdiskussion, deren institutionelles Pendant sich dort findet, wo nur noch mit der Frage ‘Wie vielen hat es denn gezeigt werden können?‘ Kulturpolitik gemacht wird“ (Kube Ventura 2002: 228). Die größte Herausforderung an künstlerische urbane Praxis, das bewusste Reflektieren von Ambivalenzen, wird in einem sich politisch verändernden Klima damit umso wichtiger. Denn natürlich besteht immer die Gefahr, dass diese geteilte Handlungsmacht so minimal ist, dass sie das Bedürfnis der Menschen nach Teilhabe in ungefährlichen (künstlerischen) Settings befriedigt und dadurch radikal unsoziale Entwicklungen katalysiert. Es besteht aber auch die Hoffnung, dass durch das Gefühl, gemeinsam etwas verändern zu können, der Blick auf das dies ermöglichende demokratische System sich zum Positiven verändert und Menschen wieder mehr Gestaltungs-Mut entwickeln und sich für den Erhalt demokratischer Grundrechte anders einsetzen. Ob man die Zukunft unserer Städte pro aktiv mitgestalten will oder jede Handlung aus Angst vor Vereinnahmung verweigert, ob man lieber gemeinsam Utopien behauptet und testet oder den Rückzug ins Private betreibt, ob man kleine Schritte macht oder aus Angst, die falschen zu tun, erst einmal ganz stehen bleibt, ob man nur kritisiert oder auch nach Alternativen sucht – all dies ist auch eine Haltungsfrage in Bezug auf persönliche Verantwortung. Vielleicht können bestimmte Dynamiken auch nur über den Entzug jeder Handlung gestoppt werden, damit dann etwas Neues beginnen kann. Vielleicht ist eine große solidarische Veränderung sowieso erst nach einer kompletten Katstrophe (der Umwelt oder der Gesellschaft oder beidem) möglich.163 Vielleicht steht uns diese Katastrophe auch morgen schon bevor, und die Wirklichkeit überholt jede Theorie. Wenn all diese Strategien aber vor allem auch eine Frage der individuellen Haltung sind, dann ist der Glaube daran, dass Veränderung zum Positiven möglich ist, für mich persönlich absolut zentral, denn Kritik muss meines Erachtens mit dem Behaupten und Verteidigen von Alternativen einhergehen. Diese Alternativen zu imaginieren und in Handlung zu übersetzen, das ist die Kunst gemeinsamer Stadtgestaltung.

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163 Dies ein Standpunkt, der bei dem Workshop „Aufhören – zu neuen Strategien für die Transformation“ (Michael Otto Stiftung/Europa-Universität Flensburg 2017) vertreten wurde.

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