Handbuch Wissenschaftsmarketing: Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele [1. Aufl. 2019] 978-3-658-25352-3, 978-3-658-25353-0

Die aus einer Vielzahl von Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten in diesem Werk vereinten Autoren geben – erstma

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Handbuch Wissenschaftsmarketing: Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-25352-3, 978-3-658-25353-0

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
Wissenschaft und Markt (Uwe Herrmann)....Pages 1-28
Wissenschaftsmarketing neu denken (Klaus Schmidbauer)....Pages 29-65
Grenzen des Marktes in der Wissenschaft (Guido Speiser)....Pages 67-86
Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken der Markenbildung und Markenführung im Wissenschaftssystem (Kai-Uwe Hellmann)....Pages 87-120
Strategische Kommunikationsplanung in der Wissenschaft (Klaus Schmidbauer)....Pages 121-154
Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing und Marktforschung: Wie Marketing Intelligence im Hochschulsektor zur Organisationsentwicklung und Positionierung von Hochschulen beiträgt (Ulrike Koch)....Pages 155-193
Strategien zur Entwicklung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft (Thomas Baaken)....Pages 195-210
Public Affairs als Marketinginstrument der Wissenschaft (René Mono)....Pages 211-233
Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing für die Wissenschaft (Hans-Peter Pohl)....Pages 235-267
Wissenschaftsmarketing im Spannungsfeld der Herausforderungen für Führende (Thoralf Buller)....Pages 269-290
Führen lernen in der Wissenschaft? (Claudia Heilmann)....Pages 291-310
Events in der Wissenschaft (Thorsten Knoll)....Pages 311-334
Wissenschaftsmarketing am Beispiel des Museums für Naturkunde Berlin (Uwe Moldrzyk)....Pages 335-367
BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft? (Julia Brandt, Sandra Arndt)....Pages 369-396
Strategien für Millionen Vom strategischen Nutzen einer Strategie (insbesondere) für künstlerische Hochschulen (Stella Donata Haag)....Pages 397-429
Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften: Kommunikationskonzept für den Sonderforschungsbereich 933 „Materiale Textkulturen“ an der Universität Heidelberg (Nele Schneidereit)....Pages 431-453

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Wolfgang Merten Thorsten Knoll Hrsg.

Handbuch Wissenschaftsmarketing Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele

Handbuch Wissenschaftsmarketing

Wolfgang Merten · Thorsten Knoll (Hrsg.)

Handbuch Wissenschaftsmarketing Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele

Hrsg. Wolfgang Merten TUBS GmbH, Studiengangsleiter Wissenschaftsmarketing Berlin, Deutschland

Thorsten Knoll TUBS GmbH, TU Berlin ScienceMarketing Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-25352-3 ISBN 978-3-658-25353-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Management, Kommunikation und Marketing gehören untrennbar zusammen. Was in einer Unternehmenskultur als selbstverständlich gilt, stellt für wissenschaftliche Organisationen und für den einzelnen Wissenschaftler eine Herausforderung dar. Die Notwendigkeit, sich in einem überwiegend staatlich finanzierten Sektor überhaupt damit beschäftigen zu müssen, ist von dem Paradigmenwechsel, den die Universität vollzogen hat, nicht zu trennen. Mit dem neuen Leitbild der deregulierten oder autonomen Universität nimmt auch die Bedeutung des Wettbewerbs zu. Darauf sind die Akteure nicht oder nur sehr unzureichend vorbereitet. Seit dem Millennium sind darum Professionalisierungsbestrebungen zu registrieren. Konnte man sich beim Management auf die Modifikation von New Public Management-Konzepten aus der Unternehmensanwendung konzentrieren, so ist die Adaption klassischer Marketingtheorien und -methoden komplexer. Wissenschaftsmarketing musste und muss neu erfunden, erprobt und auf Eignung getestet werden. Und dass, seit Jürgen Engelhardt 1989 anlässlich einer Tagung in Bielefeld das „Zeitalter des Wissenschaftsmarketing“ ausgerufen hatte. Dabei geht es vor allem darum Methoden und Instrumente für effiziente Ressourcennutzung zu entwickeln und darum sich erfolgreich auf einem Markt mit begrenztem finanziellen Spielraum und großer Konkurrenz zu behaupten. Wer die Gesetzmäßigkeiten des Marketing kennt und versteht danach zu handeln, hat in diesem Wettbewerbsumfeld einen entscheidenden Vorteil. Dazu gehören auch, die strategischen Potenziale des Zusammenspiels von Marketing mit Management und Kommunikation zu erkennen und zu nutzen. Die AutorInnen dieses Buches haben diesen Prozess mitinitiiert und begleiten in unterschiedlichen Positionen und Perspektiven dessen Entwicklung. Der Masterstudiengang Wissenschaftsmarketing der TU Berlin startete 2005 mit seinem ersten Jahrgang. Die TU-Tochter TU Berlin Science Marketing (TUBS), zu dieser Zeit noch eine reine Serviceeinrichtung, trug die nicht unerheblichen Kosten für die Vorbereitung, Implementierung und Durchführung. Wie bei weiterbildenden, berufsbegleitenden Studiengängen üblich, standen nicht die Organisation sondern Personen im Vordergrund; für die TUBS die Kommunikationsverantwortliche Michaela Kirchner und für die TU der Inhaber des Marketinglehrstuhls Volker Trommsdorff. Die Universität und die Wirtschaftsfakultät begleiteten das Vorhaben wohlwollend. Wie Anke Hanft V

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Vorwort

in Oldenburg, Frank Ziegele in Osnabrück oder Ada Pellert in Krems waren es auch an der TU-Berlin Einzelinitiativen, die auf eine Herausforderung reagierten, die durch Wandlungsprozesse des Wissenschaftssystems entstanden. Als uns der Springer Verlag dieses Buchprojekt anbot, konnten wir auf die Erfahrung aus sieben reinen Präsenz- und zehn Jahrgängen im Blended Learning. Format aufbauen. Etwa 300 Studierende haben seither ihren Master of Science bei uns erworben. Sie sind zum überwiegenden Teil in Organisationen der Wissenschaft beschäftigt. Wenn die Programmverantwortlichen des BMBF ein Einsehen haben, dann werden wir nach der Durchführung einer flächendeckend angelegten Verbleibstudie in naher Zukunft genaue Zahlen vorlegen und damit die Wirkung dieser Weiterbildungsstudiengängen dokumentieren können. Wir haben die vorliegende Publikation genutzt, um zunächst die Entwicklungssprünge des Wissenschaftssystems nachzuzeichnen, die die Professionalisierung von Management, Marketing und Kommunikation notwendig gemacht haben. Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: Das klassische Marketing bleibt der entscheidende Referenzpunkt bei allen Bemühungen um die Teildisziplin Wissenschaftsmarketing, die die sehr speziellen Bedingungen der Wissenschaft angemessen zu berücksichtigen sucht. Wir sind darum gut beraten, wenn wir die Entwicklungen der Leitdisziplin aufmerksam beobachten. Das gilt sowohl für die Strategie, etwa bei der service dominant logic of marketing, wie für das methodische Instrumentarium, das, wen wundert’s, keine zeitlose Gültigkeit beanspruchen kann. Im Studiengang Wissenschaftsmarketing waren wir durch Volker Trommsdorff, der den Marketinglehrstuhl leitete, davor gefeit diese Verbindung zu vernachlässigen. Wir beginnen unsere Tour d`Horizon mit einem zeitdiagnostischen Blick. Der Historiker Uwe Herrmann untersucht die „Umfeldbedingungen für die Einführung des Wissenschaftsmarketing“ indem er die wichtigsten Entwicklungstreiber identifiziert: Bologna-Prozess, Differenzierungskampagnen wie Exzellenzinitiativen und -strategien, veränderte Modi der Hochschulfinanzierung und nicht zuletzt das Studium als Normalfall, verlangten den Universitäten eine Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit ab, wie sie in dem Ausmaß zuvor unbekannt war. Diese Entwicklung bereitete den Boden für einen tief greifenden Mentalitätenwandel, dessen Anlass so unübersehbar, wie dessen Folgen unabsehbar waren. Wie beim Aufprall unterschiedlicher (Wissens-) Kulturen nicht ungewöhnlich, wurde der Auftritt der neuen Akteure aus Management und Marketing mit großer Skepsis bedacht, die auch nach über zwei Jahrzehnten nicht völlig zerstreut werden konnte. Die hier versammelten Texte verfolgen somit mehrere Zwecke. Zunächst wollen wir uns darüber verständigen was Wissenschaftsmarketing ausmacht, was es vermag, wie es sinnvoll eingesetzt wird und wo seine Grenzen liegen. Weil wir die Vorbehalte, die dem Wissenschaftsmarketing entgegenschlagen, sehr gut nachvollziehen können, denn schließlich sind wir in der (Old School) Wissenschaft „sozialisiert“ worden, setzen wir auf die Überzeugungskraft gelungener Anwendungsbeispiele. Da unsere AutorInnen allesamt WissenschaftlerInnen sind, bieten die Texte

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hinreichend Anschlusspotenziale für die neugierigen Leser, die wir vornehmlich in den Kreisen der Community verorten. Wohl wissend, dass alles Neue die Beweislast trägt, haben wir versucht die Potenziale des strategischen Marketingansatzes in der Wissenschaft aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Dabei haben wir auf die langjährige Erfahrung unserer AutorInnen gesetzt, die Wirtschaftskooperationen begleitet, Kommunikationskampagnen entwickelt, erfolgreich agierende Fundraisingabteilungen aufgebaut, Marketing- und Kommunikationskonzepte implementiert und dabei aufgeschlossene KollegInnen (und ihre Leitungen) davon überzeugt haben, dass Marketing kein Teufelszeug ist. Es geht uns konkret darum Befürchtungen, etwa die vor der hemmungslosen Ökonomisierung, zu zerstreuen und den Blick darauf zu richten was wir mit den nur begrenzt erweiterbaren Ressourcen erreichen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass Wissenschaftsmarketing sowohl der Institution als Ganzer hilft und die Erfüllung der universitären Kernaufgaben erleichtert als auch den Aktionsspielraum ihrer Mitglieder erhöht. Klaus Schmidbauer sieht einen Grund für die steigerungsfähige Akzeptanz des Wissenschaftsmarketing im Aktualisierungsbedarf ihres methodischen Bestecks und plädiert für eine kritische Bestandsaufnahme, die in einem reformierten Wissenschaftsmarketing münden sollte. Strategien und Methoden seien, so der Autor, auf ihre Eignung zu prüfen. Dabei wird u. a. deutlich, dass wir gut beraten sind die Entwicklungen des Wirtschaftsmarketing zu verfolgen und, wo möglich, zu implementieren, denn sie bilden das theoretisch-methodische Gerüst des Wissenschaftsmarketing. Schmidbauer macht sich für eine selbstbewusstes Marketing stark, das seine strategische Führungsrolle annimmt und ausfüllt. Das hat dann nichts mehr mit dem Irrglauben zu tun, dass Marketing eine Hilfsoperation für die Kommunikation darstellt, die sich in Flyer- und Posterproduktion erschöpft. Guido Speisers Beitrag befasst sich mit den Grenzen des Marktes in der Wissenschaft: unterschiedliche und nicht vergleichbare Marktzugänge, hohe Transaktionskosten infolge des Missverhältnisses von Grund- und Drittmittel und die grundlegende Schwierigkeit bei der Messung von Wissenschaftsleistungen: Die Grenzen der Vermessung, so der Autor, sind auch die Grenzen des Marktes. Speiser ist besorgt über die Nebenfolgen des Marktes und gibt Hinweise, die geeignet sind, um sie zu lindern. Kai Uwe Hellmann erörtert die Chancen und Risiken von Markenbildung und Markenführung in der Wissenschaft. Hellmann rät, die Erwartungen zu dämpfen, obwohl kein Weg an mehr Marketing und Branding vorbeiführt. Mit Luhmann konstatiert er eine lose gekoppelte Gemengelage von Strukturen und Prozessen, die „eine übergreifende organisationale Standardisierung, insbesondere im internationalen Vergleich“ vermissen lässt. Darum muss er Brandingstrategien, die überall Geltung beanspruchen wollen, eine Absage erteilen und rät dazu bei der Vermarktung und Markenbildung der eigenen Alma Mater Behutsamkeit walten zu lassen.

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Klaus Schmidbauer plädiert in seinem zweiter Text, der sich mit der Strategischen Kommunikationsplanung in der Wissenschaft befasst, dafür, sich nicht länger mit „der bunten Spielwiese der Kommunikationsformate“ aufzuhalten, sondern konzentriert und mit Weitblick die Kräfte zu bündeln, denen eine konsequente strategische Planung die Richtung weist. Dazu entwickelt er die Grundlagen einer strategischen Kommunikationsplanung, bestimmt die analytischen Schritte, um schließlich ausführlich den Verlauf eines umfassenden Planungsprozesses darzulegen. Erst dann geht es an die Planung der operativen Umsetzung. Dieses Vorgehen hat sich über eine Dekade im Studiengang bewährt und wurde in zahlreichen Kommunikations- und Marketingkonzepten umgesetzt, die unseren AuftraggeberInnen aus der Wissenschaft nicht nur dabei halfen ihr Kommunikationsprobleme zu lösen, sondern in vielen Fällen Anlass für die Neuaufstellung der gesamten Organisationskommunikation waren. Ulrike Koch untersucht seit über zehn Jahren, gestützt auf langjährige Mitarbeit in der HRK und in der Zusammenarbeit mit dem DAAD, die Bedingungen für erfolgreiches internationales Hochschulmarketing. Wer den Diskurs verfolgt, wird bestätigen, dass ihr Thema nichts an Aktualität verloren hat. Sie plädiert für eine systemische Positionierung, um die begehrte Währung Aufmerksamkeit im internationalen Wettbewerb zu generieren. Hier ist die Konkurrenz groß und, zumindest im angelsächsischen Bereich, hat sie die Nase vorn. Koch arbeitet heraus, wie sich die Hochschulen verhalten sollten, um sich Erfolg versprechender zu positionieren und was zu tun wäre, um an den nationalen Strategien erfolgreicher zu partizipieren. Dabei neigen ihre Einschätzungen, etwa zur universitären Markenarchitektur, zu größerem Optimismus als Hellmanns Erwartungen. Thomas Baaken bringt seine Überlegungen zu den Entwicklungsstrategien der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft mit „Insights in Science Marketing, Barrieren und Treiber, Anreizsysteme und Nudges“ auf den Punkt. Er gehört zu den Marketingexperten, dessen Botschaft zuerst in Australien, Südafrika oder in den Niederlanden gehört, geschätzt und in konkrete Forschung und Kooperationsprojekte umgesetzt wurde, bevor sie in Deutschland zumindest im erweiterten Fachkreis diskutiert und Wert geschätzt wurden. Er zeigt in seinem Aufsatz was die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft im inneren zusammenhält. Public Affairs und Lobbying entzogen sich lange dem Aufmerksamkeitsradar; die Aushandlungsprozesse waren nicht sonderlich transparent, sodass Mutmaßungen und Unterstellungen Tür und Tor geöffnet waren. René Monos Beitrag sorgt für eine neue Übersichtlichkeit. Systemtheoretisch geschult charakterisiert er das Wesen von Public Affairs als hoch spezialisiertes Management „der Kuppelstellen zwischen dem politischen System und den anderen politischen Teilsystemen“. Die Prozessschritte dieses Managements können die LeserInnen so nachvollziehen, dass sie die wesentlichen Elemente für eine auf die eigene Organisation bezogene Public Affairs Strategie entwickeln können. Weil die Bezugsgrößen zumeist aus der PA-Praxis der wirtschaftlichen Systems bezogen und auf das wissenschaftliche System übertragen werden, fordert Mono eine eigene Theorie für die strukturelle und prozessuale Koppelung zwischen politischem und wissenschaftlichen System zu entwickeln, und zwar sowohl aus normativer wie aus funktionaler Sicht. Das wäre eine

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Voraussetzung, um die Public-Affairs-Praxis als Teil des Wissenschaftsmarketing differenzierter und fundierter zu analysieren. Hans-Peter Pohl kann auf eine langjährige Praxis als Berater für die Institutionsentwicklung in der Wissenschaft aufbauen; sein konsequent stakeholderorientierter Marketingansatz lässt keinen Zweifel über die zu beachtenden Prioritäten beim Fundraising und beim Sponsoring aufkommen. Auch dieser Beitrag kann für sich in Anspruch nehmen als Richtschnur für eine adäquate Umsetzung, hier des Fundraising-Managements, zu fungieren. Erfolgreiches Fundraising, das ist die Botschaft, ist das planbare Ergebnis von systematischer Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle. Der Autor subsumiert die Austauschprozesse unter den Begriff der integrierten Unternehmenskooperationen auch um deutlich zu machen, dass Fundraising/Sponsoring kein isoliertes Unterfangen ist. Thoralf Buller verabschiedet gleich zu Beginn seines Essays einige liebgewonnene (Vor) Urteile, die auf der Besonderheit und damit Unvergleichbarkeit der Wissenschaft gegenüber Führungskulturen in der Wirtschaft beharren. Seine Analyse destilliert die Herausforderungen, die sich aus den Veränderungen der organisationalen Kultur (Stichwort: Digitalisierung) für das Führungsverhalten ergeben. Transaktionale und transformationale Führungsentwürfe verbinden Praktiken zum Nutzen Einzelner wie für die gesamte Unternehmung. Doch Führung verlangt auch besondere Expertise, wenn die Führungskraft überzeugen will. Dazu gehören explizit betriebswirtschaftliche Kenntnisse über die Kosten von Leistungserstellungen, die Auswertung von Geschäftsvorfällen, Wissen über die Zusammensetzung und die Einflussgrößen der Gemeinkosten usw. Doch wer nimmt sich des offenkundigen Führungsvakuums in der Wissenschaft an? Hier kommt Claudia Heilmann ins Spiel. Ihr Beitrag nimmt das Thema zum Anlass eine exemplarische Marktanalyse für die Einrichtung eines adäquaten Weiterbildungsformats für die Zielgruppe der Nachwuchswissenschaftler, die nur eine, wenngleich bedeutende Zielgruppe repräsentiert. Wir erfahren, wie die Entwicklung des Wissenschaftssystems die Nachfrage nach Führungskompetenz ganz allgemein antreibt und welche Differenzierungen zwischen Wirtschafts- und Wissenschaftsumfeld in Bezug auf die Mitarbeiterführung zu beachten sind. Auf der Grundlage einer ausführlichen Wettbewerbsanalyse von Ausbildungsangeboten kann sie dann Vorschläge für ein praktisch umsetzbares Weiterbildungskonzept vorlegen, das Chancen hat, sich auf dem Markt durchzusetzen. Der Beitrag zeigt, dass es insbesondere für finanziell chronisch schwache Wissenschaftseinrichtungen unabdingbar ist, zunächst die aktuellen (Nachfrage) Bedarfe zu analysieren und sie in Relation zum Wettbewerb zu setzen. Ohne Zweifel: Dem wissenschaftlichen Nachwuchs, und damit auch der gesamten Organisation, würde ein derartiges Angebot gut anstehen. Events in der Wissenschaft gehören zu den Instrumenten des Wissenschaftsmarketings, die auch außerhalb der innerwissenschaftlichen Kommunikationsdiskurse von der interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das erzeugt nicht nur Begeisterung, denn man fürchtet, dass die Events der Seriosität abträglich sein könnten; Stichwort: Eventisierung der Wissenschaft.

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Thorsten Knoll weiß um die Tücken der Popularität, die mit Events erzeugt werden können. Sein Beitrag betont die positiven Effekte der kommunikativen Öffnung der wissenschaftlichen Einrichtungen und verbindet sie mit der wiederentdeckten Third Mission, zu der sich auf expliziten Wunsch der Politik vornehmlich die Universitäten und Fachhochschulen bekennen sollten. Knolls Eventverständnis setzt Prioritäten jenseits von unterhaltenden Spaßformaten; er konzentriert sich auf die marketingrelevanten Funktionen von Messen und Kongressen, deren Potenziale er in zwei ausführlichen Kapiteln herausarbeitet, bevor er im Schlusskapitel eine Lanze für die Perspektiverweiterung der Wissenschaftskommunikation bricht, auch und besonders unter Nutzung von wissenschaftlichen Events. Nur so könne die Wissenschaft ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Uwe Moldrzyk gehört der Leitung der Ausstellungsabteilung des neuerlich in der Publikumsgunst hoch angesehenen Berliner (Forschungs-) Museums für Naturkunde an, das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört. Dass das so ist, hat entscheidend damit zu tun, dass sich die Verantwortlichen ganz entschieden zu konsequentem Wissenschaftsmarketing bekannt haben. So wurde binnen weniger Jahre aus einem Ort, das seinen raison d`etrè vornehmlich aus schulischen Pflichtbesuchen bezog, ein Publikumsmagnet, der sich leisten kann thematisch anspruchsvolle Ausstellungen zu präsentieren, anstatt auf den nie nachlassenden Dinoappeal zu vertrauen. Auf diese Weise gelingt es dem Museum für Naturkunde (MfN) das scheinbar widersprüchliche: sowohl die Reputation der in der Forschung zu stärken als auch die Besucherzahlen zu verdreifachen. Der Entwicklungsprozess des MfN lässt sich als „ein institutioneller Erfolg belegen, der durch zielgerichtetes Wissenschaftsmarketing ermöglicht wird“ (Moldrzyk). Der Beitrag von Julia Brandt und Sandra Arndt befasst sich mit einem außergewöhnlichen Kooperationsverbund, in dem die Anwendung einer vom Wissenschaftsmarketing geprägten Philosophie einer strategischen Partnerschaft auf Zeit zum Erfolg verholfen hatte, obwohl das angestrebte Ziel, den Zuschlag für ein Thema aus einer BMBF-Förderlinie zu erhalten, (knapp) verfehlt wurde. Erfolgreich, weil es gelang, sechs Konkurrenten, die sich im „Alltag“ um die gleichen Töpfe bewerben, in einen (temporären) Verbund zusammenzufassen. Der Antrag des Berlin Innovation Transfer BIT6-Verbunds hat Impulse freigesetzt, die andeuten wozu strategisch ausgerichtetes Wissenschaftsmarketing imstande ist. Dazu passt, dass sich das Konsortium schon im Vorfeld der BMBF-Entscheidung darauf verständigt hatte die Zusammenarbeit fortzusetzen. Der Prozess der Projektentwicklung wurde intensiv evaluiert, sodass künftige Versuche auf allen beteiligten Ebenen davon profitieren werden. Ein Beitrag, der zur Nachahmung animiert. Das Fazit der Autorinnen: „Zukünftig geht es darum, die im BIT6-Verbund existierenden kulturellen Differenzen zu überwinden, die gemeinsamen Schnittmengen zu identifizieren und Synergieeffekte zu nutzen, ohne die Hochschulen in ihrer Eigenständigkeit zu beschneiden“. Stella Donata Haag zeigt, dass es nicht notwendig ein Widerspruch sein muss, dass sich eine Geisteswissenschaftlerin (erfolgreich) mit Wissenschaftsmarketing beschäftigt. Die Aufgabe hat es in sich: Die zur Universität geadelte Filmhochschule Babelsberg

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war von den Vorzügen des strategischen Marketing zu überzeugen, um ihr Institut für künstlerische Forschung (IKF) so aufzustellen, dass sie sich mit einiger Zuversicht den Herausforderungen stellen kann, die mit dem Upgrade notwenig verbunden sind. Ein günstiges Zeitfenster, eine mutige Universitätsleitung, KollegInnen mit Gespür und so viele „Baustellen“, dass es weniger um Zielkonflikte denn um Priorisierungen geht. Man hat sich auf den Weg gemacht; Marketing und Public Affairs markieren die Wegmarken. Nele Schneidereit, auch eine Geisteswissenschaftlerin, implementiert Wissenschaftsmarketingmethoden im geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich „Materiale Textkulturen“ (SFB 933) der Universität Heidelberg. Auch wenn er keine klassischen Marktwerte schafft, braucht der SFB strategisches Marketing, denn auch hier gilt es sich im harten Wettbewerb um Finanzen, Forscherpersönlichkeiten und Studierende zu positionieren. Zum Selbstverständnis der Disziplin gehört der Wissenstransfer, der sicherstellen soll, dass Wissen im Idealfall für alle zugänglich ist. In Zeiten, in denen die Öffnung der Wissenschaft zur Zivilgesellschaft vehement eingefordert wird, dürfen sich die VertreterInnen der Geisteswissenschaften in besonderem Maße angesprochen fühlen, die Erwartungen nach Reflexion und Orientierung zu erfüllen. Dass die Autorin mit ihrem Beitrag ein Kommunikationskonzept für den SFB933 vorlegt, kann daher nicht überraschen. Wenn sie in ihrer Zielgruppenbestimmung auf die ominöse „breite Öffentlichkeit“ verzichtet und NachwuchswissenschaftlerInnen und Bildungsinteressierte ins Auge fasst, ist das nicht nur ein Ausdruck realistischer Bescheidung, sondern adressiert en passant mit GutachterInnen und Hochschulleitung eine relevante Mittlerzielgruppe. Marketing at ist best. TUBS GmbH Berlin

Dr. Thorsten Knoll Dr. Wolfgang Merten

Inhaltsverzeichnis

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Wissenschaft und Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Uwe Herrmann 1.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Die Universität und die Reformbestrebungen seit der Jahrtausendwende. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

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Wissenschaftsmarketing neu denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Klaus Schmidbauer 2.1 Probleme und Herausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.2 Lösungen und Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.3 Neuer Marketingmix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.4 Kommunikationspolitik im Marketingmix. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

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Grenzen des Marktes in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Guido Speiser 3.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2 Marketing und Märkte in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.3 Wissenschaftliche Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.4 Drei Grundprobleme von Wissenschaftsmärkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken der Markenbildung und Markenführung im Wissenschaftssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Kai-Uwe Hellmann 4.1 Alles Marke oder was?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.2 Marke, Markentechnik, Markenkommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 XIII

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Inhaltsverzeichnis

4.3 4.4 4.5

Autonomie und Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems. . . . 95 Wissenschaft als Marke: Forschungsstände und Fallstudien. . . . . . . . . 102 Hyperkomplexe Wissenschaft und unterkomplexes Branding: Zusammenfassung und Handlungsempfehlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5

Strategische Kommunikationsplanung in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . 121 Klaus Schmidbauer 5.1 Die Grundlagen der strategischen Kommunikationsplanung. . . . . . . . . 122 5.2 Die analytischen Planungsschritte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.3 Der strategische Planungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.4 Die Planung der operativen Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

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Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing und Marktforschung: Wie Marketing Intelligence im Hochschulsektor zur Organisationsentwicklung und Positionierung von Hochschulen beiträgt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Ulrike Koch 6.1 Warum Internationalisierung? Was ist internationales Hochschulmarketing und warum brauchen wir es?. . . . . . . . . . . . . . . . 156 6.2 Zum Stand der Entwicklung von Internationalisierungs- und Marketingstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6.3 Was sind die Treiber der Entwicklung zum internationalen Hochschulmarketing?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 6.4 Im internationalen Wettbewerb um Exzellenz, Reputation und Aufmerksamkeit brauchen Hochschulen zur Steuerung mehr Education und Marketing Intelligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6.5 Organisationsanalysen zur Förderung der Internationalisierung. . . . . . 171 6.6 Umfeld- und Marktanalysen zur Förderung der Internationalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6.7 Der Aufbau der Hochschul(markt)forschung und Marketing Intelligence. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6.8 Über Marktforschung zur Kundenorientierung. Das Desiderat „Consumer bzw. Student Insights“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.9 Über Marktforschung zur Kundenorientierung: Service-Management und Student Services. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.10 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Inhaltsverzeichnis

XV

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Strategien zur Entwicklung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Thomas Baaken 7.1 Zur Bedeutung und zum aktuellen Stand der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7.2 Zur Einordung des Science-Marketing und der Wissenschaft-Wirtschaft-Kooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 7.3 Ausgewählte Instrumente der Entwicklung von Wissenschaft-Wirtschafts-Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 7.4 Barrieren und Treiber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 7.5 Anreizsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 7.6 Nudging. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 7.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

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Public Affairs als Marketinginstrument der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . 211 René Mono 8.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.2 Was ist Politik?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 8.3 Was ist Public Affairs?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 8.4 Welcher Output geht vom politischen System auf das wissenschaftliche System aus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8.5 Welchen Input erfährt das politische System vom wissenschaftlichen System?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.6 Wie lassen sich die Aufgaben von Public Affairs zusammenfassen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 8.7 Welche Instrumente stehen zur Verfügung, um die Aufgaben zu erfüllen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 8.8 Woran erkennt man gute Public Affairs?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 8.9 Welche ethischen Aspekte sollten wissenschaftliche Organisationen in Bezug auf Public Affairs beachten? . . . . . . . . . . . . . 230 8.10 Was bleibt abschließend zu sagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

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Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing für die Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Hans-Peter Pohl 9.1 Marketing im Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 9.2 Fundraising als Teil des Beschaffungs-Marketing. . . . . . . . . . . . . . . . . 239 9.3 Fundraising-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 9.4 Der Akquisitions-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

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10 Wissenschaftsmarketing im Spannungsfeld der Herausforderungen für Führende. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Thoralf Buller 10.1 Caprice. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 10.2 Das Dreigestirn der Disposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 10.3 Das Geschäftsmodell der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 10.4 Planungsprozess und das Problem mit der Schachtel . . . . . . . . . . . . . . 274 10.5 Kritische Faktoren für den Erfolg im Wettbewerb der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 10.6 Personale Logik aus dem Selbstverständnis der Konzepte der strukturellen Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 10.7 Structure follows function follows structure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 10.8 Erster Störer: Think scientist, think male. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 10.9 Zweiter Störer: Think culture, think digital culture. . . . . . . . . . . . . . . . 280 10.10 Killing me (not) softly – der toxische Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . 282 10.11 Get your kicks from contingent rewards and feedback . . . . . . . . . . . . . 283 10.12 Realize me, talk to me – and act like a leader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 10.13 At last, but not least: Be my partner, be my controller. . . . . . . . . . . . . . 286 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 11 Führen lernen in der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Claudia Heilmann 11.1 Problembeschreibung: Führung in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . 291 11.2 Methodisches Herangehen und Bedingungen der Untersuchung. . . . . . 294 11.3 Rahmenbedingungen: Führung im Kontext wissenschaftlicher Einrichtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 11.4 Qualifikationsbedarf: Erwerb von Mitarbeiterführungskompetenzen in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . 298 11.5 Ausbildungsangebote zum Kompetenzerwerb in der Mitarbeiterführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 11.6 Konzeptioneller Ausblick: Führend in die Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . 305 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 12 Events in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Thorsten Knoll 12.1 Einleitung: Third Mission – aus der Wissenschaft in die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 12.2 Technologie- und Wissenstransfer durch Messen . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 12.3 Wissensvermittlung durch Konferenzen und Tagungen. . . . . . . . . . . . . 321 12.4 Dialogformen Öffentlichkeit und Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 12.5 Was bleibt zu tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Auswahlliteratur zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

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13 Wissenschaftsmarketing am Beispiel des Museums für Naturkunde Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Uwe Moldrzyk 13.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 13.2 Forschungsmuseen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 13.3 Museum für Naturkunde Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?. . . . . . 369 Julia Brandt und Sandra Arndt 14.1 Vorbemerkung zum Förderprogramm Innovative Hochschule und Diskussion der geförderten Anträge . . . . . . . . . . . . . . 370 14.2 Rahmenbedingungen in Berlin und Impulse für die gemeinsame Antragsstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 14.3 BIT6-Verbundantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 14.4 Reflexion des Antragsprozesses und Handlungsempfehlungen. . . . . . . 387 14.5 Zusammenfassung und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 15 Strategien für Millionen Vom strategischen Nutzen einer Strategie (insbesondere) für künstlerische Hochschulen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Stella Donata Haag 15.1 Die hohe Kunst der Selbstdressur – oder: Warum sich strategisches Vorgehen lohnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 15.2 Gegenstand und Akteur der Strategie: das Institut für künstlerische Forschung (IKF) der Filmuniversität Babelsberg. . . . . . . 401 15.3 „Viel Feind, viel Ehr“: Aktuelle Situation, Rahmenbedingungen, Positionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 15.4 Das Eine tun und das andere manchmal doch lassen: Strategische Komponenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 15.5 Mehr Kunst, bessere Forschung, glücklichere Katzen. . . . . . . . . . . . . . 425 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 16 Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften: Kommunikationskonzept für den Sonderforschungsbereich 933 „Materiale Textkulturen“ an der Universität Heidelberg . . . . . . . . . . . . 431 Nele Schneidereit 16.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 16.2 Wissenschaftsmarketing für Geisteswissenschaften: Marktgestaltung und Wissenstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 16.3 Wissenschaftskommunikation für die Geisteswissenschaften. . . . . . . . 434 16.4 Fallbeispiel: Kommunikationskonzept für den Sonderforschungsbereich 933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 16.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

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Wissenschaft und Markt Die Reformen des deutschen Wissenschaftssystems seit der Jahrtausendwende am Beispiel der Universitäten und die Umfeldbedingungen für die Einführung des Wissenschaftsmarketings Uwe Herrmann

Zusammenfassung

Als die wohl bedeutendsten Institutionen innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems waren die Universitäten seit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes im Jahr 1998 und der Europäischen Studienreform im Jahre 1999 einschneidenden Veränderungen unterworfen. Unter den Stichworten „Deregulierung“, „Autonomie“ und „Wettbewerb“ setzten Transformationsprozesse ein, die die Universitäten sowohl hinsichtlich ihrer Organisationsformen und Steuerungsmechanismen als auch in ihren Kernbereichen Forschung und Lehre betrafen und die die Bedingungen, unter denen Wissenschaft, Forschung und Lehre an ihnen stattfindet und stattfinden kann, auf durchaus fundamentale Weise wandelten.

1.1 Einleitung Wenngleich die Feststellung, dass das Wissenschaftssystem in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten durchaus fundamentalen Veränderungen unterworfen war – und dieser Prozess auch noch andauert –, wahrlich keinen Neuigkeitsgehalt aufweist, so lohnt es sich angesichts des Umfanges und der Tragweite dieser Veränderungen doch, diese Entwicklung noch einmal Revue passieren zu lassen und dabei nicht nur die jeweiligen politischen Entscheidungen, sondern auch deren ideologische Prämissen, Motive und Folgeerscheinungen genauer in den Blick zu nehmen. Von besonderem Interesse sind dabei die Universitäten. Denn wenngleich hier vom Wissenschaftssystem die Rede ist, und damit letztlich all jene Institutionen gemeint U. Herrmann (*)  Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_1

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sind, die die Beförderung der Wissenschaft – Forschung, Lehre oder beidem – als ihre gesellschaftlich zugeschriebene Aufgabe aufweisen, so wird doch mit dem Wissenschaftssystem häufig das Hochschulsystem assoziiert. Und tatsächlich liegt diese Assoziation nahe. Denn die Hochschulen, genauer: die Universitäten haben das heutige Wissenschaftssystem aufgrund ihrer langen Tradition nicht nur in besonderer Weise geprägt; sie bilden regelrecht den Kern dieses Systems. Sie stellen die Hauptempfänger der staatlichen Zuwendungen dar, an ihnen ist ein Großteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland tätig und schließlich ist an ihnen die Mehrheit aller Studierenden immatrikuliert.1 Aufgrund dieser engen gesellschaftlichen Verankerung mittels Tradition, Forschung und Studium, sind es daher auch die Universitäten selbst gewesen, die den Reformen des Wissenschaftssystems in besonderer Weise ausgesetzt waren und weiterhin sind. Gerade an ihnen sind somit aber auch die Veränderungen besonders gut erkennbar, bei denen das vorderhin Sichtbare – etwa die rasante Zunahme der Studierendenzahlen,2 gepaart mit einer allenfalls vorsichtigen Anhebung der finanziellen Ausstattung durch den Staat3 – letztlich nur als Konsequenz von politischen Entscheidungen aufzufassen ist, die ihrerseits auf bestimmten ideologischen Prämissen fußen. Im Folgenden soll es also um die Universitäten gehen und um die Reformbestrebungen, von denen sie um die Jahrtausendwende herum ergriffen worden sind. Nach einem ersten Überblick über die Kernaspekte der Reformen ist dazu zunächst ein kurzer Abriss zur Institution Universität und ihrem Platz im deutschen Wissenschaftssystem im Verlauf des 20. Jahrhunderts nötig. Erst darauf kommen die Reformen und ihre Ziele genauer in den Blick, und zwar in den drei Bereichen: Governance, Forschung sowie Studium und Lehre. Auf diese Weise sollen die Gegebenheiten, unten denen die

1Die

herausragende Rolle der Universitäten innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems wird beim Blick auf die Zahlen deutlich. So gab es im Jahre 2017 in Deutschland insgesamt 120 Universitäten, darunter auch die staatlich anerkannten Universitäten in privater Trägerschaft. An ihnen waren im Jahre 2017 1,77 Mio. Studierende eingeschrieben. Und bei einem Gesamtausgabenwert von 48,2 Mrd. EUR beliefen sich die Ausgaben der Universitäten (ohne Hochschulklinika) auf 19,8 Mrd. EUR, die der Hochschulklinika auf 21,8 Mrd. EUR, die der Fachhochschulen auf 6,0 Mrd. EUR und die der Kunst- und Musikhochschulen 0,6 Mrd. EUR. Vgl. HRK (2017b). Im Vergleich: Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben im Jahre 2015 insgesamt circa 12,5 Mrd. EUR für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/ForschungEntwicklung/ForschungEntwicklung.html. Zugriff am 24.01.2018. 2Laut HRK (2017a, S. 22) gab es 2.807.010 Studierende im WS 2016/2017, im Vergleich zu 1.963.108 im WS 2004/2005. Und bereits 1985 sprach der Wissenschaftsrat von einem „sprunghafte[n] Anwachsen der Nachfrage nach Studienplätzen in den letzten beiden Jahrzehnten“ (WR 1985). Damals studierten, im Gebiet der damaligen BRD, laut Statistischem Bundesamt allerdings nur 1.336.674 Personen. Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/ Bildung/lrbil01.html. Zugriff am 24.01.2018. 3Vgl. zum Finanzdefizit der Hochschulen weiter unten, Anm. 10.

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Universitäten, aber auch das Wissenschaftssystem insgesamt, gegenwärtig operieren, ersichtlich werden, und damit auch die Rolle, die das Wissenschaftsmarketing dabei einnimmt und einnehmen kann.

1.2 Die Universität und die Reformbestrebungen seit der Jahrtausendwende Besonders einschneidend – Richard Münch spricht von einem „Strukturwandel des akademischen Feldes von historischer Tragweite“ (2007, S. 376) – für die Entwicklung der deutschen Hochschulen insgesamt waren die vierte Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) im Jahre 1998 und die Europäische Studienreform (Bologna-Reform) 1999. Grundlegend war dabei die von neoliberalen Ideologemen getragene Absicht, den Wettbewerb innerhalb des deutschen, aber auch europäischen Hochschulsystems nach US-amerikanischem Vorbild zu steigern. Auf diese Weise, so war man überzeugt, sei sowohl eine Steigerung der Qualität als auch der Leistungsfähigkeit des Hochschulsystems insgesamt herbeizuführen. Nicht nur die Vertreter von Staat und Politik, auch viele der Wissenschaft selbst zeigten sich mehrheitlich zuversichtlich, dass das Hochschulsystem auf diese Weise in eine Lage versetzt werde, in der es den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedingungen – geprägt zu einem durch staatliche Finanznot und problematische demografische Prognosen, zum anderen durch eine sich rasant verändernde Wirtschaft, angetrieben durch eine verschärfte Konkurrenz und eine sich intensivierende globale Verflechtung – weiterhin genügen könne.4 Die Leitbegriffe hinter der Novelle des HRG waren die der Deregulierung und des Wettbewerbs, und das Schlagwort, das als Lösung für die diagnostizierten Probleme der Hochschulen präsentiert wurde, war das der „Autonomie“. Die Hochschulen sollten in zunehmendem Maße aus der staatlichen Detailregulierung entlassen, und somit stärker als eigenständige Akteure definiert werden (vgl. Markova 2017, S. 155). Plötzlich war es ihnen möglich, ihre Rechtsform (vgl. Burtscheidt 2010, S. 115, 204 ff.), ihre innere Organisationsstruktur sowie ihre individuelle Ausrichtung in Forschung und Lehre mit größerer Freiheit zu wählen. Zugleich wurde ein neuartiges Governance-Modell eingeführt, mit dem die vorher durch Vorabplanung geprägte Detailsteuerung vonseiten der Ministerien durch ein ex-post-Prinzip ersetzt wurde. Zum Einsatz kamen nun sogenannte Performanzindikatoren und Zielvereinbarungen, die, verbunden mit einer Qualitätssicherung (Akkreditierung, Monitoring, Controlling und nachträglichen Evaluationen), zu einer Leistungs- und Qualitätssteigerung führen sollten. Denn durch eine derart

4Den

übergreifenden Zusammenhang rekonstruiert Münch (2007, S. 378): „Die Wirtschaft ist im Kontext der ökonomischen Globalisierung mit verschärftem internationalen Wettbewerb um die technologische Spitzenstellung konfrontiert. Daraus entsteht wachsende Nachfrage nach technologischen Innovationen. […] Da wissenschaftliche Erkenntnisse als Quelle von Innovationen betrachtet werden, steigen die politischen Erwartungen an den Erkenntnisfortschritt.“

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gesteigerte Eigenverantwortlichkeit versprach man sich nicht nur eine größere Effizienz in der jeweiligen Mittelverwendung, sondern auch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems insgesamt im internationalen Bezugsrahmen. Doch auch wenn sich durch diese gewaltigen Umstellungen den Universitäten vielfache neue Möglichkeiten eröffneten, so stellten sie für sie doch zugleich auch große Herausforderungen dar; und diese bestehen nach wie vor. Denn einerseits gab die Entlassung in eine größere Freiheit den Universitäten zwar den Raum, sich in mehreren Hinsichten eigenständig entwickeln zu können: etwa indem nunmehr eine eigene Profilbildung, angepasst an die eigene Geschichte und Tradition sowie die je lokalen und regionalen Gegebenheiten, ermöglicht wurde. Und diese Ausdifferenzierung und eigene Profilbildung innerhalb des Systems war auch ausdrücklich erwünscht. Andererseits aber brachte die nunmehr nötige Adaption betriebswirtschaftlich geprägter Prinzipien auf die Hochschulgovernance und -verwaltung auch vielfältige Probleme mit sich. Besonders schwer wog dabei das veränderte Finanzierungsmodell der sowieso schon seit längerem unterfinanzierten Hochschulen. Im selben Maße nämlich, wie die Grundfinanzierung allerorten entweder nicht weiter an steigende Kosten angepasst oder sogar zurückgefahren und nunmehr hin zu einer auf dem ex-post-Prinzip basierenden und somit leistungsbezogenen Finanzierung nach vorab festgelegten Kennziffern umgestellt wurde, in diesem Maße waren die Hochschulen auch stärker auf das Einwerben von externen – in der Regel ebenfalls staatlichen – Mitteln angewiesen, so dass mittlerweile die Forschung an Universitäten, aber zunehmend auch die gewachsenen Verwaltungsaufgaben auf projektförmiger Basis finanziert werden (vgl. Stichweh 2005, S. 132; Burtscheidt 2010, S. 213). Um jedoch die nötige Klarheit darüber zu gewinnen, was hinter all den erwähnten Begriffen steht, ist es erforderlich, einen genauen Blick darauf zu werfen, wie sich die Lage der Universitäten gestaltete und in welchen Bereichen und auf welche Weise die Reformen griffen.

1.2.1 Die „Universität“ und das deutsche Wissenschaftssystem im 20. Jahrhundert Dabei scheint bereits die Frage, was denn eine Universität sei, heute schwieriger zu beantworten denn je – trotz der enormen Wandlungen, die die Institution Universität im Laufe ihrer langjährigen Geschichte seit dem Mittelalter ohnehin durchgemacht hat.5 Denn allein schon abgesehen davon, dass es heute in Deutschland eine ­Vielzahl

5Schon

im Jahre 1904 stellte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Franz Eulenburg fest: „Im Grunde ist eigentlich nur der Name und der korporative Charakter der Anstalten geblieben, sowie gewisse äußere Förmlichkeiten, die Verleihung der Grade, eine beschränkte Gerichtsbarkeit u. a. Aber der Inhalt ist doch darüber ein wesentlich anderer geworden, wenn sie auch ihre gemeinsame Herkunft nicht verleugnen können. […] Sie waren scholastisch, humanistisch, rationalistisch, empiristisch – je nachdem die Zeiterfordernisse es verlangten. Gerade durch diese notwendige Anpassung haben sie sich die Jahrhunderte hindurch erhalten können.“ (Eulenburg 1904, S. 1).

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an Universitäten gibt und diese wiederum in völlig unterschiedlicher Gestalt und Größe erscheinen – „Klassische Universitäten“, Technische Universitäten, künstlerische Universitäten, Universitäten der Bundeswehr und private Universitäten –, und dass das Phänomen Universität selbst auch von ganz unterschiedlichen Seiten betrachtet werden kann,6 so lässt sich anscheinend nur in der Feststellung ein erster Ausgangspunkt finden, dass es ein Kennzeichen der Institution Universität ist, zugleich und zu gleichen Anteilen an zwei gesellschaftlichen Funktionssystemen teilzuhaben: „am Erziehungssystem und am Wissenschaftssystem“ (Stichweh 2005, S. 123). Für die Suche nach einer allgemein akzeptierten Definition ist damit allerdings noch nicht viel gewonnen. Und weiter hilft hierbei auch kaum der Duden, laut dem die Universität zum einen eine „in mehrere Fakultäten gegliederte [die Gesamtheit der Wissenschaften umfassende] Anstalt für wissenschaftliche Ausbildung und Forschung“ ist, und zum anderen die „Gesamtheit der Dozenten, Dozentinnen und Studierenden“. Denn zwar lässt sich daran erkennen, dass diese Definitionen auf dem beruhen, wie in der Vergangenheit Universitäten beschrieben wurden: zum einen die mittelalterliche Universität als eine „Gesamtheit der Lehrer und Schüler“ (universitas magistrorum et scholarium), zum anderen die seit Ende des 19. Jahrhunderts wirkmächtige Universitätsidee Wilhelm von Humboldts, in der die Universität für die „Gesamtheit der Wissenschaften“ (universitas litterarum) steht. Doch gerade diese letzte Definition suggeriert eine Einheitlichkeit, die in dieser Form wahrscheinlich kaum je gegeben war und von der auch heute nur schwerlich gesprochen werden kann. Denn „[d]ass eine Universität nur noch Teile des wissenschaftlichen Universums vertritt, ist unproblematisch geworden“ und im Einzelfall eher an den „finanziellen Möglichkeiten und der hochschulpolitischen Einschätzung“ (Schimank und Stölting 2001, S. 9) orientiert. Zudem sind die einzelnen Disziplinen an einer Universität in der Regel hochgradig heterogen und wenn überhaupt, dann nur noch auf sehr abstrakter Ebene als eine Einheit zu fassen: „Die Verhältnisse sind in den Natur- und Technikwissenschaften in vielen Hinsichten ganz anders als in den Philologien, in den praxisorientierten Sozialwissenschaften wie der Betriebswirtschaftslehre anders als in der Philosophie, in der Soziologie anders als in der Kunstgeschichte.“ (Schimank und Stölting 2001, S. 8)

Und dennoch lassen sich auch heute noch Strukturprinzipien der Universität identifizieren, die sich an ebenjener Humboldt’schen Idee orientieren und die in der Gegenwart zwar sicher nicht von allen, aber offenbar doch auch nicht nur von einigen ­Universitätsangehörigen allein, sondern ebenso von breiteren gesellschaftlichen ­Kreisen

6Während

etwa Wissenschaftspolitiker dazu neigen, eine Universität als eine Institution anzusehen, die Fachkräfte hervorbringt, welche dann wiederum wirtschaftliche Innovationen vorantreiben können und sollen, sind für Soziologen vor allem ihre eigentümlichen Organisationsformen interessant. Und Erziehungswissenschaftler sehen die Universität eher als einen Ort der Bildung.

6

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geteilt werden (vgl. Meier und Schimank 2009, S. 181 ff.; Ricken 2014, S. 13). Die Kernaspekte der Institution Universität lauten auch heute noch vielfach: „Einheit von Forschung und Lehre“, „Erwartung der universitas litterarum, also die Einheit der Wissenschaften“; „Erwartung von ‚Bildung und (oder: durch) Wissenschaft‘“ (Tenorth 2014, S. 45 f.). Dabei kann diese Tatsache, dass sich offenbar viele Personen an einer Idee orientieren, die vor etwa 200 Jahren und somit unter gänzlich anderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen entstanden ist, nicht anders als erstaunen. Denn die Universitäten am Beginn des 21. Jahrhunderts haben kaum mehr etwas mit denjenigen gemein, denen sich Wilhelm von Humboldt gegenübersah. Und dies wird nicht nur beim Stichwort „Massenuniversität“ sofort evident, sondern auch beim Blick auf das stark gewachsene Fächerspektrum und die vielfältigen Aufgabenzuschreibungen, mit denen Universitäten heute in der Regel konfrontiert sind: „Lehren, lernen und forschen in sozialer Isolation und unabhängig von sozialen Zwecken (also: in Einsamkeit und Freiheit) widerspricht […] den im gegenwärtigen Reformdiskurs vertretenen Anforderungen an Universitäten. Hier werden unter dem Stichwort ‚Wissensgesellschaft‘ die am Arbeitsmarkt orientierte Qualifikation breiter Bevölkerungsschichten und die Vernetzung der akademischen Forschung mit Organisationen des Wirtschaftssystems gefordert, also eine Neupositionierung jenseits von ‚Einsamkeit und Freiheit‘.“ (Krücken 2002, S. 21)

Zudem betreffen die „Erwartungen an die Hochschulen […] sowohl eine aktivere Kommunikation mit der Gesellschaft über Zukunftsfragen als auch ein stärkeres regionales Wirksamwerden“ (Henke et al. 2016, S. 16). So ist auch mit Blick auf den Bereich der Forschung bereits seit den 1960er Jahren eine starke Inklusionsdynamik zu konstatieren, wenn neben den innerwissenschaftlichen Gesichtspunkten und der Motivation einer Erkenntnis um ihrer selbst willen nicht nur der Aspekt der außerwissenschaftlichen Relevanz seither von vielen Akteuren in Politik und Wirtschaft immer deutlicher eingefordert wurde, sondern auch, bedingt durch die gewachsene Notwendigkeit, externe Finanzmittel zu akquirieren, außerwissenschaftliche Nutzer unter dem Stichwort „Technologietransfer“ als zahlende Auftraggeber und Forschungskooperateure in stärkerem Maße auftreten (vgl. Schimank 2014a, S. 37). Und auch das Wissenschaftsverständnis selbst ist darunter mittlerweile in Bewegung geraten, denn „inzwischen reden alle vom ‚mode 2‘, dem ‚new mode of knowledge production‘ […], der Grundlagen- und Anwendungsbezüge ineinander übergehen lässt und Universitäten vielfältig mit Nutzern vernetzt“ (Schimank 2014a, S. 37; vgl. bereits Krücken 2001, S. 329 ff.). Hinzu treten aber noch weitere entscheidende Unterschiede. Denn spätestens mit Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Jahre 1911, als deren Nachfolgeorganisation sich die Max-Planck-Gesellschaft im Jahre 1945 konstituierte, findet Forschung, institutionell betrieben und staatlich gefördert, auch außerhalb von

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Universitäten in großem Maßstab statt,7 was zu einer nachhaltigen Auflösung des Postulates der Einheit von Forschung und Lehre geführt hat. Und seither hat sich der außeruniversitäre Sektor mit der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-­ Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft nicht nur enorm vergrößert, sondern er hat auch für viele Wissenschaftler selbst aufgrund der geringen oder gar gänzlich fehlenden „Lehrbelastung“ erheblich an Attraktivität gewonnen (vgl. Reichenbach 2014, S. 83 f.; Schimank 2014a, S. 37 f.). Daneben schließlich findet Forschung, in der Regel anwendungsbezogen, mittlerweile auch in deutlich wachsendem Maße in der Wirtschaft selbst statt (vgl. BMBF 2016, S. 9). Erst Ende 2016 meldete etwa die FAZ, dass die „Forschungsausgaben der deutschen Unternehmen so stark gestiegen [seien] wie noch nie zuvor“ (Roßbach 2016) und dass dieser – von hochrangigen Vertretern des deutschen Wissenschaftssystems durchaus mit Argwohn betrachtete8 – Trend auch im internationalen Umfeld deutlich zu erkennen sei. Dass angesichts dieser Entwicklung bereits früh der Gedanke aufkam, „dass die Einheit von Forschung und Lehre störend ist, man erfolgreiche Forscher davon befreien muss“ (Tenorth 2014, S. 56), kann daher kaum verwundern. Insbesondere gilt dies seit den 1970er Jahren, als die Inklusion breiter Bevölkerungsschichten ins Hochschulsystem erklärtes politisches Ziel wurde (vgl. Teichler 2002, S. 31 ff.; Schimank 2014a, S. 36), was wiederum zur Folge hatte, dass die Studierendenzahl seither um mehr als das Dreifache angestiegen ist.9 Und allein in der „letzte[n] Dekade [gab es] eine historisch einmalige Zunahme der bundesweiten Studierendenzahlen um insgesamt rund ein Drittel“ (Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 44). Verschärft wurde diese Auflösung noch dadurch, dass es trotz dieser Entwicklung keinen politischen Willen gab, die Universitäten für einen solchen Aufwuchs adäquat mit Finanzmitteln auszustatten, so dass spätestens seit den 1970er Jahren eine deutliche Unterfinanzierung zu sehen ist (vgl. Tenorth 2014, S. 55), die seither zwar immer wieder beklagt, aber der eben auch kaum

7Zur

Rolle der Akademien der Wissenschaften, die im 17. und 18. Jahrhundert eine Gründungswelle erlebten und an denen auch bereits Forschung stattfand, vgl. Lentsch (2010, S. 412 f.). 8Etwa vom derzeitigen Präsidenten der DFG Peter Strohschneider, der darauf verweist, dass die „Forschungsstärke von Privatunternehmungen dramatisch wächst – denken Sie nur an die großen fünf Firmen im Silicon Valley, oder daran, dass die Gates-Stiftung 15 Milliarden Dollar für die Beseitigung von Infektionskrankheiten in Afrika ausgibt, das fünffache des Jahresbudgets der DFG – da entstehen neue Akteure in der Forschung, auf die die öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen und auch die Nationalstaaten nicht gut vorbereitet sind“ (2017a). 9Vgl. Bundeszentrale (2014). Dieser enorme Zuwachs erscheint allerdings für die OECD noch immer unzureichend. Vgl. OECD (2015, S. 15 f.). Zur Rolle der OECD vgl. auch Neumann (2014, S. 247). Siehe zu den Akademisierungsquoten auch Reichenbach (2014, S. 81 f.). Er weist darauf hin und dies ist wahrscheinlich die Ursache der OECD-Forderung, dass das Phänomen der Hochschulexpansion sich weltweit beobachten lässt, weil „Bildung in allen dominanten Weltideologien als ein Hauptmittel auf dem Weg zum Fortschritt gilt“ (94). Innerhalb dieser Konkurrenzsituation gilt es offenbar für die OECD zu bestehen.

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abgeholfen worden ist.10 Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass sich Universitäten mittlerweile in überwiegendem Maße Studierenden gegenübersehen, die zwar freilich auch an wissenschaftlicher Bildung, in erster Linie aber an einer direkten Berufsqualifikation interessiert sind (vgl. Schimank und Stölting 2001, S. 225; WR 2006, S. 28; Enders 2016, S. 508). Zusätzlich zu einer ganzen Reihe von universitären Neugründungen und kapazitären Erweiterung der Universitäten (vgl. Meier und Schimank 2009, S. 201) gab es daneben seit dem Ende der 1960er Jahre und der damals erfolgten Gründung der Fachhochschulen als Hochschulen neuen Typs und mit eigenem Aufgabenfeld eine ganze Reihe disziplinärer Auslagerungen, insbesondere auf dem Gebiet der Technik, sowie eine Gründungswelle von Spezialhochschulen (vgl. Enders 2016, S. 504; Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 44), was wiederum die seit jeher bestehende Fiktion einer universitas litterarum hat erodieren lassen. Zudem sorgen schließlich die sich seit einigen Jahren etablierenden dualen Hochschulen, in denen eine Berufsausbildung mit einem Studium kombiniert wird, und die in den letzten Jahren schnell zunehmende Zahl privater Hochschulen sowie die daraus resultierenden Kooperationsformen in Forschung und Lehre für eine „bisher unbekannte[] Unordnung“ (Enders 2016, S. 513; vgl. Neumann 2014, S. 251 f.). Diese Ausdifferenzierung des Hochschulsystems „hat die alte Einheit aufgelöst, die das Wissenschaftssystem auszeichnete und die Universität, als Kern dieses Systems, der Privilegien beraubt, die sie in älterer Zeit hatte“ (Tenorth 2014, S. 57). Denn mittlerweile fordern auch die Fachhochschulen offen das Promotionsrecht ein, und zum Teil haben sie es auch bereits erhalten.11 Und dies ist weniger verwunderlich, wenn man bedenkt, dass anwendungsorientierte Forschung an den Fachhochschulen, angestoßen durch die dritte Novellierung des HRG im Jahre 1985 und in der Folge durch die Novellierungen der Landeshochschulgesetze der letzten Jahre, mittlerweile überall als Pflichtaufgabe stattfindet – ein Phänomen, das von Beobachtern als „academic drift“ bezeichnet wird (vgl. Enders und Schimank 2001, S. 172 ff.; WR 2006, S. 28; Burtscheidt 2010, S. 314; Tenorth 2014, S. 57; Enders 2016, bes. S. 507 ff.). Sie streben nun ganz ­offenbar

10Vgl. zwar Lanzendorf und Pasternack (2016, S.  45): „Entgegen einer landläufigen Wahrnehmung hat sich die finanzielle Nominalausstattung der Hochschulen zwischen 2004 und 2013 in 15 Bundesländern verbessert, davon in sechs Ländern erheblich (in Berlin war ein Minus zu verzeichnen).“ Insgesamt sei für diesen Zeitraum also eine „Realsteigerung in der Landeshochschulfinanzierung“ zu konstatieren. Aber die Feststellung, dass gemessen an den Finanzierungsquoten vor der sogenannten Bildungsexpansion in den 1970er Jahren die Universitäten heute im Verhältnis finanziell deutlich schlechter gestellt sind, verliert damit nicht ihre Gültigkeit. 11Nach einer Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes im Jahre 2016 wurde es möglich, dass „Hochschulen für angewandte Wissenschaften […] ein befristetes und an Bedingungen geknüpftes Promotionsrecht für solche Fachrichtungen zuerkannt [wird], in denen sie eine ausreichende Forschungsstärke nachgewiesen hat“ (HHG § 4, Abs. 3). 2017 wurde auch in Schleswig-Holstein zu diesem Zweck ein Promotionskolleg eingerichtet.

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nach einem den ­Universitäten ebenbürtigen Status, was nicht zuletzt auch daran erkennbar ist, dass sie in den 1990er Jahren begannen, den Namenszusatz Universities of Applied Sciences zu führen. Insbesondere aber auf dem Gebiet Studium und Lehre zeigen sich die Angleichungstendenzen besonders deutlich. Denn die mit dem Bologna-Prozess einhergegangene Verkürzung der Studienzeit machte es nötig, die einst für Universitäten konstitutive Forschungsorientierung der Lehre vor allem in der Bachelorphase drastisch zurücktreten zu lassen. Allein der Master „sollte dann das bieten, was einst originäre Aufgabe der Universität war: ein Studium, das wissenschaftlich in die Tiefe ging“ (Burtscheidt 2010, S. 116). Zudem hat die Gleichsetzung der Abschlüsse der verschiedenen Hochschultypen und die stärkere Berufsorientierung vieler Studiengänge zum Verschwinden klarer Trennlinien geführt, was die bis dahin gegebene „binäre Hochschulstruktur (Trennung von Universität und Fachhochschule) zunehmend verblass[en]“ (Reichenbach 2014, S. 84; vgl. WR 2010, S. 22 f.), ja sogar regelrecht obsolet werden ließ, so dass der Wissenschaftsrat bereits 2006 zu der Einschätzung kam: „In der Praxis bedienen die Universitäten also in erheblichem Umfang eine Nachfrage, die zu bedienen nach der binären Typendifferenzierung auch Aufgabe der Fachhochschulen sein könnte.“ (WR 2006, S. 28)

Für die Universitäten und vor allem ihre hauptamtlichen Mitglieder war dies zwar ein ganz erheblicher Stein des Anstoßes (vgl. Reichenbach 2014, S. 91). Zugleich aber machte es die starke Nachfrage nach praxis- und berufsorientierter Ausbildung, zusammen mit dem nur zaghaften Ausbau der Fachhochschulen und einer an die Studienattraktivität gekoppelten Finanzierung, für die Universitäten notwendig, ebenfalls mittels eines „professional drift [hin] zur praxisorientierten Lehre und Forschung“ (Enders 2016, S. 508) zu reagieren (vgl. Burtscheidt 2010, S. 311). „Diese wirkungsmächtige Akteursfiktion einer weitgehend stabilen Arbeitsteilung innerhalb eines binären Hochschulsystems bei gleichzeitig geringer Binnendifferenzierung innerhalb der beiden Teilsysteme lässt sich heute nicht mehr halten. Das Streben der Fachhochschulen sich auch in der Forschung zu profilieren hat zunehmende politische Anerkennung und Unterstützung erfahren. Die Universitäten haben im Gegenzug gesteigerte Anstrengungen unternommen, die Praxisorientierung ihrer Studiengänge zu verstärken.“ (Enders 2016, S. 513 f.)

Die Universitäten und damit auch die Institution Universität selbst sehen sich also, wie wohl ihre gesamte Geschichte hindurch, einer sich stürmisch verändernden Außenwelt gegenüber, durch die sie wiederum selbst zu Anpassungsbewegungen aufgefordert sind. Die Ziele einer Universität, die traditionell in der Forschung und Lehre lagen, haben sich unter diesen Veränderungen erweitert, so dass gegenwärtig sowohl eine stärkere Praxisrelevanz als auch ein „gesellschaftlicher Nutzen“ dazu zählt. Und durch diese Erweiterung kam es nicht nur zu regelrechten Zielkonflikten (vgl. Schimank und Stölting 2001, S. 231) – etwa zwischen Forschung und Lehre, aber auch zwischen

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einer Ausweitung der Hochschulautonomie und einer stärkeren gesellschaftlichen Verankerung (vgl. Stucke 2001, S. 125) –, sondern verändert haben sich auch die traditionellen Ziele selbst, wenn in der Lehre das grundständige Studium zum einen um Fort- und Weiterbildungen erweitert wurde, und die Inhalte selbst zum anderen stärker an die berufliche Praxis angepasst und mehr Praxisrelevanz eingefügt wurden, und wenn Forschung eine stärkere außerwissenschaftliche Relevanz aufweisen soll (vgl. Schimank und Stölting 2001, S. 226). Bereits kurz nach der Jahrtausendwende kam Uwe Schimank daher zu folgender Einschätzung: „Der Zielkatalog der deutschen Hochschulen hat sich also innerhalb von gut zwanzig Jahren enorm aufgefächert. Aus einem Bündel von zwei klar hierarchisierten und konsensgetragenen Zielen – gute Forschung, an innerwissenschaftlichen Kriterien gemessen, und ausreichende Lehrkapazität – sind zehn Ziele geworden, über deren relatives Gewicht in den meisten Fällen alles andere als Einigkeit besteht. Neu hinzugekommene Zielgrößen sind: ausreichende Forschungskapazität, außerwissenschaftliche Relevanz der Forschung, Möglichkeiten für unorthodoxe Forschungsperspektiven, Autonomie bei der Wahl der Forschungsthemen, Qualität der Lehre, Praxisrelevanz der Lehre, deren Ausrichtung am Praxisbedarf sowie das Angebot wissenschaftlicher Fort- und Weiterbildung.“ (2001, S. 227)

Es ist angesichts dieser Entwicklungen wenig überraschend, dass es mit Blick auf die Institution Universität „einen ununterbrochenen Krisen- und Reformdiskurs“ (Schimank 2014a, S. 34) gibt, der sich allerdings bis mindestens ins Jahr 1945, bei genauem Blick aber wohl auch noch viel weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt. Aber ebenso offensichtlich ist auch: „Die deutsche Universität steht gegenwärtig vor einer schwierigen Doppelaufgabe. Sie muß ihre klassischen Begriffe in eine moderne Sprache übertragen und Lösungsmöglichkeiten für die aktuell anstehenden Probleme präsentieren, wenn sie ihren privilegierten Status als staatlich unterstützte Institution bewahren und zugleich an Autonomie gewinnen will“ (Sieg 2005, S. 18).

1.2.2 Die Reformen und ihre Ziele Auf politischer Seite war in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts recht schnell klar, dass die Hochschulen und insbesondere die Universitäten aufgrund der sich rapide ändernden Rahmenbedingungen sowie der sich dadurch ergebenden neuen Aufgaben und Ziele grundlegender Reformen bedürfen. Ziel war es, das Hochschulsystem angesichts seiner offenbaren Schwächen einerseits – mangelnde internationale Sichtbarkeit der Forschung, „Massenuniversität“ und schlechte Bedingungen in Studium und Lehre – und angesichts größerer und schnell wachsender Herausforderungen andererseits – Studierendenzahlen, geänderte Anforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie zunehmende internationale Konkurrenz in Forschung und Lehre – effizienter und leistungsfähiger zu gestalten (vgl. Küpper 2009, S. 50; Neumann 2014, S. 241). Das

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­ ittel der Wahl dafür war ein von neoliberalen Ideologemen getragenes Modell der M Marktliberalität, das in den hochschulpolitischen Debatten spätestens seit den 1980er Jahren greifbar ist und das heute, trotz mannigfacher Attacken bis in die jüngste Zeit, eine die Diskussion dominierende Stellung erreicht hat (vgl. Hornbostel 2001, S. 140; Küpper 2009, S. 55; Burtscheidt 2010, S. 9; Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 56).12 Als Kern dieser Reformen wurde daher, mit interessiertem Blick auf das US-amerikanische Hochschulsystem (vgl. Stucke 2001, S. 125), das Prinzip des Wettbewerbs herausgestellt. Denn: „[V]om Wettbewerbsgedanken versprachen sich Reformer und Politiker Universitäten, deren Mitarbeiter beweglich bleiben“ (Burtscheidt 2010, S. 29; vgl. Meier und Schimank 2009, S. 215 ff.). So legte bereits im Jahre 1985 der Wissenschaftsrat, im Jahr 1957 gegründet und laut gegenwärtiger Selbstbeschreibung „eines der wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremien in Deutschland“13 seine Empfehlungen zum Wettbewerb im deutschen Hochschulsystem vor. Darin konstatierte er, dass es im deutschen Hochschulsystem „teils an Transparenz, teils an den nötigen Handlungsspielräumen, teils an Leistungsanreizen fehlt“, so dass es auf institutioneller Ebene kaum zu einem Wettbewerb um Reputation und Studierende komme. Auch hinsichtlich der Professoren, deren individuelle Leistung etwa qua Besoldungsdifferenzen nur in geringem Maße von den Hochschulen honoriert werden könne, wurde der Wettbewerb mit klaren Worten als zu gering befunden. „Das deutsche Hochschulsystem gibt dem in ein Professorenamt auf Lebenszeit berufenen Hochschullehrer eine sichere und auskömmliche Stellung. Es ist nicht zu übersehen, daß man sich in dieser Stellung verhältnismäßig bequem einrichten kann. Auch wenn die meisten Hochschullehrer das nicht tun – die Frage nach Wettbewerbsimpulsen gewinnt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung.“ (WR 1985)

Um den Wettbewerb anzufachen, kam die Überlegung ins Spiel, durch eine „vergleichsweise knappe Grundausstattung […] sowohl den Anreiz [zu] erhöhen, Drittmittel einzuwerben, als auch bei vermehrter Anzahl von Anträgen zu der Notwendigkeit [zu] führen, Vorhaben ihrer Qualität nach gegeneinander abzuwägen“ (WR 1985). Somit gingen die politischen Vertreter mit durchaus beachtlichem Eifer dazu über, im Hochschulsektor eine marktähnliche Situation zu erschaffen – marktähnlich insofern, als der Staat darin in der Regel als bedeutendster oder sogar also einziger Nachfrager beziehungsweise „Kunde“ wissenschaftlicher Dienstleistungen auftritt.

12Das soll freilich nicht heißen, dass Wissenschaftspolitiker in der Regel darauf abzielten, einem neoliberalen Gedankengut in Reinform zur Durchsetzung zu verhelfen. Vielmehr sehen sie die Aufgabe des Staates durchaus darin, vergleichbare Ausgangsbedingungen zu schaffen. Vgl. hierzu die Untersuchungen von Markova (2017). 13https://www.wissenschaftsrat.de/ueber-uns/aufgaben.html. Zugriff am 23.01.2018. Vgl. dazu Meier und Schimank (2009, S. 177): „Zwar ist der Wissenschaftsrat ein ‚politisiertes‘ Gremium, seine diskursive Autorität beruht aber darauf, durch seine hybride Besetzung gerade nicht nur die Perspektive der staatlichen Seite zu verkörpern.“

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Offenbar um die negativen Auswirkungen eines zu scharfen oder aber unter ungleichen Ausgangsbedingungen stattfindenden Wettbewerbs wissend, schloss aber bereits der Wissenschaftsrat damals mit Empfehlungen, in denen er die Notwendigkeit der Transparenz hervorhob und zugleich betonte, dass „einzelne Indikatoren [in der Leistungsbemessung] nicht überbewertet, Beurteilungen vielmehr auf eine Vielzahl unterschiedlicher Indikatoren gegründet werden“ (WR 1985) sollten. Interessant mit Blick auf die vorherrschenden Deutungsschemata der Gegenwart betonte er damals darüber hinaus, dass es nicht darum gehen dürfe, „wenige Spitzenuniversitäten, sondern Leistungszentren in einem Fach oder einigen Fächern an möglichst vielen Hochschulen“ zu schaffen, um die Entstehung von „Provinzen der Mittelmäßigkeit“ (WR 1985) zu vermeiden (vgl. Meier und Schimank 2009, S. 218 f.). Im Verlaufe der 1990er Jahre war der Wettbewerb dann ganz offensichtlich zum „gestaltenden Prinzip von Bildungseinrichtungen geworden“ (Burtscheidt 2010, S. 30; vgl. Neumann 2015, S. 306). Und im Jahr 1998 mündeten die Diskussionen zwischen Bund, Ländern, Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen, kurz vor der Initiierung der Europäischen Studienreform (Bologna-Prozess), in der vierten Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG), mit der der Wettbewerb in das Hochschulsystem auf umfassende Weise Einzug hielt: nämlich sowohl hinsichtlich der Governance und der administrativen Strukturen, aber auch hinsichtlich der Forschung sowie des Studiums und der Lehre. Angesichts einer zum ersten als zu lang beurteilten Studiendauer (durchschnittlich sieben Jahre an den Universitäten), einer zum zweiten nur mangelhaften Betreuung, insbesondere in der Studienbeginn- und -abschlussphase, einer zum dritten nur geringen internationalen Attraktivität der deutschen Hochschulen, einer zum vierten nicht vorhandenen internationalen Vergleichbarkeit der deutschen Studienabschlüsse und einer zum fünften im Verhältnis geringer werdenden Sichtbarkeit von Forschungsergebnissen im internationalen Umfeld (vgl. HRG 1997, S. 13) zielte die Politik mit der Novellierung unter anderem auf: „die Einführung einer leistungsorientierten Hochschulfinanzierung, die Einführung einer Evaluation von Forschung und Lehre, die Neudefinition und -festlegung der Regelstudienzeit, die Verstärkung der Studienberatungspflicht der Hochschulen, die Einführung einer Zwischenprüfung in allen Studiengängen mit mindestens vier Jahren Regelstudienzeit, die Einführung eines Leistungspunktsystems zur Akkumulation und zum Transfer von Studienund Prüfungsleistungen, die Ermöglichung der Vergabe der Hochschulgrade ‚Bachelor‘ und ‚Master‘ bzw. ‚Bakkalaureus‘ und ‚Magister‘, die Aufnahme eines Hochschulauswahlverfahrens […].“ (HRG 1997, S. 1; vgl. dazu Stucke 2001, S. 129; Burtscheidt 2010, S. 115 f.)

Im Jahre 2002 erfolgte dann bereits die fünfte Novelle des HRG, mit der vor allem die Karrierewege im Hochschulsystem neu geordnet werden sollten. Eingeführt wurde hiermit unter anderem die Juniorprofessur, die einen zur Habilitation alternativen Weg zur Professur eröffnen sollte (vgl. HRG 2001, S. 1; Burtscheidt 2010, S. 119). Zeitgleich wurde im Bundestag auch das sogenannte „Professorenbesoldungsreformgesetz“ (ProfBesReformG,

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BGBl. I 686) verabschiedet, mit dem eine leistungsgerechte Besoldung der Hochschullehrer eingeführt wurde. In besonderem Maße zielten die unterschiedlichen Reformen also auf drei Bereiche – Governance, Forschung sowie Studium und Lehre (vgl. Neumann 2014, S. 241 f.) –, und sie gilt es daher im Folgenden eingehender zu betrachten.

Governance Damit sich dieser Wettbewerb überhaupt entfalten kann, wurde es als unerlässlich angesehen, den Hochschulen – Stichwort „Deregulierung“ und „Autonomie“ – mehr Eigenständigkeit einzuräumen. „[D]as Hochschulrahmengesetz [sollte] in erheblichen Maße dereguliert werden“, worunter zunächst „ein weitgehender Verzicht auf Regelungen zur inneren und äußeren Organisation und Verwaltung der Hochschulen“ (HRG 1997, S. 1 f.; vgl. dazu Burtscheidt 2010, S. 14) verstanden wurde. Nicht nur die Vertreter der Wissenschaft riefen vielfach nach institutioneller Autonomie, und das von allen Seiten angestrebte Leitbild war das der autonomen Hochschule (vgl. Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 36; Enders 2016, S. 510): als einer Hochschule, die in Fragen der strategischen Ausrichtung und Profilierung, der Organisation, des Haushalts- und Personalrechts sowie des Berufungswesens, der Leitungs- und Entscheidungsstrukturen, der Finanzen, aber auch in denen der Forschung und Lehre, mit Blick auf Genehmigung von Studiengängen und Prüfungsordnungen, und schließlich auch in Fragen der Qualitätsentwicklung und -sicherung selbstständig entscheiden und operieren kann und die auf diese Weise einen gleichsam „unternehmerischen“ Charakter ausprägen konnte und sollte (vgl. Stifterverband 2008, S. 13 ff.). Der Anspruch und die Forderung zugleich lauteten vielfach: „Staatliche Hochschulen in Deutschland sollen über eine ähnliche Handlungsfreiheit wie privatwirtschaftliche Unternehmen verfügen“ (Burtscheidt 2010, S. 157). Komplementär zu diesem angedachten Zuwachs an institutioneller Autonomie durch eine Verringerung der staatlichen Feinsteuerung durch Verfahrensvorschriften und einer Aufhebung der Fachaufsichten in den Ministerien wurden unter Anlehnung an privatwirtschaftliche Modelle neue Steuerungsinstrumente, und mit Hochschulräten sowie Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auch neue Akteure eingeführt (vgl. Schimank 2016, S. 46). Während diese die Begleitung und Steuerung dieses Umgestaltungsprozesses ermöglichen sollten, so geschah die Einrichtung von in der Regel sogenannten Hochschulräten mit der Zielsetzung, als eine Art Kontrollgremium zu fungieren und zugleich eine stärkere Öffnung der Hochschule in Richtung Gesellschaft herbeizuführen. Dabei rief die Vorgabe, dass sie in der Mehrzahl mit hochschulexternen Mitgliedern aus Wirtschaft, Politik und Kultur besetzt sein sollten, umgehend scharfe Kritik wegen eines womöglich fließenden Übergangs zwischen beratender Funktion und konkreter Mitbestimmung und einer somit eingeschränkten akademischen Selbstverwaltung (vgl. bes. Röbken und Schütz 2013) hervor. Mit Blick auf die neuen Steuerungsinstrumente erfolgte bundesweit eine Umstellung auf eine leistungsorientierte Finanzierung der Hochschulen, weg von einer ex-ante

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Steuerung, in der staatlicherseits konkrete Handlungsanweisungen an die Hochschulen ergingen, hin zu einer ex-post Steuerung, in der indikatorgestützte Mittelzuweisungen, Kontraktmanagement und Globalhaushalte (vgl. WR 2006, S. 24; Meier und Schimank 2009, S. 225; Schubert und Schmoch 2010, S. 247 f.; Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 47 f.) zur Anwendung kamen. Der Staat sollte nunmehr mittels einer Ergebniskontrolle die Mittel zu großen Teilen nach je erbrachter Leistung in Forschung, Lehre und Gleichstellung verteilen können (vgl. Burtscheidt 2010, S. 26 f.). Auf diese Weise wurde aber nicht nur der Wettbewerb zu einem tragenden Prinzip in der Hochschulfinanzierung, sowohl zwischen den Hochschulen als auch innerhalb der einzelnen Hochschule selbst, vor allem in und zwischen den Fachbereichen. Die Hochschulen sollten darüber hinaus auch in viel größerem Maße für sich selbst in der Verantwortung stehen können, um eine für die je als nötig befundenen Anpassungsbewegungen erforderliche Flexibilität sicherzustellen, um so Profilbildung und Differenzierung voranzutreiben und um generell die Leistungsfähigkeit zu steigern (vgl. Küpper 2009, S. 54; Schimank 2014a, S. 40). In den Worten des Wissenschaftsrates: „An die Stelle der Regelsteuerung tritt aber nicht allein der Wettbewerb der Hochschulen untereinander. Vielmehr wird das legitime Steuerungsinteresse des Staates anerkannt und im Sinne einer Steuerung über Ziele neu instrumentiert. Wesentliches Merkmal neuer Steuerungsmodelle ist also nicht der Verzicht auf staatliche Steuerung, sondern die Verlagerung von Kompetenzen vom Staat auf die Hochschulen bei gleichzeitiger Konzentration des Staates auf die Steuerung über strategische Ziele. Wettbewerb bleibt ein wesentliches Instrument, um Qualität, Flexibilität und Effizienz zu steigern, wird aber als regulierter Wettbewerb unter staatlich definierten Rahmenbedingungen begriffen.“ (WR 2006, S. 23 f.)

Mittels sogenannter New Public Management (NPM)-Reformen, einem Paradigma der Verwaltungswissenschaften, welches in den 1990er Jahren auftauchte, wurden also neue Steuerungsinstrumente eingeführt, die auf zwei Ebenen zu wirken begannen: einerseits zwischen dem jeweiligen Bundesland und der einzelnen Hochschule, und andererseits innerhalb der Hochschulen selbst (vgl. Küpper 2009, S. 51). Kennzeichen dieses mittlerweile in allen Landeshochschulgesetzen verankerten, sich aber auf Länderebene in großem Variantenreichtum (vgl. Lange 2008; Kamm und Köller 2010, S. 649) manifestierenden Modells sind die „geringe staatliche Regulierung und akademische Selbstverwaltung“ sowie eine stärkere Ausprägung der „Außensteuerung, hierarchische[n] Selbststeuerung und Konkurrenz“ (Hüther und Krücken 2016, S. 140). Die entsprechenden Ministerien begannen auf dieser Grundlage damit, individuelle Ziele mit den einzelnen Hochschulen auszuhandeln und die Vergabe finanzieller Mittel verstärkt an die Erfüllung von Kennziffern zu knüpfen, die auf Grundlage dieser Ziele gebildet worden waren, um in den Hochschulen nicht nur eine im Vergleich zur hierarchischen Steuerung erhöhte Leistungsfähigkeit hervorzurufen, sondern überhaupt auch eine gesteigerte Bereitschaft dazu (vgl. Schimank 2016, S. 47). Und auch innerhalb der Hochschulen und zwischen den einzelnen Fachbereichen beziehungsweise Fakultäten wurde eine Verteilung der zur Verfügung gestellten Mittel nach einem leistungsbezogenen Schlüssel eingeführt (vgl. Schubert und Schmoch 2010, S. 253).

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So erhalten die Universitäten gegenwärtig einen Großteil ihres Budgets leistungsbezogen, wobei sie mitunter auch in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Landesuniversitäten stehen (vgl. Schimank 2016, S. 46). Wenngleich sich daher durchaus davon sprechen lässt, dass der Wettbewerb mittlerweile überall Einzug gehalten hat, so ist auf der anderen Seite aber doch darauf hinzuweisen, dass „diejenige Art von Wettbewerb, die NPM im Wissenschaftssystem entfacht hat, größtenteils kein Marktwettbewerb“ ist, sondern dass damit „zumeist Quasi-Märkte“ (Schimank 2016, S. 46) geschaffen wurden. Diese Bezeichnung hat sich durchgesetzt (vgl. Schubert und Schmoch 2010, S. 252), weil in der Regel der Staat als einziger Nachfrager wissenschaftlicher Dienstleistungen agiert und es allein vonseiten der Politik auch gar nicht möglich war, einen realen Markt zu erschaffen.14 Dass diese Konstruktion bereits ihrer zugrunde gelegten Prinzipien wegen vielfach Kritik erfuhr, kann daher kaum überraschen.15 Ein weiterer Kern der Reformen lag in der Umgestaltung der administrativen Strukturen der Hochschulen, die von Kritikern in ihrer bisherigen Form nicht nur als zu schwerfällig und ineffektiv beurteilt wurden, um den rapiden Wandlungsprozessen im Äußeren Rechnung tragen zu können, sondern auch als intransparent hinsichtlich der jeweiligen Verantwortlichkeiten (vgl. Schimank und Stölting 2001, S. 236). Als Voraussetzung dafür, dass die Universitäten diese Verantwortung überhaupt tragen und in Forschung sowie Studium und Lehre zugleich autonom, aber auch effektiv und effizient agieren konnten – Ziel war die Etablierung einer „organisatorische[n] ‚actorhood‘ der Universitäten“ (Schimank 2014a, S. 40; vgl. Blümel 2016, S. 518) und damit vor allem zurechenbarer Ansprechpartner für den Staat –, wurden daher nach privatwirtschaftlichem Vorbild (vgl. Burtscheidt 2010, S. 160) stärkere Hierarchien und insbesondere starke Hochschul- und Fachbereichsleitungen ausgemacht, denen im deutschen Hochschulsystem traditionell im Vergleich zu den Hochschulgremien nur sehr eingeschränkte Entscheidungskompetenzen zukamen (vgl. WR 2006, S. 23; Berka 2008, S. 39; Blümel 2016, S. 518). Denn während die deutschen Hochschulen in der Vergangenheit von einer starken akademischen Selbstorganisation, einer hohen Autonomie der einzelnen Professoren und einer detaillierten staatlichen Regulierung geprägt waren, so zielten die NPM-Reformen auf eine Stärkung der „hierarchische[n] Selbststeuerung der Universitäten durch Dekane und Rektoren in Verbindung mit einer Intensivierung der Außensteuerung durch staatliche Instanzen und gesellschaftliche Adressaten wie u. a. Unternehmen sowie des Konkurrenzdrucks“ (Schimank 2016, S. 45).

14Vgl. auch Schimank (2016, S. 46): „Auf Quasi-Märkten […] bedient sich eine Hierarchie, also die Organisationsleitung oder eine ihr übergeordnete Leitungsinstanz wie etwa ein Ministerium, einer Marktsimulation, weil sie Konkurrenzdruck als wirksamer wie unmittelbaren hierarchischen Druck einschätzt.“ 15Erst kürzlich bemerkte dazu etwa Jens Jessen in DIE ZEIT: „Der Fehler, ein echter Denkfehler, steckt in der Absicht, einen Wettbewerb zwischen den Hochschulen mit staatlichen Mitteln und unter staatlicher Aufsicht entfachen zu wollen. Richtigen Wettbewerb kann es aber nur geben, wo Nachfrage und Kunden entscheiden – nicht der staatliche Marktaufseher“ (2017).

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U. Herrmann „Vonseiten der Politik erhofft(e) man sich davon den Abbau von hochschulinternen Entscheidungsblockaden und die Durchsetzbarkeit einer stärker an Wettbewerbsmaximen und Profilierungspolitiken orientierten Hochschulentwicklung“ (Blümel 2016, S. 527).

Und obwohl es auch hier im konkreten Einzelfall unterschiedliche Wahrnehmungen und sicher auch individuelle Ausprägungen gab, gibt und geben wird – einerseits werden die Hochschulleitungen als regelrecht machtversessen beschrieben (vgl. Berka 2008, S. 42), andere sehen einen „Wandel der Rollenwahrnehmung und des Entscheidungshandelns von Hochschul- und Fachbereichsleitungen“ (Blümel 2016, S. 527; vgl. Pasternack und Kreckel 2011, S. 158) bisher kaum –, und obwohl es weiterhin durchaus zu Mischzuständigkeiten kommt und sich bisher keine länder- oder auch nur hochschulübergreifend einheitliche Festlegung auf entweder ein traditionelles Delegierten- oder ein professionalisiertes Managerprinzip herauskristallisiert hat (vgl. Burtscheidt 2010, S. 164 f.), so ist doch unstrittig, dass Rektoren und Präsidenten in formaler Hinsicht nicht länger als primi inter pares anzusehen sind (vgl. Blümel 2016, S. 521). Nötig war dazu nicht nur eine Professionalisierung des Hochschulmanagements, sondern vielfach überhaupt erst dessen Etablierung. Denn die Reformen zielten nicht nur auf die Leitung selbst, sondern auch auf die dezentralen Ebenen, wo nunmehr Studiengangs- oder Qualitätsmanager (vgl. Schimank 2016, S. 46) nötig wurden. Und erst durch die akribische Erhebung interner Daten auf allen Ebenen konnte überhaupt erst die Grundlage dafür geschaffen werden, die individuell gegebenen Entscheidungsspielräume zunächst feststellen, sodann auch strategisch nutzen und somit in einen Leistungswettbewerb eintreten zu können (vgl. Lanzendorf und Pasternack 2016, S. 47). Ähnlich zu privatwirtschaftlichen Unternehmungen – das „Unternehmensziel“ sollte dann freilich nicht der Gewinn, sondern die Förderung der Wissenschaft selbst sein – zielte man also darauf ab, ein System zu installieren, in dem „Organisation und Personalführung, Planung und Kontrolle, das Informations- sowie das koordinierende Controllingsystem“ (Küpper 2009, S. 60; vgl. Burtscheidt 2010, S. 158) nicht mehr bei den Landesministerien, sondern bei der jeweiligen Hochschulleitung lag. Sie sollten somit in die Lage versetzt werden, ihre Hochschule mittels strategischer Überlegungen innerhalb des Wissenschaftssystems positionieren und überhaupt „Profilbildung als strategische Aufgabe“ (Küpper 2009, S. 62) entschieden angehen zu können. Tatsächlich hat sich mittlerweile überall und in zum Teil völlig verschiedenen Varianten – zwar wurde die Hierarchie gestärkt, aber das „Kollegialitätsprinzip jedoch keineswegs vollständig ersetzt“ (Blümel 2016, S. 521) – ein „Mittelweg zwischen traditioneller Selbstverwaltung und privatwirtschaftlicher Unternehmensorganisation“ ausgebildet, den manche aufgrund der somit gegebenen Kombination aus Mischzuständigkeiten, unklaren Verantwortlichkeiten und Handlungsblockaden als „die schlechteste Lösung“ (Burtscheidt 2010, S. 182) ansehen. Und während sich so die Hochschullehrer verstärkt auf ihre Rechte berufen (vgl. Meyer 2017), finden sich die Hochschulleitungen in einer Situation wieder, in der sie zugleich nach außen als entscheidungs- und handlungsfähige Ansprechpartner des Staates und der Politik auftreten

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sollen, im Inneren aber die Balance zwischen der eigenen Ausrichtungs- und Leitungskompetenz und dem durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckten Handeln der einzelnen Hochschulmitglieder immer wieder neu herzustellen haben. Obgleich jedoch somit deutlich geworden ist, dass die angestrebte Entscheidungsmacht der Universitätsleitungen „in der Praxis […] kaum umgesetzt werden kann, weil die institutionellen Voraussetzungen von Hierarchie nicht vorhanden sind“ (Hüther und Krücken 2016, S. 147), so stehen die Universitätsleitungen gegenwärtig nichtsdestoweniger in einer Situation, in der sie immer wieder „Wege finden müssen, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu identifizieren“ (WR 2006, S. 34), und damit letztlich: in einer dem klassischen Management verhafteten Weise zu agieren.

Forschung Auch auf den Bereich der Forschung, in dem es seit jeher einen starken Wettbewerb gab, sollte sich dieses neue Wettbewerbsdenken auswirken. Nachdem es bereits mit der dritten Novellierung des HRG im Jahre 1985 zu einer Öffnung der Forschung auf Drittmittel gekommen war, wurde durch den nunmehr geänderten Finanzierungsmodus die Rolle dieser extern einzuwerbenden Mittel enorm vergrößert und damit auch der Wettbewerbsmodus von Forschung überhaupt verändert. Denn die Forschungsfinanzierung wurde grundlegend umgestellt von „institutioneller Grundförderung hin zur staatlich finanzierten Projektförderung“ (Schubert und Schmoch 2010, S. 252), in der Hoffnung, auf diese Weise der bemängelten Ineffizienz entgegenzuwirken und sowohl Umfang als auch Qualität und damit ebenso die Sichtbarkeit der geleisteten Forschung zu verbessern. Von Beginn an begleitet wurde dieses Ansinnen von deutlicher Kritik, in der auf die Dimension des Wandels, der mit diesem neuen Wettbewerbsdenken einherging, hingewiesen wurde: „Die regulative institutionelle Vorstellung des intrinsisch motivierten faustischen Forschers, dem es um die Entschlüsselung der Wahrheit dieser Welt geht, wird durch die eines relativ privilegierten Arbeitnehmers, der primär durch Geld bzw. durch berufliche Sanktionen motiviert wird, abgelöst.“ (Schimank und Stölting 2001, S. 15)

Diese überall vorgenommene Absenkung, oder doch zumindest nicht adäquate Anhebung der Grundmittel bei gleichzeitiger Aufstockung der leistungsabhängigen Mittel und die damit einhergehende und über die Jahre stetig steigende Drittmittelbezogenheit (vgl. Ricken 2014, S. 16) hat sich nachhaltig auf die Art und Weise von Forschung ausgewirkt. Denn während angesichts des aktuell erreichten Ausmaßes geradezu von einer Drittmittelabhängigkeit gesprochen werden kann, so dass Kritiker bereits meinten, dass „Drittmittel […] in der Tat die Götzen der modernen Wissenschafts- und Universitätsstatistik [sind], ganz gleich, ob es um Exzellenz geht oder ums Überleben“ (Mittelstraß 2012, S. 28), so hat diese Drittmittelabhängigkeit einerseits doch vor allem zu einer immer stärkeren Projektförmigkeit von Forschung geführt, gekennzeichnet durch einen klaren Beginn und Endpunkt, und andererseits zu einem immer weiter wachsenden Antragsaufwand.

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Und während dieser Antragsaufwand nicht anders als zulasten anderer Aufgaben und gerade auch der eigentlichen Forschung gehen kann (vgl. WR 2006, S. 54; Burtscheidt 2010, S. 249 f.; Schimank 2014b, S. 18), so ist für viele Kritiker doch vor allem fraglich, ob die gesteigerte Projektförmigkeit auch wie gewünscht zu einer Steigerung der Qualität geführt habe. Obwohl sich nämlich der Umstand, dass somit mehr und auch durch Gutachten vorab als qualitativ hochwertig beurteilte Forschungsergebnisse in spe in vergleichsweise kürzerer Zeit zustande kommen, durchaus als eine erwünschte Steigerung der Effizienz lesen lässt und obwohl sich ebenfalls feststellen lässt, dass die „aus drittmittelgeförderten Projekten hervorgegangenen Publikationen […] signifikant häufiger zitiert [werden] […] als Publikationen ohne Drittmittelförderung“ (Hornbostel 2001, S. 151 f.), so sehen Kritiker insbesondere die Nachhaltigkeit von Forschung gefährdet, zumindest dann, wenn der „Zwang, in relativ kurzen Zeiträumen Erfolge zu dokumentieren (oder zumindest zu behaupten), der Workshop- und Tagungszirkus sowie der Zwang zu kleinschrittigem Denken […] den Kern dessen [berühren], was Forschung ist“ (Schissler 2009; vgl. Schimank 2014b, S. 17). Aber auch die Publikationspraxis selbst hat sich unter diesen Bedingungen gravierend gewandelt. Sachkundigen Beobachtern zufolge ähnelt sie immer stärker einem „System knapper Aufmerksamkeit, das nicht mehr wirklich anders funktioniert als das Mediensystem“ und mit dem „etwas anders [sic!] ins Spiel kommt als der Wahrheitsanspruch, der Wissensanspruch und der Neuheitsanspruch der Wissenschaft – nennen wir es ‚Hype‘“ (Strohschneider 2017b). Parallel zu diesen gesteigerten Qualitätsforderungen und zu den Effekten der dazu ergriffenen Maßnahmen sind durch die Reformen auch die Anforderungen an die Relevanz von Forschung in gesellschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Hinsicht enorm gestiegen, so dass „innerhalb der Universitäten […] der Legitimationsdruck auf die ‚reine‘ Wissenschaft ohne ausdrückliche Verwertungsinteressen größer geworden“ (Mai 2011, S. 40) ist. Und dies hat nicht nur die Rede vom „‚Nützlichkeitswahn‘ der Zeit“ (Reichenbach 2014, S. 85; vgl. Korsch 2005, S. 173) aufkommen lassen, sondern auch die Klage darüber, dass Wissenschaftler häufiger „auch die Nützlichkeit ihres Tuns […] behaupten (wiewohl sie vielleicht nicht so recht dran glauben können)“ (Reichenbach 2014, S. 85). Die negativen Folgen davon sind, dass vermehrt entweder „wissenschaftliche Fortschritte – und seien sie noch so klein – als Sensationen verkauft werden müssen, die vor 20 Jahren noch als Kuriosität eingestuft worden wären“ (Grunenberg 2017)16

16Der Autor fährt fort mit einem pessimistischen Ausblick: „Wie immer, wenn es um die Einführung ökonomischer Mechanismen geht, zeigt uns ein Blick nach China, was uns noch bevorstehen könnte. Dort hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Markt für die Autorenschaft in wissenschaftlichen Publikationen entwickelt. Agenturen bieten hier besonders ehrgeizigen Akademikern für umgerechnet 10.000 Euro den ‚Erwerb‘ einer Hauptautorenschaft in angesehenen Zeitschriften […]. Überrascht? Im Grunde wird hier nur der Gedanke des unternehmerischen Forschers ganz konsequent zu Ende gedacht.“ Anhand einer aktuellen Studie steht jedenfalls fest, dass in China im Jahr 2016 erstmals mehr wissenschaftliche Artikel (426.000) entstanden sind als in den USA (409.000). Vgl. https://www.nature.com/articles/d41586-018-00927-4. Zugriff am 29.01.2018.

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oder dass Wissenschaftler medien- und öffentlichkeitswirksam die Lösung konkreter Probleme versprechen, um auf diese Weise „mehr Ressourcen und Unterstützung für ihre Arbeit zu erhalten“ (Mai 2011, S. 42), ohne dass sie im Anschluss diese Lösungen tatsächlich anbieten können oder dass Wissenschaftler schließlich auf der Suche nach Forschungsgeldern sich vermehrt bestimmter Prämissen bedienen, die – bewusst oder unbewusst – auf politischen Ideologien oder wirtschaftlichen Vorgaben beruhen (vgl. Lenzen 2017). Es ist offensichtlich, dass der damit auf langfristige Sicht einhergehende Verlust von Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt schadet:17 „Ob Diabetes A oder Krebs und so weiter, wenn man die Versprechungen, die die Wissenschaft in den letzten zehn Jahren gemacht hat, zurückverfolgt, dann dürfte es das alles gar nicht mehr geben. Solche Versprechungen, die man machen muss, weil man unter Begründungszwang steht, und die man dann nicht halten kann, deligitimieren [sic!] die Wissenschaft: Die Gesellschaft weiß, dass die Wissenschaft unentwegt mehr verspricht, als sie halten kann.“ (Strohschneider 2017b)

Und dies wiederum verändert auch die Wissenschaft selbst. Denn derartige Versprechungen wecken trotz etwaiger Enttäuschungen wiederum wachsende Erwartungen von Politik, Wirtschaft und auch Gesellschaft nach „schnell verwertbare[m] Wissen“, und dies lässt berechtigterweise befürchten, dass sich der Forschungsprozess trotz der Stärkung innerwissenschaftlicher Gütekriterien in schleichendem, aber doch steigendem Maße „nach einer wissenschaftsfremden Agenda“ (vgl. Huber 2016, S. 91) ausrichtet.18 Und schließlich hat sich auch die geforderte institutionelle Differenzierung und Profilbildung direkt auf die Art und Weise der Forschung ausgewirkt. Denn während vor den Reformen noch die eher unausgesprochene Maxime galt, „alle Einrichtungen seien

17Indizien dafür liefert das von Wissenschaft im Dialog herausgegebene Wissenschaftsbarometer 2017. Als „häufigster Grund für Misstrauen“ gegenüber der Wissenschaft wird darin „die Abhängigkeit von Geldgebern genannt“. Daneben empfinden „61 Prozent [der befragten Bürger] […] den Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft als zu groß“. Vgl. https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2017/. Zugriff am 28.01.2018. 18Wie angespannt hochrangige Vertreter der Wissenschaft gerade auf diesen Aspekt reagieren, lässt sich exemplarisch an Peter Strohschneider beobachten. Er meinte mit Blick auf den wachsenden Einfluss privater Mittelgeber: „Man muss sich nur fragen, welche Folgen hat das, wenn Forschungsagenden zunehmend von den – ganz wertfrei gemeint – Wilkürentscheidungen (sic!) einzelner Personen abhängig werden und nicht mehr das Ergebnis demokratischer Willensbildungsprozesse sind, die in legitimen Verfahren über Parteien, über Parlamente, über Exekutive mit judikativer Überprüfbarkeit organisiert werden“ (2017a). Denn wenngleich sich sein Argument mit Blick auf Gentechnik und Digitalisierung sowie deren möglichen schädlichen Folgen für die Gesellschaften durchaus nachvollziehen lässt: die Konsequenzen seiner Aussage, wonach er Forschung vorrangig an eine wissenschaftsfremde – nämlich letztlich an eine politische – Agenda rückgebunden wissen will, und aus dieser Perspektive das rasante Wachstum der Forschung in der Privatwirtschaft kritisiert, das eben keiner solcher Agenda unterliege, bleiben doch verwunderlich und sind zumindest erklärungsbedürftig.

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[trotz ihrer faktisch gegebenen Unterschiede] im wesentlichen untereinander gleichwertig“ (WR 2006, S. 17), so war man nunmehr überzeugt, dass die „Profilbildung […] den Variantenreichtum [erzeugt], der nötig ist, damit Wettbewerb die Flexibilität des Systems erhöht und auf längere Sicht Qualität und Effizienz der Leistungen des gesamten Systems steigert“ (WR 2006, S. 18). Erforderlich wurde dies nicht zuletzt durch den rasanten Aufwuchs der Studierendenzahlen, den die Universitäten ohne einen entsprechenden Ausbau der Hochschullehrerstellen zu bewältigen hatten, was wiederum, durch den regelrechten „Verdrängungsdruck, den die Lehre in den Universitäten auf die Forschung ausübt[e]“ (WR 2006, S. 31), die universitäre Forschung stark beeinträchtigte. Um daher der Tatsache entgegenzuwirken, „dass die international rezipierte Spitzenforschung überproportional häufig außerhalb der Universitäten stattfindet“ (WR 2006, S. 31), wurde im Jahre 2006 die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gestartet (vgl. Enders 2016, S. 512). Sie war für die Universitäten in Deutschland im Bereich der Forschung zwar nur eine, dafür aber besonders prominente Manifestation dieses neuen institutionellen Wettbewerbs- und Profilierungsdenkens (vgl. Neumann 2014, S. 253 ff., 2015, S. 306), das von politischer Seite her an den Universitäten evoziert werden sollte.19 Denn einerseits hat sie deutlich gemacht, dass es hinsichtlich des Forschungspotenzials und der Forschungsaktivitäten von Universität zu Universität zu teils erheblichen Unterschieden kommt. Andererseits verwiesen Kritiker aber auch darauf, dass es bei dem Auswahlverfahren häufig die Rahmenbedingungen, unter denen eine konkrete Universität agiert und die somit vielfach determinieren, in welcher Weise die an ihr tätigen Wissenschaftler Forschung betreiben können, völlig außer Acht blieben. Überaus fraglich blieb darüber hinaus bis in die Gegenwart hinein nicht nur die Rolle der Gutachter überhaupt, die nun einmal „selbst aktive und hoch interessierte Wissenschaftler“ (Hornbostel 2001, S. 147) sind, sondern auch die gewählten Indikatoren für Exzellenz.20 Und moniert wurde schließlich auch, dass ein offener und chancengerechter Wettbewerb gerade aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Finanzsituationen

19Die

dritte Förderlinie „Zukunftskonzept“, neben Graduiertenschulen und Exzellenzclustern, war dabei „vor allem auch ein Governance-Wettbewerb“ (Krull 2014, S. 29). 20So hielt bereits Richard Münch fest, „dass die Mittelverteilung nicht nur nach Exzellenz erfolgt, sondern in erheblichem Maße strukturellen Effekten und der strukturellen Machtverteilung im Feld geschuldet ist“ (2007, S. 159 f.). Zudem verwies er auf eine „ineffiziente[] Ressourcenallokation“, da Mittel an Standorte fließen, „wo pro Kopf proportional dazu nicht mehr, oft sogar weniger als an anderen Standorten mit geringerem Mittelzufluss publiziert bzw. patentiert wird“ (Münch 2007, S. 295). Der Streit um die Exzellenzindikatoren zeigte sich etwa zuletzt, als im Rahmen des der Exzellenzinitiative nachfolgenden Programms, der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder, die weitere Förderung des Frankfurter Exzellenzclusters Die Herausbildung normativer Ordnungen abgelehnt wurde. Daraufhin erschien ein offener Brief, in dem eine Vielzahl hochrangiger Wissenschaftler die Entscheidung kritisierte. Vgl. http://www.normativeorders.net/media/images/ Frankfurt%20Cluster%20support.pdf. Zugriff am 24.01.2018.

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eben gerade nicht möglich sei (vgl. Münch 2007, S. 400).21 Für einige Beobachter hat die Initiative daher paradoxerweise geradezu zu einer Einengung und zum Teil sogar zu einem Aussetzen des Wettbewerbs geführt – der Rektor der Universität Duisburg-Essen, Ulrich Radtke, etwa benannte die Konzentration der Grundlagen- und Spitzenforschung auf einzelne Universitäten kürzlich als wettbewerbsschädigend und „Bayern-­MünchenPhänomen“ (Müller-Esterl 2014, S. 111).

Studium und Lehre Im Bereich Studium und Lehre schließlich stellt die 1999 beschlossene europäische Studienreform, auch Bologna-Prozess genannt, die durchaus auf eine „Rundum-­ Erneuerung der Universitätslehre“ (Schimank 2014a, S. 39) zielte, die wohl bis dahin umfassendste Reform dar. Angesichts der gravierenden Probleme und der absehbaren Herausforderungen – die Schlagworte lauteten Demografie, Arbeitsmarkt, ­Globalisierung – versprach man sich aufseiten der Politik davon mehr Flexibilität und eine gesteigerte Mobilität, aber auch eine bessere Qualität bei kürzeren Studienzeiten und geringeren Abbrecherquoten, und nicht zuletzt eine stärkere berufliche Orientierung (vgl. Burtscheidt 2010, S. 279; Neumann 2014, S. 242). Dies sollte gewährleisten, dass der Wirtschaft, die sich in einem rapiden Wandlungsprozess befand und die immer komplexere Anforderungen an potenzielle Arbeitnehmer stellte, in absehbarer Zukunft eine ausreichende Anzahl an Fachkräften zur Verfügung steht. Mit der Einführung des gestuften Bachelor- und Mastersystems und den vorgegebenen Zielen, sowohl einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen als auch „angesichts des Geburtenrückgangs und der Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft eine zukunftsfähige Qualifizierung von Fachkräften“ (WR 2017, S. 8) sicherzustellen, stand dieser Bologna-Prozess zwar mit der ebenfalls angestrebten Hochschulautonomie in einem starken Spannungsverhältnis. Durch die angestrebte Vergleichbarkeit wurden aber auch hierbei die wettbewerblichen Grundlagen verbreitert. Zugleich war es auch ein Ziel dieser Reformbestrebungen, die Attraktivität eines akademischen Studiums überhaupt zu steigern und somit die Akademisierungsquote innerhalb der europäischen Länder zu erhöhen. Und da diese gesteigerte Anzahl von Absolventen freilich weder alle in der Wissenschaft selbst tätig werden konnten noch eine wachsende Zahl an Studieninteressierten dies überhaupt anstrebte, sollte der Arbeitsmarktbezug der Studiengänge – Stichwort „Employability“ – ausgebaut und die Studienzeiten verkürzt werden.

21Mit Blick auf den Wettbewerbsföderalismus, den ein baden-württembergischer Wissenschaftsminister pries, meinte Jan-Hendrik Olbertz in seiner Funktion als Kultusminister Sachsen-Anhalts: „Sie gehen mit neuen Marken-Turnschuhen an den Start, ich in Sachsen-Anhalt barfuß. Da können Sie sich ausrechnen, wer gewinnt.“ Und Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt a. M. sekundierte: „Wettbewerb verlangt nach einheitlichen Standards und Spielregeln und einem Schiedsrichter.“ Vgl. Kerstan und Spiewak (2017, S. 73).

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Der Wissenschaftsrat deutete diese vorrangig politische Konzeption rückblickend als eine dringend nötige Anpassung an die geänderten gesellschaftlichen Bedürfnisse: „Umfragen zeigen, dass sich unter den Universitätsstudenten eine Mehrheit einen stärkeren Anwendungs- und Praxisbezug ihres Studiums wünscht. Demgemäß ergreift die Mehrzahl der Universitätsabsolventen, den eigenen Zielen entsprechend, keine im engeren Sinne wissenschaftliche Laufbahn, sondern nutzt ihre wissenschaftsbasierte Qualifikation im Rahmen einer Berufstätigkeit außerhalb der Forschung.“ (WR 2006, S. 28)

Und um die Effektivität des Studiums zu steigern und um konkret die Abbrecherquoten zu senken, sollten durch die Reform die Qualität der Studiengänge verbessert und diese auch stringenter und modular gestaltet werden (vgl. WR 2006, S. 20). Ein Effekt dieser Reformen ist ein rasant voranschreitender Anstieg der Studienangebote in Deutschland,22 was es wiederum nicht nur enorm erschwert hat, sich einen Überblick über das Studienangebot verschaffen zu können, sondern vor allem auch dazu geführt hat, dass die angestrebte Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse für einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum nur mit Schwierigkeiten zu gewährleisten ist. Und die stärkere Gewichtung der Berufsvorbereitung23 und der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK), dass der „Bachelorabschluss als e­ rster

22Gab

es im WS 2007/2008 noch insgesamt 11.265 Studiengänge, so waren es im WS 2017/2018 bereits 19.011 (vgl. HRK 2017a, S. 9). Eine Ursache dafür dürfte sicher in der Verteilung der „fachlichen Prüfung auf (unterschiedliche) Akkreditierungsagenturen“ (Küpper 2009, S. 58) liegen. Hierunter fällt auch der Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung, die seit 1998 ebenfalls zu den Aufgaben der Hochschulen gehört und die, nachdem der Wissenschaftsrat im Jahre 2006 noch ihr „Nischendasein“ (WR 2006, S. 37) diagnostiziert hatte, mittlerweile etwa durch das seit 2011 laufende BMBF-Programm Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen (vgl. Hanft und Brinkmann 2013) überall gut sichtbar angeboten wird. 23Neu ist sie freilich keineswegs. Denn die Universitäten hatten, ersichtlich an ihren theologischen, juristischen und medizinischen Fakultäten, seit jeher auch die Aufgabe, auf klar umrissene Berufsfelder vorzubereiten (vgl. Burtscheidt 2010, S. 312; Teichler 2011, S. 170; Tenorth 2014, S. 49). Und bereits in der ersten Fassung des HRG des Jahres 1976 hatte es unter § 7 „Ziele des Studiums“ geheißen, „Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten“. Es ist also gerade keine Neuheit, dass „zwischen einer allgemeinen, einer wissenschaftlichen und einer beruflichen Bildungsfunktion der Universität differenziert“ (Schubarth 2015, S. 28) werden kann. Neu ist allerdings die Gewichtung: als Vertreter der Politik betonte etwa Jürgen Zöllner in expliziter Weise, dass es nicht genüge, wenn die Universitäten allein fünf Prozent eines Jahrgangs ausbilden, um so ihren Nachwuchs zu decken, und dann zu „hoffen, dass möglicherweise die Gesellschaft davon profitiert. Zumal es im Grunde genommen nur zwei Berufsausbildungswege gibt, die wir als Staat brauchen; das sind Beamte mit juristischer Ausbildung und Mediziner“ (Zöllner 2014, S. 86). Und weniger harsch, aber in eine ähnliche Richtung argumentierte auch der Wissenschaftsrat: „Ein grundständiges Universitätsstudium kann zwar nicht am Ziel einer abschließenden Berufsfertigkeit ausgerichtet sein. Wohl aber muss das Universitätsstudium angemessen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und den Absolventen dabei die Möglichkeit bieten, durch lebenslanges Lernen den Anforderungen des Beschäftigungssystems auch längerfristig gewachsen zu bleiben“ (WR 2006, S. 9).

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berufsqualifizierender Abschluss den Regelabschluss dar[stellt] und […] damit für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung [führen soll]“ (KMK 2003, S. 3), haben dazu geführt, dass trotz der Unterschiede zwischen den verschiedenen Fächern, „die Vorbereitung für eine ‚berufliche Tätigkeit‘ inzwischen zur zentralen Ausbildungsaufgabe der Hochschulen geworden [ist], zumindest beim Erststudium“ (Burtscheidt 2010, S. 279; vgl. Teichler 2011, S. 176). Indem aber die Universitäten dieser Vorgabe folgten – nicht zuletzt freilich, weil auch die Studierenden (und die Arbeitgeber) dies stärker einforderten (vgl. Schubarth 2015, S. 27; Huber 2016, S. 44) und die staatliche Finanzierung wiederum zu großen Teilen über die Studierendenattraktivität gesteuert wird – und entweder ebenfalls praxisorientierte und berufsbezogene Studiengänge neu installiert oder aber die Berufsperspektive in den auf das Bachelor- und Mastersystem umgestellten Studiengängen zumindest stärker herausgestellt haben, hat ein Prozess der Angleichung zwischen Fachhochschulen und Universitäten – einer sogenannten „Verfachhochschulung des tertiären Sektors“ (Tenorth 2014, S. 60) – eingesetzt, von dem Kritiker nicht nur bereits frühzeitig meinten, dass er die Unterscheidbarkeit „tendenziell obsolet“ (Schimank und Stölting 2001, S. 11) werden lasse, sondern durch den inzwischen sogar „der letzte Anschein eines Unterschieds verloren gegangen“ (Burtscheidt 2010, S. 316; vgl. Reichenbach 2014, S. 84) zu sein scheint, zumal neben dieser neuartigen Ausrichtung der Studiengänge auch seit 2005 durch den Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse der KMK die Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten aufgehoben wurde.

1.3 Fazit Die Reformen, die das deutsche Wissenschaftssystem und damit insbesondere die Universitäten Ende der 1990er Jahre erfassten, waren also in der Tat umfassend. Um den institutionellen Wettbewerb zu entfachen und eine stärkere Profilbildung und Differenzierung des Systems zu befördern, wurden den Hochschulen in den Ländergesetzen weitreichende Autonomiezugeständnisse gemacht. Im Gegenzug wurde auf organisationaler Ebene durch die New Public Management-Reformen darauf hingewirkt, die Gestalt und den Aufbau der Hochschulen hierarchischer und damit verantwortlicher und besser steuerbar zu gestalten. In der Forschung wurde das alte Prinzip eines Wettbewerbs der Wissenschaftler um Reputation um das neue Prinzip eines marktförmigen Wettbewerbs um Drittmittel ergänzt. Damit aber gewannen nicht nur die dazu notwendigen wissenschaftlichen Gutachten erheblich an Gewicht, sondern auch der Modus des ständigen Leistungsvergleichs mittels Kennzahlen, Benchmarkings, Ratings und Rankings. Und der Bologna-Prozess mit der Modularisierung und stärkeren Fokussierung auf Employability hat Studium und Lehre an den Universitäten, gekennzeichnet durch die Einheit von Forschung und Lehre, entschieden verändert.

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Folge davon ist nicht nur, dass die für die Institution Universität klassischen Begriffe, „seien es nun die Einheit von Forschung und Lehre, die Freiheit der Wissenschaften oder die Bildung durch Wissenschaft“ (Ricken 2014, S. 11), problematisch geworden sind. Die massiven und den ideellen Kern der Institution Universität betreffenden Reformbestrebungen stießen (und stoßen noch) in großen Teilen der Wissenschaft auf erbitterten Widerstand (vgl. Schimank 2014a, S. 35). Insbesondere das angesonnene und betriebswirtschaftlich orientierte Wettbewerbsmodell rief (und ruft noch) heftigen Widerstand vor allem vonseiten vieler Wissenschaftler hervor, nicht nur, weil sie dieses Modell als wissenschaftsfremd und der Ökonomie allein als adäquat empfinden, sondern auch, weil aus ihrer Sicht die beiden Felder „Markt“ und „Universität“ grundverschieden und nicht vermittelbar sind: „Das Wettbewerbsmodell ist ganz offensichtlich dem Markt nachempfunden. Es gibt aber keinen ‚Markt‘, auf dem Universitäten ‚Güter‘ feilbieten und ‚Kunden‘ zu gewinnen suchen. Es gibt ihn (von kategorialen Gründen der gerade nicht marktförmigen Wahrheitssuche noch ganz abgesehen) schon darum nicht, weil die Universitäten nach wie vor staatsfinanzierte, haushaltsabhängige Institutionen sind.“ (Korsch 2005, S. 173)

Und diese Einschätzung ist auch insofern nachvollziehbar, als die Reformen eine ganze Reihe von negativen und sicher in dieser Form nicht beabsichtigten Effekten hervorgerufen haben: etwa eine Forschungs-, Publikations- und Studienpraxis, durch die die Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit und damit ihren privilegierten gesellschaftlichen Status zu verlieren droht. Durchaus zu Recht brandmarkte daher auch Jens Jessen die Exzellenzinitiative erst kürzlich dafür, dass sie allein „Großmäuligkeit und Marktschreierei […] belohnt“ habe. Denn das „Alberne“, so Jessen weiter, der „öffentlichkeitswirksamen Schlagworte, die sich die Universitäten einfallen lassen sollten – die ‚Zukunftskonzepte‘“, hätten eben gerade keine Besonderheit zum Ausdruck gebracht, sondern eine „schiere Selbstverständlichkeit“ – und dies darüber hinaus in der Sprache eines „schlechten Marketings“ (2017). Wenngleich daher Jessens Schlussplädoyer – „Eine Hochschule wie die Humboldt-Uni, die mit ‚Bildung durch Wissenschaft‘ wirbt, nicht anders als Audi mit ‚Vorsprung durch Technik‘, sollte lieber gleich Autos verkaufen“ – polemisch überzogen sein mag, so wird daran doch ersichtlich, dass Wissenschaftsmarketing, sofern es überzeugend und der Wissenschaft angemessen sein will, eine besondere Herausforderung darstellt. Denn es bedarf ohne Zweifel großer Anstrengungen, diese zwei, zumindest in gewissen Hinsichten, augenscheinlich gegenstrebigen Pole: Wissenschaft und Markt miteinander in Einklang zu bringen. Doch deutlich ist eben auch, dass etwa die Universität, „wenn sie ihren privilegierten Status als staatlich unterstützte Institution bewahren und zugleich an Autonomie gewinnen will“, „ihre klassischen Begriffe in eine moderne Sprache übertragen und Lösungsmöglichkeiten für die aktuell anstehenden Probleme präsentieren“ (Sieg 2005, S. 18) muss. Und dazu kann ihr (und nicht nur ihr allein) das Wissenschaftsmarketing, sofern es immer wieder die Eigentümlichkeiten von Wissenschaft und der zu ihrem Zweck geschaffenen Institutionen beachtet, gute Dienste leisten.

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Uwe Herrmann, nach dem Studium der Geschichtswissenschaft und der Literaturwissenschaften in Chemnitz und Berlin wurde der Autor am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt im Fach Alte Geschichte promoviert. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Altertumskunde der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. Von 2015–2017 absolvierte er den berufsbegleitenden Masterstudiengang Wissenschaftsmarketing an der TU Berlin. Seit 2018 ist er als persönlicher Referent des Präsidenten der Freien Universität Berlin tätig.

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Wissenschaftsmarketing neu denken Ein Denkanstoß von Klaus Schmidbauer Klaus Schmidbauer

Zusammenfassung

Das Wissenschaftsmarketing steckt in einer Sinnkrise. Mit ambitionierten Plänen gestartet, führt es in der Wissenschaftslandschaft gegenwärtig nur ein Schattendasein. Nur wenige Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen setzen systematisch Wissenschaftsmarketing ein – und wenn, dann als begrenztes operatives Werkzeug und nicht als übergreifende strategische Planungsfunktion. Erschwerend kommt hinzu, dass das Marketing in der Scientific Community einen miserablen Ruf hat. Vor diesem Hintergrund wird es höchste Zeit für ein Umdenken im Wissenschaftsmarketing. Den vorliegenden Beitrag verstehe ich als Plädoyer für eine gründliche Reform. Gefragt sind keine kosmetischen Anpassungen, sondern eine umfassende Neuordnung. Dazu ist es notwendig, dass das reformierte Wissenschaftsmarketing zugleich auch ein emanzipiertes Marketing wird. Es macht sich unabhängiger von den Prinzipien des Wirtschaftsmarketings und geht mit Bedacht eigene Wege. Auf den nächsten Seiten skizziere ich zuerst die Probleme und Herausforderungen der aktuellen Situation und stelle dann erste Ideen und Lösungsansätze vor, die bewährte Marketingmethoden mit neuen Impulsen verbinden. Das Resultat soll als Diskussionsstoff für einen konstruktiven Diskurs aller Beteiligten dienen.

K. Schmidbauer (*)  Strategische Kommunikationskonzepte, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_2

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2.1 Probleme und Herausforderungen 2.1.1 Subjektives Stimmungsbild Tatsache ist, dass das Wissenschaftsmarketing nie richtig in Forschung und Lehre heimisch geworden ist. Als Akteur des Wissenschaftsmarketings begegnet mir bei Forschenden und Lehrenden eine kritische Distanz, die bis zur offenen Ablehnung geht. Nehmen wir mein Briefinggespräch mit einer Wissenschaftsreferentin, die mir alle notwendigen Instruktionen für ein anstehendes Konzept gab. Zum Schluss fiel ihr noch etwas ein: „… ach ja, und dann haben wir natürlich dieses ganze Marketinggedöns: Faltblatt, Plakat, Aufkleber und so.“ Oder ich erinnere mich an meinen Vortrag vor Wissenschaftlern, bei dem ich alle Register zog, um die Talente des Wissenschaftsmarketings herauszustellen. Am Ende der Rede gab es freundlichen Applaus. Hinterher am Buffet kam ich mit einem Institutsleiter ins Gespräch: „Ihr Marketingvortrag war sehr interessant. Vieles war völlig neu für mich. Ich weiß nicht, wie mein Team das sieht, aber aus meiner Sicht braucht unser Institut kein Marketing, unsere Leistung spricht für sich.“ So oder ähnlich ergeht es mir ständig. Mit der Zeit habe ich mir angewöhnt, mit dem Begriff Marketing defensiv umzugehen. Als mich neulich im Workshop einer wissenschaftlichen Institution der Moderator als „Marketingexperte“ vorstellte, ertappte ich mich dabei, wie ich aus Gründen des Selbstschutzes sofort widersprach: „Nein, Marketing ist nicht das richtige Wort. Mein Metier ist eher die strategische Kommunikationsplanung.“

2.1.2 Im Kontext des Wirtschaftsmarketings Fast alle Modelle und Methoden des Wissenschaftsmarketings wurden aus dem klassischen Wirtschaftsmarketing abgeleitet. In der Folge strahlen viele Systemfehler des klassischen Marketings auf den Bereich der Wissenschaft ab. Ein Kollege erzählte mir, dass er während seines Betriebswirtschaftsstudiums in den 70ziger Jahren feststellte, dass im Fachbereich der Hochschule eines Tages die Türschilder ausgetauscht wurden. Statt „Absatzwirtschaft“ stand auf einmal „Marketing“ an den Türen. Ansonsten tat sich wenig. Es fanden die gleichen Vorlesungen wie vorher statt. Die alten Skripte konnte man problemlos weiterverwenden, lediglich die Kopfzeile war geändert worden. Ihm kam damals der Verdacht, das Marketing am Ende nur ein neues Etikett für die alte Absatzwirtschaft war. Die Idee des Marketings stand für einen Perspektivwechsel. In der alten Absatzwirtschaft wurde entwickelt, dann produziert und erst am Ende überlegt, wie man die Produkte loswird. Im Marketing sollte es andersrum laufen. Zuerst wird analysiert, welchen Bedarf Markt und Verbraucher haben, dann werden bedarfsgerechte Produkte entwickelt und vermarktet. Die Wirtschaft war begeistert und fand, dass der Perspektivwechsel eine gute Sache sei. Der Einzug des Marketings in Deutschland Ende der 60ziger bis Anfang der 70ziger Jahre wurde mit viel Optimismus und großen Ankündigungen begleitet – in der Umsetzung war er aber

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nicht unbedingt ein Siegeszug. In deutschen Unternehmen gab es feste Machtstrukturen mit Fachabteilungen, die ihre Einflusssphären gegen die aufziehende Marketingoffensive verteidigten. Marketing wurde zwar von vielen Unternehmen für sich proklamiert, aber selten konsequent realisiert. Eine Hürde lag im großen Einfluss von Vertrieb und Verkauf. Die Vertriebsleute waren die Frontkämpfer, die den Umsatz brachten. Sie hatten harte Zahlenvorgaben, die es bis zum Ende des Geschäftsjahres zu erfüllen galt: Wer schreibt, der bleibt! Marketing mit langfristiger Perspektive war nicht im Sinne des kurzfristig agierenden Vertriebs. In vielen Unternehmen wurde zwar eine Marketingabteilung installiert, aber sie übernahm im Wesentlichen nur die Marketingservicefunktion für Vertrieb und Verkauf. Genauso wenig ließen sich die Ingenieure aus Forschung und Entwicklung reinreden, wenn es um die Entwicklung neue Produkte ging. In der Regel lernte die Marketingleitung das Produkt erst kennen, wenn es fertig entwickelt war und eingeführt werden sollte. Und auch bei der Preisbildung hatte das Marketing kaum ein Wörtchen mitzureden. Anfang der 90ziger Jahre schien der Knoten zu platzen und das Marketing begann seinen Einfluss in den Unternehmen zu vergrößern. Die Märkte waren komplexer geworden, die Angebote gleichartiger und die Konsumenten kritischer, das strategische Planen gewann an Geltung. Methoden wie Markenpositionierung, Marktsegmentierung und Angebotsdifferenzierung wurden zu notwendigen Aufgaben bei Konsumartikeln und mit Abstrichen auch im Investitionsgüterbereich. Zunehmend begann man, das Marketing auf der obersten Führungsebene zu verankern und als echte Führungsaufgabe zu sehen. In jener Zeit erweiterte sich auch die interne Reichweite des Marketings. Im ursprünglichen Sinne wurde Marketing für die ehemalige Absatzwirtschaft verwendet. Jetzt kamen weitere Bereiche wie Beschaffungsmarketing, Personalmarketing oder Finanzmarketing hinzu. Im externen Umfeld war Marketing anfangs auf die Unternehmen und ihre Märkte fokussiert. Nun erweiterte sich der Radius und das Marketingdenken floss in viele andere gesellschaftliche Aktionsfelder ein. Es entstanden Kulturmarketing, Städtemarketing, Stiftungsmarketing, Sportmarketing – und Wissenschaftsmarketing. Im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre schienen sich dem Marketing mit Neuromarketing und anderen innovativen Marketinginstrumenten unbegrenzte Möglichkeiten zu öffnen. Einige Marketingexperten behaupteten sogar, den „Buy-Button“ im Gehirn des Konsumenten gefunden zu haben. Ende des Jahrzehnts gab es einen Bruch. Das Wirtschaftsmarketing als strategische Aufgabe geriet völlig aus dem Tritt: • 1998 gaben immerhin 76,2 % der befragten Unternehmen an, das Marketing eine Führungsphilosophie sei. 2012 bejahten diese Aussage lediglich 36 %. • 2003 hatte eine Mehrheit von Vorständen in DAX-Unternehmen Marketingerfahrung oder Marketingausbildung. 2012 waren es nur noch 20 %. Meist habe ich es in meinen Briefinggesprächen auf der Führungsebene mit Juristen, Volkswirten etc. zu tun, für die das Marketing eine „fremde Kultur“ ist.

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• Nur 23 % der Marketingleiter – heute meist Chief Marketing Officer (CMO) genannt – besitzen ganzheitliche Verantwortung für Produkt, Distribution, Preis und Kommunikation. In allen anderen Unternehmen gehört nur die Kommunikation erweitert um spezielle Aufgaben wie „Market Research“ oder „Brand Management“ zum Marketingressort. • Die CMOs haben einen schweren Stand. Ihre Betriebszugehörigkeit sinkt seit Jahren. 57 % der Marketingleiter bleiben drei Jahre oder kürzer im Unternehmen. Eine nachhaltige Marketingplanung wird so fast unmöglich gemacht. Im Gegensatz dazu erlebt das Marketing auf der operativen Ebene eine Hochkonjunktur. Mit dem digitalen Marketing ist eine enorme Dynamik entstanden. Immer neue Marketinginstrumente kommen zum Einsatz: Affiliate-Marketing, SEO-Marketing, Influencer-Marketing, Seed-Marketing, Peer-to-Peer-Marketing, Inbound-Marketing (die Reihe des „Bindestrich-Marketings“ ließe sich beliebig fortsetzen). 2017 war die Marketing Automation in aller Munde. Alle Marketingkanäle werden miteinander vernetzt und wenn alle Indikatoren auf dem Dashboard von Hubspot im grünen Bereich sind, dann läuft im Marketing alles bestens. Wirklich? Von der strategischen Mündigkeit des Marketings, die sich mit kluger Weitsicht an Markt und Kunde orientiert, ist kaum noch die Rede. Aber nicht nur die Dominanz des Operativen bereit mir Sorgen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ruf des Marketings in der Öffentlichkeit ruiniert ist. Hier und heute steht der Begriff in der öffentlichen Wahrnehmung für Persuasion und Manipulation von Konsumenten. Eine aktuelle Studie zum Vertrauen von Berufsgruppen stellt fest, dass die zum Marketing gehörenden Berufe abgeschlagen auf den letzten Stellen stehen. Das Vertrauen ist verloren. Einige Marketingexperten erkennen die Herausforderungen und versuchen, dem Marketing eine neue Richtung zu geben. Marketing der Zukunft sollte sich an Werten orientieren, in Netzwerken agieren und soziale Kompetenz beweisen, verlangt der Altmeister des deutschen Marketings Heribert Meffert und setzt hinzu, dass der Wandel umfassend gelingen müsse. Sein US-amerikanisches Pendant Philip Kotler fordert, dass auf produktorientiertes und verbraucherorientiertes Marketing, die Zeit des menschenorientieren Marketings folgen sollte. Das Marketing müsse den ganzen Menschen sehen – mit Kopf, Herz und Seele. Es seien institutionelle Kulturen notwendig, die menschliche Werte verinnerlichen und widerspiegeln, erklärt Kotler Anfang 2017.

2.1.3 Spezifische Probleme des Wissenschaftsmarketings Als das Marketing in der zweiten Hälfte der 90ziger Jahren in die Wissenschafts- und Hochschullandschaft einzog, da wurde kein eigenes Denkgerüst errichtet. Man übernahm als Stützen die Lehre des Wirtschaftsmarketings. Fast alle Methoden, Regeln und Instrumente waren 1:1-Adaptionen aus der Ökonomie. Eine Wissenschaftlerin bemerkte

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damals zu mir am Rande eines Workshops, sie habe das ungute Gefühl, als würde die Wissenschaft durch das Marketing kolonialisiert. Dagegen argumentierten Marketingexperten, dass es höchste Zeit für die Einführung von wirtschaftlichen Denkweisen in der Wissenschaft sei. Die Einrichtungen sollten sich professionell geführte Unternehmen als Vorbild nehmen. Wissenschaftliche Projekte seien Produkte und die Zielgruppen müssten als Kunden gesehen, Forschung und Lehre marktgerecht gestaltet und vermarktet werden. Um das Jahr 2001 saß ich mit im Raum, als der Vizepräsident einer großen deutschen Universität, seinen Gremien die neue marktorientierte Ausrichtung „verkaufte“. Da brach eine universitäre Welt zusammen. Einerseits war die Neuausrichtung dringend notwendig. Verkrustete Strukturen mussten aufgebrochen werden und es war in der Tat höchste Zeit, dass der Geist der umsichtigen Planung in Fakultäten und Instituten Einzug hielt. Andererseits ging die Forderung zu weit, die alten Ideale der Lehre verloren an Wertschätzung, wirkten überholt und den Fortschritt bremsend. Milton Friedman klopfte an die Tür, die Ökonomisierung der Wissenschaft lag im Zeitgeist und begann sich durchzusetzen. In der Mitte des Jahrzehnts saß ich in einer Vortragsveranstaltung für Wissenschaftler. Vorne stand ein Marketingexperte, der uns mit viel Verve davon überzeugte, dass Public Private Partnership die große Chance der Wissenschaft sei. Jedes wissenschaftliche Projekt sei so zu konzipieren, dass Investoren damit am Ende Geld verdienen können. Aus Forschungsprojekten müssten Produkte gemacht und vermarktet werden. Er belegte seine These mit erfolgreichen „Win-/ Win-Projekten“. Die Lösungen wirkten einfach genial und schienen neue fantastische Möglichkeiten zu öffnen. In Wirklichkeit aber war der Vortrag nur gelungenes Marketing für das Marketing. Die meisten im Raum zweifelten leise und gingen innerlich auf ­Distanz. Weil das neue Wissenschaftsmarketing nicht von Anfang an maßgerecht zugeschnitten wurde, passte es den meisten wissenschaftlichen Akteuren nicht, sie fühlten sich unwohl damit. Das Wirtschaftsmarketing ist auf Markt, Wettbewerb und Verbraucher ausgerichtet. Dieser Zuschnitt passt in vielen Fällen nicht exakt ins Format der Wissenschaft. Wie geht man mit den Mixfaktoren Produkt, Preis und Distribution in der Forschung um? Wie weit kommt man in der Wissenschaft mit Buyer Personas und Key Accounts? Was bringen Strategien wie Markteroberung oder Preis-/Mengenstrategie in der Grundlagenforschung? Das Wissenschaftsmarketing hatte über die Jahre mit zunehmenden Problemen zu kämpfen. So ist mir in der deutschen Wissenschaftslandschaft nur selten eine Abteilung oder ein Verantwortlicher für Wissenschaftsmarketing begegnet – und wenn, dann war die Funktion komplett auf den Kopf gestellt. Das Wissenschaftsmarketing wurde seinem eigenen Mixfaktor Kommunikationspolitik untergeordnet und besaß nur einen kleinen operativen Aktionsradius (vgl. Abb. 2.1). Die verdrehte Marketingwelt beschränkte sich auf kommunikative Aufgaben wie die Entwicklung von Werbemitteln, die Betreuung von Infoständen auf Karrieremessen oder die werbliche Unterstützung des Fundraisings.

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Abb. 2.1   Ausschnitt aus einem Organigramm

Außerdem habe ich bei meinen zahlreichen Kontakten mit Einrichtungen aus der Wissenschaft nicht ein einziges Mal ein Wissenschaftsmarketingkonzept gesichtet, das im methodischen Sinne tatsächlich ein Marketingkonzept war. Wenn vorne drauf Marketingkonzept stand, dann war drinnen nur ein Konzept mit dem eingeschränkten Horizont der Marketingkommunikation. Dazu gehört für mich auch, dass es zwar gute Bücher und interessante Veranstaltungen zum Wissenschaftsmarketing gibt, das aber überall der ganzheitliche übergreifende Gedanke des Marketings nur eine Nebenrolle spielt. Es ist viel von Kommunikation zu lesen und zu hören, aber wenig von Produkt-, Preis- und Distributionspolitik. Im Mittelpunkt stehen konkrete Instrumente; die für das Marketing entscheidende strategische Dimension bleibt farblos. Alles in allem empfinde ich die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Wissenschaftsmarketings inzwischen als bedrohlich. Ich bin mit Herz und Seele „Marketer“ und argumentiere bei jeder Gelegenheit, dass die Idee des Marketings auch für die Wissenschaft gut und hilfreich sei, die misslungene Implementierung und der Verlust der strategischen Dimension seien das eigentliche Problem. Ich werde nicht müde, mich dafür auszusprechen, dem Wissenschaftsmarketing eine zweite Chance zu geben.

2.2 Lösungen und Chancen 2.2.1 Eine konsequente Reform Es ist Zeit, dass das Wissenschaftsmarketing auf Reset drückt, neu startet und eine Reformbewegung anläuft. Das Wissenschaftsmarketing emanzipiert sich vom Wirtschaftsmarketing und entwickelt eigenständige Regeln und Instrumente. Um einem Missverständnis vorzubeugen, es geht nicht um die Ausgrenzung des Wirtschaftsmarketings. Trotz Eigenständigkeit bleiben die Grenzen offen und der Austausch geht

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weiter. Alle Elemente des klassischen Wirtschaftsmarketings, die nahtlos ins Wissenschaftsmarketing passen, werden übernommen. Marketingelemente, die eine spürbare Unwucht haben, werden für die Wissenschaft neu justiert. Andererseits werden alle Elemente, die divergent sind, aussortiert. Ein reformiertes Wissenschaftsmarketing hätte überzeugende Vorteile. Der praktische Marketingeinsatz würde wesentlich reibungsloser funktionieren, weil er auf die besondere Haltung und Handlung der Wissenschaften zugeschnitten ist. In der Folge könnte sich das Marketing mit der Zeit von negativen Konnotationen des Wirtschaftsmarketings befreien und eine bessere Akzeptanz in der Scientific Community erreichen. Auf der Welle der steigenden Akzeptanz gelänge es immer mehr Institutionen, ihr Wissenschaftsmarketing aus der operativen Nische zu befreien und als ganzheitliche, strategische Mission zu etablieren. Es kommt mir nicht nur darauf an, die tragenden Teile des Marketinggebäudes neu auszurichten. Es geht auch um die Wortwahl. Die zahlreichen Sprachschöpfungen des Wirtschaftsmarketings bestimmen den Diskurs im Wissenschaftsmarketing. Doch die Sprache übe eine heimliche Macht aus, sagt der bekannte Linguist und Philosoph George Lakoff. Aus dem Grund geht es bei der Reform des Wissenschaftsmarketings gleichzeitig darum, sich von einigen der gängigen Buzz-Begriffe des Wirtschaftsmarketings wie z. B. „Point of Sale“, „Leadgenerierung“ oder „Consumer Journey“ zu lösen und in angemessenem Rahmen eigenständige Begriffe zu prägen.

2.2.2 Überarbeitete Definition des Wissenschaftsmarketings Im Marketing steckt der Begriffskern Markt. Markt ist der Ort, an dem Angebot und Nachfrage für Waren und Dienstleistungen zusammentreffen. Und Marketing ist die Ausrichtung aller Tätigkeiten eines Unternehmens an den Erfordernissen des Marktes. Soweit die klassische Definition der ökonomischen Schule. Das Wissenschaftsmarketing findet sich in diesen Festlegungen nicht angemessen repräsentiert. Aber es gibt andere alternative Definitionen, die einen zutreffenden Rahmen bilden. Beispielsweise besagt eine häufig genutzte Definition, dass Märkte die Orte des Leistungsaustausches sind. In dem Zusammenhang bezeichnen Kotler und Bliemel das Marketing als einen Prozess der Herbeiführung und Durchführung von Austauschprozessen zum gegenseitigen Nutzen der Austauschpartner. Das passt schon besser, denn auch im Wissenschaftsmarketing geht es um Leistungen, zudem findet ein permanenter Austauschprozess statt, der für alle am Austausch Beteiligten nützlich ist. Das ursprüngliche Credo des Wirtschaftsmarketings ist eine konsequente Denkhaltung: Referenzpunkt alles institutionellen Planens und Handelns ist der Kunde. Das Marketing setzt also die Brille der Kunden auf. Wenn ich den Begriff Kunden durch Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder ersetze, dann stimmt die Sichtweise auch für das Wissenschaftsmarketing. Anspruchsgruppen sind Personen, Gruppen oder Organisationen, die gegenwärtig Interessenträger sind und Einfluss auf die wissenschaftliche

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I­nstitution und ihre Leistungen nehmen oder potenziell nehmen können. Das Geflecht der Anspruchsgruppen wird immer vielschichtiger, die Anspruchshaltung wächst und die Einstellungen werden kritischer. Will man die Stakeholder erreichen, so braucht es Maßarbeit in der Kontaktaufnahme und der Beziehungspflege. Und das richtige Maß basiert auf einer durchdachten Strategie. Marketing verankert das anspruchsgruppenorientierte Planen und Handeln auf der strategischen Ebene. Aus diesen grundlegenden Erkenntnissen lassen sich drei Leitsätze ableiten, die einen gemeinsamen Nenner für das Wissenschaftsmarketing definieren: • Wissenschaftsmarketing konzentriert sich auf den Austausch von Leistungen – Es geht nicht primär um Produkte und Waren, um Verkäufe und Umsatz. Im Vordergrund des Marketings steht immer eine Leistung, die mit Wissen verbunden ist. In dem Zusammenhang werden die wissenschaftlichen Institutionen als Leistungsplattformen und die Wissenschaftler als Leistungserbringer gesehen. • Wissenschaftsmarketing fordert eine kompromisslose Orientierung an den Anspruchsgruppen – Es geht nicht primär um Kunden und Verbraucher, um Wettbewerb und Nachfrage, sondern um die relevanten Stakeholder und ihre Wissensansprüche. Wissenschaftsmarketing wird immer von den Bedürfnissen und Erwartungen der Anspruchsgruppen aus geplant, umgesetzt und kontrolliert. • Wissenschaftsmarketing hat eine langfristige strategische Ausrichtung – Es geht nicht mehr primär um die operative Umsetzung. Wissenschaftsmarketing ist von Anfang an beteiligt. Es bringt sich schon bei der ersten Idee für eine neue Leistung ein und begleitet die Leistung mit einem umsichtigen strategischen Vorgehen während des gesamten Lebenszyklus.

2.2.3 Marketing normativ verankern Das reformierte Wissenschaftsmarketing agiert im Wesentlichen auf zwei Ebenen. Auf der strategischen Ebene wird das maßgebliche Koordinatensystem bestimmt, auf der Umsetzungsebene werden die konkreten operativen Handlungen an den strategischen Koordinaten ausgerichtet. Über den beiden Ebenen liegt der normative Überbau der jeweiligen Institution (vgl. Abb. 2.2). Der Überbau besteht aus verfassten Elementen wie z. B. Institutionszielen, Corporate Social Responsibilty- und Compliance-Richtlinien sowie den Idealen des Leitbilds. Um sich in der Institution etablieren zu können, muss das Marketing Rückhalt in Klima und Kultur der Institution finden. Fehlt der Rückhalt, leidet es schnell an chronischen Mangelerscheinungen und verliert seine Durchsetzungskraft. Für das Wissenschaftsmarketing gibt es bisher kaum Rückhalt in den wissenschaftlichen Institutionen; dem Marketing schlägt vielerorts sogar Misstrauen und Ablehnung entgegen. Darum darf sich das reformierte Wissenschaftsmarketing keinesfalls darauf beschränken, allein auf der strategischen und operativen Ebene zu agieren. Es muss alles getan werden, um

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Abb. 2.2   Leitbild und andere Normen geben die Richtung vor

einen positiven Klimawandel in Gang zu setzen. Die Arbeit am Klima erfolgt im Dialog. Alle Akteure sind eingebunden, gemeinsam wird eine tragfähige Basis für das Marketing erarbeitet, die von Institution zu Institution unterschiedlich ausfallen kann. Entscheidend ist nicht, bestimmte Marketingaxiome durchzusetzen, entscheidend ist, einen Sinneswandel einzuleiten und eine breite interne Akzeptanz für das Marketing zu finden. Der positive Klimaschub für das Wissenschaftsmarketing muss zuallererst in der Leitungsebene der Institution spürbar werden, denn das Marketing kann nur erfolgreich sein, wenn Präsidenten, Direktoren, Kanzler und Dekane die geplante Reform verstehen und sich dafür aussprechen. Gleichzeitig startet ein interne Kommunikationsoffensive. Für einen bestimmten Zeitraum macht die interne Kommunikation das Wissenschaftsmarketing im eigenen Haus zum Schwerpunktthema. Mit gezielten Kommunikationsmaßnahmen werden die nötigen klimatischen Voraussetzungen geschaffen, um die Kolleginnen und Kollegen für den reformierten Marketinggedanken zu öffnen. Um die interne Resonanz zu überprüfen, setzt die Erfolgskontrolle bereits auf der kulturellen Ebene an, checkt das Maß der Akzeptanz und spürt eventuelle Widerstände auf, um gezielt nachzuarbeiten. Der normative Überbau hat die Aufgabe, die kulturelle Atmosphäre der Institution nachhaltig zu beeinflussen. Eine zentrale Rolle kommt hier dem Leitbild zu. Es dokumentiert die Ideale und Grundregeln der Institution und dient dem gesamten Team und allen Unterstützern dauerhaft als „Leitstern“. Im Zentrum des Leitbildes stehen die große Vision (Dafür brennen wir!) und die handfeste Mission (Das ist unser Auftrag!). Das strategische Marketing bekennt sich zum Leitbild, plant und agiert ganz in dessen Sinne. Das Leitbild wird somit zum Ausgangspunkt des strategischen Planungsprozesses. Die große Mehrzahl der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben in den letzten Jahren ein Leitbild entwickelt und das Marketing kann darauf aufsetzen. Leider gibt es an der Stelle ein Handicap. Der Stifterverband der deutschen Wissenschaft untersuchte im Jahr 2010 die Leitbilder von 188 deutschen Universitäten und Hochschulen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Fast alle Leitbilder der untersuchten Hochschulen wirkten austauschbar in den Inhalten, schwammig in den Formulierungen. Sie taugten nicht als Leitstern. In der Forschung dürfte die Bilanz ­ähnlich

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aussehen. Ich kann das Ergebnis der Untersuchung nur bestätigen, es zeigt ein reales Bild. Wenn ich in wissenschaftlichen Institutionen auf das Leitbild zu sprechen komme, dann muss ich feststellen, dass es meist in den Schubladen verschwunden und nicht in den Herzen angekommen ist. Vielleicht könnte es eine zukünftige Aufgabe des Wissenschaftsmarketings werden, sich für ein Tuning der Leitbilder einzusetzen, um damit die eigene Handlungsgrundlage zu verbessern. Wahrscheinlich kann es ein kluges Marketing sogar schaffen, durch internen Dialog und Partizipation dem Leitbild das nötige Leben einzuhauchen. In jedem Fall gilt, sobald das Leitbild einer Institution in Kraft gesetzt ist, hat das Marketing die Pflicht, sich an den vorgegebenen Werten auszurichten und das Selbstverständnis konsequent umzusetzen.

2.2.4 Marketing organisatorisch implementieren Das Wirtschaftsmarketing fordert, dass ein Unternehmen sich mit allen Angeboten am Marketing ausrichtet. Das Postulat des Marketings prägt alles. Diesen Absolutheitsanspruch stelle ich für den Bereich der Wissenschaft infrage. Eine wissenschaftliche Institution sollte in der großen Mehrzahl der Leistungsbereiche nach den Prinzipien des Marketings arbeiten. Es kann aber auch klar abgegrenzte Bereiche geben, die marketingfreie Zonen darstellen – wie zum Beispiel: • Hoheitliche Aufgaben – Ein Forschungsinstitut führt bestimmte periodische Messungen im Rahmen der Grundlagenforschung durch, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen und zu denen es von staatlichen Stellen verpflichtet wurde. Art, Inhalt und Ablauf der Leistung sind vorgeschrieben und können nicht vom Marketing gestaltet werden. • Altruistische Aufgaben – Eine wissenschaftliche Institution versteht sich als gute Bürgerin und in der Rolle darf sie selbstlos handeln. Sie kann sich in begründeten Fällen für wissenschaftliche Projekte engagieren, die überhaupt nicht ins Leistungsportfolio des Marketings passen, die den Akteuren aber aus humanistischen Gründen am ­Herzen liegen. • Geheime Aufgaben – Bestimmte Forschungsprojekte unterliegen der Geheimhaltung und die Durchführung ist streng vertraulich. Hier können kein Austausch und keine Kommunikation im Sinne des Marketings stattfinden. Das Wirtschaftsmarketing erhebt den Anspruch, als zentrale Unternehmensfunktion mit weitreichenden Kompetenzen installiert zu werden. Das Marketing soll den gesamten Marketingmix des Unternehmens – Produkt, Preis, Distribution und Kommunikation – steuern. In der Realität konnte dieser Anspruch nur mit starken Einschränkungen verwirklicht werden. Im Wissenschaftsmarketing entbehrt er jeglicher Grundlage.

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Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Angst, dass das Marketing in Forschung und Lehre hineinregiert. Das reformierte Wissenschaftsmarketing reagiert darauf und verzichtet auf jegliche Leitungs- und Steuerungsrolle. In einem bleibt das Marketing allerdings unnachgiebig: Es lässt sich innerhalb der Institution nicht auf untergeordnete operative Aufgaben reduzieren, sondern übernimmt eine weitreichende strategische Aufgabe und begleitet die Vorbereitung und Erbringung aller Leistungen während des gesamten Lebenszyklus. Dabei übernimmt das Wissenschaftsmarketing innerhalb der Institution die Rolle als Anwalt der Anspruchsgruppen. Als Anwalt vertritt es die Ansprüche und Erwartungen der Menschen, das Wohl der Gesellschaft, den Schutz der Lebensgrundlagen und stellt sicher, dass diese Belange innerhalb der Institution den nötigen Rückhalt finden. Das Wissenschaftsmarketing analysiert, berät, moderiert und unterstützt, aber es gibt keine Regeln vor und bestimmt den Kurs. Das Wirtschaftsmarketing vertrat lange Zeit die Ansicht, dass Marketing Chefsache sei. In den letzten Jahren hat die personelle Verankerung auf der Führungsebene der Unternehmen jedoch kontinuierlich abgenommen, nur wenige Vorstände haben einen Marketinghintergrund. Da die Verankerung auf der Leitungsebene im Wissenschaftsmarketing nie eine reale Grundlage hatte, gehört sie auch nicht zu den Postulaten des reformierten Wissenschaftsmarketings. Wissenschaftsmarketing ist nicht Chefsache. Mit einer Ausnahme: Es muss garantiert sein, dass das Wissenschaftsmarketing als Anwalt der Anspruchsgruppen jederzeit Zugang zur Führungsebene hat und angemessen beraten kann. Es werden keine wichtigen leistungsbezogenen Entscheidungen getroffen, ohne dass das Marketing um eine Einschätzung gebeten wurde. Als engagierter Anwalt der Anspruchsgruppen kann das Wissenschaftsmarketing in der Aufbauorganisation als Stabsstelle der Leitungsebene oder als bereichsübergreifende Matrixfunktion verankert werden. Das Marketing darf aber keinesfalls als ausführende Abteilung ganz unten in der Linie eingestuft werden. Wissenschaftliche Institutionen, die das Marketing entsprechend heruntergestuft haben, müssten es aus der Verbannung holen. Das ist grundsätzlich wünschenswert, in der Umsetzung sehe ich allerdings Probleme. Die Marketingposition ist in der Regel von „Marketinghandwerkern“ besetzt, die sich um Gestaltung, Produktion und Einsatz von Plakaten, Faltblättern und Promotionsständen kümmern. Nach der Reform braucht es eine strategisch denkende, stimmgewaltige, moderierende Persönlichkeit, die als Anwältin der Anspruchsgruppen auftritt und auch auf der Leitungsebene überzeugen kann. Überhaupt lässt sich die neue Rolle des Wissenschaftsmarketings als Anwalt mit den Methoden der klassischen Aufbauorganisation nicht angemessen abbilden. Es geht um mehr als eine Abteilung oder eine Stellenbeschreibung. In den Institutionen, die sich im Sinne des Marketings stärker an den Anspruchsgruppen orientieren wollen, gehört die Zukunft der Prozessorganisation und nicht der Abteilungsorganisation. Teamwork wird zum Grundprinzip der Leistungserbringung und das Wissenschaftsmarketing etabliert sich als echter Teamplayer (vgl. Abb. 2.3). Wissen ist eine Leistung. Jede Leistung

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Abb. 2.3   Wissenschaftsmarketing gehört zum Team

wird durch ein Projekt getragen und hinter jedem Projekt steht ein Team. Das Team ist bereichsübergreifend zusammengesetzt. Alle leistungsrelevanten Bereiche arbeiten Hand in Hand am Projekt – und einer der Bereiche ist das Wissenschaftsmarketing. In der Prozessorganisation stehen die Aufgaben und Tätigkeiten im Mittelpunkt, die notwendig sind, um die Anspruchsgruppen-Orientierung zu realisieren. Statt fester vertikaler Strukturen gibt es eine horizontale Ordnung, die Abläufe beschreibt. Es geht um das Ineinandergreifen von Aktivitäten, um interdisziplinäre Teams, der sogar externe Akteure angehören können. Statt eines organisatorischen Umsturzes stelle ich mir eine agile Entwicklung mit Bedacht vor. Um das Wissenschaftsmarketing zu implementieren, beginnt die jeweilige Institution mit ersten überschaubaren Pilot-Projekten, die nach dem neuen integrierten Teamprinzip organisiert sind. Erste Erfahrungen und Erfolge bringen das Wissenschaftsmarketing voran und immer mehr Projekte werden einbezogen. Schritt für Schritt wird das Marketing breiter und tiefer implementiert, bis es fast alle Leistungsbereiche der Institution durchzieht. Ein wichtiges Hilfs- und Betriebsmittel der horizontalen Prozessorganisation ist das Marketingkonzept. In den Institutionen der Wissenschaft existiert das Marketingkonzept bisher nur als operativer Umsetzungsplan. Das reformierte Wissenschaftsmarketing setzt

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neu an und versucht sicherzustellen, dass ein strategisches Marketingkonzept stets Basis der zukünftigen Arbeit ist. Zwei Arten von Marketingkonzept halte ich für notwendig. Zum einen den Masterplan, der den grundlegenden Kurs der Institution und ihrer ­Leistungen für die nächsten Jahre vorzeichnet. Zum anderen das konkrete Marketingkonzept für das einzelne Projekt, von dem sich das verantwortliche Team leiten lässt. Beide Konzeptarten werden von allen relevanten Akteuren gemeinsam erarbeitet. Alle haben mitgewirkt und stehen dahinter. Das Ergebnis ist kein starres Regelwerk, sondern ein agiles Planungspapier, dass im weiteren Prozess verfeinert und an die aktuellen Erfordernisse angepasst werden kann.

2.2.5 Analytische Basis sichern Die anwaltlichen Plädoyers des Wissenschaftsmarketings dürfen nicht allein Bauchgefühle artikulieren, sie müssen auf belastbaren Analyse-Ergebnissen basieren. Darum werden Recherche und Analyse zu wichtigen Aufgaben des reformierten Marketings. Es geht um die Bereitstellung und Bewertung von Daten, Fakten und Hintergrundinformationen zu Anspruchsgruppen und Umfeld. Die Institutionen sollen sich an den Bedürfnissen und Einstellungen der Menschen und den dynamischen Konstellationen des politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Umfelds orientieren. Als Planungsund Entscheidungsgrundlage brauchen sie den nötigen Durchblick. Für die Institution und die marketingrelevanten Leistungen entwickelt das Wissenschaftsmarketing eine qualifizierte Lagebewertung, die ständig fortgeschrieben wird. Am Anfang steht die interne Recherche innerhalb der Institutionen und die externe Recherche draußen im Umfeld. Die internen Fakten werden aus eigenen Gesprächen, Protokollen, Konzepten und Reports gezogen, die externen Fakten kommen aus vorhandenen Studien, Umfragen, Statistiken und Medienberichten. Da an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gründlich evaluiert wird, stehen viele sekundärstatistische Fakten unmittelbar zur Verfügung und müssen lediglich in den Analyseprozess eingebracht werden. Um möglichst nah an die tatsächlichen Verhältnisse zu kommen, werden zusätzlich primärstatistische Schritte unternommen. Dazu gehören Interviews mit Stakeholdern, Gespräche mit Experten oder Vorortbeobachtungen an den Orten des Marketinggeschehens. Auf Basis der gesammelten Daten entsteht eine Faktenplattform. Die Plattform beinhaltet alle für die anstehende Aufgabe relevanten Informationen und dient als Quelle für die eigentliche Marketinganalyse. In der Marketinganalyse (vgl. Abb. 2.4) kommen gängige Modelle und Werkzeuge zum Einsatz, die alle zur Verfügung stehenden Informationen verdichten und bewerten.

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Abb. 2.4   Marketinganalyse mit System

Institutionsinterne Analysen Die internen Analyse-Werkzeuge nehmen alle maßgeblichen Binnenfaktoren der Institution genau unter die Lupe – zum Beispiel: • Ressourcen-Analyse – Welche eigenen Talente und Handicaps sind aus Sicht der Stakeholder relevant? Es werden die relevanten Stärken und Schwächen der Institution sortiert, priorisiert und beurteilt. • 7S-Framework – Wie ist die Institution aufgestellt? Die von McKinsey entwickelte Analyse durchleuchtet alle für die Institution maßgeblichen Faktoren ausgerichtet an den sieben S. „Strategy“ steht für die vorhandenen Ziele und Konzepte. „Structure“ betrachtet die Organisation des Unternehmens und ihre Eignung. „Systems“ konzentriert sich auf die relevanten Prozesse. „Style“ beurteilt die Art und Qualität der Führung, „Staff“ betrachtet die Fähigkeiten der involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Skills“ fokussiert besondere Kenntnisse und „Shared Values“ bringt die Visionen und Grundwerte der Institution ein. • Kompetenz-Analyse – Wo liegen die besonderen Kompetenzen der Institution? Reichen die Kompetenzen für die avisierten Ziele aus? Die Kompetenzanalyse arbeitet Kernkompetenzen, Kompetenzpotenziale, Standardkompetenzen und Kompetenzlücken heraus und analysiert deren Gestaltungskraft. • Portfolio-Analyse – Welche Bedeutung haben die Leistungen der Institution? Wie setzen sich deren Leistungen zusammen? Die Wissensleistungen der Institution werden strukturiert, gewichtet und gewertet. • Image-Analyse – Welches Bild haben die Stakeholder von der Institution? Die relevanten Faktoren des Ist-Images werden zusammengestellt und in Bezug zur Erwartungshaltung der Stakeholder gesetzt.

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Institutionsexterne Analysen Die externen Analysen schauen sich die Außenwelt der Institution näher an und ziehen die richtigen Schlüsse – zum Beispiel: • Anspruchsgruppen-Analyse – Wer sind die Anspruchsgruppen und wie treten sie auf? Es wird die Stakeholder-Konstellation zusammengestellt und beispielsweise in einer Stakeholder-Matrix nach Aktivitätsgrad und Geltung geordnet. • Wettbewerbsanalyse – Wo steht die Institution in Relation zu den Mitbewerbern? In einem Matrixfeld wird der eigene Standpunkt in Vergleich zu den anderen Institutionen im Wissenswettbewerb verortet. • Umfeldanalyse – Welche Faktoren aus dem Umfeld beeinflussen die Leistungen? Die Analyse erfasst die aktuelle Umfeld-Situation in politischer, wirtschaftlicher, technischer, ökologischer und sozialer Hinsicht. • Five-Forces-Modell – Welche Player sind auf dem Terrain der Institution aktiv und welche Rolle spielen sie? Das Modell von Michael E. Porter ist auf das Wirtschaftsmarketing zugeschnitten, aber mit einer Neuordnung der Kräfte wird es auch für das Wissenschaftsmarketing interessant. Zu den Playern gehören nicht mehr nur Wettbewerber und Kunden, sondern beispielsweise auch Partner, Meinungsführer und relevante Regierungsstellen. Die gesamte Konstellation auf dem institutionellen Spielfeld wird abgebildet. • Kooperationsanalyse – Welche Partnerschaften lohnen sich und wie kooperiert man am besten? Es kommt darauf an, die richtigen Partner und die optimale Form der Kooperation zu bestimmen. Die Analyse ähnelt der Wettbewerbsanalyse, nur das bei der Kooperation Gemeinsamkeiten und Synergien im Vordergrund stehen. Die genannten Analyseinstrumente setzen den Hebel punktgenau an bestimmten Fronten an. Sie sind Spezialisten. In der Summe werden die Ergebnisse der Recherche und aller spezialisierten Analysen in einer SWOT-Analyse zusammengeführt. Die eigenen Stärken und Schwächen sowie die externen Chancen und Risiken werden erfasst. Das Ergebnis ist ein umfassendes Bild der Lage. Um die anstehenden strategischen Entscheidungen zu erleichtern, wird in einem abschließenden Schritt an die SWOT-Analyse eine TOWS-Matrix angehängt. Bei der TOWS werden Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken in Bezug zueinander gesetzt und strategische Empfehlungen daraus abgeleitet. Beispielsweise lassen sich die Stärken und Chancen zielgerichtet nutzen, um die Risiken zu begrenzen. Oder die Chancen kommen so zum Einsatz, dass sie den Stärken zusätzliche Kraft geben. In meiner analytischen Arbeit versuche ich, über die klassischen Werkzeuge der Marketinganalyse hinauszugehen und Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen in die Planung einzubeziehen. Im Wirtschaftsmarketing gibt es eine neue Bewegung, die sich für die plurale Ökonomik einsetzt. Die Bewegung fordert eine Öffnung der Ökonomie hin zu anderen Disziplinen wie den Kognitions- und Neurowissenschaften, der Verhaltenswissenschaft, der Psychologie oder der Soziologie. Für das

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reformierte Wissenschaftsmarketing ist das neue erweiterte Spektrum ein Muss. Die Analyse beschränkt sich nicht nur auf den klassischen Mainstream aus den Marketingfachbüchern, sondern öffnet neue Horizonte. Erkenntnisse von Amos Tversky, dem Vordenker der Kognitionswissenschaft, oder Dan Ariely, Professor für Psychologie und Verhaltensökonomik, fließen in die Analyse ein. Auch Friedemann Schulz von Thun mit seinen Betrachtungen zur persönlichen Kommunikation oder der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedlácek, der Ökonomie und Philosophie zusammenbringt, können zu einer neuen ganzheitlichen Sicht der Lage beitragen.

2.2.6 Strategischen Prozess stärken Wissenschaftsmarketing versteht sich nicht als operativer Werkzeugkasten, sondern als strategische Planungsfunktion. Der strategische Prozess ist somit die Hauptschlagader des Marketings. In Anlehnung an Heribert Meffert sind deshalb an die strategische Marketingplanung hohe Anforderungen zu stellen: • Integriert – Wissenschaftsmarketing bezieht alle marketingrelevanten Faktoren ein und begleitet die jeweilige Leistung durch alle Lebensphasen. • Langfristig – Wissenschaftsmarketing wird mit weitem Horizont auf lange Sicht geplant. Es orientiert sich an den Maßgaben des Leitbilds und setzt sie um. • Zukunftsorientiert – Wissenschaftsmarketing schaut nach vorne und macht es sich zur Aufgabe, die Institution und ihre Leistungen fit für die Zukunft zu machen. • Individuell – Wissenschaftsmarketing ist von seinem Wesen her kein Massenmarketing, sondern spricht die Anspruchsgruppen differenziert und individuell an. • Integer – Wissenschaftsmarketing bekennt sich zur Verantwortung für Mensch und Gesellschaft. Das Marketing legt Wert auf ehrliches, faires Verhalten und verzichtet auf Sensationsmache und Effekthascherei. Die Strategie wird in der öffentlichen Meinung gern gleichgesetzt mit schwerverständlichen theoretischen Denkmodellen ohne Bodenhaftung. Die strategischen Maßgaben des reformierten Wissenschaftsmarketings sind dagegen einfach und schlüssig in der Anwendung. Sie haben die Aufgabe, klare Leitlinien für die Ausrichtung der konkreten Umsetzungsarbeit vorzuzeichnen. Basis des strategischen Prozesses sind die vorliegenden Ergebnisse der Analyse. Das erarbeitete Lagebild wird als Navigator genutzt, um den zukünftigen Weg zu bestimmen. Die Marketingziele bilden den Einstieg in den strategischen Prozess. Die Ziele sind eingebettet in die gesamte Zielkonstellation der jeweiligen Institution. Sie richten sich geradlinig an den vorhandenen übergeordneten Zielen aus – zum Beispiel Institutionsziele, Nachhaltigkeitsziele und vor allem die im Leitbild formulierte Vision und Mission. Gleichzeitig dienen sie den untergeordneten operativen Zielen als feste Vorgabe – zum Beispiel Kommunikationszielen, Distributionszielen oder Preiszielen.

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Die Marketingziele verstehen sich als quantitative Messlatte und qualitative Motivation für das zukünftige Planen und Handeln im Marketing. Sie bestimmen, welche Ergebnisse erreicht werden sollen: „Das nehmen wir uns konkret vor!“ und machen gleichzeitig Mut zum Handeln: „Das schaffen wir!“. In der Realität des Wirtschaftsmarketings geht es in erster Linie um marktökonomische, absatzorientierte Ziele. Im Blickpunkt stehen Umsatz, Marktanteil, Rentabilität, Deckungsbeitrag, Lagerumschlag und mehr. Für das reformierte Wissenschaftsmarketing sind diese Ziele meist untergeordnet. Nicht Absatz und Umsatz stehen im Vordergrund, sondern Ziele, die sich an den Leistungen der Institution und den Erwartungen der Anspruchsgruppen ausrichten. Für die Ziele des Wissenschaftsmarketings haben Problemlösung und Nutzen absoluten Vorrang. Es geht um Performance, nicht um Profit. Das Zielsystem im Wissenschaftsmarketing (vgl. Abb. 2.5a) ist komplex und setzt sich aus den mehreren Zielsträngen zusammen: Leistungsorientierte Marketingziele (bezogen auf die Institution) • Forschungs- und Lehrziele – z. B. Erfolge in der Forschungsarbeit, Spitzenposition Exzellenzwettbewerb (Benchmarking), Ausbau von Kooperationen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Durchschnittsnote Bachelor und Master. • Ökonomische Ziele – Finanzierungssicherung, Drittmittelakquisition, Fördermittel, Spenden, Sponsoring, Marktanteil, Umsatz, Gewinn.

Abb. 2.5a   Zielsystem Wissenschaftsmarketing

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Psychologische Marketingziele (bezogen auf die Anspruchsgruppen) • Bewertungs- und Einstellungsziele – z. B. Image der Institution, Akzeptanz der Forschung, Zufriedenheit der Studierenden, Sympathiewerte der Wissenschaftler. • Verhaltens- und Handlungsziele – z. B. Verhaltensänderung, Bevorzugung, Mitwirkung, Dialog, Empfehlung. Soziale Marketingziele (bezogen auf die Gesellschaft) • Standortbezogene Ziele – z. B. Kontakte zu Leistungsträgern, Wertschätzung der Anwohner, Dialog mit kritischen Anspruchsgruppen. • Gesellschaftsbezogene Ziele – z. B. soziale Ziele, ökologische Ziele, kulturelle Ziele, Gender-Ziele, Antidiskriminierungsziele, ethische Ziele. • Scientific Community-Ziele – erfolgreiche Netzwerke, starke Partner, aktive Information untereinander, hohe Transparenz, gegenseitiges Vertrauen. Interne Marketingziele (bezogen auf interne Zielgruppen) • Mitarbeiterleistungen – z. B. Teammotivation, Produktivität, Workflow, Leistungsqualität, Fehlzeiten. • Mitarbeiterbindung – z.  B. Identifikation, Loyalität, Mitarbeiterzufriedenheit, Organisationszugehörigkeit. • Mitarbeiterfindung – z. B. Employer Branding-Image, Exzellente neue Wissenschaftler anwerben, kurze Rekrutierungszeiten, globaler Rekrutierungsradius. Wie bei den Wirtschaftszielen so gilt auch für die Wissenschaftsmarketingziele das SMART-Prinzip des Projektmanagements: spezifisch, messbar, aktivierend, realistisch, terminiert. In ganzen Sätzen formuliert: Damit die Ziele ihren Auftrag erfüllen, müssen sie spezifisch und eindeutig bestimmt sein. Sie müssen messbar gemacht und aktivierend formuliert werden. Sie sind realistisch zu erreichen und haben eine klare Terminierung. Bei der Terminierung unterscheidet das Marketing zwischen langfristiger und kurzfristiger Zielsetzung. Die langfristigen strategischen Marketingziele legen den Kurs für die nächsten drei bis sieben Jahre fest. Längere Zielperspektiven (z. B. zehn Jahre) sind aufgrund der hohen Dynamik im Umfeld realitätsfremd geworden. Die kurzfristigen taktischen Ziele gelten jeweils für die nächste Zeitetappe (z. B. sechs Monate, ein Jahr) und definieren den konkret anstehenden Handlungsbedarf. Die Verbindung der einzelnen Etappen beschreibt den Weg zu den langfristigen Zielen. Über eine systematische Erfolgskontrolle wird die Zielperformance überwacht. Die Kontrolle erfolgt im Anschluss an die Etappe (Abschlussevaluierung) oder schon während des laufenden Betriebs (Monitoring). Alle Ziele werden mit Hilfe von adäquaten Schlüsselkennzahlen (Key Performance Indicators) messbar gemacht. Durch die ständige Kontrolle der Messergebnisse kann die Institution Zielprobleme schnell erkennen und frühzeitig angehen. Der nächste Schritt im strategischen Prozess führt zu den Zielgruppen, die ich im Kontext des Wissenschaftsmarketings als Anspruchsgruppen bezeichne. In den ­meisten

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Fachbüchern zum Wirtschaftsmarketing gibt es innerhalb der strategischen Überlegungen kein eigenes Kapitel zur Zielgruppenbestimmung. Alles konzentriert sich auf die Kunden, und selbst die werden nicht als eigenständiger Schritt im Strategieprozess verankert, sondern bei der Ausarbeitung der Marketingstrategien – z. B. im Rahmen der Segmentierungsstrategie oder der Präferenzstrategie – eingegrenzt und näher beschrieben. Das reformierte Wissenschaftsmarketing geht anders vor. Es baut in den strategischen Prozess einen eigenen Schritt zur Bestimmung der relevanten Anspruchsgruppen ein. Im Rahmen der Analyse wurde die zumeist komplexe Konstellation der Anspruchsgruppen zum Beispiel mit einer Stakeholder-Matrix konkret bestimmt. Allerdings übernimmt die Strategie nicht einfach alle Anspruchsgruppen als Marketingzielgruppen. Die Marketingressourcen in der Wissenschaft sind begrenzt, sodass zu wenig Mittel zur Verfügung stehen, um alle Gruppensegmente mit Nachdruck ins Visier zu nehmen. Eine Ansprache ohne Druck würde indes verpuffen, denn wer alle anspricht, der erreicht am Ende niemand richtig. Deshalb ist es Aufgabe des strategischen Prozesses, die Beziehungsarbeit zu den Anspruchsgruppen zu fokussieren. Aus der Vielzahl der Stakeholder werden genau die Schlüsselgruppen und -personen in den Brennpunkt gerückt, die für die Erreichung der vorgegebenen Marketingziele von vorrangiger Bedeutung sind. Der Schwerpunkt des Marketingengagements konzentriert sich auf die Schlüsselgruppen („Key Player“), zu denen systematisch Beziehungen aufgebaut werden. Daneben gibt es Rahmengruppen („Keep informed“), die angemessen in das Engagement einbezogen werden und Monitorgruppen („Keep in View“), die lediglich im Blick behalten bleiben, um bei Bedarf zu reagieren. Das Wissenschaftsmarketing hat das komplette 360-Grad-Spektrum der Stakeholder im Blick (vgl. Abb. 2.5b) und fokussiert die relevanten Gruppensegmente und Personen:

Abb. 2.5b   Aufteilung der Anspruchsgruppen für das Wissenschaftsmarketing

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Externe Anspruchsgruppen aus Öffentlichkeit und Wirtschaft • Interessierte Öffentlichkeit • Publikumsmedien online und offline • Politik, Wirtschaft, Verbände • NGOs, Bürgerinitiativen, Interessengruppen • Kunden und Interessenten • Gesellschaftliche Multiplikatoren • Lokale Bevölkerung an den Standorten Externe Anspruchsgruppen aus Forschung und Lehre • Externe Forscher und Lehrende • Vorhandene und potenzielle Kooperationspartner • Wissenschaftsjournalisten/Fachmedien • Studierende, Alumni • Förderstellen, Akkreditierer, Drittmittelgeber • Fachebene von Ministerien, Verbänden, NGOs Interne Anspruchsgruppen in der Organisation • Präsidium/Rektorat/Kanzler • Wissenschaftler, Professoren • Fakultäten, Institute • Marketingakteure aus Kommunikation, Presse, Event • Wissenschaftliche und sonstige Mitarbeitende • Interne Gremien, Fördervereine • Freie Mitarbeitende Bei den externen Anspruchsgruppen unterscheidet das Wissenschaftsmarketing zwei unterschiedliche Bezugsfelder: der wissenschaftliche (Professionals) und der öffentliche Bereich (Non-Professionals) der Anspruchsgruppen. Beide Felder haben unterschiedliche Wissensstände und Interessenlagen und müssen deshalb differenziert angesprochen werden. Beide Felder sind aber nicht voneinander vollständig abgegrenzt. Aufgrund der diffusionsträchtigen Membrane von Internet und Social Media entstehen immer mehr Querverbindungen und Vermischungen zwischen Wissenschaftlern und Laien. Das klassische Wirtschaftsmarketing proklamiert die Kundenzentrierung. Alles dreht sich um die Kunden. Auch im Bereich von Forschung und Lehre wurde vor einigen Jahren begonnen, den Kunden als Vorbild und Leitbegriff zu proklamieren. Im reformierten Wissenschaftsmarketing will ich dem Begriff des Kunden keine exponierte Stellung mehr geben. Das hat zwei gute Gründe. Zum einen sind über 90 % der Anspruchsgruppen im Wortsinn keine Kunden. Zum anderen ist der Begriff Kunde bei den Anspruchsgruppen nicht eindeutig positiv besetzt. Denn aufgrund aggressiver Marketing- und Customer-Relationship-Management-Strategien fühlen sich Kunden immer häufiger nicht als König, sondern als Opfer.

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Die Anspruchsgruppen sind bestimmt. Im nächsten Schritt geht es um die richtige Positionierung der Institution und ihrer Leistungen. Das Wirtschaftsmarketing orientiert sich bei der strategischen Marketingpositionierung an Markt und Wettbewerb. Die Position am Markt in Relation zur Konkurrenz ist die alles entscheidende Bezugsgröße. Besagte Position muss eine klare Differenzierung gegenüber dem Angebot der Mitbewerber herausarbeiten und zu einer souveränen Alleinstellung führen. Eine Differenzierung ist jedoch schwierig geworden, denn heutzutage gibt es in fast allen Marktsegmenten eine wachsende Zahl von Angeboten, die sich immer ähnlicher werden. Produkteigenschaften, Service und Preis liegen so dicht beieinander, dass sich keine substanziellen Differenzierungsmerkmale mehr finden lassen. Deswegen geht es im Wirtschaftsmarketing schon seit längerem vorrangig um psychologische Differenzierungen, die durch persuasive Kommunikation pointiert herausgearbeitet werden. Das reformierte Wissenschaftsmarketing löst sich von der Wettbewerbsfixierung. Hauptbezugspunkt der strategischen Positionsbestimmung in der Wissenschaft ist stattdessen die Sichtweise der relevanten Anspruchsgruppen. Mit der gewählten Position wird eine aussichtsreiche Position in Bezug zu den Anspruchsgruppen bestimmt ­(„Stakeholder-Centricity“). Deren Einstellungen und Interessenlagen sind positionsentscheidend. Man setzt die Stakeholder-Brille auf, um die richtige Position zu finden. Ist damit die Wettbewerbssicht völlig passé? Nein, das nicht! Sobald die Marketingplanenden erkennen, dass sich die Stakeholder in der spezifischen Situation vorrangig an den Konkurrenzverhältnissen orientieren, kommt der Wettbewerb wieder ins Spiel. Die Menschen treffen auf eine Institution und ihr erster Eindruck ist entscheidend. Sie fällen ein schnelles Urteil und legen fest, was von der Institution zu halten ist. Das schnelle Urteilen und Einordnen wurde von der Evolution angelegt, es hilft den Menschen, die enorme Komplexität der Welt zu bewältigen. Alle weiteren Kontakte zur Institution werden von diesem ersten Urteil geprägt. Hier setzt die strategische Positionierung an, sie will das Urteil der Anspruchsgruppen bewusst prägen, statt sie dem Zufall zu überlassen. Jede Marketingpositionierung legt das Selbstverständnis der Institution bzw. einzelner Leistungen in Bezug zu den Anspruchsgruppen fest. Es handelt sich erst einmal um eine Soll-Position, die in der Zukunft angestrebt wird. Sobald sie fixiert und verabschiedet wurde, bildet sie den Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Marketingarbeit. Alle Marketingmixfaktoren, alle Mittel und Maßnahmen richten sich an der Position aus. Durch den permanenten, konsistenten Einsatz prägt sich die Position bei den Anspruchsgruppen fest ein, sie wird als vorteilhaft und nützlich erkannt. Das Wirtschaftsmarketing fixiert die strategische Positionierung zumeist in einer „Positioning Matrix“. Die Matrix ist ein Kreuz mit zwei Achsen. Jede Achse steht für eine grundlegende Marktdimension – zum Beispiel Qualität und Preis. Die Pole der Achsen bezeichnen jeweils die beiden Extreme der Dimension – beim Preis beispielsweise Premium und Niedrigpreis. Innerhalb des Kreuzes werden die eigene Position und die Positionen der Mitbewerber in Relation zueinander gesetzt. Als eigene Position wird ein freier und möglichst chancenreicher Platz auf dem Markt angestrebt. Für das Wissenschaftsmarketing taugt diese Einteilung nur in Einzelfällen. Der Wettbewerbsvergleich

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ist in vielen Marketingsituationen nicht relevant oder für die Anspruchsgruppen nicht transparent. Das reformierte Wissenschaftsmarketing nutzt deshalb Positionierungsmodelle, die passgenau auf die Stakeholder (vgl. Abb. 2.5c) zugeschnitten sind. Beispielsweise lässt sich die beschriebene Positionierungsmatrix auch an den Stakeholdern ausrichten. Die Dimensionen bezeichnen nicht mehr die Hauptmerkmale des Marktes und der Wettbewerber, sondern die maßgeblichen Merkmalsausprägungen in der Einstellung der Anspruchsgruppen. Die Positionen im Kreuz kennzeichnen nicht mehr vorteilhafte Wettbewerbspositionen, vielmehr werden vorteilhafte Standpunkte im Verhältnis zu den Anspruchsgruppen bestimmt. Meist gibt es mehrere mögliche Standpunkte, die Positionierung entscheidet sich für den Standpunkt, der die eigenen Talente der Institution, die Erwartungshaltung der Stakeholder und den Nutzen für die Gesellschaft möglichst gut in Einklang bringt. Eine Alternative bietet die Einordnung in eine Positionierungsspinne (vgl. Abb. 2.5d), die mehrere Kriterien abbildet – und zwar genau die Kriterien, die für die Einstellung der Anspruchsgruppen signifikant sind. Das Spinnennetz verbindet die einzelnen Kriterien zu einem Merkmalsraum. Je ausgeprägter ein Merkmal ist, desto weiter außen setzt der Raum an. Die Marketingpositionierung umreißt einen Merkmalsraum, der möglichst kongruent mit der Interessenlage der Anspruchsgruppen ist. Bei der Positionierungsspinne können auch mehrere Merkmalsräume verglichen werden. Zum Beispiel der Ist-Merkmalsraum heute und der Soll-Merkmalsraum, wie er von den Anspruchsgruppen präferiert wird.

Abb. 2.5c   Stakeholderzentrierte Positionierung

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Abb. 2.5d   Positionierung im Spinnennetz

Die gewählte Positionierung manifestiert eine fixe Größe. Agiles Marketing kann an den verschiedensten Stellen der Marketingplanung zu Änderungen und Weiterentwicklungen führen, die Positionierung steht dabei nicht zur Disposition. Die Position spiegelt die Haltung der Institution wider und sobald sich die Haltung des Öfteren ändert, wirkt die Institution unstet und verliert an Vertrauen. Eine Marketingpositionierung sollte deshalb mehrere Jahre Bestand haben. An der Position richten sich in der weiteren Planung und Umsetzung alle Strategien, Instrumente und Maßnahmen aus. Gegen die Position darf nie verstoßen werden. Hinter der Position müssen alle stehen und in jeder Situation adäquat handeln. Im nächsten Prozessschritt ist es Zeit für die eigentliche Marketingstrategie. Mit welchen Strategien erreicht die Institution aus der Position heraus am besten ihre Ziele? Marketingstrategien sind die Wegweiser für den geplanten Erfolg. Das Wirtschaftsmarketing strebt den Erfolg am Markt an und hat entsprechend marktorientierte, wettbewerbsfixierte Strategiesysteme geschaffen. Das Wissenschaftsmarketing hat die Systeme in das eigene Regelwerk übernommen, allerdings sind einige der Strategien für das Wissenschaftsmarketing unpassend. Aus dem Grund schlage ich vor, dass das reformierte Wissenschaftsmarketing die Strategien aus der Wirtschaft gründlich umbaut, aber gleichzeitig den Horizont der Strategien erweitert. Aus meiner Sicht sollten folgende Bereiche und Strategien in das erweiterte Strategiesystem einfließen: • Forschungs- und Entwicklungsstrategien – z. B. Grundlagenforschung, Anwendungsforschung, Evaluationsforschung, Forschungstransfer. • Kooperations- und Netzwerkstrategien – z. B. strategische Allianzen, Joint Ventures, Forschungsnetzwerk, Public-Private-Partnership, Co-Branding oder Co-Working.

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• Stakeholder-Strategien – z. B. partizipative Strategie, diskursive Strategie oder restriktive Strategie. • Branding-Strategien – z. B. Einzelmarken- oder Mehrmarkenstrategie, Dachmarkenstrategie, Markenfamilie, Markentransfer, Co-Branding. • Digitale Strategien – z. B. Content-Strategie, Influencer-Strategie, Social-Media-­ Strategie, Social Collaborative-Strategie. • Markt- und Wettbewerbsstrategien – Die klassischen Marketingstrategien des Wirtschaftsmarketings werden auf den Prüfstand gestellt. Nur die Strategiestränge, die ins Geflecht des Wissenschaftsmarketings passen, werden eingezogen. Die Auswahl berücksichtigt allen großen Strategiebereiche: – Marktfeldstrategien – z. B. Marktdurchdringung, Marktentwicklung oder Neueinführung. – Marktstimulierungsstrategien – z. B. Präferenzstrategie oder Preis-Mengen-Strategie. – Marktparzellierungsstrategien – z. B. Massenmarktstrategie oder Segmentierungsstrategien. – Marktarealstrategien – z. B. lokale, regionale, nationale oder internationale Strategien. • Interne Marketingstrategien – z.  B. Top-down-Strategie, Bottom-up-Strategie, Both-directions-Strategie, Multiple-Nucleus-Strategie. Basis der Strategiebildung sind die Daten und Ergebnisse der Marketinganalyse. Von der Stakeholder-Matrix bis zum 7S-Framework fließen alle Erkenntnisse ein und bestimmen die Richtung des strategischen Kurses. Die einzelnen Strategien stehen nicht isoliert, sie verbinden sich zu einem Strategiesystem. Zum Beispiel wird eine Marktentwicklungsstrategie im Bereich der Lehre mit einer Netzwerk-Strategie im Bereich der Forschung verknüpft. Die beiden Strategien verbinden die Beteiligten mit einer Branding-Strategie. Das Strategiesystem gibt die Grundrichtung für den anschließenden Marketingmix vor. Die Mixfaktoren wirken im Sinne der Strategie.

2.3 Neuer Marketingmix 2.3.1 Etabliertes Mixmodell und Alternativen Die vier P’s sind die Klassiker des Marketingmix. Sie wurden bereits Anfang der 60ziger Jahre vom US-Amerikaner Jerome McCarthy entwickelt und setzten sich schnell durch. Die eingängige Alliteration der P’s steht für vier zentrale Aufgabenbereiche des Marketings: • Product – Die Produktpolitik steuert alle Aktivitäten, die in Zusammenhang mit Entwicklung, Qualität, Design, Ausstattung, Service und Führung von kundenadäquaten Produkten und Dienstleistungen stehen. Vom Produkt leiten sich alle anderen Mixfaktoren ab.

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• Price – Die Preispolitik bezieht sich auf die Findung und Gestaltung des richtigen Marktpreises und die Ausgestaltung der flankierenden Lieferungs-, Finanzierungs- und Zahlungskonditionen. Weil der Preis ein klar vergleichbares Differenzierungsmerkmal ist, nutzen ihn viele Kunden als Hauptorientierung für ihre Kaufentscheidung. • Place – Die Distributionspolitik beschreibt alle Marketingaktivitäten, die sich auf Lagerung, Transport und Vertrieb des Produkts oder der Dienstleistung beziehen. Das Ziel liegt darin, die optimale Verfügbarkeit des Produkts für die Kunden zu gewährleisten. Durch die zunehmende Marktmacht des Online-Shoppings befindet sich die Distributionspolitik zurzeit in einem starken Umbruch, der noch lange nicht abgeschlossen ist. • Promotion – Die Kommunikationspolitik umreißt alle Werbe-, PR-, Event- und Online-Maßnahmen, die den Vertrieb und Verkauf der Produkte und Dienstleistungen unterstützen. Während in der Vergangenheit die Werbung Achse der Kommunikationspolitik war, haben sich inzwischen die Kräfte erheblich verschoben. Wer auf dem Markt erfolgreich sein will, der betreibt eine facettenreiche 360 Grad-Kommunikation. Da sie eingängig und leicht zu merken sind, haben sich die vier P’s schnell durchgesetzt. Zum ersten Mal gehört, vergisst man sie nicht mehr. Generationen von Marketingstudenten sind mit ihnen ausgebildet worden und bis heute prägen Sie das Bild des Marketings. In der Marketingpraxis haben die Akteure bald bemerkt, dass die Viererteilung den Anforderungen der modernen Märkte nicht voll gerecht wird. Wichtige marktrelevante Faktoren werden nicht erfasst. Vor allem der immer wichtiger werdende Bereich der Dienstleistungen findet sich nicht ausreichend wider. Immaterielle Dienstleistungen müssen anders vermarktet werden als materielle Produkte. Aus dem Grund wurde vor einigen Jahren der Radius von vier auf sieben P’s erweitert: • Physical Environment – Die Ausstattungspolitik bestimmt Konzeption, Ausstattung und Ambiente des Ortes, an dem der Kundenkontakt stattfindet. Zumeist sind das die Geschäftsräume des Unternehmens. • People – Die Personalpolitik kümmert sich um die Auswahl, die Weiterbildung und das Auftreten des Personals im Kundenkontakt. Die Kontaktpersonen haben einen erheblichen Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung und die Zufriedenheit der Kunden. • Process – Die Prozesspolitik tut alles, damit die Prozesse zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Kundenkontakte optimal ablaufen. Alle Arbeitsabläufe müssen klar strukturiert und effizient gestaltet werden.

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Die sieben P’s machen das Mixmodell zwar genauer, aber auch komplizierter. In der Praxis wende ich es deshalb nur an, wenn die zusätzlichen P’s tatsächlich eine spürbare Präzisierung der Marketingarbeit bringen. Durch die digitale Transformation ist das gesamte Marketing aktuell starken Veränderungen unterworfen. Wer im Marketing erfolgreich sein will, der stellt sich auf die neuen Anforderungen ein. In der Folge wird bei einigen Vordenkern des Marketings die Forderung lauter, die P’s in den verdienten Ruhestand zu schicken. Es kommen neue Modelle in die Diskussion, die den geänderten Marktgegebenheiten besser Rechnung tragen. Der US-amerikanische Marketingexperte Philip Kotler macht sich für vier C’s (Co-Creation, Currency, Communal Activitation, Conversation) stark. „Co-Creation“ besagt, dass sich das Marketing darauf einstellen muss, dass in Zukunft Produkte unter Mitwirkung der Verbraucher entstehen. Aus den Konsumenten werden Prosumenten. „Currency“ entwickelt die Basis für eine flexible Preispolitik, die sich dynamisch je nach Marktnachfrage bewegt. Es gibt keine festen Preise mehr. „Communal Activation“ nennt sich das Kanalkonzept, das den Kunden einen sofortigen Zugang zu Produkten und Dienstleistungen ermöglichen soll. Und „Conversation“ bezieht sich auf den interaktiven und individuellen Charakter der zukünftigen Kommunikationsarbeit. Kotler sieht die vier C’s nicht mehr als getrennte Sektoren, sondern als ein vernetztes System mit synergetischen Querverbindungen. Auch Al Ries, der „Urvater“ der Marketingpositionierung, hat seinen Beitrag in die Diskussion eingebracht. Ries betrachtet den Mix nicht als operatives Instrumentarium, er will ihm eine größere strategische Tragweite geben und schlägt vor, zu vier M’s (Merchandise, Market, Media, Message) überzugehen. „Merchandise“ integriert nicht nur das Angebot selbst. Auch das integrierte Management von Angebotsbreite, Angebotsvielfalt und Angebotswahrnehmung gehören zum Mixfaktor. „Market“ steht für alle wichtigen Aspekte des Marktes. Das Marketing nimmt den Markt mit allen Akteuren und Bestimmungsfaktoren ganzheitlich in den Blick. „Media“ repräsentiert die mediale Strategie, die richtige Auswahl und den Einsatz aller Online- und Offline-Medien. Und „Message“ arbeitet die Botschaft heraus. Ries beklagt, dass bisher im Marketing die Botschaften zu kurz kommen, obwohl sie eine zentrale Zugkraft für den Kundenkontakt besitzen. Die Botschaften müssen durch ein strategisches Content-Management überzeugend und aktivierend herausgearbeitet werden. Im Jahr 2014 hat die Harvard Business Review ein weiteres Modell vorgestellt. Es wird das SAVE-Framework (Solution, Access, Value, Education) genannt. Ansatzpunkt ist die Kritik, dass sich die vier P’s zu stark an technischen Merkmalen der Produkte orientieren und kaum auf die Lösung und den Nutzen für die Kunden eingehen. Deshalb legt „Solution“ den Schwerpunkt auf Lösungen statt auf Produkte. Alle Angebote des Marketings werden von ihrer Lösung her definiert. „Access“ kümmert sich um den Zugang zum Produkt. Gefragt ist eine gekonnte Strategie über mehrere Kanäle, um den Zugang so einfach und komfortabel wie möglich zu machen. „Value“ soll den Preis ersetzen. Der Angebotspreis wird von den Benefits her definiert und nicht von den eigenen Kosten oder den Preisen der Mitbewerber. Wer es schafft, echte Mehrwerte zu

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e­ntwickeln, kann höhere Preise erzielen. „Education“ besagt, das einfache Werbung keine Chance mehr bei den Verbrauchern hat. Im Vordergrund stehen die Vermittlung und der Austausch von nützlichen und inspirierenden Inhalten, die im Kopf der Zielgruppen etwas bewegen. Letztendlich durchgesetzt hat sich bisher keines der neuen Mixmodelle, aber die Diskussion ist im vollen Gange und in einem sind sich alle einig: die vier P’s sind am Ende ihres Lebenszyklus angekommen. Man darf gespannt auf weitere Mix-Perspektiven sein. Das Wissenschaftsmarketing hat sich bisher im Wesentlichen auf die vier P’s gestützt. Sie wurden aus dem Wirtschaftsmarketing übernommen und minimal angepasst. Allerdings bemerken alle Studierenden des Fachs Wissenschaftsmarketing schon in der ersten Vorlesung, dass es bei den P’s zu deutlichen Passerdifferenzen kommt. Im Wissenschaftsmarketing hat man es nur selten mit Produkten zu tun und auch der Begriff Dienstleistung trifft häufig nicht zu. Mit dem Marktpreis kommt man in Forschung und Lehre nur bedingt weiter. Für die meisten Leistungen gibt es keinen Preis. Und wenn, dann bildet er sich nicht am Markt. Das gleiche Dilemma gibt es in der Distributionspolitik. Handel? Vertriebskanäle? Verkaufsort? Das ist eine andere Welt, die in der Wissenschaft nur am Rande vorkommt. Einzig der Faktor Kommunikationspolitik passt in die Welt der Wissenschaft. Viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben die Bedeutung der Kommunikation erkannt und versuchen möglichst vorteilhaft ins öffentliche Gespräch zu kommen. In der Folge wird Wissenschaftsmarketing häufig mit Kommunikation gleichgesetzt, und falls eine wissenschaftliche Einrichtung ein Marketingkonzept entwickelt, dann handelt es sich in den meisten Fällen in Wirklichkeit um ein Kommunikationskonzept. Ein Marketingkonzept, dass alle vier P’s zum Einsatz bringt, ist mir im Bereich der Wissenschaft bisher noch nicht untergekommen. Mag sein, es gibt dieses Konzept nicht. In dieser verfahrenen Situation kann es für mich nur eine Konsequenz geben. Das Wissenschaftsmarketing trennt sich von den vier P’s und stellt einen eigenen Marketingmix zusammen. Ich mache einen ersten Vorschlag und orientiere mich dabei an den neuen Modellen von Harvard Business, Al Ries und Philip Kotler. Mein Vorschlag für den Marketingmix des reformierten Wissenschaftsmarketings (vgl. Abb. 2.6) setzt sich aus fünf Faktoren zusammen: • Leistungspolitik – Welche Leistungen werden erbracht und wie setzt sich das Leistungsprogramm zusammen? • Ressourcenpolitik – Welche Ressourcen stehen für die Erbringung der Leistungen zur Verfügung und wie werden die Ressourcen erschlossen? • Kooperationspolitik – Welche Kooperationspartner bringen die Leistung voran und wie sehen die Kooperationen aus? • Zugangspolitik – Über welche Plattformen und Kanäle erhalten die relevanten Anspruchsgruppen Zugang zu den Leistungen? • Kommunikationspolitik – Wie werden Beziehungen zu den Anspruchsgruppen aufgebaut, die Leistungen und Zugänge erfolgreich ins Gespräch gebracht?

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Abb. 2.6   Der neue Marketingmix

2.3.2 Leistungspolitik im Marketingmix Die Leistungspolitik bestimmt, welche Leistungen in welcher Zusammensetzung und welcher Qualität bereitgestellt werden. Der Politik geht es um die systematische Entwicklung, Erbringung und Optimierung aller Wissensleistungen der Institution in den Bereichen von Forschung, Lehre und Transfer. Die Leistungen sind so zu gestalten, dass sie den Anspruchsgruppen den größtmöglichen Nutzen bringen. Bei der Zusammensetzung stehen die Bestimmung der Leistungsbreite (das Spektrum der Leistungsarten) und die Leistungstiefe (die Intensität der einzelnen Leistungsarten) im Vordergrund. Die Leistungen werden von der Institution allein oder im Netzwerk mit Partnern als kollaborative Problemlösungen auf der Basis gemeinsamer Ressourcen bzw. Kompetenzen erbracht. Zu unterscheiden sind Kernleistungen, die im Zentrum der Leistungserbringung stehen und das Profil der Institution bestimmen. Hinzu kommen die ergänzenden Zusatzleistungen, die das Leistungsprogramm abrunden und vertiefen (vgl. Tab. 2.1). Tab. 2.1  Leistungspolitik Faktor | Leistungspolitik Kernleistungen

• Anwendungsforschung • Grundlagenforschung • Lehre • Transfer

Zusatzleistungen

• Beratung, Coaching, Evaluationen • Reports, Studien, Prognosen • Projekte, Aktionen, Initiativen • Veranstaltungen z. B. Messen, Tagungen, Audits • Publikationen z. B. Bücher, Filme, Software • Weitere Dienstleistungen z. B. Laborvermietung • Weitere Produkte z. B. Spezialanfertigungen

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Tab. 2.2  Ressourcenpolitik Faktor | Ressourcenpolitik Preis und Gebühren

• Preise, Rabatte, Konditionen • Honorare, Provisionen • Gebühren, Beiträge

Finanzierung

• Drittmittel • Öffentliche Fördermittel (EU, Ministerium) • Kapitalfinanzierung (Banken, Fonds, Crowdfunding) • Fundraising, Sponsoring, Spenden Sachmittel, Tausch, Merchandising

Personal

• Personalbeschaffung und -auswahl • Personalführung und -einsatz • Personalentwicklung und -förderung

2.3.3 Ressourcenpolitik im Marketingmix Bei der Ressourcenpolitik handelt es sich um die Einwerbung und systematische Verteilung aller Gegenwerte, die der Institution für die Erbringung ihrer Wissensleistungen zur Verfügung stehen. Die Gegenwerte werden benötigt, um die Leistungserbringung der Institution abzusichern. Die Werte können monetärer, materieller, personeller oder ideeller Natur sein. Es kommt darauf an, die Leistungen und deren Nutzen so darzustellen, dass die Wertegeber bereit sind, einen Transfer der Gegenwerte in der richtigen Höhe, mit der optimalen Zusammensetzung und zur richtigen Zeit vorzunehmen. Zu den möglichen Gegenwerten gehören zum Beispiel Preise, Honorare, Gebühren, Drittmittel, EU-Fördermittel, Spenden und Sponsoring. Aber auch Tauschleistungen, Arbeitsleistungen oder Sachmittel fließen in die Ressourcen ein und sichern die Wertebasis ab (vgl. Tab. 2.2).

2.3.4 Kooperationspolitik im Marketingmix Unter Kooperation wird eine auf Vereinbarungen beruhende Zusammenarbeit zwischen rechtlich selbstständigen und wirtschaftlich voneinander unabhängigen Institutionen verstanden. Bisher hatte keines der gängigen Mix-Modelle aus der Wirtschaft die Kooperation als eigenen Faktor auf dem Schirm. Im Wirtschaftsmarketing werden Partnerschaften zwar begrüßt, aber durch das Wettbewerbsprinzip entstehen klare Grenzen. Die Unternehmen sehen sich zuallererst als Einzelkämpfer. Das ­Wissenschaftsmarketing kann hier wesentlich offener agieren. Ich bin überzeugt, dass Kooperationspartnerschaften in der Wissenschaft in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden, vor allem, weil viele Leistungen so komplex, kompliziert und kostspielig geworden sind, dass sie nicht mehr von einer Fakultät, einem Institut oder einem Forschungsteam allein bewältigen werden können.

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Tab. 2.3  Kooperationspolitik Faktor | Kooperationspolitik Koop Kernleistungen

• Projektkooperation • Auftragskooperation • Gemeinsame Vorlesungen, Seminare, Studiengänge • Personaltransfer • Sachmitteltransfer

Koop Zusatzleistungen

• Gemeinsame Beratungsleistungen • Gemeinsamer Einkauf • Gemeinsame Medien (Studien, Bücher etc.) • Gemeinsame Veranstaltungen (z. B. Fachkongresse) • Gemeinsame Kommunikationsaktivitäten • Gemeinsame Raum- und Techniknutzung

Koop Informationsaustausch

• Online-Netzwerke und Foren • Wikis und Datenbanken • Gemeinsames Wissensmanagement • Erfahrungsaustauschgruppen

Die Spannweite möglicher Kooperationen reicht von der zeitlich begrenzten Zusammenarbeit im Rahmen eines Projekts bis zur dauerhaften Kollaboration in einem Joint Venture. Mit der aufkommenden digitalen Transformation öffnen sich ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten: Forschung wird zur Co-Forschung, Produktion zur Co-­ Produktion und Wissenstransformation zu Co-Transformation (vgl. Tab. 2.3). Die Kooperationen müssen angebahnt, vorbereitet, durchgeführt und immer weiter optimiert werden. Es geht hierbei nicht nur um duale Partnerschaften zwischen zwei Partnern. Häufig handelt es sich um verzweigte Netzwerke, bei denen mehrere Partner rund um den Globus koordiniert im Verbund arbeiten.

2.3.5 Zugangspolitik im Marketingmix Es geht um den Zugang zu allen Arten von Wissensleistungen. Je besser die Zugänge ausgebaut sind, desto erfolgreicher läuft die Verbreitung des Wissens. Eine systematische Zugangspolitik stellt sicher, dass die interessierten Leistungsabnehmer alle Wissensleistungen in der richtigen Form am richtigen Ort in der richtigen Menge zur richtigen Zeit zur Verfügung haben. Der Zugang kann je nach Leistung und Leistungsabnehmer real oder virtuell, stationär oder mobil, dauerhaft oder temporär, exklusiv oder für alle offen erfolgen. Verkaufswege und Verkaufsorte sind die Hauptzugänge im Wirtschaftsmarketing. Sie spielen auf dem Terrain des Wissenschaftsmarketings nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Tab. 2.4).

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Tab. 2.4  Zugangspolitik Faktor | Zugangspolitik Zugang über Verkauf

• Eigener oder fremder Shop • Markt, Messe, Auktion • Persönlicher Besuch • Stationär, vor Ort oder online • Dauerhaft oder temporär

Zugang über Akquisition

• Beratung per Post, E-Mail, Web, Social Media • Telefonische Beratung • Persönliche Beratung • Ansprache mit Hilfe von Partnern • Ansprache mit Hilfe von Mittlern • Empfehlungsmarketing

Zugang über Veranstaltung

• Vorlesung, Vortrag • Workshop, Seminar • Tagung, Kongress • Messe, Ausstellung • Webinar, MOOC • Sonderformen (z. B. Barcamp, Open Space)

Zugang über Medien

• Buch, Magazin, Software, Video • Blog, E-Magazine, e-Book, Guided Tour • Infotelefon, Multimedia

2.4 Kommunikationspolitik im Marketingmix Kommunikationspolitik tut alles, um die relevanten Botschaften der Institution möglichst ohne Streuverluste und mit hoher Überzeugungskraft zu den Anspruchsgruppen zu transportieren. Um die Aufgabe zuverlässig zu erfüllen, setzt das Wissenschaftsmarketing zunehmend auf Dialog und Partizipation. Die Anspruchsgruppen werden zu Dialoggruppen und zu Mitwirkenden. Statt punktueller Einzelkontakte kommt es darauf an, zu den wichtigen Anspruchsgruppen stabile Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Statt breit streuender Massenkommunikation greifen die Institutionen vorrangig auf eine differenzierte und individuelle Ansprache zurück. Die Kommunikationsarbeit ist nicht einfach, denn durch den „Communication Overflow“ in unserer modernen Mediengesellschaft wird es immer schwieriger, die Anspruchsgruppen zu erreichen und zu bewegen. Zu den Kommunikationsempfängern gehören neben externen Gruppen auf jeden Fall auch die internen Zielgruppen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich hinter die Botschaften der Institution stellen, sie aktiv nach außen vertreten, nur so bekommt die Kommunikation die nötige Überzeugungskraft (vgl. Tab. 2.5).

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Tab. 2.5  Kommunikationspolitik Faktor | Kommunikationspolitik Externe Kommunikation

• Presse- und Öffentlichkeitsarbeit • Events und Aktionen • Online und Social Media • Werbung und Promotion • Persönliche Kommunikation

Interne Kommunikation

• Teamdialog und -partizipation • Teaminformation und -anweisung • Teambuilding und -incentives • Teamschulung und -training

Durch die neuen Instrumente und Konzepte der digitalen Kommunikation entstehen zurzeit viele neue Hebelpunkte für die Kommunikationspolitik. Allerdings setzen die meisten wissenschaftlichen Institutionen die neuen digitalen Instrumente bisher nur verhalten ein. Die eigentliche Umwälzung steht erst noch bevor. Bei näherer Betrachtung ist ein enger und weiter wachsender Zusammenhang zwischen Zugangspolitik und Kommunikationspolitik zu erkennen. Beide Faktoren fließen in vielen Bereichen nahtlos ineinander über, eine klare Trennung ist unmöglich. Methodisch lässt sich die Grenze wie folgt definieren: Alle Instrumente, die in erster Linie die Aufgabe haben, die Wissensleistungen und ihre Zugänge bekannt zu machen, gehören zum Equipment der Kommunikationspolitik. Alle Instrumente, die Wissensleistungen transportieren und bereitstellen, gehören zur Zugangspolitik. Der Newsletter, der ein neues E-Book zur Nanotechnologie ankündigt, wird somit der Kommunikationspolitik zugeordnet. Die Website, die das E-Book zum Download zur Verfügung stellt, wäre dagegen ein Instrument der Zugangspolitik.

2.4.1 Strategische Klammer des Marketingmix In den Fachbüchern des Wirtschaftsmarketings erfahren die Leserinnen und Leser, dass der Marketingmix den Übergang zur operativen Planung darstellt und dass die Mixfaktoren als Instrumente des Marketings zu sehen sind. Diese konventionelle Einordnung entspricht nicht mehr den Anforderungen an ein zeitgemäßes Marketing. Der Marketingmix führt zu erheblichen Eingriffen am gesamten Körper der Institution. Daher benötigen die Mixfaktoren eine starke strategische Klammer im Ganzen und einen strategischen Aufhänger für jeden einzelnen Faktor. Ebenso sind die Mixfaktoren nicht als separate Sektoren zu sehen, die isoliert entwickelt werden. Sie bilden vielmehr einen gemeinsamen Organismus, bei dem alle Faktoren ineinandergreifen, sich gegenseitig stützen und verstärken. Das Wissenschaftsmarketing versteht sich als Anwalt der Anspruchsgruppen innerhalb der Institution. Es hat beratende, moderierende und

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Abb. 2.7   Marketingmix mit strategischem Überbau

i­mpulsgebende Funktion. Folglich entsteht das System des Marketingmix gemeinsam mit allen institutionellen Akteuren. Alle stehen hinter dem Mix. Wer an den Mixfaktoren arbeitet, braucht zuerst eine übergreifende strategische Idee, die alle Faktoren zusammenhält, und diese Idee wird danach für alle Faktoren in spezifische strategische Aufhänger übersetzt. Erst wenn der Überbau steht, geht es in die operative Planung, wird über Leistungen, Ressourcen, Kooperationen, Zugänge und Kommunikationsaktivitäten im Detail nachgedacht. Zum Abschluss der Mixplanung überprüfen die Beteiligten ein letztes Mal, ob operative Aktivitäten und strategische Prinzipien nahtlos ineinandergreifen und ein abgestimmtes, gut funktionierendes System ergeben (Abb. 2.7). In der Umsetzung braucht der Mix ein agiles Marketing. Es greifen so viele Komponenten ineinander, dass Fehler fast unvermeidlich sind. In mehreren Entwicklungsschritten wird der Mix korrigiert und optimiert.

2.4.2 Marketingcontrolling Controlling und Evaluierung werden in Forschungseinrichtungen und Hochschulen großgeschrieben. Die meisten Institutionen kontrollieren gründlich und umfassend. Aber ausgerechnet auf dem Terrain des Marketings und der dazugehörigen Kommunikationsarbeit gibt es noch viel Luft nach oben. Einzelne Institutionen schauen bei allen ­Aktivitäten genau hin. Den Meisten scheinen die personellen und finanziellen Ressourcen, aber auch die Entschlossenheit zu fehlen, eine gründliche Kontrolle zu installieren. Es werden zwar Einzelmaßnahmen evaluiert, aber ein durchdachtes Kontrollsystem fehlt.

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Marketingcontrolling bedeutet die systematische Erfassung, Messung und Analyse von Marketingprozessen mit dem Ziel, die Wirksamkeit und Effizienz des Wissenschaftsmarketings zu erhöhen. Marketing ohne systematische Erfolgskontrolle wäre wie ein Blindflug. Die Kontrolle des Wissenschaftsmarketings muss auf allen Zeitebenen und allen Prozessebenen ansetzen. Die Konstellationen des Umfelds und der Einflussgruppen verändern sich ständig. Alles ist in Bewegung. Es reicht nicht aus, zum Abschluss des Marketingprozesses die Evaluierung zu sichten und zu bewerten. In allen Prozessphasen wird kontrolliert und bei Bedarf auf der Stelle reagiert (vgl. Abb. 2.8): • Im Vorfeld die Eignungskontrolle durch Testing – Das Testing stellt das Wissenschaftsmarketing schon in der Konzeptions- und Planungsphase auf den Prüfstand und checkt präventiv die Eignung der wichtigen Planungsgrößen. Negative Testergebnisse führen zu sofortigen Nachjustierungen in der Planung. • Begleitend die Einsatzkontrolle durch Monitoring – Monitoring überwacht alle laufenden Marketingprozesse. Werden Bedrohungen und Chancen erkannt, reagieren die Marketingverantwortlichen sofort und passen den Prozess entsprechend an. Vor allem im Bereich des digitalen Marketings lassen sich die Abläufe nahezu lückenlos und in Echtzeit überwachen. • Im Nachgang die Ergebniskontrolle durch Abschlussevaluation – Am Ende des Planungszeitraums überprüft die Erfolgskontrolle die Planerreichung entlang der vorher fixierten Kennzahlen. Es wird festgehalten, wo Benchmarks erreicht und wo sie verfehlt wurden. Die Abschlussevaluation wird schriftlich dokumentiert und allen Verantwortlichen zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse dienen als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Marketingplanung.

Abb. 2.8   Das Controlling-System

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Testing, Monitoring und Abschlussevaluation sondieren auf der normativen, der operativen und der strategischen Ebene: • Kontrolle auf der normativen Ebene – Ständig überprüft wird die Entwicklung der internen Kultur, die Identifikation mit dem Leitbild und die Einhaltung der normativen Regeln zum Beispiel in den Bereichen Compliance oder Nachhaltigkeit. • Kontrolle der strategischen Planungskomponenten – Alle strategischen Koordinaten werden auf den Prüfstand gestellt. An erste Stelle stehen die fixierten Marketingziele. Treten Abweichungen vom Soll auf, werden die Ursachen analysiert und der strategische Kurs neu ausgerichtet. • Kontrolle der operativen Planung – Die konkreten Aktivitäten in alle fünf Bereichen des Marketingmix werden überprüft, nicht nur einzeln, sondern auch in ihrem Zusammenwirken. Welche Leistungen starten durch? Wie funktionieren die Kooperationen? Wo hakt es beim Zugang? Diese und andere Fragen gilt es zu klären.

2.5 Fazit Wenn heutzutage Wissenschaftsmarketing zum Einsatz kommt, dann als operatives Instrument in nachgeordneter Stellung. Das reformierte Wissenschaftsmarketing holt sich die strategische Verantwortlichkeit zurück. Es plant mit System und auf lange Sicht. Die Akteure des Wissenschaftsmarketings verstehen sich als leidenschaftliche Anwälte der Anspruchsgruppen. Sie schaffen einen Ausgleich zwischen der Performance der eigenen Institution und den Ansprüchen und Erwartungen des externen Umfeldes. Das Wissenschaftsmarketing ist in allen relevanten Projektteams der Institution aktiv und hat einen Draht nach ganz oben zur Führung. Es recherchiert, analysiert und trägt die Erkenntnisse beratend und inspirierend in die einzelnen Teams. Sein Engagement basiert auf integrierten strategischen Konzepten, die alle Mixfaktoren des Wissenschaftsmarketings einschließen. Die alten 4 P’s sind passé! Der neue Mix geht von den Leistungen der Institution aus. Die Leistungen benötigen Ressourcen, werden durch Kooperationen wesentlich verstärkt, sollen für die Anspruchsgruppen optimal zugänglich sein und im Dialog ehrlich und verständig kommuniziert werden. Der Weg zum reformierten Wissenschaftsmarketing erfolgt im Sinne des agilen Managements in kleinen Schritten. Von Projekt zu Projekt wird der Marketinggedanke immer weiter in die Institution hineingetragen. Auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden abgeholt und zu Mitwirkenden des Marketings gemacht. Das neue Wissenschaftsmarketing respektiert die Wissenschaft nicht nur, es pflegt und fördert sie. In Deutschland gibt es dutzende Lehrstühle für Marketing an Universitäten und Fachhochschulen, aber keinen Lehrstuhl für Wissenschaftsmarketing. Es fehlt an gründlicher Analyse und Forschungsarbeit. Vorhandene Studien und Untersuchungen beschäftigen sich zumeist mit operativen Themen wie Social Media oder Pressearbeit im Bereich der Wissenschaft. Einige dieser Studien stammen von privaten Auftraggebern und sind

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interessengeleitet. In meiner Arbeit sehne ich mich nach belastbarem Grundlagenwissen, denn bisher muss ich meine Konzepte allein auf der Basis von Erfahrungswerten und Vermutungen planen. Damit die Reform des Wissenschaftsmarketings nachhaltig gelingen kann, bedarf es als valide Grundlage unbedingt auch einer zielstrebigen Wissenschaft des Wissenschaftsmarketings.

Literatur Becker, Joachim: Marketingkonzeption – Grundlagen des zielstrategischen und operativen Marketingmanagements, München (2012) Bruhn, Manfred; Kirchgeorg, Manfred, Hrsg.: Marketing Weiterdenken – Zukunftspfade für eine marktorientierte Unternehmensführung, Wiesbaden (2017) Bruhn, Manfred: Marketing für Nonprofit-Organisationen – Grundlagen, Konzepte, Instrumente, Stuttgart (2012) Ettenson, Richard; Conrado, Eduardo; Knowles, Jonathan: Rethinking the 4 P’s; https://hbr. org/2013/01/rethinking-the-4-ps; Erscheinungsdatum: Januar/Februar 2013 (2013), zuletzt zugegriffen 22.8.18 Felser, Winfried: Die Zukunft des Marketings. Was wir von Heribert Meffert lernen können.; Huffington Post online, http://www.huffingtonpost.de/winfried-felser/die-zukunft-des-marketing_b_8231400. html; Erscheinungsdatum: 4. Oktober 2016 (2016), zuletzt zugegriffen 22.8.18 Kotler, Philip; Bliemel, Friedhelm: Marketing-Management, Stuttgart, 10. Aufl., S. 7–9 (2001) Kotler, Philip; Kartajaya, Hermawan, Setiawan, Iwan: Marketing 4.0 – Der Leitfaden für das ­Marketing der Zukunft, Frankfurt/New York (2017) Lippold, Dirk: Die Marketing-Gleichung – Einführung in das prozess- und wertorientierte Marketingmanagement, Berlin/Boston (2015) Meffert, Heribert; Meffert, Jürgen; Hrsg.: Eins oder Null – Wie Sie Ihr Unternehmen mir Digital@ Scale in die digitale Zukunft führen, Berlin (2017) Meffert, Heribert: Rede zum 42. Deutschen Marketingtag 2016 zur Verleihung des Lifetime Awards, Stuttgart, 3. Dezember 2015 (2015) Ries, Al; Brandtner, Michael: Der neue Marketingmix oder: Warum man in Zukunft in vier Ms statt in vier Ps denken sollte; Absatzwirtschaft online; http://www.absatzwirtschaft.de/der-neuemarketingmix-oder-warum-man-in-zukunft-in-vier-ms-statt-in-vier-ps-denken-sollte-94397/, Erscheinungsdatum: 01.01 2017 (2017), zuletzt zugegriffen 22.8.18 Samygin-Cherkaoui, Anastasia: McKinsey 7S Framework: boost business performance, prepare for change and implement effective strategies; eBook, Elsene Belgien (2015) Thunig, Christian: In jeder Krise steckt eine Chance – auch für das Marketing, Absatzwirtschaft online, http://www.absatzwirtschaft.de/in-jeder-krise-steckt-eine-chance-gerade-fuer-das-marketing-18734/, Erscheinungsdatum: 24.05.2013, (2013), zuletzt zugegriffen 22.8.18 Warnecke, Tilmann: Leitbilder der Unis sind austauschbar, Die Zeit online; http://www.zeit.de/ wissen/2010-08/leerstellen-in-der-lehre; Erscheinungsdatum/. August 2010 (2010), zuletzt zugegriffen 22.8.18 Wesselmann, Stefanie; Hohn, Bettina: Public Marketing: Marketingmanagement für den öffentlichen Sektor, Wiesbaden (2017) Whitler, Kimberly; Morgan, Neil: Warum Marketer scheitern, aus Harvard Business Manager, ­September 2017, S. 20–39 (2017)

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Klaus Schmidbauer ist seit über 30 Jahren als Konzeptioner für strategische Kommunikationsplanung im Einsatz. In der Zeit sind weit über 1500 Konzepte für Institutionen und Unternehmen im deutschsprachigen Raum entstanden, darunter auch zahlreiche Konzepte im Bereich Forschung und Hochschule. Er unterrichtet seit 2006 im Studiengang Wissenschaftsmarketing an der Technischen Universität Berlin, ist Autor mehrerer Fachbücher zur strategischen Planung von Kommunikation und mit seinem Konzeptionerblog einer der „dienstältesten“ Blogger in Deutschland.

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Grenzen des Marktes in der Wissenschaft Guido Speiser

Zusammenfassung

Marketing gehört heute zu den Standardaufgaben von wissenschaftlichen Einrichtungen. Für die Akteure ist es Rationalitätsgebot und Erfolgsbedingung zugleich, ihr Verhalten an den für sie relevanten Märkten auszurichten. Ein betriebswirtschaftliches Konzept auf einen völlig anders operierenden gesellschaftlichen Funktionsbereich zu übertragen, ist aber nicht schrankenlos möglich. In diesem Aufsatz sollen grundlegende Grenzen ausgelotet werden, die sich für die Vermarktung von Wissenschaft ergeben: Die Größe und der Zuschnitt von Wissenschaftsmärkten können dazu führen, dass schädliche Nebenfolgen die Vorteile des Wettbewerbs überwiegen. Überdies sind wissenschaftliche Leistungen oft gebündelt, extern und zeitversetzt wirksam. Die Bewertung und Vermarktung solcher Leistungen kann zu erheblichen Fehlsteuerungen führen.

3.1 Hintergrund Märkte und Wettbewerbe haben schon immer zu den Operationsprinzipien der Wissenschaft gehört, insbesondere in der Forschung. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Konkurrenz um Publizität, Reputation, Preise, Ressourcen und talentierte Persönlichkeiten nochmals verschärft und räumlich entgrenzt (Bundesregierung 2016, S. 28 ff.). Heute rivalisieren Individuen, Einrichtungen, Standorte und regionale Forschungsräume auf weltweiten Märkten miteinander. Auch als Organisationsidee haben sich Wettbewerb G. Speiser (*)  Büro Berlin, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_3

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und Marktorientierung in der Wissenschaft zunehmend durchgesetzt. Dazu haben unterschiedliche Entwicklungen beigetragen. Die Globalisierung, die zunehmende Technologiesättigung von Produkten und Dienstleistungen, der steigende Fachkräftebedarf, der Ruf nach wissenschaftlichen Lösungen für die s. g. grand challenges und weitere Faktoren haben für ein enormes weltweites Wachstum des Wissenschaftssektors gesorgt. Auch in Deutschland sind zentrale Kennzahlen des Wissenschaftssystems – etwa Studierende, wissenschaftliche Beschäftigte, Zahl der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Ressourceneinsatz – erheblich gestiegen (Bundesregierung 2016, S. 12; Speiser 2016, S. 10; GWK 2017; DFG 2015, S. 23; EFI 2017, S. 15 ff.). Am sichtbarsten wird diese Entwicklung am Anteil der F&E-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt, der im Jahr 2017 erstmals drei Prozent erreicht hat. Auch aus diesem Grund haben sich die Erwartungen an die Wissenschaft kontinuierlich erhöht. Bereits Mitte der 1990er Jahre forderten öffentliche Mittelgeber immer lauter, die Wissenschaft habe im Dienst der sie finanzierenden Gesellschaft zu stehen. Die Knappheit öffentlicher Mittel und Mittelkonkurrenzen anderer gesellschaftlicher Bereiche schärften das Bewusstsein für eine effiziente und effektive Mittelverwendung. Die Wissenschaft wurde genauer beobachtet und geriet zunehmend in die Verpflichtung, ihre Nützlichkeit nachzuweisen und sich zu rechtfertigen (Bundesregierung 2013, S. 42; Kreckel 2016, S. 72; Alewell 1988, S. 41; Wissenschaftsrat 2011, S. 7). Neue Leistungsdimensionen und erheblich erweiterte Aufgabengebiete kamen hinzu – Peter Scott spricht mit Blick auf die Hochschulen von einer „explosion of roles“ (in: Wissenschaftsrat 2010, S. 17; vgl. Merten 2009, S. 13). Diese Erwartungen trafen auf eine Hochschullandschaft, die als nicht leistungsfähig genug, starr und verstaubt galt. Peter Glotz verdichtete dieses Grundgefühl 1996 auf den Buchtitel „Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten“. Wenige Jahre später schienen nationale und internationale Hochschulrankings die so wahrgenommene mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zu belegen. Im ersten Times-Higher-Education-Ranking 2004 lag die beste deutsche Hochschule, die Universität Heidelberg, auf Platz 47. Im ersten Shanghai-Ranking 2003 war die beste deutsche Universität die Ludwigs-Maximilians-Universität München auf Platz 48 (vgl. Kreckel 2016, S. 71). Als Mittel der Wahl, um die Qualität des Wissenschafts- und Hochschulsektors zu heben, etablierte sich der Wettbewerbsgedanke (Hornbostel 1997, S. 11 f.; Schubert et al. 2012, S. 22). Dass sich mit dem Kampf um begrenzte Ressourcen der Output der Wettbewerber und damit des Gesamtsystems heben lasse, dass sich im nationalen Geschehen der internationale Wettbewerb spiegeln solle – diese Vorstellungen entfalteten eine leitmotivische Wirkung. Wettbewerb wurde als „Motor von Kreativität, Produktivität, Innovation und letztlich auch ökonomischem Ertrag“ gesehen (Gaethgens 2012, S. 14; vgl. Merten 2009, S. 11). Parallel dazu führte die Bologna-Reform dazu, dass Universitäten und Fachhochschulen die gleichen Abschlüsse vergaben. Dies rüttelte „an den Grundfesten jeder typenbezogenen Differenzierung im Hochschulsystem“ (Enders 2016, S. 508; vgl. Kreckel 2016, S. 64 ff.; Wissenschaftsrat 2010, S. 22 ff.), eliminierte eine wettbewerbshemmende Systemunterscheidung und vergrößerte den

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­ ochschulmarkt. Paradigmatisch ausgeprägt fand sich das Wettbewerbsmotiv in der H 2005 gestarteten Exzellenzinitiative, die inzwischen als zeitlich unbegrenzte Exzellenzstrategie weitergeführt wird. Das weithin als erfolgreich eingeschätzte Programm (IEKE 2016; Dieter Imboden in: Krauter 2016) symbolisierte zugleich den Abschied von einer egalitären Vorstellung der deutschen Hochschulen. Wettbewerb setzte Leistungsvergleiche und damit die Differenzierung der Wettbewerber voraus. Vertikale und horizontale Unterscheidungen zwischen Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen wurden nicht nur anerkannt, sondern aktiv gefördert. Institutionen und Organisationen entwickelten Identitäten, Profile und Missionen, wobei gerade die Suche nach einer unterscheidbaren Identität mitunter zur Gleichförmigkeit führte. Zu den erheblich variierenden Differenzierungsmodi gehören seitdem Forschung, Lehre, Transfer, Kooperationen, Interaktion mit Gesellschaft und Politik und weitere wissenschaftliche Leistungsdimensionen (Wissenschaftsrat 2010, S. 34 ff.). Die Profilbildungen setzen auf unterschiedliche regionale, wirtschaftliche und demografische Voraussetzungen der Einrichtungen und Standorte auf. Beispielsweise divergieren die jeweiligen Ausprägungen und Entwicklungspfade der hochschulischen Grundfinanzierung und Professorenbesoldungen in den Bundesländern erheblich (Seckelmann 2016, S. 103; ­Wissenschaftsrat 2011, S. 28). Um Differenzierung und Wettbewerb zu ermöglichen, hat sich die Beziehung zwischen Staat und Wissenschaftseinrichtungen seitdem grundlegend verändert. Im Sinne des New Public Management zog sich der Staat aus der Detailsteuerung zurück und gestand den Einrichtungen ein höheres Maß an Autonomie und Selbststeuerung zu (Kreckel 2016, S. 72 ff.; Seckelmann 2016, S. 103 f.; Merten 2009, S. 10 f.; Wissenschaftsrat 2010, S. 28 ff.; Krull 2017, S. 31 ff.). Output-Orientierung wurde zur Leitidee – Hochschulverträge, Zielvereinbarungen, Evaluationen und Controlling zu wichtigen Instrumenten. In der Wissenschaft spiegelte sich die „Audit Society“ (Michael Power), also der gesellschaftliche Trend zu Wettbewerb, Bewertung und Rangbildungen.

3.2 Marketing und Märkte in der Wissenschaft Angesichts der zunehmenden Marktorientierung in der Wissenschaft gilt es heute als ausgemacht, dass die Akteure systematisches Marketing unternehmen müssen. Die Notwendigkeit wird nicht zuletzt deshalb gesehen, weil Wissenschaftsmarketing in anderen Ländern bereits länger und konsequenter betrieben wird. Der Nachdruck, mit der die Forderung vorgebracht wird, ist aber oft nicht von Klarheit über ihren Inhalt begleitet. Noch zu oft wird Marketing mit Kommunikation oder sogar nur mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gleichgesetzt. Derlei konzeptionelle Verkürzungen lassen sich zwar leicht enttarnen. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wie sich Wissenschaftsmarketing positiv definieren lässt. Der natürliche Ausgangspunkt ist das Konzept des Marketings, das begrifflich das Wissenschaftsmarketing umfasst. Marketing lässt sich als Ausrichtung einer ­Organisation, ihrer Leistungen und ihrer Prozesse an den für sie relevanten Märkten

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verstehen (Kotler 1978, S. 5; Kotler et al. 2016, S. 38; vgl. Meissner 1993, S. 25; Raffée et al. 1994, S. 35). Im Blickpunkt steht damit der Markt – der freiwillige Austausch von Gütern, der für die Tauschpartner nutzenstiftend ist bzw. der Befriedigung ihrer jeweiligen Bedürfnisse dient. Im wirtschaftlichen Kontext bezieht sich dies zuallererst auf die Austauschbeziehungen eines Unternehmens, die es mit Kunden und weiteren Stakeholdern auf Absatz- und Beschaffungsmärkten unterhält. Von Philip Kotlers absichtsvoll weiter Definition sind aber nicht nur ökonomische Märkte erfasst (vgl. Fritz 1995, S. 2; Hornbostel 1997, S. 323). Das Non-Profit-Marketing bezeichnet jenen Teilbereich des Marketings, der nicht-gewinnorientierte Unternehmen und Organisationen umfasst und zahlreiche Besonderheiten aufweist (Kotler 1978; Kotler  und ­Andreasen 1987, S. 26 ff.; Kotler et al. 2016, S. 79; Meissner 1993, S. 29 ff.; Raffée et al. 1994, S. 36 f.; Bergant 1989, S. 62 ff.). Zwar müssen sich auch nicht-kommerzielle Einrichtungen auf Finanzierungsmärkten bewegen, sie tun dies aber nicht mit einer primären Gewinnorientierung (Bergant 1989, S. 61; Brüser 2006, S. 36; Erhardt 2011, S. 30). Berücksichtigt man die Verfasstheit der meisten deutschen Wissenschaftseinrichtungen, fallen große Teile des hiesigen Wissenschaftsmarketings in diese Kategorie. Eine Übertragung der Vorstellungen des Markts und des Marketings auf die Wissenschaft bleibt aber auch dann eine Herausforderung, wenn eine konzeptionelle Engführung vermieden wird (vgl. Hornbostel 1997, S. 325 f.). Im Unterschied zu vielen Konsumgüter- oder Dienstleistungsmärkten gibt es in der Wissenschaft auffallend diverse Austausch- und Wettbewerbskonstellationen. Das „Produkt“ kann die Durchführung einer Lehrveranstaltung oder eines Studiengangs sein, die auf dem tertiären Bildungsmarkt angeboten werden. Es kann auch ein Artikel mit Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung sein, der auf einem spezialisierten Veröffentlichungsmarkt angeboten wird. Der Drittmittelantrag eines Forschungsverbunds lässt sich als Angebot auf dem Drittmittelmarkt auffassen. In diesen Fällen unterscheiden sich die jeweiligen „Anbieter“ bzw. „Marketer“ (Hochschule/Fakultät, einzelner Forscher, Forschungsverbund), die „Kunden“ bzw. „Interessenten“ (Studieninteressierte, Redaktion einer Fachzeitschrift, Drittmittelgeber), die „Nachfrage“ (Ausbildungswunsch, nachgewiesene Erkenntnisfortschritte, angestrebte Erkenntnisfortschritte), der „Kundennutzen“ (Wissenserweiterung/formale Qualifikation, relevante Beiträge, Aussicht auf Erkenntnisse), die Qualitätskriterien für die Leistung (Güte der Inhaltsvermittlung/Ruf der Institution, Originalitätsgrad/Bedeutsamkeit der Erkenntnisse, Relevanz/Durchführbarkeit des Projekts) und die „Kosten“ bzw. „Gegenleistungen“ (Gebühren/Reputationsgewinn, Publizität, Drittmittel). Diesen Beispielen für Wissenschaftsmärkte ließen sich ohne Schwierigkeiten weitere hinzufügen. Oft können und müssen Märkte überdies in Marktsegmente eingeteilt werden (Kotler 1978, S. 101 f.; Gülzow 2009, S. 70; Bergant 1989, S. 73 ff.; Esslinger und Greger 2010, S. 60 ff.; Erhardt 2011, S. 9 ff.; Fritz 1995, S. 13 ff.). Die Gruppe der Studieninteressierten etwa hat inzwischen so heterogenere Vorkenntnisse, Erwartungen und Möglichkeiten, dass eine Einteilung in Segmente sinnvoll ist. Die in den Märkten und Teilmärkten jeweils vorzufindenden Wettbewerbsbedingungen und -mechanismen sowie Austauschobjekte unterscheiden sich erheblich.

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Auch die Vielfalt der Marktakteure ist groß. Dazu gehören Interessenvertretungen, Verbände und Beratungsinstitutionen, Wissenschaftsorganisationen, einzelne Einrichtungen, organisationale Teileinheiten, Verbünde, einzelne Personen, Unternehmen, Stiftungen oder staatliche Einrichtungen. Jeder Akteur steht in vielfältigen Austauschbeziehungen mit internen und externen Stakeholdern, nimmt in unterschiedlichen Märkten also auch verschiedene Rollen ein (vgl. Erhardt 2011, S. 11 ff.; Esslinger und Greger 2010, S. 60 ff.; Alewell 1995, S. 2779 ff.; Brüser 2006, S. 45 ff.). Ein Professor an einer Hochschule agiert beispielsweise zugleich im Publikations-, Drittmittel- und Ausbildungsmarkt und trifft dort jeweils auf unterschiedliche Anspruchsgruppen. Je nach Wettbewerbskontext und eigener Rolle unterscheiden sich Ziele, Strategien, Maßnahmen und eingesetzte Ressourcen der Akteure deshalb erheblich. Zu erwähnen sind überdies ineinandergreifende oder sogar widerstreitende Marktinteressen innerhalb einer Institution. In einer Universität mögen die Interessen einer Fakultät, die die Lehre in ihren Studiengängen abdecken will (Ausbildungsmarkt), mit den Interessen derjenigen in Konflikt geraten, die diese Lehrleistung erbringen sollen, aber vor allem auch ihre Forschung verfolgen möchten (Veröffentlichungs- und Drittmittelmarkt). Der Markterfolg des einen Akteurs befördert nicht nur nicht den Markterfolg des anderen, sondern kann diesem sogar abträglich sein. Dieses Phänomen verweist auf die mitunter schwach ausgeprägte institutionelle Identität v. a. von Universitäten, in denen sich Teilgruppen mit heterogenen Zielen, Marktinteressen und Erfolgsmaßstäben versammeln (Fritz 1995, S. 10 f.; Alewell 1988, S. 46 f.). Angesichts dieses vielfältigen Bildes ist es nicht überraschend, dass die vorliegenden Definitionen von Wissenschaftsmarketing eher generisch ausfallen (Alewell 1995, S. 2778; Lemmens 2008, S. 5 ff.; Gülzow 2009, S. 77; Fritz 1995, S. 8). Jenseits solcher übergreifenden Bestimmungen lässt sich Wissenschaftsmarketing am besten als Begriffsfamilie auffassen: Die Konzeptionen, was Marketing für einen Akteur oder eine Akteursgruppe in einem bestimmten Markt bedeutet und wie es am besten durchzuführen ist, ähneln sich zwar in gewissen Hinsichten, unterscheiden sich aber auch erheblich. In diesem Sinne untersuchen die stärker ausgearbeiteten Marketingkonzeptionen nur ausgewählte Sektoren, etwa die Hochschulen (Fritz 1995; Schmidt 2004; Brüser 2006; Erhardt 2011). Aus dem gleichen Grund dominiert in der Darstellung und Vermittlung des Wissenschaftsmarketings Grundlagenwissen um Marketing und Marketinginstrumente, das zur je spezifischen Anpassung an wissenschaftliche Marktsituationen empfohlen wird. Dazu gehören die Markt-, Konkurrenz- und Bedarfsanalyse, das Stakeholder- und Zielgruppen-Mapping, die Marken-, Profil-, Leitbild- und Strategieentwicklung, die Erstellung von Stärken- und Schwächen-Profilen, die Zielhierarchisierung, die Organisationsentwicklung, das Qualitätsmanagement sowie Auditing, Benchmarking, Evaluation und Controlling (Alewell 1995, S. 2781; Lemmens 2008; Fritz 1995, S. 5 ff.; Bergant 1989, S. 94 ff.; zum Non-Profit-Marketing: Kotler und Andreasen 1987, S. 156 ff.; Meissner 1993, S. 31 ff.) Hinzu kommen die in der Praxis inzwischen weit verbreiteten Kommunikationsinstrumente, darunter die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Social-Media-Aktivitäten (Leopoldina et al. 2014).

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3.3 Wissenschaftliche Leistungen Trotz der Heterogenität von Wissenschaftsmärkten lassen sich dennoch grundlegende Merkmale beschreiben, die viele der auf diesen Märkten erbrachten wissenschaftlichen Leistungen kennzeichnen. Im Wissenschaftssektor werden überwiegend Dienstleistungen erbracht. Für Dienstleistungen charakteristisch ist ihre Individualität, Interaktivität, Immaterialität und Vergänglichkeit. Bereits aus diesen Merkmalen leitet sich eine schwierige Standardisierung, Vergleichbarkeit und Steuerbarkeit ab (Erhardt 2011, S. 23). Forschungsleistungen sind vor ihrer Erbringung typischerweise unbekannt und schwer prognostizierbar. Im Gegensatz zu vielen Produkt- und Dienstleistungsmärkten ist das „Bekannte“, „Bewährte“, „Funktionierende“ gerade das wenig Nachgefragte. Bei Publikationen bemisst sich die Leistungshöhe meist daran, ob und inwiefern die Leistung so noch nie erbracht wurde und deshalb nach Veröffentlichung so auch nicht mehr erbracht werden kann. Das (möglichst bereits verifizierte und geprüfte) „Neue“ ist das zentrale Qualitätsmerkmal: Je weniger der Abnehmer die Leistung kennt, desto höher wird er deren Qualität tendenziell einschätzen und desto stärker wird seine Nachfrage sein. Denn dann werden auch der antizipierte Leserzuspruch und die Zitationschancen für den Artikel höher sein. Aus gleichem Grund bemisst sich die Qualität von Forschungsanträgen gerade nicht darin, das Ergebnis der beantragten Forschung schon mitzuliefern oder zu prognostizieren, sondern ein bestimmtes Areal des Noch-­ Unbekannten sowie die Vorgehensweise zu dessen Aufklärung plausibel abzustecken. In gewissem Sinne sind auch Lehrleistungen vor ihrer Erbringung unbekannt, weil für ihre Realisierung der Kunde selbst mitwirken muss. Die Leistung erschöpft sich nicht in der Bereitstellung der Dienstleistung (Alewell 1988, S. 43). Um ein Studium erfolgreich zu absolvieren, muss der Studierende die Inhalte erlernen. Der Lernerfolg ist vom Anbieter aber nicht sicher prognostizierbar. Zugleich bringt dies zwei Leistungsaspekte von Hochschulen in Spannung: Zum einen soll das Studium zu einem Abschluss und damit zum formalen Erfolg führen. Zum anderen sollen nutzbringende Inhalte vermittelt werden, die gerade wegen ihres Nutzens oft schwierig erlernbar und damit potenziell erfolgsgefährdend sind. In der Praxis wird dieser Konflikt durch eine Balancierung beider Ziele aufgelöst (Gülzow 2009, S. 71; Lemmens 2008, S. 28; Erhardt 2011, S. 15 ff.). In diesem wie in anderen Austauschprozessen in der Wissenschaft ist die erbrachte Gegenleistung nicht-monetärer Natur. Der oft fehlende Geldfluss macht die Unterscheidung in Beschaffungs- und Absatzmärkten nur eingeschränkt möglich (Alewell 1995, S. 2778). Auf wissenschaftlichen Märkten werden Leistungen oft gebündelt erbracht. Die klassische ökonomische Tauschbeziehung, in der eine abgrenzbare Dienstleistung einer Gegenleistung entspricht, ist eher die Ausnahme als die Regel. „Einzelne Tauschakte zu isolieren“ (Alewell 1995, S. 2784), ist in vielen Fällen kaum möglich. Effizienzbewertungen fallen schwer, weil die Leistungsbündel von stark überlappenden InputFaktoren wie dem Personaleinsatz abhängen (Alewell 1988, S. 45). Überdies haben

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Leistungen in der Wissenschaft häufig externe und unscharfe Effekte, die sich erst zeitversetzt und im Zusammenwirken mit weiteren Faktoren entfalten. Ein Beispiel für die genannten Merkmale ist die Ausbildungsleistung der Hochschulen und die damit assoziierten Bildungsrenditen. Zu den wirtschaftlichen Externalitäten gehören der Aufbau und die Veredelung von Humankapital, das nach gängigen makro-ökonomischen Modellen zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft führt (Franz et al. 2002, S. 80 ff.). Insbesondere in rohstoffarmen und wissensbasierten Volkswirtschaften wie Deutschland hängt die Wirtschaftskraft erheblich von der Innovationsfähigkeit der Unternehmen und damit auch vom Qualifizierungsgrad der Belegschaften ab. Für die Absolventen führt die Hochschulbildung zu einer besseren Employability und zu einem höheren Lebenseinkommen (Franz et al. 2002, S. 82 f.). Gesellschaft und Staat profitieren durch höheres Steueraufkommen, niedrigere Arbeitslosenquoten und geringere Gesundheitskosten. Zu den nicht-monetären Externalitäten gehören persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, Statusgewinne und eine Stärkung des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der Nutzen der Lehrleistung von Hochschulen ist somit erheblich, aber er zeigt sich zeitversetzt, kontinuierlich, räumlich und sozial diffus und bleibt im engeren Sinne unkompensiert (Esslinger und Greger 2010, S. 64 ff.). Die genannten Merkmale zeigen sich in zahlreichen weiteren Marktbeziehungen in der Wissenschaft. Zwei weitere Beispiele mögen dies illustrieren. Die von einer Universität insgesamt erbrachte Leistung, zu der ihre kulturelle und intellektuelle Umfeldwirkung ebenso gehört wie der Gewinn eines Nobelpreises, stärkt ihre öffentliche Legitimität und ihr symbolisches Kapital. Die so erworbene Reputation strahlt in nicht ermittelbarer, aber beträchtlicher Weise auf den Standort zurück. Auch solche Effekte treten typischerweise zeitverzögert und im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auf. Der Aufbau von international bekannten und geschätzten wissenschaftlichen Marken dauert meist Jahrzehnte (Meissner 1993, S. 32; Dieter Imboden in: Krauter 2016). Die neugiergetriebene Forschung hat meist innerwissenschaftliche Effekte, v. a. auf Themen, Vorhaben, Methoden und Ressourceneinsätze folgender Forschung. In einem komplexen, kumulativen, rekursiven und oft jahrelang andauernden Prozess können diese Erkenntnisse schließlich wirtschaftliche Effekte auslösen. In manchen Fällen sind dies disruptive Innovationen, die neue Märkte schaffen und bisherige Märkte beseitigen. Tektonische Verschiebungen dieser Art sind externe Langzeitwirkungen einer Erkenntniskette. Die exklusive Zuordnung einer isolierten Erkenntnis (eines ­Artikels, eines Wissenschaftlers, einer Institution) zu solch übergreifenden Folgen würde dem Gesamtgeschehen nicht gerecht. Das gilt sogar dann, wenn einzelne wissenschaftliche Durchbrüche klar zu identifizieren sind. Ab Ende der 1990ger Jahre begannen Grundlagenforscher zu verstehen, wie Bakterien mithilfe des CRISPR/Cas-Mechanismus die DNA von eindringenden Viren zerschneiden und die Angreifer so zerstören. Die Wirkung der Erkenntnis blieb jahrelang auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkt. 2012 gelang es Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna den Schneidemechanismus biochemisch aufzuklären. Sie schlugen vor, CRISPR/Cas9 für programmierbares

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Editieren von Genen einzusetzen. Zahlreiche weitere Forschungs- und Innovationsarbeiten schlossen sich an. Heute lassen sich mit der Methode Gene einfacher, schneller und präziser entfernen oder verändern als mit allen bisherigen Methoden der Genmanipulation. Die so genannte „Genschere“ hat inzwischen nicht nur die biomedizinische Forschung revolutioniert, sondern auch völlig neue Marktpotenziale in der Biotechnologie geschaffen. Seit 2013 wurden bereits 600 Mio. US$ an Wagnis- und Börsenkapital akquiriert, Experten gehen von einem Marktvolumen von 46 Mrd. US$ für CRISPR/Cas-Anwendungen aus (acatech 2017, S. 43). Die ökonomischen Wirkungen der Grundlagenforschung zu CRISPR/Cas insgesamt sind enorm, überwiegend extern, zeitversetzt und fortlaufend. Sie hängen eng mit den nicht-ökonomischen Wirkungsaspekten zusammen, etwa dem Potenzial für die Gentherapie oder die Pflanzenzüchtung. Das Ausmaß dieser weiteren Effekte ist bis heute nicht abzusehen oder zu bemessen. Ein analoger Befund lässt sich für viele weitere Forschungsleistungen stellen. Die externen Angebotseffekte, die etwa durch Personaltransfer, Spin-offs und Unternehmensgründungen, Kooperationen, Innovationsnetzwerke, Veröffentlichungen und weitere Faktoren entstehen, sind vielfach diffus und letztlich nur schwierig einzelnen Institutionen oder Personen zuzuordnen. Überdies reicht der Wert der Forschung – der Curiositas-orientierten Grundlagenforschung zumal – weit über ihre ökonomischen Wirkungen hinaus. Forschung leistet insbesondere Beiträge für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wie Klimawandel, Energieversorgung, digitaler. Wandel oder Mobilität und eröffnet ein tieferes Welt- und Selbstverständnis.

3.4 Drei Grundprobleme von Wissenschaftsmärkten Öffentlicher Widerspruch gegen Wissenschaftsmärkte und Wissenschaftsmarketing wird immer wieder geäußert – häufig aus der Wissenschaft selbst. Dabei wird die Faktizität der Markt- und Wettbewerbsausrichtung in der Wissenschaft meist nicht bestritten, oft nicht einmal die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Institutionen, sich in diesen kompetitiven Kontexten zu bewegen und ihr Handeln danach auszurichten. Gerade weil die „Ökonomisierung der Wissenschaft“ so weit fortgeschritten ist, fallen die Wortmeldungen nicht selten leidenschaftlich und argumentativ wenig überzeugend aus. Sie scheinen von dem Grundgefühl getragen, Wissenschaft sei nun mal nicht Wirtschaft, und Instrumente, die für letztere eingesetzt werden, seien prinzipiell wenig für erstere geeignet oder sogar aus moralischen Gründen abzulehnen (vgl. Fritz 1995, S. 2; Alewell 1995, S. 2777 f.; Kotler und Andreasen 1987, S. 20 f.). Die notwendige, aber eben auch mögliche Adaption des Marketingbegriffs auf den Wissenschaftsbereich findet dabei nur selten Beachtung. Forschung und Wissenschaftscommunity befassen sich zwar seit langem mit Wissenschaftsmärkten. Die Überlegungen beziehen sich aber i. d. R. auf spezifische Wettbewerbskontexte und die dabei verwendeten Bewertungsverfahren, insbesondere im Forschungs- und Publikationsmarkt. Oft spielt die Kritik am jeweils betrachteten ­Status

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quo eine zentrale Rolle in der Argumentation (Hicks und Wouters 2015; DORA 2012; Hornbostel 1997, S. 9 ff.; Osterloh und Frey 2017, S. 877; Alewell 1988, S. 44 f.; Krull 2017, S. 19 ff.; Neidhardt 2016; Gerhards 2013; Wissenschaftsrat 2011, S. 16 ff., 2017, S. 7 ff.; DHV 2017; Leopoldina et al. 2017). Diese diskursive Spezialisierung ist erwartbar, weil sie der dargestellten Vielfalt der wissenschaftlichen Märkte entspricht. Im Interesse der folgenden Ausführungen stehen hingegen drei grundlegende Probleme, die mit der Vermarktung von Wissenschaft einhergehen. Viele Monita in bestimmten Wissenschaftsmärkten exemplifizieren – in jeweils eigener Ausprägung – eine oder mehrere dieser Schwierigkeiten. Erstens können Konzeption, Zuschnitt und Grundbedingungen eines wissenschaftlichen Markts problematisch sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Anbieter (formal oder faktisch) zur Teilnahme an einem Markt gezwungen werden oder aber ihre Teilnahme ausgeschlossen wird. Systematisch verzerrte wissenschaftliche Markt- und Wettbewerbskontexte, in denen die Teilnahmefreiheit von Akteuren durch äußere Setzungen eingeschränkt ist, gibt es viele. Eine lehrorientierte Hochschule kann zur Aufrechterhaltung ihres Regelbetriebs faktisch gezwungen sein, an Drittmittelmärkten teilzunehmen. Dann konkurriert sie in Märkten, deren Nachfrage sie aus strukturellen und nicht selbst zu verantworteten Gründen schlechter bedienen kann als andere Hochschulen. Aus analogen Gründen kritikwürdig ist es, die absoluten Drittmittel-Einnahmen einer philosophischen Fakultät mit denen einer medizinischen Fakultät im hochschulinternen LOM-Wettbewerb zu vergleichen und den Vergleich zur Teilgrundlage der Mittelvergabe zu machen (vgl. Gerhards 2013, S. 42 ff.). Ein problematischer Marktzuschnitt liegt ebenfalls vor, wenn die jeweiligen Impact-Faktoren von mathematischen und lebenswissenschaftlichen Top-Journals ohne Normierung miteinander verglichen werden. Die Zitationskulturen der Fächer unterscheiden sich erheblich, sodass erstgenannte Journals auf Top-Werte von etwa drei, letztgenannte von etwa 30 kommen (Hicks und Wouters 2015, S. 430). Schließlich genannt seien wissenschaftliche Karrieremärkte, die vor allem Forschungsleistungen prämieren. Anbietern, die sich absichtsvoll auf andere wissenschaftliche Leistungen wie die Lehre konzentrieren, bleibt nichts Anderes übrig, als an diesen Wettbewerben teilzunehmen. Verfügen Anbieter innerhalb eines Wissenschaftsmarkts nicht über genügend Freiräume, kann auch dies zu Verzerrungen führen. In diesem Sinne können satzungsmäßige Aufgabenbindungen sowie staatliche Direktiven, Eingriffe und Abhängigkeiten die Autonomie von Einrichtungen so einschränken, dass in bestimmten Fällen nicht mehr von einem funktionierenden Markt gesprochen werden kann (Erhardt 2011, S. 29 ff.; Lemmens 2008, S. 20; ­Meissner 1993, S. 37; Krull 2017, S. 39 f.). Das kann in einigen Fällen so gewollt sein, etwa wenn eine Forschungseinrichtung zu hoheitlichen Aufgaben verpflichtet ist. In anderen Fällen kann es die nicht intendierte Folge von organisationalen Konstellationen sein. Kritisiert wird etwa, dass die Steuerungsfähigkeit und das institutionelle Selbstverständnis der deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich zu gering ausgeprägt ist (IEKE 2016, S. 20 f.; Dohmen und Krempkow 2015). Zwar existieren Unterschiede zwischen den Bundesländern. Grosso modo ist die Autonomie der Einrichtungen aber nicht

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a­usreichend – jedenfalls dann nicht, wenn sie auf weltweiten Märkten mit Anbietern konkurrieren, die über wesentlich größere Freiheitsgrade verfügen. Zweitens können Transaktionskosten und unerwünschte Nebeneffekte, die bei der Vermarktung eines wissenschaftlichen Guts entstehen, ab einer bestimmten Marktgröße die positiven Wettbewerbswirkungen nivellieren oder übersteigen. Dieser Punkt ist nach weit verbreiteter Auffassung bei den wettbewerblich akquirierten Finanzierungsmitteln der Hochschulen erreicht. Die Grundmittel der Hochschulen sind seit Mitte der 1990er weniger schnell gewachsen als die Gesamteinnahmen. Umgekehrt sind die Drittmittel wesentlich schneller gewachsen als die Gesamteinnahmen. Damit sind Drittmittel wichtiger, Grundmittel weniger wichtig geworden (Flink et al. 2012, S. 27; DFG 2015, S. 25 ff.; Speiser 2016, S. 9 f.; Neidhardt 2016, S. 262). Inzwischen wird ein zu hoher Mittelanteil über Märkte und damit in der Logik von Angebot, Nachfrage, Wettbewerb, Erfolg und Scheitern vergeben. Zu den möglichen Kollateralschäden der übermäßigen Drittmittelfinanzierung gehören der hohe Konkurrenzdruck, die brusttrommelnde und hohle Antragsrhetorik, der hohe Aufwand für alle Anbieter, der zumindest teilweise fruchtlose Aufwand für nicht erfolgreiche Anbieter, der erhebliche Verbrauch von Begutachtungs- und Bearbeitungsressourcen, eine damit mitunter assoziierte Qualitätsminderung von Peer-Reviews, Matthäus-Effekte, der sachlich nicht immer angemessene Zuschnitt der Projekte auf die meist kurzen Laufzeiten, die daraus folgende Projektförmigkeit und Kleinteiligkeit der prämierten Forschung, die Orientierung an gesetzten Themen und angenommenen Gutachter-Präferenzen, damit eine „Mainstreamisierung“ der Forschungsthemen und eine problematische Wirkung auf die Wissenschaftsfreiheit, der hoher Veröffentlichungsdruck, eine damit verbundene Analyse- und Theorieschwäche der Projekte und Publikationen sowie mitunter die Produktion wissenschaftlicher Pseudo-Güter, die Grundmittelbelastung durch unzureichende Overheads, die Bevorzugung von Verbundforschung und die daraus folgende Bildung organisationaler Scheinehen (Marquardt 2011, S. 2 ff.; HRK 2013, S. 8; Schimank 2014, S. 13 ff.; Flink et al. 2012, S. 27; Krull 2017, S. 47; Wissenschaftsrat 2011, S. 29 f., 2017, S. 21 f.; Neidhardt 2016, S. 269). In der Gesamtschau führt die relative Größe des Drittmittelmarkts ab einem gewissen Punkt nicht nur nicht zu einer weiteren Steigerung, sondern zu einer Verringerung des gewünschten Outputs. Die Beziehung zwischen Drittmitteln und Forschungsleistung ist kurvilinear (Gerhards 2013, S. 46; vgl. Wissenschaftsrat 2011, S. 20: „Sättigungseffekte“). Dies trifft auch dann zu, wenn Konzeption und Grundbedingungen des Drittmittelmarkts angemessen sind. Diese Befunde wirken umso schwerer, als Drittmittelerfolg über die leistungsorientierte Mittelvergabe auf die Allokation von Grundmitteln zurückwirkt. Ein analoges Problem und jeweils spezifische Nebeneffekte lassen sich hinsichtlich der relativen Größen weiterer Wissenschaftsmärkte feststellen, etwa des Publikations- oder Karrieremarkts. Zur dritten grundlegenden Schwierigkeit: Wettbewerblich organisierte Wissenschaft erfordert Vergleich und Bewertung wissenschaftlicher Leistungen. Mit der zunehmenden Marktorientierung und dem parallelen Wachstum der wissenschaftlichen

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Informationsmenge wurde die Leistungsbewertung intensiviert und institutionalisiert (Hornbostel 1997, S. 9 f.; Gerhards 2013). Viele jüngere Entwicklungen in der Wissenschaftssteuerung lassen sich als der Versuch deuten, bis dahin gar nicht oder nicht präzise bewertete Wissenschaftsleistungen einer exakteren Bewertung zu unterziehen und so ihre Marktresonanz zu erhöhen. Das bedeutet zugleich: Grundlegende Probleme, die bei Bewertungen auftreten, sind auch Fragen an die Marktgängigkeit der Wissenschaftsleistungen. Die Grenzen der Bewertung sind auch die Grenzen des Marktes. Was bewertet wird, ist in doppeltem Sinne uneindeutig. Wie dargestellt werden in unterschiedlichen Wettbewerbskontexten völlig unterschiedliche wissenschaftliche Leistungen erbracht. Aber auch hinsichtlich eines bestimmten Leistungstyps ist zunächst unklar, was es daran ist, das es zu bewerten gilt. Die Qualität einer Wissenschaftsleistung lässt sich meist nicht direkt im tatsächlichen Geschehen ablesen – in dem Sinne, in dem sich an den Lande-Eindrücken zweier Weitspringer im Sand ablesen lässt, wer der bessere ist. Eine Definition des jeweils leistungsspezifischen Qualitätsbegriffs ist notwendig. Damit werden konzeptionelle Entscheidungen notwendig, die einer Perspektive auf das Phänomen Geltung verschaffen und andere, ebenfalls mögliche Perspektiven zurücknehmen oder ganz ausblenden (vgl. Hornbostel 1997, S. 184 ff.). Diese Entscheidungen werden selbst dann von bestehenden Annahmen und Zielvorstellungen geprägt, wenn bewusst auf Neutralität und Objektivität geachtet wird. Ein so definiertes Qualitätskonzept kann mit quantitativen Maßen oder mit Expertenurteilen operationalisiert werden. Wird der Begriff „Indikator“ in grundlegender Weise verstanden, können beide Operationalisierungsweisen bzw. ihre Ergebnisse als Indikatoren bezeichnet werden. Indikatoren sind keine Definitionen des zugrundliegenden Qualitätskonzepts. Sie nehmen vielmehr Werte in einem quantitativen oder qualitativen Bezugssystem an, die nach einer einheitlichen Methode gewonnen und konkreten Ausprägungen des Konzepts zugeordnet werden („Surrogate“: Weingart und Winterhager 1984, S. 14, zu quantitativen Indikatoren). Beispielsweise kann die Qualität einer Publikation als „Relevanz für die Fachcommunity“ konzeptionalisiert werden. Der jeweilige Ausprägungsgrad dieses Konzepts bei konkreten Publikationen mag mithilfe des quantitativen Indikators „Zitationsrate in einer bestimmten Datenbank“, des qualitativen Indikators „Urteil eines (nach bestimmten Regeln ausgewählten) Peers“ oder einer Kombination dieser Indikatoren bewertet werden. Gute Indikatoren sind sensitiv – sie variieren verlässlich mit dem Ausprägungsgrad des Konzepts –, und sie sind spezifisch – sie variieren nur damit. Der komplexitätsreduzierende Abstand des Indikators zur bewerteten Leistung ist gerade seine Pointe: Er kann und soll einfach, schnell und meist ohne tiefere Fachkenntnisse erfasst und verglichen werden. Für komplexe Wissenschaftsleistungen ist diese Eigenschaft zentral. Die Abnehmer in wissenschaftlichen Austauschprozessen haben meist nicht die Zeit, Kenntnisse oder Ressourcen, eine Leistung anhand eigener und voraussetzungsreicher Maßstäbe zu bewerten. Deshalb greifen sie auf einen oder mehrere Indikatoren zurück, von denen sie annehmen, dass sie treue Qualitätsmaße für die Leistung darstellen. Erst Indikatoren verschaffen ihnen einen wertenden Zugang zum

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Phänomen selbst. Zugleich werden so Angebotsvergleich und -auswahl transparent und können, v. a. im politischen Kontext, gegenüber kritisch Nachfragenden legitimiert werden, etwa der Öffentlichkeit oder nicht erfolgreichen Anbietern (Weingart und Winterhager 1984, S. 26). Auch die Konstruktion von Indikatoren erfordert es allerdings, sich für bestimmte und gegen andere mögliche Bezugssysteme, Bewertungs- und Messmethoden sowie Datengrundlagen zu entscheiden. Diese Entscheidungen können aus mehreren Gründen strittig gestellt werden. Quantifizierende Indikatoren werden z. T. schon deshalb skeptisch gesehen, weil sie das Monopol wissenschaftlicher Selbststeuerung mit seinem Kernelement des Peer Review aufbrechen (Weingart und Winterhager 1984, S. 22, 247). Überdies können die so erzeugten Wertungen von jenen Wertungen abweichen, die aus den tradierten, extra muros weitgehend nicht nachvollziehbaren wissenschaftsinternen Mechanismen resultieren. Damit können sie mit Interessen, bisherigen Verteilungsmustern, Reputationsurteilen und Machkonstellationen kollidieren. Die Einführung solcher Indikatoren ist deshalb oft mit Sorgen um das „‚Auswandern‘ der Bewertungskompetenzen“, Befürchtungen um Autonomie- und Kontrollverluste, Abwehrkämpfen und Konflikten verbunden (Hornbostel 1997, S. 324; Weingart und Winterhager 1984, S. 20 ff.). Jenseits der Fragen nach ihrer Akzeptanz und Folgewirkungen kann die Qualität von Indikatoren unzureichend sein. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn keine akzeptable Korrelation zwischen Indikator und tatsächlicher Leistung hergestellt werden kann. Dann ist die exklusive Kausalität zwischen Indikator und Leistung zu schwach ausgeprägt. Mangelnde Validität kann den Wertebereich eines Indikators vollständig oder nur teilweise betreffen. Werden Leistungen anhand mangelhafter Indikatoren bewertet, ergeben sich Fehlsteuerungen auf beiden Seiten der Marktbeziehung. Der Kunde gründet seine Tauschentscheidung auf unzuverlässigen und deshalb oft fehlerhaften Informationen. Er wird tauschen, wo er nicht sollte, und nicht tauschen, wo er sollte. Seine Nachfrage bleibt partiell oder vollständig unbefriedigt, sein Nutzen wird nicht optimal erreicht und seine Gegenleistung fällt nicht angemessen aus. Der Anbieter versucht, die für ihn relevanten Indikatoren zu erhöhen und so seine Wettbewerbsposition und seinen Markterfolg zu verbessern. Dies kommt einem „goal displacement“ (Hicks und Wouters 2015, S. 431; vgl. Wissenschaftsrat 2011, S. 19) gleich, weil nun die Indikator-­ Performance und nicht mehr zuvor gebräuchliche Leistungsmaßstäbe handlungsleitend werden. Die Indikatorerhöhung geht aber nicht verlässlich mit einer Leistungssteigerung einher. Mehr noch: sie kann (von Anfang an oder ab einem bestimmten Punkt) zu abnehmenden Leistungen führen oder Leistungen, die aus anderen Gründen problematisch sind. Tendenziell fallen solche korrumpierenden Effekte desto stärker aus, je schlechter der Indikator die vermessene Leistung anzeigt. Die mangelnde Qualität von Indikatoren und die daraus folgenden Fehlsteuerungen gehören zu den grundlegenden Problemen der Bewertung und Vermarktung von Wissenschaft. Für einen zu schwachen exklusiven Kausalzusammenhang zwischen Indikator und indizierter Wissenschaftsleistung kommen mehrere Ursachen in Betracht. Die

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­ onstruktion eines Indikators kann von Steuerungsinteressen beeinflusst werden, etwa K im Fall von Peer-Review-Verfahren, die eine parteiliche Gutachterauswahl zulassen. Dies kommt der Instrumentalisierung eines Bewertungsvorgangs für prä-formierte Ziele gleich. Ebenso problematisch ist es, wenn die Aussagekraft von Indikatoren bei ihrer Konzeption von vornherein nachrangig bleibt (Wissenschaftsrat 2011, S. 25). Dann geht es um eine vorgespiegelte, keine ernsthafte Bewertung. Gleichwohl kann die Aussagekraft eines Indikators auch bei bester Absicht mangelhaft sein. Dies liegt oft darin begründet, dass der Indikator anderen wissenschaftlichen Marktzusammenhängen entstammt. Wenn die Absolventenzahl eine Rolle für die Höhe der zugeteilten LOM-Mittel spielt, dann wird der so gemessene Erfolg im Ausbildungsmarkt zu einem Indikator für die Qualität der Lehrleistung insgesamt (zur LOM-Indikatorik: Gerhards 2013, S. 31 ff.; Wissenschaftsrat 2011, S. 24 ff.). Anders betrachtet: der Staat vertritt den Studierenden in einer imaginären Marktfunktion. Wenn der Studierende sein Studium abschließt (wenn er also, befände er sich als Kunde in einer klassischen ökonomischen Beziehung zur Universität, das Studium kaufen würde), dann bezahlt der Staat der Hochschule stellvertretend mehr Mittel. Schließt er sein Studium dagegen nicht ab, fließt auch weniger Geld vom Staat. Die Hochschule steht also ein einer mehrdimensionalen Marktbeziehung, in der der Erfolg in einer Beziehung (Hochschule-Student) den Erfolg in einer anderen Beziehung (Hochschule-Staat) mitbestimmt. Diese Konstellation unterscheidet sich von einer einfachen Anbieter-Kunde-Beziehung, die Konsumgüter- und Dienstleistungsmärkte prägt (Alewell 1995, S. 2778; vgl. Erhardt 2011, S. 21 f.). Der exklusive kausale Zusammenhang zwischen Absolventenzahl und Lehrleistung ist aber brüchig, v. a. weil die Absolventenzahl von Faktoren jenseits der Lehrleistung abhängt. Dazu zählt der erwähnte Umstand, dass Studierende selbst zum Studienerfolg beitragen; ob und wie sie das tun, ist nicht vollständig der Hochschule zuzurechnen. Die Aussagekraft des Indikators per se ist damit eingeschränkt. Der Nutzen des Kunden, des Staats, die Qualität der Lehrleistungen zu ermitteln und zu prämieren (und so mittelfristig das Leistungsniveau des Wettbewerberfelds insgesamt zu heben), droht nicht optimal erfüllt zu werden. Insofern der Staat seine Allokationsentscheidung auf diesen Indikator stützt, kann er nicht hinreichend sicher sein, die richtige Leistung zu prämieren, und wird deshalb oft die falsche prämieren. Die Hochschulen als Anbieter könnte das Ziel, ihre Absolventenzahlen zu erhöhen, dazu verleiten, die Abschlussqualität zu senken und höhere Studierendenzahlen anzustreben. Die Erhöhung des Indikators hätte dann (von Anfang an oder ab einem bestimmten Punkt) sogar eine Minderung der Lehrleistung zur Folge. Der eigentliche Marktzweck wäre in sein Gegenteil verkehrt. Das beschriebene Problem lässt sich in jeweils spezifischer Ausprägung bei anderen Wissenschaftsmärkten beobachten. Beispielsweise geht der Erfolg einer Universität auf den Drittmittelmärkten in einigen Bundesländern ebenfalls in die Bemessung der LOMMittel ein (Wissenschaftsrat 2011, S. 9). Der Drittmittelerfolg einer Fakultät wird wiederum z. T. auf dem universitätsinternen LOM-Markt prämiert. In diesen und anderen wissenschaftlichen Wettbewerben hat dies, so DFG-Präsident Peter Strohschneider, Drittmittel zu einer „sekundären Währung“ gemacht (in: Lehmann 2014). Dass eingeworbene

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Drittmittel geeignet sind, die Forschungsleistungen der Drittmittelempfänger zu indizieren, ist aber aus guten Gründen bezweifelt worden (statt aller: Gerhards 2013). Im wissenschaftlichen Karrieremarkt ist die Verschaltung unterschiedlicher Wissenschaftsmärkte besonders stark ausgeprägt. Die Aussicht auf Professuren und andere wissenschaftliche Stellen wird i. d. R. von der Anzahl der Publikationen und teilweise von bibliometrischen Indizes wie dem Impact-Faktor mitbestimmt (DORA 2012; ­Osterloh  und Frey 2017, S. 876). Der Erfolg im Publikationsmarkt wird damit zum Indikator für die bisherige wissenschaftliche Leistung, aus der zugleich das Potenzial für künftige Leistungen abgeleitet wird. Auch dies lässt sich als Stellvertreter-Konstellation betrachten. Ist der Erfolg des Bewerbers auf dem Publikationsmarkt hoch, steigert die Hochschule stellvertretend dessen Rekrutierungschance. Aus Sicht des Bewerbers sind Veröffentlichungen zentrale Währungseinheiten, die einer gesteigerten Reputation in Fachkreisen und einem höheren persönlichen Marktwert entsprechen. Auch in diesem Fall führt aber kein verlässlicher kausaler Weg von der Forschungsleistung zur Zahl der Publikationen oder zur Zahl der Publikationen in High-Impact-Journals. Die Publikation in einer Zeitschrift mit hohem Impact-Faktor indiziert nicht verlässlich die hohe Qualität der präsentierten Forschung, weil bei weitem nicht jede ausgezeichnete Forschungsleistung zu einer solchen Publikation führt, aber mediokre Leistungen durchaus ihren Weg in die Zeitschrift finden können (vgl. Osterloh und Frey 2017, S. 876 ff.; DORA 2012; Hicks und Wouters 2015, S. 430 f.). Denn zentrale Merkmale guter Forschung – Originalität, Relevanz, antizipierte Rezeption in der Fachcommunity, Nachvollziehbarkeit, Reproduzierbarkeit oder Objektivität – erhöhen nicht verlässlich genug die Publikationschance, während das Fehlen dieser Merkmale nicht verlässlich genug ein Scheitern herbeiführt. Geradezu erschreckend inadäquat können bibliometrische und andere quantifizierende Indizes in geisteswissenschaftlichen Fächern sein, in denen längere Formen und nicht-englischsprachige Veröffentlichungen bevorzugt werden (­Neidhardt 2016, S. 275; Krull 2017, S. 65 ff.). Tendenziell zu niedrige Rekrutierungschancen haben deshalb diejenigen Bewerber, deren Forschungsleistung sich weniger in den indikatorisch erfassten Qualitäten zeigt. Es sind aber mitunter genau diese auch in formaler Hinsicht Unangepassten, die zu bahnbrechenden wissenschaftlichen Leistungen imstande sind oder wären. Anders herum mögen unter derjenigen, die zu einer Optimierung ihrer Indikator-Performance bereit und fähig sind – die sich also umstandslos an ein vorgegebenes System anpassen –, überproportional viele Kandidaten sein, deren wissenschaftliche Courage eher mittelmäßig ausfällt. Von forschungsbezogenen Indikatoren überhaupt nicht erfasst wird schließlich die Lehrkompetenz eines Bewerbers – eine für den tatsächlichen Bedarf der Hochschule oft entscheidende Qualität. Eine Einrichtung, die sich an mangelhaften Indikatoren für die Rekrutierung wissenschaftlichen Personals orientiert, kann empfindlichen Schaden erleiden. Sie wählt nicht sicher genug die richtigen Persönlichkeiten aus und trägt das Risiko der oft

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dauerhaften Folgeprobleme. Dieser Befund ist gravierend, weil talentierte Persönlichkeiten auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen einen zentralen Erfolgsfaktor für die Einrichtung darstellen. Die Fehlsteuerungen, die für die Anbieter und das gesamte System aus der Orientierung an den üblichen Publikationsindikatoren entstehen k­ önnen, sind gut dokumentiert. Dazu zählen übermäßiges und strategisches Publizieren (u. a. indem bevorzugt in High-Impact-Journals, nicht aber in geeigneten Journals veröffentlicht wird, indem grundsätzlich Artikel gegenüber Monografien bevorzugt werden, indem eine „Salamitaktik“ angewandt wird etc.), hoher Publikationsdruck, Zeitmangel und fehlende Sorgfalt, unzureichende Dokumentation von Daten und Methoden, mangelnde Replizierbarkeit von Studien, die replizierbar sein sollten, Benachteiligung der Geisteswissenschaften, Zitationskartelle, Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis, Überlastung von Gutachtern sowie formaler und inhaltlicher Konformismus (Alewell 1988, S. 44; Wissenschaftsrat 2011, S. 31; DFG 2017; Leopoldina et al. 2017, S. 2; Krull 2017, S. 26 f.). Die Publikationsfixierung kann ferner dazu führen, eher populäre und konservative, dagegen weniger risikoreiche Forschungsthemen zu bearbeiten, nur positive Ergebnisse anzubieten und kleine Erkenntnisfortschritte zu sensationalisieren. Zu nennen ist schließlich die weitflächige Fokussierung auf vermessene und prämientaugliche Forschung gegenüber nicht prämierten wissenschaftlichen Tätigkeiten wie der Lehre. Systemisch liegt darin die Gefahr einer „Tendenz zu Homogenisierung institutioneller Profile“ (Wissenschaftsrat 2010, S. 26, 82). Mitunter werden Kennzahlen auch dann fälschlicherweise für Indikatoren gehalten, wenn das gar nicht beabsichtigt ist. Dies betrifft etwa Studien, die wirtschaftliche Effekte von Hochschulen quantifizieren (Stifterverband 2013; Sauerborn 2005; Voigt 1995; Rosner  und Weimann 2003; Franz et al. 2002; Reese 2006; Schubert et al. 2012). Meistens werden dabei Nachfrageeffekte untersucht, die die Leistungserstellung einer Hochschule auslöst (etwa die Beschäftigung von Mitarbeitern), seltener auch Angebotseffekte, die aus ihrer Leistungsabgabe resultieren (etwa der Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte). Der räumliche und zeitliche Bezugsrahmen sowie die Berechnungsweisen der Studien variieren erheblich. Sie alle bergen aber das Leserisiko, dass der Gesamtnutzen der Hochschule auf wirtschaftliche Effekte reduziert wird oder diese in der Beurteilung einen zu großen Raum einnehmen. Angesichts der vielfältigen weiteren Leistungen einer Hochschule ist diese Parte-pro-Toto-Illusion ein Fehler, allerdings ein intuitiv nachvollziehbarer. Sie erinnert an den Mann, der das auf einem Nachtspaziergang verlorene Geldstück unter der einzigen Straßenlaterne sucht, weil er dort besser sieht. Psychologisch ließe sich die Macht dieser und weiterer Indikatoren näher beschreiben, etwa mit ihrer Aura der Objektivität, Unbestechlichkeit und gefühlten Alternativlosigkeit (vgl. Alewell 1988, S. 52). Empirisch erhobene quantitative Indikatoren scheinen diese Wirkung, der hier nicht weiter nachgegangen werden kann, in besonderer Weise auszuüben. Die genannten Wirtschaftlichkeitsstudien können deshalb den Blick auf die ökonomischen Wirkungen einer Hochschule verengen und so zur Vernachlässigung der weitaus größeren, aber schwieriger messbaren Gesamtleistung einladen. Auf dieser

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p­roblematischen Basis können überdies Vergleiche zwischen Institutionen aus unterschiedlichen öffentlich finanzierten Bereichen (Flughäfen, Schwimmbäder, Gefängnisse etc.) gezogen werden. All dies würde den teils zu vermutenden, teils ausdrücklich genannten Zweck der Untersuchungen konterkarieren, einen Teilbereich hochschulischer Leistung sichtbarer zu machen und so dem öffentlichen Rechtfertigungsdruck zu begegnen (Rosner und Weimann 2003, S. 437; Sauerborn 2005, S. 148; Franz et al. 2002, S. 6). Der Inbegriff für die Verkopplung von unterschiedlichen Wissenschaftsmärkten sind schließlich Rankings und Ratings. Auf jeweils unterschiedliche Weise werden die Erfolge in diversen Wettbewerben (Nobelpreise, Publikationen, Patente etc.) verrechnet und in einen Rangplatz übersetzt. Bei vielen Einzelindikatoren lässt sich der ursächliche Zusammenhang mit der indizierten Leistung und damit dessen Aussagekraft kritisch hinterfragen. Auch die Gewichtungen und Verrechnungsweisen der Indikatoren sind vielfach kritikwürdig (Alewell 1988, S. 51 f.; Krull 2017, S. 25 ff.). Wird ein Konglomerat unzuverlässiger Indikatoren selbst als Indikator verwandt, ist die Gefahr von Fehlsteuerungen hoch. Diese variieren je nach betrachtetem Wissenschaftsmarkt: Wird beispielsweise das Renommee und das symbolisches Kapital einer Einrichtung von ihrem Rankingerfolg beeinflusst, erbringt der öffentliche Reputationsmarkt insoweit unzuverlässige Resultate. Stützt der Staat seine Finanzierungsentscheidungen direkt oder indirekt auf Rankingergebnisse, führt das zu einem unnötig hohen Risiko von ­Mittelfehlallokationen.

3.5 Fazit Es wurden drei Grundprobleme identifiziert, die mit der Vermarktung von wissenschaftlichen Leistungen einhergehen. Erstens sind – bezogen auf den jeweiligen Kontext – einige Wissenschaftsmärkte zu groß. Die schädlichen Nebenfolgen des Marktes überwiegen (u. U. ab einem bestimmten Punkt) in solchen Fällen die mutmaßlichen Vorteile. Das Marktgeschehen mindert Qualität, Effektivität und Effizienz der von einzelnen Anbietern und vom Gesamtsystem erbrachten Leistungen, anstatt sie wie erhofft zu steigern. Zweitens kann sich kein funktionierender Wettbewerb entfalten, wenn Zuschnitt und Konzeption eines Wissenschaftsmarktes inadäquat sind. Typischerweise fehlen Anbietern dann die Freiheitsgrade, um sich gegenüber der Konkurrenz differenzieren und die eigene Wettbewerbsposition verbessern zu können. An Autonomie und Selbststeuerung mangelt es auch, wenn Akteure nicht selbstbestimmt über die Teilnahme an einem Wissenschaftsmarkt entscheiden können. Wird Akteuren etwa die Teilnahme an einem missions- oder aufgabenfernen Wettbewerb vorgeschrieben, führt dies meist zu Verzerrungen. Drittens zeigen eine Reihe quantitativer und qualitativer Indikatoren, die für Vermarktung von wissenschaftlichen Leistungen verwendet werden, die vermessene

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Leistung nicht verlässlich genug an. Die kausale Verbindung zwischen Indikator und indizierter Wissenschaftsleistung ist zu schwach. Die Herstellung einer solchen exklusiven Kausalität ist aber oft schwierig, weil viele wissenschaftliche Leistungen gebündelt, unscharf, extern und zeitversetzt wirksam sind. Aus mangelhaften wissenschaftsbewertenden Indikatoren können Fehlsteuerungen resultieren, die sowohl die einzelnen Anbieter und Nachfrager eines Marktes als auch das Gesamtsystem betreffen. Erstaunlich viele Wissenschaftsmärkte leiden an einem oder mehreren dieser Grundübel, die sich in jeweils spezifischer Gestalt und Intensität ausprägen. Den hier genannten Beispielen ließen sich weitere hinzufügen, die insbesondere den Finanzierungs-, R ­ eputations-, Publizitäts- und Karrieremärkten entstammen. Wie aber umgehen mit diesen prinzipiellen Marktgrenzen in der Wissenschaft? Die Wissenschaftsmärkte sind so komplex und vielfältig, dass es die Antworten auch sein müssen. Für viele Wettbewerbskonstellationen ist noch nicht klar, wie die spezifischen Schwierigkeiten, die die hier beschriebenen Problem-Muster exemplifizieren, am besten zu bekämpfen sind. Für andere Marktkontexte liegen hingegen konkrete und oft unstrittige Empfehlungen vor, deren Beherzigung viele der heute zu beobachtenden Defizite lindern oder in einigen Fällen sogar beheben könnte (Hicks und Wouters 2015; DORA 2012; Wissenschaftsrat 2011, S. 33 ff., 2017, S. 23 ff.; Leopoldina et al. 2017, S. 2 ff.; Neidhardt 2016, S. 265 ff.; Alewell 1988, S. 47 ff.; Hornbostel 1997, S. 180 ff.). Ließen sich diese Empfehlungen umsetzen, würde das Verhältnis von Markt und Wissenschaft harmonischer. Spannungsfrei wird es wohl nie sein.

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Dr. Guido Speiser ist im Berliner Büro der Max-Planck-Gesellschaft tätig. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählen strukturelle und politische Fragen des Wissenschaftssystems. Der vorliegende Beitrag spiegelt seine Meinung wider, nicht die der Max-Planck-Gesellschaft.

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Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken der Markenbildung und Markenführung im Wissenschaftssystem Kai-Uwe Hellmann

Zusammenfassung

Es ist unbestreitbar, dass das Wissenschaftssystem, in erster Linie die Hochschulen und die Lehre stärker noch als die Forschung sich dem ökonomischen Erwartungsdruck stellen müssen, der seit Jahrzehnten stetig größer wird. Schlicht bei der Idylle der Humboldt’schen Universitätsidee zu verharren, komme, was wolle, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Insofern haben sich gerade die Wissenschaftsorganisationen und ihr Personal unausweichlich darauf einzustellen, dass sie sich in einem global wirksamen Wettbewerbsumfeld bewegen, das von intensiver Konkurrenz um knappe Forschungsmittel und Studierende geprägt ist. Vor diesem Hintergrund führt wohl kein Weg an mehr Marketing und Branding vorbei. Freilich verlangt konsequentes Marketing, mehr noch strategisches Branding von den Hochschulen und ihrem Personal besondere Maßnahmen in der Außenpräsentation und entsprechende Anpassungen ihrer Infrastrukturen. Die Kernbotschaft lautet dann tendenziell: Wir sind Dienstleister! Der Kunde ist König! Und der Auftrag an die Hochschulen lautet gleichsam: Präsentiert Euch wie ein schicker Friseurladen, mit kompetentem Personal und perfekter Performance! Freilich birgt eine solche Selbstdarstellung auch gewisse Risiken, pflegt das Wissenschaftssystem historisch doch ganz eigene Qualitätskriterien bezüglich Forschung und Lehre. Auf dieses Spannungsverhältnis legt der vorliegende Beitrag sein besonderes Augenmerk.

K.-U. Hellmann (*)  Institut für Soziologie, Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_4

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4.1 Alles Marke oder was? Das Thema ‚Marke‘ feiert ungebrochen Hochkonjunktur. Schon vor knapp zwanzig Jahren verkündete Franz-Rudolf Esch (1999, S. v), das Thema ‚Marke‘ gelte weltweit als das Megathema im Marketing. Dabei sind Marken rein wirtschaftlich betrachtet immens bedeutsam geworden. Augenfällig wird dies etwa, vergegenwärtigt man sich die hohen Markenwerte der zehn wertvollsten globalen Marken (in diesem Falle für das Jahr 2002, nur die ersten zehn Positionen von 100, vgl. Tab. 4.1). Wobei das ‚Branding Business‘, welches Markenforschung und Markenpraxis gleichermaßen umfasst, von einer beachtlichen Dynamik geprägt ist. So finden sich in diesem Ranking von 2002 nicht nur einige ehrwürdige Marken, von denen heute kaum noch einer spricht, während recht junge Marken weit nach vorne geprescht sind. Außerdem werden die ermittelten Markenwerte 15 Jahre später bei weitem übertroffen (in diesem Falle für das Jahr 2017, wiederum nur die ersten zehn Positionen von 100, vgl. Tab. 4.2). Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs, betrachtet man die überaus rege Markenforschung, die sich längst nicht mehr nur auf eindeutig ökonomisch relevante Referenzen beschränkt. So ist für zahlreiche außerwirtschaftliche, nicht selten sogar kulturnahe Bereiche selbst im deutschsprachigen Bereich festzustellen: Inzwischen erfährt das Markenthema auch dort anhaltend große Aufmerksamkeit und rege Nachfrage (Hellmann 2003b, 2004, 2005a, 2006, 2007, 2009a, b, 2012; Herbst 2003; Schneider 2004; Börkircher und Nemec 2008; Hellmann und Pichler 2005; Henkel und Huber 2005; Engh 2006; John und Günter 2007; Lanzke 2008; Mandel 2008; Stoffers 2008; Balzer et al. 2009; Ivancic 2009; Drefke 2012; Henschel 2012; Tab. 4.1  Die zehn wertvollsten Marken im Jahre 2002

1. Coca-Cola

69,64 $

6. Nokia

29,97 $

2. Microsoft

64,09 $

7. Disney

29,26 $

3. IBM

51,19 $

8. McDonald’s

26,26 $

4. General Electric

41,31 $

9. Marlboro

24,15 $

5. Intel

30,86 $

10. Mercedes

21,10 $

Quelle: Hellmann 2003a, S. 17

Tab. 4.2  Die zehn wertvollsten Marken im Jahre 2017

1. Apple

184,154 $

6. Samsung

56,249 $

2. Google

141,703 $

7. Toyota

50,291 $

3. Microsoft

79,999 $

8. Facebook

48,188 $

4. Coca-Cola

69,733 $

9. Mercedes

47,829 $

5. Amazon

64,796 $

10. IBM

46,829 $

Quelle: http://interbrand.com/best-brands/best-global-brands/2017/ ranking/

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

89

Tab. 4.3  Die zehn Universitäten mit dem höchsten Reputationsrang im Jahre 2017 1. Harvard

100

6. Berkeley

60,3

2. MIT

80,2

7. Princeton

38,5

3. Stanford

76,2

8. Yale

35,8

4. Cambridge

69,1

9. Chicago

27,2

5. Oxford

69,1

10. Caltech

26,0

Quelle: https://www.timeshighereducation.com/world-university-rankings/2017/reputation-ranking#!/ page/0/length/25/sort_by/rank/sort_order/asc/cols/stats

Nemec und Fritsch 2012; Birnkraut und Diwan 2013; Kessler 2013; Mährlein 2013; Böhme und Peter 2014; Resch 2014; Hartung 2015; Windgätter 2016).1 Betroffen ist davon nicht zuletzt auch das Wissenschaftssystem, für das seit Jahrzehnten ein ähnliches Ranking mit Bezug auf die Reputation von Universitäten ermittelt wird. Bezugsgröße sind hier bestimmte Leistungskriterien hinsichtlich Forschung und Lehre (Dill und Soo 2005; Hazelkorn 2007, 2014; Kehm und Stensaker 2009; Münch 2011; Brankovic et al. 2018). Angeführt wird dieses Ranking (‚league table‘) seit langem von der Universität Harvard mit einem Maximalwert von 100 Punkten (ebenfalls für das Jahr 2017, wiederum nur die ersten zehn Positionen von 100, vgl. Tab. 4.3). Für den vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, dass auch die Zahl wissenschaftlicher Publikationen, die sich vorrangig mit dem ‚Branding‘ von ‚Universities‘, ‚Colleges‘ und ‚Business Schools‘ befassen, sprunghaft zugenommen hat – eine Entwicklung, die vor ungefähr 15 Jahren einsetzte, anfangs nur in Nordamerika, inzwischen mit globaler Ausstrahlung, und keineswegs mehr auf ‚Higher E ­ ducation Institutions‘ (HEIs) begrenzt ist. Selbst im deutschsprachigen Raum wird diese Debatte längst geführt, wie zahlreiche Schlagzeilen und Stellungnahmen aus den letzten 15 Jahren belegen.2 Insofern kann davon gesprochen werden, dass das Megathema ‚Marke‘

1Von

der Auflistung vieler Zeitungsartikel und Hausarbeiten wird hier gänzlich abgesehen. wird im Jahr 2003 auf der Homepage der Humboldt-Universität zu Berlin der Beitrag „Die Marke Humboldt-Universität“ gepostet. In der Unizeitung der Universität Münster wird 2004 ein Artikel mit dem Titel „Die Universität Münster als Marke“ veröffentlicht. In ZEIT online schreibt Andreas Sentker am 26. Juni 2008 über das Thema „Forschung als globale Marke“. Mit Datum 26. August 2008 findet sich auf faz.net ein Beitrag mit dem Titel „Die Hochschule als Marke“. Am 31. Juli 2009 bringen WELT/N24 unter der Rubrik „Lifestyle“ den Beitrag „Uni als Marke“. Im Kölner Stadt-Anzeiger findet sich am 10. Oktober 2009 der Beitrag „Merchandising: Die Universität als Marke“. Am 1. Januar 2010 veröffentlichen Walther Ch. Zimmerli und Christian Schlimok in forschung-und-lehre.de eine Stellungnahme zu der Frage „Universität als Marke?“. Die Süddeutsche Zeitung vom 13. Oktober 2015 bringt einen Beitrag zum Thema „Hochschule als Marke“. Am 21. Dezember 2016 erscheint im Standard der Beitrag „Mehr Schutz für die Marke ‚Universität‘“. Im Deutschlandfunk findet sich der Beitrag „Marke ‚Universität Sachsen‘“ (ohne Datum). Bei move-online.de (ohne Datum) wurde der Beitrag „Universität Leipzig. Die Marke neu prägen“ veröffentlicht. Und auf der Homepage der Universität St. Gallen findet sich die Unterseite „Unsere Marke – unser Versprechen“ (ohne Datum).

2So

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K.-U. Hellmann

inzwischen sogar das (deutsche) Wissenschaftssystem in seinen Bann gezogen hat. Hierfür gibt es mehrere Ursachen, die überwiegend ­ökonomisch-pekuniärer Natur sind. Dabei wirft die Interessenszuwendung der Markenforschung Richtung Wissenschaftssystem einige ernste Fragen auf. Immerhin stellt Wissenschaft ein eigenes soziales System dar, das für sich hochgradig autonom agiert, also ganz eigenen Regeln und Routinen folgt, selbst wenn es von der öffentlichen Hand massiv gefördert wird, zumindest im deutschsprachigen Raum. Was passiert also, wenn eine originär ökonomische Kategorie wie ‚Marke‘ auf das Wissenschaftssystem derart Anwendung findet? Was macht das mit Forschung und Lehre, wenn Universitäten sich verstärkt als Marken inszenieren (sollen)? Verändert sich damit das Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten nicht grundlegend? Nimmt es womöglich Schaden? Handelt es sich hierbei nur um Camouflage, die allenfalls oberflächlich-kosmetisch Wirkung entfaltet, die Kernbereiche von Wissenschaft aber unberührt lässt? Oder geht diese Mimesis nicht deutlich tiefer und transformiert den Wissenschaftsbetrieb bis in seine Grundfesten? Wird Wissenschaft letztlich zu Wirtschaft, rein auf Absatz und Umsatz, Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit bedacht, hauptsächlich marktgetrieben und wettbewerbsorientiert, je länger diese Entwicklung anhält? Und was bliebe von Wissenschaft dann noch übrig? Die Klärung solcher Fragen ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, sie beginnt gerade erst systematisch. Insofern kann hier nur eine vorläufige Zwischenbilanz gezogen werden, mit allen Vorbehalten. Um sich der Beantwortung solcher Fragen anzunähern, werden in einem ersten Schritt Grundannahmen der Markenforschung dargelegt und diskutiert. In einem zweiten Schritt geht es um die Spezifik und Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems. In einem dritten Schritt wird der Forschungsstand zum Themenfeld ‚Wissenschaft als Marke‘, der im Laufe der letzten fünfzehn Jahre beträchtlich angeschwollen ist, in Grundzügen dargelegt. Zum Abschluss folgen eine Gesamtabwägung sowie ein vorläufiger Ausblick.

4.2 Marke, Markentechnik, Markenkommunikation Zunächst stellt sich die Frage, was eigentlich unter ‚Marke‘ zu verstehen ist. Jede/r kennt zwar bestimmte Marken und nutzt sie im Alltag. Doch eine letztgültige Bestimmung dieses Begriffs fällt gar nicht so leicht (Hellmann 2003a, S. 63 ff.).3 3Im

Folgenden wird im Wesentlichen auf das identitätsbasierte Markenverständnis von Heribert Meffert et al. (2005) Bezug genommen. International betrachtet gibt es allerdings eine große Zahl von Markenkonzepten, die sich vornehmlich durchs ‚wording‘ stark unterscheiden. Und gerade in der Forschungsliteratur zum „branding“ von „higher education institutions“ begegnet man einem sehr laxen Umgang mit Konzeptlabeln wie „brand alliances“, „brand attachment“, „brand culture“, „brand equity“, „brand harmonization“, „brand identity“, „brand image“, „brand meaning“, „brand personality“, „brand promise“, „brand reputation“, ohne dass auch nur ansatzweise ein Bemühen um facheinheitliche Systematik und Konsolidierung erkennbar wird, vgl. Dennis et al. (2016); Hemsley-Brown et al. (2016). Dies erschwert Nachvollzug und Überprüfung erheblich.

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

91

4.2.1 Definitionen und Merkmale Stützt man sich an diesem Punkt zunächst auf die Definition von Marke, wie sie von der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens (GEM) mithilfe zahlreicher Experten vorgeschlagen wurde, sieht man mehrere Eigenarten miteinander verknüpft: „Als Marke werden Leistungen bezeichnet, die neben einer unterscheidungsfähigen Markierung durch ein systematisches Absatzkonzept im Markt ein Qualitätsversprechen geben, das eine dauerhaft werthaltige, nutzenstiftende Wirkung erzielt und bei der relevanten Zielgruppe in der Erfüllung der Kundenerwartungen einen nachhaltigen Erfolg im Markt realisiert bzw. realisieren kann.“ (Bruhn 2002, S. 5) Hervorzuheben ist hieran zuallererst das Qualitätsversprechen: Jede Marke beansprucht, besser zu sein als ihre Konkurrenz, und dieses Versprechen richtet sich auf eine spezifische Leistung oder Problemlösung, traditionell gesprochen: Gebrauchs- oder Nutzwert, dessentwegen diese Leistung von einer bestimmten Zielgruppe erworben wird. Zugrunde liegt dem ein ständiges Wechselspiel von Erwartungen und Erlebnissen (Vershofen 1959; Pine und Gilmore 1999; Schembri 2009). Mit Absatzsystem ist wiederum die Art und Weise des Vertriebs gemeint, und die unterscheidungsfähige Markierung bezieht sich auf alle Formen der Produktpräsentation bzw. Verpackung desselben. Nicht zu vergessen, wenngleich unerwähnt: Premiummarken können in der Regel Premiumpreise verlangen. In jedem Falle ist die Gewinnspanne bei Marken tendenziell höher als bei unmarkierten Sachoder Dienstleistungen (dafür wird für sie aber auch ein deutlich höherer Forschungs- und Marketingaufwand betrieben). Im Übrigen sind nach § 3 Abs. 1 des deutschen Markenrechts folgende Merkmale schützensfähig (deren ungenehmigte Nachahmung somit verboten werden kann): „Als Marke können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ Während die Liste schützensfähiger Merkmale über die Jahrzehnte immer länger geworden ist und stetig erweitert wird, manches auch umstritten ist und permanent neue Markenrechtsverletzungen auftreten und verhandelt werden müssen, zeigt sich bei der Frage der Definition ein gepflegter Pluralismus. Zwar geht es immer um gewisse Merkmale mit Alleinstellungsanspruch, die klare Differenzierbarkeit und eine herausragende Positionierung im Markt erlauben. Voraussetzung ist jedes Mal gleichbleibend hohe Produktqualität (Hellmann 2005b). Und auch eine psychische Verortung und Verankerung dessen, was eine Marke realiter ausmacht und zum Erfolg führt, wird häufig genannt. Doch trifft man zugleich auf vielfältige Nuancen bei der konkreten Dosierung.

92

K.-U. Hellmann

4.2.2 In der Psyche mittels Kommunikation So heißt es bei Heribert Meffert et al. (2002, S. 6): „Marke [kann] als ein in der Psyche des Konsumenten und sonstiger Bezugsgruppen der Marke fest verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt oder einer Dienstleistung definiert werden. Die zugrunde liegende Leistung wird dabei in einem möglichst großen Absatzraum über einen längeren Zeitraum in gleichartigem Auftritt und in gleich bleibender oder verbesserter Qualität angeboten.“ Erheblich kürzer formuliert demgegenüber Franz-Rudolf Esch (2014, S. 22): „Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen des Anspruchsgruppen, die eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion übernehmen und das Wahlverhalten prägen.“ In beiden Definitionen steht eine psychologische Wirkung von Marken im Vordergrund. Zugleich wird anerkannt, dass sich eine solche psychische Wirkung nur einstellt, wenn ihr gewisse soziale Ursachen vorhergehen und sie ständig (re)produzieren. Denn im Wesentlichen hat Marke mit Kommunikation zu tun, wofür Werbung seit jeher eine herausragende Stellung zukommt (Hellmann 2003a, S. 88–106, 2018; Nandan 2005). Bei Kommunikation – Talcott Parsons und Niklas Luhmann haben dies sehr gründlich herausgearbeitet – hat man freilich immer mit dem Problem der doppelten Kontingenz zu kämpfen. Vereinfacht gesprochen: Jede/r nimmt Mitteilungen ein bisschen anders wahr und verhält sich dementsprechend anders dazu. Kommunikation impliziert beinahe zwangsläufig Verstehensunterschiede. Aus diesem Grund bedient sich etwa der identitätsbasierte Markenführungsansatz von Heribert Meffert, Christoph Burmann und Kollegen eines Sender-Empfänger-Modells, welches die Möglichkeit konstitutiv mit bedenkt, dass zwischen den jeweiligen Vorstellungen bestimmter Personen bezüglich derselben Marke erhebliche Deutungsdiskrepanzen (‚gaps‘) auftreten können, um deren Minimierung sich dann die Markenführung primär zu kümmern hat (Meffert et al. 2005; Burmann et al. 2015). Wobei perfekte Kongruenz, oder differenzlose Identität, ohnehin nicht anstrebbar und schon gar nicht feststellbar ist, handelt es sich ja um Vorstellungsbilder in den Köpfen der jeweiligen Personen, ein wissenschaftlich bislang noch gänzlich unbeobachtbares Phänomen. Das Bewusstsein ist (und bleibt) eine Blackbox. Überdies ist jede/r geringfügig anders gestrickt. Diesbezüglich kann Marktforschung allenfalls in Grenzen Aufschluss geben darüber, was unterschiedliche Konsumenten und Konsumentinnen sich etwa unter ein und derselben Marke tatsächlich vorstellen, indem sie dazu befragt oder beobachtet werden. Allerdings ist damit wieder Kommunikation das vorliegende Rohmaterial, welches kundig zu interpretieren ist. Die sozialwissenschaftlich aufgeklärte Diskrepanz-Annahme hat übrigens wiederholt Aufmerksamkeit und Zuspruch erfahren (Wilson et al. 2014).

4.2.3 Sach- und Dienstleistungsmarken Hinsichtlich der psychischen, vornehmlich sozialen Wirkung von Marken, indem möglichst viele Konsumenten zu interessierten Käufern und mit der Zeit zu markentreuen Kunden einer bestimmten Marke (konvertiert) werden (können), hat sich im Laufe der

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

93

Jahrzehnte gezeigt: Es ist ungleich anspruchsvoller, für Dienstleistungen eine vergleichbar wirksame Markenbildung und Markenführung zu erreichen als für Sachleistungen. Nicht ohne Grund wurden bei der Ausdifferenzierung des Dienstleistungsmarketing die klassischen vier ‚Ps‘ Product, Price, Place und Promotion des primär auf Sachleistungen bezogenen Massenmarketing um die drei ‚Ps‘ People, Physical Facilities und Processes erweitert, was für die Fragestellung ‚Wissenschaft als Marke?‘ hoch relevant ist (Ivy 2008). Denn Dienstleistungen sind vorwiegend immateriell bzw. intangibel, lokal spezifisch, in hohem Maße prozessförmig, kaum lagerbar, und sowohl bei der Ausführung als auch bei der Inempfangnahme und Nutzung fällt der menschliche Faktor besonders ins Gewicht. Dies trifft in erster Linie für das Personal mit direktem Kundenkontakt zu. „The frontline employee is the brand for the customer.“ (Ostrom et al. 2005, S. 193) Aber auch die Kunden tragen dazu bei. So zeigt sich allein schon im Supermarkt: Die jeweilige Tagesform von Personal und Kunden nimmt unweigerlich Einfluss auf das Einkaufserlebnis, obgleich jede Menge Materialität im Spiel ist. Und es sind gerade solche ‚humanen Kontaktpunkte‘ (‚customer touch points‘), Begegnungen und Erwartungsunterschiede (‚perceived service quality‘), die einer gleichbleibend hohen Dienstleistungsqualität – oft ganz unabsichtlich – zuwiderlaufen können (Stauss und Bruhn 2008). Kurzum: Eine vergleichbar gute Standardisierbarkeit von Dienstleistungen ist strukturell bedingt beträchtlich schwerer zu erreichen, was es wiederum den Konsumenten erschwert, ein vergleichbar klares Vorstellungsbild, hohe Erwartungssicherung und letztlich Markenvertrauen aufzubauen, so die Forschung.

4.2.4 Mikro-, Meso-, Makromarken Ferner ist festzustellen, dass Markenbildung auf ganz unterschiedlichen Ebenen ansetzen kann (Becker 1999). Geradezu klassisch ist die Markenbildung im Falle einzelner Sachleistungen, vornehmlich Konsumgüter des täglichen Bedarfs. Hier spricht man von einer Produktmarke auf der Mikroebene, Beispiel Ariel oder Duplo. Sowie um bestimmte Produktmarken weitere Varianten und verwandte Verwendungen entwickelt und etabliert werden, die einen kleinsten gemeinsamen Nutzwert haben und den gleichen Namen tragen, ist von einer Familienmarke die Rede, Beispiel Golf oder Nivea. Tritt schließlich der Hersteller als solcher in den Vordergrund, hat man es mit Dach- oder Unternehmensmarken zu tun, Beispiel Lufthansa oder Volvo. Die dahinter liegende Typologie besitzt für Sach- wie Dienstleistungsmarken gleichermaßen Geltung, wenngleich Unternehmensmarken bei Dienstleistungen eindeutig vorherrschen, wegen der skizzierten Standardisierungsproblematik (Stauss und Bruhn 2008, S. 15). „However, for many services, the company as brand concept is vital.“ (Ostrom et al. 2005, S. 193) Aber wo auch immer angesetzt wird: Erfolgsentscheidend ist, dass es den Unternehmen gelingt, bei bestimmten Zielgruppen genügend Erwartungssicherheit und Vertrauen aufzubauen, um von einer gelungenen Markenbildung sprechen zu können. Voraussetzung hierfür ist gleichbleibend hohe Produktqualität. Die Markenführung hat

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ferner darauf zu achten, den eingeschlagenen Kommunikations- und Qualitätskurs möglichst beizubehalten und die sich darüber einstellende Pfadabhängigkeit ernst zu nehmen: Abrupte und vor allem radikale Kursänderungen sind tunlichst zu vermeiden, weil riskant. Erarbeitetes Markenvertrauen wird sonst arg erschüttert.

4.2.5 Komplexität, Integration und Multilateralität Definiert man Marke damit als psychische, vor allem aber sozial relevante Wirkung, die sich erst über eine gewisse Zeitspanne einstellt, gleichsam qua Habitualisierung/Konditionierung, manche sagen auch Markenvertrauen, indem bezüglich einer bestimmten Leistung eine möglichst widerspruchsfreie, weitestgehend integrierte Kommunikation gegenüber einer bestimmten Zielgruppe betrieben wird, dann stellt sich diese Wirkung umso eher ein, je weniger komplex die Leistung und je homogener die jeweilige Zielgruppe ist. Denn je komplexer eine Leistung ist, desto schwieriger wird es, nicht nur ihre Qualität gleichbleibend hoch zu halten, sondern auch über sie selber nicht allzu vieldeutig zu kommunizieren. Und je heterogener die jeweilige Zielgruppe zusammengesetzt ist und sich verhält, desto diffuser verläuft die Kommunikation und desto unwahrscheinlicher ist der Absatzerfolg. Zudem, weil ja oft mehrere Anspruchs- bzw. Bezugsgruppen im Spiel sind, wie es bei Esch und Meffert et al. anklang, handelt es sich nur selten um ein schlicht bilaterales, sondern oft multilaterales Kommunikationssystem – in Anwendung auf Wissenschaft wurde auch schon von einem „brand ecosystem“ (Pinar et al. 2011) gesprochen –, das durch die Ko-Kreation aller Beteiligten polyfonisch bzw. polysemisch geformt wird, mithin oft multiple Diskrepanzen aufweisende Bedeutungszuweisungen und Handlungsweisen beobachtet werden können (Berthon et al. 2007; Merz et al. 2009; Wilson et al. 2014; Hellmann 2018). Im Übrigen legt die musikaffine Rede von Symphonie, Polyfonie oder Kakofonie, wie sie gerade in der Forschung zum Wissenschaftsbranding wiederholt auftaucht, die Metapher der Orchestrierung der Markenführung durchaus nahe (Wæraas und Solbakk 2009, S. 451). „Doing all of these things well is consistent with what has been referred to as orchestrating the clues for customers“ (Ostrom et al. 2005, S. 197). In der Konsequenz folgt daraus, dass Markenbildung und Markenführung umso geringere Erfolgsaussichten haben, je komplexer die Dienstleistungen, insbesondere wenn diese noch sehr heterogenen Publika angeboten werden. Genau diese Umstände, wie jetzt zu zeigen sein wird, treffen gerade für das Wissenschaftssystem zu. Schließlich soll im Vorgriff auf die später diskutierten Forschungsstände des Wissenschaftsbranding nochmals hervorgehoben werden, dass zwischen Marketing und Branding eine Art Steigerungsverhältnis besteht: Sämtliche Elemente, die beim Dienstleistungsmarketing in Gebrauch sind, können auch beim Dienstleistungsbranding zum Einsatz kommen, nur dann mit deutlich erhöhter Interdependenz und Systemhaftigkeit. Marketing und Branding sind gewissermaßen die Endpole eines Kontinuums: Während

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

95

Hohe Interdependenz/ Rigide Kopplung

Geringe Interdependenz/ Lose Kopplung

Marketing

Branding

Abb. 4.1   Marketing und Branding als Endpole eines Kontinuums fortschreitender Interdependenzen. (Quelle: Eigene Darstellung)

von Marketing schon gesprochen werden kann, wenn eine eher lose, kaum vernehmbare Kopplung bestimmter Elemente wie Product, Price, Place und Promotion vorliegen sollte, soll hier von Branding erst dann die Rede sein, wenn etwa im Falle von Dienstleistungen die gesamte Palette aller Elemente, also Product, Price, Place, Promotion, People, Physical Facility und Process, eine sehr rigide Kopplung untereinander eingehen, sodass kein Elemente variiert werden kann, ohne nicht sofort alle anderen auch zu tangieren (Abb. 4.1). Dies gilt es für später in Erinnerung zu behalten.

4.3 Autonomie und Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems Die evolutionäre Entwicklung des Wissenschaftssystems in seiner heutigen Gestalt hat Jahrhunderte benötigt. Dabei wurde von Anbeginn – schon für die ersten Frühformen wissenschaftlichen Erlebens und Handelns ist dies erkennbar, Stichwort Galilei – ein Kampf um Unabhängigkeit ausgetragen. Angestrebt wurde die absolute Freiheit der Forschung, und zwar befreit von der traditionellen Vorherrschaft von Politik, Religion und Sitten, um dafür frei, d. h. auf Grundlage eigengesetzter Maßstäbe entscheiden zu können, was wahr und was falsch ist, ohne irgendwelche Einschränkungen oder Vorgaben von außen (Ben-David 1971, 1975; Luhmann 1981a; Clark 1983; Stichweh 2013). Systematisch betriebene wissenschaftliche Forschung, die es primär auf Wissens- und Wahrheitsvermehrung anlegt, soll nur durch sich selbst, d. h. durch weitgehende Autonomie festlegen dürfen, was erforscht wird, wie geforscht wird und wozu (Ben-David 1972).4 Andernfalls ist Wissenschaft kaum in der Lage, ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Effizienz, Effektivität und Exzellenz zu erreichen, wenn ihr von außen fortlaufend vorgeschrieben wird, was sie zu erforschen hat, wie sie es zu erforschen hat und wozu.

4Ganz

ähnlich verhält es sich mit der Jahrhunderte währenden ‚Eroberung der Autonomie‘ durch die Kunst, vgl. Bourdieu (2001, S. 83 ff.).

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4.3.1 Autonomie und Funktion von Wissenschaft Sicher ist diese Darstellung leicht idealisierend. Doch sollte deutlich werden, dass das Wissenschaftssystem eine ganz eigene Rationalität und Radikalität beansprucht (Luhmann 1981a). Bei hinreichender Generalisierung trifft dies übrigens für viele andere Teilbereiche der modernen Gesellschaft auch zu (Luhmann 1997). Lässt man diese Form der Respezifikation so gelten, ist das Wissenschaftssystem nicht substituierbar: Es kann durch keine systemfremden Prozesse und Strukturen ersetzt werden, und kommt es auch nur zu partiellen Substitutionsinitiativen, tangiert dies relativ schnell die Autonomie, Effizienz und Effektivität dieses Systems. Wobei jede Intervention von außen die Autonomie jedes Systems stört und es irgendwann sogar zerstört, wird ein solcher externer Eingriff zu weit getrieben.5 Die zentrale Funktion von Wissenschaft kann darin gesehen werden, alles auf die Karte ‚Erkenntnisgewinn‘ zu setzen, unter systematischer, ja legaler und legitimierter Missachtung zahlreicher Gepflogenheiten, die in der gesellschaftlichen Umwelt des Wissenschaftssystems allergrößte Achtung genießen mögen (Luhmann 1981a). Mit Max Weber (1985) gesprochen: Es gilt die absolute Pflicht, die Wahrheit zu suchen, rücksichtslos gegenüber sonstigen Belangen. Wobei sich diese Rücksichtslosigkeit auch gegen sie selbst kehrt, axiomatisch formuliert: Eine Wahrheit gilt nur so lange, bis sie falsifiziert wird (Popper 1935). Nichts hat demnach Bestand, solange es sich nicht im wissenschaftlichen Streit behaupten hat, und dies auch nur bis zur nächsten Auseinandersetzung. Skepsis ist kein Laster, Kritik sogar eine Tugend (Brandt 2011). Nur so kann möglichst viel Komplexität im System Beachtung finden und dazu beitragen, „die Welt für die Gesellschaft offen zu halten.“ (Luhmann 1970, S. 235) Hierfür haben sich im Wissenschaftssystem ganz besondere Normen entwickelt. Diese sind nach Robert K. Merton (1973, S. 267 ff.) Universalismus, organisierter Skeptizismus, Freigebigkeit bzw. Teilebereitschaft sowie Desinteressiertheit (Storer 1966, S. 76 ff.). Universalismus meint, dass eine wissenschaftliche Wahrheit globale Geltung verdient, ungeachtet regional unterschiedlicher Weltanschauungen: Was wahr ist, ist weltweit für alle gleichermaßen wahr. ‚Alternative‘ Wahrheiten gibt es demnach nicht. Organisierter Skeptizismus bedeutet, dass jeder einzelne Forscher prinzipiell misstrauisch sein sollte gegenüber dem, was Kollegen als Wahrheit behaupten. Jedes Forschers Verantwortung geht dahin, jedem Kollegen überaus kritisch zu begegnen. Freigebigkeit bzw. Teilebereitschaft zielen darauf, dass sich alle Forscher einer großen Gemeinschaft zugehörig fühlen sollen, die alles Wissen einander mitteilt und alle Forschung miteinander teilt. Privatbesitz von Wahrheit gibt es sozusagen nicht, nach Merton (1973,

5Freilich

droht auch von innen Gefahr, etwa bei Forschung und Lehre, Stichwort Gefälschte Forschung, Kollegendienste bei Gutachtertätigkeiten (peer reviews, Forschungsanträge) oder die Vertretung der eigenen Lehre durch Dritte, was häufig an Korruption bzw. Nepotismus grenzt, vgl. Suttmeier (1985); Pascal (1991); Rani (2005); Raman (2007); Colquhoun (2011).

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

97

S. 273) eine explizit kommunistische Perspektive.6 Und Desinteressiertheit bezieht sich darauf, dass kein Forscher aus wissenschaftsfremden Motiven heraus Forschung betreiben sollte. Vielmehr sind Wissenschaftler rein intrinsisch motiviert; alles dreht sich um Forschung der Forschung wegen. Anders formuliert: Angestrebt wird völlige Unbestechlichkeit und Unverführbarkeit, fast schon eine monastische Motivlage.7 Und der Selbstanspruch lautet Elite und Exzellenz: Wissenschaft betreiben nur die Besten der Besten. Leistung wird groß geschrieben. Doch auch diese Sicht der Verhältnisse dürfte idealisierend sein (Ben-David 1975; Bourdieu 1975).8 Freilich handelt es sich zuvorderst um Normen, nicht zwingend auch um Realitäten.

4.3.2 Fächer, Institute, Wissenschaftsdisziplinen Wendet man sich damit den spezifischen Disziplinen im Wissenschaftssystem zu, wird man mit einer enorm großen Diversität von Forschungsfeldern und Fächerkulturen konfrontiert (Clark 1983). Schaut man nur einmal auf die eigene Alma Mater, in meinem Falle die TU Berlin, so hat man es mit sieben Fakultäten zu tun, die folgende Institute bzw. Zentren verwalten. Die Fakultät I für Geistes- und Bildungswissenschaften beherbergt das Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte, das Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, das Institut für Erziehungswissenschaft, das Institut für Sprache und Kommunikation, das Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre, das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung und das Zentrum für Antisemitismusforschung. Die Fakultät II für Mathematik und Naturwissenschaften umfasst das Institut für Mathematik, das Institut für Chemie, das Physikalische Institut, das Institut für Festkörperphysik, das Institut für Optik und Atomare Physik, das Institut für Theoretische Physik und das Zentrum für Astronomie und Astrophysik. Die Fakultät III für Prozesswissenschaften verwaltet das Institut für Energietechnik, das Institut für Prozess- und Verfahrenstechnik, das Institut für Technischen Umweltschutz, das Institut für Werkstoffwissenschaften und -technologien, das Institut für Biotechnologie und das Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie. Die Fakultät IV für Elektrotechnik und Informatik umfasst das Institut für Energieund Automatisierungstechnik, das Institut für Hochfrequenz- und Halbleiter-Systemtechnologien, das Institut für Telekommunikationssysteme, das Institut für Technische 6Womöglich gibt es auch Verbindungen zur Allmende-Debatte, vgl. Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (2014). Allerdings betont Bourdieu (1975), dass das Konkurrenzdenken im Wissenschaftssystem einen sehr großen Stellenwert hat. 7Clark (1983, S. 95) hat in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „guild mentality“ verwendet. 8Schon Weber (1985, S. 585 ff.) gab zu erkennen, dass sich das universitäre Lehr- und Forschungspersonal mitnichten nur durch Exzellenz auszeichne, ähnlich Ben-David (1975).

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Informatik und Mikroelektronik, das Institut für Softwaretechnik und Theoretische Informatik und das Institut für Wirtschaftsinformatik und Quantitative Methoden. Die Fakultät V für Verkehrs- und Maschinensysteme besteht aus dem Institut für Mechanik, dem Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik, dem Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft, dem Institut für Land- und Seeverkehr, dem Institut für Luft- und Raumfahrt, dem Institut für Maschinenkonstruktion und Systemtechnik und dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb. Die Fakultät VI für Planen Bauen Umwelt umfasst das Institut für Angewandte Geowissenschaften, das Institut für Architektur, das Institut für Bauingenieurwesen, das Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik, das Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, das Institut für Ökologie, das Institut für Soziologie und das Institut für Stadt- und Regionalplanung. Und die Fakultät VII für Wirtschaft und Management ist für das Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht, das Institut für Betriebswirtschaftslehre und das Institut für Technologie und Management zuständig. Jedes dieser Institute bzw. Zentren gründet mindestens auf einer eigenen Wissenschaftsdisziplin mit besonderen Theorien und Methoden, die jeweils eigenen Regeln und Routinen gehorchen (Clark 1983). So redundant diese Aufzählung auf den ersten Blick erscheinen mag: Man sieht sogleich, wie komplex auch nur eine einzige Universität strukturiert ist, was schon vorausblickend die Herausforderung vergegenwärtigt, wollte man eine derart komplexe Organisation als eine einzige Marke inszenieren.

4.3.3 Forschung, Lehre und Verwaltung Wendet man sich damit der internen Arbeitsteilung akademischer Organisationen zu, trifft man in der Regel auf drei Säulen: Forschung, Lehre und Verwaltung. Alle drei Bereiche sind von besonderen Handlungsmaximen geprägt, stellen eigene Organisationskulturen dar und operieren mit je spezifischem Personal, das ganz unterschiedliche Anforderungen bewältigen muss und sehr kontextspezifische Interessenlagen und Kompetenzen aufweist (Kotler und Fox 1995, S. 12 ff.). „Professional areas of research, teaching and service also develop subcultures of their own that reflect the different technologies and work patterns of their respective occupations and partake of the values and norms of these extended fields.“ (Clark 1983, S. 79) So geht es in der Forschung um die Kernkompetenz ‚Erkenntnisgewinn‘, wobei hier nochmals zu unterscheiden ist zwischen Grundlagen-, Anwendungs- und Auftragsforschung. Wenn in diesem Zusammenhang von Reputation die Rede ist, sind damit der gute Ruf und das exzellente Forschungsprofil von Universitäten, Instituten oder auch einzelnen Wissenschaftlern gemeint, die sich über die Quantität und Qualität von Publikationen, (Nobel-)Preise sowie die Anzahl und Förderhöhen von Drittmittelprojekten errechnen, ein Vorgang, welchen die Koryphäen und Experten in erster Linie unter sich

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

99

ausmachen, rein systemimmanent und hochgradig selbstreferenziell (Bourdieu 1975; Luhmann 1970, 1981a, 1990).9 Bei der Lehre geht es hingegen um eine Schnittstelle mit der Umwelt des Wissenschaftssystems, nämlich berufsqualifizierende Aus- und Fortbildung von Studenten und Studentinnen, eine Aufgabenstellung, die primär dem Erziehungssystem zugerechnet wird. Nichtsdestotrotz sollten Forschung und Lehre idealiter in Personalunion bewältigt werden: Forscher geben ihr Wissen an Studenten weiter, so die Humboldt’sche Idee der Einheit von Forschung und Lehre (Ben-David 1972; Stichweh 2013). Realiter läuft der Lehrbetrieb allerdings oft anders ab. Und die Verwaltung, ein häufig vernachlässigter Bereich, operiert von außen gesehen zwar im Hintergrund. Für die inneren Abläufe von Forschung und Lehre kommt ihr jedoch ein kaum zu überschätzender Stellenwert zu, vor allem weil sämtliche Mittel- und Stellenzuweisungen nur unter Einbeziehung der Verwaltung wirksam und durch Fehlzeiten, Missverständnisse oder schlicht Untätigkeit erheblich blockiert werden können. Im Übrigen zeigt sich die Ebenbürtigkeit dieser drei Säulen indirekt auch an den Personalzahlen. So gehörten der TU Berlin (mit Datum 4. September 2017) insgesamt 11.464 Personen an (davon waren 3108 über Drittmittelprojekte beschäftigt). Hiervon waren 409 regulär beschäftigte bzw. verbeamtete Professorinnen und Professoren, inkl. 24 Juniorprofessorinnen und -professoren (davon 64 drittmittelfinanziert), außerdem 78 emeritierte bzw. pensionierte Professoren und Professorinnen. Überdies gab es 54 Gastprofessoren und -professorinnen (davon 13 drittmittelfinanziert), 81 Honorarprofessoren und -professorinnen, 69 außerplanmäßige Professoren und Professorinnen und 179 Privatdozenten und -dozentinnen. Dies macht 7,58 %. Im Mittelbau waren 4417 wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt (davon 1706 drittmittelfinanziert). Das sind 38,52 % der Gesamtbelegschaft. Demgegenüber gab es 3337 Beschäftigte in der Verwaltung, den Bibliotheken, Werkstätten und Zentraleinrichtungen (davon 253 drittmittelfinanziert) sowie 126 Auszubildende, die in erster Linie der Verwaltung zugeschlagen werden können, das sind zusammen 30,20 %. Schließlich gibt es noch 3684 studentische Hilfskräfte (davon 1072 drittmittelfinanziert), die in hohem Maße für die Lehre eingesetzt wurden. Das macht 32,13 % (vgl. Abb. 4.2). Auch dies spiegelt eine recht heterogene Personalsituation wider, man denke nur an die beträchtlichen Unterscheide zwischen sicheren und prekären Beschäftigungsverhältnissen und Karrierewegen, woraus sich höchst unterschiedliche Bindungskräfte, Erwartungshaltungen und Identifikationsbereitschaften ableiten lassen.

9Vergleichbar

ist diese innerwissenschaftliche Beobachtung und Reputationsermittlung der Forscher untereinander mit der Esoterik des Kunstsystems, wie Bourdieu (2001, S. 187 ff.) sie beschrieben hat.

100

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Abb. 4.2   Personalschlüssel der TU Berlin Ende 2017. (Quelle: Eigene Darstellung)

TU Berlin

Professoren

Mittelbau

Hilfskräfte

Verwaltung

4.3.4 Makro-, Meso- und Mikroebenen im Wissenschaftssystem Abschließend soll noch ein letzter Punkt angesprochen werden: die Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems nach Makro-, Meso- und Mikroaspekten (Baur et al. 2016). Auf der Makroebene hat man es mit den oben aufgeführten Wissenschaftsdisziplinen zu tun, die heutzutage überwiegend global orientiert sind, am besten an den Fachjournalen oder Weltkonferenzen beobachtbar. Auf der Mesoebene trifft man auf Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstitute, Akademien, An-Institute, Forschungsprojekte und -netzwerke vielfältigster Ausprägung, die von großer Unübersichtlichkeit gezeichnet sind (Hasse 1996; Kotler und Fax 1995, S. 12 ff.; Besio 2012; Huber 2012). Wobei Akteursstatus und Formalität dieses Organisationstypus eher heikel erscheinen (Krücken und Meier 2006). Schon Clark (1983, S. 69) wählte die Metapher „The Loose Web of Academic Organization“. Zugleich wird das Organisationsfeld des Wissenschaftssystems national wie global von einer strengen Hierarchie geprägt, mit Exzellenzuniversitäten ganz oben, reinen Ausbildungsstätten und Berufsschulen ganz unten (‚league tables‘). Und auf der Mikroebene hat man es mit einzelnen Forschern, Dozentinnen, Verwaltungsmitarbeiterinnen, Studenten und Studentinnen sowie sonstigem Personal zu tun, die sich fortlaufend im Forschungs-, Lehr- und Verwaltungsbetrieb begegnen und die Mikropolitik des Wissenschaftssystems ausmachen. Auch hier trifft man auf eine enorme Komplexität und Reibung, die viel Aufmerksamkeit, Geld und Zeit verschlingen (Kotler und Fox 1995, S. 20 ff.). Schaut man nur einmal auf das Organigramm der TU Berlin, wird sofort ersichtlich, wie viele Ämter, Einrichtungen, Gremien, Leistungsebenen es allein in einer einzigen Universität gibt (Abb. 4.3). Dabei ist die innerorganisationale Hierarchie eher schwach ausgeprägt, nicht nur weil es die Besonderheit der Selbstverwaltung im Bereich von Forschung und Lehre gibt, sondern weil die Subkulturen von Forschung, Lehre und Verwaltung eine ungewöhnlich hohe Selbstabschottung („encapsulation“) ermöglichen, die von außen nur schwer zu durchbrechen ist (Clark 1983, S. 91). „The symbolic side of academic organization

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

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Abb. 4.3   Organigramm der TU Berlin

c­ learly exhibits disintegration. Academic people divide ideationally as well as structurally: it cannot be otherwise“ (Clark 1983, S. 102).

4.3.5 Hyperkomplexe Wissenschaft Mit Blick auf die Hinwendung der Markenforschung Richtung Wissenschaft kann zusammengefasst werden: Man hat es mit einem hochautonomen sozialen System zu tun, das aus einem komplexen Sammelsurium von Dienstleistungen besteht, die drei höchst unterschiedliche Aufgabenstellungen wahrnehmen, nämlich Forschung, Lehre und Verwaltung, die jeweils ganz eigenen Regeln und Routinen gehorchen. Wissenschaft geschieht zudem auf drei Ebenen gleichzeitig: auf der Makroebene als Kommunikation geprüften Wissens durch mehrere, höchst unterschiedliche, relativ autonom agierende Wissenschaftsdisziplinen, die jede für sich so komplex sind, dass sie sich schon untereinander kaum mehr verstehen, geschweige denn gegenüber der Gesellschaft verständlich machen können (Luhmann 1981b); auf der Mesoebene in Form eines Geflechts sehr unterschiedlicher Organisationstypen, ob Universität, Fachhochschule, Forschungsinstitut, Akademie, An-Institut usw., die organisationsintern nochmals hoch differenziert sind (z. B. Präsidium, Fakultäten, Institute, Professuren, Mittelbau, ASTA usw.); und auf der Mikroebene im Labor, im Feld, bei einer Konferenz oder im Lehnsessel, soweit es Forschung betrifft, oder im Falle der Lehre im Hörsaal, im Seminarraum, ebenfalls im

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Labor oder in der Bibliothek – während für die Verwaltung entsprechende Prozesse noch am ehesten bekannten Bürokratiestandards genügen dürften. (Was nicht darüber hinweg täuschen sollte: Auch die Wissenschaftsverwaltung hat ihre Tücken.)

4.4 Wissenschaft als Marke: Forschungsstände und Fallstudien Die Betrachtung von Wissenschaft aus der Perspektive von Marketing und Branding kann bis in die 1980er Jahre zurückverfolgt werden und hat ihren Ursprung in Nordamerika (Kotler und Fox 1995, erste Auflage von 1985). Denn dort waren die ‚Higher Education Institutions‘ (HEIs) schon bei ihrer Entstehung einem viel höheren Wettbewerbsdruck ausgesetzt, nicht zuletzt bei der Forschungsmittelakquise (Ben-David 1972).10 Als dann viele Bundesregierungen in den USA ab den 1980er Jahren begannen, ihre Zuschüsse stark zu kürzen, sah sich ein Großteil der Universitäten und Colleges gezwungen, beträchtliche Studiengebühren einzuführen und proaktiv um Studenten und Studentinnen zu werben, nicht selten aus dem Ausland (Jarvis 2000; Gray et al. 2003; Hemsley-Brown und Goonawardana 2007; de Heer und Tando-Offing 2015). Dies wirkte nicht nur auf Universitäten in anderen Weltregionen vorbildlich, sondern löste einen globalen Wettbewerbsdruck aus, dem zu entziehen immer schwieriger fällt. Inzwischen wird sogar von der ‚Marketisation of Higher Education‘ (Molesworth et al. 2011; Nedbalová et al. 2014; Mampaey et al. 2015) gesprochen, mitunter kommt selbst die Bezeichnung ‚higher education industry‘ vor (Lowrie 2007; Ng und Forbes 2009; Goi et al. 2014).11 Organisationssoziologisch betrachtet handelt es sich übrigens um einen Isomorphismuseffekt (Schofer und Meyer 2005; Frank und Meyer 2007; Drori et al. 2013; Mampaey et al. 2015; Hüther und Krücken 2016).

4.4.1 ‚Science as Service‘ und ‚Higher Education Branding‘ Im Zuge dieser Entwicklung entstand eine Subdisziplin des Marketing, die sich auf Universitäten und verwandte Forschungseinrichtungen spezialisierte, selbst wenn mitunter von ‚Wissenschaftsmarketing‘ in einem sehr globalen Sinne die Rede ist (Merten 2009). Hinter dieser Entwicklung steht die selbstbewusste These von Philip Kotler und Sidney J. Levy (1969), Marketing könne grundsätzlich auf alles Anwendung finden (McKenna 1991). Die entsprechende Forschungslage stellt sich relativ systematisch dar und ist 10Schon

Weber (1985, S. 606) kommentierte diese kommerzielle Haltung gegenüber Bildung in der Beschreibung eines Studenten, ohne dies klar als Karikatur auszuflaggen: „Der Lehrer, der ihm gegenübersteht, von dem hat er die Vorstellung: er verkauft mir seine Kenntnisse und Methoden für meines Vaters Geld, ganz ebenso wie die Gemüsefrau meiner Mutter den Kohl.“ 11Vgl. hierzu auch Kaube 2010; Münch 2011.

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t­eilweise sogar beachtlich (Kotler und Fox 1995; Davis und Farrell 2016; Papadimitriou 2018). Dabei wurde das Thema ‚Wissenschaftsmarketing‘ vielen Universitäten ebenso aufgedrängt, wie sie es aktiv nachgefragt haben. Weitgehend unstrittig ist in diesem Zusammenhang, dass das Wissenschaftssystem und speziell Universitäten eine Fülle von Dienstleistungen anbieten. Daher wird übereinstimmend davon ausgegangen, ‚science as service‘ und insbesondere ‚the uniqueness of education as a service‘ konzipieren zu können (Voss et al. 2007; Heaney und Heaney 2008; Ivy 2008; Judson et al. 2008; Ng und Forbes 2009; Chapleo 2011, 2015; Mourad et al. 2010; Chapleo et al. 2011; Pinar et al. 2011; Iqbal et al. 2012; Nguyen et al. 2012; Dholakia und Acciardo 2014; Williams und Omar 2014a, b; Dorozhkin et al. 2016; Watt 2016). Entsprechende Annahmen des Dienstleistungsmarketing (vor allem die 7 Ps) und speziell zu Dienstleistungsmarken finden demzufolge ohne Umwege Anwendung hierauf (Ivy 2008) – obgleich sich nicht nur bei der Frage nach Produkt und Produktqualität, sondern mehr noch von Wissenschaftspersonal und Wissenschaftskunden, bleibt man in diesem Jargon, eine enorme Vielfalt auftut, die einheitlich zu managen kaum möglich sein dürfte.12 Gleichviel erweisen sich Anwendungstiefe und Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Übertragung des Dienstleistungsmarketing auf das Wissenschaftssystem als beachtlich (Mourad et al. 2010; Ng und Forbes 2009; Dholakia und Acciardo 2014; Khanna et al. 2014). Obgleich Wissenschaft hyperkomplex ist, erfolgt die Übertragung bemerkenswert konzepttreu und weitgehend nachvollziehbar (Kotler und Fox 1995). Anders schaut es aus, wenn es um den Versuch geht, nicht bloß Marketing, sondern Branding in das Wissenschaftssystem einzuführen. Immerhin gab das Journal of Marketing for Higher Education 2014 ein Sonderheft zum Thema ‚Branding in Higher Education‘ heraus, und 2016 folgte ein weiteres Sonderheft des Journal of Business Research zum Themenfeld ‚Exploring Brand Identity, Meaning, Image, and Reputation (MIMIR) in Higher Education‘. Zahlenmäßig dominieren hierbei Beiträge zum Branding von Universitäten zwecks Studentengewinnung, während andere Themenfelder deutlich seltener untersucht werden, weshalb hier auch von Forschungsständen gesprochen wird. So gibt es wie beim Wissenschaftsmarketing – bezogen auf die Mikro-Meso-MakroUnterscheidung – einen klaren Schwerpunkt im Mesobereich, also bei der Inszenierung

12Nach Beaty et al. (2005) gibt es mindestens vier Orientierungen zu studieren: ‚academic orientation‘, bei der eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb angestrebt wird, ‚vocational orientation‘, bei der die Berufsaussichten im Vordergrund stehen, ‚personal orientation‘, für die es um die Selbstentfaltung der Persönlichkeit geht, und ‚social orientation‘, wo das soziale Leben am Campus entscheidend ist. Allein diese gravierenden Unterschiede werfen die Frage auf, wo bei der Markenbildung einer beliebigen Universität der Schwerpunkt hingelegt werden soll. Allerdings meinte schon Clark (1983, S. 87): „But four types are not enough in such a heterogeneous system, since among 10 million students there are widely varying ways of being academic, from premature Don to passive grade-grubber; or of being nonconformist, from radical activist to member of a religious sect.” Dabei bezog sich Clark nochmals auf eine ältere Vierertypologie studentischer Orientierungen.

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von Wissenschaftsorganisationen als Marken, während Makro- und Mikrobereich demgegenüber kaum ins Gewicht fallen (Abschn. 4.4.2). An zweiter Stelle und damit eng verbunden – bezogen auf die Unterscheidung Forschung, Lehre und Verwaltung – konzentriert sich die Forschung auf den Bereich der Lehre, während Forschung und noch mehr Verwaltung unter Markenaspekten nur sehr selten thematisiert werden (Abschn. 4.4.3). Trotz dieser Forschungsschwerpunkte sind die Forschungsstände – angesichts der Komplexität des Wissenschaftssystems, sofern man sich nicht nur mit Äußerlichkeiten begnügt – insgesamt unzureichend. Die Evaluation dessen, was bislang in Sachen Wissenschaftsbranding unternommen wurde, fällt daher sehr durchwachsen aus, zumal es erhebliche Widerstände gibt (Abschn. 4.4.4).

4.4.2 Vor allem Universitäten In der Forschungsliteratur des Wissenschaftsbranding stehen vor allem Universitäten im Fokus der Aufmerksamkeit (Kaube 2013; Wetzel 2013). Mit großem Abstand befassen sich die meisten Publikationen mit dem Fragenkomplex, wie Universitäten zu Marken werden können, welche Maßnahmen dafür zu ergreifen sind, welche Vorbilder wie Harvard oder Oxford es schon gibt und was man von ihnen lernen kann (Chapleo 2005, 2008, 2010; Aspara et al. 2014). „At the top are a handful of world-class universities whose credentials serve as a kind of guarantor and gold-standard for a whole currency of excellence.“ (Wernick 2006, S. 567) Daneben richtet sich das Interesse auf Business Schools und MBA-Studiengänge (Argenti 2000; Gopalan et al. 2006, 2008; Balmer et al. 2010; Naidoo et al. 2014; Adam 2016). Der Grund für das Interesse an diesen beiden Wissenschaftsorganisationstypen ist offensichtlich: Universitäten und Business Schools sind funktional äquivalente Bezugsgrößen gegenüber Konzernen und Unternehmen, wenn es ums Wissenschaftsbranding geht. Denn wie bei Dienstleistungsmarken vorherrschend, werden systematisch Organisationen in der Vordergrund gerückt und entsprechend inszeniert, da einzelne Dienstleistungen aufgrund ihrer Immaterialität/Intangibilität kaum in Erscheinung treten können (Chapleo 2015). Deswegen rückt die jeweilige Organisation an deren Stelle und wird als Unitas Multiplex beworben, gleichsam ein kommerzieller Leviathan, der eine vermeintliche Einheit vortäuscht. Die Marken-Modelle, die dabei zur Anwendung kommen, sind an Vielfalt kaum zu übertreffen. Sämtliche Konzeptideen aus den letzten 20 Jahren werden hierfür herangezogen. In der Regel handelt es sich aber um relativ oberflächlich-standardisierte Adaptionen, ohne auch nur annäherungsweise zu berücksichtigen, wie hyperkomplex – Stichwort TU Berlin – allein eine einzige Universität schon ist (Brockhoff 2008; Bock et al. 2014; Cecan 2014; Balaji et al. 2016; Dennis et al. 2016; Kalafatis et al. 2016). Dementsprechend rasch stellen sich Bestätigungs- und Machbarkeitseffekte ein, da radikale Reduktion von Komplexität betrieben wird. Bezweifelt werden soll dabei keineswegs, dass sich bei einer Vielzahl von Ansatzpunkten Branding-Maßnahmen empfehlen mögen (Gray et al. 2003; Temple 2006; Bélanger et al. 2007; Hemsley-Brown und

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­Goonawardana 2007; Bennett und Ali-Choudhury 2009; Clark et al. 2009; Judson et al. 2008; Whisman 2009; Fetscherin und Mamier 2010; Pinar et al. 2011; Clayton et al. 2012; Williams et al. 2012; Drori et al. 2013; Bock et al. 2014; Dholakia und Acciardo 2014; Goi et al. 2014; Idris und Whitfield 2014; Khanna et al. 2014; Balaji et al. 2016; Dean et al. 2016; Dennis et al. 2016; Rauschnabel et al. 2016; Wilson und Elliot 2016; Yuan et al. 2016). Inwieweit diese verstreuten Eingriffe und Vereinheitlichungsmaßnahmen allerdings zum Aufbau einer echten Marke beitragen, sieht man von den alles überstrahlenden ‚best practices‘ wie Harvard, Oxford, Stanford usw. einmal ab, bleibt in der Regel unbeleuchtet (Drori et al. 2013). Neben der Mesoebene gibt es auf der Mikroebene bisweilen Beiträge, die sich mit der Markenbildung im Falle einzelner Wissenschaftler beschäftigen (Hellmann 2012; Kalb 2013; Idris und Whitfield 2014; Jillapalli und Jillpalli 2014; Adamec 2016). Symptomatisch hierfür ist etwa das Ranking ‚Deutschlands einflussreichste Ökonomen‘, das die Frankfurter Allgemeine Zeitung ermitteln lässt.13 Hier werden einzelne Personen dahingehend bewertet, wie groß ihre außerwissenschaftliche Einflußstärke ist, wobei es kein Zufall sein dürfte, dass es sich gerade um Ökonomen handelt. Außerdem sei an die Fields Medaille, die Leibniz- oder Nobelpreise erinnert, die ebenfalls darauf ausgelegt sind, einzelne, sehr verdiente Wissenschaftler zu feiern, was nicht nur eine besondere Ehre darstellt, sondern auch ökonomisch folgenreich sein dürfte. Allerdings antwortet etwa der Biologe Mark Benecke auf die Frage „Gibt es den Wissenschaftler Mark Benecke als Marke?“ genau so, wie man es von einem orthodoxen Wissenschaftler erwartet: „Falls ja, dann hat sich das eigentlich eher durch Zufall ergeben. Wenn man den Kram macht, den man wirklich gerne macht, und dabei nicht auf die Marke achtet – dann funktioniert das.“ (Benecke 2012, S. 68) Denn für Benecke ist klar: Im Vordergrund steht die intrinsisch motivierte Forscherhaltung, nicht der Wunsch nach Eigenmarketing, ganz im Sinne von Mertons Desinteressiertheitsnorm – so wenigstens die Selbstdarstellung von Mark Benecke. Schwenkt man den Blick damit noch kurz auf die Makroebene, sind kaum Bemühungen erkennbar, das Wissenschaftssystem als solches zur Marke auszubilden. Interessant wäre allerdings, wiederkehrende Versuche, sogenannte ‚Leitwissenschaften‘ zu küren, dahingehend zu untersuchen.14 So finden sich 1998 ein Beitrag, der die Physik als Leitwissenschaft ausruft, und ein weiterer, der im gleichen Jahr für die Biologie plädiert. 2004 erscheint wiederum ein Artikel, der von der Hirnforschung als neuer Leitwissenschaft spricht, und 2017 einer, der diesbezüglich die Soziologie wieder in Stellung bringen möchte. Allerdings spricht die „Vergänglichkeit der Leitwissenschaften“,

13Vgl.

den Artikel ‚Clemens Fuest an der Spitze der Ökonomen‘ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. September 2017, Nr. 204, S. 19. 14Überlegenswert wäre auch, die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen nach Georg Simmel (1929) zu untersuchen, durch welche ein spezifischer Bedarf für Markenbildung befördert werden könnte, vgl. Hellmann 2012.

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wie Rusterholz und Meyer (2009) dies genannt haben, auch wieder dagegen, dass es sich tatsächlich um Marken handelt, und es empfiehlt sich wohl eher, von Moden statt Marken zu sprechen. Ohne das hier endgültig entscheiden zu können, soll damit lediglich angedeutet werden, dass es sogar auf der Makroebene des Wissenschaftssystems geeignete Kandidaten für eine entsprechende Markenbildung geben könnte.

4.4.3 Vor allem die Lehre Neben der Konzentration auf Wissenschaftsorganisationen gibt es einen weiteren Forschungsschwerpunkt, der auf dem ‚Higher Education Branding‘ liegt. Untersucht wird gezielt die Lehre vom Standpunkt der Studierenden. Insbesondere geht es um Studentenakquise, oder im Marketingjargon artikuliert: um Kundengewinnungs-, Kundenbindungs- und Kundenzufriedenheitsmaßnahmen (Veloutsou et al. 2004; M ­ cAlexander et al. 2005; Bélanger et al. 2007; Furey et al. 2014; Naidoo und Hollebeek 2016; Rutter et al. 2016).15 Ausgangspunkt ist die für zunehmend mehr Universitäten und andere akademische Lehreinrichtungen bestehende Notwendigkeit, zahlungsbereite und -kräftige Studenten und Studentinnen für sich zu interessieren und an den jeweiligen Lehrbetrieb zu binden (Hemsley-Brown und Goonawardana 2007; Bennett und Ali-Choudhury 2009; Tas und Ergin 2012; Palmer et al. 2016). Dafür ist entscheidend, den eigenen Lehrbetrieb möglichst attraktiv auszurichten, um den Erwartungen zukünftiger oder wechselbereiter Studierender im internationalen Vergleich möglichst weitgehend zu entsprechen (­Bunzel 2007; Valtere 2012; Tobolowsky und Lowery 2014). Denn heutzutage stehen gerade größere Wissenschaftsorganisationen zwangsläufig in einem zunehmend härter werdenden internationalen Wettbewerb miteinander, nicht viel anders als man dies aus der Wirtschaft längst kennt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich ein Hauptteil der Forschung betreffs Wissenschaftsbranding mit solchen Rekrutierungsfragen, die durch entsprechende Branding-Maßnahmen optimal beantwortet werden sollen (Iqbal et al. 2012; Watkins und Gonzenbach 2013; Gai et al. 2016; Naidoo und Hollebeek 2016). Demgegenüber gibt es kaum Studien, welche die reine Forschung selber zum Gegenstand erklären und hierauf bezogene Branding-Maßnahmen diskutieren. Zumeist taucht dieser Aspekt nur beiläufig auf (Gray et al. 2003; Veloutsou et al. 2004; Whisman 2009; Chapleo et al. 2011; Dholakia und Acciardo 2014; Mampaey et al. 2015).16 Offenbar ist

15Eine

sehr frühe Studie hierzu stammt von Chapman (1975) – und womöglich ist es kein Zufall, dass im gleichen Jahr die ‚Student-as-Consumer‘-Debatte ihren Anfang nahm, vgl. Grush und Costin (1975). 16Symptomatisch für diese Beiläufigkeit ist, dass man sich mit Schlagworten wie Excellence, Quality oder Reputation begnügt, ohne je den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort nachzugehen. Hier handelt es sich um kaum mehr denn überaus oberflächliche Einstellungsforschung.

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damit kein Blumentopf zu gewinnen. Und so gut wie keinerlei Äußerungen gibt es zur Wissenschaftsverwaltung, obgleich doch gerade die Verwaltung für die (Un)Zufriedenheit von Studierenden einen kaum zu überschätzenden Beitrag leistet. Nur versteckt gibt es hier und da vereinzelte Aussagen zur Relevanz der Verwaltung, etwa wenn ‚people‘ (bzw. ‚management‘, ‚staff‘) oder ‚processes‘ angesprochen werden (Judson et al. 2008; Mourad et al. 2010; Chapleo et al. 2011; Dholakia und Acciardo 2014; Plewa et al. 2016). Aber dies sind absolute Ausnahmen, Verwaltung erscheint insgesamt völlig irrelevant zu sein – sicher eine Fehleinschätzung, wer den Wissenschaftsbetrieb von innen kennt.

4.4.4 Wettbewerb und Widerstand Wie schon angesprochen, stehen Wissenschaftsorganisationen, vor allem jene mit Lehrbetrieb, verstärkt unter Wettbewerbsdruck. Sei es die Akquise von Forschungsmitteln, sei es die Rekrutierung von Studierenden betreffend: In beiden Hinsichten müssen Wissenschaftsorganisationen ungleich stärker als je zuvor ihre Außendarstellung optimieren, Eigenmarketing betreiben und sich zu Marken veredeln, so die vorherrschende Erwartung in Theorie wie Praxis. Doch die Realität des Wissenschaftsbetriebs fügt sich dieser Erwartung nur widerspenstig. Dies hat wesentlich mit seiner Komplexität zu tun. Vergegenwärtigt man sich nur einmal die Grafik von Kotler und Fox (1995), wird sofort ersichtlich, wie facettenreich und vielschichtig allein schon eine einzige Universität, wie im Falle der TU-Berlin angedeutet, strukturiert ist und funktioniert (Abb. 4.4). Ob man nun die verschiedenen Fächer, Fakultäten, Institute und ihre überaus heterogenen Organisationskulturen in Betracht zieht, die große Unterschiede aufweisen,17 oder sich den nicht minder gravierenden Unterschieden zwischen Forschung, Lehre und Verwaltung widmet, von den heterodoxen Erwartungen einer Vielzahl externer Anspruchsbzw. Bezugsgruppen (‚stakeholders‘) ganz zu schweigen, dürfte der Versuch, eine in sich stimmige Markenkommunikation, welche die Gesamtheit einer Universität als aufeinander vollständig abgestimmte, widerspruchsfreie Einheit zahlloser Elemente erscheinen lassen soll, über Jahre aufzubauen und durchzuhalten, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Diese Erwartung ist völlig unrealistisch (Chapleo 2005). Selbst bei den Top-Universitäten dürfte diese Ansatz nicht greifen, weil so viel Komplexität schlicht nicht kontrollierbar ist (Wæraas und Solbakk 2009; Williams und Omar 2014a, b; Chapleo et al 2011; Chapleo 2015). Beim Wissenschaftsmarketing gibt es zwar höhere Freiheitsgrade, die relevanten Elemente verhalten sich also ein Stück weit independenter zueinander. Aber beim Wissenschaftsbranding, das oftmals auf maximale

17Whisman (2009, S. 368) spricht von „silo culture“, welche die jeweiligen Bereiche für sich entwickeln.

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Local Community

Foundations Alumni

Business Community

Legislaturs and Government Agencies

General Public Mass Media

University

Suppliers

Prospective Students

Competitors Accredition Organizations

Trustees/ Regents

Current Students

Administration and Staff Faculty

Parents of Students

Abb. 4.4   Die Universität und ihre Publika. (Quelle: Kotler und Fox 1995, S. 20)

Interdependenzen aller Elemente setzt, wie oben ausgeführt, ist man zu ungleich mehr Bescheidenheit und Demut genötigt. Andernfalls gleitet ein solches Bemühen in blanken Sarkasmus ab, wie man an George Ritzers Behandlung dieses Bemühens ablesen kann (Ritzer 1996). Besonderer Widerstand geht dabei von den Forschern und Wissenschaftlern aus, weil diese sich überwiegend noch dem Ethos des Wissenschaftssystems, d. h. Autonomie, Desinteressiertheit, Forschungsfreiheit verpflichtet fühlen. Wiederholt ist diese Verweigerungshaltung in einzelnen Studien sichtbar geworden (Chapleo 2008, 2011; Wæraas und Solbakk 2009; Drori et al. 2013; Naidoo et al. 2014; Williams und Omar 2014b). So kommentiert etwa Inge-Bert Täljedal (2013, S. 149): „As the typical academic sees it, and that includes myself, universities must honour truth as their supreme value. Literally nothing, not even undeniable utilitarian achievements, can justify the slightest compromise with honest truth-seeking in research and education. Whatever your theory of truth happens to be – one of correspondence or coherence, or whatever – truth is an indispensable regulatory idea, a sine qua non for universities.“ Anders formuliert, wird einer Instrumentalisierung der eigenen Person und Arbeit zugunsten der

4  Wissenschaft als Marke? Chancen und Risiken …

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Selbstvermarktung der Institution anhaltender Widerstand entgegengesetzt und diese Initiative nicht selten sogar aktiv boykottiert. Hinzukommt, dass sich manche Lehrende schwer tun damit, von Studierenden wie Dienstleister behandelt zu werden – Aussagen, die wiederholt in der ‚Student-as-Consumer‘-Debatte vorgebracht wurden (Grush und Costin 1975; Cheney et al. 1997; Newson 2004; Harris 2009; Maringe 2009; Tomlinson 2017; Bunce et al. 2017). Hier wirkt die klassische Annahme fort, dass Wissenschaftserziehung nicht weniger als Schulerziehung auf einer wohl begründeten kognitiven, wissensbasierten Asymmetrie beruht, die letztlich nur durch aktive Lernbereitschaft der Studierenden überwunden werden kann und nicht durch von zahlenden ‚higher education consumers‘ selbstgefällig eingeforderte Dienstbeflissenheit der Dozenten und Dozentinnen. Zugleich stellt sich auch aufseiten der Studierenden deren Motivlage sehr unübersichtlich dar (Beaty et al. 2005; Bélanger et al. 2007; Tas und Ergin 2012; Gai et al. 2016). Von daher kann eine Dachmarkenpolitik, wie sie zumeist angestrebt wird, immer nur einem Teilinteresse der internen wie externen Bezugsgruppen gerecht werden, während die meisten organisationsinternen Vorgänge (Anstellungsverfahren, Arbeitszeiten, Forschungsanträge, Gleichbehandlung, Immatrikulation, Lehrpraxis, Putzpersonal, Verwaltungszuständigkeiten usw.) besser gar nicht publik werden, weil häufig kontraproduktiv zu dem, was Markenpolitik eigentlich erreichen möchte: die Etablierung eines strahlenden Erfolgsimages des gesamten Wissenschaftsbetriebs ohne irgendwelche Schattenseiten. Ein solcher Anspruch baut nur Potemkinsche Dörfer. Sollte trotzdem an der Erwartung strikt festgehalten werden, die eigene Wissenschaftsinstitution mit einer spezifischen, passgenauen Dachmarkenpolitik zu bewerben, dürfte es sich daher empfehlen, die entsprechende Markenbildung lediglich auf solche Elemente der Außenkommunikation zu konzentrieren, die betriebsintern keinerlei echte Bindungswirkungen entfalten können. Damit wird einer Art Entkopplung zwischen Vorder- und Hinterbühne das Wort geredet, bei der beide Sphären möglichst unabhängig voneinander agieren und für sich autonom bleiben (Hellmann 2008). Oder man greift, allemal anspruchsvoller, einen Vorschlag von Nils Brunsson (1989) auf, der unter dem Titel ‚The Organization of Hypocrisy‘ bekannt geworden ist, und entkoppelt ‚talk‘, ‚decision‘ und ‚action‘, also PR, Gremienarbeit und Forschungs- wie Lehrpraxis, soweit voneinander, dass für jede dieser Sphären eine eigene Form der Dachmarkenpolitik konzipiert werden kann, damit es zu keinerlei eklatanten Widersprüchen in der betriebsbzw. systeminternen wie -externen, außerwissenschaftlichen Wahrnehmung kommt.18 Freilich erfordert dies eine Kunstfertigkeit sondergleichen, die angesichts des aktuellen Entwicklungsstandes vieler Wissenschaftsinstitutionen in Sachen Marketing und Branding gewiss noch lange eine Utopie bleiben wird.

18Chapleo

(2015, S. 8 f.) kommt dem ansatzweise entgegen, wenn er zwischen „primary communication“, welche den Wissenschaftsbetrieb betrifft, „secondary communication“, bei der es um Außenkommunikation eines Wissenschaftsbetriebs geht, und „tertiary communication“ unterscheidet, die mit dem „word of mouth reinforced by media and competitors“ zu tun hat.

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4.5 Hyperkomplexe Wissenschaft und unterkomplexes Branding: Zusammenfassung und Handlungsempfehlung Es ist unbestreitbar, dass das Wissenschaftssystem, womöglich stärker noch die Lehre als die Forschung betreffend, sich dem ökonomischen Erwartungsdruck stellen muss, der seit Jahrzehnten stetig größer wird. Schlicht bei der Idylle der Humboldt’schen Universitätsidee zu verharren, komme, was wolle, ist längst nicht mehr zeitgemäß. Insofern haben sich gerade die Wissenschaftsorganisationen und ihr Personal unausweichlich darauf einzustellen, dass sie sich in einem globalen ‚organizational field‘ (Hüther und Krücken 2016) bewegen, das von intensiver Konkurrenz um knappe Forschungsmittel und Studierende geprägt ist (Münch 2011). Vor diesem Hintergrund führt wohl kein Weg an mehr Marketing und Branding vorbei. Allerdings empfiehlt sich Besonnenheit bei der Implementierung solcher Maßnahmen. Wie deutlich geworden sein dürfte, handelt es sich beim Wissenschaftssystem um eine überaus komplexe, ‚loosely coupled‘ Gemengelage von Strukturen und Prozessen, die eine übergreifende organisationale Standardisierung, insbesondere beim internationalen Vergleich, an verschiedensten Stellen vermissen lässt. Man denke nur an die traditionell großen Unterschiede zwischen Deutschland, England, Frankreich und die USA (Ben-David 1971). Ohne Chance auf Standardisierung kann zwar Marketing betrieben werden. Eine ambitionierte Markenpolitik dürfte hingegen sehr schwer fallen, weil ständig irgendjemand – „it cannot be otherwise“ (Clark 1983, S. 102) – aus der Reihe tanzt, solange man es mit Wissenschaft zu tun hat. Der Widerstand gegen zu weit getriebene Standardisierung geht dabei vorrangig von den Forschern und Wissenschaftlern aus, deren „core competence“ in der Erzielung von Erkenntnisgewinn gesehen wird, weitestgehend befreit von externen Auflagen, möglichst absolut autonom, normativ hoch aufgeladen, unbestechlich, nicht korrumpierbar (Storer 1966). „Of all people, academics enshrine reason and free inquiry. Their favorite doctrines – freedom of research, teaching, and learning – are heavily individualistic“ (Clark 1983, S. 105). Eine forcierte Markenpolitik verlangt aber nicht zuletzt vom akademischen Personal erhebliche Zugeständnisse, Anpassungen, Entäußerungen, die für viele Betroffene unvereinbar sind mit dem wissenschaftlichen Ethos. Hier prallen zwei inkompatible Rationalitäten aufeinander, die wirtschaftliche und die wissenschaftliche, deren Eigenrechte bekannt sind und die dafür zu Recht Anerkennung verlangen, ­beiderseits. Angesichts dieser Lage erscheint es wenig aussichtsreich, irgendwelche Brandingstrategien beliebigen Wissenschaftsorganisationen pauschal überzustülpen und eine durchgängige Penetration bis in letzte Nischen voranzutreiben. Einer solchen Erwartungshaltung wird mit Michael J. Sandel (2012) entgegengehalten, dass die Macht des Marktes keine universale Geltung beanspruchen darf. Andernfalls droht das Wissenschaftssystem in seinem Innersten schweren Schaden zu nehmen (Münch 2011). Insofern kommt es darauf an, bei allem Überfluss an Konzepten, den die Markenforschung

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aktuell bereit hält, sich im Falle des Wissenschaftssystems überaus behutsam mit der Vermarktung und Markenbildung der eigenen Alma Mater zu befassen. Es ist eine Gratwanderung. Und im Zweifelsfalle sollte die Maxime gelten: weniger ist mehr.

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K.-U. Hellmann Prof. Dr. Kai-Uwe Hellmann,  Institut für Soziologie, TU Berlin. Studium der Philosophie und Politikwissenschaft in Hamburg, Tübingen, Frankfurt/M. und Berlin. Diplom 1989, Promotion 1995 und Habilitation 2003 in Soziologie. Forschungsschwerpunkt: Konsum- und Wirtschaftssoziologie. Ausgewählte Veröffentlichungen: Soziologie der Marke 2003; Fetische des Konsums 2011; Der Konsum der Gesellschaft 2013, 2019.

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Strategische Kommunikationsplanung in der Wissenschaft Chancen nutzen mit System Klaus Schmidbauer

Zusammenfassung

Wissenschaftsjahr, Lange Nacht der Wissenschaften, Barcamp, Lunch Lecture, Science Center, Science Slams, Science Blogs, Science-Media Center und vieles mehr. Das Kommunikationsengagement in Forschung und Lehre hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, zahlreiche neue Formate und Instrumente sind entstanden, starke Kampagnen und Aktionen wurden realisiert. Die Wissenschaftskommunikation ist aktiv wie nie. Zudem ist eine deutliche Professionalisierung der Kommunikationsaktivitäten zu beobachten. Die Auftritte können sich sehen lassen. Also ist alles bestens? Wozu dann dieser Beitrag? Weil ich es als problematisch empfinde, dass die Wissenschaft seit einiger Zeit eine steigende Kommunikationsflut erzeugt, die niemand mehr verarbeiten kann. Die Öffentlichkeit wird mit Formaten, Kampagnen und Aktionen überschüttet und beginnt, die Orientierung zu verlieren. Das zweite Problem hängt mit dem Ersten zusammen. Die meisten Institutionen planen Wissenschaftskommunikation fast ausschließlich auf der operativen Ebene. Da bestellt der Präsident die Kommunikationsleiterin zu sich und gibt Anweisung: „Ich habe schon lange nichts mehr von uns in den Fachmedien gelesen. Sie müssen dringend mehr Pressemitteilungen schreiben!“ Solchen Aufforderungen zum Handeln liegt ein gefährlicher Irrtum zugrunde. Die Verantwortlichen sind der Meinung, man könne seine Kommunikationsprobleme auf der operativen Maßnahmenebene lösen. Das wird nicht funktionieren, denn der operative Horizont ist zu kurz. Wirksame Kommunikation ist keine Frage der richtigen Maßnahmen, sondern der richtigen Strategie. Aber gerade an der Strategie mangelt es in der Wissenschaftskommunikation. K. Schmidbauer (*)  Strategische Kommunikationskonzepte, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_5

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Mein Beitrag setzt sich für eine konsequente strategische Planung der Wissenschaftskommunikation ein. Auch auf die Gefahr hin als Spielverderber zu gelten, fordere ich die Akteure auf: Verliert euch nicht länger auf der großen Spielwiese der Kommunikationsformate, sondern schaut von oben auf die Verhältnisse, plant mit Weitblick und konzentriert eure Kräfte.

5.1 Die Grundlagen der strategischen Kommunikationsplanung 5.1.1 Wissenschaftskommunikation eingrenzen Was ist Wissenschaftskommunikation? Der nachfolgende Text bezieht sich auf die strategische Planung der Wissenschaftskommunikation in den Institutionen von Forschung und Lehre. Der Bereich des Wissenschaftsjournalismus gehört nicht dazu. Er wird nur berührt, sofern es um die Kommunikation der Institutionen mit Journalisten und Medien geht. Institutionelle Wissenschaftskommunikation ist die Ansprache und Beziehungspflege der relevanten Stakeholder mit den Mitteln von Information, Dialog und Partizipation über alle Themen, die zur Wissenschaft gehören oder die Wissenschaft tangieren. Welche Bereiche gehören zur Wissenschaftskommunikation? Die Kommunikationsarbeit der wissenschaftlichen Institutionen sollte ganzheitlich aufgestellt werden und auf sechs instrumentellen Säulen gründen (vgl. Tab. 5.1): • Public Relations – Die Institutionen kommunizieren mit Medien und relevanten Öffentlichkeiten. Die Ansprache dient vorrangig zur Pflege von Image und Reputation und ist langfristig ausgerichtet. Zum Beispiel wird ein Journalistenworkshop organisiert oder die Anwohner am Standort werden mittels Rundbrief informiert. Tab. 5.1  Einsatzbereiche der Wissenschaftskommunikation Institutionelle Wissenschaftskommunikation Public Digital/Online Event/­ Werbung/­ ­Relations Veranstaltung Promotion Pressearbeit Öffentlichkeits-arbeit Publikationen Public Affairs Corporate Citizenship etc.

Website E-Mail Social Media Mobile Multimedia Augmented/ Virtual Reality etc.

Tagung & Kongress Ausstellung, Messe Slam, Barcamp Fest, Party Charity-Event etc.

Print-Werbung Funk- & TVWerbung Out of HomeMedia Direktwerbung Promotions etc.

Recruiting/ Employer Branding

Interne ­Kommunikation

Stellenanzeigen eRecruiting Social Recruiting Talent Relationship Brand ­Campaigning etc.

Intranet Rundbrief Mitarbeiterfest Schwarzes Brett Mitarbeiterzeitung Incentives etc.

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• Digital/Online – Die Institutionen kommunizieren virtuell mithilfe digitaler Kanäle. Die Ansprache kann online oder offline erfolgen. Zum Beispiel veröffentlichen einige Wissenschaftler der Institution einen Weblog oder interessierte Stakeholder werden über die neue Ausgrabungsstätte per VR-Brille ins Bild gesetzt. • Event/Aktion – Die Institutionen kommunizieren live und direkt mit ausgewählten Zielgruppen. Die Ansprache erfolgt im persönlichen Kontakt und hat den Charakter eines Ereignisses. Zum Beispiel lädt ein Forschungsinstitut zum Tag der offenen Tür oder eine Hochschule startet einen Fotowettbewerb für die Studierenden. • Werbung/Promotion – Die Institutionen kommunizieren mit werblichen Mitteln. Die Ansprache zielt auf Breitenwirkung und ist kurzfristig angelegt. Zum Beispiel wird für den Fotowettbewerb eine Anzeige im Studierendenmagazin geschaltet oder im Foyer der Hochschule ist ein Promo-Team unterwegs, das neugierig auf den Wettbewerb macht. • Recruiting/Employer Brand – Die Institutionen kommunizieren, um neue Fachkräfte zu bekommen und talentierte Forschende anzuziehen. Der Schwerpunkt liegt auf externer Kommunikation, die Arbeitgebermarke wirkt auch nach innen. Zum Beispiel nutzt eine Forschungsgemeinschaft die sozialen Medien, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Oder eine Online-Stellenanzeige wird mit einem Video verbunden, das den zukünftigen Arbeitsplatz vorstellt. • Interne Kommunikation – Die Institutionen kommunizieren mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Ansprache erfolgt gezielt und kontinuierlich. Zum Beispiel erhalten die Mitarbeitenden jeden Monat einen E-Mail-Newsletter oder die Belegschaft wird motiviert, sich im Rahmen einer Corporate Volunteering-Aktion an der Renovierung von Spielplätzen zu beteiligen. Die Kommunikationsbereiche stehen nicht isoliert, sondern sind eng mit einander verbunden, teilweise überschneiden sie sich sogar. Wissenschaftskommunikation versteht sich als „Teamplay“ der verschiedenen Bereiche. Zur grundlegenden Struktur der Wissenschaftskommunikation gehört außerdem die zielgruppenorientierte Unterscheidung in Science-to-Public und Science-to-Science. Die Wissenschaftskommunikation richtet sich zum einen an öffentliche Zielgruppen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Hier handelt es sich fast immer um „Non-­ Professionals“. Zum anderen kommunizieren die Institutionen mit den „Professionals“ in der internationalen Scientific-Community. Vorwissen, Einstellung und Kommunikationsinteresse der beiden Zielgruppenbereiche unterscheiden sich erheblich, sodass die Wissenschaftskommunikation fast durchgehend auf zwei Schienen läuft.

5.1.2 Strategische Kommunikationsplanung definieren Was bedeutet strategische Kommunikationsplanung? Die strategische Kommunikationsplanung steht für eine langfristige, systematische und kreative Planung aller zukünftigen Kommunikationsaktivitäten einer Institution mit dem Ziel, eine optimale

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kommunikationspolitische Problemlösung zu entwickeln. „Langfristig“ bedeutet, dass ein längerer Zeitraum ins Auge gefasst und planerisch beschrieben wird. Drei bis sieben Jahre sind realistisch. Ich kenne aber auch Fälle, da galten schon sechs Monate als langfristige Perspektive. „Systematisch“ definiert, dass in sich schlüssig und mit klar definierten Planungsmethoden vorgegangen wird. „Kreativ“ will sagen, dass wirksame Kommunikation immer eine Idee anders ist. „Alle zukünftigen Kommunikationsaktivitäten“ macht eine integrierte Lösung notwendig, alle Bereiche der modernen Kommunikation sind in die Planung einbezogen. „Eine optimale kommunikationspolitische Problemlösung“ legt fest, dass die tragenden Teile des kommunikativen Gebäudes und nicht die handwerklichen Details geplant werden. Das kommunikative Gebäude wiederum ist ein Zweckgebäude. Es steht im Dienste der Problemlösung. Die Kommunikationsplanung lässt unterschiedliche strategische Methoden und Modelle, Regeln und Instrumente zu, aber der elementare Ablauf der Planung ist Pflicht. Bei der strategischen Kommunikationsplanung geht es stets um einen Regelkreis, der aus vier großen Prozessschritten besteht: Analyse, Strategie, Operation und Kontrolle (vgl. Abb. 5.1). Zuerst nimmt die Analyse eine realistische Standortbestimmung vor. Auf Basis der Analyse werden dann die maßgeblichen Koordinaten des zukünftigen strategischen Kurses bestimmt. Die anschließende operative Planung richtet ihre Gestaltungsideen, Themen und Maßnahmen präzise an den strategischen Koordinaten aus und die Kontrolle überprüft alle Schritte, identifiziert Schwachstellen und Zukunftschancen, die dann wiederum im nächsten Durchgang der Analyse bewertet und eingeordnet werden. Die Strategie stellt die Achse der Planung dar, in der die wesentlichen Richtungsentscheidungen für die zukünftige Kommunikation fallen.

Abb. 5.1   Regelkreis der strategischen Kommunikationsplanung

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5.1.3 Strategische Kommunikationsplanung in der Wissenschaft Im Rahmen meiner konzeptionellen Beratungen hatte ich in den letzten Jahren Einblick in die Kommunikationsarbeit vieler Forschungseinrichtungen, Institute, Hochschulen, Stiftungen und Initiativen. Einige wissenschaftliche Institutionen leisten hervorragende Arbeit, wenn es um die strategische Planung ihrer Kommunikationsfunktion geht. In der großen Mehrzahl der Institutionen findet keine strategische Kommunikationsplanung statt. Dort prägt die Diskussion über Mittel und Maßnahmen, Events und Aktionen den Planungsalltag. Die Kommunikationsressorts vor Ort leisten eine hervorragende Arbeit, stecken bis zum Hals in den Aktivitäten und die Überstunden summieren sich, aber es geht fast ausnahmslos um konkrete Planungen und Durchführungsarbeiten für eine anstehende Tagung oder den nächsten Jahresbericht. In der Regel wird mit bewährten Routinen und festen Erfahrungswerten solide geplant. Wenn Ziele bestimmt, über Zielgruppen nachgedacht oder Botschaften formuliert werden, dann geschieht das als „Pflichtübung“, die schnell abgearbeitet wird, um dann wieder zum Wichtigen, nämlich zur Umsetzungsplanung der nächsten Maßnahme zurückzukehren. Man ist durchaus offen für neue Ideen und will etwas Neues ausprobieren. Aber wenn innovative Ideen ins Gespräch kommen, handelt es sich meist nicht um strategische Ideen, sondern um neue Maßnahmenvorschläge. Ich werde bei meinen Besuchen oft gefragt: „Was gibt es denn an neuen Maßnahmen? Was ist denn zurzeit angesagt?“ Das ist die falsche Frage, denn auf der Tiefebene der Maßnahmen lassen sich die anstehenden Probleme und Chancen nicht überblicken. Solange der strategische Horizont fehlt, kann jede Maßnahmenidee die Falsche sein. Was schreibt Schmidbauer denn da? Wie kommt er dazu? In Jahresberichten, Imagebroschüren, Reden, Vorträgen und Best Practise-Beispielen hört und liest man es ganz anders! Fast jede Institution betont in den offiziellen Darstellungen ihre strategische Herangehensweise. Meine Erfahrung ist, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Aber kein Präsident, kein Kanzler, kein Pressesprecher würde sich in der Öffentlichkeit hinstellen und zugeben, dass man im Bereich der Kommunikation meist auf Sicht fährt und taktisch reagiert. Ich fasse noch einmal zusammen: Es gibt in der Wissenschaftskommunikation eine eklatante Formschwäche, wenn es um die strategische Dimension der Planung geht. Und dieses Manko wiegt schwer, da die Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind.

5.1.4 Steigende Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation Klimawandel, Energieprobleme, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Artensterben – die Probleme der Welt nehmen bedrohliche Ausmaße an und es ist höchste Zeit, die Suche der Wissenschaft nach Lösungen zu forcieren. Gleichzeitig wird die Tragweite des

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wissenschaftlichen Fortschritts immer fundamentaler und die Auswirkungen auf Mensch und Natur immer existenzieller. In dieser Ausnahmesituation kann die Wissenschaft nicht mehr neutral am Rand stehen und sich heraushalten, sie rückt mitten ins Weltgeschehen. Im Spiel der Kräfte wird die Wissenschaft zu einem „Global Player“ und muss zukünftig im politischen und gesellschaftlichen Diskurs klare Stellung beziehen. Sie muss widersprechen und gegenhalten, wenn fundamentale wissenschaftliche Erkenntnisse zu Machtzwecken grob missachtet oder missbraucht werden. Die Stellung im Diskurs wird dadurch erschwert, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft komplizierter werden, sie sind für die Frau und den Mann auf der Straße kaum noch zu durchschauen und nachzuvollziehen. Auf der Suche nach Orientierung überfliegen die Menschen die zahlreichen Medienberichte und nehmen ständig mehrere sich widersprechende wissenschaftliche Standpunkte wahr. Schadet Glyphosat – oder nicht? Ist Gentechnik ethisch vertretbar – oder nicht? Verunsicherung keimt auf und erzeugt Ängste. Aus dem Hintergrund werden reaktionäre und populistische Tendenzen lauter und verschaffen sich Gehör. Sie stellen die Erkenntnisse der Forschung grundsätzlich infrage. Die Stimmung beginnt zu kippen und ein wissenschaftsfeindliches Klima entsteht. Die Wissenschaft muss zunehmend um ihre Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit kämpfen. Wenn sie es nicht bald schafft, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen und in die Zukunft mitzunehmen, könnten die Widerstände eskalieren. Eigentlich müssten bei den verantwortlichen Akteuren bereits alle Alarmglocken schrillen, denn das Vertrauen in die Wissenschaft ist in letzter Zeit spürbar gesunken. Dem WiD-Wissenschaftsbarometer 2016 misstrauen 56 % der Befragten der Wissenschaft in Fragen der grünen Gentechnik. Bei der Entstehung des Universums misstrauen 42 % und beim Klimawandel sind es 48 %. Bei einem signifikant steigenden Teil der Bevölkerung geht das Misstrauen soweit, dass sie im Zusammenhang mit Wissenschaft nur noch von Lügenmärchen und Fake News sprechen. Nie war es so wichtig, klug zu kommunizieren wie heute. Denn es reicht einfach nicht, wenn die Wissenschaft nur Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit entwickelt, sie muss sie auch kommunizieren. Problemlösungen führen erst zu einer Lösung, wenn sie auch als Lösung wahrgenommen werden. 1. Planungsgrundsatz

Um den steigenden Kommunikationsanforderungen gerecht zu werden, muss die zukünftige Arbeit der Wissenschaftskommunikation auf einer strategischen Planungsfunktion basieren, die langfristig und ganzheitlich ausgerichtet ist.

5.1.5 Interne Störfaktoren der strategischen Planung Die strategische Planungsarbeit der Wissenschaftskommunikation hat in vielen Institutionen einen schweren Stand. Eine Reihe von Störfaktoren behindert ihren Einsatz. Da ist zuallererst die mangelnde normative Verankerung der Kommunikationsfunktion zu

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nennen. In der Institution herrscht ein Klima, in dem der Kommunikationsplanung nur begrenzt Wertschätzung entgegengebracht wird. Teilweise schlägt den Kommunikationsverantwortlichen sogar Ablehnung entgegen, versteckt zwar, aber dennoch spürbar. Und wenn dann noch die Führungsebene der Kommunikation kaum den Rücken stärkt, weil andere Aufgaben und Themen wichtiger erscheinen, dann stehen die Verantwortlichen auf verlorenem Posten. Um offensiv und gestaltend zu agieren, braucht die Wissenschaftskommunikation zudem angemessene personelle Ressourcen. Die Kommunikationsabteilung ist aber überall knapp besetzt. Die Kommunikationsverantwortlichen sind mit ihren Alltagspflichten so eingedeckt, dass sie den Kopf nicht freibekommen, um die Kommunikation mit strategischer Weitsicht zu planen. Hinzu kommt, dass es manchmal auch am nötigen Wissen fehlt. Es herrscht Unsicherheit, wie eine Kommunikationsstrategie anzugehen ist. Und selbst, wenn Zeit und Kompetenz vorhanden sind, kann die Planung beschwerlich werden. Strategische Planung erfordert nämlich eine integrierte Planung, bei der alle Bereiche der Kommunikation koordiniert werden. Nur leider sind die Kommunikationsakteure meist über mehrere Abteilungen innerhalb der Institution verstreut: Pressestelle, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Veranstaltungen. Jede Abteilung hat viel zu tun und jetzt soll noch eine gemeinsame strategische Planung dazukommen, die eventuell sogar einen Machtverlust mit sich bringt. Die Unterstützung hält sich in Grenzen. Zusätzlich führen viele Wissenschaftler oder Professoren ihre eigenen Kommunikationsaktivitäten durch und stimmen sie nicht mit der Wissenschaftskommunikation ab. Da werden eigene Websites aufgemacht, ambitionierte Blogs veröffentlicht, Events organisiert, getwittert und gelikt – und die zentrale Kommunikation weiß nichts davon. Aber man trifft in jeder Institution auch auf das andere Extrem. Das Maß der Dinge ist für einige Wissenschaftler das Echo der eigenen Kollegen und die Meinungsbilder in der Scientific Community. Es geht ihnen zuallererst um die Anzahl der Veröffentlichungen in den renommierten Fachmedien. Wer nicht genug veröffentlicht hat, der kann nicht mitreden. Von Science-to-Public-Kommunikation halten diese Wissenschaftler wenig und dem planerischen Engagement der Wissenschaftskommunikation begegnen sie mit Distanz. Alles in allem müssen Kommunikationsverantwortliche, die in ihrer Institution mit strategischer Planung arbeiten wollen, häufig erst einmal grundsätzliche Dinge klären und der Planungsfunktion intern den nötigen Respekt verschaffen. Denn sonst kann es passieren, dass ein hervorragendes Kommunikationskonzept entsteht, aber das Planungsteam damit allein auf weiter Flur steht und keine Unterstützung findet.

5.1.6 Vorteile der strategischen Planung Es gibt eine Reihe von überzeugenden Vorteilen, die trotz aller Störfaktoren für eine strategische Planung der Wissenschaftskommunikation sprechen. In der Summe führen die Vorteile zu einem neuen Qualitätslevel in der Kommunikationsarbeit. Aus dem Handwerk Wissenschaftskommunikation wird eine anspruchsvolle Architekturleistung:

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• Höhere Kommunikationswirkung – Durch die strategische Planung lässt sich der Wirkungsgrad der Kommunikation Schritt für Schritt erhöhen. Erst schafft eine gründliche Analyse die nötige Transparenz. Dann bestimmt die Strategie ausgehend von den Analyse-Ergebnissen feste, überprüfbare Koordinaten für die Kommunikationsarbeit. Anschließend können durch Kontrolle und Optimierung der Koordinaten im laufenden Prozess die Reibungsverluste immer weiter verringert werden, bis die Kommunikation rund läuft. Da Kommunikationsplanung eine erratische Disziplin ist, bleibt zwar ein Restrisiko, aber die Eintrittswahrscheinlichkeit sinkt deutlich. • Schärferes Profil – Strategische Planung ordnet und strukturiert den Kommunikationsauftritt, beseitigt Ausreißer und Unschärfen. Dadurch entsteht mehr Präsenz und mehr Imageprofil in der Öffentlichkeit. Die Institution tritt geschlossener und einheitlicher auf, sie wirkt bestimmter und interessanter. Das ist ein entscheidender Vorteil, denn nicht die Wirklichkeit entscheidet über das Image einer Institution, sondern die Kommunikation von der Wirklichkeit. • Mehr Transparenz – Strategische Planung bedeutet, dass die Beteiligten eine Linie für die Kommunikation entwerfen, die schriftlich fixiert und für alle nachlesbar ist. Alle wissen, was wann passiert und welche Rolle sie spielen. Die Mission der Institution ist keine abstrakte Größe mehr, sondern spiegelt sich in der konkreten Planung wieder. • Wichtige Entscheidungshilfe – Strategische Kommunikationsplanung stellt große Zusammenhänge her und konkretisiert das Vorgehen in allen maßgeblichen Bereichen. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen wird langfristig abschätzbar. Das erleichtert Führung und Controlling die notwendigen Entscheidungen. • Stärkere Motivation – Die Beteiligten in den Kommunikationsabteilungen arbeiten motivierter, wenn sie mit Weitblick und Umsicht an ihre Aufgaben gehen. Auch für alle anderen Mitarbeitenden in der Institution entsteht ein nicht zu unterschätzender psychologischer Benefit. Systematische Planung ermöglicht erfolgreiche Kommunikation. Und Kommunikation, die draußen viel Erfolg hat, verstärkt drinnen das „Wir-Gefühl“ und erhöht den Stolz dazuzugehören. • Verbessertes Teamwork – Strategische Kommunikationsplanung bedeutet partizipative Planung. Sie bezieht alle Akteure in Ideenfindung und Konzeption ein. Über die Grenzen der Referate und Abteilungen hinweg arbeiten Wissenschaftler, Wissenschaftsmanager, Pressesprecher, Öffentlichkeitsarbeiter und Marketingleute gemeinsam an schlagkräftigen Kommunikationslösungen. Ehrlicherweise muss ich allerdings eine Einschränkung anfügen: Strategische Kommunikation bringt keine Instant-Erfolge. Bei den ersten Gehversuchen kann es sogar passieren, dass mehr Fehler gemacht werden und sich die Probleme kurzfristig vergrößern. Da man sich den Erfolg schrittweise erarbeiten muss, gehören zur strategischen Planung auf jeden Fall auch Geduld und Ausdauer.

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5.2 Die analytischen Planungsschritte 5.2.1 Aufgabe, Briefing und Recherche Am Anfang der Kommunikationsplanung stehen die analytischen Planungsschritte, und die beginnen wiederum mit der Aufgabenstellung. Wer strategisch planen will, braucht klare Aufgaben. Viele Wissenschaftskommunikatoren berichten mir, dass sie Schwierigkeiten haben, an die maßgeblichen Aufgaben zu kommen. Sie bringen nur schwer in Erfahrung, welche Themen und Ereignisse im Hause anstehen und kommunikationsrelevant sind. Strategische Planung bedeutet außerdem frühzeitige Planung, aber viele Aufgabensteller melden sich erst „auf den letzten Drücker“. Aus diesem Grund wechselt die strategische Planung die Perspektive. Sie versteht die Aufgabe nicht als Bring-Schuld der Aufgabensteller, sondern als Hol-Schuld der Kommunikation. Das Planungsteam geht in die relevanten Bereiche und macht sich auf die Suche nach anstehenden Themen. Das Team tut alles, um die Aufgaben so früh als möglich zu identifizieren und einen ausreichenden Planungsvorlauf zu sichern. Aus der Aufgabenstellung entwickelt sich das Briefing für die Planungsarbeit. Ein Briefing ist die Instruktion durch den Aufgabensteller über alle Fakten, Hintergründe und Einschätzungen, die im Zusammenhang mit der anstehenden Kommunikationsaufgabe relevant sind. Das Briefing sollte unbedingt schriftlich erfolgen, denn die Schriftform erzieht den Aufgabensteller, vorher gründlich nachzudenken und die nötige inhaltliche Substanz sicherzustellen. Außerdem dokumentiert ein schriftlich verfasstes Briefing, was gefordert ist. Die Schriftform gibt dem Planungsteam die Sicherheit, dass eine für alle nachlesbare Instruktion mit eindeutiger Faktenlage existiert, auf die man sich jederzeit beziehen kann. In den Institutionen gibt es vielbeschäftigte Aufgabensteller, die nicht bereit sind, ein schriftliches Briefing zu schreiben. In dem Fall gibt es nur eine Möglichkeit: Das Planungsteam verfasst die Instruktionen selbst, stimmt sie mit den Verantwortlichen ab und holt sich ein Okay. Nachdem das Team instruiert ist, kann die Planungsarbeit noch nicht beginnen, denn die Instruktionen müssen überprüft werden. Die Teammitglieder bleiben kritisch und kalkulieren ein, dass ihr Aufgabensteller eine Sicht auf den Kommunikationsfall haben könnte, die nicht voll mit der Realität übereinstimmt. Solche subjektiven Verzerrungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Deshalb ist eine ergänzende Recherche notwendig. Die Recherche nutzt externe glaubwürdige Quellen, um konzeptionsrelevante Daten, Fakten und Hintergrundinformationen zu sammeln, die das im Briefing entstandene Profil der Ist-Situation ergänzen, vertiefen und korrigieren. Erst in der Verbindung von Briefing-Instruktionen und gründlicher Recherche entsteht ein Fundament der Fakten, auf dem sich die eigentliche Analyse aufbauen lässt.

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5.2.2 Analytische Werkzeuge In Recherche und Analyse sind zahlreiche Daten und Fakten zusammengekommen. Das Planungsteam muss die Menge der Fakten filtern, bis eine übersichtliche Essenz übrig bleibt, die sich gut überblicken und bewerten lässt. Für den Filterprozess stehen verschiedene Analyse-Werkzeuge zur Verfügung. Das gängigste Werkzeug in der Wissenschaftskommunikation ist die SWOT-Analyse. Die SWOT rückt den Gegenstand der Kommunikation in den Fokus. Analysiert werden die eigenen Stärken und Schwächen des Kommunikationsobjekts. In Relation kommen die Chancen und Risiken draußen im Umfeld hinzu. Es entsteht ein übersichtliches Bild der Ist-Situation. Damit die Ergebnisse für die Strategie verwertbar sind, dürfen die Faktoren in den vier Feldern der SWOT keinesfalls aus der Sicht der Institution gefiltert werden. Maßgeblich ist allein die Sichtweise der Stakeholder. 2. Planungsgrundsatz

Ausgangspunkt der strategischen Planung ist eine gründliche Analyse der maßgeblichen internen und externen Faktoren. Es entsteht ein aussagekräftiges Lagebild, das zur Orientierungsgröße für die Strategiefindung wird.

Durch die integrierte Ausrichtung der Planung ist der Radius der Kommunikation mit den Jahren immer größer und das Instrumentarium immer komplexer geworden. Aufgrund der steigenden Planungsanforderungen reicht die klassische SWOT-Analyse in vielen Fällen nicht aus, um der Ausgangssituation auf den Grund zu gehen. Der Einsatz weiterer spezieller Analyse-Werkzeuge wird erforderlich. Dazu gehören zum Beispiel die Stakeholder-Map, die Bedeutung und Stellung aller wichtigen Stakeholder bestimmt, die STEP-Analyse, die das gesamte Umfeld unter die Lupe nimmt, oder die Wettbewerbsanalyse, die den Stärken und Schwächen der Konkurrenten im Kommunikationswettbewerb auf den Grund geht. Da die Verhältnisse im Umfeld immer volatiler werden, gewinnen vor allem Analyse-Werkzeuge an Bedeutung, die ein dynamisches Bild projizieren können, dass sich jederzeit an Veränderungen und Entwicklungen anpassen lässt. Ein Beispiel hierfür ist die „Issue-Grid“, auch „Issue Management Matrix“ genannt (vgl. Abb. 5.2). Es handelt sich um ein Werkzeug zur Analyse der Themen einer Institution. Die Matrix ordnet die anstehenden Themen aufgrund ihrer Bedeutung für die Institution und ihrer Brisanz in der Meinungsbildung der Stakeholder. Erfassend werden positive und negative Themen. Die Issue-Grid funktioniert dynamisch. Die Themen sind ständig in Bewegung, sie verändern ihren Standort, neue Themen kommen hinzu, alte Themen fallen weg. Je nach Umfeld und Entwicklung empfiehlt es sich, die Themenkonstellation ein Mal pro Tag, pro Woche oder pro Monat zu überarbeiten. In der Wissenschaftskommunikation sollten zwei Raster-Schaubilder aufgebaut und gepflegt werden – für die Science-to-ScienceThemen und die Science-to-Public-Themen.

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Abb. 5.2   Issue-Grid für die Themenanalyse

Während der gesamten Analyse bleibt das Planungsteam neutral. Es sichtet, sondiert und bewertet die Ist-Situation, aber trifft noch keinerlei strategische Entscheidungen oder fängt bereits an, über konkrete Maßnahmen zu diskutieren.

5.3 Der strategische Planungsprozess 5.3.1 Kommunikationsziele festlegen Zu Beginn des strategischen Prozesses werden die Kommunikationsziele fixiert. Die Ziele beschreiben einen eindeutigen Ergebniszustand, der am Ende des definierten Zeitraums mit kommunikativen Mitteln erreicht worden ist. Erst wenn die Ziele feststehen, kann die Kommunikation den richtigen Kurs einschlagen. Die Kommunikationsziele entstehen nicht frei und unabhängig, sondern sind fest in die Zielhierarchie der Institution eingebettet. Sie sind darum in Abhängigkeit zu Institutionszielen, Forschungszielen, Leitbildern und anderen grundlegenden Zielen zu sehen. Die Kommunikationsziele müssen sich an ihnen ausrichten und sie nach Kräften unterstützen. Bei der Ausarbeitung der Kommunikationsziele unterscheidet das Planungsteam zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen. Langfristige Ziele umreißen die großen konstitutiven Meilensteine der Kommunikation. Wobei der langfristige Horizont in der unsteten Kommunikationswelt der Gegenwart relativ knapp bemessen wird. Die langfristigen Ziele bestimmt man in der Regel für drei bis fünf Jahre. Bisweilen gibt es Ziele mit einem Horizont von sieben Jahren. Längere Zieldistanzen sind völlig unwägbar und

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Abb. 5.3   Vier Etappen auf dem Weg zum langfristigen Ziel

mir schon seit Jahren nicht mehr begegnet. Langfristige Ziele sind stabile Ziele. Sie sollen der Kommunikation eine zuverlässige Richtung geben und stehen deshalb nicht zur taktischen Disposition. Anders verhält es sich mit den kurzfristigen Zielen. Sie sind Etappenziele auf dem Weg zum langfristigen Ziel. Sie bleiben flexibel und können unterwegs an die Erfordernisse angepasst werden. Kurzfristige Ziele sind konkrete Arbeitsziele für die einzelnen Kommunikationsetappen. Im Normalfall ist die Etappe etwa ein Jahr lang. Zu Beginn der Kommunikation fehlen die Erfahrungen, die Verhältnisse sind unsicher und es kann Sinn machen, die Etappen kürzer laufen zu lassen, um zügig Kursanpassungen vornehmen zu können. Die langfristigen Ziele sind die „Leitsterne“ der Kommunikation. Damit sie Leitfunktion übernehmen können, dürfen nur wenige Ziele den langfristigen Horizont definieren. Langfristige Ziele sind so zu formulieren, dass sie Mut machen und die Kommunikationsbeteiligten anspornen. Aufgrund der eher motivierenden Funktion müssen sie auch nicht in jedem Fall messbar gemacht werden. Dagegen sind die kurzfristigen Ziele, soweit möglich, mit konkreten Maßangaben zu versehen. Wenn am Ende einer Etappe das kurzfristige Ziel nicht erreicht wurde, analysiert das Team die Ursachen und nimmt notwendige Verbesserungen vor (vgl. Abb. 5.3). Das Verfehlen eines Ziels gehört zum normalen Planungsprozess und darf von der Führung nicht negativ bewertet oder gar sanktioniert werden. Die Alarmglocken schrillen erst, wenn die Beteiligten auf den anschließenden Etappen aus den Fehlern nichts lernen und das langfristige Ziel außer Reichweite gerät. 3. Planungsgrundsatz

Die Kommunikationsziele bilden den Einstieg in die Strategie. Sie sind als flexibles Zielbündel mit eindeutigen Kennzahlen zu formulieren und stets an einer langfristigen Zielsetzung auszurichten.

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Um die notwendigen Messungen vornehmen zu können, werden im Rahmen der Zielsetzung alle kurzfristigen und, wo sinnvoll, auch die langfristigen Ziele mit Key Performance Indicators versehen. KPIs sind Kennzahlen, mit denen der Grad der Zielerreichung in der Kommunikation gemessen wird. Typische Kennzahlen in der Kommunikation sind z. B. die Anzahl der Medienclippings in Leitmedien, die Verweildauer auf der Website oder die Menge der Retweets auf Twitter. Für jedes Ziel bestimmt das Planungsteam mehrere komplementäre KPIs, um valide Ergebnisse abzusichern. Die Kennzahlen sind so zu konzipieren, dass sie sich ohne großen Aufwand messen lassen und aus den Messergebnissen gesicherte Schlussfolgerungen gezogen werden können. Die KPIs sind die Anzeigen auf dem Armaturenbrett der strategischen Kommunikationsplanung. Die Planung konzentriert sich auf eine überschaubare Zahl von kurzfristigen und langfristigen Zielen. Komplexe Zielkonstellationen mit vielen verschachtelten Einzelzielen wirken zwar sehr akademisch, sind aber in der Umsetzung nur schwer zu kontrollieren. Die Intention der Zielsetzung sollte es sein, dass alle Kommunikationsbeteiligten die Richtung verinnerlichen und auch nach Monaten noch präsent haben. Ist die Zielplanung in der Schublade verschwunden und können die Beteiligten auf Nachfrage die Ziele nicht mehr benennen, dann ist etwas gehörig schiefgelaufen.

5.3.2 Stakeholder selektieren und fokussieren Es gibt die weit verbreitete Auffassung in der Wissenschaft, man müsse mit der eigenen Kommunikation alle Bürgerinnen und Bürger erreichen. Das funktioniert nicht! Durch die Fragmentierung der Lebensstile, Interessen und Einstellungen ist die Gattung Bürger in unzählige kleiner Segmente zerfallen, die ganz unterschiedlich denken und reagieren. Will die Wissenschaft erfolgreich kommunizieren, dann muss sie lernen, ihre Ansprache zu differenzieren und zu fokussieren. Dazu gehört auch, dass die strategische Kommunikationsplanung, ihre Ideen, Inhalte und Instrumente nie aus der selbstbezogenen Sicht der jeweiligen Institution betrachtet. Vielmehr hat sie gelernt und verinnerlicht, alles mit der Brille der Kommunikationsadressaten zu sehen. Deren Einschätzungen und Sichtweisen bilden das Maß der Kommunikationsplanung. Wenn es darum geht, die relevanten Adressaten der Kommunikation einzugrenzen, bilden die Stakeholder die Grundgesamtheit, von der auszugehen ist. Stakeholder sind alle Personen, Gruppen oder Institutionen, die gegenwärtig Interessenträger sind und Einfluss auf die Institution nehmen oder potenziell nehmen können. Arbeitet man die Stakeholder-Konstellation der Institution aus, kommt so einiges zusammen. Wer versucht, das gesamte Feld der Stakeholder anzusprechen, der erreicht am Ende niemand richtig und geht im kommunikativen Grundrauschen unserer Gesellschaft unter. Es ist die Kunst der Kommunikationsplanung, aus der Vielfalt der Stakeholder, genau die Gruppen zu identifizieren, die für die zukünftige Kommunikationsarbeit maßgeblich sind. Diese ausgewählten Gruppen stellen die Adressaten der Kommunikationsarbeit dar.

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In der Vergangenheit bedeutete Wissenschaftskommunikation zuallererst, die relevanten Stakeholder in angemessenem Umfang und in verständlicher Form zu informieren. Der heutigen Öffentlichkeit ist das zu wenig (vgl. Abb. 5.4). Wirksame Wissenschaftskommunikation kann keine monologische Verkündigungskommunikation mehr sein, sie entwickelt sich in Richtung einer dialogischen Beziehungskommunikation weiter. „Ist doch ein alter Hut!“, werden manche sagen. Zugegeben, der Dialog wird schon lange proklamiert, aber mir begegnen in der Wissenschaftslandschaft nur wenige, die sich den Hut aufsetzen und den Dialog tatsächlich strategisch planen und konsequent praktizieren. Zwar lese ich in vielen Planungspapieren von „Dialoggruppen“, wenn es um die Science-to-Science-Kommunikation handelt, dann stimmt die Einordnung zumeist, aber in der Science-to-Public-Kommunikation ist sie mehr Anspruch als Wirklichkeit. Eine ausgereifte Dialogfunktion ist selten. Und wenn mir Science-to-Public-Dialoge begegnen, dann sind sie häufig asymmetrisch angelegt. Die Institution will Gesprächsverlauf und -inhalte kontrollieren und lässt die Gesprächsteilnehmenden nur bedingt mitreden. Um der Bezeichnung wirklich gerecht zu werden, muss der Dialogprozess bestimmten Ansprüchen genügen: • Die Gesprächspartner sind bereit zuzuhören – Im Sprechen sind viele wissenschaftliche Institutionen schon sehr gut, im Zuhören gibt es noch Nachholbedarf. • Die Gesprächspartner sprechen miteinander auf Augenhöhe – Die Institution kommuniziert nicht von oben herab. Sie spielt ihren Wissensvorsprung nicht gegen die Partner aus. • Die Gesprächspartner gehen ergebnisoffen ins Gespräch – Die Institution hat nicht automatisch Recht. Sie ist im Grundsatz bereit, im Gespräch Standpunkte und Haltungen zu verändern.

Abb. 5.4   Von Information zu Dialog und Beziehung

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In der Summe bedeuten die Dialogregeln für die Institution, dass ihre Wissenschaftskommunikation die Schutzzone verlassen muss, ohne sichere Deckung kommuniziert und dabei akzeptiert, dass es in bestimmten Einzelfällen ungemütlich werden kann. Der Dialog ist ein zentrales Sprungbrett für die Partizipation. Er erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesprächspartner zu aktiv Teilnehmenden werden. Sie reden nicht nur, sie wirken und gestalten mit. Mitwirken meint allerdings nicht den obligaten Like-Klick auf Facebook, sondern eine aktive Teilhabe. Was man selbst praktiziert hat, wird besser gelernt und behalten. Partizipative Kommunikationselemente holen die teilnehmenden Stakeholder dicht an die Institution heran. 4. Planungsgrundsatz

Die strategische Planung streut nicht breit, sondern konzentriert sich auf die wichtigen Stakeholder und stellt den Dialog in den Vordergrund. Dabei wird zwischen Science-to-Science- und Science-to-Public-Ansprache unterschieden.

Durch Dialog und Teilnahme entsteht eine Beziehung. Die Zielgruppen fühlen sich verbunden, haben Vertrauen gewonnen und empfehlen weiter. Der Grad der Beziehung reicht von der kritischen Begleitung bis zum begeisterten Fan. Die Beziehungen gilt es, systematisch zu pflegen und weiter auszubauen. Denn in einer Beziehung nehmen die Zielgruppen mehr Informationen auf, sind einfacher zu aktivieren und empfehlen öfter weiter. Innerhalb der Institution können Dialog und Mitwirkung der Stakeholder nicht allein Aufgabe der Wissenschaftskommunikatoren sein. Am Dialog- und Aktivierungsprozess sind alle beteiligt. Nach dem neuen dialogorientierten Selbstverständnis sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur Forschende, sondern auch Zuhörende, Antwortende, Rat Gebende und Unterstützende. Auf dem Weg zu den Science-to-Science und Science-to-Public-Adressaten trifft man unterwegs wichtige Mittler. Mittler sind Personen und Gruppen, die aufgrund ihrer besonderen Stellung eine hohe meinungsvervielfältigende Wirkung haben. Die Mittler besetzen zentrale Knotenpunkte im Kommunikationsnetzwerk, und weil sie eine neutrale, unabhängige Position einnehmen, besitzen sie zusätzlich eine hohe Glaubwürdigkeit. Über sie kann ein enormer Booster-Effekt erzielt werden. Setzt das verantwortliche Planungsteam die Mittler gekonnt ein, dann kann sie auch mit begrenzten finanziellen Ressourcen einen großen kommunikativen Widerhall erzeugen. Fehlen noch die internen Adressaten der Kommunikation, sie werden von der Wissenschaftskommunikation leider häufig vernachlässigt. Im Kern handelt es sich um die Mitarbeitenden. Sie sind Partei und stehen „hinter der Flagge“ der Institution. Eine Vernachlässigung kann gefährlich werden. Da startet eine tolle Imagekampagne und büßt schon in den ersten Tagen erheblich an Überzeugungskraft ein, weil die eigene Mannschaft nicht dahintersteht. Das Ziel der Kommunikationsplanung ist folglich, die Kolleginnen und Kollegen als Botschafter in die Aktivitäten einzubeziehen. Alle stehen dahinter und setzen sich dafür ein.

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5.3.3 Herausragende Positionierung bestimmen Man kann nicht nicht positionieren! Dieses abgewandelte Zitat von Paul Watzlawick bringt es auf den Punkt. Sobald das jeweilige Objekt der Kommunikation – also z. B. eine Institution, eine Leistung, eine Person, ein Projekt, eine Kooperation etc. – wahrgenommen wird, positioniert es sich automatisch in den Köpfen der wahrnehmenden Personen. Ist die Wahrnehmung neu und interessant, dann merkt das Gehirn auf, vergleicht, bewertet und ordnet das Kommunikationsobjekt ein. Dem Prozess liegen keine großen rationalen Abwägungen zugrunde, der erste Eindruck zählt. Schnell haben sich die wahrnehmenden Personen ein Bild vom Kommunikationsobjekt gemacht. Die strategische Kommunikationsplanung stellt sich die Aufgabe, das Bild im Kopf der Stakeholder nicht dem Zufall zu überlassen, sondern bewusst zu gestalten. In der Kommunikationsplanung geht es um eine psychologische Positionierung in den Köpfen. Die Positionierung legt fest, mit welchem selbstbewussten Rollenverständnis das Kommunikationsobjekt die Stakeholder anspricht. Wirksame Kommunikation braucht eine klare Positionierung als Referenzpunkt. Umso überraschender ist es, dass mir draußen in der Wissenschaft kaum Positionierungen begegnen. Ich frage bei jedem meiner Konzepte nach und bekomme meist die Antwort: „Positionierung? So was gibt es bei uns nicht!“. 5. Planungsgrundsatz

Zentraler Referenzpunkt der Kommunikationsstrategie ist die Positionierung. Sie legt fest, wofür die Institution und ihre Leistungen zukünftig in den Köpfen der Stakeholder stehen sollen. Gesucht wird eine Position, die herausragt.

Zwei Fehler schwächen die Positionierung und sollten unbedingt vermieden werden. Im ersten Fall wird generisch positioniert. Die Kommunikationsplanung bestimmt eine Position, die im Umfeld häufiger vorkommt und verwechselbar ist. Im zweiten Fall will man es allen Gremien des Hauses recht machen und packt in die Position alles rein, was das Kommunikationsobjekt ausmacht. In beiden Fällen wird die Positionierung nur wenig Durchschlagkraft entwickeln. Kennzeichen einer starken Position ist die Alleinstellung. Das Kommunikationsobjekt bringt sich herausragend in Stellung. Gleichzeitig muss die Position eindeutig und sofort einleuchtend sein. Keine graue Maus und keine eierlegende Wollmilchsau! Gefragt ist eine aufrechte Erscheinung, die aufmerken lässt und Interesse weckt. Im Marketing wird bevorzugt mit einer „Positioning Matrix“ gearbeitet, die das Objekt im Vergleich zum Wettbewerb lokalisiert. In der strategischen Kommunikationsplanung formuliert man lieber ein „Positioning Statement“. Die Institution will ein bestimmtes, herausragendes Bild in den Köpfen der Stakeholder verankern und das Statement beschreibt das Bild. Das Statement selbst ist nur eine strategische Festlegung,

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die mit den gewählten Worten nicht in die Öffentlichkeit kommt. Aber alle Beteiligten haben die Positionierung verinnerlicht und richten ihre Kommunikationsarbeit daran aus. Woraus entwickelt sich die strategische Positionierung? Ein Kommunikationsobjekt positioniert sich vorrangig über seine Stärken. Das Hauptaugenmerk liegt somit auf dem Stärkenfeld der SWOT-Analyse (vgl. Abb. 5.5). Die dortigen Stärken sind das Rohmaterial aus dem die Position errichtet wird. Das Planungsteam schaut sich die vorhandenen Stärken an und überlegt, welche der Stärken die größte Zugkraft entwickeln. Es ist durchaus erlaubt, mehrere Stärken zu einer Position zu vereinigen, es dürfen aber nicht zu viele Stärken werden. Alternativ ist es auch möglich, über eine Chance oder einen Trend aus dem Umfeld zu positionieren. Diesbezüglich schaut man im Chancenfeld der SWOT nach, ob dort aussichtsreiche Ansatzpunkte zu entdecken sind. Soll die Position auf einem Trend basieren, muss sichergestellt sein, dass der Trend neu und ungewöhnlich ist. Mit bereits etablierten Trends lässt sich keine Alleinstellung erreichen. Vor einigen Jahren kam in der Wissenschaft die „Exzellenz“ ins Gespräch. In der Folge wollten sich viele Institutionen über ihren Exzellenzanspruch positionieren. In fast jeder Strategiediskussion wurde die Exzellenz favorisiert. Doch wenn sich drei Dutzend Hochschulen und Forschungsinstitute über Exzellenz in Stellung bringen, dann wird die Position generisch und funktioniert nicht mehr. Auf „Exzellenz“ folgte „Sustainability“. Alles drehte sich um die Nachhaltigkeit. Allerdings ist auch sie als strategische Positionierung inzwischen verbraucht. Die Erkenntnis lautet: Felsenfeste Positionierungen orientieren sich nicht an aktuellen Trends, sondern kommen tief aus dem Innern, dem Wesenskern der Institution. Die Positionierung ist der Referenzpunkt, an dem sich alles orientiert. Die gesamte Kommunikationsarbeit geht von diesem Punkt aus. Alle Botschaften, alle Themen, alle Mittel und Maßnahmen stützen und stärken die Positionierung.

Abb. 5.5   Ableitung der Positionierung

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5.3.4 Botschaften als inhaltliche Leitplanken Der strategische Planungsprozess wechselt von der Positionierung zu den Botschaften. Die Positionierung hat festgelegt, wofür das Kommunikationsobjekt steht. Die Botschaften bestimmen, was aus der Position heraus ins Gespräch gebracht wird. Die Botschaften sind die essenziellen Grundaussagen der Kommunikation, sie arbeiten die charakteristischen Werte und Nutzenaspekte des Kommunikationsobjekts heraus. Aufgabe der strategischen Botschaften ist es, Leitplanken für alle Inhalte zu schaffen und damit der gesamten Kommunikation eine stringente inhaltliche Richtung zu geben. Alle Kommunikationsakteure sprechen mit einer Stimme und treten geschlossen als Botschafter auf. Mit einer Stimme sprechen, bedeutet allerdings nicht, dass alle das Gleiche sagen. Inhaltliche Uniformität in der Wissenschaftskommunikation macht die Stakeholder misstrauisch und beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit. Die Leitplanken geben lediglich den Korridor vor, in dessen Grenzen sich jeder mit seinen Aussagen frei artikulieren kann. Weniger Botschaften sind mehr! Die Kommunikation muss es schaffen, die in der Wissenschaft häufig anzutreffende Komplexität der Argumentation zu reduzieren und auf den eigentlichen Kern zu konzentrieren. Lange Argumentationsketten verhaken sich und führen zu Missverständnissen, die angesprochenen Adressaten verstehen nur Teile und interpretieren sie falsch. Die strategische Kommunikationsplanung unterscheidet zwischen Dachbotschaften und Teilbotschaften (vgl. Abb. 5.6). Dachbotschaften sind die alles überspannenden Kernaussagen, die für alle Stakeholder in jeder Situation gelten. Sie sind langfristig angelegt und grundsätzlich formuliert. Empfehlenswert ist eine kompakte Verbindung aus drei bis fünf Dachbotschaften. Bei dem Umfang kommen

Abb. 5.6   Dach- und Teilbotschaften

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die Botschaften übersichtlich und geschlossen rüber, die Rezipienten verstehen schnell, was Sache ist. Sechs oder sieben Botschaften gehen gerade noch so. Mit mehr Dachbotschaften wird die Grenze überschritten, die Adressaten verlieren den Zusammenhang und steigen aus. Teilbotschaften ziehen den Fokus enger und sprechen nur spezielle Zielgruppen innerhalb des Stakeholder-Kreises an. Die Teilbotschaften leiten sich aus den Dachbotschaften ab und verstehen sich als Säulen unter dem gemeinsamen Dach. Dachbotschaften sind Pflicht, die Kommunikation kommt nicht ohne sie aus. Dagegen werden Teilbotschaften nur formuliert, wenn es zur Ansprache der jeweiligen Stakeholder-Gruppe unbedingt erforderlich ist. Dachbotschaften und Teilbotschaften dürfen keinesfalls nur als Behauptung daherkommen, sondern müssen sich mit überzeugenden Indizien beweisen lassen. Jede Botschaft steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Die Tatsachen sind belegbar und leuchten den Rezipienten sofort ein. 6. Planungsgrundsatz

Mit den Botschaften werden inhaltliche Leitplanken für die gesamte Kommunikationsarbeit aufgestellt, an denen sich alle Inhalte ausrichten. Die Botschaften sind so zu formulieren, dass sie gerne weitererzählt werden.

Im Kontext der stakeholderorientierten Kommunikation sind die Botschaften immer aus dem Blickwinkel der Adressaten zu formulieren. Erfolgreiche Botschaften sind auf deren Interessenlage zugeschnitten und leuchten sofort ein. Sobald die Kommunikationsplanung in Richtung Dialog geht, kommt noch eine Steigerung hinzu. Die Wissenschaftskommunikation muss die Leute dazu bringen, dass sie über die Botschaften reden. Die Essenz jeder Botschaft sollte folglich so belebend sein, dass sie weitergesagt wird. Sie trägt quasi den Weitersagen-Funken in sich. Der virale Zuschnitt der Botschaften ist ein Erfolgsgeheimnis, wie man trotz begrenzter Ressourcen eine reichweitenstarke Kommunikation realisieren kann. Um einen Dialog zu stimulieren, reicht es jedoch nicht aus, die strategischen Botschaften auf der Website oder in der neuen Imagebroschüre mit geschliffenen Formulierungen zu proklamieren. Sie müssen durch die Kommunikation sinnlich fassbar und erlebbar gemacht werden. Die Botschaften spiegeln sich in allen Themen der Institution wider. Sie werden mit Personen, Storys, Ereignissen und Beispielen lebendig gemacht und regen die Vorstellungskraft an.

5.3.5 Den besten strategischen Weg finden Als Nächstes stellt sich die Frage, wie die Botschaften erfolgreich zu den Stakeholdern gelangen? Eine heikle Frage, denn klappt der Transport nicht, war alles umsonst. Die Verhältnisse im Umfeld sind schwierig, die Zielgruppen kritisch, dennoch muss die Kommunikation möglichst direkt und ohne Streuverluste den besten Weg finden.

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Der strategische Weg legt fest, auf welcher Route und mit welchen Richtlinien die Botschaften aus der Positionierung heraus am besten vorankommen. Unterwegs sollte die Kommunikation Vorfahrtsstraßen optimal nutzen und Hindernisse möglichst elegant umfahren. Die strategische Planung trifft jetzt grundlegende Richtungsentscheidungen, an der sich später alle Umsetzungsaktivitäten ausrichten. Es werden allerdings keine konkreten Mittel und Maßnahmen eingebracht, schließlich befindet sich die Planung noch innerhalb des strategischen Prozesses. Um den besten Weg zu finden, schaut das Planungsteam zuerst in die SWOT. Das Lagebild der SWOT ist wie eine Landkarte, aus deren Topografie sich Rückschlüsse auf die vielversprechendste Wegführung ziehen lassen. Das Team betrachtet einzelne Faktoren oder Faktorenkombinationen und zieht daraus strategische Konsequenzen für die zukünftige Kommunikation. Wie kann man die vorhandenen Stärken und Chancen nutzen, um Schwächen zu beheben oder Risiken zu minimieren? Wie nutzt man vorhandene Chancen, um den Stärken zusätzlichen Auftrieb zu geben? Das Ergebnis der Überlegungen sind konkrete Strategien für die Kommunikationsaktivitäten. Im späteren Planungsverlauf haben sich alle Maßnahmen daran zu orientieren und danach zu handeln. Eine Hauptstraße der strategischen Kommunikationsplanung stellen die Dialogstrategien dar (vgl. Abb. 5.7). Wie bereits angemerkt, funktioniert der Dialog in der Science-to-Science-Kommunikation schon ganz gut, aber im Feld der Science-to-PublicKommunikation gibt es Nachholbedarf, die meisten Institutionen stehen dort erst am Anfang. Aufgrund des SWOT-Lagebilds überlegt das Planungsteam, wie der zukünftige Dialog zu konzipieren ist. Da wissenschaftliche Dialoge sich oft um brisante oder kontroverse Themen drehen, ist eine ausgereifte strategische Planung wichtig. Solche Dialoge sind fragile Prozesse, die heftige Reaktionen auslösen können. Manche strategischen Planungsteams gehen davon aus, dass die Stakeholder nur auf den Dialog warten und jede Chance nutzen werden, um mitzureden. Das Gegenteil ist der Fall. Die übergroße Mehrheit bleibt passiv. Eine Ursache liegt in einer mangelnden Dialogbereitschaft. Die Menschen leiden unter dem „Communication Overload“ und wollen in Ruhe gelassen werden. Die zweite Ursache liegt in mangelnder

Abb. 5.7   Ganzheitliche Dialogstrategie

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Dialogfähigkeit, weil die Zielpersonen z. B. vom Dialogthema überfordert sind oder weil sie sprachliche Probleme haben. Zu einer Dialogstrategie gehört darum in jedem Fall eine gründliche Dialogvorbereitung. Die relevanten Stakeholder müssen systematisch zum Gespräch animiert werden. Der Dialog selbst ist nicht nur auf der fachlichen Ebene zu planen. Die strategische Planung muss auf allen Ebenen ansetzen, denn Dialog ist gleichzeitig auch ein sozialer Prozess und sollte nach den Regeln des sozialen Zusammenlebens gestaltet werden. Zudem spielt der psychologische Faktor eine wichtige Rolle. Die Teilnehmenden müssen sich respektiert und wertgeschätzt fühlen, weil die Wissenschaft ihnen zuhört und ihre Argumente achtet. Am Ende haben alle Beteiligten das gute Gefühl, dass es sich gelohnt hat, miteinander geredet zu haben. Nach dem Dialog ist in jeden Fall eine systematische Nachbearbeitung notwendig. Die Teilnehmenden bekommen mit, dass etwas passiert. Ideen, Einwände und Ergebnisse des Gesprächs verschwinden nicht einfach in der Versenkung, sie wirken über den Anlass hinaus und werden teilweise sogar realisiert. Die Wissenschaftskommunikation muss sich zudem von einer bewährten Trennlinie lösen. Es ist einzukalkulieren, dass durch die digitale Dimension des Dialogs die Wände zwischen Science-to-Science und Science-to-Public durchlässig geworden sind. Wissenschaftler reden im öffentlichen Diskurs mit und umgekehrt mischen sich interessierte Laien in den Diskurs der Wissenschaftler ein. 7. Planungsgrundsatz

Zum Transport der Botschaften wird vorrangig auf dialogorientierte Strategien zurückgegriffen. Die jeweilige Institution sucht systematisch das Gespräch mit den Stakeholdern und kommuniziert auf Augenhöhe. Die Gesprächsteilnehmer haben hinterher das gute Gefühl, dass sich der Dialog gelohnt hat.

Neben den Dialogstrategien gibt es noch einen weiteren gängigen Strategieweg, der herausragende Bedeutung hat: die Markenstrategie. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen werden zunehmend als Marke geführt. In der Folge manifestiert sich eine neue Markengattung: die Wissenschaftsmarke. Marke, das ist viel mehr als nur ein Markenzeichen mit einem markanten Design. Bei einer Marke geht es um die symbiotische Verbindung der Markengestalt mit einem starken Markenversprechen, auf das man sich verlassen kann. Hinzu kommt eine intensive Markenkommunikation, die der Marke Präsenz und Profil gibt. Für den modernen Menschen ist eine Marke hilfreich, denn in einer komplexen Welt mit unzähligen Angeboten macht sie das Leben einfacher. Man muss nicht lange abwägen, kann sich sofort entscheiden, denn auf die Marke ist Verlass. Neben der Vereinfachung spricht ein zweiter Grund für die Marke. In der westlichen Gesellschaft ist der Mensch eine Beziehung mit seinen Marken eingegangen und hat eine psychologisch-emotionale Bindung entwickelt. Das Bekenntnis zu seinen Marken ist für den Menschen ein Teil der Identitätsbildung geworden.

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Wo liegt der Unterschied zwischen einer Marke in der Wirtschaft und in der Wissenschaft? Marken in der Wirtschaft sind emotional aufgeladene Versprechen, hinter denen häufig nur wenig echte Substanz steckt. Man versucht einen fehlenden Leistungs­ vorsprung durch manipulative Leidenschaft zu ersetzen. Manche Markenexperten reden in diesem Zusammenhang von „Love Brands“. Die Wissenschaft braucht keine „Love Brands“. Zwar sind auch ihre Marken emotional (Marken ohne Emotion wären ein Ding der Unmöglichkeit), aber auf einem völlig anderen emotionalen Fundament. Wissenschaftsmarken stehen für Innovation und Kompetenz, für Ehrlichkeit und Verantwortungsgefühl. Wissenschaftsmarken stellen sich der politischen, sozialen und ökologischen Verantwortung. Sie sind ein Zeichen des Vertrauens und verdienen sich dieses Vertrauen jeden Tag aufs Neue. Aber Vorsicht! Die Bildung und Führung einer Marke ist zugleich eine große Verpflichtung. Die Institution muss eine Marke entwickeln, die wirklich Sinn stiftet. Sie muss sich hinter die Marke stellen und sie mit Nachdruck tagtäglich kommunizieren. Markenkommunikation ist demnach kein Universalschlüssel für alle. Es ist harte Arbeit, denn man muss aufs Ganze gehen, sonst existiert die Marke nur auf dem Planungspapier, aber nicht in den Köpfen der Stakeholder. Wissenschaftliche Institutionen, denen es an der nötigen personellen, finanziellen und ideellen Kraft fehlt, um eine Marke durchzusetzen, sollten besser auf eine Markenbildung verzichten, bevor sie mit einer farb- und konturlosen Marke einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen.

5.4 Die Planung der operativen Umsetzung 5.4.1 Kreative Gestaltung gehört zum Plan Die strategische Kommunikationsplanung läuft hauptsächlich auf der theoretischen Ebene. Da Theorie bekanntlich grau ist, besteht in der Umsetzung die Gefahr, dass zu kopflastig und abgehoben kommuniziert wird. Erfolgreiche Wissenschaftskommunikation muss sachlich kompetent sein, aber auch emotional berühren. Deshalb sollte das Planungsteam kreativ werden, nach guten Ideen und Bildern für die anstehende Kommunikation suchen. Viele Kommunikationsprofis aus der Wissenschaft reagieren an der Stelle zögernd. Es braucht Mut zur Kreation, denn gute Ideen sind ungewöhnlich, sie durchbrechen Regeln und widersetzen sich dem Mainstream. Man muss bereit sein, ein Risiko einzugehen und gegen den Strich zu bürsten. In der aktuellen Diskussion der Scientific Community werden Stimmen laut, die von der Wissenschaftskommunikation eine neue Sachlichkeit einfordern. Diesen Stimmen sei widersprochen. Um in der modernen Kommunikationsüberflussgesellschaft Resonanz zu erzielen, um in die Köpfe der Menschen zu kommen, muss die Kommunikation mit starken Analogien, mit interessanten Reizwörtern und Schlüsselbildern arbeiten, muss spannende Geschichten erzählen und handelnde Personen beachtenswert machen. Die kreativen Ideen der Kommunikationsplanung dürfen sicherlich nicht maßlos übertreiben

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und aufbauschen. Wissenschaftskommunikation ist unbedingt der Redlichkeit verpflichtet. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass die Kommunikation ihren Appeal verliert. Ohne „Science Appeal“ geht es nicht. Ein zentraler Trigger für den Science Appeal ist die kreative Leitidee. Warum braucht die Kommunikation eine eingängige Leitidee? Man stelle sich vor, innerhalb einer Kampagne arbeitet die Imagebroschüre mit einer anderen gestalterischen Idee als die Website, die Instagram-Aktion baut auf einer dritten und der geplante Science Slam auf einer vierten Idee auf. Alle Ideen sind gelungen, aber passen irgendwie nicht zusammen, sodass der Gesamteindruck konfus wirkt. In der Kommunikationsflut unserer Gesellschaft stiftet eine solche unkoordinierte Vielfalt von Ideen nur Verwirrung. Hier kommt die kreative Leitidee ins Spiel. Die Leitidee hilft, die vielen Einzelelemente der Kommunikation zu einem geschlossenen, sinnlich fassbaren Auftritt zusammenzufügen. Sie schafft einen einheitlichen Appeal für alle Aktivitäten. Die Rezipienten brauchen nur Bruchteile von Sekunden, um den Absender wiederzuerkennen und die einzelnen Kommunikationsbausteine in das vertraute Gesamtbild einzuordnen. Die kreative Leitidee ist der Sinnesanker der Kommunikation, der sicherstellt, dass der institutionelle Auftritt in der Kommunikationsflut zum Leuchtturm wird. Leitidee kann eine Person sein, die als Protagonist für das jeweilige Kommunikationsthema in Erscheinung tritt. Oder ein prägnanter Gegenstand aus der spezifischen Themenwelt, der zum Erkennungszeichen wird. Oder ein Slogan, der durch einen kleinen kreativen Widerhaken im Gedächtnis bleibt. Oder eine Familie von Buzzwords, die Schlüsselelemente des Themas in assoziationsstarke Worte fasst. Und ja, auch die Science-to-Science-Kommunikation braucht leitende Ideen, nur sind es andere als im populären Genre von Science-to-Public. 8. Planungsgrundsatz

Wissenschaftskommunikation wird kreativ geplant. Sie verbindet kompetente Sachinformation mit starken Ideen und prägnanten Bildern. Ihre Intention ist ein authentischer Science Appeal.

Eine zentrale Anziehungskraft der kreativen Gestaltung geht von Fotos, Illustrationen, Schaubildern und Infografiken aus. Das Gehirn des Menschen ist keine Rechenmaschine, sondern ein leistungsstarker Assoziationsapparat. Bei Bildern laufen die Neuronen und Synapsen zu Hochform auf. Leider verstehen es viele Wissenschaftskommunikatoren nur ungenügend, diese Talente zu nutzen. Man verlässt sich zu sehr auf Zahlen und Fakten und vernachlässigt die Macht der Bilder. Hauptsächlich mit Worten auf der Sachebene zu kommunizieren, ist wie Autofahren mit angezogener Handbremse. Will man eine nachhaltige Resonanz erzielen, dann muss die Kommunikation die Bremse lösen und sachliche Fakten mit illustrativen Bildern verbinden. So können die Stakeholder die Kommunikation um ein Vielfaches besser aufnehmen, lernen und erinnern.

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Gefragt sind Bilder, die eine Idee anders sind und auffallen. Generische Bilder funktionieren nicht. Die Bildinformation muss sinnhaft und nicht klischeehaft sein. Aus dem Grund entwickeln die Wissenschaftskommunikatoren für die eigene Institution eine signifikante Bildsprache. Die Bildsprache wird in einem kurzen Konzept mit Regeln und Beispielbildern beschrieben und anschließend auf allen Ebenen umgesetzt. So legt man beispielsweise fest, dass alle Bilder keine Models, sondern authentische Menschen aus dem Labor und von der Straße zeigen. Alle Bilder vom Foto bis zur Infografik werden in einer Bilddatenbank gesammelt. Eine Schwäche vieler Institutionen ist der eklatante Mangel an nutzbaren Bildern. Es sollte zwar mal ein Bildarchiv aufgebaut werden, aber die Praktikantin, die damit beauftragt war, ist am Arbeitsaufwand verzweifelt. Deshalb greift die Institution auf die immer gleichen Bilder aus einer alten Fotosession zurück und ergänzt sie durch schablonenhafte Archivfotos, die bei großen Bilddatenbanken eingekauft werden. Für die Wissenschaftskommunikation ist eine umfassende Bilderdatenbank so wichtig wie ein leistungsstarker Presseverteiler. Der digitale Bilderpool ist gut strukturiert und lässt sich komfortabel durchsuchen. Das Datenbankvolumen liegt im vierstelligen, besser noch im fünfstelligen Bereich. Die Bilder werden ständig aktualisiert. Fotos erzählen tägliche Geschichten und gehören überall dazu. Heutzutage sind alle Akteure in der Institution potenzielle Fotografen bzw. Filmemacher und für Bilder mitverantwortlich. Sie haben ihr Smartphone griffbereit und drücken zu allen Gelegenheiten auf den Auslöser. Bei besonderen Anlässen kommt weiterhin ein Profi zum Einsatz, aber auch der sollte im Sinne der Bildreportage mitten ins Wissenschaftsleben eintauchen und fotografieren.

5.4.2 Endlich eine Themenplanung installieren Unter Themenplanung verstehe ich die systematische Suche und Aufbereitung von attraktiven internen und externen Themen mit dem Ziel, das Interesse der Stakeholder zu gewinnen und Anreize für einen gemeinsamen Dialog zu schaffen. Eine gekonnte Themenplanung wirkt wie ein Vitaminstoß für die Wissenschaftskommunikation. Sie eröffnet ganz neue Möglichkeiten von Information, Dialog und Interaktion. In der Wissenschaft begegnen mir viele Institutionen, die ihre Themen nicht strategisch vorausplanen, sondern taktisch die jeweils anstehenden Themen angehen. Andere planen ihre Themen zwar lange im Voraus, kommen aber dennoch nicht groß ins Gespräch, denn die Themen werden nur routinemäßig verwaltet. Es fehlt nicht an Themen, es fehlt an Fantasie und Kreativität in der Themenfindung und -inszenierung. Wer sich an die Themenplanung macht, der ist wie ein Theaterregisseur, der aus einem trockenen schriftlichen Skript ein mitreißendes Stück arrangiert. Wer als Regisseur mehr aus den Themen seiner Institution machen will, der muss die Themenplanung institutionalisieren, damit nicht in jeder Planungsperiode wieder gewaltige Klimmzüge notwendig sind. Themenplanung wird zu einem alltäglichen

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Prozess innerhalb des Hauses. Als Einstiegshilfe für die Themenplanung dient die Themenabfrage. Die Wissenschaftskommunikation führt in regelmäßigen Abständen eine offizielle Abfrage in allen relevanten Bereichen des Hauses durch. Im Regelfall erfolgt die Abfrage halb- oder vierteljährlich. In bewegten Zeiten kann eine monatliche Abfrage sinnvoll werden. Die Ergebnisse der Abfrage werden von der Themenredaktion sortiert und bewertet. Die Themenredaktion ist ein Arbeitstreffen aller Kommunikationsbeteiligten jeweils im Anschluss an die Themenabfrage. Das Ergebnis des Treffens ist ein Themenplan. Der Plan erfasst alle relevanten Themen der nächsten Kommunikationsperiode, beschreibt, wie die Themen inhaltlich aufbereitet werden, wie das Timing des Themeneinsatzes aussieht und mit welchen Instrumenten die Themen in Szene gesetzt werden. Der Themenplan ist quasi das Drehbuch für die bevorstehende Inszenierung. Die Themenredaktion behält bei der Themenplanung das gesamte Spektrum der möglichen Themen im Blick. Gesprochen wird über aktuelle Themen, die sich überraschend aufgetan haben und deshalb kurzfristig in die Planung aufgenommen werden. Im Mittelpunkt des Arbeitstreffens stehen allerdings die langfristig planbaren Themen (vgl. Abb. 5.8). An vorderster Front der planbaren Themen stehen die eigenen Themen, die sich aus den Leistungen und Ereignissen der Institution ergeben. Falls sich herausstellt, dass die vorhandenen eigenen Themen nicht genügend Zugkraft entwickeln, können inszenierte Themen als Verstärkung hinzukommen. Inszenierte Themen werden speziell für den Kommunikationseinsatz geplant und umgesetzt. Da entschließt sich zum Beispiel eine Institution, für Studierende einen Ideenwettbewerb zu veranstalten, über den dann breit

Abb. 5.8   Breites Spektrum der Themenarten

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berichtet wird. Oder eine Forschungsgemeinschaft lädt einen Spitzenwissenschaftler zum Austausch mit wissenschaftlichen Nachwuchs ein und bringt das Treffen in die Nachrichten. Inszenierte Themen sind das kreative Spielbein der Themenplanung und ergänzen das Standbein der vorhandenen Themen. Hinzu kommen externe Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Soweit ein Bezug zu den eigenen Kompetenzen und Leistungen erkennbar ist, können starke externe Themen jederzeit als Aufhänger für Kommunikationsaktivitäten dienen. Vorteile und Talente der Institution treffen auf Trends und Chancen draußen im Umfeld. 9. Planungsgrundsatz

Eine offensive Themenplanung holt aus allen Themen der Institution das Beste heraus. Sie identifiziert Themen, inszeniert Themen, macht aus Themen Storys und setzt inhaltliche Höhepunkte.

Das verantwortliche Planungsteam hat im Rahmen der Themenabfrage hoffentlich eine Vielzahl von Themen gesammelt. Viele Themen auf gleichem Niveau zu kommunizieren, brächte zu wenig Kontur. Im Redaktionsplan müssen klare Prioritäten gesetzt werden. Schwerpunktthemen sind herausragende Anlässe und Ereignisse, Entwicklungen und Erfolge aus der Institution mit hohem Neuigkeitswert und viel Story-Potenzial. Nur wenige Themen gehören zu diesem exklusiven Kreis. Sie bilden die Highlights der Kommunikation und sollen eine breite Resonanz generieren. Unter den Standardthemen versammelt sich eine große Zahl von kleinen und mittleren Anlässen und Ereignissen aus der Institution oder dem Umfeld, die zu den Pflicht- und Regelthemen gehören und durchschnittlichen Neuigkeitswert haben. Sie werden angemessen aufbereitet und kommuniziert. Und dann gibt es da noch die Reserve- und Ausschussthemen. Das sind die Themen aus der Abfrage, die nicht über genügend Science Appeal verfügen, um die Kommunikation nach vorne zu bringen. Manche Forschungsteams reagieren beleidigt, wenn man ihnen mitteilt, dass ihre Themen nicht für die Kommunikation taugen. Dennoch muss das Planungsteam hart bleiben, nicht die internen Wünsche der Abteilungen, nur die Kommunikationschancen bei den Stakeholdern bestimmen die Themenauswahl. Über Themen wird nicht einfach informiert. Das war gestern. Heute werden viele Themen zu Storys ausgebaut und ins Gespräch gebracht. Geschichten erzeugen Bilder und Emotionen, gut erzählt, sind sie spannend und ergreifend. Sie laden die Rezipienten zum Weitererzählen und Darüber reden ein. Storys sind hervorragende Impulsgeber für den Dialog. Nicht zuletzt lernen und erinnern sich Geschichten wesentlich besser als rationale Inhalte, die sachlich nüchtern präsentiert werden. Storytelling kann die Energie, die in den Themen steckt, optimal ausnutzen. Allerdings ist Storytelling kein Universalschlüssel für die gesamte Themengestaltung einer Institution. Einige Themen der Wissenschaft taugen nicht, um sie wirkungsvoll in eine Geschichte zu verpacken, es entstünde nur ein fader Erzählfaden. Deshalb spielt die klassische Themeninformation weiterhin eine wichtige Rolle und für eine Reihe von Themen ist sie die erste Wahl.

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Im nächsten Schritt müssen die Themen und ihre Storys in konkrete Handlung übersetzt werden. Die Handlung wird getragen durch ausgewählte Maßnahmen, die das Thema mit Schrift, Ton, Bild, Animation, Dialog und Interaktion transportieren. Die strategische Kommunikationsplanung tut alles, um aus etablierten und neuen Kommunikationsmaßnahmen der Institution einen überzeugenden Themenauftritt zu realisieren.

5.4.3 Maßnahmenplanung als Systemplanung Die strategischen Koordinaten legen die Routen zu den Zielen und Zielgruppen fest. Die Maßnahmen sind die Transportmittel, die auf den strategischen Routen die Kommunikationsinhalte voranbringen. Hauptorientierungsgröße für die Ausrichtung der Maßnahmenplanung sind die Kommunikationsziele. Die Ziele können sich nicht selbst erreichen, die Maßnahmen sind die Zugpferde in Richtung der Ziele. Um eine effiziente Zielerreichung zu gewährleisten, behält die Maßnahmenplanung stets das gesamte Instrumentarium der Wissenschaftskommunikation im Blick und wählt genau die Instrumente aus, die sich am effizientesten für die Zielerreichung einsetzen lassen. Dabei konzipiert das Planungsteam über Abteilungen und Verantwortungsbereiche hinweg. Die Planung ist einzig der optimalen Zielerreichung verpflichtet. Das kann im Einzelfall sogar bedeuten, dass sich das Planungsteam über die Grenzen der Kommunikation hinausbewegt und andere Funktionsbereiche der Institution einbezieht. Gibt es für eine Kommunikationsaktion ein frappantes Personalproblem, weil die geeigneten Leute fehlen? Dann macht die Kommunikation einen realistischen Lösungsvorschlag. Fehlen für eine Corporate Citizenship-Aktion die finanziellen Mittel? Dann entwickelt das Team machbare Vorschläge für das Fundraising. John Maynard Keynes soll einmal gesagt haben: „Die Schwierigkeit liegt nicht darin, neue Ideen zu finden, sondern die Alten loszuwerden.“ Diese Feststellung kann ich nur unterstreichen. Viele Institutionen haben einen zufällig gewachsenen Stamm von Kommunikationsmaßnahmen, der seit längerer Zeit eingesetzt wird, der vertraut und gewohnt wirkt. Bei kritischem Blick stellt sich heraus, dass einige der Maßnahmen nur wenig zur Zielerreichung beitragen und für eine wirksame Kommunikation eher Ballast darstellen. Dennoch fällt es allen schwer, sich von ihnen zu trennen. Im ersten Schritt der Maßnahmenplanung wird der vorhandene Maßnahmenstamm überprüft (vgl. Abb. 5.9). Es wird quasi ein Eignungstest durchgeführt. Messlatte sind die Resultate der Vergangenheit und die strategische Eignung für die Zukunft. Falls die einzelne Stammmaßnahme akkurat in die Kommunikationsstrategie passt, ist die Sache klar: die Maßnahme bleibt im Dienst. Eine andere Stammmaßnahme fügt sich im Großen und Ganzen in die Strategie, allerdings gibt es an einigen Stellen eine spürbare Unwucht. Zum Beispiel setzt der neue Kommunikationskurs voll auf Dialog, aber das altbewährte Hochschulmagazin beinhaltet keinerlei Dialogelemente. In einem solchen Fall nehmen sich die Kommunikationsverantwortlichen die Maßnahme vor und bauen sie so um, dass sie sauber auf der strategischen Linie liegt. Eine dritte Stammmaßnahme

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kann man drehen und wenden, sie will einfach nicht in die Strategie passen. In dem Fall ist die Entscheidung kompromisslos, die Maßnahme wird aussortiert. Ich muss immer wieder feststellen, dass in manchen Institutionen die Kommunikationsarbeit so mit Ballast überfrachtet wird, dass das gesamte Kommunikationsteam völlig überlastet ist und sich abstrampelt, aber trotzdem nicht richtig vorankommt. Eine konsequente Bereinigung des alten Maßnahmenstamms wirkt in dem Fall wie ein Befreiungsschlag. 10. Planungsgrundsatz

Die Kommunikationsmaßnahmen erneuern sich ständig. Bewährte Stammmaßnahmen werden mit neuen frischen Ideen verbunden. Integriert werden alle Bereiche der Kommunikation.

Auch muss jede einzelne Stammmaßnahme immer wieder neu erfunden werden. Es wäre ein Fehler, mehrere Jahre hintereinander die gleiche Journalistenreise mit dem gleichen Programmablauf zu organisieren, denn von Jahr zu Jahr würde der „News Value“ weiter sinken. Deshalb misstraue ich einer Aussage wie „Das hat sich bewährt. Das kann so bleiben!“ Keine Maßnahme im Planungssystem darf „von der Stange“ kommen. Das Planungsteam muss mit neuen Ideen den Science Appeal immer wieder auffrischen. Damit nicht genug. Ein wirksamer Maßnahmenstamm ist ein sich erneuernder Organismus. Ständig verändert sich etwas, kommt etwas Neues hinzu. Das Planungsteam sollte darum immerzu auf der Suche nach neuen Maßnahmenideen sein, die im Sinne der Kommunikationsstrategie eine wesentliche Verstärkung bringen.

Abb. 5.9   Neue Ideen und bewährter Maßnahmenstamm

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11. Planungsgrundsatz

Die Maßnahmen werden miteinander vernetzt. Die zentrale Rolle im Netzwerk spielen nicht mehr konventionelle Informationsinstrumente, sondern auf Stakeholder zugeschnittene Dialog-, Partizipations- und Beziehungsmaßnahmen.

Kommunikationsmaßnahmen sind nie Einzelkämpfer, die nacheinander in den Einsatz geschickt werden. Die strategische Kommunikationsplanung versteht die Maßnahmen als vernetztes System. Maßnahmenplanung ist Systemplanung. Im nächsten Planungsschritt werden deshalb alle Mittel und Maßnahmen miteinander vernetzt. Falls einzelne Maßnahmen im Netzwerk nicht die gewünschte Wirkung zeigen, gibt es zahlreiche weitere Querverbindungen, über die sich die Kommunikation erfolgreich ausbreiten kann. Die Richtgröße für die Netzwerkbildung ist die Themenplanung. Die Themenhighlights bilden die Hauptknotenpunkte, um die herum sich alles andere anordnet. Es kommt darauf an, mit vielen Verbindungen ein dichtes Geflecht zu schaffen, das die Stakeholder unter Spannung setzt. Die Maßnahmen sollten gemeinsam von allen Beteiligten in der Institution konzipiert werden. Aufgrund der dezentralen Organisation vieler Institutionen können die Aktivitäten aber nur selten zentral dirigiert und realisiert werden. Die einzelnen Institute oder Fakultäten müssen in die Lage versetzt werden, selbstständig, aber dennoch abgestimmt zu kommunizieren. Es braucht gemeinsame Kommunikationskonzepte, gemeinsame Abstimmungsgremien und Informationsplattformen, um die Koordination zu gewährleisten. Die gesamte Planung ist so konzipiert, dass Freiräume für die dezentrale Kommunikation erhalten bleiben. Alle Kommunikationsaktivitäten gehören erkennbar zur Familie, dennoch können die Kunstpädagogen innerhalb der Familie eine andere Persönlichkeit entwickeln als die Mathematiker oder die Soziologen. Das Instrumentarium der wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland ist vom Ursprung her ein Informationsinstrumentarium, an das später Dialoginstrumente angedockt wurden. Das funktioniert nicht optimal, denn zu viele Anbau-Kompromisse behindern den Dialog. Ich empfehle in meinen Konzepten, das Instrumentarium von Grund auf neu auszurichten. Die Zukunft gehört einem Dialog- und Interaktionsinstrumentarium mit integrierten Informationswerkzeugen. Die Schubumkehr der Kommunikation in Richtung Dialog wird erfahrungsgemäß nicht einfach, denn sie widerspricht der über Jahrzehnten eingeübten Verkündigungskultur vieler Institutionen und Kommunikationsabteilungen. Die dialogorientierte Konstruktion der Kommunikation erfordert eine konsequente Planung auf allen Ebenen. Wer einen Share-Button unter seine News platziert, betreibt noch keinen Dialog. Wer den Zielgruppen einen Bastelbogen zum Selberbauen einer Camera obscura überreicht, betreibt noch keine Partizipationskommunikation. Die strategische Kommunikationsplanung denkt ab sofort die gesamte Kommunikation vom

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Standpunkt des Dialogs aus. Kombiniert werden klassische Dialoginstrumente wie Audits, Zukunftswerkstätten, Runde Tische oder Sprechstunden mit den neuen digitalen Dialog-Instrumenten wie Social Media, Weblogs, Online-Foren oder Wikis. Durch einen konstruktiven Dialog steigt die Chance, dass aus Mitredenden Mitwirkende werden. Auch dafür stellt die Kommunikationsplanung das passende Instrumentarium bereit. Die Mitwirkung ist ausdrücklich gewünscht und wird systematisch gefördert. Die Stakeholder werden motiviert, sich in den Bürgerbeirat wählen zu lassen, an archäologischen Ausgrabungen teilzunehmen, in ein Crowdfunding-Projekt zu investieren oder bei einem interaktiven Webinar dazuzulernen. Sobald sich Stakeholder aktiv an Dialog- und Partizipationsmaßnahmen beteiligen, entsteht eine Beziehung und diese Beziehung will gepflegt werden. Das Ziel ist, eine dauerhafte Bindung aufzubauen und weiter zu vertiefen. Auch dazu steht ein spezielles Instrumentarium zur Verfügung. Zu den Instrumenten der Beziehungspflege gehören z. B. Newsletter mit Insider-Charakter, exklusive Push-Meldungen auf das Smartphone oder persönliche Einladungen zu Veranstaltungen. Eine besondere Front des Dialogs ist die Pressearbeit. Die Standardpressearbeit hat sich überlebt. So ist es schwer geworden, mit einer Pressemitteilung eine ausreichende Medienresonant zu erzielen. Wissenschaftsjournalisten finden täglich eine dreistellige Zahl von Presseinformationen in ihrem digitalen Postfach, nur ein Bruchteil davon führt zu einer Veröffentlichung. Auch sind große Anstrengungen notwendig, um Journalisten zu einer Pressekonferenz zu bekommen. Niemand hat dafür Zeit. Selbst bei größeren Anlässen verzichten einige wissenschaftliche Institutionen inzwischen auf eine begleitende PK. Die Zukunft gehört der individuellen PR, die nicht mit großem Verteiler breit streut, sondern Journalisten punktgenau und persönlich anspricht. Mit jedem Einzelkontakt stellt die Wissenschaftskommunikation sicher, dass sie den Nerv des angesprochenen Journalisten trifft und ihm nicht auf den Nerv geht. Zum Instrumentarium gehören individuell geschnürte Infopakete für Journalisten, substanzhaltige Hintergrundgespräche mit Wissenschaftlern oder Angebote für die exklusive Veröffentlichung einzelner Themen der Institution. In letzter Zeit werden Stimmen laut, die behaupten, dass die klassischen Kommunikationsmaßnahmen von digitalen Instrumenten abgelöst werden. Die Protagonisten des digitalen Wandels gehen dabei sehr missionarisch zu Werke und entwickeln ein echtes Drohszenario. Ihr Armageddon heißt disruptive Transformation. „Wer nicht alles auf Digital setzt, der geht unter!“, wird behauptet. Das ist, mit Verlaub gesagt, Blödsinn! Content Marketing, Influencer Marketing, Programmatic und Real Time Advertising – durch die digitale Entwicklung kommt es zu einer Dominanz des Operativen, die mir Sorgen bereitet. Heutzutage hat der trendaffine Kommunikationsmensch auf seinem Notebook ein Dashboard für das Monitoring. Er kann zum Beispiel jederzeit nachschauen, wie viel Leute auf der Website sind und wie lange sie sich aufhalten. Eine grüne Ampel suggeriert, dass alles okay ist. Eine rote Ampel gibt Alarm und empfiehlt sofortiges Handeln. Wozu eine Strategie entwickeln, wenn man in Echtzeit alles unter

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Kontrolle halten und sofort reagieren kann? Algorithmen sollen Strategie ersetzen. Da wird eine Planungssicherheit vorgegaukelt, die nicht existiert. Die Wissenschaftskommunikation darf diese Hypes nicht mitmachen, denn das meiste davon ist heiße Luft. Erst wenn sich ein Instrument bewährt und seine Leistungsstärke unter Beweis gestellt hat, wird es für die Wissenschaftskommunikation relevant. Durch den digitalen Fortschritt wird sich die Wissenschaftskommunikation auf der operativen Planungsebene fundamental verändern. Wissenschaft kommuniziert in zehn Jahren ganz anders als heute. Die Zukunft gehört allerdings nicht allein der digitalen Seite der Kommunikation, alles auf Digital zu setzen, wäre eine Sackgasse. Die klassischen Kommunikationsmaßnahmen werden weiter eine wichtige Rolle spielen. Die Rollenverteilung ist mit dem Unterschied zwischen einem digitalem Musik-Stream und einer analogen Langspielplatte vergleichbar. Soll ein Kommunikationsimpuls als besonders präsent, fassbar und wertig empfunden werden, läuft die Maßnahmenplanung auf der klassischen Schiene. Wenn eine flotte, schnelle, reichweitenstarke Kommunikationsaktion geplant ist, bekommt die digitale Schiene Vorfahrt. Meine Erfahrung: Erst durch die richtige Weichenstellung zwischen den beiden Schienen entsteht eine wirksame Kommunikation. Für die strategische Kommunikationsplanung sind die Konsequenzen eindeutig. Die Kommunikationsstrategie steht über den technischen Kategorien von Digital und Analog. Sie ist Zielen, Zielgruppen, Positionierung, Botschaften verpflichtet und legt sich nicht auf Tools und Technik fest. Wenn der beste Weg zur Umsetzung der Strategie digital ist, wird der Weg beschritten. Ist der beste Weg analog, dann nutzt die Institution die klassischen Instrumente. Ich plädiere für Rationalität und Reflexion in der Kommunikationsplanung und warne vor einem digitalen Überschwang, der in der Welt der Wissenschaft nichts zu suchen hat. Die Maßnahmenplanung in der Wissenschaftskommunikation folgt nicht jeder digitalen Sau, die durchs Dorf gejagt wird. Die richtige Reaktion auf den Zeitgeist lautet: Ruhe bewahren, abwarten und besonnen auf den digitalen Fortschritt reagieren.

5.4.4 Realisierung und Erfolgskontrolle In der Realisierungsphase der Kommunikation ist das strategische Planungsteam nur selten noch an Bord. Die Planungsbeteiligten engagieren sich längst für andere strategische Kommunikationsaufgaben und bekommen nicht mit, was in der Umsetzung gut oder schiefläuft. Das ist ein Fehler. Das strategische Planungsteam muss als Lotse der Strategie auch während der gesamten Umsetzung in Bereitschaft bleiben und bei Bedarf eingreifen. Sein Einsatz stellt sicher, dass die strategische Linie nicht verwischt und die Macht des Faktischen die Umsetzungsarbeiten diktiert. Das Team wird bei relevanten Problemen sofort involviert, wägt die zur Verfügung stehenden Optionen ab und macht konstruktive Lösungsvorschläge.

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In manchen Institutionen entwickelt das Planungsteam ein detailliertes Kommunikationskonzept als Realisierungsgrundlage, das von den Gremien verabschiedet wird und danach 1:1 umgesetzt werden muss. Es stellt sich als ein frappanter Konstruktionsfehler heraus, die Maßgaben der Planung sozusagen „in Stein zu meißeln“. Die strategische Kommunikationsplanung versteht sich als ein flexibler Planungsprozess, der aufgrund der internen Entwicklungen in der Institution oder externer Erfordernisse im Umfeld jederzeit angepasst werden kann. Die Kommunikationsplanung ist ein ständiger Lernprozess. Falls notwendig, bekommt die Planung mehrere Updates. Die Versionen 1.2, 1.7, 2.0 und höher entstehen, sodass die Ansprache der Stakeholder immer auf der Höhe der Zeit bleibt. 12. Planungsgrundsatz

Die strategische Planung bleibt auch in der Realisierungsphase dicht am Geschehen. Durch systematische Erfolgskontrolle werden Lücken und Fehler sofort erkannt und gegengesteuert. Die Planungsfunktion lernt laufend dazu, bleibt flexibel und verbessert den Wirkungsgrad der Kommunikation.

Damit die Wissenschaftskommunikation trotz Flexibilität sicher entscheiden kann, braucht es eine hochentwickelte Erfolgskontrolle. Ihre Aufgabe ist die systematische Erfassung, Messung und Bewertung aller maßgeblichen Kommunikationsprozesse mit dem Ziel, die Qualität und Wirksamkeit der Kommunikation zu erhöhen. Es reicht nicht aus, sich im Anschluss an eine Kommunikationsaktion die Ergebnisse anzuschauen. Die Erfolgskontrolle beginnt, schon vor dem Kommunikationsstart zu greifen. Wichtige Botschaften, Gestaltungselemente und Maßnahmen werden in Tests auf ihre Zielgruppentauglichkeit hin überprüft. Während der Laufzeit der Kommunikation werden durch ein permanentes Monitoring, alle Aktivitäten teilweise in Echtzeit kontrolliert. Bleibt eine Maßnahme zurück oder läuft in die falsche Richtung, greift die Kommunikation sofort ein und steuert um. Die Eingriffszeiten liegen bei Stunden, nicht bei Tagen oder Wochen. Nach dem Kommunikationsende fasst das Planungsteam alle wichtigen Ergebnisse in einem Abschlussreport zusammen. Das mit Abstand wichtigste Instrument der Erfolgskontrolle ist jedoch der Dialog. Durch den ständigen Kontakt mit den Stakeholdern, durch den permanenten Austausch von Informationen und Meinungen, durch intensives Ohrenspitzen und Zuhören, erfasst das Planungsteam frühzeitig, ob die Resonanz zu schwach ist, Misstöne vernehmlich werden und Shitstorms aufziehen. Das Team kann im Dialog eigene Schwächen und extern aufkommende Bedrohungen sofort erkennen und gegensteuern. In Gesprächen genau hinzuhören, ist dabei nicht allein Aufgabe der Kommunikationsverantwortlichen. Alle in der Institution werden dafür sensibilisiert und geben bei auffälligen Beobachtungen sofort Feedback.

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5.5 Fazit Zum Abschluss fasse ich noch einmal die zwölf Grundsätze der strategischen Kommunikationsplanung zusammen: • 1. Grundsatz – Um den steigenden Kommunikationsanforderungen gerecht zu werden, muss die zukünftige Arbeit der Wissenschaftskommunikation auf einer strategischen Planungsfunktion basieren, die langfristig und ganzheitlich ausgerichtet ist. • 2. Grundsatz – Ausgangspunkt der strategischen Planung ist eine gründliche Analyse der maßgeblichen internen und externen Faktoren. Es entsteht ein aussagekräftiges Lagebild, das zur Orientierungsgröße für die Strategiefindung wird. • 3. Grundsatz – Die Kommunikationsziele bilden den Einstieg in die Strategie. Sie sind als flexibles Zielbündel mit eindeutigen Kennzahlen zu formulieren und stets an einer langfristigen Zielsetzung auszurichten. • 4. Grundsatz – Die strategische Planung streut nicht breit, sondern konzentriert sich auf die wichtigen Stakeholder und stellt den Dialog in den Vordergrund. Dabei wird zwischen Science-to-Science- und Science-to-Public-Ansprache unterschieden. • 5. Grundsatz – Zentraler Referenzpunkt der Kommunikationsstrategie ist die Positionierung. Sie legt fest, wofür die Institution und ihre Leistungen zukünftig in den Köpfen der Stakeholder stehen sollen. Gesucht wird eine Position, die herausragt. • 6. Grundsatz – Mit den Botschaften werden inhaltliche Leitplanken für die gesamte Kommunikationsarbeit aufgestellt, an denen sich alle Inhalte ausrichten. Die Botschaften sind so zu formulieren, dass sie gerne weitererzählt werden. • 7. Grundsatz – Zum Transport der Botschaften wird vorrangig auf dialogorientierte Strategien zurückgegriffen. Die jeweilige Institution sucht systematisch das Gespräch mit den Stakeholdern und kommuniziert auf Augenhöhe. Die Gesprächsteilnehmer haben hinterher das gute Gefühl, dass sich der Dialog gelohnt hat. • 8. Grundsatz – Wissenschaftskommunikation wird kreativ geplant. Sie verbindet kompetente Sachinformation mit starken Ideen und prägnanten Bildern. Ihre Intention ist ein authentischer Science Appeal. • 9. Grundsatz – Eine offensive Themenplanung holt aus allen Themen der Institution das Beste heraus. Sie identifiziert Themen, inszeniert Themen, macht aus Themen Storys und setzt inhaltliche Höhepunkte. • 10. Grundsatz – Die Kommunikationsmaßnahmen erneuern sich ständig. Bewährte Stammmaßnahmen werden mit neuen frischen Ideen verbunden. Integriert werden alle Bereiche der Kommunikation. • 11. Grundsatz – Die Maßnahmen werden miteinander vernetzt. Die zentrale Rolle im Netzwerk spielen nicht mehr konventionelle Informationsinstrumente, sondern auf Stakeholder zugeschnittene Dialog-, Partizipations- und Beziehungsmaßnahmen. • 12. Grundsatz – Die strategische Planung bleibt auch in der Realisierungsphase dicht am Geschehen. Durch systematische Erfolgskontrolle werden Lücken und Fehler sofort erkannt und gegengesteuert. Die Planungsfunktion lernt laufend dazu, bleibt flexibel und verbessert den Wirkungsgrad der Kommunikation.

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Bleibt nur noch eine letzte Frage an die Leserinnen und Leser: Hand aufs Herz! Wie sieht es in Ihrer Institution aus? Welche Planungsschritte kommen zum Einsatz? Wo gibt es noch Nachholbedarf? Wie weit sind die Grundsätze der strategischen Kommunikationsplanung in Ihrer Institution bereits Realität?

Weiterführende Literatur Charisius, Hanno: Misstrauen in Wissenschaft, Alarmsignal für die aufgeklärte Gesellschaft, Süddeutsche Zeitung Online, http://www.sueddeutsche.de/wissen/misstrauen-in-wissenschaft-alarmsignal-fuer-die-aufgeklaerte-gesellschaft-1.3069380, Erscheinungsdatum:10. Juli 2016 (2016), zugegriffen am 22.08.2018 Hansen, Renée; Bernoully, Stephanie: Konzeptionspraxis: Eine Einführung für PR- und Kommunikationsfachleute. Mit einleuchtenden Betrachtungen über den Gartenzwerg. Frankfurt, Frankfurter Allgemeine Buch, 6. Aufl., (2013) Hartleben, Ralph-Eric; von Rhein, Wolfram: Kommunikationskonzeption und Briefing: Ein praktischer Leitfaden zum Erstellen zielgruppenspezifischer Konzepte, Erlangen, Publicis, 3. Aufl., (2014) Ruisinger, Dominik: Die digitale Kommunikationsstrategie. Praxis-Leitfaden für Unternehmen. Stuttgart, Scheffer-Poeschel, (2016) Schmidbauer, Klaus; Jorzik, Oliver – Wirksame Kommunikation mit Konzept – ein Handbuch für Praxist und Studium, Potsdam, Talpa-Verlag, (2017) Schmidbauer, Klaus: Vorsprung mit Konzept: Erfolgreiche Konzepte für die Unternehmens- und Marketingkommunikation entwickeln. Potsdam, Talpa-Verlag, (2011)

Klaus Schmidbauer ist seit über 30 Jahren als Konzeptioner für strategische Kommunikationsplanung im Einsatz. In der Zeit sind weit über 1500 Konzepte für Institutionen und Unternehmen im deutschsprachigen Raum entstanden, darunter auch zahlreiche Konzepte im Bereich Forschung und Hochschule. Er unterrichtet seit 2006 im Studiengang Wissenschaftsmarketing an der Technischen Universität Berlin, ist Autor mehrerer Fachbücher zur strategischen Planung von Kommunikation und mit seinem Konzeptionerblog einer der „dienstältesten“ Blogger in Deutschland.

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Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing und Marktforschung: Wie Marketing Intelligence im Hochschulsektor zur Organisationsentwicklung und Positionierung von Hochschulen beiträgt Ulrike Koch Zusammenfassung

Hochschulen und Forschungseinrichtungen weltweit kämpfen unter starkem Konkurrenzdruck um die Aufmerksamkeit ihrer unterschiedlichen Zielgruppen. Zur besseren Wahrnehmung ihrer Leistungskraft ist eine systemische Positionierung der Akteure – sowohl auf nationaler als auch auf institutioneller Ebene – im internationalen Wettbewerb zunehmend erforderlich. Institutionelle und systemische Evaluationen zum Grad und zur Ausrichtung der Internationalisierung helfen Bund, Ländern und Hochschulen bei der Entwicklung von Internationalisierungsstrategien. Die Strategien dokumentieren das Selbstverständnis und Entwicklungspotenzial der Hochschulen und geben ihren institutionellen internationalen Ambitionen Ziel und Richtung. Hierauf kann das internationale Marketingmanagement konkret aufsetzen und tragfähige Konzepte und Maßnahmen zur Organisationsentwicklung, Zielgruppenorientierung und transnationalen Positionierung erarbeiten. International orientierte Education und Marketing Intelligence sollte hierzu durch gezielte Marktforschungsstudien und Evaluationen stärker gefördert werden.

U. Koch (*)  Networking Science and Education, Bonn, Deutschland © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_6

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6.1 Warum Internationalisierung? Was ist internationales Hochschulmarketing und warum brauchen wir es? Die Impulse und Beweggründe für eine Internationalisierung sind vielfältig. Die Wissenschaftsministerinnen und -minister der Bundesrepublik Deutschland haben es in ihrem Positionspapier so formuliert: Warum Internationalisierung „Internationalisierung ist ein zentraler Baustein der institutionellen Profilentwicklung der deutschen Hochschulen und als wesentliches Instrument der Qualitätsentwicklung zugleich Motor der Hochschulreform. Sie dient der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und dem Dialog der Kulturen. Die Internationalisierung prägt maßgeblich die weitere Entwicklung unserer Hochschulen und des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Wir wollen Hochschulen, die so gut sind, dass sie im Wettstreit mit den besten Hochschulen anderer Länder attraktiv und konkurrenzfähig sind und zur Lösung globaler Herausforderungen beitragen. Die Ausgangsbedingungen sind gut. Deutschland verfügt über ein enges Netz an exzellenten Hochschulen mit guter Breitenausbildung.1“

Es ist anzunehmen, dass die Beweggründe für die Internationalisierung Ziele und strategische Erfolgsfaktoren für die Hochschulen darstellen könnten. Was ist internationales Hochschulmarketing und warum brauchen wir es?  DEFINITION (internationales) HOCHSCHULMARKETING  Unter (internationalem) Hochschulmarketing versteht man das Marketing von Hochschulen mittels unterschiedlicher Maßnahmen. Hierbei geht es um die Positionierung von Hochschulen (mitunter einzelner Bereiche) auf dem (internationalen) Markt der (tertiären) Bildung für unterschiedliche Zielgruppen (Studieninteressierte, Studierende, Forschende, Alumni, …) und Stakeholder (Kooperationspartner, Entscheider, Personalabteilungen, Eltern…). (Vgl. GATE-Germany 2017, S. 19). Grundsätzlich geht es darum, die Aufmerksamkeit von Interessenten, Kooperationspartnern und Entscheidern auf die Leistungskraft, die Standortfaktoren und die Attraktivität der im Fokus stehenden Institutionen und Angebote zu lenken, Kunden- und Serviceorientierung in den Fokus zu rücken sowie die deutschen Hochschulen weltweit als attraktive Partner für Bildung und Forschung zu positionieren. Ziele des internationalen Hochschulmarketings2 sind zumeist • die Erhöhung der Zahl internationaler Studierender, Dozenten und (Gast-) Wissenschaftler • die Entwicklung und Ausgestaltung von Kooperationen und Partnerschaften mit ausländischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen 1Strategie

der Wissenschaftsminister/innen von Bund und Ländern für die Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland (2013, S. 2). 2GATE-Germany (2017): Internationales Marketing an deutschen Hochschulen. Strukturen und Prozesse – Ergebnisse einer Studie, S. 20.

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• die Erhöhung der Zahl deutscher Dozenten und Wissenschaftler mit internationaler Lehr- und Forschungserfahrung • die Erhöhung der Zahl deutscher Studierender mit studienbezogenem Auslandsaufenthalt sowie • die internationale Positionierung der Hochschule (mitunter auch einzelner Bereiche) In Deutschland ist internationales Hochschulmarketing – im Vergleich zu Ländern, die schon länger in diesem Gebiet tätig sind, darunter das Vereinigte Königreich, Australien und Neuseeland – ein noch vergleichsweise junges Tätigkeitsgebiet, das sich aber auch hierzulande zunehmend im Management der Hochschulen sowie als Profession etabliert. Die Anfänge des Hochschulmarketings in Deutschland hat Christian Bode, ehemaliger Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauchdienstes (DAAD), einmal so beschrieben: 

„Die Idee, die internationale Positionierung der deutschen Hochschulen als Handlungskonzept zu formulieren, entstand etwa in der Mitte der 90er Jahre. … Fünf Jahre der Annäherung an das Thema, der Beobachtung der internationalen Szene und der politischen Willensbildung, weitere fünf Jahre der konkreten Gründung von Strukturen, der Allokation von Ressourcen für das Marketing und der Sammlung von Erfahrungen mit verschiedenen Instrumenten. (Bode 2006)“

Einen ersten großen strukturbildenden Entwicklungsschub hat das internationale Hochschulmarketing im Jahr 2000 erfahren. Angesichts der demografischen Entwicklung, des starken Wettbewerbs um kluge Köpfe weltweit und zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Bildungs- und Forschungsstandortes wurde von der damalig existierenden Bund-Länder-Kommission (BLK3) am 30. Oktober 2000 die Initiative „Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“ ins Leben gerufen. 35 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Industrie schlossen sich hier zu einer sogenannten „Konzertierten Aktion4“ zusammen, um ein abgestimmtes, arbeitsteiliges Handeln unter den Akteuren in die Wege zu leiten. Diese hatte sich zum Ziel gesetzt, die Internationalisierung von Forschung und Lehre gemeinsam zu stärken und

3Nachfolgeorganisation

der Bund-Länder-Kommission (BLK) ist die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK). 4Mitglieder: Für den staatlichen Bereich: Bund, Länder, Deutscher Städtetag, Bundesbeauftragter für das Hochschulmarketing. Für die Mittler- und Forschungsorganisationen: Alexander von Humboldtstiftung, Bundesinstitut für Berufsbildung, Carl Duisberg Gesellschaft, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutsches Studierendenwerk, Fraunhofer-Gesellschaft, Goethe-Institut, Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren, Hochschulrektorenkonferenz, Konzertierte Aktion Weiterbildung, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, Wissen-

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das Marketing für Bildung und Forschung in Deutschland konzertiert aufzubauen, international auszurichten und effektiv zu gestalten. Drei wesentliche Entwicklungslinien wurden hierzu vereinbart: 1) Weltweite Werbung für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland, 2) Die Verbesserung der aufenthaltsund arbeitsrechtlichen Bedingungen für internationale Studierende und Wissenschaftler in Deutschland, 3) Optimierung des Studien- und Betreuungsangebotes an deutschen Hochschulen zur Erhöhung der Attraktivität eines Aufenthaltes. In einem sogenannten Aktionsrahmen beschrieb die Konzertierte Aktion die gemeinsam vereinbarten Schritte5. Aktionsrahmen „Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“, 30. Oktober 2000 (Zusammenfassung der Aktionslinien A-F)

A. Strategischer Dialog und konzertiertes Handeln in der Initiative Zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland wird von Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen und Deutsches Studentenwerk die „Konzertierte Aktion Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“ ins Leben gerufen. Das Sekretariat der Konzertierten Aktion wird mit einer Geschäftsstelle im Deutschen Akademischen Austauschdienst angesiedelt mit dem Ziel, mit beteiligten Akteuren tragfähige Strukturen und wirksame Maßnahmen für die operative Ebene zu erarbeiten. B. Werbung für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland im Ausland Aufbau einer Dachkampagne für das Bildungs- und Forschungsmarketing in Zusammenarbeit mit den größeren Auslandsvertretungen. Vorstellung der vielfältigen deutschen Bildungs- und Forschungslandschaft mit einer Medienoffensive. Bewerbung der Hochschulausbildung, der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Forschungsmöglichkeiten in Deutschland. Nutzung vorhandener OnlinePortale, Erstellung und Verbreitung fremdsprachiger Informations- und Werbematerialien, Fachstudienführer und Hinweise zu Exzellenzzentren der Forschung.

schaftsrat. Für Wirtschaft und Industrie: Bundesverband der Deutschen Industrie, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutscher Industrie- und Handelstag, Deutsche Welle, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Verein Deutscher Ingenieure. 5Eine ausführliche Version des Aktionsrahmens befindet sich auf http://docplayer.org/15284221Internationales-marketing-fuer-den-bildungsund-forschungsstandort-deutschland.html, abgerufen am 20.9.2019. Rahmenbedingungen und Entwicklungen sind durch Folgeberichte dokumentiert (z. B. 3. Folgebericht an die Regierungschefs von Bund und Ländern „Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland“ vom Dezember 2001 (www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2001/2001_12_06-Wettbewerbsfaehigkeit-3-Folgebericht.pdf).

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C. Verstärkte Betreuung und Verbesserung der Rahmenbedingungen. Etablierung einer Willkommenskultur, Einrichtung von Beratungsstellen, Beseitigung von Mobilitätshemmnissen. D. Produktoptimierung Internationalisierung von Studien- und Promotionsprogrammen, Aufbau von Graduiertenschulen, gemeinsamen Promotionsverfahren mit ausländischen Hochschulen, englischsprachigen (Online)Studienangeboten, Repräsentanzen deutscher Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Ausland sowie Export deutscher Studienangebote. E. Gewinnung ausländischer Wissenschaftler und Studierender sowie Rückgewinnung deutscher Wissenschaftler aus dem Ausland Entwicklung spezifischer Förder- und Bindemaßnahmen für Wissenschaftler im Ausland, Gewinnung ebendieser für einen Aufenthalt in Deutschland, Schaffung attraktiver Rückkehrmöglichkeiten, Förderung der Auslandserfahrung deutscher Wissenschaftler, Mentorenprogramme. F. Berufliche Weiterbildungsangebote für ausländische Fach- und Führungskräfte sowie Förderung der Zusammenarbeit Qualifizierung ausländischer Fach- und Führungskräfte, Erstellung von Informationsmaterialien zur Berufsbildung in Deutschland in mehreren Sprachen.

Im Jahr 2001 nahm die Konzertierte Aktion mit einer ersten konstituierenden Sitzung die Arbeit auf. Um Deutschland als Bildungs- und Forschungsstandort in der Welt bekannter zu machen, wurden mit der Zeit verschiedene Kampagnen entwickelt. Zunächst die Kampagne „Hi! Potentials – Careers made in Germany“, die von den beiden Kampagnen „Research in Germany – Land of Ideas“ und „Study in Germany – Land of Ideas“ abgelöst wurde. Die Kampagnen bilden das zentrale, integrative und wiedererkennbare Element für die deutschen Akteure. Die Wort-Bild-Marke „Land der Ideen6“ ist im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft (2006) entstanden und wird bis heute wegen ihres großen Erfolges von vielen verschiedenen Institutionen als Dachmarke für die Deutschlandkommunikation im Ausland eingesetzt. Im Mittelpunkt der Kampagne „Study in Germany – Land of Ideas7“ stehen Graduierte und Doktoranden, die für ein Aufbaustudium bzw. eine Promotion gewonnen werden sollen. Unter der gemeinsamen Dachmarke und mit Unterstützung des weltweiten

6https://land-der-ideen.de/ 7www.study-in-germany.de

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DAAD-Netzwerkes an Außenstellen, Informationszentren und Deutschen Wissenschaftsund Innovationshäusern (DWIH) werben die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ausgewählten Zielregionen und Ländern für ihre Einrichtungen. Sie beteiligen sich an Delegationsbesuchen, Bildungs- und Fachmessen und präsentieren ausgesuchte Studien- und Promotionsmöglichkeiten in informativen Werbemitteln, um die Zahl hochqualifizierter Talente an deutschen Hochschulen zu steigern. Die Kampagne „Research in Germany – Land of Ideas8“ hat hingegen zum Ziel, das eigenständige und professionelle Auftreten vernetzt handelnder Akteure auf dem Markt für Forschungsinteressierte zu fördern. Für diese Aufgabenstellung wurde von AvH, DAAD, DFG und FhG das „Verbundprojekt Forschungsmarketing9“ gebildet, in das jeder Verbundpartner sein spezifisches Know-how einbringt. Die vom BMBF geförderte Initiative hat zum Ziel, deutsche Forschungsleistungen und Innovationspotenziale im Ausland sichtbarer zu machen und soll so das Forschungsmarketing hiesiger Akteure an Hochschulen, Forschungseinrichtungen sowie kleinen und mittleren Unternehmen unterstützen. Unabhängig davon haben einige Bundesländer in Zusammenarbeit mit ihren Hochschulen Marketingkonzepte und Kampagnen mit internationaler Reichweite entwickelt, die (ausländische) Studieninteressenten und Nachwuchswissenschaftler für Standorte in der Region gewinnen sollen. In Kontext der Konzertierten Aktion nahm „GATE-Germany – Konsortium für internationales Hochschulmarketing“ 2001 seine Arbeit auf. Das Hochschulkonsortium hat zum Ziel, die Profilbildung und internationale Positionierung seiner (beitragszahlenden) Mitgliedshochschulen und Forschungseinrichtungen zu unterstützen. Für GATE-Germany galt es zunächst grundlegende Dienstleistungen, Managementstrukturen, Ressourcen und vor allem Marketingwissen für und in den Hochschulen aufzubauen. Hierbei wurde fast durchgehend Neuland betreten. In den vergangenen zwanzig Jahren hat das Konsortium GATE-Germany als Dienstleister deutscher Hochschulen ein umfangreiches Leistungs- und Produktportfolio10 aufgebaut, das die verschiedenen Professionalisierungsstufen, Marketingziele und Bedarfe von Hochschulen berücksichtigt. Hauptaufgabe des Konsortiums ist die internationale Positionierung deutscher Hochschulen, zu der die Bereitstellung und kontinuierliche Weiterentwicklung damit verbundener Dienstleistungen gehört, darunter Messedienstleistungen, organisierte Infotouren sowie Medien- und Informationsarbeit. Für den Expertiseaufbau im Konsortium und seinen Mitgliedshochschulen wird kontinuierlich Marketingwissen in Form von Leitfäden, Länderprofilen, Studien und Umfragen erarbeitet. Tagungen und Konferenzen dienen der Vernetzung und der Wissensverbreitung. Inhouse-Seminare, Website-Checks, Webinare 8www.research-in-germany.org 9Forschungsmarketing

ist eine spezifische Ausprägungsform des Hochschulmarketings. Im nachfolgenden Text wird nur bei Bedarf zwischen den verschiedenen Ausprägungsformen des Hochschulmarketings, zu dem beispielsweise auch das Studierendenmarketing gehört, unterschieden. 10Weiterführende Informationen zum Dienstleistungsportfolio von GATE-Germany siehe www. gate-germany.de.

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und m ­ aßgeschneiderte Marketinglösungen dienen der bedarfsgerechten Beratung und Positionierung. Fortbildungen werden unter dem Dach der internationalen DAAD-Akademie (iDA) gebündelt. So stellt der DAAD eine einzigartige Anlaufstation für das Themendreieck Internationalisierung, Hochschulmarketing und internationale Zusammenarbeit dar. Ermöglicht wird das durch die zentrale Beratung für Marketingtreibende von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die weltweite Präsenz mit Unterstützung der DAAD-Fachkräfte vor Ort, aber auch die dialogorientierten Veranstaltungsformate „DAAD-Netzwerkkonferenz“, „GATE-Germany-Marketingkongress“ sowie Workshops und Inhouse-Seminare der internationalen DAAD-Akademie. Eine „akademische“ Qualifizierung11 speziell im Hochschulmanagement und -marketing wird mittlerweile auch durch einige Hochschulen angeboten, etwa die • Technische Universität Berlin: Wissenschaftsmarketing, • Hochschule Rhein-Waal: Science Communication and Bionics, • Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer: management, • Universität Oldenburg: Bildungs- und Wissenschaftsmanagement.

Wissenschafts-

Mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung stärken die vorgenannten Einrichtungen die Professionalisierung des Marketingmanagements im deutschen Wissenschaftssektor. Sie wenden sich an Interessenten, die sich im Hochschulsektor mit Fragestellungen des Marketings, der Kommunikation und des Managements befassen: Vom klassischen Studienanfänger mit Hochschulzulassungsberechtigung, den Vertreter(innen) Akademischer Auslandsämter und der zentralen Verwaltung, über Internationalisierungsbeauftragte an Fakultäten bis zu Repräsentanten der Hochschulleitung, u. v. a. m. Diese Entwicklung ist wichtig, denn die Attraktivität von Hochschulsystemen wird weltweit beobachtet, gemessen und verglichen. Politiker und Experten leiten daraus Handlungsempfehlungen und Entwicklungschancen ab.12 Eine ideale und solide Ausgangsbasis für institutionell abgestimmte, zielgerichtete, gemeinsam getragene Internationalisierungsprozesse, auf denen Marketingstrategien und -dienstleistungen der Hochschulen aufsetzen können, bildet zudem das von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) entwickelte „Audit Internationalisierung der Hochschulen“. Aus diesem Grund wird dieses Audit an späterer Stelle näher vorgestellt.

11Eine Übersicht entsprechender Studiengänge im In- und Ausland bietet die Website https://www. wihoforschung.de/de/studiengaenge-im-inland-623.php oder https://www.hochschulkompass.de. 12U. a. Gutachten, Potenzialanalysen und Rankings, für die Entwicklung von Forschungskooperationen, die systemische Analyse oder schlicht für Überblickswissen für Hochqualifizierte, Entscheider, Unternehmer und Studierwillige, beispielsweise anhand der OECD Indicators for Talent Attractiveness (Michele Tuccio 2019).

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6.2 Zum Stand der Entwicklung von Internationalisierungsund Marketingstrategien Nach einer aktuellen Umfrage13 von GATE-Germany haben deutsche Hochschulen heute bis zu 65 % eine Internationalisierungsstrategie, aber nur rund 30 % haben eine internationale Marketingstrategie (davon sind 7,7 % rein internationale Strategien und 22,2 % gemischte Strategien national/international). Weitere 12 % der Hochschulen haben eine rein nationale Marketingstrategie entwickelt. Gründe für diese Diskrepanz sind vielfältig. Im Gegensatz zum Marketing hat die Internationalisierung als Managementaufgabe sehr viel früher Eingang in deutsche Hochschulverwaltungen gefunden. Heute sind in fast jeder Hochschule Akademische Auslandsämter bzw. Internationale Büros in der zentralen Hochschulverwaltung angesiedelt. Ihre Vertreterinnen und Vertreter setzen sich zusammen mit Internationalisierungsbeauftragen des Präsidiums und der Fakultäten für internationale Belange ein und können dabei auf gut etablierte Strukturen und Ressourcen zurückgreifen. Das internationale Marketing ist hier entwicklungstechnisch noch nicht so weit. Ressourcen und Personal mit expliziter Fachexpertise im Marketing bilden sich in vielen Hochschulen erst langsam heran. Oftmals gibt es Mitarbeiter in den Akademischen Auslandsämtern mit hervorragender Länderexpertise, aber keiner Marketingausbildung. In den Marketing- und Pressestellen wiederum gibt es Mitarbeiter mit journalistisch geprägter Kommunikationsausbildung, aber wenig internationaler Expertise. Es klafft hier eine Lücke. Wer übernimmt den Aufgabenbereich der (internationalen) Marktforschung und bringt an dieser Stelle Internationalisierungs- und Kommunikationsstrategien der Hochschule zukunftsweisend in Einklang? Marketing kann erst dann konkret, differenziert und strategisch sein, wenn klar ist, welche Ziele erreicht werden sollen und welche Instrumente bedarfsgerecht wirken. Internationalisierungsstrategien zeichnen mit ihren Zielvorgaben vor, wo und wie sich die Institution organisatorisch und international entwickeln soll. Das internationale Marketing ermittelt durch Marktbeobachtung Bedarfe, Trends und setzt seinerseits neue Impulse und Zielmarken für die Organisationsentwicklung und Internationalisierung, beispielsweise durch die Anregung passgenauer Dienstleistungen, etwa in Form von Summer Schools, Welcome Center, Webinaren und dergleichen mehr. Unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genießt das Thema „Internationalisierung“ ein höheres Ansehen als „Marketing“. Viele Akteure an Hochschulen bringen Maßnahmen, die der Erreichung von Internationalisierungszielen dienen, etwa die Rekrutierung von internationalem wissenschaftlichem Nachwuchs nicht mit internationalem Marketing in Verbindung.

13GATE-Germany (Hrsg., 2017): Internationales Marketing an deutschen Hochschulen. Strukturen und Prozesse – Ergebnisse einer Studie, Schriftenreihe Hochschulmarketing, Band 14, S. 34 ff.

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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Einer Befragung14 von GATE-Germany aus dem Jahr 2017 zufolge sehen die wichtigsten Marketingtreibenden an Hochschulen (vor allem Hochschulleitungen, Akademische Auslandsämter, Presse-, Marketing- oder Kommunikationsstellen) das Zusammenspiel der zentralen und dezentralen Akteure von größter Bedeutung. Das betrifft vor allem: • Austausch, Abstimmung und Kommunikation über internationale Marketingaktivitäten • Partizipation zentraler und dezentraler Akteure an der Planung und Umsetzung internationaler Marketingaktivitäten • Akzeptanz internationaler Marketingaktivitäten innerhalb der Hochschule • strategische Verankerung des Themenbereichs in der Hochschule • Steuerung der internationalen Marketingaktivitäten und speziell des Zusammenspiels von zentralen und dezentralen Akteuren in den Hochschulen (Verhältnis von „topdown“- und „bottom-up“-Strategien und -Aktivitäten zueinander) • strategische Ausrichtung der internationalen Marketingaktivitäten Hier zeigt sich, warum Hochschulmarketing neben Kommunikation, Wissenschaftsmanagement auch hochschulpolitische Verbindungsarbeit, Organisationsentwicklung und Governance ist (und umgekehrt) und entsprechende Managementkapazitäten benötigt. Internationales Hochschulmarketing ist ein kontinuierlicher Entwicklungsund Positionierungsprozess und Treiber einer jeden Internationalisierungsstrategie. Will man mit den Besten zusammenarbeiten, muss man die Qualitäten des Forschungs- oder Studienstandorts Deutschland sichtbar machen und das „Onboarding“ erleichtern. Das hilft dabei motivierte Talente wie umworbene Forscherinnen zu rekrutieren und den weltweiten akademischen Austausch zu fördern, von dem wir alle profitieren. Internationales Hochschulmarketing ist auch Kommunikations- und Beziehungsmanagement. Es ist da erfolgreich, wo es gelingt die klassische innerwissenschaftliche Kommunikation für die strategischen Ziele des Standortmarketings zu nutzen. Es kann aber nur dann wirklich greifen, wenn sich die Universitäten und Hochschulen aktiv einbringen. Sonst laufen die Aktivitäten der Mittler- und Foschungs(förder)organisationen ins Leere. Zwei Aspekte spielen hier eine Rolle für den Erfolg des internationalen Hochschul- und Forschungsmarketings. Zum einen die Beteiligung der Einzelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich in das Marketing für Bildung und Forschung einbringen und zum anderen alle weiteren an der Positionierung beteiligten Personen (u. a. Managementverantwortliche, Projektleiter, Studien(fach)berater), die Potenziale erkennen, den Dialog mit der breiten Öffentlichkeit pflegen und die Forschenden hier entlasten. Durch die bewusste Gestaltung der Informationsflüsse stellen sie sicher, dass der Wissenstransfer zu außenstehenden Zielgruppen gelingt und das interne Personengruppen koordiniert agieren und zielgerichtet kommunizieren. Die aufeinander 14GATE-Germany: Internationales Marketing an deutschen Hochschulen. Strukturen und Prozesse – Ergebnisse einer Studie. Schriftenreihe Hochschulmarketing, Band 14, S. 23.

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abgestimmte Kommunikation der Institution sowie ihrer Einzelprojekte ist wichtig, damit keine missverständlichen oder widersprüchlichen Informationen verbreitet werden. Auch Informationslücken oder Konflikte in der Kommunikation, die der institutionellen oder systemischen Reputation schaden, können so vermieden werden. Die institutionelle Reputation bezieht sich grundsätzlich auf bestimmte Fächer, Lehrstühle, Einrichtungen und sonstige profilbildende Merkmale einer Hochschule. Dabei kann sie von guten Standortfaktoren, darunter Forschungsinfrastrukturen, Campusgeländen, Kooperationsbeziehungen, aber auch vom Flair der Stadt oder der Region, der Wirtschafts- und Innovationskraft u. v. m. profitieren. Gute fachliche, infrastrukturelle, institutionelle und systemische Rahmenbedingungen stärken die Anziehungskraft der Einrichtung und ihrer Angehörigen. Die systemische Reputation spiegelt die Wahrnehmung von rund 400 Hochschulen und zahlreichen Forschungsreinrichtungen in ganz Deutschland wieder. Die wahrgenommene gute Qualität deutscher Einrichtungen insgesamt schafft Vertrauen, Sicherheit und reduziert Komplexität bei der Studien- und Forschungsstandortentscheidung. Sie kann durch gemeinsames Branding von Bundesländern, Regionen, Disziplinen und anderen Gruppenbildungen gefördert werden. Institutionen mit gleichen Selbstverständnis schließen sich gerne in Verbünden zusammen, um sich (international) von anderen abzugrenzen, Interessen zu vertreten, mit einer Stimme zu sprechen und sichtbar zu sein. Auch das ist Marketing, politische Kommunikation und Interessenvertretung15. Damit möglichst viele vom internationalen Marketing profitieren, sind viele Partikularinteressen unter einen Hut zu bringen. Mit einer gemeinsamen Dachmarke unterstützen die Mittler- und Forschungs(förder)organisationen deutsche Einrichtungen und deren Vertreter, sich ins rechte Licht zu setzen, schaffen Transparenz und Vertrauen zum Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland. Das gilt für Standorte, Einrichtungen, Lehrende, Forschende und Studierende gleichermaßen. Die gemeinsame „Klammer“ trägt zur Stärkung der Anziehungskraft bei. Nach dem von Robert Merton 1968 formulierten Matthäus-Prinzip gilt „Wer hat, dem wird gegeben“. Auch strategische Partnerschaften werden im Rahmen gemeinsamer Dachmarken bzw. Klammern geschmiedet, um Aufmerksamkeit zu bündeln und internationale Ausstrahlungskraft zu stärken. Als internationales Beispiel kann die „Group of Eight16“ herangezogen werden, ein Verbund australischer Hochschulen, die sich als Exzellenzhochschulen verstehen und sich so entsprechend international vermarkten. Mit der Formierung der Group of Eight wurde eine Art Markenarchitektur aufgebaut, die dem Wunsch nach einer institutionellen Differenzierung und Abgrenzung im australischen Hochschulsektor entgegenkommt. Ähnliches ist im britischen und deutschen Hochschulsektor zu verzeichnen. So greift bei der einen Zielgruppe der bundesweite Ansatz

15Zur Entlastungsfunktion von systemischer Reputation und Dachmarken vgl. Klaus Brockhoff (2008): Bedeutung und Bekanntheit von Universitätsmarken. In: Bruhn und Strauss (2008). 16https://go8.edu.au/

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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„Deutschland – Land der Ideen“, bei anderen das Bundesland, die Stadt oder eine andere ideelle strategische Klammer. Im Gegensatz zu früher, wo internationale Beziehungen vor allem über persönliche Kontakte der Forscher entstanden, sind Hochschulen heute eher an strategischen Partnerschaften interessiert (vgl. Wintermantel17). Marketing trägt dazu bei, sich gezielt von anderen abzuheben und einen wettbewerblichen Vorsprung auszubauen. Wer im internationalen Wettbewerb nicht rudert, treibt zurück. Das gilt sowohl für Forschende als auch für Institutionen und Wissenschaftssysteme. Hochschulmarketing richtet sich vor allem an all jene Anspruchsgruppen einer Hochschule, die Orientierung suchen. Je besser die Orientierung vor, während und nach Kontaktaufnahme bzw. des Aufenthaltes in Deutschland, desto passgenauer können die Erwartungen beider Parteien gemanagt, falsche Erwartungen und Desinformation vermieden werden. Die mit einem verbesserten Informations- und Serviceangebot geäußerte Wertschätzung gegenüber der Zielgruppe verstärkt die Anziehungs- und Bindekraft der Institution, von der auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Ende profitieren. Aufgrund des internationalen Konkurrenzdrucks spielen Kundenorientierung und Marktbeobachtung eine zunehmend zentrale Rolle für das Hochschulmanagement. Sie stehen auch für die zwei Richtungen, die das Marketingmanagement bedient und durch Wissen unterfüttert: Einerseits ermittelt das Marketing die Bedürfnisse seiner Zielgruppen. Andererseits analysiert es Marktentwicklungen. Die hochschuleigene sowie deutschlandbezogene Education und Marketing Intelligence trägt zur Organisationsentwicklung und Angebotsanpassung an die Zielgruppen bei. Zielgruppen des internationalen Hochschulmarketings

Internationales Marketing befasst sich mit zunehmend heterogenen Zielgruppen, darunter international mobile Studieninteressierte, Studienanfänger, Bachelor/ Masterstudierende, Alumni sowie Doktoranden, Post-Doktoranden, Lehrende oder Forschende. Darüber hinaus pflegt das internationale Hochschulmarketing im Sinne der Außenbeziehungen und des Reputationsmanagements der Hochschule auch die Kommunikation mit Spitzenwissenschaftlern, Kooperationspartnern und Entscheidern aus Wissenschaft, Forschung, Industrie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft weltweit. Hierzu zählen je nach Zielsetzung auch Journalisten, Bürger, Ministerien, Deutsche Schulen im Ausland, Entscheider, Familien von ausländischen Studieninteressenten, Unternehmen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie in der Regel speziell auf ihre Informationsbedürfnisse ausgerichtete Kommunikation erwarten.

17Interview

von Gunda Achtehold mit Margret Wintermantel, Präsidentin des DAAD und Sprecherin von GATE-Germany vom 8. März 2018 (www.gate-germany.de/ueber-uns/interview-wintermantel.html).

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2001 - 2,1 Millionen mobile Studierende weltweit

2001

2018

USA (28%)

USA (22%)

Vereinigtes Königreich (11%)

Vereinigtes Königreich (10%)

Deutschland (9%)

China (10%)

Frankreich (7%)

Australien (7%)

Australien (4%)

Kanada (7%)

Japan (3%)

Frankreich (7%)

Spanien (2%)

Russland (6%)

Belgien (2%)

Deutschland (6%)

alle anderen (34%)

alle anderen (25%)

2018 - 5,1 Millionen mobile Studierende weltweit

Abb. 6.1   Top Gastländer für international mobile Studierende weltweit. (Quelle: Project Atlas 2018, UNESCO Data Report 2018)

6.3 Was sind die Treiber der Entwicklung zum internationalen Hochschulmarketing? Die demografische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und anderswo auf der Welt machen es notwendig, den internationalen Zustrom und akademischen Austausch junger Talente und Gebildeter besser zu regeln. Beobachten wir dazu die internationalen Mobilitätsströme. Nach aktuellen Angaben der UNESCO (2018) studierten im Jahr 2016 rund 5,1 Mio. international mobile Studierende außerhalb ihres Heimatlandes (vgl. Abb. 6.1). Damit ist der Anteil international mobiler Studierender weltweit in den letzten zehn Jahren um 75 % bzw. um 2,1 Mio. Studierende außerhalb ihres Heimatlandes gestiegen. Internationale Marktforschungsstudien sagen voraus, dass die internationale Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern in Zukunft weiter steigen wird. Die Studie vom British Council „Vision 2020: Forecasting international Student Mobility“ prognostiziert bis zum Jahr 2020 einen Anstieg auf 5,8 Mio. Studierende. Eine weitere Studie der australischen Rekrutierungsorganisation IDP Education „Global Student Mobility 2025: Analysis of Global Competition and Market Share“ sagt sogar rund 7,2 Mio. Studierende bis zum Jahr 2025 voraus. Allerdings schwächt sich die Mobilität der Zielgruppe bis 2027 bereit jetzt stärker ab als erwartet – eine Folge zunehmender Digitalisierung in der Hochschulbildung und des raschen Aufbaus von Hochschulen, wie etwa in China und Indien.18 Nach Wissenschaft Weltoffen (2019) steht als Gastregion für international mobile Studierende derzeit Westeuropa mit 29 % an der Spitze, gefolgt von Nordamerika (22 %), Asien und Pazifik (20 %). Der Anteil für Westeuropa hat sich jedoch seit 2006 um dreizehn Prozentpunkte verringert, während die Regionen Osteuropa und Zentralasien, Asien und Pazifik sowie Nordafrika und Nahost leichte Steigerungen verzeichnen konnten.

18British

Council (2018): International student mobility to 2027: Local investment, global outcomes.

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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Die Liste der sechs Top-Gastländer führen drei englischsprachige Destinationen an. Die USA stehen an erster Stelle mit 19,1 % bzw. 971.417 ausländischen Studierenden, gefolgt vom Vereingten Königreich 432.001 (8,5 %) und Australien 335.512 (6,6 %). Deutschland 251.542 (4,9 %), Frankreich 245.349 (4,8 %) und Russland 243.752 (4,8 %) schließen sich diesen an. Unter den sechs Top-Herkunftsländern steht China mit 865.337 an erster Stelle und stellt anteilsmäßig 17 % der international mobilen Studierenden weltweit, gefolgt von Indien 301.406 (5,9 %), Deutschland 144.900 (2,8 %), Südkorea 104.992 (2,1 %), Nigeria 95.731 (1,9 %) und Frankreich 90.543 (1,8 %). Vgl. (DAAD/DZHW 2019, S. 18–19). Im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe hat sich die deutsche Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Anzahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen bis zum Jahr 2020 auf 350.00019 zu steigern. Andere Gastländer setzen sich ähnliche Zielmarken, darunter Großbritannien (Ziel: 600.000 bis 2030), China (Ziel: 500.000 bis 2020), und Kanada (Ziel: 450.000 bis 2020)20. Die beiden Dachkampagnen „Study in Germany“ und „Research in Germany“ sollen die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen dabei unterstützen, das gesetzte Ziel nachhaltig zu erreichen. Neben der Beobachtung von weltweiten Veränderungen der internationalen Studierendenmobilität berücksichtigen Hochschulmarketingexperten entstehende Trends und Entwicklungen im Bildungs- und Hochschulsektor, die sich auf Rekrutierung, Strukturen oder Positionierung im Wissenschaftssystem auswirken. Hierzu zählen zum einen die Zunahme transnationaler21 und onlinegestützter Bildung22, die Tendenz zu intraregionaler Mobilität23 sowie sich stetig wandelnde Informations- und Kommunikationsgewohnheiten (im Sinne der Marktbeobachtung), zum anderen der Aufbau von neuen Innovations-, Bildungs- und Forschungsstätten andernorts (im Sinne der Konkurrenzbeobachtung). Diesen Entwicklungen versucht das internationale Monitoring Rechnung zu tragen. Einige Länder, darunter viele Entwicklungsländer, können aufgrund demografischer Entwicklungen die große Nachfrage nach Bildung und Forschung nicht mehr decken. Studierende und Forschende dieser Länder suchen daher außerhalb ihres Heimatlandes

19Dieses

Ziel steht auch in der Internationalisierungsstrategie der Wissenschaftsminister von Bund und Ländern sowie im Koalitionsvertrag und wurde zum Wintersemester 2018/19 erreicht. 20Abgaben der nationalen Ministerien bzw. nationalen Statistiken. 21Damit ist die Entstehung von Zweigstellen, Franchise-Modellen sowie von transnationalen Hochschulverbünden, Programmen und Abschlüssen gemeint. 22Hierunter ist die Entwicklung von blendend/online/e-learning/e-teaching Angeboten, MOOCs, International classrooms und anderer onlinegestützter Bildungs- und Lehrangebote zu verstehen. 23Damit gemeint sind Wanderbewegungen innerhalb einer Region, wie beispielsweise im Europäischen Hochschulraum, im pazifischen und asiatischen Raum, in Russland und Umgebung. So stammen in Australien und Russland über 80 % der internationalen Studierenden aus der Weltregion, in der sich auch die beiden Gastländer selbst befinden. Über 70 % der deutschen und französischen Studierenden verbleiben in der Region Westeuropa. Vgl. Wissenschaft weltoffen (2017, S. 18).

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nach Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten und entscheiden sich für einen Auslandsaufenthalt. Andere Regionen und Länder, darunter Europa und Japan, verzeichnen eine alternde Bevölkerung oder haben einen steigenden Bedarf an akademischem Nachwuchs für ihre Bildungs-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Innovationssysteme. Darüber hinaus entwickeln sich traditionelle Entsendeländer zu Empfängerländern für international mobile Talente, in dem sie massiv in den Ausbau und die Entwicklung ihrer Hochschulen investieren oder ausländische Hochschulen dazu einladen, Zweigstellen (Branch Campus) oder Franchise-Einrichtungen im Land aufzubauen. Auch hochschulpolitische Profilbildungsmaßnahmen mit internationaler Strahlkraft sind Marketing bzw. marketingrelevant, darunter die deutsche Exzellenzinitiative mit den Zukunftskonzepten, Exzellenzclustern und internationalen Graduiertenschulen sowie die Gründung binationaler Hochschulen24, die Initiative Europäischer Universitäten25 oder anderer Hochschuleinrichtungen mit eigener Rechtform26. Sie dienen der Sichtbarkeit, Vernetzung und Differenzierung im internationalem Wettbewerb der Wissenschaftssysteme.

6.4 Im internationalen Wettbewerb um Exzellenz, Reputation und Aufmerksamkeit brauchen Hochschulen zur Steuerung mehr Education und Marketing Intelligence Weltweit arbeiten Nationen und Regionen daran, ihre Bildungs-, Forschungs- und Innovationssysteme zu verbessern. Sie beobachten Entwicklungen in anderen Ländern und Systemen, tauschen sich über Exzellenz- und Internationalisierungsstrategien aus. Ihre Regierungen, Hochschulen, Mittler- und Forschungs(förder)organisationen sind darauf bedacht, mit Produktionsstätten neuen Wissens und aktuellen wie zukünftigen Innovationsstandorten in der Welt verbunden zu sein. Hierzu bauen sie Kapazitäten auf und stellen sich gemeinsam den großen Herausforderungen der Welt. Internationalisierungsstrategien, Marketingmaßnahmen und die Entwicklung der Governance im Hochschulsektor beeinflussen sich hierbei gegenseitig.  DEFINITION Internationalisierung  „Internationalisation of higher education is the process of integrating an international/intercultural dimension into the teaching, research and service of the institution“. (Knight & de Wit, Internationalization of Higher Education: A Conceptual Framework: Internationalisation of Higher Education in Asia Pacific Countries, 1997, S. 8).

24Z.  B.

die Deutsch-Jordanische Universität (DJU), Deutsch-Französische Hochschule, Baltisch-Deutsches Hochschulkontor, u. a. m. 25Darunter ganze Hochschulen wie die Open University in London oder online-gestützte Formate deutscher Hochschulen v. a. im Weiterbildungsbereich. https://ec.europa.eu/education/education-in-the-eu/ european-education-area/european-universities-initiative_en. 26Z. B. der trinationale EUCOR-Verbund der Universitäten Basel, Freiburg, Haute-Alsace, Strasbourg und des Karlsruher Institut für Technologie (www.eucor-uni.org) bzw. Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) für Deutschland, Frankreich und die Schweiz.

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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In Deutschland versuchen verschiedene Akteure, die Entwicklung der Internationalisierung und des Marketings durch bundesweit erarbeitete Strategien und Analysen interessengeleitet zu unterstützen.

6.4.1 Akteure und Internationalisierungsstrategien Derzeit haben folgende „Akteure“ Internationalisierungsstrategien entwickelt, die den deutschen Hochschulsektor betreffen (Auswahl): Europa: – EU: „Education and Training 2020“, European Higher Education in the World (2013). Bundesregierung: – Bundesministerium für Bildung: „Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Strategie der Bundesregierung“ (2017), – „Deutschlands Rolle in der globalen Wissensgesellschaft stärken. Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung“ (2008), – Auswärtiges Amt: Außenwissenschaftsinitiative – „Wissenswelten verbinden“ (2009). Bund und Länder: – Pakt für Forschung und Innovation (2016) – Internationalisierung der Wissenschaftseinrichtungen, – Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2013): Strategie der Wissenschaftsminister/ innen von Bund und Ländern für die Internationalisierung von Hochschulen in Deutschland. Internationalisierungsstrategien der Bundesregierung (2008) und der Länder (Zusammenfassung der Länderstrategien GWK 30.03.2009). Wissenschafts-, Forschungs(förder)organisationen sowie Interessenvertretungen: – Alexander von Humboldt-Stiftung: u. a. „Strategies to Win the Best: German Approaches in International Perspective (2008)” und „Identifying the Best – Theory, Methods, Practice (2015)”, – Deutscher Akademischer Austauschdienst (2013): „Strategie 2020“, – Deutsche Forschungsgemeinschaft (2012): „Die Internationalisierungsstrategie der DFG“, – Fraunhofer Gesellschaft (o.D.): „Forschung im internationalen Wettbewerb“, – Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren (2017): „Internationa­ lisierungsstrategie (2017–2022)“, – Hochschulrektorenkonferenz (2008): „Die Deutschen Hochschulen in der Welt und für die Welt“, – Max-Planck-Gesellschaft (2012): „Zu Hause in Deutschland – präsent in der Welt“. Die Internationalisierungsstrategien des deutschen Hochschul- und Forschungssektors sind in die Internationalisierung des Bildungs- und Forschungssektor weltweit eingebettet. Eine Auswahl von nationalen Internationalisierungsstrategien und Marketingkampagnen von Hochschulsystemen rund um den Globus findet sich nachfolgend.

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Internationalisierungsstrategien: • Australien: National Strategy for International Education 2025 (2016) • China: Nationaler Plan für die mittel- und langfristige Bildungsreform und -entwicklung (2012) • Frankreich: Investir dans l’internationalisation de l’enseignement supérieur (2015) • Kanada: International Education Strategy (2014) • Niederlande: Gezamenlijke Visie Internationaal (2014) • Neuseeland: Tertiary Education Strategy 2014–2019 • USA: Succeeding Globally through international Education and Engagement (2012– 2016) • Vereinigtes Königreich: UK Strategy for Outward Student Mobility 2017–2020; International education strategy: global growth and prosperity (2013) Dazu Kampagnen für Studieren und Forschen in … • • • • • • • •

Australien: Pionier im Bildungsmarketing (studyinaustralia.gov.au, idp.com) China: (campuschina.org) Frankreich: (campusfrance.fr) Neuseeland: (www.studyinnewzealand.govt.nz) Niederlande: (studyin.nl) Skandinavien: (studyinsweden.se, studyindenmark.dk, studyinnorway.no) USA: (iie.org, educationusa.state.gov) Vereinigtes Königreich: (study-uk.britishcouncil.org, The GREAT Britain Campaign)

In Deutschland hat die Einführung der „Internationalen Strategie der Hochschulrektorenkonferenz: Die Deutschen Hochschulen in der und für die Welt – Grundlagen und Leitlinien (2008)27“ durch die HRK-Mitgliederversammlung zunächst zu einer Ableitung von konkreten „Internationalisierungszielen (2009)28“ für den internationalen Bereich der HRK geführt. Weitere Empfehlungen sind mit der Zeit hinzugekommen und Entschließungen zur Internationalisierung deutscher Hochschulen durch die HRK-Mitgliederversammlung verabschiedet worden, darunter der Nationale Kodex für das Ausländerstudium (2009)29, die Empfehlung zur Sprachenpolitik (2011)30, die Entschließung zur Mobilität von Forscherinnen und Forschern in Europa (2011)31, der Kodex für Hochschulprojekte

27www.hrk.de/uploads/media/Internationale_Strategie_der_HRK_01.pdf 28www.hrk.de/uploads/media/Endfassung_HRK_Internationale_Strategie_Konkretisierung_05.pdf 29www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Final_Code_of_Conduct_neu.pdf 30www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Empfehlung_Sprachenpolitik_MV_22112011.pdf 31www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Entschliessung_Mobilitaet.pdf

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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im Ausland (2013)32, die Empfehlung zur Lehrerbildung (2013)33 und die Empfehlung zur Internationalisierung der Curricula (2017).34 Sie sollen unter anderem sicherstellen, dass bei der Internationalisierung Qualitätsaspekte ausreichend berücksichtigt werden.

6.5 Organisationsanalysen zur Förderung der Internationalisierung Neben der zunehmenden Etablierung von Internationalisierungsstrategien tragen auch bundesweit durchgeführte Organisationsanalysen zur institutionellen Entwicklung und Positionierung deutscher Hochschulen bei. Das 2009 gestartete HRK-Projekt „Audit Internationalisierung der Hochschulen“ genießt als flexibles und passgenaues Analyseinstrument besondere Aufmerksamkeit im Hochschulsektor und soll nachfolgend kurz dargestellt werden. Praxisbeispiel 1: Audit „Internationalisierung der Hochschulen“

Das Audit „Internationalisierung der Hochschulen“ der Hochschulrektorenkonferenz ist eine umfassende, unabhängige und systematische Internationalisierungsberatung. Es unterstützt die Hochschulen, ihre Internationalisierung strategisch an ihren Bedarfen auszurichten, ist passgenau auf das Profil der jeweiligen Hochschule abgestimmt und berücksichtigt die Multidimensionalität der Internationalisierung. So fördert es die Hochschulen in ihrer Qualitätsentwicklung – ohne mit anderen Hochschulen verglichen zu werden. Ziele des Audit „Internationalisierung der Hochschulen“: • Standortbestimmung der Internationalität der jeweiligen Hochschule • Herausarbeitung bzw. Konkretisierung der Internationalisierungsziele der Hochschule • (Weiter-)Entwicklung einer institutionellen Internationalisierungsstrategie • Empfehlung konkreter Maßnahmen in definierten Handlungsfeldern der Internationalisierung Vgl. Dieter Lenzen (2010): Das HRK-Audit Internationalisierung der Hochschulen35.

32 www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Kodex_fuer_deutsche_Hochschulprojekte_im_Aus-

land_01.pdf 33www.hrk.de/uploads/media/Empfehlungen_zur_Lehrerbildung_2013.pdf 34www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-01-Beschluesse/Internationalisierung_ Curricula_Empfehlung_09.05.2017.pdf 35HRK-Konferenz „Internationalisierung in der Praxis: Herausforderungen und Perspektiven“ vom 30.09.2010, Berlin (www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk-audit/Infothek/Berlin_PPT_Lenzen.pdf).

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Das Audit erfolgt in verschiedenen Schritten und fördert Internationalisierung im Dialog: Innerhalb der Hochschule initiiert es einen Prozess der Selbstreflexion und Diskussion, der die Hochschule als Ganzes einbindet. Anhand der Audit-Unterlagen und der Vorgespräche wird von der Hochschule ein Selbstbericht erstellt. Die Einbeziehung von externen Internationalisierungsexperten aus dem Ausland gewährt der Hochschule eine sachkundige Außensicht auf die Internationalisierungsprozesse und -maßnahmen der Institution. Im Rahmen des Audit-Besuchs, der Erarbeitung des Empfehlungsberichts und der Zukunftswerkstatt werden Internationalisierungsziele der Hochschule herausgearbeitet oder konkretisiert sowie neue Entwicklungsmöglichkeiten identifiziert. Durch die erarbeiteten Befunde und Zielsetzungen liefert das HRK-Audit wertvolle Impulse, die sowohl auf institutioneller, als auch auf hochschulsystemischer Ebene Wirkung entfalten. Es schafft für die Governance von Hochschulen eine solide Basis für die Gestaltung von Internationalisierungsstrategien und daraus abzuleitende Marketingstrategien, -ziele und -maßnahmen. Weitere Formate des Projektes „HRK-EXPERTISE Internationalisierung“36, darunter „Audit Kompakt“, „Audit-Strategiewerkstatt“ und das „Re-Audit“, unterstützen die nachhaltige Entwicklung von Internationalisierungsprozessen an deutschen Hochschulen. Mit den institutionellen und systemischen Befunden und Zielsetzungen des HRK-Audit ist eine solide Grundlage für die institutionelle Entwicklung von Marketingstrategien und -zielen entstanden. Sei es für den Statusgewinn, die Internationalisierung zu Hause, Qualität oder Quantität. Die nachfolgend aufgeführten Befunde des Audit verdeutlichen, welche Erkenntnisund Entwicklungsprozesse auditierten Hochschulen bis heute durchlaufen haben. Befunde des HRK-Audit „Internationalisierung“ (Auszugsweise)

Quellen: Website HRK-Audit (2019), HRK-Publikation HRK-Vortrag „Messung der Internationalität37“ (2012) sowie HRK-Publikation „Auf internationale Erfolge aufbauen Beispiele guter Internationalisierungspraxis an deutschen Hochschulen38“ (2014). Institutionelle Internationalisierungsstrategien (weiter)entwickeln D I E internationale Hochschule gibt es nicht. In der Regel existieren signifikante Unterschiede zwischen den Fakultäten/Fachbereichen/Instituten. Viele Hochschulen richten ihre institutionelle Gesamtstrategie der Internationalisierung einseitig auf den

36https://uol.de/fileadmin/user_upload/praesidium/download/wahlers_HRK_Audit_23052012.pdf 37 www.uni-oldenburg.de/fileadmin/user_upload/praesidium/download/wahlers_HRK_ Audit_23052012.pdf 38www.hrk.de/audit/fileadmin/redaktion/hrk-audit/Infothek/HRK-Audit_Auf_internationale_ Erfolge_aufbauen.pdf

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Bereich „Studium & Lehre“ aus. Eines der größten Hindernisse für eine institutionelle Gesamtstrategie ist der – häufig unausgesprochene – Konflikt zwischen den Zielen der Individuen, der Fakultäten und der Hochschulleitung. Der Mehrwert einer institutionellen Gesamtstrategie (u. a. Reputation, profilierende Wirkung, Qualität der Studierenden, Zugang zu Drittmitteln) ist den Beteiligten oft nicht klar. Qualität der Internationalisierung sichern Die Definition von Erfolg ist häufig nicht klar. Indikatoren zur Messung der Zielerreichung sind schwer zu operationalisieren. Systematische Feedback-Schleifen mit mobilen Studierenden (Incoming und Outgoing) und Wissenschaftlern fehlen häufig. Ein kontinuierliches Monitoring von Studienangeboten im Ausland (Studiengänge, Aufbau von Fakultäten, Hochschulgründungen) ist nicht immer gewährleistet. Es fehlen Qualitätsstandards für solche Unternehmungen im Ausland. Internationale Sichtbarkeit der deutschen Hochschulen weiter erhöhen Internationale Studierende kommen nach Deutschland v. a. wegen der hohen Reputation des nationalen Bildungssystems, weniger wegen der Reputation einer einzelnen Hochschule. Das institutionelle „Branding“ der einzelnen Hochschulen ist unterentwickelt. Marketingmaßnahmen der Hochschulen beschränken sich häufig auf die Zielgruppe „potenzielle ausländische Studierende“. Alumni-Arbeit und Forschungsmarketing werden vernachlässigt. Die Bedeutung des Internetauftritts für die Gewinnung ausländischer Studierender und Wissenschaftler wird eklatant unterschätzt. Internationale Studierende und Promovierende vermehrt gewinnen und halten Ausländische Austausch-Studierende erfahren i. d. R. eine umfangreiche Betreuung, während die wichtige Zielgruppe der ausländischen „degree-seeking“-Studierenden häufiger vernachlässigt wird. Neben finanziellen Schwierigkeiten führen sprachliche und fachliche Defizite sowie eine mangelnde soziale Integration dazu, dass die Studienabbruchsquote ausländischer Studierender sehr hoch ist. Der rechtliche Status ausländischer Promovierender sollte abgesichert und ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden. Auch der rechtliche Status von ausländischen Hochschulschulabsolventen sollte überprüft werden. Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermehrt gewinnen und halten Der Anteil des ausländischen wissenschaftlichen Personals an deutschen Hochschulen ist im internationalen Vergleich auffällig gering. Die berufliche Anerkennung von ausländischen Hochschulqualifikationen gestaltet sich häufig schwierig. Die entsprechenden Verfahren sind oft intransparent und langwierig.

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Hochschulverwaltungen internationalisieren Internationalisierung von Lehre und Forschung geht nicht immer mit der nötigen Internationalisierung der Verwaltung (Prozesse und Personal) einher. Struktur und Zuständigkeiten der unterstützenden Einrichtungen sind häufig intransparent bzw. nicht eindeutig geklärt. Internationalisierung zu Hause Die vielfältigen Möglichkeiten der Internationalisierung von Studium und Lehre zu Hause wird von vielen Hochschulen bislang nur punktuell und wenig systematisch ausgeschöpft. Häufig ist es dem Engagement Einzelner überlassen, inwieweit Studierende im Rahmen ihres Studiums internationale und interkulturelle Erfahrung sammeln können Handlungsleitende Kernthesen der HRK zur Internationalisierung der Hochschulen sind hierbei: • Jede Hochschule benötigt eine umfassende Internationalisierungsstrategie, die die Transnationalität der Hochschule als Ganzes zum Ziel hat. • Die deutschen Hochschulen müssen ihren Platz in einem Welthochschulsystem nicht nur jetzt definieren, sondern bei der Definition dieses Systems selbst aktiv und verantwortlich mitwirken. – Die Hochschule ist ein aktiv gestaltendes Mitglied eines sich entwickelnden Welthochschulsystems in allen Schaffensbereichen und Ebenen. – Die Hochschule internationalisiert durch geplantes Handeln, indem diese sich bewusst an internationalen Inhalten, Methoden, Personen und Strukturen ausrichtet. – Die Hochschule unterstützt das professionelle Management der Internationa­ lisierung, in dem sie es als strategische Aufgabe der Hochschulleitung wahrnimmt.“

6.6 Umfeld- und Marktanalysen zur Förderung der Internationalisierung Im anglophonen Raum wird die Erarbeitung unterstützenden Marketingwissens im Bildungsbereich als „Marketing bzw. Education Intelligence“ bezeichnet. Länder wie Australien, das Vereinigte Königreich, Neuseeland und andere mehr machen es vor. Hier wächst das Angebot von Services und Produkten39 im Bereich der Education und 39Vgl. Portale für Education und Marketing-Intelligence wie https://education-services.britishcouncil.org/ und https://ei.britishcouncil.org/reports/products/global-trends-analysis

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing …

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Marketing Intelligence rasant40. Auf systemischer Ebene zeigen datenbasierte Dienstleitungsangebote gezielt Trends, Entwicklungspotenziale und Kooperationschancen im internationalen Hochschulsektor auf. Studierendenbefragungen, Sektoranalysen und Marktberichte helfen dem Marketing dabei, Prozesse, Programme und Aktivitäten zur besseren Zielgruppenansprache zu entwickeln, die sowohl der Mission und den Ressourcen jeder speziellen Hochschule, als auch den Bedürfnissen der im Fokus stehenden Zielgruppen entsprechen. Exemplarisch können hier die nachfolgenden Produkte genannt werden, darunter Benchmarkanalysen, Evaluationen, Markt- und Länderstudien, die von den Anbietern41 nutzerfreundlich in „Knowledge Centern42“ thematisch gruppiert werden: Universities UK: – The UK’s Competitive Advantage Update (201743, 2016 und 201544) – Education, Consumer Rights and Maintaining Trust: What students want from their university45 British Council: – Discussion Paper: Knowledge Diplomacy. A bridge linking international higher education and research with international relations (2018)46 – Report: The shape of global higher education: International comparisons with Europe (2019)47 – Report: Mutual influence? Universities, cities and the future of internationalization (2017)48 – Report: Internationalisation of the Philippine HE sector 49 – Report: A guide for creating UK-Thailand TNE partnerships50 40Internationale Konferenzen wie die Higher Education Analytics Conference und voranschreitende Digitalisierungsprozesse an Hochschulen eröffnen neue Entwicklungsmöglichkeiten (Predictive Analytics, Data Driven & Performance Marketing) im internationalen Wettbewerb. 41z. B. British Council, Universities UK, World Education Services. 42z. B. Talent Development and Employability, National strategies and policies, Institutions and internationalization, Partnerships and collaboration, Student mobility, Global landscape, English language and higher education, Transnational education (www.britishcouncil.org/education/ihe/knowledge-centre). 43www.universitiesuk.ac.uk/policy-and-analysis/reports/Pages/TheUK-Competitive-Advantage-June-2017.aspx 44www.universitiesuk.ac.uk/International/Pages/uk-competitive-advantage.aspx 45www.universitiesuk.ac.uk/policy-and-analysis/reports/Pages/what-students-want-from-their-university.aspx 46www.britishcouncil.org/sites/default/files/kno.pdf 47www.britishcouncil.org/education/ihe/knowledge-centre/global-landscape/shape-global-higher-education-vol-4 48www.britishcouncil.org/sites/default/files/mutual_influence_report-ilovepdf-compressed_2.pdf 49www.britishcouncil.org/education/ihe/knowledge-centre/internationalisation/report-internationalisation-philippine-he-sector 50https://www.britishcouncil.org/research-policy-insight/research-reports/guide-creating-uk-thailand-tne-partnership

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Strategische „Education und Marketing Intelligence“ speziell zum Thema Transnationale Bildung wird auch durch das „Observatory on Borderless Education (OBHE)51 für Führungskräfte in Hochschulen erarbeitet und zusammengeführt. Das OBHE fungiert als Think Tank, Wissensspeicher und One Stop Shop für Forschungs- und Beratungsfragen. Es stellt seinen Mitgliedern (u. a. Ministerien, Hochschulen, Agenturen in 30 Ländern) ein reichhaltiges Informations- und Beratungsangebot zum Hochschulsektor zusammen. Auch in Deutschland werden solche Dienstleister geschätzt und Produkte als Informations- und Entscheidungsgrundlagen für Steuerungsprozesse an Hochschulen dringend benötigt. Eigentlich sollte davon ausgegangen werden, dass es – angesichts der Vielzahl eingeführter Internationalisierungsstrategien und der Etablierung des internationalen Hochschulmarketings im deutschen Hochschulsektor – auch hierzulande eine international orientierte Hochschulmarktforschung gibt. Diese baut sich aber – wie das Marketing an Hochschulen selbst – erst sehr langsam auf. Das mag daran liegen, dass hochschulrelevante Marktforschung bzw. Marketing Intelligence in der Regel kostspielig und oft schwer zu erheben ist. Ein One Stop Shop für „Education und Marketing Intelligence“ ist auch in Deutschland angesagt.

6.7 Der Aufbau der Hochschul(markt)forschung und Marketing Intelligence Die wissenschaftliche Forschung zu Hochschulen war in Deutschland lange nicht hinreichend gut aufgestellt. Sie muss sich sowohl mit Strukturen und Entwicklungen in Deutschland befassen, aber auch die internationale Dimension berücksichtigen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt 2014 in seinem Positionspapier die Stärkung und Kooperation von Hochschul- und Wissenschaftsforschung52 unter dem Dach des neu gegründeten Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW): „Die mit empirischen Forschungsmethoden arbeitende Wissenschafts- und Hochschulforschung in Deutschland ist nach Auffassung des Wissenschaftsrates nicht ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechend aufgestellt. Dies betrifft sowohl die inhaltliche Vernetzung von Hochschulforschung und Wissenschaftsforschung untereinander als auch die dauerhafte institutionelle Verankerung beider Felder durch Professuren und Institute, die international herausragende Forschung betreiben könnten.

51www.obhe.ac.uk 52„Bei der Wissenschafts- und Hochschulforschung handelt es sich um zwei eigenständige Forschungsfelder, die bislang auf unterschiedlichen Wegen die Entwicklungen in Forschungseinrichtungen und Hochschulen, in den Leistungsprozessen von Forschung und Entwicklung (FuE) einerseits und der Hochschullehre sowie des Studiums andererseits untersucht haben“. WR (2014) Positionspapier Drs. 3821–14 zu Institutionelle Perspektiven der empirischen Wissenschafts- und Hochschulforschung in Deutschland, S. 10.

6  Internationalisierung, internationales Hochschulmarketing … Abb. 6.2   Wirkungskreislauf Governance, Management und Marketing an Hochschulen. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulrike Senger 2010: Pilotzentrum Internationales Doktorandenforum, S. 79)

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Handlungskonsequenzen

Hochschulforschung

Hochschulentwicklung

Governance, Hochschulmanagement und -marketing Evaluation

Umsetzung

Hochschulpraxis

In einem Positionspapier nimmt der Wissenschaftsrat neben dem gesamten Forschungsfeld auch die zukünftige Ausgestaltung des neu gegründeten Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Hannover, in den Blick.53“ „Nach Auffassung des Wissenschaftsrates müssen die Kooperationsbeziehungen zwischen der Wissenschaftsforschung und der Hochschulforschung insgesamt weiter ausgebaut werden. Um die Vernetzung in und zwischen beiden Feldern zu stärken, sollte eine gemeinsame Forschungsagenda entwickelt werden, in der thematische Prioritäten und zeitliche Horizonte für deren Bearbeitung festgelegt und internationale Experten eingebunden werden sollten. Der Wissenschaftsrat sieht hierin auch eine Voraussetzung dafür, die Leistungsfähigkeit dieses Forschungsfelds zu erhöhen.54“.

Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an professionell ausgebildeten Hochschulmanagern, beratenden Hochschulexperten und evidenzbasierter Hochschulforschung zugunsten einer zielgerichteten Hochschulentwicklung und Governance im Hochschulsektor steigen wird. Im Kontext dieser Arbeit werden daher auch Akteure aufgeführt, deren Arbeit sich auf den Wirkungskreislauf „Hochschulforschung-Hochschulentwicklung-Hochschulpraxis“ bzw. die Governance, das Management und das Marketing von Hochschulen auswirkt (vgl. Abb. 6.2). In Deutschland befassen sich nur wenige Forscher55 systematisch mit dem Gebiet der „Hochschulforschung“ und dem Thema „Hochschulmarketing“ oder setzen sich im Rahmen einer Professur, einem Lehrstuhl oder eines Studiengangs näher mit dem Themenpaar auseinander, darunter folgende Einrichtungen:

53WR-Pressemitteilung

Nr. 10 vom 14. April 2014. Nr. 11 vom 14. April 2014. 55Abgesehen von (forschenden) Experten, etwa des Wissenschaftsrates (WR), der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) und des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), die sich mit fachverwandten Fragestellungen befassen. 54WR-Pressemitteilung

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• Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin, Universität Regensburg: Wissenschaftsgeschichte, • Humboldt-Universität zu Berlin: Wissenschaftsforschung, • Technische Universität Berlin: Wissenschaftsmarketing, • Karlsruher Institut für Technologie: Wissenschaft, Medien, Kommunikation, • Universität Hamburg: Higher Education (Hochschuldidaktische Ausrichtung), • Friedrich-Schiller-Universität Jena: Öffentliche Kommunikation (Wissenschaftsschwerpunkt), • Universität Kassel: Internationales Zentrum für Hochschulforschung (INCHER), • Universität Konstanz: AG Hochschulforschung, • Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg: Europäische Forschungs-, Hochschulund Innovationsgovernance, • Universität Münster: Hochschul- und Wissenschaftsmanagement, • Carl von Ossietzky Universität Oldenburg: Bildungs- und Wissenschaftsmanagement, • Hochschule Osnabrück: Hochschul- und Wissenschaftsmanagement, • Hochschule Rhein-Waal: Science Communication and Bionics, • Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer: Zentrum für Wissenschaftsmanagement (ZMW). Vielversprechend ist hier das neue Graduiertenkolleg „Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation als forschungsbasierte Praktiken der Wissenschaftssystementwicklung“, das im Verbund der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften und dem Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt wird. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Zentren, Forschungsinstituten, Think Tanks und Stiftungen, die den Hochschul- und Forschungssektor professionell beforschen oder mit Auftragsstudien, Gutachten und Empfehlungen unterstützen, darunter • Fraunhofer Gesellschaft • Wissenschaftsrat • Expertenkommission Forschung und Innovation • Bayerisches Institut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) • Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) • Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) • Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) • Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft Untersuchungen, die Internationalisierung und Marketing kombinieren, sind jedoch selten. Auch der Bundesverband Hochschulkommunikation widmet sich gelegentlich dem internationalem Hochschulmarketing, 2018 beispielsweise der „Destination Germany“. Professionsbezogen konzentriert sich der Verband, wie auch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, vor allem auf Kommunikation, Mediensichtbarkeit sowie Public und Political Affairs. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und dem Streben nach

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Exzellenz in Forschung und Lehre gewinnt auch die strategische Personal-, Karriereund Organisationsentwicklung weiter an Bedeutung. Strukturen und Abläufe müssen so gestaltet werden, dass Strategien verfolgt und Hochschulziele erreicht werden können. Außerhalb von Deutschland befassen sich unter anderem folgende Einrichtungen, Publikationen und Fachveranstaltungen besonders mit dem Themenkomplex „internationale Hochschulentwicklung, Internationalisierung und internationales Hochschulmarketing“, darunter • Forschungseinrichtungen: Observatory on Borderless Higher Education (OBHE), London Center for International Higher Education (CIHE), Boston • Multiplikatoren- und Fachkonferenzen: European Association for International Education (EAIE), Amsterdam NAFSA Association for International Education, Washington Going Global, London AIEC, APAIE, etc. • Fachpublikation: Higher Education Policy Higher Education Journal of Marketing for Higher Education Internationale Marketingforschung und Monitoring zu internationalen Kooperations- und Entwicklungschancen für deutsche Hochschulen werden angesichts des internationalen Konkurrenzdrucks an Bedeutung gewinnen. Akteure des deutschen Wissenschaftssektors, darunter Hochschulen, Förderorganisationen, Stiftungen und Ministerien, leisten hier wertvolle Beiträge: Sie erarbeiten Informationen und Strategien, gestalten Präsenzen und bieten Orientierung. Damit erleichtern sie es Außenstehenden wie Innenstehenden gleichermaßen, gut informierte Entscheidungen zu treffen, Kontakte anzubahnen oder den Dialog mit der Wissenschaft zu fördern. Diese fachliche Unterstützung und Vernetzung (neben der Scientific Community) ist wertvoll, denn nicht jeder kennt sich in fremden Wissenschaftssystemen aus oder kann das eigene umfassend beschreiben.56 Sie tragen dazu bei, deutsche Hochschulen als attraktive Partner in den Fokus internationaler Zielgruppen zu rücken und dabei Qualität, Exzellenz und Innovation gleichermaßen im Blick zu behalten.

56Auskunft

über aktuelle Entwicklungen, Trends und Strukturen zum Bildungs- und Hochschulsektor ausgewählter Länder und Märkte geben u. a. der DAAD mit entsprechendem Fachpersonal, Publikationen und Webinaren (www.daad.de/laenderinformationen/de, www.wissenschaft-weltoffen.de) sowie GATE-Germany (www.gate-germany.de/artikel-studien-publikationen.html). Auch das Internationale Büro des BMBF stellt über das Portal „Kooperation International“ (www.kooperation-international.de) grundlegende Informationen und Potenzialanalysen zu aus-

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Die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung sieht vor, das internationale Monitoring durch die Zusammenarbeit relevanter Organisationen weiter aufzubauen und entsprechend zu unterstützen. Es wird weiter angestrebt, die Kommunikation zwischen den politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Kontaktpartnern sowie Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern. Hierzu sollen die Außenpräsenzen der deutschen Wissenschaft und Bildung, darunter Mittlerorganisationen, Wissenschaftsreferenten an deutschen Botschaften, Deutsche Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH) und die Vertretungen bzw. Verbünde deutscher Hochschulen im Ausland, das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB57) und die Deutschen Schulen im Ausland58 mit einbezogen werden. Das Leitmotiv des deutschen Engagements in Forschung und Innovation im Ausland „Internationale Kooperation: vernetzt und innovativ“ beinhaltet folgende Themenschwerpunkte: • • • •

Exzellenz durch weltweite Kooperation stärken Deutschlands Innovationskraft international entfalten Bildung und Qualifizierung internationaler ausbauen Die globale Wissensgesellschaft gemeinsam mit Schwellen- und Entwicklungsländern gestalten • Gemeinsam globale Herausforderungen bewältigen Die abgestimmte und vernetze Kommunikation des Bildungs-, Hochschul-, Innovationsund Forschungssektors soll neben der verstärkten internationalen Sichtbarkeit auch zu einer intensiveren, nachhaltigeren Kooperation in der internationalen Zusammenarbeit führen.

6.7.1 Analyse – Ebenen Internationales Hochschulmarketing erfolgt wechselwirksam auf vielen Ebenen im Hochschulsystem. Es bezieht sich dabei auf ausgewählte Personenkreise, Bereiche, Gruppenund Untersuchungsebenen sowie Themen, Institutionen oder Standorte, darunter

gewählten Ländern und Sektoren bereit und ist eine gute Referenz für Informationssuchende im Wissenschaftssektor. Informationen zu Deutschland und deutsche Wissenschaftsregionen werden durch verschiedene Akteure und Plattformen dargestellt, beispielsweise in Form der Hochschulmetropolen und -städte (wissenschaftsregion-bonn.de), der internationalen Bodenseehochschule (bodenseehochschule. org und grenzenlos-studieren.de) oder zu Studieren und Forschen in Deutschland (research-in-germany.de und study-in-Germany.de). 57www.bibb.de 58Die Initiative PASCH bzw. „Schulen: Partner der Zukunft“ ist eine Initiative des Auswärtigen Amts in Zusammenarbeit der Zentralstelle für das Auslandschulwesen (ZfA), des Goethe-Instituts, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und des Pädagogischen Austauschdienstes (PAD) der Kulturministerkonferenz (KMK) (www.pasch-net.de/de/udi/par.html).

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1. Schüler, Studierende, Doktoranden, Wissenschaftler, Lehrkräfte, … (z. B. Studieren-/Forschungsmarketing, Rekrutierung), 2. Alumni, Graduierte, Frauen, Cluster, Themen wie Innovation, MINT, Klima, Gesundheit, ... (z. B. Personal-, Weiterbildungs-, Forschungsmarketing, Innovations- und Transfermarketing, Bachelor/Master-Studium, Universitäten/Hochschulen, Kunst-, Sport-, Medizin- und Musikhochschulen, Green Talents, Brain Science), 3. Hochschulen, Hochschulverbünde, Plattformen, (z. B. TU9, UAS7, bw-i, ConRuhr, Internationale Bodenseehochschule, EUCOR, Danube-Inco.net, 4EU Alliance, Coimbra-Gruppe). 4. Wissenschafts- und Hochschulstandort Deutschland, Europa, (z. B. Nation Branding, Public Diplomacy, Außenwissenschaftspolitik, Wissenschaftsmarketing, Marketing für Bildung und Forschung, Wissenschaftsregionen, Wissenschaftsstädte).

6.7.2 Alle machen Marketing. Manchmal glauben sie es nur und manchmal wissen sie es nicht Die Wertschätzung der Studierenden und Forschenden, ihre Bindung an bestimmte Institutionen, Standorte oder Persönlichkeiten werden durch Qualität, gute Rahmenbedingungen und andere Merkmale, die Stolz und Zufriedenheit fördern, beeinflusst. Werden Studieninteressierte, Studierende und andere Stakeholder nicht von der Einzigartigkeit und Qualität der Hochschule überzeugt, ist die positive Wahrnehmung des Standortes, der Institution, des Studienganges, des Serviceangebotes oder die Zufriedenheit mit dem wahrgenommenen „Leistungspaket“ unter Umständen unterentwickelt oder gestört. Zufriedene Studierende empfehlen ihre Hochschule bzw. Deutschland als Hochschulstandort weiter. Sie berichten von ihren positiven Erlebnissen, schwärmen im Idealfall als Alumni von ihrer Studienzeit. Unzufriedene Studierende teilen ihre negativen Erfahrungen anderen mit und können der Institution hierdurch schaden. Im englischsprachigen Raum wird daher der „Student Experience“ besondere Bedeutung beigemessen.59 Der hohe Wert der Hochschulerfahrung und die emotionale Bindung der Studierenden an Personen, Einrichtungen, Standorte soll in allen Phasen des Studierendenlebenszyklus optimal Wirkung entfalten können – also von der ersten Bewerbung bis zum Alumni-Status.

6.7.3 Messen, analysieren, optimieren – Internationales Benchmarking für eine bessere Kundenorientierung und Organisationsentwicklung Instrumente der Marktforschung, darunter Länderstudien, Evaluationen, Stakeholderbefragungen und Benchmarkanalysen unterstützen die Kunden- und Wettbewerbsorientierung der Institution. Produkte der Marketingforschung dienen daher in ihrem 59Vgl.

Policy Statement „Enhancing the Student Experience (2007)“ der 1994-Gruppe britischerHochschulen.

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Feld als „Intelligenz-Verstärker“. Benchmarking erfüllt bei der Erarbeitung von Marketing-Intelligence gleich mehrere Funktionen. Das Analyseinstrument setzt die Ist-Performanz der Organisation in untersuchten Leistungsbereichen in Beziehung zu einem Referenzmaßstab (z. B. der Best Practice). Die Abweichungen zum Referenzmaßstab (dem Benchmark) zeigen auf, wo Leistungsunterschiede wahrgenommen werden. Positive Abweichungen geben Auskunft über Leistungsstärken, negative Abweichungen weisen auf Verbesserungsbedarfe hin. Die Ist-Performanz ermöglicht die Positionsbestimmung in allen abgefragten Punkten. Praxisbeispiel 2: Benchmark-Umfrage „International Student Barometer (ISB)“

Für das internationale Hochschulmarketing in Deutschland hat das Benchmarking mit Hilfe des „International Student Barometer (ISB)“ der Bildungsforschungseinrichtung i-graduate Modellcharakter. Sie zeigt das Zusammenwirken von Marktforschung, Marketing, Internationalisierung und Organisationsentwicklung. Als Analyseinstrument bietet das ISB Hochschulen eine konkrete Positionsbestimmung auf internationaler, europäischer, nationaler oder regionaler Ebene. Mit 3 Mio. befragten Teilnehmern an 1400 Hochschulen in 33 Ländern ist das ISB die größte globale Benchmarkstudie zur Zufriedenheit international mobiler Studierender und Doktoranden. Durch ihren Außenblick (aus Sicht ausländischer Studierender), die internationale Vergleichsmöglichkeit (mit der Konkurrenz im Ausland) ergänzt sie das HRK-Audit Internationalisierung. Die professionelle internationale Vergleichsmöglichkeit macht die Benchmarkstudie bisher einzigartig, daher wird das Instrument im folgenden Abschnitt kurz exemplarisch vorgestellt.

Das Benchmarking-Instrument ISB wird seit 2006 mittels eines standardisierten und weitestgehend international passfähigen Fragebogens (kostenpflichtig) weltweit eingesetzt, um mehr über die Motivationsgrundlagen, Entscheidungsfindung, Erwartungen und Zufriedenheit der Zielgruppe von der ersten Bewerbung bis zum Hochschulabschluss zu erfahren. Die deutschen Hochschulen beteiligten sich auf Initiative des Hochschulmarketingkonsortiums GATE-Germany seit 2009 mehrfach an der international durchgeführten Zufriedenheitsumfrage. Das ISB ermittelt zunächst die wichtigsten Informations- und Beratungsquellen unter der Zielgruppe im Umfeld ihrer (bereits vollzogenen) Standortwahl, um aktuelle Trends bei der Entscheidungsfindung zu erfassen. Zu den Top 10 Informations- und Beratungsquellen der Studierenden bei der Hochschulauswahl gehören: 1. Freunde 2. Website der Institution 3. Familie 4. Alumni

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5. Studierende 6. Beratungsdienstleister des Gastlandes 7. Lehrer/Tutoren vorheriger Bildungseinrichtungen 8. Besuch der Institution 9. Broschüren der Institution 10. Ranglisten oder Rankings (Ripmeester und Pollock 2017, S. 42). Die Zufriedenheit international mobiler Studierender und Doktoranden mit der getroffenen Hochschulstandortwahl wird von der ISB-Umfrage in vier definierten Leistungsbereichen erfasst: 1. Ankunftsphase 2. Studieren/Lernen 3. Wohnen/Leben 4. unterstützende Services. Die Ergebnisse der internationalen Benchmarkanalyse werden für jede beteiligte Hochschule spezifisch und vertraulich ausgewertet und durch ein Beraterteam mit der Hochschule erkenntnisleitend besprochen. Übersichtliche Farbschemata in den Auswertungen visualisieren, in welchen Leistungsbereichen die Einrichtung überdurchschnittlich, durchschnittlich oder unterdurchschnittlich abschneidet. Seit 2009 haben sich in Deutschland über 65.000 international mobile Studierende und Doktoranden an der Online-Umfrage zum ISB beteiligt. Aus der Analyse werden wertvolle Rückschlusse für das Marketing, die Kommunikation und die Organisationsentwicklung gezogen. Die Rückmeldungen der Studierenden/Doktoranden liefern Information, Daten und Prozentsätze beispielsweise zur • Entscheidungsfindung und Motivationslage international mobiler Studierender/Doktoranden, • Zufriedenheit der Zielgruppe mit dem Studienangebot und Services der betreffenden Hochschule, • Zufriedenheit mit den Studien- und Forschungsbedingungen in Deutschland allgemein, • Leistungsbewertung aus Sicht der Zielgruppe im Vergleich zu anderen Benchmarks, • Ableitung und Wirkungsmessung von Verbesserungsmaßnahmen, • Ermittlung von Bedürfnissen und Erwartungen international mobiler Talente, • Optimierung der Kommunikation mit der Zielgruppe, • Beziehungsqualität Hochschule-Studierende/Doktoranden und Möglichkeiten zur Verbesserung der Kundenorientierung, • Bereitschaft der Zielgruppe, die Institution/den Standort weiterzuempfehlen (Weiterempfehlungsrate), und • Ausprägung der institutionellen Reputation und die Möglichkeit sie zu stärken.

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Über die Abweichungen vom internationalen oder nationalen Standard kann ermittelt werden, welche Leistungsparameter auf Individual-, Gruppen-, und Gesamtorganisationsebene wie stark für Unterschiede in der Performanz verantwortlich sind. So zeigt die Stärken-Schwächen-Analyse kritische Erfolgsfaktoren auf und löst Veränderungen und Anpassungen aus. Wird die Benchmarkumfrage mehrfach durchgeführt, können eingeleitete Veränderungsmaßnahmen auf ihre Wirkung abgeschätzt werden. Die internationale Vergleichsmöglichkeit ermöglicht es den beteiligten Hochschulen und Hochschulsystemen, die eigenen Werte (Ist-Performanz) in den vier genannten Leistungsbereichen zu nationalen, europäischen oder internationalen Benchmarks spiegeln (z. B. Deutschland, Europa, Welt). Auch Merkmale ausgewählter Hochschultypen (darunter Universitäten, Fachhochschulen), Hochschulgrößen (kleine, mittlere, große) können auf Anfrage erkenntnisleitend geclustert und zur typ- und standortspezifischen Profilbildung ausgewertet werden. Benchmarking vermehrt so das Ursachen- und Wirkungswissen sowie das Handlungswissen, in dem sie die Identifizierung von Leistungslücken und -stärken, die Ableitung von Entwicklungsmaßnahmen und das Erlernen oder Akquirieren neuer Kompetenzen und Fähigkeiten unterstützt. Benchmarking gilt daher als Wegbereiter einer Lernenden Organisation. Vgl. (Bauer et al. 2006, S. 238 ff.).

6.8 Über Marktforschung zur Kundenorientierung. Das Desiderat „Consumer bzw. Student Insights“ Grundsätzlich ermöglichen Umfragen wie das ISB auch Aussagen zu ausgewählten Zielgruppen und ihren Besonderheiten in den abgefragten Leistungsbereichen, sortiert beispielsweise nach Studienstufe, Herkunftsländern und Fächern. Solche Consumer bzw. Student Insights liefern Informationen (Ursachen- und Wirkungswissen), womit bestimmte Studierendengruppen im Studienalltag zu kämpfen haben und zeigen Lösungswege auf, wie akademische Talente ihre Studien- und Forschungsaufenthalte auch unter erschwerten Bedingungen (fremdes Land, anderes Hochschulsystem, fremde Sprache, kaum soziale Bindungen vor Ort) erfolgreich meistern können (Handlungswissen). Die Marktforschung ist somit ein Qualitätsinstrument und trägt zur Steigerung der institutionellen Effizienz und Reputation bei. Durch die nationale und internationale Vergleichsmöglichkeit des gegebenen Leistungsportfolios kann die Hochschulplanung bzw. Hochschulleitung evidenzbasiert über die Verwendung von Ressourcen nachdenken und Prioritäten setzen. Das Umfrageinstrument hat sich aus mehreren Gründen als sehr wertvoll erwiesen. Hochschulen können an ihren Leistungen gemessen und untereinander verglichen werden, ohne dabei ein öffentliches Hochschulranking zu sein. Die vertraulichen Befunde ermöglichen es beteiligten Hochschulen strategisch zu handeln und damit ihre Erfolgschancen zu erhöhen.

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6.9 Über Marktforschung zur Kundenorientierung: ServiceManagement und Student Services Die Befragung ausländischer Studierender in Deutschland hat – auch durch das internationale Fragedesign der Studie – zahlreiche Leistungslücken zu internationalen Standards aufgezeigt. Im Rahmen der ISB-Studie wurde insbesondere das Entwicklungspotenzial des Service-Managements deutlich, insbesondere beim Student Service. Dieser Aspekt wurde auf dem europäischen Kontinent bisher wenig untersucht. Die Zufriedenheitsumfrage zum ISB macht deutlich, welche Erwartungen und Informationsbedürfnisse international Studierende/Doktoranden haben, wenn sie sich für ein Studium/eine Promotion außerhalb ihres Heimatlandes entscheiden. Besonders in der sensiblen Anfangsphase benötigt die Zielgruppe mehr Unterstützung. An deutschen Hochschulen werden Dienstleistungen, die international zu den Student Services gehören, von vielen verschiedenen Einrichtungen erbracht und fallen oft in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche. Einige solche Dienstleistungen werden sowohl von der Hochschule selbst (Einschreibung, Zulassung, Studienberatung) erbracht, als auch von hochschulnahen und hochschulfremden Partnereinrichtungen. Dienstleistungen, die das studentische Wohnen und Essen (Studierendenwerke), das Stipendienwesen (staatliche und private Förderorganisationen), religiöse Einrichtungen (Studierendengemeinden) oder die Alumni und Career Services (Hochschulverwaltung, Agentur für Arbeit, Vereine) betreffen, werden überwiegend von hochschulnahen Einrichtungen angeboten, da diese Services nicht zum „Kerngeschäft“ der Hochschule gehören. Aus Mangel an Kenntnis orts- und landesspezifischer Strukturen werden Leistungslücken in diesen Service-Bereichen von international mobilen Talenten oftmals der Hochschule zugeschrieben. Das ISB hat hier bei den betroffenen Hochschulen ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass einige Probleme nicht im Alleingang, sondern nur in Zusammenarbeit mit den zuständigen Dienstleistern gelöst werden können, sei es durch Anpassungen in der Kommunikation oder den Services. Als Beispiel kann hier etwa die Einführung sogenannter Buddy-Systeme60 genannt werden, die Studienanfänger vom Heimatort bis zur Studentenbude begleiten. Der Service überdeckt Bruchstellen, die sich durch institutionelle Dienstleistungsgrenzen, beispielsweise zwischen Hochschule, Studierendenwerk und Stadt ergeben und sich auf die sogenannte „Student Experience“ auswirken können. Onlinegestützte Informations- und Beratungsangebote sind die Hauptinformationsquellen der Zielgruppen während ihrer Orientierungsphase, also der Zeit der Entscheidungsfindung, der Hochschulstandortwahl selbst und der Eingewöhnung am Standort. Sind hochwertige Informationen und Beratungsangebote einfach abzurufen, begünstigen sie die Entscheidungsfindung, Orientierung, Eingewöhnung und Zufriedenheit.

60Buddy-Systeme

stehen in Form von persönlichen Ansprechpartnern (z. B. Studierende der Hochschule) oder als technische Anwendung (z. B. Ratgeber-App der Hochschule) zur schnellen Eingewöhnung und Orientierung zur Verfügung.

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Die Bedeutung der wichtigsten Informationsquellen, darunter Freunde, Websites und Soziale Medien-Formate der Hochschule, wurde durch die Umfrage zum ISB belegt. Insbesondere unbegleitete internationale Zielgruppen (sog. „degree-seekers“) erfordern besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge bei der Gestaltung von Service- und Kommunikationsmaßnahmen. Diese Zielgruppe hat oftmals andere Informations- und Betreuungsbedarfe als Austausch-Studierende, Gastwissenschaftler und Stipendiaten, die nur zeitweise nach Deutschland kommen und in der Regel in ein gut funktionierendes Informations- und Betreuungsnetzwerk eingebunden sind. Befunde des International Student Barometer verdeutlichen die Relevanz von Student Services insbesondere für „degree seekers“. Diese Zielgruppe bewegt sich anfangs oft ohne jegliche Hilfestellungen im fremden Land, Kulturkreis und Hochschulsystem. Austauschstudierende und Stipendiaten erhalten dagegen oft Begleitinformationen durch ihre Stipendiengeber, Partnerhochschulen und Fördereinrichtungen, die im Sinne der Fürsorge, Qualitätssicherung und Reputationsförderung besonders an einen reibungslosen Ablauf der Hochschulerfahrung im Ausland interessiert sind und ihre Geförderten als „Global Citizens“ vorbereiten. Kundenorientierte Services gewinnen bei zunehmender Mobilität, onlinegestützter und transnationaler Bildung stetig an Bedeutung61. Sie fördern die Orientierung und Integration, stärken die Hochschulbindung und das Qualitätsbewusstsein. Internationales Benchmarking unterstützt die Identifizierung relevanter Standards, die sich durch Vermittlung von Best Practice auch an deutschen Hochschulen mit der Etablierung einer Willkommens- und Servicekultur zunehmend durchsetzen. Sei es durch Welcome Center nach dem One Stop Shop-Prinzip in Form in echter Räumlichkeiten (Student Service Center, Sprach- und Graduiertenzentren), oder durch international geprägte OnlinePräsenzen (spezifische Landing Pages, Facebook-Seiten, Onlinekurse zum Erwerb der deutschen Sprache), bis hin zu den bereits genannten Buddy-Systemen der Hochschulen. Weitere ISB-Erkenntnisse betreffen auch Dienstleistungen des Alumni- und Career Service, die von der Zielgruppe erwartet und besser auf sie zugeschnitten werden sollten als bisher. Anpassungsmaßnahmen sollten die Kontaktpflege und Bindung sowie den Berufseinstieg erleichtern. Das ist wichtig, denn international mobile Studierende sind die besten Botschafter ihres Studienfachs bzw. Hochschulstandorts und zudem gefragte Fachkräfte. Für den Berufseinstieg in Deutschland haben sie eine gesetzlich festgelegte Frist. Da ist jede Hilfestellung für den Berufseinstieg willkommen, beispielsweise durch ein professionelles Auge auf den Lebenslauf, das Bewerbungsschreiben oder ein Bewerbertraining. Daher sollte im Sinne der Organisationsentwicklung auch der Alumni- und Career Service international mobile Studierende zunehmend in den Fokus nehmen, um den Studierendenlebenszyklus zu schließen62. Alle angebotenen Services der Hochschule 61Darunter

online-gestützte Bildungsangebote wie Webinare, MOOCs, international classrooms sowie grenzüberschreitende Bildungsstandorte in Verbindung mit bi-national betreuten Hochschulabschlüssen. 62Empfehlungen dazu wurden beispielsweise von HRK und CSND 2014 gemeinsam erarbeitet https:// www.hrk.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/Empfehlung_Career_Services_MV_22112011_02. pdf und www.hrk.de/uploads/media/Umfrage_Internationalisierung_Auswertung.pdf.

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signalisieren der Zielgruppe, dass man sich (im Rahmen des Möglichen) um sie bemüht und vermitteln ein Zeichen der Wertschätzung. Es ist anzunehmen, dass die Qualität und Willkommenskultur eines Hochschulstandortes auch über Service-Angebote wahrgenommen wird. In den USA und dem Vereinigten Königreich haben studierendenzentrierte Maßnahmen, wie die der Student Services und Student Affairs in der Vergangenheit viel Aufmerksamkeit erfahren und sich dementsprechend entwickelt. Service-Management kann auch in Deutschland ein Hebel zur Stärkung der institutionellen Effektivität und der (inter)nationalen Reputation darstellen. Für die Hochschulen kommt es darauf an, welchen Standards sie sich verpflichtet fühlen und welche Prioritäten sie setzen möchten. Die bestehende Servicelücke „Student Services“ ist dabei nicht neu und auch nicht unbekannt63. Ihr Ursprung wird unter anderem auf die Humboldt’sche Universitätstradition zurückgeführt. In Europa und Deutschland konzentrieren sich die Hochschulen in Humboldt’scher Tradition vor allen auf die Vermittlung von Forschung und Lehre durch Professoren. Aspekte der Verwaltung, des studentischen Lebens, der Spezialisierungen sowie der Fakultäten, an denen die Studierenden eingeschrieben sind, spielen kaum eine Rolle. Die soziale Dimension an deutschen und europäischen Hochschulen ist daher aus internationaler Perspektive nach wie vor wenig ausgeprägt und in hochschulpolitischer Hinsicht entwicklungsfähig. Das ISB liefert hierzu fundierte Zahlen und Fakten. Ergebnisse der ISB-Analysen sind in mehreren Publikationen64 dokumentiert. Bei der Positionierung einer Hochschule geht es oftmals nicht direkt um das Produkt (Forschungs-, Studien-, Beratungs- und Unterstützungsangebote), oder die Einrichtung (das Institut, die Fakultät, das Service-Center, die Hochschule) bzw. das Hochschulsystem selbst, sondern um dessen Wahrnehmung durch (potenzielle) Kunden und Stakeholder. Durch bessere Kommunikation, Information und dialogorientierte Formate (online oder offline) können Hochschulen gezielt an der Wahrnehmung und dem Erwartungsmanagement arbeiten. Wird eine Leistung nicht erwartet, wird sie auch nicht vermisst. Wird hingegen wahrgenommen, dass die Institution mehr Leistung anbietet, als international Standard ist, wird das entsprechend hoch bewertet. Wird eine Leistung erwartet, die bei der Konkurrenz Standard ist, aber an der betrachteten Einrichtung nicht angeboten wird, führt das unter Umständen zu einer negativen Wahrnehmung, zu Unzufriedenheit, Geringschätzung oder Abwanderungsgedanken bei den gesuchten Talenten. Wird die Leistungslücke hingegen plausibel erklärt und in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet, wird die Leistungslücke anders wahrgenommen. Das kann bei entsprechender Wertschätzung der Gesamtleistung wieder Zufriedenheit stiften. Im Idealfall empfiehlt die Zielgruppe die Einrichtung an andere weiter.

63vgl. Trends V 2007, S. 47 (https://eua.eu/resources/publications/389:trends-2007-universitiesshaping-the-european-higher-education-area.html) oder www.aca-secretariat.be/fileadmin/aca_docs/ documents/ACA_Flyer_21_06_FINAL.pdf. 64www.gate-germany.de/isb bzw. www.gate-germany.de/schriftenreihe

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Mit Blick auf die weltweit umworbenen Talente trägt Marketing durch kundenorientiertes Benchmarking und internationales Monitoring zum institutionellen Qualitäts- und Reputationsmanagement bei. Die Zufriedenheitsanalyse zum ISB zeigt auf, wie es um die Weiterempfehlungsneigung der eigenen Studierenden und Doktoranden bestellt ist. Detaillierte Ergebnisse der Analysen geben Hinweise, worauf die Kundenzufriedenheit beruht und wie sie Leistungen und Kommunikationsinstrumente inhaltlich bzw. qualitativ verbessern können: Einerseits durch Serviceverbesserungen, oftmals aber durch angepasstes Informations-, Kommunikations- und Erwartungsmanagement.

6.10 Fazit Internationales Hochschulmarketing wird institutionsübergreifend, auf vielen Ebenen und durch zahlreiche Personen gestaltet. Nicht nur durch die Marketingverantwortlichen der Hochschulverwaltung, sondern auch durch Studierende, Forschende, Kooperationspartner, Alumni und andere hochschulnahe Vertreter. Auch Interessenvertretungen, Fördereinrichtungen, Stipendiengeber, Stiftungen, Stadtverwaltungen, Landesregierungen setzen sich für ein möglichst wirkungsvolles Marketing zugunsten des Hochschul- und Forschungsstandortes Deutschland ein. Zusammen beeinflussen sie den Gesamteindruck, den andere vom Hochschulstandort gewinnen. Im internationalen Wettbewerb der zahlreichen Bildungs- und Forschungseinrichtungen lohnt es sich, an ausgewählten Plätzen unter einem gemeinsamen Markendach aufzutreten, um von einem internationalen Publikum überhaupt wahrgenommen zu werden. Da ist das gute Zusammenspiel der deutschen Akteure auf zentraler und dezentraler Ebene von größter Bedeutung. Die international präsenten Mittler- und Forschungs(förder)organisationen bieten an ausgewählten Orten professionelle Unterstützung an, um sich sowohl auf neuen, als auch auf erfolgserprobten Plattformen institutionell und fachlich in Stellung zu bringen. Dabei wird jeder so wahrgenommen, wie er sich präsentiert. Auch unter einer gemeinsamen Dachmarke können die deutschen Hochschulen mit der Zeit eine differenzierte Markenarchitektur herausbilden und dort herausstechen, wo sie es für nötig erachten. Ein weiterhin gemeinsames Auftreten vermittelt ein stimmiges Gesamtbild und schafft Vertrauen. Hochschulintern kann das internationale Hochschulmarketing wesentlich mehr erreichen, wenn im Hochschulbetrieb allgemein erkannt und akzeptiert wird, dass Hochschulmarketing ein Instrument der Qualitätsentwicklung ist. Hierzu ist noch weitere Lobbyarbeit nötig, denn viele reduzieren Marketing noch ausschließlich auf seine Werbefunktion. Richtig eingesetzt leistet das Marketingpersonal durch gezielte Marktund Konkurrenzbeobachtung wertvolle Beiträge zur Organisationsentwicklung. Darüber hinaus trägt ihre Arbeit dazu bei, bereichsbezogene, institutionelle oder landesspezifische Besonderheiten kommunikativ herauszuarbeiten. Die Ergebnisse können zur optimalen Positionierung und Kommunikation im Markt genutzt werden. Durch ihre Evaluationstätigkeit und kommunikative Vernetzung geben Marketingverantwortliche wertvolle

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Impulse, an welchen Stellen und mit welchen Maßnahmen eine bessere Passfähigkeit zwischen dem hochschulischen Leistungsportfolio und den Kundenbedürfnissen erreicht werden kann. Durch den Aufbau von Studiengängen und Forschungseinrichtungen zu den Fachgebieten Hochschulmanagement, Wissenschaftsmarketing und Hochschul-, Wissenschafts- und Innovationsforschung wurde in den vergangenen Jahren der Grundstein für die Ausbildung von professionellem Fachpersonal sowie zur wissenschaftlichen Beforschung der Themengebiete „Internationalisierung“ und „Internationales Hochschulmarketing“ gelegt. Damit untermauern und ergänzen sie den fachlichen Expertiseaufbau derjenigen Einrichtungen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich für die Internationalisierung und den praxisbezogenen Aufbau des internationalen Hochschul- und Forschungsmarketings eingesetzt haben. Zur Verbesserung der internationalen Präsenz und zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Wissenschaft haben viele Akteure des deutschen Hochschul- und Forschungssektors in der letzten Zeit Internationalisierungsstrategien entwickelt und intern Internationalisierungsprozesse vorangetrieben. Damit dokumentieren sie ihr internationales Selbstverständnis und Entwicklungspotenzial. Das Management des internationalen Hochschulmarketings wird damit leichter, da es auf zunehmend bessere Grundlagen und Leitplanken für die Entwicklung von profilbildenden Strategien zur institutionellen Positionierung im Ausland zurückgreifen kann. Die in den Internationalisierungsstrategien festgelegten Internationalisierungsziele erleichtern die Entscheidung, was mit Hochschulmarketing (hochschulpolitisch) erreicht werden soll: Qualität, Internationalisierung zu Hause, Quantität oder Status. Marketingstrategien bauen darauf auf und legen dazu Ziele und Maßnahmen fest. Hochschulmarketingstrategien werden vom zuständigen Personal entwickelt. Je nach Hochschule sind die Stelleninhaber mehr oder weniger zentral in den Akademischen Auslandsämtern bzw. International Offices, den Kommunikations- und Pressestellen, Marketingabteilungen sowie den Fakultäten, Forschungsprojekten und Graduiertenschulen angesiedelt. Damit das Marketing für die Hochschule bestmögliche Wirkung erzielen kann, müssen – ähnlich wie im systemischen Hochschulmarketing auf Landes- oder Bundesebene – viele Partikularinteressen unter einen Hut gebracht werden. Auch hier können die verschiedenen Einrichtungen der Hochschule Submarken entwickeln und im Sinne der Profilbildung eine hochschulspezifische Markenarchitektur aufbauen. Durch das gemeinsame Zusammenwirken kann die Hochschule jedoch mehr erreichen, als die Summe ihrer Teile. Der abgestimmten Koordination messen professionelle Marketingverantwortliche größte Bedeutung zu. Im internationalen Vergleich hat Deutschland noch deutlichen Nachholbedarf auf dem Gebiet der Education und Marketing Intelligence. Die Leistungslücke betrifft vor allem Organisations- und Wirkungsanalysen, Länder-, Fächer- und Sektorenberichte, Potenzialanalysen für Kooperationen sowie globale Trendanalysen, die die Hochschulen bei ihrer international geprägten Organisationsentwicklung evidenzbasiert unterstützen könnten. Hierzu sollten weitere Strukturen gebildet und mehr Ressourcen bereitgestellt werden, denn internationale Marktbeobachtung und Organisationsentwicklung ist eine Herausforderung und erledigt sich nicht von selbst.

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Eine weitere Professionalisierung deutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe wird dann erreicht werden, wenn sich die deutschen Hochschulen selber stärker einbringen (können). Erste akademische Studiengänge zur Ausbildung von Hochschulpersonal mit Marketing- und Internationalisierungsexpertise sind in den vergangenen Jahren entstanden. Auch Forschungseinrichtungen, die sich wissenschaftlich und praxisorientiert mit den Themen Internationalisierung und internationales Hochschulmarketing befassen, sind entstanden. Ein Anfang ist auch hier gemacht. Zwei Aufgabenfelder, denen sich das internationale Hochschulmarketing stärker widmen sollte, ist das Thema Servicekultur und Data Mining. International durchgeführte Studien, wie die exemplarisch vorgestellte Zufriedenheitsanalyse „International Student Barometer“ verdeutlichen, welche Erwartungen international mobile Zielgruppen an ihrem Hochschulstandort haben. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse haben dazu geführt, dass deutsche Hochschulen stärker an ihrer Willkommenskultur feilen. Diese betrifft aber oft nur die Ankunftsphase. Eine stärkere Servicekultur käme aber allen Talenten und deren Ratgebern zugute: Zum einen den Forschern, Alumni, Studierenden und Studienanfängern (als direkte Angehörige der Hochschule, die Übergänge schneller bewältigen, effizienter Leistung erbringen können, Wertschätzung erfahren), aber auch den Studieninteressierten, Familien, Ratgebern (als externe Einflussgruppen, die sich schneller orientieren können und in ihren Entscheidungen kontinuierlich positiv bestärkt werden) bis hin zu Kooperationspartnern, Unternehmen und die Hochschulverwaltung selbst (als potenzielle Wegbereiter, Arbeitgeber und Transmissionsriemen für Innovation). Ein stärkeres Service-Management würde der Zufriedenheits-, Qualitäts- und Reputationssteigerung sowie der Stärkung der Bindekraft dienen. Würde die Bedeutung des Service-Managements für die Internationalisierung und die Mobilität von Forschern und Studierenden nicht nur erkannt, sondern auch im Aufbau von Managementkapazitäten münden, könnte Deutschland hier an internationale Leistungsstandards anschließen. Unter den gegebenen Umständen kann Deutschland jedoch an seinem Erwartungsmanagement arbeiten und stärker darauf hinweisen, dass aufgrund der Humboldt’schen Tradition und des oft gebührenfreien Studiums in Deutschland auf viele Services bewusst verzichtet wird. Aktuell stellt vor allem die Digitalisierung den deutschen Bildungssektor vor neue Herausforderungen im internationalen Wettbewerb. Marketingverantwortliche sollten sich auch hier einbringen, um technische, inhaltliche und organisationale Entwicklungen entsprechend mitzugestalten und Bedarfe zukunftsweisend mitzuteilen. Trendanalysen, Länderstudien und Audits helfen dabei, sich strategisch aufzustellen und für den internationalen Wettbewerb entsprechend zu rüsten. Dass Deutschland unter den gegebenen Bedingungen durch hochschulinterne Strukturbildung viel erreichen kann, hat die Vergangenheit mit dem verstärkten Engagement der Hochschulen in Wissens- und Transferstellen, Gründerbüros, Patentverwertungsagenturen und anderen Einrichtungen gezeigt. Aufgaben, die traditionell in den Verantwortungsbereich von Wissenschaftlern gehör(t)en, haben so einen festen Platz in den Organisationsstrukturen

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deutscher Hochschulen gefunden. Die Hochschulen haben damit demonstriert, dass sie sich in gesellschaftlich relevanten Bereichen strategisch zu positionieren wissen. Der Aus- und Aufbau von Organisationseinheiten in den Bereichen Internationalisierung, Qualitätsmanagement und Marketing fällt ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Hochschule. Forschende werden hierdurch entlastet und können sich so auf ihre Kernaufgaben in Forschung und Lehre konzentrieren.

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Ulrike Koch  studierte Diplom-Verwaltungswissenschaften (Manage­ ment, Internationale Beziehungen) an den Universitäten Konstanz und Wien. Nach verschiedenen Tätigkeiten für die Deutsch-Kanadische Handelskammer in Montreal, die Mainau GmbH und die Credit Suisse Private Banking in Frankfurt wendet sie sich dem internationalen Hochschulmanagement und -marketing zu. Seit 2001 befasst sie sich als Referentin und Beraterin vor allem mit (internationalen) Fragestellungen der Public und Political Affairs, der Organisationsentwicklung sowie der Internationalisierung im Hochschulsektor, unter anderem für die Universität Augsburg, die Hochschulrektorenkonferenz, das Hochschulkonsortium GATE-Germany und das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in der Helmholtz-Gemeinschaft.

7

Strategien zur Entwicklung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft Insights in Science Marketing, Barrieren und Treiber, Anreizsysteme und Nudges Thomas Baaken

Zusammenfassung

Der Beitrag trägt ausgewählte Erkenntnisse der Forschung zu Science Marketing und Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen zusammen und bereitet sie in Form kurzer zugespitzter „Insights“ für praktische und politische Entscheidungsträger auf. Diese Insights können künftige Strategien in der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft erfolgreicher machen. Dabei werden der Marketingansatz im Wissenstransfer, Barrieren und Treiber für Akteure in Wissenschaft-Wirtschafts-Kooperationen sowie Anreizsysteme zur Motivation der Forscher für das Management für Hochschulen angesprochen. Zur Beförderung der Diskussion wurde Wert auf Erkenntnisse gelegt, die tradierte Standpunkte hinter sich lassen und neue Perspektiven öffnen sollen.

7.1 Zur Bedeutung und zum aktuellen Stand der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft Die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft wird als treibende Kraft in einer künftigen Wissensgesellschaft angesehen, weil durch sie Innovationen in der Wirtschaft entstehen und die Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Volkswirtschaft verbessert wird.

T. Baaken (*)  Science-to-Business Marketing Centre der FH Münster, Fachhochschule Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_7

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Im Licht globalen Wettbewerbs und einer künftigen Wissensgesellschaft erfahren Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen (WWK) erheblich steigende Bedeutung, stehen aber auch vor größeren Herausforderungen. Bislang wurde dem Thema – entgegen seiner Bedeutung – in der Literatur jedoch noch zu wenig Raum gewidmet. Grundsätzlich sind viel mehr Forschung, Analysen und Informationen dazu notwendig. In ganz Europa – das gilt auch für Deutschland – ist das Potenzial der Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen bei weitem nicht ausgeschöpft. Es gibt noch viel Raum für Entwicklungen. Laut einer jüngsten Studie aus 20181 sind die meisten Hochschulangehörigen gar nicht oder nur in geringem Umfang an WWK beteiligt, während auf institutioneller Ebene viele Hochschulen ein gewisses Maß an WWK ausüben. Über 40 % der Hochschulangehörigen sind gar nicht, 20 % nur in geringem Ausmaß und weniger als 40 % mittel- oder hochgradig in Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen tätig (Davey et al. 2018). Dieselbe Studie kommt zu der Erkenntnis, dass sich folgende Faktoren auf die Wahrscheinlichkeit einer WWK auswirken: Zum einen die Anzahl der Jahre die ein Forscher in Unternehmen und in der Hochschule verbracht hat, darüber hinaus wie ähnlich die Themen sind, die auf beiden Seiten bearbeitet werden und wie spezialisiert sich Forscher und Unternehmen in einem ersten Projekt begegnen. Insight

Effekte, die WWK begünstigen und vorantreiben • Der ‚Universitätseffekt‘ – die Anzahl der Jahre, die Wissenschaftler ausschließlich an der Hochschule arbeiten, wirken sich eher negativ auf eine potenzielle Zusammenarbeit aus, • der ‚Verständniseffekt‘ – die Anzahl der Jahre, die Wissenschaftler in der Wirtschaft arbeiten, wirkt sich positiv auf eine potenzielle Zusammenarbeit aus, • der ‚Erfahrungseffekt‘ – die Anzahl der Jahre, in denen beide (Wissenschaft und Wirtschaft kooperieren, wirkt sich positiv auf die zukünftige Zusammenarbeit aus, • der ‚Fakultäten/Industrie‘ Fokus – während die meisten Fakultäten an Hochschulen und Unternehmen in der Wirtschaft hauptsächlich in der Forschung zusammenarbeiten, hat jede Fakultät ihre eigene Mischung von WWK-Aktivitäten, die für sie spezifisch sind,

1Die

Studie wurde 2017 vom S2BMRC im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt. Dazu wurde der Fragebogen in 25 Sprachen transferiert. Er erreichte in den 33 Ländern der EU 14.318 Hochschulangehörige (Forscher, Hochschulleitung, Transferleiter) und 3113 für WWK zuständige Entscheidungsträger in Unternehmen. Damit wurde eine Gesamtdatenbasis nach Datenbereinigung von 17.431 vollständig ausgefüllten Interviews erreicht. www.ub-cooperation.eu.

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• der ‚Proximity-Effekt‘ – die meisten Kooperationspartner befinden sich in der Region (wenn überregional, dann im gleichen Land) und in nahestehenden und ähnlichen Disziplinen. (Davey et al. 2018, S. 12).

WWK kann dabei auf unterschiedliche Weise verstanden und definiert werden. Traditionell konzentrierte sich das Thema der Zusammenarbeit auf die Kommerzialisierung, einschließlich Patenten, Lizenzen, Ausgründungen und Spin-offs, die in erster Linie einen unidirektionalen Wissensfluss beinhalten (D’Este und Patel 2007; Jones-Evans 1998). In jüngster Zeit wurden jedoch Forderungen nach einem breiteren Konzept von WWK laut, um den gesamten Beitrag zu erfassen, den Hochschulen für Wirtschaft und Gesellschaft leisten (Hughes 2006; Davey et al. 2011; Klofsten und Jones-Evans 2000)2. So schenken aktuelle Studien den Formen bildungsbezogenen WWKs mehr Aufmerksamkeit (Caniëls und Bosch 2011; Galan-Muros et al. 2017). Angesprochen ist hier z. B. ein Wissenstransfer in die Wirtschaft (und vice versa) durch akademische und studentische Mobilität oder auch gemeinsame FuE-Aktivitäten. (Zhang et al. 2007). Insgesamt konnten acht verschiedene Kooperationsarten und -typen in den Bereichen Forschung, Bildung, Valorisierung und Management identifiziert werden (Davey et al. 2011, S. 27). 1. „Collaboration in research and development (R&D), 2. Mobility of academics, 3. Mobility of students, 4. Commercialisation of R&D results via IP Management, 5. Curriculum development and delivery, 6. Lifelong Learning (LLL), 7. Entrepreneurship and Spin offs, 8. Governance.“ Interessanterweise korrelieren Breite und Tiefe der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft signifikant. Sobald Forschende und Lehrende oder Unternehmen in einer der Aktivitäten involviert sind, kooperieren sie in der Regel auch in anderen Arten und Typen.

2Was

sich in Studien von Lamichhane und Sharma (2013), Teixeira und Mota (2012) und Kitagawa und Lightowler (2013) bestätigt.

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Insight

Sobald Forschende und Lehrende oder Unternehmen in einer der Aktivitäten des WWK involviert sind, kooperieren sie in der Regel auch in mehreren der anderen Arten und Typen. Es ist demnach strategisch zunächst unerheblich, an welchen Stellen die Zusammenarbeit beginnt; sie weitet sich auf andere Felder aus. Mit anderen Worten, sie muss nicht mit der Kommerzialisierung beginnen.

7.2 Zur Einordung des Science-Marketing und der Wissenschaft-Wirtschaft-Kooperation Science-Marketing oder auch Science-to-Business Marketing bezeichnet den Einzug eines am Markt ausgerichteten unternehmerischen Denkens und Handelns in Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen. Es ist dadurch charakterisiert, dass die Akteure aus der Wissenschaft aktiv Abnehmer (Kunden) für ihre Leistungen suchen und diese für eine wie auch immer geartete Gegenleistung übertragen. (Merten 2009; Baaken 2013). Insbesondere wenn sich die Forschungsleistungen bereits an den Bedürfnissen des Marktes und dem potenziellen Nutzen späterer Anwender ausrichten, treffen die Angebote der Hochschule die Markterwartungen der Unternehmen, der Transfer erfolgt reibungslos und ist erfolgreich. Insight

Der Beitrag nutzt deshalb den Anglizismus des Science-to-Business Marketing anstelle des deutschen Begriffs Forschungsmarketing, weil im deutschen Begriff semantisch das zu vermarktende „Produkt“ im Vordergrund, im englischen jedoch bereits explizit der Kunde im Begriff enthalten ist. Daher eignet sich der englische besser als der deutsche, um die Marketing und Kundenorientierung bereits im Wording konsequent zu transportieren.

Der Transfer geht dabei zunächst von einer Übertragung von Wissen an einen anderen aus. Im Gegenzug wechseln Ressourcen den Besitzer. Daher wird hier der Transaktionsansatz von Kotler als theoretisches Konstrukt herangezogen (Berndt 1992). Eine Erkenntnis der Transferforschung ist, dass es sich hierbei nicht immer um einen einseitigen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Wirtschaft handelt. Vielmehr, dass es einen gegenseitigen Austausch und eine starke Interaktion zwischen den Parteien gibt. Unternehmen stellen den Forschern z. B. Informationen zur Verfügung, die sie zu ihrer Forschung benötigen (Holtkamp et al. 2005; Kröcher 2005). Die Erkenntnislage erweiterte sich daher in den letzten Jahren und es ist zunehmend von einem bidirektionalen Transfer die Rede. Beide Seiten verfügen über Wissen und

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Ressourcen, die für den Anderen interessant sind und einen Mehrwert schaffen können (Merten 2009). Gleichwohl kann in diesen Austauschprozessen immer noch vom Transaktionsansatz gesprochen werden. In der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Parteien kommt es zunehmend zu Partnerschaften, die auf der Basis guter Erfahrungen und Vertrauen basieren und die deutlich umfassender sind, als ein schlichter Wissenstransfer (Plewa et al. 2005). Es entstehen Partnerschaften und Netzwerke, die wachsen und über lange Zeit stabil bleiben. Hier nun gewinnt der Ansatz des Relationship Marketing an Bedeutung. Dieses macht einen deutlich wachsenden Anteil derzeitiger Forschung im Marketing aus (Henning-Thurau et al. 2002), weil in Marktkonstellationen die Kundenbindung wichtiger wird als die Neukundengewinnung (Bruhn 2015). Folgerichtig haben Plewa et al. (2005) ein konzeptionelles Modell Wissenschaft-Wirtschaft Beziehungen auf Basis der Relationship Marketing Theorie vorgelegt. Eine konsequentere und strategische Marktorientierung der Wissenschaft erscheint auch deshalb notwendig, da nach Shane (2004, 2005) das Wissen über Märkte, Technologien und Marktbedürfnisse wesentlich dazu beiträgt, dass Transfer überhaupt erfolgreich stattfinden kann (Baaken 2013). Wissen und Erkenntnisse werden im Wesentlichen erst durch eine enge Zusammenarbeit unter Partnern zugänglich (Baaken und Rossano 2016). Die folgerichtige Ableitung ist deshalb, dass sich der Fokus weg vom Transfer – und seinem Interaktionsansatz – hin zu Wissenschafts-Wirtschaftskooperationen – mit seinem Relationship Ansatz – hin entwickeln muss. Science-to-Business Marketing umfasst dabei beide Bereiche (Baaken et al. 2016) und intendiert: • dem Wissens- und Technologietransfer (im engeren Sinne) durch eine Markt- und Kundenorientierung sowie • dem Aufbau, der Entwicklung und dem Management von Beziehungen (im weiteren Sinne) zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen im Sinne künftig stärkerer Partnerschaften eine neue konzeptionelle Basis zu geben. Die hohe und wachsende Bedeutung von Wissenschaft-Wirtschaft-Kooperationen vorausgesetzt stellt sich nun die Frage, wie es gelingen kann, solche zu initiieren und zu entwickeln.

7.3 Ausgewählte Instrumente der Entwicklung von Wissenschaft-Wirtschafts-Kooperationen Das UBC Eco-System der (Davey et al. 2011) bietet eine Reihe von potenziellen Maßnahmen zur Entwicklung von WWK. Hier wird auf vier abgestellt: 1. Regelwerke und Policies 2. Barrieren und Treiber

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3. Anreizsysteme 4. Nudging

7.3.1 Regelwerke und Policies Wer versucht, sich einen – wenn auch unvollständigen – Überblick über die Richtlinien, Regelwerke und Policies im Bereich Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen zu verschaffen, scheitert schon im Ansatz an der Vielfalt und den fehlenden Strukturen. Die Beteiligung verschiedenster Ministerien (Forschung, Innovation, Bildung, Beschäftigung, usw.) und Agenturen (in der Regel als NGOs) ist in den vielfältigen Formen der Politikgestaltung für Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen dokumentiert. Bereits bei einem oberflächlichen Studium dieser Regelwerke fällt auf, dass diese viele Lücken, Redundanzen und Überschneidungen, aber auch Widersprüche aufzeigen. (Davey et al. 2018). Während die meisten Hochschulen Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen in ihre „Mission und Vision“ integrieren, wird dieses strategische Engagement oft nicht durch dedizierte Ressourcen (z. B. eine verantwortliche Führungskraft, Budget, Personal oder Einrichtungen) untermauert. Hochschulen müssen sich stärker und längerfristig für Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen engagieren. Anreize und Überzeugungsinstrumente für Akademiker sind die am wenigsten entwickelten kooperationsfördernden Mechanismen, sodass dies einen unmittelbaren künftigen Schwerpunkt für politische Entscheidungsträger darstellt. Aufseiten der Praxis scheint das besser geregelt zu sein. Über ein Drittel der antwortenden Unternehmen3 bekennen sich in einer explizit formulierten Strategie zu Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen und unterstützen diese mit Ressourcen, der Benennung einer verantwortlichen Führungskraft und der Bereitstellung von Arbeitszeit für das Thema. Gleichwohl besteht auch hier eine Herausforderung darin, dass noch mehr Unternehmen die Bedeutung von Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen erkennen sowie verstehen, dass und wie eine Kooperation ihnen Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Insight

Das allgemein etablierte und akzeptierte Konstrukt der KMU ist im Wissenschafts-Wirtschafts-Kontext nicht sinnvoll zu nutzen. Viele Akteure in diesem Feld gehen davon aus, dass große Unternehmen eher WWK betreiben und mittlere und kleine eher nicht. Teilweise ist jedoch das Gegenteil der Fall. Denn viel wichtiger als die Größe der Unternehmen ist deren Besitz- und Führungsstruktur: Inhaberund familiengeführte Unternehmen engagieren sich signifikant häufiger in WWK als Unternehmen im Shareholder-Besitz. Sie streben langfristige Perspektiven an und investieren auch entsprechend. Unternehmen im Shareholder Besitz neigen

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eher dazu, auf positive finanzielle Quartals-Ergebnisse abzustellen und verlieren dabei ein langfristiges Engagement aus den Augen. Und es gibt große familiengeführte Unternehmen ebenso, wie KMU in Shareholder-Besitz.

Letztlich sind Regelwerke und Policies nur so gut, wie sie entstanden (unter Einbeziehung der Teilnehmer) und durchsetzbar (unter Betrachtung von Direktiven und Sanktionen) sind. Sie eröffnen den Blick auf Gewolltes, stellen aber noch lange nicht sicher, dass das auch umgesetzt wird. Es sein denn, es stehen, wie im Falle der Unternehmen, auch Anreize und Ressourcen zur Verfügung. Insight

Regelwerke und Policies sind nur dann sinnvoll, wenn sie unter frühzeitiger Einbeziehung der Akteure entstehen, also ausgerichtet sind auf Akzeptanz und Umsetzung, und wenn parallel dazu auch Ressourcen zur Verfügung stehen.

7.4 Barrieren und Treiber Barrieren sind jene Hindernisse, die eine Hochschule oder ihre Angehörigen daran hindern, sich aktiv an der WWK zu beteiligen. Barrieren können in drei Kategorien eingeteilt werden: Bewusstseinsbarrieren, Kultur-basierte Barrieren, Nutzung der Ergebnisse. Die zentralen Barrieren für eine Zusammenarbeit bestehen laut Hochschulmanagern, Forschern und Unternehmen in fehlenden finanziellen Rahmenbedingungen und Ressourcen. Die Wissenschaftler sehen zudem in Administration und Bürokratie sowie in fehlenden Freiräumen und Zeitmangel weitere bedeutende Barrieren. Anderseits sehen beide Seiten, Wirtschaft und Wissenschaft, die kulturellen Unterschiede in Bezug auf Zeitmanagement und unterschiedliche Ziele als relevante Beschränkung. (Atzorn et al. 2010, Davey et al. 2011; Bruneel et al. 2010; Davey et al. 2016,2018). Bewusstseinsbarrieren sind mit strukturellen Barrieren verbunden, mit denen Unternehmen und Universitäten konfrontiert sind, wenn sie sich in folgenden Situationen konfrontiert sehen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Kooperationspartner haben (Howells et al. 1998; Corsten 1987). Für Unternehmen ist es schwierig, geeignete Ansprechpartner für die Erstberatung zu finden, die je nach Größe und Branche variieren, in der das Unternehmen tätig ist (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2007). Dieser Mangel an Wissen behindert WWK und scheint trotz der Einrichtung flächendeckender Transferstellen nicht gelöst zu sein. (Schartinger et al. 2002).

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Ob in Bezug auf WWK oder die Ausgründung neuer Unternehmen eine der meist zitierten Barrieren sind die unterschiedlichen Kulturen und die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede, die zu einer Unvereinbarkeit zwischen Hochschulen und Unternehmen führen können (Bekkers et al. 2008; Bruneel et al. 2010; Plewa 2010). Ihre Prioritäten in Bezug auf Zeit-, Markt- und Gewinnorientierung unterscheiden sich sehr. Forschungseinrichtungen versuchen trotzdem, im eigenen Interesse, im eigenen Tempo und mit eigenen Methoden voranzukommen. Hinzu kommt, dass die Bürokratie aufseiten der Universitäten oft als wichtiger Hemm-Faktor erkannt wird. Neue Unternehmen und vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben Probleme im Umgang mit den undurchschaubaren Abläufen akademischer Institutionen (Plewa und Quester 2006). Das universitäre Umfeld behindert insofern häufig unternehmerisches Handeln. Weiterhin wurden unterschiedliche Vorstellungen zur Nutzung und Nutzbarkeit von Ergebnissen als Barrieren für WWK benannt. Die Hochschulen sind an der Verbreitung von Wissen interessiert und zielen auf Veröffentlichungen ab, die Industrie dagegen versucht, es als eine Strategie zur Erreichung von Wettbewerbsvorteil (Barnes et al. 2002) eher zu schützen. Aus Hochschulsicht gibt es die Befürchtung von Forschern, dass sie aufgrund von Geheimhaltungsinteressen der Unternehmen an einer Veröffentlichung gehindert würden (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2007; Corsten 1987). Der Schutz und die Verwertung geistigen Eigentums (IP) stellt einen erheblichen Diskussionspunkt zwischen den Parteien dar (Hall et al. 2001, Bekkers et al. 2008, 2010). Im Gegensatz zu Unternehmen, nehmen Universitäten den Wert geistigen Eigentums als weit mehr als nur eine Ressource wahr, sondern vielmehr als Fortschritt des Wissens. Darüber hinaus sind Hochschulen bestrebt, die Ergebnisse bereits vor der Verwertung zu veröffentlichen. Während es durchaus sinnvoll ist, Barrieren zu beseitigen, die WissenschaftsWirtschafts-Kooperationen behindern, sollten sich die Akteure auf Treiber von Kooperationen konzentrieren. Die Studienergebnisse zeigen eindeutig, dass die Beseitigung von Barrieren nicht automatisch Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen auslösen. Stattdessen ergeben sich trotz bestehender Barrieren Wege für eine Kooperation, sofern genügend Treiber für eine Zusammenarbeit vorhanden sind, Treiber sind jene Faktoren, die Mitgliedern der Hochschule motivieren, sich an WWK zu beteiligen. Sie lassen sich in zwei Kategorien gruppieren: Intrinsische und Extrinsische Treiber. Zunächst liegt die Betrachtung auf Professoren bzw. Hochschullehrern. Aufgrund ihres dienstlichen Status und ihrer beruflichen Ausrichtung sind Hochschullehrer nicht gleich zu stellen mit Angestellten und Mitarbeitern in Unternehmen. So besteht z. B. kein Weisungsrecht durch übergeordnete Hierarchieebenen, es gibt keine Vorgesetzten, d. h. die Hochschule hat nur sehr limitierte Möglichkeiten, ihre Ziele und Visionen durch Weisung durchzusetzen. Akademiker und Forscher verfügen über eine intrinsische Motivation. Sie möchten die allgemein verfügbare Wissensbasis erweitern und sich am Fortschritt der Wissenschaften beteiligen.

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Sie streben dabei nach Reputation und Anerkennung im Kreise ihrer Peers. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Forschungsergebnisse als erste zu publizieren, weil das auf die Karrieren der Forscher einzahlt. (Bruneel et al. 2010). Kooperierende Wissenschaftler geben zum Ausdruck, dass sie im Vergleich zu allen anderen Interessengruppen die geringsten persönlichen Vorteile aus Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen ziehen können. Der Fokus ihres Wirkens liegt in Forschung und Lehre. Transfer und WWK als dritte Aufgabe der Hochschule werden sehr oft nachrangig priorisiert.

7.5 Anreizsysteme Es besteht jedoch die Möglichkeit, eine Verhaltensänderung durch Anreizsetzungen zu erreichen. Solcherlei extrinsische Motivatoren sind dazu angetan, dem Hochschullehrer einen unmittelbaren Vorteil oder Nutzen zu bieten. Anreizsysteme in der Forschung unterscheiden sich sehr von denen in der Lehre, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Auch mit denen in Unternehmen sind sie nur eingeschränkt vergleichbar. Zwar ist beiden Bereichen gemein, dass Individuen mit ihrer Arbeit Geld verdienen (extrinsische Motivation) sowie eine inhaltlich befriedigende Aufgabe erfüllen wollen (intrinsische Motivation). Aber aus den bisherigen Ausführungen folgen besondere Merkmale für die Funktionalität eines wissenschaftlichen Belohnungsund Anreizsystems (Osterloh und Freye 2008). Insbesondere nichtmonetäre Anreize erscheinen für diese Berufsgruppe bedeutsam. Es ist dies die Anerkennung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft in Form von Preisen, Ehrendoktoraten oder Mitgliedschaften in prestigereichen Akademien, aber auch die Verbesserung der Rahmenbedingungen in der eigenen Forschung (Zugriff auf Wissen und Kompetenzen, Abbau administrativer Hürden, Service der Verwaltung) (Abb. 7.1). Allgemein ist ein Umdenken in Bezug auf die Politik für Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen erforderlich und zwar von dem Fokus weg von Barrieren hin

Abb. 7.1   Treiber und begünstigende Rahmenbedingungen im WWK (Davey et al. 2011)

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zu Treibern und von der Erleichterung von Transaktionen bis hin zum Aufbau und zur Pflege von Beziehungen. Sowohl für Hochschulen als auch für Unternehmen sind Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen eine diskretionäre Tätigkeit, die für die Akteure nicht unbedingt selbstverständlich ist. Daher müssen geeignete Mechanismen geschaffen werden, um die Zusammenarbeit zu fördern und zu unterstützen. Diese unterstützenden Mechanismen sollten darauf abzielen, die größten Barrieren (z. B. Bürokratie) abzubauen oder zu beseitigen, erleichternde Faktoren (z. B. gemeinsame Ziele) bereitzustellen und Anreize (z. B. Anerkennung) zu schaffen, die Hochschulen und Unternehmen für die Durchführung der Aktivität belohnen. Dies kann die Schaffung neuer oder die Weiterentwicklung alter Richtlinien, Strategien, Strukturen und Aktivitäten umfassen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen den an Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen Beteiligten und den Belohnungen, die sie dafür erhalten. Sowohl kooperierende Wissenschaftler als auch Unternehmen empfinden, dass sie im Vergleich zu anderen Interessengruppen die geringsten persönlichen Vorteile von Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen haben. Obwohl Hochschulmanager die „Finanzierung“ sowohl als Haupthindernis als auch als Hauptantriebskraft für Kooperation nennen, basiert die nationale Finanzierung für Hochschulen nach wie vor weitgehend auf der Zahl der Studierenden und den Forschungsergebnissen. Um Wissenschaft-Wirtschafts-Beziehungen zu verbessern, können Politik, Hochschulen und Unternehmen: • Finanzierungsmittel für die Entwicklung von Beziehungen zwischen Hochschulen und Unternehmen für verschiedene Entwicklungsstadien bereitstellen, bei denen zwischen kurzzeitiger Finanzierung für die „Gründung“ neuer Kooperationen und langfristiger Finanzierung für die „Skalierung“ bewährter Kooperationen unterschieden wird, • Möglichkeiten für eine häufigere und umfassendere Mitarbeitermobilität eröffnen, die auf beiden Seiten zu einem besseren kulturellen gegenseitigen Verständnis bzgl. der unterschiedlichen Kulturen führt, • umfangreichere Möglichkeiten für Akademiker und Unternehmensvertreter schaffen Vertrauen und Kooperationserfahrung zu entwickeln, wie z. B. durch geringfügige Finanzierungen zum Start, Übungen zum Aufbau von Beziehungen in Projekten und Nutzung bestehender Beziehungen als Ausgangspunkt zur Vernetzung von Wissenschaftlern mit Unternehmen, • neue Mechanismen entwickeln durch den Aufbau einer Community oder eines Netzwerkes externer kollaborationsorientierter Wissenschaftler, um Veranstaltungen, Networking-Events und Matchmaking zu ermöglichen, die zu einer externen Kollaborationskultur innerhalb der Hochschule führen sowie zu Erfahrungen in Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen Veranstaltungen etablieren, die die Vernetzung unterstützen und die Entwicklung von Beziehungen fördern, wie z. B. ForschungsPitch-Wettbewerbe, themenbezogene Networking Events, Business-Breakfasts, etc.

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Insight

Ein wesentliches Ergebnis der Studien aus 2011 – und 2017 wurde das noch einmal in besonderer Weis bestätigt – ist, dass Barrieren im Transfer nicht so wesentlich sind, wie bisher immer angenommen. Außergewöhnlich viel analytische Literatur zum Transfer beschäftigte sich seit Jahren mit Barrieren (Rothholz 1986; Fichtel 1997; Lopez-Martinez et al. 1994; Atzorn und Clemens-Ziegler 2010, u. v. a.) in der Annahme, dass im Falle der Wegnahme der Barrieren, die Zusammenarbeit stattfinden würde. Das ist aber nicht der Fall. Hindernisse und Barrieren sind der einzige Faktor, der nicht signifikant mit dem Ausmaß von WWK in Korrelation steht. Vielmehr sind die Treiber im Transfer bedeutsam. Wenn die Treiber groß genug sind, werden alle Barrieren überwunden. Das bedeutet, dass künftig das Augenmerk und die Anstrengungen auf die Treiber gelegen werden sollten, mehr als auf die Beseitigung von Barrieren.

7.6 Nudging Die Nudge-Theorie wurde von den Verhaltensökonomen Thaler und Sunstein (2009) entwickelt, ihre Theorie bietet eine Alternative zu den traditionellen Mitteln, um Richtungsentscheidungen von Menschen positiv zu beeinflussen. (Schmidt 2017). Nudging (Synonym für anregen, lenken, formen) ist eine verhaltensökonomische Methode, bei der versucht wird, das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei jedoch auf Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize zurückzugreifen. (Thaler und Sunstein 2009). Die unter anderem aus der Politik stammende Methode zeigt Bürgern Entscheidungsoptionen auf, bei denen die Art der Präsentation Hinweise darauf gibt, welche Option einer Handlungsempfehlung entspricht. Hierzu werden die Rahmenbedingungen der Entscheidungsoptionen bewusst so verändert, dass der Entscheidende sich in die intendierte Richtung entscheidet. Die Mechanismen werden von den Entscheidenden dabei nicht als manipulativ wahrgenommen. Das Wissen darüber, wie sich Entscheidungsträger verhalten, wenn sie mit einer Richtungsentscheidung konfrontiert werden, ist von wesentlicher Bedeutung für Nudging. Für die Analyse des Entscheidungsverhaltens ist es wichtig, zu erkennen, dass die Menschen nicht immer im besten Interesse handeln, weil sie ihren Optionenraum und die Wirkungen ihrer Entscheidung nicht überblicken. Die Vielzahl von Entscheidungen, die am Tage zu treffen sind, führt dazu, dass viele Entscheidungen habituell oder auch aus dem „Bauch heraus“ gefällt werden; oft ohne das Rationale in der Entscheidung zu berücksichtigen. Viele, wenn nicht sogar die meisten täglichen Entscheidungen werden im Unterbewusstsein getroffen (Marchiori et al. 2017). Viele Menschen würden sich

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selbst als rationale Entscheidungsträger bezeichnen, aber die Beobachtung der Verhaltensweisen zeigt etwas anderes. Laut Thaler und Sunstein ist es notwendig, Akteuren Orientierungshilfen zu geben, weil sie in vielen Fällen der Situation nicht die volle Aufmerksamkeit schenken können oder nicht das notwendige Spektrum der Optionen und Informationen besitzen. In solchen Fällen verlassen Menschen sich mehr auf ihr automatisches Denken, was sie anfällig macht für vorgefertigte Meinungen und Vorurteile. Im Gegensatz zu Entscheidungsträgern, die ihr Reflexionssystem konsultieren, das es ermöglicht rationale Entscheidungen auf der Grundlage unvoreingenommener Prognosen zu treffen. Die Zielsetzung Thalers und Sunsteins (2009) ist es, Entscheidungen entweder durch einen „Stups“ in die „richtige Richtung“ zu dirigieren und im Unterbewusstsein zu belassen, um so positive Ergebnisse zu erhalten. Oder Entscheidungen durch Nudging vom Unterbewusstsein in das rationale System zu überführen, sodass eine abgewogene und bewusste Entscheidung entsteht. Nudging setzt statt auf Druck, auf das Auslösen von Sogwirkungen bei, das Erzeugen von „Nachfrage-Hunger“ bei Zielgruppe oder das Initiieren generischer Sinnsuche. So werden aus „angestubsten“ Entscheider-Intentionen erfolgreich gelenkte Entscheidungen. Auch beim heute populären Content-Marketing und Storytelling sind solche Ansätze zur Sensibilisierung und zum sanften, edukativen „Anstupsen“ von Kauf- oder Richtungsentscheidungen enthalten. Besonders wirkungsvoll anwenden lässt sich Nudging als Methode beim Dialogansatz mit den Stakeholdern. Das kommt dem neuen Informations- und Kommunikationsverhalten der Menschen entgegen, die rund um die Uhr tweeten, posten, Erlebnisse teilen, bewerten und rezensieren. Zuhören und Befragen mit Empathie für den Partner oder Kunden ist heute sympathischer, vertrauenserweckender und glaubwürdiger als selbstdarstellerisches Verkünden und Anpreisen – und schon gar wirksamer als Regelwerke, Gesetze und Verordnungen (Sunstein 2014). Moderne Hochschulen erkennt man folgerichtig daran, dass sie ihre Mitglieder mit Zuhören und Fragen zum Zug kommen lassen und sie auf eine gemeinsame Reise in die Zukunft einladen. Mit der Nudging-Systematik kommt es zu umwälzenden Änderungen in der Kommunikation. Intelligente, lehrreiche, unterhaltsame und zielführende Einbindung der Stakeholder sind neue akzeptierte Methoden mit eingebauten Entscheidungsanstößen. Damit eröffnen sich auch für den WWK in all seinen Facetten (Science Marketing, Technologie Transfer, Partnerschaftsentwicklung, …) die Möglichkeit, Nudging einzusetzen (Sormani et al. 2018). Nudges, die im Kontext der WWK Einsatz finden könnten, sind z. B.3

3Derzeit

arbeitet das Science-to-Business Marketing Research Centre www.science-marketing.com zusätzlich zu seiner Toolbox der 100 Instrumente des Science-Marketing an einer Nudging-ToolBox für WWK.

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• Opt-in und Opt-Out Variationen • Reihenfolge in Listen zu verändern oder • Werkzeuge auch physisch bereitstellen • Neue Begriffe zu generieren oder Begriffe neu zu definieren • Zertifikate und Awards • Role modelling • Storytelling • Planspiele • Creative spaces Insight

Mit der von Thaler und Sunstein (2009) vorgelegten Theorie des Nudging eröffnet sich für den WWK und Technologietransfer zusätzlich zu Policies und Regelwerken, Anreizsystemen ein weiteres Feld der Möglichkeiten, WWK und Transfer zu initiieren und zu entwickeln. Ziel des Nudging ist es, Entscheidungen der beteiligten Akteure (Wissenschaftler, Studierende, Unternehmensvertreter, …) in einer Art und Weise zu lenken, die WWK naheliegend erscheinen lassen und sie in diese Richtung aktiv zu entwickeln. Nudging unterscheidet sich von Anreizsystemen insofern, als dass es (nahezu) kostenfrei ist und eher das Unterbewusstsein als das kognitive System anspricht. Grundsätzlich stehen dazu viele Nudges zur Verfügung.

7.7 Fazit Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen befinden sich in Europa und auch in Deutschland noch in einem frühen Stadium der Entwicklung. Sie sind dennoch ein maßgebliches Element zur künftigen Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften und Wohlfahrt der Gesellschaft. Um Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperationen anzuregen, zu initiieren, weiter zu entwickeln und zu festigen steht ein breites Instrumentarium zu Verfügung. Für Politik, Hochschul- und Institutsleitungen, Unternehmen und Forscher differenzieren sich diese Instrumente jedoch aus. Jede Ebene nimmt eine eigene Rolle ein und Maßnahmen müssen auf die besonderen Belange der Organisation und Situation abgestellt werden. Das Zusammenspiel der Akteure und ein abgestimmter und miteinander zusammen wirkender – teils auch beherzter – Einsatz dieser Instrumente ist notwendig und führt zu messbaren Erfolgen.

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Prof. Dr. habil. Thomas Baaken, FH Münster Thomas Baaken ist Professor für Marketing und Marktforschung, insb. Science-Marketing an der Fachhochschule Münster. Promoviert 1986 am Institut für Markt- und Verbrauchsforschung der FU Berlin, habilitiert 2010 am IHI Zittau. Nach Beendigung der Zeit als Prorektor für Forschung und Wissenstransfer gründete er 2002 den Forschungsschwerpunkt „Science-to-Business Marketing“ (www.science-marketing.com), den er heute noch leitet. Er ist außerdem Adjunct Professor an der University of Adelaide AUS, Senior International Fellow an der VU Amsterdam NL, PD am IHI, WE der TU Dresden, Member of Innovation Research Group Satakunta University oAS FIN und seit vielen Jahren Lehrbeauftragter im Masterstudiengang „Wissenschaftsmarketing“ der TU Berlin. Der BMBF hat ihn 2014 in den Beirat des „Aktionsbündnis Internationales Forschungsmarketing“ der BR Deutschland berufen.

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Public Affairs als Marketinginstrument der Wissenschaft René Mono

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag erklärt entlang von neun Leitfragen, warum Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings für immer mehr wissenschaftliche Organisationen wichtiger wird, welche Aufgaben Public Affairs an den Kuppelstellen zwischen wissenschaftlichem und politischem System übernimmt, welche Instrumente hierfür zur Verfügung stehen, welche Qualitätskriterien an Public Affairs zu stellen sind, aber auch welche ethischen Aspekte zu berücksichtigen sind. Ausgangspunkt ist eine Klärung dessen, was unter Politik zu verstehen ist. Denn nur auf dieser Basis wird man das Wesen von Public Affairs als wichtiges Instrument des Marketings einer wissenschaftlichen Organisation im politischen Raum richtig erfassen. Der Beitrag macht sich die systemtheoretische Sicht auf Politik zu eigen und schlägt dann vor, das Wesen von Public Affairs als hochspezialisiertes Management der Kuppelstellen zwischen dem politischen System und den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen aufzufassen. Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings ist dann am besten zu beschreiben, wenn man sich die Austauschbeziehungen zwischen dem politischen System und dem wissenschaftlichen System im Einzelnen veranschaulicht. Dies ist gewissermaßen der rote Faden dieses Beitrags.

R. Mono (*)  100 prozent erneuerbar stiftung, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_8

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8.1 Einleitung „Public Affairs – ist dies nicht nur etwas für große Konzerne, die ihre Interessen in der Politik berücksichtigt sehen wollen und Unsummen für Lobbying ausgeben?“ Diese Assoziation mag verbreitet sein. Sie erfasst aber das, was sich im politischen Brüssel, im politischen Berlin und auch in etlichen Landeshauptstädten abspielt, nicht mehr zutreffend. Längst tummelt sich auf dem Public Affairs-Markt eine unüberschaubare Vielzahl an Akteuren. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Kommunen und Regionen, Mittelständler und sogenannte Think Tanks, Bauernverbände und Frauenrechtler, Entwicklungshilfeorganisationen und Liebhabervereinigungen – sie alle und noch viel mehr betreiben politische Kommunikation, pflegen ihre Beziehungen zu wichtigen politischen Stakeholdern und Entscheidungsträger, verfolgen den politischen Diskurs und versuchen ihre Interessen in den politischen Prozess einzubringen. Und die Wissenschaft? Die spielt dieses Spiel seit Jahren aktiv mit. Auch für etliche Wissenschaftsorganisationen – egal ob sie forschungsstärker sind, ob sie ihren Fokus auf die Lehre legen oder ob sie beides gleichermaßen vereinbaren – gehört Public Affairs mittlerweile fest zum Repertoire des Marketings. Warum ist dies so? Die naheliegende Antwort auf diese Frage ist nicht falsch: Weil Wissenschaft von politischen Entscheidungen betroffen, zum Teil sogar abhängig ist und der Politik auch wertvolle Dienste leistet (und dafür Mittel einwerben kann). Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass wissenschaftliche Organisationen in gute Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern investieren. Und genau darum geht es bei Public Affairs. Doch wer verstehen will, was das genau bedeutet, muss ein wenig mehr in die Tiefe gehen. Der vorliegende Beitrag will dazu einladen. Er ist in neun Leitfragen gegliedert. Wir beantworten zunächst in aller Kürze, wie man das Konstrukt „Politik“ verstehen kann, um auf dieser Basis das Wesen von Public Affairs zu erfassen (zweite Leitfrage). Wir werden sehen, dass es bei Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketing um das Management von Austauschbeziehungen zwischen dem System Politik und dem System Wissenschaft geht. Und deswegen werden die dritte und die vierte Frage die Qualität dieser Beziehungen thematisieren. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Aufgaben von Public Affairs als Antwort auf die fünfte Frage können wir uns der sechsten Frage zuwenden und die Instrumente von Public Affairs untersuchen. Eine Abhandlung über Public Affairs als Instrument des Wissenschaftsmarketings wäre nicht vollständig, wenn sie nicht die Frage nach guter Public Affairs und die nach der Ethik von Public Affairs ansprechen würde. Die letzte Frage schließlich führt zu einem Ausblick auf das, was in der Literatur fehlt, um die Bedeutung von Wissenschafts-Public Affairs richtig zu erfassen.

8  Public Affairs als Marketinginstrument der Wissenschaft

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8.2 Was ist Politik? Zur Beschreibung dessen, was Politik ist, hat die grundlegende Arbeit von Dolf Sternberger (1978) in der deutschsprachigen Politikwissenschaft große Beachtung gefunden. Sternberger benennt als die drei „Wurzeln der Politik“ die Lehren Aristoteles, Augustinus und Machiavelli. Aristoteles, so Sternberger, habe die Politologik begründet. Sie frage danach, wie es den Bürgern gelinge, einen geordneten Zustand, eine Verfassung des Gemeinwesens zu erreichen und damit die Grundlage zu schaffen für das Streben nach Vollkommenheit, nach Glückseligkeit. Als weitere Wurzel fasst Sternberger die Dämonologik nach Machiavelli auf, der zufolge Politik bedeute, Strategien zur Machterlangung und -erhalt zu verfolgen. Dazu gehören persönliche Kalküle, List, aber auch Betrug. Diesem Politikverständnis stellt Sternberger eine dritte Wurzel der Politik gegenüber, die sogenannte Eschatologik. Ihr liege die Beschreibung des Gottesstaats von Augustinus, der durch einen umfassenden Frieden und Gerechtigkeit gekennzeichnet sei, zugrunde. Demzufolge sei Politik als Vorhaben, das auf dieses Ziel zustrebe, zu beschreiben. Diesen drei klassischen Politikverständnissen fügt der Leipziger Politikwissenschaftler Thomas Meyer (2000) als viertes wesentliches Politikkonzept das kybernetische Modell von Karl W. Deutsch (1963) hinzu. Tatsächlich stellt dieses Modell insofern einen vollkommen neuen Blick auf Politik dar, als es, wie es der Kybernetik eigen ist, den prozessualen Charakter von Politik betrachtet. Man müsste eigentlich so weit gehen zu sagen, dass es Politikströme ins Auge fasst. Die Kybernetik spielt in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion kaum noch eine Rolle. Und trotzdem war Deutschs Beitrag bahnbrechend. Denn er eröffnet einen vollkommen neuen Zugang, Politik zu verstehen, indem er den Fokus auf Fragen legen hilft, die bis dahin weitgehend unbeachtet blieben.

Die Kernfragen aus dem kybernetischem Politikmodell sind: 1. Welchen Input erhält die Politik und woher, 2. wie verarbeitet die Politik diesen Input, sowie 3. was passiert mit dem Output der Politik, inwieweit wird er wieder zum Input?

Fast zu gleichen Zeit wie Karl W. Deutsch greift David Easton (1965) diesen Gedanken auf und stellt ein einfaches Modell vor, das verdeutlicht, dass politisches Handeln sich im Kontext einer Umwelt vollzieht und dass diese Umwelt wichtigen Input für politische Deliberation und politische Entscheidungen liefert. Ebenso stellt das Modell heraus, dass politische Entscheidungen Auswirkungen auf die Umwelt haben, die Umwelt verändern können.

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Man kann ohne große Übertreibung Eastons Ansatz als Geburtsurkunde moderner Public Affairs beschreiben. Denn die beiden genannten Aspekte – die Umwelt als Inputgeber der Politik einerseits und der politische Output als wichtiger Faktor für Veränderungen der Umwelt – sind die beiden Bereiche, die für Public Affairs-Management bis heute essenziell sind. Der Eastonsche Ansatz führt daher direkt zu der Beschreibung des Wesens von Public Affairs.

8.3 Was ist Public Affairs? Aufbauend auf den systemtheoretischen Ansätzen, etwa dem Ansatz von Easton, entwickelte der deutsche Soziologie Niklas Luhmann eine eigene umfassende Systemtheorie (siehe vor allem Luhmann 1984). Luhmann hebt vor allem die funktionale Differenzierung sozialer Subsysteme hervor. Jedes Subsystem habe seine eigene Währung, seine eigenen Codes, in denen die Leistungen des Systems erfasst werden. Beispielsweise laute der relevante Code des wissenschaftlichen Systems, „wahr vs. unwahr“; der des politischen Systems, „Macht haben vs. keine Macht haben“. Ob man nun die Entschiedenheit, mit der Luhmann die Meinung vertrat, diese Code seien zwangsläufig binär, nachvollziehen will oder nicht: Der wesentliche Gedanke, dass ­System ihre eigene Operationslogik haben und die Kommunikation zwischen den Systemen folglich voraussetzungsreich ist, ist erhellend. Und Kommunikation zwischen den Systemen ist wichtig. Denn obwohl Luhmann die gesellschaftlichen Systeme als operativ geschlossen versteht, sind sie seiner Auffassung zufolge kognitiv offen. Ähnlich wie schon von Deutsch und Easton hervorgehoben, hält Luhmann den Austausch zwischen den Systemen für essenziell. Er spricht von struktureller Kopplung. Man kann diese Heuristik übernehmen und das Wesen von Public Affairs so bestimmen. 

Public Affairs lässt sich anschaulich als Management der Kuppelstellen zwischen einem der verschiedenen gesellschaftlichen Systeme (zum Beispiel dem Wissenschaftssystem) und dem politischen System verstehen.

Man kann auch einen Schritt weitergehen und als Sinn von Public Affairs die Übersetzung der in den systemspezifischen Codes abgefassten Operationen des politischen Systems in die jeweiligen Codes der anderen gesellschaftlichen Systeme (und anders herum) ansehen. Halten wir also fest: Die fortschreitende Ausdifferenzierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass die strukturelle Kopplung zwischen dem politischen System und den anderen gesellschaftlichen Systemen immer schwieriger wird, sodass es Akteure bedarf, die darauf spezialisiert sind, diese Kopplung herzustellen. Und die Praxis zeigt, dass dies offenbar zunehmend auch für die Kopplung zwischen dem politischen und dem wissenschaftlichen System gilt. Es gibt die großen Wissenschaftsverbände wie „Science Europe“ als europäische Interessenvertretung der

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Forschungseinrichtungen und die „European University Association“ als Vertretung der Hochschulen. Nationale Pendants sind die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die wiederum beide zusammen mit den großen Forschungsgesellschaften den Wissenschaftsrat bilden. Daneben haben Max-Planck-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und Leibniz-Gemeinschaft, aber auch die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften längst eigene Büros in Brüssel und Berlin, die dort ihre spezifischen Interessen vertreten. Und einige deutsche Hochschulen haben spezielle Interessenallianzen gegründet. 2006 haben die nach eigenen Angaben „neun führenden Technischen Universitäten“ die TU9 ins Leben gerufen, die unter anderen die Aufgabe hat, „den Kontakt zu Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu halten“1. Kaum fünf Jahre später folgten die German U15 als gemeinsame Interessenvertretung der „fünfzehn traditionsreiche[n], medizinführende[n] und forschungsstarke[n] Universitäten mit umfassendem Fächerspektrum“2. Doch damit nicht genug. Längst veranstalten Forschungsverbünde, die durchaus auch in Projektform organisiert sein können, ihre eigenen Veranstaltungen in Berlin, Brüssel oder auch in Landeshauptstädten. Anstelle unzählig anderer möglicher Beispiele sei hier nur verwiesen auf einen parlamentarischen Abend des dreijährigen Forschungsprojekts „COMPETE“, der als Rahmen für die Vorstellung von evidenzbasierten Politikempfehlungen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Lebensmittelproduktion diente3. Aber auch einzelne Hochschulen suchen die politische Öffentlichkeit. So stellte die Universität Heidelberg anlässlich ihres 625jährigen Jubiläums politischen Verantwortlichen in Brüssel ausgewählte Forschungsbereiche vor4. Ein anderes Beispiel auf landespolitischer Ebene setzt die TU Chemnitz, die in einem parlamentarischen Abend 18 Abgeordneten des sächsischen Landtags darüber informiert, was die TU geleistet hat und künftig leisten möchte5. Damit wir nachvollziehen können, welche Funktionen all diese Aktivitäten erfüllen, müssen wir uns die strukturelle Kopplung zwischen dem politischen und dem wissenschaftlichen System genauer ansehen.

1Siehe

die Selbstdarstellung im Internet unter: http://www.tu9.de/tu9/713.php, abgerufen am 16. Dezember 2017. 2Siehe die Selbstdarstellung im Internet unter: http://www.german-u15.de, abgerufen am 16. Dezember 2017. 3COMPETE hatte über drei Jahren die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Wertschöpfungsketten im Lebensmittelbereich untersucht. Siehe zum Parlamentarischen Abend: https:// www.iamo.de/veranstaltungen/details/compete-parlamentarischer-abend-in-berlin-markiert-abschluss-des-dreijaehrigen-forschungsprojektes, abgerufen am 17. Dezember 2017. 4Siehe https://www.uni-heidelberg.de/presse/news2011/pm20110126_bruessel.html, abgerufen am 17. Dezember 2017. 5Siehe https://www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/aktuell/7835, abgerufen am 17. Dezember 2017.

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Hilfreich hierfür sind Arbeiten von Gabriel Almond und John B. Powell (1966). Sie differenzieren Eastons zentralen Gedanken, indem sie die Beziehungen zwischen dem politischen System und den anderen Systemen in seiner Umwelt genauer untersuchen. Unterschieden wird zwischen dem Output, den das politische System auf andere gesellschaftliche Systeme ausübt, und dem Input, den das politische System von ihnen erhält. Auf dieser Grundlage lassen sich die Aufgaben beschreiben, derer sich Public Affairs-Verantwortliche annehmen müssen, auch und gerade wenn sie für wissenschaftliche Organisationen tätig sind. Lassen wir die Aufgabenbeschreibung mit der Sphäre des Outputs beginnen – einerseits, weil sie der alltäglichen Erfahrung des Laien mit Politik am besten entspricht. Andererseits ist die Betrachtung des politischen Outputs regelmäßig der Ausgangspunkt eines vorausschauenden Public Affairs-Managements auch von wissenschaftlichen Organisationen.

8.4 Welcher Output geht vom politischen System auf das wissenschaftliche System aus? Nach Almond und Powells (1966) lässt sich der Output, den das politische System für die übrigen gesellschaftlichen Systeme erbringt, in drei Aspekte unterteilen: Regulierung, Extraktion der notwendigen Ressourcen und Verteilung.

8.4.1 Regulierung Die Regulierung lässt unmittelbar die Relevanz des politischen Systems für wissenschaftliche Organisationen erkennen: Das wissenschaftliche System wird durch das politische System reguliert, das heißt, die Politik setzt die Regeln, die für wissenschaftliche Organisationen gelten. Das geht von der Zulassung von Studierenden über das Dienstrecht bis hin zu Definition der Abschlussgrade. Außerdem ist an fachspezifischen Regeln zu denken, die die Forschung in bestimmten Bereichen regeln: von Tiefenbohrungen im Erdreich über Veränderungen des Genmaterials bis hin zu Tierversuchen oder der maritimen Hochseeforschung. Im Wirtschaftssystem greift die Regulierung nicht selten so weit, dass sie für einzelne Organisationen oder ganze Branchen unmittelbar existenzielle Bedeutung hat. Für das wissenschaftliche System gilt dies trotz der verfassungsrechtlichen Gebots der Wissenschaftsfreiheit bisweilen in ähnlichem Maße, jedenfalls besteht ein entsprechendes Risiko, soweit die betreffenden wissenschaftlichen Tätigkeiten (vor allem der Forschung) sich außerhalb der der traditionellen Strukturen der Hochschule bewegen (vgl. Claassen 1994, S. 125–130). In diesem Zusammenhang entsteht für Public Affairs-Verantwortliche mindestens eine zweiseitige Aufgabe. Zum einen – und dieser Aspekt wird meist unterschätzt – muss drohende Regulierung frühzeitig erkannt, auch antizipiert und in ihren möglichen Auswirkungen analysiert werden. Zum anderen muss eine Antwort auf

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die zu erwartenden regulatorischen Entwicklungen gefunden werden. Eine Möglichkeit ist es, an der Inputseite auf das politische System einzuwirken, sodass der Output möglichst den eigenen Interessen entspricht. Wir werden dies weiter unten diskutieren. Oder man bietet dem politischen System Alternativen zur Regulierung an. Es geht dann immer darum, dem politischen System zu verdeutlichen, dass das mit der Regulierung verfolgte Ziel auf anderen Wegen effektiver, effizienter und angemessener erreicht werden kann. Das prominenteste Beispiel hierfür ist Selbst-Regulierung, die am besten von Interessenverbänden durchgesetzt werden kann (vgl. Schmitter und Streeck 1999). Ähnliche Funktionen übernehmen Standards (z. B. Qualitäts- oder Umweltstandards), Zertifikate, Siegel, aber auch Verhaltenskodizes. Ein Beispiel hierfür ist der von Deutschen Physikalischen Gesellschaft herausgegebene Kodex6. Im Wirtschaftssystem wird darüber hinaus bisweilen Corporate (Social) Responsibility als Mittel gesehen, drohende Regulierung zu vermeiden. Im Wissenschaftssystem sind entsprechende Praktiken noch nicht ganz so verbreitet. Allerdings gibt es erste Initiativen. So stellten etwa die Forschungseinrichtungen Helmholtz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und die Leibniz-Gemeinschaft im Jahr 2016 eine Handreichung zum „Nachhaltigkeitsmanagement in Forschungsorganisationen“ vor7.

8.4.2 Extraktion Die Extraktion von Mitteln ist der zweite Output, der vom politischen System ausgeht. Almond und Powell (1966) meinen damit die Kompetenz des politischen Systems, Ressourcen aus anderen Systemen in Anspruch zu nehmen. Meist ist dabei an finanzielle Ressourcen zu denken, die vor allem über Steuern eingezogen werden. Es gibt aber auch andere denkbare Ressourcen, z. B. personelle Ressourcen. Als Beispiel wird hierfür in der Literatur häufig die Wehrpflicht genannt. Für das wissenschaftliche System ist grundsätzlich festzustellen, dass wissenschaftliche Organisationen regelmäßig von Steuern freigestellt sind – jedenfalls solange sie als Hoheitsbetrieb handeln. Insofern verzichtet das politische System auf die Extraktion. Möglicherweise stellt dieser Verzicht einen Ausfluss der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit dar (vgl. Kempen 2017). Allerdings entspricht es einem bekannten Muster politischen Handelns, Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler zur Beratung der Politik aufzufordern. Ihre Form findet diese Praxis zum Beispiel in der Gründung

6Siehe

dazu: https://www.dpg-physik.de/dpg/statuten/kodex_deutsch.html, abgerufen am 19. Dezember 2017. 7Siehe dazu die Darstellungen auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, verfügbar unter: http://www.csr-in-deutschland.de/DE/Aktuelles/Meldungen/2016/zeichen-nachhaltigkeit-in-wirtschaft.html.

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und Berufung von Experten- oder Enquête-Kommissionen, wissenschaftlichen Beiräten usw. Auch wenn die Mitarbeit in diesen Gremien natürlich formal auf einem Freiwilligkeitsprinzip beruht, wird aufseiten der oder des Berufenen doch häufig der Eindruck vorherrschen, dass man sich ihrer kaum entziehen kann. Insofern lässt sich diese Praxis durchaus als besondere Form der Extraktion von Ressourcen betrachten. Soweit die jeweilige Organisation, in der die oder der Berufene arbeitet, eine eigene Public Affairs-Einheit hat, sollten die Public Affairs-Verantwortliche die Berufung „ihres“ oder „ihrer“ Wissenschaftlerin nutzen. Es ist geboten, sie im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit als Erfolg für die politische oder gesellschaftliche Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit der jeweiligen Organisation darzustellen. Denn wenn die wissenschaftliche Arbeit in der politischen Öffentlichkeit als relevant gilt, wirkt sich dies positiv auf die Aussichten aus, die finanzielle Ausstattung der jeweiligen Organisation zu verbessern. Dies wiederum stellt regelmäßig ein konkretes politisches Ziel wissenschaftlicher Organisationen aus. Damit ist schon der dritte und letzte hier zu behandelnde Output angesprochen: die Distribution von (Geld-)Mitteln.

8.4.3 Distribution Das wissenschaftliche System ist zu einem Großteil über öffentliche Gelder finanziert. Mit der sogenannten Exzellenzinitiative hat die öffentliche Förderung ausgewählter Universitäten eine neue Dimension erhalten (vgl. für einen guten Überblick zur öffentlichen Finanzierung von Wissenschaft und insbesondere zu der Verschiebung der Förderfokus von institutioneller zur Projektförderung Hintze 2016). Des Weiteren sind spezifische Forschungsprogramme zu erwähnen, beispielhaft genannt sei hier nur das EU-Forschungsprogramm Horizon 2020. Bemerkenswert ist sicherlich, dass diese Programme verbreitet gesellschaftliche Fragen aufgreifen, die Forschungsergebnisse mithin als Grundlage für künftige politische Entscheidungen angesehen werden können. Natürlich muss die positive Bescheidung der Zuteilung der entsprechenden Mittel hauptsächlich von den jeweiligen Fachkräften erarbeitet werden. Dennoch kann Public Affairs insofern helfen, als der Rahmen, innerhalb derer die Bescheidung erfolgt, positiv gestaltet werden kann. Kriterium ist der politische, gegebenenfalls auch gesellschaftliche Nutzen der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit. Insofern ihre Ergebnisse dafür genutzt werden können, politische Entscheidungen zu begründen, zu legitimieren oder (ex post oder ex ante) zu evaluieren bzw. gesellschaftliche Probleme zu lösen, ist dieser Nutzen festzustellen. Dafür muss aber die angesprochene Verwertung dem politischen System auch klar kommuniziert werden. Auch wenn wir zu den konkreten Instrumenten von Public Affairs als Wissenschaftsmarketing erst weiter unten kommen, so viel kann jetzt schon vorweggenommen werden: Die in Kap. 2 beispielhaft aufgeführte Veranstaltung der Universität Heidelberg kann als ein Instrument verstanden werden, einen förderfreundlichen Rahmen zu erreichen. Man kann diesen Gedankengang übrigens auch so

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formulieren: Insoweit die Universität Heidelberg glaubhaft machen kann, dass die von ihr betriebene Wissenschaft einen wichtigen Input in den politischen Prozess einbringen kann, erhöht sie ihre Chance, von einem positiven Output in Form von zusätzlich distribuierten Förderungsmittel zu profitieren. Diese zirkelhafte Beziehung zwischen Output und Input war schon in der kybernetischen Modellierung der Beziehungen zwischen dem politischen System und seiner Umwelt charakteristisch. Sie ist es auch insoweit relevant, als Wissenschaft stets einen Beitrag dazu leisten kann, den politischen Output zu evaluieren. Das heißt: die Konsequenzen der politischen Entscheidungen für andere gesellschaftliche Systeme (z. B. dem wirtschaftlichen) in Form von Regulation, Extraktion und Distribution werden im Hinblick auf die Erreichung der zugrundeliegenden Ziele wissenschaftlich bewertet. Die Bewertung wird dann selbst wiederum zum Input für das politische System – höchste Zeit also, dass wir auch aus dieser Perspektive auf die Kopplung zwischen politischem System und wissenschaftlichem System schauen.

8.5 Welchen Input erfährt das politische System vom wissenschaftlichen System? Almond und Powells (1966) benennen die folgenden Inputfunktionen, die andere gesellschaftliche Systeme für das politische System leisten: Unterstützung, Interessenartikulierung sowie Interessenaggregation. Beginnen wir mit der Interessenartikulierung.

8.5.1 Interessenartikulation Mit dieser Funktion ist Lobbying angesprochen, das häufig schlichtweg als politisch motivierte Interessenvertretung definiert wird (vgl. Classen 2014). Die Interessen beziehen sich in aller Regel auf die Outputfunktionen, die wir oben besprochen haben: also auf die Regulierung in bestimmten Politikfeldern, die Extraktion von Ressourcen oder die Distribution von Mitteln. Dies setzt schon rein logisch die spezifische Bestimmung dieser Interessen voraus und damit eine genaue Kenntnis, welche mögliche Regulierungen, Distributionen oder Extraktionen zu erwarten sind – eine häufig genug unterschätzte Aufgabe von Public Affairs-Verantwortlichen. Gerade für thematisch breit aufgestellte wissenschaftliche Organisationen wie beispielsweise Universitäten stellt sie eine echte Herausforderung dar. Dies erklärt aber auch, warum die klassische Interessenvertretung über die etablierten wissenschaftspolitischen Vereinigungen an ihre Grenzen kommt. Kaum eine wissenschaftliche Einrichtung kann es sich heute leisten, alleine darauf zu setzen, dass die Hochschulrektorenkonferenz oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft hinreichend präzise ihre spezifischen Interessen vertreten. Neue Allianzen müssen her, oder man muss daraufsetzen, seine spezifischen Interessen selbst zu artikulieren. Die im Kap. 2)

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erwähnten relativ neuen Vereinigungen wie TU9 oder German U15 erklären sich so, ebenso wie disziplinenspezifische Zusammenschlüsse wie etwa das „Konsortium Deutsche Meeresforschung“, das 19 wissenschaftliche Einrichtungen umfasst8. Die organisationsindividuelle oder nur wenige Organisationen umfassende Interessenartikulation steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu der Interessenaggregation, also dem zweiten wesentlichen Input des politischen Systems, den wir im Folgenden betrachten.

8.5.2 Interessenaggregation Mit Interessenaggregation ist die typische Funktion angesprochen, die Verbände und andere Interessenvereinigungen erbringen. Die Bundesrepublik Deutschland wie auch die Europäische Union galten lange Zeit als Beispiele für korporatistische bzw. neo-korporatistische Politiksysteme (vgl. für Deutschland Alemann 2000; für die Europäische Union Schäfer und Streeck 2008). In der Diktion von Powell und Almond (1966) ließe sich Korporatismus wie folgt charakterisieren: Die Interessenartikulation an der Kuppelstelle zwischen dem politischen System und den übrigen gesellschaftlichen Systemen erfolgt vorrangig bzw. fast ausschließlich auf aggregierter Ebene über wenige Verbände, die im idealtypischen Fall die Interessen des gesamten Systems vertreten. Für das Wirtschaftssystem übernahmen in Deutschland lange Zeit der Bundesverband der Industrie, der Bundesverband der Arbeitnehmer und der Gewerkschaftsbund diese Funktion; für das Wissenschaftssystem waren es Hochschulrektorenkonferenz und Forschungsgemeinschaft. Doch längst haben sich die jeweiligen Systeme so ausdifferenziert, dass es offenbar kaum noch möglich ist, alle Interessen eines Systems zu aggregieren. Ob in diesem Zusammenhang überhaupt noch von einem (Neo-)Korporatismus gesprochen werden kann, ist seit geraumer Zeit fraglich. Gunter Teubner (1999) schlug schon vor 20 Jahren den Begriff des Polykorporatismus vor. Und wahrscheinlich trifft auch diese Charakterisierung auf die Beziehungen zwischen politischem System und wissenschaftlichem System zu. Denn auch wenn wissenschaftliche Organisationen (ähnlich wie Wirtschaftsunternehmen) dazu tendieren, ihre Interessen individuell zu artikulieren, gilt doch: Von einem Ende der Interessenaggregation kann keine Rede sein. Der wesentliche Grund hierfür dürfte sein, dass das politische System ein Interesse an einem hohen Aggregationsgrad hat. Je mehr Akteure hinter einem artikulierten Interesse stehen, umso wertvoller ist der Input des wissenschaftlichen Systems. Kollektive Interessen sind stets wichtiger als Einzelinteresse; sie werden daher im politischen System bevorzugt.

8Siehe die Eigendarstellung unter: http://www.deutsche-meeresforschung.de/de/ziele-und-satzung, abgerufen am 19. Dezember 2017.

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Auf der anderen Seite muss anerkannt werden, dass bestimmte Interessen – seien es zum Beispiel die von Technischen Universitäten, die von traditionsreichen, medizinführenden und forschungsstarken Universitäten mit umfassendem Fächerspektrum oder eben die derjenigen, die Meeresforschung betreiben – so spezifisch sind, dass eine weitere Aggregation als auf die Ebene der TU9, der German U15 oder dem Konsortium deutsche Meeresforschung nicht möglich ist. Und bisweilen scheidet selbst dies als Option aus, etwa weil die Hochschulen oder Forschungseinrichtungen zwar in bestimmten Fragen ein Interesse teilen, in anderen Fällen aber miteinander konkurrieren – beispielsweise hinsichtlich der Distribution von Forschungsmitteln. Damit lässt sich eine weitere Aufgabe von Public Affairs-Verantwortlichen beschreiben: Sie müssen entscheiden, welche Aggregationsebene sie bei der Interessenvertretung wählen. Als Optionen stehen zur Auswahl: 1. die rein individuelle Interessenvertretung 2. die Interessenvertretung in Koalitionen oder Allianzen mit gleichgesinnten Akteuren 3. die kollektive Interessenvertretung in Verbänden, die das gesamte System bzw. zumindest den gesamten Sektor vertreten Bei der Auswahl einer der drei Optionen sollten die Ergebnisse der Stakeholder-Analyse genutzt werden (siehe ausführlich dazu weiter unten in Abschn. 7.1). Klar ist aber: Jede Option hat Vor- und Nachteile. Die erste Option ist aufwendig, und die Interessenvertretung stellt für das politische System einen weniger wertvollen Input dar, ihre politische Wirkung ist also auch geringer. Dafür ist sichergestellt, dass das artikulierte Interesse vollständig mit dem tatsächlichen Organisationsinteresse übereinstimmt. Bei der dritten Option ist genau umgekehrt: der Aufwand ist niedrig, die politische Wirkung hoch. Dafür aber gibt es aber aufgrund des hohen Aggregationsniveaus stets die Gefahr, dass die artikulierten Interessen nicht gut mit den eigentlichen Interessen der individuellen Organisation übereinstimmen. Durch aktive Verbandsarbeit lässt sich dieses Defizit teilweise beheben, aber dies ist wiederum aufwendig. Die zweite Option schließlich stellt logischerweise einen Mittelweg zwischen den beiden vorgenannten dar. Zu beachten ist aber, dass auch die Interessenvertretung in Allianzen – seien es ad hoc-Koalition oder auf Dauer angelegte Verbunde – insbesondere in deren Gründungsphase erhebliche Ressourcen in Anspruch nehmen. Kommen wir nun zu dem dritten und letzten Input, den Almond und Powell (1966) Unterstützung nennen.

8.5.3 Unterstützung Der Aspekt der Unterstützung dürfte für das wissenschaftliche System von besonderer Bedeutung sein. Schon hinsichtlich der Extraktion als eine wesentliche Dimension des Outputs des politischen Systems wurde die wissenschaftliche Politikberatung

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angesprochen (vgl. dazu ausführlich Weingart 2006). Tatsächlich wird die Wissenschaft dieser Aufgabe auf mannigfaltige Art und Weise gerecht. Zu nennen ist zunächst die dauerhafte Politikberatung in Form von Ressortforschungseinrichtungen. Diese werden in der Literatur als Institutionalisierung ressortbezogener wissenschaftsbasierter Politikberatung bezeichnet (vgl. Bocher 2012). In Deutschland gibt es mehr als 40 Bundesressortforschungseinrichtungen9; auf europäischer Ebene nehmen zum Teil die sogenannten dezentralen Agenturen ähnliche Aufgaben wahr. In Deutschland wie in der Europäischen Union sind die Einrichtungen darauf spezialisiert, der Exekutive das Wissen zur Verfügung zu stellen, das sie im Rahmen des Politikprozesses braucht: also Wissen, das für das Erkennen von zu lösenden Problemen in der Gesellschaft, für die Entwicklung von politischen Lösungsansätzen, für deren Umsetzung und schließlich für die Evaluierung der durchgeführten Politik relevant ist. Mehr und mehr nehmen sich aber auch andere wissenschaftliche Einrichtungen dieser Aufgabe an. Dabei kann es sich um Hochschulinstitute ebenso handeln wie um Forschungseinrichtungen. In der Regel schreiben Institutionen des politischen Systems – Ministerien, Parteien, Fraktionen, aber auch die bereits erwähnten Ressortforschungseinrichtungen selbst – den Beratungs- oder Wissensbedarf aus. Das heißt, Interessenten aus dem wissenschaftlichen System konkurrieren miteinander um entsprechenden Aufträge. Mehr und mehr verschwimmen in diesem Bereich die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Politikberatung und Politikberatung durch Unternehmensberatungen, sogenannten Think Tanks und auch Nichtregierungsorganisationen, die alle ebenfalls an den Aufträgen der Politikberatung interessiert sind. In diesem Zusammenhang sind außerdem Unternehmen und Verbände zu nennen, die ebenfalls Aufträge vergeben, um ihre Interessenartikulation und -aggregation mit wissenschaftlichem Wissen zu fundieren. Kurz und gut: die Bereitstellung von Wissen, die wissenschaftliche Politikberatung als wichtiger Inputfaktor des politischen Systems, ist mittlerweile zu einer wichtigen Quelle von Drittmitteln geworden. Daraus erwächst die entsprechende Aufgabe von Public Affairs-Verantwortlichen in wissenschaftlichen Organisationen, die diese Beratungsleistungen übernehmen. Es geht darum, die eigene Organisation in diesem Bereich zu vermarkten, indem die politische Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit herausgestellt wird. Politische Öffentlichkeitsarbeit ist das wesentliche Instrument, mit denen dies erreicht werden kann. Damit sind wir fast schon bei einer genaueren Beschreibung des Public Affairs-Instrumentariums. Nach einer Zusammenfassung der Aufgaben von Public Affairs an den Kuppelstellen zwischen politischem und wissenschaftlichem System werden wir diesen Aspekt vertiefen.

9Laut der Darstellung der Arbeitsgemeinschaft der Ressortforschungseinrichtungen, online verfügbar unter: https://www.ressortforschung.de/de/home/index.htm, abgerufen am 27. Dezember 2017.

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8.6 Wie lassen sich die Aufgaben von Public Affairs zusammenfassen? Durch die Betrachtung der Kopplung von politischem System und wissenschaftlichem System haben wir bereits die zentralen Aufgaben identifiziert, die Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings zu übernehmen hat. Sie sollen hier zusammenfassend dargestellt werden. Übersicht

Im Einzelnen haben wir in Bezug auf den Output des politischen Systems die folgenden Aufgaben benannt: 1. Möglichst frühzeitiges Erkennen von künftiger Regulierung, Analyse ihrer Bedeutung für die eigene Organisation, Bewertung möglicher Alternativen zur Regulierung, Verfassen einer Position der eigenen Organisation in Bezug auf die zu erwartende Regulierung, 2. Unterstützung der eigenen Organisation bei der Akquise von distribuierten Mitteln für Lehre und vor allem Forschung (z. B. Forschungsförderung), vorrangig durch Herausstellung der politischen Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit, 3. Nutzung der Extraktion wissenschaftlicher Expertise (z. B. in Form von Berufung von Wissenschaftler aus der eigenen Organisation in Kommissionen, Beratungsgremien) für das politische Marketing der eigenen Organisation. Hinsichtlich des Inputs des politischen Systems kommen die folgenden Aufgaben hinzu: 4. Kommunikation der Positionen, die sich auf Interessen der eigenen Organisation hinsichtlich der künftigen Regulierung und der Distribution von Mitteln beziehen; in geringerem Maße kann es auch um die Extraktion wissenschaftlicher Ressourcen gehen, etwa wenn die Gründung von wissenschaftlichen Beratungsgremien gefordert wird, 5. Verbändearbeit oder Management von Allianzen oder Koalitionen, soweit diese die Interessen der eigenen Organisation aggregieren und eine höhere politische Wirksamkeit oder ein geringerer Aufwand im Vergleich zur individuellen Interessenartikulation zu erwarten ist, 6. Unterstützung bei der Einwerbung von Mitteln für die wissenschaftliche Arbeit, und zwar in vergleichbarer Weise wie unter (3) in Bezug auf die Extraktion des politischen Systems dargestellt durch Herausstreichung der politischen Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit der eigenen Organisation.

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8.7 Welche Instrumente stehen zur Verfügung, um die Aufgaben zu erfüllen? Im Folgenden werden vier wesentliche Public Affairs-Instrumente auf die oben genannten sechs Aufgaben bezogen (vgl. für eine ausführliche Darstellung Mono 2013):

8.7.1 Politisches Monitoring als Instrument zum Umgang mit politischen Entscheidungen Für das möglichst frühzeitige Erkennen von künftiger und laufender Regulierung, zum Teil aber auch für Entscheidungen, die die Distribution und die Extraktion betreffen, ist das politische Monitoring das Mittel der Wahl. Monitoring stellt die Grundvoraussetzung für professionelle Public Affairs dar. Im Vordergrund steht die Frage, ob der zu erwartende Output des politischen Systems so relevant wird, dass die eigene Organisation hierauf vorbereitet oder aktives Public Affairs-Management veranlasst werden muss. Monitoring besteht aus vier Elementen: • Scanning: Es handelt sich um die kontinuierliche, systematische, aber breit angelegte Beobachtung von Themen, die aus Sicht der eigenen Organisation bereits relevant sind oder in Zukunft möglicherweise relevant werden könnten. Geleistet werden kann dies durch Beobachtung von Medien (Fernsehen, Radio, Tages- und Wochenzeitungen, Fachzeitschriften, Blogs, Social Media). Als besonders relevant hat sich der Kanal „Twitter“ herausgestellt, da hier politische Entwicklungen sehr aktuell und vielfältig dokumentiert und kommentiert werden. Zusätzlich können politische Informationsdienste abonniert werden; aber auch der Besuch von politischen Veranstaltungen ist wichtig. • Stakeholder-Analyse: Damit ist eine Analyse gemeint, die Auskunft darüber gibt, welche Akteure für das jeweilige Thema, das im Scanning als relevant identifiziert wurde, wichtig sind und welche Position diese Akteure inhaltlich vertreten. Die Stakeholderanalyse ist regelmäßig die Basis für die Beantwortung der Frage, in welcher Konstellation eine Organisation ihre Interessen vertreten sollte, also im Konkreten: – Ist es ratsam beim Public Affairs, insbesondere bei der Interessenartikulation, auf etablierte, ganze Sektoren umfassende Verbände zu setzen, beispielsweise auf die Hochschulrektorenkonferenz? – Bestehen auf eine niedrigere Aggregationsebene andere Koalitionen, Allianzen oder Verbunde, durch die die eigenen Interessen besser zum Ausdruck kommen und die hinreichend wirkmächtig erscheinen? – Muss gar eine neue Allianz, eine neue Koalition, ein neuer Verbund gegründet werden? – Welche weiteren Akteure kommen als Partner infrage? – Welches sind die wichtigsten Opponenten, wie lässt sich ihnen begegnen?

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– Wer sind wichtige Influencer, also Akteure, die auf die eigentliche Zielgruppe – in der Regel politische Entscheidungsträger – Einfluss ausüben? Wie kann mit ihnen umgegangen werden? • politische Analyse: Hier wird danach gefragt, welche Position die eigene Organisation vertreten sollte. Natürlich muss dafür zunächst die Frage beantwortet werden, welches Interesse die eigene Organisation in Bezug auf das jeweilige Thema hat. In einem zweiten Schritt sollte die Antwort auf diese Frage mit den Erkenntnissen der Stakeholder-Analyse abgeglichen werden. Denn die Position sollte nicht nur das Interesse der eigenen Organisation reflektieren, sondern auch eine Mehrheitsfähigkeit für sich beanspruchen können. Nur eine Position, bei der eine Mindestwahrscheinlichkeit besteht, dass sie sich im politischen Wettbewerb der Positionen durchsetzt, hat aus Public Affairs-Sicht einen echten Wert. Eine weitere Frage, die in der politischen Analyse zu beantworten ist, ist die nach dem Stand des politischen Prozesses. Ihre Beantwortung ist wichtig, um die richtigen Public Affairs-Instrumente auszuwählen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten einzuschätzen. Denn als allgemeine lässt sich sagen: Je früher ein Thema bearbeitet wird, umso größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Heuristik, die die zu der Beantwortung dieser Frage häufig verwendet wird, ist der sogenannte Policy Cycle. Hier werden meist folgende Schritte unterschieden (vgl. Jann und Wegrich 2003): – Issue Definition: Es wird definiert, welche Themen gesellschaftliche Fragen oder Probleme aufwerfen, die politisch beantwortet oder gelöst werden müssen. – Agenda Setting: In dieser Phase des Politikprozesses werden die als Issues definierten Fragen und Probleme auf die Agenda der öffentlichen Diskussion, insbesondere der Massenmedien und der Fachmedien mit einer Mindestreichweite in der allgemeinen Öffentlichkeit gesetzt. – Policy Formulation: In dieser Phase werden die Antworten oder die Lösungen auf die als Issues definierten Fragen oder Probleme entwickelt. – Decision Making: das ist die Phase, in der das politische System zu Entscheidungen gelangt, meist ist das die letzte Phase des Gesetzgebungsverfahrens, die auf bundesdeutsche Ebene meist kurz vor der zweiten Lesung im Deutschen Bundestag beginnt. Bisweilen müssen aber auch schon die letzten Wochen vor einer Kabinettsitzung als entscheidend betrachtet werden. Auf EU-Ebene fällt die Entscheidungsphase in aller Regel in die Zeit, in denen die direkten Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union unter Beteiligung der Europäischen Kommission laufen (sogenannter Trilog). – Policy Implementation: Hier geht es um die Umsetzung der politischen Entscheidungen. Diese Phase dauert häufig mehrere Jahre dauern. – Evaluation: In diesem letzten Schritt geht es darum zu bewerten, inwieweit die den politischen Entscheidungen zugrunde liegenden Ziele tatsächlich erreicht wurde. Dass von einem Policy Cycle gesprochen wird, erklärt sich dadurch, dass eine Zielverfehlung häufig wieder zum Issue wird.

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Natürlich ist der Policy Cycle etwas überschematisch, und die einzelnen Phasen überschneiden sich häufig. Er kann auch insofern keine absolute Gültigkeit beanspruchen, als nicht jedes Thema alle Phasen durchläuft. Neben einer allgemeinen Orientierung bei der Strategieentwicklung hilft die Heuristik aber auch dabei, die mögliche Rollen von Wissenschaftsorganisationen im Politikprozess zu verstehen, wenn es um den Input „Unterstützung“ geht. So tragen wissenschaftliche Studien, Gutachten und Expertise häufig dabei, Issues zu definieren. Bisweilen ist wissenschaftliches Wissen aber auch bei der Politikformulierung gefragt. Regelmäßig kommen wissenschaftliche Einrichtungen bei der Evaluierung von politischen Entscheidungen infrage. • Themenbeobachtung: Methodisch geht man hier ähnlich vor wie beim Scanning, fokussiert nun aber die Themen genauer, die als relevant gekennzeichnet wurden, und betrachtet das Verhalten der in der Stakeholder-Analyse identifizierten Akteure. Ziel ist es, Entwicklungen nachzuvollziehen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob sich die Position wichtiger Stakeholder der eigenen Position annähern und ob gegebenenfalls die eigene Position aufgrund einer neuen politischen Konstellation angepasst werden muss.

8.7.2 Thought Leadership als Instrument, um die Chancen von Extraktion, Distribution und Unterstützung des politischen Systems zu nutzen Mit Thought Leadership ist gemeint, in der politischen Öffentlichkeit als Expertiseträger und Vordenker anerkannt zu werden. Thought Leadership kann ein strategisches Ziel wissenschaftlicher Organisation sein. Denn es verbessert die Chancen, bei der Akquise von distribuierten oder zu distribuierenden Mitteln erfolgreich zu sein. So eine wissenschaftliche Einrichtung ein Interesse daran hat, in der Politikberatung engagiert zu werden, also dem politischen System Support zur Verfügung zu stellen, kann Thought Leadership ebenfalls hilfreich sein. Das gleiche gilt, wenn die Einrichtung offen ist, die Public Affairs-Bemühungen Dritter – beispielsweise von Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen – auftragsweise durch Gutachten, Untersuchungen oder Expertisen – zu unterstützen. All dies kann die Mittelausstattung der Organisationen mehr oder weniger substanziell erhöhen, und in Abhängigkeit davon kann Thought Leadership mehr oder weniger bedeutsam für Wissenschaftsmarketing im politischen Raum sein. Inhaltlich geht es bei Thought Leadership darum, die eigene Organisation bzw. ihre prominenten Vertreter als Thought Leader, als Experten für bestimmte Sachfragen, die öffentlich diskutiert werden, herauszustellen. Operativ erreicht man dies vor allem durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört zunächst Medienarbeit (Namensbeiträge in wichtigen Tagesmedien, Vermittlung der Thought Leader als Interviewpartner an Redaktionen, dazu gehören auch die Redaktionen von Fernseh-Talkshows), die Betreuung

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eigener Blogs und Social Media-Auftritte. In diesem Zusammenhang kommen „youtube“ und „Twitter“ als Kanälen eine wichtige Bedeutung zu. Ebenso wichtig ist das sogenannte Speaker Placement, also die Vermittlung der Thought Leader als Redner oder Referenten auf den wichtigsten politischen Veranstaltungen bzw. die Auswahl der wichtigsten Speaking Opportunities bei eingehenden Anfragen. Der effizienteste Ansatz, Thought Leadership zu erreichen, ist wahrscheinlich, es öffentlich zu kommunizieren, wenn Vertreter der eigenen Organisation in Beratungsgremien (wissenschaftliche Beiräte, Experten- oder Enquête-Kommissionen usw.) berufen werden. Dies hatten wir ja oben als Form der Extraktion bezeichnet. Eine vermeintliche Selbstverständlichkeit, die trotzdem bisweilen übersehen wird, sei abschließend erwähnt: Natürlich setzt Thought Leadership voraus, dass die als Experten infrage kommenden Vertreter der Organisationen bereit sind, öffentliche Rollen zu bekleiden, und hierfür auch ein hinreichendes Talent mitbringen.

8.7.3 Outside und Inside Lobbying als Instrumente der Interessenartikulation Bei der Interessenartikulation unterscheidet man in aller Regel zwischen zwei Ansätzen (vgl. Kollmann 1998): Outside und Inside Lobbying. Dieser Terminologie liegt die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Lobbying zugrunde. Denn mit Lobby bezeichnet wurden spezielle Räume innerhalb von Parlamentsgebäuden – seien sie in London oder in Washington D.C. Demzufolge bezeichnet Inside Lobbying die Aktivitäten, die nah am Ort des politischen Geschehens durchgeführt werden, also beispielsweise im Parlament oder in einem Ministerium. Outside Lobbying hingegen setzt im weiteren politischen Raum an, also vor allem der politischen Öffentlichkeit. Basis für beide Ansätze ist ein sogenanntes Positionspapier. Es sollte zum einen die in der politischen Analyse definierte Position klar, verständlich und präzise zusammenfassen; zum anderen muss, wie bereits erwähnt, auch die Mehrheitsfähigkeit der Position bedacht werden. Ein gutes Positionspapier findet also einen guten Ausgleich zwischen diesen beiden Kriterien, es ist der Ausfluss des entsprechenden Ergebnisses der politischen Analyse (s. Abschn. 5.2). Sobald das Positionspapier erstellt ist – es muss übrigens im Laufe des Politikprozesses (beim Durchlauf des Policy Cycle, wenn man so will) unter Umständen mehrmals angepasst werden – wird man im Rahmen der Interessenartikulation Inside oder Outside Lobbying betreiben. In aller Regel wird man aber beide Ansätze aufeinander beziehen, gelegentlich auch parallel umsetzen. Schauen wir also uns die beiden Ansätze im Detail an: • Inside Lobbying ist die unmittelbare Vermittlung der eigenen Position an die politischen Entscheidungsträger im direkten Kontakt (sogenanntes politisches Kontaktmanagement), aber auch in Anschreiben. Wichtiges Tool sind Gesprächskreise,

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beispielsweise Politikfrühstücke. Daneben sind als Reaktion auf Gesetzes- und Verordnungsentwürfe schriftliche Stellungnahmen wichtig. Auch die Teilnahme an Anhörungen kann als Teil des Inside Lobbying bezeichnet werden. Auf eine Besonderheit des Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings sei an dieser Stelle verwiesen: Wie schon erwähnt, haben heute viele Forschungsprojekte, die öffentlich gefördert werden, einen politischen Hintergrund. Um die Bedürfnisse der Politikerinnen und Politiker in Bezug auf den Forschungsgegenstand genau berücksichtigen zu können, werden diese häufig institutionell in das Projekt integriert, beispielsweise indem ein politischer Beirat eingerichtet wird. Outside Lobbying bezeichnet die Beeinflussung des kommunikativen Rahmens, in dem ein Thema politisch diskutiert wird. Infrage kommen vor allem Kampagnen (vgl. dazu ausführlich Althaus 2004), also die konzertierte, dramaturgisch abgestimmte und inhaltlich sich verstärkende Abfolge von unterschiedlichen Maßnahmen der öffentlichen Kommunikation innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Zu den einzelnen Tools des Outside Lobbying gehören wiederum Medienarbeit und Social Media sowie öffentliche oder halb-öffentliche Veranstaltungen (dazu sind auch die „Parlamentarische Abende“ zu zählen). Populär ist das sogenannte Issue Advertising. Dabei handelt es sich um die öffentliche Darstellung der eigenen Position in Anzeigen, beispielsweise in Form eines offenen Briefes oder auch zusammengefasst als kurzer Schriftzug – sogenannter „Claim“ – mit aufmerksamkeits- und bedeutungsstarkem Bild. Ein weiteres Tool sei erwähnt, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut, nämlich Petitionen im weiteren Sinn. Diese werden heutzutage fast ausschließlich online organisiert. Seit Jahren gibt es darauf spezialisierte Plattformen wie „Campact!“, „Avaaz“ oder „change.org“, die es ermöglichen, dass Online-Petitionen rasch viele Unterstützer finden. Viele Organisationen imitieren solche Formen der Online-Partizipation. Unklar ist die politische Wirksamkeit (vgl. Junghans 2017). Eine Bemerkung zum Schluss: Mehr noch als für das Inside Lobbying ist für das Outside Lobbying ein Faktor äußerst wichtig, nämlich der sogenannte Third Party Support. Dieser liegt vor, wenn eine dritte, möglichst reputierte Partei die eigene Position öffentlich unterstützt. Die Bedeutung von Third Party Support erklärt auch, warum Unternehmen und ihren Verbänden Thought Leader aus der Wissenschaft so begehren und für die (positive Begutachtung) ihrer Position häufig nicht wenig Geld zahlen.

8.7.4 Verbände-, Allianz- und Koalitionsmanagement zur Beeinflussung der Interessenaggregation Wie bereits erwähnt, spricht für die Interessenartikulation auf einer hohen Aggregationsebene die größere politische Wirksamkeit: Je mehr Akteure sich hinter einer kollektiven Position versammeln, umso größer sind ceteris paribus die Chancen, dass die Politik dieser Position folgt. Der Nachteil ist logischerweise, dass das aggregierte Interesse

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nicht vollkommen mit dem organisationsspezifischen Interesse übereinstimmt. Um diesem Nachteil zu begegnen, kann über ein aktives Verbändemanagement sichergestellt werden, dass die individuellen Interessen ihrer eigenen Organisation in der kollektiven Interessenartikulation hinreichend vertreten sind. Konkret bedeutet dies regelmäßig, in entsprechenden Arbeitsgruppen, -kreisen oder Ausschüssen oder auch im Vorstand oder Präsidium des jeweiligen Verbands aktiv mitzuarbeiten. Bisweilen kann es für die Berücksichtigung der individuellen Interessen auch sinnvoll sein, einem Verband weitere Ressourcen zur Verfügung zu stellen, beispielsweise indem man dem Verband die Finanzierung von Gutachten, Untersuchungen und anderen Expertisen zur Fundierung seiner Position bereitstellt. So man hinsichtlich der Interessenaggregation die Entscheidung trifft (s. Abschn. 5.3), neue Allianzen, Koalitionen oder Verbunde zu gründen, und insoweit die Ergebnisse der Stakeholderanalyse (s. Abschn. 7.1) umsetzt, ist die Gründung, das Management und die politische Kommunikation dieser neuen Zusammenschlüsse häufig mit erheblichem personellem und finanziellem Aufwand verbunden. Diese Aufgaben gehören heute ganz selbstverständlich zum Standard-Repertoire von Public Affairs-Management. Im bereits erwähnten Polykorporatismus hat sich auch das politische System an ständig neue Akteure gewöhnt, sodass bestimmte anfängliche Nachteile gegenüber dem etablierten Verbänden relativ rasch kompensiert werden können.

8.8 Woran erkennt man gute Public Affairs? Zur Beantwortung der sechsten Leitfrage nach den Instrumenten von Public Affairs sind wir bereits relativ tief in die operativen Fragen eines professionellen Public Affairs-Management eingetaucht. Dabei ist vielleicht dem einen oder anderen Leser, der einen oder anderen Leserin bereits in den Sinn gekommen, dass es gute und weniger gute Public Affairs geben kann. Damit ist sicherlich auch ein ethischer Aspekt angesprochen. Auf ihn soll sogleich – wenngleich allzu kurz – eingegangen werden. Zunächst soll aber ein sehr einfaches Qualitätskriterium für gute Public Affairs vorgeschlagen werden. Public Affairs steht stets in einem Spannungsverhältnis. Zum einen geben selbstverständlich die Interessen der eigenen Organisation den ersten Ausschlag. Zum anderen muss, wie bereits erwähnt, auf die Mehrheitsfähigkeit, also die Durchsetzbarkeit der eigenen Position, geachtet werden. Ein dritter Aspekt wird häufig unterschlagen. Es ist die Frage, ob die Akteure, die im politischen System handeln, einen Nutzen aus der politischen Kommunikation, die im Rahmen von Public Affairs betrieben wird, ziehen können. Dafür ist es notwendig, dass Public Affairs-Verantwortliche die Operationslogik des politischen Systems verstehen. Erinnert sei an den ganz am Anfang dieses Beitrags erwähnten Vorschlag von Luhmann, der diese mit dem Code aus „Macht vs. Ohnmacht“ charakterisiert sah. In einer Demokratie ist „Macht“ mit „Mehrheit“ zu übersetzen. Soweit also Public Affairs politischen Akteuren Hilfestellung bietet, Mehrheiten zu beschaffen, zu erhalten oder auszubauen – stiftet sie auch einen Nutzen. Bei dem

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Stichwort „Mehrheit“ ist übrigens nicht nur an Wahlen zu denken. Auch in parlamentarischen Verfahren, bei jeder Änderung einer Gesetzesvorlage etwa, geht es darum, Mehrheiten zu organisieren – sei es im Ausschuss, in einer Arbeitsgruppe oder im Plenum. Nützlich in diesem Sinne sind vor allem fachliches Wissen und Argumente. Beides kann und muss Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings dem politischen System zu Verfügung stellen. Insofern lässt sich als eine Art goldene Regel für gute Public Affairs festhalten: 

Public Affairs hat dann die beste Ausrichtung, wenn die Interessen der eigenen Organisation nicht stärker zum Ausdruck gebracht werden können, ohne die Mehrheitsfähigkeit der vertretenen Position zu gefährden oder den politischen Nutzen aus der Kommunikation der vertretenen Position substanziell zu schmälern.

Eine tiefere, differenzierte Betrachtung dieser Regel, insbesondere hinsichtlich der Fragen, wie der politische Nutzen genauer zu erfassen ist, wäre sicherlich wünschenswert. Eigentlich böten die Politologie und teilweise auch die Kommunikationswissenschaft hierfür auch hinreichend viele Perspektiven an. Leider wurde der Übertrag auf Public Affairs noch nicht geleistet. Dies ist sicherlich als eines der wesentliche Defizite in der theoretischen bzw. konzeptionellen Fundierung dieser mittlerweile (auch für wissenschaftliche Organisationen) sehr wichtigen Kommunikations- und Marketingpraxis anzusehen. Einstweilen bleibt also nur festzuhalten, dass sich gute Public Affairs dadurch auszeichnet, eine gute Balance im genannten Spannungsverhältnis aus eigenen Interessen, Mehrheitsfähigkeit und politischen Nutzen für Entscheidungsträger zu erreichen.

8.9 Welche ethischen Aspekte sollten wissenschaftliche Organisationen in Bezug auf Public Affairs beachten? Public Affairs ist aus ethischer, auch staatswissenschaftlicher Sicht oft kritisch gesehen worden (vgl. im Überblick Leif und Speth 2006) – wohl zu recht. Denn Public Affairs ist, wie Bowen (2017) herausstellt, aus ethischer Sicht komplexer als vergleichbare Gebiete. Man könnte sogar sagen, dass Public Affairs zu einem Grunddilemma führt, das zumindest in kapitalistischen Demokratien nicht einfach aufzulösen ist. Denn das demokratische Prinzip fordert, dass jeder Bürger und jede Bürgerin eine – und nur eine – Stimme hat. Interessenvertretung ist aufwendig, und folglich besteht stets das Risiko, dass die Interessen kapitalstarker Gesellschaftsmitglieder, vor allem von Unternehmen und deren Verbänden, wirkvoller vertreten werden als die von kapitalschwachen Gesellschaftsmitglieder. Andererseits ist schon aufgrund der eingangs erwähnten Modellierung des politischen Modells nach Karl W. Deutsch (1963) bzw. David Easton (1967) offensichtlich, dass das politische System auf Input von außen angewiesen ist, und dies führt in ausdifferenzierten Gesellschaften fast zwangsläufig zu einer professionellen Interessenvertretung, die von

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kapital- bzw. ressourcenstarken Akteuren dominiert wird. Eine Lösung ist insoweit nicht ersichtlich. Wohl ist neben der Selbstverständlichkeit, dass alle rechtlichen Normen einzuhalten sind, die Forderung nach Transparenz, die das ständige kritische Hinterfragen von Public Affairs-Praktiken zulässt, unstrittig. Aber Transparenz stellt eine notwendige, sicherlich nicht hinreichende Notwendigkeit für die Legitimität von Public Affairs in einer Demokratie dar. Weitere Standards müssen hinzutreten. Zum Beispiel könnte man über Mechanismen nachdenken, wie bestehende Ungleichheiten im Public Affairs-Markt kompensiert, Zugangsbarrieren reduziert, die Teilhabe auch schlechter organisiert Interessen sichergestellt werden können. Die öffentliche Förderung schwächerer Interessen wie die des Verbraucher- und des Umweltschutzes ist eine mögliche Antwort. Ebenso wären Qualitätskriterien denkbar, die regeln, wessen Positionen legitimierweise gehört werden sollten und welche nicht. Wir stehen hier erst am Anfang einer schon lange überfälligen Debatte (vgl. für eine Einführung Speth 2016). Dass Dilemmata, die meist für Public Affairs von Unternehmen und ihren Wirtschaftsverbänden konstatiert werden, für die Austauschbeziehungen zwischen wissenschaftlichem System und politischem System ebenso gelten, ist mindestens plausibel. Eine weitere Besonderheit tritt in jedem Fall hinzu: Folgt man Luhmann, ist der entscheidende Code des wissenschaftlichen Systems, „wahr vs. unwahr“. Das wissenschaftliche System hat in dieser Hinsicht eine besondere gesellschaftliche Bedeutung. Soweit Wissenschaft in Austauschbeziehungen mit dem politischen System tritt, und zwar insbesondere was den Input „Support“ angeht, muss sie diese besondere Rolle beachten, und zwar eingedenk der Erkenntnis, dass es eine absolute Wahrheit wohl kaum geben kann. Eine Lösung könnte mit Peter Weingart (2006) darin bestehen, die Kontextbedingungen der Produktion von Wahrheit, die dem politischen System zur Verfügung gestellt wird, besonders sichtbar zu machen und auch zu problematisieren. Doch reicht es für die Lösung aller denkbaren ethischen Probleme aus, diesen Anspruch zu erfüllen? Dies erscheint zumindest fraglich. Public Affairs für wissenschaftliche Organisationen wird insgesamt kaum beachtet, umso weniger finden ethische Probleme, die sich hieraus ergeben, öffentliche oder fachöffentliche Beachtung. Dies ist ein erhebliches Defizit, das einer umfassenden Ethik der Public Affairs von wissenschaftlichen Organisationen entgegensteht. Einstweilen kann Public Affairs-Verantwortlichen in Wissenschaftsorganisationen nur geraten werden, sich der hier nur in aller Kürze skizzierbaren ethischen Herausforderungen bewusst zu sein und mit ihnen offen umzugehen.

8.10 Was bleibt abschließend zu sagen? Public Affairs hat in der Praxis politischer Kommunikation in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Konjunktur erfahren. Explizit beschrieben wird diese jedoch meist nur aus Sicht des wirtschaftlichen Systems. Die empirische Evidenz spricht aber dafür, dass auch für wissenschaftliche Organisationen Public Affairs als Teil eines weit verstandenen

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Marketingbegriffs zunehmend an Bedeutung gewinnt. Umso dringlicher werden umfassendere Untersuchungen der Praxis, aber auch differenzierte theoretische Fundierungen von Public Affairs von wissenschaftlichen Organisationen benötigt. Denn letztlich ist der Output, der vom politischen System auf das wissenschaftliche ausgeht, wie auch der Input, den das wissenschaftliche System für das politische leistet, mit großer Wahrscheinlichkeit ganz anders zu beschreiben, als dies respektive für die Beziehungen zwischen politischem und wirtschaftlichen System gilt. Insofern kann es auf Dauer nicht ausreichen, Erfahrungswerte aus der Public Affairs-Praxis des wirtschaftlichen Systems auf die des wissenschaftlichen Systems zu übertragen. Auf Dauer sind Soziologen, Politologen und Kommunikationswissenschaftler aufgefordert, eine eigene Theorie für die strukturelle und prozessuale Kopplung zwischen politischen und wissenschaftlichen System zu entwickeln, und zwar sowohl aus normativer und funktionaler Sicht. Erst wenn diese vorliegt, kann die Praxis der Public Affairs als Teil des Wissenschaftsmarketings differenzierter und fundierter analysiert werden, als es heute möglich ist. Dies erscheint auch deshalb unbedingt erforderlich, weil die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Teilsysteme fortschreitet. Public Affairs kann in aller Bescheidenheit als eine Strategie betrachtet werden, trotzdem eine gesellschaftliche Kohärenz herzustellen. Ob und wie diese Strategie Erfolg hat, kann erst auf dieser neu zu erstellenden konzeptionellen Grundlage entschieden werden. Der Beitrag in diesen Band vermag daher bestenfalls einen ersten kleinen Impuls in diese Richtung zu setzen.

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Jann, W. & Wegrich, K. (2003). Phasenmodelle und Politikprozesse: Der Policy Cycle. In K. Schubert & N. Bandelow (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse (S. 71–105). München: Braunmüller. Junghans, A. (2017). Das Internet in der politischen Kommunikation: Forschungsstand und Perspektiven. Politische Vierteljahresschrift 58(2). 284–315 Kempen, B. (2017). Grundfragen des institutionellen Hochschulrechts. In M. Hartmer & H. Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht (S. 1–52). Heidelberg: C.F. Müller. Kollmann, K. (1998). Outside Lobbying: Public Opinion and Interest Group Strategies. Princeton: Princeton University. Leif, T. & Speth, R. (2006). Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Grundriss einer Theorie. Frankfurt: Suhrkamp. Meyer, T. (2000). Vier historische Modelle Politik zu verstehen. In T. Meyer, Was ist Politik? (S. 24–49). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Mono, R. (2013). Public Affairs in der Wissenschaft. Berlin: innokomm. Schäfer, A. & Streeck, W. (2008). Korporatismus in der Europäischen Union. In M. Höppner & A. Schäfer (Hrsg.), Die politische Ökonomie der europäischen Integration (S. 203–240). Frankfurt: Campus. Schmitter, P. & Streeck, W. (1999). The Organization of Business Interests: Studying the associative action of business in advanced industrial societies. MPiFG Discussioin Paper. http://cadmus.eui.eu/handle/1814/21980. Zugegriffen: 19. Dezember 2017. Speth, R. (2016). Die Legitimität von Lobbying. http://www.rudolf-speth.de/index.php/ blog/47-die-legitimitaet-von-lobbying. Zugegriffen: 10. Januar 2018. Sternberger, D. (1978). Drei Wurzeln der Politik. Suhrkamp: Frankfurt. Teubner, G. (1999). Polykorporatismus. Der Staat als „Netzwerk“ öffentlicher und privater Kollektivakteure. In P. Nielsen & H. Brunkhorst (Hrsg.), Das Recht der Republik (S. 346–372). Frankfurt: Suhrkamp. Weingart, P. (2006). Erst denken, dann handeln. Wissenschaftliche Politikberatung aus der Perspektive der Wissen(schafts-)soziologie. In S. Falk; D. Rehfeld; A. Römmele & M. Thunert (Hrsg.), Handbuch Politikberatung. (S. 35–44). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Dr. René Mono  ist seit 2015 geschäftsführender Vorstand der 100 prozent erneuerbar stiftung, deren Geschäftsführer er seit 2011 war. Der promovierte Kommunikationswissenschaftler ist darüber hinaus Vorstand des Bündnis Bürgerenergie (BBEn), Fellow der stiftung neue verantwortung, Vorstandsmitglied der Veolia-Stiftung und sitzt jeweils im Beirat der Bürgerwerke und Naturstiftung David. Bis 2011 war er sieben Jahre bei der globalen Kommunikationagentur Ketchum, unter anderem als Leiter des Public Affairs-Büros in Brüssel.

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Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing für die Wissenschaft Hans-Peter Pohl

9.1 Marketing im Wandel 9.1.1 Vom Angebots- zum Stakeholder-orientierten Marketing Das Marketing-Verständnis und die jeweils mit Verzögerung folgende Marketing-Praxis hat sich seit den 1950er Jahren grundlegend gewandelt: Wurden anfangs monetäre Transaktionen ausschließlich angebots- und vertriebsorientiert angestrebt, so dominierte, beginnend in den 1960er/1970er Jahren, zunehmend eine Kunden- und Wettbewerbs-Orientierung, was heute noch als klassisches Absatzmarketing von Unternehmen verstanden wird. Im strategischen Fokus stehen dabei neben der Angebots- und Prozessqualität die Differenzierung des Unternehmens im Wettbewerb und die Ausrichtung der Angebote an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden mit dem Ziel ihrer Bindung an das Unternehmen. Dem zunehmenden Einfluss unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen auf die Handlungen von Unternehmen seit den 1970er Jahren geschuldet, wurde in Teilen der Wissenschaft, im deutschsprachigen Raum vor allem von der „Mannheimer Schule“ unter Federführung von Hans Raffée, diese Leitidee des Marketing um eine Stakeholder-Orientierung erweitert. Mit Stakeholder sind jegliche internen wie externen Anspruchsgruppen einer Organisation gemeint, die ein Interesse an den Handlungen der Organisation zum Ausdruck bringen. Dieses von Kotler bereits 1972 entwickelte „Generic Concept of Marketing“ umfasst nicht nur monetäre Transaktionen, sondern alle sozialen Interaktionen zwischen den Akteuren (vgl. Kotler 1972, S. 46 ff.). Die Stakeholder

H.-P. Pohl (*)  ProfilPlus Marketing für Hochschulen und Wissenschaft, Falkensee, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_9

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können vier Bereichen zugeordnet werden: Anspruchsgruppen innerhalb der Organisation sowie Anspruchsgruppen außerhalb der Organisation auf dem Beschaffungs- und Absatzmarkt sowie im Bereich der allgemeinen Öffentlichkeit (vgl. Raffée et al.  1994, S. 44 ff.). Ein integriertes Marketing-Verständnis, das sich bereits in den 1980er Jahren auch für Non-Profit-Organisationen und Öffentliche Institutionen als effektiv erwiesen hat. Diese Leitidee wurde seit den 2000er Jahren noch durch eine Betonung der Werthaltigkeit und Nachhaltigkeit der durch das Marketing geplanten und herbeigeführten Austauschprozesse verstärkt. Dem wurde mit der „Natur“ (z. B. Ressourcenverbrauch, Abfallbeseitigung, Klimaschutz) ein weiterer Stakeholder-Bereich zugeordnet (Tab. 9.1).

9.1.2 Marketing für Hochschulen und Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Im Zuge der wissenschaftspolitischen Reformen seit Ende der 1990er Jahre, die zu mehr Autonomie, Internationalität, Wettbewerbsorientierung und Effizienz der Hochschulen und Außeruniversitären Forschungseinrichtungen geführt haben, erfolgt die Finanzierung der Wissenschaftseinrichtungen entsprechend verstärkt Output- oder Ergebnis-orientiert. So sahen und sehen sich die Hochschulen einem immer stärker werdenden Wettbewerb um öffentliche und private Mittel sowie Kooperationspartner ausgesetzt. Hinzu gekommen ist der Wettbewerb um die vielversprechendsten Studierenden sowie qualifiziertesten (Nachwuchs-)Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager (siehe Abb. 9.1). Viele Facetten dieses Wettbewerbs finden nicht nur national, sondern zunehmend auch international statt und erfassen ebenso die Außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wie oben beschrieben, eignet sich das integrierte, Stakeholder-orientierte Marketing für öffentliche Institutionen als Ansatz, um Strategien zur Lösung dieser Wettbewerbsherausforderungen der Wissenschaftseinrichtungen zu entwickeln. Dies wurde auch bereits im Jahre 2006 durch eine Orientierung gebende Untersuchung bestätigt, die der Autor mit Beteiligung von 2/3 der deutschen Hochschul-Leitungen durchgeführt hatte. 60 % davon stimmten dem von ihm entwickelten Marketing-Begriff zu (vgl. Pohl 2006): „Hochschul-Marketing versteht sich als ein Prozess der Herbeiführung und Gestaltung von Austauschprozessen und Pflege von Beziehungen innerhalb der Hochschule (Internes Marketing) und außerhalb der Hochschule (Externes Marketing) mit Anspruchsnehmern (Stakeholder) auf dem Beschaffungs-, dem Absatz- und dem Markt der Allg. Öffentlichkeit. Das Handeln der Hochschule, insbesondere ihr Leistungsangebot, orientiert sich auf der Grundlage ihres Auftrages an den Erwartungshaltungen und Interessen der Anspruchsnehmer (Stakeholder).“. u „Hochschul-Marketing versteht sich als ein Prozess der Herbeiführung und Gestaltung von Austauschprozessen und Pflege von Beziehungen innerhalb der Hochschule (Internes Marketing) und außerhalb der Hochschule (Externes Marketing) mit Anspruchsnehmern

Marketing 1 (1950er/1960er Jahre) Angebots-orientiertes Marketing

Angebots-Orientierung Vertriebs-Orientierung Absatz-Orientierung

Absatzmarketing (übrigen Funktionen teils unter-, teils gleich geordnet)

Kommerzielle Institutionen (Unternehmen)

Ansätze/Merkmale

Leitideen

Aktionsbereiche

Subjekte bzw. Träger

Tab. 9.1  Entwicklungen der Marketing-Ansätze

Stakeholder-Orientierung Engpass-Orientierung Gesellschafts-Orientierung

Marketing 3 (1970er/1980er/1990er Jahre) Societal-Marketing/One-toOne-Marketing

Kommerzielle Institutionen (Unternehmen)

Kommerzielle und Nicht-Kommerzielle Institutionen (Unternehmen und Non-Profit-Organisationen, Staatliche Institutionen)

Absatzmarketing (primär und Internes Marketing dominant gegenüber anderen Absatz-Marketing Funktionen) Beschaffungs-Marketing Public-Marketing

Kunden-Orientierung Wettbewerbs-Orientierung Engpass-Orientierung

Marketing 2 (1960er/1970er Jahre) Traditionelles Absatzmarketing

Zwei Parteien

Austausch von Werten jeder Art für jede Organisation in ihren Beziehungen zu den internen und externen Personen und Gruppen

Stakeholder-Orientierung Engpass-Orientierung Gesellschafts-/Nachhaltigkeits-Orientierung Werte-Orientierung

Marketing 4 (seit 2000er Jahre) Generic-Marketing/Social-Marketing/Werte-orientiertes Marketing

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Beschaffungs-Markt: z.B. Potenzielle Wissenschaler, Dozenten, Mitarbeiter Verwaltung und Technik, Lieferanten von Sach- und Inves  onsgütern, Banken, Versicherungen,Beratungsund Service-Dienstleister, Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, Spender, S er, S ungen, Unternehmen

Public-Markt: z.B. Poli k, Verbände, Medien, Gesellschaliche Gruppen

Interner Markt: z.B. Professoren, Dozenten, Wissenschaler, Mitarbeiter Verwaltung und Technik

Absatz-Markt: z.B.Schüler, Studierende, Absolventen, Ex-Professoren, Dozenten, -Wissenschaler, -Mitarbeiter Verwaltung und Technik, Unternehmen, Non-Profit-Organisa onen, Öffentliche Ins tu onen

Natur: z.B. Ressourcen, Klima, Abfallbesei gung

Abb. 9.1   Integriertes, Stakeholder-orientiertes Marketing

(Stakeholder) auf dem Beschaffungs-, dem Absatz- und dem Markt der Allg. Öffentlichkeit. Das Handeln der Hochschule, insbesondere ihr Leistungsangebot, orientiert sich auf der Grundlage ihres Auftrages an den Erwartungshaltungen und Interessen der Anspruchsnehmer (Stakeholder).“ Zu den Leitideen eines Strategischen Marketing zählt die Engpass-Orientierung. Das bedeutet, dass die Marketing-Anstrengungen besonders auf den strategischen Engpass eines Unternehmens oder hier einer Wissenschaftseinrichtung auszurichten sind. Eine der wohl größten Wettbewerbs-Herausforderungen der Wissenschaftseinrichtungen liegt im Beschaffungs-Markt bei der Gewinnung öffentlicher und privater Finanzmittel als Grundlage ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Dies ist Gegenstand dieser Ausarbeitung. Es gilt dabei den Blick auf die diejenigen Stakeholder zu richten, die Einfluss nehmen (können) auf die Mittelgewährung. Dies bedeutet, den Beschaffungsprozess von außen nach innen, also aus der Perspektive der potenziellen Mittelgeber zu entwickeln, d. h. ihre Einstellungen, Erwartungshaltungen und ihr Informations- und Kommunikationsverhalten zu berücksichtigen. Den Mittelgebern wiederum müssen sich die Wissenschaftseinrichtungen mit einem überzeugenden, unverwechselbaren Markenbild präsentieren und mit ihnen von Anfang an im Rahmen einer auf Dialog ausgerichteten Stakeholder-Kommunikation interagieren. Zu Strategien der Markenentwicklung und der Stakeholder-Kommunikation sei an dieser Stelle auf andere Beiträge dieses Buches verwiesen.

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9.2 Fundraising als Teil des Beschaffungs-Marketing Aufgaben des Strategischen Beschaffungsmarketing sind die Nutzung vorleistungsspezifischer Marktchancen, die langfristige Sicherung der Bezugsquellen und die Pflege der Beziehungen zu diesen. Das operative Beschaffungsmarketing beschäftigt sich mit beschaffungslogistischen Problemstellungen für den Leistungserstellungsprozess (vgl. Kirchgeorg, Wirtschaftslexikon.Gabler.de). Fundraising ist Teil des BeschaffungsMarketing, wie nachfolgend verdeutlicht wird. Fundraising wird von der Mehrzahl der Autoren als Oberbegriff für die Beschaffung privater Mittel seitens gemeinnütziger und öffentlicher Institutionen betrachtet. Die früher von Michael Urselmann und anderen Autoren betonte Einschränkung, dass beim Fundraising für die Leistungen des Mittelgebers keine marktadäquaten Gegenleistungen verbunden sein dürfen, erfolgt heute nicht mehr. Die heutige Definition von Michael Urselmann hat auch der Deutsche Fundraising-Verband übernommen: „Fundraising ist die systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten einer steuerbegünstigten Organisation, die darauf abzielen, alle für die Erfüllung des Satzungszwecks benötigten Ressourcen (Geld-, Sach- und Dienstleistungen) durch eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Ressourcenbereitsteller (Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen und öffentliche Institutionen) zu möglichst geringen Kosten zu beschaffen.“ (vgl. Urselmann 2014). Zu den steuerbegünstigten Organisationen werden Non-Profit-Organisationen, Non-Government-Organisationen und Öffentliche Institutionen wie z. B. Hochschulen und Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gezählt. u „Fundraising ist die systematische Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten einer steuerbegünstigten Organisation, die darauf abzielen, alle für die Erfüllung des Satzungszwecks benötigten Ressourcen (Geld-, Sach- und Dienstleistungen) durch eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Ressourcenbereitsteller (Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen und öffentliche Institutionen) zu möglichst geringen Kosten zu beschaffen.“ Der Autor, der früher auch immer eine Differenzierung vorgenommen hatte zwischen den Beschaffungs-Instrumenten „Fundraising“ zur Gewinnung von Förderern ohne Gewährung einer wirtschaftlich relevanten Gegenleistung und „Sponsoring“ zur Gewinnung von Kooperationspartnern mit Gewährung einer wirtschaftlich relevanten Gegenleistung, schließt sich dieser in Wissenschaft und Praxis herauskristallisierenden Sichtweise an. Unterhalb dieses Oberbegriffs ist allerdings zwischen den Leistungstypen klar zu differenzieren, wie auch Tab. 9.2 verdeutlicht.

Know-how-Transfer, Allgemeine Zielgruppen-Ansprache Vermögensverwaltung Allgemeine Zielgruppen-Ansprache, Image-Transfer Vermögensverwaltung

Geld Geld Geld Geld Geld

Geld Geld, Personal, Sachen, Dienste, Media Geld, Sachen, Personal, Dienste, Media Geld

Lizenz-Erlöse Werbeerlöse durch Vermarktung Dritter Raumvermietungserlöse durch Vermarktung Dritter Recruiting-Messen-Erlöse durch Vermarktung Dritter Vorträge, Veranstaltungen, Projektforschung (Projekt-, BA-, MA-, Arbeiten) im Rahmen der Lehre Akademische Weiterbildung Passives Sponsoring

Werbung als Eigenleistung

Aktives Sponsoring

Direkte, persönliche Zielgruppen-Ansprache, PersonalRekrutierung Kommunikationsrechte

Know-how-Transfer, Allgemeine Zielgruppen-Ansprache, Image-Transfer

Geld, Sachen

Zu-Stiftung

(Fortsetzung)

Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA)

Vermögensverwaltung

Vermögensverwaltung

Nutzungsrechte, Persönliche Zielgruppenansprache

Geld, Sachen

Stiftung

Erbschaft

Gegenleistungen durch Wissenschaftseinrichtung Steuerliche Zuordnung Zweckbindung Ideeller Bereich Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung Ideeller Bereich von Kommunikation durch Förderer Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung Ideeller Bereich von Kommunikation durch Förderer Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung Ideeller Bereich von Kommunikation durch Förderer Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung Ideeller Bereich von Kommunikation durch Förderer Rechteübertragung Vermögensverwaltung Rechteübertragung Vermögensverwaltung Nutzungsrechte Vermögensverwaltung

Leistungen Dritter Geld Geld, Sachen, Personal, Dienste Geld, Sachen

Leistungstyp Zuschüsse Spende

Tab. 9.2  Leistungstypen im Fundraising

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Geld, Sachen, Personal, Dienste, Media Geld Geld Geld Geld Geld, Sachen, Personal, Dienste Geld, Sachen, Personal, Dienste Geld, Sachen, Personal, Dienste Geld, Sachen

Integrierte Unternehmens-Kooperationen

Beratung

Gutachten

Weiterbildung als Dienstleistung

PPP/ÖPP

An-Institute als eigenständige Rechtspersönlichkeiten

Beteiligung an Gesellschaften

Zu-Stiftung zur (privatrechtlichen) Stiftung als Dach-Stiftung Unselbstständige Stiftung unter einer Dach-Stiftung Geld, Sachen

Geld

Recruiting-Messen als Eigenleistung

Auftragsforschung

Leistungen Dritter Geld

Leistungstyp Raumvermietung als Eigenleistung

Tab. 9.2   (Fortsetzung)

Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung von Kommunikation durch Stifter Zweckbindung, Spendenquittung, Danksagung, Duldung von Kommunikation durch Stifter

Direkte, persönliche Zielgruppen-Ansprache, Image-Transfer, Personal-Rekrutierung, Personal-Transfer, Know-how-Transfer Direkte, persönliche Zielgruppen-Ansprache, Image-Transfer, Personal-Rekrutierung, Personal-Transfer, Know-how-Transfer Know-how-Transfer, Personal-Transfer, Image-Transfer

Know-how-Transfer

Know-how-Transfer

Know-how-Transfer

Persönliche Zielgruppen-Ansprache, Personal-Rekrutierung Direkte, persönliche Zielgruppen-Ansprache, Image-Transfer, Personal-Rekrutierung, Personal-Transfer, Know-how-Transfer Know-how-Transfer

Gegenleistungen durch Wissenschaftseinrichtung Nutzungsrechte

Beteiligungen

Beteiligungen

Beteiligungen

Beteiligungen

Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Beteiligungen

Steuerliche Zuordnung Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA) Zweckbetrieb/Betrieb gewerblicher Art (BgA)

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing … 241

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9.2.1 Begriffsabgrenzungen: Fundraising, Spende, Stiftung, Passives Sponsoring, Aktives Sponsoring, Integrierte Unternehmenskooperationen • Leistungserbringer von Spenden, Erbschaften und Stiftungen dürfen über eine Danksagung hinaus keine wirtschaftlich relevanten Gegenleistungen von dem Begünstigten erhalten. Die Erlöse werden steuerlich dem Ideellen Bereich zugeordnet. • Beim sogenannten Passiven Sponsoring steht der Fördergedanke des Leistungsgebers, in der Regel ein Unternehmen, im Vordergrund. Die vereinbarten Gegenleistungen müssen zurückhaltender Art sein (Duldungs- oder Höflichkeitsgesten seitens des Begünstigten) und dürfen keine aktive Kommunikation seitens des Begünstigten enthalten. So wird die Nennung eines Sponsors auf der Website ohne Verlinkung zum Sponsor dem Passiven Sponsoring zugerechnet, mit Verlinkung dem Aktiven Sponsoring. Erlöse aus dem Passiven Sponsoring werden steuerlich der Vermögensverwaltung zugeordnet. • Dagegen ist es Anliegen des sogenannten Aktiven Sponsoring, dass der Leistungsgeber vom Leistungsempfänger wirtschaftlich relevante Gegenleistungen in Form von aktiver Kommunikation mit den Zielen der Bekanntheitssteigerung, Imageprofilierung und Kontaktpflege mit definierten Zielgruppen erhält. Hier gilt ein im Einzelnen zu vereinbarender Leistungsaustausch. Erlöse aus dem Aktiven Sponsoring werden steuerlich dem sogenannten Betrieb gewerblicher Art (BgA) zugerechnet. • Beim Wissenschafts-Sponsoring sind die von den Unternehmen gewünschten Gegenleistungen zusätzlich bei der Kontaktpflege konkretisierbar, in dem sie besonders auf das Personal-Recruiting ausgerichtet sind. Ein weiterer Leistungsaustauschwunsch besteht im Know-how-Transfer. Diese Form des Leistungsaustauschs wird traditionell zwischen Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen im Bereich der Auftragsforschung gepflegt. Der Autor empfiehlt deshalb bereits seit Ende der 1980er Jahre den Hochschulen, später auch den Außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die ganze Bandbreite des denkbaren Leistungsaustauschs zwischen der Wissenschaftseinrichtung und dem Unternehmen konzeptionell beim Fundraising/Sponsoring einzubeziehen und entsprechend der Bedarfe zu vereinbaren. Solche Integrierten Unternehmenskooperationen verschaffen beiden Seiten effektivere und effizientere Ergebnisse. Dies setzt allerdings voraus, dass sowohl aufseiten der Wissenschaftseinrichtung wie auf Seiten des Unternehmens die jeweiligen Akteure kooperieren: Aufseiten der Hochschulen zusätzlich zu den beteiligten Wissenschaftlern die Verantwortlichen für Marketing, Kommunikation, Alumni-Management, Fundraising, Technologie-Transfer, Career-Service und Weiterbildungsangebote. Aufseiten der Unternehmen sollten die Verantwortlichen für Marketing, Kommunikation, Forschung & Entwicklung, Produktion, Personal und Einkauf einbezogen sein. Die Erlöse solcher Integrierten Unternehmenskooperationen werden entsprechend ihres Leistungstypusʼ steuerlich den jeweiligen Bereichen zugerechnet. Entsprechend auszurichten sind die Kooperations-Verträge.

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• Förderer und Kooperations-Partner können Geld-, Sach-, Personal-, Dienst- und Media-Leistungen erbringen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Gewinnung privater Drittmittel durch Fundraising auf der Grundlage eines integrierten, Stakeholder-Orientierten Marketing-Ansatzes.

9.2.2 Exkurs zum Spenden- und Sponsoring-Markt in Deutschland 1. Das Spendenaufkommen in Deutschland kann nur geschätzt werden. Die Ergebnisse unterschiedlicher Studien weichen zum Teil erheblich voneinander ab und reichten 2017 von 3,7 Mrd. EUR (vgl. KantarTNS Spendenmonitor 2017) bis 5,3 Mrd. EUR (vgl. spendencheck.com). Auch die Zahl der Spender schwankt zwischen 25 % und 40 % der Bevölkerung ab 14 Jahre. Darin jeweils nicht enthalten sind Spenden von Privatpersonen an Politische Parteien, Zwangsspenden aufgrund von Gerichtsurteilen, Stiftungsneugründungen und Unternehmensspenden. Belastbare aktuelle Zahlen zu Spenden für Bildung und Wissenschaft von Privatpersonen werden nicht genannt – ein Indiz, dass sie nur einen geringen Teil des Spendenaufkommens ausmachen. 2. Ähnlich ist es mit exakten Zahlen zum Gesamtvolumen beim Sponsoring. Es wurde für 2014 mit rund 4,8 Mrd. EUR mit leicht steigender Tendenz in den Folgejahren angegeben. Bildung und Wissenschaft partizipierten daran mit rund 180 Mio. EUR bei mittelfristig deutlich steigender Tendenz. Dieser Betrag umfasst allerdings alle Maßnahmen, die Unternehmen in das Wissenschafts-, vornehmlich Hochschul-Sponsoring, investieren, also auch ihre eigenen Maßnahmen zur Kommunikation der Kooperation, ferner ihre Kommunikationsmaßnahmen (Werbung, Events) an Wissenschaftseinrichtungen (vgl. Sponsor Visions, wuv.de). 3. Eine Studie des Stifterverbandes zum Umfang der Akademischen Bildungsförderung für Hochschulen und Studierende durch die Wirtschaft kam 2009 zu folgenden anders lautenden Ergebnissen. Danach wurden die Hochschulen mit insgesamt 2180,3  Mio.  EUR gefördert. Sie erhielten für Stiftungsprofessuren, Sach- und Dienstleistungsspenden sowie an finanziellen Zuwendungen insgesamt 641,7 Mio. EUR, die Leistungen für Studierende betrugen für Duales Studium, Praktika, Studium der Mitarbeiter, Stipendien und Sonstige Aktivitäten insgesamt 1538,6 Mio. EUR. (vgl. Stifterverband 2011) 4. Im Rahmen des Deutschland-Stipendiums konnten zwischen 2011 und Mitte 2017 exakt 25.528 Stipendiatinnen und Stipendiaten von 296 Hochschulen mit rund 113 Mio. EUR Aufwand seitens der über 7000 privaten Förderer unterstützt werden (vgl. Deutschlandstipendium.de).

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9.3 Fundraising-Management Das Fundraising-Management, also der Prozess zur Gewinnung von Spendern, Stiftern, Stiftungen (alles Förderer), Sponsoren und Integrierten Unternehmens-Kooperationen wird nachfolgend auf Hochschulen bezogen dargestellt, ist aber auch entsprechend bei Außeruniversitären Forschungseinrichtungen anzuwenden. Der Autor befasst sich mit dem Marketing und Fundraising für Hochschulen seit 1988. Er hat, anfangs als Pionier, inzwischen über 50 Hochschulen und Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Wissenschafts-Museen, Science-Center sowie Wissenschafts-Förder-Stiftungen und -Vereine dazu beraten. So wie er bis zum Beginn der 2000er Jahre bei den Hochschulen häufig eine große Skepsis gegenüber dem systematischen Fundraising, vor allem bei den Sponsoring-Kooperationen, wahrgenommen hatte, so beobachtet er eine solche Skepsis heute noch bei vielen Außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Je höher allerdings der Druck wird, die Finanzierung der Einrichtung auch durch verstärkte Gewinnung von Drittmitteln von privater Seite zu gewährleisten, desto mehr wird, wie bei den Hochschulen geschehen, die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Marketing und Fundraising auch bei Außeruniversitären Forschungseinrichtungen wachsen.

9.3.1 Grundüberlegungen 1. Anders als bei karitativen Projekten, bei denen meist der Anlass eines Ereignisses z. B. in Form einer Flüchtlings- oder Naturkatastrophe oder die Schilderung besonderer persönlicher sozialer Schicksale die Spendenbereitschaft auslöst, ist die Förder- oder Kooperations-Schwelle beim Fundraising für Wissenschaftseinrichtungen deutlich höher. So hat z. B. ein Unternehmen besondere Nutzenerwartungen an die Hochschule. Allerdings wird das Zustandekommen einer Kooperation erleichtert, wenn zu Entscheidern des Unternehmens vonseiten der Hochschule engere Beziehungen aufgebaut werden konnten. Eine solche engere, möglichst emotional geprägte Beziehung zur Hochschule ist für Privatpersonen Voraussetzung, ehe sie sich als Spender, Stifter oder Erblasser engagieren. Deshalb gilt: Angesichts des ineffizienten Aufwandes im Vergleich zum Ertrag bei der Gewinnung von Kleinspendern oder Klein-Sponsorships sollte der Fokus der Fundraising-Aktivitäten auf jährliche Volumen pro Förderer oder Kooperations-Partner von wenigstens 1000 EUR gelegt werden. Nur als Auftakt einer anzustrebenden langfristigen Förder-/Kooperations-Beziehung ist ein solcher im Vergleich zum hohen Akquisitionsaufwand geringe Erlösbetrag vertretbar. Als Einstieg in ein professionelles Hochschul-Fundraising bietet sich für jede Hochschule als etabliertes, attraktives Projekt das Deutschland-Stipendium an,

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing …

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für das jährlich pro Stipendium von privater Seite ein Betrag von 1800 EUR einzuwerben ist, der dann vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem gleichen Betrag aufgestockt wird. Näheres dazu auf der Website des Deutschland-Stipendiums (vgl. www.deutschlandstipendium.de). Die vom Autor entwickelte Nutzen-Pyramide (s. Abb. 9.2) verdeutlicht die Nutzenerwartungen von Unternehmenspartnern. 2. Damit wird deutlich, dass das Fundraising für Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen langfristig ausgerichtet werden muss. Dabei ist vor allem in den Beziehungsaufbau (SRM: Stakeholder-Relationship-Management) zu potenziellen Förderern, Meinungsbildnern, Multiplikatoren und Mentoren als Gatekeeper langfristig zu investieren. Von Anfang an bedarf es einer individuellen, direkten, wenn möglich persönlichen Ansprache dieser Personen. Sie können mithilfe einer permanenten Stakeholder-Analyse identifiziert und hinsichtlich ihrer Einstellungen und Erwartungshaltungen, ihres Informations- und Kommunikationsverhaltens analysiert werden. 3. Vor einem gezielten Fundraising von Groß-Spendern, -Stiftern, -Erblassern und Sponsoren ist deshalb ein Friendraising erforderlich mit dem Ziel, ein Netzwerk einflussreicher Persönlichkeiten mit Top-Kontakten z. B. in Form von Mentoren als Gatekeeper aufzubauen und zu pflegen. 4. Friendraising und Fundraising von Groß-Spendern, -Stiftern, -Erblassern und Sponsoren muss nachdrücklich von der Hochschulleitung mitgetragen und auch begleitet werden.

Abb. 9.2   Nutzen-Pyramide

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5. Erleichtert wird ein erfolgreicher Beziehungsaufbau durch Bekanntheit der Hochschule, verbunden mit einem unverwechselbaren, nachhaltigen Imageprofil, einer starken Marke. Fundraising wiederum unterstützt den Prozess der Markenbildung. 6. Die für das Fundraising als relevant identifizierten Stakeholder sind die Kommunikations-Zielgruppen, die als Förderer, Entscheider, Meinungsbildner, Multiplikatoren und Gatekeeper im Rahmen eines effektiven Fundraising anzusprechen sind. Ihnen gemeinsam ist, dass sie personalisierbar sind, sodass sie mit Instrumenten der 1:1- oder Dialog-Kommunikation per Brief, E-Mail, Telefonat oder persönlichem Gespräch, ggf. über Empfehlung eines Dritten, effektiv und effizient erreicht werden können. – Grundregel: Die Kommunikation muss zielgruppengerecht, dialogorientiert, profiliert, konsistent und kontinuierlich ausgerichtet sein. – Im Rahmen einer Multichannel-Kommunikation sind alle Instrumente und Maßnahmen aufeinander abzustimmen: Online, Social Media, Direkt-Marketing (insbesondere Newsletter), Persönliche Kommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (insbesondere mit Kontakten zu regionalen Medien und Fachmedien), Medienkooperationen. – Die Hochschule sollte bei ihrem Fundraising Zielgruppen-spezifische Veranstaltungsformate durchführen, zu denen sie persönliche, nicht übertragbare Einladungen ausspricht. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der eingeladene Personenkreis hinsichtlich Stellung und Bedeutung zueinander passt. Entscheider möchten auf Augenhöhe kommunizieren. 7. Die geschilderten Überlegungen verdeutlichen, dass Fundraising eine strategische Aufgabe ist. Bei der Entwicklung der Fundraising-Strategie und deren Implementierung in die Hochschule bedarf es einer breiten Einbeziehung der wichtigen Akteure aus allen Bereichen, Funktionen und Gruppen der Hochschule, denn ein erfolgreiches Fundraising setzt die Kooperation aller relevanten internen Stakeholder voraus. Ein leider sehr häufig vorkommendes Beispiel: Es ist wirkt kontraproduktiv, wenn einem potenziellen Förderer oder Kooperationspartner innerhalb weniger Monate diverse Bitten oder Angebote unterschiedlicher Akteure aus der Hochschule unterbreitet werden. Angesichts der Vielzahl von Bitten und Angeboten, die er erhält, wird er sich eher für eine von ihm als effektiver und effizienter wahrgenommene andere Einrichtung entscheiden. 8. Sowohl bei der Strategie-Entwicklung als auch bei deren operativen Umsetzung bedarf es einer engen Abstimmung derjenigen Funktionen einer Hochschule, die mit Kommunikation und Beziehungspflege betraut sind. Dazu zählen insbesondere die Verantwortlichen für Fundraising, Marketing, Online- und Offline-Kommunikation, Event-Marketing, Messen, Studienberatung, Forschungs- und Technologie-Transfer, Career-Services, Akademische Weiterbildung, Alumni-, Freunde- und Förderer-Netzwerke.

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing …

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9. Diejenigen Förder- und Kooperations-Projekte versprechen den größten Erfolg, die dem Marken-Profil der Hochschule entsprechen. Solche Projekte sind zu analysieren, ob sie eher für die Gewinnung von Spendern und Stiftern oder eher für Sponsoring- oder integrative Unternehmenskooperationen geeignet sind. 10. Potenzielle Förderer und Kooperationspartner wollen gefragt werden. Nur selten kommen sie von sich aus auf die Hochschule zu, es sei denn es bestehen langjährige, vertrauensvolle Beziehungen.

9.3.2 Die Implementierung des Fundraising-Managements Struktur • Angesichts der Bedeutung des Fundraising sollte dessen Management als Stabsstelle der Hochschulleitung zugeordnet werden. So ist auch eine permanente Einbeziehung der Hochschulleitung, möglichst in Person von Präsident/in oder Rektor/in selbst, gewährleistet. • Die Stabsstelle steuert, konzipiert, plant, koordiniert, realisiert und kontrolliert die Fundraising-Projekte und -Prozesse. Sie sollte über Mitarbeiter/innen mit hohen Kommunikations-, Recherche- und Projekt-Management-Fähigkeiten verfügen. Wichtig sind auch deren Kenntnis der hochschulinternen Strukturen und Prozesse sowie ihre Vernetzung mit wichtigen internen Akteuren. • Die Stabsstelle stimmt sich eng mit den Verantwortlichen für Marketing, Online- und Offline-Kommunikation, Event-Marketing, Messen, Studienberatung, Forschungsund Technologie-Transfer, Akademische Weiterbildung, Career-Services, Alumni-, Freunde- und Förderer-Netzwerke in der Zentralen Verwaltung, den Zentralen Einrichtungen, den Fakultäten/Fachbereichen sowie Durchführungsgesellschaften (häufig z. B. beim Technologie-Transfer) ab. Entsprechende Strukturen (z. B. monatlich tagendes Fundraising-Team der Hochschulverwaltung und vierteljährlich tagender erweiterter Fundraising-Arbeitskreis) sind einzurichten. • In der Regel wird es notwendig sein, dass sich die Hochschule bei der FundraisingStrategie-Entwicklung und beim Aufbau des Fundraising-Managements sowie zumindest in der Anfangsphase des Akquisitions-Prozesses mangels eigenen Knowhows erfahrene Berater hinzuzieht. • Die Hochschulleitung wird vom Leiter der Stabsstelle monatlich über den Status des Fundraising informiert. Die erweiterte Hochschulleitung, zu der hier die Dekane und Leiter der Zentralen Einrichtungen gerechnet werden, sollten zumindest halbjährlich informiert werden. • Das Fundraising-Management sollte beratend und unterstützend begleitet werden von einem „Board of Mentors“, in dem ein Kreis von herausragenden, der Hochschule verbundenen, überregional mit Vermögenden und Top-Entscheidern aus Stiftungen und Unternehmen vernetzten Persönlichkeiten vertreten ist. Die Mitglieder werden für

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einen Zeitraum von z. B. 3 Jahren berufen. Das Board, das vom Präsidenten/Rektor geleitet wird, sollte sich zweimal jährlich treffen. Die Geschäftsführung obliegt dem Leiter der Stabsstelle Fundraising. • Sofern Mitarbeiter/innen der Fakultäten/Fachbereiche oder einzelner Institute Projekt-bezogen Fundraising betreiben, so sollten sie sich aus beschriebenen Gründen mit dem Fundraising-Management der Hochschul-Leitung abstimmen.

Strategische Analyse • Stakeholder-Makro-Analyse: Die relevanten internen und externen Stakeholder sind zu identifizieren und hinsichtlich ihrer Einstellungen und Erwartungshaltungen an die Hochschule zu analysieren, insbesondere unter dem Aspekt der angestrebten Förderungen und Kooperationen. Siehe auch Kap. 1 und Abb. 9.1. • Wettbewerbs-Analysen: Von den wichtigsten Wettbewerbern der Hochschule sind Analysen hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen, ihrer Entwicklungsplanung, ihrer Marke, ihres Images sowie ihrer Fundraising-Aktivitäten und -Erfolge zu erstellen. • Image-Analyse: Von der Hochschule ist eine Image-Analyse bei internen und externen Stakeholdern durchzuführen. • Perspektiven-Analyse mit Erfolgskriterien: Die Ergebnisse der drei Analysen werden in einer Perspektiven-Analyse zusammengeführt. Kriterien sind abzuleiten, an denen die Erfolgsaussichten möglicher Projekte gemessen werden können. • Potenzial-Analyse: Die zu erstellende Potenzial-Analyse gibt der Hochschulleitung die Möglichkeit, die wichtigen Akteure der Hochschule mit dem Fundraising vertraut zu machen und sie in den Prozess einzubinden. Deshalb sollten im Rahmen von halbtägigen Workshops auf der Grundlage der Hochschul-Entwicklungsplanung und der Ergebnisse der Perspektiven-Analyse die Potenziale für das Fundraising und Sponsoring analysiert werden. Die Besetzung der Workshops sollte getrennt nach Gruppen der Professoren, Wissenschaftlichen Mitarbeiter, Mitarbeiter aus Verwaltung und Technik sowie Studierende erfolgen, jeweils quer durch die Hochschule. Die Leitung obliegt der Stabsstelle Fundraising (Abb. 9.3). • Ergebniszusammenführung und Bedarfs-Analyse: Von jedem Gruppen-Workshop werden 4 Vertreter benannt, die in einem Integrations-Workshop die Ergebnisse aller vier Gruppen-Workshops zusammenführen. An diesem Integrations-Workshop nehmen auch alle in Ziff. 3.2.1.3. genannten Akteure teil. Aufgabe des Workshops ist es darüber hinaus, die für das Fundraising geeigenten Projekte näher zu spezifizieren und den Bedarf an Geld-, Sach-, Dienst-, Personal- und Media-Leistungen zu ermitteln. Ferner sind die Kriterien für die Auswahl geeigneter Fundraising-Projekte festzulegen. • Entscheidung der Hochschulleitung: Die Ergebnisse der Potenzial-, Perspektiven- und Bedarfs-Analysen werden der Hochschulleitung, möglichst der erweiterten Hochschulleitung unter Einbeziehung der Dekane und Leiter der Zentralen Einrichtungen, präsentiert und von ihr diskutiert. Die Akquisitionsstrategie wird vorgestellt. Die (erweiterte)

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Ablauf des 4-stündigen Potenzial-Workshops: 1. Einführung in das Fundraising 2. Vorstellung der Hochschul-Entwicklungsplanung 3. Vorstellung der Stakeholder-Makro-, Wettbewerbs-, Image- und Perspektiven-Analyse-Ergebnisse 4. Vertiefung der Perspektiven-Analyse in Form der Durchführung einer Stakeholder-Analyse 5. Ableitung von Kriterien aus der Perspektiven-Analyse, an denen die Erfolgsaussichten möglicher Projekt-Ansätze eingeschätzt werden können. 6. Identifikation der Kernkompetenzen, herausragenden Fähigkeiten und Ressourcen sowie des Selbstbildes der Hochschule 7. Überführung der Ergebnisse in eine SWOT-Analyse 8. Identifikation chancenreicher Projekt-Ansätze für das Fundraising auf der Basis der SWOT-Analyse

Abb. 9.3   Potenzial-Workshop

Hochschulleitung beschließt über die ersten Projekte, deren Ressourcen-Bedarf und den Akquisitions-Start, • Der gesamte Prozess der Strategischen Analyse bis zur abschließenden Durchführungs-Entscheidung ist mit 3–6 Monaten zu veranschlagen. Abhängig ist er vor allem von den zur Verfügung stehenden Personal-Ressourcen.

9.3.3 Einwerbung von Spenden, Erbschaften und Stiftungen 1. Spendenbereitschaft Besonders bei spontanen Spenden spielt eine emotionale Betroffenheit und/oder Bindung an die Hochschule eine entscheidende Rolle. Eine breit angelegte Klein-Spenden-Aktion mit hohen Kommunikationskosten ist bei Hochschulen wenig sinnvoll: Erfahrungsgemäß erbringen ähnlich dem Paretoprinzip 5–20 % der Spender 80 % der Spendenerlöse. Effizienter ist es, Groß-Spenden, Sponsorships oder Integrierte Kooperationen entweder in Zusammenarbeit mit Medienpartnern und/oder durch eine gezielte persönliche Ansprache von Entscheidern in Stiftungen und von Vermögenden, hierzu zählen auch die Erblasser, einzuwerben. Das Fundraising wird deshalb eher mittel- und langfristig die angestrebten Erfolge bringen. Der Nutzen, den sich ein Spender, Erblasser oder Stifter von seiner Förderung verspricht, ist zusätzlich zur Kontaktpflege mit Opinionleaders die öffentliche Würdigung seines Engagements.

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2. Spender-Portfolio Merkmale, nach denen potenzielle Spender im Rahmen einer Stakeholder-Analyse identifiziert und im Hinblick auf die Akquisitionschancen gewichtet werden können, sind: – Finanzielles Potenzial – Als Spender, Stifter bereits in Erscheinung getreten – Bezug zur Wissenschaftsförderung – Persönliche Beziehung zur Hochschule – Abonnement z. B. eines Info-Dienstes oder einer Hochschul-Zeitung – Interesse an Veranstaltungsangeboten – Existenz persönlicher Kontakte seitens Hochschulleitung, Mentoren etc. 3. (Zu-) Stifter Hochschulen werden meist seitens der Stifter durch deren selbstständigen und unselbstständigen Stiftungen gefördert. Hier besteht seitens der potenziellen Stifter ein hoher Beratungsbedarf bei der Gründung solcher Stiftungen. In der Leistung dieser Beratung liegt die große Chance der Hochschule, den potenziellen Förderer an sich zu binden. Die Hochschule sollte deshalb ihr Stiftungs-Management effizient strukturieren, um z. B. über die Einrichtung einer Dach-Stiftung als Treuhänderin unselbstständige Stiftungen verwalten zu können. Das Vermögen dieser unselbstständigen Stiftungen wird dem Vermögen der Dachstiftung zugerechnet, die Erträge der unselbstständigen Stiftungen sind entsprechend des jeweiligen Stiftungszwecks einzusetzen. Ein effektiver Ansatz zur Bindung von kleineren Dauerspendern ist, sie zu motivieren, eine unselbstständige Stiftung mit klarem Stiftungszweck zu gründen. Die zwar geringen Erträge der kleinen Stiftung würden dann durch die regelmäßige Spende entsprechend zweckbezogen erhöht.

9.3.4 Einwerbung von Sponsoren/Integrierten UnternehmensKooperationen 1. Sponsor-Erwartung Mäzenatisches Sponsoring bringt heute wenig Erfolg. Die Unternehmen erwarten einen rechenbaren wirtschaftlichen Nutzen und ein professionelles Projekt-Management. Je mehr die Hochschul-Marke als stark und nachhaltig wahrgenommen wird, desto attraktiver ist die Hochschule für größere Sponsoring-Kooperationen. Da das Bildungs- und Wissenschafts-Sponsoring große Zuwachsraten zu verzeichnen hat, wird es durch das Sponsoring möglich sein, bereits relativ kurzfristig kleinere und mittlere Kooperationen im Rahmen der Umsetzung der Fundraising-Strategie zu gewinnen. Ein geeignetes Einstiegs-Projekt dafür ist das Deutschland-­Stipendium.

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing …

251

2. Sponsor-Nutzen Je mehr wirtschaftlich relevanten Nutzen die Hochschule ihren potenziellen Sponsoren anbieten kann, desto attraktiver ist sie als Sponsoring-Partner. Mögliche Nutzen können im Wesentlichen sein (siehe auch Abb. 9.2: Nutzenpyramide): – Kommunikations-Transfer Bekanntheitssteigerung bei wichtigen Zielgruppen Imageprofilierung Kontaktpflege Plattform für eigene Kommunikationsaktivitäten Attraktive Räumlichkeiten für eigene Events Mitarbeiter-Motivation – Know-how-Transfer Beratung Begutachtung Wissenschaftliche Weiterbildung Forschungskooperation – Personal-Transfer Forscher-Austausch Führungskräfte-Motivation Recruiting Die Kombination dieser Nutzenversprechen bietet die Chance mehrjähriger Kooperationen. Und: Ein herausragendes Merkmal des Sponsoring ist eine offensive Integration der Sponsoren in die Kommunikations-Maßnahmen der Hochschule, also nicht nur Nennung, sondern aktive, selbstverständlich seriöse Kommunikation durch die Hochschule. Bestehende Kooperationen der Hochschulen z. B. im Bereich des Forschungsund Technologie-Transfers, im Rahmen von Lehrbeauftragungen oder von Rekrutierungs-Aktivitäten der Unternehmen sollten deshalb in ein übergreifendes Angebot integriert werden. 3. Sponsoren-Portfolio Je mehr der nachfolgenden Bezüge die Hochschule zu Unternehmen, aber auch zu Stiftungen und anderen NPO, aufzeigen kann, desto größer sind die Chancen für das Zustandekommen einer Kooperation: – Verantwortungsbezug – Zielgruppenbezug – Regionalbezug – Produktbezug – Imagebezug – Know-how-Bezug – Personalbezug

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9.3.5 Refinanzierung Grundsätzlich sollten die Kosten der Anschubfinanzierung sowie des FundraisingManagements in die Projekt-Kalkulation mit einfließen, sodass diese Kosten immer mit einzuwerben sind. Dies wird bei der Gewinnung von Großspendern, Stiftern und „passiven“ Sponsoren je nach Projekt-Struktur mit 5–10 % veranschlagt werden können. Bei den „aktiven“ Sponsoring-Kooperationen sind zusätzlich der Aufwand für die Marketing-Kommunikation und anderer begleitender Maßnahmen als Bestandteil des Projekts zu kalkulieren. Für Unternehmen sind solche kalkulatorischen Aufwände nachvollziehbar, rechnen sie doch selbst diese Kosten mit ein.

9.4 Der Akquisitions-Prozess 9.4.1 Projekt-Auswahl 1. Entsprechend der im Rahmen des Analyse-Prozesses ermittelten Erfolgskriterien sind mögliche Projekte innerhalb der Hochschule zu identifizieren. 2. Der Projekt-Bedarf ist herauszuarbeiten, ebenfalls die Möglichkeiten der Bedarfserfüllung unabhängig von Geldleistungen durch näher zu beschreibende Sach-, Personal-, Dienst- oder Medialeistungen. 3. Der Nutzen, den mögliche Förderer und/oder Kooperationspartner gewinnen, ist darzustellen. 4. Die Projekte sind hinsichtlich ihrer Eignung für die Gewinnung von Förderern und/ oder Kooperationspartnern zu bewerten. 5. Der Ressourcen-Bedarf für das Akquisitions-, Realisations- und Controlling-Management ist zu ermitteln.

9.4.2 Stakeholder-Mikro Analyse Potenzielle Mittelgeber, Netzwerker und Kommunikations-Zielgruppen sind beispielhaft z. B. für ihre Branchen im Sinne einer Typologie für das Projekt zu identifizieren, um allgemeine Angebote als Prototypen und Grundlagen für individuelle Angebote entwickeln zu können. Die Analysen werden in einer Database eingepflegt.

Identifikation von Stakeholder der Kategorie 1: Mittelgeber • sind potenziell in der Lage, das Projekt als Spender/Stifter zu fördern, mit der Hochschule als Sponsor oder Kooperationspartner zusammenzuarbeiten oder sich als Investor zu engagieren. Und sie sind aufgrund ihrer Einstellung vermutlich auch Willens, sich zu engagieren oder haben es bereits getan.

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing …

253

• Zu dieser Kategorie zählen insbesondere Vermögende und Inhaber von Klein-und Mittelständischen Unternehmen sowie Entscheider für Marketing, Kommunikation, Personal und F&E in großen und mittleren Unternehmen. • Kriterien für die Vorauswahl beispielhafter branchentypischer Unternehmen im Hinblick auf das Kooperations-Projekt sind: – Welche sachlichen Motiv-Bezüge lassen sich vom Projekt als Kooperations-Motive ableiten? – Aus welchen Branchen könnten die Unternehmen kommen? – Welche Größe müsste das Unternehmen haben, um die benötigten Leistungen erbringen zu können? – Hat das Unternehmen einen Betriebsstandort in regionaler Nähe zur Hochschule? – Gibt es bereits Verbindungen seitens der Hochschule zum Unternehmen?

Identifikation von Stakeholder der Kategorie 2: Netzwerker • sind potenziell aufgrund ihrer Kontakte in der Lage, sich für das Projekt als Türöffner, Meinungsbildner oder Multiplikator zu engagieren. Und sie sind aufgrund ihrer Einstellung vermutlich auch Willens, dies zu tun oder haben es bereits getan. • Zu dieser Kategorie zählen insbesondere sämtliche Stakeholder der Kat. 1, ferner Vermögensberater, Leiter Private Banking und Wealth Management in Banken, Rechtsanwälte, Testamentsvollstrecker, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, (Fach-) Journalisten, EU-, Bundes- und Landtagsabgeordnete, Repräsentanten der Parteien, Verbände, Öffentlichen Verwaltung und wichtiger gesellschaftlicher Gruppen sowie Alumni, Freunde und Förderer der Hochschule.

Identifikation von Stakeholder der Kategorie 3: KommunikationsZielgruppen • sind im Rahmen der Sponsoring-/Unternehmens-Kooperationen potenzielle Kommunikations-Zielgruppen der Hochschule, des Projekts und der Sponsoren/ Unternehmenspartner und können mithilfe der Kommunikations-Maßnahmen zum Projekt erreicht werden. • In einer Zielgruppen-Analyse sind die einzelnen Kommunikations-Zielgruppen näher hinsichtlich Einstellungen, Erwartungshaltungen sowie Informations- und Kommunikationsverhalten (Zielgruppen-Typologie) zu untersuchen. Quellen hierfür sind neben der Tages- und Wirtschaftspresse, das Internet, Social-Media-Netzwerke wie Xing, LinkedIn, Google+.

Zielgruppen-Typologien Eine erfolgreiche Fundraising-Kommunikation bedarf einer zielgruppenspezifischen Ansprache. Die nachfolgende Zielgruppen-Typologie basiert auf der Auswertung von

254

H.-P. Pohl

Media-Analysen und zahlreichen vom Autor durchgeführten Hochschul-ZielgruppenAnalysen. Selbstverständlich stimmen viele der Eigenschaften bei den Zielgruppen überein (Tab. 9.3):

9.4.3 Entwicklung des Fundraising-/Sponsoring- und Kommunikations-Konzepts 1. Nachdem zu allen drei Kategorien beispielhaft Stakeholder-Gruppen oder Einzelpersonen identifiziert worden sind, deren grundsätzlich bekannte Erwartungshaltungen den Zielen und Leistungsmerkmalen des Projekts entsprechen, können Grundkonzepte für die unterschiedlichen Akquisitions-Instrumente entwickelt werden zur Ansprache potenzieller – Spender, Stifter: Konzepte zur Gewinnung von Großspenden und Stifter sind langfristig ausgerichtet und sollten einen Profilschwerpunkt der Hochschule verkörpern. Die Einwerbung von Kleinspenden für Wissenschaftsprojekte ist in der Regel ineffizient. – Förder-Stiftungen: Konzepte zur Gewinnung von Stiftungen sind an den Antragsstellungskriterien infrage kommender Stiftungen auszurichten. – Sponsoren/Unternehmenskooperationen: Sponsoring-Konzepte sind mit einer ein- bis maximal dreijährigen Laufzeit zu planen und auf die Kommunikation mit Zielgruppen, die Image-Profilierung und auf den Personal- und/oder Know-howTransfer auszurichten. – Investoren: Projekte dieser Art sind durch eine lange Laufzeit mit attraktiver Verzinsung geprägt. So können Anleihen höheren Volumens über eine Bank ausgegeben werden oder Mikro-Investoren mittels Crowdinvesting eingeworben werden. Eine interessante Finanzierungsform für Start-ups. Aufwand und zu erwartender Ertrag bestimmen über die Priorisierung der Akquisitions-Instrumente. Erfahrungsgemäß ist das Einwerben geringer Mittelvolumen im Verhältnis zu größeren Volumen deutlich ineffizienter. 2. Die strategische, textliche und visuelle Kreation einer begleitenden auf die Projekt-Zielgruppen ausgerichteten Kommunikation ist zu entwickeln, bei denen die Kommunikations-Leistungen zugunsten der Sponsoren/Unternehmenspartner ggf. zu berücksichtigen sind.

9.4.4 Vertiefende Stakeholder-Mikro-Analyse potenzieller Sponsoren/Unternehmenskooperationen 1. Die im Rahmen der bisherigen Stakeholder-Analysen identifizierten und auch weitere ähnlich ausgerichtete Unternehmen sind entsprechend der nachfolgenden Sach-Motive zu recherchieren, zu analysieren und in der Database zu erfassen, wobei die

(Fortsetzung)

• Nutzer/in traditioneller Medien • Online-Nutzer/in • Dialogorientiert

• Häufig Technik-kritische 68er-Generation • Bewahrend • Kritisch gegenüber „Werbung“, aber wachsende Offenheit für Sponsoring • Service-Erwartung • Wenig initiativ

Schulleiter/in, Lehrer/in

• Multiplikator/in • Meinungsbildner/in • Informationsaustausch •E  influssnehmer/in auf Studienentscheidungen der Schüler

• Dialogorientiert • Kontaktpflege • Mund-zu-Mund-Propaganda • Online-Nutzer/in

• Fachinformationsorientiert • Fachsprache • Kontaktpflege • Netzwerker/in • Online-Nutzer • Dialogorientiert • Nicht-Preisgabe der eigenen Wirtschaftskontakte

• Statusorientiert • Sinn- und Bedeutungssuchend und –stiftend • Systemorientiert • Qualitätsorientiert • Kenntnis über Wissenschafts-Szene im ­Fachgebiet • Zeitmangel • Zum Teil international ausgerichtet • Zum Teil interkulturell ausgerichtet • Stark auf eigenes Fachgebiet ausgerichtet • Kontakte • Attraktive Arbeitsplätze • Neue Finanzquellen • Serviceerwartung • Nutzenorientiert • Routiniert • Dienstleistungsorientiert • Offene aktuelle, Informationen

• (Künftige) Mitarbeiter/in • Alumni • Multiplikator/in • Meinungsbildner/in • Informationsaustausch • Know-how-Transfer

Professor/in, Wissenschaftliche Mitarbeiter/in

Kommunikations-Verhalten

Einstellungen + Erwartungen

Mitarbeiter/in aus Verwaltung • Informationsaustausch und Technik • Multiplikator/in • Meinungsbildner/in

Bedeutung für die Hochschule

Zielgruppe

Tab. 9.3  Fundraising-Zielgruppen-Typologie

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing … 255

• Segmentiert ihre/seine ­Informationen • Fachinformationsorientiert • Online-Nutzer/in • Kontaktpflege • Netzwerker/in • Dialogorientiert • Eventorientiert

• Statusorientiert • Selbstbewusst • Machtbewusst • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Authentizitätsorientiert • Zeitmangel • Integrative Sponsoring-Angebote • Attraktive Event-Themen • Dokumentation gesellschaftlicher Verantwortung • Aktionsplattform für eigene Kommunikation • Kontakte • Imagetransfer • Einbringen in Projekte

Entscheider/in in (­verbundenen) Unternehmen und Stiftungen: Marketing

(Fortsetzung)

• Segmentiert ihre/seine ­Informationen • Fachinformationsorientiert • Online-Nutzer/in • Kontaktpflege • Netzwerker/in • Dialogorientiert

• Statusorientiert • Selbstbewusst • Machtbewusst • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Authentizitätsorientiert • Zeitmangel • Know-how-Transfer • Gutachten, Beratung, andere Dienstleistungen • Kooperationsbereit • Kontakte

Entscheider/in in • Auftraggeber/in F + E (­verbundenen) Unternehmen: • Multiplikator/in Forschung und Entwicklung • Door-opener • Personal-Recruiting • Informations austausch • Know-how-Transfer • Mitentscheider/in Sponsoring, Spende, Stiftung • Potenzielle/r Weiterbil-dungskunde/in

• Auftraggeber/in • Multiplikator/in • Door-opener •M  itentscheider/in Personal-­ Recruiting •M  itentscheider/in Sponsoring, Spende, Stiftung • Potenzielle/r Weiterbildungskunde/in

Kommunikations-Verhalten

Bedeutung für die Hochschule

Einstellungen + Erwartungen

Zielgruppe

Tab. 9.3   (Fortsetzung)

256 H.-P. Pohl

• Geringe Kenntnis über Studium und Hochschulen • Studienpräferenzen zu heimatorientierten Hochschulen • Ratgeber: meist Verwandte, Freunde, Lehrer, zunehmend Medien oder Hochschul-Rankings • Leistungsorientiert • Authentizitätsorientiert • Skepsis • Ängste • Job-Netzwerk

Potenzielle/r Studierende/r, Schüler/in

(Fortsetzung)

• Dialogorientiert • Erlebnisorientiert • Eventorientiert • Online-Nutzer/in • Interaktiv • Mund-zu-Mund-Propaganda

• Kontaktpflege • Segmentiert ihre/seine ­Informationen • Online-Nutzer • Netzwerker/in • Fachinformationsorientiert • Dialogorientiert • Eventorientiert

• Statusorientiert • Selbstbewusst • Machtbewusst • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Authentizitätsorientiert • Zeitmangel • Personalrecruiting • Attraktive Angebote zur Mitarbeitermotivation • Attraktive Angebote zur Weiterbildung • Kontakte

• Mitentscheider/in Personal-­ Entscheider/in in (­verbundenen) Unternehmen: Recruiting Personalentwicklung/Weiter- • Auftraggeber/in Weiterbildung • Multiplikator/in bildung • Door-opener • Mitentscheider/in Sponsoring, Spende, Stiftung • Potenzielle/r Weiterbildungskunde/in

•K  ünftige/r Studierende/r und Kunde/in • Multiplikator/in

Kommunikations-Verhalten

Bedeutung für die Hochschule

Einstellungen + Erwartungen

Zielgruppe

Tab. 9.3   (Fortsetzung)

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing … 257

Bedeutung für die Hochschule

• Kunde/in • Multiplikator/in • Meinungsbildner/in

• Künftige/r Kunde/in • Multiplikator/in • Meinungsbildner/in

• Multiplikator/in • Meinungsbildner/in • Informationsaustausch •E  influssnehmer auf Studienentscheidungen der Schüler

Zielgruppe

Eigene/r Studierende/r

Potenzielle/r Studierende/r anderer Hochschulen

Eltern

Tab. 9.3   (Fortsetzung)

• Erlebnisorientiert • Eventorientiert • Online-Nutzer/in • Interaktiv • Dialogorientiert • Mund-zu-Mund-Propaganda • Kontaktpflege

• Nutzer/in vor allem traditioneller Medien • Kontaktpflege • Dialogorientiert

• Studienabbrecher/in • Studienwechsler/in • Kenntnis über Hochschul-Leben • Nutzenorientiert • Authentizitätsorientiert • Job-Netzwerk • Kontaktpflege zu Professoren/innen, ­Mitstudierenden und Arbeitgebern • Service-Erwartung • Nutzenorientiert • Kostenorientiert • Qualitätsorientiert

(Fortsetzung)

• Dialogorientiert • Erlebnisorientiert • Eventorientiert • Online-Nutzer/in • Interaktiv • Mund-zu-Mund-Propaganda • Kontaktpflege

Kommunikations-Verhalten

• Kenntnis über Hochschul-Leben • Nutzenorientiert • Authentizitätsorientiert • Job-Netzwerk • Kontaktpflege zu Professoren/innen, ­Mitstudierenden und Arbeitgebern • Service-Erwartung

Einstellungen + Erwartungen

258 H.-P. Pohl

• Meinungsbildner/in • Multiplikator/in

Journalist/in Fach-Journalist/ in

(Fortsetzung)

• Vielleser/in, -hörer/in und -seher/in • Online-Nutzer/in • Dialogorientiert • Interaktiv • Sensationsorientiert • Agenda-Setting • Eventorientiert • Kontaktpflege • Mund-zu-Mund-Propaganda

• Segmentiert ihre/seine Informationen • Kontaktpflege • Netzwerker/in • Dialogorientiert • Eventorientiert • Mund-zu-Mund-Propaganda

• Statusorientiert • Empfänglich für Titel • Reputationsorientiert • Privilegierte Position • Selbstbewusst • Machtbewusst • Abwägend • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Dokumentation gesellschaftlicher Verantwortung • Plattform für Kontaktpflege • Medienresonanz • Dazu gehören

• Meinungsbildner/in • Informationsaustausch • Multiplikator/in • Door-opener • Einflussnehmer/in auf Hochschul-Entscheidungen

Opinionleader aus Politik, Kultur, Sport, Vereinen, Verbänden, Verwaltung, Kirche, Gesellschaft Ehemalige/r Hochschulleitungs-Mitglieder Mitglieder Hochschul-naher Fördervereine und Stiftungen Prominente/r überregional Prominente/r der regionalen Gesellschaft

• Nutzenorientiert • Kritisch • Zeitmangel • Forscher/in als Gesprächspartner/in • Aktuelle Forschungsergebnisse fachlich oder populärwissenschaftlich aufgearbeitet • Hintergrund-Informationen • Veranstaltungs-Informationen • Highlights • Exklusive Informationen • Serviceerwartung

Kommunikations-Verhalten

Einstellungen + Erwartungen

Bedeutung für die Hochschule

Zielgruppe

Tab. 9.3   (Fortsetzung)

9  Fundraising – Strategisches Beschaffungs-Marketing … 259

Bedeutung für die Hochschule

• Spender/in, Stifter/in, ­Erblasser/in • Multiplikator/in • Door-opener • Potenzielle/r Kunde/in für Weiterbildung

• Auftraggeber/in F + E • Kunde für Weiterbildung • Multiplikator/in • Meinungsbildner • Door-opener •M  itentscheider/in Personal-­ Recruiting • Mitentscheider/in Sponsoring •S  pender/in, Stifter/in, Erblasser/in

Zielgruppe

Vermögende, Senior/in (potenzielle Erblasser/in) Spender/in, Stifter/in

Alumni

Tab. 9.3   (Fortsetzung) Kommunikations-Verhalten • Segmentiert ihre/seine Informationen • Nutzer/in traditioneller Medien • Kontaktpflege • Zurückhaltend gegenüber Medien • Netzwerker/in • Mund-zu-Mund-Propaganda • Erlebnisorientiert • Dialogorientiert

• Segmentiert Ihre/seine Informationen • Online-Nutzer/in • Kontaktpflege • Netzwerker/in • Dialogorientiert • Eventorientiert

Einstellungen + Erwartungen • Statusorientiert • Selbstbewusst • Machtbewusst • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Authentizitätsorientiert • Reputationsorientiert • Privilegierte Position • Sich ein Denkmal setzen können • Wertvollen Beitrag leisten können • Gesellschaftliche Verantwortung dokumentieren • Steuern sparen • Kontrolle, Evaluierung ihrer Förderung • Reise- und Bildungsinteressiert • Identifikationsbereit • Loyal • Statusorientiert • Selbstbewusst • Machtbewusst • Nutzenorientiert • Qualitätsorientiert • Authentizitätsorientiert • Reputationsorientiert • Serviceorientiert • Zeitmangel • Attraktive Events • (Akademische) Weiterbildungsangebote • Dokumentation gesellschaftlicher Verantwortung • Kontakte • Dazu gehören

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Datenschutzvorschriften selbstverständlich zu beachten sind. Danach sind die Entscheider zu identifizieren und entsprechend der weiter unten dargestellten persönlichen Motive zu recherchieren und zu analysieren. Diese Analysen unterliegen einer subjektiven Bewertung. Nachstehende sachliche und persönliche Motive stellen eine Empfehlung aufgrund der Erfahrungen des Autors dar. Ebenso stellt die vorgeschlagene Gewichtung der diversen Kriterien eine Empfehlung dar, die mit zunehmenden konkreten Erfahrungen aus dem Projekt weiter differenziert werden können: 2. Sachliche Motive für die Sponsoring/Unternehmens-Kooperation – Verantwortungs-Bezug: Übernahme von gesellschaftlicher, hier vor allem wissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Verantwortung – Zielgruppen-Bezug: Suche nach neuen Formen der Kommunikation mit Unternehmenszielgruppen – Regional-Bezug: Dokumentation der Verpflichtung für die Region, zu der die Hochschule zählt – Know-how-Bezug: Bereitstellung oder Erweiterung von Unternehmensleistungen zur Lösung entsprechender Aufgaben – Produkt-Bezug: Lösungsbeitrag zur Problembeseitigung, die durch eigene Produkte mit verursacht worden sind, oder Bezüge zu Produktmerkmalen – Image-Bezug: Verbesserung eines angestrebten Images mit entsprechenden Merkmalen – Geschäfts-Bezug: Umsatz- und Absatzsteigerung Die einzelnen Motive beeinflussen erfahrungsgemäß die Entscheidung unterschiedlich stark und sind deshalb zu gewichten, wobei dem Verantwortungs-Bezug, dem Zielgruppen-Bezug und dem Know-how-Bezug dabei eine herausragende Bedeutung bei den sachlichen Motiven zukommen und mit dem „Faktor 5“ zu gewichten sind. Die Motive Regional- und Kommunikations-Bezug sind dabei mit „Faktor 3“ zu bewerten, alle übrigen sachlichen Motive mit „Faktor 1“. Je höher die jeweilige Punktzahl für ein Unternehmen ist, desto chancenreicher wird die Akquisition. 3. Persönliche Motive beim Entscheider – Hochschul-Bezug: Themeninteresse, Geschäftsbeziehung – Wille: Entschlossen zur Kooperation und ihrer Durchsetzung im Unternehmen – Empfehlung: Ansprache, Unterstützung durch eine wertgeschätzte Person – Betroffenheit: Persönlich, familiär, emotional vom Thema her – Regional-Bezug: Geburtsort, Wohnort, Geschäftsort, Urlaubsort – Idealismus: Dokumentation gesellschaftlicher Verantwortung – Status: Image-Profilierung Bei den persönlichen Motiven kommen den Faktoren Hochschul-Bezug, Regional-Bezug und Wille mit dem „Faktor 3“ und im Falle einer Empfehlung mit dem „Faktor 5“ besondere Bedeutungen zu. Alle übrigen Motive sind mit „Faktor 1“ zu gewichten.

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9.4.5 Vertiefende Stakeholder-Mikro-Analyse potenzieller Spender/Stifter 1. Auch diese nachfolgenden Analysen unterliegen einer subjektiven Bewertung. Nachstehende persönliche Motive stellen eine Empfehlung dar. Ebenso stellt die vorgeschlagene Gewichtung der diversen Kriterien eine Empfehlung dar, die mit zunehmender Erfahrung eine weitere Differenzierung erfahren kann. 2. Persönliche Motive beim Spender, Erblasser: – Betroffenheit: Persönlich, familiär, emotional und/oder inhaltlich vom Thema her – Status-Verbesserung: Image-Profilierung – Hochschul-Bezug: Themeninteresse, Geschäftsbeziehung – Regional-Bezug: Geburtsort, Wohnort, Geschäftsort, Urlaubsort – Idealismus: Dokumentation gesellschaftlicher Verantwortung – Förderer: Bereits als Spender oder Stifter in Erscheinung getreten – Empfehlung: Ansprache, Unterstützung durch eine wertgeschätzte Person – Wille: Entschlossen zur Förderung Auch hier sind die Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen, erfahrungsgemäß unterschiedlich zu gewichten, und zwar die Betroffenheit, der Hochschul-Bezug und die Empfehlung mit „Faktor 5“, der Regional-Bezug, der Förderer-Status und der Wille zur Förderung mit „Faktor 3“, alle übrigen mit „Faktor 1“. 3. Anders als bei Unternehmen sind Informationen über Vermögende schwieriger öffentlich zu gewinnen. Neben dem Internet sind z. B. Wirtschafts- und Finanzzeitschriften sowie Finanzdienste mögliche Quellen. Einige veröffentlichen auch jährlich Rankings der Vermögenden. Eine weitere Informationsquelle sind persönliche Kontakte zu Vermögensverwaltern, Wealth-Managern der Banken, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälten, Notaren, Testamentsvollstreckern. Voraussetzung ist das finanzielle Potenzial des potenziellen Spenders, woran je nach Projekt unterschiedliche Größenordnungen in Betracht kommen. Bei der Recherche geben die kaufstarken Regionen einen Anhaltspunkt, die jährlich von der GfK in der Kaufkraftstudie ermittelt werden. 4. Auch hier sind Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Hochschule zu identifizieren, die als Türöffner, Meinungsbildner oder Multiplikator bei der Ansprache der potenziellen Spender und Stifter helfen können. 5. Prinzipiell sollten Inhaber von ihnen geführter Unternehmen sowohl in ihrer Rolle als Unternehmensleiter als auch in ihrer Rolle als Vermögende angesprochen werden. Dieser Personenkreis ist aufgrund öffentlich zugänglicher Informationen leichter zu recherchieren.

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9.4.6 Vertiefende Stakeholder-Mikro-Analyse potenzieller Investoren 1. Die Ausgabe von Anleihen im Wissenschaftsbereich wird in Deutschland noch sehr selten praktiziert. Anleihen könnten zur Finanzierung von Gebäuden und Labors aufgelegt werden. Sofern entsprechende Bedarfe gegeben und rechtliche Fragen geklärt sind, dürfte angesichts der zu erwartenden positiven Bonität der Hochschule ein solches Modell Erfolg versprechend sein. Gemeinsam mit Vermögensberatern befreundeter Banken sollten Konzepte für die Ausgabe von Anleihen entwickelt werden. 2. Auch das Crowdinvesting ist in Deutschland im Wissenschaftsbereich ein neues Instrument. Das Einwerben vieler kleiner Kapitalbeträge könnte bei Alumni und Freunden der Hochschule aufgrund ihrer emotionalen Bindung an die Hochschule versucht werden.

9.4.7 Vertiefende Stakeholder-Mikro-Analyse potenzieller Stiftungen 1. Eruierung des Stiftungszwecks. Je größer die Übereinstimmung, desto chancenreicher die Bewilligung des Antrages. Quellen sind Tätigkeits- und Geschäftsberichte von Stiftungen. 2. Analyse der aktuellen Förderpolitik, insbesondere Fördermotive der Stiftung und deren Entscheidungsträger 3. Identifikation der Entscheider in den Organen der Stiftung 4. Geografische Lage der Stiftung. Sitz und Reichweite der Stiftung sind zu berücksichtigen 5. Identifikation der Kommunikations-Zielgruppen der Stiftung und Analyse der Schnittmenge mit den Hochschul-Zielgruppen 6. Analyse der Finanzen der Stiftung hinsichtlich ihres jährlichen Fördervolumens und der Größenordnungen geförderter Projekte 7. Identifikation von Kontaktpersonen als Door-opener zu den Entscheidern der Stiftung 8. Analysieren der Aktivitäten der Mitbewerber um die Stiftungsförderung

9.4.8 Ansprache, Anbahnung, Abschluss 1. Die Konzepte sind im Hinblick auf ihre Präsentation beim potenziellen Spender, Stifter, Erblasser, Investor und Sponsor/Unternehmenspartner individuell aufzubereiten. Dabei ist der Nutzen für den Förderer, Investor oder Kooperations-Partner herausstellen. Der Umfang der benötigten Spende, um die gebeten wird, bzw. der Investitionsbetrag des Sponsorings sind zu benennen. Schließlich sind das Projekt und

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seine Förderungs- und Anlagemöglichkeiten bzw. der Leistungsaustausch im Rahmen des Sponsoring bzw. der Unternehmenskooperation darzustellen. 2. Die Evaluierung und Erfolgskontrolle der Förderung bzw. der Kooperation ist zu planen, Steuer-, Haushalts-, Wettbewerbs-, Marken-, Datenschutz- und andere Rechtsfragen sind zu klären, der Vertrag ist zu entwerfen. 3. Die Erstansprache von potenziellen Spendern, Stiftern, Investoren und Sponsoren/ Unternehmenspartnern sollte, sofern seitens der Hochschule keine direkten Kontakte bestehen, möglichst über Türöffner, Meinungsbildner und Multiplikatoren erfolgen. Die Gewinnung solcher Persönlichkeiten und die Kontaktpflege mit ihnen ist eine ständige Aufgabe. Die Ansprache sollte immer auf Augenhöhe der Entscheider, bei größeren Projekten immer durch die Hochschulleitung oder einen Door-opener, erfolgen. 4. Grundsätzlich können Vermögende, Entscheider in Unternehmen, Meinungsbildner und Multiplikatoren wie folgt typologisiert werden: Diese Persönlichkeiten sind in der Regel selbstbewusst, statusbewusst, machtbewusst, qualitäts-, nutzen- und reputationsorientiert, möchten gesellschaftliche Verantwortung dokumentieren, empfinden Zeitmangel, segmentieren deshalb ihre Informationen, kommunizieren auf Augenhöhe, pflegen Netzwerke, sind dialog- und zunehmend online-orientiert, bevorzugen E-Mail (statt Briefpost), Telefonate und persönliche Gespräche zum Gedankenaustausch und zur Entscheidungsfindung, hören auf Empfehlungen von Geschäftspartnern in vergleichbaren Funktionen und auf die ihrer engsten Mitarbeiter. Vermögende und Entscheider in Unternehmen erwarten Kommunikation auf Augenhöhe, also mit Partnern ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihrer Stellung im Unternehmen. 5. Im Falle eines grundsätzlichen Interesses eines potenziellen Spenders, Stifters, Erblassers, Investors oder Sponsors/Kooperationspartners ist das Projekt im Hinblick auf die im Gespräch befindliche Förderung, Investition oder Kooperation weiterzuentwickeln. 6. Bei der Ansprache potenzieller Mittelgeber sollte berücksichtigt werden, dass diese an zwei Informationen zuerst interessiert sind: An den Nutzen und an dem zu erwartenden Umfang ihres Engagements. Darüber sollten keine Missverständnisse aufkommen dürfen, die später im Falle möglicher (Teil-) Absagen für den potenziellen Mittelgeber oder die Repräsentanten der Hochschule zu Gesichtsverlusten führen könnten. 7. Bei der Ansprache insbesondere von Unternehmen ist deren Etat-Planung zu berücksichtigen. Da das Geschäftsjahr der meisten Unternehmen dem Kalenderjahr entspricht, werden die Etats für das Folgejahr in der Regel am Ende des Vorjahres aufgestellt. Diese Etatplanungen sind das Ergebnis mehrmonatiger dezentraler unternehmensinterner Planungen, sodass es empfehlenswert ist, den Unternehmen frühzeitig, jedoch spätestens bis Mitte des Geschäftsjahres Angebote zu unterbreiten, um bei einem Kooperations-Interesse in den Planungen noch mit einbezogen werden zu können.

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9.4.9 Durchführung, Kontrolle, Evaluierung 1. Entsprechend der Vereinbarung sind sämtliche Maßnahmen durchzuführen. Soweit sie die Kommunikation betreffen, ist zu beachten: – Die vereinbarten Kommunikationsleistungen sind zu erfüllen. Dabei ist bei allen Maßnahmen eine Abstimmung mit dem Mittelgeber notwendig, sofern dies so vertraglich geregelt war. Sponsoren bestehen in der Regel darauf. – Die zugesagten Leistungen sind regelmäßig zu dokumentieren und entsprechend der Vereinbarung den Mittelgebern zuzuleiten. – Der zugesagte Kommunikations-Nutzen ist zu evaluieren und entsprechend der Vereinbarung den Mittelgebern zuzuleiten. 2. Die Abrechnung ist durchzuführen. Ggf. ist eine Spendenquittung zu erteilen. 3. Zum Projekt-Abschluss ist ein Bericht zu erstellen und den Mittelgebern zuzuleiten.

Literatur Aurelia Berke/Frauke Klemm: Hochschulfundraising, Books on Demand Norderstedt, 2006 Elisa Bortoluzzi Dubach/Hansrudolf Frey: Sponsoring, Hauptverlag, 5. Auflage, 2011 Elisa Bortoluzzi Dubach: Stiftungen – Der Leitfaden für Gesuchsteller, Huber Verlag, 2007 Manfred Bruhn: Sponsoring, Gabler-Verlag, Gabler-Verlag, 6. Auflage, 2018 Johannes Buchna/Andreas Seeger/Wilhelm Brox: Gemeinnützigkeit im Steuerrecht, Erich Fleischer Verlag, 10. Auflage, 2010 Bundesverband Deutscher Stiftungen: Private Stiftungen als Partner der Wissenschaft, Bundesverband Deutscher Stiftungen, 2013 deutschlandstipendium.de Ehrenfried Conta Gromberg: Handbuch Sozial-Marketing, Cornelsen-Verlag, 2006 Nicole Fabisch: Fundraising – Spenden, Sponsoring und mehr, dtv, 3. Auflage, 2013 Wolfang Fritz: Marketing als Konzeption des Wissenschaftsmanagements, Arbeitspapier//Technische Universität Braunschweig, Institut für Marketing, No. 95/17 Fundraising-Akademie: Fundraising-Handbuch, Gabler-Verlag, 5. Auflage, 2016 Marita Haibach: Hochschul-Fundraising, Campus-Verlag, 4. Auflage, 2012 KantarTNS Spendenmonitor 2017, dfrv.de Manfred Kirchgeorg: www.wirtschaftslexikon.gabler.de Philip Kotler/Gary Amstrong/Veronica Wong/John Saunders: Grundlagen des Marketing, PearsonStudium, 5. Auflage, 2011 Philip Kotler/Harmawan Kartajaya/Iwan Setiawan: Marketing 4.0, Campus, 2017 Philip Kotler/Kevin L. Keller/Marc O. Opresnik: Marketing-Management, Pearson-Studium, 14. Auflage, 2015 Torsten Oltmanns: Eliten-Marketing – Wie Sie Entscheider erreichen, Campus, 2008 Hans-Peter Pohl: „4. Stimmungsbarometer zum Hochschul-Marketing“ (Kurzfassung), 31.10.2006, http://www.profilplus.com/PDF/Marktstudie_2006.pdf Robert Purtschert: Marketing für Verbände und weitere Nonprofit-Organisationen, Haupt-Verlag, 3. Auflage 2004 Stefan Schick: Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht, Nomos-Verlag, 2005

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Andreas Schiemenz: Das persönliche Gespräch: Fundraising durch Überzeugung, SpringerGabler, 2015 Torben Schubert/Ulrich Schmoch: Finanzierung der Hochschulforschung, in Handbuch Wissenschaftspolitik, S. 244 ff, VS Verlag, 2010 spendencheck.com Sponsor Visions, wuv.de Stifterverband: Studie Bildungsinvestitionen der Wirtschaft, 2011 Karsten Timmer: Stiften in Deutschland, Bertelsmann Stiftung, 2005 Michael Urselmann: Fundraising – Professionelle Mittelbeschaffung für steuerbegünstigte Organisationen, Springer-Verlag, 6. Auflage, 2014 Neil George Weiand/Ulrich Poser: Der Sponsoring-Vertrag, 3. Auflage, 2005 Eike Wenzel/Oliver Dziemba/Corinna Langwieser: Wie wir morgen leben werden, MI-Verlag, 2012 Frank Wernitz: Wissenschaftsmarketing, SpringerGabler, 2015 Stefanie Wesselmann/Bettina Hohn: Public Marketing, SpringerGabler, 4. Auflage, 2017

Hans-Peter Pohl, Jahrgang 1954, Diplom-Verwaltungswirt (FH), ist seit 1987 selbstständiger Marketing- und Fundraising-Berater für Wissenschaftseinrichtungen. Dabei hat er über 50 Hochschulen, Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Science-Center sowie Wissenschafts-Stiftungen und -Vereine in Deutschland beraten. Seit 1998 lehrt er an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, u. a. an der TU Berlin im Master-Studiengang Wissenschaftsmarketing „Strategisches Hochschulmarketing“ und „Fundraising“, an der HTW Berlin „Markenentwicklung“ und „Strategien der Wirtschaftskommunikation/Stakeholderkommunikation“, an der TH Wildau „Marktforschung“, „Marketingstrategien“, „Internationales Marketing“ und „Innovationsmarketing“. Er ist seit 2016 Vorstand der Berlin-Brandenburgischen Stiftung für Bibliotheks-Forschung e. V. in Wildau. Veröffentlichungen u. a.: • „Effektives Finanzmarketing im Wissenschaftsbereich“, in Stiftung und Sponsoring, Ausgabe 2/2003 • „Hochschulen mit einer starken Marke sind erfolgreicher“, DUZ-Special, 06/2003 • „Hochschul-Marketing in Deutschland – Ergebnisse einer Marktuntersuchung“, DUZ-Special, 06/2003 • „Spender und Sponsoren finden“ für Attemto!, Forum der Eberhard Karls Universität Tübingen, Ausgabe 10/2006 • „Die NPOs und ihre staatlichen Stakeholder“ in: „Sozial-Marketing als Stakeholdermanagement“ von Noll und andere, 2006 • „Sozialmarketing für ehrenamtliche Projekte“, Beitragsreihe „Bürgergesellschaft – Themen zum bürgerschaftlichen Engagement“, Konrad-Adenauer-Stiftung, 2007

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• „Wissenschafts- Fundraising und –Sponsoring“, TU Berlin, 2014 • „Chancen der Stakeholder- und Markenkommunikation im Rahmen eines ganzheitlichen Marketing-Managements nutzen“, Beitrag in Schriftenreihe der TMF, Band „Gesundheitsforschung kommunizieren, Stakeholder-Engagement gestalten“, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2016

Wissenschaftsmarketing im Spannungsfeld der Herausforderungen für Führende

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Ein holistischer Einwurf wider die Reduktion Thoralf Buller

Zusammenfassung

Wissenschaftsmarketing fordert Führende indirekt strukturell-funktional und direkt in konkreten Situationen. In diesem zweigeteilten Selbstverständnis hat sich das Wissenschaftsmarketing einerseits als Bestandteil der integralen Führung auf Basis der drei, sich verschränkenden und interdependenten Konzepten mit deren Blick auf Markt, Ressourcen und Werten zu verstehen. Wissenschaftsmarketing ist folglich kein unterstützendes Klinkenputzen, sondern vornehmste Führungsverantwortung und dispositiv. Eine typische Schwierigkeit besteht in der Bestimmung des Kunden, welcher sich jedoch im weiteren Sinne in den Anspruchsgruppen finden lässt, enger aber die Gesellschaft und noch enger gefasst bestimmte, Aktivitäten auslösende Anspruchsgruppen meint. Wie Wissenschaftsmarketing ist jede Aktivität in einer Organisation von Menschen abhängig, weshalb die Betrachtung der qualitativen und quantitativen Kompetenzen sowie deren Zukunftsfähigkeit (auch bei der wertorientierten Übersetzung in monetäre Ströme) für die Führungskraft zu den wesentlichen Herausforderungen werden. Insbesondere beeindrucken hierbei externale Entwicklungen wie die globale Digitalisierung, die die organisationale Kultur verändern, und internale wie die nachlässige Nutzung von Diversität in Organisationen. Führende fordert dies heraus, vorbildhaft fachlich und menschlich zu überzeugen, vor allem visionär, transparent und ehrlich zu führen und Mitarbeiter unter Zuhilfenahme von Belohnungsstrategien anzuleiten, mit Freude und Hingabe an der Leistungserstellung mitzuwirken und sich weiterzuentwickeln – auch, um ein toxisches Arbeitsklima und dessen negativen Effekte zu verhindern.

T. Buller (*)  Bbw Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_10

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10.1 Caprice Was unternimmt der Untermieter im Elfenbeinturm eigentlich in Zeiten, in denen die vertraglich verfasste Gemeinschaft – gemeint sind der Bund und die Länder – die Finanzierung der Wissenschaft mehr und mehr der Wirtschaft überlässt. Er jammert. Und begehrt mehr Geld für Wissenschaft (vgl. HRK 2017). Das ist durchaus berechtigt, jedoch strategischer Nonsens und gewissermaßen Feigheit. Denn die Verantwortung für den Erfolg der Wissenschaft liegt geborenermaßen auch bei denen, die Wissenschaft denken und umsetzen (was in deren Wahrnehmung scilicet nicht so ist). Weshalb jede wissenschaftliche Organisation sich in diesem Kontext überlegen kann, mit den vorhandenen Ressourcen unternehmerischer umzugehen (und das ist keine Supply-, sondern eine Demand-Frage) und sich mit Scham und Demut zu fragen, wie Phänomene wie der befristete Arbeitsvertrag als Lieblingsreflex im Stichtagsdenken durch strategische Prozesse verhindert werden können. Es könnte nun ein Problem für das Marketing sein – dann verkaufe es das Ersonnene doch besser – dieser fragende Blick reichte dennoch lediglich maximal bis zur Hüfte, nämlich an die Arme und Hände des wissenschaftlichen Corpus. Und so schauen wir ein wenig höher, zum Kopf, zum Spirit dessen, was das Wissenschaftsmarketing einmal vorantreiben soll: die Führung.

10.2 Das Dreigestirn der Disposition Gestatten wir uns einen Einstieg über die Unternehmensführung – obgleich der mit dem klassischen Unternehmen zunächst nicht zu passen scheint, weshalb hier im fortlaufenden Text ebenso von der Führung der Organisation geschrieben wird. Unternehmensführung, so wie wir sie heutzutage definieren möchten, beginnt wohl mit dem Bedeutungsverlust des Handwerks durch den Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, einhergehend mit neuartigen Produktionsformen und, das ist auch das eigentlich paradigmatische, der Trennung von Eigentum und Führung. Kannten wir vorher relativ kleine Unternehmen, meist Werkstätten, in denen die elementare Arbeit und die Disposition im direkten Kontakt sowie in Personalunion ausgeübt wurden, so ging dieser Kontakt verloren. Und man kann hier durchaus von Verlust sprechen, denn während zuvor komplexe Handlungsstränge erkennbar sind, zeigen sich nun spezialisierte Abläufe und Strukturen, ausgelegt auf Serie und Masse, in denen in erster Linie Regeln und Normen den Menschen dispositiv ersetzen. Die gerechte Grundidee dahinter, nämlich, dass ein jeder das macht, was er am besten kann, ist nachvollziehbar und verständlich, birgt gleichzeitig allerdings enorme Risiken. Denn wenn wir dieser Logik folgen, akzeptieren wir, dass die dispositive Willensbildung und Willensdurchsetzung, ergo der Prozess der Analyse, das Bilden der Ziele, die geeignete Ableitung von Maßnahmen, die belastbare Vorhersage von Wirkungen und letztendlich die Entscheidung, aber ebenso wie strukturelle und situative Umsetzung und die Steuerung als zentrale Treiber geeignete Subjekte finden. Das vorauseilende Paradigma der Unternehmensführung ist

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folglich das Verständnis, was Unternehmensführung eigentlich ist und dass es hier nicht mehr darum geht, die gleichen handwerklichen Griffe genauso zu beherrschen wie der Spezialist und sogar zu meinen, es besser zu machen, sondern das Unternehmen aus einer abstrakten Position planvoll unter Berücksichtigung zeitlicher, räumlicher und qualitativer Parameter wachsen zu lassen. So stellen auch die Suche nach der richtigen Entscheidung, die Suche nach den besten Mitarbeitern und die Entwicklung derer Fähigkeiten sowie die Suche nach der besten Veränderung der Organisation die wichtigsten Themen für die Unternehmensführung der vergangenen gut 40 Jahre dar (vgl. Keller und Meaney 2017). Neben den drei basalen Dimensionen Kosten, Qualität und Zeit sind uns drei Konzepte der strategischen Unternehmensführung bekannt, sie orientieren sich am Markt (vgl. Ansoff 1987; Porter 2004; Mintzberg 1998) – hier wird nach Wachstum, geeigneter Leistung und Erträgen gefragt, nach dem Verhalten am Markt, nach den Wettbewerbsvorteilen, nach den Investitionen, nach dem Nutzen für den Kunden (wer ist das eigentlich in der Wissenschaft – dazu später mehr) – an den Ressourcen (vgl. Hamel und Prahalad 1995) – hier wird nach dem unschlagbaren Vorteil der eigenen Ressourcen gefragt, nach den Kernkompetenzen (die Frage nach Qualität) und ihrer Reichweite und Organisation im Unternehmen (die Frage nach Quantität), nach der Netzwerk- und Kooperationsfähigkeit – an den Werten (vgl. Rappaport 1998; vgl. Copeland et al. 2000) – hier wird auf eine nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens unter Berücksichtigung der Stakeholderinteressen, aber auch auf die Generierung nachhaltiger monetärer und nicht-monetärer Werte für den Kunden geblickt. Und ihr übergeordnetes Ziel ist unisono das Erreichen einer herausragenden Position gegenüber den Rivalen, das Erreichen einer herausragenden Position des eigenen Erfolgs, der strategischen Erfolgsposition. Wir wollen besser sein, wir wollen einzigartig sein, wir wollen nicht kopierbar sein, wir wollen das Bedürfnis des Kunden mit unseren Produkten und Dienstleistungen kongruent abdecken. Wenn die Unternehmen sagen, dann sagen wir Gewinn. Wenn wir Unternehmensführung sagen, sagen wir Führung des Unternehmens zum Erfolg. Und wir denken an den Markt, die Ressourcen, die nachhaltigen Werte. Wir denken daran, wie wir den größtmöglichen Nutzen für unsere Anwender schaffen, wir denken daran, wie wir mit unserem Output Einnahmen erzielen und wachsen. Und einen Moment lang glauben wir auch die Meistergeschichte vom erfolgreichen Manager. Ein Blick auf die Kernprozesse, die der Unternehmensführung hinterlegt sind, verrät uns, dass Marketing – und hier Wissenschaftsmarketing – unverzichtbar ist in einer modernen, unternehmerisch gedachten Organisation. Die elementaren Prozesse eines Unternehmens erlauben dem Kunden den Zugriff auf das Produkt bzw. die Dienstleistung: Wie planen wir das Produkt bzw. die Dienstleistung (womit unbedingt ebenso die ergänzenden sekundären Leistungen gemeint sind, die den Nutzen erweitern), wie gestalten wir unseren Einkauf, wie unsere Beschaffung, wie forschen und entwickeln wir, wie bauen wir unseren Vertrieb auf, welchen Service bieten wir an. Die dispositiven Prozesse zeigen die eigentliche Führung, die Entwicklung von Strategien, den Aufbau von Organisation, den Umgang mit Humanressourcen (Abb. 10.1).

Abb. 10.1   Schema der Kernprozesse einer Organisation. (Eigene Darstellung)

T. Buller

Organisationaler Gesamtprozess

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Elementare, wertschöpfende Teil- und Hauptprozesse (Erstellung der nutzenbringenden Leistung)

Dispositive, wertschaffende Teil- und Hauptprozesse (Planung, Umsetzung, Steuerung)

Unterstützende, wertbewahrende Teil- und Hauptprozesse (z. B. Controlling, Umweltmanagement)

Dispositiv ist alles, was strategisch ist, was dem Triumvirat Planung, (Veranlassung der) Umsetzung, Steuerung unterliegt. Strategisches und operatives Marketing sind dispositiv – eine wirklich klassische Aufgabe für die funktionale Führung mit ihren Phasen der Analyse, der Zielbildung, der Alternativengenerierung, der Wirkungsprognose, der Bewertung – die operative Marketing-Umsetzung allerdings nicht, sie ist unterstützend, weil sie weder wertschöpfend an der unmittelbaren Leistungserstellung beteiligt ist, noch wie ihr planerischer Akt wertschaffend. So ist auch strategisches Controlling auf wertschaffendes Wachstum ausgerichtet und dispositiv, operatives Controlling hingegen nicht. Operatives Controlling ist aber auch nicht elementar, sondern unterstützend, da es werterhaltend hilft, die Abweichungen zu vermeiden oder zu minimieren. Und so versteht sich ebenso strategische Personalplanung als dispositiv, Personalmanagement wiederum als unterstützend. So ließe sich die gesamte Organisation strukturell erfassen und die Kernprozesse (ja, hier werden sämtlich drei großen Prozessstränge als Kernprozesse verstanden, da es ohne sie nicht funktioniert) kategorisieren. Als praktische Faustformel lässt sich notieren: Die Prozesse mit der „-management“-Endung sind unterstützend. Weitere Beispiele für Unterstützungsprozesse sind ergo Umweltmanagement, Qualitätsmanagement und Immobilienmanagement. Schaut man sich das gewachsene Selbstverständnis einer wissenschaftlichen Organisation an, so fällt auf, dass der Umgang mit dem dispositiven Prozess Marketing nicht ernsthaft und professionell erfolgt, Zitate wie „Marketing kostet nur!“ gehören auch in der Forschung und Lehre zum Standardrepertoire in den Chefetagen – auch, weil dieser Terminus als das Gestalten von bunten Bildern begriffen wird. Leena Nair, Personal-Chefin bei Unilever, bezeichnete dieses Phänomen in einem Interview mit McKinsey im März 2018 als „stubborn cells“, als auf das Personal bezogene dickköpfige Einheiten, die sich nicht an der Erwartungen und Bedürfnissen orientieren. Und so wird aus dem eigentlich dispositiven Prozess ein unterstützender Prozess – ein Missverständnis (Abb. 10.2).

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Abb. 10.2   Flussdiagramm der Kernprozesse. (Eigene Darstellung)

Hilfsweise betrachtet, da mit dem gleichen Problem behaftet, gilt dies für das Selbstverständnis des interdependenten Umgangs mit Unterstützungsprozessen in wissenschaftlichen Organisationen, welcher – wohlwollend formuliert – in den Kinderschuhen steckt. In der Regel gehört es nicht zu den vornehmsten Aufgaben der wissenschaftlichen Organisation, sich eigenständig um die Themen des unternehmerischen Rechnungswesens zu kümmern, ein umfassendes Controlling aufzubauen – oder die eigenen Leistungen einem qualitätssichernden Prozess zu unterziehen, eben Qualitätsmanagement. Da spielt sicherlich der Grundgedanke „Wissenschaft und Unternehmen – das sind doch zwei paar Schuhe“ eine wesentliche Rolle, der selbstverständlich grundlegend falsch ist. Richtig ist, dass Wissenschaft zumeist den Druck nicht kennt, den Güterstrom in einen monetären zu transferieren. Und damit endet bereits der Unterschied. Denn die reale Herausforderung ist ähnlich, wenn nicht gleich: Es gilt, aus dem Bedürfnis eines Kunden eine Leistung zu designen – samt der Formel Input gleich Output, ergo der Kongruenz von Markt und Kompetenz samt einer Wertschöpfung für die Anspruchsgruppen.

10.3 Das Geschäftsmodell der Wissenschaft Das umfassende Axiom des Erfolgs einer Organisation lautet Wachstum. Ein Unternehmen wächst durch neue Leistungen, neue Märkte, bessere Durchdringungen, erweiterte Kompetenzen, Optimierung der Ressourcen (ergo organisational), strategischen Erfolg (welcher sich nicht nur ökonomisch-rational darstellen lässt). Für ein wissenschaftliches Unternehmen, womit hier gleichfalls eine Definition geschaffen wird, trifft dies ebenso zu. Einschränkend muss festgestellt werden, dass das wissenschaftliche Unternehmen in der Regel keine Leistung verkauft wie ein Blumenhändler im Frühling

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Tulpen. Die originäre Leistung der Wissenschaft besteht im reformativen Nutzen für die Gemeinschaft (daran muss man sie manchmal sanft erinnern, wenn die Wissenschaft sich mit der Industrie auf einen allzu engen Tanz einlässt), aber auch in der Lieferung von Impulsen für einzelne Segmente der Gesellschaft. Das triptychonale Grundgerüst der Fragen bleibt jedoch identisch: • Wer wird befriedigt? • Was wird befriedigt? • Wie wird befriedigt? Während eine wirtschaftliche Organisation Einnahmen erzielt mit der Absicht, Gewinne zu erwirtschaften, ist die wissenschaftliche Organisation in der Regel darauf ausgerichtet, ihr Oikos mit einem gegebenen Budget zu halten. Dennoch lässt sich ein aufgabenbezogenes Budget ebenso als Ertragskonzept beschreiben: Die schwarze Null muss stehen. Über die unterschiedlichen Voraussetzungen für Lehre und Forschung in privater Trägerschaft ließe sich nun an dieser Stelle vortrefflich abhandeln. So viel sei hier angedacht: Eine Wissenschaftsorganisation in privater Trägerschaft besitzt gegenüber einer öffentlich getragenen Organisation grundsätzlich wirtschaftliche Nachteile (was recht einfach zum Beispiel anhand der Berechnung des Economic Value Added zu zeigen ist). Interessanterweise bestehen die wesentlichen Abweichungen zum wirtschaftlichen Unternehmen hinsichtlich der Problemstellungen des marktorientierten Konzepts. Bei den Fragen Kompetenzen, Organisation, Kooperation (und Netzwerken) und der Werthaltigkeit stellen moderne wissenschaftlichen Organisationen ähnliche Ansprüche an deren Beantwortung. Hier lässt sich erkennen, dass das Wachstumskonzept einer wissenschaftlichen Unternehmung nicht den regulären Regeln des Marktes, in erster Linie gezeigt durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage und des Ermittelns eines durchsetzbaren Preises, folgt, sondern den politischen Absichten, die dieser Organisation hinterlegt sind. Externale Interessengruppen stellen an die wissenschaftliche Unternehmung andere Ansprüche, insbesondere die der Öffentlichkeit durch den Druck der vorherrschenden Meinung auf die öffentlichen Träger und deren Verantwortung; hier muss sich die wissenschaftliche Unternehmung noch weitaus stärker legitimieren, als es für die wirtschaftliche Unternehmung in ihrem Anspruchsgruppenkonzept erforderlich wird (vgl. Ulrich 2007). Der Einfluss eines Wachstumskonzepts – gleich welcher Intensität – auf die Marktorientierung ist marginal. Gleichzeitig entstehen neue Anforderungen an die Planung durch die Verantwortlichen und Führenden.

10.4 Planungsprozess und das Problem mit der Schachtel Je weiter es an die Spitze eines Unternehmens geht, desto weniger ausgeprägt ist das Verständnis für Planung (vgl. Epicor 2015); ganz oben setzt man eher auf harte Arbeit, denn auf gute Planung. Es stellt sich nun berechtigterweise die Frage, was überhaupt

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unter guter Planung zu verstehen ist. Gute Planung ist vor allem Risikominimierung. Gute Planung ist unbedingt gleichzusetzen mit einer umfassenden internen und externen Problemanalyse, mit einer sinnvollen Bildung von Zielen aus der Analyse, einer Entwicklung entsprechender Alternativen, deren Prognose und Bewertung. Gute Planung ist ergo der strategische Prozess. Und bereits im Terminus Prozess steckt die Antwort auf die Frage nach der guten Planung. Prozesse beachten die sich ständig verändernden Umfelder und springen durch den strategischen Prozess von Phase zu Phase, tauschen sich inkremental sowie flexibel miteinander aus und verändern sich laufend und zu sämtlichen Seiten ausrollend. Gute Planung ist folglich von zeitlich und sachlich sukzessiven Fortschreibungen abhängig. Das bedeutet, der beste Plan ist der, der sich durch eine hohe Interaktionsdichte und -komplexität mit anderen Plänen auszeichnet. Nun sind wissenschaftliche Unternehmungen meistens an klar umrissenen Budgets und Strukturen ausgerichtet, die die Arbeit mit sich laufend fortschreibenden Plänen mindestens erschweren, wahrscheinlich sogar unmöglich machen. Hier wird zur Wahrung der Strukturen mit Funktionsplänen gearbeitet, welche ganzheitlich und nach festen Mustern ablaufen und integrierte Planung als probates Mittel erscheinen lassen – ceteris paribus ist die Planung der unbeweglichen Schachtel sicherlich von Vorteil.

10.5 Kritische Faktoren für den Erfolg im Wettbewerb der Wissenschaft Doch bei den an die Tore der wissenschaftlichen Einrichtungen brachial klopfenden Herausforderungen und globalen Veränderungen wie Digitalisierung, dauernder Sichtbarkeit samt der Auflösung der Grenzen zwischen privat und beruflich, Predictive Analysis, neuen verschmelzenden Technologien wie Artifical Intelligence, Nano- und Bio-Technologie, älter werdenden Gesellschaften (demografischer Wandel), sozialen Verwerfungen samt Druck auf deren Systemen und ökologische Krisen wie verschwindende Biodiversität und Klimawandel, neuen globalen Marktdynamiken und entstehenden neuen Mittelschichten (vor allem in Asien) samt individualisierten, wertpluralistischen Märkten, deren unmittelbare Auswirkungen bereits die Alltagswirklichkeit mindestens berühren, braucht die Planung der wissenschaftlichen Institution Beweglichkeit, um ihre Daseinsberechtigung zu behalten. Welche Einflüsse besitzen innenpolitische Konflikte, welche Wechsel in der politischen Führung, welche die geopolitische Instabilität, welche sich verändernde Handelspolitiken, welche ökonomische Blasen? Sehr gut ist die Organisation, welche diese Fragen zu beantworten vermag, gut diejenige, die sie stellen kann, schlecht diese, die nicht weiß, dass sie ein Problem hat. Weshalb die kritischen Faktoren für den Erfolg im Wettbewerb der Wissenschaft institutional-politischer Natur sind und die drängende Frage ausruft: Können wir das überhaupt? Reagieren wir nicht nur, statt zu antizipieren und konstruktiv zu arbeiten? Peus et al. (vgl. 2017) weisen zurecht auf die Unfreiwilligkeit des oder der Führenden in der Wissenschaft hin, dem oder der allzu oft die leitende Funktion oktroyiert wird, weil systemisch bedingt. Der Bedarf muss ergo

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verstanden werden. Und an dieser Stelle wird die Anforderung an den Führenden oder die Führende offenbar, wenn er oder sie Wissenschaftsmarketing als konzeptionelle Fortschreibung der politischen Absichten der Organisation verstehen muss. Kritisch ist zwingend logisch nicht erst der Moment des richtigen Marketings, sondern bereits ex ante die grundsätzliche Fragestellung nach der informellen Verfasstheit und Kultur der Organisation. Damit wird Marketing nicht zur Frage nach Leistung und Kunde, stattdessen zur Frage nach den Kompetenzen und deren Reichweite in der betrachteten Organisation. Es gilt die unumstößliche Regel: Bereits in der Vision finden wir die relevanten Skills. Visionen sind die Leitidee der Organisation, ihr eigentlicher Zweck. Visionen sind grundsätzlich zukunftsgerichtet und leuchten wie ein entfernter Stern als einfach und klar zu erkennender Sehnsuchtsort. Visionen zeigen, welche Themen und Entscheidungen für die Organisation wichtig sind, damit schaffen sie eine Orientierung für sämtliche Anspruchsgruppen. Sie grenzen zudem ab (und legen folglich den Grundstein für die Strategischen Erfolgspositionen) und erlauben – richtig erkannt – eine eigene Identität, eine Identifikation von Anspruchsgruppen und Organisation. Letztendlich stellt die Vision das Bewusstsein der Organisation dar, seine Verantwortung und die Legitimation der Ziele und umsetzenden Maßnahmen bzw. Alternativen, sie ist der Startpunkt für den strategischen Prozess auf dem Weg zum Ziel, die Wettbewerbsmanöver, die Handlungen, die Positionierung im Wettbewerb und die Wahrnehmung der Umwelten (vgl. Mintzberg 1998).

10.6 Personale Logik aus dem Selbstverständnis der Konzepte der strukturellen Führung Bereits gezeigt wurde, dass die Frage nach dem Wachstum der Organisation nicht nur eine ökonomische, sondern ebenso eine strategische und organisationale sein kann. Hier dreht es sich darum, vor allem humane Ressourcen so nachhaltig zu optimieren, weil „(…) investments in Human Capital are associated with the development of firm-specific capabilities such as management, organisational structure, business processes and models. (…)“ (McKinsey 2013).

welche final zu der hinterlegten Leistung führen, die da lautet: der Mensch als Träger von Wissen (ergo nicht bloß das Wissen als Leistung, sondern vielmehr die Symbiose von Träger und Objekt). Gegenüber der Konkurrenz kann so ein unschlagbarer Vorteil, sprich: eine Alleinstellung, entstehen – verbunden mit der Herausforderung der nicht immer und überall zur Verfügung stehenden Ressourcen. Doch welche Kernkompetenzen sind vonnöten, und in welcher Qualität? Und erreicht diese Qualität überhaupt die richtigen Orte in der Organisation? Im Sinne nachhaltiger Wertschaffung und geeigneter Alleinstellung muss die strategische Erfolgsposition langfristig veranlagt sein. Die Kompetenzen im Unternehmen müssen ergo hinsichtlich der Beantwortung der Fragen nach Differenzierung, Optimierung, Wert strategisch sowie planerisch betrachtet werden. Hier

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arbeiten Organisationen mit vier theoretischen Stoßrichtungen im Kontinuum der planerischen Möglichkeiten, woraus sogleich ein nächstes Problem geboren wird. Formal vermag die Planung der Organisation der Personalplanung zu folgen, dies ist die erste Stoßrichtung. Diese ist denkbar, sofern Projektarbeit mit vielen unterschiedlichen Projekten geleistet wird, die unterschiedlichen Spezifika gehorchen. Dann ist das Personal der Treiber der Planung der Gesamtorganisation. Eine zweite Stoßrichtung zeigt zwei sich separat entwickelnde Stränge von Personalplanung und Unternehmensplanung; zwar existiert eine Personalplanung, welcher jedoch eine Kopplung zur Planung der Gesamtorganisation fehlt. Die dritte Stoßrichtung weist eine Personalplanung aus, die der Planung der Gesamtorganisation folgt. Das ist der üblicherweise verwendete Ansatz, wie er sich dem Verfasser auch in seiner beruflichen Beratungstätigkeit zeigt; Personalplanung versteht sich hierbei als derivate Planung mit einer eher situativen Rückkopplung. Die vierte Stoßrichtung zeigt Personalplanung sachlich und zeitlich sukzessiv als ein rollierender Teil der Unternehmensplanung mit hoher Interaktionsdichte und interaktionskomplexität. Die Planung der Gesamtorganisation besteht aus mehreren funktionalen Teilplanungen wie der strategischen Marketingplanung, aber auch der strategischen Personalplanung – beide auf Basis der dispositiv-zukunftsgewandten, die Stärken und Chancen bewertenden Fragestellung der nachhaltigen Existenzsicherung. Wir schauen hier auf die gesamte Organisation, auf die gesamte Strategie, auf die Vision und weniger oder gar nicht auf den einzelnen Mitarbeiter. Aus der den Konzepten der Führung kennen wir die Ziele Qualität (die Bereitstellung der Kernkompetenzen sowie Quantität (das Erreichen der erforderlichen, organisatorischen Reichweite) und können nun ein paar bedeutende Fragen stellen: 1. Welche Werte werden wo und wie in der Organisation geschöpft? 2. Welche Störer gefährden die Wertschöpfung der Organisation? 3. Welche Kompetenzen schaffen und bewahren den entscheidenden Vorteil im Wettbewerb? 4. Spiegelt sich die Diversität der Gesellschaften in der eigenen Organisation und werden diese Potenziale genutzt? 5. Besetzten die Träger der Kompetenzen die passenden Positionen (zur richtigen Zeit am richtigen Ort)? Aus den Antworten auf diese Fragen lassen sich zwei interdependente und miteinander verzahnte Parameter als Kräfte der Prozesse herleiten: 1. Sich verändernde, sich entwickelnde Leistungserbringungen aufgrund der Anforderungen der Nutzer, sie treiben die strategische Personalplanung aus der Notwendigkeit des Erlangens der Strategischen Erfolgsposition und treiben folglich ebenso die Führung der Organisation.

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2. Sich verändernde, sich entwickelnde Mitarbeiter, sie treiben aufgrund bereits vorhandener und/oder erforderlicher Fähigkeiten die Führung der Organisation. Die strategische Lücke, die dadurch entstehen kann, ist sicherlich als systematischer strategischer Fehler samt der anhaftenden remediation costs zu begreifen, welcher sich gefährdend auf eine superiore Stellung im relevanten Markt sowie auf eine nachhaltige Wertschöpfung auswirken kann. Und somit stellt sich nicht bloß die Frage nach der indirekten Führung des Apparates, dem systemisch-strukturellen, institutionalen sowie funktionalen Management, die Frage erweitert sich endgültig um die Themen der Ressourcen, der Kompetenzen, der Menschen in der Organisation und der direkten Führung derer zum Erreichen der Ziele.

10.7 Structure follows function follows structure So begreifen Charam, Barton und Carey im Jahr 2018 beispielsweise personelle Überlegungen als integralen Teil jeder strategischen Entscheidung im Unternehmen. Damit weisen sie einerseits auf die Notwendigkeit für die Führung der Organisation hin, die Verwebung der formalen und strukturellen Aspekte mit den anderen Konzepten der Führung stärker auszuprägen, andererseits die Fähigkeit zur direkten Führung zu verbessern. Wo geht folglich die politische Reise hin? In die Mikropolitik. Zunächst etwas Grundsätzliches: Der Aufbau einer organisationalen Struktur stellt den Führenden oder die Führende vor ganz pragmatische Herausforderungen. Die benötigte Struktur entsteht nicht normativ auf dem Reißbrett, sondern stellt deskriptiv das Ergebnis eines Prozesses dar, der das planerische der Absichten verknüpft mit der Gemengelage der Stakeholder – und hier internal insbesondere mit den Mitarbeitern – im Prozess. Hier gilt es, die Objekte der markt-, ressourcen- und wertorientierten Konzepte mit den Subjekten als ihren Trägern zu verbinden. Das Problem an der Sache haben bereits vor über einem halben Jahrhundert French und Raven (vgl. 1959) sowie später Jensen und Meckling (vgl. 1998) aufgezeigt, indem sie auf unterschiedliche Formen und die versteckten Absichten und Handlungen der Beteiligten hinwiesen. Führung braucht als Conditio sine qua non, was sie nicht einfach einfordern kann, sondern verdienen muss: Macht. Macht ist selbstverständlich ein mikropolitisches Thema, geht es doch dabei nicht mehr oder weniger um den Aufbau und den Einsatz von Macht in der Organisation, die von Interessen, Beziehungen, Veränderungen, Regeln und Gelegenheiten bestimmt wird (vgl. Neuberger 2006), aber auch vom Vermeidungsstreben jedes Teilnehmers, Störungen seiner individuellen, subjektiven Macht – gefühlter Macht – zu verhindern (vgl. Buller 2017) – insbesondere, wenn es sich um das Aufeinanderprallen der Autoritäten in der Verwaltung und der Experten in der Forschung und Lehre handelt (vgl. Hanft 2008). Bei der Begleitung von Einzelnen oder Gruppen bei der effektiven und effizienten Erfüllung von Zielen stellen sich durch die bereits vorab angesprochenen Veränderungen

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in sämtlichen Umfeldern neue Herausforderungen an die Führung. So werden zukünftig weniger Mikro-Management, mehr Mitarbeiterautonomie. raschere Entwicklung neuer Mitarbeiterfähigkeiten, größere Mitarbeiterbindung (es folgt später ein Blick in das Controlling) wichtig, weil mittlerweile erkannt wird, dass Organisationen neue Ansprüche an die Fähigkeiten der Mitarbeiter stellen; Selbst-Motivation, kreatives Denken und Innovationsfähigkeit werden zu wichtigen Merkmalen (vgl. Impraise 2017a, b). Doch wie lässt sich das erreichen? An dieser Stelle drängt sich ein Exkurs auf, weil zwei wesentliche Störer als Stolpersteine verhindern.

10.8 Erster Störer: Think scientist, think male Neben den bereits gesellschaftlich breit diskutierten Effekten in der Wirtschaft wie der Gender Pay Gap – besonders interessant hier: In Deutschland halten 80 % der Manager das Entgelttransparenzgesetz aus dem Jahr 2017 für zu aufwendig und sechs Prozent halten es für unnötig (vgl. Lurse 2017) – und dem geringen Frauenanteil in Führungspositionen – besonders interessant hier: 75,6 % aller im MDax notierten Unternehmen wollen keine Frauen im Vorstand, im DAX 30 % (vgl. Allen und Overy 2017). Mittlerweile werden diese Phänomen hinreichend untersucht und entsprechende Erklärungsansätze geliefert; lohnenswert sind Ansätze, die durch die beidseitige Akzeptanz von unbewussten, gelernten Vorurteilen die sogenannte Manterruption erklären (vgl. Jacobi und Schweers 2017), aber auch die Akzeptanz geringerer Bezahlung als gerecht (vgl. Ausprung et al. 2017). Es korrelieren die Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Böckler-Stiftung (vgl. Hobler et al. 2017) zur Bezahlung der täglichen Gesamtarbeitszeit. Bedenklich stimmt im Kontext, dass zum Nachteil der Organisation gehandelt wird, wenn dieses Thema nicht gerecht (und folglich sinnvoll) gehandhabt wird. So wird bereits einschlägig und explizit auf die Profitabilität durch Gender Diversity und Ethnic/Cultural Diversity (vgl. Hunt et al. 2018) hingewiesen. Einerseits wird gezeigt, dass ein höherer Frauenanteil in Top-Teams der Führung eine 21 % größere Profitabilität generiert, andererseits, dass Ethnic/Cultural Diversity sogar 33 % mehr Profitabilität schöpft. Des Weiteren zeigen Hunt et al., je profitabler das Unternehmen, desto höher der Anteil von Frauen in Top-Teams. Die Wirkung erfolgt ergo in Reziprozität. Allerdings weist Allmendinger (2017) auf einen blinden Fleck hin: „Mir ist eine Welt der Frauen zu viel des Wenns. Man weiß ja nicht, wie sich Frauen verhalten würden, wenn sie die gleichen Machtpositionen hätten wie Männer. Insofern kann man nicht extrapolieren, wie die Welt wäre, wenn Frauen an der Macht wären.“

Ähnlich kritisch erkennen Markovits et al. im Jahr 2017, dass Frauen mit mehr Macht, Führungsverantwortung und sozialem Ansehen weniger mit unter ihnen stehenden Mitarbeiterinnen interagieren als Männer in vergleichbaren Positionen.

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Werfen wir einen Blick auf statistische Fakten zu Lehre und Forschung (vgl. Statistisches Bundesamt 2017a, b): In den Hochschulen besetzen Frauen bei den wissenschaftlichen und künstlerischen Aufgaben immerhin 38,5 % der Stellen, doch während die Verwaltungsaufgaben – Pellert (2017) bezeichnet sie als die Aufgaben, die „äußerst ungeliebt“ sind und fordert den Einsatz interdisziplinärer Teams – zu ca. 70 % mit Frauen innehaben, müssen sie sich mit ca. 23 % der Professuren begnügen, obwohl bereits vielerorten mit verhaltensökonomischen Ansätzen gesteuert wird. Und bei den gemeinschaftlich von Bund und Ländern geförderten wissenschaftlichen Einrichtungen für Forschung und Entwicklung beispielsweise werden ca. 32 % der Stellen von Frauen besetzt (und da scheint besonders interessant, dass ab 55 Jahren, einem Alter, in dem regelmäßig die Top-Positionen besetzt werden, der Anteil der Frauen mit ca. 20 % besonders gering ist). Auch wenn sich die Werte in den vergangenen Jahren aus wertschöpfender Sicht verbessert haben, so kann bei Weitem nicht von einer vernünftigen Nutzung der Humanressourcen gesprochen werden.

10.9 Zweiter Störer: Think culture, think digital culture Kultur stellt eine besondere Herausforderung für die moderne Organisation dar; Goran et al. (vgl. 2017) beschreiben sie gar als wichtigste Herausforderung zum Erreichen digitaler Effektivität, welche eine digitale Kultur zur Verlängerung der Kultur einer Organisation instituiert. Kultur, ungeschrieben und informell, besteht aus der Summe der Alltagswirklichkeiten ihrer Teilnehmer und deren Aktionen und verändert sich fortlaufend. Das Subjekt gestaltet diese Kultur, andersherum nimmt Kultur informell Einfluss auf die Handlungen und das Verhalten der Mitarbeiter, steigert oder mindert die Leistung des Individuums und der Gruppe oder des Teams, ist Grundlage für die Bindung an die unternehmerische Gemeinschaft und vermittelt die Vision sowie die Ziele der Organisation. Jede Strategie muss folglich zu den Menschen passen, ihrem Willen, Handeln und konkludent zu der gelebten Kultur. Digitale Kultur impliziert neben der Akzeptanz digitaler Werkzeuge und Mittel die Nutzung von Datensammlungen in Form von data activation, data personalization, data mining samt der passenden Frameworks, den Aufbau und Einsatz von Netzwerken zum Zweck der Kooperationen, Exploration durch Austausch mit anderen Teams und externen Informanten (vgl. Pentland 2014) inklusive Team-Kollaboration und Bildung von cross-functional teams und sogar scrum teams – diese sind durch die Einbindung spezieller Skills (beispielsweise durch die Einbindung von Mitarbeitern aus der IT) flexibler, was sich entsprechend auf die sachliche und zeitliche Dynamik der Arbeit auswirkt. Der Fokus liegt hier auf customer-centricity, customer-insight und market insight, also auf Zielgruppe und Markt. Das Leitbild 2018–2022 – wie auch die beiden Vorläufer seit dem Jahr 2008 – der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen versteht die Herausforderungen sehr wohl und formuliert visionär korrekt analog zu den globalen Fragestellungen.

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Die Alltagswirklichkeit ist von der Umsetzung jedoch weit entfernt: In Deutschland erkennen lediglich 20 % der Führungskräfte und null Prozent der Mitarbeiter eine Verbreitung einer digitalen Kultur im Unternehmen; in Großbritannien liegen die Werte beispielsweise bereits bei 63 und 53 %. Deutschland belegt somit im internationalen Ranking einen der hinteren Plätze (vgl. Buvat et al. 2017). Auch hier weiß die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen (2017) um die Abweichung, wenn sie formuliert: „Es gibt einen beträchtlichen, derzeit nicht gedeckten Bedarf an digital qualifiziertem Personal und spezialisierten digitalen Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft.“

Auch besitzt das Leitbild das Manko, kein konkretes Ziel zu sein und kann folgend keine wertschaffende und – schöpfende Wirkung entfalten. Rolf Granow formuliert es Anfang März 2018 im Hochschulforum Digitalisierung so: „Arbeit 4.0 ist nicht Arbeit 3.0 plus Digitalisierung, sondern etwas anderes. Genauso ist aus meiner Sicht Bildung 4.0 nicht die digital angereicherte Fortsetzung des bestehenden Bildungssystems. Digitale Bildung wird in agilen Prozessen nicht von den Institutionen aus gedacht, sondern aus den Bildungsbedürfnissen der lernenden Menschen und ihrer Kompetenzentwicklung heraus.“

Granow weist an dieser Stelle implizit auf eine weitere Dimension neben der rein fachlichen Erweiterung von Kompetenzen hin. Die Bedeutung der bereits von Herzberg (vgl. 1987) beschriebenen, intrinsisch wirkenden Motivatoren, auch als Satisfaktoren bezeichnet, stellen einen wesentlichen Anreiz zur Erhöhung der Zufriedenheit dar; die Steelcase-Studie (vgl. 2016) bestätigen ebenso wie Hammond (vgl. 2016) diese Aussagen zur Verbindung von Zufriedenheit und Motivation: Zwölf Prozent der Mitarbeiter in Deutschland sind sehr motiviert und zufrieden mit ihrem Arbeitsplatz, zwölf Prozent sind sehr unmotiviert und unzufrieden mit ihrem Arbeitsplatz (analog zum internationalen Durchschnitt). Ein wichtiges Merkmal der Motivation ist die fördernde Arbeitsumgebung. Nur 44 % der Mitarbeiter in Deutschland können sich selbstbestimmt für konzentriertes Arbeiten zurückziehen (international sind es 53 %). Zudem verhindern fest installierte Geräte (in Deutschland betrifft dies Computer am Arbeitsplatz zu 80 %, Festplatz-Telefone mit Schnur zu 94 % etc.) eine flexible Arbeitsplatzgestaltung, welche für die oben beschriebene digitale Kultur erforderlich ist. Auch dominieren Hierarchien und Einzelarbeit in Deutschland. So sind lediglich 19 % der Büros offen (als Grundlage für informelles und teamorientiertes Arbeiten) gestaltet. Zusammengefasst fehlt der deutschen Forschung und Lehre eigentlich nichts anderes als das Entdecken und Nutzen bereits vorhandener Ressourcen, und damit dem Mitarbeiter ermöglichen, motiviert zu leisten, Verantwortung zu übernehmen, sich zu entwickeln, selbst zu verwirklichen – Ressourcen, die im zukünftigen globalen Wettbewerb entscheidend sein werden sowie die Herausforderungen der sogenannten Megatrends (vgl. Vielmetter und Sell 2014) abbilden.

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10.10 Killing me (not) softly – der toxische Arbeitsplatz Stellt man diese Betrachtungsweise auf den Kopf, können eingeschränkte Möglichkeiten, motiviert zu leisten, Verantwortung zu übernehmen, sich zu entwickeln, sich selbst zu verwirklichen, ungewünschte und stark nachteilige Effekte erzeugen. Schauen wir nach ganz oben in der Organisation, stoßen wir auf ein besonderes, interpersonales Problem. Bei einer Untersuchung der Zusammenarbeit von erfahrenen Führungskräften auf Leitungsebene arbeiteten die Teams nicht gut zusammen, obwohl sie einzeln exzellente Ergebnisse lieferten (ein gut beobachtbares Phänomen auch in Forschung und Lehre). Dies liest sich zunächst paradox. Drei Viertel der High-Level-Teams sind ineffektiv, entwickeln sich nicht weiter und erreichen keine großen Ziele (vgl. Nunes 2017). Gründe sind heimliche Absichten und Ziele der einzelnen Teilnehmer (hier wurde bereits an einer vorherigen Stelle auf die Effekte des Prinzipal-Agenten-Modells verwiesen), aber auch das in derartigen Situationen nivelliertes, soziales Bewusstsein und hier insbesondere das Identifizieren erforderlicher Strukturen und Normen sowie das Erkennen und Befriedigen von organisationalen Bedürfnissen und Zielen (vgl. Goleman et al. 2007). So stellen auch erfahrene Führungskräfte in der Zusammenarbeit zunächst einmal nichts anderes als die Summe der Einzelteile dar, denn eine Einheit. Da trägt jeder Teilnehmer seine individuellen Ziele in sich, das gemeinsame Ziel gerät in den Hintergrund. Gleiche, bestätigende Erfahrungen aus aktuellen Beratungen an Hochschulen bestätigen diesen Effekt. Womit sich auch zeigt, wie Aufgaben gestellt werden müssen: so, dass das gemeinsame Ziel deutlich wird. Hier gilt es, mit den Traditionen des üblichen Berichtswesens – „not just another Meeting“ (Nunes 2017) – zu brechen und kulturell angemessene (bedeutet auch: digitale) Formen der Kooperation zu kreieren. Hinter der wenig ausgeprägten Zusammenarbeit können sich bereits Anzeichen für ein vergiftetes Arbeitsklima oder Hinweise auf einen schleichend beginnenden Prozess dahin verbergen. So identifiziert Williams (vgl. 2015) sieben Merkmale für einen toxischen Arbeitsplatz, welche hier angepasst auf Forschung und Lehre wie folgt formuliert werden können: 1. Nur Peitschen und kein Zuckerbrot: Es wird nur auf Fehler geachtet. Beste Performer erhalten das Lob, andere werden gescholten. 2. Schleichende Bürokratie: Es existieren zu viele Hierarchien und Entscheidungsebenen und/oder Entscheidungsträger. 3. Unbedingte Budgettreue: Es wird nur noch auf eingehaltene, monetäre Vorgaben geachtet., 4. Tyrannen sind Herr im Haus: Die Leitungsebene mobbt Mitarbeiter (Bossing) oder toleriert Bullying innerhalb der Belegschaft. 5. Verlust der menschlichen Note: Der Mensch wird nur noch als Zahl bewertet, sein Wohlergehen wird unwichtig. Anzeichen dafür sind fehlendes Mitgefühl und Mitleid der Führung, zunehmender Stress, Fehlzeiten, Fluktuation, Burn-out.

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6. Interner Wettbewerb: Es entsteht ein internes Hauen und Stechen, die Kennzahlen des Einzelnen werden wichtiger als die Team-Performance. 7. Work-Life-Balance wird unwichtig: Das Familienleben wird geopfert, ständige Verfügbarkeit wird gefordert, es geht nur noch um die Arbeit. In diesem Kontext weisen Housman und Minor (vgl. 2015) auf die Vergiftung der motivierten und zufriedenen Mitarbeiter hin, denen sie zudem mehr Einfluss auf die Ergebnisse zubilligen als den besten Performern. Zudem existieren Hinweise, dass der toxische Arbeitsplatz eine veritable Gesundheitsgefahr darstellt, weil insbesondere die vier Merkmale Inkompetenz, Rücksichtslosigkeit, Heimlichtuerei und Verschlossenheit der Führungskraft zu einer um 60 % erhöhten Gefahr einer lebensgefährlichen Herzattacke bei Mitarbeitern führen können (vgl. Nyberg et al. 2009). Ähnlich und zudem weiter gefächert sowie mit einem Gesamtkostenmodell hinterlegt, erklärt der Ansatz „Total Cost of Jerks“ (vgl. Sutton 2007), welcher die Kosten, welche durch einen unzivilisierten, toxischen Arbeitsplatz entstehen, erfasst und kategorisiert. Sutton führt fünf Kategorien ein, mit denen sich Ort und Wirkung zeigen lassen; diese schaffen Rahmen und Indikatoren für die Beobachtung der Opfer (und weiteren Betroffenen), der Täter (die Sutton „Jerks“, also Narren, nennt), der Führung bzw. Führungskräfte, der rechtlichen und personellen Kosten sowie der weiteren ökonomischen Kosten beispielsweise wegen sinkender Kreativität, geringerer Innovationskraft, nachlassender Netzwerkaktivität, schlechterer Beurteilungen sowie geringerer Konkurrenzfähigkeit.

10.11 Get your kicks from contingent rewards and feedback Um den vielen Herausforderungen auf dem Weg zu einem an die Führungskraft im Kontext des Wissenschaftsmarketings gerecht zu werden, widmen wir uns zwei auf einander aufbauenden Ansätzen der Führung. Einführend sei gesagt: Ja, Führung in Forschung und Lehre kennt ein paar Parameter, die berücksichtigt werden müssen wie die durch Peus et al. (vgl. 2017) mit mangelnder Führungsexpertise, umfassender Regeltreue und wissenschaftlicher Autonomie benannt; und doch stehen Führungskräfte vor sehr ähnlichen, höchstens strukturell anders verfassten Ansprüchen an ihr Handeln wie die Führungskräfte in der Wirtschaft. In Vordergrund der Überlegungen stehen zwei Ansätze: Transaktion und Transformation. Nicht nur historisch, sondern auch logisch sinnvoll ist es, den transaktionalen Führungsansatz zunächst zu behandeln. Der transaktionale Ansatz lebt von einer kurz- und mittelfristigen Betrachtungsfristigkeit. Seine Objekte sind Delegation, Steuerung durch bedingte Belohnung und Feedback, sein Ziel die Zielerreichung, seine Erfolgsgröße die individuelle Zielerreichung durch den Mitarbeiter, sein Denkschema Vergangenheit und Gegenwart. Der transaktionale Ansatz basiert auf den Ideen der Weg-Ziel-Theorie (vgl. House et al. 1975), welche vier mögliche Verhaltensweisen der

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Führungskraft vorstellt, die den Mitarbeiter zur Erfüllung der Vorgaben bewegen soll und aus dem Führenden einen erfolgreich Führenden macht. Directive leadership bzw. Direkte Führung wird dabei von Regeln und Zeitplanung abhängig gemacht. So werden auch aktuelle Bestrebungen und Tendenzen abgebildet, welche die Maßstäbe der Corporate Compliance – im engeren Sinn: Einhaltung von staatlichen Gesetzen und unternehmensinternen Richtlinien, im weiteren Sinn: Einhaltung von staatlichen Gesetzen und unternehmensinternen Richtlinien in bestimmten Prozessen, Funktionen, Politiken, per exemplum bei den Finanzen als Financial Compliance oder im Marketing als Marketing Compliance – umfassen. Treiber sind dabei sämtliche Anspruchsgruppen der Organisation. Supportive leadership bzw. Unterstützende Führung wirkt dabei durch die Herstellung einer guten Arbeitsatmosphäre, getragen von respektvollem Umgang. Der Mitarbeiter soll sich wohlfühlen. Participative leadership bzw. Partizipative Führung stellt Feedbackgespräche mit den Mitarbeiter in den Fokus, um ihm eine Schwingtür zur Einflussnahme auf Entscheidungen anzubieten. Dabei geht es darum, dunkle Ecken der eigenen Wahrnehmung zu erkennen – auch beim Erkennen der eigenen Fehler und Misserfolge. Skip level meetings, die unterschiedliche Hierarchien der Organisation umfassen und diesen die Möglichkeit eines persönlichen Austauschs einräumen, verschaffen zudem eine Erweiterung der Perspektiven. Achievement oriented leadership bzw. Leistungsorientierte Führung lebt von hohen Anforderungen, um deutlich zu machen, welche Anforderungen gestellt werden. Zusätzlich soll damit vermittelt werden, dass die Führungskraft dem Mitarbeiter vertraut, diesen Anforderungen gerecht zu werden und folglich zu seiner Motivation bei der Bewältigung beiträgt. Beim umsetzenden Zusammenspiel der vier Verhaltensweisen – bevorzugte Werkzeuge stellen dabei Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen dar (vgl. Burns 1978) – der Führungskraft zeigt sich regelmäßig, dass Feedback, Wertschätzung und Interesse am Mitarbeiter dabei die wichtigsten Merkmale der beruflichen Zufriedenheit darstellen (vgl. ManpowerGroup 2017). Wesentlichen Einfluss auf die Erwartungen des Mitarbeiters besitzen zudem die beiden Situationsvariablen subordinates characteristics bzw. Merkmale der Geführten und task characteristics bzw. Merkmale der Arbeitsaufgabe. Hier lohnt sich insbesondere der Einsatz verhaltensökonomischer Maßnahmen (vgl. Thaler und Sunstein 2008), beispielsweise durch gezielte Hinweise auf Erholungspausen, das Geben von individualisierten Ernährungstipps, den Einsatz angemessener technischer Mittel – gerade letzteres ist im Hinblick auf zukünftige Ansprüche neuer Mitarbeitergenerationen förderlich, welche als wired generation bereits die Berufswelt flutet. So meinen 75 % der Millenials, Zugang zu Technologie mache produktiver, 41 % der Millenials wollen lieber elektronisch, statt face to face und am Telefon kommunizieren. Millenials werden mit einem veränderten, uneingeschränkten, zeit- und ortsungebundenen Lernverhalten mit unterstützend coachenden Führungskräften arbeiten wollen (vgl. PWC 2011, vgl. Brown et al. 2017), auch in der Wissenschaft. Das bedarf Veränderung, auch in der Führung. Transformationsfähigkeit ist gefragt.

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10.12 Realize me, talk to me – and act like a leader Die transformationale Führung ist durchaus als Fortführung der transaktionalen Führung zu betrachten, ebenso wie diese handelt es sich um von der Persönlichkeit der Führungskraft unabhängige, erlernbare Führungspraktiken, doch anders als die transaktionale Führung kapriziert sich die transformationale nicht nur auf den Nutzen Einzelner, sondern will sich als Vision für die gesamte Unternehmung verstanden wissen (vgl. Bass und Avolio 1994). Tichy und Sherman (vgl. 1993) beschreiben den Prozess als Dreiakter mit Prolog und Epilog. Auslösende Momente sind die sich verändernden internen und externen Bedingungen, welche von der Organisation das Verstehen des Bedarfs erfordern und von der Belegschaft den Abschied vom Geübten. So entsteht Raum für eine neue Vision als Zweck und eine klare Botschaft für die Beteiligten. Es entsteht der gestalterisch-motivierende Akt, der eine Re-Normierung zur Folge hat. Regelkreisähnlich wiederholt sich anschließend der gesamte Prozess. Die tragenden Merkmale zeigen dabei sich in später abgeleiteten Verfahren immer wieder; im Fokus stehen klare Überzeugungen der Führungskraft, stetiges Einüben der Prozesse, durchdachte Pläne, die Anpassungen bei Veränderungen zulassen sowie eine verlässliche, ehrliche Führungskraft. Kernbegriffe des Führenden sind dabei Vorbild, Qualität, Verbesserung, Lob und Belohnung, Feedback und Integrität (vgl. Shula und Blanchard 1996; vgl. Kouzes und Posner 2009), die Vorgehens- und Wirkungsweise bestätigte ebenso Google ab dem Jahr 2008 mit dem Project Oxygen und beschreibt die Fähigkeiten der guten Führungskraft so (Impraise 2017a, b): 1. Er/Sie sei ein guter Coach. 2. Er/Sie befähige das Team und betreibe kein Mikro-Management. 3. Er/Sie zeige Interesse am einzelnen Team-Mitglied und sorge sich um dessen Erfolg und dessen persönliches Wohlergehen. 4. Er/Sie sei Ertrag bringend und ergebnisorientiert. 5. Er/Sie sei ein guter Kommunikator, weil er/sie zuhöre und Informationen teile. 6. Er/Sie unterstütze bei der Karriereplanung. 7. Er/Sie besitze eine klare Vision und Strategie für sein/ihr Team. 8. Er/Sie besitze die entscheidenden fachlichen Fähigkeiten, die ihm/ihr helfen, das Team zu beraten. Transformationale Führung ist folglich auf die Schaffung und Bewahrung nachhaltiger Werte der Organisation ausgelegt. Gerade damit gibt sie angemessen positiv Antworten hinsichtlich der Befähigung zu einer Interaktionsdichte und Interaktionskomplexität der Mitglieder der wissenschaftlichen Organisation sowie deren Fähigkeit, notwendige Veränderungen zu erkennen und durchzuführen – und bestens leisten zu können, weil sie sich hoch motiviert mit Freude und Zufriedenheit auf ihre Aufgaben konzentrieren können. Porath (vgl. 2016) weist in ihrer Studie auf Lebensfreude, Gesundheit, Lernen

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sowie das Gleichgewicht zwischen Freizeit und Beruf der Mitarbeiter als wichtige Charakteristika für einen „thriving work force“, einen florierenden Personalbestand, hin und gibt den Hinweis, dass der Führende dadurch effektiver wird, da »Helping people thrive at work is valuable on its own merits, but can also boost a company’s performance in a sustainable way.« (Porath 2016)

Porath schreibt ebenda von der Freisetzung von „physischen, geistigen, emotionalen Energien“ jedes Einzelnen. Hier verbinden sich transaktionale und transformative Führung. Des Weiteren weist sie darauf hin, dass 32 % sich ihrem Job stärker verpflichtet fühlten und 72 % mit ihrem Job zufriedener seien. Auch die Häufigkeit von Burn-out sinke. Zudem existierten deutlich positive Effekte auf Team- und Innovationsfähigkeit. Auch Keller und Price (2011) betonen die positiven Effekte hinsichtlich der Performance und der organisationalen Gesundheit der transformationalen Führung, für welche sie fünf Stufen mit »setting goals (…), assessing organizational capabilities, designing the transformation initiatives, executing those initiatives, and sustaining the changes that were made.«

und verweisen auf eine Erfolgsquote von 72 % nach dem Durchlaufen sämtlicher fünf Stufen. Grundsätzlich hängt der Erfolg der transformationalen Führung in der wissenschaftlichen Organisation von drei ineinandergreifenden Parametern ab: Da gerade dieser Typus der Organisation von der Bestleistung seiner Mitarbeiter abhängig ist und diese Bestleistung die Qualität des input-kongruenten Outputs, der Leistung, bestimmt, müssen diese Mitarbeiter motiviert werden, ihre Stärken auszuspielen, die Verantwortung dafür zu übernehmen, sich belohnen zu lassen (oder eben auch nicht, wenn es schief geht). Der Erfolg steht und fällt mit den Menschen, sie und ihre Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt – nicht die Projekte. Ferner muss eine Kommunikationskultur begleiten, die den Mitarbeitern fortlaufend verdeutlicht, dass ihr Schaffen und Schöpfen den Absichten der Organisation und deren Führung entspricht. Die Kommunikation ist der Feind der Zweifel. Und zuletzt muss deutlich werden, dass der Prozess zum Erfolg der transformationalen Führung ein langer, harter, doch nachhaltiger mit vielen kleine Schritten ist und viel Aktivität erfordert (vgl. Jacquemont et al. 2015).

10.13 At last, but not least: Be my partner, be my controller Auf die wechselseitigen Beziehungen von ressourcenorientierten Konzept, speziell der arbeitenden Menschen im unternehmerischen Denken, und zum marktorientierten Konzept wurde zuvor eingegangen; bei beiden Ansätzen wurden bereits die Spannungsfelder, welche durch die bestimmte Herausforderungen entstehen, aufgezeigt, ebenso wie die verantwortliche Rolle der Führungskraft, die Mitarbeiter zu Lokomotion und Kohäsion zu bewegen.

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Diese beiden Konzepte werden durch ein drittes, das wertorientierte Konzept, ergänzt. Dieses Konzept ist in der Regel eng mit dem Begriff des Controllings verbunden. Doch noch weniger, als eine Führungskraft in der Wissenschaft als solche ausgebildet wird, ist sie mit den Besonderheiten der Steuerung (das wäre die deutsche Entsprechung des Controllings) vertraut. Ja, Forschung und Lehre kontrollieren ihre Ergebnisse, das hat man ihnen auch so aufgegeben und da folgen sie ihrer Compliance. Zumindest leise Zweifel dürfen jedoch kommen, denn Controlling für das Management die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens überwacht und begleitet; so ist es folglich ein wirkungsvolles Instrumentarium zur Generierung von operativen und strategischen Zielen, den control objectives, und deren Erreichung unter Berücksichtigung interner und externen Einflüsse bzw. Störungen. Und so ist Controlling auch originäre Führungsarbeit: Analyse und Probleme finden, Zielbildung, Maßnahmengestaltung, Wirkungsprognosenerstellung, Bewertung und Entscheidung bestimmen hier das Denkschema – dispositives Handeln ist Nukleus. Dies fordert die Führung nicht ausschließlich strukturell, sondern auch in der direkten Führung; dies formulieren Gänßlen et al. (2012) für die International Group of Controlling so: „Aufgrund der Komplexität des Steuerungsprozesses ist es wesentlich, das Controlling Denken in allen Köpfen zu verankern („Mitarbeiter überzeugen, dass sie dabei mitmachen“).“

Entsprechend steht die Führungskraft vor der besondere fachlichen Herausforderung, eine besondere Expertise besitzen zu müssen, um überzeugend zu sein, folglich betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse erlangen zu müssen, um operative Engpässe – in budgetorientierten Organisationen wie in den Wissenschaften in erster Linie auf Selbstkosten bezogen – erkennen und beseitigen zu können sowie strategisch das Wachstum zu gewährleisten. An geeigneter Stelle wurde bereits auf die verschiedenen Dimensionen des Wachstums hingewiesen, doch meint Wachstum in diesem Kontext das Identifizieren von Stärken und Chancen sowie deren konsequenter Nutzung anhand strategischer Planung. Was sollte eine Führungskraft in der wissenschaftlichen Organisation, in Forschung und Lehre wissen? Sie sollte selbstverständlich Verständnis für die systematische, zahlenmäßige Erfassung, Aufbereitung und Auswertung von Geschäftsvorfällen besitzen, um die werthaltigen Flüsse (ob durch Leistungen oder Prozesse in der Organisation bestimmt) in, von und zu der Organisation verstehen zu können. Sie sollte nachvollziehen können, wie sich eine Kostenstelle nach Inhalt und Umfang aufbaut, wie Verantwortlichkeiten festgelegt werden (das richtet sich dann konkret an die Führungskraft), wie und wo überhaupt Kosten in der Organisation entstehen (bei der Leistungserstellung, aber auch durch Gemeinkosten der Organisation) und wie sich diese messen lassen. Und wie sie eine sinnvolle Planbeschäftigung (was kostet eigentlich ein Mitarbeiter und wie viele Mitarbeiter brauche ich) entwickeln muss, um die erforderlichen Kapazitäten ermitteln zu können. Die Antwort auf die Frage nach dem Nutzen für das Wissenschaftsmarketing ist offenbar: die Adressaten derartiger wertorientierter Überlegungen sind zu großen Teilen deckungsgleich mit den Anspruchsgruppen der Organisation mit ihrer Erwartung von langfristig positiven und ausgewogenen Erfolgen – und diese wiederum auch weitestgehend der Kunde der Wissenschaft.

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Thoralf Buller studierte Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Personal und Organisation und Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Wissenschaftsmarketing in Deutschland und den USA. Promoviert wurde er mit einer Arbeit zu Mitarbeiterkonflikten in Unternehmen. In den vergangenen 25 Jahren wirkte Thoralf Buller in leitenden Positionen und beratend für nationale und internationale Unternehmungen, unter anderem in geschäftsführerischer Verantwortung beim Aufbau von zwei deutschen Hochschulen. Thoralf Buller ist Hochschullehrer für Unternehmensführung an der bbw Hochschule in Berlin.

Führen lernen in der Wissenschaft? Eine Marktanalyse in der wissenschaftlichen Weiterbildung

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Claudia Heilmann

Zusammenfassung

Vorgestellt wird eine Marktanalyse zum Erwerb von Kompetenzen in der Mitarbeiterführung durch Nachwuchswissenschaftler. Untersucht werden die Aspekte Rahmenbedingungen, Qualifikationsbedarf sowie bestehende Ausbildungsangebote. Außerdem werden punktuelle Überlegungen zur Konzeption eines solchen angestellt.

11.1 Problembeschreibung: Führung in der Wissenschaft 11.1.1 Die Begriffe Führung, Management und Leadership „Management/Führung“ kann in der gegenwärtigen Situation der Hochschulen als gleichrangige Aufgabe neben Forschung und Lehre betrachtet werden (Fleitmann 2012). Bereits an dieser Stelle wird das Dilemma einer unscharfen Trennung von Management und Führung deutlich. Schon die Definition des Begriffs „Führung“ bereitet Schwierigkeiten. Wenn man die Übersetzung ins Englische als Hilfskonstruktion heranzieht, wird seine Vielschichtigkeit deutlich: „Führung“ kann unter anderem „management“, also „Betriebsführung“ oder „Verwaltung“, „governance“, also „Steuerung“, oder „leadership“ bedeuten. Dieser Begriff meint entweder die führende Position einer Institution im Wettbewerb oder „Mitarbeiter-“ beziehungsweise „Menschenführung“. Middlehurst (2012) unterscheidet mit „management“ und „leadership“, zumindest im Hochschulsektor, zwei unterschiedliche Konzepte, die sich zwar ergänzen, aber von

C. Heilmann (*)  Berufsakademie Sachsen – Staatliche Studienakademie Plauen, Plauen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_11

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verschiedenen Personen wahrgenommen werden und verschiedene Inhalte haben. Sie fasst die Merkmale der beiden Konzepte wie folgt zusammen: • Akademisches Management richtet sich auf die Institution. Es umfasst Planung, Budgetierung, Organisation, Personalmanagement und Steuerungsmaßnahmen. • Akademische Mitarbeiterführung ist auf Werte und das Selbstverständnis gerichtet und geht über die Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Institution hinaus. Sie wirkt richtungsweisend und verbindet Menschen auf der Grundlage von Motivierung und Inspiration. In der Wirtschaftsliteratur werden die Begriffe – und die Konzepte – „management“ und „leadership“ häufig synonym gebraucht. Beide sind eng miteinander verflochten. Ziel ist immer der Erfolg, im ursprünglichen Sinne eines Wirtschaftsunternehmens. Jedoch lässt sich dieses Kriterium auf jede andere komplexe Unternehmung anwenden. Eine trennscharfe Definition ist bis heute nicht etabliert (Nienaber 2010). Im Umkehrschluss stellt sich „leadership“ als ein Aspekt von „management“ dar. Die vorliegende Analyse soll sich mit Leadership im Sinne von Mitarbeiterführung in der Wissenschaft befassen. Alle Berufs- oder Funktionsbezeichnungen beziehen sich gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen, auch wenn nur das maskuline Genus genannt ist.

11.1.2 Relevanz des Problems Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Hochschulbereich beeinflusst Führung die strategische und wissenschaftliche Positionierung – qualifizierte Führung stellt einen Wettbewerbsvorteil dar (Mehrtens 2009; Dittmer und Strätz 2012). In der Hochschullandschaft ist es in den letzten Jahrzehnten zu umfassenden Veränderungen gekommen. Gefordert werden heute Führungspersonen, die „Ideen- und Impulsgeber für Qualitätsentwicklung, Positionierung und Veränderung in den Hochschulen“ sind und „kreativ und innovativ Forschung und Lehre gestalten und profilieren“ (Mehrtens 2009). Die besondere Herausforderung an Führung in der Wissenschaft liegt in der Komplexität der Ziele auf den vielfältigen Organisationsebenen an Hochschulen, die häufig nicht klar definiert sind. „Mehrdeutigkeit und Unübersichtlichkeit (gehören) zu den wichtigsten institutionellen Eigenschaften von Hochschulen“ (Nickel 2012). Zunehmend komplexer werden auch die personellen Rahmenbedingungen. Stichworte hierfür sind die Internationalität von Personen und Projekten, die Diversität der kulturellen und sozialen Hintergründe, Interdisziplinarität sowie Erwartungen an Gleichrangigkeit und verteilte Expertise in Teams.

11  Führen lernen in der Wissenschaft?

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Das konkrete Führungshandeln kann demzufolge großen gestaltenden Einfluss haben. Kompetenz in der Mitarbeiterführung muss vor diesem Hintergrund als gleichrangig mit wissenschaftlicher, didaktischer und Managementkompetenz bewertet werden. (Mehrtens 2009; Nickel 2012). Bisher ist Führungshandeln von Hochschullehrern in der Forschung verhältnismäßig wenig beachtet worden (Schmidt und Richter 2009). Ebenso besteht Forschungsbedarf zum Thema Wissenschaftlicher Nachwuchs, insbesondere im Hinblick auf die in den letzten Jahren deutlich gewachsene Komplexität des Sachgebiets (Burkhardt 2013, S. 325 ff.). Auch in Bezug auf die Frage, was eine gute Führungspersönlichkeit ausmacht, sind theoretische Grundlagen und Messparameter noch nicht geklärt. Dies hängt mit den komplexen spezifischen Kontexten der jeweiligen Situationen und Aufgaben zusammen (Wegge 2012). Als Nachwuchsführungskräfte sind Postdocs, also klassisch Habilitanden, sowie Nachwuchsprofessoren einzuordnen. Sie sind in der Regel mit einer gewissen Personal- und Finanzverantwortung ausgestattet und hoch motiviert die nächste Karrierestufe zu erreichen. Ihnen bleiben jedoch für die Entwicklung von Führungskompetenzen nur sehr wenige Jahre Zeit. Eine Befragung von Postdocs ergab, dass sie „andere Menschen anleiten und führen“ beziehungsweise die Einnahme einer Führungsposition als überdurchschnittlich wichtiges Berufsziel ansehen (Wagner-Baier et al. 2011, S. 70). Doktoranden und andere wissenschaftliche Mitarbeiter können als „potentielle Nachwuchsführungskräfte“ angesehen werden. Bei ihnen steht die wissenschaftliche und allgemeine Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund. Nach der Promotion verfolgt nur ein Teil der Promovierten eine akademische Laufbahn (Burkhardt 2013, S. 291). Zur Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Mitarbeiterführung gibt es eine Anzahl von Angeboten für Führungs- beziehungsweise Nachwuchsführungskräfte, jedoch fehlen im Unterschied zur Wirtschaft systematische Programme (Peus 2009; Winkler 2010). Es handelt sich vielfach nur um punktuelle Angebote ohne Teilnahmeverpflichtung, um strikt auf die eigene Einrichtung bezogene Konzepte oder um gleichwertige Teilkomponenten allgemeiner Soft-skill-Kurse. Jedoch fällt auf, dass derartige Programme mit zunehmender Häufigkeit unter dem Dach der Personalentwicklung angesiedelt sind. Als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer akademischen oder beruflichen Ausbildung“ können derartige Qualifikationen als wissenschaftliche Weiterbildungen qualifiziert werden, die als so genannte „quartäre Bildung“ einen wachsenden Sektor des Bildungsmarktes darstellt. (Stifterverband 2016). Vor diesem Hintergrund wurde eine wurde eine Marktanalyse erstellt. Untersucht wurden Angebote zum Erwerb von Kompetenzen in der Mitarbeiterführung durch Nachwuchswissenschaftler. Dabei wurden die Aspekte Rahmenbedingungen, Qualifikationsbedarf sowie bestehende Ausbildungsprogramme ausgewertet.

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11.2 Methodisches Herangehen und Bedingungen der Untersuchung 11.2.1 Führung im Kontext wissenschaftlicher Einrichtungen Abgrenzung • Die vorliegende Arbeit bezieht sich ganz überwiegend auf staatliche Hochschulen und Universitäten in Deutschland. • Die akademische Medizin, private Hochschulen und der privatwirtschaftliche Wissenschaftssektor, der beispielsweise Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie sowie kleine und mittlere Forschungsunternehmen beinhaltet, werden nicht speziell berücksichtigt. • Führung und die Vermittlung von Führungskompetenzen stellen Teilbereiche der Personalentwicklung dar. Diese geht jedoch über diese Aspekte hinaus und umfasst „systematisch geplante und durchgeführte Aktivitäten, die sich an Personen innerhalb einer Organisation (eines Unternehmens, einer Institution, einer Hochschule) richten und darauf abzielen, deren arbeitsbezogene Kompetenzen sowie die damit verbundenen arbeitsbezogenen Einstellungen und Motivationen in einer bestimmten Richtung umzuformen“ (Schmidt 2007, S. 128). Personalentwicklung als solche ist daher nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Experteninterviews Zum Unterschied in der Führung in Wissenschaft und Wirtschaft wurden vier Personen befragt, die in ihrer Arbeit Bezug sowohl zur Wissenschaft als auch zur Wirtschaft haben. Es handelte sich um zwei Inhaber von Beratungsagenturen mit Schwerpunkt Führungskräfteentwicklung, einen Abteilungsleiter an einer technischen Fakultät und einen Lehrstuhlinhaber für Kommunikationswissenschaft. Die Anfangsfrage lautete: „Welche qualitativen und quantitativen Unterschiede sehen Sie zwischen Führung in Unternehmen und Führung in Wissenschaft und Forschung?“ Fragebogeninterviews „Führungsqualität in der Wissenschaft und Forschung“ Der Fragebogen wurde von einer Arbeitsgruppe der TUBS GmbH TU Berlin ScienceMarketing entwickelt. Er erfasst die Items Demografie und Aufgabencharakteristik (11 Fragen, 1 Zusatzfrage), Führungsqualität in der Wissenschaft (4 Fragen), Ausbildungsangebot zu Führung (5 Fragen), Ausbildungsqualität (4 Fragen) und Evidence based Leadership (2 Fragen). Der Fragebogen wurde im Februar 2013 per E-Mail an 14 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler versandt. Alle Befragten sind Alumni des Studienganges Wissenschaftsmarketing der TU Berlin. Die ausgefüllten Fragebögen wurden per E-Mail zurückgeschickt, als PDF übermittelt und als Bestandteil dieser Marktanalyse ausgewertet. Die Inhaltsanalyse der Freitextteile erfolgte qualitativ mittels Strukturierung.

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Literaturrecherche Zu allen Aspekten des Themas wurde in den Datenbanken International Bibliography of the Social Sciences, Business Source Premier, Wiso Wissenschaften: Wirtschaftswissenschaften und Academic Search Premier sowie über die Google-Plattform recherchiert. Methoden der Marktanalyse: Aspekte Rahmenbedingungen und Qualifikationsbedarf

• Experteninterviews • Fragebogeninterviews mit Betroffenen • Literaturrecherche

11.2.2 Ausbildungsangebote Abgrenzungen • Coaching bedeutet „die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs-/Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen/ Organisationen.“ Es beinhaltet die persönliche Beratung und Unterstützung bei der Umsetzung beruflicher Ziele. Coaching soll die Selbstwahrnehmung und die eigenständige Entwicklung von Verhaltens- und Bewältigungsstrategien fördern. (DBVC 2013) • Beim Mentoring werden jüngere durch erfahrene Personen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung begleitet und unterstützt. Da Mentoringprogramme nicht speziell der Qualifikation in Bezug auf Mitarbeiterführung dienen, werden sie hier nicht als eigenständige Angebote analysiert. • Seminare und Workshops zur Vermittlung von Führungskompetenzen werden an sehr vielen Universitäten und Hochschulen in unterschiedlicher Organisationsform angeboten. In den meisten Fällen handelt es sich um Kurzkurse, der Zeitaufwand beläuft sich auf wenige Tage. Aufgrund der Menge derartiger Angebote muss in der vorliegenden Arbeit auf die umfassende Auswertung verzichtet werden. • Auch in den Soft-skill-Programmen von Graduiertenschulen sind in aller Regel Lehreinheiten zu Führungskompetenzen integriert. Auf sie wird hier ebenfalls nicht näher eingegangen. • Studiengänge zum Thema Business Management, in denen Mitarbeiterführung nur einen untergeordneten Teilaspekt bildet, sowie Ausbildungsangebote, die sich ausdrücklich nur an (Nachwuchs-)Führungskräfte aus Unternehmen wenden, werden nicht in die Analyse eingeschlossen.

Ein- und Ausschlusskriterien Die Kriterien wurden aus den Aspekten Rahmenbedingungen und Qualifikationsbedarf abgeleitet. Recherchiert wurde nach Ausbildungsprogrammen, die

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• sich an Nachwuchsführungskräfte speziell in der Wissenschaft und nicht (nur) in Unternehmen oder nur an Studierende richten, • Mitarbeiterführung als alleiniges oder wesentliches, nicht nur gleichrangiges Ausbildungsziel verstehen, • einen verbindlichen Lehrplan haben, • mindestens ein Zertifikat als Abschluss vergeben, • mindestens 6 Monate dauern. Untersucht wurden Angebote aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Programme, die die Einschlusskriterien zumindest überwiegend erfüllten, wurden genauer ausgewertet. Als Qualitätsmerkmale wurden außerdem erfasst, ob die Teilnehmer ein Auswahlverfahren durchlaufen und ob sie eine Abschlussprüfung ablegen müssen. Aus der detaillierten Auswertung ausgeschlossen wurden Programme, • die sich ausschließlich an Studierende, an erfahrene Führungskräfte in der Wissenschaft, an Nachwuchsführungskräfte in Unternehmen oder aber an Hochschulen, jedoch außerhalb von Forschung und Lehre, richten, • in denen Mitarbeiterführung nicht ein programmdefinierender, sondern nur gleichrangiger Schwerpunkt ist, • die kein verbindliches Curriculum, sondern in Inhalt und Anzahl frei wählbare Bausteine anbieten, • kürzer als sechs Monate dauern. Die einzelnen Programme wurden anhand ihrer Internet-Seiten ausgewertet. Angebote, die nur einzelne Einschlusskriterien erfüllen, werden nicht beschrieben. Methoden der Marktanalyse: Aspekt Ausbildungsangebote

• Ableitung von Auswertungskriterien • Internetrecherche • Auswertung anhand der Kriterien

11.3 Rahmenbedingungen: Führung im Kontext wissenschaftlicher Einrichtungen 11.3.1 Unterschiede zwischen Wirtschaft und Wissenschaft Ergebnis der Experteninterviews Zur Frage nach Unterschieden in der Führung in Wirtschaft und Wissenschaft wurden vier Personen befragt. Das Thema Führung, auch im Kontext von Output-Orientierung und Personalentwicklung gesehen, gewinnt in der Wissenschaft im Hochschulsektor erst

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langsam an Aufmerksamkeit. Zwischen den Fächern ist eine starke Differenzierung des Führungsverhaltens zu beobachten. Je mehr eine Fachrichtung im Austausch mit der Privatwirtschaft steht, desto stärker ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit strukturierter Mitarbeiterführung und die Bereitschaft sich entsprechend zu qualifizieren. Eine wichtige Rolle bei der Implementierung kommt der obersten Leitungsebene zu. Während in industrienahen Bereichen effektive Führungsstile eingesetzt werden, herrscht in den Geisteswissenschaften oftmals das Laissez-faire-Prinzip.

Befunde aus der Literatur Führung hat sich in der Wirtschaft als Bestandteil des Managements seit der Industrialisierung und mindestens seit den 1910er Jahren als Forschungsgegenstand etabliert (vergleiche Henderschott 1917). Für den Hochschulsektor gibt es wissenschaftliche Literatur zum Thema Führung erst seit den 1980er Jahren (vergleiche Smith und Hughey 2006). Der Zusammenhang mit der Einführung des New Public Management erscheint offensichtlich. Prinzipiell können die Ergebnisse der Führungsforschung in der Privatwirtschaft auch auf den Hochschulsektor übertragen werden (Smith und Hughey 2006). Vonseiten der Wirtschaft werden für den Hochschulsektor mangelnde „privatwirtschaftliche Expertise in der Führung“ sowie fehlende moderne beziehungsweise marktkonforme Führungs- und Anreizsysteme konstatiert (Jochmann 2006). Dieser Mangel ist im Hochschulsektor bekannt. Als systemimmanente kritische Punkte in der Hochschulführung werden eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten, unattraktive Bezahlung, eine fehlende mittlere Führungsebene und „zwar motivierte, aber veränderungsresistente“ Mitarbeiter gesehen. Dazu kommen vielfältige und mitunter gegensätzliche Zielsetzungen und die Rechenschaftspflicht gegenüber diversen Stakeholdern. (Sack 2009) Im Gegensatz zu Führungskräften in der Wirtschaft werden Wissenschaftler kaum systematisch auf ihre Führungsrolle vorbereitet. Es herrscht die Meinung vor, dass „Learning by Doing alternativlos ist und ausgewiesene wissenschaftliche Exzellenz der beteiligten Personen gleichsam automatisch zum Erfolg führt“ (Dittmer und Strätz 2012). Mentalitätsunterschiede zwischen Wissenschaft und Wirtschaft machen sich auch darin bemerkbar, dass Wirtschaftspraktiker die Wissenschaft immer noch als „Elfenbeinturm“ wahrnehmen (Le Bris et al. 2010). Viele Wissenschaftler, die Führungsaufgaben übernehmen, ohne dafür gewappnet zu sein, flüchten vor diesen Aufgaben (Kirchner und Rieger 2015). Die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente im Hochschulsektor birgt jedoch auch Risiken. Charakteristisch für in der Wissenschaft Tätige ist eine hohe intrinsische Motivation (Osterloh und Frey 2009, S. 7; Wagner-Baier et al. 2011, S. 49), Wissensdurst wird als treibende Kraft in der Forschung angesehen. Es besteht die Gefahr, dass dieser finanziell gesehen kostenlose Antrieb durch Output-orientierte und monetäre Anreizsysteme, wie die Bewertung anhand von Impact-Faktoren oder durch Bonuszahlungen, verdrängt wird (Osterloh und Frey 2009, S. 20).

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Bisher ist, im Gegensatz zur Wirtschaft, die systematische Evaluierung von Führungskräften an Hochschulen nicht etabliert (Peus et al. 2010). Im Hinblick auf die Besonderheiten von Führung in der Forschung stellt die Formulierung messbarer Outcome-Parameter eine besondere Herausforderung dar. Klassische und für alle Führungsmodelle anwendbare Maßstäbe sind Mitarbeiterzufriedenheit und messbares Arbeitsergebnis (Peus et al. 2010). Zur differenzierteren Beurteilung können Kriterien herangezogen werden wie die Identifikation mit der Arbeitseinheit, Leistungsmotivation, die Qualität der fachlich-inhaltlichen und der zwischenmenschlichen, aber auch harte Faktoren wie Gesamtleistung des Arbeitsbereichs im Vergleich zu ähnlichen Einheiten (Schmidt und Richter 2009).

11.4 Qualifikationsbedarf: Erwerb von Mitarbeiterführungskompetenzen in der Wissenschaft 11.4.1 Anforderungen an Führungskräfte Kriterien für die Besetzung von Nachwuchsgruppenleiter-Stellen, Junior- und Hochschulprofessuren sind nach wie vor wissenschaftliche Qualifikation und pädagogische Eignung (Richert und Rick 2010). Der Nachweis von Führungskompetenz wird nicht gefordert. Auch bei der Wahl zum Leiter einer Fakultät, also zum Dekan, spielt Führungserfahrung in Forschung oder Wirtschaft an Universitäten nur eine untergeordnete Rolle (Leichsenring und CHE 2009, S. 44 f.). Gleichzeitig wird von Führungspersonen an Hochschulen eine Bandbreite an Fähigkeiten gefordert. Sie umfassen neben der Fach- auch Methoden-, soziale und persönliche Kompetenz (Kopsieker et al. 2010). Neben Managementfähigkeiten im Sinne von Unternehmensführung sollen auch die vielfältigen Aspekte der Mitarbeiterführung beherrscht werden (Mehrtens 2009): • • • • • • • •

„die souveräne Personalführung die Übernahme von Verantwortung für Teams und Forschergruppen Organisationstalent und die Bereitschaft aktiv zu steuern die Fähigkeit wirksame Entscheidungen zu fällen und zu verantworten die Bereitschaft und Fähigkeit, notwendige Prioritäten zu setzen das Vermitteln zwischen unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen die Koordination und Verantwortung kompletter Forschungs- und Studienprogramme die verantwortliche Vertretung der Universität nach ‚außen‘.“

Eine Umfrage unter Dekanen ergab, dass Kompetenzen in der Mitarbeiterführung wie Verhandlungsgeschick, Überzeugungsfähigkeit, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit und „Andere für Neues gewinnen“ als sehr wichtig erachtet werden und deutlich über der Relevanz von fachlichen und Rechtskenntnissen liegen (Kopsieker et al. 2010).

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Darüber hinaus ist wird die Bedeutung von Kritikfähigkeit betont. Sie muss sich auf die eigene Person wie auch auf die umgebende Struktur und Kultur richten, deren Teil die Führungsperson ist (Fleitmann 2012).

11.4.2 Befunde zur erlebten Führungskompetenz in deutschen Wissenschaftseinrichtungen Die fachliche Kompetenz von Führungspersonen im wissenschaftlichen Umfeld, insbesondere an Hochschulen, ist wie beschrieben meist unbestritten. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Kriteriums der themenbezogenen Qualifikation als Hauptentscheidungsmerkmal bei der Besetzung von Leitungsstellen. Nach einer Befragung am LMU Center for People Management der LudwigMaximilians-Universität München werden etwa drei Viertel der Professoren beziehungsweise Promovierten von der eigenen Berufsgruppe selbst sowie von den befragten Doktoranden für fachlich kompetent gehalten. Die Kompetenz in Menschenführung wird deutlich geringer bewertet. Weniger als die Hälfte der Professoren beziehungsweise Promovierten, 43 %, halten ihre Kollegen für kompetent. Die Doktoranden sehen diese Eigenschaft nur bei 37 % der Professoren beziehungsweise Promovierten. (Peus 2009; SCNR 2013, S. 6). Hinweise auf die Führungssituation für Postdocs gibt eine 2011 veröffentlichte Online-Umfrage an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der 295 Befragte teilnahmen. Obwohl für diese Postdoktoranden die ihnen zugestandene Autonomie die wichtigste und am positivsten erlebte Determinante ihrer Arbeit ist, spielt die erlebte Führung eine relevante Rolle. Etwa 50 % fühlen sich zufriedenstellend, etwa 30 % unzureichend und etwa 20 % einengend geführt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass von den Postdocs trotz der Forderung nach weitreichender Autonomie in der Regel mehr Führung eingefordert werde. (Wagner-Baier et al. 2011, S. 59 ff.) Dies unterstützt die Beobachtung, dass Mitarbeiter in der Wissenschaft stark intrinsisch motiviert und selbstständige Arbeit gewohnt seien, viele jedoch, wie in einem der Experteninterviews formuliert, eine „Anfangsphase der Orientierungslosigkeit“ durchmachten. Zu besseren Ergebnissen als die oben angeführte LMU-Befragung kommt eine qualitative Interviewstudie mit 15 als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigten Promovierenden an fünf deutschen Universitäten in drei Fächergruppen. Die Effektivität des Führungshandelns des betreuenden Professors wird mit durchschnittlich 64 ± 28 von 100 bei einem Median von 80 beurteilt, die Zufriedenheit mit der erlebten Führung bei 67 ± 25 mit einem Median von 75 eingestuft. Diese mit 15 Befragten relativ kleine Gruppe ist also mit der ihnen gewährten Führung überwiegend zufrieden. (Schmidt und Richter 2008).

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Als Surrogatparameter für die Qualität der Mitarbeiterführung kann die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses herangezogen werden. Eine Analyse der Arbeitszufriedenheit von Doktoranden und Postdocs in den Kommunikations- und Medienwissenschaften zeigt, dass von 479 von Professoren betreuten Doktoranden und Postdocs nur 60 % zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Betreuungssituation sind. Dabei korreliert die Betreuungs- mit der Arbeitszufriedenheit. Von den Autoren wird die Forderung abgeleitet, „Betreuungskompetenzen künftig auch in Berufungsverfahren und Evaluationen stärker zu berücksichtigen, statt Listenfähigkeit in erster Linie an der bisherigen Publikationsleistung festzumachen“ (Engesser und Magin 2014).

11.4.3 Fragebogeninterviews „Führungsqualität in der Wissenschaft und Forschung“ An der TU Berlin ScienceMarketing GmbH wurde im Februar/März 2013 eine Umfrage unter den Alumni des Studienganges Wissenschaftsmarketing durchgeführt, auf die 14 Personen antworteten. Von 13 der 14 Befragten wird die „Führungsqualität in der Wissenschaft im Allgemeinen“ auf einer 10-stufigen Skala von 0 = schlecht bis 10 = hervorragend mit durchschnittlich 3,5 (Spannweite 1 bis 7, Median 3) bewertet. Ein weiterer Wissenschaftler vergibt eine 8, bezieht sich aber dabei ausdrücklich auf industrielle unter Ausschluss akademischer Forschung. Als Begründung für die Beurteilung werden angegeben (n = 12): • keine Qualifikation in Führungskompetenzen (n = 7) • Qualität der Mitarbeiterführung spielt keine Rolle als Qualitäts- und/oder Stellenvergabekriterium (n = 4) • fehlende Einsicht in die Notwendigkeit von Führungskultur beziehungsweise – kompetenz (n = 4) • persönliche Defizite und mangelnde Kompetenz der Führenden (n = 2) • Unterschiede in Anhängigkeit von Forschungsbereich beziehungsweise Führungspersönlichkeit (je n = 1) Nach Ansicht der Befragten (n = 13) resultieren daraus folgende Schäden: • • • • • • •

Demotivation der Mitarbeiter (n = 9) schlechte Leistung (n = 6) Zeitverschwendung/Verzögerung (n = 4) finanzieller Schaden und ineffiziente Nutzung von (finanziellen) Ressourcen (n = 3) negatives Image von Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern (n = 3) Verzögerung oder Fehlen von Entscheidungen (n = 2) Fluktuation beziehungsweise keine Bewerbungen von Mitarbeitern und Studierenden (n = 2)

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11.4.4 Befunde zur Entwicklung von Führungskompetenz Führungserfahrung stellt bei der Wahl von Dekanen nur einen nachrangigen Grund dar. Immerhin haben 55 % der Dekane vor Übernahme des Amtes Führungserfahrung in der Forschung und 43 % im Management gesammelt. Nur ein geringer Teil, rund 10 %, hat hochschulinterne oder -externe Weiterbildungsangebote oder Coachings durchlaufen oder einschlägige Konferenzen besucht. (Leichsenring und CHE 2009, S. 48, 45 f.). Auch Professoren sind nach ihrer subjektiven Wahrnehmung auf ihre Führungsaufgaben nur unzureichend vorbereitet (Winkler 2010). Daran kann auch die Implementierung von Führungsleitbildern an Hochschulen und Universitäten, die erwünschte Führungsstile beschreiben (vgl. Böhmer 2015), nichts ändern. Ebenso werden zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft Qualifizierungsangebote und Softskill-Trainings für wissenschaftliche Führungskräfte gefordert (Le Bris et al. 2010). Die Vorbereitung von Nachwuchswissenschaftlern auf Aufgaben der Mitarbeiterführung macht weniger als fünf Prozent ihrer systematischen Kompetenzentwicklung aus (vergleiche Schmidt 2007, S. 28; Schmidt und Richter 2009). Postdocs fühlen sich auf eine wissenschaftliche wie auch auf eine außerwissenschaftliche Karriere nur ungenügend vorbereitet. Während sie ihre Fähigkeiten zur Übernahme von Verantwortung sowie zu Kooperation und Kommunikation als Stärken bewerten, sehen sie Verbesserungsbedarf beim Konflikt- sowie beim Zeitmanagement und in ihren Führungsqualitäten (Wagner-Baier et al. 2011, S. 84 ff.). Eine Analyse an der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigt eine deutliche Differenzierung in der Wahrnehmung von Angeboten zum Erwerb von Führungskompetenzen. Befragt wurden 386 Doktoranden, Postdocs, Habilitanden, Privatdozenten und Professoren. Von den Personen, die die hauseigenen Kursangebote zu Selbst-, Führungs- und Lehrkompetenz kannten, hatten etwa 45 % auch an mindestens einer Veranstaltung teilgenommen, unter den Professoren waren es 56 %. Die niedrigsten Teilnehmerquoten waren in den Sozialwissenschaften zu beobachten. Besonders starkes Interesse bestand allgemein an Seminaren zu Führung, Kommunikation und Konfliktmanagement. Die Autoren konstatierten anhand ihrer Ergebnisse, dass etwa die Hälfte der Wissenschaftler „dem Thema Weiterbildung skeptisch gegenüber“ stehe. Als Hinderungsgründe für die Teilnahme an Kursen wurden hohe Arbeitsbelastung von 60 % und „Unsicherheit bezüglich des tatsächlichen Nutzens“ von fast 40 % der Antwortenden angegeben (Diethert und Hauser 2012). Hochschulen qualifizieren akademische Mitarbeiter nicht nur für sich selbst, sondern übernehmen mit der Entwicklung von wissenschaftlich ausgebildetem Personal eine gesellschaftliche Aufgabe (Brockschnieder et al. 2009, S. 10). Personalverantwortliche außerhalb des Hochschulwesens erwarten von promovierten Bewerbern für Führungspositionen neben der fachlichen Qualifikation auch „ausgeprägte Führungs-, Kommunikations- und Motivationsfähigkeiten“ (Burkhardt 2013, S. 269). Ein Ziel der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist eine Durchlässigkeit zwischen Hochschule,

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Wirtschaft und Verwaltung. Die Personal- (und Persönlichkeits-) entwicklung von Nachwuchsführungskräften muss auch deshalb an Hochschulen als Leitungsaufgabe verstanden werden (BMBF 2008, S. 4 f.). Die Themen der Ausbildungsprogramme müssen der Zielgruppe, also der Hierarchieebene, der erreichten Kompetenz und Verantwortung sowie dem Qualifikationsbedarf angepasst sein (Peus 2009).

11.4.5 Zwischenfazit Ziele der Mitarbeiterführung in der Wissenschaft sind die Anleitung in der wissenschaftlichen Arbeit und gleichzeitig die Vermittlung wirtschaftlicher und externer Anforderungen. Probleme ergeben sich aus dem Primat der Fachkompetenz. Mangelhafte Kompetenzen in der Mitarbeiterführung erzeugen Unzufriedenheit im Team und bergen die Gefahr materieller und immaterieller Verluste. Häufig fehlt jedoch das Verständnis für die Relevanz von guter Mitarbeiterführung und für die persönlichen Defizite auf diesem Gebiet. Ergebnis: Aspekte Rahmenbedingungen und Qualifikationsbedarf

Ziele der Mitarbeiterführung • Anleitung in der wissenschaftlichen Arbeit und • Vermittlung wirtschaftlicher und externer Anforderungen Probleme in der Wissenschaft • Primat der Fachkompetenz • Keine systematische Ausbildung von (Nachwuchs-)führungskräften in der Mitarbeiterführung • verbreitete Unzufriedenheit • Gefahr materieller und immaterieller Verluste • Verständnis für Relevanz bzw. Defizite häufig fehlend

11.5 Ausbildungsangebote zum Kompetenzerwerb in der Mitarbeiterführung Aus den Anforderungen an Führungskräfte sowie den erlebten und selbst wahrgenommenen Führungskompetenzen kann geschlussfolgert werden, dass insbesondere Nachwuchsführungskräfte in der Wissenschaft eine strukturierte Qualifikation für die

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Mitarbeiterführung erhalten sollten, die in Inhalt und Umfang ihrer zukünftigen Funktion und Verantwortung gerecht wird. Als Nachwuchsführungskräfte können Wissenschaftler definiert werden, die sich zu Leitern von großen Abteilungen oder Instituten, zu Dekanen oder zu Führungskräften mit wissenschaftlichen Querschnittsaufgaben, zum Beispiel als Sprecher eines Sonderforschungsbereichs, entwickeln wollen. Die folgenden Analysen von Weiterbildungsangeboten orientieren sich an den Aspekten Nachwuchsführungskräfte in der Wissenschaft als Zielgruppe, Ausrichtung auf Kompetenzerwerb in der Mitarbeiterführung und Verbindlichkeit der Ausbildungsstruktur. Bei der Definition der Einschlusskriterien wurden außerdem typische Merkmale eines Hochschulstudiengangs berücksichtigt.

11.5.1 Angebote der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland Alle großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland (DFG, Leibniz Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, VolkswagenStiftung, Fraunhofer-Gesellschaft) bieten Förderprogramme für Nachwuchswissenschaftler an. Hier geht es jedoch praktisch ausschließlich um wissenschaftliche Expertise, eine strukturierte Entwicklung von Führungskompetenzen oder anderen Soft skills ist nicht oder nur als in geringem Umfang als „Add-on“ in die Programme integriert. Als einzige große Wissenschaftsorganisation bietet die Helmholtz-Gemeinschaft ihren eigenen und externen Nachwuchsführungskräften ein strukturiertes Programm zur Vermittlung persönlicher Kompetenzen an.

11.5.2 Programme Alle nicht primär ausgeschlossenen Programme (vergleiche Abschn. 2.2.2) wurden weiter nach folgenden Kriterien analysiert: • Zielgruppe Nachwuchsführungskräfte • ausgelegt für Wissenschaftseinrichtungen • Fokus auf Mitarbeiterführung • verbindliches Curriculum • Abschlussarbeit/-prüfung • kompetitives Auswahlverfahren • Dauer mindestens ein Semester • offen für externe Teilnehmer

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Die folgenden Programme entsprachen den Einschlusskriterien zumindest überwiegend: • Young Leaders in Science (Schering Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Wissenschaftsmanagement Speyer, ZWM) [1] • Professional Management Program (PMP) für Führungskräfte (ZWM) [2] • Führung starten (Helmholtz-Gemeinschaft) [3] • Führung übernehmen (Helmholtz-Gemeinschaft) [4] • Führung der eigenen Gruppe – Leading your group (Helmholtz-Gemeinschaft) [5] • Kommunikation und Management (Donau-Universität Krems) [6] • St.Galler Leadership-Zertifikat (Universität St.Gallen) [7] • Selbst-, Führungs- und Lehrkompetenz (Ludwig-Maximilians-Universität München) [8] • Entwicklungsprogramm für Führungskräfte (EPF) (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) [9] • Erfolgreich starten an der JGU – Leadership für neu berufene Professor/-innen (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) [10] • keys2competence (Karlsruhe Institute of Technology) [11] Es handelt sich damit um vier nicht institutionsgebundene (1, 2, 6, 7) und sieben einrichtungseigene (3–5, 9–11) Ausbildungsgänge (Tab. 11.1). Tab. 11.1  Links der Programme [1] Schering Stiftung (2017) http://www.scheringstiftung.de/index.php?option=com_content&­vi­ ew=article&id=1838&Itemid=32&lang=de, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [2] ZWM (2017) https://www.zwm-speyer.de/veranstaltung/professional-management-­programpmp-fuer-fuehrungskraefte/, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [3] Helmholtz-Gemeinschaft (2017) https://www.helmholtz.de/karriere_talente/die_helmholtz_ akademie_fuer_fuehrungskraefte/fuehrung_starten/, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [4] Helmholtz-Gemeinschaft (2017) https://www.helmholtz.de/karriere_talente/die_helmholtz_ akademie_fuer_fuehrungskraefte/fuehrung_uebernehmen, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [5] Helmholtz-Gemeinschaft (2017) https://www.helmholtz.de/karriere_talente/die_helmholtz_ akademie_fuer_fuehrungskraefte/fuehrung_der_eigenen_gruppe_leading_the_group, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [6] Donau-Universität Krems (2017) https://www.donau-uni.ac.at/de/studium/­ kommunikationundmanagement/index.php, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [7] Universität St.Gallen (2017) https://www.es.unisg.ch/de/programme/st-galler-leadership-­ zertifikat, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [8] Ludwig-Maximilians-Universität München (2017) http://www.peoplemanagement.uni-­ muenchen.de/angebot/pm_zertifikat/pm_zertifikat/index.html, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [9] Johannes Gutenberg-Universität Mainz (2017) http://www.personalentwicklung.uni-mainz. de/1048.php, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [10] Johannes Gutenberg-Universität Mainz (2017) http://www.personalentwicklung.uni-mainz. de/1050.php, zuletzt zugegriffen 30.12.2017 [11] KIT (2017). http://www.peba.kit.edu/383.php, zuletzt zugegriffen 30.12.2017

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Ergebnis: Aspekt Ausbildungsangebote

• Kein Programm vorhanden, das den anhand des Bedarfs definierten Kriterien vollständig entspricht • Mehrzahl der Qualifikationsmöglichkeiten ist von Wissenschaftsorganisationen oder Hochschulen selbst etabliert und einrichtungsgebunden

11.6 Konzeptioneller Ausblick: Führend in die Zukunft 11.6.1 Überlegungen zum Markt In den letzten Jahren sind professionelles Management und wissenschaftliche Exzellenz als Erfolgsfaktoren wissenschaftlicher Einrichtungen definiert worden. Hier ist jetzt ein hoher Stand erreicht. Eine weitere Leistungssteigerung wird sich nur über eine hohe Qualität der Mitarbeiterführung erreichen lassen. Professionelle Mitarbeiterführung bildet einen Bestandteil professionellen Managements. Unter den Bedingungen des Fachkräftemangels und der wachsenden Vielfalt in der wissenschaftlichen Community wird sich Führungskultur zu einem immer stärkeren Entscheidungskriterium für Mitarbeiter und Bewerber entwickeln. Leitungen wissenschaftlicher Einrichtungen ebenso wie externe Stakeholder dürfen nicht länger darauf vertrauen, dass die intrinsische Motivation der Akteure allen Beanspruchungen standhält, die die Forderung nach leistungsorientierter Forschung mit sich bringt. Diese Motivation muss durch geeignete Führungsmaßnahmen gefördert und erhalten werden. Ein entsprechender Kompetenzerwerb ist jedoch in der Hochschulausbildung nicht verankert. In unterschiedslos allen Wissenschaftsdisziplinen müssen die oberen Leitungsebenen die Bedeutung der Führungskultur für den Erfolg ihrer Institution erkennen und entsprechende Entwicklungsmaßnahmen top down durchsetzen. Die Vermittlung von Kompetenzen der Mitarbeiterführung muss dagegen bottom up erfolgen und in den untersten Ebenen, beim Führungskräftenachwuchs beginnen. Eine zeitig einsetzende Ausbildung in Kompetenzen der Mitarbeiterführung verbessert prospektiv die Qualität der Führung auf höheren Leitungsebenen und stellt damit eine nachhaltige Investition in die Zukunft der Einrichtung dar. Obwohl sich ein erheblicher Bedarf konstatieren lässt, gibt es jedoch bisher kein Ausbildungsangebot, das den für die Wissenschaft gestellten Ansprüchen in Art und Umfang völlig genügt. Der Massenmarkt für Schulungen in der Mitarbeiterführung für alle Hierarchieebenen und Beschäftigtengruppen an Hochschulen erscheint durch niedrigschwellige Kurzangebote abgedeckt, die von den Wissenschaftseinrichtungen selbst entwickelt oder von externen kommerziellen Anbietern eingekauft werden. Im Marktsegment für Ausbildungsmöglichkeiten, zu denen der Zugang nur über ein kompetitives Auswahlverfahren und/oder über die Leitung der Einrichtung erfolgt, gibt

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es nur sehr wenige Angebote. Die Zielgruppe des Angebots bilden die Nachwuchsführungskräfte, die Zielgruppe für Kommunikation und Marketing die Leitungsebenen. Dazu können beide Gruppen hinsichtlich der Kommunikation auch als sekundäre Zielgruppe und Mittler betrachtet werden, indem sie eine entsprechende Entwicklungsmaßnahme einfordern beziehungsweise empfehlen. Bei der Preisgestaltung wäre zu entscheiden, ob die Zahlung durch die Teilnehmer, durch die Einrichtungsleitung, in einem Beteiligungsmodell oder auch obligat oder fakultativ aus Drittmitteln geplant wird. Dabei ist zu bedenken, dass insbesondere Hochschulen unter erheblichem finanziellen Druck stehen und Verteilungsgerechtigkeit für das verfügbare Budget für Personalentwicklungsmaßnahmen gewährleisten müssen. Überproportionale Investitionen in Einzelpersonen der Nachwuchsebene lassen sich nur schwer begründen.

11.6.2 Kompetenzfaktoren – Überlegungen zu den Lehrinhalten Welches Instrument für welche Situation? Erfolgreiche Führung besteht in der Vermittlung einer Vision, gleichzeitig aber in der ergebnisorientierten Definition konkreter Arbeitsaufgaben. Die Stärkung der intrinsischen Motivation und der Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente wie Zielvereinbarungen müssen sich ergänzen. Das bedeutet, dass Führungskräfte einen transformationalen und einen transaktionalen Führungsstil verflechten müssen. „Die Kunst besteht darin, fallbezogen zu agieren“ (Nickel 2009). Spezielle Situationen von Nachwuchsführungskräften Wie auch in den Fragebogeninterviews deutlich wurde, ist eine der größten Herausforderungen das Führen ohne zugewiesene Leitungsfunktion. Die Führungsperson muss sich diese Aufgabe innerhalb des Teams erarbeiten. Aufgrund des an Hochschulen herrschenden Kollegialitätsprinzips auf höheren Hierarchieebenen ist die Fähigkeit zur Führung ohne Auftrag nicht nur für den Nachwuchs, sondern auch im weiteren Karriereverlauf von Vorteil. Die Situation trifft zudem in vielen Fällen auch für die Arbeit in virtuellen Teams zu. Mit Erteilung der ersten Leitungsaufgaben übernimmt der Wissenschaftler häufig die Vorgesetztenfunktion in seiner bisherigen peer group. Die neue Weisungsbefugnis und – pflicht stellt sowohl für das Team als auch für die Führungskraft eine Herausforderung dar. Nachwuchsführungskräfte befinden sich zudem oft in Sandwich-Positionen, sind also mehreren übergeordneten Personen gleichzeitig rechenschaftspflichtig und erzielen Ergebnisse nicht direkt mit einem Team, sondern indem sie nachgeordnete Leiter führen. Sie müssen dabei die Interessen ihrer ganzen Einheit im Sinne einer Bottom-up-Führung gegenüber höheren Ebenen vertreten.

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Konzeptioneller Ausblick

Offene Fragen: • Adressaten der Kommunikation von Angeboten der wissenschaftlichen Weiterbildung • Finanzierung • Inhalte unter Berücksichtigung der Situation von Nachwuchsführungskräften

11.6.3 Schlussbemerkung Aufgrund des traditionellen Anforderungsprofils kann die fachliche Kompetenz bei Führungskräften in der Wissenschaft als gegeben betrachtet werden. Sie ist gleichzeitig die Voraussetzung für die Akzeptanz als Führungskraft. Für Managementkompetenzen wie Budgetplanung, Finanzverwaltung, Projektstrukturierung, Vertragsgestaltung und ähnliche Probleme gibt es in aller Regel die Möglichkeit auf die Infrastruktur der Hochschule und die Expertise von Verwaltungsfachleuten und anderen Mitarbeitern zurückzugreifen. Die Kompetenz zur Mitarbeiterführung hingegen muss intrinsisch sein und von der Führungskraft selbst erworben werden. Mitarbeiterführung ist nicht delegierbar. Fachliche Kompetenz ist Voraussetzung für gute Führung. Gute Führung bringt aber auch fachliche Kompetenz: Es ist anzunehmen, dass Führungskräfte, die einen positiven Führungsstil pflegen, damit auch ihre eigenen Sach- und Managementkompetenzen verbessern. Sie haben wenig Probleme, die richtigen Ansprechpartner zu finden sowie ihre Fragen passend zu formulieren und erhalten so die benötigten Informationen. Der Erwerb von Führungskompetenz wird also auch in dieser Hinsicht eine nachhaltige Wirkung entfalten. Zusammenfassung Die wissenschaftliche Weiterbildung stellt einen wachsenden Sektor des Bildungsmarktes dar. Vorgestellt wird eine exemplarische Marktanalyse zum Thema „Erwerb von Kompetenzen in der Mitarbeiterführung durch Nachwuchswissenschaftler“. Untersucht werden Rahmenbedingungen und Qualifikationsbedarf sowie vorhandene Ausbildungsangebote. Die Entwicklungen in der deutschen Forschungslandschaft seit den 1980er Jahren determinieren ein neues Verständnis für Mitarbeiterführung im Hochschulkontext. Managementorientierung und die höhere Komplexität der geführten Teams bilden die beiden Hauptaspekte und determinieren ein neues, professionalisiertes Verständnis für Mitarbeiterführung im Hochschulkontext. Kompetenzen der Mitarbeiterführung beziehen sich nicht mehr nur auf die Anleitung in der wissenschaftlichen Arbeit. Führungspersonen müssen ihren Mitarbeitern auch wirtschaftliche Zielsetzungen und die Anforderungen des Umfelds vermitteln und das, häufig interdisziplinäre, Team entsprechend motivieren und steuern.

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Die Komplexität des Wissenschaftsumfeldes macht Kompetenzen der Mitarbeiterführung auf allen Führungsebenen unabdingbar. In der Wirtschaft ist Mitarbeiterführung als integraler Bestandteil des Managements etabliert. Für die Wissenschaft ist ein derartiges Verständnis bisher nicht im gleichen Ausmaß entwickelt. Das Auswahlkriterium für Führungspersonen in der Wissenschaft stellt die fachliche Kompetenz dar. Fähigkeiten zur Mitarbeiterführung werden meist als gegeben angesehen und müssen nicht gesondert nachgewiesen werden. Die Analyse verschiedener Quellen zeigt jedoch, dass Führung insbesondere von Doktoranden und Postdocs häufig als unzureichend erlebt wird. Die Defizite in der Mitarbeiterführung führen zu Demotivation, ineffizienter Nutzung von Ressourcen und suboptimalen wissenschaftlichen und ökonomischen Ergebnissen. Unter den Bedingungen des Fachkräftemangels und der wachsenden Vielfalt in der wissenschaftlichen Community wird sich Führungskultur zu einem immer stärkeren Entscheidungskriterium für Mitarbeiter und Bewerber entwickeln. Viele Nachwuchswissenschaftler und Führungskräfte sind sich bewusst, dass ihnen entsprechende Qualifikationen fehlen. Als eine Ursache kann eine fehlende strukturierte Vermittlung entsprechender Kompetenzen während der Laufbahn als Wissenschaftler und Führungskraft ausgemacht werden. Eine zeitig einsetzende Ausbildung in Kompetenzen der Mitarbeiterführung könnte prospektiv die Qualität der Führung auf höheren Leitungsebenen verbessern und damit eine nachhaltige Investition in die Zukunft der Einrichtung darstellen. Aus den beschriebenen Ergebnissen wurden Kriterien für Ausbildungsprogramme zu Kompetenzen der Mitarbeiterführung für die Zielgruppe der Nachwuchsführungskräfte in der Wissenschaft abgeleitet. Die Recherche zeigt, dass es in Deutschland kein Ausbildungsangebot im Sinne eines Studiums gibt, das diesen vollständig entspricht. Programme, die den Anforderungen zumindest weitgehend gerecht werden, sind oft institutionsgebunden. Die Konzeption eines entsprechenden Ausbildungsangebots wird anhand einzelner Gesichtspunkte angerissen.

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Claudia Heilmann, Jahrgang 1966, studierte Medizin, Molekularbiologie und Wissenschaftsmarketing in Leipzig, Hamburg und Berlin. Sie habilitierte sich in Freiburg im Breisgau in Experimenteller Medizin und ist aktuell Professorin und Studiengangleiterin an der Berufsakademie Sachsen.

Events in der Wissenschaft

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Thorsten Knoll

Zusammenfassung

Die Bedeutung von Events im Wissenschaftsmarketing ist im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte zunehmend gestiegen. Dieses spiegelt sich auch in der Ausrichtung und der Beteiligung an vielfältigsten Veranstaltungsformen des Wissens- und Technologietransfers. Das diesbezügliche Angebot war lange auf wissenschaftliche Kongresse, Tagungen und Seminare ergänzt durch Beteiligungen an regionalen bis internationalen Messen und Ausstellungen begrenzt. Veränderte hochschulpolitische Anforderungen, die auf eine stärkere Kooperation auch außerhalb des wissenschaftlichen Sektors zielen, führten zu neuen Dialogformen, die im Hochschulbereich auch durch eine breite Palette moderner informations- und öffentlichkeitswirksamer Events umgesetzt werden. Einhergehend damit gilt es durch die Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen neue Aufgaben zu bewältigen und weitläufig Zielgruppen zu befriedigen, um den notwendigen Aufbruch der Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm nicht in einer undifferenzierten Eventflut münden zu lassen.

12.1 Einleitung: Third Mission – aus der Wissenschaft in die Gesellschaft Über Jahrhunderte verfügten Universitäten, Seminare und Akademien über ein didaktisches und forschendes Eigenleben in direkter Abgrenzung zu Wirtschaft und Politik. Der Wissenstransfer erfolgte unter den Lehrenden und von den Lehrenden an die Lernenden. Die klassischen Vermittlungsformen waren das Seminar im Hörsaal und die Praktika im T. Knoll (*)  TUBS GmbH TU Berlin ScienceMarketing, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_12

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T. Knoll

Labor sowie zeitlich limitierte Treffen zum Wissensaustausch in Form von Kongressen, Konferenzen und Tagungen. Dieses Modell einer in sich abgeschlossenen wissenschaftlichen Gemeinschaft wurde aber spätestens mit dem Siegeszug der modernen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft obsolet. Damit einhergehend mussten sich Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen immer umfassender zusätzlichen gesellschaftlichen Aufgaben stellen, die in der Gegenwart weit über den klassischen Technologie- und Bildungstransfer hinausgehen. Die Öffnung der Universitäten für breitere Bevölkerungsschichten, die Gründung von Fachhochschulen als wirtschaftsfördernde Maßnahmen und der Auf- und Ausbau wissenschaftlicher Großeinrichtungen und wissenschaftlicher Verbünde waren die sichtbaren Zeichen einer grundlegenden Modernisierung des Wissenschaftssystems bis weit in die 1990ziger Jahre. Der steigende gesellschaftliche Wert der Wissensgenerierung und des Wissenstransfers fanden durch diese bildungspolitischen Maßnahmen ihren sichtbaren Ausdruck. Heute sind Universitäten und Hochschulen weit mehr als reine Forschungs- und Lehranstalten. Sie sind im Zuge des Umbaus des Wissenschaftssystems zu gesellschaftspolitisch relevanten Institutionen geworden; eine Veränderung die auch die für die Wissenschaftskommunikation und das Wissenschaftsmanagement im gesellschaftlichen Anspruch an die Forschungseinrichtungen drastische Veränderungen mit sich bringt. In Deutschland werden die bildungspolitischen Aufgaben der Hochschulen im Hochschulrahmengesetz (HRG) mit der „Pflege und Entwicklung der Wissenschaften“ nur vage definiert. Hochschulen sollen demnach in erster Linie der Erweiterung und der Vermittlung von Wissen und wissenschaftlichen Methoden dienen. In Wirklichkeit gehen Lehre und Forschung inzwischen aber weit über diesen eng gefassten Rahmen reiner Forschungs- und Lehrtätigkeit hinaus. Zunehmend wird es wichtiger, innovative Forschungsleistungen in die Wirtschaft oder in gesellschaftliche Debatten hinein zu tragen. Aber auch die Gesellschaft ihrerseits hat Einfluss auf Ziele und Ausrichtungen bei Forschung und Lehre. Es kommt somit zwangsläufig zu einer engmaschigen Verzahnung und einem wechselseitigen Austausch zwischen Hochschule und Gesellschaft bzw. einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen. Durch die zahlreich entstandenen Austauschprozesse lassen sich einzelne Aufgabenbereiche häufig nur noch schwer voneinander trennen. Es handelt sich in weiten Teilen eben nicht mehr um vollständig voneinander unabhängige Aufgaben, sondern um durchgängig ineinander verschränkte Dienstleistungsbereiche. Im Zuge einer sich fortwährend verändernden Gesellschaft, die zukünftig insbesondere durch einen tief greifenden demografischen Wandel geprägt sein wird, werden sich auch die Aufgaben und die Ansprüche an Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen weiterentwickeln müssen. Vor allem die Hochschulen sind gefordert weitere gesellschaftlich relevante Funktionen jenseits von Forschung und Lehre in steigendem Maße wahrzunehmen, die mit dem Begriff „Third Mission“ umschrieben werden. Waren Art und Umfang sowie die Umsetzung der gesellschaftlich orientierten Aufgaben lange Zeit nicht verbindlich definiert worden, wird mit dem Begriff der Third Mission

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versucht, die Tätigkeiten, Aufgaben und Leistungen, die die Hochschulen neben der reinen Lehre und Forschung in unterschiedlich starkem Maße durchführen, erstmals zu benennen und als solche auch anzuerkennen. Heute versammeln sich unter dem Begriff der Third Mission zahlreiche Aktivitäten, die von Tagen der offenen Tür, Diskussionsrunden mit Bürgerbeteiligung, Ausrichtung von Kinderuniversitäten, MINT Programmen und Science-Slam-Veranstaltungen über weiterbildende Studiengänge, Start-Up- und Entrepreneurförderungen, Career Serviceangeboten für Studierende, Bildungs- und Recruitingmessen bis hin zum klassischen Technologie-Transfer durch Veranstaltungen und Messebeteiligungen sowie die Ausrichtung wissenschaftlicher Konferenzen und Tagungen reichen. Das Wesen der Third Mission beinhaltet, dass das gesellschaftspolitische Engagement der Hochschulen im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung über die gesetzlichen Bestimmungen der Hochschulrahmenverträge hinausgehen soll. Neben dem festgelegten Aufgabenkanon von Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung sollen die Hochschulen gezielt Studierende sozial fördern und ggf., wie im aktuellen Falle der Geflüchteten, Menschen in Deutschland gesellschaftlich integrieren, einen aktiven Bildungs- und Forschungsaustausch mit nationalen und internationalen Kooperationspartnern betreiben und einen umfassenden Wissens- und Technologietransfer befördern. Darüber hinaus sollen sie die breite Öffentlichkeit über den Sinn und den Nutzen ihrer Forschungsthemen informieren. Alles Aufgaben, die weit über die reine Lehre und Forschung hinausgehen und somit eine echte dritte Mission darstellen. „The third mission has emerged from this evolutionary process to become a mature additional mission of universities, supported by individual universities as well as at a national policy level“ (Zomer und Benneworth 2011, S. 98). In diesem Sinne sollte die Third Mission als ein vielschichtiger Ansatz gesehen werden, der kulturelle, soziale, politische und insbesondere wirtschaftliche Aspekte im Handeln der Hochschulen berücksichtigt. Es handelt sich letztendlich um einen Sammelbegriff für alle gesellschaftsbezogenen Hochschulaktivitäten, in denen die Beachtung gesellschaftspolitischer Trends und Bedürfnisse zum Ausdruck kommt. Es werden damit im Rahmen der Third Mission die Ansprüche reflektiert, die in der zukünftigen Ausgestaltung moderner Wissensgesellschaften eine wichtige Rolle spielen werden. Zu der Herausforderung an das Wissenschaftssystem durch steigende Studierendenzahlen bei nicht entsprechend steigenden finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte kommt somit noch die Erweiterungen des Aufgabenkanons im Rahmen der Third Mission hinzu. Die gesellschaftsbezogenen Hochschulaktivitäten sind in Teilen eng mit den Kernaufgaben Lehre und Forschung vermischt, wie z. B. Forschungsprojekte in Kooperation mit Unternehmen. Als klassische Drittmittelprojekte spiegeln sie die Überschneidungen von Third Mission und angewandter Forschung deutlich wider. Neben dem Technologietransfer gehört aber auch der Transfer akademischen Wissens in die Wirtschaft und Gesellschaft durch Absolventen zu diesen Überschneidungsbereichen. Deutlich schärfer ist die Trennlinie hingegen bei der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen

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­ ooperationspartnern, im Rahmen regionalen Engagements oder im Bereich der QuarK tären Bildung. Durch die Verknüpfung von Bildung, Forschung und Innovation sollen Hochschulen in Zukunft nicht nur einen noch größeren Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum leisten, sondern auch verstärkt zu gesellschaftlichen Fragestellungen Position beziehen und Antworten geben. Dabei bilden der direkte Austausch und die wechselseitige Interaktion den Kern dieser Kooperationen mit allen relevanten Gruppen der Zivilgesellschaft. Je nach Aufgabe können dies Verbände, Stiftungen, Vereine oder auch Ministerien sowie Wirtschaftsfördergesellschaften oder einzelne Unternehmen sein. Diese Vielzahl an Hochschulaktivitäten parallel zu den Lehr- und Forschungsaufgaben erfordert eine zunehmende Bereitschaft, an den Hochschulen Veranstaltungen zu planen und durchzuführen. Damit verbunden ist der Auf- und Ausbau moderner Verwaltungsstrukturen, die ein serviceorientiertes Veranstaltungsmanagement für die unterschiedlichen Event- und Kommunikationsanforderungen leisten können. Der Aufbau dieser neuen Strukturen ist an vielen Hochschulen bislang noch nicht abgeschlossen und wird im Rahmen eines integrativen Wissenschaftsmarketings auf unbestimmte Zeit ein wichtiges Thema bleiben.

12.2 Technologie- und Wissenstransfer durch Messen Die stärkere Ausrichtung des deutschen Wissenschaftssystems an gesellschaftlichen Frage- und Themenstellungen führt auch zu einem – politisch gewünschten – Ausbau der wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Seit Jahren bedienen sich Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen sehr erfolgreich unterschiedlicher Marketinginstrumente, um diese steigenden Anforderungen über Forschung und Lehre hinaus erfolgreich bestreiten zu können. Der klassische Technologietransfer ist deutlich professioneller geworden und neben Meetings und Matches nehmen insbesondere Messebeteiligungen hier eine bedeutende Schlüsselfunktion ein. Das Messewesen ist für viele Einrichtungen aus dem Wissenschaftssystem ein nicht mehr wegzudenkendes Marketinginstrument geworden.

12.2.1 Die Bedeutung von Messen für das Wissenschaftsmarketing Neben den vielfältigen Aufgabenfeldern der Third Mission führen vor allen die neuen wettbewerblichen Strukturen an den Hochschulen zu einem Bündel neuer Vorgehensweisen im Wissenschaftsmarketing: Vom Werben um geeignete Studierende über die Suche nach fähigen wissenschaftlichen Mitarbeitenden und exzellenten Professorinnen und Professoren, die Modernisierung der Verwaltungen bis hin zur Erschließung neuer finanzieller Mittel durch die deutliche Erhöhung von Drittmitteln aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Quellen. Dies gilt in ähnlicher Art und Weise auch für viele wissenschaftliche Großforschungseinrichtungen aus den großen Verbünden

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Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V., Max-Planck-Gesellschaft oder auch Leibniz Gemeinschaft und den Ressort Forschungseinrichtungen des Bundes, die parallel zu ihrer staatlichen Grundfinanzierung zusätzliche finanzielle Mittel einwerben. Für die Einwerbung privatwirtschaftlicher Drittmittel ist das Messewesen ein ideales Instrument eines proaktiv gestalteten Technologietransfers mit dem Ziel industrienaher Kooperationen. Daneben können Messebeteiligungen aber auch über einen klassischen Technologietransfer hinausgehende Leistungen für Hochschulen erbringen. Im Rahmen eines Benchmarketings kann es sich hierbei um die gezielte Positionierung der eigenen Hochschule oder wissenschaftlichen Einrichtung als Innovationsträger in einer ­Branche handeln. Oder, in einem eingegrenzten thematischen Bereich, um die Bewerbung der Hochschule als exzellente Bildungs- und Weiterbildungseinrichtung im Sinne eines ­wettbewerblichen Studierendenmarketings sowie um ein aktives Standortmarketing für die jeweilige Region, in die die Hochschule oder wissenschaftliche Einrichtung eingebettet ist. Damit sind Messen eine adäquate integrale Komponente eines umfassenden Wissenschaftsmarketings.

12.2.2 Die Zielsetzung von Messeauftritten im Rahmen des Wissenschaftstransfers Die Messebeteiligungen von Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen sind mit einer Reihe von unterschiedlichen Zielsetzungen verbunden. Sie können sich in ihrer Priorität von Institution zu Institution stark unterscheiden. Dabei ist die Teilnahme an Messen kein Selbstzweck, kein Ereignis an sich, sondern immer ein Mittel, definierte Marketingziele zu erreichen, bei dem es durchaus vertretbar ist, im Einzelfall auf eine Teilnahme zu verzichten, wenn bestimmte, vorab definierte Ziele mit dem ausgewählten Messeplatz doch nicht vereinbar sind. Einwerbung von Drittmitteln Generell ist eines der zentralen Ziele von Messebeteiligungen Wissenschaftlicher Einrichtungen und Hochschulen die Einwerbung von Drittmitteln durch die Darstellung bzw. die Präsentation von Forschungsleistungen als Kooperationsangebote an die Wirtschaft. Dabei ist zwischen reinen Forschungskooperationen und sogenannten F&E-Projekten zu unterscheiden. Forschungskooperationen sind im allgemeinen auf einen Austausch von Erfahrungen, Wissen und Know-how oder auf eine arbeitsteilige gemeinsame Entwicklungsleistung ausgerichtet, die F&E-Projekte hingegen auf ein spezifisches Projekt, bei dem die Hochschule im Sinne eines Dienstleisters als Auftragnehmer und das Unternehmen als Auftraggeber fungiert. Diese Unterscheidung ist von bedeutender Relevanz, da bei einer gemeinschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rahmen einer Forschungskooperation mögliche Erfindungen und Schutzrechte beiden Seiten gemeinschaftlich zustehen können. Dies erfordert eine juristische

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Regelung im Vorfeld der Kooperation, die hinsichtlich der Übertragung von Schutzrechten und Patenten, die damit einhergehenden Nutzungsrechte und Vergütung vertraglich regelt. Dies bedingt bei jedem Messeauftritt die vorherige Prüfung der Schutzrechte durch die den wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen zugeordneten Patentverwertungsgesellschaften, die je nach Bundesland zentral vom Land oder dezentral von den jeweiligen Institutionen betrieben werden. Herausstellung einzelner wissenschaftlicher Leistungen aus Forschung und ­Entwicklung Neben der Einwerbung von Drittmitteln ist die Herausstellung einzelner wissenschaftlicher Leistungen aus Forschung und Entwicklung auf Messen zu benennen. Sonderforschungsbereiche, geförderte Verbundprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung oder des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie der Europäischen Union werden vielfach auf Messen als Innovationstreiber präsentiert. Meist handelt es sich dabei um Forschungsleistungen, die aus der Grundlagenforschung in die Bereiche anwendungsorientierter Forschung weiterentwickelt werden konnten. Ihre Präsentation im Rahmen von Fachmessen führt nicht selten zu einem Innovationsschub für eine ganze Reihe marktfähiger Produktserien durch Industriepartner. Ideenbörse und Katalysator für die Vermarktung von wissenschaftlichen E ­ rgebnissen Start-ups sind moderne Ideenbörsen und Katalysatoren für die Vermarktung von wissenschaftlichen Ergebnissen. Sie stehen für einen indirekten Transfer von Wissen und Technologie aus der Wissenschaft in die Wirtschaft, der seit einigen Jahren sehr erfolgreich über die Ausgründungen der Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen erfolgt. Start-ups sind somit zu wichtigen Transformatoren einer innovativen Wissensgenerierung geworden. Die hohe gesellschaftliche Relevanz der überwiegend als Spinoffs aus den Hochschulen kommenden Start-ups wird unter anderem durch das EXIST Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie deutlich, das seit Jahren an junge Unternehmer vergeben wird. Zudem fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Programm „EXIST-Gründungskultur – Die Gründerhochschule“ (EXIST IV) seit 2010 zusätzlich 21 Hochschulen in ihrer Umsetzung einer ganzheitlichen, hochschulweiten Strategie zu Gründungskultur und Unternehmergeist. Im Rahmen dieser Gründerförderungen spielen die Beteiligungen an Messen eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung der jungen Unternehmen. Nur auf Messen erhalten sie einen umfassenden Marktüberblick, eine Kundenresonanz auf ihre Produkte oder Systemlösungen und die Möglichkeit, Kunden oder Investoren zu treffen. Aber auch Messeveranstalter und Unternehmen haben eine große und vielschichtige Sympathie für Start-ups. Sie sind zu wichtigen Innovationsträgern geworden, die kreativ und ideenreich neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung zu innovativen Geschäftsmodellen weiterentwickeln. Aus diesem Grunde haben mehr und mehr Unternehmen ein Interesse an Kooperationen, Beteiligungen oder an einer Übernahme von Start-ups.

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Erzielung von Synergieeffekten Nicht nur der Transfer von Wissenschaft in die Wirtschaft, sondern auch der Transfer von Wissenschaft in die Wissenschaft wird durch Messen begünstigt. Dem förderlich sind bei Beteiligungen vieler Hochschulen, aber auch Wissenschaftlicher Einrichtungen an Messen insbesondere die Ausstellung an Gemeinschaftsständen. Auf ihnen entsteht durch die räumliche Nähe zwischen den Einzelausstellern zwangsläufig eine Interaktion, die zu einem in der Umsetzung gemeinsamer Forschungsprojekte resultierenden wissenschaftlichen Austausch führen kann. Dies gilt in einem größeren Rahmen für die in einer Reihe von Fachmessen fest definierten F&E-Bereiche, in denen Forschung und Entwicklung als thematische Klammer fungiert, aber auch in eigenständigen Innovation-Hallen oder kleineren, Forschungs-Campus oder Innovation-Area benannten Hallenbereiche. Studierendenmarketing Messebeteiligungen von Hochschulen beziehen sich nicht nur auf technologieorientierte Fachmessen, sondern in einem weit größeren Umfang auch auf nationale und internationale Bildungsmessen. Der infolge des in Deutschland immer spürbarer werdenden demografischen Wandels viel diskutierte „War of Talents“ hat zur Folge, dass nicht nur private Bildungsträger, sondern auch staatliche Hochschulen vermehrt um Studierende werben müssen. Dies hat in den letzten Jahren zu einer starken Zunahme von regionalen Bildungsmessen verschiedener Anbieter geführt, auf denen sich neben den privaten und staatlichen Hochschulen und vielen Ausbildungsbetrieben auch mehr und mehr internationale Hochschulen präsentieren. Für viele deutsche Hochschulen werden im Umkehrschluss Bildungsmessen im Ausland immer wichtiger. Dabei spielt das GATE Programm des DAAD eine wichtige Rolle, das weltweit für den Studienstandort Deutschland wirbt. Parallel dazu verstärken die deutschen Hochschulen ihre Internationalisierungsbemühungen, um – dem Beispiel Skandinavischer und Niederländischer Hochschulen folgend – zukünftig verstärkt rein englischsprachige Studiengänge anbieten zu können. Im Bemühen um eine weitergehende Internationalisierung von Studiengängen gibt es zudem weltweit ausgerichtete Netzwerkmessen für Experten von Hochschulen, Wissenschafts- und Mittlerorganisationen. Neben der Teilnahme am fachlichen Konferenzprogramm bieten sie Möglichkeiten, Kontakte zu Fachkolleginnen und -kollegen aus aller Welt zu knüpfen, aktuelle hochschulpolitische Themen zu diskutieren, neue Austauschprogramme zu initiieren und Kooperationen anzubahnen. Wissenstransfer über Köpfe Die Messeauftritte der Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen ermöglichen besonders jungen Wissenschaftlern, Doktoranden und Postdocs, Messeerfahrungen zu sammeln und direkte persönliche Kontakte zu Unternehmen anzubahnen. Diese ersten Gespräche führen nicht selten zu einem späteren beruflichen Einstieg des betreffenden Wissenschaftlers in das entsprechende Unternehmen. Der Wissenstransfer über Köpfe

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wird in Zeiten sehr guter Konjunktur bedingt durch den demografischen Wandel einhergehend mit einem zunehmenden Fachkräftemangel zu einer der wichtigsten volkswirtschaftlichen Aufgaben zur Sicherung des industriellen Standortes Deutschland. Um auf Fachmessen neben der Produktpräsentation auch potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansprechen zu können, fordern die Unternehmen ein stärkeres Engagement von Messegesellschaften beim aktiven Bewerben von Messeveranstaltungen in der Zielgruppe Studierende. Standortmarketing für Hochschul- und Technologieregionen durch Leistungsschau von Forschung und Entwicklung Mit der Leistungsschau von Forschung und Entwicklung durch die Beteiligungen an Messen geht immer ein Standortmarketing für die jeweiligen Hochschul- und Technologieregionen einher. Wissenschaft ist ein sehr wichtiger Standortfaktor im Konkurrenzkampf der Gemeinden und Regionen um staatliche Fördergelder und private Investitionen. Viele Regionen sind dementsprechend noch einen Schritt weitergegangen und haben ihre Wissenschaftsstandorte mit Unternehmen zu thematischen Clustern wie zum Beispiel zur Energiewirtschaft, zu Biotechnologien oder zu modernen Informationsund Kommunikationstechnologien zusammengeführt, um diese auf Fachmessen noch gezielter bewerben zu können.

12.2.3 Beteiligungsmöglichkeiten für Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen Für Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten sich auf Messen zu präsentieren. Eine sehr gängige und preiswerte Beteiligungsform ist die Teilnahme als Aussteller an einem Gemeinschaftsstand. Dieser kann, wie zum Beispiel für Fraunhofer Institute, von einer Dachorganisation für die Mitglieder organisiert und durchgeführt werden. Die zahlreichen Gemeinschaftsstände der Bundesländer und Bundesministerien werden meist durch Agenturen organisiert und vor Ort betreut. Insbesondere im Rahmen der großen Technologiemessen, die bereits vielfach über eigene Fachhallen oder spezielle Hallenbereiche für Forschung und Entwicklung, Innovation und Start-ups verfügen, bietet die Teilnahme an einem zentral positionierten Gemeinschaftsstand die nötige Gewähr, im Konzert der Mitbewerber gut wahrgenommen zu werden. Auf mittelgroßen bis kleinen Fachmessen sind Aussteller aus der Wissenschaft hingegen oftmals auf sich allein gestellt und präsentieren sich demzufolge auf Einzelständen. Eine weitere, meist sehr preisgünstige Möglichkeit einer Messeteilnahme bilden Sonderschauen zu ausgewählten Themenbereichen, die häufig durch Industrieverbände und die jeweilige Messegesellschaft unterstützt werden, sowie die Sonderschauen der Bundesministerien BMWI und BMBF, wenn die Aussteller mit einem vom Ministerium geförderten Projekt vertreten sind. Letztendlich ist die Auswahl der richtigen Beteiligung immer eine Frage des zur Verfügung stehenden Budgets, der Kontakte zu unterschiedlichen Netzwerken und der gewünschten Zielgruppenansprache.

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12.2.4 Bewertung und Auswahl geeigneter Messen Jede Messegesellschaft hat das Interesse, ihre Veranstaltung in höchsten Tönen zu bewerben. In Hochglanzbroschüren werden die meisten Messen deshalb zu nationalen und internationalen Branchentreffpunkten, mit hohem Besucheraufkommen. Um zu erfahren, ob für die eigenen zu präsentierenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten dort der geeignete Rahmen ist, empfiehlt es sich aber, vor einer Beteiligung zunächst einmal einen Besuch dieser Messe einzuplanen, dort vor Ort mit Ausstellern über die Qualität der Veranstaltung zu sprechen und die Besucher bezüglich der zu rekrutierenden Zielgruppen – ob potenzielle Kunden oder Studierendenmarketing – zu sichten. Auch sollten alternative Messen mit ähnlichem Branchenfokus geprüft werden, denn vielfach finden sich die gesuchten Zielgruppen leichter auf kleineren oder regionaleren Messen, die themenreduziert ein ausgewähltes, branchenspezifisches Klientel ansprechen. Den eigenen, sachkundigen Eindruck kann kein Werbemittel ersetzen. Obwohl einige Messegesellschaften Rabatte einräumen, bleibt ein Messeauftritt immer ein sehr kostenintensives Projekt, insbesondere auf Technologie-Fachmessen. Hinzu kommt, dass die mangelnde Trennschärfe einzelner Branchenmessen, die Abwanderung von Fachmessen in eigene Spezialmessen sowie die zunehmende Durchmischung von Messe- und Kongressveranstaltungen den Messemarkt teilweise undurchsichtig machen. Daher ist es notwendig, im Vorfeld einer Messebeteiligung die folgenden Kriterien genau zu prüfen, um zu eruieren, ob die eigenen Messeziele auf der Veranstaltung überhaupt erreicht werden können. Image und Service der Messegesellschaft bzw. des Veranstalters Zu den zu prüfenden Grundkriterien der Messe bzw. des Messeveranstalters gehören die Qualität und Größe des Messegeländes bzw. des jeweiligen Veranstaltungsortes. Ein Messegelände mit modernen Hallen und guter Infrastruktur und durchdachten Verkehrsanbindungen verspricht optimale Auf- und Abbaubedingen. Auch die allgemeinen Serviceleistungen von der Reinigung des Standes über den Internetanschluss bis zu den Katalogeinträgen und Produktverzeichnissen, die in unterschiedlichen Phasen der Messebeteiligung von besonderer Relevanz sind, sollten vorab genau überprüft und einer kritischen Kosten-Leistungsbewertung unterzogen werden. Dies gilt in Maßen, aber nicht weniger akribisch auch für Bildungsmessen, die an wechselnden Orten in angemieteten Hallen oder Event-Locations stattfinden. Reichweite der Messe Wichtig ist zudem die geografische Reichweite einer Messe. Dabei ist entsprechend den eigenen Zielvorgaben zu bewerten, ob es einen regionalen, nationalen oder internationalen Fokus gibt, dementsprechend unterschiedliche Aussteller- und Besuchergruppen angesprochen werden. Eine kleinere regionale Messe kann zum Beispiel für eine Hochschule mit starker regionaler Einbindung in die örtliche Wirtschaft ein idealer

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Marktplatz für Kooperationen sein und zugleich für eine Universität oder Forschungseinrichtung mit nationaler und internationaler Ausrichtung völlig unpassend. Demgegenüber bilden internationale Messen wiederum das Sprungbrett mit großen nationalen oder internationalen Unternehmen in Kontakt zu kommen und somit eine Basis für gemeinsame Kooperationen zu finden. Informations- und Kommunikationsmaßnahmen der Messegesellschaft bzw. des Veranstalters Um die mit der eigenen Messebeteiligung verknüpften Kommunikationsziele zu erreichen, sollte vorab geprüft werden, ob und wie die eigenen Informationskanäle mit denen des Veranstalters verbunden werden können. Dabei spielt eine wichtige Rolle, welche Informationen der Aussteller für die Besucher vorliegen sollen und auf welchen Kommunikationswegen vor, während und nach der Veranstaltung relevante Inhalte kommuniziert werden. In Zeiten des digitalen Wandels ist ein besonderes Augenmerk auf die Einbindung der einzelnen Kommunikationskanäle in Social Media Netzwerke und Online Nachrichtendienste zu richten. Struktur der Aussteller und der Besucher Um eine realistische Einschätzung des Stellenwertes der Messe innerhalb der jeweiligen Branche vornehmen zu können, sollte überprüft werden, ob marktführende Unternehmen der Zielbranchen teilnehmen, ob ausreichend Fachbesucher mit technischem Hintergrundwissen und/oder ausreichenden Entscheidungsbefugnissen die Messe besuchen und ob es einen ausreichenden Innovationsgrad anhand von Produktpremieren gibt. Die Anzahl und die Zusammensetzung der Aussteller nach Branchen und Produktgruppen sowie der Besucher nach Arbeitsgebieten und betrieblicher Position geben sehr verlässlich Auskunft über die Bedeutung einer Messeveranstaltung im nationalen sowie internationalen Kontext. Sie sind die Kennzahlen, an denen sich die Präsentation im Rahmen einer Messebeteiligung ausrichten sollte, um bestmöglich alle gesetzten Marketingziele erreichen zu können.

12.2.5 Zukunft des Technologietransfers auf Messen Es ist erforderlich, dass alle Partner im Rahmen der Transferleistungen von Technologie und Wissenschaft, d. h. die Anbieter aus den Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen, die Mittler also die Messeveranstalter sowie die Nachfragenden aus der Wirtschaft, sich noch stärker über die jeweiligen Zielsetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten austauschen. Dazu bedarf es optimierter Förderung und Unterstützung vonseiten des Staates und vermittelnder Institutionen, wie des AUMA-Messeverbands oder des MAK (Messearbeitskreises Wissenschaft e. V.). Diese Investitionen führten im Rahmen der Innovationsoffensive zu einem weit über das bisherige Maß an Forschungsund Technologiekooperationen wirksamen Instrument. Der Begriff Technologieallianz

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erhielte damit eine inhaltliche Komponente, die dem hohen Stellenwert der Beteiligung von Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen an Fachmessen als integralem Bestandteil des Technologie- und Wissenstransfers aus der Wissenschaft in Wirtschaft und Gesellschaft gerecht würde.

12.3 Wissensvermittlung durch Konferenzen und Tagungen Wissenschaftliche Konferenzen und Tagungen sind – neben den Lehraufgaben und Forschungsvorhaben – die zentralen Formate eines wissenschaftlichen Austauschs. Sie dienen vornehmlich dem Wissenstransfer zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer Fachdisziplin, können darüber hinaus aber auch zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen. Neben den Publikationen in Fachzeitschriften dienen wissenschaftliche Konferenzen und Tagungen der Diskussion von Forschungsergebnisse und der Information über aktuelle Forschungstrends und -­ arbeiten. Zudem sind sie wichtige Netzwerkveranstaltungen, um innerhalb der Wissenschaftscommunity Beachtung zu finden, Kontakte zu knüpfen, zu pflegen und auszubauen. Die Veranstaltungsdauer kann zwischen einem Tag (Tagung), meist im Rahmen eines sogenannten Symposiums, und mehreren Tagen (Konferenz) auf Fachtagungen oder im Rahmen großer Kongresse variieren. Im Plenum wissenschaftlicher Konferenzen und in einzelnen Sessions werden Fachvorträge gehalten, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Diskussionsrunden kritisch besprochen werden können. Die Beiträge bei selektiven Konferenzen genießen vielfach einen vergleichbaren Stellenwert wie Artikel in hochrangigen Zeitschriften. In einigen Fachdisziplinen können Konferenzbeiträge sogar als vollwertige wissenschaftliche Veröffentlichungen anerkannt werden. Häufige Zusatzveranstaltungen sind öffentliche Publikums- oder Forumsdiskussionen zu gesellschaftlich relevanten Themen aus Wissenschaft und Forschung, Ehrung von außergewöhnlichen Leistungen, Verabschiedung von Resolutionen zu Forschungsthemen, Jahresversammlungen von Kommissionen und Arbeitsgruppen, Workshops zu speziellen Themen oder auch Exkursionen sowie ein abendliches Rahmenprogramm in Form eines Dinners oder Empfangs. Vielfach gibt es auch fachbezogene Firmenausstellungen, die bei größeren Konferenzen den Umfang kleinerer Messen erreichen können, um die hohen Kosten mehrtägiger Veranstaltungen zu refinanzieren. Auch bieten Firmen oftmals eigene Workshops oder Sessions an, um Ihre Produkte oder Systemlösungen vorzustellen. Im Unterschied zu Messen und Ausstellungen, die nicht selten auch ein wissenschaftliches Rahmenprogramm beinhalten, stehen bei wissenschaftlichen Konferenzen und Tagungen nicht kommerzielle Interessen des Veranstalters im Vordergrund, sondern immer wissenschaftliche Inhalte und der wissenschaftliche Austausch.

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12.3.1 Wissenschaftliche Gesellschaften als primäre Veranstalter von Konferenzen und Tagungen Als Veranstalter der großen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Kongresse und Konferenzen treten häufig die zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften auf. Aber auch viele der kleineren Tagungen und Symposien werden von wissenschaftlichen Fachgesellschaften initiiert. Mit den Humboldtschen Reformen wurde die Zielsetzung der universitären Lehre, die Vermittlung bestehenden Wissens, um dessen Vermehrung und Erweiterung ergänzt. Damit wandelte sich auch die Arbeitsweise an den Hochschulen. Durch den vermehrten wissenschaftlichen Austausch untereinander, entstanden Zusammenschlüsse von Vertretern derselben Disziplin im Rahmen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Viele noch heute aktive Fachgesellschaften, wie zum Beispiel die Deutsche Physikalische Gesellschaft DPG, haben sich bereits im 19. Jahrhundert gegründet. Aus den – einem Salon nicht unähnlichen – Zusammenkünften der ersten Jahrzehnte entstanden im Laufe der Zeit mitgliederstarke Vereinigungen mit festen organisatorischen Strukturen. In Deutschland sind schätzungsweise über 600.000 Frauen und Männer im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. Etwa die Hälfte davon sind Forscherinnen und Forscher, die an Hochschulen, Wissenschaftlichen Einrichtungen oder in der Industrie arbeiten. Die meisten dieser Forschenden sind Mitglieder in Fachgesellschaften, die in der Regel in Deutschland als Körperschaften in der Rechtsform des eingetragenen Vereins (e. V.) organisiert sind. Die Fachgesellschaften ermöglichen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sich national und international zu vernetzen, aktuelle Themen ihrer Forschung zu erörtern und zu diskutieren sowie wissenschaftliche Publikationen in meist renommierten Fachzeitschriften der Gesellschaften zu veröffentlichen. Ein weiteres Ziel der Gesellschaften ist die wirksame Vertretung der politischen Interessen einer Fachdisziplin und ihrer Fachvertreter bei (forschungs-)politischen Entscheidungen, z. B. durch Stellungnahmen und wissenschaftliche Gutachten. Dabei sind Konflikte zwischen der Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten und standespolitischer Interessen nicht immer ausgeschlossen. Generell ist die politische Arbeit der Gesellschaften nie unbeeinflusst von der allgemeinen politischen Situation. So konnten in der Vergangenheit die wissenschaftlichen Fachgesellschaften nicht verhindern, dass bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 viele ihrer Mitglieder aus rassischen oder politischen Gründen ihre Arbeit verloren und verfolgt wurden und nachfolgend eine politische Gleichschaltung der Wissenschaft im Sinne der Nationalsozialistischen Ideologien erfolgte. Eine wichtige Grundlage für den Austausch untereinander und die Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse bilden die meist in den Statuten der Gesellschaften festgeschriebenen regelmäßigen Zusammenkünfte in Form von Jahresversammlungen, Sektionsforen oder einzelnen nationalen oder internationaler

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Fachkonferenzen. Je größer die Konferenzen, desto größer die Zeitabstände zwischen den Veranstaltungen und desto häufiger wechselnde Tagungsorte. Viele große internationale Fachverbände veranstalten ihre großen Kongresse nur alle zwei oder drei Jahre weltweit alternierend meist in Europa, Amerika oder Asien. Aber auch in Deutschland veranstalten viele Fachgesellschaften ihre jährlichen nationalen Konferenzen an unterschiedlichen Tagungsorten. Die Auswahl eines Tagungsortes erfolgt üblicherweise entweder durch eine Festlegung vonseiten der Fachgesellschaft oder in Form einer Ausschreibung, bei der sich Professoren bzw. Hochschulen oder Wissenschaftliche Einrichtungen um die Ausrichtung der Konferenz bewerben.

12.3.2 Organisation und Durchführung von wissenschaftlichen Konferenzen Konferenzen und Tagungen sind auch wichtig für das Renommee von Hochschulen und Wissenschaftlichen Einrichtungen. Je bedeutender die Veranstaltung, desto mehr strahlt sie auf die gastgebende Institution ab. Gerade in Zeiten zunehmend wettbewerblicher Strukturen in der Hochschullandschaft, im Kampf um zusätzliche öffentliche Mittel, private Drittmittel sowie Studierende und gut ausgebildete Professoren und Professorinnen, ist die Einwerbung wichtiger nationaler und internationaler Kongresse, Konferenzen und Tagungen von besonderer Bedeutung. Die Ausrichtung der Veranstaltungen kann direkt auf alle Bereiche eines umfassenden Wissenschaftsmarketings einzahlen. Tagungsleitung und Programmkomitee Im Vorfeld der regelmäßig stattfindenden wissenschaftlichen Kongresse mit starkem Repräsentationscharakter, von wiederkehrenden Konferenzen und Tagungen finden sich neben einer örtlichen Tagungsleiterin bzw. einem Tagungsleiter immer eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Programmkomitee zusammen. Das Programmkomitee ist der direkte Ansprechpartner für die konferenzgebende wissenschaftliche Fachgesellschaft. Ihm obliegen insbesondere die Veranstaltungsplanung: die Begutachtung von Beiträgen (Call for Papers), die Auswahl und Ansprache der Invited Speakers, die Koordinierung und Festlegung des Programmablaufs (Plenum und Sessions) sowie die Planung des Rahmenprogramms und ggf. vorab die Bewerbung des Veranstaltungsortes. Hinzu kommen die organisatorischen Aufgaben der Teilnehmerregistrierung, des Veranstaltungsmanagements und der Finanzabwicklung. Die Vorarbeiten bis zur Durchführung einer Veranstaltung können zwischen einem Jahr für kleinere Tagungen bis zu mehreren Jahren für große Internationale Kongresse betragen. Insbesondere bei den sehr großen Veranstaltungen kosten die Bewerbungsphase und die nachfolgende Abstimmung mit den beteiligten Fachgesellschaften, die umfangreiche Programmgestaltung sowie die Veranstaltungsplanung mit zahlreichen parallelen Sessions, begleitender Buch- und Industrieausstellung und dem umfangreichen ­Rahmenprogramm sehr viel Zeit.

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In vielen Fällen, insbesondere bei größeren oder sehr großen Kongressen, beschränkt sich das Programmkomitee nur auf die inhaltliche Koordinierung des Tagungsprogramms und vergibt die Veranstaltungsorganisation inklusive Teilnehmermanagement und Finanzabwicklung komplett oder teilweise an Verwaltungseinheiten der jeweiligen Hochschule oder an einen privaten Dienstleister. Dementsprechend ist es oft der Fall, dass die Hochschule als Tagungsort das Tagungsmanagement übernimmt, aber das Teilnehmermanagement und die damit verbundenen finanziellen Transaktionen inklusive Abrechnung an eine Kongressagentur vergeben werden. Teilweise finden große Kongresse auch nicht an den Hochschulen der örtlichen Tagungsleiterinnen und Tagungsleiter statt, sondern in modernen Kongresshotels, die das gesamte Tagungs- und Finanzmanagement übernehmen. Der organisatorische Aufwand sowie das finanzielle Risiko von wissenschaftlichen Tagungen sind eng mit der Größe der Veranstaltung verbunden. Die Tagungsleiterinnen und Tagungsleiter sind bereits bei mittelgroßen Veranstaltungen daher gut beraten, sich im Vorfeld der Tagungsübernahme gegen etwaige finanzielle Risiken gegenüber ihrer Hochschule oder der jeweiligen Fachgesellschaft vertraglich abzusichern. Tagungsorte Kleinere und mittlere Veranstaltungen mit bis zu 500 Teilnehmenden finden überwiegend an den Hochschulen statt. Um den Lehrbetrieb während der Veranstaltung nicht einschränken zu müssen, werden viele Kongresse und Tagungen außerhalb der Vorlesungszeiten veranstaltet. Dementsprechend sind das Frühjahr und insbesondere der Spätsommer die wichtigsten Tagungs- und Kongressmonate. Mit der Durchführung von wissenschaftlichen Konferenzen an Hochschulen können nicht nur die Veranstaltungskosten gering gehalten, sondern zugleich der Hochschulstandort in der Wissenschaftscommunity gezielt beworben werden. Nicht jeder Hochschulstandort eignet sich jedoch zur Durchführung großer Konferenzen. Bei der Einwerbung internationaler Kongresse werden Universitäten in Großstädten bevorzugt, da diese meist international sehr gut vernetzte Fachbereiche bieten, über größere Raumkapazitäten zur Durchführung der Veranstaltung disponieren können und die Standorte verkehrstechnisch leichter zu erreichen sind. Zudem verfügen sie über ausreichende Hotelkapazitäten und bieten renommierte Möglichkeiten für ein attraktives touristisches Rahmenprogramm. Für die Durchführung sehr großer und vielfach internationaler Kongresse bietet es sich oftmals an, die Veranstaltung in einem Kongresszentrum oder einem größeren Kongresshotel durchzuführen. Diese auf Kongresse und Tagungen spezialisierten Veranstaltungsorte verfügen über ausreichende und veranstaltungstaugliche Raumkapazitäten, hochwertige Veranstaltungstechnik, gastronomische Serviceeinrichtungen und geschultes Fachpersonal für alle anfallenden Aufgaben.

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Begleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Kongresse bieten neben dem rein wissenschaftlichen Austausch die Möglichkeit, interessante Fachinhalte einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Um dabei eine möglichst hohe Aufmerksamkeit erzeugen zu können, sollten Anknüpfungspunkte von Tagungsthemen zu gesellschaftlichen Fragestellungen gefunden werden. Als Mittel und Informationskanäle der medialen Verbreitung dienen die einfache Pressemitteilung und Pressekonferenzen mit bekannten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bis hin zu Berichten in Funk und Fernsehen. Eine besonders wichtige Rolle spielen heute soziale Medien wie Twitter, Facebook oder Instagram sowie verstärkt auch Wissenschaftsblogger und -youtuber. Gerade bei großen internationalen Tagungen sind die sozialen Netzwerke zentraler Bestandteil der Kommunikation, sowohl innerhalb der eigentlichen Wissenschaftscommunity als auch hinaus in die Öffentlichkeit. Entsprechende Beiträge können vorproduziert zur Verfügung gestellt werden oder für die entsprechenden Portale in Abstimmung durch die jeweiligen Verantwortlichen entwickelt und erstellt werden. Durch die Einbindung von populären Persönlichkeiten, meist aus Politik oder Wirtschaft, für ein Grußwort zu Beginn der Veranstaltung wird eine tagesaktuelle Berichterstattung in lokalen Printmedien oder Rundfunkanstalten erreicht. Von dieser Art Nachrichten und Aufmerksamkeit profitieren neben der Veranstaltung sowohl der genannte Standort als auch die Hochschule direkt. Ablauf einer wissenschaftlichen Tagung Generell gibt es auf Tagungen, Konferenzen und Kongressen drei unterschiedliche Präsentationsformen von Forschungsergebnissen. Die sogenannten Keynotes sind zentrale Hauptvorträge im Rahmen teilnehmerstarker Veranstaltungen. International führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben dabei als Experten eines Fachgebiets einen facettenreichen Überblick zu aktuellen Forschungsergebnissen, Trends und zukünftig zu erwartenden Entwicklungen. Die Keynotes werden zu Beginn der Konferenzen im Plenum vor den sich anschließenden Sessions gehalten und dienen nicht selten im Sinne einer Überblicksdarstellung zur thematischen Einordnung der Konferenzthemen in einen größeren Forschungszusammenhang. In den Sessions werden dann mehrere Vorträge zu einem spezifischen Themenkomplex gehalten, nachdem der Sessionleiter die einzelnen Referenten und ihre Fachgebiete vorgestellt hat. Bei vielen wissenschaftlichen Konferenzen und Tagungen gibt es neben den Vorträgen durch geladene Referenten (Invited Speaker) und Referenten, die Themen im Rahmen eines Call-for-Papers eingereicht haben, zusätzliche Slots für Posterpräsentationen wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie von Promovenden, die die Forschungsergebnisse aus ihren Arbeitsgruppen bzw. Promotionsvorhaben zur Diskussion stellen. Im Rahmen großer Kongresse können auch kleinere Seminare, Tutorien oder Workshops als Satellitenprogramme vor oder nach der Hauptveranstaltung stattfinden, in denen weitergehende Diskussions- oder Fortbildungsmöglichkeiten zu Spezialthemen angeboten werden. Am Rande wissenschaftlicher Tagungen finden vielfach

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auch ­Mitgliederversammlungen der Fachgesellschaften statt sowie Fachexkursionen zu tagungsrelevanten Hochschul- und Forschungsinstituten. Vor allem regelmäßig stattfindende Kongresse und Tagungen erzeugen eine spezifische Gruppenatmosphäre, die den informellen Austausch der Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmer befördert und weit über die rein wissenschaftlichen Inhalte hinausgeht. Wissenschaftliche Zusammenkünfte sind damit zentrale Orte, an denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treffen, die sich aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen über viele Jahre, teilweise sogar Jahrzehnte kennen. Eine zentrale Bedeutung für das Networking auf Tagungen und Konferenzen haben die Kaffeepausen und die Rahmenprogramme. Sie sind letztendlich für den Erfolg einer Tagung ebenso wichtig wie die wissenschaftlichen Vorträge und Begleitprogramme. Durchführung von wissenschaftlichen Tagungen Die Durchführung von Konferenzen und Tagungen lässt sich in drei aufeinander folgende Phasen unterteilen: die Vorbereitungs-, Durchführungs- und Nachbereitungsphase. Nach Einwerbung bzw. Auswahl eines Tagungsortes beginnt neben der inhaltlichen Arbeit des Programmkomitees auch die organisatorische Betreuung der Veranstaltung. Dabei handelt es sich zunächst um die Aufstellung eines Finanzplans, die Einrichtung von Buchungskonten, den Aufbau einer Webseite und Teilnehmerregistrierung (meist inkl. Abstractmanagementsystem) und einer befristeten Bereitstellung von Hotelkapazitäten für die Referentinnen und Referenten sowie die an der Tagung Teilnehmenden. Mit der Freischaltung der Website beginnt auch die Bewerbung der Veranstaltung durch ein Save-the-Date. Danach folgen der Call-for-Paper und der Beginn der Teilnehmenden-Registrierung. Parallel dazu werden am Tagungsort entsprechend des geplanten Veranstaltungsablaufs Räume bzw. Hörsäle gebucht sowie Technik, Catering und Reinigung bestellt. Im Falle einer begleitenden Industrie- und Buchausstellung kommen dazu noch die Aufplanung der Ausstellungsflächen, Möblierung und ggf. Standbau sowie die Logistikplanung der Transportannahme von Ausstellungsgütern. Die inhaltliche Arbeit legt zu diesem Zeitpunkt mit der Auswahl der Abstracts und der Poster das Programm fest, erstellt eine Übersicht und veröffentlicht. Dies kann in Printform und/ oder digital geschehen. Kurz vor der Tagung erfolgen die letzten Vorbereitungen, wie das Packen von Tagungstaschen, Erstellung der Tagungsunterlagen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, letzte Bestellungen sowie die Überprüfung aller Gewerke (Catering, Technik, Hilfskräfte, Reinigung) und Abläufe. Während der Tagung bilden eine schnelle und unkomplizierte Registrierung vor Ort, die Kontrolle der Einhaltung aller zeitlichen Abläufe, die Vermeidung von Technikausfällen, der reibungslose Einsatz von Hilfskräften, die Gewährleistung ausreichenden Caterings (Kaffeepausen und Lunch) sowie die Umsetzung des Rahmenprogramms die großen Herausforderungen an die Veranstaltungsorganisatoren. Mit der Evaluierung der Veranstaltung durch Befragung der Referenten, Referentinnen und Tagungsteilnehmenden beginnt die Nachbereitungsphase. Während der Erfolg für den Wissenschafts- und Techniktransfer als inhaltliche Bewertung und

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­ ufriedenheitsbarometer in Zahlen schwerer aussagekräftig zu erfassen ist, ist für den Z Veranstalter die finanzielle Abrechnung von besonderem Interesse, die in schwarz oder rot Auskunft über seinen Erfolg oder Misserfolg gibt.

12.3.3 Zukünftige Bedeutung von wissenschaftlichen Konferenzen, Kongressen und Tagungen für das Wissenschaftsmarketing Wissenschaftliche Zusammenkünfte sind wichtiger Bestandteil der im Hochschulrahmengesetz festgeschriebenen Pflege und Entwicklung der Wissenschaften. Sie ermöglichen abseits primär ökonomischer Interessen den interdisziplinären Austausch als Grundlage für Lösungsstrategien und Zukunftsszenarien von wissenschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher Relevanz. Täglich finden hunderte dieser Veranstaltungen allein in Deutschland statt, deren Potenziale im Rahmen eines proaktiven Wissenschaftsmarketings noch stärker von den gastgebenden Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen im Sinne eines funktionierenden Benchmarketings für die jeweils standortbezogenen Zielsetzungen genutzt werden sollten und von deren finanziellem und fachlichem Profit und Publicity nicht allein die als Veranstalter agierenden Fachgesellschaften zehren sollten. Je mehr Veranstaltungen in wissenschaftlichen Institutionen stattfinden oder durch sie betreut werden, desto stetiger die Professionalisierung bei der Umsetzung. Bereits heute gibt es durch Hochschulen und Wissenschaftliche Einrichtungen erfahrungsbasiert völlig verschiedene Herangehensweisen an die Vorbereitung wissenschaftlicher Zusammenkünfte – von der Nutzung allein eigener Verwaltungs-Ressourcen über die Beauftragung von hierauf spezialisierten Tochtergesellschaften bis hin zur Auftragsvergabe an Kongressagenturen. Gemeinsam sollte aber das Ziel insbesondere für viele große renommierte Universitäten sein, eine weitere Steigerung der Exzellenz durch die Veranstaltung großer internationaler Tagungen zu erreichen.

12.4 Dialogformen Öffentlichkeit und Wissenschaft Seit den 1990er Jahren hat sich die Wissenschaft in Deutschland mehr und mehr einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs geöffnet. Obwohl Wissenschaft auch in der Vergangenheit nie vollkommen außerhalb dieses Diskurses tätig war, wie zum Beispiel in den 1950er Jahren hinsichtlich der militärischen Nutzung der Kernenergie, blieb ihre Teilhabe nur auf wenige Kontroversen beschränkt. Die Kommunikation verlief dabei weitgehend einseitig: von der Wissenschaft und Forschung in die jeweiligen gesellschaftlich relevanten Gruppen. Im Vordergrund stand immer eine Erläuterung wissenschaftlicher Zusammenhänge im Rahmen gesellschaftlicher Fragestellungen.

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Erst mit dem komplexer werdenden Themenkanon der wissenschaftlichen Fachdisziplinen und mit steigendem zivilgesellschaftlichen Engagement und dessen politischer Einflussnahme, beispielsweise durch Gründung der Grünen Partei Anfang der 1980er Jahre, stieg die öffentliche Wahrnehmung der gesellschaftlichen Relevanz von Wissenschaft und Forschung. Damit wuchs auch die diesbezügliche Forderung an eine aufklärende Rolle. Vielfach war die Motivation aufseiten der Wissenschaft zunächst die Bildung von Vertrauen hinsichtlich vorhandener Vorbehalte gegenüber verschiedener Forschungsdisziplinen, beispielsweise hinsichtlich der Nutzung von Kernenergie, der Entwicklung von Biotechnologien und gentechnischen Verfahren bis hin zur technischen Implementierung moderner ITK-Systeme und dem zunehmenden Einsatz von Computern in vielen Bereichen des Alltags. Der wachsenden Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten sollte durch Aufklärungskampagnen aus den Reihen der Wissenschaft entgegengetreten werden. Im Laufe der 1990er Jahre wandelte sich schließlich das Kommunikationsverhalten. Aus dem wissenschaftlichen Monolog zur gesellschaftlichen Relevanz von Forschungsthemen wurde ein Dialog, der, zum Nutzen aller, interaktiv auf Augenhöhe geführt werden sollte. Heute ist die Wissenschaft dauerhaft im Dialog mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen aus Wirtschaft und Industrie, Zivilgesellschaft und Politik, der Kunst- und Kulturszene. So breit die Palette der gesellschaftlichen Akteure und ihrer Interessen, so differenziert sind die Interaktionsmöglichkeiten mit der Wissenschaft. Wissenschaft im Dialog erfordert einen ständigen zielgruppenorientierten Informationsaustausch durch passgenaue Vermittlungsformate. Neben den dargestellten klassischen Wissens- und Transferformaten haben sich aus dieser Notwendigkeit heraus neue Formate etabliert, die interaktiv Vermittlungsleistungen aus der Wissenschaft in gesellschaftliche Gruppierungen und umgekehrt begünstigen sollen. Doch bis hierher war es ein langer Weg.

12.4.1 Öffnung der Wissenschaft durch die Initiierung von PUSH Projekten Im Gegensatz zu Großbritannien, wo bereits seit den 1960er Jahren eine öffentlichkeitswirksame Vermittlung von Themen aus Wissenschaft und Forschung propagiert und erfolgreich umgesetzt wurde, begann eine konzertierte Beförderung des Dialogs in Deutschland erst am Ende der 1990er Jahre. Initiiert durch den Stifterverband wurde im Mai 1999 ein Memorandum – Dialog Wissenschaft und Gesellschaft – verabschiedet, das den Beginn einer heute erfolgreich praktizierten Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft markiert. In diesem Memorandum verpflichteten sich wissenschaftsfördernde Einrichtungen des Bundes und der Länder, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik, Maßnahmen zur Förderung des Dialoges von Wissenschaft und Gesellschaft in ihrem eigenen Umfeld durch PUSH(Public Understanding of Science and Humanities)-Projekte umzusetzen.

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Ziel war es, durch die Schaffung von Anreizsystemen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachdisziplinen zu motivieren, ihre Arbeiten und Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und sich damit in einen gesellschaftlichen Diskurs zu begeben. Damit war eine Grundlage dafür geschaffen worden, „(…) allen Bürgern ein eigenständiges und vorurteilfreies Bild über ethische, politische und gesellschaftliche Auswirkungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und Aktivitäten zu ermöglichen“ (Kirchner S. 140). Gleichzeitig begannen unter der Ägide des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Wissenschaftsjahre, in denen bis heute, jährlich wechselnd, eine wissenschaftliche Disziplin oder ein übergreifender wissenschaftlicher Themenkomplex ausgewählt und zur öffentlichen Diskussion gestellt wird. In den ersten Jahren standen weitgehend öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen im Vordergrund, auf denen gezielt wissenschaftliche Kontexte außerhalb der Institute und Labore von Forschungseinrichtungen im Lebensumfeld breiter Bevölkerungsschichten präsentiert wurden. Die Bedeutung von Wissenschaft wurde damit auch im Alltag erlebbar: Wissenschaftsausstellungen in Shopping Centern, auf Bahnhöfen oder auf Marktplätzen. Road-Shows mittels umgebauter Lkws oder Vorstellungen auf dem modifizierten Motorschiff „MS Wissenschaft“, das, von „Wissenschaft im Dialog“ in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen mit einer Ausstellung zum aktuellen Wissenschaftsjahr bestückt, in vielen Deutschen Städten anlegte. Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentierten in ganz Deutschland an unterschiedlichsten Orten, auf Ausstellungen und Podiumsdiskussionen, zu Tagen der offenen Tür und im Rahmen von Bühnenprogrammen ihre Forschung. Von Beginn an waren die im Rahmen des verabschiedeten Memorandums durchgeführten PUSH-Projekte ein voller Erfolg. Das Angebot zum Dialog wurde von einer breiten Öffentlichkeit angenommen und ist seitdem stetig gestiegen. Im zweiten Wissenschaftsjahr nahmen bereits über ein halbe Millionen Menschen an den Veranstaltungen zum Jahr der Lebenswissenschaften teil. Nachfolgend fanden weitere sehr erfolgreiche Wissenschaftsjahre zu unterschiedlichen Fachdisziplinen statt, von denen das Einstein Jahr 2005 mit dem Schwerpunkt Physik und das Jahr der Mathematik 2006 die beiden Höhepunkte der ersten Dekade markierten.

12.4.2 Von PUSH zu PEST – vom Dialog zu Partizipation und Citizenship Nach den ersten zehn Jahren der Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft erfolgte ein Strategiewechsel. Standen mit der PUSH-Initiative noch unterschiedliche Informationsformate mit einer hohen Breitenwirkung und beachtlicher medialer Sichtbarkeit im Fokus der Wissenschaftsjahre, sollte nachfolgend mehr Wert auf eine größere Nachhaltigkeit des Dialogs durch den verstärkten Einsatz interaktiver und partizipativer Veranstaltungsformate gelegt werden.

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Einhergehend mit der didaktischen Neuausrichtung der Wissenschaftsjahre kam es themenübergreifend zu einer interdisziplinären Verknüpfung verschiedener wissenschaftlicher Fachgebiete, um durch inhaltliche Synergien die Bandbreite und gesellschaftliche Relevanz potenzieller Themen und die Reichweiten für unterschiedliche Zielgruppen zu erhöhen. Dies führte in den ersten Jahren nach 2009 zunächst zu einer Abnahme der medialen Präsenz in den klassischen PR-Kanälen, die aber durch eine erfolgreiche Einbindung der sozialen Netzwerke in die neue Kampagne mehr als ausgeglichen werden konnte. Anstelle einer breit gestreuten Öffentlichkeitsarbeit in Print- und Rundfunkmedien erfolgte jetzt eine direktere, zielgruppenspezifische Ansprache und Bewerbung von Veranstaltungen. Klassische Eventformate wie Ausstellungen, Präsentationen und Bühnenprogramme wurden durch partizipative Veranstaltungsformate mit dem Ziel einer interaktiven Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen ergänzt bzw. ersetzt. Nach der erfolgreichen Implementierung des öffentlichkeitswirksamen Dialogangebots zu Beginn der 2000er Jahre ist damit eine Weiterentwicklung im Sinne eines „Public Engagement with Science and Technology“, kurz PEST, erfolgt, die zukünftig eine zielgruppenspezifische Interaktion zwischen Wissenschaft und Forschung mit Gruppen aus der Zivilgesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und der Kultur befördern wird. Die gestiegenen Ansprüche im Rahmen eines public engagement bedeuten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sie sich über ihre Forschung hinaus für die sie umgebenden gesellschaftlichen Themen interessieren und das Interesse der Gesellschaft an ihrer Arbeit durch Dialogbereitschaft, Offenheit und Annäherung honorieren sollten.

12.4.3 Gruppenspezifische Dialog- und Aktionsformate Die letzten Wissenschaftsjahre haben sich mit der Schnittstelle aktueller gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Herausforderungen beschäftigt. Dabei bildet die Zukunftsfolgeabschätzung häufig den zentralen inhaltlichen Schwerpunkt in der Diskussion um zukünftige Handlungsoptionen. Der thematische Fokus liegt dabei aber nicht mehr auf einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin und ihren Forschungsleistungen, wie noch zu Beginn der Wissenschaftsjahre, sondern wirft eine technisch-gesellschaftliche Herausforderung auf, die durch unterschiedliche Dialog- und Aktionsformate den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit bieten soll, gemeinsam mit Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur nach Lösungsstrategien zu suchen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ruft beispielsweise im Wissenschaftsjahr 2018 explizit zu einer Zusammenarbeit von Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit zu Fragen der Arbeitswelten der Zukunft auf. Zielgruppe: Breite Öffentlichkeit Die Öffentlichkeit über einen Austausch für Wissenschaft und Forschung zu interessieren, sie zu involvieren, Rechenschaft abzulegen und Vertrauen aufzubauen war und ist wichtiges Ziel der unterschiedlichen Initiativen. Um eine möglichst hohe

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I­nformationsdichte für eine größtmögliche Anzahl von Besuchern zu erreichen, wurden Events generiert, die als Leuchtturmveranstaltungen durch begleitende Kommunikationsmaßnahmen ein solides Gerüst für eine umfassende Berichterstattung über Forschungsthemen und -standorte bildeten. Zentrale Festveranstaltungen oder der sogenannte Wissenschaftssommer waren die Inkubatoren der noch heute erfolgreichen populärwissenschaftlichen Formate wie der „Langen Nacht der Wissenschaften“, der „Science Week“, von Tagen der offenen Tür oder „Schaufenstern der Wissenschaft“, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschungsarbeiten an ihren Forschungseinrichtungen und Hochschulen oder an belebten städtischen Standorten präsentieren und erklären. Durch didaktisch aufbereitete Präsentationen, die zum Teil sehr komplizierte Zusammenhänge anschaulich darstellen und vielfach erst begreifbar machen, werden wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft hinein kommuniziert und offensiv mit der Faszination von Wissenschaft geworben. Zielgruppe: Kinder und Jugendliche Eine wichtige Zielgruppe bilden Kinder und Jugendliche, die durch unterschiedliche Formate an Wissenschaft herangeführt werden sollen. Schwerpunkte sind dabei die Vorstellung und Bewerbung der MINT-Fächer durch u. a. das „Haus der kleinen Forscher“, den Aufbau von Schülerlaboren, die Veranstaltung von Kinderuniversitäten, die Kooperationen von weiterführenden Schulen mit Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Eine Besonderheit stellt dabei die zuvor erwähnte „MS Wissenschaft“ dar, die durch ihr forschungsorientiertes Angebot insbesondere junge Menschen ansprechen soll. Jedes dieser Formate sieht eine altersgerechte Sensibilisierung und Motivation von Kindern und Jugendlichen durch Experimente und Mitmach-Aktionen vor. In vielen Städten und Regionen werden die Angebote als fester Bestandteil eines praxisorientierten Lernens genutzt. Träger dieser außerschulischen Bildungsorte und -angebote sind vielfach Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Science Center oder naturkundliche Museen. Auch für die breite Öffentlichkeit konzipierte Events wie die „Langen Nacht der Wissenschaften“ haben sich zu Attraktionen für den generationenübergreifenden Familienbesuch entwickelt, da Kinder und Jugendliche als feste Zielgruppen im Programm durch speziell für sie gestaltete Vor- und Ausstellungen Berücksichtigung finden, die Interesse an der Forschung generieren und nicht selten eine lohnende Investition in den wissenschaftlichen Nachwuchs sind. Definierte Zielgruppen: Wissenschaft/Wirtschaft/Politik und Zivilgesellschaft/Kunst und Kultur Neben den wissenschaftlichen Expertengesprächen, Workshops und Tagungen mit konstant hohen Besucherzahlen sind zunehmend zielgruppenrelevante partizipative Veranstaltungsformate für den Dialog zwischen Wissenschaft und einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen von Bedeutung. Sie ermöglichen einen weitergehenden interaktiven Austausch, tragen als populäre Informationsveranstaltungen zur Steigerung des Interesses an Wissenschaft und Forschung bei und stärken ihnen damit den

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g­esellschaftlichen Rückhalt. Round-Table-Sessions, Elevator Pitches, Fishbowl Diskussionen, Science Slams u. v. a. ergänzen als Formate mit verstärkter Einbindung der Teilnehmenden heute erfolgreich den Kanon konventioneller wissenschaftlicher ­Veranstaltungen. So vielfältig die Dialogformate, so vielfältig auch die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen aus Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, aus Kunst und Kultur, die dabei als Teilnehmende in den inhaltlich fundierten Dialog mit der Wissenschaft treten, und die Veranstalter, die als politische Stiftungen und Wirtschaftsverbände zu Gesprächskreisen bitten können, als Forschungseinrichtungen Sciencetainment-Veranstaltungen anbieten oder als Fraktion des Bundestages zu einem Expertenhearing laden. Mit der verstärkten Einbindung partizipativer Veranstaltungsformate und der direkten Ansprache einzelner gesellschaftlicher Zielgruppen bekommt der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft eine neue Qualität, die auf interdisziplinäre Fragestellungen und Interessen gezielter eingehen kann.

12.5 Was bleibt zu tun? Durch die PUSH- und PEST-Initiativen der letzten beiden Jahrzehnte hat die Wissenschaftskommunikation im Sinne eines Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland stetig an Bedeutung gewonnen und sich endgültig als wichtiger ­Faktor eines integralen Wissenschaftsmarketings an Forschungseinrichtungen und ­Hochschulen etabliert. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pressestellen der Hochschulen ist aufgrund der Zunahme von Zielgruppen mit jeweils eigenem Kommunikationsverhalten und einer verdichteten Kommunikationsstruktur deutlich gestiegen. Neben der Kommunikation nach außen ist dieses auch der internen Kommunikation mit den agierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschuldet. Viele brauchen Unterstützung bei der Konzeption und Organisation ihrer Veranstaltungen. Nur durch die Abstimmung aller Beteiligten können die geplanten Kommunikations- und Marketingziele erreicht werden. Wissenschaft und Forschung müssen zukünftig zudem durch die notwendige und intensivierte Ausgestaltung des Dialogs in und mit gesellschaftlichen Gruppen eine noch wichtigere Rolle in der Begleitung öffentlicher Diskussionen und bei der Bewertung technisch-gesellschaftlicher Entwicklungen einnehmen, bei denen öffentliche und veröffentlichte Meinung auf wissenschaftliche Expertise angewiesen ist, denn ihre rationalen Grundlagen und Regeln der Logik können interessengesteuerten gesellschaftswissenschaftlichen Argumentationen eine objektive Basis gegenüberstellen. Dieser zunehmenden Verantwortung gerecht zu werden, ist einer Herausforderung, der sich Wissenschaftskommunikation und nicht zuletzt das Wissenschaftsmarketing nicht entziehen dürfen.

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Events in der Wissenschaft – Verantwortung, Freiheit und ­Vertrauen Die über Jahrzehnte erfolgten Entwicklungen und Debatten zu wissenschaftlichen Veranstaltungsinhalten und -formaten geben eindrucksvoll wieder, wie wichtig die einzelnen Fachdisziplinen bei der Einordnung sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fragestellungen geworden sind. Wissenschaft war und ist dabei immer auch ein Gradmesser gesellschaftlicher Entwicklung: Das freie Streben in unserer Gesellschaft geht einher mit wissenschaftlicher Forschungsfreiheit, die kreative Entfaltung mit wissenschaftlichem Innovationspotenzial. Gerade in Zeiten, in denen die Reputation der Wissenschaft durch einen zunehmenden Populismus extremer Parteien gefährdet ist, in denen durch „Fake News“ ein wissenschaftsfeindliches Klima erzeugt wird, um Forschungsergebnisse in Abrede zu stellen und gesellschaftliche Modernisierung zu stoppen, muss einem Vertrauensverlust in die Wissenschaft entschieden entgegengetreten werden, damit der über viele Jahre erfolgte beidseitige Annäherungsprozess zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nicht Gefahr läuft, zum Stillstand zu kommen. Vertrauen ist dabei eine grundlegende Position und nicht an die Unabdingbarkeit wissenschaftlicher Ratio gebunden. Auch Wissenschaft kann irren, der Weg des Erkenntnisgewinns ist nicht immer stringent. Die Freiheit der Forschung ist in ihrer Historie schon an durch wirtschaftliche Interessen oder staatliche Interventionen markierte Grenzen gestoßen und jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin ist letztendlich ein nicht unfehlbarer Mensch. Zu seinen Fehlern aber zu stehen, Transparenz ohne Vertuschung, stabilisiert im offenen Dialog das gegenseitige Vertrauen und das Vertrauen in die Forschung. Wissenschaftliche Events können, hierauf basierend, als Kommunikationsplattformen viel bewegen und mehr als nur Austausch ermöglichen. Sie bieten der Wissenschaft die Möglichkeit, aktiv und verantwortungsvoll gesellschaftspolitisch Einfluss zu nehmen – als Berater, als Innovator, aber auch als Mahner. Und der beunruhigten Gesellschaft eine weitestgehend fundierte Absicherung in einer komplexer werdenden Welt.

Auswahlliteratur zum Thema Behrens- Schneider; Claudia, Birven, Sabine Events und Veranstaltungen organisieren 2. Auflage, München 2007 Budach, Wolfgang; Kayser, Peter; Krug; Wolfgang, Meier; Horst-G; Stracke, Friedrich. Hochschulen auf Messen. Praktische Hinweise für Messebeteiligungen durch Hochschulen. Kremkau, Altmark; 1992 Clausen, Elke; Schreiber, Peter Messen optimal nutzen: Ziele definieren und erfolge programmieren (How to Optimise the Use of Trade Fairs: Defining Goals and Planning Success) Würzburg 2000 Göhrmann, Klaus Messen als Instrument des Regionen- und Politikmarketings.(Trade Fairs as an Instrument of Regional and Political Marketing) In. Kirchgeorg, M.; Dornscheidt, W. M.; Giese, W.; Stöck, N. (Eds.) Handbuch Messemanagement: Planung, Durchführung und Kontrolle von Messen, Kongressen und Events (Handbook of Trade Fair Management: Planning, Execution and Control of Trade Fairs, Conventions and Events) S. 87–96. Wiesbaden 2003 Jansen-Meinen, Vanessa Tagungen und Kongresse In. Kirchner, Michaela (Eds.) Events in der Wissenschaft. S. 73–124. Berlin 2013

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Kalka, Regine; Krähling, Sandra Multimediale Public Relations bei Messegesellschaften. In. Forschungsbericht des Fachbeirats Wirtschaft der Fachhochschule Düsseldorf. Düsseldorf 2009 Kimmelmann, Michael Der Messe Wahnsinn. Planloser Auftritt oder erfolgreicher Auftritt. Norderstedt 2014 Knoll, Thorsten Messen und Ausstellungen. In. Kirchner, Michaela (Eds.) Events in der Wissenschaft. S. 11–72. Berlin 2013 Knoll, Thorsten (Hrsg) Veranstaltungen 4.0 Konferenzen, Messen und Events im Digitalen Wandel. Wiesbaden 2017 Knoll, Thorsten (Hrsg) Neue Konzepte für einprägsame Events. Wiesbaden 2015 Meffert, H. Ziel und Nutzen der Messebeteiligung von ausstellenden Unternehmen und Besuchern (Goals and Effects of Trade Fair Participation. In. Kirchgeorg, M.; Dornscheidt, W. M.; Giese, W.; Stöck, N. (Eds.) Handbuch Messemanagement: Planung, Durchführung und Kontrolle von Messen, Kongressen und Events (Handbook of Trade Fair Management: Planning, Execution and Control of Trade Fairs, Conventions and Events) S. 1145–1163. Wiesbaden 2003 Roessler, Isabel; Duong, Sindy; Hachmeister, Cort-Denis Welche Missionen haben Hochschulen? Third Mission als Leistung der Fachhochschulen für die und mit der Gesellschaft. CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung. Arbeitspapier 182, 2015 Schneidewind, Uwe Die „Third Mission“ zur „First Mission“ machen? In: Die Hochschule 1, 2016 Schreiber, Michael-Thaddäus (Hrsg) Kongresse, Tagungen und Events. München 2012 Schuldt, N. Internationale Messen als temporäre Cluster: Globales Wissen im lokalen Fluss (International Trade Fairs as Temporary Clusters: Globals Knowledge in Locals Flows) München 2006 Von Gräve, Melanie Events professionell managen: Das Handbuch für Veranstaltungsorganisation 4. Auflage, Göttingen 2014 Wissens- und Technologietransfer als Gegenstand institutioneller Strategien Positionspapier des Wissenschaftsrats. Drs. 5665-16. Weimar 2016 Zomer, Arend; Benneworth, Paul The Rise of the University’s Third Mission (S. 81–101) In: Reform of Higher Education in Europe J. Enders, H.F. de Boer, D.F. Westerheijden 2011

Dr. Thorsten Knoll  arbeitet seit 2001 im Veranstaltungsmanagement der TUBS GmbH und verantwortet dort die konzeptionelle und organisatorische Durchführung von wissenschaftlichen Ausstellungen und Messebeteiligungen sowie Kongressen und Tagungen. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss der Kunstgeschichte, Geschichte und Publizistik und seiner Promotion als Architekturhistoriker ging er mit der Entscheidung für das weiterbildende Studium des „European Communication and Administration – Europäisches Kulturmanagement“ den für sein heutiges Tätigkeitsfeld entscheidenden Schritt von der Konzeption und Durchführung künstlerischer Ausstellungen in Museen und Galerien zur Umsetzung von Messen und wissenschaftlichen Ausstellungen im universitären Veranstaltungsbereich. Aufbauend auf seinen in Kulturbetrieben erworbenen Kenntnissen, begann er mit der TUBS GmbH für die TU Berlin wissenschaftliche Ausstellungen und Messebeteiligungen sowie Kongresse und Tagungen zu organisieren und durchzuführen. Zudem lehrt er seit Jahren als Gastdozent an der TU Berlin und lehrte an der BEST-Sabel-Hochschule Berlin professionelles Veranstaltungsmanagement im MICE-Bereich. In den letzten drei Jahren folgten aus seiner Lehrtätigkeit mehrere Publikationen zum Thema Veranstaltungsformate und Veranstaltungstechnik.

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Wissenschaftsmarketing am Beispiel des Museums für Naturkunde Berlin Uwe Moldrzyk

Zusammenfassung

Nicht nur Wirtschaftsunternehmen, auch Forschungsinstitute konkurrieren auf einem Markt. Die einen um Kunden oder Abnehmer, die anderen um Fördermittel. Wenn wissenschaftliche Einrichtungen ihre Aktivitäten strategisch an den Anforderungen des „Marktes“ ausrichten, nennt man diesen Handlungsansatz „Wissenschaftsmarketing“. Am Beispiel des Museums für Naturkunde wird aufgezeigt, welche strategischen Maßnahmen in den vergangenen Jahren getroffen wurden, welche Überlegungen hinter den Entscheidungen stehen und wie gezieltes Wissenschaftsmarketing in der Praxis die Entwicklung eines Instituts über Jahre hinweg positiv beeinflussen kann.

13.1 Einleitung „Die Herausforderungen der Gegenwart und noch mehr die der Zukunft zwingen die Hochschulen (jedoch) dazu, über eine umfassende Marketingkonzeption nachzudenken.“ ­(Engelhardt et al. 1993)

Wenn Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen ihre Aktivitäten strategisch an den Anforderungen eines Marktes ausrichten, bezeichnet man diesen Handlungsansatz als Wissenschaftsmarketing. Der „Markt“ sind in diesem Fall unterschiedliche Förderungsmöglichkeiten auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene, Programme von

U. Moldrzyk (*)  Museum für Naturkunde, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_13

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­ tiftungen, Mittel aus der Industrie oder von privaten Förderern. Auf einen Nenner S gebracht: Geld, welches Institute benötigen um ihre Forschungsinfrastruktur zu erhalten und zukunftsfähig zu entwickeln, Forschung zu betreiben, Wissenschaft zu kommunizieren, Bildungsprogramme zu konzipieren und umzusetzen oder Lehrangebote attraktiv zu gestalten. Den allermeisten Forschungseinrichtungen ist gemein, dass die jährliche Grundförderung nicht ausreicht, um neben dem Betrieb der Infrastruktur und den anfallenden Personalkosten auch ihr Forschungsprogramm zu entwickeln und umzusetzen oder sonstige Aktivitäten etwa im Bereich Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Für diese Vorhaben werden zusätzliche Mittel benötigt, um welche die Forschungseinrichtungen miteinander konkurrieren. Wie von Engelhardt 1993 formuliert, nimmt die Konkurrenz zu und das Werben um die Mittel ist längst zu einem Leistungskriterium geworden. Die Mittelknappheit im Wissenschaftssystem führt zu Vergabesystemen, in denen zunehmend Forschungsleistungen und deren Bewertung die Grundlage bilden. Darüber hinaus spielt auch die Drittmitteleinwerbung als Leistungsindikator eine große Rolle (Jansen et al 2007). Die Überlegungen Drittmittel als Indikator für Forschungsleistungen heranzuziehen, beruht auf dem Wunsch und gleichzeitig der Schwierigkeit, wissenschaftlichen Output miteinander zu vergleichen. Grundsätzlich wird dieser Output in Form von fachwissenschaftlicher Kommunikation, in erster Linie Publikationen, aber auch nach Humankapital und Artefakten sichtbar (Wagner-Döbler 2005). Verschiedene Forschungsfelder lassen sich aber oft nur schwer miteinander vergleichen, da sich die Anforderungen an Qualität und Quantität in verschiedenen Fachdisziplinen unterscheiden. Da Mittel in einem limitierten System effizient eingesetzt und leistungssteigernde Anreize für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bieten sollen (Gödelbecker 2005; Jäger 2005; Minssen und Wilkesmann 2003) und die Vergabe auf der Einschätzung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit beruht, scheint die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln ein geeigneter Indikator zu sein, der auch fachübergreifend vergleichbar ist. Bei der Budgetierung an deutschen Universitäten wird dem Drittmittelvolumen etwa große Relevanz zugemessen (Jäger 2006). Ein solches System belohnt also nicht ausschließlich Einrichtungen, die exzellente Wissenschaft betreiben und zukunftsweisende Forschungsprogramme entwickeln, sondern auch solche, die bereits erfolgreich Mittel eingeworben haben. Unter unternehmerischen Gesichtspunkten ist es folglich lohnend, nicht nur in Forschungsprogramme sondern auch in die Einwerbung von Drittmitteln zu investieren. Dass dies inzwischen fast zum Standard gehört, lässt sich an der Vielzahl von befristeten und unbefristeten Stellen an Forschungsinstituten ablesen, die sich mit Fundraising, dem Aufspüren von Drittmittelangeboten und der Unterstützung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei der Antragstellung beschäftigen. Da die finanziellen Mittel insgesamt begrenzt sind und gleichzeitig die Bewerber in die Qualität ihrer Anträge investieren, ist das Risiko bei Anträgen leer auszugehen mittlerweile ungleich höher zu bewerten. Diesem Risiko wird versucht, mit einer

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h­öheren Anzahl von Bewerbungen entgegenzuwirken. Da die zu vergebenden Mittel nicht mehr werden, dafür jedoch die Anzahl der Bewerbungen steigt, sinken die Erfolgsquoten einzelner Anträge während der Aufwand für selbige wie auch die Anzahl der Anträge pro Institution steigt (Winterhager 2015). Man muss also immer schneller rennen, um an der gleichen Stelle zu bleiben (Red-Queen-Hypothese, van Valen 1973). Dass das System der Forschungsförderung – welches eigentlich das Ziel hat, Wissenschaft zu fördern und exzellente Forschung zu ermöglichen – dazu führt, dass Forschungsinstitute immer mehr Ressourcen für die Einwerbung von Drittmitteln aufwenden und diese dann nicht für Forschungsvorhaben zur Verfügung stehen, ist nur einer von vielen diskutierten Kritikpunkten. Banse (2018) thematisiert in diesem Kontext auch die Problematik von privater Förderung und die potenziell damit einhergehende Beeinflussung von Forschungsprojekten durch die Interessen der Förderer. Welche Vergabesysteme auch immer denkbar wären, es bleibt ein Markt mit begrenzten finanziellen Ressourcen, um die eine Vielzahl von Bewerbern konkurrieren. Und solche Institute, die sich nicht nur auf exzellente Forschung verlassen, sondern auch die Gesetzmäßigkeiten des Marketings verstehen und anwenden, sind im Vorteil.

13.2 Forschungsmuseen In der Forschungslandschaft stellen Museen eine besondere Form von wissenschaftlich ausgerichteten Instituten dar. Per Definition sind Museen „Orte, die materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschaffen, bewahren, erforschen und die Ergebnisse bekanntmachen und ausstellen“ (ICOM 2010). Auch wenn alle Aspekte erfüllt sein müssen, sind dabei nach Fachgebiet und Größe der verschiedenen Museen die Schwerpunkte verschieden. Während bei Museen mit kleinerer Sammlung etwa die Aufgaben Beschaffung und Bewahrung fast vollständig mit den Anforderungen von und an Ausstellungen einhergehen, sind in anderen Häusern ganze Bereiche oder Abteilungen nur mit Fragen des Sammlungsmanagements beschäftigt. Ähnlich verhält es sich bei der Wissensvermittlung und kuratorischen Praxis in unterschiedlichen Sparten: Während beispielsweise in Kunstmuseen eine Ausstellung das direkte Ergebnis der wissenschaftlichen Arbeit des Kurators sein kann – etwa die Gegenüberstellung verschiedener Künstler – münden in naturwissenschaftlichen Disziplinen Forschungsprojekte fast ausschließlich in Fachpublikationen, die für eine breite Öffentlichkeit erst „übersetzt“ werden müssen (Moldrzyk 2013). Forschungsmuseen – da Museen per Definition ja Forschung betreiben eigentlich ein Pleonasmus – zeichnen sich durch einen besonders hohen Anteil an aktiver Forschung aus. Mehr als bei anderen Museen stellt der Betrieb von Laboren, Werkstätten, Ausstellungen und Veranstaltungen, der Erhalt von Sammlungen und Infrastruktur, die Umsetzung von Forschungsprogrammen und die institutionelle Entwicklung einen finanziellen Spagat dar, der über die Grundfinanzierung kaum zu decken ist. In Deutschland gehören allein acht Forschungsmuseen zu den 93 regelmäßig evaluierten und

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damit wegen ihrer herausragenden Forschungsleistung geförderten Institute der Leibniz Gemeinschaft: das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum, das Deutsche Museum in München, das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven, das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das Museum für Naturkunde in Berlin, das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz, das Senckenberg Naturmuseum mit Standorten in Frankfurt a. M., Dresden und Görlitz und das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn (Leibniz Gemeinschaft 2018). Speziell in den Naturwissenschaften spielen Forschungsmuseen eine herausragende Rolle. The Natural History Museum in London, the American Museum of Natural History in New York oder etwa das Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris sind bedeutende Wissenschaftsinstitute deren naturkundliche Sammlungen nicht nur einen dokumentarischen und historischen Wert besitzen, sondern in ihrer Vielfalt als Archive des Lebens eine unbezahlbare Basis für moderne Forschungsprojekte darstellen. Das Smithsonian Institut in Washington mit über 150 Mio. Objekten gilt als der größte Museumskomplex der Welt und hat einem Jahresetat von über einer Milliarde Dollar (Smithsonian Institution 2015). Das Museum für Naturkunde in Berlin war in 2016 mit über 820.000 Besuchern bei weitem das besucherstärkste Naturkundemuseum Deutschlands (zum Vergleich: das berühmte Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt verzeichnet im gleichen Zeitraum 380.000 Besucher), seine 144 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren im selben Jahr auch für 222 ISI gelistete und Peer-Reviewte Publikationen verantwortlich (MfN 2017). Dabei sind diese großen „Forschungstanker“ international vernetzt und publizieren gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen aus Universitäten und anderen Instituten aus der ganzen Welt. Sie betreiben hochmoderne Labore, ihre Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind Forschende von Weltrang und haben sich von vorrangig taxonomischen Schwerpunkten längst zu Spitzenkräften in hochaktuellen Forschungsfragen entwickelt. Sie modellieren Impakt- und Tsunami-Ereignisse, beforschen den Klimawandel oder die Evolution von Krankheitserregern und gehen damit gesellschaftlich hochrelevanten und zeitgenössischen Fragestellungen auf den Grund. Das Bund-Länder-Eckpunktepapier zu den Forschungsmuseen der Leibniz Gemeinschaft fordert von diesen Einrichtungen sich mit anderen Forschungseinrichtungen national und international zu vernetzen, ihre Sammlungen als Forschungsinfrastruktur für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt bereit zu stellen, ihre Funktion als „Brücke“ zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu entwickeln und als Schaufenster von Forschung und Wissenschaft zu fungieren (WGL 2012). Ob Forschungsmuseen diesen Anforderungen gewachsen sind, ist in den meisten Fällen eine Frage der Ausstattung (Personal, Infrastruktur, Lage, Einzugsgebiet, usw.) und der finanziellen Möglichkeiten. Da Leibniz Institute spätestens alle sieben Jahre hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Exzellenz evaluiert werden, ist es verständlich, dass die Finanzierung der Forschung bei der Verteilung der Mittel eine wichtige Rolle spielt und dass Ressourcen in die Drittmitteleinwerbung gesteckt werden – da, wie bereits erläutert, die Drittmitteleinnahmen auch als Leistungsindikator bewertet werden. Welchen

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Stellenwert die Wissenschaftskommunikation hat, lässt sich an den Leistungskriterien der Leibniz Gemeinschaft ableiten, wobei als wichtigster Indikator hier die jährlichen Besucherzahlen gelten. Es ist offensichtlich, dass es Diskrepanzen zwischen der Theorie und der Praxis gibt: Wenn Ressourcen begrenzt sind, fällt es schwer in Bereiche zu investieren, die nicht evaluierungsrelevant sind. Wenn man in einem evaluierungsrelevanten Zeitraum die Wahl hat zwischen einem hochkarätigen Forschungsprojekt oder einer Sonderausstellung, wenn man die Wahl hat zwischen einem sicheren Publikumsmagneten oder einer Ausstellung zu kritischen Forschungsthemen, wie fallen wohl die Entscheidungen aus? Speziell Naturkundemuseen schauen auf eine lange Tradition zurück, wenn es um die feinsäuberliche Trennung von Forschung und Kommunikation geht. Rückblickend hängt dies mit der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Forschungsfragen zusammen, sowie mit bewussten oder unbewussten Marketingentscheidungen.

13.2.1 Forschen und Kommunizieren in Naturkundemuseen Was Wissenschaftsmarketing in der Praxis bedeuten kann, soll am Beispiel des Museums für Naturkunde in Berlin gezeigt werden. Das Museum für Naturkunde zeigt nach einer Teilrenovierung einhergehend mit verschiedenen Maßnahmen von 2007 über einen Zeitraum von zehn Jahren bis heute eine ungeheuer erfolgreiche Entwicklung, die auf strategische Marketingentscheidungen zurückzuführen ist. Trotz der Erfolge und zum Teil eindeutigen Zahlen gibt es aber fast keine Nachahmer. Dies mag auch mit lange gewachsenen Strukturen und Denkweisen zusammenhängen, die sich aus der Geschichte der Kommunikation in Naturkundemuseen ableiten lassen. Der folgende Exkurs ist notwendig um zu veranschaulichen, weshalb das Beispiel des Berliner Museums nicht nur für die nationale Museumslandschaft ungewöhnlich ist. Naturkundliche Ausstellungen gehen in ihrem Kern auf zwei verschiedene Ursprungsformen zurück: die Wunderkammer beziehungsweise das Kuriositätenkabinett und die wissenschaftliche Schausammlung. Das erste „Naturkundemuseum“ stand vermutlich in Zürich, wo der Schweizer Arzt und Naturforscher Konrad Gessner (1516–1565) seine Sammlung der Öffentlichkeit gelegentlich zugänglich machte (Atitwa 2018). Gessner ist vor allem für sein Werk Historia animalium berühmt und wird als Begründer der modernen Zoologie bezeichnet (Ley 1929). Auch wenn die Sammlung nach seinem Tod verloren ging, kann vermutet werden, dass die Objekte nach dem wissenschaftlichen Prinzip seiner Arbeit angeordnet waren: nicht systematisch sondern alphabetisch (Moldrzyk 2015). Als erstes „modernes“ Naturkundemuseum wird heute das Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris bezeichnet, welches auf die Gründung des Jardin Royal des Plantes Médicinales in 1635 zurückgeht. Während der Französischen Revolution wurde das Institut mit den Zielen die Öffentlichkeit zu informieren, Sammlungen aufzubauen und Forschung daran zu betreiben neu organisiert. Zusammen mit dem Louvre werden beide Häuser 1793 erstmalig dem Volk frei zugänglich gemacht, was einen Trend in Europa

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auslöst. Davor ist der Zugang zu solchen Sammlungen ein Privileg der Oberschicht und des Bürgertums (Macdonald 2006). Im 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts öffneten Naturkundemuseen auf der ganzen Welt ihre Tore, etwa 1802 in Budapest, 1813 in Philadelphia, 1869 in New York, 1881 in London, 1889 in Wien und Berlin oder 1910 in Washington. Alle diese Gründungen basierten auf wissenschaftlichen Sammlungen, die auch die Grundlage der Präsentationen bildeten. So war beispielsweise die Zoologische Sammlung der Humboldt-Universität für Studierende und interessierte Bürger zeitweise zugänglich, jede Klasse des Tierreichs war in einem eigenen Raum untergebracht (Köstering 2010). Klassifikation und Systematik bildeten zu Beginn die Schwerpunkte der naturwissenschaftlichen Forschung und genau das spiegelten die Ausstellungen. (Abb. 13.1). In dieser Zeit vollzieht sich auch eine Wende, die sich bis in die Gegenwart auswirkt und die sich unter anderem im Museum für Naturkunde in Berlin noch heute ablesen lässt. Durch die schnell wachsenden Sammlungen und die begrenzten räumlichen Möglichkeiten der in 1810 gegründeten Humboldt Universität sollte vor den Toren der Stadt ein großes Naturkundemuseum entstehen. 1883 wurde mit dem Bau begonnen, die Planungen dazu erstreckten sich aber bereits vor Baubeginn über viele Jahre. Eine der Streitfragen: wie sollte das Museum konzipiert sein – wie bisher, in seiner Gänze offen für jedermann? Oder sollte eine Trennung zwischen Ausstellung und wissenschaftlichen Sammlungen herbeigeführt werden? Diese neue Idee, die „New Museum Idea“ wird von namhaften Wissenschaftlern der damaligen Zeit ausgelöst, etwa Thomas Henry Huxley oder Charles Darwin oder dem Direktor des British Museums, Sir William Henry Flower (Latham und Simmons 2014). Zusammen mit anderen Kollegen fordern sie, den Neubau des Naturkundemuseums in London rationaler zu planen und die wissenschaftlichen Sammlungen von den Ausstellungen zu trennen. Diese Diskussion wird auch in Berlin geführt und der damalige Direktor des Zoologischen Museums, Wilhelm Peters, entscheidet sich für die uneingeschränkte Zugänglichkeit für das Publikum. Noch während der Bauphase übernimmt Karl August Möbius den Direktorenposten und macht die Entscheidung rückgängig: Er führt die Trennung von Ausstellung und Sammlung ein, welche bis heute besteht und sich auch nach und nach in allen anderen Naturkundemuseen durchgesetzt hat (Köstering 2010). Die Konsequenz für das neue Berliner Naturkundemuseum: die für die Präsentation geplanten Räume mit hohen Decken und guter Lichtzufuhr sind zwar für die reine Sammlungsunterbringungen nicht optimal geeignet (Abb. 13.2), die Umsetzung wird dennoch international als Revolution gefeiert ­(Glaubrecht 2008). Die damalige Entscheidung, Ausstellung und Sammlung zu trennen, ist eine Strategische. Im 19. Jahrhundert boomen die Naturwissenschaften. Die Vermessung der Welt ist in vollem Gange und hat höchste Priorität für viele Nationen. Zunächst als netter Nebeneffekt bei Vermessungsreisen, später dann auch getrennt davon durchgeführt, wird gesammelt, was das Zeug hält. Und die naturkundlichen Sammlungen wachsen schneller als man Regale aufstellen kann. Darwin und Co sahen die Zukunft ihrer Profession in der Beschreibung alles Lebenden auf Erden, und für die Wissenschaftler war kein

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Abb. 13.1   Der Mineraliensaal im Museum für Naturkunde – eine klassische Schausammlung. (MfN, HBSB, Min. Mus. B III 2)

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Abb. 13.2   Der alte „Fischsaal“. Gut zu erkennen ist das für Sammlungen verschwendete Raumvolumen über den Vitrinen. (Carola Radke, MfN)

Ende in Sicht. Stauvolumen mit Potenzial für Sammlungszuwachs, eine gute Organisation, Auffindbarkeit und Zugänglichkeit der Objekte war von höchstem wissenschaftlichem und politischem Interesse und hatte Priorität gegenüber der Kommunikation in die Bevölkerung. Mit der Trennung von wissenschaftlicher Sammlung und den Ausstellungen ergaben sich auch neue Handlungsfelder, die schnell genutzt wurden. Während die Anordnung von wissenschaftlichen Sammlungen durch die Anforderungen der Kustoden vorgegeben werden, können in den Ausstellungen jetzt die Objekte auch anders angeordnet und präsentiert werden. In Berlin steht hinter den bahnbrechenden Entwicklungen der Direktor Karl August Möbius, der ökologische Gruppen inszeniert wie etwa eine Austernbank und ein Korallenriff, mit Hintergrundfarben für eine perfekte Objektwahrnehmung experimentiert und das „Möbiusgelb“ entwickelt und stark auf didaktische Elemente setzt. (Abb. 13.3). Mit dieser weltweiten Entwicklung beginnt eine immer weiter fortschreitende Entfernung von Ausstellung und Forschung. Während sich Ausstellungen zunächst entlang von didaktischen Parametern entwickelten, führten die Schwerpunkte naturwissenschaftlicher Forschung schnell von der Inventarisierung der Natur hin zu komplexeren Fragestellungen, die allein durch die wissenschaftlichen Sammlungen nicht mehr direkt illustriert wurden. Nach und nach werden Naturkundemuseen zu Orten hochkomplexer Forschung mit Ausstellungen für das Bildungsbürgertum. Später ändert sich diese Zielgruppe: Fördermöglichkeiten im Bereich Bildung führten zu dem Schwenk auf Schulklassen und Familien. Spätestens seit den 1970er Jahren setzen Naturkundemuseen auf das neue Publikum mit radikalen Auswirkungen. Konzepte orientierten sich an Lehrplänen und

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Abb. 13.3   Silbermöwe mit „Bezeichnungen der äusseren Theile des Vogelkörpers“, 1893. (MfN, HBSB, Zool. Mus., BIII, 846)

biologischem Lehrbuchwissen, die Objektauswahl wurde weniger von den eigenen Sammlungen und Forschungsschwerpunkten bestimmt. Anstelle von Originalen und Objekten die für wissenschaftliche Zwecke gleichermaßen nutzbar oder interessant waren, fanden sich immer häufiger Schaupräparate und Modelle, die Prozesse erklären. Auch diese Veränderung beruht also auf Marketingstrategien. Das Museum vermarktet sich als außerschulischer Lernort. Durch die zur Verfügung stehenden zusätzlichen Mittel ließen sich nicht nur Bildungsprogramme entwickeln und umsetzen, sondern auch Gebäude und Ausstellungen sanieren und finanzieren. Damit konnten auf der anderen Seite mehr Haushaltsmittel in Forschung und Sammlung fließen. Aber alles hat seinen Preis. Denn die Tendenz, möglichst umfangreiche Informationen anzubieten, gepaart mit einer stark gelenkten Besucherführung (also eine bestimmte Leserichtung vorzugeben) sowie der Ausrichtung von Ausstellungsinhalten an Lehrplänen wirkt sich in der Folge auf das „Markenbild“ von Naturkundemuseen aus. Sie gelten nun als Orte für (Schul-)Kinder, ein Erwachsenenpublikum würde sie oft als altmodisch, verstaubt und langweilig beschreiben. Viel problematischer aus aktueller Sicht ist jedoch, dass sie zwar weiterhin Orte des aktiven Forschens sind, von der Öffentlichkeit aber nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Bereits seit den späten 1970er Jahren werden Untersuchungen zum Verständnis von Wissenschaft in der Gesellschaft durchgeführt (etwa: CEC 1978). In Großbritannien erscheint ein Bericht über die Notwendigkeit, in der Gesellschaft ein Verständnis für

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­ orschung und Wissenschaft zu wecken der folgert, dass Wissenschaft vor allem den F jüngeren Generationen nahegebracht werden müsste. Nicht nur den Altersgruppen 11 bis 18, auch Grundschulen müssten einbezogen werden. Für dieses Ziel seien Programme zu entwerfen und es müssten dafür Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Gleichsam macht der Bericht die Notwendigkeit an den Verbindungen zwischen Forschung und Wirtschaft und dem täglichen Leben fest, der gesamte Wohlstand basiere auf Forschung und Wissenschaft und täglich müssten unzählige richtige Entscheidungen getroffen werden und dass auch Politiker und Berater betroffen sind (The Royal Societiy 1985). Dieser Bericht gilt als Start der nächsten wichtigen Welle in der Kommunikation von Naturwissenschaften: PUSH (Public understanding of science and humanities) und PUR (Public understanding of research). Und auch diese kann als eine strategische Entscheidung im Hinblick auf den Markt und seine Entwicklungen gedeutet werden. Wenn die Öffentlichkeit Wissenschaft und Forschung als Triebfeder für wachsenden Wohlstand erkennt, wächst auch das Verständnis für staatliche Finanzierung von Forschung. Auf PUSH und PUR folgen weitere Versuche, dem fortschreitenden Vertrauensverlust von Wissenschaft und Forschung in der Gesellschaft entgegen zu wirken. Die WGL fordert von den Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft eine „Brücke zur Gesellschaft“ zu schlagen und ein „Schaufenster der Wissenschaft“ zu sein (WGL 2012). Das Ziel ist von der unidirektionalen Vermittlung zu einem beidseitigen Austausch zu gelangen und Bürgerinnen und Bürger auch an Wissenschaft teilhaben zu lassen (BMBF 2017). (Abb. 13.4). Mit den dafür bereitgestellten Mitteln werden Institute auch entsprechende Programme entwickeln und Anträge stellen.

Abb. 13.4   Gesellschaft und Wissenschaft vereint: Ergebnisse des Bioblitz werden beim Sommerfest des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue erklärt. (HwaJa Goetz, MfN)

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13.3 Museum für Naturkunde Berlin Das Museum für Naturkunde Berlin blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Seine Sammlungen aus aller Welt dienen als wichtige Basis für interdisziplinäre Forschungsprojekte und wurden über die letzten zwei Jahrhunderte zusammengetragen. Mit der Gründung der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität „Unter den Linden“ in 1810 sind auch drei Museen entstanden: das Anatomisch-Zootomische Museum, das Mineralogische Museum und das Zoologische Museum. Alle drei wurden später zum Museum für Naturkunde vereint. (Abb. 13.5)

13.3.1 Ausgangslage Von der Eröffnung in 1889 bis heute unterzogen sich die Ausstellungen und Präsentationen natürlich mehreren Veränderungen, allerdings nicht kontinuierlich. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die frühen 2000er standen keine größeren Mittel für die dringend benötigten Sanierungen des Gebäudes oder der Modernisierung von Laboren, Arbeitsplätzen oder den Ausstellungen zur Verfügung. (Die Bewilligung eines Bauvorhabens durch die EU und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie in 2004 bedeutete die erste nennenswerte Überarbeitung von Teilen des Gebäudes und seiner Infrastruktur seit mehr als 5 Jahrzehnten.

Abb. 13.5   Das Museum für Naturkunde wurde am 02. Dezember 1889 eröffnet. (MfN, HBSB, Zool. Mus.,)

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Dieses Projekt (TEA – Teilerneuerung der Ausstellungen) endete mit der Eröffnung von vier überarbeiteten Dauerausstellungssälen und einer Fläche für temporäre Sonderausstellungen im Sommer 2007. Im Gegensatz zu den aktuellen Museumsprojekten in München, Kopenhagen und Basel, wo Museumskonzepte zusammen mit kompletten Neubauten entwickelt werden, müssen neue Ausstellungsprojekte in Berlin das historischen Gebäude mit all seinen Einschränkungen berücksichtigen. Da die Sanierung in mehreren Schritten erfolgen muss folgt darüber hinaus, dass die Dauerausstellungen nicht vollständig in einem Projekt erneuert werden können, sondern diese Überarbeitungen ebenso schrittweise erfolgen müssen. Auch eine der letzten Kriegsruinen Berlins war bis 2008 an der Invalidenstraße 43 zu sehen. Im ausgebombten Ostflügel wuchsen Kräuter, Sträucher und Birken, die Situation hätte man als Metapher für den Zustand des Museums nicht besser inszenieren können. Heute beherbergt dieser Gebäudekomplex die wohl modernste Nasssammlung der Welt. Abb. 13.6) Das Kommunikationskonzept von Ausstellungen war weitestgehend auf Schulkinder und Familien zugeschnitten, auch wenn einzelne Angebote auf ein vorgebildetes Erwachsenenpublikum zielten. Sonderausstellungen waren thematisch und didaktisch nicht strategisch ausgerichtet und trotz Dinosaurier, Urvogel und Co zog das Naturkundemuseum in der Invalidenstraße durchschnittlich nur 200.000 Menschen pro Jahr an.

Abb. 13.6   Kriegsschäden am Naturkundemuseum. Erst 2008 wurde mit dem Wiederaufbau des Ostflügels begonnen. (Carola Radke, MfN)

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13.3.2 Strategisches Vorgehen Das Museum für Naturkunde braucht: Geld. Der Grundhaushalt ist verglichen mit anderen Einrichtungen der gleichen Größe und Leistungsfähigkeit zu gering und der Sanierungsstau des Gebäudes ist eine Hypothek, die sich auf viele Bereiche des Museums auswirkt. Eines der größten Probleme ist die schrittweise Sanierung des Gebäudes. Ausgelegt auf mehrere Bauabschnitte bedeutet dieses Bauen im Bestand eine enorme Belastung für das Museum, welches als Leibniz-Institut spätestens alle sieben Jahre hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Exzellenz evaluiert wird. Die notwendigen Baufreiheitsmaßnahmen bedeuten großflächige und umfangreiche Umzugsrochaden: Sammlungs-, Arbeits- und Laborräume müssen temporär auf andere Flächen verteilt werden, was nicht nur suboptimale Arbeitsbedingungen bedeutet, sondern auch für Planung und Umsetzung Ressourcen verbraucht, die den eigentlichen Forschungs- und Kommunikationsaufgaben des Instituts nicht zur Verfügung stehen. Die Abgrenzungen von Baufeld und im Betrieb befindlichen Bereichen sind schwierig, die Beeinträchtigungen durch Lärm und Staub im Hinblick auf Sammlung und Ausstellung erheblich. Darüber hinaus werden durch die reinen Sanierungsmaßnahmen keine neuen Flächen geschaffen, sondern nur die vorhandenen saniert, was für das Wachstum des Naturkundemuseums hinsichtlich Sammlungen, Personal und Flächen für moderne Kommunikationskonzepte keine gute Perspektive bietet. Die Vorstellung, das Museum von 2004 bis möglicherweise nach 2035 als permanente Baustelle zu betreiben, ist vom Idealfall weit entfernt – auch vor dem Hintergrund auf dem begrenzten Markt der Fördermöglichkeiten mit anderen Instituten um die gleichen finanziellen Ressourcen zu konkurrieren. Eines der wichtigsten Ziele ist es deshalb, Mittel für die notwendigen Sanierungsmaßnahmen zu erhalten, die Zeit bis zur vollständigen Sanierung des Gebäudes zu verkürzen, in möglichst wenigen Bauphasen umzusetzen und das Museum durch einen Sammlungsneubau zu ergänzen.

Das Problem Die Ausgangslage des Museums ist damit klar definiert. Mittel für die dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen, im Idealfall in einer einzigen Bauphase sowie für die Entwicklung von Personal und Infrastruktur werden angestrebt, um das wissenschaftliche und gesellschaftliche Potenzial des Museums auszuschöpfen. Einige der größten Herausforderungen unserer Zeit haben massiv mit Umweltfragen zu tun, naturkundliche Forschungsmuseen können nicht nur wichtige Fragestellungen kompetent bearbeiten, sie können auch vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten um den Vertrauensverlust von Forschung und Wissenschaft in der Gesellschaft ein sehr wichtiger und authentischer Kommunikator sein und ganz wie im Bund-Länder-Eckpunkte-Papier gefordert, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bauen. Das funktioniert jedoch nur, wenn das Museum als ein Ort, an dem die Annäherung und der Austausch stattfinden können, erkannt wird und ihm Authentizität im

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Zusammenhang mit Wissenschaft zugebilligt wird. Das war 2004 nicht der Fall. Das Museum galt als verstaubt, altmodisch und mehr oder weniger langweilig. In Zeiten, in denen Naturkundemuseen in New York und London längst touristische „must-sees“ waren, war vielen Berlintouristen weder klar, dass es in der Stadt mit Archaeopteryx (dem Urvogel) und Brachiosaurus (heute Giraffatitan) zwei absolute Highlights zu sehen gibt, noch wo man diese Stücke im Zweifelsfall betrachten könnte. Die etwa 200.000 Besucher waren überwiegend Schulkinder und Familien. Politiker mieden das Haus, Firmen und andere potenzielle Sponsoren aus dem privaten Bereich wollten mit den staubigen alten Knochen nicht in Verbindung gebracht werden. Zusätzliche finanzielle Mittel für Sanierungsmaßnahmen gab es nicht, dass das Museum für Naturkunde moderne Forschung betreibt, war außerhalb von Fachkreisen nahezu unbekannt. Dabei waren die Grundlagen vorhanden. Die Sammlung mit über 30 Mio. Objekten zählt zu den wichtigsten Forschungsgrundlagen weltweit. Unter Kollegen und Kolleginnen war bekannt, dass am Museum für Naturkunde herausragende Forschungsarbeit geleistet wird. Das Museum war ein Kandidat für die Aufnahme in die Leibniz Gemeinschaft – Zweifel bestanden nicht hinsichtlich der wissenschaftlichen Exzellenz sondern hinsichtlich der Kosten für die notwendigen Sanierungsmaßnahmen. Die wichtigste Aufgabe des Museums lag also im Bereich des Branding und Marketing, mit dem Ziel Aufmerksamkeit für den Bedarf des Museums zu generieren, das Leistungspotenzial des Museums zu kommunizieren und eine Lobby zu schaffen, die sich für die Unterstützung des Museums für Naturkunde einsetzt. Dabei lassen sich die „vier P“ – product, price, place, promotion (Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik) – als klassische Instrumente des Marketing-Mix (McCarthy 1960) auch auf wissenschaftliche Institute anwenden. Dies ist auch für den Museumsbetrieb vor allem in Nordamerika und Großbritannien nicht unbedingt neu – ungewöhnlich ist allerdings, dass nicht Ausstellungen sondern das gesamte Institut als Produkt angesehen werden, das den richtigen Preis, die richtige Platzierung und die richtige Werbung zugeordnet bekommen muss.

Die Maßnahmen Mit der Einwerbung von Mitteln der Europäischen Union sowie der Stiftung Deutsche Klassenlotterie in 2004 gab es einen ersten größeren Handlungsspielraum, das Museum für Naturkunde in ein zeitgemäßes Forschungs- und Kommunikationsinstitut zu entwickeln. Die Gelder, rund 18 Mio. EUR, sollten in die Sanierung eines Gebäudeteils fließen und die Überarbeitung von 4 Dauerausstellungssälen und einem Raum für Sonderausstellungen ermöglichen. Für den rückwirkend messbaren und nachhaltigen Erfolg der Maßnahme war entscheidend, dass vor den Planungen und Konzeptionen strategische Überlegungen standen, die nicht nur das Projekt an sich betrafen, sondern das gesamte Institut berücksichtigten. So stand zu Beginn als erste Maßnahme eine kritische Analyse des Istzustandes. Das mag banal klingen, ist aber längst noch kein Standard in der Museumsszene.

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Das Bild, welches sich für das Museum abzeichnete, war für ein Naturkundemuseum in Deutschland „normal“. Etwa 200.000 Besucher pro Jahr, die hauptsächlich aus der Zielgruppe Kinder und Jugendliche bestanden. Wichtigste Ansprechpartner für Kommunikationsmaßnahmen waren Lehrerinnen und Lehrer. Touristen fanden kaum ihren Weg, das Museum war in Reiseführern oft nicht gelistet, stichprobenartige Befragungen in der Berliner Bevölkerung ergaben, dass manchen selbst der Standort des Museums unbekannt war. Darüber hinaus stand das Museum in der Öffentlichkeit für Ausstellungen, aber nicht für Forschung. Das Gebäude war in einem schlechten Zustand, die Unterbringung der Sammlung nicht zeitgemäß und unter konservatorischen Gesichtspunkten schwierig und nicht dem Flächenbedarf entsprechend. Dies lag auch an der bereits beschriebenen Geschichte des Gebäudes mit hohen, repräsentativen Räumen im ersten und zweiten Obergeschoss und dem damit verbundenen nicht nutzbaren Raumvolumen. Besuche von politischen Entscheidern oder VIP’s bei Veranstaltungen waren – wenn überhaupt – selten. Anfragen für Einmietungen gab es praktisch nicht und die interne Struktur war eine Mehrklassen-Gesellschaft, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sowie Sammlungsverantwortliche unter sich oder maximal miteinander kommunizierten – die Bereiche Ausstellung und Pädagogik waren davon entkoppelt. Kommunikation, Austausch und gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe war eher Ausnahme als Regelfall. Die zweite Maßnahme war die Formulierung von Prämissen, Zielsetzungen und einer Festlegung von Zielgruppen, bevor mit der inhaltlichen Konzeption der Ausstellungen begonnen wurde. Auch das mag banal klingen. Alle Entscheidungen lassen sich logisch von der Analyse und den institutionellen Zielen ableiten: • Zum einem war aus institutioneller Sicht die Prämisse, mit dem Erneuerungsprojekt das Bild des Museums in der Bevölkerung zu verändern und es als einen Ort von Forschung und Wissenschaftskommunikation bekannt zu machen, ein Verständnis für den Wert der Sammlungen und der naturkundlichen Forschung zu schaffen und eine Lobby von Befürwortern aufzubauen, die sich für die Belange und Bedarfe des Museums einsetzen. • Um dies zu erreichen war die Zielsetzung das Image des Museums – verstaubt, langweilig und „Ort für die Kleinen“ – zu verändern, die Besucherzahlen zu erhöhen und Sammlung und Forschung sichtbar zu machen. Dazu gehört die Entscheidung, Wissenschaftler des Museums in die Konzeption der Ausstellungen einzubeziehen, Objekte aus der eigenen Sammlung zu verwenden und die Ausstellungsdidaktik zu überdenken. Die Ausstellung in der unbetreuten Besuchssituation (kein Audioguide, keine persönliche Führung oder sonstiges Bildungsprogramm) nicht mehr als einen Ort des Lernens sondern als einen Ort zu sehen, der Interesse für naturkundliche Themen in der breiten Bevölkerung weckt, war im Nachhinein gesehen wohl der entscheidende Faktor. • Die wichtigste Zielgruppe für das Erreichen dieser Ziele des Museums waren und sind Erwachsene. Dies stellt den größten Bruch mit den gängigen Vorstellungen eines

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Naturkundemuseums dar, ist aber – wie die Ausführungen zu Beginn des Beitrags belegen – gar nicht so abwegig. Seit den späten siebziger Jahren fokussieren sich speziell Naturkundemuseen auf Kinder und Jugendliche und präsentieren sich als außerschulischen Lernort. Mit PUR und PUSH und der Idee, ein besseres Verständnis für Forschung in der Gesellschaft zu schaffen und heute eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen (und mit den damit einhergehenden Geldtöpfen) sehen sich Naturkundemuseen als erfolgreiche Ausbilder der „nächsten Generation“. Man darf sich aber vielleicht die Frage stellen – wenn das so ist – weshalb dann heute der Bedarf an einem Austausch zwischen Bevölkerung, Politik und Wissenschaft größer ist denn je und wie die inzwischen erwachsen gewordenen der einstigen „nächsten“ Generation heute auf die Idee kommen, Begriffe wie „Alternative Facts“ zu akzeptieren. Es reicht scheinbar nicht, nur die „nächste Generation“ ins Visier zu nehmen, wenn es darum geht, durch Wissenschaftskommunikation einen nachhaltigen Impact zu erzielen. Für den Erneuerungsprozess des Naturkundemuseums bedeutete dies keineswegs „to preach to the converted“, sondern verlangte auch nach innen einige Überzeugungsarbeit. Ein wichtiger Faktor war die Transparenz des Projektes: Die Überlegungen und auch Arbeitsergebnisse wurden intern immer wieder präsentiert und diskutiert und es wurden viele Mitarbeiter in die Prozesse mit eingebunden. Am Ende waren über 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Museums in die Entwicklung der Ausstellungen einbezogen, für die Objektauswahl waren die eignen Sammlungen obligatorisch und die Auswahl von Originalen (keine Kopien, Modelle und Rekonstruktionen) die Vorgabe, wann immer möglich. Die Inhalte sollten sich nicht an Lehrbüchern oder biologischem Allgemeinwissen orientieren, sondern an den Arbeitsfeldern der eigenen Forschung und die interessantesten Aspekte sollten in die Konzeption mit einfließen. Texte sollten sich als Storys lesen und insgesamt so kurz wie möglich gehalten werden. Um ein allgemeines Erwachsenenpublikum zu erreichen, sollte sich die Gestaltung an der Präsentation von Kunstmuseen orientieren und die ästhetische Inszenierung der Objekte im Vordergrund stehen. Eine Konkurrenz von Objekten, Informationen und Medien sollte vermieden und Highlights der Sammlungen berücksichtigt werden (Moldrzyk 2015). Die dritte Maßnahme war die konsequente Umsetzung der Konzepte.

13.3.3 Umsetzung Teilerneuerung der Ausstellungen 2004–2007 Im TEA-Projekt wurden vier Säle dem Themenblock „Evolution“ zugeordnet. Von der Entstehung unseres Sonnensystems über die wechselseitige Beeinflussung von biotischen und abiotischen Systemen auf unserer Erde und den Dinosauriern in der oberen Kreide bis zu ausgewählten Beispielen der Evolution zeigen alle vier Räume verschiedene Ebenen der Entwicklungen unseres Planeten und des Lebens darauf.

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Abb. 13.7   Die Dinosaurier im frisch sanierten Lichthof. (Carola Radke, MfN)

„Leben im oberen Jura“ kombiniert Fundstücke aus einem Ökosystem, das vor etwa 150 Mio. Jahren existierte, mit der Ikone des Naturkundemuseums – dem bekanntesten Exemplar des Urvogels, welcher der gleichen Epoche zuzuordnen ist. Neben Dinosauriern sind auch Fossilien anderer Lebewesen zu sehen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort an Land, in der Luft oder der angrenzenden Lagune gelebt haben. Für die Inszenierung eine Katastrophe, passen die riesigen Dinosaurier, allen voran mit Giraffatitan brancai dem laut Guinnessbuch der Rekorde höchsten Dino der Welt (Focus 2007) nur in den Lichthof – quasi die Eingangshalle des Museums und damit der erste Raum, den die Besucher betreten. (Abb. 13.7) Im angrenzenden Raum wird in einer Reihe von Geschichten erklärt, wie sich geologische und biologische Prozesse gegenseitig beeinflussen. „System Erde“ muss inhaltlich mit den Dinosauriern konkurrieren, darüber hinaus ist es hier – bedingt durch die lichtempfindlichen Objekte – auch noch dunkler als im Lichthof. Ohne die Wirkung der Medieninstallation am Globus würde es Besuchern schwer fallen, aus dem hellen und weiten Dinosauriersaal in den engen und dunklen Nachbarraum zu gehen. (Abb. 13.8) „Kosmos und Sonnensystem“ präsentiert sich mit einer spektakulären Inszenierung. Eine fahrbare Leinwand dient als Projektionsfläche für einen Film, der die Ursprünge unseres Sonnensystems erklärt. Weil Objekte aus dem All alle sehr ähnlich aussehen – wenn man von den sehr seltenen Proben vom Mond absieht ausnahmslos Stücke von Meteoriten, müssen in diesem Treppenhaus die Medien die Basis für die Informationsvermittlung tragen. (Abb. 13.9)

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Abb. 13.8   Verschiedene Systeme der belebten und unbelebten Natur beeinflussen sich gegenseitig und prägen unseren Planeten. Das ist das Thema im Saal „System Erde“. (Carola Radke, MfN)

Abb. 13.9   Vom Urknall bis zur Erde in 5 Minuten – die Animation im Kosmos-Treppenhaus. (Carola Radke, MfN)

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Abb. 13.10   Attraktive Objekte, interessante „Stories“, ästhetisch inszeniert – das ist das Konzept hinter den neuen Ausstellungen. So soll „Evolution in Aktion“ Interesse bei vielen Besuchern wecken. (Carola Radke, MfN)

Bei den Sanierungsmaßnahmen in einem historischen Gebäude kommt man an Fragen des Denkmalschutzes nicht vorbei. Das historische Ensemble im Evolutionssaal beinhaltet die Vitrinen, die bereits seit der Eröffnung 1889 an ihrem Platz standen. Damals als Tageslichtmuseum konzipiert (bis 1910 waren erst 3,5 % der Berliner Wohnungen an das Stromnetz angeschlossen. Sethmann 2014) musste ein passendes Beleuchtungssystem gefunden werden, welches sich nicht zu stark auf Wände und Decken auswirkt und die alten Vitrinen genutzt werden. Das gewählte Glasfaserlicht beeinflusst die Atmosphäre des Saals entscheidend (Abb. 13.10). Auch die als „Eyecatcher“ entworfene Biodiversitätswand muss die historischen Vitrinenmaße ­ berücksichtigen.

Rekonstruktion des Ostflügels 2008–2010 Dieser Weg wurde nach der Eröffnung des TEA-Projektes in 2007 konsequent weiterverfolgt. Das Medienecho und die wiedererlangte Popularität des Museums führten unmittelbar zu der Bewilligung von Baumitteln für den Wiederaufbau des im zweiten Weltkrieg zerstörten Ostflügels. Dieser Gebäudestrang sollte die Nasssammlungen (in Alkohol konservierte Objekte) aufnehmen. Das 30 Mio. EUR Projekt gilt als ein Paradebeispiel, wie Forschungssammlungen für die Öffentlichkeit sichtbar werden können und schaffte es bis in die renommierte Zeitschrift Nature (Nichols 2012). Der Bau wurde innerhalb von 3 Jahren abgeschlossen und gewann mehrere Preise, unter anderem für die Idee, die alten Außenwände als Mahnmal zu erhalten und zu ergänzen und im inneren ein komplett neues Gebäude zu errichten. (Abb. 13.11 und 13.12)

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Abb. 13.11   Die Kriegsschäden lassen sich auch noch an der rekonstruierten Fassade des Ostflügels ablesen, dahinter steckt ein modernes Sammlungsgebäude. (Carola Radke, MfN)

Abb. 13.12   Im Erdgeschoss des neuen Ostflügels können Besucher um Teile der aktiven Nasssammlung herumgehen, die quasi in einem eigenen Gebäude hinter Glas untergebracht ist. (Carola Radke, MfN)

Die Planungen beruhten auf den konservatorischen Anforderungen und die enorme Brandlast der Sammlung führte zu Sicherheitsmaßnahmen, die vor allem die Zugangsmöglichkeiten einschränkten. Gleichzeitig bestand aber ein enormes Potenzial, mit dem Sammlungsbau auch eine erhöhte Transparenz zu schaffen und der Gesellschaft einen ungeschminkten Einblick hinter die Kulissen zu ermöglichen. Diese

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Idee war nicht neu und hatte mit der Konzeption und dem Bau des „Darwin-Centers“ in ­London einen prominenten Vorreiter (Morgan 2008). Zum Glück. Der Erfolg des Projektes in Berlin beruht auf der konsequenten Präsentation einer Sammlung, die oft als Inszenierung gedeutet wird (te Heesen 2014). Prinzipiell wurde lediglich ein Raum im Raum geschaffen. Abgegrenzt durch Glaswände können Besucherinnen und Besucher um die Sammlung herumgehen, die Objektgläser sind mit den Beschriftungen aber nach innen gedreht und so sortiert, dass die Sammlung von innen genutzt werden kann. Es gibt keine Beschriftungen oder sonstigen Erklärungen, denn es handelt sich nicht um eine Ausstellung, sondern um eine aktive Sammlung, die von Wissenschaftlern und Sammlungspflegern genutzt wird. Selbst die als besonders ästhetisch empfundene Beleuchtung ist nicht inszeniert, es handelt sich um handelsübliche Neonröhren, die an den üblichen Stellen im Sammlungsraum angebracht sind. Wäre das Londoner Projekt, dessen Idee ein für Besucher zugänglicher Sammlungsbau ist, nicht in der Praxis an dem ambitionierten Versuch gescheitert, in dem Bau auch Wissenschaft zu inszenieren (ohne jedoch die Räumlichkeiten gemeinsam mit den potenziellen Nutzern und entlang der Bedürfnisse dieser zu gestalten), wer weiß welche Konzepte in Berlin entstanden wären. Technisch gesehen können Besucherinnen und Besucher in Berlin nicht in die Sammlung, sondern nur um die Sammlung herumgehen. Der Effekt ist umwerfend, der Raum hat eine enorme emotionale Wirkung. Und es lassen sich unerwartete Verhaltensweisen beobachten, die in anderen Bereichen des Museums so nur an einer anderen, ähnlich konzipierten Stelle zu beobachten sind: Besucher diskutieren über die Objekte und versuchen herauszufinden, was sie gerade sehen. Sie tauschen Wissen, Meinungen und Ideen dazu aus. Sie agieren emotional, ziehen sich gegenseitig die Gänge entlang, zeigen mit Fingern auf Objekte und suchen nach Argumenten, um sich gegenseitig von ihren Ansichten zu überzeugen. Sie agieren nach dem Muster akademischer Diskussionen, ohne sich dessen bewusst zu sein, aber auch ohne dazu angeleitet zu werden.

Temporäre Kommunikationsprojekte Darüber hinaus setzte das Museum zeitgleich auf die Entwicklung temporärer Kommunikationsformate und von Bildungs- und Vermittlungsangeboten. Programme und Materialien für Schul- und Vorschulgruppen, der Ausbau von Workshops und Führungen für Erwachsene, regelmäßige Sonderausstellungen die vom Museum selbst und mit den eigenen Wissenschaftlern entwickelt werden bis hin zu einem umfangreichen Eventprogramm, welches auch ein junges Erwachsenenpublikum anzieht. Neben der Event-Reihe „Wissenschaft im Sauriersaal“ und vielfältigen Programmen im Rahmen von langen Nächten sind auch innovative Formate wie „Filmwelten der Wissenschaft“ und Science Slams sehr erfolgreich. (Abb. 13.13) Die in 2007 im TEA-Projekt fertig gestellte Wechselausstellungsfläche wird seit 2008 regelmäßig mit eigenen temporären Ausstellungen bespielt, deren Konzeption bis zur Ausführungsplanung komplett hausintern erfolgt. Durchschnittlich werden zwei Sonderausstellungen pro Jahr gezeigt, welche durch passende Formate im Rahmenprogramm

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Abb. 13.13    Ausverkauft. Der Science Slam im Naturkundemuseum ist seit Jahren ein Publikumsmagnet und wird besonders von jungen Erwachsenen besucht. (Carola Radke; MfN)

ergänzt werden. Beiden Elementen der Kommunikation ist gemein, dass Wissenschaft und Forschung darüber kommuniziert werden sollen. Besonders erfolgreich war die Sonderausstellung „T.rex – Berlin zeigt Zähne“, in welcher Ende 2015 mit Tristan-Otto das erste echte Tyrannosaurus rex Skelett Europas präsentiert. (Abb. 13.14)

Abb. 13.14   T. rex Tristan Otto ist der neue Star in Berlin. Auf den transparenten Projektionsflächen bekommen aber auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Naturkundemuseums mit ihrer Forschung rund um den Dinosaurier ihr Publikum. (HwaJa Goetz, MfN)

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13.3.4 Ergebnisse/Auswirkungen/Impact Inwieweit sich die einzelnen Elemente auf die Entwicklung des Museums für Naturkunde ausgewirkt haben oder ob das Zusammenspiel der Maßnahmen für den Erfolg verantwortlich ist, lässt sich nicht belegen. Möglicherweise wären auch andere Wege erfolgreich gewesen. Auch ob sich der strategische Ansatz des Naturkundemuseums in Berlin auf andere Museen übertragen lässt, müsste erst noch belegt werden. Sicher spielt die spezielle Situation des Berliner Museums eine große Rolle. Einst als Ort der nationalen naturkundlichen Sammlungen von Wilhelm II. am 2. Dezember 1889 eröffnet und mit internationaler Reputation bis in den zweiten Weltkrieg hinein, bestand hier Anfang der 2000er durch den jahrzehntelangen Erneuerungsstau eine Situation, in der Veränderungen kein großes Risiko darstellten. Mit Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz und der damit einhergehenden Nähe zur Politik und mit Berlin als einer Touristenattraktion, war auch der Schwenk auf ein Erwachsenenpublikum fast logisch. Diese Situation ist mit den Standorten und der Geschichte anderer Naturkundemuseen nicht unbedingt vergleichbar. Ableitbar bleibt aber, dass die Konzeptions- und Umsetzungsarbeit von Programmen und Projekten der Wissenschaftskommunikation von Überlegungen bestimmt wurden, die für die gesamte Institution gelten und nicht nur auf Ausstellungen, Pädagogik und Begleitprogramm fokussierten. Das am leichtesten messbare Ergebnis sind Besucherzahlen. Das Museum für Naturkunde entwickelte sich quasi über Nacht zum besucherstärksten Naturkundemuseum Deutschlands. Am Eröffnungswochenende strömten von Freitagmittag bis Sonntagabend über 40.000 Besucher in die neuen Ausstellungen. Der jährliche Schnitt wurde nachhaltig von rund 200.000 auf 500.000 angehoben.

Besucherzahlen 900000 800000 700000 600000 500000 Besucherzahlen

400000 300000 200000 100000 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Steigerung der Besucherzahlen am Museum für Naturkunde Berlin bis 2016.

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Wie beachtlich dieser Erflog ist, zeigt ein Vergleich der Programmatik der besonders besucherstarken Museen. Während andere Häuser in den Zeiträumen Blockbuster wie Dinosaurier, Hominiden-Evolution und Eiszeit präsentieren, leistet sich Berlin mit Ausstellungen zu DNA, Evolution des Fluges oder Stadtnatur, eher schwierige Themen zu kommunizieren.

900000 800000 700000 600000 500000 400000 300000

Musuem für Naturkunde Berlin Museum Mensch und Natur München Naturkundemuseum Stugart

200000 100000 0

Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

Besucherzahlen von vier deutschen Naturkundemuseen 2007 bis 2016 Absolut bemerkenswert ist aber ein spartenübergreifender Vergleich zur Dynamik von Besucherzahlen nach großen Events. Durch Werbung und Medienecho erfahren Großprojekte zu Beginn fast immer ein sehr positives Besucherecho. Es ist aber auch ein bekannter Fakt, dass die Zahlen nach einiger Zeit wieder sinken. Geht man davon aus, dass zum Zeitpunkt der größten Öffentlichkeitswahrnehmung der maximale Besucherzuspruch erreicht wird und setzt man damit die Besucherzahlen des ersten Jahres nach Eröffnung auf 100 %, kann man die Entwicklung der Besucherzahlen vergleichen.

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120

100

80 NM BM

60

AN MfN

40

20

0 Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3

Jahr 4

Jahr 5

Besucherentwicklung von vier Berliner Museen (Neues Museum, Bode Museum, Alte Naonalgalerie und Museum für Naturkunde) in den ersten 5 Jahren nach einer Neueröffnung. Um Vergleichbare Werte zu erhalten werden die Besucherzahlen des ersten Jahres nach der Eröffnung als 100 Prozent gewertet.

Das Schaubild soll nicht dazu dienen, den Erfolg von Umbaumaßnahmen der einzelnen Museen zu vergleichen. Es veranschaulicht aber wie ungewöhnlich es ist, über einen Zeitraum von 10 Jahren nicht nur keinen Einbruch der Besucherzahlen zu erfahren, sondern diese auch noch zu steigern. Interessant ist auch ein Blick auf die Besucherstruktur. Sowohl die Entwicklung des Erwachsenenanteils im Ausstellungsbereich als auch bei der Durchführung von Begleitprogrammen zeigt einen deutlichen Anstieg des neuen Zielpublikums. Fast spannender ist aber, dass die Fokussierung auf Erwachsene keinen Einfluss auf die Zahlen im Bereich Kinder, Familien oder Schulklassen hat. Trotz aufwendiger Recherche konnte kein Beispiel gefunden werden, das im Umkehrfall genau so funktioniert.

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U. Moldrzyk

Führungen für Erwachsene 30% 25% 20% 15%

Adult only guided tours

10% 5% 0% 2004200520112012201320142015

Der Anteil an Erwachsenenführungen seg nicht nur numerisch sondern auch im prozentualen Anteil von rund 5 auf über 20 Prozent durch die Fokussierung auf eine neue Zielgruppe.

Wenn es um Besucherzahlen geht, ist sogar seit einigen Jahren auf nationaler sowie internationaler Ebene ein konstanter Rückgang von Besucherzahlen zu verzeichnen. Interessanterweise trifft dies in Deutschland nicht auf den Sektor der Naturkundemuseen zu, denn dieser ist in den vergangenen Jahren um 4 % gestiegen. Das dieser Zuwachs zu über 95 % auf das MfN in Berlin zurück geht, zeigt auf, welche Zugkraft das Museum entwickelt hat. Neben den Besucherzahlen, gibt es aber auch andere, zum Teil nur indirekt messbare Ergebnisse. Das Echo auf die neuen Ausstellungen von 2007 in den Medien und der Bevölkerung war so stark, dass quasi mit der Eröffnungsveranstaltung die Mittelzusage über 30 Mio. EUR für den Wiederaufbau des Ostflügels erteilt wurde und damit eine direkte Verbesserung der Sammlungs- und Forschungsinfrastruktur eingeleitet wurde. Noch während der Umsetzung der Baumaßnahmen wurde das Naturkundemuseum in die Liste der Eliteforschungsinstitute der Leibniz Gemeinschaft aufgenommen, was sich haushaltstechnisch positiv auf den Forschungsbetrieb auswirkt und insgesamt zu einer Entwicklung der Personalstruktur beitrug.

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320

361

Mitarbeiter

300 280 260

Mitarbeiter

240 220 200 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Entwicklung der Mitarbeiterzahlen am Museum für Naturkunde von 2007 bis 2017.

Die veränderte Wahrnehmung des Museums spiegelt sich aber auch in anderen Situationen. Waren bisher beispielsweise regierender Bürgermeister oder hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung ausgesprochen rar, gibt es seit 2007 kaum eine Eröffnungsveranstaltung, ohne Vertreter aus Politik, Wirtschaft oder Boulevard. Die Anzahl der Einmietungen hat mittlerweile die maximale Auslastung erreicht. Kooperationsanfragen anderer Forschungsinstitute im Rahmen von Kommunikationsprojekten spiegeln die Reputation und die Aufnahme der Bedarfe des Naturkundemuseums in den Koalitionsvertrag der Landesregierung in 2016 (SPD 2016) zeigt, dass sich das Image des Museums für Naturkunde radikal verändert hat. Seit der Eröffnung der neuen Ausstellungen in 2007 und den in der Folge umgesetzten Kommunikationsformaten wurde das Museum für Naturkunde von hunderten von ­Kollegen aus der ganzen Welt konsultiert, um Fragen nach Konzepten und Umsetzung zu erläutern und in Erfahrungsaustausch zu treten. Die Verschiedenen Projekte wurden auf internationalen Tagungen präsentiert und mit Fachkollegen diskutiert. Aufgrund der Datenlage und des messbaren Erfolgs werden die aus der vorangegangenen Analyse abgeleiteten strategischen Entscheidungen noch heute als modern empfunden. Wie weit einzelne Ideen ihrer Zeit voraus sind, zeigt sich vielleicht auch in der Frequenz ihrer Nachahmung noch Jahre später. Die Inszenierung der Biodiversitätswand in Berlin hat seit 2007 nicht nur dem Museum eine überwältigende Aufmerksamkeit beschert (Abb. 13.15), sondern hat offensichtlich auch Projekte in anderen Museen inspiriert, wie etwa die Inszenierung der Vielfalt im Ausstellungsbereich Naturgeschichte des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (Abb. 13.16), die Präsentation der Schausammlung am Staatlichen Naturhistorischen Museum Braunschweig (Abb. 13.17) oder etwa die Sonderausstellung „Faszination Vielfalt“ im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt (Abb. 13.18).

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U. Moldrzyk

Abb. 13.15   Die Biodiversitätswand ist seit 2007 in Berlin zu sehen. (Carola Radke, MfN)

Abb. 13.16   2014 eröffnet das Hessische Landesmuseum Darmstadt nach eine langen Umbauphase. Mehr als 800 Exponate zeigen in der „Biodiveristätswand“ eine Momentaufnahme der existierenden Arten. (Wolfgang Fuhrmannek, HLMD)

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Abb. 13.17   Ein Jahr später präsentiert das Staatliche Naturhistorische Museum Braunschweig seine neue Schausammlung der Öffentlichkeit. (Tobias Wille, Berlin)

Abb. 13.18   Zum 200-jährigen Jubiläum zeigt das Senckenberg Naturmuseum die Wand der Vielfalt in 2017. (Senckenberg/Tränkner)

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U. Moldrzyk

Die Aktivitäten des Museums über die Jahre wirken sich auch auf die Pressearbeit aus. Das Nationale und Internationale Medienecho ist nicht nur Werbung für das Museum und generiert Anzeigenäquivalenzwerte im mehrstelligen Millionenbereich. Durch die strategische Entscheidung, die Kommunikationsprojekte an der eigenen Sammlung und Forschung auszurichten, bieten sich auch permanent Möglichkeiten, die eigenen Wissenschaftler mit Forschungsprojekten als Interviewpartner zu vermitteln und damit eine riesige Kommunikationsplattform für wissenschaftliche Themen zu schaffen, die von der Gesellschaft genutzt wird. Da die Menschen hinter Wissenschaft und Politik auch zur Gesellschaft gehören, beeinflusst das Museum mit seiner breit angelegten, strategisch aber inhaltlich konsequent betriebenen Kommunikation sein gesamtes Umfeld. So ist vielleicht auch der überraschendste Effekt der Maßnahmen zu erklären. Im gleichen Zeitraum und in ähnlicher Qualität wie die Besucherzahlen entwickeln sich nämlich trotz allgemein sinkender Erfolgsquoten auch die Drittmitteleinnahmen des Naturkundemuseums.

Steigerung der Drimiel für Forschungsprojekte im gleichen Zeitraum.

Spätestens mit dieser Darstellung lässt sich der Entwicklungsprozess des Museums für Naturkunde als ein Institutioneller Erfolg belegen, der durch zielgerichtetes Wissenschaftsmarketing ermöglicht wird.

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Nachtrag: Während der Drucklegung dieses Artikels wurden für die komplette Sanierung des Museums für Naturkunde 660.000.000 € bewilligt – der höchste Betrag, den jemals ein Naturkundemuseum erhalten hat. International wird diese Bewilligung in Zeiten des schwindenden Vertrauens in Politik und Wissenschaft als ein politisches Signal zum richtigen Zeitpunkt gefeiert. (etwa: Heller 2018)

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U. Moldrzyk

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13  Wissenschaftsmarketing am Beispiel des …

367

Uwe Moldrzyk  leitet den Bereich Ausstellung und Wissenstransfer am Museum für Naturkunde. Er studierte Biologie an der Technischen Universität Darmstadt und war als Wissenschaftler an der North Carolina State University, Raleigh, USA tätig. Er ist seit 20 Jahren als Ausstellungsmacher an verschiedenen Museen. Für seine Leistungen in der zeitgemäßen Wissenschaftskommunikation wurde er 2008 mit dem Bscher Medienpreis ausgezeichnet. Seine bisherigen Ausstellungen wurden von Millionen von Besuchern gesehen. Er betätigt sich als Dozent der TU Berlin und der UdK Berlin und bringt seine Expertise in internationale Museumsprojekte ein.

14

BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft? Die gemeinsame Antragstellung des Berliner Hochschulverbundes im Rahmen der BMBF-Förderinitiative „Innovative Hochschule“ – ein Praxisbericht Julia Brandt und Sandra Arndt

Zusammenfassung

Im Juni 2016 wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Förderlinie „Innovative Hochschule“ veröffentlicht, deren Zielsetzung die Förderung strategischer Projekte zur Weiterentwicklung des Ideen-, Wissens- und Technologietransfer an Fachhochschulen, kleineren und mittleren Universitäten ist. In der ersten Förderrunde hat sich der Berlin Innovation Transfer BIT6-Verbund, ein Zusammenschluss der sechs staatlich anerkannten Berliner Hochschulen1, mit dem Verbundantrag „Arbeiten. Zusammenleben. Wachsende Stadt – Angewandtes Wissen im Dialog für Berlin“ beworben. Auch wenn sich der Antrag bei den Gutachter*innen nicht durchsetzen konnte, hat der Antragsprozess wichtige Impulse freigesetzt sowohl für die weitere Zusammenarbeit des Hochschulverbundes als auch für die strategische Weiterentwicklung der einzelnen Hochschulen und des Institutes für angewandte Forschung (IFAF) Berlin.

1Bestehend

aus der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin, der Beuth Hochschule für Technik (Beuth HS) Berlin, der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB), der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin und der Katholischen Hochschule Berlin (KHSB).

J. Brandt (*)  Kooperationszentrum Wissenschaft-Praxis, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Arndt  Forschung und Technologietransfer, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_14

369

370

J. Brandt und S. Arndt

Neben einer Betrachtung der Rahmenbedingungen sowohl im Kontext der Ausschreibung als auch der regionalen Ausgangssituation in Berlin sowie dem Profil der beteiligten Hochschulen wird in diesem Artikel vor allem der Frage nachgegangen, worin die Herausforderungen für den Hochschulverbund bestanden und welche Handlungsempfehlungen sich für die weitere Zusammenarbeit daraus ableiten lassen. Dazu werden die Hinweise der Gutachter*innen, die Verbundstruktur und der Antragsprozess reflektiert.

14.1 Vorbemerkung zum Förderprogramm Innovative Hochschule und Diskussion der geförderten Anträge Kleine und mittlere Universitäten sowie Fachhochschulen werden in den nächsten zehn Jahren mit bis zu 550 Mio. EUR über das BMBF-Programm „Innovative Hochschule“ gefördert. In der 1ten Förderrunde waren vor allem westdeutsche Hochschulen an Standorten mit weniger als 200.000 Einwohner*innen erfolgreich. Im Juni 2016 haben Bund und Länder das Programm „Innovative Hochschule“2 zur Förderung des forschungsbasierten Ideen-, Wissens- und Technologietransfers an deutschen Hochschulen beschlossen. Das BMBF-Programm fördert den strategischen Aufund Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft mit der Wirtschaft und anderen (zivil-)gesellschaftlichen Akteur*innen und stärkt damit die strategische Rolle der Hochschulen im regionalen Innovationssystem. Mittels der Förderung sollen die antragstellenden Hochschulen das eigene Hochschulprofil insbesondere im Bereich Wissens- und Technologietransfer strategisch weiterentwickeln, die vorhandenen Transferstrukturen ausbauen und dabei Transferinstrumente gezielt einsetzen sowie neue Formate zur regionalen Vernetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln. Mit bis zu 550 Mio. EUR für zwei Auswahlrunden à fünf Jahre ausgestattet, richtet sich diese Förderinitiative insbesondere an kleine und mittlere Universitäten sowie an Fachhochschulen. Die Förderinitiative ist Teil eines Gesamtpakets für Hochschulen, das die Exzellenzinitiative für Universitäten, das Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die „Innovative Hochschule“ umfasst. Während für die Exzellenzinitiative jährlich 533 Mio. EUR zur Verfügung stehen, beläuft sich die Fördersumme für die „Innovative Hochschule“ auf 55 Mio. jährlich3. Mindestens die Hälfte der Fördermittel und mindestens die Hälfte der Förderfälle sollen auf Fachhochschulen oder Verbünde unter Koordination einer Fachhochschule entfallen. In der 1ten Antragsrunde haben sich 168 Hochschulen mit 118 Anträge um eine Förderung beworben, davon Einzelanträge: 91, Zweier-Verbünde: 14, Dreier-Verbünde: 7, Vierer-Verbünde: 3, Fünfer-Verbünde: 2 und 1 Sechser-Verbund. Der Berliner Verbund

2www.bmbf.de/de/innovative-hochschule-2866.html

[letzter Abruf: 28.12.2017]. www.bmbf.de/de/gesamtpaket-fuer-die-hochschulen-beschlossen-3017.html [letzter Abruf: 31.01.2018].

3Vgl.

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

371

Tab. 14.1   Übersicht der insgesamt eingegangenen Anträge nach Hochschultypen sortiert (Inno-HS) Anzahl

168

Davon von: Universitäten und Hochschulen mit Promotionsrecht (einschließlich der pädagogischen Hochschulen):

50 (rd. 29,8 %)

Fachhochschulen und Hochschulen ohne Promotionsrecht:

107 (rd. 63,7 %)

Kunst- und Musikhochschulen mit und ohne Promotionsrecht:

11 (rd. 6,5 %)

hatte in Hinblick auf die Projektkonstellation (als einziger Sechser-Verbund) ganz klar ein Alleinstellungsmerkmal, stand damit aber auch vor der großen Herausforderung, die unterschiedlichen Hochschulkulturen und Forschungsprofile im Antragsprozess zu berücksichtigen und im Verbundantrag zu integrieren. Ein Großteil der Anträge (rd. 64 %) kamen von Fachhochschulen, d. h. konkret stellten 107 Fachhochschulen einen Antrag bzw. waren an Verbundanträgen beteiligt (siehe Tab. 14.1). In einem von Expert*innen4 geleiteten Wettbewerbsverfahren wurden in der ersten Förderrunde von den 118 eingereichten Anträgen, 18 Einzel- und elf Verbundvorhaben bzw. 50 Hochschulen zur Förderung ausgewählt. Unter den 50 geförderten Hochschulen (siehe Abb. 14.1) sind zwölf Universitäten und Hochschulen mit Promotionsrecht einschließlich der pädagogischen Hochschulen (entspricht 24 %), 35 Fachhochschulen und Hochschulen ohne Promotionsrecht (entspricht 70 %) und drei Kunst- und Musikhochschulen (entspricht 6 %). Bei der Betrachtung der geförderten Inno-HS Projekte (siehe Tab. 14.2) lässt sich feststellen, dass: • 13 (26 %) der geförderten Hochschulen aus Bayern stammen, jeweils sieben (14 %) aus Baden-Württemberg bzw. Nordrhein-Westfalen. • 15 (30 %) der geförderten Hochschulen in Ostdeutschland liegen bzw. 35 (70 %) in Westdeutschland. • 35 (70 %) der geförderten Hochschulen5 sind in Städten mit unter 200.000 Einwohner*innen verortet, 13 (26 %) Hochschulen in Städten mit bis zu einer Million Einwohner*innen und zwei (4 %) Hochschulen in Städten mit über einer Million Einwohner*innen.

4Die

eingereichten Förderanträge wurden von einem Expert*innen-Gremium begutachtet, deren Vertreter*innen verschiedene gesellschaftliche Bereiche aus dem Hochschulkontext, der Wirtschaft und sozialen Organisationen repräsentierten. vgl.www.bmbf.de/files/2017%2006%2028%20 InnoHS%20Mitglieder%20Expertengremium.pdf [letzter Abruf 28.12.2017]. 5Bei Hochschulen mit verschiedenen Standorten, wurde der Standort mit der größten Einwohner*innenanzahl für den Vergleich herangezogen.

372

J. Brandt und S. Arndt

Abb. 14.1   Die geförderten Projekte der beiden BMBF-Förderinitiativen Innovative Hochschule und FH-Impuls unterschieden nach Antragstyp (Einzelantrag oder Verbundantrag). (Eigene Darstellung)

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

373

Tab. 14.2  Übersicht der geförderten Anträge nach Bundesländern sortiert (Inno-HS) Nr. Antragstyp Projektakronym

Antragstellende Hochschule(n)

Bundesland

1

Einzel

IfB-PHW

Pädagogische Hochschule Weingarten (24.460 Ew.)

BadenWürttemberg

2

Verbund

InnoSÜD

Hochschule Biberach (32.233 Ew.) + Hochschule Ulm (122.636 Ew.) + Hochschule Neu-Ulm (56.978 Ew.) + Universität Ulm

BadenWürttemberg

3

Einzel

TT – TRANSFER Pädagogische Hochschule Heidelberg TOGETHER (156.267 Ew.)

BadenWürttemberg

4

Einzel

M4_LAB – HFT

Hochschule Stuttgart (623.738 Ew.)

BadenWürttemberg

5

Einzel

CO-Creapolis

Hochschule Coburg (41.071 Ew.)

Bayern

6

Einzel

HSA_TransComm Hochschule Augsburg (289.584 Ew.)

Bayern

7

Verbund

LEONARDO

Technische Hochschule Nürnberg (511.628 Ew.) + Akademie der Bildenden Künste Nürnberg + Hochschule für Musik Nürnberg

Bayern

8

Verbund

MenschINbewegung

Technische Hochschule Ingolstadt (133.639 Ew.) + Katholische Universität Eichstätt (13.457 Ew.) – Ingolstadt (133.639 Ew.)

Bayern

9

Verbund

TRIO

Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg (148.638 Ew.) + Ostbayerische Technische Hochschule Amberg (42.348 Ew.) – Weiden (42.494 Ew.) + Technische Hochschule Deggendorf (32.782 Ew.) + Hochschule Landshut (70.025 Ew.) + Universität Passau (51.074 Ew.)

Bayern

10

Einzel

WiR

Universität Augsburg (289.584 Ew.)

Bayern

11

Einzel

Go-Up

Universität Potsdam (171.810 Ew.)

Brandenburg

12

Verbund

InnoHub13

Brandenburg Technische Hochschule Wildau (10.057 Ew.) + Technische Universität Cottbus (100.416 Ew.) – Senftenberg (24.773 Ew.)

13

Einzel

Alphi – Stage 2.0

Hochschule für Musik und Theater Hamburg (1.810.438 Ew.)

14

Einzel

IMPACTRM – Hochschule RheinMain (Wiesbaden: IMPACT RHEIN- 277.619 Ew.) MAIN

Hamburg Hessen

(Fortsetzung)

374

J. Brandt und S. Arndt

Tab. 14.2   (Fortsetzung) 15

Einzel

RIGL

Hochschule Fulda (67.466 Ew.)

Hessen Hessen

16

Einzel

SNE

Hochschule Darmstadt (157.437 Ew.)

17

Einzel

HiRegion

Hochschule Neubrandenburg (63.794 Ew.) MecklenburgVorpommern

18

Verbund

IHJO

Universität Oldenburg (165.711 Ew.) + Jade Hochschule Wilhelmshaven (76.201 Ew.), Oldenburg (165.711 Ew.), Elsfleth (9.117 Ew.)

Niedersachsen

19

Einzel

campus to world

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (Hennef-Sieg: 47.237 Ew., Rheinbach: 27.217 Ew., Sankt Augustin: 56.115 Ew.)

NordrheinWestfalen

20

Verbund

s_inn

Katholische Fachhochschule gGmbH (Köln: 1.060.582 Ew.) + Evangelische Hochschule RheinlandWestfalen-Lippe (Bochum: 364.742 Ew.)

NordrheinWestfalen

21

Einzel

Leuchtturm_NR

Hochschule Niederrhein (Krefeld: Nordrhein226.812 Ew., Mönchengladbach: 260.925 Westfalen Ew.)

22

Einzel

Muenster_ land_leben

Fachhochschule Münster (311.846 Ew.)

NordrheinWestfalen

23

Verbund

ODPfalz

Hochschule Kaiserslautern (98.520 Ew.) + Technische Universität Kaiserslautern

RheinlandPfalz

24

Einzel

WITI

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (50.284 Ew.)

RheinlandPfalz

25

Verbund

Saxony5

Sachsen Hochschule Dresden (547.172 Ew.) + Hochschule Leipzig (571.088 Ew.) + Westsächsische Hochschule Zwickau (90.515 Ew.) + Hochschule Zittau (25.723 Ew.), Görlitz (55.904 Ew.) + Hochschule Mittweida (14.907 Ew.)

26

Einzel

FORZA

Hochschule Anhalt (Köthen: 26.281 Ew., Bernburg: 33.536 Ew. und DessauRoßlau: 82.505 Ew.)

27

Verbund

TransInno_LSA

SachsenHochschule Harz (Wernigerode: 32.911 Anhalt Ew., Halberstadt: 42.980 Ew.) + Hochschule Magdeburg (238.136 Ew.) – Stendal (40.164 Ew.) + Hochschule Merseburg (33.931 Ew.)

28

Einzel

GrINSH

Hochschule Flensburg (87.432 Ew.)

29

Verbund

NUCLEUS-JENA Friedrich-Schiller-Universität Jena (110.321 Ew.) + Ernst-Abbe-Hochschule Jena

SachsenAnhalt

SchleswigHolstein Thüringen

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

375

Tab. 14.3  Übersicht der geförderten Anträge nach Bundesländern sortiert (FH-Impuls) Nr. Antragstyp Projektakronym

Antragstellende Hochschule(n)

Bundesland

1 Einzel

SmartPro

Hochschule Aalen (76.344 Ew.)

Baden-Württemberg

2 Einzel

CoHMed

Hochschule Furtwangen (9091 Ew.)

Baden-Württemberg

3 Einzel

M2Aind

Hochschule Mannheim (305.780 Ew.) Baden-Württemberg

4 Einzel

i_city

Hochschule für Technik Stuttgart (623.738 Ew.)

Baden-Württemberg

5 Einzel

SAFIR

Technische Hochschule Ingolstadt (135.199 Ew.)

Bayern

6 Einzel

X-Energy

Hochschule Hamburg (1.810.438 Ew.) Hamburg

7 Einzel

PlaSig

Hochschule Hildesheim (101.667 Ew.), Holzminden (20.099 Ew.), Göttingen (118.914 Ew.)

Niedersachsen

8 Verbund

RuhrValley

Hochschule Bochum (364.742 Ew.) + Fachhochschule Dortmund (586.181 Ew.) + Westfälische Hochschule Gelsenkirchen (260.368 Ew.)

Nordrhein-Westfalen

9 Einzel

smartFood Hochschule Ostwestfalen-Lippe TechnologyOWL (Lemgo: 41.276 Ew.)

Nordrhein-Westfalen

LaNDER3

Sachsen

10 Einzel

Hochschule Zittau (25.723 Ew.), Görlitz (55.904 Ew.)

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen der BMBF-Fördermaßnahme „Innovative Hochschule“ (Inno-HS) und „Starke Fachhochschulen – Impuls für die Region“ (FH-Impuls)6, da bei beiden eher strategisch ausgerichteten Maßnahmen Fachhochschulen antragsberechtigt sind. FH-Impuls fördert von Fachhochschulen initiierte und koordinierte strategische Forschungs- und Innovationspartnerschaften mit dem Ziel das eigene Forschungsprofil zu schärfen, die Entwicklung eines Innovationsprofils und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit im Wissenschaftssystem zu fördern (Tab. 14.3).

6Die Fördermaßnahme FH-Impuls umfasst eine Antragsphase mit einem zweistufigen Bewerbungs- bzw. Auswahlverfahren, an dessen Ende bis zu zehn Fachhochschulen bzw. strategische Forschungs- und Innovationspartnerschaften in die Förderung aufgenommen werden. Erfolgreiche Projekte werden in einer Aufbauphase vier Jahre und bei einer positiven Zwischenbewertung weitere vier Jahre für die Intensivierungsphase gefördert. vgl. www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1054.html [letzter Aufruf 02.03.2018].

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J. Brandt und S. Arndt

Bei genauer Betrachtung der geförderten Hochschulen (bzw. Anträge) lässt sich hier feststellen, dass: • je vier (rd. 33,3 %) der geförderten Hochschulen aus Baden-Württemberg bzw. Nordrhein-Westfalen stammen und jeweils ein (rd. 8,3 %) Antrag aus Bayern, Niedersachsen, Hamburg bzw. Sachsen. • eine (rd. 8,3 %) der geförderten Hochschulen in Ostdeutschland liegt bzw. elf (rd. 91,67 %) in Westdeutschland. • sechs (50 %) der geförderten Hochschulen7 in Städten mit unter 200.000 Einwohner*innen verortet sind, fünf (rd. 41,7 %) Hochschulen in Städten mit bis zu einer Million Einwohner*innen und eine (rd. 8,3 %) Hochschule in einer Stadt mit über eine Million Einwohner*innen. Über die Verteilung der gestellten Anträge auf die einzelnen Bundesländer liegen den beiden Autorinnen keinen Zahlen vor, sodass ein in Beziehungsetzen der gestellten Anträge zu den geförderten Anträgen nicht erfolgen kann. Die Hochschule Stuttgart8, die Hochschule Zittau/Görlitz9 und die Technische Hochschule Ingolstadt10 konnten sich in beiden Förderprogrammen (FH-Impuls und Inno-HS) mit ihren Anträgen erfolgreich durchsetzen. Bei Inno-HS wurden drei Verbundanträge11 gefördert, wo die antragstellenden bzw. geförderten Hochschulen des Verbundes ausschließlich aus einer Stadt kommen – vergleichbar zum BIT6-Verbund. Im Gegenzug dazu wurden in Augsburg zwei voneinander unabhängige Einzelprojekte gefördert. Gerade die Analyse dieser zuvor genannten (geförderten) Anträge ist für den BIT6-Verbund auch in Hinblick auf eine erneute Antragstellung 2022 von großem Interesse. Dies muss aber Inhalt eines anderen Papiers sein.

14.2 Rahmenbedingungen in Berlin und Impulse für die gemeinsame Antragsstellung Bietet Berlin als die Start-up Metropole und einzigartiger Forschungsstandort ideale Voraussetzungen für gemeinsame Transferstrukturen der Hochschulen oder sind die Vielfalt der Akteur*innen und unterschiedlichen Zielsetzungen eher nachteilig für hochschulübergreifende Kooperationen?

7Bei

Hochschulen mit verschiedenen Standorten, wurde der Standort mit der größten Einwohner*innenanzahl für den Vergleich herangezogen. 8Einzelanträge bei FH-Impuls und Inno-HS. 9Einzelantrag bei FH-Impuls und Verbundantrag bei Inno-HS. 10Einzelantrag bei FH-Impuls und Verbundantrag bei Inno-HS. 11Leornardo (Nürnberg), ODPfalz (Kaiserslautern), NUCLEUS-JENA (Jena).

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

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14.2.1 Der Wissens- und Wirtschaftsstandort Berlin Berlin verfügt mit seinen vier Universitäten12, der Charité, drei Kunst- und Musikhochschulen13, sechs staatlich anerkannten Fachhochschulen14, den zahlreichen privaten Hochschulen, den großen nationalen außeruniversitären Forschungseinrichtungen15 und den Ressortforschungseinrichtungen des Bundes, über eine ausgeprägte und extrem vielfältige Wissenschaftslandschaft. Dazu kommt zusätzlich die räumliche Nähe zu den Wissenschaftseinrichtungen im Speckgürtel (insbesondere Potsdam und Wildau). Die Hochschulen tragen durch ihre Forschungsvielfalt, Innovationsfähigkeit und Ausbildungsqualität gemeinsam mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und privaten Hochschulen wesentlich zur Bedeutung von Berlin als Wissenschaftsstandort bei. Berlin ist deutsche Gründerhauptstadt und gehört zu den Top-Investitionsstandorten16 Europas. International agierende Unternehmen wie Bayer, Deutsche Telekom, Volkswagen, Axel Springer, Siemens oder Google nutzen dieses Potenzial für die Ansiedlung von Entwicklungsabteilungen und/oder Innovationslaboren. In den letzten Jahren hat sich in der Berliner Wirtschaft ein grundlegender Strukturwandel zugunsten des Dienstleistungssektors vollzogen. Heute wächst die Wirtschaft Berlins überdurchschnittlich. Sowohl die Berliner Industrie als auch der Dienstleistungssektor zeigen sich überdurchschnittlich innovativ, allerdings im Vergleich (zu anderen Bundesländern) auch als sehr kleinteilig strukturiert. Darüber hinaus verfügt Berlin mit seinen zahlreichen Technologie- und Gründerzentren, Technologieparks17 und den verschiedenen wissenschafts-18

12Hochschulen

mit Promotionsrecht, das sind Technische Universität Berlin, Humboldt Universität Berlin, Freie Universität Berlin, Universität der Künste Berlin. 13Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, die Kunsthochschule Berlin (Weißensee) – Hochschule für Gestaltung und die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. 14Beuth Hochschule für Technik Berlin (Beuth HS), Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin), Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), Alice Salomon Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin (ASH Berlin), Evangelische Fachhochschule Berlin (EHB), Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB). 15Sechs Institute der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), drei Einrichtungen der Helmholtz Gemeinschaft (HGF), sechs Institute der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), 12 Institute sowie vier Außenstellen der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried-Wilhelm-Leibniz (WGL). 16Die Hauptstadt weist europaweit die höchste Verfügbarkeit von Investitionen in Start-ups und Platz 1 in den Start-up-Finanzierungen auf (Städtevergleich Europa 2015, Quelle: Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie). 17Darunter die Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien Adlershof oder der Campus Berlin-Buch. 18Z. B. die Transferstellen der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Humboldt Innovation GmbH, die TU Berlin Service Gesellschaft mbH oder das Institut für angewandte Forschung (IFAF) Berlin.

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und wirtschaftsnahen19 Intermediären20 über eine weitläufige Transferlandschaft. Das Land Berlin verfügt über eine ausformulierte gemeinsame Innovationsstrategie21 Berlin-Brandenburg (InnoBB) mit etablierten Clustern22 und verfolgt diskursive Planungsprozesse zur Stadtentwicklung. Berlin bietet somit eigentlich ideale Voraussetzungen für gemeinsame Strukturen im Wissens- und Technologietransfer, stellt(e) den BIT6-Verbund aber insbesondere wegen der Vielfalt an Akteur*innen und den z. T. unterschiedlichen Zielsetzungen vor große Herausforderungen. Die eher kleinteilige Wirtschaftsstruktur wirkt sich zudem nachteilig aus und erschwert den Zugang der Hochschulen zu den regionalen Partner*innen. Die zentrale Aufgabe des BIT6-Verbund bestand/besteht darin, die Bedarfe der regionalen Partner*innen zu identifizieren, diese strukturiert zu erfassen, die Vielzahl der Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und deren oft unterschiedlichen Interessen in gemeinsamen Projekten zu integrieren.

14.2.2 Gemeinsame Strukturen und Netzwerke Die Berliner Hochschulen verfügen strukturell über gemeinsame Gremien und Netzwerke, sodass sie auf Erfahrungswerte in gemeinsamen Abstimmungsprozessen zurückgreifen können. Auf der Ebene der Hochschulleitungen (Universitäten und Fachhochschulen) gibt es einen regelmäßigen Austausch im Rahmen der Landesrektorenkonferenz23. Die Sprecherfunktion für die Fachhochschulen (LKRP-FH) liegt derzeit bei der HWR Berlin, worin sich auch die Leadfunktion für den Verbundantrag begründet. Auf der Arbeitsebene der Forschungs- und Technologiereferent*innen hat sich das Forschungsreferentennetzwerk Berlin/Brandenburg (community of practice) etabliert. Seit über 15 Jahren tauschen sich hier die Referenten*innen der Fachhochschulen regelmäßig zu Themen des Wissens- und Technologietransfers (z. B. Transferstrukturen

19Z. B.

IHK Berlin, HWK Berlin, TSB Berlin und Berlin Partner. Rahmen des indirekten Transfers vermitteln Intermediäre zwischen Angebot und Nachfrage, etwa durch die kommerzielle Verwertung von FuE-Ergebnissen, Dienstleistungen bei der Personalvermittlung, durch die Bereitstellung von Informationen (z. B. Datenbanken) oder durch Patent und Technologierecherchen.“ (vgl. Czarnitzki 2001, S. 41). 21Innobb.de/de/innobb-zwei-laender-eine-strategie [letzter Aufruf 07.02.2018]. 22Innobb.de/de/cluster-hauptstadtregion [letzter Aufruf 07.02.2018]. 23„Zur Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP) haben sich dreizehn staatliche Universitäten, Fachhochschulen und künstlerische Hochschulen der Hauptstadt zusammengeschlossen. Die LKRP erörtert Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse mit dem Ziel, ihr Vorgehen in Fragen abzustimmen, die die Berliner Hochschulen betreffen. Die Landeskonferenz setzt wissenschaftspolitische Impulse und vertritt die Anliegen der Berliner Hochschulen nach außen.“ vgl. www.lkrp-berlin.de [letzter Aufruf 18.01.2018]. 20„Im

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379

und -formate) oder der Forschungsförderberatung (z. B. interne Förderinstrumente und Anreizsysteme) aus. Neben diesem strategisch agierenden Gremium (LKRP-FH) bzw. dem fachlich orientierten Netzwerk der Forschungsreferenten*innen können die Berliner Hochschulen auf zahlreiche Kooperationen (gemeinsame Lehr- und/oder Forschungsprojekte) untereinander und mit regionalen Partner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zurückgreifen. So verfügen vier der sechs am Verbund beteiligten Hochschulen mit dem IFAF Berlin über etablierte (Entscheidungs-) Strukturen und Kooperationsnetzwerke in der Region Berlin-Brandenburg. Das Institut für angewandte Forschung (IFAF) Berlin wurde 2009 von der ASH Berlin, der Beuth Hochschule, der HTW Berlin und der HWR Berlin mit Unterstützung des Landes Berlin gegründet. Das IFAF Berlin fördert insbesondere Verbundprojekte der am Institut beteiligten Hochschulen untereinander mit Partner*innen aus der Region Berlin-Brandenburg und ist als Zusammenschluss von vier staatlichen Hochschulen deutschlandweit – in dieser Form und inhaltlichen Vielfalt – einzigartig. In interdisziplinären Verbundprojekten24 arbeiten Wissenschaftler*innen25 mit den Praxispartner*innen aus gemeinnützigen Organisationen, kleinen und mittleren Unternehmen26 an gemeinsamen Lösungen. Die existierenden Projekt- bzw. Transferstrukturen werden allerdings nicht von allen beteiligten Hochschulen des BIT6-Verbundes gemeinsam getragen, sodass der Verbundantrag in dieser Konstellation eine Neuorientierung der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit notwendig machte.

14.2.3 Impulse für die gemeinsame Antragsstellung Zentrale Argumente für die gemeinsame Antragstellung bei der BMBF-Förderinitiative „Innovative Hochschule“ waren und sind die etablierten Strukturen und Prozesse beim IFAF Berlin und die Erfahrungen aus vorangegangenen Antragsrunden bei Bundesinitiativen, wie beispielsweise FH-Impuls27 oder Forschungscampus28. Die Idee eines gemeinsamen Antrages wurde zusätzlich durch eine finanzielle Unterstützung des Landes ermöglicht. So haben die vier staatlichen Fachhochschulen erstmalig für die (gemeinsame) Antragsstellung bei einem Bundesförderprogramm Mittel erhalten. Ein anderer Aspekt ist die hohe Dichte an Hochschulen im Land Berlin, wodurch ein starker Wettbewerb insbesondere bei strategisch ausgerichteten Förderinitiativen entsteht.

2467 Verbundprojekte

[Stand April 2017]. Wissenschaftler*innen und über 200 Studierende [Stand April 2017]. 26210 Unternehmen und gemeinnützige Organisationen [Stand April 2017]. 27www.forschung-fachhochschulen.de/bekanntmachungen/fh-impuls [letzter Aufruf 07.02.2018]. 28www.forschungscampus.bmbf.de/foerderinitiative [letzter Aufruf 07.02.2018]. 25287

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Einerseits ist es politisch unwahrscheinlich, dass bei solchen mit Millionen ausgestatteten Initiativen mehrere Berliner Hochschulen gleichzeitig gefördert werden. Andererseits erweist sich die besagte Dichte an Akteur*innen in der Wissenschaft und im Transfergeschäft (siehe Abschn. 14.2.1) insofern als nachteilig, als dass es schwieriger wird in dieser Vielfalt mit einem herausragenden Konzept – als einzelne Hochschule – sichtbar zu werden und somit ein Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen. Ein Verbundantrag kann sich aber diese regionale Besonderheit zunutze machen, indem die vorhandenen vielfältigen Kompetenzen der verschiedenen Stakeholder gebündelt und die sich daraus ergebenen Synergieeffekte gezielt genutzt werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der Berliner Wirtschaftsstruktur ist es ratsam, sich im Verbund zusammenzuschließen, um das Potenzial der regionalen Partner*innen aus Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam zu nutzen und nicht gegeneinander auszuspielen. Das ein Verbundantrag in einer Region wie Berlin auch hochschulpolitisch als sinnvoll gesehen wird, zeigt auch die gemeinsame Antragstellung der Berliner Universitäten bei der Exzellenzinitiative.29

14.2.4 Forschungsprofil des BIT6-Verbundes Eine Vielzahl der über 900 Professor*innen des Verbundes forschen zu praxisorientierten Fragestellungen in anwendungsorientierten, häufig auch interdisziplinär ausgerichteten Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Jede der beteiligten Hochschulen hat in den letzten Jahren ein eigenes Forschungsprofil entwickelt und Forschungsschwerpunkte etabliert, mit denen sie in der Forschungslandkarte30 der Hochschulrektorenkonferenz vertreten sind. Diese insgesamt 14 Forschungsschwerpunkte konvergieren wiederum zu drei Handlungsfeldern: 1. Gesundheit: Ein Handlungsfeld in dem jede Verbundhochschule mit spezifischer Ausrichtung aktiv ist. 2. Soziale Teilhabe: Ein Handlungsfeld in dem sich alle sechs Hochschulen, vor allem aber die drei SAGE31-Hochschulen (ASH Berlin, EHB, KHSB), engagieren. 3. Urbane Technologien: Ein Handlungsfeld in dem hauptsächlich die drei großen Fachhochschulen (Beuth Hochschule, HTW Berlin und HWR Berlin) ihre Forschungsschwerpunkte haben.

29www.universities-berlin.de

[letzter Aufruf 31.01.2018].

30www.forschungslandkarte.de/profilbildende-forschung-an-fachhochschulen.html

07.02.2018]. 31Hochschulen mit Studiengängen der Sozialen Arbeit, Gesundheit und Erziehung.

[letzter Aufruf

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381

Jede Verbundhochschule verfügt über eigene wissenschaftsunterstützende Strukturen (Forschungs- und Transferstellen) und interne Förderinstrumente (Forschungsfördertopf, Forschungsfreistellungen), welche die Wissenschaftler*innen für die Akquise von Forschungsdrittmitteln nutzen. Die Hochschulen verfügen dabei je nach Größe über unterschiedliche Personalkapazitäten und Ressourcen. Gerade in Hinblick auf den nachfrageorientierten Transfer fehlt es an Personen (z. B. Innovations- und Technologiescouts), welche innerhalb der eigenen Hochschule Innovationspotenziale identifizieren, die Bedarfe der (regionalen) Praxispartner*innen kennen, zwischen den Partner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vermitteln und die Wissenschaftler*innen und ihre Praxispartner*innen bei der gemeinsamen Projektanbahnung und Projektentwicklung unterstützen. Mit Beginn der Antragsstellung wurden mittels einer SWOT-Analyse32 die Stärken, Schwächen (interne Faktoren), die Chancen und Risiken (externe Faktoren) analysiert. Welche Stärken kann der Verbund vorweisen? Der BIT6-Verbund verfügt mit seinen Professoren*innen und den laufenden Forschungsund Entwicklungsprojekten über eine große disziplinäre Forschungsvielfalt. Das personelle Potenzial für Transferkooperation umfasst dabei 920 Professor*innen, über 42.000 Studierende und mehr als 9000 Absolvent*innen jährlich. Die Lehre ist geprägt durch curricular eingebundene Praxisphasen, Studienprojekte und Service Learning. Die Forschung ist stark anwendungsorientiert und erfolgt in enger Kooperation mit Praxispartner*innen, hier sei insbesondere die mehrfach erprobte hochschulübergreifende Zusammenarbeit (Verbundprojekte mit regionalen Partner*innen) im gemeinsamen IFAF Berlin erwähnt. Worin liegen die Schwächen des Verbundes begründet? Es fehlt dem Verbund an Sichtbarkeit und einer kongruenten Verzahnung der Transferpotenziale mit den Kooperationspartner*innen der Region33. Die wirtschaftsdienliche Forschung und Entwicklung wird selten nachfrageseitig angestoßen. Zudem gibt es Ressourcen- und Kapazitätsengpässe im wissenschafts- bzw. transferunterstützenden Bereich. Die Mehrheit der neu berufenen Professor*innen kommt nicht aus der Region Berlin-Brandenburg und verfügt somit zunächst über gute überregionale, aber kaum über regionale (Wirtschafts-) Kontakte. Im SAGE-Bereich hingegen ist die Nachfrage zwar

32Bei der SWOT-Analyse werden Stärken und Schwächen als interne Faktoren den Chancen und Risiken als den externen Faktoren gegenübergestellt. Die SWOT-Analyse als Instrument der strategischen Unternehmensanalyse betrachtet die internen und externen Einflussfaktoren hinsichtlich des Betrachtungsgegenstandes (vgl. Schmidbauer et al. 2004, S. 95). 33Den Transferstrukturen an den einzelnen Hochschulen fehlt eine systematische hochschulübergreifende Verzahnung und die zuständigen Organisationseinheiten sind mit den intermediären Strukturen in der Region noch nicht ausreichend vernetzt.

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ausgeprägter, erfolgt aber häufig durch Kooperationspartner*innen ohne Finanzkraft (wie z. B. soziale Träger). Der BIT6-Verbund kann auf keine gemeinsame (etablierte) Struktur bzw. nicht auf Erfahrungswissen aus gemeinsamen Antragsstellungen zurückgreifen. Welche externen Faktoren (Chancen) beeinflussen den Verbund positiv? Berlin als internationale Metropole und rasant wachsende Stadt ist geprägt durch ein starkes Gründungsgeschehen, insbesondere im Internet- und IT-Bereich. Die Berliner Hochschulen treffen somit auf ein innovationsfreudiges Umfeld. Unterstützt werden die Entwicklungen durch die gemeinsame Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg (InnoBB34), die den Hochschulen zahlreiche Anknüpfungspunkte zu regionalen Akteur*innen bietet. Insbesondere im Rahmen ganzheitlicher Ansätze, die nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die soziale Weiterentwicklung forcieren, können die Hochschulen auf den Erfahrungswerten diskursiver Planungsprozesse aufbauen, die sich im Stadtraum etabliert haben. Damit einher geht eine breite Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen und Netzwerke, die den Hochschulen als Praxispartner*innen zur Verfügung stehen. Die zunehmende Bedeutung und Erwartung an die Third Mission-Aktivitäten von Hochschulen spiegeln sich in Förderprogrammen, wie der „Innovativen Hochschule“ wieder. Dadurch, dass die anderen Hochschulen am Standort (sonst Mitbewerber*innen um Fördermittel) Teil des Verbundes sind, besteht bei dieser Förderinitiative keine direkte Konkurrenz35 im Land Berlin, zumal sich die Universitäten auf einen gemeinsamen Antrag bei der Exzellenzinitiative konzentrieren. Welche Risiken stehen dem Verbund entgegen bzw. welche externen Faktoren haben negativen Einfluss? Der Standort Berlin ist geprägt von einer wachsenden Heterogenität, sozialer Ungleichheit, einer eher kleinteiligen Unternehmensstruktur, einer zunehmenden Konkurrenz um Flächen und einer ansteigenden Verkehrsbelastung. Das Wirtschaftswachstum fokussiert eher den gering entlohnten Dienstleistungsbereich und Gründungen erfolgen häufig im Consumer-Bereich. Die öffentliche Hand ist verschuldet und die öffentliche Verwaltung von Organisations- und Ausstattungsdefiziten geprägt.

34Ein übergreifendes Thema der Innovationsstrategie ist die Weiterentwicklung des Wissensund Technologietransfersystems in der Hauptstadtregion, vgl. InnoBB-Webseite: innobb.de/de/ innobb-zwei-laender-eine-strategie. [letzter Aufruf 03.03.2018]. 35Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass außerhalb expliziter Verbundprojekte natürlich einen Wettbewerb um das Hochschulprofil und insbesondere um Drittmittel (zentral für die leistungsbasierte Hochschulfinanzierung) zwischen den Berliner Hochschulen existiert, sodass der Verbund durch die Dualität von Konkurrenz und Kooperation gekennzeichnet ist.

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14.3 BIT6-Verbundantrag Die Stärke des Antrages lag in der strategischen Ausrichtung auf die synergetischen Effekte gemeinsamer Transferstrukturen, in denen die Hochschulen ihre vielfältigen Expertisen bündeln. Die Schwäche lag begründet in dem Mangel an konkreten Projekten, an messbaren Indikatoren und einem fundierten Evaluationskonzept. Aus der vorgeschalteten SWOT-Analyse wurde ein übergeordnetes Ziel für den Verbund formuliert: Die vorhandenen intermediären Transferstrukturen werden gezielt eingebunden und miteinander verschränkt, um die Potenziale36 des Verbundes für die Region nutzbar zu machen. Der Verbund greift dazu auf die disziplinäre Vielfalt seiner Wissenschaftler*innen und die etablierten Transferstrukturen zurück, um den Herausforderungen einer rasant wachsenden urbanen Region wie Berlin zu begegnen.

14.3.1 Handlungsfelder und Themenfelder Kerngedanke der gemeinsamen Transferstrategie des Hochschulverbundes war es, die jeweiligen Kompetenzen der Hochschulen zu bündeln, um gemeinsam unterschiedlichen Kooperationspartner*innen integrative Lösungen anbieten zu können, in dem interdisziplinär verschiedene Perspektiven und Forschungszugänge zusammengeführt werden. Dafür wurden in einem gemeinsamen Diskussionsprozess übergeordnet drei Handlungsfelder mit insgesamt zwölf Themenfeldern identifiziert, in denen sich die Hochschulen mit ihren Forschungsschwerpunkten ergänzen und die gleichzeitig für die Stadtentwicklung der Metropole Berlin relevant sind. Dies spiegelt sich unter anderem darin wieder, dass die ausgewählten Zukunftsfelder anschlussfähig an die Innovationsstrategie von Berlin-Brandenburg sind. In ihrer Aufschlüsselung stellen sich die Handlungsfelder (HF) und Themenfelder (TF), wie folgt dar (Tab. 14.4): Jedes der zwölf Themenfelder sollte durch eine*n sogenannte*n Category-Manager*in (CatMan37) betreut werden. Als Expert*innen in dem jeweiligen interdisziplinären Themenfeld haben sie die Aufgabe, thematisch-passende Transferpartnerschaften außerhalb der Hochschulen aufzubauen, zu pflegen und deren Bedarfe als auch Expertisen in den Hochschulverbund hinein zu vermitteln. Neben der fachlichen Expertise, die mit dieser Maßnahme gezielt in das Transfergeschehen eingespeist wird, vollzieht sich eine Aufwertung der Transferaktivitäten von Professor*innen und begegnet somit dem Problem, dass Transfer neben Forschung und Lehre häufig eine Abwertung erfährt.

36Wachsende Wirtschaft, internationale Metropole, starkes Gründungsgeschehen, diskursive Planungsprozesse etc. 37Hauptamtlich berufene(r) Professor*in.

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Tab. 14.4  Übersicht der Handlungs- bzw. Themenfelder HF 1: Gesundes Leben HF 2: Soziale Teilhabe, Sicher- HF 3: Urbane Technologien und heit, Integration und Inklusion Produktion TF 1.1. Gesundheit, Teilhabe, Pflege

TF 2.1. Demokratieentwicklung, soziale Gerechtigkeit und Partizipation

TF 3.1. Urbane Infrastrukturen, Verkehr und Mobilität

TF 1.2. Digital Health

TF 2.2. Migration und Flucht

TF 3.2. (Regenerative) Energie und Energieeffizienz

TF 1.3. Bio- und Pharmatechnologie, Medizintechnik

TF 2.3. Sicherheit im urbanen Raum und IT-Sicherheit

TF 3.3. Nachhaltiges Bauen und Wohnen

TF 2.4. Bildung, Arbeit und Menschenrechte

3.4. Urbane Produktion: Industrie 4.0, Kreativwirtschaft, wissensbasierte Dienstleistungen 3.5. Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen, Supply- und Demand-Chain-Management

14.3.2 Geplante Transferstrukturen Durch neue hochschulübergreifende Transferstrukturen (siehe Abb. 14.2) sollten die Hemmnisse, mit den Hochschulen in Kontakt zu treten und die Transferangebote wahrzunehmen, abgebaut werden. Vorgesehen waren folgende Strukturelemente: das CityOffice als ortsfeste gemeinsame Anlaufstelle und Flagshipstore des Verbundes; das TransferMobil, ein Container als mobile gemeinsame Anlaufstelle; das LocalLab als kollaboratives Real-Labor in der geografischen Umgebung einer der beteiligten Hochschulen; die Category Manager*innen (s. o.) für die definierten Handlungs- und Themenfelder und die Auslobung eines gemeinsamen Transfer-Wettbewerbs. Mit dem BIT6-Gründungszentrum sollte eine zentrale Plattform der Präsentation vor und während des Austauschs mit externen Partner*innen (etablierten Unternehmen, potenziellen Investor*innen etc.) geschaffen werden. Die vorgesehenen Strukturelemente, und dabei insbesondere das CityOffice und das TransferMobil sollten vornehmlich eine niedrigschwellige Erreichbarkeit bieten, aber die Hochschulen (Wissenschaftler*innen) auch selbst noch aktiver mit potenziellen Partner*innen und intermediären Einrichtungen und Organisationen verknüpfen. Mit dem LocalLab und dem Gründungszentrum sollten Orte geschaffen werden, an denen hochschulische und außerhochschulische Partner*innen gemeinsam an konkreten Projekten arbeiten können. Während sich das LocalLab dabei auf die Anliegen und Bedarfe der städtischen Kommune konzentriert, zeichnete sich das hochschulübergreifende Gründungszentrum mit seinen interdisziplinären Teams durch die Verknüpfung technischer und sozialer Innovationen aus und zielte dabei auf wirtschaftliche, aber auch auf sozial orientierte Gründungsprojekte.

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

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Abb. 14.2   Geplante Transfer- und Organisationsstruktur. (Eigene Darstellung)

Setzten das CityOffice, das TransferMobil, aber auch das LocalLab darauf, dass etablierte intermediäre Organisationen vor Ort bei der Gewinnung neuer Partner*innen unterstützend wirksam werden, sollten mit der Auslobung eines eigenen Wettbewerbs auch Einzelpersonen – namentlich Studierende und Lehrbeauftragte – motiviert werden, eigeninitiativ Third-Mission Projekte zu definieren und diese durch geeignete aber auch neue Formate umzusetzen. Mit diesem Wettbewerb sollten also nicht nur weitere Mobilisierungspartner*innen gewonnen, sondern auch neue Transferideen stimuliert, entwickelt und erprobt werden.

14.3.3 Geplante Organisationsstruktur Die geplante Governance des Verbundes bestand auf der strategischen Ebene aus dem Gremium der Präsident*innen bzw. Rektor*innen der beteiligten Hochschulen (LKRP-FH). Sie sollten die Steuerung und Weiterentwicklung des Gesamtprojekts verantworten mit Unterstützung des BIT6-Boards, dem die Vertreter*innen maßgeblicher intermediärer Organisationen sowie die Sprecherin der Frauenbeauftragten der Verbundhochschulen angehören. Die operative Gestaltung des Projekts sollte dem Lenkungskreis

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unterliegen, bestehend aus den zuständigen Vizepräsidenten*innen bzw. Prorektor*innen für Forschung. Die im Projektbüro angesiedelte Geschäftsführung sollte den Lenkungskreis in seiner Arbeit unterstützen. Darüber hinaus sollte sie zuständig sein für das Wissensmanagement, die Evaluation und das Berichtswesen sowie für die Gesamtsteuerung des Verbundvorhabens inklusive des operativen Monitorings und Controllings. Die Transferreferent*innen sollten die Schnittstelle zwischen den Hochschulen und den Projektstrukturen bilden und dementsprechend an den Hochschulen und im Projektbüro tätig sein.

14.3.4 Stärken und Schwächen des Antrages – Auswertung des Gutachtens Nach der Bekanntgabe der Ergebnisse des Auswahlprozesses durch das BMBF, wurden gemeinsam mit dem Projektträger die Begutachtungsresultate ausführlich erläutert. Aus den Rückmeldungen der Gutachter*innen sind folgende Rückschlüsse feststellbar: Die Stärke des eingereichten Antrages lag in der strategischen Ausrichtung auf die synergetischen Effekte gemeinsamer Transferstrukturen, in denen die Hochschulen ihre vielfältigen Expertisen bündeln, um gemeinsam eine größere Außenwirkung zu erreichen. Lobend erwähnt wurden dabei die Teilprojekte Cityoffice, TransferMobil, LocalLab sowie das Gründungszentrum. Einzelnen Aspekten des Antrages wurde ein experimenteller und innovativer Charakter zugesprochen, wie zum Beispiel der Transferale (Wettbewerb). Perspektivisch wird von den Maßnahmen eine hohe profilgebende Wirkung erwartet, wobei insbesondere die strategischen, strukturellen und operativen Voraussetzungen der Hochschulen für die Umsetzung der Vorhaben als herausragend bewertet wurden. Hierzu zählen auch die Einbindung einer großen Zahl von Multiplikator*innen und Kooperationspartner*innen sowie die Orientierung an deren Bedarfen. Die Schwäche des eingereichten Antrages ist mit einem Mangel des Faktischen zu begründen. So fehlte es sowohl an konkreten Projekten, die innerhalb des Verbundes umgesetzt werden sollten, als auch an messbaren Indikatoren und einem fundierten Evaluationskonzept. Diese Kritik bezog sich neben den geplanten Maßnahmen auch auf die Einbindung der Multiplikator*innen und Projektpartner*innen, deren konkrete Aufgaben in dem Verbund schlussendlich eher vage geblieben sind. Gleichfalls als zu abstrakt wurde die Partnerschaft mit dem IFAF Berlin bewertet und eine Präzisierung der konkreten Zusammenarbeit vermisst. Auch fehlte es dem Antrag an einem Konzept zur nachhaltigen Verstetigung, was die Fortsetzung der Maßnahmenpakete und im speziellen der hierfür benötigten Projektstellen betraf. Insgesamt wurde der Antrag als sehr gut bewertet und eine erneute Antragstellung bei der zweiten Ausschreibungsrunde in fünf Jahren (2022) empfohlen, wobei eine konkretere Darstellung der umzusetzenden Projekte, der Zusammenarbeit mit externen Partner*innen und der Indikatorenmessung anzustreben sei. Als hilfreich wurde es hierfür eingeschätzt, einzelne Teilprojekte bereits vorab gemeinsam zu realisieren, um die Profilschärfung des Verbundes weiter voranzutreiben.

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14.4 Reflexion des Antragsprozesses und Handlungsempfehlungen Die Etablierung von strategischen Stellen in den einzelnen Hochschulen, die sich kontinuierlich mit Hochschulentwicklungsfragen befassen, verbessern die Erfolgsaussichten in komplexen Antragsverfahren. Ende 2017 haben die Referent*innen der sechs beteiligten Hochschulen und die zentrale Projektkoordinatorin gemeinsam den Antragsprozess reflektiert. Ziel war es, Handlungsempfehlung für die weitere Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen zu formulieren und das Erfahrungswissen für die 2te Antragsrunde der Innovativen Hochschule (2022) festzuhalten. Bei dem hier veröffentlichten Artikel werden die Analyseergebnisse stark zusammengefasst.

14.4.1 Antragsprozess Zeitlich lässt sich die Antragstellung des Verbundes in drei Phasen unterteilen, die durch verschiedene Arbeitsschritte gekennzeichnet waren: 1. Vorbereitungs-Phase: Juni bis September 2016 2. Konzeptionelle Phase: Oktober bis Dezember 2016 3. Antragstellungs-Phase: Januar bis Februar 2017 Im Kontext dieses Beitrags ist vor allem die zweite und dritte Phase von Interesse, weil sich der Verbund erst am Anfang der konzeptionellen Phase endgültig konstituierte und ab diesem Zeitpunkt, neben allen Herausforderungen, ein hohes Maß an Dynamik und Produktivität entfaltete. Für die erste Phase sei angemerkt, dass zwar schon im Mai eine Absichtserklärung für das Programm „Innovative Hochschule“ kundgetan wurde, die Veröffentlichung aber erst am 17. Juni 2016 und die Veröffentlichung im Bundesanzeiger erst im November 2016 erfolgte. Ganz ähnlich der FH-Impuls-Ausschreibung erfolgte die Bekanntmachung damit erst kurz vor der Sommerpause und stellte den Hochschulen eine sehr knappe Zeitlinie für die Konzeptionierung und Ausarbeitung ihrer Anträge zur Verfügung. Mit der Vorabankündigung im Mai 2016 gab es seitens der Hochschulen erste Vorüberlegungen zu möglichen Themen und zu der Projektkonstellation. Als wichtigstes Element des internen Arbeitsprozesses sind die gemeinsamen Workshops zu nennen, von denen jeweils einer im Oktober, November und Dezember stattfand. Der Entwicklungsprozess, der sich im Rahmen der Workshops vollzog, lässt sich mit der kineastischen Metapher des „reinzoomens“ beschreiben. Durch den Rückgriff auf klassische Moderationsmethoden (Brainstorming, Clustern, Kleingruppenarbeit und Diskussionen im Gesamtplenum) wurden zunächst die Grundlinien des Antrags herausgearbeitet (1. Workshop – Grobkonzept), verfeinert (2. Workshop – Feinkonzept) und das Konzept schließlich final abgestimmt (3. Workshop – finaler Antrag). In den

388

J. Brandt und S. Arndt

dazwischenliegenden Zeiträumen wurden die Arbeitsaufträge aus den Workshops durch die verschiedenen Akteur*innen des Konsortiums, zum Beispiel innerhalb der Arbeitsgruppen (z. B. AG Themen, AG Gründerzentrum) wahrgenommen, sodass die Workshops auf einem kontinuierlichen Arbeitsprozess aufbauen konnten. Vergleichbare Arbeitselemente entfielen in der dritten Phase fast gänzlich, weil hier der Schreibprozess im Vordergrund stand. Symptomatisch für den Entwicklungsprozess war eine partizipative Herangehensweise, wie sie zum Beispiel in dem Opt-in-Verfahren zum Ausdruck kam.38 Mit dem Opt-in-Verfahren wurde die inhaltliche und operative Verantwortung für die einzelnen Themenfelder auf jeweils eine Hochschule übertragen, die damit den Lead innehatte. Alle anderen Hochschulen hatten dann die Möglichkeit für das jeweilige Handlungsfeld ‚zu optieren‘ und dadurch Mitglied zu werden. Diesem Verfahren lag die Herangehensweise zugrunde, die Interessen aller beteiligten Hochschulen zu berücksichtigen und nach dem Prinzip des Ausgleichs zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Implizit wurde bei der Entwicklung der Transferstrukturen ähnlich verfahren. In Bezug auf die Transferpotenziale der beteiligten Hochschulen wurde auf die in dem Projekt „BeMission: Die Third Mission in der Leistungsbewertung von Hochschulen“39 entwickelte Systematik des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zurückgegriffen.40 Für eine interne Bestandsaufnahme der Transferpotenziale an den Hochschulen erwies sich diese Systematik aufgrund ihres hohen Detailgrads als hilfreich, weil es den einzelnen Hochschulen eine neue Perspektive auf ihre eigenen Aktivitäten eröffnete und eine systematische Zusammenführung aller Transfermaßnahmen ermöglichte.41 Nach außen gerichtet standen Methoden im Vordergrund, mit denen die Bedarfe der Innovationsregion und der Partner*innen erfasst und analysiert wurden. Zum Einsatz kamen dabei Interviews mit den Kooperationspartner*innen und eine Stakeholder-Analyse der bestehenden Partnerschaften an den Hochschulen. So wurden zwischen Oktober und Dezember 2016 durch verschiedene Hochschulen Interviews mit externen Partner*innen durchgeführt, und zwar sowohl mit bestehenden Partnern als auch mit solchen, die neu für das Projekt gewonnen werden sollten. Die Hochschulen hatten sich

38Opt-in:

Aus dem englischen to opt (for something) „optieren“ (sich für etwas entscheiden) ist ein ausdrückliches Zustimmungsverfahren aus dem Permission Marketing, bei dem der Endverbraucher Werbekontaktaufnahmen vorher – meist durch E-Mail, Telefon oder SMS – explizit bestätigen muss. 39Siehe dazu auch www.hof.uni-halle.de/projekte/bemission/ [letzter Abruf 3.3.2018]. 40Vgl. www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/Systematik-Third-Mission-HoF.pdf [letzter Abruf 17.01.2017]. 41Im Unterschied zu der HoF-Systematik wurde in dem Antrag folgender Aufbau etabliert: Ziele, Handlungsfelder, Transferstrukturen, Transfermaßnahmen (HoF: Aufgabenbereich, Ziele, Handlungsfelder, Maßnahmen).

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

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vorab auf einen basalen Leitfaden verständigt, die Durchführung und Nachbereitung dieser Interviews blieb dabei den Einzelinitiativen der Hochschulen überlassen. Die Ergebnisse wurden meist durch die jeweilige Hochschule in den Antragsprozess eingespeist, behielten dadurch aber den Charakter von Einzelstimmen. Auf Basis der Stakeholder-Analyse konnten die Hochschulen viele ihrer bestehenden Partnerschaften für das Projekt mobilisieren: Aber aufgrund eines evidenten Mangels an Zeit und Personal war es nicht mehr möglich, die Einbindung der Projektpartner*innen im Einzelnen qualitativ auszuarbeiten. Im Ergebnis konnte der Verbund zwar eine hohe Anzahl von Projektpartner vorweisen, die ein großes Interesse an dem Gesamtprojekt zeigten. Deren konkrete Mitwirkung in dem Vorhaben war aber zum Zeitpunkt der Abgabe des Antrags nur in Ansätzen ausformuliert. Dies lag neben dem Zeitfaktor auch darin begründet, dass der Verbund seinen konzeptionellen Schwerpunkt bewusst auf strategische Antragselemente konzentriert und die Implementierung und Durchführung von Praxisprojekten auf die Umsetzungsphase des Projekts verlagert hatte.

14.4.2 Verbundstruktur Bei der Verbundstruktur soll zunächst gesondert die Entscheidung für den Sechser-Verbund betrachtet werden. Dafür muss angemerkt werden, dass in der ersten Phase des Projektes sowohl die Variante eines gemeinsamen Antrags der vier staatlichen Hochschulen mit den beiden konfessionellen Hochschulen als assoziierte Partner*innen, als auch ein gemeinsamer Antrag als Sechser-Verbund diskutiert wurde. Auf dem ersten Workshop (2. Phase) wurde dann die Entscheidung getroffen mit allen sechs Hochschulen gleichberechtigt in den Wettbewerb zu treten. Die Entscheidung für den Sechser-Verbund lag u. a. auch darin begründet, dass das Feld „soziale Innovation“ als große Chance für den Verbund begriffen wurde. Durch die Einbindung der beiden konfessionellen Hochschulen – als gleichberechtigte Partner – sollte einerseits der SAGE-Bereich gestärkt und anderseits das große Potenzial für den Verbund erschlossen werden. Langfristig betrachtet führte dieses Votum zu konzeptionellen Problemen, die vor allem zuwendungsrechtlicher Natur waren. Eine gemeinsame Antragsstellung der Hochschulen unter dem Dach des gemeinsam getragenen Vereins (IFAF Berlin e. V.) war durch die Förderbedingungen der Innovativen Hochschule ausgeschlossen, da nur staatlich (anerkannte) Hochschulen42 antragsberechtigt waren. Eine Beteiligung als (eigenständiger) Projektpartner wurde in Betracht gezogen. Das IFAF Berlin hätte dann allerdings 70 v. H. seiner Projektkosten selbst zu

42„Antragsberechtigt

sind staatliche Hochschulen, einschließlich Hochschulen in Trägerschaft einer Stiftung des öffentlichen Rechts, und staatlich anerkannte Hochschulen, die staatlich refinanziert werden.“ siehe dazu www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1269.html [letzter Abruf 18.02.2018].

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J. Brandt und S. Arndt

tragen gehabt. Die Mittel des IFAF Berlin waren aber bereits durch die laufenden bzw. geplanten Projekte und die Strukturkosten (Geschäftsstelle) gebunden. Zusätzliche Mittel wären grundsätzlich durch den IFAF-Mittelgeber bereitgestellt worden, aber mit der Bindung an den Aufbau einer über den bisherigen gemeinnützigen Rahmen hinausgehenden Transferstruktur als Zweckbetrieb des IFAF Berlin. Dieses „Teilprojekt“ hätte sich jedoch auf die vier staatlichen Hochschulen beschränken müssen. Einer Erweiterung des IFAF Berlin von vier auf sechs Hochschulen, stand/steht grundsätzlich die Tatsache entgegen, dass die konfessionellen Hochschulen keine Körperschaften des öffentlichen Rechts des Landes Berlin sind. Eine beihilfefreie Weitergabe von Fördermitteln des Landes ist nur an die Körperschaften des öffentlichen Rechts des Landes möglich. Eine engere Verknüpfung zwischen dem IFAF Berlin und dem BIT6-Verbund war aus den zuvor genannten (finanztechnischen und rechtlichen) Gründen erschwert. Dies führte dazu, dass die Bedeutung des IFAF Berlin für den BIT6-Verbund und die Anknüpfung an die bereits etablierte (Transfer-) Struktur im Antrag nicht überzeugend dargestellt werden konnte. Strukturell gab es in dem Projekt eine klare Rollenverteilung: Die strategische Leitung lag bei den Präsident*innen und Rektor*innen der einzelnen Hochschulen, die als Gremium in der LKRP-FH43 zusammen traten. Die Präsident*innen und Rektor*innen waren nur teilweise in den Arbeitsgruppen vertreten. Dementsprechend war das Antragsteam44 gegenüber der LKRP-FH berichtspflichtig und finale Entscheidungen wurden auf dieser Ebene getroffen. Die operative Leitung des Projekts lag bei den Vizepräsident*innen bzw. den Prorektor*innen für Forschung der einzelnen Hochschulen. Es war ihre Aufgabe, mit Unterstützung der für die Antragstellung eingestellten Referent*innen, ihre jeweilige Hochschule in den Workshops und den Arbeitsgruppen zu vertreten sowie einzelne Arbeitsbereiche zu übernehmen. In der Praxis hat sich die Rollenverteilung im Projekt nur teilweise als praktikabel erwiesen. Dass die Präsident*innen und Rektor*innen final strategische Entscheidungen treffen, ist in ihrer Verantwortung und Rechenschaftspflicht für den Antrag und die gesamte Hochschule begründet. Unter dem erheblichen Termindruck fanden auf der Ebene der LKRP-FH in dem Zeitraum der Antragstellung neun gemeinsame Termine statt, an denen auch die Vizepräsident*innen und Prorektor*innen beteiligt waren. Daran lässt sich ablesen, dass der Antragsprozess von allen Beteiligten prioritär behandelt wurde. Trotz dieser hohen Einsatzbereitschaft haben sich die Entscheidungsstrukturen insofern als zu vielschichtig erwiesen, als dass konzeptionelle Entscheidungen, die im Rahmen der Workshops gefallen sind, nicht immer die Zustimmung der LKRP-FH fanden und somit überarbeitet

43Vergleichbar

zu der LKRP treten hier nur die Rektor*innen und Präsident*innen der sechs Berliner Hochschulen zusammen. 44Das Antragsteam setzte sich aus den zuständigen Vizepräsident*innen bzw. Prorektor*innen für Forschung (strategische Ebene) und den Referent*innen (operative Ebene) der einzelnen Hochschulen zusammen.

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

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werden mussten. Im Zusammenhang mit dem komplexen und unter hohem Zeitdruck stehenden Arbeitsprozess entstanden dabei Zeitverluste, die durch eine schlankere Entscheidungsstruktur vermeidbar gewesen wären. Als strukturell problematisch erwies sich, dass für die Antragstellung an der jeweiligen Hochschule Referent*innen (Teil des Antragsteams) über befristete Drittmittelverträge i. d. R. neu eingestellt wurden. Die Einstellung von zusätzlichem (drittmittelfinanziertem) Personal für komplexe Antragsverfahren, die den zeitlich begrenzten Prozess unterstützen sollen, ist eine Praxis, die sich in den letzten Jahren immer mehr durchsetzt – sofern die Gelder dafür zur Verfügung stehen – und steht somit nicht allein symptomatisch für den BIT6-Verbund. Dieses Vorgehen wirft verschiedene Probleme auf: Da die bürokratischen Prozesse (z. B. Personaleinstellungsverfahren) an den Hochschulen mitunter lange dauern, steht das Personal in der Regel erst mit einer zeitlichen Verzögerung zur Verfügung und wertvolle Arbeitszeit geht verloren. Steht das Antragsteam schließlich, wird häufig unter dem Eindruck des Zeitdrucks auf sinnvolle „On-boarding“- Maßnahmen, wie eine Einarbeitungs- und Planungsphase verzichtet. Neigen sich dann die Arbeitsverträge wieder ihrem Ende zu, setzt eine unvermeidliche personelle Fluktuation im Antragsteam ein, weil andere Stellen in Aussicht stehen. In diesem Kontext geht wertvolles Erfahrungswissen verloren und es ist nicht möglich nachhaltig einen Personalstamm aufzubauen, der mit den regionalen Strukturen und Gegebenheiten und vor allem den vielschichtigen Herausforderungen solcher Antragsprozesse vertraut ist.

14.4.3 Handlungsempfehlungen Die Herausforderungen, denen sich der BIT6-Verbund bei der Zielstellung einer gemeinsamen Antragstellung gegenübersah, waren enorm. Sie resultierten einerseits aus der sehr knappen Zeitlinie von nicht mal ganz fünf Monaten, die zur konzeptionellen Ausarbeitung und Verschriftlichung des Antrags zur Verfügung standen. Andererseits beinhaltete die Konstellation eines interdisziplinären Verbundes von sechs sehr unterschiedlich verfassten Hochschulen zahlreiche Hürden, gerade wenn es darum geht, partikulare Interessen und divergierende Arbeitskulturen zu überwinden45 und sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Aus dem Antragsprozess lassen sich für den BIT6-Verbund folgende Handlungsempfehlungen ableiten, die aber auch für andere hochschulübergreifende Verbundanträge Gültigkeit besitzen:

45Insbesondere

bei konflikthaften Themen kann dabei eine Dynamik entstehen, die weniger auf eine substanzielle Lösung zielen als vielmehr auf vermeintliche Kompromisse, um ein Auseinanderbrechen des Verbundes mit allen Mitteln zu verhindern.

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J. Brandt und S. Arndt

Externe Unterstützung und Methoden:  In inter-und transdisziplinären Projekten mit divergierenden Interessenslagen ist eine durchgängige Unterstützung durch externe Berater*innen und Moderator*innen zu empfehlen, die aktiv den gesamten Prozess begleiten und methodisch unterstützen. Das entlastet die Akteur*innen im Verbund und gewährleistet fundierte und ausgewogene Entscheidungsprozesse. Es empfiehlt sich, neben klassischen Moderationsmethoden dabei auf existierende Konzepte zurück zu greifen, die solche Prozesse strukturieren und unterstützen. Zu nennen ist hier beispielsweise die Konstellationsanalyse – ein Brückenkonzept, das für die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit entwickelt wurde und auch dazu dienen kann, externe Stakeholder in den Entwicklungsprozess miteinzubeziehen.46 Die Szenario Technik bietet die Möglichkeit multivariate Zustände und Entwicklungen abzubilden und hierauf bezogene Reaktionsmuster vorzudenken. Bezogen auf Transferstellen bietet sich mit der Methode die Möglichkeit Potenziale und Bedarfe frühzeitig zu identifizieren und Handlungsoptionen zu entwickeln.47 Entscheidungsprozesse:  Die Rollenaufteilung und Entscheidungsstrukturen in Verbund­ projekten müssen klar definiert und im Vorfeld auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft werden. Es ist sinnvoll, hierbei formal vorzugehen und damit dem Verbund und dem Antragsteam eine höhere Legitimation zu verleihen. Denkbar ist beispielsweise die Einrichtung eines Entscheidungsgremiums, dass in Vorbereitung auf Sitzungen mit entsprechenden Entscheidungsvorlagen versorgt wird. Über Entscheidungen wird dann formal abgestimmt, wobei jede Hochschule über eine Stimme verfügt. Im Vorfeld muss dann auch geklärt sein, ob im Konsens oder nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht, dass in diesem Entscheidungsgremium zwar die operative Leitungsebene vertreten ist, Entscheidungen aber vorab mit der strategischen Leitungsebene abgestimmt werden. Antragsteam:  Die Einstellung des Personals48 an den einzelnen Hochschulen, welches an einem gemeinsamen Verbundantrag schreibt, sollte nach Möglichkeit zu Beginn der Antragsphase und zeitgleich erfolgen. Eine gemeinsame Einarbeitungsphase (onboarding) ist zweckmäßig, um Erwartungen und Rollen zu klären, Arbeitsstil, Kommunikations- und Projektkultur zu vermitteln und durch Feedback zu stabilisieren. Die Rolle und insbesondere die Arbeitsaufgaben der zentralen Koordination müssen von Beginn an klar geregelt werden. Die Mitglieder des Antragsteams (Referent*innen) sollten ihre Hochschulen kennen und im Optimalfall in der jeweiligen Hochschulstruktur verankert sein.

46Vgl.

Ohlhorst et al. (2015). Weissenberger-Eibl et al. (2013). 48Bei Übertragung der Aufgaben an vorhandenes Personal ist darauf zu achten, dass hier genügend freie Kapazitäten zur Verfügung stehen, ggf. sind diese Stellen aufzustocken bzw. Arbeitsaufgaben anders zu verteilen. 47Vgl.

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

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Die vorhandenen Forschungs- und Transferstellen an den Hochschulen sind in der Regel nicht in der Lage, intensiv hochschulübergreifende Antragsvorhaben zu begleiten. Um die Erfolgsaussichten in komplexen Antragsverfahren perspektivisch zu verbessern, ist es empfehlenswert an den Hochschulen dauerhafte Stellen zu etablieren, die strategisch mit Hochschulentwicklungsfragen befasst und auch in der Lage sind, in mehrdimensionalen Antragsverfahren tätig zu werden. Dadurch bleibt den Hochschulen wertvolles Erfahrungswissen erhalten und es können nachhaltige Vernetzungsstrukturen auf- und ausgebaut werden.

14.5 Zusammenfassung und Ausblick Zukünftig geht es darum, die im BIT6-Verbund existierenden kulturellen Differenzen zu überwinden, die gemeinsamen Schnittmengen zu identifizieren und Synergieeffekte zu nutzen, ohne die Hochschulen in ihrer Eigenständigkeit zu beschneiden. Die gestellte Frage nach einer Beutegemeinschaft oder einer strategischen Partnerschaft ist eine rhetorische Frage. Genau genommen ist jede strategische Partnerschaft auch eine Beutegemeinschaft, weil sich die einzelnen Partnerinstitutionen einen Mehrwert aus der Kooperation erhoffen, sonst wären sie nicht Teil einer Verbundstruktur. Der Titel verweist auf eine grundlegende, und im Text auch schon mehrfach erwähnte Problematik, der sich die Verbundgemeinschaft in der Antragskonzeption gegenübersah: nämlich aus Einzelinstitutionen heraus einen gemeinsamen Antrag zu entwickeln, der die divergierenden Interessen und Kompetenzen so miteinander in Einklang bringt, dass Synergieeffekte entstehen sowohl für die beteiligten Hochschulen als auch für die Transferpartner*innen in der Region Berlin. In diesem Kontext steht die „Beutegemeinschaft“ für ein Scheitern dieser Zielsetzung und umschreibt einen Zustand, in dem die Konvergenz (noch) nicht ausreichend gelungen ist. Der BIT6-Verbund zeichnet sich durch sehr heterogene Hochschulen aus, deren Zielsetzung einer gemeinsamen Antragstellung einmalig war und die auf keine vergleichbaren Erfahrungswerte zurückgreifen konnten – mit Ausnahme der Zusammenarbeit im IFAF Berlin, dem aber nur vier der sechs Hochschulen angehören. Neben den fachlich unterschiedlichen Schwerpunkten an den Hochschulen wurden in allen Phasen des Antrages auch unterschiedliche Arbeitskulturen deutlich: Während zum Beispiel einige Hochschulen intern eher stark partizipative Entscheidungsprozesse etabliert haben, sind an anderen Hochschulen Entscheidungsprozesse sehr klar der Leitungsebene zugeordnet. Die Hochschulen sind es gewohnt, als Einzel-Institutionen zu agieren, und verfügen dementsprechend über divergierende Bedarfe und Zielstellungen. Darüber hinaus ist die Maxime Freiheit der Lehre und Forschung und damit eine große Gestaltungsfreiheit für die Fachbereiche und Professor*innen fest in den Hochschulkulturen verankert.

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J. Brandt und S. Arndt

Somit sind es Hochschulen häufig nicht gewohnt, als Institution strategisch zu agieren, weil die Organisationsstruktur auf dezentralen Prinzipien beruht. Durch den externen Konkurrenzdruck um Anerkennung und öffentliche Gelder werden zudem Strukturen befördert, in denen alle Hochschulen um ihre Alleinstellungsmerkmale und Profilierung bemüht sind und das eben auch sein müssen. Eine ausreichende Profilierung der Partner*innen ist somit eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche strategische Partnerschaft. Trotz dieser Herausforderungen ist der Antrag des BIT6-Verbundes nicht an dem Zustand einer „Beutegemeinschaft“ gescheitert. Die Kritikpunkte der Gutachter*innen lassen sich auf verschiedene Ursachen zurückführen: Bezüglich des IFAF Berlin und den damit verbundenen formalen Problematiken ist eine strategische Fehleinschätzung zu konstatieren, die erst im Verlauf der Antragsentwicklung offenkundig wurde. Der monierte fehlende Praxisbezug ist der Fokussierung auf strategische Projekt-Elemente geschuldet. Und zu guter Letzt sind Komponenten wie eine nicht ausreichende Darlegung des Evaluationskonzepts oder der Einbindung von Projektpartner*innen auf die sehr knappe Zeitlinie durch den Zuwendungsgeber zurückzuführen: Die Entwicklungsschritte hin zu einer hochschulübergreifenden Transferstrategie und die Erarbeitung gemeinsamer Strukturen sind sehr zeitintensive Prozesse, sodass es gegen Ende nicht mehr gelungen ist, alle Komponenten vollumfänglich zu bearbeiten. Die unter den Handlungsempfehlungen vorgeschlagenen Maßnahmen können dabei helfen, die hier beschriebenen Herausforderungen abzufedern. Gleichermaßen wäre es aber auch wünschenswert, den antragstellenden Hochschulen in derart komplexen Antragsverfahren zukünftig mehr Zeit zu geben. In die Abschlussbetrachtung gehört aber auch, dass das Konsortium es sich bereits während der Konzeptionierungs- und Antragsphase zum Ziel gesetzt hat, auch im Falle einer Ablehnung als Verbund weiter zusammenzuarbeiten. Die Grundlage wurde dafür gelegt, in dem für einen Teil der geplanten Maßnahmen der Berliner Senat als Zuwendungsgeber gewonnen werden konnte. Es geht also nicht um die „Beute“, sondern um eine strategische Partnerschaft, mit der Motivation die sich ergebenen Synergiemöglichkeiten zwischen den sechs Berliner Fachhochschulen und ihren regionalen Partner*innen besser zu nutzen. Der Antrag hat dafür eine wichtige Basis gelegt. So wurde ein Prozess initiiert, in dessen Verlauf die Hochschulen ihre Third-Mission-Aktivitäten und ihre Transferpotenziale systematisch erfassen und ihr Transferverständnis weiterentwickeln. An einigen Hochschulen wurden im Bereich Transfer oder Third Mission unbefristete (ohne Projektbindung) Stellen49 geschaffen, die zukünftig bei hochschulübergreifenden Verbundanträgen mitwirken.

49Die

dem Hochschulmanagement zuzuordnen sind.

14 BIT6-Verbund: Beutegemeinschaft oder strategische Partnerschaft?

395

Durch den Antrag wurde eine Diskussion über die strategische Weiterentwicklung des IFAF Berlin in Gang gesetzt. Zur Debatte steht beispielsweise die Einrichtung einer Transfer GmbH oder die Förderung von nachfragebasierten Projekten, mit kürzeren Laufzeiten. Es wird auch darum gehen, die Sichtbarkeit und die Kommunikation nach außen, beispielsweise durch eine Stelle in der IFAF-Geschäftsstelle für Wissenschaftskommunikation, weiter zu verbessern. Des Weiteren wurden Ideen entwickelt, die über den BIT6-Verbund oder das IFAF Berlin hinausreichen, wie zum Beispiel die Einrichtung eines gemeinsamen Promotionskollegs, als Verbundmodell mit den Berliner Universitäten. Auch in Zukunft wird es weiterhin darum gehen, die kulturellen Differenzen zu überwinden und die gemeinsamen Schnittmengen zu identifizieren, ohne die Hochschulen in ihrer Eigenständigkeit zu beschneiden. Es wird die Aufgabe der Steuerungsgremien des BIT6-Verbundes sein, den Verbund dahin gehend weiter zu entwickeln und aus den Erfahrungen der Antragsstellung zu lernen. Danksagung  Dieser Artikel wurde insbesondere bei der Reflexion des Antragsprozesses durch die fruchtbaren Diskussionen mit den Referent*innen der verschiedenen Hochschulen des BIT6Verbundes und der zentralen Koordinatorin inspiriert. Daher möchten wir uns an dieser Stelle für die analytische Herangehensweise, die kritischen Gedanken und konstruktiven Diskussionen bei Michael Ebert, Marie-Luise Glander, Benjamin Klages, Elène Misbach und Christina Specovius bedanken.

Weiterführende Literatur Czarnitzki, Dirk; Licht, Georg; Rammer, Christian; Spielkamp, Alfred (2001): Rolle und Bedeutung von Intermediären in Wissens- und Technologietransfer, ifo Schnelldienst, ISSN 0018-974X, Vol. 54, Iss. 04, S. 41 Ohlhorst, Dörte; Kröger, Melanie (2015): Konstellationsanalyse: Einbindung von Experten und Stakeholdern in interdisziplinäre Forschungsprojekte. In: Niederberger, Marlen; Wassermann, Sandra (Hrsg): Methoden der Experten- und Stakeholdereinbindung in der sozialwissenschaftlichen Forschung, Wiesbaden, ISBN: 978–3-658-01686-9, S 95–116 Schmidbauer, Klaus; Knödler-Bunte, Eberhard (2004): Das Kommunikationskonzept Konzepte entwickeln und präsentieren, university press UMC Potsdam, ISBN: 978-3937894003, S 95 Weissenberger-Eibl, Marion A.; Radicke, Jan; Kugler, Florian (2013): In: Piller, Frank T.; Hilgers, Dennis (Hrsg): Praxishandbuch Technologietransfer. Innovative Methoden zum Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse in die industrielle Anwendung. Düsseldorf, ISBN 978–3-86329-595-0, S 127–145

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J. Brandt und S. Arndt Julia Brandt hat Geschichtswissenschaft, Germanistik und Politikwissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und der Freien Universität Berlin studiert. Sie arbeitet seit 2011 im Wissenschaftsmanagement und beschäftigt sich seit 2013 mit den Themenschwerpunkten Ideen-, Wissens- und Technologietransfer. Als Projektkoordinatorin des Qualifizierungs- und Forschungsprojekts „Hochschulbasierte Weiterbildung für Betriebe“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) begleitete sie von 2013 bis 2015 den praxisorientierten Austausch zwischen den Wissenschaftler*innen und regionalen Unternehmen. Seit 2015 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Wildau (TH Wildau) und der HTW Berlin an der innovativen Weiterentwicklung von Transfermaßnahmen und -instrumenten an Angewandten Hochschulen sowie der Strategieentwicklung im Bereich Forschungsmanagement. Sandra Arndt hat Internationale Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Wissenschaftsmarketing an der Technischen Universität Berlin studiert. Seit 11/2011 leitet sie an der Beuth Hochschule für Technik Berlin das Referat Forschung, zwischen 08/2016 und 03/2018 kommissarisch die Stabsstelle TechnologieTransfer. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Beratung der Hochschulleitung hinsichtlich hochschulübergreifender Projekte und strategischer Maßnahmen für die Bereiche Forschung, Wissens- und Technologietransfer. So war sie maßgeblich an den Anträgen für die BMBF-Förderinitiativen FH-Impuls und Innovative Hochschule beteiligt. Sandra Arndt ist zudem Forschungskoordinatorin des Kompetenzzentrums Ingenieurwissenschaften im Institut für angewandte Forschung (IFAF) Berlin.

Strategien für Millionen Vom strategischen Nutzen einer Strategie (insbesondere) für künstlerische Hochschulen

15

Stella Donata Haag

15.1 Die hohe Kunst der Selbstdressur – oder: Warum sich strategisches Vorgehen lohnt Da es im Weiteren noch um die Expertise im Umgang mit Katzen gehen wird, diesen Individualisten, die ihren wesensbestimmenden Eigensinn mit Wissenschaftlern und Künstlern teilen, sei besagte Expertise gleich anfangs zur Anwendung gebracht und die Katze aus dem sprichwörtlichen Sack gelassen. Denn je länger sie darin herumrumort, desto weniger harmonisch gerät die Öffnung des Sackes. Was sich darin befindet, ist eine Zumutung. Zumindest unter aktuellen Diskursbedingungen an künstlerischen Hochschulen: Erklärtes Ziel dieses Beitrages ist es ist es, die methodischen Ansätze des strategischen Marketings auf die (nichtwissenschaftliche) Forschung an künstlerischen Hochschulen anzuwenden. Damit wird vorausgesetzt, dass diese in ein Marktgeschehen eingebunden ist. Als wäre dies nicht provokant genug, wird des Weiteren vorgeschlagen, dass die Hochschulen diese Konstellation zu ihrem Vorteil nutzen sollten, was allerdings bedeutet, dass sie ihr Handeln – in welchem logischen Verhältnis auch immer – an den Regeln dieses Marktes ausrichten müssten. Der konkrete Untersuchungsgegenstand, das Institut für künstlerische Forschung (IKF) der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF1, erweist sich dabei als in mehrerlei 1„Dieser

Beitrag basiert auf einer als Abschlussarbeit im Masterstudiengang „Wissenschaftsmarketing“ der TU Berlin entstandenen Studie. Die Ausarbeitung der Studie erfolgte unabhängig von der Tätigkeit der Autorin an der Filmuniversität Babelsberg.“

S. D. Haag (*)  Filmuniversität Babelsberg, Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_15

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S. D. Haag

Hinsicht widerständig: zum einen steht der zumindest im deutschen Wissenschaftsbetrieb noch wenig bekannte und kaum institutionell verankerte Ansatz der künstlerischen Forschung quer zu den etablierten Qualifikations-, Evaluations- und Fördersystemen. Zum anderen begreift sich das IKF hochschulintern als Interessenvertretung der künstlerischen Gewerke und vertritt zugleich bei verschiedenen Anlässen den Anspruch, für die gesamte Forschung zu sprechen. Damit wird implizit schon die Grundspannung zwischen Kunst und Wissenschaft thematisiert, deren jeweilige Konzeptualisierung für die verschiedenen Auffassungen von künstlerischer Forschung identitätsbildend ist, und die auch von außen immer wieder zur Ab- und Ausgrenzung genutzt wird. Zuletzt ist das IKF Bestandteil einer Kunsthochschule, d. h. einer Ausnahmeerscheinung der Hochschullandschaft, die „sowohl Teil des (tertiären) Bildungsbereichs als auch Teil des (öffentlichen) Kulturbetriebs“ ist. (Lynen 2008, S. 133). Auch für den hier relevanten Marketingbegriff bieten sich verschiedene Bezugssysteme mit jeweils unterschiedlichen Parametern an: Handelt es sich eher um eine Fragestellung aus dem Bereich des Hochschulmarketings, da es um ein In-Institut der Hochschule geht (Keller 2006, Voss 2006)? Oder doch eher um Forschungsmarketing, da die Forschung offenbar die primäre Aufgabe des Instituts ist (Dingwall und McDonnell 2015)? Oder gar um Kunstmarketing, da das IKF mit künstlerischen Themen und Gegenständen befasst ist (O’Reilly 2014)? Wie sich im Verlauf der Studie zeigen wird, sind diese Differenzierungen allerdings methodisch weniger problematisch als die Kernfrage: Wie brauchbar sind Marketinginstrumente überhaupt, um die Situation einer solchen Institution zu erfassen und zu steuern? Oder weiter gefasst: ist betriebswirtschaftliches Denken prinzipiell geeignet, um (künstlerische) Forschungsprozesse zur organisieren? Dabei kann es hilfreich sein, zunächst den Gegenstand des Marketings bei einer aus dem Hochschuletat grundfinanzierten Einrichtung zu identifizieren. Auch ohne eine umfassende Diskussion der Übertragbarkeit oder eben auch Inkommensurabilität ökonomischer Ziele und Werte auf Wissenschaft und Kunst, die jenseits des dieser anwendungsorientierten Studie liegt, lässt sich formulieren: das Ziel des IKF als ökonomisch agierende Einheit sind Initiierung und Unterstützung von Forschungsprozessen, die sich wiederum aus der Interaktion von verschiedenen Stakeholdergruppen ergeben. Das Produkt sind nicht die Forschung oder gar deren Ergebnisse, die sich nicht sinnvoll am Markt ausrichten lassen,2 sondern Dienstleistungen, die Forschung ermöglichen. Es handelt sich also um ein in höchstem Maße intangibles und flüchtiges Produkt, bei dem zunächst geklärt werden muss, ob und wozu eine Markenstrategie bzw. ein Branding überhaupt nötig ist. Da sich jede Entwicklungsstrategie in diesem – zwingend von einer Grundakzeptanz der Beteiligten abhängenden – Bereich zunächst an deren Bedarfen ausrichten und diese mit denjenigen eines erweiterten Stakeholderfeldes in Einklang bringen muss, liegt eine Anlehnung an Philip Kotlers Ansatz der consumer-driven

2Hier

liegt einer der großen Irrtümer des New Public Management, vgl. Dingwall und McDonnel (2015, S. 9).

15  Strategien für Millionen Vom strategischen …

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marketing strategy nahe (Kotler 2012, S. 29). Deren Leitfrage ist: was wird vom Kunden gebraucht? Welche Austauschprozesse zwischen welchen Partnern müssen dafür etabliert oder ggf. dynamisiert werden? Die Bestimmung dieses Partnergefüges hängt unmittelbar zusammen mit Selbstverständnis und damit Zielsetzung des IKF: • versteht es sich als Servicestelle für interne Forschungsprozesse? Dann bestünde dieser interne Markt aus den künstlerische Forschenden der Filmuniversität als Kunden, deren Ansprache nur dann intensiviert werden müsste, wenn eine Unterauslastung der Ressourcen des Instituts besteht (was nicht der Fall ist) oder mehr Leistung abgefragt wird, als geliefert werden kann (was zutrifft). Also ist die Entwicklung des IKF auch bei rein interner Betrachtung auf Wachstum angelegt. Eine solche Steigerung ist zum einen von der Ressourcenallokation innerhalb der Hochschule abhängig, zum anderen können die engen Etatgrenzen in nennenswertem Umfang nur durch Gewinnung von Drittmitteln überwunden werden. Deshalb sind auch bei dieser – an den unmittelbaren Interessen der internen Stakeholder orientierten – Zielsetzung die Kommunikation und der Austausch mit einer kritischen Anzahl von externen Akteuren nötig. • Diese Stakeholdergruppe wird nochmals entschieden größer und die Austauschprozesse werden komplexer, wenn das IKF direkt externe Entwicklungsziele formuliert und nicht, wie bei der internen Ausrichtung, nur implizit. Hier ist Wachstum unverzichtbar, um durch mehr Leistungsfähigkeit mehr Output, mehr Outcome und letztlich mehr Impact und Aufmerksamkeit zu erzielen und dadurch wieder mehr kommunikative, personelle und finanzielle Ressourcen zu akquirieren. In diesem Falle müssten Zielsystem und Maßnahmen strategisch geplant und ein entsprechendes Monitoring etabliert werden. Beim Drittmittelmarkt als primärem Beschaffungsmarkt handelt es sich zudem um einen gesättigten Markt, d. h. in den meisten Fällen bedeutet Erfolg die Verdrängung von Konkurrenz. Eine Entwicklungsstrategie für das IKF darf also durchaus als Marketingstrategie begriffen werden, da sie sich auf die optimale Strukturierung und Ausrichtung dieser Austauschprozesse bezieht. Damit lässt sich auch die Frage beantworten, inwiefern Konzepte aus der Ökonomie überhaupt geeignet sind, ein Forschungsinstitut zu steuern – dass es trotz normativer Vorbehalte (z. B. in Bezug auf Art. 5 Absatz III GG) faktisch sinnvoll ist, liegt an den Regeln einer wettbewerbsorientierten Forschungslandschaft.3 In dieser

3Lt.

Einer aktuellen Studie kommen nur noch 44 % der Mittel an Hochschulen von den Ländern, 56 % sind Drittmittel; das Mittelzuwächse stammen zu 70 % aus Drittmitteln. vor 20 Jahren war das Verhältnis umgekehrt. Vgl. https://www.hochschulverband.de/fileadmin/redaktion/download/ pdf/FiBS_DHV_Hochschulfinanzierung_180328_final.pdf; abgerufen am 09.04.2018. Inwieweit es generell Alternativmodelle zu einer wahlweise als responsiv beschriebenen (Matthies et al. 2015) oder als neoliberal kritisierten (Naidoo 2016; Olssen 2016) Wissenschaftsfinanzierung auf Indikatorenbasis gibt, und inwieweit diese leistungsfähiger oder gerechter sind, kann an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.

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S. D. Haag

Formulierung umfasst die Frage wissenschaftliche und künstlerische Prozesse gleichermaßen, denn es geht um qualitative und quantitative Steigerung der Forschungsarbeit. Um besser und mehr: • besseres Ressourcenmanagement, damit die Forschung möglichst ungestört funktionieren kann. In diesem Fall bedeutet (Planungs-)Sicherheit Freiheit. Hier kommt wieder die eingangs erwähnte Katzenanalogie ins Spiel, denn die im Englischen gebräuchliche Metapher, das Management von Forschern sei mit der Herdenhaltung von Katzen (like herding cats) vergleichbar, soll eigentlich den Eigensinn und die Unsteuerbarkeit von Forschung betonen, impliziert in der Bildlogik aber schon die Enttarnung des formulierten Gegensatzes: „even cats recognize the benefit of someone helping them to keep warm and well-fed, despite their otherwise independent ways.“ (Dingwall und McDonnell 2015, S. 2) • die Akquise von mehr Ressourcen, damit mehr Forschung betrieben und mehr Experimente gewagt, der Forschungsoutput besser kommuniziert und mehr Impact erreicht werden können. Hier geht es um Weiterentwicklung oder, ökonomisch gefasst, um Wachstum und Innovation. Schumpeters berüchtigte „kreative Zerstörung“ ist dabei ein notwendiges Risiko, das institutionelle Strukturen ebenso eingehen müssen wie kapitalistische Unternehmen (Schumpeter Schumpeter and Joseph 1942, S. 82; Koch 2014, S. 37). Insgesamt ist in der Verwendung des Marketing-Instrumentariums auf den Gegenstand „Forschungsinstitut“ zu prüfen, inwieweit eine betriebswirtschaftliche Rationalität auf konkrete Fragen angewandt werden kann bzw. bis zu welchem Grad es sinnvoll ist, die Aktivitäten darauf abzustimmen. So unterliegen Forschungsthemen am Drittmittelmarkt politischen und wissenschaftlichen Trends. Sie zur Maxime des Forschungshandelns zu machen, wäre einerseits verheerend für jede Forschung, die – ob künstlerisch oder wissenschaftlich – ihre Fragestellungen aus dem eigenen Diskurs generiert. Ignorieren andererseits wäre, zumindest bis zu einem gewissen Grade, gesellschaftlich unverantwortlich und wirtschaftlich fatal bis zur Existenzbedrohung. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich Forschungsmarketing als harmloses planerisches Schaf im betriebswirtschaftlichen Wolfspelz. Und in gewisser Weise sogar als Kunst für sich: „Marketing is a new (…) concept for research units and has long been considered contrary to academic culture because it is associated with commercialism. This unfortunately is a misconception as marketing serves a greater purpose than to sell a product. It is both an art and a science that enables achievement of a unit’s strategic objectives.“ (Chronister 2006, S. 121).

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15.2 Gegenstand und Akteur der Strategie: das Institut für künstlerische Forschung (IKF) der Filmuniversität Babelsberg 15.2.1 Eine Universität neuen Typs: Die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF Die Filmuniversität Babelsberg wurde 1954 als „Deutsche Hochschule für Filmkunst“ gegründet und entwickelte sich in der Folgezeit als „Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf“ (HFF) zu einer bedeutenden Lehr- und Forschungseinrichtung, die ihren Status auch über den Systemwechsel von der DDR zur Bundesrepublik verteidigte. Im Juli 2014 erlangte die älteste deutsche Filmhochschule als erste und bisher einzige den Universitätsstatus und wurde zur „Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF“. Über den gemeinsamen Gegenstand Film verbinden sich die künstlerisch-angewandten Studiengänge Regie, Drehbuch, Montage, Cinematography, Sound, Szenografie, Schauspiel und Animation mit den wissenschaftlichen Studiengängen Medienwissenschaft, Digitale Medienkultur und Filmkulturerbe zu einem deutschlandweit einmaligen Profil. Zurzeit (2017) werden die ca. 650 Studierenden, die in den meisten künstlerischen Fächern einen hochkompetitiven Auswahlprozess durchlaufen müssen, von 44 ProfessorInnen unterrichtet, davon sechs im wissenschaftlichen, vier im wissenschaftlich-künstlerischen und 34 im künstlerischen Bereich. Seit 2000 ist die Hochschule in einem Neubau an der Marlene-Dietrich-Allee in Babelsberg untergebracht, in unmittelbarer Nähe zum Gelände der traditionsreichen Filmstudios. Zur Filmuniversität gehört neben dem IKF seit 2011 auch das Filmmuseum Potsdam als In-Institut sowie das Erich Pommer Institut als An-Institut für Weiterbildungsangebote in der Medienbranche. Zudem ist sie federführend beteiligt am Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften (ZeM), einer gemeinsamen Forschungseinrichtung der Hochschulen im Land Brandenburg mit Sitz in der Potsdamer Innenstadt. Seit 2016 besitzt die Filmuniversität neben dem Recht zur wissenschaftlichen auch das zur wissenschaftlich-künstlerischen Promotion; in der Folge ist eine deutliche Zunahme der künstlerischen und technologischen Forschung zu erwarten. Entsprechend befindet sich die Hochschule aktuell in einem Transformationsprozess, der alle Bereiche umfasst. Als Spartenuniversität stellt sie einen neuartigen Universitätstypus dar, für dessen Konzeption und Praxis kaum Vorbilder bestehen. In Deutschland hat nur die Berliner Universität der Künste seit 2001 diesen Status, agiert mit ihren ca. 3500 Studierenden und vier Fakultäten allerdings auf einer anderen Ebene. Strategieentwicklungen, die aktuell in vielen Bereichen stattfinden (Forschung, Transfer, Internationalisierung, Digitalisierung), arbeiten sich noch daran ab, den Universitätsgedanken als neuen und wegweisenden Auftrag ernst nehmen: in einer Filmuniversität muss der Forschung mit, in und über bewegte Bilder eine zentrale Bedeutung zukommen. Forschung ist, neben Lehre und Transfer, eine der drei institutionellen Aufgaben einer Universität. Dabei arbeitet die Filmuniversität mit einem erweiterten

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Filmbegriff, der alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Formen erzählender zeitbasierter Medien umfasst. Der Terminus „Film“ wird im Folgenden in diesem umfassenden Sinne verwendet. Als einzige Filmuniversität ist die Hochschule einem integralen Forschungsverständnis verpflichtet, in dem sich wissenschaftliche, künstlerische und technologische Ansätze ergänzen und durchdringen. Diese Gesamtkonstellation muss immer mitgedacht werden, denn die Dynamik der Entwicklung von Universität wie IKF erwächst aus dieser Situation des Unfertigen. Als In-Institut ist das IKF direkt abhängig von der strategischen Entwicklung der Gesamthochschule. Dabei kommt es stark darauf an, wie aktiv und durchsetzungsfähig die Hochschulleitung ist. Dies wiederum hängt ab von der institutionellen Organisation der Leitungsfunktionen. Seit der 4. Novelle des Hochschulrahmengesetzes 1998 wird nicht mehr zwischen Rektorats- und Präsidialverfassung unterschieden; dies ist durch § 65 des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG) in Landesrecht umgesetzt. Die Filmuniversität praktiziert formal ein Präsidialmodell, wobei dieser Titel erst 2000 die Bezeichnung Rektor abgelöst hat; der damals amtierende Präsident sowie die aktuelle Präsidentin rekrutierten sich aus den Reihen der aktiven Professorinnen und Professoren, obwohl auch externe KandidatInnen im Verfahren waren. Das Rektoratsmodell als „Führung auf Zeit“ (Heinrichs 2010, S. 47, 48) stärkt bei künstlerischen Hochschulen mit ihren oft individualistischen Akteuren die Akzeptanz von Leitungsentscheidungen, da „das Rektorat als Vorstandslösung auf Kollegialität und Arbeitsteilung bei der Entscheidungsfindung angelegt ist“ (Lynen 2008, S. 136). Die Filmuniversität profitiert gerade in der Umbruchsphase von einem professionellen Management mit Präsidentin und Kanzler an der Spitze, unterstützt von drei nebenamtlichen Vizepräsidenten (für Forschung und Transfer, Lehre, Internationales). Managemententscheidungen sind außerhalb der Verwaltung durch die „demokratische (…) Meinungsbildungs- und Entscheidungsstruktur“ (Heinrichs 2010, S. 107) von Hochschulen enge Grenzen gesetzt, hier geht es nicht selten primär um „Widerspruchsmanagement“ (Pellert 2006, S. 10). So ist es auf Leitungsebene und in den wissenschaftlichen Studiengängen zwar Konsens, dass Forschung eine zentrale universitäre Aufgabe ist und entsprechend auf allen Ebenen gefördert wird, historisch bedingt gibt es aber noch Teile der Hochschule, die dieses Tätigkeitsfeld für nachgeordnet halten oder sogar für schädlich im Hinblick auf die Attraktivität für Studierende. Die Entwicklungschancen des IKF hängen maßgeblich vom forschungsfreundlichen Gesamtklima an der Hochschule ab, dessen Rahmenbedingungen auf der Ebene des strategischen Managements geschaffen werden (z. B. über den nächsten Struktur- und Entwicklungsplan, vgl. Heinrichs 2010, S. 11). Mit der Universitätswerdung gewinnt die Forschung auch stärkeres Gewicht bei in Brandenburg praktizierten Leistungsbezogenen Mittelvergabe (LbMV). Deshalb ist davon auszugehen, dass im Sinne der nachhaltigen Sicherung und Steigerung der Forschungskapazitäten der Hochschule das zur Verfügung stehende Steuerungsinstrumentarium gezielt eingesetzt wird. Die Forschungsrahmenbedingungen sind unlängst durch das Qualitätsmanagement der Hochschule evaluiert worden. Bei der Befragung der Forschenden wurde deutlich, dass insgesamt

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der Informationsfluss im Forschungsbereich ausbaufähig ist. Dem IKF wurde von denjenigen, die mit ihm zusammenarbeiten, sehr gute Noten ausgestellt. Ein Gutteil der Probleme, die thematisiert wurden, haben mit der Umstellung zur forschenden Hochschule zu tun: viele Prozesse sind noch nicht harmonisiert und es fehlt – zumindest in den künstlerischen Fächern – oft eine grundlegende Forschungssozialisation.

15.2.2 Eine (fast) neue Methode: Die künstlerische Forschung Begriffsklärung und historischer Abriss Im Kontext dieser Arbeit kann und soll keine gültige oder gar abschließende Definition künstlerischer Forschung gefunden werden. Der Begriff kann deskriptiv oder normativ verstanden werden, sprich: ist künstlerische Forschung bzw. Forschung mit Mitteln der Kunst eine begriffliche Selbstzuweisung? Oder lässt sich ein fester Kriterienkatalog erstellen, nach dem die forschende von der nicht forschenden Kunst unterschieden werden kann? Grob gefasst liegt das Feld zwischen dem Einbringen (vornehmlich natur-) wissenschaftlicher, aber auch ethno- und historiografischer Methoden in die Kunst einerseits und dem Reklamieren des Forschungsbegriffs durch die Kunst andererseits. Letztere Position prägt das Forschungsverständnis des IKF: es geht um alternative Formen der Wissensproduktion, um Kunst als epistemische Praxis. Diese ist so divers in ihren Formen der Wissensproduktion, dass einer ihrer wichtigsten Vordenker, der Medientheoretiker Dieter Mersch, plural von „Epistemologien des Ästhetischen“ spricht (Mersch 2015, S. 7). Diese können sich in den verschiedensten künstlerischen Gattungen und Forschungsmethoden realisieren: als Experiment, Recherche, Analyse, Vermessung, Intervention, Reflexion und vieles mehr. Forschende Kunst unterscheidet von anderen Kunstpraktiken, dass sich darin das Denken markiert, indem es sich zeigt: „Kunst stellt dar, stellt aus, führt vor, präsentiert, doch bildet der entscheidende epistemische Modus dieser verschiedenen Praktiken des Darstellens, Ausstellens, Vorführens oder der Präsentation überall das Zeigen.“ (op. cit., S. 15). Künstlerische Forschung bezieht sich nicht notwendig auf Wissenschaft, ist über den Forschungsbegriff aber mit ihr verbunden.4 Dabei versteht sie das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft nicht additiv, sondern hybrid und oszillierend. Bei diesem transdisziplinären5 Ansatz stellt sich die – für den akademischen Status der künstlerischen Forschung zentrale – Frage, nach welchen Kriterien sie zu bewerten ist. Kunst und

4Sofern

sich die künstlerische Forschung als das absolut Andere versteht, wird es schwierig, das Beharren auf dem Forschungsbegriff zu begründen, der dann nur als leere Hülle reklamiert würde. Dann wäre es besser, für eine völlig differente Praxis auch einen differenten Begriff zu finden. 5Im Gegensatz zum interdisziplinären Ansatz geht es bei Transdisziplinarität nicht allein um eine Kooperation der Disziplinen zu einem gemeinsamen Thema, sondern um die Reflexion und Kritik der jeweiligen Erkenntnisparameter; vgl. Feichtinger et al. (2004).

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Wissenschaft rufen radikal verschiedene kommunikative Erwartungshaltungen bzw. Dispositive auf, die jeweils mit einem spezifischen Ethos auf der Seite der ProduzentInnen gekoppelt sind. Wenn keine Klarheit besteht, auf welcher Ebene gesprochen wird, kann dies den gesamten Ansatz der künstlerischen Forschung diskreditieren: „Die Kunst missrät zur Ausrede, keine wissenschaftlich akzeptablen Ergebnisse zu erarbeiten; die Wissenschaft zur Ausrede, schlampig produzierte Kunst für präsentabel zu halten.“ (Eikels 2014). Als Begriff begegnet man der künstlerischen Forschung oder Forschung mit Mitteln der Kunst, im Englischen artistic research oder practice based research genannt, international seit einiger Zeit vermehrt. Im deutschsprachigen Raum wird die Diskussion von Beiträgen aus Österreich und der Schweiz dominiert (Bippus 2009; Badura 2015), aber auch in Deutschland wird der Begriff verstärkt aufgegriffen und diskutiert (Caduff 2014); mit Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat sich auch ein Vertreter der hochkulturellen Mainstreams dieses Themas angenommen (Parzinger et al. 2014). Diskursgeschichtlich geht der Begriff zurück auf Praktiken der programmatischen „Veruneindeutigung“ der Trennschärfe von Kunst und Wissenschaft in den künstlerischen Bewegungen der 1930er Jahre. In der „zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts [waren diese] eng mit feministischen und anderen anti-diskriminatorischen Formen der akademischen Wissensproduktion, der Wissenschaftskritik und des Aktivismus verknüpften Projekten der Anthropologie, der Kultur- Sozial- und Verhaltenswissenschaften einerseits und dem zunehmenden Gebrauch des methodischen Instrumentariums dieser Disziplinen in gesellschaftlich engagierten künstlerischen Projekten andererseits verbunden.“ (Mörsch 2015, S. 77). Zentral ist bei künstlerischer Forschung das performative Moment, das Ereignis: „Nicht der Künstler reflektiert, sowenig wie der/die Rezipient/in, vielmehr geschieht Reflexion als Ereignis inmitten der Konstellationen und ihrer Kompositionen, um durch sie und aus ihnen etwas hervorzulocken, das anders nicht zur Geltung gebracht werden kann. Buchstäblich entstammen solche Ereignisse einem ‚Sprung’“. (Mersch 2015, S. 16, 17) In dieser Charakterisierung zeichnen sich schon die Hauptprobleme ab, die eine Parallelführung mit dem wissenschaftlichen Forschungsbegriff mit sich bringt: das Forschungsdesign ist experimentell, die Ergebnisse sind aber nicht messbar und oft auch nicht ohne weiteres sprachlich dokumentierbar. Deshalb gibt es von verschiedenen Seiten Bestrebungen, künstlerische Forschung als eigenständige Aufgabe auch wissenschaftspolitisch zu etablieren. Prominent unternommen wurde dies in Deutschland von einer DFG-geförderten Tagung 2012 in Berlin, die von der in diesem Bereich sehr aktiven Schering-Stiftung zusammen mit der FU Berlin und dem Haus der Kulturen der Welt veranstaltet wurde. Die programmatischen Ausführungen gipfeln dort in dem Satz: „Künstlerische Forschung ist praxisbezogene Grundlagenforschung.“ (Schering 2012). Um das Bild abzurunden, muss auch die Gegenposition gesehen werden, die künstlerische Forschung für eine konzeptionelle wie sprachlich Sackgasse hält. In einem

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Kommentar zu künstlerischen Promotionen vermutet der Jurist Peter M. Lynen, Leiter des Zentrums für internationales Kunstmanagement der Hochschule für Musik und Tanz Köln, hinter der Aneignung des per definitionem wissenschaftlich ausgerichteten Forschungsbegriffs eine strategische Anpassung an Drittmittelstrukturen – allerdings eine seiner Ansicht nach komplett fehlgeleitete: Es ist nicht richtig, durch Etikettenschwindel und Aufweichungen des Forschungsbegriffs durch die Hintertür zu versuchen, an Förderungsprogrammen der Wissenschaft partizipieren zu wollen. Mit solchen Zugriffsversuchen auf die begrenzten Ressourcen erweckt man begründeten Argwohn und gibt sich teilweise der Lächerlichkeit preis. Stattdessen sollte man selbstbewusst auf die bereits verankerte Gleichwertigkeit von Kunst und Wissenschaft und diejenige der Kunsthochschulen mit den Universitäten sowie auf die eigenen Leistungen in Kunstausübung und künstlerischen Entwicklungsvorhaben pochen und fordern, dass sich künftig Exzellenzprogramme und Nachwuchsförderungen verstärkt auch auf die Künste, die Kunsthochschulen und deren Mitglieder zu beziehen haben. (Lynen 2011).

Künstlerische Forschung im Film Künstlerische Forschung im Film ist innerhalb der deutlich identifizierbaren Konjunktur des Forschungsansatzes noch immer ein randständiges Phänomen, was einerseits an der traditionell niedrigen Position des Films in der Hierarchie der Künste liegen mag. Lange wurde er seine Jahrmarktsherkunft nicht los. Die etablierten ästhetischen Großmächte fremdelten mit dem, was den Film andererseits als Kunstform gerade bedeutsam macht: seine technologische Basis, seine kollaborative Arbeitsweise, seine hybriden Repräsentationsmodi und nicht zuletzt seine Publikumsakzeptanz und oft auch Kommerzialität. Das 20. Jahrhundert musste fast zu Ende gehen, bis der Film als dessen prägende Kulturtechnik anerkannt und ihm der Status eingeräumt wurde als „ein Leitmedium, das auch unter digitalen Netzwerkbedingungen in seiner Breitenwirkung als exemplarisch für die kulturprägende Wirkung der technischen Medien gelten kann.“ (Hagener und Hediger 2015) Doch selbst ein 2015 erschienenes Handbuch zum Thema künstlerische Forschung listet als Forschungsfelder Bildende Kunst, Design, Musik und Darstellende Künste auf, versteht unter letzteren aber nur Theater und Tanz. Nur sehr weit hinten, bei den Orten der Forschung, taucht das Kino auf (Badura et al. 2015). Als technisches Medium hatte der Film umgekehrt schon vor jedem künstlerischen Einsatz ein wissenschaftliches Vorleben: wie Muybridges serielle Fotografie um 1870 aus einem Interesse an Bewegungsprozessen entstand, so entwickelten die Lumière-Brüder gut 20 Jahre später die Filmtechnik mit dem Ziel des Einsatzes in der Wissenschaft. Das genaue, forschende Sehen gehört neben dem Erzählen zur DNA des Filmischen. Doch mit dem Bewegtbildmedium haben sich auch die Forschungsmöglichkeiten enorm verändert in den letzten 140 Jahren – technologisch, ästhetisch und mit der Digitalisierung auch ontologisch.

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Künstlerische Forschung als „Forschung mit den Mitteln der Kunst“ bildet einen der fünf Profilbereiche der Forschung, wie sie im aktuell gültigen Struktur- und Entwicklungsplan der Filmuniversität ausgewiesen sind.6 „Die künstlerische Forschung … zielt darauf ab“, heißt es weiter, „die Trennung von Theorie und Praxis aufzuheben und Bewegungen zwischen beidem herbeizuführen. Sie ist ein Mittel, die filmkünstlerische Praxis durch die Theorie zu überprüfen und umgekehrt. So werden nicht nur filmische Mittel reflektiert, sondern Film als Medium und Gegenstand des Denkens und Reflektierens ernst genommen.“ (Filmuniversität 2014, S. 18).

Künstlerische Forschung an Filmhochschulen Im April 2011 organisierte die renommierte Filmhochschule La Fémis in Paris im Rahmen des European Film School Networks (EFSN) einen zweitägigen Workshop unter dem Titel „What is research in a Film School?“. Über 40 Vertreter von fast 30 Einrichtungen, darunter drei deutsche, kamen zusammen, um sich über ihre Forschungsaktivitäten auszutauschen und deren Rolle an primär mit der praktischen Ausbildung des filmischen Nachwuchses befassten Filmhochschulen zu diskutieren. Ein Anlass waren die Veränderungen infolge des zu diesem Zeitpunkt seit gut einer Dekade umgesetzten Bologna-Prozesses, der auch Filmausbildungsstätten zur Implementierung mehrstufiger Ausbildungsgänge gedrängt hatte.7 Wie sich bei der Lektüre des Tagungsprotokolls sehr schnell zeigt, wurde die Forschung von den meisten Filmschulen zunächst als externes Desiderat begriffen, als erzwungene Erweiterung des Bachelor-Master-Systems. Als 2003 die Idee eines künstlerischen PhD aufkam und einige Institutionen zügig mit der Einführung begannen, formierte sich zugleich massiver Widerstand. Zum Zeitpunkt der Tagung hatten von den beteiligten Institutionen etwa ein Viertel den künstlerischen PhD eingeführt, größtenteils in einigen osteuropäischen Staaten, Skandinavien und Großbritannien; in letzterem Falle entscheiden die Hochschulen autonom über die Standards, was die Einführung erleichtert, aber auch zu einem munteren Wildwuchs führt (EFSN 2011, S. 3–6). Insgesamt zeigt sich eine klare Trennung zwischen den nordeuropäischen Ländern, in denen künstlerische Forschung und die entsprechenden akademischen Strukturen gut etabliert

6Die

übrigen vier sind „Erforschung der künstlerischen Inhalte im Film“, „Filmgeschichte- archivierung, -kuratierung, -verbreitung, -vermittlung“, „Technologischen Entwicklung und ihre ästhetische und inhaltliche Umsetzung im Film“, „Filmrezeption und -aneignung“ (Filmuniversität 2014, S. 16–19). 7Nicht alle Hochschulen haben diesem Drängen nachgegeben – gerade in Deutschland nicht: der interessante Befund ist, dass dffb, Filmakademie Ludwigsburg und HFF München weiterhin Diplome vergeben, die inzwischen, da der Abschluss im Auslaufen ist, als „Diplome der …“ geführt werden. Die Filmuniversität war durch ihren Universitätsstatus gezwungen, das trizyklische Modell zu implementieren, und ist somit die einzige große Filmhochschule in Deutschland, die diese EU-konformen Abschlüsse anbietet.

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sind, und den übrigen europäischen Ländern, in denen Skepsis oder zumindest Zurückhaltung überwiegen. Die Diskussion konzentrierte sich stark auf die Form der Dissertationen und ihre Rolle für einen akademischen Karriereweg; in beiden Fällen wurde von vielen eine „Zwangsverwissenschaftlichung“ befürchtet. Eine weitere Besorgnis geht dahin, dass in Anpassung an Forschungsförderungsstrukturen, die oft wenig an die Belange künstlerischer Forschung angepasst sind, aus rein drittmittelstrategischen Gründen einer Verzerrung hin zu wissenschaftstypischen Formaten und Indikatoren Vorschub geleistet werden könnte. Einer der Workshop-Papiere stammte von der damaligen Direktorin des IKF. Aus ihrem Beitrag wird deutlich, dass es zwar noch keine eigenständige künstlerische bzw. künstlerisch-wissenschaftliche Promotion an der Filmuniversität gibt, aber faktisch schon einige Projekte auf dem Weg sind, die über eine großzügige Auslegung der wissenschaftlichen Promotionsordnung abgewickelt werden. Vier Jahre später findet ebenfalls in Paris eine Nachfolgekonferenz zum selben Thema statt, die nach den zwischenzeitlichen Entwicklungen im Lichte veränderter EU-Förderrichtlinien im Bildungs- und Kulturbereich fragt: Gab es Veränderungen darin, wie Forschung verstanden, erfahren, ausgerichtet und umgesetzt wird? Steht eine neue Entwicklungsstufe bevor? Ergeben sich neue Hindernisse oder Herausforderungen? (EFSN 2015, S. 3). Bei der Durchsicht der Tagungsprotokolle sticht ins Auge, dass die Panels weitaus internationaler besetzt waren, auch internationale Schwergewichte wie die Tisch School of the Arts der NYU ihre Ansätze vorstellten und es insgesamt weniger um das „ob“, sondern vielmehr um das „wie“ der Forschung an Filmhochschulen ging. Aus Deutschland war die Filmuniversität durch den Vizepräsidenten für Forschung und Transfer als einzige der big four vertreten, die dffb Berlin, HFF München und die Filmakademie BW schienen zumindest aufs Erste mit dem Thema abgeschlossen zu haben. Diese Diskussionen, die am konkreten Gegenstand des künstlerischen PhD die Erwartungen und Vorbehalte in Hinblick auf eine Anpassung der Ausbildung an Filmhochschulen an den Bologna-Prozess durchexerzieren, machen die besondere Gemengelage deutlich, in der sich das Themenfeld „Film als Forschung“ bewegt: es handelt sich hierbei um ein triangulares Spannungsfeld, da zu den prinzipiellen Abstoßungsbewegungen von Kunst und Wissenschaft noch die Anforderungen einer in Deutschland weitgehend in KMUs organisierten Branche hinzukommen. Denn Filmschulen sind traditionellerweise in erster Linie Ausbildungsbetriebe für den filmkünstlerischen und -technischen Nachwuchs (professional training). Versucht man, vor dem Hintergrund der bisher skizzierten „Diskurstopografie“ der künstlerischen Forschung (Badura 2015, S. 10) deren Spezifika in Hinblick auf das IKF herauszuarbeiten, so erweist sich eben diese Besonderheit als zentral: Film ist nicht allein eine audiovisuelle Kunstform, sondern auch eine Industrie. Seine (mehr oder weniger) kapitalintensive und arbeitsteilige Produktionsweise ist auf handwerkliche Expertise angewiesen; diese zu sichern ist eines der Ausbildungsziele der Filmuniversität mit ihrer deutschlandweit einzigartigen

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Gewerketradition8. Die zunächst eher akademische Frage, ob jede Kunst forschend ist, müsste für die an der Filmuniversität vertretenen künstlerischen Gewerke also differenziert betrachtet und für einige Fächer – zumindest gegenwärtig – teilweise oder komplett verneint werden (wie an allen Kunsthochschulen, an denen auch Fächer mit starkem Anwendungsbezug vertreten sind). Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings, eine – zumindest gefühlte – Zweitklassigkeit in die Hochschule einzuführen, die historisch schon einmal bestanden hat, sich noch heute in der Fakultätsaufteilung widerspiegelt und sofort alte Frontverläufe aufrufen würde. So wird der theoretische Grundantagonismus zwischen Wissenschaft und Kunst mit dem Handwerk zum Dreieck erweitert – und das anstehende Change Management umso komplexer.

15.2.3 Eine Einrichtung, viele Missionen: Das IKF Grob lassen sich an der Filmuniversität wissenschaftliche, technologische und künstlerische Forschung unterscheiden, wobei erstere aktuell gemäß der gängigen Indikatoren noch den Hauptteil der Forschung an der Filmuniversität ausmacht, obwohl sie von vergleichsweise wenigen Akteuren getragen wird. Die künstlerische Forschung zu bündeln und zu fördern ist Aufgabe des IKF. Zumindest sollte man dies annehmen: Ende 2017 wird auf der Homepage der Filmuniversität die Aufgabe des IKF beschrieben als „Schnittstelle und Koordinator der künstlerischen, künstlerisch-wissenschaftlichen und künstlerisch-technologischen Forschung und deren Qualitätssicherung“. Bei genauerer Betrachtung sind die Verhältnisse weit weniger klar. Das IKF als solches wurde nicht aus strategischen oder konzeptuellen Überlegungen heraus gegründet, sondern ist aus zunächst völlig anders ausgerichteten Vorläufern entstanden. Seine Gründung war Ergebnis einer und stark von Engagement und Vorstellungen Einzelner geprägten Entwicklung, die sich an wechselnden Bedarfen orientierte. Der in der Gründungsphase „übersprungene“ Prozess der Identitätsbildung schlägt sich bis heute in einer unklaren und heterogenen Erwartungshaltung der verschiedenen Akteure nieder. Die Aufgabenbeschreibung des IKF ist in seiner Geschäftsordnung niedergelegt. Nicht genau formuliert ist darin allerdings eine Zielsetzung: das IKF soll Forschungsförderung, Kommunikation, Eventorganisation, Drittmittelakquise und Networking betreiben – aber: um was genau zu erreichen? Aus der Perspektive der Strategiebildung liegt darin eine signifikante Schwäche, denn da die übergeordnete Funktion nicht klar

8Mit

Gewerke werden die technischen und künstlerischen Fachgebiete (Regie, Drehbuch, Montage, Kamera etc.) bezeichnet, die in der Filmproduktion zusammenwirken. Während viele andere, später gegründete Filmhochschulen aus der Autorentradition kommen und einen Schwerpunkt auf die Einheit von Drehbuch und Regie legen, steht die Filmuniversität aufgrund ihrer historischen wie räumlichen Nähe zu den DEFA- und (früheren Ufa-)Ateliers am Standort Babelsberg in der Tradition der arbeitsteiligen Produktion großer Studios.

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definiert wurde, existieren sehr unterschiedliche und faktisch unvereinbare Erwartungen bei den einzelnen Stakeholdern. Ein wichtiger Hinweis versteckt sich zudem am Ende der Profilbeschreibung im Struktur- und Entwicklungsplan: „Die Filmuniversität Babelsberg wird eine führende Position in der Künstlerischen Forschung im Film einnehmen und die nationale und internationale Debatte befruchten und prägen.“ Nimmt man diese Zukunftsvision ernst, so ist die Ausgestaltung des Status quo keine Option: das IKF muss auf Wachstum und externe Profilschärfung ausgerichtet sein, denn nur so kann die Filmuniversität und damit das Institut selbst in eine „führende Position“ aufsteigen und „prägend werden“. Wie realistisch diese Zielsetzung ist, muss in der Analyse geklärt werden. Personell gesehen besteht das IKF aus einem nebenamtlichen Institutsrat und einer hauptberuflichen Geschäftsführerin mit dem Status einer akademischen Mitarbeiterin. Die Institutsräume befinden sich in direkter räumliche Nähe zu anderen Serviceeinheiten der Hochschule (Referate für Forschung, Transfer und Internationales, Gründungsservice). Der Hochschulleitung gegenüber besteht eine Berichtspflicht des IKF dahin gehend, dass zum Jahresanfang jeweils ein Geschäftsbericht vorgelegt und eine Jahresplanung präsentiert werden muss. Auch wenn es als Institut primär Querschnittsaufgaben erfüllt, versteht sich das IKF nicht als Serviceeinheit der Gesamthochschule, sondern als akademische Einrichtung, die sich in ihrem Wirken auf die Fakultäten bezieht. Projektunterstützung, Netzwerkpflege und Veranstaltungsorganisation sind aktuell die zentralen Handlungsfelder des IKF; dabei erreichen die Präsentationsformate zurzeit in erster Linie die Hochschulöffentlichkeit, d. h. der Wirkungsradius ist eher beschränkt und nur sehr punktuell. Dies ist zum Teil dem etwas abgelegenen Standort der Filmuniversität anzulasten. Es müssten also besondere Anstrengungen im Bereich Kommunikation unternommen werden, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Die Drittmittelbilanz des IKF ist ernüchternd: Auf Anfrage bestätigte die Geschäftsführung, dass auf diesem Gebiet bisher noch keine größeren Erfolge zu verzeichnen sind. Um diese Zahlen richtig einzuordnen, muss man sich allerdings vergegenwärtigen, dass der Universitätsstatus und damit der dezidierte Forschungsauftrag jenseits der wissenschaftlichen Fächer erst seit 2014 besteht. Zudem liegt eines der größten Förderhemmnisse für künstlerische Forschung im weitgehende Fehlen von Parametern und Indikatoren bei den großen Drittmittelgebern, die sich bisher ausschließlich an wissenschaftlicher Forschung orientieren (vgl. Bippus 2009, S. 9). Zusammen mit den divergierenden Stakeholderinteressen entsteht so eine undankbare Position des Gesamtinstituts zwischen der – zumindest was die Drittmittelbilanz angeht – leistungsfähigeren wissenschaftlichen Forschung und der künstlerisch-filmhandwerklich-technologischen Praxis. Auf der Ebene der Geschäftsführung erfährt dies nochmals eine Steigerung: einerseits wird von der Hochschulleitung eine Verstärkung der Drittmittelakquise erwartet; andererseits beanspruchen die künstlerisch Arbeitenden direkte Unterstützung bei Projekten. Eine Prüfung, inwieweit diese wirklich Forschungscharakter haben, bzw. ob sie in Bezug auf eine Gesamtstrategie prioritär sind, würde zu Widerstand innerhalb des IKF führen und die Akzeptanz durch die künstlerischen Gewerke verringern. Deshalb ist es aus Binnensicht in gewisser Weise klug, dass bisher

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auf eine Strategie verzichtet wurde, denn dieser Zielkonflikt lässt sich nicht friktionsfrei auflösen. An dieser Stelle muss auch die Frage nach Funktion und Ausgestaltung des „Dritten Zyklus“ diskutiert werden, weil das Institut sich damit sowohl im Bereich Service positioniert als auch auf institutionell-systematische Weise seinen Einzugsbereich vergrößert. Seit 2016 hat die Filmuniversität das Recht zur künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion, deren Profil noch in Bewegung ist. Einerseits gibt es im Haus Diskussionen darüber, ob die Einführung der künstlerischen Promotion (practice based PhD) nicht der notwendig nächste Schritt sei; andererseits bestehen von verschiedenen Seiten Vorbehalte gegen diese wissenschaftsanaloge Organisation künstlerischer Studiengänge. Für die zur Stärkung des IKF dringend nötige Steigerung der Forschungstätigkeit ist die Umstellung auf ein formal qualifizierendes Modell unverzichtbar; aber auch hier sind zumindest für eine Übergangszeit interne Konflikte zu erwarten – nicht zuletzt deshalb, weil ein Großteil der Lehrenden, entsprechend der an künstlerischen Hochschulen gängigen Praxis, (noch) nicht über entsprechende Formalqualifikationen verfügt.

15.3 „Viel Feind, viel Ehr“: Aktuelle Situation, Rahmenbedingungen, Positionierung 15.3.1 Wo liegt die Zukunft? „Andere europäische Länder sind viel weiter.“ „Der Zug ist fast abgefahren.“ „There is faim and glory to gain.“ – All diese Einschätzungen aus der im Zuge dieser Studie erfolgten Befragung verschiedener Stakeholder9 lassen sich zusammenfassen zu der Aussage: es gibt gerade ein einzigartiges Zeitfenster, das genutzt werden sollte. Der Prozess des Ausbaus der künstlerischen Forschung als Innovationsmotor über die Kunst- und Kulturszene hinaus muss verdeutlicht, begriffen und in Handlungen umgesetzt werden, damit nicht in zehn Jahren über vertane Chancen diskutiert wird. Wobei diese zehn Jahre auch in etwa den Zeitrahmen vorgeben, in dem gedacht und geplant werden muss: frühestens dann beginnen die institutionellen und strukturellen Veränderungen, die heute angegangen werden müssen, in größerem Umfang zu wirken. Es geht um nichts weniger als um einen Kulturwandel in der Forschung und in der Forschungsförderung hin zu einer echten Interdisziplinarität. Eine zentrale Entscheidung betrifft dann doch eine zuvor dezidiert vermiedene Definition künstlerischer Forschung: soll sie als das ganz „Andere“ der wissenschaftlichen

9Es

wurden vermittels eines Fragebogens Positionen von IKF, Hochschulleitung, akademischem Mittelbau und externen Experten zur künstlerischen Forschung eingeholt. Eine ausführliche Auswertung würde den Rahmen dieses Textes sprengen; wo es angezeigt ist, wird zitathaft auf die dort niedergelegten Positionen verwiesen. Alle nicht belegten Zitate stammen aus dieser Befragung.

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Forschung gestärkt werden – oder sollen vielmehr die Analogien, Komplementärbeziehungen, Synergien und Reibungsenergien in den Vordergrund gerückt werden? In Hinblick auf eine drittmittelgestützte, auf Wachstum ausgerichteten Strategie erscheint Ersteres wenig ratsam, da dann aktuell ausschließlich kulturelle, nicht forschungsbezogene Fördermöglichkeiten offenstehen. Auch mittelfristig wäre kaum eine Änderung zu erwarten ist, da der zwingende Zugriff auf einen nicht geschichtslos denkbaren Forschungsbegriff nur schwierig argumentativ zu begründen ist. Zudem wird damit die eigene begriffsgeschichtliche Herkunft negiert, wie Carmen Mörsch zu Recht betont: Es irritiert … die Behauptung des Neuen und das Beharren auf einem Alleinanspruch. Dabei muss … eine von ihrer widerständigen, wissenschaftskritischen und künstlerisch informierten Geschichte bereinigte ‚wissenschaftlichen Forschung‘ erst konstruiert werden, um sich im nächsten Schritt als ganz andere behaupten und als solche legitimieren zu können. Der Anspruch kritischer, selbstreflexiver und engagierter Forschungs- und Kunstpraxis, welcher die gegenseitigen Zugriffe historisch überhaupt erst motivierte, wird durch das momentane Beharren auf einer vermeintlichen unique selling proposition ‚künstlerisch‘ im Gegensatz zu ‚wissenschaftlich‘ neutralisiert, seine Geschichte gelöscht. Es geht in der Folge nicht mehr um Selbstkritik, sondern um Selbstbehauptung (Mörsch 2015, S. 78). Betrachtet man die in den Fragebögen vom IKF gelieferte Selbstbestimmung künstlerischer Forschung, so wird einerseits die Absetzung von der Wissenschaft betont. Der Stellenwert des Begriffs wird aber auch darin gesehen, dass durch ihn die Künste „ernstgenommen“ und nicht als „nebensächlicher Luxus“ betrachtet werden. Ganz im Einklang mit dem aktuellen wissenschaftspolitischen Wording lässt sich so „die Idee … kommunizieren, dass die Künste innovatives Potenzial besitzen und deshalb nicht nur relevant, sondern überlebenswichtig für unsere Gesellschaft sind.“

15.3.2 Die strategische Positionierung Wie muss sich das IKF nun also positionieren, um sich in dieser Situation möglichst erfolgreich weiterentwickeln zu können? Um möglichst viele Risiken auszuschließen und Chancen zu nutzen? Um ein möglichst erfolgreiches Stakeholdermanagement zu betreiben? Klassischerweise lässt sich diese dynamische Standortbestimmung – hier bin ich, und dort will ich hin – durch Mission und Vision beschreiben. Die Mission beschreibt dabei „eine Festlegung und Verfolgung von Schlüsselzielen, die als Leitziele in einem Leitbild zusammengefasst werden können. Sie konkretisieren den eigentlichen Organisationszweck, d. h. die aktuelle und zukünftige inhaltliche Fokussierung, die Zielgruppen, das kulturelle und gesellschaftliche Selbstverständnis, die Wettbewerbssituation sowie das spezifische Hochschul-, Fakultäts- oder Lehrstuhlprofil.“ (Voss 2006, S. 29) Mission und Vision sollten auf diejenigen der Hochschule abgestimmt sein. Wie an anderer Stelle erläutert, liegt dieser Studie die Annahme zugrunde, dass beide sich wiederum am Universitätsstatus als Alleinstellungsmerkmal der Hochschule orientieren und somit

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der Forschung eine zentrale Rolle zuweisen. Entsprechend könnte die Mission des IKF lauten: Das IKF ist der zentrale Ort an der Filmuniversität, an dem Forschung mit den Mitteln des Films in Theorie und Praxis konsequent unterstützt und vorangetrieben, der transdisziplinäre Austausch befördert und damit das Profil der Hochschule nachhaltig geschärft wird. Die Vision ist demgegenüber stärker zukunftsbezogen und formuliert ein klares Entwicklungsziel. Auf Grundlage des bisher Diskutierten darf die Vision sich nicht in einem „Weiter so“ erschöpfen, sondern muss das Bekenntnis zu Wachstum und Sichtbarkeit beinhalten: Das IKF wird zum zentralen Akteur, zum Netzwerkknotenpunkt und zur „ersten Adresse“, d. h. zur klar erkennbaren Marke für künstlerische Forschung im Film in Deutschland und darüber hinaus. Unter Einbeziehung des Wettbewerbsumfelds lässt sich so eine Positionierung erstellen. Dabei müssen die bisher genannten bzw. an verschiedenen Stellen implizit analysierten Mitbewerber in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden, in dessen Ausrichtung sich die Dynamik von Mission und Vision abbilden lässt. Für das IKF bieten sich die beiden Achsen „thematische Ausrichtung“ (Bildende Kunst – Bewegtbild) und „Zielgruppe bzw. Peer Group“ (Kunst-/Filmszene – akademische Öffentlichkeit) an. Betrachtet man auf dieser Grundlage das Wettbewerbsumfeld der anderen Filmhochschulen und künstlerisch orientierten Universitäten, so wird deutlich, wo der „leere Raum“ liegt, den das IKF primär besetzen sollte, d. h. welche Entwicklungsrichtung strategisch vielversprechend ist: die Konzentration auf akademisch ausgerichtete und vermittelte künstlerische Forschung im Film nämlich. In den Fragebögen läuft diese Festlegung mit, wird aber nicht explizit formuliert – vielleicht, weil der Filmbezug implizit immer vorausgesetzt wird.

15.4 Das Eine tun und das andere manchmal doch lassen: Strategische Komponenten 15.4.1 Ein gut bestückter Werkzeugkasten Die im Folgenden vorgeschlagenen Maßnahmen verstehen sich als Arsenal, von dem einiges sofort genutzt werden kann, während anderes eines größeren planerischen und institutionellen Vorlaufs bedarf. An einer an einer künstlerischen Hochschule ist ein solches Arsenals im Sinne eines gut ausgestatteten Werkzeugkastens von besonderer Bedeutung, da strategisches wie taktisches Handeln hier in Anpassung an institutionelle und infrastrukturelle Entwicklungen besonders agil funktionieren muss. Spätestens bei der Suche nach dem geeigneten Marketing-Mix stellt sich ganz konkret das Problem, dass verschiedene Sphären passend gemacht werden müssen. „Die Mix-Faktoren sind für die Wissenschaft nicht optimal kalibriert“ stellt Schmidbauer fest (Schmidbauer

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and Klaus 2016, S. 34). Für die künstlerische Forschung ergibt sich eine nochmalige Verkomplizierung der Lage durch entsprechende Vorbehalte und Empfindlichkeiten der Akteure sowie institutionelle Widerstände (Landeshochschulgesetze, Förderstrukturen etc.). Deshalb ist es zweckmäßiger, sich auf die „drei zu integrierende Bausteine“ zu konzentrieren, die Pohl als wesentlich für strategisches Marketing an Hochschulen identifiziert (Pohl 2015, S. 14): • Qualitätsorientierung: gerade in der Forschung sind Exzellenz und Originalität Bedingungen für eine erfolgreiche Marktpositionierung. Diese zu generieren liegt außerhalb des Handlungsfeldes von Marketing. Was Marketing tun kann und sollte, ist diese Exzellenz sichtbar zu machen, einzelne Akteure und Projekte in allen Forschungsphasen kommunikativ zu unterstützen und dadurch, dass jenseits aller personalisierten Kontakte die Anbindung an die Institution klar herausgestellt wird, für Wiedererkennbarkeit zu sorgen. Damit wird der zweite Baustein gesetzt, nämlich die • konsequente Markenbildung. Marken helfen dabei, Informationen und Eindrücke zu kanalisieren und sind somit wertvolle Hilfsmittel unter den Wettbewerbsbedingungen in einer aufmerksamkeitsökonomischen Kampfzone, zu der inzwischen Kulturinstitutionen (Baumgarth et al. 2014) und vermehrt auch wissenschaftliche Einrichtungen (Gerhard 2006) gehören. Durch gezieltes und konsequentes Branding wird der Aktionsradius erhöht und somit wiederum Aufbau und Pflege leistungsfähiger • Beziehungen gefördert. Diese führen im positiven Falle zu Forschungssynergien, der Bildung von attraktiven und gut vernetzten Verbünden und damit zur erfolgreicheren Drittmittelakquise mit einem günstigen Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Diese Bausteine können in ihrer Allgemeinheit zur Orientierung bei der konkreten Abstimmung der im Folgenden vorgeschlagenen Maßnahmen genutzt werden. Die Maßnahmen verstehen sich aber weitestgehend additiv – als Werkzeugkoffer eben. Darin gibt es Präzisionsinstrumente und simple Hilfsmittel, robuste Stemmeisen und winzige Schraubenzieher. Manche Teile passen besonders gut zusammen oder bedingen einander, aber die meisten Elemente können auch separat eingesetzt werden.

15.4.2 Das „Produkt“ optimieren Hier ist zu diskutieren, welche Parameter das IKF und die Filmuniversität als Akteure selbst verändern können, um sich den formulierten Zielen anzunähern.

Revision der internen Strukturen Alle künstlerische Forschung der Filmuniversität zumindest kommunikativ beim IKF zusammengeführt werden. Damit wird wieder das Herding-Cats-Dilemma berührt, es gilt, die dort vorgeschlagene Lösung umzusetzen: Überzeugung durch Komfort. Wenn es irgendwann noch zum letzten, in den Tiefen des Ateliers vergrabenen künstlerisch

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Forschenden durchgedrungen ist, dass es die Arbeit sehr erleichtern kann, mit dem IKF zusammenzuarbeiten, und dass die Ergebnisse dann in hellerem Lichte strahlen, sollte dies Akzeptanz und Gestaltungsspielraum des Instituts bedeutend erweitern. Eine Konzentration auf primär infrastrukturelle Aufgaben (Organisation, Kommunikation, Drittmittel) und ein Abgleich der Zwischenziele mit dem strategischen Masterplan sollte sicherstellen, dass die Unterstützung für künstlerische Forschung nachhaltige Ergebnisse im Sinne der Gesamtstrategie generiert. Um die Geschäftsführung von konkreter Projektarbeit zu entlasten, in die sie gegenwärtig noch involviert ist, sollte der Fokus stärker auf Hilfe zur Selbsthilfe liegen. Dies kann z. B. geschehen durch das Erarbeiten und Dokumentieren von Workflows zu stets wiederkehrenden Themen wie Antragsentwicklung, Projektmanagement und PR. So wird inhaltliche Arbeit in Projekte delegiert, wo sie oft besser und effizienter erledigt werden kann. Zugleich wird der Punkt markiert, an dem das IKF übernimmt und aufgrund der Vorarbeiten dann die Arbeitsschritte tatsächlich zum Abschluss bringt. Ein begleitendes Monitoring dieser Prozesse wäre weiterhin nötig. Neben der Analyse der internen Bedarfe muss auch Transparenz hinsichtlich des Leistungsportfolios geschaffen werden, denn klare Grenzen, auch wenn ihre Setzung mühsam ist, führen zu besser nutzbaren und oft sogar größeren Handlungsspielräumen. Ein solches Vorgehen entspricht, wie bereits diskutiert, der Führungskultur im akademischen Sektor einer Hochschule. Die Notwendigkeit eines Ausbaus des IKF lässt sich mit einer verbindlichen Strategie hochschulintern wie gegenüber dem Landesministerium besser begründen. Darin liegt womöglich das stärkste Argument für eine solche strategische Selbstverpflichtung: sie schafft wichtige Handlungsspielräume.

Setzung von Themenschwerpunkten: Koordinierte Freiheit Es gehört zur Praxis der Antragstellung im Wissenschaftsbereich, spätestens bei der Finalisierung von Projekteinreichungen nach einem big shot zu suchen, einer in der jeweiligen Disziplin renommierten Galionsfigur, deren Name wie ein Qualitätssiegel wirkt. Genau diese Beglaubigung von Qualität aber ist der Kern einer Marke, denn Forschungsförderung ist wie jedes Geschäft mit Vorkasse eine Wette auf die Zukunft – in der Hoffnung, dass der Anbieter auch liefert. Jenseits der Frage, ob darin eine zweifelhafte Verdinglichung menschlicher Beziehungen liegt, kann so analogisch die Relevanz von Marketingerwägungen begründet werden. Hellmann spricht in Anlehnung an Kotler treffend von einer „Ausweitung der Markenzone“. (Hellmann 2005, S. 8) Auch das IKF selbst wünscht sich, „die Aktivitäten … im Bereich der künstlerischer Forschung … sollten stärker ‚gelabelt‘ sein.“ Anders als jene Forschungseinrichtungen, die entlang thematischer Schwerpunkte konzipiert sind, versammeln Hochschulen Wissenschaftler, die zwar in gleichem Maße entsprechend ihrer akademischen Exzellenz ausgewählt werden, jedoch ein jeweils individuelles Forschungsprofil aufweisen, das sich im Laufe der Karriere durchaus ändern kann. Gerade an einer kleinen Einrichtung wie der Filmuniversität, die sich in einem speziellen Fachgebiet mit einem überschaubaren Feld von einschlägigen Experten bewegt, lässt sich die Zusammensetzung des Kollegiums auch über die Berufungspolitik nur

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bedingt steuern. Unter den Bedingungen einer zunehmend wettbewerbsorientierten Förderung müssen Hochschulen ihre Forschungsausgaben als Investitionen verstehen und Strategien entwickeln, um möglichst große Rendite (d. h. ein möglichst gutes Verhältnis von eingesetzten Ressourcen und eingeworbenen Drittmitteln) zu erzielen. Damit geraten sie strukturell in Konflikt mit der prinzipiellen Freiheit der Forschung. Aus juristischen wie psychologischen Gründen ist mit einem Durchregieren der Hochschulleitung hier nichts zu erreichen, der Kontrolle sind Grenzen gesetzt. Nötig ist eine neue Kultur der Abstimmung und Kooperation, die gegenüber dem immer noch verbreiteten Selbst- und Fremdverständnis des Forschenden einen Paradigmenwechsel bedeutet. Auch das IKF bzw. die in seinem Sinne handelnden Personen sind von diesem Widerspruch von Freiheit und Kontrolle betroffen, vielleicht sogar in besonderem Maße, da KunsthochschulprofessorInnen aufgrund des fehlenden akademischen Karrierewegs zumeist nicht in den dialektischen Tanzschritten institutioneller Forschung geschult sind. Neben einer berufungspolitischen Stärkung der (künstlerischen) Forschung ist deshalb ein gemeinsamer Strategiebildungsprozess nötig, in dem nicht nur ein allgemeines Forschungsverständnis, sondern auch konkrete Forschungsschwerpunkte festgelegt werden. Eine derartige Klärung und Festschreibung ist gerade angesichts der Fluktuation der Akteure wichtig, sonst steht man alle paar Jahre wieder vor denselben Identitäts- und Zielfragen. Die Schwerpunkte sollten so gewählt werden, dass sie Sichtbarkeit und Wiedererkennbarkeit von außen schaffen, ohne die/den einzelnen Forschenden zu sehr einzuengen bzw. die Anpassung an neue Entwicklungen zu verhindern. Deshalb sollte dieser Prozess strukturiert, inklusiv und transparent stattfinden, sodass eine möglichst breite Verbindlichkeit der getroffenen Festlegung gegeben ist. Zugleich muss eine genaue Abstimmung der Drittmittelakquise mir der übergeordneten Antragspolitik der Hochschule erfolgen, um die institutionellen Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen. Die prinzipielle Verständigung auf ein solches atmendes Konzept der koordinierten Freiheit könnte dabei hilfreich sein.

Karrierewege und Nachwuchsförderung In der Forschung ist es wie im Fußball: Erfolge können durch mehr finanzielle Mittel und eine kluge Berufungspolitik erzielt werden. Auf Dauer gesichert sind sie nur, wenn entsprechende Nachwuchsarbeit geleistet wird. Vom IKF wird in diesem Sinne eine „Implementierung der künstlerischen Forschung in die Curricula“ gefordert. Das in den künstlerischen Studiengängen praktizierte Konzept der Forschenden Lehre sieht dies ohnehin vor. Dazu müssen allerdings Freiräume geschaffen werden, die z. T. stark in die Studienorganisation eingreifen. Bei dem von der Präsidentin ausgelobten und vom IKF organisierten, jährlich vergebenen „Preis für künstlerische Forschung“ zeigt sich regelmäßig, wie sehr sich auch die Studierenden nach mehr Platz für Experimente sehnen, und wie beeindruckend die Ergebnisse sind, wenn ihnen dieser Platz eingeräumt wird. Mit der Implementierung der künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion ist 2016 ein wichtiger Schritt für eine systematische Nachwuchsarbeit erfolgt. Nach Abschluss des

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Verfahrens tragen die AbsolventInnen den Titel Dr. phil. in art. Dieser Dritte Zyklus an Kunsthochschulen wird vom wissenschaftlichen Mainstream allerdings noch immer skeptisch gesehen. Das zeigt auch eine Stellungnahme der Nationalen Akademien, die dafür plädiert, „autonome Promotionen an Kunst- und Musikhochschulen eher als Ausnahmefälle zu betrachten“ (Nationale Akademie 2017, S. 30). Einige wichtige Akteure der Szene lehnen eine solche Promotion in ihrer Verbindung von Theorie und Praxis als hybride Qualifikationsstufe ab und halten das Überstülpen des Bologna-Systems für schädlich (eine Argumentation, die analog auch von wissenschaftlicher Seite geführt wird, vgl. Lynen 2011). Andere sehen darin einen halbherzigen Kompromiss zur Verhinderung einer eigenständigen künstlerischen Promotion. Eine solche Promotion bedarf also klar festgelegter Qualitätskriterien und Bezugsrahmen, wie sie von einer Arbeitsgruppe der Europäischen Vereinigung der Kunsthochschulen (ELIA) unter dem Titel The Florence Principles vorgeschlagen wurden und im Zuge der Diskussion von Regeln für künstlerische Forschung insgesamt im Folgenden noch diskutiert werden sollen. Um die wissenschaftlich-künstlerischen Promotionen an der Filmuniversität zu unterstützen, sollte dafür gesorgt werden, quantitativ eine kritische Masse herzustellen. Ein attraktives und auch ambitioniertes Instrument hierzu wäre die Einrichtung eines Graduiertenkollegs bzw. einer Exzellenzschule zur künstlerischen Forschung, ob innerhalb des bisher den Wissenschaften vorbehaltenen Programms oder parallel dazu (Lynen 2011). Interessant ist in diesem Kontext der Vorschlag, am Beispiel einer wissenschaftlich-künstlerischen Promotion die generelle Möglichkeit einer wissenschaftlich-praktischen Promotion auszuloten. Damit könnte ein eigenständiges, dem Anwendungsbezug der Forschung an Fachhochschulen angemessenes Modell entwickelt und damit Schwung in die Diskussion um das Promotionsrecht für Fachhochschulen gebracht werden. Eine unlängst von führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen publizierte Stellungnahme zeigt, dass hier noch nach einer tragfähigen Lösung gesucht wird (Nationale Akademie 2017, S. 41 ff.).

Berufungspolitik und Forschungsorganisation „Das IKF ist derzeit mit genug Vertrauen ausgestattet, so dass es als Nukleus für die Akteure dieser Gruppe (der künstlerische Forschenden) an der Filmuniversität funktioniert“ beschreibt das IKF den Status quo. Davon ausgehend muss das Ziel ein Kulturwandel dahin gehend sein, dass Forschung von immer weiteren Kreisen als universitäre Kernaufgabe betrachtet und umgesetzt wird. Eine der Herausforderungen dabei ist, dies einerseits als „eine der noch festsitzenden Stellschrauben“ zu identifizieren und gezielt dafür zu sorgen, dass sie wieder gängig wird, aber gleichzeitig nicht jene Teile der Hochschule zu brüskieren, die aus persönlicher Neigung oder programmatischer Überzeugung künstlerische Forschung ablehnen. Ein Stein des Anstoßes und Quell gegenseitiger Ressentiments ist immer wieder die Ungleichbehandlung von künstlerischen und wissenschaftlichen Professuren in Hinblick auf die Lehrverpflichtung – 18 LVS à 60 min gegenüber 8 LVS à 45 min in der Wissenschaft – und wird vonseiten der Kunst als Begründung angeführt, warum kaum

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Freiräume für die Forschung bleiben. Da die Belastungen in den unterschiedlichen Fachkulturen sehr unterschiedlich sein können, dürfte eine eigenständige Studie hier Klärung bringen und den Hochschulfrieden nachhaltig unterstützen. Zudem könnte sie als Grundlage für eine differenziertere Deputatzuweisung je nach Denomination und Ausgestaltung der Professur dienen, § 42 ff. BbgHG lässt dafür ausreichend Spielräume. Allerdings muss zunächst ein breiter Konsens darüber in den relevanten Hochschulgremien hergestellt werden, dass Forschung integral zum Universitätsprofil gehört und weiter ausgebaut werden muss. Ein heikler Punkt bleibt, wie dauerhaft Lehrkapazitäten gesichert werden können, wenn mehr professorale Arbeitszeit in die Forschung fließt. Das Problem des erhöhten Bedarfs an Lehrpersonal, das an der Filmuniversität ein Ergebnis der Verschiebung von Kapazitäten zur Forschung wäre, trifft angesichts steigender Studierendenzahlen alle Hochschulen. Das zeigt eine schon vor über zehn Jahren angestoßene Debatte, die noch immer nicht zu einem gültigen Ergebnis geführt hat. Dabei wurden z. B. vom Deutschen Hochschulverband (DHV) Lehrtitel (Lecturer) jenseits der Professur vorgeschlagen; der Wissenschaftsrat wiederum regte an, innerhalb des gegebenen Systems klarere Differenzierungen zwischen reinen Lehrprofessuren und Lehr- und Forschungsprofessuren mit eigenständigen Karrierewegen zu treffen (Berndt 2015, S. 38). Beide Lösungen zur Freisetzung von Forschungskapazitäten würden bei der Filmuniversität eine personelle Aufstockung nötig machen, die ansatzweise schon im Gange ist. Der bisher praktizierte, großzügige Umgang mit Lehraufträgen wurde gesetzlich unterbunden; in Brandenburg ist ab 2016 der Einsatz von Lehrbeauftragten, die keine sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigung haben, auf max. vier SWS über vier Semester beschränkt. Künstlerische Studiengänge sind explizit von dieser Regelung ausgenommen. Hierin liegt eine – wenn auch sozialpolitisch etwas fragwürdige – Chance, zumindest in der Übergangszeit akute Engpässe in der Lehre auszugleichen. Mit diesem Sonderfall in § 58 Abs. 3 BBgHG wird einerseits der Tatsache Rechnung getragen, dass gerade an einer Filmhochschulen der Kontakt zur Praxis von großer Bedeutung ist, und andererseits so Lehrerfahrung erworben werden kann, die zentral ist für den Nachweis der Professorabilität bei Erstberufungen. Das hängt wiederum zusammen mit der traditionelle Berufungspraxis an Kunsthochschulen, die keinen eigenständigen Karriereweg kennen, sondern sich primär an der Exzellenz in der künstlerischen Praxis orientieren. Doch solange in dieser Phase keine Weiterqualifikation für die spätere akademische Laufbahn stattfindet, ist auch die Übernahme von Lehraufgaben durch den Mittelbau problematisch. Aus der Perspektive einer akademischen Etablierung der künstlerischen Forschung sollte das IKF in dieser Frage klar Position beziehen und die praxisbezogene Promotion vorbehaltlos unterstützen. Die mit der Verbreitung dieses Abschlusses einhergehende Transformation akademischer Karrierewege in forschenden künstlerischen Fächern unterstreicht deren Anspruch auf formale Gleichberechtigung mit der Wissenschaft.

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Transdisziplinarität Künstlerische Forschung hat eine genuine Neigung zur Interdisziplinarität; im einschlägigen Diskurs wird der Terminus Transdisziplinarität bevorzugt, als „desriptor of broad fields and synoptic disciplines“ (Frodeman et al. 2010, S. 24). Tatsächlich deckt sich auch das vom IKF implizit vertretene Verständnis von Transdisziplinarität mit einem der vier in einem Essay auf dem Schweizer td-net herausgearbeiteten Zwecke, nämlich dem „holistischen Verstehen“ als „Verbinden von wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Wissenskörpern“.10 Wo genau aber fängt Transdisziplinarität an? Wenn Szenografie und Montage zusammenarbeiten, ist das noch nicht transdisziplinär. Dennoch sollte gemeinsame, zunächst einmal interdisziplinäre Forschung genau auf dieser Stufe innerhalb der Universität erprobt, etabliert und perspektivisch institutionalisiert werden. Dabei gilt es auszuloten, wie die verschiedenen filmischen Gewerke, die in der klassischen Filmproduktion erfolgreich, wenn auch nicht immer friktionsfrei zusammenarbeiten, sich in der Forschung aufeinander beziehen. „Transdisziplinarität auch zwischen den Wissenschaften und den Künsten erscheint … als ein Gebot der Stunde“, gibt ein Institutsratsmitglied des IKF zu Protokoll. Zwischen Kunst und (Medien-)Wissenschaft kommt es in der Forschungspraxis allerdings bisher kaum zum Austausch – ein Sachverhalt, der im Gespräch von beiden Seiten immer wieder bedauert wird. Zugleich macht die böse Rede des „Beforschens“ im Sinne einer Begleitforschung mit ihrer impliziten Hierarchisierung von ursprünglichem künstlerischem Handeln und nachgeordneter Forschung immer wieder die Runde. Beide Seiten lehnen den Begriff ab, da ist man sich einig. Dabei sollte im Vergleich zu anderen Kunstwissenschaften der Film prädestiniert sein für eine Brückenfunktion zwischen Theorie und Praxis: zum einen ist er durch seine handwerkliche und kollaborative Arbeitsweise weniger stark dem Individualismus und Geniekult verbunden; zum anderen haben historisch viele Protagonisten filmkünstlerischer Bewegungen zuerst den Stift in der Hand gehabt, und viel später erst die Kamera. Viele dieser Autoren formulierten ihre Reflexionen dauerhaft in beiden Medien, von Sergei Eisenstein über Jean-Luc Godard bis Alexander Kluge. In der generellen Zugeneigtheit zum sprachlichen Diskurs könnte diese Tradition für einen gemeinsamen Nenner mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen sorgen. Auch die eher sozialwissenschaftlich ausgerichtete Spielart der Medienwissenschaften, die an der Filmuniversität ebenfalls stark vertreten ist, hat mit ihrer Forschung zur Medienwirkung Berührungspunkte zu den produzierenden Studiengängen; hier drängen sich transdisziplinäre Forschungsdesigns angesichts des beschleunigten Medienwandels geradezu auf.

10„Wozu

transdisziplinäre Forschung?“ (2010) in http://transdisciplinarity.ch/td-net/Transdisziplinaritaet/Forschungszwecke.html; abgerufen am 25.07.2017; ausführlich diskutiert in Frodeman et al. (2010, S. 24 ff.).

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Internationalisierung Internationalisierung ist in den letzten Jahrzehnten vom nice to have zum unverzichtbaren Merkmal von Forschung geworden – getragen von den informationstechnologischen, infrastrukturellen und sozioökonomischen Entwicklungen, die sich unter dem Schlagwort „Globalisierung“ zusammenfassen lassen. „Internationalität der Forschung … definiert sich in dieser Betrachtung als Forschung, die sich als selbstverständlicher Bestandteil eines internationalen Netzwerks versteht“. (Aufderheide 2016, S. 336) Wobei es sich bei diesem Netzwerk aus der Sicht akademischer Forschung lediglich um die technische Ermöglichung einer alten enzyklopädischen Utopie handelt: Werden Fragen doch immer erst dann zur Forschung, wenn alle bereits gegebenen Antworten geprüft und verworfen worden sind. Auch von den IKF-internen Gesprächspartnern wird betont, dass die Entwicklung „international(er) Forschungsnetzwerke, -strategien und -projekte“ zu den zentralen Aufgaben gehört. Darin läge die „Chance, das IKF der Filmuniversität als wichtigen internationalen Akteur der filmkünstlerischen Forschung aufzubauen“. Hier steht ein window of opportunity offen, das sich irgendwann schließen wird. Die internationalen Mitgliedschaften der Filmuniversität (ELIA, CILECT, SAR)11 bilden dabei ein Potenzial, das genutzt werden sollte. Der Schritt vom unverbindlichen Netzwerk zum internationalen Kooperationsprojekt sollte nicht unterschätzt werden. Internationale Zusammenarbeit ist mit besonderen Herausforderungen verbunden (Bourgeault 2015, S. 225), zumal für das IKF, das noch keine Erfahrung mit großformatigen Forschungsprojekten hat. Hier sollte eine genaue Prüfung erfolgen, welches Projekt leistbar ist. Um dauerhaft eine Internationalisierung der Forschung zu erreichen, ist an einer Universität mit ihrer Einheit von Forschung und Lehre eine parallele Internationalisierung des Studiums unverzichtbar. Zuletzt gilt es noch zu betonen, welcher Wert die Internationalisierung für die gesamte Konsolidierung und Etablierung der künstlerischen Forschung im deutschen Wissenschaftssystem zukommt. Als Expertenorganisation ist jede Hochschule „durch eine Matrixstruktur gekennzeichnet: Eine Achse ist die Logik des Faches beziehungsweise der Disziplin, die die ExpertInnen quer zur Organisation über die ganze Welt in Form von Invisible Colleges miteinander verbindet; die zweite Achse ist die Organisation bzw. die Institution, der der/die einzelne angehört.“ (Pellert 2006, S. 10) Gerade das Engagement der in SAR organisierten Institutionen und ihrer Akteure, die größtenteils aus kleinen, wohlhabenden europäischen Ländern stammen (Skandinavien, Benelux, Schweiz), spricht dafür, hier mit dem Aufbau internationaler Kooperationsprojekte zu beginnen.

11ELIA: Europäischer Kunsthochschulverband; CILECT: Internationale Filmhochschulvereinigung; SAR: Society for Artistic Research).

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15.4.3 Drittmittelakquise oder: „It’s the economy, stupid!“ Offenbar sitzen wir alle kollektiv in der Falle einer fatalen Realitätsverkennung: „Universities worldwide are trapped in a competition fetish.“ (Naidoo 2016, S. 1) Dies zu ändern verlangt in der gegebenen Situation nach einem revolutionären Umsturz der Verhältnisse. Ohne übertriebenen Pessimismus lässt sich allerdings festhalten, dass dieser mittelfristig nicht zu erwarten ist. Deshalb sollte das IKF darauf bedacht sein, sorgfältig zu trennen zwischen dem – ehrenwerten, aber aktuell wenig zielführenden – Widerstand gegen ein kompetitives System der Mittelvergabe einerseits und dem – sinnvollen und notwendigen – Beharren auf der methodischen Souveränität der künstlerischen Forschung andererseits. Auch wenn letzteres im Sinne einer Kriegslist nicht immer ganz groß auf den Fahnen stehen muss.

Strategische Camouflage: Anpassung an bestehende Finanzierungsund Förderstrukturen Um Kapazität und Wirkung des IKF signifikant zu erhöhen, ist eine Aufstockung von Personal und Sachkosten nötig, denn die im Marketing-Mix vorgeschlagenen Maßnahmen sind mit den aktuellen Ressourcen nicht zu realisieren. Um mit dieser Forderungen in der gegebenen Situation erfolgreich zu sein, ist eine strategische Mimikry unerlässlich. Gegenüber dem Landesministerium kann für eine Weiterführung oder gar Aufstockung der Finanzierung von der Hochschulleitung nur dann offensiv argumentiert werden, wenn 1. das Entwicklungspotenzial deutlich herausgestellt, und 2. der Weg zur Realisierung dieses Potenzials verbindlich festgelegt und mit Indikatoren versehen wird. So sollte man z. B. die zumindest unterschwellig vorhandene Erwartung, dass sich das IKF in absehbarere Zeit selbst finanzieren kann, offensiv thematisieren und zunächst verdeutlichen, aufgrund welcher förderpolitischen Rahmenbedingungen dies kein realistischer Anspruch ist. Stattdessen wird eine längerfristige Planung vorgelegt. Diese strategische Weitsicht zusammen mit der Bereitschaft, im Rahmen des Möglichen Zusagen zu treffen, schafft Vertrauen bei den Partnern für ein Zukunftsprojekt, das möglicherweise einen etwas längeren Atem erfordert. Insgesamt kann in Brandenburg von einem überdurchschnittlichen Zuwachs der Fördermittel ausgegangen werden, da das Bundesland aktuell die niedrigsten Ausgaben für Hochschulen gemessen am BIP bundesweit aufweist (0,35 %) und auch die Gesamtinvestitionen für Forschung und Entwicklung mit 1,65 % weit unter der von der Bundesrepublik gemäß der Lissabon-Strategie angestrebten Marke von 3 % liegen.12 Die Hauptaufgabe besteht jedoch darin, die Antragsstrategien bei der Drittmittelakquise zu optimieren. Möglich ist der Zugriff auf drei grundlegend verschiedene

12So

die Angaben des Statistischen Bundesamts für 2015: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/ForschungEntwicklung/Tabellen/BIPBundeslaenderSektoren.html, Zugriff am 29.07.2017.

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Förderstrukturen mit jeweils unterschiedlichen Bewertungsparametern, die für künstlerische Forschung beide nur eingeschränkt zutreffen bzw. nur bedingt bedient werden können: 1. Kulturelle Förderung: hierunter fallen die etablierten Förderinstrumente für künstlerische Projekte; es werden eher Ergebnisse als Forschungsprozesse gefördert. – Auf nationaler Ebene die Kulturstiftungen der Länder und des Bundes, die Mittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien etc. – Auf EU-Ebene (z. B. Creative Europe) 2. Wissenschaftliche Forschungsförderung: hier werden auch längerfristige Forschungsprozesse unterstützt, allerdings ist der Forschungsbegriff, wie oben skizziert, oft strikt wissenschaftlich. – kurz- & mittelfristig können Projekte lanciert werden, die wissenschaftliche und künstlerische Forschung verbinden und als „Einfallstor“ genutzt werden. Hierfür eignen sich besonders Graduiertenkollegs, innerhalb derer es dann neben den rein wissenschaftlichen Promotionen auch wissenschaftlich-künstlerische geben kann. – Deshalb sollten neben den großen Wissenschafts-Drittmittelgebern insbesondere spezialisierte Stiftungen (Schering, Thyssen, Volkswagen) angesprochen werden, die dezidiert im Grenzbereich von Wissenschaft und Kunst fördern. – Kooperation mit Wissenschaftspartnern: dies wird, wie in vielen Gesprächen klar wurde, als weniger interessanter, wenn nicht gar gefährlicher Weg betrachtet. – EU-Förderung als mittelfristiges Ziel, da angesichts des aktuellen Überzeichnungsproblems in H2020 und verwandten Programmen der Aufwand für einen so speziellen Bereich einer so kleine Hochschule in keinem Verhältnis zur Förderquote steht. Augenmerk sollte deshalb zunächst auf kleinere europäische Programme gelegt werden, die z. B. künstlerische Forschung auf der Ebene der Lehre auf die Agenda setzen bzw. auf Mitbewerbungen als Partner oder Leiter eines kleineren Arbeitspakets. – DFG-Mitgliedschaft als Fernziel, das gemeinsam von wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung betrieben werden muss. 3. Transferförderung – Hier kommt der Künstlerischen Forschung ihr Anwendungsbezug zugute, sodass sich auch Projekte mit beträchtlichem Forschungsanteil durch die sinnliche Zugänglichkeit der Ergebnisse als Transfer begreifen lassen. – Besonderer Fokus liegt auf der Region; hier sind auch in den nächsten Jahren beträchtliche EU-Mittel zu erwarten, wenn Mittel aus den Strukturförderprogrammen auch für FuE eingesetzt werden dürfen. Insgesamt gilt: statt Programmatik ist pragmatische List gefragt – und vielleicht sogar spielerische Freude an der diskursiven Maskerade, die im Übrigen auch in der Wissenschaft ein wesentlicher Bestandteil jedes erfolgreichen Abgleichs von geplantem Forschungsprojekt und aktueller Förderrichtlinie ist.

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Gemeinsam handeln: Veränderung der Förderstrukturen Die künstlerische Forschung in Deutschland und mit ihr auch das IKF haben allen Grund, neidvoll auf ihre europäischen Nachbarn zu schauen: einige Länder sind in der Institutionalisierung des Forschungsfeldes entschieden weiter; auch in diesem Kontext ist es gerechtfertigt, von einem „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ zu sprechen (ELIA 2016, S. 1)13. Und in diesem Fall gehört Deutschland keinesfalls in die Spitzengruppe. Es sind vor allem auch Länder im deutschsprachigen Raum, bei denen die Entwicklung schon weiter fortgeschritten ist: In Österreich wurde vom Österreichischen Fond zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF), dem Pendant der deutschen DFG, ein spezielles Programm für künstlerische Forschung ausgeschrieben (PEEK).14 In der Schweiz erging 1998 ein expliziter Forschungsauftrag an die Kunsthochschulen, die sich seitdem auf Mittel des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) bewerben können. Entsprechend bietet sich für Projekte zunächst Förderung unterhalb der EU-Ebene an wie z. B. über DACH, dem gemeinsamen Förderinstrument von DFG, FWF und SNF. Dahinter steht wieder eine Variante der bereits angeratenen Trittbrettfahrer-Logik: da FWF und SNF schon länger Projekte im Bereich der practice based research unterstützen, kann auf diesem Weg auch die DFG indirekt zu einem Engagement in diesem Bereich gebracht werden. So würde ein Präzedenzfall geschaffen und die künstlerische Forschung in den Fokus der DFG gerückt. Möglicherweise lassen sich auch an unerwarteten Orten Verbündete finden: Der alternative Wissens- und Erkenntnistyp der Künste wird inzwischen von außen zunehmend als Wegbereiter für Innovation in etablierten Wissenschaftskulturen gesehen, nicht zuletzt infolge des Siegeszuges des Design Thinking (Brown 2008; Grots 2009), das inzwischen sogar die Weihestätten der deutschen Ingenieurskunst wie die Forschungsabteilung des Bosch-Konzerns in Renningen erreicht hat (Wolfangel 2016). Die Filmuniversität kann dieses Umdenken nutzen, indem sie ihre Kernkompetenz im Storytelling in andere Erkenntnis- und Entwicklungsmodelle einbringt. Umgekehrt kann der spezifische Weltbezug anderer wissenschaftlicher und industrieller Sparten den künstlerischen Zugriff erweitern. Um künstlerische Forschung langfristig auf der wissenschafts- und kulturpolitischen Agenda zu etablieren, müssen strategische Allianzen geschmiedet werden. Die bereits bestehenden europäischen Plattformen (SAR, EARN)15 sind dabei inhaltlich von großem Wert und können perspektivisch auch für internationale, EU geförderte Projekte interessant werden. Um das größte Entwicklungshemmnis – die faktische Inkompatibilität

13Im Original in Englisch; hier findet sich auch eine bündige Darstellung der europäischen Verbands- und Förderstrukturen für künstlerische Forschung. 14Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (https://www.fwf.ac.at/de/forschungsfoerderung/fwf-programme/peek/); Zugriff am 27.06.2017. 15EARN = European Artistic Research Network.

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mit den Vorgaben der Forschungsförderung in der BRD – auszuräumen, bedarf es allerdings starker nationaler Partner. Die maßgeblichen institutionellen Akteure, von künstlerisch forschenden Universitätsinstituten über einschlägige Kultureinrichtungen bis zu den wichtigen künstlerischen Hochschulen müssen sich organisieren, um gemeinsam ein entsprechendes Agendasetting zu betreiben. Auch die Rektorenkonferenz der deutschen Kunsthochschulen (RKK) könnte hier ein strategisch wichtiger Partner sein.

Zur Größe werden: Kriterien und Indikatoren Entscheidend für die langfristige und erfolgreiche Etablierung der künstlerischen Forschung auf dem Drittmittelmarkt ist ein proaktiver Umgang mit Regeln und Indikatoren, mit deren Entwicklung schon bei aktuellen Antragstellungen begonnen werden kann und sollte. Denn wenn künstlerische Forschung als Forschung ernst genommen werden will, muss sie ihre Regelhaftigkeit belegen. In einem etwas polemischen Essay fordert Eikels (2014) Kriterien als Basis der Kritikfähigkeit, denn nur darüber lässt sich Forschungsqualität bestimmen. Es bleibt eine Restdifferenz, die sich nicht ausschalten lässt, aber die Notwendigkeit eines rationalen Diskursgestus, der sich auf Argumente und nicht auf Urteile beruft, sollte für die Forschung anerkannt werden. Die Sorge, mit der Wissenschaft über einen Kamm geschoren und so von ihr vereinnahmt zu werden, ist allerdings auch innerhalb des IKF massiv: es wird auf den „Alleinanspruch der Wissensproduktion durch Wissenschaft“ verwiesen, der dazu führen würde, dass „fachfremde Disziplinen den Künsten Forschungskriterien vorschreiben“. Auch bei den befragten externen Experten bildet sich diese Spannung ab: einerseits wird betont, „dass in einer künstlerischen Forschung dezidiert ExpertInnen der Herstellung von Kunst (d. h. im Normalfall KünstlerInnen) für ihresgleichen forschen“, andererseits wird aber auch eine „künstliche Konkurrenz zu anderen Feldern der Wissens- und Erkenntnisproduktion“ als Entwicklungshemmnis identifiziert. Hochschulintern wird das Bedrohungsgefühl nicht von allen geteilt, so beton z. B. die Hochschulleitung: „Eine Abgrenzung zu anderen bei uns verfolgten Forschungspraktiken steht … nicht im Vordergrund einer Definition.“ Die Lösung könnten allgemein verständliche und verbindliche eigene Forschungsprinzipien sein. Ein Vorschlag, wie sich die künstlerische Forschung eigene Regeln geben könnte, wurde Ende 2016 auf der ELIA-Konferenz in Florenz vorgestellt. Dieses The Florence Principles betitelte Papier ist entstanden als Reaktion auf die Aufnahme der artistic research in das FuE-Statistikhandbuch der OECD, das sog. Frascati Handbook, in seiner Neuauflage 2015. Dort wird das Thema aufgegriffen, die Relevanz der künstlerischer Forschung im Sinne der FuE aber infrage gestellt, weil die Kriterien „Neuartigkeit“ und „Übertragbarkeit“ nicht erfüllt seien (OECD 2015, S. 64). Dem widerspricht das ELIA-Papier und versucht an einem Standardfall der Forschung – der Promotion – Regeln für deren institutionelle Überprüfung und Anerkennung auch im Bereich der künstlerischen Forschung herauszuarbeiten. So wird gleich eingangs betont, dass die von der European Universities Association (EUA) aufgestellten Regeln für Promotionsstudiengänge genauso gelten „for doctoral studies in the arts. As different as research results might appear to be, the processes, epistemological drive and

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consistency with which research projects in the arts are undertaken remain the same.“ (ELIA 2016, S. 1) Ausgehend von gesamteuropäischen Eckpunktepapieren zum Dritten Zyklus (Salzburger Empfehlungen I & II etc.) formuliert das Papier sieben Prinzipien zu Charakter und Funktion einer künstlerischen Promotion, die sich in Schlagworten zusammenfassen lassen: New Insights/Qualifications, Career Perspectives, Dissertation Project (bestehend aus einem Kunstwerk und einer diskursiven Komponente), Research Environment, Supervision, Dissemination. Die Validität von künstlerischen Promotionen, die diesen Prinzipien folgen, wird implizit zur argumentativen Blaupause für die Validität künstlerischer Forschung insgesamt. Hier liegt reichlich Material für eine eigenständige Ausarbeitung von Regeln für künstlerische Forschung. An Anfang ist allerdings auch schon dann gemacht, wenn man den Angstgegner in der deutschen Förderarena, die DFG, beim Wort nimmt. In einem 1997 erschienenen und 2013 überarbeiteten Memorandum hat sich in ihrem Auftrag eine Kommission mit der „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ beschäftigt und „allgemeine Prinzipien“ aufgestellt. (cf. Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ 2013, S. 15) Diese Grundregeln mögen einer spezifischen, künstlerischen Ausformulierung bedürfen, sollten aber keine prinzipiellen Hindernisse darstellen.

The Bigger Picture: Marketing und Public Affairs Impact – das klingt für viele wie die nächste Geißel aus dem Reich des Bösen, wie ein weiterer Versuch, die Autonomie der Forschung vor den Karren politischer und ökonomischer Interessen zu spannen. Das ist mindestens halb falsch. Denn gerade für künstlerische Forschung kann der Impact zum Wettbewerbsvorteil werden: Wenn es gelingt, ihn zu verbinden mit der prinzipiellen Fähigkeit der Künste, Anschaulichkeit herzustellen, zu berühren und so komplexe Themen zugänglich zu machen. Dies macht den gesellschaftlichen Wert künstlerischer Forschung aus. Diesen Wert herauszustellen, muss demnach die Aufgabe von Forschungsmarketing sein (Robinson 2015). Ein erster, naheliegender Grund, über Impact nachzudenken, ergibt sich aus der bereits diskutierten Notwendigkeit, die Einstellung von Drittmitteln für künstlerische Forschung bei öffentlichen Gebereinrichtungen argumentativ zu untermauern. Im Zuge dessen wurde auch betont, dass die Aufstellung verbindlicher Regeln dafür, was gute künstlerische Forschungspraxis sei, einen unverzichtbaren ersten Schritt darstellt. Um die vollständige Klaviatur argumentativer Relevanzbeweise zur Verfügung zu haben, sollte auch die Wirkung der Forschung in der und für die Gesellschaft, d. h. der Impact, berücksichtigt werden. Impact ist eng gekoppelt an den Transfergedanken im weiteren Sinne der Third Mission. Auch hier sind die Künste, sofern sie die oben genannte Erfahrungsdimension miteinbeziehen, in einer privilegierten Position gegenüber vielen Wissenschaften, die oft weitaus schwerer an ein allgemeines Publikum kommen (Porter 2015, S. 398). Zunächst sollte man sich der Angstlust, mit der das Konzept in der Wissenschaft oft besetzt ist, gelassen nähern. Denn die Frage nach dem Impact impliziert weder zwingend eine Infragestellung des zweckfreien Forschungsinteresses noch die Forderung nach

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dem unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen der Forschung – auch wenn das von Politik und Wissenschaft oft so gesehen wird. (Dingwall und McDonnell 2015, S. 395) Das Nachdenken über und Mitdenken von Impact ist in einem Wissenschafts- und Kultursystem wie dem deutschen, das weitgehend von öffentlicher Förderung abhängt, ein völlig legitimer Anspruch. Denn die Steuermittel, die in diesem Bereich ausgegeben werden, stehen anderen Bereichen nicht zur Verfügung – und müssen zunächst von der Allgemeinheit aufgebracht werden. (op.cit., S. 396). Das mag weit weg scheinen vom operativen Geschäft des IKF, aber gerade hier liegt der Bezugsrahmen nicht nur für das Selbstverständnis, sondern und vor allem auch für die Selbstdarstellung gegenüber Mittelgebern. Das große Bild muss aufgerufen und in einer Weise angeeignet werden, die eine spontane Anpassung an die jeweiligen Antragsnarrative erlaubt. Die fortschreitende europäische Integration macht nationale forschungspolitische Alleingänge immer unwahrscheinlicher Im Gegenteil ist von einem weiter zunehmenden Trickle-down-Effekt auszugehen: von den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) der UN über die Grundzüge des zukünftigen EU-Forschungsrahmenprogramms (FP 9) bis zu Ausschreibungen von nationalen Mittelgebern. Macht man sich die Mühe einer genaueren inhaltlichen Analyse z. B. der SDGs, so erwachsen aus der scheinbaren rhetorischen Unverbindlichkeit konkrete Herausforderungen, denen sich auch künstlerische Forschung an einer öffentlich finanzierten Hochschule nicht ganz entziehen kann und sollte. Diese sehr allgemeinen Zielformulierungen für den Einsatz öffentlicher Finanzmittel sollte man sich, in einer filmproduktionstechnischen Analogie gesprochen, wie ein bestimmtes Genre vorstellen, von dem man überprüfen muss, ob sich die eigene Forschungsfrage entsprechend seiner Regeln inszenieren lässt. Sie stellen also lediglich einen nachgeordneten und quer zu den inhaltlichen Schwerpunktsetzungen verlaufenden Interpretationsrahmen dar, auf den hin die entstehenden Projekte betrachtet werden.

15.5 Mehr Kunst, bessere Forschung, glücklichere Katzen Dieser Beitrag hat versucht, über den konkreten Gegenstand des Instituts für künstlerische Forschung der Filmuniversität Babelsberg exemplarisch die Anwendbarkeit des strategischen Marketings für eine derartige hochschulinterne Organisationseinheit zu prüfen. Die Ergebnisse lassen sich in einer Argumentationslinie für das IKF zusammenfassen: Warum wird das IKF gebraucht? 1. Ein zukünftiger Schwerpunkt der Filmuniversität wird und muss in der Forschung liegen, denn genau dort hat sie als Universität ihr Alleinstellungsmerkmal. 2. Damit wird auch und gerade die transdisziplinäre Forschung zu einem Auftrag, denn die Alleinstellung ist nur von Wert, wenn sie nicht bloß formal (Medienwissenschaft an einer Filmhochschule), sondern auch inhaltlich ist.

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3. Deshalb ist das IKF notwendig, um die künstlerische Forschung an der Filmuniversität zu fördern und in ihrer transdisziplinären Ausrichtung zu bestärken. 4. Darüber hinaus ist international ein Zeitfenster geöffnet, in dem das IKF eine Vorreiterrolle für künstlerische Forschung im Film übernehmen könnte. Der Weg dahin ist weder kurz noch besonders bequem. Daraus ergibt sich eine weitere zu beantwortende Frage: Wozu braucht das IKF eine Strategie? 5. Um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten, ist unbedingt eine Ressourcenerweiterung nötig, die das IKF (noch) nicht über Drittmittel generieren kann. Hier sind Unterstützung der Hochschulleitung bzw. des Landesministeriums gefragt. Das IKF braucht also eine Strategie, um proaktiv tätig werden zu können und nicht von den internen Strukturen und Entwicklungen, dem wissenschaftspolitischen Binnenklima oder der Großwetterlage im Drittmittelbereich abhängig zu sein. Deshalb ist es sinnvoll, ein klares Zielsystem für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu entwerfen und sich auf realistische Meilensteine festzulegen. Diese dienen der eigenen Fokussierung nach innen und dem Erwartungsmanagement nach außen in Richtung Hochschulleitung und Ministerium: 6. Das IKF legt sich in der Strategie verbindlich auf Ziele und fest und ermöglicht es den Mittelgebern somit, den Entwicklungsfortschritt zu prüfen. Und ist das überhaupt Marketing? Im eingangs skizzierten, stakeholderorientierten Sinne: ja, sicher. Es geht eher um Prioritätenkonflikte aufgrund begrenzter Ressourcen denn um Zielkonflikte. Auch wenn das IKF finanziell dauerhaft gesichert wäre und/oder ein Mehrfaches seiner Größe hätte, wäre es immer noch sinnvoll, Einzelstrategien (Internationalisierung, Kommunikation, Nachwuchs etc.) zu erarbeiten oder neue Prozessmodelle und Managementstrukturen zu entwickeln. Unter den gegebenen Umständen ist eine Strategie, die das IKF im Wettbewerbsfeld positioniert, sogar überlebensnotwendig. Das IKF muss mit seinen begrenzten Ressourcen eine für Externe spürbare Wirkung generieren, die Grundlage für das eigene Wachstum schaffen und so seine Unverzichtbarkeit nicht nur durch Worte, sondern durch Projekte, Publikationen und letztlich auch Zahlen belegen. Die Katzen haben es da eindeutig besser.

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Dr. Stella Donata Haag, Komparatistin und Filmwissenschaftlerin. Studium in Freiburg, London und Berlin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Medienwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena; diverse Stipendien. Promotion über die militärische Uniform und das Spektakel der Männlichkeit im Kino. Tätigkeit als Film- und Kulturpublizistin, Forschungsprojekte u. a. zum Filmkostüm; Lehrtätigkeit. Weiterbildender Master „Wissenschaftsmarketing“ an der TU Berlin. Arbeitet als wissenschaftliche Referentin für Forschungsangelegenheiten an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften: Kommunikationskonzept für den Sonderforschungsbereich 933 „Materiale Textkulturen“ an der Universität Heidelberg

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Nele Schneidereit Zusammenfassung

Auch Wissenschaften, die ihrem Wesen nach keine Marktwerte, sondern Wissen als Selbstwert schaffen, brauchen strategisches Marketing – so auch die Geisteswissenschaften. Das vorliegende Praxisbeispiel versteht Marketing als auf berechtigte Anspruchsnehmer gerichteten Prozess des Austauschs von Wissensleistungen. So verstanden ist Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften erstens hilfreich, um Vorteile im zunehmend harten Wettbewerb um Drittmittel, Forscher und Studierende zu erlangen. Zweitens ist das Marketingziel des zielgerichteten Wissenstransfers und des freien Zugangs eine zentrale Aufgabe gerade der Wissenschaften, die keine Marktwerte schaffen; Wissen als Selbstwert sollte öffentlich zugänglich sein, zudem haben die Geisteswissenschaften gesellschaftlich wichtige Archivierungs-, Reflexions- und Orientierungsaufgaben. Innerhalb der strategischen Marketingplanung entwirft das Kommunikationskonzept die Erfüllung der Aufgabe des Wissenstransfers. Der Beitrag berichtet über die Konzeptions- und Umsetzungsphase eines Kommunikationskonzepts für einen drittmittelgeförderten geisteswissenschaftlichen Forschungsverbund.

16.1 Einleitung Im Jahr 1959 prägte Charles Percy Snow in einer Rede die Vorstellung, es gäbe zwei grundverschiedene Wissenschaftskulturen. Auf der einen Seite fortschrittsgetriebene Naturwissenschaften, auf der anderen rückwärtsgewandte Geisteswissenschaften (Snow 1967). N. Schneidereit (*)  Sonderforschungsbereich 933 Materiale Textkulturen, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Merten und T. Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25353-0_16

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Seit Universitäten und Forschungseinrichtungen zunehmend miteinander im Wettbewerb um Finanzen, Forscherpersönlichkeiten und Studierende stehen, wird eine zweite – und tiefere – Kluft deutlich. Die Erfolge von anwendungsbezogener, ‚nützlicher‘ Forschung lassen sich marktwirtschaftlich ausdrücken. Grundlagenforschung hingegen ‚produziert‘ Wissen zunächst als Selbstwert. Dieses Wissen kann Grundlage von anwendungsbezogener Forschung oder weiteren immateriellen Werten sein. Dieses Ziel ist der Forschungsbemühung selbst aber nicht inhärent. Auf dieser Seite der Kluft zwischen materiell und nicht-materiell orientierten Wissenschaftskulturen stehen viele Natur- und Sozialwissenschaften sowie fast alle Geisteswissenschaften (s. Abb. 16.1), um die es im Folgenden gehen soll. Unter dem Gesichtspunkt von Wissenschaftsmarketing ist diese Zerklüftung intrikat. Die von Snow konstatierte Kluft zeigt überspitzt, was zutreffend ist: Die Geisteswissenschaften haben ein Wahrnehmungsproblem, das sich als Kommunikationsproblem beschreiben lässt. Fraglich ist, ob es auch ein Marketingproblem gibt, das so zu verstehen wäre, dass die Geisteswissenschaften nachfrageorientiert gestaltet werden sollten. Wissenschaftskommunikation und vielleicht auch -marketing sind also notwendig. Da die Geisteswissenschaften jedoch darüber hinaus auf der Seite nicht-materieller Zielsetzung stehen, können sie – ebenso wie alle anderen Grundlagenwissenschaften – nicht mit den klassischen Instrumenten des Wirtschaftsmarketing behandelt werden. Sie sind durch das Grundgesetz (GG § 5 Abs. 3 zur Wissenschaftsfreiheit) geschützt und dürfen daher auch nicht zu einer solchen veränderten Zielsetzung gezwungen werden. Daraus folgt, dass Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften unmöglich ist. Notwendig und unmöglich – wie mit dieser Quadratur des Kreises umzugehen ist und Wissenschaftsmarketing für Geisteswissenschaften nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, wird Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Es wird dabei um die konzeptgeleitete Kommunikation als Kernelement des strategischen Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften am Beispiel eines drittmittelgeförderten Forschungsverbundes gehen.

Abb. 16.1   Doppelte Kontrastierung von Wissenschaftskulturen

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16.2 Wissenschaftsmarketing für Geisteswissenschaften: Marktgestaltung und Wissenstransfer Klaus Schmidbauer legt in diesem Band (S. 29–65) das Konzept für ein strategisches Wissenschaftsmarketing vor, dass Wissensleistungen und ihre Austauschprozesse in den Mittelpunkt stellt. Wie bereits Frank Wernitz in seinem Band zum Wissenschaftsmarketing (Wernitz 2015), fordert Schmidbauer die konsequente Ausrichtung des Wissenschaftsmarketing an Anspruchsgruppen (Stakeholdern) statt wie im Wirtschaftsmarketing am Kunden. Für die einzelnen Elemente von Analyse, Strategie und Marketingmaßnahmen-Mix eines solchermaßen emanzipierten Wissenschaftsmarketing, verweise ich auf den Ansatz von Schmidbauer in diesem Band. Zwei Aspekte möchte ich ergänzend nennen: 1) Charakter der Marktorientierung und 2) Kommunikationszentrierung: 1. Die Fokussierung auf Anspruchsgruppen bringt eine Form der Marktorientierung des Wissenschaftsmanagements mit sich, die nicht (nur) marktgetrieben, sondern (auch) marktgestaltend wirkt (Wernitz 2015, S. 140 ff.). Diese Form des Marketings beruht auch auf der sorgfältigen Analyse des Marktes – hier der Identifizierung der relevanten Stakeholder und ihrer Eigenschaften – dies aber auch mit dem Ziel der „Änderung von Werthaltungen“ durch die auszutauschenden Wissensleistungen. Die Marktorientierung dieses Marketingansatzes dient also immer auch der Marktgestaltung, statt ihre Leistung so zu gestalten, wie der Markt es vorgibt – das wäre gerade für den Bereich der Geisteswissenschaften, aber auch für alle anderen Grundlagenwissenschaften sehr schädlich. Allerdings gibt es weiträumige Ausnahmen von dieser Form der Marktorientierung auch beim Marketing der Geisteswissenschaften; sie stehen im Wettbewerb um materielle Ressourcen, die sie für ihre Forschung benötigen. Zwar sind die materiellen Werte hier nur Mittel zum Zweck und nicht Ziel ihrer Aktivitäten, gleichwohl werden sie zunehmend wichtiger. Auch Grundlagenforschung konkurriert um Drittmittel, um Personal und um Studierende. Für die Ressourcenbeschaffung ist auch die marktgeleitete Form der Marktorientierung notwendig. Hier ist allerdings der Charakter der relevanten Stakeholder wie Fördermittelgeber und Hochschulleitungen zu beachten. In der Regel setzen diese Akteure ihre Ressourcen wiederum nicht rein marktgeleitet ein, sondern geprägt durch einen (mehr oder minder) wohlgesetzten Mix aus materiellen und immateriellen Zielen. Dies zeigt sich z. B. in der Förderung des Forschungs- und Entwicklungssektors und dem der Pflege des kulturellen Erbes durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). 2. Geisteswissenschaften haben die Spezifik, dass ihr in modernen, bildungsintensiven Gesellschaften Aufgaben zukommen, die insbesondere kommunikativ zu lösen sind. Es sind unter anderem Aufgaben der Bewahrung kulturellen Erbes, der historischen Dimensionierung der Gegenwart, sowie der ethischen Orientierung. Da Wissenstransfer

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vornehmlich eine kommunikative Aufgabe ist, wird im Folgenden das Hauptaugenmerk auf strategische Kommunikation gelegt. Nur am Rande werden Marketingmaßnahmen eine Rolle spielen, die den Marketing-Mix-Elementen (nach Schmidbauer) Leistung, Ressourcen, Kooperation oder Zugang zuzurechnen sind. Schmidbauer hat in seinem Plädoyer für ein neues strategisches Wissenschaftsmarketing zu Recht kritisiert, Marketing werde an den Hochschulen meist ‚nur‘ als Wissenschaftskommunikation verstanden. Der hier vorlegte kommunikationsorientierte Zuschnitt ist jedoch einerseits gerechtfertigt durch die Einbindung in die Gesamtmarketingstrategie der Universität Heidelberg als Volluniversität mit langer Tradition („Zukunft seit 1386“) und einem Schwerpunkt im Brückenschlagen zwischen den Disziplinen (emblematisch verdichtet mit dem Bild der Neckarbrücke zwischen Altstadt und Neuenheimer Feld, also zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften und Natur- und Humanwissenschaften). Andererseits ist der Kernaustauschprozess, in den geisteswissenschaftliche Forschung eingebunden werden muss, der Transfer von Wissen und Bildung – daher der kommunikationszentrierte Zuschnitt des Konzepts.

16.3 Wissenschaftskommunikation für die Geisteswissenschaften Das von Schmidbauer entworfene Marketingverständnis, dem es nicht um Marktwerte, sondern um an Anspruchsnehmern orientierte Gestaltung von Austauschprozessen geht, ermöglicht nun die Erarbeitung eines Modells von strategischem Marketing für die Geisteswissenschaften. Dieses an einem Beispiel konkretisierte Modell hat zum Ziel, das Wahrnehmungsproblem und die zentrale kommunikative Transferaufgabe zu bewältigen, es ist daher als Konzept strategischer Kommunikation angelegt. Zur Erinnerung – der ‚Wert‘ der Geisteswissenschaften besteht unter anderem darin, dass sie die gesellschaftliche Gegenwart und Geschichte reflektieren (Reflexion), dass sie einen kollektiven Erinnerungsbestand sichern (Archiv), dass die Folgen rasanter technischer Entwicklungen soziologisch und ethisch abschätzen helfen (Orientierung) und dass sie die für demokratische Gesellschaften unverzichtbaren Kompetenzen von Erinnerungs-, Reflexions- und Kritikfähigkeit (Urteilsfähigkeit) aus/bilden (vgl. Mittelstraß 1989; Teichert 2005; Zürcher 2016). Dies ist eine beachtliche Menge von Aufgaben und ‚Werten‘ gegenüber der nicht selten gerade unter Natur- und Technikwissenschaftlern verbreiteten Ansicht, Geisteswissenschaften seien nutzlos, weil wertlos, sie seien rückwärtsgewandt, methodisch überholt und würden auf reinen Glaubenssätzen beruhen. Hochproblematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Geisteswissenschaftler nicht selten in dieses Konzert einstimmen und eine ‚Krise‘ der Geisteswissenschaften beschwören (Wissenschaftsrat 2006, S. 12). Dies ist eine Selbstentwertung, die angesichts der eben genannten immensen Aufgaben der Geisteswissenschaften sehr hinderlich ist (Welzer 2008).

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Eine Ursache der krisenhaften Selbstwahrnehmung ist, dass sie über weniger finanzielle Ressourcen verfügen als andere Wissenschaften. Ihre Forschung findet vornehmlich an Hochschulen und nicht an außeruniversitären Forschungseinrichtungen statt, sodass sie weniger Fördermittelgeber haben. Obwohl das so ist, werden sie besonders häufig Opfer des Sparzwangs der Länder. Ihre Stellen sind häufig auf der Streichliste – das Verhältnis Studierende pro Professur hat sich bei steigenden Studierendenzahlen stark verschlechtert.1 Das führt dazu, dass noch weniger Zeit für die Forschung bleibt. Die Geisteswissenschaften stehen also in einem harten Wettbewerb um finanzielle Ressourcen. Für einzelne Hochschulen bedeutet dies einen zunehmenden Wettkampf um Studierende (s. dazu den Beitrag von Donata Haag in diesem Band). Dieses Problem lässt sich kurzfristig und langfristig angehen. Kurzfristig müssen die Geisteswissenschaften marktgeleitet in dem Sinne werden, dass sie ihre Forschungsmittelanträge entsprechend den Marktgegebenheiten stellen. Das heißt, sie müssen Themen und Fragestellungen entlang der Evaluierungsanforderungen der Drittmittelgeber gestalten (die größten für Geisteswissenschaften relevanten sind BMBF und DFG, sowie die Stiftungen Gerda Henkel, Volkswagen, Fritz Thyssen und Alexander von Humboldt). Das klingt nach starker Einschränkung und großem Ärgernis, lässt sich aber nur mit der langfristigen Änderung von Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie eines möglichst breiten Wissenstransfers mit den Dimensionen Reflexion, Archiv, Orientierung und Aus/ Bildung erreichen (= Marktgestaltung mit dem Ziel der Änderung der Werthaltung). Sofern Maßnahmen zur Erreichung der affektiven und kognitiven Ziele Wertschätzung und Wahrnehmung der geisteswissenschaftlichen Forschungsleistung unter anderem besonders auf Gestalter und Entscheidung von Förderprogrammen zugeschnitten sind, kann langfristig auf die Änderung – oder jedenfalls den Erhalt – der Fördermittelpolitik hinsichtlich der Geisteswissenschaften gehofft werden. Ein Teil des Wahrnehmungsproblems ist die undifferenzierte Rede von ‚den Geisteswissenschaften‘, obwohl es sich um ein stark differenziertes Feld mit sehr unterschiedlichen Gegenständen und Methoden handelt. Hier fehlt es an Differenzierungsleistung. In wissenschaftskommunikativer Hinsicht liegt hier derzeit ein großes Problem darin, dass Wissenschaftskommunikation in starkem Maße Natur- und Technikwissenschaftskommunikation ist.2 Das ist deshalb problematisch, weil diese Disziplinen zum Teil ganz andere Ziele mit ihren kommunikativen Maßnahmen verfolgen – sie dienen zwar einerseits dem Wissenstransfer, aber auch der Werbung von Nachwuchs oder der

1Kamen im Jahr 1990 noch rund 77 Studierende auf eine Professur, so waren es im Jahr 2003 fast 94 (Wissenschaftsrat 2006, S. 124); im Jahr 2014 hat sich dieses Verhältnis wieder etwas verbessert, es liegt jetzt bei rund 86 Studierenden pro Professur (Wissenschaftsrat 2016, S. 2). Über alle Fächergruppen kam es bis zum Jahr 2003 zu einem Anstieg von 52 auf 59,5 Studierenden pro Professur (Wissenschaftsrat 2006, S. 124). 2Weitze/Heckl stellen in ihrem Band Wissenschaftskommunikation gleich zu Beginn klar, dass sie unter Wissenschaft Science und nicht Humanities verstehen (Weitzke und Heckl 2016, S. 2). Auch empirische Studien zur Wissenschaftskommunikation sind daher meist auf natur- und technikwissenschaftliche Disziplinen bezogen (Bromme und Kienhues 2014, S. 58).

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Akzeptanz technischer Neuerungen. Zudem generieren sie Nachrichtenwerte und sind insgesamt aufgrund ihrer Bildlastigkeit und der Art ihrer Forschungserfolge sehr viel medienaffiner als die Geisteswissenschaften. Die für sie entwickelten Methoden lassen sich daher nicht einfach so auf die Geisteswissenschaften übertragen. Es bedarf also der Entwicklung passgenauer eigener Kommunikationsstrategien für die Geisteswissenschaften. Und es bedarf der Personen, die für diese Konzeptualisierung sowie deren Operationalisierung ausgebildet und auch eingestellt werden. Nicht zuletzt bedarf es der internen Bewerbung und Vertrauensbildung von Wissenschaftskommunikation als wichtigem Element geisteswissenschaftlicher Forschung. Insgesamt eine sehr große Aufgabe. Wie die Bewältigung aller großen Aufgaben, beginnt auch diese mit der Erledigung von Teilaufgaben. In diesem Sinne ist das nun folgende Kommunikationskonzept für den geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich 933 „Materiale Textkulturen“ an der Universität Heidelberg zu verstehen.

16.4 Fallbeispiel: Kommunikationskonzept für den Sonderforschungsbereich 933 Wissenschaftskommunikation (WiKo) für die Geisteswissenschaften steht vor besonderen Herausforderungen. Die Situation ist für geisteswissenschaftliche Verbundforschungsprojekte wie einem Sonderforschungsbereich (SFB)3 einerseits etwas besser als an geisteswissenschaftlichen Instituten, andererseits noch etwas schwieriger. Besser ist sie, weil sie zumeist über Kommunikationsinfrastrukturen wie eine eigene Stelle für Öffentlichkeitsarbeit verfügen. Besser ist sie zudem, weil es ein großes gemeinsames Forschungsprojekt gibt, dessen Gesamtergebnis weit über das hinausgeht, was in kleinen Einzelprojekten geleistet werden kann, sodass es schlicht mehr zu berichten gibt als in kleineren Forschungsstrukturen. Schwieriger ist die Situation jedoch, weil SFBs in der Regel recht spezifische Fragestellungen haben. Oft ist sehr viel Fachwissen notwendig, um Zugang zu den Themen und Fragen eines SFBs zu bekommen. Hinzu kommt, dass SFBs zwar vergleichsweise dauerhafte Strukturen sind, nach spätestens zwölf Jahren aber ohne Aussicht auf Entfristung zu Ende gehen. Eine Herausforderung für die interne Kommunikation ist zudem der stark interdisziplinäre Charakter.

16.4.1 Der SFB 933 Mit dem Programm „Sonderforschungsbereiche“ fördert die DFG anspruchsvolle, langfristig konzipierte und interdisziplinär angelegte Forschungsvorhaben durch Konzentration und Koordination der an einer Hochschule vorhandenen Kräfte (DFG 2015,

3Andere

Formen wären z. B. Exzellenzcluster, Graduiertenschulen, DFG-Forschergruppen.

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S. 179). Das Programm ist explizit grundlagenwissenschaftlich und exzellenzorientiert ausgerichtet; es soll darüber hinaus der Profilbildung des Standortes und der Interdisziplinarität dienen sowie die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern und die Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fördern. Die DFG finanziert SFBs mit Sach- und Personalmitteln über die Dauer von maximal drei mal vier Jahren. Seit einiger Zeit können Kooperationsprojekte mit externen Partnern (Transferprojekt) sowie Teilprojekte zu Informationsinfrastrukturen und auch Öffentlichkeitsarbeit (DFG, Modul Öffentlichkeitsarbeit) eingeworben werden. Den SFB 933 „Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz in non-typographischen Gesellschaften“ gibt es seit 2011 an der Universität Heidelberg (HD). Er befindet sich derzeit in seiner zweiten Förderperiode (Stand: Frühjahr 2018). Am SFB 933 werden Dinge erforscht, auf denen etwas geschrieben steht und die aus Kulturen stammen, in denen die maschinelle Reproduktion von Gedrucktem (noch) nicht verbreitet ist; darunter altägyptische Papyri, römische Inschriften, Amulette aus dem mittelalterlichen Persien u. v. m. Die beteiligten Forscher interessieren sich für die materiale Beschaffenheit dieser Gegenstände und die durch sie geprägten Handlungen, die an und mit diesen Gegenständen vollzogen wurden. Die Idee ist, dass über die Rekonstruktion von Praktiken, in die die schrifttragenden Gegenstände eingebettet waren, ihre kulturgeschichtliche Bedeutung ermittelt und so mehr über die Texte und ihre Herkunftskultur herausgefunden werden kann. Am SFB beteiligt sind 18 geisteswissenschaftliche Disziplinen von vier Fakultäten, darunter viele sogenannte ‚Kleine Fächer‘: Assyriologie, Ägyptologie, Alte Geschichte/ Epigraphik, Papyrologie, Byzantinische Archäologie, Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Mittelalterliche Geschichte, Judaistik, germanistische Mediävistik, Mittellatein, Ethnologie, Sinologie, Ostasiatische Kunstgeschichte, Islamwissenschaften, Klassische Philologie (Latinistik und Gräzistik), Theologie, Mittelalterliche Kunstgeschichte, Musikwissenschaft. Der SFB hat in seiner zweiten Förderperiode 23 Teilprojekte (darunter vier mit noch einmal je zwei bis vier Unterprojekten, insgesamt daher 30 Teilprojekte) mit je ein-zwei Mitarbeitern. Der SFB 933 verfügt darüber hinaus über ein Informationsinfrastrukturen-Teilprojekt (INF), in dem Datenbanken angelegt und gepflegt werden, die Webseite (Weboberfläche eines Content Management Systems) erstellt und überarbeitet wird, sowie ein digitales Editionsprojekt Unterstützung durch Programmierhilfe erhält. Zudem wurde für die zweite Förderperiode ein Teilprojekt zur Öffentlichkeitsarbeit (TP Ö) neu bewilligt (Projektname: Schrifttragende Artefakte in den Neuen Medien).4 In diesem Projekt werden innovative Formate der Wissenschaftsvermittlung an eine ‚breite Öffentlichkeit‘ konzipiert und umgesetzt. 4Für

das TP Ö zeichnen Friederike Elias als Leiterin und Christian Vater als wissenschaftlicher Mitarbeiter verantwortlich. Die im Folgenden genannten Formen der WiKo des TP Ö gehen auf sie zurück, d. h. Idee, Planung und Umsetzung der Kooperation mit Wikipedia, der Arbeit mit wissenschaftlichen Kurzvideos und der Entwicklung einer Stadtrundgangs-App sowie die Umsetzung der Vortragsreihe 5300 Jahre Schrift inklusive der Buchpublikation und des Spektrum SPEZIAL „Magie der Schrift“.

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16.4.2 Kommunikation für den SFB 933 konzipieren Man kann nicht nicht kommunizieren. Allein dieser Umstand sollte Anlass genug geben, sich im Rahmen eines Konzepts sorgfältig zu überlegen, wie man es tun möchte. Ein Kommunikationskonzept ist dabei ganzheitlich über alle Abteilungen einer Institution angelegt. Es passt einzelne Maßnahmen strategisch aufeinander ab; es sorgt so für Konsistenz und Kohärenz. Konzeptgeleitete Kommunikation erfolgt sehr viel zielgerichteter. Für die Ausarbeitung von PR- und Kommunikationskonzepten gibt es mehrere Methoden, die einander ähneln, aber keineswegs identisch sind. Das für den SFB 933 entwickelte Konzept orientiert sich an Klaus Schmidbauer und Eberhard KnödlerBunte (2004). Sie unterteilen den Konzeptionsprozess in analytischen, strategischen und operativen Bereich, die jeweils noch in Einzelschritte unterteilt sind. Schmidbauer/ Knödler-Bunte differenzieren weiterhin zwischen verschiedenen Arten von Kommunikations- und PR-Konzepten. Sie nennen eher langfristige und nur grob ausgearbeitete Arten (Strategieszenario, Masterplan, Jahreskonzept) und eher kurzfristige, dafür präzisierte Arten (Kampagnenkonzept, Projektkonzept, Maßnahmenkonzept) (Schmidbauer und Knödler-Bunte 2004, S. 24). Die Gestaltung der Gesamtkommunikation des SFB 933 entspricht am ehesten der Konzeptform ‚Masterplan‘. Er ist ähnlich wie das Strategieszenario auf mindestens drei Jahre angelegt und kann die Kommunikation mit Blick auf mehrere Zielvariablen und -gruppen entwerfen. Der Masterplan arbeitet darüber hinaus auch konkrete Maßnahmen jedenfalls skizzenhaft aus.

16.4.3 Das Konzept Das Kommunikationskonzept für den SFB 933 habe ich als wissenschaftliche Koordinatorin des SFB 933 Anfang des Jahres 2016 für die Zeit bis Februar 2019 entwickelt. Die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen lief bereits bzw. begann im Februar 2017. Daher lässt sich zu diesem Zeitpunkt (2018) schon etwas über Schwierigkeiten, aber auch den Erfolg des Konzepts sagen. Das Konzept setzt in einer Situation an, in der es bereits eine Vielzahl kommunikativer Maßnahmen am SFB 933 gab, die zum Teil auch als Konzept in Form des Arbeitsplans (2015–2019) des TP Ö vorlagen. Öffentlichkeitsarbeitsteilprojekte sollen jedoch dezidiert keine klassische Öffentlichkeitsarbeit machen, sondern neue Wege der Wissenschaftskommunikation entwickeln und umsetzen, die zu den am jeweiligen SFB beteiligten Disziplinen passen. Das Kommunikationskonzept sollte daher neue und klassische Formen der WiKo vereinen. Da das Kommunikationskonzept hier als wesentlicher Bestandteil eines Marketingkonzepts für einen geisteswissenschaftlichen Forschungsverbundes vorgestellt wird, sei darauf verwiesen, dass die Beschaffung von finanziellen Ressourcen einer der unmittelbareren Zwecke des Konzepts ist – entsprechend sind die Fördermittelgeber ‚Universität HD‘ und ‚DFG-Gutachter‘ wichtige Zielgruppen (Stakeholder) des Konzepts. Dem Konzept hinzuzufügen ist daher, dass die Institution selbst – nicht das an ihr ‚produzierte‘ Wissen –, strategisch so aufgestellt werden muss, dass sie den Evaluationskriterien der

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DFG entspricht – darunter fällt zwar ein starker Wissenstransfer, aber auch exzellente interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die Förderung von Nachwuchs und Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Umsetzung der kommunikativen Maßnahmen ist daher insgesamt in das strategische Management des SFB 933 integriert, das zeitlich auf den Fortsetzungsantrag zuläuft (Ende 2018). Auch die anderen bei Schmidbauer (S. 52ff. in diesem Band) genannten Elemente des Marketing-Mix sind zentral für das Marketing-Konzept des SFB 933 (Leistung = Forschungsergebnisse, Zugang = Open Accessibility der Forschungsergebnisse, Kooperation = Netzwerkpflege, Kooperationsverträge), stehen hier aber nicht im Vordergrund.

Analyse – Wo stehen wir? Welches kommunikative Problem ist zu lösen? Am Beginn einer jeden Analyse steht das Briefing durch den Auftraggeber – in diesem Fall fiel es jedoch weg, da das Konzept intern entwickelt wurde. Die Erfassung der Ausgangssituation liefert eine Skizze aller kommunikativ relevanten Aspekte: Wie wird bislang kommuniziert? Wer sind die Akteure? Welche Probleme gibt es? Wie sind näheres Umfeld und weiterer Horizont der Kommunikation zu beschreiben? Sehr grob ließ sich die Situation wie folgt darstellen: Ausgangssituation: Die kommunikative Ausgangssituation ist günstig, da der SFB 933 mit dem TP Ö (Teilprojektleiterin und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter) und seiner wissenschaftlichen Koordinatorin, die neben Aufgaben des Wissenschaftsmanagements auch klassische Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit übernimmt, drei Personen hat, die für WiKo zuständig sind. Das TP Ö hat den Wechsel zu neuen Medien begonnen – das TP hat eine Kooperation mit der online-Enzyklopädie Wikipedia etabliert sowie wissenschaftliche Kurzvideos (YouTube) erarbeitet, und es entwickelt eine App für einen familienfreundlichen Stadtrundgang. Darüber hinaus hat der SFB auch klassische Formate erfolgreich bespielt (populärwissenschaftliche Veranstaltungen und Publikationen5 sowie Ausstellungen). Die SFB-internen Akteure stimmen ihre Handlungen ab und werden unterstützt durch die sehr große Abteilung Kommunikation und Marketing (KuM) der Universität Heidelberg. Der kommunikative Rahmen ist ebenfalls vergleichsweise günstig, da die Universität Heidelberg als älteste Universität Deutschlands unter anderem mit starken geisteswissenschaftlichen Fächern in internationalen Rankings punktet. Die Hochschulleitung räumt weiterhin Wissenschaftsmarketing und -kommunikation große Bedeutung ein. Die Kommunikatoren an der Universität Heidelberg sind mit einem zweimal jährlich stattfindenden ‚Runden Tisch‘ gut vernetzt.

5Im Jahr 2015 gab es während des Sommersemesters die an der an der Universität Heidelberg etablierte Reihe „Akademische Mittagspause“ in der Heidelberger Peterskirche mit dem Titel „5300 Jahre Schrift“ mit 60 Vorträgen vor allem von SFB-Mitgliedern, die im Jahr 2017 als ‚Coffee Table Book‘ erschienen sind (Böttner et al. 2017; www.5300jahreschrift.de). Im Jahr 2016 erschien das Sonderheft von Spektrum SPEZIAL – Archäologie/Geschichte/Kultur „Magie der Schrift“, an dem ausschließlich SFB-Mitglieder beteiligt waren. Mitglieder des SFB publizieren auch regelmäßig in dem universitätseigenen, aufwändig produzierten Magazin „Ruperto Carola“ zu SFB-nahen Themen.

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Herausforderungen: Der SFB 933 tritt mit seinem kommunikativen Handeln in den vielstimmigen und entsprechend harten Wettbewerb um Aufmerksamkeit ein – weder in der Fachwelt noch in der wissenschaftsinteressierten Öffentlichkeit hat akademische Verbundforschung hier besonders leichte Hand. Hinzu kommt der geringe Nachrichtenwert geisteswissenschaftlicher Forschung, durch den klassische Kommunikationskanäle wie Presse und Fernsehen nicht bespielt werden können. Auch das öffentliche Interesse an geisteswissenschaftlicher Forschung ist im Vergleich zu medizinischer oder anderer naturwissenschaftlicher Forschung insgesamt eher schwächer ausgeprägt (Wissenschaft im Dialog 2017). Zwar hat der SFB erfolgreich Formate wie Vortragsreihen und Ausstellungen umgesetzt, erreicht damit aber fast ausschließlich die Zielgruppe ‚Bildungsbürger 50plus‘ – mit nicht klar umrissenem Kommunikationsziel. Das Interesse der Forscher des SFB an Wissenschaftskommunikation ist zwar da, die Zeit dafür aber knapp und die Kompetenzen dazu nicht immer sehr gut ausgeprägt. Aufgabe: Der SFB 933 muss und will seine Forschungsergebnisse der Fachwelt und der ‚breiten Öffentlichkeit‘ vermitteln, er muss weiterhin der Leitung der Uni HD und der DFG kommunizieren, dass seine Forschung exzellent und ab dem Sommer 2019 für weitere vier Jahre förderungswürdig ist. Kurzfristig muss dafür die Bereitschaft der SFB-Mitglieder, Wissenschaftskommunikation zu betreiben erhöht werden. Mittelfristig soll die Fachkommunikation verdichtet und Förderung für weitere vier Jahre erreicht werden. Langfristig soll gesellschaftlich die Wahrnehmung und Wertschätzung von geisteswissenschaftlicher Forschung erhöht werden; dafür muss die bisher erreichte Zielgruppe um andere ergänzt werden. Es wurde eine vertiefte Recherche 1) zur Wissenschaftskommunikation anderer drittmittelgeförderter Projekte in Deutschland (SFBs und Exzellenzcluster) in den Naturund Geisteswissenschaften, 2) zur Kommunikation mit der Fachwelt und 3) mit einer Umfrage zur internen Kommunikation gemacht. Das Ergebnis dieser Recherche legte für geisteswissenschaftliche Forschung einen Wechsel weg von klassischen Medienkanälen hin zu neuen Medien nah, der am SFB 933 durch das TP Ö auch bereits begonnen wurde. Anderenorts ließ sich noch eher wenig gezielte Wissenschaftskommunikation mit Neuen Medien finden. Eine Ausnahme bildeten sehr erfolgreiche und auch theoretisch untermauerte Blogportale wie hypotheses.org, ein Portal für geistes- und sozialwissenschaftliche Blogs.6 Die interne Befragung ergab grundsätzliche Zufriedenheit mit Art und Frequenz der internen Kommunikation.7

6Redaktionsmitglied

von hypotheses.org, Mareike König, schreibt dazu: „de.hypotheses ist als Blogportal angetreten, Antworten auf die gängigen Vorurteile und Bedenken gegenüber dem Wissenschaftsbloggen zu liefern, nämlich Fragen der Sichtbarkeit/Auffindbarkeit, Qualität, Archivierung und Zitierbarkeit von Blogs“ (König 2016). 7Einseitiger Fragebogen zu Nutzung von und Zufriedenheit mit internen Kommunikationsangeboten und -kanälen (E-Mail, monatlicher interner Newsletter, Webseite), der auf einer Mitgliederversammlung ausgegeben und direkt ausgefüllt und abgegeben wurde (Dez. 2015).

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Die Ergebnisse von Briefing bzw. Erfassung der kommunikativen Ausgangssituation und vertiefender Recherche wurde in einem Faktenspiegel zusammengefasst und wie folgt in einer Analyse der Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats (SWOT) verdichtet (s. Tab. 16.1): Am Ende der Analyse steht die Ist-Soll-Brücke. Sie bildet das Scharnier zwischen der gegebenen Situation zu einer Strategie, um sie zu verändern. Dabei werden Stärken so eingesetzt, dass sie Schwächen ausgleichen und Chancen so genutzt, dass die Risiken jedenfalls nicht überhand nehmen. Für den SFB 933 wurde die Brücke so angelegt, dass die bestehende innovative Wissenschaftskommunikation des TP Ö gebündelt und verstärkt wird. Die weitere Verstärkung innovativer und dialogischer Formate und Kanäle muss SFB-intern akzeptiert und übernommen werden. Die bisher erreichte Zielgruppe sollte um solche ergänzt werden, deren Werthaltung gegenüber geisteswissenschaftlicher Forschung gesellschaftlichen und auch politischen Einfluss hat/potenziell haben wird.

Tab. 16.1  SWOT-Analyse der kommunikativen Situation des SFB 933 Stärken

Schwächen

– Bilder und Objekte – Exzellente Forscher – Personell und konzeptuell starke WiKo – Mix klassischer und innovativer Formen der WiKo (Wikipedia, Videos, ­Stadtrundgang-App) – Ansprechende Webseite – Etablierte interne Kommunikation – Viele Nachwuchswissenschaftler

– Zeitliche Befristung des Verbundes – Schwer verständliche Forschung – Identifikation mit SFB z. T. eher schwach – Bereitschaft zu WiKo (Zeit, Fähigkeit)

Chancen

Risiken

– Schrift/Schriftlichkeit sind spannende ­Themen von allgemeinem Interesse – Allgemeines Interesse an spannenden Geschichten über vergangene Kulturen – Positionierung der Stadt Heidelberg als ‚Wissenschaftsstadt‘ – WiKo inzw. auch in den ­Geisteswissenschaften wichtiger – Lebendige Blogcommunity – Wikipedia ist viel frequentierte ­Wissensvermittlerin

– Starker Wettbewerb um Aufmerksamkeit – New/Social Media in den ­Geisteswissenschaften sehr kritisch gesehen – Thema des SFB nicht an gesellschaftliche Problemlagen anschlussfähig – Allgemein eher geringes Interesse an ­Geisteswissenschaften

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Strategie – Welche Ziele sollen bei wem auf welchem Weg erreicht werden? Die Erarbeitung einer schlüssigen Strategie läuft über die Beantwortung der Fragen, für wen (Zielgruppe/n)8, zu welchem Ende (Kommunikationsziele), vom wem (Positionierung), was (Dachbotschaften) und wie (strategischer Weg) vermittelt werden soll. Zielgruppenbestimmung: Der SFB 933 hat mit seiner externen Kommunikation bislang vor allem die Fachwissenschaftler und die sogenannte „breite Öffentlichkeit“ angesprochen.9 Letztere bestand faktisch aus einer Gruppe akademisch gebildeter und interessierter Heidelberger Bürger zwischen 50 und 70 Jahren. Diese Gruppe kann als Rahmenzielgruppen in die Strategie aufgenommen werden, auf sie zugeschnittene ­Maßnahmen dienen der Sichtbarkeit des SFB an der Uni HD und passen zum Gutachtergremium der DFG. Fachwissenschaftler bleiben eine der Kernzielgruppen. Da die Wissenschaftskommunikation des SFB 933 jedoch vor allem dahin zielen sollte, das Bild von geisteswissenschaftlicher Forschung zu verändern und das gesellschaftliche Ansehen der Geisteswissenschaften zu steigern, sollten Studierende aller Fächer und Nachwuchswissenschaftler als künftige Entscheider und Meinungsbildner angesprochen werden (Kernzielgruppe). Weiterhin spielen insbesondere die Nachwuchswissenschaftler eine Rolle für die künftige Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften und ihre stärker dialogische Gestaltung. Auch die DFG-Gutachter und die Uni HD (bzw. ihre Leitung) sind für den Fortbestand des SFB 933 unerlässliche Kommunikationsgruppen und dürfen in der Zielgruppenaufstellung nicht fehlen. Für die Kommunikation mit der Fachwissenschaft, der DFG und der Universität ist die aktive Beteiligung der SFB-­ Mitglieder essentiell, sodass sie eine wichtige Ziel- bzw. Mittlergruppe in der Übersicht ­bilden (s. Abb.  16.2). Zieldefinition: Auf die nähere Charakterisierung der identifizierten Zielgruppen folgt die Definition der Ziele, die immer auf die Zielgruppen bezogen wurden. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um kognitive Ziele (Wissensmehrung, Aufmerksamkeit), die sich jedoch in der Regel nicht von affektiven Zielen lösen lassen. Wird Aufmerksamkeit für unverständliche oder langweilige Sachverhalte erzeugt, so sind die begleitenden Emotionen eher negativer Natur. Um jedoch Fernziele wie die bessere Ausstattung geisteswissenschaftlicher Forschung durch Entscheider (konatives Ziel) zu erreichen, muss die vermittelte Information nachhaltig und affektiv positiv besetzt sein. Es muss

8Schmidbauer setzt die Zielgruppenbestimmung vor die Zieldefinition, um nur „erfolgversprechende Gruppen ins Visier [zu] nehme[n] und mit maßgenauer Kommunikation möglichst punktgenau an[zu]sprechen“ (Schmidbauer 2011, S. 65), sodass ressourcenfressende Kommunikation in eine nicht spezifizierte Öffentlichkeit oder eine zu groß gewählte Zielgruppen, deren Erfolg nicht gemessen werden kann, vermieden wird. 9Da die „breite Öffentlichkeit“ keine Zielgruppe ist (vgl. z. B. Könnecker 2012, S. IX), muss genauer ermittelt werden, wer eigentlich angesprochen werden kann und auf wen der SFB 933 sich bei diesen möglichen Gruppen konzentrieren sollte.

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Abb. 16.2   Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation des SFB 933

eine Überzeugung entstehen – dafür kann die Wissenschaftskommunikation des SFB 933 nur Stückwerk sein, sie sollte daher auch darauf abzielen, dass erfolgreichere Formen der Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften etabliert werden. Es wurden daher zwei zentrale Ziele festgelegt: 1. Langfristig soll das Ansehen geisteswissenschaftlicher Forschung, wie sie am SFB 933 betrieben wird, gesteigert und das historische Bewusstsein bei Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern gestärkt werden, da sie künftig die Gesellschaft in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gestalten und von diesen Positionen aus im Sinne geisteswissenschaftlicher Forschung entscheiden können. Mit diesem schwer messbaren langfristigen Ziel ist das kurzfristige Ziel der stärkeren affektiven und dialogischen Einbindung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern aller Fächer in Heidelberg, aber auch darüber hinaus (virtuell) verbunden. 2. Langfristig sollen wissenschaftskommunikative Aktivitäten in den Geisteswissenschaften wertgeschätzt und etabliert werden. Kurzfristig lernen die Mitglieder des SFB 933 neue Formate der Wissenschaftskommunikation kennen und sind bereit, sich an ihnen zu beteiligen. Mittelfristig werden die Mitglieder des SFB 933 zu Botschaftern seiner Forschungs- und Wissenschaftskommunikationsmethoden in ihren ­Disziplinen. Die gesamte Strategie beruht darauf, externe und interne Personen, die an relevanten Positionen stehen oder stehen werden, zu Botschaftern zu machen

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• für die Geisteswissenschaften als wichtiges Element vitaler moderner Gesellschaften (Studierende/Nachwuchswissenschaftler/Fachwissenschaftler) und • für die Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften (Mitglieder des SFB/Fachwissenschaftler). Positionierung: Zuletzt wurde eine Verengung der strategischen Ausrichtung auf zwei Zielgruppen vorgenommen: Auf eine, die sich in der Phase akademischer Ausbildung oder Weiterqualifikation befindet, sowie auf die Mitglieder des SFB 933 selbst, da sie zentrale Mediatorenwirkung für die Verbreitung der Forschungsergebnisse und -methoden und die Etablierung neuer wissenschaftskommunikativer Formate in ihren Fächern haben. Zudem stehen mindestens zwei zentrale Ziele nebeneinander, die sich in der Positionierung wiederfinden müssen: 1) Die Steigerung von Wahrnehmung und Akzeptanz geisteswissenschaftlicher Forschung bei jüngeren Akademikern sowie 2) die Akzeptanz und Übernahme neuer wissenschaftskommunikativer Formate durch Geisteswissenschaftler, zunächst des SFB 933. Das Bild, das kommunikativ von den Forschungstätigkeiten und -ergebnissen des SFB 933 erzeugt werden soll, muss beiden Zielen entsprechen und sollte den oben genannten nicht widersprechen. Folgende Positionierung wurde gewählt: • Geisteswissenschaftliche Forschung, wie sie am SFB 933 zu Schriftlichkeit in vergangenen Kulturen betrieben wird, erzeugt fachlich und allgemein relevantes Wissen. Sie ist außerdem für das Verständnis von Geschichtlichkeit und Vielgestaltigkeit menschlicher Kultur sowie für die große gesellschaftliche Bedeutung von Schrift interessant und wichtig. Die Forscher am SFB 933 sprechen über ihre Tätigkeit und ihre Ergebnisse mit Fachkollegen und der ‚interessierten Öffentlichkeit‘, ibs. mit Nachwuchswissenschaftlern und Studierenden aller Fächer. Die Formen der Wissenschaftskommunikation, die für diesen Dialog entwickelt werden, sind beispielhaft für andere geisteswissenschaftliche Forschungsprojekte. Dachbotschaften: Mit folgenden Dachbotschaften soll dieses Bild vermittelt werden: • Alte Texte und Schriften – spannende Geschichten: Die Forschungsgegenstände unseres Verbundes kann man ansehen, anfassen und wir können spannende Geschichten zu ihnen erzählen. • Alte Kultur – neue Geschichten: Schrift und ihre Materialität sind Teil der Menschheitsgeschichte, die nicht abgeschlossen ist. Wir erfahren etwas über unsere Welt, wenn wir Schrift und die von ihr geprägte Praxis besser verstehen. • Alte Kultur erzählen! Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften ist wichtig. Der SFB 933 kommuniziert innovativ und vielgestaltig. • Alte Kultur diskutieren! Die Wissenschaftler am SFB 933 sind offen für den Dialog mit Kollegen, Nachwuchswissenschaftlern und Studierenden aller Fächer. • Alte Kultur erforschen! Der SFB 933 trägt zur Wissensmehrung und Methodenverbesserung in den beteiligten Disziplinen bei. Die Mitglieder publizieren angemessen viel und diskutieren ihre qualitativ hochwertigen Ergebnisse mit der Fachwelt.

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Tonalität/Darstellung: Die Dachbotschaften werden eingebettet in die bestehende, eher zurückgenommene und seriös wirkende Corporate Identity des SFB 933. Auch spannende Geschichten werden nicht mit knalligen Farben ausgestattet, sondern eher nüchtern vermittelt. Einerseits ist nur so die Übernahme neuer Formate durch die Mitglieder des SFB 933 gewährleistet, andererseits wird so vermieden, etwas zu versprechen, was auch die gewilltesten Forscher im Verbund nicht leisten können. Strategischer Weg: Auf welchem Weg sollen die Dachbotschaften transportiert werden, um die Positionierung nach innen und außen wirksam werden zu lassen? Da die Wissenschaftskommunikation am SFB 933 bereits vergleichsweise gut aufgestellt ist, es jedoch bislang an entsprechender Resonanz fehlt, wird vor allem auf die Wahl der Kommunikationswege bzw. auf Verstärkungen, Verdichtung und Bündelung vorhandener ‚Frequenzen‘ Wert zu legen sein. Die Strategie beruht darauf, andere zu Botschaftern für Wahrnehmung und Ansehen geisteswissenschaftlicher Forschung, wie sie am SFB 933 betrieben wird, bzw. zur Erhöhung der Bekanntheit des SFB 933 selbst sowie für neue Formen der Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften zu machen. Diese Botschafter sind vor allem Studierende und Nachwuchswissenschaftler, aber auch Fachkollegen. Die gesamte Strategie hebt darauf ab, sie im Dialog dazu zu motivieren und langfristig zu aktivieren, Fürsprecher für geisteswissenschaftliche Forschung als Teil einer lebendigen, modernen Gesellschaft zu sein. Die Strategie unterteilt sich in einen internen und einen externen Weg (s. Tab. 16.2): Visuelle Leitidee: Der SFB 933 hat seit seiner Einrichtung im Jahr 2011 eine Corporate Identity, die aufgrund der maximal zwölfjährigen Laufzeit nicht geändert werden sollte. Unabhängig von dieser negativen Begründung kann das Logo aber auch zur Versinnbildlichung der Tätigkeiten am SFB 933 und seiner methodischen Grundlagen dienen. Das Logo und die Gestaltung von Werbematerialien ist zudem mit der sehr starken Corporate Identity der Universität Heidelberg abgestimmt. Es gibt einen von der KuM-Abteilung abgenommenen Logoverbund (s. Abb. 16.3).

Tab. 16.2  Strategischer Weg – intern und extern Interne Strategie

Externe Strategie

– Neue Formen der Wissenschaftskommunikation etablieren (Aufmerksamkeit für/Befähigung zu spannender/dialogischer Wissenschaftskommunikation) – Mitglieder zu Botschaftern SFB 933/ WiKo machen

– Spannende, bildreiche Geschichten über ‚unsere Welt‘ in den Vordergrund stellen – Dialogische Gestaltung der Wissenschaftskommunikation – Kommunikationswege ‚verjüngen‘, aber passend zum SFB 933 halten – Kommunikation über Wissenschaftskommunikation – Bislang entwickelte Formate beibehalten

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Abb. 16.3   Logoverbund von SFB 933 und Universität Heidelberg

Der Block in der Mitte mit den drei großen Buchstaben symbolisiert schrifttragende Artefakte, der rote Kreis den Verbundcharakter des SFB 933. Die um diesen Block gelegten, einander überschneidenden Kreise zeigen das wissenschaftliche Verfahren der Anreicherung mit historischen und praktischen Kontexten an, die die schrifttragenden Dinge in ihre Ursprungskultur einbetten und so ihr besseres Verstehen ermöglichen. Das SFB-Logo passt zum Logo der Universität Heidelberg und wird in der Regel im Verbund abgebildet. Die Logos sind gut aufeinander abgestimmt – der hellrote Halbkreis kann auch die Zugehörigkeit zur Universität Heidelberg anzeigen.

Operationalisierung – Welche Maßnahmen, für wen und wann? Die Gesamtstrategie der Wissenschaftskommunikation am SFB 933 soll künftig noch stärker und entschiedener auf die Zielgruppe junger Akademiker ausgerichtet sein (Studierende und Nachwuchswissenschaftler). Im Wesentlichen können dafür alle geplanten oder bereits laufenden Maßnahmen beibehalten werden. Dies sind extern: Vortragsreihen, Ausstellungen, populärwissenschaftliche Publikationen, Wikipedia-Kooperation, Wissenschaftsvideos, Stadtrundgangs-App; und intern: Newsletter, Workshops zu WiKo-Formaten. In einigen Fällen wird ein Kommunikationskanal als Verstärker ergänzt. Eine weitere größere Ergänzung ist die fortlaufende interne und externe Berichterstattung über die Wissenschaftskommunikation des SFB 933, sodass die neueren Formate vor allem der Fachöffentlichkeit kenntlich werden. Kern der im Folgenden ausgeführten Maßnahmen­ strukturierung ist es, die bestehenden Maßnahmen stärker miteinander zu verknüpfen und ihnen eine zentrale Vernetzungsmaßnahme an die Seite zu stellen. Die Maßnahmenstrukturierung (s. Tab. 16.3) wurde entlang der Zielgruppen vorgenommen und an der zur Verfügung stehenden Zeit ausgerichtet (Restlaufzeit der DFG-Förderung waren im Jahr 2016 drei Jahre). Da mit Ausnahme einer zentralen Vernetzungsmaßnahme keine neuen Maßnahmen vorgeschlagen wurden, konnte auf eine Kostenplanung verzichtet werden, da es sich im Wesentlichen um Personalkosten handelte, die durch die Bewilligung der Kostenplanung für die Geschäftsstelle (Koordinatorin) des SFB 933 und das TP Ö bereits gedeckt waren. Aus Platzgründen wird hier selbst auf die groben Zeitpläne verzichtet – erwähnt sei nur, dass die Abgabe des vierhundertseitigen Fortsetzungsantrags an die DFG im November 2018 sowie die Begutachtung des SFB vor Ort durch die DFG im Februar 2019 zentrale Faktoren bei der Planung waren.

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Tab. 16.3  Zentrale Maßnahmen für Kern- und Rahmenzielgruppen Zielgruppe

Ziel

Maßnahme

Zentrale interne Maßnahmen (Zielgruppe: SFB-Mitglieder ibs. Nachwuchs)

Akzeptanz von und Befähigung zu (neuen Formen von) Wissenschaftskommunikation

Workshops zu Video-Clips, zum Story Telling, zur Kooperation mit der Wikipedia

Zentrale externe Maßnahmen (Kernzielgruppe Studierende als spätere Entscheider/Nachwuchswiss. als angehende Kommunikatoren)

Wahrnehmung und Akzeptanz/ Wissenschaftsblog, Video­ Wertschätzung von geistesClips (YouTube-Kanal der wissenschaftlicher Forschung Uni Heidelberg), WikipediaKooperation (Einbindung in die Lehre), Stadtrundgang als interaktives Angebot

Zentrale externe Maßnahmen (Rahmen-/Mittlerzielgruppen interessierte Heidelberger Bürger 50plus, DFG, Unileitung HD

Wahrnehmung und ­Wertschätzung geisteswiss. Forschung/Förderung des SFB durch Uni HD und DFG

Populärwiss. Vortragsreihe, Ausstellungen, Coffee Table Book „5300 Jahre Schrift“ (mit begleitender Webseite), Spektrum SPEZIAL „Magie der Schrift“

Es wurden zudem begleitende Maßnahmen konzipiert, die Studierende aller Fächer noch stärker engagieren sollten: Einbettung in die Lehre, Podcasts mit dem sehr erfolgreichen Heidelberger Team von Science Pie (www.sciencepie.org) sowie ein studentischer Wettbewerb zur schönsten Heidelberger Inschrift. Weitere begleitende Maßnahmen waren die stete Zusammenarbeit mit der KuM-Abteilung der Universität Heidelberg sowie die Berichterstattung über die Wissenschaftskommunikation am SFB 933 auf Veranstaltungen von Wissenschaftskommentatoren. Als zentrale verbindende und kommunikationsverstärkende Maßnahme wurde ein wissenschaftlicher Blog konzipiert. Diese Entscheidung beruht auf der durch die Arbeit des TP Ö bereits begonnenen Umstellung auf die jüngere Zielgruppe zukünftiger Entscheider. Blogs sind der Möglichkeit nach dialogisch durch die Kommentarfunktion. Zudem können alle wissenschaftskommunikativen Maßnahmen auf dem Blog über kleine Berichte eingebunden werden. Der Blog wurde im März 2017 auf der Plattform www.hypotheses.org für geistes- und sozialwissenschaftliche Blogs eingerichtet.

Evaluation – Was hat welches Ziel bei wem erreicht? Dieser Bericht wurde gut zwei Jahre nach Entwurf des Kommunikationskonzepts verfasst. Es lässt sich also bereits einiges über seine Praktikabilität, aber auch die mit ihm verbundenen Probleme sagen. Über die Zielerreichung hingegen lässt sich noch nicht sehr viel aussagen. Das mittelfristige, eher wissenschaftsmarketingrelevante Ziel der Ressourcenbeschaffung (Weiterförderung durch die DFG) liegt noch in der Zukunft. Die Entscheidung wird im Mai 2019 fallen. Im Vorlauf werden verstärkt Anstrengungen auf die strategische Planung der Teilprojekte und der ‚Zahlen‘ (Nachwuchs- und Teilprojektleiterinnenquote) gelegt. Bei diesem Ziel wird zwar klar feststellbar sein, ob es erreicht

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ist, aber nicht, welchen Anteil die kommunikativen und managementstrategischen Maßnahmen daran hatten. Noch schlechter verhält es sich mit der Messbarkeit des langfristigen Ziels der stärkeren Wahrnehmung und Wertschätzung geisteswissenschaftlicher Forschung bei künftigen Entscheidern (jetzt junge Akademiker aller Fächer). Alle Maßnahmen des SFB zu diesem Zweck können nur Stückwerk sein. Wichtiger ist daher der kurzfristige und jedenfalls grob messbare Erfolg der internen Maßnahmen, durch die vor allem Nachwuchswissenschaftler des SFB zu Wissenschaftskommunikation angeregt und befähigt werden sollten, und der externen Maßnahmen, die auf Vernetzung mit der Scientific Community angelegt sind. Diese Maßnahmen lassen sich jetzt bereits vorläufig beurteilen (s. Tab. 16.4). Die vorstehende Tabelle umfasst bei weitem nicht alle kommunikativen Aktivitäten des SFB 933 seit Entwicklung des Konzepts. Es wurde aber auch bei den nicht aufgeführten Maßnahmen auf Passung zum Konzept geachtet. Hervorgehoben sei der überraschende Erfolg zweier im Konzept gar nicht zentral angesetzter Maßnahmen: 1. Wikipedia und Lehre: Die beiden Mitglieder des TP Ö, Friederike Elias und Christian Vater, haben in ihren Disziplinen (Soziologie und Philosophie) Wikipedia-Übungen als Lehrveranstaltungen angeboten, bei denen statt Hausarbeit ein Wikipedia-Artikel zu einem wissenschaftlichen Thema geschrieben werden mussten. Dieses Format war nicht nur bei den Studierenden erfolgreich, sondern hatte auch ein unerwartet starkes mediales Echo.10 2. Twitter: Um den SFB-Blog nicht nur über die SFB-Webseite zu verbreiten, wurde ein SFB 933-Handle im Kurznachrichtendienst Twitter eingerichtet (@sfb933, betreut von der SFB-Koordinatorin). Diese Maßnahme sollte ausschließlich dazu dienen, einige Abonnenten zu haben, denen man die Veröffentlichung neuer Beiträge auf dem Blog mitteilen kann. Es hat sich jedoch gezeigt, dass vor allem (Mittelalter-) Historiker und Archäologen sehr aktive Communities auf Twitter haben, sodass dieser Kanal seit seiner Einrichtung fast der hauptsächliche und vor allem sehr dialogische Kommunikationsweg für den SFB 933 mit der (jüngeren, dafür aber auch internationalen) Fachcommunity ist. Aus diesem Grund wird fast alles, was am SFB 933 passiert, auch über Twitter verbreitet, in der Regel mit Bildern und Links, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Tweet-Schwerpunkt von @sfb933 liegt auf der disziplinären Forschung, Digital Humanities, Open Access und Wissenschaftskommunikation (Statistik: 314 Follower (März 2018), monatl. ca. 14.000 Tweet-Impressionen, ca. 500 Twitter-Profilbesuche).

10Spiegel online (http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/uni-heidelberg-alternative-zur-hausarbeitwikipedia-eintrag-als-leistungsnachweis-a-1135556.html), Deutschlandfunk (http://www.deutschlandfunk.de/universitaet-heidelberg-wikipedia-eintrag-statt-hausarbeit.680.de.html?dram:article_id=379439), ZDF Heute-plus @heuteplus (https://twitter.com/heuteplus/status/834881970807181317), FAZ-Blog (http://blogs.faz.net/blogseminar/seminararbeiten-alles-fuer-die-tonne/).

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Tab. 16.4  Evaluation der zentralen und begleitenden Maßnahmen Was

Bericht

Erfolg/(Um-)Planung

Blog

Seit März 2017 als sfb933.hypotheses.org (vor allem Berichte und Interviews), Verbreitung über Webseite (Link) und Twitter (@sfb933)

12.500 Klicks seit Beginn (für Geisteswissenschaften gut). Mehrfach Hervorhebung von Beiträgen auf ‚Mutterseite‘ von hypotheses. de. Intern zunehmend positiv wahrgenommen (Gastbeiträge von SFB-Mitgliedern angeboten). Kommentarfunktion wird selten benutzt.

Interne Workshops (Videos, Wikipedia)

Die Video-Workshops wurden zwei Mal angeboten. Es fanden zwei Wikipedia-Kooperationsveranstaltungen mit Einrichtungen der Uni statt (Antikenmuseum und Universitätsbibliothek)

Workshops von wiss. Seite mäßig besucht. Umplanung: Videos werden jetzt eher im direkten Kontakt mit SFB-Mitgliedern produziert. Wikipedia-Workshops besser besucht, Aufnahme positiv. Wahrnehmung in der Hochschule sehr erfolgreich (Wikipedia-Workshops des TP Ö für Kommunikatoren der Uni HD). Auch bei Wikipedia sehr erfolgreich (Auszeichnung für TP Ö-Mitarbeiter Christian Vater)

YouTube-Clips

Es wurden fünf Videos produziert, die auf der SFB-Webseite zu sehen sind (kein Klickzähler). Es wurde außerdem eine SFB-eigene Playlist auf dem YouTube-Kanal der Uni Heidelberg eingerichtet.

Auf der SFB-Webseite nicht ermittelbar. YouTube-Videos zwischen 370 und 1400 Aufrufe. Eine Museumsanfrage zu einem Video (soll in Ausstellung gezeigt werden). Es entsteht keine Interaktion mit Zuschauern.

StadtrundgangsApp

Noch in Produktion.

Beta-Version für Anfang 2019 geplant.

Coffeetable Book „5300 Jahre Schrift“ und Spektrum SPEZIAL

Publikation einer populärwiss. Vortragsreihe in Heidelberger Wunderhorn-Verlag. Begleitender Launch der Webseite (www.5300jahreschrift.de), auf der der Band im Open Access steht. Spektrum SPEZIAL „Magie der Schrift“ (09/2016)

Sowohl das Spektrum-Heft, das Buch als auch die Webseite werden von Fachkollegen, interessierter Öffentlichkeit und Hochschulleitung sehr positiv aufgenommen.

Podcast mit SciencePie

Anfrage begleitend zu einer Veranstaltungsreihe wurde aus Zeitgründen abgesagt.

Erneuter Versuch Mitte 2018

Studentischer Wettbewerb

Noch nicht umgesetzt

Eventuell Ende 2018/Erstes Halbjahr 2019

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N. Schneidereit

16.5 Zusammenfassung Der SFB 933 hat sich seit 2015 einer Wissenschaftskommunikation verschrieben, die junge Akademiker und Nachwuchswissenschaftler in den Blick nimmt. Ersteres, um langfristig auf Wertschätzung und ggf. auch Unterstützung von geisteswissenschaftlicher Forschung von späteren Entscheidern zu erreichen. Letzteres extern, um die Vernetzung im Fach zu stärken, und intern, um Geisteswissenschaftler auch zu Botschaftern ihrer Fächer und deren Kommunikationserfordernisse zu machen. Zugleich setzt das Konzept begleitend auf die für Geisteswissenschaften vergleichsweise leicht erreichbare Zielgruppe ‚Bildungsinteressierter 50plus‘, da es Überschneidungen mit den beiden hochrelevanten Rahmen- und Mittlerzielgruppen DFG-Gutachter und Hochschulleitung gibt. Dieser Anteil der kommunikativen Maßnahmen steht in stärkerem Maße in einem marketingstrategischen Zusammenhang, da es hier auch um die Weiterfinanzierung des SFB 933 bis maximal 2023 geht. Die Strategie und Maßnahmen können hinsichtlich der kurz- und mittelfristigen Ziele als vielversprechend angesehen werden. Nachtrag: Die Weiterförderung des SFB 933 wurde im Mai 2019 von der DFG für weitere vier Jahre bewilligt. Sowohl die Wissenschaftskommunikation als auch das strategische Management erhielten sehr gute Bewertungen.

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16  Wissenschaftsmarketing für die Geisteswissenschaften …

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Nele Schneidereit  ist seit 2015 für die Koordination und Kommunikation des SFB 933 „Materiale Textkulturen“ an der Universität Heidelberg zuständig. Seit 2017 übernimmt sie diese Aufgaben als wissenschaftliche Geschäftsführerin. Sie schloss das Aufbaustudium „Wissenschaftsmarketing und -kommunikation“ an der TU Berlin im Jahr 2017 mit einer Masterarbeit zu Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften ab. Zuvor war sie als Postdoktorandin im philosophischen Teilprojekt des SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ an der TU Dresden sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie/Ethik (Institut für Philosophie, TU Dresden) tätig. Im Jahr 2008 wurde sie im Fach Philosophie mit einer Arbeit zu den Begriffen ‚Gemeinschaft‘ und ‚Gesellschaft‘ promoviert. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Soziologie in Köln, Santa Barbara (USA) und Berlin.