Haar tragen: Eine kulturwissenschaftliche Annäherung
 9783412331702, 3412191035, 9783412191030

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Haar tragen

HAAR TRAGEN Eine kulturwissenschaftliche Annäherung

Herausgegeben von

Christian Janecke

§ 2004

BÜHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Illustration (anonym) zu R. Rehn: »Wohin gehört der Scheitel?« in: DAFZJg. 43, 1927, S. 283, Wella Bibliothek, TU Darmstadt © 2004 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 913 90-0, Fax (0221) 913 90-11 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz: Punkt fur Punkt GmbH, Düsseldorf Druck und Bindung: Druckhaus Kothen GmbH, Kothen Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-19103-5

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

1

Christian Janecke Einleitung - Haar tragen

3

I. KÖPFE U N D KÖRPER B E A R B E I T E N : IM SALON U N D Z U V O R

Angela Paul-Kohlhoff Der Friseurberuf: Arbeit am Körper - Arbeit mit dem Körper

49

Svenja Kornher Zur Erfindung der >typgerechten< Frisur

61

Alexander Schug »Immer frisch frisiert« - das gestaltete Kopfhaar als Requisite moderner Selbstinszenierung in der Weimarer Republik

83

Tilman AJlert Transitorische Prominenz - Gestaltungsoptionen und Gestaltungsrestriktionen in der Haarpflege

99

Klaus Nolte »Looking to the past to go forward to the future« - Trendsondierung in der Friseurbranche

109

II. H A A R U N D F R I S U R A U F F Ü H R E N

Christine Künzel »So soll sie laufen mit gesträubtem Haare...«: Zur Bedeutung der Auflösung der Frisur im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt

121

Oliver Becher Haare als Symbol in frühneuzeitlichen Hochzeitsritualen

139

VI

Inhaltsverzeichnis

Isabel Richter

Trauer verkörpern. Schmuck aus Haaren in der bürgerlichen Trauerkultur im 18. und 19. Jahrhundert

157

Oliver Benjamin Hemmerle

»Wieviel Silberfaden wuchsen dir...«. Haare und Geheimdienst

177

Jürgen Budde

Interaktion und Distinktion. Haarpraktiken bei Schülern

195

III. E I N Z E L N E F R I S U R E N U N D F R I S U R S T I L E Irene Antoni-Komar

»Die Ohren ganz nackt und frey«. Zur Rezeption der Frisur ä la Titus am Ende des 18. Jahrhunderts

209

Norbert Grube

Westdeutsche Haarmoden und Haarpflege der 50er und 60er Jahre im Spiegel demoskopischer Daten Nicole Tiedemann

Lange Männerhaare als jugendkulturelles Zeichen nach 1945

233 251

Heike Jenß

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt Petra Leutner

271

Oberflächen mit Körper: Frisur und Haut in den Minilooks 2003

291

Autorinnen und Autoren

307

VORWORT

Haare kann man zwar aufbewahren, mit Frisuren wird es aber schon schwieriger. Was wir von Haaren und Frisuren, zumal aus älterer Zeit wissen, ist u.a. deshalb primär durch Bilder, Fotografien und Stiche, vielleicht noch zugehörige Beschreibungen geprägt. Daher fallt es uns leicht zu vergessen, dass Haare, wenn sie nicht gerade auf hölzernem Perückenkopf ruhen, getragen werden, dass wir damit herumlaufen, uns vor anderen damit darstellen, dass wir aufgrund unserer Frisur, aber auch der Art, sie zu tragen, ihrer Pflege usw., von Dritten eingeschätzt werden. All dies ist kaum oder nur verstreut wissenschaftlich erörtert worden, eher war und blieb es Gegenstand von Erzählungen, von unzähligen Berichten in Zeitschriften, von Ratgeberliteratur und Alltagswissen. Dass es auch Gegenstand der Forschung werden kann und dass es charakteristische Konstellationen und historische Stationen des Haartragens gibt, versuchen die vorliegenden Beiträge so vielseitig, lebendig und begründet als möglich vorzufuhren. Voraus ging eine in Kooperation mit dem Fachgebiet Berufspädagogik der TU Darmstadt und der Wella AG veranstaltete Tagung. Danach blieb genügend Zeit, weitere Autorinnen und Autoren hinzu zu ziehen, um dem Band stärkeres Profil zu geben. Nicht allein die Tagung, sondern dankenswerter Weise auch die vorliegende Publikation wurde großzügig durch die Wella AG gefördert über die Finanzierung der Wella Stiftungsdozentur fur Mode und Ästhetik an der TU Darmstadt, aber auch durch fachliches Engagement, durch Rat und Tat, bis zur Bereitsstellung etwa von Archivmaterial. Leichthin gesagt wäre mein Dank an die Autorinnen und Autoren allein dafür, dass sie überhaupt etwas beitrugen; vielmehr danke ich ihnen für die Bearbeitung von Themen, Blickwinkeln, Methoden und Fragestellungen, die nicht schon wieder auf Altbekanntes rekurrieren. Christian Janecke

Christian Janecke

EINLEITUNG - HAAR TRAGEN

Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind dem abendländisch-westlichen Kulturkreis gewidmet, und dort überwiegend der Moderne und Gegenwart. Da wichtige systematische Fragestellungen allerdings von älteren Epochen ihren Ausgang nehmen können oder dort prägnanter zur Geltung kommen, finden sich daneben auch Aufsätze, deren Gegenstandsbereich die Zeit vom Spätmittelalter bis zum 19. Jahrhundert betrifft. Thema wird nicht Haar schlechthin, sondern mit wenigen Ausnahmen das Tragen von Kopßiaar. Es wird keine Frisurengeschichte geboten, wenngleich einige Beiträge direkt und die meisten indirekt etwas dafür leisten, sondern eine kulturwissenschaftliche Erörterung des Haartragens aus unterschiedlichsten Perspektiven. Was dort getragen wird, nennt man die Frisur, aber es geht darüber hinaus eben auch um Präformierungen der Frisur durch Körperdiskurse oder friseurberufsinterne Entscheidungen, um den Umgang mit ihr und ihre Inszenierung vor Anderen, die unser Haar bewerten. Mein Einleitungstext führt zunächst allgemein in die Thematik ein, gibt einen Uberblick zu wichtigen, großteils auch in den einzelnen Beiträgen behandelten oder wenigstens berührten Problemkreisen. Grundsätzliche Topoi, wie etwa die Geschlechterthematik, werden in diesem ersten Abschnitt bereits erörtert, um später nur noch in speziellem Zusammenhang aufgegriffen zu werden. Andere Aspekte, etwa eine phänomenologische Annäherung an die Frisur, werden dort nur skizziert und später dann in Auseinandersetzung mit weiteren Kräften im Themenfeld, namentlich den Aspekten des >Körpers/Körperlichen< sowie Performance/ (Selbst-)Darstellung< verhandelt, denen jeweils eigene Abschnitte gewidmet sind. Was in der systematischen Auffacherung der Einleitung nicht oder weniger in den Blick gerät, war nach meinem Dafürhalten entweder nicht sonderlich spezifisch für Haar und Frisur, weil es sich ähnlich in der Mode überhaupt findet, oder es erübrigte sich gerade auf unserem Sektor: Ein Haarschopf von Sassoon ist heute prinzipiell für alle erschwinglich, Kleidung von Versace kaum - wenngleich freilich hier wie dort Habitusunterschiede hinsichtlich modischer Präferenzen bestehen.1 Schließlich hielt ich es für vertretbar, manches von Interesse für das Haar im allgemeinen, nicht jedoch das Haartragen am Kopf, an die speziellen Beiträge zu

1 Zu Geschmacksmustern bzw. Habitus in Bezug auf Haar und Frisur vgl. Burkart (2000), S. 82 ff

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delegieren: Dort sind z.B. Erörterungen zur mythologischen und symbolischen Dimension des Haares besser aufgehoben, statt sie, wie bei Publikationen zu Haar und Frisur üblich, bedeutungsschwanger und bar der Frage nach ihrer Relevanz für aktuelle Probleme voranzustellen. Gleichwohl werden elementare Fragestellungen, wenigstens in der Komplementarität sämtlicher Texte des Bandes, aufgegriffen und entwickelt. Davon ausgenommen bleiben nur theoretische Erwägungen, die einem völlig anderen Menu an Beiträgen vorausgehen müßten. Auf diesbezüglich bereits vorhandene Studien wird gegebenenfalls hingewiesen; weitere, so etwa zur Darstellung von Haar und Frisur in den Künsten, sollen ohnehin noch folgen. Wie allgemein üblich, wird das Spektrum sämtlicher Beiträge im letzten Abschnitt der Einleitung vorgestellt, wobei sich die Möglichkeit ergibt, die vorgenommene Gliederung zu erläutern und weitere Hinweise auf übergreifende Fragestellungen einzustreuen.

I. ALLGEMEINE EINFÜHRUNG - PROBLEMSTELLUNGEN

Wir tragen Haare - sie sind das körperlich Unvermeidliche. Umgekehrt gilt: Die Haare tragen uns - sie sind das modisch-kulturell Unverzichtbare? Das Haar verrät oder überspielt den Körper, zugleich tendiert es in der Frisur, im Styling zum willkürlich gestaltbaren Artefakt. Dabei betont der Begriff >ArtefaktArtefakt< aber, dass wir Frisuren auch mit uns herum tragen, dass sie uns begleiten und Echo unserer Bewegungen, wohl auch Zeichen unserer Einstellungen werden. Mit der an prominenter Stelle des Körpers piazierten Frisur kann man eben nicht >nicht bedeutenmacht< aus Orlando eine Frau, bewirkt, dass er anders erlebt. (Virginia Woolf: »Orlando. A Biography«, London (1929) 1977, S. 188). Meine Formulierung hingegen, dass wir Haare, diese aber auch uns >tragenKörperbezogenheit< (primär der Haare), sodann: >Mode/kulturelle Optionen/Formentscheidung< (primär der Frisur) und schließlich: >Bedeutungssetzung im lebendigen Vollzug< (primär des Haartragens) skizzierbar wären. Dieser Zwischenstellung konnten einzelne Wissenschaften bislang kaum gerecht werden. Hinzu kommt, dass auch jene Art jüngerer, durchaus legitimer Wissenschaftszweige, die z.B. im Falle der >Mode- und Textilkunde< einfach nach ihrem speziellen Gegenstandsbereich definiert werden und die dann letztendlich doch auf wichtige Anteile anderer Wissenschaften zurückzugreifen, für das Feld von Haar und Frisur nicht vorliegt. Es waren hier Friseure und Friseurinnen selbst, sodann die genannten Modekundler, hinter denen oft genug wieder die Kunstgeschichte, Volkskunde und Geschichtswissenschaft standen, später Lehrende im Berufsfeld Körperpflege, die diese Lücke zu füllen suchten. Somit liegen meist eng an die Kleidermode angelehnte oder populär anhand von Stars aufgezogene Frisurgeschichten, Sammlungen zu Frisurstilen, Friseurlehrbücher und eher populär aufgemachte, ab und an neu erscheinende Sammlungen zu Kuriosa rings um Haar und Frisur vor. Daraus bedienen sich bis heute Vertreter der Psychologie, der Soziologie und weiterer Wissenschaften in ihren speziellen Fragestellungen an Haar und Frisur. Die o.g. Zwischenstellung ist damit allerdings kaum erfaßt worden, und bislang herrscht ein immenses Theoriedefizit. Wenn hier die Hoffnung geäußert wird, eine kulturwissenschaftliche Annäherung könne besagter Zwischenstellung gerecht werden und Theorielücken auffüllen, so schließt das ausdrücklich mit ein, dass die dort konvergierenden Leistungen - von Fächern wie z.B. Geschichts-, Kunst- und Literaturwissenschaften, Soziologie, Volkskunde, Pädagogik, von Ansätzen der Geschlechterforschung, der historischen Anthropologie, einer Erkundung der Geste, der Inszenierung im Alltag - in ihrer Herkunft und Zielrichtung erkennbar bleiben. Ohnehin wurde die oben erwähnte Vorarbeit nirgends aus den Reihen einer jüngst disziplinär etablierten Kulturwissenschaft* bestritten. Trotzdem findet sich dort und insbesondere in den angrenzenden genannten Fachern, sofern sie sich in kulturwissenschaftlicher Ausrichtung begreifen, wenigstens das Forum für eine Zusammenführung der diversen Aspekte des Themas.3 An einer solchen Zusammenführung versucht sich ein Großteil der einzelnen Beiträge, jedoch nicht alle. Dass sie trotzdem Aufnahme fanden, verdankt sich nicht mangelnder Konsequenz des Herausgebers, sondern hängt damit zusammen, dass auch die angesprochene >Vorarbeit< auf dem Feld von Haar und Frisur noch über weite Strecken unzureichend ist: Begleitende (und ohnehin künftige) kulturwissenschaftliche Reflexion ist dabei möglich, aber zunächst bedarf es der Erarbei3

Ich folge hier der wohlwollend skeptischen Einschätzung bei Fauser (2003), S. 9, die von der Kulturwissenschaft als einem >facherübergreifendem Regulativ< ausgeht.

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tung entsprechender Phänomenbereiche. Daher müssen beispielsweise hinsichtlich der Ermittlung und Kreation von Frisurentrends diejenigen zu Wort kommen, die professionell daran beteiligt sind. Und was z.B. die Rolle der Haare im Geheimdienst betrifft, so ist es aufgrund äußerst spärlicher und allzu oft unverläßlicher Quellenlage nötig, das Phänomen überhaupt erst einmal kritisch zu sichten, zu bestimmen und zu ordnen, was zuerst eine Aufarbeitung aus militärhistorischer Perspektive verlangt. Getragene Haare, Frisuren, sitzen zwar auf den Köpfen, werden an diesem Körperbereich im Zusammenspiel mit dem Gesicht und Partien der Kleidung anschaulich. Man könnte in Art eines Wortspiels aber ergänzen, dass sie insofern auch in den Köpfen stecken, als ihnen historische Festlegungen friseurberufsinterner Leitbilder und jene Kundentypisierungen vorausgehen, auf denen noch der vermeintlich individuelle Haarschnitt basiert, während am anderen zeitlichen Ende die professionelle Erarbeitung künftiger Trends den gegenwärtig getragenen Haaren immer schon aufwartet. Hinzu kommt, dass es um Frisuren stets viel Streit gab und noch gibt; sie sind Projektionsfläche und Austragungsort von Selbst- und (eher anders lautenden) Fremdzuschreibungen, offener und schwelender Konflikte, sowie einer Stabilisierung - seltener auch Infragestellung - der Geschlechtsidentität. Die in diesem Band versuchte Annäherung an solche Phänomene kann bestimmte, von der Forschung bislang vernachlässigte Zeiträume in den Vordergrund stellen, um einschlägige Klischeebildungen aufzubrechen, die oft nur auf wenig verbreiteten Frisuren von Stars gründen. Oder relativ spezielle Frisuren werden Thema, von denen ausgehend schrittweise in Frage kommende Motivationen und Implikationen erörtert werden. Ebenso ist es möglich, zunächst frisurunspezifische Phänomene, z.B. Retromoden zu untersuchen, die auf dem Feld der Frisur dann aber völlig andere Konsequenzen zeitigen als etwa im Bereich der Kleidung. Im Gegenzug können historische Phasen oder Zeitpunkte in den Blick geraten, für die der Austragungsort >Haare< von vorneherein unabdingbar ist: Ein Beispiel geben die langen Mähnen der >68erAuffiihrung< von Haaren. Noch die verordnete Verbergung der zumeist weiblichen Haare als Zeichen des Anstände oder der Keuschheit ist eine solche >AufRihrungHaar-Performance< vor Anderen, die unterschwellig alltagsbegleitend oder in der Schule konfliktreich und meist in Bezug auf Geschlechtergrenzen verlaufen, sich aber auch als singuläres, einschneidendes Ereignis gestalten kann: etwa im Falle einer Initiation, einer Schwellensituation, derzufolge sich vielleicht ein Mann das erste Mal rasiert oder eine Frau für den Rest ihres soeben begonnenen Ehelebens das Haar verbergen muß. Oder der eigens dafür arrangierte Zustand einer Frisur wird in juristischem Zusammenhang zu einem verbindlichen Zeichen. Zwischen gerahmter Situation und Permanenz schließlich bewegt sich der nicht nur darstellende, sondern fast buchstäblich darstellerische Einsatz falscher Bärte und Perücken in geheimdienstlichen Aktivitäten. Andererseits ist mit >Darstellung des Haares< auch die externe - also nicht ihrerseits im Medium >Haar< - realisierte Repräsentation von Haar gemeint: Auf den ersten Blick scheint dieser Aspekt den Schwerpunkt des Haartragens zu verwischen, und entsprechend mag man an jene künstlerischen Darstellungen in der Malerei, im Film, in der Literatur usw. denken, die in diesem Band eher ausgespart bleiben.4 Aber daneben gibt es auch außerkünstlerische bzw. kunstindifferente Darstellungen, die das wirklich >getragene Haar< selbst, wie auch das - damit nicht deckungsgleiche - >Tragen von Haar< prägen. Dabei ist an die durch einschlägige Massenmedien gefilterte Vorbild- oder Multiplikatorfunktion von Stars der Musikkultur5, des Sports zu denken, aber auch an die Werbung für Haarpflegeprodukte und Frisurstile. Darstellungen in Friseurlehrbüchern sind von Interesse, weil sie

4 Rückwirkungen künstlerischer Darstellungen auf tatsächlich verbreitete Haarmoden - etwa Hollywoods Einfluß auf die Haarblondierung bei US-amerikanischen Frauen Anfang der 30er Jahre (vgl. Krätzen (2003), S. 110), oder antiker Plastik im Falle der >Titusköpfe< (vgl. I. Antoni-Komar in diesem Band) - können hier durchaus Gegenstand werden. 5 Vgl. Jones (1990).

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häufig als musterbeispielhafte Schematisierungen geläufiger, aber auch als Prototypen künftiger Frisuren wirken können. Fast alles, was die oben skizzierten Aspekte der Auffuhrung, der Darstellung oder des Umgangs mit dem Haar betrifft, steht auch mit dem Körper in Verbindung, es verläuft z.T. sogar regelrecht körperlich. Allerdings zählt gerade beim Kopfhaar auch die willkürliche, also über den Körper sich hinwegsetzende Gestaltung. Das spiegelt sich bereits im Friseurberuf und dessen Geschichte, die durch eine Ablösung von primär hygienischen und heilerischen Komponenten gekennzeichnet ist. Der Löwenanteil und auch die Kernkompetenz heutiger Friseurtätigkeit, sofern man von Beratung und Verkauf einmal absieht, bezieht sich auf die Gestaltung der Haare durch Schnitt, Färbung und Umformung. Dennoch bleibt Friseurtätigkeit eine Dienstleistung am Körper des Kunden, die den Berufsausübenden nicht nur einen handwerklichen, sondern auch performativen Einsatz des eigenen Körpers zumutet6 - was mit ein Grund für die Verweiblichung des Friseurberufs war und Gegenstand eines Beitrages sein wird. Prinzipiell ist das Kopfhaar nicht wichtiger als die übrige Behaarung des Menschen. Aber es ist gut sichtbar, jedenfalls auf Sichtbarkeit hin bezogen, denn auch eine Glatze firmiert noch unter der Hinsicht der >Frisurnachäffendeentlarven< bzw. bezeichnen. Dieselbe Frisur als anfanglich unverschleierte würde hingegen wohl erst durch ihre Auflösung als Körperversprechen wirken. Die Pole des Modischen und des Körperlichen können in den einzelnen Beiträgen des Bandes nicht stets ausgewogen zur Geltung kommen; und manchmal liegt es an der gewählten Perspektive, ob z.B. die Auseinandersetzung mit dem Bart eher unter Gesichtspunkten der Hygiene oder solchen der Barttracht geführt wird. Häufiger allerdings spielen die Aspekte des Körperlichen und des modischen Artefakts ineinander: Wenn noch zur Zeit des Barock eine Vergewaltigung vor Gericht glaubhafter wurde durch >gesträubtes Haargesträubt< enthält nicht zufällig eine negative Formbeschreibung und eine gleichsam unwillkürliche Aktivität des Körpers, das >Sich sträubenMännlein und Weiblein< nicht mehr habe unterscheiden können, bestätigt als Ausnahme die Regel. Obwohl es hier nicht darum geht, diese Tatsache frisurengeschichtlich zu belegen11, interessieren dennoch die Gründe dafür, insbesondere diejenigen, die nicht schon für Theorien der Kleidermode vorgebracht wurden. Dazu zählt in erster Linie die oben bereits angedeutete Zwischenstellung von Haar/Frisur, derzufolge sie einerseits dem Körper, andererseits kultureller Wahl zuzuordnen sind. Entscheidend sind indes die Interferenzen beider Bereiche, bzw. die Ausgriffe von einem Bereich auf den anderen (vgl. hierzu Abschnitt II. der Einleitung): So mag im Blick der Geschlechter aufeinander langes Haar - das ja zunächst eine Frisurentscheidung darstellt - als ÜCö^/botschaft, etwa als Zeichen fiir Sinnlichkeit gelesen werden. Umgekehrt ist es möglich, dass das naturlockige oder krause Haar als aussagekräftig für charakterliche oder geistige Dispositionen gedeutet wird. Wenn es nun stimmt, dass wesentliche Elemente dessen, was einen Menschen dem Selbstbild nach und in den Augen Dritter >weiblich< oder >männlich< macht, nicht von der Natur vorgegeben, sondern intra- und intergenerativ erworben bzw. verabreicht und aggregiert werden, Geschlecht wenigstens nach soziokultureller

9 Aufschlußreich ist Hermann Handkes Buch über den »Bubikopf von Agamemnon bis Stresemann«, das den Männern das eigentliche Anrecht auf den Bubikopf zuspricht: Dank ihrer frühzeitigen Glatzenbildung würden sie dabei gegf. nur aus der Not die Tugend machen, während Frauen ihn aus purer Modelaune favorisierten. Obwohl Handke ironisch argumentiert - und verglichen mit anderen männlichen Zeitgenossen der 20er Jahre streckenweise aufgeschlossen und jedenfalls neugierig auf die Phänomene bleibt - basiert ein Großteil seiner Attacken gegenüber weiblicher Raffinesse in der Variation und überhaupt ihrer >Aneignung< der Kurzhaarfrisur auf einer Rückführung bestimmter Frisurtypen bzw. Haarlängen auf vermeintlich begünstigende körperliche Dispositionen: da er sie als geschlechtliche Dispositionen begreift (obwohl frisurrelevante Unterschiede zwischen Individuen viel gravierender als zwischen den Geschlechtern sind), muß er sie übertreiben: Männer mit dichtem Haarwuchs werden eher ausgeblendet, (Nahezu-)Glatzköpfe dominieren - auch in den begleitenden Zeichnungen von Friedrich Winckler-Tannenberg. Vgl. Handke (1926). 10 »Clothes draw attention to the sex of the wearer so that one can tell, usually at first glance, whether they are a man or a woman. As Woodhouse [»Fantastic Women. Sex, Gender and Transvestism«, London 1989, S. IX.] notes, >we expect men to dress to look like men and women to look like womenrosafarbene versus hellblaueKörpereinschreibung< bei Haarschnitt und Haartracht, je nachdem, ob es auf Jungen oder Mädchen hinausläuft, in nahezu buchstäblicher Weise statt. Denn solche Eingriffe am Haar sind zwarfaktisch handwerklicher bzw. ästhetisch gestaltender Art, werden aber von Betroffenen wie Außenstehenden als Indikator einer geschlechtlich festgelegten Körperlichkeit rezipiert. Wenn Joan Entwistle bereits in Bezug auf Kleidung feststellen kann, »It works to imbue the body with significance, adding layers of cultural meaning, which, because they are so close to the body, are mistaken as natural«14, dann gilt das um so mehr fur die Frisur. Auch die lebensbegleitende Stabilisierung von Geschlechtszugehörigkeit15 durch bestimmte Umgangsformen mit dem Haar oder durch die Frisuren selbst verläuft gravierender bzw. mit härterer Grenzziehung als auf benachbarten Feldern. Vergleicht man beispielsweise zunächst nicht Frisuren- und Kleidermode als solche, sondern die Art und Weise, in der sie in der Werbung, z.T. auch im Alltag, durch Bewegung der Models (bzw. der Trägerinnen) inszeniert werden, so fallt auf, dass zwar auch bei der Präsentation von Kleidung einschlägige Klischees bedient werden, dass männliche Macho-Gesten der >süßen Unschuld< oder >sündigen Verfuhrung< aufseiten der Frauen kontrastiert werden, dass mit einer Androgynisierung des gestischen Vokabulars aber immerhin noch kokettiert wird. Hingegen ist die Werbung für Frisuren, insbesondere aber für Haarpflegeprodukte deutlich geschlechtsspezifischer und d.i. dichotomischer konzipiert: Während Frauen hinter regelrechten Kaskaden perfekter Haarschwünge verschwinden, sie zu Statistinnen in ornamental orchestrierten Glanz- und Spannkraftorgien werden, dürfen Männer vorzugsweise als >ganze Kerle< zum Shampoo als einem gleichsam technischen

12 So im Bezug auf Merlau-Pontys Konzept des Körpers als einer »historischen Idee< bei Simone de Beauvoir (2000/1949), S. 26. Vgl. a. die zusammenfassende Diskussion dieser Grundannahme bei Butler (2002/1988). 13 »[T]he common association, pink for a girl, blue for a boy is a recent historical invention: >in the early years of the twentieth century, before World War I, boys wore pink (>a stronger, more decided color< according to the promotional literature of the time) while girls wore blue (understood to be >delicate< and >daintynatural< colours of the sexes points to the fact that such distinctions of gender difference are arbitrary." Entwistle (2000), S. 140 f. 14 Ebd., S. 141. 15 Vgl. Butler (2002/1988), sowie Abschnitt III. meiner Einleitung.

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Hilfsmittel greifen, um damit gewissen Problemchen den Garaus zu machen.16 Die Befürchtung, Männer als Kunden zu verprellen, wenn Haarpflege und Styling effeminiert wirken, hält sich hartnäckig17 - und mit Blick auf die vorauszusetzenden Erfahrungen großer Marktanbieter offensichtlich nicht ohne Grund. Solche Werbeinszenierungen reagieren auf geschlechtlich kodierte Konzepte zulässiger Gestik mittels der Haare und beeinflussen sie wohl auch ihrerseits. Dabei werden solche Konzepte in dem Maße dichotomer, als sie wiederum erotische Adressierungen an das jeweils andere Geschlecht implizieren: Bestimmte Arten, sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, gelten daher nicht nur als solche bereits als >weiblich< (oder bei kraftvoll prüfendem Griff ins Deckhaar vielleicht als >männlichblond< im Hollywoodfilm der 30er bis 50er Jahre aber eine weibliche, gezielt auf Männer gerichtete Sexualität verkörperte, mußten männliche, heterosexuelle Protagonisten dunkelhaarig sein und waren es in dieser Zeit ja auch.19 Heute hat sich diese Farbordnung auf den Köpfen zwar weitgehend verflüchtigt, sie kehrt unterschwellig aber wieder, wo es um absichtliche Färbung des Haares geht: Männliche Staatsoberhäupter müssen sich in Talkshows die Frage gefallen lassen, ob sie nicht doch heimlich ihr ergrauendes Haar nachdunkeln, ihren (wenigen) weiblichen Kolle-

16 Aufschlußreich und durchaus typisch ist etwa die TV-Werbung für »Alpecin«, die »Wartung« furs männliche Haar verspricht und sich auch sonst zwischen kernig-markigen und eher Kfz.-technischen Anmutungen bewegt. 17 Nicht zufallig werden Straightener-YtoäxbAe., die naturlockiges Haar dauerhaft glätten sollen, für männliche Kunden unter der kokett ironischen Uberschrift: »Einmal >männlicherFriseurberuf< (und fast ausschließlich Frauen in Kosmetiksalons und Nagelstudios), es schreiben auch mehrheitlich Frauen über entsprechende Themen in Fachzeitschriften, die wiederum hauptsächlich weibliche Leserinnen finden, so dass sich hier und bis in die dialogische Erörterung von Frisurund Haarproblemen in den Salon hinein wohl mittlerweile eine Terminologie und eine Konventionalisierung von Kriterien (worüber und wie zu sprechen ist), entwickelt hat, die selbst Gegenstand der Geschlechterforschung werden könnte, insbesondere, wenn man die überwiegend männliche Autorschaft und Definitionsmacht älterer Nachschlagewerke und Lehrbücher zum Themenfeld dagegenstellt und die daraus sich ergebenden Differenzen und Spannungen bedenkt.21 Zu diesem

20 Solche »Moral der Natürlichkeit« ist allerdings nicht für sämtliche Milieus maßgeblich. Vgl. Burkart (2000), S. 72 -74. 21 Vgl. a. Svenja Kornher in diesem Band.

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objektiv vorliegenden Überhang >weiblicher Themen< 22 gehört gewiß auch auf Seiten der Konsumentinnen bzw. Haarträgerinnen die größere Sorgfalt und Variationsbreite in der Abstimmung von Frisuren auf Kleidung und Make Up, das stärkere Betroffensein von frisurbiographischen Einschnitten23, sowie seit jeher eine größere Reichhaltigkeit an Frisuren und sie ergänzenden Applikationen, an sie ermöglichenden Substruktionen und weiterer Hilfsmittel. Nicht zufallig konnte Grant McCracken daher seine Studie über das bei Männern wie Frauen mögliche »Big Hair« unter weitgehendem Verzicht auf männliche Haarschöpfe durchführen,

22 Die Ursachen haben selbst mit Geschlechterkonstruktion zu tun. Dass der Modewandel bei den Frauen zügiger verläuft und eine insgesamt größere Palette an Optionen verfugbar ist, wurde schon früh Gegenstand der Modesoziologie bzw. -psychologie. S o resümiert Thorstein Veblen: »Die einfache Ursache für all die Muße und all den Aufwand, den die Frauen [in Modedingen (C.J.)] betreiben, liegt in dem Umstand begründet, dass sie Dienerinnen sind, denen bei der Differenzierung der wirtschaftlichen Funktionen die Aufgabe zufallt, die Zahlungsfähigkeit ihres Herrn zur Schau zu stellen und zu bezeugen«. Vgl. Veblen (1986), S. 177. Vehlens These vom >Stellvertretungskonsum< der Frauen hat zwar berechtigte Kritik erfahren - der Geltungsbereich müsse historisch und kulturspezifisch eingeschränkt werden, überdies ignoriere Veblen die Frauen als Subjekte ästhetischer Präferenz -, Vehlens These verabschiedet sich aber (vor 1900 bereits!) von der Annahme, etwaige naturgegebene Wechselhaftigkeit oder Putzsucht des weiblichen Geschlechts seien für dessen Präponderanz in Modedingen verantwortlich. Vgl. zur Diskussion modesoziologischer und -psychologischer Theorien für diese Frage: Entwistle (2000), S. 158-163. Adorno teilt Vehlens Ansicht verkrüppelter Geschlechterverhältnisse, denen zufolge Frauen kompensatorisch bei der M o d e Zuflucht suchten und in deren Zurschaustellung den Reichtum ihre Männer stellverträten, meint aber die in Vehlens übergreifendem Konzept des > Geltungskonsums' ('conspicious consumption') zum Ausdruck gebrachte Verachtung fur Ostentation überhaupt differenzieren zu müssen. Vehlens letztlich technokratisch und banausisch gedachte Aversion verkenne die darin eingeschlossenen Glücksmomente. Obgleich Adorno damit wohl kaum für die Rehabilitation eines Phänomens wie der M o d e zu gewinnen ist, ist mit ihm doch auch nicht das Ressentiment gegen den Schein - nicht einmal bezogen auf modischen >Tand< - zu haben. Vgl. Adorno (1953/1976), bes. S. 93 f. 23 Wie bereits erörtert wurde, kann der freiwillige wie insbesondere auch der auferlegte Frisurwechsel beide Geschlechter betreffen. Offensichtlich aber ging und geht damit für Frauen ein größeres Problem, zugleich aber auch eine größere Bereitschaft; d.i. also: größere Bedeutung einher: Als die auch auf dem Feld der Kleidermode moderner Weise aktiveren und häufiger adressierten werden Frauen gezielt - durch Zeitschriften, aber auch die eigene Umgebung - aufgefordert, den Schnitt, die Farbe oder das Styling der Haare, gar >ihren Typ< zu verändern (vgl. hierzu auch die historischen Betrachtungen bei S. Kornher). Aufgrund der (erörterten) mehrfachen Körperbezogenheit der Frisur jedoch, sowie der haargestischen Einspielung auf ein länger währendes Frisurmuster vermögen entsprechende Ratschläge solche Wechsel meist nur als sog. >Rundumerneuerung< schmackhaft zu machen: Wissend, dass eine neue Frisur nur als attraktiv erlebt wird, wenn sie zum Gesicht und zur Kleidung - also bereits vorhandenen Parametern - der Trägerin paßt (und wissend auch darum, dass die Frauen darum wissen), wird einzelnen Frauen die Chance geboten, kostenlos neue Kleidung, neues M a k e U p und eine neue Frisur sich zuzulegen; das Resultat wird dann fotografisch päsentiert und soll weiteren Leserinnen die Schwellenangst nehmen. (Diese Überlegung verdanke ich Stefanie vor Schulte.)

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Einleitung - Haar tragen

ohne große Versäumnisse in der Repräsentation des Gegenstandsbereiches nehmen zu müssen.24

II. GETRAGENES

Inkauf-

HAAR - FRISUREN ZWISCHEN KÖRPER UND ARTEFAKT

Im Zuge neuerlichen Interesses am Körper,; seiner Fähigkeit, über buchstäbliche Einverleibung kultureller Normen und Paradigmen Auskunft zu geben, sind auch die Haare in den Blick geraten.25 Begrüßenswert daran ist, dass die bis dato vorherrschende Betrachtung der Frisur am Gängelband der Kleidermode26 aufgebrochen wird. Denn nicht nur, aber vor allem vermittels der körperlichen Komponente des Haares ergeben sich im Laufe der historischen Entwicklung der Frisur Eigentümlichkeiten, die durch Korrespondenzen mit jeweils zeittypischer Kleidung kaum abzudecken sind. Nicht ganz unproblematisch ist es freilich, wenn dieser neuen Perspektive im Gegenzug nun der Aspekt der Frisur geopfert wird, so dass etwa ein »Das Haar der Frau« überschriebener Aufsatz in einer neueren »kulturellen Anatomie« der »Körperteile« die Haare unter Absehung von der Frisur zum Thema nimmt und sich umstandslos neben Essays zu: >ZungeMagenLeberGehörgängen< und weiteren Körperzonen einreiht. En passant geraten dabei tatsächliche Optionen der Frisur zu Qualitäten bzw. Eigenschaften des Mediums, nicht anders als wollte man einen >Rasen< statt unter ästhetischen, d.i. hier: landschafts-

24 McCrackens Begründung - Männer hätten »das Haar zu einer trivialen Angelegenheit erklärt und die Frauen verspottet, weil sie sich Gedanken darüber machen«, folglich könnten sie nicht erwarten, »dass man sie mitmachen läßt, wenn jemand Haare und Frisuren ernst nimmt« - ist erstens nicht stichhaltig, denn dass Männer über Haar und Frisur nicht reflektierten, kann für die Forschung ja nicht heißen, dass Männerfrisuren als Gegenstand irrelevant wären; zweitens ist McCrackens Begründung/^;;«/, zumal er selbst an der Fortschreibung glamouröser femininer Klischees mitarbeitet, wenn er seine Frisurtypen mit durchwegs weiblichen Stars exemplifiziert. Vgl. McCracken (1997), S. 17. 25 Vgl. Flocke/Nössler/Leibrock (1999); bes. Stephan (2001). Der Katalog »Haare - Obsession und Kunst« (2000) fügt sich sowohl hinsichtlich der Textbeiträge, als auch der künstlerischen Werke zu dieser Tendenz. Auch die umfassende Studie von Susanna Stolz, »Die Handwerke des Körpers« (1992), gehört hierher: Bereits der Titel gibt eine Ausrichtung vor, der sich freilich das Perückenmacherhandwerk und später das sich modernisierende Berufsbild des Friseurs im 20. Jahrhundert nur bedingt zuordnen lassen. Zum vergleichbaren Körperinteresse auf dem Gebiet der (Kleider-)Mode vgl.: Antoni-Komar (2001a); Kraft (2001); Nixdorff (1999); Entwistle (2000), S. 6-39. 26 Grundsätzlich verständlich ist diese Tendenz, sofern erstens Mode u. Frisur tatsächlich oftmals Hand in Hand gingen und gehen, zweitens, weil Mode- respektive Kostümgeschichte zweifellos mehr Material zu bewältigen hat als Frisurengeschichte, drittens, weil letztere oft nur Bilder zweitverwertet, die primär Kleidung darstellen. Die Frisur(geschichte) bleibt derart ein Epiphänomen. Zum Beleg des erwähnten Trends vgl.: Möller/Domnick/Tinnemeier (2001); Jedding-Gesterling (1988); Thiel (2000) (allerdings erklärlich, sofern ausdrücklich Kleidung im Vordergrund steht); Körner (1964).

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gärtnerischen, allein unter agrarischen oder botanischen Gesichtspunkten, nämlich als >Wiese< erfassen. Das ebenso berechtigte Interesse an diversen symbolischen Bedeutungen des Haares steht mit dieser Entwicklung in speziellem Zusammenhang, so dass sich eine Bemerkung dazu anbietet: Zunächst richtet sich die Aufmerksamkeit dabei eben leider nur aufs Haar, vielleicht noch auf seine Farbe und Länge, aber kaum auf die Frisur. Volkskunde, Geschichtswissenschaft und Philologie haben einen Schatz an unzähligen das Haar metaphorisierenden Sprichwörtern, an Bräuchen, Anekdoten und Kuriosa zusammengetragen27, aus dem Literaten und ihre Interpreten schöpfen28, der entsprechend auch in psychologischen Fragestellungen fruchtbar wird, so dass sich für erotische, fetischistische, mythische und religiöse Implikationen der Haare mannigfache Anhaltspunkte finden. Zur modernen Nachlese diesbezüglich älterer Forschungen gehört es, dass entsprechende Aspekte regelrecht als Pflichtprogramm abgespult oder kontextlos eingestreut werden29, etwa zur >historischen< Grundierung bei der Erörterung heute beliebter Haarfarben. Die geballte Last dieser ebenso schillernden wie großteils überkommenen Symbolik des Haares - als einer des Körpers - beschwert allerdings Auseinandersetzungen mit der Seite des Optionalen und des Artefakts. Begünstigend auf die skizzierte Praxis wirkt sich zum Einen der Mangel an fundierter Literatur zum Feld der Frisur aus, zweitens aber der Körper-Boom, der Theorien der Kleidermode30 längst erfaßt hat. Dass in Paraphrasierung eines älteren geflügelten Wortes mittlerweile gelten soll: >Körper machen LeuteSampler< bei Könneker (1983); Haargeschichten. Vom Struwwelkopf zum Rastazopf (1996); Peters (1997); Mayr/Mayr (2003); Bolt (2001). Hingewiesen sei auf die von L'Oreal fur das Deutsche Technikmuseum Berlin konzipierte Ausstellung »Phänomen Haar. Ein Geheimnis entschlüsseln« (31.6-19.10.2003), wo neben allerlei Besucheranimation und Aufklärung über physiologische Besonderheiten auch die üblichen Kuriosa, Anekdoten und Sprichwörter zum Haar auf den Plan gerufen werden. 30 Vgl. Anmerkung 25. 31 so der Titel eines ganzen Buches gegen verordneten Schönheitswahn; vgl. Posch (1999).

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Körperbehaftetheit der Mode bzw. deren Ersetzung durch den Körper, als vielmehr auf die modische Optionalisierung nunmehr auch des Körpers schließen. Gerade auf dem Feld der Frisur gibt es dafür Anhaltspunkte, die historisch weit vor etwaige Haartransplantationen, sogar vor Versuche der Haarfarbung zurückreichen. Die mängelausgleichend gedachte Modellierung des Kopfes durch die Frisur war stets eine ihrer Hauptaufgaben und ist es bis heute geblieben. Nicht umsonst gehören der Ausgleich vermeintlich >unvorteilhafter< bzw. die Hervorhebung vorteilhaften Partien des Kopfes, die gezielte Kontrastierung oder Betonung bestimmter Gesichtsformen u.ä. zu den einschlägigen Topoi von Friseurlehrbüchern.32 Haare sind Produkt des Körpers, ohne selbst dieser Körper zu sein. Unterhalb der Haut als der Grenze zwischen Körper und Außenwelt verankert, entwachsen sie dieser. Und zwar ^-wachsen sie dieser entschiedener als die materialiter ähnlichen Fingernägel des Menschen, die über das Nagelbett direkt dem Fleisch der Fingerglieder verbunden bleiben und daher auch im Gegensatz zu den Haaren nicht stets schmerzfrei schneidbar bzw. manipulierbar sind.33 Natur sind die Haare, insofern sie sedimentierter Körper sind, und wenn auch die schrittweise Rückbildung eines den ganzen Körper bedeckenden Haarkleides im Laufe der Hominisationsphase Hand in Hand ging mit kultureller Selbst- und Uberformung, so ist der Rest an Achsel-, Scham- und Haupthaar doch nicht in geringerem Maße Natur als es auch andere sichtbare Teile des Körpers sind, die ebenfalls Veränderung, Einschränkung oder Entwicklung im Zuge der Menschwerdung erfahren haben. Die körperliche Beschaffenheit der Haare variiert nach Lebensalter, Geschlecht, genetischer Disposition verschiedener menschlicher Populationen34, Gesundheitszustand und individueller Veranlagung. Haare schüt-

32 Entsprechendes bei Schmidt/Ackermann/Engel/Schneider/Sengpiel (1999), S. 220 ff; Busse/Katzer/Streit (1999), bes. S. 14 ff.; Haare vor Gericht (1984), S. 14-35. Vgl. kritisch dazu - auch zur unverhohlenen Berufung auf Physiognomik - Svenja Kornhers Beitrag in diesem Band. 33 Dass die Nägel dem Körper stärker verhaftet sind, ermöglicht auch ihre aktive Funktion, etwa beim Greifen und Ertasten von Dingen. Vgl. Schmidt/Ackermann/Engel/Schneider/Sengspiel (1999), S.124 ff 34 Meine spezielle Umschreibung des in der medizinischen Literatur bislang gebräuchlichen Begriffs >Rasse< reagiert nicht nur auf dessen problematische Konnotationen, sondern sie ist auch genauer in der Sache: Denn die trotz weitgehendster genetischer Ähnlichkeit aller Menschen bestehenden Unterschiede - z.B. der Morhologie und Pigmentbildung - überbewertet der Begriff >Rasse< (und das Vorstellungskonzept, das er deckt), nämlich dergestalt, als entsprächen sie graduell den sichtbaren Unterschieden, z.B. zwischen Schwarzen und Weißen. Andererseits wäre >Ethnizität< eine irreführende begriffliche Alternative - sofern die hier infragestehenden Unterschiede gerade ausgeblendet würden. Für entsprechende Variationen der Haargeometrie und Pigmentkonzentration, manifest am sichtbaren Haar, werden seitens der Marktanbieter auch unterschiedliche Haarpflegeprodukte entwickelt. Vgl.: Das Haar und seine Struktur (1999), S. 44-49. Dass solche objektiven Unterschiede auch Anlaß zur Diskriminierung wurden und werden, steht auf einem anderen Blatt. Vgl. dazu exemplarisch Craig (1997).

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zen vor mechanischer Einwirkung auf den Körper, vor Witterungseinflüssen, sie regulieren die Verteilung von Hautsekreten. Dass diese Funktionen heute nicht lebensnotwendig sind, ersieht man an freiwilligen oder unfreiwilligen Glatzenträgern, sowie an anderen möglichen Formen des Verlustes bzw. der absichtlichen Rasur von Körperhaaren. 35 Die in Science-Fiction-Literatur und -Filmen den Angehörigen extraterrestrischer Zivilisationen gern konzedierte Haarlosigkeit mag als einfaltige Korrespondenz an den Reliktcharakter des heute dem Menschen gebliebenen Haares begriffen werden. Wo umgekehrt die als normal erachteten Inseln dichter Behaarung überschritten werden, gerät solcher Uberschuß zum Gegenstand der Abscheu, bestenfalls ehrfürchtiger Bewunderung atavistischer Körperlichkeit.36 Haare sind also, kurz gesagt, im Bunde mit dem Körper. Zugleich werden sie aber dort, wo sie den Körper engeren Sinnes verlassen, Gegenstand explizit kultureller Uberformung: erstens in symbolischen Deutungen 37 , zweitens in der Physiognomik 38 - in der sich legitime Aspekte einer medizinisch begründbaren Indikatorfunktion des Haares für die übrige Körperlichkeit neben spekulativen Momenten und unhaltbaren Vorurteilsstrukturen finden -, drittens in der Verwertung als Roh-

35 Zur Rasur von Körperhaar in kulturhistorischer Sicht: Mayr/Mayr (2003), S. 47-61; Trüeb/Lier (2002), S. 127-133; zum Haarverlust ebd., S. 75-116. 36 Vgl. allg. Staib (1991); aus medizinischer Sicht Trüeb/Lier (2002), zur hormonabhängigen Haarvermehrung bei der Frau, dem sog. Hirsutismus S. 121-126, zur hormonunabhängigen Haarvermehrung, der sog. Hypertrichose S. 134-137; zur kulturhistorischen Betrachtung (u.a. zum sog. >Werwolfexplizit kulturelle Überformung< der Haare leistet indes die Frisur. Kein anderer reversibler und mithin ungefährlicher Eingriff des Menschen an seinem Körper bezeugt die Möglichkeit der freien Option derart eindrücklich. Denn sämtliche übrigen - wohlgemerkt ungefährlichen und reversiblen - Eingriffe ändern entweder nur die Form.·. z.B. dank willentlicher Gewichtszu- bzw. -abnahme, dank Muskelaufbau durch Sport; oder nur die Farbe, etwa bei

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gezielte Reaktion auf deren Verbreitung darstellen (sie selbst oder ihre Agenten also vorhandene Klischees bedienen), findet meist keine Beachtung. Beispiele für diese Kategorie liefern u.a. McCracken (1997), S. 77-129; Mayr/Mayr (2003), S. 89-104 (zu rotem Haar); Phillips (1999) (zu Blond); distanzierter Cooper (1971), S. 76 f.; kritisch (zu Blond) Vehling (1999) u. Krätzen (2003); vgl. zur problematischen Aktualität der Physiognomik im Rahmen einer >Kundentypisierung< den Beitrag von Svenja Kornher und im Rahmen einer - auch die Haare bedenkenden - Kriminalistik den Beitrag von O.B. Hemmerle in diesem Band. Vgl. Mayr/Mayr (2003), S. 80; Trüeb/Lier (2002), S. 255-260; Jeggle (1996), S. 145-47. Vgl. hierzu den - allerdings speziell auf Trauerschmuck aus Haaren bezogenen - Beitrag von I. Richter in diesem Band; vgl. allgemein auch: Peters/Olliges-Wieczorek/Peters (1995); Fayet (2000). Haarverlängerungen waren noch vor kurzem sehr teuer, arbeitstechnisch aufwändig, ästhetisch kaum befriedigend, und sie erwiesen sich als Problem bei der Haarpflege. Mittlerweile ist diese Dienstleistung einfacher, erschwinglicher und sind die Ergebnisse nachhaltiger geworden. (Vgl. zu aktuellen Techniken den »Speciak-Teil von »Clips«, November 2003, S. 28-32.) Haarverlängerungen schleifen eine der letzten Bastionen naturgegebener Resistenz gegen Optionalisierung, denn die lange Zeit, die Haar üblicherweise braucht, um nachzuwachsen, entfallt damit als Faktor der zwangsläufigen Verstetigung. Dem immer schon möglichen abrupten Wechsel von lang zu kurz korrespondiert mithin zunehmend auch der umgekehrte Weg. Ensel (2001), S. 109 f.

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der Bemalung oder Tönung der Haut; Form und Farbe gleichermaßen vermag zwar die Kleidung zu ändern, allerdings nur in dem Maße, als sie damit zugleich ihre Kopplung an den unter ihr steckenden Körper einbüßt. M.a.W. kann ein Volumen spendender Hut den Kopf zwar stärker, aber eben nicht glaubhafter verändern als entsprechend toupiertes oder aufgestecktes Haar, weil hier die >hinzugewonnene< Hinterkopfpartie tendenziell wirklich dem Kopf und nicht nur seiner zeitweiligen Applikation zugerechnet wird. Insofern könnte man sagen, dass die indexikalische44 Komponente des Haares - schütter, bei Glatzenbildung spärlich und je nach Beschaffenheit im Einzelnen signalisiert es einiges über den Körper, dem es entwächst - in der Frisur nicht bloß ausgeglichen, sondern sogar trickreich umkodiert werden kann: Denn eine per Frisur charakteristisch gestaltete Kopfform kann einen Prestigetransfer auf den Körper des Trägers bewirken. In den Augen Dritter jedenfalls werden solche Übertragungen vorgenommen.45 Voraussetzung für diese Überlegung wie auch für das meiste in diesem Abschnitt ist indes, dass Frisuren nicht als etwas vorneweg Ephemeres aufgefaßt werden. Zweifellos bescheren sie uns zunächst nur die von Allert so schön bezeichnete >transitorische ProminenzArtefakt< klassifizierbar. Denn es sind die Haare, welche die einzelne Frisur durchlaufen, die ihrerseits aber weitgehend konstant bleibt bzw. so gewünscht werden kann. Viele männliche Kunden sowie ältere Kunden beiderlei Geschlechts verlangen nämlich meist gerade keine Änderung, sondern vielmehr das Nachschneiden

43 Vgl. Trüeb/Lier (2002), S. 192-221, hier Ausführungen zu Chancen und Risiken gegenwärtiger medizinischer und zukünftig absehbarer gentherapeutischer Maßnahmen gegen Haarausfall bzw. für neuerlichen Haarwuchs; vgl. aus Sicht eines Schönheitschirurgen auch Panfilov (2003), S. 145-155. 44 >Indexikalisch< ist ein Zeichen, das in physischer Beziehung zu seinen Referenten steht, also die Fotografie, der Abdruck, die Spur, der Schlagschatten. Vgl. Krauss (2000), S. 251. Die indexikalische Komponente ist übrigens, wenn man so will, die einzig erwägenswerte, wenn auch kaum solide Basis für Ansätze einer Physiognomik der Haare - denn sofern Haar zwar begrenzt Auskunft über den Körper gibt, müßte dieser seinerseits dann Auskunft über Seelisches, Charakterliches geben. Die Wackligkeit der letztgenannten Schlußfolgerung, ohnehin der Schlußkette ist offenkundig. 45 Beispielsweise füngiert Kurzhaar bei Bodybuildern als eine Art Entree, als Antizipation tendenziell kraftvoller Körperlichkeit (freilich konventionshalber). Spezielle Beispiele, nämlich zu einer mittels der Frisur gegenüber Dritten suggerierten Bewegung bzw. Beweglichkeit des Haarträgers (die geistiger oder eher körperlicher Art sein kann), bei Janecke (2003).

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bzw. Auffrischen der bereits mitgebrachten Frisur46, wenn sie den Salon betreten. Da mit zunehmendem Alter, mangelnder Haarsubstanz und sich verschlechternder Frisierbarkeit immer aufwändigere, z.T. raffiniertere Eingriffe nötig werden, um äußerlich gerade nur Konstanz (und die davon erhoffte Erhaltung des aus jüngeren Tagen Eingewöhnten) zu wahren, könnte ein Kybernetiker hier auch das »law of requisite variety« in Erinnerung rufen, demzufolge die Chance zur Kontinuität des Ganzen mit der verfügbaren Variabilität der Details steigt! Das belegt noch der in Fachkreisen gängige Begriff des >HerauswachsensIgelMeckyAfro< in seiner klassischen Variante als Echo der Kopfform. Man könnte dieses Phänomen mit einem Begriff aus der Bildenden Kunst als >Shaped Canvas< umschreiben: Die Binnenform - hier also die Kopfform - bestimmt die Außenform, die Frisursilhouette. Freilich läßt sich an beiden Frisurtypen auch zeigen, wie selten dieser Fall gewünscht wird, da bei Bürstenschnitten meist graduierte Haarlängen zur Modulation der Außenform eingesetzt werden und beim >Afro< spätestens in den 70er Jahren bereits diverse Spielarten betont abweichende Silhouetten favorisierten, beispielsweise eine gigantische, stilisierte Herzform.47 Gleichwohl ist es nicht 46 Zur anders gelagerten Situation bei - überwiegend jüngeren - Frauen vgl. meine Anmerkung 23. 47 Vgl. Kelley (1997), der recht ausfuhrlich politische, soziale, verschiedentlich auch geschlechtsbezogene Implikationen des >Afro< diskutiert, dabei auch historisch sich wandelnde Kontexte (etwa hinsichtlich der keineswegs einmütigen Bewertung durch afroamerikanische Aktivisten) beleuchtet. Wenn er gegen Ende seines Textes meint, um »the power of white over black, men over women, employers over workers, the state over citizens« zu verstehen, sei es nötig, »to go beyond >reading< the form« (ebd. S. 349), ist ihm prinzipiell zuzustimmen, nur müßten Formfragen überhaupt erst mal berücksichtigt werden, was an keiner einzigen Stelle geschieht. Sie wären aber bedeutsam, und nicht nur um ihrer selbst willen - denn anders ist die veränderte, eher hedonistische Motivierung dieses Frisurtyps in den 70er Jahren selbst nicht mehr erfaßbar: Dazu würde ich z.B. die in der Nachhut der Pop Art verbreitete Tendenz einer Diminutivierung des Gesichts durch gigantische Haarpracht sehen, wie sie sich auch auf Platten-Covem, in der Gebrauchs- und Modegraphik dieser Zeit zeigt. (Die Herzform-Frisur firmierte unter dem Namen »Heart and Soul«, vgl. Abb. 2, ebd. S. 345). Vgl. auch Jackson (2000), bes. S. 178-180, der von der in den 70er Jahren vorgebrachten Kritik aus den Reihen der Schwarzen an einer nur vermeintlich afrikanisch inspirierten Haartracht berichtet.

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trivial, sich klar zu machen, dass Frisuren generell einer unregelmäßig halbkugelförmigen Basis aufsitzen - einerlei ob sie ihr folgen oder sie eher überspielen. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die durch Frisuren bekundeten Formentscheidungen würdigen.48 Begreift man jetzt das dreidimensionale Gebilde >Frisur< nicht allein in seinem Verhältnis zur Kopfform, sondern auch zu jener von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich ausfallenden Fläche bzw. Flächenform, deren Kontur man als Haaransatz bezeichnet, so wird deutlich, dass dieses >Format< sich in etlichen Frisuren anschaulich niederschlagen kann - generell bei Kurzhaar, aber auch bei streng aufgebundenen Zöpfen oder Pferdeschwänzen - oder sogar soll, etwa in einigen Frisuren von Vidal Sassoon.49 Dass der Körperbezug dieses >Formates< früh begriffen und wiederum manipuliert wurde, zeigen die absichtlich mittels Rasur oder Haarausreißen nach oben verschobenen Haaransätze in Damenfrisuren des späten 14. und 15. Jahrhunderts.50 Körperlichkeit der Haare wurde bislang allein auf das einzelne Haar im Sinne eines dem Körper behafteten Produktes bezogen. Phänomenal und entscheidend für die Frisur fallt aber die Vielheit der Haare ins Gewicht, die selbst schon - mit dem unschönen Hilfsbegriff >Haarmasse< bezeichnet - einen >KörperMaterial< behandeln, studierte Gesichts- und Knochenformen, glaubte - orthodox modernistisch - an einen Selbstausdruck des Mediums Haare. Vgl. Battle-Welch/Marighetti/Möller (1992), S. 35-39. In einigen seiner berühmt gewordenen geometrischen Schnitte aus den 60er Jahren (z.B. »The Five Point«, 1964, ebd. S. 49) wird der Haaransatz direkt betont, in »The Layered Geometrie« (1966, ebd. S. 51) wird - wie in vielen anderen Schnitten auch - die ihrerseits von Wirbelverläufen diktierte Scheitelziehung expressiv im Schnitt der Haarspitzen gemacht. In »Sunset« (1981, ebd. S. 69) oder »Coral« (1982, ebd. S. 74) betonen Stufungen vom Haaransatz aus dessen Verlauf, bzw. konturieren diesen noch durch Haarspitzen. Vgl. a. Fishman/Powell (1993). 50 Vgl. Bryer (2000), S. 34, (Abb. ebd., S. 33). Willentliche Manipulation des Haaransatzes finden sich bei den Punks, heute bei Neuauflagen des >IroHaare< bewußt im Plural, im Sinne des oben erörterten >Haar-Körpers< bzw. der >HaarmassePferdeschwanzc Mag man ihn auch als Formentscheidung an passendem Kopfe bewundern, so stellt er, technisch gesehen, doch nur eine punktuell sorgfaltig gewählte, da mit großen Konsequenzen versehene Bündelung längerer Haare dar, deren konvergente Verlaufsform rings um den Schädel ihrerseits nicht mehr wählbar, sondern inkaufzunehmen ist. Wollte man Frisuren also bildlich mit Bauwerken vergleichen, so wären sie, wie ich an anderer Stelle erläutert habe, eher der Ingenieurbauweise, als einer sie u. U. sublimierenden Baukunst zuzuordnen.51 Nicht anders als sich die an einer Brückenkonstruktion beteiligten Kräfte ablesen und in ihrem Wechselspiel würdigen lassen, verhält es sich auch beim Pferdeschwanz, oder z.B. auch bei Lockenkränzen, bei der sogenannten >Affenschaukel< und eigentlich bei vielen Fönfrisuren, wie sie seit den 70er Jahren in Mode kamen. Bisweilen wird die Naturgesetzlichkeit der Haarmasse auch kontrastiv betont, wie etwa bei den Pippi-Langstrumpf-Zöpfen, die beiderseits des Kopfes erst starr nach oben und zur Seite gefuhrt werden, um jenseits der Bündelung locker nach unten zu fallen - gemäß der Schwerkraft und der >Spannkraft< der Haare.52

51 Vgl. Janecke (2003), S. 12. Das gilt sogar noch fiir die Perücke im späteren 18. Jahrhundert, die ja will man im Vergleich mit der Architektur bleiben - für den Einwand prädestiniert scheint, sie entspreche doch eher den Schnörkeln spätbarocker Bauten, als dem Ideal evidenter Kraftverhältnisse bei einer Eisenkonstruktion. Denn die Art und Weise, wie das Haar etwa auf der Frontseite hochgezogen wurde, wie Locken arrangiert wurden, wie die allermeisten Partien des Deckhaars verliefen, stellt sich zwar als bisweilen gigantische Uberzeichnung heraus - was da aber überzeichnet wird, sind ziemlich genau jene o.g. Prinzipien, die in bescheideneren (und weitaus häufigeren) Frisuren dominieren. Ersetzt man im Geiste nur einmal die Haare durch die Baustoffe eines Gebäudes, so wird an den meisten Frisuren - und eben auch noch an den vermeintlichen Ausnahmen - deutlich, in welchem Maße sie nach außen ungeniert ihr Zustandekommen durch innere mechanische und naturgesetzliche Verhältnisse (freies Hängen/Spannung/Bündelung/etc) zeigen. Der Grund dafür ist freilich kein mysteriöser Weise wandlungsresistentes Ideal des Funktionalismus auf dem Feld der Frisur, sondern u.a. der Umstand, daß dort Inneres wie Außeres aus einem >Baumaterial< sind - und noch dort, wo das Haarvolumen durch fremde Materialien und Substruktionen wie >Poufs< und dergleichen vergrößert wird, gilt das Gesagte wenigstens für die sichtbare Oberfläche. 52 Auf diesem Wege wird m.E. auch die soziale bzw. pädagogische Kunstfigur >Pippi Langstrumpf< erörterbar: Die Bündelung der Haare zu Zöpfen überhaupt ist Mimesis an das Ideal des braven Mädchens. Die Konstruktion einer weiten Führung dieser Zöpfe vom Kopf weg transformiert diese Disziplinierung allerdings in das Karikaturhafte. Zugleich wird der lose Fall der Haarenden nach der Bündelung nun als freies - sozusagen antiautoritäres - Schaukeln der Haare lesbar, statt dass sie sich sittsam und bieder an Gesicht und Hals legen.

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Bei Vidal Sassoon können interne und spezielle Formentscheidungen, die z.T. bereits in den Namen seiner Frisuren benannt werden, wie z.B. »Five-Point-Cut«, ästhetischer Art sein; aber als revolutionär wurde das Prinzip empfunden, das wesentlich in einer Selbstdarstellung des Mediums >Haare< - ich übersetze: des Mediums >Haar-Körper< - gründete; dazu zählten: Schwerkraft (im Sinne des Fallens sämtlicher Haare von einem durch natürliche Wirbel vorgegebenen Punkt aus), Vielheit, Schichtung und ein Bewegungsverhalten, in dem z.B. bei schneller Wendung des Kopfes eben diese konstitutiven Faktoren anschaulich wurden.53 Obwohl Sassoon die Moderne vertritt, ja auf dem Feld der Frisur ihr Inbegriff wurde, ist das geschilderte Phänomen darauf keineswegs beschränkt, wie die Beispiele des Pferdeschwanzes und der Zöpfe - als Techniken bzw. Komponenten sehr alter Frisuren - deutlich machten.54 Will man daher die Körperbezogenheit von Kleidung und Frisur vergleichen, so muß man wenigstens für die Frisur unterscheiden zwischen dem menschlichen Körper und einem diesem anhaftenden >Haar-KörperSportlerfrisuren< ebd. S. 32 ff. 54 Zwar gab es stets Frisuren, die das Naturgesetzliche der Haarmasse marginalisier(t)en, etwa durch Haarspray, mechanische Hilfsmittel, Bänder, sowie Techniken kunstvollen Flechtens der Haare; aber eine Dominanz dezidiert anti-naturgesetzlich ornamentierter und geformter Haare findet sich heute selten - etwa noch bei zeitgenössischen Adaptionen traditioneller afrikanischer Frisuren.

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bleiben. Dass sie sich in charakteristischer Weise von einer auf Kleidung bezogenen Modefotografie unterscheiden55, wäre angemessener im übergreifenden Zusammenhang bildkünstlerischer Darstellung, also auch in einem anderen Buch zu erörtern. Stattdessen bietet sich eine Konzentration auf die ohnehin weniger beachteten, m.E. aber bedeutsamen außerkünstlerischen >Auffiihrungen< und Formen des Umgangs mit Haar und Frisur auf Seiten der Haarträgerinnen an. Obwohl die um >Performance< bzw. den Wortstamm >Perform-< geführte Diskussion einige Popularität erlangte, sei zunächst einiges daraus in Erinnerung gerufen, damit nachvollziehbar bleibt, woran im einzelnen angeknüpft wird. Im engeren Sinne bezeichnet man mit >Performance< aufführende Darbietungen vor Publikum56, wobei der Schwerpunkt zugleich auf der physisch-zeitlichen, verkörpernden Darbietung selbst und weniger auf etwaigen zugrundeliegenden Stoffen liegt. Dehnung und Erweiterung erfuhr das, was heute unter >Performance< gefaßt wird, durch die Aufnahme außerkünstlerischer Anwendungsbereiche sowie durch eine kategoriale Verschiebung, derzufolge >Performance< komplementär zu >Kompetenz< gedacht wird.57 Daher kann nun auch außerkünstlerisches Handeln, sofern die Seite seiner Darbietung vor Anderen dominiert, darunter fallen. So kann z.B. im Bereich der Wirtschaft von der Performance eines Unternehmens< oder gar nur seiner Aktien am Markt die Rede sein. Das innerhalb der letzten Jahre

55 Auf einer ersten, eher trivialen Ebene resultieren Unterschiede aus dem veränderten Sujet bzw. aus dem darin arrangierten Gegenstand, der beworben wird: fotografische Frisurwerbung konzentriert sich häufiger auf Kopf und Gesicht der Models. Nur andeuten möchte ich eine weitere Ebene: den Vergleich typischer (Kleider-)Modefotografie mit jener professionellen Frisurwerbung, die nicht allein Frisuralternativen auf kleinstmöglichem Raum fotografisch repräsentieren will, sondern die ebenso aufwändig inszeniert ist (z.B. die Trend Vision-¥otos von Wella; vgl. Abbildungen bei K. Nolte in diesem Band). Die von Roland Barthes beschriebene Konvertierung tatsächlich diskontinuierlicher Kombinatorik (z.B. schöner Jüngling/Shetland-Pullover/Kamin/auf dem Boden liegender Telefonhörer) in ein lebendes Tableau, bzw. die Konvertierung der (tatsächlichen) Struktur in ein (hypostasiertes) Ereignis verläuft nämlich dort, wo es um Frisuren geht, anders als bei der Kleidung: Denn in der Modefotografie ist Kleidung bei einer als Model kenntlichen Figur ganz anschaulich nur >angezogenerzählt< eine andere, mit Blick auf die Inszenierung kontingente Geschichte. Vgl. Barthes (1985), S. 252-258. Vgl. auch die Einbeziehung des Verhältnisses >Mode-Modefotografie< in Petra Leutners Beitrag zu diesem Band. 56 Zum Uberblick vgl. Fiebach (2000); zur Lokalisierung zwischen Kunst und Theater, sowie zu analogen Konzepten (gleichen Wortstammes) vgl. im Überblick Janecke (2004), hier aus dem Einleitungstext bes. Abschnitt IL: »Performance Art - Nachbarschaften überdenken« 57 Vgl. Wirth (2002); zu den vielen Felder, die der >Performance< zugeordnet werden, auch Carlson (1996).

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zunehmende Interesse der Theaterwissenschaft 58 am >Wieperformativen KulturInszenierungsgesellschafiInszenierung< auf beinahe irreführende Weise überstrapaziert wird. Denn Inszenierung bezieht sich immer auf etwas bereits Vorhandenes, das nun >in Szene gesetzt« wird. 61 >Performance< hingegen umfaßt zwar auch das Auf- und Vorführen bereits vorliegender Konzepte oder Sachverhalte, betont wird aber deren Konstitution in der Performance qua Verkörperung durch Akteure. Hier klingt die Austinsche Bestimmung performativer Sätze nach, die das, was sie zu bedeuten geben, zugleich dadurch vollziehen, dass sie ausgesprochen werden. 62 Verständlicher Weise können sich an dieses Konzept Hoffnungen knüpfen: seitens künstlerischer Akteure, die sich nicht länger nur als Ausführende, nicht einmal nur als Interpreten eines vorgegeben Stoffes fühlen müssen, sondern deren Performance nun qua Performance Bedeutung setzt; und seitens außerkünstlerischer Akteure im Alltag, die nun beispielsweise ihre von der Norm abweichende sexuelle Orientierung nicht bloß aufführend kundtun, sondern vor Anderen erzeugen bzw. sie als soziales Faktum setzen können. Nach einschlägiger Kritik bedarf es zur gelingenden Performativität allerdings stets eines autorisierenden Kontextes - eben nur kraft seines Amtes kann der Standesbeamte sagen: »hiermit erkläre ich Sie für Mann und Frau«. Zudem erfolgt die Mehrzahl an >Performances< nicht freiwillig. Aufgrund äußeren oder verinnerlichten Zwangs, schließlich überhaupt beim Hereinwachsen in die Familie und weitere soziale Umfelder >zitieren< Menschen, was

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Vgl. Fischer-Lichte (1998), S. 14 £ Vgl. Fischer-Lichte/Kolesch (1998); kritisch dazu Schumacher (2002), Sonderegger (2000). Vgl. Willems/Jurga (1998), hier bes. die Einleitung von H. Willems, ebd. S. 23-79. Vgl. Früchtl/Zimmermann (2001), S. 9-47, sowie Martin Seel: Inszenieren ah Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs, ebd., S. 48-62. Die genannten Autoren wenden sich u.a. gegen die Diagnose einer Ubiquität von Inszenierung. 62 Vgl. hierzu den Teilabdruck von John L. Austins »Zur Theorie der Sprechakte« bei Wirth (2002), S. 63-82.

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>angesagt< ist63: Hier schlägt die restriktive Seite des Performativen zu Buche, denn falls diese >Performances< nicht nur Auf- bzw. Vorführungen, sondern dem Wortstamme folgend auch Durchfuhrungen sind, werden die an die Akteure herangetragenen Vorgaben nicht nur affirmiert, sondern einverleibt, so dass jene deren Gültigkeit nolens volens verfestigen. Eine Übertragung auf unseren Gegenstandsbereich ist nun nicht bloß möglich, sondern bringt - gerade im Zuge der Geschlechterthematik - triftigere Ergebnisse als auf benachbarten Feldern: In einer sorgfaltigen Auseinandersetzung mit diversen soziologischen und psychologischen Deutungen von Haar und Frisur äußert Günter Burkart die kritische Einsicht: »Die kulturelle Symbolik der Haare ist nicht >immer schon daPraxis< statt dessen hätte man auch sagen können: der alltäglichen >PerformanceIllusion< wird durch Gesten am und mit dem Haar besonders stark verfestigt, weil nicht nur Haar und Frisur etwas (Körperliches) >verraten< und zugleich etwas (Modisches, Kulturelles, Individuelles) >ausdrücken< können, sondern wie in Parallele dazu auch Gesten zum unwillkürlichen Indikator von Gefühlen werden und zugleich dem absichtlichen Ausdruck dienen können. Zudem sind Haar und Frisur in noch intensiverer Weise als z.B. die Kleidung

63 »Performativität« - so Butler (1997), S. 36 - »ist kein einmaliger >Aktzugeschnittenzu sich selbst verhalten könnenPerformance< nicht zu verwässern, muß man dabei allerdings unterscheiden zwischen dem bloßen Ausdruck, den eine Frisur hat oder den eine Trägerin bzw. ein Träger ihr verleiht und einer wenigstens weitesten Sinnes darstellerischen Aktivität. Die Grenze ist nicht leicht zu ziehen, denn ein schrilles Outfit in Kleidung und/oder Frisur könnte als Persönlichkeitsausdruck motiviert sein, aber als >Auffiihrung< rezipiert werden. Klärend wirkt sich m.E. das Kriterium des Ostentativen67 aus, sodann das der Zeitlichkeit: Ein so und so gearteter Ausdruck ist prinzipiell zeitindifferent, nicht anders als vielleicht bei einer Skulptur. Eine (bewußt unternommene) Performance mag lange andauern oder auf einen Augenblick sich zuspitzen, sie ist aber wesentlich zeitlich gerahmt, einerlei

66 Gebauer/Wulf (1998), S. 80; vgl. ebd. den gesamten Abschnitt 3, »Gesten«, S. 80-113. 67 Ich würde dazu tendieren, das Kriterium der Absichtlichkeit eines Zeigens vor Anderen undßr Andere, also der Ostentation stark zu machen; denn obwohl besagte Mißverständnisse möglich sind, wäre es unwahrscheinlich, dass sie sich lange unaufgedeckt halten. Eine radikale Gegenposition vertritt Elizabeth Burns: »Theatricality is not therefore a mode of behaviour or expression, but attaches any kind of behaviour perceived and interpreted by others and described (mentally or explicitly) in theatrical terms. [...] Theatricality itself is determined by a particular viewpoint, a mode of perception«. Burns (1972), S. 13. (Zur ausgewogenen Bewertung des Theatralitätskonzeptes von Burns vgl.: Helmar Schramm: Karneval des Denkens: Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts«, Berlin 1996, S. 29-31, dort mehrseitig dessen Anmerkung 33.)

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ob es das Headbanging beim Tanzen oder nur das Tragen einer extravaganten Frisur betrifft - im letzteren Falle würde Ereignishaftigkeit, etwa ein festlicher Anlaß, einen solchen zeitlichen Rahmen verbürgen. Auch bei sämtlichen Ritualen oder Initiationen in Hinsicht auf Haare und Haartracht ist das zeitliche Moment offensichtlich. Haare werden z.B. das erste Mal verschleiert, oder flir immer bzw. lange Zeit abgeschnitten: Der Ubergang vom Vorher zum Nachher akzentuiert das Ereignis zeitlich und häufig auch als biographisch einschneidend. Eine Erweiterung ergibt sich, wenn man Auffiihrungshaftigkeit nicht in Haar und Frisur als solchen sucht, sondern letztere nur als Zutaten, sozusagen als >Requisiten< oder als Teil einer Kostümierung bzw. Maskierung begreift. Die damit sich eröffnende Zeichenfunktion von Haar und Frisur ist immens, und zwar insbesondere fur die darstellenden Künste, denn hier bieten eine bestimmte Frisur oder Haarfarbe, ebenso bestimmte Arten, das Haar beim Gehen oder der Wendung eines Kopfes zu bewegen, unverzichtbare Anhaltspunkte zur Charakterisierung einer Figur, ohne dass der tatsächlich applikative und arbiträre Status des Zeichens bewußt würde. Eben dies spielt auch im Zuge einer statt auf Darstellung nun auf Täuschung zielenden Performance eine wichtige Rolle, insofern geringfügige, willentliche Eingriffe als körperliche Gegebenheiten getarnt sind. In diesem Zusammenhang erscheint auch der Begriff der >Inszenierung< anschlußfahig, und zwar in eben jenem übertragenen und vergröberten Sinne, der auch dem Terminus >Inszenierungsgesellschaft< zugrunde liegt. Zum Einen können Haar und Frisur >in Szene gesetzt< werden, nämlich z.B. in TV-Werbeclips für Haarpflegeprodukte oder vielleicht bei der Präsentation von Ergebnissen eines FriseurContests; zum Anderen aber, und das scheint von weitaus größerer Bedeutung zu sein, können Einzelne sich selbst und vorzugsweise ihr Gesicht mittels Haar und Frisur >in Szene setzenzerzaust< oder >aalglatt< - , den mimisch wohl nur ein begnadeter Comedian erzeugen und variieren könnte; die Schwächen liegen in der Konstanz bzw. relativen Starrheit des einmal gewählten Ausdrucks. Das erinnert strukturell an die Situation beim Bühnenbild, das ebenfalls von langer Hand vorbereitet Zustände, Orte oder Stimmungen vergegenwärtigen kann (von denen die Akteure sich glücklich schätzen dürfen, sie nicht aus eigener Kraft darstellen zu müssen), während es zugleich doch meist über mehrere Szenen, jedenfalls längere Dialogpartien hinweg tragen muß. Daher kam es beim Bühnenbild in früherer Zeit

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und kommt es großteils auch in der Moderne und heute noch zu Kompromissen zwischen seiner Spezifizierung auf das soeben und das überhaupt Gespielte. Nicht anders verhält es sich bei Frisuren, die wohl bestimmte Vorlieben ihrer Trägerinnen zum Ausdruck bringen, die bestimmte Partien des Gesichtes betonen und andere verbergen oder von ihnen ablenken, die sich aber nur in seltenen Fallen auf einen ganz bestimmten Geisteszug oder gar eine bestimmte Kommunikationssituation kaprizieren. Die wenigen Ausnahmen68 widersprechen dem nicht, denn sie sind kaum als wirklich alltagsbegleitend, sondern eher für bestimmte öffentliche Anlässe konzipiert. Frisuren müssen zumeist nicht völlig neu, von Grund auf bewerkstelligt werden. Häufig wird die vorhandene Frisur zurückgeschnitten, so dass sie bis zum nächsten Salonbesuch wieder herauswachsen kann. Oder sie wird neu arrangiert, in ein neues Licht gerückt, mit farbigen >Akzenten< oder >akzentuierenden< Strähnen versehen. Daher wohl rührt die spitze Bemerkung, Designer seien >bessere Friseurewahres< - und d.i. hier auch: atmosphärisch verschönertes - >Leben im Falschen< zulassen wollte. Tiefer als gegen das Atmosphärische, dessen Wirkung ja nur in einer Zusammenstimmung objektiver Gegebenheit und subjektiver Disposition sich entfaltet71, sitzt aber das Ressentiment gegen den Schein - und zwar nicht gegen dessen sublimierte Form als Zustand des im ästhetischen Sinne Erscheinenden, sondern gegen den Schein im Sinne der (Vor-)Täuschung.72 Und zweifellos ist er Teil dessen, was Friseurlnnen am Kunden einsetzen, wenn sie Glatzen mit Toupets kaschieren, ergrautes Haar umfärben, als unattraktiv erlebte Haarformen dauerhaft und so verändern, als seien sie naturgegeben. Was daran in den Augen der Zeitgenossen so begehrenswert wie anrüchig erscheint, findet sein uraltes Vorbild im Groll gegenüber den Schauspielern: Obwohl diese sich nicht als eine andere Person ausgeben, sondern sie nur spielen, obwohl Schauspieler also darstellen und nicht täuschen, standen sie, ja das Theater insgesamt über Jahrhunderte hinweg im Ruch, sich der verwerflichen Kunst des Chamäleontischen zu befleißigen und damit Vorbilder

70 Vgl. Haug (1971), bes. S. 91 ff. (dort zur Rolle der Kosmetik und Kosmetikindustrie). Böhme (1995), S. 45-47, kritisiert denn auch Haugs rigides Festhalten an der marxschen Entgegensetzung von Tausch- und Gebrauchswert der Ware, sofern der laut Haug überschminkte, aber zu kurz kommende Gebrauchswert gerade szenische Funktionen einer Ware miteinschließe. Das zeigt sich beispielhaft an den Einrichtungen von Friseursalons, bei denen es - gerade im Rahmen einer Krise der Friseurbranche - darauf ankommt, ein ansprechendes Ambiente zu gestalten: prinzipiell nicht anders als bei anderen Verkaufsatmosphären auch, aber darüber hinausgehend auch derart, dass die szenische Gestaltung tatsächlich den >Gebrauchswert< für den Kunden erhöht, weil ein entspannender Aufenthalt mit zu den rekreativen, quasi psychotherapeutischen Aufgaben gehört, die heute oftmals erwartet werden. (Vgl. die vielen Beispiele in: Top Hair Business, Heft 20,15.10.2003, S. 12-21, sowie Heft 16, 15.8.2003, S. 10-35, wo der Erfolg jüngst preisgekürter Salons nachvollziehbar auf Qualitäten zurückgeführt wird, die eine gelungene Gestaltung von Atmosphären - d.i. hier: Saloneinrichtungen - betreffen.) Innerhalb des Marketingtrends >Cocooning< wird mittlerweile ausdrücklich auch der sog. »Third Room« fur Friseure propagiert, also der Salon als vorübergehend Lifestyle gewährendes »zweites Wohnzimmer« - dem Leitbild jener US-amerikanischen Coffee-Shop-Ketten verpflichtet, die sich auch hierzulande etablieren. (Vgl. Wolf Davids' Ausführungen in: Top Hair Business, Heft 22,15.11.2003, S. 32 f.) 71 Hier wäre im Ansatz Böhme (1995), S. 22, zu folgen, der vom Zwischenstatus der Atmosphäre zwischen Subjekt und Objekt ausgeht, sie also gegen die Prävalenz einer auf Dinge versierten Ästhetiktradition verteidigt. Hingegen teile ich nicht Böhmes Kritik an Martin Seel (»Eine Ästhetik der Natur«, Frankfurt a. M. 1991, S. 100 f), dem zufolge die Atmosphäre als »die Korrespondenzqualität aktueller Lebenssituation in ihrer Umgebung« bestimmbar ist, der also die Seite des Subjekts (und der Kontexte, die es mitbringt) betont. Vgl. a. die Zusammenfassung des Böhmeschen AtmosphäreBegriffs und die Kritik (an mangelnder Berücksichtigung divers gelagerter Subjektdispositionen) bei Low (2001), S. 204 ff 72 Vgl. Bolz (1991), der in problemgeschichtlicher Folge eine brillante Rekapitulation philosophischer Positionen für und wider den Schein liefert, wenngleich ein Großteil seines Schlußabschnitts (»Unwirklichkeiten, in denen wir leben«) zwischen postmodern-apokalyptischer Klage über ubiqitären Schein im Sinne Baudrillards und der Aussicht auf Chancen einer zunehmend von Simulationen durchzogenen Welt schwankt.

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abgeleiteter Praxis auf anderen Gebieten zu sein73: Dem >Wolf im Schafspelz< wird zur Last gelegt, politische, wirtschaftliche Macht daraus zu ziehen; den Einzelnen, und zwar insbesondere den Frauen74 wird vorgeworfen, ästhetische und mithin erotische Macht dadurch zu erlangen, oder sie berufsmäßig anderen zu verleihen. Das zeigt sich nirgends klarer als an der Wendung >Fiif««?Friseurin< zielt, dort ist sie abschätzig (und berufsunabhängig) auf zumeist jüngere Frauen gemünzt, denen ein unterschichtspezifischer Habitus, vorzugsweise hinsichtlich modisch-kosmetischer Aufmachung attestiert wird. Dass gerade der Friseurberuf und hier die weiblichen Ausübenden für dieses Schimpfwort Pate standen, verrät die Aversion gegenüber Expertinnen des Scheins.75 Wenn an der >Friseuse< hauptsächlich ihre geschlechtsbetonende, aber billige Kleidung, ihr blondiertes und übertrieben in Form gebrachtes Haar und ihr grelles Make Up Anstoß erregen, so deckt der Vorwurf des Vulgären - hier also: einer Attraktionssteigerung ohne Dezenz - nur den einer Verwendung des Scheins. Die >Friseuse< setzt kosmetische und vestimentäre Mittel des Scheins ungeniert ein, weshalb sie von Männern ebenso insgeheim begehrt wie (von Männern und Frauen) verachtet wird. Der u.a. den Friseurinnen und Friseuren gemachte Vorwurf der Produktion von Schein - und von Atmosphäre - wäre also eher als Kompliment zu nehmen, und

73 Vgl. Barish (1981) 74 »Prejudice against the theater is coupled with prejudice against women«. [...] As the theater debases by its counterfeiting so do women who affect a beauty not theirs by nature«. Barish (1981), S. 50. An dieser Stelle sei auch auf das ambivalente Phänomen der >Geschlechtermaskerade< verwiesen ambivalent, sofern es sich in einer ersten Bedeutung auf vestimentär (bzw. hier über Haar und Frisur) erzeugten Geschlechterrollenwechsel bezieht, in zweiter Bedeutung aber auch auf eine >Maskerade< der Frauen im Sinne jener flexiblen und expressiven Rollenverkörperung, die ihnen männlicherseits auferlegt wird, und der zufolge Frauen entsprechende >Masken< situationsabhängig tragen müssen (brave Hausfrau, Verführerin usw.), während die Maskerade zugleich aber - zur Aufrechterhaltung der Illusion für den selbstzufriedenen Mann - nicht thematisiert werden darf. Frauen wird also jene Produktion von Schein abverlangt, zu der sich zu bekennen ihnen zugleich den Vorwurf des Chamäleontischen einbrächte. Vgl. zum Aspekt der Geschlechtermaskerade ausführlich und in Auseinandersetzung mit Positionen seit Joan Rivieres »Womanliness and the Masquerade« von 1929: Schabert (2002). 75 Es wäre eine lohnende Aufgabe, einmal Terminologie und Selbstverständnis männlicher Friseure dahingehend zu befragen, inwieweit dort grundsätzlich nicht vom Schein, eher von Authentizitätsversprechen die Rede ist. Ebenso wenig Wert wird auf die Kreation von Atmosphären gelegt, vielmehr wird nur die offensichtliche >Leistung am Kopfe< betont. Möglicherweise wird hier seitens männlicher Akteure die Situierung in einem als tendenziell effeminiert erachteten Berufsfeld überkompensiert durch die Betonung >männlich< konnotierter Kriterien. Bei den vorwiegend männlichen Starfriseuren wird diese Zurichtung wiederum charismatisch aufgeladen. Wenn sie sich, wie z.B. Gerhard Meir, ausgiebig als >Hahn im Korb< der zufriedengestellten, prominenten weiblichen Kundschaft feiern (lassen), erscheint Atmosphärisches allein an die Ergebnisse (die Frisuren auf Frauenköpfen) delegiert - Atmosphärisches, das sie als >Frauenversteher< und >Fachmann< in Personalunion gewähren, ohne vermeintlich selber doch des Atmosphärischen im Sinne einer rahmenden Bühne zu bedürfen. Vgl. Meir/Reidelbach (2000).

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es wäre an der Zeit, dass jene ihr publik gemachtes Selbstverständnis auch dahingehend reformieren würden.76

IV. DIE E I N Z E L N E N B E I T R Ä G E IM ÜBERBLICK

Eine chronologische Gliederung hätte die Zuordnung systematischer und zeitübergreifender Themenstellungen erschwert und zudem eine hier keineswegs verfolgte frisur- bzw. YxAxmgeschichtliche Ausrichtung suggeriert. Andererseits wäre eine Gliederung nach exakt den Aspekten (z.B. >GeschlechterthematikGetragenes Haar - Frisuren zwischen Körper und Artefakte usw.), die einleitend behandelt wurden, insofern problematisch verlaufen, als sich in fast allen Beiträgen mehrere dieser Aspekte, aber jeweils in anderer Zusammensetzung finden. Mein Kompromiß ist die Gruppierung nach dominierenden Blickwinkeln oder Gegenstandsbereichen. Dabei ergibt sich in einem Fall (>Haar und Frisur auffiihrenBad Hair Day< ankündigt); es geht um Körper-Leitbilder der

76 Möglicherweise aus Rücksicht auf eine Kundschaft, deren Wünsche nach Selbsttransformation, nach gezielter Couvrierung natürlicher Mängel immer noch im Konflikt mit internalisiertem Authentizitätszwang stehen, ist weder im Salon, noch in der Werbung für Haarpflegeprodukte offen davon die Rede, worum es bei vielen Dienstleistungen doch offensichtlich geht.

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Moderne in ihrer Wirkung auf Haartracht und -pflege, schließlich die Sondierung von Trends im Dienste erfolgversprechender Kreation von Frisurmode. Eine kulturwissenschaftliche Erörterung des Haartragens wäre ohne Betrachtung des mit dem Haarschneiden befaßten Berufes in mancher Hinsicht unvollständiger als eine Kunstgeschichte ohne Blick auf die Rolle der Künstler, denn zu diesen eilen wir ja nicht alle vier Wochen, um uns unsere Bilder nachbessern oder neu malen zu lassen. Im Frisur- und Friseurbereich sind Dienstleistung, Resultat,Auftraggeber und -nehmer auf nachhaltige und eben nicht sublimierte Weise verbunden. Den Anfang setzt daher A N G E L A P A U L - K O H L H O F F mit Überlegungen zum Friseurberuf. Die mit ihm bzw. seiner Vorform verschränkten und vergleichbar von intimen Körperkontakten betroffenen Heil- bzw. Gesundheitsberufe konnten bei zunehmend separater Entwicklung im Zuge naturwissenschaftlicher Wendung in der Medizin Aufwertung erfahren und - wenigstens auf der akademischen Ebene des Arztberufes - zur Domäne der Männer werden, während beim Friseurberuf eine deutliche Verweiblichung und Abwertung bzw. ein Persistieren älterer Geringschätzungen erfolgte. Denn Friseurtätigkeit ist bzw. blieb Körperarbeit doppelten Sinnes: Erstens ist Arbeit an den Körpern der Kundschaft zu verrichten, wobei gesellschaftliche Tabugrenzen im zwischenmenschlichen Körperkontakt überschritten werden müssen; zweitens ist Verkörperung seitens der Berufsausübenden gefordert, sofern sie qua Körper den Salon, seine pflegenden und kosmetisch-dekorativen Produkte repräsentieren, also >Berufskörper< werden. K O R N H E R S Augenmerk gilt neuen berufsinternen Orientierungen im Friseurwesen, die ihrerseits die Frisurengestaltung beeinflussen bzw. präformierend rahmen und insofern selbst tendenziell verborgen bleiben. Der Untersuchungszeitraum ist mit dem Kaiserreich nicht zufallig gewählt, denn ungeachtet der Palette an bereits vorhandenen Frisurmöglichkeiten besteht die grundlegende Neuerung darin, Frisuren nun zunehmend adressatenspezifisch zu konzipieren. Dabei wird indes weniger auf vorhandene Individualisierungswünsche bezüglich der Haartracht reagiert, sondern diese können im Zuge des sich ausdifferenzierenden Angebotes überhaupt erst Kontur gewinnen. Maßstab der gelungenen Frisur ist nunmehr deren Feinabstimmung auf die Träger. Damit kündigt sich ein auch bei anderen Branchen - etwa der Kleidermode - bekanntes Paradox an: Da Individualisierung inpraktikabel wäre, so sie sich tatsächlich auf unzählige verschiedene Menus aus Wünschen und physischen Dispositionen (Haaransatz, -beschaffenheit, -färbe usw.) einlassen würde, läuft sie auf Typisierung hinaus. Weibliche Kundinnen werden nun nach Alter und gegebenenfalls nichtalltäglichem Anlaß ihrer Frisur sondiert; jedenfalls bleiben sie Objekt modischer Zuschreibungen, während Männer als gleichsam unwandelbar, also entweder nach der Seite ihrer >Natun, d.i. ihrer äußeren Kopfbeschaffenheit, oder auch ihres Berufes erfaßt werden. Ein Regelwerk SVENJA

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begründet, fur wen welche Frisur passend ist, manifest in der Fachliteratur des Friseurgewerbes dieser Zeit. Für die Jahre der Weimarer Republik untersucht A L E X A N D E R S C H U G dann auf umfassenderem, also nicht nur die Frisur, sondern das Gesicht und den Körper mit einschließenden Gebiet, was man den ambivalenten Segen der Moderne nennen könnte: In eben dem Maße, in dem die Moderne dem Kunden Individualisierung wenn auch unter Auspizien der Typisierung - ermöglicht, wirkt der ihr inhärente Universalismus normierend: Bestimmte Errungenschaften, z.B. der Hygiene, sollen für alle gelten, für Männer wie Frauen77, ungeachtet ihrer sozialen Stellung. Körperlichkeit wird als ein Gut konstruiert, dass nicht gottgegeben, sondern gestaltbar ist und der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen unterliegt. Auf den sozialen Druck, sich Schönheitsnormen anzupassen, reagiert die Kosmetikindustrie, während ihre Produktwerbung diesen Druck zugleich erhöht, indem sie bildschafFend idealisierte Typen vor Augen stellt: technisch aufgerüstet, hygienisch einwandfrei, großartig gestylt trotz Hausarbeit oder langer Arbeitszeiten. Scham- und Körperbehaarung werden zu Zeichen der Vorgestrigkeit, erstmals kommt eine Fülle von Enthaarungscremes auf den Markt. Das gestaltete Kopfhaar wird unabdingbar für Akzeptanz und Erfolg. Fettiges, farbloses Haar paßt so wenig zur modernen Selbstinszenierung wie Schuppen oder Kopfflechte. Obwohl weder Schugs Beitrag noch ein anderer Text des vorliegenden Bandes explizit Männerfrisuren dieser Zeit und insbesondere den weiblichen Bubikopf78 zum Thema hat, könnten sie auf der Basis der von Schug verfolgten Fragestellung neu in den Blick geraten. Denn es wäre nicht abwegig, in der vergleichsweise starken Konturierung der weiblichen wie der männlichen >Haarhelme< gleichsam eine Mimesis, eine in Haarformen bildgewordene Externalisierung verbindlicher Normen der Körperpflege zu begreifen - insbesondere, wenn man sie mit den wenigstens stellenweise diffusen, grenzauflösenden Silhouetten der Haarschöpfe des Historismus, sogar noch der Reformzeit vergleicht. Um die Frisurfindung des Einzelnen angemessen erfassen zu können, muß - so der Ansatz von T I L M A N A L L E R T - auch die situative Seite der Aushandlung (im Friseursalon/mit Anderen) beachtet werden. Frisuren dienen unserem Einzigartigkeitsentwurf, den sie allein aber nicht einlösen können; Andere sind validierend 77 Vgl. Kessemeier (2000), bes. S. 181 f. 78 Ita Heinze Greenberg hat zur vorausgehenden Tagung einen entsprechenden Vortrag beigesteuert dort allerdings im Bezug auf das Bauhaus. Wie manch anderer Beitrag auch soll er in einem später folgenden Buch zu Haaren in den Künsten erscheinen. Im vorliegenden Band gibt Svenja Kornher einen Ausblick auf den Bubikopf unter der Hinsicht einer nunmehr auch bei Frauen einsetzenden Typisierung der Kopfform; vgl. auch den Beitrag von Irene Antoni-Komar zum Tituskopf, der in gewisser Hinsicht als Vorläufer des Bubikopfes firmiert.

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daran beteiligt, also zunächst auch die Friseurin bzw. der Friseur; und das Medium der Aushandlung, der Suche nach Anerkennung ist dabei die sprachliche Kommunikation. Da Frisuren ihr Gestaltungsangebot dem natürlichen, wachsenden und vergehenden Material >Haar< andienen, können sie auch im Falle gelingender, also kommunikativ bestätigter Selbstcharismatisierung der Einzelnen nur >transitorische Prominenz< bescheren. Da physiologische Kontingenzen (Haarbeschaffenheit usw.) mit irreduzibel singulären, nur auf eine Persönlichkeit zugeschnittenen Ausdrucks- und Authentizitätswünschen ein Arrangement bilden müssen, ist auf Seiten der Kundschaft >Selbstexpertisierung< erforderlich. Das Haar, so Allert, ist nicht mehr Natur, sondern wird Deponie unserer Selbsttransformation: Dabei muß die Frisur gleichermaßen persönlichen Motiven genügen, also Intimisierung erbringen, wie andererseits auch flexible Anpassung im Umfeld der Anderen bezeugen, also zum Accessoire tendieren. Im Zuge dessen werden die Friseurlnnen Komplizen und zugleich Handlanger des von ihrer Klientel geforderten Balanceakts, sie müssen therapeutische, ja mäeutische nicht weniger als handwerklich-gestalterische Kompetenzen unter Beweis stellen. Auf die von Allert analysierte Gemengelage bei der Frisurfindung der Einzelnen sehen sich letztendlich auch die mit der Kreation von Frisurmode Beschäftigten verwiesen. K l a u s N o l t e gibt aus der Sicht eines professionell Beteiligten Einblick in das schwierige Geschäft einer Sondierung nicht nur aktueller, sondern möglichst auch künftig relevanter Trends, also längerfristiger Entwicklungen im Frisurmodenbereich. Rückschlüsse aus konkreten Daten, aber auch Intuition sind unerläßlich, um in einem Feld vorausplanen zu können, das sich dank immer schnellerer Wandlungen und zudem Interferenzen mit modeexternen Einflüssen ja kaum in der Kontur seiner gegenwärtigen Erstreckung erschließt. So problematisch es von kulturwissenschaftlicher Warte aus wäre, sich in prognostische Bereiche vorzuwagen, so problematisch wäre es für die im Haarpflege- und Friseurbereich tätigen Unternehmen, darauf zu verzichten. An die von Svenja Kornher untersuchten Typisierungen ergeben sich Anschlüsse: Regelwerke bzw. Systematiken nach Alter, Geschlecht und Beruf, in denen die Einzelnen sich verankert fanden, werden dabei freilich nicht mehr angestrebt (das ist unter dem Stichwort >Kundeneinschätzung< eher Sache der Friseurlehrbücher und der von ihnen vorbereiteten Praxis im Salon geblieben). Eher besteht die gelungenenfalls begründete Hoffnung der Anbieter, triftige Konzentrate möglichen Zeitgeistes bzw. dessen charakteristische Attitüden prototypisch formulieren zu können - und zwar ineins deskriptiv und phantasmatisch, nämlich so, dass Einzelne sich darin werden wiedererkennen können und wollen.

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Haar und Frisur

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aufführen

Was einleitend unter >Geschlechterthematik< und insbesondere >Performance< erörtertet! wurde, gewinnt hier Veranschaulichung. Es geht um das vor Gericht >aufzuführende< gesträubte Haar vergewaltigter Frauen, die Bedeutung eines Verbergens bzw. Entfernens von Haaren in frühneuzeitlichen Hochzeitsritualen, die öffentliche Trauerbekundung durch das Tragen von Schmuck aus dem Haar verstorbener Angehöriger, den täuschenden Einsatz von Haar und Frisur in Geheimdiensten, schließlich geschlechtsbezogene Inszenierungspraktiken von Haar in der Schule. Bereits vor dem Einfluß des Christentums in spätantiker Zeit79 wurde frei und sichtbar lang getragenes Haar der Frau als anstößig empfunden, nicht anders als ein entblößter Körperteil. C H R I S T I N E K Ü N Z E L zeigt nun für die Zeit seit dem Mittelalter, dass die Auflösung der Frisur nicht allein als willentlicher - und von Tugendwächtern entsprechend verdammter - Verzicht auf Integrität des weiblichen Körpers, sondern auch als Zeichen einer den Frauen durch Gewalt zugefugten Entehrung begriffen werden konnte. Juristische Kodifikationen vom Mittelalter bis weit in das 18. Jahrhundert hinein enthalten konkrete Anweisungen, wie sich das (weibliche) Opfer einer Vergewaltigung verhalten, wie es insbesondere direkt im Anschluß an die Tat »mitgesträubtem haare«laufen sollte. Mag sich darin ansatzweise die >kriminalistische< Erwägung spiegeln, der brutale Griff des Vergewaltigers in das Haar seines Opfers müsse >gesträubte Haare< als Spuren hinterlassen haben, so erscheint doch die Konzession entscheidender, gesträubtes Haar könne die Verletzung des Körpers abbilden. So brüchig diese Vorstellung im Zuge der Aufklärung (und zuvor bereits irrelevant bei Gericht) wird, scheint sie doch unverzichtbar oder jedenfalls probates Mittel zu bleiben für literarische, bildliche und später noch filmische Darstellungen vergewaltigter Frauen: Die mittlerweile unanschaulich gewordene Widerfahrnis ruft nach Veranschaulichung. Neben der abbildenden Funktion der Haare ist zu bedenken, dass diese Abbildung am Körper und in zeitlichem Verlauf vor den Augen Dritter erbracht werden muß, es sich insofern um eine der Trägerin aufgezwungene Haar-Performance handelt. Dabei bleibt diese Performance auf eine ostentative Funktion beschränkt. Möglich ist es im Zusammenhang eines Rituals aber auch, dass partizipative Funktionen hinzustoßen, die Haar-Performance also ein nicht nur passives Mitwirken einer Gemeinschaft erfordert - so etwa bei dem von O L I V E R B E C H E R untersuchten symbolischen Einsatz der Haare in frühneuzeitlichen Hochzeitsritualen. Charakteristisch für den dabei vollzogenen Identitätswechsel ist, dass Haare tendenziell den

79 Vgl. Duerr (1978), S. 75-77 (sowie dort Anmerkg. Nr. 88-100, S. 265 f).

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Blicken entzogen werden. So findet ungeachtet etwaigen vorzeitigen Bartwuchses die erste Rasur des Mannes anläßlich seiner Hochzeit statt. Und das offen tragbare Haar der unverheirateten Frau wird bei gegebenem Anlaß in der Brautkrone bzw. dem Brautkranz versteckt - um es nach der Hochzeit unter einer Haube verschwinden zu lassen. Ostentative Handlungen und insofern symbolische Auffuhrungen des Umgangs mit Haaren mischen sich im Rahmen solchen Brauchtums mit konzelebrativen Momenten. Das zum >Häublen< fuhrende Abtanzen oder Abnehmen des Brautkranzes während der privaten Hochzeitsfeier symbolisiert künftigen Verzicht aufJungfräulichkeit. Die auf den Körper beziehbaren und die zum gestaltbaren Artefakt drängenden Seiten des getragenen Haares prädestinieren es für symbolische Sanktionierungen im Falle einer schwangeren Braut - die mit dem Strohkranz Vorlieb nehmen oder gar das Scheren der Haare befurchten muß.80 Das Verbergen der Haare mit dem Eintritt ins Eheleben oder mit der Geschlechtsreife hat sich in anderen Kulturkreisen und je nach Religion noch bis in heutige Zeit erhalten. In säkular modernen westlichen Kulturen hat sich diese Praxis verflüchtigt, kehrt aber als graduelle Abstufung der Lässigkeit und Gelöstheit versus Disziplinierung des Haares wieder; und anstelle des Traualtars dürfte heute eher der Bürotisch des Arbeitgebers beim Vorstellungsgespräch eine eine solche Schwelle darstellen: Genau darauf ist die seitens manch aktueller Frisurvorschläge dem Kunden empfohlene Variierbarkeit eines Haarschnittes je nach Anlaß bezogen.81 Einen aus heutiger Sicht fremd, gar befremdlich anmutenden Umgang mit Haaren untersucht I S A B E L R I C H T E R , die sich mit der Bedeutung von Schmuck aus Haaren im Rahmen bürgerlicher Trauerkultur des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigt. Vor allem in protestantischen Kreisen war es üblich, von Sterbenden einige Haarsträhnen zu entnehmen, um sie später zu Armreifen, Broschen, Ringen u.ä. zu verarbeiten. Im Gegensatz zu Katholiken, die meist dem Sterbebildchen den Vorzug

80 Diese Strafe wurde bekanntlich noch im 20. Jahrhundert Frauen zuteil, die sich mit einem Mann aus den Reihen des Kriegsfeindes eingelassen hatten. Diese Demütigung, oft noch verstärkt durch Prangerstellung oder regelrechtes Spießrutenlaufen, war eine symbolisch auf den Körper zielende Verletzung (teils auch in Verbindung mit sexueller Aggression), aber auch eine für lange Zeit währende Markierung, darauf basierend der Versuch, die Verführerin langfristig ihrer >Mittel< zu berauben sofern nach Auffassung der strafenden Gemeinschaft wohl auch die ästhetisch-erotische Seite des Frauenhaares auf den Mann gewirkt hatte. Vgl. ausführlich Bolt (2001), S. 169-182, in diesem Band auch die Bemerkungen bei Ο. B. Hemmerle und I. Richter. 81 Vgl. Janecke (2003), S. 72 £ Eine Website mit »Styling-Ideen für die neuen Frisuren« verspricht: »Wir zeigen Ihnen, wie Sie die neuen Trendfrisuren am Tag dezent und abends auffällig in Form bringen«, [http://women.aolsvc.de/women/specials/index.jsp?kat=beauty&numb=3&st=l] Und für Männer empfiehlt der Zentralverband des Friseurhandwerks nicht mehr allzu kurzes Haar mit dem Effekt: »Die Frisur wirkt insgesamt zwar kurz und business-korrekt, doch bleibt genug Spielraum für Styling.«

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gaben, favorisierten Protestanten das Tragen solchen Trauerschmucks im Sinne persönlichen Andenkens, da Fürbitten nicht vorgesehen waren. Die Vertiefung individuell-seelischer Aspekte in der religiösen Gefuhlskultur des Pietismus und nachwirkend noch im Zeitalter der >Empfindsamkeit< verbanden sich hier mit einem älteren Verständnis von >GefuhlFühlen< - noch sinnliches Empfindungsvermögen, Körperselbstgefiihl und Berührung umfaßte. Entsprechenden Haarschmuck am Körper zu tragen, implizierte daher auch den haptischen Ausdruck von Trauer, wenngleich genauer von einer Wechselbeziehung zwischen Seelischem und Taktilem auszugehen ist. Sie findet ihr Pendant in einer Materialverwendung menschlichen Haares, die einerserseits noch prinzipiell der Reliquie ähneln kann - wobei die Einlage eines Haarbüschels pars pro toto den Verstorbenen vertritt während sie andererseits dank hohen handwerklichen Könnens auch zu virtuoser, materialverleugnender Verarbeitung fuhren kann, die sich von anderwärtigem Schmuck kaum unterscheidet, so dass hier im Gewände einer vertrauten, gerade nicht >Haare< evozierenden Form das tatsächlich verwendete Material sublimiert erscheint. Während der täuschende Schein von Haarteilen und -färbungen im Alltag meist nur Attraktivität steigern soll, hilft er im Rahmen nachrichten- und geheimdienstlicher Aktivitäten, die Identität einer Person zu verschleiern oder zu ändern. O L I V E R B E N J A M I N H E M M E R L E unterscheidet dabei zwischen der selten belegten, tatsächlichen Verwendung von >falschen BärtenBlondine< oder als dunkelhaarige, exotisch konnotierte Mata Hari verweist auf Stereotypen - hier: bezogen auf Haarfarben und ihnen zugeordnete Frauentypen - und letztendlich auch auf Haar-Physiognomik: So wissenschaftlich unhaltbar deren Klischees sind, schafft doch ihre massenhafte Verbreitung und Internalisierung Rezeptionsmuster, denen Frauen diesen oder jenen Haares sich real konfrontiert sehen. Basierend auf Erhebungen an einem Gymnasium und differenziert nach Altersstufen untersuchtJÜRGEN B U D D E geschlechtsspezifische Inszenierungspraktiken in Bezug auf Haare. Zunächst unterscheiden sich die jeweils favorisierten Frisuren

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bzw. Haarlängen, aber insbesondere auch die als zulässig erachteten Accessoires. Während die Jungen nur auf Haar-Gel, Baseballkäppis und Mützen (sozusagen als Ersatzfrisur) zurückgreifen, kommen bei den Mädchen weitere Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Frisur hinzu, z.B. Spangen oder Zopfbänder. Aber auch die auf Haar und Frisur bezogenen sozialen Interaktionen variieren beträchtlich: Gegenseitiges Frisieren, ritualisiertes Zusammenbinden und erneutes Offnen der Haare, das Herumzwirbeln von Strähnen ist allein Sache der Mädchen. Für Jungen hingegen geben längere Haare eines Mitschülers Gelegenheit, ihn zu verhöhnen und mit symbolischer Verweiblichung zu belegen. Die Frage ist dann aber, ob Haare der dankbar sich anbietende Nebenschauplatz einer primär sozialen Positionierung der Einzelnen sind - und also auf seiten der Jungen einer Stabilisierung >hegemonialer Männlichkeit dienen -, oder inwiefern gleichwohl von schrittweiser Aufweichung geschlechtsbezogener Frisuren und Haarpraktiken auszugehen ist.

Einzelne

Frisuren

und

Frisurstile

Dass die hier versammelten Beiträge einzelne Frisuren oder Frisurstile thematisieren, heißt nicht, dass die einleitend abgehandelten Aspekte nur Beiwerk wären; vielmehr werden sie an historischen Punkten und charakteristischen Gebilden konkret. Zudem stehen dabei eher wenig erforschte Frisurphänomene im Vordergrund, die sich in erfrischender Weise vom immer wieder abgespulten Standardprogramm der Literatur abheben. In der hier sich anbietenden chronologischen Folge geht es um: den weiblichen >Tituskopf< vor und nach 1800, westdeutsche Jugendhaarmoden der 50er und frühen 60er Jahre, langes Männerhaar als Protestzeichen in den Jahren um 1968, Haare im Retroschnitt, schließlich das Verhältnis von Frisur und Haut in den Minilooks 2003. Das nach der Französischen Revolution erstmals kurz getragene Haar der Frauen ist Gegenstand des Beitrages von I R E N E A N T O N I - K O M A R . Die nach römischem Vorbild bezeichnete Frisur ä la Titus ist kurz gelockt und wird meist mit Bändern gehalten. Nicht allein hinsichtlich politischer Ideale nach dem Ancien regime, sondern auch frisurgeschichtlich handelt es sich um einen >revolutionären< Schnitt galt das Abschneiden der Haare bis dahin doch als Strafpraxis und als weithin sichtbares Zeichen der Schande. Anhand der Rezeption in zeitgenössischen Quellen werden Entstehung und Wirkung dieser antikisierenden Frisur dargestellt. Wie Antoni-Komar nachweisen kann, ist diese weibliche Kurzhaarmode kaum durch explizite Emanzipationsbestrebungen der Frauen motiviert. Die zeitgenössische Diskussion verweist eher auf eine im Rückgriff antikisierende, politisch ambivalente - da z.T. auch in Anspielung auf Revolutionsopfer gewählte -, hinsichtlich des

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Kurzhaars jedoch immerhin weibliches Selbstbewußtsein belegende Modeerscheinung, die unter medizinischen Aspekten als »gefahrliche Mode« und »körperliche Verstümmelung« beargwöhnt wird und nach nur zwei Jahrzehnten wieder verschwindet. Erst 100 Jahre später wird der >Bubikopf< einen nachhaltigeren - nur im Nationalsozialismus unterbrochenen - gesellschaftlichen Durchbruch weiblicher Selbstbestimmung symbolisieren. Westdeutsche (Jugend-)Haarmoden und Haarpflege von 1950-1963 untersucht N O R B E R T G R U B E . Ihnen haftet das Ettikett des Langweilig-Restaurativen an, zumal im Kontrast zur vermeintlich avantgardistischeren Folgezeit. Uber tatsächliche Trägergewohnheiten geben indes empirische Umfrageforschungen (Allensbach) Auskunft. Dabei zeigt sich, dass der Sauberkeitspragmatismus der Vorkriegszeit transformiert wird in kosmetischen Pflegegenuß, in ein zunehmendes Bewußtsein fur Haarstyling und -gesundheit. Wie zuvor schon in der Weimarer Republik expandieren die zugehörigen Märkte, aber die Verbindlichkeit der auf Körperpflege bezogenen Ideale sieht sich segregativen Tendenzen konfrontiert, meinungsmultiplizierende Trendsetter rekrutieren sich erstmals sowohl aus der Jugendszene, als auch aus der Werbung. Dem Fortschrittsglauben und zunehmender Favorisierung chemischer Produkte als Insignien einer Neuorientierung stehen weiterhin Natürlichkeitsideale und der Wunsch nach Kontinuität entgegen. Ansatzweise bei Grube, besonders aber im Beitrag von N I C O L E T I E D E M A N N Z U >langem Männerhaar als jugendkulturellem Zeichen nach 1945< wird deutlich, dass die von Allert primär dem Individuum attestierten Wünsche nach Selbsttransformation und -charismatisierung auch von Kollektiven (politischer und/oder jugendbewegter Art) aufgegriffen und gleichsam als standardisierte Chiffre ihren Anhängern anempfohlen werden können. Nach einer vergleichsweise moderaten >HalbstarkenGammlern< und Hippies ein. Maßgebende Gruppierungen innerhalb des SDS empfanden lange Haare allerdings als »objektiv konterrevolutionär«, »anarchistisch« und »regressiv«. Die langen Haare waren die des Aussteigers, nicht die des Revolutionärs. Und bereits in den 1970er Jahren waren lange Haare alltäglich - man könnte auch sagen: sie waren das mittlerweile neutralisierte Frisurformat, dessen adrettgemäßigte oder voluminös-exzentrische Ausfüllung allein noch Gesinnungsunterschiede kommunizierte. Der hier sich musterbeispielhaft abbildende Prozeß des Bedeutungsverlustes (gar der Bedeutungsumkehrung82) eines anfangs oppositionellen Zeichens durch modische Verbreitung markiert nur die nach vorne gerichtete, 82 So die bittere Pointe bei Pasolini (1978) anläßlich seiner Beschreibung der >Karriere< langen Männerhaares von 1966-77.

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prospektive Seite des Scheiterns, dessen retrospektive Seite den mißlingenden Rückgriff auf ältere Haarsymbolik betrifft: Die mit langem Männerhaar seit alters her assoziierte Ungebundenheit sowie ein Randseitertum können modern zwar noch beschworen, aber kaum mehr plausibel kommuniziert werden. Nicht mit unterschwelligen und bedeutungsschwangeren, sondern expliziten und eher modisch motivierten Rückgriffen beschäftigt sich H E I K E J E N S S . Auf der Basis einer ethnographischen Studie über Retro-Inszenierungspraktiken in der gegenwärtigen Sechziger-Jahre-Szene treten Frisuren als Finish eines sonst durch (nachbereitete oder orginale) Kleidung repräsentierten Stils in den Blick. Die befragten Akteure streben eine möglichst authentische Reproduktion des >Swinging Sixtiesunglaubwürdig< entlarven; eventuelle Glatzenbildung bei Männern, aber auch die weniger schnell wechselbare, da körperbehaftete Frisur als solche droht das postmoderne, vestimentär nach Belieben verfolgbare Programm täglicher Selbst-Erfindung auszubreiten. Wenn bei Retro-Inszenierungen generell gilt, dass der Rückgriff das von ihm Aufgegriffene verändert, weil dessen ehemalige Alltäglichkeit nun im Kontext des Zitats avantgardistisch, jedenfalls distinguiert auftritt, so resultiert daraus eine interessante Volte für die Frisur; denn in ihr holt die Körperlichkeit des Haares das Zitat immer wieder ein - nämlich als würde sie den Träger kennzeichnen, statt nur von ihm verwendet worden zu sein. Bei den von P E T R A L E U T N E R untersuchten Minilooks 2003 inszenieren extrem kurze Röcke, Hotpants und oft schulterfrei geschnittene Kleider ein besonderes Zusammenwirken von Frisur, Stoff und Haut. Gegenüber der empfindenden Haut als unserer »carte d< identite« (M. Serres) ist Haar nahezu empfindungslos und ungleich strapazierfähiger, gestaltbarer, regenerierbarer. Es steht fur die Gegenwart. Aber so, wie in der Fotografie nicht die Dinge selbst, sondern genaugenommen deren Lichtverhältnisse Spur werden - >Oberflächen ohne Körper< -, nivellieren auch die Minilooks, was in ihnen an Stoff Haut und Haar zusammenkommt; sie werden Oberflächen mit Körpern, und sie werden als Geste (V. Flusser) kommuniziert: Die wild gebürsteten oder seitlich toupierten Langhaar-Frisuren erfahren optische Weiterfuhrungen in herabhängenden nackten Armen, wobei die Hände wiederum bereits die Rocksäume und damit die nackten Beine berühren. Eine solche Gestaltung spielt mit dem Gegensatz zwischen Haar und Haut und fuhrt ihn in einer Silhouette zusammen. Oder die langen Haare legen sich auf die Haut der nackten Dekolletes und gestalten wie ein Kleidungsstück die freien Hautpartien. Prinzipiell nicht anders als bei Bildern auf dem Computerscreen, wo die Verschie-

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denheit der Materialien und Komponenten in der erscheinenden Flächenordnung getilgt ist, scheint hier das Konzept der Frisur als vergleichsweise autarkem Gebilde verabschiedet zu werden.

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Angela Paul-Kohlhoff

DER FRISEURBERUF: A R B E I T AM KÖRPER - A R B E I T MIT D E M KÖRPER EINLEITUNG

»Was Friseure können, können nur Friseure.« So lautet ein Werbespruch, der eine Zeit lang an vielen Friseursalons zu lesen war. Betont werden soll hier das handwerkliche Können des Berufs, es soll die Arbeit des Friseurs aus der »JedermannsTätigkeit« herausgehoben werden. Können, durch Ausbildung erworben, steht im Vordergrund der Werbung. Schaut man dann aber durch die Schaufenster in die Salons, so sieht man überwiegend Friseurinnen und nur ganz selten Friseure. Der Beruf des Friseurs ist heute also überwiegend weiblich besetzt, dennoch ist die Werbung männlich, sie schließt Frauen gleichsam aus. Es scheint so, dass Beruf und insbesondere das berufliche Können männlich besetzt sind und das hinein bis in die Alltagssprache: »Ich gehe zum Friseur« - so lautet die Aussage der meisten Frauen und Männer, wenn sie zum Haareschneiden gehen, und dies auch dann, wenn in über neunzig Prozent der Falle der Friseur eine Friseurin ist. Wenn also die professionelle Seite des Berufs betont wird, wird er männlich. Handwerk und Männlichkeit gehen hier eine wichtige Allianz ein, die mit der Geschichte der handwerklichen Berufe und der in sie eingelassenen Berufsausbildung eng verknüpft ist. Unter den vorhandenen Berufen steht der des Friseurs/der Friseurin nicht besonders hoch im Ansehen. Dies muss zunächst doch verwundern, weil fast jede/jeder diesen Beruf braucht, um gesellschaftlich angemessen auftreten und den Standards von Gepflegtsein entsprechen zu können. Dennoch: der Verdienst des Friseurs/der Friseurin ist relativ gering, und die Ausbildungsvergütung liegt im Vergleich zu anderen Berufen im unteren Drittel der Tarife. Junge Frauen, die diesen Beruf wählen, haben überdurchschnittlich häufig niedrige Schulabschlüsse, dennoch gehört der Beruf der Friseurin immer noch zu den zehn am häufigsten gewählten Berufen von Frauen.1 Wenn man das Aufgabenspektrum der Friseurin betrachtet, dann erweist es sich als vielfaltig und durchaus anspruchsvoll: Beratungsaufgaben, Farben, Waschen, Schneiden, Schminken, häufig auch Maniküre und vieles andere mehr. Dazu sind

1

BMBF (2003).

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eine Vielzahl von Qualifikationen nötig, die von Dienstleistungsanforderungen bis hin zu soliden handwerklichen Fähigkeiten reichen. Wie kommt es nun also, dass dieser Beruf sowohl ideell als auch materiell in unserer Gesellschaft ein so geringes Ansehen hat? (Mit Ausnahme natürlich der wenigen Starfriseure.) Wenn man diesen Tatbestand unter dem Gesichtspunkt der geschlechtsspezifischen Segmentation der Berufe betrachtet, könnte man auf die einfache Antwort verfallen: weil es ein Frauenberuf ist. Denn typische Frauenberufe zeichnen sich insgesamt durch schlechteren Verdienst und geringere Aufstiegschancen im Vergleich zu typisch männlichen Berufen aus, wenn man das Spektrum der Tätigkeiten nach einer dreijährigen Berufsausbildung betrachtet, also die ungelernten Tätigkeiten ausschließt. So einfach gilt dieser Zusammenhang für den Beruf der Friseurin aber nicht, denn er ist seit seinem Bestehen ein stets niedrig bewertetes Handwerk gewesen. So schreibt etwa Maximilian Uttenthaler, dass auf den Badern und Barbieren immer der »Druck der Unehrlichkeit« lastete. »Vielfach begründete man die Unehrlichkeit der Bader und Barbiere mit den bisweilen recht ekelerregenden Verrichtungen derselben wie auch damit, dass Bade- und Barbierstuben als Herbergen des Stadtklatsches und Leichtsinns galten.«2 Bereits hier wird ein direkter Zusammenhang zwischen den pflegenden körperlichen Verrichtungen des Baders und Barbiers und seinem schlechten Ruf hergestellt. Wenn man sich also die historische Entwicklung des Friseurberufes genauer anschaut, dann kann man zwar einen Geschlechtswechsel des Berufes vom Männer- zum Frauenberuf feststellen, aber dies ist nicht wie bei anderen Berufen ausschließlich mit einer Abwertung im Zuge der Feminisierung zu begründen.3 Die These der Autorinnen (Gildemeister/ Wetterer, Krais und Robak) ist dabei, dass die Veränderungen in der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung der Berufsangehörigen sowohl Umdeutungen in den symbolischen Zuschreibungen der Tätigkeiten nach dem Muster »männlich«»weiblich« bedeutet, als auch zu einer ideellen sowie materiellen Abwertung der Berufe geführt haben. Dabei ist trotz unterschiedlicher feministischer Theorieorientierung wichtig, dass alle drei von einer Verschränkung der symbolischen Ordnung mit der strukturellen Verfasstheit des Berufssystems ausgehen, in die männliche Macht eingelagert ist. Diese Kontextualisierung ist beim Friseurberuf allerdings komplizierter, denn auch als Männerberuf war er im Vergleich mit anderen Handwerksberufen immer mit Geringschätzung verbunden. Wir werden dies noch genauer begründen. Meine These ist deshalb, dass die Geringschätzung dieses Berufes mit dem spezifischen Umgang mit Körperlichkeit in diesem Tätigkeitsfeld zusammenhängt. Denn Friseurinnen und Friseure arbeiten am Körper des Kunden/der Kundin und 2 3

Uttenthaler (1921), S. 7. Güdemeister/Wetterer (1992); Krais (1993); Robak (1992).

Der Friseurberuf: Arbeit am Körper - Arbeit mit dem Körper

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arbeiten dabei selbst mit ihrem Körper. Die Haare werden dabei von uns als unmittelbar dem Körper zugehörig betrachtet. »Arbeitsprodukt und Konsument sind eine untrennbare Einheit im Unterschied zu anderen Gewerben, in denen durch das Arbeitsprodukt der Abstand zwischen Produzent und Konsument gewahrt bleibt.«4 Dieser Körperbezug, der fehlende Abstand eben, verbunden mit den Berührungen, findet dabei in einem quasi öffentlichen Raum statt (im Friseursalon), wo sonst unmittelbare Körperkontakte eher tabu sind, zumindest zwischen fremden Personen. Neben den medizinisch akademischen und semiprofessionellen Heilberufen ist der Friseur/die Friseurin einer/eine der wenigen Berufsträger/innen mit unmittelbarem Körperkontakt zum Kunden, der sich auch durch den Einbezug neuer Technologien im Friseursalon nicht aufheben lässt. Diese Körperlichkeit im Umgang zwischen Produzent/in bzw. Dienstleister/in und Kunden hat meines Erachtens eine wichtige Funktion für die Bewertung von Berufen. Deshalb waren auch die Perückenmacher niemals vergleichbarer Abwertung ausgesetzt wie die Bader und Barbiere, denn jene arbeiten nicht unmittelbar am Körper. Darüber hinaus arbeiten Friseurinnen aber nicht nur am Körper der Kunden und Kundinnen, sondern auch unmittelbar mit ihrem eigenen Körper. Dies betrifft einmal die körperlich anstrengende Arbeit selbst, zum anderen aber auch die Repräsentation des Stils des jeweiligen Salons durch den eigenen Körper und dessen Bekleidung. Friseurinnen sind also immer mit ihrem ganzen Körper präsent. Die Geringschätzung dieses Berufs hängt so auch mit der insgesamt symbolischen Trennung von Kopf- und Handarbeit bzw. geistiger und körperlicher Arbeit zusammen. Um diese These zu erhärten, soll im folgenden zunächst ein kurzer, ausschnitthafter Uberblick zur Geschichte des Berufsfeldes »Friseur und Friseurinnen« gegeben werden. Wir gehen dabei nicht streng chronologisch vor, sondern orientieren uns an den Zusammenhängen, die für die Frage nach der Feminisierung dieses Berufes und seiner Geringschätzung von Bedeutung sind.

K U R Z E A N M E R K U N G E N ZUR G E S C H I C H T E DES F R I S E U R H A N D W E R K E S

Die historische Entwicklung des Berufsfeldes der Friseure muss in engem Zusammenhang mit der Entstehung der Handwerksberufe gesehen werden, wenngleich es auch einige Besonderheiten aufweist, die seine spezifische Ausformung bis heute erklären können. Die Bedeutung der Handwerksberufe und ihrer Zünfte korrespondiert dabei eng mit der mittelalterlichen Stadtentwicklung. Mit der Entstehung des Markrechts im 12. Jahrhundert gewannen Handwerker für die Bewohner der

4

Stolz (1992), S. 10.

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Angela Paul-Kohlhoff

Städte zunehmend an Bedeutung fur die Güterproduktion, aber auch fur Dienstleistungen. Als Vorläufer des Friseurberufs müssen dabei die Bader und Barbiere betrachtet werden, wenngleich ihr Tätigkeitsspektrum ein anderes war als das der heutigen Friseurinnen. So zeigen bereits Dokumente aus dem 12. Jahrhundert das Vorhandensein erster öffentlicher Badestuben, die von den Badern betrieben wurden. Dabei bereiteten die Bader nicht nur das Bad, sondern übernahmen auch das Rasieren, was andernfalls auch von den Barbieren ausgeübt wurde. »Sagte man von den Badern, sie scheren auf der nassen Bank, so spricht man von den Barbieren als den Scherern auf der trockenen Bank oder von den Trockenscherern.«5 Die Badestuben waren Orte der Hygiene sowie zugleich auch Kultur- und Kommunikationszentren der mittelalterlichen städtischen Lebensräume. Die Dienstleistungsfunktion des Baders traf also auf veränderte Strukturen städtischer Bedürfnisse. Im Gegensatz zu anderen Handwerken haben sich die Bader und Barbiere erst recht spät in Zünften organisiert, auch gab es zwischen diesen beiden Berufsgruppen immer wieder Streitigkeiten über eine gemeinsame oder getrennte Organisationsform. Allerdings hing diese »verspätete« Organisationsform entscheidend mit der Unterstellung der »Anrüchigkeit« oder »Unehrlichkeit« dieses Tätigkeitsfeldes zusammen, so dass das Privileg zur Gründung einer Zunft nicht immer erteilt wurde. »In öffentlichen Badestuben ging es mitunter mehr als lustig, ja ausgesprochen sittenlos zu, das Dirnenwesen darin und recht lockere Badegewohnheiten beider Geschlechter halfen Seuchen zu verbreiten. Die Dienste, die Bader und Barbiere gegen Geld an den Körpern anderer Leute verrichteten, sahen viele als entehrend, erniedrigend, sklavisch an.«6 Die Arbeit am Körper anderer Menschen führt also auch hier direkt zur Abwertung eines Berufes, unabhängig von dessen Besetzung nach Geschlecht. Interessant ist dabei allerdings, dass die Kultur der Badestuben auch in zeitgenössischen Dokumenten zugleich in einen Kontext mit der Prostitution gestellt wird, indem das »Sittenlose« der Badestuben mit dem Dirnenwesen in Verbindung gebracht und hierin eine spezifische Abwertung von Frauen deutlich wird. Wenngleich also die Durchsetzung des Zunftrechtes im Vergleich zu anderen Handwerken erst verspätet erfolgte, haben sich im 14. und 15. Jahrhundert in einer Vielzahl von Städten Zünfte der Bader und Barbiere gebildet. Die Zugehörigkeit zu einer Zunft reglementierte das Handwerkerleben im beruflichen als auch privaten Bereich, bot den Zunftmitgliedern dafür aber wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit. Allerdings hing das Betreiben einer Badestube auch von einer behördlichen Genehmigung ab, da die Bader meist nicht selbst

5 6

Uttenthaler (1921), S. 7. Kleinhempel/Soschinka (1996), S. 56.

Der Friseurberuf: Arbeit am Körper - Arbeit mit dem Körper

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Besitzer, sondern Pächter der städtischen oder als Lehen verliehenen Badestuben waren. Hierin unterschieden sie sich also ganz deutlich von den freien Handwerkern, die in eigener Werkstatt Produkte für den Markt herstellten. Neben der »Unehrlichkeit« des Handwerks war auch diese Besitzlosigkeit einer der Gründe für das niedrigere Ansehen der Bader und Barbiere. Dies drückt sich auch in der Bezahlung ihrer Dienste aus. »Nach Rechnungen von 1585 erhielt ein Baderknecht (Geselle) einer Bade-Stupa in Erfurt für einen Arbeitstag, an dem er achtmal das Bad zu heizen hatte, 18 Pfennig. Ein Zimmermannsgeselle bekam dort zur gleichen Zeit 72 Pfennige = 6 Groschen, der Kalkknecht 60 Pfennige = 5 Groschen, ein Maurergeselle 48 Pfennige Lohn.« 7

Es wird also auch schon zu dieser Zeit deutlich, dass sich die Bewertung der Tätigkeiten des Baders auch in materieller Hinsicht deutlich von anderen Handwerksberufen unterscheidet - ein Tatbestand, der bis heute fortwirkt. Dies gilt trotz Veränderungen der Festlegung der Löhne und Gehälter im Rahmen des Statuts der Tarifautonomie. Was waren nun die beruflichen Aufgaben der Bader und in eingeschränktem Maße der Barbiere?: »Hört reich vnd arm Das bad ist warm Wer sich wöll waschen vnd salben Am hobt vnd allenthalben Er sey herr, knecht, frow oder man Dem wirt gewartet schon.«8

Dieser Baderuf macht bereits deutlich, dass das Benutzen eines Badehauses egalitäre Züge hatte: Herr und Knecht; Mann und Frau, alle waren zugelassen. Weder geschlechtsspezifische noch hierarchiespezifische Unterschiede waren angedacht (Herr und Knecht), wenngleich die reale Nutzung der Badestuben natürlich >schichtspezifische< Züge hatte. Das Baden ist dabei mehr als eine hygienische Maßnahme, denn laut Badespruch folgt das Salben - in der christlichen Religion einer der höchsten Dienste vor Gott an einem Mitgeschöpf aber eben eine dienende Funktion. Dabei geht der gesundheitliche Wert des Badens auf eine spezifische mittelalterliche Vorstellung von Körperlichkeit zurück, die aus der arabischen Medizin übernommen wurde: »Das Bad öffnet die Poren und leitet die überflüssigen Säfte ab. Es öffnet die Winde und läßt den Urin leichter fließen. Bei Verdauungsbeschwerden schnürt es den Bauch zusammen, und es schwemmt den schmutzigen Schweiß ab; 7 Ebd., S. 64. 8 Der Baderuf stammt aus dem Roman »Doctor der Arcni« von Heinrich Steinhöwel, 1461, zit. nach Stolz (1992), S. 82.

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es tilgt ferner das Jucken und die Krätze. Ein Bad hebt die Ermüdung auf und durchfeuchtet den Körper, es regt die Verdauung an und bereitet zur Nahrungsauf1 nähme vor. Weiter lindert es die Schmerzen in den von der Gicht ausgedörrten Gliedern, zersetzt den Katarrh und fördert beim Fieber die kritischen Tage.«9 Ausgehend von der »Körpersaftlehre« ging auch der Bader von sogenannten wissenschaftlichen Prinzipien aus: »Was nun im Körper an elementarer Mischung samt der damit verbundenen Modifikationen der Qualitäten vor sich geht, wird dokumentiert durch die vier Säfte: Blut, Schleim, Galle und schwarze Galle.«10 Nach dieser Lehre war für die Gesundheit des Menschen nun die rechte Mischung der vier Säfte im Körper ausschlaggebend. Da das Mischungsverhältnis aber beeinflussbar war, ergab sich eine gewisse Verantwortung der Bader für die Behandlung der Menschen. Denn durch bestimmte Behandlungen ließ sich das Mischungsverhältnis nach dieser Sicht von außen beeinflussen. So verwundert es nicht, dass im Mittelalter die Bader und dann auch die Barbiere gewisse medizinische Aufgaben wahrzunehmen hatten. Bisher haben wir als deren Aufgaben neben dem Baden nur die Nass- oder Trockenrasur angesprochen. Zentral waren aber auch die medizinischen Aufgaben, entsprechend den mittelalterlichen Vorstellungen von der Körperlichkeit des Menschen. Sie umfassten folgende Tätigkeiten: - Aderlass - Schröpfen - Behandlung von Hautkrankheiten -

Zahnbehandlung

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Knochenbrüche

-

Wundbehandlung

Es zeigt sich, dass zwischen dem Körperpflegehandwerk und der medizinischen Versorgung bei äußerlichen Krankheiten keine Trennung vollzogen wurde. Die Funktion des Baders war, dem Menschenbild des Mittelalters entsprechend, eine relativ ganzheitliche Position, die den Zusammenhang zwischen »inneren« und »äußeren« Beeinflussungen bewusst miteinbezog. Erholung und Entspannung im Bade waren dabei gleichermaßen wichtig sowie die medizinische Versorgung. Konzipiert und gestaltet als handwerklicher Beruf blieb sein Kennzeichen aber die von außen am Körper durchgeführte physische Manipulation des Menschen. Diese Kontextualisierung des Berufs des Baders als pflegend und heilend verband ihn der neu erwachenden städtischen Kultur und den neuen Anforderungen der

9 H. Schipperges (»Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter«, München/Zürich 1985, S. 234) hier zit. nach Stolz (1992), S. 68. 10 H. Schipperges (»Melancolia als ein mittelalterlicher Sammelbegriff für Wahnvorstellungen«, in: Studium Generale, 20,1967, S. 725 £), hier zit. nach Stolz (1992), S. 66.

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Hygiene, die allerdings zeitgebunden häufig vernachlässigt wurde. Zwischen dem Beruf des Baders oder des Barbiers und dem Arztberuf kann nach der Quellenlage keine scharfe Trennung vorgenommen werden. »Bevor die akademischen Arzte eine nennenswerte Rolle in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu spielen begannen und schließlich diese nahezu völlig an sich bringen konnten, stellten die Handwerkschirurgen die wichtigsten staatlich autorisierten Heiler dar.«11 Diese Kombination handwerklicher Dienstleistung und medizinischer Versorgung war zugleich Auf- und Abwertung des Berufes. Diese Gleichzeitigkeit muss in heutigem Rückblick als eine der wesentlichen Wurzeln der niedrigen Bewertung der körperpflegenden Berufe angesehen werden, die mit der Übernahme dieser Tätigkeiten durch akademisch ausgebildete Arzte im 19. Jahrhundert erst ein Ende fand. Denn dieser Zusammenhang zwischen pflegenden und heilenden Funktionen machte den Beruf seit jeher besonders angreifbar. Die Angewiesenheit der städtischen Bevölkerung auf die medizinischen Funktionen der Bader und Barbiere machte diese Berufsgruppe einerseits wichtig und unverzichtbar für die Mehrheit der Bevölkerung, anderseits hatte die Beschäftigung mit Krankheit auch immer die Seite des Abstoßenden, weil durch die Bader und die Behandlung in der Badestube auch Krankheiten übertragen werden konnten. Dies galt insbesondere für das Feld der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Hinzu kam, dass angesichts der verfugbaren Instrumente für die Behandlung und handwerkliche Ausrichtung die Therapie durch die Bader in der Regel recht schmerzhaft war. Das potenzierte sich zudem durch die Erfahrungen mit den sogenannten »Militärchirugen«, die zugleich auch Feldscherer für die Truppen waren. Dank mangelnder medizinischer Ausbildung, geringem Fachwissen und unzureichender Hygienestandards waren Wundinfektionen und Wundbrand keine Seltenheit, so dass insbesondere die Feldscherer, die zugleich Wundärzte waren, durch mangelnde Heilungserfolge in Verruf kamen. »Tatsächlich war dann auch der Erfolg in der Tätigkeit der Feldschere häufiger vom Zufall und von der robusten Natur vieler Verletzter als von gediegener, kenntnisreicher Arbeit gekennzeichnet.«12 Die Haltung gegenüber den medizinischen Aufgaben der Berufsgruppe der Bader, Barbiere und Scherer muss also als ambivalent eingeschätzt werden, was für das Ansehen eines Berufes nicht gerade dienlich ist. Erst im 19. Jahrhundert veränderte sich die Situation dergestalt, dass sich langsam das Arztewesen ausbildete und die Zuständigkeit der Barbiere für Heilbehandlungen zurückgedrängt wurde, bis sie ganz an die akademisch ausgebildeten Ärzte überging.

11 Sander (1989), S. 11. 12 Kleinhempel/Soschinka (1996), S. 127.

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Die Geschichte der Bader und Barbiere ist immer wieder durch Konkurrenz, aber auch Kooperation der beiden Berufsgruppen geprägt, was auch in den gemeinsamen und dann wieder getrennten Zünften zum Ausdruck kommt. Aber auch die Bedeutung des Badens verändert sich mit dem soziokulturellen Wertewandel im Übergang zum Barock. »Ein Hauptort mittelalterlicher städtischer Kommunikation wird zunehmend als bedrohlich für die gesellschaftliche Ordnung empfunden, zudem erweitert sich die Bedrohung des »gesellschaftlichen Körpers« auf die gesundheitsgefährdende Wirkung des individuellen »leiblichen Körpers«. Und das nicht nur als Ort der seuchenbedingten Ansteckungsmöglichkeit, vielmehr wird nun die vollständige Reinigung mit Wasser, das Baden, als eine dem körperlichen Wohl abträgliche Praktik betrachtet.«13 Die Anzahl der Bader nahm also mit derjenigen der Badestuben deutlich ab, was zu erneuter Konkurrenz zwischen Badern und Barbieren führte. Hinzu kam die neue gesellschaftliche und individuelle Bedeutung, die der Haartracht als Ausdruck der Persönlichkeit und der Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Stand beigemessen wurde. Haare wurden nicht mehr als natürlich zum Körper gehörig betrachtet, sondern durch möglichst kunstvolle und voluminöse Perücken sollte nun die Person aufgewertet bzw. ihre Position in der Gesellschaft deutlich werden. Wenigstens die Angehörigen der Oberschicht und des wohlhabenden Bürgertums wurden damit zu Kunden der Perückenmacher und brauchten daher weder Bader noch Barbiere.

Z U R R O L L E D E R W E I B L I C H E N A R B E I T S K R Ä F T E IN D E R BERUFSENTWICKLUNG ZUM FRISEUR/ZUR FRISEURIN

Welche Rolle spielten nun die Frauen in diesem Berufsbild und für die Entwicklung dieses Berufs? Deutlich sollte geworden sein, dass die Vorläufer des heutigen Friseurberufs männlich besetzte Berufe waren, die wie fast alle Handwerksberufe auch nur männlich gedacht waren. Dennoch tauchen in vielen zeitgenössischen Dokumenten Frauen im Umfeld der Berichte über Badestuben und weniger im Barbiergewerbe auf. Wir haben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Sitten in den Badestuben recht »locker« waren und die Rolle der Frauen häufig auch in Verbindung mit Prostitution gebracht wurde. Tatsächlich gab es für Frauen zwar berufliche Rollen, allerdings in untergeordneter Position: als Bademägde. Leicht bekleidet taten sie Hilfsdienste für den Bader und die Badenden; somit wurden sie als sexuelle Körper wahrgenommen, wurden im Gegensatz zu den männlichen

13 Stolz (1992), S. 122.

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Badern als Personen sexualisiert und mithin funktionalisiert. So schreibt Susanna Stolz nach Auswertung auch literarischer Quellen von einem Prozess der »Reinigung contra Vergnügen: Von der Badestube zum Badebordell.«14 Auch wenn man Papes Interpretation folgen kann, dass in dieser Entwicklung ein Ausdruck mittelalterlicher Weltsicht zu finden ist, muss dennoch die asymmetrische Relation zwischen Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen gesehen werden, die durch Stereotype als auch durch symbolische Gewalt bestimmt wird. Die Badestuben boten in seiner Sicht »die Möglichkeit, die tägliche Bedrohung des Lebens, die damals weit größer war als heute, zu vergessen, die Angst vor Krankheit und Fegefeuer abzuschütteln. Die Badestuben zeigten das andere Gesicht des mittelalterlichen Menschen, sein körperbewußtes Verhalten, seine Fähigkeit, Lebensfreude ohne Zwänge, auch auf sexuellem Gebiet, zu entwickeln.«15 Diese Beschreibung und Interpretation verstärkt den Eindruck ihrer männlichen Autorenschaft, obwohl die Zunahme der Prostitution quellenmäßig belegt ist. So macht auch Stolz darauf aufmerksam, dass sich im 14. Jahrhundert die Prostitution sehr erweitert hat; sie spekuliert darüber, dass dies mit der Abriegelung der Zünfte und mit einer damit verbundenen Zunahme an ledigen Handwerkern zusammenhänge.16 Festzuhalten bleibt, dass Frauen im Bereich der Bader im Wesentlichen nur zwei dienende Rollen im beruflichen Kontext zugestanden wurden: die der Magd und die der Dirne. Damit verdeutlicht sich sowohl die strukturelle als auch die symbolische Asymmetrie im Geschlechterverhältnis, bezogen auf ein Berufsbild. Strukturell abgesichert wurde diese Ungleichheit auch durch die strengen Zunftregeln der Berufsausbildung in handwerklichen Berufen, die Frauen von der Ausbildung - gedacht als Erziehung zum ehrbaren Gesellen - fast vollständig ausschloss. Die Organisationsform des Zunftwesens war also zugleich auch ein Exklusionsmechanismus für Frauen. Die einzige Möglichkeit, im Gewerbe als Frau Fuß zu fassen, war der Tod des Mannes. Als Witwe des verstorbenen Meisters war man allerdings in der Regel den Heiratsanträgen von Gesellen ausgesetzt, die darin die einzige Möglichkeit der Übernahme einer Meisterposition sahen. Das änderte sich erst mit der Lockerung des Zunftwesens und mit dem Versuch einer nennenswerten Anzahl von Frauen, einen Platz auf dem Arbeitsmarkt zu erobern. Dies geschah im Grunde durch die Übernahme von Arbeit, ohne Mitgliedschaft in den Zünften, durch eine Vorform der Schwarzarbeit sozusagen. Wie beunruhigt die zünftigen Barbiere und Perückenmacher waren, macht folgendes Zitat sehr deutlich: »Ein Bericht der Konfraternität vom Jahre 1788, der nicht weni14 15 16 17

Ebd., S. 104. Pape (1986), S. 105. Stolz (1992), S. 106 f. nach Uttenthaler (1921), S. 21.

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ger als 47 Namen solcher ungelernten Pfuscher enthält, sagt von einem solchen Kammerdiener, das er allein wenigst hundert Weibsbilder im Frisieren schon unterrichtet hat und einige ledige Weibspersonen haben sich sogar erkühnt, in öffentlichen Zeitungen und Wochenblättern sich ausschreiben und anzeigen zu lassen.«17 Im Zusammenhang mit dieser Klage über eine außerhalb der Zunftregeln erworbene Qualifikation wird auch häufig der Verdacht geäußert, die Frauen gingen durch ihre Anzeigen eher der Prostitution als der Ausübung des Haargewerbes nach auch hier wieder das aus der Geschichte bekannte Muster der Abwertung weiblicher Erwerbstätigkeit in einem Körperpflegeberuf Dem Ausschluss der Frauen aus der Ausbildung wird also mit der Nutzung »illegaler« Ausbildungsformen begegnet. Dies ist nur erklärlich aus der sich verändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation, die als Umbruchsituation zur Industrialisierung aufgefasst werden muss, in der die Entwicklung immer mehr nach neuen, nicht mehr zünftigen, gesellschaftspolitischen Regulationsmechanismen drängte, weil diese den neuen Anforderungen der Industrie nicht mehr gerecht werden konnten. Erst im Ubergang vom 19. zum 20. Jahrhundert kann man davon sprechen, dass der Friseur und nun auch die Friseurin zu einem anerkannten und »ehrbaren« Beruf geworden ist. Für den beruflichen Geschlechterwechsel des Berufs in dieser Zeit ist vor allem die Spezialisierung wichtig, hier insbesondere die Trennung in Damenund Herrenfach. »Spezial-Herren- oder Damensalons wurden zum Alltagsbild städtischer Geschäftsstraßen und Wohngebiete - hinsichtlich des Damen-Frisiersalons handelte es sich um ein Novum.«18 Die Herausbildung spezieller Angebote für Frauen hing einerseits mit der technologischen Entwicklung zusammen Dauerwelle, Ondulation, chemische Bleich- und Farbemittel - , aber auch mit der zunehmenden Bedeutung von Pflege- und Schönheitsbedürfnissen der Frauen. Diese Spezialisierung erweiterte deutlich das Tätigkeitsspektrum der Friseure und Friseurinnen. Ahnlich den mittelalterlichen Badestuben gewannen insbesondere die Damensalons eine wichtige Kommunikationsfunktion, was auch damit zusammenhing, dass die Anfertigung einer Damenfrisur ungleich langwieriger war als ein Herrenschnitt und somit Wartezeiten kaum zu verhindern waren. Insbesondere in der Zeit, als die Frauenerwerbstätigkeit noch relativ gering war, suchten die halbwegs gut situierten Hausfrauen den Friseursalon auch als gesellschaftliches Ereignis auf Dies hatte und hat bis heute einen wichtigen Einfluss auf die Gestaltung der Salons. Ein Zitat aus einem 2002 erschienenen Kriminalroman verdeutlicht besonders eindrucksvoll die kommunikative Funktion des Friseursalons: »Der Commis-

18 Kleinhempel/Soschinka (1996), S. 165.

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sario sah ihn bewundernd an. >Wie hast du denn solch intime Sachen rausgekriegt.^ >Ich war beim FriseurTYPGERECHTEN< FRISUR

»Auf das Geschick unserer Friseurinnen und Friseure ist Verlass. Eine typgerechte, flotte Frisur unterstreicht die optischen Vorzüge eines Menschen« - so der bayrische Staatsminister Erwin Huber über das bayrische Friseurhandwerk anlässlich einer Mitgliederversammlung des Landesinnungsverbandes.1 Sein Lob gilt aber nicht nur dem handwerkstechnischen Können der fraglichen Berufsgruppe. Wichtiger ist Huber eine andere Fachkompetenz, die explizite Kundenorientierung, die mit dem von ihm treffend benutzten Fachbegriff >typgerecht< bezeichnet wird. Davon verspricht sich der Staatsminister wichtige gesamtwirtschaftliche Impulse: »In diesem Punkt kann das Bayerische Friseurhandwerk durchaus Vorbild fur andere Branchen sein: Wir müssen wettbewerbsfähiger werden, indem wir noch mehr auf Kundenwünsche eingehen.« Sicher hat der Berufspolitiker Huber die Friseurinnen und Friseure als seine Wählerinnen und Wähler hofiert.2 Es ist aber nicht nur Schmeichelei, die den studierten Betriebswirt auf Fachtermini und Geschäftspraxen des Friseurberufs zurückgreifen läßt - >Kundenorientierung< gehört ganz allgemein zu den verheißungsvollen Schlüsselwörtern in den Debatten um die Konjunkturlage. Es gilt als erwiesenes Marktforschungsergebnis, dass die Typberatung, der Hinweis auf die jeweils vorteilhafteste Frisur, von der Kundschaft als die wichtigste Dienstleistung der Friseurbranche angesehen wird.3 Mit dem Begriff >typgerecht< wird das Vorgehen der Fachleute bezeichnet, entlang bestimmter Faktoren (u.a. Haarqualität, Kopf- und Gesichtsform, Statur, Alter) die Kundschaft einzuschätzen und die Frisurgestaltung danach zu planen. Damit ist einerseits ein Höchstmaß an individueller Kundenorientierung erreicht, denn Grundlage aller im Beratungsgespräch erörterten Überlegungen ist der einzelne Kundenkopf. Andererseits ist dieses Modell nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil es universell konzipiert ist; es verspricht, allen Altersstufen, jeglichen Frisurstilen, Moderichtungen, jedem Trend und jeder Einzelpersönlichkeit - mit welchem Gesichtsschnitt und welcher Haarqualität auch immer - gerecht werden zu können.

1 Das Manuskript der am 2.7.2001 gehaltenen Rede ist als Presseinfo der Staatskanzlei veröffentlicht unter: www.bayern.de/Presse-Info/Reden/2001/07-02.html. 2 Darauf verweist nicht zuletzt Hubers ausdrückliche Erwähnung des Ansehens des Berufs, was im übrigen Zweifel an der Selbstverständlichkeit und damit an der Ernsthaftigkeit der Aussage weckt. 3 Möller/ Schoeneberg (1993), S. 235.

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Kernstück ist die Typologie der Kopf- und insbesondere der Gesichtsformen.4 Zum Kanon der fünf klassischen Gesichtsformen zählen >ovalbreitrunddreieckiglänglichtypgerecht< auch standardisierte Kleidungsstile ein (>sportlichfraulichromantisch< usw.). Wolfgang Schweig hat in seiner unlängst erschienenen berufspädagogischen Dissertation zum Friseurberuf Typisierung in der Branche generell heftig kritisiert: sie verhindere eine Vermarktung der Dienstleistungen als exklusive Unikate.6 Individualität ist bei ihm als Einzigartigkeit, die durch handwerkliche Tätigkeit ihre Entsprechung finde, definiert. Er fordert, Frisuren sollten wunschgerecht statt typgerecht gestaltet werden. »Typisierung hat Vorteile bei der Produktion von technischen Geräten, selten jedoch bei der Gestaltung von Menschen.«7 Zudem sei die Forderung, eine Frisur >typgerecht< zu gestalten, erst vor einigen Jahren aufgekommen - verwunderlich genug für einen Autor, der seit den 1960er Jahren die Branche kennt. Den >Typ< beim Frisieren zu berücksichtigen, war spätestens seit dem 2. Weltkrieg gängig8 und ist in Fachbüchern mindestens seit den 1970er Jahren unter dem Thema >Frisurengestaltung< abgehandelt worden. Denn seit es im Friseurberuf überhaupt Fachliteratur in nennenswertem Umfang gibt (ca. ab den 1880er Jahren), sind die Fachleute auf der Suche nach fachtheoretischen Begründungen ihres Berufs, vornehmlich nach Gestaltungsregeln für Frisuren. Bis in die 1990er Jahre - und wahrscheinlich noch darüber hinaus - wird probiert, Proportionsideale für die Friseurarbeit nutzbar zu machen.9 Die Anwendung auf Frisuren kann als gescheitert gelten, dennoch wird bis heute nach grundlegenden Regeln überhaupt gesucht.10 Im Anschluss an die Einsicht, Proportionsideale der Antike wie z.B. >der goldene Schnitt< seien im Berufskontext unbrauchbar, wird in Fachbüchern häufig die >typgerechte< Frisur als Alternative angeboten. Damit wird die Konzeptionierung einer berufsspezifischen Proportionslehre unternommen.

4 Jany/Lipp-Thoben/Lück (2001), S. 140. 5 Schoeneberg (1975), S. 196-203. Dort ging es nur um den Ausgleich; zur Betonung vgl. Möller/ Schoeneberg (1993), S. 239. 6 Schweig (2000), S. 135. 7 Schweig (2000), S. 137. 8 Beispielsweise ist in der Schwarzkopf-Kundenzeitung »Das Haar« ab 1949 immer wieder die Rede vom >Typtypgerechten< Frisur

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Mit seiner Ablehnung des Topos >typgerecht< als unzulässiger Vereinfachung der beruflichen Aufgabenstellung bringt Schweig auch eine industriekritische, technikfeindliche Haltung zum Ausdruck, in der die Überhöhung von Handwerkskunst den positiven Widerpart spielt. Sein Gegenvorschlag bezieht sich nun darauf dass Friseurinnen individuelle Wünsche bedienen sollten, dabei aber von »unmittelbar nicht veränderbaren Gegebenheiten (Kopf Gesicht, Hals, Ohren, Augen, Körpergröße, Statur usw.)« ausgehen sollten. Schweig ist damit vom Kernaspekt der >typgerechten< Frisur weniger weit entfernt, als er meint - zumal dem Kriterium der Proportionalität eine prominente Rolle zugewiesen bleibt. Den individuellen Gegebenheiten des Kundenkörpers Rechnung zu tragen, ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens kann damit die Individualität der Leistungserstellung begründet werden. Zweitens gilt der Gesichtsschnitt als angeboren und damit als >natürlich< oder, wie Schweig feststellt, unmittelbar nicht veränderbar.11 Scheint also seine Berücksichtigung das Versprechen zu enthalten, sämtlichen Kundenköpfen zielgerichtet mithilfe einschlägiger Kompetenzen der Fachleute gerecht werden zu können, verweist der Verwendungskontext auf etwas anderes. Die typgerechte Frisur für >den Mannstarke Verweiblichung< durch eine typgerechte Frisur hoffen.14 Ist und bleibt es also ein typisch weibliches Interesse, sich mit Mode zu beschäftigen? Um es mit Georg Simmel zu formulieren: Haben Männer es immer noch nicht nötig, sich mit ihrem Äußeren hervorzutun, weil sie sich anders als Frauen im Beruf herausragend positionieren können?15 Simmel betrachtete das Bestreben, sich von anderen abzusetzen, als Individualisierungstrieb. Der Rahmen seiner Aus-

11 Schweig (2000), S. 144. 12 Seltenheitswert hat die Feststellung des Friseurgeschäfts Elvers in Winsen (im Internet unter): »die typgerechte Frisur ist auch für den Mann längst eine Selbstverständlichkeit«. 13 Cross Dressing Guide (Stand August 2003) unter: http://crossdress.transgender.at/frisurtyp.htm. 14 Internetauftritt von »Transnormal. Die Damenboutique für den Herrn« in Frankfurt a.M. im August 2003 unter: www.transnormal.de/pages/preise.htm. 15 Simmel (1986), S. 53.

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fuhrungen zur Mode wird durch ein auf Entwicklung gerichtetes Geschichtsverständnis abgesteckt. Individualität wird als Substanzbegriff gefasst, »der >dem< Menschen inhärente Dispositionen zuweist, welche in seiner Geschichte nur >zur Entfaltung< kommen.«16 Mit diesem Individualitätsverständnis, sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Seite, als auch des auf Genese abstellenden Erklärungsmodells, zeigt sich Simmel in Übereinstimmung mit kulturgeschichtlichen Annahmen seiner Zeit. Demgegenüber hat sich heute mit einem entteleologisierten Geschichtsverständnis eine weitgehend andere Auffassung über Individualität durchgesetzt, sie wird »nicht als >einem Wesen des Menschen< zugehörig aufgefasst, sondern als je historisch-spezifisches Resultat zeitgenössischer Diskurse und Praktiken (,..).«17 Aus dieser Position heraus lässt sich Simmeis Erklärungshintergrund kritisieren und sein Konzept von Individualität in Frage stellen - was aber bleibt zu seiner Feststellung zu sagen, dass Männer ihre Individualität in beruflichen Situationen zu beweisen vermögen und Frauen dies (eher) modisch täten? Und wie stellen sich Simmeis Behauptungen im Modediskurs seiner Zeit dar? In Anbetracht seiner Überlegungen sowohl zu Mode als auch zum Gesicht18 ist der Rückgriff auf Simmel gerade in Bezug auf den Friseurberuf triftig, weil hier die modische Gestaltung des Haars mit Bezug auf den Gesichtsschnitt vorgenommen wird. Eine Untersuchung des friseurhandwerklichen Diskurses um 1900 könnte sowohl darüber Auskunft geben, welches Interesse Kundinnen und Kunden an der Gestaltung ihres Aussehens hatten, als auch, welche Vorstellungen die Berufausübenden zur Gestaltung von Frisuren entwickelten und wie sie sich ihrerseits im beruflichen Feld zu profilieren versuchten. Dabei geht es nicht um eine Stilkunde der Frisuren, Handwerkstechniken, oder um eine Definition des handwerklichen Schaffensprozesses als mehr oder weniger künstlerisch, sondern darum, einige der Bedingungen der Vermittlung von Individualität zu erkennen. Das Kaiserreich und die Weimarer Republik bieten einen spannenden Zeitrahmen einer solchen Untersuchung. Die Bedeutung der Darstellung der eigenen Person im öffentlichen Leben wuchs entscheidend an, was sich nicht zuletzt an der Annahme zeigte, aufgrund des Erscheinungsbildes den Charakter seines Gegenübers ermitteln zu können.19 Im Alltag war und ist die Beurteilung anderer aufgrund des Äußeren üblich, um 1900 führten allerdings auch Wissenschaftler, insbesondere Physiognomen, Kriminalanthropologen, Juristen und Mediziner einen Diskurs über die Deutung von Menschen nach ihrer Erscheinung.20 Es bleibt zu fragen, wie und ob

16 17 18 19 20

Sonntag (1999), S. 16. Sonntag (1999), S. 16. Simmel (1901), S. 280-284. Vgl. Sennett (1986). Vgl. Schmölders (1997).

Zur Erfindung der >typgerechten< Frisur

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nun Friseure als Experten fur die Gestaltung des Kopfes physiognomische Denkweisen aufgriffen. Im Kaiserreich wurde für die Friseurbranche erstmals in größeren Mengen Fachliteratur verfasst und zwar überwiegend von Friseuren selbst: in Zeitungen, die als Verbandsorgane verschiedener beruflicher Gruppierungen fungierten und in Fachbüchern. Grundlage meiner Recherchen ist die innungsfreundliche »Allgemeine Deutsche Friseur = Zeitung« (DAFZ), die mit einer Auflage von 10.000 Stück erschien, sowie Ferdinand Müllers grundlegendes Fachbuch von 1925, »Der moderne Friseur«.21 Nicht aus dem oft genannten Grund der Vereinfachung oder aufgrund mangelnder Sensibilisierung fur die Relevanz der Kategorie >Geschlecht< ist in den nächsten Textpassagen allein von >Friseuren< die Rede, vielmehr zeige ich damit an, dass Artikulationen von Ynsexxr innen nicht als Fachliteratur archiviert worden sind - ein erster Hinweis auf das Profilierungsvermögen der männlichen Berufsangehörigen, die sich einen exklusiven Zugang zu beruflichen Organisationen und beruflichen Publikationsorganen vorbehielten. Als Herangehensweise hat sich der Zugang über die Einstellung der Friseure zu ihrem primären Werkstoff, dem Haar, sowie zu dessen Darstellung, verknüpft mit der zu ihren Kunden ergeben. Darstellungen von Haar illustrieren alle Teilbereiche des Handwerks, dabei ist die Art der Darstellungen trotz ähnlicher Sujets auffallend unterschiedlich, je nachdem, um welches Gebiet es sich handelt; meine Überlegungen möchte ich hier exemplarisch anhand des »Herren- und Damenfrisierens« entfalten und ausführen, welche charakteristische Funktion dem Werkstoff Haar in den Abbildungen der einzelnen Gebiete jeweils zukommt. Außerdem soll der Stellenwert von Abbildungen überhaupt innerhalb des Fachgebiets bestimmt werden. Dazu werde ich anhand eines typischen Beispiels die konstruktive Repräsentanz der Bilder mit der Anlage der Kapitel und den implizit wie explizit formulierten Gestaltungsregeln vergleichen.

»HERRENFRISIEREN«: FRISUREN ALS CHARAKTERDARSTELLUNG

Dem traditionellen Zweig »Herrenfrisieren« ist eine ausführliche Abhandlung in Müllers Standardwerk gewidmet. Haar- und Bartschneiden werden dabei am ausführlichsten dargestellt - ganz in der Tradition jener Abbildungen und Texte, wie sie typischerweise seit ca. 1900 in der Deutschen Allgemeinen Friseurzeitung veröffentlicht wurden. Jeder Schnitt ist mit einer frontalen oder halbseitlichen Darstellung eines Kopfes in kleinem Format illustriert, daneben skizzieren Schemata bestimmte Aspekte der Schnitttechnik. Es handelt sich dabei um eine ziemlich umfangreiche Sammlung, die vom Verfasser in der langen Tradition des Sammeins

21 Müller, Ferdinand (1925) : Der moderne Friseur und Haarformer in Wort und Bild. Nordhausen.

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als wissenschaftlicher Tätigkeit angelegt wurde, um Wissensbestände seiner Branche zu dokumentieren.22 Klassifiziert werden die Herrenfrisuren und Barte nach Längen. Das Etikettieren und Beschreiben der Frisuren, das wie in anderen Sammlungen die Bedeutung der Objekte erst herausstreicht, verfahrt nach Möglichkeit mit Namensfindungen, die auf regionale Lokalisierungen zielen wie z.B. >amerikanische Frisur< oder >Wiener FrisurOffiziersfrisurSchellfischkopftypgerechten< Frisur

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1 Zur Frage »bärtig oder glattrasiert« und Haarschneideschema, 1905

nen könnte, gewichen.«25 Er kritisiert damit einen amerikanischen Kollegen, der einem seiner Kunden die Zierde des Vollbartes abgenommen hatte, als dieser 1904 die Weltausstellung in St. Louis besucht und sich dort hatte rasieren lassen. Menzinger gelangt zu dem Schluss: »Uberlassen wir es daher den Amerikanern und Maschinenmenschen, sich alle »über einen Kamm scheren zu lassen« (...) und suchen wir einen höheren künstlerischen Standpunkt, würdig des Volkes der Dichter und Denker, einzunehmen. (...) das Individualisieren (...) ist Fortschritt.« Trotz der Verdrängung individueller Handarbeit durch industrielle Massenproduktion von >Fortschritt< zu schreiben, ist ein ungewöhnlicher Kunstgriff, der einen Rest von Plausibilität nur unter Rückgriff auf das Motiv des Nationalstolzes wahren kann. Vergleichende Abbildungen illustrierten häufig Erörterungen der zentralen Frage, welche Frisur welchem Kunden am besten stehe. Die angestrebte Grundständigkeit des Berufs beruhte dabei nicht unwesentlich auf einer beweisbaren Argumentation, die sowohl Gestaltungsprinzipien begründete, als auch deren Anwendungsnutzen augenscheinlich vorführte. Anlassbedingte Frisuren wurden für Männer keinesfalls in Betracht gezogen. Vielmehr sollte die Frisur zur >ganzheitlichen< Person passen. Die Gestaltung des Äußeren der Herrenkunden war nach so festen Regeln vorzunehmen, als gälte es mittels einer Fachlogik so etwas wie das Optimum des Ausse-

2IM>i!kKi9 2.

lMidealen< (!) Kopfes gefordert wird. Bei aller Einwirkung der Handwerkskunst auf das Aussehen galt doch - jedenfalls zu Müllers Zeiten - ein gewisses Understatement als schicklich. Zwar empfiehlt der Autor, auch die Herrenkundschaft mit Hilfe der Brennschere zu frisieren, warnt aber vor Ubertreibungen: »Die größte Kunst des Haarbrennens besteht darin, daß die erzeugte Form der Frisur natürlich und ungekünstelt erscheint, so daß sie nicht jedem sofort ihre Entstehung durch die Brennschere verrät.«28 Einer Frisur, die auf ausgetüftelter Schneide- und Frisiertechnik beruht, abzuverlangen, sie solle dennoch >natürlich< wirken, beruht auf einer Grenzziehung, die Männlichkeit konträr zu Mode (und analog Natur konträr zu Kunst) konstruieren will. Obwohl die Herrenfrisur sowohl zur Mode (bzw. Kunst) als auch zum Mann (bzw. dessen Körper) gehört, versteht Müller sie einseitig als integralen Bestandteil des männlichen Körfers, dem eine konstante Form als Bedeutungsträgerin angemessen sei. Der schon zitierte Menzinger formuliert die Ansprüche an Herrenfrisuren als stabile Charakterisierung des Trägers: »Das menschliche Antlitz ist kein Erzeugnis von Gevatter Schuster oder Schneider, das man nach Belieben ändert. Dasselbe ist 26 Müller (1925), S. 217. 27 Müller (1925), S. 234. 28 Müller (1925), S. 230.

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vorteilhaft ausgeglichen

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unvorteilhaft verändert

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Einfluss von Frisuren auf die Wirkung von Profilen, (Lehrmaterial) 1989

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vielmehr der Spiegel der Persönlichkeit seines Trägers.«29 Eine Überzeugung, die mit Simmeis Verständnis der Bedeutung des Gesichts, in dessen Form sich die Seele am deutlichsten ausdrücke, übereinstimmt.30 Auch in anderer Hinsicht sind der Friseur und der Soziologe nicht weit voneinander entfernt: Beide haben höchsten Respekt vor Veränderungen des Gesichts, das jene charakteristische innere Einheit bilde, die Individualität ausdrücke. Für Simmel besitzt das Gesicht die Fähigkeit, »mit einem Minimum an Veränderung im Einzelnen ein Maximum von Veränderung des Gesamtausdruckes zu erzeugen.« Die Einheit des Gesichts laufe Gefahr, mit jeder kleinen Veränderung eine Wandlung zu erfahren. Die ästhetische Wirksamkeit einer Einheit sei beispielsweise im Barock mit weitausladenden Gesten der Figuren desavouiert worden, weil sich nicht jede Einzelheit unter das Ganze, das zentrale Ich untergeordnet habe. Das an sich relativ unbewegliche Gefüge des Gesichts mache eine solche Entgleisung zwar fast unmöglich, wo sie aber, beispielsweise durch Aufsperren des Mundes vorkomme, trete ein Ausdruck der Entgeisterung ein. Insofern ist Menzingers vorsichtige Frisurenplanung der sensibel handzuhabenden Gestaltung des Gesichts bewusst angepasst. Die Friseure bemühten sich um eine der Persönlichkeit angemessene Gestaltung der Frisur, wie sie in den Abbildungen anschaulich vorgestellt und in den Texten fachtheoretisch ausgeführt wurde; sie bezogen sich auf einen Persönlichkeitskult, dabei galt ihnen ihr Handwerk als Ort, an dem erstens ein glaubwürdiger Modus von Persönlichkeit geschaffen werden konnte, an dem sie sich zweitens selbst als Fachautoritäten etablieren konnten; drittens stilisierten sie damit ihre berufliche Tätigkeit zur Einflussnahme auf die Gestaltung von Persönlichkeiten. Einem Verständnis ihres Gewerbes als Modeberuf stellten sie sich entgegen, um sich von der flatterhaft unseriösen Mode (man denke an >Gevatter Schneidertypgerechten< Frisur

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Ballfrifur für junge JYiädcberi $ * Genaue Erklärung $ $

Zur Erlernung und Uebung

üemellnna derselben.

franz Daniger-Berlin.

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Frisurenvorschlag u. Frisieranleitung: Ballfrisur fur junge Mädchen, 1905

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die sinnfällige Choreographie einer Bewegung um ein Zentrum. Der Anleitung kann man durchaus folgen - vorausgesetzt, man beherrscht die Marcel-Ondulation -, allerdings zielt sie eher auf einen ansprechenden Gesamteindruck als auf Ubersichtlichkeit. Mit der dekorativen Form des Stiches wird der Charakter der Frisur wiederholt. Die wie in vielen anderen Darstellungen auch hier anzutreffende Entsprechung von Form und Inhalt erweist sich also als Anleitung ungeeignet, als Frisurenvorschlag für die Kundschaft hingegen als brauchbar. Das Haar wird als ein zu bändigender roher Naturstoff vorgeführt, der nach gekonnter Zähmung zum ansprechenden Ornament wird. Solche Frisuren werden je nach Anlass erstellt, fur Hochzeiten, Abendgesellschaften etc., sie sind also nicht auf die Person oder Persönlichkeit der Trägerin hin abgestimmt, sondern auf die Rolle, die sie spielt. Vergleichende Darstellungen und Überlegungen zu der Frage, wem welche Frisur besser passen würde, sucht man daher vergeblich. Im Gegenteil, das Aussehen ist innerhalb bestimmter Regeln beliebig veränderbar, die skizzierten Gesichter wirken stets ähnlich puppenhaft - unabhängig davon, ob nun Frisuren für junge Mädchen oder ältere Damen erklärt werden. Auch die Texte liefern keinerlei Hinweise auf eine etwaige Beachtung des Gesichts im Zusammenhang der Gestaltung. Wie Müller ausführt, sind es ja auch nicht die Frisuren, die sich voneinander unterscheiden, sondern Varianten des Haarschmucks, die allein eine Frisur als Ball-, Brautoder Alltagsfrisur ausweisen.31 Gestalterische Aufgabe des Damenfriseurs ist es, die Frisur auf Kleidung und Hut abzustimmen, was auch breit erörtert wird 32 - beispielsweise, welche Knotenhöhe oder Aufstecktechnik das Aufsetzen größerer respektive kleinerer Hüte und ihre Plazierung auf dem Kopf ermöglichen würde. Mit anderen Worten finden hier anstelle von Naturstudien, wie sie Grundlage für die charakteristische Herrenfrisur waren, Mode-, d.h. Kulturstudien statt. Den Zeitgenossen verschließt sich letztlich das sogenannte >Weib< einer symbolischen Deutung33; im verbreiteten »Handbuch zur Menschenkenntnis« von Carl Gustav Carus heißt es: »Eben weil die Zeichnung seiner Eigenthümlichkeiten weicher, seine Originalität verborgener, sein ganzes Leben innerlicher ist, spiegelt es sich weniger scharf in dem Äußeren, (...) da das Gemüth, in seinen nebulösen Zuständen, das recht eigentliche Lebensprinzip hier ausmacht, muß das Dasein zurückgezogener bleiben, als in einem Falle, wo, wie in dem Manne, Leben und Thun mehr im Erkennen und Vollbringen sich bewegt.«34 Gerade dieses >ThunModebild< in der DAFZ. Vgl. Regener (1996), S. 187-212. Carus, Carl (1858): Ein Handbuch zur Menschenkenntnis. Leipzig, S. 396. Zitiert nach Regener (1996) 193.

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auf weiblichen Gesichtern kaum zu finden sein. Die schwierige Deutung der weiblichen Natur umgeht der Damenfriseur schließlich elegant mit der Konzentration auf die Mode, die von der Kleidermode vorgegeben und von ihm mit passenden Frisuren bestenfalls ergänzt, aber nicht selbst kreiert wird. Bezüglich der Anpassung von Frisuren an die jeweilige Trägerin bestand eine Differenz zwischen einer postulierten Notwendigkeit einerseits - »Eines schickt sich nicht fur alle«35 - und einem nicht ausformulierten oder nicht vorhandenen Regelwerk für die konkrete Umsetzung andererseits. Den Erwerb von Kenntnissen und Kompetenzen im Damenfrisieren schließt Müller im Rahmen einer Ausbildung eigentlich auch aus, denn »so ist es aber ganz unmöglich, auch nur annähernde Angaben über Ebenmaß und Proportion als einzig entscheidende Dinge zu machen, denn sie sind angeborene Gaben, die allerdings viel häufiger vorkommen, als man gewöhnlich annimmt.«36 Die Problemlösung erfolgt also nicht im fachkundlichen oder fachpädagogischen, sondern im >natürlichen< Rahmen, und so bleiben die Ausführungen des Kapitels >Damenfrisieren< auch eher knapp. Selbst für das Stecken von Haarnadeln oder andere handwerkliche Tätigkeiten werden kaum Anweisungen oder Tipps gegeben - das Nadelstecken sei eben Gefühlssache.37 Argumentationen, die sich auf angeborene Fähigkeiten stützen, genießen insbesondere bei Engendering-Prozessen von Berufen im Alltagswissen eine große Plausibilität, während sie im wissenschaftlichen Diskurs genau an dieser Stelle kritisiert werden.38 Im Friseurberuf um 1900 war die Annahme, das angeborene Gefühl für weibliche Frisuren wäre schließlich weniger bei Männern, sondern eben eher bei Frauen vorhanden, der Grund, auch weibliche Kollegen in den Salons zu beschäftigen oder als selbständige Unternehmerinnen zu tolerieren bzw. gar zu respektieren.39 Geht nun der behauptete Unterschied beruflichen Könnens - im »Herrenfrisieren« Resultat einer Handwerkslehre, im »Damenfrisieren« basierend auf Intuition und Begabung - darauf zurück, dass weibliche Kundschaft erst seit ca. 1880 in nennenswerter Zahl Friseurgeschäfte frequentierte40 und männliche Handwerker noch keine Fachkunde ausgearbeitet hatten, sie sich schlicht mit diesem Gegenstand noch nicht recht auskannten oder sich an die Behandlung der Weiblichkeit nicht herantrauten? Das klingt zwar schlüssig, ist tatsächlich aber unzutreffend, weil viele Autoren, die in der DAFZ Artikel zum »Damenfrisieren« verfassten, wie beispiels35 36 37 38

Franz Daninger: Modebild. In: DAFZ 1905, Nr. 3. S.61. Müller (1925), S. 444. Müller (1925), S. 445. Zu Engendering-Prozessen aus historischer Perspektive in nicht akademischen Berufen: Hausen (1993); zu akademischen Professionen in soziologischer Sicht: Wetterer (1995); zum Friseurberuf: Schmidt (1996) S. 11-33. 39 Zahlreiche Artikel in der DAFZ thematisieren die weibliche Konkurrenz. 40 Trupat (1990), S. 23.

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weise auch Ferdinand Müller, eigene Damenfrisierschulen leiteten und unstrittig fachlich versiert waren. Weiterhin kann man angesichts breit ausgeführter Darstellungen im vorzugsweise auf weibliche Kundschaft abzielenden Bereich »Schönheitspflege« nicht von mangelndem Interesse oder Fachwissen in frauenspezifischen Feldern des Berufs sprechen. Insbesondere die ausführliche und bebilderte Erörterung der Massage der weiblichen Brüste lässt nicht auf Hemmungen der männlichen Friseure schließen, sich an weibliche Kundschaft, wenn hier auch wohl nur gedanklich, heranzuwagen. Als möglicher Grund des Unterschieds im fachkundlichen Zugang zum »Damen-« und »Herrenfrisieren« kann daher am ehesten ein absichtliches Verheimlichen angenommen werden. Schließlich wurde bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nur das »Herrenfrisieren« handwerklich tradiert, und Kenntnisse über das »Damenfrisieren« stellten eine gehütete Exklusivität dar, die man aus wirtschaftlichen Gründen nur im kleinen Kreis oder gegen Geld in Schulen weitertrug. Neben solchen akteursorientierten Motiven zeigt der friseurhandwerkliche Diskurs deutliche Parallelen zur Gesellschaftsordnung und zum Wissen über den Menschen. Deutlich wird dies, geht man den - wenn auch spärlichen - Hinweisen auf Kundenwünsche nach.

B E R A T U N G S G E S P R Ä C H E : RESERVIERTE K U N D E N UND NERVENAUFREIBENDE KUNDINNEN

Verbitterung sprach aus Franz Daninger, der sich in einem 1905 erschienenen Artikel beklagte, Zielscheibe der Kritik seiner weiblichen Kundschaft zu sein, von der er zwar im Sommerloch gerade aufatmen könne, unter der jetzt aber seine Kollegen in den Badeorten leiden müssten: »Daß nun der Friseur für die Toilettefrage eine Hauptrolle spielt, weiß sicherlich jeder Kollege. Wehe denselben, wenn die Ondulation, die Form der Frisur oder die Stirnlöckchen einer anderen entzückender unter dem Hütchen hervorschauen oder gar der Ton des mit Henna gefärbten Haares besser getroffen ist! Ja, ja auch unsere Kollegen haben nichts zu lachen in dieser Saison. - Wie lange noch und auch wir haben wieder mit jenen Widerwärtigkeiten zu kämpfen.«41 Das Prädikat >entzückend< als Zielvorstellung einer Frisur erweist sich allerdings als problematisch für eine Dienstleistung, weil es unbestimmt, jedenfalls subjektiv willkürlich bleibt. Entsprechend emotional ist der Umgang der Friseure mit als kränkend empfundenen Reklamationen, deren Ursachen kaum verbalisiert werden konnten und als deren Erklärung eine den Frauen unterstellte Hysterie dienen musste.

41 Daninger, Franz: Das Modebild. In: DAFZ, 1905, Nr. 7, S. 182.

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Überwiegend erfahren die Wünsche und das Verhalten von Kundinnen Geringschätzung. Auch breit ausgeführte modehistorische Artikel42 thematisierten die eitlen, übertriebenen Geschmacklosigkeiten ästhetisch unversierter Damen, die wohl offenkundig der Beratung des Friseurs bedurft hätten. Da aber gerade diese Dienstleistung nicht fachkundlich ausgearbeitet wird, ist es nur konsequent, die Ansprüche und die Kritik der weiblichen Kundschaft, die nicht professionell, d.h. entlang bestimmter Richtlinien, erkannt und eingeordnet werden kann, als widerwärtig zu empfinden. Solche Wahrnehmung der Kundschaft spiegelt die in ungebrochener Geschlechterordnung verfügten Vorstellungen von Weiblichkeit im Berufsalltag der Friseure. Aber wie hätte man auch Anmut und Liebreiz, die erwünschten weiblichen Eigenschaften schlechthin, mittels Frisuren ausdrücken sollen? Anmut verlangte eben, im ornamentalen Rahmen ausgestellt zu werden, und wie oder wann dieser Rahmen durch Ubertreibung gesprengt zu werden drohte, musste unbestimmt bleiben. Das irrationale Verhalten, das Frauen aufgrund der ihnen angedichteten >nebulösen Zustände« attestiert wurde, erfüllte für Friseure in menschlich fordernden Dienstleistungssituationen willkommene Entlastungsfunktionen, die von eigener Verantwortung ablenkten. Im »Herrenfrisieren« stellt es sich anders dar: Während die Fachliteratur hier genaue Vorschläge macht, die der beratende Friseur vorbringen soll, wird doch kritisiert, dass Friseure und Kunden sich kaum für das Aussehen der Kunden interessieren. Eine Empfehlung, das Haar brennen, d.h. frisieren zu lassen, wird beispielsweise mit sanftem Druck begründet: »(...), denn die meisten wissen sehr gut, daß es in der heutigen Zeit auf den äußeren Eindruck sehr viel ankommt.«43 Dies klingt weitaus unverfänglicher, als es ist. Denn der Friseur bzw. die fachliche Autorität, die hier schreibt, versteht es sehr wohl, zu drohen. So mischt sich in die Klage über geringe Einnahmen weiterhin der Vorwurf eines fatalen Desinteresses: »Wie der Kunde den Schnitt seiner Haare und seines Bartes verlangt, so wird dieser auch ausgeführt. Selbst wenn der kurzgeschorene Kopf und die unproportionale Form des Bartes dem betr. Herrn oftmals das Aussehen eines Verbrechers geben.« Hier wird unverhohlen mit der Gleichsetzung von >schön< und >gut< bzw. >hässlich< und >bösartig< gearbeitet. Das Äußere als Zeichen für verbrecherische Anlagen zu lesen, greift populäre physiognomische Thesen auf, die zur Jahrhundertwende in der Kriminalanthropologie öffentlichkeitswirksam diskutiert wurden. Man suchte nach Systemen, die eindeutige Bezüge zwischen körperlichen Merkmalen, entarteter Seele und kriminellen Handlungen hätten herstellen können. Dies hätte erlaubt, das sogenannte >Asoziale< treffend zu beschreiben und Präventivmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit durchzufuhren.44 Es 42 In jeder Ausgabe der DAFZ zwischen 1900 bis zum 1. Weltkrieg vorhandene Rubrik. 43 Das Herren = Modebild. In.: DAFZ 1905, Nr. 4, S. 92. 44 Becker (1998), S. 453-490.

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war also immens wichtig, wie man aussah. Man ordnete sich damit nicht allein gängigen Formen äußerer Gestaltung unter, sondern vermied falsche Verdächtigungen. Durch den Ausgleich körperlicher Eigenheiten nahm man Authentizitätsverluste bewußt in Kauf, wichtiger war, unangreifbar und undurchschaubar aufzutreten. Während Männer allerdings Charakter und Tatendrang zeigen sollten, waren es bei den Frauen Anmut und Zurückhaltung. Der >Starfriseur< des Kaiserreichs, Francois Haby, nahm die Geschlechtercharakteristik geschäftstüchtig als Anregung für einschlägige Namensgebungen seiner haarkosmetischen Produkte auf Seine der männlichen Aktivität verpflichtete Bartwichse taufte er: »Es ist erreicht«, sein Anmut und Liebreiz beschwörendes Damenshampoo hingegen: »Ich kann so nett sein«.45 Da Frauen weniger als Persönlichkeiten, denn als Geschlechtswesen gesehen wurden, konnte von ihrem Äußeren gar keine Charakteristik, sondern richtiges (d.i. züchtiges) oder eben falsches (d.i. unehrbares) Verhalten abgelesen werden. Dabei spielte es keine Rolle, welche Frisurenform der herrschenden Mode einzelne Frauen bevorzugten, solange sie überhaupt frisiert waren und ihre Haare zusammensteckten. Die Differenzierung bei Männern erschien ausgefeilter. Kundinnen individualisierten sich mithin in der allseits bekannten Form unangenehmer weiblicher Konkurrenz, während sich Kunden in Beratungsgesprächen über ihre Frisur (wie auch in der Gestaltung ihres Äußeren) dezent zurückhielten. Das weibliche Interesse am eigenen Aussehen wurde von den Friseuren als unangenehmes Geplapper gewertet, dem sie sich kaum gewachsen zeigten. Die Zurückhaltung männlicher Kunden hingegen wurde ihnen Anlass, selbst verbal die Initiative zu ergreifen, um fachmännisch souverän hervorzutreten. Das Konzept der Friseure - ornamentale, variable Gestaltung für Kundinnen überhaupt, Charakterdarstellung für jeden einzelnen Kunden - fügt sich insgesamt schlüssig in den gesellschaftlichen Rahmen. Genau dieser Rahmen gibt auch die Darstellungsmöglichkeiten mit Haar vor: Die geschlechtsspezifische Differenz liegt nur vordergründig in der Gegenüberstellung von Lang- zu Kurzhaar. Bedeutender ist, dass Frauenhaar den Funktionen Formbarkeit und flexible Anpassung genügen muss (und zwar in allen sozialen Schichten), während Männerhaar als eine konstante Gestaltung angelegt ist, die mit dem Schnitt geleistet wird und solange hält, bis er herauswächst. Die Frisuren sind, jedenfalls für Zeitgenossen der wilhelminischen Ära, nicht allein Ausdruck bzw. Symbol der Gesellschaftsordnung, sondern buchstäblich handwerklicher Part des Diskurses, der sie konstituiert.

45 Schillig (2003), S. 64.

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K U R Z E S HAAR: W E I B L I C H E R

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INDIVIDUALISIERUNGSANSPRUCH

Ein Wandel zur geplanten personenbezogenen Frisur fur Frauen erfolgt erst mit dem Aufkommen des Bubikopfes, Müller erklärte: »Schon vor der Kriegszeit machte sich eine Emanzipation in der weiblichen Frisur bemerkbar, die wir die Bubenfrisur nannten. Ihre Form bestand in der absoluten Rundgestaltung des Kopfes, bei der das lange Haar entweder vollständig flach am Hinterkopf verdeckt oder in einer eng im Nacken anschließenden Rolle befestigt wurde.«46 Schon diese Form, die das Haarvolumen deutlich reduziert und die Kopfform vergleichsweise wenig aufbauscht, deutet eine zurückgenommene Gestaltung des Haares an. »Die Bubifrisur ist die heutige Signatur der gesamten Modewelt, und es hat allen Anschein, als wolle sich aus ihr ein dauerndes Gepräge, ein eigener Stil entwickeln. Hundertfaltig ist ihre Aufmachung, ihre Anpassung ermöglicht die feinsten individuellen Nuancen, und das ist es, was sie besonders bei der auf Jugendlichkeit und Emanzipationslust Anspruch machende Weiblichkeit so beliebt gemacht hat und macht.«47 Neu ist am Bubikopf eben nicht nur die Kürze der Frauenhaare, neu sind auch die sogenannten individuellen NuancenNeuen Frau< - die Möglichkeiten weiblicher Körperbilder erweitert.48 In der Verbindung dieser beiden Entwicklungen bildet sich dann die >typgerechte< Frisur heraus, die ein Zusammenspiel individueller Gesichts- und Kopfformen einerseits, mit normierten Stil- oder Rollenvorlagen andererseits bezeugt. Nur durch die Verquickung der individuellen körperlichen Merkmale mit modischen Phänotypen kommt es zu einer kühnen Fachtheorie, die meint, durch Kenntnisnahme von Gesichtsschnitt und Modestil der Kundschaft deren Persönlichkeit erschließen zu können. Noch in den 1980er Jahren werden bei Malu Wiltz Gesichtsformen direkt in physiognomischer Tradition mit Charaktermerkmalen besetzt49 - solch offenherzige Bezüge zur Vergangenheit fehlen mittlerweile völlig. Allerdings wird Auszubildenden noch 1999 als Quintessenz eines gelungenen Beratungsgesprächs empfohlen: »Versuchen Sie Persönlichkeit zu erkennen und durch eine typgerechte Frisur zu betonen.«50

46 Müller (1925), S. 471. 47 Müller (1925), S. 471. 4 8 Aus der Fülle der einschlägigen Literatur: Kessemeier (2000). 4 9 Wiltz (1985), S. 84. 50 Schoeneberg (1999), S. 204.

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" De VLtsche$.llgtmtinJi

Srtseur-Ztilixng:

Vom tarnen frisieren Φ Anleitung, um die Frisur der Form des Gesichtes anzupassen.

Ovales

Gesicht.

Das Haar ist in der Milte gescheitelt Durch die Regelmäßigkeit der Linien ist es möglich, das H a a r mehr flach zu halten. Die Stirn bleibt fast frei und kann man die Frisur beliebig nach den Seiten und nach oben zu verbreitern oder auch im Nacken arrangieren.

Volles rundes

Gesteht.

Durch Verdecken der Wangen mit einer großen Welle, oder auch einigen Löckchen, ist dem Uebel abgeholfen, doch hüte m a n sieb, die Stirn ganz zu bedecken; eine größere Partie m u ß sichtbar bleiben.

Langes Gesicht. Infolge Bedecken der Stirn, der Schläfen und Wangen mit Haar sehen wir eine überraschende Wirkung, die man durch entsprechende Verbreiterung der Frisur noch erhöhen kann. Natürlich m u ß dies im Rahmen der jeweiligen Mode geschehen. Einem schönen Kopf, einer wohlpropor Monierten Gestalt pflegt wohl alles zu klei den, und ein Friseur. der lediglich von der Natur begünstigte Damen zu bedienen hätte bedarf dazu wahrlich keiner großen Künstler schaft. — Anders ist os aber in der Wirklichkeit. Hier soll und m u ß d e r Friseur täglich das Problem lösen, Mißgriffe der Natur durch seint Kunst auszugleichcn. Seine Aufgabe ist es, die langen Gesichter scheinbar zu verkürzen, die zusammen-

gedrückten Physiognomien zu verlängern, hier die schmalen Wangen zu runden und dort die allzugroße Fülle derselben weniger ins Auge springen zu lassen. Mit einem Wort: der Damenfriseur, dieser Künstler in der Behandlung des lebenden Materials, soll alle Mängel desselben verbergen und die natürlichen Reize seiner Kundinnen zu erhöhen verstehen. Das Damenfrisieren ist nicht n u r eine handwerksmäßige Beschäftigung, sondern

auch eine Kunst. Der intelligente Friseur beschränkt sich daher nicht darnuf, die herrschenden Modefrisuren mechanisch nachzufrisieren, sondern prüft vielmehr erst, welche W a h l und Veränderungen zu treffen sind, um die Frisur der Eigentümlicbkeit der Gesichtsbildung, der Gestalt, dem Aller usw. bei jeder einzelnen Kundin anzupassen. Das Richtige mit feinem Takt sofort zu erkennen, erfordert allerdings einen echt künstlerischen Geschmack. (OtMnstehcnd einige jj««piclc.)

4 Einfluss von Frisuren auf die Erscheinungsweise von Gesichtsformen, 1924

Zur Erfindung der >typgerechten< Frisur

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So mutig nun auch kurzes Frauenhaar in den 1920er Jahren war, die >emanzipationslustigen< Frauen bewirkten Veränderungen in Abhängigkeit von alten Mustern: Wenn sie verlangen, sich durch individuelle Nuancierung nunmehr als Individuum zu zeigen, wie es für Männer längst üblich war, so bleiben sie und mit ihnen die Friseurinnen und Friseure darin der Idee eines glaubwürdigen Modus von Persönlichkeit verhaftet. Bezüglich der Frauen ist dies als eine Kinderkrankheit auf dem Weg zur selbstdefinierten Schönheit gesehen worden51 - ob sie tatsächlich überwunden ist, scheint angesichts vielfältiger Typberatungen fraglich. Gleichwohl bleibt der eigene Körper damit als unumstößlicher Bezugspunkt von Individualität bestehen. Wie gezeigt werden konnte, kommt gerade dem Gesicht keineswegs eine vorsprachliche Verfasstheit zu - erst der fachliche Diskurs prägt die Wahrnehmung von Gesichtern entlang von Grundformen ein. Dass der Bezug vom Gesichtsschnitt zur Frisur weg vom »Herrenfach« hin zum »Damenfach« stattfand, gibt für den sprachlichen Einfluss auf die Körperwahrnehmung ein deutliches Beispiel. Zurück zum Loblied des Staatsministers Huber auf die vorbildliche Kundenorientierung der Friseurbranche. Vielleicht liegt es am Begriff >typgerecht< selbst, dass er sogar für industrielle Belange passend erscheint; er könnte sprachlich als Hinweis auf Teilstandardisierung verstanden werden, die durch Typisierung der Kundschaft und der Kundenwünsche, wie sie durchaus gängig ist, Realisierung findet. Die weitaus triftigere Anregung für Huber könnte indes jene Geschäftspraxis der Friseure gegeben haben, die auf betont individuelle Bedienung hinausläuft: Sie ist maßgebliches Moment der Marketingstrategie »kundenindividuelle Massenproduktion« (Mass Customization MC)52. MC zielt darauf ab, auf übersättigten Massenmärkten industriell hergestellte Produkte herausgehoben zu piazieren, indem erst der spezifische Kundenwunsch zur Fertigung von Waren führt. Weil es sich um industrielle Produktion handelt, muss der Aufwand der Maßfertigung allerdings begrenzt werden. Kostensparend werden daher Teilstandardisierungen vorgenommen, beispielsweise Baukastensysteme; als >Individualisierung< gilt in der MC bereits eine Beteiligung der Kundschaft an der Produktionsgestaltung. Daher bietet es sich an, die Konzeptabsprache der Friseure mit ihren Kunden hinsichtlich der >typgerechten< Frisur als vorbildliches Beispiel für die Individualität einer Leistungserstellung herauszustellen.53 Der Einwand, MC könne ohnehin keine Individualität bieten, da Kundenwünsche letztlich teilstandardisiert und die Produkte daher nicht einzigartig gefertigt

51 Akashe-Böhme (1992), S. 217. 52 Vgl. Piller (1999). 53 Zum Vorbild das Marketing Handbuch fur Elektrowerkzeuge des EW-Bildungsclubs des Wirtschaftswissenschaftlers Werner Pepels im Internet (August 2003) unter: u-.htm. Vom handwerklichen Vorbild löst man sich andererseits völlig, weil der Kundenkontakt kostengünstiger über das Internet abgewickelt werden kann.

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würden, griffe indes zu kurz. Denn es geht ja weniger um das klassische Verkaufsversprechen, mit dem Erwerb von Produkten Persönlichkeit darstellen zu können. Der Kundin und dem Kunden soll vielmehr vermittelt werden, sie bzw. er sei so einzigartig, dass ihre bzw. seine Wünsche eben gerade nicht antizipierbar wären. Daher appelliert die MC nicht (vorrangig) daran, dass die Persönlichkeit der Kundschaft in der Zusammenstellung des jeweiligen Endproduktes oder im Besitz bzw. Kauf eines Produkts zum Ausdruck kommt. Sie erzeugt Individualität eher in dem Sinne, dass die Produzierenden ihrer Kundschaft im Geschäftsvorgang die Existenz der Individualität immer wieder bestätigen. So gesehen allerdings wären Friseurinnen und Friseure der Industrie vorangegangen! Mit dem Versprechen der Berücksichtigung individueller Gegebenheiten konnten sie sogar jene Kundinnen und Kunden gewinnen, die sich (nicht zuletzt kapitalismuskritisch motiviert) dem Modediktat verweigern wollten. Sollte MC zukünftig in unserer Wirtschaftskultur eine große Rolle spielen54, dürfte man (unter anderem) auf eine neue Modekritik und eine neue Bewertung des >hohen Gutes< Individualität gespannt sein.

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AKASHE-BÖHME,

-

54 Derzeit zumindest ein betriebswirtschaftlicher Trend, der aus den USA kommend in Deutschland an der Uni München mit dem schon zitierten Wirtschaftswissenschaftler Piller angekommen ist. Eine MC-Messe im Oktober 2003, diverse Publikationen Pillers, u.a. sein Newsletter (-customization.de/news/newsletter.htm), verweisen auf interessierte Unternehmen und solche, die die Strategie anwenden.

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1 Zur Frage: »bärtig oder glattrasiert?«/Haarschneideschema, Illustrationen zum Artikel von Heinrich Menzinger: Betrachtungen über Haarschneiden. In: DAFZ, 1905, Nr. 3, l.März, S. 67. Foto/Quelle: Wella Archiv 2 Einfluss von Frisuren auf die Wirkung von Profilen, Arbeitsauftrag I I I / l l : Kopfform und Frisurenform, Seitenansicht - Frisuren fur den Mann. Vordruckblatt für die Arbeitsaufträge des Berichtsheftes mit Ausbildungsnachweis. Für die Berufsausbildung im Friseurhandwerk. 3. Lehijahr. Hrsg. v. Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. 1989. Quellenstandort: privat 3 Frisurenvorschlag u. Frisieranleitung: Ballfrisur für junge Mädchen; in: Beilage zur DAFZ , 1905, Nr. 3, 1. März, S. 67. Foto/Quelle: Wella Archiv 4 Einfluss von Frisuren auf die Erscheinungsweise von Gesichtsformen; in: Vom Damenfrisieren, Anleitung, um die Frisur der Form des Gesichtes anzupassen. DAFZ, 1924, Nr. 1, 1. Januar, S. 452. Foto/Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Alexander Schug

»IMMER FRISCH FRISIERT« - DAS GESTALTETE KOPFHAAR ALS REQUISITE M O D E R N E R

SELBSTINSZENIERUNG

IN D E R W E I M A R E R R E P U B L I K

Die Jahre 1918/1919 waren eine Stunde Null nicht nur in politischer Hinsicht. Die neue Republik tauchte in die so genannte >klassischeNeuen MenschenNeue Mensch< der Weimarer Republik gab sich anders, bewegte sich anders, kleidete sich anders und trug die Haare anders als noch unter der Monarchie. Ein wesentliches Element dieses Laboratoriums war die Entdeckung und vor allem mediale Verarbeitung der Körperlichkeit. Freie Körperkultur, Aktfotografie oder plastische Chirurgie stehen dafür und im weiteren fur einen Prozess intensivierter Körpermodifikation (body modification), der heute im Fitness-, Schönheits- und Gesundheitskult als quasi moralische Pflicht endet.3 Vor allem plastische Chirurgen, aber auch Hersteller von Gesichtscremes und Haarpflegeprodukten arbeiteten zunehmend mit der Idee, dass der menschliche Körper - und nicht mehr nur der einer Oberschicht - eine gestaltbare Oberfläche< sei, die individuell, aber stets auch im Rahmen kollektivistischer Normen angepasst werden konnte und damit vordergründig Freiheit und Glück versprach. Die neuen Möglichkeiten und Denkhori-

1 Zur Charakterisierung der Weimarer Republik bis heute einschlägig: Peukert (1987). 2 Zum Neuen Menschen: Lepp (1999). 3 Lorenz (2000), S. 19. Zur frühen plastischen Chirurgie in Deutschland: Luda (1933), S. 41-48. Aktueller und aus kulturhistorischer Perspektive: Gilman (2000), S. 96-112. Zur FKK-Bewegung: König (1990), S. 143-161.

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zonte der Zeit begünstigten die Einschreibung kultureller Werte in die Körper und machten - entgegen essentialistischer, auf die >Natur des Menschen< abhebender Annahmen - den Körper zu einem sozialen Konstrukt, der eine gegebene, wenn man will: göttliche Infrastruktur besaß, aber an seiner sichtbaren Außenhaut der ständigen menschlichen Manipulation ausgesetzt war. Die Schönheit dieser Fassade war ein Willensakt und ein fortlaufender Prozess. Hinter diesem Willensakt standen etwa im Falle der >Neuen Frau< der Weimarer Republik die Distanzierung von überholten Weiblichkeitsidealen des 19. Jahrhunderts und der emanzipatorische Anspruch, die äußere Erscheinung, und damit z.B. auch erstmals in der Geschichte das Tragen kurzer Haare, selber definieren zu können. Die Erfahrung des Körpers als gestaltbare Oberfläche war deshalb zum einen Chance, zum anderen aber Dilemma. Der Freiheit zum Selbstentwurf stand der soziale Druck der Anpassung an Schönheitsnormen entgegen, denn für sein Aussehen konnte jeder etwas tun, und die nun einmal mit der Geburt gegebene Physiognomie war im Laboratorium von Weimar keine Entschuldigung mehr. Die seitens der Wissenschaft betriebene obsessive Vermessung und Inventarisierung des Menschen mit zunehmend eugenischem Hintergrund trug zur Erschaffung des normierten Menschen ebenso bei, wie die Bestrebungen staatlicher Hygienefursorge. Der Körper stand allerorten auf dem Prüfstand, und das Streben nach seiner Optimierung wurde zur Mode. Passend dazu entwickelte sich erstmals ein Hochleistungs- und respektabler Massensport in Deutschland.4 Der medizinische Blick auf den Menschen wurde begleitet von dessen Spiegelblick auf sich selbst, der zu der Erfahrung >als Individuums beitrug und vor Augen führte, wie sehr der Mensch nun »Ab-bild« war und mit seiner ganzen Erscheinung als soziales Zeichen zurechtgemacht und von Dritten entsprechend decodiert werden musste. Der Körper wurde in breiten Bevölkerungsschichten stärker als zuvor zum Medium gesellschaftlicher Interaktion. So zwang die massenhafte Produktion von Spiegeln und deren Verbreitung bis in die Arbeiterhaushalte zu neuen Selbstwahrnehmungs- und Beobachtungsmustern.5 Aber auch die Mode der Amateurfotografie oder der Boom illustrierter Gesellschaftsblätter sowie der Werbung (die später als Quellenmaterial näher betrachtet werden soll), schließlich der Erfolg der Ufa in Babelsberg, wo zum ersten Mal Stars in Deutschland kreiert wurden, luden zur ständigen Konfrontation mit dem eigenen Äußeren, zu Vergleichen und zur Gegenüberstellung mit Abnormitäten und Krankhaftem, mit Irrealem und massenmedial inszenierten Schönheitsidealen ein. Dazu waren die Deutschen der 1920er Jahre ständig in Bewegung und außer Haus, wo sie neue Körpererfahrungen und Plattformen der Selbstdarstellung (aufsuchten: so beim stolzen Flanieren Unter den Linden in Berlin, wie es prominenterweise ein Franz Hessel beschrieb, oder 4 5

Becker (2000), S. 225. Zum Breitensport in Weimar: Eisenberg (1993), S. 147 f. Haubl (1991), insbes. Bd. 2, S. 773-898.

»Immer frisch frisiert« - das gestaltete Kopihaar als Requsite moderner Selbstinszenierung

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beim nackten Sonnenbaden, Ausdruckstanzen, beim Rad- und Autofahren.6 Folglich erhielten der weibliche und nicht minder der männliche Körper in Weimar eine Sichtbarkeit (visibility), die im verklemmten Kaiserreich undenkbar gewesen wäre. Die Anforderungen an eine eben noch vertretbare Ansehnlichkeit des Menschen stiegen dabei in dem Maße, da er sich selbst und andere beobachtete.

BODY MANAGEMENT

ALS M I T T E L IM L E B E N S K A M P F

Das Haar als Repräsentationsmerkmal spielt in diesem Kontext eine besondere Rolle. Denn als Bestandteil der Körperlichkeit verbürgt es einen der Schlüsselreize und eines der grundlegenden Symbole fur Geschlecht, Alter etc. Das Haar ist damit ein wichtiger Aspekt des >body managements< - ein eigentlich im Zeichen der Moderne und Postmoderne stehender Begriff, der heute in der Fitness- bzw. Bodybuilding-Industrie populär ist und hier als zentrales Konzept zum Verständnis menschlichen Umgangs mit und Bewusstseins vom Körper als sozialem Medium eingeführt werden soll. Das body management macht deutlich, wie sehr das Individuum, ergänzend zu sozialen Segregationsmerkmalen wie Reichtum, Gruppenzugehörigkeit, Geschlecht, sein Außeres als Kapital ansehen musste, um seine gesellschaftliche Positionierung zu beeinflussen. Seit den 1920ern musste der Einzelne selbst initiativ werden und sich als Manager seines Grundkapitals >Körper< empfinden, als Dirigent und Organisator eines komplexen Kapitalverwertungsprozesses, in dem er angesichts der Konkurrenz-, Markt- und Konfliktformigkeit seiner Umwelt Steuerungs- und Regulierungkompetenzen zu entwickeln hatte, die seine sozialen Rollen absicherten oder konstituierten.7 Hinter der Fassade des body managers steckten allerdings von dramatischen Umbrüchen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art verunsicherte Individuen, die sich an eine als kälter empfundene Zeit durch rationales Denken, Kampfwillen und Härte anpassten, dabei etwas resigniert waren und neue Traumwelten suchten, aber vielleicht deshalb um so mehr an sich, ihrem Ausdruck, ihrem Körper operierten - mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass sie einen Zustand des Glücks, der Anerkennung, der Begehrtheit erfuhren.8 Diesen Mechanismus bezeichnete Foucault als »Technologien des Selbst«; aus anderer Perspektive wird solch defensive Selbstreferentialität auch als Ipsismus und Krankheitssymptom der Moderne beschrieben.9 Wie sehr diese Ein-

6 7 8

9

Hessel (1984). Siehe hierzu: Türk (1989), S. 412 f.; auch: Stolz (1992), S. 246-249. Diese Beschreibung basiert hauptsächlich auf verschiedenen einschlägigen Romanen der Weimarer Zeit, die m. E. trotz ihres literarischen Anspruchs als historische Quelle sehr gut geeignet sind. Siehe z.B.: Keun (2002); dies. (1981); oder: Kästner (1990). Rieger (1997); Schmidt (1995).

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Schätzung das Lebensgefühl der Menschen seit den 1920er Jahren trifft, wird in einer ganzen Reihe von zeitgenössischen Quellen deutlich. Insbesondere die >Neue Frau< der Weimarer Republik hatte die Ideologie des Auf-sich-selbst-Geworfenseins erfolgreich internalisiert: nicht anders als Gilgi, die fiktionale Verkörperung dieses Frauentypus in dem Roman »Gilgi - eine von uns«.10 Gilgi ist die typische body managerin, die sich von ihrer »speckigen, verfetteten« Mutter bewusst abheben will, sich nicht mehr auf das Versorgtsein durch einen Mann verlässt, den starken Wettbewerb erkennt und weiß, dass sie ihre »eigene Frau« ist. Selbstbewusst mustert sie sich mit ihrem Bubikopf: »Hat was Sympathisches son Spiegel, wenn man zwanzig Jahre ist und ein faltenloses, klares Gesicht hat. Ein gepflegtes Gesicht. Gepflegt ist mehr als hübsch, es ist eignes Verdienst«.11 Das eigene Verdienst war es nicht ganz. Immerhin entwickelte sich seit der Jahrhundertwende eine florierende Schönheitsindustrie in Deutschland. Kosmetik- und Haarpflegemittelhersteller wie z.B. Beiersdorf (1882), die Lingner-Werke (1883), Schwarzkopf (1898) oder Wella (1880) existierten bereits. Diese Unternehmen, ebenso die sich professionalisierende und seit der Gewerbefreiheit expandierende Friseurbranche12 wurden, neben den erwähnten Schönheitschirurgen, zu Helfern des body managements - aber auch zu jenen, die den Markt der Eitelkeiten wie der Moden erst fest etablierten und von der Unvollkommenheit und Unsicherheit der Menschen profitierten. Gerade die Werbung der Schönheitsindustrie, die nicht mehr einfach Produkte in Anzeigen abbildete und platt deren Kauf befahl, sondern Sujets entwarf, in denen sich die Konsumenten in typischen Lebenssituationen wiederfinden konnten oder die ihre Statusfantasien ankurbelten, suggerierte permanent die Hilflosigkeit des Individuums in der modernen Welt. Man konnte nicht mehr sicher sein, wie die eigene soziale Integration zu gewährleisten wäre und bedurfte eines fachmännischen Consultings, das die Werbung nicht uneigennützig bot. Wie selbstverständlich prophezeite sie den gesellschaftlichen Tod für den Fall, dass bestimmte Körpermerkmale (z.B. strähnige Haare) nicht ausgemerzt oder (z.B. frischer Teint) betont würden. Seit der Weimarer Republik propagierte die Industrie immer versierter und nach dem Vorbild amerikanischer Vermarktungsmethoden, dass man z.B. statt einmal nun zweimal täglich die Zähne putzen müsse. Oder dass die Haut rein und glänzend, jugendlich-frisch auszusehen habe, wie es etwa die Werbung für eines der ersten und bekanntesten deutschen Markenprodukte, Nivea-Creme von Beiersdorf suggerierte.13 Haare hatten kräftig und

10 11 12 13

Keun (2002), S. 13 u. 30. Ebd., S. 6f. Siehe zur Entwicklung des Friseurhandwerks: Trupat (1990). Beiersdorf AG (2001).

»Immer frisch frisiert« - das gestaltete Kopfhaar als Requsite moderner Selbstinszenierung

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glänzend, aber nicht fettig zu sein. Gerade die Produktwerbung der Kosmetikindustrie zeigte verschiedene Lösungen hinsichtlich der alltäglichen Repräsentationsverpflichtungen normaler Leute in der Weimarer Republik und ihres Bedürfnisses, sich den über die Massenmedien tradierten Schönheitsidealen anzunähern. Die Werbung inszenierte den modernen Menschen dabei als Ideal, von dem wir zwar später sehen werden, dass er brav gedacht war, der aber technisch aufgerüstet, hygienisch einwandfrei, großartig gestylt trotz Hausarbeit oder langer Arbeitszeiten erschien. So wurde dieses Ideal verpflichtendes Leitbild und mithin zum eigenständigen Sozialisationsfaktor und (Zerr-) Spiegel der Zeit. Wer noch Schweißgeruch oder braune Zähne hatte, war verpönt, schließlich gab es seit 1926 das Antiperspirant Hidrofiigal, aufhellende Zahncremes von Blendax oder Chlorodont14 und zur modischen >Aufnordung< Blondiermittel von Schwarzkopf oder Wella.15 Die Botschaft dahinter war nicht nur das tröstende: »so gehörst du wieder dazu«, sondern auch ein bedrohliches: »ohne Produkt XY schaffst du es nicht«. Das body management war in diesem Sinne ein auf sich selbst und auf andere bezogener, aggressiver Reflex auf die neue marktwirtschaftliche Körperlichkeit der Republik. Der Körper wurde zu einer »Waffe im Lebenskampf«, wie eine Autorin es beschrieb: »Manches Mädchen würde lieber das Geld für den Friseur auf die hohe Kante legen, aber sie ist klug genug, um es nicht zu tun (...) das Hübschaussehen, das make-up, wie der Amerikaner sagt (...) ist ja heutzutage keine Sache der Koketterie mehr, geschieht nicht, um einen reichen Mann zu finden, wie in früheren Zeiten, sondern seidene Strümpfe und gewellte Haare sind Waffen im Lebenskampf geworden (...) Uberall haben es die Hübschen und Gepflegten leichter. Die Hübsche verkauft mehr, der Hübschen diktiert der Chef lieber, von einer Hübschen wird lieber Unterricht genommen und lieber ein Hut bestellt. Das ist grausam, aber es ist so«.16

14 Diese Angst schürte die Werbung bzw. griff sie immer wieder auf! Ein sehr gutes Beispiel dafür ist eine Anzeige für Chlorodont Zahnhygieneprodukte, in der ein Handlungsreisender wegen seines Mundgeruchs arge Probleme im Beruf hatte, bis er Chlorodont nutzte. In: Berliner Illustrierte Zeitung, 26,1925, S. 1115. 15 Allgemein zu Vermarktungsmethoden und der Professionalisierung der Werbung in den 1920ern siehe: Schug (2003). 16 Zitiert nach: Ankum (2000), S. 179.

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PROFESSIONALISIERUNG DER HAARGESTALTUNG ALS BESTANDTEIL DES BODY MANAGEMENTS

Die 1920er Jahre markieren den Beginn jenes andauernden Prozesses, im Zuge dessen von Massenmedien und Werbung geformte Vorbilder das Selbstbild der Menschen beeinflussten. Filmstars, aristokratische Schönheiten und jugendliche Models setzten Maßstäbe, denen sich Durchschnittsmenschen nur mit Hilfe mühseliger Schönheitsrituale annähern konnten - und das Ideal doch nie erreichten, weil schon längst wieder eine neue Modewelle die normativen Koordinaten eines erfolgreichen body managements verschoben hatten.17 Den Anforderungen des »Lebenskampfes« und der eigenen Interessen gehorchend, warteten die Helfer des body managements mit immer neuen Moden, Erfindungen und Techniken auf In der Weimarer Republik setzte sich, etwa in Bezug auf das Haar, eine ganze Reihe technisch-chemischer Erfindungen durch, die neue Möglichkeiten der Kopfhaargestaltung zuließen. Uberhaupt wurde das body management, der Denkmode dieser Zeit entsprechend, >rational< angegangen und von medizinisch-naturwissenschaftlichen, später aber auch von rassehygienischen Uberzeugungen dominiert. Untersuchungsmethoden wie z.B. die Mikroskopie18 schufen seit der Jahrhundertwende, und nach der Unterbrechung des Ersten Weltkrieges besonders in der Weimarer Republik, einen neuen Blick auf das Haar. In vormoderner Zeit hatte man Haaroder Kopfhautkrankheiten mehr oder minder als Schicksal hingenommen. Erklärungen für Schuppenbildung, Haarausfall, Kopfflechte oder Pilzerkrankungen hatte man, wenn überhaupt Erklärungsbedarf bestand, in Familien- und Erbfehlern gesehen. Auch die »Nerven« oder die »Erkältung der Kopfhaut« hatten gängige Anhaltspunkte zur Erklärung von Dysfunktionalitäten geliefert. Als schicksalhaft hatten sie sich meist der Macht der Menschen entzogen.19 Mit der allgemeinen Intensivierung von Forschungen, teilweise finanziert durch die im Entstehen begriff fene Haarmittelindustrie, wurden dann jedoch alle möglichen Krankheitsbilder und deren Behandlung untersucht, klassifiziert, abgebildet, zur Lehre an den Universitäten verwendet und über populärwissenschaftliche Schriften in die Öffentlichkeit getragen.20 Bilder von Kopfgrind, ansteckender Bartflechte, Pilzerkrankungen, syphilitischem Haarausfall oder von mikrospisch riesenhaft vergrößerten, zu Monstern mutierenden Kopfläusen demonstrierten einer breiten Öffentlichkeit die Abnormalitäten des menschlichen Körpers, die, so ein Friseur 1928, noch nach

17 Ebd., S. 182. 18 Zur Geschichte der Mikroskopie: Rzeznik (1988). 19 Müller (1926), S. 246-255. Zum modernen Stress- und Nervendiskurs als umfassende Erklärungsformel für eine Vielzahl von gesundheitlichen, aber auch sozialen Problemen: Radkau (1998). 20 Kotschedoff (1939), S. 16.

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dem Ersten Weltkrieg allesamt »kolossal verbreitet« gewesen seien.21 Das gepflegte Kopfhaar als Requisite moderner Selbstinszenierung und Teil des body managements war also noch nicht überall zum Standard avanciert. Immer vernehmlicher meldete sich das Wissen zu Wort, Parasiten oder Läuse könnten »selbstverständlich nur an ungepflegten Köpfen ihren Sitz behaupten«, wie ein voluminöses Handbuch für das Friseurhandwerk deutlich machte.22 So setzte sich die Meinung durch, Haarkrankheiten seien eben nicht mehr Schicksal oder erblich, sondern Folge jahrhundertealter Vernachlässigung - sie wurden zum Anklagepunkt. Sache des Friseurs war es dabei, auf seine Kundschaft derart einzuwirken, dass sie sich »der Reinlichkeit befleißige«, wie es ein Wortführer der Branche 1926 forderte und sich in der Gewissheit wog, solcherart einen Großteil aller krankhaften Erscheinungen im Kopfhaut-/Haarbereich bekämpfen zu können.23 Die Haarpflege der Moderne war damit nicht nur modische Praxis, sondern hatte rationale, medizinische Gründe, die, so ein Beobachter aus den 1920er Jahren, »sehr jungen Datums« waren: »Wenn man am Ende des siebenten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts eine Reise durch die großen Städte Europas unternahm, fand man in den großen Zentren Paris und London kaum die ersten Anfange, die auf ein Verständnis fiir diesen kommenden Zweig hindeuteten«.24 Das regelmäßige Haarewaschen als Grundlage gesunder und schöner Haare wurde tatsächlich erst nach der Jahrhundertwende üblich. Haarwaschmittel hatte es zunächst nicht gegeben. Die stattdessen benutzte Seife hatte den Nachteil, sich mit dem Kalk des Wassers zu einem klebrigen Belag am Haar zu verbinden. Aber die meisten Deutschen, vor allem Männer, hatten sich im Kaiserreich ohnehin nur alle paar Monate die Haare gewaschen.25 Das änderte sich mit dem an Bedeutung gewinnenden Körper- und Hygienediskurs seit der Jahrhundertwende sowie den bahnbrechenden Produktentwicklungen etwa des Drogisten Hans Schwarzkopf, der 1903 sein Shampoon auf den deutschen Markt brachte und 1933 das erste seifenfreie, synthetische Haarmittel »Onalkali«, das zum Prototyp aller modernen Shampoos wurde.26 Mit der Professionalisierung des Friseurhandwerks wuchs das chemisch-technologische Know-how der Friseure in Deutschland. Die chemische Formelsprache, die Kenntnis von Basen, Säuren, der Salze von Farbe- und Entfarbemitteln, zählten ebenso zum Wissenskanon der Branche wie die Bestimmung der Zusammensetzung von Haarfarben, der Härtegrade von Wasser oder der physiologischen Veränderungen des Haares und der Haut. Zum modernen Friseurladen gehörten seit Beginn des Jahrhunderts nicht mehr nur Waschbecken und Schere, sondern Pipet21 22 23 24 25 26

Blumenthal (1993), S. 30. Müller (1926), S. 575. Ebd., S. 254. Ebd., S. 575. Trupat (1990), S. 40. Ähnliches berichtet Müller (1934), S. 72; Krüger (1930), S. 44. Trupat (1990), S. 40.

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ten, Mess- und Reagenzgläser, Filtriergestelle, Bunsenbrenner oder Säuremesser: Der Friseurladen wurde zum Laboratorium aufgerüstet.27 Die neuen chemischen Mittel erlaubten dauerhafte Haarfarbungen, und die Heißwelle, eine neue Methode zum Legen dauerhafter Wellen, wurde Voraussetzung der meisten Modefrisuren in den 1920ern. Das professionalisierte Friseurhandwerk ebenso wie die Haarpflegemittelindustrie hatte damit eine ganze Reihe von Möglichkeiten erfunden bzw. auf den Markt gebracht, um Änderungen an Haaren vorzunehmen - was im übrigen zu dieser Zeit nicht ganz ungefährlich war: Die Einfuhrung neuer Produkte und das Unwissen respektive die Uberforderung der Friseure führten dazu, dass »bei derartigen Behandlungen [gemeint sind Färbungen der Haare (A.S.)] leider oftmals die größten Fehler begangen worden [sind]«.28 Und 1939 berichtet ein anderer Beobachter: »[...Jdurch das Selbstfarben mit den im Handel befindlichen Farbeseifen werden oft recht unangenehme Mißerfolge erzielt«.29 Die Nutzung elektrischer Dauerwellapparate konnte in Einzelfallen sogar tödlich enden. 1938 hieß es in einer Veröffentlichung des Handwerks: »Auch die Verminderung der Stromstärke von der Netzspannung (110-220 Volt) auf 24 bzw. 16 Volt ist als Fortschritt zu werten, da sie bei einem eventuellen Kurzschluß bzw. Erdschluß jede Gefahr einer Lähmung oder Tötung der Kundin ausschließt«.30 Herausgestellt werden soll an dieser Stelle jedoch, dass sich die Gestaltungsmöglichkeiten des Haares enorm erweitert hatten. Die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber dem Haar bezog sich allerdings nicht nur auf das Kopfhaar, dessen archaischem Wildwuchs man begegnete. Denn so sehr es auch zum Gestaltungsobjekt bei einer breiten Masse wurde - wozu auch das ausdifferenzierte Preisgefüge im Friseurgewerbe beitrug 31 - geriet doch in vergleichbarem Maße die Äo/jfoybehaarung zum Stigma eines vorgestrigen Daseins und folglich Kulturdefizits. Methoden zur Körperhaarentfernung gab es zwar seit den Griechen und Römern. Die Praxis der Haarentfernung erhielt jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue Dimensionen. Jetzt kam eine Fülle von Enthaarungscremes auf den Markt, die dank ihrer aggressiven chemischen Substanzen nun auch erstmals wirklich leisteten, was sie versprachen. Eine Revolution im Rasierbereich löste der Amerikaner King Gillette aus. Er erfand bereits 1895 einen Rasierer mit Wegwerfklingen. 1915 führte Gillette einen Rasierer speziell für Frauen ein. 1931 erfand Jacob Schick den elektrischen Rasierer. Wenig später stellte Remington einen Doppelkopf-Rasierer und einen Elektrorasierer für Frauen vor. Zeitgleich wurde die Elektrolyse bekannt,

27 28 29 30 31

Kotschedoff (1939), S. 12-28. Ebd., S. 18. Ebd., S. 19. Zitiert nach: Blumenthal (1993), S. 20. Trupat (1990), S. 61.

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bei der eine spitze Nadel mit Schwefelsäure in den Haarkanal eingeführt wurde, um das Haar mit einem elektrischen Impuls zu zerstören. Je mehr Haut die damalige Mode zeigte, je populärer namentlich die Freikörperkultur in Deutschland wurde, desto mehr geriet starke Körperbehaarung in Verruf - vor allem bei Frauen, aber auch bei Männern. So warb die Heil-Schnell-Fabrik, Produzentin der Enthaarungscreme »Eva«, damit, ihre Enthaarungscreme sei 1928 bereits unzertrennlich mit den Bedürfhissen jeder Dame verbunden und dass die Entfernung der als »lästig« bezeichneten Haare fur »Hunderttausende von Damen so selbstverständlich geworden ist wie die Anwendung von Hautcreme oder Zahncreme«.32 In einer Anzeige für Dulmin Enthaarungscreme von 1931 hieß es: »So sehr ein schönes Kopfhaar schmückt, so sehr beeinträchtigen unerwünschte Härchen in den Achselhöhlen, in Gesicht und Nacken und an den Beinen frauliche Anmut«.33 Körperhaare wurden als »peinlich«, »unerwünscht« oder »unschön« eingestuft, und mit ärztlicher Autorität wurde stark entwickeltes Körperhaar als krankhaftes Leiden bzw. als »häßlicher kosmetischer Fehler« dargestellt.34 Damit wurde es zu einem sozialen Problem, das Menschen in ihrer Lebenssituation beeinträchtigte und eine Problemintervention notwendig machte. Der haarlose Körper betraf auch den Mann. Deutliches Zeichen seiner Kultiviertheit war es, den Bart abzurasieren. Der Bart galt in Weimar als Merkmal der vergangenen Epoche des Kaiserreichs. Das glattrasierte Männergesicht wurde demgegenüber zum Zeichen der neuen, jungen Zeit. Dazu gehörten kurze, meist gescheitelte oder zurückgekämmte und mit Pomade glänzend gemachte Haare; die Stirn blieb frei und die Nacken waren ausrasiert. Darunter fand sich ein streng blikkendes Gesicht mit markanten Wangenknochen und Gesichtszügen. Breite Schultern, ein Bauch, an dem sich die Rippenknochen einzeln abzeichneten, schmale Hüften, sowie muskulöse Arme und Beine fugten sich zum Idealbild körperlicher Männlichkeit.35 (Abb. 1) In der Werbung für das wohlgepflegte Männerhaar forderten die Schampoohersteller, der Mann solle sich mindestens einmal wöchentlich die Haare waschen. Nur so, prophezeite eine Anzeige für Elida Shampoo, sei der Mann »überall willkommen«. Das Geheimnis seines Erfolgs sei schließlich nicht nur sein Typus, für den er nichts könne, sondern »der Takt seiner äußeren Erscheinung«.36 Und Schwarzkopf riet Herren, die zum Liebling der Damen avancieren wollten, ebenso einmal wöchentlich Schwarzkopf-Schaumpon zu nehmen, um Schuppen und Haarausfall vorzubeugen.37 Das gepflegte Kopfhaar wurde zur Vorbedingung fur Akzeptanz und Erfolg. Fettiges Haar passte ebenso wenig zur 32 33 34 35 36 37

Anzeige für Eva Enthaarungscreme, in: Berliner Illustrierte Zeitung, 30, 1928, S. 1282. Anzeige für Dulmin Enthaarungscreme, in: Münchner Illustrierte Presse, 6, 1931, S. 172. Luda (1933), S. 30. Schmidt (2000), S. 70. Anzeige für Elida Shampoo, in: Berliner Illustrierte Zeitung, 1928. Anzeige für Schwarzkopf-Schaumpon, in: Henkel-Archiv (ohne Signatur).

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Alexander Schug

enswürdig- überall willkommen. Klug,

gure M a n i e r e n ,

freunden

W o h l g e p f l e g t e s H a a r o h n e Schuppen in tadei« loser F r i s u r ist unerläBlidi. Z e h n M i n u t e n A r b e i t

— im K r e i s e der F a m i l i e

Sportplatz -

1

guter

Bei G e s c h ä f t s -

weltgewandt,

K a m e r a d , immer gern gesehen.

ein

— a u f dem

bei geselligen G e l e g e n h e i t e n .

Das

in der W o d i e — eine W a s c h u n g mit E l i d a S h a m p o o gibt den gewünschten E r f o l g . lich praktisch für jeden M a n n ,

Außerordent-

kann

überallhin

G e h e i m n i s seines Hrfolges ist nicht nur sein T y p u s ,

leicht mitgenommen « erden: aul den S p o r t p l a t z ,

für den er nichts kann, sondern der Fakt seiner

ins

ä u ß e r e n E r s c h e i n u n g - der wohlgepflegte M e n s c h .

und K o p f h a u t gründlich, beseitigt alle Schuppen.

Kosmetikwerbung,

1928

Klubhaus,

auf

die R e i s e .

Saubert

Haar

»Immer frisch frisiert« - das gestaltete Kopfhaar als Requsite moderner Selbstinszenierung

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modernen Selbstinszenierung wie Schuppen oder Kopfflechte. Ein unordentlicher Strubbeikopf durfte bestenfalls hoffen, als Ausdruck von Genie oder Künstlertum honoriert zu werden. Die weibliche Kundschaft wurde seitens der Werbung ganz ähnlich adressiert. Erstens galt es auch hier, zum regelmäßigen Haarewaschen, d.h. mindestens einmal die Woche, zu animieren. Zweitens sollte der geringe Zeitaufwand fur moderne Haarpflege hervorgehoben werden. »Selbsbewusstsein beruht zu einem Teil auf der Gewißheit, gut auszusehen. Ausschlaggebend ist hierbei eine kleidsame Frisur. Und wie leicht ist es, sich diese zu erhalten, es macht so wenig Mühe«, annoncierte Schwarzkopf in einer Anzeige von 1934.38 »Lieber länger schlafen als länger kopfwaschen« hieß es in Bezug auf das bereits flüssige, nicht länger pulverförmige Elida Glanz Flüssig-Shampoo.39 Darüber hinaus wurde gerade von der Firma Schwarzkopf der Trend zur täglichen Haarpflege begründet. (Abb. 2 u. 3) »Jeden Morgen vor dem Durchbürsten das Haar mit Schwarzkopf-TrockenSchaumpon betupfen - fertig!«40 Dass eine »immer reizende« Erscheinung kein milieuspezifisches Indiz war, sondern jeder und jede die Mittel dazu hatte und dass insbesondere die Haarwäsche weder kostspielig noch anstrengend sei, war ein weiteres Anliegen der Produzenten von Haarpflegemitteln.41 Durchgängig taucht das Motiv der sozialen Akzeptanz auf, wenn das Haar sitzt, leuchtet, kraftvoll wirkt. (Abb. 4) Die Werbung zeigte dazu immer wieder Szenen, in denen die Protagonisten Besuch erwarten und den kritischen Blicken anderer ausgesetzt sind. Werbeslogans wie diese waren typisch: »Ihr Aussehen soll Ihre Gäste S H M P O ehren!«, »Lockeres Haar - lockendes FT T D A A 1 — y Λ. S j L Ja—* - X j L . macht Jas "Haar seidenweich imj / Haar«, »Ihr Gatte liebt schönes Haar! Nicht nur, wenn Sie in Gesellschaft 2 Kosmetikwerbung, 1927 Zum frischen, sportfitüttV Sfiufnphimntkn Bilde drs Jungen Mädchens von heute fügt Ei Ida Shampoo J a s seiden weicht foekere H a a r als «nuflckenden Rahmen.

38 Anzeige für Schwarzkopf Trocken-Schaumpon, in: Henkel-Archiv (ohne Signatur). 39 Anzeige fur Elida Glanz Flüssig-Shampoo, in: Berliner Illustrierte Zeitung, Unilever-Archiv (ohne Signatur). 40 Anzeige für Schwarzkopf Trocken-Schaumpon, in: Henkel-Archiv (ohne Signatur). 41 Anzeige für Elida-Shampoo, in: Berliner Illustrierte Zeitung, 18.2.1928, S. 13.

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Alexander Schug

Otto,

es tut m i r leid, kann leider

ich heute

aus

dem

Haus, Haar

mein ist

nicht

gewaschen und

sieht

scheußlich aus

Aber

laß

Dir

SchwarzkopfSchaumpon In wenigen

doch Trocken

·

holen. Sekunden

siehst Du tadellos

aus!

ψ , /

Wahrhaftig,

//Otto

hat

recht

Ίgehabt.

Nun

kann

i ich den Abend nießen.

mW»***

geHaar

sieht duftig,

sauber

und frisch

frisiert

aus

vi. /sc*

Das

durch:

gehen, auch zuhause will er eine schmucke Frau haben«.42 Trotz der >Modernität der Zeit< und wider das populäre, aber wohl überbewertete Paradigma der Neuen Frau verbreitete die Bilderwelt der Haarmittelwerbung ganz klassische Rollenklischees. Die Frau in der Haarmittelwerbung blieb vorzugsweise blond, lieblich verlockend sorgend, wenn auch mit androgynen kleinen Brüsten und »männlichen«, kaum auffälligen Hüften. Body Managerinnen waren auch die hier näher betrachteten virtuellen Frauen dieser braven Werbewelt: durch ihr zeittypisch gestiegenes Bewusstsein für Repräsentationspflichten im Alltag und jene modernen Hygienestandards, die den realen Frauen von Weimar zum Vorbild dienen sollten.

D E R J Ü D I S C H E K Ö R P E R U N D DAS M A G I S C H E BLONDE HAAR

Das body management nahm nach 1933 politische, dann ganz existenzielle Züge an. Die Sorge oder auch Verzweiflung über das eigene Aussehen wurde um so größer, je offensiver die Debatten über Rassenhygiene und den jüdischen Körper in die Öffentlichkeit drängten. Der Nationalsozialismus und sein Aufstieg in Deutschland setzte auch in Bezug auf die Körpergeschichte eine deutliche Zäsur. Der Körper, und hier

3 Kosmetikwerbung, 1938

42 Anzeige für Elida Glanz Flüssig-Shampoo, in: Berliner Illustrierte Zeitung, Unilever-Archiv (ohne Signatur); Anzeige fur Schwarzkopf-Schaumpon, ca. 1924, Henkel-Archiv (ohne Signatur); Anzeige fur Schwarzkopf Trocken-Schaumpon, in: Henkel-Archiv (ohne Signatur).

>Immer frisch frisiert« - das gestaltete Kopfhaar als Requsite moderner Selbstinszenierung

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Vlß und Ihre Vorbereitungen für den Empfang

treffen

müssen, bleibt oft wenig Zeit übrig, sich hübsch zu machen. Denken Sie dann an „Schwarzkopf

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besonders das >magische< blonde Haar, avancierte in den 30er Jahren nicht nur zum sozialen Merkmal der Selbstinszenierung, sondern zum rassischen Merkmal. Schon im Jahrzehnt zuvor hatte der bekannte deutsch-jüdische Autor Jakob Wassermann ein regelrecht selbstverleugnendes Verhältnis der deutschen Juden zu ihrem Körper diagnostiziert: »Ich kannte viele Juden, die sich im Verlangen nach dem blonden, blauäugigen Individuum geradezu verzehrt haben. Sie knieten vor ihm nieder, ließen ihm Weihrauch brennen und glaubten jedem seiner Worte; jedes Blinzeln seines Auges war heroisch, und wenn er von seiner Heimaterde sprach, wenn er sich in seine arische Brust schlug, brachen sie in ein hysterisches Triumphgeschrei aus«.43 Es konnte umgekehrt auch vorkommen, dass Juden ihre >arischen< Körpermerkmale, allen voran die blauen Augen und die blonden Haare, mit Angst bedachten und misstrauisch beäugten. Oder dass so genannte >Arierjüdisch< angeprangerte Körpermerkmale wie eine große Nase oder dunkle gelockte Haare verfugten, den Verdacht äußerten, unter ihren Vorfahren möchten Juden gewesen sein - ein Luxus fragwürdig motivierten Selbstzweifels, der ihnen einige Jahre später zum Verhängnis werden könnte. Dies

43 Zit.n.: Gilman (2000), S. 108.

96

Alexander Schug

bevorzugt! Die Schönsten — die Erfolgreichsten — die Begehrtesten sind heute in der g a n z e n Welt die b l o n d e n Frauen, denn Blondhaar übt einen unwiderstehlichen Zauber aus. Auch Ihnen ist dieses kostbare G u t geg e b e n — e r h a l t e n Sie es sich durch richtige P f l e g e — verhindern Sie vor allem d a s gefürchtete Nachdunkeln! S o viele Blondinen bewahren die W u n d e r wirkung ihres H a a r e s durch regelmäßige Pflege mit EJida Kamilloflor, dem neuen Spezial S h a m p o o für das empfindliche Blondhaar. Üurch seine wirksamen Bestandteile") verhindert Kamilloflor Shamp o o d a s so häufige Nachdunkeln und gibt stumpfem, farblosem Blondhaar seinen bestrickenden G l a n z zurück. Garantiert froi von »lU*n d i e m i t t h r n Bleich- und Färbemitteln. Wirkt natürlich tales of folk< bewußt integrierte Anmutung des Märchenhaften, Volkstümlichen korrespondiert dem aktuellen Hang zum Rückzug auf Häusliches, auf Innerlichkeit, ohne daß dieser Rückzug hermetisch, allein abgrenzend motiviert wäre; denn sowohl Ausgriffe auf frühere Zeiten, Nostalgisches, als auch die Neugier auf andere Kulturen, >andere Geschichten< spielen eine Rolle. >tales of folk< hat also viel mit Atmosphäre zu tun, und zwar weniger mit einer von uns buchstäblich vorgefundenen (bzw. für die Zukunft vorausgesetzten), als eher mit einer

2 Wella Trend Vision: Tales of Folk, 2004

3 Wella Trend Vision: Tales of Folk, 2004

5 Vgl. Matthias Horx: Sensual Society, Zukunftsinstitut GmbH, Kelkheim 2002 S. 17

»Looking to the past to go forward to the future« - Trendsondierung in der Friseurbranche

4

Wella Trend Vision: Tales of Folk, 2004

117

5 Wella Trend Vision: Tales of Folk, 2004

konstruierten Atmosphäre, in der fiktive Momente latent vorhandenen bzw. aufziehenden Dispositionen und Stimmungen eine >Erzählung< und ein >Gesicht< verleihen. Das Ganze offeriert den Rahmen für eine Kleidermode, die folkloristische Anklänge hat, die auf Stoffe in gewobenen Designs wie Baumwolle, Cord, Filz und Wolle zurückgreift, die mit Spitzen und Stickereien spielt. Und auch die Haarbotschaften orientieren sich entsprechend: Allgemein gilt, daß das gesunde, volle Haar im Vordergrund steht; es strahlt in seinen natürlichen Farben und gibt sich bewegt. Favorisierte Haarfarben reichen von Blond über natürliches Rot bis hin zu warmen Brauntönen. Da als attraktiv erlebte natürliche Haarfarben eher selten vorkommen, werden Haarfarbeprodukte gefragt sein, die das Haar wie natürlich erscheinen lassen. Dank diverser Strähnentechniken können goldene Reflexe den Eindruck erwecken, es leuchte aus sich heraus. Was die Bewegung im Haar betrifft, so wird sie u.a. durch unterstützende, also unaufdringliche Umformung gewährleistet. Die Haare fallen nicht unbedingt nur glatt herunter. Das Styling rundet das Ganze ab: Zöpfe, Knoten und andere Flechtwerke bieten hier ein Spektrum der Unterstützung und Akzentuierung. Natürlich wissen wir, daß >tales of folk< nur eine Trendausrichtung aus einem weiten Spektrum verschiedener weiterer Trends darstellt, und es dürfte auch deutlich geworden sein, in welchem Maße es sich dabei nicht nur um Auswahl, sondern auch um Ausformulierung und Ausmalung handelt. Aber diese bildgebende Funktion ist für ein Unternehmen unerläßlich angesichts der Notwendigkeit, sich zwischen konkurrierenden Tableaus als charakteristisch zu piazieren.

Klaus Nolte

118

Und ich meine auch, daß die Zeichnung einer heilen Welt, die >tales of folk< in Reaktion auf Krisenbewußtsein grundiert, keiner Ablenkung der Menschen von ihren Interessen an der Bewältigung von Krisen gleichkommt. Denn erstens ist unsere Trendaussage insofern ehrlich, als sie nur Bilder für bereits existente, wenn auch nur schlummernde Neigungen liefert; und zweitens wird niemand, auch wir nicht, ernsthaft erwarten, daß die Menschen tatsächlich mit Gretchenzöpfen im Ledersessel vor dem Kaminfeuer alten Geschichten lauschen: Das Unwahrscheinliche, absichtlich Uberzeichnete in der Häufung der dort versammelten Assoziationen verschleiert nicht seine Artifizialität. Daher verbürgt es letztendlich beides in der Aufnahme durch die Menschen: Identifikationspotential und die Möglichkeit zur Distanz.

ABBILDUNGSNACHWEIS

1

Trendbüro 29.03.2001

2-5 Fotos von Darren Keith fur Wella AG/Quelle: Wella AG Darmstadt

Christine Kiinzel

»SO SOLL SIE LAUFEN MIT GESTRÄUBTEM HAARE ...«: ZUR BEDEUTUNG DER AUFLÖSUNG DER FRISUR IM KONTEXT DER DARSTELLUNG SEXUELLER GEWALT

Während sich der größte Teil der Studien zum Thema >Haar< dessen Ordnung, d.h. der Geschichte der Frisuren in einem bestimmten historischen Kontext widmet,1 möchte ich mich hier mit der UnordnungfaxHaare sowie deren Bedeutung innerhalb der kulturellen Codierung sexueller Gewalt beschäftigen und darlegen, inwiefern der Auflösung der Frisur in diesem Zusammenhang möglicherweise eine ebenso performative Funktion zukommt wie der wohlgeordneten Frisur. Während die wohlfrisierte, geordnete Haartracht - auch in den Kulturen, in denen sie zeitweise unter einem Schleier verdeckt wird - seit je zu den zentralen Merkmalen von Weiblichkeit zählt und insbesondere als Anzeichen für die Integrität des weiblichen Körpers gilt, scheinen sich Verletzungen oder Störungen, die die psychische und physische Integrität einer Frau bzw. ihre Stellung innerhalb einer bestimmten sozialen Ordnung betreffen, bemerkenswerterweise in einer Zerstörung der Ordnung der Haare, in einer Auflösung der Frisur zu manifestieren - dies legen sowohl literarische, rechtliche als auch bildliche Traditionen seit der Antike nahe. Inzwischen liegen einige kulturwissenschaftliche Studien vor, die die Bedeutung des Haars untersucht und unter anderem festgestellt haben, »dass das Haar kein beliebiger [Körper-]Teil des Menschen ist, sondern für sein Selbst steht«.2 Das Haar ist zu einem Medium, zu einem »Vehikel für übergeordnete Aussagen« und damit zu »einem permanenten Organ der Darstellung«3 avanciert. So stellen die Haare als Schnittstelle zwischen dem Körper und seinen Repräsentationen - so etwas wie den Spiegel der inneren Befindlichkeit dar, dienen gewissermaßen als Projektionsfläche, auf der der (innere) Zustand dem Prinzip der Analogie folgend seinen Ausdruck findet. Diese zentrale Funktion des Haars mag unter anderem damit zusammenhängen, dass uns das Haar als wesentlicher Bestandteil des Kopfes als der hervor ragende Körperteil erscheint, der zuerst ins Auge fallt, wenn man einer Person begegnet. In bestimmten antiken Kulturen wurde die Verunstaltung des Kopfes als gravierenderer Verstoß gegen die guten Sitten empfunden als die Nacktheit des Körpers; unbedecktes oder aufgelöstes Haar wurde hier als ebenso anstö-

1 So auch der neueste Band zum Thema von Mayr und Mayr (2003). 2 Stephan (2001), S. 28; vgl. auch Wilier (1984), S. 4 u. 13 und Könneker (1983), S. 24. 3 Hohenwallner (2001), S. 65.

122

Christine Künzel

ßig betrachtet wie ein einschlägiger entblößter Körperteil.4 So verwundert es kaum, dass sich die ungewollte Entblößung und das ungewollte Eindringen in einen weiblichen Körper im Zusammenhang mit einer sexuellen Gewalttat zunächst in der Destruktion der Frisur darstellen; in bestimmten historisch-kulturellen Zusammenhängen wurde das Zerstören der Frisur einer Frau sogar mit einer Vergewaltigung gleichgesetzt.5 Dementsprechend auffallig ist die Bedeutung der Auflösung der Frisur im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt:6 Juristische Kodifikationen vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit hinein forderten, dass sich eine erlittene Vergewaltigung vorrangig durch die »Aufführung [...] der Person«7, insbesondere durch die >Unordnung< ihrer Haare anzeige.8 »Zum Tatbestand der Notzucht gehört in älterer Zeit, daß die vergewaltigte Frau das Gerüfte erhebt und sofort, wenn sie aus der Gewalt des Notzüchters entkommen ist, mit zerbrochnem leib, mitflatterndemhaar und zerrissenem gebend ihre Not klagt.«9

Ein Blick in das »Deutsche Rechtswörterbuch« bestätigt die zentrale Bedeutung der Haare im Hinblick auf die Notzuchtklage einer Frau: Unter dem Stichwort >Haar< wird eine Reihe entsprechender Auszüge aus mittelalterlichen Land- und Stadtrechten angeführt.10 Indirekt enthielten die juristischen Formulierungen Anweisungen darüber, wie sich das Opfer einer Vergewaltigung zu verhalten bzw. zu inszenieren, wie es insbesondere sein Haar herzurichten habe: »Wo eine genothzucht würde, so soll sie laufen mit gesträubtem haare, ihren schleier an der hand tragen, allermenniglich wer ihr begegnet umb hülfe anschreien über den thäter [...]«n - so lautete die Formulierung, die geradezu wie eine Aufforderung zur Selbstinszenierung klingt, im »Welchrichstädter Weisthum«, einem lokalen Rechtsbuch aus dem frühen 13. Jahrhundert. In einer anderen Bestimmung etwa aus derselben Zeit heißt es: »Die notzwungen jungfrau sol mit zetfallnem haar unde traurigen ansehen, wie sie von den is gangen und zu dem ersten mensch, so sie zukommen mag, desgleichen zu dem andern, denselben ir schmach unde unwird anzeigen.«12 4 Vgl. Küchler (1986), S. 80. 5 Vgl. Duerr (1978), S. 77. 6 Eine der wenigen Studien zur Bedeutung des Haars, die explizit auch den Rechtsdiskurs einbezieht, ist die Magisterarbeit von Plutat (1983), bes. S. 23 f. 7 Engelhard (1996), S. 538. 8 Vgl. Wolfthal (1999), S. 43, sowie Duerr (1995), § 27, S. 375 f. 9 His (1967), S. 143, (H.i.O.). 10 »Deutsches Rechtswörterbuch« (1939 ff), Bd. 4, Sp.1353/1354; siehe auch Grimm (1854 ff), Bd. 10, Abtlg. 3, Sp. 947). Das »Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte« (1971), Bd. 1, Sp. 18801884, lässt einen Hinweis auf die Bedeutung des Haars in diesem Kontext allerdings vermissen. 11 Quanter (1970), S. 230, Hervorhebung C.K. 12 Ebd., Hervorhebung C.K.

Zur Bedeutung der Auflösung der Frisur im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt

123

Entsprechend schlägt sich die Bedeutung des zerrauften, gesträubten, flatternden, zerfallenen oder aufgelösten Haars auch in den Illustrationen zu mittelalterlichen Rechtsbüchern nieder, so auch in den illustrierten Ausgaben des »Sachsenspiegels« aus dem frühen 14. Jahrhundert. 13 (Abb. 1) Auf Abbildungen, die den entsprechenden Abschnitt zur Klage wegen >Notzucht< im »Sachsenspiegel-Landrecht«14 illustrieren, sind Frauen erkennbar, die eine Vergewaltigung anzeigen. Ihre Aussage wird dementsprechend von den zentralen performativen Gesten begleitet dargestellt: dem zerrauften Haar, der nackten Schulter und dem zerrissenen Kleid.15 Diese Gesten sind Bestandteil des sogenannten »Wehklagens«: »Man greift sich an die Haare, d.h. man rauft sie sich. Mit dieser, eine Äußerung des Schmerzaffektes malenden Bewegung ihrer rechten [...] Hand steht [...] die Notnunftklägerin vor Gericht, während sie mit der andern Hand auf den Klagvormund deutet, den ihr der Richter gewährt«16 - so Karl von Amira in seiner Studie zur Bedeutung der Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels.

- alfo morhcfmc tmitMtti uroftr Η ttftor itititfbgtyT dflgtjf öar fe written ramgtic jat-motwot fottdjtc'teii ttwften tKBemflteti (feeuetumt) m allerftantfrafafitf aatftavfc ctts ttdtttn ttoierofteq nitftf ttcligfar to haut. ®ac otter ft daghc to tatnjrwamfb tnot oc 1

Notzuchtklage. Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels

Während das Haar der klagenden Frau in der Oldenburger Bilderhandschrift in einem extremen Maße gesträubt bzw. zerrauft ist, ja regelrecht >zu Berge stehtda sträuben sich mir die Haareihm standen die Haare zu Berge< oder Begriffe wie >haarsträubend< verweisen auf einen Diskurs, in dem bestimmte Affekte, insbesondere Schrecken und Trauer, über die Gestalt des Haars dargestellt werden.25 Im »Deutschen Wörterbuch« der Gebrüder Grimm heißt es: >[...] entzetzen, schreck und angst machen, dasz das haar von der kopfhaut sich emporhebt; es wird meist gesagt, das haar geht zu berge, steht zu berge [...].«26

Während sich das Sträuben der menschlichen Körperhaare, insbesondere an Armen und Beinen - wenn auch nur aus nächster Nähe -, durchaus optisch wahrnehmen lässt, scheint es sich bei dem Sträuben des Haupthaars vielmehr um ein Gefühl zu handeln, das nicht nur durch die bekannten Redewendungen metaphorisch verstärkt, sondern auch durch einen performativen Akt - durch ein entsprechendes Herrichten, sprich: Raufen der Haare - in einen Affekt des Schreckens und der Trauer, d.h. in eine äußerlich wahrnehmbare Geste übersetzt werden muss. Bereits in der Antike kam dem Haar eine zentrale Bedeutung innerhalb des Trauerrituals zu:27 »Bei Totenfeiern folgten dem Leichnam gewöhnlich Verwandte und Freunde, deren Trauerzug durch >angemietete Klagemänner und -weiber< vergrößert werden konnte, die die [...] Klagelieder sangen und sowohl in Gestik (Schlagen der Brust, Zerkratzen der Wangen etc.) als auch mit ihrem Aussehen (offenes, gerauftes Haar der Frauen) die offizielle Schar der Trauernden darstellten. Demnach war Trauer in der Antike ein lautstarker, höchst emotionaler Akt, bei dem das Verarbeiten des Schmerzes vor allem nach außen hin artikuliert wurde.«28

25 26 27 28

Grimm (1854 ff), Bd. 4,2, Sp. 8. Ebd., Sp. 13. Vgl. Wittekind (1999), S. 71 und auch Willer (1984), S. 24. Hohenwallner (2001), S. 47.

126

Christine Künzel

Eine explizite Übertragung der Trauerklagegesten auf die Klage im Anschluss an eine erlebte Vergewaltigung findet sich im sechsten Buch der »Metamorphosen« des Ovid, wo es über die von ihrem Schwager Tereus vergewaltigte Philomela heißt: »Als sie dann wieder zur Besinnung gekommen war, raufte sie ihr offenes Haar wie eine Trauernde, schlug sich klagend die Arme wund, streckte die Hände aus und sprach: >0 Barbar, Übeltäter, Grausamer! [...][...] Er neigte Sein Angesicht herab zu meiner Stirn, Daß mich des Athems Hauch umrieselte, Und seine leise Stimme mir wie Gift Schleichend durch alle Adern rann. Das Haar Stand mir zu Berg, in wüstem Schwindel kreis'te Nacht, Welt und Leben brausend um mein Haupt.«32

Doch bleibt die Frage bestehen, was das Haar vor anderen Körperteilen auszeichnet, um wenigstens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine, wenn nicht die zentrale Rolle in der Repräsentation sexueller Gewalt zu spielen, ist das menschliche Haar doch - wie Ingrid Hohenwallner in einer Studie zur Bedeutung des Haars und der Frisur in der römischen Liebeselegie erläutert - stets »Träger von bestimmten Funktionen, die sich im Laufe der Entwicklung von der rein biolo29 Ovid (1994), S. 317. 30 Vgl. Wolfthal (1999), S. 43. 31 Die Bedeutung des aufgelösten Haars zeigt sich besonders deutlich in Jacques-Louis Davids Gemälde »Die Sabinerinnen« (1799). 32 Heyse (1859), S. 46 f., Hervorhebung C.K.

Zur Bedeutung der Auflösung der Frisur im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt

127

gisch-praktischen Seite (Schutz!) beinahe zur Gänze auf den symbolisch-bedeutungsmäßigen Bereich verlegt haben«.33

II.

Im Hinblick auf die Bedeutung des Haars im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt zog insbesondere das Adjektiv >gesträubt< in der Formulierung »[s]o soll sie laufen mit gesträubtem Haare« mein Interesse auf sich, forderten Gerichte doch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, dass sich eine Frau gegen einen Vergewaltiger entsprechend zur Wehr gesetzt und bis zum Äußersten Widerstand geleistet haben musste, was so viel heißt, dass sie sich gegen die ungewollten Berührungen von Seiten eines Täters >gesträubt< haben musste.34 Sträuben bedeutet so viel wie »emporstarren«, sich »emporrichten«35 - auch die Empörung, das Empören, im Sinne von sich erheben, sich auflehnen, gehören in diesen Kontext36 -, aber im übertragenen Sinne auch »sich wehren«, »widerstreben«, »sich widersetzen«.37 Dabei mag es durchaus eine Verbindung zu affektiven Verhaltensmustern geben, deren Bedeutung für das Sozialverhalten insbesondere in der Ausbildung von Gefühlen in Studien aus den Bereichen der Psychobiologie und der Kulturanthropologie diskutiert wird.38 Wenn wir etwa an das gesträubte Haar eines Hundes oder einer Katze denken,39 dann verbinden sich in dem Akt des Sträubens zwei Dimensionen der Reaktion auf einen Zustand der Gefahr: der Aspekt der Angst40 und der Aspekt der Abschreckung, des Widerstandes, der durch eine Vergrößerung der Körpersilhouette angedeutet wird.41 Bereits in den verschiedenen Lehren und Theorien der Affekte, die einen Höhepunkt im Barockzeitalter erlebten, wurde den Affekten »eine unverzichtbare Funktion im leibseelischen Ganzen des Menschen«42, eine vermittelnde Stellung zwischen Körper und Vernunft zugesprochen. Die Affektenlehre ermittelte vier Hauptaffekte im Menschen: Freude, Hoffnung, Schmerz und

33 Hohenwallner (2001), S. 65. 34 Der Begriff des >Sträubens< lässt sich im Zusammenhang mit der Beschreibung des Widerstandes im Falle einer Vergewaltigung mindestens bis in die Strafrechtskommentarliteratur des späten 19. Jahrhunderts hinein verfolgen, vgl. u. a. von Schwarze (1873), S. 470. 35 Vgl. Grimm (1854 ff), Bd. 10, 3, Sp. 943. 36 Kluge (1989), S. 177. 37 Vgl. Grimm (1854 ff), Bd. 10, 3, Sp. 950. 38 Vgl. u. a. Panksepp (1998) und Eibl-Eibesfeldt/Sütterlin (1992). 39 Vgl. Grimm (1854 ff.) Bd. 10, 3, Sp. 948. 40 Zur Bedeutung und Funktion der Angst als Reaktion auf den Zustand der Gefahr vgl. Freud (2000), S. 274 f 41 Vgl. Eibl-Eibesfeldt/Sütterlin (1992), S. 62. 42 Meyer-Kalkus (1986), S. 39.

128

Christine Künzel

Furcht - wobei Furcht (timor) sich »auf ein als nicht überwindbar erscheinendes Übel in der Zukunft«43 richtete. In einer Situation, in der eine Frau furchten muss, vergewaltigt zu werden, tritt der performative Doppelaspekt des Furchtaffektes zum Vorschein, der sich einerseits im Schrecken, andererseits in der Abwehr eines potentiellen Gegners äußert44 und im Medium des gesträubten Haars als affektive Geste oder »Affektsymbol«45 quasi >eingefrorengegossen< wirken, resultiert die Bewegungssuggestion allein aus dem Haarglanz, bzw. dem im Haar sich spiegelnden Wechselspiel von Licht von Schatten. Vgl. zu Haar und Bewegung auch Janecke (2003).

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

277

im zeitlichen Abstand mystifizierte und stereotypisierte Ära freisetzen. Die Haare liefern damit eine Zeitspur fur Assoziationen mit Bildern der Vergangenheit, die imaginär auf ein Körperbild oder den Look eines Jahrzehnts zurückfuhren. Dabei muss die mit der Frisur angedeutete Zeit nicht selbst real erlebt worden sein, denn >die Vergangenheit kann heute auch über TV-Serien, Filme, Fotografien oder Musik (deren Wahrnehmung auch immer an Bilder geknüpft ist) erlebt werden. Wichtig ist, dass diese Zeitzeichen entsprechend erkannt werden und die imaginäre Bildverknüpfung anregen. Es sind gerade die Bilder, durch die, wie Gabriele Mentges herausstellt, die Kleidung und damit auch die Körper kodiert werden.25 Die Bildwelt absorbiert und archiviert historische Körperbilder und Gesten und formt damit die konstitutive Grundlage für das Inszenieren und Funktionieren der Retro-Looks. Je nach Bedarf können diese Looks der Vergangenheit selektiert und in eigener Körperinszenierung reanimiert werden. Die Stars der Sechziger Jahre, die Musiker, Schauspieler, Designer und Models wie Mary Quant, Twiggy oder Steve Marriot, bilden heute die entscheidenden Referenzmodelle für die Sixties-Szene. Sie sind die historischen Akteure, die >ihre< Wahrnehmung der Zeit bestimmen, von denen ausgehend sie >ihr< Bild der Sixties formen und nach deren Vorlage sie ihre eigenen Sixties-Looks kreieren.

A U T H E N T I S C H E KOPIEN

Ein guter Haarschnitt erfordert neben der Beherrschung der Schnitttechnik, wie Silvia Mai betont, vor allem auch »künstlerisches Können«.26 Die entstehende Form muss »bereits im Vorstellungsvermögen der Fachkraft existieren«27 Gerade die Gestaltung des Haares nach einer eigentlich vergangenen Frisurenmode kann damit allerdings zu ganz besonderen Schwierigkeiten führen, denn der gewünschte Schnitt oder Stil basiert unter Umständen auf einer Form, die im gegenwärtigen Zeitkontext nicht gefragt und daher auch nicht geübt ist.28 Kunden und Kundinnen, die einen bestimmten historischen Schnitt möchten, haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie ihre Frisur aussehen soll. Sie interessieren sich nicht für eine Typberatung und auch nicht dafür, ob der Friseur oder die Friseurin meint, der Schnitt sei nicht >zeitgemäßmake me look like Mr. X< than it is for you to try to describe his hair.«30 Trotz Absicherung über das Bild muss die fertige Frisur aber nicht völlig die des anvisierten Stars treffen. Abweichungen ergeben sich schon deshalb, weil die Kopien historischer Frisuren oftmals auf Fotografien rekurrieren, die das Haar als eine perfekt inszenierte Skulptur abbilden. Die wirklich getragene Frisur, die ja überhaupt ein ephemeres Gebilde ist, das durch Bewegung und Wachstum der Haare stetiger Veränderung unterliegt, kann einem solchen Vergleich kaum standhalten. Und genauso, wie die Frisuren gegenwärtiger Stars sich nicht identisch nachbilden lassen31 - weil nicht jeder die entsprechenden Voraussetzungen bzw. das für eine bestimmte Frisur notwendige Haar mitbringt -, ergeben sich auch häufig Unterschiede zwischen dem historischen Modell und seiner aktuellen RetroVersion, die dem Einfluss gegenwärtiger Präferenzen geschuldet sind: So werden etwa manche Frisuren weniger aufwendig gestaltet bzw. toupiert als jene der 1960er Jahre, für deren Perfektionierung man meist auf die professionelle Hilfe des Friseurs oder die Fähigkeiten der Freundin angewiesen war (vgl. Abb. 4). Neben langem Haar war der Bob oder Pagenkopf in den 1960er Jahren eine der populärsten Frisuren bei Frauen. In England wurde dieser Look vor allem durch Cathy McGowan, Moderatorin der Fernsehshow Ready Steady Go, verbreitet.32 Angelehnt an den Bob der 1920er Jahre, erhielt die Frisur ihre für die 1960er Jahre typische Form durch das Toupieren des Hinterkopfes, dem oft zusätzlich durch künstliche Haarteile Volumen und dank Haarspray die charakteristische Helmform verliehen wurde. Wie in der Kleidung, so vermittelte sich auch in der Gestaltung der Haare eine deutliche Begeisterung für den technischen Fortschritt, speziell die Raumfahrt. Die Designer Pierre Cardin, Paco Rabanne oder Andre Courreges haben mit ihren Kreationen die Ausstattung der Astronauten in die Mode übersetzt. Ihre Models tragen Ensembles aus Plastik und Metall, ergänzt von kugelför-

29 30 31 32

Hütt (2001). Ebd. Selbst bei den Beatles sieht ein und derselbe Haarschnitt je nach Kopf individuell und d.h. anders aus. Hewitt (2000), S. 62

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

279

4 Toupieren in Teamwork, ca. 1964

migen Hüten, Kappen oder eben Haarhelmen. Selbst die aufwändig und mühevoll gestalteten Hochfrisuren, die häufig als regressiv interpretiert werden,33 stehen im Zeichen der Zukunft, indem sie mithilfe neuester Technik (Haarspray) das >natürliche< Haar in >künstliche< Haarskulpturen verwandeln. Im Rahmen des Retro-Looks werden die Frisuren der 1960er Jahre diesem ursprünglichen Zeitkontext enthoben und in einen gänzlich neuen Zusammenhang gestellt. Dabei fallt allerdings auf dass die an frühere Vorbilder angelehnten Schnitte selten zu der ehemals charakteristischen Helmform fixiert werden. Viele der Frisur-Kopien zeigen einen weicheren, >natürlicheren< Fall, der eher im Einfluss einer aktuellen Idealisierung von natürlichem Haar< zu stehen scheint. Abweichungen vom historischen Vorbild können auch an mangelnden Kenntnissen und Fähigkeiten liegen, das Haar wie in den Sechzigern zu gestalten. Sie können aber auch schlicht mit dem Rohstoff Haar zusammenhängen, dessen tägliche Wäsche mit technisch verfeinerten Pflegeprodukten heute nahezu allgemeine Praxis ist, was dazu fuhrt, das die Haare weicher sind und sich schlechter in solch historische Formen bringen lassen.34 Darüber hinaus kann es aber auch eine bewusste individuelle Entscheidung sein, sich von dem aktuellen Zeitgeschmack nicht gänzlich abgrenzen zu wollen. Am Beispiel der Kunst beschreibt Stephan Waetzold, dass Kopien niemals identische Abbilder liefern, sondern immer ein neues Original hervorbringen. Wie

33 »Although bouffant hairstyles can be interpreted as symbols of servitude, imprisoning the >naturalness< of women, this in itself is a rather essentialist proposition. [...] The bouffant styles were using the best advances in technology hairdressing had to offer and were looking to a Utopian future rather than an austere war-ridden past...« Cox (1999), S. 185-186 34 Cox (1999), S. 181. Noch in den 1960er Jahren war es üblich, das Haar nur einmal wöchentlich zu waschen - häufig durch den Friseur, der im Anschluss auch die Frisur neu legte, die zwischenzeitlich über Nacht mittels Haarnetz geschützt wurde. Vgl. hierzu Mai (1995), S: 135-137.

280

Heike Jenß

eine Kopie ausfällt, ist generationsbedingt: »Weil der Kopist... selbst Glied in der Geschichte ist, notwendigerweise ein >Kind seiner Zeittypisch< für die 1960er Jahre waren.36 Mögen Kostüme und Kulisse auch Oscar-reif recherchiert und rekonstruiert werden, so bleibt im produzierten Bild der Vergangenheit doch stets die Zeit sichtbar, in der es produziert wurde. Dieses Spannungsverhältnis von Gegenwart und inszenierter Vergangenheit im Film zeigt sich am auffälligsten in der Körperdarstellung, wenn die >historischen< Kostüme von Cleopatra mit Abnähern, tiefem Kleidausschnitt und Korsett an das Körperbild der frühen 1960er Jahre angepasst wird. Noch drastischer tritt der Anachronismus in Make-up und Frisur hervor, wenn Taylor als Cleopatra einen Beehive im Stil der Sixties mit einem Make-up kombiniert, das den Akzent auf Augenbetonung mit blassem Lippenstift setzt, statt auf einen mit Henna geschminktem, roten Mund.37 Der Bruch zwischen >Original< und >Kopie< manifestiert sich wohl nirgends deutlicher als am menschlichen Körper. Bei aktuelleren Beispielen, wie den Austin Powers-V\\men, die in und mit den 1960er Jahren spielen, wird es im Vergleich zu dem zeitlich weiter zurückliegenden Film Cleopatra hingegen schwieriger, anachronistische Fehler zu entdecken, selbst wenn die Filme bereits auf den ersten Blick als Remakes der Vergangenheit offensichtlich sind. Dies hat nicht allein damit zu tun, dass die verantwortliche Kostümdesignerin Deena Appels auf eine ganz andere Quellenlage zurückgreifen konnte, weil sie neben originalen Kleidungsstücken auch über originale Fotos und Filme verfügte, die die Vergangenheit anders repräsentieren als antike Münzen oder Skulpturen. Vielmehr liegt es daran, dass sich das im retrospektiven Blick als >zeittypisch< Erscheinende oft nur schwer entdecken lässt, wenn man selbst ein Teil der 35 Waetzold (1979), S. 21. 36 Vgl. zum Kostüm im Historienfilm Meader (1987). 37 Ebd., S. 50

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

281

jeweiligen Zeit ist. Unsere Sicht auf die Vergangenheit ist von der Gegenwart bestimmt, so dass sich Geschichte niemals objektiv betrachten lässt, und das zeigt sich gerade in der Rekonstruktion oder Kopie der Geschichte besonders deutlich, die immer nur eine Interpretation der Vergangenheit sein kann.38 Die Kostüme und das Styling der Schauspieler zeichnen ein illusionistisches Bild der Vergangenheit, indem sie sich auf einzelne markante Elemente der Vergangenheit konzentrieren und diese mit dem aktuellen Zeitgeschmack verschmelzen.39 Historienfilme, die ein breites Publikum ansprechen wollen, müssen das ästhetische Empfinden der Gegenwart ansprechen. Für den Erfolg eines Films ist eine schöne Version der Vergangenheit oft ausschlaggebender als eine >authentisch< erscheinende. Im Vergleich zu teuren Filmproduktionen muss die Sixties-Szene hingegen kein großes Publikum ansprechen. Im Gegenteil, ihre akribisch rekonstruierten Looks richten sich an einen kleinen Zirkel Gleichgesinnter, die auf Authentizität größten Wert legen. Doch trotz dieses Anspruchs wird auch hier selten exakt rekonstruiert. Die Retro-Looks der Sixties-Szene sind, genau wie im Film, Produkt einer Gegenwart, die in der Körperinszenierung sichtbar bleibt und sich zudem besonders in der Auswahl der reproduzierten Looks zeigt: Die Aktualisierung der Vergangenheit erfolgt im Selektionsprozess, der festlegt, welche Stile und Modeformen der Sixties angeeignet, benutzt und auf welche bewusst verzichtet wird. Was die Frisuren betrifft, so entfallt dort häufig zeitaufwendiges Toupieren, man entscheidet sich für langes glattes Haar - einen anderen wichtigen Look der Sixties. Oder es werden bestimmte Kurzhaarschnitte gewählt, die im gegenwärtigen Kontext nicht >unzeitgemäß< wirken, die in der Gesamtinszenierung mit der Kleidung aber dennoch auf eindeutige historische Vorbilder verweisen (Abb. 5 und 6). Jede Generation produziert so ein neues und anderes Bild der Vergangenheit und definiert damit neu, was >ihre Sixties< sind, und so fallen Retro-Versionen eines bestimmten Jahrzehnts je nach der eigenen Zeit der Rückgreifenden anders aus. Entsprechend zeigen die verschiedenen Jugendgenerationen, die sich seit dem ersten Revival in den 1970er Jahren mit den Sixties beschäftigt haben, durchaus unterschiedliche Versionen des Retro-Looks: 40 In den Achtzigern richtete sich der Fokus auf die frühen sechziger Jahre, während heute die Musik und die Mode ab Mitte bis Ende des Jahrzehnts stärker rezipiert werden und zunehmend auch Hippie-Looks einbezogen werden.41 Brüche und Unterscheidungen zwischen dem >Original< und der >Kopie< ergeben sich somit nicht allein aufgrund von Fähigkeiten in der Haargestaltung, son38 Ebd., S. 9 39 Gleiches gilt für das Modedesign. >Historische Akkuratheit< ist meist nicht das vorrangige Ziel von Designs im Retro-Look. Vielmehr werden historische Formen oft über neue Materialien und vor allem in neuer Kombination und mit einem aktuellen Styling transfomiert. 40 Vgl. die Abbildung von Mods der 1980er Jahre bei Jones (1992), S. 51. 41 Jenß (2001)

282

5

Sixties-Stylistin, Köln 2001.

Heike Jenß

6 Twiggy, ca. 1967

dem auch aufgrund der Tatsache, dass die ausgewählten Vorbilder die Vergangenheit bereits als ein gefiltertes Bild vermitteln, das innerhalb der vergangenen vierzig Jahre mehrfach in Mode oder Film aktualisiert und damit zusätzlich überformt wurde. In ihrer Gesamtheit präsentiert die Sixties-Szene so ein vielseitiges Bild des Bezugszeitraums, das sich wie ein Mosaik aus den verschiedenen Stilen und Elementen, die das Jahrzehnt hervorgebracht hat, zusammenfügt. Ahnlich den Austin Powers-Filmen, ergeben sich Brüche mit dem historischen Vorbild für unser Auge weniger in erkennbaren stilistischen Anachronismen, als vielmehr in der dichten Konzentration auf die Supermoden und stereotypen Looks der Zeit. Durch die gleichzeitige Eliminierung der >normalen< Moden erscheinen die 1960er Jahre weniger in einem >realistischen< Bild, als eher in einer Hyperversion. Die RetroAusführung wirkt damit beinahe authentischer als das Original, da sie die Images, die sich über die Popkultur festgesetzt haben, verifiziert. Die vermeintlichen Unterschiede zwischen Original und Kopie werden damit zu einer Frage der Wahrnehmung. Denn wer kann entscheiden, ob ein Retro-Look >authentisch sixties< aussieht, wenn es schon ein Problem darstellt, das >tatsächliche< Aussehen der Sixties zu bestimmen oder inwiefern überhaupt ein historisches

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

283

Objekt authentisch ist?42 Der Retro-Look ist - nicht anders als unsere Sicht darauf - geprägt von der gegenwärtigen Wahrnehmung und von unserer Interpretation. Deshalb ist nicht nur der Kopist ein »Kind seiner Zeit«, sondern auch jeder Betrachter der Kopie.

K O R P O R A L E A N E I G N U N G DER SIXTIES

Beispiele für die Nachahmung historischer Moden lassen sich weit in die Bekleidungsgeschichte zurückverfolgen.43 Die Rezeption der Antike um 1800, angeregt durch die archäologischen Funde von Pompeji und Herculaneum im Jahre 1738, ist vielleicht eines der prominentesten früheren Beispiele.44 Jacques Louis Davids Porträts der führenden Damen der Gesellschaft zeigen, wie der weibliche Körper, gekleidet in der leichten Chemisenmode >ä la grequeZeichen einer Zeit< aufweisen. Der Retro-Look entsteht durch Rückblicke auf die Modegeschichte und visualisiert schließlich selbst mit dem Körper >RückblickeDynamikder Sixties< verdichtet, die noch Jahrzehnte später auf jugendliche im doppelten Sinne >anziehend< wirken. Für die Sixties-Szene ermöglichen vergangene Bekleidungs- und Frisurenmoden - im Sinne eines historischen Referenzsystems - einen leiblich erfahrbaren Austausch mit der idealisierten Dekade. Uber die Schnittkonstruktion historischer Frisuren und Kleidungsstücke kann der aktuelle Körper vergangenen Körperbildern nachspüren. Retro-Looks eröffnen hier einen Zugang zum historischen Kontext und eine Berührung mit historischen Bedeutungen eines Stils, aber sie zielen nicht zwangsläufig auf deren Rekonstruktion. Gabriele Mentges definiert die Mode schließlich als ein komplexes kulturelles Handlungsfeld, in dem »die jeweiligen Gestaltungen und Bedeutungen nicht vorgeschrieben, sondern von den historischen Akteur/innen immer wieder aufs Neue verhandelt werden«49 - und dies geschieht hier in dem gesamten Prozess der Inblicknahme und Auswahl historischer Moden und über den Transfer in einen neuen kulturellen Zusammenhang. Die Art, wie wir uns kleiden, ist damit Teil eines aktiven Prozesses, über den wir Körper und Selbst konstruieren und repräsentieren. Dabei muss das >Kleiden< im Sinne von JennifFer Craik als elaborierte Körpertechnik verstanden werden,50 die die gesamte Ausgestaltung des Körpers, also auch die Gestaltung des >Haarkleides< meint. Erst durch diese Praktiken wird der Körper überhaupt kulturell sichtbar gemacht und verortet.51 Die Kleidung ist dabei sicher das wichtigste externe Darstellungsmittel der Körperinszenierung. In der schmalen Linie der frühen 1960er Jahre modelliert sie den Körper nach dem Körperbild der Vergangenheit. Während

48 Vgl. hierzu etwa Kapitel wie »Das >junge< 20. Jahrhundert« in: Jedding-Gesterling/Brutschner (1988), oder »Youthquake« in: Steele (1997). 49 Mentges (2001), S. 11 50 Vgl. Craik (1994), S. 1-16 51 Silverman (1994), S. 189

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

285

sich alte Kleider allerdings ablegen lassen, bedeutet die Gestaltung der Frisur durch einen historischen oder historisierenden Haarschnitt einen unmittelbar körperlichen Eingriff Denn der Körper bringt das Haar als Rohstoff der Selbstdarstellung mit. Zwar sind die Haare der am einfachsten modellierbare Teil des Körpers52 wenn es dazu auch meist gewisser Fachleute bedarf und die Veränderbarkeit des Haares Grenzen kennt -, aber der einmal gewählte (oder als Kompromiß resultierende) Haarschnitt begeleitet uns dauerhafter als die Kleidung. Die Haupt-Haare als krönender Abschluß der Erscheinung,53 als Rahmung des Gesichts, des prominentesten Symbols des Selbst54, haben fiir die Konstruktion und Repräsentation von Identität enorme Bedeutung. So kommt der Frisur in der Gesamtinszenierung des Retro-Looks auch eine Schlüsselrolle zu. Der historische Zuschnitt des Haares modifiziert den Körper nach dem Bild der Vergangenheit, er vervollständigt den Retro-Look, lässt ihn >echt< oder >richtig sixties< erscheinen. Die Inszenierungspraktiken zielen auf die Darstellung eines akribisch und detailgenau recherchierten Looks der Vergangenheit, der als ein Ausweis (sub-)kulturellen Kapitals anzusehen ist.55 Die >originalgetreue< Inszenierung des Sixties-Looks mittels echter, historischer Bekleidungsstücke in Kombination mit >authentischem< Sixties-Styling ermöglicht so auch eine deutliche Distinktion gegenüber den massenproduzierten Retro-Looks der Modeindustrie, die häufig als »schlechte Kopien« bewertet werden.56 In ihrer Idealisierung von Authentizität knüpfen die Sixties-Stylisten an den im 19. Jahrhundert geführten Diskurs um Originalität an. Mit den neuen Möglichkeiten des Vervielfaltigens, der seriellen Produktion und mechanischen Reproduktion, die ein Phänomen wie Retro erst möglich machten und zu dem von Walter Benjamin diskutierten Verlust der Aura führten, wurde Authentizität zum Dogma,57 das nicht allein auf Dinge, sondern auch auf die Vorstellung eines >wahren, natürlichen Selbst< bezogen wurde.58

52 Burkart (2000), S. 62 53 Im Zuge einer dem Denken sich aufdrängenden Körpermetaphorik konzediert Burkart dem Haupthaar gar die »Krönung des Menschen« (ebd.). 54 Synnott (1993), S. 73 55 Der Begriff des Kulturellen Kapitals meint das angeeignete Wissen, Bildung sowie erworbene Verhaltensformen und nicht zuletzt Kulturgüter. Vgl. Bourdieu (1983,1982). Sarah Thornton spricht im Kontext von Jugendkulturen von subkulturellem Kapital: »Just as books and paintings display cultural capital in the family home, so subcultural capital is objectified in the form of fashionable haircuts and well assembled record collections.« Thornton (1995), S. 11. 56 Vgl. Jenß (2001), S. 221. Zuletzt hat der Stil der Sixties, auch unter dem Label >ModAuthentizität< keinesfalls ein eindeutiger und feststehender Begriff, sondern ein Konstrukt, das in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten jeweils andere Bedeutungen hat.61 Gerade in Retro-Szenen, die sich selbstbewusst und selbstreferentiell auf die Geschichte der Jugend- und Popkultur beziehen, ist Authentizität ein Ideal. Die Aneignung authentischer Dinge wie z.B. Secondhand-Kleidung, die Recherche und Rekonstruktion historischer Frisuren sprich: die >authentische Inszenierung< des Retro-Looks - sichern das Gefühl der eigenen Authentizität und Glaubwürdigkeit. Hier gehen Identitätskonstruktion, Körper und Dingkultur eine authentizitätsstiftende Allianz ein. Aber die Darstellung des Sixties-Stils - nicht allein mit den Dingen der Vergangenheit, sondern mit Haut und Haar - ermöglicht auch die körperliche Aneignung, und zwar wenigestens einiger Momente der imaginierten Zeit. Kleidung und Frisur eröffnen im o.g. Sinne des Spiels einen leiblich erfahrbaren Zugang zur retrospektiv imaginierten Geschichte. Das >Anziehen der Vergangenheit eröffnet einen Raum für ein fiktives Hineinversetzen in den Bezugszeitraum, wobei der eigene Körper zum unmittelbaren Austragungsort wird. Gleichzeitig integriert diese Selbstdarstellung im historischen Look die Einzelnen in eine Gruppe Gleichgesinnter, mit denen sie ihr Interesse teilen und ein gemeinsames Thema kommunizieren und festigen können. Kleidung und Körpergestaltung, sowie die historisierende Gestaltung von Events und persönlichem Wohnraum, ermöglichen dabei eine persönliche und zugleich kollektive Reise in eine idealisierte, jedoch deshalb nicht unbedingt zurückersehnte Vergangenheit. Tatsächlich in der Vergangenheit leben möchte keiner der Befragten - wenigstens nicht ohne die Annehmlichkeiten der Gegenwart.62 Schließlich findet die Reproduktion des vergangenen Stils auch auf der Basis moderner Technologie statt, etwa wenn historische Kleider über Internet-Auktionen ersteigert werden können und moderne Kommunikationstechnologien überhaupt die internationale Vernetzung der Szene unterstützen. Hinter den geschilderten Bemühungen steht also weniger eine nostalgische Sehnsucht nach einem besseren Gestern, sondern aus der Vielfalt der Stile - bereitgehalten in Bildwelt und materieller Kultur - wird bewusst das ausgewählt, was am Besten gefallt. Der Fokus auf den Konsum des Alten und Gebrauchten und das damit einhergehende Ausbilden ganz spezieller Kenntnisse - z.B. der Stoffe,

59 Jones (1992), S. 7 60 Schwarz (2000), S. 219 61 Michel Pastoureau in Jones (1992), S. 7. 62 Vgl. dazu Jenß (2001), S. 230

Frisur-Kopien: Haare im Retroschnitt

287

Schnittformen, des Make-up und der Frisurentechniken der Sixties die zur originalgetreuen Inszenierung notwendig sind, sichern die eigene Verortung und das Distinktionsgefiihl gegenüber >anderendie Sixties< sind, bzw. wie sie in der Retro-Version aussehen, wird zuletzt von den jeweils aktuellen Sixties-Stylisten entschieden. Deshalb sind die heutigen Sixties-Looks, die Haare im RetroSchnitt, nie eine Kopie im Sinne eines identischen Abbilds, denn sie werden von einem aktuellen menschlichen Körper in einen anderen zeitlichen Kontext gestellt, der die Sixties damit zu etwas Neuem macht.

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Heike Jenß

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ABBILDUNGSNACHWEIS

1 Sixties-Stylisten, Mod-Weekender in Unkel am Rhein 2000. Foto: Nicole Glodeck 2 Vidal Sassoon schneidet Mary Quant den Five-Point-Cut, 1964. Foto in Lehnert, Gertrud (2001). Geschichte der Mode im 20. Jahrhundert. Köln. S. 57, u. (ohne Bildnachweis)

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Heike Jenß

3 Toupieren in Teamwork, ca. 1964. Foto in Joshua Sims. RockFashion. London 1999. S. 187 (ohne Bildnachweis) 4 Schallplattencover Beatlerama der Gruppe The Manchesters, Diplomat Records, (o.J.), ca. 1965 5 Sixties-Stylistin, Köln 2001. Foto: Heike Jenß 6 Twiggy, (o.J.), ca. 1967. Foto: Roger Viollet, In: Seeling, Charlotte (1999): Mode. Das Jahrhundert der Designer 1900-1999. Köln. S. 394.

Petra Leutner

O B E R F L Ä C H E N MIT KÖRPER: H A U T U N D F R I S U R IN D E N M I N I L O O K S 2003

Einen theoretischen Text über aktuelle Moderichtungen zu schreiben, gleicht einem Wettlauf zwischen Hase und Igel: Die Mode ist längst schon wieder zu neuen Trends unterwegs, bis die Theorie das ins Visier genommene Detail reflektierend erreichen konnte. Mein Aufsatz beschäftigt sich dennoch mit der Frage, wie Haut und Frisur in der Minimode 2003 in Szene gesetzt worden sind. Die durchaus anschauliche Thematik kann so um einige Überlegungen allgemeiner Natur bereichert werden. Gegenstand ist die Körperoberfläche als Schauplatz der Mode - als ein Schauplatz, der die Alltagswahrnehmung beschäftigt und der in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten auf spezifische Weise zur Geltung kommt. Ein exemplarischer Kontext in diesem Sinne ist die Präsentation in Modezeitschriften, auf den entsprechenden Fotos und in den dazugehörigen Kommentaren. Die Bilder stellen der optischen Wahrnehmung bekleidete und gestylte Körper vor. Die Texte wiederum enthüllen in zweierlei Hinsicht etwas, das sich vordergründig der Sichtbarkeit entzieht: Sie können erstens erläutern, wie ein Kleid in einer Perspektive aussieht, die das Bild nicht zur Darstellung bringt, also etwa von hinten, und zweitens ordnen sie die Kleidungsstücke ein oder schreiben den Fotos Bedeutungen zu. Ein anderer Kontext ist das Tragen von Kleidung und Frisur in der Lebenspraxis sozialer Akteurinnen, also jenseits der Präsentation virtueller Situationen für den Fotografen oder des Catwalks auf dem Laufsteg. Roland Barthes hat die genannten drei Ebenen als getrennte >Strukturen< bezeichnet, in denen sich die Mode manifestiere.1 Die ersten beiden Ebenen umfassen das, was in der Modetheorie als Fashion bezeichnet wird, die letztere meint die getragene Mode, also den Bereich des Dress. Man könnte natürlich noch weitere Untergruppen bilden: Modenschauen, Präsentationen in Schaufenstern oder Warenhäusern, Kostümierung in Filmen usw. Die Thematik der Körperoberfläche spielt eine wichtige Rolle auf sämtlichen der von Barthes unterschiedenen drei Ebenen, die deshalb in unserer Untersuchung auftauchen werden; im Zentrum steht jedoch das Verhältnis zwischen präsentierter und getragener Mode. Der Begriff der Oberfläche ist in mehrfacher Hinsicht wichtig. Die ideologiekritisch als vornehmlich kommerzielles und fremdbestimmtes Phänomen aufgefasste Modeinszenierung soll nämlich eingerückt werden in einen wahrnehmungstheore1 Barthes (1985), S. 13-17.

292

Petra Leutner

tischen Rahmen. Dazu müssen allerdings die Begriffe und Theoreme überhaupt erst entwickelt werden. Gerade hier möchte ich den Begriff der Oberfläche als möglichen Ansatzpunkt vorschlagen; im visuell und gegebenenfalls taktil erfahrbaren Bereich von Oberflächen überschneiden sich nämlich die Momente von Inszenierung und Wahrnehmung, beide spielen in der Mode eine wichtige Rolle. Auf der Oberfläche wird zudem mit sinnlich wahrnehmbaren Bedeutungen gespielt, die in Texten expliziert werden können oder auf die man auch direkt, durch ein spezifisches Verhalten reagieren kann, zum Beispiel durch Kopie, Transformation oder Variation. Gestaltung und Wahrnehmung korrespondieren dabei einander wie in der Bildenden Kunst.

KLEID U N D FRISUR ALS O B E R F L Ä C H E N

Der Kulturphilosoph Georg Simmel brachte die Thematik der Oberfläche auf überzeugende Art mit der Mode in Zusammenhang. Er bezeichnete die Mode als eine Maske.2 Sie umfasst für ihn Kleidung wie Frisur. Er schreibt, diese Maske erlaube dem und der Einzelnen teilzuhaben an der Konformität sozialer Gruppen, sie verbinde sie mit der Menge durch die von anderen festgelegte Art der Kultivierung des Äußeren. Alle gemeinsam folgen so mimetisch den Vorgaben von Geschmacksspezialisten, Designern oder Künstlern und bleiben aufgehoben in einem Rahmen, der Sicherheit verleiht. Partiell könne man sich auch von anderen durch Exklusivität oder Extravaganz abheben, aber unter jener Maske sei es möglich, so Simmel, bei sozialer Integration >innere Freiheit< zu wahren.3 Man sollte Frisur und Kleidung also nicht vorschnell als expressives Verhalten und spezifischen Ausdruck der Person, die sie zur Schau stellt, deuten, und eben nicht nur als Symbol, das für etwas anderes steht. Auch der Vorbehalt, es handle sich nur um ein von außen geleitetes Verhalten, um Manipulation der Menge zugunsten wirtschaftlichen Profits für die Modeindustrie, führt nicht weiter. Die Maske muss vielmehr - aus welchen Gründen auch immer sie getragen und ausgestellt wird - als eigene Größe ernstgenommen werden. Die Maske ernstnehmen heißt aber wiederum, den Begriff der Oberfläche ins Blickfeld zu rücken. Die visuellen, haptischen und olfaktorischen Empfindungen, die entstehen oder zumindest als Vorstellungen von optischen Reizen ausgelöst werden können, sind dann nicht auf symbolische oder expressive Funktionen, auf Signifikate, reduzierbar. Der Signifikant als vielschichtig verwobene Textur, in diesem Fall als gestaltetes Haar und als

2 3

Simmel (1986), S. 197. Simmel (1986), S. 181 u. 197.

Oberflächen mit Körper: Haut und Frisur in den Minilooks 2003

293

>TextOberflächen ohne KörperModemaske< betrachten, die aus Frisur und Kleid ein Ganzes bildet, so gehorcht zumindest das Kleid der Logik des Abdrucks, nämlich im Sinne des Zur-Darstellung-Bringens einer Spur des Körpers, solange das Kleid getragen wird; für diese Zeit entsteht also eine stillgestellte Geste des Abdrucks. Der Blick wird metonymisch verschoben von der Haut auf das Kleid, dieses zeichnet aber die Konturen des Körpers nach. Es läßt den Körper erahnen und bleibt als temporäre Prägung mit ihm taktil verbunden. Eine neue Oberfläche konturiert sich, die nur im Kontakt mit der alten bestehen bleibt und lediglich von seiner Außenseite betrachtet werden kann. Das Kleidungsstück, das zum temporären Träger des Abdrucks wird, kann diesen aufgrund seiner geschmeidigen Stofflichkeit nicht auf Dauer stellen. Das ausgezogene Kleid fallt - mehr oder weniger schnell - in sich zusammen.10 Das Kleidungsstück kann also im Gegensatz etwa zu einer Totenmaske aus erstarrtem Material den Abdruck nicht konservieren; kein mechanisches Resultat entsteht, keine dauerhafte Markierung wie vielleicht bei einer mittelalterlichen Rüstung bleibt übrig. Die spezifische Transitorik und Unselbständigkeit des Kleiderabdrucks weist über die noch von einer Metaphysik der Präsenz geprägte Vorstellung des Abdrucks als eines dauerhaften Werks, an der Didi-Huberman in seinem Buch festhält11, hinaus. Der Kleiderabdruck ist ein flüchtiges Phänomen und zeichnet sich durch den Wechsel von Anwesenheit und Abwesenheit aus - ein Merkmal, das man in der Geschichte der Metaphysik der sinnlichen Welt insge8 Ebd. S. 14. 9 Vgl. zur der Performance Guilleminots die Ausführungen von E. Bronfen (1998), S. 26-31. 10 Vgl. dazu etwa die Fotografie eines ausgezogenen Arbeitsanzugs aus PVC: »Fuse Secondskin«, Jumpsuit, PVC, von Yves Behar (Industrie) und Angelita Tadeo (Mode), San Francisco 1997, in: Lupton (2002), S. 114. 11 Didi-Huberman hebt eigens hervor, der Abdruck müsse in einer »dauerhaften Markierung« enden. Vgl. Didi-Huberman (1999), S. 14.

296

Petra Leutner

1

Η

Minilook 2003

samt zuschrieb und das als Vorwand fur

deren Abwertung diente, um sie gegen die ideale, ungebrochene Präsenz des Geistigen auszuspielen. Übrigens findet sich als Folge des Tragens von Kleidern und als möglicherweise etwas haltbarere, aber ebenfalls temporäre Spur oft noch ein Abdruck eingeprägt in die Haut, zum Beispiel von einer Naht oder einem Reißverschluss.12 Wenden wir uns nun der neuen Minimode zu. Das Minikleid 2003 exponiert sich besonders auffallig als zweite Haut, zum einen durch abdruckff artiges Nachzeichnen der KörperkontuΙ τ Ι ren und zum anderen durch NachahJJ mung, durch Wiederholung der Haut, indem weiche, durchscheinende Stoffe gewählt werden und zuweilen die Silhouette durch herabhängende hautarti12 Auch das wurde zu einem künstlerischen Motiv, zum Beispiel: »Reißverschluss. Zipper Mark«, Elige nor Stücke überzeichnet wird. Von Fendi wurden im Frühjahr 2003 Kleider präsenCarucci, New York 1999, abgebildet in: Lupton (2002), S. 177. tiert, bei denen die Ärmel wie Hautfetzen die Arme verlängerten. Ahnliches konnte man auch bei anderen Modeschöpfern sehen. Das Nachzeichnen der Körperkonturen greift wiederum sehr deutlich der sogenannte Lingerie-Look auf, der schon seit längerem im Trend liegt. Durch die kurze Rocklänge, große Ausschnitte und Textilaussparungen gen Betonung vor Mary mehrere Doch FormFrauen, Inallem Stoffen der nun Quant und ein Saisons kultisch natürlich tritt der Körpereindruck Zeichen auf abdie Silhouette der Ende sich gefeierten für der werden Körperoberfläche wachsenden den der haltenden Beine, durchaus Mini fünfziger propagiert. großflächige Minimode hinzu. spezifische Selbstbewusstseins. Chiffonauch Jahre gegenübergestellt Die der Hautpartien schon Inszenierung in und Beine 1960er London bei Seidenstoffe zuJahre anderen Die zeigen den ihre großflächiger (Abb. Boutique wurde dünnen, Kleider war Rocklängen haben 1).ein Die »Bazaar«, oft verkaufte, Aufbruch ganz die Hautpartien, bereits durchsichtiauffällige anderer gezeigt. inüber und der

Oberflächen mit Körper: Haut und Frisur in den Minilooks 2003

297

2 Mary Quant im Minikleid

andere Läden auf der King's Road wie die Boutique »Biba« wurden in den Sechzigern zu Kultstätten der jungen Mode. Allerdings orientierte sich der Minilook sehr deutlich an einer Geometrisierung der Körperoberfläche und realisierte die körperferne Formwerdung des Kleids. Die Schnitte folgten klaren Linien und Einteilungen. Die Kleider waren nicht eng anliegend, sondern freischwingend. Ludwig Wagner schreibt über die damalige Minimode: »Alles wirkt optisch klar definiert Stoff oder Haut. Der Mini ist keine zweideutige Verlockung, sondern prägnantes Statement. Er sagt ja oder nein und nicht vielleicht. Er rückt den weiblichen Schoß ins Zentrum - und beschützt ihn.«13 Die geometrischen Muster, die in Yves Saint-Laurents berühmten Mondrian-Kleidern gipfelten, wurden kombiniert mit klar geschnittenen Kurzhaarfrisuren, etwa dem Five-Point-Cut von Vidal Sassoon. Er und Andre Courreges, der mit Mary Quant um die Erfindung des Minirocks konkurriert, entwarfen Haarschnitte, die die Miniröcke begleiten konnten. Der von Mary Quant verkörperten jugendlichen Aufbruchsstimmung konvenierten die leichten, unkompliziert zu tragenden Kurzhaarfrisuren, die so wie die neuen Miniröcke von den Frauen als Befreiung empfunden wurden (Abb. 2). Wir hatten festgehalten, dass die Frisur im Vergleich zum Kleid keine Hülle bildet; sie ist kein Abdruck, sondern eine freie plastische Form. Sie funktioniert überdies eher metaphorisch als metonymisch. Wenn man bedenkt, daß die Metonymie dem Erzählen, die Metapher der Dichtkunst zugeordnet wird, so könnte man sagen, das

13 Wagner (2003), Vogue 1, S. 44.

298

Petra Leutner

3 »First Emotion«, Coifflrst für Wella, Foto: Jules Egger

Kleid erzählt vom Körper, die Frisur dichtet ihn. Die Metonymie basiert auf der Operation einer Ersetzung durch Verschiebung; Roman Jakobson nennt deshalb Metonymien »angrenzende Widerspiegelungen«. 14 Das metonymische Kleid< lenkt den Blick um und lagert dem Körper neue visuelle Reize, Lesarten, Bedeutungen über den Weg sinnlicher und geistiger Berührungsfunktionen an. Die Metapher dagegen beruht auf einer anderen Logik. Die Assoziation vollzieht in ihr die Bewegung einer Substitution durch Verdichtung. In der Wahl und Realisierung von Gestaltungsoptionen variiert und verdichtet der Träger bzw. die Trägerin einer Frisur die gegebenen körperlichen Voraussetzungen und verändert sie tatsächlich. Die Frisur überformt das Haar und transformiert den Körper nach Maßgabe frei imaginierter Bilder. Gerade die auffallende virtuelle Möglichkeit zu solcher metaphorischer Verdichtung trägt übrigens unter anderem dazu bei, daß dem Haar in unterschiedlichsten Kontexten symbolische Bedeutungen zugeschrieben werden können. In der früheren Minimode unterstützten die Haarschnitte von Sassoon und Courreges durch das Hervorheben der autonomen Formgebung die Geometrisierung des Körpers, die auch das Kleid betonte. In den typischen Beispielen der diesjährigen Minimode wird die Frisur dagegen als optische Silhouette inszeniert, die zumeist eng an den Körperkonturen verläuft und vor allem die Naturinszenierung der Haut unterstreicht. Die in der Regel langen Haare fallen wie unfrisiert und sind entweder zipfelig geschnitten oder so, dass sie wie ungeschnitten aussehen, der Schnitt herausgewachsen wirkt, und zuweilen gibt es unterschiedliche Haarlängen in einer Frisur (Abb. 3). Die gewollte Unregelmäßigkeit und Asymmetrie kann zusätzlich unterstützt werden durch changierende Nuancen eines Farbtons. Eine solche Frisur hat Vidal Sassoon für den Sommer 2003 vorgestellt.15 Im Gegensatz zur früheren Minimode 14 Jakobson (1979), S. 199. 15 Zum Beispiel auf der Titelseite von Top Hair Business 6 (2003).

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werden die Haare also möglichst so gestylt, dass sie eine Leidenschaftsfiktion oder eine Naturanmutung hervorrufen können. Die Langhaarmähne, als sei sie ungebürstet und ungekämmt, wird in unzähligen Variationen präsentiert. Kunstvolle Schnitte, Accessoires und Drapierungen sind notwendig, um am Ende ihr Gegenteil, nämlich Unregelmäßigkeit und natürlichen Wuchs nahezulegen. Locken können einfach offen getragen werden. Die Haare sollen lang und ungeformt oder in verschiedenen Längen zumindest zipfelig sein, das Gesicht und das Dekollete umrahmend wie natürlich gewachsen, wie Blumen oder wildes Gras am Zaun.

SCHAUPLATZ HAUT

Die Minimode hieße nicht >MinimodeModeschock< aufgefasst oder zumindest propagiert. Die Zeitschrift »Vogue« führte eine »Minidebatte«, in der Designerinnen, Boutiquenbesitzerinnen und prominente Modefans ihre Meinung äußerten, denn die Kleider waren so kurz wie noch nie.16 Viele Frauen fragten sich, was passiere, wenn sie sich in einem Kleid dieser Länge hinsetzten. Von einigen Modellen mussten die Modeschöpfer fur den Verkauf in Boutiquen eine zweite, einige Zentimeter längere Version bereitstellen. Haut war immer schon Teil der Kleidermaske, klassisch natürlich in der Darbietung durch das Dekollete, das Haut akzentuieren und gestalten konnte. Doch in der Mini-Mode 2003 ist die Körperoberfläche, die die Kleider normalerweise mit der Haut zusammen bilden, nahezu deckungsgleich geworden mit der Haut selbst. Hinzu kommt, dass die Kleider oft durchsichtig sind. J.C. Flügel schrieb, der frühkindliche Wunsch nach Exhibitionismus sei bei uns im Sinne einer Kulturleistung auf das Kleid übertragen worden.17 Wie die Schamgrenze früher in unserer Kultur verlief, wird offenbar, wenn man bedenkt, dass das Wort >Bein< lange Zeit nicht einmal ausgesprochen werden durfte. In der aktuellen Mode scheint der Exhibitionismus sich wieder auf die Haut zu beziehen, und zwar im Alltag, nicht etwa im Zusammenhang mit pornographischer Darstellung. Nackte Haut wird allenthalben gezeigt. Drei sehr unterschiedliche Ausprägungen machten dies im Frühjahr 2003 deutlich: Jil Sander führte Minikleider aus blickdichten Stoffen, aber mit musterartigen Stoffaussparungen vor, Dior weit geöffnete Blusen oder durchsichtige Oberteile mit in der Länge verstellbaren Miniröcken aus Leder, Stella McCartney Oberteile aus vollkommen transparenten Stoffen. In allen Frühjahrskollektionen waren solche oder ähnliche Präsentationen der Haut zu finden.

16 Vogue 1,2003, S. 136-139. 17 Flügel (1986), S. 213 u. 235 f.

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Wird durch die selbstbewusste Darbietung der ersten als zweiter Haut nun in Bezug auf die Körpermaske etwas verändert? Tatsächlich wird die Haut, j e stärker sie entblößt ist, desto mehr selbst zur zweiten Haut, zum Kleid. Wenn wir die kaum oder transparent bedeckten Körperoberflächen anschauen, sehen wir nicht einfach Nacktheit, sondern Haut gibt sich aus und maskiert sich als Kleid. Die nackte Brust wird - wie der nackte Rücken in Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider« zum Pullover. Die Models sind angezogen, wenn sie nackte Haut zeigen, das wilde, ungekämmt wirkende Haar gibt sich als Frisur. Die Kleidung wiederum bezieht Haut in ihre Muster ein, nähert sich der gestalteten Haut. Die Körperoberfläche ist nackt und angezogen zugleich. Ein paradoxer Effekt stellt sich dabei ein: J e mehr der Minilook, der durchsichtige Stoff und das tiefe Dekollete in die Mode integriert werden, desto mehr verlieren sie von ihrem erotischen Appeal. Im Gegensatz dazu steht etwa die Selbstinszenierung einer Prostituierten: Ein kurzer weißer Lackrock mit hohen Stiefeln dient in diesem Fall dazu, den Appeal der Haut tatsächlich erotisch einzusetzen. In der Mode wird er dagegen nivelliert. Eine Frau kann in einem durchsichtigen Kleid in der Oper stehen - und niemand wird ausrufen: Die Kaiserin ist j a nackt. 18 Haut und Haar werden zu artifiziellen Elementen, die Natur oder Eros darstellen, aber nicht mehr sind. Die Haut ist Darstellung der Haut, Metonymie ihrer selbst. Nacktheit wird zum Kleid. Wenn wir mehr Haut sehen, wird die Kleidung also nicht erotischer, selbst wenn die Oberfläche mit Körper nahezu die Körperoberfläche selbst zur Darstellung bringt. Der Effekt verhält sich analog zu einem Phänomen, das Michel Foucault im ersten Band von »Sexualität und Wahrheit« beschreibt: Mögen auch die Diskurse über Sexualität so offen und zahlreich geworden sein wie nie zuvor, ihre Funktion liegt nicht darin, das Leben erotischer zu machen. 19 Die scientia sexualis trete sogar, so Foucault, in unserer Kultur an die Stelle einer ars erotica.20 Die Diskursivierung des Sex ist also nicht gleichbedeutend mit einer Sexualisierung des Lebens. Jene Art der Hautinszenierung wiederum mag zwar die öffentliche Entblößung des Körpers vorantreiben, doch heißt das nicht unbedingt, dass eine Sexualisierung der Bilder oder der Wirklichkeit stattfände. So steigert sich die Haut- und Haarexposition in der aktuellen Werbung des Modekonzerns Gucci in ungeahnte Dimensionen und bleibt doch stilisiert und merkwürdig keusch: Als Kleidungsstück trägt das Model das Gucci-Signe, den Buchstaben G, der den weib-

18 Damit soll natürlich nicht unterstellt werden, die Haut von Frauen werde nicht auch in besonderer Weise als erotisches Objekt klassifiziert. Die erotische Bedeutung der weiblichen Haut offenbart sich beispielsweise darin, daß der gehäutete weibliche Körper immer schon tabuisiert war und einer Abtötung des auf ihn gerichteten Begehrens gleichkommt. Vgl. zu dieser Problematik: Benthien (1999), S. 101 ff. 19 Das zu zeigen, ist ein zentrales Anliegen des mehrbändigen Buchprojekts; hier beispielsweise: Foucault (1977), S. 97-100. 20 Ebd., S. 87.

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liehen Schoß als Schamhaarfrisur beschriftet. Das zum Buchstaben gestaltete, gefärbte Schamhaar wird vorgeführt als (einziges) Kleid. Das veränderte Verständnis der Haut findet durchaus auch direkt Eingang in die Modepräsentation. In einer Werbung von Chanel wird die weit entblößte Brust des Models, also der Körper selbst gestaltet, die Haut hat eine gewellte, narbenartige Struktur, sie ist gleichsam ein Stück plastisch gestalteter Stoff! Auch wenn vermutlich nur die Bearbeitung des Fotos diesen visuellen Effekt hervorruft und nicht die Haut selbst verändert wurde, so greift die Darstellung doch das Motiv der Haut als Gestaltungsraum und als Kleid auf?1 Auch die Kosmetikindustrie reagiert natürlich auf die Kleidwerdung der Haut und entwickelt neue Sorten von Liftingkosmetika und -methoden, die die Haut präsentabel und manipulierbar machen sollen. Die Zeitschrift »Vogue« stellte solche Methoden vor unter der vielsagenden Uberschrift: »Eine (fast) natürliche Frau«.22 Im Bereich der Bildenden Kunst hat die Künstlerin Alba D'Urbano sich in einer überzeugenden Arbeit mit dem Titel »II Sarto Immortale (The Immortal Tailor)« der Thematik angenommen: Sie näht Kleider mit Aufdrucken von Fotos der Haut, der Körper wird bedeckt mit lebensgroßen Bildern seiner nackten Oberfläche. Die Künstlerin weist so indirekt auf die neue Rolle der Haut hin (Abb. 4). Zu einem Kleid geschneidert, wirkt die Haut erstaunlicherweise besonders nackt.23 Die hier dargestellte Entwicklung der Zurschaustellung von Haut führt zu der Einsicht, daß die Gestaltung der Haare Vorreiterin der Gestaltung der Haut ist. Das Haar ist von allen Körperoberflächen am deutlichsten immer schon Maske, schier unendlich gestaltbar. Das gebleichte und gefärbte Haar, das toupierte Haar, das kurze Haar, die Haarverlängerung usw. sind Beispiele dafür. Die Strapazierfahigkeit, Regenerierbarkeit und relative Gefühllosigkeit der Haare ermöglichen diese Variationen. Das Haar im allgemeinen und seine unbegrenzte Frisierbarkeit werden also in dieser Hinsicht zum Modell für die Haut. Dabei führen die aktuellen Frisuren und Haarstylings eine Fiktion von Natur vor und treten in ein besonderes Verhältnis zur Haut. Zu den großen, freien oder durchscheinenden Hautflächen passen offen getragene Haare und unregelmäßig geschnittene Frisuren, die an Strandmode erinnern. Die wild gebürsteten oder seitlich toupierten LanghaarFrisuren erfahren optische Weiterführungen in herabhängenden nackten Armen, wobei die Hände wiederum bereits die Rocksäume und damit die nackten Beine berühren. Oder die langen Haare legen sich auf die Haut der nackten Dekolletes und gestalten wie ein Kleidungsstück die freien Hautpartien. Ins Gesicht fallende 21 Eine Abbildung der Chanel-Werbung bei: Lupton, (2002), S. 92. 22 Stahl (2003), Vogue 4, S. 271-275. 23 Es gibt weitere Beispiele dafür, die aktuelle Inszenierung der Haut als Kleid in der Kunst sichtbar zu machen; bei Margi Geerlinks wird der optische Eindruck erweckt, die Körperoberfläche werde direkt als Kleid vernäht: »Gepetto 1 und 2«, Margi Geerlinks, New York 1999; Abbildungen in: Lupton (2002), S. 90 f.

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4 Textile Hautinszenierungen - Alba D'Urbano: »II Sarto Immortale: Collection« (Detail)

Strähnen unterteilen die Gesichtshaut und wirken bewusst aufgelöst. Ergänzt wird der Natur- und Leidenschaftslook zuweilen noch durch schrille Accessoires wie auffallende Spangen, künstliche Strähnen usw., die das Verhältnis zu den nackten Hautflächen spannungsreicher gestalten und den Naturanmutungen Kontraste hinzufügen. Nochmals zurück zur Haut. Im allgemeinen ist die Tendenz also groß, die erste Haut nurmehr als zweite zu inszenieren, das Gemachte an die Stelle des Gegebenen zu setzen. Nicht wie ehemals übernehmen nur Frisur und Schminke den Gestaltungsakt, sondern die direkte Einwirkung auf die Haut und ihre Veränderung sind daran beteiligt. Die Bewertung von Schönheitsoperationen zeigt dies: Waren sie früher etwas für den exklusiven Kreis von Personen, die in Glamourberufen oder in ausgefallenen Positionen arbeiteten, oder sehr reich waren, so sind sie heute jeder und jedem zugänglich und keineswegs mehr tabuisiert. Sie sind nahezu so selbstverständlich wie das Farben der Haare. Die Funktion der Haut als Wahrnehmungsorgan tritt in den Hintergrund, ebenso wie die Tatsache, dass die Haut, wie der Philosoph Michel Serres dargelegt hat, eine »carte d'identite« ist.24 Der Tastsinn, der sich im Gegensatz zum simultanen Sehen in der Zeit entwickelt und in

24 Serres (1998), S. 20.

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Gestalt der Haut das Körpergedächtnis trägt, ist ein gleichsam historiographischer Sinn. Laut Serres schreibt sich die individuelle Biographie als Tätowierung in die Haut ein.25 Ist das Haar in seiner schier unendlichen Gestaltbarkeit, Haltbarkeit (man bewahrt sich die Locken von geliebten Toten auf) und Schmerzunempfindlichkeit der Wegweiser fiir den Umgang mit der atmenden und gedächtnistragenden Haut, so verändert sich das Verhältnis zur Körperoberfläche, zur eigenen Identität und Biographie. Die Gegenwart gewinnt gegenüber der Geschichte gleichsam die Oberhand. Wenn die taktilen und Atmungsfunktionen der Haut modifiziert werden, wird sie starr und gerät buchstäblich zur Maske: Am Beispiel des mehrfach operierten Gesichts von Michael Jackson lässt sich dies beobachten. Es ist ein zentraler Topos aller Theorien der Wahrnehmung, dass das wahrnehmende Auge von den übrigen Sinnesorganen, von Nase und Ohr, aber auch von der Hand und mithin der Haut und ihrer taktilen Empfindungsfahigkeit, ergänzt oder korrigiert werden muss. Doch die Inszenierung von Haut als Kleid, als gestaltbare Fläche und als Haut zweiter Ordnung setzt zum einen vor allem auf Gesehenwerden, auf Visualität und auf Erstarrung im Bild, zum anderen bringt sie eine Entwicklung mit sich, die auch zur Erstarrung der organischen Hautfunktionen und zur Verkümmerung der taktilen Empfindungsfahigkeit fuhren kann. Das Zeigen und Kleidwerden der Haut bedeutet Verbildlichung, statt der haptischen werden ihre optischen Qualitäten privilegiert. Die Betonung des Visuellen erstreckt sich sowohl auf das wahrnehmende Subjekt im Sinne einer Hervorhebung des Blicks als auch auf die vornehmlich fürs Auge gemachten Präsentationen des potentiellen >ObjektsOberfläche mit Körper< bestimmt. Die Modeinszenierung zielt auf die Wahrnehmung, doch was wahrgenommen wird, besteht natürlich nicht nur - wie im Impressionismus als Effekt eines >reinen Sehens< vorgestellt - aus einer Verteilung von Farbwerten auf einem Körper. Der Wahrnehmungsprozess ist eingebettet in ein soziales und sprachliches Geschehen, das durch unterschiedliche Faktoren gesteuert wird, es ist konventionell, affektiv, unbewusst und unwillkürlich. Die Modeinszenierung setzt sich zwar zusammen aus Elementen, die auf spezifische Weise die Körperoberfläche strukturieren, doch der Wahrnehmungsprozess

25 Ebd., S. 17-30.

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ist unerschöpflich und nur schwer von einem >Lesen< zu trennen. Dennoch sind es im Gegensatz zum Lesen eines Buchs die Sinne, die wie in der Bildenden Kunst den Ausgangspunkt bilden. Der Minilook 2003 ist zunächst deutlich orientiert an der Abzeichnung der Figur - die Kleidung entwickelt sich von der Form zur hautartigen Hülle, die Silhouette wird konturiert und hervorgehoben. Der Lingerielook hebt die optische, gestalterische und räumliche Nähe zur Haut eigens hervor - durch enganliegende Schnitte oder durchscheinende Stoffe. Der aktuelle Minilook insgesamt realisiert dann eine Gestaltung der Haut selbst, z.B. durch Löcher, die Einblicke ermöglichen, durch tiefe Ausschnitte, transparente Stoffe, extrem knappe Schnitte oder kurze Längen. Er setzt die nackte Körperoberfläche als Kleid ein; die Haut wird dabei als Kleid ausgestellt. Der Schauplatz Kleid und der Schauplatz Haut fallen nahezu zusammen, wobei die Anmutung zwar >Natur< ist, die Haut dabei aber als Haut zweiter Ordnung immer künstlicher wird und immer mehr der Sichtbarkeit preisgegeben. Die aktuelle Minimode mit den ihr entsprechenden Frisuren inszeniert Haut, sucht Natur - und erreicht doch, dass Haut zum Kleid wird, dass gerade in diesem Prozess sich Natur zu Kultur transformiert. Die Frisuren betonen die Tendenz zu der ungeometrischen, hautartig-weichen Gestalt, sie unterstreichen die mit Nacktheit assoziierten formauflösenden Formen durch Naturanmutungen. Obwohl das Haar die Möglichkeit bietet, die Kleiderinszenierung zu konterkarieren, spielen die Frisuren die Möglichkeit zu Körperverfremdungen kaum aus, werden aber durch Accessoires oder künstliche Locken in diesem Sinn erweitert. Und schließlich scheint die Haut selbst den Weg einzuschlagen, den das Haar ihr wies. Die Vorstellung ihrer Gestaltbarkeit und ihrer unendlichen Manipulierbarkeit legt dies nahe. Eine solche Annahme entspricht der Verschiebung der Körpervorstellung hin zum optischen Bild. Doch die Kleider funktionieren in Wahrheit als Abdruck, die Modeinszenierung gestaltet eine Oberfläche mit Körper.

LITERATUR BARTHES, Roland [1985]: Die Sprache der Mode. Frankfurt a. M. BENTHIEN, Claudia [1999]: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei H a m burg BOVENSCHEN, Silvia (Hrsg.) [1986]: Die Listen der Mode. Frankfurt a. M . BRONFEN, Elisabeth [1998]: Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne. Berlin FLÜGEL, J.C. [1986]: Psychologie der Kleidung. In: Bovenschen [1986], S. 2 0 8 - 2 6 3 FLUSSER, Vilem [1991]: Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Düsseldorf/Bensheim FOUCAULT, Michel [1977]: Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Frankfürt a. M. DERRIDA, J a c q u e s [1997]: Aufzeichnungen München

eines Blinden. Das Selbstporträt

und andere

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DIDI-HUBERMAN, Georges [1999]: Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks. Köln JAKOBSON, Roman [1979]: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971, Frankfurt am Main JAKOBSON, Roman [1935]: Randbemerkungen zur Prosa des Dichters Pasternak. In: Jakobson [1979], S. 1 9 2 - 2 1 1

LUPTON, Ellen (Hrsg.) [2002]: Skin: surface, substance, and design. With essays by Jennifer Tobias, Alicia Imperiale, Grace Jeffers. New York SIMMEL, G e o r g [1986]: Die Mode. In: B o v e n s c h e n [1986], S. 1 7 9 - 2 0 7

SERRES, Michel [1998]: Diefünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt A. Μ. TOP HAIR BUSINESS [2003], Nr. 6

STAHL, Regina [2003]: Eine (fast) natürliche Frau, in: Vogue 4, 2003, S. 272-275 WAGNER, Ludwig [ 2 0 0 3 ] : Der Mini-Schock,

in: Vogue 1, 2 0 0 3 , S. 3 8 - 4 6

ABBILDUNGSNACHWEISE

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Düsseldorf Modemesse CPD woman - man, ©:dpa, www.picture-alliance.com Mary Quant im Minikleid, ©: dpa, www.picture-alliance.com »First Emotion«, Coifilrst fur Wella, Foto: Jules Egger Alba D'Urbano, II Sarto Immortale: Collection, (Detail), Computerdruck auf Fotopapier aufgezogen auf Plexiglas, 150 χ 50 cm, Leipzig 1995-97, Courtesy: Galerie Anita Beckers, Frankfürt a. M.

AUTORINNEN UND AUTOREN

Prof! Dr. phil., lehrt Soziologie an der J.W.G.-Universität Frankfurt a.M, sowie an der: Staatsuniversität Tbilissi, [email protected]

TILMAN A L L E R T ,

Dr. phil., Kunsthistorikerin, Publizistin u.a. zu Mode u. Kosmetik, [email protected]

IRENE ANTONI-KOMAR,

O L I V E R BECHER,

Dr. phil., Historiker in Münster, [email protected]

Dipl. Päd., Lehrbeauftragter u. Doktorand der Universität Hamburg, [email protected]

J Ü R G E N BUDDE,

Dr. phil., Historiker, Leiter des Archivs beim Institut für Demoskopie Allensbach, [email protected]

NORBERT GRUBE,

Dr. phil., Historiker, [email protected]

O L I V E R BENJAMIN H E M M E R L E ,

Dr. phil., Kunsthistoriker, derzeit Inhaber der Wella Stiftungsdozentur für Mode u. Ästhetik an der T U Darmstadt, janeckechristian@ aol.com

CHRISTIAN JANECKE,

M.A., Doktorandin u. Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Kulturgeschichte der Textilien an der Universität Dortmund, [email protected]

H E I K E jENß,

Historikerin, Doktorandin am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Hamburg, [email protected]

SVENJA KORNHER, M . A . ,

Dr. phil., Literatur- u. Kulturwissenschaftlerin; Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik II der Universität Hamburg, [email protected]

CHRISTINE KÜNZEL,

Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, unterrichtet Wahrnehmungstheorie an der HfG Offenbach, Lehrbeauftragte am Inst, für Sprach- u. Literaturwiss. der T U Darmstadt, [email protected]

PETRA LEUTNER,

Dipl.-Kaufm., Leiter Kommunikation Friseur Marketing international der Wella AG, Darmstadt, [email protected]

KLAUS NOLTE,

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Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. phil., lehrt Berufspädagogik an der T U Darmstadt, Mitglied im Sachverständigenrat bei der Hans-Böckler-Stiftung, [email protected]

A N G E L A PAUL-KOHLHOFF,

Dr. phil., Historikerin, Wiss. Assistentin am Historischen Institut der Universität Bochum, [email protected]

ISABEL RICHTER,

Historiker, Doktorand der Humboldt-Universität Berlin, [email protected]

ALEXANDER SCHUG, M . A . ,

M.A., Kulturwissenschaftlerin, Wiss. Mitarbeiterin im Altonaer Museum Hamburg, Doktorandin der Universität Bremen, [email protected]

NICOLE TIEDEMANN,

Literatur — Kultur — Geschlecht Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte. Kleine Reihe - Eine Auswahl Band 10 ist vergriffen 8: Corinna Caduff, Sigrid Weigel (Hg.): D a s G e s c h l e c h t der Künste. 1996. XV, 200 S. Br. € 17,90/SFr 32,50 ISBN 3-412-07693-7 9: Inge Stephan: Musen und Medusen. Mythos und Geschlechterdiskurs in der Literatur des 20. Jahrhunderts. 1997. VI, 269 S. 38 Abb. Br. € 20,50/SFr 37,ISBN 3-412-13296-9 11: Elizabeth Neswald: Medien-Theologie. Das Werk Vilem Flussers. 1998. VI, 194 S. Br. € 17,90/SFr 32,50 ISBN 3-412-10097-8 12: Sibylle Peters, Janina Jentz: Diana oder Die perfekte Tragödie. Kulturwissenschaftliche Betrachtungen eines Trauerfalls. 1998. VI, 119 S. 9 s/w Abb. Br. € 15,-/SFr 27,50 ISBN 3-412-01798-1 13: Jost Hermand, Helen Fehervary: Mit d e n Toten reden. Fragen an Heiner Müller. 1999. IX, 222 S. 7 Abb. € 17,90/sFr 32,50 ISBN 3-412-14298-0

14: Elisabeth Bronfen, Birgit R. Erdle und Sigrid Weigel (Hg.): Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster. 1999. VIII, 226 S. 12 Abb. Br. € 17,90/SFr 32,50 ISBN 3-412-14398-7 15: Stephane Moses, Sigrid Weigel (Hg.): G e r s h o m Scholem. Literatur und Rhetorik. 2000. X, 201 S. Br. € 17,90/SFr 32,50 ISBN 3-412-04599-3 16: Claudia Benthien, Anne Fleig, Ingrid Kasten (Hg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. 2000. 238 S. 8 s/w-Abb. auf 8 Taf. Br. € 17,90/SFr 32,50 ISBN 3-412-08899-4 17: Kerstin Gernig (Hg.): Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich. 2002. 357 S. 24 s/w-Abb. Br. € 20,50/SFr 37,ISBN 3-412-17401-7 18: Claudia von Benthien Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2003. 340 S. 16 s/w-Abb. Br. € 19,90/SFr 33,60 ISBN 3-412-10003-X 19: Waltraud NaumannBeyer: A n a t o m i e der S i n n e im Spiegel v o n Philosophie, Ästhetik, Literatur 2003. XII, 378 S. Br. € 24,90/SFr 42,ISBN 3-412-09903-1

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