Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte [4 ed.] 9783428414093, 9783428014095

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Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte [4 ed.]
 9783428414093, 9783428014095

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Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

Von

Claudius Freiherr von Schwerin

Vierte Auflage

Duncker & Humblot . Berlin

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte Von

Claudius Freiherrn von Schwerin

Vierte Auflage nach dem Tode des Verfassers besorgt von

Dr. Hans Thieme Ord. Professor des deutschen Rechts an der Universität Göttingen

1950

D U N C K E R B E R L I N

& U N D

H U M B L O T M Ü N C H E N

Alle Rechte vorbehalten Copyright 1950 by Duncker & Humblot, Berlin. Β 234 ISB, Berlin Druck: Buch- und Kunstdruckerei Gustav Ahrens, Berlin Ν 65

Aus dem Vorwort zur 1. Auflage D i e neuen Grundzüge entsprechen i n der Stoffbegrenzung der üblichen Vorlesung über deutsche Rechtsgeschichte. Dementsprechend ist die Geschichte des Privatrechts ausgeschaltet. Daß der Umfang den der Grundzüge H. Brunners trotzdem übersteigt, hat verschiedene Gründe. D e r Stil ist absichtlich breiter, u n d ich habe auch Wiederholungen nicht gescheut. D e n n ich war trotz dem gewaltigen Erfolg, den die „Grundzüge" hatten, immer der Meinung, daß zwar ihre Darstellung ein bis ins Feinste durchdachtes Kunstw e r k ist, aber eben doch zu kunstvoll, u m von der Mehrzahl der Studierenden v o l l verstanden zu werden. Sodann habe i d i den Versuch gemacht, für die späteren Perioden die geistige und wirtschaftliche Umwelt, i n der sich die Rechtsentwicklung vollzog, i n wenigen Strichen zu zeichnen. Auch habe ich der Entwicklung der Rechtswissenschaft einigen Raum gegönnt. Diese Teile sind nicht dazu bestimmt, gelernt zu werden. Aber i m mitdenkenden Leser sollen sie ein B i l d des Hintergrundes lebendig und fest werden lassen, vor dem sich die Rechtsbildung abspielt. Lernen k a n n man Tatsachen, ihre Verknüpfung aber n u r begreifen. Auch die Abschnitte über die Quellen sind nicht dazu da, dem Gedächtnis eingeprägt zu werden. Wichtiger ist es, von einer deutschen Rechtsquelle der früheren Zeit selbst Kenntnis genommen zu haben, als Namen und Entstehungszeit von hundert solcher Quellen zu wissen. Daß ich die Ausführungen über die Quellen gleichwohl nicht mehr gekürzt habe, entsprang dem Wunsche, denjenigen, denen eine breitere Darstellung nicht zur Hand ist, doch eine erste Orientierung zu ermöglichen. D i e beiden ersten Perioden habe ich knapper behandelt, als die folgenden. Dies scheint m i r allein dem Zwecke zu entsprechen, den eine deutsche Rechtsgeschichte auf der Hochschule verfolgen muß. A n einzelnen Stellen des neuzeitlichen Abschnittes ist auch der unmittelbaren Gegenwart gedacht, i m Widerspruch zu dem verbreiteten Grundsatz, daß die geschichtliche Darstellung an deren Schwelle zu enden habe.

Vorwort

VI

W e r eine Darstellung durch zwei Jahrtausende hindurch versucht, muß darauf verzichten, nur auf eigenem Quellenstudium aufzubauen. Aber auch das Sonderschrifttum ist i n den letzten Jahrzehnten so angewachsen u n d teilweise so u n k l a r i n der Problemstellung, daß es für einen solchen Zeitraum von einem Einzelnen n u r schwer vollständig und kritisch erfaßt werden kann. D i e h i e r i n beschlossenen Gefahren mußte ich i n K a u f nehmen, w e n n das Erscheinen dieser Grundzüge nicht u m viele Jahre verschoben werden sollte. Ich k a n n nur hoffen, ihnen nicht zu sehr erlegen zu sein. D e r Umfang der zu behandelnden Zeit hat mich auch gezwungen, manche Einzelheiten und Fragen zu übergehen, deren Erwähnung dem einen oder anderen Leser nicht unwesentlich sein könnte. Wäre das Buch n u r f ü r Studierende bestimmt, würde ich i n dieser Einschränkung noch weiter gegangen sein. D e n n i d i glaube, daß es gerade für sie nicht auf die Kenntnis von Einzelnem ankommt, sondern auf die Weckung des Verständnisses f ü r die Wandlungen des Rechts u n d ihre Gründe. N u r darf man nicht annehmen, daß Geschichte ohne Tatsachenkenntnis möglich ist, und muß sich darüber k l a r werden, daß Rechtsgeschichte nicht i n Geistesgeschichte aufgelöst werden kann, w e i l das Recht zum Geist i n diesem Sinn i n einer anderen Beziehung steht, als etwa L i t e r a t u r u n d Kunst. D i e Literaturangaben habe ich einzuschränken versucht, insbesondere i n dem Sinne, daß ich grundsätzlich nur solche Arbeiten aufnahm, die die Darstellung beeinflußten oder f ü r die Erkenntnis einzelner Fragen richtunggebend wurden. Das vorhandene Schriftt u m auch nur annähernd erschöpfend anzuführen, widerspräche dem Zwecke dieses Buches. Uber die Richtigkeit der getroffenen A u s w a h l k a n n man selbstverständlich verschiedener Meinung sein, und ich habe sicher auch da Fehler gemacht. I n dem Abschnitt über die Rechtswissenschaft habe ich mich bei der Angabe des Schrifttums absichtlich darauf beschränkt, die ersten Ausgaben zu verzeichnen. Freiburg i. Br., Ostern 1934

Aus dem Vorwort zur 3. Auflage O b w o h l auch bei dieser Neuauflage die Zeit drängte, ist es m i r doch möglich gewesen, i n größerem Umfang Änderungen vorzunehmen, als bei der zweiten Auflage. Sie verwerten teils die Ergebnisse des inzwischen erschienenen Schrifttums, teils die zahl-

Vorwort

VII

reichen Anregungen, die der i n den letzten Jahren so erfreulich belebten Zusammenarbeit der H i s t o r i k e r des Rechts und der politischen Geschichte zu verdanken sind. Das hierbei wiederholt erörterte Problem statischer u n d dynamischer Behandlung der Verfassungsgeschichte sehe ich lösbar n u r i n einer harmonischen Verknüpfung beider Betrachtungsweisen. D i e Verfassungsgeschichte ist die Geschichte einer Gemeinschaftsordnung. I m Wesen der O r d n u n g liegt ein nicht wegdenkbares statisches Element. Eine sich dauernd verändernde O r d n u n g wäre keine Ordnung. Was sich verändert u n d verändern muß, ist nicht die O r d n u n g der Gemeinschaft als Ganzes, sind vielmehr einzelne Bestandteile dieser Ordnung. Daher k a n n deren Geschichte von einem bestimmten Ausgangspunkt aus dynamisch dargestellt werden und k a n n die O r d n u n g als Ganzes für einen bestimmten Zeitpunkt statisch vorgeführt werden. W o es sich darum handelt, die Geschichte der gesamten Ordnung zu erfassen, ist die Verknüpfung n u r zu erreichen durch eine dynamische Schilderung des Einzelnen i m Rahmen einer statischen Gliederung des Ganzen. W i e w e i t jene durchführbar ist, hängt wesentlich von dem verfügbaren Raum ab, weshalb i h r auch i n diesen Grundzügen Schranken gezogen sind. München, M a i 1944

v. S c h w e r i n

Vorwort des Herausgebers zur 4 . Auflage Wenige Tage, nachdem er diese Zeilen geschrieben, am 13. Juni 1944, ist Claudius F r h r . v. Schwerin einem Luftangriff auf München zum Opfer gefallen. D i e dritte Auflage seines Lehrbuches hat n u r noch zu einem Bruchteil die Öffentlichkeit erreicht. Jahrelang fehlte es auf dem Buchmarkt. D i e Überzeugung, daß es ein Verlust für unsere Wissenschaft wäre, wenn dieses W e r k — das seinerzeit die T r a d i t i o n von Heinrich Brunners Grundzügen fortgesetzt hat — unterginge, bewog mich, der Anfrage des Verlages wegen einer Weiterführung Folge zu leisten. Hierbei habe ich mich für diesmal darauf beschränkt, seither erschienene oder noch nicht berücksichtigte L i t e r a t u r nachzutragen, vorgekommene Fehler zu berichtigen und — zumal i n den letzten Abschnitten — solche Änderungen vorzunehmen, die der seit 1934 insoweit k a u m mehr erneuerte T e x t i n

Vili

Vorwort

bezug auf die jüngste Zeit notwendig machte. Das Buch sollte möglichst noch einmal i n unveränderter Gestalt erscheinen. Möchte es so ein D e n k m a l für seinen Verfasser sein, dessen wissenschaftliches W e r k fortlebt u n d dessen ausgeprägte Persönlichkeit allen, die i h m näher standen, unvergeßlich ist. Göttingen, M a i 1949

Τ h i em e

Inhalt Einleitung § 1. Begriff u n d Perioden § 2. Erkenntnisquellen § 3. Schrifttum

Seite

1 5 8

I. Die germanische Zeit § 4. § 5. § 6. § 7. § 8. § 9. § 10. § 11. § 12. § 13.

V o l k u n d Schauplatz Wirtschaftliche Verhältnisse Ständewesen D i e Sippe D i e Rechtsbildung D i e Verfassung Heerwesen u n d Gefolgschaft Rechtspflege Missetaten u n d ihre Folgen D e r Rechtsgang

12 13 16 18 20 21 25 26 28 31

II. Die fränkische Zeit 1. Grundlagen § 14. § 15. § 16. § 17.

Das Werden germanischer Reiche A n t i k e u n d Christentum Wirtschaftliche Verhältnisse Soziale Gliederung

35 38 41 45

2. D i e Rechtsbildung § 18. Formen u n d Gesamtverlauf §19. D i e Rechtsdenkmäler § 20. Fortsetzung (Goten, Burgunder, Langobarden)

48 51 62

3. Verfassung u n d V e r w a l t u n g § 21. § 22. § 23. § 24. § 25. § 26.

Entstehung u n d Wesen des Königtums Thronfolge Rechte des Königs. Kaisertum Königlicher Hof u n d Reichsverwaltung Bezirke u n d Bezirksbeamte Heerwesen, Rechtspflege u n d Finanzwesen

66 68 70 74 77 80

X

Inhalt Seite

4. Innerstaatliche Sonderbildungen § 27. § 28. § 29. § 30.

Stammesherzogtum Benefizialwesen u n d Vasallität (Lehen) Grundherrlichkeit und Immunität Die Kirche

·· '·

84 85

8 9 9 2

5. Strafrecht u n d Rechtsgang 9 5

§ 31. Strafrecht §32. Rechtsgang

9 8

III. Das Mittelalter 1. Grundlagen § 33. § 34. § 35. § 36.

A u f b a u des Reiches — Lehnwesen Staatspolitik u n d Staatstheorien Wirtschaftliche Verhältnisse Ständewesen

§37. § 38. § 39. §40. §41. § 42. §43. § 44.

Grundlagen . ; Reichsrecht Land- u n d Lehnrechtsbücher Landes- u n d Landschaftsrechte Stadtrechtsquellen Sonstige Rechtsaufzeichnungen Urkundenwesen Juristische L i t e r a t u r . . . .

103 109 114 121

2. D i e Rechtsbildung 129 134 136 143 146 150 153 154

3. Verfassung u n d V e r w a l t u n g des Reiches § 45. § 46. § 47. § 48. § 49. § 50. § 51. § 52. § 53. § 54.

D i e Thronfolge D i e Rechte des Königs Kaisertum Hof- u n d Reichsämter Hoftage D i e Gliederung des Reiches Heerwesen Finanzwesen Gerichtswesen D i e Kirche

§ 55. § 56. § 57. § 58. § 59.

Entstehung der Landeshoheit Verfassung u n d V e r w a l t u n g der T e r r i t o r i e n Entstehung der Stadt D i e Verfassung der Stadt D i e städtische V e r w a l t u n g

'

156 160 165 167 169 171 174 176 178 182

4. T e r r i t o r i e n u n d Städte

5. Strafrecht u n d Rechtsgang §60. Straf recht § 61. Ordentlicher Rechtsgang § 62. Außerordentlicher Rechtsgang

187 193 198 203 208 .211 215 221

Inhalt

XI Seite

IV. Die Neuzeit 1. Grundlagen § 63. § 64. § 65. §66.

Reich u n d Reichsglieder bis 1806 Geistige Strömungen Wirtschaftliche Verhältnisse Stände

224 228 239 248

2. Rechtsbildung u n d Rechtswissenschaft § 67. §68. § 69. § 70. § 71.

D i e Aufnahme der fremden Rechte 252 Reichsgesetzgebung bis 1806 259 Landes- und Stadtrechte (bis i n die M i t t e des 18. Jahrhunderts) . . 262 D i e nationale Rechtsbildung (seit M i t t e des 18. Jahrhunderts) . . 265 D i e Rechtswissenschaft 271 3. Verfassung u n d V e r w a l t u n g A. D i e E n t w i c k l u n g bis zur Auflösung des Reiches

§ 72. § 73. § 74. § 75. § 76. § 77. § 78.

I. D a s R e i c h Reichsreform u n d Reichskreise Der Kaiser D i e Zentralbehörden D e r Reichstag D i e Reichsverwaltung Reich u n d Kirche D i e Auflösung des Reiches

279 283 286 .. 289 292 294 296

II. D i e L ä n d e r § 79. Verfassung u n d V e r w a l t u n g bis 1648 299 § 80. Brandenburg-Preußen als absoluter Staat 307 § 81. Absolutismus u n d ständische Verfassung i n den übrigen Staaten . 313 B. D i e E n t w i c k l u n g seit 1806 § 82. § 83. § 84. § 85. § 86. §87. § 88.

Rheinbund u n d Deutscher B u n d D e r Norddeutsche B u n d Das Deutsche Reich 1871—1918 Das Deutsche Reich von 1919—1945 D i e E n t w i c k l u n g der Einzelstaaten 1806—1918 D i e Länder als Freistaaten Städte u n d Landgemeinden

.'

316 323 325 330 336 343 344

4. Strafrecht u n d Prozeß §89. Strafrecht § 90. Strafprozeß §91. Zivilprozeß Namens- und Sachverzeichnis

346 351 355 362

Abkürzungen L Schrifttum AbhAk. AbhGött. AGNRh. AHDE. AKG. AÖG. ArchivZ. ArchkathKR. ArchöffR. ASwSp. AUF. BGDS. BECh. Bl. Brunner, Abh. Brunner, Forsch. DA. DALVolksf. DGB11. DLZ. DRA. DRW. DZG. DZKR. FBPG. FDG. FF. GGA. GoltdArch.

= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften. = Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. = Archiv für Geschichte des Niederrheins. = A n u a r i o de historia del derecho espanol. = Archiv für Kulturgeschichte. = Archiv für österreichische Geschichte. = Archivalische Zeitschrift. = Archiv für katholisches Kirchenrecht. = Archiv für öffentliches Recht. = Archiv für Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik. = Archiv für Urkundenforschung. = Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache u n d Literatur. = Bibliothèque de l'Ecole des Chartes. = Blätter. = H. Brunner, Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, herausgegeben von K. Rauch, 1. 2. (1931). = H. Brunner, Forschungen zur Geschichte des deutschen u n d französischen Rechts (1894). = Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters. = Deutsches Archiv für Landes- u n d Volksforschung. = Deutsche Geschichtsblätter. = Deutsche Literaturzeitung. = Deutschrechtliches Archiv. = Deutsche Rechtswissenschaft. = Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. = Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht. = Forschungen zur brandenburgischen u n d preußischen Geschichte. = Forschungen zur deutschen Geschichte. = Forschungen u n d Fortschritte. = Göttingische Gelehrte Anzeigen. = Goltdammers Archiv f ü r Strafrecht.

XIV

Abkürzungen

GrimmRA. GRMs. HansGBll. HJb.

J . G r i m m , Deutsche Reditsaltertümer, 4 . A u f l . (1899). Germanisch-romanische Monatsschrift. Hansische Geschichtsblätter. Historisches Jahrbuch.

Hübner, Grundzüge

R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. A u f l . (1930). Historische Vierteljahrsschrift. Historische Zeitschrift. Jahrbuch.

HV. HZ. Jb. JbFrLf. JbNSt. JbVLNöst. JGVV. KBGV. KrU. KrVjsdir. Maurer, Vorlesungen MGH. MGSalzbL. MIÖG. MLivlG. MÖIG. MOHessGV. MRhGBll. MVGDB. MVGNürnb. NA. NASächsG. N.F. NGWGött. Nieders Jb.

Jahrbuch für fränkische Landesforschung. Jahrbücher für Nationalökonomie u n d Statistik. Jahrbuch des Vereins für Landeskunde Niederösterreich. (Schmollers) Jahrbuch für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Volkswirtschaft i m Deutschen Reich. Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- u n d Altertumsvereine. Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft. Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung u n d Rechtswissenschaft. K. Maurer, Vorlesungen über altnordische Rechtsgeschichte, 1—5. (1907—10). Monumenta Germaniae historica (LL. = Abt. Leges). Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. M i t t e i l u n g e n des Instituts für österreichische Geschichtsforschung (EB = Ergänzungsband). M i t t e i l u n g e n aus der Livländischen Geschichte. M i t t e i l u n g e n des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung (EB = Ergänzungsband). M i t t e i l u n g e n des Oberhessischen Geschichtsvereins. Mittelrheinische Geschichtsblätter. M i t t e i l u n g e n des Vereins für Geschichte der Deutschen i n Böhmen. M i t t e i l u n g e n des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. Neues Archiv für sächsische Geschichte u n d A l t e r tumskunde. Neue Folge. Nachrichten von der königl. Gesellschaft der Wissenschaften u n d der Georg-August-Universität zu Göttingen. Niedersächsisches Jahrbuch.

Abkürzungen

NJKA. ObayrA. Prjbb. RH.

= = = =

RheinVjbl.

= Rheinische Vierteljahrsblätter.

RL. SbAk. Schräder, RL. ThürSächsZGeschK. TRG. VjsSWG. WaG. WürttVjh. WZ. Z. ZAachGV. ZAkDR. ZBergR. ZBLG. ZDA. ZDGW. ZDPh. ZDR. ZgeschRW. ZGschlholstG. ZgesStW. ZgeisStrW. ZGORh. ZHVNSachs. ZHVSteierm. ZPrivRuöffR. ZRG 1 . ZRG.

ZSchweizG. ZSchwR.

Neue Jahrbücher für das klassische A l t e r t u m . Oberbayrisches Archiv f ü r vaterländische Geschichte. Preußische Jahrbücher. Revue historique du d r o i t français et étranger.

= Hoops, R e a l l e x i k o n der germanischen A l t e r t u m s kunde. 1—4. (1911—19). = Sitzungsberichte der A k a d e m i e der Wissenschaften. = O. Schräder, R e a l l e x i k o n der indogermanischen A l tertumskunde, 1. 2. (1917—29). = Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichtskunde. = T i j d s c h r i f t voor Rechtsgeschiedenis. = Vierteljahrsschrift für Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte. = D i e W e l t als Geschichte. = Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. = Westdeutsche Zeitschrift f ü r Geschichte u n d Kunst. = Zeitschrift. = Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins. = Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht. = Zeitschrift für Bergrecht. = Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte. = Zeitschrift für deutsches A l t e r t u m u n d deutsche Literatur. = Zeitschrift f ü r deutsche Geisteswissenschaft. = Zeitschrift für deutsche Philologie. = Zeitschrift für deutsches Recht. = Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. = Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte. = Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. = Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. = Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. = Zeitschrift des historischen Vereins für Steiermark. = Zeitschrift für Privatrecht u n d öffentliches Recht. = Zeitschrift f ü r Rechtsgeschichte, 13 Bd. (1861—1878). = Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung. R = Romanistische A b t e i lung, Κ = Kanonistische Abteilung. = Zeitschrift für schweizerische Geschichte. = Zeitschrift für schweizerisches Recht.

Abkürzungen

XV

ZSchwStrR. ZSozW. ZSudetendG. ZSWG. ZvglRW. ZVGMähr. ZVGSchles. ZVHambG. ZVLübG. ZVtGWestf. ZVThürG. ZWLG.

= = = = = =

Zeitschrift für schweizerisches Strafrecht. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte. Zeitschrift für Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte. Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. Zeitschrift des deutschen Vereins für Geschichte Mährens u n d Schlesiens. = Zeitschrift des Vereins für Geschichte u n d A l t e r t u m Schlesiens. =» Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. = Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte. = Zeitschrift für vaterländische Geschichte u n d A l t e r tumskunde Westfalens. = Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte u n d Altertumskunde. = Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte.

II. Sonstige Abkürzungen KG. M A . (ma.) NZ. R. RG. Ssp. VG. WG.

= = = = = = = =

Kirchengeschichte. M i t t e l a l t e r (mittelalterlich). Neuzeit. Recht. Rechtsgeschichte. Sachsenspiegel. Verfassungsgeschichte. Wirtschaftsgeschichte.

Einleitung § 1. Begriff und Perioden I. D i e Aufgabe der deutschen Rechtsgeschichte ist es, die Entwicklung rechtlicher Gedanken u n d rechtlicher Einrichtungen i m Leben des deutschen Volkes darzustellen und die sie bewegenden Kräfte aufzuzeigen. D a m i t ergibt sich als ihre erste Frage die nach dem Begriff des deutschen Volkes. Unter diesem aber verstehen w i r die Gesamtheit der Stämme, die geeint sind durch den Gebrauch der deutschen Sprache. Deutsches Recht ist für die geschichtliche Betrachtung das Recht eines i n dieser Sprache sich offenbarenden Kulturkreises, nicht eines politischen Gebildes u n d nicht einer ethnographischen Einheit. K n ü p f t so die Rechtsgeschichte an die Sprache an, so folgt sie auch bei der geschichtlichen Einordnung der deutschen Stämme den Ergebnissen der Sprachgeschichte. Sie geht aus v o n dem umfassenderen Begriff der Germanen 1 , einem U r v o l k , dessen Sitze die vorgeschichtliche Forschung i m Raum zwischen Ems, Oder, deutschem M i t t e l gebirge und Südskandinavien 2 annimmt, und t e i l t sie i n die Ostgermanen (Dänen, Schweden, Norweger, Goten, Burgunder, Vandalen) und Westgermanen. Diese aber sind es, f ü r die das ahd. diutisk (latinisiert theodiscus = volksmäßig, dem V o l k e gehörig) zum Stammesnamen geworden ist 3 . Deutsche Rechtsgeschichte ist somit westgermanische Rechtsgeschichte. 1 D e r Name ist noch nicht sicher erklärt. Vgl. M u c h , Germania (37) 42; S c h n e t z , Z. f. Ortsnamenforschung X — X I I I (34—37). Über die Frage der Stammeszugehörigkeit der Germani bei Cäsar u n d Tacitus vgl. E b e r t , Reall e x i k o n der Vorgeschichte I V 1 (26) 274 f.; M u c h , Waren die Germanen des Cäsar u n d Tacitus Kelten? Z D A . 65 (28) ; F e i s t ZGORh. 44 (31). 2 Vgl. Ζ e i ß , D i e Ausbreitung der Germanen, Das Reich u n d Europa (41). -3 D i e Geschichte des Wortes ist noch ungeklärt. Vgl. W e i s g e r b e r , Theudisk (40), andererseits L e r c h , Das W o r t „Deutsch" (42) u n d zuletzt B a e s e c k e i n „ D e r Vertrag von V e r d u n " (43). Älteste Fundstelle ist der vielleicht von Karls des Großen K a p l a n W i g b o d verfaßte Bericht, den i m Jahre 788 eine England bereisende päpstliche Gesandtschaft nach Rom sandte. Danach w u r d e n auf einer angelsächsischen Synode Beschlüsse tarn latine quam theodisce verlesen. Vgl. R o s e n s t o c k , Unser Volksname Deutsch u n d die Aufhebung des Herzogtums Bayern, M i t t . d. Schles. Ver. f. Volkskunde 29 (28).

ν. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

2

2

Einleitung

D i e Westgermanen zerfallen späterhin i n die drei großen Gruppen der Niederdeutschen (Sachsen, Friesen, Angeln, Langobarden?), Mitteldeutschen (Franken, Thüringer) und Oberdeutschen (Baiern, Alamannen), die jedenfalls teilweise m i t den drei Gruppen der von Tacitus überlieferten Stammessage, den Ingweonen, Istweonen u n d Heiminonen übereinstimmen 4 . D i e weitere Entwicklung einzelner westgermanischer Stämme zwingt jedoch, sie aus dem Bereich der deutschen Rechtsgeschichte auszuschalten. Das Redit der Angelsachsen, der Langobarden u n d eines Teiles der westrheinischen Franken erfährt schon f r ü h eine Fortbildung, die es von dem einheitlichen Werdegang der übrigen deutschen Rechte scheidet 5 . Diese deutschen Stämme sind am Beginn ihres geschichtlich erfaßbaren Lebens politisch nicht geeint. D i e größeren erscheinen sogar politisch geteilt. I n der Folgezeit treten sie i m fränkischen R e i d i und dessen ostrheinischer Fortsetzung, i m heiligen römischen Reich deutscher Nation zusammen. Aber diese Vereinigungen haben n u r i n geringem Maße zu einer Rechtseinheit geführt, die erst infolge der Gründung des neuen Deutschen Reiches i m Jahre 1871 v e r w i r k l i c h t wurde. Infolgedessen k a n n die deutsche Rechtsgeschichte nur teilweise einheitliches Recht darstellen. Sie ist i n weitem Umfang gezwungen, aus der Vielheit der nebeneinander bestehenden deutschen Einzelrechte den ihnen gemeinsamen Gehalt herauszulösen und als das deutsche Recht schlechthin zu behandeln. Dagegen sind es nicht i m Stoff liegende Gründe, sondern es ist eine Anpassung an die herkömmliche Gestaltung des akademischen Unterrichts, wenn sich die deutsche Rechtsgeschichte auf das öffentliche Recht und die Rechtsquellen beschränkt, das Privatrecht aber beiseite läßt«. D i e eingangs umschriebene Aufgabe k a n n schon deshalb, w e i l sie eine geschichtliche ist, nicht durch eine bloße Darstellung älterer und neuerer Rechtseinrichtungen erfüllt werden. Sie ist aber a u d i nicht gelöst, wenn die W a n d l u n g geschildert w i r d , die diese Einrichtungen erfahren haben. D e n n das Redit ist zu keiner Zeit eine Erscheinung, die für sich allein steht u n d aus sich allein begriffen werden könnte. Es ist eine Seite der gesamten K u l t u r , hat T e i l an dem Urgrund, dem Geiste des Volkes, und w i r d beeinflußt von der U m w e l t geistiger

%

4 Doch bestehen z.B. die Sachsen zwar i m K e r n aus Ingweonen (Ursachsen, Chauken), enthalten aber auch andere (istweonische?) Teile. 5 Entscheidend ist die normannische Eroberung Englands, die teilweise Romanisierung der Langobarden, die T r e n n u n g Westfranciens seit dem späten 9. Jahrhundert. 6 Über die Gründe, die für eine eigene Vorlesung über deutsches Privatrecht sprechen, vgl. P l a n i t z , Grundzüge d. dtsch. Privatrechts 3 (49). T h i e m e , ZRG. 62 (42), 59. v. S c h w e r i η , D R W . 4 (39) 188.

§ 1. Begriff und Perioden

3

Strömungen, wirtschaftlicher Bedingungen u n d politischer Meinungen. W i e Geistesgeschichte u n d Wirtschaftsgeschichte eines Volkes nicht vollständig sind ohne das Recht, so muß die Rechtsgeschichte der geistigen und wirtschaftlichen Kräfte gedenken, die es m i t formen und tragen 7 . I I . Geschichtliche Gesamtdarstellung setzt die B i l d u n g von Perioden voraus. Dies gilt für die Rechtsgeschichte nicht minder wie für die Geschichte der Kunst oder der Literatur. Fraglich k a n n n u r sein, w o die Grenzlinien zwischen den einzelnen Perioden zu ziehen sind. D i e A n t w o r t aber ergibt sich aus dem Stoffe selbst, insofern sich i n seiner Entwicklung Zeiträume eines langsamen Vorwärtsschreitens als scheinbare Ruhepausen herausheben. Sie sind es, die w i r als Perioden zu behandeln gewöhnt sind und behandeln müssen. I n ihnen reift aus oft kleinen Ansätzen jeweils die folgende Periode heran, so daß für den geschichtlichen Blick die Perioden nicht getrennt sind, sondern auseinander herauswachsen 8 . D i e Rechtsgeschichte aber hat hier m i t besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn der L a u f der Entwicklung hängt i n den einzelnen Teilen der Rechtsordnung von verschiedenen K r ä f t e n ab und verläuft daher i n verschiedenem Zeitmaß. So liegen etwa die Wandlungen i m Verfassungsrecht i n einem anderen Zeitpunkt als die i m Strafrecht 9 . Sodann k a n n sich gerade die Geschichte des Verfassungsrechts n u r schwer von den Wendepunkten freimachen, die i n der politischen Gestaltung liegen. U n t e r diesen Umständen muß sich die Periodisierung der deutschen Rechtsentwick7 Dies zu betonen ist hier u m so mehr Veranlassung, als Grundzüge der Rechtsgeschichte durch die F ü l l e des nicht zu entbehrenden Stoffes i n der Darstellung solcher Zusammenhänge beschränkt sind, denn gerade sie bedürfen eines breiten Raumes. I m übrigen hat die Forschung der deutschen Rechtsgeschiciite diese Zusammenhänge seit Jacob G r i m m i m m e r wieder berücksichtigt, allerdings ohne die i n neuester Zeit von anderen Wissenschaften versuchte Darstellung ihres Stoffes als einer Geistesgeschichte. Vgl. etwa M e r k , V o m Werden u n d Wesen des deutschen Rechts 3 (35). v. S c h w e r i n , D e r Geist des altgerm. Rechts, i n Nollau, Germanische Wiedererstehung (26). H u g e 1 m a η η , Das deutsche Recht, i n „Das M i t t e l a l t e r " (30). H . M e y e r , Recht u n d V o l k s t u m (33). S t a η g , D r o i t et culture, TRG. 3 (22). I m übrigen vgl. zur Stellung u n d Methode der R G v. S c h w e r i n , RG. u. Geschichtswissenschaft, ZAkdR. 5 (38) 15. M i t t e i s , RG. u. Machtgeschichte, Festschr. Dopsch (38) 547. Β r u η η e r , Moderner Verfassungsbegriff u. ma. VG., Festschrift Hirsch (39) 513. D e r s., L a n d u n d Herrschaft 4 (44). B a d e r , Mehr Geistesgeschichte, HJb. 62 (43) 1. M i t t e i s , V o m Lebenswert der Rechtsgeschichte (47). 8 Ich unterstreiche diese schon 1934 geschriebenen Sätze gegenüber dem 1939 von einem H i s t o r i k e r erhobenen, seitdem m i t Behagen nachgeschriebenen V o r w u r f , daß die Rechtsgeschichte die E n t w i c k l u n g an einem bestimmten Punkte „gefrieren" lasse. I m übrigen g i l t audi hier das A n m . 10 Gesagte. 9 Vgl. dazu E b. S c h m i d t , Einf. i. d. Gesch. d. dtsch. Strafrechtspflege (47) 15.

2*

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Einleitung

lung mehr als jede andere dabei bescheiden, der inneren Entwicklung ihres Stoffes n u r annähernd gerecht zu werden 1 0 . Sieht man von der Staatsform ab, so k a n n man vom Grundcharakter des Rechts aus zunächst zwei Trennungslinien ziehen. Eine erste in der Zeit der ausgehenden Völkerwanderung, der endgültigen Niederlassung der deutschen Stämme und der Christianisierung. Sie schließt eine zugleich nationale u n d heidnische Epoche unseres Rechts ab. Eine zweite Scheidungslinie ergibt sich i m Anschluß an den Höhep u n k t der Aufnahme fremder Rechte, des römischen u n d des kanonischen Rechts sowie des langobardischen Lehnrechts am Ende des 15. Jahrhunderts. Sie trennt die Zeit nationaler Rechtsbildung von den folgenden Jahrhunderten, i n denen die Entwicklung unter fremdem Einfluß steht. Unschärfer ist die Grenze zwischen dieser und einer seit dem 18. Jahrhundert immer deutlicher werdenden, endlich durch die Romantik stark unterstützten, bewußten Rückkehr zu nationalen Rechtsgedanken, die den wesentlichen I n h a l t einer vierten Epoche b i l d e t 1 1 . Geht man von den Wandlungen der Staatsverfassung aus, so w i r d auch hier die Begründung des fränkischen Reiches i n der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts als Beginn einer neuen Periode anzusehen sein. V o n da ab aber ergeben sich Verschiedenheiten. So veranlaßt die Trennung des westfränkischen und ostfränkischen Reiches m i t dem Ende der karolingischen Dynastie zu einem weiteren Einschnitt. I n der M i t t e des 13. Jahrhunderts ist durch das A u f kommen der Landeshoheit der Bestand der Reichsverfassung i n seinen Grundlagen erschüttert. Vom Reich wie den Ländern aus liegt hier Ende u n d Anfang einer Epoche. D i e volle Entwicklung der T e r r i torialstaaten geht über die Rezeptionszeit hinweg i n das 17. Jahrhundert hinein. E i n letzter Einschnitt wäre zu machen beim Untergang des alten deutschen Reiches i m Jahre 1806 u n d i n Zukunft i m Jahre 1945, wo n u n die Periodisierung sowohl unter dem Gesichtsp u n k t der Staatsform, als auch vielleicht unter dem einer auf 10 D i e oben entwickelte A r t der periodischen D a r s t e l l u n g ist von einem H i s t o r i k e r als „methodisch unrichtig hingestellt worden. D i e rechtsgeschichtliche Forschung w i r d daran festhalten u n d abwarten, ob diesem oder anderen K r i t i k e r n der rechtsgeschichtlichen Methode eine knappe u n d übersichtliche Gesamtdarstellung, nicht n u r die einzelner Institute, gelingt, die n u r „Längsschnitte" gibt u n d auf „normalisierte Querschnitte" verzichtet. „Juristen", die „Begriffsinhalte von Rechtseinrichtungen für unveränderlich" halten, dürfte es nicht geben, w o h l aber „ H i s t o r i k e r " , denen die i n rechtsgeschichtlichen Darstellungen übliche Abgewogenheit u n d Knappheit des Ausdrucks Schwierigkeiten bereitet. 11 D i e geringe Deutlichkeit der Grenze beruht darauf, daß die Rechtsentwicklung i m Reich i n dieser Zeit i m m e r mehr sich zersplitterte, die t e r r i toriale Rechtsbildung aber zu sehr verschiedenen Zeiten den Rückweg zum nationalen Recht betrat.

§ 2. Erkenntnisquellen

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weiträumigere, ideelle Gemeinschaften bezogenen Rechtsbildung einen neuen Zeitraum beginnen läßt. Versucht man die aus beiden Gesichtspunkten sich ergebenden Teilungen miteinander zu verbinden, so kann man i n Ubereinstimmung m i t der fast allgemeinen Übung folgende Perioden aufstellen: 1. Germanische (vorfränkische) 5. Jahrhunderts.

Zeit bis etwa i n die M i t t e des

2. Fränkische Zeit bis zum Ende des 9. Jahrhunderts. 3. Mittelalter bis Ende des 15. Jahrhunderts. 4. Neuzeit bis 1806. 5. Neueste Zeit bis zur Gegenwart. Diese Periodisierung läßt bei der Begrenzung des Mittelalters die A b ä n d e r u n g e n der Verfassung i m 13. Jahrhundert außer acht. Aber eine Geschichte des deutschen Rechts i m Ganzen kann nicht darauf verzichten, dem i n die Tiefen des Rechts greifenden Tatbestand der Rezeption bei der B i l d u n g ihrer Perioden einen Einfluß zu gewähren. Sie kann auch darauf verweisen, daß die am Ende des Mittelalters einsetzende Reichsreformbewegung auch dem Reichsstaatsrecht der Zeit eine besondere Note verleiht. Es bleibt ferner außer acht, daß das Recht der fränkischen Zeit ein anderes ist unter den Merowingern als unter den Karolingern. Aber die Trennung dieser Entwicklungsschichten würde jedenfalls i n einer kurzen Ubersicht nicht durchführbar sein, u n d deshalb muß es hier genügen, sie erwähnt zu haben 1 2 .

§ 2. Erkenntnisquellen D i e M i t t e l zur Erkenntnis des geschichtlichen deutschen Rechts lassen sich i n die folgenden drei Gruppen einteilen: I. Unmittelbare Rechtsquellen (Rechtsquellen i. e. S.). Dies sind schriftliche Niederlegungen von Rechtssätzen, deren Zweck eben die M i t t e i l u n g dieser Rechtssätze ist (Satzungen, Gesetze, Rechtsbücher). 12 W e n n man zu einer anderen Periodisierung übergehen u n d dabei eine Uberzahl von Perioden vermeiden w i l l , dürfte der i m 13. Jahrhundert liegende Abschnitt vom Reich aus gesehen wichtiger sein als das Ende des fränkischen Reiches. Zur Periodisierungsfrage überhaupt vgl. L a u f f e r , D i e Begriffe „ M i t t e l a l t e r " u n d „Neuzeit" i m Verhältnis zur deutschen A l t e r t u m s kunde (36). H e i m p e l , „ D i e Sammlung" 2 (47), 245 ff. Das ältere Schrifttum schied zwischen äußerer u n d innerer Kechtsgeschichte u n d verstand unter jener die Geschichte der Rechtsquellen (einschl. die sog. Rechtsdenkmäler u n d Rechtsaltertümer i m Sinn von G r i m m u n d v. A m i r a ) , unter dieser die Geschichte der Rechtsinstitute (z.B. Eichhorn, Zöpfl). D a m i t deckte sich die Trennung i n allgemeine u n d besondere Rechtsgeschichte (Brunner).

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Einleitung

Uber sie ist i m Verlauf der Darstellung bei den einzelnen Perioden zu handeln (§§ 19, 20, 38—42, 68—70).

II. Mittelbare Rechtsquellen. Dahin gehören: 1. Quellen des Rechtslebens. Unter ihnen stehen an erster Stelle wiederum schriftliche Quellen wie öffentliche und private U r k u n d e n (§§ 1 9 I V , 43) sowie Aufzeichnungen rechtlicher Vorgänge u n d Beziehungen. Solche sind seit dem Μ Α . ζ. Β. Gerichtsbücher, Stadtbücher (§ 41), Notariatsbücher, Prozeßakten, Reichstagsakten, Landtagsverhandlungen. Noch weiter zurück reichen die Urbare (polyptycha), Zusammenstellungen der innerhalb einer Grundherrschaft oder i n einem Staatsgutkomplex geschuldeten Abgaben oder Dienste 1 . Sie haben i m M A . i n der F o r m landesfürstlicher Urbare besondere Bedeutung erlangt, gleich anderen Erzeugnissen des städtischen, territorialen u n d kaiserlichen Kanzleiwesens w i e den Rechnungsbüchern, den Steuerbüchern, den über den Lehnsbesitz angelegten Lehnbüchern 1 und den Registern über eingehende und ausgehende Korrespondenz 2 . D a z u treten ö r t l i c h k e i t e n (Rechtsorte), die bestimmungsgemäß dem Rechtsleben dienen (ζ. B. Dingstätten, Richtstätten), A t t r i b u t e (ζ. B. Insignien), Zeichen (Siegel, Wappen, Hausmarken, Gewerbezeichen), Symbole (ζ. B. Rolandsäulen), Straf Werkzeuge (ζ. B. Pranger, Halseisen, Galgen) 8 , die i m Rechtsleben verwendeten Formeln (ζ. B. Krönungsformeln, Eidformeln, Trauungsformeln), endlich die Rechtssprache 4 . 1 L o n g n o n , P o l y p t y q u e de l'abbaye de S.Germain des P r é s I . I I . (1886/95). M a a g u. S c h w e i z e r , D. Habsburg. U r b a r (1894—1904). österreichische Urbare (seit 04). M ü l l e r , A l t württembergische Urbare (34), dazu vgl. Β e y e r i e ZRG. 56 (36) 477. F e g e r , D. ältest. U r b a r d. Bistums Konstanz (43). Vgl. Schriftt. zu § 26. — L i ρ ρ e r t , D i e deutschen Lehnbücher (03). Eine V e r b i n d u n g von Urbar, Lehenbuch u n d Traditionsvermerken ist der Codex t r a d i t i o n u m des Grafen Siboto von Falkenstein von etwa 1170. Ρ e t ζ , G r a u e r t , M e y e r h o f e r , D r e i bayerische Traditionsbücher (1880). Dazu ZBLG. 9, 416. 2 D i e ältesten Register sind i n der päpstlichen Kanzlei angelegt worden. I n Deutschland finden sie sich seit dem 14. Jahrhundert zunächst i n einzelnen Ländern, dann i n der kaiserlichen Kanzlei (1322). 3 D i e Sammlung, Beschreibung u n d E r k l ä r u n g der u i i t e r I I 1 genannten Gebrauchsgegenstände des Rechtslebens sowie der unter I I 3 zu erwähnenden Kunstdenkmäler gehört zu den Aufgaben der von K . v. A m i r a neu begründeten Rechtsarchäologie. Vgl. hierüber v . A m i r a , G r u n d r i ß 8 15. v. S c h w e r i n , E i n f ü h r u n g i n die Rechtsarchäologie (43). Aus dem neueren Schrifttum hervorzuheben: v. A d m i r a , Dresdner Bilderhandschrift I I (s. u. § 39 A n m . 11). Das Femgerichtsbild des Soester Stadtarchivs (27). Das Soester Nequambuch (24). D i e Bilderhandschrift des Hamburger Stadtrechts von 1497 (17; dazu v. A m i r a , ZRG. 40, 308). F e h r , Das Recht i m Bilde (23). H e i n e m a n n , D e r Richter und die Rechtspflege 2 (24). F u n k , A l t e deutsche Rechtsmale (40). D e r s., ZRG. 65 (47), 297.

§ 2. Erkenntnisquellen

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2. J u r i s t i s c h e L i t e r a t u r . D e r e n w i c h t i g e r e E r s c h e i n u n g e n w e r d e n i m Zusammenhang m i t den unmittelbaren Rechtsquellen e r w ä h n t w e r d e n (§§ 19 V , 44, 71). 3. S o n s t i g e Q u e l l e n . A l s solche s i n d v o r a l l e m z u n e n n e n d i e Q u e l l e n d e r a l l g e m e i n e n Geschichte (ζ. B . C a e s a r , T a c i t u s 5 , G r e g o r von Tours, Annalen, O t t o von Freising, A d a m von Bremen), D e n k m ä l e r d e r L i t e r a t u r (ζ. B. R u o d l i e b , N i b e l u n g e n l i e d , K u d r u n , R e i n e k e Fuchs)6 u n d d e r K u n s t , die Rechtsleben schildern, Sitten, Gebräuche, Sagen, M ä r c h e n 7 u n d S p r i c h w ö r t e r 8 , i n d e n e n R e c h t s a n s c h a u u n g e n w i r k s a m sind, endlich die Ergebnisse der vorgeschichtlichen F o r schung. I I I . R e c h t s v e r g l e i c h u n g . D i e s e sucht a n d e r w e i t n i c h t u n m i t t e l b a r ü b e r l i e f e r t e Rechtssätze aus d e n ü b e r l i e f e r t e n z u erschließen. Sie g e h t d a b e i v o n d e m G r u n d g e d a n k e n aus, d a ß d i e Rechte d e r nach d e n E r g e b n i s s e n d e r Sprachgeschichte n ä c h s t v e r w a n d t e n S t ä m m e i m w e s e n t l i c h e n ü b e r e i n s t i m m e n . A u f d e r a n d e r e n S e i t e r e c h n e t sie d a m i t , d a ß Ü b e r e i n s t i m m u n g e n i n w e i t v e r w a n d t e n R e c h t e n a u f das i h n e n g e m e i n s a m e S t a m m r e c h t z u r ü c k z u f ü h r e n s i n d . V o n d a aus k a n n sie v e r s u c h e n , d i e L ü c k e n i n d e r Ü b e r l i e f e r u n g eines Rechts aus d e n b e k a n n t e n S ä t z e n n ä c h s t v e r w a n d t e r Rechte zu e r g ä n z e n u n d aus gleichen B e s t i m m u n g e n w e i t v e r w a n d t e r Rechte d e r e n Stammrecht 4 Deren Sammlung hat begonnen i m Deutschen Rechtswörterbuch I ff. (1914 ff.). Einzelschriittum i n den am Schluß des Paragraphen stehenden Werken. Dazu v. K ü n ß b e r g , Rechtssprachgeographie (26). D e r s., Z. f. Deutschkunde 44 (30) 379. M e r k , Werdegang u n d W a n d l u n g der deutschen Rechtssprache (33). 5 Ausgaben: S c h w e i z e r - S i d l e r 8 (23). F e h r i e 3 (39). M u c h (37). R e e b (30). M ü 11 e η h ο f f , Deutsche A t l e r t u m s k u n d e I V 2 (20). Vgl. N o r d e n , D i e germ. Urgeschichte i n Tacitus' Germania 3 (23). P e t e r k a , D i e Germania d. Tacitus u. d. rechtsgeschichtl. Forschung (29), F r a h m , Cäsar u. Tacitus als Quellen f. d. altgerm. Verfassung, H Y . 24 (29) 245. H. N a u m a n n , D i e G l a u b w ü r d i g k e i t des Tacitus, Altdeutsches Y o l k s k ö n i g t u m (41) 1. 6 F e h r , Das Recht i n der Dichtung (o. J.). Weiteres Schrifttum bei v. S c h w e r i n , E i n f ü h r u n g (s.u.) 69. Dazu Z a 11 i η g e r , D i e Eheschließung i m Nibelungenlied u. i n der G u d r u n (23). D e r s . , D i e Ringgaben bei der Heirat (31). P u n t s c h a r t , Schlern-Schriften 9 (25) 170. H. M e y e r , D i e Eheschließung i m Ruodlieb, ZRG. 52 (32) 276. v. K ü n ß b e r g , Rechtsverse (33). 7 v. K ü n ß b e r g , Rechtliche Volkskunde (36). D e r s . , RG. u . V o l k s k u n d e , Z. f. Deutschk. 36 (22) 321. D e r s . , RG. u. Volkskunde, i n Jb. f. histor. Volkskunde I (25) 68. D e r s., Festschr. Dopsch (38) 581. v. S c h w e r i n , Volksrechtskunde u. Rechtliche Volkskunde, Studi E. Besta I I (39) 515. Wertvolles M a t e r i a l auch i n A r b e i t e n von H. M e y e r , insbes. N G W G ö t t . 1930, 460. HansGbl. 56 (31). G o l d m a n n (s. Schriftt. zu § 19). F r ö l i c h (Festschr. D i e h l , 41). Β a d e r (Festgabe f. Fehr, 48). F e h r (Festgabe f. Feller, 48) usw. 8 G r a f u. D i e t h e r r , Deutsche Rechtssprichwörter (1869). W i η k 1 e r , Deutsches Recht i m Spiegel deutscher Sprichwörter (27).

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Einleitung

wiederherzustellen. Sie hat aber mit erheblichen Fehlerquellen zu rechnen, da die Gleichheit von Rechtssätzen auf paralleler Entwicklung beruhen kann, die Ungleichheit auf Beeinflussung durch andere Rechte oder auf selbständiger Abweichung. Neben dem Vergleich der germanischen Rechte untereinander vermag der mit anderen indogermanischen Rechten Aufschlüsse zu gewähren. Der Wert dieser Erkenntnismittel ist nicht nur absolut verschieden (Kenntnis des Urhebers der Quelle, Glaubwürdigkeit), sondern auch in Beziehung zur einzelnen Periode. Die Bedeutung der Rechtsvergleichung tritt in dem Maße zurück, in dem die unmittelbaren und mittelbaren Rechtsquellen zunehmen. Sie liegt demgemäß in der germanischen und fränkischen Periode. Dagegen behalten die mittelbaren Rechtsquellen dauernd um deswillen Wert, weil sie das lebendige Recht aufzeigen, teilweise im Gegensatz zu dem seinsollenden der unmittelbaren Reditsquellen. Nur treten diejenigen von ihnen, die einer auf das Sinnenfällige gerichteten und im Formalen sich bewegenden Zeit entstammen, mit deren Ablauf zurück 9. v. A d m i r a , Über Zweck u n d M i t t e l der germ. Rechtsgeschichte (1876). v. S c h w e r i n , E i n f ü h r u n g i n das Studium der germanischen Rechtsgeschichte (22) 44 (mit weiterem Schriftt.). R e h f e l d t , Grenzen der vergleichenden Methode i n der rechtsgeschichtlichen Forschung (42; dazu Erler, Paideuma 2, 351). K o s c h a k e r , Europa u. d. röm. Recht (47) 147, 198 f.

§ 3. Schrifttum Die für die heutige Forschung und Lehre beachtenswerten D a r s t e l l u n g e n der deutschen Rechtsgeschichte beginnen mit Karl Friedrich E i c h h o r n , Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte I—IV (1808—1823, in 5. Aufl. 1843/44). Auf einem breiten Unterbau von Quellen, juristischen wie historischen, errichtet, macht dieses Werk den ersten und für seine Zeit meisterhaft gelungenen Versuch, die im 18. Jahrhundert übliche „Reichsgeschichte" unter Beibehaltung der politischen Geschichte und Aufnahme der sogenannten inneren Rechtsgeschichte zu einem Bild vom Werden des ganzen deutschen Rechts umzugestalten. Es ist in vielen, wohl den meisten Einzelheiten überholt, aber in der Gesamtanlage bis heute richtunggebend geblieben. Das 1889 in erster Auflage erschienene Lehrbuch der deutschen RG. von R. S c h r ö d e r hat sich durch eingehende Verwertung der Literatur und als die einzige umfangreichere Darstellung der ge9 Zu einem wichtigen H i l f s m i t t e l der Forschung k a n n sich die neuerdings i n A n g r i f f genommene geographisch-kartographische Betrachtung der Rechtseinrichtungen entwickeln, indem sie deren räumliche V e r b r e i t u n g u n d gleichzeitig auch ihre räumliche Bewegung veranschaulicht. Vgl. v. K ü n ß b e r g a. A n m . 4 a. O. M e r k , Wege u n d Ziele der geschichtlichen Rechtsgeographie (26).

§ 3. Schrifttum

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samten Entwicklung aller Teile des deutschen Rechts zu einem unentbehrlichen Handbuch der Forschung entwickelt und hat diese Stellung bis zu der durch v. K ü n ß b e r g besorgten 7. Auflage (32) bewahrt. Durch eine seltene Beherrschung des Quellenstoffs, Sicherheit des historischen Urteils und Kunst der Darstellung steht voran H. B r u n n e r , Deutsche RG. I 2 (06), I I 2 (bearb.durch v.Schwerin28). Das W e r k umfaßt die germanische Zeit, Quellen, Staatsrecht, Strafrecht und Verfahren der fränkischen Zeit. Eine unentbehrliche Ergänzung dieses rechtsgeschichtlichen Schrifttums ist die bis i n die M i t t e des 12. Jahrhunderts reichende, stoffreiche Deutsche VG. von G. W a i t z I 3 (80), I I 3 (82), I I I 2 - V I 2 (83-96), V I I (76), V I I I (78). Von den kürzeren Darstellungen verdienen vor allem Erwähnung die Grundzüge der deutschen RG. von H. B r u n n e r , 8. Aufl., bearb. durch v. Schwerin (30) und K. v. A m i r a , Grundriß des germanischen Rechts 3 (13), der i n knapper F o r m eine auf eingehendster Quellenkenntnis und unerreichtem Uberblick über die Entwicklung aller germanischen Rechte ruhende Darstellung der Quellen und Rechtseinrichtungen der germanischen Stämme bis zum Ausgang des M A . gibt. Meisterhaft ist die kurze Einführung von H. M i t t e i s , Deutsche RG. (49). Durch starke Betonung der außerrechtlichen Faktoren der Rechtsentwicklung ist bemerkenswert H. F e h r , Deutsche RG. 4 (48). Lebendig und von umfangreichen Quellenstudien getragen, präsentiert sich H. P l a n i t z , Germanische RG. 3 (44). A u f die Entwicklung bis zur NZ. beschränkt ist die auch nichtdeutsche Germanenrechte berücksichtigende Germanische RG. von v. S c h w e r i n 2 (43). D i e NZ. behandeln H. E. F e i η e , Deutsche VG. der NZ. 3 (43) ; A. Z y c h a , Deutsche RG. der NZ. (37) ; F. H a r t u η g , Deutsche VG. 4 (33); F o r s t h o f f , Deutsche VG. d. Neuzeit (40); M ο 1 i t ο r , Grundz. d. neueren VG. (48) ; D e r s . , Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte (49). „Tatsachen der deutschen Geschichte" aus der Blickrichtung eines sachkundigen englischen Historikers gibt das Buch von G. B a r r a c l o u g h , übers, ν. H. M i t teis (47). Unerschöpfliche Fundgrube ist die Schilderung, die J. G r i m m unter ebenso kenntnisreicher wie verständnisvoller Verwendung von juristischen, historischen und literarischen Quellen des gesamten germanischen Gebiets von dessen Recht i n seinen Deutschen Rechtsaltertümern e n t w i r f t (1. Aufl. 1828, 4. A u f 1. v. Hübner u. Heusler 1899). A u f diesem W e r k beruht, es teilweise ergänzend N o o r d e w i e r , Nederduitsche Regtsoudheden (1853). D i e Zeit bis etwa zum Jahre 1000 behandeln zahlreiche A r t i k e l i m Reallexikon der germanischen A l t e r tumskunde, herausg. v. J. Hoops, I — I V (11—19).

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Einleitung

V o n den Q u e l l e n s a m m l u n g e n sind sehr brauchbar Η . Ρ 1 a η i t ζ , Quellenbuch d. Deutschen, österreichischen u. Schweizer Rechtsgesch. (48). Κ . Ζ e u m e r , Quellensammlung zur Gesch. d. deutschen Reichsverfassung i n M i t t e l a l t e r u. Neuzeit 2 (13). A l t m a n n u. B e r n h e i m , Ausgewählte U r k u n d e n z. Erläuterung d. Verf.-Gesch. Deutschlands i m M A 5 (20). A l t m a n n , Ausgew. U r k . z. deutschen Verfassungsgesch. seit 1806 (1898). Κ e u t g e η , U r k u n d e n ζ. städt. Verfassungsgesch. (01). Quellen z. ält. Gesch. d. Städtewesens i n M i t t e l deutschland (49). S a n d e r u . S p a n g e n b e r g , U r k u n d e n z. Gesch. d. Territorialverfassung, Heft 1—4 (22—26). K ö t z s c h k e , Quellen z. Gesch. d. mitteldeutsch. Kolonisation 2 (31). W o p f n e r , U r k u n d e n z. deutschen Agrargeschichte, Heft 1—3 (25—28). F r a n z , Deutsches B a u e r n t u m ! — I I (39—40). A l t m a n n , U r k . z. brandenburg.-preuß. Verfassungs- u. Yerwaltungsgesch. I — I I (1897) I 2 , I I l 2 (14/15). v. S c h w i n d u. D o p s c h , Ausgew. U r k . z. Verfassungsgesch. d. deutsch-österreichisch. Erblande (1895). N a b h o l z u. Kläui, Quellen zur YG. d. Schweizerischen Eidgenossenschaft (40). T e i l g e b i e t e u n d N a c h b a r g e b i e t e behandeln A . L u s c h i n v o n E b e n g r e u t h , Österr. Reichsgesch. (1896), jetzt Handbuch d. österr. Reichsgeschichte I 2 (14). D e r s . , Grundriß d. österr. Reichsgeschichte2 (18). E b . S c h m i d t , Rechtsentwickliing i n Preußen 2 (23). H e u s 1 e r , Schweizerische Verfassungsgeschichte (20). H i s , Gesch. d. neueren Schweiz. Staatsrechts I — I I I (20—38). H . R e η η e f a b r t , Grundz. d. bernischen RG. I — I V (28—36). F o c k e m a A n d r e a e , B i j d r a g e n tot de nederlandsdhe rechtsgeschiedenis, I — V (1888—14). L. A . W a r n k ö n i g , Flandrische Staats- u. RG. 1—3 (1835—42). van A p e l d o o r n , Dietsch Recht, i n „ D e nieuwe gids" (39). d e Β 1 é c o u r t , Cort begrip von het oud-vaderlandsch b u r g e r l i j k recht 5 (38). P o l l o c k a n d M a i t l a n d , The history of English L a w 2 1 , I I (1898). H a t s c h e k , Engl. Verfassungsgeschichte (13). H o l d s w o r t h , H i s t o r y of English L a w I — X I I (03ff., z.T. 6. Aufl.). J e n k s , Short history of English L a w 5 (34). K o l d e r u p - R o s e n v i n g e , Grundr. d. dänischen Rechtsgeschichte, übers, v. Homeyer (1825). M a t z e n , Forelsesninger over den danske Retshistorie, 5 Teile (1893 ff.). P. J. J o r g e n s e n , Dansk Retshistorie (40). M a u r e r , Vorlesungen über altnordische Rechtsgesch. I — V (07—10). B r a n d t , Foreleesninger over den norske Retshistorie I, I I (1880—1883). E s m e i n , Cours élémentaire d'histoire du droit français 1 5 (25). D é c l a r e u i l , Histoire générale du droit français (25). C h é n o n , Histoire générale du droit français public et p r i v é I, I I 1 (26—29). O l i v i e r - M a r t i n , Histoire du droit français 4 (48). R e g n a u l t , Manuel d'histoire du droit français 5 (47). L e p o i n t e , Précis des Sources de l'histoire du droit

§ 3. Schrifttum

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français 2 (49). P e r t i l e , Storia del d i r i t t o italiano 2 I — V I und Ind. (1892—03). S a 1 ν i ο 1 i , Storia del d i r i t t o italiano 9 (30). P. S. L e i c h t , Storia del d i r i t t o pubblico italiano 2 (40). D e r s . Storia del d i r i t t o italiano. Le F o n t i (38). E. M a y e r , Italienische Verfassungsgesch. I, I I (09). E r η. M a y e r , Historia de las instituciones sociales y politicas de Espana y Portugal I, I I (25). M. T o r r e s , Leccioncs de historia del derecho espanol, I 2 (35), I I 2 (36). A . G a r c i a G a l l o , Historia d i derecho espanol I 2 (41). P. M e r ê a , Liçôes de historia de direito português (25). R e c h t s g e s c h i c h t l i c h e Z e i t s c h r i f t e n : Zeitschrift f. geschichtliche Rechtswissenschaft, 1—15 (1815—50). Zeitschrift f. deutsches Recht, 1—20 (1839—61). Zeitschrift f. Rechtsgeschichte, 1—13 (1861—78), fortgesetzt i n der Zeitschrift der Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte Iff. (seit 1880), zerfallend i n eine germanistische und romanistische, seit 11 auch kanonistische Abteilung. Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis I f f . (seit 18). A n u a r i o de historia del derecho espanol, I f f . (seit 24). Rivista d i storia del d i r i t t o italiano I f f . (seit 28). Przewodnik historyczno-prawny Iff. (seit 30). Revue historique de droit français et étranger (unter verschiedenen T i t e l n seit 1844). Auch die allgemein geschichtlichen Zeitschriften enthalten rechtsgeschichtliche Aufsätze, i n Deutschland vor allem die Historische Zeitschrift (seit 1859), die Zeitschr. f. Sozial- u. Wirtsdhaftsgesch. (seit 1893) und das Deutsche Archiv f. Gesch. d. Mittelalters (seit 37). B i b l i o g r a p h i e : Eine Bibliographie 3er deutschen Rechtsgeschichte von H a n s P l a n i t z steht vor dem Erscheinen. Κ . Κ ο r a n y i , Bibliografia historycznoprawna za lata 1926—36 I (38), I I (39). I m übrigen Literaturangaben i n Handbüchern, insbesondere bei Schröder - v. Künßberg (s. o.) u n d D a h l m a n n - W a i t z , Quellenkunde d. deutschen Geschichte 9 (31). R e c h t s s p r a c h e : Deutsches Rechts Wörterbuch 1—4 (14—40) ff.; v. R i c h t h o f e n , Altfriesisches Wörterbuch (1840). Politische Geschichte: Gebhardt's Handbuch der deutschen Geschichte, 7. Aufl. v. R. Holtzmann, 1. 2 (30/31). H a n d b u c h der deutschen Geschichte, hrsg. v. O. Brandt, A . O. Meyer, H. U l l m a n n (36). P r o p y l ä e n - W e l t g e s c h i c h t e (alte und neue). M e t h o d e : v. S c h w e r i n , Einführung i n das Studium der germanischen Rechtsgeschichte (22). M i t t e i s , Vom Lebenswert der Rechtsgeschichte (47). M i t t e i s , D i e Rechtsgeschichte und das Problem der historischen K o n t i n u i t ä t (Abh. A k . 47). T h i e m e , Ideengeschichte und Rechtsgeschichte (Festschr. Gierke 49).

I. Die germanische Zeit § 4. Volk und Schauplatz Als C. J. Cäsar i m Jahre 58 v. Chr. nach Gallien kam, w a r fast das ganze l i n k e Rheinufer von freien, politisch nicht verbundenen Germanenstämmen besetzt. I n den folgenden Jahren drangen die Römer vorübergehend i n das ostrheinische Gebiet vor. Vom Jahre 9 n. Chr. ab bildete der Rhein i n seinem Unterlauf die Westgrenze des freien Germaniens. I m Süden gelang es den Römern, den germanischen \ 7 o r stoß (Markomannen) an der Donau zum Stehen zu bringen. Unter Domitian, T r a j a n , H a d r i a n und Antoninus Pius w u r d e n Unterrhein (bei Rheinbrohl) und Donau (unweit Regensburg) durch den obergermanischen und den rätischen Limes verbunden. Das zwischen Limes, Rhein und Donau liegende Zehntland (agri decumates) w u r d e zu einem militärisch gesicherten Grenzschutzgebiet ausgebaut. I n dem so gegen das römische Weltreich abgegrenzten Raum eingeschlossen und dessen k u l t u r e l l e m Einfluß fast v ö l l i g entrückt, formte sich die Vielzahl germanischer civitates u m zu den die Folgezeit beherrschenden großen Stammesgruppen. Verwandtschaftliche u n d nachbarliche Beziehungen, w i e gemeinsamer K u l t , aber auch kriegerische Ereignisse haben diesen Zusammenschluß b e w i r k t , haben Bünde geschaffen, die sich zu politischen Einheiten verdichteten. Dam i t verschwanden aber auch die alten Stammesnamen, u n d unter neuen Namen traten die Germanen wieder i n das Licht der Geschichte 1 . K u r z nach Beginn des 3. Jahrhunderts durchbrachen die Alamannen den Limes und behaupteten sich i n der Folgezeit i n heftigem Kampf zu beiden Seiten des Oberrheins. A m Beginn des 6. Jahrhunderts erst wanderten die Baiern aus Böhmen i n das Donaugebiet ein und schoben die Südgrenze des germanischen Gebiets i n die A l p e n vor. A m Niederrhein gingen zahlreiche Völkerschaften i n den Stämmen cler Salier, Ripuarier und Chatten auf, von denen sich die erstgenann1

D i e Annahme einer solchen U m f o r m u n g der germanischen Stämme gerät ins Wanken, wenn man i n den Germani der a n t i k e n Schriftsteller nicht Germanen i m späteren Sinne sieht. Vgl. S. 1 A n m . 1.

§ 5. Wirtschaftliche Verhältnisse

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ten weithin westlich des Rheins bis über die Scheide ausdehnten. Im Innern Deutschlands bildete sich der Stamm der Sachsen in der Tiefebene westlich der Elbe, der der Thüringer am Oberlauf von Weser und Saale bis herab zur Donau. An der Küste der Nordsee dehnten sich auch die Friesen weiter nach Westen aus, bis in das Mündungsgebiet von Rhein und Scheide. Dieses Vorschieben der deutschen Grenze nach Westen und Süden war mehr als eine politische Ausdehnung. Es bedeutete darüber hinaus ein Eindringen der deutschen Stämme in römisches Gebiet und brachte die Westgermanen zum erstenmal in die Umgebung und unter den Einfluß der römischen Kultur. Es führte so zu Entlehnungen und Angleichungen auf rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiet. Uberall da, wo Germanen in dem Gebiet des römischen Reiches sich niederließen, ergab sich eine nach Volk und Gegend sehr verschieden starke Kontinuität der kulturellen und technischen Entwicklung von der Antike zum Mittelalter. Ohne der Romanisierung zu verfallen, haben Franken, Alamannen und Baiern Einrichtungen und Errungenschaften der ausgehenden Antike aufgenommen und beibehalten, während allerdings die auf römischem Boden sich niederlassenden Ostgermanen ihre germanische Eigenart mehr oder weniger verloren haben2. D a h n , Urgeschichte der germanischen u n d romanischen V ö l k e r I 2 (1899), I I — I V (1881—89). M o m m s e n , Römische Geschichte V (1885). L . S c h m i d t , Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der V ö l k e r w a n d e r u n g (04—18). D e r s . , D i e Ostgermanen 2 (34). D e r s . , D i e Westgermanen I 2 (38). I I , l 2 (40). D e r s . , Geschichte der germ. F r ü h z e i t 2 (34). M ü l l e n h o f f , Deutsche A l t e r t u m s k u n d e I — V (1870—00; zum T e i l Neuausgabe). H e 1 b o k , Grundlagen der Volksgeschichte Deutschlands u n d Frankreichs (Text u n d Tafeln 37).

§ 5. Wirtschaftliche Verhältnisse1 Die Germanen waren seßhafte Bauern. Ihr Wirtschaftsleben beruhte auf Viehzucht, Ackerbau und Jagd. An den Grenzen wurde Handel getrieben, mit einigen Produkten wie Bernstein und Pelzwerk auch Fernhandel. In beschränktem Umfang hat es auch einen Binnenhandel gegeben. Aber die Zahl berufsmäßiger Händler war gering, ein Handelsstand nicht vorhanden. An Gewerben dürfte nur die Schmiedekunst weitere Verbreitung gehabt haben2. Ein ger2

Vffl. § 15. Über die Kulturverhältnisse der Germanen i m allgemeinen vgl. K a u f m a n n , Deutsche A l t e r t u m s k u n d e I (13). I I (23). H e u s 1 e r , Germanent u m (38). G r ö n b e c h , K u l t u r u n d Religion der Germanen I, I I (37—39). H. S c h n e i d e r , Germ. A l t e r t u m s k u n d e (38). 2 Uber die E n t w i c k l u n g der abhängigen A r b e i t E b e l , Gött. Akad. Reden 8 (39) 14. 1

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I· Die germanische Zeit

manisdies Münzwesen fehlte. Römische Prägungen waren im Umlauf, wurden vereinzelt auch nachgeahmt. Es herrschte Naturalwirtschaft (Tauschwirtschaft), keine Geldwirtschaft. Das Schwergewicht lag auf der Viehzucht. Vieh war das Hauptzahlungsmittel (nord. Kuhgeld) neben dem in zweiter Linie stehenden Gewebe (Tuchgeld)3. Vieh war der Wertmesser für die Berechnung von Bußen. Auf der Größe des Viehbestands beruhte der Reichtum des einzelnen, das Vieh gab die Hauptnahrung. Die Beziehungen zum Grund und Boden wurden grundlegend beherrscht von dem Maß der Seßhaftigkeit. Wenn auch die Germanen nicht Nomaden waren, so nötigten doch Landmangel und Vordringen benachbarter Völker bald diesen, bald jenen Stamm zur Wanderung und zum Aufsuchen neuer Wohnsitze4. Auch an der Rheingrenze gelangten die dortigen Völker nicht vor dem ersten Jahrhundert n. Chr. zu einer Ruhe, in der sich das Verhältnis zum Boden formen konnte. Infolgedessen ist die Bedeutung der Nachrichten Cäsars nur gering. Aufschluß geben neben kritischer Verwertung von Tacitus die Zustände der von den Wanderungen nur wenig berührten Stämme des Nordens und Nordwestens. Von Einfluß war außerdem die Art der Siedlung. Sie erfolgte in Dörfern offener oder geschlossener Bauweise, in Gehöftgruppen (Weiler, Bauerschaften) und in verstreuten Einzelhöfen 5. In der Zeit dauernder Seßhaftigkeit zerfiel der Gesamtbereich einer Dorfsiedlung in das Dorf selbst mit den Hofstätten, das anschließende Kulturland und die Allmende (Wald, Weide, Gewässer). Die dem einzelnen zugewiesene Hofstätte stand in seinem Sonderbesitz, das Kulturland in der Regel im Gesamtbesitz der Dorfgenossen 6. Es wurde Jahr für Jahr unter sie zur Nutzung aufgeteilt, nachdem vielleicht eine Periode gemeinschaftlicher Nutzung vorausgegangen war. 8

Daher ahd. faihu, nord, fé = V i e h u n d = Geld. Vgl. lat. pecus-pecunia. Der Kampfgeist führte Gefolgschaften, nicht V ö l k e r oder Volksteile über die Grenzen. 5 D i e Grenze zwischen diesen Siedlungsformen ist nicht scharf. Sie sind auch nicht auf einzelne Stämme oder Gebiete ohne wesentliche Ausnahme verteilbar, da sie v o m Gelände, v o m Waldbestand u n d von den zur Siedlung führenden Vorgängen beeinflußt sind. Vgl. die Zusammenfassung bei L ü t g e a. u. a. O. u n d zur Problematik Κ 1 e b e 1, Forschungswege zur ma. Siedlungsgeschichte, Südostd. Forsch. 3 (38). 6 Das zum T e i l gegen diesen Satz, zum T e i l gegen das Folgende gerichtete Schrifttum (Dopsch, Ernst u. A.) baut auf einer zu schmalen Quellenbasis auf, u m überzeugen zu können. Weder werden die k l a r e n Verhältnisse des nordgermanischen Flachlandes (Dänemark, Südschweden) u n d die Besonderheiten der Gebiete später Einwanderung (Alamannien, Bayern, Island) genügend beachtet, noch die Probleme scharf erfaßt. Vgl. v. S c h w e r i n , ZRG. 56 (36) 507. Richtig ist es, für die germanische Zeit das W o r t Eigentum zu vermeiden u n d auf Besitz oder Herrschaft abzustellen. 4

§ 5. Wirtschaftliche Verhältnisse

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Die Allmende war Herrschaftsgebiet der Gesamtheit, das der einzelne durch Jagd, Viehtrieb, Holzung und Rodung nach Belieben nutzen konnte 7 . Die Hofstätten waren im wesentlichen gleich groß. Dem entspricht die Gleichmäßigkeit der Anteile am Kulturland. Sie schließt anderseits nicht aus, daß etwa der Führer eines nach langer Wanderung sich niederlassenden Haufens einen größeren Anteil erhielt. Auch liegt im Rodungsrecht des einzelnen die an sich unbeschränkte Möglichkeit der Gewinnung weiteren Landbesitzes. Denn die Gleichheit war nicht so sehr Grundsatz, als Folge gleichen Bedarfs. Großgrundbesitz im Sinne der späteren Zeit und Grundherrschaften hat es nicht gegeben8. Die Gesamtheit der Dorfgenossen bildete einen einheitlichen Wirtschaftsverband, die Markgenossenschaft. Sie ist mit der gemeinschaftlichen Niederlassung des Wanderhaufens oder durch Ausbau von Weilern oder auch Einzelhöfen entstanden und war vielfach auch verwandtschaftlicher Verband, jedenfalls Unterstützuijgsverband 9. Soweit der Gesamtbesitz reicht, begründet er unter den Genossen eine Feldgemeinschaft, die den einzelnen zwingt, seinen Wirtschaftsbetrieb gemäß allgemein beschlossenen Regeln durchzuführen (Flurzwang) Die Markgenossenschaft übt hierbei eine Gewalt über die Genossen aus, die nicht vom Staat abgeleitet, sondern autonome Verbandsgewalt ist 10 . Eine für alle Stämme und Gegenden gleiche Wirtschaftsform hat es nicht gegeben. Die altgermanischen Formen waren die Einfelderwirtschaft und die Zweifelderwirtschaft, bei der auf dem gleichen Feld Brachzeit und Anbauzeit abwechselten. Da und dort fand sich eine wilde Feldgraswirtschaft, ein regelloser Wechsel zwischen Anbau und Grasland. Erst nach längerer Seßhaftigkeit und vielleicht unter fremdem Einfluß gelangten einzelne Stämme zur Dreifelder7 D i e Gesamtheit der dem einzelnen i n Dorf, K u l t u r l a n d u n d A l l m e n d e zustehenden Rechte w i r d i n der Wissenschaft als Hufe bezeichnet. Dagegen m i t Recht G a η a h 1, ZRG. 53 (33) 208. 8 Auch die Ergebnisse der Ausgrabungen beweisen n u r vereinzelten größeren Besitz. 9 Es ist ein Fehler der Forschung über die Markgenossenschaft, daß sie diese persönliche Seite nicht genügend beachtet. Vgl. v. S c h w e r i n , ZRG. 55, 550. 10 D i e Frage, ob die Dörfer politische Verbände waren, k a n n man n u r stellen u n d beantworten, wenn man das Wesen des Politischen für die F r ü h zeit umgrenzt hat, nicht von heutigen Vorstellungen aus. W e n n der Begriff nicht farblos werden soll, k a n n man als politische Aufgaben n u r solche anerkennen, die für den Gesamtbereich die gesamte Volksgemeinschaft erfüllt. Daß germanische D ö r f e r solche Aufgaben gelöst hätten, ist nicht bewiesen, noch weniger, daß dies beim Fehlen von D ö r f e r n Nachbarschaftsgemeinden getan hätten.

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I· Die germanische Zeit

Wirtschaft. Bei dieser war das gesamte, zum Anbau bestimmte Land in drei Felder geteilt, die in dreijährigem Wechsel zuerst mit Winterfrucht, dann mit Sommerfrucht bestellt waren, und im dritten Jahre bradi lagen. Bei Siedlung in Gehöftgruppen und bei Einzelhofsiedlungen war das um das einzelne Gehöft gelegene Kulturland im Sonderbesitz. Gemeinschaftlich war nur die Allmende. Nur auf sie bezog sich die Markgenossenschaft, die aber im Innern erst dann von Bedeutung wurde, als die Nutzung der Allmende aufhörte, unbeschränkt zu sein. Nach außen hatte sie das Recht der Genossen auf das Allmendegebiet zu wahren. v. I n a m a - S t e r n e g g , Deutsche W G . I 2 (09). K ö t z s c h k e , A l l g e m . W G . d. M A . (23). Κ u 1 i s c h e r , Allgem. W G . d. M A . u. d. NZ. I (28). S i e v e k i n g , W ô . (35). v. B e l o w , Gesch. d. deutschen Landwirtschaft d. M A . (37). L. v. M a u r e r , Gesch. d. Markenverfassung (1856). D e r s., Gesch. d. Dorfverfassung I u. I I (1865/66). A r n o l d , Ansiedlungen u. Wanderungen deutscher Stämme 2 (1886). M e i t z e η , Siedelung u n d Agrarwesen der Westgermanen u. d. Ostgermanen, der Kelten, Römer, F i n n e n u n d Slaven, I — I I I u. Atlas (1895). D ο ρ s c h , Wirtschaftliche u n d soziale Grundlagen der europäischen K u l t u r e n t w i c k l u n g I 2 (23; dazu Stutz, ZRG. 46, 331; B r i n k m a n n , ZRG. 40, 289; v. Schwerin, ZgesStW. 80, 699). D e r s., Wirtschaft u. Gesellschaft i m frühen MA., TRG. X I (32) 359. E r n s t , D i e Entstehung des deutschen Grundeigentums (26; dazu B r i n k m a n n , ZRG. 46, 420; F. Beyerle, D L Z . 1928, 1670; Eckhardt, ZRG. 46, 420). G a η a h 1, Muolen u. H a g e n w i l , M I Ö G . EB. 14 (39) 323. D e r s., D i e M a r k i n den älteren St. Galler U r k u n d e n , ZRG. 60 (40) 197. S t e i η b a c h , Gewanndorf u. Einzelhof, Hist. Aufs. (22) 44. H e 1 b ο k , a. § 4 a. Ο. 350, 441. D e r s., Zur Frage d. germ. Wirtschaftskultur, VjsSWG. 22 (29), 257. W o ρ f η e r , Beiträge zur Geschichte der älteren Markgenossenschaft, M I Ö G . 33 (12) 553; 34 (13), 1. S t ä b 1 e r , Zum Streit über die ältere Markgenossenschaft, N A . 39 (14) 693. H a f f , VjsSWG. 28 (35) 126. W ü h r e r , Beitr. z. ältesten Agrargesch. d. germ. Nordens (35; vgl. v. Schwerin, ZRG. 56, 507). F. L ü t g e , D i e Agrarverfassung des frühen M A . (37; dazu Ganahl, ZRG. 59, 361). K r z y m o w s k i , D i e Entstehung der alten Dörfer u n d D o r f Auren, Jb. d. Gesellsch. f. Gesch. der Landwirtsch.40 (41). K l u g e , Sippensiedlungen u n d Sippennamen, V j S W G . 6 (08) 73. R i e ζ 1 e r , D i e bair. u. schwäb. Ortsnamen auf -ing u n d -ingen, SbAkMü. 1909. D ο ρ s c h , Grundlagen I 269.

§ 6. Ständewesen Die Bevölkerung des germanischen Staates zerfällt in Freie und Unfreie. Dieser Gegensatz ist zugleich der von Rechtsfähigkeit (Mannheiligkeit 1 ) und Rechtlosigkeit. Er ist erwachsen aus der Stammesgliederung. Nur der Freie ist Stammesgenosse, der Unfreie eines fremden Stammes. 1 Dazu vgl. Β a e t k e , D e r Begriff der „ U n h e i l i g k e i t " i m altnordischen Recht, BGDS. 66 (42), welcher i n der Mannheiligkeit eine Beziehung zwischen den Volksgenossen sieht, die durch eine Missetat n u r i m Verhältnis zum Verletzten außer K r a f t t r i t t .

§ 6. Ständeweeen

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Der Stand der Freien (ingenuus, ahd. fri) gliedert sich seit frühester Zeit in den Adel (nobilitas) und die jetzt so genannten Gemeinfreien. Der Adel besteht aus den Familien göttlicher Abkunft, ist daher reiner Geburtsstand. Diese Abstammung begründet für den Adligen Ansehen und politischen Einfluß und ist mitbestimmend für seine Eignung zum politischen Führer. Um ihretwillen ist er dem Volk mehr wert. Dagegen läßt sich nicht beweisen, daß er auch Vorrechte gehabt habe, etwa einen Anspruch auf höhere Buße. Die Zahl der Adligen war gering. Die Gemeinfreien bildeten die Masse des Volkes. Der Unfreie (Knecht)2 ist im Rechtssinn nur Sache, wie jede andere Sache der Gewalt seines Herrn unterworfen, der seine Arbeitskraft in Haus und Hof ausnutzen, ihn verkaufen, züchtigen, töten kann. Er ist unfähig, Vermögen zu haben oder eine Ehe zu schließen. Doch hat die Sitte die Stellung der Knechte gemildert und in beschränktem Umfang gab es auch Unfreie, die selbständig einen Hof ihres Herrn bewirtschafteten und diesem nur Abgaben zu entrichten oder gemessene Dienste zu leisten hatten. Die Unfreiheit beruhte ursprünglich auf kriegerischer Unterwerfung eines Volkes oder Kriegsgefangenschaft, dann auf Geburt von unfreien Eltern oder einem unfreien Elternteil. Zwischen Freie und Unfreie schob sich im Laufe der germanischen Zeit der Stand der Halbfreien (Minderfreien) ein, die später als Liten, Laten, Aldien oder Barschalke 3 bezeichnet wurden. Er entstand durch freiwillige Unterwerfung einzelner Stämme und pflanzte sich durch Abstammung fort 4 . Die Rechtsstellung der Minderfreien war nicht bei allen Stämmen die gleiche. Doch gewährt sie überall Rechtsfähigkeit, wenngleich keine politischen Rechte, bindet an die Scholle und verpflichtet zu Diensten und Abgaben gegenüber dem Herrn. Durch das Rechtsgeschäft der Freilassung konnte der Unfreie von seinem Herrn zum Halbfreien oder auch Vollfreien erhoben werden. Durch einen Akt der Sippe konnte dieser i n ein freies Geschlecht aufgenommen werden, durch die Volksversammlung auch in den Staat. Außerhalb aller Ständegliederung standen die Fremden (got. gasts, ahd. alilanti). Ihnen konnte nur ein Gastfreund Rechtsschutz vermitteln, der aber auch für sie haftete. 2

So erst i m M A . Knecht bedeutet u r s p r ü n g l i c h den K n a b e n . D e r U n f r e i e heißt ahd. s k a l k , deo. 8 Z e i ß , Z B L G . 1 (28) 440; 2 (29) 358. K l e b e l , ebda. 3 (30) 29. m a n n , Festschr. Dopsch (38) 170. M o l i t o r , ZRG.64 (44) 112.

Haupt-

4 Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß u n t e r w o r f e n e Stämme der H a l b f r e i h e i t verfielen, w e n n sie s t a m m e s v e r w a n d t m i t d e m Sieger w a r e n , der U n f r e i h e i t , w e n n sie i h m stammesfremd waren.

v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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I Die germanische Zeit

G r i m m , RA. I 4 361. Κ . M a u r e r , Über das Wesen des ältesten Adels der deutschen Stämme (1846) ; d e r s , K r Ü . 2 (1855) 388. R. K ö t z s c h k e , D i e Gliederung der Gesellschaft bei den alten Deutschen, DZG. NF. 2 (1897/98) 269. M. W e b e r , D e r Streit u m den Charakter der altgerm. Sozialverfassung, JbNSt. 83 (04) 433. E. M a y e r , D e r germ. Uradel, ZRG. 32 (11) 41; d e r s . , ebd. 37 (16) 93. Ν e c k e 1, A d e l u n d Gefolgschaft, BGDS. 41 (16) 385. W a a s , D i e alte d. Freiheit (39; dazu Mayer, ZRG. 61, 349; Tellenbach, HZ. 164, 567). — K. M a u r e r , Vorlesungen I (07) 95; L i e b e r m a n n , Gesetze I I , 662.

δ 7. Die Sippe I. M i t dem W o r t Sippe (got. sibja, ahd. sippa) bezeichnet man zwei verschieden aufgebaute Verwandtschaftsgruppen. M a n versteht darunter 1. den Kreis der Blutsverwandten einer bestimmten Person (Magen, Magschaft). Dieser Kreis umfaßt n u r f ü r vollbiirtige Geschwister die gleichen Personen u n d w i r d daher auch wechselnde Sippe genannt. Innerhalb seiner scheidet sich die Gruppe der durch die M u t t e r verwandten Personen (Muttermagen) von den durch den Vater verwandten. D i e Männer der Vaterseite erscheinen als Schwertmagen (Speermagen), alle Weiber u n d die Männer der Mutterseite als Spindelmagen (Kunkelmagen). E i n engerer Kreis, bestehend aus Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder und Schwester, t r i t t allen ü b r i gen Verwandten als dem weiteren Kreis gegenüber 1 . 2. bedeutet Sippe den durch Männer verwandten, also agnatischen, auf einen gemeinschaftlichen Stammvater zurückgehenden Geschlechtsverband. E r umfaßt für alle Abkömmlinge des Stammvaters die gleichen Personen u n d heißt demgemäß feste Sippe 2 . I I . D i e Zugehörigkeit zur Sippe hatte regelmäßig i h r e n G r u n d i n der Aufnahme des Neugeborenen durch den Hausherrn. Daneben gab es das Rechtsgeschäft der Geschlechtsleite, die Einführung eines Sippefremden i n die Sippe, die allerdings n u r i n nordischen Rechten unmittelbar nachzuweisen ist. D e r einzelne konnte sich von der Sippe lossagen (Entsippung), die Sippe konnte i h n strafweise ausschließen, wenn er seine Pflichten i h r gegenüber verletzte. Sie übte damit i h r Sippenstrafrecht aus. 1 Fränkische u n d friesische Rechte teilen die Magschaft i n vierendeele (klüfte) u n d achtendeele (fächten, fänge) u n d verstehen darunter die vier (acht) Gruppen der Verwandten, die durch die Großeltern (Urgroßeltern) einer Person m i t i h r verbunden sind. Vgl. auch Τ ä g e r t , Familienerbe i n Friesland (37; dazu Schultze ZRG. 59, 512). 2 Eine auf Verwandtschaft durch die M u t t e r beruhende, mutterrechtliche Organisation der Sippe haben die Germanen i n historischer Zeit nicht gekannt, wahrscheinlich auch nicht die Indogermanen. S c h r ä d e r , RL. I I 86. E c k h a r d t , Irdische Unsterblichkeit (37) 112.

§ 7. Die Sippe

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Ein verwandtschaftsähnliches Verhältnis konnte unter einzelnen Männern durch die Schwurbrüderschaft begründet werden. Sie entstand durch einen eidlich abgeschlossenen Vertrag, der unter den Vertragschließenden die Rechte und Pflichten natürlicher Brüder erzeugte3. Durch die Eheschließung entstand kein Verwandtschaftsverhältnis. Wohl aber trat die Ehefrau in Rechtsbeziehungen auch zur Sippe ihres Mannes, die sie in ihren Schutz nahm und für sie haftete. Anderseits schied sie nicht aus ihrer Sippe aus, wurde von dieser der Mannessippe gegenüber vertreten und nach dem Tode des Mannes bevormundet. III. Die Sippe ist der älteste Friedensverband und die älteste Kultgenossenschaft. Ihre rechtliche Bedeutung lag auf der einen Seite darin, daß sie den einzelnen Sippegenossen nach außen hin schützte und vertrat, aber auch für ihn haftete. Auf der anderen Seite erfüllte sie Aufgaben, die späterhin zu solchen des Staates wurden 4 . Sie war außerdem bei gemeinsamer Siedlung ein wirtschaftlicher Verband und hatte als solcher einen Sippenbesitz. Im Heere bildete sie eine geschlossene Einheit (fara) 5. Im Zusammenhang mit der Gestaltung des Prozesses steht die Pflicht der Sippe, ihren Genossen im Rechtsgang zu unterstützen durch Leistung von Eidhilfe und Bürgschaften. Uber Unmündige und Frauen, die nicht unter der Munt eines Verwandten oder des Ehemannes standen, hatte sie die Gesamtvormundschaft, die sie durch einen von ihr bestellten Vormund ausüben lassen konnte. Damit berührt sich ihre Beteiligung an der Eheschließung, die nicht so sehr Angelegenheit der Ehegatten, als vielmehr Sippenangelegenheit war 6 . Der Sippe oblag die Pflicht der Armenpflege, die sie durch Unterbringung des Armen bei einem, wohl dem nächstverwandten, oder abwechselnd bei verschiedenen Sippengenossen erfüllte. Im Falle des Todes hatte sie für den Totenkult zu sorgen. Die Tötung eines Sippegenossen verpflichtete die übrigen zur Blutrache, zur Erhebung und Durchführung der Fehde gegenüber dem Täter, der wiederum von seiner Sippe Unterstützung fordern konnte. Aber auch andere Rechtsverletzungen konnten eine solche Geschlechterfehde auslösen. Endete die Fehde mit einem Sühnevertrag 8 Ursprung der Gilden. W i 1 d a , Das Gilden wesen i m M A . (1836). P a p p e n h e i m , Die altdänischen Schutzgilden (1885). 4 Wer daraus schließt, daß es i n dieser Zeit keinen Staat gegeben habe, erweist sich als befangen i n modern-juristischen Vorstellungen. « H e n n i n g , Z D A . 36 (1892) 316; Κ ö g e 1, ebd. 39 (1895) 217. 6 Dies g i l t n u r von der i m Einverständnis m i t der Frauensippe geschlossenen Muntehe, nicht von der durch Konsens allein der Ehegatten begründeten sogenannten Friedelehe.

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(Urfehde), hatte des Täters Sippe im Falle der Tötung das Wergeid aufzubringen, das in der Sippe des Verletzten zur Verteilung kam. K. M a u r e r , K r Ü . 1 (1853) 52; 3 (1856) 26. v. A m i r a , Erbenfolge u. Verwandtschaftsgliederung nach den altniederd. Rechten (1874). B r u n n e r , Sippe u n d Wergeid nach niederdeutschen Rechten, ZRG. 3 (1882) ( = Abh. I 104). J. F i c k e r , Untersuchungen zur Erbenfolge d. ostgerm. Rechte I (1891) 235. V i n o g r a d o f f , Geschlecht u. Verwandtschaft i m altnordischen Recht. ZSWG. 7 (00). M a u r e r , Vorlesungen I I I (08). P a p p e n h e i m , Über künstliche Verwandtschaft i m germ. R. ZRG. 29 (08) 304. H e r m a n n , D i e Eheformen d. Urindogermanen (34). H. M e y e r , Friedelehe u. Mutterrecht, ZRG.47 (27) 198. D e r s . , Ehe u. Eheauffassung der Germanen (Festschrift H e y m a n n 40). A . S c h u 11 ζ e , Zur RG. d. germ. Brüderschaft ZRG. 56 (36) 264. D e r s . , Zum altnordischen Eherecht (39). D e r s . , Das Eherecht i n d. älteren angels. Königsges. (41). D e r s . , ZRG. 63, 378. D e r s . , Über westgotisch-spanisches Eherecht (44). M e 1 i c h e r , D i e german. Formen d. Eheschließung i m westgotisch-spanischen Recht (40). ν. S c h w e r i n , ZRG. 58 (38) 824; d e r s., ZAkdR. 5 (38) 529. D e r s . , ZRG. 60, 351. Κ ö s 11 e r , Raub-, Kauf- u n d Friedelehe, ZRG. 63 (43) 92. E r 1 e r , Das R i t u a l der nordischen Geschlechtsleite. ZRG. 64 (44) 86.

§ 8. Die Rechtsbildung Das Recht (westgerm. reht, êwa, ê [zu lat. aevum], ahd. wizzôd, nord, lagh [engl, law]) 1 ist in germanischer Zeit nicht das Erzeugnis einer bewufiten Rechtssetzung oder Gesetzgebung, sondern Gewohnheitsrecht. Es ist die im Volke, in der Brust jedes einzelnen lebendige, und daher unbemerkt sich entfaltende und ändernde Uberzeugung von dem Richtigen und Billigen, die von allen anerkannte Friedensordnung. Daher ist es nicht nur ungeschrieben, sondern auch schriftfeindlich. Kundgetan wird es in der Urteilsfindung durch das Gericht. Die so geäußerten Rechtsanschauungen konnten mündlich überliefert werden, woraus sich dann im Norden der regelmäßige Rechtsvortrag des Gesetzsprecjiers entwickelte. Das Recht ist auch in dem Denken der Zeit nicht göttlichen Ursprungs. Es ist aber erfüllt von sakralen und magischen, vor allem in Strafrecht und Rechtsgang deutlich erkennbaren Vorstellungen und nicht durch eine scharfe Trennungslinie von der Sitte geschieden2. Schon am Beginn der historischen Zeit zerfällt das germanische Recht in die Rechte der einzelnen Stämme. Es ist Stammesrecht nach seiner Entstehung. Aber audi darin bewahrt es diese Eigenschaft, daß es nur für Stammesgenossen Geltung hat und nur auf sie ange1

Zu êwa u n d wizzôd W e i s w e i l e r , i n Festschr. Streitberg (24) 419. F r o m m h o l d , Über den Einfluß der Religion auf das Recht der Germanen (03). H i s , D e r Totenglaube i n d. Gesch. d. germanischen Strafrechts (29). R e h f e 1 d t , Todesstrafen (s. § 12 A n m . 3). E r 1 e r (ebda. u. A n m . 5). E c k h a r d t , Unsterblichkeit (s. § 7 A n m . 2). 2

§ 8. Die Rechtebildung

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wandt werden kann. Der Stammesfremde steht außerhalb der Rechtsordnung. Aus der Kundmachung des Rechts im Urteil erklärt sich, daß es nicht in der Form des abstrakten Rechtssatzes, sondern als Kasuistik erscheint. Erst allmählich gelangt man zur Fassung allgemeiner, vom Einzelfall losgelöster Rechtssätze, deren manche zum volkstümlichen Rechtssprichwort weitergebildet werden. Die Sprache des Rechts strebt nach Plastik und Einprägsamkeit. Sie bedient sich der Alliteration und des Rhythmus. Damit steht sie im Gleichklang mit dem Rechtsleben, das sich in strengen Formen, mit Wortformeln und sinnenfälliger Symbolik abspielt. Das Recht war fast ausschließlich Gemeinschaftärecht, ein Recht der Verbände und ihrer Glieder, von Volk, Sippe, Familie, Gefolgschaften und Genossenschaften, nur in geringem Umfang eine Ordnung der Beziehungen von Einzelpersonen. Daraus ergab sich, daß es auf eben den sittlichen Werten ruhte, von denen der Bestand dieser Verbände abhängt, auf der Treue und der Ehre. Folgerichtig waren die Rechte des Einzelnen durch die Zugehörigkeit zu Verbänden bestimmt, woneben ihre Abhängigkeit von anderen Umständen wie ζ. B. der körperlichen Kraft ergänzende Bedeutung hatte. H. M e y e r , Rasse u. Recht (37; dazu Eckhardt, ZRG. 58, 813; v. Schwerin, KrVjsehr. NF. 30, 158. W ü h r e r , M Ö I G . 54, 246). M e r k , Wachstum u n d Schöpfung i m germ. R., Festg. Jung (37) 127. S c h ö n f e l d , Das Rechtsbewußtsein d. Langobarden, Festschr. A.Schultze (34) 283. D e r s . , Freiheit u. Persönlichkeit i n d. Lebensordnung d. deutschen Volkes, Z. f. deutsche K u l t u r p h i l o s o p h i e 5 (38) 47. F. Β e y e r 1 e , D e r Entwicklungsgedanke i m Recht (38). D e r s . , Sinnbild u. Bildgewalt, ZRG. 58 (38) 788. v. A m i r a , D i e Handgebärden i n d. Bilde rhandschr. d. Ssp. (08). D e r s., D e r Stab i n d. germ* Rechts Symbolik (09). H e r w e g e n , Germ. Rechtssymbolik i n der röm. L i t u r g i e (13). B o r c h l i n g , Rechtssymbolik i m germ. u. röm. Recht, Vorträge W a r b u r g 1923/24, 227 ff. J. G r i m m , Poesie i m Recht, ZgeschRW. 2 (1816) 25. D e r s . , R A . I 4 1, 45, 154. G e n z m e r , Germanien 6 (41) 130. O. G i e r k e , D e r H u m o r i m deutschen Recht 2 (1886). F e h r , K r a f t u n d Recht (38). D e r s . , H u m o r i m Recht (46).

§ 9. Die Verfassung I. Der germanische Staat (civitas) war eine nach außen unabhängige Vereinigung von Stammesgenossen auf abgeschlossenem Herrschaftsgebiet. Dies bedeutet nicht, daß er ein auf den Geschlechtern aufgebauter Geschlechterstaat war 1 . Die politische Stellung des einzelnen wurde nicht durch Geschlechtszugehörigkeit begründet, und diese wurde nicht beendet, wenn die Gesamtheit den einzelnen als Fried1 D e m wäre vielleicht anders, wenn man m i t H e 1 b o k , Volksgeschichte (s. § 4) 573 annehmen müßte, daß die unten zu erwähnende Hundertschaft eine Sippenmark war. Doch bedarf dies noch weiterer Untersuchung.

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losen ausstieß. Es bedeutet aber audi nicht, daß Staat und Volk sich decken mußten. Größere Völkerschaften konnten in mehrere Staaten zerfallen. Die das Gebiet des Volkes umgebende Grenze war in der Regel keine Linie, sondern ein mehr oder weniger breiter Grenzsaum, ein Fluß, ein Gebirgskamm, ein Wald. Dieser vor allem, aber audi Ödland, hieß Mark und stellte eine Einflußsphäre der benachbarten Völker dar, in die sich diese allmählich vorschoben, bis die Annäherung zur Festlegung von Grenzlinien und Setzung von Grenzzeichen nötigte. Größere civitates zerfielen in Unterbezirke, die aus der Niederlassung von größeren Wanderhaufen sich ergebenden Hundertschaften 2. Das Vorhandensein eines zwischen diesen und dem Staat stehenden Mittelbezirks, den man in dem Gau als Niederlassungsbezirk einer Tausendschaft hat finden wollen, ist so wenig nachweisbar wie ein Kreis staatlicher Aufgaben, den er hätte erfüllen köimen8. II. Das staatliche Leben spielte sich in Versammlungen der Volksgenossen ab, im thing oder mallus (latinisiert aus ahd. mahal = Gespräch) oder auch warf ( = Kreis). Seinen und der ci vitas Mittelpunkt bildete die Landsgemeinde (concilium civitatis, Ländsding)4. Sie ist die Versammlung aller wehrfähigen freien Männer, die auch verpflichtet sind, bewaffnet zu erscheinen (Dingpflicht). Der Ort der Zusammenkunft ist wie der Tag durch das Recht bestimmt. Die Versammlung tagt zwei- oder dreimal im Jahre zur Zeit des Vollmonds oder des Neumonds. Sie wird in sakralen Formen vom Priester eröffnet (Dinghegung) und geschlossen (Dinglösung) und steht unter einem besonderen Frieden (Dingfrieden). Als der Trägerin der Staatsgewalt kommt der Versammlung die Ausübung von Hoheitsrechten und die Leitung der Staatsverwaltung zu. Die Landsgemeinde allein nimmt durch Wehrhaftmachung den heranwachsenden Mann und den Freigelassenen in den Staatsverband auf. Sie handhabt die Rechtsprechung mit unbeschränkter Zuständigkeit und ist ausschließlich zuständig zur Aburteilung todeswürdiger 2 Ahd. huntari. I n a n t i k e n Quellen m i t dem vieldeutigen W o r t pagus bezeichnet. Hundertschaft hat nichts m i t hundert Einheiten (Männern, Hufen, Familien) zu tun, bedeutet vielmehr, m i t dem Mengenwort hundert zusammenhängend, eine unbestimmt große Menge. Sie ist als Personenverband eine unter einem F ü h r e r stehende Gefolgschaft. 8 v. S c h w e r i n , D i e altgermanische Hundertschaft (07). D e r s . ZRG 29, 261; 37, 688. R i e t s c h e i , ZRG. 27, 234; 28, 342; 30, 193. E. M a y e r Hundertschaft u. Zehntschaft (16). D e r s . VjsSWG. 14, 483; ZRG. 46, 290. Λ** L T i e £ e r m a n n , The national assembly (13); dazu Brunner ZRG. 34, Z u r ί?4· Stammesversammlung d. Sachsen, K B G V . 64, 9. D e r s., V j S W G . 21, 234. H o f m e i s t e r HZ. 118, 189.

§ 9. Die Verfassung

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Verbrechen und für den sakralen Vollzug der Todesstrafe. Im Landsding wurde der Führer der civitas gewählt. Es ist zugleich Heeresversammlung, entscheidet über Krieg und Frieden und über Verträge mit anderen Völkern. Das concilium civitatis ist das Rückgrat des germanischen Staates. Mit ihm wird dem Staate die Lebenskraft entzogen, weshalb schon die Römer germanische Völker durch das Verbot von Versammlungen niederzuhalten suchten. Zugleich aber ist es das Organ, in dem der einzelne zur unmittelbaren Mitarbeit an der Staatsverwaltung berechtigt und verpflichtet ist und infolge des Erfordernisses der Einstimmigkeit aller Beschlüsse seinen Willen zur Geltung bringen kann. Neben der Versammlung des ganzen Volkes gab es solche der einzelnen Hundertschaften, die als Gericht tätig waren und wohl auch den Hundertschaftshäuptling zu wählen hatten. III. Die germanische civitas kennt keinen Herrscher. Soweit sie einer Leitung durch Einzelne bedarf, sind diese Führer, die keine Staatsgewalt haben. Sie sind vom Volke gewählt und von seinem Vertrauen getragen, dem Volk verantwortlich und absetzbar, als Beauftragte der Gesamtheit durch das Symbol des Amtsstabes ausgezeichnet. Der an der Spitze des Staates stehende Führer trägt den Namen des Königs. Er wird nach sog. Geblütsrecht gewählt (ex nobilitate), unter Festhalten an einem durch seine Herkunft ausgezeichneten, adligen, eben dem königlichen Geschlecht und heißt gerade deshalb König 5 . Durch ihn ist das Volk mit der Gottheit verbunden. In ihm sieht es den Träger des Heils, weshalb seine Verantwortlichkeit etwa bei Kriegsunglüdk oder Hungersnot zu seiner Opferung an den Gott führen kann. Anderseits ist er aber auch besonders geeignet für das Amt des Oberpriesters, das deshalb bei manchen Stämmen mit dem des Königs verknüpft ist. Die Weiterentwicklung des Königtums ging verschiedene Wege. Der Zusammenschluß kleinerer civitates zu größeren Staaten konnte einem der sich verbindenden Kleinkönige (subreguli = Fürsten) ein Ubergewicht über die übrigen verschaffen, so daß er zum alleinigen König des Gesamtgebiets wurde, zum rex im Sprachgebrauch der antiken Quellen. Wo dies nicht der Fall war, wie dauernd bei den Sachsen, ging die Leitung des neu entstandenen Großstaates auf die Gesamtheit der vereinigten Kleinkönige über, für die die Bezeichnung princeps (auch satrapa) ebenso üblich war, wie für diejenigen, die unter einem Alleinkönigtum standen. Man spricht demgemäß in 5

Ahd. chuning (König) zu chunni (Geschlecht).

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diesen Fällen von einer Prinzipatsverfassung 6. Hand in Hand mit diesen Veränderungen vollzog sidi eine innere Wandlung des Königtums, insofern das neu entstandene Großkönigtum den Führercharakter abstreifte, allmählich die Staatsgewalt an sich brachte und zum Herrschertum wurde. Dabei scheinen die Verhältnisse ostgermanischer Stämme nicht ohne Einfluß gewesen zu sein, womit auch das Vordringen des Herrscherkönigtums von Osten nach Westen im Einklang steht. Außer dem König bedurfte man in größeren Staaten eines Führers der Hundertschaft, des Hundertschaftshäuptlings. Auch ihn nennt Tacitus einen princeps und dies nicht ohne Berechtigung, weil diese Hundertschaftshäuptlinge zumeist alte Kleinkönige waren und diesen nach Inhalt und Umfang ihrer Macht gleichgestellt werden konnten. Nicht ohne sachlichen Grund hat die nordische Sprache das Wort Hundertschaftskönig geprägt. Nur besonderen Verhältnissen hat sein Dasein zu verdanken der Volkspriester (sacerdos civitatis). Er war notwendig in den Staaten mit Prinzipatsverfassung und scheint auch sonst bei den Westgermanen neben dem König häufig gewesen zu sein. Nicht nachweisbar ist für diese Zeit das dauernde Amt eines Herzogs 7. Es lag in der Natur der Sache, daß alle Führer aus den angeseheneren Geschlechtern genommen wurden, und daß sie über ihre Einzelaufgaben hinaus die Führerschaft im Staate hatten8. So standen auch die Verhandlungen der Landsgemeinde unter ihrer Leitung und unter ihrem Einfluß. Da ihnen aber Befehlsgewalt mangelte, und sie nur durch das Gewicht ihrer Persönlichkeit und ihres Vortrage sich Geltung verschaffen konnten, vermochte dies die Stellung der Gesamtheit nicht zu beseitigen, deren Beschlüsse allein entscheidend waren. Erst im Zusammenhang mit der Erstarkung des Königtums trat eine allmähliche Änderung ein. 6 D i e s e Großstaaten entsprechen mehr einem. Staatenbund als einem Einheitsstaat. Vgl. auch M i 11 e i s , Festschr. Zycha (41) S. 60 f. 7 I m Kriegsfall f ü h r t der K ö n i g oder die Gesamtheit der verbundenen Kleinkönige. Dies schlöß nicht aus, daß sich i n einzelnen F ä l l e n ein d u x an die Spitze eines Kampfverbandes stellte, sei es aus einem, sei es aus mehreren Stämmen, zur Verteidigung oder zum Angriff. D a dies ohne Zustimmung der Gefolgsleute nicht möglich war, konnte Tacitus sagen, der d u x werde ex v i r t u t e gewählt, u n d gleich verständlich ist die da u n d dort bezeugte Schilderhebung. Über diese Frage E. S c h r ö d e r , Herzog u. Fürst, ZRG.44 (24) 1. 406. D e r s., N G W G ö t t . 1932, 182. Ζ e i ß , Wiener prähist. Ζ. 19 (32) 145. S t u t z , ZRG. 53 (33) 490. L i n t z e l , ZRG. 54 (34) 232. 8 W e n n man h i e r i n m i t D a n n e n b a u e r (Adel, B u r g u. Herrschaft bei den Germanen, HJb. 1941, 1) eine Adelsherrschaft erblicken w i l l , so darf man nicht übersehen, daß sie i m Unterschied von der des M A . keine Rechtseinricht u n g ist.

§ 10. Heerwesen und Gefolgschaft

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S i c k e l , D e r deutsche Freistaat (1879). D e r s . , M I Ö G . EB. 1 (1885) 1. L i n t z e l , Germ. Monarchien u. Republiken, ZRG.54 (34) 227. v. S c h w e r i n , Freiheit u n d Gebundenheit i m germanischen Staat (33). v. S y b e l , Entstehung des deutschen Königtums 2 (1881; dazu Waitz, Abhdlgn. z. d. V.- u n d RG. I [1896] 32). D a h η , D i e Könige der Germanen, I — X I I (1861—1909) ; I, I I , V I i n 2. A u f l . (10, 11,1885). E M e y e r , Das Wesen d. Führertums i. d. germ. YG. (38). N a u m a n n , D i e magische Seite des altgerm. Königtums, am o. § 2 A n m . 5 a. O. K l e w i t z , Germ. Erbe i m fränk. u. deutschen K ö n i g t u m , WaG. 3/4 (41) 201.

δ 10. Heerwesen und Gefolgschaft I. Das germanische Heerwesen beruhte auf der allgemeinen Wehrpflicht. Das Heer w a r nichts anderes, als die Gesamtheit der wehrfähigen Freien. Seine vornehmste Aufgabe w a r die Verteidigung des Staates gegen feindlichen Angriff, zu der jeder einzelne aufgerufen wurde. Eroberungskriege w u r d e n nicht zur Erweiterung des politischen Machtgebiets geführt, sondern n u r zur Gewinnung neuen Wirtschaftsraumes, daher i n der Regel nur von Volksteilen, die u m deswillen das Stammesgebiet verließen u n d i n erobertem Gebiet sich seßhaft machten. N u r m i t dem Verteidigungszweck vereint sich die Auffassung des Krieges als „nationaler Götterdienst" u n d das M i t w i r k e n sakraler Vorstellungen, w i e sie etwa i n der sakralen Natur des Heerfriedens zum Ausdruck kamen. Das Heer bestand i m wesentlichen aus Fußtruppen. Nennenswerte Reiterei gab es n u r bei einzelnen Stämmen (ζ. B. Tenkterer, A l a mannen). D i e Verbreitung eines v o n Tacitus geschilderten, aus Reitern und Fußsoldaten bestehenden Stoßtrupps auf alle Stämme ist nicht nachzuweisen. A n der Spitze des Heeres stand der Heerführer (s. § 9) m i t unbeschränkter Gewalt, auch über Leben u n d T o d des einzelnen. I n seiner Hand w a r so die gesamte Wehrmacht i m Augenblick der Gefahr für V o l k und Staat vereinigt, der W i l l e der einzelnen ausgeschaltet. D i e Gliederung der Streitmacht w a r nur bei ostgermanischen Stämmen eine zahlenmäßige nach Hundertschaften und Tausendschaften und bei diesen w o h l gemäß antikem Vorbild. Bei den übrigen waren die an Zahl sehr verschiedenen Sippen die Gruppen, aus denen sich der einzelne Heereskörper aufbaute 1 . D i e G r u n d f o r m der Aufstellung w a r der von antiken A u t o r e n u n d Nordgermanen m i t einem Schweinskopf verglichene Keil. Mitgeführt w u r d e n Feldzeichen i n Tiergestalt, 1 D e m widerspricht es nicht, wenn auch die Hundertschaft als Heeresteil erscheint. D e n n i m oben besprochenen Sinn ist sie von Hause aus weitgehend ein verwandtschaftlicher Verband.

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vermutlich Göttersymbole, und die Heerfahne, ein an eine Stange (Lanze) gebundenes rotes Tuch2. II. Nur vorübergehendem Zweck diente der von Cäsar beschriebene comitatus, der von einem Führer zu einem einzelnen Kriegs- und Beutezug gesammelt wurde und nach der Rückkehr sich wiederum auflöste. Dagegen wurde die Tacitus bekannte Gefolgschaft von entscheidender Bedeutung als eine der Grundlagen des späteren Lehnwesens und Beamtentums. Sie ist ein Dienstverhältnis, in dem sich wehrfähige Freie einem angesehenen Mann, insbesondere einem König oder Fürsten als Gefolgsherrn unterordneten, und ein Verhältnis wechselseitiger Treue zwischen diesem und seinen Gefolgsleuten. Die Gefolgschaft (ahd. gasindi, truht, latinisiert trustis) lebt in der Hausgenossenschaft des Gefolgsherrn und empfängt von ihm Unterhalt, Kleidung und Bewaffnung. Beim Eintritt in die Gefolgschaft leistet der Gefolgsgenosse (comes, antrustio, ahd. degan) dem Herrn einen Treueid und dieser nimmt ihn in seinen Schutz auf. Die Gefolgschaft umgibt den Herrn als Leibwache und begleitet ihn auf den Kriegszügen, die er auf eigene Faust oder in fremden Heeren unternimmt. So mehrt sie seinen Ruhm und übt das Waffenhandwerk, zu dem sie sich in der Heimat ausbildet. Auch Hofämter werden bei fürstlichen Gefolgsherren von den Mannen übernommen. Doch ist das Verhältnis kein dauerndes. Der Gefolgsmann kann aus dem Gefolge ausscheiden und muß es tun, wenn er einen eigenen Hausstand begründet. III. Die bei den Germanen nachweisbaren Männerbünde dienten der Pflege des Gemeinschaftslebens und dem Totenkult. Eine politische Bedeutung dieser Bünde ist nicht nachgewiesen. W e i η h ο 1 d , SbAkBerl. 1891, 543. K . L e h m a n n , Altnordisches Kriegsu. Beuterecht (13). S c h r a d e r , RL. I 2 (17—23) 468. H. C ο η r a d , Gesch. d. deutschen Wehrverfassung 1 (39). D e r s . , Das Wehrstraf recht der germ. u. fränk. Zeit, ZgesStrW. 56 (37). v. F r a u e n h o l z , Entwicklungsgesch. des deutschen Heerwesens 1—3 (35—39). G u n d e l , Unters, zur T a k t i k u. Strategie der Germanen (37). Ν e c k e 1, A d e l u. Gefolgschaft, BGDS. 41 (16) 385. M e 1 i c h e r , D i e germ. Gefolgschaft, M Ö I G . 51 (37) 431. Η ö f 1 e r , Kultische Geheimbünde der Germanen (34). ν. Κ i e η 1 e , Germanische Gemeinschaftsformen (39; dazu HZ. 164, 563; Gutenbrunner ZRG. 61, 308). D e r s . , Über Sippe u. B u n d i m germ. A l t e r t u m , WaG. 7 (38) 273.

§ 11. Rechtspflege Alle Rechtspflege ist in germanischer Zeit Aufgabe der Rechtsgenossen selbst. Der König und andere Führer nehmen daran nur unterstützend teil. Sie stehen um so weniger im Vordergrund, als die 2 Über sie u n d i h r e n Zaubercharakter H. M e y e r , N G W G ö t t . 1930, 478. Dazu E r d m a η η , Kaiserfahne u n d Blutfahne (32) u. w i e d e r u m M e y e r , ZRG. 53 (33) 291.

§ 11. Rechtspflege

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Rechtskenntnis noch nicht Alleinbesitz einer Bevölkerungsgruppe ist, und jeder Volksgenosse verpflichtet ist, zur Durchsetzung des Rechts mitzuhelfen. Dies gilt vor allem von der Rechtsprechung, die entweder im öffentlichen Gericht ausgeübt wurde oder in Privatgerichten. öffentliches Gericht waren die Landsgemeinde und die Hundertschaftsversammlung, beide in der Regel an vom Recht bestimmtem Ort und zu ebenso bestimmter Zeit als echtes ( = rechtmäßiges) Ding abgehalten und in feierlicher Form gehegt. Den Vorsitz führte der Richter, als der der König oder der Hundertschaftshäuptling tätig war. Doch stand diesem nur die Leitung zu, nicht die Urteilsfällung. Das Urteil kam in der Weise zustande, daß ein Mitglied der Gerichtsgemeinde einen Urteils Vorschlag (consilium) machte, der durch die Zustimmung (Folge, volbort, auctoritas) der übrigen, des Umstands, zum Urteil (ahd. tuom, nord, domr) erhoben wurde. Die Aufforderung zum Urteilsvorschlag erging vom Richter, der daher später ein „Frager des Rechts" genannt wird. Zufolge der allgemeinen Rechtshilfepflicht war der Gefragte verpflichtet, den Vorschlag zu machen. Erst allmählich finden sich bei einzelnen Stämmen besondere Rechtsprecher wie der fries, âsega und der oberdeutsche êsago oder ein Kollegium von solchen, wie die fränkischen Rachinburgen. Das von der Gesamtheit gefundene Urteil wurde vom Richter verkündet. Neben dem echten Ding wird es schon in dieser Zeit innerhalb der Hundertschaft ein gebotenes Ding gegeben haben, zu dem der Hundertschaftshäuptling die Bezirksgenossen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort zusammenrief. Jedenfalls kennen spätere Quellen solche gebotenen Dinge zur Beschleunigung der Rechtsprechung, insbesondere der Aburteilung von Verbrechen. Die Privatgerichte wurden von den Parteien vereinbart, indem sich diese dem Urteil der von ihnen benannten Schiedsleute unterwarfen. Das Privatgericht entbehrt des Umstands, wird aber wie das staatliche Gericht im Freien abgehalten. Aus der Rechtshilfepflicht des einzelnen Rechtsgenossen ergab sich seine Mitwirkung bei der Verfolgung und Festnahme von Verbrechern, zu der der Hundertschaftshäuptling oder auch der Verletzte durch Erhebung des Gerüfts aufbot. Ein Sonderfall hiervon war die Nacheile auf der Spur des entkommenen Diebes (Spurfolge) mit der sich anschließenden Haussuchung1. Auf gleicher Grundlage ruhte die Pflicht zur Tötung des Friedlosen und zur Teilnahme an der rituellen Hinrichtung des todeswürdigen Verbrechers. 1 v. S c h w e r i n , Rechten (24).

D i e Formen der Haussuchung i n indogermanischen

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F. W . U n g e r , D i e altdeutsche Gerichtsverfassung (1842). B e a u d o u i n , L a participation des hommes libres au jugement (1888). K. M a u r e r , Vorlesungen I 2 (07); I V (09) 280; V (10) 289. B u r c h a r d , D i e Hegung der deutschen Gerichte i m M A . (1893). L. L. H a m m e r i c h , Clamor (41).

§ 12· Missetaten und ihre Folgen I. Missetat (Übeltat, Untat, malum factum) ist nach germanischer Auffassung jede rechtswidrige Verursachung eines schädlichen Erfolgs. Da man von diesem äußerlich sichtbaren Tatbestand ausging und an ihn die strafrechtliche Haftung anknüpfte, erscheint diese als Erfolgshaftung (Verursachungshaftung), nicht als Verschuldungen haftung. Doch liegt darin kein Übersehen des verbrecherischen Willens. Man sah vielmehr in der schädlichen Handlung grundsätzlich die Auswirkung eines solchen Willens und vermutete hinter ihr die böse Absicht. Infolgedessen konnte man schon früh dazu gelangen, Wollen und Gesinnung des Täters zu berücksichtigen, wenngleich nur in typisierender Weise. Dies geschah in der Gegenüberstellung von Willenswerk und Ungefährwerk, sowie in der Abgrenzung der Neidingswerke. Ungefährwerke sind typische Tatbestände, bei denen man aus de* Erfahrung heraus das Vorliegen eines Willens zur Schadensstiftung, einer schädlichen Absicht (ahd. fâra) nicht annahm. Ob sie im Einzelfall fehlte, wurde ebensowenig untersucht, wie in anderen außerhalb dieser Typen liegenden Tatbeständen ihr Vorhandensein. Es wurde daher typisches Ungefährwerk als solches behandelt, auch wenn die Tat im Einzelfall gewollt war, und es konnte als Willens werk eine Tat gelten, die im Einzelfall ungewollt war. Beispiele von Ungefährwerken sind die Schädigung eines Menschen durch eine Tier falle, durch den umfallenden Baum bei gemeinschaftlichem Baumfällen, durch Fehlschießen. Die mildere Behandlung der Ungefährwerke hat dann auch dazu geführt, Tatbestände ganz anderer Art als solche zu behandeln, insbesondere Schädigungen durch Tiere, Unfreie, Sachen und Hausgenossen dem für sie haftenden Eigentümer oder Hausherrn nur als Ungefährwerk anzurechnen1. Neidingswerke (Meinwerke, unehrliche Taten) sind Taten, die einer sittlich verwerflichen Gesinnung entspringen. Es sind solche, die heimlich begangen werden 2 , ferner solche, die mit einem Treu1 Schadenszufügungen i m Notstand sind nach späteren Rechten vielfach ohne strafrechtliche Folgen. O b schon i n german. Zeit, ist fraglich. Bußlos (sogenannte erlaubte Missetat) w a r die Verletzung des Friedlosen u n d die i n rechter Fehde. 2 So ist der Diebstahl begrifflich heimliche Wegnahme, w i r d der Totschlag zum unehrlichen Mord, w e n n er nicht kundgemacht oder der Leichnam verborgen wurde.

§ 12. Missetaten und ihre Folgen

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bruch oder mit Ausnutzung von Übermacht verbunden sind (Verwand tentötung, Notzucht). Das Ausgehen vom schädlichen Erfolg führte im älteren Recht zur Nichtberücksichtigung der an sich nicht schädigenden Anstiftung und des Versuchs. Soweit dieser einen schädlichen Teilerfolg verursachte wie etwa eine Verletzung statt der beabsichtigten Tötung, wurde er nicht als Versuch des gewollten Delikts, sondern als selbständiger Tatbestand gewertet (sog. Versuchs verbrechen). II. Die Folgen der Missetaten waren verschieden nach ihrer Art. Dabei kreuzen sich zwei Gesichtspunkte. Es gab Schadensstiftungen, die die Gesamtheit als Störung des Friedens ansah und daher Friedensbruch (mnd. vredebrake) nannte, und andere, in denen eine solche Störung nicht erblickt wurde. Sodann stehen neben Missetaten, denen der Verletzte mit Fehde antworten darf, solche, bei denen er dieses Fehderecht nicht hat. Aber Friedensbrüche und Fehdefälle decken sich nicht. Die Friedensbrüche zerfielen in gemeine (ζ* B. Totschlag, schwere Körperverletzung, Raub) und schwere (ζ. B. Mord, großer Diebstahl), die zumeist auch Neidingswerke waren. Beide lösten den Gegenschlag der Gesamtheit aus, die gemeinen Friedensbrüche nur die rein weltliche Friedlosigkeit, die schweren auch die sakrale Todesstrafe. Insofern stand in germanischer Zeit neben einem weltlichen ein sakrales Strafrecht 3. Die Friedlosigkeit (Acht) ist Ausstoßung aus dem Rechtsverband, der Täter wird exlex. Sie hebt seine rechtlichen Beziehungen auf, trennt ihn von Sippe, Familie und Vermögen. Jeder Volksgenosse kann ihn bußlos töten und soll ihn töten4. Daher darf ihn niemand unterstützen, beherbergen und nähren. Er ist vogelfrei und muß im Walde Schutz suchen gleich den! Wolf, dessen Namen er neben dem des Waldgängers trägt (frankolat. vargus) 5. Seine Habe wird eingezogen zugunsten des Verletzten und der Gesamtheit (Fronung). Die Friedlosigkeit trat nach älterem Recht unmittelbar mit der Tat ein. W^er den Frieden brach, setzte sich damit aus dem Frieden. Daher 3 D i e Todesstrafe w i r d zwar an einem Friedlosen vollzogen, ist aber nicht Vollstreckung der Friedlosigkeit. Diese ist Aufgabe des einzelnen Volksgenossen, die H i n r i c h t u n g Vollstreckung durch die organisierte Gesamtheit, i m übrigen w i r d die A n n a h m e eines sakralen Strafrechts u n d der sakralen N a t u r aller Todesstrafen i n neuerer Zeit i n verschiedenem Umfang bekämpft. Vgl. insbes. R e h f e l d t , Todesstrafen u n d Bekehrungsgeschichte (42; dazu E r l e r , Paideuma 2 [43] 353). S t r ö m , O n the sacral o r i g i n of the German death penalties (42). Zuletzt M i t t e i s , D . RG. (49) Kap. 9. 4 Freistätte für die Friedlosen (Asyl) waren die Kultstätten. Vgl. § 31 I I . • v . K ü n ß b e r g , Vogelfrei, ZRG. 58 (38) 515. E r 1 e r , Friedlosigkeit u n d Werwolfsglaube, Paideuma 1 (40) 303.

30

I

Die germanische Zeit

durfte der auf handhafter Tat ergriffene Täter in bestimmten Fällen bußlos erschlagen werden. Doch mußte, wer ihn erschlug, sich dadurch rechtfertigen, daß er gegen den von seinem nächsten Verwandten zu vertretenden Toten Klage wegen Friedensbruchs erhob (Klage gegen den toten Mann). Der Verletzte konnte sich damit begnügen, den handhaften Täter zu binden und aburteilen zu lassen. Im einen wie im anderen Fall mochte er durch Gerüfte ein Notgericht zusammenrufen 6. Gegen den entkommenen Täter konnte er am Ding Klage auf Friedloslegung erheben. Doch hat das Urteil wohl nur deklaratorische Bedeutung gehabt. Die Friedlosigkeit konnte beendet werden durch eine Sühne, die der Täter mit der verletzten Sippe und der Gesamtheit abschloß. An diese hatte er für die Wiedergewährung des Friedens ein Friedensgeld (fredus) zu zahlen, an jene eine Buße (compositio, ahd. buoz), die als Totschlagsbuße Wergeid (Manngeld, frankolat. leudis) hieß. Die Todesstrafe war Opfer an einen Gott und wurde in rituellen Formen durch den Priester oder durch die Gesamtheit vollzogen. Die verschiedenen Arten der Todesstrafe wurden nidit willkürlich, sondern unter Berücksichtigung des Verbrechens, des zu versöhnenden Gottes und des Täters angewandt. So wurde der Dieb gehängt (als Opfer an den Windgott) oder gesteinigt, der Mörder gerädert, der Notzüchter enthauptet, der Zauberer verbrannt. Frauen vor allem wurden ertränkt oder lebendig begraben. Das Vermögen des Täters wurde vernichtet, sein Haus zerstört (Wüstung)7. Innerhalb der gemeinen Friedensbrüche gab es Taten, bei denen die Friedlosigkeit nur im Verhältnis zum Verletzten und seiner Sippe eintrat (relative Friedlosigkeit), wie ζ. B. beim Totschlag. Nur diesem gegenüber entbehrt der Täter des Rechtsschutzes der Gesamtheit. Darin liegt eine fortdauernde Anerkennung der vorzeitlichen Rache durch die Rechtsordnung. Da aber diese beschränkte Friedlosigkeit den Täter nicht aus seiner Sippe löste und deren Unterstützungspflicht nicht beendete, führte sie zur Fehde (inimicitia) zwischen seiner Sippe und der des Täters, die bis zum Abschluß einer Sühne fortgeführt wurde. Doch konnte der Verletzte auch sofort auf die Fehde verzichten und Buße fordern. β Doch mußte vielleicht bei todeswürdigen Vergehen der Täter zum Landsding gebracht werden. 7 Nach verbreiteter Ansicht verfällt auch das Gut des Friedlosen der Wüstung. Dabei w i r d übersehen, daß zwar die Vernichtung des Vermögens des Hingerichteten aus sakralen Gesichtspunkten zu e r k l ä r e n ist, für die Wüstung des Ächtergutes aber diese Begründung versagt, u n d anderseits das Interesse des Verletzten, der Sippe des Täters u n d der Gesamtheit gegen eine Wüstung sprechen.

§ 13. Der Rechtsgang

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Taten, die nicht Friedensbrüdie waren, wie vor allem Ungefährwerke, hatten nicht Friedlosigkeit zur Folge. Sie schlossen eine Fehde nicht unbedingt aus, führten aber in der Regel nur zu einer Bußzahlung an den Verletzten, die zunächst frei vereinbart, später vom Recht festgelegt war 8 . III. Neben dem öffentlichen Strafrecht gab es ein Privatstraf recht innerhalb des Hauses, der Sippe und wohl auch der Markgenossenschaft. Nach Sippenstrafrecht wurde Verletzung der Sippentreue oder Sippenehre durch Ausstoßung oder Tötung bestraft. Dieser verfiel die Frau, die durch geschlechtliche Verfehlung die Sippenehre geschändet hatte. Kraft hausherrlichen Strafrechts konnte die ehebrecherische Frau getötet oder verstoßen werden 9. W i 1 d a , Strafrecht der Germanen (1842). H e u s 1 e r , Das Strafrecht der Isländer sagas (11). H i s , Gesch. d. deutschen Straf rechts bis zur K a r o l i n a (28). E b . S c h m i d t , E i n f ü h r u n g i n die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (47). J. G o e b e l , Felony and misdemeanor I (37; dazu Mitteis, ZRG. 58, 856). v . A m i r a , G r u n d r i ß 3 248. B r u n n e r , i n „ Z u m ältesten Straf recht der K u l t u r v ö l k e r " (05) 53. v. W ä c h t e r , Beilagen z. Vorlesungen über das deutsche Strafrecht (1881) 77. H i s , D e r Totenglaube i n der Gesch. d. germanischen Strafrechts (29). F i s c h e r , Strafen u n d sichernde Maßnahmen gegen Tote i m german. u. deutschen Recht (36). G ü n t h e r , D i e Idee der Wieder Vergeltung I (1889). B r u n n e r , Uber absichtslose Missetat (Forschungen 487). D e r s . , Abspaltungen d. Friedlosigkeit (ebda. 444). v. A m i r a, Nordgerman. Oblig. R. 1 (1882) 368; 2 (1895) 391. S c h e r e r , D i e Klage gegen den toten Mann (09). B i n d i n g , D i e Entstehung d. öff enti. Strafe i m germanisch-deutschen Recht (09). v. A m i r a , D i e germanischen Todesstrafen (22; dazu E. Mayer, Gerichtssaal 89, 353; Pappenheim, ZDPh. 50, 443; Stutz, ZRG. 43, 334). C o u 1 i η , D i e Wüstung, ZvglRW. 32, 332. G e η z m e r , Rache, Wergeid u. Klage i m altgerman. Rechtsleben (41; dazu Beyerle ZRG. 42, 400).

§ 13. Der Rechtsgang I. Der germanische Prozeß diente der Feststellung des unter den Parteien streitigen Rechts. Die Aufgabe des Gerichts war es, diese Feststellung im Urteil zu treffen, die Pflicht der Parteien, sie anzuerkennen. Ein Zwang zur Erfüllung des Urteils wurde weder vom Gericht, noch von einem anderen staatlichen Organ ausgeübt. Es gab 8 Diese Bußen waren entweder Bruchteile des Wergelds (Wergeldbußen) oder das Einfache, Vielfache oder ein T e i l einer Grundbuße (Grundzahlbußen). B r u n n e r , Forschungen 482. D i e Forschungen von H i l l i g e r , H V . 29 (35) 681 machen es aber wahrscheinlich, daß auch die Grundzahl ein Bruchteil des Wergeides war. Zum W o r t „Buße" W e i s w e i l e r , Buße (30) 108. Das W e r g e i d zerfiel i n eine an den engeren Verwandtenkreis fallende Erbsühne u n d die unter die weiteren Verwandten zur V e r t e i l u n g kommende Magsühne. E. M a y e r , Germ. Wergelder, TRG. V I I I (28) 1. 9 Nicht auf dieser Strafgewalt beruht das Recht der T ö t u n g des Ehebrechers oder des Verführers. Es handelt sich u m erlaubte Rache. M e l i c h e r , Das Tötungsrecht des germanischen Hausherrn, ZvglRW. 46 (31) 379.

I

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Die germanische Zeit

keine staatliche Vollstreckung, wenn man von der Todesstrafe absieht. Die Gesamtheit beschränkte sich darauf, über den die Friedlosigkeit zu verhängen, der seine im Urteil festgestellte oder im Vertrag unbestritten festgelegte Rechtspflicht nicht erfüllte. Daraus ergab sich für den Berechtigten die Befugnis, sich im Wege der Selbsthilfe zu befriedigen, indem er zur Pfändung des friedlos gewordenen Gutes schritt. Diese Selbsthilfe ist aber innerlich verschieden von der, die in Form der Fehde auftritt. Es fehlt ihr das Motiv der Rache. Der Rechtsgang war beherrscht vom sogenannten Verhandlungsprinzip, demzufolge Einleitung und Fortbewegung des Verfahrens vom Wollen der Parteien abhingen und das ganze Verfahren vom Parteivertrag getragen war. Er teilte mit dem übrigen Rechtsleben die Bindung an Formen und Formeln, deren Nichtbeachtung zum Verlust des Prozesses führen konnte. Der Zeit entsprach die Mündlichkeit des Verfahrens, die es zu einem Redekampf unter den Parteien selbst unter Ausschlufi jeder Stellvertretung gestaltete, abgesehen von der des Unmündigen durch den Muntwalt. Aus der Öffentlichkeit des Gerichts ergab sich die des Prozesses. II. Der Beginn des Verfahrens war das Streitgedinge, durch das sich die Parteien vertraglich verpflichteten, den zwischen ihnen bestehenden Streit in einem bestimmten Gericht zur Entscheidung zu bringen. Nichtabschluß des Streitgedinges war Rechtsverweigerung und hatte Friedlosigkeit zur Folge1. Im Gericht trug der Kläger seine Klage vor und forderte den Beklagten zur Antwort auf. Dieser mußte auf die Klage Wort für Wort erwidern, zugestehen oder bestreiten. Einwendungen waren unzulässig, so daß etwa der wegen Tötung Beklagte nicht diese selbst zugeben, aber ihre Rechtmäßigkeit einwenden konnte 2 . Nach Beendigung der Wechselreden der Parteien forderte der Kläger zum Urteil auf, dessen typischer Inhalt nach Lage der Sache verschieden war. Hatte der Beklagte die vom Gegner behaupteten und seinen Anspruch begründenden Tatsachen zugegeben, so erging ein Endurteil, das den Beklagten für verpflichtet erklärte, den Anspruch des Klägers zu befriedigen. Hatte aber der Beklagte auch die Tatsachen bestritten, so war das Urteil ein bedingtes End urteil oder zweizüngiges Urteil, das dem Beklagten auferlegte, entweder das Vorbringen des Klägers durch Eid zu widerlegen oder an den Kläger zu leisten. Es verband also Beweisurteil und Endurteil 8 . Auf 1

O b schon i m ältesten Prozefi eine einseitige Ladung des Gegners möglich war, bleibe dahingestellt. 2 D a r a u f beruht die prozessuale Bedeutung der i n § 12 I I erwähnten Klage gegen den toten Mann, die ζ. B, die Einrede der Notwehr ersetzt. * So nach westgermanischen Rechten, w ä h r e n d die Nordgermanen n u r Beweisurteil u n d E n d u r t e i l getrennt erließen.

§ 13. D e r R e c h t s g a n g

33

das Urteil folgte der Urteilserfüllungsvertrag, in dem die Partei die nach dem Urteil geschuldete Leistung oder die Erbringung eines Beweises versprach. Auch dessen Verweigerung hatte Friedlosigkeit zur Folge. III. Das Beweisverfahren war in der Regel außergerichtlich und bedurfte jedenfalls nicht der Anwesenheit des Gerichts. Der Beweis war rein formal und bestand in der Erfüllung vorgeschriebener Formen. Er bezweckte nicht die materielle Uberzeugung von der Wahrheit der aufgestellten Behauptung und wurde insofern weder dem Gericht noch dem Gegner erbracht. Die formale Richtigkeit der Beweisleistung vermochte der Gegner selbst zu prüfen, so daß seine Anwesenheit genügte. Beweismittel des germanischen Prozesses waren Eid und Zeugnis. Die Verwendung des Gottesurteils ist für diese Zeit bestritten 4 . Der Eid ist eine bedingte Selbstverfluchung, indem der Schwörende eine Gottheit oder eine Sache (Waffe, Pferd) durch Eidzauber bindet, im Falle des Meineids ihn selbst oder einen anderen Einsatz (ζ. B. Bart, Zopf, l i e r ) zu vernichten. Abgelegt wurde der Eid entweder von der Partei allein (Eineid) oder mit Eidhelfern (Heifereid). Diese hatten lediglich mit gesamtem Munde zu schwören, daß der von der Partei geleistete Eid wahr sei (rein und unmein). Da diese Erklärung nicht auf der Kenntnis der Tatsachen, sondern auf der persönlichen Kenntnis der Partei beruhte, war der Helfereid ursprünglich Eid der Geschlechtsgenossen. Die Zahl der Eidhelfer bemaß sich nach dem Streitwert, etwa der bei Nichtleistung zu zahlenden Buße. Als Zeugen kamen in der Regel nur Solennitätszeugen in Frage, Personen, die bei einem Geschäft oder einer Rechtshandlung zugezogen waren, um zu hören und zu sehen (Geschäftszeugen). Zum Beweis nachbarlicher Verhältnisse waren die sogenannten Gemeindezeugen zugelassen, im übrigen ausgeschlossen die Erfahrungszeugen, die nur zufällig gesehen oder gehört hatten. Den Beweis führte in der Regel der Beklagte, der sich von der Klage freischwören durfte (Leugnungseid, Reinigungseid). Der Kläger kam zum Beweis, wenn er Zeugen vorführen konnte und mit diesen dem Beklagten die Reinigung verlegte. Er konnte mit den auf sein Gerüft herbeigeeilten Schreimannen als Eidhelfern, ohne die Möglichkeit einer Antwort des Beklagten und eines Reinigungseides beweisen (Uberführungseid), wenn er den Beklagten auf handhafter 4

)

Hierüber

v. S c h w e r i n ,

P a p p e n h e i m ,

Z R G . 4 8 (28) 1 3 6 . V g l . u . § 3 2 A n m .

Grundzüge der deutseben Reclitegeschichte

3.

34

I· Die germanische Zeit

Tat gebunden hatte 5 . Als handhafter Täter galt auch der, in dessen Hause eine gestohlene Sache im Wege der Spurfolge und Haussuchung gefunden wurde, wenn er ihr Dasein geleugnet hatte. IV. Der Urteilsvorschlag kann durch Urteilsschelte angefochten werden. Sie enthält die Behauptung der Rechtsbeugung und führt zum Zweikampf zwischen dem Schelter und dem Finder des gescholtenen Urteils. Auch war schon dieser Zeit die Eidesschelte bekannt, die in bestimmten Formen, insbesondere durch Wegziehen der Schwurhand, erfolgte und ebenfalls durch Zweikampf ausgetragen werden mußte. Doch kam sie wohl dann nicht in Frage, wenn der Eid durch Vertrag vereinbart war. V. Von der geschilderten Form der Rechts Verfolgung gab es Abweichungen. Vor Zeugen eingegangene Vertragsschulden konnten nach wiederholter Mahnung unter Beiziehung von Zeugen in einem außergerichtlichen Rechtsgang beigetrieben werden, indem der Gläubiger bei Nichtleistung pfändete (Betreibungsverfahren). Die Klage auf Friedloslegung endete mit deren Ausspruch durch das Gericht, an den sich eine feierliche Austreibung des Friedlosen schließen konnte. Der Urteilserfüllungsvertrag entfiel. Die Klage um Totschlag wurde unter Vorbringen des Leichnams vor das Gericht erhoben®. Die Verfolgung todeswürdiger Verbrechen stand vermutlich jedem Volksgenossen zu, Venn nicht der Verletzte Klage erhob. Die Vollstreckung konnte nur durch die Gerichtsgemeinde und den Priester erfolgen. Eine Vollstreckung auf handhafter Tat war ausgeschlossen, da sie den Täter dem rituellen Opfer entzogen hätte. Die sofortige Tötung des handhaften Täters war Rachehandlung, nicht Vollstreckung im Rechtssinn. L. M a u r e r , Geschichte d. altgerm. u. namentlich altbairischen Gerichtsverfahrens (1824). S i e g e l , Geschichte d. deutschen Gerichtsverfahrens I (1857). v. B e t h m a n n - H o l l w e g , D e r german.-roman. Zivilprozeß i m M A . I (1868). M a u r e r , Vorlesungen I (07) 210; V (10) 506, 677, 732. F. Β e y e r i e , Das Entwicklungsproblem i m germ. Rechtsgang I (15). M a u r e r , Das Beweisverfahren nach deutschen Rechten, K r Ü . 5 (1857) 180, 321. M a y e r H o m b e r g (s. o. A . 5). W . V o g t , Fluch, Eid, Götter. ZRG. 57 (37) 1. R. L ο e η i η ff , D e r Reinigungseid bei Ungerichtsklagen (1880). v. A m i r a , Über salfränkische Eideshilfe, Germania 20 (1875), 53. C o s a c k , D i e Eidhelfer des Beklagten (1885). v. S c h w e r i n , Zur altschwedischen Eideshilfe (19). U n g e r , D e r gerichtliche Zweikampf (1847). 6 D i e Regel e r k l ä r t sich aus dem Recht des Angegriffenen zur A b w e h r , die Ausnahme aus dem Grundgedanken; daß derjenige das Recht des Beweises hat, für dessen V o r b r i n g e n die größere Wahrscheinlichkeit spricht, v. S c h w e r i n , ZRG. 36 (15) 523. M a y e r - H o m b e r g , Beweis u n d Wahrscheinlidikeit nach älterem deutschen Recht (21). A . M. S t u t z , ZRG. 49 (29) 1. B e c h e r t , ebda. 26. 0 H. B r u η η e r , D i e Klage m i t dem toten Mann u. d. Klage m i t der toten Hand, ZRG. 31 (10) 235 ( = Abh. I I 322). F r o m m h o l d , Zur Klage m i t dem toten Mann, ZRG. 36 (15) 458.

I L D i e fränkische

Zeit

1. Grundlagen § 14 Das Werden germanischer Reiche D i e Z e i t v o m 3. b i s ü b e r d i e M i t t e des 6. J a h r h u n d e r t s i s t e r f ü l l t v o n W a n d e r u n g e n germanischer V ö l k e r i m gesamten Gebiet Europas 1. A u s der V i e l f a l t westgermanischer civitates erwachsen die Grofis t ä m m e d e r F o l g e z e i t , d i e F r a n k e n , F r i e s e n , Sachsen, T h ü r i n g e r , B a i e r n 2 , A l a m a n n e n 8 . Reiche w e r d e n g e g r ü n d e t n ö r d l i c h u n d s ü d l i c h der A l p e n , i m germanischen Gebiet, i n der römischen Provinz, i n I t a l i e n selbst4. N i c h t alle h a b e n diese Zeit ü b e r d a u e r t . T h ü r i n g e n ist (531) w i e B u r g u n d (532) i m f r ä n k i s c h e n R e i c h a u f g e g a n g e n , das ostgotische R e i c h 555, das v a n d a l i s c h e i n A f r i k a 534 v o n O s t r o m u n t e r w o r f e n worden. N u r d e m fränkischen Reich i m Norden, dem langobardischen i n I t a l i e n u n d dem westgotischen i n Spanien w a r ein l ä n g e r e s L e b e n beschieden. D a L a n g o b a r d e n u n d W e s t g o t e n h i e r ausscheiden, s t e h t das F r a n k e n r e i c h i m M i t t e l p u n k t d e r D a r s t e l l u n g dieser Periode. 1 Noch später kommen die Normannen zur Ruhe (911 Normandie, 1027 Süditalien, 1066 England, 1130 Sizilien). Doch braucht die deutsche Rechtsgeschichte auf sie nicht einzugehen. 2 Über deren H e r k u n f t S c h m i d t , Westgermanen 1, 194. K l e b e 1, Langobarden, B a j u w a r e n , Slaven (40). 3 Über das Problem des hessischen Stammes vgl. S t e n g e l , D e r Stamm der Hessen u n d das Herzogtum F r a n k e n (40; dazu Lintzel, HZ. 164, 370). Th. M a y e r , D i e Territorialstaatsbildung i n Hessen (41). 4 Über die Siedlung der Germanen i n Deutschland H e 1 b o k , Deutsche Siedlung (38). Uber die Siedlung der Germanen i n Frankreich F r . P e t r i , Germ. Volkserbe i n W a l l o n i e n u. Nordfrankreich (37). Gegen dessen These (ursprüngliche Massensiedlung bis zur Loire) insbesond. G a m i l l s c h e g , German. Siedlung i n Belgien u n d Nordfrankreich 1 (38). Vgl. w e i t e r h i n H. M e y e r , ZRG. 59 (39) 332. S t e i n b a c h - P e t r i , Z u r Grundlegung der europäischen Einheit durch die F r a n k e n (39) ; Ρ e t r i , D A L V o l k s f . 2 (38) 915. S t e i η b a c h , R h e i n . V j b l l . 10 (40) 297 ff. M i 11 e i s , ZRG. 63 (43) 150. Über die Siedlung i n den Niederlanden d e V r i e s , D i e german. Landnahme i n d. Niederl., D A L V o l k s f . 1 (37) 894, über die i n Österreich W ο ρ f η e r , Beitr. z. Bevölkerungsgesch. d. österr. Länder, Festschr. Dopsch (38) 191. Über die Stammesgrundlagen der neu sich bildenden Gemeinwesen W. M e r k , D i e deutschen Stämme i n der RG., ZRG. 58 (38) 1. W e l l e r , Geschichte des schwäb. Stammes bis z. Untergang d. Staufer (44). Oberrheiner, Schwaben, Südalemannen, hersg. v. F. M a u r e r (42; dazu Beyerle ZRG. 64 [44] 451).

*

I

36

Die

rnische

Zeit

I. D i e F r a n k e n zerfielen i n die Gruppen der Salier, Ripuarier und Chatten, i n denen sich die zahlreichen fränkischen Stämme der vorausgehenden Zeit vereinigt hatten. Doch bildeten diese Gruppen keine politischen Einheiten. N u r über einen T e i l der salischen Frank e n erstreckte sich das K ö n i g t u m des Merowingers Chlodwigs I. (482 bis 511), aus dem dieser m i t ungewöhnlicher politischer Klugheit, aber auch ohne Scheu i n der W a h l der M i t t e l i n dauernden Kämpfen das fränkische Großreich schuf 5 . D e n Söhnen Chlodwigs gelang es, das Erbe zu erweitern, so vor allem dem kraftvollen, über die A l p e n ausgreifenden Theudebert I. Nach des letzten, Chlothars I., Tode (561) begann der Zerfall, den die Teilungen des Reiches unter die Erben beförderten und die kraftvolle Regierung Dagoberts I. (629—39) nicht mehr aufhalten konnte. Schon hatte Chlothar I I . (584—629) i m E d i k t von 614, der sog. Magna Charta des fränkischen Reiches, der anstürmenden Aristokratie zu v i e l der königlichen Machtfülle preisgegeben. Reichsteile, vor allem das germanische Australien u n d das romanische Neustrien 6 , neben ihnen Burgund, erwuchsen zu weitgehender Selbständigkeit, bis es K a r l M a r t e l l aus dem austrasischen Herzogsgeschlecht der Arnulfinger gelang, Hausmeier i m ganzen Reiche zu werden u n d dieses unter dem von i h m abhängigen Merowingerkönig zu einen. K a r l Martells Sohn, der Hausmeier Pippin, ließ sich 751 unter ausdrücklicher B i l l i g u n g des Papstes zum König wählen und beendete so das zu machtloser F o r m gewordene K ö n i g t u m der Merowinger. I n der Regierung Karls des Großen (768—814) stieg das Karolingerreich auf den Höhepunkt seiner Entwicklung 7 . D i e Unterwerfung der Sachsen u n d Ostfriesen und die Aufhebung des bairischen Herzogtums schoben die Ostgrenze des Reiches an Elbe und Böhmerwald, so daß es alle Westgermanen erfaßte. D i e Besiegung der Langobarden öffnete den Weg zum Weltreich, dessen äußeres Zeichen K a r l der Große am Weihnachtstage des Jahres 800 i n der Kaiserkrönung durch Papst Leo I I I . empfing. Auch dieses Reich zerbrach am Grundsatz der Erbteilung, den L u d w i g der Fromme vergeblich zu beseitigen versuchte. D e r Kampf, den er m i t seinen Söhnen um dieses Ziel führte und seine Söhne fortsetzten, endete m i t dem Teilungsvertrag von V e r d u n (843). Obgleich er die Idee der Reichseinheit nicht zerstörte, vertiefte er die K l u f t zwischen dem deutschen Osten und dem romanischen Westen und 5

K u r t h , Clovis 2 (01). M i 11 e i s , Festschrift Zycha (41) 74. K r e t s c h m e r , A u s t r i a u. Neustria, Glotta 26 (38) 207. D e r s . , FF. 14 (38) 114ff. S t e i n b a c h , A u s t r i e n u. Neustrien. R h e i n . V j b l l . 10 (40). 7 K l e i n c l a u s z , Charlemagne (34). H a m p e u. Α., K a r l der Große oder Charlemagne? (35). Vgl. a u d i unten § 23 A n m . 13. 6

§ 14. Das Werden germanischer Reiche

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schuf i m M i t t e l r e i d i Lothars das Gebiet, das durch die Jahrhunderte Streitgegenstand geblieben ist. Noch einmal konnte K a r l I I I . das Reich i n seiner Hand vereinigen, gegen dessen Außenposten Normannen, Slawen und Sarazenen anrannten. A b e r 887 wählten die ostfränkischen Fürsten den unehelichen Karolinger A r n u l f zum König, und leiteten damit die endgültige Trennung von Westfranken ein. I I . E i n wesentlich anderes B i l d zeigen die Verhältnisse der Germanen auf römischem Boden. D i e Westgoten waren nach der Schlacht bei Adrianopel (378) v o n Theodosius als römische Föderaten i n I l l y rien angesiedelt worden. Von da kamen sie unter Alarich nach Italien, erhielten 418 die A q u i t a n i a secunda angewiesen und bildeten dort das von Rom abhängige tolosanische Reich. Erst König Euridht (466—484)8 machte der Unterordnung unter Rom ein Ende und dehnte seine Herrschaft über die Provence, die Auvergne u n d den größten T e i l von Spanien aus. I n a l l dieser Zeit u n d auch später w a r das Westgotenreich, von kurzen Ausnahmen abgesehen, i n einer H a n d vereinigt. D i e W a h l des Königs fôrdertê die Einheit der Herrschaft im Gegensatz zum fränkischen Erbrecht. Verschieden w a r aber auch die A r t der Niederlassung. W ä h r e n d die Franken i n ihren alten Sitzen geschlossene Siedlungen bildeten und i n die eroberten Reichsteile n u r vereinzelt eindrangen, w a r das westgotische Gebiet von Germanen und Römern besetzt. D i e Westgoten hatten gemäß dem römischen Einquartierungssystem i n der Weise Land erhalten, daß jeder Gote als hospes eines römischen Besitzers (possessor) bei diesem i n Quartier k a m und ein D r i t t e l von dessen Besitz zugewiesen erhielt. Dies führte zu einer äußeren Mischung der Bevölkerung u n d i m weiteren Verlauf zur Romanisierung. D i e Langobarden kamen 568 nach Italien, eroberten i n kurzer Zeit Oberitalien und drangen allmählich über den A p p e n n i n nach Süditalien vor. Als Feinde der Römer führten sie m i t ihnen keine Landteilung durch. Sie nahmen das L a n d i n Besitz, und der Römer wurde zum Halbfreien, soweit nicht Tod oder Vertreibung sein Schicksal w a r . Daraus ergab sich eine starke Geschlossenheit der germanischen Siedlung u n d i n der Folge zwar keine Abwendung der Romaoisierung, aber eine germanisch gerichtete Abwandlung. D i e Thronfolge beruhte auf Wahl, die die Einheit des Reiches ermöglichte. Daß es nicht immer gelang, alle Herzogtümer festzuhalten, e r k l ä r t sich aus dem von Anfang an lockeren Gefüge des Staates, bei Spoleto und Benevent zudem aus der geographischen Lage. 8 S c h m i d t a. zu § 4 a. O. 400; K. F. S t r o h e k e r , Eurich, K ö n i g der Westgoten (37) ; S t a c h , D i e gesch. Bedeutung d. westgot. Reichsgründung H V . 30 (36) 417. Über die Ostgoten u n d Theoderich vgl. M i t t e i s , Festschr. Zycha (41) S. 64 ff., Κ o s c h a k e r am zu δ 2 a. O. S. 12 f.

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I

Die

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C a r t e l l i e r a Weltgeschichte als Machtgeschichte (27). Cambridge medieval history I I (13) S t e i n , Geschichte d. spätrömischen Reiches I (28). D i l l , Roman society i n G a u l i n the Merovingian age (26). — M i t t e i s , Staatl. Konzentrationsbewegungen i m großgerman. Raum, .Festschr. Zycha (41) 53. L. S c h m i d t , a. zu § 4 a. O. D e r s . , Das german. V o l k s t u m i. d. Reichen d. V ö l k e r w a n d e r u n g H V . 29 (35) 417. v. H a 1 b a η , Das röm. Recht i n den germ. Volksstaaten, I — I I I (1899—07). F u s t e l d e C o u l a n g e s , L'invasion germanique 5 (24). G e b h a r d t , Handb. d. deutschen Gesch.I 7 (30). W a i t ζ , Deutsche VG. I I l 8 (1882). D a h n , Könige (s. Schriftt. zu § 9). L ö h l e i n , D i e A l p e n - u. I t a l i e n p o l i t i k der Mero w i n g e r i m 6. Jahrh. (32). R. H o l t z m a n n , D i e I t a l i e n p o l i t i k d. Meerowinger u. des Königs Pippin, Festschr. H a l l e r (40) 95. M ü h l b a c h e r , Deutsche Gesch. unter d. Karol i n g e r n (96). D ü m m l e r , Geschichte des ostfränkischen Reiches 2 I — I I I (87/88). L i n t z e l , Unters, z. Gesch. d. alten Sachsen, Sachsen u n d A n h a l t 3—8, 10, 13 (27—32, 34, 37). Κ 1 e b e 1, a. ο. A n m . 2 a. Ο. Vgl. auch das Schriftt u m zu § 33 A n m . 1. H e u b e r g e r , Rätien i m A l t e r t u m u. F r ü h M A . I (32). D e r s . , D. ostgot. Rätien, K l i o 30 (37) 77. Ε. M e y e r - M a r t h a 1 e r, Rätien i m frühen M i t t e l a l t e r (48). A u z i a s , L ' A q u i t a i n e carolingienne (37). B u c h n e r , D i e Provence i n merowingischer Zeit (33). B i n d i n g , D i e Geschichte d. burgundisch-germ. Königreichs (1868). S a l e i l l e s , D e l'établissement des Burgundes sur les domaines des Gallo-Romains (1891). M ο m m s e η , Ostgot. Studien, Ν Α . 14 (1888) 223. H a r t m a n n , Geschichte Italiens i m M A . I I (00—03). v. d. S t e i n e n , Theoderich u. C h l o d w i g (33). D e r s . , M Ö I G . EB. 12 (33) 417.

§ 15. Antike und Christentum In den germanischen Reichen der fränkischen Zeit vollzieht sich ein Umbau der Kultur unter dem Einfluß der Antike und unter dem des Christentums. Die Wirkung dieser beiden Weltmächte war in den einzelner Staaten verschieden stark und nahm im allgemeinen nach Norden hin ab, also mit der Entfernung von ihrem Mittelpunkt. Sie war insofern ungleich, als die Antike in dieser späten Zeit nur mit den Kräften wirken konnte, die sie aufgespeichert hatte, die Kirche aber dauernd neue Kraft erzeugte. Fast durchweg wurde nur umgestaltet und angepaßt, wenngleich in wechselndem Maße, nicht aber ersetzt. Die Bedeutung der Antike muß gemessen werden an der zwischen ihr und der germanischen Kultur liegenden Spannung. Diese wurde seit dem Beginn unserer Zeitrechnung dauernd verringert. Schon unter Hadrian war nur ein Teil des späteren westgermanischen Kulturgebiets frei von unmittelbarem römischem Einfluß, ungefähr das Land innerhalb von Nordsee, Elbe, Böhmerwald, Donau, Limes und Rhein. Kenntnis mindestens der äußeren antiken Kultur fehlte auch hier nicht, östlich davon vermittelten alte Handelswege die dauernde Verbindung zwischen Skandinavien und Byzanz, durch ostgermanische Stämme hindurch, die wiederum nach Westen hin einwirkten. Auf der anderen Seite war das römische Reich in Heer und Verwaltung von Germanen durchsetzt, deren Einfluß auf Rom wie

§ 15. Antike und Christentum

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auf die Heimat in der Richtung einer gegenseitigen Annäherung des Denkens liegen mußte. Nimmt man hinzu, daß das Eindringen der Germanen in das römische Gebiet nur schrittweise und in größeren Zeiträumen erfolgte, so wird klar, daß in den Zeiten der Wanderung nicht Kultur und Unkultur plötzlich einander gegenübertraten. Die Germanen waren vorbereitet und bereit, antikes Kulturgut zu übernehmen, dieses selbst jedenfalls in der Provinz nicht ohne germanische Färbung. Schon diese Sachlage schließt es aus, daß das Eindringen der Germanen zu einer Vernichtung der römischen Kultur führte. Es gibt hier, wenn man von der Antike ausgeht, keine Kulturzäsur und keine Kulturkatastrophe, sondern Kontinuität 1 . Die Entwicklung zeigt einen ununterbrochenen Zusammenhang von der Antike bis in das Mittelalter, indem die germanischen Völker antikes Kulturgut aufnehmen, weiterführen und fortbilden. Allerdings läuft sie nicht überall geradlinig und ungebrochen fort. Dies machte sich bei der höheren Kultur mehr geltend als etwa beim Handwerk. Nicht nur die mangelnde Aufnahmefähigkeit der Germanen für eine weit überlegene geistige Kultur, eine komplizierte Staatsverwaltung und ein blühendes Städtewesen, sondern auch die andauernden Kämpfe der Wanderungsperiode und die völkische Bedingtheit einzelner Einrichtungen führten dahin, daß nicht alle Fäden weitergesponnen und daß da und dort Felder brachgelegt Wurden. Noch wichtiger ist, daß die Weiterbildung nur in germanischem Geist erfolgen konnte. Auf der anderen Seite zeigt sich, des Beweises kaum bedürftig, daß das reiche germanische Erbe, das die Stämme der Völkerwanderung mit sich brachten, gleichfalls erhalten blieb und weiterwirkte, wenn auch zum Teil in neuem Gewände2. Aus dem Nebeneinander germanischen Erbgutes und antiken Zugewinnsts entwickelte sich eine germanisch-romanische Kultur in landschaftlich verschiedenem Mischungsverhältnis, im ganzen gesehen eine abendländische an Stelle der antiken 3 . Diese Umformung vollzog sich auf geistigem Gebiet überwiegend westlich des Rheins. Ihre Anfänge lagen in merowingischer Zeit, 1 D e r Bekämpfung der gegenteiligen Meinung ist das unten genannte W e r k von D o p s c h , Grundlagen, gewidmet. Vgl. zur Frage der K o n t i n u i t ä t K i r n , A U F . 10 (26) 128. B a r g e r , Engl, histor. Rev. 50 (35) 577. Ρ a t z e 11, D i e Kontinuitätsfrage, Festschr. Dopsch (38) 18. A u b i n , Zur Frage d. hist. K o n t i n u i t ä t , HZ. 168 (43) 229. M i 11 e i s , D i e Rechtsgesch. u. d. Probi, d. hist. Kontinuität (Abh.Ak.47). 2 Vgl. H ö f 1 e r , Das german. Kontinuitätsproblem, HZ. 157 (38) 1. 3 Durchaus einseitig überschätzt H. P i r e n n e , Geburt des Abendlandes (41; franz.: Mahomet et Charlemagne) den römischen Einfluß i m merowingischen Staat. Dagegen B u c h n e r , D . A. 3 (39) 236. Κ i e η a s t , HZ. 165, 192.

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während deren jedoch die Entwicklung nur langsam vorwärtsschritt. Unter K a r l dem Großen nahm sie an innerer K r a f t u n d an Vielseitigk e i t zu. D e r universale Geist des Herrschers w i r k t e zusammen m i t den Anregungen, die durch die Einbeziehung Italiens i n das Reich u n d durch die Berührung m i t der angelsächsischen K u l t u r hineingetragen wurden. Wenn man aber von einer karolingischen Renaissance spricht, so verkennt man, daß i n dieser Zeit keine bewußte Rückkehr zur A n t i k e stattfindet und daß das Wesen der mittelalterlichen Renaissance nicht h i e r i n besteht 4 . Das Christentum übernahmen die Germanen zuerst i n der Form des Arianismus (Goten, Langobarden, später auch Burgunder). C h l o d w i g I. t r a t 498 zum römischen Katholizismus über, m i t i h m das V o l k der Franken. Irische Mönche verbreiteten als Missionare den Katholizismus i n süddeutschen Gebieten. I n der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts organisierte Bonifatius die katholische Kirche i n Friesland, Thüringen, Hessen und Baiern. Gegen dessen Ende führte K a r l der Große die Zwangsbekehrung der Sachsen durch. D a m i t w a r das gesamte Reich für den römischen Katholizismus gewonnen, für seine äußere Form, aber nur beschränkt für seine Organisation unter Rom und f ü r seinen Geist. Auch hier entstand innerlich k e i n völliger Bruch. Heidnische Anschauungen erhielten sich i m christlichen Gewand, und Jahrhunderte noch kämpft der Geist des Christentums mit heidnischen Vorstellungen. A n t i k e und Christentum standen i n engster Verbindung. Römer waren die ersten Christen auf deutschem Boden und bauten die ersten christlichen Gotteshäuser. D i e Kirche übermittelte dem Frankenreich noch Jahrhunderte antikes K u l t u r g u t . Ihre Diener waren die Träger der geistigen B i l d u n g w i e der wirtschaftlichen Technik. Als solche bringen sie den Germanen die lateinische Schrift und erhalten die lateinische Sprache. Sie ist die Ausdrucksform der Geschichtsschreibung von Gregor von Tours bis zum Ende der Epoche, eines großen Teils der Dichtung, v o r allem auch des Gesetzes, i n dem sie als Amtssprache erscheint und auf weitreichendes Verständnis rechnen muß. S t e i n h a u s e n , Geschichte d. deutschen K u l t u r 8 (29). K a u f m a n n , Deutsche A l t e r t u m s k u n d e I I (23). L ö b e 11, Gregor von Tours u. seine Zeit 2 (1869). D o p s c h , Grundlagen (s. zu § 5) ; d e r s., A K G . 16 (26) 159. A u b i n , i n Histor. Aufs. f. Schulte (27) 30. D e r s., Maß u n d Bedeutung der römischgermanischen Kulturzusammenhänge i m Rheinland, 3. Ber. d. Röm.-Germ. Kommission (22) 46. P a t z e l t , D i e karolingische Renaissance (24). S i n g e r , Karolingische Renaissance, GRMs. 13 (25) 187, 243. H a u c k , K G . 4 Gegen eine neuerdings aufgestellte Theorie des Zusammenhangs der karolingischen K u l t u r m i t dem A u f t r e t e n der Araber m i t Recht Ρ a t ζ e 11, D i e fränkische K u l t u r u. d. Islam (32).

§ 16. Wirtschaftliche Verhältnisse

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ν Deutschlands I 8 / 4 (04). S c h u b e r t , Geschichte d. christl. Kirche i m F r ü h m i t t e l a l t e r I. I I . (17—21). v. d. S t e i η e η , Theoderich (s. § 14). W ü r d i n g e τ , E i n w i r k u n g e n d. Christentums auf d. angels. Recht, ZRG. 55 (35) 105. M i 11 e i s , Festschr. Zycha (41) 69 f. C u r t i u s , Europäische L i t e r a t u r u n d Lateinisches M i t t e l a l t e r (48).

§ 16. Wirtschaftliche Verhältnisse I. Die Agrarwirtschaft der fränkischen Zeit erhält ihr Gepräge durch das Ubergewicht des Ackerbaus über die Viehzucht und durch die in typischen Formen auftretenden Verschiedenheiten des Besitzes. Großgrundbesitz und Kleinbesitz stehen einander mit deutlichem Abstand gegenüber, ein mittlerer Besitz schiebt sich dazwischen. Die Wirtschaftsformen als solche haben sich nicht verändert, wenngleich die Dreifelderwirtschaft an Verbreitung erheblich gewann. Dagegen führte vielleicht die Besiedlung bisher römischer Gebiete, insbesondere in Süddeutschland, zu neuen Siedlungsformen 1. Großgrundbesitzer war zunächst der fränkische König, der bei der Eroberung das römische Fiskalgut wie den Besitz unterworfener Herzöge zu Eigentumsrecht eingezogen hatte und als Nachfolger des Volkes kraft Herrschaftsrechts über herrenloses Land, insbesondere Wälder, verfügen konnte 2 . Außerdem gab es in den früheren römischen Provinzen zahlreiche Großgrundbesitzer aus römischer Zeit. Der königliche Grund und Boden war im ganzen Reiche vorhanden und stellte jeweils einen im wesentlichen geschlossenen Besitz dar. Erwerb durch Schenkung und Konfiskation konnte immerhin Streulage kleinerer Stücke herbeiführen. Der Großgrundbesitz der Kirchen und Klöster beruhte teils auf Gründungsschenkungen, vor allem des Königs und der Stammesherzöge, teils auf zahllosen, durch die Jahrhunderte dauernden Schenkungen und Übertragungen einzelner Grundstücke durch Personen aller Schichten. Aus dieser Entstehung erklärt sich die besonders weitgehende Zersplitterung kirchlichen Besitzes neben einem geschlossenen Gebiet. Auch der Besitz der weltlichen Großen entstand durch Schenkungen des Königs, soweit er nicht in Vorgängen bei der Landnahme oder in Rodungen seine Ursache hatte. Daher fehlt es auch hier nicht an Streubesitz, wohl aber an der Vielzahl der für den geistlichen Großgrundbesitz eigentümlichen kleinen Einzelstücke. Die Organisation des Großgrundbesitzes ging von dem Gegensatze der Eigenwirtschaft und der ausgeliehenen Ländereien aus. Je 1 D i e von V. E r n s t angenommenen alemannischen Urdörfer m i t dem Großhof (Herrenhof) des Führers der Siedlungsgruppe, einem m i t t l e r e n Besitz, bedürfen allerdings noch weiterer Erforschung. Dazu j e t z t K. W e 11 e r , Besiedlungsgeschichte Württembergs vom 3. bis 13. Jahrh. (38) 53, 119. 3 T e r K u i l e , Het grondregal, Rechtsh. Opstellen Meijers (35) 904.

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nach Umfang und Lage seines Besitzes hatte der Eigentümer einen oder mehrere Fronhöfe (Salhof, curtis, mansus dominicalis) mit einem dazugehörigen Salland (terra indominicata), das unmittelbar bewirtschaftet wurde. Soweit der Herr nicht selbst den, Betrieb leitete, stand dem Fronhof ein villicus (maior) vor. Das übrige Land war in Wirtschaftsstellen (mansus, Hufe) 8 aufgeteilt, die an Hintersassen, Freie oder Unfreie, zu Leihe ausgetan wurden. Sie bildeten i n der Regel einen Fronhofverband (villicatio) und waren wirtschaftlich Zubehör des Fronhofes, indem sie dorthin Abgaben (Zinse in Geld oder Naturalien) zu entrichten, zum Teil auch bei der Bewirtschaftung des Sallands Dienste (Handdienste, Gespanndienste) zu leisten hatten4. In dieser Art war auch der königliche Großgrundbesitz organisiert. Nur hatte seine Verbreitung eine zentrale Verwaltung am Hof und die Größe einzelner geschlossener Gebiete (fiscus) die Bildung von unteren Verwaltungsbezirken zur Folge. Mittleren Besitz begründeten Schenkungen an Vasallen oder Rodungen in der Allmende. Soweit er nicht mit eigenen Arbeitskräften bewirtschaftet werden konnte, war seine Organisation keine andere wie die des Großgrundbesitzes 5. Die Leiheverhältnisse waren schon in dieser Zeit nicht einheitlich. Ihr Ausgangspunkt war das römische precarium, eine Leihe auf Herrengunst, die jederzeit widerrufen werden konnte 6 . Leihen dieser Art hat es auch in fränkischer Zeit gegeben. Die Regel aber waren Leihen auf fünf Jahre, auf Lebenszeit oder auf mehrere, meist drei Generationen oder sogar erbliche Leihen. Nicht alle Leihen waren als (wirtschaftlich) unfreie Leihen einem Fronhofverband eingegliedert. Daneben fanden sich freie Leihen, deren Inhaber wirtschaftlich und persönlich vom Fronhof unabhängig waren 7. Nur ein 3 Dazu G a η a h 1, ZRG. 53 (33) 203; d e r s. 59 (39) 366; L ü t g e , VjsSWG. 30 (37) 105; S c h m i e d e r , ebd. 31 (38) 348; Κ ö t z s c h k e, Festschr. Dopsch (38) 243. D i e Hufe ist ein Grundbesitz von 20—40 Morgen u n d der normale Besitz eines Hintersassen. E t w a doppelt so groß w a r die seit dem 9. Jahrh. bei Rodungen u n d i m M A . bei der Kolonisation vorkommende Königshufe. Vgl. v. L ο e s c h , VjsSWG. 22 (29) 64 m i t weiterem Schrifttum. 4 Militärischen Schutz des Gebietes u n d seiner Verbindungen hatten die Scharmannen zu leisten. P l a n i t z , D i e Scharmannen von Prüm, Festschr. H . L e h m a n n (37) 55. M i t t e i s , Staat d. höh. Mittelalters 8 (48) 111. 5 Vgl. aber auch A n m . 1. β v. V o l t e l i n i , VjsSWG. 16 (22) 259 f ü h r t den I n h a l t der fränkischen Leihe auf den röm. ususfructus zurück. Vgl. auch L i v e r , Zur Entstehung d. freien bäuerl. Grundeigentums, ZSchwR. 65 (46). 7 M a n hat es also m i t drei verschiedenen Erscheinungen zu tun, m i t dem Salland, dem (wirtschaftlich) unfreien u n d dem (wirtschaftlich) freien Leiheland. D i e beiden ersten bilden den Fronhofverband oder engeren Gutsverband, die letzte gehört zum weiteren Gutsverband. Vgl. R i e t s c h e l ,

§ 16. Wirtschaftliche Verhältnisse

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T e i l der Leihegüter stammte aus dem Eigentum des Leiheherrn (precaria data) 8 . Andere waren ursprünglich i m Eigentum des Beliehenen, waren von diesem an einen Großgrundbesitzer übergeben und von diesem als Leibegut zurückgewährt worden (precaria oblata), vielfach aus dem Besitz des H e r r n vergrößert (precaria remuneratoria). D i e Entstehung von Großgrundbesitz u n d mittlerem Besitz hat den freibäuerlichen Kleinbesitz i m typischen Umfang von 3—4 Hufen zunächst n u r insoweit berührt, als einzelne Bauern i h r Grundeigent u m der Kirche überließen, u m es als Leiheland zurückzuerhalten. Daher ist auch i m ganzen Gebiet freier, unabhängiger Bauernstand erhalten geblieben. E r e r l i t t erst allmählich Einbußen unter dem Einfluß des zur Besitzteilung u n d damit zur Verarmung führenden Erbrechts und unter dem Druck der persönlichen Herrschaft, die sich m i t größerem Besitz verbindet. So blieb auch die Markgenossenschaft erhalten. Sie wurde aber allmählich auf die Allmende beschränkt, da die Anteile am Ackerland i n Sondereigentum übergingen. Außerdem veränderte sie ihre Struktur, w e n n einzelne Genossen i h r Eigentum an Großgrundbesitzer veräußerten oder mittlere Besitzer der Genossenschaft angehörten und so die durchschnittliche Gleichheit des Besitzes verschwand. D i e N e u b i l d u n g von Markgenossenschaften vollzog sich i n Verbindung m i t planmäßiger Siedlung durch Großgrundbesitzer und durch den Staat. Neben der Landwirtschaft u n d der m i t i h r verbundenen Viehzucht, Wiesen- und G a r t e n k u l t u r sowie dem Weinbau wurde der Boden ausgenutzt durch Bergbau und Salzgewinnung. I I . D i e Bearbeitung der Rohstoffe vollzog sich noch weitgehend i m Rahmen der Hauswirtschaft. D e m entspricht, daß auf den Fronhöfen einzelne Unfreie für deren Bedarf arbeiteten und die Hintersassen durch bemessene Abgaben i n gewerblichen Produkten an der Bedarfsdeckung teilnahmen. Daneben eiber entwickelte sich ein w i r t schaftlich freies Handwerk, teils i m Anschluß an germanische Ansätze und an das i n den Römerstädten fortlebende Gewerbe, teils dadurch, daß die Hintersassen über ihre Pflicht und die Kleinbauern über ihren Bedarf hinaus für den M a r k t arbeiteten. Diese Handwerker waren Freie und Unfreie, es gab seßhaftes H a n d w e r k und WanderhandWerk. M I Ö G . 27 (06) 389. Vom Stand des Beliehenen w a r die A r t der Leihe u r sprünglich nicht beeinflußt. Unfreie konnten freie Leihen erhalten, Freie unfreie Leihen. 8 D i e für Leihen (namentlich freie) üblich gewordene Bezeichnung precaria r ü h r t davon her, daß schon i n römischer Zeit das Leihegut regelmäßig i n einer U r k u n d e erbeten wurde, die epistola precaria hieß.

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Neben dem H a n d w e r k e r stand, nicht immer scharf von i h m geschieden, der Kaufmann (mercator, negotiator) als Träger eines aufblühenden Handels, i n der Regel freien Standes u n d k r a f t königlichen Privilegs als mercator regis unter Königsschutz. Vor allem i m ursprünglich römischen Gebiet gab es seßhafte Kaufleute, doch überwog der Wanderhandel, der als Fernhandel w e i t über die Reichsgrenzen hinausgriff und i n den Händen von Germanen u n d Fremden (Syrer, Araber, Griechen, Juden) 9 lag. M i t diesem verknüpft sich der M a r k t , der an einzelnen i n die Römerzeit zurückreichenden u n d an neu entstehenden Marktplätzen abgehalten wurde. Das Zusammenströmen der Bevölkerung zum Kirchgang führte dazu, daß Wochenmärkte mit Vorliebe am Sonntag, Jahrmärkte (Messen) an hohen Festtagen abgehalten wurden. I I I . Das Münzwesen der fränkischen Zeit knüpfte an das römische an, dessen Stücke zunächst i m Umlauf waren und noch lange Zeit nachgeprägt wurden. Eigene Prägungen i n Gold gibt es seit Theudebert I. (534—48), i n Silber seit den Söhnen Chlodwigs. A n Goldmünzen kannte man den solidus (Goldschilling), i m Feingewicht gleich V72 später gleich Vs2 des römischen Pfundes (327,45 g), dessen Hälfte (semissis) und D r i t t e l (triens, tremissis). D e r Schilling enthielt ursprünglich 24 Siliquen, ging aber schrittweise auf 20 Siliquen zurück 1 0 . Sein Feingehalt sank soweit, daß der M e t a l l w e r t des Solidus dem des alten triens gleichkam 1 1 . Als Silbermünze ausgeprägt w u r d e der denarius (Pfennig), von dem nach der L e x Salica 40 auf den Solidus gingen 1 2 . Spätestens i m frühen 8. Jahrhundert erscheint neben dem Schilling zu 40 Denaren ein solcher zu 12 Denaren. Jener entsprach i i \ Silberdenaren gezahlt ungefähr dem Silberwert des alten Goldschillings, der kleine aber dem des alten Triens, also des späteren Goldschillings. I m Gewicht kamen seit 755 auf das Pfund Silber 264 Denare, seit K a r l dem Großen 240. D a i m 9. Jahrhundert der Großschilling zu 40 Denaren verschwand, ergab sich so eine Gleichung von 1 Pfund Silber = 20 Schillinge = 240 Denaren u n d bei einer Wertrelation von 1 :12 = V12 Pfund Gold 1 3 . Das Pfund aber stieg • Über deren Rechtsstellung vgl. das § 36 A n m . 2 a. Schrifttum. 10 D i e 24 Siliquen waren als 24. T e i l eines Goldsolidus Goldsiliquen. Ausgeprägt aber w u r d e n Silbersiliquen, die nach dem W e r t v e r h ä l t n i s von Gold zu Silber i m Werte einer Goldsilique gleichkamen. 11 Vgl. N A . 33 (08) 449. 12 D i e Entstehung dieses Denars bedarf noch weiterer Untersuchung. L u s c h i n v. E b e n g r e u t h , D e r Denar der L e x Salica (10; dazu B r u n n e r , ZRG. 31, 475). J a e k e l , D i e leichten Goldschillinge d. merow. Zeit, ZRG. 43 (22) 103. E. M a y e r , TRG. V I I (27) 147. Besondere Beachtung verdient H i 11 i g e r , Ursprung u n d W e r t des Wergeides i m Volksrecht, H V . 29 (35) 681. 18 D i e Gold-Silberrelation w u r d e 864 (Edictum Pistense) festgesetzt.

§ 17. Soziale Gliederung

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u n t e r K a r l d e m G r o ß e n , v e r m u t l i c h a u f 367,2 g ( K a r l s p f u n d ) . N e b e n den genannten M ü n z e n liefen andere Gepräge um. Insbesondere gab es e i n e e r h e b l i c h e R e i h e l a n d s c h a f t l i c h e r A b w e i c h u n g e n . Unter i h n e n v e r d i e n e n rechtsgeschichtlich v o r a l l e m I n t e r e s s e d i e b a i r i s c h e s a i g a ( = V i 2 G o l d s c h i l l i n g ) u n d e i n k l e i n e r e r sächsischer S i l b e r schilling zu 2 Tremissen ( = 8 Denaren) 14. Vgl. d. Sdiriftt. zu § 5: v. Inama-Sternegg, Kötzschke, Kulischer, Dopsch, Ernst, Stäbler, Lütge, v. Below. Ferner D o p s c h , D i e Wirtschaftsentwickl u n g der Karolingerzeit 2 I. I I (21/22). D e r s . , Grundlagen I I 2 (23; dazu außer den i n § 5 Gen. B r i n k m a n n , ZRG. 41, 394). v. I n a m a - S t e r n e g g , D i e A u s b i l d u n g d. großen Grundherrsch, i n Deutschland I (1878). H o f b a u e r , D i e A u s b i l d u n g der großen Grundherrsch, i m Reiche der Mero winger (27). S e e l i g e r , D i e soziale u n d politische Bedeutung der Grundherrschaft (03). L. v. M a u r e r , Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe u. d. Hofverfassung i n Deutschland I (1862). C a r o , Beiträge zur älteren deutschen W.- u. YG. (05). D e r s . , Neue Beitr. zur deutschen W.- u. YG. (11) G a n a h i , Langen—Erchingen, ZRG. 58 (38) 389. D e r s . , D. M a r k i. d. älteren St. Galler Urkunden, ZRG.60 (40) 197; 61 (41) 31. S c h i l l - K r ä m e r , Organisation u. Größenverhältnisse d. ländl. Grundbesitzes i. d. Karolingerzeit, YjsSWG. 17 (24) 247. D a n n e n b a u e r , F r ä n k . u. schwäb. Dörfer am Ende dee 8. Jahrh., Festschr. Bohnenberger (38) 53. D u m a s , L a grande et la petite propriété à l'époque carolingienne, K H . 50 (26) 213. 613. F. S c h n e i d e r , Staatl. Siedl, i. früh. MA., A u s Sozial- u. Wirtschaftsgesch. (28) 16. Z y c h a , A r t . Bergbau, Bergbautechnik, RL. Ι . ν. B e 1 ο w , Probleme d. W G . (20) 258. D e r s . , T e r r i t o r i u m u. Stadt 2 (23) 209. B e n e y t o - P e r e z , Estud. sobre l a hist, del régimen agrario (41). Z y c h a , Yom Durchgang d. Arbeitsfreiheit durch d. Grundherrschaft, Festschr. Dopsch (38) 470. P l a n i t z , Handelsverkehr u. Kaufmannsrecht i m fränk. Reich, Festschr. H e y m a n n 1 (40) 175. S c h u l t e , Geschichte d. ma. Handels u. Yerkehrs I. I I (00). L u s c h i η v. E b e n g r e u t h , Art.' Münzwesen u. K a r l s p f u n d i n RL, I I I 257, 15. D e r s., Allgem. Münzkunde u. Geldgesch. d. M A . u. der neueren Zeit 2 (26). H i l l i g e r , Das Goldpfund d. röm. Kaiserzeit, Bl. f. Münzfreunde 1938 Nr. 4/5.

§ 17. Soziale Gliederung D i e Schichtung der B e v ö l k e r u n g w i r d i m L a u f e der Seßhaftmachung u n d w ä h r e n d d e r fränkischen Zeit i n i h r e n G r u n d l a g e n angegriffen u n d folgerichtig umgestaltet. Das C h r i s t e n t u m entzieht dem a l t e n G e b u r t s a d e l d i e i n n e r e B e g r ü n d u n g u n d schwächt d i e U n f r e i h e i t ab. M i t d e r a u f U n t e r s c h i e d e n d e r A b s t a m m u n g b e r u h e n d e n r e c h t l i c h e n G l i e d e r u n g ü b e r s c h n e i d e t s i d i zunächst e i n e s o z i a l e aus v e r s c h i e d e n s t e n G r ü n d e n . So h e b t d e r g r ö ß e r e B e s i t z d e n G r p ß g r u n d b e s i t z e r auch s o z i a l ü b e r d e n K l e i n b e s i t z e r , d e r G l a n z des K ö n i g t u m s u n d d e r K i r c h e d e r e n D i e n e r ü b e r d i e Masse d e r B e 14 I n der L i t e r a t u r w i r d vielfach von fränkischer G o l d w ä h r u n g u n d v o m Übergang von der G o l d w ä h r u n g zur Silberwährung gesprochen. Dies ist n u r dann angebracht, wenn die F r a n k e n überhaupt eine Währung i n dem Sinne gehabt haben, i n dem w i r heute von W ä h r u n g sprechen. Daß dem so war, scheint nicht sicher. Jedenfalls hätte sowohl die Merowinger- wie die Karolingerzeit D o p p e l w ä h r u n g gehabt.

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völkerung. Neuauftretende persönliche Abhängigkeitsverhältnisse mindern die soziale Stellung der Freien, die sich darein begeben. D e r Kreis der m i t dem einzelnen verbundenen Rechte u n d Pflichten beeinflußt seine Eingliederung i n die Stände mehr als seine A b stammung. D i e soziale Schichtung w i r d aber allmählich auch maßgebend für die rechtliche W e r t u n g des einzelnen. Diese drückt sich aus i n der Verschiedenheit des Wergeides u n d der des Eideswertes, derzufolge der E i d des Angehörigen eines höheren Standes dem E i d mehrerer Personen eines niederen Standes gleichkommt. Diese Veränderungen vollziehen sich innerhalb der einzelnen Stämme. Infolgedessen k a n n von der Ständegliederung i m fränkischen Reich n u r m i t dem Vorbehalt gesprochen werden, daß i n verschiedenen Gebieten nicht unerhebliche Abweichungen auftreten. So sind etwa die Verhältnisse der Wergelder bei den einzelnen Stämmen nicht gleich und vor allem ist die Ausgleichung der rechtlichen Gliederung auf Grundlage der Abstammung u n d derjenigen auf Grundlage sozialer Unterschiede sehr ungleichmäßig erfolgt 1 . Als A d e l (nobilis, adalingus) haben sich bei einigen Stämmen Reste des germanischen Geburtsadels erhalten. Neben ihnen erwächst eine durch Besitz oder Beruf gehobene Schicht, deren Glieder gleichfalls als nobiles bezeichnet werden. Bei den Franken kommt sie durch Verdreifachung des Wergeids des einzelnen Beamten oder Kirchendieners w i e des königlichen Gefolgsgenossen (antrustio) zu rechtlichem Ausdruck 2 . Dagegen geht die Sonderstellung der sächsischen nobiles nicht nur auf größeren Grundbesitz, sondern auch auf ihre m i t der Eroberung verbundene Führerstellung zurück. D e r Erw e r b von größerem Besitz durch Angehörige des Geburtsadels, deren E i n t r i t t i n öffentlichen Dienst u n d das Erblichwerden der Ä m t e r haben allmählich zur B i l d u n g eines Hochadels geführt, der sich auf Geburt, Besitz u n d Beruf i n verschiedenartigster Verbindung aufbaute. Unter sich u n d m i t dem Königshaus verwandtschaftlich verbunden, haben die i h m zugehörigen, an Zahl geringen, überwiegend fränkischen Familien als sogenannte Reichsaristokratie zwar nicht gesteigerte Rechte, aber entscheidenden politischen Einfluß erlangt (s. u. 33 II). 1

Das halbe Freienwergeld hatte nach fränk. Recht der Romanus. Vgl. zuletzt S t u t z , Römerwergeid u n d H e r r e n f a l l (34). S t e i n , H V . 31, 232. D a n n e n b a u e r , WaG. 7 (41) 51. Β 1 o c h , RH. 24 (46) 1. 2 Umstritten sind der alamannische medianus u n d der chamavische homo Francus. Jener ist vielleicht ein Seitenstück zum sächsischen nobilis. Bei diesem deutet „Francus" auf einen stammesmäßigen Unterschied. Vgl. versch. Meinungen bei O t t o a. u. a. O. 113, 151; v. G l a d i ß , D A . 2 (38) 175, 179; S t u t z , Zum Ursprung u. Wesen d. niederen Adels (37) 12.

§ 1 7 . Soziale Gliederung

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D e r Stand der Gemeinfreien (liber, ingenuus, friling) w i r d nicht n u r durch Abgabe an diese neue Oberschicht, sondern auch durch Absinken zahlreicher Freier i n eine untere Schicht vermindert. Dieses hat seinen G r u n d darin, daß sich freie Leute i n die Schutzherrschaft eines Großen oder einer Kirche begaben u n d damit persönlich abhängig wurden. Sie sicherten sich damit nicht n u r Schutz vor Gewalt u n d Vertretung vor Gericht, sondern schufen sich auch einen Ersatz für den Rückhalt, der ihnen m i t der Auflockerung der Sippe verlorenging. D e r E i n t r i t t in· ein Schutzverhältnis verband sich häufig m i t der wirtschaftlichen Einordnung i n einen Großgrundbesitz durch Übernahme eines Leihegutes. A b e r auch allein die Annahme von solchem Leihegut durch einen Freien, die zunächst auf seinen Stand ohne Einfluß blieb, zog allmählich ebenfalls eine Standesminderung nach sich. D i e Schutzhörigen (Muntmannen) bildeten einen Bestandteil der zwischen Freiheit u n d Unfreiheit stehenden Klasse, deren starke Verschiedenheit nach H e r k u n f t u n d Gebiet i n der einheitlichen Bezeichnung als Halbfreie (Minderfreie) n u r ungenügend zum Ausdruck kommt. Sie umfaßt außer ihnen die Halbfreien der älteren Zeit (s. § 6), die i m Lande sitzengebliebenen römischen coloni (tributarli) u n d die nicht zur Vollfreiheit Freigelassenen. Deren Zahl nahm ebenso zu, w i e die Formen der Freilassung selbst. D i e Freilassung zur Vollfreiheit durch die Landesgemeinde setzte sich fort i n der durch Schatzwurf (manumissio per denarium) 3 . F ü r die Freilassung zur Halbfreiheit w u r d e n aus dem römischen Recht neue Formen übernommen. Sie konnte durch Bischof und Klerus unter Übergabe einer LTrkunde erfolgen (tabularli) oder i n weltlicher Form, aber ebenfalls unter Ausstellung eines Freibriefes (cartularii). D i e Stellung der Halbfreien w a r sehr verschieden. I n der Regel waren sie schutzhörig und leisteten als solche einen Kopfzins (litimonium), später auch eine Heiratsgebühr (maritagium, bumede). Von ihrem Nachlaß hatte der Schutzherr das beste Stück Vieh (Besthaupt) oder das beste Gewand (Gewandfall) als T o d f a l l (mortuarium, Sterbfall, kurmede) zu beanspruchen. Einen Zins i n Wachs leisteten die cerarii (Wachszinsige). Insoweit die Halbfreien von ihrem Schutzherrn ein Grundstück zur Leihe hatten, waren sie auch dinglich abhängig, so daß sich m i t den persönlichen Abgaben solche vom Grundstück verbanden. Außerdem waren sie an die Scholle gebunden und konnten m i t dieser veräußert werden. 3 D e m Freizulassenden w u r d e v o r dem K ö n i g oder durch i h n selbst ein Denar, den er als symbolischen Zins anbot, zum Zeichen des Verzichts aus der H a n d geschlagen, w o r a u f der K ö n i g einen Freiheitsbefehl ergehen ließ. B r u n n e r , Abhandlungen I 240.

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Die

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D i e Unfreiheit erhielt sich m i t dem ursprünglichen I n h a l t nur bei den mancipia, den i m Hause des H e r r n lebenden, m i t niederen Diensten beschäftigten Sklaven, die rechtlich bewegliche Sachen waren. D i e übrigen waren den Halbfreien angenähert oder gleichgestellt, teils durch die Ansiedlung auf einer Hufe (servi casati, mansionarii), teils durch ihre persönlichen Dienstleistungen für den H e r r n und i n seiner unmittelbaren Umgebung (vassi, pueri, m i n i steriales) 4 . Eine Sonderstellung nahmen auch die servi der Kirche (homines ecclesiastici) und des Fiskus (fiscalini) ein, sowie die M i n i sterialen des Königs (pueri regis). Vgl. Schriftt. zu § 6. D a z u H e c k , D i e Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte (00); d e r s . , Unters, z. altsächsischen Standesgliederung (36; dazu Meyer, DLZ. 1937, 387. Haff, VjsSWG. 29, 394) ; d e r s., D r e i Studien z. Ständegeschichte (39). B r u n n e r , Nobiles u. Gemeinfreie d. karolingischen Volksrechte, ZRG. 19 (1898) 76 ( = A b h . I 261); d e r s . , Ständerechtliche Probleme, ebda. 23 (02) 193 ( = A b h . I 293). V i n o g r a d o f f , Wergeid u n d Stand, ebda. 123. S c h r ö d e r , D e r altsächsische Volksadel, ebda. 24 (03) 347. G u t m a n n , D i e soziale Gliederung der B a y e r n zur Zeit des Volksrechts (06; dazu v. Schwerin, ZRG. 28, 533). E r n s t , Mittelfreie (20). L i n t z e l , D i e Stände d. deutschen Volksrechte (33). O t t o , A d e l u. Freiheit i m deutschen Staat d. frühen M A . (37; dazu v. Schwerin, HZ. 158, 351; v. Gladiß, D A . 2, 172). S t e i n b a c h , Ständeproblem d. frühen MA., Rhein. Vierteljahrsbl. 7 (37) 313. Μ ο 1 i t o r , Zur E n t w i c k l u n g der M u n t , ZRG. 64 (44) 112. T h i b a u l t , L a question des „Gemeinfreie", R H . 46 (22) 391. Κ r ο e 11, Etude sur l ' i n stitution des lites, Études G i r a r d I I (23) 125.

2. D i e Rechtsbildung § 18. Formen und Gesamtverlaul I. D i e Rechtsbildung der fränkischen Zeit vollzieht sich nur zum T e i l i n den Formen der vorausgehenden Periode. Neben diese treten vielmehr durchweg gegensätzliche Erscheinungen. D i e Rechtsüberzeugung des Volkes hört auf, alleinige Rechtsquelle zu sein. Neben i h r ist es der K ö n i g u n d i n dem von i h m bestimmten Umfang das königliche Beamtentum. Es gibt Volksrecht und Königsrecht. Doch standen diese nicht i n einem geordneten Kräfteverhältnis, so daß sich das ergänzende oder auch dem Volksrecht widerstreitende Königsrecht n u r insoweit durchsetzen konnte, als die Macht des Königs reichte oder das V o l k es aufnahm. D i e Bedeutung der königlichen Rechtsschöpfung lag i n der größeren Beweglichkeit und damit i n seiner Fortschrittlichkeit. D e m stand allerdings gegenüber eine leichtere Beeinflußbarkeit der rechtschöpfenden Instanz durch fremdes Recht. 4 I m Hause des Königs u n d der Großen oblag ihnen die Ausübung der sog. Hausämter des Truchsessen, Kämmerers, Schenken u n d Marschalls.

§ 18. Formen und Gesamtverlauf

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Außer dem auf die Stammesgenossen beschränkten Stammesredit entstand Reichsrecht m i t territorialer Geltung i m ganzen Reichsgebiet, das vom K ö n i g als der einzigen Zentralinstanz m i t oder ohne M i t w i r k u n g der Großen oder des Volkes geschaffen w i r d 1 . D e m i n der Rechtsübung der Gerichte u n d der V e r w a l t u n g zum Ausdruck gelangenden Gewohnheitsrecht trat zur Seite die Satzung, der m i t dem Anspruch auf künftige, allgemeine Geltung festgelegte Rechtssatz. Das ungeschriebene Recht machte i n steigendem Maße dem geschriebenen, der Rechtsauf Zeichnung, Platz. Diese vollzog sich i n den sog. Volksrechten (Leges barbarorum) u n d i n den Verordnungen der Könige u n d Hausmeier (Kapitularien). D i e Volksrechte galten für das Gebiet eines Stammes. Sie enthielten aber nicht n u r Stammesrecht u n d nicht nur Volksrecht i m oben besprochenen Sinn. Vielmehr verband sich i n ihnen königliche Satzung m i t dem Gewohnheitsrecht des Stammes. Dieses wurde, soweit es nicht schon aufgezeichnet vorlag, durch Befragung des Volkes erhoben. Dessen meist durch einzelne Rechtskundige erteilte Rechtsweisungen nennt man Weistum. A l l e Rechtsaufzeichnungen der fränkischen Zeit bedienen sich i m Gegensatz zu denen der angelsächsischen u n d nordischen Reiche der lateinischen Sprache 2 . D i e Fassung ist kasuistisch u n d verrät i n dieser Abstellung auf den einzelnen Tatbestand den dauernden Zusammenhang m i t der Rechtsprechung, der n u r bei der königlichen Gesetzgebung gelockerter erscheint. Auch die umfangreichsten Leges sind w e i t davon entfernt, den Rechtsstoff erschöpfend darzustellen. Das Schwergewicht liegt auf dem Strafrecht u n d dem Rechtsgang. Das Privatrecht t r i t t zurück, noch mehr das Staatsrecht. D i e Aufzeichnung der Rechte brachte das Bedürfnis m i t sich, den geschaffenen Text der Volksrechte durch Beifügung ändernder Rechtssätze u n d neu auftauchender Tatbestände der Entwicklung anzupassen. Diese Novellen w u r d e n dem T e x t entweder angehängt oder unter sachlichen Gesichtspunkten eingeordnet. Solche Ergänzungen konnten veranlaßt sein durch Satzungen, die dann auch den Platz der Einfügung angeben mochten. D a dies nicht immer geschah u n d die Ergänzungen von den Besitzern der Handschriften vor1 Solche M i t w i r k u n g führte dazu, v o n einem Pactus zu sprechen, wie ζ. B. vom Pactus A l a m a n n o r u m (s. § 19,1, 7). 2 D a m i t dürfte es zusammenhängen, daß w i r von den Rechten der Stämme, die nicht auf früher römischem Boden u n d damit römischem Sprachgebiet saßen, n u r eine dürftige oder überhaupt keine handschriftliche Überlieferung haben. D i e lateinischen Texte w u r d e n dort nicht verbreitet, w e i l nicht verstanden. Über die Bedeutung d. lateinischen Sprache für d. Interpretation Ph. H e c k , Übersetzungsprobleme i m frühen M A . (31 ; dazu Wohlhaupter, HZ. 147, 579. Lintzel, ZRG. 54, 286).

v. S c h w e r i n , Grundzuge der deutschen Rechtsgeechichte

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I I . Die fränkische Zeit

genommen wurden, erfolgten sie keineswegs gleichmäßig und führten bei einzelnen Leges zu nicht unerheblichen Verschiedenheiten der Textgestaltung, die nördlich der A l p e n n u r i n großen zeitlichen Abr ständen durch eine amtliche Neuredaktion behoben wurden. N u r bei den Westgoten ist diese wiederholt erfolgt, während die Langobarden die von den einzelnen Königen erlassenen Gesetze als geschlossene Novellenmassen dem ältesten Texte jeweils anfügten. Bei den königlichen Satzungen erfolgte keine Änderung der ursprünglichen Fassung. M a n begnügte sich m i t dem Erläß neuer Bestimmungen. D a die Stammesrechte als solche bestehen blieben und sich auch noch weiterbildeten, ergab sich innerhalb des Reiches ein Nebeneinander verschiedener Rechte und bei dem Übergreifen wirtschaftlicher und rechtlicher Beziehungen von einem Stammesgebiet i n ein anderes die Notwendigkeit, das Verhältnis der Stammesrechte zu regeln. Maßgebend w u r d e das Personalitätsprinzip, demzufolge jeder einzelne nach seinem angeborenen Stammesrecht, seiner lex originis, beurteilt wurde. Dies führte bei Beteiligung von Personen verschiedenen Rechts an einem Rechtsverhältnis oder Rechtsgeschäft zu kasuistischen Einzelregelungen, nicht selten zur Anwendung mehrerer Rechte nebeneinander. D i e Kirche als solche wurde nach römischem Recht behandelt, der einzelne K l e r i k e r nach seinem Geburtsrecht, Eigenkirchen nach dem Recht des Eigentümers 3 . I I . D i e innere Entwicklung der einzelnen Rechte wurde von zwei Seiten beeinflußt, die der nichtfränkischen vom fränkischen und die fast aller von fremdem Recht. Das fränkische Recht w a r aus verschiedenen Gründen berufen, auch außerhalb seines ursprünglichen Geltungsgebietes zur H e r r schaft zu gelangen, und zwar i n merowingischer Zeit vorwiegend das salische, i n karolingischer vorwiegend das ribüarische. A u f i h m beruhten die meisten der königlichen Verordnungen, also die Masse des Reichsrechts. Fränkisch w a r zumeist das angestammte Recht der königlichen Beamten, insbesondere das der Königsboten und der Grafen. Nach fränkischem Recht ergingen die Urteile des Königsgerichts. D e r so begründete Einfluß des fränkischen Rechts erhielt besonderen Nachdruck, als schon i n merowingischer Zeit u n d dann 3 S t o b b e , Personalität u. T e r r i t o r i a l i t ä t d. Rechts, Jb. d. gem. d. R. 6 (1863) 21. N e u m e y e r , D i e gemeinrechtliche E n t w i c k l u n g des internat. Privat- u. Straf rechts I. I I (01—16). I n einigen Gegenden w u r d e n förmliche Versicherungen der einzelnen Parteien eines Rechtsstreites über i h r Geburtsrecht üblich (sog. professio iuris). R o b e r t i , Intorno alla scomparsa delle professioni d i legge straniera i n I t a l i a (37). Über die Geltung des Personalitätsprinzips i m Westgotenrecht vgl. u. § 20 A n m . 1.

§ 19. Die Rechtsdenkmäler

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insbesondere am Anfang des 9. Jahrhunderts der Gedanke einer planmäßigen Vereinheitlichung des Rechtes auftauchte. Gleichwohl ist es dem fränkischen Recht bei weitem nicht gelungen, die Stammesrechte zu überwinden. D i e Rechtseinheit blieb ausweislich der späteren Rechte eng begrenzt, die Zersplitterung i n Staminés rechte i m wesentlichen bestehen. V o n fremden Rechten w a r es neben dem kirchlichen Recht das römische, das eine frühe Rezeption erlebte, wenngleich nicht i n erheblichem Umfang. Auch betraf sie nicht das römische Recht der Justinianischen Gesetzgebung, sondern das römische Vulgarrecht, das sich auf der Grundlage von zum T e i l noch älterem römischem Recht unter lokalen u n d germanischen Einflüssen i n den Provinzen gebildet hatte 4 . Soweit dieses nicht ebenfalls durch die Kirche vermittelt oder m i t römischen Staatseinrichtungen ûbernommén w u r d e 5 , verdankt es seine Aufnahme dem Anschluß, den man bei der Aufzeichnung des Rechts bei der westgotischen Gesetzgebung suchte. Dies geschah, als man sie erstmals i n der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, w o h l unter Theudebert I. (534—48), i n Angriff nahm. Eine weitere Sammlung und zum T e i l Neufassung von Volksrechten erfolgte wahrscheinlich unter den Merowingerkönigen Chlotar II. (584—629) u n d Dagobert I. (629—638). I n karolingischer Zeit führte die Benutzung schon vorhandener Volksrechte bei Neuaufzeichnung anderer i m wesentlichen n u r zu einer Verwandtschaft i m A u f b a u and i n der Problemstellung. Diese dritte Aufzeichnungsperiode endete m i t dem Reichstag zu Aachen 802/03. Vgl. Schriftt. zu § 8. S ο h m , Fränkische Reichs- u. Gerichtsverf. (187Ì) 102. S e e l i g e r , Volksrecht u. Königsrecht?, HV. I (1898) 1. 313. So h m , Fränkisches Recht u. röm. Recht, ZRG. 1 (1880) 1. M a y e r - H o m b e r g , D i e fränkischen Volksrechte i m M A . I (12). ν. H a l b a n (s. § 14). V i n o g r a d o f f , Roman l a w i n medieval Europe 2 (29). C o n r a t , Röm. Recht i m frühesten MA., ZRG. Rom. 34 (23) 13. G. S c h u b e r t , D e r Einfluß des kirchlichen Rechts auf das weltliche Recht der Frankenzeit (Diss. 37).?

§ 19. Die Rechtsdenkmäler Die Rechtsdenkmäler dieser Zeit sind Volksrechte (Leges barbarorum), Kapitularien, Formeln, Urkunden und juristische Abhandlungen. Sie tragen einen verschiedenen Charakter bei den im fränkischen Reich nördlich der Alpen vereinigten Stämmen und in 4

B r u n n e r , Zur RG. d. röm. u. germ. U r k u n d e I (1880) 113. Daß das fränkische Reich einzelne Einrichtungen wie Zoll, Münze, Kanzlei, ferner Beamtentitel i n sein Staatsrecht übernommen hat, ist unbestritten. A b e r der römische Einfluß ist wiederholt ganz erheblich überschätzt worden. Das fränkische Recht ist seinem Grundcharakter nach u n d i n den wesentlichen Teilen deutsch. Vgl. § 15 A n m . 1, 3. 5

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I I . Die fränkische Zeit

den zumeist ostgermanisdien Staaten, die sich auf römischem Boden gebildet u n d ohne Zusammenhang m i t dem Frankenreich politisch zunächst selbständig, aber unter dem k u l t u r e l l e n Einfluß Roms weiterentwickelt haben. Eine auf dem Personalitätsprinzip beruhende Nebenerscheinung sind i n diesen Staaten die sog. Leges Romanae, Rechtsaufzeichnungen für die i n ihnen ansässigen Römer. I.

Leges.

1. Das älteste D e n k m a l der ersten Gruppe ist die L e x S a l i c a , das Recht der salischen Franken. Sie ist i n einer erheblichen Zahl von Handschriften überliefert, die untereinander nach Inhalt, Umfang u n d Sprache stark abweichen, aber i n Klassen geordnet werden können. D e r T e x t der beiden ältesten Klassen umfaßt 65 T i t e l , die dritte, von einer i n Neustrien entstandenen Fassung ausgehende, 99 T i t e l (sog. Hunderttiteltext). Eine vierte Klasse stellt die sog. L e x Salica emendata dar, ein i n den ersten Regierungsjahren Karls des Großen bearbeiteter T e x t i n 70 Titeln, der sich durch eine von Germanismen w e i t h i n gereinigte L a t i n i t ä t von den übrigen abhebt 1 . D i e beiden älteren Klassen u n d ein T e i l der Texte der d r i t t e n Klasse weisen Einschiebungen von fränkischen W ö r t e r n auf, die aus der am Malberg üblichen Gerichtssprache entnommen sind u n d den lateinischen T e x t erläutern sollen 2 . Sie führen den Namen der Malbergischen Glosse. Ubersetzung aus dem Lateinischen ist eine ostfränkische Fassung des Rubrikenverzeichnisses, des ersten und eines Teiles des zweiten Titels 3 . Keine dieser Handschriften enthält den U r t e x t der Lex. Dieser hat vermutlich aus einer Sammlung von Weistümern über Vergehen und Bußen bestanden, zu der später jüngere Weistümer über verschiedene Gegenstände und königliche Satzungen hinzugetreten sind. D e r älteste durch Vergleich der Handschriften erschließbare, aber schon erweiterte T e x t (Grundtext) gehört der Zeit Chlodwigs I. an, 1 Einen von den übrigen abweichenden, i n keine Klasse einzugliedernden T e x t enthält der D r u c k der Leges durch J. B. H e r o l d , O r i g i n u m ac Germ a n i c a r u m a n t i q u i t a t u m l i b r i (1557). Er beruht auf einer Verbindung mehrerer Texte. 2 Vgl. z.B. I I 1: Si quis porcellum lactantem furaverit et ei fuerit adp r o b a t u m (malb. chrane calcium h. e.) C X X dinarios q u i faciunt solidos I I I culpabilis iudicetur. D i e Glosse steht sprachlich i n V e r b i n d u n g m i t ahd. galza = Schweinchen u n d einem zu erschließenden Worte h r a n n = aus Flechtwerk bestehendes Gehege. Über diese u n d die anderen, infolge stark verstümmelter Überlieferung meist schwer zu erklärenden Glossen v a n H e l t e n , BGDS.25, 225. J. C a l m e t t e , BECh. 60, 397. G o l d m a n n Neue Beitr. z. Geschichte des fränkischen Rechts (28) 83. Abzulehnen ist die zuletzt von E. M a y e r TRG. V I I (23) 192 vertretene Ansicht, daß die Glossen der Rest eines altfränkischen Textes seien. 8 H e i n e r t z , Zum ahd. Bruchstück der L e x Salica, Z D A . 62 (25) 104 ff.

§ 19. Die Rechtsdenkmäler

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und zwar den Jahren 508—5114. Er ist i n den einzelnen Handschriftengruppen und Handschriften i n sehr verschiedener Weise weitergebildet worden. Dies beruht teils auf der W i l l k ü r der Schreiber, denen die Anfügung oder Einfügung neuen Rechtsstoffes überlassen blieb, teils darauf, daß einige neuere Satzungen n u r für einzelne T e i l reiche erlassen waren. Eine amtliche Neuredaktion des Textes hat nach C h l o d w i g nicht stattgefunden, auch kaum, w i e man angenommen hat, 763/64 durch Pippin. D i e später entstandenen salischen Rechtssätze w u r d e n dem G r u n d t e x t i n einigen Handschriften angefügt, so ζ. B. das Landfriedensgesetz Chlothars I. und Childeberts I. (Pactus pro tenore pacis), ein E d i k t Chilperichs (561—584), ein K a p i t u l a r Ludwigs des Frommen. Unter sonstigen Zusätzen einzelner Handschriften sind bedeutsam die Prologe u n d Epiloge, die i n verschiedener Fassung von der Entstehung der L e x Kunde geben 5 . D i e einzelnen Handschriftengruppen sind nicht ohne Beziehungen zur ältesten westgotischen Gesetzgebung. A m schwächsten sind sie bei der ersten Gruppe, was m i t der Entstehung des Grundtextes am Beginn des 6. und der westgotisch beeinflußten Aufzeichnungswelle gegen die M i t t e des 6. Jahrhunderts i n E i n k l a n g stände 6 . 2. D i e L e x R i b u a r i a , das Recht der ribuarischen Franken, besitzen w i r n u r i n einer Redaktion, die der karolingischen Zeit angehört und jedenfalls vor 803 entstanden ist. Sie ist aber n u r A b 4 F ü r diese Jahre spricht auf der einen Seite (terminus ad quem) die i n der L e x vorausgesetzte Einheit des Königtums. Diese fehlt v o n 511—588. Nach 558 aber k a n n die L e x nicht angesetzt werden, da der Pactus Childeberts I. u n d Chlothars I. (531—57) auf sie Bezug n i m m t . F ü r den anenommenen terminus a quo spricht, daß nach tit. 47 das Reich über die lOire ausgedehnt w a r , was erst für die Zeit nach dem Westgotenkrieg stimmt. Unterstützend k o m m t hinzu, daß die L e x keine bestimmten Beziehungen zum H e i d e n t u m aufweist, was auf die Zeit nach der Christianisierung hinweist, u n d jedenfalls n u r wenige zum Christentum, was lange nach dieser unwahrscheinlich wäre. Sollten diese christlichen Einflüsse der Karolingerzeit angehören (F. Β e y e r i e , ZRG. 44, 249), so müßte man m i t geringen Textänderungen i n dieser Zeit rechnen. A m unsichersten sind die Argumente, die man aus der Angabe der Bußen i n Denaren u n d Solidi (sexcentos dinarios, q u i faciunt solidos quindecim) u n d einer angenommenen Münzreform zu Chlodwigs Zeit zieht. Auch sonst d ü r f t e n die aus den Münzverhältnissen gezogenen Schlüsse solange nicht durchschlagen, als das Münzwesen selbst nicht k l a r e r zu erkennen ist. Nach K r u s c h , D i e L e x Salica das älteste deutsche Gesetzbuch (34), wäre die L e x 507 entstanden. H i 11 i g e r hält a. § 12 A n m . 8 a. Ο. an der Entstehung unter P i p p i n fest. 6 Uber die einschlägige Kontroverse vgl. F. Β e y e r 1 e a. a. Ο. 225. D e r i m älteren, kürzeren Prolog (II) enthaltene Kern, die Abfassung der L e x i m 5. Jahrh. durch v i e r gewählte rechtskundige Männer, dürfte für den U r t e x t den Tatsachen entsprechen. Vgl. auch S e e 1 i g e r , A U F . 6 (18) 149. 6 Abgelehnt werden Beziehungen zum Cod. Euricianus von S t a c h , Lex Salica u n d Codex Euricianus, H V . 12 (24) 385.

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Die fränkische Zeit

schluß der Entwicklung eines Textes, der i n seinem K e r n auf ein Gesetz Dagoberts I. zurückgebt und seitdem zahlreiche Veränderungen und Ergänzungen erfahren hat. So beruhen T i t e l 57—62 mindestens zum T e i l auf späterer königlicher Gesetzgebung u n d verraten verschiedene T i t e l 7 starken Einfluß der L e x Burgundionum.

3. Die Ewa Chamavorum ist die Niederschrift eines Weistums, das vermutlich auf dem Aachener Reichstag 802/03 über das Recht der chamavischen Franken aufgenommen wurde, eines Stammes, der an Niederrhein und Yssel, insbesondere im Hamaland, ansässig war 8 . 4. M i t dem gleichen Reichstag hängt die Aufzeichnung des allein bekannten Textes der L e x S a x o n u m zusammen. Sie benutzt eine ältere, jetzt verlorene, sächsische Rechtsauf Zeichnung u n d ist m i t der L e x Ribuaria und dem ribuarischen K a p i t u l a r von 803 verwandt. I h r geht voraus das Capitulare Saxonicum (797), unter M i t w i r k u n g von Sachsen ebenfalls auf einem Aachener Reichstag entstanden. Noch früher liegt die Capitulatio de partibus Saxoniae von 782 oder 785, eine A r t von Standrechtsgesetz, das durch strenge Strafen die fränkische Herrschaft und das Christentum zu stützen sucht u n d i n der Fassung an biblischen Sprachgebrauch erinnert. 5. M i t der ribuarischen und der sächsischen L e x zeigt Zusammenhang eine Rechtsaufzeichnung, die handschriftlich a l s L e x T h u r i n g o r u m überliefert ist und ebenfalls dem Beginn des 9. Jahrhunderts angehört. Sie galt f ü r die i m thüringischen Gebiet ansässigen Angeln und Warnen, weshalb sie bei H e r o l d als L e x A n g l i o r u m et Werinorum, hoc erst T h u r i n g o r u m bezeichnet w i r d . 6. N u r durch den D r u c k von H e r o l d ist eine Sammlung friesischer Rechtssätze überliefert, die von diesem den Namen einer L e x Frision u m erhalten und i n der L i t e r a t u r behalten hat. Sie ist aber keine L e x i m Sinn einer amtlichen Rechtsaufzeichnung, sondern vermutlich die zusammenstellende Vorarbeit zu einer solchen, die i n den Bereich der legislativen Tätigkeit des Aachener Reichstags von 802/03 gehört. Äußerlich scheidet sich ein H a u p t t e i l von angefügten Weistümern zweier Rechtskundiger, Wlemar und Saxmund. Beide Teile sind i m A u f b a u durch den der L e x Alamannorum beeinflußt, der H a u p t t e i l i n geringem Mafie von der L e x Thuringorum. Zugrunde liegen dürfte eine ältere, vorchristliche Aufzeichnung, die i m Wege der Weistums7 Eine von Κ r u s c h behauptete einheitliche Entstehung i n den Jahren 743—751 ist abzulehnen. F. B e y e r l e hat ZRG. 55 beachtliche Gründe dafür beigebracht, daß die L e x Rib. nicht das Recht eines ribuarischen Stammes ist, sondern für den Bereich des austrasischen Unterkönigtums erlassen wurde. 8 Das Geltungsgebiet ist bestritten. F r u i η , Versi, en Mededeel. der Vereeniging t. uitg. d. bronnen van het oud-vaderl. Recht, V I I (24), 576.

§ 19. Die R e c h t e n k m ä l e r

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aufnähme und durch Satzungen ergänzt wurde, ohne daß eine A n gleichung der so gesammelten Rechtssätze erfolgt wäre. D a h e r stehen Christentum und Heidentum und verschiedenartige Münzsysteme und Bußsätze nebeneinander. D e r so vereinigte Stoff betraf das Recht der Mittelfriesen (zwischen F l i und Laveke). Diesem T e x t w u r d e n Sonderrechtssätze der Westfriesen u n d Ostfriesen hinzugefügt. 7.. D i e Rechtsauf Zeichnungen der Alamannen beginnen m i t einem umfangreichen, aber n u r fragmentarisch überlieferten P a c t u s A l a m a n n o r u m . D i e sich anschließende L e x A l a m a n n o r u m gehört i n der uns vorliegenden Gestalt jedenfalls dem 8. Jahrhundert an, und zwar der Zeit von 710—720 unter Herzog L a n t f r i d (sog. Lantfridana). Sie beruht auf einem älteren Text, der am Beginn des 7. Jahrhunderts, vermutlich nach 624, entstanden ist. Auch das bairische Volksrecht, die L e x B a i u w a r i o r u m , ist so, wie sie vorliegt, eine Fassung des 8. Jahrhunderts, entstanden unter Herzog O d i l o 741—743 (Odiloniana). Auch bei i h r liegt eine am Beginn des 7. Jahrhunderts entstandene F o r m zugrunde. D i e beiden oberdeutschen Leges zeigen eine auffallende Verwandtschaft i m Aufbau. Einem ersten T e i l über die Kirche folgt ein zweiter über den Herzog und ein d r i t t e r über die causae quae saepe contingunt i n populo. Auch die einzelnen Rechtssätze weisen starke Ä h n lichkeiten i n Inhalt und Fassung auf. Diese Beziehungen beruhen, w i e m i t größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, darauf, daß beide Rechte auf eine gemeinsame, uns nicht überlieferte Vorlage zurückgehen. Beiden ist auch ein besonders deutlicher Zusammenhang m i t dem Codex Euricianus eigen, der entweder durch diese Vorlage verursacht ist oder auf unmittelbarer Benutzung des Westgotenrechts beruht. Er ist bei der bairischen L e x stärker als bei der alamannischen. Wann die gemeinsame Vorlage entstanden ist, bedarf noch weiterer Untersuchung. Nicht unwahrscheinlich ist dafür die Zeit Theudeberts I. (534—548). Jedenfalls müßte m i t einem Zeitraum gerechnet werden, xler vor der Revision des Cod. E u r i c i durch L e o v i g i l d (567—586) liegt, da nach i h r die Benutzung dieses Codex auf Bedenken stößt 9 . D i e L e x B a i u w a r i o r u m hat eine Ergänzung erfahren durch Beschlüsse bairischer Stammesversammlungen unter Tassilo III., die Dingolfinger und die Neuchinger (771) Dekrete. II.

Kapitularien.

Capitulare (auch capitula, selten capitulatio) ist i n karolingischer Zeit (seit 779) die technische Bezeichnung f ü r die Satzung des Königs, 9 D i e Entstehungszeit des Pactus A l a m a n n o r u m Untersuchung.

bedarf

noch

näherer

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I I . Die fränkische Zeit

da deren einzelnes Stück capitulum hieß. Diese Ausdrücke lösen die Worte decretum, decretio, edictum, praeceptio, auctoritas ab, die i n der merowingisdien Zeit für die Satzungen des Königs und des königliche Gewalt ausübenden Hausmeiers üblich waren. Das Verhältnis von Staat u n d Kirche i m fränkischen Reich brachte es m i t sich, daß i n den K a p i t u l a r i e n auch die Kirchengesetzgebung sich vollzog. Dies führt zu einer Einteilung der K a p i t u l a r i e n i n Capitularia ecclesiastica und Capitularia mundana. Doch gibt es K a p i tularien, die weder n u r geistliche noch nur weltliche Angelegenheiten betreffen, sondern beide, u n d daher als Capitularia m i x t a bezeichnet werden. Von größerer Bedeutung ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien. Unter diesen unterscheidet man schon i m Anfang des 9. Jahrhunderts : 1. Capitula legibus addenda. Diese sind Ergänzungen oder Abänderungen sei es eines einzelnen oder mehrerer Stammesrechte und gelten demgemäß f ü r die Angehörigen dieses Stammes als persönliches Recht. D a die Gesetzgebungsgewalt des Königs allein nur Reichsrecht schaffen konnte, aber k e i n Stammesrecht, bedurften sie der Zustimmung der Stammesangehörigen, statt deren man sich allerdings m i t dem consensus des auf dem Reichstag versammelten populus begnügte. Beispiele sind das Capitulare legi Ribuariae additum (803), die Capitula ad legem B a i u w a r i o r u m addita (806—813), die Capitula legibus addenda Ludwigs I. (818/819). 2. Capitula per se scribenda. Sie erzeugen territoriales Reichsrecht oder Landesrecht und beruhen auf der königlichen Banngewalt. D e m entspricht es, daß sie vom K ö n i g allein erlassen werden können. Allerdings fand i n der Regel eine Beratung m i t den Großen des Reiches statt, u n d seit L u d w i g I. wurde deren Zustimmung allmählich zum ungeschriebenen Erfordernis der Gültigkeit. D e r Inhalt w a r sehr verschieden. Sie betrafen überwiegend die staatliche Verfassung und Verwaltung, haben aber auch wichtige Neuerungen i m Gebiet des Privatrechts, Straf rechts u n d Gerichtsverfahrens herbeigeführt. 3. Capitula missorum. Als solche werden Anweisungen an die Königsboten bezeichnet, durch die deren Aufgaben bei Bereisung ihrer Amtsbezirke bestimmt werden, oft i n kürzester Form, n u r durch Angabe der zu behandelnden Angelegenheit. D e n gleichen Namen führen aber auch, von den anderen Formen nicht scharf getrennt, königliche Erlasse, die den Königsboten zur Verkündung i n ihren Bezirken mitgegeben wurden. Eine private Sammlung v o n K a p i t u l a r i e n Karls des Großen und Ludwigs des Frommen veranstaltete i n Ermangelung einer amtlichen A b t Ansegisus von Fontanella (St. W a n d r i l l e , Diözese Rouen) i n dem

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von i h m so genannten legiloquus liber. Sie wurde 827 vollendet und enthält zwei Bücher geistlicher, zwei weltlicher Kapitularien, jeweils i n zeitlicher Folge. O b w o h l keineswegs vollständig, w u r d e sie audi amtlich benutzt. D i e i m Westen des Reiches vermutlich 848—50 und angeblich von einem Leviten Benedikt aus Mainz verfaßte Kapitulariensammlung enthält großenteils Fälschungen i m Interesse der Kirche. Sie berührt sich durch diese Tendenz m i t den ungefähr gleichzeitigen pseudoisidorischen Dekretalen. III. F o r m e l n . D i e Ausdehnung des Urkundenwesens veranlaßte seit der merowingischen Zeit die Zusammenstellung zahlreicher Formelsammlungen, die V o r b i l d e r für die Urkundenschreiber enthielten. D i e einzelnen Formeln sind zum größten T e i l mehr oder weniger eingreifende Bearbeitungen echter U r k u n d e n und durch diesen Zusammenhang m i t dem Rechtsleben von besonderem Wert. D i e Verfasser sind zumeist i n Kanzleien zu suchen. Zwischen einzelnen Sammlungen lassen sich Entlehnungen nachweisen. 1. D e m salischen Rechtsgebiet gehören an die Formulae Marculfi, die i n der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts von einem Mönch Mark u l f abgefaßt und einem Bischof Landerich, vermutlich von Meaux, gewidmet sind. Sie zerfallen i n zwei Teile. D e r erste enthält Formeln für cartae regales, der zweite für P r i v a t u r k u n d e n (cartae pagenses). Aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts stammen die Formulae Bignonianae, die nach dem ersten Herausgeber so benannten Formulae Salicae Merkelianae u n d die i m altsalischen Gebiet entstandenen, daher besonders wichtigen Formulae Salicae Lindenbrogianae, zuerst von Lindenbruch veröffentlicht. 2. D i e i m westfränkischen Gebiet entstandenen Formeln sind mehr oder weniger, teils nur i n der Form, teils auch i m Inhalt, von römischem Recht beeinflußt, nehmen auch vielfach auf die lex Romana, die L e x Romana Visigothorum und ähnliche Quellen Bezug. I n diese Gruppe gehören die dem Anfang des 7. Jahrhunderts entstammenden Formulae Aüdecavenses (Angers) 1 0 , u n d aus dem 8. Jahrhundert die Formulae Bituricenses (Bourges), Turonenses (Tours) u n d Senonenses (Sens). 3. Von den östlich des Rheins entstandenen Sammlungen sind alamannischen Ursprungs die Formulae Augienses (Reichenau) aus dem 8. u n d 9. Jahrhundert u n d das sogenannte Formelbuch Salomos III., das angeblich auf Veranlassung dieses Konstanzer Bischofs 10 Nach F. Β e y e r 1 e , ZRG. 44 (24) 398 aus der Zeit Childeberts II. (575 bis 596).

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der Mönch Notker der Stammler u m die Wende des 9. und 10. Jahrhunderts verfaßt hat. Stark von fränkischen Formeln (Lindenbrogianae, Marculfi) beeinflußt §ind die aus Regensburg stammenden St. Emmeramer Fragmente des 9. Jahrhunderts. 4. D e m Gebrauch der Reichskanzlei dienten die Formulae imperiales für Kaiserurkunden, u m 840 i n der Kanzlei Ludwigs des Frommen zusammengestellt. IV. U r k u n d e n 1 1 . Das Rechtsleben der germanischen Zeit machte keinen Gebrauch von der Schriftform. Das i n fränkischer Zeit sich entwickelnde U r kundenwesen ist angeregt durch den Gebrauch der U r k u n d e i m antiken Recht. Aus diesem haben die germanischen Stämme die U r kunden als solche i n das Recht übernommen. D i e Zusammenhänge zwischen dem antiken Urkundenwesen und dem der Folgezeit bedürfen i m einzelnen noch der Untersuchung. Auch insoweit i n fränkischer Zeit die F o r m der antiken U r k u n d e übernommen wurde, muß damit gerechnet werden, daß die Verwendung der U r k u n d e i n anderem Sinn erfolgte, und jedenfalls haben die germanischen Stämme m i t dem fremden G u t einheimische Rechtsgedanken u n d einheimischen Rechtsbrauch verbunden 1 2 . D i e U r k u n d e n (ahd, buoh, ags. bóc) 1 3 sind entweder Königsurkunden oder Privaturkunden. Diese scheiden sich i n der F o r m und i n der rechtlichen W i r k u n g . D i e Königsurkunde bedurfte nicht der Zeugen und w a r unanfechtbar, also unbedingt beweisend 1 4 . Dies w a r vor allem von Bedeutung für die über Rechtsverhältnisse verfügen11 D i e Zahl der aus dieser Zeit i m O r i g i n a l erhaltenen U r k u n d e n ist n u r gering. U m so wichtiger sind die seit dem 9. Jahrhundert namentlich i n geistlichen Grundherrschaften angelegten Traditionsbücher oder K o p i a l bücher, i n denen die U r k u n d e n abschriftlich oder i m Auszug eingetragen wurden. Vgl. z. B. P e t z u. Α., D r e i bayr. Traditionsbücher des 12. Jhrh. (1880; dazu ZBLG. I X 416). B i t t e r a u f , T r a d i t i o n e n d. Hochstifts Freising I. I I (05/09). H a u t h a l e r , D i e T r a d i t i o n e n d. ESt. Salzburg (10). H e u w i e s e r , D i e Traditionen d. Hochstifts Passau (30). G l ö c k n e r , Codex Laureshamensis II. I I I . (33—36). D u m r a t h , D i e Traditionsnotizen des Klosters Reitenhaslach. (38). W i d e m a n n , die T r a d i t i o n e n des Hochstifts Regensburg (43). 12 Über die seit längerer Zeit bezüglich dieser Fragen bestehende Kontroverse handelt darstellend u n d kritisch Η . A . S c h u l t z e - v . L a s a u l x , Beiträge zur Geschichte des Wertpapierrechts (31). D a z u Heuberger, HZ. 149, 317, H. Meyer, ZRG. 52 (32) 470 u n d über antike U r k u n d e n W. Κ u η k e 1, A r t i k e l ουνγραφή i n Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie des klassischen Altertums. 13 Ahd. urchundo heißt der Zeuge. D i e heutige Bedeutung gehört erst dem Spätmittelalter an. 14 Durch königliche Bestätigung können diese Eigenschaften auch P r i v a t u r k u n d e n erlangen. Vgl. F. Β e y e r i e , ZRG. 48, 310 ff.

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den Urkunden, die diplomata und die über Verhandlungen vor dem Königsgericht ausgestellten placita. In der Form des indiculus ergingen Anweisungen an Beamte, Ladungen vòr das Königsgericht. Noch weiter von der Urkunde im technischen Sinn stehen ab die capitularia (s. ο. II.). Unter den Privaturkunden unterscheidet man die verfügende (dispositive) und beweisende Geschäftsurkunde oder carta und die nur berichtende und beweisende notitia (sog. schlichte Beweisurkunde). Der Hergang bei der Anfertigung einer carta und ihrer rechtsgeschäftlichen Verwendung läßt vier Funktionen erkennen: die Beauftragung des Schreibers, das Schreibe^, die Übergabe der Urkunde und deren Annahme. Dabei spielen sich Ubergabe und Annahme zwischen den Parteien des Rechtsgeschäfts ab, indem die Partei übergibt, die in der Urkunde verfügt. Der Auftrag an den Schreiber geht meist von einer der Parteien aus, kann aber auch ausnahmsweise von einem Dritten erteilt werden. In der Regel verteilen sich daher die vier Funktionen auf drei Personen, die man als den (verfügenden) Aussteller, den Empfänger und den Schreiber bezeichnen kann 15 . Im Mittelpunkt des rechtsgeschäftlichen Vorgangs steht die Ubergabe der Urkunde an den Empfänger (traditio cartae, Begebung)16. Dies ist der entscheidende, konstitutive Akt, durch den allein oder in Verbindung mit andern Formen bei Liegenschaftsübertragung die Ubereignung bewirkt 1 7 , bei Schuldurkunden die Schuld begründet wird. Bei der Ubergabe erklärt der Aussteller auch mündlich das, was er in der Urkunde erklärt. Die Urkunde wird von den Zeugen des Rechtsgeschäfts durch Berühren, Versehen mit einem 15 Neuerdings w i r d . vorgeschlagen, als Aussteller den Auftraggeber zu bezeichnen, den Verfügenden aber als Urheber. D a gerade diese beiden zusammenzufallen pflegen, besteht k e i n zwingender Grund, den bisherigen Sprachgebrauch zu ändern. 16 S t e i n a c k e r , D e r Ursprung der T r a d i t i o cartae u. das westgotische Urkundenwesen, Festschr. d. akad. Vereins d. Hist. (14) H e u b e r g e r , Cartam tradidi, Veröffentl. d. Ferdinandeums 8 (28) 93. Das Recht der Franken, Alamannen u n d anderer Stämme kennt eine Ausgestaltung dieses Vorganges, bei der der Aussteller die U r k u n d e v o m Boden a u f n i m m t (cart a m levare) u n d dem Schreiber übergibt. Dieses Aufnehmen w u r d e von B r u n n e r daraus e r k l ä r t , daß die Wenfalls zu übergebende Erdscholle v o m Boden aufgenommen werden mußte. D i e E r k l ä r u n g h i e r f ü r w i r d neuerdings i n der Annahme gesucht, daß die U r k u n d e durch zauberische Berührung m i t der Erde K r a f t erhalten sollte. Vgl. G o l d m a n n , Cartam levare, M I Ö G . 35 (14) 1 ff. 17 Dies entspricht der von H. B r u n n e r begründeten, zur Zeit herrschenden Lehre. Doch hat M e r k , Festschr. E. Mayer (32) 125 ff., m i t guten Gründen den Nachweis geführt, daß i m alamannischen Rechtsgebiet die Ausstellung u n d Übergabe der U r k u n d e nicht der Übereignung diente, sondern einer die materielle u n d prozessuale Stellung des Empfängers stärkenden Stätigung.

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I I . Die fränkische Zeit

Handzeichen oder Unterschrift „gefestigt" (firmatio, roboratio, stipulatio, ahd. fastinôn; vgl. Handfeste). Eine gleiche firmatio nimmt i n der Regel der Aussteller vor. D i e so firmierte U r k u n d e w i r d durch die Unterschrift des Schreibers vollzogen. Außer der Verfügung enthält die carta fast immer eine Strafklausel (Pönformel), i n der die i h r zuwiderhandelnden Personen weltlichen u n d göttlichen Strafen unterworfen werden 1 8 . D i e sich hieran schließende Formel stipulat i o n subnixa weist auf die folgenden Unterschriften oder Handzeichen 19 . D i e notitia ist f ü r das Zustandekommen des i n i h r berichteten Rechtsgeschäfts ohne Bedeutung. Sie k a n n auch über andere rechtliche Vorgänge ausgestellt werden, auch von dem, i n dessen Besitz sie verbleibt. Insoweit sie Zeugen nennt, sind diese nicht U r kundszeugen, sondern die Zeugen des berichteten Vorgangs. D e r rechtliche Unterschied zwischen carta und notitia dürfte ursprünglich einem Unterschied der Fassung entsprochen haben, indem die carta i n der ersten Person sprach (ego Udalricus dono et trado), die notitia i n der d r i t t e n (Udalricus donavit et tradidit). Diese Übereinstimmung ist aber schon f r ü h verlorengegangen. V. J u r i s t i s c h e

Abhandlungen.

Aus merowingischer Zeit, und zwar aus dem 8. oder 7. Jahrhundert, stammt ein k u r z e r T r a k t a t über romanisch-fränkisches Ämterwesen, der vermutlich den Namen Decursio de gradibus führte. E r ist eine i m Geist der Etymologien Isidors von Sevilla abgefaßte Gelehrtenarbeit, die jedenfalls teilweise zutreffend über fränkische Staatseinrichtungen Aufschluß gibt. Verloren ist ein libellus de ordine p a l a t i i des Abtes A d a l h a r d von Corbie, eines Rates Karls des Großen. Er ist aber verwendet u n d so wenigstens teilweise überliefert i n einer Darstellung der Hof Verwaltung, die Erzbischof H i n k m a r von Reims 882 für den westfränkischen K ö n i g K a r l m a n schrieb. Über kirchliche Einrichtungen u n d ihren Sinn handelt der stark theologische libellus de exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum des Reichenauer Abtes W a l a h f r i d Strabo (t 849). 1. Zu mehreren Quellen: S t o b b e , Geschichte der deutschen Rechtsquellen I (1860). B r u n n e r , RG. I 2 (06) 417—588. K r u s c h , D i e L e x B a j u v a r i o r u m (24; dazu F. Β e y erie, ZRG.45, 416). D e r s . , Neue Forsch, über d. drei oberdeutschen Leges (27; dazu F. Β e y e r 1 e , ZRG. 49 (29), 264. M e r k , HZ. 139, 366). E. M a y e r, D i e oberdeutschen Volksrechte (29; dazu F. Beyerle, DLZ. 1929, 1980); S t a c h , Geschichtswissensch. u. RG. i m Streit u m d. Stammesrechte, HV. 26 (31) 682; 27 (32) 449. B a e s e c k e , D i e deutschen W o r t e der germ. Ge18 Über diese Klausel B o y e , A U F . 6 (18) 77. v. V ο 11 e 1 i η i , M Ö I G E B . l l (29) 64. S t u d t m a η η , e A U F . 12 (32) 252. M e r k a . a . O . 155. 19 Vgl. B r u n n e r , Zur Rechtsgeschichte der U r k u n d e (1880) 223. Α. M. M e r k , a . a . O . 152.

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setze, BGDS. 59 (35). C l a u ß e n , D. Beziehungen d. L. Salica zu d. Volksrechten d. Alemannen, B a y e r n u. Ribuarier, ZJRG. 56 (36) 349. Textausgaben der westgerm. Rechte, d. burgund., (im Auszug) d. westgotischen, der dänischen, schwedischen, norwegischen u n d isländischen i n d. Sammlung „Germanenrechte" (35 ff.). 2. Zu einzelnen Quellen: L e x S a l i c a . Ausg. Synoptischer A b d r u c k fast aller Handschriften bei H e s s e l s , L e x Salica (1880). Einzelne Handschriften i n sechs Heften: A . H o l d e r , L e x Salica (1879/80). Handausgabe B e h r e n d , L e x Salica 2 (1897) u n d m i t Erläuterungen H. G e f f c k e n , L e x Salica (1898). — Zur Textgeschichte u n d Zeitbestimmung: B e h r e n d , D i e T e x t e n t w i c k l u n g der L e x Salica, ZRG. 1 13 (1878). M. K r a m m e r , Kritische Unters, z. L e x Salica, N A . 30 (05) 263. D e r s . , Forsch, zur L e x Salica, N A . 39. (14) 601. K r u s c h , D e r Umsturz der kritischen Grundlagen der L e x Salica, N A . 40 (14) 499. v. S c h w e r i n , Zur Textgeschichte d. L e x Salica, ebda. 583. H e y m a η η , Zur T e x t k r i t i k der L e x Salica, N A . 41 (17) 419. K r u s c h , D. L e x Salica, H V . 3 1 (38) 417. P é t r a u - G a y , L a „Laghsaga" salienne (35; dazu Goldmann, ZRG. 56, 424). R i e t s c h e i , D e r Pactus pro tenore pacis u. d. Entstehungszeit der L e x Salica, ZRG.27 (06) 253. B r u n n e r , Über das A l t e r der L e x Salica u n d des Pactus pro tenore pacis, ZRG. 29 (08) 136 ( = Abh. I 628). R i e t s c h e l , ebda. 30 (09) 117. J ä k e 1, ZRG.43 (22) 103. F. B e y e r l e , Uber N o r m t y p e n u n d Erweiterungen der L e x Salica, ZRG. 44 (23) 216. D e r s . , ebda.49 (29) 400. — S c h r a m m , Sprachliches zur L e x Salica (11). G r i e n b e r g e r , Spracherklärungen zur L e x Salica, BGDS. 48 (24). G ο 1 d m a n n , Beitr. zur Interpretation d. K a p i t u l a r i e n zur L e x Salica, M I Ö G . 36 (15) 575. D e r s . , Neue Beitr. (28). L e x Ribuaria. Ausg. S o h m , M H G . Leges (Folio) V. D a v o n Textdruck 1883. E. M a v e r , Zur Entstehung der L e x R i b u a r i o r u m (1886). F. B e y e r l e , D i e L e x Ribuaria, ZRG.48 (28) 264. D e r s . , Das Gesetzbuch Ribvariens, ebda. 55 (35) 1. B u c h n e r , Textkritische Unters, z. L. Ribv. (40; dazu Baesecke, G G A . 1942, 219). L e x F r a n c o r u m C h a m a v o r u m . Ausg. S ο h m (zusammen m i t L e x Rib.). S c h r ö d e r , Untersuchungen zu den fränkischen Volksrechten, Monatsschr. f. Gesch. Westdeutschlands 6 (1886) 492. F r o i d e v e a u x , Études sur l a L e x dicta F r a n c o r u m C h a m a v o r u m (1891). L e g e s S a x o n u m , Ausg. v. S c h w e r i n , Leges Saxonum u n d L e x T h u r i n g o r u m (18). v . R i c h t h o f e n , Zur L e x Saxonum (1868). v . S c h w e r i η , Zu den Leges Saxonum, ZRG. 33 (12) 390. L i n t z e l , D i e Entstehung der L e x Saxonum, ebda. 47 (27) 130. D e r s . , Sachsen u. A n h a l t 13 (37) 65 ff. L e x T h u r i n g o r u m . Ausg.. v. S c h w e r i n (s. Leges Saxonum). G a u ρ ρ , Das alte Gesetz d. T h ü r i n g e r (34). S c h r ö d e r , ZRG. 7 (1887) 19. L e x F r i s i o n u m . Abdrucke des Heroldschen Textes v. R i e h t h ο f e η , M G H . Leges I I I u n d H e c k a. u. a. O. D e G e e r , L e x F r i s i o n u m (1866). Ρ a t e t t a , L a L e x F r i s i o n u m (1892). J ä k e l , Zum Heroldschen T e x t der L e x Frisionum, N A . 32 (07) 265. D e r s . , D i e Entstehung der L e x Frisionum, ZRG. 46 (26) 1. H e c k , D i e Entstehung der L e x F r i s i o n u m (27; dazu v. Schwerin, ZRG. 49, 486. F. Beyerle, DLZ. 1929, 2408). L e g e s A l a m a n n o r u m . Ausg. L e h m a n n , M G H . (Quart) L e g e s V 1 (1888). Β r u n n e r , Uber das A l t e r der L e x A l a m a n n o r u m , Sbb. B e r l i n 1885, 149 ( = A b h . I 569). D e r s . , Uber ein verschollenes merowingisches Königsgesetz, Sbb. B e r l i n 1901, 932 ( = Abh. I 598). L e h m a n n (NA. 10 (1885) 469. L e x B a i u w a r i o r u m . Ausg. v. S c h w i n d , M G H . (Quart) Leges V 2 β (26) u n d Lichtdruckwiedergabe der Ingolstädter Handschrift i n K. B ' e y e r l e , L e x B a i u w a r i o r u m (26). R o t h , Über Entstehung der Lex B a j u v a r i o r i t m (1848). B r u n n e r , Königsgesetz (s. L. Alam.). v. S c h w i n d , Kritische Studien zur L e x B a i u w a r i o r u m , NA.31, 401. 33, 605. 37, 415. H e y -

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I I . Die fränkische Zeit

m a n n , Zur T e x t k r i t i k der L. B a j u w a r i o r u m , Festschr. K e h r (26) 116. E c k h a r d t , D i e L e x B a i u w a r i o r u m (27). K r u s c h , ZBLG. 11 (38) 1. ν. Κ r a 1 i k , D i e deutschen Bestandteile der L. Baiuw., N A . 38 (14) 13. Dazu Grienberger, M I Ö G . 36, 402. Kapitularien. Ausg. B o r e t i u s - K r a u s e , C a p i t u l a r i a regum Francorum, M G H . (Quart) I. I I (1883—97). B o r e t i u s , Die K a p i t u l a r i e n i m Langobardenreich (1864). D e r s . , Beitr. zur K a p i t u l a r i e n k r i t i k (1874). S e e l i g e r , D i e K a p i t u l a r i e n der Karolinger (1893). F i n s t e r w a l d e r , Q u e l l e n k r i t . Unters, z. d. Kapit. Karls d. Gr., HJb. 58 (38) 419. S t e i n , L e x u n d Capitula, M Ö I G . 4 1 (26) 289. P é t r a u - G a y , L a notion de „ L e x " dans la Coutume salienne et ses transformations dans les capitulaires (20; dazu Stutz, ZRG.41, 402). B e n e d i c t u s L e v i t a : Ausff. M G H . (Folio) Leges I I 2, 39. S e c k e 1, Studien zu Benedictus Levita, Ν Α . 26. 29. 31. 34. 35. 39—41. D e r s . , ZRG. Kan. 23 (34) 269. 24 (35) 1. D e r s . , Festschrift B r u η η e r (14) 377, — A n s e g i s : C h r i s t , D A . 1 (37) 281. F o r m e l n . Ausg. Z e u m e r , Formulae M e r o w i n g i c i et K a r o l i n i aevi, M G H . (Quart) (1886). Z e u m e r , N A . 6 . 8. 11. 14. 30. K r u s c h , Ursprung u n d T e x t von M a r k u l f s Formelsammlung, N G W . Gött. 1916, 231. Außerdem zu M a r k u l f L e v i l i a i n , BECh. 1884, 25. S p r ö m b e r g , N A . 47. 77. F. Β e y e r 1 e , ZRG. 49, 422. Z a t s c h e k , M Ö I G . 42, 165. v. S c h w e r i n , Sobre las relaciones entre las Formulas Visigóticas y las Andecavenses, A H D E . I X (33) 177. F e l g e n t r a e g e r , Zu den Formulae Andecavenses, Festschr. Koschaker 3 (39) 366. U r k u n d e n . Ausg. Merow. Königsurkunden bei Ρ e r t ζ , M G H . D i p l o mata I (1872). Lichtdruck von S a u e r et S a m a r a n , Diplomes o r i g i n a u x des Mérovingiens (18). Karol. i n M G H . (Quart) D i p l o m a t a I (06) u n d D i p l . regum Germ, ex stirpe K a r o l i n o r u m I (34), I I (37), I I I (40). Lichtdruck von L o t et L a u e r , D i p l o m a t a K a r o l i n o r u m I (36) ff. Dazu B ö h m e r - M ü h l b a c h e r , D i e Regesten des Kaiserreichs unter den K a r o l i n g e r n 2 (08). D i e Gerichtsurkunden verzeichnet H ü b η e r , ZRG. 12. 14. P r i v a t u r k u n d e n bei B r é q u i g n y - P a r d e s s u s , D i p l o m a t a chartae et instrumenta aetatis Merovingicae I. I I (1842—49). L ö r s c h - S c h r ö d e r - P e r e l s , U r k u n d e n z. Gesch. d. deutschen Privatrechts 3 (12). T h é v e n i n , Textes relatifs aux institutions privées et publiques (1887). Wichtig W a r t m a n n , U r k u n d e n buch der A b t e i St. Gallen I (1863) ff. Β r e ß 1 a u , Handbuch der U r k u n d e n lehre I 2 (02), I I 2 (15—31). Erben-Schmitz-Kallenberg-Redl i c h , U r k u n d e n l e h r e I (07); Kaiser- u n d Königsurkunden), I I I (11; P r i v a t urkunden). B r u n n e r , Carta u n d Notitia, Festg. Mommsen (1872 = Abh. I 458). D e r s . , Zur Rechtsgesch. d. röm. u. germ. U r k u n d e I (1880). S i c k e 1, A c t a regum et i m p e r a t o r u m K a r o l i n o r u m I. I I (1867). K i r n , A U F . 10 (28) 128. H e u b e r g e r , Vandalische Reichskanzlei u. Königsurkunden. M Ö I G . EB. 11 (29) 76. J o h n , A U F . 14 (36) 1. S c h u l t z e - v . L a s a u l x (s. o. A n m . 12). A b h a n d l u n g e n . C o n r a t , E i n T r a k t a t über romanisch-fränkisches Ämterwesen, ZRG. 29 (08) 239. S c h r a m m , ebda. 49 (29) 170. K i r n , H Y . 2 7 (33) 531. B a e s e c k e , ZRG. 55 (35) 230. H i n k m a r , De ordine alatii, i n C a p i t u l a r i a (s. o.) I I 529. Dazu K i r n , a. a. O. 532. W a 1 a h r i d ebda. I I 475.

F

§ 20. Fortsetzung (Goten, Burgunder, Langobarden) I. Im westgotischen Reich gab es zunächst gemäß dem Personalitätsprinzip eine Gesetzgebung für die Goten und eine für die Römer. 1 Er galt auch i m Verhältnis zwischen Goten u n d Römern. Zum Personalitätsprinzip bei den Westgoten vgl. H e y m a n n , ZRG. 63 (43) 361, u n d A . S c h u l t z e , Uber westg.-span. Eherecht (44) 105.

§ 20. Fortsetzung (Goten, Burgunder, Langobarden)

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Jene erfolgte i n einem umfangreichen Gesetzgebungswerk des Königs Eurich (466—485) i m Codex E u r i c i (Euricianus) 1 . E r ist u m 475 oder schon 469 entstanden 2 , aber nur bruchstückweise i n einem Palimpsest erhalten. Ä l t e r als die Gesetze des Frankenreiches, ist er überhaupt die älteste bekannte Gesetzgebung i n einem germanischen Staat. Er ist beeinflußt von römischer Gesetzgebungsart und auch inhaltlich von römischem Recht 3 . I n der Folgezeit hat er selbst einen Einfluß auf die Gesetzgebung anderer germanischer Stämme ausgeübt, der zeitweise i n der Wissenschaft überschätzt und auch falsch gesehen wurde, als solcher aber nicht zu leugnen ist. A m stärksten macht er sich geltend i m bairischen Recht, aber auch i n anderen, insbesondere i m langobardischen, salischeö und burgundischen. Vermittelt ist er innerhalb des fränkischen Reiches durch die Gesetzgebung der Merowingerkönige. I m 6. Jahrhundert w u r d e der Codex E u r i c i durch L e o v i g i l d (t 586) einer Bearbeitung unterzogen, die die Gegensätze der Goten und Römer i n einzelnen Punkten ausglich, aber an der grundsätzlichen Trennung der Redite festhielt. Dieser Codex revisus ist als solcher nicht erhalten, aber teilweise i n den als A n t i q u a bezeichneten Stellen der von Rekkessvind (649—672) vermutlich 654 erlassenen L e x Visigothorum Reccessvindiana (Liber Iudiciorum) überliefert. Sie g i l t wie einige vorausgehende Gesetze gleichmäßig für Goten und Römer und ist dementsprechend noch weitergehend vom römischen Recht beeinflußt 4 . D i e folgende Redaktion durch E r v i g (Lex Visigothorum Ervigiana) von 681 bildet die Grundlage der u m spätere Novellen vermehrten L e x Visigothorum vulgata. D e m westgotischen Gebiet gehören auch die i m ersten D r i t t e l des 7. Jahrhunderts entstandenen Formulae Visigothicae an. Das f ü r die Römer u n d gemäß dem allgemeinen Grundsatz für die Kirche geltende römische Recht wurde von Alarich I I . 506 i n der L e x Romana Visigothorum zusammengefaßt. Sie besteht aus Konstitutionen des Codex Theodosianus, posttheodosianischen Novellen, westgotischer Bearbeitung der Institutionen des Gaius (Liber Gaii) und der Sentenzen des Paulus (westgotischer Paulus), wenigen Stücken 2

Zur D a t i e r u n g v . S c h w e r i n , A H D E . I (24) 33 f. v. S c h w e r i n a . a . O . 4 Neben dem Recht der Gesetze erhielt sich gotisches Gewohnheitsrecht germanischer Prägung, das i n den älteren spanischen Fueros aufgezeichnet ist. Ubersicht über diese u n d einzelne Texte i n „Germanenrechte" (s. § 19) 12. Über ihre Verwandtschaft m i t nordischen Rechten F i c k e r , M I Ö G . EB. 2 (1888) 455. Vgl. ferner H i n o j o s a , Das germ. Element i m spanischen Recht, ZRG. 31 (10) 282. M e l i c h e r , Gesetzes- u. Gewohnheitsrecht i m Westgotenreich (30; dazu Beyerle, ZRG. 51 555). W o h l h a u p t e r , Germ. Recht auf span. Boden, Z A k D R . 2 (35) 859. D e r s . , ZRG. 62 (42) 89; 63 (43) 214; 64 (44) 172. J

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I I . Die fränkische Zeit

aus den Codices Gregorianus und Hermogenianus und einem responsum Papinians. Diese Zusammenstellung trat an die Stelle der unübersiditlidhL und praktisch ungeeignet gewordenen Masse der römischen Rechtsquellen, deren A n w e n d u n g ausdrücklich verboten wurde. Sie wurde von Rekkessvind entsprechend der Geltung seiner L e x für Römer u n d Goten f ü r den Bereich des Westgotenreichs aufgehoben. D e r nicht immer leicht verständliche T e x t wurde durch eine fast alle Bestimmungen erfassende Interpretatio erläutert. Ganz frei hiervon ist n u r der L i b e r Gaii. Dagegen galt sie i n den inzwischen zum Frankenreich gekommenen Gebieten weiter. D e m verdanken w i r eine i n C h u r r ä t i e n gegen Ende des 8. Jahrhunderts entstandene Epitome, die L e x Romana Curiensis. Sie £ëigt i n den Abweichungen von ihrer Vorlage starken Einfluß germanischen Rechts. M i t i h r hängen inhaltlich und handschriftlich die sogenannten Capitula Remedii zusammen, eine kurze Satzung meist strafrechtlichen Inhalts, die i m 9. Jahrhundert i n C h u r r ä t i e n unter Bischof Remedius entstanden ist. Aus dem Ostgotenreich ist als umfangreiche Quelle nur das vor 508 aus römischen Quellen zusammengestellte Edictum Theoderici zu nennen. Außerdem besitzen w i r kleinere Edikte von A t h a l a r i c h (526—534). F ü r die Goten galt neben dem Ediktsrecht gotisches Gewohnheitsrecht. Westgotisches u n d ostgotisches Recht vereinigt eine kurze Sammlung von Rechtssätzen, die nach ihrem F u n d o r t als Holkhamer K a p i t e l bezeichnet werden. Sie sind vermutlich nach 510 i n der Provence entstanden. I I . Das burgundische Recht erfuhr eine Aufzeichnung i n dem L i b e r constitutionum des Königs Gundobad (474—516) oder L e x Gundobada. Sie entstand 501 und galt f ü r Burgunder u n d für Streitigkeiten zwischen Burgundern u n d Römern. Verbunden m i t den amtlich eingeschobenen oder angehängten Novellen Gundobads u n d seiner Nachfolger, bildet sie die allein überlieferte L e x Burgundionum. F ü r die Römer erließ Gundobad 506 die L e x Romana Burgundionum, die aber nicht gleich der L e x Romana Visigothorum ausschließliche Geltung hatte u n d daher von dieser als der umfassenderen Quelle verdrängt wurde. I I I . D i e langobardische Gesetzgebung beginnt m i t dem 643 durch K ö n i g Rothari erlassenen Edictus. Er enthält i m K e r n einheimisches langobardisches Recht, das m i t dem sächsischen, angelsächsischen und skandinavischen auffallende, teils durch Nachbarschaft, teils durch politische Beziehungen zu den ostgermanischen H e r u l e r n erklärbare

§ 20. Fortsetzung (Goten, Burgunder, Langobarden)

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Beziehungen aufweist 5 . Daneben zeigt sieh enger Zusammenhang mit den oberdeutschen Rechten, der auf Benutzung einer gemeinsamen frühmerowingischen Vorlage beruht und auch westgotische Einflüsse vermittelt. Außerdem hat der Edictus römisches Recht aufgenommen. Er wurde i n der Folgezeit durch Anfügung der Gesetze späterer Könige erweitert, unter denen die umfangreichen Novellen L i u t prands (712—744) hervorzuheben sind. D e r Edictus ist vor allem unter dem Einfluß der i n I t a l i e n fortlebenden gelehrten Jurisprudenz und i m Zusammenhang m i t der sie pflegenden Rechtsschule von Pavia Ausgangspunkt anderer Quellen und Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung geworden. Er wurde m i t den i m Capitulare Langobardicum, der Sammlung der f ü r I t a l i e n geltenden K a p i t u l a r i e n fränkischer und deutscher Könige, zum L i b e r legis Langobardorum (Liber Papiensis) verbunden. Er wurde zwischen 1019 und 1037 zum Zweck des Unterrichts durch Glossen und Gerichtsformeln erweitert (sogenannte Walcausina) u n d f ü r den Zweck der Rechtsprechung unter Heranziehung römischen Redits m i t einem Kommentar (Expositio) versehen. Eine systematische Bearbeitung des Liber Papiensis ist vor 1160 i n der sogenannten Lombarda erfolgt, die dem Unterricht i n Bologna diente, später auch glossiert u n d einer Summa legis Langobardorum zugrunde gelegt wurde. Durch Herzog Eberhard von F r i a u l wurde (829—832) eine vergleichende Zusammenstellung der die gleichen Probleme betreffenden Sätze des Edictus veranlaßt, die Concordia de singulis causis. Eine Formelsammlung des 11. Jahrhunderts ist das C a r t u l a r i u m Langobardicum. L e g e s V i s i g o t h o r u m . Ausg. Ζ e u m e r , M G H . (Quart) Leges I 1 (02). Germanenrechte (s. § 19) 11. Dazu S t a c h , H V . 26 (31) 722. M e n h a r d t , ZRG. 46 (26) 360. Z e u m e r , Geschichte der westgotischen Gesetzgebung, N A . 23, 419; 24, 39; 26, 97. M ü l l e r , ZRG. 57 (37) 429. d e U r e ή a , L a legislacion gòtico hispana (05). F o r m u l a e V i s i g o t h i c a e . Ausg. Z e u r a e r , Formulae (s. § 19) 575. B i e d e n w e g , Commentatio ad formulas Yisigothicas (1856). ν. S c h w e r i n , A H D E . I X (32) 177. J. B e n e y t o , Sobre las formulas Yisigodas (32). L e x R o m a n a V i s i g o t h o r u m . Ausg. H ä η e 1, D i e L e x Romana Visig. (1849). Dazu C o n r a t , B r e v i a r i u m A l a r i c i a n u m , Röm. Recht i m fränk. Reich i n systemat. Darstellung (03). C o n r a t , Geschichte d. Quellen u. L i t e r a t u r d. röm. Rechts i m früheren M A . I (1889). D e r s . , D i e Entstehung d. westgot. Gaius (05). D e r s . , D e r westgot. Paulus (07). v. W r e t s c h k o , D e usu B r e v i a r i i A l a r i c i a n i , i n Mommsen, Theodosianus I 307. L e x R o m a n a C u r i e n s i s . Ausg. Z e u m e r , M G H . (Folio) Leges V. Umfangreiche L i t e r a t u r bei B r u η η e r , RG. I 2 516. Dazu L a b o u c h e r e , 6 F i c k e r , Das langobardische u n d die skandinavischen Rechte, M I Ö G . 22 (01). K j e r , Edictus R o t a r i (1898). D e r s . , Dansk og langobardisk arvenet (01; dazu Pappenheim, ZRG. 22, 366). B e y e r l e , E i n l e i t u n g zu „ D i e Gesetze der Langobarden" (Germanenrechte, 47).

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

6

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I I . Die fränkische Zeit

D i e deutschr. Bestandteile d. LRC. (08). L. S c h m i t t , Zur Frage nach der Romanisierung Rätiens, M I Ö G . 35 (14) 140. D u r r e r , i n Festschr. Meier von Knonau (13). Β a e s e c k e , ZRG. 59 (39) 233. C a p i t u l a R e m e d i i. Ausg. Z e u m e r ebda. E d i c t u m T h e o d e r i c i . Ausg. Β 1 u h m e ebda. S c h u p f e r , L'editto d i Teodorico (1888). H o l k h a m e r K a p i t e l . Ausg. Ζ e u m e r , Leges Visig. (s. ο.) 469. G a u d e n z i , U n antica compilazione d i d i r i t t o romano e visigoto con alcuni frammenti delle leggi d i Eurico (1886). L e x B u r g u n d i o n u m . Ausg. v. S a l i s , M G H . (Quart) Leges I 2 (1892). Germanenrechte (s § 19) 10. Dazu P e t o t , RH. 1913, 337. Z e u m e r , Zur T e x t k r i t i k u n d Gesch. der L. B., N A . 25 (00) 259. B a e s e c k e , ZRG. 59 (39) 233. L a n g o b a r d i s c h e s R e c h t . Ausg. Edictus, L i b e r Papiensis, Expositio, Walcausina, Concordia u n d C a r t u l a r i u m i n M G H . (Folio) Leges I V (1868), daraus d. E d i k t m i t kleineren Stücken i n B l u h m e , Edictus ceteraeque Langobardorum leges (1869). Germanenrechte (s. § 19). D o l d , Zum Langobardengesetz, D A . 4 (40) 1 ff. D i e Lombarda bei L i n d e n b r o g , Codex legum a n t i q u a r u m (1613). Dazu A η s e h ü t ζ , D i e Lombarda-Commentare (1855). D e r s . , Summa legis Langobardorum (1870). P a s q u a l e d e l G i u d i c e , Storia del d i r i t t o italiano I I (23) 125. D e r s . , Studi d i storia e d i r i t t o (1889) 362. T a m a s s i a , F o n t i del editto d i R o t a r i (1889). D e r s . , ZRG. 18 (1897) 148. G i a r d i n a , L'editto d i R o t a r i e la codif. d i Giustiniano (37). S i e g e l , D i e Lombarda-Commentare Sbb. A k . W i e n 40. — B r u c k n e r , D i e Sprache der Langobarden (1895). L e x R o m a n a B u r g u n d i o n u m . Ausg. v. S a l i s , M G H . (Quart) Leges I 2 (1892).

3. Verfassung und Verwaltung 1 § 21. Entstehung und Wesen des Königtums Das fränkische Einkönigtum oder Großkönigtum Chlodwigs I. entsprang nicht einem einmaligen Begründungsvorrang, es erwuchs vielmehr allmählich im Laufe von Jahrzehnten durch die Einwirkung außenpolitischer und innenpolitischer, im wesentlichen von Chlodwig selbst gelenkter Ereignisse auf dessen salisches Kleinkönigtum. Der Übergang vom Beamtenkönigtum zum Herrscherkönigtum wurde vermittelt durch Chlodwigs Heerführertum, indem sich mit der zentralen Stellung des Königs die unbeschränkte Befehlsgewalt des dux verband. Wie hierbei germanische Anschauungen wirksam waren, so ließ sich Chlodwig im Gebiet der Ribuarier nach alter Sitte zum König wählen. In den übrigen Teilen des Reiches ergriff er die Herrschaft kraft Kriegsrechts. Das Festhalten der erlangten Gewalt 1 F ü r den ganzen Abschnitt ist heranzuziehen: W a i t z , Deutsche VG. I I 8 (1882), I I I 2 (1883), V I 2 (1885). S o h m , Fränkische Reichs- u n d Gerichtsverf. (1871). D a h n , Könige V I I — X I I (s. § 9). E. M a y e r , Deutsche u. französische VG. v. 9.—14. Jahrh. I. I I (1899). F u s t e l d e C o u l a n g e s , L a monarchie franque 2 (05). V i o l l e t , Hist, des instit. politiques et administratives de la France I (1890). C h é n o n , Hist, générale du droit français

1(26).

§ 21. Entstehung und Wesen des Königtums

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wurde C h l o d w i g i m Innern seines Reiches dreifach erleichtert u n d ermöglicht. Er wurde gestützt durch die Macht der katholischen Kirche, durch den i m römischen I m p e r i u m gebildeten Geist der Unterordnung und die dem gemäßen, wenigstens teilweise übernommenen Formen der Verwaltung, endlich wirtschaftlich durch das eroberte Krongut, das i h n i n den Stand setzte, Anhänger zu belohnen u n d zu gewinnen. I n dieser Entstehung des fränkischen Königtums lagen zugleich die Gründe seiner Schwäche. Das W e r k eines einzelnen Mannes, weder von einem Gemeinschaftsbewußtsein der Bevölkerung getragen, noch i n irgendwelcher F o r m rechtlich gesichert, w a r es auch w e i t e r h i n von der Persönlichkeit der Herrscher abhängig. D i e H i l f e der Kirche setzte voraus, daß der Staat ihre Interessen fernerhin befriedigte, auch unter Hintanstellung seiner eigenen. D i e Unterstützung der Anhänger konnte n u r festgehalten werden, wenn auch ihren Wünschen Rechnung getragen wurde. D i e i n alldem liegenden Voraussetzungen fehlten vorübergehend am Ende des 6. Jahrhunderts u n d dauernd seit dem Tode Dagoberts I. D e r Gegensatz zwischen der fränkischen Aristokratie u n d dem K ö n i g t u m wurde zur Gegnerschaft. Als Führer dieser Großen übernahmen die Hausmeier die Ausübung der königlichen Gewalt, auch i n eigenem Namen, bis der letzte Hausmeier P i p p i n durch W a h l des Volkes u n d m i t päpstlicher B i l l i g u n g i h r Inhaber wurde. Das karolingische K ö n i g t u m hatte durch die Umstände seiner Entstehung von Anfang an festeren Boden unter sich. D i e Verbindung des Staates m i t der Kirche, die Straffung des staatlichen Aufbaus, die Einfügung der Aristokratie i n das Gefolgschaftswesen b e w i r k t e n eine innere K r ä f t i g u n g des Staates u n d dam i t des Königtums. Sein schwacher P u n k t w a r die Anwendung der privatrechtlichen Erbfolge auf die Thronfolge, die notwendig zu Reichsteilungen führte. Erst nach der fränkischen Zeit erwies sich, daß die Bindung der Großen durch das Lehen ihre K r a f t verlor und i m Lehnwesen ein K e i m der Zerstörung der königlichen Gewalt lag. Aus der Entstehung des fränkischen Königtums e r k l ä r t es sich, daß die privatrechtliche Auffassung der Herrschaft unter den Merow i n g e r n überwog. D e n n Herrschaft einzelner gab es bis dahin n u r i m Rahmen des Privatrechts. Dies bedeutet aber nicht, daß der frühfränkische Staat des öffentlich-rechtlichen Charakters entbehrte. Dieser fehlte i h m so wenig w i e dem germanischen Staat. I m m e r h i n w a r er einer Steigerung zugänglich, die sich i n karolingischer Zeit vollzog, das K ö n i g t u m als ein Organ der göttlichen Weltregierung erscheinen ließ und damit aus dem Bereich der Einzelinteressen betont heraushob. 6*

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I I . Die fränkische Zeit

Trotz Fehlens einer geschriebenen Verfassung war der fränkische König kein absoluter Herrscher. Seine Macht war nicht scharf umgrenzt, hatte aber bewegliche Grenzen, die jeweils von dem inneren Kräfteverhältnis zwischen König einerseits, Aristokratie und Volk anderseits abhingen. Auch das Rechtsgefühl widerstrebte einer schrankenlosen Herrschaft des Königs und war bereit, bei Uberschreitung der von ihm als notwendig empfundenen Grenze Widerstand zu leisten. Diese Einschränkung der königlichen Gewalt entsprach durchaus der Anwendung privatrechtlicher Vorstellungen, da jedenfalls die privatrechtliche Herrschaft über Grund und Boden beschränkt war, im Staat aber die Herrschaft über das Gebiet im Vordergrund stand. Bei allem Schwanken im Umfang der königlichen Gewalt blieb aber das fränkische Königtum als Herrschaft in stärkstem Gegensatz zum Führertum der vorausgehenden Zeit, denn es ist nunmehr Träger der Staatsgewalt2. In Folge davon ändert es auch grundlegend die Stellung des einzelnen Volksgenossen. Dieser ist aus einem Mitverwalter des Staatswesens zum Untertanen geworden, gehört zu den leudes oder fideles (homines) des Königs3. Als solcher ist er ein Glied des alle Freien umfassenden, öffentlich-rechtlichen Untertanenverbands und bestärkt durch einen Untertaneneid seine Treupflicht gegenüber dem König und die sonstigen Untertanenpflichten, die sich zwar nicht wesentlich vermehrt, aber aus Pflichten gegenüber der Gesamtheit zu solchen gegenüber dem König verwandelt haben. S. Schrifttum zu § 14 (Waitz, Dahn, Fustel de Coulanges). R o t h , Feudalität und Untertanenverband (1863). D e r s . , Geschichte des Benefizialwesens (1850), 105, 128. M i t t e i s , Lehnrecht u. Staatsgewalt (33). v. S y b e l , Entstehung des deutschen Königtums 2 (1881). v. ß e l o w , D e r deutsche Staat des M A . I (17) 163, 207. K e r n , Gottesgnadentum u n d Widerstandsrecht (14).

§ 22. Thronfolge Die Bestimmung des Thronfolgers erfolgte im fränkischen Großreich in verschiedener Weise, aber immer unter Wahrung des Grundgedankens, daß nur ein Mitglied des Königsgeschlechts zum Thron gelangen könne, also das Geblüt Voraussetzung der Königswürde war 1 . Dabei war die Abstammung in männlicher Linie entscheidend, aber erst unter den Karolingern zufolge christlichen Einflusses- die 2 I n neuerer Zeit ist die Ansicht aufgetaucht, es handle sich i n fränkischer Zeit nicht u m Herrschertum, sondern u m Führertum. Sie hat i h r e n G r u n d i n völliger Unkenntnis der Quellen. 3 A l s f i d e 1 i s wurde bis i n das 9. Jahrh. technisch n u r ein engerer Kreis von Personen bezeichnet (v. G l a d i ß , ZRG. 57, 442), anscheinend solche, die i n einem besonderen Treudienstverhältnis zum K ö n i g standen. 1 H. W. Κ 1 e w i t ζ , a. zu § 9 a. Ο.

§ 22. Thronfolge

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eheliche vor der unehelichen Geburt bevorzugt. Nach Chlodwigs I. Tod ging das Reich k r a f t Erbrechts auf seine Söhne über. I m 7. Jahrhundert geriet der Grundsatz der Erbfolge ins Wanken und machte am Ende dieses Jahrhunderts einer formlosen W a h l und Thronerhebung (elevatio) durch die Großen Platz. I n den letzten Jahrzehnten des merowingisdien Reiches wurde der K ö n i g vom Hausmeier bestimmt. Deren letzter, Pippin, w u r d e vom V o l k zum K ö n i g gewählt. Yon da ab trat das Wahlrecht der Großen und des Volkes immer stärker i n den Vordergrund, insofern der durch Erbrecht bestimmte Thronfolger des consensus p o p u l i bedurfte. D i e Erbfolge führte beim Vorhandensein gleichnah Berechtigter zur Teilung des Reiches. Sie erfolgte zu gleichen Teilen und zu gleichem Recht. Doch blieb der Gedanke der Einheitlichkeit des regn u m Francorum erhalten und das Streben nach Vereinigung der Teile dauernd lebendig 2 . D i e i n der Erbteilung liegenden Gefahren für den Bestand des Reiches führten i n der späteren Merowingerzeit zu ihrer Ausschaltung durch W a h l eines Königs, i n der Karolingerzeit unter dem Einfluß des seinem Wesen nach einheitlichen Kaisertums zu gesetzgeberischen Versuchen, die U n t e i l b a r k e i t des Reiches herbeizuführen 3 . Wie der Vertrag von Verdun zeigt, ist dieses Ziel nicht erreicht worden. Weder die Folge k r a f t Erbrechts noch die W a h l setzte M ü n d i g k e i t voraus. Soweit das A l t e r des Königs eigene Regierungshandlungen ausschloß, w u r d e n diese von den i m Besitz der Macht und der Person des Königs befindlichen Großen, später vom Hausmeier allein i n dessen Namen vorgenommen. D e r durch Erbfolge oder W a h l zum König Gewordene ergriff von Reich und Herrschaft feierlich Besitz, indem er den königlichen T h r o n bestieg. Dies geht auf die germanische Einnahme des Hochsitzes durch den Erben zurück. Bei unmündigen Herrschern trat an deren Stelle die elevatio (Thronerhebung), die i n der Zeit vorherrschenden Wahlrechts auch bei mündigen geübt wurde. I n merowingischer Zeit k a m dazu die Umfahrt i m Reich, die dem Grenzumgang beim Grund2 Das Nebeneinander von tatsächlicher T e i l u n g u n d gedanklicher Einheit hat man i n der Formel einer T e i l u n g der Reichsverwaltung auszudrücken versucht ( B r u n n e r , RG. I I 2 32). A b e r die T e i l u n g greift tiefer, da die Untertanen n u r i h r e m T e i l k ö n i g Treue schulden, u n d jeder T e i l k ö n i g i n seinem Gebiet allein Gebietshoheit hat. D e n G r u n d der T e i l u n g i n dem Streben zu sehen, das ganze H e i l dem V o l k e zu erhalten (so K l e w i t z , Tellenbach) ist eine anziehende Hypothese, r u h t aber w o h l auf einer zu mechanistischen Auffassung des Heils. Vgl. M i 11 e i s , Festschr. Zycha (41) u n d D e r s. i n „ D e r Vertrag von V e r d u n 4 , hrsg. v. Th. M a y e r (43). 3 So die Ordinatio i m p e r i i von 817, die Lothar zum alleinigen Nachfolger, die übrigen Söhne zu Unterkönigen bestimmte. F a u l h a b e r , D e r Reichseinheitsgedanke i n d. L i t e r , d. Karolingerzeit (31).

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I I . Die fränkische Zeit

s t i i c k e r w e r b n a c h g e b i l d e t ist. M i t i h r v e r b a n d sich d i e E n t g e g e n nahme der eidlichen H u l d i g u n g der Untertanen. F a n d keine U m f a h r t s t a t t , so w u r d e das V o l k v o n k ö n i g l i c h e n S e n d b o t e n v e r e i d i g t . D e r v i e l l e i c h t d e m r ö m i s c h e n Staatsrecht e n t l e h n t e , a b e r g e r m a n i s c h u m gebildete Untertaneneid k a m vermutlich i n der Zeit der letzten Merow i n g e r a u ß e r Ü b u n g , w u r d e a b e r spätestens a m E n d e des 8. J a h r hunderts wieder aufgenommen 4. Eine Salbung, ü b e r h a u p t eine kirchliche Weihe, haben die M e r o w i n g e r so w e n i g g e k a n n t w i e e i n e K r ö n u n g . D i e S a l b u n g e r f o l g t e e r s t m a l s v e r m u t l i c h nach w e s t g o t i s c h e m V o r b i l d , b e i P i p p i n (751). D i e erste K r ö n u n g i s t d i e K a i s e r k r ö n u n g K a r l s des G r o ß e n , e i n e N a c h a h m u n g b y z a n t i n i s c h e n Brauches. W e d e r S a l b u n g n o d i K r ö n u n g h a t t e n staatsrechtliche B e d e u t u n g . S c h u l t z e , Geschichtl. Entwicklung der fürstl. Hausverfassung i m d. MA., ZRG. 1 7 (68), 323. S i c k e 1, GGA. 1889, 944. D e r s . , Zum karolingischen Thronrecht, Festg. f. A . S. Schultze (03). D e r s . , Das Thronfolgerecht der unehelichen Karolinger, ZRG. 24 (03) 110. E. M a y e r , Zu den germanischen Königswahlen, ZRG. 23 (02) 1. H ä d i c k e , D i e Landteilungen der fränk. Könige u n d deutschen Fürsten (1896). v. A m i r a , GGA. 1896, 196. S c h ü c k i n g , D e r Regierungsantritt I (1899). E h r e n b e r g , Kommendation u n d H u l d i g u n g (1877). R o t h , Geschichte des Benefizialwesens (1850) 385. — Schriftt. zur K r ö n u n g s.· zu § 23. — E. M ü l l e r , D i e Anfänge der Königssalbung i m MA.; HJb. 58 (39) 317. K i e n a s t , Untertaneneid u n d Treuvorbehalt, ZRG. 66 (48). δ 23. Rechte des Königs. K a i s e r t u m I . D i e Rechte des K ö n i g s s i n d t e i l s E h r e n r e c h t e , t e i l s R e g i e r u n g s rechte. 1. D e r T i t e l d e r M e r o w i n g e r k ö n i g e , auch d e r T e i l k ö n i g e , w a r r e x F r a n c o r u m 1 . K a r l d e r G r o ß e f ü g t e 768 nach angelsächsischem V o r b i l d d i e D e m u t s f o r m e l g r a t i a D e i h i n z u 2 . S e i t 779 n a n n t e e r sich r e x F r a n c o r u m et L a n g o b a r d o r u m ac p a t r i c i u s R o m a n o r u m . N a c h d e r K a i s e r k r ö n u n g e n t f i e l d i e E r w ä h n u n g des p a t r i c i u s u n d w u r d e augustus i m p e r a t o r R o m a n u m gubernans i m p e r i u m aufgenommen. L u d w i g I . b e z e i c h n e t e sich, d e m G e d a n k e n d e r R e i c h s e i n h e i t e n t 4 D i e Untertanen müssen fidelitatem et leudesamio promittere et coniurare. Diese Fassung schließt sich an die des Gefolgschaftseides an. D e r Zusammenhang entspricht der doppelten Bedeutung von leudes und fideles, die i n weiterem Sinn alle Untertanen bedeuten, i n engerem aber n u r Personen, die i n einem Dienstverhältnis oder Gefolgschaftsverhältnis zum K ö n i g stehen. S. § 21 A n m . 3. 1 D e r Zusatz v i r inluster ist nach den letzten Untersuchungen von K r u s c h , Studien z. fränk. D i p l o m a t i k (37), mindestens sehr fraglich geworden. 2 I n dieser F o r m e l k a m zugleich zum Ausdruck die A b l e i t u n g der königlichen Gewalt von Gott. S c h m i t ζ , U r s p r u n g u. Geschichte d. Devotionsformeln (13). K e r n a. zu § 21 a . Ο . 304.

§ 23. Rechte dee Könige. Kaisertum

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sprechend, aber doch ohne Erwähnung Roms, n u r als imperator augustus. Königliche Insignien waren i n merowingischer Zeit Speer (Lanze, Heerfahne) und T h r o n (Hochsitz, solium regni), Stab u n d Zepter 3 . Unter den Karolingern kamen hinzu Krone, Schwert 4 u n d Kreuz. 2. D i e Regierungsrechte des Königs sind zum einen T e i l dadurch bestimmt, daß er i m staatlichen Leben der Erbe des Gesamtvolkes und an dessen Stelle Träger der Staatsgewalt ist. D i e volle Ausw i r k u n g dieser Tatsache bricht sich an den von Aristokratie und V o l k ausgehenden Gegenströmungen. Auch insoweit sie erreicht w i r d , geschieht dies n u r allmählich und unter Schwankungen. Zum andern T e i l entstehen königliche Rechte i m Anschluß an neue Einrichtungen und i n Anlehnung an fremdes Vorbild. D e r allgemeine Friede ist n u n Königsfriede, der K ö n i g selbst oberstes Organ der Friedenswahrung. Dementsprechend ist die Friedloslegung ein extra sermonem regis ponere geworden, die M i l derung der v e r w i r k t e n Strafe u n d Begnadigung ein Recht des Königs, steht jeder i m L a n d unter einem allgemeinen Königsschutz. D e r König konnte außerdem einzelnen Personen oder Anstalten (Kirchen) einen höheren Frieden (Sonderfrieden) verleihen, indem er sie i n besonderen Königsschutz nahm 5 . D a m i t hängt der karolingische Judenschutz zusammen. D e m K ö n i g steht die oberste Gerichtsbarkeit zu, die er selbst oder durch den Pfalzgrafen i m Königsgericht ausübt. Er u r t e i l t dabei grundsätzlich nach dem geltenden Recht, k a n n aber i m Interesse der B i l l i g k e i t davon ebenso abweichen, w i e auch die Landsgemeinde an ihre früheren Urteile nicht unbedingt gebunden w a r 6 . D a ß die Rechtsprechung i n den unteren Gerichten zunächst dem V o l k u n d seinem Beamten verblieb, entspricht dem Verhältnis von Landsgemeinde und Hundertschaftsversammlung. D e r K ö n i g hat die gesamte M i l i t ä r gewalt. V o n i h m geht das Aufgebot aus, das seine Beamten durch8 Über die letztgenannten u n d den Speer H. M e y e r , Heerfahne u n d Rolandsbild, N G W G ö t t . 1930, 482, über diesen auch K l e w i t z , D A . 6 (43) 42. Ebenda weitere L i t e r a t u r , auch über die Frage der H e r l e i t u n g des Stabes aus dem Botenstab (v. A m i r a ) . 4 v. S c h w e r i n , Zur H e r k u n f t des Schwertsymbols, Festschr. Koschaker (39) 394. 5 Dieser Sonderfriede ist i n der einzelnen Erscheinung königlichen U r sprungs. Dagegen ist der allgemeine Friede älter als dàs K ö n i g t u m u n d seinem Ursprung nach Volksfriede. A u f Volksrecht beruht auch der Sonderfriede, der den K ö n i g selbst, sein Vermögen, seine Pfalz u n d deren Umgebung, den Weg zum u n d v o m K ö n i g schützt u n d u m dieser Gegenstände w i l l e n ebenfalls Königsfriede genannt w i r d . A u c h er dürfte älter sein als das Herrscherkönigtum. 6 Diese Billigkeitsrechtsprechung w i r d bestritten von K i r n , ZRG. 47 (27) 115; 52 (32) 53.

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I I . Die fränkische Zeit

führen und verkünden. Er ist der geborene Heerführer, hält die Heerschau ab und entscheidet i n der Regel allein über K r i e g und Frieden. D i e Vertretung des Reiches nach außen obliegt i h m nunmehr aus eigenem Recht. A n i h n fällt das Vermögen des Friedlosen und der erbenlose Nachlaß. D e r König hat die Finanzhoheit. Er hat das Münzrecht 7 , das Recht auf Zölle und Verkehrsabgaben und, soweit sich solche durchsetzen lassen, auch Steuern. Er n i m m t die Kirchenhoheit i n Anspruch und übt sie i n wechselnder Stärke durch Besetzung der Bistümer und Einberufung von Synoden aus, greift auch gelegentlich i n die Regelung des Gottesdienstes und i n die Lehre ein. D i e äußere F o r m der Regierung ist die Handhabung der königlichen Banngewalt, des Rechts bei Strafe zu gebieten und zu verbieten. Unter Bann (bannus) aber versteht man dreierlei, nämlich den vom Inhaber der Banngewalt erteilten Befehl, den durch i h n geschaffenen Zustand 8 und die auf seine Übertretung gesetzte Strafe, die beim Königsbann i n der Regel 60 Schillinge betrug. D e r I n h a l t des königlichen Bannbefehls w a r n u r durch den Bereich der königlichen Regierungsgewalt begrenzt. I m m e r h i n läßt sich eine Gruppenb i l d u n g nach dem Inhalt vornehmen. Man unterscheidet Friedensbann, durch den für Personen oder Sachen ein höherer Friede bew i r k t w i r d , Verwaltungsbann, durch den die Pflichten der Untertanen i m Bereich von Heerwesen, Gerichtswesen und Polizei i m einzelnen festgelegt und erzwungen wurden, u n d Verordnungsbann, k r a f t dessen allgemein verbindliche Anordnungen erlassen wurden, die Regelung des Wirtschaftslebens und die Ernennung von Beamten erfolgte. 3. D e r K ö n i g lebte i n merowingischer Zeit nach salischem, i n karoIingischer nach ribuarischem Recht 9 . I I . I m Jahre 754 salbte Papst Stephan I I . P i p p i n i n regem et patricium und machte i h n zum defensor ecclesiae. P i p p i n übernahm den Schutz der Kirche und übergab dem Papst den von den Langobarden entrissenen Exarchat, die Anfänge des Kirchenstaates. K a r l der 7 D i e Ausprägung erfolgte unter den Merowingern meist auf private Bestellung durch königliche Münzmeister an zahlreichen Münzorten (etwa 800). D i e Karolinger beschränkten die Ausprägung zunächst auf das palatium, erteilten dann n u r i n geringem Umfang Privilegien zum Besitz einer Münzstätte u n d verboten die A n w e n d u n g eines andern als des königlichen Gepräges. 8 So beruht der v o m K ö n i g verliehene Sonderfriede auf einem Bann u n d k a n n selbst so heißen. 9 Dies bestreitet M a y e r - H o m b e r g , D i e fränkischen Volksrechte i m M A . I 376. Dagegen B r u η η e r , RG. I I 2 45, u n d Α. S c h u l t z e , Das Testament K a r l s des Großen (28) 59, 78, 80.

§ 23. Rechte des Königs. Kaisertum

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Große hat die P o l i t i k seines Vaters fortgesetzt, aber auch seit 774 die früher dem oströmischen patricius und Exarchen von Ravenna zustehenden Rechte i m Exarchat ausgeübt. Er hat sich i n Städten den Treueid leisten lassen, Gericht gehalten, den Exarchat als T e i l des fränkischen Reiches behandelt. Weihnachten 800 wurde K a r l der Große von Leo I I I . zum Kaiser gekrönt, vom Volke akklamiert. Seine Nachfolger als Kaiser, L u d w i g I. und Lothar I., erhielten Kaiserwürde und Kaiserkrone durch ihre Väter, unbeschadet späterer päpstlicher Salbung und Krönung. Erst seit der M i t t e des 9. Jahrhunderts gelang es der K u r i e , die Kaiserwürde von der Salbung und Krönung durch den Papst abhängig zu machen. D i e staatsrechtlichen Befugnisse des Kaisers entsprachen w i e seine Pflichten gegenüber der Kirche i m Grunde denen des Patricius, gipfelten also einerseits i n der Oberhoheit i m römischen Gebiet, anderseits i n der defensio ecclesiae. D i e Pflicht des Schutzes wurde mindestens seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts bei der Krönung eidlich übernommen 1 0 und w a r innerlich verbunden m i t der sog. A d o p t i o n des Königs durch den Papst, seiner Aufnahme zum filius ecclesiae 11 . D i e Entstehung des abendländischen Kaisertums e r k l ä r t sich aus der staatspolitischen und kirchenpolitischen Gesamtlage des ausgehenden 8. Jahrhunderts. Sie entsprach der tatsächlichen, hegemonialen Stellung i m Abendland, die K a r l dem Großen schon vor 800 zukam 1 2 . D e r Zeitpunkt der K r ö n u n g und ihre unvermutete Vornahme durch den Papst waren bestimmt durch die besondere Lage, i n die sich Leo I I I . durch die Feindschaft eines Teiles der Römer und den gegen i h n eingeleiteten Prozeß gedrängt sah 13 . Diesem politischen Ursprung entspricht die Bedeutung des karolingischen Kaisertums, die nicht i m 10 Über Zurückführung des Schutzversprechens auf die Zeit Pippins vgl. E i c h m a η η , D i e römischen Eide der deutschen Könige, ZRG. Kan. 6 (16) 143. S c h r a m m , Das Versprechen Pippins u. K a r l s des Großen für die Röm. Kirche, ZRG. Kan. 27 (38) 180. 11 E i c h m a n n , D i e A d o p t i o n des deutschen Königs durch den Papst, ZRG. 37 (16) 291. 12 S t e n g e l , Kaisertitel u n d Souveränitätsidee, D A . 3 (39) 1 ; dazu S c h o l z , Germanischer u n d römischer Kaisergedanke i m MA., Ztschr. f. d. Geisteswissenschaft 3 (40) 116. D o p s c h , Reichsgedanke zur Zeit der Karoliriger, Festschr. H a l l e r (40) 133 ff. H i r s c h , Das Recht d. Königserhebung d. Kaiser u. Papst i. höh. MA., Festschr. H e y m a n n (40) I 209. O b das romfreie Kaisertum anderer Staaten (in Spanien, England) u n d der hegemoniale Einschlag i m karolingischen Kaisertum auf germanisches F ü h r e r t u m zurückgehen, scheint nicht sicher. 13 Hierüber H e l d m a n n , Das Kaisertum Karls des Großen (28; dazu Rosenstock, ZRG. 49, 509; Heldmann, ebda. 50, 625). Ferner M i t t e i s , Festschr. Zycha (41) 81, u n d K o s c h a k e r , Europa u. d. röm. Recht (47) 10, 17 ff.

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II

Die fränkische Zeit

Redit der römischen Herrschaft liegt, sondern in dem in ihm begründeten Zwang zur Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Macht und in dem Zurückgreifen auf das römische Reich, die Reùovatio imperii, die jedenfalls mit zur Rezeption beigetragen hat. W a i t z , Deutsche V G . I P (1882) 136. I I P (1884) 221. D a h n , Könige I I I 3 (1894) 31. V I I I 3 (1899). S i e k e l , Zur Gesch. d. Bannes (1886). T a m a s s i a , L ' a l t a tutela dell'antico re germanico, Arch. Giurid. X C I V (28). D e r s . , „ V e r b u m regis" franco, ebda. L X X X V I I I (22). — C a s p a r , Pipp i n u. d. römische Kirche (24; dazu Brackmann, GGA. 1918, 401). H a l l e r , D i e Karolinger u n d das Papsttum, HZ. 108 (12) 38. S i c k e 1, D i e Kaiserkrönungen von K a r l bis Berengar, HZ. 82 (1899) 1. D e r s., Kirchenstaat u n d Karolinger, ebda. 84 (00) 385. D e r s . , D i e Verträge d. Päpste m i t d. K a r o l i n g e r n u. d. neue Kaiserthum, DZG. 11 (1894) 301. 12 (1894) 1. D e r s . , D i e Kaiserwahl K a r l s des Großen, M I Ö G . 20 (1899). G ü n t e r , Das m i t telalterl. Kaisertum (33). S c h r a m m , Kaiser, Rom u n d Renovatio I. I I (29). L i n t z e l , D. abendländ. K a i s e r t ü m e r n 9. u. 10. Jahrh., W a G . 4 (38) 423. 20. E i c h m a n n , D i e Kaiserkrönung i m Abendland I. I I (42). B e u m a n n , D i e sakrale L e g i t i m i e r u n g des Herrschers i m D e n k e n der ottonischen Zeit, ZRG. 66 (48).

δ 24. Königlicher Hof und Reichsverwaltung Die Verwaltung des Gesamtreiches lag in der Hand des Königs, der sich dabei der Mitglieder des Hofes als Ratgeber und als ausführender Organe, der zu Tagungen berufenen geistlichen und weltlichen Großen als Berater und Stütze, in einzelnen Fällen der Heeresversammlung zum Zwecke formaler Zustimmung bediente. I. Der königliche Hof (palatium, aula regis) war kein geschlossener Beamtenkörper. Er bestand aus den jeweils vom König an ihn berufenen oder aus anderen Gründen länger am Hofe anwesenden Personen (palatini, aulici). Dauernd waren nur gewisse Ämter, die dann allerdings auch längere Zeit den gleichen Personen anvertraut sein konnten. Eine feste Residenz gab es in fränkischer Zeit nicht. Der karolingische König hielt in einer seiner Pfalzen Hof, der merowingische meist in einer seiner Städte. Mit allen germanischen Fürstenhöfen teilt der fränkische die bis zum Ende des deutschen Reiches vorhandenen sogenannten germanischen Hausämter. Es sind dies der Hausmeier (maior domus) als Vorstand der Hofhaltung und später Leiter der Domänenverwaltung, der Kämmerer (cubicularius, thesaurarius, karol. camerarius), der Marschall (comes stabuli) und der Schenk (prineeps pincernarum, karol. buticularius). Diese Ämter wurden meist von angesehenen Gefolgsleuten versehen, denen im wesentlichen die Leitung der untergeordneten Diener (ζ. B. marescalci, pincernae) oblag. Außerdem finden wir den Schwertträger (spatarius) und in karolingischer Zeit Zere-

§ 24. Königlicher Hof und Reichsverwaltung

monienmeister narius).

(summus ostiarius)

und Quartiermeister

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Bedeutung für die Staatsverwaltung hat von diesen A m t s i n h a b e m nur der maior domus (Hausmeier) erlangt. Dies hängt damit zusammen, daß er der Anführer der Antrustionen, der königlichen Gefolgsgenossen, w a r und daß sich der Antrustionat aus dem Kreise der fränkischen Aristokratie bildete. M i t der Machtsteigerung der Großen i n den Thronstreitigkeiten des ausgehenden 6. Jahrhunderts und durch den Sieg über die K ö n i g i n Brunechilde erhob er sich zum Führer dieser von da ab politisch bedeutsamen Schicht. Aus seinem Amtskreis wuchs das Hausmeieramt zum obersten A m t der Staatsverwaltung heraus, während die wirtschaftlichen Befugnisse dem von i h m verschiedenen Seneschall (siniscalcus) verblieben. Bei Reichsteilungen w u r d e i n jedem Teilreich ein Hausmeier bestellt, bis es P i p p i n 687 gelang, das Hausmeieramt als einheitliches Reichsamt erblich m i t seinem Hause, dem austrasischen Herzogsgeschlecht der Arnulfinger zu verbinden. Seine Nachfolger handhabten tatsächlich die Reichsregierung an Stelle der merowingischen Schattenkönige. Nach der Thronbesteigung Pippins (751) hat die neue Dynastie von der Beibehaltung des politisch gefährlichen Amtes abgesehen. Eine Neuerscheinung der fränkischen Zeit ist die Kapelle. Sie umfaßte die Gesamtheit der als capellani bezeichneten Hofgeistlichkeit unter der Leitung des seit L u d w i g dem Frommen so bezeichneten summus capellanus (später archicapellanus). Zu ihrem Aufgabenkreis gehörte die Ausstellung der königlichen U r k u n d e n flurch besonders ausgebildete Schreiber (notarii). D e n weltlichen Referendaren oblag i n merowingischer Zeit die Gegenzeichnung der U r k u n d e n durch Beifügung des Vermerks o b t u l i t oder reeognovit u n d ihres Namens 1 . Unter den Karolingern ging die Aufgabe des Referendars auf einen geistlichen Leiter des Beurkundungsgeschäfts über (sog. Kanzleivorsteher), der seit 819 die Rekognition einem notarius (ad vicem cancellarli) überließ und seit 820 den T i t e l eines summus cancellarius führte. L u d w i g der Deutsche verband m i t dem A m t des Erzkaplans das des Oberkanzlers, der späterhin den T i t e l des Erzkanzlers (archicancellarius) führte. Seit dem späten 6. Jahrhundert ist nachweisbar der Pfalzgraf (comes palatii). E r w a r Beisitzer i m Königsgericht. Außerdem hatte er selbständig Verhandlungen zu führen und hierüber dem König zu berich1 D i e Ausstellung der Gerichtsurkunden setzte die Teilnahme des Referendars an den Verhandlungen des Königsgerichts voraus. Unter den K a r o l i n g e r n wurde die Abfassung der Gerichtsurkunden einer besonderen Gerichtsschreiberei unter dem Pfalzgrafen übertragen.

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I I . Die fränkische Zeit

ten, der auf dieser Grundlage urteilte 2 . I n der Karolingerzeit ist er Vorstand der Gerichtsschreiberei, vortragender Minister in weltlichen Angelegenheiten und Vorsitzender eines vom Königsgericht sich abspaltenden Pfalzgrafengerichts 3. Die nachweisbare Mehrzahl von Pfalzgrafen erklärt sich aus dem im Personalitätsprinzip liegenden Bedürfnis, für die Rechtssachen aus den einzelnen Stammesgebieten verschiedene Pfalzgrafen zur Verfügung zu haben. Zu Beratungen über Staatsangelegenheiten wurden einzelne Beamte oder sonstige Personen des Hofstaates vom König nach Gutdünken herangezogen. Doch erscheinen auch ständige consiliarii (senatores, consiliarii a secretis) als amtliche Ratgeber. II. Volksversammlungen im Sinne der germanischen Zeit kannte die fränkische nicht. Sie waren bei der Ausdehnung des Reiches tatsächlich unmöglich und sind es begrifflich, weil die Bevölkerung des fränkischen Reiches der Einheitlichkeit nach Stamm und Recht entbehrte. Es gab nur Heeresversammlungen, die insofern als Ersatz dienten, als der König einzelne Maßnahmen ihrer selbstverständlichen Zustimmung unterbreiten konnte. Der Ausfall der Volksversammlung bedeutete die Ausschaltung auch der Masse der Freien von der Staatsverwaltung. Die Stellung des einzelnen im Staate wurde damit im wesentlichen auf Pflichten beschränkt. Auch von diesen ist nur ein kleiner Teil (ζ. B. Wachdienst, Landwehr) allen gemëinsam geblieben, während die höheren wie Heerdienst und Gerichtsdienst in späterer Zeit nur noch den leistungsfähigeren Schichten voll oblagen. Anders war es in einzelnen Stammesgebieten, wo jedenfalls zeitweise Stammesversammlungen abgehalten wurden. Die Großen des Reiches wurden vom König zu Hoftagen oder Reichstagen einberufen. Dabei standen der Kreis der Personen, Ort und Zeit im Belieben des Königs. Die Eingeladenen hatten die Pflicht zu erscheinen und erlangten erst seit Ludwig I. ein Recht auf Zuziehung und Berücksichtigung ihrer Meinung. Die Regel war aber die Abhaltung zweier Hoftage im Jahr, von denen der eine im Frühjahr, gegebenenfalls im Zusammenhang mit der Heeresversammlung, der andere im Herbst stattfand 4. H e r m a n n , Das Hausmeieramt ein echt germ. A m t (1880). — B r u n n e r , Das Gerichtszeugnis u n d die fränkische Königsurkunde, Festg. Heffter (1873 = Abh. I 417). H e u b e r g e r , Fränkisches Pfalzgrafenzeug2 Daher die Formel der Gerichtsurkunden: decrevimus i n q u a n t u m comes p a l a t i i nostri testimoniavit. 3 D e m Königsgericht blieben die Prozesse der Großen u n d die Entscheidung neu auftauchender Rechtsfragen vorbehalten. 4 D i e Frühjahrsversammlung umfaßte alle geistlichen u n d weltlichen Großen, heißt daher auch conventus generalis, die andere nur einen k l e i neren Kreis.

§ 25. Bezirke und Bezirksbeamte

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nis u. Gerichtsschreibertum. M Ö I G . 4 1 (26) 46. D e r s . , Vandalische Reichs-' kanzlei, ebda. EB. 11 (29) 76. K e h r , D i e Kanzlei Ludwigs d. Deutschen (32). K l e w i t z , Cancellarla, D A . 1 (37) 44. Β r e ß l a u , Handbuch d. U r kundenlehre I 2 (12) 352. — M e y e r , D i e Pfalzgrafen der Merowinger u. Karolinger, ZRG. 42 (21) 380. Η a l b e d e l , Fränkische Studien (15). — S i c k e l , D i e merowingische Volksversammlung, M I Ö G . EB. 2 (1888) 295. D e r s . , Zur Gesch. d. deutschen Reichstags, ebda. EB. 1 (1884) 220.

§ 25. Bezirke und Bezirksbeamte Das fränkische Reich übernahm aus der germanischen Zeit den Unterbezirk der Hundertschaft, als deren Seitenstück im gallorömischen Gebiet die vicaria erscheint. Soweit sich die Bildung des Reiches durch Eingliederungen von Stammesgebieten vollzog, konnten diese als Grundlage oberster Bezirke dienen und traten unter gleichem Namen neben die älteren gallischen Dukate. Den fehlenden Mittelbezirk schuf sich der fränkische Staat durch die Ausbildung der Grafschaft. Die Entwicklung des Ämterwesens erfolgte allmählich, so daß erst in der karolingischen Zeit eine gewisse Festigkeit zu beobachten ist und eine durchgehende, gleichmäßige Organisation überhaupt nicht erreicht wurde. An der Spitze der in germanischen Gebieten erhaltenen Hundertschaft stand der Hundertschaftshäuptling (centenarius, hunno, frankolat. thunginus), der auch in merowingischer Zeit noch vom Volk gewählt wurde. Er war Vorsitzender des Gerichts. Neben ihm erscheinen als königliche Beamte der sacebaro und der Graf (grafîo, comes). Beide waren zunächst Finanzbeamte und mit der Eintreibung von Strafgeldern beauftragt, der Graf auch Heeresbeamter, so daß das königliche Beamtentum von den beiden Seiten des Finanzwesens und des Heerwesens eindrang. Die weitere Entwicklung vollzog sich durch eine in den einzelnen Gebieten verschieden weit gediehene Ausdehnung der gräflichen Gewalt. In ihr gewann das fränkische Königtum seine festeste, weil von ihm selbst geschaffene und durch keinen Zusammenhang mit der früheren Zeit gebundene Stütze. Der Amtsbezirk des Grafen war in karolingischer Zeit die Grafschaft (comitatus)1, die aus drei bis vier Hundertschaften gebildet wurde. Der Graf war Richter im echten Ding, das er an den Malstätten der einzelnen Hundertschaften abhielt 2 . Mit dieser richterlichen Stellung verband er die des obersten Verwaltungsbeamten in der Grafschaft. Er handhabte die Polizeigewalt, Sicherheitspolizei (Ver1 Daneben das vieldeutige pagus ( P r i n z , A U F . 17 [42] 329). I n w i e w e i t die Worte Gau, Bant, Land, Bara, Eiba, Feld, Grafschaften bezeichnen, bedarf weiterer Untersuchungen. F ü r Bara u. Gau ist dies w o h l zu verneinen. Vgl. B a d e r , ZGORh. NF. 54, 403. B e y e r l e ZRG. 62 (42), 305. K l e w i t z , i n Oberrheiner, Schwaben, Südalamannen (42) 85. 2 S. u. § 26.

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folgung von Verbrechern) u n d Verkehrspolizei (Wegebau, M a r k t verkehr), u n d zog als Finanzbeamter Steuern, Abgaben, Friedensgelder und Bannbußen ein. Als königlicher Beamter hatte er den vom K ö n i g t u m entwickelten Bann zur Verfügung. Doch stand i h m zunächst n u r ein besonderer Grafenbann von 15 (12) Schillingen zu. D e n Königsbann von 60 Schillingen erhielten i n weiterem Umfang nur die sächsischen Grafen, die übrigen für einzelne Fälle w i e Fronung von Grundstücken u n d Friede Wirkung. Ernennung u n d Absetzung des Grafen stand ursprünglich i m freien Belieben des Königs, der dabei weder an Stand noch an Stammeszugehörigkeit gebunden war. D i e dadurch ermöglichte Unabhängigkeit der Grafen von lokalen Belangen mußte allerdings Clothar I I . 614 preisgeben und sich verpflichten, den Grafen aus der gleichen Gegend zu nehmen. Dies, w i e die seit L u d w i g I. übliche Verleihung nach lehnrechtlichen Grundsätzen führte trotz der vorübergehenden Steigerung des königlichen Einflusses unter K a r l dem Großen zu häufiger tatsächlicher Erblichkeit, die sich dann i m Mittelalter zu rechtlicher entwickelte. D e r Graf erhielt k e i n festes Gehalt. Seine Einkünfte bestanden i n den Nutzungen seines Amtsgutes (pertinentia comitatus, fiscus comitatus) und einem D r i t t e l der von i h m eingehobenen Friedensgelder und Bußen. Außerdem hatte er bei seinen Amtsreisen Anspruch auf Beherbergung und Beförderung durch die Gauinsassen.

Der Zentenar wurde in einigen Gebieten zu einem Unterbeamten des Grafen herabgedrückt, der aber nur unter Mitwirkung des Volkes ernannt werden sollte. In anderen (Sachsen) ist seine Stellung nur wenig berührt worden. Er ist Hilfsorgan des Grafen bei der Vollstreckung und bei der Einziehung von Geldern, weshalb er auch als Schultheiß (scultheizzo) bezeichnet wird. Außerdem war er an Stelle des Grafen Vorsitzender im Gericht. Im gallischen Gebiet übernahm der Graf die Jurisdiktion des römischen Provinzialstatthalters. Ebenso wie er, ist dort sein von ihm bestellter Unterbeamter, der vicarius, von Anfang an königlicher Beamter. Dadurch und in der richterlichen Zuständigkeit unterscheidet sich der vicarius ursprünglich vom Zentenar, bis dessen schon erwähnte Unterordnung unter den Grafen zu einer Angleichnug der Ämter und einer terminologischen Gleichstellung von centenarius und vicarius führte. Der Graf konnte sich durch'einen missus comitis vertreten lassen. Ein ständiger Vertreter war der nur in romanischen Gebieten vorkommende vicecomes. Auch in der Geschichte der obersten Bezirke scheidet sich die karolingische von der merowingischen Zeit. Während dieser kam als

§ 25. Bezirke und Bezirksbeamte

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solcher n u r der D u k a t i n Frage, eine Vereinigung mehrerer Grafschaften unter einem Amtsherzog (dux), die an die Gliederung i n Stammesgebiete sich anlehnte (ζ. B. Baiern, Alamannien, Thüringen). Dessen Aufgaben lagen i m wesentlichen auf militärischem Gebiet 3 . Doch ist der D u k a t nie zu einer das ganze Reich erfassenden Erscheinung geworden. Es hat immer Grafschaften gegeben, die nicht unter einem d u x standen. Seit der späteren Merowingerzeit erscheint ein neues zentralisierendes A m t i n dem der Königsboten (missi regis, missi dominici). Sie k n ü p f t e n an die außerordentlichen Bevollmächtigten (missi ad hoc) an, die schon i n früherer Zeit vom K ö n i g i n die Provinz gesandt wurden, u m dort nach dem Rechten zu sehen u n d einzelne Angelegenheiten zu erledigen. D e r Höhepunkt der Einrichtung liegt i m Beginn des 9. Jahrhunderts, nachdem K a r l der Große das ganze Reich i n missatische Sprengel aufgeteilt hatte. F ü r jeden dieser Sprengel w u r d e n Jahr f ü r Jahr, meist unter Wechsel der Personen, zwei missi ernannt, ein geistlicher und ein weltlicher. Sie hatten ihren Sprengel zu bereisen u n d die Tätigkeit der örtlichen Beamten nachzuprüfen, hielten Gericht und Versammlungen ab. Ihre Bedeutung lag darin, daß ihre Vollmacht inhaltlich der königlichen Gewalt entsprach. Daher konnten sie nicht n u r den Herzog ersetzen, sondern jeder i n seinem Sprengel auch den König. Als schon L u d w i g I. dazu überging, die missatische Gewalt an Beamte innerhalb des einzelnen Sprengeis zu übertragen, w u r d e die Einrichtung m i t örtlichen Rücksichten verk n ü p f t u n d dadurch einer wesentlichen Kraftquelle beraubt. Sie geriet i n Verfall und n u r selten erscheinen neben den n u n ständigen missi wiederum missi ad hoc. D e m Bedürfnis einer strafferen Zusammenfassung der Heeresmacht dienten die an den Grenzen eingerichteten Markgrafschaften. I n ihnen waren mehrere Grafschaften unter einem der Grafen als Markgrafen (marchio, marchisus) vereinigt. Diese treten dann und w a n n m i t dem T i t e l eines d u x auf (Titularherzöge, Markherzöge). N u r die merowingische Zeit kennt das A m t des patricius. E r erscheint als Zentralbeamter i n Burgund, als Provinzialstatthalter i n der Provence. N u r vorübergehend sind einzelne Teile des Reiches (Austrasien, A q u i t a nien, Baiera) der mehr öder weniger selbständigen V e r w a l t u n g von M i t g l i e d e r n des Herrscherhauses als Unterkönigen überlassen worden. I m Ganzen gesehen lag die Bezirksverwaltung i n der H a n d von Beamten, die jedenfalls zu einem erheblichen T e i l auch i n den nicht3 D i e Nachrichten über eine gerichtliche T ä t i g k e i t des d u x rechtfertigen nicht, i n i h m ein Organ der ordentlichen Rechtspflege zu sehen. Vgl. i m übrigen V a r g e s i n „ A u s P o l i t i k u. Geschichte" (28) 17; K l e b e l , Herzogtümer u. M a r k e n bis 900, D A . 2 (38) 1.

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fränkischen Gebieten Franken waren und ihre Stütze im Reichsgut fanden. T h u d i c h u m , D i e Gau- u n d Markverfassung i n Deutschland (1860) 80. S o h m , Reichs- u. Gerichtsverfassung (1871). W e b e r , D e r Centenar nach den karoling. K a p i t u l a r i e n (1894). v. S c h w e r i n , D i e altgermanische Hundertschaft (07) 138. G l i t s c h , Der alamannische Zentenar u n d sein Gericht (17). B a u e r , Gau u n d Grafschaft i n Schwaben (27; dazu ZRG.48, 462). L o t , L a vicaria et le vicarius, RH. 1893, 281. S i c k e l , D e r fränkische Yicekomitat (07), m. Ergänzungen I (08). L i p p , Das fränkische Grenzsystem unter K a r l dem Großen (1892). K r a u s e , Geschichte des Instituts der missi dominici, M I Ö G . 11 (1890) 193. — W e y l , Bemerkungen über das fränk. Patrizieramt, ZRG. 17 (1896) 85. — Κ i e η e r , Verfassungsgesch. d. Provence (00) 52. 266. M a r t i n , Études critiques sur la Suisse (10) 324. B ü c h n e r (s. § 14). — E i t e n , Das U n t e r k ö n i g t u m i m Reiche der Mero winger u. K a r o l i n g e r (07). — K l o s s , Das Graf schaftsgerüst des Deutschen Reiches (40).

§ 26. Heerwesen, Rechtspflege und Finanzwesen Der Aufgabenkreis des fränkischen Staates war noch begrenzt, auch abgesehen davon, daß in Gefolgschaft und Leibherrschaft wurzelnde eigenständige Gewalten an sich staatliche Aufgaben erfüllten 1 . Im Mittelpunkt steht die Wahrung des Rechtsfriedens im Innern und der Schutz gegen den äußeren Feind, also Rechtspflege, Sicherheitspolizei und Heerwesen. Die Bedürfnisse des sich entwickelnden Wirtschaftslebens erzeugen die staatliche Sorge für Verkehrswesen und Markt (Marktpolizei). Soweit die in diesen Bereichen sich ergebenden Einzelaufgaben nicht durch die unbesoldeten Beamten erfüllt werden konnten, wurden sie kraft Untertanenpflicht von den freien Volksgenossen oder auch der Gesamtheit der Einwohner erledigt 2 . Mit deren Kräften wurden Straßen, Brücken, Befestigungen, überhaupt alle öffentlichen Bauten hergestellt. Sie hatten Wachen zu stellen, Diebe und Räuber zu verfolgen (sog. Landfolge) 3, waren zum Heeresdienst, zur Landwehr und zum Gerichtsdienst verpflichtet, mußten den König und königliche Beamte beherbergen, diese auch befördern und verpflegen 4. Die Anordnung und Überwachung dieser Leistungen oblag dem Grafen und den Königsboten. Das Heerwesen ruhte wie in germanischer Zeit auf der allgemeinen Wehrpflicht der freien, wehrhaften Männer. Doch haben die tatsächlichen Verhältnisse die Dienstpflicht im einzelnen Fall immer auf einen kleineren Kreis beschränkt. Die Ausdehnung des Reiches ver1

Vgl:§§ 27—29. F e h r a. u. a. O. unterscheidet die beiden Gruppen als engeren u n d weiteren Untertanenverband. 3 F e h r , Landfolge u. Gerichtsfolge i m fränk. R., Festschr. Sohm (14) 387. 4 G a η s h o f , La Tractoria, TRG. V I I I (28) 69. 2

§ 26. Heerwesen, Rechtspflege und Finanzwesen

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bat schon u m des Grenzschutzes w i l l e n die Zusammenziehung der gesamten Mannschaft. D i e gesteigerte Zahl der Wehrpflichtigen ermöglichte es, sich m i t einem T e i l zu begnügen. D a z u kam, daß die erforderliche Ausrüstung nicht mehr von allen verlangt werden konnte, w e i l die Kleinbauern verarmten, während die Anforderungen an die Bewaffnung stiegen. Zudem zwang die Ausdehnung des Reiches zu weitgehendem Ersatz des Fußheeres durch Reitertruppen, der schließlich i m westfränkischen Gebiet zu einer fast völligen Beschränkung des Heeres auf die Reiterei führte. D e r Reiterdienst aber erforderte nicht n u r eine kostspielige Ausrüstung, namentlich für den schwer bewehrten Panzerreiter, sondern auch eine besondere Ausbildung. Diese Umstände hatten zweierlei wesentliche Neuerungen zur Folge. Soweit der Dienst des gemeinen Mannes noch verwendbar erschien, w u r d e n die Ärmeren nach bestimmten Vermögenseinheiten zu Gruppen zusammengefaßt, aus denen j e einer m i t dem Heere auszog, während die übrigen n u r eine Beisteuer (adiutorium) zu leisten hatten. D e r Reiterdienst aber w u r d e auf dem vasallitischen Seniorat aufgebaut. Schon i n merowingischer Zeit hatten die Großen, namentlich des gallo-römischen Gebiets, mittels ihres Großgrundbesitzes Vasallen ausgestattet, die ihnen als Privatsoldaten dienten. I m ausgehenden 7. und i m 8. Jahrhundert ermöglichten die ausgedehnten Landvergabungen Pippins, K a r l Martells u n d seiner Söhne den Großen i n weitestem Umfang, Vasallen anzunehmen oder H i n t e r sassen i n ausreichender Weise auszurüsten. So bildeten sich zahlreiche größere und kleinere Privatkontingente unter der F ü h r u n g eines senior, die dann durch dessen Vasallenverhältnis zum K ö n i g i n das staatliche Heer eingeordnet wurden. D i e nicht mehr persönlich Heerpflichtigen w u r d e n zum Burgenbau, zum Schanzen und zu Wachen herangezogen 5 . Das Aufgebot des Heeres ging vom König aus, der die Zahl und A r t der zu stellenden Mannschaft von F a l l zu F a l l festsetzte. Es richtete sich ursprünglich an die Grafen (Herzöge), später auch unmittelbar an die Großen (Senioren). Diese hatten w e i t e r h i n die Grafschaftsleute und Vasallen aufzurufen. W e r dem Aufgebot nicht folgte, verfiel der Heerbannbuße von 60 Schillingen. Zu Beginn der Merowingerzeit w a r es üblich, das Heer zu einer Heerschau i m März zu versammeln (Märzfeld), von w o aus man dann i n das Feld zog. M i t Rücksicht auf die Verpflegung der m i t der B i l dung des Reiterheeres sich steigernden Zahl von Pferden wurde, die 5

Weiß,

v. S c h w e r i n ,

Staatliche Baufronden i n fränk. Zeit, VjsSWG. 15, 341. Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

7

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Heeresversammlung 755 i n den M a i verlegt und w u r d e damit zum Maifeld (campus Madius, Magiscampus). A l l e waffentauglidien Leute erfafite die Pflicht, dem Aufgebot zur Verteidigung des Landes gegen feindlichen Angriff, der Landwehr (lantweri) zu folgen. D i e Rechtspflege hat auch i n fränkischer Zeit vom Grundsatz der allgemeinen Dingpflicht Gebrauch gemacht, hat aber seine A n wendung i m Laufe der Zeit eingeschränkt und hat auch sonst nicht unwesentliche Veränderungen erfahren. D i e i m Gesamtaufbau wichtigste ist das Königsgericht, das m i t unbeschränkter Zuständigkeit i n Konkurrenz zu allen anderen Gerichten t r i t t , nicht erledigte Sachen durch besonderes Mandat an sich ziehen k a n n (ius evocondi), i n den Fällen der Rechtsverweigerung eingreift, von den m i t einem Privilegium reclamations begabten Personen unter Umgehung unterer Gerichte angerufen werden k a n n und nach B i l l i g k e i t zu entscheiden vermag (vgl. § 2312). Außer dem Königsgericht u n d den i h m gleichstehenden Gerichten der Königsboten gab es n u r Hundertschaftsgerichte. Sie w u r d e n i n älterer Zeit als Vollversammlungen der Hundertschaft wie i n der germanischen Periode abgehalten. Soweit der Graf als Gerichtshalter tätig wurde, erweiterte sich die Zuständigkeit des einzelnen Hundertschaftsgerichts auf die ganze Grafschaft. D i e Versammlungen w u r d e n als echte Dinge vom Grafen an den einzelnen Dingstätten der H u n dertschaften alle sechs Wochen abgehalten. Es gab aber weder ein Grafschaftsgericht noch eine Grafschaftsdingstätte. Dazwischen lagen gebotene oder auch ein für allemal bestimmte Dinge, die regelmäßig der Zentenar abhielt, aber auch der Graf leiten konnte. D i e Zuständigkeit w a r i n der Weise abgegrenzt, daß die causae maiores n u r unter dem Vorsitz des Grafen durch U r t e i l (und Vollstreckung) erledigt (causam finire), w o h l aber auch v o r dem Zentenar verhandelt werden konnten 6 . Zu den causae maiores gehörten Prozesse u m Freiheit und Eigen und, w o h l i n Anlehnung an die Zuständigkeit des Grafen i m gallorömischen Gebiet, schwere Kriminalsachen. I n Fällen handhafter Tat konnte wie früher (s. § 12) ein Notgericht berufen werden. Eine Reform Karls des Großen (etwa 770—780) beschränkte die allgemeine Dingpflicht auf drei Gerichte i m Jahr, die placita generalia. Zu den übrigen brauchte n u r zu erscheinen, w e r geladen war. Hand i n H a n d hiermit ging die Einführung ständiger Urteilfinder, der 6

D a r ü b e r S e e 1 m a η η (s. § 32) m i t weiterem Schrifttum. Zu skapan = schaffen, bestimmen. B. A l t h o f f e r , Les scabins (38; dazu ZRG. 59, 352). 7

§ 26. Heerwesen, Rechtspflege und Finanzwesen

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Schöffen (scabini)7. Doch sind beide Änderungen nicht im ganzen Reich durchgedrungen, so nicht in Sachsen und im oberdeutschen Gebiet8. Da alle staatlichen Aufgaben ohne geldliche Aufwendungen erfüllt werden konnten, fehlte der Zwang zur Ausbildung des auch der vorigen Periode fremden Finanzwesens, und so ist die fränkische Zeit über dürftige Ansätze nicht hinausgekommen. Ein Finanzwesen, das diesen Namen verdient, hat sie nicht gekannt9. Privatgut des Königs, Krongut und Staatsgut bilden einen ungeschiedenen Vermögenskomplex. Sein Schwergewicht liegt in dieser Zeit im Grund und Boden. Der Verfügung des Königs untersteht alles herrenlose Land, das nicht im unmittelbaren Aneignungsbereich vorhandener Siedlungen liegt. Er kann es verschenken, aber auch nur zur Rodung und Nutzung überlassen gegen Abgabe eines Zinses. Wichtiger sind die Domänen, über den größten Teil des Reiches verbreitete Güter (fiscus), die teils von einem Königshof aus in Eigenwirtschaft geführt wurden, teils um einen solchen als Grundherrschaften mit Leiheverhältnissen organisiert waren. Sie wurden in merowingischer Zeit von domestici verwaltet. In karolingischer Zeit stand die Aufsicht den Königsboten zu, die tatsächliche Leitung den actores dominici. Größere Güter waren in ministeria eingeteilt unter Leitung eines dem actor unterstellten maior 10 . Eine allgemeine Besteuerung der Untertanen fand nicht statt. Die in Gallien ausgebaute römische Steuerverwaltung ist auf andere Gebiete nicht übertragen worden und auch dort zufolge des Fehlens der Steuertechnik allmählich verfallen und erstarrt. Wesentlich besser erhalten und ausgedehnt hat sich das Zollwesen. Erhoben wurden Durchgangszölle (transitura, muta, Maut) 11 und Marktzölle, und zwar 8 Einen Gerichtsschreiber (cancellarius) kannte n u r das ribuarische Recht. Von da aus ist er i m salischen u n d alamannischen Rechtsgebiet übernommen worden. Seine Aufgabe w a r die Aufnahme öffentlicher U r k u n d e n i m Gericht. I m 9. Jahrhundert ist er nördlich der A l p e n verschwunden, wogegen sich der von den K a r o l i n g e r n i n I t a l i e n eingeführte Gerichtsschreiber erhalten hat. 9 Gegen die Annahme einer geldwirtschaftlichen Verfassung der Staatsfinanzen L ö t z , SbAk. München 1926, 4. 10 Das sogen. Capitulare de v i l l i s (Ausg. m i t Erläuterungen von G a r e i s (1895) ist vermutlich eine auf Veranlassung Ludwigs des Frommen vor Ausgang des 8. Jahrh. entstandene O r d n u n g für die Eigenbewirtschaft u n g südfränkischer (aquitanischer) Domänen, gibt aber doch einen Einblick i n die Domänenverwaltung überhaupt. Uber die sich daran knüpfenden Streitfragen D o p s c h , Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit I 2 28. T h . M a y e r , VjsSWG. 17 (24) 112. E. M a y e r , T R G . V I I (27) 1, E i s n e r , Zur Entstehung d. Cap. de v i l l i s (29), der i n dem Capitulare eine k u r z vor 800 auf Veranlassung Karls des Großen entstandene Sammlung älterer Vorschriften sieht u n d E. S c h r ö d e r , Festschr. Dopsch (38) 161. 11 E i n gutes B i l d bietet das Raffelstetter Zollweistum (etwa 904). S c h i f f m a n n , M I Ö G . 37 (17) 479. 715. ν. Β e 1 ο w , VjsSWG. 17 (24) 346.

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an bestimmten Zollstätten kraft ausschließlich königlichen Rechts (Zollregal). Das aus diesen Abgaben und aus Grund und Boden fließende Einkommen wurde ergänzt durch Einnahmen aus der Rechtspflege (Friedensgelder, Bannbußen. Ächtergut) und aus der Münzprägung, soweit diese nicht an Dritte, insbesondere Kirchen verliehen war, durch Schutzzinse der in Königsschutz aufgenommenen Personen (insbes. Judenschutz), Tribute abhängiger Völker und meist auf dem März^eld dargebrachte Jahresgeschenke (dona annualia), die später bei den Kirchen mit dem Schutzzins zusammenfielen und zu pflichtmäßigen Leistungen wurden, endlich Kriegsbeute. Sie alle fallen in den Königshort. D e l b r ü c k , Gesch. d. Kriegskunst, I I s (21), I I I 2 (23). B a l d a m u s , Das Heerwesen unter den späteren K a r o l i n g e r n (1879). Β o r e t i u s , Beiträge zur K a p i t u l a r i e n k r i t i k (1874) 71. B r u n n e r , D e r Reiterdienst u. die Anfänge des Lehnwesens, ZRG. 8 (1887) 1 ( = Forschungen 39). v. M a n o l d t - G a u d l i t z , D i e Reiterei i n den germanischen u. fränkischen eeren (22). S. auch Schriftt. zu § 10 u. 28. — T h o n i s s e n , L'organisatioi} judiciaire de la l o i Salique 2 (1882). B e a u c h e t , Histoire de l'organisation j u d i c i a i r e en France (1886). B r u n n e r , D i e H e r k u n f t der Schöffen, M I Ö G . 8 (1887) 177 ( = Forschungen 248). H i s , D i e Domänen der röm. Kaiserzeit (1896). D o p s c h , Wirtschaftliche u n d soziale Grundlagen, I I 2 (24) 146. D e r s . , Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit I I 2 (22) 272, 336. D e r s . , Grundlagen, a. a. O. 503, 526. Z a t s c h e k , a. § 33 A n m . 1 a. O. C a r o , E i n U r b a r des Reichsguts i n Churrätien, M I Ö G . 28 (07) 61. G l ö c k n e r , E i n U r b a r des rheinfränkischen Reichsgutes, ebda. 38 (20) 381. S c h m i t t , Das Königsgut i n Hessen-Nassau, Nassauische A n n a l e n 47 (26) 118. B a l d a u f , Das karol. Reichsgut i n U n t e r r ä t i e n (30. S t u t z , K a r l s des Großen divisio von Bistum u. Grafschaft Chur, Festschr. Zeumer (09) 101. — I l s e , Gesch. d. deutschen Steuerwesens (1844). D a h n , Zum merowing. Finanzrecht, A b h d l . f. K. M a u r e r (1893) 335. T h i b a u l t , L'impôt direct et la propriété foncière dans les royaumes francs, RH. X X X I (07) 49, 205. W e t z e l i , Das Zollrecht der deutschen Könige (1892). Vgl. ferner d. zu § 46 a. Schrifttum.

4· Innerstaatliche Sonderbildungen 1 § 27. Stammesherzogtum D i e oben (§ 25) besprochenen Amtsherzogtümer waren ursprünglich selbständige Gebiete, die zwar mehr oder weniger regelmäßig als Ganzes i n den Aufbau des Reiches eingebaut, aber gerade dadurch 1 Unter dieser Bezeichnung werden die Erscheinungen innerhalb des fränkischen Reiches zusammengefaßt, deren eigene Ziele u n d eigenständige Gewalt einer einheitlichen Staatsgewalt entgegenstanden. A u f ihnen beruhte zu einem großen T e i l die D y n a m i k des fränkischen Staatslebens. Sie bilden zudem die Ansatzpunkte für die Gewalten, die seit dem Hochmittelalter das Deutsche Reich von innen her auflösen. H i e r f ü r ist es belanglos, daß es dem fränkischen Staat i m wesentlichen noch gelingt, sie zu hemmen und i n den Staatsorganismus einzugliedern.

§ 28. Benefizialwesen und Vasallität (Lehen)

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i n ihrer inneren Geschlossenheit gefestigt wurden. Dies hatte zur Folge, daß sie entsprechend dem Nachlassen der zentralen Gewalt den Weg zu größerer Unabhängigkeit zurückgingen. E i n T e i l von ihnen erstarkte so i n der Zeit merowingischer Schwäche zu n u r noch lose mit dem Reich verbundenen Herrschaftsgebieten, und der Amtsherzog wurde zum Stammesherzog. Diese Entwicklung vollzog sich, i m einzelnen verschieden, i n Thüringen 2 , Ribuarien (Arnulfinger), Baiern und Schwaben, weniger entschieden i n neustrischen Gebieten. D e r Stammesherzog steht unter der Oberhoheit des fränkischen Königs und ist i h m heerfolgepflichtig. I m übrigen übt er die königlichen Rechte als herzogliche aus. Er hat das Recht der Kriegführung, hält Volksversammlungen ab, erläßt m i t den Großen und dem V o l k Gesetze, zieht Friedensgelder, Bannbußen und erbenlosen Nachlaß für sich ein. A n Stelle des Königsgerichts ist m i t gleicher Machtvollkommenheit das Herzogsgericht tätig. D e r Friede ist Herzogsfriede, der Herzog selbst und seine Pfalz stehen unter Sonderfrieden. D e r Herzog ernennt die Beamten. E r verfügt über das herrenlose L a n d und hat Seine eigenen Domänen. D i e Herzogswürde ist m i t dem Herzogsgeschlecht verbunden, auch insoweit der fränkische K ö n i g ein äußerliches Ernennungsrecht geltend macht. D i e Karolinger bekämpften das Stammesherzogtum als eine der reichsauflösenden Gewalten schon als Hausmeier und erst recht, nachdem sie m i t ihrem ribuarischen Herzogtum das K ö n i g t u m verbunden hatten. M i t Tassilo I I I . von Bayern verschwand 788 der letzte Stammesherzog des fränkischen Reiches. D a aber die Stämme selbst weiterlebten, konnte i m Mittelalter das Stammesherzogtum wieder Bedeutung gewinnen. S i c k e 1, Das Wesen des Volksherzogtums, HZ. NF. 16 (1884) 407. Κ 1 e b e l , D A . 2 (38) 1. T e l l e n b a c h , K ö n i g t u m u. Stämme i n d. Werdezeit d. Deutschen Reiches (39). K l e w i t z , Das alamannische Herzogtum, i n Oberrheiner, Schwaben, Südalamannen (42) 79.

§ 28. Benefizialwesen und Vasallität (Lehen) I. D i e Vergabungen von Krongut, m i t dem die merowingischen Könige die geistlichen und weltlichen Großen zur Belohnung für geleistete Dienste oder aus politischen Erwägungen ausstatteten, erfolgten n u r ausnahmsweise zu freiem Eigentum 1 . I n der Regel und insbesondere bei laikalen Empfängern begründeten diese merowingischen Landschenkungen zwar eine propri etas, nicht n u r ein begrenztes dingliches Recht, aber dieses Eigentum war i m Sinne der 2

S c h l e s i n g e r , D i e Entstehung der Landesherrschaft (41) 42. Über die Unbeschränktheit späterer Schenkungen v. G 1 a d i fi. D A . 1 (37) 80. 1

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germanischen Schenkung beschränkt. Es war an die Person des Beschenkten gebunden und daher nicht nur unveräußerlich, sondern auch nur in engem Rahmen, meist nur im Mannesstamm, vererblich. Beim Fehlen männlicher Abkömmlinge fiel es an den Geber zurück. Als die Pippiniden zum Aufbau eines Reiterheeres, vielleicht auch zur Festigung ihrer innerpolitischen Stellung, weitere Vergabungen vornehmen mußten, zwang sie die Erschöpfung des Krongutes, kirchliches Gut in Anspruch zu nehmen2. Dieses konnte, weil nach kirchlichem Recht überhaupt unveräußerlich, auch nicht zu beschränktem Eigentum übertragen werden. Es standen rechtlich nur die Formen zur Verfügung, in denen die Kirche selbst Grund und Boden austat, die der Leihe, das precarium oder beneficium. Es konnte weiterverliehen werden, fiel aber mit dem Tode des Beliehenen nach Benefizialrecht an den Verleiher heim. Dieser Heimfall ist bei den hier in Frage stehenden Verleihungen durch besondere Maßnahmen ausgeschaltet worden. Tatsächlich hat sich die Inanspruchnahme des Kirchengutes jedenfalls teilweise nicht in der Form Rechtens vollzogen. Erst unter Pippin ist sie auf einen einheitlichen Rechtsboden gestellt worden. Die ausgegebenen Kirchengüter wurden durchweg als Leihegut behandelt, als precariae, deren Erzwingung in der Bezeichnung precariae verbo regis zum Ausdruck kam. Die Ungleichheit, mit der die einzelnen Kirchen betroffen waren, wurde durch die sogenannte divisio beseitigt. Der Rückfall des Gutes an die Kirche wurde ausgeschaltet, indem sich der König die Weiterverleihung vorbehielt. Spätestens Karl der Große, vielleicht schon Pippin, ordnete zur Entschädigung der Kirche die allgemeine Leistung des Zehnten von Staats wegen an und auferlegte den Inhabern der aus Kirchengut genommenen Leihegüter die Leistungen eines weiteren Zehntteils (also nona et decima) und eines Rekognitionszinses3. Nach dem Vorbild des beneficium aus Kirchengut ist dann auch Krongut vergeben worden, und auch Kirchen und weltliche Große haben sich dieser Form bedient 4 . II. Die Vasallität ist eine unter gallorömischem Einfluß stehende Weiterbildung grundlegender Gedanken der Gefolgschaft, in ihrem Kern also ein germanisches Institut. Sie hat ihren Namen von dem aus 2 D e r vielfach behauptete Zusammenhang der Heeresorganisation m i t den Araberkämpfen v e r l i e r t an Sicherheit, wenn die A r a b e r keine schweren Reiterheere hatten. Über die ganze Frage M i 11 e i s , Lehnrecht u n d Staatsgewalt (33) 124. D e r s . , D e r Staat d. hohen M A . 3 (48) 70. S a η c h e z A l b o r n o z , L a caballeria visigoda, Festschr. Dopsch (38) 92. 8 S t u t z , Das karolingische Zehntgebot, ZRG. 29 (08) 180. 4 Gegenstand des beneficium sind L a n d u n d Leute, nicht n u r Grundstücknutzungen, w i e K r a w i n k e l (s. u.) meint. Rentenlehen sind eine Ausnahme.

§ 28. Benefizialwesen und Vasallität (Lehen)

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dem Keltischen latinisierten W o r t vassus. Dieses bedeutet ursprünglich einen Diener, dann i m merowingischen Gallien auch einen Gefolgskrieger und erscheint i n dieser Bedeutung i m 8. Jahrhundert auch i n anderen Teilen des fränkischen Reiches. Sachlich löste die Vasallität die Gefolgschaft des Königs, den Antrustionat, und die der Großen ab, deren Mitglieder als gasindo bezeichnet werden. I m Gegensatz aber zu dem aristokratischen Antrustionat entstammte der # vassus der Hausdienerschaft, weshalb sich i n seinem Kreise Unfreie m i t Freien begegneten, die sich i n die K l i e n t e l (obsequium) eines H e r r n begeben und sich diesem untergeordnet hatten. Entsprechend der germanischen Gefolgschaft euerseits, der ursprünglichen Stellung des vassus anderseits, ist auch die Vasallität ein Schutz-, Dienst- u n d Treueverhältnis. D e r H e r r hat die Pflicht, den Vasallen zu schützen, der Vasall die Pflicht, dem H e r r n zu dienen. I m Vordergrund der Dienstpflicht steht nach der Absicht der Parteien, wie f ü r die rechtsgeschichtliche Betrachtung, der Kriegsdienst. Er w a r als Reiterdienst zu leisten, wenn der H e r r den Vasallen als Reiter ausrüstete oder durch Verleihung eines Grundstücks i n den Stand setzte, sich selbst auszurüsten. Durch solche Leihe erfüllte der H e r r zugleich seine Pflicht, dem Vasallen Unterhalt zu gewähren. Doch waren nicht alle Vasallen abgeschichtet; ein T e i l lebte vielmehr dauernd am Hofe (austaldi). D e r Vasall schuldete ferner Hofdienst, der für die nicht am Hofe lebenden Vasallen die Pflicht der Hoffahrt i n sich schlofi. I m übrigen erstreckte sich die Dienstpflicht nach dem W i l l e n des H e r r n auf alle Dienste, die einem Freien zugemutet werden können. D i e ethische Grundlage des Verhältnisses war die gegenseitige Treuepflicht. D i e Eingehung der Vasallität erfolgte i n symbolischen Formen. D e r Vasall übergab sich der schützenden Gewalt des Herrn, indém er seine Hände i n die des H e r r n legte (Kommendation, se commendare), und leistete i h m den Treueid. D e r H e r r nahm die Kommendation an, w o m i t ein personenrechtlicher Vertrag zustande kam. E r lohnte die Kommendation und symbolisierte seine Unterhaltspflicht durch eine Gabe, meist Waffen und Streitroß. Das Verhältnis der Vasallität ist unkündbar, solange beide Teile ihrer Treupflicht genügen. Es ist aber auch höchstpersönlich, muß daher bei Tod des H e r r n (Herrenfall) w i e bei T o d des Vasallen (Mannfall) enden. I I I . D e r regelmäßige Zweck der Vasallität, die Begründung der Reiterdienstpflicht, u n d die Pflicht des Herrn, den Vasallen hierzu auszurüsten, w i r k t e n zusammen zu einer Verschmelzung der personenrechtlichen Vasallität m i t dem sachenrechtlichen Benefizium. Es

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wurde seit Pippin Regel, Vasallen mit Benefizien auszustatten und Benefizien gegen Übernahme vasallitiseher Pflichten zu geben. Vasallen ohne Benefizien traten ebenso in den Hintergrund wie Benefizien in der Hand von Nichtvasallen. Das vasallitische beneficium erwuchs so zu einer selbständigen Art der Grundleihe, dem ritterlichen Lehen, für das dann in der weltlichen Rechtssprache die Bezeichnung als beneficium, später als feudum Regel wird 5 . In ihm durchdringen «ich Vasallität und Benefizium mit der Wirkung gegenseitiger Abhängigkeit. Seine Besonderheiten stammen folgerichtig aus der Vasallität. Die Dienste des Lehnsmannes sind immer nur ritterliche, eines Freien würdige. Das Lehensverhältnis endet ursprünglich bei Herrenfall und Mannfall 6 . Noch in fränkischer Zeit beginnt die Weiterentwicklung des Lehens, die seiner Rolle kn mittelalterlichen Staat den Boden bereitet. Sie entnimmt ihre Antriebe der dinglichen Seite. Die bei der Grundleihe sich anbahnende Erblichkeit greift auf das Lehen über. Der aus der Vasallität entspringende Widerstand wird dadurch überwunden, daß das persönliche Verhältnis bei Herrenfall wie bei Mannfall neu begründet werden muß, also bei seiner begrifflichen Unvererblichkeit beharrt. Das gleichgerichtete Interesse der Beteiligten an der Fortsetzung des Verhältnisses greift dabei unterstützend ein, bis schließlich der Leihezwang die Erneuerung des Verhältnisses wenigstens für den Herrn zur Rechtspflicht gestaltete. Nicht minder wichtig ist die Erweiterung des Leihegegenstandes. Dieser änderte sich noch nicht, als man dazu überging, das gräfliche Amtsgut, die pertinentia comitatus, nach Benefizialrecht zu übergeben. Er wurde aber entscheidend anders, als man das Amt des Grafen und sodann auch andere Ämter als Gegenstand des Lehens behandelte. R o t h , Geschichte des Benefizialwesens (1850). D e r s . , Feudalität u n d Untertanenverband (1863). W a i t z , A b h d l . z. d. V. u. RG. (1896) 178, 318. B r n n n e r , D i e Landschenkungen der Merowinger u n d der A g i l o l finger, SbAk. B e r l i n 1885, 1173 ( = Forschungen 1). D e r s . , Reiterdienst (s. z. § 26). D e r s . , Zur Gesch. d. Gefolgswesens, ZRG. 9 (1888) 213. F u s t e l d e C o u l a n g e s , Les origines du système féodal (1890). S t u t z , Lehen und Pfründe, ZRG. 20 (1899) 213. G u i l h i e r m o z , Essai sur l'origine de l a noblesse en France au moyen âge (02). C a l m e t t e , Le comitatus germanique et la vasallité, RH. X X V I I I (04) 501. E. M a y e r , Entstehung der Vasallität u n d des Lehnwesens, Festg. Sohm (14). v. B e l o w , D e r deutsche 5 Der Ausdruck feudum (zu ahd. fihu) ist erst seit 916 sicher nachweisbar. Zum W o r t selbst vgl. K l u g e , Etymol. Wörterbuch 1 4 (1948) s. v. D i e von K r a w i n k e l , Feudum (38) vertretene A b l e i t u n g von fiscus ist i r r i g ; vgl. Mitteis, ZRG. 59, 346; Klebel, D A . 3, 286. 8 D i e hier vertretene, herrschende Anschauung von der Entstehung des Lehnwesens durch Verbindung der ursprünglich getrennten Institute der Vasallität u n d des Benefizialwesens w i r d bestritten von D o p s c h . Dagegen v. V o l t e l i n i , VjsSWG. 16 (22) 292. ν. S c h w e r i n , ZgesStWiss. 80 (25/26) 721.

§ 29. Grundherrlichkeit und Immunität

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Staat des M A . I (14) 231, 327. D u m a s , Fidèles ou vassaux, R H . X L I Y (20) 159, 347. D o p s c h , Wirtschaftsentwicklung I 2 227, 294. D e r s . , Grundlagen I I 2 305. D e r s . , D i e ieudes u n d das Lehnwesen, M Ö I G . 4 1 (26) 35. D e r s . , Benefizialwesen u. Vasallität, ebda. 46 (32) 1. M i t t e i s , Lehnrecht u n d Staatsgewalt (33; dazu v. Zwiedineck, JbNSt. 143 [36] 1; Kienast, HZ. 158 [38] 3). S t u t z , „ R ö m e r w e r g e i d " u. „ H e r r e n f a l l " (34). K r a w i n k e l , D i e Entstehung des Lehnwesens (36; dazu Klebel, D A . 1, 560; v. Schwerin, HZ. 160, 347). G a n s h o f . Notes sur les origines de l ' u n i o n du bénéfice avec la vassalité, Études Pirenne (37). D e r s . , Benefice and vassalage i n the age of Charlemagne, Cambridge Hist. Journ. 6 (29) 147. D e r s . , Qu'est ce que la féodalité? 2 (47). Β 1 ο c h , L a société féodale I — I I (39/40).

§ 29. Grundherrlichkeit und Immunität I. Der in der fränkischen Zeit sich mehrende Großgrundbesitz hatte die Ausdehnung der Grundleihe im unmittelbaren Gefolge und damit die Entstehung einer auf ihm angesiedelten Schicht von Hintersassen, die kraft des Leiheverhältnisses wirtschaftlich und sachenrechtlich abhängig waren (vgl. § 161). Die unfreien und halbfreien Hintersassen befanden sich zudem in der gleichen personenrechtlichen Abhängigkeit, der auch die nicht angesiedelten Angehörigen dieser Stände unterworfen waren. Sie standen unter der persönlichen Herrschaft des Leiheherrn, der ihr zufolge nicht nur Großgrundbesitzer, sondern Grundherr (Leibherr) war. Diese Herrschaft griff allmählich über den Kreis der nicht Vollfreien hinaus und erfaßte auch Freie, die ein Gut zur Leihe hatten. Frei von ihr blieben diejenigen, die das Leihegut als vasallitisches Benefizium innehatten, mit dem sich eine andere Art von personenrechtlichem Verhältnis verband 1. So wurde die Grundherrschaft zu der wichtigsten Kraft in dem soziologischen Prozeß der Angleichung von Freiheit und Unfreiheit. Die Grundherrlichkeit findet sich im germanischen wie im gallorömischen Teil des Reiches. Sie trägt aber hier und dort ein völlig verschiedenes Gepräge. Im germanischen Bereich verbindet sich mit der Herrschaft des Grundherrn seine Schutz- und Vertretungspflicht. Dies entspricht dem Herauswachsen der Fronhofsverhältnisse aus der Hausgenossenschaft, demzufolge auch der Fronhofsverband als familia bezeichnet wurde 2 . Die Hintersassen sind Schutzhörige, für die der Herr haftet, in der Sprache der merowingischen Zeit homines unde mithio (Antwort) redebet oder auch sperantes, später nur noch 1 I n w i e w e i t etwa auch größere Zinsgüter, die an Freie ausgetan waren, der Grundherrlichkeit sich zu entziehen vermochten, muß dahingestellt bleiben. 2 Insoweit die Übernahme eines Leihegutes durch einen Freien i n früherer Zeit die Einordnung i n den Schutzverband nicht ohne weiteres nach sich zog, konnte das Schutzverhältnis w o h l durch besondere Kommendation begründet werden.

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homines commanentes oder homines schlechthin. Der Schutz machte sich geltend, wenn der Schutzhörige in Anspruch genommen wurde. Dann mußte der Herr für ihn die Verantwortung selbst als eigene tragen, also gegebenenfalls selbst büßen, oder den Schutzhörigen dem öffentlichen Gericht stellen und dort vertreten. In jenem Fallç schützt die Haftung des Herrn den Schützling vor dem Zugriff Dritter, in diesem stärkt die Vertretung vor Gericht die Verteidigung des selbst Haftenden 3. Bei Klagen vor dem öffentlichen Gericht bestand ebenfalls ein Anspruch auf Verbeiständung durch den Herrn. Mit dieser Haftung des Grundherrn wie mit seiner Herrschaft steht in engem Zusammenhang die rechtsgeschichtlich wichtigste Erscheinung innerhalb der Grundherrlichkeit, nämlich die grundherrliche Gerichtsbarkeit. Sie hat ihre Wurzel in der Befugnis des Herrn, Streitigkeiten seiner Unfreien zu schlichten und Verbrechen von Unfreien gegen Unfreie zu strafen. Diese Hausgerichtsbarkeit erweitert sich, indem sie sich nicht nur auf halbfreie, sondern auch auf die freien Hintersassen ausdehnt. Von entscheidender Bedeutung aber wurde es, daß sich außerhalb des Fronhofes stehende Personen bei Rechtsstreiten mit Hintersassen an den Grundherrn wandten und seine Entscheidung herbeiführten. Denn hiermit trat das grundherrliche Gericht in offenen Wettstreit mit dem staatlichen, wenngleich ein Zwang für Dritte, sich an das grundherrliche Gericht zu wenden, nicht bestand. Diese Entwicklung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit führte zu einer gewissen Ähnlichkeit mit den Verhältnissen im gallorömischen Gebiet. Dort übten die Grundherren (homines potentes) selbst oder durch ihre Beamten eine Gerichtsbarkeit in causae minores der auf ihren Gütern (potestates) ansässigen Personen aus. Diese hat aber ihren geschichtlichen Grund wohl darin, daß die Grundherren schon in römischer Zeit als niedere Richter (assertores pacis) ( gleich dem defensor civitatis vom Staat bestellt waren. In fränkischer Zeit ist diese Gerichtsbarkeit der grundherrlichen der germanischen Teile angeglichen worden, dürfte anderseits deren Wachstum gefördert haben. II. Mit der Grundherrlichkeit berührt sich tatsächlich, rechtlich und geschichtlich die sie an Bedeutung für die Folgezeit weit übertreffende Immunität. Diese reicht in das römische Reich zurück und bedeutete dort Freiheit von Steuern und öffentlichen Fronden, die den kaiserlichen Domänen, aber auch Kirchen und besonders privilegier8 A u f der H a f t u n g beruht geschichtlich die Präsentationspflicht des H e r r n auch i n den Fällen, i n denen an Stelle der Herrenhaftung eine primäre H a f t u n g des Hintersassen eingetreten ist. Sie ist aber eine öffentlichrechtliche Pflicht.

§ 29. Grundherrlichkeit und Immunität

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ten Untertanen zukam. D i e fränkische immunitas (emunitas) w a r dementsprechend schon i n früher Zeit eine gleichartige Vorzugstellung des fränkischen Königsgutes. N u r wenig j ü n g e r ist der E r w e r b der I m m u n i t ä t durch königliches P r i v i l e g seitens der Kirchen, der bis i n das 9. Jahrhundert jedenfalls allen größeren Kirchen gelungen ist. I m m u n i t ä t erwarben aber auch Laien dadurch, daß sie aus Königsgut beliehen wurden, und dieses als dauerndes Eigentum des Königs seine immune Stellung behielt. D e r I n h a l t der I m m u n i t a t hat sich i m Laufe der fränkischen Zeit wesentlich verändert. Gerade diese Veränderungen sind es, auf denen die geschichtliche Bedeutung der I m m u n i t ä t beruht. Dabei ist zweierlei zu unterscheiden: die Befreiung des Immunitätsgebietes von staatlicher Gewalt und die Überlassung staatlicher Gewalt an die Immunität. Jene erfolgt durch Verbote, die i n den Immunitätsprivilegien gegenüber den königlichen Beamten ausgesprochen werden. Diesen w i r d untersagt, 1. das Immunitätsgebiet i n amtlicher F u n k t i o n zu betreten (Verbot des introitus), 2. i m Immunitätsgebiet Abgaben zu erheben oder öffentliche Frondienste zu fordern (Verbot der exactio) 4 , 3. gegen Immunitätsleute unmittelbar Zwangsgewalt anzuwenden (Verbot der districtio). Durch dieses dreifache Verbot w a r das Immunitätsgebiet und waren die Immunitätsinsassen dem unmittelbaren W i r k e n der königlichen Beamten weitgehend entzogen. Soweit Maßnahmen gegen Immunitätsleute noch zulässig waren, bedurfte es der V e r m i t t l u n g des Immunitätsherrn. D i e Überlassung staatlicher Gewalt w i r k t e sich aus i n der Immunitätsgerichtsbarkeit. Sie fehlte i n der merowingischen Zeit. Unter den K a r o l i n gern w a r sie insoweit gegeben, als es sich u m Streitigkeiten handelte, i n denen n u r Geldleistungen f ä l l i g wurden, Friedensgelder und Bußen. Schwere Kriminalsachen, Freiheits- und Immobiliarprozesse waren ausgeschlossen. D i e Gerichtsbarkeit des Immunitätsherrn deckte sich somit i m wesentlichen m i t der des Zentenars. I m Verhältnis zur grundherrlichen Gerichtsbarkeit stellte sie höchstens insofern eine Erweiterung dar, als sie auch die freien Leute umfaßte. Ihre Anerkennung aber durch den Staat bedeutete die Einordnung der privaten grundherrlichen Gerichtsbarkeit i n die staatliche Verfassung und erscheint so als eines der Mittel, durch die die Karolinger das Staatsgefüge zu stärken suchten. D i e bei der Ausübung der Gerichtsbarkeit fällig werdenden Geldleistungen fielen an den Immunitätsherrn, dem auch die sonstigen Abgaben der Immunitätsleute zukamen. 4 Ausgenommen waren wie bei der römischen immunitas Brücken- u n d Wegebau, ferner Wachdienst u n d Heerdienst.

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E i n Zusatz zur« I m m u n i t ä t ist der Sonderfriede, den die kirchlichen Immunitätsgebiete seit 806 allgemein genossen. D i e noch später einsetzenden Versuche, das Immunitätsgebiet abzurunden und die Gerichtsbarkeit zur Hochgerichtsbarkeit zu steigern, leiten zum M i t t e l alter über u n d sind dort zu behandeln (vgl. § 55). I I I . Grundherr und Immunitätsherr konnten die ihnen zustehende Gerichtsbarkeit selbst ausüben oder durch einen Beamten, der als iudex, agens, später auch als advocatus bezeichnet wurde. Außer seiner Tätigkeit als Richter (Gerichtsvogt) konnten i h m audi w i r t schaftliche u n d sonstige Verwaltungsaufgaben innerhalb der Immunität übertragen sein. I h m oblag ferner die Vertretung der H i n t e r sassen vor dem öffentlichen Gericht. Auch diese Vögte suchten die Karolinger i n den staatlichen Bereich zu ziehen, indem sie Bestallung vor dem Grafen anordneten, einen Treueid der Vögte forderten und sie der Aufsicht der Königsboten unterstellten. Verschieden von diesen Gerichtsvögten sind den Aufgaben nach die Vögte, durch die sich die Kirchen selbst i n karolingischer Zeit vor Gericht vertreten lassen mußten (Vogtzwang). Sie üben die Vogtei zum Schutz der Kirche (Schirmvogt). D e r Schirmvogt wurde von der Kirche bestellt, sofern sich nicht i h r Gründer diese Vogtei vorbehalten hatte. L. M a u r e r , Fronhöfe (s. § 16). G. M e y e r , D i e Gerichtsbarkeit über Unfreie u. Hintersassen, ZRG. 2 (1881) 83. 3 (1882) 102. B r u n n e r , M i t h i o u. Sperantes, Festg. Beseler (1885 = Abh. I 209). D e r s . , Erbpacht der Formeln von Angers u n d Tours, ZRG. 5 (1884) 73 ( = Forsch. 661). S i e k e l , D i e Privatherrschaften i m fränk. Reiche, WZ. 15 (1896) 111. 16 (1897) 47. S e e 1 i g e r , D i e soziale u. polit. Bedeutung der Grundherrschaft i m früheren M A . (03). D e r s . , H V . 8 (05) 305. 10 (07) 305. S t e n g e l , G r u n d h e r r schaft u. I m m u n i t ä t , ZRG. 25 (04) 286. D e r s . , D i e I m m u n i t ä t i n Deutschl a n d bis zum Ende des l l . J a h r h . I (10). R i e t s c h e l , Landleihen, Hofrecht u n d I m m u n i t ä t , M I Ö G . 27 (08) 385. v. V o l t e l i n i , A Ö G . 94 (07) 311. D o p s c h , Wirtschaftsentwicklung I 2 (21) 149, 231. I I 1 (13) 90. D e r s . , Grundlagen I I 2 111, 286. B r u n n e r , L a n d u. H e r r s c h a f t 4 (44). K r o e l l , L ' i m m u n i t é franque (10). v. B e l o w , (s. § 28) 252. — G a n a h l , Studien zur VG. der Klosterherrschaft St. Gallen (31). S e n n , L ' i n s t i t u t i o n des avoueries ecclésiastique en France (03). K r o e l l , a. a. O. 264. H e i l m a n n , D i e Klostervogtei (08). W a a s , Vogtei u n d Bede I (19). D o p s c h , Wirtschaftsentwicklung I I 1 (13) 100, 122.

§ 30. D i e Kirche D i e Stellung der Kirche i m fränkischen Reich verdankt ihre Eigenart dem Umstand, daß sie nicht nur das Ergebnis des Kräfteverhältnisses von Kirche und Staat und des beiderseitigen Machtwillens ist, sondern mitbestimmt w i r d durch die Erscheinung der Eigenkirche. I. D i e Eigenkirche ist eine Kirche, die sachenrechtlich i m Eigentum, hinsichtlich des an i h r tätigen Geistlichen unter der Eigenherrschaft

§ 30. Die Kirche

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einer Person steht, die i n der Regel Laie ist, jedenfalls ihre Rechte gegenüber der Kirche nicht aus ihrer kanonischen Stellung ableiten kann. Sie steht i n schärfstem Gegensatz zu der römisch-kanonischen Ordnung, derzufolge alles Kirchengut unveräußerliches Eigentum der Bischofskirche ist und alle Geistlichen der Diözese dem Bischof unterstellt sind. D e n M i t t e l p u n k t des Eigenkirchenvermögens b i l dete der A l t a r g r u n d m i t dem A l t a r , zu dem das Kirchengebäude, Pfarrhaus, Einrichtung, Zehnten usw. i m Verhältnis des Zubehörs standen und m i t jenem ein dem Eigenkirchenherrn zustehendes Sondervermögen darstellten. D e r Eigenkirchenherr w a r i n der Regel Grundherr, die Eigenkirche daher eine Begleiterscheinung der Grundherrschaft. Sein dingliches Redit beruhte auf der Erstellung der Kirche auf eigenem G r u n d und Boden, und es w a r n u r die rechtliche Folge seines fortbestehenden Eigentums, daß er auch fernerhin die Nutzungen zog, wie insbesondere die bei der Kirche anfallenden Stolgebühren und Zehnten 1 . Seine persönliche Herrschaft w a r ursprünglich, wenn er einen seiner Unfreien als Geistlichen anstellte, beruhte auf Vertrag, wenn dieser ein Freier w a r 2 . D i e christliche Eigenkirche entspricht dem germanischen Eigentempel der heidnischen Zeit. Dies e r k l ä r t es, daß sie schon bei den arianischen Germanenstämmen a u f t r i t t und sich auch bei den römischkatholischen durchsetzt. I m fränkischen Reich überragen die Eigenkirchen an Zahl diejenigen, die unter der Herrschaft des Bischofs standen. Es waren Kirchen einzelner Grundherren u n d v o r allem des Königs als des größten unter ihnen. W i e Eigenkirchen gab es auch Eigenklöster i m Gegensatz zu den körperschaftlich aufgebauten römischen Klöstern. D i e Ausdehnung des Eigenkirchengedankens ging soweit, daß auch die Bischöfe dazu übergingen, die ihrer kanonischen Herrschaft verbliebenen Kirchen als Eigenkirchen zu behandeln. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts begann unter dem Einfluß von Bonifatius eine bis i n das 9. Jahrhundert dauernde Eigenkirchengesetzgebung, die gleich einer römischen Synode von 826 (Eugen II.) das Eigenkirchenwesen als solches anerkannte, aber die kirchlich anstößigsten Erscheinungen zu beseitigen suchte. Verboten wurde die Teilung des Kirchengutes, die Anstellung von Unfreien als Geistlichen u n d die w i l l k ü r l i c h e Absetzung. D e r Einsetzung sollte der Bischof zustimmen, der Geistliche diesem rechenschaftspflichtig und synodalpflichtig sein. D i e Kirche wurde dem Geistlichen zu Benefizialrecht verliehen. 1 Über die Auffassung der Eigenkirche als eines Unternehmens Ο ρ ρ i k o f e r , Das Unternehmensrecht (27). Dazu H . M e y e r , ZRG. 48, 540. 2 Über das spätere Schicksal der Zehnten neuerdings Κ 1 e b e 1, ZRG. Kan. 27 (38) 234.

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I I . Die fränkische Zeit

I I . I n der Merowingerzeit w a r die fränkische Kirche Landeskirche. Sie unterstand als Organisation nicht dem Papst, sondern dem König. D i e Besetzung der Bistümer unterlag seinem entscheidenden Einfluß. Soweit er sie nicht selbst vornahm, sondern den Bischof entsprechend den kanonischen Vorschriften von Klerus u n d V o l k wählen ließ, w a r die Konsekration des Gewählten von seiner Zustimmung abhängig. D i e kirchlichen Synoden w u r d e n vom K ö n i g berufen und geleitet, ihre Beschlüsse nur durch königliche Bestätigung weltlich wirksam. Unter den Karolingern verbanden sich die von Bonifatius betriebene Wiederaufrichtung der i n Verfall geratenen Barche und i h r Aufbau i m ostrheinischen Gebiet m i t ihrer Unterordnung unter Rom. Sie erfolgte allerdings n u r i n der Weise, daß der Papst als der erste Reichsbischof angesehen wurde, der dem König einen Treueid, seit 824 einen Amtseid zu leisten hatte. D i e Verbindung des Staates m i t der Kirche w u r d e noch enger i n der F o r m des Staatskirchentums. Staat und Kirche w u r d e n vom König geleitet, der Aufgabenkreis der Kirche vom Staat als eigener übernommen. D i e Bischöfe, die n u r noch k r a f t Privilegs gewählt werden konnten u n d auch dann der königlichen Bestätigung bedurften, w u r d e n zu Reidisbeamten und als Gesandte u n d Königsboten m i t weltlichen Aufgaben betraut. Synode und Reichstag konnten auch gemeinsam verhandeln und entscheiden. D e r K ö n i g handhabte die Gesetzgebung auch i n kirchlichen Angelegenheiten, u n d K a r l der Große entschied sogar i n Glaubenssachen3. D e r unter K a r l dem Großen auf dem Höhepunkt stehenden A n spannung des königlichen Kirchenregiments folgte schon unter Ludw i g I. ein merkliches Vordringen der kirchlichen Gewalt. Es ging von dem Grundsatz der Uberordnung der Kirche über den Staat aus, fand i n Nikolaus I. einen zielbewußten Vertreter und i n den etwa gleichzeitigen Fälschungen, der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita, den pseudoisidorischen Dekretalen und den Capitula A n g i l r a m n i eine literarische Stütze 4 . Daß gleichwohl wesentliche Erfolge nicht erreicht wurden, hängt m i t der H i l f e zusammen, die dem K ö n i g das Eigenkirchenwesen bot. Schon früh waren zahlreiche Klöster von den Königen als Eigenklöster gegründet worden, und diese erfuhren bei der Einziehung des Kirchenguts eine beträchtliche Vermehrung. Sie w u r d e n vom K ö n i g frei vergeben, insbesondere zur Versorgung von Mitgliedern der königlichen Familie verwendet. D e r A b t w u r d e vom König eingesetzt, oft auch ein Laie (Laienabt). Das Kloster hatte dem K ö n i g servitia zu leisten, i h n zu be3 Gegen die Überschätzung von Nikolaus I. neuerdings H a l l e r , u. Pseudoisidor (36). 4 Dazu richtig F i n s t e r w a l d e r . HJB. 56, 419.

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§ 31. Strafrecht

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h e r b e r g e n , Jahresgeschenke z u g e b e n , T r u p p e n z u s t e l l e n . D e m e n t s p r e c h e n d w u r d e n a b e r auch d i e g l e i c h a r t i g e n Rechte, d i e d e r K ö n i g gegenüber den Bistümern u n d anderen A b t e i e n k r a f t königlicher G e w a l t a u s ü b t e , a l s o k r a f t ö f f e n t l i c h e n Rechts, l e i c h t z u e i g e n k i r c h e n r e c h t l i c h e n u m g e d e u t e t . D i e F o l g e w a r , d a ß schon i n d e r z w e i t e n H ä l f t e des 9. J a h r h u n d e r t s B i s t ü m e r d u r c h Ü b e r r e i c h u n g des Bischofsstabes i n d e r F o r m d e r L e i h e d e r D o m k i r c h e ü b e r t r a g e n u n d so a l l m ä h l i c h auch d i e h ö h e r e n K i r c h e n als E i g e n k i r c h e n des K ö n i g s behandelt w u r d e n . D e s h a l b mußte der K a m p f der Kirche gegen den S t a a t als e i n K a m p f g e g e n d i e E i g e n k i r c h e d u r c h g e f ü h r t w e r d e n , was a b e r erst i m M i t t e l a l t e r a u f k i r c h l i c h e r Seite k l a r g e n u g e r k a n n t wurde. I I I . D i e K i r c h e als solche w u r d e nach r ö m i s c h e m R e c h t b e u r t e i l t (ecclesia v i v i t lege r o m a n a ) , d e r e i n z e l n e K l e r i k e r n a c h s e i n e m S t a m m e s r e c h t , a b e r u n t e r E r h ö h u n g seines a n g e b o r e n e n W e r g e i d s . D i e K r i m i n a l g e r i c h t s b a r k e i t w a r i n höchst v e r w i c k e l t e r Weise z w i s c h e n g e i s t l i c h e u n d w e l t l i c h e I n s t a n z e n a u f g e t e i l t , d i e F o l g e eines A u s g l e i c h s z w i s c h e n d e m S t a a t u n d d e m S t r e b e n d e r K i r c h e , sie g a n z in ihre H a n d zu bekommen. E. L ö η i η g , Gesch. des deutschen Kirchenrechts I I (1878). H i η s c h i u s , Kirchenrecht I I (1878) 517, 522, I I I (1883) 539, 547, 699, 702, I V 2 (1888) 849. W e r m i n g h o f f , YG. d. deutschen Kirche i m M A . 2 (13). H a u c k , KG. Deutschlands I s (04). I I s (12). S t u t z , Gesch. des kirchlichen Benefizialwesens I 1 (1895). D e r s . , D i e Eigenkirche als Element des m i t telalterlich-germanischen Kirchenrechts (1895). D e r s . , Eigenkirche, Eigenkloster i n Haucks Realenzyklopädie 3 EB. (12). D e r s . , ZRG. Kan. 26 (37) 1. F e i n e , Studien z. langobardisch-italischen Eigenkirchenr., ZRG. Kan. 30 (41) 1. 31 (42) 1. 32 (43) 64. T o r r e s , E l origen del sistema de iglesias proprias, A H D E . Y (28) 83. M i 11 e r e r , D i e bischöfl. Eigenklöster i n d. bayr. Diözesen (29). T e l l e n b a c h , D i e bischôflich-passauisàen Eigenklöster (28). v. S c h u b e r t , Staat u n d Kirche i n den arianischen Königreichen u. i m Staate Chlodwigs (22). C a s p a r , P i p p i n u. die römische Kirche (14). Y o i g t , D i e karolingische K l o s t e r p o l i t i k (17). N o t t a r p , D i e Bistumserrichtung i n Deutschland i m 8. Jahrh. (20). S c h u r , K ö n i g t u m u n d Kirche i m ostfränkisch. Reich (31). Y o i g t , Staat u. Kirche von Constantin d. Großen bis z. Ende d. Karolingerzeit (36). B a r i o n , Das fränkisch-deutsche Synodalrecht d. F r ü h M A . (31).

5. Strafrecht und Rechtsgang 9 31. S t r a f r e A t D i e W e i t e r e n t w i c k l u n g des S t r a f r e c h t s b e r u h t v o r a l l e m a u f E i n f l u ß des C h r i s t e n t u m s u n d d e r E r s t a r k u n g d e r s t a a t l i c h e n w a l t . D a n e b e n m a c h t sich, k a u m o h n e E i n f l u ß d e r K i r c h e , e i n e f e i n e r u n g i n d e r p s y c h o l o g i s c h e n E r f a s s u n g des s u b j e k t i v e n

dem GeVerTat-

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I I . Die fränkische Zeit

bestandes des Verbredlens geltend, die zu einer stärkeren Berücksichtigung des Willens des Täters führt. I. Auch das fränkische Strafrecht hält an der Erfolgshaftung fest. Sie wird aber aufgelockert durch eine Erweiterung des Kreises der Ungefährwerke unter gleichzeitiger Ersetzung strafrechtlicher Haftung durch zivilrechtliche und durch eine Ahndung des verbrecherischen Willens bei Fehlen des gewollten schädlichen Erfolgs. Diesem Zwedte diente die Anerkennung sogenannter Versuchsverbrechen wie Wassertauche, Giftgeben, Messerzücken, denen Anstiftungsverbrechen (ζ. B. Dingen zum Mord) und bestimmte Beihilfehandlungen zur Seite traten. Auch wurde die Zahl dçr Delikte vermehrt, bei denen der verbrecherische Wille begriffswesentlich war (ζ. B. wissentlicher Meineid). In all dem aber liegt keine grundsätzliche Abkehr von der Einstellung auf den äußerlich sichtbaren Erfolg, die sogar in der Behandlung der Verbrechenskonkurrenz besonders deutlich wird. Die Verbrechenstatbestände haben eine Erweiterung erfahren durch die Aufnahme des Meineids, bestimmter Zauberhandlungen und des gegen den König gerichteten Hochverrats. Die Tötungsdelikte wurden allmählich umgebildet, indem sich der Mord aus verheimlichter Tötung zur heimlichen, dem Meuchelmord, entwickelte, und der vermessentlich (sine causa, ex levi causa) begangene Totschlag von dem im Affekt (se defendendo, aliqua necessitate cogente) begangenen geschieden wurde. II. Die Verbrechensfolgen erfahren eine Umgestaltung aus den verschiedensten Gründen. Das Nebeneinander eines weltlichen und eines sakralen Strafrechts verschwindet. Dies hat nicht die Beseitigung der Todesstrafe zur Folge, aber die Beseitigung ihres Rituals. Aus ihm werden nun einzelne Leibesstrafen (z. B. Entmannung, Abhauen von Händen und Füßen) entnommen und durch andere ergänzt1. Erhalten bleibt auch die Friedlosigkeit (Acht), neben die aber Abspaltungen treten, wie Verbannung, Freiheitsverlust (Verstrickung, Strafhaft, Strafknechtschaft), Vermögenseinziehung und Preisgabe an den Verletzten. Eine räumlich beschränkte Acht ist die vom Grafen verhängte Bezirksacht. Die Anwendung dieser Unrechtsfolgen war zum Teil stark beschränkt. Die Friedlosigkeit trat nur noch im Ungehorsamsverfahren ein. Gegen die Todesstrafe und die Leibesstrafen richtete sich der 1 D i e H e r l e i t u n g einzelner peinlicher Strafen aus dem Vollzug der Todesstrafe ist nicht unbestritten. Vgl. B r u n n e r - v . S c h w e r i n , RG. I I 2 763. R a d b r u c h (s. u.) denkt nicht ohne G r u n d an H e r l e i t u n g aus Knechtstrafen. Vgl. auch E b. S c h m i d t , Gesch. d. dtsch. Strafrechtspfieffe (47) S. 22.

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Widerstand der Kirche, so daß sie in den fränkischen Rechten stark zurücktraten. Soweit sie noch angedroht wurden, war fast durchweg eine Lösung durch Zahlung einer Geldsumme möglich2. Außerdem entwickelte die Kirche ein Asylredit, das den Verbrecher, der das Asyl (Kirche, Vorhof der Kirche, Haus des Priesters) erreicht hatte, vor der peinlichen Strafe schützte. Todesstrafen kamen infolgedessen fast nur bei handhafter Tat zur Anwendung. Unter diesen Umständen stehen Wergeid und Buße in den Volksrechten durchaus im Vordergrund 3 . Das Strafensystem ist fast ausschließlich ein Kompositionensystem. In der Buße vereinigten sich Privatstrafe und Schadenersatz. Die Karolinger haben versucht, den peinlichen Strafen wieder größeren Raum zu verschaffen, und in der Gesetzgebung für Sachsen kommt auch die Todesstrafe zum Zwecke der Christianisierung reichlich zur Anwendung. Doch scheint ein dauernder Erfolg dieser Bemühungen nicht erreicht worden zu sein. Erst der Karolingerzeit gehört eine arbiträre Bestrafung, nach Ermessen des Königs, an, die mit der Entwicklung der Infidelität zusammenhängt. Die Steigerung der Pflichten, die man mit dem Untertaneneid übernahm, Schloß eine Bestrafung mit der an sich auf Infidelität gesetzten Todesstrafe und Vermögenseinziehung aus. Auf der anderen Seite war die Verletzung der besonderen Treuepflicht der Beamten und Gefolgsgenossen schon immer mit dem Huldentzug, dem Verlust der königlichen Gnade bedroht, die dem König die Bestimmung der Folgen im einzelnen überließ, also ein Richten nach Gnaden zur Folge hatte. Nun wurde dieses auch in anderen Fällen der Infidelität üblich. III. Eine wesentliche Veränderung bahnt sich in der Stellung des Staates zur Verbrechensverfolgung an, der sie im Besitz gesteigerter Gewalt und in der Erkenntnis unmittelbarer Pflicht zur Aufrechterhaltung des Friedens in seine Hand zu nehmen und der des Verletzten zu entziehen sucht. Dabei macht sich mit geltend, daß die Verfolgung des Täters durch den Verletzten teils infolge sinkenden Gemeinschaftssinns, teils aus äußeren Gründen wie der Ungleichheit der Kräfte und der Ausdehnung des Gebietes nachgelassen hatte. Der Weg, der beschritten wurde, war zunächst eine Eindämmung der Fehde durch Verbot bestimmter Fehdehandlungen. Einengung des 2 Einen Zusammenhang dieser Lösung m i t der sühnbaren Friedlosigkeit k a n n man nur annehmen, wenn man die Lebensstrafen und Leibesstrafen überhaupt m i t i h r i n Beziehung setzt. 8 Zur B i l d u n g der Bußsätze i m allgemeinen vgl. oben § 12 A n m . 8. I h r e Höhe u n d deren E r k l ä r u n g sind seit längerer Zeit Gegenstand eines heftigen Streites, der wiederum m i t der Kontroverse über die fränkischen Münzverhältnisse zusammenhängt. Vgl. das Schrifttum zu § 16 A n m . 12 u n d zu § 26.

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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Kreises der von i h r betroffenen Personen und Zwang zum Abschluß einer Sühne. Außerdem w u r d e dem Verletzten verboten, sich wegen bestimmter Verbrechen, insbesondere Diebstahl, m i t dem Täter außergerichtlich zu vergleichen (Verbot der Taidigung), damit dieser nicht der Strafe und der Zahlung des Friedensgeldes entzogen wurde. Das Recht zu sofortiger Tötung des handhaften Täters w u r d e eingeschränkt. A u f der anderen Seite griff der Staat selbst durch Ausb i l d u n g des unten (§ 32) zu besprechenden Rügeverfahrens i n die Verbrechensverfolgung selbsttätig ein. S. Schrifttum zu § 12 u n d 18 (Eb. Schmidt, Schubert). O s e n b r ü g g e n , Das alamannische Straf r. (1860). D e r s . , Strafr. d. Langobarden (1863). F r e d e r i k s , Het oud-nederlandsch straf recht I (18). B l u m , Das Recht d. Frankenreichs i n seiner Stellung z. Dämonen-, Zauber- u. Hexenwesen (36). R a d b r u c h , Stand u. Strafrecht, Elegantiae iuris crimin. (38). G r o l l , Elemente des kirchlichen Freiungsrechts (11). S i e b o l d , Das Asylrecht d. röm. Kirche m i t bes. Berücksichtigung seiner Entwicklung auf german. Boden (30). K ö s t l e r , Huldentzug als Strafe (10). Κ . Β e y e r i e , Von der Gnade i m deutschen Recht (10). S c h r e u e r , D i e Behandlung d. Verbrechenskonkurrenz i n den Volksrechten (96). R i t t e r , Verrat u n d Untreue (42; dazu Bohne ZRG. 64, 502).

8 32. Rechtsgang Die Grundsätze des Rechtsgangs haben sich in fränkischer Zeit zunächst nicht verändert. Einzelheiten unterlagen jedoch den gleichen Einflüssen, die sich auch im Strafrecht geltend machten, dem des Christentums und dem des Wachsens der Staatsgewalt. Dieser zweite Einfluß griff allmählich auch in den Bereich des Grundsätzlichen über und führte zu einer Einschränkung des Verhandlungsprinzips. Von wesentlicher Bedeutung wurde die Einrichtung des Königsgerichts, das ebenso wie im materiellen Recht so auch -im Verfahren nicht an die Regeln des Volksrechts gebunden war und demzufolge zu Neuerungen übergehen konnte, die dann teilweise auch im volksgerichtlichen Verfahren Anwendung fanden. I. Das Verfahren der Volksgerichte erfuhr eine Änderung in seinem Gesamtaufbau, insofern im Laufe der Periode der Parteivertrag durch richterlichen Befehl oder durch einseitige Parteihandlung unter staatlicher Autorität ersetzt wurde. Der Parteiwille wurde als bewegende Kraft des Verfahrens mehr und mehr zurückgedrängt und vom Staatswillen abgelöst. An die Stelle des Streitgedinges trat die einseitige Ladung durch die Partei (männitio), die ihrerseits der Ladung durch richterlichen Befehl (bannitio) Platz machte. Die Aufforderung des Gegners zur Antwort und Eidesleistung wurde in gleicher Weise durch richterlichen Antwortbefehl und Eidesbefehl ersetzt, die Aufforderung an die Richter, zu urteilen, durch die rieh-

§ 32. Rechtegang

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terliche Urteilsfrage. Das Urteil selbst nahm den Befehl zur Leistung oder zum Abschluß des Urteilserfüllungsvertrags in sich auf. Allerdings traten diese Änderungen erst spät ein und zunächst wohl nur insoweit, als das Gericht unter dem Vorsitz eines königlichen Beamten abgehalten wurde. Sie sind Erscheinungen eines amtsrechtlichen Verfahrens, das sich vom volksrechtlichen und vom königsrechtlichen unterscheidet 1. Im Beweisverfahren hat sich der Parteieid als Beweismittel erhalten. Er wurde aber wie alle Eide christianisiert und auf Reliquien oder Evangelium abgelegt2. Auch machte sich Mißtrauen gegenüber der Eidhilfe geltend. Dies führte dazu, daß man dem Gegner des Beweisführers vielfach die Auswahl der Eidhelfer überließ (iuratores electi), allenfalls nur zur Hälfte (medii electi), oder die Eidhelfer nicht mehr mit gesamtem Mund, sondern einzeln schwören ließ. Das Erfahrungszeugnis hat unter fremdrechtlichem Einfluß sein Anwendungsgebiet etwas erweitert. Die Voraussetzungen der Zeugenfähigkeit wurden gesteigert, diese insbesondere an ein bestimmtes Mali von Vermögen gebunden. Dies sollte ebenso die Glaubwürdigkeit der Zeugen erhöhen, wie das seit Karl dem Großen vorgeschriebene, vor dem Eid vorzunehmende Verhör durch den Richter (discussiο testium). Seit Ludwig dem Frommen konnten Gegenzeugen aufgestellt werden, was bei widersprechenden Aussagen der Zeugenreihen zu Eid und Zweikampf zweier Zeugen, je eines aus jeder Reihe, führte. Als neues Beweismittel erscheint die Urkunde. Sie war als Königsurkunde unanfechtbar. Dagegen konnte die Privaturkunde angefochten werden. Geschah dies schlicht, ohne besondere Form, so mußten die Urkundszeugen die Richtigkeit der Urkunde bezeugen. Geschah es durch rechtsförmliche Urkundenschelte (Durchstoßung [transforatiol der Urkunde vor Gericht), so mußten die Zeugen (salisches Recht) oder Zeugen und Schreiber (ribuarisches Recht) die Richtigkeit der Urkunde durch Eid bekräftigen und allenfalls gegenüber den Zeugen des Gegners durch Zweikampf. Endlich 1 Nicht zu diesen amtsrechtlichen Änderungen gehört der Voreid, den der Kläger bei Erhebung der Klage zu leisten hatte. Sehr fraglich ist aber auch, ob er eine heidnische Klagebeteuerung abgelöst hat, da diese selbst nicht sicher bewiesen ist. 2 Vereinzelt haben sich heidnische Formen erhalten, wenn auch als Eide geringeren Wertes. So der Waffeneid, der friesische Vieheid, der unter Einsetzung des Vermögens (vgl. § 5 A n m . 3) m i t B e r ü h r u n g des Gewandes geleistet wurde, der E i d i n circulo et i n hasla, der als E i d auf E i d r i n g u n d Haselstab oder als E i d i n umhaselter Schwurstätte zu e r k l ä r e n ist. Über diese Streitfrage vgl. B r u n n e r - v . S c h w e r i n , RG. I I 2 571.

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kennen die fränkischen Rechte den Beweis durch Gottesurteile (Ordale), für die auch ein kirchliches Ritual geschaffen wurde 3 . Die Urteilsschelte mit folgendem Zweikampf konnte seit der Karolingerzeit ersetzt werden durch einen Rechtszug, das Angehén eines höheren Gerichts. Als solches kam das Königsgericht, im Stammesherzogtum das Herzogsgericht in Frage 4. Das Vollstreckungsverfahren wurde allmählich verstaatlicht. Die Pfändung durch den Gläubiger wurde in fast allen Rechten von der Erlaubnis (auctoritas) des Richters abhängig gemacht. Neben diese außergerichtliche Pfandnahme trat eine gerichtliche Auspfändung auf Grund Königsrechts (frankolat. strudis légitima = gesetzlicher Raub). Der Kreis der durch solche Pfändung erfaßbaren beweglichen Habe wurde überschritten durch die das unbewegliche Vermögen erfassende Fronung der karolingischen Zeit. Sie ist wie auch die außergerichtliche und mittelbar die gerichtliche Auspfändung aus der Friedlosigkeit erwachsen, aber in ihrer Ausgestaltung eng verbunden mit dem Königsrecht. Denn sie wurde dadurch vollzogen, daß das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Schuldners vom Grafen kraft seiner Banngewalt vorläufig für den Fiskus beschlagnahmt wurde (missio in bannum). Das gefronte Vermögen konnte binnen Jahr und Tag ausgelöst werden, verfiel dann aber diesem endgültig, soweit es nicht zur Befriedigung des Klägers erforderlich war. War eine Befriedigung des Gläubigers wegen Mangels an Vermögen nicht möglich, so konnte der zahlungsunfähige Schuldner ihm preisgegeben werden, sofern ihn nicht Dritte auslösten oder nicht er selbst sich in freiwillige Schuldknechtschaft begab. 3 I m Vordergrund stehen die Elementordale, der Kesselfang (iudicium aquae calidae = Herausholen eines Gegenstandes aus einem Kessel siedenden Wassers) u n d die Eisenprobe' (iudicium ferri candentis). Bei dieser mußte eirf Stück glühendes Eisen eine bestimmte Strecke i n bloßer H a n d getragen werden (Handeisen), oder es mußten neun glühende Pflugscharen barfuß überschritten werden (Pflugscharengang, i u d i c i u m vomerum). D e r Beweis w a r erbracht, wenn H a n d oder Fuß durch das heiße Element nicht versehrt wurden. W i 1 d a , A r t i k e l „ O r d a l i e n " i n Ersch u. Grubers Enzyklopädie. Κ ä g i , A l t e r u. H e r k u n f t d. german. Gottesurteils (1887). Ρ a t e t t a , Le ordalie (1890). K o n t i e r , D e r A n t e i l des Christentums an den Ordalien, ZRG. Kan. 2 (11) 200. P a p p e n h e i m , Über die Anfänge d. german. Gottesurteils, ZRG. 48 (28) 136. v. S c h w e r i n , Rituale f. Gottesurteile (33). D e r s . , Das Gottesurteil d. Poppo, ZRG. 58 (38) 69. D e r s . , Geschichtl. Gottesurteile, FF. 14 (38) 236. D e r hier ausgesprochene Gedanke magischer Bedeutung der Gottesurteile ist nunmehr i m einzelnen durchgeführt von E r 1 e r , D e r Ursprung der Gottesurteile, Paideuma 2 (42) 44. Vgl. dazu R e h f e l d t , ZRG. 63 (43) 394, sowie neuestens vor allem Ν o 11 a r ρ , Gottesurteile (49). 4 Über die bestrittene Frage der Rechtskraft fränkischer Urteile u n d die Streitbeilegung vgl. B r u n n e r - v. S c h w e r i n , RG. I I 484, 488, 687.

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I I . D i e Formen der Klage m i t dem Toten und der Klage gegen den toten Mann haben sich erhalten. Aus dem Spurfolge verfahren (s. § 11) entwickelte sich das Anefangsverfahren. Wer die i h m durch Diebstahl oder Raub abhanden gekommene Sache i m Besitz eines D r i t t e n fand, konnte sie i n der Weise für sich i n Anspruch nehmen, daß er sie unter Behauptung des unfreiwilligen Verlustes i n bestimmter F o r m anfaßte (ahd. anafangjan = anfassen). Dieser Anefang (intertiatio, mhd. fürfang) stand rechtlich einer Klageerhebung gleich und nötigte den Besitzer, sich wegen des Besitzes der Sache zu verantworten. Dies w a r nur möglich durch Berufung auf einen Gewähren, auf originären Erwerb und auf Erbgang. M i t dem sogenannten Zug auf den Gewähren machte der Besitzer geltend, daß er die Sache von einem D r i t t e n , eben seinem Gewährsmann (rib. fordro = Vormann, ahd. schub) rechtmäßig erworben habe. D a n n mußte er diesen Gewähren vor Gericht bringen oder (langob., sächs. Recht) den Kläger zu i h m führen. D e r i n Anspruch genommene Gewährsmann konnte sich auch seinerseits auf einen Gewähren berufen, nachdem i h m die Streitsache übergeben und der Anefang i h m gegenüber wiederholt war. D e r Anefangsbeklagte, dem der Gewährenzug mißlang, mußte die Sache an den Kläger herausgeben und die Diebstahlsbuße bezahlen 5 . D e r Kläger aber k a m zum Beweis seines Besitzrechts und konnte, wenn er diesen erbrachte, die Sache an sich nehmen. D e r Beweis des originären Erwerbs w a r i n der Regel Inzuchtbeweis des Inhalts, daß die Sache i m Hause des Beklagten entstanden und nie von i h m weggegeben worden sei. Eine Neubildung ist das Rügeverfahren der karolingischen Zeit. Es baut auf der inquisitio auf, der amtlichen Befragung von durch den Richter ausgewählten und beeideten Männern (iuratores, Rügegeschworene). D i e Frage richtet sich darauf, ob i n dem betreffenden Bezirk bestimmte Verbrechen begangen wurden, und wer ihrer verdächtig ist. D e r als vermutlicher Täter Gerügte mußte sich, da die Rüge die Bedeutung einer Klage hatte, durch Helfereid oder Gottesu r t e i l reinigen und wurde i m Falle des Mißlingens der Reinigung von Amts wegen bestraft. So w a r die inquisitio ein M i t t e l der amtlichen Verbrechensverfolgung. D i e Inquisitionsgewalt setzte besondere königliche Vollmacht voraus, die nördlich der A l p e n nur die Königsboten ohne weiteres hatten. Aus diesem Verfahren hat sich die englische A n k l a g e j u r y entwickelt 8 . 5 Spätere Rechte kennen eine wieweit sie schon der fränkischen 6 Besonderen Regeln folgt auch Immobiliarprozeß der fränkischen

Beschränkung des Gewährenzuges. InZeit angehörte, ist bestritten. der Immobiliarprozeß. H ü b η e r , D e r Zeit (1893).

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I I . Die fränkische Zeit

III. Das Verfahren im Königsgerieht und den von ihm abgeleiteten Gerichten des Pfalzgrafen und der Königsboten unterschied sich hinsichtlich der Form durch die Art der Ladung, die Möglichkeit der Stellvertretung, das Gerichtszeugnis und den Inquisitionsbeweis. Die Ladung erfolgte in der Regel durch einen dem Kläger zur Verfügung gestellten indiculus commonitorius, durch den dem Gegner befohlen wurde, den Kläger zu befriedigen oder vor dem Königsgericht zu erscheinen. Die volksrechtlich nicht zulässige Stellvertretung konnte jeder Partei im Falle eines Bedürfnisses gestattet werden 7. Das Gerichtszeugnis war ein Zeugnis des Gerichts über gerichltiche Akte, das in diesem Verfahren auch über Vorgänge im Volksgericht erhoben werden konnte. Seine Bedeutung lag in seiner Unanfechtbarkeit. Der Inquisitionsbeweis stellt sich als eine Anwendung der oben besprochenen inquisitio dar, als eine Befragung beeideter Inquisitionszeugen aus dem Kreise der mit dem festzustellenden Sachverhalt vermutlich vertrauten Personen. Der Spruch der Inquisitionszeugen war unanfechtbar 8. Der Inquisitionsbeweis ist die Wurzel der englischen Beweisjury und Urteilsjury. Siehe Schriftt. zu § 13. Dazu v. B e t h m a n n - H o l l w e g , a. dort a.O. I I (1873). S o h m , D e r Prozeß der L e x Salica (1867). R u t h , Zeugen u n d Eideshelfer i n d. deutschen Rechtsquellen d. M A . I (22). L é v y - B r u h l , Les témoins de la l o i Salique, TRG. I I I (22) 387. B r e ß 1 a u , Handbuch d. Urkundenlehre I 2 (12) 635. S e e l m a n n , D e r Rechtszug i m älteren deutschen Recht (11). B r u n n e r , Abspaltungen der Friedlosigkeit, ZRG. 11 (1890) 62 ( = Forsch. 444). P l a n i t z , D i e Vermögensvollstreckung i m deutschen ma. Recht I (12). S o h m , D i e Pfändung durch d. Gläubiger i m lang. u. fränk. Recht, Festg. Sohm (14). M i t t e i s , Studien zur Gesch. des Versäumnisurteils, ZRG. 42 (21) 137. — R a u c h , Spurfolge u. Anefang (08). G ο 1 d m a η η , ZRG. 39 (18) 145. 40 (19) 199. Β r u η η e r , Entstehung der Schwurgerichte (1872). D e r s . , Zeugen- u n d Inquisitionsbeweis, SbAK. W i e n 51 (1865 = Forsch. 88). D e r s . , Das Gerichtszeugnis u. die fränkische Königsurkunde, Festg. Heffter (1873 = A b h . I 417). D e r s . , Carta u n d Notitia, Comment, i n hon. Mommseni (1877) 583. R. S c h m i d t , H e r k u n f t des Inquisitionsprozesses (02). E. M a y e r , Geschworenengericht u n d Inquisitionsprozeß (16; dazu v. A m i r a , ZRG. 37, 527. Pappenheim, GGA. 1920, 129). D e r s . , Archiv f. Strafrecht 63, 353. M e y e r s , T r i a l b y j u r y , TRG. V I I (27) 361.

7 U m etwas anderes handelt es sich, wenn der K ö n i g einzelnen Personen das P r i v i l e g erteilte, sich vor jedem Gericht vertreten zu lassen. 8 Das K r o n g u t u n d viele Kirchen hatten das Privileg, auch an anderen Gerichten die Erhebung des Inquisitionsbeweises i n i h r e n Prozessen zu verlangen.

I I I · Das Mittelalter 1. Grundlagen § 33. Aufbau des Reiches — Lehnwesen I. Das deutsche Reich des Mittelalters erwuchs aus dem Zusammenbruch der Herrschaft Kaiser Karls I I I . durch die Vereinigung der rein deutschen Stämme u n d Fürsten, die 887/88 A r n u l f als K ö n i g huldigten, deren Geistlichkeit auf der Synode zu T r i b u r (895) dieses Königt u m anerkannte, die dann den Franken K o n r a d I. (911—18) und nach dessen Bestimmung den Sachsen Heinrich I. (919—36) zum K ö n i g wählten. So wurde die i n den Straßburger Eiden erstmals deutliche, wenn auch i m Vertrag zu Verdun nicht bestimmende Scheidung der Nationen zur Grundlage der Auflösung des karolingischen, des A u f baus des deutschen Reiches 1 . Dieser K e r n des Reiches, der seiner Herk u n f t nach zunächst noch ein regnum Francorum (Francia orientalis) hieß, seiner Zusammensetzung aus gleichberechtigten deutschen Stämmen gemäß ein regnum Teutonicum (Teutonicorum), erweiterte sich zum Romanum imperium, nachdem Otto I. 962 i n Italien die Reichsgewalt wieder zur Geltung gebracht hatte u n d Burgund unter Konrad I I . 1032 wieder an das Reich gefallen w a r 2 . Unter Friedrich I. sprach man vom sacrum imperium, seit W i l h e l m von H o l l a n d vom sacrum Romanum imperium, dem heiligen römischen Reich. Doch w a r dieses i m p e r i u m k e i n einheitliches staatsrechtliches Gebilde. 1 Uber den v i e l behandelten Entstehungsvorgang zuletzt Z a t s c h e k , W i e das erste Reich der Deutschen entstand (40). L i n t z e l , D i e Anfänge des Deutschen Reiches (42). E i c h l e r , D i e G r ü n d u n g des ersten Reiches (42). T e i l e n b a c h , D i e Entstehung des Deutschen Reiches 3 (47). D e r s . , W a n n ist das Deutsche Reich entstanden?, D A . 6 (43) 1. A n r i e h , D i e Straßburger Eide (43). Dazu das von Th. M a y e r hrsg. Sammelwerk „ D e r Vertrag von V e r d u n " (43). W e n n man von einem „gestreckten Tatbestand" spricht, so versucht man das oben Gesagte durch einen Rechtsausdruck zusammenzufassen, der dem positivistischen D e n k e n entsprungen ist, nicht aber dem geschichtlichen, u n d von diesem aus n u r etwas Selbstverständliches aussagt. Entscheidend ist w o h l die W a h l Konrads. 2 L o t h r i n g e n w a r schon unter Heinrich I. (925) m i t dem Reich vereinigt und damit die deutsche Westgrenze festgelegt worden. Zur B i l d u n g der deutsch-französischen Grenze i m 9. Jahrh. S t e i n b a c h , R h e i n V j b l . 4 (34) 1. Z a t s c h e k , D i e Reichsteilungen unter Kaiser L u d w i g d. Frommen, M Ö I G . 4 9 (35) 185. K i r n , Politische Geschichte der deutschen Grenzen 8 (40).

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I I I . Das Mittelalter

Deutschland (das regnum), I t a l i e n und Burgund fügten sich i n der F o r m der Realunion i n i h m zusammen 3 . I m Osten des Reiches waren die Beziehungen zu den Nachbarländern sehr wechselnde. Dauernd mit dem Reich verbunden waren seit 1170 die wendischen Gebiete von Mecklenburg, Pommern und Wagrien, seit 929 Böhmen als Reichslehen. Schlesien wurde unter Rudolf von Habsburg Reichsfürstentum. Dagegen w a r der Hochmeister des 1230—1283 eroberten Deutschordensgebiets den Reichsfürsten nur gleichgestellt und die Lehnsherrlichkeit über Polen und Ungarn nur vorübergehend anerkannt 4 . Diese Zusammensetzung des Reiches hatte zur Folge, daß die Bevölkerung nicht n u r aus Germanen bestand. Sie umfaßte auch Romanen und Slawen 5 . Dies hinderte aber nicht die Ausbildung eines am deutschen K e r n und dessen Sprache sich bildenden Nationalgefühls, das den Unterschied gegenüber den slawischen und romanischen Teilen des Reiches empfand, i n Rechtsquellen, Dichtung geschichtlicher L i t e r a t u r zum Ausdrude kam. Es gibt seit dem 15. Jahrhundert den Begriff einer deutschen Nation. Sieht man das Wesen des Nationalstaates i n der geschlossenen Siedlung des überwiegenden Teiles eines Volkes und i n dessen Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, so kann man den Staat jedenfalls des Hochmittelalters als einen deutschen Nationalstaat bezeichnen 6 . II. D e r rechtliche Aufbau des Reiches w a r zunächst bestimmt durch die Entwicklung, die das von K a r l dem Großen als zentralistischer Staat gedachte fränkische Reich genommen hatte. H i e r w a r i m Laufe des 9. Jahrhunderts die Leitung des Staates i n die H a n d der Reichs3 Teile Burgunds sind erst später dem Deutschen Reich eingegliedert worden. Über den Anschluß der Schweiz vgl. B e c k , D i e Schweiz i m polit. Kräftespiel des F r ü h M A . , ZGORh. 50 (37) 249. Ferner u. § 55 Anm. 9. 4 Zum Deutschorden vgl. W e r m i n g h o f f , D e r Hochmeister des Deutschen Ordens u. das Reich bis 1525, HZ. 110 (13) 473. C a s p a r , H e r m a n n v. Salza u. die G r ü n d u n g d. Deutschordensstaates i n Preußen (24). D e r s . , Vom Wesen des Deutschordensstaates (28). S t e n g e l , Hochmeister u n d Reich ZRG. 58 (38) 178. M a s c h k e , D e r Deutsche Orden (40). D e r Deutschordensstaat bestand bis zum Thorner Frieden (1466), i n dem Westpreußen an Polen abgetreten w u r d e u n d Ostpreußen unter polnische Lehnshoheit kam. — Über die schwankende Lage i m Osten A u b i n , D i e Ostgrenze d. alten Deutschen Reiches, H V . 28 (34) 225 ( = Von Raum u. Grenzen d. dtsch. Volkes, 1938). 5 Über die E n t w i c k l u n g u n d Zusammensetzung des deutschen Volkes eingehend J . K e y s e r , Bevölkerungsgeschichte Deutschlands 2 (41). Dazu H u g e l m a n n , D i e Rechtsstellung d. Wenden i m deutschen MA., ZRG. 58 (38) 214. D e r s . , D i e Rechtsstellung der Slowenen i n Kärnten, Festschr. Zycha (41) 233. 6 D i e gleiche Bezeichnung rechtfertigt sich als Ausdruck des Gegensatzes, i n den auch der deutsche Staat seit dem 12. Jahrhundert zum Universalreich des frühen M A . t r i t t .

§ 33. Aufbau des Reiches — Lehnwesen

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aristokratie gelangt und hatten die einzelnen Mitglieder des Hochadels ursprünglich selbsteigenen Herrschaftsrechte ihre Selbständigkeit wiedergewonnen. Die hochadlige Grundherrschaft übte ihrem Inhalt nach staatliche Rechte wie die der Grafschaft aus eigener Macht. Das Herzogtum streifte seinen Amtscharakter allmählich ab. So begann das Reich des deutschen Mittelalters in einer Form, die man als aristokratischen Personenverbandsstaat bezeichnen kann. Sie wurde rasch abgelöst vom Lehnsstaat, der feudalen Form des Personenverbandsstaates, die sich bis zum Hochmittelalter erhielt. Dessen geschichtlicher Ausgangspunkt liegt in der noch der fränkischen Zeit angehörenden Tatsache, daß neben Grundstücken und Renten auch Ämter und Hoheitsrechte Gegenstand von Lehnsverhältnissen geworden sind, in erster Linie das für die Entwicklung entscheidende Grafenamt und das Herzogtum. Die Weiterverleihbarkeit der in einem Amtsbezirk eingeschlossenen Untergewalten und Ämter ermöglichte auch deren Einordnung in den Lehnsverband. In der Bezeichnung als Lehnsstaat liegt e r s t e n s ausgesprochen, daß das Reich ein Staat war, also nicht ein im heutigen Sinn privatrechtliches Gebilde. Die Verwendung der ursprünglich privatrechtlichen Form der Grundleihe zerstörte den öffentlichrechtlichen Charakter der Staaten schon deshalb nicht, weil das Lehen nur das Mittel war, die Ausübung staatlicher, öffentlichrechtlicher Gewalt zu übertragen, diese selbst aber in ihrem Wesen nicht berührte. Die für das Gegenteil sprechenden Erscheinungen sind dem Lehnsstaat nicht wesentlich, sondern Folgen der politischen Entwicklung, die den Lehnsstaat in Deutschland betroffen und aufgelöst hat. Doch hat die Lehensgewalt in Deutschland nie den gesamten Grund und Boden ergriffen. Neben dem Land, das Gegenstand eines Lehns, also Lehnsland war, gab es dauernd lehnfreies Land, also Allod, insbesondere audi allodiale Grafschaften, in denen Hochgerichtsbarkeit aus eigenem, nicht vom König abgeleitetem Recht ausgeübt wurde 7 . Auch das unmittelbar verwaltete Reichsgut war nicht Lehen. Im Aufbau des Lehensstaates waren neben amtsrechtlichen, auf das römische Reich zurückweisenden Elementen noch stärker als im fränkischen Reich, aber doch in zeitlich verschiedenem, Verhältnis personenrechtliche und vertragliche Elemente wirksam, die sich mit der Munt als dem Typus der nichtstaatlichen Personenherrschaft des germanischen Rechts berühren. Die Bezeichnung dieses Staates als Lehnsstaat bedeutet z w e i t e n s , daß der staatliche Aufbau nicht durch die Pflicht des unmittelbaren Beamten, sondern durch die Lehnstreue unmittel7 Man spricht deshalb von einem Dualismus i m mittelalterlichen Staat, einer A u f t e i l u n g der Staatlichkeit zwischen Herrscher u n d A d e l (T h. M a y e r , HZ. 159, 466).

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barer und mittelbarer königlicher Vasallen und die Lehnsherrlichkeit des Königs getragen wurde. Dabei w a r am bedeutsamsten die Stellung, die die Inhaber der Herzogtümer gegenüber dem K ö n i g einnahmen. D e n n gerade sie ist dauernd eine lehnsrechtliche gewesen, seitdem die deutschen Herzöge i h r L a n d von Heinrich I. als Lehen empfangen hatten. D a r a n ändert es nichts, daß einzelne Könige, w i e Otto I. und Heinrich IV., auch den Herzögen gegenüber auf amtsrechtliche Vorstellungen zurückgriffen. D i e Auseinandersetzung Friedrichs I. m i t Heinrich dem L ö w e n fand ihren Höhepunkt nicht i m landrechtlichen Achtverfahren, sondern i n der lehnsrechtlichen A b erkennung der Lehnsgüter 8 . W e i t e r h i n wurde wichtig, daß seit dem Wormser Konkordat auch die Herrschaft über die Kirche durch Belehnung der geistlichen Fürsten i n die lehnsrechtliche F o r m übergeführt wurde. I I I . D i e Weiterentwicklung w a r wesentlich bedingt durch politische Machtverhältnisse, die wiederum von den Persönlichkeiten der Könige einerseits, der großen Vasallen andererseits beeinflußt waren. Von der Seite des Rechts fand sie ihre Stütze i n der Erblichkeit des Amtslehens, die sich spätestens i m 12. Jahrhundert durchgesetzt hatte. Diese führte zu einer Verschiebung der Interessenlage des Vasallen, indem Amtspflicht und Lehnstreue m i t dem Familieninteresse des Vasallen i n Widerstreit traten. Sie veranlaßte dazu, das A m t nicht so sehr i m Interesse des Königs wie i m eigenen auszuüben. D i e politische Lage aber gab den Fürsten auch die Möglichkeit, die ihnen übertragene Gewalt als eigene tatsächlich zu handhaben. Das A m t trat hinter dem Lehen zurück. Politischer D r u c k nötigte den König, dieser Bewegung nicht m i t der vollen K r a f t der i n der Lehnsherrlichk e i t an sich liegenden M i t t e l entgegenzutreten, sie am Ende selbst zu fördern. D e r seit dem Sturze Heinrichs des Löwen feststehende Leihezwang, demzufolge der K ö n i g heimgefallene (erbenlose oder verw i r k t e ) Fahnenlehen binnen Jahr und Tag wieder ausleihen mußte, hinderte i h n noch i n späterer Zeit, diesen Werdegang rückgängig zu machen 9 . Erst recht verbot der Mangel an politischer Macht dem K ö n i g erfolgreichen K a m p f gegen die seit dem 9. Jahrhundert auftretende Doppelvasallität, die durch Lehnshulde gegenüber mehreren 8 Über dieses Verfahren vgl. M i 11 e i s , Politische Prozesse (27) 48, wo das frühere Schrifttum. Dazu zuletzt G a η a h 1, Neues zum T e x t d. Gelnhäuser U r k u n d e , M Ö I G . 53 (39) 287. S t e n g e l , D A . 5 (42) 493. E r d m a n n i n „ K a i s e r t u m u. Herzogsgewalt i m Zeitalter Friedrichs I.'Y hrsg. v. T h . M a y e r (44; dazu M i t t e i s ZRG. 65 [47] 316). 9 F ü r wesentlich j ü n g e r h ä l t den Leihezwang G u η i a , D e r Leihezwang (38). Dagegen m i t Recht Mitteis, ZRG. 59 (39) 399. I m m e r h i n konnte die polit. Macht des Königs i n Einzelfällen die Mißachtung des Leihezwanges ermöglichen, u n d konnte die Verleihung an zuverlässige Personen, auch an Mitglieder der königlichen F a m i l i e seine Bedeutung abschwächen.

§ 33. Aufbau dee Reiches — Lehnweeen

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Herren, so auch deutscher Fürsten gegenüber ausländischen Herrschern, insbesondere französischen Königen, entstand und die Treue gegenüber den einzelnen Herren, also auch gegebenenfalls gegenüber König und Reich empfindlich zu lähmen vermochte 10. So trat i m rechtlichen A u f b a u des Reiches m i t dem 13. Jahrhundert eine grundlegende Veränderung ein, die seine Verfassungsentwicklung i m Mittelalter i n zwei scharf zu scheidende Abschnitte teilte. Zwar blieb das Reich nach außen h i n ein einheitliches Ganzes, dessen Gesamtvertretung dem Kaiser oblag, aber i m Innern gingen die staatshoheitlichen Rechte dem K ö n i g i m wesentlichen verloren und auf Territorialgewalten über. D e r Einheitsstaat begann sich umzuwandeln i n ein föderalistisches Gebilde, das man als Staatenrepublik oder als Fürsteiiaristokratie bezeichnet hat. Diese Wandlung setzte i m 12. Jahrhundert ein und vollendete sich nach dem 13., aber i n diesem ist der i m Grunde seit dem Beginn des Mittelalters währende Kampf zwischen Reichsgewalt und Territorialgewalt zu deren Gunsten entschieden. D i e von Anfang an vorhandene dualistische A n lage des Reiches hat über die von den Königen angestrebte Staatseinheit gesiegt 11 .

Die Ausübung der ursprünglich königlichen Gewalt durch die Fürsten als eigene veränderte nichts an ihrem öffentlichen Charakter. Sie wurde auch von dem zur Unabhängigkeit strebenden Inhaber als öffentliche ausgeübt. Wohl aber wurde das Band zwischen den Insassen des Lehnslandes und dem König geschwächt. Die Folge war der Vorgang, den man als Auflösung oder Durchbrechung des Reichsuntertanenverbandes bezeichnet hat. Er hat die unmittelbare Herrschaft des Reiches über die überwiegende Zahl seiner Einwohner aufgehoben, wogegen ihr Fortbestand gegenüber den Reichsministerialen, in Reichsstädten und Reichsdörfern, auch in nicht lehnbaren Reichsvogteien nicht ins Gewicht fällt 12 . 10 Über sie u n d gleichgerichtete Erscheinungen (Bündnisse, Subsidienverträge) Κ i e η a s t , D i e deutschen Fürsten i m Dienste der Westmächte I (24). I I 1 (31). D e r s . , Deutschland u n d Frankreich i n der Kaiserzeit (43). D e r Bekämpfung der Doppelvasallität u n d Stärkung des Treuebandes diente die westrheinische F o r m der Ligeität, bei der der Vasall (homo ligius) einem H e r r n unbedingte Treue versprach u n d audi sonst enger an i h n gebunden war. Vgl. M i 11 e i s , Lehnrecht u. Staatsgewalt 557. D e r s . , Staat d. höh. M A 8 (48) 199. K i e n a s t , HZ. 158, 27. 11 W i e wenig man über dem Verfallen des Reichsaufbaus die positiven Werte des ausgehenden M A . übersehen darf, zeigt sehr gut H e i m p e l , Das deutsche SpätMA., HZ. 158 (38) 229 ( = Deutsches MA. [41] 105). 12 D i e auflösende E i n w i r k u n g der Ämterlehen auf den Reichsverband ber ü h r t sich m i t der Durchlöcherung der Grafschaftsorganisation durch die I m m u n i t ä t , stehen aber nicht auf gleicher Ebene. D i e I m m u n i t ä t bedeutet Ausscheidung des immunitätsgebietes aus der Grafschaft, nicht aus dem Bereich der Reichsgewalt, weshalb auch Immunitätsherren die gräflichen

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Mit der Ausbildung der Territorialgewalten zur Landeshoheit wurde die Weiterbildung der Staatsform in die Territorien verlegt, ist daher im Zusammenhang mit deren Erörterung zu verfolgen. Das Reich weist keine Entwicklung zu neuen Formen auf, sondern nur einen allmählichen Verfall, den audh die vereinzelte Nachbildung territorialer Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen nicht aufzuhalten vermochte 13. IV. Die im Lehnsstaat gegebene Verbindung öffentlicher Rechte mit dem Grund und Boden entsprach der dem deutschen Recht schon früher eigenen Neigung, den Grundbesitz als Grundlage von öffentlichen Rechten und Pflichten zu behandeln. In der germanischen Zeit war der Zusammenhang von Grundbesitz und Staatsbürgerstellung in den tatsächlichen Verhältnissen gegeben, da der Freie auch Grundbesitzer war. Das Staatsrecht des fränkischen Reiches hat den Grundbesitz als Ausgangspunkt öffentlicher Rechte und Pflichten bewußt betont. Deren weitere Verdinglichung im Mittelalter oder Radizierung auf Grund und Boden liegt in der so gegebenen Entwicklungsrichtung. Das Eigentum an Grund und Boden wurde bestimmend für den Besitz von Rechten wie z. B. der Gerichtsbarkeit oder der Markgenössigkeit, oder von Pflichten wie etwa der militärischen Dienstpflicht oder der Steuerpflicht. In ländlichen Gegenden durch das Ineinandergreifen von Grundherrschaft, Leibherrschaft und öffentlicher Herrschaft unklarer, wird diese Verbindung wieder besonders deutlich in der Stadtgemeinde. Da der mittelalterliche Staat öffentliche Rechte nur dem christlichen Einwohner gewähren konnte, ergab sich umgekehrt eine Beschränkung des Erwerbs von Grundeigentum für Nichtchristen. S. Schrifttum zu § 14 (Mühlbacher, D ü m m l e r ) . N i t z s c h , Geschichte des deutschen Volkes 2 I — I I I (1892). L a m p r e c h t , Deutsche Geschichte I I bis I V (1892 ff.). M a n i t i u s , Deutsche Geschichte unter d. sächs. u. salischen Kaisern 2 (12). S c h r a m m , Kaiser, Rom u n d Renovatio I (29) 87 (zu Otto III.). H a m p e - B a e t h g e n , Deutsche Kaisergeschichte i m Zeitalter der Salier u n d Staufer 9 (46). H a m p e , Das Hochmittelalter (32). H o l t z m a n n , Geschichte der sächs. Kaiserzeit 2 (43). E. O t t o , Friedrich Barbarossa (40). E. K a n t o r o w i c z , Kaiser Friedrich I I . (27/31; dazu Hampe, HZ. 146, 441). F r a n z e l , K ö n i g Heinrich V I I . (29; dazu Rosenstock, M Ö I G . 44, 406. Frölich, ZRG. 50, 457). H e i m p e l , Deutschlands M i t t e l a l t e r — Deutschlands Schicksal (33 = Deutsches M i t t e l a l t e r [41] 9). D e r s . , Kaiser Friedrich Barbarossa u. d Wende der staufischen Zeit (42). L o s e r t h , Gesch. d. späteren Mittelalters (03). A n d r e a s , Deutschland vor der ReRechte zu Lehen tragen können. Ebenso liegt die Entwicklung der Vogtei i m M i t t e l a l t e r auf einer anderen Ebene. Sie ist insbesondere durch die Verbindung von Grafenamt, Grafenstand u n d Vogtei (s. u. § 54 II) von k a u m zu unterschätzender politischer Bedeutung gewesen. A b e r der Verfassungsaufbau des Reiches wurde nur insoweit berührt, als es dem gräflichen Vogt gelang, unabhängig zu werden. * 13 Beispiele soldier Übernahmen § 48.

§ 34. Staatspolitik und Staatotheorien

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formation 5 (48). W a i t ζ , Deutsche Verfassungsgeschichte V 2 (1893), V I 2 (1896), V I I (1876), V I I I (1878). E . M a y e r , Deutsche u n d französische Verfassungsgeschichte I, I I (1899). H e u s i e r , Deutsche Verfassungsgeschichte (05). v. B e l o w , Der deutsche Staat des M A . I (14). Κ e u t g e η , D e r deutsche Staat des MA. (18). M i t t e i s , Lehnrecht (s. § 28). D e r s . , D e r Staat des hoben M A 3 (48; dazu F. Beyerle, DLZ. 1942, 415; v. Schwerin ZRG. 62, 417). W a a s , Herrschaft u. Staat i m deutschen F r ü h M A . (38; dazu Mayer, ZRG. 59, 379. Th. M a y e r , D i e A u s b i l d u n g der Grundlagen des modernen Staates. HZ. 159 (39) 457. A u b i n , Vom A u f b a u des Deutschen Reiches, HZ. 162 (40) 479. S t e n g e l , Regnum u n d I m p e r i u m (30). T r i e p e l , D i e Hegemonie (38) 492. 507. S c h u l t e , Fürstentum u. Einheitsstaat i n d. d. Geschichte (26). G ü n t e r , Das deutsche Fürstentum u. d. Reichspolitik i m HochMA., HJb. 57 (37) 209. R ö r i g , Ursachen u. A u s w i r k u n g e n d. deutschen Partikularismus (37). H o f m e i s t e r , Deutschland u n d B u r g u n d i m frühen M A . (14). K ö s t e r , D i e staatlichen Beziehungen der böhm. Herzöge u n d Könige zu d. d. Kaisern (12). S c h m e i d l e r , F r a n k e n u. d. deutsche Reich i m M A . (30). M a y e r , D i e Stellung Rheinfrankens i n d. d. Gesch., K B G V . 1934, 8. Z a t s c h e k , Baiern u. Böhmen i m MA., ZBLG. 12 (39) 1. K i r n , Aus der Frühzeit des Nationalgefühls (43). A. B r a c k m a n n , D e r Ursprung d. Nationalstaaten (36). H u g e 1 m a η η , D i e deutsche Nation u n d der deutsche Nationalstaat i m M A HJb. 56 (31) 17. 445. W e i z s ä c k e r , Das Nationalitätsbewußtsein als F a k t o r d. böhm. Gesch., Z. sudetend. Geschichte 2 (38) 155.

§ 54. Staatspolitik und Staatstheorien I. D i e P o l i t i k der deutschen Könige w a r zunächst mit Notwendigkeit auf das innerpolitische Ziel abgestellt, die deutschen Stämme i n der neu geschaffenen Vereinigung zu erhalten, die Auflösung des Regnum i n unabhängige Stammesreiche zu verhindern. Zufolge der Schwächung der Zentralgewalt waren die i m 8. Jahrhundert beseitigten Stammesherzogtümer zu neuer Selbständigkeit gelangt. I m Bunde mit der Kirche gelang es Konrad I., die Reichseinheit gegenüber der Herzogsgewalt zu wahren. D e r Versuch einer Ausschaltung der Kirche, den Heinrich I. m i t der Ablehnung der Salbung begann, führte nicht zu einer reibungslosen Zusammenarbeit mit dem Herzogtum, und Heinrich selbst faßte schließlich den Plan eines Romzuges. M i t Otto I. gewann die gegen die Stammesgewalten und das weltliche Fürstentum gerichtete zentralistische P o l i t i k neuen Auftrieb. Ihrer Durchführung diente die weitgehende Übertragung weltlicher Macht und Hoheitsrechte an die von Otto eingesetzten Bischöfe. Deren Zusammenschluß i n der ottonischen, nationalen Reichskirche schuf dem König einen Rückhalt gegenüber den weltlichen Fürsten, während einer übermäßigen Machtsteigerung der Bischöfe die Reichsklöster und seit der Kaiserkrönung auch das Papsttum entgegenstanden. I m Kampf nach außen w a r es Heinrich I. gelungen, die deutschen Grenzen i m Osten und gegen Jütland zu befrieden und zu sichern, i m Westen Lothringen wiederzugewinnen. Otto I. knüpfte an diese Errungenschaften an, eroberte das Land zwischen Elbe und Oder, unter-

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stellte Polen gleich Dänemark u n d Böhmen der Oberhoheit des Reiches. Indem er die Verbindung des Reiches m i t I t a l i e n herstellte und die Kaiserwürde ûbërnahm (962), vollendete er die letzten Pläne Heinrichs I. u n d griff auf die südwärts w i e ostwärts gerichtete P o l i t i k Karls des Großen zurück 1 . D i e politische Ausbreitung nach dem Osten erforderte gleich der der Karolinger nach Sachsen den gleichzeitigen Ausbau der Missionierung u n d die Gründung von Bistümern, die ohne Rom nicht möglich war, i h m aber auch nicht überlassen werden konnte 2 . D i e angestrebte Vorherrschaft gegenüber dem Papsttum konnte Otto I. so wenig w i e seine Nachfolger erreichen, und als m i t Ottos I I I . T o d dessen P o l i t i k der Renovatio i m p e r i i zusammengebrochen war, w a r der Gegensatz zwischen Papsttum und Kaisert u m offen. I m m e r h i n hatte die innerdeutsche Kirchenpolitik Ottos I. das Reich so gefestigt, daß K o n r a d I I . dessen W e r k vollenden u n d das Kaisertum auf den Höhepunkt seiner Macht gegenüber Rom w i e i n Europa führen, Heinrich I I I . aber nicht nur Deutsche zu Päpsten erheben lassen, sondern auch unter dem Eindruck westlicher Reformideen daran denken konnte, die Erneuerung der Kirche und ihrer Spitze selbst i n die H a n d zu nehmen. D i e auf der Abhängigkeit der Kirchenfürsten aufgebaute Kaisermacht geriet jedoch ins Wanken, als das Papsttum nach dem frühen Tode Heinrichs I I I . selbst dazu überging, das kluniazensische Ziel der Unabhängigkeit der Kirche von jeder weltlichen Macht zu verfolgen, die Kirche zu entweltlichen. Hatte der Eigenkirchengedanke das Verhältnis des deutschen Königs zu den Bischöfen innerlich getragen, so legte Gregor V I I . die A x t an die W u r z e l der kaiserlichen Macht, als 1 O b die P o l i t i k Ottos I. u n d seiner Nachfolger richtig war» ist eine Frage, die nicht auf G r u n d späterer E n t w i c k l u n g schlechthin verneint werden darf, sondern aus i h r e r Zeit beurteilt werden muß u n d i n dieser jedenfalls als i m deutschen Interesse liegend gesehen werden konnte. Vgl. v. Below, Kern, H a l l e r u. Zatschek a. u. a. O., i m übrigen Fr. S c h n e i d e r , D i e neueren Anschauungen der deutschen H i s t o r i k e r usw. (6. A u f l . 43). Über Ottos Pläne i m Osten B r a c k m a n n , Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens (37); D e r s . , Festschr. H e y m a n n I (40) 61. Zur Gesamtp o l i t i k Ottos I. sehr gut H e i m p e l , Deutschlands M i t t e l a l t e r — Deutschlands Schicksal (33 = Deutsches M i t t e l a l t e r [41] 9). H o l t z m a n n , Otto d. Große (36). D i e E n t w i c k l u n g der A u ß e n p o l i t i k gegenüber Frankreich u n d England hat die Gestaltung der Verfassungsverhältnisse ebenso n u r m i t telbar beeinflußt, wie die innerpolitisch an sich wichtigen Gegensätze zwischen rheinisdiem u n d ostdeutschem Fürstentum. 2 Über die ma. O s t p o l i t i k u n d Ostkolonisation B r a c k m a n n , Reichsp o l i t i k u. O s t p o l i t i k i m frühen M A . (35 = Ges. Aufsätze 41). K ö t z s c h k e u. E b e r t , Gesch. d. ostdeutschen Kolonisation (37). A u b i n , Von Raum u. Grenzen d. deutschen Volkes (38). D e r s . , Das Gesamtbild der neuen deutschen Ostsiedlung, Deutsche Ostforschung I (42) 331. B e c k u. B ü t t n e r , D i e Bistümer W ü r z b u r g u. Bamberg (37). Th. M a y e r , Deutsche Ostforschung I (42) 291. S c h ü n e m a n n , Deutsche K r i e g f ü h r u n g i m Osten, D A . 2 (38) 54.

§ 34. Staatpolitik und Staattheorien

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er m i t dem Verbot der Laieninvestitur den Investiturstreit offen begann, den dann K a l i x t I I . i m Wormser Konkordat (1122) zu einem der K u r i e günstigen Ende führte. D e r Gegensatz zwischen Kaisertum und Papsttum blieb besteheil. D e r Einfluß des Königs auf die italienischen Kirchenfürsten wurde ausgeschaltet. Auch äußerlich w a r die Stellung des Papsttums gestärkt, und der unter den Staufern m i t wechselndem Erfolg fortgesetzte Kampf w a r eine wesentliche U r sache für die entscheidende Wendung der inneren P o l i t i k , die m i t dem Untergang der staufischen Dynastie auch das Ende einer königlichen Macht i n Deutschland herbeiführte. Schon Heinrich I V . hatte den Widerstand der deutschen Fürsten nicht überwinden, nur i m militärischen u n d diplomatischen Kampf zurückdämmen können. D i e innere P o l i t i k hätte umgestellt werden müssen auf Anlehnung des Königtums an die Städte u n d die emporstrebende und v o m K ö n i g t u m emporgehobene Ministerialität 3 . A l s aber Friedrich I I . die W a h l seines Sohnes Heinrich zum deutschen König erreichen wollte, ohne selbst die Kaiserkrone empfangen zu haben, mußte er die Zustimmung der geistlichen Fürsten durch weitgehende Preisgabe von Hoheitsrechten i n der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (1220) erkaufen. D i e Selbständigkeitsbestrebungen der weltlichen Fürsten erhielten die kaiserliche Sanktion i m Statutum i n favorem p r i n c i p u m (1232). D i e Versuche Heinrichs VII., das Reichsganze gegenüber den fürstlichen Teilgewalten auf Stadt und Ministerialität zu stützen, scheiterten an der Unterstützung, die Friedrich selbst den Fürsten angedeihen lassen mußte, w o l l t e er nicht seine italienische P o l i t i k preisgeben. A n diesem A b l a u f der innerdeutschen Verhältnisse vermochte es nichts zu ändern, daß unter Herrschern wie den Staufern des 12. Jahrhunderts, insbesondere Friedrich I., nicht nur der Reichsgedanke und das Streben nach Erneuerung des Imperiums und Festhaltung der Rechte des Reichs an K r a f t gewannen, sondern auch das Herrscherbewußtsein unter dem Einfluß des normannischen Vorbildes eine machtvolle Steigerung erfuhr 4 . Er wurde auch nicht entscheidend beeinflußt durch die staufischen Versuche, der Reichsmacht insbesondere i m Südwesten und i n Burgund durch Gründung von Städten, Übernahme des Klosterschutzes u n d Landesausbau neue * Ansätze zu dieser P o l i t i k sind seit Friedrich I. vorhanden. Vgl. über die sogen. Verfassungsreform der Hohenstaufen Κ a 11 e η , ZRG. 58 (38) 560. D e r s . , Friedr. Barbarossa (43). H e i m p e l , Kaiser Friedrich Barbarossa u n d die Wende der staufischen Zeit (42; dazu T e l l e n b a c h , ZRG. 63 [43] 406). M i 11 e i s , Staat d. höh. M A 3 (48) 295. 4 R a s s ο w , Honor i m p e r i i (41 ; dazu Tellenbach, ZRG. 62 [42] 440) ; Grundmann, HZ. 164, 577).

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I I I . Das Mittelalter

Grundlagen und Stützpunkte zu schaffen 5. D i e D o p p e l w a h l des Jahres 1198 setzte a l l dem ein Ende. M i t dem Hochkommen der Territorialgewalten begann das Ende der Reichseinheit. Das Reich hatte den seit seinen Anfängen geführten Kampf gegen die zersplitternden Kräfte endgültig verloren. A n seine Stelle trat die Einigung der Fürsten, an Stelle der Reichsp o l i t i k die K u r f ü r s t e n p o l i t i k und fürstliche T e r r i t o r i a l p o l i t i k und auf Seite des Kaisers eine Hausmachtpolitik, die allein noch imstande war, dem Kaiser das Übergewicht über die übrigen Fürsten zu sichern und das Kaisertum vor dem Untergang zu schützen. Kaiser und Reich waren ein Gegensatz geworden 6 . D i e italienische Machtp o l i t i k lief kraftlos aus i n vereinzelten Romzügen, i n deren M i t t e l p u n k t das äußere Streben nach der Kaiserkrone und lombardischen Reichtümern an die Stelle des Herrschaftswillens getreten war. II. D i e Aufgaben des mittelalterlichen Staates erscheinen i n ihrer weltlichen Seite zusammengefaßt i n dem Krönungsversprechen des deutschen Königs, das Recht zu stärken und das Unrecht zu kränken, allezeit ein Mehrer des Reiches zu sein und es nicht ärmer zu machen. D i e Rechtswahrung i m Inneren,' die Machtmehrung nach außen stellen sich h i e r i n als Zweck des Staates dar. A b e r neben ihnen steht, nicht minder wichtig, politisch bedeutsamer, die religiöse und rechtliche Pflicht des Schutzes der Kirche, die gemäß der mittelalterlichen Auffassung der Einheit von Staat und Kirche schon mit dem Königtum v e r k n ü p f t und i m Kaisertum gesteigert ist. D e r Staat w a r verpflichtet, zur Durchsetzung der kirchlichen Rechte seine Machtmittel zur Verfügung zu stellen, der Kirche den weltlichen A r m (brachium saeculare) zu leihen. Es liegt dabei i n den mittelalterlichen Verhältnissen begründet, daß sich der Staat i n die E r f ü l l u n g seiner A u f gaben m i t engeren Verbänden teilt, denen er die der Kulturaufgaben überhaupt überläßt. Grenzen der Staatsgewalt waren dadurch gezogen, daß auch der Staat unter dem Recht stand. D i e Schranken, die dieses aufstellte, sind zum einen T e i l altüberkommen. Sie hängen zusammen mit dem Grundsatz, daß das Recht des engeren Rechtskreises dem des weiteren vorgeht, der Staat somit H a l t machen muß vor der Autonomie des engeren Verbandes. Sie liegen ferner i n der traditionell gefestigten Vorstellung der Unantastbarkeit erworbener Rechtsstellungen. Zum anderen T e i l sind sie durch sogenannte Freiheiten begründet, die Stadtherren ihren Bürgern, Landesherren 5 Vgl. § 50 u. H i r s c h , Urkundenfälschungen aus d. Regnum A r e l a tense (37) 123. H a 11 e r , D e r staufische Reichsgedanke, WaG. 3 (39) 399. β D i e offizielle Formel „Kaiser u n d R e i d i " meinte allerdings noch Jahrhunderte die Einheit beider. S m e η d , Zur Gesch. d. F o r m e l „Kaiser u n d Reich", Festg. Zeumer (10) 439.

§ 34. Staatspolitik und Staattheorien

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ihren Ständen erteilten 7 . Ihrem Schutz dienten neben dem Gericht das ebenfalls in frühere Zeit zurückreichende Widerstandsrecht der Untertanen gegenüber dem die Schranken des Rechts überschreitenden Herrscher, das letzten Endes in dem Bruch eines zwischen Herrscher und Untertan bestehenden Treueverhältnisses und in der Unterworfenheit des Herrschers unter das Recht seine Rechtfertigung findet. Die gesamte Politik, im Innern wie nach außen, war in weitaus stärkerem Maße als das Recht beeinflußt von der zeitgenössischen publizistischen, zugleich staats- und rechtsphilosophischen Literatur. Dabei handelt es sich vielfach um nichtdeutsche Werke, zumal das erste Hochkommen dieses Schrifttums mit den Kämpfen des Investiturstreits in Zusammenhang steht, also um ein erstmaliges Einwirken nichtdeutscher Geisteswissenschaft, wenngleich politisch zum Teil auf deutscher Seite. Sieht man von den Erörterungen des Problems Staat und Kirche ab, so stehen zwei Fragen im Vordergrund, die Rechtfertigung der Staatsgewalt und das Verhältnis von Staat und Recht. Die Staatsgewalt wird auf dem Volkswillen aufgebaut, die Herrschaft eines einzelnen auf freiwilliger Unterwerfung (sog. Subjektionsvertrag), aber doch unter Betonung ihres Amtscharakters. Der Staat steht unter dem unabänderlichen, natürlichen Recht, gebunden durch die in diesem beschlossenen, unzerstörbaren Menschenrechte, aber über dem positiven Recht. Der Gedanke der Weltherrschaft findet seine Rechtfertigung im Einheitsprinzip, im argumentum unitatis. In eigenartiger Mischung verbanden sich ererbte germanische Vorstellungen mit christlichen Ideen und antiker Philosophie zum Aufbau einer Wissenschaft von Staat und Recht, die in der Folgezeit das abendländische Denken beherrschte 8. H a l l e r , D i e Epochen der deutschen Geschichte (31). F i n k e , W e l t imperialismus u n d nationale Regungen i m späteren M A . (16). R ö r i g, Bürgertum u. Staat i n d. älteren deutschen Gesch. (28). S. Schrifttum zu § 33. Z a t s c h e k , D i e deutsche Staatsführung i m 9. u. 10. Jahrh., M I Ö G . EB. 14 (39) 53. v. B e l o w , D i e italienische Kaiserpolitik des M A . (27). K e r n , D e r deutsche Staat und die P o l i t i k des Römerzugs, i n : Aus P o l i t i k u n d Geschichte (28). H o f m e i s t e r , Der K a m p f u m die Ostsee vom 9. bis 12. Jahrhundert 2 (42). G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht I I I (1881), insbes. 510. D e r s . , Naturrecht u n d deutsches Recht (1880). J e l l i n e k , Allgemeine Staatslehre 3 (21). K e r n , Gottesgnadentum u n d Widerstandsrecht (15). B r a c k m a n n , D i e W a n d l u n g der Staatsanschauungen i m Zeitalter Kaiser Friedrichs I., HZ. 145 (32) 1 ( = Ges.Aufs. [41] 344). W i e 7 Bei Verbindung dieser Freiheiten m i t den neuzeitlichen Grundrechten (so v. K e l l e r a. u. a. O.) w i r d deren dogmatischer u n d historischer Zusammenhang m i t dem staatlichen Absolutismus übersehen. 8 A r e n d t , Staats- u. Gesellschaftslehren Alberts d. Gr. (29). S c h i l l i n g , D i e Staats- u. Soziallehre d. hl. Thomas v. A q u i n 2 (30). T r ö l t s c h , Soziallehren der christl. Kirchen (12). M e y e r , Mittelalterl. Weltanschauung (48).

V. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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I I I . Das Mittelalter

r u s z o w s k i , V o m I m p e r i u m zum nationalen K ö n i g t u m (33). v. K e l l e r , Freiheitsgarantien für Person u. Eigentum i m M A . (33). F e h r , D i e Staatsauffassung Eikes von Repgau, ZRG. 37 (16) 131.

§ 35. Wirtschaftliche Verhältnisse Die mittelalterliche Wirtschaft führt zunächst die der fränkischen Zeit fort. Sie erfährt aber im Laufe der Periode tiefgreifende Veränderungen, deren Ursachen verschiedenster Art sind. Sie liegen in der Kolonisation neuer Gebiete, in der Entwicklung der Stadt, im Aufkommen der Geldwirtschaft und in dem Eindringen einer neuen Wirtschaftsgesinnung. An Stelle einer wirtschaftlichen Tätigkeit um der Bedarfsdeckung willen setzte sich in gesteigertem Maße ein Wirtschaften durch mit dem weiterreichenden Ziel des Erwerbs wirtschaftlicher und gewinnbringender Werte und vermochte die von der Kirche ausgehenden Verbote des Wuchers und Zinses abzuschwächen1. Es hängt eng zusammen mit dem Hochkommen des freien Wettbewerbs, der auf dem Markt die Bindungen grundherrschaftlicher Wirtschaft überwindet. Bei der landschaftlich verschiedenen Wirkung dieser Erscheinungen ist die zweite Hälfte des MA. ein Zeitraum starker wirtschaftlicher Gegensätze, aber auch gesteigertster wirtschaftlicher Entwicklung, die gegen ihr Ende die Bahnen kapitalistischer Wirtschaftsformen betritt und zum Frühkapitalismus einzelner Unternehmer fortschreitet. Sie ist erfüllt von umbildenden Bewegungen, deren Wirkungen aber vielfach erst in der Neuzeit eintraten. Daher ist für die Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge die Scheidung zwischen Mittelalter und Neuzeit keine Trennungslinie. I. Die Bewirtschaftung des ländlichen Grund und Bodens, der mehr als drei Vierteile der Bevölkerung oblagen, gewann zunächst noch an Raum durch Rodungen, die westlich der Elbe und im Süden insbesondere durch Standesherren, Grundherrschaft und bäuerliche Siedler durchgeführt wurden (Innenkolonisation). Eine gewaltige Erweiterung der Anbaufläche brachte sodann die ostdeutsche und mitteldeutsche Kolonisation, durch die der Landnot im alten Siedlungsgebiet und dem Zwang zu unwirtschaftlicher Parzellierung des Besitzes abgeholfen werden konnte 2 . Sie war im 12. und 13. Jahrhundert vor allem das Werk der Zisterzienser und des Deutschordens. 1

W. E n d e m a n n , Studien i n der romanisdi-kanonistischen Wirtschaftsu n d Rechtslehre I. I I (1874—83). S o m m e r l a d , Das Wirtschaftsprogramm der Kirche i m M A . (05). S e h a u b , Der K a m p f gegen den Zinswucher (05). 2 Eine auffallende Erscheinung sind angesichts dieser Verhältnisse die i m späteren M A . auftretenden Wüstungen, die Aufgabe von Siedlungen. Sie e r k l ä r e n sich zum T e i l durch kriegerische Zerstörung u n d Pest, außerdem aber durch Zusammenlegung kleinerer Siedlungen zu größeren Ortschaften,

§ 35. Wirtschaftliche Verhältnisse

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Dabei blieben die Grundformen der Bodenverteilung, das Nebeneinander von Großbesitz, mittlerem Besitz und freiem Kleinbauernt u m i m A l t l a n d erhalten. N u r i m einzelnen traten Veränderungen ein. I m Bereich der Grundherrschaft 3 wurde i m späteren Mittelalter die Eigenwirtschaft namentlich i m Nordwesten und i n Hessen, vereinzelt auch i m Süden, noch weiter zurückgedrängt. D e r Grundherr ging dazu über, die einzelnen V i l l i k a t i o n e n (s. § 16), die bis dahin unter Aufsicht des Meiers als seines Beamten standen, an diesen gegen festen Zins zu verpachten (vermeiern). D i e Stellung des Meiers änderte sich insofern, als n u n auch ritterliche Ministerialen Meierämter übernahmen. Dies führte zur Verleihung solcher Ä m t e r als Lehen. D i e weitere Folge w a r eine allmählich sich entwickelnde Erblichkeit des Meieramtes, die n u n für die Grundherren die Gefahr einer Entfremdung der Güter entstehen ließ. I h r zu begegnen, w u r den zahlreiche V i l l i k a t i o n e n aufgelöst und die einzelnen Teile zu Pacht ausgetan. Diese hat, soweit sie nicht ausnahmsweise Erbpacht war, die Stellung des Bauern durch die Gefahr, das Gut zu verlieren oder nur zu höherem Zins behalten zu können, nicht unwesentlich verschlechtert 4 . A u f der anderen Seite beschränkten sich m i t der A u f lösung des Fronhofverbands die früher auch persönlichen Beziehungen zum Grundherrn auf sachenrechtliche; die persönlichen Leistungspflichten, Zins und Fronden, verwandelten sich i n dingliche Lasten 5 . D i e Eigenwirtschaft des G r u n d h e r r n wandelte sich u m zur Rentenwirtschaft. Soweit die Fronhofswirtschaft bestehen blieb, kam es wobei der alte Dorfboden zu K u l t u r l a n d oder A l l m e n d e wurde. L a p p e , D i e Wüstungen der Provinz Westfalen (16). F r ö l i c h , VjsSozWG. 15, 546. S c h a r l a u , Stand u. Aufgaben d. Wüstungsforschung, Hessenland 46 (35) 161. A b e l , D i e Wüstungen des ausgehenden M A . (43; dazu F r ö l i c h , Rechtsgeschichte u. Wüstungskunde, ZRG. 64 [44] 277). 3 Eine typenmäßige Erfassung der E n t w i c k l u n g der Grundherrschaft i m M A . versucht Κ 1 e b e 1, D A L V o l k s f . 2 (38) 881. D e r s . , D i e G r u n d h e r r schaften u m die Stadt Villach (42). D e r s . , Siedlungsgesch. des deutschen Südostens (40). D i e S. 95 ff. als wesentlich grundherrlich bezeichneten öffentlichen Rechte sind i m M A . zum T e i l von der Grundherrschaft gelöst worden. (Vgl. § 55.) 4 D a die Pacht zuerst bei den Meiern i n Aufnahme kam, hießen diese Güter i n N o r d Westdeutschland Meiergüter, die aber nicht m i t den v o m Meier besessenen grundherrlichen Meierhöfen verwechselt werden dürfen. I n Hessen nannte man sie Landsiedelgüter. T h i e m e , Zum hessischen Landsiedelrecht, Festschrift Schultze (34) 207. M a y e r - E d e n h a u s e r , Unters, über Anerbenrecht u n d Güterschluß i n Kurhessen (42). M o I i t o r , Über Freibauern i n Norddeutschland ( „ A d e l u n d Bauern", hrsg. ν. T h. M a y e r . [43] 312). 5 D i e Gründe dieser Änderung lagen teils i n den den Grundherren nachteiligen Selbständigkeitsbestrebungen der schwer zu beaufsichtigenden Meier, teils i n dem Bestreben der Grundherren, die gewohnheitsrechtlich auf eine bestimmte Höhe festgesetzten Abgaben der Bauern durch den beweglichen Pachtzins zu ersetzen. 9*

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I I I . Das Mittelalter

innerhalb ihrer zu einer Ausgleichung der landesrechtlichen Ständeunterschiede auf der gemeinsamen Grundlage des Hofrechts und vielfach zu einer dem Bauern günstigen Entwicklung des Leiherechts i n der Richtung der Erblichkeit und der festen Bemessung von Diensten und Abgaben. Erst i m 15. Jahrhundert machten sich wiederum Bestrebungen geltend, die Erblichkeit des Bauernlandes zu unterdrücken. Sie fanden eine Stütze i m römischen Recht, insofern dessen Regeln über zeitliche und erbliche Pachtverhältnisse den deutschen dinglichen Leiheverhältnissen nicht entsprachen und zu deren Verkümmerung beitragen mußten. Auch mittlerer Besitz war vielfach grundherrschaftlich organisiert, als sogenannte Kleingrundherrschaft. Vor allem bedienten sich Vasallengüter dieser Form. D i e Zahl der freien Bauern verminderte sich seit dem Ende des 14. Jahrhunderts, da viele i n grundherrliche Abhängigkeit gerieten. U m so deutlicher wurde die Leihe zur herrschenden F o r m des bäuerlichen Besitzes. D i e Markgenossenschaften mußten dem Druck der Landknappheit durch Beschränkung der Berechtigungen ausweichen. D i e Nutzung der meist schon stark verkleinerten Allmenden wurde auf den unmittelbaren Bedarf von Haushalt und Viehstand beschränkt, das Recht zur Rodung auf kleinere Flächen, soweit es nicht von der jeweiligen Zustimmung der Markgenossen abhängig gemacht war. I n persönlicher Beziehung band man das Marknutzungsrecht an den Besitz eines eigenen Haushalts i n der M a r k , von eigenem Feuer und eigenem Rauch. Neben den aus der Familie des G r u n d h e r r n entstandenen grundherrlichen und den gemischten Markgenossenschaften gab es audi freie, die zu einem T e i l auf frühere Zeit zurückgingen, zum T e i l i m Verlauf von Rodungen neu entstanden. Sie unterschieden sidh aber n u r i n der Zusammensetzung und i n der verschiedenen Rechtslage der Genossen, nicht i n ihrem Aufbau, i n dessen M i t t e l p u n k t die Versammlung der Markgenossen (Märkerding) zur Beschlußfassung i n Markangelegenheiten (Regelung der Wirtschaft, Beamtenwahl, Markgerichtsbarkeit) stand. Nach der Größe der M a r k richtete sich die Zahl der Markbeamten und Ausschüsse. A n der Spitze stand ein Obermärker (Märkermeister, Waldgraf, Holzgraf). Dies w a r i j i grundherrlichen M a r k e n der Grundherr, der aber audi i n den gemischten M a r k e n meist i n den Besitz dieses Amtes gelangte. D i e Banngewalt (Flur- und Waldbann) innerhalb der Markgenossenschaft oder Dorfgenossenschaft ist von Hause aus genossenschaftliche Gewalt und stand daher i n manchen D ö r f e r n auch noch i m Mittelalter der Dorfgemeinde zu. I n anderen verband sie sich m i t der Grundherrschaft und dadurch m i t der dieser zustehenden niederen Gerichtsbarkeit, so daß sie von der für diese vielfach verwendeten Formel t w i n g und bann mit erfaßt werden konnte. Ausgeübt wurde sie dann

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vom Grundherrn selbst oder von dem auf einem grundherrlichen Hof (Meierhof, Dinghof) sitzenden Meier (Vogt) 6 . D i e ostdeutsche Kolonisation vollzog sich seit dem 10. und 11. Jahrhundert i m deutschen Mittelgebirge, i n der Ostmark, seit dem 12. i n Siebenbürgen, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg, Meißen, i m 13. i n Schlesien u n d Polen, sodann i n Preußen. Sie ist Städtegründung und Dorfsiedlung. Diese wurde meist von einem Unternehmer (locator) durchgeführt, dem der G r u n d h e r r (weltliche Herren, Kirchen, Klöster) G r u n d und Boden überließ. Er hatte die Siedler zu gewinnen, die durch Botschaften aus den verschiedensten deutschen Ländern herbeigerufen wurden, und hatte die Anlage der Siedlung zu leiten. D i e Siedlungsstelle erhielten die Kolonisten, wenn nicht ausnahmsweise zu freiem Eigentum, dann zu freier, den Stand nicht mindernder Erbzinsleihe gegen niederen Zins, die als eine Leihe nach ius teutonicum den schlechteren, einheimischen Besitzformen gegenübergestellt wurde 7 . Dies e r k l ä r t sich aus dem Interesse des Grundherrn an der durch die Siedlung erstrebten k u l t u r e l l e n u n d w i r t schaftlichen Hebung seines Landes. D i e Leitung der Siedlung wurde einem Schulzen übertragen, der sein A m t zu Lehenrecht erhielt und m i t größerem Grundbesitz ausgestattet wurde. I m 14. und 15. Jahrhundert erfuhren diese Verhältnisse eine durchgreifende Veränderung durch das Heranwachsen der f ü r das Gebiet östlich von Elbe und Böhmerwald typischen Wirtschaftsform der Gutsherrschaft. Sie nahm ihren Ausgang von den zunächst nicht umfangreichen, 4—5 Hufen i n Eigenwirtschaft umfassenden, aber m i t von Anfang an sehr abgerundetem, abhängigem Besitz ausgestatteten ritterschaftlichen Gütern. Durch Aufkommen des Söldnerdienstes und die Entwertung des Lehndienstes w i e durch das Einrücken des gelehrten Juristen i n die bis dahin vom A d e l versehenen Ä m t e r sahen sich die R i t t e r auf die Landwirtschaft abgedrängt und suchten n u n ihren Besitz zu erweitern. Das H a u p t m i t t e l w a r das Einziehen von Bauernland, m i t oder ohne Rechtsgrund, das sogenannte Bauernlegen. Bei neuerlichem Austun der eingezogenen Güter w u r d e das Besitzrecht i n Angleichung an das des slawischen Bauern verschlechtert, insbesondere m i t Diensten belastet. So bildete sich u m den Herrenhof ein ausgedehntes Gutsland, auf dem m i t den Kräften der gutshörigen Familien über den eigenen Bedarf hinaus für den Absatz 8 Über Z w i n g u n d Bann vgl. § 50 u n d über die damit v e r k n ü p f t e n Bannrechte u. IV. Weiterer K l ä r u n g bedarf noch die Frage der E n t w i c k l u n g der politischen Gemeinde; Schriftt. hierzu s. zu § 5 u. § 50. 7 Eine solche ist das lassitische Recht der Wenden, die i h r Gut n u r auf Söhne vererben u n d nicht veräußern konnten. I n der Sachsenspiegelglosse werden die Wenden der M a r k Brandenburg als Laten bezeichnet. K ö t z s c h k e , D i e Anfänge d. d. Redits i n d. Siedlungsgesch. d. Ostens (41).

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I I I . Da

Mittelalter

erzeugt wurde. In der Folgezeit erlangte der Gutsherr im Kampf mit dem Landesherrn Gerichtsgewalt und Polizeigewalt in seinem Gutsbezirk, wodurch seine Gewalt zu einer öffentlichrechtlichen wurde, die Stellung des Bauern zur Erbuntertänigkeit. Es entstand die sogenannte Gutsherrschaft 8. Im gesamten Gebiet kam es vielfach zu weitgehender Teilung des kleinbäuerlichen Besitzes, eine Folge des Erbgangs, die nur in einzelnen Gegenden durch die Einführung des Erbrechts nur eines einzelnen, des Anerben, ausgeschaltet wurde (der Bauer hat nur ein Kind). Neben diesen Kleinstbesitzern (Seidner, Kötter) gab es aber auch in den ländlichen Gemeinden Besitzer von Häusern ohne Ackerwirtschaft (Handwerker, Arbeiter) und Einwohner (EinliegeT, Einhäusige, Hausgenossen) ohne irgendwelchen Grundbesitz. II. Neben das Land als Gebiet der landwirtschaftlichen Produktion trat im Mittelalter die Stadt als Mittelpunkt des Handels und des Gewerbes 9, neben den Landesausbau durch Rodung und Dorfanlage die Stadtgründung. Insofern die Stadt die Siedlung des Kaufmanns ist, Handelsgegenstände auf ihrem Markt vereinigt, aber auch Handelsware in einem engeren oder weiteren Ausstrahlungsbezirk verbreitet und aus diesem stadtfremde Erzeugnisse bezieht, läßt sich die hier entstehende Wirtschaftsform als Stadtwirtschaft bezeichnen. Doch waren es nur größere Städte, die Mittelpunkt einer solchen Stadtwirtschaft sein konnten, wie überhaupt tiefgreifende wirtschaftliche Unterschiede innerhalb der Städte nicht übersehen werden dürfen. t>er Handel des Mittelalters war zunächst vorwiegend Binnenhandel, griff dann aber auf das Gebiet der Nord- und Ostsee und des Mittelmeers über. Der deutsche Kaufmann handelte von Nischni Nowgorod bis London und von Skandinavien bis nach Italien und Portugal. Neben diesem Außenhandel (Fernhandel) und einem im Gesamtbild nicht bedeutsamen Wanderhandel steht der Binnenhandel auf den städtischen Märkten, die nicht nur Wochenmärkte und Jahrmärkte, sondern tägliche Märkte mit dauernden Verkaufsräumen (Gewölben) geworden waren. Handel und Handwerk waren auch jetzt noch nicht streng geschieden, da der Handwerker die Erzeugnisse seiner Arbeit auch selbst verkaufte, und so konnte mercator den Kaufmann wie den Handwerker bezeichnen. Nur Händler waren die 8 D o p s c h , Herrschaft u. Bauer (39) 164 sucht zu beweisen, daß es Gutsherrschaften auch i m übrigen Gebiet gegeben hat. Gezeigt ist aber nur, daß einzelne wirtschaftliche Erscheinungen der Gutsherrschaft auch sonst vorkamen. 9 Schriftt. bei K ö t z s c h k e , a. zu § 5 a. O. 440. 581. D a z u E b e l , Zum U r s p r u n g d. Arbeitsvertrages, ZgesStW.96 (36) 319. Z y c h a , Uber die Anfänge der kapitalistischen Ständebildung i n Deutschland, VjsSWG. 31 (38) 105. 209.

§ 35. Wirtschaftliche Verhältnisse

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Verkäufer von Kolonialwaren, Südfrüchten, Gewürzen (Krämer) und feineren, eingeführten Tuchen (Gewandschneider). Auch diese waren überwiegend Kleinhändler in unmittelbarem Verkehr mit dem Verbraucher oder vereinigten Großhandel und Kleinhandel. Ausschließliche Großhändler sind nur in wenigen großen Städten vorhanden, zum Teil in der Form von Handelsgesellschaften, mit denen sich auch die ersten Versuche der Preisbeeinflussung und Monopolisierung verknüpfen. Deren Tätigkeit lag dann vorwiegend außerhalb ihres Wohnsitzes. Damit berührt es sich, daß den stadtfremden Kaüfleuten zum Schutz, des städtischen Kleinhandels unter sehr verschiedenen Voraussetzungen nur Großhandel erlaubt war. Doch werden gerade sie späterhin gezwungen, ihre Waren bestimmte Zeit in den Städten zum Verkauf zu stellen, die kraft landesherrlichen Privilegs oder kraft Gewohnheit das Recht auf den Stapel oder die Niederlage (Stapelrecht) erlangt hatten 10 . Die Ausdehnung des Handels führte zu neuen Formen, indem große Kaufhäuser den Transport der Ware dem aufblühenden Transportgewerbe überließen, Vermittler zwischen Produzent und Großhändler sich einschoben, das Bargeschäft im Großhandel und Fernhandel dem Kreditgeschäft Platz machte, als dessen Mittel schließlich die befristete, bargeldlose Zahlung durch den Wechsel auftrat. In innerem und äußerem Zusammenhang mit dem Handel steht die Entwicklung der Geldwirtschaft. Sie wurde ermöglicht durch die Steigerung des Vorrats an Edelmetall, die durch die Ausdehnung des Bergbaus 11 und durch Zufluß aus dem Orient, namentlich auch infolge der Kreuzzüge, herbeigeführt wurde. Nunmehr konnten die Erträgnisse der Grundrente und die Handelsgewinne nicht nur leicht angesammelt, sondern auch in Kreditgeschäften, Zinsdarlehen und Rentenkauf gewinnbringend verwertet werden. Die Anhäufung von Geld bei den Stadtverwaltungen führte zur Gründung städtischer Banken (Frankfurt a. M., Straßburg). Die Mehrung bürgerlichen Reichtums trug zur Gründung großer Handelsgesellschaften bei 12 . Durch die Ausdehnung der Geldwirtschaft trat die Bedeutung des liegenschaft10 G ö n n e n w e i n , Das Stapel- u n d Niederlagsrecht (39). K u s k e , D e r Kölner Stapel, Jb. d. K ö l n e r Geschichtsver. 21 (39) 1. D a m i t i m Zusammenhang stehen der Straßenzwang, der den H ä n d l e r hinderte, die Stadt zu umgehen, u n d das Umschlagsrecht, k r a f t dessen die Bürger die Weiterbeförderung der Waren auf ihnen gehörigen Fahrzeugen verlangen konnten. M o h r , Haltezwang u n d Wegerichtung, i n „ A u s Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte" (28) 115. 11 Vgl. Z y c h a , VjsSWG. 5 (07) 238, 6 (08) 85, 33 (40) 85, 210, 34 (41) 41. Dazu das u. zu § 42 a. Schriftt. 12 Deren bedeutendste ist i m M A . die Ravensburger, über die zu vgl. S c h u l t e , Gesch. d. großen Ravensburger Handelsgesellschaft I — I I I (23) u. R e h m e , ZRG. 47 (27) 487. Bezüglich anderer vgl. Schriftt. zu § 65.

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I I I . Das Mittelalter

liehen Besitzes i n der Stadt i n den Hintergrund. Soweit er nicht von Anfang an i m freien Eigentum der Bürger stand, sondern zu stadtrechtlicher Leihe besessen wurde, erfolgte eine U m w a n d l u n g des Leiherechts i n Eigentum und des Rechts auf Grundzins i n ein Recht auf eine Rente, die späterhin auch abgelöst wurde. I m Gegensatz zum L a n d wurde i n der Stadt das freie Eigentum zur herrschenden Besitzform. I I I . Das Münzwesen w a r infolge der Verleihung des Münzrechts an Territorien und Städte außerordentlich zerrissen. Als Silbergeld wurden allerdings auch w e i t e r h i n Denare ausgeprägt, die aber sehr verschiedenen W e r t hatten. Größere Bedeutung gewannen i m Süden und Osten der Regensburger, i m Norden und Süden der Kölner Denar, neben ihnen die i n Schwäbisch H a l l seit dem 13. Jahrhundert ausgeprägten Pfennige (Heller = V2 Kölner Denar). D i e seit dem 11. Jahrhundert auftretende kölnische M a r k war nur Gewichtsmünze (234 g), der nach einigen Schwankungen 144 Denare entsprachen. Seit L u d w i g dem Bayern wurde i n Anlehnung an den Florentiner Gulden zur Ausprägung einer Goldmünze übergegangen. Als solche gewann der rheinische Gulden die größte Verbreitung. Ende des 15. Jahrhunderts wurde nach venezianischem V o r b i l d ein gleichwertiges Silberstück ausgeprägt, der später so genannte Taler (Joachimstaler, Guldengroschen). I V . D e r freie A b l a u f der Wirtschaft erfuhr vielfach Einschränkung durch herrschaftliche Eingriffe. Zwar hat das Reich keine nennenswerte Wirtschaftspolitik betrieben, wenn man von seinem Vorgehen gegen die Handelsgesellschaften absieht. Dagegen ist sie von den Städten, innerhalb ihrer von den Zünften, von den Landesherren und von den Grundherren geübt worden 1 3 . Neben schon berührten Regelungen des Handelsverkehrs verdienen Erwähnung das Verbot des Fürkaufs, d. h. des Kaufes außerhalb des Marktes und vor Beginn der Marktzeit, sowie des Aufkaufs, die beide preissteigernd w i r k t e n , die Regelung von L o h n und Preis, überhaupt die Handhabung der Gewerbepolizei durch die Zünfte. Stadt- und Ortsherrschaften übten gewerbliche Bann- und Zwangsrechte 14 . 13 Vgl. dazu S p a n g e n b e r g , T e r r i t o r i a l - u n d Stadtwirtschaft (32). L ö η i η g , Staat u. Wirtschaft Unter Heinrich d. Löwen, Festschr. Hedemann (38) 13. 14 K r a f t des Bannrechts konnten sie D r i t t e n innerhalb der u m die Stadt oder den O r t gezogenen Bannmeile die Ausübung eines Gewerbes oder Handels verbieten, k r a f t des Zwangsrechts von D r i t t e n die Deckung ihres Bedarfs beim Berechtigten u n d n u r bei i h m fordern. Beide Rechte können auch verbunden sein. Diese Rechte standen i n verschiedener Ausgestaltung (z.B.Mühlenbann, Backofenzwang, Weinzwang, Fleischzwang) zunächst dem G r u n d h e r r n innerhalb der Hofgenossenschaft, dann aber auch dem Stadt-

§ 36. Ständewesen

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S. Schriftt. zu §§ 5, 16 u n d 65 (v. Maurer, v. Inama-Sternegg, Kötzschke, Kulischer, Caro, Ernst, Th. Knapp, G. Fr. Knapp, v. Below, Lütge). Dazu v. I n a m a - S t e r n e g g , Deutsche W G . I I . I I I (1891—01). v. B e l o w , Probleme der W G . 2 (25). D e r s . , Gesch. d. deutschen Landwirtschaft d . M A . (37). B e c h t e l , Wirtschaftsstil d. deutschen SpätMA. (30). D e r s . , Wirtschaftsgeschichte Deutschlands (41). K u s k e , Das ma. d. Reich i n seinen w i r t schaftlichen u. sozialen A u s w i r k u n g e n , YjsSWG. 35 (42) 265. Ferner S o m b a r t , Der moderne Kapitalismus I 2 (16), I I 2 (17). S t r i e d e r , Studien zur Geschichte kapitalistischer Organisationsformen (14). D e r s . , Zur Genesis d. modernen Kapitalismus 2 (35). E h r e n b e r g , Das Zeitalter der Fugger 3 (22). R ö r i g , Unternehmerkräfte i m flandrisch-hansischen Raum, HZ. 159 (39) 265. M a y b a u m , D i e Entstehung der Gutsherrschaft i m nordwestlichen Mecklenburg (26). T h . K n a p p , Beiträge zur Rechts- u n d W G . (02). D e r s . , Neue Beiträge (19). F u c h s , D e r Untergang des Bauernstandes u n d das A u f k o m m e n der Gutsherrschaften (1888). P r ö v e , D o r f u n d Gut i m alten Herzogtum L ü n e b u r g (29). A r n o l d , Zur Geschichte des Eigentums i n den deutschen Städten (1862). Κ . Β e y e r i e , Grundeigentum u n d Bürgerrecht i m m i t t e l a l t e r l . Konstanz I 1. I I (00/02). v. S c h w i n d , Zur Entstehungsgesch. d. freien Erbleihen (1896). R i e t s c h e l , D i e Entstehung d. freien Erbleihe, ZRG. 22 (01) 181. S e e l i g e r , D i e soziale u n d politische Bedeutung d. Grundherrschaft (03). W o p f n e r , Beiträge zur Geschichte d. freien b ä u e r l . Erbleihe Deutschlands (03). Schriftt. zur M a r k g e n o s s e n s c h a f t bei K ö t z s c h k e a . a . O . 215. P h i l i p p i , D i e Erbexen (20; dazu Frölich, ZRG. 42, 558. H. M e y e r , DLZ. 1927, 2268). B e r g d o l t , Badische A l l m e n d e n (26). D o p s c h , D i e freien M a r k e n i n Deutschland (33; dazu Merk, ZRG. 54 [34] 319). W e l l m e r , Zur Entstehungsgesch. d. Markgenossenschaften (38). G a n a h l , M a r k (s. § 16). Schriftt. z. G r u n d h e r r s c h a f t bei K ö t z s c h k e , a . a . O . 221. 364. D o p s c h , Herrschaft u n d Bauer i n d. d. Kaiserzeit (39). D e r s . , D i e Grundherrsch, i m M A . (Festschr. Zycha [411 87). F. B e y e r 1 e , D i e Grundherrschaft der Reichenau, i n K u l t u r der A b t e i Reichenau I (25) 452. W a m ρ a c h , Geschichte d. Grundherrschaft Echternach i m F r ü h M A . I 1, 2 (29/30). Schriftt. zur s t ä d t i s c h e n W i r t s c h a f t bei K ö t z s c h k e a. a. O. 425. 579. S c h m e l z e i s e n , D i e Rechtsstellung der F r a u i n d. d. Stadtwirtschaft (35). K ö h l e r , Einzelhandel i m M A . (38). P e t e r k a , H a n d e l u n d Gewerbe Prags i n vorhussitischer Zeit, i n „Sudetendeutschtum" (37) 153. Schriftt. z. M ü n z w e s e n bei Kötzschke 520. 526 u n d o. zu § 16. Τ ä u b e r , Geld u n d K r e d i t i m M A . (33) 75. J e c h t , VjsSWG. 26 (33) 25. R ö r i g , Mittelalterliche Weltwirtschaft (33).

S 36. Ständewesen Die soziale Schichtung wurde im Mittelalter durch eine Reihe von Umständen beeinflußt, die der vorausgehenden Zeit als solche fremd waren. Diese sind die Ausbildung des Rittertums, die Entwicklung der Stadt, die innere Kolonisation und die Siedlung im Osten. Wurden durch sie neuartige Vorbedingungen für den ständischen Aufbau geschaffen, so entstand mit der Territorialgewalt der auch ständisch h e r r n innerhalb seines öffentlichen Herrschaftsgebiets zu. D e m freien M a r k t ist dieser Gewerbebann fremd, so daß er i h n als Jahrmarkt u n d Wochenm a r k t vorübergehend aufhebt u n d als täglicher M a r k t dauernd, soweit nicht bei der M a r k t g r ü n d u n g bestimmte Bannzeiten vorbehalten wurden. Vgl. F. B e y e r 1 e , Festg. Speiser (26) 39.

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wirksame Gegensatz der Reichsunmittelbaren und der Reichsmittelbaren. Stadt und R i t t e r t u m umschlossen j e einen Personenkreis, dessen gleichgerichtete Interessen ebenso ausgleichend i m Innern w i e nach außen h i n abschließend w i r k e n mußten. Stärker noch als die Stadt hat schließlich das R i t t e r t u m den für die Folgezeit entscheidenden Gedanken der Berufseinheit v e r w i r k l i c h t , der gegen Ende des Mittelalters und i n der Neuzeit die ständische Gliederung beherrschte. I. D i e das gesamte V o l k erfassende Ständeschichtung nach Landrecht knüpfte an die fränkische Zeit an, indem sie zwischen Freien und Unfreien schied. Doch hatte dieser Unterschied an Schärfe verloren, da die Unfreien (Eigenleute) an Zahl abnahmen und nicht mehr völliger Rechtlosigkeit unterworfen waren 1 . A m schlechtesten standen das Hausgesinde und ländliche, nicht angesiedelte Arbeiter (dagescalci, dagewerchten). Sie hatten nicht fest bemessene (sog. ungemessene) Dienste i m Hause oder auf dem Felde zu leisten, waren vermögensunfähig u n d standen i m Eigentum ihres Herrn, waren aber strafrechtlich geschützt. A u f ein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit, verbunden m i t persönlichen Abgaben (ζ. B. Sterbefall) und Schollengebundenheit beschränkte sich regelmäßig die (westdeutsche) Leibeigenschaft 2 . Unter den Freien stellen die Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts 9 an die Spitze die Fürsten und die freien Herren, indem sie ihnen durchaus i m E i n k l a n g noch m i t den Standeswirkungen der voraus1

Über die geistesgeschichtliche Grundlage des Schwindens der Unfreiheit v. V ο 11 e 1 i η i , ZRG. 57 (37) 182. 2 I n der Rechtsstellung der Fremden w i r k t e die ursprüngliche Rechtlosigkeit i n einzelnen nachteiligen Rechtsregeln weiter (vgl. Η ü b η e r , Grundzüge d. deutschen Privatrechts 5 (30) 86. D i e von Juden ruhte auch i m M A . auf dem königlichen u n d landesherrlichen Privilegienschutz. Vgl. ebda. 94 sowie das i n 2 Bd. (Text u. Quellen) englisch ersch. W e r k von K i s c h über die rechtl. u. soz. Stellung d. Juden i n Dtschl. i m MA. (Jewry L a w i n Medieval Germany) auf G r u n d der Rechtsbücher u n d Schöffensprüche (49). 8 Das Folgende sieht ab von der sehr bestrittenen E n t w i c k l u n g der Stände i n Friesland. D i e herrschende Ansicht sieht i n den friesischen Ethelingen die Fortsetzung des Adels der fränkischen Zeit, i n den F r i l i n g e n Gemeinfreie, unter denen die L i t e n (letslachte) stehen. Nach neuerer A u f fassung (Heck) wären die Ethelinge als die Gemeinfreien anzusehen, die F r i l i n g e aber als Minderfreie. D i e Frage bedarf weiterer Untersuchung, die aber nur dann zum Ziele führen w i r d , wenn es gelingt, über die Interpretation von Quellenstellen hinaus die Geschichte einzelner F a m i l i e n zu verfolgen. J ä k e l , Etheling, Frimon, F r i l i n g u. Szeremon, ZRG. 27 (06) 275. D e r s . , D i e münzmetrologischen A n h a l t s p u n k t e für die Erkenntnis der altfries. Ständeverfassung, ebda. 30 (29), 49. H e c k , D i e fries. Standesverhältnisse i n nachfränkischer Zeit, Festg. Thudichum (07) 49. D e r s., Ubersetzungsprobleme i m frühen M A . (31). D e r s . , D r e i Studien zur Ständegeschichte (39). E. M a y e r , Friesische Ständeverhältnisse (10).

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gehenden Zeit die gleiche Buße zubilligen. Von diesen hat der Fürstenstand i m Laufe des Mittelalters eine grundlegende Veränderung erfahren. Bis i n das 12. Jahrhundert w u r d e n i m Sprachgebrauch der Reichskanzlei als principes Inhaber höherer Ä m t e r bezeichnet, die Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte, der Reichskanzler, Herzöge, M a r k grafen und Grafen. Insofern w a r der Reichsfürstenstand i m wesentlichen Amtsadel. Doch teilt dieser Kreis die mangelnde Geschlossenheit m i t der fränkischen Aristokratie, so daß gelegentlich Amtsinhaber nicht zu den principes gerechnet wurden, w o h l aber große Grundherren oder politisch bedeutende Personen. D e r G r u n d liegt darin, daß einerseits die höheren Ä m t e r fast ausschließlich i n der H a n d einer Aristokratie lagen, die als solche zu den principes (optimates) der einzelnen Stämme rechnete, anderseits nicht alle Glieder dieser Aristokratie Amtsinhaber waren. D i e Ausbildung eines geschlossenen Reichsfürstenstandes fiel zeitlich zusammen m i t der Uberw i n d u n g des Stammesherzogtums u n d erscheint 1180 m i t der Niederwerfung Heinrichs des L ö w e n vollendet. Ursächlich steht sie i n Beziehung zum Vordringen des Lehnwesens und ist ein Ausdruck der Feudalisierung des Staates. Von n u n ab ist Fürst n u r derjenige, der mindestens eine Grafschaft vom K ö n i g unmittelbar zu Lehen hatte und nicht Lehnsmann eines anderen Laien w a r 4 . D i e freien Herren (Edelfreie, l i b e r i barones) sind die rittermäßig lebenden, m i t Gerichtsbarkeit ausgestatteten Çrundherren (Dynasten), mochten sie ihren Besitz zu freiem Recht, als A l l o d , oder zu Lehen haben. D i e Bedeutung des edelfreien Standes ging bis zum Hochmittelalter weit darüber hinaus, dem einzelnen eine bestimmte rechtliche und soziale Stellung zu gewähren. Sie beruhte vor allem darauf, daß i n der Hand dieses Standes die Grafenämter und hohen Vogteien lagen, die eben nur ein Edelfreier innehaben konnte. D a m i t w a r die Staatsverwaltung den Fürsten und Edelfreien überlassen. Außerdem hing i n den Mehrzahl der Klöster und kirchlichen Stifte die Aufnahme von edelfreier Geburt ab, so daß audi die höheren kirchlichen Pfründen i n der Hand dieses Standes sich befanden. Endlich w u r d e n auch die Bischofsstühle fast ausschließlich m i t Edelfreien besetzt 5 . Setzte sich i n den Fürsten und freien Herren der fränkische A d e l fort, so der Stand der Gemeinfreien i n freien Bauern, die entweder auf eigenem Kleinbesitz lebten oder auf einem Gut, das sie, wie die Landsassen des Sachsenspiegels, zu freier Leihe hatten. Neben diese 4 Vgl. T e l l e n b a c h , Vom karol. Amtsadel z. d. Reichsfürstenstand, A d e l u. Bauern (43) 22. S t e n g e l , Land- u. lehnrechtl. Grundlagen des Reichsfürstenstandes, ZRG. 66 (48). 5 S c h u l t e , D e r A d e l u. die dc^tsdie Kirche i m M A . 2 (22). ν. D u n g e r n , Adelsherrschaft i m M A . (27).

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Altfreien tritt schon seit der Salierzeit im Zusammenhang mit Rodungen und der Wirtschaft der Klöster (Zisterzienser, Prämonstratenser) eine Schicht von neufreien Bauern, die deshalb frei genannt wurden, weil sie keiner Herrschaft außer der des Reiches oder später eines Territorialherrn unterworfen waren. Zu ihnen dürften wenigstens teilweise die Pfleghaften oder Biergelden (bargildi) des Sachsenspiegels gehören 6. Jedenfalls waren sie gleich den fränkischen Gemeinfreien bäuerlichen Berufs und unterstanden nur öffentlicher Gerichtsbarkeit 7 . Sie leisteten, weil selbst zum Reiterdienst unfähig, gleich andern „freien" Bauern, eine ständige, öffentlichrechtliche Abgabe an den Grafen 8. Zwischen diese Gemeinfreien und die Fürsten und Edelfreien hat sich eine Klasse eingeschoben, die im Sachsenspiegel als die der Schöffenbarfreien (scepenbare lüde) erscheint und unter diesem Namen nur im ostfälischen Gebiet auftritt 9 . Sie sind Grundbesitzer mit einem Mindestbesitz von drei Hufen und trennen sich von den Gemeinfreien durch eben die Eigenschaften, die sie den oberen Ständen zuweisen, durch ihre Abstammung aus altfreiem Geschlecht, ihre Fähigkeit zum Reiterdienst und zum Schöffenamt im Gericht des Grafen, durch den Besitz eines Stammguts (Handgemal)10. Sie stehen in Wergeid und Buße den Fürsten und freien Herren grundsätzlich 5 A d e l u n d Bauern, hrsg. ν. T h. M a y e r (43). W e i l e r , D i e fr. Bauern i n Schwaben, ZRG. 54 (34) 178. W e 11 m e r , a. § 35 a. Ο. B a d e r , Bauernrecht u n d Bauernfreiheit i m späteren MA., HJB. 61 (41) 51. D e r s., Zur schwäbischen YG., ZGORh. 55, 710. T h . M a y e r , D i e Entstehung des Klebel, s .modernen" Staates i. M A . u. die freien Bauern, ZRG. 57 (37) 210. Freies Eigen- u n d Beutellehen i n Ober- u. Niederbayern, ZBLG. 11 (38) 45. B o r g m a n n , D e r freie Bauer u. d. Freigut i m MA., Bl. f. deutsche Landesgeschichte 84 (38) 188. Über die Pfleghaften vor allem Μ ο 1 i t ο r , D i e Pfleghaften des Sachsenspiegels u. das Siedlungsrecht i m sächsischen Stamm,esgebiet (41). D i e noch erforderliche weitere Untersuchung hätte noch mehr zu beachten, daß die späte Anlage einer Siedlung k e i n Beweis für mangelnde Freiheit der Siedler i m alten Sinne ist. 7 Nicht zutreffend ist die Ansicht von H e c k , der die Pfleghaften u n d Biergelden als Stadtbürger auffaßt. 8 Sie erscheint als Grafenschatz, Königszins, Freizins, wandelte sich b a l d i n eine Dingsteuer u n d w u r d e i m späteren M A . zu einer auf das Gut gelegten Last, wobei zu beachten ist, daß diè Quellen A l t f r e i h e i t u n d Neufreiheit nicht unterscheiden, der Königszins also auch Rodungszins sein kann. Κ . B é y e r 1 e , ZRG. 35, 289. ν. M i n n i g e r o d e , Königszins, Königsgericht, Königsgastung (28). 9 F ü r eine Erfindung des Sachsenspiegels h i e l t die Schöffenbaren v. Z a l l i n g e r , D i e Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels (1887). Dagegen E. Mayer, K r i t V j s . 3 1 , 149. E. M e i s t e r , Ostfälische Gerichtsverfassung (12) 193. 10 Grundlegend H o m e y e r , Über die Heimat nach altdeutschem Recht (1852). H. M e y e r , Das Handgemal (34; dazu v. Schwerin, K r i t V j s . 30, 158). D e r s . , DLZ. 1937, 391. H e c k , Unters, zur altsächsisch. Ständegliederung (36; dazu Haff, VjsSWG. 29, 394). B o h n e n b e r g e r , BGDS. 61 (37) 332.

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gleich. Die Entstehung der Schöffenbarfreiheit hängt mit der unten zu besprechenden Ministerialität zusammen, indem die Schöffenbarfreien größtenteils unter Vorbehalt ihrer Schöffenamtsfähigkeit in die Ministerialität eingetreten sind (sog. Vorbehaltsministerialen), während ein kleinerer Teil aus Reichsministerialen bestand, die nach ihrer Freilassung das Recht zum Schöffenamt und Grundbesitz erhalten hatten. Sie sind teils verarmter Adel, teils hochgekommene Gemeinfreie und Unfreie. Im Namen sind ihnen gleich bäuerliche Schöffenbarfreie (Freischöffenbare, Königsfreie) in Westfalen, die aber keinen Ritterdienst leisten und grafenschatzpflichtig sind. Rechtlich werden ihnen die Bürger der ostfälischen Städte gleichgestellt11. Den Ubergang zu den Unfreien bildeten die Zinsleute (tinsman, censualis), die in persönlicher Abhängigkeit von einem Grundherrn standen und ihm persönliche Abgaben schuldeten (Kopfzins, Heiratssteuer, Erbschaftsabgaben), an die Scholle gebunden und der Gerichtsbarkeit des Grundherrn unterworfen waren. Sie sind das Ergebnis eines Standesausgleichs innerhalb der Grundherrschaft, indem die Masse der Grundhörigen, die halbfreien Laten im Norden und die Barschalken im Süden mit den freien Hintersassen und den auf einem Hof angesiedelten Unfreien zu einer einheitlichen Klasse zusammenwuchsen12. II. Die Gliederung der im Lehnsverband stehenden, ritterlichen Personen baut geschichtlich auf auf einer Dreistufigkeit, bei der der König (princeps) auf der obersten Stufe steht, auf ihn die Fürsten (capitanei) und auf sie deren Vasallen (valvassores) folgen. Bis zur Zeit der Rechtsbücher hat sich diese Gliederung weiterentwickelt. Die Einteilung erfolgt nach sogenannten Heerschilden, deren erster dem König zukommt. Im zweiten stehen die geistlichen Fürsten (Pfaffenfürsten), die seit dem Wormser Konkordat vom König mit dem Zepter belehnt werden (Zepterlehn). Die Laienfürsten sind, obwohl ebenfalls vom König, und zwar mit der Fahne belehnt (Fahnenlehn)13, in den dritten Heerschild abgesunken14. Die freien 11 D i e Ständeentwicklung i n der Stadt k a n n nur i m Zusammenhang m i t dieser besprochen werden (s. § 57). 12 Bessergestellt waren i n der Regel die Wachszinsigen (cerocensuales), Freigelassene der Kirche oder auch ursprüngliche Freie, die sich zur Leistung eines Zinses i n Wachs an eine Kirche verpflichtet hatten. M e i s t e r , Studien zur Geschichte der Wachszinsigkeit (14; dazu v. Minnigerode, VjsSWG. 13, 184). 13 Uber die bei der Belehnung als Symbol dienende rote Fahne (Blutfahne) H. M e y e r , ZRG. 50, (30) 322. 14 D e r G r u n d liegt i n der A n n a h m e von Lehen geistlicher Fürsten durch weltliche i n Verbindung m i t dem Grundsatz des Lehnrechts, daß seinen Heerschild niedert, wer von einem Gleichstehenden Lehen empfängt.

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Herren haben i m Sachsenspiegel den vierten Heerschild, während i h n der Schwabenspiegel den Hochfreien zuschreibt. D e r fünfte kommt nach jenem den Schöffenbarfreien und den gleich zu besprechenden Ministerialen zu, nach diesem den Mittelfreien, der sechste i m Sachsenspiegel den Mannen des fünften, i m Schwabenspiegel den M i n i sterialen. Deren Mannen stehen hier i m siebenten Heerschild, über dessen Inhaber der Sachsenspiegel schweigt. Gegenüber der landrechtlichen Gliederung liegt, von der Beschränkung auf Ritter abgesehen, der wesentliche Unterschied i n der Klasse der Ministerialen, die zugleich ein Ausdruck der sich vollziehenden Umschichtung der Stände ist. Diese Ministerialen sind zunächst gleich denen der fränkischen Zeit rechtlich unfreie Leute, auch wenn sie freier Abstammung waren. Ihre Entwicklung setzte damit ein, daß sie von ihrem H e r r n gleich anderen Unfreien als Ritter ausgerüstet und verwendet wurden. Dies hatte entsprechend dem vasallitischen Brauche zur Folge, daß ihre Eingliederung i n die Wirtschaft des H e r r n aufgehoben und ihnen ein dem vasallitischen ähnliches Dienstlehen übertragen wurde. So bildete sich außerhalb des ostdeutschen Kolonisationsgebiets ein Stand unfreier Ritter, auf den sich schließlich die Bezeichnung als Ministerialen (Dienstmannen) beschränkte. Dienstlehen dieser A r t nahmen aber auch Freie, die dam i t i n die Ministerialität eintraten, vielfach unter Vorbehalt bestimmter Freienrechte, w i e der oben erwähnten Schöffenbarkeit. Diese Vereinigung von ursprünglich Freien und Unfreien w i e die Gemeinschaftlichkeit des Berufs auch m i t den Angehörigen der oberen Heerschilde führte seit dem 13. Jahrhundert zur B i l d u n g eines Ritterstandes, dessen Mitglieder i n einzelnen Quellen als synodalis oder sendbar bezeichnet w u r d e n 1 5 . I n i h m überwand die Berufsgleichheit den Geburtsunterschied und wurde der seiner Abstammung nach unfreie Ritter zum Freien. Innerhalb dieses Ritterstandes waren die Ministerialen zahlenmäßig weitaus überwiegend. D a anderseits die Nichtritter militärisch n u r i n den Fällen des Landesaufgebots i n Frage kamen, waren sie es, auf denen die militärische Macht des 15

G e s c h e r , ZRG. Kan. 29 (40) 358. Vgl. v. B e l o w , HZ. 135 (27) 415. Nicht bewiesen ist die von E r n s t , D i e Entstehung des niederen Adels (16), Mittelfreie (20), Entstehung des deutschen Grundeigentums (26) vertretene Ansicht, daß der gesamte niedere A d e l auf dem ursprünglich freien, volksrechtlichen Stande der M i t t e l freien beruhe. Es ist zudem noch nicht geklärt, ob das M A . einen solchen zwischen Hochadel u n d Gemeinfreien stehenden, auf die mediani der L e x A l a m . zurückgehenden Stand von Mittelfreien gekannt hat. Über die A n sichten von E r n s t vgl. G l i t s c h , ZRG.41, 410. v. M i n n i g e r o d e , VjsSWG. 17, 192. E. M a y e r , TRG. V I I I .113, über sie u n d die von O t t o (s. § 17) S t u t z , Zum Ursprung u. Wesen d. niederen Adels (37). 16

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Reiches und: der T e r r i t o r i e n beruhte. Daraus e r k l ä r t es sich, daß i n der Stauferzeit der Versuch gemacht werden konnte, die königliche Macht auf die Ministerialen zu stützen. I n der Folgezeit entwickelte sich die Ministerialität zum niederen A d e l der Neuzeit 1 6 . Nichtadlige Ministerialen blieben zunächst die Freidienstmannen niederrheinischer Gebiete 1 7 . Ministerialen konnten nicht nur, w i e es nach der Heerschildordnung des Sachsenspiegels scheinen könnte, freie Herren haben, sondern auch andere rittermäßige Leute, auch der König. N u r i n Süddeutschland w u r d e das Recht, Ministerialen zu belehnen, auf die Fürsten beschränkt. Dies führte dazu, daß sich i n Abhängigkeit von anderen Herren eine besondere Klasse unfreier Ritter bildete, die der milites. Sie entbehrten der a k t i v e n Lehnsfähigkeit 1 8 u n d standen auch sonst unter den Dienstmannen, die ihrerseits m i t den übrigen reichsmittelbaren, a k t i v Lehnsfähigen i n der Klasse der Landherren zusammengefaßt waren. Eine besondere, höherstehende Gruppe unter den Ministerialen bildeten die Reichsdienstmannen, die des Königs und der geistlichen Fürsten. I I I . D i e ständebildende K r a f t des Berufs, die sich bei den R i t t e r n auswirkte, blieb hierbei nicht stehen, sondern führte zu der die Neuzeit beherrschenden Gliederung von Adel, Bürgertum und Bauernt u m (rustici, homines rusticani). Sie w a r aber nicht der einzige Umstand, der i n diese Entwicklung eingriff. Zunächst ist es dem M i t t e l alter nicht gelungen, die Bedeutung der Geburt auszuschalten. Nicht nur ist der Gedanke der Ebenbürtigkeit gerade i m M i t t e l a l t e r zu seiner vollen Ausbildung gelangt, sondern der Ritterstand selbst Schloß sich i m 13. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt der Ritterb ü r t i g k e i t ab und erlangte dazu die Unterstützung des Reiches, das schon 1186 den Bauernsöhnen verboten hatte, R i t t e r zu werden 1 9 . D i e berufsständische Gliederung entwickelte sich weiter nach der Seite des Geburtsstandes. Sodann zeigte sich i n der Stadt wie i n der Grundherrschaft die ständebildende Bedeutung des genossenschaftlichen Zusammenschlusses 20 . I n der Stadt trat nicht n u r eine allmähliche A n gleichung aller Bewohner zur Freiheit ein, sondern es drang auch der dementsprediende Rechtssatz durch, daß ein Unfreier oder Höriger, der sich von seinem H e r r n unangesprochen Jahr u n d Tag i n der Stadt 17

W e i m a n n , D i e Ministerialität i m späteren M A . (24). Sie konnten keine Lehen verleihen, hießen daher auch einschildige Ritter. 19 O 11 ο , Von d. Abschließung des Ritterstandes, HZ. 162 (40) 19. 20 I n den älteren Städten waren neben Freien regelmäßig auch Unfreie, Hörige u n d Ministerialen vorhanden. I n den Gründungsstädten überwog von Anfang an das freie Element. 18

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aufhielt, dauernd frei wird oder Bürger der Stadt (Luft macht frei) 21 . Das Seitenstück hierzu ist es, daß auf Grund Privilegs oder Gewohnheitsrechts derjenige, der sich Jahr und Tag in einer grundherrlichen Ilofgenossenschaft aufhielt, Höriger des Grundherrn wurde, mochte er vorher frei oder ganz unfrei gewesen sein (Luft macht unfrei). S. Schriftt. zu § 17 u. 35. W e i m a n n , D e r gesellschaftliche A u f b a u des deutschen Volkes i m M A . (31). Z y c h a , Uber den A n t e i l der Unfreiheit am A u f b a u von Wirtschaft u n d Recht (15). — Ficker-Puntschart, Vom Reichsfürstenstand I (1861). I I 1—3 (11—23). S c h ö n h e r r , Die Lehre v o m Reichsfürstenstand i. M A . (14). K e u t g e n , D e r deutsche Staat i. M A . (18) 55. v. D u η g e r η , Königsgericht u. Reichsfürstenrat, Festschr. Dopsch (38) 300. M ö l l e r , D i e Neuordnung des Reichsfürstenstandes u n d der Prozeß Heinrichs des Löwen, ZRG. 39 (18) 1. E r d m ' a n n a. zu §33 Anm. 8. a. O. v. D u η g e r η , Herrenstand i m M A . I (08). D e r s . , Adelsherrschaft i m M A . (27). D e r s . , Comes, liber, nobilis, A U F . 12 (32) 180. S t o b b e , D i e Stände des Ssp., ZDR. 15 (1855) 311. H e c k , D e r Ssp. u. die Stände der Freien (05; dazu v. Amira^ ZRG. 27, 379. 28, 435). D e r s . , Pfleghafte u n d Grafschaftsbauern i n Ostfalen (16; dazu v. Schwerin, ZRG. 37, 679). D e r s . , D i e Standesgliederung der Sachsen i m frühen M A . (27; dazu K . Beyerle, ZRG. 48, 491). D e r s . , Ubersetzungsprobleme i m frühen M A . (31). D e r s . , D r e i Studien zur Ständegeschichte (39; dazu Molitor, ZRG. 61, 382; Carsten, Z. d. Ges. f. Schleswig-Holstein. Geschichte 68, 279). M e i s t e r , Ostfälische Gerichtsverfassung (12). K . B e y e r l e , D i e Pfleghaften, ZRG. 35 (14) 212. F e h r , Das Waffenrecht der Bauern i m MA., ZRG. 35 (14) 111. 38 (17) 1. F. B e y e r l e , Der „ A r m e Heinrich" H a r t manns von A u als Zeugnis mittelalterlichen Ständerechts. Festg. für Fehr [48] 2 9 . - L . v . M a u r e r , Fronhöfe (s.§ 16) I I — I V (1862 f.). K i η d 1 i η g e r , Geschichte der deutschen H ö r i g k e i t (1819). F o c k e m a - A n d r e a e , Bijdr. tot de nederlandsche Rechtsgeschiedenis I I I (1892). Siehe auch das Schriftt u m zur Grundherrschaft § 35. — K e u t g e n , Die Entstehung d. deutschen Ministerialität, VjsSWG. 8 (10) 1. 169. 481. E. S t e n g e l , Über den U r sprung der Ministerialität, Festg. K e h r (26) 168. O t t o a. zu § 17 a. O. Β ο s 1, Die Reichsministerialität, i n A d e l u. Bauern (s. Anm. 6) 74. S e g n e r , D i e Anfänge d. Reichsministerialität bis K o n r a d I I I . (38). Zu dem hier genannten Schriftt. F o c k e m a - A n d r e a e , Opmerk. over d. Minister i a l i t e i t i n Nederland, Versi, en Meded. d. Akad. v. Wetensch., 3. R. X I I (1896). W i n t e r , D i e Ministerialität i n Brandenburg (22). B a s t , D i e M i nisterialität des Erzstifts T r i e r (28). P l a n i t z a. § 16 A n m . 4 a. O. ν. Κ 1 o c k e , Rechts- u. Sozialgesch. d. Ministerialitäten i n Westfalen, Westfäl. Forsdi. I I 2 (39) 214. G a η s h o f , Étude sur les ministeriales en Flandre et en Lotharingie (26). t e r K u i l e , Karolingische standen en de ministerialiteit i n Nederland, Rechtshist. Opstellen de Blécourt (39). D o p s c h , M Ö I G . 39 (23) 238. H a n d l e , D i e Dienstmannen Heinrichs d. Löwen (30). G a n a h l , Studien zur Verfassungsgeschichte der Klosterherrschaft St. Gallen (31) 109. v. S c h o w i η g e η , D. st. gallische Freilehen (38). v. Z a l l i n g e r , Ministeriales u n d milites (1878). S i e g e l , D i e rechtl. Stellung der Dienstmannen i n Österreich, SbAk. W i e n 102 (1883) 235. — B r u η η e r , L u f t macht frei, Berliner Festg. für Gierke (10). R ö r i g , L u f t macht eigen, Festschr. Seeliger (20). 21 D i e Streitfrage über die H e r k u n f t dieses Satzes behandelt B r u n n e r a. u. a. O. Doch dürfte er überhaupt nicht aus Flandern oder England übernommen, auch nicht aus dem Satze „ L u f t macht u n f r e i " abgeleitet sein, der seinerseits m i t der rechten Gewere zusammenhängen mag. Er ist der ohne A n l e h n u n g entstandene Ausdruck der ausgleichenden K r a f t der städtischen Gemeinschaft. Vgl. auch P l a n i t z , ZRG. 60 (40), 105, 64 (44) 64.

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2. Die Rechtsbildung § 37. Grundlagen I. Das wesentlichste M e r k m a l der mittelalterlichen Rechtsbildung ist die Rechtszersplitterung, die B i l d u n g von Rechtskreisen, die Ausgang u n d Geltungsbereich f ü r eine Fülle verschiedener Rechtsordnungen waren und eine weitestgehende Verschiedenheit des Redits zur Folge hatten. Es entstanden Rechte für einzelne Gebiete, für bestimmte Klassen, für besondere Rechtsverhältnisse, die allmählich die Herrschaft der alten Stammesrechte außer K r a f t setzten. Diese Entwicklung hing zum einen Teil, insoweit sie territoriale Rechtskreise schuf, zusammen m i t der politischen Zerspaltung des Reiches. Zum anderen T e i l entsprach àie dem Grundsatz der Autonomie des einzelnen Verbandes. Unterstützt wurde sie durch die territoriale und autonome Gerichtsbarkeit. A n die Stelle des Stammesrechts trat seit etwa dem 12. Jahrhundert das Landesrecht. D e r Stamm als solcher hörte auf, Quelle der Rechtsbildung zu sein. Diese Entwicklung w a r die Folge verschiedener Umstände. Neben der dauernden Niederlassung zahlreicher einzelner außerhalb ihres Stammesgebiets, der Auflockerung der Stammesverbundenheit u n d der K r ä f t i g u n g des Herrschaftsgedankens w i r k t e dahin die politische A u f t e i l u n g und Durchkreuzung alter Stammesgebiete. So haben sich aus dem bairischen Stammesgebiet Oberbaiern, Österreich, Salzburg und Steiermark herausgelöst, und für jeden dieser Teile ist ein besonderes Recht entstanden. Es hatte seine Quelle i n der Gesetzgebung und Rechtsprechung der Landesherrn, v o n deren K r a f t und Umfang die Schnelligkeit der Entwicklung abhing. D i e so hier und anderswo entstehenden Satzungen konnten ihrer Entstehung nach n u r f ü r das L a n d gelten, also Landesrechte sein. Auch da, wo es nicht zu umfangreicheren Kodifikationen kam, bildeten sich die Stammesrechte zu Landesrechten um. M i t dieser Ablösung der Stammesrechte durch territoriale Rechte verband sich eine weitere Veränderung. D e r Grundsatz der Bestimmung des für den einzelnen geltenden Redits auf G r u n d seiner Abstammung w a r am Beginn des Mittelalters noch wirksam. Allmählich aber setzte sich eine grundsätzliche Ä n d e r u n g durch, derzufolge sich das Recht des einzelnen nicht mehr nach seiner Abstammung bestimmte, sondern nach seiner Zugehörigkeit zu einem Herrschaftsgebiet. So konnte der einzelne zwar i n fremdem L a n d nach seinem Recht beurteilt werden und handeln, aber dieses w a r nicht das Recht der Geburt, sondern das der v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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politischen Zugehörigkeit. Doch nimmt das Streben, auch den Fremden dem Territorialrecht zu unterwerfen, dauernd zu1. Dem Landrecht trat das Stadtrecht gegenüber. In der Stadt lebten zunächst die einzelnen Bewohner nach dem ihnen vor der Stadtgründung zukommenden Recht. Die Hörigen der innerhalb der Stadt liegenden Fronhöfe oder einzelne zuwandernde Hörige lebten nach Hofrecht, Dienstmannen nach Dienstrecht, Freie nach Landrecht. Auch hier aber wurden Rechtssatzung und Gericht des Stadtherrn und späterhin städtische Autonomie zum Ausgang eines vom Landrecht verschiedenen, in der Stadt geltenden Stadtrechts, das im Gebiet nördlich des Mains den Namen des Weichbilds führte 2 . Neben diese territorialen Rechtskreise der Stadt und des Landes treten die persönlichen des Lehnverbandes, der Dienstmannschaft und der Hofgenossenschaft. Wie jene werden sie von der Rechtsprechung besonderer Gerichte fortgebildet, und mindestens Dienstrechte und Hofrechte können von der Satzungsgewalt des Dienstherrn oder Grundherrn ihren Ausgang nehmen. In nicht geringem Umfang sind jedoch diese Rechte dem genossenschaftlichen Rechtsbewußtsein entwachsen. Ihre Eigenart beruht vor allem darauf, daß ihre Regelungen nicht den Gesamtbereich der rechtlichen Beziehungen zu erfassen suchen, sondern sich auf die beschränken, die mit dem sie tragenden Grundverhältnis zusammenhängen. Dies zeigt sich am deutlichsten beim Lehnrecht, während beim Hofrecht die persönliche Herrschaft des Grundherrn über seine Hintersassen den Kreis der zu regelnden Fragen weiter zieht. Die Folge ist, daß die solchem persönlichen Rechtskreis unterworfenen Personen zugleich auch dem des Landrechts unterstellt sind. Daher konnte etwa das Verhalten Heinrichs des Löwen nach Landrecht wie nach Lehnrecht beurteilt werden und 1 D i e Terminologie ist schwankend. Es handelt sich u m zwei Fragen. D i e eine bezieht sich auf das Recht selbst. Dieses g i l t für den Einzelnen k r a f t seiner Zugehörigkeit zu einem Stamm (Stammesrecht) oder zu einem T e r r i t o r i u m (Territorialrecht). D i e andere Frage bezieht sich auf die Unterworfenheit unter das Recht des Stammes oder Gebietes, zu dem der Einzelne nicht gehört, aber durch Rechtsgeschäfte (Rechtsstreite usw.) m i t Zugehörigen oder äußere Umstände (ζ. B. Wohnsitz) i n Beziehung steht. Sie k a n n gelöst werden durch A n w e n d u n g des i h m eigenen Stammesrechts oder Territorialrechts (Personalitätsprinzip, Personalstatut) oder des i h m fremden Rechts. D a dieses n u r als Territorialrecht für i h n gelten k a n n (s. §8), herrscht dann T e r r i t o r i a l i t ä t s p r i n z i p . 2 Der erste T e i l des nd. w i k b i l e d e entspricht mhd; wich (entlehnt aus lat. vicus) = Flecken, Stadt. D e r zweite T e i l wurde zu mhd. * b i l i d a = Recht gestellt ( S c h r ö d e r , i n Festg. z. 26. deutschen Juristentag [02] 268), neuerdings m i t guten Gründen zu mhd. bilede ( = nhd. Bild), so daß sich die ursprüngliche Bedeutung v o n „Grenzpfahl m i t einem Hoheitszeichen* ergibt ( H o f f m a n n , Indogerm. Forsch. 56, 1). Vgl. auch V o g e l , HansGBl. 60 (35) 5.

§ 37. Grundlagen

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neben einem landrechtlichen ein lehnreditliches Verfahren gegen i h n stattfinden 3 . Der Zersplitterung des Rechts i n Rechte zahlreicher Länder, Städte und Verbände standen nur ungenügende Kräfte der Vereinheitlichung gegenüber. D i e Reichsgesetzgebung versagte fast völlig, das Königsgericht entbehrte nicht nur eines anderen Gerichten gleichwertigen Urteilerkollegiums, sondern auch bei seiner beschränkten Zuständigkeit des erforderlichen Einflusses. Günstiger lagen die Verhältnisse i m Bereich des Stadtrechts zufolge der sogenannten Bewidmung, der Übertragung des i n einer Stadt entstandenen Rechts auf eine andere, die i n der Regel bei der Stadtgründung durch den Stadtherrn erfolgte. Bei der Häufigkeit solcher Bewidmungen entstanden Stadtrechtsfamilien, die eine größere Zahl von Tochterstädten durch das ihnen gemeinsame Recht der Mutterstadt vereinigten. I n der Regel blieb die Verbindung m i t der Mutterstadt nicht auf die einmalige Bewidmung beschränkt. Das Gericht der Mutterstadt wurde Oberhof der Tochterstadt, bei dem diese u m Rechtsbelehrung oder Entscheidung zweifelhafter Rechtsfälle nachsuchte 4 . D i e bedeutendsten Mutterstädte und Oberhöfe waren Magdeburg und Lübeck. I n Westfalen genoß der Oberhof von D o r t m u n d großes Ansehen, i n Mitteldeutschland F r a n k f u r t a. M. und Eisenach, i n Schlesien und Mähren Breslau 5 , i n Böhmen Leitmeritz 0 . I m Süden wurde F r e i b u r g i. Br. Mutterstadt der Zähringischen Städte, auch i n der Schweiz und i m Elsaß, hat aber nur eine beschränkte Oberhoftätigkeit rechts des Rheins ausgeübt. M i t deren Recht verwandt w a r eine Gruppe von staufischen Stadtrechten des Südwestens 7 . Aber auch ohne förmliche Bewidmung hat sich städtisches Recht über sein Ursprungsgebiet hinaus verbreitet, wie insbesondere das Kölner 8 . Vereinheitlichend w i r k t e n i m Stadtrecht und i m Landrecht die seit dem 13. Jahrhundert zahlreich wer•

8

Schriftt. s. o. § 33 A n m . 8. D i e Oberhofstellung beruhte nicht immer auf Bewidmung. So dürfte zum Beispiel die von Ingelheim u n d von Aachen m i t der Zugehörigkeit · der Tochterorte zu einem Krongutsbezirk zusammenhängen. L ö r s c h , D e r Ingelheimer Oberhof (1885). S a a l w ä c h t e r , D. Recht d. Ingelheimer Oberhofs (30). S c h w a b e , D e r Aachener Oberhof, ZAachGV. 47 (25) 83, 48/49 (27) 61. Vgl. i m übrigen T h o m a s , D e r Oberhof zu F r a n k f u r t (1841). M i c h e l s e n , Der Oberhof zu Lübeck (1839). T o m a s c h e k , D e r Oberhof I g l a u (1868). B a s t i a n , D e r Freiburger Oberhof (34). G ö r l i t z , D i e Oberhöfe i n Schlesien (38). F ü r den Osten W e i z s ä c k e r , Deutsche Ostforschung 1 (42) 404. Zur Bezeichnung B ö h m , ZgesStrW. 59, 630. 5 W e i z s ä c k e r , ZVG. Schles. 72 (38) 25. « W e i z s ä c k e r , N A . SächsG. 60 (39) 1. D e r s . , Festschr. Zycha (41) 265. J . 7 T h i e m e , Staufische Stadtrechte i m Elsaß, ZRG. 58 (38) 654. Dazu die u. bei § 57 a. A r b . ν. H. F e i n u. F. B e y e r l e . 8 P l a n i t z , Das Kölner Recht u n d seine Verbreitung, ZRG. 55 (35) 131. 4

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denden Rechtsbücher, die zwar Privatarbeiten waren, aber vielfach an Stelle von Gesetzen das Rechtsleben und die Rechtsprechung beeinflußten (§ 39). Ihnen verdankt das sächsische Recht die Geschlossenheit und das Ansehen, dessen es sich bis i n die neueste Zeit erfreute. Endlich bildeten sich auch i m bäuerlichen Recht zahlreiche Weistümerfamilien (§ 42). I I . D i e Formen, i n denen uns mittelalterliches Recht entgegentritt, haben sich gegenüber der vorausgehenden Periode nicht grundsätzlich geändert, w o h l aber i h r Verhältnis. D i e Aufzeichnung von Recht w a r nach dem Aufschwung, den sie i m 9. Jahrhundert genommen hatte, i n den ersten Jahrhunderten des Mittelalters fast ganz erlahmt. M i t dem 13. Jahrhundert setzte sie erneut ein und bietet, ohne erschöpfend zu sein, ein leidlich vollständiges Bild. Dabei wurde von der lateinischen Sprache zur deutschen übergegangen, zuerst i m Sachsenspiegel, i m Mühlhauser Reichsrechtsbuch, i m Braunschweiger Stadtrecht und i m Mainzer Landfrieden (1235). Auch das geschriebene Recht w a r wie die Masse des ungeschriebenen überwiegend Gewohnheitsrecht, das alte, gute Recht der Vorfahren, dessen innere K r a f t auf T r a d i t i o n und Uberzeugung der Genossen beruhte. Dieser A r t zufolge konnte das Recht auch ohne Aufzeichnung jederzeit durch die Aufnahme eines Weistums i m Reich so gut wie i m dörflichen Verband festgestellt werden. Neben dem Gewohnheitsrecht spielte die Satzung n u r eine untergeordnete Rolle, zumal auch sie noch Gewohnheitsrecht i n sich aufnahm. Verschwunden ist das Königsrecht i m alten Sinn zugleich m i t der es tragenden Banngewalt. D e r Vergessenheit fielen aber auch die Volksrechte und K a p i t u l a r i e n der fränkischen Zeit langsam anheim, die weder von der Gesetzgebung noch von einer Rechtswissenschaft den sich ändernden Verhältnissen angepaßt wurden. I I I . Auch die Grundhaltung des Rechts ist keine wesentlich andere. Es ist immer noch durch die Betonung der persönlichen Verbundenheit des Rechtsgenossen m i t den anderen, auch m i t den Sachen ausgezeichnet, weshalb das Einungswesen zu einer beherrschenden Form des Rechtslebens wurde, Treue i m M i t t e l p u n k t der Rechtsethik stand. Das mittelalterliche Recht denkt i n Verbänden, nicht i n einzelnen. Es ist i n M i l d e und Strenge stark gefühlsbetont, nicht unlogisch, aber weder verstandesmäßig aufgebaut, noch mit dem Verstand restlos zu erfassen, ein ungelehrtes Recht. Symbole und Formen sind i h m noch lange eigentümlich. Dabei ist es zwar beharrend, aber nicht starr, und w i r d durch Rechtsleben und Rechtsprechung weitergebildet. Sein U r sprung aber ist nicht der Staat, der i h m unterworfen ist. Es kommt nach mittelalterlicher Anschauung von Gott, der selber „recht" ist, es ist göttlich und heilig. Doch dringen von zwei Seiten ändernde

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Kräfte ein. Das Wirtschaftsleben der Stadt schuf auf sich selbst gestellte Persönlichkeiten, die i n ihrer inneren H a l t u n g w i e i n ihrem wirtschaftlichen Gebahren den Individualismus der Folgezeit vorwegnahmen. Das Stadtrecht wurde zur Stätte einer fortschrittlichen Rechtsbildung, die sich von alten Anschauungen zu lösen begann. Seit dem 13. Jahrhundert drangen sodann langsam römische Rechtsgedanken ein, schon i m Schwabenspiegel deutlich, i n der Glosse zum Sachsenspiegel (Anfang des 14. Jahrhunderts) bewufit gefördert. Das kanonische Recht nahm ganze Rechtsgebiete w i e Eherecht und Testamentsrecht m i t Erfolg f ü r sich i n Anspruch. Diese Beeinflussung durch fremdes Recht brachte das einheimische zugleich i n Berührung m i t der von diesem nicht zu trennenden Rechtswissenschaft. D i e Folge w a r allerdings nicht eine wissenschaftliche Bearbeitung des deutschen Rechts als solchen, aber doch der Anfang einer juristischen Literatur, die einheimisches und fremdes Recht nach scholastischer Methode verglich und i n Übereinstimmung zu bringen suchte. Sie hat i n Johann von Buch, Nikolaus W u r m und dem Brünner Stadtschreiber Johannes ihre Hauptvertreter (s. u. §§ 39. 41). Während so i m deutschen Stammgebiet die Vorboten der Entdeutschung des Rechts erschienen, gewann dieses als ius teutonicum i n Verbindung m i t der Kolonisation weite Gebiete des Ostens. I n Preußen, i n der Lausitz, i n Schlesien, Polen, Böhmen, Mähren, Ungarn und Rußland führten deutsche Siedler deutsches Recht i n Städten und Dörfern ein und hielten es fest. Stadtrechte des hansischen Raumes beeinflußten die Stadtrechtsbildung des Nordens. Innerhalb des Reiches hatte die Siedlung Verschiebungen des Geltungsgebiets zur Folge, die insbesondere fränkisches Recht i n das sächsische Gebiet verpflanzten. Vgl. Schriftt. zu § 8 S t o b b e , Gesch. der deutschen Rechtsquellen I (1860). W o h l h a u p t e r , Rechtsqu. Schleswig-Holsteins 1 (38). M ö l l e r , Studien z. RG. d. Schauenburgischen Lande (39) 73. K e r n , Recht u n d Verf. i m MA., HZ. 120 (19) 1. W a c k e r n a g e l , D i e geistigen Grundlagen des ma. Redits (29). S c h i l l i n g , Das o b j e k t i v e Recht i n d. Sachsenspiegelglosse (31). — R. K ö t z s c h k e , D . Anfänge d. d. Rechts i. d. Siedlungsgeschichte d. Ostens (41). B ö t t c h e r , Gesch. d. Verbreit, d. lübischen Rechts (13). M e t h n e r , Das lüb. R. i n Memel, Altpreuß. Forsch. 10 (33) 262. v. G i e r k e , Danzigs deutsch. Recht, ZHandelsr. 107 (40) 161. B e c k e r , Magdeburger Redit i n d. Lausitz (31). H ä n i c k e n , Das H a l l e - N e u m a r k t Recht, thüring.-sächs. Z. f. Gesch. u. Kunst 27 (40) 65 ff. (bezieht sich auf die oben nicht genannte U r k u n d e v. 1235). G ö r l i t z , Das flämische u. d. fränkische Recht i n Schlesien, ZRG. 57 (37) 138. S c h u 11 h e i ß , D i e E i n w i r k u n g des Nürnberger Stadtrechts, Jb. f. fränk. Landesforschung 2 (36) 18. R ö ρ e 11, Über die V e r b r e i t u n g des Magdeburger Stadtrechts i m Gebiet des alten polnischen Rechts (1857). v. B r ü n n e c k , Zur Gesch. d. Magdeburger Rechts i n Lemberg, ZRG. 35 (14) 1. Κ ö b η e r , Deutsches Recht u. deutsche Kolonisation i n d. Piastenländern, VjsSWG. 25 (32) 313. A n d e r s , Der Übergang vom polnischen zum deutschen Recht (40). J a k o w l i w , Das deutsche Recht i n der U k r a i n e (42). S c h u b a r t - F i k e n t s c h e r , D i e Ver-

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breitung der deutschen Stadtredite i n Osteuropa (42). W e i z s ä c k e r , D e r Einfluß d. deutschen Rechts auf die böhmische Rechtsentwicklung, M V G DB.66 (28) 1. D e r s . , i n „Das Sudetendeutschtum" (37) 119. D e r s . , Das deutsche Recht i m Osten, D A L V o l k s f . 3 (39) 50. D e r s., D e r Stand der rechtsgesch. Forschung i m d. Osten, Deutsche Ostforsch. 1 (42) 391. D e r s . , Egerer u n d Nürnberger Stadtrecht, Jb. d. Ver. f. Gesch. der Deutschen i n Böhmen 3 (32) 265. L i e r m a n n , F r a n k e n u n d Böhmen (39). B u c h d a , Deutsches Bergrecht i m Südosten (39). H e y m a n n , Ungarisches P r i v a t recht (17) 9. 51. 68. 79. H a l b a n , Zur Gesch. d. deutsch. Rechts i n Podolien, W o l h y n i e n u n d d. U k r a i n e (1896). W o h l h a u p t e r , Das Recht SchleswigHolsteins u. d. Norden, Z. Schleswig-Holst. G. 70/71 (43) 49. Β 1 a e s e , D i e rechtl. W i r k u n g s k r a f t d. Ssp. i. Bereich d. heut. Estlands u. Lettlands, ZRG. 62 (42) 322.

§ 38. Reichsrecht D i e Quellen des Reichsrechts sind Reichsgesetze, die vom König regelmäßig unter M i t w i r k u n g der Großen erlassen wurden, Urteile des Königsgerichts, die als Weistümer für die Zukunft bindende Rechtssätze aufstellen, königliche Mandate und Privilegien, vom Reichstag erlassene Reichsweistümer und Weistümer der Kurfürsten. D i e Reichsgesetzgebung beschränkte sich fast ausschließlich auf den Landfrieden, die Reichsverfassung und die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Ihre Höhepunkte hat sie i m 13. und 14. Jahrhundert 1 . Vom 10. bis zum 12. Jahrhundert gibt es keinerlei nennenswerte Reichsgesetzgebung. D i e Landfrieden (constitutiones pacis, auch n u r pax) versuchten, die durch Überhandnehmen der ritterlichen Fehde und der Selbsthilfe eingetretene Rechtsunsicherheit zu bekämpfen, w i e dies schon vor ihnen und neben ihnen Landfrieden einzelner Länder taten 2 . D i e angewandten M i t t e l waren die Einrichtung besonderer Landfriedensgerichte, die auch für die Geschichte des Strafrechts bedeutsame Ausdehnung peinlicher Bestrafung der Friedensbrüche, also eine Ergänzung der ordentlichen Gerichte u n d eine Verschärfung der Strafen, und namentlich seit dem 13. Jahrhundert die Sicherung der Verbrechensverfolgung. D i e Landfrieden verboten die Fehde oder machten sie von bestimmten rechtlichen Voraussetzungen und Regeln abhängig. Sie w u r d e n meist vom König und den Großen vereinbart und beschworen, worauf sie diese i n ihren Ländern beschwören ließen. D i e Dauer der Geltung w a r vielfach auf eine bestimmte Zahl von Jahren festgesetzt. Neben den die Friedenswahrung betreffenden Be1 Einzelne Kaisergesetze w u r d e n auf kaiserlichen Befehl i n das Corpus iuris aufgenommen als sogenannte authenticae. Vgl. S a v i g n y , Gesch. d. röm. Rechts i m M A . I I I 2 (1834) 531. 2 Über die Fehde s. u. § 60.

§ 38. Reichsrecht

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Stimmungen enthalten manche Landfrieden audi solche verfahrensrechtlichen, polizeilichen, straf rechtlichen und wirtschaftlichen Inhalts. D e r älteste Reichslandfriede ist 1103 unter Heinrich I V . auf ein Jahr erlassen worden. Unter den zahlreichen Landfrieden der Folgezeit verdienen Hervorhebung die Friedrichs I. von 1152, 1158 (ronkalischer Landfriede) und 1186 (constitutio contra incendiarios), Heinrichs V I I . sächsischer Landfrieden von 1221 (1223?) und der von 1224 (sog. treuga Heinrici). Sie alle w u r d e n an Bedeutung übertroffen durch den Mainzer Landfrieden (constitutio Moguntina) Friedrichs I I . von 1235, der als erstes Reichsgesetz i n deutscher Fassung verkündet, aber auch lateinisch ausgefertigt wurde 3 . Noch u m 1400 wurde er von Nikolaus W u r m glossiert. Inhaltlich geht er über seinen Hauptzweck w e i t hinaus, behandelt u. a. Zoll und Münze, Burgenbau, Geleit, Kirchenvogtei und Einrichtung des Hofrichteramts. Von den auf i h n folgenden und auf i h m beruhenden Gesetzen w i r d der Landfriedensentwurf Albrechts I I . von 1438 unten noch erwähnt werden (§ 72). D e n A b schluß bildete der ewige Landfriede des Wormser Reichstags von 1495, der späterhin wiederholt neu verkündet und ergänzt wurde. Unter den Yerfassungsgesetzen w u r d e n von entscheidender Bedeutung für das Aufkommen der Landeshoheit die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis Friedrichs I I . (1220) und das von Heinrich V I I . 1231 zu Worms erlassene, 1232 von Friedrich II. m i t geringen Änderungen zugunsten der königlichen Macht bestätigte Statutum in favorem principum. D i e Unabhängigkeit der Kaiserwürde vom Papst Betont das nach seinen Anfangsworten bezeichnete Gesetz Licet i u r i s Ludwigs des Bayern von 1338, das sich i n der staatskirchenpolitischen Richtung m i t einem k u r z vorher ausgesprochenen Weistum des K u r vereins von Rense über die Königswahl deckt. D i e endgültige Regelung der Königswahl und der kurfürstlichen Rechte brachte ohne Bezugnahme auf Papst und päpstliche Krönung die später (Ende des 14. Jahrhunderts) nach einem goldenen Siegel so genannte Goldene Bulle Karls I V . I h r erster T e i l (cc. 1—23) wurde am 10. Januar 1356 i n Nürnberg, der zweite (cc. 24—32) am 25. Dezember 1356 i n Metz verkündet. Sie enthielt auch Bestimmungen über Fehde und Landfrieden, Bündnisse von Untertanen, Pfahlbürger, Münze 4 . Von den Konkordaten ist von staatsrechtlicher Bedeutung das Wormser vom 23. September 1122, während die übrigen von 1418 8 Gegen diese seit Z e u m e r (s. u.) herrschende Ansicht mit sehr beachtlichen Gründen v. V ο 11 e 1 i η i , ZHVSteierm. 26 (31) 73. S t e i n a c k e r , M Ö I G . 46 (32) 188 (deutsche u. latein. Fassung auf G r u n d latein. Entwurfs), M i 11 e i s , ZRG. 62 (42) 13 (deutsche Fassung n u r E n t w u r f ) . 4 N u r für I t a l i e n bestimmt war die Constitutio de regalibus Friedrichs I. von 1158. Uber sie u n d die sonstige Gesetzgebung des Reichstags von Roncaglia F i n s t e r w a l d e r , ZRG. 51 (31) 1. E r 1 e r , ZRG. 61 (41) 127.

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( K o n s t a n z e r ) u n d 1447 ( F ü r s t e n k o n k o r d a t ) u n d das z w i s c h e n F r i e d r i c h I I I . u n d N i k o l a u s V . abgeschlossene W i e n e r K o n k o r d a t v o n 1448 n u r B e z i e h u n g e n des Staates z u r K i r c h e r e g e l n u n d n u r m i t t e l b a r a u f die Staatsverfassung Einfluß haben. A u s g . Reichsgesetze bis 1347 i n M G H . (Quart) Constitutiones et acta p u b l i c a regum et i m p e r a t o r u m I — V I , V I I I (1893 ff.). V I I (1331—44) fehlt noch. D i e Gesetze dieser Jahre u n d jüngere i n : Neue u n d vollständigere Sammlung der Reichsabschiede I — I V (1747). D i e wichtigeren Stücke bei Z e u m e r , Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung 2 (13), u n d A l t m a n n u. B e r n h e i m , Ausgewählte U r k u n d e n zur E r l ä u t e r u n g der VG. Deutschi, i m M A . 4 (09). Diplomatisch genaue Texte bei W i l h e l m , Corpus der altdeutschen O r i g i n a l u r k u n d e n I (29) ff. — Deutsche Reichstagsakten I — X V I (1867—1935). F r a n k l i n , Sententiae curiae regis (1870). G ö c k e , D i e Anfänge der Landfriedensaufrichtungen i n Deutschland (1875). E g g e r t , Studien zur Ge, schichte d. Landfriedensaufrichtungen (1875). Ν i t z s c h , F D G . 21 (1881) 269. H e r z b e r g - F r ä n k e l , ebda. 23 (1883) 117. W e i l a n d , ZRG. 8 (1887) 88. W y η e k e η , D i e Landfrieden i n Deutschland von Rudolf I. bis Heinrich V I I . (1886). S c h w a 1 m , D e r Landfrieden i n Deutschland unter L u d w i g d. Bayern (1889). Z a l l i n g e r , M I Ö G . E B 4 (1883) 443. B o c k , D e r K a m p f u m die Landfriedenshoheit i n Westfalen, ZRG. 48 (28) 379. S c h n e l l b ö g l , D i e innere Entwicklung d. bayrischen Landfriedens (32). B. M e y e r , D i e Sorge f. d. Landfrieden i m Gebiet d. werdenden Eidgenossenschaft (35). B a d e r , Probleme d. Landfriedensschutzes i m ma. Schwaben, ZWLG. NF. 3 (39) 1. — Z e u m e r , D e r deutsche U r t e x t des Landfriedens von 1235, N A . 28 (03) 437. D e r s . , ZRG. 23 (02) 62. L u s c h i η ν. E b e η g r e u t h , Ν Α . 25 (00) 539. B ö h 1 a u , Nove Constitutiones domini A l b e r t i (1858) ; hier die Wurmsche Glosse. — Ζ e u m e r , Ludwigs des B a y e r n Königswahlgesetz Licet, iuris, N A . 30 (05) 85. § 39. L a n d - u n d Lehnrechtsbücher A l s Rechtsbücher bezeichnet m a n eine Reihe v o n p r i v a t e n Aufzeichn u n g e n des i n e i n z e l n e n G e b i e t e n g e l t e n d e n Rechts. M a n k n ü p f t d a b e i a n a l t e n S p r a c h g e b r a u c h an, d e r e i n z e l n e solcher A r b e i t e n schon i m 13. J a h r h u n d e r t so b e n a n n t e . D i e B e d e u t u n g d i e s e r Q u e l l e n l i e g t i n i h r e m Zusammenhang m i t dem Rechtsleben u n d i n dem f ü r i h r e Z e i t e i n z i g a r t i g e n S t r e b e n nach m ö g l i c h s t u m f a s s e n d e r D a r s t e l l u n g des g e s a m t e n Rechtsstoffes. G e s e t z e s k r a f t h a t k e i n e v o n i h n e n v o n A n f a n g a n besessen, a b e r e i n i g e s i n d g l e i c h G e s e t z e n i n d e r P r a x i s v e r w e n d e t w o r d e n . Es g a b L a n d r e c h t s b ü c h e r , L e h n r e c h t s b ü c h e r u n d Stadtrechtsbücher 1. D a s ä l t e s t e u n d b e d e u t e n d s t e d e r d e u t s c h e n Rechtsbücher i s t d e r S a c h s e n s p i e g e l , e i n e D a r s t e l l u n g sächsischen L a n d r e c h t s u n d anschließend Lehnrechts u n t e r b e w u ß t e r Ausscheidung v o n Dienst-, H o f - u n d S t a d t r e c h t . Seine Q u e l l e i s t i n e r s t e r L i n i e das R e c h t s l e b e n u n d der Gerichtsbrauch i n den Bistümern Magdeburg u n d Halbers t a d t . D a d u r c h e r g a b sich v i e l f a c h e i n e B e s c h r ä n k u n g a u f ostsächsisches Recht. D a n e b e n s p i e l e n a n d e r e R e c h t s q u e l l e n als V o r l a g e des Sachsen1

Uber diese s. § 41.

§ 39. Land- und Lehnrechtsbücher

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spiegeis nur eine geringe Rolle. Unmittelbar benutzt ist der Frankfurter Landfriede Heinrichs VII. (1221? 1223?) oder ein ihm nächstverwandter, ferner die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (1220), ein Lehnsgesetz Friedrichs I. von 1158, das Decretum Gratianum. Nichtjuristisches stammt aus der Bibel, aus der Historia scholastica des Petrus Comestor (f 1179)2 und aus Honorius Augustodunensis, Staatsrechtliches aus den politischen Vorgängen der Zeit. So hängen die Ausführungen über die Königswahl mit dem Streit zwischen Otto IV. einerseits, Philipp von Schwaben und Friedrich II. anderseits zusammen3. Der Sachsenspiegel besteht aus einem Landrechtsbuch und einem Lehnrechtsbuch. Jenes zerfiel ursprünglich nur in Artikel, ist aber später, nach herrschender Annahme durch den Glossator Johann von Buch, nicht ganz sinngemäß in drei Bücher eingeteilt worden. Dem Text gehen vier Vorreden voraus, eine gereimte, die praefatio rhythmica, die in ihrem zweiten Teil von Entstehung und Zweck des Werkes handelt, der Prolögus, beginnend mit einer Anrufung des Heiligen Geistes, der Textus prologi und die Vorrede von der Herren Geburt, eine Aufzählung der sächsischen Herrengeschlechter 4. Der Verfasser des Sachsenspiegels ist der Ritter Eike von Repkow, so genannt nach seinem Stammsitz Reppichau, im Gau Serimunt, in der Nähe von Dessau. Eike ist vermutlich zwischen 1180 und 1190 geboren und nach 1233 gestorben. In seiner Jugend hat er vielleicht eine gelehrte Erziehung genossen5. Zwischen 1209 und 1233 erscheint er sechsmal in den Zeugenlisten von Urkunden, zunächst als vir nobilis, und war (wohl freier) Vasall des Grafen Hoyer von Falkenstein (Stiftsvogt von Quedlinburg). Ob er nach 1233 in den geistlichen Stand eintrat, ist unsicher 6. 2

D i e Historica scholastica gehört zu den i m 13. bis 15. Jahrhundert blühenden Historienbibeln, freien Darstellungen des Bibelinhalts m i t theologischen, philosophischen u n d profangeschichtlichen Ergänzungen. 3 D i e sonstigen, i m neueren Schrifttum entdeckten Quellenbeziehungen des Sachsenspiegels sind noch unsicher. Über Beziehungen zum kanonischen Recht H u g e 1 m a η η , ZRG. Kan. 7 (17) 33; 9 (19) 1 ; 13 (24) 427. 4 R o t h e , D i e Reimvorreden des Sachsenspiegels (1899). F r e n s d o r f f , Beiträge (s. u.) 1921, 131. 5 F ü r einen Unterricht an der Halberstädter Domschule u n d ein Schülerverhältnis zu dem Kanonisten Johannes zem Ecke (Johannes Teutonicus) fehlen Beweise. 6 Über E i k e v. S c h w e r i n , Verfasserlexikon d. d. M A . I (33) 518, wo weiteres Schrifttum. F e h r , D i e Staatsauffassung Eikes von Repgau, ZRG. 37 (16) 131. R o s e n s t o c k , Ostfalens Rechtsliteratur unter Friedrich II. (12) 115; dazu G i e r k e , ZRG. 34. 542. H u g e l m a n n , ZRG. K. 9 (19) 59 (über Eikes politische Stellung). P a l m e r , Eike v. Repgow als religiöse Persönlichkeit (25). M e r k , Eike von Repgow, i n „ D i e großen Deutschen" I (35) 156. M ü l l e r , E y k e von Repgow als Urheber, Arch. Urheb.- u. Theaterr. 10 (37) 383.

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I I I . Das Mittelalter

Eike hat den Sachsenspiegel zuerst lateinisch abgefafit, dann aber auf Anregung des Grafen H o y e r i n das Deutsche, vermutlich i n das Niedersächsische, übertragen. A u f i h n geht der größte T e i l des uns allein überlieferten deutschen Textes zurück 7 . Dieser hat aber bis zur B i l d u n g der Vulgata eine Reihe von Zusätzen erfahren. Von Eike stammt jedenfalls der zweite T e i l der Reimvorrede (Vers 97—280) mit zahlreichen Anklängen an den Dichter Werner von Elmendorf, der Prologus und der Textus Prologi. D e r erste T e i l der Reimvorrede* eine Verteidigung des Sachsenspiegels gegen seine K r i t i k e r , geht auf einen anderen Verfasser zurück und ebenso w o h l die Vorrede von der Herren Geburt. W a n n Eike den lateinischen T e x t hergestellt hat, ist v ö l l i g ungewiß. D i e Zeit der Übertragung und damit der ersten deutschen Fassung ist bestritten. Sie liegt, w i e ziemlich sicher angenommen werden kann, zwischen 1220 und 1235.

Für die Beurteilung des Werkes ist wesentlich, daß Eike ein ausgezeichneter Kenner seines ostfälischen Heimatrechts war und auch den Willen hatte, dieses Recht unverfälscht darzustellen. Insoweit seine unmittelbare Umgebung versagen mußte, wie etwa in Fragen des Reichsstaatsrechts, hat er es verstanden, sich sichere Aufschlüsse zu verschaffen. Daher ist seine Darstellung verlässig, wenngleich er in eigenartiger Verbindung konservativer Haltung und fortschrittlicher Schöpferkraft gelegentlich Veralterndes und Werdendes als gegenwärtig darstellt. Er strebt nach begrifflichem und historischem Verständnis und baut zwar kein System auf, reiht aber den Stoff doch nach inneren Zusammenhängen8. Der Sachsenspiegel hat eine ungewöhnliche Verbreitung erlangt, von der Übertragungen in verschiedene deutsche Mundarten, insbesondere in das Hochdeutsche und Niederländische, ferner in das Lateinische und von da in das Polnische^ sowie die heute noch erhaltene Zahl von Handschriften Kunde geben9. Dem entsprach das allgemeine Ansehen des Rechtsbuchs, das schon im 14. Jahrhundert in der Zurückführung des Landrechts auf Karl den Großen, des Lehnrechts auf Friedrich I. Ausdruck fand 10 . Im Gerichtsgebrauch eroberte 7 D e r i n lateinischer Reimprosa verfaßte Vetus auctor de beneficiis ist nicht der lateinische, ursprüngliche T e x t des Lehnrechts. Über i h n E r n s t , s N A . 26 (01) 207. Anders j e t z t M o l i t o r a. u. a. O. 8 Eike w a r auch der Verfasser der Sächsischen Weltchronik, der ersten C h r o n i k i n deutscher Sprache. Z e u m e r , Festschr. Brunner (10) 135, 839. E c k h a r d t , Rechtsbücherstudien I I (31). M o l i t o r , D e r Gedankengang des Sachsenspiegels, ZRG. 65 (47) 56. 9 Es sind r u n d 200 vollständige Handschriften des Landrechts nachgewiesen, dazu zahlreiche Fragmente. D i e älteste datierte Handschrift ist von 1295. 10 S i e g e l , D i e deutschen Rechtsbücher u. die Kaiser-Karls-Sage (1899).

§ 39. Land- und Lehnrechtsbücher

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sich das private Rechtsbuch die Bedeutung eines Gesetzes, als das es in Teilen Deutschlands bis 1900 Geltung hatte. Doch war dies alles in dem inneren Wert der für ihre Zeit nicht hoch genug anzuschlagenden geistigen Leistung vollauf begründet. Ende des 13. Jahrhunderts wurde eine Handschrift des Sachsenspiegels in Meißen mit fortlaufenden, illuminierten Federzeichnungen ausgestattet, die den danebenstehenden Text bildlich darstellten, ohne ihn ersetzen zu können oder zu wollen. Erhalten sind, zum Teil nur unvollständig, einige davon abgeleitete Bilderhandschriften aus dem 14. Jahrhundert 11 . Bekämpft wurde der Sachsenspiegel wegen angeblich kirchlichen Anschauungen und kirchlichem Recht widersprechender Sätze in einer Schrift, die der Augustinermönch Johannes Klenkok 1372 Gregor XI. übergab. Dieser verwarf vierzehn Artikel 1374 durch die Bulle Salvator generis humani (articuli reprobati) 12 . Um den Sachsenspiegel bildete sich in der Folgezeit ein Kreis von anderen Werken, die ihn teils erklärten, teils zu neuen Rechtsbüchern verarbeiteten. Die erstgenannten sind die G l o s s e n . Deren verbreitetste ist die sogenannte Buchsche Glosse zum Landrecht. Ihre vulgate Form wurde nach 1325 durch den brandenburgischen Ritter und Hofrichter Johann von Buch hergestellt, der 1305 in Bologna studiert hatte 13 . Sie wurde die Grundlage der Glosse dös Nikolaus Wurm (14. Jahrhundert) und der Petrinischen Glosse. Dagegen ist eine selbständige Arbeit die ebenfalls dem 14. Jahrhundert angehörende Stendaler Glosse, die sich durch eine ausgedehnte Kenntnis einheimischen und fremden Rechts und der oberitalienischen Rechtslit^ratur auszeichnet. Etwas jünger als die Buchsche Glosse ist eine solche zum 11 K ö t z s c h k e , D i e Heimat der mitteldeutschen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (43). v. A m i r a , D i e Genealogie der Bilderhandschriften des Ssp. (02). D i e Dresdner Handschrift ist i m Lichtdruck herausgegeben durch v. A m i r a , D i e Dresdner Bilderhandschrift des Ssp. I (02). I I (Kommentar) 1, 2 (25/26), die Heidelberger i n Umrißzeichnungen von B a t t , Β a b ο u. Α., Teutsche D e n k m ä l e r (1820), einzelne i h r e r farbigen Bilder bei v. K ü n ß b e r g , D e r Sachsenspiegel (o. J., Inselbuch). 12 H o m e y e r , Johannes K l e n k o k w i d e r den Sachsenspiegel, A b h A k . B e r l i n 1855, 377. F r e n s d o r f f , Beitr. z. Gesch. u. E r k l ä r u n g d. deutschen Rechtsbücher, N G W G ö t t . 1888, 387. A i d n i k , D i e „ a r t i c u l i reprobati", Rigasche Z. für RW. 1 (27). B ü t o w , Z. Lebensgesch. d. Augustinermönches Joh. K l e n k o k , H V . 29 (35) 541. 13 D e r Zweck der Glosse w a r ursprünglich w o h l n u r Erläuterung, später Vergleich des sächsischen m i t römischem u n d kanonischem Recht u n d Nachweis i h r e r Konkordanz nâch den methodischen Regeln der Scholastik. H i e r auf beruht ihre rechtsgeschichtliche Bedeutung, w e i l sie dadurch die Rezeption vorbereitet.

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Lehnrecht, die später erweitert und von Nikolaus W u r m umgearbeitet wurde14. Unter den Bearbeitungen, die i n größerem oder kleinerem Umfang audi nodi andere Quellen mitverwenden, sind zu nennen das G ö r l i t z e r R e c h t s b u c h (Anfang 14. Jahrhundert), das B r e s l a u e r (Schlesische) L a n d r e c h t (1356), der h o l l ä n d i s c h e S a c h s e n s p i e g e l , das N e u m a r k t e r R e c h t s b u c h (14. Jahrhundert) und das Schöffenrecht des B e r l i n e r S t a d t b u c h s (1397). I n stärkerer Abhängigkeit vom Sachsenspiegel steht der l i v l ä n d i s c h e S p i e g e l (14. Jahrhundert), der sich als ein Auszug unter Weglassung der i n L i v l a n d nicht verwendbaren Sätze darstellt 1 5 . Aus dem Sachsenspiegel ist neben dem Weichbild (s. § 41) entnommen das Z w i c k a u e r Rechtsbuch. Das süddeutsche Seitenstück zum Sachsenspiegel ist das K a i s e r l i c h e L a n d - u n d L e h n r e c h t (Landrechtbuch, Kaiserrecht), seit dem 17. Jahrhundert als S c h w a b e n s p i e g e l bezeichnet. Es baut sich auf dem Sachsenspiegel auf, gtellt aber um, schiebt Neues ein und fügt namentlich gegen den Sdiluß v i e l Neues hinzu. Verfaßt wurde der Schwabenspiegel 1274/75 i n Augsburg, und zwar von einem Geistlichen, der vermutlich i n Beziehung zum dortigen Minoritenkloster stand. Soweit er nicht auf dem Sachsenspiegel aufbaut, beruht er auf einer Reihe von zum T e i l nicht einmal deutschen Quellen, vbr allem auf der L e x Baiuwariorum, fränkischen K a p i tularien, Institutionen, Authenticum, Epitome A e g i d i i zum westgotischen Breviar, Raimund von Peniafort (Summa de poenitentia), den Predigten Bertholds von Regensburg 16 . M i t dem Schwabenspiegel ist i n zahlreichen Handschriften verbunden eine Bearbeitung der Kaiserchronik, das Buch der Könige, reichend bis zu K o n r a d I I I . 1 7 . 14 Keine besondere F o r m ist die Dietrich v. Bocksdorf zugeschriebene Bocksdorfsche Rezension. D i e Bocksdorfschen A d d i t i o n e n zur Buchschen Glosse hat Tammo v. Bocksdorf verfaßt. Über D. v. B. v. S c h w e r i n , Verfasserlexikon d. d. M A . I (33) 420. D i e sogenannte Tzerstedische Glosse ist zum größten T e i l dem Schlüssel des Landrechts (s. u.) entnommen. 15 Er wurde m i t dem sogenannten ältesten livländischen Ritterrecht (Lehnrechtsbuch) zum sogenannten m i t t l e r e n livländischen Ritterrecht verbunden, m i t jenem u n d einem Bauernrecht für ö s e l zum sogenannten W i e k öselschen Lehnsrecht. Ausgabe: v. B u n g e , A l t l i v l a n d s Rechtsbücher (1879). Dazu L e e s m e n t , ZRG. 50 (30) 171. D e r s., Abweichungen d. l i v l . Rechtsspiegels vom Ssp., L i b e r saecul. d. Gel. Estn. Gesellsch. 1938, 348. A r b u s o w , D i e livländischen Bauernrechte, M L i v l G . 1924. D e r s . , Rigasche Z. f. R W . 7 (34) 242; 8 (35) 52. W i ρ ρ e r , D. Ssp. u. d. l i v l . Ritterrecht, Conv. primus historicorum B a l t i c o r u m (38) 206. Β 1 a e s e a. ο. zu § 37 a. O. 16 K a n t o r o w i c z , Zu den Quellen des Schwsp. Ν Α . 38 (13) 688. R o c k i n g e r , Berthold von Regensburg u n d R a i m u n d van Peniafort i m sogen. Schwsp. (1877). 17 H ü b n e r , Vorstudien zur Ausgabe d. Buches d. Könige (32).

§ 39. Land- und Lehnrechtsbücher

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Gegenüber dem Sachsenspiegel ist der Schwabenspiegel eine geistige Leistung zweiten Ranges. Es fehlt i h m das juristische Können, die Geschlossenheit und K l a r h e i t der Darstellung, die jenen auszeichnen. D i e Einarbeitung fremder Quellen nimmt i h m die einheitliche Grundhaltung rein deutschen Rechtsempfindens, die geistliche Verfasserschaft den kaiserlichen, staatlichen Standpunkt, wie dies schon am Eingang die kurialistische Darstellung der Zweischwerterlehre zeigt 1 8 . Doch ist auch er i n zahlreichen Handschriften verbreitet, i n das Lateinische, Französische und Tschechische übersetzt, später ebenfalls K a r l dem Großen zugeschrieben worden. I m m e r h i n ist er nicht Gegenstand der Glossierung geworden. Verwendet wurde der Schwabenspiegel i n dem 1328 durch den Vorsprecher Ruprecht von Freising verfaßten F r e i s i n g e r R e c h t s buch. I n Beziehungen zum Schwabenspiegel wie zum Sachsenspiegel steht der D e u t s c h e n s p i e g e l (spiegel a l l r taeutzher laevte). Ob er ein Bindeglied zwischen beiden ist oder eine auf beiden beruhende A r b e i t , ist bestritten 1 9 . Seine Entstehungszeit liegt dementsprechend entweder k u r z vor oder nach der des Schwabenspiegels, m i t dem er den Entstehungsort teilen dürfte. Teilweise selbständig gegenüber dem Sachsenspiegel ist der Deutschenspiegel n u r bis zu dessen Buch I I A r t i k e l 12 § 13. Von da ab ist er n u r Übertragung des Sachsenspiegels i n das Oberdeutsche. D i e Absicht des Deutschenspiegels ist die Darstellung des allgemeinen deutschen Rechts. Doch kommt er auch i n seinem ersten T e i l n u r durch Heranziehung einiger anderer deutscher, auch fremdrechtlicher Quellen inhaltlich über den Sachsenspiegel hinaus. D i e einzelnen Stellen des Schwabenspiegels w u r d e n m i t den entsprechenden des Sachsenspiegels und der Sachsenspiegelglosse unter alphabetisch angeordneten sachlichen Stichworten zu Be18 Auch der A u f b a u des Schwabenspiegels entbehrt der Geschlossenheit. Geht man davon aus, daß er auf dem Deutschenspiegel aufbaut (s. u.Anm.19), so ergeben sich drei Teile. D e r erste r u h t auf dem ersten des Deutschenspiegels. D e r zweite ist eine Bearbeitung des i m Deutschenspiegel n u r übersetzten Rechts des Sachsenspiegels (ab I I 12 § 13). D e r d r i t t e ist eine noch ungeordnete Sammlung neuen Stoffes aus den oben erwähnten Quellen. Schaltet man den Deutschenspiegel aus, so ist jedenfalls dieser d r i t t e T e i l ein unharmonisch angefügter Anhang. 19 Näheres hierüber m i t Schrifttum bei v. S c h w e r i n a.a.O.410. D i e Frage ist nicht besonders bedeutsam, da jedenfalls der n u r i n einer Handschrift erhaltene, i n seinem selbständigen ersten T e i l inhaltlich vom Schwabenspiegel k a u m abweichende Deutschenspiegel keine nennenswerte p r a k tische Bedeutung gehabt hat oder f ü r die Erkenntnis der Rechtsentwicklung hat, überhaupt k e i n Beweis vorliegt, daß er irgendwo i n Geltung war.

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ginn des 15. Jahrhunderts u n d vermutlich i n Leipzig zum S c h l ü s s e l d e s s ä c h s i s c h e n L a n d r e c h t s vereinigt 2 0 .

Im fränkischen Hessen entstand vermutlich 1326—1340 das sögenannte kleine Kaiserrecht oder F r a n J c e n s p i e g e l . Es versucht unter vielfacher Bezugnahme auf kaiserliche Gebote und Verbote eine Darstellung des für die ganze Welt gelten sollenden gemeinen Rechts. Der Aufbau ist systematisch. Die vier Bücher behandeln das Gerichtswesen, Privat- und Strafrecht, Dienstrecht und Stadtrecht. Die Verbreitung kam der der anderen Rechtsbücher nicht gleich, war aber im Süden wie im Norden nicht gering. Als eine Art Ergänzung des Sachsenspiegels nach der audi in ihm nicht übergangenen prozessualen Seite erscheint der R i c h t s t e i g L a n d r e c h t s , in dem Johann von Buch vermutlich um 1335 das Verfahren an den sächsischen Landgerichten darstellte. Nodi im gleichen Jahrhundert entstand der R i c h t s t e i g L e h n r e c h t s eines unbekannten Verfassers. Neben diesen beiden Gesamtdarstellungen des Prozesses gab es eine Reihe kleinerer verfahrensrechtlicher Arbeiten. So die Cautela und Premis des Hermann von ö s f e 1 d , mit dem Formalismus zusammenhängende Regeln für vorsichtiges Benehmen vor Gericht (14. Jahrhundert), Gerichtsformeln des Dietrich von Bocksdorf (15. Jahrhundert), Mainzer Gerichtsformeln (15. Jahrhundert), die westfälische Informatio ex speculo Saxonum, eine Aufzählung von mit dem Sachsenspiegel im Widerspruch stehenden Mißbräuchen der Gerichte (15. Jahrhundert), die rechte Weise des Lehnrechts (nach 1437), der baculus iudicii, eine Ordnung des Frankfurter Schöffengerichts (14. Jahrhundert). H o m e y e r , D i e deutschen Rechtsbücher des M A . u. ihre Handschriften (1856). T e i l I bearb. v. Eckhardt (34), I I v. Borchling u. v. Gierke (31). Dazu Kisch, ZRG. 52, 377; 55, 376; Ergänzungen i n ZRG. 53, 500. 54, 497. 55, 546. 56, 671. 57, 752. 59, 669. 60, 279. 62, 578. 63, 537. 64, 552. S t e f f e n h a g e n , Deutsche Rechtsquellen i n Preußen (1875). — S a c h s e n s p i e g e l . H o m e y e r , Des Sachsenspiegels erster Theil. (Landrecht), 3. A u f l . (1861). Des Sachsenspiegels zweiter T h e i l I. II. (1842/44). E c k h a r d t , Sachsenspiegel (33), normalisierter T e x t auf G r u n d der nach Homeyer ältesten Handschriftenklasse. D e G e e r , De Saksenspiegel i n Nederland (1888). — H o m e y e r , Genealogie der Handschriften des Ssp. (1859). D e r s . , D i e Stellung des Ssp. zum Schwsp. (1853). F i c k e r , Uber die Entstehungszeit des Ssp. u. die A b l e i t u n g des Schwsp. aus dem Deutschenspiegel (1859). F r e n s d o r f f , Beitr. z. Gesch. u. E r k l ä r u n g d. deutschen Rechtsbücher, N G W G ö t t . 1888, 1894, 1921, 1923, 1924, 1926. K i s c h , Ssp. and Bible (42). M o l i t o r , D e r Gedankengang des Ssp. ZRG. 65 (47) 15. v. V o l t e i i n i , Forschungen zu d. deutschen Rechtsbüchern I I . I I I (24). D e r s . , E i n Beitr. zur Quellenkunde d. Ssp., ZRG. 58 (38) 548. E c k h a r d t , Rechtsbücher20 Außer diesem gibt es noch eine Reihe anderer „Sammelwerke". Vgl. H o m e y e r , Rechtsbücher (s.u.) I 55. Dazu G ö r l i t z , Breslauer Rechtsbücher d. 14. Jahrh., ZRG. 59 (39) 136. D e r s . , Festschr. Jecht (38) 49. D e r s., ZVG.Schles. 70 (36) 195. K l e i n - B r u c h s c h w a i g e r , ZRG. 66 (48).

§ 40. Landes- und Landsohaftsrechte

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Studien I I (31). I I I (33). D a z u v. S c h w e r i n , ZRG.45, 388. H e c k , E i k e von Repgow (39); dazu D A . 4, 495; Eckhardt, ZRG. 60, 370). — Z e u m e r , Über den verlorenen latein. U r t e x t des Sachsenspiegels, Festschrift Gierke (11) 455. — S a c h s e n s p i e g e l g l o s s e . S t e f f e n h a g e n , D i e Entwicklung der Landrechtsglosse des Ssp., S b A k W i e n 98. 100. 101. 106. 110. 111. 113. 114. 167. 194. 195. D e r s . , Der Einfluß der Buchschen Glosse auf die späteren Denkmäler, ebda. 129, 131. D e r s . , D i e Landrechtsglosse des Ssp. (25). S i n a u e r , Studien z. Entstehung d. Sachsenspiegelglosse, N A . 56 (35) 475. — G ö r l i t z e r R e c h t s b u c h . Ausg. H o m e y e r , Ssp. I I 2. — B r e s l a u e r L a n d r e c h t . G a u p p , Das Schlesische Landrecht (1828). G ö r l i t z , ZRG. 59 (39) 155. H o l l . S a c h s e n s p i e g e l , Ausg. S m i t s , i n Nieuwe B i j d r . v. Regtsgeleerdheid en Wetgeving, X X I I (1872). v a n I t e r s ο η , Het leenrecht van den z. g. Hollandschen Saksenspiegel, Versi, en Meded. d. Yereenig. t. u i t g r a f d. bronnen van het oud-vaderl. recht. I X 3 (38) S. 205 ff. H i r s c h , ZRG. 59, 253. N e u m a r k t e r R e c h t s b u c h . Ausg. M e i n a r d u s (06). S a n d o w , Das H a l l e - N e u m a r k t e r Recht (32; dazu v. Loesch, ZRG. 53, 346). Z w i c k a u e r R e c h t s b u c h , Ausg. U l l r i c h (41). — B e r l i n e r S t a d t b u c h . Ausg. C 1 a u s w i t ζ (1883). — S c h w a b e n s p i e g e l . Ausg. v. L a ß b e r g (1840). W a c k e r n a g e l (1840). D e r französ. T e x t synoptisch m i t dem deutschen bei D a n i e l s , Rechtsdenkmäler d. deutschen M A . I (1860). Neuausgabe i n Vorbereitung. D i e umfangreichen Vorarbeiten von Rockinger sind verzeichnet bei R o c k i n g e r , D i e handschriftl. Grundlage der Ausgabe des kaiserlichen Land- u n d Lehenrechts (13). H a i s e r , Zur Genealogie der Schwabenspiegelhandschriften, I. I I (1876/77). E c k h a r d t , ZRG. 45 (25), 50. Κ 1 e b e 1 i n ν. Voltelini. Forschungen (s. ο.) IV. V. (30). L e η t ζ e , ebda. V I (38). Κ 1 e b e 1, M Ö I G . 44 (30) 129. Dazu ν. V o l t e l i n i i m Anzeiger A k W i e n seit 1908. F r e i s i n g e r R e c h t s b u c h . Ausg. v. M a u r e r (1839). K n a p p , (16; dazu Schröder, GGA. 1917, 317). C l a u s s e n , (41; dazu D R A . 1 [40] 1). — D e u t s c h e n s p i e g e l . Ausgabe Ficker (1859) m i t Ergänzungen bei v. V o l t e l i n i , Forschungen I (19). E c k h a r d t (30), normalisierter Text. E c k h a r d t , D e r Deutschenspiegel (24). D e r s . , ZRG.45 (25) 13. D e r s . , Rechtsbücherstudien I (27). v. S c h w e r i n , Verfasserlexikon (s. o. A n m . 6) 1410 m. weiterem Schriftt. — E. S i n a u e r , D e r Schlüssel des sächsischen Landrechts (28). — K a i s e r r e c h t , Ausg. E n d e m a n n (1842). A. B. S c h m i d t , Beiträge zur RG. der Provinz Oberhessen, MOHessGV. I I (1890) 133. D e r s . , Festschr. Gierke 1911, 421. E c k h a r d t , Frankenspiegel-Studien (23). — R i c h t s t e i g L a n d r e c h t s . H o m e y e r , D e r R. L. nebst Cautela u n d Premis (1857). v. S c h w e r i n , D. sogen, zweite T e i l des R. Festschr. Zycha. (41). 285. — R i c h t s t e i g L e h n r e c h t s bei H o m e y e r , Ssp. I i i . — Bocksdorffs G e r i c h t s f o r m e l n . B ö h l a u , ZRG. 1 1 (61) 415. K i s c h , Dietrich von Bocksdorfs Informacionies (23). — H o m e y e r , Über die I n f o r m a t a usw. (1856). — Weise d. Lehnrechts bei H o m e y e r , I I 1, 543. — H a 11 e i η , Mainzer Gerichtsformeln des 15. Jahrh. (1891). — Baculus i u d i c i i bei T h o m a s , D e r Oberhof von F r a n k f u r t (1841).

§ 40. Landes- und Landsdiaftsrechte D i e Rechtsaufzeichnung i n den einzelnen Ländern des Reiches ist bis zum 13. Jahrhundert nur beschränkt. Aus der vorausgehenden Zeit sind hervorzuheben die Ranshofener Konstitutionen des Herzogs Heinrich I I . von Bayern aus dem Ende des 10. Jahrhunderts 1 , ferner die Anfänge der noch zu besprechenden friesischen Rechte. Es handelt 1

Ausg. M e r k e l , M G H . L L . I I I 484.

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I I I . Das Mittelalter

sich bei diesen u n d anderen Quellen dieser Zeit teils u m die A u f zeichnungen der Erzeugnisse autonomer, genossenschaftlicher Rechtsbildung, teils u m landesherrliche Privilegien (Landesfreiheiten) u n d Gfesetze, teils u m territoriale Landfrieden 2 . Einen erheblichen A n t e i l an diesem Rechtsstoff hat das friesische Gebiet und, schon i n das 16. Jahrhundert hinüberreichend, die Schweiz. Doch haben die meisten größeren T e r r i t o r i e n Rechtsaufzeichnungen aufzuweisen. D i e älteren gemeinfriesischen Quellen verdanken ihre Entstehung i m wesentlichen einem Bunde der friesischen Landschaften zwischen Weser und Zuidersee, der an Stelle des i n Friesland fehlenden Herzogtums eine Zusammenfassung der friesischen Grafschaften beabsichtigte. Geschworene Bevollmächtigte des Bundes hielten zu Upstalsbom bei Aurich Versammlungen ab, zu deren Aufgabe auch die Rechtsbildung gehörte. Ergebnis von deren Tätigkeit und privater Rechtsaufzeichnung, aber nicht etwa eines friesischen, dem nordgermanischen vergleichbaren Rechts vortrage, sind die 17 K ü r e n (petitionee, electiones), angebliche Privilegien Karls des Großen, die 24 Landrechte (constitutiones), eine Sammlung von Weistümern, die sieben Uberküren u n d die Bußtaxen. D i e i m einzelnen sehr bestrittene Entstehungszeit liegt zwischen dem Ende des 11. u n d dem Beginn des 13. Jahrhunderts 3 . Sie sind nicht nur durch i h r A l t e r von besonderem Wert, sondern auch durch die Abfassung i n friesischer Sprache, neben der die meisten auch i n lateinischer und niederdeutscher Fassung erhalten sind. D e r Bund endete nach 1231. Spätere Erneuerungen i m 14. Jahrhundert hatten wesentlich politische Bedeutung. T e r r i t o r i a l beschränkte Geltung hatten das westlauwersche Schulzenrecht (12. Jahrhundert), die Rüstringer Satzungen (12./13. Jahrhundert), der Brokmerbrief (13./14. Jahrhundert), die Beliebungen der Nordfriesen (15. Jahrhundert), die Rechte auf Fehmarn, i n Schleswig, i n Holstein und das 1448 entstandene Dietmarsche Landrecht mit Zusätzen bis 1467. Sie sind m i t Ausnahme des zuletzt genannten i n friesischen Mundarten aufgezeichnet und durch ihren deutschen Gehalt von besonderem Wert. Ebendies g i l t auch von den Rechtsaufzeichnungen der freien Schweizer Talschaften, den Landbüchern oder Talrechten, die Sammlungen von Satzungen und Gewohnheitsrecht darstellen. Sie beginnen i m 14. Jahrhundert i n Glarus. Daneben sei auf Schwyz, Appenzell, das Simmental und W a l l i s verwiesen. D i e umfangreichen A u f 2

Insbesondere Baiern, Österreich, Sachsen. Vgl. Schriftt. zu § 38. Dazu H i s , ZRG. 20 (1899) 29. H e c k , N A . 17 (1895) 567. S t e 11 e r , a. u. a. O. 2. 3

§ 40. Landes- und Landsohaftsrechte

Zeichnungen d e r g r a u b ü n d i s c h e n 16. J a h r h u n d e r t Territoriale

145

Landschaften gehören meist

dem

an. Satzungen

sind

die

Kulmer

Handfeste

des

Groß-

m e i s t e r s H e r m a n n v o n S a l z a f ü r das G e b i e t des d e u t s c h e n O r d e n s (1233, e r n e u e r t

1256), d i e s a l z b u r g i s c h e

Landesordnung

des

Erz-

bischofs F r i e d r i c h I I I . (1328), das o b e r b a i r i s c h e L a n d r e c h t K a i s e r L u d w i g s ( u m 1335, e r n e u e r t 1346), das B r e s l a u e r L a n d r e c h t

(1356), das

D r e n t e r (1412), das W ü r z b u r g e r (1435). N u r R e c h t s a u f z e i c h n u n g , n i c h t S a t z u n g , i s t das österreichische L a n d recht, das i n z w e i F a s s u n g e n v o r h a n d e n ist. D i e ä l t e r e u n d k ü r z e r e w u r d e u n t e r H e r z o g F r i e d r i c h I I . i m W i n t e r 1236/37 h e r g e s t e l l t . D i e j ü n g e r e u n d längere ist ein v o m L a n d a d e l ausgearbeiteter

Gesetz-

e n t w u r f , d e r d e r z w e i t e n H ä l f t e des 13. J a h r h u n d e r t s a n g e h ö r t 4 . E i n e Privatarbeit

aus

der

Mitte

des

14. J a h r h u n d e r t s

ist

das

steier-

m ä r k i s c h e L a n d r e c h t , das auch i n K ä r n t e n G e l t u n g h a t t e , e i n e l a n d e s r e c h t l i c h e A u f z e i c h n u n g f e r n e r das R i t t e r - u n d L a n d r e c h t d e r G r a f schaft

Berg

(1355—1397)

und

das

dem Magdeburger

Gebiet

an-

g e h ö r e n d e B u r g e r L a n d r e c h t (13. J a h r h u n d e r t ) 5 . v. R i c h t h o f e n , Friesische Rechtsqu. (1840). D e r s . , Unters, über fries. R G . I (1880). B o r c h l i n g , D i e niederd. Rechtsqu. Ostfrieslands I (08). S t e l l e r , Das altwestfriesische Schulzenrecht (26). H i s , Unters, zu d. älteren Rechtsqu. Ostfrieslands, ZRG. 57 (37) 58. F a i r b a n k s , The o l d westfrisian skeltana riucht (39). W o h l h a u p t e r , Rechtsquellen Schleswig-Holsteins I (38). T h o n , Untersuchungen zur RG. d. Insel Fehmarn, ZGschlholstG. 70/71 (43) 117. P a p p e n h e i m , D i e Siebenhardenbeliebung (26) ; dazu C a r s t e n s , ZGschlholstG. 65, 368, u. ZRG. 62 (42) 358. M i c h e l s e n , Sammlung altdithmarscher Rechtsquellen (1842). — Rechte von G l a r u s i n ZSchwR. 5,130. 6, 3. K o t h i n g , Das Landbuch von Schwyz (1850). R u s c h , Appenzellisches Landbuch (1869). Rechtsquellen d. Kantons Bern, 2. T e i l : Rechte der Landschaft I — I I I (12—42). H e u s 1 e r , Rechtsquellen d. Kantons W a l l i s ( 1 8 9 0 ) . W a g n e r u. S a l i s , Rechtsquellen d. Kantons Graubünden (1887). — K i s c h , D i e K u l m e r Handfeste (31). D e r s . , ZRG. 50 (30) 180. — S a 1 ζ b. L O . bei R ö ß 1 e r , Uber die Bedeutung u. Behandlung d. Gesch. d. Rechts i n Österreich (1847). — R o c k i n g e r , Kaiser L u d w i g s erstes oberbayr. Land- u n d Lehnrecht (08). — R i e d n e r , D i e Rechtsbücher Ludwigs des B a y e r n (11). — G a u p p , Das Schlesische Landrecht (1828). G ö r 1 i t ζ , D i e Breslauer Rechtsb. d. 14. Jahrh., ZRG. 59 (39) 136. — G r a t a r n a , Drentsche Rechtsbronnen (1894). — K n a p p , W ü r z b u r g e r Zentgerichtsreformation (09). — v. S c h w i n d u. D o p s c h , Ausgew. U r k u n d e n 4 Bestritten, ob i n das Jahr 1266 oder 1298 zu setzen. Über die auch sonst nicht unbestrittene Entstehungsgeschichte L u s c h i n v o n E b e n g r e u t h , D i e Entstehung des österr. Landesrechts (1872). D o p s c h , Entstehung u n d Charakter des österr. Landesrechts (1892). D e r s . , A Ö G . 106 (18). S t e i n a c k e r , Jb. Y L K N Ö s t . 1916/17, 230. D e r s . , M Ö I G . 39 (03) 58. W e r u η s k y , Kritische Bemerkungen zur österr. Landrechtsfrage (24). G a n a h l , Versuch einer Gesch. d. österr. LR., M Ö I G . EB. 13 (35) 231. fi Eine Fälschung ist das sogenannte Rheingauer Landrecht. Vgl. H. M e y e r , ZRG. 24 (03) 309.

τ . S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeechichte

11

146

I I I . Das Mittelalter

z. RG. d. deutsch-österr. Erblande (1895). — B i s c h o f f , Steiermärkisches Landrecht (1875). — L a c o m b l e t , A G N R h . 1 (1840) 79. D ö s s e l e r , Düsseldorfer Jb. 39 (37) 109. — M a r k m a n n u. K r a u s e , Das Burger Landrecht (38; dazu B u c h d a , ZRG. 60, 377).

§ 41. Stadtrechtsquellen Die Quellen des mittelalterlichen Stadtrechts sind ihrer Art nach von denen des Landes nicht verschieden. Es sind Satzungen (Stadtrechte), Aufzeichnungen über rechtliche Vorgänge, insbesondere auch Urteile (Schöffensprüche), und private Stadtrechtsbücher, ein Seitenstück zu den oben besprochenen Land- und Lehnrechtsbüchern. Doch hat die fortschrittliche Verwaltung der Stadt in Verbindung mit einem gut ausgebildeten Kanzleiwesen dazu geführt, daß die Aufzeichnung von rechtlichen Vorgängen in schon mittelalterlich so genannten Stadtbüchern einen besonders großen Umfang annahm und zu einer Quelle von erheblicher Bedeutung wurde. Die Stadtrechte sind in erster Zeit Privilegien (Handfesten) des Königs oder des Stadtherrn, die bei der Stadtgründung oder auch später erteilt wurden und vielfach auf Bewidmung mit dem Recht einer anderen Stadt beruhen (vgl. § 37). Trotz Unterschieden im einzelnen sind sie namentlich im Kolonisationsgebiet ausgezeichnet durch einen freiheitlichen Zug, der die persönliche Rechtsstellung, die Rechte am Boden und des Wirtschaftslebens gleicherweise erfaßt. Sie sind Freiheitsbriefe 1. Die innerpolitische Entwicklung der Stadt führte seit dem 13. Jahrhundert zur weitgehenden Zurückdrängung der stadtherrlichen Gewalt und damit zur tatsächlichen oder vom Stadtherrn verliehenen autonomen Satzungsgewalt der städtischen Organe. Damit beginnt der Kreis der vom Rat oder den Schöffen beschlossenen Willküren oder (im Norden auch) Schraën. Sie werden ergänzt durch einzelne Verordnungen, namentlich polizeilichen Inhalts (Bauwesen, Lebensmittelverkehr, Finanzwesen). Die Sprache der Stadtrechte ging im 13. Jahrhundert vom Lateinischen zum Deutschen über. An Zahl überwiegen die Stadtrechte aus äußeren Gründen weitaus die der Landesrechte. Nur als auf Beispiele wichtigerer Stadtrechte sei auf die von Freiburg i. Br. (1120), Augsburg (1156), .Straßburg (12. Jahrhundert und 1224), Lübeck (1188, 1226), Hamburg (1270, 1292), Bremen (1303—1308), Basel (1260—1262), Soest (13. Jahrhundert), Köln (1258)2, Regensburg (1207, 1230), Wien (1221, 1296) 1 M a a s , L o i de Beaumont u n d Jus Theutonicum, VjsSWG. 32 (39) 209. P l a n i t z , Kaufmannsgilde u n d städt. Eidgenossenschaft, ZRG 60 (40) 1 ff. 2 Über die K ö l n e r Stadtrechtsurkunden von angeblich 1169 vgl. K. B e y e r 1 e , D i e Urkundenfälschungen des Kölner Burggrafen Heinrich I I I . von A r b e r g (13).

§ 41. Stadtreehtsquellen

147

verwiesen 3 . Eine Reihe von älteren Stadtrechten ist aber nicht unmittelbar erhalten, sondern hauptsächlich oder ausschließlich i n Rechtsmitteilungen an andere Städte. Dies g i l t insbesondere f ü r das Recht von Magdeburg 4 , aber auch ζ. B. von F r a n k f u r t und Ulm. D i e außerordentlich verschiedenartigen Stadtbücher lassen sich i n folgende Gruppen 5 ordnen: 1. Statutenbücher und Privilegienbücher, enthaltend Rechtsaufzeichnungen, also Privilegien, städtische Satzungen und Verordnungen. So ζ. B. die Goslarer Statuten (Anfang 14. Jahrhundert), das Augsburger Stadtbuch (1276), der magnus civitatis liber von D o r t m u n d (14./15. Jahrhundert). 2. Bücher über die Rechtsprechung der städtischen Gerichte, Urteils-, Schöffen- und Gerichtsbücher, ferner Wettebücher (Aufzeichnungen über die Strafrechtspflege) und Achtbücher oder Verfestungsbücher über Stadtverweisungen und Verfestungen. 3. Bücher über Vorgänge der freiw i l l i g e n Gerichtsbarkeit, Schuldverträge, Grundstücksgeschäfte und erbrechtliche Geschäfte (Schuld-, Grund-, Schreins-, Währschafts-, Erbe-, Pfand- und Gemäch tbücher). 4. Verwaltungsbücher, zu denen Ratslistén und Ämterbücher, Bürgerbücher, Denkelbücher über Geschäfte des Stadtrats, Kämmereibücher, Ungeldbücher, Zinsbücher für das Finanzwesen, Baubücher u. a. zu zählen sind. Nicht alle Städte hatten mehrere Bücher. I n kleineren begnügte man sich m i t einem L i b e r civitatis oder Stadtbuch, während i n den größeren Differenzierung und Zahl zunehmen. E i n entwickeltes Stadtbuchwesen weisen ζ. B. Bremen, Greifswald, Hildesheim, Iglau, Köln, Lübeck, Lüneburg, U l m , Zerbst auf 6 . 3 H a c h , Das alte lübische Recht (1839). D r ä g e r , Das lübische Stadtrecht u n d seine Quellen, HansGBll. 1913, 1. — L a p p e n b e r g , D i e ältesten Stadt-, Schiff- u n d Landrechte Hamburgs (1845). R e i η c k e , D i e H e r k u n f t d. Hamburger Stadtrechts, ZVHambG. 29 (28) 219. — E c k h a r d t , D i e mittelalterl. Rechtsquellen d. Stadt Bremen (31). D i e noch erwähnten Stadtrechte stehen bei K e u t g e n , U r k u n d e n zur städtischen Verfassungsgesch. (Ol) sowie i n den „ U r k u n d e n z. Gesch. der mitteld. Städtewesens" (48.) Weitere Stadtrechte u n d Ausgaben bei S c h r ö d e r - v. K ü n ß b e r g , Lehrb. d. d. RG. 7 739. 1063. Dazu Quellen z. RG. d. hessischen Städte seit 1918. Κ . Ο. M ü 11 e r , Nördlinger Stadtrechte des M A . (33). D i r r , D e n k mäler d. Münchner Stadtrechts 1 (36). M u t s c h l e c h n e r , A l t e B r i x n e r Stadtrechte (35). 4 Dessen wichtigere Tochterrechte neben dem P r i v i l e g des Erzbischofs Wichmann von 1188 bei L a b a η d , Magdeburger Rechtsquellen (1869). Dazu S a n d o w , Das H a l l e - N e u m a r k t e r Redit (32). S c h a u b e , D i e beiden H a l lenser Schöffensprüche f. N e u m a r k t , ZVGSchles. 65 (31) 621. 5 R e h m e , Über Stadtbücher als Geschichtsquelle (13), faßt die obigen Gruppen 2 u n d 3 als Justizbücher zusammen. β Κ . B e y e r 1 e , D i e deutschen Stadtbücher, DGB11.11 (10) 145. R e h m e , a. a. O. D e r s., Stadtbücher des M A . I (27). D e r s . , ZRG. 58 (38) 674 ff. Über Ausgaben von Stadtbüchern außerdem S c h r ö d e r - K ü n ß b e r g , a. a. O. 768. 1067. Dazu P l a n i t z u n d B u y k e η , D i e Kölner Schreinsbücher des 13. und 14. Jahrh. (37). B u y k e n u n d C o n r a d , D i e ältesten Stadtb. von Coblenz, ZRG. 59 (39) 165. K o c h m a n n , Das Stadtbuch von D u x (41).

11*

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I I I . Das Mittelalter

D i e Privatarbeiten über städtisches Recht nahmen w i e die des Landrechts ihren Anfang i m sächsischen Gebiet und bewegten sich zum großen T e i l u m den Magdeburger Rechtskreis, u m dessen Rechtsaufzeichnungen und u m die Rechtsprechung seiner Gerichte 7 . Doch reicht keine von ihnen an den W e r t des Sachsenspiegels heran. D i e einflußreichste ist das S ä c h s i s c h e W e i c h b i l d . Es besteht aus zwei n u r äußerlich verbundenen Teilen. D e r eine ist das sogenannte Magdeburger Schöffenrecht, das Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts auf der Grundlage von Magdeburger Rechtsmitteilungen nach Breslau (1221) entstand. D e r andere ist das Weichbildrecht (sog. Rechtsbuch von der Gerichtsverfassung), das zwischen 1257 und 1261 abgefaßt wurde und wenig geordnet geschichtliche Nachrichten über Magdeburg m i t Sätzen allgemeiner Rechtslehre, Magdeburger Recht und Wendenrecht verbindet. Benutzt ist neben dem Sachsenspiegel die Sächsische Weltchronik. Eine C h r o n i k vom Beginn der W e l t bis zu W i l h e l m von H o l l a n d (Weichbildchronik) geht voraus. Das so zusammengesetzte Weichbild (Weichbildvulgata) ist i n das Lateinische, Polnische und Tschechische übersetzt worden. Eine dazu verfaßte Glosse wurde von Nikolaus W u r m umgearbeitet 8 . D e r zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstammt das nach seinem Ursprung so genannte M e i ß e n e r R e c h t s b u c h , auch als vermehrter Sachsenspiegel u n d nach seiner Einteilung i n D i s t i n k tionen als Rechtsbuch nach D i s t i n k t i o n e n bezeichnet. Es versucht eine Darstellung des sächsischen Stadtrechts überhaupt und eine Gegenüberstellung von Landrecht und Stadtrecht auf G r u n d des Sachsenspiegels, städtischen Gewohnheitsrechts (Grundlage das Magdeburger Recht) und Stadtrechts nach kaiserlichem Privileg, das dem Goslarer Recht entnommen w i r d . A u f diesem, auch i n das Tschechische übersetzten Rechtsbuch beruhen zwei i n der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene Arbeiten des Eisenacher Stadtschreibers Johannes Rothe, nämlich das E i s e n a c h e r R e c h t s b u c h und das nach einem späteren Uberarbeiter so genannte R e c h t s b u c h J o h a n n P u r g olds. Wenig früher entstand aus der V e r w e r t u n g Magdeburger Rechtsmitteilungen nach Breslau und Breslaüer Schöffensprüche das sog. S y s t e m a t i s c h e S c h ö f f e n r e c h t , das dann i m G l o g a u e r R e c h t s b u c h (1386) benutzt und gegen Ende des 14. Jahrhunderts unter Heranziehung des Schwabenspiegels i n den sog. a l t e n K u l m umgearbeitet wurde 9 . Dieser gewann i n Preußen weitgehende Gel1

M a r k m a n n , Z. Gesch. d. Magdeburger Rechts (38.) Weichbildvulgata u n d Ssp. sind verbunden i m Silleiner Rechtsbuch von 1378 (Ausg. Rauscher 1833). 9 M i t diesen Quellen v e r w a n d t ist d. Posener Rechtsbuch. Verl. G ö r l i t z , ZRG. 60 (40) 143. 8

§ 41. Stadtrechtequellen

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tung und erhielt i m 16. Jahrhundert eine Glosse, die aber nicht fremdes Recht benutzte, sondern sich auf die Angabe v o n Parallelstellen aus sächsischen Quellen beschränkte. D e m preußischen Gebiet entstammen auch die M a g d e b u r g e r F r a g e n , die i n zwei Rezensionen, einer unsystematischen und einer jüngeren systematischen vor 1400 entstanden sind. Sie bieten eine Sammlung von echten Magdeburger Oberhofurteilen auf Anfragen aus Thorn, K u l m u n d Schlesien, daneben auch vom Verfasser erfundene Stücke. Eine alphabetische Rezension der älteren Fassung entstand i m 15. Jahrhundert i n Pommern. D i e Magdeburger Fragen w u r d e n 1400—1402 m i t dem Sachsenspiegel, der Sachsenspiegelglosse, dem Meißner Redhtsbuch, dem Weichbild und dem alten K u l m durch den Thorner Stadtschreiber Waither E k h a r d i zu den n e u n B ü c h e r n M a g d e b u r g e r R e c h t s verarbeitet. Sie hießen nach ihrem Verfasser auch Distinktionen Waithers u n d nach dem Herausgeber einer w o h l von Waither vorgenommenen Umarbeitung Pölmannsche Distinktionen. Unabhängig von diesen Quellen ist ein M i t t e des 15. Jahrhunderts i n Danzig entstandenes Rechtsbudh, die l a n d l ä u f i g e n Kulm i s c h e n R e c h t e . Aus ihnen u n d Danziger Recht w u r d e unter Heranziehung der Pölmannschen D i s t i n k t i o n e n und des Meißner Rechtsbuchs noch i m gleichen Jahrhundert das Danziger S c h ö f f e n b u c h zusammengestellt. Gleichfalls selbständig ist das zwischen 1296 und 1307 i m Meißnischen entstandene, f ü r die Geschichte des Rechtsgangs wichtige F r e i b e r g e r S t a d t r e c h t s b u c h , das amtliche Geltung erlangte. A u f der mittelalterlichen Praxis des Leipziger Schöffenstuhls und auf der Weichbildglosse beruht eine erst Anfang des 16. Jahrhunderts entstandene, umfangreiche Leipziger Schöffenspruchsammlung 10 . Wesentlich geringer ist die Zahl der außersächsischen Stadtreehtsbücher. Zu nennen sind das schon oben (§ 39) erwähnte Freisinger Rechtsbuch, das Wiener Stadtrechtsbuch aus der zweiten H ä l f t e des 14. Jahrhunderts u n d das der gleichen Zeit angehörige, angeblich von einem Herzog Leopold von Österreich erlassene Stadtrecht von Wiener-Neustadt. Besonders w e r t v o l l ist das Brünner Schöffenbuch eines Stadtschreibers Johannes, aus der M i t t e des 14. Jahrhunderts. D i e umfangreiche A r b e i t , die aus Brünner Satzungen und Gewohn10 K i s c h , Leipziger Schöffenspruchsammlung (19). Weitere Schöffensprüche bei W a s s e r s c h i e b e n , Sammlung deutscher Rechtsquellen (1860). D e r s . , Rechtsquellen des M A . (1892). F r i e s e u n d L i e s e g a n g , Magdeburger Schöffensprüche I (01). G ö r l i t z u. G a n t z e r , Rechtsdenkmäler der Stadt Schweidnitz (39). B e h r e η d , Stendaler Urtheilsbuch (1868). W e i z s ä c k e r , D i e Magdeburger Schöffensprüche für Leitmeritz (43). G ö r l i t z , D i e Magdeburger Schöffen Sprüche für Posen (44). D e r s . , ZRG. 65 (47) 344. Vgl. auch S c h u b a r t - F i k e n t s c h e r , ZRG. 65 (47) 435.

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I I I . Das Mittelalter

heiten, Schöffensprüchen und eigenen Ausführungen des Verfassers besteht, benützt römisches und kanonisches Recht und läßt i m Verfasser einen i n diesen Rechten ausgebildeten Juristen erkennen. U m 1200 entstand i n Mühlhausen i n Thüringen ein Stadtrechtsbuch, das sich durch sein A l t e r wie durch starke Berücksichtigung des Landrechts auszeichnet und sich selbst als liber iuris secundum ius imp e r i i bezeichnet. W e i c h b i l d r e c h t u n d W e i c h b i l d g l o s s e . D a n i e l s , Rechtsdenkmäler d. deutschen M A . (1857). R o s e n s t o c k , Ostfalens Rechtsliterat u r unter Friedrich II. (12). — O r t l o f f , Das Rechtsbuch n. D i s t i n k t i o n e n (1836). W e i z s ä c k e r , Zur Gesch. des Meißner Rechtsbuches, ZRG. 58 (38) 584. D e r s . , D i e Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs i m Osten, D A L V o l k s f . , 5 (41) 26. U l l r i c h , D R A . 1 (40) 87 ff. E i s , ebda. 1 (40) 67 ff. — O r t l o f f , Das Rechtsbuch Johannes Purgoldts (1860). - L a b a n d , Das Magdeburg-Breslauer systematische Schöffenrecht (1863). — G l o g a u e r R e c h t s b u c h bei Wasserschieben, Sammlung deutscher Rechtsquellen (1860). — L e m a n , Das Kulmische Recht (1838). S t e f f e n h a g e η , Deutsche Reditsquellen i n Preußen (1875) 201. — B e h r e n d , D i e Magdeburger Fragen (1863). v. M a r t i t z , ZRG. 1 2 (73) 401. — N e u n B ü c h e r M a g d e b u r g e r R e c h t s n u r i n älteren D r u c k e n seit 1574. S t e f f e n h a g e n , D i e neun Bücher Magdeb. R. (1865). — T o p p e n , Danziger Schöffenbuch (1878). — E r m i s c h , Das Freiberger Stadtrecht (1889). — S c h u s t e r , Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch (1873). — W i n t e r , Das Wiener-Neustädter Stadtrecht (1880). — R ö ß 1 e r , D i e Stadtrechte v. B r ü n n (1852). S c h u b a r t - F i k e n t s c h e r , D A . 1 (37) 457. D i e s , ebda. 3 (39) 430. D i e s . , Röm. Recht i. Brünner Schöffenbuch, ZRG. 65 (47) 86. — H. M e y e r , Das Mühlhäuser Reichsrechtsbuch 8 (36). D e r s . , M ü h l häuser Geschichtsbl. 30 (31) 326.

§ 42. Sonstige Reditsaufzeichnungen I. D i e Hofrechte (ius curiae) sind weitaus überwiegend aufgezeichnetes Gewohnheitsrecht. Sie w u r d e n zunächst i n der Weise festgestellt, daß der grundherrliche Beamte, der Vogt oder Meier, die i n der Hofgenossenschaft herkömmlichen Rechte der Hintersassen wie des Grundherrn von beeidigten Hofgenossen erfrug, also i n der Form der inquisitio. Diese Erhebung von Weistümern wurde dann Jahr für Jahr wiederholt und nötigenfalls durch neue Fragen ergänzt. I m Laufe der Zeit k a m es zu Aufzeichnungen des allmählich feste Gestalt gewinnenden Stoffes, die dann als Weistümer (Taidinge, Banntaidinge, Ehehafttaidinge, Rügen, Dreidinge, Öffnungen) bezeichnet wurden und meist bis w e i t i n die Neuzeit herein Geltung hatten. O b w o h l die Weistümer n u r i n den einzelnen Hofgenossenschaften erhoben wurden, zeigt sich doch eine Verwandtschaft der zur gleichen Grundherrschaft gehörigen, eine B i l d u n g von Weistümerfamilien, die m i t dem von Anfang an wirksamen und verständlicherweise gleichgerichteten Interesse der Herrschaft und deren Einfluß auf die Gestaltung des hofrechtlichen Gewohnheitsrechts zusammenhängt. Seltener sind solche Weistümer in freien Markgenossenschaften oder

§ 42. Sonstige Rechtsaufzeichnungen

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Dorfsdiafteii entstanden, da es hier an dem Gegensatz zwischen Herrschaft und Bauer und damit an einem starken Interesse der Festlegung der Rechte fehlte. Eine hofrechtliche Satzung ist die Lex familiae Wormatiensis ecclesiae des Bischofs Burchard von Worms 1023—1025, die die Hintersassen gegen Übergriffe von Vögten, vicedomini und Ministerialen schützen sollte. Die Bedeutung der Weistümer beruht auf dem Einblick, den sie in das bäuerliche, dörfliche Recht zur Zeit ihrer Entstehung geben, die vielfach weit vor ihrer Aufzeichnung liegt, und in dem fast uneingeschränkten deutschrechtlichen Gehalt 1 . II. Die Dienstrechte haben sich entsprechend dem Herauswachsen der Ministerialität aus dem grundherrlichen Verband erst allmählich als Rechte eines besonderen Standes im Gegensatz zum Recht der übrigen familia des Grundherrn ausgebildet. Sie sind weit weniger zahlreich als die Weistümer und weisen untereinander geringere Ähnlichkeit auf, da sie von vornherein für die sämtlichen Dienstmannen eines Herrn einheitlich entstanden und Übernahmen anderer Dienstrechte selten waren. Die meisten beziehen sich auf die Ministerialen geistlicher Dienstherren, von Bischöfen und Reichsabteien. Zu den Ausnahmen gehören das Ahrer Dienstmannenrecht (1154 bis 1164) und das der Grafen von Tecklenburg (leges feudales Tecklenburgicae) aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Unter den Dienstrechten geistlicher Herrschaften fällt die große Zahl von Fälschungen auf. So ist die wegen ihrer Regelung der Romzugspflicht sogenannte Constitutio de expeditione Romana eine Reichenauer Fälschung, die um 1150 auf den Namen Karls des Großen hergestellt wurde. Ein Straßburger Hof- und Dienstrecht ist auf Dagobert II. gefälscht, das des elsässischen Klosters Ebersheim auf Ludwig den Frommen, ein Ersteiner Dienstrecht auf die Kaiserin Irmgard, das von St. Maximin in Trier auf Heinrich III. In allen diesen Fällen handelt es sich um spätere Aufzeichnungen der Rechte und Pflichten der Ministerialen, durch die sich die Dienstherren ihrer aufsässig werdenden Ministerialen zu erwehren suchten. Nicht gefälscht sind die Dienstrechte von Bamberg (1057—1064), Köln (um 1154), Basel (13. Jahrhundert), Hildesheim (13. Jahrhundert). III. Neben diesen Rechten persönlicher Rechtskreise kennt das Mittelalter auch Sonderrechte, deren Ausgangspunkt nicht in persönlichen, sondern in sachlichen Verhältnissen liegt. Dahin gehören insbesondere Bergrecht und Deichrecht. Das Bergrecht hat eine Kodi1 Eine wertvolle Quelle für diesen Rechtskreis bilden die leider seltenen Dorfschöffenbücher. Noch dem M A . gehört an das Schöffenbuch der Dorfgemeinde Krzemienica, hrsg. v. D o u b e k u. S c h m i d (31).

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I I I . Das Mittelalter

fikation erfahren in dem ius regale montanorum des Böhmenkönigs Wenzel II. (1300—1305). Weiter zurück reichen Aufzeichnungen des Iglauer Bergrechts (13. Jahrhundert), dessen durch die Oberhofstellung Iglaus gefestigter Geltungsbereich über Böhmen und Mähren hinaus auch Schlesien und Sachsen umfaßt. Mit ihm hängt das Freiberger Bergrecht (1297—1307) zusammen und weiterhin die Schneeberger (15. Jahrhundert) und die Annaberger (Schreckenberger) Bergordnungen (1499/1500, 1503, 1509). Ein Goslarer Bergrecht entstand 1359—1379. Im Bereich des Deichrechts gehören die ältesten Ordnungen dem niederländischen Gebiet an. Die deutschen Deichrechte sind zumeist neuzeitlich. Aus dem Mittelalter stammen solche für Büsum (1455, 1493), die Mark (1436, 1476 [Albrecht Achilles]), Stedingen (1444), rheinische Gebiete (1475) und ein Bremer Deichrecht von 1449. F e h r , Über Weistumsforschung, Υ τ sS W G . 13 (16) 455. K ü h n , Zur K r i t i k der Weistümer, Festg. Seeliger (20) 29. P a t z e i t , Entstehung u. Charakter der Weistümer i n Österreich (24; dazu v. Künßberg, ZRG. 45, 484). A u b i n , Weistümer u. andere ländl. Rechtsquellen, VjsSWG. 34. 300. K o l i n i g , Weistumsforsch. am Oberrhein, ZGORh. 50 (36) 207. D e r s . , Elsässische Weistümer (41). A n d r e a s , Stand u. Aufgaben d. Weistümerforschung, Bl. f. d. Landesgesch. 83 (37) 102. F i n s t e r w a l d e r , Beitr. z. Kenntnis oberels. Weistümer, ZRG. 56 (36) 380. G e h r i η g , U m die Weistümer, ZRG. 60 (40) 261. D e r s., Ζ. württemb. L G . 4 (40) 48. Z i m m e r m a n n a. zu § 56 a. Ο. — J. G r i m m , Weisthümer, I — V I (1840—69), V I I Register v. Schröder (1878). v. K ü n ß b e r g , Deutsche Bauern weistümer (26). H a r d t , L u x e m b u r g e r Weistümer (1870). Η a b e t s , Limburgische W i j s dommen, Dorpscostumen en Gewoonten (1891). Weistümer der R h e i n p r o v i n z I 1. I I 1. 2 (00—1914). K n a p p , D i e Zenten des Hochstifts W ü r z b u r g I (07) W ü r t t e m b e r g i s c h e ländliche Rechtsquellen I — I I I (10—41). B a d i s c h e Weistümer u. Dorfordnungen I (17). ö s t e r r e i c h i s c h e Weistümer I — X I I (1870—39). Rechtsquellen des Kantons S t . G a l l e n 1. T e i l : Öffnungen u n d H o f rechte I. I I (03—06). Rechtsquellen des Kantons Z ü r i c h , 1. T e i l I. I I (00—15). S t u t z , Höngger Meier gericht sur teile (12). N u r eine A u f z ä h l u n g gibt W o h l h a u p t e r , D i e Bauernbeliebungen Schleswig-Holsteins, K i e l e r Bl. 1 (38) 163. — D i e Dienstrechte zum T ç i l bei S a n d e r u. S p a n g e n b e r g , U r k u n d e n z. Gesch. d. Territorialverfassung I I (22). Magdeburg u. Hildesheim bei F ü r t h , D i e Ministerialen (1836). F r e s s e l , Das Ministerialenrecht d. Grafen von Tecklenburg (07). W a c k e r n a g e l , Das Bischofs- u. Dienstmannenrecht von Basel (1852). F r e n s d o r f ! , Das Recht der Dienstmannen d. EB. von K ö l n (1883). v. L o e s c h , ZRG. 44 (24) 298. — F i c k e r , D i e Entstehungsverhältnisse d. Constit. de expeditione Romana, S b A k W i e n 73 (1873) 173. S c h e f f e r B o i c h o r s t , ZGORh. N. F. 3 (1888) 175. D o p s c h , D i e Ebersheimer Urkundenfälschungen, M I Ö G . 19 (04) 577. S c h e f f e r - B o i c h o r s t , Zur Geschichte der Reichsabtei Erstein, ZGORh. N. F. 4 (1889) 283. — lus regale montanorum: Z y e h a , Das böhm. Bergrecht des M A . I I (00) 40. Β r e t h o l z , ZVGMähr. 7 (03). — T o m a s c h e k , Das Bergrecht von I g l a u (1897). E r m i s c h , Das Sächs. Bergrecht des M A . (1887). W e i z s ä c k e r , Sächsisches Bergrecht i n Böhmen (29). S e h m , D i e Schreckenberger Bergordn u n g (36). F r ö l i c h , D i e Gerichtsverfassung von Goslar (10). Z y c h a , VjsSWG. 33 (40) 85, 210, 34 (41) 41. Deichrechte bei J. v. G i e r k e , D i e Geschichte d. deutschen Deichrechts I (01). F e i k e s , D i e geschichtl. Entwicklung der Deichlast i n Nordfriesland (37).

§ 43. Urkundenweeen

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δ 43. Urkundenwesen W i e schon i n fränkischer Zeit muß auch i m M i t t e l a l t e r zwischen Königsurkunden und P r i v a t u r k u n d e n geschieden werden, da ihre Entwicklung nicht die gleiche ist. Als Neuerung erscheint i m M i t t e l alter die notarielle Urkunde, die aber erst i n früher Neuzeit ihre volle Ausbildung erreicht. D i e Königsurkunde erfuhr seit Heinrich I V . eine wesentliche Veränderung dadurch, daß sie Zeugen aufnahm, w i e sie früher n u r bei der Privaturkunde üblich gewesen waren. D i e Stellung der Zeugen erhielten hierbei zunächst die I n t e r v e n i e n t e ^ auf deren F ü r b i t t e die U r k u n d e ausgestellt wurde, während die Bezeichnung als Interv e n i e r e n i n Abgang kam. Sie waren anfangs n u r Handlungszeugen, hatten aber späterhin die Echtheit der U r k u n d e zu bestätigen. I n dieser F u n k t i o n berührten sie sich m i t der königlichen Unterschrift und dem Siegel. Doch ist die eigenhändige Unterschrift des Königs schon i m 8. Jahrhundert durch den später gleichfalls verschwindenden Vollziehungsstrich ersetzt worden und erst i m 14. Jahrhundert wieder aufgekommen. Das Siegel w u r d e zunächst wie i n fränkischer Zeit der U r k u n d e aufgedrückt (sigillum impressum). U n t e r Konrad I I I . traten vereinzelt Hängesiegel auf, die seit Ende des 12. Jahrhunderts zur Regel wurden. D i e Briefe w u r d e n seit dem 14. Jahrhundert als litterae patentes (Patent) bezeichnet, wenn das Siegel aufgedrückt oder angehängt ist, als litterae clausae, w e n n sie damit geschlossen sind. Neben das Siegel des Ausstellers traten i m 13. Jahrhundert die der zustimmenden und mitbesiegelnden Fürsten, soweit die Zustimmung nicht i n einer Nebenurkunde (Willebrief) e r k l ä r t wurde. D i e P r i v a t u r k u n d e w a r zu Beginn des Mittelalters noch nicht i n ganz Deutschland durchgedrungen. Auch da, wo dies der F a l l war, i n Franken, Schwaben u n d Baiern, geriet sie seit dem 10. Jahrhundert i n Verfall. Urkundliche Aufzeichnungen gab es n u r noch zum Zwecke der Erinnerung, also nicht einmal m i t der Beweiskraft der notitia. I m 13. Jahrhundert ging man i m Anschluß an die U r k u n d e n der Könige und Fürsten zur Besiegelung der P r i v a t u r k u n d e n über. So wurden auch diese wiederum zu Beweisurkunden, indem die Beweisk r a f t von Brief und Siegel anerkannt wurde 1 . Von hier aus erwachte 1 E i n anderes Mittel, die Beweiskraft von U r k u n d e n zu erreichen, w a r der seit dem 10. Jahrhundert auftretende Teilzettel (carta partita, Zerter, Kerbzettel). Es wurde der T e x t der U r k u n d e zweimal auf das gleiche Blatt, geschrieben. I n den Zwischenraum setzte man bestimmte W o r t e (ζ. B. chirographum) oder einen Namen, ein Monogramm, eine Zeichnung. Das Blatt wurde durch einen Schnitt durch diese Schrift geteilt, so daß das Zusammenpassen der an die Beteiligten gegebenen Teilstücke die Echtheit verbürgte. Später ging man zu w e l l i g e m oder zackigem Schnitt über, was die Beweisk r a f t verstärkte, aber auch die Chirographierung entbehrlich machte.

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I I I . Das Mittelalter

auch die n u n m i t Siegel versehene Geschäftsurkunde zu neuem Leben. D i e Besiegelung der eigenen U r k u n d e stand jedem frei, der ein eigenes Siegel besaß. Könige, Fürsten, K a p i t e l sowie Herren, Städte und Gerichte konnten teils unbeschränkt, teils i n bestimmtem Rahmen auch fremde U r k u n d e n siegeln. Das Notariat hat seinen Ausgang i n Italien. Von dort gelangte es nach dem deutschen Südtirol, zuerst nach Bozen. Nördlich der A l p e n drang das Notariat gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein (1287 i n einem Kölner geistlichen Gericht) und verbreitete sich i m folgenden Jahrhundert über ganz Deutschland. D i e Notare w u r d e n vom Kaiser, später vom Hofpfalzgrafen ernannt und bezeichneten sich demgemäß als kaiserliche. D i e rechtliche Beweiskraft der Notariatsurkunden setzte sich i m weltlichen Gericht erst v o l l durch, als die Reichsnotariatsordnung von 1512 das A m t der öffentlichen Notare geregelt hatte und ihre U r k u n d e n als instrumenta publica anerkannt waren 2 . I m Gegensatz zu der geringen Zahl erhaltener fränkischer U r kunden besitzen w i r aus den späteren Jahrhunderten des M i t t e l alters deren eine überwältigende F ü l l e i m Original. Ergänzend treten hinzu die schon i m 9. Jahrhundert einsetzenden Kopialbücher von Grundherrschaften, i n denen die für sie ausgestellten U r k u n d e n i n Abschrift eingetragen wurden. Das Gegenstück zu ihnen bildeten die Registerbücher m i t Auszügen oder Kopien ausgehender Urkunden, die zuerst i n der päpstlichen Kanzlei, seit dem 14. Jahrhundert i n deutschen T e r r i t o r i e n und seit Heinrich V I I . i n der Reichskanzlei geführt wurden. Schriftt. zu § 19 (Breßlau, Erben-Schmitz-Kallenberg, Redlich), F i c k e r , Beiträge zur U r k u n d e n l e h r e (1877/78). S t e n g e l , D i e I m m u n i t ä t s u r k . d. d. Könige v o m 10.—12. Jahrh. (07). D e r s . , D i e I m m u n i t ä t i n Deutschland I (10). K o e c h l i n g , Unters, über d. Anfänge d. öffentl. Notariats i n Deutschl a n d (25). H e u b e r g e r , Das deutschtiroler Notariat (28). Fr. L u s c h e k , Notariatsurkunden u. Notariat i n Schlesien (40).

§ 44. Juristische Literatur Das Schrifttum des Mittelalters hat Rechtsfragen teils i m Rahmen der scholastischen Literatur, teils i m Ringen u m das Verständnis des Staates, teils i m Zusammenhang m i t den Kämpfen zwischen Kaisert u m und K u r i e erörtert. Diese rufen zunächst eine gewaltige Literatur i n der Zeit des Investiturstreits hervor 1 , sodann i n der Zeit 2 Seit dem 12. Jahrhundert w u r d e n i n I t a l i e n die U r k u n d e n durch den Notar i n abgekürzter Fassung (daher imbreviaturae) i n ein Buch eingetragen, das Imbreviaturbuch. I m deutschen Gebiet hat ein solches der Bozener Notar Jakob Haas 1237 angelegt, v. V o l t e l i n i , D i e Südtiroler Notariatsi m b r e v i a t u r e n (1899). K e r n , Dorsualkonzept u n d I m b r e v i a t u r (06). 4 M G H . L i b e l l i de l i t e I — I I I (1890—97).

§ 44. Juristische Literatur

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Ludwigs des Baiern die A r b e i t e n von dessen Parteigängern L u p o i d von Bebenburg, W i l h e l m Occam und Marsilius von Padua 2 . Demgegenüber stehen die rein juristischen A r b e i t e n an Umfang, aber nicht an rechtsgeschichtlicher Bedeutung zurück. Sieht man von den schon behandelten privaten Rechtsaufzeichnungen ab, so hat man es i m wesentlichen nur zu t u n m i t drei Gruppen, m i t staatsrechtlichen Schriften, m i t alphabetisch-enzyklopädischen Arbeiten und m i t Formelbüchern und Urkundenlehren. I n der ersten Gruppe ist zu nennen die erste Darstellung des Reichsstaatsrechts durch den Baseler Professor des kanonischen Rechts Peter von Andlau, der Libellus de Caesarea monarchia (1460). D i e Darstellung baut w e i t h i n auf Thomas von A q u i n (De regimine principum) 3 und des Jordanes von Osnabrück Schrift D e prerogativa Romani i m p e r i i (um 1280)4 auf. D e r Verfasser steht politisch auf kurialistischem Standpunkt. Durch seine reiche Verwendung römischer und kanonischer Quellen, der Kanonisten und Postglossatoren hat er mit zur Aufnahme der fremden Rechte beigetragen 5 . Fast gleichzeitig ist eine Determinatio compendiosa de jurisdictione imperii 6 . D i e alphabetischen Arbeiten sind am Beginn des 14. Jahrhunderts solche über römisch-kanonisches Recht. A n sie schließen sich zeitlich die zahlreichen W e r k e an, die unter alphabetisch geordneten Schlagworten auf Stellen der deutschen Rechtsbücher verweisen (Abecedarien) oder sie ganz wiedergeben. Zu der zweiten A r t gehört der schon erwähnte Schlüssel des Sächsischen Landrechts 7 . Unter den Formelbüchern verdienen Erwähnung die Summa prosarum dictaminis, ein Lehrbuch der Urkundenlehre m i t der Praxis entnommenen Beispielen, vor 1238 als W e r k eines Magdeburger Geistlichen entstanden 8 , ferner das bedeutendere Baumgartenberger For2 R i e z l e r , D i e literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwigs des Bayern (1874). H. M e y e r , L u p o i d v. Bebenburg (09). M o s t , D e r Reichsgedanke des L u p o i d von Bebenburg, D A . 4 (41) 445. I b a c h , Leben u. Sdiriften d. K o n r a d v. Megenberg (38). S t i e g l i t z , D i e Staatstheorie des Marsilius von Padua (14). S c h o l z , M. v. Padua u n d d. Genesis des mod. Staatsbewußtseins, HZ. 156 (37) 88. D e r s . , M. v. Padua u. Deutschland (42). D i e wesentlichen Schriften sind: L u p o i d von Bebenburg, Tractatus de iure regni et i m p e r i i (1340; Ausg. Straßburg 1508) u n d Marsilius von Padua, Defensor pacis (Ausg.: Previté-Orton 28; Scholz 32/33). 3 Vollendet von Tholomeus von Lucca. 4 Ausg. W a i t ζ , A b h A K G ö t t . 14 (1869). G r u n d m a n n , Quellen z. Geistesgesch. d. M A . 2 (30). 6 Ausg. H ü r b i n , ZRG. 22 (01) 34. 23 (02) 163. Dazu Ders., ebda. 26, 41;

28,6 1.

Ausg. K r a m m e r (09). S. o. § 39. I m übrigen S t o b b e , Gesch. d. deutsch. Rechtsquellen I (1860) 443. 8 R o s e n s t o c k , Ostfalens Rexhtsliteratur unter Friedrich II. (12). 7

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III. Da

Mittelalter

melbuch (Formularius de modo prosandi), zu Anfang des 14. Jahrhunderts von einem Mönch des Klosters Baumgartenberg bei L i n z a. D . verfaßt 9 . N u r Theorie der Urkundenausstellung gibt die Summa de arte prosandi des Zürichers K o n r a d von Mure (1275/76)10. Bloße Formelsammlungen waren i n den Kanzleien des Reiches u n d der Fürsten, auch i n den Gerichten vorhanden. Zu ihnen zählt auch der Collectarius perpetuarum formarum des Johann von Gelnhausen 1 1 . S t i n t z i n g , Gesch. d. Rechtswissenschaft I (1880). E. W o l f , Große Rechtsdenker d. deutschen Geistesgeschichte 2 (44) 29. G i e r k e , D . deutsche Genossenschaftsrecht, I I I (1881) 501. — R o c k i n g e r , Über die Formelbücher v o m 13. bis 16. Jahrhundert als rechtshist. Quellen (1855). D e r s . , Briefsteller u. Formelbücher des 11. bis 14. Jahrh., i n Quellen u. Forschungen zur bayrischen u. deutschen Gesch. 9 (1863). B r e ß l a u , Handb. d. U r kundenlehre I I 2 (15) 225.

3. Verfassung und Verwaltung des Reiches § 45. Die Thronfolge Durch die W a h l A r n u l f s von K ä r n t e n (887) w a r der Bleich m i t dem karolingischen Grundsatz der Erbfolge i n das Reich vollzogen. D e r abgesetzte Kaiser K a r l I I I . und seine Brüder waren die letzten deutschen Könige, die allein k r a f t Erbrechts zum T h r o n gelangten. Von da ab w a r das Reich insofern Wahlreich, als k e i n K ö n i g bis zu dessen Auflösung ohne einen W a h l a k t zur Herrschaft kam 1 . Es w a r nicht mehr Gegenstand der Herrschaft eines einzelnen oder einer Dynastie und damit auch nicht eines Anwartschaftsrechtes D r i t t e r oder eines Verfügungsrechts des Herrschers 2 . A b e r anderseits w a r man sichtlich bestrebt, an der Dynastie festzuhalten, solange sie einen tauglichen Mann zu stellen hatte, u n d wählte unter unverkennbarer Bevorzugung des Geblüts. Sogar bei dem Übergang von den sächsischen Herrschern zu den Saliern und von diesen zu den Staufern fehlte die verwandtschaftliche Verbindung durch Frauen nicht. Solche Ein9

Ausg. Fontes rer. Austriac. 2. Abt. X X V (1866). B r e ß 1 a u , a. u. a. O. N u r i m Auszug bei R o c k i n g e r , Q u e l l e n (s. u.). Ausg. K a i s e r (00). 1 D i e Bedeutung der W a h l war allerdings nicht i m m e r gleich groß. Über die besondere Lage bei Heinrich I. vgl. H e i m p e l , Bemerkungen z. Gesch. K ö n i g Heinrichs I. (37). D e r s . , Deutsches M i t t e l a l t e r (41) 31. I m übrigen besteht k e i n Grund, die Vornahme einer W a h l v o r Lothar I I I . zu bestreiten. Auch die enge Begrenzung der W ä h l b a r k e i t durch das Geblütsrecht ändert nichts an der Möglichkeit der W a h l , die allerdings a u d i eine A n e r k e n n u n g des Geblütsrechts i n sich schließt. 2 D a m i t hängt zusammen, daß es nicht geteilt wurde. D i e Ansicht, daß es nicht teilbar w a r ( T e l l e n b a c h , BZ. 163 [401, erscheint als Postul i e r u n g eines zwar den Tatsachen vereinbaren, aber nicht bestehenden Grundsatzes der ma. Verfassung. Vgl. auch d. Schrifttum zu § 22 A n m . 2. 10

11

§ 45. Die Thronfolge

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der Wähler kam der Absicht der Könige entgegen, die Vererbliehkeit der Krone wiederherzustellen. Diese fand wirksamen Ausdruck in Designationen des Nachfolgers durch den noch lebenden Herrscher und in der Beförderung seiner Wahl und Krönung zum römischen König 3 . Dagegen konnte Heinrich VI. den Plan gesetzlicher Festlegung der Erbfolge nicht durchsetzen. Er scheiterte an dem Interesse, das die Mehrzahl der deutschen Fürsten an der Einflußnahme durch die Wahl besaßen und schon lange vorher in der das freie Wahlrecht betonenden Erklärung einer Fürstenversammlung zu Forchheim (1077) kundgetan hatten. Sie begegneten sich hierin mit dem Interesse des Papstes, der sich dem Erbreichsplan Heinrichs VI. gleichfalls entgegenstellte4. Die Wahl Rudolfs von Habsburg ist die erste einer Reihe von Wahlen, durch die Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher abwechselnd zur Herrschaft berufen wurden. Seit Albrecht II. (1438) verbindet sich die deutsche Königskrone dauernd mit dem Hause Habsburg. Feste Regeln für die Wahl waren zu Beginn des Mittelalters noch nicht vorhanden. Ihre Ausbildung vollzieht sich in den ersten Jahrhunderten und findet in der Goldenen Bulle (1356) ihren reichsgesetzlichen Abschluß. Die dort festgelegten Formen behalten dann Geltung bis zur Auflösung des Reiches. Wahlort war anfangs meist Mainz und seit den Staufern Frankfurt, das seit 1257 nur ausnahmsweise nicht Wahlstätte war. Die Wahl stand zunächst dem ganzen Volk zu, Fürsten und Nichtfürsten, Geistlichen und Laien. Dabei hatten die geistlichen und westlichen Großen die Führung und waren tatsächlich entscheidend. Das Volk war nur in der Weise beteiligt, daß es dem Vorschlag der Großen die Zustimmung gab, ähnlich dem Umstand des Gerichts beim Zustandekommen des Urteils. Die Weiterentwicklung bewegte sich in der Richtung einer ständigen Verengerung des Wahlkörpers. Schon der Sachsenspiegel läßt nur noch die Fürsten als Wähler erscheinen und gibt zudem einem Teil von ihnen eine bevorzugte Stellung, nämlich den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg. Den König von Böhmen erwähnt Stellung

3 B e c k e r , Das K ö n i g t u m der Thronfolger i m deutschen Reich des Mittelalters (13). D i e Rechtsstellung des rex Romanorum h i n g zu Lebzeiten des Kaisers von dessen W i l l e n ab, w a r daher i n den einzelnen F ä l l e n verschieden, 4 Heinrich VI. versuchte, die Zustimmung der Fürsten zu erreichen, indem er den weltlichen die E r w e i t e r u n g des Lehnerbrechts auf Frauen u n d Seitenverwandte, den geistlichen die Aufhebung des Spolienrechts versprach. E. P e r e i s , D e r Erbreichsplan Heinrichs V I . (27). Wesentlich zustimmender stand dem Erbrecht die spätere L i t e r a t u r gegenüber. W e r m i n g - h o f f , Zur Lehre von der Erbmonarchie i m 14. Jahrhundert, H V . 20 (22) 150.

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I I I . Das Mittelalter

er, spricht ihm aber als Nichtdeutschem das Wahlrecht ab. Diesen Fürsten gestand ein verlorenes Fürstenweistum von 1256 das ausschließliche Wahlrecht zu5. In der Goldenen Bulle wurde es reichsgesetzlich festgelegt. Aus dem Kreise der Fürsten hoben sich somit Mitte des 13. Jahrhunderts sieben als die allein kürenden heraus und erlangten damit eine Stellung, die nicht nur mit besonderen Vorrechten verbunden war, sondern auch in steigendem Maße die äußere und innere Politik des Reiches in ihre Hand gleiten ließ 6 . Jedoch war das Kurrecht kein persönliches Recht, sondern mit dem Kurland verbunden7. Die Wahl vollzog sich in der Weise, daß zunächst in einer Vorwahl die Person des zu Wählenden festgestellt wurde. Dieses „irwelen" entfiel, wenn seine Person bereits festgestellt war, also insbesondere in den Fällen einer früheren Designation. Dann wurde der Erwählte durch die bevorrechteten Wähler in feierlichem Kurspruch namentlich genannt (bi namen kiesen, eligere), worauf die übrigen Wähler durch Zuruf beistimmten (kiesen, laudare) 8. Seit 1273 wurde dies in Anlehnung an kanonisches Recht geändert. Die nun allein berechtigten Kurfürsten einigten sich auf den zu Wählenden (nominatio) und bevollmächtigten einen von ihnen zur Abgabe des Kurspruchs (sog. electio per unum). Mit der Wahl Karls IV. setzte dann die Form ein, die in die Goldene Bulle aufgenommen und damit bis 1792 rechtens 5 H i e r m i t decken sich die V e r k ü n d u n g der W a h l Richards von C o r n w a l l (1257) und der E n t w u r f der B u l l e Q u i celum Urbans IV. (1263). Das K u r recht des Böhmen wurde 1289 von K ö n i g Rudolf bestätigt, nachdem es inzwischen Heinrich von Bayern zugestanden hatte. Z e u m e r , D i e böhm. u. die bayr. K u r i m 13. Jahrh., HZ. 94 (05) 209. P e r e i s , Zur Gesch. d. böhm. K u r i m 13. u. 14. Jahrh. ZRG. 45 (25) 83. Κ ü h η e , Gesch. d. böhm. K u r i n d. Jahrh. nach d. Gold. Bulle, A U F . 10 (28) 1. W e i z s ä c k e r , D e r Böhme als Obermann bei d. d. Königswahl, Festsch. H e y m a n n 1 (40) 191 ff. 6 D i e Gründe der Beschränkung des Kurrechts auf die oben genannten Fürsten sind v i e l erörtert worden. D a sich das Kurrecht der rheinischen Erzbischöfe aus dem A l t e r i h r e r Bischofstühle, aus deren Bedeutung u n d aus i h r e r Beteiligung am Krönungsakt e r k l ä r t , ist n u r die A u s w a h l der weltlichen Kurfürsten eine Frage. D e r Ssp. u n d noch deutlicher die ungefähr gleichzeitige C h r o n i k Alberts von Stade sahen den G r u n d i n den diesen zustehenden Erzämtern, weshalb man E i k e von Repkow als Begründer der herrschenden Erzämtertheorie bezeichnet. Richtig ist weder diese noch eine andere Theorie, wenn man damit die Vorstellung verbindet, daß auf i h r das Wahlrecht beruhe. Dieses hat seinen historischen G r u n d i n der politischen Stellung der betreffenden Fürsten. Sie dürfte aber richtig sein, w e n n man damit n u r sagen w i l l , daß E i k e einen zu seiner Zeit bestehenden Zustand theoretisch unterbaut u n d damit befestigt hat. I h r entsprechend hat man dann auch das Kurrecht der Erzbischöfe auf i h r Kanzleramt gegründet. I m ma. Schrifttum w i r d auch die Einsetzung der K u r f ü r s t e n vertreten, sei es durch Otto I I I . (Lupoid von Bebenburg), sei es durch Papst Gregor V. 7 S. § 51 I I . 8 D i e obige Darstellung soll keine Aufgabe der ZRG. 52 (32) 391 vertretenen Auffassung bedeuten.

§ 45. Die Thronfolge

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wurde, die der feierlichen und bis 1438 öffentlichen Abstimmung, bei der T r i e r zuerst stimmte, der Mainzer aber, der von jeher die W a h l geleitet hatte, die Stimmen abfrug und als letzter seine Stimme abgab, w o m i t er bei Uneinigkeit der übrigen den Stichentscheid erhielt. A l t e m deutschen Recht entsprach das Erfordernis der Einstimmigk e i t der Wahl. Sie konnte allerdings n u r dadurch erreicht werden, daß bei Verschiedenheit der Anschauungen die Minderheit entweder der Mehrheit beitrat oder die Wahlversammlung verließ. N u r getrennte Wahlen konnten so zu einer D o p p e l w a h l führen. D e r Grundsatz der Abstimmung nach Mehrheit findet erst i m 14. Jahrhundert gemäß der romanistisch-kanonischen Lehre Eingang, wurde vom K u r verein zu Rense 1338 anerkannt und i n der Goldenen B u l l e festgehalten. Vorschriften über die W ä h l b a r k e i t fehlten. D e r Sachsenspiegel verlangte, daß der zu Wählende nicht lahm oder aussätzig sei, nicht vom Papst rechtmäßig gebannt sei 9 , daß er frei u n d ehelich geboren sei und sein Recht nicht v e r w i r k t habe. D i e W i r k l i c h k e i t zog die Grenzen enger, insofern fast ausschließlich Angehörige des Reichsfürstenstandes gewählt wurden. D e r E r w e r b der königlichen Gewalt setzte seit Otto I. neben der Wahl Salbung und K r ö n u n g voraus 1 0 . Sie fand i n der Regel i n Aachen statt, w o der König auf den T h r o n Karls der Großen erhoben wurde, die Reichsinsignien i n Empfang nahm und so einerseits investiert wurde, anderseits symbolisch von der Herrschaft Besitz ergriff. Hiermit verbunden w a r das Krönungsversprechen (s. §3411). D i e Weihe und K r ö n u n g zu vollziehen, w a r i n der ersten Zeit ein Recht des Erzbischofs von Mainz, dem die Bischöfe von K ö l n und T r i e r assistierten. Doch führte die Vornahme der Krönung i n Aachen dazu, daß der Bischof von K ö l n als der zuständige Metropolit jenes Ortes das Recht für sich i n Anspruch nahm, und seit 1028 steht es i h m dauernd zu. Nach dem Interregnum trat die Bedeutung von Salbung und Krönung zurück. D e r Erwerb der königlichen Rechte wurde unmittelbar an die W a h l gebunden. D i e Stelle der Thronerhebung nahm die A l t a r setzung (elevatio) ein 1 1 . 9

H u g e l m a n n , i n den ban m i t rechte komen. ZRG. Kan. 7 (17) 33. Gesalbt w a r auch K o n r a d I., wogegen Heinrich I. die bischöfliche Salbung abgelehnt hat. Uber den Sinn dieser A b l e h n u n g E r d m a η η , D e r ungesalbte König, D A . 2 (38) 311. 11 Seit dem 13. Jahrh. findet sich der Brauch des sog. Königslagers. D e r neugewählte K ö n i g bezog, wenn i h m ein anderer die Königswürde streitig machte, m i t seinem Heer v o r F r a n k f u r t oder Aachen ein Lager u n d stellte sich seinem Gegner w ä h r e n d r u n d 40 Tagen zum Kampf. Erschien dieser nicht, so verschwieg er sich. Trafen sich die Gegner, öffnete die Stadt dem Sieger die Tore. K. S c h e l l h a ß , Das Königslager von Aachen (1887). W e i r i e h , D A . 3 (39) 211. 10

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I I I . Das Mittelalter

K r ü g e r , Grundsätze u. Anschauungen bei d. Erhebungen d. deutschen Könige (11). v. D u n g e r n , W a r Deutschland ein Wahlreich?, Festschr. Wach (13). M i t t e i s , D i e deutsche Königs w ä h l 2 (44) L i n t z e l , Zu den deutschen Königswahlen der Ottonenzeit, ZRG. 66 (48). — H ä d i k e , K u r recht u n d Erzamt (1872). L i n d n e r , D i e deutschen Königswahlen u n d die Entstehung d. Kurfürstentums (1893). D e r s . , D e r Hergang bei d. deutschen Königswahlen (1899). Z e u m e r , D i e Goldene Bulle Kaiser K a r l s IV. (08). S t u t z , D e r Erzbischof von Mainz u. die deutsche Königswahl (10). D e r s . , ZRG. 31, 444. 43, 217. 44, 263. 50, 441. D e r s . , Reims u. Mainz i n der Königswahl des 10. u. zu Beginn d. 11. Jahrh., S b A k B e r l i n 1921. B l o c h , D i e staufischen Kaisërwahlen u n d die Entstehung d. Kurfürstentums (11). F i c k e r , V o m Reichsfürstenstand I I 1 (11) 5. Κ r a m m e r , W a h l u n d Einsetzung d. d. Königs (05). D e r s . , Das K u r f ü r s t e n k o l l e g von seinen A n fängen bis 1338 (13; dazu Rosenstock, ZRG. 34, 523. K r a m m e r , ebda. 35, 641). R o s e n s t o c k , Königshaus u. Stämme (14; dazu Platzhoff, ZRG. 35, 524). F r e n s d o r f f , Beiträge zur Gesch. u. E r k l ä r u n g d. deutschen Rechtsbücher, N G W G ö t t . 1923, 65; 1924, 194; 1926, 1; dazu Stutz, ZRG. 47, 646. B u c h η e r , Kaiser- u. Königmacher, H a u p t w ä h l e r u. Kurfürsten, HJb. 55 (35) 182. — v. W r e t s c h k o , D e r Einfluß der fremden Rechte auf d. d. Königswahlen, ZRG. 20 (99) 164. D e r s . , D i e electio communis bei den kirchlichen W a h l e n i m MA., DZKR. 11 (02) 326. — E i c h m a n n , Kaiserk r ö n u n g (s. § 23). S c h u l t e , D i e Kaiser- u n d Königskrönungen zu Aachen 813—1531 (24).

δ 46. Die Redite des Königs I. Die Rechtsstellung des mittelalterlichen deutschen Königs zeigt mit innerer Notwendigkeit ain deutlichsten die Umbildung des einheitlichen Reiches zu einem föderalistischen Staat, die sich im Hochmittelalter vollzog. Diese nahm dem König allerdings keines seiner Rechte auf unmittelbarem Reichsland, aber außerhalb dieses wandelten sie sich zu landesherrlichen oder wurden tatsächlich oder rechtlich ausgeschaltet. Solchem Schicksal verfielen auch die neuen Rechte, die der König in diesem Zeitraum zunächst für das ganze Reich erwarb. Die Rechte des Königs gingen so nicht unter, aber sie wurden des größten Teiles ihres Anwendungsgebietes beraubt. Diese Aushöhlung der königlichen Gewalt machte nur Halt vor den Rechten, die ihrem Inhalt nach, wirkungskräftig nur einheitlich ausgeübt werden konnten. Daher verblieb dem König die Vertretung des Reiches nach außen und damit in engstem Zusammenhang der Oberbefehl über das Reichsheer, ferner die Wahrung des Friedens im Reiche, die in Reichslandfrieden, in der Verhängung der Reichsacht und in der Zuständigkeit des Königsgerichts bei Rechtsverweigerung zum Ausdruck kam, wogegen die sonstige Gerichtsgewalt des Königs zur Bedeutungslosigkeit herabsank. Sieht man nicht auf die einzelnen Rechte, sondern auf ihre Grundlage, so erscheint auch diese unter dem Einfluß des Wahlgrundsatzes entscheidend verändert. Nicht nur war der Erwerb der königlichen Gewalt aus dem Bereich des reinen Rechts in den der Politik ver-

§ 46. Die Rechte des Könige

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schoben und damit von den Bedingungen der Wähler abhängig, die m i t der Verengung des Wählerkreises an Bedeutung gewannen. D i e W a h l selbst wurde, wenngleich rechtlich k e i n Vertrag, sondern ein einseitiger A k t , unter Vertragsvorstellungen gebracht. Das Verhältnis des Königs zum V o l k wurde i n durchaus germanischem Sinn als ein gegenseitiges Treueverhältnis aufgefaßt. Daraus ergab sich unter erheblichem Einfluß des Lehnrechts die Grundlage eines Widerstandes der Fürsten und des Volkes gegenüber dem seinen Versprechungen oder auch sonst dem Recht ungetreuen König. Seine Folge w a r ein Absetzungsrecht der Wähler, das nach der Beschränk u n g des Wahlrechts auf die Kurfürsten deren ausschließliches Recht wurde 1 . II. D e r T i t e l des Königs w a r zunächst n u r rex, nach der Kaiserkrönung imperator, seit O t t o I I I . Romanorum imperator augustus.Der noch nicht zum Kaiser gekrönte deutsche K ö n i g hieß seit Heinrich I V . Romanorum rex. Später sagte man römischer keiser u n d römischer chunig, jenes m i t dem Zusatz allewege merer des riches, einer mißverstandenen Übersetzung von semper augustus. D i e früheren Insignien des Königs (insignia regni) oder Reichskleinodien haben sich erhalten (s. § 231). Reichsapfel und Pontifikalkleidung sind als Wahrzeichen des Kaisertums hinzugetreten 2 . Das AVappentier des Königs w a r der einköpfige schwarze A d l e r auf goldenem Grund, das des Kaisers später der Doppeladler. D i e Fahne t r u g i n heraldischer Zeit den A d l e r oder ein weißes Kreuz (Adlerfahne und Kreuzesfahne) 3 .

III. Die Rechte des Königs zerfallen historisch und nach ihrem inneren Grunde in zwei Gruppen. Zum einen Teil hängen sie unmittelbar mit der staatsrechtlichen Stellung des Königs zusammen 1 K e r n , Gottesgnadentum u n d Widerstandsrecht (14) 226. S c h m e i d l e r , Heinrichs IV. Absetzung, ZRG. Kan. 12 (22) 168. 2 F r e n s d o r f f , Zur Gesch. d. d. Reichsinsignien, N G W G ö t t . 1897, 43. Werminghoff, N J K A . 23 (14). H a u p t , D i e Reichsinsignien (39). W e i x l g ä r t n e r , Geschichte i m Widerschein der Reichskleinodien (38). D e r s . , Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt N ü r n b e r g 37 (40) 362. N a u m a n n a. zu § 2 A n m . 5 a. O. D i e gebrauchten Insignien sind meist sarazenische A r b e i t u n d entstammen durch V e r m i t t l u n g Heinrichs VI. dem normannischen Kronschatz. Sie w u r d e n vom Köniff mitgeführt, lagen vorübergehend i n Aufbewahrung, so z. B. i n Hagenau, aber erst seit 1424 dauernd i n N ü r n berg. 3 Nach H. M e y e r , D i e rote Fahne, ZRG. 50 (30) 310, war das Königsbanner seit ältester Zeit rot. Dagegen E r d m a η η , Kaiserfahne u n d Blutfahne (32), wozu M e y e r ZRG. 53, 291. D i e Sachsenspiegelglosse nennt die Farben rot u n d gelb. Vgl. i m übrigen G r i t z n e r , Symbole u n d Wappen des alten Deutschen Reiches (02). D e r s . , D i e deutschen Reichsfarben, Festschr. f. Seeliger (20). W e n t z k e , Hoheitszeichen u. Farben d. Reiches (39). B u s c h k i e 1, D i e deutschen Farben (35; dazu Meyer, ZRG. 56, 418).

v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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und entstammen der fränkischen Königsgewalt Z u m anderen T e i l wurzeln sie i n Rechtsverhältnissen, die nicht rein staatsrechtlich und daher nicht wesensmäßig auf den Herrscher beschränkt, wenngleich i n seiner H a n d durch den Einfluß seiner staatsrechtlichen Stellung besonders ausgestaltet sind. Jene w u r d e n von dem Aufkommen der Territorialgewalten stärker betroffen als diese. 1. D e r K ö n i g hatte ausschließlich das Münzrecht, das Zollrecht u n d das Recht der B e w i l l i g u n g von Marktgründungen. Es gab also Münz-, Zoll- u n d Marktregal 4 . D e r K ö n i g hatte ferner politisches Geleitsrecht i m ganzen Reich und Zollgeleit an den Reichszollstätten (ius conductus, Geleitsregal). Er übte das Recht des Judenschutzes (Judenregal) und das Heimfallsrecht. Seit dem 11. Jahrhundert stand i h m ein Bergregal zu, ein Recht auf bestimmte i m Boden enthaltene Schätze, später auch Stromregal u n d Jagdregal. D i e oberste Gerichtsgewalt des Königs ist i m M i t t e l a l t e r theoretisch unbestritten. Sie wurde w i e i n fränkischer Zeit von i h m oder seinem Stellvertreter im' Königsgericht ausgeübt. I m übrigen ist zu beachten, daß die Gerichte Lehnsobjekt geworden sind und daher v o m König unmittelbar oder von den durch i h n Belehnten an deren Vasallen verliehen wurden. V o n hier aus gestalteten sich die Verhältnisse sehr verschieden, sowohl nach Gebieten, w i e nach der Stellung des Gerichtsinhabers, w i e i m Zusammenhang m i t der Wandlung der Hochgerichtsbarkeit. I n territorialer Hinsicht unterscheidet sich das sächsische Gebiet von den M a r k e n u n d den süddeutschen Fürstentümern. I n Sachsen hielt der G r a f Gericht unter Königsbann, der i h m vom K ö n i g persönlich geliehen werden mußte. M i t dieser Königsbannleihe verband sich die Leistung eines Amtseides, während der Graf den Lehnseid u n d die Mannschaft (Hulde) dem Fürsten zu leisten hatte, der i h n m i t dem Gericht belieh. Aber auch innerhalb des sächsischen Gebietes erhielt sich diese Bannleihe n u r i n Westfalen über das 13. Jahrhundert hinaus. Entwicklungsgeschichtlich weist sie zurück auf den bannus regius der fränkischen Zeit und die alte Hochgerichtsbarkeit (s. § 55). Neben i h r gab es i m ganzen Ge4 Regalien (iura regalia) heißen seit dem 12. Jahrhundert alle dem K ö n i g als solchem zustehenden Rechte. Sie sind von sehr 'verschiedenem Ursprung, was i n der späteren Scheidung i n regalia maiora (Hoheitsrechte) u n d regalia minora (Vermögensrechte) wieder i n die Erscheinung t r i t t . E i n T e i l von ihnen entnahm seinen I n h a l t dem des Grundeigentums i m ursprünglichen Umfang, so insbesondere Jagdregal u n d Bergregal. Indem der K ö n i g bestimmte Jagdgebiete oder Gewässer eingrenzte (einforstete), nahm er innerhalb i h r e r das alleinige Nutzungsrecht i n Anspruch. Vgl. H ü b η e r , Grundzüge 286. W a i t ζ , Entw. d. Begriffes d. Regalien (40). Th. M a y e r , HZ. 159 (39) 468. T h i e m e , D i e F u n k t i o n der Regalien i m MA., ZRG. 62 (42) 57. Ferner M i 11 e i s , ZRG. 62 (42) 53 u n d Staat d. höh. M A . 8 (48) 318. O t t , D e r Regalienbegriff i m 12. Jahrh., ZRG. K. 66 (49).

§ 46. Die Rechte dee Königs

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biet eine Blutbannleihe, durch die das Recht verliehen wurde, B l u t gerichtsbarkeit auszuüben. Auch sie mußten die kirchlichen Vögte und die Grafeh geistlicher Lehnsherren unmittelbar vom K ö n i g erhalten, da der Blutbann üach kanonischem Recht nicht an geistliche Fürsten und nicht von ihnen verliehen werden konnte (ecclesia non sitit sanguinem). Nachdem Bonifaz V I I I . 1298 das Verbot der B l u t bannleihe für die geistlichen Fürsten aufgehoben hatte, wurde vom Standpunkt der Kirche aus die unmittelbare Beleihung i h r e r Vasallen durch den K ö n i g überflüssig. Diese Blutbannleihe steht geschichtlich i m Zusammenhang m i t dem Wandel der Hochgerichtsbarkeit zur Blutgerichtsbarkeit, da sie erst durch i h n f ü r den Grafen als Hochrichter erforderlich wurde. F ü r die Geschichte der königlichen Gew a l t aber ist das entscheidende, daß zuerst die weltlichen, dann auch die geistlichen Fürsten von der Einholung des Bannes durch ihre Richter Abstand nahmen u n d diesen die Gerichtsgewalt selbst übertrugen. D e r K ö n i g w a r Eigentümer des Reichsgutes, das man nunmehr vom Hausgut zu unterscheiden begann. Er konnte aber schon i m 12. Jahrhundert nur u n t e r M i t w i r k u n g der Fürsten u n d seit dem Interregnum n u r m i t Zustimmung der Kurfürsten darüber verfügen 5 . 2. D e r König w a r der oberste Lehnsherr, insofern alle Lehen i m Reiche durch das M i t t e l der Lehnshierarchie i n i h m als dpren Spitze vereinigt waren u n d er selbst niemandem Mannschaft u n d Lehnsdienst schulden konnte®. Von den i n dieser Stellung beschlossenen Rechten hat er gegenüber den unmittelbaren Reichsvasallen das auf Heerfahrt bis zur Ablösung des Lehnsheeres durch das Söldnerheer ausgeübt, das auf Hoffahrt bis i n die Neuzeit 7 . Das Recht, erledigte Lehen einzuziehen (Heimfallsrecht) wurde durch die Entwicklung der Erblichkeit der Lehen und den Leihezwang (s. § 33) praktisch bedeutungslos. Beim Tode des Vasallen (Mannfall) mußte der König dem darum i n den Formen des Lehnrechts nachsuchenden Erben das Lehen verleihen, während beim Tode des Königs (Herrenfall, Thronfall) dessen Nachfolger die bisherigen Vasallen belehnen mußte. W a r der Vasall ohne lehensfähige Erben gestorben oder das Lehen k r a f t Lehnrechts aus anderem Grunde heimgefallen, so griff für die Fahnenlehen der Leihezwang ein (§ 33 II), so daß der H e i m f a l l i n der Regel ohne dauernde W i r k u n g blieb. 5 D i e Zustimmung w u r d e i n besonderer U r k u n d e (Willebrief) oder durch Mitbesiegelung der königlichen U r k u n d e erteilt. F i c k e r , Vom Reichsfürstenstande I I 1 (11) 68. Schriftt. über Reichsgut s. § 52. β Doch haben die Könige Lehen ohne Dienst u n d Mannschaft von geistlichen Fürsten genommen. F i c k e r , V o m Heerschilde (1862) 37. 7 Außerhalb der Reichsgrenzen bestand eine Heerfahrtpflicht der Vasallen nur i m Falle des Romzuges zur Kaiserkrönung.

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D e r K ö n i g w a r Dienstherr der Reichsministerialen und Stadtherr der Reichsstädte. Teils auf eigenkirchenrechtlichen, teils auf lehnrechtlichen Vorstellungen beruhten Rechte des Königs gegenüber den Reichskirchen (Bistümern und Abteien). D e r K ö n i g war deren Schutzherr. Er machte ihnen gegenüber i m Falle der Vakanz das Recht auf die Zwischennutzung, auf die während ihrer anfallenden Früchte geltend (Regalienrecht), von Heinrich I V . bis Heinrich VI. m i t wechselndem Erfolg das 1220 aufgehobene Spolienrecht, das Recht auf den aus dem Kirchengut geflossenen, beweglichen Nachlafi eines geistlichen Fürsten, und das Recht der ersten Bitte (ius p r i m a r i a r u m precum) 8 . I V . D e r K ö n i g lebte persönlich nach fränkischem (ribuarischem) Recht. I n geistlichen Sachen w a r sein Richter der Papst. I n weltlichen Sachen hatte er seinen Gerichtsstand beim Königsgericht. Doch dürfte eine Entscheidung über das Leben des Königs erst nach seiner Absetzung möglich gewesen sein 0 . Des Königs W o r t bedurfte keiner eidlichen Bekräftigung, wie überhaupt der König keinen E i d zu leisten brauchte. V. D i e Vertretung des Königs wurde i n älterer Zeit durch i h n selbst v o n F a l l zu F a l l geregelt und, falls ein solcher vorhanden war, dem zum römischen K ö n i g gewählten Nachfolger übertragen. So w u r d e ζ. B. Friedrich I I . durch Heinrich V I I . vertreten. D i e Goldene Bulle bestimmte den Pfalzgrafen bei Rhein als Reichsvikar f ü r die Länder des fränkischen, den Herzog von Sachsen für die Länder des sächsischen Rechts. D e r kurialistische Gedanke eines päpstlichen Reichsvikariats ist nie v e r w i r k l i c h t worden. v. B e l o w , D e r deutsche Staat d. M A . I (14). S c h o l z , Beitr. zur Geschichte d. Hoheitsrechte d. d. Königs 1138—97 (1896). T r o e , Münze, Zoll u. M a r k t (37 ; für d. Jahre 1250—1350). Zum Münzrecht s. Schriftt. zu §35. G. A . L ö n i n g , Das Münzrecht i m Erzbistum Bremen (37). F a l k e , Gesch. des deutschen Zollwesens (1869). Z ö l l n e r , Das Zollregal des deutschen Königs bis 1235 (1889). W e t z e l , Das Zollrecht der deutschen Könige (1892). — R i e t s c h e i , M a r k t u n d Stadt (1897). — F i e s e i , Zum früh- u n d hochmittelalterlichen Geleitsrecht, ZRG. 41 (20) 1. D i e s . , Woher stammt das Zollgeleit? VjsSWG. 19 (26) 385. — S t o b b e , D i e Juden i n Deutschland während d. M A . (1866). C a r o , Sozial- u. Wirtschaftsgesch. d. Juden I 2 (24). K i s c h a. ζ. § 36 Anm. 2 ang. Ort. — T o m a s c h e k , Das Heimfallsrecht (1882). — Z y c h a , Das Recht des ältesten deutschen Bergbaus (1892). 8 Dies w a r das Recht, von j e d e m verleihungsberechtigten Stift oder Kloster einmal nach der K r ö n u n g die Verleihung einer freigewordenen Pfründe an eine bestimmte Person zu verlangen. B a u e r , Das Recht der ersten Bitte bei d. deutschen Königen bis auf K a r l IV. (19). 0 Insoweit ist der Satz des Sachsenspiegels einzuschränken, daß der Pfalzgraf Richter über den K ö n i g sei. W e i z s ä c k e r , Der Pfalzgraf als Richter über den K ö n i g (1886). D o m a i e r , D i e Päpste als Richter über die d. Könige (1897). E i c h m a n n , Das E x k o m m u n i k a t i o n s p r i v i l e g d. d. Kaisers, ZRG. Kan. 1 (10).

§ 47. Kaisertum

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D e r s . , Montani et Silvani, D A . 3 (39) 175. A r n d t , Zur Geschichte u n d Theorie des Bergregals 2 (16). D e r s . , ZBergR. 1918, 317. S t o l z , D i e A n fänge des Bergbaues u n d Bergrechts i n T i r o l , RG. 48 (28) 207. S c h ö n b a u e r , Beitr. zur Geschichte des Bergbaurechts (29; dazu Zycha, ZRG. 56, 407). — v. B r ü n n e c k , A r t . Jagdrecht i m Handwb. der Staatswissenschaft 5 3 (10) 564. D e r s., ZRG. 39 (18) 88. — G e f f c k e η , Zur Gesch. des deutschen Wasserrechts, ZRG. 26 (00) 173. Η ü b η e r , Grundz. d. deutschen Privatrechts 5 (30) 297. — v. V o l t e l i n i , Königsbannleihe u n d Blutbannleihe, ZRG. 36 (15) 290. H e c k , D i e Bannleihe i m Sachsenspiegel, ebda. 37 (16) 260. H i r s c h , D i e hohe Gerichtsbarkeit i m d. M A . (22). B r u c k a u f , Fahnenlehn u. Fahnenbelehnung (07). B ö r g e r , D i e Belehnungen der deutschen geistl. Fürsten (01). H o m e y e r , Ssp. I I 2 (Lehnrecht). M i t t e i s , Lehnrecht u. Staatsgewalt (33). — W a i t z , D e r Ursprung d. sog. Spolienrechts, F D G . 13 ' (1873) 494. E i s e n b e r g , Das Spolienrecht (1896). — T r i e p e l , Das Interregnum (1892). K u p k e , Das Reichsvikariat u. die Stellung d. Pfalzgrafen bei Rhein (1891). W e r m i n g h o f f , ZRG. 36 (15) 275. H e i η ζ e , Das kursächs. Reichsvikariatsrecht, Η ν . 22 (25) 1. Β a e t h g e n , D e r Anspruch der Päpste auf d. Reichsvikariat, ZRG. K. 10 (20) 168.

§ 47. Kaisertum D e r gekrönte deutsche König w a r als solcher auch römischer König. Eine besondere lombardische K r ö n u n g k a m i m 11. Jahrhundert vor und w u r d e seit Friedrich I. ü b l i d i , aber nicht erforderlich 1 . Dagegen hing der E r w e r b des kaiserlichen Titels u n d der kaiserlichen Gewalt von der päpstlichen Krönung zum Kaiser ab, auf die der K ö n i g allerdings einen Anspruch hatte. D e r E r w e r b der Kaiserwürde unmittelbar durch die W a h l ist immerhin von staatlicher Seite wiederholt behauptet worden. E i n i n der Glosse zum L i b e r E x t r a überliefertes Fürstenweistum von 1252 erklärte, daß der König als solcher die kaiserliche Gewalt habe und durch die päpstliche inunctio n u r den kaiserlichen T i t e l erwerbe. D a v o n vielleicht nicht unabhängig sprach das Reichsgesetz Licet iuris (1338) aus, daß der von den Kurfürsten Gewählte ex sola electione est verus rex et imperator Romanorum censendus et nominandus 2 . Beide Erklärungen waren aus der p o l i t i schen Lage ihrer Zeit entstanden als kurfürstliche Unterstützung W i l helms von H o l l a n d und Ludwigs des Bayern. A m Rechtszustand während des Mittelalters haben sie nichts geändert, und nach der Goldenen B u l l e w i r d der König gewählt als rex Romanorum i n imperatorem promovendus, also nur der Anspruch auf die Kaiserwiirde anerkannt. Zum Kaiser gekrönt wurde i m M i t t e l a l t e r erstmals Otto I. (962). D i e letzte K r ö n u n g i n Rom w a r die Friedrichs I I I . (1452). 1 K r ö n e r , W a h l u n d K r ö n u n g der deutschen Kaiser u n d Könige i n Italien (06). E i c h m a n n , Zur Gesch. d. lombardischen Krönungsritus, HJb. 46 (26) 516. 2 D e r Kaisertitel blieb auch danach von der K r ö n u n g abhängig. Ζ e u m e r , Ν Α . 30 (05) 603.

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I I I . Das Mittelalter

D i e Bedeutung des Kaisertums lag so wenig w i e bei den K a r o l i n gern auf dem Gebiet des deutschen Staatsrechts, aber m i t w e i t größerem Gewicht auf dem politischen. Sie beruhte auf der Idee einer nicht auf staatsrechtlicher Gewalt, sondern auf höherem Rang und auctoritas gegründeten Hegemonie des deutschen Kaisers und seiner i m mittelalterlichen D e n k e n und Handeln lebendigen Weltherrschaft. M i t der Kaiserkrone verband sich auch die imperialistische P o l i t i k deutscher Könige, insbesondere der späteren Staufer. Hätte sie sich durchzusetzen vermocht, würde w o h l auch innerhalb des Reiches der staatsrechtliche Schwerpunkt i n das Kaisertum verlegt worden und das K ö n i g t u m i n diesem aufgegangen sein. I n eigenartigem Gegensatz zu dieser machtstrebigen W i r k u n g des Kaisertums steht eine zweite, die Abhängigkeit des deutschen Königs vom Papst. Sie k a m auch i n rechtlichen Formen und i n Ansprüchen des Papstes zum Ausdruck, während Rechte des Kaisers gegenüber diesem jedenfalls seit der M i t t e des 11. Jahrhunderts nicht mehr i n Frage kamen. D i e Unterstellung der D o p p e l w a h l Ottos von Braunschweig u n d Philipps von Schwaben unter das Schiedsurteil des Papstes führte zu dessen Anspruch auf Entscheidung bei zwiespältigen Wahlen u n d auf Prüfung der Geeignetheit des Gewählten 8 . Von hier aus w a r es n u r folgerichtig, wenn der Papst auch das Recht geltend machte, den K ö n i g abzusetzen, w i e er es ζ. B. gegenüber Heinrich I V . (1076, 1080), Friedrich I I . (1245), L u d w i g dem Baiern (1324) getan hat. Vorbereitend und unterstützend konnte dabei der Papst M i t t e l der geistlichen Gewalt anwenden, den Kaiser bannen u n d die Untertanen vom Treueid lösen. Nicht Schutzherrschaft, sondern Schutzpflicht w a r i n der Hauptsache die kaiserliche advocatio ecclesiae, die den Kaiser verpflichtete, die Kirche und i h r G u t zu schützen u n d dieses zu mehren, die Ausbreitung des Glaubens zu fördern (Kreuzzug) und die I r r l e h r e n zu bekämpfen (Ketzergesetzgebung), der kirchlichen Strafgewalt den weltlichen A r m zu leihen. Bei der Krönung w u r d e der Kaiser zum filius ecclesiae Romanae erhoben u n d später auch filius specialis des Papstes genannt. Er schuldete dem Papst oboedientia, ähnlich wie der Bischof, u n d pflegte sie seit dem Interregnum bei der Wahlanzeige ausdrücklich zuzusichern. Bei Begegnungen m i t dem Papst hatte er diesem den Marschalldienst zu leisten, d. h. sein Pferd am Zügel zu führen (officium stratoris), später auch den Steigbügel zu halten (officium strepae). Doch ist der Kaiser nie Lehnsmann des Papstes, das Reich nie päpstliches Lehen gewesen. I n der stark wechselnden Fassung der vom 8

D i e Anzeige der W a h l w a r schon i m 12. Jahrhundert üblich. F e i n e , D i e Approbation der luxemburgischen Kaiser, ZRG. Kan. 27 (38) 364.

§ 48. Hof- und Reichsämter

K ö n i g als V o r a u s s e t z u n g d e r K r ö n u n g z u l e i s t e n d e n E i d e w i r d fidelitas nicht i m lehnsrechtlichen S i n n gesprochen4.

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von

Z e u m e r , E i n Reichsweistum über die W i r k u n g e n d. Königswahl, N A . 30 (05) 43. D e r s . , Ludwigs d. B a y e r n Königswahlgesetz „ L i c e t i u r i s " , ebda. 85. H u g e l m a n n , D i e W i r k u n g e n d. Kaiserweine nach d. Ssp., Z R G . K a n . 9 (19) 1. S t e n g e l , A v i g n o n u n d Rhens (30). S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio, I. I I (29). G ü n t e r , Das mittelalterliche K a i s e r t u m (33). L i n t z e l , S c h o l z (s. § 23). T r i e ρ e 1, D i e Hegemonie (38) 496. H o l t m a n n , D e r Weltherrschaftsgedanke des ma. Kaisertums, HZ. 159 (39) 251. S t e n g e l , Kaisertitel u. Souveränitätsidee, D A . 3 (39). — E i c h m a n n , Die A d o p t i o n d. d. Kaisers durch den Papst, ZRG.37 (16) 291. — H o l t z m a n n , D e r Kaiser als Marschall d. Papstes (28). D e r s . , HZ. 145, 301. E i c h m a n n , Officium stratoris et strepae, HZ. 142 (30) 16. K e u t g e n , ebda. 546. — Uber die Krönungsformen E i c h m a n n , Kaiserkrönung (§ 23).

§ 48. H o f - u n d Reichsämter D e m k ö n i g l i c h e n H o f f e h l t e a u c h i m M i t t e l a l t e r e i n fester Sitz. E r h i e l t sich u n t e r d e n S a l i e r n i n d e r h e r z o g l i c h - b a i r i s c h e n H a u p t s t a d t R e g e n s b u r g , i m ü b r i g e n b i s z u m 15. J a h r h u n d e r t i n e i n e r d e r k ö n i g l i c h e n P f a l z e n a u f , so ζ. B . i n Q u e d l i n b u r g , M a g d e b u r g , G o s l a r , M a i n z , K ö l n , N ü r n b e r g . Jedoch b e v o r z u g t e n d i e e i n z e l n e n K ö n i g e u n d D y nastien bestimmte Gebiete, i n denen dann der Schwerpunkt der Reichsverwaltung lag1. D i e späteren Könige residierten meist i n ihren Erblanden2. D i e O r g a n i s a t i o n des k ö n i g l i c h e n H o f e s k n ü p f t e a n d i e i n d e r f r ä n k i s c h e n Z e i t a n u n d z e i g t e w i e diese d i e V e r e i n i g u n g v o n H o f ä m t e r n u n d o b e r s t e n R e i c h s ä m t e r n 3 . D i e v i e r H o f ä m t e r des T r u c h s e ß , Marschalls, K ä m m e r e r s u n d Schenken b l i e b e n erhalten u n d w u r d e n v e r m e h r t d u r c h das des K ü c h e n m e i s t e r s , das sich u n t e r P h i l i p p v o m T r u c h s e ß a m t a b s p a l t e t e , u n d das des Reichs J ä g e r m e i s t e r s . F r i e d r i c h I I . ü b e r n a h m 1235 i m M a i n z e r L a n d f r i e d e n aus d e r s i z i l i s c h e n V e r w a l t u n g 4 das A m t des H o f r i c h t e r s ( i u s t i t i a r i u s c u r i a e r e g i a e ) , d e r d e n K ö n i g i m Reichshofgericht zu v e r t r e t e n hatte. U n t e r H e i n r i c h V I I . w u r d e n a c h d e m V o r b i l d t e r r i t o r i a l e r V e r w a l t u n g e n das A m t des 4 Über diese Eide E i c h m a n n , D i e römischen Eide d. deutschen Könige, ZRG. Kan. 6 (16) 140. G ü n t e r , D i e Krönungseide der deutschen Kaiser, Festschr. Schäfer (15) 6. B a e t h g e n , D i e promissio Albrechts I., i n Aus P o l i t i k u. Gesch. (28) 5. 1 Th. M a y e r , Das deutsche K ö n i g t u m u n d sein Wirkungsbereich, Das Reich u n d Europa (43) 52. R i e c k e n b e r g , Königsstraße u. Königsgut, A U F . 17 (42) 32. S c h n e i d e r a. zu § 34 A n m . 1 a. O. 2 S c h u l t e , Anläufe zu einer festeren Residenz d. d : K ö n i g e i m H o c h M A . , HJb. 55 (36) 131. 3 Allerdings gelangte das Erzkanzleramt an den nicht zum Hofe gehörenden Erzbischof von Mainz. A b e r der tatsächlich fungierende Kanzler war der Hofkanzler u n d die Reichskanzlei w a r am Hofe. 4 S. § 53 I I 1 Stark einschränkend M i 11 e i s , ZRG. 62 (42) 43 u n d D. Rechtsgesch. Kap. 32 11.

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I I I . Da

Mittelalter

Hofmeisters eingerichtet (magister curiae), dem die Leitung der Hofhaltung oblag. Seine Beschäftigung m i t Verwaltungsaufgaben führte unter Ruprecht zu einer Teilung i n zwei Ämter, indem die Verwaltungstätigkeit Aufgabe des Obersthofmeisters wurde, die wirtschaftliche Leitung aber dem Hofmeister verblieb. Auch hierin waren die T e r r i t o r i e n vorangegangen. K a r l I V . führte aus I t a l i e n das A m t der Hofpfalzgrafen ein, deren Tätigkeit i m Bereich der f r e i w i l l i g e n Gerichtsbarkeit lag 5 . Dagegen ist das karolingische Pfalzgrafenamt als Hofamt untergegangen. D i e Hofgeistlichkeit w a r i n der Kapelle vereinigt unter dem archicapellanus. Sie w u r d e aus einer Hofschule zu einer Ausbildungsstätte für geistliche Würdenträger und Diplomaten. D i e seit Heinrich I. fast ausnahmslose Betrauung des Erzbischofs von Mainz m i t dem Amte des Erzkanzlers führte zu weitgehender Selbständigkeit der am Hofe anwesenden Hofkanzlei (Reichskanzlei). Sie stand unter einem vom König ernannten Kanzler (cancellarius, imperialis cancellarius) 6 , dem Protonotar, Notare und Schreiber untergeordnet waren. Das Erzkanzleramt w u r d e zu einem politischen A m t , dessen Inhaber n u r bei feierlichen Gelegenheiten w i e Reichstagen oder völkerrechtlichen Verträgen als Kanzler tätig wurden. D e r Errichtung einer Hofkanzlei für I t a l i e n (962) entsprach die Erhebung des Erzbischofs von K ö l n zum Erzkanzler für dieses Gebiet (1031), während das zunächst (1157) dem Erzbischof von Vienne, seit Anfang des 14. Jahrhunderts dem Erzbischof von T r i e r zustehende Erzkanzleramt f ü r Burgund (per G a l l i a m et regnum Arelatense) einer eigenen Hofkanzlei entbehrte. D i e Reichskanzlei w a r zugleich Kanzlei des Königsgerichts. D i e 1235 errichtete Hofgerichtskanzlei unter dem weltlichen Hofgerichtsschreiber (notarius curiae) trat n u r i n Tätigkeit, wenn der Hofrichter das Richteramt ausübte. D i e Entwicklung der Kanzlerwürde hatte i h r Seitenstück i n der der weltlichen Hofämter. Auch bei diesen trat eine Spaltung derart ein, daß der tatsächliche Hofdienst von Reichsministerialen versehen und i n der Regel auch geleitet wurde, während entsprechende Erzämter bei besonderen Anlässen, insbesondere beim Krönungsmahl, von Fürsten ausgeübt wurden. D i e Leitung des Amts am Hofe w u r d e seit dem 13. Jahrhundert i n einzelnen Familien erblich. D i e w e l t lichen Erzämter waren seit dessen Beginn m i t bestimmten Fürsten5 So z. B. Adoptionen, legitimatio per rescriptum principis, V o l l j ä h r i g keitserklärungen. Dazu E r t e i l u n g von Adelsbriefen, Ernennung zum poeta laureatus, Ernennung von Notaren. β Ende des 13. Jahrhunderts beanspruchte der Erzbischof von Mainz das Recht der Ernennung. Doch ist es zwar von verschiedenen Herrschern zugestanden, aber nicht praktisch geworden u n d der Goldenen Bulle unbekannt.

§ 4 9 . Hoftage

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tiimern verknüpft, so daß a u d i sie regelmäßig vererbt wurden. Truchseß w a r der Pfalzgraf bei Rhein, Marschall der Herzog von Sachsen, Kämmerer der Markgraf von Brandenburg, Schenke der König v o n Böhmen. Als consilium (curia, Hofrat) erscheint seit dem 13. Jahrhundert ein Kreis berufsmäßiger und voti i h m ernannter Ratgeber des Königs (consiliarii, familiares), die einen Amtseid geleistet hatten (geschworene Räte). Diese Einrichtung w a r aus den Territorien übernommen, und zeitweise War der Reichshof rat gleich m i t dem Hof rat, den der König als Landesfürst hatte. D i e Räte waren teils Geistliche, teils Laien, seit Sigismund auch gelehrte Juristen. Ständige Mitglieder des Reichshofrats waren der Reichskanzler u n d der Protonotar, denen bei Abwesenheit des Königs der Vorsitz zufiel. F i c k e r , D i e Reichshofbeamten der staufischen Periode, S b A k W i e n 4 0 (1862) 447. D e r s . , V o m Reichsfürstenstande I I 1 (21) 43. 264. S e e 1 i g e r , Das deutsche Hofmeisteramt i m späteren M A . (1885). D e r s . , Erzkanzler u n d Reichskanzleien (1889). G ö r l i t z , Beitr. z. Gesch. d. königlichen Hofkapelle (36). E r d m a η η , D A . 2 (38) 325. K l u c k h o h n , D i e Ministerialität i n Südostdeutschl. (10) 146. S a m a η e k , K r o n r a t u. Reichsherrschaft i m 13. u. 14. Jahrh. (10). B r e ß 1 a u , U r k u n d e n l e h r e I 2 (12) Kap. 7. S p a n g e n b e r g , ZRG. 46 (26) 231.

§ 49. Hoftage D i e ständische E n t w i c k l u n g und die wachsende Bedeutung der Fürsten trugen wesentlich dazu bei, daß die i n der fränkischen Zeit üblichen Heeres Versammlungen seit dem 10. Jahrhundert überhaupt verschwanden. Dagegen setzten sich die Hoftage (hof, curia, spräche, tag, colloquium, conventus) als Versammlungen der geistlichen u n d weltlichen Großen fort. D i e Gestaltung i m einzelnen w a r sehr mannigfaltig u n d zeigt neben dem Einfluß der politischen Lage eine deutliche E n t w i c k l u n g i n der Richtung auf den Reichstag der folgenden Periode. Bis i n das 12. Jahrhundert erscheinen die Hoftage als Versammlungen, die der K ö n i g zum Zweck der Beratung k r a f t seines freien Willens einberief. I n seinem Belieben stand der Kreis der Eingeladenen. Deren Erscheinungspflicht ergab sich aus i h r e r Stellung als Vasallen, weshalb geistliche und weltliche Fürsten und Reichsministerialen die Teilnehmer der Hoftage sind. Dabei hing es vom K ö n i g ab, ob er Optimaten aus dem ganzen Reich berufen oder m i t denen eines der Stammesgebiete einen Landeshoftag abhalten wollte. Auch die Beratungsgegenstände bestimmte der König, und die gefaßten Beschlüsse waren folgerichtig n u r Meinungsäußerungen, an die der K ö n i g nicht gebunden war. Dies Schloß allerdings eine politische Bedeutung dieser Beschlüsse so wenig aus, w i e Versuche der

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III. Da

Mittelalter

Großen, auf solchen H o f tagen die P o l i t i k des Kaisers zu beeinflussen. Damit, steht die Tatsache i n Einklang, daß stärkere Herrscher von der Möglichkeit, Hoftage zu berufen, geringeren Gebrauch machten. I n der Folgezeit änderte sich dieser Zustand i n doppelter Richtung. D i e Befragung der Großen wandelte sich durch die K r a f t des Herkommens zu einem verfassungsmäßigen Recht der Großen, zugezogen zu werden. Es erwuchs so das Recht der Reichsstandschaft, das Recht auf Sitz und Stimme auf dem Hoftag. Dieses k a m zunächst den Fürsten u n d Herren zu. Seit W i l h e l m von H o l l a n d erscheinen audi Vertreter der Reichsstädte und der bischöflichen Städte, die aber n u r i n einzelnen Fragen Stimmrecht haben. D i e Reichsstandschaft fand ihre notwendige Ergänzung i n der E n t w i c k l u n g eines Kreises von Fragen, bei denen eine Befragung erfolgen mußte. Dessen Abgrenzung entbehrte allerdings nodi lange der Festigkeit, doch bedurfte es eines Beschlusses z. B. bei Reichsheerfahrten, Err r i d i t u n g von Reichsfürstentümern, Verfügungen über Reichsgut u n d wichtigeren völkerrechtlichen Vertragen, insbesondere auch solchen m i t dem Papst. D a diese Gegenstände aus dem Kreis derer ausgeschieden wurden, über die die Großen früher n u r berieteh, verblieben die übrigen auch jetzt noch der bloßen Beratung, so z. B. die Reichsgesetzgebung. D e n Vorsitz führte der K ö n i g oder sein Vertreter. D i e Beschlußfassung vollzog sich nach dem V o r b i l d der gerichtlichen Urteilsfindung, seit dem 13. Jahrhundert unter E i n w i r k u n g des Mehrheitsprinzips. Erst i m 14. Jahrhundert k a m es vor, daß die Kurfürsten, die Fürsten und Herren u n d die Städte f ü r sich berieten u n d beschlossen. D a m i t wurde die K u r i e n Verfassung des neuzeitlichen Reichstags vorbereitet und nicht minder die i m 15. Jahrhundert sich vollziehende Vereinigung der Fürsten m i t Grafen und Herren. I m Zusammenhang m i t dieser organisatorischen Änderung erhielt der Reichshoftag eine neue Prägung, die es rechtfertigt, i h n m i t dem seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auftretenden Worte Reichstag (des reiches gemeiner tag) zu bezeichnen. D i e Zeit der Tagung bestimmte der König, ebenso den O r t . Doch fand sie regelmäßig i n Reichsstädten oder i n bischöflichen Städten statt, i n I t a l i e n auf den ronkalischen Feldern. D i e Goldene Bulle bestimmte nur, daß der K ö n i g seinen ersten Reichstag i n Nürnberg halten solle. F i c k e r , V o m Reichsfürstenstande I I 2 (21), I I 3 (23). S i e k e l , Zur Gesch. des deutschen Reichstags, M I Ö G . EB. Γ(1884). W a c k e r , D e r Reichstag u. d. Hohenstaufen (1882). G u b a , D e r d. Reichstag unter den sächsischen u. fränkischen Königen 911—1125 (1884). E h r e n b e r g , D e r d. Reichstag i n d. Jahren 1273—1378 (1883). B e m m a n n , D. d. Reichstag i m 15. Jahrh. (07). L i n t z e l , D i e Beschlüsse der deutschen Hoftage 911—1025 (24).

§ 50. Die Gliederung des Reiches

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§ 50. Die Gliederung des Reiches D i e Gliederung des Reiches i m Ma. zeigt nicht eine einheitlich durchgreifende Organisation. Abgesehen von den seinem K e r n angegliederten größeren Gebieten, w i e Italien, Burgund und Böhmen, w a r sie auch i n den übrigen Teilen nicht gleichmäßig. D a sie aber hier weitgehend an die des fränkischen Reichs anknüpfte, stand i m M i t t e l p u n k t die Grafschaft m i t dem Grafen, der w i e bisher Gerichtsbarkeit und V e r w a l t u n g i n seiner H a n d vereinigte. Doch traten neben die alten, nun feudalisierten königlichen Grafschaften i n steigendem Maße Allodialgrafschaften, also Hochgerichtsbezirke, die sich der hohe A d e l durch Landesausbau oder auch Usurpation geschaffen hatte. Unterbezirke waren die Hundertschaften, die n u n meist als Zenten, i n Sachsen als Go bezeichnet w u r d e n u n d unter dem Zentgrafen (zentenaere, centenarius), i n Sachsen unter dem gogreve standen. Innerhalb ihrer entwickelten sich D ö r f e r zu untersten politischen Einheiten, i n denen die Herrschaft, das Recht von Gebot u n d Verbot (twing und bann) teils einem Ortsherrn, teils der Ortsgemeinde zukam 1 . A n den Grenzen erhielten sich als größere Verwaltungsgebiete die Markgrafschaften, meist nur M a r k genannt, unter dem Markgrafen. Eine Besonderheit wies das ostsächsische Gebiet auf 2 . Während nämlich der gräfliche Vollzugsbeamte, der Schultheiß, i n den meisten Gebieten m i t dem Zentenar sich vereinigte und so zum Unterrichter wurde, hatte er i n Ostsachsen den selbständigen Vorsitz i m Schultheißen- oder Freigericht, i n dem die Pfleghaften dingpflichtig waren 3 . E r hatte hier ferner den Mitvorsitz i m Gericht des Grafen, während der Vollzug i n der H a n d des Fronboten lag 4 . D i e Neuerungen u n d Veränderungen, denen die Grafschaftsgliederung i m Mittelalter unterworfen war, müssen unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden, unter dem der Herrschaft u n d unter 1 W i e ß n e r , Z w i n g u n d Bann (35; dazu Ganahl, HZ. 157,124. v. Schwerin, ZRG. 56, 501). B a d e r , Über H e r k u n f t u. Bedeutung von Z w i n g u n d Bann, ZGORh. N.F.50 (36) 617. S t u t z , Zur H e r k u n f t von Z w i n g u n d Bann, ZRG. 57 (37) 289. G a η a h 1, ZRG. 60 (40) 398. * ö s t l i c h der Oker. Daß das gleiche für ganz Ostfalen gelte, w i r d nicht ohne G r u n d bestritten. 8 Vgl. § 26 I. Dagegen sind die sonstigen sächsischen Freidinge Grafengerichte. Über Freigrafschaften außerhalb des sächsischen Gebietes vgl. W a a s , Vogtei u n d Bede I I (23) 54. B o r g m a n n , D. deutschen Freigrafschaften u. Freigerichte i m M A . Bl. f. deutsche Landesgesch. 1 (38) 17. D i e h l , D i e Freien a. d. Leutkircher Heide, ZWLG.40, 257 (dazu M ü l l e r ZRG. 62, 458). 4 Besonders gestaltet waren die Verhältnisse i n Friesland. Vgl. hierüber v. R i c h t h o f e n , Untersuchungen zur fries. RG. I — I I I 1 (1880—86). H e c k , Altfriesische Gerichtsverfassung (1894). J ä k e l , ZRG. 27 (06) 114, 275. 28 (07) 164, 205. v. S c h w e r i n , M I Ö G . 29 (08) 467. R i e t β c h e 1, ebda. 30, 136.

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I I I . Das Mittelalter

dem des Gebiets. W a r der Graf i n der Karolingerzeit königlicher Beamter und übte er Rechte des Königs aus, so bedeutete es eine durchgreifende Veränderung, daß nunmehr gräfliche Rechte i n die Hand von Personen gelangten, die weder Beamte des Königs noch unmittelbar von i h m belehnt waren. Dies aber geschah überall da, wo weltliche oder geistliche Immunitätsherrn (Vogteien) die Hochgerichtsbarkeit erwarben oder das Grafenamt i n die Hände fürstlicher Vasallen kam. Es handelt sich hierbei um die Erscheinungen, die i m M i t t e l p u n k t der T e r r i t o r i a l b i l d u n g (§ 55) u n d auch i m Zusammenhang m i t der Stadtentwicklung (§ 57) stehen und i n Verbindung mit dieser zu besprechen sind. N u r eine Frage der Gebietsabgrenzung liegt da vor, wo Teile einer Grafschaft zwar dem ordentlichen Grafen entzogen, aber einem i h m gleichgestellten königlichen Beamten übertragen wurden. Dies w a r vor allem der F a l l bei den unter einem Vogt stehenden Krongutbeständen, bei Reichsabteien und Reichsstädten. D a aber auch i m ersten F a l l die vom K ö n i g unabhängige Herrschaft ein bestimmtes Gebiet erfassen mußte, so führten alle diese Vorgänge dazu, daß die Gewalt des ordentlichen Grafen i n einzelnen Teilen seiner ursprünglichen Grafschaft ausgeschaltet wurde. So verschwand die gleichmäßige Einteilung des Reiches i n Grafschaften u n d vollzog sich die sogenannte Gauauflösung. Daß außerdem Grafschaften unter mehrere Grafen aufgeteilt u n d dadurch Zentbezirke zu Grafschaften w u r d e n oder auch mehrere Grafschaften zu einer einzigen vereinigt, war nicht von grundsätzlicher Bedeutung, solange die so entstandenen Gebiete geschlossen und i n der H a n d königlicher Grafen blieben. D i e Schwächung der Zentralgewalt am Ausgang des 9. Jahrhunderts hatte Selbständigkeitsbestrebungen territorialer Gewalten zur unmittelbaren Folge. Zum einen T e i l handelt es sich dabei u m ein Wiederaufleben des Stammesherzogtüms, wenngleich die neuen Herzogtümer sich nicht schlechthin m i t denen der Karolingerzeit deckten 5 . D i e Stellung der Stammesherzöge ruhte mehr auf p o l i t i scher Macht als auf rechtlicher Befugnis. Sie hielten Hoftage ab, handhabten innerhalb des Herzogtums eine der gräflichen über5 Es waren dies Sachsen, Baiern, Schwaben, L o t h r i n g e n u n d Franken. Dieses wurde 953 aufgehoben, L o t h r i n g e n 959 i n Oberlothringen u n d Niederlothringen geteilt. Von Baiern wurde 959 das Herzogtum K ä r n t e n abgetrennt, 1156 die Ostmark zur B i l d u n g des Herzogtums Österreich (v. D u n g e r n , Wie B a y e r n das Österreich verlor [30]; dazu G ü t e r b o c k , HZ. 147, 507, Th. M a y e r , H e i l i g u. M i t t e i s a. zu § 33 A n m . 8 a. Ο.). Nicht erfaßt w u r d e n Thüringen, Friesland u n d die wendischen M a r k e n (Nordmark, Lausitz, Meißen). Uber Hessen vergleiche S t e n g e l , D e r Stamm der Hessen u. das Herzogtum F r a n k e n (Festschr. H e y m a n n [40] 129; dazu L i n t z e l , HZ. 164, 370), über Schwaben K l e w i t z , i n Oberrheiner 5 Schwaben, Südalamannen (42) 79.

§ 50. Die Gliederung des Reiches

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geordnete Gerichtsbarkeit, hatten die F ü h r u n g des Stammesaufgebots. Zum anderen T e i l handelt es sich u m Neubildungen, die von stammesmäßigen Gründlagen unabhängiger und insoferne Vorläufer späterer Flächenstaaten waren. Es sind dies die Herrschaftsgebiete Heinrichs des Löwen und der Herzöge von Zähringen 6 . Nachdem es Friedrich I. m i t H i l f e der Fürsten gelungen war, die Macht Heinrich des Löwen zu brechen, nachdem das i n der H a n d der Staufer verbliebene schwäbische Herzogtum m i t diesen untergegangen w a r und die Zähringer ausgestorben waren, verschwanden diese neuen, m i t den alten Stämmen nur noch lose verknüpften Herrschaftsgebiete. Von den m i t den Stämmen verbundenen, aus der fränkischen Zeit übernommenen Stammespfalzgrafen erhielt sich n u r das A m t des Pfalzgrafen bei Rhein als Fortsetzung des lothringischen Pfalzgrafentums. D e n stammesmäßigen Gewalten versuchten die Könige auch m i t dem M i t t e l organisatorischer Reichspolitik i m Interesse des Bestandes des Reiches zu begegnen. Dies geschah durch die B i l d u n g von Landgrafschaften u n d neuen Herzogtümern. D i e Landgrafschaften entstanden seit dem 12. Jahrhundert als unmittelbar dem K ö n i g unterstellte Verwaltungsgebiete auf verschiedener Grundlage und m i t verschiedener Ausgestaltung 7 . D i e Herzogtümer W ü r z burg, Österreich, Braunschweig u n d das dem EB. von K ö l n zustehende Herzogtum Westfalen sind Bildungen erst des 12. und 13. Jahrhunderts. Sie ruhen nicht auf stammesmäßiger Grundlage und stellen daher eine neue A r t von Herzogtum dar, die von den Königen als Mittelstufe zwischen dem K ö n i g t u m und den bei der A u f lösung der alten an Zahl vermehrten Grafschaften eingeschoben wurde, ausgestattet m i t der Gerichtshoheit über die Grafen ihres Gebiets. D a auch sie vom K ö n i g verliehen wurden, setzte sich das Reich seit dem Ende des 12. Jahrhunderts i m wesentlichen aus Reichsfürstentümern und unmittelbarem Reichsland zusammen. S. Schriftt. zu § 53, 55 u. 56. S t e i n b a c h , Geschiehtl. Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung i n Deutschland (32). B e c k e r , Gemeindliche Selbstverwaltung (41). B a d e r , Ländl. Wegerecht i m M A . ZGORh.49 (35) 371. D e r s . , Entstehung u. Bedeutung der oberd. Dörfgemeinden, Z W L G . NF. 1 (37) 265. — ν. Ρ o s e r η - Κ 1 e 11, Zur Gesch. d. Verfassung d. M a r k grafschaft Meißen i m 13. Jahrh. (1863). K ö t z s c h k e , D i e deutschen M a r k e n i m Sorbenland, Festschr. Seeliger (20). v. K r o n e s , Forschungen z. Verβ Über den geistesgeschichtlichen H i n t e r g r u n d dieser Bildungen u n d i h r e Beeinflussung durch den normannischen Staatstypus B r a c k m a n n , HZ. 145, (32) 1. D e r s . , D e r ma. Ursprung der Nationalstaaten (36). 7 Th. M a y e r , Über Entstehung u. Bedeutung d. älteren deutschen Landgrafschaften, ZRG. 58 (38) 138. D i e Mehrzahl der Landgrafen (ζ. B. i m Elsaß, Linzgau) zeigt i m Vergleich zu anderen Grafen keine E r w e i t e r u n g i h r e r Befugnisse. N u r der Landgraf von T h ü r i n g e n scheint als Vorsitzender des Landfriedensgerichts i m herzoglosen T h ü r i n g e n eine die gräfliche überragende Stellung gehabt zu haben.

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I I I . Da

Mittelalter

fassungs- u. Verwaltungsgesch. d. Steiermark I (1897). — L i n t z e l , D e r Ursprung d. deutschen Pfalzgrafenschaften, ZRQ. 49 (29) 233. H e i η ζ e , Entw i c k l u n g d. Pfalzgrafschaft Sachsen, Sachsen u. A n h a l t I (25) 20. G e r s t n e r , Geschichte d. lothr. u. rhein. Pfalzgrafsehaft (42). H i l d e b r a n d , D e r sächsische „Staat" Heinrichs des L ö w e n (37; dazu H ü t t e b r ä u k e r , ZRG. 57, 574; Beck, HZ. 159, 343; Rörig, D A . 1, 408). Th. M a y e r , D e r Staat der Herzoge von Zähringen (35) ; d e r s., D i e Besiedlung u. politische Erfassung des Schwarzwaldes i m HochMA. ZGORh. 52 (39) 500. D e r s . , Histor.-politische K r ä f t e i m Oberrheingebiet, ebda. 1. — T e l l e n b a c h , K ö n i g t u m u. Stämme i n d. Werdezeit d. deutschen Reiches (39). L ä w e n , Stammesherzog u. Stammesherzogtum (35). D e r s . , D i e herzogl. Stellung Heinrichs d. L ö w e n i n Sachsen (37). J a n s e n , D i e Herzogsgewalt der Erzbischöfe von K ö l n i n Westfalen (1895). R o s e n s t o c k , Herzogsgewalt u. Friedensschutz (10). G. S c h m i d t , Das würzburgische Herzogtum (13). B r u n n e r , Das Exemtionsrecht d. Babenberger. S b A k W i e n 47 (1864). R a u c h , D i e K ä r n t ner Herzogseinsetzung, Festschr. Zycha (41) 173; dazu P u n t s c h a r t ZRG. 62, 444 u. 65, 337.

§ 51. Heerwesen D e r Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht ist auch dem M i t t e l alter nicht fremd gewesen. Er hat sich aber, w e n n man v o n den Städten absieht (s. § 59), noch w e i t weniger als i n der fränkischen Zeit i n einer allgemeinen Kriegsdienstpflicht ausgewirkt. D i e Umb i l d u n g des Heeres zu einem Reiterheer machte auch i m Osten starke Fortschritte. D a es zu erheblichem T e i l aus schwergerüsteten Reitern (Panzerreitern, loricati) bestand, konnte die Ausrüstungslast nicht mehr von allen getragen und die ritterliche Übung nicht v o n allen erwartet werden. Als i m 15. Jahrhundert eine rückläufige Bewegung zum Fußvolk eintrat, w a r die Zeit f ü r allgemeinen Dienst i m Heere vorbei. Infolgedessen w u r d e die Gesamtheit der Bevölkerung n u r i m Falle der Landesnot aufgeboten. Es gab als allgemeine Dienstpflicht n u r eine Landwehrpflicht, die aber n u n alle Stände, auch die Unfreien, ergriff. Sie w a r ihrem Zweck entsprechend auf den Dienst innerhalb der Landesgrenzen beschränkt.

Die Kriegsdienstpflicht bestand dem Staate gegenüber unmittelbar nur für bestimmte Gruppen und auch für diese aus verschiedenem Grunde. Die Reichsstädte und allodialen Ritter waren staatsrechtlich verpflichtet, dem Aufgebot Folge zu leisten, die Reichsministerialen und unmittelbaren Reichslehnsleute kraft Lehnrechts, die Fürsten staatsrechtlich wie lehnsrechtlich. Jeder Pflichtige hatte ein bestimmtes Kontingent zu stellen. In der ersten Zeit wurde dementsprechend beim Aufgebot die Zahl der beizubringenden loricati angegeben. Späterhin bildeten die Einheit für die Berechnung des Reiterheeres die Gleven (Lanzen), die aus einem Ritter mit Streitroß und Marschpferd und zwei bis drei leichtbewaffneten, berittenen Knechten be-

§ 51. Heerwesen

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standen1. Sache des Aufgebotenen war es, die ihm mitgeteilte Zahl aufzubringen. Dabei konnte er seinerseits seine Vasallen aufbieten, die wiederum ihre Mannen beizogen. Die Grafen konnten gegenüber den Grafschaftseingesessenen auch die öffentlichrechtliche Dienstpflicht geltend machen. Doch war nur ein kleiner Teil der Freien in der Lage, den Anforderungen der Ausrüstung zu genügen. Die übrigen zahlten schon in karolingischer Zeit eine Heersteuer (Grafenschatz), aus der der Graf Ritter ausrüsten konnte, und leisteten den Burgendienst. Die im Aufgebot festgesetzte Zahl hing vom jeweiligen Bedürfnis ab. Doch hat sich durch Herkommen eine gewisse Gleichmäßigkeit herausgebildet. Soweit späterhin die Heerfahrt vom Reichstag beschlossen wurde, setzte dieser die einzelnen Kontingente fest. Der Erlaß des Aufgebots war znuädhst ein Recht des Königs. Seit Heinrich V. wird es aber Regel, die Zustimmung der Fürsten auf einem Hoftag oder Reichstag einzuholen, wobei diese ihre Pflicht zur Stellung des Kontingents eidlich bekräftigten. Der Beschluß band auch die NichtanwesendeiL Den Oberbefehl über das Heer führte der König oder ein von ihm ernannter Vertreter. Die einzelnen Kontingente der Fürsten standen unter deren Führung, die Reichsministerialen, Reichslehnsleute und die Kontingente der Reichsstädte unter der von Reichsvögten. Der Umfang der Folgepflicht war beschränkt. Sie bestand für Züge nördlich der Alpen. Uber die Alpen zu ziehen, waren, von besonderer Vereinbarung abgesehen, nur die Reichsunmittelbaren im Falle der Romfahrt und bis zur Beendigung der Krönung verpflichtet. Zu einer durchgreifenden Veränderung des Heerwesens kam es im 15. Jahrhundert. Schon unter Friedrich 1. enthielt das Heer eine erhebliche Zahl vom Kaiser bezahlter Söldner (soldarii), deren Dienstpflicht weder auf Staatsrecht noch auf Lehnrecht, sondern auf Vertrag beruhte. Auch die Fürsten und andere Pflichtige haben i n der Folgezeit vielfach mit geworbenen Truppen ihren Dienst geleistet. Der Nürnberger Reichstag von 1422 führte diese Entwicklung weiter, indem er die Erhebung einer Vermögenssteuer (gemeiner Pfennig) zur Ausrüstung eines Reichssöldnerheeres beschloß. Nur die Reichsstände, die die Steuer nicht leisteten, stellten Truppen. Diese Regelung wiederholte sich unter noch stärkerer Betonung der Söldner (Landsknechte) auf den Reichstagen von 1427 und 1431 (vgl. § 52). 1 W . S c h u l z e , D i e Gleve (40). Nach einem Anschlag aus der Zeit Ottos I I . (981) hat ζ. B. der Erzbischof von Mainz 100 l o r i c a t i zu stellen, der von T r i e r 70, der A b t von Kempten 30, nach einem von 1422 der erste 50, der zweite 40, der letzte 2 Gleven.

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I I I . Das Mittelalter

Immerhin ist das Heer im Mittelalter kein reines Söldnerheer geworden. Neben der Heerdienstpflicht standen i m Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht Burgpflicht und Wachdienst, die wie i n fränkischer Zeit einen größeren Kreis umfaßten. Abgesehen von der Mehrzahl der Anlagen Heinrichs I. an der Elbe-Saalelinie (Kirchhofsburgen, W a l l burgen) waren die mittelalterlichen Burgen aus Pfalzen oder durch Ummauerung von Klöstern und Städten entstanden. Sie lagen i m M i t t e l p u n k t eines Burgbannbezirks, innerhalb dessen zu B u r g w e r k und Burghut aufgerufen wurde. D e n Bann handhabte der Bannherr k r a f t des i h m vom K ö n i g erteilten Burgbanns und übte i h n zunächst durch seinen Vogt aus, später durch die Burggrafen. Auch die östlichen Grenzburgen lagen innerhalb eines als B u r g w a r d bezeichneten Gebietes. Dieses w a r m i t Ministerialen und Vasallen besetzt, von denen einer die Burghut übernahm, während die Verteidigung der dort wesentlich dichter liegenden, aber kleineren Burgen allen gemeinsam oblag. Das Recht der Befestigung (Befestigungshoheit) hatte der K ö n i g anfangs i m ganzen Reich, seit dem 13. Jahrhundert n u r noch i n nichtfürstlichem Gebiet. S. Schrifttum zu §§ 10 u. 26 (insbes. Conrad, Frauenholz I I 2 [37]). C o n ^ r a d , Der Gedanke d. allgem. Wehrpflicht (37). D e r s . , Gottesfrieden u. Heeresverf. ZRG.61 (41) 71 ff. F i c k e r , Reichsfürstenstand I I 1 (11) 286. Β a 11 ζ e r , Zur Gesch. d. deutschen Kriegswesens von d. letzten K a r o l i n g e r n bis auf Friedrich I I . (1877). S p a n n a g e l , Zur Gesch. d. deutschen Heerwesens vom 10. bis 12. Jahrh. (1885). D e l b r ü c k , Gesch. d. Kriegskunst I I s (26). I I I (07). — F. B e y e r l e , Zur Wehrverfasßung i m HochMA., Festschrift E. Mayer (32) 31. P l a n i t z , Scharmannen von Prüm. Festschrift H. Lehmann (37) 55. C o u l i n , Befestigungshoheit u n d Befestigungsrecht (11). N i e s e , V e r w a l t u n g (s. § 52) 222. — E r d m a n n , D i e Burgenordnung Heinrichs I., D A . 6 (42) 59.

§ 52. Finanzwesen E i n geordnetes Finanzwesen hat das Mittelalter so wenig gekannt wie die fränkische Zeit. Es gab nur eine ungeregelte Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft. I m übrigen sind auch auf diesem Gebiet die Verhältnisse i m 13. Jahrhundert grundlegend andere geworden. Bis zu dieser Zeit standen dem K ö n i g Einnahmen aus nutzbaren Regalien zu, so insbesondere aus Münze, Zoll, M a r k t , Geleit, Jagdregal, Bergregal, Judenschutz, Heimfallsrecht an erblosem G u t und aus Gerichtsgefällen. A b e r diese Rechte sind seitdem i m wesentlichen auf die Territorialherren übergegangen, und selbst die Reichsstädte haben zum T e i l das Recht auf die Marktabgaben erworben.

Eine andere Einnahmequelle ergab sich aus dem Reichsgut und dem Reichskirchengut. Jenes wurde unter dem Einfluß des Dynastie-

§ 52. Finanzwesen

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wechsele nunmehr vom Hausgut deutlich getrennt. D i e freie Verfügung über das Reichsgut wurde dem König mehr und mehr entzogen und Zustimmung des Reichstags oder der Kurfürsten gefordert. D i e V e r w a l t u n g lag unter den Staufern i n den Händen von Prokuratoren, an deren Stelle seit Rudolf I. i m Süden Landvögte traten 1 . Reichsgut w i e Reichskirchengut schuldeten dem K ö n i g die sogenannten servitia regis (regalia). Dies waren bei den i n Eigenwirtschaft stehenden königlichen Tafelgütern und den Reichsabteien Naturalleistungen, während die Reichsbistümer die Bewirtungspflicht gegenüber dem K ö n i g und seinem Gefolge traf. Das nicht zu den Tafelgütern gehörende Reichsgut w a r zu Zins ausgetan u n d leistete demgemäß Zinse. I n der zweiten Hälfte des Mittelalters w a r das Reichsgut durch Vergabungen stark geschwunden, obgleich einzelne Könige eine erhaltende u n d sogar vermehrende G ü t e r p o l i t i k versucht hatten. A n seine Stelle trat i n der königlichen Wirtschaft das Hausgut der D y nastie, worauf dessen Bedeutung beruhte. D i e Servitien hatten sich i n ordentliche Jahressteuern umgewandelt. Ebensolche erhielt der König von den königlichen Städten, den Reichsdörfern und Judengemeinden. Sie hängen zum T e i l m i t der noch zu besprechenden landesherrlichen Bede zusammen 2 . Versuche zur Einführung einer ordentlichen Reichssteuer sind unter Heinrich IV., V. und Otto I V . unternommen worden, aber gescheitert. Eine außerordentliche Steuer erhob Rudolf I., u m M i t t e l zur A b h a l t u n g eines Hoftages zu erhalten. Zur Finanzierung von einzelnen Kriegszügen w u r d e wiederholt eine unmittelbare Geldsteuer ausgeschrieben, der sogenannte gemeine Pfennig 3 . Doch findet sich auch Ende des 15. Jahrhunderts noch die Erhebung als Matrikularsteuer, wobei es den einzelnen Reichsständen überlassen blieb, die auf sie entfallende Gesamtsumme von den Bewohnern ihrer Gebiete einzuziehen. 1 Schriftt. bei S e h r ö d e r - v. K ü n ß b e r g 550 Anm. 73. Dazu M o m m s e n , D i e Landvogtei Ortenau, ZGORh. N.F. 49 (35) 665. Das Reichsgut w u r d e unter die einzelnen Landvogteien entsprechend seiner Lage aufgeteilt. So gab es solche ζ. B. i n Ober- und Niederschwaben, i n der Ortenau, Wetterau, i n Nürnberg, Rothenburg o. d. T., i n den Waldstätten. I m Norden des Reiches war der Bestand an Reichsgut n u r gering. Vogteien sind hier auch die i m MA. sogenannten „Reiche" (Ingelheimer, Aachener, K r ö v e r Reich). 2 v. B e l o w , Probleme der Wirtschaftsgeschichte (20), 643. Uber die Städtesteuer u n d die Judensteuer berichtet eine allerdings lückenhafte A u f stellung der Reichskanzlei von 1241. Danach wurde die Steuer als M a t r i kularsteuer erhoben u n d ergab von den aufgeführten 70 Städten u n d 29 Judengemeinden 7000 M a r k Silber. S c h w a l m , E i n unbekanntes Eingangsverzeichnis von Steuern d. königl. Städte, N A . 23 (1898) 517. Z e u m e r , HZ. 81 (1898) 24. 3 Ob dies auch schon 1422 geschah, ist bestritten. H e r r e , H V . 19 (20) 13.

ν. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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I I I . Da

Mittelalter

D i e dem K ö n i g obliegenden laufenden Ausgaben waren nicht erheblidi. D e r Unterhalt des Hofes konnte aus den Erträgnissen der noch vorhandenen Reichsgüter u n d des Hausgutes gedeckt werden. D i e vom König zur Durchführung der Rechtspflege, zur V e r w a l t u n g des Reiches, zu militärischen Zwecken beanspruchten Leistungen aber waren durch Hingabe von Reichsgut als Lehen oder von Reichskirchengut als Pfründe ein f ü r allemal abgegolten. D i e Dienste der Beamten und R i t t e r waren gewissermaßen die Verzinsung des vergabten Reichsguts und Reichskirchenguts. Schriftt. zu § 26 u. über Regalien § 46. — D e i b e l , D i e finanzielle Bedeutung Reichs-Italiens f. d. staufischen Herrscher, ZRG. 54 (34) 134. N i e s e , D i e V e r w a l t u n g d. Reichsguts i m 13. Jahrh. (05). E g g e r s , D e r königl. Grundbesitz i m 10. u. beginnenden 11. Jahrh. (09). W e l l e r , Zur Organisation d. Reichsguts i n d. späteren Stauferzeit, Festschr. Schäfer (15) 211. W i e r u s z o w s k i , Reichsbesitz u. Reichsrechte i m Rheinland, Bonner Jahrb. 131 (26) 114. S t i m m i n g , Das deutsche Königsgut i m 11. u. 12. Jahrhundert (22). K r a f t , Das Reichsgut i m Wormsgau (34). G l ö c k n e r , Reichsgut i m Rhein- u n d Maingebiet. ArchHessGesch. N.F. 18 (34) 195. S c h r ο d , Das Verzeichnis d. Tafelgüter d. röm. Königs (38). — H e u s i n g e r , Servitium regis i n d. deutschen Kaiserzeit (22). Z e u m e r , D i e deutschen Städtesteuern (1878). W e r m i n g h o f f , D i e deutschen Reichskriegssteuergesetze von 1422 u. 1427 u n d die deutsche Kirche, ZRG. Kan. 5 (15) 1. D e r s . , HZ. 121 (20) 166.

§ 53. Gerichtswesen I. Das Mittelalter setzt zunächst die Gerichtsverfassung der fränkischen Zeit fort. Dieses bedeutet die Hochgerichtsbarkeit (causae maiores) i n der H a n d des Grafen, die Niedergerichtsbarkeit (causae minores) i n der Hand des staatlichen Zentenars (Gogreve) oder des Vogts der Immunität. A b e r noch i n der Karolingerzeit hatte das Vordringen des Kompositionensystems (s. § 31 II) u n d die Beschränkung der Todesstrafe auf die i m Notgericht des Niederrichters abzuurteilenden Fälle der handhaften T a t dem Grafengericht die Blutgerichtsbarkeit weitgehend entfremdet. Sie w a r aus dem ordentlichen i n das außerordentliche Verfahren verschoben. Diese Entwicklung wurde rückläufig, als die Landfriedensgesetze seit dem 12. Jahrhundert u n d ihnen folgend territoriale und städtische Gesetzgebung das Kompositionensystem der fränkischen Zeit durch peinliche Strafen, die Strafen zu Hals und Hand, w e i t h i n wieder ausschalteten 1 . A n die Stelle der gräflichen Hochgerichtsbarkeit des beginnenden M i t t e l alters, i n deren M i t t e l p u n k t die Immobiliargerichtsbarkeit gestanden 1 Vgl. insbes. H i r s c h , D i e hohe Gerichtsbarkeit i m deutschen M A . (22). S c h n e l b ö g l , D i e innere Entwicklung des bayrischen Landfriedens des 3. Jahrh. (32) 121. Eb. S c h m i d t , Einf. i. d. Gesch. d. deutschen Strafrechtspflege (47) § 40 ff.

§ 53. Gerichtswesen

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hatte, t r a t i*un eine neue Hochgerichtsbarkeit, die i n der Blutgerichtsbarkeit gipfelte. Diese lag aber n i d i t allein i n der H a n d des Grafen, da inzwischen die Vögte geistlicher und weltlicher Immunitäten i n erheblicher Zahl die Hochgerichtsbarkeit erworben hatten (hohe Vogtei) 2 . Es stehen so Graf u n d Hoch vogt als Hochrichter, Zentenar und Untervogt als Niederrichter nebeneinander. D i e seit dem 13. Jahrhundert eingetretenen Veränderungen haben drei wesentliche Gründe, die B i l d u n g der T e r r i t o r i e n und Städte, das Ständewesen und das Vordringen der geistlichen Gerichtsbarkeit. Sie b e w i r k t e n eine nach Zeit u n d O r t verschiedene Gestaltung des Gerichtsaufbaues. Aus der Vielzahl der Gerichte werden i m Folgenden neben denen der Kirche nur die behandelt, i n denen die Gerichtsgewalt des Reiches unmittelbar zum Ausdruck kam. Das von i h m mehr oder weniger unabhängige Gerichtswesen i n Städten und T e r r i t o r i e n w i r d i m Zusammenhang m i t diesen dargestellt (s. §§ 56 I I I , 58 II). Das sich hieraus ergebende B i l d entspricht i m großen und ganzen dem des späten 13. Jahrhunderts u n d leitet hinüber zur Neuzeit. I I . 1. Das Gericht dies Königs (Hofgericht, Reichshofgericht, curia regia) entbehrte w i e i n fränkischer Zeit einer festen Ordnung. D e n Vorsitz führte der König. Einen ständigen Vertreter erhielt er erst, als 1235 nach dem V o r b i l d der sizilischen V e r w a l t u n g das A m t des Reidhshofrichters (iustitiarius curiae regiae) übernommen wurde. D i e Beisitzer w u r d e n aus den bei Hofe anwesenden Personen (Fürsten, Herren, Ministerialen, Reichshofbeamten) von F a l l zu F a l l entnommen. Das Gericht hatte dementsprechend keinen festen Sitz. Es fand da statt, w o sich der König aufhielt, und j e nach Bedarf. D i e Zuständigkeit des Reichshofgerichts entsprach dem schon fränkischen Grundgedanken, daß der K ö n i g nach der Fassung des Sachsenspiegels der „gemene richtere over a l " ist. Daher w i r d dem K ö n i g da, wo er sich aufhält, das Gericht anderer Richter ledig, u r t e i l t das Hofgericht i n Fällen der Rechtsverweigerung, haben sich Evokationsrecht u n d Reklamationsrecht erhalten, soweit nicht später privilegia de non evocando eingriffen. Ständische Gesichtspunkte begründeten die Zuständigkeit f ü r causae maiores der Fürsten und Fürstengenossen, die zudem Zusammensetzung des Gerichts aus Standesgenossen verlangen konnten, und für Reichsgut. D i e Einführung des Rechtszuges 2 S. § 54 II. I n der Zeit v o m 9. bis 11. Jahrhundert erlangten die Vögte die i n schwäbischen Quellen m i t „ D i e b u n d F r e v e l " bezeichnete hohe Gerichtsbarkeit (Hochvogtei), aber regelmäßig ohne die dem Grafen verbleibende Blutgerichtsbarkeit, „ a n die d r e y Sachen, die an den tod geent" (bairisch). Diese wurde erst i n der Folgezeit erworben, dann aber i n t e r r i t o r i a l verschiedener Weise gemeinsam m i t dem Niederrichter der I m m u n i t ä t ausgeübt.

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I I I . Das Mittelalter

ließ das Hofgericht zum Berufungsgericht gegenüber den ordentlichen Gerichten werden, soweit diese nicht ein Privilegium de non appellando hatten. F ü r Yerhängung der Reichsacht w a r es seinem Wesen nach zuständig. Seit dem 13. Jahrhundert geriet das Hofgericht i n Verfall, nicht zuletzt durch die zahlreichen Austräge, durch die sich v o r allem Fürsten und Städte vertraglich einem Schiedsgericht unterwarfen, und durch die vom König erteilten Exemtionen. Dies führte (nicht nach 1415) zur Entstehung eines Kammergerichts (iudicium camerae), das seit dem Verschwinden des Hofgerichts (1456) zum Hof- u n d Kammergericht w u r d e u n d 1495 i m Reichskammergericht aufging. D i e Anfänge des Kammergerichts hängen teils m i t schiedsrichterlicher Tätigkeit des Königs zusammen, teils damit, daß er als Inhaber der obersten Gerichtsbarkeit zur Entscheidung gegen U r t e i l e anderer Gerichte angerufen werden konnte. D i e i n solchen Fällen wiederum persönliche Rechtsprechung des Königs wurde zunächst nicht i n festen Formen ausgeübt, aber doch i n der Regel unter Zuziehung königlicher Räte. Erst 1471 wurde eine Kammergerichtsordnung erlassen. D e n Vorsitz führte der K ö n i g selbst oder als sein Vertreter ein Kammer r i cht er. D i e Urteiler waren beamtete königliche Räte, daher zu einem großen T e i l gelehrte Juristen. Entsprechend der umfassenden Gerichtsgewalt des Königs w a r die Zuständigkeit des Kammergerichts nicht beschränkt. Doch scheint ein erheblicher T e i l seiner Tätigkeit Sachen betroffen zu haben, die mittelbar oder unmittelbar die Interessen des Königs und der königlichen Kammer berührten. Deren Vertretung oblag einem besonderen Beamten, dem Fiskalprokurator, der sich unter Friedrich I I I . zum öffentlichen Ankläger beim Kammergericht entwickelte. 2. I m Zusammenhang m i t der Landfriedensbewegung w u r d e n Landfriedensgerichte gebildet. Sie waren zum T e i l herzogliche Gerichte, zum anderen T e i l standen sie, namentlich i m Norden und i m Elsaß, unter einem vom K ö n i g bestellten Landvogt oder Landfriedenshauptmann (advocatus provincialis) 3 . 3. I n einzelnen Teilen des Reiches ist die Hochgerichtsbarkeit nicht den Territorialgewalten anheimgefallen, sondern hat i n verschiedener Weise den Zusammenhang m i t dem Reich bewahrt. Dies ist der F a l l bei den kaiserlichen Landgerichten und bei den westfälischen Vemgerichten. Zu jenen gehören neben einigen kleineren das Landgericht des Herzogtums Franken zu Würzburg, das kaiserliche Landgericht des Burggrafentums Nürnberg (aus der fränkischen 3 E i n Landfriedensgericht eines oberlausitzischen Städtebundes war das Oberlausitzer Femgericht. F r a n c k e , D. Oberi. Femg. (37).

§ 53. Gerichtswesen

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Landvogtei erwachsen), das kaiserliche Hofgericht zu R ö t t w e i l und das oberschwäbische Landgericht i n der Pürsch. Sie nahmen Zuständigkeit i m ganzen Reich i n Anspruch, konnten daher auch die Reichsacht verhängen. D i e westfälischen Landgerichte setzten das alte Grafengericht fort, wenngleich vielfach auch einzelne Goe sich zu diesem Rang erhoben. D a i n ihnen auch die bäuerlichen Freien Gerichtsstand und Schöffenamt behalten hatten, hießen sie Freigerichte, der Vorsitzende Freigraf. D i e Bezeichnung als Vemgerichte dürfte m i t ihrer Strafgerichtsbarkeit zusammenhängen 4 . D e r Freigraf erhielt vom K ö n i g die Bannleihe 5 . D i e Zuständigkeit der Freigerichte wurde wie die der Landgerichte i m ganzen Reich geltend gemacht. Neben dem ordentlichen, offenen Gericht w u r d e ein heimliches Gericht (stillegericht, i u d i c i u m secretum) abgehalten. I n diesem waren unter dem Vorsitz des Freigrafen die zu einem Geheimbund von Wissenden gehörenden Freischöffen tätig 6 . Zuständig w a r das heimliche Gericht i n den Fällen der Rechtsverweigerung und i n todeswürdigen Sachen. D i e Bedeutung der Verne, die i m 15. Jahrhundert auf der Höhe stand, e r k l ä r t sich teils aus der großen Zahl von Wissenden i m ganzen Reich und i n allen Ständen, teils aus dem Recht, den nicht erschienenen Beklagten i n die Oberacht zu tun, teils aus dem Notgericht, das überall i m Reiche drei Freischöffen m i t sofortiger Vollstreckung des Urteils abhalten konnten. Ubergriffe des auch von Kaisern (Ruprecht, Sigismund) als Stärk u n g ihrer Gewalt gestützten Gerichts führten zu einer Gegenbewegung der Landesherren und Städte und seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zum Verfall der Vemgerichte. 4. I n den Reichsstädten und i n den Krongutbezirken wurde die Gerichtsbarkeit von kaiserlichen Vögten i m Reidisvogteigericht ausgeübt. Das gleiche w a r i n den kirchlichen Vogteien der Fall, deren Vogt vom K ö n i g ernannt wurde. I I I . D i e kirchliche Gerichtsbarkeit handhabten die Sendgerichte, sich i n der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts durch Aufnahme Einrichtung der Rügegeschworenen (testes synodales) und später Aufkommen von Sendschöffen fortbildeten. D e n Vorsitz führte nächst noch der Bischof, seit dem 10. Jahrhundert regelmäßig Archidiakon. D i e Bedeutung der Sendgerichte lag darin, daß sie 4

die der das zuein die

veme = Strafe. Erst 1382 erlangte der Erzbischof von K ö l n als Herzog von Westfalen das Recht, den i m Herzogtum von i h m bestellten Freigrafen den Blutbann zu übertragen. 6 Wissender konnte jeder ehelich geborene Freie werden. Er wurde i n Westfalen (auf roter Erde) wissend gemacht durch E i n w e i h u n g i n die Geheimnisse der Veme u n d zu deren Bewahrung eidlich verpflichtet. 5

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I I I . Das Mittelalter

Gerichtsbarkeit über Geistliche und Kirchengut fast völlig an sich brachten, dazu die Straf gerichtsbarkeit über Lai en bei bestimmten, auch von der Kirche verfolgten Vergehen (z. B. Ehebruch, Meineid, Tötung, Ketzerei), und daß sie auch in die bürgerliche Rechtspflege übergriffen (insbesondere Ehesachen, Testamentssachen). H i 11 m a η η , Das Gericht als Ausdruck deutscher K u l t u r e n t w i c k l u n g i m M A . (30). S c h r ö d e r , GV. des Ssp. ZRG. 5 (84) 1. M e i s t e r , Ostfälische GV. i m M A . (12; dazu K. B e y e r l e , ZRG. 35, 212). F e h r , Fürst u. Graf i m Ssp. (06). W a a s , a. § 33 a. Ο. 153. — K ü h n s , Gesch. d. GV. u. d. Prozesses i n d. M a r k Brandenburg I. I I (1865/67). F r a n k l i n , Das Reichshofericht i m M A . I. I I (1867/69). V o g e l , Beiträge z. Gesch. d. deutschen Reichstofgerichts, ZRG. 2 (81) 151. K r u p i c k a , Urkundwesen des königl. Hofgerichts 1273—1378 (37). S c h u l t e , D e r hohe A d e l des deutschen Hofrichters, Festschr. H e r t l i n g (13) 542. T o m a s c h e k , D i e höchste Gerichtsb a r k e i t des Königs u. Reiches (1865). F r a n k l i n , Das königl. Kammergericht vor dem Jahre 1495 (1871). L e c h η e r , Reichshofgericht u. königl. Kammergericht, M I Ö G . EB. (04) 45. — Zu d. Landfriedensgerichten Schriftt. zu § 38. R o s e n s t o c k , Herzogsgewalt (s. § 56). — S c h m i d t , Das würzburgische Herzogtum (13). D a n n e n b a u e r , D i e Entstehung d. T e r r i toriums d. Reichsstadt N ü r n b e r g (28) 135. G l i t s c h u. M ü l l e r , D i e alte O r d n u n g d. Hofgerichts zu Rottweil, ZRG. 41 (20) 281. Η ö 1 d e r , D i e Pürschgerichtskarte der Reichsstadt R o t t w e i l (36). G u t , Das ehemalige kaiserl. Landgericht auf d. Leutkircher Heide u. i n der Pürs (07). F e i n e , D i e kaiserlichen Landgerichte i n Schwaben i m Spätmittelalter. ZRG: 66 (48). — H e r o l d , Gogerichte u. Freigerichte i n Westfalen (10). S e h e r e r , D i e westf. Femgerichte u. d. Eidgenossenschaft (41). M e i n i n g h a u s , D i e D o r t munder Freistühle u. ihre Freigrafen (10). v. M i n n i g e r o d e , Königszins, Königsgericht, Königsgastung (28). L i n d n e r , D i e Verne (1888). v . A m i r a , Das Femgerichtsbild des Soester Stadtarchivs (28). — F r o h η , Das Sendgericht i n Aachen (13). S t e η ζ e 1, D i e geistl. Gerichte zu Straßburg, ZGORh. 68 (14) 52, 201, 343. H a s h a g e n , Zur C h a r a k t e r i s t i k d. geistl. Gerichtsbarkeit i. spät. MA., ZRG. K. 6 (16) 205. K i r n , ZRG. K. 15 (26) 162.

Ê

§ 54. Die Kirche I. Das mittelalterliche Verhältnis von Staat und Kirche ist mehr als irgendeine andere Erscheinung dieser Zeit in dauernder Bewegung, ein kaum einmal zum Stillstand kommender Kampf zwischen den beiden Mächten des sacerdotium und imperium, der nur im Frühmittelalter gegenüber der Idee des von Kaiser und Papst gemeinsam beherrschten, einheitlichen christlichen Universalreichs in den Hintergrund trat. Keine Frage des mittelalterlichen Staatslebens zeigt aber auch eine gleiche Vielseitigkeit und Verflochtenheit. Germanisches Eigenkirchenrecht und kanonisches Recht, staatliche und kirchliche Theorie, beide unter augustinischer und aquinatischer Denkherrschaft, stehen im Streit. Der Herrscher, als Mitglied der Kirche dem Papst persönlich unterworfen, greift als König nach der Macht über den Reichsepiskopat und handhabt die Rechte am Reichskirchengut, verteidigt als Kaiser und damit Vertreter der weltlichen Macht schlechthin den Staat gegen die Unterordnung unter die Kirche und

§ 54. Die Kirche

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verwendet als Politiker die Macht der Bischöfe im Rahmen seiner politischen Strategie. Die Kirchen und Klöster innerhalb des Reiches waren zu einem erheblichen Teil reichsunmittelbar, wie alle Erzbistümer mit Ausnahme von Prag, fast alle Bistümer und zahlreiche Klöster. Sie bildeten die Reichskirche, auf die Otto I. die Zentralgewalt vornehmlich stützte, zu deren Erweiterung er, wenngleich ohne durchschlagenden Erfolg, an der Missionierung des Ostens mitwirkte. In engster Verflochtenheit eigenkirchenrechtlicher und staatsrechtlicher Gesichtspunkte war die Stellung der Bischöfe und Äbte innerhalb des Reiches bis zum Wormser Konkordat wesentlich beeinflußt von der Vorstellung des Reichskirchenguts als eines Eigenkirchenguts. Daraus ergaben sich Recht der Ernennung und Investitur des Bischofs, Beamtenstellung der Bischöfe, Spolienrecht und Regalienrecht, wirtschaftliche Leistungen der Reichsbistümer und Reichsabteien (s. § 52). Ruhte damit die kaiserliche Macht auf den Kirchen des Reiches, so mußte das Ringen des Kaisertums mit der Kirche zunächst ein Kampf um Reichsbistümer und Reichsabteien, um die Reichskirche werden. Die schon in fränkischer Zeit aufgekommene Investitur der Bischöfe und Äbte in Amt und Gebiet, die der König mit Überreichung des Hirtenstabes oder von Ring und Stab vollzogen hatte, wurde von Gregor VII. verboten 1. Der so mit voller Schärfe einsetzende Investiturstreit 2 endete mit dem Wormser Konkordat vom 23. September 1122 zwischen Heinrich V. und Calixtus II. Es enthielt in der Urkunde des Kaisers den Verzicht auf die bisherige Form der Investitur in das geistliche Amt und die Anerkennung der electio canonica und libera consecratio, bedeutete also einen vollen Sieg über die eigenkirchliche Auffassung hinsichtlich der höheren Kirchen 3. In der Urkunde des Papstes wurde die Unterscheidung von spiritualia und regalia zum Ausgang genommen und cfem Kaiser die Übertragung der regalia in Deutschland an den Erwählten, in Italien und Burgund an den consecratus durch 1

Insbesondere auf römischen Synoden von 1078 u n d 1080. Man spricht neuerdings oft v o m „sogenannten" Investiturstreit. A b e r es handelt sich tatsächlich u m einen Investiturstreit, u n d die weitere Tatsache, daß dieser n u r eine-Teilerscheinung der Auseinandersetzung zwischen «· Rom u n d Deutschland ist, k o m m t i n „sogenannt" nicht zum Ausdruck. 3 Das Eigenkirchenrecht an niederen Kirchen ist aus taktischen Gründen erst i n der Folgezeit durchgreifend bekämpft worden. Es wandelte sich seit Alexander I I I . i n ein Patronatsrecht um. Eigenkirchenrechte i n der H a n d von Geistlichen blieben überhaupt unangefochten. Dies w u r d e von Bedeutung für die noch zu erwähnenden römischen Klöster, für die Behandl u n g der Zisterziensergründungen durch die Bischöfe u n d die Investierung der Bischöfe von Chiemsee, G u r k , Lavant u n d Seckau durch den Erzbischof von Salzburg. S. Schriftt. zu § 30 (Stutz, Mitterer, Tellenbach). S c h r e i b e r a. u. a. O. I I . S t u t ζ , A l e x a n d e r I I I . gegen d. F r e i u n g langobardischer Eigenkirchen (36) 2

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III. Da

Mittelalter

Überreichung des Zepters zugestanden 4 . D i e Scheidung i n Regalien (Temporalien) u n d Spiritualien leitete dazu über, jene als Lehnso b j e k t und die Investitur i n sie m i t dem Zepter als Belehnung (Zepterlehn) aufzufassen. D i e Bischöfe und Äbte w u r d e n zu geistlichen Fürsten u n d damit i n den lehnrechtlichen A u f b a u des Reiches eingegliedert. D a b e i erfolgte eine Scheidung des Reichskirchengutes i n eben jene Regalien u n d die übrigen Güter. Regalien aber hießen n u r noch diejenigen, die unmittelbar m i t den Hoheitsrechten des Reiches v e r k n ü p f t waren, w i e ζ. B. Grafschaften, Zoll, Münze. D i e Fortsetzung des Kampfes w a r ein Streit u m die Oberherrschaft. Noch Heinrich I I I . konnte die aus der Karolingerzeit ererbte Schutzherrschaft und Vogtei gegenüber der römischen Kirche geltend machen. D i e Kirchenherrschaft i n Deutschland w a r stark genug, u m diese Rechtsstellung zu tragen, das Kaisertum eine weitere Stütze. D e r Ausgang des Investiturstreits hatte diese Grundlage königlicher Rechte über die Kirche vernichtet. Aufbauend auf dem scholastischen p r i n c i p i u m unitatis, aus dem die Unterordnung unter eine Herrschaft abgeleitet wurde, verfolgte n u n die kurialistische Theorie und P o l i t i k das Ziel einer Unterordnung des Staates unter die Kirche, der Souveränität des sacerdotium. D e n Fortschritt dieses Gedankens spiegelt die Entwicklung der zuerst von Gelasius I. am Ende des 5. Jahrhunderts geformten Zweischwerterlehre wider, die schließlich i n der B u l l e Unam sanctam von Bonifaz V I I I . (1302) ihren klassischen k u r i alistischen Ausdruck fand 5 . D i e staatliche Theorie vertrat die Unabhängigkeit des Staates, die Herleitung des sacrum imperium unmittelbar von Gott, also die Gleichordnung der weltlichen und der geistlichen Gewalt, aber fast n u r einer i h r e r Vertreter, Marsilius von Padua, trat i m Defensor pacis für die Unterordnung der Kirche unter den Staat ein. E r ist es auch, auf dessen Theorie sich L u d w i g der Baier stützen konnte, als er i m Kampfe gegen Johann X X I I . das K o n z i l gegen den Papst aufzurufen versuchte und damit einen Weg beschritt, der dem Staate hätte Erfolge bringen können, aber etwas #

4 Einen Investiturstreit hat es auch i n Frankreich u n d England gegeben. Er hat aber i n diesen Ländern nicht die Schärfe des deutschen angenommen, w e i l i m K a m p f u m die F ü h r u n g i n der Weltherrschaft n u r der deutsche Kaiser als Gegner i n Betracht kam. 5 K n a b e , D i e gelasianische Zweigewaltentheorie bis z. Ende des Investiturstreites (36). D e r Sachsenspiegel läßt das weltliche Schwert als Symbol der weltlichen Macht von Gott an den Kaiser gelangen, das geistliche von Gott an den Papst,- stellt also weltliche u n d geistliche Macht gleich. Schon nach dem Schwabenspiegel erhält der Papst beide Schwerter u n d gibt das weltliche an den Kaiser. Dieser v e r t r i t t also die kurialistische w i e der Sachsenspiegel die staatliche Auffassung.

§ 54. Die Kirche

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über ein Jahrhundert später von Friedrich I I I . i m Wiener Konkordat preisgegeben wurde 6 . I I . D e r Zusammenhang kirchlicher Institutionen m i t dem Staat w a r auch von einer anderen Seite her gegeben, nämlich von der der Vogtei i n den kirchlichen Immunitäten, die i n ihrer mittelalterlichen Ausgestaltung zugleich i m Streit zwischen Staat und Kirche und für die Entstehung der Landeshoheit eine entscheidende Rolle spielte. I n der karolingischen Zeit gab es zwei A r t e n von Vogtei. D e r eine Vogt w a r Beamter der Kirche (Beamtenvogtei) und übte als solcher die Immunitätsgerichtsbarkeit aus (niedere Vogtei). W a r die Kirche reich begütert, namentlich i n mehreren Grafschaften, konnte sie audi mehrere solcher Gerichtsvögte haben (Teilvogtei). Daneben stand die Schirmvogtei, deren Aufgabe es war, die Kirche nach außen hin zu vertreten und zu schützen. Bei Klöstern konnte sie dem Gründer zustehen (Gründervogtei), der dann als Eigenkirchenherr und erblicher Herrenvogt über das Kloster herrschaftliche M u n t ausübte. D e r verschiedene Inhalt der Vogtei schloß nicht aus, daß sich Gerichtsvogtei und Schutzvogtei i n einer H a n d vereinigten, etwa der Gründer als Immunitätsherr beide ausübte oder die Gerichtsvogtei durch i h m unterstellte Vögte wahrnehmen ließ. I m Mittelalter sind die Vogteiverhältnisse der Bistümer und der Klöster zu scheiden. D i e Bischofskirchen standen seit Otto I. unter der Obervogtei des Königs, unter seiner defensio (mundiburdium, Schirmvogtei). D i e Gerichtsbarkeit übte ein Vogt aus, der jedenfalls schon i m 10. Jahrhundert vom Bischof belehnt wurde. D i e i m Lauf der Entwicklung eintretende Verbindung von Vogtei und hoher Gerichtsbarkeit (Hochvogtei, Kastvogtei) 7 brachte vielfach Einsetzung des Vogts durch den K ö n i g m i t sich. D e r Vogt bedurfte nunmehr der königlichen Bannleihe u n d mußte edelfrei sein, w a r i n der Regel Fürst oder Graf. D i e durch Erblichkeit gestützte Unabhängigkeit der Vögte führte schon i m 11. Jahrhundert zu i h r e r Bekämpfung durch Einrichtung einer konkurrierenden bischöflichen Gerichtsbarkeit, A u f k a u f der Vogtei oder Einbehalt bei H e i m f a l l und Ersetzung der Edelvögte durch Ministerialenvögte. Bei den Klöstern machte sich seit dem 11. Jahrhundert u n d teilweise i m Zusammenhang m i t dem Investiturstreit eine Bewegung geltend, die einerseits vom Papst, anderseits vom Kaiser ausging und dem Ziele zustrebte, das Kloster dem päpstlichen oder dem kaiserlichen Schutz zu unterstellen. D i e Klöster der von C l u n y beeinflußten β Wesentlich u n b e r ü h r t von dem Streit u m die Oberherrschaft blieb die Schutzpflicht des Kaisers gegenüber der Kirche. S. o. § 47. 7 H i r s c h , Über d. Bedeutung d. Ausdrucks Kastvogt, ZHVSteiermark 26 (31) 64.

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Hirsauer Reform wurden unter den Schutz des Papstes gestellt und als in dessen Ohereigentum stehend behandelt (sog. päpstliche Eigenklöster, römische Klöster), während der Eigenkirchenherr auf seine Redite verzichtete. Das Kloster wurde von jeder weltlichen Herrschaft frei (abbatia libera), auch von Steuern und Abgaben, und hatte freie Vogtswahl und Abtswahl. Doch wurde die Vogtei in der Regel der edelfreien Stifterfamilie erblich überlassen 8. Die meist von freien Herren oder Ministerialen gegründeten Zisterzienserklöster hatten grundsatzmäßig keine örtlichen Vögte (sog. Entvogtung). Sie standen unter der aus dem allgemeinen Kirchenschutz fließenden Obervogtei (Schutzvogtei) des Königs. Den örtlichen Schutz, übte ein aus der Stifterfamilie oder benachbarten Dynasten bestellter defensor aus. Hinsichtlich der Gerichtsbarkeit waren die Zisterzienser von der des Landgerichts und den damit zusammenhängenden Abgaben befreit, soweit nicht Blutgerichtsfälle in Frage standen. Die kaiserliche Vogtei war für Friedrich I. das Mittel, die Zisterzienser an die Reichskirche zu binden. Den gleichen Zweck hatte Heinrich V. verfolgt, indem er von den hohen Vögten die Einholung der königlichen Bannleihe forderte. Allen diesen Bestrebungen hat das Aufkommen der Territorialgewalten den letzten Erfolg versagt 9. Der Gewalt des Vogtes und überhaupt jeder weltlichen Gewalt entzogen und nur dem geistlichen Gericht unterstellt war die so genannte engere Immunität (Muntat, Domfreiheit), die mindestens den Raum innerhalb der Mauern des Stiftes oder des Klosters umfaßte, aber auch weiterreichen oder bestimmte Personenklassen ergreifen konnte. S. Schriftt. zu § 29 (Seeliger, Stengel, Rietschel, Heilmann) u n d § 30 (Werminghoff, Stutz). K a 11 e η , D e r Investiturstreit als K a m p f zw. german. u. roman. D e n k e n (37). T e i l e n b a c h , Libertas, Kirche u. W e l t o r d n u n g i m Zeitalter d. Investiturstreites (36). S c h ä f e r , Zur Beurteilung d. Wormser Konkordats, A b h A k B e r l i n 1905. R u d o r f f , Zur E r k l ä r u n g d. Wormser K o n k . (06). H o f m e i s t e r , Das Wormser Konk., Festschr. Schäfer (15) 64. H i r s c h , M Ö I G . 42 (27). 1. S c h a r n a g e l , D e r Begriff der I n v e s t i t u r i n d. Quellen 8 Das Interesse an der Vogtei e r k l ä r t sich aus den m i t i h r verbundenen Nutzungen, der Vogtsteuer, dem Recht auf U n t e r h a l t u n d Beherbergung zur Gerichtszeit, dem A n t e i l an Gerichtsgefällen. Doch w u r d e durch diese Vogtei die gewährte Freiheit tatsächlich stark entwertet. D i e erblich gewordenen Vögte nutzten ihre Stellung vielfach zum Nachteil des Klosters aus, indem sie sich Kirchengut aneigneten u n d widerrechtlich Abgaben erhoben. Namentlich ließen sich die von den Edelvögten eingesetzten Untervögte Übergriffe zuschulden kommen. D i e Klöster suchten dem durch königliche Immunitätsp r i v i l e g i e n zu begegnen, die ihnen Schutz u n d Freiheit gewährten (sog. jüngere I m m u n i t ä t ) . A b e r diese haben so wenig Erfolg gehabt, wie zahlreiche Fälschungen, durch die die Rechte der Vögte wenigstens eingeschränkt werden sollten oder die Bestellung von Untervögten verboten wurde. 9 Friedrich I. hat die kaiserliche Vogtei n u r i m staufischen Gebiet, i n Schwaben u n d Ostfranken durchsetzen können.

§ 55. Entstehung der Landeshoheit

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u. d. Liter, d. Investiturstreites (08). W e i s e , K ö n i g t u m u. Bischofswahl vor d. Investiturstreit (12). — S t e n g e l , A v i g n o n u n d Rhens (30). B o r n h a k , Staatskirchliche Anschauungen u. Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs d. B. (33). — F i c k e r , Über das Eigenthum des Reichs am Reichskirchengut, S b A k W i e n 72 (73). H e u s 1 e r , Institutionen d. d. Privatrechts (1885) I 314. S t u t z a. ζ. § 30 a. Ο. Β ö r g e r , D i e Belehnungen d. deutschen geistl. Fürsten (01). H ö r g e r , D i e reichsrechtliche Stellung d. F ü r stäbtissinnen. A U F . 9 (25) 195. P o s c h 1, D i e Regalien d. m i t t e l a l t eri. Kirchen (28; dazu Degener, ZRG.Kan.69, 719). v. W i c k e d e , D i e Vogtei (1886). É B r u n n e r , Exemtionsrecht (s. § 55). P i s c h e k , D i e Vogtgerichtsbarkeit süddeutscher Klöster (07). G l i t s c h , Untersuchungen zur ma. Vogtgerichtsbarkeit (12). H i r s c h , D i e Klosteri m m u i l i t ä t seit dem Investiturstreit (13). D e r s . , D i e hohe Gerichtsbarkeit i m d. M A . (22). W a a s , Vogtei u n d Bede I. I I (19/23; dazu Planitz, ZRG.41, 421. 44, 462). O t t o , D i e E n t w i c k l u n g d. deutschen Kirchenvogtei i m 10. Jahrhundert (33). K l e b e l , Eigenklosterrechte u. Vogteien i n B a y e r n u n d Deutschösterreich, M I Ö G . EB. X I V (39) 175. R a t h g e n , Untersuchungen über d. eigenkirchenrechtl. Elemente der Kloster- u n d Stiftsvogtei, ZRG. Kan. 17 (28) 1. S c h r e i b e r , K u r i e u n d Kloster, I. I I (10). — H o f m a n n , D i e engere I m m u n i t ä t i n d. deutschen Bischofsstädten (14). Th. M a y e r , Gregor V I I . u. d. Eigenkirchenrecht, ZSchwG. 28 (48) 145. D e r s . , Fürsten u n d Staat (49).

4. Territorien und Städte § 55. Entstehung der Landeshoheit Die Landeshoheit fand ihre reichsgesetzliche Anerkennung, als der Westfälische Friede den Reichsunmittelbaren das ius territorii et superioritatis bestätigte. Ihre Entwicklung aber liegt im Mittelalter. Sie bahnte sich schon früh an und erreichte einen Höhepunkt in der Zeit Friedrichs II. In der Goldenen Bulle erhielten die Kurfürsten die Verbriefung der Rechte, aus denen sich die Landeshoheit aufbaut, und wurden so zu Schrittmachern der übrigen Landesherren. Da die Entstehung der Landeshoheit nicht von einer Stelle aus auf den Weg gebracht und geleitet wurde, sondern sich da und dort im Reiche vornehmlich von unten her vollzog, bietet sie ein durchaus uneinheitliches Bild. Nur Weniges ist der Entwicklung aller Territorien gemeinsam. Nicht nur das Ergebnis ist eine territoriale Erscheinung, sondern auch der Entstehungsvorgang. Wie der Zeitraum vom Hochmittelalter bis zum Westfälischen Frieden die übliche Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit überspannt, muß auch die Landeshoheit von diesen beiden Perioden aus gesehen werden. Im Verhältnis zum mittelalterlichen Reich erscheint sie als auflösende, im Verhältnis zur Neuzeit als aufbauende Kraft. Das Territorium des Mittelalters ist der Anfang des neuzeitlichen, modernen Staates. Dieser erwächst aus einzelnen Elementen mittelalterlicher Herrschaft im Reich wie in kleineren Gebieten als ein im Ganzen neues Gebilde, unbeschadet der alten, in ihnen wiederauf-

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lebenden, insbesondere stammesmäßigen Grundlagen. Eine wesentliche Seite seiner Eigenart wird erfaßt, wenn man ihn als Flächenstaat dem älteren Personenverbandsstaat gegenüberstellt 1. I. Da die Landeshoheit Herrschaft über ein Gebiet und dessen Bewohner ist, so zerfällt die Frage nach ihrer Entstehung in drei Teilfragen, in die Frage nach Herkunft und Inhalt dieser Herrschaft, in die nach der Bildung des Gebiets sowie der Bevölkerung und in die nach dem Inhaber der Herrschaft. 1. Die Herrschaft des Landesherrn ist nicht erwachsen aus der Grundherrschaft 2. Allerdings konnte der spätere Landesherr in seinem Gebiet oder in einem Teile davon zunächst Grundherr gewesen sein und in der Regel ist er es auch gewesen, weil die zur Landeshoheit gelangenden Edelfreien regelmäßig Grundherrn waren. Auch lagen in der grundherrschaftlichen Gewalt Antriebe zum Erwerb der landesherrlichen. Aber der Aufstieg zur Landeshoheit war in keinem Fall Entwicklung der grundherrlichen Gewalt, die als nicht staatsrechtliche nicht zu einer staatsrechtlichen werden konnte. Vielmehr ist Ausgangspunkt und Mittelpunkt der landesherrlichen Gewalt die Hochgerichtsbarkeit, die verschiedenen Umfang haben konnte, aber mindestens Blutgerichtsbarkeit sein mußte, von der niemand innerhalb des Territoriums ausgenommen war. Nur wer diese Hochgerichtsbarkeit innehatte, konnte Landesherr werden, weshalb andererseits die Entwicklung von Grafschaften und hohen Vogteien zu landesherrlichen Territorien am nächsten lag 3 . Daß nicht jeder Hochgerichtsherr Landesherr wurde, beruht darauf, daß die Landeshoheit nicht nur Hochgerichtsbarkeit war. Diese bedurfte vielmehr der Ergänzung durch andere Redite, wie sie auch in der gräflichen Gewalt vereinigt waren. Allerdings hat das am Beginn des Mittelalters wichtige Kernstück der gräflichen Gerichtsbarkeit, die über freies Eigen, bei der Entstehung der Landeshoheit keine entscheidende Rolle gespielt, da der Leihebesitz den allodialen weit überwog. Wesentlich aber wurden Verwaltungsbann und Polizei1 Th. M a y e r , D i e A u s b i l d u n g d. Grundlagen d. modernen Staates, HZ. 159 (39) 457. 2 I n dem Streit u m die Entstehung der Landeshoheit aus Grundherrschaft oder Grafschaft t r i t t neuerdings H e 1 b o k , Grundlagen (s. § 4) 471 für die Grundherrschaft ein. Insoweit es sich u m die B i l d u n g des Gebietes handelt» verdient dies i n der Tat Beachtung. 3 W i e schon i n der 1. Auflage w i r d davon abgesehen, einen „Begriff" der Landeshoheit zu formen. A b e r an den obigen Sätzen ist festzuhalten. Zur Klarstellung sei bemerkt, daß „Ausgangspunkt" nicht i m zeitlichen Sinn zu verstehen ist. D i e Bedeutung der Hochgerichtsbarkeit liegt nicht i n einer „rechtssymbolischen W i r k u n g " , sondern darin, daß volle Herrschaft über Personen das Recht über Leben u n d T o d voraussetzt. Sie ist i m Kreis der landesherrlichen Rechte eine andere wie etwa die der Regalien.

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bann, Recht des Aufgebots zum Heer und Recht der Erhebung öffentlichrechtlicher Abgaben (Bede). D a auch diese Rechte regelmäßig dem Grafen zustanden, so läßt sich zwar nicht behaupten, daß die Landeshoheit aus der Grafschaft entstanden sei, w o h l aber der E r w e r b der Grafenrechte durch den werdenden Hochgerichtsherrn nicht übersehen. 2. D i e B i l d u n g des landesherrlichen Gebietes erfolgte i n sehr verschiedener Weise. Einzelne Territorien entsprechen fränkischen Graf^ Schäften, wenn auch zum T e i l i n verkleinertem Umfang. Andere stellen sich als frühere Hundertschaften dar oder als Vereinigung von benachbarten Grafschaften. I n allen diesen Fällen begannen sie m i t einem geschlossenen Gebiet. N u r wenig anders lag es bei den Territorien, die aus verschiedenen, früher getrennten Vogteien oder alten Grafschaften entstanden, w i e manche j ü n g f r e Grafschaften (z.B. T i r o l , Habsburg, Berg). D e n n die einzelnen Teile waren für sich geschlossen und größeren Umfangs. E i n anderes B i l d aber zeigen die Territorien, deren Ursprung i n geistlichen oder weltlichen Immunitäten lag. H i e r drängte die vielfach vorhandene Streulage des Immunitätsbesitzes zu einer A b r u n d u n g des Gebiets. Sie vollzog sich vielfach ohne rechtliche Grundlage, indem der Immunitätsherr seine Immunitätsrechte auf das zwischen seinem ursprünglichen Land liegende Gebiet ausdehnte, konnte jedoch auch durch P r i v i l e g oder Rechtsgeschäft (Kauf, Tausch) erreicht werden 4 . Endlich haben zur B i l d u n g des landesherrlichen Gebietes und zur Vermehrung des Gebietsvolkes der fortschreitende Landesausbau durch Rodungen und die Gründung von Städten wesentlich beigetragen. 3. D i e Personen, die Hochgerichtsbarkeit hatten, sind wiederum verschieden. Eine Gruppe f ü r sich bilden dem Gesagten entsprechend diejenigen, denen sie k r a f t ihrer bisherigen Stellung ohnedies zukam. Dies sind die Grafen und die Hochvögte. Dazu kommen i n einzelnen Gebieten Hundertschaftsvorsteher, denen es gelungen ist, ihre außerordentliche Blutgerichtsbarkeit zur ordentlichen zu steigern, so daß, anders gesehen, der Zentenar zum Grafen wurde. A u f der anderen Seite stehen die Immunitätsherren, die aber keineswegs alle zur Hochgerichtsbarkeit aufgestiegen sind und es nur insoweit konnten, als sie gleich den Grafen dieser Zeit Edelfreie waren. I n den geistlichen Immunitäten ergab sich dabei die Besonderheit, daß die Hochgerichtsbarkeit unmittelbar m i t der Vogtei (§ 54 II) verknüpft werden konnte, während die Immunität der geistlichen Anstalt ver•. / 4

D i e Gebietsabrundung hat man vielfach als B i l d u n g von Bannbezirken, Bannherrschaften, Bannimmunitäten bezeichnet. Dagegen v. Below, T e r r i t o r i u m (s. u.) 1.

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liehen war. Das M i t t e l des Erwerbs der Hochgeridhtsbarkeit w a r neben staatlicher Verleihung i n nicht wenigen Fällen die Usurpation m i t oder ohne stillschweigende oder nachträgliche B i l l i g u n g durch die staatliche Gewalt. Anderseits haben auch Grafen die hohen Kirchenvogteien innerhalb ihrer Grafschaft vielfach i n ihre H a n d gebracht 5 . I I . D e r Aufstieg des Hochgerichtsherrn zur Landeshoheit erforderte neben der Erweiterung der Befugnisse über die i n der Gerichtsbark e i t liegenden Rechte hinaus (s. I) eine weitreichende Unabhängigk e i t nach oben. Uber dem Landesherrn konnte n u r der K ö n i g stehen. D i e Landeshoheit mußte nach unten i n den Gesamtbesitz öffentlicher Macht gelangen und nach oben von j e d e r m i t Ausnahme der königlichen frei werdeji. D a z u w a r für die Fürsten die erste Voraussetzung gegeben, als m i t der Niederwerfung Heinrichs des Löwen das Stammesherzogtùm vernichtet war, das bis dahin noch zwischen Fürst und K ö n i g stand. Insoweit aber die Fürsten den E r w e r b der gesamten öffentlichen Gewalt innerhalb ihres Fürstentums anstrebten, w a r die Entstehung von Landeshoheiten eine Frage der politischen Macht, u n d i n kleineren Hochgerichtsgebieten, die ihrerseits nach oben unabhängig wurden, mußte sich die Frage wiederholen. I n diesem Kampf, einem „langsamen Auslesevorgang", ist eine große Zahl von aufstrebenden kleinen Dynasten, sogenannten Herrschaften, i n dauernde Abhängigkeit namentlich vom Fürstentum gebracht worden. Doch entschieden nicht n u r politische Kräfte und wirtschaftliches Übergewicht. Es haben auch rechtliche Verhältnisse eine wesentliche Rolle gespielt. D i e Entstehung der Landeshoheit hängt auf das engste m i t dem Lehnwesen zusammen, insofern Grafenrechte u n d Vogteirechte als Lehen verliehen u n d als solche erblich geworden waren. Diese Erblichkeit bedeutete eine erste Stufe der Verselbständigung. Sie w a r die sichere Plattform, von der aus die Unabhängigkeit erworben werden konnte. Dabei w a r die Lage der Fürsten und erst recht die der M a r k grafen von der der Grafen nicht grundlegend verschieden. D e n n auch ihre Gerichtsbarkeit w a r i m Grunde n u r die gräfliche, insofern sie i h r e n Höhepunkt i m Blutgericht hatte. D e r E r w e r b der übrigen Rechte erfolgte i n den einzelnen Territorien zu sehr verschiedenen Zeiten seit dem 12. Jahrhundert und in.sehr verschiedener Weise. Zum T e i l geschah er i m Wege der eigenmächtigen Aneignung. Entscheidend aber wurde die Rechtsbildung unter Friedrich II., durch die sich der K ö n i g die Rückendeckung f ü r seine universale u n d italie5 Vgl. hierzu 0 1 1 o a. zu § 54 a. Ο., wo aber dieser allerdings bedeutsame G r u n d der E n t w i c k l u n g zu sehr als regelmäßiger aufgefaßt w i r d .

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nische P o l i t i k schuf. Sie wandte sich auf der einen Seite gegen die den Fürsten gefährliche P o l i t i k der Städte, denen man Bündnisse untereinander und i m I n n e r n autonome Bestrebungen verbot, w i e Einungen der Handwerker, sonstige genossenschaftliche Zusammenschlüsse der Bürger, Einsetzung von Stadträten. A u f der anderen Seite w u r d e n i n zwei f ü r die E n t w i c k l u n g grundlegenden Reichsgesetzen, der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (1220) u n d dem Statutum i n favorem p r i n c i p u m (1232) wesentliche Rechte des Reiches zugunsten der Fürsten preisgegeben oder ihre Ausübung von deren Zustimmung abhängig gemacht. Spolienrecht und Regalienrecht, Errichtung von Zollstätten, Münzstätten, M ä r k t e n u n d Reichsburgen, Geleitsrecht u n d Befestigungsrecht w u r d e n von dieser Gesetzgebung erfaßt. I n der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erlangten die Fürsten die Unabhängigkeit ihrer Gerichte, da sie während des Interregnums davon Abstand nehmen mußten, durch die Hochrichter i n ihren Gebieten die Bannleihe beim K ö n i g einholen zu lassen, und es nach dessen Ende, v o n der schwachen Königsgewalt ungehindert, dabei beließen. Nicht alle Grafenrechte aber waren lehnrührig. Es gab daneben allodiale Grafschaften, die durch Verselbständigung alter Grafschaften oder durch unabhängige Ausb i l d u n g von I m m u n i t ä t e n zu Grafschaften entstanden waren. Auch sie konnten zur Landeshoheit aufsteigen. . Durch die Goldene Bulle erlangten zunächst die Kurfürsten, soweit sie dieser Rechte noch entbehrten, Münzrecht 6 , Zollrecht, Judenschutz und Bergregal, die p r i v i l e g i a de non evocando u n d de non appellando?. Vergehen gegen sie w u r d e n zum crimen laesae maiestatis erklärt. H i e r i n folgten ihnen die übrigen Fürstentümer zu verschiedenen Zeitpunkten nach, i m wesentlichen durch Usurpation dieser Rechte 7 . Doch liegt bei ihnen diese E n t w i c k l u n g zum T e i l erst i n der Neuzeit. Diese B i l d u n g der Landeshoheit i m Wege allmählichen Erwerbs einzelner Rechte darf nicht dazu führen, die Landeshoheit i n der Summe dieser Rechte zu sehen. D e n n Staatsgewalt ist e i n ejnheitβ

L ö η i η g , Das Münzrecht i m Erzbistum Bremen (37). Auch Fälschungen mußten helfen. D i e berühmteste ist die des österreichischen Privilegium minus i n das angeblich 1156 erteilte Privilegium maius, die sogar m i t anderen unechten u n d echten Privilegien von Friedrich I I I . 1453 bestätigt wurde. F i c k e r , S b b A k W i e n 23 (1857). Τ a n g l , ZRG. 25, 258. S t e i n a c k e r , M Ö I G . EB. 11 (29) 205. v. D u n g e r n , H e i l i g usw. a. § 33 A n m . 8 u. § 50 A n m . 5 a. O. Das auf die Ostmark gegründete österreichische Herzogtum e r w a r b 1192 die Steiermark, 1335 Kärnten, 1363 T i r o l , seit 1375 Vorarlberg u n d bis 1500 Istrien, Triest u n d Görz. Doch ist das Gesamtgebiet wiederholt geteilt u n d nach der T e i l u n g i n zwei Teile durch den Neuberger Vertrag (1379) erst 1493 unter M a x i m i l i a n I. wieder i n einer H a n d vereinigt worden. D i e Bestätigungsurkunde von 1453 stellte die österreichischen Herrscher i m wesentlichen den K u r f ü r s t e n gleich u n d brachte der steirischen L i n i e den Erzherzogtitel. 7

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lichës Recht, nicht eine unverbundene Anhäufung von Rechten. Es ist daher von Bedeutung, daß auch schon das spätere M i t t e l a l t e r die Einheitlichkeit der landesherrlichen Gewalt anerkannte. Ansätze zu dieser Erkenntnis zeigt die Terminologie, wenn schon seit Ende des 12. Jahrhunderts vom dominus terrae, dann vom lantherre, landesherre gesprochen w i r d , i n der Goldenen Bulle von ius soli et dominium. Aber zu einer Befreiung der landesherrlichen Gewalt aus dem Bann privatrechtlicher Vorstellungen ist es i m M i t t e l a l t e r noch nicht gekommen. Dies zeigt sich nicht nur i n der Behandlung von Ä m t e r n als m i t dem G r u n d und Boden verbundenen, veräußerlichen und verpfändbaren Rechten, die weitgehender Patrimonialisierung den Weg öffnete, sondern vor allem i n der Anwendung privatrechtlichen Erbrechts auf das Land, die zu zahlreichen Landesteilungen führte. Unteilbarkeit u n d Primogeniturerbfolge hatten zunächst n u r die K u r fürsten durch die Goldene Bulle für die K u r l a n d e erlangt. I n anderen Territorien ist dieses Ziel w o h l angestrebt, aber i m M i t t e l a l t e r nicht erreicht worden 8 . W i e sich von oben her Landeshoheit nur allmählich zur einheitlichen Staatsgewalt ausbilden konnte, so zeigt auch die B i l d u n g eines neuen Untertanenverbands i n dieser Zeit n u r Ansätze ihrer Verwirklichung. D i e fürstliche Landeshoheit hat nicht alle Teile des Reiches erfaßt. Abgesehen von den reichsunmittelbar gebliebenen Gebieten (s. §§ 33. 53) und Reichsstädten hat sich vor allem i n der Schweiz eine Entwicklung wesentlich anderer A r t vollzogen. I n der F o r m freier Einigung schlossen sich dort die Gemeinden Schwyz, U r i und Unterwaiden i m 13. Jahrhundert zu einem Bunde zusammen, aus dem durch B e i t r i t t anderer Gemeinden und Städte i n der Folgezeit die schweizerische Eidgenossenschaft erwuchs. Auch sie erlangte Reichsunmittelbarkeit und seit 1415 durch Übertragung der Hochgerichtsbarkeit an die einzelnen Kantone auch Befreiung von Reichshofgericht und Reichslandvogtei 9 . v. B e l o w , T e r r i t o r i u m u n d Stadt 8 (23). S c h u l t e , Fürstentum u. Einheitsstaat (21). H a u c k , D i e Entstehung d. geistl. T e r r i t o r i e n (00). M a y e r , 8

So ζ. Β. 1380 i n Baden, 1473 i n Brandenburg (Dispositio Achillea). Uber die Eidgenossenschaft u n d ihre bestrittene Entstehungsgeschichte H e u s 1 e r , Schweizerische Verfassungsgeschichte (20). S t u t z , D i e Schweiz i n d. deutschen Rechtsgesch., S b A k B e r l i n 1920, 92. N a b h ο 1 ζ , D i e neueste Forschung über die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Festschrift K e h r (26) 526. F e h r , D i e Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (29; dazu Stutz, ZRG. 50, 605). K. M e y e r , D i e ältesten eidgenössischen Bünde (38). D e r s . , D e r Ursprung der Eidgenossenschaft (ZSchwG. 21 [41], 23 [43] dazu Fehr, ZSchwR. 61 [42] u. Rennefahrt, ZSchwR. 64 [45]). Th. M a y e r , D i e Entstehung der Schweizer Eidgenossenschaft,DA.6 (43) 150. D e r s . , D i e Schweizer Eidgen. u. d. dtsch. Reich, D A . 7 (44) 239. Schrifttum zur RG. d. Schweiz w i r d regelmäßig mitgeteilt u. besprochen i n d. ZRG. 9

§ 56. Verfassung und Verwaltung der Territorien

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D i e A u s b i l d u n g d. Grundlagen d. modernen Staates i m hohen MA., HZ. 159 (39) 457. O. B r u n n e r , L a n d u. Herrschaft 4 (44) 186 (dazu Mitteis, HZ. 163, 255, 471 u n d ZRG. 64, 410; S t o l z , ZRG. 61 [41] 234).W. S c h 1 e s i η g e r , D i e Entstehung d. Landesherrschaft 1 (41 ; dazu M i 11 e i s , HZ. 168, 161). F e h r , D i e Entst. d. Landeshoheit i m Breisgau (04). C a v e 11 i , D i e Entst. d. Landeshoheit d. A b t e i St. Gallen (14). G a s s e r , Entst. u. A u s b i l d u n g d. Landeshoheit i m Gebiete d. Schweizerischen Eidgenossenschaft (30; dazu Stutz, ZRG. 51, 750). M a y e r - E d e n h a u se r , Zur T e r r i t o r i a l b i l d u n g d. Bischöfe v. Basel, ZGORh. N.F. 52 (38) 225. B a d e r , Grundzüge der territor. Entwicklung d. Oberrheinlande u. Schwabens i n η ach staufischer Zeit, A r b e i t e n v o m Oberrhein 2 (42) 111. B r u n n e r , Das gerichtliche Exemtionsrecht d. Babenberger (64). v. D u n g e r n , D i e Entst. d. Landeshoheit i n Österreich (10). D o p s c h , D i e Landesherrlichkeit i n Österreich, VjsSWG. 20 (28), 460. S t u t z , Das habsburgische Urbar u n d die Anfänge d. Landeshoheit, ZRG. 25 (04) 192. B a r t s c h , D i e Steuern, des habsb. Urbars (46). v. G u t t e n b e r g , D i e T e r r i t o r i e n b i l d u n g am O b e r m a i n (27). M ü l l e r , Entst. d. Landeshoheit d. Bischöfe v o n Hildesheim (08). R ö r i g , Entst. d. Landeshoheit d. T r i e r e r Erzbischofs (06). S t i m m i η g , D i e Entst. d. weltl. T e r r i t o r i u m s d. Erzbistums Mainz (15). A u b i n , D i e Entst. d. Landeshoheit nach niederrhein. Quellen (20). M a c k , D i e Entst. d. Landeshoheit d. Grafen v. W i r t e m berg (26). S p i n d l e r , D i e Anfänge d. bayer. Landesfürstentums (37). Z i m m e r m a n n , D i e Weistümer u. d. Ausbau d. Landeshoheit i n d. K u r pfalz (37).

S 56. Verfassung und Verwaltung der Territorien L Die nach oben gegenüber dem König selbständig gewordenen Territorien traten in ihre eigene Geschichte mit eben der Verfassung ein, die sie als Reichsteile erhalten hatten, mit der des Lehnsstaates. Sie war sogar innerhalb der Länder noch wesentlich straffer, da die Fürsten nicht in gleicher Weise wie der König an der Geltendmachung der Lehnsherrlichkeit gehindert waren. Aber gleichwohl setzte sich das Empordringen unterer Gewalten, das die Landesherren für sich bis zur Erlangung der Selbständigkeit gegenüber dem Reiche durchgeführt hatten, nunmehr ihnen gegenüber fort. Da auch sie sich auf den Lehnscharakter der Ämter stützten, mußte es die erste Aufgabe der Landesherren sein, das feudale Ämterwesen zu zerstören und den Lehnsstaat zum Beamtenstaat umzubilden. Daher wurden nun abhängige Ministeriale als absetzbare Beamte mit den Ämtern betraut, nachdem diese ihren edelfreien Inhabern durch Kauf, Heimfall, auch durch Gewalt und Mißachtung des Leihezwangs abhanden und in die Hand des Landesherrn gekommen waren. In Verbindung mit dem Ersatz der Vasallen durch Beamte geschah eine einheitliche Gliederung des Landes in Amtsbezirke, die fast überall an die landesherrlichen Burgen anknüpften. Immerhin blieben innerhalb des Landes auch jetzt noch geistliche und weltliche Immunitäten und reichunmittelbare Gebiete bestehen. Das Streben der Landesherren nach einheitlicher und unabhängiger Verwaltung ist aber weniger durch diese Exemtionen gestört worden, v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtegeechichte

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als durch das Aufkommen der Stände (s. IV). Indem einzelne Gruppen der Bevölkerung Anteil an der Verwaltung des Landes erlangten und ihre Macht bis zur Gleichwertigkeit mit der des Landesherrn steigern konnten, wurde die versuchte Weiterbildung zum Einheitsstaat abgebrochen. Statt seiner entwickelte sich gegen Ende des Mittelalters der Ständestaat, dessen Dualismus zu ihm in scharfem Gegensatz stand1. Erst in der Neuzeit wurde die Bildung des Einheitsstaates im absoluten Territorialstaat durch Uberwindung der Stände erreicht. II. Die Zentralverwaltung der Territorien lag zunächst beim Hofe des Landesherrn in der Hand von erblichen Beamten (Erbhofämter). An der Spitze des Hofes wie der Regierung stand als Vertreter des Fürsten seit dem v 13. Jahrhundert der Hofmeister (auch Landhofmeister) 2. Neben ihm war von den Inhabern der Hof ämter für die Landesverwaltung da und dort von Bedeutung der Marschall für militärische Angelegenheiten8 und der Kämmerer als Leiter des fürstlichen Finanzwesens4. Außerdem gehörte zum Hofe der Kanzler (protonotarius), bis in das 14. Jahrhundert meist ein Geistlicher, als Vorstand der Hofkanzlei. Ihm oblag auch die Aufsicht über das Rechnungswesen5. Seit dem 13. Jahrhundert wurden einzelne Personen vom Landesherrn als Räte (consiliarii) vereidigt, die teils dauernd am Hofe waren (sog. wesentliche Räte), teils als Vasallen auf ihren Gütern lebten (Räte von Hause aus). Die Provinzialverwaltung baute auf den oben erwähnten Ämtern als den staatlichen Unterbezirken auf. Sie lag daher anfangs in der Hand des Burgvogts (castellanus), der aber schon im 14. Jahrhundert 1 D e r Ausdruck Ständestaat w i r d als unrichtig bezeichnet, w e i l die entscheidende Gewalt letzten Endes doch beim Landesherrn gelegen habe. Bestritten w i r d auch die Annahme eines Dualismus. A b e r beides deutet doch richtig auf die Erscheinungen hin, die dem Territorialstaat seit dem 15. Jahrhundert eigentümlich waren, mag auch das tatsächliche Staatsleben die letzten Folgerungen nicht gezogen haben, die man aus dem Begriff des Ständestaates ziehen könnte. D e r Versuch, einen nicht auf geschriebener Verfassung beruhenden u n d dem politischen Kräftespiel ausgesetzten Staat m i t einem W o r t zu kennzeichnen, w i r d immer damit rechnen müssen, zu v i e l oder zu wenig zu sagen. 2 S e e l i g e r , Das deutsche Hofmeisteramt i m späteren M A . (1885). 3 Vereinzelt, zum Beispiel i n Österreich, k a m es zu einer T e i l u n g des Marschallamtes i n ein Hofmarschallamt u n d ein Landesmarschallamt. Vgl. v. W r e t s c h k o , Das österreichische Marschallamt i m M A . (1897). 4 D i e übrigen Hofämter (Truchseß, Schenk, Küchenmeister) waren an den Fürstenhöfen vorhanden, aber nicht m i t der Landesverwaltung befaßt. I n kleineren T e r r i t o r i e n w a r die Zahl der Hofämter meist geringer. Waren die Ä m t e r i n adliger Hand, so wurden die F u n k t i o n e n vielfach von Ministerialen ausgeübt. 5 D i e laufenden Geldgeschäfte besorgte die von der Kanzlei abgespaltene Rentei unter L e i t u n g eines meist als Landschreiber bezeichneten Beamten.

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meist als A m t m a n n (Pfleger, Landrichter, auch Vogt) bezeichnet wurde, entsprechend dem Zurücktreten seiner militärischen A u f gaben. Unter i h m stand ein Rentmeister (Kastner, Kellner) zur Verw a l t u n g der aus Kammergut u n d Regalien fließenden Einnahmen, D i e V e r w a l t u n g der Rechtspflege w a r i m Nordosten m i t der allgemeinen Verwaltung verbunden, i m Westen und Süden besonderen Richtern unter Aufsicht des Amtmanns übertragen. Mittelbezirke gab es nur i n einzelnen Territorien, so die Landvogteien i n Brandenburg, die Viztumsämter (vicedominus) i n Baiern, die Viertel i n Österreich. I m Bereich der D ö r f e r nahm die Entwicklung zur politischen Gemeinde ihren Fortgang (s. § 50). I I I . Außerordentlich verwickelt w a r die Gerichtsverfassung innerhalb der Territorien, die staatliche und nichtstaatliche Gerichte umfaßte u n d sich durch Einfluß ständischer Gesichtspunkte allmählich weiter spaltete. D i e staatlichen Gerichte waren zunächst sachlich geschieden i n Hochgerichte (Landgerichte, iudicia maiora) und Niedergerichte (iudicia minora, Zentgericht, Gogericht). Das Hochgericht wurde vom Grafen abgehalten, dem als Gerichtsdiener der Fronbote (Büttel, Waibel) zur Seite stand 6 , als U r t e i l e r die Schöffen, insoweit die karolingische Schöffenverfassung Eingang gefunden hatte. I n den Vogtéien tagte das Hochgericht (Vogtding) unter dem Vogt, das Niedergericht unter einem Untervogt oder einem herrschaftlichen Beamten, etwa dem Meier. Seit dem 13. Jahrhundert trat eine grundsätzliche Veränderung dadurch ein, daß sich der Adel, die höhere Geistlichkeit und die Städte dem Niedergericht entzogen u n d damit das Landgericht zu einem f ü r sie schlechthin zuständigen Adelsgericht wurde, über dem noch das landesherrliche Hofgericht stand. D i e Niedergerichte erhielten eine ausgedehntere Zuständigkeit f ü r die unteren Klassen, Gerichtsbarkeit über bäuerliches Eigen, teilweise auch Blutgerichtsbarkeit, und. hießen n u n auch Hochgerichte oder (niedere) Landgerichte. Diese r e i n ständische Scheidung der Gerichte drängte zu einem sachlichen Ausgleich. D i e niederen Landgerichte gaben die Niedergerichtsbarkeit an Untergerichte (Dorfgerichte, Kirchspielgerichte) ab 7 . Unabhängig hiervon war die Ausbildung eines Hofgerichts des Landesherrn (Landtaiding), das für den A d e l und als Berufungsgericht zuständig war. Nichtstaatliche Gerichte 8

E c k e r t , D e r Fronbote i m M A . (1897). D i e Grenze zwischen Hochgerichtsbarkeit u n d Niedergerichtsbarkeit war verschieden gezogen. D i e Ausübung der Blutgerichtsbarkeit war vielfach zwischen Hochrichter u n d Niederrrchter geteilt, indem j e n e r allein B l u t urteile vollstrecken konnte oder i h m der Täter zur A b u r t e i l u n g ausgeliefert werden mußte oder beide Richter den Vorsitz i m Gericht führten. 7

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waren die Lehnsgerichte 8, Dienstmannengeridite, Hofgerichte (Hofmarkgericht, Bauding, Hof spräche), Markgerichte, Dorfgerichte (Bauersprachen) und Berggerichte 9. Soweit sie nicht ständischer oder genossenschaftlicher Grundlage waren, hängen sie mit nicht hochgerichtlichen Immunitäten und Ortsherrschaften zusammen. Noch im Mittelalter begann sich die Grenze zwischen staatlichem und nichtstaatlichem Gericht zu verwischen. In verschiedenen Gebieten wurde es üblich, auch Landgerichte an Privatpersonen zu veräußern, zu verpfänden oder zu leihen. Sie wurden zu Patrimonialgerichten, deren Richter nunmehr von deren privatem Herrn bestellt wurden. Außerdem verschmolzen vielfach die Dorfgerichte mit den grundherrlichen Hofgerichten, so daß ein nicht geringer Teil von Gerichten in private Hand gelangte. IV. Der Kreis der erst in der Neuzeit so genannten, im Landtag véreinigten Stände war in den einzelnen Territorien verschieden. Regelmäßig bildete einen Stand die Ritterschaft. Sie entstand aus der rittermäßigen Ministerialität, hat jedoch nicht alle Ritter umfaßt, son^ dem nur die burgensässigen. Nicht gleich häufig erschien als Stand der weltlichen Territorien die Geistlichkeit, während in den geistlichen Territorien meist das Domkapitel einen Stand bildete. Ebenso war nicht überall ein Stand der Grafen und Herren vorhanden, wogegen die Städte weitaus regelmäßiger auf dem Landtag vertreten waren. Nur in wenigen Territorien treten die Bauern auf 10 . Auf dem Landtag bildete jeder Stand eine Kurie (Prälatenkurie, Herrenkurie, Ritterkurie usw.), die auch gesondert verhandelte. Ein Beschluß des Landtags bedurfte übereinstimmender Beschlüsse der Kurien. Die Rechte der Stände gegenüber dem Landesherrn waren nur sehr lückenhaft durch einzelne Bestimmungen abgegrenzt 11. Daher war die Tätigkeit der Stände weitaus mehr durch politische Energie und Macht bestimmt, als durch Rechtsregeln. Jedenfalls aber hatten sie ein Recht darauf, vom Landesherrn bei wichtigeren Regierungshandlungen um ihre Zustimmung gefragt zu werden, hatten insbesondere ein Steuerbewilligungsrecht. Sie handelten dabei nach der Auffassung 8 Sie waren zuständig für Streitigkeiten aus dem Lehnsverhältnis zwischeù H e r r u n d Vasall oder zwischen Vasallen. Den Vorsitz führte der Lehnsherr. U r t e i l e r waren Vasallen, H o m e y e r , Sachsenspiegel I I 2 (1844) 562. Lehnserichte besonderer A r t sind die niederrneinischen Mannkammern. , e n a e r t s , D i e M a n n k a m m e r n d. Herzogtums Jülich (23). 9 H u f f m a n n , Über die sächsische Berggerichtsbarkeit (35). 10 Zum Beispiel i n T i r o l , i n der A b t e i Kempten, i n der Schweiz, i n Ostfriesland, i n Bremen. S t o l z , D i e Landstandschaft d. Bauern i n T i r o l , H V .

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28 (33) 699; 29 (34) 109. K n a p p , Z R G . 55 (35) 429.

11 I n größerem Umfang sind sie i n den bairischen Freibriefen niedergelegt. v. L e r c h e n f e l d , D i e altbairischen landständischen Freibriefe

(1853).

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ihrer Zeit als Vertreter des ganzen Landes, nicht etwa nur ihrer eigenen Belange12. In dieser Eigenschaft brachten sie auch Beschwerden über die landesherrliche Regierung vor und entschieden über solche. Landesinteressen verfolgten sie mit ihrem häufigen Widerstreben gegen Veräußerungen und Teilungen des Landes, Veräußerung von Domänen, unnötige Steuern und Kriege, durch Mithilfe zur Erweiterung des Landes. Dadurch haben sie die gesunde Konsolidierung des Staates im Innern und nach außen mächtig gefördert und sich dauerndes Verdienst erworben, mag auch gelegentlich manche eigennützige Erwägung für sie maßgebend gewesen sein. Die Entstehung der Stände ist nicht einheitlich zu erfassen. Nur mit Vorbehalt kann man ihren Vorläufer in den Hoftagen sehen, auf denen die Fürsten Angelegenheiten des Landes mit den Großen (maiores terrae) berieten, und dabei noch auf das Reidisweistum von 1231 verweisen, demzufolge constitutiones vel nova iura von den Fürsten nicht ohne Zustimmung der meliores et maiores terrae eingeführt werden sollten, denn die maiores sind keine Stände. Wesentlich war wohl auf der einen Seite das Machtstreben der späteren Stände, auf der änderen das Interesse des Landesherrn an einem Organ, das für das ganze Land verbindliche Beschlüsse fassen, insbesondere auch Steuern anordnen konnte. Die Stände waren dabei in besonders günstiger Lage. Der Landesherr bedurfte der militärischen Kraft der Ritterschaft und der Steuerkraft der Städte, die durch Einungen gestärkt waren. Thronstreitigkeiten gaben neben der Steuerbewilligung den äußeren Anlaß, Zugeständnisse des Landesherrn zu erlangen, die dessen Stellung schwächten und den Ständen Herrschaftsrechte über die Einwohner ihrer Gebiete preisgaben. Die Steuerbewilligung durch die Stände hatte dadurch besondere Bedeutung, daß der im Übergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft steigende Geldbedarf des Landesherrn aus den sonstigen Einnahmequellen nicht befriedigt werden konnte. Neben den Einnahmen aus dem Grundbesitz des Landesherrn und aus dem König abgenommenen, nutzbaren Hoheitsrechten erhoben die Landesherren seit dem 13. Jahrhundert eine öffentlichrechtliche Steuer, die Bede (auch Schoß, Steuer, petitio). Sie war jedenfalls in dieser Zeit eine auf Grund öffentlicher Gewalt (Banngewalt, daher auch exactio) vom nichtritterlichen, laikalen Grundbesitz erhobene Zwangsabgabe. 12 Daß die Stände eine V e r t r e t u n g des Landes waren, w i r d vielfach bestritten. Vgl. darüber ν. Β e 1 o w , T e r r i t o r i u m u. Stadt 2 120. Doch k a n n man die Frage n u r verneinen, wenn man die heutige Landesvertretung als die maßgebende F o r m einer solchen ansieht u n d für die Bestellung einer Vertretung die M i t w i r k u n g des Vertretenen für erforderlich hält, was juristisch zu w e i t geht.

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Unter dem Einflnß der Stände kam es aber zu einer Festlegung der Bede, so daß der Landesherr von nun an in allen Fällen besonderen Geldbedarfs, insbesondere bei Kriegen der Steuerbewilligung bedurfte 13 . H i n t ζ e , Typologie der ständischen Verfassungen d. Abendlandes, HZ. 141 (30) 229. G i e r k e , Deutsches Genossenschaftsrecht I (1868) 534. ν. B é l o w , T e r r i t o r i u m u. Stadt 2 (23) 53. S p a n g e n b e r g , Landesherrliche Verwaltung, Feudalismus u. Ständetum, HZ. 103 (09) 473. D e r s., Vom Lehnstaat zum Ständestaat (12). W e i m a n n , D e r deutsche Staat des M A . (25). B r u n n e r , L a n d u. Herrschaft 4 (44). — v. B e l o w , D i e landständische Verf. v. Jülich u. Berg, I — I I I (1885—91). F r i s e h , D i e Grafschaft M a r k (37). I l g e n , Herzogtum Cleve I (21). B o r n h a k , Gesch. d. preußischen Verwaltungsrechts I (1884). S p a n g e n b e r g , Hof- u. Zentralverwaltung d. M a r k Brandenburg (08). P f i t z n e r , Besiedlungs-, Verf.- u. Verwaltungsgesch. d. Breslauer Bistumslandes I (26). v. L o e s c h , D i e schlesische Weich bildverf. d. Kolonisationszeit, ZRG. 58 (38) 311. M e y e r , Hof- u. Zentralv e r w a l t u n g d. W e t t i n e r (02). G u n d l a c h , D i e hessischen Zentralbehörden I — I I I (30/31). Κ ο 11 n i g , D i e Zent Schriesheim (33). W i n 11 e r 1 i η , Gesch. d. Behördenorganisation i n W ü r t t e m b e r g I. I I (04/06). R o s e n t h a l , Gesch. d. Gerichtswesens u. d. Verwaltungsorganisation Bayerns I (1889). M a y r , Gesch. d. Salzburger Zentralbehörden, MGSalzbL: 64. 65 (24/25). Wichtig f ü r die t e r r i t o r i a l e Organisation sind die Erläuterungen zu den historischen Atlanten. So insbesondere zu dem der Alpenländer u n d des Rheinlands. Einzelnes bei D a h l m a n n - W a i t z 9 283—85, 292. G ö t z * Niedere Gerichtsbarkeit u. Grafengewalt i m Linzgau (13). W e i m a n n , Das tägliche Gericht (13). M ü l l e r , Das Gericht zu Ottendorf, ZRG. 44 (24) 168. W o h l h a u p t e r , Hoch- u. Niedergericht i n d. ma. Gerichtsverf. Bayerns (29). Κ 1 e b e 1, Beitr. ζ. bayr. Gerichtsverf., Archival. Ζ. 44 (36) 186. S. auch Schriftt. ,zu § 53 (Schröder, Kühns). — v. B e l o w , Probleme d. Wirtschaftsgeschichte (20) 622. D e r s . , Zur Frage nach d. Ursprung d. ältesten deutschen Steuer, M I Ö G . 2 5 (04). W a a s , a. zu § 54 a. Ο. I I 75. Β a m b e r g e r , D i e F i n a n z v e r w a l t u n g i n d. T e r r i t o r i e n d. MA., ZgesStWss. 77 (23). O. B r u n n e r , P o l i t i k u. W i r t schaft i n den deutschen T e r r i t o r i e n , Vergangenheit u. Gegenwart 1937, 404 S c h u l t z e , Das Landbuch d. M a r k Brandenburg v. 1375 (40).

§ 57. Entstehung der Stadt L Die Stadt des Hochmittelalters ist gleich dem Territorium ein selbständiger Herrschafts- und Verwaltungsbezirk gegenüber Reich und Land, dessen vollberechtigte Einwohner zu einer politischen Körperschaft, zu einer Stadtgemeinde zusammengeschlossen sind. Sie ist Gerichtsbezirk, autonomes Rechtsgebiet, mit dem Marktrecht begabt und in der Regel befestigt 1. Ihre Geschichte beginnt vor der des Territoriums und führt wesentlich rascher, noch im Mittelalter, zu 18 N u r i n drei Fällen (Gefangenschaft des Landesherrn, Ritterschlag seines Sohnes, Verheiratung seiner Tochter) konnte eine außerordentliche Bede ohne besondere B e w i l l i g u n g erhoben werden. 1 D i e Größe der ma. Stadt w a r nicht erheblich. Eine durchschnittliche Stadt hatte 2000—5000 Einwohner, eine Großstadt 10 000—20 000, k a u m eine über 30 000. Ρ ü s c h e 1, D e r Umfang deutscher Städte i m 13. u. 14. Jahrhundert (1909). D e r s., Das Anwachsen d. deutschen Städte i n d. Zeit der ma. Kolonialbewegung (10). Vgl. auch H . A m m a η η , ZRG. 64 (44) 370.

§ 5 . Entstehung der

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einer Durchbildung der Verfassung und Verwaltung, die das Territorium erst nach Jahrhunderten erreicht hat. Dabei sind die Entstehungsverhältnisse bei den einzelnen Städten sehr verschiedene gewesen. Dies hat vor allem zur Aufstellung zahlreicher Theorien über die Entwicklung der Stadt geführt, indem bald auf diese, bald auf jene Einzelerscheinung das Schwergericht gelegt wurde 2 . Von diesen ist eine sicher abzulehnen, nämlich die des römischen Ursprungs. Dafür ist entscheidend, >daß in der Verfassung des fränkischen Reiches keine Siedlung dem Herrschaftsbereich der Grafschaft und der Hundertschaft entzogen war, also allen die rechtliche Selbständigkeit fehlte, die dem römischen municipium wie der mittelalterlichen Stadt eigentümlich ist. Daneben spielt die Konstanz des Namens und der Siedlung als solche, wie sie etwa bei Köln oder Trier vorliegen, keine entscheidende Rolle, auch nicht die der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse 3. Sie erklärt aber die für solche Städte übliche Bezeichnung als Römerstädte. Die deutsche Stadt ist also ein durchaus deutsches Gebilde, bei dessen Entstehung Markt und Kaufmannssiedlung in gleicher Weise im Mittelpunkt stehen wie beim Territorium die Hochgerichtsbarkeit. Nur ein Marktort konnte Stadt werden. Da aber die Stadt nicht nur Markt war, so sind nicht alle Märkte zu Städten geworden, wie nicht alle Hochgerichtsbezirke zu Territorien. Manche sind Marktflecken geblieben, von der Stadt wie vom. Dorf verschieden4. Im übrigen ist zu beachten, daß zwischen der Ausbildung des Typus der Stadt und der der einzelnen Stadt unterschieden werden muß. Jene vollzog sich im Nordwesten, am klarsten in Köln. Dem so geschaffenen fertigen Typus wurden andere Städte im Süden und Osten ohne eigene Entwicklung nachgebildet5. II. Den räumlichen Anschluß fand der Markt in der Karolingerzeit an einer ihn schützenden Burg, einem befestigten politisch-militärischen Zentrum, das eine Burg im engen Wortsinn, ein Königshof, eine Domburg, aber auch eine römische civitas sein konnte. Neben ihr, im Wik (zu lat. vi eus), oder auch innerhalb ihrer, wie häufig in den sog. Römerstädten, entstanden Siedlungen von Kaufleuten, die gegen eine wiederkehrende Abgabe in königlichen Schutz genommen wurden. 2 So e r k l ä r e n sich hofrechtliche Theorie (Nitzsch), Landgemeindetheorie (v. Maurer, v. Below), Marktrechtstheorie (Sohm), Gildetheorie (Joachim). 3 Über diese Konstanzerscheinungen A u b i n , i n Histor. Aufsätze f. Schulte (27) 36. 4 G e r l a c h , Über den Marktflecken- u n d Stadtbegriff i m späteren M A . u. i n neuerer Zeit, Festg. Seeliger (20) 141. G r o ß , Stadt u. M a r k t i m späteren MA., ZRG. 45 (25) 65. « Vgl. P l a n i t z , ZRG. 55 (35) 131.

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M i t der Kaufmannssiedlung verband sidi schon f r ü h ein wesentlich auf Fernhandelswaren abgestellter Markt®. W a r e n die älteren Siedlungen auf Königsboden angelegt, so nahmen seit dem 12. Jahrhundert die Siedlungen auf landesherrlichem und grundherrlichem Boden vor allem i m Norden und Osten zu. Auch sie schließen sich regelmäßig an eine ältere Siedlung (Kloster, Dorf, militärische Burg) 7 an, entstehen n u r ausnahmsweise „ v o n w i l d e r W u r z e l " 8 , i n der Regel gehen sie auf den Eigentümer u n d Gewalthaber des Siedlungsgebiets zurück, der sie durch einen einzelnen Unternehmer (locator) durchführen ließ oder durch ein kaufmännisches Gründerkonsortium (Gründungsunternehmerstädte) 9 . Doch konnte schon der Plan der Gründung von Kaufleuten ausgehen und es konnten diese den Boden der künftigen Stadt u m der Gründung w i l l e n vom Eigentümer erworben haben. D e r Zweck der Gründung w a r neben dem wirtschaftlichen vielfach auch ein politischer oder militärischer. I m Gegensatz zu den angelehnten M ä r k t e n 1 0 waren sie freie Märkte (1120 Frbg. i, B.), d. h. frei von grundherrlichem oder stadtherrlichem Gewerbebann 1 1 , m i t Freizügigkeit der Gewerbetreibenden. F ü r diese Märkte, die nicht auf Königsboden lagen, konnte dem M a r k t h e r r n vom K ö n i g das Marktrecht verliehen werden (ius mercatum habere). Es umfaßte als wirtschaftlich wesentlichste Bestandteile das Recht der Erhebung von Zöllen u n d der Prägung von Münzen. D a z u k a m der Königsbann, der sich i n der Befugnis auswirkte, i n Marktsachen bei Königsbann zu richten und den allgemeinen Frieden f ü r M a r k t besucher und Marktbewohner zum Marktfrieden steigerte. A b e r auch 6 Neben diesen M ä r k t e n gab es Lebensmittelmärkte, die sich i n den Römerstädten w o h l durchweg erhalten hatten. Außerdem finden sich i m Süden und Südwesten Märkte, die als altüberkommene wie als Neuanlagen eines G r u n d h e r r n oder eines Vogtes dem Interesse der auf Versorgung u n d A b nahme angewiesenen Grundherrschaft dienten u n d m i t dieser organisch verbunden waren (angelehnte Märkte). 7 I n dieser konnte sich auch ein älterer Lebensmittelmarkt befinden (Altmarkt), neben dem der der neuen Siedlung (Neumarkt) auf Fernhandelswaren beschränkt blieb. Solche Neuanlagen hießen i m burgundischen (romanischen) Gebiet b u r g u m (franz. bourg, ital. borgo). Von hier aus könnte i m Deutschen „ B u r g 4 zur Bezeichnung einer Marktsiedlung (Freiburg, Naumburg) geworden sein, das dann i m 13. Jahrhundert der „Stadt 4 4 Platz machte. (F. Β e y e r i e , Typenfrage i n der Stadtverfassung. ZRG. 50 [30] 1.) Doch w a r w o h l auch der ursprüngliche Zusammenhang von M a r k t u n d Burg da u n d dort entscheidend. 8 Uber die östlich der Elbe neben den Städten bestehen gebliebenen slawischen Dienstdörfer u n d Marktsiedlungen L u d a t , D i e ostdeutschen Kietze (36). D e r s . , D i e ostdeutschen Wieken, VjsSWG. 29 (36) 114. S c h r ö d e r , N G W G ö t t . 1941, 298. 9 Gründungsunternehmerstädte sind F r e i b u r g i, Br., Lübeck, Wien. 10 Vgl. Anm. 6. " Vgl. § 35 I V .

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zur Einrichtung des Marktes selbst bedurfte man eines königlichen Privilegs, seit sich ein M a r k t r e g a l des Königs ausgebildet hatte 1 2 . So stellten sich den sog. Römerstädten die Gründungsstädte zur Seite. Neben beiden sind seit Ende des 12. Jahrhunderts Städte dadurch entstanden, daß Dörfer durch Verleihung von Stadtrecht zu Städten erhoben w u r d e n (Privilegienstädte). I I I . D i e B i l d u n g der geschlossenen Stadtgemeinde nahm ihren Ausgang von dem Verband der Kaufleute, die sich schon auf ihren Kauffahrten zu Hansen zusammengeschlossen hatten. Innerhalb der Siedl u n g vereinigten sie sich zu Kaufmannsgilden, die zugleich politische Gemeinden und Pfarrgemeinden waren. W i e n u n seit dem 10. Jahrhundert W i k und alte Siedlung vielfach durch gemeinsame Ummauerung zu einer räumlichen Einheit verbunden wurden, so wurde seit dem Ausgang des 10. Jahrhunderts auch die Kaufmannsgilde m i t der Einwohnerschaft der alten Siedlung zu einer einheitlichen Gemeinde zusammengeschlossen. H i e r f ü r w i r d neben der einigenden K r a f t gleichgerichteter Interessen als ausschlaggebend angesehen die Unterordnung unter das gemeinsame Stadtgericht (s. § 58 II). I n niederfränkischen Städten ist der Zusammenschluß später unter dem Einfluß der nordfranzösischen Kommunen und der Gottesfriedenbewegung durch eine beschworene Einigung (coniuratio, pax, cora) gestärkt worden 1 3 . D i e ständischen Unterschiede innerhalb der Bevölkerung erfuhren wesentliche Veränderungen. Während die ursprünglichen, landrechtlichen ausgeglichen w u r d e n (vgl. § 36), entstanden neue, stadtrechtliche, die insbesondere für das Recht zur Teilnahme an der städtischen V e r w a l t u n g maßgebend w u r d e n 1 4 (vgl. § 58IV). Vollberechtigter Bürger (burgensis) konnte i n der Regel n u r sein, w e r i n der Stadt G r u n d und Boden hatte, sei es zu freiem Eigentum, sei es zu freier, städtischer Leihe (Gründerleihe), die durch die persönliche Unabhängigkeit des Beliehenen und die Geringfügigkeit des Leihezinses (cen12 D i e i m 9. Jahrhundert abgeschlossene E n t w i c k l u n g des Marktregals setzt m i t dem Verbot der Erhebung neuer Zölle u n d einem Zollregal ein. R i e t s c h e 1, M a r k t u. Stadt (1897) 8. Α . M . B r u η η e r , RG. I I 2 329. 18 Dazu insbes. ν. W i n t e r f e l d , Gottesfrieden u n d deutsche Stadtverfassung HansGBll. 32 (27) 8. D i e s., ZRG. 54 (34) 238. H. M e y e r , HZ. 147 (32) 298. C o n r a d , Stadtgemeinde u n d Stadtfrieden i n Coblenz, ZRG. 58 (38) 337. P l a n i t z , Kaufmannsgilde (s.u.). D e r s . , D i e deutsche Stadtgemeinde (s.u.). 14 Über die wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der Stadtbevölkerung s. J e c h t , VjsSWG. 19 (26) 48.

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. Das Mittelalter

sus arealis, Wurtzins) ausgezeichnet w a r 1 5 . Was aber die Bürger der Städte weiter noch heraushob, w a r i h r Beruf. Sie waren alle mercatores, Kaufleute u n d Gewerbetreibende. W o die ursprüngliche Kaufmannssiedlung (Altstadt) erweitert wurde durch Einbeziehung benachbarter Ansiedlungen, konnten diese neu aufgenommenen, oft als Neustadt bezeichneten Gebiete noch lange i n bestimmtem Umfang Selbständigkeit als sogenannte Sondergemeinden behalten. Sie sind insoweit ein Seitenstück zu den zu Verwaltungszwecken künstlich geschaffenen Sondergemeinden, die als Bauernschaften unter einem Bauermeister (Heimbürge) verwaltet werden 1 6 . I V . D i e Entstehung der Stadt spiegelt sich w i d e r i n ihrem Grundriß 1 7 . D i e ursprüngliche Kaufmannssiedlung bestand vielfach n u r aus einer Häuserzeile, v o r der sich der M a r k t hinzog. D e r Grundriß der ausgebildeten Stadt erscheint durchaus unregelmäßig bei den alten Römerstädten. I n den frühen Gründungsstädten gewann er an Regelmäßigkeit. D i e des östlichen Kolonisationsgebiets zeigen einen i m wesentlichen gleichen Grundriß; i n dem u m den M a r k t durch geradlinige Straßen Häuserblocks gebildet und i n gleichgroße Hausstätten (area) aufgeteilt sind. Dieses Siedlungsgebiet der Stadt w a r i m Gegensatz zu dem des bloßen Marktes seit dem 13. Jahrhundert regelλ mäßig ummauert. Außerhalb der Mauer lag eine Weide und W a l d umfassende Allmende, die aber erst bei späteren Gründungen auch als Ackerland Verwendung fand. N i t ζ sc h , M i n i s t e r i a l i t ä t u n d B ü r g e r t u m (1859). G. L. v. M a u r e r , Gesch. d. Städteverfassung i n Deutschland I — I V (1869/71). H e u s i e r , U r sprung d. deutschen Stadtverfassung (1872). v. B e l o w , Entst. d. deutschen Stadtgemeinde (1889). D e r s . , U r s p r u n g d. deutschen Stadtverfassung (1892). D e r s . , T e r r i t o r i u m u n d Stadt 2 (23) 213. D e r s . , Stadtgemeinde, Landgemeinde u. Gilde, VjsSWG. 7 (09) 411. D e r s . , JbNSt. 105 (15) 651. S o h m , x 15 Außerhalb der Bürgergemeinde befanden sich auch die Juden. Sie unterstanden zunächst n u r dem Reichsjudenrecht, bis sich i m 13. Jahrh. ein später wieder eingeschränkter städtischer Judenschutz entwickelte, w ä h r e n d andererseits die Juden wehrpflichtig u n d steuerpflichtig wurden. F i s c h e r , D i e verfassungsrechtl. Stellung d. Juden i n d. d. Städten (31; dazu Frölich ZRG. 52, 424). D e r s . , ZRG. 56 (36) 89. L ö η i η g , Juden i m ma. Bremen u n d Oldenburg, ZRG. 58 (38) 257. K i s c h a. ζ. § 36 A n m . 2 a. Ο. 16 R i e t s e h e l , M a r k t u. Stadt (1897) 169. L a p p e , Bauernschaften u. H u d e n i n d. westfälischen Städten (10). D e r s . , Entstehung u. Feldmarkverfassung der Stadt Werne, ZVtGWest. 76 (18) 56. Zu den aus Parochialverbänden entstandenen Kölner Sondergemeinden vgl. v. L o é s c h , a. u. a. O. 168, 204. Κ . B e y e r 1 e , D i e Pfarrverbände d. Stadt K ö l n i m MA., Jahresb. d. Görresgesellschaft 1929/30. B u y k e n u. C o n r a d , D i e Amtleutebücher der Kölnischen Sondergemeinden (36). D i e s . , ZRG. 58 (38) 808. 17 Zu der auch methodisch wichtigen Grundrißforschung vgl. K e u ß e n , Topographie der Stadt K ö l n i m MA. (10). F r ö l i c h , Zur Verfassungstopographie d. deutschen Städte des M A . ZRG. 58 (38) 275. Kultische Einflüsse auf d. G r u n d r i ß b i l d u n g behauptet W. M ü l l e r , Kreis u. Kreuz (38),

§ 58. Die Verfassung der Stadt

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D i e Entst. d. deutschen Städtewesens (1890). K e u t g e n , Untersuchungen über den Ursprung d. deutschen Stadtv. (1896). R i e t s c h e i , D i e Civitas auf deutschem Boden bis zum Ausgang der Karolingerzeit (1894). D e r s . , M a r k t u. Stadt i n i h r e m rechtlichen Verhältnis (1897). S a n d e r , Gesch. d. d. Städtewesens (22). P l a n i t z , Frühgeschichte der deutschen Stadt, ZRG. 63 (43) 1. D e r s . , Kaufmannsgilde u. städtische Eidgenossenschaft, ebda. 60 (40) 1. D e r s . , D i e deutsche Stadtgemeinde, ZRG. 64 (44) 1. F i s c h e r , Doppelstadt u n d Stadtverlegung, ZRG. 66 (48). R i e t s c h e i , D i e StädtePolitik Heinrichs des Löwen, HZ. 102 (09) 237. R ö r i g , Hans. Beitr. z. VG. (28) 243. H o f f m a n n , D i e Städtegründungen Mecklenburg-Schwerins i n der Kolonisationszeit vom 12. bis 14. Jahrh. (30). W e l l e r , D i e staufische Städtegründung i n Schwaben, W ü r t t V j h . NF. 36 (30) 145. M e y e r , Das Mühlhäuser Reichsrechtsbuch u. d. deutsche Stadtrechtsgesch., HansGBll. 59 (34) 8 ff. F r ö l i c h , Kaufmannsgilden u. Stadtverfassung i m MA., Festschr. A . Schultze (34) 85. Κ 1 e b e 1, D i e Städte u. M ä r k t e d. baierischen Stammesgebietes, ZBLG. 12 (39) 37. H. F e i n , D i e staufischen Städtegründungen i m Elsaß (39). F. B e y e r l e , D e r A n t e i l d. Elsaß am Sieg d. d. Stadtfreiheit, Oberrhein. Heimat 1940, 289. W e i z s ä c k e r , Vom deutschen Stadtrecht i. d. Sudetenländern, ZdGW. 5 (43) 272. A l s H i l f s m i t t e l hervorragend: Deutsches Städtebuch I — I I (39/41), hrsg. ν. Ε. K e y s e r. Schrifttum über einzelne Städte bei Schröder-v. Künßberg, RG. 7 675. 1055. Daraus allgemein wichtig K. B e y e r l e , D i e Entstehung der Stadtgemeinde Köln, ZRG. 31 (10) 1. K ö b n e r , D i e Anfänge des Gemeinwesens der Stadt K ö l n (22). v. L o e s c h , D i e Grundlagen der ältesten Kölner Gemeindeverfassung, ZRG. 53 (33) 89. — R ö r i g , D e r M a r k t von Lübeck (22). D e r s . , Heinrich der Löwe u. die G r ü n d u n g Lübecks, D A . 1 (37) 408. v. W i n t e r f e l d , Versuch über die Entstehung d. Marktes u. d. U r sprung d. Ratsverfassung i n Lübeck, ZVLübG. 25 (29) 365; dazu A . Schultze, ZRG. 56, 585. — F r ö l i c h , Zur Vor- u. Frühgesch. von Goslar, Nieders Jb. 6 (29) 224. 7 (30) 265. 9 (32) 1. D e r s., D i e Verfassungsentwicklung von Goslar i m MA., ZRG. 47 (27) 287. — F. B e y e r l e , Untersuchungen zur Gesch. d. älteren Stadtrechte von F r e i b u r g i . B r . u. V i l l i n g e n (10). — B ä r m a n n , D i e VG. Münchens i m M A . (38). G ö r l i t z , D i e Anfänge d. Schöffen, Bürgermeister u. Ratmannen i n Magdeburg, ZRG. 65 (47) 70.

8 58. Die Verfassung der Stadt I. D i e Verschiedenheit d e r Voraussetzungen u n d Vorgänge der Stadtentstehung h a t eine Verschiedenartigkeit d e r städtischen V e r fassung z u r F o l g e gehabt, die n u r i n sehr a l l g e m e i n e n G r u n d z ü g e n e i n e e i n h e i t l i c h e D a r s t e l l u n g g e s t a t t e t . F ü r a l l e S t ä d t e a b e r g i l t seit d e m 11. J a h r h u n d e r t d e r Satz, d a ß sie e i n e n S t a d t h e r r n h a b e n . Es g i b t i n s o f e r n k e i n e f r e i e n S t ä d t e , s o n d e r n n u r k ö n i g l i c h e o d e r Reichss t ä d t e (Aachen, D o r t m u n d , G o s l a r , F r a n k f u r t a. M . , Nürnberg), Bischofsstädte b z w . A b t e i s t ä d t e ( K ö l n , M a g d e b u r g , S a l z b u r g ) u n d l a n d e s h e r r l i c h e S t ä d t e ( F r e i b u r g i. B r . , W i e n ) 1 . U n t e r d e r i n h a l t l i c h v e r s c h i e d e n e n H e r r s c h a f t des S t a d t h e r r n s p i e l t e sich d i e erste (stadth e r r l i c h e ) Z e i t d e r s t ä d t i s c h e n Verfassungsgeschichte ab. A u f sie f o l g t 1 Der H e r r konnte auch wechseln. So ist Lübeck, eine G r ü n d u n g Heinrichs des Löwen, nach dessen Sturz eine königliche Stadt geworden. Stadtgründungen von Grundherren u n d Vögten (Dynastenstädte) spielen n u r eine geringe Rolle. W . F l a c h , VG. einer gründherrlichen Stadt (34).

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I I I . Das Mittelalter

eine zweite (genossenschaftliche) Periode, i n der die Stadt i n steigendem Maße Selbstverwaltungsrechte erlangte. D i e Rechte des Stadtherrn beruhten teils auf königlichem Privileg, w i e Zollrecht und Münzrecht, teils auf seiner Stellung als Grundherr und der damit verbundenen Immunität, insoweit die Stadt Siedlung auf grundherrlichem Boden war. D a dies i n den älteren Bischofsstädten (Römerstädten) nicht zutraf, mußte hier die1 Gewalt des G r u n d h e r r n über das Stadtgebiet ebenfalls durch königliches P r i v i l e g begründet werden 2 . I I . I n der noch selbständigen Kaufmannssiedlung standen die Kaufleute unter dem königl. W i k g r a f e n (praepositus negotiatorum, hansegraf), der neben dem autonomen Verbandsgericht der Gilde auch Gerichtsbarkeit ausübte. Nach der Ausbildung der Stadt findet sich als stadtherrlicher Beamter der Vogt oder Schultheiß (iudex, praefectus). Dieser entschied als Richter i n dem aus dem Gildengericht erwachsenen Stadtgericht über Zivilsachen und niedere Strafsachen. D i e dem Stadtgericht nicht zukommende Hochgerichtsbarkeit, deren Grenze i n der Stadt ebenso verschieden gezogen w a r wie i m Territorium, mußten nichtkönigliche Stadtherren regelmäßig erst hinzuerwerben 3 . I n den Bischofsstädten ist dies w o h l ausnahmslos gelungen, zuerst i m 10. Jahrhundert durch die Ottonischen Privilegien (ζ. B, Speyer, Worms, Magdeburg). D i e Städte weltlicher H e r r e n sind zum T e i l i m Grafschaftsverband verblieben. W o die Ausscheidung aus diesem erfolgte, umfaßte die städtische Hochgerichtsbarkeit regelmäßig die Gesamtheit der städtischen Einwohner 4 . Gehandhabt wurde sie i n den geistlichen Städten vom bischöflichen Vogt (Großvogt), i n den Reichsstädten von Reichsvögten. D e r Vogt w a r i n der Regel edelfrei und hatte i n den Bischofsstädten die Vogtei als Lehen, bis die § 54 geschilderte Zurückdrängung der Edelvögte und i h r Ersatz durch Ministerialenvögte einsetzte. Schultheiß und Vogt hatten neben ihren gerichtlichen Aufgaben auch solche der V e r w a l t u n g zu erfüllen. N u r Verwaltungsorgane und zwar militärische Stadtkommandanten waren von Hause aus die süddeutschen u n d westdeutschen Burggrafen (bürg2 D a m i t schied sich von dem gesamten Herrschaftsgebiet die sogenannte engere I m m u n i t ä t . S. o. § 54 a. E. 8 Soweit nicht Städte auf hochgerichtlichem Immunitätsgebiet gegründet wurden. 4 Wahrzeichen der städtischen Gerichtsbarkeit w a r i m Norden u n d i n den Kolonisationsgebieten der hölzerne oder steinerne Roland, insofern er das Symbol der Hochgerichtsbarkeit, das Richtschwert, trug. Er steht damit auf einer Ebene m i t sonstigen schwerttragenden Figuren oder schwerttragenden A r m e n , die auf M ä r k t e n oder an Rathäusern angebracht sind. Über i h n zuletzt m i t Angabe früheren Schrifttums G ö r l i t z , Ursprung u. Bedeutung der Rolandsbilder (34). H . M e y e r , D L Z . 1937, 345.

§ 58. Die Verfassung der Stadt

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gravius, audi praefectùs) 5. Dodi haben sie vielfach mit diesem Amte das eines Grafen oder Vogtes verbunden. Sie unterscheiden sich aber von den Burggrafen im östlichen Grenzgebiet, die zugleich Richter waren, und dem von Nürnberg, der einerseits Richter und Verwalter des die Burg umgebenden Reichsguts war, anderseits aber nur in der Burg Kommandant war 6 . Neben dem ordentlichen Stadtgericht gab es in deutschen Städten kein besonderes Marktgericht. Die einer schleunigen Rechtspflege dienenden Gastgerichte waren ebensowenig selbständige Gerichte, sondern nur das Stadtgericht, das als Notgericht auf Antrag und mit vereinfachter Besetzung tagte. Ständige Gastgerichte kamen nur ausnahmsweise vor (z. B. Köln, Lübeck)7. III. Die stadtherrlichen Organe haben zu keiner Zeit das Gesamtgebiet der städtischen Verwaltungsaufgaben erfaßt. Am wenigsten war dies der Fall in den Gründungsunternehmerstädten, wo der Kaufmannsgilde die Errichtung von Marktbuden und gewerblichen Anlagen wie Backhäusern, Badstuben und die Marktverwaltung überlassen wurden. Aber auch in andern Städten wurden gemeinsame Angelegenheiten von der Gesamtheit der Bürger in der Bürgerversammlung (burding, Bürgersprache) erledigt. Neben ihr bildete sich als sachlich und für die Entwicklung wichtigstes Organ der Stadtrat (Ratmannen, cives iurati, consules), an dessen Spitze ein oder mehrere Bürgermeister (magistri civium) standen. Dieser Stadtrat erscheint zuerst in den Gründungsunternehmerstädten und h^ngt hier in verschiedener Weise mit der Gilde der Unternehmer zusammen. In anderen Städten entstand der Rat nicht ohne Widerstand der Stadtherren aus Bürgerausschüssen (meliores, maiores) 8 oder in unmittelbarer Nachahmung der Ratsverfassung anderer Städte, in einigen durch Entwicklung des Schöffenkollegiums zu einem städtischen Verwaltungskörper. Wesentlich für die Bedeutung des Rates war die Ä

Diese von R i e t s c h e i (s.u.) begründete Auffassung des Burggrafenamts w u r d e bestritten von E c k h a r d t (ZRG.46, 163). Danach wären die Burggrafen i n der Regel den Gaugrafen entsprechende Stadtgrafen. Dagegen m i t Recht F r . B e y e r l e , Festschr. E. Mayer (32) 68. • Besondere Verhältnisse lagen vor i n Regensburg u n d i n Köln. Beide Städte waren nicht aus der Grafschaft ausgeschieden. D e r Burggraf von K ö l n ist der Graf des Kölngaus u n d v o m Erzbischof belehnt, der von Regensburg Graf des Donaugaus, aber v o m Bischof unabhängig. D i e Gerichtsbarkeit der Domvögte w a r hier auf die I m m u n i t ä t beschränkt. 7 A . S c h u 11 ζ e , Über Gästerecht u n d Gastgerichte, HZ. 101 (08) 473. R u d o r f f , Zur Rechtsstellung d. Gäste i m ma. städt. Prozeß (07) 147. 9 Diese Ausschüsse bestehen nicht n u r aus Gildebrüdern. So nehmen sie z.B. i n K ö l n (Richerzeche) auch i n der Römersiedlung wohnende Kaufleute auf.

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III. Da

Mittelalter

W a h l der Ratmannen durch die Bürger, i m Gegensatz zur Ernennung der stadtherrlichen Beamten durch den Stadtherrn. D e r Stadtrat steht i m M i t t e l p u n k t der seit dem 12. Jahrhundert zwischen Stadtgemeinde und Stadtherrn sich abspielenden Verfassungskämpfe,. die von der Stadt aus eine E r w e i t e r u n g der Zuständigkeit des Rates u n d der städtischen Selbstversorgung herbeiführen sollten. Zunächst hatten Rat und Stadtgemeinde m i t W i l l e n des Stadtherrn Selbstverwaltungsrecht nur i n bezug auf Angelegenheiten, die unmittelbar m i t der Neusiedlung als solcher zusammenhingen, wie M a r k t , Gewerbe und Allmende, audi sie n u r i n sehr verschiedenem Ausmaß. Dieser Zuständigkeitsbereich erweiterte sich i n dem Maße, i n dem die Entwicklung der Stadt neue Aufgaben m i t sich brachte, die nicht i m ursprünglichen Bereich der stadtherrlichen Beamten lagen u n d von diesen nicht aufgegriffen wurden. So w a r die Zuständigkeit der städtischen Selbstverwaltung schon ausgedehnt, als diese dazu überging, ursprünglich stadtherrliche Befugnisse an sich zu bringen. Das Ergebnis des Kampfes war, daß, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die Hoheitsrechte des Stadtherrn an die Stadt übergingen. Zoll, Münze u n d Besteuerungsrecht fielen an die Städte u n d w u r d e n von städtischen Organen ausgeübt, die an Stelle der stadtherrlichen traten 9 . D i e meisten Städte erlangten die niedere, einige auch die hohe Gerichtsbarkeit. Verschiedenartige Beziehungen bestanden zwischen Rat u n d Schöffenkollegium, indem beide ganz oder teilweise zusammenfielen oder der Rat die Schöffen ernannte. Städtische Angelegenheit w a r jedenfalls die Polizeigerichtsbarkeit. Vereinzelt, so z. B. i n Nürnberg, gelang der Stadt die Ausdehnung i h r e r Rechte über ein größeres T e r r i t o r i u m , so daß sie selbst zum T e r r i t o r i a l h e r r n w u r d e 1 0 . I V . D i e weitere Entwicklung der Stadt ist n u r zu verstehen von zwei innerstädtischen Erscheinungen aus, dem Patriziat u n d der Zunft. D i e W a h l zu Ratleuten traf i n den einzelnen Städten i n der Regel die Mitglieder der gleichen, meist durch Vermögen ausgezeichneten Geschlechter. D e r a r t erwuchs, namentlich unter dem Einfluß eines Selbstergänzungsrechts des Rates, eine Beschränkung der Ratsfähigkeit auf eben diese Geschlechter, die sich zum Patriziat zusammenschlossen. Sie fielen i n den Gründungsunternehmerstädten weit* gehend zusammen m i t der Schutzgilde der gründenden Kaufleute. D i e Zünfte (Gilden [Gewerbsgildenl, Innungen, Ämter, süddeutsch 9 Einzelne Städte hatten n u r ein Aufsichts- oder Mitverwaltungsrecht hinsichtlich der stadtherrlichen Münze. L ö n i n g (§ 46) 134. 10 D a n n e n b a u e r , D i e Entstehung des T e r r i t o r i u m s der Reichsstadt N ü r n b e r g (28). E s p i g , Das Bauerngericht von N ü r n b e r g (37).

§ 58. Die Verfassung der Stadt

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Gaffel) waren obrigkeitlich genehmigte Zwangsverbände (Zunftzwang i. e. S.) von Unternehmern des gleichen Gewerbes 1 1 . Sie besaßen Gewerbe- und Handelsmonopol, waren die Träger der Gewerbepolizei, hatten i n Zunft- und Gewerbesachen Gerichtsbarkeit über die Zunftgenossen, Autonomie hinsichtlich des Zunftrechts und Besteuerungsrecht 12 . A n der Spitze standen Zunftmeister (Altermänner). D i e Mitglieder der Zünfte, die den K e r n des Bürgertums darstellten, waren n u n durch die erwähnte Beschränkung der Ratsfähigkeit von der V e r w a l t u n g der Stadt ausgeschlossen, während sie finanziell und militärisch erhebliche Lasten zu tragen hatten. Aus dem so entstehenden Gegensatz zwischen Patriziat und Zünften e n t w i k kelte sich i m 14. und 15. Jahrhundert eine Periode der sogenannten Zunftkämpfe. Sie schlofi damit ab, daß die H a n d w e r k e r i n irgendeiner F o r m an der städtischen V e r w a l t u n g T e i l erhielten. Entweder ließ man die H a n d w e r k e r m i t oder ohne zahlenmäßige Beschränkung zum Rat zu, oder man bildete neben dem alten einen neuen Rat unter Heranziehung der Zünfte; Noch w e i t e r gingen die Städte, die das Bürgerrecht von der Zunftgeixössigkeit abhängig machten, so daß die städtischen Organe n u r noch aus Zunftgenossen bestanden. Das bedeutete zugleich eine Gleichsetzung des politischen Bürgertums und des wirtschaftlichen Unternehmertums. V. I n der Verfassungsentwicklung der Stadt machten sich vielfach Einflüsse der kirchlichen Organisation geltend. A m deutlichsten sind sie i n den K ö l n e r Sondergemeinden (vgl. § 57 Anm. 16). Diese haben schon frühzeitig weltliche Aufgaben übernommen, insbesondere die Führung der Schreinsbücher und damit das Kernstück der Liegenschaftsgeschäfte. I n ihrer gerichtlichen T ä t i g k e i t haben sie ein Seiten- 4 stück i n den auch sonst häufigen Kirchspielgerichten 1 8 . 11 D i e Entstehung der Zünfte ist bestritten. Sie stammen nicht aus dem Hofrecht, beruhen auch nicht auf stadtherrlicher Organisation, sondern sind ein m i t dem Gedanken der Schwurbrüderschaft verwandtes Erzeugnis freier mittelalterlicher Einung. D i e übliche T r e n n u n g von Kaufmannsgilden (Krämergilde, Gewandschneidergilde) u n d Handwerkerzünften hat trotz der weiten Bedeutung von mercator u n d Gilde ihre Berechtigung i n dem Zusammenhang der Kaufmannsgilde m i t der Stadtgründung u n a deren politischer Bedeutung (vgl. § 35 II). N u r die H a n d w e r k e r betrafen einzelne über die Stadt hinausgehende Handwerkerverbände. B ü c h e r , Mittelalterliche Handwerksverbände. ZgesStWss. 77 (22) 295. Vgl. auch M i c k w i t z , D i e K a r t e l l f u n k t i o n e n der Zünfte (36; dazu v. L o e s c h , ZRG. 57 (37) 590). 12 D i e der Zunft nicht beitretenden H a n d w e r k e r w u r d e n später als Bönhasen bezeichnet. Dieses W o r t ist nunmehr als = butenhensesch, außer der Hanse (Genossenschaft) stehend, e r k l ä r t worden. B r i n k m a n n , i n „ A u s Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte" (28) 197. 18 Κ . B e y e r 1 e a. § 57 A n m . 16 a. O. D e r s., D i e Anfänge des Kölner Schreinswesens, ZRG. 51 (31) 318. F r ö l i c h , Kirche u n d städtisches Verfassungsleben i m MA., ZRG. Kan. 22 (33) 188.

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. Das Mittelalter

S. Sdiriftt. zu §57. R ü t i m e y e r , Stadtherr u n d Stadtherrschaft i n den rhein. Bischofsstädten (28; dazu Frölich, ZRG. 49, 585. F. Beyerle, ZGORh. 44. 361). K. S i 111 e r , Bischof u. Bürgerschaft i n d. Stadt Passau v. 13. Jhrh. (37). R i e t s c h e i , Das Burggrafenamt u. die hohe Gerichtsbarkeit (05). K. B e y e r l e , D i e Fälschungen d. Burggrafen Heinrichs I I I . v. A r b e r g (15). H e u s 1 e r , Basels Gerichtswesen i m Ma. (22). F e i n e , D e r Goslarische Rat (13). F r ö l i c h , Zur Ratsverfassung von Goslar i m MA., HansGBl.21 (15) 1. — R o t h v o n S c h r e c k e n s t e i n , Das Patriziat i n den deutschen Städten (1856). v. K l o c k e , Patriziat u n d Stadtadel i m alten Soest (27). P f e i f f e r , Breslauer Patriziat i m M A . (29). M e i e r , Entstehung des Patriziats i n Nürnberg, M V G N ü r n b . 27 (28) 1. R ö m e r , Das Rostocker Patriziat bis 1400 (32). M o r r é , Ratsverfassung u. Patriziat i n Regensburg, Yerh. hist. Ver. Oberpfalz 85 (35) 3. S p i e ß , Fernhändlerschicht u. Handwerkermesse i n Braunschweig, HansGBll. 63 (39) 49. — H e g e l , Städte u. Gilden d. german. V ö l k e r i m M A . I. I I (1891). v. B e l o w , Probleme der deutschen Wirtschaftsgeschichte (20) 258. F. K e u t g e n , Ä m t e r u n d Zünfte (03). W e i d e r , Das Recht der deutschen Kaufmannsgilden des M A . (31). L e n t z e , D e r Kaiser u. die Zunftverfassung i n den Reichsstädten bis zum Tode Karls IV. (33). D e r s . , D i e rechtl. S t r u k t u r d. ma. Zunftwesens i n W i e n u. d. österr. Städten (35). J o a c h i m , Histor. A r b e i t e n (36) 1. S o n n t a g , D e r Zunftzwang i n Cöln bis z. Ausgang d. M A . (37).

§ 59. Die städtische Verwaltung I. D i e räumliche Begrenzung der mittelalterlichen Stadt ermöglichte i n Verbindung m i t dem zunehmenden Reichtum i h r e r Bürger u n d deren fortschrittlicher und gemeinsinniger Geisteshaltung eine Durchb i l d u n g der Verwaltung, die i n der gleichen Zeit weder von den Territorien, noch erst recht vom Reich oder anderen Gemeinden erreicht werden konnte. V o n wenigen Ausnahmen abgesehen, hat die Stadt des Mittelalters alle Zweige der V e r w a l t u n g erfaßt, u m die sich die der Gegenwart bemüht. D e n M i t t e l p u n k t bildeten das Polizeiwesen # u n d das Finanzwesen, dessen Blüte wiederum wesentlichsten A n t e i l an der politischen u n d wirtschaftlichen Vormachtstellung der Städte i m Reich und zum T e i l über dessen Grenzen hinaus hatte. Das städtische Finanzwesen ruhte auf zwei Einnahmequellen, der direkten Steuer (Schätzung) und der noch wichtigeren indirekten (Ungeld, Akzise). Daneben ergaben sich Einkünfte aus Münze, Zoll, städtischem Grundbesitz, städtischen Gewerbebetrieben und Verkaufseinrichtungen (besonders f ü r Korn, Salz, Wein) u n d Gebühren. Das seit dem 12. Jahrhundert vorkommende Ungeld w a r eine Verkaufsabgabe, z. B. auf Brot, Wein, Salz, Bier. Wenn die aus diesen Quellen fließenden Einnahmen nicht ausreichten, w u r d e n Anleihen aufgenommen, wie anderseits auch Anleihen ausgegeben wurden. D i e Anleihe diente als Ausgleich der i n Einnahmen oder Ausgaben auftretenden Schwankungen. Doch fehlte es an der Aufstellung periodischer Finanzpläne u n d an der Zentralisierung des Finanzwesens. D e n einzelnen Kassen w u r d e n bestimmte Einnahmen f ü r ihre Zwecke zu-

§ 59. Die städtische Verwaltung

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gewiesen. F ü r die direkte Besteuerung w u r d e n Steuerbücher angelegt. D i e Leitung des Finanzwesens hatte meist ein besonderer Beamter, der Kämmerer. Das Militärwesen der Stadt w a r auf der allgemeinen Wehrpflicht aufgebaut. Neben den i n der Stadt wohnenden R i t t e r n hatten es vor allem die Zünfte zu tragen, wobei vielfach einzelnen Zünften bestimmte Mauerabschnitte oder Tore zur Verteidigung zugewiesen waren. Eine Verstärkung der W e h r k r a f t suchte man durch Verleihung des Bürgerrechts an Auswärtige, insbesondere Ritter, zu erreichen, die dann auch dem Stadtgericht unterworfen waren u n d als Ausbürger oder Pfahlbürger bezeichnet wurden 1 . Nach den verschiedensten Richtungen dehnte sich die polizeiliche Tätigkeit der Städte aus. A u f dem Gebiet der Polizei i m Sinne der inneren V e r w a l t u n g hat die Stadt die Ausgangspunkte der neuzeitlichen Entwicklung geschaffen. Neben Sicherheitspolizei, Gesundheitspolizei, Baupolizei, Feuerpolizei, Sittenpolizei, Verkehrspolizei und Armenpflege steht i m Vordergrund die M a r k t p o l i z e i u n d Lebensmittelpolizei. D a h i n gehört die Kontrolle der Lebensmittel, der Maße und des Gewichts, der Einhaltung der Marktstunden durch die Käufer u n d Verkäufer, die Überwachung fremder Kaufleute, deren Handelstätigkeit i m Interesse der einheimischen Kaufleute vielfach eingeschränkt war. I n zahlreichen Städten gewann die städtische Gewalt auch Einfluß auf die Kirchenverwaltung. Neben der auf dem Kirchenpatronat ruhenden P f a r r w a h l erlangte sie die fiduziarische V e r w a l t u n g von Jahresstiftungen und Pfründestiftungen, damit das Recht, die Person des Pfründers zu bestimmen. D i e laikalen Schöffen des Sendgerichts w u r d e n unter M i t w i r k u n g des Rates und vielfach aus den Mitgliedern der Geschlechter bestimmt. D i e V e r w a l t u n g kirchlichen Vermögens gelangte i n die H a n d städtischer Beamter. D a u n d dort griff der Rat auch i n die Handhabung der Kirchenzucht ein. I I . V o n größter Bedeutung w u r d e n die zahlreichen, teils politischen, teils politisch-wirtschaftlichen Einungen der Städte, die sich eng berührten m i t der auch sonst regen städtischen Außenpolitik. D e m Gegensatz zwischen Fürsten u n d Städten verdankt seine Entstehung der 1254 begründete, nach seinem Ausgangspunkt (Mainz, Worms) so genannte rheinische Städtebund, dem Städte aus dem ganzen Reich, auch Grafen und Herren, angehörten. Zu seinen Zielen gehörten nicht 1 Nach S c h r ö d e r , Festschr. H e y m a n n (40) 52 nicht = schlechter B ü r g e r . (zu ahd. palo = schlecht, falsch) wie nach Z e u m e r , ZRG. 23 (02), sondern zu Pfahl zu stellen u n d der Bedeutung nach = Ausbürger (außerhalb der Stadtmauer, an der Pfahlbefestigung wohnender Bürger), wozu aber zu vgl. Τ h i e m e , DLZ. 1941, 1234. Vgl. auch M o l i t o r , ZRG. 64 (44) 166.

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeechichte

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I I I . Das Mittelalter

n u r d i e V e r f o l g u n g d e r s t ä d t i s c h e n I n t e r e s s e n u n d d i e E r h a l t u n g des L a n d f r i e d e n s , s o n d e r n a u c h d i e N e u g e s t a l t u n g des g a n z e n Reiches. E r ist nach k u r z e r D a u e r zerfallen, h a t aber i m m e r h i n die Z u z i e h u n g der Reichsstädte u n d bischöflichen Städte z u r R e i c h s v e r w a l t u n g err e i c h t . A u c h i n d e r F o l g e z e i t h a t es a n S t ä d t e b i i n d e n n i c h t g e f e h l t . B e d e u t u n g e r l a n g t e d e r schwäbische B u n d , d e r sich E n d e des 14. J a h r hunderts m i t einem rheinischen B u n d z u m K a m p f e gegen die Landesh e r r e n Zusammenschloß, a b e r i n d e r Schlacht b e i D ö f f i n g e n (1388) unterlag. D i e s c h l e c h t h i n so g e n a n n t e H a n s e * w a r e i n 1361 u n d 1367 ( G r e i f s w a l d e r b z w . K ö l n e r K o n f ö d e r a t i o n ) organisierter B u n d v o n insbesondere niederdeutschen Städten. I h r w a r e n zahlreiche H a n s e n deutscher K a u f l e u t e i m A u s l a n d vorausgegangen, d i e w i e d e r u m die noch ä l t e r e Schutzgilde fortsetzen 3. Zweck dieser w i e der großen Hanse w a r der Schutz deutscher K a u f l e u t e u n d d e u t s c h e n H a n d e l s i m A u s l a n d . D i e s b r a c h t e d e n A b s c h l u ß v o n H a n d e l s v e r t r ä g e n m i t sich, a b e r a u c h k r i e gerisches E i n s c h r e i t e n . H a u p t d e r H a n s e s t ä d t e w a r L ü b e c k , das w i c h t i g s t e O r g a n d e r H a n s e d e r H a n s e t a g , dessen a u c h f ü r d i e A u s b i l d u n g des H a n d e l s r e c h t s w i c h t i g e Beschlüsse als Rezesse v e r k ü n d e t w u r d e n . M a u r e r , Städteverfassung (s. § 57) I I I 1. S t r u c k , Geschichte d. ma. Selbstverwaltung (38). — S t i e d a , Städtische Finanzen i m MA., JbNSt. 72 (1899) 1. K u s k e , Das Schuldenwesen der deutschen Städte i m M A . (04). Ν u g 1 i s c h , D i e wirtschaftl. Leistungsfähigkeit deutscher Städte i m MA., ZSozW.9 (06) 364. S c h ö n b e r g , D i e Technik des Finanzhaushalts der deutschen Städte i m M A . (10). Z e d e r m a n n , D i e Einnahmequellen der deutschen Städte i m M A . (11). E r l e r , Bürgerrecht u. Steuerpflicht i m ma. Städtewesen (39; dazu Frölich, DLZ. 1940, 1210). — M a u r e r , a . a . O . u n d I I 841. v. d. N a h m e r , D i e Wehrverfassungen der deutschen Städte i. d. 2. H ä l f t e d. 14. Jahrh. (1888). K o b e r , D i e Wehrverfassung Braunschweigs u. seiner Nachbarstädte (09). S a u r , D i e Wehrverfassung i n schwäbischen Städten d. M A . (11). F. B e y e r 1 e a. ζ. § 51 a. Ο. — V a r g e s , D i e W o h l fahrtspflege i n den deutschen Städten des MA., PrJbb. 81 (1895) 251. J o a c h i m , H i s t o r . A r b e i t e n (36) 100. R e i c k e , Das deutsche Spital u n d sein Recht i m M A . I. I I (32). — L a g e m a n n , Polizei wesen u. Wohlfahrtspflege i n Lübeck (16). B e c k e r , D i e Anfänge von Polizei u. Polizeirecht i m ma. Goslarer Rechtskreise, ThürSächsZGeschK. 19 (31) 163. G ö n n e n w e i n , D i e Anfänge des k o m m u n a l e n Baurechts. Festgabe f. Fehr (48) 71. C r e b e r t , Künstliche Preissteigerung durch F ü r k a u f u. A u f k a u f (16). — J a c o b i , Patronate juristischer Personen (12). A . S c h u l t z e , Stadtgemeinde u. Kirche i m MA., Festg. Sohm (14) 105. D e r s . , Stadtgemeinde u. Reformation (18). D o r n , D e r Ursprung der Pfarreien u. die Anfänge d. Pfarrwahlrechts i m ma. K ö l n , ZRG. Kan. 5 (15) 115. F r ö l i c h , Kirche u n d 2 Zu ahd. hansa = Schar. I m Unterschied zur Gilde als der E i n i g u n g der Kaufleute i n n e r h a l b der Stadt, ist Hanse vor allem die kaufmännische Fahrtgenossenschaft außerhalb der Stadt. M i t Hansa w u r d e auch bezeichnet das Genossenrecht u n d die für dessen E r w e r b zu zahlende Abgabe. Uber neuere E r k l ä r u n g e n des Wortes zuletzt E. M a y e r , ZRG. 44 (24) 291. L a s c h , ZVLübG.25 (29) 501. v. K ü n ß b e r g , Theutonista 17, 164. 3 Z . B . i n W i s b y , Bergen, Riga, Nowgorod, Venedig (Fondaco dei Tedeschi), London (Gildhalle), Brügge (Deutsches Kontor).

§60. Strafrecht

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städtisches Verfassungsleben i m MA., ZRG. Kan. 22 (33) 188. R e i c k e, Stadtgemeinde u. Stadtpfarrkirchen der Reichsstadt Nürnberg, M Y G N ü r n b . 26 (25) 1. F. R ö r i g , Vom Werden u. Wesen d. Hanse (40). J. v. G i e r k e , D i e deutsche Hansa (18). S t e i n , Zur Entst. u. Bedeutung d. deutsch. Hansa, HansGBll. 17 (11), 265. D e r s . , ebda. 19 (13) 233. 20 (14) 257. 24 (15) 205. F r e n s d o r f f , Das Reich u. d. Hansestädte, ZRG. 20 (1899) 115. — W e i ζ s ä c k e r , Der Rheinische B u n d (1879). W a g n e r , Der rhein. Städtebund d. 13. Jahrh., M R h G B l l . 7 (27). Β i e 1 f e 1 d t , D e r Rheinische B u n d von 1254 (37). v. W i n t e r f e l d , Westfalen im großen rheinischen Bund, Westf. Z. 93 (37) I 128. V i s c h e r , Gesch. d. schwäbischen Städtebundes, F D G . 2/3 (1863). B o c k , D e r schwäbische B u n d u. seine Verfassungen (27). E r n s t , Reichsu. Landespolitik i m Süden Deutschlands am Ende des MA., H V . 30 (35) 720.

5. Strafrecht und Strafgang 8 60· Strafrecht 1. I m Bereich der allgemeinen Lehren des Strafrechts ist das M i t t e l alter nicht zu entscheidenden Fortschritten gelangt. D i e Ungefährwerke haben eine Vermehrung erfahren, aber n u r vereinzelt w u r d e der Zufall von der Fahrlässigkeit unterschieden. Eine Besserung w a r es, daß man bei den absichtlichen Missetaten die m i t Vorbedacht verübte seit dem 13. Jahrhundert als schwere heraushob. D i e Anstiftung w a r n u r i n einzelnen Fällen unter Strafe gestellt, regelmäßig m i t der auf die Tat selbst gesetzten bedroht. D i e Grenze zwischen Beihilfe und Täterschaft w u r d e n u r i n einigen Rechten gezogen, der Gehilfe dann meist m i l d e r bestraft als der Täter. D e r Kreis der Versuchsverbrechen wurde erweitert, der Versuchsbegriff aber erst i n Stadtrechten des 14. u n d 15. Jahrhunderts entwickelt. D i e Haftung für Hausgenossen blieb grundsätzlich bestehen, w u r d e aber abgeschwächt, sei es, daß sie erst nach der des Täters einsetzte, sei es, daß sie entfiel, wenn der Täter nicht i m Hause behalten wurde, sei es, daß sie i n der Höhe beschränkt wurde. D i e H a f t u n g für Haustiere konnte der H e r r durch Preisgabe des Tieres abwenden. Das T i e r verfiel der Rache des Verletzten oder, bei der Tötung, der seiner Verwandten, die vielfach als rituelle Hinrichtung vollzogen wurde. Solche Privatstrafen w u r d e n unter dem Einfluß des Offizialverfahrens zum Ausgangspunkt öffentlicher Tierstrafen 1 . Seit dem 13. Jahrhundert erscheint das Recht der Notwehr als F o r t b i l d u n g des Tötungsrechts gegenüber dem handhaften Angreifer, meist m i t der Folge der Straflosigkeit der Notwehrhandlung. Einen breiten Raum nahm i n der Strafgesetzgebung die Friedenssicherung ein durch Zurückdrängung der Selbsthilfe. Bei der Be1 v. A m i r a , Thierstrafen u n d Thierprozesse, M I Ö G . 12 (1891) 545. Τ o b 1 e r , Thierprozesse i n der Schweiz (1893). B e r k e n h o f f , Tierstrafe, Tierbannung u n d rechtsrituelle T i e r t ö t u n g i m M A . (37).

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I I I . Das Mittelalter

kämpfung der Fehde muß unterschieden werden zwischen zwei A r t e n von Fehde, der nichtritterlichen und der ritterlichen. Jene, die meist Totschlagsfehde war, erfuhr tatsächlich eine Einschränkung durch weitgehende Verbote des Waffentragens. V ö l l i g untersagt w u r d e sie zuerst (seit dem 12. Jahrhundert) i n den Städten f ü r die Bürger untereinander, dann auch i m Verhältnis zwischen Bürgern und Auswärtigen und seit dem 14. Jahrhundert auf dem Lande 2 . D i e ritterliche Fehde hatte eine starke Ausdehnung erfahren, da die Ritter i n i h r den regelmäßigen Gegenschlag gegen Rechtsverletzungen zu sehen sich gewöhnten u n d von der Gerichtshilfe absahen 3 . Sie w u r d e seit dem 11. Jahrhundert eingeschränkt durch die von der Kirche verkündigten Gottesfrieden. Diese bestimmten einen dauernden Frieden für einzelne Personen (Geistliche, Kaufleute, Ackerleute) und einzelne O r t e (Kirchen, Kirchhöfe), ferner allgemeine Friedenszeiten, v o r allem die Zeit von Donnerstag (Freitag) bis Montag morgen, während deren jede Fehde ruhen sollte 4 . D i e Gottesfrieden w u r d e n abgelöst durch die oben (§ 38) behandelten weltlichen Landfrieden, die sich zum T e i l auch inhaltlich an jene anschlossen. E i n allgemeines Fehdeverbot des Landfriedens v o n 1158 ließ sich nicht durchführen, weshalb sich Friedrich I. 1186 damit begnügte, vorherige Ansage der Fehde (diffidatio) zu verlangen u n d v o n da ab eine dreitägige Frist bis zum Fehdebeginn. E i n wesentlicher Fortschritt lag i n der Bestimmung des Mainzer Landfriedens, die v o r Beginn der Fehde A n r u f u n g des Gerichts forderte. Aufgehoben w u r d e auch dieses beschränkte Fehderecht durch den ewigen Landfrieden (1495). I m übrigen drängte die Gesetzgebung auf Abschluß von Sühneverträgen. Bis dahin wurde den Parteien seit dem 13. Jahrhundert ein Friedegelöbnis abgefordert (gelobter Friede) oder ein amtliches Friedegebot erlassen 5 . M i t den Sühneverträgen verband sich gelegentlich noch eine Urfehde, während diese i n der Mehrzahl der Fälle n u r als Verzicht auf Rache f ü r eine erlittene Haft erscheint®. Als Bezeichnung der strafbaren H a n d l u n g findet sich erst seit dem 15. Jahrhundert der Ausdruck Verbrechen. D i e m i t Todesstrafe oder 2 F r a u e n s t ä d t , Blutrache u. Totschlagsühne (1881). P l a n k , Waffenverbot u. Reichsacht i m Sachsenspiegel (1884). F e h r , Das Waffenrecht der Bauern i m MA., ZRG. 35 (14) 111. 38 (17) 1. 3 Eingehend w i r d die ritterliche Fehde behandelt von B r u n n e r , L a n d u. Herrschaft 4 (44); vgl. v. S c h w e r i n , JbNStat. 156 (42) 158. Über die Bedeutung der Fehde i m Rahmen der Rechtsordnung schon vorher ν. Κ 1 o c k e , Beitr. ζ. Gesch. ν. Faustrecht u. Fehdewesen, Westfäl.Z. 94 (38) 3. 4 K l u c k h o h n , Gesch. d. Gottesfriedens (1857). K ü s t e r , D e treuga et pace dei (02). ν. W i n t e r f e l d , a. zu § 57 A n m . 13 a. Ο. « H i s , Gelobter u. gebotener Friede i m d. MA., ZRG. 33 (12) 139. W i 1 k e , Das Friedegebot (11). β E b e l , D i e Rostocker Urfehden (38).

§ 6 0 . Strafrecht

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Verstümmelungsstrafe (Strafen zu Hals oder Hand) belegten Vergeben hießen Ungerichte (ostfälisch), Malefizsachen (oberdeutsch). Als Frevel w u r d e n zunächst ebenfalls schwere Verbrechen bezeichnet, später solche, die zu H a u t und Haar oder m i t Geldbuße bestraft w u r den. Doch w a r die Sprache nicht einheitlich, so daß das Ungericht i n jüngeren Quellen auch alle nicht m i t Geldbuße zu sühnenden Taten umfassen konnte. Zu besonderer Bedeutung gelangte i m Verfahren wie hinsichtlich der Folgen der Gegensatz der ehrlichen u n d der unehrlichen Sachen (insbesondere Diebstahl, Mord, Straßenraub), i n dem sich der Gedanke der Neidingswerke fortsetzte. Dagegen verschwand seit dem 12. Jahrhundert die Schärfung der Straf folgen bei handhafter Tat (vgl. § 31 II). II. D i e früheren Strafarten haben sich erhalten. D i e Todesstrafe ist i m Sachsenspiegel auf die Formen des Erhängens, Enthauptens, Rädern u n d Verbrennens 7 beschränkt. Andere Rechte kennen auch Ertränken 8 u n d Lebendigbegraben, erst sehr späte das Vierteilen, während das Steinigen verschwindet. Neu ist auch die Strafe des Pfählens. Ursprünglich wurde der lebendig Begrabene gepfählt, d. h. m i t einem durch seinen K ö r p e r geschlagenen Pfahl i n der Erde festgemacht, u m sein „Wiedergehen" zu verhindern. Diese Pfählung hat sich n u n verselbständigt 9 . Das Anwendungsgebiet der Verstümmelungsstrafen hat sich unter dem Einfluß des aus dem mosaischen Recht übernommenen Talionsgedankens erweitert. Reiche Ausgestaltung erfuhren, namentlich i n den Städten, die Ehrenstrafen, von denen das Steintragen, das Stehen am Pranger (Kak, Schreiat), das Einspannen von Hals u n d Händen i n die Geige, das Eselreiten Beispiele sind. Ehrverlust (erlös unde rechtlos) verband sich w i e schon i n früherer Zeit m i t der Verurteilung zu peinlichen oder schimpflichen Strafen, auch unmittelbar m i t der Begehung schimpflicher (unehrlicher) Taten, wie Diebstahl und Raub. Freiheitsstrafen werden seit dem 14. Jahrhundert da und dort erwähnt. Sie berühren sich m i t der älteren Schuldhaft, da nach mittelalterlicher Auffassung der Verzug des Schuldners ein Unrecht ist. D i e Friedlosigkeit erhielt sich i n verschiedenen Formen der Acht, als prozessuale Verfestung des Ungehorsamen durch den Grafen u n d f ü r dessen Gerichtshezirk, als vom Reichshofgericht verhängte Reichsacht, die sich nach Jahr u n d Tag 7 F i c k e r , D i e gesetzl. E i n f ü h r u n g d. Todesstrafe für Ketzerei, M I Ö G . 1 11880) 179. 8 G ο 1 d s c h m i d t , Das E r t r ä n k e n i m Fafl. ZvglRW. 41 (25) 1. 42 (27) 1. 9 B r u n n e r , Uber die Strafe des Pfählens i m älteren deutschen Recht, ZRG. 26 (05) 258.

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I I I . Da

Mittelalter

in die Oberadit verwandelte 10 . Als Landesverweisung und Stadtverweisung erschien die Verbannung. I m weiteren Bereich der Buße verlor das Wergeid unter dem Einfluß des Vordringens peinlicher Strafen an Bedeutung. Es w u r d e fast nur noch bei Ungefährtötung gefordert oder bei Tötungen i n Notwehr. Auch da wurde es i m Süden seit dem 13. Jahrhundert meist durch vereinbarte Sühnegelder, Verpflichtungen zur Zahlung von Seelenmessen, zur Errichtung von Stiftungen für das Seelenheil des Erschlagenen, zu Pilgerfahrten ersetzt oder ergänzt. Soweit Wergeid oder Sühnegeld zu zahlen war, hat sich die Haftung der Magen n u r i m Nordwesten erhalten. D i e sonstigen Bußen entwickelten sich zu reinen Strafgeldern, neben denen der Schadensersatz gefordert werden konnte. Das Friedensgeld erscheint n u n als Brüche oder (durch Wettvertrag) gelobte Wette (mnd. gewedde) u n d verschmolz m i t der Bannbuße. D e n Anspruch darauf hatte der Inhaber der Gerichtsbarkeit, der j e nach der verfassungsrechtlichen Lage der Landesherr, Stadtherr, Gerichtsherr, auch eine Gemeinde sein konnte. Sein besonderes Gepräge erhielt das mittelalterliche Straf recht demnach nicht durch eine grundlegende Änderung des Strafensystems, sondern durch den Ubergang vom Kompositionensystem zur peinlichen Bestrafung (s. § 53). Diese an sich durchaus gesunde Bewegung führte aber zu einer Überspannung der Verwendung peinlicher Strafen und i n Verbindung m i t dem Abschreckungsgedanken u n d einer allgemeinen Zunahme der Grausamkeit gegen Ende des Mittelalters zu einer bis dahin unerhörten V e r w i l d e r u n g u n d Verrohung der Strafrechtspflege. F ü r das Gesamtbild des Strafrechts wesentlich sind neben dieser Veränderung der Grundhaltung einige teilweise entgegengesetzte Erscheinungen, die, an sich nicht neu, nunmehr m i t größter Bedeutung auftreten. Es sind dies A s y l und Gnade 1 1 . Das A s y l hat sich rein äußerlich stark erweitert, indem neben den Kirchen auch Klöster, Fronhöfe, Mühlen, Wirtshäuser, Fähren als Freistatt galten. Es schützte den Täter vor der Rache des Verletzten w i e vor der Festnahme auf handhafter Tat, ermöglichte i h m Sühneverhandlungen oder auch die Flucht. Infolgedessen führte es zu einer starken Hemmung der peinlichen Strafrechtspflege, w u r d e auch von den Gerichtsherren bekämpft. D i e Gnade w i r k t e sich i m U r t e i l aus, teils i n den Fällen, i n denen schon das Gesetz den Täter der Gnade des Richters 10 I h r Hauptverwendungsgebiet haben alle diese Formen i m Ungehorsamsverfahren. Sie sind keine regelmäßigen, u n m i t t e l b a r e n Verbrechensfolgen. Schriftt. s. zu § 61. 11 Zum A s y l vçl. G r o l l (zu §31). v. K ü n ß b e r g , Fährenrecht u n d Fährenfreiung, ZRG. 45 (25) 149.

6.

rdentlicher Rechtgang

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überließ, teils durch das immer mehr überhandnehmende Richten nach Gnade. Gegenüber dem erlassenen U r t e i l gab es eine Begnadigung durch den Gerichtsherrn, vielfach auch den Henker. Eine ungesunde Ausdehnung erfuhr die Gnade durch die Sitte, bestimmten Personen ein Recht auf F ü r b i t t e zu geben 18 . S. Schriftt. zu §§ 12 u. 31. H i s , Das Strafredit des deutschen M A . I. I I (20—35, dazu E b. S c h m i d t , ZRG. 41, 438; 56, 623). E b. S c h m i d t , Einf. i. d. Gesch. d. deutschen Straf rechtspflege (47). v. H i ρ ρ e 1, Deutsches Strafrecht I (25) 122. H ä l s c h n e r , Das preußische Straf recht I (1855). J o h n , Das Strafrecht i n Norddeutschland zur Zeit d. Rechtsbücher (1858). C o n r a d , Gottesfrieden u. Heeresverfassung ZRG. 61 (41) 71. E b. S c h m i d t , Straf rechtspflege u. Rezeption, ZgesStr W. 62 (43) 232. — F r i e s e , Straf recht des Sachsenspiegels (1898). F r e y m a n n , Das Straf recht des livländischen Ritterrechts (1889). H i s , Strafrecht der Friesen i m M A . (01). C a s p a r , D a r stellung des strafrechtlichen Inhalts d. Schwsp. u. d. Augsburger Stadtrechts (1892). U l l m a n n , Das Strafrecht d. Städte d. M a r k Meißen, der Oberlausitz, des Pleißner-, Oster- u n d Vogtlandes (28). S t a h m , Das Straf recht d. Reichsstadt D o r t m u n d (20). H a r s t e r , Das Straf recht d. freien Reichsstadt Speier (00). R a u , Beitr. zum K r i m i n a l r e c h t der Reichsstadt F r a n k furt a. M. (16). S c h n e l b ö g l , Bayr. Landfrieden (32). Κ n a p p , Das alte Nürnberger K r i m i n a l r e c h t (1896). D e r s . , Altregensburgs Gerichtsverf. Strafverfahren u. Strafrecht (14). D e r s . , Zenten des Hochstifts W ü r z b u r g , I I (07). S c h e e l , Das alte Bamberger Straf recht (03). M e t z g e r , D i e Verbrechen u. ihre Straffolgen i m Basier Recht (31). S c h u l e n b u r g , Das ma. Straf recht d. Stadt Riga (33). R e u t e r , Verbrechen u. Strafe nach altem lüb. Recht, HansGBl. 61 (36) 46. K ü h n , D i e E n t w i c k l u n g d. Jenaer Stadterichts u. d. Strafrecht d. 14. u. 15. Jahrhunderts (38). W ü s t e n d ö r f e r , >as bayrische Straf recht des 13. u n d 14. Jahrhunderts (42). — M a e s , V i j v Eeuwen Stedelijk Strafrecht (Mecheln) [47].

É

§ 61. Ordentlicher Rechtsgang I. Auch i m M i t t e l a l t e r sind die allgemeinen Grundsätze des Verfahrens zunächst unverändert. Es ist nach w i e v o r ein öffentlicher, mündlicher Streit, den die Parteien persönlich v o r dem Gericht führen. Eine Vertretung der Parteien durch einen Vertreter i m W i l l e n (Gewalthaber, A n w a l t , Klagbote, procurator) ist außerhalb des Königsgerichts regelmäßig n u r unmündigen Personen gestattet. N u r i n bestimmten Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Abwesenheit, erlaubten seit dem 13. Jahrhundert einzelne Stadtrechte, daß die Partei einen Vertreter auftreten läßt, den sie sich zu diesem Zwecke gew ä h l t hat. Auch die L e i t u n g des Prozesses durch den Richter ist als solche erhalten geblieben, weshalb die Parteien m i t i h m verhandeln u n d an i h n ihre Anträge richten. A b e r seine Stellung hat sich insofern verändert u n d gewissermaßen zurückgebildet, als er nicht mehr k r a f t königlicher Amtsgewalt handelt, sondern n u r das Volksrecht zur Ausführung bringt. Dieses aber mußte er, soweit das Gericht m i t 12

S c h u é , Das Gnadebitten i n Recht, Sage, Dichtung u. Kunst, ZAachGV. 40 (18) 193.

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I I I . Das Mittelalter

Schöffen tagte, f ü r jeden Prozeßschritt von diesen erfragen. Infolgedessen w u r d e das Verfahren nicht durch richterlichen Befehl, sondern durch U r t e i l e vorwärtsbewegt. D a r i n w a r eine starke Verlangsamung jedes Verfahrens begründet. Sie w u r d e noch gesteigert dadurch, daß die Formenstrenge des alten Prozesses i n einen überkünstelten, vielfach geistlosen Formalismus ausartete. D a ein Fehler beim Sprechen der Wortformel oder bei Formalhandlungen Prozeßverlust bedeutete u n d das einmal Gesprochene nicht verbessert werden konnte, wurde das Verfahren zu einer Gefahr (vare) 1 . Diese führte zu einer ausgedehnten Verwendung v o n Vertretern i m W o r t , den Vorsprechern, deren Rede die Partei f ü r u n w i r k s a m erklären oder bessern konnte. D e r Vertretene hatte das Recht der Erholung und Wandlung, solange er dem W o r t des Vorsprechers nicht ausdrücklich zugestimmt hatte 2 . Seit dem 13. Jahrhundert gingen einzelne Rechte dazu über, die Partei als ihren eigenen Vorsprecher zu behandeln u n d auch i h r das Recht der Besserung zu geben. I I . D e n Ausgangspunkt des ordentlichen Verfahrens bildete i n den ersten Jahrhunderten w i e i n älterer Zeit die Klage des Verletzten, dabei teilte man nicht ohne Anschluß an römisches V o r b i l d alle K l a gen i n drei Hauptarten, bürgerliche, peinliche u n d gemischte. Während aber die römische actio durch den Klagegrund bestimmt w a r (z. B. actio emti), w a r der Gesichtspunkt der E i n t e i l u n g i m deutschen Recht der Klagezweck. M i t der bürgerlichen Klage w u r d e eine Leistung gefordert, m i t der, auch Inzicht genannten, peinlichen eine peinliche Bestrafung, während die gemischte das eine w i e das andere Ziel verfolgen konnte, etwa auch so, daß die peinlich begonnene Klage als bürgerliche endete oder umgekehrt 3 . D i e bürgerlichen Klagen zerfielen i n solche u m Schuld (Geldschuld), u m Gut (bewegliche Sachen) und u m Eigen u n d Erbe (Liegenschaften). Gemischte Klagen waren neben der Anefangsklage zum Beispiel die wegen trockener Schläge und wegen Treubruchs. D i e bürgerliche Klage konnte als sogenannte schlichte Klage, d. h. ohne Angabe eines Rechtsgrunds, lediglich als Forderung an den Beklagten erhoben werden. D a n n konnte dieser den Anspruch m i t 1 S i e g e l , E r h o l u n g u n d W a n d l u n g i m gerichtl. Verfahren, S b A k W i e n 42 (1863). D e r s . , D i e Gefahr vor Gericht u. i m Rechtsgang, ebda. 51 (1866). S t u t z , Das Stadtrecht gegen die Formstrenge i m Strafverfahren, ZRG. 38 (17) 367. 2 D e r Vorsprecher hatte i n solchem F a l l e eine Buße zu zahlen. 8 D e r eine peinliche oder gemischte Klage rechtfertigende Tatbestand nötigte den Kläger nicht, gerade diese anzustellen. Er konnte sich m i t einer bürgerlichen begnügen, wenn es i h m n u r auf einen Schadensersatz ankam, u n d entging so der Gefahr, bei Abweisung der peinlichen A n k l a g e einer Buße zu verfallen.

§6.

rdentlicher Rechtsgang

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seinem E i d abwehren. Gab jedoch der Kläger den Rechtsgrund an u n d erbot er sich zum Beweis der der Klage zugrunde liegenden Tatsachen, so mußte i h m der Beklagte sachlich erwidern. Das Gericht bestimmte dann durch Beweisurteil, welche Partei u n d was sie zu beweisen habe. Dabei w a r maßgebend die verschiedene Stärke der angebotenen Beweismittel. Bei gleicher Stärke k a m der Beklagte zum Beweis. D i e peinliche Klage konnte i n bestimmten Fällen erhoben werden unter Herausforderung zum Zweikampf, der eine eidliche Reinigung des Beklagten ausschloß, aber auch unter Angebot eines förmlichen Beweises oder lediglich auf G r u n d von Indizien (Inzichtklage) 4 , wobei sich der Beklagte (Inzichter) durch E i d reinigen konnte. Als Klage auf handhafte Tat setzte sie voraus, daß bei der Tat das Gerüfte erhoben u n d der Täter während der Tat oder auf der Flucht von der Tat ergriffen wurde, also gefangen war, daß sie sofort (unvernachtet) erhoben und daß der Tatbestand leiblich, d. h. durch Tatspuren (Leichnam, Wunde, gestohlenes Gut) bewiesen wurde 5 . I h r gegenüber k a m der Beklagte n u r ausnahmsweise zu einer Verteidigung u n d w u r d e i n der Regel vom Kläger m i t Schreimannen übersiebnet. I m übrigen stand dem Beklagten auch gegenüber der peinlichen Klage der Reinigungseid offen. Seit dem 13. Jahrhundert unterlag das peinliche Verfahren grundlegenden Veränderungen, die es n u n v o m bürgerlichen Verfahren unterschieden. Seine entscheidenden Kennzeichen sind die staatliche Verbrechensverfolgung (Offizialprinzip) u n d die amtliche Erforschung der materiellen W a h r h e i t (Instruktionsmaxime). Es entstand so eine neue F o r m des ordentlichen Rechtsganges, die ihrem Wesen nach als Inquisitionsprozeß zu bezeichnen ist. Diese E n t w i c k l u n g nahm ihren Anfang m i t dem fränkischen Rügeverfahren. I m Anschluß an dieses w u r d e die Rüge (in Baiern u n d Österreich Landfrage) auf dem echten D i n g zu einer i m Norden u n d Süden w e i t verbreiteten Einrichtung 8 . Rügepflichtig waren jeder Dinggenosse oder n u r bestimmte Personen (ζ. B. Schöffen, Heimbürger, Bauermeister). D i e Rüge erfolgte auf Frage des Richters, nach der die Rügepflichtigen zunächst der Beratung pflegen konnten. Sie w a r entweder Rüge auf Verdacht, von der sich der Beklagte durch E i d reinigen konnte, oder Rüge auf Wahrheit, der gegenüber n u r i n 4 D a v o n verschieden ist das provokatorische Inzichtverfahren, das der gerüchtweise Beschuldigte gegen sich einleitete und, w e n n k e i n Kläger erschien, durch Reinigungseid ^Schloß. 6 Von dem bei der T a t erhobenen Gerüft ist dasjenige zu unterscheiden, das regelmäßig m i t Anstellung der peinlichen Klage verbunden w a r (Zetergeschrei). So j e t z t auch H a m m e r i c h , Clamor (42). β I n Baiern w u r d e sie i m 14. Jahrhundert abgeschafft. S i e g e l , Das pflichtmäßige Rügen auf den Jahrdingen, SbAk. W i e n 125 (1881).

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III. Da

Mittelalter

älterer Zeit dem Beklagten die Reinigung durch Gottesurteil möglich war. I n einzelnen Stadtrechten findet sich ein Anklagezwang, den der Rat bei gemeinschädlichen Verbrechen gegenüber dem Verletzten üben konnte. I n anderen, teils städtischen teils territorialen Rechten ging man aber zur amtlichen Klageerhebung über, die dem Richter oder einem besonderen A n k l ä g e r oblag 7 . I I I . D i e Einstellung des peinlichen Verfahrens auf die I n s t r u k tionsmaxime beeinflußte auch das Beweisrecht. Sie führte zum Ubergang vom formellen Beweis zu dem auf Feststellung der Tatsachen gerichteten materiellen Beweis. D i e alten Beweismittel erlangten eine andere Bedeutung oder w u r d e n aufgegeben, neue traten hinzu. D i e Eidhelfer verschwanden i n bürgerlichen Klagen überhaupt und mußten als Schreimannen i m Verfahren auf handhafter Tat v o n der Tat Kenntnis haben. D i e einseitigen Gottesurteile w u r d e n auf dem vierten Laterankonzil (1215) von der Kirche verpönt und kamen allmählich außer Anwendung. D e r Zweikampf w u r d e i n den Städten regelmäßig ausgeschlossen, ist aber doch bis» zum Ende des M i t t e l alters i n Übung gewesen. Dagegen gewann der Beweis durch U r kunden langsam an Boden, von Süden nach Norden vorschreitend. D i e stärkste Stellung aber erlangte von den älteren Beweismitteln das Zeugnis, das n u n auch als Erfahrungszeugnis von den früheren Beschränkungen befreit wurde. I m Strafverfahren gewannen an Bedeutung die leibliche Beweisung (Augenschein), u n d i n den M i t t e l p u n k t trat das Geständnis, zu dessen Erlangung auch die Folter i n A n w e n d u n g kam. Endlich fanden der Inquisitionsbeweis und das Gerichtszeugnis aus dem königsgerichtlichen Verfahren i n das ordentliche Eingang. Jener wurde als Befragung der Umsassen (Sachsen) oder Kundschaft (Süddeutschland) bei Besitzstreitigkeiten verwendet. Das Gerichtszeugnis w a r entweder amtliches Dingzeugnis des Gerichts, also des Richters u n d der Schöffen, über Vorgänge v o r dem Gericht (Ssp.) oder Dingmannenzeugnis der Partei m i t Dingleuten (Schwsp.). Seine Bedeutung lag darin, daß es unanfechtbar w a r und durch keinen Gegenbeweis entkräftet werden konnte. Diese Beweisk r a f t des Gerichtszeugnisses wurde auf die vom Gericht ausgestellten U r k u n d e n u n d auf die Eintragungen i n die öffentlichen Bücher der Städte übertragen. U m solche zu erlangen, lag es nahe, über wichtige Rechtsgeschäfte, w i e Übertragungen u n d Verpfändungen von Liegenschatten, Bestellungen von Grundrenten, Schuldverträge einen Scheinprozeß zu führen, der dann zugunsten des Erwerbers, 7 Dagegen ist die jedem Rechtsgenossen zustehende Popularklage n u r i n wenigen Schweizer Rechten zu finden. A . M. O p e t , D i e Popularklage der Berner Handfeste, ZSchweizStrR. 7 (1894).

6.

rdentlicher Rechtsgang

219

Pfandgläubigers usw. mit Urkundenausstellung oder Budtieintrag abschloßt IV. Die Urteilsschelte führte regelmäßig nicht mehr zum Zweikampf, sondern zu einem Zwischenstreit zwischen dem Urteilsfinder und dem das Gegenurteil findenden Schelter an einem höheren Gericht über die Frage, welches der beiden Urteile das richtige sei. Nach dessen Erledigung wurde das Verfahren beendet im unteren Gericht, das an die gefundene Entscheidung gebunden war. Ein anderes Verfahren entwickelte sich bei den städtischen Gerichten. Diese sandten einen schriftlichen Bericht über das von ihnen durchgeführte Verfahren an ihren Oberhof, der dann auf dieser Grundlage entschied. Es kam so zu einer Berufung im heutigen Sinne. V. Ein Versäumnisverfahren mit der Möglichkeit eines abschließenden Sachurteils hat das deutsche Recht im Mittelalter nicht ausgebildet. Gegen den nicht erschienenen Beklagten wurde in Klagen um Schuld mit Pfändung und nach Ablauf bestimmter Fristen mit Pfandverwertung zugunsten des Klägers vorgegangen, in Klagen um Gut und Eigen mit dessen endgültiger oder vorläufiger Überweisung an den Kläger. Der auf peinliche Klage trotz mehrmaliger Vorladung ausgebliebene Beklagte wurde zunächst verfestet (auch „vorczalt") 9 . Diese Verfestung war eine vorläufige Entziehung des Rechtsschutzes innerhalb des Machtbereichs des verfestenden Gerichts. Dies bedeutete vor allem, daß der Kläger den Verfesteten jederzeit festnehmen, binden und dem Gericht vorführen konnte. Dort wurde der Verfestete als handhafter Täter behandelt. Der Kläger hatte das Recht des Überführungsbeweises und das Urteil lautete auf nicht ablösbare Todesstrafe. Solange er nicht ergriffen war, konnte sich der Verfestete aus der Verfestung lösen, sich ausziehen (uttien), indem er die Rechtmäßigkeit der Verfestung vor dem Richter eidlich leugnete. Geschah auch dies nicht, so wurde die Verfestung vom höheren Richter für sein Gerichtsgebiet, schließlich vom Reichshofgericht als Acht für das Reich ausgesprochen. Auch aus ihr ist ein Ausziehen möglich. Nach Jahr und Tag wurde die Reichsacht zur unlösbaren Oberacht. Denen des Ungehorsams ähnliche Folgen traten ein, wenn der 9 Aus diesem Verfahren der Schaffung unanfechtbaren Beweises hat sich, i n das Privatrecht hinübergreifend, die Notwendigkeit der gerichtlichen Vornahme bestimmter Geschäfte, insbesondere von Liegenschaftsgeschäften, entwickelt, i n manchen Rechten n u r ein Vorzug des gerichtlich abgeschlossenen Geschäfts vor dem nicht gerichtlich abgeschlossenen. 9 Voraussetzung w a r allerdings, daß der Beklagte nicht durch echte Not, d. h. einen gesetzlichen Hinderungsgrund am Erscheinen v e r h i n d e r t war. Fälle der echten Not waren ζ. B. K r a n k h e i t , Königsdienst, Pilgerfahrt, Feuersnot.

220

I I I . Das Mittelalter

Beklagte zwar erschien, aber die Antwort verweigerte. Doch gab es Gründe, die eine solche Weigerung rechtfertigten. Insbesondere konnte der Beklagte vor aller Antwort nach dem Sachsenspiegel bei Klagen um Erbschaft und bei peinlichen Klagen, nach Magdeburger Recht bei allen Klagen, die sogenannte Klagengewere verlangen. Dies war das Gelöbnis, daß die jetzt erhobene Klage die einzige sei, die wegen des gleichen Tatbestands erhoben werde. Hielt dies der Kläger später nicht ein, so traf ihn eine Buße. Die Klagengewere konnte der Beklagte auch im Verlauf des Verfahrens noch fordern, so noch vor der Leistung im Falle des Unterliegens. Am Beginn aber sicherte sie ilm auch gegen eine Veränderung der Klage. VI. Die Vollstreckung des Urteils erfolgte in bürgerlichen Sachen durch Pfändung beweglichen oder unbeweglichen Gutes. Das Verfahren bestand aus zwei Teilen, einem Sicherungsverfahren und einem Befriedigungsverfahren. Jenes bestand bei Fahrnis in der Wegnahme durch den Froneboten, bei Grundstücken in der Fronung (kummer, besäte), die ebenfalls vom Froneboten vorgenommen wurde, vielfach durch Aufstecken eines Kreuzes. Die Fronung enthielt gleich der fränkischen missio in bannum ein Veräußerungsverbot an den Schuldner, der selbst aus dem Grundstück ausgewiesen wurde. Im Befriedigungsverfahren wurde die gepfändete Fahrnis dem Gläubiger zur Veräußerung übergeben (weidigen, ausantworten) oder vom Froneboten veräußert, worauf sich der Gläubiger aus dem Erlös befriedigen konnte. Das Pfand war also Verkaufspfand, nicht Verfallpfand. Das gefronte Grundstück wurde dem Gläubiger übereignet (Insatz, Einwerung, Anleite) oder nach jüngerem, in Stadtrechten häufigem Verfahren veräußert mit Befriedigung des Gläubigers aus dem Erlös. Zwischen den beiden Verfahrensabschnitten konnte der Schuldner die Grundstücke auslösen10. Gegenüber dem flüchtigen, dann auch dem fluchtverdächtigen Schuldner entwickelte sich ein Person und Vermögen erfassendes 10 Neben der Pfändung auf G r u n d des Urteils u n d durch das Gericht (Richterpfändung) gab es eine außerprozessuale Pfändung durch den Gläubiger (Gläubigerpfändung). Diese ist sogar i m frühen M i t t e l a l t e r für Fahrnis die Regel u n d k n ü p f t an die der fränkischen Zeit vor E i n f ü h r u n g der gerichtlichen Pfändung an. Zulässig war sie, wenn der Schuldner nicht leugnete (gichtige Schuld) u n d bei offenbarer (kundlicher) Schuld. D a r u n t e r verstand man zunächst alle Schulden, die der Gläubiger sofort unwiderleglich beweisen konnte, später vor allem solche, die vor Gericht (Rat) anerkannt oder i n einem Gerichtsbuch (Stadtbuch) eingetragen waren. Auch als die so begründete eigenmächtige Pfändung zur Ausnahme geworden war, fand sie noch statt auf G r u n d von exekutivischen U r k u n d e n , i n denen sich der Schuldner durch besondere Pfändungsklausel m i t der formlosen Pfändung durch den Gläubiger einverstanden e r k l ä r t hatte. Sie konnten auch als Grundlage gerichtlicher Vollstreckung dienen. P l a n i t z , Vermögensvollstreckung (s. u.). K i s c h , D i e Pfändungsklausel, ZRG.35 (14) 41.

§ 62. Außerordentlicher Rechtsgang

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Arrestverfahren als Abspaltung der Friedlosigkeit. Ihm trat in den Städten der Fremdenarrest zur Seite. Gegen Ende des Mittelalters kam es vereinzelt zur Ausbildung eines besonderen Konkursverfahrens. P l a n c k , Das deutsche Gerichtsverfahren i m M A . I. I I (1878). H o m e y e r , D e r Richtsteig Landrechts (1857) 411. K ü h n s (s. § 53) I I (1867), F r a n k l i n (s. § 53) I I (1869). S c h u l t z e , Priavtrecht u. Prozeß i n i h r e n Wechselwirkungen I (1883). K n a p p , Zenten (s. § 60). B u n g e , Gesch. d. Gerichtswesen u n d Gerichtsverfahrens i n L i v - , Est- u n d K u r l a n d (1874). R e t z l a f f , D i e E n t w i c k l u n g d. Rechtsgangs nach dem Freiberger Stadtrechtsbuch (29). M a y e r - E d e n h a u s e r , Prozeßrechtsgeschichtliches aus St. T r u d p e r t , Beitr. z. Gesch. von St. T r u d p e r t (37) 152. T i l l m a n n , Aus d. Prozeß d. Ingelheimer Oberhofs (35). M ü l l e r , Studien zum Inzichtverfahren (39). — B e n n e c k e , Zur Gesch. d. deutschen Strafprozesses (1886). E b . S c h m i d t , Inquisitionsprozeß u. Rezeption (40). D e r s . , ZgesStrW. 62 (43) 232. D e r s . , D i e M a x i m i l i a n . Halsgerichtsordnungen (49). S c h n e l l b ö g 1, Landfrieden (s. § 60 Schriftt.) 256. L a b a η d , D i e vermögensrechtl. Klagen nach d. sächs. Rechtsquellen d. M A . (1869). K u y k , Historische beschouwingen over het antwoord v a n den gedaagde (08). — P l a n c k , D i e Lehre von dem Beweisurtheil (1848). v. JB a r , Das Beweisurtheil (1866). ν. K r i e s . D e r Beweis i m Strafprozeß des M A . (1878). H ä n e l , Beweissystem d. Sachsenspiegels (1858). H a s e n ö h r l , D i e Beweiszuertheilung i m österr. Recht d. MA., S b A K W i e n 139 (1898). Η ο 1 d e f 1 e i ß , D e r Augenscheinsbeweis i m ma. deutsch. Strafverfahren (33). C a r s t e n s , Geschlecht u. Beweisrecht i n den dithmarschen Landrechten, ZGschlholstG. 69 (41) 1. K l e b e l , D. bayr. Gerichtsbrief, ArchivZ. 44, 209. S. Schriftt. zu δ 13 u. 32 (K. Maurer, Löning, Mayer-Homberg, Ruth, Breßlau) u n d § 13 A n m . 5. — F r e n s d o r f f , D i e Verfestung nach d. Quellen des lübischen Rechts, Hans. Geschichtsqu. I (1875) X I I I . D e r s . , Recht u n d Rede, Histor. Aufs. f. Waitz (1886) 433. E r m i s c h , Das Verzählen, NASächsG. 13 (1892) 1. v. K ü n ß b e r g , Acht (10). Ρ o e t s c h , D i e Reichsacht (11).— v. M e i b o m , Das Deutsche Pfandrecht (1867). P l a n i t z , D i e Vermögensvollstreckung i m d. ma. Recht I (12). D e r s . , Zur sächs. Vollstreckungsgesch., Festschr. Sohm (14). — K i s c h , D e r d. Arrestprozeß (14). P l a n i t z , Studien z. Gesch. d. Arrestprozesses, ZRG. 34 (13) 49. 39 (18) 223. 40 (19) 87. D e r s., Grundlagen d. deutschen Arrestprozesses (22). B r u n n e r , D. Arrestprozeß i m ma* Recht d. deutschen Schweiz (32). — v a n O o s t e n , D e ambtshalve vervolging naar oud-friesch recht (38).

8 62. Außerordentlicher Rechtsgang Als wichtigere Neuerungen erscheinen Gastprozeß, Vemeprozefi und Verfahren gegen die landschädlichen Leute. Der Gastprozeß zeichnet sich durch das Streben nach Beschleunigung aus. Da das Gastgericht von Fall zu Fall als Notgericht zusammentrat, konnten vor allem die dem ordentlichen Verfahren eigenen langen Fristen ausgeschaltet werden. I n Sachen um Schuld und Gut, wie sie dem Handel eigentümlich sind, erging das Urteil an dem auf die Klage folgenden Tag. Daran Schloß sich unmittelbar die Vollstreckung. Außerdem gestatteten manche Rechte dem Gast, „sine vara" zu verhandeln, insbesondere Eide zu leisten, da sie auf seine Unkenntnis der einheimischen Formen, oft auch der Sprache

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. Da

Mittelalter

Rücksicht nahmen. D i e f ü r den Gast bestehende Schwierigkeit, sich Eidhelfer zu beschaffen, führte zum sogenannten Elendeneid, bei dem der beweisführende Gast die von den Eidhelfern zu schwörenden Eide selbst leistete. Endlich fand die echte Stellvertretung i m Gastverfahren schon i m 13. Jahrhundert Eingang. I m Verfahren der Verne sind zwei F ä l l e zu unterscheiden, der der handhaften Tat und der der nicht handhaften Tat. I m ersten F a l l lag die Besonderheit darin, daß drei Freischöffen zur A b h a l t u n g eines Notgerichts und sofortigen Vollstreckung genügten. Das Verfahren bei nicht handhafter Tat steht geschichtlich u n d i n seinen Formen i n engstem Zusammenhang m i t dem Rügeverfahren. D i e Freischöffen hatten die Stellung von dauernden Rügegeschworenen, die verpflichtet u n d allein berechtigt waren, wegen der zu i h r e r Kenntnis gekommenen Rügefälle Klage v o r dem Gericht zu erheben 1 . D e r erschienene Gerügte konnte sich durch Helfereid m i t Freischöffen reinigen. D e n nicht Erschienenen konnte der Kläger m i t sieben Eidhelfern überführen (übersiebnen), worauf er verfemt w u r d e und damit einem Oberächter rechtlich gleichstand. D i e Vollstreckung wurde einem Schöffen übertragen, der sie überall vollziehen konnte u n d dabei von jedem Wissenden unterstützt werden mußte. Ihre einzige F o r m w a r die der Hinrichtung durch den Strang. V o r allem i n Süddeutschland entstand i m Anschluß an das Verfahren bei handhafter T a t ein Sonderverfahren gegen landschädliche Leute (nocivi terrae), bei dessen Ausbildung Einflüsse des Rügeverfahrens, der jüngeren Landfriedensgesetzgebung u n d des allgemeinen Strebens nach Steigerung der Rechtssicherheit w i r k s a m waren. Es hat sich i m Laufe des Mittelalters i m Zusammenhang m i t dem Vordringen des Offlzialverfahrens weiterentwickelt. I m M i t t e l p u n k t steht die Regel, daß schädliche Leute des Reinigungsrechts entbehren und w i e i m Vemeverfahren und bei handhafter Tat übersiebnet werden können (Ubersiebnungs verfahren). Ausgang des Verfahrens konnte eine Klage oder eine Rüge sein. D i e Ubersiebnung konnte jedenfalls i n späterer Zeit auch der Richter vornehmen. D e r Begriff des schädlichen Mannes hat Veränderungen erfahren. Sieht man davon ab, daß so i n einem allgemeinen Sinne j e d e r Verbrecher bezeichnet werden konnte, u n d sucht man nach dem besonderen Sinn i m Rahmen des zu besprechenden Verfahrens, so steht am Anfang eine doppelte Einschränkung. M a n verstand darunter zunächst n u r Fremde, erst etwa i m 15. Jahrhundert auch Einheimische, und n u r unehrliche Täter. Diese Abgrenzung entsprach dem Zweck, das L a n d 1

Aufzählungen von Rügefällen (vemewroge) finden sich i n verschiedenem Umfange. Vgl. L i n d n e r a. u. a. 0.472.

§ 62. Außerordentlicher Rechtsgang

223

von vielfach gewohnheitsmäßigen Dieben und Räubern zu befreien, denen man Mörder, Brenner u n d Geächtete gleichstellen konnte. D e r Begriff dehnte sich aber auf alle todeswürdigen Verbrechen aus 2 . Eine A r t von Rügeverfahren ist die i n Baiera u n d Österreich seit dem 13. Jahrhundert vorkommende stille Frage (stille Landfrage, Gertli!ne, consilium secretum), die i n von Zeit zu Zeit gebotenen Dingen durchgeführt wurde. D i e Rügen erfolgten nicht öffentlich. D e r Gerügte w u r d e nicht zur Reinigung zugelassen. Durch die Heimlichk e i t stellt sich die stille Frage neben die Verne, durch i h r e n Zweck neben das Verfahren gegen die landschädlichen Leute. R u d o r f f , Zur Rechtsstellung der Gäste i m ma. städtischen Prozeß (07). A. S c h u l t z e , Über Gästerecht u. Gastgerichte, HZ. 101 (08) 473. — L i n d η e r , D i e Verne (1888). — v. Z a l l i n g e r , Das Verfahren gegen die landschädlichen Leute i n Süddeutschland (1895). K n a p p , Das Übersiebnen d. schädl. Leute i n Süddeutschland (10; dazu Planitz, ZRG. 32, 529). H i r s c h , D i e hohe Gerichtsbarkeit (22) 90. E b . S c h m i d t , Einf. i. d. Gesch. d. d. Strafrechtspflege (47) §§ 66 ff.

2 Eine W e i t e r b i l d u n g dieses Übersiebnungsverfahrens w a r d. Leumundsverfahren, bei dem sich der Siebnerbeweis n u r auf die Landschädlichkeit des Angeklagten richtete.

I V . Die Neuzeit 1. Grundlagen § 63. Reich und Reichsglieder bis 1806 V o n einem deutschen Reich k a n n man seit dem Ausgang des Mittelalters n u r i n zwei getrennten Zeiträumen sprechen, nämlich bis 1806 u n d von 1871 bis 1945. Dazwischen liegt eine Zeit, i n der es staatsrechtlich n u r Länder gab. Erst gegen i h r Ende hatte i m Norddeutschen B u n d ein T e i l der Länder den A u f b a u des neuen Reiches begonnen. A u d i v o r 1806 u n d nach 1871 ist die Stellung der Länder i m Reich u n d zum Reich die Kernfrage der inneren P o l i t i k des Reiches gewesen. I n i h r wiederholt sich auch i n der Neuzeit das Selbständigkeitsstreben der Stämme, dem neue politische Umbildungen teilweise einen anderen Rahmen gegeben haben. D i e Geschichte des Reiches bis zum Jahre 1806 zeigt dabei ein ständiges Zurückweichen der Reichsgewalt, deren Schwäche es den größeren T e r r i t o r i e n schließlich ermöglichte, den Kampf gegen sie als überflüssig aufzugeben u n d über das Reich hinweg i n ein selbständiges Eigenleben einzutreten. Diese E n t w i c k l u n g konnte sich u m so leichter vollziehen, als i n der Neuzeit auch die letzten Reste eines Reichslandes verschwanden. Reichsunmittelbar, also n u r der Reichsgewalt unterworfen, w a r e n fast n u r noch Gebietsgewalten, aber nicht mehr Gebiete, i n denen das Reich selbst eine unmittelbare Herrschaft hätte ausüben können. Sogar die Reichsdörfer waren, wenn auch nicht i m Besitz voller Landeshoheit, doch m i t weitgehendster Selbstverwaltung ausgestattet. V o n den Territorialherren und ihren Familien, den Reichsrittern u n d den Reichsbeamten abgesehen, waren alle Reichseinwohner reichsmittelbar (landsässig) geworden. Jedoch bestand bei der Mehrzahl der T e r r i t o r i e n immer noch k e i n Interesse an einer Auflösung des Reiches überhaupt. Namentlich f ü r die mittelgroßen u n d kleinen Gebiete w a r das Reich außenpolitisch von Bedeutung, solange der Zusammenschluß i n i h m einen, wenn auch schwachen, Schutz gewährte. So hielten politische Rücksichten das Reich zusammen, während das rechtliche Band des Lehnwesens höchstens noch Idee u n d äußere F o r m war. Daher konnte Pufendorf

§ 63. Reich und Reichsglieder bis 1806

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das Reich vom Standpunkt des Juristen aus bezeichnen als irreguläre aliquod corpus et monstro simile 1 . D i e Pflichten der Reichsunmittelbaren gegenüber dem Reich trugen i n dieser Zeit staatsrechtlichen Charakter. Soweit deren Stellung ursprünglich eine lehnrechtliche gewesen war, w i r k t e dies i n der Pflicht zur Hoffahrt und zur Nachsuchung um Belehnung bei T h r o n f a l l und Mannfall nach. Inhaltlich waren sie beschränkt auf die Pflicht zur Stellung von Truppen zum Reichsheer r die Entrichtung der vom Reichstag beschlossenen Reichssteuern, die. Teilnahme am Reichstag und die Dingpflicht am Reichsgericht. Zu einer eigenartigen Erscheinung entwickelte sich die Reichsritterschaft. Geschichtlich aus der Reichsministerialität erwachsen, war sie ständisch ein T e i l des niederen Adels (s. § 66). Sie hatte sich schon i m 15. Jahrhundert i n einzelnen Ritterbünden zusammengeschlossen und dadurch gegenüber den Territorialgewalten die Reichsunmittelbarkéit wahren können. Seit Ferdinand I. wurde ihre Freiheit von der Landsässigkeit durch kaiserliches P r i v i l e g verbrieft. D i e zunächst bestehenden Ritterschaften zu Schwaben, zu Franken und am Rhein schlossen sich 1577 zur Reichsritterschaft (libera et immediata i m p e r i i ijf'obilitas) zusammen. Diese zerfiel i n drei Kreise (schwäbisch, fränkisch, rheinisch) unter einem Kreisdirektorium, jeder Kreis i n Kantone (Orte) unter der L e i t u n g von Hauptmann, Ritterräten und Kantönsausschuß. Abgeordnete aller Kreise kamen auf Korrespondenztagen zusammen. D i e Reichsritterschaft hatte das Recht der Autonomie und der Besteuerung. D e r einzelne Reichsritter w a r zwar reichsunmittelbar (reichsfrei), hatte aber weder die Kreisstandschaft noch die Reichsstandschaft. Infolgedessen waren die Reichsritter frei von Reichssteuern und leisteten n u r Beisteuern (subsidium caritativum) auf G r u n d besonderer Vereinbarung. Außerdem hatten sie den Gerichtsstand der Reichsunmittelbaren und das Recht der Austräge (s. § 74). M i t dem Ende des Reiches begann auch das der Reichsritterschaft (s. § 82). I m Gegensinn zur Entwicklung bis 1806 vollzog sich die folgende, indem sie allmählich zu einer Wiedervereinigung des größten Teiles der deutschen Länder führte und innerhalb ihrer zu einer zunehmenden Uberwindung der Ländervielheit durch die Reichseinheit. Das deutsche Gebiet des neuzeitlichen Reiches nannte man seit dem Ende des 15. Jahrhunderts (1486) ein römisches Reich deutscher Nation und meinte damit das Reich, soweit es deutscher Nation war. 1 S. u. § 64 A n m . 4. Dazu J a s t r o w , Pufendorfs Lehre von d. Monstrosität der Reichsverfassung (1882). W o l f , Idee u. W i r k l i c h k e i t d. Reiches (Reich u. Recht I, 1943) S. 123.

V. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeechichte

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I V . Die Neuzeit

Durch diese Ergänzung des schon mittelalterlichen Titels eines heiligen römischen Reiches brachte man zum Ausdruck, daß es eine Reichsmacht außerhalb des deutschen Gebiets so gut wie nicht mehr gab, Reichsgesetzgebung und Reichstag nur innerhalb seiner w i r k sam waren 2 . D i e Grenzen dieses Reiches haben verschiedene Veränderungen erfahren. Zudem hat sich das Reichsgebiet nicht immer m i t dem der Länder gedeckt, da insbesondere das Herzogtum Preußen u n d das Königreich Ungarn außerhalb des Reiches blieben. D i e Schweizer Eidgenossenschaft erhielt Ende des 15. Jahrhunderts Freiheit von Reichsgerichten und Reichssteuern und schied 1648 endgültig aus dem Reich aus. D e r westfälische Friede anerkannte außerdem die Selbständigk e i t der 1581 gebildeten Republik der Vereinigten Niederlande und das Recht Frankreichs auf die 1552 i n Besitz genommenen Bistümer Metz, T o u l und Verdun, ferner auf die Landvogtei über zehn Reichsstädte i m Elsaß und den hier belegenen habsburgischen Besitz. D i e gleichzeitige A b t r e t u n g von Vorpommern, Rügen und Wismar sowie der Bistümer Bremen u n d Verden an Schweden b e w i r k t e keine Loslösung vom Reich, da Schweden diese Gebiete als Reichslehn erhielt. D i e durch die Reunionen Ludwigs X I V . dem Reich i m Elsaß weiterh i n entzogenen Gebiete (1681 Straßburg) w u r d e n Frankreich i m Frieden von R y s w y k (1697) überlassen. I m Wiener Präliminarvertrag von 1735 w u r d e n die Herzogtümer Lothringen und Bar Frankreich zugesichert, das sie 1766 endgültig erhielt. D i e stärkste Einbuße erl i t t das Reich durch den L u n e v i l l e r Frieden (1801), i n dem das gesamte linksrheinische Reichsgebiet an Frankreich abgetreten wurde. D i e davon betroffenen Reichsstände w u r d e n durch Zuweisungen aus den rechtsrheinischen, nunmehr säkularisierten Bistümern und A b teien sowie mediatisierten Reichsstädten entschädigt 3 . D i e Durchführung dieser Entschädigung wurde einer außerordentlichen Reichstagsdeputation übertragen. D e r von dieser ausgearbeitete E n t w u r f (Hauptschluß) wurde 1803 von Reichstag und Kaiser genehmigt (Reichsdeputationshauptschluß) 4 . 2 Erst i n der Staatslehre seit dem 17. Jahrhundert verstand man unter dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation das Gesamtgebiet des Reiches u n d w o l l t e zum Ausdruck bringen, daß die deutsche Nation über das römische Reich herrsche. Z e u m e r , Heiliges römisches Reich deutscher Nation (10). D i e h 1, Heiliges Röm. Reich deutscher Nation, HZ. 156 (37) 457. 3 Als geistliche Reichsstände erhielten sich n u r der Kurerzkanzler, der Hoch- u n d Deutschmeister u n d der Johannitermeister, als Reichsstädte n u r Augsburg bis 1805, Nürnberg, F r a n k f u r t a. M. (beide bis 1806), Lübeck, Bremen u n d Hamburg. 4 Zusammenstellung des Ergebnisses bei D a n i e l s , Handbuch d. deutschen Reichs- u. Staatenrechtsgeschichte I I 3 (1863) 625.

§ 63. Reich und Reichsglieder bis 1806

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I m Innern des Reiches sind zwei Länder zu nicht unerheblichen Erweiterungen gelangt, Brandenburg u n d Österreich. D e r Kurfürst von Brandenburg, Johann Sigismund, erwarb 1614 durch Erbschaft und Vergleich m i t Pfalz-Neuburg das Herzogtum Cleve, die Grafschaften M a r k und Ravensberg und übernahm 1618 das aus dem Ordensgebiet erwachsene Herzogtum Preußen als polnisches Lehen 5 . Durch den Westfälischen Frieden erhielt Kurbrandenburg weiterhin den größten T e i l von Hinterpommern, die Bistümer Halberstadt, Minden und K a m m i n und die 1680 verwirklichte Anwartschaft auf das Erzstift Magdeburg. I m Frieden von O l i v a (1660) verzichtete Polen auf die Lehnsherrlichkeit über Preußen, das damit souveränes Herzogt u m wurde. 1707 w u r d e aus der oranischen Erbschaft Neuenburg erworben®. Durch den Berliner Frieden (1742) wurden die schlesischen Herzogtümer m i t dem inzwischen erstandenen Königreich Preußen verbunden, 1772 zufolge der ersten polnischen Teilung Westpreußen m i t einer Reihe benachbarter Gebiete, also i m wesentlichen altem Ordensland, bei der zweiten T e i l u n g Danzig, T h o r n und Posen (1793), bei der d r i t t e n das Weichselgebiet bis Bug und Narew (1795—97), 1815 der bis dahin schwedische Rest des Herzogtums Pommern 7 . Österreich bestand seit den Teilungsverträgen zwischen K a r l V. und Ferdinand I. (1525) aus den deutsch-habsburgischen Erblanden (Niederösterreich, T i r o l , Vorderösterreich). D a z u erwarb es 1526 auf G r u n d von Verwandtschaft u n d ständischer W a h l Böhmen u n d Ungarn, ferner Teile Polens, insbesondere Galizien, bei der ersten und d r i t t e n polnischen Teilung. M i t Böhmen waren außer Mähren die Lausitz und Schlesien verbunden, von denen aber jene 1635 an Kursachsen kam, dieses 1742 an Preußen. Vom vorderösterreichischen Besitz ging das Elsaß m i t dem Sundgau schon 1648 verloren, der Breisgau i n der Zeit Napoleons. 1816 w u r d e n endgültig das I n n v i e r t e l und ein T e i l des Erzbistums Salzburg erworben. K i r n , Politische Geschichte der deutschen Grenzen 3 (40). — P ü t t e r , Historische Entwicklung d. heutigen Staatsverfassung d. Deutschen Reiches 3 I — I I I (1798/99). D a n i e l s , Handb. der deutschen Reichs- u. Staatenrechtsgeschichte I I 2. 3 (1862/63). S c h u l t e , D e r deutsche Staat (33). K ä s e r , Deutsche Gesch. i m Ausgang d. M A . I I (12). U l m a n , Kaiser M a x i m i l i a n I., I. I I (1884—91). R a n k e , Deutsche Geschichte i m Zeitalter der Reformation, I — I V 4 - 6 (1867—82), Neuausgabe 1925—27. R i t t e r , Deutsche Gesch. i m Zeitalter der Gegenreformation u. d. 30jähr. Krieges I — I I I (1889—08). P l a t z h o f f , Gesch. d. europäischen Staatensystems 1559 bis 1660 (28). G a u s s , 6 I m Frieden zu T h o r n (1466) hatte der deutsche Orden den größten T e i l seines Gebiets an Polen abgetreten. D i e i h m verbliebenen Gebiete östlich der Weichsel w u r d e n nach dem Ü b e r t r i t t des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg zum evangelischen Glauben 1525 weltliches, polnisches Lehen. β F a v r e , Neuenbürgs U n i o n m i t Preußen u n d seine Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft (32). 7 B e r g e r , RG. d. schwedischen Herrschaft i n Vorpommern (36).

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I V . Die Neuzeit

D i e westfäl. Mission Wettsteins, ZSchwG. 28 (48). E r d m a n n s d ö r f e r , Deutsche Geschichte vom Westfäl. Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs d. Großen, I. I I (1892/93). I m m i c h , Geschichte d. Europ. Staatensystems 1666—1789. Κ o s e r , F r i e d r i c h d. G r o ß e 7 1 — I V (25). R i t t e r , Friedr, d. Große (36). ν. H e i g e 1, Deutsche Gesch. ν. Tode Friedrich d. Gr. bis zur Auflösung d. alten Reiches, I. I I (1899—11). R o t h v . S c h r e c k e n s t e i n , Gesch. d. ehemaligen freien Reichsrittërschaft I . I I (1857). E b e r b a c h , D i e deutsche Reichsritterschaft . . . bis zum Jahre 1495 (13). F e l l n e r , D i e fränk. Ritterschaft von 1495 bis 1524 (05). M a u , D i e Rittergesellschaften i n Schwaben (41). S. a. § 82 A n m . 2.

δ 64. Geistige Strömungen

I. Schon im Mittelalter war das Recht und nodi mehr die Rechtsbetraditung unter den Einfluß wissenschaftlicher Lehrsätze und Methoden gekommen, im besonderen unter den der Scholastik. In der Neuzeit hat solche Beeinflussung eine überragende Bedeutung gewonnen. Die Gründe hierfür sind mannigfacher Art. Grundlegend Wat die Tatsache, daß nunmehr alle Gebiete des Lebens, aber auch das Recht selbst, zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung wurden, die sich ihrerseits aus dem Banne der Scholastik gelöst hatte, Es kam hinzu, daß die Rechtsbildung mehr und mehr in die Satzung verlegt wurde. Diese aber war das Erzeugnis, wenn nicht eines Einzigen, so doch einès kleinen Kreises, der von einzelnen wissenschaftlichen Theorien um so eher geschlossen erfaßt werden konnte, als er durchweg der gleichen gieistigen Schicht angehörte, in der diese verwurzelt waren. So haben sich die Anfänge der allgemeinen Rechtslehre, die jeweiligen Wirtschaftstheorien, die Lehren von Wesen, Zweck und Aufgabe des Staates und von der Staatsgewalt, der religiöse Indifferentismus und die mit ihm verbundene Toleranzbewegung, schließlich Weltanschauungen und damit verknüpfte politische Anschauungen in der Gesetzgebung ausgewirkt. Die Neuzeit wurde zu einer Epoche der ideenbedingten und ideenverwirklichenden Rechtsbildung. II. Die allgemeine Rechtslehre der Neuzeit war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Lehre des Naturrechts. In das Altertum zurückweisend, war der Naturrechtsgedanke von Augustin, dann von Thomas von Aquin aufgenommen worden und schon im Hochmittelalter herrschend, im Bereich der Rechtslehre auch in der Glosse zum Sachsenspiegel. Aber erst, der holländische Jurist Hugo Grotius (1583 bis 1645) hat das ^ Ι μ Γ Γ β Λ ί in ein praktisches System gebracht (De iure belli et pacis, 1625) und so seinen Siegeszug ermöglicht, in Deutschland getragen von Samuel Pufendorf (1632—1694), Christian Thomasius (1655—1728), Justus Friedrich Runde (1741—1807), in England von Thomas Hobbes (1588—1679). Innerhalb dieses Kreises zeigen

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sich Abweichungen i n der Begründung des Na tur rechts und i n Einzelheiten. Gemeinsam ist A l l e n der Begriff des Naturrechts als eines Rechts, das der N a t u r des Menschen entspricht. Verschieden ist die Begründungi indem z. B. Grotius vom Geselligkeitsbedürfnis (appetitus societatis) ausgeht, Hobbes aber es verneint u n d vom b e l l u m omn i u m contra omnes seinen Ausgang nimmt. Das Naturrecht steht i m Gegensatz zum kirchlichen Recht und zum positiven Recht des Staates, insoweit es nicht inhaltlich von diesem aufgenommen w i r d . Es enthält allgemeingültige u n d unwandelbare Sätze, ist vor dem Staat und über ihm. D e r Einfluß des Naturrechts ergab sich nicht- zuletzt auch daraus, daß es zum römischen Recht vielfach i n stärkerem Gegensatz stand als zum deutschen Recht, deutsche Rechtssätze als naturrechtliche verkündete und demgemäß i m 18. Jahrhundert die Reaktion gegen das römische Recht unterstützend beeinfiußte. D e r Zeit der A u f k l ä r u n g entwuchs, von Rousseau u n d K a n t vertreten, eine andere A r t von Naturrecht, ein aus der N a t u r (Wesen) des Rechts abgeleitetes Rechtssystem 1 . W u r d e hier der Kampf gegen das (ältere) Naturrecht vom Boden der Erkenntnistheorie aus geführt, so von der historischen Rechtsschule der K a m p f auch gegen diese neue F o r m durch den Nachweis der Zeitgebundenheit u n d Volksgebundenheit jeder positiven Rechtsordnung 2 . I m 19. Jahrhundert hat das Naturrecht an Boden verloren, gewinnt i h n aber heute überall wieder zurück, da das Bewußtsein der Notwendigkeit absoluter Maßstäbe, an denen das staatliche Recht gemessen werden kann, Allgemeingut geworden ist. I I I . I n engstem Zusammenhang m i t dem Naturrecht stand die staatsrechtliche Theorie, insoweit sie sich m i t dem G r u n d des Staates beschäftigte. Nicht ohne antike und mittelalterlich-kirchliche Vorgänger hat zuerst Hobbes den gedanklichen Ursprung des Staates, aber keineswegs den geschichtlichen Ursprung des einzelnen Staates, i n einem Vertrag der von N a t u r freien Menschen, dem sogenannten Gesellschaftsvertrag, erblickt 3 . Durch diesen Vertrag läßt er den status civilis entstehen, der den status naturalis und den i n i h m gegebenen K r i e g aller gegen alle überwindet. Diese Vertragslehre 1 K a n t , Metaphysik der Sitten I (1797). F i c h t e , Grundlage des Naturrechts (1796). Dazu B u c h d a , Das Privatrecht I m m a n u e l Kants (29). D ü l c k e i t , Naturrecht u. positives Recht bei K a n t (32). 2 Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß dieser Nachweis gegenüber dem Naturrecht nicht entscheidend durchschlägt, da das Seiende gegenüber dem Seinsollenden als Unrecht erscheinen kann. Jedenfalls aber hat Savigny die von i h m geführte geschichtliche Rechtsschule als eine Gegenbçwegung gegenüber der naturrechtlichen verstanden. 8 Elementa philosophica de cive (1642), Leviathan sive de materia, forma et potestate civitatis ecclesiasticae et civilis (1651).

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w u r d e m i t dem Naturrecht zur herrschenden, allerdings i n nicht immer fördernder Weiterbildung. So hat Pufendorf i m Vertrag auch die historische Grundlage der Staaten gesehen 4 . Dagegen ist bei Rousseau 5 , bei Fichte u n d K a n t die rein gedankliche Bedeutung der Vertragslehre wiederum unzweideutig. A b e r bei keinem ihrer Vertreter ist die Frage nach dem Staatsgrund Selbstzweck. Sie ist erwachsen aus der Frage nach der Rechtfertigung der Staatsgewalt/Diese selbst reicht w e i t i n das M i t t e l a l t e r zurück. Schon Marsilius von Padua hatte sie dahin beantwortet, daß sich das V o l k durch Vertrag (Subjektionsvertrag) dem Herrscher unterworfen habe. Er ging dabei aus von dem Gedanken, daß die Staatsgewalt ursprünglich dem Volke zustehe, also von dem der Volkssouveränität, u n d knüpfte daran den Schluß, daß sie vom V o l k an einen einzelnen übertragen werden könne. Nach i h m haben diese Ansicht m i t zahlreichen anderen N i k o laus von Cues (1401—1464) und Johannes Althusius (1557—1638) i n verschiedener Färbung vertreten. Es ergab sich daraus die weitere Frage nach der rechtlichen N a t u r dieser Übertragung. Sie wurde teils als eine unwiderrufliche translatio der Staatsgewalt an den H e r r scher, teils als eine bloße concessio i m p e r i i aufgefaßt, die eine Rücknahme der Gewalt durch das V o l k ermöglichte u n d diesem die Souveränität der Substanz nach belasse. So konnte vom Subjektions vertrag aus sowohl die Volkssouveränität als auch die Herrschersouveränität gerechtfertigt werden. Außerdem aber gewährte dieser Vertrag die Möglichkeit, die Übertragung der Staatsgewalt an die Einhaltung des Vertrags durch den Herrscher zu binden, w u r d e also zur Stütze des Widerstandsrechts gegenüber dem ungetreuen H e r r scher®. I n eine wesentlich andere Richtung wurde die Lehre vom Gesellschaftsvertrag geführt durch Rousseau. Er erklärte die volonte générale, den Gesamtwillen, als k r a f t des Gesellschaftsvertrages souverän. Diese Souveränität ist unveräußerlich, unbeschränkbar und auch der Ausübung nach unübertragbar, ihre einzige Äußerungsform die Gesetzgebung. D i e Einzelnen aber sind frei und staatsbürgerlich gleich. So legte Rousseau den G r u n d zur modernen Lehre von der Volkssouveränität und zur neuzeitlichen Demokratie 7 . A u f der auch von Rousseau festgehaltenen Vertragslehre beruhen wesentliche Erscheinungen i m Staat des 19. Jahrhunderts, auf ihrem Einfluß die Pro4 D e statu i m p e r i i Germanici l i b e r unus (1667). Zuerst unter dem Pseudon y m Severinus de Monzambano. Neuausgabe von Salomon (10). 6 D u contrat social ou principes du droit public (1762). 6 Vgl. das u. a. W e r k von W o l z e n d o r f f . 7 D i e volonté générale ist nicht gleich m i t der volonté de tous. Sie ist das W o l l e n des allgemeinen Besten.

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gramme der liberalen politischen Parteien. D i e Volkssouveränität wurde zur Grundlage politischer Forderungen des Sozialismus und hat schließlich i n der Weimarer Reichsverfassung von 1919 einen ersten gesetzlichen Niederschlag gefunden. Staatszweck w a r i n der beginnenden Neuzeit zunächst ebenso wie i m M i t t e l a l t e r und schon i n der A n t i k e die Erreichung der Wohlfahrt des einzelnen w i e der Gesamtheit. D e r unbegrenzte u n d nach Zeit und O r t schwankende I n h a l t des Wohlfahrtsbegriffs ermöglichte dem absoluten Staat, die Fürsorge für das W o h l des einzelnen, die sogenannte staatliche Polizei, auf die verschiedensten Gebiete, auch auf das wirtschaftliche, religiöse, geistige, persönliche Gebiet, i n seinem Sinn auszudehnen. Dies führte zu weitgehenden Eingriffen i n das Leben des Individuums, zu einer Zwangsbeglückung auch gegen dessen Willen. D e r Höhepunkt der V e r w i r k l i c h u n g dieses weitgespannten, oft sehr w i l l k ü r l i c h e n Wohlfahrtszwecks liegt i m absoluten Staat und i m Polizeistaat des 18. Jahrhunderts, der noch keine verfassungsrechtlichen Schranken zugunsten des Untertans gegenüber dem Souverän und der Staatsallmacht kennt. D i e theoretische Begründung erfolgte durch Christian Wolff (1679—1754)8 und von Justi (1705—1771)9. M i t der von ihnen vertretenen Lehre berührt sich i n der Weite des Erfassens die von Friedrich Julius Stahl (s. u. VI), die den Staatszweck i n der E r f ü l l u n g eines religiösen Berufs sieht. Sie ist die klassische Grundlegung des auf konservativer Weltanschauung ruhenden christlichen Staates. I n bewußtem Gegensatz zur Wohlfahrtslehre beschränkte K a n t den Zweck des Staates auf die Aufstellung und Erhaltung der Rechtsordnung. Er erkannte Grenzen zwischen der Macht des Staates u n d der staatsfreien Sphäre des Individuums und damit den Rechtsstaat i m neuzeitlichen Sinn. Durch die Aufnahme von Freiheitsrechten i n den Verfassungen, die Errichtung unabhängiger Gerichte u n d die Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit i n den Einzelstaaten, w u r d e dieser i m 19. Jahrhundert ausgebaut 10 . M i t K a n t stimmten w e i t h i n überein Fichte 1 1 und W. v. H u m b o l d t 1 2 . I V . D e n Wirtschaftstheorien i m strengen Wortsinn ging seit dem 17. Jahrhundert voraus eine Periode von wirtschaftspolitischen A n 8

lus naturae methodo scientifica pertractatum (1740). F r a u e n d i e n s t , Chr. Wolff als Staatsdenker (27). 9 Grundsätze der Polizeiwissenschaft (1756). 10 P l a t h n e r , D e r K a m p f u m die richterliche Unabhängigkeit (35; dazu T r i e p e l ZRG. 56, 646). 11 Grundlage des Naturrechts (1796). 12 Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der W i r k s a m k e i t des Staates zu bestimmen (hrsg. v. Cauer 1851).

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IV. Di

Neuzeit

schauungen, die man später unter dem Namen des Merkantilismus zusammenfaßte. Sie beruhten auf der Annahme einer überragenden Bedeutung des Geldbesitzes für die politische und wirtschaftliche Macht. Folgerichtig war von da aus das Streben nach aktiver Handelsbilanz, einem Uberwiegen der Geldeinfuhr für ausgeführte Waren gegenüber der Geldausfuhr für eingeführte Waren. Daraus ergab sich eine wirtschaftspolitische Gesetzgebung und Verwaltung, die die Einfuhr ausländischer Waren, insbesondere von L u x u s w a T e n , zu unterbinden und zugleich die einheimische Ausfuhrindustrie zu heben suchte. Allerdings konnte die damit gegebene autarkische Richtung nur in den größeren Territorien praktische Bedeutung erlangen, wie in Brandenburg-Preußen und in Österreich. Dem Merkantilismus huldigten führende Fürsten wie Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640—88), Friedrich der Große (1740—86), badische Markgrafen, Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz (1648—80), Josef IL von Österreich (1780—90). Ergab sich aus der merkantilistischen Einstellung die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Wirtschaftsverkehrs, so führte die von dem Franzosen François Quesnay (1694 bis 1774) begründete physiokratische Wirtschaftstheorie zur Beschränkung staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben und zur Beseitigung künstlicher H e m m u n g e n seines Ablaufs. Nicht ohne innere Berührung mit dem Naturrecht ruhte dér Physiokratismus auf dem Gedanken einer natürlichen Ordnung des Wirtschaftslebens (ordre naturel). Da er die einzige Quelle des Reichtums in der Bearbeitung von Grund und Boden sah, mußte er die Bedeutung der Landwirtschaft gegenüber Industrie und Handel betonen. Der tatsächliche Einfluß dieser Lehre war nicht sehr erheblich. Josef II. und Leopold II. (1790—92) von Österreich nahmen einige physiokratische Gedanken auf, und Karl Friedrich von Baden (1738—03) hat in einzelnen Dörfern Versuche mit dem physiokratischen Steuersystem machen lassen, die aber mit einem Mißerfolg endeten13. Nicht unabhängig von den Physiokraten war der schottische Nationalökonom Adam Smith (1723 bis 1790), der aber die Quelle des Reichtums weder mit den Merkantilisten im Handel, noch mit den Physiokraten im Bocjen, sondern in der Arbeit sah. Zugleich vertrat er den Grundsatz der Freiheit des Handels und leitete die liberalistische Wirtschaftsauffassung ein, die im Gegensatz zur bisherigen jedes Eingreifen des Staates in den wirtschaftlichen Ablauf durch gesetzliche Verbote und Gebote und durch Schutzzölle verwarf. 1S S c h ü n e m a n n , D i e Wirtschaftspolitik Josefs II., M Ö I G . 47 (33) 13. H o l l d a c k , D e r Physiokratismus u. d. absolute Monarchie, HZ. 145 (32) 517.

§ 64. Geistige Strömungen

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V. W e i t über das Gebiet des Religiösen hinaus hatte die Reformation die geistige H a l t u n g des Volkes i n neue Bahnen gelenkt. A u f rechtlichem Gebiet hatte sie nicht n u r eine neuartige Regelung des Verhältnisses des Staates zur evangelischen und w e i t e r h i n auch zur katholischen Kirche zur Folge. Es konnte nicht ausbleiben, daß die aus dem Gegensatz der Religionen entsprungene Vertiefung und Strenge des religiösen Denkens die Auffassung der Herrscher von ihren Pflichten und darüber hinaus die Verwaltung des Staates maßgebend beeinflußten. A m deutlichsten zeigt sich dies i m preußischen Staat des 17. u n d 18. Jahrhunderts 1 4 . Ferner enthielt die Reformation auch den K e i m der Toleranzbewegung und damit der staatlichen Toleranzgesetzgebung, die unter dem Einfluß der A u f k l ä r u n g seit dem 18. Jahrhundert u n d dann unter dem des Liberalismus i m 19. Jahrhundert zum entscheidenden Durchbruch gelangte 1 5 . Schon i n der deutschen Bundesakte w u r d e für die christlichen Religionsparteien jeder „Unterschied i n dem Genüsse der bürgerlichen und politischen Rechte" aufgehoben und die Gleichstellung der „Bekenner des jüdischen Glaubens" i n Erwägung gezogen. Durch Gesetz von 1869 erfolgte sodann die Gleichstellung aller Konfessionen i n bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht. Inzwischen w a r das Recht der vollen Glaubens- u n d Gewissensfreiheit i n die Grundrechte von 1848 aufgenommen und kehrte i n A r t . 135 der Reichsverfassung von 1919 wieder. VI. A l l e diese Theorien und Ideen siild i i i den einzelnen Zeiträumen durch eine sie beherrschende Grundstimmung miteinander verknüpft, aus der sie hervorgewachsen sind. W a r dies bis i n das 18. Jahrhundert die Lehre des Naturrechts, so ist es seit dessen M i t t e die m i t jener eng verwandte A u f k l ä r u n g , neben i h r seit dessen Ende die Romantik. Doch hat schon diese zwar den erheblichsten Einfluß auf die Rechtswissenschaft ausgeübt, aber nur mittelbar auf die Rechtsbildung. Dies hatte verschiedene Gründe. D e r eine lag darin, 14 Z u diesem Einfluß vgl. aus der reichen L i t e r a t u r v. B e l o w , D i e U r sachen d. Reformation (17). D e r s . , Bedeutung d. Reformation für die polit. E n t w i c k l u n g (18). v. S c h u b e r t a. zu § 77 a. Ο. H i n t ζ e , Kalvinismus u. Staatsräson. i n Brandenburg zu Beginn d. 17. Jahrh., HZ. 144 (31) 229. T r ö l t s c h , D i e Soziallehren d. christl. Kirchen, ASwSp, 26 (07). 27 (08). L a n g , Luthers Lehre von der O b r i g k e i t , P r j b b . 75 (1894) 426. J o r d a n , Luthers Staatsauffassung (17; dazu B r i n k m a n n , VjsSWG. 15, 125s). P a u l s , Luthers Auffassung von Staat u. V o l k 2 (27). H e c k e l , Recht u n d Gesetz, Kirche u. O b r i g k e i t i n d. Lehre Luthers, ZRG. Kan. 26 (37) 285. S o h m , D i e sozialen Lehren Melanchthons, HZ. 115 (16) 64. B a r o n , Calvins Staatsauffassung u. das konfessionelle Zeitalter (24). Β o h a t e c , C a l v i n u. d. Recht C34). D e r s . , Calvins Lehre von Staat u. Kirche (37). F a r n e r , D i e Lehre von Staat u. Kirche bei Z w i n g l i (30; dazu Köhler, ZRG. Kan. 20, 669). 15 Literarisch bedeutsam w a r Spinoza, Theologisch-politischer T r a k t a t (1670), später Schriften von Pufendorf u n d Thomasius.

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daß die Blütezeit der Romantik i n eine Ebbezeit der Gesetzgebung fiel. D e r andere aber w a r dadurch gegeben, daß die Rechtsbildung i m konstitutionellen Staat, also seit der Mittè des 19. Jahrhunderts i n fast allen Ländern und sodann i m Reich, an die M i t w i r k u n g einer Volksvertretung gebunden war, deren Zusammensetzung auf den politischen Parteien beruhte. Daher war die Rechtsbildung durch be· stimmte Weltanschauungen beeinflußt, die zwar ihrerseits auf wissenschaftlichen Theorien aufgebaut sein konnten, aber doch über diese weit hinausreichten.

Die wirksamste Bewegung des 19. Jahrhunderts war der Liberalismus. Dies beruht nicht nur auf dem Einfluß, den er unmittelbar auf den Staat, die Gesetzgebung, auf die gesamte Geisteshaltung ausgeübt hat, sondern auch darauf, daß er der Ausgangspunkt der politischen Parteibildung überhaupt war. Alle großen und politischen Parteien sind ihm entwachsen oder im Gegensatz zu ihm entstanden. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln des Liberalismus lagen im Ausland, in den Lehren von Montesquieu und Rousseau, in der französischen Revolution, in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1791, also im ganzen in der Aufklärung, im Rationalismus. Politisch und geschichtlich ist der Liberalismus die Gegenströmung gegen den Absolutismus. I n Deutschland stützten den liberalen Gedanken Kant und Wilhelm von Humboldt 16 , nicht ohne ihn sittlich zu vertiefen. Praktisch trug ihn das besitzende und gebildete Bürgertum. Stark prinzipiell und theoretisch, daher auch geneigt zum Radikalismus, errang der (sog. vormärzliche) Liberalismus nach den Befreiungskriegen als politische Bewegung die Herrschaft in Süddeutschland. Dort fand diese auch ihren wirksamsten Vertreter in K a i l von Rotteck (1775—1840)17. Das Frankfurter Vorparlament war eine liberale Versammlung und auch in Preußen hatte der Liberalismus kurz vorher beträchtlich an Boden gewonnen. Im Reich erlangte die nationalliberale Partei entscheidenden Einfluß (liberale Ära), der allerdings im Kampf mit Bismarck 1878 endete. Von da ab entbehrte der gesamte Liberalismus ausschlaggebender politischer Bedeutung. Eine ganze Generation, die ihre Hoffnungen vornehmlich auf Kaiser Friedrich gesetzt hatte, kam nicht zum Zuge. Das Bild des Liberalismus ist kein einheitliches. Abgesehen von der späteren parteimäßigen Zersplitterung, war er von Anfang an in zwei Richtungen aufgespalten. Die eine war, von Rousseau ausgehend, doktrinär, radikal und demokratisch, die andere, an Montesquieu anknüpfend, gemäßigt und evolutionär. Sieht man von all dieser Ver16

S. o. A n m . 12. Allgemeine Geschichte I — V I (1822—68). Dazu R o t t e c k - W e l c k e r , Staatslexikon I — X V (1834—43) u . 3 Erg.Bde. (1846—48). 17

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schiedenheit ab, so w i r d der Liberalismus von zwei Grundgedanken getragen, der eine ist der Freiheitsgedanke und bedeutet persönliche Freiheit vom Staat innerhalb gesetzlicher Schranken, Freiheit des Glaubens u n d der Meinungsäußerung, der Wissenschaft, der w i r t schaftlichen Betätigung ohne, staatliche Eingriffe (Manchestertum), des Eigentums 1 8 , der Presse, des Vereins- u n d Versammlungswesens, i m Ganzen den Schutz des Einzelnen vor der Gesamtheit. D e r andere ist der politische Einheitsgedanke, die Idee des Nationalstaats, die auch i m Ausland m i t dem Liberalismus zusammen erscheint. D a m i t verband sich i n nicht leicht verständlicher Weise zunächst auch ein W e l t bürgertum, das sich bis zum Pazifismus steigern konnte. D i e E i n w i r k u n g des Liberalismus auf die Gesetzgebung w a r um so größer, als liberale Ideen nicht n u r von liberalen Parteien vertreten, sondern auch von anderen aufgenommen oder doch unterstützt wurden. Er verstärkte den Grundsatz der Selbstverwaltung, der als Teilnahme der Staatsbürger an der Staatsverwaltung i n der F o r m des konstitutionellen Staates, i n der hartumkämpften Selbstverwaltung der Gemeinden, i n der Einführung der auch durch ihre germanistische H e r k u n f t empfohlenen Schwurgerichte zum Ausdruck kam. L i b e r a l ist die Forderung des Rechtsstaats, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Aufhebung aller Sonderrechte, w i e der Lehen und Fideikommisse^, des Jagdrechts auf fremdem G r u n d und Boden u n d der Patrimonialgerichtsbarkeit, aber auch aller Benachteiligungen. So weist w o h l die gesamte Gesetzgebung bis 1933 liberale Einschläge auf, u n d nur typische Beispiele sind die Gesetze v o n 1867 über Freizügigkeit und Aufhebung des Pafizwangs, von 1868 über Beseitigung polizeilicher Beschränkungen der Eheschließung, von 1869 über die Gleichberechtigung der Konfessionen i n staatsbürgerlicher Beziehung u n d die Gewerbefreiheit (Gewerbeordnung), von 1875 über die obligatorische Zivilehe, das Vereinsgesetz von 1908, i n vielen A r t i k e l n auch die Weimarer Reichsverfassung von 1919. Schon f r ü h trat dem Liberalismus der Konservativismus gegenüber. Geistesgeschichtlich ein K i n d der Romantik, griff er zurück auf die Vergangenheit u n d gelangte folgerichtig zur Ablehnung a l l der Ideen, die i m Bruch m i t i h r ein i n manchen seiner Spielarten radikaler Liberalismus durchzusetzen sich bemühte. Aufbau des Staates auf christlicher Grundlage, damit Ungleichstellung der Konfessionen, christliche Ehe, Regelung der Wirtschaft durch Gesetze waren antiliberale Forderungen. Dabei wies der Konservativismus Änderungen nicht ab, er erwartete sie aber von der organischen Entwicklung. D e r 18

Uber die Schattenseiten einer allzu ungebundenen, individualistischen Eigentumsordnung M e r k , Das Eigentum i m Wandel der Zeiten (34).

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I V . Die Neuzeit

Verzicht auf planmäßige F ü h r u n g der Entwicklung mußte mehr zur A b w e h r als zum positiven Handeln führen und konnte Werbekraft n u r da entfalten, wo Interesse an der Aufredhterhaltung der bisherigen Zustände bestand. Theoretisch unterbaut wurde der Konservativismus i n sehr verschiedener Weise: v o n K a r l L u d w i g v. Haller (1758—1864)19 u n d Friedrich Julius Stahl (1802—1861)20. M i t dem Konservativismus verwandt, erstand schon i n den Landtagen der süddeutschen Staaten die Zentrumspartei, die Vertretung der katholischen Weltanschauung. A u c h sie w a r zunächst beeinflußt von der Romantik, v o r allem aber abhängig von der naturrechtlich unterbauten Auffassung der Kirche v o m Staat u n d seinen Zwecken und von ihren sozialen Anschauungen, w i e sie i n verschiedenen E n z y k l i k e n des Papstes zu maßgebendem Ausdruck kamen 2 1 . Politisch trat sie ein f ü r die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat u n d ihre Freiheit innerhalb des Staates, f ü r die christliche Ehe u n d f ü r die konfessionelle Schule. D i e Konzentration auf diese Punkte führte z w a r nicht zu mangelnder Beteiligung an der Gesamtheit der p o l i t i schen und gesetzgeberischen Probleme, ermöglichte aber außerhalb ihrer Vergleiche m i t anderen Richtungen u n d die verschiedenartigsten politischen Verbindungen. Deren Folge w a r einerseits, daß es dem Zentrum gelang, die i h m wesentlichsten Forderungen i n der Gesetzgebung durchzusetzen, wie insbesondere noch i n der Reichsverfassung von 1919, anderseits die Unentbehrlichkeit und Verwendbarkeit des Zentrums für die Regierungspolitik u n d schließlich die Regierungsbildung. Als jüngste der großen politischen Parteien des 19. Jahrhunderts erschien i n den dreißiger Jahren die sozialdemokratische, zunächst i n vereinzelten Ansätzen. Zu stärkerer W i r k u n g gelangte die i h r zugrunde liegende sozialistische Weltanschauung erst, als sie durch K a r l M a r x (1818—1883) eine theoretische Grundlegung erfahren hatte 2 2 . Noch 1848 hatte das von i h m u n d F r i e d r i c h Engels verfaßte Parteiprogramm, das Kommunistische Manifest, keinen nachhaltigen Eindruck zu erwecken vermocht. K a r l Marie w a r ausgegangen von Hegels Staatslehre u n d Philosophie, ist dann aber durch L u d w i g Feuerbach entscheidend beeinflußt worden. E r stand auf dem Boden der ökonomischen Geschichtsauffassung (historischer Materialismus), die alle gesellschaftliche u n d k u l t u r e l l e Entwicklung i n Abhängigkeit 19 Restauration d. Staatswissenschaft 2 (1820). D a z u G u g g i s b e r g , C . L. v. H a l l e r (38). 20 P h i l o s o p h i e des Rechts 5 Ι . II. (1870). Dazu M a s u r , F. J. Stahl (32). 21 1864 E n z y k l i k a Quanta cura m i t dem Syllabus e r r o r u m (Pius IX.), 1881 D i u t u r n u m , 1885 Immortale, 1891 Rerum novarum (Leo X I I I . ) , 1931 Quadragesimo anno (Pius XL). 22 Das K a p i t a l I (1867). I I . I I I erst nach dem Tode d. Verf. hrsg.

§ 6 4 . Geistige Strömungen

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von wirtschaftlichen Vorgängen sieht. So w u r d e i h m die Geschichte zu einer ununterbrochenen Kette von, Wirtschaftskämpfen, i n denen die von den Produktionsmitteln ausgeschlossene Klasse m i t deren Besitzern u m die Herrschaft über diese ringt. A l l e Geschichte w a r i h m Klassenkampf, der demzufolge zu den Programmpunkten der sozialdemokratischen Partei gehörte und i n der den Gegensatz zwischen der herrschenden kapitalistischen Klasse u n d der beherrschten A r beiterklasse aufhebenden D i k t a t u r des Proletariats sein Ende finden sollte. D i e von Bismarck veranlaßte Kampfgesetzgebung (1878 Sozialistengesetz) trat 1890 außer Kraft. Sie hatte so w e n i g W i r k u n g w i e spätere gesetzgeberische Versuche dieser A r t . I m folgenden Jahr w u r d e n die Ziele der Partei i n einem neuen Programm festgelegt (Erfurter Programm), das bis 1919 i n Geltung blieb. D a der Gegensatz der Klassen nicht auf Deutschland beschränkt war, ergab sich zwangsläufig der internationale Zusammenschluß des arbeitenden Proletariats. Aus der sozialdemokratischen Partei erwuchsen i m ersten W e l t k r i e g die weiter links stehende Spartakusgruppe u n d die unabhängige sozialistische Partei. Aus jener entwickelte sich 1920 die Kommunistische Partei m i t dem Ziele der Gemeinschaftlichkeit nicht n u r der Produktionsmittel, sondern auch der Konsumtionsgegenstände. D e r Einfluß der ökonomischen Geschichtsauffassung reichte tief hinein i n das Leben des deutschen Volkes und w a r keineswegs auf die sie vertretenden Parteien beschränkt. Deren Einfluß auf die Rechtsbildung w a r zunächst ein sehr eigenartiger, insofern er zu einer arbeiterfreundlichen Gesetzgebung führte, durch die das im Wachstum u n d i n der Organisation des Arbeiterstands liegende Problem ohne grundsätzliche Änderung des Staatsaufbaus und der Staatsverwaltung gelöst werden sollte. Es ist dies die sogenannte sozialpolitische Gesetzgebung (s. § 65). D i e sozialdemokratische Partei aber w a r i n ihrem Einfluß auf die Gesetzgebung dadurch gehemmt, daß sie sich zumeist auf die parlamentarische Opposition beschränkte und zu keiner Zeit auch n u r die einfache Mehrheit i n einem Parlament zu erringen vermochte. Zudem ergab sich aus der i m materialistischen Ausgangspunkt beschlossenen Enge der Zielsetzung eine weitgehende Nachgiebigkeit i n zählreichen Einzelfragen, die es anderen Anschauungen ermöglichte, sich durchzusetzen. Dies w u r d e besonders deutlich, als die Partei (Mehrheitssozialisten) nach dem ersten Weltkrieg, nunmehr w i e schon seit einiger Zeit zu positiver Mitarbeit bereit, genötigt war, sich m i t Zentrum und Demokraten zur Weimarer K o a l i t i o n zusammenzuschließen. D a sie m i t dieser den kommunistischen Bestrebungen entgegentrat, k a m der dem Kommu-

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nismus entsprechende A u f b a u des Staates auf dem Rätegedanken über Anfänge zu Ende des Jahres 1918 allerdings nicht hinaus und wurde durch die i n i h r e r Mehrheit demokratische Nationalversammlung ausgeschaltet. A u f der anderen Seite ist die Sozialisierung der Unternehmungen zwar i n eben dieser Weimarer Verfassung ermöglicht worden (7 Ziff. 13; 12 I I ; 156), aber i n der Folgezeit auf wenige Produktionszweige, wie etwa Kohle und K a l i beschränkt geblieben. U n d keineswegs w a r die Verfassung als Ganzes die V e r w i r k l i c h u n g der von der sozialdemokratischen Partei vertretenen Anschauungen, vielmehr i n erheblichem Maße ein Kompromiß, bei dem sich der konservative Einschlag i n der P o l i t i k des Zentrums auch j e t z t noch geltend machte. I m m e r h i n aber ist nicht zu übersehen, daß die sozialdemokratische Partei eine der politischen K r ä f t e war, durch deren Zusammenwirken das Reich 1919 erhalten blieb, die Weimarer Verfassung zustande k a m und die Volkssouveränität i n einer demokratischen R e p u b l i k v e r w i r k l i c h t wurde. Während somit auch die Sozialdemokratie sich zu gemeinsamer A r beit m i t den übrigen Parteien bereit fand, w a r die nach dem ersten W e l t k r i e g ins Leben gerufene nationalsozialistische Bewegung A d o l f Hitlers (1889—1945) von vornherein darauf bedacht, alle anderen politischen und weltanschaulichen Gruppen entweder zu zerschlagen oder den eigenen Zielen dienstbar zu machen. Dieser sog. Totalitarismus, den ausländischen Vorbildern des Kommunismus u n d Faschismus nachgeahmt, führte i m Laufe weniger Jahre nach der „Machtergreifung" (1933) zu einer wenigstens äußerlichen „Gleichschaltung* 6 des ganzen Volkes. I n seiner großen Mehrheit versagte es sich dem A p p e l l an vermeintlich höchste sittliche Werte (nationale Ehre, Gemeinnutz, Rasse, Familie und Volkstum) u m so weniger, als die zunächst nicht abreißende Kette wirtschaftlicher u n d politischer Erfolge, eine erstmals i n soldier Vollendung auftretende Propaganda u n d nicht zuletzt die B i l l i g u n g weiter Kreise des Auslands den allermeisten eine Erkenntnis der wahren N a t u r ihrer Regierung besonders schwer machte. D i e Idee der Volksgemeinschaft, eines deutschen Sozialismus, die V e r w i r k l i c h u n g völkischer Ziele i n P o l i t i k und Gesetzgebung führte dem Nationalsozialismus zunächst Anhänger aus allen politischen Lagern zu, nicht n u r sog. nationale Kreise, sondern auch viele enttäuschte Marxisten. Als dann der Kirchenkampf und die Rassengesetzgebung, zunehmende K o r r u p t i o n und D i k t a t u r , endlich auch außenpolitisches Vabanque-Spiel einer immer größeren Zahl die Augen geöffnet hatten, w a r es bereits zu spät. Jn seinem Sturz nach dem unglücklichen Ausgang des m u t w i l l i g herbeigeführten zweiten Weltkriegs riß der Nationalsozialismus auch so

§ 6 5 . Wirtschaftliche Verhältnisse

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manches mit, was i n Recht und Wirtschaft der Pflege und Weiterführung w e r t gewesen wäre, u n d ließ das Reich i n Trümmern, das V o l k i n der größten Not seiner Geschichte zurück. S c h i l l i n g , Naturrecht u. Staat nach d. Lehre der alten Kirche (14). O. G i e r k e , Johannes Althusius u. die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien 4 (29). D e r s., Naturrecht u. deutsches Recht (1883). A r n o l d , Zur Frage d. Naturrechts bei M a r t i n L u t h e r (37). T h i e m e , D i e Zeit des späten Naturrechts, ZRG. 56 (36) 202. D e r s . , Das Naturrecht u n d die europäische Privatrechtsgeschichte (47). F. B e y e r l e , D e r andere Zugang zum Naturrecht, D R W . 4 (39)^3. L a n d s b e r g , Geschichte (s. § 71) I U I (1898). ν. Y ο 11 e 1 i η i , D i e naturrechtl. Lehren u. d. Reformen d. 18. Jahrh., HZ. 105 (10). W o l f (s. §71). S c h ö n f e i d, s Geschichte (ebda). F l e i s c h m a n n , Christian Thomasius (31). S a u t e r , D i e philos. Grundlagen d. Naturrechts (32). M i 11 e i s , Über d. Naturrecht (48). C o i n g , D i e obersten Grundsätze des Rechts (47). B r u n n e r , Gerechtigkeit (43). — R e h m , Gesch. d. Staatsrechtswissenschaft (1896). J e l l i n e k , Allgemeine Staatslehre 8 (21). S t a m m l e r , Rechts- u. Staatstheorie'n d. Neuzeit 2 (25). D e r s . , Deutsches Rechtsleben I. I I (28—32). ν. Β e ζ ο 1 d » D i e Lehre von der Volkssouveränität während des M A . (18). W o l z e n d o r f f , Staatsrecht u. N a t u r recht i n der Lehre v o m Widerstandsrecht (16). O. G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht I I I (1881) 568—645. I V (13) 209. 226. 378. 447. W o l f , Idee u n d W i r k l i c h k e i t des Reiches i m deutschen Rechtsdenken des 16. u. 17. Jahrh. (Reich u. Recht I, 1943). — Ο n c k e η , Geschichte der Nationalökonomie I 3 (22). G i d e - R i s t , Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen 8 (23). S c h m o l l e r , Das Merkantilsystem i n seiner histor. Bedeutung, i n Umrisse u n d Untersuchungen (1898). J a h n , A r t i k e l „ M e r k a n t i l i s m u s " u n d „ P h y s i o k r . System" i m HandWB. d. Staatswissensch. V I 4 (25). H o l l d a c k , Der Physiokratismus u. d. absolute Monarchie, HZ. 145 (32) 517. — H e r m e l i n k , Der Toleranzgedanke i m Reformationszeitalter (08). F ü r s t e n a u , Das Grundrecht der Religionsfreiheit (1891). — B e r g s t r ä ß e r , Gesch. d. politischen Parteien® (32) m i t zahlr. Schriftt. R o h d e n , D i e Hauptprobleme politischen Denkens von der Renaissance bis zur Romantik (25). S c h m i t t - D o r o t i c , Politische R o m a n t i k 2 (25). R i t t e r , Allgemeiner Charakter u. geschichtl. Grundlagen d. politischen Parteibildung i n Deutschland, i n „ V o l k - u. Reich d. Deutschen" hrsg. v. Harms, I I (21). S a l o m o n , Die deutschen Parteiprogramme, 3 Hefte 4 — 5 (31/32). (27). D e R u g g i e r o , Gesch. d. Liberalismus i n Europa (30). W e s t p h a l , W e l t - u n d Staatsauffassung d. deutschen Liberalismus (19). W e n t z k e u. H e y d e r h o f f , Deutscher Liberalismus i m Zeitalter Bismarcks I. I I (25/26). M e i n e c k e , W e l t b ü r g e r t u m u. Nationalstaat 7 (28). S p a h n , Das deutsche Zentrum (07). B a c h e m , Vorgesch., Gesch. u. P o l i t i k d. Zentrumspartei 1815—1914, I — I X (26—32). J o r d a n , D i e Entstehung d. konservativen Partei (14). D i e h 1, Sozialismus, Kommunismus u. Anarchismus 5 (23). L e n z , Staat u. Marxismus I. I I (21—23). C u n o w , D i e Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- u n d Staatstheorie 4 (23). A d l e r , D i e Staatsauffassung des Marxismus (22). — H i t l e r , Mein K a m p f (24). R a u s c h n i n g , Revolution des Nihilismus (38). ν. H i ρ ρ e 1, D. nat.-soz. Herrschaftsordnung als W a r n u n g u . L e h r e 2 (47).

§ 65. Wirtschaftliche Verhältnisse D i e wirtschaftlichen Zustände der Neuzeit müssen i n zwei A b schnitten betrachtet werden. D i e Zeit bis i n die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist einè Fortsetzung und allmähliche F o r t b i l d u n g der Zustände und Ansätze, die schon i m 15. Jahrhundert vorhanden

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sind. D o d i hat dèr Dreißigjährige K r i e g neben anderen kriegerischen Ereignissen und immer wiederkehrenden Seuchen dieser Entwickl u n g K r a f t entzogen und Rückschläge verursacht* so daß i m ganzen genommen wesentliche Veränderungen nur an einzelnen Punkten des Wirtschaftslebens eingetreten sind. U m so rascher vollzog sich die Entwicklung seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts und führte i m 19. zu einer kapitalistischen Umformung des Gesamtbildes der deutschen Wirtschaft, zu der eine dauernd zunehmende Verflechtung i n die Weltwirtschaft als Neuerscheinung hinzutritt.

I. Für die ländlichen Grundbesitzverhältnisse der ersten Periode ist grundlegend geblieben der Unterschied zwischen der westlicheil und südlichen Grundherrschaft des altdeutschen Gebiets auf der einen, der östlichen Gutsherrschaft des Kolonisationsgebiets auf der anderen Seite1. Die Grundherrschaft war im wesentlichen Rentengrundherrschaft mit geringer Eigenwirtschaft des Grundherrn. Dies bedeutete für den Bauern eine Verminderung seiner Frondienste, die Beschränkung persönlicher Abhängigkeit auf bestimmte Abgaben bei Verehelichung und im Todesfall und in weitem Umfang die Erblichkeit seines Besitzes. Nur in einzelnen Gebieten, wie in Bayern, war die Stellung der Bauern weniger günstig. Da und dort sind auch Versuche gemacht worden, die Rechte des Grundherrn zu steigern, die des Bauern am Gut zu bloßer Zeitpacht her abzudrücken. Das Gesamtbild ist dadurch nicht entscheidend beeinflußt worden, und der Einfluß des römischen Rechts auf solche Verschlechterung der bäuerlichen Lage darf nicht überschätzt werden. Wichtiger war es, daß die Grundherren die Gesamtheit der Bauern in ihren Gemeinnutzungen der Allmende und in der Verwaltung des Gemeinlandes beschränkten oder ganz ausschalteten2. Im Osten wurde dagegen die Eigenwirtschaft des Gutsherrn zur beherrschenden Erscheinung innerhalb des Gutsbezirks, in dem der Gutsherr seine wirtschaftliche Machtstellung mit leibherrlicher und gerichtsherrlicher Gewalt verband und stützte. Die Frondienste auf dem Gutsland wurden ungemessene. Das Besitzrecht des Bauern war meist nicht' 1 D i e obenstehenden Ausführungen berücksichtigen n u r die wirtschaftliche Lage. D i e Stellung des Bauern w a r aber nicht n u r durch sie bestimmt, sondern auch durch aas personenrechtliche Verhältnis, i n dem er zum G r u n d h e r r n oder p u t s h e r r n stand. Dingliches u n d persönliches Verhältnis greifen hier auf das engste ineinander, vielfach so sehr, daß auch der Sprachgebrauch die Folgen der dinglichen A b h ä n g i g k e i t von denen der persönlichen nicht mehr scharf scheidet. Vgl. daher auch § 66. 2 D i e Frage, welchen A n t e i l die wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnën Bauern an der Entstehung des Bauernkrieges hatten, bedarf i m m e r noch der Untersuchung. Doch dürfte das soziale Moment das rein wirtschaftliche überwogen haben. F r a n z , D e r deutsche Bauernkrieg (33) u. A k t e n band (35).

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erblich 8 . Auch die Erblichkeit ließ dem Gutsherrn die Möglichkeit offen, den Nachfolger unter den Söhnen des Bauern zu bestimmen. Das Bauernlegen wurde fortgesetzt. I m m e r h i n machte die Gesetzgebung i m 18. Jahrhundert, vereinzelt auch früher, Versuche, es zu bekämpfen, da die Einbeziehung des steuerpflichtigen Bauernlandes i n das steuerfreie Gutsland den fiskalischen Interessen des Staates und da die Vernichtung des Bauernstandes den wirtschaftlichen A n schauungen der Regierung widersprach. So w u r d e die Stçuerpflicht eingezogenen Bauernlandes aufrechterhalten oder seine Umwandlung i n Gutsland überhaupt verboten u n d für sonst frei gewordene Güter ein öffentlichrechtlicher Leihezwang eingeführt. Diesen hat insbesondere Preußen i m 18. Jahrhundert i n Fortsetzung der schon i m 16. Jahrhundert vorhandenen Anfänge angewandt 4 . D i e entscheidende Änderung dieser Verhältnisse erfolgte durch einen bis w e i t i n das 19. Jahrhundert hineinreichenden Vorgang, die sogenannte Bauernbefreiung, deren Ziel der persönlich u n d von Abgaben freie Bauer auf eigenem G r u n d u n d Boden war. Sie vollzog sich als ein Werk des absoluten Staates, aber i n verschiedener Weise u n d verschiedener Schnelligkeit, da nach dem eben Ausgeführten die tatsächliche Lage ungleich w a r und die Durchführung den einzelnen Staaten überlassen blieb. Auch griff sie über die Beseitigung grundherrschaftlicher u n d gutsherrschaftlicher Bindungen hinaus, indem sie späterhin auch m i t den aus Gemeinschaften stammenden Bindungen durch deren A u f t e i l u n g (Gemeinheitsteilung, Flurbereinigung) u n d durch Aufhebung der Gemengelage (Verkoppelung, Flurbereinigung) aufzuräumen versuchte. Bei aller Verschiedenheit i m einzelnen waren der Bauernbefreiung überall drei gleiche Richtpunkte gesteckt, die Aufhebung der persönlichen A b hängigkeit (s. § 66 a. E.), die Beseitigung der Eigentumsbeschränkungen und die Auflösung des Gemeinbesitzes. Eine weitere Gleichheit innerhalb der ganzen Bewegung ergab sich auch dadurch, daß sie fast überall i n den Gebieten begann, i n denen die Landesherren am freiesten bestimmen konnten, i n den staatlichen Domänen. D i e Beseitigung der Frondienste i m Osten und i n Bayern stieß auf die Schwierigkeit der Beschaffung eines Ersatzes für die dem Gutsherrn dadurch entgehenden Arbeitskräfte. Sie ist i n Bayern erst 1848 erreicht worden. D i e Freiheit des bäuerlichen Eigentums wurde auf verschiedenen Wegen durchgesetzt. I n einigen Staaten erhielten die Grundherren für den Verlust ihrer Rechte eine Entschädigung durch 8 Hofgebäude u n d I n v e n t a r standen vielfach i m Eigentum der Gutsherren, die sie errichtet u n d gestellt hatten. 4 So untèr Friedrich W i l h e l m I. (1739), Friedrich dem Großen (1749) und i m Preußischen Landrecht (1794).

v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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staatliche Renten (ζ. B. Württemberg, Hessen), i n anderen hatten die Bauern Ablösungssummen zu entrichten (ζ. B. Bayern). I m Osten wurde durch E d i k t von 1811 eine sogenannte Regulierung eingeleitet, durch die der Bauer freies Eigentum erhielt u n d von den Frondiensten befreit wurde, aber einen T e i l seines Landes dem Gutsherrn abtreten mußte 5 . Das Regulierungsedikt wurde 1816 nicht unwesentlich eingeschränkt, indem man die Regulierbarkeit auf die zu Spanndiensten verpflichteten, also die größeren Güter, beschränkte. F ü r die nicht regulierbaren Güter erging 1850 das Gesetz über die Ablösung der Reallasten. Durch dieses w u r d e n zahlreiche Lasten u n d Rechte des Gutsherrn ohne Entschädigung aufgehoben (ζ. B. Obereigentum, Heimfallsrecht, Jagdfronden, Wachdienste, Sterbefall). Andere konnten abgelöst werden. Zur Durchführung der Ablösung wurden Provinzialrentenbanken errichtet. Allerdings w a r die W i r k u n g des Gesetzes dadurch stark abgeschwächt, daß seit 1807 der Schutz der Bauerngüter gegen Einziehung wieder aufgehoben w a r und inzwischen zahlreiche Güter eingezogen waren. D i e Gemeinheitsteilungen erfolgten i n sehr verschiedenem Umfang, am stärksten i m Norden, während i m Süden gemeinsamer Besitz v o n Weide und W a l d erhalten blieb. Durchgehender w u r d e die Verkoppelung durchgeführt. I m 19. Jahrhundert ist nach dem Abschluß der Befreiungsgesetzgebung i n Preußen die Neuschaffung mittleren u n d kleineren bäuerlichen Besitzes durch das Ansiedlungsgesetz für Posen-Westpreußen (1886) und die Rentengutsgesetzgebung (1890/91) i n Angriff genommen worden (sogenannte innere Kolonisation). H i e r w i e i n anderen Gebieten mußten Uberspannungen ausgeglichen werden, die bei der Durchführung der Befreiungsgesetze vorgekommen waren. Insbesondere w a r hierbei eine große Zahl von Kleingütern entstanden, deren Bebauung unwirtschaftlich war, u n d zufolge der unbeschränkten Erbteilung nahmen diese dauernd zu. Auch hatte die A u f t e i l u n g des Gemeingutes zu einer schädlichen Verminderung insbesondere der Weiden geführt. D e m wurde durch Neubildung von Gemeinland und Regelung des Anerbenrechts entgegengewirkt. I n der gleichen Richtung bewegt sich das Reichssiedlungsgesetz (1919), das aber die Möglichkeiten des Erwerbs von Siedlungsland zu sehr einschränkt, als daß ein Ausgleich der Bodenverteilung zwischen Kleinbesitz und Großbesitz erreicht werden könnte. Dagegen wurde durch die VO. über das Erbbaurecht (1919) i m wesentlichen nur dem Bedürfnis nach Eigenwohnheimen eine Möglichkeit der Befriedigung 5 E i n D r i t t e l bei erblichem, die H ä l f t e bei nichterblichem Besitz u n d bei Zeitpacht. A n Stelle der A b t r e t u n g konnte auch eine Rente übernommen oder, eine Kapitalablösung geleistet werden.

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verschafft, und auch das Heimstättengesetz von 1920, das vielfach auf ältere deutsche Rechtsformen zurückgreift, ist nur beschränkt geeignet, den A u f b a u eines kräftigen Bauernstandes herbeizuführen. Immerhin zeigt sich i n dieser gesamten Gesetzgebung das 'Bestreben, der Epoche der Bauernbefreiung eine solche positiven Neuaufbaus folgen zu lassen. M i t größerer Stoßkraft, aber auch m i t einer jegliche Selbstbestimmung mißachtenden Gleichmacherei w u r d e dieser Plan i n der nationalsozialistischen Zeit i n Angriff genommen. D i e A u f hebung des Reichserbhofrechts durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 (1947) brachte dann nicht einfach eine Rückkehr zu den Anerbengesetzen des 19. Jahrhunderts, sondern eine W e i t e r b i l d u n g auf G r u n d der Erfahrungen auch des letzten halben Menschenalters. Hand i n Hand damit ging eine Bodenreform, deren soziale und wirtschaftliche A u s w i r k u n g e n dort, wo sie i n radikaler Weise vollzogen wurde, noch nicht entfernt abzusehen sind. I n den Städten, wo der G r u n d u n d Boden zumeist von Anfang an i n freiem Eigentum stand, hat sich der freie Bodenbesitz weiter ausgedehnt, indem schon i m M i t t e l a l t e r die i n Fronhöfen innerhalb der Stadt vorhandenen unfreien Leihen den freien städtischen Leihen angepaßt w u r d e n und spätestens i m Beginn der Neuzeit alle Leihen i n freies Eigentum übergingen. Dagegen hat hier die neueste Zeit i n der F o r m von Erbbaurechten wiederum eine wirtschaftlich abhängige Besitzform zu ausgedehnter Anwendung gebracht. Auch das i m mittelalterliche Stockwerkeigentum erlebt stellenweise eine A u f erstehung. Sowohl auf dem Lande w i e i n der Stadt w a r das Eigentum nicht n u r dingliches Recht. Zahlreiche öffentlichrechtliche Befugnisse waren m i t dem Grundeigentum verbunden, u n d dieses selbst w a r eng m i t der ständischen Gliederung verflochten. Herrschaftsrechte, Gemeinde- u n d Bürgerrecht, Sitz und Stimme i m Landtag, eine Reihe von ausschließlichen Gewerberechten hafteten als Realrechte an bestimmten Grundstücken. Es gab adlige, bäuerliche und bürgerliche Güter, die jeweils nur ein Angehöriger des betreffenden Standes erwerben konnte, bis i m 19. Jahrhundert diese ständische Gebundenheit aufgehoben w u r d e (Preußen 1807). II. Tiefgreifende Veränderungen vollzogen sich auf dem Gebiet des Handels. E r w a r zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch i n voller Blüte, u m dann i n k u r z e r Frist seine Machtstellung zu verlieren. Dazu mag m i t beigetragen haben, daß er sich mehr und mehr i n den Händen weniger Großkaufleute und monopolistischer, preistreibender „geselschaften der kaufgewerbsleut" vereinigte und damit die breite Grundlage u n d die Verbindung m i t den Belangen der ge17*

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samten Kaufmannschaft verlor 6 . D i e Hauptgründe aber waren andere. I m außerdeutschen ' Handel w u r d é n die Deutschen von Portugiesen und Spaniern verdrängt, an deren Stelle i m 17. und 18. Jahrhundert Holländer u n d Engländer traten. D i e Verlagerung des Welthandels nach dem Westen, engherzige P o l i t i k der Städte, Schwäche-der Reichsgewalt u n d Entziehung ausländischer Handelsprivilegien führten zu langsamem Niedergang der Hanse, die 1669 ihre letzte Tagung abhielt. D i e großen Kaufmannshäuser der oberdeutschen Städte, wie die der Fugger und Welser i n Augsburg, der Paumgartner, Tucher und Imhöf i n Nürnberg vermochten zunächst einen gewaltigen Aufstieg zu erzielen. Sie dehnten ihre T ä t i g k e i t auf Kommissionshandel und Spedition, auf die ihnen gegen gewaltige Darlehen von den Herrschern überlassene Ausbeutung von Bergwerken und auch sonst auf das Kreditgeschäft aus. D i e hierbei durch Zahlungsunfähigkeit ihrer Hauptschuldner, namentlich der Habsburger, der spanischen und französischen Könige erlittenen Kapitalverluste haben i h r e n Zusammenbruch i m frühen 17. Jahrhundert herbeigeführt. V o n i h m hat sich die deutsche Wirtschaft um so weniger zu erholen vermocht, als der Dreißigjährige K r i e g die Städte i h r e r finanziellen K r a f t beraubte und die Geldwirtschaft wenigstens vorübergehend da und dort der Naturalwirtschaft weichen mußte. Als Welthandelsstadt vermochte sich nur H a m b u r g zu behaupten, das allein noch einen Ausgang nach dem westlichen Meer beherrschte. Neben i h m spielten i m m e r h i n F r a n k f u r t a. M., zufolge seiner günstigen Lage an der Kreuzung der von Osten nach Westen und der von Süden nach Norden führenden Handelsstraßen, und Leipzig als Handelsplätze und Meßplätze eine bedeutende Rolle. Dagegen hat die i m Ausland seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts aufkommende Uberseehandelsgesellschaft i n den Formen einer Aktiengesellschaft n u r vereinzelt Eingang gefunden. Erst sehr spät k a m es zu einer Scheidung des Handels nach Warengattungen. Noch i m 18. Jahrhundert konnten sich Bankgeschäfte m i t Handel i n Wolle, Leder, Pfeffer, Getreide u. a. verbinden, und die 1772 von Friedrich dem Großen gegründete Seehandelsgesellschaft betrieb auch Salz- und Holzhandel i m Binnenland. Auch der Detailhandel auf dem Lande setzte sich erst i m 18. Jahrhundert durch und wurde i m Interesse des städtischen Handels gleich dem Hausierhandel lange Zeit bekämpft. E i n großer T e i l allen Handels w a r auch noch m i t dem für den M a r k t arbeitenden H a n d w e r k verbunden. Dieses selbst behielt wesentliche Stücke seiner hergebrachten Zunftβ Schon K a r l V. mußte i n seiner W a h l k a p i t u l a t i o n (1519) versprechen, gegen die erwähnten Handelsgesellschaften einzuschreiten.

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Verfassung, insbesondere den Zunftzwang, wenngleich Einbrüche i n dieses System schon i m M i t t e l a l t e r erfplgten und seit dem späten 17. Jahrhundert das Aufkommen von Großbetrieben die Unterstützung merkantilistisch eingestellter Landesherren fand. Auch ist das gemeinnützige W i r k e n der mittelalterlichen Zunft durch eigennützigen Zunftgeist verdrängt worden. Doch gelang es der Reichszunftordnung von 1731 nicht, die dem Gesamtinteresse unnützlichen Zünfte i n staatliche' Anstalten umzubilden. I I I . D i e Wirtschaftspolitik wurde, da das Reich aus Schwäche, die Städte aus Mangel an Weitblick und Großzügigkeit versagten, von den T e r r i t o r i e n i n die H a n d genommen 7 . I n Gewerbeordnungen und Polizeiordnungen, auch durch selbständige Durchführung der Reichszunftordnung, versuchten sie eine einheitliche Gestaltung der W i r t schaft innerhalb ihrer T e r r i t o r i e n zu erreichen, und die größeren unter ihnen, w i e Preußen u n d Österreich, fanden den Weg zu einer neuen Gestaltung der Wirtschaft, die man i n ihrer Abgeschlossenheit innerhalb des Landes als Territorialwirtschaft bezeichnen kann. Sie war i n der Ablehnung des Außenhandels merkantilistisch beeinflußt. I m Innern w u r d e eine ausgleichende Verteilung der Erwerbsmöglichkeiten versucht, indem man die Mehrzahl der Gewerbe u n d den Handel auf die Stadt beschränkte und dem Lande den Ackerbau überließ. So bildete sich der Begriff des bürgerlichen Gewerbes. V o n den T e r r i t o r i e n ging später auch die Beseitigung des Zunftzwanges aus und die Einführung der Gewerbefreiheit, die unter dem Einfluß physiokratischer Auffassung und nach dem Vorgang des revolutionären Frankreich zuerst i n Preußen (1810) erfolgte, durch die Gewerbeordnung (1869) auf das Gebiet des Norddeutschen Bundes und 1871 auf das Reich erstreckt wurde. I V . I m 19. Jahrhundert ist i n langem Werdegang die wirtschaftliche Einheit zunächst einzelner Territorien, dann größerer Gebiete erreicht worden. Bayern hat 1807/08, Preußen 1818 die Binnenzölle aufgehoben und durch Grenzzölle ersetzt. 1833 schlossen sich der bayrisch-württembergische Zollverein m i t dem preußisch-hessischen, Sachsen und Thüringen zum Deutschen Zollverein zusammen, dem bald darauf Baden, Nassau und F r a n k f u r t beitraten 8 . Seit 1871 stellt das Reich ein einheitliches Zoll- und Wirtschaftsgebiet dar, innerhalb dessen eine einheitliche Wirtschaftsgesetzgebung erstanden ist. 7 Über die nicht umfangreiche T ä t i g k e i t des Reiches vgl. H a a c k e , Wirtschaftspolizeiliche Bestimmungen i n den Reichsabschieden, JbNSt. 116 (21) 465. 8 Hauptvertreter des Zolleinigungsgedankens w a r der Nationalökonom Friedrich List (1789—1846). L e n z , Friedrich List (36).

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Das Schwergewicht der deutschen Wirtschaft verlagerte sich von der Landwirtschaft in die Industrie. Nur noch drei Zehntel der Bevölkerung lebten 1910 von der Landwirtschaft, mehr als die Hälfte von Handel und Industrie. In dieser gewann der Großbetrieb die führende Stellung gegenüber dem Handwerk. Die für ihn notwendigen Kapitalansammlungen führten zu einem starken Anwachsen der Aktiengesellschaften, denen die Gesetzgebung in der Novelle zum Handelsgesetzbuch von 1870 durch Verzicht auf die bis dahin erforderliche staatliche Genehmigung entgegenkam, um angesichts von nun auftretenden Mißbräuchen und Uberspekulation in der Novelle von 1883 eine schärfere Regelung zu versuchen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schlossen sich die Unternehmer der wichtigsten Industrien zu Verbänden (Kartelle, Syndikate, Trusts) zusammen, deren monopolistische Beherrschung des Marktes eine weitgehende Hemmung der freien Wirtschaft und Preisbildung zur Folge hatte. Von der Gesetzgebung wurden sie erst 1923 durch die sogenannte Kartellverordnung erfaßt. Auch die Landwirtschaft veränderte sich durch Eindringen des Maschinenbetriebs, den der Kleinbesitz nicht übernehmen konnte, während er dem Großbesitz die Verwendung ansässiger Dauerarbeiter ersparte und die von großenteils ausländischen Wanderarbeitern ermöglichte. Die Stellung des Staates gegenüber der Wirtschaft war verschieden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuide unter dem Einfluß liberaler und freihändlerischer Wirtschaftstheorien von gesetzlichen Eingriffen in die Wirtschaft abgesehen. Man überließ ihren Ablauf den Auswirkungen der freien Konkurrenz und der Vertragsfreiheit. Noch 1869 konnten der Norddeutsche Bund wie auch andere Länder um diese Zeit die Vereinbarung der Zinshöhe freigeben. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis der schädlichen Folgen einer ungehemmten Wirtschaft durch. Erst 1880 kam es zu einer 1893 ergänzten Wuchergesetzgebung, 1896 zu einem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb. Der zunehmenden Zurückdrängung des mittleren Gewerbes und Handels suchte man durch Wiederbelebung des Zunftgedankens zu begegnen. Durch Novellen zur Gewerbeordnung wurde die Bildung von Handwerkerinnungen, zum Teil als Zwangsinnungen, und von Handwerkskammern in die Wege geleitet (seit 1879). Außerdem hat aber auch der Staat selbst Wirtschaftsbetriebe in die Hand genommen, so im Gegensatz zu Frankreich und England schon frühzeitig den Betrieb der Eisenbahnen. Den Verhältnissen des Großbetriebs entsprang, aber weit über die Wirtschaft hinausgreifend, der soziale Gegensatz zwischen Unternehmertum und Arbeitern, der einen wesentlichen Teil der neueren

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Wirtschaftsgesetzgebung veranlaßt und beeinflußt hat. Zunächst setzte m i t dem Krankenversicherungsgesetz von 1883, den Gesetzen über Unfallversicherung (1884) u n d Alters- u n d Invaliditätsversicherung (1889) eine Reihe von Arbeiterversicherungsgesetzen m i t Zwangscharakter ein, i n denen Gedanken der schon mittelalterlichen gewerblichen Hilfskassen (ζ. B. Knappschaftskassen) und landesrechtlichen Krankenkassen (insbesondere i n Preußen) i n größtem Ausmaß fortgebildet wurden. Diese Sozialversicherung fand ihren Abschluß i n der jene Gesetze zusammenfassenden Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 und dem Versicherungsgesetz für A n gestellte vom 20.12. 1911. Eine zweite Gruppe bilden Bestimmungen über den Arbeiterschutz (Sonntagsruhe, Frauenarbeit, Kündigungsschutz usw.), die zuerst i n Novellen zur Gewerbeordnung (1878, 1892), dann i n einer F ü l l e von einzelnen Arbeiterschutzgesetzen niedergelegt wurden. Auch hier w a r die preußische Fabrikgesetzgebung (seit 1839) vorangegangen (s. § 64 VI). Doch beruhte diese Gesetzgebung ebenso wie das Arbeitsrecht der Weimarer Republik und seit 1945 nach wie v o r auf dem Gegensatz von Arbeitgebern und A r beitnehmern. D e r Versuch einer Uberbrückung, w i e i h n das nationalsozialistische Arbeitsrecht gemacht hat, verdient aber i n ruhigeren Zeiten wieder erwogen zu werden. K u l i s c h e r , A l l g e m . W G . I I (29). S i e v e k i n g , Grundzüge d. neueren WG. 5 (28). M a y e r , Deutsche Wirtschaftsgesch. d. Neuzeit (28). S a r t o r i u s v o n W a l t e r s h a u s e n , Deutsche W G . von 1815—19142 (23). S o m b a r t , Der moderne Kapitalismus I 2 . I I 1. 2 2 (16/17). v. B e l o w , Probleme der W G . (20) 399. 501. — G. F r . K n a p p , D i e Bauernbefreiung u. der Ursprung der Landarbeiter i. d. älteren Teilen Preußens (1887). D e r s . , Grundherrschaft u. Rittergut (1897). F u c h s , D e r Untergang des Bauernstandes u. das A u f k o m m e n der Gutsherrschaft (1888). G r o ß m a n n , D i e utsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse i n der M a r k Brandenburg (1890).

f ütge,

D i e mitteldeutsche Grundherrschaft (34). H. B r u n n e r , D e r Leihezwang i n der deutschen Agrargeschichte (1897 = A b h d l . I I 413). S e r i η g , Erbrecht u. Agrarverfassung i n Schleswig-Holstein (1897). R a c h f a h l , Schleswig-Holstein i n der deutschen Agrargeschichte, JbNatStat. 90 (09) 433. T h. K n a p p , Gesammelte Beiträge z. Rechts- u. Wirtschaftsgeschichte (02). D e r s . , Neue Beiträge zur RuWg. d. Württemberg. Bauernstandes I. I I (19). J e s s e n , D i e Entstehung u. E n t w i c k l u n g d. Gutsherrschaft, ZGschlholstG.51 (22) 1. M a y b a u m (s. § 35) 145. Κ 1 o t ζ , D i e schlesische Gutsherrschaft d. ausgehenden 18. Jahrh. (32). Z i e k u r s c h , H u n d e r t Jahre schlesischer Agrargeschichte 2 (27). D e r n b u r g , Lehrbuch d. preuß. Privatrechts I (1894) 479 (Agrargesetzgebung). — E h r e n b e r g , Das Zeitalter der Fugger 3 (22). K l u c k h o h n , Zur Gesch. d. Handelsgesellschaften u. Monopole i m Zeitalter der Reformation, Histor. Aufs, für Waitz (1886) 666. S t r i e d e r , a. zu § 35 a. O. F r e n s d o r f f , Das Reich u. die Hansestädte, ZRG. 20 (99) 127. P e t e r k a , Zum handelsrechtl. I n h a l t d. Gesellschaftsverträge Jakob Fuggers, ZHR. 73 (13) 387. A p e l b a u m , Basler Handelsgesellschaften i m 15. Jahrh. (15). Schulte, Rehme a. § 35 A n m . 12 a. O. — v. W e i c h s , Studien z. Handwerkerrecht d. ausgehenden 17. Jahrh. (39). — B u c h d a , Wirtschaftsrecht i n thüring. Landesordn., Festschr. Hedemann (38) 34. H e d e m a η η a. zu § 70 a. Ο.

248

IV. Di

Neuzeit

§ 66. Stände D i e Ständeverhältnisse der Neuzeit spiegeln den Entwicklungsgang von Reich, T e r r i t o r i e n und Städten wider. Sie erhielten sich i m alten Reich so gut w i e unverändert und bildeten sich i n den ü b r i gen Gebieten i n dem Maße um, i n dem diese selbst zu neuen Formen gelangten. D i e Gesamtrichtung der Entwicklung w a r die eines A b baus aller rechtlichen Standesunterschiede, der allerdings von einer Verschärfung sozialer Gegensätze begleitet war. I. I m Reich gab es Reichsfürsten, Reichsgrafen, Reichsfreiherren, Reichsritter, Reichsbürger und Reichsbauern, die i n i h r e r Gesamtheit den Kreis der Reichsunmittelbaren bildeten, ohne Bürger und Bauern den Reichsadel. Innerhalb des Adels unterschied man hohen und niederen Adel. Jener bestand bis 1806 aus den reichsunmittelbaren Familien, die die erbliche Reichsstandschaft hatten. D e n K e r n des niederen Adels bildeten die Reichsritter. D a z u kamen die freien Herren, die der Reichsstandschaft entbehrten, und der Briefadel, also die Familien, die nach einem seit K a r l I V . aufkommenden Brauet durch königliche Verleihung den A d e l erhalten hatten. D i e Familien des hohen Adels waren körperschaftlich organisiert 1 . V o n besonderer Bedeutung w a r beim hohen A d e l der Grundsatz der Ebenbürtigkeit, demzufolge nur A b k ö m m l i n g e aus einer ebenbürtigen Ehe zur hochadligen Familie gehörten. D e r Begriff der Ebenbürtigkeit w a r nicht v ö l l i g einheitlich. Zunächst wurde sie n u r innerhalb des hohen Adels angenommen, während seit dem 16. Jahrhundert i n einzelnen Familien auch niederer A d e l als ebenbürtig betrachtet wurde. D i e Sonderrechte des niederen Adels waren wesentlich beschränkter. So fehlte i h m das Ebenbürtigkeitsrecht, wenngleich für die Nachfolge i n manche Fideikommisse, vielfach auch für den E r w e r b von Bistümern 2 und den E i n t r i t t i n adlige Stifter ebenbürtige, d. h. adlige A b stammung verlangt 8 wurde. I m übrigen waren seine tatsächlichen Vorrechte vom Landesrecht abhängig. A u f diese Stände ist die Auflösung dee Reiches nicht ohne Einfluß gewesen. Als hoher A d e l erhielten sich die souveränen und die medi1 Sie hatten Autonomie, die sich teils i n Hausgesetzen, teils i n Gewohnheitsrecht (Observanz) auswirkte u n d zufolge weitgehender Gleichheit des Inhalts dieser Quellen zu einem geschlossenen Adelsrecht, dem sogenannten Privatfürstenrecht, führte. 2 E i n Vorrang des hohen Adels (Reichsstände) bestand n u r praktisch i n K ö l n u n d Straßburg. D i e ü b r i g e n Sitze w a r e n sehr stark von der Reichsritterschaft besetzt. » R a u c h , Stiftsfähigkeit u. Stiftsmäßigkeit, Festschr. Brunner (10) 737. S c h r e u e r , Stiftsmäßigkeit u. Stiftsfähigkeit, Arch. f. bürgerl. R. 37 (12) 1. vi D u n g e r n , Zur Frage d. Stiftsfähigkeit, ZPrivRuöffR. 39 (12) 227.

§ 66. Stände

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atisierten (standesherrlichen) Häuser, d. h. jene, die 1806 die erbliche Reichsstandschaft hatten. D e n 1866 ihrer Souveränität entkleideten Häusern ist die Hochadligkeit verblieben. D i e Rechte des hohen Adels hat die deutsche Bundesakte aufrechterhalten u n d i n der Folgezeit auch das EGBGB. Erst die Verfassung von 1919 hat die Aufhebung aller Vorrechte und Nachteile der Geburt und des Standes angeordnet, das preußische Adelsgesetz vom 23. 6. 20 auch durchgeführt. D i e Reichsritterschaft w u r d e durch die Rheinbundsakte i n den Gebieten der Rheinbundfürsten deren Hoheit unterstellt u n d damit auf eine Stufe m i t dem niederen Landesadel gebracht. D i e Reichsdörfer w u r d e n schon i m Reichsdeputationshauptschluß mediatisiert, die Reichsstädte bis auf einen kleinen Teil 4 . I I . Innerhalb der T e r r i t o r i e n wurde die zu Beginn der Neuzeit schon entwickelte Scheidung i n Adel, Bürger u n d Bauern beibehalten, teilweise sogar noch vertieft, u n d liegt noch der Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts zugrunde. Diese Stände waren zu Geburtsständen geworden und hatten die Scheidung des Bodens i n Adelsland, Bürgerland und Bauernland nach sich gezogen. Neben ihnen entwickelten sich i m höheren Beamtentum, i m Heer und zuletzt durch das Zunehmen der Lohnarbeit neue Berufsstände. I m 19. Jahrhundert trat rechtlich eine weitgehende, Ausgleichung der Standesunterschiede ein, die dem neuen Begriff des Staatsbürgers allmählich weichen mußten. D a diese Ausgleichung i n den Städten schon v i e l früher erfolgt war, w u r d e dies von Bedeutung i m wesentlichen n u r für A d e l und Bauern. D e r dem Landesherrn untertane, landsässige A d e l erfuhr eine innere Wandlung. A u f der einen Seite verlor sein Hauptteil, die .Landesritterschaft, durch die Änderung der Heeresverfassung seine berufsmäßige Grundlage. A u f der anderen Seite vermehrte er sich durch die auch den Landesherren meist zustehenden Adels Verleihungen (Briefadel), D i e Vorrechte des Adels waren i n den einzelnen Ländern verschieden, aber i n keinem von erheblicher Bedeutung. Sie bestanden i m ausschließlichen Recht zum E r w e r b von Lehen, Fideikommissen und Rittergütern. M i t diesen konnten wiederum Landstandschaft, Steuerfreiheit, Patrimonialgerichtsbarkeit, Polizeigewalt u n d Patronatsrecht verbunden sein. Außerdem hatte der niedere A d e l das Recht, ein bestimmtes Wappen u n d ein bestimmtes Siegel m i t Ausschluß D r i t t e r zu führen (Wappenrecht, Siegelmäßigkeit) 5 , da und dort auch einen besonderen Gerichtsstand. 4

Vgl. § 63. H a u p t m a n n , Wappenrecht (1896). B e c k , Grundfragen der Wappenlehre u. des Wappenrechts (31). v. U l m e n s t e i n , Über Ursprung u. Entstehung d. Wappenwesens (35). 8

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I V . Die Neuzeit

I m 19. Jahrhundert sind diese Vorrechte fast alle verschwunden, so daß sich die Bedeutung des niederen Adels auf seine soziale Stellung und seinen politischen Einfluß beschränkte, der auf einer tatsächlichen Bevorzugung i n der Offiziers- und Beamtenlaufbahn beruhte. D i e letzten Reste früherer Vorrechte sind wie die des hohen Adels von der Weimarer Verfassung dem Untergang geweiht worden. I I I . I m Bauernstand ist zunächst eine Verschlechterung der personenrechtlichen Stellung vieler Bauern zu beobachten, die i n der Verbreitung der inhaltlich allerdings verschiedenen Leibeigenschaft ihren Ausdruck findet. I m westelbischen Gebiet, also i m Bereich der Grundherrschaft, waren i m späteren M i t t e l a l t e r die Reste früherer persönlicher Unfreiheit noch nicht ganz verschwunden, zum mindesten die Grenze zwischen i h r und einer n u r dinglichen H ö r i g k e i t nicht scharf gezogen. H i e r konnte sich daher auf mittelalterlicher Grundlage und vielfach unter römisch-rechtlichem Einfluß eine neuzeitliche Leibeigenschaft ausbilden, die in Westfalen als Eigenbehörigkeit bezeichnet wurde, i m Fürstentum Hildesheim als Halseigenschaft 6 . Sie w a r ein rein persönliches Zugehörigkeitsverhältnis des Leibeigenen zu einem Leibherrn. D i e W i r k u n g e n waren ähnlich denen, die bei unfreier Hofgenossenschaft auftraten, also Verpflichtung zu Leibzins (Leibhuhn, Leibschilling), Heiratsabgabe, Sterbefall, Dienstleistungen und Mangel der Freizügigkeit 7 . Doch w a r diese westdeutsche Leibeigenschaft weder m i t Grundherrschaft, noch m i t Gerichtsherrschaft notwendig verbunden. Leibherr, Grundherr und Gerichtsherr konnten i m einzelnen F a l l verschiedene Personen sein, allerdings auch ganz oder teilweise zusammenfallen. D i e ostdeutsche Leibeigenschaft w a r i m Gegensatz zur westdeutschen eine B i l d u n g der Neuzeit, da i m Osten der deutsche Bauer ursprünglich persönlich frei war. Seine Abhängigkeit beschränkte sich auf die dingliche gegenüber dem Grundherrn und die öffentlichrechtliche gegenüber dem Gerichtsherrn, wobei sich Grundherrschaft u n d Gerichtsherrschaft meist i n einer Person vereinigten. D i e B i l dung der Rittergüter führte zu einer gewaltigen Steigerung der dem Grundherrn zu leistenden Dienste, seien es Fronden, seien es Gesindedienste. D e n n n u r so konnte, wie schon oben ausgeführt, der Gutsherr die i h m nötigen Arbeitskräfte beschaffen. D i e Entwicklung w a r eine allmähliche. Aus der Verpflichtung zur Stellung eines 6 Über den Einfluß des römischen Rechts G. A u b i η , JbNSt. 44 (12) 726 R i n t e l e n , Zur österr. Agrarverfassung i m Zeitalter d. Rezeption, V j s . zur Prager Jurist. Z. 1925, 67. 7 D i e Gestaltung i m einzelnen war sehr verschieden. A m schlechtesten war die Lage der Bauern i n Westfalen, v. B r i e s e n , D i e Rechtslage der Eigenbehörigen i n Minden-Ravensberg (07).

§ 6 6 . Stände

251

Ersatzmannes (Gewährsmann) beim Verlassen des Gutes wurde die Pflicht, auf dem Gute zu bleiben, wenn der H e r r n i n den Abzug nicht einwilligte. Das Vorrecht des H e r r n auf die Gesindedienste der Bauernkinder wurde zum Gesindezwangsdienst 8 . Dagegen fehlen hier die i m Westen üblichen und dort f ü r die persönliche Abhängigkeit bezeichnenden Leistungen von Leibzinsen, Heiratsgebühren u n d Nachlaßstücken. Erst i m 17. Jahrhundert entstand i n Anlehnung an die westdeutschen Verhältnisse und an römisches Redit die Auffassung von einer Leibeigenschaft der Bauern, die sich zu vollkommener Rechtlosigkeit steigerte. I h r entspricht ein Recht des Gutsherrn an dem Bauern und seiner Familie, das sich auswirkte i n E i n w i l l i g n n g zur Eheschließung und zum Erlernen eines Handwerks, i n der Befugnis, dem Bauern das Gut zu entziehen, aber auch i h n m i t dem G u t als dessen Zubehör zu veräußern, i m Zwang zur Übernahme eines Gutes. D e r Bauer w a r an die Scholle gebunden (Schollenpflichtigkeit). D i e Aufhebung der Leibeigenschaft w a r ein T e i l der Bauernbefreiung. Soweit sie i m Bereich der Grundherrschaft bestand, w u r d e sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufgehoben (ζ. B. 1783 Baden, 1808 Bayern), i n Österreich unter Joseph I I . seit 1780. I n Preußen w u r d e n die zuletzt entstandenen Auswüchse unter Friedrich W i l helm I. auf den Domänen beseitigt, unter Friedrich dem Großen i n den östlichen Provinzen, i m Allgemeinen Landrecht f ü r das ganze Königreich. D i e dann noch bestehende Gutsuntertänigkeit w u r d e endgültig erst durch das E d i k t von 1807 aufgehoben. S. Schriftt. zu § 65 (insbes. Kulischer, G. F. Knapp, Fuchs, Th. Knapp). Β ö h 1 a u , Über Ursprung u. Wesen der Leibeigenschaft i n Mecklenburg, ZRG. 1 10 (72) 357. v. B r ü n n e c k , D i e Leibeigenschaft i n Ostpreußen, ZRG. 2 8 (87) 38. D e r s., D i e Leibéigenschaft i n Pommern, ebda. 9 (88) 104. D e r s . , D i e Aufhebung der Leibeigenschaft durch d. Gesetzgebung Friedrichs d. Großen u. d. allgem. preuß. Landrecht, ebda. 10 (89) 24. 11 (90) 101. G r ü n b e r g , D i e Bauernbefreiung usw. i n Böhmen, Mähren u. Schlesien I. I I (1894). R e d l i c h , Leibeigenschaft u. Bauernbefreiung i n Österreich, ZSWG. 3 (1895) 258. M e l i , D i e Anfänge der Bauernbefreiung i n Steiermark (01). O. S t o l z , D i e Bauernbefreiung i n Süddeutschland, V j s S W G . 33 (40) 1. L u d w i g , D e r badische Bauer i m 18. Jahrh. (1896). T r o f i , Der oberdeutsche Bauer, O b e r b a y r A . 62 (19). V© g d , D i e Bauernbefreiung i. Mecklenb u r g (37). — M o s e r , Familienstaatsrecht d. deutschen Reichsstände I. I I (1775). H e f f t e r , D i e Sonderrechte d. souveränen u. mediatisierten Häuser Deutschlands (1871). A b t , Mißheiraten i n den deutschen Fürstenhäusern (11). H a u p t m a n n , Das Ebenbürtigkeitsrecht i n den F a m i l i e n d. deutschen Hochadels, ArchöffR. 17 (02) 529. A n s c h ü t z , D e r F a l l Friesenhausen (04). R e h m , Modernes Fürstenrecht (04). R o t h v o n S c h r e c k e n s t e i n , Gesch. d. ehemaligen freien Reichsritterschaft I. I I (1859—71). T h. K n a p p , D e r schwäbische A d e l u. die Reichsritterschaft, W ü r t t V j h . N. F. 31 (25). 8 Über den auch i n B a y e r n vorkommenden Zwangsdienst K ö n n e c k e , Rechtsgeschichte d. Gesindes i n West- u. Süddeutschland (12) 324.

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I V . Die Neuzeit

2. Rechtebildung und Rechtswissenschaft § 67. Die Aufnahme der fremden Rechte I. Unbeschadet der Tatsache, daß schon seit der fränkischen Zeit römische Rechtssätze i m Deutschén Reich eingedrungen waren (Frührezeption), bezeichnet man als Rezeption schlechthin die A u f nahme römischen und kanonischen Rechts, sowie italienischen Lehnrechts, die sich, schon seit dem 12. Jahrhundert vorbereitet, i m Deutschland des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit vollzog. Sie betraf das Corpus iuris civilis Justinians (Institutionen, Digesten, Kodex, Novellen), das Corpus iuris canonici u n d die L i b r i feudorum 1 . Verständnis u n d W ü r d i g u n g dieses Vorgangs setzen eine Betrachtung der Zeit u n d ihres Rechts, sowie einen Blick auf andere Länder voraus. Das römische Recht w a r durch die erklärende (exegetische) T ä t i g k e i t der u m 1100 von Irnerius i n Bologna begründeten Glossatorenschule, noch mehr durch die nach scholastischer Methode kommentierenden u n d beschränkt systematisierenden Kommentatoren oder Postglossatoren (Perugia, Padua, Pavia, Pisa) des 14. Jahrhunderts (Cinus, Bartolus, Baldus) wissenschaftlich bearbeitet u n d durchgebildet 2 . I n Oberitalien vollzog sich so die begriffliche Grundlegung des Rechts, die Begründung einer Rechtswissenschaft. Deren Einfluß hat sich auf die Dauer k e i n Recht entziehen können. D i e Besonderheit der Rezeption i n Deutschland ergab sich aus dem Zustand des deutschen Rechts. I n England und i m nördlichen Frankreich, dessen Recht i m wesentlichen germanisches Gepräge trug, erfolgte die Rezeption zu einer Zeit, i n der das einheimische Recht von ungebrochener K r a f t und i n voller Blüte w a r und auf einheimischen Universitäten Rechtswissenschaft betrieben wurde. Diese Lage ermöglichte eine Umformung des Rechts, bei der der bisherige Inhalt und Geist i m wesentlichen erhalten blieben, die neu aufgenommenen Rechtssätze aber m i t dem alten Recht gerade dank der geistigen Schulung durch das römi1

D i e L i b r i oder Consuetudines feudorum verdanken i h r e Rezeption dem Umstand, daß ihre jüngste, vulgate ^Fassung (sog. Accursische Rezension) durch den Glossator Hugolinus ( t ca. 1220) dem Corpus iuris als decima collatio n o v e l l a r u m angefügt wurde. Entstanden waren sie als A r b e i t e n der Juristen von Pavia u n d M a i l a n d auf G r u n d der Lehnsgesetze Konrads II., Lothars I I I . u n d Friedrichs I. u n d der Mailänder Lehnsgerichtspraxis. D i e älteste sog. Obertische Rezension schließt m i t einem Brief des Mailänder Konsuls Obertus de O r t o an seinen Sohn A n s e l m (Vulgata I I 24), die folgende Rezension des Jakobus de Ardizone (ca. 1240) reicht bis Vulgata I 51. Ausgabe u n d Textgeschichte: L e h m a n n , Das langobardische Lehnrecht (1896). 1 Über- die oberitalienischen Rechtsschulen v. S a v i g n y , Geschichte des römischen Rechts i m MA. 2 , I — V I I (1834—1851); teilweise überholt. Neuere L i t e r a t u r bei S a l v i o l i , Storia del d i r i t t o italiano 9 (1930).

§ 67. Die Aufnahme der fremden Rechte

253

sçhe Recht zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen werden konnten. So entstand hier eine Rechtsordnung, die fähig war, auch späterhin römisches Recht in sich aufzunehmen, ohne dadurch Erschütterungen von der Stärke zu erleiden, wie sie dem Recht in Deutschland beschieden waren 3. In Deutschland war schon im 13. Jahrhundert die Zersplitterung des Rechts auf das höchste gesteigert, die Widerstandskraft gegenüber fremden Einflüssen in den einzelnen Rechtsgebieten sehr verschieden, im ganzen gehemmt. Die Rechtszersplitterung war nicht nur äußerlich vorhanden in dem Nebeneinander zahlloser Rechtsquellen, sondern auch innerlich, da der weiter zunehmende Unterschied der Stammesrechte in ihnen seine Fortsetzung gefunden hatte, der der Stände und der von Stadt und Land seinen Ausdruck. Zudem waren nicht alle diese Rechte der allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in gleichem Schritt gefolgt, während allerdings manche Stadtrechte auf durchaus deutschrechtlicher Grundlage ein zeitgemäßes Verkehrsrecht entwickelt hatten. An einer wissenschaftlichen Behandlung des deutschen Rechts fehlte es völlig. Erst im 14. Jahrhundert wurden deutsche Universitäten gegründet (Prag 1347, Wien 1365, Heidelberg 1386). Aber ihr Rechtsunterricht beschränkte sich auf kanonisches und später auch römisches Recht. A l l dies wurde auch von Zeitgenossen deutlich genug empfunden, um zu Gegenmaßnahmen aufzufordern, die aber nur von unzureichenden Kräften versucht wurden. Drei Rechtsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts, Deutschenspiegel, Schwabenspiegel und Frankenspiegel, hatten wenigstens die Absicht, gemeindeutsches Recht darzustellen. Dagegen haben Reich und Reichsgesetzgebung vollkommen versagt, obwohl gerade sie in der Lage gewesen wären, den Strom des römischen Rechts einzudämmen und in unschädliche Bahnen abzuleiten. War durch das Bedürfnis nach einem einheitlichen und wissenschaftlich durchgebildeten Recht der Aufnahme des römischen Rechts der Boden vorbereitet, so hatte sie eine weitere Stütze in der humanistischen Geisteshaltung der Zeit und der herrschenden Anschauung von dem Zusammenhang des deutschen mit dem antikrömischen Reich. Da man in diesem den Vorläufer des mittelalterlichen heiligen römischen Reiches sah und in den deutschen Kaisern die Nachfolge der römischen Imperatoren, so mußte man folgerichtig der Gesetzgebung Justinians auch Geltung in Deutschland zuerkennen. Dem entsprach es, daß Friedrich I. und Friedrich II. einzelne ihrer Gesetze dem Corpus iuris civilis einfügen ließen4, spätere Kaiser römisch3 4

V i n o g r a d o f f , Roman L a w i n medieval Europe 2 (29) 71, 97. Vgl. ο. § 38 A n m . 1.

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I V . Die Neuzeit

rechtliche Sätze i n deutsche Gesetze aufnahmen, der Schwabenspiegel römische Quellen erwähnte und übernahm, die Glossatoren des Sachsenspiegels, vor allem Johann von Buch, sächsisches, rômischës und kanonisches Recht miteinander verglichen und ihre Gegensätze auszugleichen versuchten. Man hat diese schon i m 12. Jahrhundert lebendige Einstellung zum römischen Recht als theoretische Rezeption bezeichnet, obwohl sie i m Grunde mehr theoretische Begründung einer Rezeption als eine Rezeption ist, und stellt i h r die tatsächliche Aufnahme des römischen Rechts als praktische Rezeption gegenüber. Bleibt man bei dieser üblichen Bezeichnung, so sind als wesentliche Unterschiede der beiden A r t e n festzustellen, daß die theoretische Rezeption die Justinianische Gesetzgebung i n ihrer ursprünglichen Gestalt und i m ursprünglichen Umfang (in complexu) erfaßt u n d i h r n u r subsidäre Geltung beimißt, während die praktische Rezeption i n beiden Richtungen den gegenteiligen Standpunkt einnimmt. Sie k n ü p f t nicht an Justinian, sondern an die oberitalienische Rechtslehre der Kommentatoren an, die das römische Recht den Zeitverhältnissen gemäß umgebildet u n d gegenstandslos gewordene Sätze ausgeschaltet hatte 5 , übernahm aber diesen Stoff nicht als subsidiär, sondern als absolut geltend. I I . D i e praktische Rezeption war A n w e n d u n g des römischen Rechts i n den Gerichten. I h r Träger war der gelehrte, römischrechtlich gebildete Richter. Daneben w i r k t e n Rechtsgutachten der Juristen auf die Rechtsprechung ein und wurde die Gesetzgebung durch Juristen in romanistischem Sinne beeinflußt 6 . D e r gelehrte Jurist begann seine T ä t i g k e i t i m Bereich der Verwaltung als königlicher oder landesherrlicher Rat. Von hier aus gelangte er i n die oberen Gerichte. Schon 1418 erschienen D o k t o r e n vereinzelt als Urteilfinder i m königlichen Kammergericht. D i e Reichskammergerichtsordnung von 1495 bestimmte, daß die eine Hälfte der U r t e i l e r „ D e r recht gelert und gewirdiget sein", die andere aus dem A d e l genommen werden sollte. D e m Kammergericht w u r d e n i m 16. Jahrhundert die landesherrlichen Hofgerichte nachgebildet, soweit sie i h m nicht schon vorausgegangen waren. Manche von ihnen sind aus5 Es bildete sich die Regel „ Q u i c q u i d non agnoscit glossa, non agnoscit curia". ( L a n d s b e r g , Uber die Entstehung der Regel: Q u i c q u i d usw. [1880].) Uber das Recht selbst E n g e l m a n n , D i e Wiedergeburt d. Rechtsk u l t u r i n I t a l i e n (38). β Insofern die Stellung der gelehrten Juristen auf Berufung durch die Landesherrn beruhte, haben diese die Rezeption allerdings m i t herbeigeführt. Dagegen k a n n nicht angenommen werden, daß sie von ihnen gefördert wurde, u m m i t dem römischen Recht die Steigerung der landesherrlichen Gewalt begründen zu können. Vgl. v. B e l o w , a. a. Ο. 54 u n d u. § 79 Anm. 2.

§ 67. Die Aufnahme der fremden Rechte

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schließ]idi gelehrte Gerichte geworden. Auch untere Gerichte, insbesondere Stadtgerichte, haben gelehrte Richter aufgenommen. Dies w a r u m deswillen notwendig, w e i l m i t dem Eindringen der Appellation aus dem römisch-kanonischen Prozeß die Urteile der unteren Gerichte der Nachprüfung durch die gelehrten Obergerichte unterworfen wurden. So wurde allmählich der Laienrichter durch den Berufsrichter i n zahlreichen Geriditen verdrängt. D i e für die Rezeption entscheidende Tatsache aber lag nicht hierin, sondern i n der Einstellung des gelehrten Richters zum Recht, das für i h n i m wesentlichen gleich w a r m i t dem römischen. D i e Reichskammergerichtsordnung hatte angewiesen, zu richten „nach des reichs gemeinen rechten", zu denen i n erster L i n i e das römische Recht gehörte. Nach „redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewonhaiten der Fürstenthumb Herrschaften u n d Gericht" sollten die Richter n u r urteilen, w e n n „die f ü r sy pracht werden". A b e r auch f ü r die anderen Gerichte bildete sich die Anschauung heraus, daß nur das fremde Recht „fundatam intentionem" habe, das deutsche Recht aber des Beweises bedürfe und „stricte" ausgelegt werden müsse. Rechtsgutachten hatte man schon i m 13. Jahrhundert aus Oberitalien eingeholt. Innerhalb Deutschlands w u r d e n i m 15. Jahrhundert die Fakultäten i n W i e n und Tübingen befragt. I m 16. Jahrhundert ist die Aktenversendung und die T ä t i g k e i t der Fakultäten als Spruchfakultäten eine durchaus übliche Erscheinung geworden. Dies w a r u m so leichter möglich, als schon i m Mittelalter die Oberhöfe Rechtsbelehrungen erteilten. Das Ineinandergreifen dieser Einrichtungen zeigte sich besonders i n Leipzig, wo der alte Schöffenstuhl gelehrte Richter aufnahm u n d i n seiner gutachtenden Tätigkeit m i t den Professoren der Leipziger Juristenfakultät zusammenarbeitete 7 . D i e Beeinflussung der Gesetzgebung k a m i n den meisten der unten zu erwähnenden neuzeitlichen Kodifikationen, wenn auch i n verschiedenem Maße, zum Ausdruck. So i n der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls Y. (1532) i m württembergischen (1555) und i m badischen Landrecht (1511), i n den Stadtrechtsformationen des beginnenden 16. Jahrhunderts. Soweit sich nichtgelehrte Richter erhielten, konnten auch sie sich dem Zwange zur Anwendung des römischen Rechts nicht schlechthin entziehen. D e m verdankt eine ausgedehnte populär juristische Litera7 S e e g e r , D i e strafrechtlichen Consilia Tubingensia (1877). H e g l e r , D i e praktische T ä t i g k e i t der Juristenfakultäten des 17. u. 18. Jahrh. (1899). W o h l h a u p t e r , D i e Spruchtätigkeit der Kieler F a k u l t ä t , ZRG. 58 (38) 752 (mit weiterem Schrifttum). B ö h m , D e r Schöppenstuhl zu Leipzig, ZgesStrW. 59 (39) 371. 620; 60 (40) 155; 61 (42) 300. B u c h d a , D i e Spruchtätigkeit der hallischen Juristenfakultät, ZRG. 62 (42) 210; 63 (43) 251; 64 (44) 223.

I V . Die Neuzeit

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t u r i h r Entstehen, die gleichzeitig zur Verbreitung der Kenntnis römischen Rechts i n breiten Schichten und damit wesentlich zur Rezeption beigetragen hat 8 . Sie begann i m 14. Jahrhundert m i t den so* genannten Vokabularien, alphabetisch-enzyklopädischen Einführungen i n das fremde Recht. Das verbreitete te von ihnen w a r der Vocabularius iuris utriusque des E r f u r t e r D o k t o r Jodocus von 14529. Noch dem 14. Jahrhundert, vermutlich der Zeit von 1340 bis 1348, gehört eine systematische Summa legum an. Sie ist v o n einem Raymundus aus Neapel verfaßt und von einem Deutschen, wahrscheinlich i n Wiener-Neustadt, überarbeitet 1 0 . Inhaltlich umfaßt sie Privatrecht und Straf recht. Ihre Grundlagen sind die romanistische Literatur, aber auch einheimisches Recht. I n Schwäbisch-Hall ver*

*

faßte ein Stadtschreiber 1425 eine Schrift m i t dem T i t e l : clag, antwort und ausgesprochene u r t e y l gezogen aus geystlichen und weltlichen rechten. Sie wurde 1516 von Sebastian. Brant als Klagspiegel herausgegeben. E i n Seitenstück ist der 1509 verfaßte Laienspiegel von Ulrich Tengler, der unter Berücksichtigung auch einheimischen Rechts Privatrecht, Straf- u n d Prozeßrecht behandelte. Außer diesen Darstellungen ,gab es eine Fülle von Summen, Formelbüchern und Traktaten, die das römische Recht zur Darstellung brachten. Auch die Glossen zu den Rechtsbüchern setzten eine juristische B i l d u n g des Lesers voraus. Endlich w u r d e n die Rechtsanschauungen des Kammergerichts i n besonderen Sammlungen veröffentlicht, vor allem durch Andreas G a i l (1525—1587) und Joachim Mynsinger (1527—1588) n . D e m kanonischen Recht gegenüber w a r die Lage eine wesentlich andere. Es drang m i t dem Entstehen geistlicher Gerichte, also schon w e i t vor dem Mittelalter, i n diese ein. Insoweit sich die Zuständigkeit dieser Gerichte ausdehnte, erfaßte es i n steigendem Maße Gegenstände, die früher dem weltlichen, also jedenfalls vor der^Rezeption dem deutschen Recht unterworfen waren. I n den weltlichen Gerichten k a m es bei diesen zur Anwendung, sofern deren Zuständigk e i t hierfür , erhalten geblieben war. D i e Hauptbedeutung aber des kanonischen Rechts lag i m Rahmen der Rezeption i n seinem engen 8 S t i n t z i n g , Gesch. d. populären L i t e r a t u r des römisch-kanonischen Rechts i n Deutschland am Ende des 15. u. i m Anfang des 16. Jahrh. (1867). 9 S e c k e 1, Beiträge zur Gesch. beider Rechte i m M A . I (1898). 10 D i e Summa legum brevis levis et utilis, hsg. v. G a l (26). D i e Summa war von Einfluß auf die Rechtsentwicklung i n Österreich, Ungarn u n d Polen. Sie liegt ferner dem Opus t r i p a r t i t u m iuris consuetudinarii regni Hungariae des Stefan Verböcszy (1514) zugrunde. Vgl. Z e h n t b a u e r , E i n f ü h r u n g i n die neuere Gesch. d. ungarischen Privatrechts (16) 9. E. H e y m a n n , Ungar. Privatrecht (17) 9. 11 Vgl. über diese sog. Kameralisten δ 71.

§ 67. Die Aufnahme der fremden Rechte

Zusammenhang m i t dem römischen Recht, der es dazu dessen Eindringen vorzubereiten und zu erleichtern.

257

befähigte,

I I I . D i e W i r k u n g der Rezeption darf man sich nicht zu groß vorstellen. Es gab eine Reihe von Gebieten, i n denen sie sich aus verschiedenen Gründen nicht durchzusetzen vermochte. So w a r die Schweiz dadurch geschützt, daß sie das Reichskammergericht nicht anerkannte, Schleswig dadurch, daß es i h m zufolge seines Zusammenhangs m i t Dänemark entzogen war. I n Sachsen hatten die mittelalterlichen Rechtsbücher eine so weitgehende Kenntnis des einheimischen Redits u n d eine so sichere Grundlage f ü r dessen Anwendung geschaffen, daß man seine Handhabung dem Richter zumuten konnte, und das römische Recht n u r subsidiär und durch Aufnahme einzelner Begriffe zur Geltung kam. Innerhalb der übrigen Gebiete waren Bereiche vorhanden, i n denen gelehrte Richter keinen Eingang fanden, u n d ermöglichte die Autonomie kleinerer Verbände die Weiterbildung des deutschen Rechts. Dies g i l t i n erster L i n i e f ü r das Bauernrecht, dessen Weistümer bis i n das 18. Jahrhundert vom römischen Recht fast unbeeinflußt erscheinen. Neben i h m hielt das Handelsrecht i n erheblichem Umfang die deutschrechtliche A r t fest, die seinem Ursprung als Sonderrecht der mittelalterlichen Kaufleute entsprach u n d durch deren eigene Gerichtsbarkeit bewahrt werden konnte. Immerhin nahmen auch landesrechtliche u n d städtische Quellen Handelsrecht auf und brachten es unter römischen Einfluß. Dieser fehlte aber fast v ö l l i g dem Bergrecht u n d dem Deichrecht. Nicht unwesentlich w a r es für die weitere Geltung deutschen Rechts, daß die Masse der Bevölkerung dem fremden Recht entschiedenen Widerstand entgegensetzte. Insoweit eine Rezeption tatsächlich stattfand, ist zweierlei zu beachten. A u f der einen Seite waren die Kommentatoren unter dem starken langobardischen, also germanischen Einfluß gestanden, der sich auch i m Recht der italienischen Stadtrechte (Statuten) ausw i r k t e . So hatte sich ihre Lehre dem deutschen Recht ebenso angenähert w i e das kanonische Recht, das i n weitem Umfang auf germanischer Grundlage ruhte. A u f der anderen Seite w a r die Entwickl u n g des deutschen Rechts vielfach so w e i t fortgeschritten, daß die Aufnahme römischer Sätze n u r die Vorwegnähme von Regelungen bedeutete, zu denen diese Entwicklung i n Bälde aus eigener K r a f t gelangt wäre 1 2 . Dabei darf man allerdings nicht übersehen, daß dies alles n u r f ü r einzelne Rechtssätze gilt, und daß die Bedeutung der 12 Wie sehr dies für Strafrecht u n d Prozeß zutrifft, hat neuerdings E b . S c h m i d t , Inquisitionsprozeß u n d Rezeption (40) gezeigt. Vgl. auch D e r s . , Einf. i. d. Gesch. d. dtsch. Strafrechtspflege (47) § 86 ff.

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtegeechichte

18

258

I V . Die Neuzeit

Rezeption verkannt w i r d , wenn man sie i n der Aufnahme einzelner Regeln beschlossen findet. Was sie zum wichtigsten Ereignis der deutschen Rechtsgeschichte gestaltet, ist die Tatsache, daß die innere H a l t u n g des römischen Rechts von der des deutschen grundverschieden ist und daß diese i m deutschen Rechtsgebiet an Boden gewann. Diesen inneren Unterschied als den des Individualismus u n d des Sozialismus zu bezeichnen, ist üblich geworden u n d mag angehen, wenn man sich darüber k l a r ist, daß es sich dabei u m einen Versuch handelt, einen sehr verwickelten u n d i m Grunde nur erfühlbaren Gegensatz m i t Schlagwörtern zu bezeichnen, die i n einem anderen Gebiet ihre Heimat haben 1 3 . D i e Rezeption hat die deutsche Rechtsentwicklung bis heute beeinflußt. A b e r seit dem 18. Jahrhundert ist diese dadurch gekennzeichnet, daß sie, wenngleich nicht ohne Rückschläge, bewußt u n d unbewußt einer Verdeutschung des Rechts zustrebte, die i m folgenden wiederholt zu erwähnen sein w i r d . Diese Rückentwicklung konnte an die Rechtskreise anknüpfen, i n denen die Rezeption nicht durchgedrungen war. Sie w ä r e aber nicht erfolgreich gewesen, wenn das deutsche Recht nicht die innere K r a f t und Eignung besessen hätte, den gewaltigen Veränderungen des wirtschaftlichen u n d k u l turellen Lebens i n der Neuzeit sich anzupassen. Schon seit dem M i t telalter zeigen einige durchaus deutschrechtliche Stadtrechte, w i e die von München u n d v o r allem Lübeck u n d Hamburg, die völlige H a l t losigkeit einer Meinung, die i n der Rezeption eine notwendige Folge der angeblichen Unfähigkeit des deutschen Rechts zur Ausbildung eines Verkehrsrechts sieht. D i e neuzeitliche Entwicklung hat den h i e r i n liegenden Beweis verstärkt. Erst von da aus aber fällt helles Licht auf die geschichtliche Stellung der Rezeption, indem die von i h r ausgehende W a n d l u n g unseres Rechts als begründet erscheint i m Äußeren des damaligen Rechtslebens, als unbegründet i m Innern des Rechts selbst. S. Schriftt. zu §69. K o s c h a k e r , Europa u. das röm. Recht (47). B o r n h a k , Römisches u. deutsches Recht, HZ. 159 (39) 1. S t o b b e , Geschichte d. deutschen Rechtsquellen I I (1864). M u t h e r , Zur Gesch. d. Rechtswissenschaft u. d. Universitäten i n Deutschland (1876). S t ö 1 ζ e 1, D i e E n t w i c k l u n g des gelehrten Richtertums i n deutschen T e r r i t o r i e n I. I I (1872). D e r s . , D i e E n t w i c k l u n g der gelehrten Rechtsprechung I. I I (01—10; dazu Rosenthal, ZRG. 31, 522. VjsSWG. 11, 415). D a h m , Zur Rezeption d. röm.-ital. Rechts, HZ. 167 (43) 229. v. B e l o w , Ursachen d. Rezeption d. römischen Rechts i n Deutschland (05). W i e a c k e r , D e r Einfluß d. Humanismus auf die Rezeption, ZgesStW. 100 (40) 423. D e r s . , V o m römischen Recht (44). V i n o 18 Bei der Beurteilung der Rezeption w i r d leicht übersehen, daß die i n Deutschland angewandten römischen Quellen weit überwiegend das Privatrecht betrafen. Über den Einfluß des römischen Rechts auf das Staatsrecht s. u. § 79 A n m . 2, über den auf Strafrecht u n d Prozeßrecht §§ 68, 89—91.

§ 68. Reichsgesetzgebung bis 1806

259

g r a d o f f , Roman L a w i n medieval Europe 2 (29). S t a m m l e r , Deutsches Rechtsleben i n alter u. neuer Zeit I / I I (28—32; dazu Η . Meyer, ZRG. 49, 677; 53, 319). v. D u h η , Deutschrechtliche A r b e i t e n (1877) 57 (Lübeck, Hamburg). O t t , Beitr. zur Rezeptionsgesch. d. römisch-kanon. Prozesses i n den böhmischen Ländern (1879). D e ç s . , Das Eindringen des kanon. Rechts i n Böhmen u n d Mähren, ZRG. Kan. 3 (13) 1. K a r i o w a , Uber die Rezeption d. röm. Rechts i n Deutschland m i t besond. Rücksicht auf die K u r p f a l z (1878). v. S a r t o r i M o n t e c r o c e , Beitr. z. Österreich. Reichs- u. Rechtsgeschichte I (1895). K o h l e r u. L i e s e g a n g , Das röm.Recht am Niederrhein I. I I (1895—98). M e r k e l , D e r K a m p f des Fremdrechts m i t dem einheimischen Recht i n Braunschweig-Lüneburg (04). ν. Υ ο 11 e 1 i n i , Zur Rezeption des gemeinen Rechts i n Wien, Festschr. d. akad. Ver. d. H i s t o r i k e r (14) 79. C o i n ? , D i e F r a n k f u r t e r Reformation von 1578 (35). D e r s . , Zur romanist. Auslegung von Rezeptionsgesetzen, ZRG. Rom. 56 (36) 264. D e r s . , D i e Rezeption des röm. Rechts i n F r a n k f u r t (39; dazu K u n k e l ZRG. 61, 441). S c h u l t z e V. L a s a u l x , D i e Krise d. Gemeinen Sachsenrechts, Festschr. Hedemann (38) 51. S c h u b a r t - F i k e n t s c h e r a . z u § 4 1 a . O . S 68. R e i c h s g e s e t z g e b u n g b i s 1806

D i e Reichsgesetzgebung hat bis zum Untergang des Reiches i m Jahre 1806 nur wenige Erzeugnisse aufzuweisen und unter diesen n u r Weniges von größerer Bedeutung. I h r Gegenstand w a r wie i m Mittelalter fast ausschließlich das öffentliche Recht. Insbesondere w u r d e das Privatrecht k a u m berührt. Hätte die Reichsgesetzgebung sich seiner angenommen, hätte die Rezeption, wenn auch nicht mehr vermieden, so doch i n ihren W i r k u n g e n erheblich abgeschwächt werden können. Sieht man von den an anderer Stelle zu erwähnenden Reformgesetzen ab 1 , so verdienen für den Bereich des Reichsstaatsrechts Erwähnung die Wahlkapitulationen. Dies sind vor der W a h l zwischen Kurfürsten und K ö n i g vereinbarte und von diesem vor der Krönung beschworene, schriftliche Verträge, i n denen der König den Reichsständen gegenüber bestimmte Verpflichtungen hinsichtlich der Reichsverwaltung und Bindungen der königlichen Gewalt einging. D i e erste W a h l k a p i t u l a t i o n ist die Karls Ύέ von 1519. Gemäß dem Westfälischen Frieden sollte eine ständige W a h l k a p i t u l a t i o n aufgestellt werden. Es k a m aber erst 1711 zu einem Entwurf, der, ohne Gesetz zu werden, bis zur W a h l Franz I I . (1792) als Grundlage der K a p i t u l a t i o n diente. Neben den Wahlkapitulationen haben wesentlich innerstaatliche Bedeutung die Religionsverträge, der Passauer Vertrag von 1552 und der Augsburger Religionsfriede von 1555. Sie begründeten f ü r die reichsunmittelbaren Angehörigen der Augsburgischen Konfession das Recht der freien Religionsübung und für die weltlichen Stände das 1

S. § 72. 18*

I V . Die Neuzeit

260

Recht der Religionswahl. Zunächst i n das Gebiet des Völkerrechts gehört der Westfälische Friede, der i n zwei Teilen, m i t Schweden i n Osnabrück (Instrumentum pacis Osnabrugense), m i t Frankreich i n Münster (Instrumentum pacis Monasteriense) am 14. (24.) 10.1648 abgeschlossen wurde. Er enthielt aber a u d i einschneidende verfassungsrechtliche Bestimmungen, durch die die Umgestaltung des Reiches zu einem Staatenbund ihren Abschluß fand, u n d wurde daher durch den Jüngsten Reidisçibschied (1654) zu „des Heiligen Reichs Fundamental-Satz- u n d O r d n u n g " erklärt. Ebenfalls auf einem internationalen Vertrag, dem L u n e v i l l e r Frieden (1801) beruhte der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. 2.1803, der am 27. 4.1803 die kaiserliche Bestätigung erhielt 2 . F ü r das Privatrecht kommen, meist n u r nebenbei, i n Frage die Reichsnotariatsordnung (1512), die Reichspolizeiordnungen (1530, 1548, 1577), f ü r das Erbrecht die Abschiede von F r e i b u r g (1498), Augsburg (1500), Worms (1521) und Speyer (1529), für die Zünfte die sogenannte Reichszunftordnung von 1731. I n verschiedenen Reichsahschieden finden sich Bestimmungen über Zinssätze, Rentenkauf, A b t r e t u n g von Forderungen, Wechsel, Wucher und Judenrecht. D e r Zivilprozeß ist neben anderen Gesetzen i m Zusammenhang m i t der Gerichtsverfassung behandelt i n den Reichskammergerichtsordnungen (1495, 1521, 1548, 1555) u n d den Reichshofratsordnungen (1559, 1654). Besonders wichtig f ü r i h n w u r d e der Jüngste Reichsabschied (1654). Zu einer umfassenden Regelung ist das Reich n u r auf dem Gebiet des Straf rechts und des Strafprozesses gelangt i n der (Peinlichen) Halsgerichtsordnung Karls V. (Constitutio criminalis Carolina). Deren äußere Geschichte beginnt m i t einem dem Lindauer Reichstag (1496/97) überreichten Gutachten des Reichskammergerichts, i n dem auf die Mißstände der Strafrechtspflege u n d die zahlreichen „ a n recht v n d redlich vrsach" ergehenden Todesurteile hingewiesen wurde. Dies veranlaßte den folgenden Reichstag (Lindau 1497/98), „ e i n gemein reformation v n d Ordnung, wie man i n criminalibus procediren sol", anzuregen, den Augsburger Reichstag (1500), das Reichs regiment u n d das Kammergericht m i t deren Abfassung zu beauftragen. Nachdem das Reichsregiment k u r z darauf zerfallen war, ist eine Ausführ u n g des Auftrags nicht erfolgt und die nächste Zeit i n Plänen und Versprechungen steckengeblieben. Erst der Wormser Reichstag (1521) setzte einen Ausschuß ein, der noch i m gleichen Jahr einen E n t w u r f einer Peinlichen Gerichtsordnung vorlegte (erstes Projekt). Er erfuhr eine Reihe von Veränderungen i n der Nürnberger Revision des zweiten Reichsregiments (1524), der Speyerer Revision (1529) und 1

S. o. § 63.

§ 68. Reichsgesetzgebung bis 1806

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der Augsburger (1530), die dann m i t einzelnen Änderungen von dem Regensburger Reichstag 1532 genehmigt wurde. I n seinem Abschied (27. 7.1532) wurde das Publikationspatent und 1533 durch den D r u c k (editio princeps) der T e x t veröffentlicht als „des Kayser K a r l s des fünfften vnnd des heyligen Römischen Reichs peinlich gerichts Ordnung". D i e Carolina r u h t auf einer Bamberger Halsgerichtsordnung (Bambergensis) von 1507, der sogenannten mater Carolinae, m i t der der erste E n t w u r f fast w ö r t l i c h übereinstimmte. Diese ist daher maßgebend für die geschichtliche Stellung der Carolina gegenüber dem früheren Recht. Sie ist die A r b e i t eines Landhofmeisters des Bischofs Georg von Bamberg, des Johann Freiherrn von Schwarzenberg und Hohenlandsberg, u n d wurde 1507 veröffentlicht. Als Quelle dienten dem Verfasser die Werke der italienischen Kriminalisten, eine bambergische Landgerichtsordnung von 1503, die Nürnberger und die Wormser Stadtrechtsreformation, einzelne Reichsgesetze und der Klagspiegel, außerdem die Bambergische Gerichtspraxis. D i e Bambergensis steht somit unter deutschem und römischem Einfluß, den der Verfasser zu einem selbständigen, ausgeglichenen und ausgleichenden W e r k verarbeitet hat. Sie ist ein Erzeugnis der Rezeptionszeit, aber nicht einer blinden Rezeption, die Schöpfung eines ungewöhnlichen juristischen Denkens u n d Empfindens und reichen Verständnisses für deutsche A r t . Das W e i t e r w i r k e n der Carolina entsprach ihrem inneren Gehalt und ihrer ausgezeichneten Form. Das ursprüngliche Ziel, sie an die Stelle der territorialen Strafgesetze und Prozeßgesetze zu bringen, ist allerdings nicht erreicht worden. D e r Einspruch der Reichsstände hatte noch i n letzter Stunde die Einfügung der sogenannten salvatorischen Klausel veranlaßt, derzufolge das Gesetz n u r gelten sollte ohne Beeinträchtigung der Stände „ a n j r e n alten wolherbrachten rechtmässigen v n n d b i l l i g e n gebreuchen". Dies bedeutete formell den Verzicht auf die Rechtseinheit. Gleichwohl ist die Carolina i n der Folgezeit i n der überwiegenden Mehrheit der deutschen Territorien entweder als Gesetz anerkannt oder m i t nicht erheblichen Änderungen i n die Landesgesetzgebung aufgenommen worden. Sie ist die Grundlage des Strafrechts bis w e i t i n das 18. Jahrhundert 3 . Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe I — I V , V I I (1882 ff.). Neue u n d vollständigere Sammlung der Reichsabschiede I — I V (1747). E m m i n g 3 Übersicht über die V e r b r e i t u n g der Carolina bei G e i b , Lehrbuch des Strafrechts I (1861) 276. N a g 1 e r , D i e Geltung der Carolina i n Basel (10). M e i e r , D i e Geltung der Peinlichen Gerichtsordnung K a r l s V. i m Gebiet der heutigen Schweiz (11). B a u m g ä r t n e r , D i e Geltung der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. i n Gemeinen 3 Bünden (29).

262

I V . Die Neuzeit

h a u s . Corpus i u r i s germanici academicum Ρ (1844). I I 1 (1856). Z i e g 1 e r , Wahl-Capitulationes (1711). D i e wichtigsten Texte bei Z e u m e r , Quellensammlung z. Gesch. d. deutschen Reichsverfassung i n M A . u. Neuzeit 2 (13). H ä r t u n g , D i e W a h l k a p i t u l a t i o n e n der deutschen Kaiser und Könige, HZ. 107 (11) 306. S i e m s e η , Kur-Brandenburgs A n t e i l an d. kaiserl. W a h l kapit. 1689—1742 (09). D i e peinliche Gerichtsordnung K a r l s V. nebst der Bamberger u. der Brandenburger Halsgerichtsordnung u n d m i t den P r o j e k t e n von 1521 u n d 1529, 3. synoptische Ausg. v. Z ö p f l (1883). D i e Carolina u. ihre Vorgängerinnen, hrsg. v. K o h l e r u. Α.: I. D i e peinliche Gerichtsordnung Kaiser K a r l s V. (00). II. D i e bambergische Halsgerichtsordnung (02). I I I . D i e niederdeutsche Bambergensis (04) I V . Wormser Recht u n d Wormser Reformation (05). G ü t e r b o c k , D i e Entstehungsgeschichte der Carolina (1876). D e r s . , Zur Redaktion der Bambergensis (10). B r u n n e n m e i s t e r , D i e Quellen der Bambergensis (1879). S c h e e l , Johann F r e i h e r r zu Schwarzenberg (05). E b. S c h m i d t , D i e Carolina, ZRG. 53 (33) 1. R a d b r u c h , ZSch wStrR. 55 (41) 113. W o l f a. zu § 71 a . O .

S 69. Landes- und Stadtrechte (bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts) Während die Reichsgesetzgebung versagte, entstand eine k a u m übersehbare F ü l l e von Landesgesetzen. D i e meisten von ihnen gehören dem 16. Jahrhundert an und erweisen sich schon dadurch als eine Folgeerscheinung der Rezeption. I m 17. und i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Zahl neuer Kodifikationen n u r gering. D e r Zweck dieser Landesgesetzgebung ging i n verschiedene Richtungen. Sie sollten i n j e nach dem Lande verschiedenem Maße der Verbreitung u n d Anpassung des fremden Rechts dienen, das i n der F o r m des Corpus iurus der Rechtsprechung schon deshalb nicht ohne weiteres zugrundegelegt werden konnte, w e i l das Laienrichtertum noch i n Tätigkeit war. Es mußte i n die F o r m des deutschen Gesetzes umgebildet werden. Daraus e r k l ä r t sich der große A n t e i l , den gelehrte Juristen an dieser Gesetzgebung gehabt haben. I n der Absicht der Romanisierung liegt aber auch die E r k l ä r u n g dafür, daß einzelne Länder erhebliche Teile fremder Landesrechte übernommen haben, w i e zum Beispiel die Grafschaft Henneberg 1539 aus der T i r o l e r Landesordnung (1532), die Markgrafschaft Baden 1588 aus dem w ü r t tembergischen Landrecht (1567). D e n n bei der Übernahme römischen Rechts k a m es w o h l auf die Güte der Fassung an, nicht aber darauf, sie selbst herzustellen. Insoweit man von einer Aufnahme fremden Rechts absehen wollte, w a r es wichtig, das einheimische Recht festzulegen und damit seine Anwendung zu erleichtern. Ferner hatte die Rezeption eine Menge neuer Rechtsfragen und v o r allem Streitfragen m i t sich gebracht, die am zweckmäßigsten durch eine Gesetzgebung zu erledigen waren. Ebenso bedurften die zahlreichen Fragen, die unabhängig von der Rezeption, aber zu gleicher Zeit durch das neue

§ 69. Landes- und Stadtrechte (bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts)

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Gebiet der Polizei entstanden, einer gesetzlichen Regelung 1 und nicht minder die Verhältnisse der evangelischen Kirche durch landesherrliche Kirchenordnungen 2 . D i e Bezeichnung dieser Gesetze w a r verschieden. Ohne ganz scharfe Trennung nannte man diejenigen privatrechtlichen und prozeßrechtlichen Inhalts meist Landrechte, die polizeirechtlichen Landesordnungen. Daneben gab es besondere Gerichtsordnungen, strafrechtliche Malefizordnungen und Spezialgesetze f ü r Bergrecht, Deichrecht, Wechselrecht u. a. Das Verhältnis dieser Rechte zum rezipierten Recht w a r k e i n ausschließendes, indem das gemeine Recht subsidiäre Geltung behielt. E r w ä h n u n g verdienen die bairisdhe Landrechtsformation von 1518 (1616), die T i r o l e r Landesordnungen (1526, 1532, 1572), die T i r o l e r (Tirolensis, 1499) u n d Radolfzeller Halsgerichtsordnung (1506)3 u n d die schon erwähnte Bambergensis (s. § 68), die Konstitution und O r d nung der Erbfälle, Testamente usw. von K u r f ü r s t Joachim I. von Brandenburg (Constitutio Joachimica), das Landrecht des Fürstentums Jülich (1537), das Dietmarsche Landrecht (1567), das w ü r t t e m bergische Landrecht von 1555 (unter M i t a r b e i t des Tübinger Professors Sichard entstanden, 1567 u n d 1610 revidiert), der Grafschaft Solms Gerichtsordnung und Landrecht von 1571 (verfaßt von dem F r a n k f u r t e r Syndikus Johann Fichard), die sächsischen Konstitutionen des Kurfürsten August (1572), die Decisiones électorales Saxonicae (1661), das Landrecht des Herzogtums Preußen von 1620 (1721 von Samuel von Cocceji revidiert), der Codex Maximilianeus bavaricus civilis (Bairisches Landrecht) von 1756, verfaßt und m i t wertvollen Anmerkungen versehen v o n dem Kanzler Wiguläus von Kreittmayr. Gegenüber den Rechtsaufzeichnungen i n den Ländern treten die der Städte i n der Neuzeit stark i n den Hintergrund, da, von wenigen Ausnahmen (ζ. B. Braunschweig, Rostock) abgesehen, n u r die Reichsstädte i m Besitz der Autonomie verblieben, die übrigen aber der Landesgesetzgebung unterstanden. Soweit eine Stadtrechtsgesetzgebung erfolgte, bewegte sie sich ebenfalls i n der Richtung einer A n gleichung des einheimischen u n d fremden Rechts, weshalb ihre Erzeugnisse meist als Reformation bezeichnet werden. V o n besonderer Bedeutung wurde durch ihren Einfluß auf andere städtische und auch 1

Vgl. u. § 76. S e h l i n g , D i e evangel. Kirchenordnungen d. 16. J a h r h . I — V (02ff.). 1 Uber diese E. S c h m i d t , Inquisitionsprozeß u n d Rezeption (40) 61. D e r s . , D i e Maximilianischen Halsgerichtsordnungen (Textausgabe m i t Einl. u. Erläut., 49). 8

264

I V . Die Neuzeit

landesrechtliche Quellen die Nürnberger Reformation von 1479, i n der zum erstenmal eine verständnisvolle Verarbeitung der beiden Rechte auf dem Gebiet des Privatrechts und des Prozeßrechts erfolgte. Sie w u r d e wiederholt umgearbeitet u n d hat i n einer Fassung von 1484 auf die sehr romanistische Wormser Reformation v o n 1499 eingew i r k t . Zeitlich folgen die F r a n k f u r t e r Reformation von 1509 (1578 von Fichard, dann 1611 bearbeitet) f das dem einheimischen Recht günstige Freiburger Stadtrecht des Humanisten Ulrich Zasius (s. § 71) von 1520, die Zwickauer Reformation von 1539 (1569). Das Revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586 hat durch den Stralsunder Stadtsyndikus D a v i d Mevius einen w e r t v o l l e n Kommentar erhalten. Einen solchen verfaßte der Bürgermeister Langenbeck zu dem Hamburger Stadtrecht von 1497, das erst 1600 i m üblichen Sinn reformiert wurde. A n deutschrechtlichem Gehalt werden diese Gesetzgebungen übertroffen von Aufzeichnungen u n d Bearbeitungen des Gewohnheitsrechts einzelner niederdeutscher Gebiete, die zum T e i l i n amtlichem A u f t r a g oder durch amtliche Personen erfolgten. D a h i n gehören das Landrecht des Amtes Hagen (Osterstadisches Landrecht) von 1581, die etwas jüngeren Neumünsterschen Kirchspiels- und die Bordesholmer Amtsgebräuche und das Wurster Landrecht von 1611. D e r Gerichtsschreiber und spätere Landvogt Matthäus Normann verfaßte 1525 bis 1531 das Rügische Landrecht (Wendisch-Rügianischer Landgebrauch), der brandenburgische Kanzler Lamp recht Diestelmeyer 1572 den Entw u r f einer märkischen Landesordnung. D i e ländliche Rechtsaufzeichnung erfolgte auch i n der Neuzeit i n der F o r m des Weistums, neben dem seit dem 16. Jahrhundert herrschaftliche D o r f - und Flurordnungen eine zunehmende Rolle spielen. D i e A u s g a b e n sind meist gleichzeitige Drucke. Das Hagener u n d Wurster Landrecht bei P u f e n d o r f , Observationes iuris universi I I I App. (1756). I App. (1734). S e e s t e r n - P a u l i , D i e Neumünsterschen Kirchspiels- u n d die Bordesholmer Amtsgebräuche (1824). F r o m m h o l d , Das Rügische Landrecht (1896). Diestelmeyers Landrecht bei M y l i u s , Corpus constitutionum Marchicarum V I 3, 19. S c h u l t z e - B e r t h o l d - H a h n , D i e Zwickauer Stadtrechtsreformation 1539/69 (35). S c h u l t z e , Zur Zwickauer Stadtrechtsreformation, ZRG. 58 (38) 709. M o l i t o r , D e r Entw u r f eines mecklenb. Landrechts v. D a v i d Mevius, ZRG. 61 (41) 208. D i e rivatrechtl. Teile verschiedener Texte (Nürnberg, Worms, F r a n k f u r t , Freiurg, Baiern, Joachimica, Württemberg, Solms, Kursachsen) i n Quellen zur neueren Privatrechtsgesch. Deutschlands 1 1 . 2 (36—38) hrsg. v. K u n k e l (mit w e r t v o l l e n Anm.). V e r z e i c h n i s s e der Quellen bei K r a u t - F r e n s d o r f f , Grundriß zu Vöries, über d. deutsche Privatrecht 6 (1886) 66. M o 11 o c h , Landesordnungen u. Landhandfesten der österr. Ländergruppe (07). B u c h d a , Das Wirtschaftsrecht der thüring. Landesordnungen (38) 34. S c h w a r t z , Vierhundert Jahre deutscher Zivilprozeßgesetzgebung (1898) 793. J a n s e n , D i e Wechselgesetze der alten Reichsstadt K ö l n (37). F ü r Deichrecht vgl. Gierke, Feikes (zu § 42).

E

§ 70. Die nationale Rechtsbildung (seit Mitte des 18. Jahrhunderts)

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8 70. Die nationale Rechtsbildung (seit Mitte des 18. Jahrhunderts) Unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Literatur, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gegen die Herrschaft des römischen Rechts ankämpfte, und unter dem des Naturrechts begann i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine neue Zeit der Gesetzgebung, die meist bewußt den Rückweg einer Verdeutschung des Rechts und einer Überwindung der Rezeption beschritt. Sie konnte zunächst n u r i n einzelnen Ländern erwachsen, da das Reich zu einem solchen Beginnen unfähig geworden war. Anderseits aber vermochten die Länder eine andere, nicht weniger dringende Aufgabe nicht zu erfüllen, nämlich die der Schaffung eines einheitlichen Rechts 1 . D i e Folge war, daß die Rechtsentwicklung der neueren Zeit i n zwei Stufen sich vollzieht. A u f der ersten Stufe ist Problem die Nationalisierung des Rechts, auf der zweiten t r i t t dazu das der Rechtseinheit. Jene ist die Zeit der landesrechtlichen Kodifikationen, diese die Zeit des Reiches seit 1871. Dazwischen liegt überleitend die nach Vereinheitlichung strebende Rechtspolitik des Zollvereins und des deutschen Bundes. D e n Anfang machte Preußen. Friedrich W i l h e l m I. beauftragte 1738 den damaligen ministre chef de justice, späteren Großkanzler Samuel von Cocceji, „ e i n beständiges und ewiges Landrecht" abzufassen unter Abschaffung des „ius Romanum" u n d Einverleibung der unzähligen Edikte. Das daraufhin ausgearbeitete „ P r o j e k t des Corpus iuris F r i d e r i c i a n i " wurde 1749 und 1751 teilweise veröffentlicht, aber wegen seines stark romanistischen Inhalts bekämpft und nicht zum Gesetz erhoben. Nach dem Tode Coccejis (1755) gelangte die Justizreform i n die H a n d des Großkanzlers von Carmer u n d seines Rates C a r l Gottlieb Svarez 2 . Sie begann 1781 m i t der Veröffentlichung einer von Svarez verfaßten Prozeßordnung als dem ersten Buch eines Corpus iuris Fridericiani. Es folgte 1783 die für die Entwicklung des Liegenschaftsrechts wichtige Hypothekenordnung, ebenfalls ein W e r k von Svarez, und 1791 das „Allgemeine Gesetzbuch für die preußischen Staaten". Doch w u r d e dieses nicht i n K r a f t gesetzt, sondern zunächst einer Revision unterzogen. Deren Ergebnis ist das „Allgemeine Landrecht f ü r die preußischen Staaten" vom 5. Februar 1794, das am 1. Juni 1794 i n Geltung trat. Es 1 D i e Schaffung eines Gesetzbuchs i n deutscher Sprache hatte schon Conring (s. § 71) gefordert. Innerhalb einzelner T e r r i t o r i e n (Preußen, Österreich) ist Leibniz m i t Entschiedenheit dafür eingetreten. Vgl. L a n d s b e r g a. u. a. O. I I I , 1, 29. Μ ο 11 a t , ZRG. 7 (87) 71. 2 S p r i n g e r , D i e Coccejische Justizreform (14). S t ö 1 ζ e 1, C. G. Suarez (1885). T h i e m e , D i e preußische Kodifikation ZRG. 57 (37) 355. D e r s . , Das Gesetzbuch Friedrichs des Großen, Deutsche JurZ. 41 (36) 939.

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griff inhaltlich über das bürgerliche Recht weit hinaus, umfafite Handelsrecht, Gewerberecht, Ständerecht, auch unter Einbeziehung öffentlichrechtlicher Vorschriften. Aufgebaut auf einer sorgfältigen Erforschung und Überlegung der tatsächlichen Verhältnisse und des zeitgenössischen Rechtsbewußtseins ist es ohne gewolltes Zurückgreifen auf älteres Recht im Grunde deutschrechtlichen Geistes und zu sehr erheblichem Teil auch deutschrechtlichen Inhalts, eine überlegene Verschmelzung einheimischen Rechts mit noch geltenden römischen Rechtsgedanken in klarer, auch dem Volke verständlicher Fassung, die bedeutendste Leistung deutscher Gesetzgebungskunst. Es schloß das römische Recht aus, beanspruchte aber gegenüber Provinzialrechten und Statuten nur subsidiäre Geltung. Die Prozeßordnung von 1781 wurde umgestaltet in die wiederum durch Svarez ausgearbeitete Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten (1793—1795). Die bald darauf begonnene Revision des Strafprozeßrechts führte zur Kriminalordnung von 1805. Auf eben diesem Gebiet war Baiern vorangegangen durch zwei Gesetze, den Codex iuris bavarici criminalis (1751) und den Codex iuris bavarici iudiciarii (1753). Obwohl ein Teil der Gesetzgebung, zu der auch das schon erwähnte bairische Landrecht gehört, sind sie in Gegensatz zu diesem dazu bestimmt, an die Stelle des bisherigen Rechts zu treten. Der erstgenannte Codex ist 1813 durch das bahnbrechende Strafgesetzbuch von Anselm von Feuerbach abgelöst worden (s. § 71). Auch die österreichischen Kodifikationen betrafen zunächst das Kriminalrecht und Prozeßrecht. Sie beginnen mit der Peinlichen Gerichtsordnung Maria Theresias (Constitutio criminalis Theresiana). Sie wurde 1787 unter Josef II. durch ein Gesetz über Verbrechen und Strafen ersetzt, das 1803 dem Gesetz über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen Platz machen mußte. Dazwischen liegen die Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 und eine Criminal-Gerichtsordnung von 1788. Von weit größerer Bedeutung war das 1811 veröffentlichte Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch. Es war in der letzten Fassung im wesentlichen eine Arbeit des stark unter dem Einfluß von Kant und des Naturrechts stehenden Rechtslehrers Zeiller, galt unter Ausschluß anderer Rechte, war aber dem römischen Recht gegenüber entgegenkommender als das Preußische Landrecht. Im Gegensatz zu den übrigen Gesetzen dieser Zeit ist es noch heute in Kraft, nur durch Novellen geändert 8. 8

S w o b o d a , Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch i m Lichte der Lehren Kants (26). D e r s . , Franz von Zeiller (31). D e r s . , D i e E i n w i r k u n g der Philosophie Kants auf d. österr. u. tschechoslowakische bürgerl. Recht, ZgesStW. 98 (37) 151.

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Erst 1863 entstand ein Sächsisches bürgerliches Gesetzbuch. D i e vorübergehende französische Herrschaft hatte i n westlichen Gebieten Deutschlands die Einführung der Napoleonischen Gesetzgebung zur Folge, die sich links des Rheins, i m Elsaß und infolge von Rezeption i n Baden bis 1900 erhielt. Es handelt sich u m den Code c i v i l (1804, 1807), Code de commerce (1807), Code de procédure civile (1806), Code d'instruction criminelle (1808) u n d Code pénal (1810). D e r Code c i v i l und der Code de commerce w u r d e n m i t einigen Ä n derungen u n d i n Ubersetzung 1809 als Badisches Landrecht übernommen 4 . D a alle diese Gesetze trotz i h r e r k a u m zu überschätzenden Bedeutung für die Rückkehr zu deutschem Rechtsdenken eine Vereinheitlichung des Rechts n u r beschränkt und n u r für einzelne, immerh i n große Gebiete gebracht hatten, w u r d e der Ruf nach deutscher Rechtseinheit i n der Zeit der deutschen Befreiung und aus ihrem Geiste laut vernehmbar. D e r Heidelberger Professor T h i b a u t erhob i h n 1814 i n einer von starkem nationalen Empfinden und politischem W o l l e n getragenen Schrift „Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland". I h m trat Savigny entgegen m i t seiner nüchtern sachlichen Abhandlung „ V o m Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" (1814), i n der er vom Boden der gesetzgebungsfeindlichen historischen Rechtsschule aus den Plan bekämpfte u n d überhaupt der Rechtswissenschaft und der Rechtssprache der Zeit die Fähigkeit zur Schaffung einer Gesetzgebung absprach 5 . Es ist denn auch nicht dazu gekommen, und der Gedanke ist erst nach Jahrzehnten teilweise v e r w i r k l i c h t worden i n der mit geringen Änderungen bis 1934 geltenden Wechselordnung von 1848. Sie entstand auf Veranlassung des Zollvereins als E n t w u r f einer Leipziger Wechselrechtskonferenz, den die F r a n k f u r t e r Nationalversammlung annahm und der Reichsverweser als Reichsgesetz i m Reichsesetzblatt verkündete. Durch Beschluß des Bundestags w u r d e 1856 eine Kommission zur Abfassung eines Entwurfs für ein Handelsgesetzbuch eingesetzt, der 1861 von der Bundesversammlung als Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch gutgeheißen u n d i n den folgenden Jahren i n den meisten Ländern auch als Gesetz eingeführt wurde. D e r Plan einer Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts k a m über den E n t w u r f eines Obligationenrechts nicht hinaus®. 4

C o n r a d , D e r C. civ. u. die historische Rechtsschule, DeutschlandFrankreich 2 '43) 54. A n d r e a s , ZRG. 31 (10) 182. M i 11 e i s , ZRG. 63 (43) 137. F e d e r e r , Beiträge zur Geschichte des Badischen Landrechts (Baden i m 19. u. 20. Jahrh., 48). β S. u. § 71. H e η η i g , ZRG. 56 (36) 394. T h i e m e , ZRG. 57 (37) 409. β H e d e m a n n , D e r Dresdner E n t w u r f von 1866 (35).

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I n ein neues Stadium gelangte die Frage der Gesetzgebung, als der des Gesetzgebungsredits entbehrende Deutsehe B u n d durch den Norddeutschen B u n d abgelöst wurde, der gesetzgebende Gewalt zwar nicht für das gesamte bürgerliche Recht hatte, aber f ü r O b l i gationenrecht, Handels- u n d Wechselrecht, Strafrecht und Prozeß. D i e von i h m erlassenen Gesetze (Gewerbeordnung 1869, Strafgesetzbuch und literarisches Urheberrecht 1870) und die von i h m übernommenen (Wechselordnung, Handelsgesetzbuch) gingen 1871 i n die Gesetzgebung des Deutschen Reiches über, die durch Regelung des gewerblichen u n d künstlerischen Urheberrechts (1876), beider Prozesse u n d des Konkursrechts w e i t e r ausgebaut wurde. So verblieb als letzte große Aufgabe n u r noch die der Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts, für die das Reich durch Änderung der Reichsverfassung (20.12.1873) die Zuständigkeit erlangt hatte. Zu i h r e r Bew ä l t i g u n g setzte der Bundesrat zunächst 1873 eine Kommission von Juristen ein, die 1888 den ersten E n t w u r f des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorlegte. Dessen übertrieben romanistische Grundhaltung, die Nichtverwertung der schon i n der vorausgehenden Landesgesetzgebung berücksichtigten deutschen Rechtsgedanken u n d Rechtseinrichtungen, seine abstrakte, n u r dem Fachmann verständliche Fassung, die schon überwundenen Zeiten entsprechende Einstellung zu den wirtschaftlichen und sozialen Fragen, lösten eine ebenso umfangreiche w i e eindringende K r i t i k aus 7 . Sie hatte die Einsetzung einer neuen Kommission zur Folge (1890), die durch Einbeziehung von Nichtjuristen auf eine breitere Grundlage gestellt w a r und auch sonst i n Berührung m i t dem Leben blieb. D e r von i h r verfaßte zweite E n t w u r f w a r allerdings n u r eine Bearbeitung des ersten, t r u g aber doch der vorliegenden K r i t i k weitgehend Rechnung. E r w u r d e m i t nicht durchweg glücklichen Änderungen durch den Reichstag von diesem angenommen u n d am 18. 8.1896 vom Kaiser vollzogen. A m 1.1.1900 trat das so entstandene Bürgerliche Gesetzbuch i n Kraft, zugleich m i t der Grundbuchordnung und den i h m angepaßten Neufassungen verschiedener älterer Gesetze w i e insbesondere des Handelsgesetzbuchs. D i e Beurteilung des Bürgerlichen Gesetzbuchs muß von zwei Fragen ausgehen. Es ist zu fragen nach seiner Bedeutung f ü r die Rechtseinheit und nach der für den deutschrechtlichen Gehalt der Rechtsordnung. M a n muß aber auch scheiden zwischen dem Wün7 Von bleibendem W e r t ist die Beurteilung des E n t w u r f s vom germanistischen Standpunkt aus durch O. G i e r k e , D e r E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuchs u n d das deutsche Recht (1889).

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sehenswerten und dem damals Erreichbaren. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat in erheblichem Umfang deutschrechtliche Rechtsregeln zur Geltung gebracht, vor allem im Sachenrecht, im Familienrecht und im Erbrecht. Sein Schuldrecht und seine allgemeinen Lehren weisen ebenso unbestritten romanistisches Rechtsgut auf, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß manche seiner Regelungen, die man aus dem gemeinen Recht übernommen hat, durchaus in der durch die Rezeption abgebrochenen Entwicklungslinie des deutschen Rechts liegen. Viel wichtiger aber als die Herkunft einzelner Bestimmungen ist es, daß der erste Entwurf des Gesetzes in romanistischem Geist abgefaßt war und daß diese Grundhaltung durch die weiteren Arbeiten nicht beseitigt wurde. So hat das Bürgerliche Gesetzbuch zwar eine gewaltige Strecke auf dem Wege zur Verdeutschung des Reichsrechts zurückgelegt, es ist aber weder aus deutschem Geist geschaffen, noch mit den Mitteln deutscher Rechtssprache geformt. Dies zu erreichen war allerdings in der Zeit des ersten Entwurfs kaum möglich, da weder der Zeitgeist solchem Ziel günstig war, noch auch die deutschrechtliche Wissenschaft weit genug gefördert, um seine Erreichung mit voller Kraft unterstützen zu können. Weit fortschrittlicher war bereits das schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB.) von 1912, das einen Germanisten, den Berner Professor Eugen Huber, zum Verfasser hat 8 . Die Rechtseinheit hat das Bürgerliche Gesetzbuch bis zur Grenze des damals Möglichen geschaffen. Soweit Landesrecht noch bestehen blieb, handelte es sich zum Teil um Gebiete, deren Vereinheitlichung vorgesehen war und nur noch der Vorbereitung bedurfte. Sie sind durch das Verlagsgesetz (1901), das Scheckgesetz (1908) und das Versicherungsvertragsgesetz (1908) dem Reichsrecht gewonnen worden. Zum anderen Teil betrafen die Vorbehalte für das Landesrecht Gebiete, die sich durch eine landschaftlich verschiedene Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse oder durch den Zusammenhang mit dem öffentlichen Recht einer einheitlichen Regelung entzogen. Die folgende Entwicklung des deutschen Rechts entbehrt einer zielbewußten, geradlinigen Führung. Dies ist am deutlichsten bei der versuchten Reform des Strafgesetzbuchs, die über zahlreiche Entwürfe und einige Einzelbestimmungen nicht hinausgekommen ist, und bei den wenig kraftvollen Versuchen einer Reform des Zivilprozeßrechts. Auf anderen Gebieten, die von dem Wechsel politi8 D a r ü b e r vgl. R ü m e 1 i η , Das neue Schweiz. ZGB. (08). R e i c h e l , Zu den Einleitungsartikeln des ZGB. (Festschrift Stammler 26). S t u t z , ZRG. 44 (24) X I . E g g e r , D i e Rechtsethik des ZGB. (46).

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scher Machtverhältnisse weniger beeinflußt waren, ist das Bild immerhin etwas günstiger. Das Privatrecht ist durch eine Reihe von Einzelgesetzen ergänzt worden, die, vielfach wohl unbewußt, eine Stärkung des deutschrechtlichen Gehalts zur Folge hatten. Dies gilt von dem Kreis der Bodengesetzgebung, der mit der Erbbaurechtsverordnung beginnt (1919) und sich im Reichssiedlungsgesetz (1919) und Reichsheimstättengesetz (1920) fortsetzt. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geriet auch die Privatrechtswissenschaft in Bewegung. Als Sammelbecken ihrer rechtspolitischen Arbeit diente die Akademie für deutsches Recht mit zahlreichen Ausschüssen, oftmals in Gegensatz zu Parteistellen oder im Wettbewerb mit den amtlichen Sachbearbeitern des Reichsjustizministeriums. Einer ersten Phase, getragen von übersteigertem und unklarem, namentlich auch unpraktischem Erneuerungsdrang, folgte bald eine ruhigere, gelegentlich sogar rückläufige Entwicklung, die den Anschluß an bewährte Uberlieferung des Privatrechts mit der Verwirklichung neuer Ziele zu vereinigen suchte. Ist auch so manches davon eine Verirrung und ist auch vieles in den Anfängen stecken geblieben, namentlich das geplante Volksgesetzbuch, so zeugen doch eine Reihe von Entwürfen, Arbeitsberichten und Forschungen von der Ernsthaftigkeit jener Bemühungen, die in Lehre und Gesetzgebung (Ehegesetz, Testamentsgesetz, Aktiengesetz) weiterleben. An der Weltrechtsbewegung hatte sich das Deutsche Reich schon vor dem ersten Weltkrieg beteiligt und 1912 die in Haager Konferenzen von 1010 und 1912 ausgearbeitete einheitliche Wechselordnung unterzeichnet. Nachdem der Krieg ihr Inkrafttreten und die schon weit geförderte Vereinheitlichung des Scheckrechts gehemmt hatte, wurden auf Grund neuer internationaler Verhandlungén 1933 ein Wechselgesetz und ein Scheckgesetz veröffentlicht, die in erfreulichem Umfang deutschrechtliche Anschauungen verwertet haben. S t o b b e (s. § 6,) I I (1864) 4 6 6 . S t ö l z e l , Brandenburg-Preußens Rechtsverfassung u n d Rechtsverwaltung I. I I (1888). V. S c h w e r i n , D e r Einfluß germanischer Rechtsgedanken auf neuzeitliche Rechtsordnungen. A c t a Acad. Univ. Jur. Comp. I I 2 (34). H e y m a n n , Das Friderizianische Handelsrecht, S b A k B e r l i n (29). L u s c h i n v o n E b e n g r e u t h , Österreich. Rechtsgeschichte (1896) 511. R e h m e , Geschichte des Handelsrechts I (13). B r u n n e r , D i e Rechtseinheit (1877). O. G i e r k e , D i e soziale Aufgabe des Privatrechts (1889). H e d e m a n n , D i e Fortschritte des Zivilrechts i m 19. Jahrh., 1 (10), 2, 1 (30), 2, 2 (35). S c h e r r e r , Z u r Frage d. internat. Vereinheitlichung des Privatrechts (39). L a n g e , D i e E n t w i c k l u n g der Wissenschaft vom bürgerlichen Recht seit 1933 (41). v. H i p p e l , Vorbedingungen einer Wieder gesundung heutigen Rechtsdenkens (47).

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§ 71. Die Rechtswissenschaft D i e Geschichte der Rechtswissenschaft w a r i n der Neuzeit zunächst noch Wissenschaft vom römischen Recht. Sie w a r insofern, wenngleich auf deutschem Boden u n d von deutschen Gelehrten geübt, keine deutsche Rechtswissenschaft. Dies w a r sie auch dann nicht, wenn sie das einheimische Recht i n den Kreis ihrer Bestrebungen zog, da sie auch hierbei nicht von diesem ausging, sondern von der römischen Begriffswelt. D i e i h r überkommene Behandlungsweise w a r i n Vorlesung und literarischer Darstellung die exegetisch-analytische, der sog. mos Italicus. Von i h r ist auch der bedeutendste Jurist des beginnenden 16. Jahrhunderts nicht frei, der Freiburger Stadtschreiber und Professor Ulrich Zasius (Zäsi, 1461—1535), der i n seinen Vorlesungen und i m Freiburger Stadtrecht (s. § 69) dem einheimischen Recht ungewöhnlich v i e l Raum gewährte. W i e er gehörten dem Kreise der Humanisten auch die zahlreichen Männer an, die i n gleicher Zeit die Edition von Quellen i n Angriff nahmen. D e n römischen Quellen widmete sich Gregor Haloander (1501—1531)1, den fränkischen Rechten Johann Sichard (1499—1552)2, Johannes Basilius H e r o l d (geb. 1516)3, wesentlich später Friedrich Lindenbrog 4 . D i e systematische u n d synthetische Behandlung des Rechtsstoffs fand Eingang durch eine Reihe v o n Gelehrten, die unter dem Einfluß von Melanchthon standen. So t r u g K o n r a d Lagus (f 1546) seinen Schülern eine Methodus iuris civilis vor u n d Melchior K l i n g (1504 bis 1571) brachte Sachsenspiegel u n d Glosse „ i n eine richtige O r d nung". Wesentlich bedeutender als Lehrer und Schriftsteller w a r der Hamburger Johann Oldendorp (etwa 1480—1567), Praktiker, Polit i k e r und Lehrer an verschiedenen Universitäten, der auf philosophischer und geschichtlicher Grundlage neben verschiedenen Monographien eine Practica actionum forensium absolutissima (1540) verfaßte, einen Grundriß des Zivilrechts i m Rahmen des Aktionensystems. D i e so erwachsende Systematik des Rechts hatte i h r Seitenstück i n den gleichgerichteten Arbeiten ausländischer Gelehrter, die nicht n u r zufolge persönlicher Beziehungen, sondern auch durch das Studium an ausländischen Universitäten und durch das vielfache Lehren von Ausländern an deutschen Universitäten auf die deutsche Wissenschaft Einfluß gewannen. So hat i n Frankreich Hugo Donellus (1527—1591) 1 Das Corpus iuris w u r d e i n v i e r T e i l e n (Digesta, Institutiones, Codex, Novellae) 1529—31 i n N ü r n b e r g gedruckt. 2 Leges Riboariorum, Baioariorumqüe, quas uocant, a Theoderico rege Francorum latae. I t e m A l e m a n n o r u m leges, a Lothario rege latae. (Basileae 1530.) * O r i g i n u m ac Germanicarum a n t i q u i t a t u m l i b r i (Basileae 1557). 4 Codex legum a n t i q u a r u m ( F r a n k f u r t 1613).

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i n seinen Commentarli iuris civilis (seit 1589 erschienen) eine ungewöhnlich k l a r e und geschlossene, systematische Darstellung des römischen Rechts gegeben, während sein Zeitgenosse Johannes Cujacius (1522—1590) noch i n exegetisch-analytischer A r t , aber mit starkem kritischen und historischen Sinn i n der E r k l ä r u n g der römischen Quellen noch heute Brauchbares geleistet hat 5 . I n der Lehre wurde die so begründete synthetische u n d zugleich antiquarischphilogische Richtung als mos Gallicus dem n u r analytischen mos Italicus gegenübergestellt. I n der holländischen Schule des 17. und 18. Jahrhunderts (Bynkershoek 6 , Yoet) erlebte diese sogenannte elegante Jurisprudenz eine Nachblüte. F ü r die Entwicklung i n Deutschland w u r d e es von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Rechtswissenschaft schon i m 16. Jahrhundert i n enge Beziehung trat zur Rechtspflege. Diese w a r schon dadurch gegeben, daß der Rechtsstoff i n Kompendien u n d Kommentaren für die Praxis verarbeitet wurde. D i e Verflechtung w u r d e aber noch inniger durch die Beteiligung der Gelehrten an der Rechtsprechung, sei es unmittelbar als Richter (Schöffen), sei es durch Erteilung von Konsilien, sei es durch die T ä t i g k e i t der juristischen Fakultäten als Spruchkollegien u n d durch die literarische Betätigung der Praktiker. Es entstand so gegenüber dem reinen römischen Recht ein Usus modernus pandectarum, dessen praktische, unter deutschem und naturrechtlichem Einfluß stehende Behandlung der römischen Quellen allerdings der Unklarheiten und Mißverständnisse nicht entbehrte, aber doch entscheidenden Einfluß auf die Folgezeit gewann. I m Anschluß an die Rechtsprechung des Kammergerichts entwickelte sich eine Jurisprudentia cameralis. Deren Begründer w a r der Kammergerichtsassessor Joachim Mynsinger von Frundeck (1514—1588), der i n seinen Observationen die Rechtsprechung des Gerichts kritisch bearbeitete 7 . I h m folgte, wenn auch m i t verschiedener Methode, Andreas G a i l (1526—1587)8. D i e deutsche Rechtswissenschaft als Wissenschaft vom deutschen Recht nahm ihren Ausgang von! Hermann Conring (1606—1686), 6 Insbesondere Oberservationes et emendationes. Erste Gesamtausgabe Paris 1658. 6 Observationes t u m u l t u a r i a e hrsg. v. Meyers, de Blécourt u. a. I (26). I I (34). v a n A p e l d o o r n , Theorie en p r a c t i j k van de rechtsbronnen i n den t i j d van C. van Bynkershoek, T y d s k r i f v i r hedendaagse. Romeins-Hollandse reg. 1938, 4. D e r s., Nie. Everaerts (1462—1532) en het recht van z i j n t i j d (Meded. Kon. Ned. A k a d . v. Wetensch. 80, 1939). 7 Singularium observationum i u d i c i i imperialis camerae centuriae quatuor (1563, u m zwei Centurien vermehrt 1584). 8 Practicarum observationum tarn ad processum i u d i c i a r i u m praesertim imperialis camerae, quam causarum decisiones p e r t i n e n t i u m l i b r i duo (1578).

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einem Polyhistor, der i n Helmstedt über Medizin, P o l i t i k , Geschichte las und von dieser aus auch an die Jurisprudenz herankam 9 . Sein f ü r die Rechtswissenschaft entscheidendes W e r k , D e origine iuris Germanici l i b e r unus, erschien 1643 u n d gewann seine weittragende Bedeutung durch den Nachweis, daß das römische Recht i n Deutschland niemals als Gesetz eingeführt oder aufgenommen worden sei, also keine Geltung beanspruchen könne. D a m i t w a r die Bahn frei f ü r ein Wiederaufleben des deutschen Rechts, wenngleich die zunächst folgende L i t e r a t u r den Ergebnissen Conrings n u r zögernd beitrat. Von ganz anderem Schlage w a r Conrings Zeitgenosse Benedikt Carpzov (1595—1666), seit 1620 M i t g l i e d des Leipziger Schöffenstuhls, zeitweise audi des Oberhofgerichts und des Appellationsgerichts, seit 1644 Ordinarius der Leipziger Juristenfakultät. E r hat aus einer ungewöhnlichen Kenntnis der Praxis für die Praxis gearbeitet u n d als klardenkender Jurist, aber nicht schöpferisch, vom Rechtsfall ausgehend, das Recht seiner Zeit und seines sächsischen Rechtsgebiets zu einer Darstellung gebracht, die abschließend w a r u n d f ü r die Folgezeit maßgebend wurde. E r beherrschte alle Rechtsgebiete, wenngleich Strafrecht, Prozeß und Privatrecht i m Vordergrund standen 1 0 . W u r d e die Selbstbesinnung des deutschen Rechts von Conring geschichtlich gestützt, von Carpzov aber dogmatisch durch die Heranziehung des sächsischen Rechts, so erwuchs i h r daneben gewaltige H i l f e aus der allgemeinen geistigen Bewegung des Naturrechts (s. § 64), von dem die Rechtswissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts beherrscht w i r d . D e r Umfang des juristischen Schrifttums nahm seit dem 17. Jahrhundert ebenso zu, w i e die Spezialisierung auf einzelne oder wenige Gebiete. Nächst Johann Schilter (1632—1705)11, der i n seiner Praxis i u r i s romani i n foro germanico deutsches Recht seiner Zeit u n d der Vergangenheit neben dem römischen verarbeitete, auch als Feudist u n d E d i t o r sich bemühte, kämpfte Christian 9 A l s Vorläufer erscheinen die Differentiae i u r i s civilis et saxonici, w i e sie von Benedikt Reinhard (1549, 1551) u n d vielleicht schon früher von L u d w i g Fachs verfaßt wurden. Sie lehnen sich an die älteren Differentiae inter ius canonicum et civile an u n d stellen i m Gegensatz zu der früheren Konkordanzliteratur bewußt die Gegensätze des fremden u n d einheimischeen (sächsischen) Rechts dar. M i t ihnen sind verwandt, aber i n der Folge einflußreicher, die der gleichen Zeit angehörenden T r a k t a t e von Bernhard W a i t h e r über das Recht i n Österreich u. d. Enns. M. R i n t e l e n , Bernhard Waithers privatrechtliche T r a k t a t e (37). D e r s . , Festschrift Zycha (41) 313. 10 Practica nova imperialis Saxonica r e r u m c r i m i n a l i u m (1635). Iurisprudentia forensis Romano-Saxonica (1638). Processus iuris i n foro Saxonico (1657). Über Carpzov vgl. B ö h m a. zu § 67 A n m . 7 a. O.; v. W e b e r (43). Carpzovs Vorgänger w a r Matthias Β e r l i e h (1586—1638). Vgl. § 89. 11 Außer Schilter verdienen als Vertreter des Usus modernus besondere E r w ä h n u n g Samuel S t r y k (1640—1710), Usus modernus pandectarum (1690 bis 1712) u n d A u g u s t i n Leyser (1683—1752), Meditationes ad pandectas (1717—1748).

V. S c h w e r i n ,

Grundziige der deutschen Rechtegeschichte

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Thomasius (1655—1728) i n Halle als gefeierter Lehrer für das deutsche Recht, selbständig i n der Methode und i n der Verarbeitung überlieferten Geistesguts, Meister eines gelehrten Schülerkreises, Wegweiser ungezählter Männer des praktischen Lebens, v o l l von Reformideen, A u f k l ä r e r und doch tief religiös. Sein Schüler Georg Beyer (1665—1714) hat den privatrechtlichen T e i l seines enzyklopädischen Kurses 1704 als Delineatio historiae iuris civilis herausgegeben. Weder dieser noch andere Schüler des Thomasius, w i e der durch rechtsgeschichtliche Arbeiten antiquarischer Richtung bedeutsame J. G. Heineccius (1681—1741)11 und der Philosoph Christian W o l f (1679—1754), haben den Lehrer an pädagogischer W i r k u n g , O r i g i n a l i tät des Gedankens u n d Nachhaltigkeit des Einflusses erreicht. Von den dem Beginn des 18. Jahrhunderts entstammenden, einflußreichen Publizisten ist Johann Jakob Moser (1701—1785) über eine staunenswerte Materialsammlung u n d eine darauf fußende glatte Darstellung nicht hinausgekommen 1 8 , während Johann Stephan Pütter (1725 bis 1805) i m m e r h i n der dogmatischen Behandlung des öffentlichen Rechts Wege gewiesen hat 1 4 . A u f neuer Bahn bewegte sich die Rechtswissenschaft, seitdem Gustav Hugo (1764—1844), ein Schüler von Pütter und w i e dieser Professor i n Göttingen, unter Kantischem Einfluß die naturrechtliche, axiomatische Betrachtungsweise durch die historische, empirische ersetzte 15 . Dadurch ist er zum Vorläufer der historischen Rechtsschule geworden. Deren Begründer aber w a r Friedrich K a r l von Sav i g n y (1779—1861)16. Diese Schule geht davon aus, daß das Recht aus dem innersten Wesen des Volkes und aus seiner Geschichte hervorgehe, also nicht ohne solchen geschichtlichen Zusammenhang durch die gesetzgebende Gewalt w i l l k ü r l i c h hervorgebracht werden könne. Daraus erwächst i h r die Notwendigkeit der Erforschung des geschichtlichen Rechts als des wesentlichen Mittels f ü r das Verständnis des gegenwärtigen. D e n Gegensatz sah Savigny i n der ungeschicht12 Elementa iuris germanici I. I I (1735—36). Antiquitates Germanicae I. I I 1. 2 (1772—73). 18 Teutsches Staatsrecht, I — X X V I u. Register (1737—53). D a z u als Ergänzung: (Neues) Teutsches Staatsrecht I—-XXXII (1766—75) u n d als übersichtliche E i n l e i t u n g : G r u n d r i ß der heutigen Staatsverfassung von Deutschl a n d (1731). 14 Historische E n t w i c k l u n g der heutigen Staats-Verfassung des Teutschen Reichs I — I I I (1786; 3. A u f l . 1798). Elementa iuris p u b l i c i Germanici (1754), i n 8. A u f l . 1770 als Institutiones iuris p u b l i c i Germanici. 15 F. v. H i p p e l , Gustav Hugos juristischer A r b e i t s p l a n (31). W e b e r , Gustav Hugo (35; dazu Thieme, ZRG. 56, 641). E i c h e n g r ü n , D i e Rechtsphilosophie Gustav Hugos (35; dazu Thieme a.a.O.). 16 R u d o r f f , F. Κ . von Savigny, ZRG. 1 2 (1863) 1. S t ο 11, F. K. von von Savigny I — I I I (27—39). Z w i 1 g m e y e r , D i e Rechtslehre Sa v i g n y s (29). T h i e m β , D e r jung© Savigny, D R W . 7 (42) 53. W ο 1 f a. u. a. O.

§ 71. Die Rechtswissenschaft

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lichen Schule, deren Aufgabe vornehmlich eine dogmatisch-systematische sein müsse, anknüpfend an die Tatsache des jeweils gegebenen, positiven Rechtsstoffs. A l s i h r Vertreter erscheint Friedrich Justus Thibaut (1772—1840)17. D i e Grundsätze der historischen Schule gewannen Form i n der Zeit der Befreiung. Sie lagen daher nodi nicht zugrunde, als Savigny m i t dem „Recht des Besitzes" (1803) seinen R u h m als Zivilist begründete und m i t der Verwertung des reinen römischen Rechts f ü r die D o g m a t i k dessen neuerliche Rezeption i m 19. Jahrhundert einleitet 1 8 . V o n der Seite der Germanistik trat als Mitbegründer der historischen Schule K a r l Friedrich Eichhorn (1786 bis 1854) hinzu, dessen „Deutsche Staats- u n d Rechtsgeschichte" (1808—1823) durch ihren A u f b a u aus den Quellen selbst, durch die von Hugo übernommene synchronistische Methode und die Geschlossenheit der Darstellung die germanistische L i t e r a t u r auf Jahrzehnte befruchtet hat. D e r D r i t t e i m Bunde w a r Jakob G r i m m (1785—1863). Schüler Savignys, aber i m Gegensatz zu i h m ein echter Romantiker. Zugleich Philologe und Jurist, hat er auf breitester, auch die skandinavischen Rechte umfassender Quellengrundlage i n den „Deutschen Rechtsaltertümern" (1828) den Blick auf den geistigen Gehalt des deutschen Rechts gelenkt u n d i n der Sammtang der „Weistümer" die deutschesten Quellen, die des Bauernrechts, erschlossen. D i e geschichtliche Schule ist noch zu Lebzeiten ihrer Gründer vom Boden Hegelscher Philosophie aus angegriffen worden (Eduard Gans 1798—1839), dann aber von Savignys Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, Georg Friedrich Puchta (1798—1864), neu unterbaut und weitergebildet worden 1 9 . Dabei mußte die Einstellung auf das reine römische Recht zu einer Gegenbewegung der germanistischen A n hänger der historischen Rechtsschule führen und die i n Savigny und Eichhorn verkörperte Einheit Not leiden. Dies u m so mehr, als m i t dem Anwachsen der nationalen Bewegung der A u f b a u des Rechts auf Volksüberzeugung zu einer stärkeren Betonung des deutschen Rechts und einem neuen A n s t u r m gegen die A u s w i r k u n g e n der Rezeption m i t innerer Notwendigkeit hindrängte. F ü h r e r w u r d e Georg Beseler (1809—1885). Sein „Volksrecht und Juristenrecht" (1843) ging n u r wenige Jahre den Juristen, Philologen und Historiker vereinigenden Germanistenversammlungen zu F r a n k f u r t (1846) u n d Lübeck (1847) voraus 2 0 . Es berührte sich i n seiner politisch-nationalen 17 Über dessen Streit m i t Savigny s. oben δ 70 A n m . 4. Vgl. auch C o n r a d , Aus der Entstehungszeit der histor. Rechtsschule, ZRG. 65 (47) 261. 18 Vgl. hierzu sein System des heutigen römischen Rechts I — V I I I (1840—49) u n d i m übrigen § 67 A n m . 2. 19 Das Gewohnheitsrecht I. I I (1828—37). Lehrb. der Pandekten (1838). 20 R a d b r u c h u. S t o l t e r f o h t , i n Ehrengabe f. d. d. Juristentag (31) 103.

19*

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Grandstimmung mit ihnen nicht weniger als mit dem Frankfurter Parlament, zu dessen Mitgliedern audi Beseler zählte. Die von ihm eingeleitete Wissenschaft vom geschichtlichen deutschen Privatrecht erreichte ihren Höhepunkt in seines Schülers Otto von Gierke (1846—1921) Lebenswerk, im „Deutschen Genossenschaftsrecht" 21 und in der echt deutsch gedachten, klassischen Darstellung des deutschen Privatrechts 22. Neben ihnen können nur die aus tiefer Quellenkenntnis schöpfenden, feinsinnigen und selbständigen Institutionen des deutschen Privatrechts von Andreas Heusler (1834—1921) den Platz behaupten23. Dem Aufschwung auf germanistisch-privatrechtlichem Gebiet entsprach die Entwicklung der deutschen Rechtsgeschichte im engeren Sinne. In bis dahin unerreichter Beherrschung und methodisch sicherer Behandlung der Quellen hat hier Heinrich Brunner (1840 bis 1915), zugleich Jurist und Historiker wie wenige, mit einem seltenen Vermögen der Einfühlung in deutschen Rechtsgeist eine Darstellung der Rechtsgeschichte bis zum Mittelalter geschaffen, die mit einem Schlage die Arbeiten der Vorgänger überholte und bis heute grundlegend geblieben ist 24 . Neben ihm steht Rudolf Sohm (1841—1917), stark eingestellt auf begriffliche Erfassung auch der Vergangenheit, nicht ohne Eigenwilligkeit gegenüber den Quellen, aber weithin anregend durch den Widerspruch, den seine nicht immer methodisch gefesselte Phantasie erweckte 25. Richard Schröder (1838—1917) gelang es, der Wissenschaft die noch heute nicht ersetzte Gesamtdarstellung der deutschen Rechtsentwicklung zu schenken26. Hatte Brunner die Brücke zum römischen Spätrecht, zu den fränkischen Tochterrechten Frankreichs und der Normandie und zum angelsächsischen Recht geschlagen, so traf er sich bei diesem mit Konrad Maurer (1823—1902), dessen Lebensarbeit der Erforschung des skandinavischen Rechts gewidmet war. Auf gleicher Bahn folgte diesem sein Schüler Karl von Amira (1848—1930), der in seinem Grundriß des germanischen Rechts in unübertreffbarer Knappheit die erste quellenmäßig begründete Darstellung der germanischen, nicht nur deutschen Rechtsentwicklung schuf, als Meister der Rechtsverglei21

I — I V (1868—1913). Deutsches Privatrecht I — I I I (1895—1917), leider unvollendet. 23 I. I I (1885). 24 S. o. S. 9. D a z u die bahnbrechenden Monographien über Geschichte der U r k u n d e (s. § 19) u n d Entstehung der Schwurgerichte (s. § 32) u n d die zahlreichen Abhandlungen, die i n B r u n n e r , Forschungen zur Geschichte des deutschen u n d französischen Rechts (1895) u n d den (von K. Rauch herausgegebenen) Abhandlungen zur Rechtsgeschichte I. I I (32) vereinigt sind. 25 F ü r die Rechtsgeschichte bedeutsam die A r b e i t e n über Fränkische Gerichtsverfassung u n d über den Einfluß des fränkischen Rechts (s. o. § 18). 26 S. o. § 3. 22

§ 71. Die Rechtswissenschaft

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chung und als Begründer der Rechtsarchäologie der weiteren Forschung zum V o r b i l d und Wegweiser w u r d e 2 7 . D i e vielfältigen Beziehungen endlich zwischen weltlichem und kirchlichem Recht verfolgte Ulrich Stutz (1868—1938) m i t gleichem Gewinn für die germanische Rechtsgeschichte wie f ü r die von i h m neu aufgebaute K i r d i e n rechtsgeschichte. A u f dem Gebiet des gemeinen Rechts entstand das Lehrbuch der Pandekten von Bernhard Windscheid (1817—1892), das trotz seiner formalistisch-logischen Grundhaltung durch die K l a r h e i t der Darstellung, die überlegene Geschlossenheit des Systems, das sichere U r t e i l gegenüber L i t e r a t u r und Rechtsprechung bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts die unbestrittene Führung der v Z i v i l i s t i k behielt 2 8 . Doch stellte Rudolf Ihering (1818—1892) der schon nicht mehr ganz zeitgemäßen Begriff s jurisprudenz Windscheids die Forderung engster Verbindung des Rechts m i t dem Leben gegenüber u n d wurde so zum Vorläufer der modernen lnteressenjurisprudenz 2 9 . Waren i n der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts die einzelnen Fächer noch nicht scharf getrennt u n d w a r auch die Lehraufgabe des einzelnen vielfach von zeitlichen u n d örtlichen Bedürfnissen bestimmt, so zeigte schon die Jahrhundertwende eine allmähliche Scheidung. D a m i t wurde auch die Voraussetzung geschaffen f ü r eine selbständige, Strafrechtswissenschaft. A n ihrer Spitze steht als i h r Schöpfer Anselm Feuerbach (1775—1833), Vertreter einer Generalpräventionstheorie des psychologischen Zwangs, die durch Androhung der Strafe vom Begehen des D e l i k t s abhalten w i l l . Daraus folgte der Grundsatz „ n u l l a poena sine lege" und das Streben nach klarster Fassung des strafrechtlichen Tatbestands 30 . Unter seinen Nachfolgern machte sich die historische Schule durch Berücksichtigung der ge27 F ü r die Rechtsvergleichung, insbesondere die Heranziehung der nordischen u n d spanischen Rechte, w u r d e anregend J. F i c k e r . S. o. § 7 u n d J u n g , Julius Ficker (07). 28 1. A u f l . 1862—70. Über Windscheid vgl. W o l f a. u . a . O. 29 Insbesondere i m „Zweck i m Recht" I. I I (1877—84), w ä h r e n d der „Geist des römischen Rechts" (in 1. A u f l . 1852—65) noch einer früheren Entwicklungsperiode Iherings angehört. L a n g e , D i e Wandlungen Iherings i n seiner Auffassung v o m Recht (27). W i e a c k e r , R. von I h e r i n g (42). Über die lnteressenjurisprudenz der sog. Tübinger Schule vgl. vor a l l e m die Schriften von P h i l i p p Heck, ζ. B. Begriffsbildung u n d lnteressenjurisprudenz 2 (32). 30 Revision der Grundsätze u n d Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, I. I I (1799—1800). V o c k e , Anselm Feuerbach als Denker, Gesetzgeber u n d Richter, ZgesStrW.47 (27) 1. O e t k e r , Kleinschrod u n d Feuerbach i n i h r e n strafrechtlichen Grundanschauungen i n „ A u s d. Vergangenheit d. Univ. W ü r z b u r g " (32) 296. T h i e r f e l d e r , Anselm v. Feuerbach u. die bayerische Strafprozeßgesetzgebung von 1813, ZgesStrW. 53 (33) 403. R a d b r u c h , P. J. Anselm Feuerbach (34).

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I V . Die N e u e i t

schichtlichen Entwicklung geltend (Roßhirt, Heffter, Geib) 31 , während allerdings die Hauptlast der geschichtlichen Forschung auf Germanisten ruhte wie Eduard Wilda (1800—1854)32 und Eduard Osenbrüggen (1809—1879)33. Im übrigen aber gelangte die Straffechtswissenschaft unter den Einfluß von Hegel, so ζ. B. Köstlin (1813—1856) und Hälschner (1817—1889), der erst durch Adolf Merkel (1836—1896) gebrochen wurde. Die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts sind erfüllt von dem Streit zweier Straf rechtsschulen. Deren eine, die sogenannte klassische Schule, positivistisch und zugleich historisch fundierend, fand ihren überragenden und tiefgründigen Vertreter in Karl Binding (1841—1920)34. Die andere, die sogenannte moderne, nimmt ihren Ausgang von der Schrift eines Arztes, des Italieners Cesare Lombroso (1835—1909)3δ. Stark unter dem Bann naturwissenschaftlicher Anschauungen, betont sie die in der natürlichen Anlage des Verbrechers, in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen liegenden Umstände, gelangt folgerichtig zur Spezialprävention (Einwirkung auf den einzelnen Verbrecher) und legt das Schwergewicht auf den Strafvollzug. Ihr bedeutendster Vorkämpfer wurde der Berliner Strafrechtslehrer Franz von Liszt (1851—1919)36. Von den übrigen Gebieten hat das Handelsrecht durch Heinrich Thöl (1807—1884) eine Darstellung erfahren, die zwar als systematisch-konstruktiv den Zusammenhang mit der Romanistik nicht verleugnen kann, aber doch durch den Aufbau auf Handelsgewohnheiten und Handelsrechtsprechung die Verbindung mit dem Leben gewinnt 3 7 . Unvollendet blieb die glänzend begonnene Geschichte des Handelsrechts von Levin Goldschmidt (1829—1897)38. Das Staatsrecht, zunächst meist Bundesstaatsrecht (Joh. L. Klüber), folgte anfangs noch der naturrechtlichen, dann der historisch-positiven Richtung, um endlich durch Paul Laband (1838—1918) eine rein juristisch-konstruktive, von Geschichte und Politik freie Grundlegung zu erhalten 39 . S t i n t z i n g - L a n d s b e r g , Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I — I I I (1880—1910), wo weiteres Schrifttum. S c h ö n f e i d , D i e Geschichte der Rechtswissenschaft i m Spiegel der Metaphysik (43). L a r e n z , 31

Lehrbuch des deutschen Strafrechts I (1861). Strafrecht der Germanen (1842). S. o. § 31. 84 D i e Normen u n d ihre Übertretung I — I V (1872—1920). 85 Uomo delinquente (1871). 36 D i e Strafrechtstheorien der Neuzeit sind behandelt bei v. B a r , Geschichte d. deutschen Strafrechts (1882) 219. Über F. v. Liszt u n d seine Schule vgl. vor allem E b . S c h m i d t , Gesch. d. dtsch. Strafrechtspflege (47) δ 312 m i t weiteren Angaben aus dem Schrifttum. 87 Das Handelsrecht, I — I I I (1841—80). 88 Universalgeschichte des Handelsrechts (1891). 89 Deutsches Staatsrecht I — I I I (1876—82). 82

33

$ 72. ReicJisreform und Reichskreiie

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Sittlichkeit u n d Recht, Unters, z. Gesch. d. dtsch. Rechtsdenkens (Reich u n d Recht I 43). W o l f , Große Rechtsdenker 2 (44). Schweizer Juristen der letzten hundert Jahre (44/45). Herauszuheben u n d ergänzend: R. S c h m i d t , Zasius u. seine Stellung i n der Rechtswissenschaft ( 0 4 ) - — v . M ö l l e r , H e r m a n n Conring (15). L e η ζ , Η . C o n r i n g u. die Staatslehre des 17. Jahrh., ZgesStW. 81 (26) 128. K o s s e r t , Herrn. Conrings rechtsgeschichtl. Verdienst (39). Β ο 1 d t , Joh. Sam.. Fr. ν. Böhmer u. d. gemein rechtliche Strafrechtswissenschaft (36). — W o l f , Grotius, Pufendorf, Thomasius (27). F l e i s c h m a n n , Christian Thomasius (31). D i e t z e , Joh. Oldendorp (33). B a t t a g l i a , Christiano Thomasio (36; dazu Thieme, ZRG. 57, 692). — H ü b η e r , Jakob G r i m m u n d die deutsche RG. (1895). — H ü b n e r , K a r l Friedrich Eichhorn u. seine Nachfolger, Festschr. Brunner (10) 807. J e 1 u s i c , D i e historische Methode K. F. Eichhorns (36; dazu Thieme, ZRG. 57, 697). — W o h l h a u p t e r , Nikolaus Falck u n d die historische Rechtsschule, HJb. 59 (39) 388. F r e n s d o r f f , Das Wiedererstehen d. deutschen Rechts, ZRG.29 (1908) 1. — Außerdem die Nachrufe i n ZRG. 24 (Maurer), 36 (Brunner), 38 (Schröder, Sohm), 43 (Gierke, Heusler), 51 (v. A m i r a ) , 59 (Stutz), 61 (His), 62 (H.«Meyer, Rehme), 64 (Heck), 65 (Heymann, Schultze), 66 (Hübner). Ferner v a n V l e u t e n , K. v. Maurer, K r i t V j s . 3. F. 9, 1. v. A m i r a , K . v. Maurer (08). v. S c h w i n d , Heinrich Brunner, M I Ö G . 37, 1. E d. H i s u. F. B e y e r i e , A . Heusler (22). P u n t s c h a r t , K. v. A m i r a u n d sein W e r k (32). K i s c h , W i l h e l m Ed. W i l d a , i n M i t t e i d . Lebensbilder 5 (30) 339. N a g 1 e r , K a r l Binding, Gerichtssaal 91 (25) 1. W i e l a n d , Andreas Heusler u n d Rudolf v. I h e r i n g (35). S c h w a r z , Andreas von T u h r (38). D e r s., Das röm. Recht a. d. Univ. Zürich (38). H e y m a η η , Ulrich Stutz, FBPG. 51 (39) 152. F e h r , ZSchweizG. 18 (38) 450. — S i n z h . e i m e r , Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft (38).

3. Verfassung und Verwaltung A. DIE ENTWICKLUNG BIS ZUR AUFLÖSUNG DES REICHES I. D a s R e i c h § 72. Reichsreform und Reichskreise Das Sinken der Reichsgewalt gegen Ende des Mittelalters und die damit verbundenen Verfallserscheinungen auf dem Gebiet der Rechtssicherheit und Rechtspflege, des Finanzwesens und des Heerwesens vollzogen sich in einer Zeit, in der die Reichsglieder das Reich nicht entbehren konnten und der Reichsgedanke noch kräftig genug war, um ein Auseinanderfallen des Reiches aus der Vorstellungswelt der Zeit zu verbannen. Auch die mächtigeren Reichsstände waren noch nicht in der Lage, außerhalb des Reiches zu leben, ganz zu geschweigen der kleinen Territorien. So kam es darauf an, das Reich so auszugestalten, daß die wachsende Macht der Territorialfürsten im Reich und im Territorium sich voll zur Geltung bringen, die Reichsgewalt aber überall da mit sich durchsetzender Kraft die staatlichen Aufgaben erfüllen konnte, wo ihre Lösung den Territorialgewalten überhaupt oder zur Zeit noch unmöglich war. Die darauf abzielende

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I V . Die Neuzeit

Reichsreformbewegung des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ist über P r o j e k t e u n d rasch verebbende Versuche nicht hinausgekommen und an dem Gegensatz von Kaiser, Fürsten und Städten immer wieder gescheitert. Sie hat aber m i t dazu beigetragen, die F o r m des Reiches i n einer Zeit zu erhalten, während deren die Länder unter ihrem Schutz die eigene Ausbildung vollziehen konnten. W o h l m i t unter dem Eindruck der kirchlichen Reformbewegung und inhaltlich unter naturrechtlichem Einfluß entstand als A u f t a k t der Reichsreform eine Schrift unter dem T i t e l D e concordanza catholica, die Nikolaus von Cues dem K o n z i l zu Basel übergab 1 . Sie war nicht die einzige ihrer A r t , aber die eingehendste, u n d verfolgte das Ziel einer Reform auf dem Weg einer stärkeren Beteiligung der Reichsstände an der Regierung, der Errichtung eines Reichsgerichts u n d der Ausgestaltung einer kräftigen Exekutive. Einen praktischen Erfolg hat sie nicht gehabt. Nicht anders erging es dem Reformp r o j e k t , das Albrecht I I . auf dem Nürnberger Reichstag von 1438 vorlegte und den Entwürfen, die die Kurfürsten und Städte vertraten. I n einzelnen Punkten, w i e zum Beispiel i n der schon von Nikolaus von Cues vorgeschlagenen Einteilung des Reiches i n Kreise übereinstimmend, standen sich i n diesen Vorschlägen die Interessen der Bei teiligten unausgeglichen gegenüber. G i n g das Streben der größeren Fürstentümer auf Stärkung ihrer Gewalt gegenüber dem niederen A d e l und den Städten, so mußte der Kaiser darauf bedacht sein, eben diese gegen das Vordringen der Territorialmächte zu schützen, u m sich seinerseits auf sie stützen zu können. Es fehlte die Voraussetzung einer Reform, Sinn und W i l l e der Einstellung auf das Reich als Ganzes. So endete dieser Abschnitt der Reichsreform 1442 i n der sogenannten Reformation Friedrichs III., die tatsächlich nur eine Landfriedensordnung war. Noch während der Regierung Friedrichs I I I . setzte unter der Führung des Erzbischofs von Mainz, Bertholds von Henneberg, eine ständische Reformbewegung ein, die auf eine auch dem Kaiser übergeordnete zentrale Reichsgewalt, ein ständisches (oligarchisches) Reichsregiment abzielte. D e r erste Erfolg w a r der ewige Landfriede des Wormser Reichstags (1495), der durch das allgemeine, auch für die Reichsstände geltende Fehdeverbot die Rechtsverfolgung aus1 P o s c h , D i e Concordantia catholica des Nikolaus von Cusa (30). Κ a l l e n , Nikolaus von Cues als politischer Erzieher (37). L i e r m a n n , N i k . v. Cues u. d. deutsche Redit, Z. f. deutsche Geisteswissensch. 1 (38) 385. H u g e l m a n n , D e r Reichsgedanke bei Nikolaus von Kues (Reich u.RechtI, 1943). Ausg.: Κ a l l e n , D e conc. cath. (41). E i n weiteres Beispiel für das Reformschrifttum ist die 1439 vollendete sogenannte Reformation Kaiser Sigmunds. Ausg.: B e e r , die Ref. Kaiser Sigmunds (33). Dazu d e r s . , M Ö I G . 51 (37) 161.

§ 72. Reichereform und Reichskreise

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schließlich i n die H a n d der Gerichte legte, und die gleichzeitige Errichtung des Reichskammergerichts als eines zentralen Reichsgerichts. Dagegen mißlang der Versuch, die Reichsverwaltung einem Regiment zu übertragen, dessen Vorsitzenden der Kaiser ernennen, während die Bestellung der übrigen sechzehn Mitglieder den Ständen überlassen sein sollte. Es k a m nur zum Abschluß einer Übereink u n f t zwischen Fürsten und Kaiser, der Handhabung Friedens u n d Rechtens (1495), i n der die Durchführung der beschlossenen Gesetze i n Reich und T e r r i t o r i e n gegenseitig versprochen und die jährliche A b h a l t u n g eines Reichstags m i t mindestens einmonatiger Dauer zugesichert wurde. Dessen geringe Eignung zur V e r w a l t u n g des Reiches veranlaßte die Stände i m Jahre 1500 unter Ausnutzung der politischen Lage, dem Kaiser auf dem Augsburger Reichstag den Erlaß der schon 1495 vorgeschlagenen Regimentsordnung aufzuzwingen. Das i n Nürnberg errichtete ständige Regiment bestand aus zwanzig M i t g l i e d e r n (Regenten), teils geistlichen u n d weltlichen Ständen, teils von den damals geschaffenen Kreisen gewählten Vertretern. D e n Vorsitz hatte der Kaiser. D a aber die Beschlüsse des Regiments an seine Zustimmung nicht gebunden waren, bedeutete dessen Einrichtung den Ubergang von der kaiserlichen zu einer ständischen Regierung. A b e r der Mangel an Geld- u n d Machtmitteln verhinderte jede W i r k s a m k e i t des Regiments, das sich 1502 auflöste. D a auch die Versuche des Kaisers, eine monarchische Reform des Reiches durchzusetzen, v ö l l i g versagten, ging auch dieser zweite A b schnitt der Reichsreform ergebnislos vorüber 2 . I n E r f ü l l u n g einer Zusage i n der W a h l k a p i t u l a t i o n errichtete K a r l V. 1521 das zweite Reichsregiment. Es knüpfte i n wesentlichen Punkten an das erste an. Doch w a r es u m zwei Vertreter des Kaisers erweitert u n d i n seiner T ä t i g k e i t auf die Zeit der Abwesenheit des Kaisers beschränkt. Auch waren die Erblande seiner V e r w a l t u n g entzogen, w o r i n deren zunehmende Loslösung v o m Reich besonders deutlich zum Ausdruck kam. Diese Einschränkungen bedeuteten einen Rückschritt i n der E r f ü l l u n g der ursprünglichen ständischen Forderungen. Gleichwohl hätte dieses Reichsregiment Nützliches geleistet, wenn es nicht gleich dem ersten einer w i r k l i c h e n Macht entbehrt hätte 3 . So aber sind seine Versuche, Landfrieden, Münzwesen, Finanzwesen und Kriegswesen zu bessern, nicht W i r k l i c h k e i t geworden. D i e Rückkehr Karls V. führte 1530 zu seiner Auflösung. 2 D i e großenteils auf kaiserlichen Vorschlägen beruhende, auf einem Kölner Reichstag (1512) beschlossene Reichsordnung ist nicht durchgeführt worden. 3 Praktisch wäre insbesondere bedeutsam geworden, daß K a r l V. tatsächlich 1521—30 abwesend war.

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I V . Die N e u e i t

D i e Reichsreform w a r i n ständischem w i e i n monarchischem Sinne gescheitert. Während so die Reichsreform als solche eine vorübergehende Erscheinung blieb, erhielt sich die m i t i h r eng verbundene Kreisverfassung des Reiches wenigstens äußerlich bis zum Untergang des Reiches. D i e Kreise (Zirkel) waren eine territoriale Zusammenfassung von Reichsständen u n d damit eine geographische Einteilung des Reiches, die schon i n den P r o j e k t e n des Jahres 1438 nach früheren V o r b i l d e r n verwertet wurde. Es w u r d e n zunächst vier, dann sechs Kreise vorgeschlagen, i n der Regimentsordnung von 1500 wiederum sechs, die 1512 durch vier weitere ergänzt wurden 4 . Diese Vermehrung der Kreise hing m i t ihren veränderten Aufgaben zusammen 5 . D i e Organisation der Kreise w a r 1512 so vorgesehen, daß an der Spitze ein Kreishauptmann (seit 1555 Kreisoberst) und mehrere Kreisräte stehen sollten, die von den Ständen des Kreises gewählt wurden. Teilweise durchgeführt wurde sie auf G r u n d der E x e k u t i v ordnung von 1522, nachdem die angesehensten Fürsten jedes Kreises durch kaiserlichen Befehl des gleichen Jahres aufgefordert waren, zur W a h l von Hauptmann und Kreisräten Kreistage abzuschreiben, Versammlungen der dem Kreis angehörigen Reichsstände, die als solche zugleich Kreisstände waren. Aus diesem Ausschreiben entwickelte sich das Kreisausschreibeamt der seit der Exekutionsordnung von 1555 so genannten kreisausschreibenden Fürsten, die den Kreishauptmann (seit 1555 Kreisoberst) i n der Kreisleitung ersetzten. D i e Bedeutung der Kreise w a r gering, solange sie sich, auf die W a h l der Regimentsräte und seit 1507 auf den Vorschlag v o n Beisitzern für das Reichskammergericht beschränkte. Dies änderte sich, als 1522 und wiederum grundlegend durch die Exekutionsordnung von 1555 den Kreisen die Vollstreckung der kammergerichtlichen Urteile und die W a h r u n g des Landfriedens übertragen wurde. D e n n damit erlangten sie wesentlichen A n t e i l an der V e r w a l t u n g des 4 I m Jahre 1500 waren es der fränkische, bayrische, schwäbische, oberrheinische, westfälische u n d niedersächsische Kreis. 1512 kamen der österreichische, burgundische, obersächsische u n d kurrheinische Kreis hinzu. Zum obersächsischen gehörten auch Kursachsen u n d Brandenburg, zum k u r r h e i n i schen Mainz, K ö l n , T r i e r u n d die rheinische Pfalzgrafschaft. * Nach der Regimentsordnung von 1500 w u r d e n von den 20 Regimentsräten 6 von Ritterschaft, D o k t o r e n u n d Lizentiaten der sechs Kreise gewählt, die anderen von einzelnen Kurfürsten, den oberen Ständen, den Städten u n d aus den Hausmachtgebieten des Kaisers ernannt. Infolgedessen brauchten diese Kurfürstentümer usw. nicht eingekreist zu werden. Dagegen erschien dies erforderlich, als 1512 versuchsweise u n d i n der Exekutionsordnung von 1555 endgültig die Friedenswahrung den Kreisen übertragen wurde.

$ 73. Der K i l l e r

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Reiches. Sie führten i n der Folgezeit auch die Aufsicht über Münze und Zoll und über die Durchführung der Polizeiordnungen. Auch die Umlegung von Steuern und Truppenkontingenten gehörte zu ihren Aufgaben. I n der Reichspolitik w a r ihre Stellung dadurch ausgezeichnet, daß sie dem kaiserlichen Einfluß entzogen waren u n d i n der Regel auch i m Gegensatz zum Kaiser standen. Doch hinderte eine volle A u s w i r k u n g der i n den Kreisen liegenden Möglichkeiten die Abneigung der mächtigeren Stände, sich dem Kreise einzuordnen. Tatsächlich haben sich daher n u r einige der sogenannten vorderen Kreise, der fränkische, schwäbische u n d oberrheinische, zu wirklichem Leben entwickelt (s. § 76). F e i n e , Zur Verfassungsentw. d. Heil. Röm. Reiches seit dem Westfäl. Frieden, ZRG. 52 (32) 65. — H ä r t u n g , D i e Reichsreform v o n 1485—95, HY. 16 (13) 181. Μ ο 1 i t o r , D i e Reichsreformbestrebungen des 15. Jahrh. bis zum Tode Kaiser Friedrichs I I I . (21). E. Z i e h e n , M i t t e l r h e i n u. Reich i m Zeitalter der Reichsreform 1 (34), 2 (37); dazu HZ. 151, 353; 161, 585. v. K r a u s , Das Nürnberger Reichsregiment (1883). — M o s e r , Teutsches Staatsrecht 26—28 (1746), L a n g w e r t h v o n S i m m e r n , D i e Kreisverfassung M a x i m i l i a n s I. u n d d. schwäbische Reichskreis (1896). N e u k i r c h , Der niedersächsische Kreis u. die Kreisverfassung bis 1542 (09) ; H ä r t u n g , Gesch. d. fränkischen Kreises I (10). R o d e , Das K r e i s d i r e k t o r i u m i m westfälischen Kreis (16). M ü l l e r , Entstehung der Reichsexekutionsordnung, M Ö I G . 40 (25). W a l l n e r , D i e kreissässigen T e r r i t o r i e n am Vorabend des L ü n e v i l l e r Friedens, M Ö I G . EB. 11 (29) 680.

9 73. Der Kaiser D e r Kaiser w u r d e auch i n der Neuzeit von den Kurfürsten gewählt, und zwar i m wesentlichen nach den Regeln der Goldenen Bulle 1 . Demgemäß fand die W a h l i n F r a n k f u r t statt, w o h i n seit Ferdinand I. i n der Regel auch die Königskrönung von Aachen verlegt wurde. Sie w u r d e seit 1562 regelmäßig vom Erzbischof von Mainz vollzogen 2 . Zum Kaiser gekrönt wurde n u r noch (1530) K a r l V. zu Bologna von Papst Clemens V I I . D e r deutsche K ö n i g führte als solcher den T i t e l „ e r w ä h l t e r römischer Kaiser", den zuerst M a x i m i l i a n I. 1508 mit nachträglicher Zustimmung v o n Papst Julius II. angenommen hatte. D e r Nachfolger des Kaisers w u r d e schon zu dessen Lebzeiten i n der Regel zum römischen K ö n i g gewählt u n d gekrönt. Dies w a r dadurch noch einfacher als i m Mittelalter, daß die Krone tatsächlich (nicht rechtlich) erblich geworden war. D i e rechtliche Stellung des Kaisers ging trotz gelegentlicher A n sätze zur Herstellung einer monarchischen Gewalt i m Kampfe mit der reichsständischen Libertät unaufhaltsam zurück, nicht zuletzt durch die vom Kaiser selbst beschworenen Wahlkapitulationen 1 a

Uber die Veränderungen i m K u r f ü r s t e n k o l l e g s. u. δ 75. S t u t z , Der Erzbischof von Mainz u n d die deutsche Königswahl (10) 43.

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(s. § 68). Befehle erteilen konnte der Kaiser nur den T e r r i t o r i a l gewalten und den Kreisen, von denen die Durchführung abhing. Auch die Reichsexekution gegenüber einzelnen Reichsständen w a r Aufgabe der Kreise u n d konnte vom Kaiser mangels zureichender Machtmittel nicht selbst vorgenommen werden. So entzogen die größeren Gebiete teils auf G r u n d von Privilegien, teils tatsächlich sich und ihre Untertanen weitgehendst der Reichsgewalt. Dies g i l t vor allem von Österreich u n d Böhmen, später auch von Sachsen, Hannover und Preußen 3 . W e n n der Publizist Dietrich R e i n k i n g k noch am Beginn des 17. Jahrhunderts dem Kaiser die plenitudo potestatis zuschrieb u n d das Reich als Monarchie erklärte, so w a r dies die wirklichkeitsfremde Aufrechterhaltung eines von der Entwicklung längst überholten Dogmas 4 . Richtiger bezeichnete der sächsische Rat Bogislav P h i l i p p von Chemnitz das Reich als einen status aristocraticus monarchica administratione ex parte temperatus. Samuel Pufendorf als irreguläre aliquod corpus et monstro simile 5 . N u r dort k a m die Tatsache zum Ausdrude, daß das Kaisertum zwar i m m e r noch das Symbol der Reichseinheit war, der Kaiser aber die einheitliche Reichsgewalt verloren hatte. D i e einheitliche plenitudo potestatis hatte einem Bündel einzelner Rechte Platz gemacht, die man als iura caesarea reservata zu bezeichnen pflegte. D i e Regale waren m i t Ausnahme des Judenregals, das vom Kaiser verliehen werden mußte, den Landesherrn anheimgefallen. Das i m 16. Jahrhundert neu sich bildende Postregal wurde v o n bedeutenden Reichsständen (Kursachsen, Brandenburg) und i n den österreichischen Erblanden nicht anerkannt u n d i m übrigen 1615 dem Grafen v o n Taxis als erbliches Reichslehen verliehen.

Die iura caesarea reservata, die dem Kaiser ohne Einflußnahme des Reichstages zustanden, bildeten den Gegensatz zu den iura comitialia, die der Kaiser nur mit dem Reichstag zusammen ausüben konnte. Zu den Reservatrechten gehörte die Vertretung des Reiches nach außen, aber mit Ausnahme von Kriegserklärungen und Staats3 D i e Vorzugsstellung von Österreich beruhte zunächst auf den 1453 bestätigten, die der K u r f ü r s t e n übersteigenden P r i v i l e g i e n (s. § 55 A n m . 7). A u f sie geht der erzherzogliche T i t e l zurück, ferner der Ausschluß der Reichsgerichtsbarkeit. D i e Privilegien der Erzherzöge w u r d e n auch i n der NZ. wiederholt bestätigt, von K a r l V. (Karolinischer Freiheitsbrief 1530) bis K a r l V I . (1729). 4 Tractatus de regimine saeculari et ecclesiastico (1619). 5 Beide Schriften erschienen pseudonym, die von Chemnitz als Dissertatio de ratione status i n imperio romano-germanico authore H i p p o l i t o a Lapide (1640), die von Pufendorf als Severini de Monzambano Veronensis de statu i m p e r i i germanici ad L a e l i u m fratrem d o m i n u m Trezolani liber unus (1667; Neuausgabe von, Salomon 10, übers, v. Bresslau 22).

§ 73. D e r Kaiser

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vertragen®. Der Kaiser hatte ferner das Redht, den Reichstag einzuberufen, dort Anträge (Propositionen) zu stellen, gegen Reichstagsbeschlüsse ein Veto einzulegen, die Reichsgesetze zu sanktionieren. Die oberste Reichsgerichtsbarkeit stand immer noch dem Kaiser zu und wurde auch nach Errichtung des Reichskammergerichts in dem von den Ständen unabhängigen Reiehshofrat ausgeübt. Unberührt blieb auch, aber nur von geringer Bedeutung, die oberste Lehnsherrlichkeit und Lehnsgerichtsbarkeit, ferner das Eigentum am Reichsgut und auch ein allerdings mehr politischer Einfluß auf die Besetzung der Reichsbistümer. Kaiserliche Rechte geringeren Gewichts waren das der Standeserhöhung, der Ernennung von Notaren, der Legitimation unehelicher Kinder, der Verleihung des ius doctorandi, der Erteilung von Moratorien und der Volljährigkeitserklärung. Weniger frei war der Kaiser bei den iura reservata limitata, die er zwar ohne den Reichstag, aber nur mit den Kurfürsten ausüben konnte. Dahin gehörte die Erteilung von Münz-, Zoll- und Stapelgerechtigkeiten 7. Eine Absetzung des Kaisers war gesetzlich nicht vorgesehen. Doch hat auch die neuzeitliche Theorie ein Widerstandsrecht und damit die Zulässigkeit einer Absetzung anerkannt 8. Je mehr die rechtliche Machtstellung des Kaisers einschrumpfte, desto wichtiger wurde es, daß der Inhaber der Kaiserwürde durch seine Territorialgewalt eine politische Grundlage und ein politisches Ubergewicht hatte. Damit hängt es zusammen, daß seit dem Beginn der Neuzeit die Habsburger im Besitz dieser Würde blieben. Da aber gerade Österreich mehr als ein anderes deutsches Territorium einen erheblichen Gebietsbestand besaß, der geschichtlich nicht zum Deutschen Reich und infolgedessen in andersgeartete politische Zusammenhänge gehörte, waren die Interessen der österreichischen Hausmacht und die des Reiches nicht immer gleichgerichtet. Daß bei solchem Widerspruch die Habsburger auf die Seite der Erblande und nicht des Reiches traten, hat dessen Auflösung mit herbeigeführt. Dadurch wurde die zentrale Form des Kaisertums zur Umhüllung stärkster dezentralisierender Kräfte. M o s e r , Neues Teutsches Staatsrecht I I (1767). F e i η e , a. zu § 72 a. Ο. 78. Schrifttum zu den W a h l k a p i t u l a t i o n e n (s. § 68) u n d das § 73 A n m . 5 a. zeitgenössische Schrifttum. β

D i e P o l i t i k des Reiches wurde von der der Erblande scharf unterschieden. D i e Ausübung einzelner Reservatrechte w u r d e meist an Fürsten, auch an Privatpersonen übertragen. Diese erhielten eine sogenannte comitiva, die wieder nach dem Kreis der von i h r erfaßten Rechte eine comitiva m i n o r oder maior war. 8 Zum Widerstandsrecht vgl. W o l z e n d o r f f a . z. §64 a. Ο. K . M ü l l e r , Luthers Äußerungen über das Recht des bewaffneten Widerstandes, SbAk. München 1915. K e r n , L u t h e r u. das Widerstandsrecht, ZRG. Kan. 6 (16) 331. 7

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5 74. Die Zentralbehörden D i e Zentralverwaltung bietet ein genaues Gegenbild der rechtlichen u n d der politischen Stellung des Kaisers. D i e Beschränkung der kaiserlichen Macht beeinflufite nicht n u r die Zahl der zentralen Behörden, sondern a u d i i h r Verhältnis zum Kaiser, insofern die Tendenz sich geltend machen mußte, sie der alleinigen kaiserlichen Machtsphäre zu entziehen. Das Nebeneinander von Reichspolitik und erbländiseher P o l i t i k führte zu einer Ungeschiedenheit der Reichsverwaltung von der österreichischen, die u m so eigenartiger war, als die Organe des Reiches auf mittelalterlicher Grundlage sich fortbildeten, während die österreichischen Zentralbehörden auf einer davon wesentlich verschiedenen neuzeitlichen Grundlage aufgebaut wurden. D i e Erledigung von Reichsangelegenheiten durch erbländische Behörden mußte bei der wesentlich größeren Zielbewußtheit der erbländischen P o l i t i k die Folge haben, daß auch sie i n erbländischem Interesse behandelt wurden. D i e an der Zentralverwaltung beteiligten Behörden waren, von den von Hause aus erbländischen abgesehen, zum T e i l kaiserliche, nämlich Reichs (hof)kanzlei u n d Reichshof rat, denen das vom Kaiser unabhängigere Reichskammergericht als Reichsbehörde gegenüberstand. D e r Sitz der kaiserlichen Zentralverwaltung befand sich i n Wien, das seit Matthias (1612—18) dauernde Residenz u n d Reichshauptstadt geworden war. Noch Ende des Mittelalters versuchte der K u r f ü r s t v o n Mainz als Reichskanzler die politisch hochbedeutsame Leitung der Reichskanzlei selbst zu führen. Dies wurde i n der Folgezeit durch die häufige A b wesenheit des Hofes außerhalb des Reiches unmöglich. U m so wichtiger wurde für den Erzkanzler das schon seit dem Ende des 13. Jahrhunderts beanspruchte Recht, den am Hofe anwesenden, seit 1519 so bezeichneten Vizekanzler zu ernennen. Es w u r d e ihm, wenn auch unter Vorbehalt der j e w e i l i g e n B e w i l l i g u n g des Kaisers, durch die Reichshofkanzleiordnung Ferdinands I. (1559) i n der Tat zuerkannt. Praktisch w a r aber die Handhabung zunächst doch die, daß der Kaiser den Vizekanzler m i t Zustimmung des Kanzlers ernannte. Eine Änderung trat erst ein, nachdem 1620 eine österreichische Hofkanzlei errichtet w u r d e und n u r die Reichssachen bei der Reichskanzlei verblieben. Nunmehr schwand das Interesse der vor allem auf ihre Erblande bedachten Kaiser, den Einfluß des Erzkanzlers von der Reichskanzlei, dem geheimen Rat und dem Reichshofrat fernzuhalten, und so wurde seit 1660 der Vizekanzler gemäß der O r d n u n g von 1559 vom Erzkanzler ernannt.

§ 74. Die Zentralbehörden

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A u f dem Gebiet der Rechtsprechung hatte das königliche Kammergericht 1 zunächst unter dem mangelnden Interesse des Kaiser* gelitten, nach der Verpachtung an A d o l f von Mainz einen merklichen Aufschwung genommen, aber nach dessen Ausscheiden neuerdings einen Verfall, der die Stände veranlaßte, die Reform der königlichen Gerichtsbarkeit i n den Vordergrund ihrer Forderungen zu stellen. Sie erreichten auf dem Wormser Reichstag 1495 die Errichtung des Reichskammergerichts. Es w u r d e besetzt m i t einem vom Kaiser zu ernennenden Kammerrichter, der Fürst, Graf oder Freiherr sein sollte, u n d ursprünglich sechzehn U r t e i l e r n (Beisitzer, Assessor), die von den Reichsständen dem König, seit 1507 unmittelbar dem Gericht vorgeschlagen wurden, zur H ä l f t e aus den gelehrten Juristen, zur Hälfte aus dem Adel 2 . Diese Organisation erfuhr später kleinere, aber nicht grundsätzliche Änderungen. So erhielt der Kaiser 1521 das Recht der Ernennung zweier weiterer Beisitzer. D i e Zahl der Beisitzer w u r d e i m Westfälischen Frieden auf 50 erhöht, 1720 wieder auf 25 herabgesetzt. Seit 1648 mußte außerdem die konfessionelle Parität gewahrt werden. Auch trat schon bald eine B i l d u n g von Senaten ein, an deren Spitze v o m König ernannte Senatspräsidenten standen. D e r Sitz des Kammergerichts, auf dessen Ständigkeit besonderer Wert gelegt wurde, w a r zuerst i n F r a n k f u r t a. M., seit 1527 i n Speyer, das 1689 beim Eindringen der Franzosen verlassen wurde, u n d seit 1693 dauernd i n Wetzlar. D i e Zuständigkeit des Kammergerichts w a r nicht ausgedehnt. Es w a r allgemein zuständig i n Fällen der Rechtsverweigerung, bei Landfriedensbrüchen und f ü r fiskalische Klagen. Ferner w a r es i n der Regel erste Instanz für Klagen gegen Reichsunmittelbare. Ausgenommen waren aber K r i m i n a l k l a g e n und Klagen unter Fürsten oder „Fürstmäßigen 4 4 , die zunächst einem gesetzlich vorgesehenen Schiedsgericht (Austrag) unterstellt w u r d e n und erst i n zweiter Instanz vor das Kammergericht kamen. Endlich w a r dieses Berufungsgericht, soweit dem nicht ein Privilegium de non appellando entgegenstand 8 . D i e Einrichtung des Reichskammergerichts bedeutete an sich eine weitgehende Einschränkung der kaiserlichen Gerichtsgewalt und Rechtsprechung. Doch ist das Gericht i n seiner T ä t i g k e i t durch finanzielle Umstände gehemmt worden. D i e Erhaltung des Gerichts durch 1 Es w i r d vermutet, daß die Bezeichnung des Gerichts als Kammergericht m i t dessen besonderer Bedeutung für die königliche K a m m e r zusammenhängt. 2 Von den 16 Beisitzern w u r d e n 6 von den K u r f ü r s t e n vorgeschlagen, 2 von den Erblanden (Österreich, Burgund), 8 von den übrigen Ständen unter Verwendung der Reichskreise als W a h l k ö r p e r . 3 1521 w u r d e eine summa appellabilis von 50 Gulden eingeführt u n d allmählich auf 400 Gulden erhöht. O p e t , Festschr. Pappenheim (31).

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seine eigenen Einnahmen erwies sich als undurchführbar. Erst 1548 w u r d e m i t der Einführung einer ordentlichen Reichsmatrikularsteuer, der sogenannten Kammerzieler 4 , ein neuer Weg der Finanzierung beschritten, der aber bei dem niedrigen Stande des Reichsfinanzwesens ebenfalls keinen vollen Erfolg brachte. D i e Folge w a r die Unmöglichkeit, die vorgesehene und erforderliche Zahl v o n Beisitzern zu bestellen, damit eine ungeheuerliche Verschleppung der Prozesse 5 . Abgesehen hiervon versuchte der Kaiser einen Ausgleich für sich zu schaffen durch die Neubildung eines Reichshofrats. Dieser wurde schon 1497 durch eine Hofratsordnung eingerichtet, zunächst als Regierungs- und Justizbehörde f ü r Reichssachen u n d erbländische Sachen. Doch gelangte er erst unter Ferdinand I. zu voller Wirksamk e i t und entwickelte sich nach Abtrennung der erbländischen Sachen zu einer reinen Reichsbehörde 6 . D i e endgültige Regelung erfolgte durch die Reichshofratsordnung von 1559. D e n Vorsitz führte danach als Stellvertreter des Kaisers ein Hofratspräsident, bis dahin der Hofmarschall, Beisitzer waren die Inhaber der obersten Hofämter und Räte aus dem Reich und den Erblanden. D e r Reichshofrat w a r ausschließlich zuständig für K r i m i n a l k l a g e n gegen Reichsunmittelbare, f ü r Reichslehnsachen, kaiserliche Reservatrechte und Streitigkeiten über kaiserliche Privilegien. I m übrigen k o n k u r r i e r t e er m i t dem Reichskammergericht, bei dessen Versagen es i h m gelang, i n den letzten Jahrhunderten des Reiches die oberste Rechtsprechung i n seine H a n d zu bekommen. Dies w a r u m so bedeutsamer, als die Reichshofratsordnung von 1654 den Reichshofrat endgültig dem Einfluß der Stände entzog. I n Ausnahmefällen ergab sich sogar i m Zusammenhang m i t dem Reichshofrat eine persönliche Rechtsprechung des Kaisers. Konnten sich die Räte nicht einigen, so k a m es zum sogenannten votum ad imperatorem, indem der Reichshofratspräsident den F a l l unter Darlegung der verschiedenen Ansichten dem Kaiser zur Entscheidung unterbreitete. D e r Hofrat w a r ein T e i l der umfassenden Ämterorganisation, die M a x i m i l i a n I. i n den Erblanden begann und Ferdinand L 1527 ab4 Kammerziel ist der T e r m i n , an dem die Steuer zu entrichten war, dann die Steuer selbst. G r i m m , Deutsches Wörterbuch 5, 132. 5 D i e T ä t i g k e i t des Kammergerichts unterstand der Aufsicht u n d Nachp r ü f u n g der vom Reichstag eingesetzten Visitationsdeputationen. Doch gab es ordentliche Deputationen nur 1507—1588 u n d kurze Zeit ab 1767. Dazwischen w u r d e n fallweise außerordentliche Deputationen bestellt. Erheblichen p r a k tischen Erfolg hat die umständliche u n d schleppende A r b e i t dieser Deputationen nicht gezeitigt. β W a n n diese erfolgte, ist bestritten. Sie hängt zusammen m i t der Bestimmung des Passauer Vertrags, daß deutsche Sachen n u r von deutschen Räten behandelt werden dürfen n u d ist vielleicht schon 1559 eingetreten, jedenfalls b a l d nach dem Westfälischen Frieden.

§ 75. Der Reichstag

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Schloß. Sie brachte außer i h m die schon erwähnte Hofkanzlei, ferner als Finanzbehörde die Hofkammer u n d den Geheimen Rat. Von diesen hat die Hofkammer dauernde Bedeutung n u r f ü r die Erblande erlangt. Dagegen erstreckte sich die den Kaiser beratende T ä t i g k e i t des Geheimen Rates auch auf die Reichssachen u n d erfaßte neben den zunächst i m Vordergrund stehenden auswärtigen Angelegenheiten immer weitere Gebiete der Regierung, so daß der Reichshofrat fast v ö l l i g auf die Rechtsprechung beschränkt wurde. S e e l i g e r , Erzkanzlei u n d Reichskanzleien (1889). G r o ß , Gesch. d. deutschen Reichshofkanzlei 1559—1806 (33). K r e t s c h m a y r , Das deutsche Reichsvizekanzleramt, A Ö G . 84 (1898) 383. H e r c h e n h a h n , Gesch. d. Entstehung d. kaiserl. Reichshof rates, I — I I I (1791—93). v. G s c h l i e ß e r , D e r Reichshofrat (42). S m e n d , Das Reichskammergericht I (11). P o e t s c h , D i e Reichsjustizreform v o n 1495 (12). S p a n g e n b e r g , D i e Entstehung des Reichskammergerichts, ZRG. 46 (26) 231. Κ o s e r , Repertorium d. A k t e n d. Reichskammergerichts 1 (33). B a d e r , D i e Rechtsprechung des Reichshofrats, ZRG. 65 (47) 363.

§ 75. Der Reichstag D i e Organisation des Reichstags nahm i n den Zeiten der Reichsreform i m wesentlichen ihre dauernde Gestalt an. D e r Reichstag selbst entwickelte sich dabei zu einer ständischen Vertretung gegenüber dem Kaiser. Sieht man davon ab, daß Einzelheiten erst allmählich i h r e Regelung empfingen, so zeigt sich folgendes Bild. D e r neuzeitliche Reichstag zerfiel seit 1489, aber i n Anlehnung an früheren Brauch, i n drei Kollegien, das Kurfürstenkollegium, das Fürstenkollegium u n d das Städtekollegium. Das erste bestand gleich den i h m zugrunde liegenden Kurvereinen 1 aus den j e w e i l i g e n K u r fürsten. V o n den alten K u r w ü r d e n ging die der Pfalz 1623 infolge der Ächtung des Winterkönigs Friedrichs V. m i t dem Erztrudhseßamt auf das Herzogtum Baiern über. Zufolge des Westfälischen Friedens w u r d e aber für die Pfalz eine neue K u r w ü r d e m i t dem Erzschatzmeisteramt errichtet. Braunsdhweig-Lüneburg erhielt 1692 die n u n neunte, 1708 vom Reichstag anerkannte K u r (Erzbannerherrenamt). M i t dem Aussterben der bairischen L i n i e der Wittelsbacher (1777) fiel gemäß dem Westfälischen Frieden das Erztruchseßamt an die Pfalz zurück, während das Erzschatzmeisteramt an Braunschweig (Hannover) gelangte. D a die seit zwei Jahrhunderten nicht mehr ausgeübte böhmische K u r 1708 wieder zugelassen worden war, gab es 1778 acht Würden. Durch den Reichsdeputationshauptschluß w u r d e n K ö l n u n d T r i e r aufgehoben. D e r Erzkanzler erhielt an Stelle von 1 Nach der Einung der K u r f ü r s t e n i m K u r v e r e i n zu Rense (1338) erhielten diese durch die Goldene B u l l e u n d i n den W a h l k a p i t u l a t i o n e n das Recht zur B i l d u n g von K u r v e r e i n e n verbrieft. D e r letzte K u r v e r e i n fand 1558 statt.

v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Recbtegeschicbte

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Mainz das neue Kurfürstentum Regensburg. Ferner wurden neu errichtet die K u r w ü r d e n f ü r Salzburg, Baden, Württemberg u n d Hessen-Kassel. Durch den Preßburger Frieden (1805) erhielt der K u r fürst von Salzburg das Fürstentum Würzburg, m i t dem sein Kurrecht verbunden wurde. So w a r die Zahl der Kurfürsten noch knapp vor dem Untergang des Reiches auf zehn gestiegen 2 . Das Fürstenkollegium umfaßte die des Kurrechts entbehrenden Fürsten, die Prälaten, Grafen u n d freien Herren. V o n diesen hatten aber n u r die Fürsten Virilstimmen, während die übrigen zuerst i n drei, seit 1653 i n sechs K u r i e n zusammengefaßt waren und dementsprechend n u r sechs (früher drei) Kuriatstimmen abzugeben hatten. D i e fürstlichen Stimmen erfuhren erst allmählich eine Regelung. Zunächst w a r das Stimmrecht der Fürsten ein persönliches Recht, so daß bei Aussterben eines Hauses die Stimme wegfiel, bei Teilungen die Stimmenzahl sich vermehrte. Dies änderte sich Ende des 16. Jahrhunderts dadurch, daß das Stimmrecht als Realrecht m i t dem Fürstent u m verbunden wurde. Seitdem mußte bei Teilungen eine gemeinschaftliche Stimme abgegeben werden, während die Vereinigung mehrerer stimmberechtigter T e r r i t o r i e n i n der H a n d eines Fürsten dessen Stimmen entsprechend vermehrte. Stimmberechtigt waren anfangs auch die vom Kaiser i n den Reichsfürstenstand erhobenen Personen. Erst seit 1641 weigerten sich die Stände, diese aufzunehmen, solange sie nicht den Besitz unmittelbarer fürstenmäßiger Reichsgüter nachwiesen und zudem ihre Reichsstandschaft von den Ständen anerkannt wurde 3 . D i e Gesamtzahl der Stimmen betrug zuletzt 100. V o n diesen fielen 37 auf die geistliche Bank (35 V i r i l s t i m m e n und 2 Kuriatstimmen), 63 auf die weltliche Bank (59 und 4) 4 . Das Städtekollegium bestand aus einer rheinischen Städtebank m i t 14 und einer schwäbischen m i t 37 Städten, deren jeder eine Stimme zukam. Jedes Kollegium hatte ein D i r e k t o r i u m , das bei den Kurfürsten Mainz zustand, i m Fürstenrat zwischen Salzburg u n d Österreich wechselte, i m Städtekollegium der Stadt zukam, i n der der Reichstag abgehalten wurde. Außerdem hatte jede der sechs K u r i e n i m Fürsten2 Ohne Einfluß auf den Bestand des Kurfürstenkollegiums w a r es, daß 1547 die sächsische K u r w ü r d e i n n e r h a l b des sächsischen Hauses von der ernestinischen L i n i e auf die albertinische überging. 8 Personen, die Reichsstandschaft ohne reichsunmittelbares Gebiet erworben hatten, nannte man Personalisten. 4 Bänke hießen auch die einzelnen K u r i e n . Es gab seit 1653 eine schwäbische u n d eine rheinische Prälatenbank. Zu den beiden älteren Grafenbanken, der schwäbischen u n d der wetterauischen, t r a t 1641 die fränkische, 1653 die westfälische.

§ 75. Der Reichstag

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rat ein D i r e k t o r i u m . D i e Leitung der allgemeinen Geschäfte oblag dem vom Reichserzkanzler (Mainz) geführten Reichsdirektorium. D e n O r t der Tagung bestimmte der Kaiser bei der Einberufung. Diese erfolgte zum letztenmal 1663 nach Regensburg, wo der Reichstag bis zur Auflösung des Reiches verblieb. D i e 1495 vorgesehene jährliche Einberufung w u r d e nicht durchgeführt Persönliches Erscheinen der Reichsstände w a r anfangs die Regel, aber nicht erforderlich, vielmehr Vertretung durch Gesandte zulässig. D e r Kaiser wurde durch einen fürstlichen Kommissarius vertreten. Seit 1663 wurde der Reichstag zu einem Gesandtenkongreß, der kaiserliche Kommissar zum Prinzipalkommissarius, dem ein rechtskundiger Konkommissarius zur Seite stand. D i e nicht einfache Geschäftsbehandlung führte zunächst zu einer getrennten Behandlung der Vorlagen durch Kurfürsten* und Fürsten. Das bei deren Ubereinstimmung entstehende conclusum duorum gelangte an die Städte, durch dçren Zustimmung es zum Reichsgutachten (consultum imperii) wurde 5 . Dieses erhob die Sanktion durch den Kaiser zum Reichsschlüß (conclusum imperii), der i n der Regel i m Reichsabschied (recessus imperii) verkündet wurde 6 . Deren letzter ist der sogenannte Jüngste Reichsabschied von 1654. Eine andere A r t der Abstimmung galt i n Religionssachen. H i e r teilte sich nach dem Westfälischen Frieden der Reichstag i n ein corpus catholicorum unter dem Vorsitz von Mainz u n d ein corpus evangelicorum unter dem Vorsitz von Kursachsen (sog. i t i o i n partes), deren Einigung (sog. amicabilis compositio) Voraussetzung eines Beschlusses war. Innerhalb der K u r i e n w a r n u r ein einstimmiger Besehluß möglich, k e i n Mehrheitsbeschluß. Zur Zuständigkeit des Reichstages gehörten nach dem Westfälischen Frieden Erlaß u n d Auslegung der Reichsgesetze, Beschlüsse über K r i e g u n d Frieden, Staatsverträge, Erhobung von Steuern, Aushebung u n d Einquartierung von Truppen, Anlage u n d Ausbau von Festungen. Als Gericht w a r der Reichstag zuständig bei Rekursen gegenüber dem Reichskammergericht, Zweiung des Reichshofgerichts i n Religionssachen, Suspension u n d Entziehung der Reichsstandschaft oder der Landesregierung und seit 1711 Ächtung von Reichsständen. Längere Pausen i n der Einberufung des Reichstags führten i m 16. Jahrhundert zur Errichtung eines Reichstagsausschusses, der soge6 Das v o t u m decisivum der Städte w a r seit dem Westfälischen Frieden gesetzlich anerkannt, aber bei Meinungsverschiedenheit der beiden anderen Kollegien bedeutungslos. β Nicht i m Abschied verkündet wurde ζ. B. K a r l s V. Halsgerichtsordnung. Vgl. § 68.

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nannten ordentlichen Reichsdeputation. Seit 1663 gab es folgerichtig n u r noch außerordentliche Reichsdeputationen. M o s e r , Von denen teutschen Reichstagen (1774). Ρ ü 11 e r , Institutiones iuris p u b l i c i germanici 5 (1792). D o m k e , D i e V i r i l s t i m m e n i m Reichsfürstenrat (1882). Ä g i d i , D e r Fürstenrat nach dem L u n e v i l l e r Frieden (1853). M e i s t e r , Entstehung der Kuriatstimmen, HJb.34 (13) 828. K e r s t i n g , Gesch. d. nieders.-westfäl. Grafenkollegiums (16). R e u t e r , D e r K a m p f u m die Reichsstandschaft der Städte auf dem Augsburger Reichstag 1582 (19). — R e i c h s t a g s a k t e n ältere Reihe (ab 1378) I (1867) ff.; j ü n gere Reihe (ab 1519) I (1893) ff. Eine zeitgenössische Quelle ist auch ein 1569 von einem M i t g l i e d der Kurmainzischen Kanzlei verfaßter T r a k t a t . Vgl. R a u c h , T r a k t a t über der Reichstag i m 16.Jahrhundert (05); dazu H ä r t u n g , M I Ö G . 29, 323, u. R a u c h , ebda. 36, 510.

§ 76. Die Reichsverwaltung D i e V e r w a l t u n g des Reiches machte sich, abgesehen von der schon behandelten Rechtspflege, auf drei Gebieten geltend, auf dem des Heerwesens, des Finanzwesens und der Polizei. Sie hat auf keinem von ihnen Nennenswertes geleistet und w u r d e auf allen v o n den Territorien u n d den Städten überflügelt, deren notwendige M i t h i l f e bei der Reichsverwaltung durch ihre eigenen Interessen u m so mehr gehemmt wurde, als sich i n ihnen ein umfassendes staatliches Leben entwickelte und die Gemeinschaftsaufgaben ohnedies e r f ü l l t wurden. Das Reichsheerwesen k r a n k t e an dem Mangel eines stehenden Heeres. I m Kriegsfalle mußte das Heer neu aufgestellt werden. Während man zunächst noch die B i l d u n g eines Reichssöldnerheeres unter Erhebung einer direkten Reichssteuer versuchte, ging man schon 1521 anläßlich eines von K a r l V. beabsichtigten Romzuges zur B i l d u n g des Heeres aus Kontingenten über, zu deren Stellung die Reichsstände verpflichtet waren. F ü r die Größe der Kontingente w a r eine zu Worms aufgestellte M a t r i k e l grundlegend, die i m ganzen ein Heer von r u n d 4000 Reitern (Reisigen) und 20 000 Fußknechten vorsah. D i e i n i h r festgesetzten Zahlen w u r d e n i m ganzen und f ü r den einzelnen Reichsstand als Simplum bezeichnet und bildeten die Rechnungseinheit f ü r die i n den einzelnen Fällen zwischen Kaiser u n d Ständen zu vereinbarenden, tatsächlich zu stellenden Kontingente. Zugleich w u r d e ein Monatssold des Reiters von zehn, der Fußsoldaten von vier rheinischen G u l d e n festgesetzt. Diese Summen ergaben m i t der Truppenzahl Vervielfacht den sogenannten Römermonat, die Einheit der steuerlichen Leistung der Reichsstände, die neben dem Kontingent zu erbringen war. Durch die sogenannte Reichsdefensionalverfassung von 1681 wurde das# Simplum auf 12 000 Reiter und 28 000 Fußsoldaten erhöht. D i e Kontingente w u r d e n auf die Reichskreise verteilt, die sie ihrerseits auf die Stände umlegten und für ihre Auf-

§ 76. Die Reichsverwaltung

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Stellung und Erhaltung zu sorgen hatten. Diese Regelung hätte den Vorteil einer auf den Kreisen aufgebauten Gliederung des Reichsheeres bringen können, scheiterte aber an dem Widerstreben mächtigerer, der dauernd „armierten", Reichsstände, ihre T e r r i t o r i a l truppen i m Reichsheer aufgehen zu lassen. N u r auf G r u n d einer Assoziation der westlichen Reichskreise ist es zur Aufstellung eines stehenden Heeres zur Sicherung der Westgrenze gekommen. D e n Oberbefehl führte der Kaiser oder ein m i t Zustimmung der Stände ernannter Generalissimus 1 . V o n einem geordneten Reichsfinanzwesen k a n n man auch i n der Neuzeit nicht sprechen. D i e Auferlegung von Steuern stand n u r dem Reichstag zu. Zudem herrschte die Auffassung, daß die Reichsstände n u r die von ihnen bewilligten Steuern zu leisten hatten. So gab es n u r eine ordentliche Reichssteuer, die dem Unterhalt des Reichskammergerichts dienenden Kammerzieler 2 . Außerordentliche Steuern w u r d e n f ü r das Heer erhoben. So zunächst als direkte Steuer der sogenannte Gemeine Pfennig, eine Kapitalbesteuerung der Reicheren und Kopfbesteuerung der Minderbemittelten. D i e späteren Heersteuern w u r d e n auf der Grundlage des Römermonats b e w i l l i g t . I h r Ergebnis bildete die Reichsoperationskasse. Doch blieb der Eingang der Steuern immer unter dem Soll, da es an einer ständigen Organisation zu i h r e r Erhebung mangelte. Bei der geringen Zahl der vom Reich zu erfüllenden Aufgaben fehlte, ganz abgesehen von der Fähigkeit, auch die entschiedene Absicht, das Finanzwesen zu befestigen und auszubauen. Zudem stand das Interesse der Stände an Verwendung der Geldquellen ihrer Gebiete f ü r diese selbst entgegen und das des Kaisers, das Reich auch i n finanzieller Abhängigkeit von seiner Hausmacht zu halten. A u f dem Gebiet der Polizei betätigte sich das Reich durch eine v Reihe von Polizeiordnungen (s. § 68), die i m wesentlichen gleich den älteren, territorialen Landesordnungen über Kleidertrachten, Gastereien und Trinken, Unzucht, Gotteslästerung, Schwören, Wucher, Preistaxen, Zünfte, Bücherzensur und andere Fragen des gemeinen Wohls Bestimmungen trafen. Versuche einer Regelung des Münzwesens, insbesondere durch eine Reichsmünzordnung von 1559, vermochten die territoriale Zersplitterung der Münzprägung nicht zu überwinden. Sie w u r d e n u r teilweise durch Münzkonventionen ein1

D i e Heeresdisziplin beruhte für die Fußsoldaten auf den A r t i k e l b r i e f e n , für die Reiter auf der Reiterbestallung, die beide von der T r u p p e beschworen wurden. E r b e n , Ursprung u. Entwicklung der deutschen Kriegsartikel, M I Ö G . E B . 6 (Ol) 473. ν. Β ο η i η , H V . 14 (11) 62. B e c k , D i e ältesten A r tikelbriefe für das deutsche F u ß v o l k (08). 2 S. o. § 74 A n m . 4.

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zelner Kreise gemindert 3 . Auch die Regelung des Postwesens mußte das Reich zum T e i l den T e r r i t o r i e n überlassen (s. o. § 73). W e i g e 1, D i e Kriegsverfassung des alten deutschen Reichs von der Wormser M a t r i k e l bis zur Auflösung (12). v. F r a u e n h o l z , Das Heerwesen i n d. Zeit d. freien Söldnertums 1 (36), 2 (37). D e l b r ü c k , Gesch. d. Kriegskunst I V (20). v. B o n i n , Grundzüge d. Rechtsverfassung i n den deutschen Heeren zu Beginn d. Neuzeit (04). — M ü l l e r , Das Steuer- u n d Finanzwesen des HeiL Römischen Reiches i m 16. Jahrh., N J K A . 9 (02) 652. S i e b e r , Zur Gesch. d. Reichsmatrikelwesens 1422—1521 (10). — S e g a l l , Geschichte u. Straf recht d. Reichspolizeiordnungen (14). L u s c h i n v o n E b e n g r e u t h , A l l g e m . Münzkunde u. Geldgeschichte 2 (26). O h m a n n , D i e Anfänge des Postwesens u. die T a x i s (09).

§ 77. Reich und Kirche Das Mittelalter hatte trotz allen Kämpfen zwischen Kirche und Staat an dem Verbundensein der beiden Mächte festgehalten. Noch i n der W a h l k a p i t u l a t i o n Karls V. mußte dieser versprechen, der „advocat" der Christenheit und des römischen Stuhles zu sein, sie „ i n guten Bevelch u n d Schirm" zu haben. D e m entsprach es, daß der Kaiser der Reformation Luthers widerstrebte, aber auch, daß die Reformation der Kirche von der ständischen Reformpartei schon i m 15. Jahrhundert nicht minder gefordert wurde w i e die des Reiches. D a r i n lag aber auch ein G r u n d dafür, daß die Reformation in den einzelnen T e r r i t o r i e n durchgeführt wurde und die Auseinandersetzung des Reiches m i t der Reformation die F o r m eines Übereinkommens zwischen dem Kaiser und den katholischen Reichsständen einerseits und den evangelischen Reichsständen anderseits annehmen mußte. Sie vollzog sich n u r allmählich. D i e E x k o m m u n i k a t i o n Luthers i n der B u l l e Decet Romanum (1521) hatte nach dem seit 1220 geltenden Verfassungsrecht die Ächtung zur notwendigen Folge. D e n damit für die evangelischen Stände entstandenen K o n f l i k t schwächte der Speyerer Reichsabschied von 1526 ab, indem er dem einzelnen Reichsstand anheimgab, sich gegenüber der neuen Religion u n d dem Wormser Achtedikt nach seinem Gewissen zu verhalten. D i e endgültige Regelung erfolgte auf der i m Passauer Vertrag (1552) geschaffenen Grundlage durch den Augsburger Religionsfrieden (1555). E r brachte für die Reichsunmittelbaren das Recht der freien Religionsübung und der freien Religionswahl, beides allerdings n u r für die Augsburgische Konfession. Auch sollte ein geistlicher Reichsstand, der zur neuen Religion übertrat, sein Bistum, seine Prälatur oder 8 Eine Konvention zwischen Brandenburg, Sachsen u n d Braunschweig von 1690 baute auf dem Reichstaler ( = 2 Gulden = 120 Kreuzer = Ve M a r k Feinsilber) auf, also auf dem 18-Guldenfuß, die Konvention v o n 1753 zwischen Baiern u n d Österreich auf dem 20-Guldenfuß (sog. Konventionsmünzfuß).

§ 77. Reich und Kirche

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sein sonstiges Benefizium verlieren (sog. reservatum ecclesiasticum) 1 . D i e Bedeutung dieses Religionsvertrags w a r infolge seiner Beschränkung auf die Reichsunmittelbaren nicht tiefgreifend. E r brachte die Religionsfreiheit nicht der reichsmittelbaren, also der zahlenmäßig w e i t überwiegenden Bevölkerung. F ü r sie galt entsprechend dem bisherigen Recht der landesherrliche Religionsbann (ius reformandi), das Recht des Landesherrn, die Religion innerhalb seines Gebiets zu bestimmen und Andersgläubige zur Auswanderung zu zwingen (cuius regio, eius religio). F ü r die Mittelbaren w a r damit der Grundsatz der Zwangskirche festgehalten, m i t dem nur äußeren Unterschied, daß die Richtung des Zwanges nicht mehr vom Kaiser als solchem, sondern von den einzelnen Gehietsgewalten bestimmt wurde. D e r Westfälische Friede hat an diesen Grundlagen nichts geändert und lediglich Einzelheiten fortgebildet und ergänzt. So wurde den Reformierten die Stellung der Augsburgischen Konfession eingeräumt. D e r geistliche Vorbehalt w u r d e i n der Weise geregelt, daß der Besitzstand v o m 1. Januar 1624 (sog. N o r m a l jähr) maßgebend sein sollte. Außerdem erfuhr das ius reformandi des Landesherrn eine genauere Umgrenzung. I m übrigen stellte der Westfälische Friede den Grundsatz der aequalitas exacta mutuaque aller Stände utriusque religionis auf, der i n der i t i o i n partes des Reichstags i n Religionssachen eine sinngemäße Folgerung fand. Er wurde aber überspannt i n der Forderung der Parität bei Besetzung von Reichsämtern. So mußten die Reichsdeputationen und das Reichskammergericht paritätisch, zur Hälfte m i t Katholiken, zur Hälfte m i t Evangelischen besetzt werden. D e r jüngste Reichsabschied brachte eine entsprechende Bestimmung für den Reichshofrat. Auch die Reichsgeneralität mußte gleichmäßig aus beiden Konfessionen bestellt werden. Das Verhältnis des Kaisers zum Papst bewegte sich bis «um Westfälischen Frieden i m wesentlichen i n den bisherigen Bahnen, wenngleich die Unabhängigkeit des Kaisertums von der päpstlichen Krönung einer Lockerung günstig war. D i e K u r i e hielt an ihrer Forderung einer Approbation des Kaisers unentwegt fest, die Kaiser schickten Obedienzgesandtschaften, erbaten u n d erhielten Indulte für erste Bitten. Nach 1648 trat eine Zurückdrängung der päpstlichen Redite ein. D e r Kaiser anerkannte sein A m t als defensor et advocatus ecclesiae, lehnte aber nicht ohne Erfolg die Absendung von 1 Dies w u r d e einseitig v o m Kaiser bestimmt, da sich die Stände über eine Lösung dieser Frage nicht einigen konnten. D i e evangelischen Stände verweigerten dem Reservat die Anerkennung.

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Obedienzgesandtschaften ab, die sich nach außen h i n allmählich i n eine feierliche Notification umbildeten. Zudem hatte der Westfälische Friede das Recht der ersten Bitte als kaiserliches Recht anerkannt. D i e Besetzung der Reichsbistümer erfolgte rechtlich i n den alten Formen, also durch W a h l des Domkapitels m i t nachfolgender Übergabe der Regalien, was i m Grunde dem Wormser Konkordat entsprach. D e m blieb auch so, als seit 1648 die Teilnahme eines kaiserlichen Wahlkommissars rechtlich notwendig wurde, da ein Einfluß auf die W a h l n u r durch rechtlich bedeutungslose Empfehlung seitens des Kaisers ausgeübt werden konnte. Das Recht des Vetos gegenüber einem Kandidaten (Recht der Exklusive), das die staatsrechtliche Theorie dem Kaiser zuschrieb, hat sich nicht durchgesetzt. U m so bedeutsamer w a r e n die sonstigen Maßnahmen, durch die die Bistümer als zugleich weltliche T e r r i t o r i e n i n die Hausmachtpolitik eingegliedert wurden. D a z u gehörte die K u m u l a t i o n mehrerer Bistümer i n einer H a n d und die Ernennung eines Koadjutors m i t dem Recht der Nachfolge. A u f diese Weise gelang es insbesondere den Habsburgern und den Wittelsbachern, ausgedehnte geistliche Gebiete m i t ihrem angestammten T e r r i t o r i u m auch auf längere Zeit zu verbinden und Bistümer praktisch als Sekundogenituren ihrer Häuser zu verwerten. Es ergab sich so ein Gegenstück zu der Einverleibung säkularisierter Bistümer i n evangelische Territorien. B r a n d i , Deutsche Reformation u n d Gegenreformation, I. I I (27—30). S t u t z , Kirchenrecht, i n Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie V (14) 340. 368. v. S c h u b e r t , Reich u n d Reformation (10). D e r s . , Revolution u n d Reformation i m 16. Jahrh. (27). K a 1 k o f f , D i e Entstehung d. Wormser Edikts (13). D e r s . , Luthers Verhältnis zur Reichsverf. u. die Rezeption d. Wormser Edikts, H V . 18 (18) 265. Κ ü h η , D i e Gesch. des Speyerer Reichstags 1529 (29). B r a n d i , D e r Augsburger Religionsfrieden 2 (27). v. S c h u b e r t , Reichstag von Augsburg (30). v. B o n i n , D i e praktische Bedeutung d. ius reform a n d i (02). F e i n e , D i e Besetzung d. Reichsbistümer 1648—1803 (21) ; d e r s., ZRG. 52 (32) 98. D e r s., Papst, Erste Bitten u. Regierungsantritt, ZRG. 51 Kan. (31) 1.

§ 78., Die Auflösung des Reiches D e r Westfälische Friede verbriefte den Ständen die fast völlige Unabhängigkeit ihrer von Frankreich und Schweden garantierten landesherrlichen Gewalt 1 , das- Recht des Bündnisses auch m i t ausw ä r t i g e n Mächten, das aktive und passive Gesandtschaftsrecht, ihre Libertät. Bedeutsam w a r dies allerdings n u r für die mächtigeren Stände, die an ein reichsunabhängiges Eigenleben denken konnten. 1 Das I n s t r u m e n t u m pacis Osnabrugense (JPO.) sprach vom ius t e r r i t o r i i et superioritatis, der französische E n t w u r f v o m droit de souveraineté. Souveränität i m neuzeitlichen Sinn war damit nicht gemeint.

§ 78. Die Auflösung des Reiches

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F ü r die kleineren i m Süden und Westen, für die Grafen u n d Herren, die Reidisritter und die Reichsstädte, w a r das Reich als äußerer Rahmen ihres Daseins und i m bescheidenen Maße als i h r Schutz immer noch notwendig. Daher bestimmte der gleiche Friede, daß eine Reform der Reichsverfassung durch den Reichstag erfolgen solle. Zur Ausführung ist sie jedoch nicht gekommen. Während sich die selbständigen T e r r i t o r i e n w i e Österreich, Sachsen, Brandenburg % und Hannover, deren Gebiete zum T e i l außerhalb des Reiches lagen, der Reichsgewalt mehr u n d mehr entzogen, erhielt sich w o h l i m alten Umfang die F o r m des Reiches u n d der Schatten einer Obergewalt 2 . Reichsstaatliches· Leben aber k a m n u r i m Verhältnis der kleinen T e r r i t o r i e n zum Kaiser zur Entfaltung. Ihnen gegenüber konnte der Kaiser wenigstens seine Reservatrechte geltend machen, gegenüber den Bistümern sogar seinen Einfluß bei den Wahlen steigern 3 . Zum Ersatz für den immer wertloser werdenden Schutz durch das Reich und gegen die Gefährdung ihrer L i b e r t ä t durch die habsburgische P o l i t i k suchten sich die kleineren Stände durch Einungen (Assoziationen) zu sichern. Nachdem ein Rheinbund einiger Stände m i t Frankreich (1658) nach wenigen Jahren unter dem deutschfranzösischen Gegensatz zusammengebrochen war, begründeten südliche u n d westliche, die sogenannten vorderen Kreise, 1697 eine Assoziation, die zwar i m spanischen Erbfolgekrieg die 1681 beschlossene Reichskriegsverfassung i n ihren Gebieten durchführte u n d i n der Verteidigung der Rheinlinie den Reichsgedanken wahrte, aber infolge des österreichischen Erbfolgekrieges 1742 ebenfalls zerfiel. Größere Bedeutung hätte der sogenannte Fürstenbund erlangen können, den 1785 Preußen m i t Hannover u n d Sachsen abschloß, zumal i h m die meisten mitteldeutschen und einige süddeutsche Staaten beitraten. A l s sein Zweck wurde die Aufrechterhaltung der Reichsverfassung angegeben, also auch die Stützung des Reichstags, der Reichsgerichte und der Kreisverfassung. Seine politische Aufgabe aber w a r die Zurückdrängung der habsburgischen Ausdehnungsbestrebungen. Daher w u r d e er beendet, als Friedrich W i l h e l m I I . m i t der antihabsburgischen P o l i t i k Friedrichs des Großen brach. 2 F ü r die zunehmende Unabhängigkeit der oben genannten u n d anderer T e r r i t o r i e n war ihre V e r b i n d u n g m i t dem Ausland von maßgebender Bedeutung. M i t Österreich w a r wenigstens zeitweise die spanische Krone verbunden, seit 1526 (1527) Böhmen u n d Ungarn, m i t Brandenburg seit dem 17. Jahrhundert das zunächst unter polnischer Lehnshoheit stehende Herzogt u m Preußen, seit 1701 reichsunabhängiges Königreich, m i t Sachsen 1697 bis 1763 das K ö n i g t u m Polen. Hannover stand seit 1713 unter dem K ö n i g von England, der wegen kleinerer Gebiete noch 1792 Sitz i m Reichsfürstenrat hatte, Vorpommern u n d Wismar unter Schweden. S. § 63 A n m . 7. 3 Vgl. § 77.

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So wenig es diesen Assoziationen gelang, den Verfall des Reiches aufzuhalten, so k l ä r e n sie doch die innere Notwendigkeit des schließlichen Zusammenbruchs u n d seine Formen. Er setzte ein m i t der A b tretung des l i n k e n Rheinufers an Frankreich auf G r u n d des Lunev i l l e r Friedens. Diese bedeutete für das Reich etwas anderes als n u r eine Gebiets Verringerung. D e n n sie entzog wesentlichen Ständen die t e r r i t o r i a l e Grundlage u n d griff so i n den immer noch bestehenden A u f b a u des Reiches zerstörend ein. D i e zur Schaffung eines Ausgleichs berufene außerordentliche Reichsdeputation hat sich demgemäß nicht darauf beschränkt, territoriale Entschädigungen der bisherigen linksrheinischen Reichsstände festzusetzen, und konnte dies u m so weniger, als sie gerade bei deren Durchführung durch die Aufhebung geistlicher Stände (Säkularisation) selbst dazu beitrug, die Reichsorganisation zu verändern. So k a m es i m Reichsdeputationshauptschluß zu der schon erwähnten Errichtung neuer K u r w ü r d e n , der Anpassung des Reichstags an die neuen territorialen Verhältnisse, der Neuregelung der Stimmen i m Reichstag 4 . Schon während des französisch-österreichischen Krieges von 1805 stellten sich Bayern, Württemberg und Baden auf die Seite F r a n k reichs. A m 12. J u l i 1806 traten unter dem Protektorat Napoleons durch die Unterzeichnung der Rheinbundsakte sechzehn süd- u n d westdeutsche Reichsstände zu den états confédérés du R h i n zusammen. Dieser Rheinbund w u r d e am 1. August 1806 dem Regensburger Reichstag durch den dort beglaubigten Gesandten notifiziert, und am gleichen Tage erklärten die Rheinbundstaaten ihren A u s t r i t t aus dem Reiche. D a r a u f h i n legte Kaiser Franz I I . i n einer Kundgebung vom 6. August 1806 die Kaiserkrone nieder. E r erklärte „das reichsoberhauptliche A m t u n d W ü r d e durch die Vereinigung der konföderierten rheinischen Stände als erloschen" u n d betrachtete sich „dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich als losgelöst". Das Heilige Römische Reich w a r auch formell aufgelöst, ohne daß ein Reichstagsbeschluß ergangen wäre. Noch vor der formellen Auflösung des Reiches erhob Franz I I . Österreich zum Kaiserreich (1804). A u f G r u n d des Preßburger Friedens (1805) w u r d e n Bayern und Württemberg Königreiche, auf G r u n d der Rheinbundsakte Baden Großherzogtum. Außerdem konsolidierten sich die süddeutschen T e r r i t o r i e n gemäß der Rheinbundsakte durch Mediatisierung von zwischen ihren Gebieten belegenen Fürstentümern, Grafschaften, Reichsstädten und reichsritterschaftlichen Besitzungen. 4 D i e Regelung des Stimmenverhältnisses erhielt allerdings nicht die Genehmigung des Kaisers.

§ 79. Verfassung und Verwaltung bis 1648

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Ρ ü 11 e r., Historische E n t w i c k l u n g der heutigen Staatsverfassung des Deutschen Reiches 3 I — I I I (1798/99). E r d m a n n s d ö r f e r , Deutsche Geschichte 1648—1740 I. I I (1892/93). H e i g e l , Deutsche Geschichte v o m Tode Friedrichs d. Großen bis zur Auflösung des alten Reiches, L I I (1899—1911). v. S r b i k , Das österreichische Kaisertum u n d das Ende des Hèil. Römischen Reiches 1804—06, Arch. f. Polit, u. Gesch. 1927. W e b e r , Deutsche Gesch. v. Westfälischen Frieden bis zum Untergang d. alten Reiches (13). B a i 11 e u , D e r Ursprung d. deutschen Fürstenbundes, H Z . 4 1 (1879). F e i n e , Zur Verfassungsentwicklung des Heil. Röm. Reiches seit dem Westfälischen Frieden, ZRG. 52 (32) 65.

II. D i e

Länder

δ 79. Verfassung und Verwaltung bis 1648 Die Territorialentwicklung in der Neuzeit weist Unterschiede auf, die zu der durchschnittlichen Gleichheit der mittelalterlichen Territorien in einem scharfen Gegensatz stehen. Ein erheblicher Teil der mittelalterlichen Territorialgewalten hat sid^ überhaupt nicht entfalten können, weil ihm äußere Mittel und innere Energie mangelten, deren der Aufstieg zum neuzeitlichen Territorialstaat bedurfte. Zahlreiche kleine Herrschaften höheren und niederen Ranges sind auf der Stufe ihres mittelalterlichen Daseins stehengeblieben, auch wenn sie als Reichsstände ihre Reichsunmittelbarkeit bewahren konnten. Sie scheiden daher aus der Betrachtung aus. Die größeren Territorien, denen die Fortbildung zum modernen Staat gelang, haben ihre Entwicklung von sehr verschiedenen Voraussetzungen aus begonnen, in abweichendem Verlauf und in sehr ungleichem Zeitmaß durchlaufen. Daß die Geschichte der weltlichen Territorien eine andere sein mußte als die der geistlichen, lag in deren Wesen begründet. A l l dies macht es unmöglich, ein einheitliches Bild des neuzeitlichen Territorialstaates zu zeichnen. Nur für die Anfänge kann dies noch versucht werden. Im übrigen muß die Entwicklung in Brandenburg-Preußen für sich betrachtet werden, die in ihrer Geschlossenheit und inneren Zielstrebigkeit ein typisches Bild zu geben vermag. I. Der Unterschied des neuzeitlichen Territorialstaats von dem des Mittelalters liegt in der ihm eigenen ôfféntlichrechtlichen, obrigkeitlichen Gewalt, in der einheitlichen monarchischen Staatsgewalt. Deren Erfassung ist sein Fortschritt, deren Entwicklung seine Geschichte. Der Erwerb der Unabhängigkeit nach außen hat sich ohne erhebliche Schwierigkeiten vollzögen als das Gegenstück zur Auflösung der Reichsgewalt. Mit ihr haben die Territorien einen ruhigen Kampf um die ständische Libertät geführt, in dem die Gunst der politischen Lage für die Erlangung der Souveränität und ihre Festlegung im Westfälischen Frieden wesentlicher war, als der unmittelbare Einsatz eigener Kräfte. Um so größerer Anstrengungen bedurfte

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I V . Die Neuzeit

es, um die Landsässigkeit der i m Mittelalter breit entfalteten autonomen Gewalten innerhalb des Territoriums durchzusetzen, sie der staatlichen O b r i g k e i t , insbesondere Gerichtshoheit und Steuerhoheit unterzuordnen, Ritterschaft, Städte u n d geistliche Herrschaften i h r zu unterwerfen. D i e Versuche der Territorialherren, h i e r f ü r die H i l f e des Reiches i n Anspruch zu nehmen, standen von Anfang an i n einem Widerspruch zu den Interessen des Kaisers, der zudem durch die f r e i w i l l i g e n Kriegssteuern der Reichsritterschaft (subsidia caritativa) 1 zu deren Gunsten beeinflußt wurde. Sie scheiterten zugleich m i t der allgemeinen Reichsreform. Das schon der W a h l k a p i t u l a t i o n von 1519 eingefügte Verbot von Bündnissen des Adels gegen die Fürsten und verwandte reichsgesetzliche Bestimmungen hatten keine durchschlagende Bedeutung. D e r m i t eigenen Kräften, auch m i t m i l i tärischer Gewalt unternommene Kampf endete i m wesentlichen m i t dem Siege der Fürsten. Doch vermochten sich i n den schwächeren T e r r i t o r i e n des Südens u n d Südwestens verschiedene Städte, Bistümer und Abteien ebenso der Landsässigkeit zu entziehen, w i e der i n der freien Ritterschaft zusammengeschlossene A d e l 2 . D i e öffentlichrechtliche Auffassung der Staatsgewalt befreite diese allmählich von den patrimonialen Beimengungen der vorausgehenden Periode. A m schwierigsten w u r d e dies i n der Finanzverwaltung u n d bei der Regelung der Nachfolge i n die Herrschaft, nachdem die vereinzelten mittelalterlichen Versuche, den privatrechtlichen Teilungsgedanken auszuschalten, nicht zum Ziel geführt hatten. D i e U n t e i l b a r k e i t des Landes und damit der Ersatz der Erbfolge durch eine staatliche Thronfolge auf G r u n d des Erstgeburtsrechts ist endg ü l t i g 1578 i n Baiern (Testament Albrechts V.), 1598 i n Brandenburg (Hausvertrag von Gera, bestätigt 1603) eingeführt worden 3 . D i e Mehrzahl der Staaten ist i m 17. Jahrhundert nachgefolgt 4 . I n öster1

S. § 63. D i e Bedeutung des römischen Rechts für die A u s b i l d u n g der einheitlichen Staatsgewalt darf nicht überschätzt werden, w e n n auch gelegentlich gelehrte Räte die Maßnahmen ihres Fürsten aus dem römischen Recht verteidigten. Vgl. zu dieser Frage L a b a η d , Bedeutung der Rezeption d. röm. Rechts für das deutsche Staatsrecht (1880). v. B e l o w a. zu § 67 a.Ο. 3 D i e Dispositio Achillea des Markgrafen Albrecht Achilles (1473) hatte ebenfalls den Grundsatz der U n t e i l b a r k e i t anerkannt, hat sich aber nicht v o l l durchgesetzt. Doch wurde sie durch den Geraschen Hausvertrag bestätigt. Vgl. W e n n i n g h o f f , D e r Rechtsgedanke v o n der U n t e i l b a r k e i t des Staates i n d. deutschen u. brandenburgisch-preußischen Geschichte (15). v. C a e m m e r e r , D i e Testamente der K u r f ü r s t e n von Brandenburg u n d die beiden ersten Könige von Preußen (15; dazu Heymann, ZRG. 37, 579). 4 W e r m i n g h o f f , a. a.O. D i e F o r m der Festsetzung waren Verträge u n d Testamente. Hausgesetze i n formellem Sinn gehören erst dem 19. Jahrhundert an. Vgl. S c h u l z e , Das Recht der Erstgeburt i n den deutschen Fürstenhäusern (1851). H e f f t e r , Sonderrechte der vormals reichsständischen Häuser Deutschlands (1871). 2

§ 79. Verfassung und Verwaltung bis 1648

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reich w u r d e n Primogeniturfolge u n d U n t e i l b a r k e i t für das Gesamtgebiet nach verschiedenen Anläufen i m 16. u n d 17. Jahrhundert erst m i t der „Pragmatischen Sanktion" Karls V I . von 1713 erreicht. Außerhalb Ungarns galt dies auch f ü r die weibliche L i n i e 5 . Hand i n Hand m i t der Loslösung des Staates aus dem patrimonialen Bereich setzte sich die Unveräußerlichkeit der staatlichen Rechte durch. A m bedeutsamsten aber w a r die durchgreifende Wandlung, die die Auffassung von der Stellung des Fürsten erfuhr. Sie w u r d e verstanden als ein von Gott anvertrautes A m t . D i e Aufgabe des Fürsten wurde nicht mehr gesehen i n einer Befriedigung der fürstlichen u n d dynastischen Interessen, sondern i n der Wohlfahrt der Untertanen. Sie i m christlichen Geiste zu befördern u n d zu des Landes N u t z u n d Frommen zu regieren, erschien als Pflicht des Fürsten, als seine „Schuldigkeit". I I . Aus der noch zu schildernden Steigerung der Staatsaufgaben erwuchs die Notwendigkeit einer Umgestaltung des Beamtenapparats, die sich aber durchaus zweckmäßig fast v ö l l i g auf die Zentralv e r w a l t u n g beschränkte. I m M i t t e l p u n k t dieser E n t w i c k l u n g steht die des fürstlichen Rates (Hofrat), neben dem allmählich besondere Behörden f ü r die M i l i t ä r v e r w a l t u n g , Finanzvermittlung und K i r chenverwaltung aufkamen. D e r Rat knüpfte an die Räte des M i t t e l alters an. D i e grundlegende Neuerung bestand darin, daß er zu einem dauernden, festen K o l l e g i u m wurde, zu einer Behörde. Schon dadurch w u r d e n die außerhalb des Sitzes der Behörde ansässigen „Räte von Hause aus", die vorzugsweise dem A d e l angehörten, ausgeschaltet. Auch i m übrigen waren die Landesherren bestrebt, ihre Räte dem Nichtadel zu entnehmen. Sie bestellten vielfach m i t den Interessen des einheimischen Adels nicht verbundene Landesfremde und fast ausschließlich gelehrte Juristen. So w u r d e der Rat zu einem vom Hof getrennten, reinen Beamtenkollegium, das unter dem Vorsitz eines Beamten, des Kanzlers (Hofmeisters, Marschalls), n u r ausnahmsweise dem des Landesherrn, zu regelmäßigen Sitzungen zusammentrat. D i e Zuständigkeit des Rates w a r zunächst nicht abgegrenzt. Sie e r s t r e i t e sich auf die Rechtsprechung, die gesamte Landesverwaltung, die innere und äußere P o l i t i k . D i e Entstehung des Rates begann an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, i n dessen Verlauf er i n den meisten T e r r i t o r i e n eingeführt wurde. A l s V o r b i l d diente v o r allem die österreichische Behördenorganisation, w i e sie unter M a x i m i l i a n I. angebahnt, unter Ferdinand I. vollendet wurde. Diese selbst w i r d nicht ohne G r u n d auf die französisch5

Dabei ging die Erbtochter (die Tochter des letzten männlichen Inhabers der Krone) den Frauen der übrigen L i n i e n (den Regredienterbinnen) vor.

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burgundische zurückgeführt, deren Einfluß gerade bei M a x i m i l i a n I. als Herrscher i n Österreich u n d B u r g u n d nicht ausbleiben konnte®. Neben dem Rat bildete sich i n vielen T e r r i t o r i e n ein Hofgericht, das dann jenen auf eine Billigkeitsrechtspflege beschränkte. Doch ist umgekehrt i n Brandenburg die Ratsstube zum Kammergericht geworden. Häufiger noch w a r die Einrichtung einer kollegialen Finanzbehörde (Hofkammer, Rentkammer, Rechenkammer, Reitkammer) für den landesherrlichen T e i l der Finanzverwaltung. I n den evangelischen Staaten k a m es zur Schaffung einer Zentralbehörde f ü r die Handhabung des Kirchenregiments, der Konsistorien (s. u. I I I ) . Diese Neubildungen ergaben sich u m so leichter, als ihnen entsprechende Geschäftsverteilungen innerhalb des Rates den Weg vorzeichneten. Sie teilten m i t dem Rat die dem Mittelalter noch unbekannte Verbindung m i t einem festen Regierungssitz, während die Fürsten fester Residenzen i n der Regel noch entbehrten. Dies w a r nicht minder günstig f ü r den geordneten Verlauf der Geschäfte als f ü r eine ' größere Unabhängigkeit der Behörden vom Fürsten. Als letztes Hauptstück der landesherrlichen Behördenorganisation entwickelte sich der Geheime Rat i m Gegensatz zum Kollegialrat. Er wurde dadurch nötig, daß die Stände auf die Besetzung des bisherigen Rates Einfluß gewannen, insbesondere die Berufung landesfremder Räte verhinderten und damit die von den Fürsten erstrebte Unabhängigkeit des Rates i n Frage gestellt wurde. Seine B i l d u n g vollzog sich i n der Weise, daß der Fürst einzelne seiner Räte zu einem engeren K o l l e g i u m besonderer Vertrauensleute vereinigte, die n u n wiederum seinem Hofe folgten. I h r Aufgabenkreis betraf vor allem geheim zu behandelnde Sachen, die auswärtige P o l i t i k u n d persönliche Angelegenheiten des Fürsten. Dieser Rat erscheint i n Sachsen 1574, i n Baiern 1582, i n Brandenburg 1604. I n Österreich, wo er schon i n der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wenn auch ohne feste Formen, tätig ist, w u r d e er 1669 durch die sogenannte Geheime Konferenz ersetzt. D i e Bedeutung der Landstände ist i n diesem Zeitraum keineswegs gleichmäßig gewesen. Ohne verfassungsmäßige Festlegung ihrer Rechte waren die Landstände, vom Finanzwesen abgesehen, i n ihren β Über diese Zusammenhänge ist ein langer Streit geführt worden. Vgl. A d l e r , D i e Organisation der Zentralverw. unter M a x i m i l i a n I. (1886). R o s e n t h a l , D i e Behördenorganisation Ferdinands I., A Ö G . 69 (1887). W a 11 h e r , D i e Ursprünge der deutschen Behördenorganisation i m Zeitalter M a x i m i l i a n s I. (13). R a c h f a h l , D e r Ursprung der monarchischen Behördenorganisation Deutschlands i. d. NZ., JbNSt. 105 (15). T h . M a y e r , D i e Verwaltungsorganisationen M a x i m i l i a n s I. (20). H a r t u η g , Zur Frage nach d. burgundischen Einflüssen auf d. Behördenorganisation i n Österreich, HZ. 124 (21) 258.

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Erfolgen von der Persönlichkeit der Fürsten, von den politischen Verhältnissen und nicht zuletzt von ihrer durch die Interessenverschiedenheit der Ritterschaft und der Städte oft gestörten inneren Einigkeit abhängig. Deutlich aber ist die inWre Haltung, in der sich Fürsten und Stände gegenübertreten. Die Fürsten zielten in dieser Zeit nicht auf eine Beseitigung der Landstände ab, vielmehr darauf, in den Landständen ein Organ zu gewinnen, dessen Beschlüsse ihnen die Heranziehung der Kräfte des Landes zur Erfüllung staatlicher Aufgaben ermöglichte. Sie versuchten daher, den korporativen Charakter der Stände zu stärken und das Mehrheitsprinzip zur Anerkennung zu bringen, soweit dies nicht schon im Mittelalter durchgedrungen war. Denn nur so konnte die der Konzentration der Kräfte entgegenstehende Vorstellung gebrochen werden, daß jeder Stand nur an die von ihm gebilligten Beschlüsse gebunden sei. Auf der anderen Seite suchten die Stände Einfluß auf die landesherrliche Regierung zu gewinnen, auf die Besetzung von Ämtern, insbesondere den Ausschluß Landfremder auf die auswärtige Politik. Ihre Erfolge sind dabei nur vorübergehend gewesen. Gleichwohl darf man ihre Bedeutung um deswillen nicht unterschätzen, weil sie durch das Steuerbewilligungsrecht einen mittelbaren Einfluß auf die Staatsverwaltung tatsächlich hatten, sei es, daß sie erbetene Mittel verweigerten, sei es, daß sie deren Bewilligung von Bedingungen abhängig machten7. Unter diesen Umständen erscheint der frühneuzeitliche Territorialstaat gekennzeichnet durch einen Dualismus fürstlicher und ständischer Gewalt. Ihn als Ständestaat zu bezeichnen, dürfte dann nicht verfehlt sein, wenn man mit diesem Wort nur das zum Ausdruck bringen will, was ihm gerade eigentümlich ist, die im einzelnen allerdings verschieden starke Abhängigkeit des Herrschers von einem durch ihn nicht auflösbaren ständischen Landtag. Die Lokalverwaltung erfuhr keine wesentliche Veränderung. Sie ruhte wie früher auf dem mit einem bürgerlichen Amtmann besetzten Amt. Es gelang aber nicht, die gesamte Bevölkerung den Ämtern unterzuordnen. Die Exemtion adliger Güter und deren patrimoniale Gerichtsbarkeit und Polizeihoheit blieben weithin bestehen. III. Die Verwaltung des Territorialstaats weitete sich unter dem neuen Staatszweck, die Wohlfahrt der Untertanen in äußeren und in geistigen Beziehungen, im Diesseits und im Jenseits zu befördern, 7 Eine Verpflichtung zur Übernahme der von den Reichsständen b e w i l l i g ten Steuern bestand für die Landstände grundsätzlich nicht. Sie w u r d e zunächst n u r fallweise ausgesprochen, i n größerem Umfang durch die Reichsexekutionsordnung von 1555, dann d u r d i den Jüngsten Reichsabschied festgelegt. L o h m a n n , Das Reichsgesetz vom Jahre 1654 über die Steuerpflichtigkeit der Landstände (1893).

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also unter dem Einfluß des Polizeigedankens. Insoweit sie das neue Gebiet i n Landesordnungen u n d vor allem Polizeiordnungen regelte, w a r sie vielfach abhängig von den Reichspolizeigesetzen. Sie hat aber das Reich i n der Durchführung überflügelt u n d hat die dort gegebenen Anregungen selbständig weitergebildet. So erfuhr das W i r t schaftsleben eine eingehende Regelung durch die Konzentration des Verkaufs von lebenswichtigen Gütern auf streng beaufsichtigten Märkten, durch Preisbestimmungen u n d Unterdrückung preisbildender Vereinbarungen, durch Lohntaxen und Arbeitszwang, durch Ausfuhrverbote u n d genaue Verteilung der Gewerbe auf Stadt und Land, durch Maßnahmen gegen Wucher, falsches Maß und falsche Ware. Nicht ohne einen wirtschaftlichen Nebenzweck regeln Kleiderordnungen die Tracht der einzelnen Stände, Luxusgesetze das Maß des Verbrauchs bei Taufen, Hochzeiten u n d Leichenfeiern. Sittenpolizeiliche Vorschriften bekämpfen Verstöße gegen die christliche Ehrbarkeit, unsittliche Tänze, Spiel u n d Trunksucht, leichtfertiges Schwören und Gotteslästerung 8 . A u f geistigem Gebiet begann man M i t t e des 16. Jahrhunderts von Staats wegen m i t der Errichtung von Schulen, die unter staatlicher Aufsicht geführt w u r d e n (Fürstenschulen, Landesschulen), Lateinschulen und deutschen Schulen. I n den katholischen Ländern w u r d e n sie dem Jesuitenorden übergeben, der schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts über mehrere Hunderte von Schulen verfügte. Es entsprach der Zeitlage, daß diese Schulen n u r als konfessionelle entstehen konnten u n d neben der Ü b e r m i t t l u n g von Wissen die Erziehung i m Geiste i h r e r Konfession als ihre Hauptaufgabe betrachteten. Als Anstalten auf dem Boden der Landeskonfession w u r d e n nunmehr auch die Universitäten begründet und umgebildet 9 . Schon v o r der Reformation hatte die Erstarkung des Staatsgedankens zur Ausbildung eines landesherrlichen Kirchenregiments geführt. Das Ausdehnungsstreben der Staatsgewalt, wie es sich gegenüber Städten u n d R i t t e r n zeigte, mußte sich auch gegenüber der Kirche geltend machen. Es richtete sich auf die Unterordnung der Bis8

Schrifttum zur Wirtschaft s. zu § 65. D i e innere Verfassung der Universitäten hatte sich i n verschiedener Weise i n Bologna u n d i n Paris gebildet. I n Bologna schlossen sich die ausw ä r t i g e n Scholaren zu Landsmannschaften (nationes) zusammen. D e r e n bedeutendste, anscheinend die für die übrigen vorbildliche, w a r die natio teutonica, eine Schwurbrüderschaft von Studenten deutscher Muttersprache, zu der aber auch Dänen, L i t a u e r u n d Tschechen gehörten. D i e Nationen vereinigten sich sodann zu universitates. I n Paris w a r die Gliederung nicht nach Nationen durchgeführt, sondern nach Wissenschaftsgebieten, vergleichbar den gewerblichen Innungen u n d den heutigen Fakultäten. Doch ist die nationale T r e n n u n g auch dort üblich geworden. B r u η η e r , D e r A n t e i l des deutschen Rechts an der E n t w i c k l u n g der Universitäten (1896). 9

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tümer (Landesbistümer) und auf die Einschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit auf rein kirchliche Fragen. D i e Weite des Polizeibegriffs führte zu Aufsicht und Leitung der Kirche durch den Staat als des für die Sicherung jenseitiger Wohlfahrt berufenen Organs. D i e Anlehnung der Reformation an die Territorialgewalten b e w i r k t e die Entstehung von i n sich geschlossenen evangelischen Landeskirchen, i n denen der Landesherr als summus episcopus die Aufsicht über die Kirche als Organisation, die Regelung des Kultus, die Handhabung von Kirchenzucht und geistlicher Gerichtsbarkeit übernahm und auch auf die Kirchenlehre Einfluß gewann. D i e Erweiterung des Aufgabenkreises hatte die Einrichtung der schon erwähnten Konsistorien zur Folge. So 1539 i n Sachsen, 1543 i n Brandenburg, 1553/59 i n Württemberg. D i e Konsistorien waren m i t Theologen und Juristen besetzt. Auch i n den katholischen Ländern entwickelte sich ein durchaus ähnliches Kirchenregiment, das n u r vor der Lehre u n d der geistlichen Gerichtsbarkeit als solcher haltmachen mußte. Zur B i l d u n g von Landeskirchen ist es hier nicht gekommen. F ü r die Finanzverwaltung ergab sich aus dem W i r k e n der Stände ein eigenartiges Nebeneinander einer landesherrlichen u n d einer ständischen V e r w a l t u n g 1 0 . Jene weist erhebliche Fortschritte auf, wenngleich die dem neuen Staat gemäße Scheidung des fürstlichen und des Landesvermögens nur unvollkommen erreicht wurde. Während früher die Deckung der einzelnen Ausgaben durch Anweisung auf bestimmte Einnahmequellen erfolgte, gelangte man n u n zur B i l dung einer einheitlichen Staatskasse (Hofrentei, Hofkammer, Landschreiberei). Es w u r d e n regelmäßige Voranschläge aufgestellt, um eine Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen zu ermöglichen, und dementsprechend eine Rechnungskontrolle geschaffen, die auf Steigerung der Einnahmen aus dem Grundvermögen und auf Sparsamkeit bei den Ausgaben hinarbeitete. Neben der landesherrlichen Hauptkasse stand eine ständische wie das märkische K r e d i t w e r k , der w ü r t tembergische u n d mecklenburgische Landkasten oder die bairische Landschaft unter eigener, ständischer Verwaltung. Sie nahm die von den Ständen b e w i l l i g t e n Steuern auf, während die Hofkammer i m wesentlichen auf die Einkünfte aus Domänen u n d Regalien (Kammergut) beschränkt war. Doch diente auch sie durchaus den allgemeinen Landesbedürfnissen. D e n n sie hatte die Aufgabe, den Staatsbedarf zu decken, der bei den steigenden Anforderungen vom Landesherrn nicht bestritten werden konnte, oder auch die von diesem aufgenommenen Schulden zu tilgen. 10 Neben dem u. genannten Schriftt. vgl. L ο e b 1, Der Sieg des Fürstenrechts (16).

ν. S c h w e r i n , Grundzuge der deutschen Rechtegeschichte

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In wesentlichen Erscheinungen des Territorialstaates wiederholten sich solche der städtischen Verwaltung. So auf dem Gebiet des Finanzwesens, der Polizei, der kirchlichen Verwaltung. Hierbei handelt es sich zum Teil auch um eine Nachahmung städtischen Vorbilds, im wesentlichen aber um eine selbständige Entwicklung. Die Städte haben ihrerseits, soweit sie nicht von der landesherrlichen Gewalt unterdrückt wurden, an den im Mittelalter geschaffenen Formen ihrer Verfassung nichts geändert. Daher unterscheiden sie sich wohl im Umfang, aber nicht in ihrem Wesen von den Territorien, am wenigsten da, wo sich ihre Herrschaft über ein größeres Territorium außerhalb der Stadtgrenzen ausdehnt. S. Schriftt. zu § 56 (insbes. v. Below, Spangenberg) u. d. t e r r i t o r i a l e Rechtsgeschichte (o. § 3). v. B e l o w , D i e städtische V e r w a l t u n g des M A . als V o r b i l d der späteren T e r r i t o r i a l v e r w a l t u n g , HZ. 75 (1895) 396. D e r s . , T e r r i t o r i u m u. Stadt 2 (23) 161. S c h m o l l e r , D e r deutsche Beamtenstaat v. 16.bis 18. Jahrh., JGVV. 18 (1894) 695. H ä r t u n g , D e r deutsche Territorialstaat des 16. u n d 17. Jahrh. nach d. fürstl. Testamenten, D G b l l . 63 (12). P r i e b a t s c h , D i e deutschen Städte i m Kampfe m i t der Fürstengewalt I (1892). Dazu das zu § 63 a. Schriftt. — ν. Β e 1 o w , T e r r i t o r i u m u. Stadt 2 53. R a c h f a h l , Der dualistische Ständestaat i n Deutschland, JGVV. 26 (02) 1063. T e z n e r , Technik u. Geist des ständisch-monarchischen Staatsrechts (01). G i e r k e , Deutsches Genossenschaftsrecht I (1868) 801. — v. M ü l v e r s t e d t , D i e ältere Verfassung d. Landstände i n d. M a r k Brandenburg (1858). S c h o t t e , Fürstentum u. Stände i n d. M a r k Brandenburg u. d. Regierung Joachims I. (11). H a ß , D i e kurmärkischen Stände i m letzten D r i t t e l des 16. Jahrh. (13). C r o o n , D i e kurmärkischen Landstände 1571—1616 (38). S i e b e c k , D i e landständ. Verf. Hessens i m 16. Jahrh. (14). v. B e l o w , D i e Landtagsverfassung i n Jülich u. Berg 1480—1538, i n Landtagsakten von Jülich-Berg I (1895). H e g e l , Gesch. d. mecklenburg. Landstände bis 1555 (1856). K r a u s e , System d. landständ. Verf. Mecklenburgs i n d. 2. Hälfte d. 16. Jahrh. (27). G o t h e i n , D i e Landstände d. Kurpfalz, ZGORh. N. F. 3 (1888). C r o o n , D i e landständische Verfassung v. Schweidnitz-Jauer (12). v. W r e t s c h k o , Landstandschaft d. Universität Innsbruck, ZRG. 41 (20) 40. — R i e k e r , D i e rechtl. Stellung d. evangelischen Kirche Deutschlands i n i h r e r gesch. Entwicklung (1873). S t u t z , K u r f . Johann Sigismund v. Brandenburg u. d. Reformationsrecht, S b A k B e r l i n 1922. D e r s . , ZRG. Kan. 12 (12) 416. H e c k e 1, D i e Entstehung d. brandenb.-preuß. Summepiskopats, ZRG. Kan. 13 (23) 266. — N e u d e g g e r , Gesch. d. Geh. Rats u. Ministeriums i n Bayern (21). R o s e n t h a i (§ 56) I I (06). H i n t z e , Hof- u. Landesverwaltung i n der M a r k Brandenburg unter Joachim II., Hohenzollern-Jb. 10 (06). D e r s . , Ratstube u n d Kammergericht i n Brandenburg, FBPG. 24 (11) 1. K l i n k e n b o r g , Ratstube u. Kanzlei i n Brandenburg, ebda. 26 (13) 413. D e r s . , D i e k u r f ü r s t l . K a m m e r u. d. Begründung d. Geh. Rats, HZ. 114 (15) 473. O s t r e i c h , D e r brandenburgisch-preuß. Geheime Rat (37). S c h u l z , Gesch. d. brandenburgischeu Geh. Katskollegium 1604—08 (35). S t ö l z e l , Brandenburg-Preußens Rechtsverw. u. Rechtsverf. I. I I (1888). K r u s c h , Entwicklung d. herzogl. braunschw. Zentralbehörden, ZHVNSachs. 1893, 201. 1894, 39. B a r t h , Verwaltungsorganisation d. Fürstenberg. T e r r i t o r i e n (26). G o l d s c h m i d t , Zentralbehörden u n d Beamtentum i m K u r f ü r s t e n t u m Mainz v o m 16.—18. Jahrh. (08). M a y r , Gesch. d. Salzburg. Zentralbehörden, MGSalzbL. 64. 65 (24/25). W i t t e r l i n , Gesch. d. Behördenorganisation i n W ü r t t e m b e r g I. I I (04—06). L a n g e - K o t h e , Zur Sozialgeschichte des fürstl. Rates i n Württemberg, VjsSWG. 34 (41) 237. Κ o t h e , D e r fürstl. Rat

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i n W ü r t t e m b e r g i m 15. u. 16.Jahrh. (38). E r n s t , Eberhard i m Bart (33). Z i m m e r m a n n , D e r hessische Territorialstaat i m Jahrh. d. Reformation I — I I (33/34; vgl. dazu Thieme, ZRG. 56, 552). S. a. Schriftt. zu § 56.

§ 80. Brandenburg-Preußen als absoluter Staat D e r brandenburg-preußische Staat bestand i n der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus der K u r m a r k Brandenburg, dem Herzogtum Preußen (1618), dem Herzogtum Kleve, den Grafschaften M a r k und Ravensberg (1614—1666) und einigen Erwerbungen durch den Westfälischen Frieden (s. § 63). V o n diesen Gebieten waren die für die Entwicklung bedeutsamen Erwerbungen vor 1648 räumlich getrennt. Sie führten zudem ein getrenntes Verfassungsleben, indem jedes von ihnen unter einer eigenen Regierung stand u n d jedes seine altüberkommenen Stände beibehielt. Vereinigt w a r e n sie nur i n der Person des Königs. D e r Ausbau des Staates mußte sich zunächst i n der Richtung bewegen, die Teile zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen. Dies erforderte die Ausschaltung der Stände u n d die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsapparats 1 . D e r Kampf, den Friedrich W i l h e l m , der Große K u r f ü r s t (1640 bis 1688), m i t den Ständen führte, mußte i n jiedem T e i l des Staates durchgefochten werden, u n d er verlief i m einzelnen sehr verschieden. Das Endziel, das von Anfang an nicht i n einer Aufhebung der Stände gesehen wurde, sondern n u r i n der Beseitigung allen nennenswerten Einflusses auf die V e r w a l t u n g und i n der ständischen B e w i l l i g u n g der erforderlichen Steuern, wurde aber i m wesentlichen überall erreicht. D e n äußeren Abschluß bildeten die Landtagsabschiede von 1653 (Brandenburg), 1660/61 (Kleve, Mark) u n d 1663 (Preußen). H a n d i n H a n d hiermit vollzog sich zunächst die B i l d u n g einer einheitlichen Wehrmacht, die seit 1644 durch Werbung i m I n l a n d als stehendes Heer aufgebaut wurde 2 . I n ihm, einer Schöpfung u n d einem Instrument allein des Herrschers, wurde zuerst die Vielheit der Gebiete i n einer höheren Einheit vereinigt. Zugleich ergab sich i m Heer die Möglichkeit, den von der V e r w a l t u n g ausgeschalteten A d e l durch Einreihung i n die Offiziersstellen dem Gesamtstaat nutzbar zu machen. Das einheitliche Heer zog eine Vereinheitlichung des Steuerwesens nach sich. D a der K u r f ü r s t f ü r die Zwecke der Landesverteidi1 Ähnliche innerpolitische Aufgaben hatte schon i m 16. Jahrhundert Österreich zu lösen begonnen. Auch dort bestand das Gesamtgebiet aus einer Reihe von Einzelgebieten m i t einem verschieden aufgebauten Behördenapparat u n d eigenen Ständen. D i e Lage w a r aber dadurch erschwert,, daß Böhmen u n d Ungarn der Zentralisierung besonders starken Widerstand leisteten, u n d daß außerdem die V e r w a l t u n g der Erbländer erst von der des Reiches gelöst werden mußte (vgl. § 74 u. 81). 2 I n Österreich finden sich stehende T r u p p e n wenig später (1649).

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gung seit 1654 k r a f t Reichsrechts ohne B e w i l l i g u n g der Stände Steuern erheben konnte, wurde schon i m 17. Jahrhundert wiederholt eine Kopfsteuer ausgeschrieben (Kontribution) und i n den Städten die Akzise (s. § 59) erhoben. D i e Steuerfreiheit der Rittergüter, ursprünglich eine Gegenleistung für den ritterlichen Lehnsdienst, wurde beseitigt. D i e Lehen w u r d e n i n Eigentum der R i t t e r übergeführt (Allodifikation), n u r wenige ausgenommen 3 . Als Ausgleich w a r f ü r jedes Lehnpferd eine bestimmte jährliche Abgabe zu leisten. Vom ländlichen G r u n d und Boden w u r d e eine jährliche K o n t r i b u t i o n erhoben. D i e B i l d u n g einer einheitlichen Zentralverwaltung konnte zum T e i l an die märkische Behördenverfassung anknüpfen, zum anderen T e i l erfolgte sie durch den Einsatz eines neuen, auch anderen europäischen Staaten bekannten Organs, des Kommissarius 4 . So wurde zunächst der Geheime Rat durch die Geheimratsordnung von 1651 zum obersten Verwaltungsorgan f ü r das ganze L a n d erhoben. Aus i h m sind dann die übrigen Zentralbehörden erwachsen.

Nur eine Abspaltung aus dem Geheimen Rat war das 1728 formell begründete Departement für auswärtige Angelegenheiten, das später so genannte Kabinettsministerium. Verwickelter gestaltete sich der Ausbau der Finanzverwaltung. Für diese war 1689 die Geheime Hofkammer ausgeschieden worden, deren Tätigkeit sich aber auf die Domänen und Regalien beschränkte. Sie erhielt später (1713) den Namen eines Generalfinanzdirektoriums. Daneben wurde die für das Heer bestimmte Kontribution von außerordentlichen Beamten, den Kommissaren, eingehoben, denen aber auch die Heeresverwaltung oblag. Deren Spitze bildete das Generalkriegskommissariat. Noch im 17. Jahrhundert entwickelte sich dieses unter Zurückdrängung seiner militärischen Aufgaben zu einer obersten Finanz- und Verwaltungsbehörde, der auch die Polizei unterstand. Es wurde 1723 mit dem Generalfinanzdirektorium zum Generaldirektorium vereinigt und damit ein geschichtlich begründetes, aber in der praktischen Auswirkung nur hemmendes Nebeneinander von Behörden beseitigt5. Nach der Abtrennung der Finanzen, der allgemeinen Verwaltung und 8 L ο e w e , D i e A l l o d i f i k a t i o n d. Lehen unter Friedr. W i l h e l m I., FBPG. 11 (1898) 341. 4 A u g u s t W i l h e l m , Prinz von Preußen, D i e E n t w i c k l u n g der Kommissariatsbehörden i n Brandenburg-Preußen bis zum Regierungsantritt Friedrich W i l h e l m s I. (08). H i n t z e , D e r Commissarius u. seine Bedeutung i n der allgemeinen Verwaltungsgeschichte, Hist. Aufs. f. Zeumer (01) 493. S c h m i d t - D o r o t i c , D i e D i k t a t u r (21) 43. 5 D i e volle Bezeichnung w a r General-, Ober-, Finanz-, Kriegs- u n d Domänendirektorium. R u p p e l - K u h f u ß , Das G e n e r a l d i r e k t o r i u m unter der Regierung Friedrich W i l h e l m s II. (37).

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der auswärtigen Politik 6 war der Geheime Rat auf die Justiz und die Kultusangelegenheiten beschränkt. Er wurde zum Justizministerium. Der so sdion weithin verwirklichte Gedanke einer sachlichen Verteilung der Aufgaben überwand in der Folgezeit allmählich auch die Reste der unmittelbaren Länder- und Provinzverwaltung 7 . Die in diesem Behördenumbau durchgeführte Vereinheitlichung der Verwaltung erreichte ihren Höhepunkt in der unter Friedrich Wilhelm I. eingeführten Kabinettsregierung. Indem der König aus den Kollegialbehörden ausschied und auf deren schriftlichen Bericht durch Käbinettsorder aus seinem Kabinett verfügte, vereinigte sich der hiervon betroffene, wichtigere Teil der gesamten Staatsregierung in seiner Hand. Die Verwaltung der Provinzen lag seit 1723 im wesentlichen in der Hand der Kriegs- und Domänenkammern, neben denen die landesherrlichen Statthalter verschwanden und die Regierungen ihrer Bedeutung entkleidet waren. Sie sind das provinciale Seitenstück des gleichzeitig errichteten Generaldirektoriums. Wie diese sind sie aus zwei AVurzeln entstanden, aus den Amtskammern der Domänenverwaltung, die beide zu Kollegialbehörden erwachsen waren. Ihre Aufgabe entsprach der des Generaldirektoriums, umfaßte also Finanzverwaltung und Polizei, womit sich eine Jurisdiktion in einschlägigen Fragen, eine als Kammer justiz bezeichnete Verwaltungsjustiz verband. In der Kur- und Neumark hatte der Verfall der mittelalterlichen Vogteien und Ämter zur Bildung einer Kreisverfassung geführt, indem sich die Ritterschaft einzelner Bezirke zu Kreistagen unter einem Kreisdirektor Zusammenschloß. Ihre Hauptaufgabe war die Durchführung der städtischen Steuerverwaltung, doch erfolgte auch hier die Ausdehnung der Tätigkeit auf die Polizei, nicht aber auf die Rechtsprechung. Neben dem Kreisdirektor stand als Vertreter der landesherrlichen Interessen ein Landkommissar. Auch hier verschmolzen fürstliches und ständisches Amt in dem seit 1701 so genannten Landrat. Er war ein von den Ständen vorgeschlagener landesherrlicher Beamter der inneren Verwaltung, ohne Beteiligung an der Rechtsprechung. Die Verbreitung des Amtes in den übrigen Teilen des 6 Sie wurde zunächst v o m Herrscher selbst m i t einzelnen Geheimräten geleitet, bis 1728 das sog. Kabinettsministerium an deren Stelle trat. 7 Unter provinziellen Gesichtspunkten gebildet war ein T e i l der 19 Departements des Geheimen Rats, so zum Beispiel die Departements für preußische, neumärkische, pommersche Sachen, i m Gegensatz etwa zu dem für M i l i z oder Reichslehnsachen. Außerdem gab es i n den einzelnen Ländern eine m i t landesherrlichen u n d ständischen Räten besetzte Regierung, i n Preußen die i h r entsprechende Oberratsstube neben einem landesherrlichen Statthalter.

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Landes erfolgte i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 8 . N u r landesherrliche Beamte waren die i n ihren Aufgaben den Landräten vergleichbaren Stèuerrâte, deren Aufsicht eine größere Zahl von Städten unterstellt war. Unberührt von dem Neubau der staatlichen Organisation blieb die Lokalverfassung. Sie stand i n den Domänen unter Amtmännern, i n den Gutsherrschaften unter dem Gutsbesitzer u n d seinen patrimonialen Beamten, i n den unmittelbaren Städten unter Rat und Bürgermeister. Von den einzelnen Gebieten der V e r w a l t u n g verdienen n u r noch die der Rechtspflege u n d des Heerwesens eine besondere Erwähnung. D i e Rechtsprechung hatte i n den M a r k e n seit Erlangung des Privilegium de non appellando (1586) ihre oberste Instanz i n dem später so genannten Geheimen Justizrat, unter dem die Kammergerichte (Berlin, Küstrin) standen. I n dem reichsunabhängigen Preußen w a r oberste Instanz das Oberappellationsgericht (1657) f ü r Zivilsachen, der Herrscher i n Strafsachen. D a r u n t e r standen Hofgericht und Hofhalsgericht (1654). F ü r die übrigen Länder wurde erst 1702 ein beschränktes Privilegium de non appellando erlangt, demzufolge ein Oberappellationsgericht i n B e r l i n eingerichtet. Eine Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung (Justizreform), die auch die unteren Instanzen erfaßte, erfolgte, nachdem 1746/50 ein unbeschränktes Appellationsprivileg für das ganze Königreich verliehen war. D e r i m einzelnen verwickelte Vorgang brachte als oberstes Gericht f ü r das Gesamtgebiet das Geheime (Berliner) Obertribunal. D i e Trennung der Rechtsprechung von der V e r w a l t u n g ist n u r langsam durchgeführt worden, nachdem die Kriegs- und Domänenkammern mit beiden betraut waren. Erst 1749 gelang i m Ressortreglement eine scharfe Abgrenzung der ordentlichen Justiz von der Verwaltungsjustiz, für die dann 1782 bei den Kammern besondere Justizdeputationen errichtet wurden. Diese w u r d e n erst i m Beginn des 19. Jahrhunderts aufgehoben. D i e Neuorganisation des Heerwesens erfolgte 1733/35 durch die Einführung des auf dem Grundgedanken der allgemeinen Wehrpflicht aufgebauten Kantonsystems. Das ganze Königreich w u r d e i n Kantone eingeteilt, die den einzelnen Regimentern zur Rekrutierung (Enrollierung) aus den Wehrpflichtigen (Kantonisten) zugewiesen wurden. Nicht wehrpflichtig w a r der Adel, der aber tatsächlich die Offiziersstellen übernahm, u n d aus merkantilistischen Rücksichten 8 G e 1 ρ k e , D i e geschichtl. E n t w i c k l u n g d. preuß. Landratsamts, V e r w a l tungsarchiv 10 (02). H i n t z e , Der Ursprung d. preuß. Landratsamts i n Brandenburg, FBPG. 28 (15) 357. S c h i l l , D i e E i n f ü h r u n g d. Landratsamts i n Cleve-Mark, FBPG. 22 (09) 321.

§ 80. Brandenburg-Preußen al absoluter Staat

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audi die Kapitalisten, die Söhne von E l t e r n m i t einem Vermögen von 10 000 Reichstalern. Einen Rückschritt bedeutete das Kantonreglement von 1792 durch die überreiche Ausdehnung der vom Dienst befreiten Klassen, die die Dienstpflicht auf die untersten Schichten beschränkte, zur Werbung von Söldnern zwang und den Heerdienst auf ein Niveau brachte, das die Einstellung i n das Heer als Strafe rechtfertigte. Während die einzelnen Teile des späteren preußischen Staates i n zäher und zielbewußter A r b e i t organisatorisch zum Einheitsstaat zusammengeschweißt wurden, veränderte sich auch die Stellung des Herrschers. Noch Friedrich I I I . w a r (1688—1700) Kurfürst von Brandenburg, Herzog i n Preußen, Herzog i n Kleve. Als er sich am 18.1. 1701 zu Königsberg aus eigener Macht die Königskrone aufs Haupt setzte und zum K ö n i g i n Preußen wurde (Friedrich I. 1701 bis 1713), bedeutete dies keine Änderung seiner staatsrechtlichen Stellung innerhalb seines gesamten Herrschaftsbereichs. A b e r die höhere Würde erwies sich als einer der Kristallisationspunkte für die völlige Verschmelzung der Länder, die n u n unter der Bezeichnung der Königlich preußischen Staaten zusammengefaßt wurden. Auch außerhalb Preußens gab es n u r noch königliche Beamte und außerhalb der Staaten n u r noch königliche Gesandte. iDe Stellung des Königs als die eines absoluten Monarchen wurde allseitig ausgebaut unter Friedrich W i l h e l m I. (1713—1740), der praktische Absolutismus des Großen Kurfürsten zum grundsätzlichen gesteigert 9 . D i e gewaltigen Veränderungen, die Brandenburg-Preußen i m 17. u n d 18. Jahrhundert erfuhr, waren begleitet von nicht minder tiefgreifenden inneren, geistigen Wandlungen, die die Auffassung vom Herrschertum und vom Beamtentum betrafen und f ü r die folgende Entwicklung grundlegend wurden. D e r Absolutismus als F o r m einer rechtlich unbeschränkten Regierung durch den Inhaber der Staatsgewalt w a r keine i m besonderen deutsche, sondern eine auch anderen Ländern, i n ausgeprägtestem Maße auch Frankreich u n d England eigene Erscheinung. E r hat .aber i n den deutschen Staaten und vorzugsweise i n Preußen eine Ausb i l d u n g erfahren, die i h n m i t echt deutschem Gehalt erfüllte und den anderswo m i t i h m verknüpften Gegensatz von Fürst und V o l k überbrückte, indem beide dem höheren Begriff u n d Sein des Staates untergeordnet wurden. Sie bewußt durchgeführt zu haben, ist das unver9 Über T y p e n des Absolutismus H ä r t u n g , D i e Epochen d. absoluten Monarchie i n d. neueren Geschichte, HZ. 145 (32) 46. F ü r den Einzelfall des preußischen Staates d ü r f t e n die herkömmlichen Bezeichnungen u n d Stufungen trotz i h r e r Mängel brauchbar sein. Vgl. auch H ä r t u n g , L ' E t a t c'est moi, HZ. 169 (49) 1.

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gängliche Verdienst Friedrichs des Großen. Noch Friedrich W i l h e l m I. sah den Staat von der Dynastie aus, erhielt, vermehrte und regierte i h n für die Dynastie, unbeschadet dessen, daß er auf der anderen Seite von einer patrimonialen Auffassung des Staates schon weit entfernt war. Diese w a r schon durch die Vorstellung des Gottesgnadentums und der Verantwortung des Herrschers gegenüber Gott gebrochen. Erst Friedrich der Große hat den Staat über Dynastie, Herrscher und einzelne gestellt, den König den ersten Diener des Staates genannt und danach gelebt. Uber den h i e r i n liegenden deutschen Grundgedanken darf der Zusammenhang, i n dem Friedrichs des Großen Stellung m i t der A u f k l ä r u n g und ihrer Staatstheorie stand, nicht hinwegtäuschen. E r berechtigt aber, von einem aufgeklärten Absolutismus zu sprechen, unter dem allerdings n u r eine geistige Ab-' art des Absolutismus, nicht eine neue Regierungsform verstanden werden darf. D e r absolute Staat w u r d e zum Schöpfer eines neuen Beamtentums. A u d i hierbei handelt es sich aber nicht u m neue Formen, sondern um einen neuen Geist. Schon unter Friedrich W i l h e l m I. vermochte er das persönliche Interesse des Beamten an seinem A m t und dessen Erträgnissen zu unterdrücken und den Grundsatz der selbstlosen Pflichterfüllung gegenüber dem K ö n i g zur Richtschnur des Handelns seiner Beamten zu machen. D e r Gedanke der Treue wurde zur Grundlage des Beamtenverhältnisses, der Dienst selbst eine Ehre. D i e Zeit Friedrichs des Großen hat diesen Geist vertieft und die Pflicht gegenüber dem K ö n i g i n eine Pflicht gegenüber dem Staat umgewandelt, nicht ohne den Einfluß Kantischer Sittenlehre. D e r Beamte wurde zum Staatsdiener. Von den geistigen Wandlungen, die Herrschertum und Beamtent u m ergriffen, konnte auch die Stellung des Untertanen i m Staat nicht unberührt bleiben. E r wurde vom Staat u m so stärker erfaßt, j e mehr dieser von der Richtung auf das Gesamtinteresse bewegt wurde und auch den einzelnen bewußter als T e i l des Ganzen sah, dem er sich unterzuordnen hatte. Das Interesse des Staates an einer bestimmten Wirtschaftsgestaltung, an militärischer und finanzieller Macht wurde bestimmend für das Verhalten der einzelnen Untertanen. Daneben erweiterte sich der Rahmen der polizeilichen T ä t i g k e i t des Staates, die immer tiefer i n das Leben u n d T u n des einzelnen eingriff und dem Staat des 18. Jahrhunderts den Namen des Polizeistaats verschaffte. D e m Untertanen aber fehlte jeder rechtliche Weg, dem Staat und seinen Organen gegenüber eine staatsfreie Lebenssphäre zu behaupten 1 0 . N u r i n dem Verzicht des Königs auf Machtsprüche i n privat10

Wolzendorff,

Der Polizeigedanke des modernen Staates (08).

§ 81. Absolutismus und ständische Verfassung in den übrigen Staaten

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rechtlichen Verfahren (Kabinettsjustiz) und i n der allmählichen, mit den Reformen des Großkanzlers v. Carmer verbundenen Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung bahnte sich der Rechtsstaat an 1 1 . M y l i u s , Corpus constit. Marchicarum I — X I I I (1736 ff.). Acta Borussica (1892 ff.). Κ ü η t ζ e 1, D i e politischen Testamente der Hohenzollern 2 (19/20). Erdmannsdörfer (s. § 76). Bornhak. Schmidt (s. § 3). Koser (s. § 63). G i e s e , Preuß. Rechtsgesch. (20). S c h m o l l e r , Preuß. Verfassungs-, Verwaltungsu. Finanzgeschichte (21). K o s e r , D i e Epochen der absoluten Monarchie, HZ. 61 (1889). H i n t z e , Staat u n d Gesellschaft unter dem ersten König, Hohenzollern-Jb. 4 (00). T ü m p e l , D i e Entstehung d. brandenburg.-preuß. Einheitsstaates 1609—1806 (15). H e y m a n n , Über Staat u. V o l k i m Staatsbegriff Friedrichs d. Großen (33). E b. S c h m i d t , Staat u. Recht i n Theorie u n d Praxis Friedrichs des Großen. Festschr. Schultze (38). M o m m s e n , Zur Beurteilung des Absolutismus, HZ. 158 (38) 52. — K ü n t z e l , Über Ständetum u. Fürstentum vornehmlich Preußens i m 17. Jahrh., Festschr. Schmoller (08) 101. H ö t z s c h , Stände u. V e r w a l t u n g von Kleve u. M a r k (08). R a c h e l , D e r Große K u r f ü r s t u. die ostpreußischen Stände (05). — I s a a c s o h n , Gesch. d. preuß. Beamtentums I — I I I (1874—84). S c h m o l l e r , Über Behördenorganisation, Amtswesen usw. bis 1713 (1894). H i n t z e , Behördenorganisation u. allgemeine V e r w a l t u n g i n Preußen u m 1740 (01). K o c h , Hof- und Regierungsverfassung Friedrichs I. von Preußen (26). Ν i e b 1 e r , D i e Gestaltung d. militärischen Oberbefehls i n BrandenburgPreußen (38). H u b e r , Heer u. Staat i n d. deutschen Geschichte 2 (43; dazu Conrad, ZRG. 59, 340. Heckel, ZAkdR. 6, 91, Helfritz, Verw.Arch 45, 17). H e y m a η η , Friedrich d. Große u. Leibniz i n i h r e r Bedeutung für die Heeresverfassung (36).

§ 81. Absolutismus und ständische Verfassung in den übrigen Staaten D i e nichtpreußischen Staaten zerfallen i n verschiedene, zum T e i l sich kreuzende Gruppen. Es stehen sich weltliche und geistige T e r r i torien gegenüber, sodann absolutistische und ständische. I. Ständische Verfassung haben Mecklenburg, Württemberg, Hannover und Kursachsen bewahrt 1 . I n Mecklenburg sind die i m 18. Jahrhundert unternommenen Versuche, die Gewalt der Stände zu brechen, an deren Unterstützung durch das Reich gescheitert. I m Erbvergleich von 1755 wurde ein Abkommen zwischen Herzog und Ständen getroffen, das neben anderen Punkten die i m Vordergrund stehende Frage der Steuern und Abgaben i n einer f ü r den Landesherrn nicht ungünstigen Weise regelte. D i e württembergischen Stände waren i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar nicht beseitigt, aber durch das absolutistische Verhalten der Herzöge tatsächlich zurückgedrängt worden. E i n durch sie veranlaßter Spruch des Reichshofrats (1765) führte unter dem Druck anderer Fürsten ebenfalls zu einem Erbvergleich von 1770, der das Steuerrecht der Stände wahrte. Ohne Kampf 11

H i n t z e , Preußens E n t w i c k l u n g zum Rechtsstaat, FBPG. 32 (20). E b . S c h m i d t , Rechtssprüche u n d Machtsprüche d. preuß. Könige (43). 1 Abgesehen von einigen kleineren mitteldeutschen Staaten.

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m i t dem Landesherrn erhielten sich die Stände i n Hannover und Kursachsen, i n jenem sogar als maßgebender Faktor, nachdem infolge der Vereinigung Hannovers m i t England (1701) f ü r das fürstliche Interesse der englische Besitz i m Vordergrund stand. I I . I n den übrigen Staaten w u r d e der Ständestaat durch den absoluten Staat ersetzt. Einzelne wie Österreich und Baiern erreichten diese Entwicklungsstufe noch vor Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, andere erst später. N u r i n wenigen Staaten leisteten die Stände nennenswerten Widerstand. I n den meisten ließ sich ihre völlige Aufhebung (ζ. B. Baden) oder ihre Ersetzung durch einen Ausschuß (ζ. B. die Landschaftsverordnung i n Baiern) ohne Schwierigkeiten durchführen. I n Österreich wurde die Macht der zum großen T e i l zum evangelischen Glauben übergetretenen Stände i m Zusammenhang m i t der Gegenreformation i m ersten D r i t t e l des 17. Jahrhunderts gebrochen, während ihre Einberufung und wesentlich formelle Befragung noch i m 18. Jahrhundert erfolgte. D e r so geschaffene Rechtszustand und die Organisation der Behörden unterschieden sich nicht wesentlich von dem Bilde, das Preußen darbot und bedürfen daher keiner besonderen Erörterung. Auch den Ubergang zum aufgeklärten Absolutismus haben doch die meisten Fürsten auch der mittleren u n d kleineren Staaten i m Anschluß an das Beispiel Friedrichs des Großen gefunden. K a r l Friedrich von Baden (1738—1811), K a r l August von W e i m a r (1775—1828), Friedrich Franz von A n h a l t Dessau (1751—1817) u n d Friedrich August I I I . von Sachsen (1763 bis 1827) haben i n polizeistaatlichem Geist u n d i n absoluten Regierungsformen das wirtschaftliche W o h l und den k u l t u r e l l e n Stand ihres Volkes nachhaltig zu fördern vermocht. Sie sind der Gefahr entgangen, daß ihre absolute Regierung mangels anspornender politischer Ziele zu einer steuerverbrauchenden, rein äußerlichen, innerlich wertlosen Nachahmung des französischen Hofes herabsank. N u r i n Österreich w a r seit den organisatorischen und wirtschaftlichen Reformen Maria Theresias (1740—80) dem (aufgeklärten) A b solutismus eine Größe u n d eine Stoßkraft eigen, die den Vergleich m i t Preußen gestattet. Sie waren vorbereitet durch die Vereinigung der Teilstaaten zu einem Gesamtstaat unter Leopold I. (1658—1705) und K a r l VI. (1711—40) und die pragmatische Sanktion (1713—20), die die Erbfolge i n dem n u n unteilbaren Gesamtbesitz regelte. F ü r die zum Reich gehörenden Gebiete schufen Maria Theresia und Joseph I I . eine einheitliche Behördenorganisation, einheitliches Recht und einheitliche Gerichte 2 , einheitliche Heeres- und Steuerverwaltung. D i e ständischen Organe w u r d e n aufgehoben oder m i t staatlichen verschmol2

D i e Vereinheitlichung des Bürgerlichen Rechts erfolgte 1811 (s. § 70).

§ 81. Absolutismus und ständische Verfassung in den übrigen Staaten

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zen. D i e Neuordnung der Grundsteuer durch das Grundsteuerpatent von 1789 nahm dem Steuerbewilligungsrecht der Stände seine letzte Bedeutung. Joseph I I . (1780—90) hat diese Reformen unter dem Einfluß Friedrichs des Großen wie der A u f k l ä r u n g vielfach theoretisierend und überhastend fortgeführt und daher n u r teilweise dauernde Erfolge erreicht. I I I . D i e geistlichen T e r r i t o r i e n waren insofern i n einer anderen Lage, als die Nichterblichkeit der Landesherrschaft dynastische Interessen nicht aufkommen ließ. Dies w a r auch nicht anders, wenn etwa dem Bischof eine K o a d j u t o r m i t ius succedendi bestellt wurde. Eine dynastische Verknüpfung konnte sich n u r dadurch ergeben, daß geistliche Herrschaften, ihre höheren Ä m t e r und Kapitelstellen der Versorgung nachgeborener K i n d e r fürstlicher Familien dienten (s. § 76 a. E.). Verfassungsmäßig dauernd w a r n u r das Domkapitel, dessen Stellung wiederum eines Seitenstücks i n den weltlichen Territorien entbehrt. Vom K a p i t e l w u r d e der Bischof gewählt, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts unter Vorlage von Wahlkapitulationen. Das K a p i t e l führte selbst die Regierung während der Sedisvakanz. Es bildete den Rat des bischöflichen Landesherrn und, w o es Stände gab, den ersten Stand. D i e absolutistische Bewegung mußte sich angesichts dieser besonderen Lage wesentlich gegen das D o m k a p i t e l wenden und hat sich da m i t ähnlichem Erfolg u n d zu gleicher Zeit durchgesetzt wie i n den mittleren und kleineren Staaten. M o s e r , Von der teutschen Reichsstände Landen (1769). B i e d e r m a n n , Deutschland i m 18. Jahrh. I — I V * u . 2 (1854—80). H i n t z e , D e r österr. u. preuß. Beamtenstaat i m 17. u. 18. Jahrh., HZ. 86 (01). H ü b η e r , D i e ordenti. K o n t r i b u t i o n Mecklenburgs i n i h r e r gesch. Entwicklung, Festschrift Gierke (11) 1139. W i n t t e r l i n , D i e altwürttemberg. Verfassung am Ende des 18. Jahrh., W ü r t t V j h . N. F. 23 (14). v. M a i e r , Hannoversche Verf.- u. Verwaltungsgesch. 1680—1866 I. I I (1898/99). K a p h a h n , K u r f ü r s t e n u. Stände i n Sachsen i m 17. u. beginnenden 18. Jahrh., NASächsG. 43 (22). — A d l e r , Das adelige Landrecht i n Nieder- u. Oberösterreich u n d die Gerichtsformen d. 18. Jahrh., Festschr. z. 31. Juristentag (12) 183. W a l t e r , Geschichte der österr. Z e n t r a l v e r w a l t u n g i n d. Zeit M a r i a Theresias (38). P e t e r k a , Das Zeitalter d. aufgeklärten Absolutismus als rechtsgeschichtl. Epoche Böhmens, V I I e Congrès intern, des sciences hist. Résumés des communications (33). G u g l i a , Maria Theresia I. I I (17). L e n e l , Badens Rechtsverwaltung u. Rechtsverf. unter M a r k g r a f K a r l Friedrich 1738—1803 (13). W i η d e 1 b a η d , V e r w a l t u n g der Markgrafschaft Baden zur Zeit K a r l Friedrichs (17). B e i n e r t , Geh. Rat u. K a b i n e t t i n Baden unter K a r l Friedrich (37). S t r o b e 1, Neuaufbau d. V e r w a l t u n g u. Wirtschaft d. Markgrafschaft Baden-Durlach nach dem 30jähr. K r i e g (35). H ä r t u n g , Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung C a r l Augusts (23). — L i e r m a n n , D. rechtsgel. Beamten i n Ansbach—Bayreuth i m 18. Jahrh., JbFrLf. 8/9 (43) 255. — M o s e r , Teutsches Staatsrecht, X I (1775). X I I (1769). v. S a r t o r i , Geistliches u n d weltliches Staatsrecht der katholisch-geistlichen Erz-, Hoch- u. Ritterstifter I — I V (1788—91). F e i η e , D i e Besetzung d. Reichsbistümer 1648—1803 (21). ν. Β e l o w , D i e Entstehung d. ausschließl. Wahlrechts d. D o m k a p i t e l (1883). S c h n e i d e r , D i e bischöfl. D o m k a p i t e l (1885).·

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Β. D I E E N T W I C K L U N G SEIT 18061

§ 82· Rheinbund und Deutscher Bund D e r Rheinbund w a r ein unter dem Protektorat Napoleons I. stehender, völkerrechtlicher, nicht staatsrechtlicher Verband, dem allmählich alle selbständigen Staaten, m i t Ausnahme von Preußen und Österreich, beigetreten waren. Das statut fondamental, das die Rheinbundsakte (12.7.1806) vorgesehen hatte, ist nicht zur Entstehung gelangt. D i e Bundesversammlung, die aus zwei Kollegien, einem königlichen und einem fürstlichen, bestehen und i n F r a n k f u r t tagen sollte, ist nie zusammengetreten. D e r B u n d hat k e i n rechtliches Leben geführt und seine rechtliche Bedeutung beruht n u r auf der Begründung von Verpflichtungen der Mitglieder gegenüber dem Protektor und auf den konstitutionellen Bestimmungen der Rheinbundsakte, die auf einen weiteren Ausbau der Territorialgewalten h i n w i r k t e n . D e n Mitgliedern des Bundes wurde ausdrücklich die Souveränität zuerkannt, ihr A u s t r i t t aus dem Reich vertraglich festgelegt, ebenso die Ablegung aller m i t dem Reich verbindenden Titel. Diese w u r d e n durch neue W ü r d e n des Königtums, Großherzogtums, Herzogtums und Fürstentums ersetzt. D e r Kurerzkanzler w u r d e zum Fürstprimas. Als I n h a l t der Souvernänität w u r d e n das Recht der Gesetzgebung, Gerichts- und Polizeihoheit, das Recht der Truppenaushebung und der Besteuerung erklärt. Aufgehoben w u r d e die Reichsunmittelbarkeit der Ritterschaft 2 , der Reichsstädte Nürnberg und F r a n k f u r t , des deutschen Ordens, des Johanniterordens und zahl1 Das Folgende beschränkt sich i m wesentlichen auf die Fragen der Verfassung. Zur Ergänzung vgl. S t e r n , Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum F r a n k f u r t e r Frieden, I — X (1899—24), 2. A u f l . I — I V (13 bis 21). Propyläen-Weltgeschichte V I I — V I I I (ο. J.). H e i g e l , Deutsche Gesch. v. Tode Friedrichs d. Großen bis zur Auflösung d. alten Reiches, I. I I (1899 bis 11). v. Z w i e d i n e c k - S ü d e n h o r s t , Deutsche Gesch. von d. A u f lösung des alten bis zur G r ü n d u n g d. neuen Reiches, I. I I (1897—05). v. T r e i t s c h k e , Deutsche Gesch. i m 19. Jahrh. I — V u. Reg. (1879—21). v. S r b i k , Deutsche Einheit, I — I V (35—42). D e r s . , Metternich I. I I (25). M a r e k s , D e r Aufstieg des Reichs, I. I I (36). D e r s., Bismarck I (09). E y c k, Bismarck I — I I I (41—44). D e r s . , Das persönliche Regiment W i l h e l m s I I . (48). G a g l i a r d i , Bismarcks Entlassung I — I I (36—40). B o t z e n h a r t , Deutsche Revolution 1806—13 (40). G r i e w a n k , D e r Wiener Congreß (42). S c h n a b e l , Deutsche Gesch. i m 19. Jahrh. I — I V (29—37). B r a n d e n b u r g , D i e Reichsgründung (23). v. M u r a l t , Bismarcks Reichsgründung (47). W a h l , Deutsche Gesch. v. d. Reichsgründung bis z. Ausbruch d. Weltkrieges, I — I V (25-36). 2 M ü l l e r , Der letzte K a m p f d. Reichsritterschaft u m i h r e Selbständigk e i t (10). M e i s t e r , Nassau u. Reichsritterschaft 1803—1815 (23). K n a p p , D e r schwäb. A d e l u. die Reichsritterschaft, W ü r t t V j h . 31 (26) 129. M a n g o l d , D i e ehem. Reichsrittersdiaft vom Wiener Kongreß bis zur E r t e i l u n g d. Verfassung, ZGORh. 46 2 (31). B a d e r , Zur Lage u n d H a l t u n g des schwäbischen Adels am Ende des alten Reichs, Z W L G 5 (41) 335.

§ 82. Rheinbund und Deutscher Bund

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reicher Fürsten und Grafen. Diese w u r d e n nun zu Standesherren, die ehemaligen Reichsritter zu Grundherren. D i e Befreiungskriege endeten den Rheinbund, ohne daß es eines rechtlichen Auflösungsaktes bedurfte. A u f G r u n d des Pariser Friedens (1814) w u r d e n die 40 deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß (1814/15) durch die Bundesakte vom 8. Juni 1815 zu einem neuen „beständigen Bunde" zusammengeschlossen, der „ d e r Deutsche B u n d heißen" sollte 3 . Mitglieder waren „die souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands" m i t Einschluß des Kaisers von Österreich u n d des Königs von Preußen f ü r ihre zum alten Deutschen Reich gehörenden Besitzungen, des Königs von Dänemark für Holstein und Lauenburg und des Königs der Niederlande f ü r L u x e m b u r g und L i m b u r g , bis 1837 auch des Königs von England für Hannover 4 . Es w a r damit i m wesentlichen der Bestand des 1806 erloschenen Reiches wieder vereinigt, aber nicht i n staatsrechtlicher Form, sondern als Staatenbund, als ein „völkerrechtlicher Verein". Auch w a r der Deutsche B u n d weder Rechtsnachfolger des alten Deutschen Reiches noch des Rheinbundes. Zweck des Bundes w a r „ E r h a l t u n g der äußeren u n d inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten". Als Organ des Bundes w u r d e die „Bundesversammlung" (Bundestag) bestimmt mit dem Sitz i n F r a n k f u r t a. M. und unter dem Vorsitz von Österreich. Sie w a r ein beständiger Gesandtenkongreß. I n wichtigen Angelegenheiten, insbesondere bei Verfassungsänderungen, tagte sie als Plenum, i n der Regel als engerer Rat 5 . I n jenem hatte jedes M i t g l i e d mindestens eine Stimme, die größeren zwei bis vier, alle zusammen 69e. I m engeren Rat k a m den 11 größeren T e r r i t o r i e n j e eine Stimme 3 D i e Bundesakte beruhte auf einem von Österreich u n d Preußen vorgelegten E n t w u r f . I n i h m hatten die von Preußen ausgearbeiteten Vorschläge (Hardenberg, Stein, H u m b o l d t ) , die auf einen straff organisierten Bund abzielten, denen Metternichs den Platz räumen müssen. D i e von Stein u. A . vertretene Idee einer Wiedererneuerung des Kaisertums hatten schon die preußischen Vorschläge abgelehnt. T i e d e m a n n , D e r deutsche Kaisergedanke vor u. nach d. Wiener Kongreß (32). 4 D i e Mitglieder des Bundes hießen Bundesglieder, die einzelnen Staaten Bundesstaaten. Dies i m Widerspruch zur heutigen staatsrechtlichen Terminologie, die unter diesen einen zusammengesetzten Staat versteht. 5 Regel w a r Verhandlung u n d A b s t i m m u n g i m engeren Rat. D i e Fälle der A b s t i m m u n g i m Plenum waren besonders festgelegt (BA. A r t . 6 u. 7 Wiener Schlußakte [s.u.] A r t . 12 u. 13). 6 Vier Stimmen hatten gleichmäßig Österreich, Preußen, Sachsen, Bayern, Hanover u n d Württemberg, j e drei Baden, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Holstein u n d L u x e m b u r g , j e zwei Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin u n d Nassau.

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zu, während die kleineren zu 6 K u r i e n zusammengefaßt waren, so daß sich i m ganzen n u r 17 Stimmen ergaben. D i e Abstimmung erfolgte i m Plenum m i t Zweidrittelmehrheit 7 , i m engeren Rat m i t einfacher Mehrheit u n d Stichentscheid des Präsidiums. Verfassungsänderungen, Beschlüsse i n Religionsangelegenheiten und einige andere Entscheidungen erforderten Einstimmigkeit. D i e Bundesglieder garantierten sich ihre Besitzungen und verpflichteten sich, Streitigkeiten untereinander der V e r m i t t l u n g der Bundesversammlung zu unterbreiten, die die Entscheidung einer Austrägalinstanz herbeiführen konnte. Außer den organisatorischen Bestimmungen enthielt die Bundesakte eine Reihe von Vereinbarungen über andere f ü r die Überleitung des Rechts i n moderne Verhältnisse bedeutsame oder durch die Reichsauflösung einer Entscheidung * bedürftig gewordene Fragen. So über die Einrichtung oberster Gerichte zur Entscheidung i n d r i t t e r Instanz u n d über die Rechtslage der 1806 oder seitdem Miediatisierten, der Reichsstände u n d des Reichsadels. D e n Untertanen der Bundesglieder, die zugleich Bundesangehörige waren, w u r d e Freizügigkeit zugesichert, steuerlose Vermögensüberführung in einen anderen Bundesstaat 8 , Recht des Erwerbs von Grundeigentum auch i n einem fremden Bundesstaat, Gleichstellung der christlichen Glaubensbekenntnisse hinsichtlich der bürgerlichen und politischen Rechte (Religionsfreiheit). F ü r alle Staaten w u r d e eine landständische Verfassung i n Aussicht gestellt, ferner eine Regelung von Handel u n d Verkehr, Pressefreiheit, Schutz gegen Nachdruck. Gemessen an dem gewaltigen Aufbrach des deutschen Nationalgefühls i n der Befreiungszeit mußte der Deutsche B u n d gerade für den national-deutsch gesinnten T e i l der Bevölkerung nicht Erfüllung, sondern Enttäuschung sein. E i n mühsam zustandegekommenes Kompromiß zwischen der nachdrücklich von dem Frh. v o m Stein vertretenen Einheitsidee u n d p a r t i k u l ä r e n Interessen ohne Ausgleich der preußisch-österreichischen Rivalität, versagte er dem Volke die von i h m erhoffte Teilnahme an der Regierung u n d w a r schon nach seiner Verfassung zur Bedeutungslosigkeit vorbestimmt. D i e hieraus entspringende national-freiheitliche Bewegung konnte durch die konservative P o l i t i k des politischen Leiters i n Deutschland, des österreichischen Staatskanzlers Fürst Metternich, so wenig unterdrückt werden wie durch gesetzgeberische Maßnahmen nach A r t der unter österreichischem D r u c k zustandegekommenen reaktionären, 7 Praktisch war zufolge BA. A r t . 7, WSA. 13 fast i m m e r Einstimmigkeit erforderlich. 8 Also Freiheit von der bis dahin üblichen Nachsteuer (gabella emigrationis).

§ 82. Rheinbund und Deutscher Bund

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m i t d e r B u n d e s a k t e n i c h t z u v e r e i n b a r e n d e n K a r l s b a d e r Beschlüsse (1819) 9 . N u r g e r i n g f ü g i g u n d u n z u r e i c h e n d w a r e n d i e R e f o r m e n des Bundes durch die i m G r u n d e ebenfalls reaktionäre, die Bundesakte e r g ä n z e n d e W i e n e r S c h l u ß a k t e v o m 15. M a i 1820. D u r c h diese w u r d e d i e G e w a l t des B u n d e s g e g e n ü b e r d e n B u n d e s s t a a t e n g e s t e i g e r t , d i e Entscheidung über deren Streitigkeiten u n d die

Bundesexekution10

n ä h e r g e r e g e l t . D o c h b r a c h t e a u c h sie n i c h t d i e B e g r ü n d u n g

einer

m i l i t ä r i s c h e n M a c h t des B u n d e s , eines B u n d e s g e r i c h t s , eines B u n d e s gesetzgebungsrechts11. D a der B u n d danach i n d e n großen

Fragen

der N a t i o n versagen m u ß t e u n d i n polizeilichen M a ß n a h m e n gegen freiheitliche Regungen ein H a u p t f e l d seiner T ä t i g k e i t erblickte, w a r das A n s c h w e l l e n r e v o l u t i o n ä r e r ,

v o n d e r französischen

Revolution

b e e i n f i u ß t e r I d e e n u m so b e g r e i f l i c h e r , als e i n e R e i h e v o n S t a a t e n d u r c h n e u e V e r f a s s u n g e n d e m W u n s c h des V o l k e s nach B e t e i l i g u n g a n d e r R e g i e r u n g R e c h n u n g g e t r a g e n h a t t e . D e m G e d a n k e n e i n e r gesamtdeutschen politischen E i n i g u n g h a t t e d e r Deutsche (s. § 6 5 I V )

auf wirtschaftlichem Gebiet vorgearbeitet.

Zollverein

Die

Revolu-

t i o n e n , d i e sich i n e i n z e l n e n S t a a t e n i m F e b r u a r u n d M ä r z 1848 a b s p i e l t e n , d r ä n g t e n a u f d i e E i n b e r u f u n g eines d e u t s c h e n P a r l a m e n t s 1 2 . 9 Sie richteten sich gegen den freiheitlichen Geist der Universitäten, gegen die 1815 gegründete Deutsche Burschenschaft, gegen Preßfreiheit (Präventivzensur), politische Vereine u n d Versammlungen. I h r e r Durchführung diente eine bis 1829 tätige Zentraluntersudiungskommission. (Vgl. W e n t z k e u. H e e r , Gesch. d. deutschen Burschenschaft, I — I I I [19—29]). 10 Diese diente der E r z w i n g u n g der den Bundesgliedern obliegenden Bundespflichten u n d w u r d e von einem Zivilkommissar i m A u f t r a g der damit betrauten Regierungen durchgeführt. 11 Durch die 1821 u n d 1822 gefaßten Beschlüsse über A u f s t e l l u n g u n d O r ganisation eines Bundesheeres konnte auch bei vollkommener Durchführung nicht ein schlagkräftiges, einheitliches Heer erreicht werden. D i e v o m Bunde beschlossenen Gesetze verpflichteten n u r die Bundesglieder, aber nicht deren Untertanen. F ü r diese w u r d e n sie erst durch E i n f ü h r u n g i m einzelnen Gliedstaat verbindlich. Über die Versuche der Einrichtung eines Bundesgerichts vgl. S ο 1 b r i g , D e r Gedanke einer einheitl. deutschen Gerichtsbarkeit i m 19. Jahrh. (19). A l s Ersatz für die m i t dem Reichskammergericht weggefallene dritte Instanz sollten nach der Bundesakte Oberste Gerichte i n den einzelnen Ländern eingerichtet werden. 12 A m 5. März erließen liberale P o l i t i k e r aus dem Süden u n d Westen einen A u f r u f an die Regierungen, eine Nationalversammlung einzuberufen. E i n von ihnen eingesetzter Siebenerausschuß versammelte am 30. März die A b geordneten der Landesparlamente i n die F r a n k f u r t e r Paulskirche zur Vorbereitung einer konstituierenden Versammlung (sog. Vorparlament). A m 10. März hatte die Bundesversammlung die Regierungen aufgefordert, zur Vorbereitung der Verfassungsreform siebzehn Vertreter (entsprechend der Stimmenzahl i m engeren Rat) zu entsenden. D e r von ihnen ausgearbeitete Siebzehnerentwurf hatte die G r ü n d u n g eines Bundesstaates m i t Kaisertum u n d Nationalvertretung (Oberhaus, Unterhaus) vorgesehen. Er scheiterte am Widerspruch einzelner Regierungen.

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I V . Die Neuzeit

D i e Bundesversammlung, die schon Anfang 1848 freiheitlichere Beschlüsse gefafit hatte 1 3 , ordnete diese an. A m 18.5.1848 wurde die auf allgemeinen Wahlen beruhende „Deutsche verfassunggebende Nationalversammlung" i n der Paulskirche i n F r a n k f u r t a. M. eröffnet 14 . Sie beschloß die Einrichtung einer provisorischen Zentralgewalt und wählte den Erzherzog Johann von Österreich als Reichsverweser, dem dann die Bundesversammlung ihre verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten übertrug. I n der Erreichung ihres Zieles der deutschen Staatseinheit ist sie an den gleichen Schwierigkeiten gescheitert, die schon die Bundesverfassung nicht zu überwinden vermochte, am deutschen Partikularismus und am Gegensatz zwischen Preußen und Österreich. A b e r audi so ist sie als Wegbereiter der künftigen Einheit und darüber hinaus durch die E i n w i r k u n g ihrer Ideen und Beschlüsse auf die Folgezeit von entscheidender Bedeutung geworden. A m 27.12.1848 verkündete der Reichsverweser i n Ausführung eines Beschlusses der Nationalversammlung i m Reichsgesetzblatt die „Grundrechte des deutschen Volkes", den Katalog der unveräußerlichen Freiheitsrechte des einzelnen gegenüber dem Staat. Nicht ohne Einfluß amerikanischen und französischen Vorbilds, zum T e i l als A b w e h r gegen das Polizeiregiment der vorausgehenden Jahrzehnte entstanden, verkündete sie das Reichsbürgerrecht jedes Deutschen, Aufhebung aller Standesvorrechte, allgemeine Wehrpflicht, Unverletzlichkeit der Person, der Wohnung und des Eigentums, Recht der freien Meinungsäußerung, Glaubens- u n d Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, Vereinsfreiheit, Unabhängigkeit der Richter, den Grundsatz der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens neben anderen Forderungen einer liberalen und revolutionären Zeit. D e r erst 1849 zur Beratung kommende Verfassungsentwurf baute das Reich als Bundesstaat auf. A n der Spitze sollte ein Fürst stehen m i t dem T i t e l „Kaiser der Deutschen", i h m zur Seite verantwortliche, gegenzeichnende Minister. Das Parlament, der Reichstag, zerfiel i n ein Staatenhaus und ein Volkshaus. Das Staatenhaus bestand aus 192 Mitgliedern, die unter Berücksichtigung der verschiedenen Größe der Länder, aber doch mit zu starkem Ubergewicht der größeren auf diese verteilt waren. D i e Hälfte der auf das einzelne L a n d entfallenden Vertreter hatte die Landesregierung zu bestimmen, die 13 Damals wurde der Reichsadler als Bundeswappen bestimmt, die Farben Schwarz-Rot-Gold als Bundesfarben. B u s c h k i e 1, D i e deutsch. Farben (35). 14 Sie umfaßte zunächst 400, später nahezu 600 Abgeordnete unter dem gewählten Präsidenten Heinrich v. Gagern.

§ 82. Rheinbund und Deutscher Bund

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andere Hälfte die Volksvertretung zu wählen. Die Abgeordneten zum Volkshaus wurden durch allgemeine, direkte und geheime Wahlen berufen. Die Stellung des Reiches gegenüber den einzelnen Staaten brachte den Gedanken der Reichseinheit trotz dem Fortbestehen dieser deutlich zum Ausdruck. In dem Recht der Vertretung des Reiches gegenüber dem Ausland, der Entscheidung über Krieg und Frieden, dem militärischen Oberbefehl lebten älte kaiserliche Rechte wieder auf. Das Reich erhielt außerdem die Aufsicht über Straßen, Eisenbahnen und Schiffahrt, Post und Telegraphenwesen und wurde ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet mit einheitlicher Regelung von Münze, Maß, Gewicht, Gewerbe und Handel. Es sollte die Rechtseinheit herbeiführen. Die Finanzierung des Reiches sah von Reichssteuern als regelmäßiger Einnahmequelle ab. Das Reich erhielt vielmehr die Zölle und die gemeinsamen Verbrauchssteuern zugewiesen, zu deren Ergänzung Matrikularbeiträge der Länder dienen sollten. Zur Erledigung von Verfassungsstreitigkeiten war ein Reichsgericht vorgesehen 15. Der Entwurf stieß auf den Widerstand mittlerer Staaten, cfae an Stelle einer mit dem Kaisertitel ausgestatteten Dynastie ein mehrgliedriges Direktorium setzen wollten, und Österreichs, das ihm die mit einem deutschen Nationalstaat unverträgliche Forderung der Aufnahme seiner nichtdeutschen Gebiete entgegenstellte16. Innerhalb des Parlaments schieden^ich zwei Parteien. Die erbkaiserliche (kleindeutsche) Partei strebte einem nationalen Einheitsstaat zu mit erblichem Kaisertum des preußischen Königs und einem Bundesverhältnis zu Österreich. Die Großdeutschen beschlossen unter Verzicht aui das Kaisertum eine Ausgestaltung der Verfassung, die auch den nichtdeutschen Teilen Österreichs die Aufnahme in den von einem Direktorium zu leitenden, locker organisierten Bund ermöglichte. Die Abstimmung vom 27. 3.1849, die mit nur 267 gegen 263 Stimmen das Erbkaisertum annahm, zeichnete das Scheitern des Verfassungsplans voraus. Die Ablehnung der Kaiserkrone durch den der Bewegung als einer volkssouveränen innerlich abgeneigten preußischen König Friedrich Wilhelm IV. machte es zur Wirklichkeit. Die Nationalversammlung zerfiel, und die als Rumpfparlament nach Stuttgart übergesiedelten 105 Abgeordneten mußten bald (18. 6.1849) dem Druck der württembergischen Regierung weichen. 15 D i e Zuständigkeit betraf auch noch andere Fälle. Doch w a r das Reichsgericht nicht oberste Instanz für Z i v i l - oder Strafsachen. 16 Sie hing zusammen m i t dem Erlaß der alle nichtungarischen Gebiete erfassenden Reichsverfassung vom 4. 3.1849 (s. § 86).

V. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtßgeechichte

22

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I V . Die Neuzeit

D i e n u n folgenden Versuche Preußen3, d e n Reichsbau durchzuf ü h r e n 1 7 , v e r s a g t e n ebenso w i e d i e des B u n d e s (1850 u n d 1859) u n d des v o n Ö s t e r r e i c h nach F r a n k f u r t e i n b e r u f e n e n , v o n fast a l l e n d e u t schen F ü r s t e n b e s u c h t e n F ü r s t e n t a g s (1863) 1 8 , z u e i n e r R e f o r m des Bundes z u gelangen. Nachdem der preußisch-österreichische Gegensatz i m g e m e i n s a m e n K a m p f g e g e n D ä n e m a r k v o r ü b e r g e h e n d z u rückgetreten, aber i m Streit u m die Regelung der schleswig-holsteinischen V e r h ä l t n i s s e w i e d e r e r w a c h t w a r , b e a n t r a g t e P r e u ß e n a m 9. 4.1866 d i e E i n b e r u f u n g eines d e u t s c h e n P a r l a m e n t s z u r D u r c h f ü h r u n g d e r B u n d e s r e f o r m . A m 10.6. s t e l l t e es d e n R e g i e r u n g e n e i n e n R e f o r m e n t w u r f z u , d e r d i e ö s t e r r e i c h i s c h e n L a n d e s t e i l e aus d e m B u n d a u s s c h l o ß t . A l s d a r a u f h i n Ö s t e r r e i c h d i e B u n d e s e x e k u t i o n geg e n P r e u ß e n b e a n t r a g t e u n d d e r B u n d e s t a g s i e beschloß, e r k l ä r t e Preußen den B u n d f ü r „gebrochen u n d erloschen" u n d erließ a m 16.6. d i e K r i e g s e r k l ä r u n g a n Ö s t e r r e i c h . D e r d e n K r i e g b e e n d e n d e V o r f r i e d e v o n N i k o l s b u r g (26. 7.) e n t h i e l t d i e A n e r k e n n u n g d e r A u f l ö s u n g des B u n d e s d u r c h Ö s t e r r e i c h u n d dessen Z u s t i m m u n g z u r N e u gestaltung Deutschlands ohne Österreich, die i m Prager F r i e d e n (23. 8.) w i e d e r h o l t w u r d e . A m 24. 8. f a n d d i e l e t z t e S i t z u n g d e r n a c h A u g s b u r g geflüchteten B u n d e s v e r s a m m l u n g statt, i n der d i e Auf- 1 l ö s u n g des B u n d e s f e s t g e s t e l l t w u r d e . A l t m a n n , Ausgewählte U r k u n d e n z. d. VG. I. I I (1891). B i n d i n g , Deutsche Staatsgrundgesetze I — X (1893 ff.). F e i η e , D . Werden d. deutschen Staates seit dem Ausgang des Heiligen Kömischen Reiches 1800—1933 (36). M e y e r - A n s c h ü t z , Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 7 (05) 97. 104. D e r s . , Handb. d. d. Staatsrechts I (30). Β e r η e y , Reichstradition u. nationaler Staatsgedanke, HZ. 140 (29) 57. — B i 11 e r a u f , Geschichte d. Rheinbunds I (05). Κ 1 ü b e r , Staatsrecht d. Rheinbundes (1818). Κ 1 ü b e r , A k t e n d. Wiener Kongresses, I — I X (1815—35). M e y e r , Corpus iuris confoederationis Germaniae 3 I — I I I (1858—65). Protokolle der deutschen Bundesversammlung 1816 ff. Κ 1 ü b e r , ö f f e n t l . Recht d. teutschen Bundes u. d. Bundesstaaten 4 (1840). Z a c h a r i ä , Deutsches Staats- u n d Bundesrecht 8 , I. I I (1865—67). I l s e , Gesch. d. deutschen Bundesversammlung I — I I I (1861/62). Bericht über d. Verhandl. d. deutschen Nationalversammlung I — I X (1848/49). 17 D e r preußische Plan beruhte auf dem Grundgedanken eines deutschen Bundesstaates unter F ü h r u n g Preußens, der m i t Österreich i n einer dauernden U n i o n stehen sollte. Erreicht wurde 1849 ein Bündnis Preußens m i t Sachsen u n d Hannover (Dreikönigsbündnis), dem außer norddeutschen Staaten auch Baden u n d Hessen-Darmstadt beitraten. Das zu E r f u r t zusammentretende Parlament nahm die i h m vorgelegte Unionsverfassung an. während n u n Preußen selbst die U n i o n nicht durchführte u n d i m Vertrag von O l m ü t z (1850) auch auf den Gedanken der Union verzichtete. 18 D e r preußische K ö n i g w a r nicht erschienen. D e r von Österreich vorgelegte E n t w u r f ging aus v o m großdeutschen Gedanken u n d erlangte zwar eine Mehrheit, war aber gegen den Widerstand Preußens u n d anderer Staaten nicht durchführbar. S c h e l l e r , D e r F r a n k f u r t e r Fürstentag (30). 19 Er entsprach der Entwicklung, die i n der kleindeutschen Erneuerung des Zollvereins 1864 zum Ausdruck gekommen war.

§ 83. Der Norddeutsche Bund

D r o y s e n - H ü b n e r , Verh. d. Verfassungsaussch. d. d. (1848). I I (29). B i n d i n g , D e r Versuch d. Reichsgründung kirche i n d. Jahren 1848 u n d 1849 (1892). B e r g s t r ä ß e r , des Deutschen Reiches v o m Jahre 1849 (13). S c h r a n i l , Deutschen i m Deutschen Bund, Festschr. Zycha (41) 589.

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Nationalvers., I durch die PaulsD i e Verfassung D i e Rechte der

§ 83. Der Norddeutsche Bund N o d i vor der Entscheidung des Krieges m i t Österreich u n d seinen Verbündeten hatte Preußen am 16.6.1866 neunzehn norddeutsche Staaten zum Abschluß eines neuen Bundes aufgefordert. Unter diesen k a m am 18.8.1866 ein Bündnisvertrag zustande. N u r SachsenMeiningen und Reuß ä. L. beteiligten sich zunächst nicht, traten aber w i e Sachsen u n d Hessen-Darmstadt i n den folgenden Monaten bei. Vereinbart w u r d e ein Offensiv- u n d Defensivbündnis u n d die Feststellung einer Bundesverfassung durch ein konstituierendes Parlament. Als Grundlage w u r d e der preußische E n t w u r f vom 10. 6. 1866 bestimmt. D i e Wahlen sollten sich nach dem Reichswahlgesetz vom 12. 4.1849 vollziehen. D e r so entstandene Bund w a r wie sein Vorgänger ein völkerrechtliches Gebilde. A m 24. 2.1867 trat, von Preußen einberufen, der Reichstag des Norddeutschen Bundes zusammen, u m über den wesentlich von Bismarck geschaffenen, von Vertretern der Länder gutgeheißenen Entw u r f einer Bundesverfassung zu beraten. Nach einer Reihe von A b änderungen w u r d e die Verfassung am 16. 4.1867 v o n diesem n u r beratenden Reichstag u n d am folgenden Tage von den Vertretern der Länder endgültig beschlossen. D a der Reichstag keine konstitutive Befugnis hatte, änderte sich das Verhältnis der verbündeten Staaten hierdurch nicht. D i e Bundesverfassung wurde aber i n den einzelnen Staaten i n gesetzmäßiger F o r m angenommen und verkündet und erlangte dadurch die rechtliche Bedeutung eines Verfassungsgrundgesetzes m i t dem einheitlich bestimmten T e r m i n des 1. 7.1867, dem Geburtstag des Norddeutschen Bundes. D i e neue Verfassung unterschied sich nicht unwesentlich von der Bundesakte und den Beschlüssen des F r a n k f u r t e r Parlaments, knüpfte aber doch an beide an. Nicht aus einer politischen Volksbewegung erwachsen, verzichtete sie auf die i n der Paulskirche so bedeutsamen Grundrechte und beschränkte sich darauf, Organisationsstatut zu sein. Als Organe kennt sie das Bundespräsidium, Reichstag und Bundesrat. D e m Präsidium steht die Vertretung des Bundes nach außen zu, der Oberbefehl über die Militärmacht des Bundes, die Entscheidung über K r i e g u n d Frieden, die Aufsicht über Durchführung der Bundesbeschlüsse u n d die Bundesexekution. Es ist m i t der Krone Preußen verbunden. D e r Reichstag ist die Vertretung des deutschen 22*

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I V . Die Neuzeit

Volkes durch i n allgemeiner, direkter und geheimer W a h l gewählte Abgeordnete, entspricht also dem F r a n k f u r t e r Volkshaus. D e r Bundesrat umfafit die Vertreter der verbündeten Regierungen und ist Träger der Souveränität. Er handhabt zusammen m i t dem Reichstag die Gesetzgebung i n der Weise, daß die Bundesgesetze durch übereinstimmende Beschlüsse beider und Sanktion durch den Bundesrat zustande kommen. Trotz darauf gerichteten Anträgen i m Reichstag wurde von der Einrichtung eines dem Reichstag verantwortlichen Reichsministeriums abgesehen. Es k a m n u r zur Festlegung der durch Gegenzeichnung der Anordnungen des Präsidiums übernommenen Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers. D i e Abgrenzung der Kompetenzen zwischen B u n d u n d Bundesgliedern Schloß sich an die der F r a n k f u r t e r Verfassung an, ging aber durch die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz für Obligationenrecht u n d Strafrecht an das Reich und die Zulassung direkter Reichssteuern darüber hinaus. D i e Bedeutung des Norddeutschen Bundes i n der Geschichte der Reichsbildung liegt vor allem i n dem Ubergang aus der völkerrechtlichen i n die staatsrechtliche Sphäre. D e r Norddeutsche B u n d ist k e i n völkerrechtlicher Staatenbund, sondern ein staatsrechtlicher Bundesstaat. E r beendet die Zeit der bloßen Bündnisse und beginnt die Geschichte des neuen Reiches. D a m i t hängt die Begründung einer tatsächlichen Bundesgewalt auf das engste zusammen. Diese zeigt sich am wirksamsten i n der Gesetzgebungsbefugnis. Während der Deutsche Bund Gesetze w o h l beschließen, aber von sich aus nicht i n den einzelnen Ländern i n K r a f t setzen konnte, hatten die Gesetze des Norddeutschen Bundes unmittelbar auch i n den Ländern Geltung. D i e Folge w a r eine sehr weitreichende Gesetzgebungstätigkeit des Bundes. Noch 1867 erschienen die Gesetze über Aufhebung des Paßzwanges u n d über Freizügigkeit, i m folgenden Jahre unter anderem ein Gesetz über Aufhebung der Schuldhaft. 1869 wurde ein oberster Gerichtshof f ü r Handelssachen i n Leipzig errichtet, aus dem sich später das Reichsgericht entwickelte. 1869 w u r d e die Gewerbeordnung erlassen und das Gesetz über Gleichberechtigung der Konfessionen, 1870 das Strafgesetzbuch. D e r schon i m Prager Frieden vorgesehene Südbund k a m nicht zustande. U m so wichtiger w a r es, daß die Weiterentwicklung zur Reichseinheit durch eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen der Südstaaten m i t dem Norddeutschen Bunde gefördert wurde. D i e m i t den süddeutschen Staaten 1866 geschlossenen Friedensverträge verbanden sich m i t Schutz- und Trutzbündnissen, der gegenseitigen Garantie der Staatsgebiete und der Zurverfügungstellung der Kriegsmacht i m Falle eines Angriffs auf deren Bestand. Durch den Zollver-

§ 8 . Das Deutsche Reich 1 1 — 1 9

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einsvertrag von 1867 w u r d e eine Norden und Süden umfassende w i r t sdhaftlidie Organisation geschaffen, die i n engem Anschluß an die Bundesverfassung gestaltet w a r und von dieser Seite her eine Einfügung der süddeutschen Staaten i n den Bund vorbereitete 1 . Vor allem aber hatte die Bundesverfassung selbst den E i n t r i t t süddeutscher Staaten durch einfaches Bundesgesetz ermöglicht. F e i n e (s. § 82) 209. M a r e k s , Aufstieg (s. § 82) I I 261. B u s c h , Bismarck u. d. Entstehung d. Norddeutschen Bundes, HZ. 103 (09) 52. B i n d i n g , D i e G r ü n d u n g des Norddeutschen Bundes (1889). T r i e ρ e 1, Zur Vorgeschichte d. Nordd. Bundesverf., Festschr. f. Gierke (11) 589. H i e r s e m e n z e l , Das Verfassungs- u. Verwaltungsrecht d. Nordd. Bundes I. I I (1868—70). Vgl. i m übrigen das histor. Schrifttum zu §§ 82 u. 84.

§ 84 Das Deutsche Reich 1871—1918 D i e Gründung des neuen Deutschen Reiches w a r i m Norddeutschen Bund so w e i t vorbereitet, daß i h r Vollzug während des Deutsch-Französischen Krieges n u r als das Endziel einer m i t innerer Folgerichtigkeit ablaufenden Entwicklung erscheint. I h r Zeitpunkt w a r ein dies incertus quando, aber certus an. Sie vollzog sich ähnlich der des Norddeutschen Bundes. D e r Schlußakt begann m i t den sogenannten (Versailler) Novemberverträgen, die der B u n d m i t Baden, Hessen, Bayern und Württemberg i m November 1870 abschloß. Sie waren völkerrechtliche Verträge, durch die sich die Kontrahenten zur Gründung des „Deutschen Reiches" auf den 1.1.1871 verpflichteten. Als Grundlage der künftigen Reichsverfassung diente die Verfassung des Norddeutschen Bundes, die i n einzelnen Punkten einer Änderung unterzogen werden sollte. D i e Novemberverträge w u r d e n von den gesetzgebenden Körperschaften m i t geringen Abänderungen angenommen. A u f G r u n d dieser Beschlüsse und der Verträge ist das neue Reich am 1.1.1871 entstanden. Aus dem Norddeutschen Bunde durch dessen Erweiterung herausgewachsen, steht es zu i h m i n einem anderen Verhältnis als er selbst zu seinem Vorgänger. Während den Norddeutschen B u n d nur Zeitfolge und Gedankengut m i t dem Deutschen B u n d verbinden, hat er i m Deutschen Reich seinen Rechtsnachfolger gefunden. Reich und Norddeutscher Bund stehen i n einem rechtlichen Zusammenhang. D i e Verfassung des Deutschen Reiches w a r diesem Entwicklungsgang gemäß die des Norddeutschen Bundes. D i e durch die Vermehrung der Bundesglieder und die i n den Novemberverträgen vereinbarten Reservat rech te einzelner Staaten notwendig gewordenen Änderungen hatten aber zur Folge, daß dem Reichstag ein E n t w u r f 1 D e r Zollverein hatte entsprechend dem B u n d ein Zollpräsidium, Zollbundesrat u n d Zollreichstag.

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einer Neuredaktion vorgelegt wurde, der nach seiner Genehmigung am 16. 4 1871 als Reichsgesetz verkündet w u r d e u n d am 4. 5.1871 als „Verfassung des Deutschen Reiches" i n K r a f t trat. D e r organisatorische A u f b a u des Reiches w a r gleich dem des Norddeutschen Bundes. D e r K ö n i g von Preußen, dem das Präsidium des Bundes zustand, führte den Namen „Deutscher Kaiser". Aufsicht u n d Gesetzgebungskompetenz des Reichel w u r d e n auf Presse und Vereinswesen ausgedehnt. D i e Kriegserklärung durch den Kaiser w u r d e von der Zustimmung des Bundesrats abhängig gemacht, sofern nicht ein Angriff auf das Bundesgebiet erfolgte. Aus der geschichtlichen Stellung Preußens und aus der Verbindung des Präsidiums m i t dem preußischen K ö n i g t u m ergaben sich seine Hegemonie und einzelne preußische Prärogativen. So stand dem Reichskanzler der Vorsitz i m Bundesrat zu, während er, wenn auch nicht rechtlich so doch staatspolitisch notwendig zugleich Ministerpräsident und Minister des Ausw ä r t i g e n i n Preußen war. Bei Ä n d e r u n g der Gesetzgebung über Heerwesen, Marine, Zölle und Verbrauchssteuern gab i m F a l l e von Meinungsverschiedenheiten die preußische Stimme i m Bundesrat den Ausschlag, w e n n sie sich gegen die Änderung aussprach. D a eine Verfassungsänderung nicht möglich war, wenn sich i m Bundesrat 14 Stimmen dagegen aussprachen, Preußen aber dort über 17 Stimmen verfügte, konnte es jede Änderung hindern. L a g so die Sonderstellung Preußens auf dem Gebiet des Verfassungslebens, so handelte es sich bei den wichtigeren Reservatrechten der süddeutschen Staaten u m Vorrechte auf dem der Verwaltung, u m Post- u n d Eisenbahnwesen, Besteuerung (Bier, Branntwein), Militärwesen, bei Bayern auch noch u m solche auf dem des Heerwesens u n d der Außenpolitik. Das Reich w a r trotz seiner einheitlichen Spitze und seiner einheitlichen Organe ein föderalistisches Gebilde. Seine Weiterentwicklung vollzog sich i n der Richtung des Unitarismus, teils durch Gesetze, teils durch die tatsächliche Gestaltung der Reichs Verwaltung und einer zunehmenden Parlamentarisierung. Schon 1873 fiel der Begriff der nicht allen Ländern gemeinschaftlichen Angelegenheiten. I m gleichen Jahre w u r d e die Gesetzgebungskompetenz auf das gesamte bürgerliche Recht» ausgedehnt. D i e Erweiterung der Legislaturperiode des Reichstags von drei auf fünf Jahre (1888) verstärkte den Bestand eines zentralen Organs. N u r sehr allmählich und gegen starke Widerstände gelang es, i n den Reichsfinanzreformen von 1904 und 1909—1913 die finanzielle Abhängigkeit des Reichs von den politischen Machtverhältnissen u n d den Einzelstaaten zu vermindern. I m Jahre 1911 w u r d e Elsaß-Lothringen, das bis dahin als Reichsland ohne eigene Staatsgewalt unmittelbar durch das Reich verwaltet worden war, einem

§ 8 . Das Deutsche Reich 1 1 — 1 9

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Gliedstaat gleichgestellt und erhielt eine Verfassung, die in den Grundzügen der der übrigen Gliedstaaten entsprach. Wesentlicher für die innere Vereinheitlichung des Reiches als diese Änderungen der Verfassung war es, daß sich die in der Verfassung liegenden Ansätze zu einer unitaristischen Fortbildung kräftig auswirkten. Die weitgespannte Gesetzgebungskompetenz des Reiches führte auf einer Reihe wichtigster Gebiete zu einer Rechtsvereinheitlichung, da der Grundsatz des Vorrangs der Reichsgesetze vor den Landesgesetzen eine Beseitigung partikularistischer Regelungen zur notwendigen Folge hatte1. Abgesehen vom Staatsrecht und Verwaltungsrecht beschränkte sich das Landesrecht auf wenige Einzelgebiete, auf denen aber wenigstens gleichartige Regelungen vorkamen2. Die dem Reich zugewiesenen Verwaltungsaufgaben erforderten den Ausbau eines umfassenden, zentralen Verwaltungsapparats, einer Reichsregierung. Neben das Reichskanzleramt, die Fortführung des norddeutschen Bundeskanzleramts, traten schon in den ersten Jahren das Auswärtige Amt, die Kaiserliche Admiralität (daraus 1889 das Reichsmarineamt) und das Reichseisenbahnamt. Aus ihm entwickelte sich später eine Reihe von Reichsämtern, meist unter der unmittelbaren Leitung von dem Reichskanzler untergeordneten Staatssekretären. So das Reichsamt des Innern 3 , Reichspostamt, Reichsjustizamt, Reichsschatzamt und das Reichsamt für Elsaß-Lothringen. Dem Reichsamt des Innern waren unterstellt zum Beispiel das schon im Norddeutschen Bund vorhandene Bundesamt für Heimatwesen, ferner Reichspatentamt und Reichsversicherungsamt. Die Entfaltung dieser Ämter machte eine Regelung der Stellvertretung des Reichskanzlers erforderlich. Auf Grund des 1878 erlassenen Stellvertretungsgesetzes konnte der Kaiser dem Reichskanzler einen Generalstellvertreter mit dem Recht der Gegenzeichnung oder auch Stellvertreter für einzelne Ressorts bestellen. Daraus entwickelte sich sachlich ein unter der Leitung des Reichskanzlers stehendes Reichsministerium. Zu diesem Ausbau der Reichsgewalt kam hinzu, daß der Reichstag zufolge seiner Bildung von Anfang an unitarischen Charakter trug, während der föderalistische Bundesrat zu wenig in die Öffentlichkeit trat, um das Gesamtbild beeinflussen zu können, und im wesentlichen auf die Teilnahme an der Gesetzgebung beschränkt war. Außerdem hat die tatsächliche Stellung des Kaisers und in der Zeit Wilhelms II. dessen persönliche Haltung auch ohne Überschreitung 1

D i e einzelnen Gesetze s. o. § 70. So zum Beispiel i m Bergrecht. 8 Dies ist der nach Ausscheidung der anderen Ä m t e r iibriggebliebene T e i l des Reichskanzleramtes, dessen ursprüngliche Zentralabteilung. 2

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der verfassungsmäßigen Grenzen wenigstens den Anschein erwecken können, als sei das Reich ein einheitlicher, monarchischkonstitutioneller Staat und hat seinen Charakter als Bundesstaat verwischt. D i e außenpolitische Vertretung des Reiches durch den Kaiser, sein militärischer Oberbefehl, die kaiserliche Ausfertigung u n d Verkündung der Gesetze und die monarchische Stellung des Kaisers als K ö n i g von Preußen haben f ü r die allgemeine Auffassung stärker gewogen als die rechtlichen Schranken der Präsidialstellung. I n Elsaß-Lothringen u n d i n den Kolonien und Schutzgebieten handhabte der Kaiser allein die Staatsgewalt. Innerhalb des Reiches selbst erfuhr die kaiserliche Stellung eine wesentliche Stärkung. Es entwickelte sich ein i n der Verfassung nicht vorgesehenes Antragsrecht des Kaisers i m Bundesrat, das i n Präsidialvorlagen i n Erscheinung trat, u n d außerdem konnte der Kaiser durch die Ernennung von Reichsbeamten zu preußischen Bundesratsbevollmächtigten Einfluß auf die Gesetzgebung gewinnen. D i e Entwicklung, die das Reich genommen hat, hing aufs engste m i t den politischen Parteien zusammen. Solche hatten sich schon i m F r a n k f u r t e r Parlament u n d i n den einzelnen Ländern gebildet, als am 3. 3.1871 die ersten Wahlen zum Reichstag stattfanden. Sie ergaben eine Vertretung des Volkes durch fast ein Dutzend von Parteien 4 . Von den 382 Abgeordneten gehörten 119 der seit 1866 i m Entstehen begriffenen Nationalliberalen Partei an, so daß das zahlenmäßige Schwergewicht bei dieser und den übrigen liberalen Parteien lag. I m letzten v o r dem W e l t k r i e g gewählten Reichstag hatte sich die Zahl der Parteien u m zwei vermehrt. D i e politische Zusammensetzung hatte sich grundlegend geändert. D i e Sozialdemokratische Partei hatte m i t 110 Abgeordneten die Stelle der größten Partei erlangt und i n Verbindung m i t dem Zentrum (90) die absolute Mehrheit i m Reichstag. D i e zum T e i l sehr kleinen übrigen Parteien hatten verfassungsrechtlich durch ihre Stimmenabgabe i m Reichstag nur dann Einfluß auf die V e r w a l t u n g des Reiches, wenn von ihnen ausnahmsweise die Gesetzgebung oder die B e w i l l i g u n g oder Ablehnung des Reichshaushaltsplans, damit mittelbar auch die V e r w a l t u n g selbst abhing. Das Reich hatte Parteien, w a r aber k e i n parlamentarischer Staat. Unter diesen Umständen stützte sich Bismarck zunächst bis 1878 auf den Nationalliberalismus (liberale Ära) und regierte dann i m Grunde i n Opposition gegen die Parteien m i t wechselnden Mehrheiten, was auch seinen Nachfolgern zunächst noch gelang. Als m i t dem Anwachsen der Sozialdemokratischen Partei (1903: 82 A b geordnete, 1912: 110) und deren negativem, auch die unter Bismarck 4

13 Abgeordnete hatten sich keiner Partei angeschlossen (Wilde).

§ 8 . Das Deutsche Reich

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durchgeführte Sozialgesetzgebung ablehnendem Verhalten, die Bedeutung des Zentrums als der 1890—1912 stärksten Partei stieg, begann eine tatsächliche Abhängigkeit der Regierung von diesem, die zu einem Parteieinfluß auf Stellenbesetzungen in den Reichsämtern und nicht immer rein sachlichen Zugeständnissen der Regierung an die Partei führte 5 . Der Versuch des Reichskanzlers von Bülow, das Zentrum auszuschalten, hatte die Bildung eines Regierungsblocks zur Folge, in dem Konservative, Nationalliberale und Freisinnige zusammengeschlossen waren (Blockpolitik). Damit erfolgte ein entscheidender Schritt in der seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fühlbaren Richtung auf den parlamentarischen Staat, und der Einfluß der Regierungsparteien begann sich auf die leitenden Stellen auszudehnen. Als der Block nach kurzer Dauer (1906—1909) an der Reichsfinanzreform scheiterte, kehrte die Regierung zu dem System der wechselnden Mehrheiten zurück und damit zur Abhängigkeit vom Zentrum, ohne das eine Mehrheit nicht gebildet werden konnte. Inzwischen war aber die Reichspolitik aufs stärkste beeinflußt worden durch die Spannung, die sich zwischen ihr und der preußischen Politik herausgebildet hatte. Während in Preußen zufolge des Dreiklassen Wahlrechts eine Volksvertretung tagte, die von der Konservativen Partei beherrscht wurde, sah sich die Reichspolitik einer wesentlich anderen politischen Konstellation gegenüber. Dies bedeutete nicht nur eine politische Haltung der Parteien im Reich unter Rücksichtnahme auf die Lage in Preußen und umgekehrt. Es nötigte auch die Reichsleitung zu dem auf die Dauer unmöglichen Versuch, im Reich eine andere Politik zu befolgen als in Preußen. So wirkte sich die Verbindung des Reichskanzleramts mit dem des preußischen Ministerpräsidenten und der Vorrang Preußens im Reich politisch weit über das Maß hinaus aus, das rechtlich in der Verfassung zugemessen war. Das Problem Reich und Preußen drängte schon vor dem Weltkriege zu einer Lösung, die nur in der Richtung einer Einordnung und Angleichung der preußischen Verhältnisse liegen konnte. Sie ist aber vor 1914 nicht erreicht worden. Die Abhängigkeit der Regierung von den Parteien blieb auch während des Weltkriegs bestehen. Sie steigerte sich aber gegenüber der von Zentrum, Sozialdemokratie, Volkspartei und teilweise auch Nationalliberalen gebildeten Reichstagsmehrheit so weit, daß 1917 die Besetzung des Reichskanzlerpostens von ihr erfaßt wurde. So war die Entwicklung zum parlamentarischen Staat tatsächlich vorgedrungen, während die Rechtslage unverändert blieb. Auch die Besetzung 5 So stimmte das Zentrum 1904 n u r gegen Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes für die Vermehrung der Unteroffiziersstellen.

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der Staatssekretärposten unter der Reichskanzlerschaft des Prinzen Max von Baden durch führende Mitglieder der Mehrheitsparteien zu Anfang Oktober 1918 erfolgte noch als politische, rechtlich nicht notwendige Maßnahme. Erst ein Gesetz zur Änderung der Reichsverfassung vom 28.10.1918, das letzte grundsätzliche Gesetz dieses Reiches, verlangte für den Reichskanzler das Vertrauen des Reichstags und erklärte ihn und seine Stellvertreter gegenüber Bundesrat und Reichstag für ihre Amtsführung verantwortlich. Dem Reichskanzler wurde außerdem die Verantwortung für politisch bedeutsame Handlungen des Kaisers in Ausübung seiner verfassungsmäßigen Befugnisse auferlegt. Das Reich hat diese grundlegende Veränderung seiner Verfassung n u r kurze Zeit überlebt. Zu einer vollen Ausbildung des parlamentarischen Staates ist es nicht mehr gekommen. D e r neben dem Reichstag stehende Bundesrat blieb rechtlich noch unangetastet. A m 9.11. 1918 wurde von dem sozialdemokratischen Staatssekretär Scheidemann die Republik ausgerufen. Das Deutsche Reich von 1871 w a r tatsächlich untergegangen. A m 28.11.1918 erklärte Kaiser W i l h e l m I L seine Abdankung. F e i n e (s. § 82) 209. M a r e k s , Aufstieg (s. § 82) I I 261. B u s c h (s. δ 83). L a m p r e c h t , Deutsche Gesch. d. jüngsten Vergangenheit u. Gegenwart I I . (13). H ä r t u n g , Deutsche Gesch. 1871—1919« (41). B e r g s t r ä ß e r , Gesch. d. Reichsverfassung (14). H ä r t u n g , Staatsgefüge u. Zusammenbruch d. zweiten Reiches, HZ. 151 (35) 528. M a r e k s , Bismarck I (09). I I . (35). E. R. H u b e r , Verfassungskrisen d. 2. Reichs (40). — L a b a n d , Das Staatsrecht des Deutschen Reichs 5 I — I V (11—14). D e r s . , Geschichtliche Entwickl u n g der Reichsverfass, seit der Reichsgründung, JböffR.I (06) 1. M e y e r A n s c h ü t z , Lehrb. d. deutschen Staatsrechts 7 (14—19). T r i e p e l , U n i tarismus u. Föderalismus i m Deutschen Reich (07). D e r s . , D i e Keichsaufsicht (16). D e r s . , D i e Hegemonie 2 (43). R o s e n t h a l , D i e Reichsregier u n g (11). Schriftt. z. d. Parteien s. § 64.

§ 85. Das Deutsche Reich von 1919—1945 Durch den Versailler Vertrag vom 28. 6.1919 ist das Gebiet des Deutschen Reiches um vielfach rein deutsche Gebiete und zum Teil gegen den ausgesprochenen Willen der Bevölkerung verkleinert worden. Im Westen verlor es Elsaß-Lothringen an Frankreich, das Gebiet von Eupen und Malmedy an Belgien, im Norden das nördliche Schleswig an Dänemark, im Osten Teile von Oberschlesien, Posen und Westpreußen an Polen. Danzig wurde unabhängiger Freistaat, Ostpreußen durch polnisches Gebiet längs der Weichsel vom übrigen Reich getrennt, Memel von Litauen annektiert. Das Saargebiet stand zunächst unter fremder Verwaltung und kehrte erst am 1. 3. 1935 auf Grund einer Abstimmung wieder voll zu Deutschland zurück.

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Innerhalb des dem Reich verbliebenen Gebiets haben sich Pyrmont und Waldeck an Preußen angeschlossen, Coburg an Bayern. D i e thüringischen Staaten haben sich zum Lande Thüringen vereinigt, zuletzt die beiden Mecklenburg zu einem einheitlichen Land. Aus K r i e g und Revolution hatte sich das deutsche V o l k als wertvollsten Besitz die Einheit des Reiches gerettet. Sie zu sichern, w a r die nächste Aufgabe der neuen Machthaber, für die ein aus Sozialdemokraten und unabhängigen Sozialisten bestehender Rat der Volksbeauftragten die L e i t u n g i n die H a n d genommen hatte. I m Zusammenwirken m i t Vertretern der Länder beschlossen sie die Einberufung einer verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung. Durch Verordnung vom 30.11.1918 w u r d e die W a h l auf den 16. 2.1919 festgesetzt und geregelt. I n den wesentlichen Grundlagen wurde das bisherige Wahlrecht zum Reichstag beibehalten. Doch w u r d e die Altersgrenze auf 20 Jahre herabgesetzt, den Frauen das Wahlrecht eingeräumt und die Verhältniswahl eingeführt. D a die W a h l e n später auf den 19.1. zurückverlegt wurden, konnte die deutsche Nationalversammlung schon am 6. 2. i n W e i m a r zusammentreten. A m 10. 2. 1919 w u r d e ein Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt erlassen. Es übertrug die F ü h r u n g der Reichsgeschäfte einem Reichspräsidenten, der als Vertreter des Reichs nach außen an die Stelle des Kaisers trat und von der Nationalversammlung zu wählen war. Das von i h m zu berufende Reichsministerium mußte das Vertrauen der Nationalversammlung haben u n d w a r i h r verantwortlich. D i e Länder erhielten eine Vertretung i m Staatenausschuß, so daß der föderalistische Charakter des Reiches erhalten blieb. Gesetze bedurften der Übereinstimmung von Staatenausschuß und Nationalversammlung. A u f die Angliederung von Deutschösterreich w a r w i e i m Reichswahlgesetz Rücksicht genommen. D i e parlamentarischen Kämpfe u m die neue Verfassung betrafen neben einzelnen wenigen grundsätzlichen Fragen v o r allem den Gegensatz des Unitarismus und Föderalismus. D i e völlige Reichseinheit strebte unter Zerschlagung der bisherigen Staaten, auch Preußens, ein E n t w u r f an, den der Staatssekretär des Innern u n d Professor der Rechte H. Preuß ausarbeitete 1 . Dieser E n t w u r f stieß insoweit auf den heftigen Widerstand der Länder und wurde unter deren M i t w i r k u n g zu einem Regierungsentwurf (I) umgestaltet. Dieser w u r d e von dem inzwischen geschaffenen Staatenausschuß beraten und als Regierungsentwurf I I der Nationalversammlung vorgelegt (21. 2.1919). I n dem entscheidenden P u n k t des Reichsaufbaus. w a r die Grundlage des Ein1 S c h m i t t , Hugo Preuß, sein Staatsbegriff u n d seine Stellung i n der deutschen Staatslehre (30).

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heitsstaats verlassen und die des Bundesstaats eingenommen worden. D i e i n diesem E n t w u r f noch erheblichen Sonderrechte einzelner Staaten wurden durch den Verfassungsausschuß der Nationalversammlung beseitigt. A m 31. 7.1919 w u r d e der letzte E n t w u r f i n der Nationalversammlung m i t 262 Stimmen gegen 75 (Deutschnationale Deutsche Volkspartei, Unabhängige Sozialdemokraten, Bayrischer Bauernbund) angenommen. A m 11.8.1919 wurde die Weimarer Verfassung vom Reichspräsidenten vollzogen. Das durch den Beschluß der souveränen deutschen Nationalversammlung neu organisierte Reich w a r rechtlich die Fortsetzung des 1867 begründeten staatsrechtlichen Körpers und wie dieser ein Bundesstaat, eine körperschaftliche Vereinigung einzelner Staaten, die nach dem W o r t l a u t der Verfassung als Länder bezeichnet wurden. Es w a r eine Republik, i n der die Staatsgewalt vom Volke ausging, und brachte damit den Gedanken der Volkssouveränität zu vollkommener Durchführung. Diese Grundgedanken des ersten A r t i k e l s der Verfassung von 1919 suchte der Gesamtaufbau des Reiches zu verwirklichen. Deshalb lag das Schwergewicht der staatlichen F u n k tionen beim Reichstag, der i n allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer W a h l durch alle Staatsbürger m i t vollendetem 20.Lebensj a h r nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wurde. Neben i h m bestand als Vertretung der deutschen Länder ein Reichsrat. D i e Führung der Geschäfte oblag der aus dem Reichskanzler und den Reichsministern bestehenden Reichsregierung. Staatsoberhaupt w a r der vom V o l k gewählte Reichspräsident, dem die völkerrechtliche Vertretung des Reiches, der militärische Oberbefehl, die Ernennung der Reichsbeamten und Offiziere, die Reichsexekution u n d das Begnadigungsrecht unter verantwortlicher Gegenzeichnung des Reichskanzlers oder zuständiger Reichsminister übertragen war. D e r Gedanke der parlamentarischen Verfassung w a r i n dem Grundsatz enthalten, daß der vom Reichspräsidenten ernannte Reichskanzler und die auf dessen Vorschlag' von i h m ernannten Reichsminister zu i h r e r Amtsführung des Vertrauens des Reichstags bedurften u n d durch Mißtrauensvotum des Reichstags zum Rücktritt genötigt waren. Gegengewichte lagen i n der W a h l des Präsidenten durch das V o l k (wie i n Amerika), nicht durch das Parlament (wie i n Frankreich), i m Volksbegehren und Volksentscheid, i m Reichsrat, i n gewissen Minderheitsrechten. Grenzen der parlamentarischen Gewalt ergaben sich aus der Unabhängigkeit der Gerichte und aus den Grundrechten und Grundpflichten. Eine wirkliche Stabilität der Regierung, wie sie etwa die Schweizer Demokratie aufweist, w a r aber

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bei den labilen deutschen Parteiverhältnissen durch das parlamentarische System nicht zu erreichen. Der Ausgleich unitaristischer und föderalistischer Bestrebungen hatte den Dualismus der Reichsverfassung Bismarcks zuungunsten des föderalistischen Standpunkts, wenigstens teilweise, ü b e r w u n d e n . Der Reichsrat stand dem Reichstag nicht ebenbürtig zur Seite, wie vordem der Bundesrat. Die Reichsgesetze kamen nicht durch übereinstimmende Beschlüsse der beiden Organe zustande, sondern wurden vom Reichstag beschlossen. Außerdem fehlte dem Reichsrat jeder verfassungsmäßige Einfluß auf die Reichsregierung, da sie seines Vertrauens nicht bedurfte. Die eng mit Reichsrat und Föderalismus zusammenhängende Frage der Stellung Preußens hat in der Weimarer Verfassung ihre Lösung unter dem Gesichtspunkt gefunden, die Hegemonie eines einzelnen Staates unmöglich zu machen. Jedes Land hatte im Reichsrat mindestens eine Stimme, die größeren je eine Stimme auf 700 000 Einwohner. Aber kein Land konnte mehr als zwei Fünftel aller Stimmen haben, und die Hälfte der preußischen Vertreter wurde von den preußischen Provinzialverwaltungen bestellt. Die Ausdehnung der ausschließlichen Reichsverwaltung auf Heerwesen, Zölle, Verbrauchssteuern und Post hatte auch anderen Ländern gegenüber den Reichsgedanken stärker durchgeführt. Zudem enthielt die Verfassung Richtlinien für die Länderverfassungen und gab dem Reich das Recht, die territorialen Grenzen der Länder zu ändern. Der stärkste Eingriff aber in die Selbständigkeit der Länder erfolgte 1919 mit der Übernahme der Reichssteuerverwaltung durch das Reich (Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung und Reichsabgabenordnung) und mit der Verteilung des Steueraufkommens durch das Finanzausgleichsgesetz von 1920 (1926). Die Beurteilung der Reichsverfassung von 1919 kann von sehr verschiedenem Standpunkt aus erfolgen. Es wäre ungerechtfertigt, sie deshalb schon zu verwerfen, weil sie den Belastungen nicht genügte, denen sie nach dem ersten Jahrzehnt ihrer Geltung in zunehmendem Maß ausgesetzt war und denen sie endlich erlag. Geschichtlich erscheint die Weimarer Verfassung in ihren einzelnen Ideen als weithin von älteren deutschen und ausländischen Vorbildern beeinflußt, aber nicht etwa als importiert. Dies gilt vor allem von dem zweiten Hauptteil der Verfassung, den Grundrechten und Grundpflichteii der Deutschen, einem ausführlichen Katalog von Rechtssätzen und Gesetzgebungsprogrammen, der auf die Grundrechte von 1848 und die Rechte der Preußen von 1850 zurückgreift, zum Teil auch schon vor 1919 deutsches Gemeingut war. Als Gesetzgebungswerk entbehrte die

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IV. Di

Neuzeit

Verfassung aber trotz i h r e r theoretischen H a l t u n g der inneren Geschlossenheit und Folgerichtigkeit. D e r Einbau föderalistischer Momente i n den unitaristischen E n t w u r f hat dies notwendig verursacht. I n den Grundrechten, u n d zwar am deutlichsten i n den Bestimmungen über Kirche u n d Schule, ist ein Ausgleich der i m Grunde sehr verschiedenen Weltanschauungen versucht worden, die i n den Gruppen der Weimarer Koalition, i n Sozialdemokratie, Zentrum und Demokratie vertreten waren. D i e tatsächliche A u s w i r k u n g der Verfassung i m Leben des Reiches w a r schließlich eine andere als die erhoffte, w e i l ein wachsender T e i l j e n e r Schichten, auf deren M i t w i r k u n g der Staat angewiesen w a r — Mittelstand, Industrie, Grundbesitz und Arbeiterschaft — i n Opposition zu den die Verfassung tragenden Werten trat und alten oder neuen Idealen anhing. Namentlich die Stellung des Reichspräsidenten u n d des Reichsrats hat sich infolgedessen anders entwickelt, als nach dem W o r t l a u t der Verfassung vorgesehen war. D e r Reichspräsident bildete sich zu einem Organ neutraler V e r m i t t l u n g zwischen den Parteien, zu einer überparteilichen Instanz aus, deren Grundlage allerdings nicht die Verfassung, sondern die Persönlichkeit sein mußte. D i e Ausübung der verfassungsrechtlichen Befugnisse trat hinter der Bedeutung des persönlichen Einsatzes zurück. D e r Reichsrat hat die Halbheit seiner Stellung durch sachverständige Beratung der Reichsregierung n u r i n geringem Maße auszugleichen verstanden. Volksentscheid und Volksbegehren haben eine wesentliche Bedeutung überhaupt nicht erlangt. Das Verhältniswahlrecht führte zu ungezügelter Parteiherrschaft u n d rief i n breiten Kreisen der Wählerschaft ein Gefühl der Ohnmacht hervor. V o r allem aber hat das System der parlamentarischen Regierung versagt. D i e Folge war, daß eine von der Verfassung (Art. 48) als Ausnahmeerscheinung vorgesehene D i k t a t u r des Reichspräsidenten m i t einer F ü l l e von Notverordnungen u n d die Erteilung von mehr oder weniger genau umschriebenen gesetzlichen Ermächtigungen der Reichsregierung durch den Reichstag zu normalen Formen der Regierung zu werden begannen u n d der Gedanke des Rechtsstaats immer mehr untergraben wurde. Das Verhältnis von Reich und Ländern hatte i n der Verfassung eine keineswegs alle Beteiligten befriedigende Regelung erfahren. D i e föderalistischen Bestrebungen waren durch Verfassungsartikel nicht zu beseitigen, solange i h r e äußere und historische Grundlage i n den m i t eigenen Regierungen ausgestatteten u n d ihrer T r a d i t i o n be wußten Ländern erhalten blieb. D i e verschiedene politische Zusammensetzung, die die Parlamente einzelner Länder gegenüber dem Reichstag i n steigendem Maße aufwiesen, führten, wie schon i m

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Bismarckreich, zu Spannungen, die eine Zusammenarbeit von Reicb u n d Ländern erschwerten, zum T e i l ein Gegeneinanderarbeiten zur Folge hatten. D i e preußische Hegemonie, die man durch Verfassungsbestimmungen gebannt zu haben glaubte, erwies sich i n den tatsächlichen Machtverhältnissen zu stark begründet, u m dadurch erschüttert zu werden. A u f der anderen Seite ist die i n der Verfassung liegende Möglichkeit einer den Selbständigkeitsbestrebungen der Länder entgegenwirkenden Veränderung der Binnengrenzen nicht ausgenützt worden. Unter diesen Umständen i s t es nicht n u r zu einer föderalistischen Reaktion gekommen, die i n einer zuerst 1924 vorgelegten bayrischen Denkschrift den Rückweg zur alten Reichsverfassung suchte, sondern v o r allem zu offenen Konflikten zwischen dem Reich und einzelnen Ländern. D e r sog. „Preußenschlag" vom 20. 7.1932 führte zu einem Prozeß v o r dem Staatsgerichtshof, der diese Erbübel der Verfassung offenkundig machte.

Endlich kam mit der „Machtergreifung" vom 30.1.1933 die nationalsozialistische Bewegung an die Regierung, die durch eine ungehemmte Agitation Unzufriedene aus allen Lagern gesammelt, aber durchaus noch nicht die Mehrheit erlangt hatte. Die kurzsichtigen Koalitionspartner wurden bald bei Seite gedrängt, in einer Reihe von Gesetzen (Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 33; Gleichschaltungsgesetz vom 31.3./27.4.33; Reichsstatthaltergesetz vom 7. 4. 33./30.1. 35; Ge-

setz über den Neuaufbau des Reichs vom 30.1. 34; Gesetz über das Staatsoberhaupt des deutschen Reichs vom 1. 8. 34) der bundesstaatliche, parlamentarische und demokratische Charakter der Reichs Verfassung beseitigt, ohne daß diese formell außei Kraft gesetzt wurde, und damit die Gestalt des sog. „völkischen Führerstaats" geschaffen, die er bis zu seinem Untergang 1945 behielt. Eine Verfassung im überlieferten, rechtsstaatlichen Sinne hatte dieses Reich mit seinem mehr und mehr totalitären Charakter überhaupt nicht. Was man als Verfassung bezeichnete, war nur die in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen ausgesprochene, von seiner Gefolgschaft notdürftig systematisierte Willkür eines einzigen Mannes. Es gab ein Reichskabinett, das seit vielen Jahren nicht mehr zusammentrat, Gesetze, die niemals verkündet waren, ein Parlament, das nur noch einstimmig votierte, Behörden und einzelne, die über dem Gesetz standen. Daß daneben eine große Zahl ungenannter Richter, Anwälte und Verwaltungsbeamte in hohen und niederen Stellungen der Gerechtigkeit, insbesondere dem Gedanken der Gleichheit vor dem Gesetz weiter zu dienen bestrebt waren, trug am meisten zu der öffentlichen Mißachtung ihres Standes bei, die in der Reichstagssitzung vom 26.4.1942, der allerletzten überhaupt, ihren denkwürdigen Ausdruck fand. Es

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ist z u g l e i c h d i e beste G e w ä h r f ü r d e n W i e d e r a u f b a u d e r d e u t s c h e n Rechtspflege. F e i n e (s. § 82) 396. 449. v. M u r a 11, D e r Versailler Vertrag u n d die Gegenwart (48). R o s e n b e r g , D i e Entstehung d. deutschen R e p u b l i k (25). A n s c h ü t z , D i e Verfassung des Deutschen Reichs 14 (33). P o e t z s c h H e f f t e r , Handkommentär der Reichsverfassung 3 (28). N i p p e r d e y , D i e Grundrechte u. Grundpflichten d. Reichsverfassung I — I I I (29/30). A n s c h ü t z - T h o m a , Handbuch des deutschen Staatsrechts, I. I I (30/32). A p e l t , Geschichte der Weimarer Verfassung (46). F r i e d e n s b u r g , D i e Weimarer R e p u b l i k (46). H a t s c h e k , Deutsches u. preußisches Staatsrecht I. I I (30). S m e n d , Verfassung u. Verfassungsrecht (28). S c h m i t t , Verfassungslehre (28). P r e u ß , Reich u n d Länder (28). T r i e p e l , D e r Föderalismus u. die Revision d. W e i m a r e r Verfassung, Z f P o l i t i k 14 (25) 193. A n s c h ü t z , Das preußisch-deutsche Problem (28). B e c k , Föderalistische Tendenzen i m d. Staatsleben seit d. Sturz d. Bismarckschen Verfassung (32). W e i d e r , D e r Grundsatz der Gewaltenteilung u. d. W e i m a r e r Verfassung (32). K e r n , D e r Rechtsstaatsgedanke i m Strafrecht u. Strafverfahrensrecht von der Reichsgründung bis zur Gegenwart (32). S c h m i t t , Positionen u n d Begriffe (42). E. R. H u b e r , Verfassungsrecht des großdeutschen Reiches 2 (39). E b. S c h m i d t , Gesch. d. dtsch. Straf rechtspflege (47) §§ 352 ff. D e r s., Justitia fundamentum regnorum (47).

§ 86. Die Entwicklung der Einzelstaaten 1806—1918 D i e seit 1806 i n v o l l e m U m f a n g s o u v e r ä n g e w o r d e n e n d e u t s c h e n E i n z e l s t a a t e n h a b e n e i n e F o r t e n t w i c k l u n g e r f a h r e n , d i e z w a r fast überall v o m Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie führte, i m e i n z e l n e n a b e r doch v e r s c h i e d e n v e r l a u f e n i s t 1 . D i e s ü d d e u t s c h e n Staaten, die norddeutschen M i t t e l s t a a t e n u n d Preußen b i l d e n dabei drei zeitlich aufeinanderfolgende G r u p p e n 2 . D i e s ü d d e u t s c h e n S t a a t e n e r h i e l t e n u n m i t t e l b a r nach d e n B e freiungskriegen Verfassungen, durch die die Periode der absoluten M o n a r c h i e b e e n d e t w u r d e 3 . So N a s s a u 1814, B a y e r n u n d B a d e n 1818, 1 Über die andersartige u n d doch i n vielem verwandte Verfassungsentwicklung der Schweizer Eidgenossenschaft seit dem Untergang der Helv e t i k bis zum I n k r a f t t r e t e n der noch heute gültigen Verfassung von 1848 u n d darüber hinaus vgl. H i s , Gesch. des neueren schweizerischen Staatsrechts I — I I I (20-38). 2 N u r die beiden Mecklenburg haben bis 1918 die altständische Verfassung beibehalten. 3 A u f eine D a r s t e l l u n g der Zeit zwischen 1806 u n d 1814 muß eine Übersicht verzichten, da der französische Einfluß zu einer zu verwickelten, unterschiedlichen, aber auch zum großen T e i l n u r vorübergehenden Gestaltung geführt hat. I m besonderen sind die von Napoleon geschaffenen u n d wieder untergegangenen Staatsgebilde wie das Königreich Westfalen ( W e i d e m a n n , Neubau eines Staates, 36) u n d die Großherzogtümer Berg, F r a n k f u r t u n d W ü r z b u r g ( C h r o u s t , Das Großherzogtum W . I 32) ohne dauernde Bedeutung für die deutsche Verfassungsgeschichte geblieben. Anders liegt es i n den Ländern auf dem l i n k e n Rheinufer insofern, als hier eine Reihe von französischen Einrichtungen u n d französisches Recht eingeführt wurden, die sich über das Jahr 1815 hinaus erhielten.

§ 86. Die Entwicklung der Einzelstaaten 1806—1918

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Hessen-Darmstadt 1820, W ü r t t e m b e r g 18194. D i e vier erstgenannten schlossen sich eng an ein ausländisches V o r b i l d an, an die charte constitutionelle Ludwigs X V I I I . v o n 1814, u n d sind w i e diese durch einseitigen Regierungsakt dem V o l k e gegeben. Sie waren nach der Präambel der bayrischen Verfassung das W e r k des „ebenso freien als festen W i l l e n s " des Herrschers und aus „freiem Entschlüsse" gewährt. Dagegen entstand die württembergische Verfassung als ein von beiden Teilen unterzeichneter Vertrag zwischen dem K ö n i g und den Ständen. A u f den für das Gesamtbild wesentlichen Inhalt hat dieser Unterschied keinen Einfluß gehabt 5 . D i e Staatsgewalt stand ungeteilt dem Herrscher zu, der souveränes Oberhaupt des Staates war, nicht sein Organ. N u r i n der Ausübung der Staatsgewalt hat sich der Herrscher an die Verfassung, i m besonderen an die M i t w i r k u n g verantwortlicher Minister und der Stände gebunden. Diese waren i n allen Verfassungen nach dem Zweikammersystem geordnet. D i e erste Kammer umfaßte die Prinzen des Herrscherhauses, den früher reichsständischen (hohen) Adel, Spitzen der Kirchenregierung und vom Herrscher ernannte Vertrauenspersonen. D i e zweite Kammer bestand aus gewählten Abgeordneten. Diese w u r d e n aber nicht vom gesamten V o l k gewählt, sondern von bestimmten Klassen und Ständen. Gemäß dem Grundgedanken der Verfassung, dem der Selbstbeschränkung des H e r r schers, waren die Rechte der Stände i n der Verfassung erschöpfend aufgezählt, während dem Herrscher alle übrigen Regierungsrechte unbeschränkt zustanden. D i e Stände waren beteiligt am Erlaß von Gesetzen, wofür ihre Zustimmung und die Sanktion durch den H e r r scher erforderlich war. Dieser bedurfte auch der Zustimmung der Kammern zur Erhebung aller direkten Steuern und neuer indirekter Steuern und zur Aufnahme von Staatsschulden. D i e Einberufung der Stände w a r innerhalb bestimmter Fristen vorgeschrieben. Regelmäßig enthielt die Verfassung einen Abschnitt über allgemeine Rechte u n d Pflichten oder staatsbürgerliche und politische Rechte, Vorläufer der späteren Grundrechte. D i e durch diese Verfassungen geschaffene Neugestaltung entsprach den Forderungen des Liberalismus, ohne sie zu erfüllen. Sie k a m i h m entgegen i n der Tatsache der Konstitution selbst, ferner i n der Anlehnung an die Lehre von der 4 Eine bayrische Verfassung von 1808, die eine Nationalvertretung vorsah, ist nicht i n K r a f t getreten. D i e F o r m der absoluten Regierung vor den Verfassungen w a r insofern verschieden, als sie i n Bayern, Baden u n d Nassau i n der H a n d von Ministern lag (ministerieller Absolutismus), i n W ü r t t e m berg i n der H a n d des Königs. 5 Einzelne Abweichungen der süddeutschen Verfassungen beruhen darauf, daß die späteren schon der Reaktionszeit angehören.

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtegeschichte

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Gewaltenteilung. Diese war von Montesquieu6 in mißverstehender Verwertung der englischen Verfassung begründet worden und bedeutete die Teilung der Staatsgewalt in die Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung und deren Ausübung durch verschiedene Organe. Dagegen wurde die Volkssouveränität vollkommen abgelehnt. Auch war die Beteilignug des Volkes an der Gesetzgebungsgewalt durch die Gestaltung des Wahlrechts und durch den Aufbau der ersten Kammer erheblich eingeschränkt. Es waren konstitutionelle Monarchien entstanden, aber nicht die dem Liberalismus entsprechende konstitutionelle Demokratie, und auch jene noch mit ständischem Einschlag7. I n den norddeutschen Staaten außer Preußen wurden zunächst die alten landständischen Verfassungen bestätigt oder wieder in Kraft gesetzt. Dies entsprach allerdings weder den liberalen Strömungen der Zeit noch ihrer Staatstheorie, dem Grundsatz der Volkssouveränität. Die infolgedessen bestehende Spannung wurde ausgelöst unter dem Eindruck der im Juli 1830 in Paris ausgebrochenen Revolution. Nach vorübergehenden Unruhen und Aufständen erhielten Kurhessen (1831), Sachsen (1831), Braunschweig (1832) und Hannover (1833) neue Verfassungen, die in der Grundrichtung den älteren süddeutschen entsprachen. Damit war weitaus der größte Teil der deutschen Staaten im Besitz einer geschriebenen, konstitutionellen Verfassung. Abseits standen, abgesehen von den Kleinstaaten und Mecklenburg, die beiden größten Staaten, Preußen und Österreich. Allerdings war auch in den nun konstitutionellen Gebieten kein dauernder Zustand erreicht. Die vom Bund geförderten reaktionären Bestrebungen wirkten sich in der Verwaltung aus und führten in Hannover sogar zur ungesetzlichen Aufhebung der Verfassung (1837)8. In Preußen begann nach dem Zusammenbruch bei Jena ohne Änderung der absolutistischen Grundlage des Staates eine durchgreifende Reform, die mit den Namen des Freiherrn vom Stein und des Freiherrn von Hardenberg verknüpft ist. Sie kann als Stein-Hardenbergsche Reform bezeichnet werden, wenn man dabei nicht übersieht, daß die beiden Männer nicht zusammen, sondern zu verschiedenen Zeiten ihren Einfluß geltend machten und daß sie auch in der wichtigen Frage des Verhältnisses von Staat und Individuum verschieden dach6 Esprit des lois (1748). Vgl. dazu E b . S c h m i d t , Festschrift Kiesselbach (47). 7 I n g e l m a n n , Ständische Elemente i. d. Volksvertretung nach d. deutschen Verfassungsurkunden der Jahre 1806—19 (14). 8 Hiergegen wandten sich die „ G ö t t i n g e r Sieben", sieben Göttinger Professoren, unter ihnen die Brüder G r i m m , m i t der Folge i h r e r Entlassung.

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ten. Stein ging vom Verband aus, Hardenberg vom Einzelnen. D i e Reform begann m i t den E d i k t e n vom 9. und 18.10.1807, die die ständische Gebundenheit des Grundbesitzes u n d des Berufes, die Erbuntertänigkeit der Bauern, Schollenpflicht u n d Gesindezwang auf den Domänen beseitigten. A u f der gleichen L i n i e einer Befreiung des Individuums lag die Einführung der Gewerbefreiheit (28.10.1810) und das E d i k t vom 14 9.1811 über die Regulierung der Besitzrechte, die gegen Abgabe eines Teiles des Besitzes freies Eigentum des Bauern an dem verbleibenden T e i l anstrebte. E i n zweites Ziel w a r die Neuordnung der Staatsverwaltung. A n Stelle von Kabinettsministerium, geistlichem u n d Justizdepartement, Provinzialministern und Generaldirektorium traten 1808 fünf Fachministerien, die später (1814) i m Staatsministerium eine gewisse Zusammenfassung erhielten. Uber ihnen stand seit 1810 das Aimt des Staatskanzlers, das Hardenberg bis 1822 innehatte. Das Land w u r d e i n zehn Provinzen eingeteilt, jede unter einem Oberpräsidenten. D i e Kriegs- und Domänenkammern w u r d e n zu Regierungen unter einem Präsidenten, die Justizkollegien zu Oberlandesgerichten unter scharfer Trennung von V e r w a l t u n g und Rechtsprechung. Als beratende Zentralbehörde wurde 1817 ein Staatsrat gebildet, dem die königlichen Prinzen, eine Reihe hoher Staatsbeamter u n d Vertrauensleute des Königs angehörten. Das Landratsamt blieb als ein Organ der Selbstv e r w a l t u n g u n d der B ü r o k r a t i e bestehen. Steins Plan einer Heranziehung der Untertanen zur E r f ü l l u n g der Gemeinschaftsaufgaben durch B i l d u n g von Selbstverwaltungen i n Gemeinde, Kreis und Provinz w u r d e n u r f ü r die Städte i n der Städteordnung von 1808 verwirklicht. Durch ein Wehrgesetz vom 3.9.1814 wurde die auf Veranlassung von Scharnhorst schon 1813 f ü r die Zeit des Krieges eingeführte allgemeine Wehrpflicht unter Beseitigung der bisher bestehenden Ausnahmen als dauernd durchgeführt 9 . W i e die anderen wirtschaftlichen Gesetze w a r auch die Finanzreform das W e r k von Hardenberg. Neben der Schuldentilgung durch Heranziehung der Domänen und Säkularisierung der geistlichen Güter stand eine durchgreifende Steuerreform, die den Gedanken gleicher Besteuerung aller Einwohner verwirklichte. Diese Reformen bedeuteten einen Bruch m i t dem Polizeistaat. Sie ließen aber das wiederholt (1815, 1820) gegebene Versprechen einer geschriebenen Verfassung und einer ständischen Nationalrepräsentation ebenso unerfüllt, w i e auch die von Stein geplanten Reichs9 J a η y , Gesch. d. preußisch-deutschen Heeres (34). H ö h n , Verfassungskamp'f u. Heereseid (38; dazu Ostreich, ZRG. 58, 585). H u b e r , Heer und Staat 2 (43) 115.

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stände nicht Wirklichkeit geworden waren. Der Widerstand, der von der reaktionär werdenden Zeitströmung, von den alten Ständen, vom absolutistisch gesinnten Beamtentum und von der Politik Metternichs ausging und beim König Einfluß gewann, ließ die im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts sich zeigenden Ansätze nicht zur Entfaltung kommen. Die Maßnahmen Friedrich Wilhelms IV., wie die Einberufung der Provinziallandtage zu einem „vereinigten Landtag" (1847), standen im Banne altständischer Vorstellungen. Die weitere Entwicklung der Länderverfassungen war bestimmt durch die Einwirkung dèr Pariser Februarrevolution des Jahres 1848. Sie stärkte allenthalben das liberale Bürgertum, das nun seine Forderungen auf Beteiligung des Gesamtvolkes an der Regierung, Aufhebung der Standesvorrechte 10, Ministerverantwortlichkeit, Unabhängigkeit der Richter 11 , Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, Schwurgerichte, Trennung von Justiz und Verwaltung, Freiheit der Presse, Volksbewaffnung nachdrücklicher und lauter durch Volksversammlungen und Petitionen erhob. Dies hatte ein Zurückweichen der Regierungen zur Folge und die Ersetzung der bisherigen Minister durch sogenannte Märzminister, die politisch den Reformparteien angehörten. Bei der Verschiedenheit der Entwicklung in den einzelnen Staaten war die Wirkung der liberalen Bewegung ebenfalls nicht die gleiche. Die kleineren Staaten, die bis dahin von Reformen kaum berührt wurden, erhielten nun Verfassungen. In den mittleren Staaten wurden die bestehenden Verfassungen im Sinne der liberalen Forderungen abgeändert und ergänzt. So zum Beispiel in Bayern und Baden durch Einrichtung eines Staatsgerichtshofs zur Durchführung der Ministerverantwortlichkeit. In Preußen wurde unter starker Anlehnung an die belgische Verfassung von 1831 am 5.12. 1848 eine Verfassung oktroyiert. In Österreich ist der Absolutismus durch die ebenfalls oktroyierte Reichsverfassung vom 4. 3.1849 bis zu deren Außerkraftsetzung (1851) vorübergehend beseitigt worden. Erst 1867 gelang der „Ausgleich" mit Ungarn, der diesem im Rahmen einer Staatenverbindung (Realunion) die selbständige Gesetzgebung und Verwaltung zugestand. Durch das Staatsgrandgesetz vom 21.12. 1867 wurde 10 Unter diesem Gesichtspunkt erfolgte die Aufhebung der noch vorhandenen Lehen (Allodifikation) innerhalb der Staaten, w ä h r e n d die i n fremden Staaten befindlichen (Außenlehen, feuda extra curtem) der neuzeitlichen Auffassung von der Gebietshoheit erlagen. Nicht allodifiziert w u r d e n einzelne Thronlehen u n d die mecklenburgischen Lehen. R o t h , System des deutschen Privatrechts I I I (1886) 747. P r a u s n i t z , Feuda e x t r a curtem (29). 11 W e n d t , D i e gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen i n d / Verfassungsurkunden d. 19. Jahrh. (34).

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die österreichische Reichshälfte zum Verfassungsstaat mit einer im Reichsrat zusammengefaßten, aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden Volksvertretung. Die einzelnen Länder hatten Landtage für die Landesgesetzgebung. Die Unterdrückung der Pariser radikalen Bewegung in einer mehrtägigen Sdilacht im Juni 1848 leitete dort eine Reaktion ein, die auch bei den deutschen Regierungen auf Widerhall stieß. Sie löste in einigen Staaten revolutionäre Bewegungen aus, setzte sich aber durch, gestützt auf Dynastien, Adel und Beamtentum. Unter ihrem Einfluß sind, zahlreiche liberale Zugeständnisse der Jahre 1848 und 1849 wieder aufgehoben worden. Auch die preußische Verfassung von 1849 ist in ihrer endgültigen, nun auch von den Kammern genehmigten Fassung vom 31.1.1850 (sogenannte revidierte Verfassung) von der Reaktion nicht verschont geblieben. Zu den für die Folgezeit wichtigsten Änderungen gehört die Ersetzung des 1848 zugestandenen allgemeinen und geheimen Wahlrechts durch das sogenannte Dreiklassenwahlrecht für die zweite Kammer (1849). Dieses war indirekt, so daß zunächst durch die Urwähler in den Urwahlbezirken Wahlmänner gewählt wurden, die dann in den Wahlbezirken direkt die Abgeordneten zu wählen hatten. Die Wahl war öffentlich und mündlich. Die Urwähler eines Bezirks waren nach dem Maße der zu entrichtenden Steuer in drei Klassen eingeteilt, deren jede ein Drittel der Wahlmänner wählte, so daß die Stimmkraft der zahlreichen Wähler der untersten Klasse der der wenigen in der obersten Klasse gleichkam. Auch nach den Abstrichen, die in der Reaktionszeit an Forderungen und Errungenschaften des Jahres 48 gemacht wurden, war das Gesamtbild der deutschen Staatsverfassungen gegenüber dem des Jahres 1815 grundlegend verändert und gegenüber dem Vormärz weitgehend vereinheitlicht. Die Teilnahme des ganzen Volkes an der Verwaltung des Staates war fast überall, wenn auch mit Abweichungen im einzelnen, durchgesetzt worden 12 . Daß sich in Mecklenburg immer noch die altständische Verfassung erhielt, ändert am Gesamtbild nichts. In keinem Staat aber hatte das Parlament das Ubergewicht über den Herrscher und seine Regierung erlangt. Nicht das Volk, sondern das Staatsoberhaupt war Inhaber der Staatsgewalt. Die Fortbildung des um die Jahrhundertmitte bestehenden Verfassungszustands war zunächst in ihrer Richtung durch den gleichen Liberalismus bestimmt, der die Bewegung von 1848 getragen hatte. 12 Durch W a h l der Abgeordneten durch das ganze V o l k , nicht einzelner Stände. Dazu H i n t z e , Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassung, HZ. 143 (30) 1.

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Das Volk strebte danach, seinen Anteil am Staat zu erweitern, letzten Endes die Staatsgewalt selbst zu übernehmen. Diese Entwicklung war wiederum eine einzelstaatliche. Das Reich hat darauf auch nach 1871 keinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt. Sie vollzog sich im Verhältnis von Süd und Nord mit entsprechenden zeitlichen Abständen, wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die süddeutschen Staaten gingen mit der Einführung des gleichen, geheimen und unmittelbaren Wahlrechts zur zweiten Kammer voran (Baden 1904, Bayern und Württemberg 1906). Erst im Oktober 1918 wurde es im preußischen Landtag durchgesetzt. Einige Mittelstaaten (Sachsen, Hessen, Oldenburg) hatten das allgemeine Wahlrecht durch Pluralstimmen ergänzt, die sich vor allem auf größeren Besitz bezogen. Uber diese Stufe hinaus ist die Entwicklung bis 1918 nicht gelangt. Die parlamentarische Regierungsform ist in keinem Lande Verfassungsgrundsatz geworden. Dagegen ist in Preußen die Selbstverwaltung in den Provinzen gesteigert, das hier noch bestehende Übergewicht des Ritterstandes abgebaut und die gutsherrliche Polizei aufgehoben worden. Auch wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den größeren und einigen kleineren Staaten Verwaltungsgerichte eingeführt. Nur in wenigen Gebieten haben sie bis 1919 gefehlt 13 . Vgl. Schriftt. zu § 82 (Stern, Treitschke, Schnabel). H ä r t u n g , Entwickl u n g der konstitutionellen Monarchie i n Europa, HZ. 159 (39) 287. 499. A n d r e a s , Gesch. d. badischen Verwaltungsorganisation u. Verf. i n den Jahren 1802—1818 I (13). G o l d s c h m i d t , Gesch. d. badischen Verfassung 1815—19 (18). S c h n a b e l , Gesch. d. Ministerverantwortlichkeit i n Baden (21). D ö b e r l , Entwicklungsgesch. Bayerns I I 3 (28). I I I (31). D e r s . , E i n Jahrhundert bayrischen Verfassungslebens (18). D e r s . , Montgelas u n d das Prinzip der Volkssouveränität (25). O e s c h e y , D i e bayrische Verfassungsu r k u n d e v. 26.5.1818 u. die Charte L u d w i g s X V I I I . (19). W i n t t e r l i n , Gesch. d. Behördenorganisation i n W ü r t t e m b e r g I. I I (02—06). A n s c h ü t z , D i e Verfassungsurkunde f. d. preuß. Staat I (12). S m e n d , D i e preuß. Verfassungsurkunde i m V e r g l e i d i m i t d. belgischen (04). M e i e r , Französische Einflüsse a. d. Staats- u. Rechtsverwaltung Preußens i m 19. Jahrh. I. I I (07/08). H i n t ζ e , Das W e r k der Hohenzollern 7 (16). Bornhak, Giese, Schmidt a. § 80 a. O. v. R a η k e , Hardenberg u. d. Gesch. d. preuß. Staates 1793—1813 (1879—81). R i t t e r , Stein I. I I (31). H i n t z e , Das preuß. Staatsminister i u m i m 19. Jahrh., Festschr. Schmoller (08). H ä r t u n g , D e r Oberpräsident (43). — »v. S r b i k , Metternich, I. I I (25). D e r s . , Deutsche E i n h e i t 3 (42). R e d l i c h , Das österreichische Staats- u. Reichsproblem, I. I I (20—26). — A n s c h ü t z , Lehrbuch (s. § 82). A n s c h ü t z - T h o m a , Handbuch (s. § 85). H i e r auch Schriftt. über Staatsrecht der Einzelstaaten. 13 D i e Selbständigkeit der deutschen Staaten veranlaßte eine Einzelregel u n g des Verhältnisses zwischen Staat u n d katholischer Kirche. Sie erfolgte i m bayrischen K o n k o r d a t von 1817 u n d i n einer Reihe von Zirkumskriptionsb u l l e n für Preußen (De salute a n i m a r u m 1826), Hannover (Impensa Roman o r u m 1824), oberrhein. Kirchenprovinz (Provida sollersque 1826 u n d A d dominici gregis custodiam 1827).

§ 87. Die Länder als Freistaaten

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§ 87. Die Länder als Freistaaten M i t dem Zusammenbruch des Reiches i m Jahre 1918 vollzog sich auch der der Länder. D i e konstitutionellen Monarchien w u r d e n durch demokratisch-konstitutionelle Freistaaten ersetzt. D i e F o r m der Umbildung w a r überall die gleiche, indem nach A b d a n k u n g der Fürsten und Ausrufung der Republik verfassunggebende, nach freiheitlichem Wahlrecht berufene Versammlungen eine neue Verfassung beschlossen. D e r Inhalt w a r i n wesentlichen Punkten durch die Reichsverfassung festgelegt. So mußte die Verfassung eine freistaatliche sein. D i e Regierung mußte i n Abhängigkeit vom Vertrauen der Volksvertretung gebracht, also das parlamentarische System durchgeführt werden. Diese selbst mußte gewählt werden von allen reichsdeutschen Männern und Frauen i n allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer W a h l nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Teils infolge dieser grundlegenden Vorschriften der Reichsverfassung, teils infolge des gleichmäßigen Einflusses der Zeitströmung, teils auch infolge des geringen Raumes, den das Reich dem staatlichen Leben der Länder offen ließ, entstanden so Verfassungen, die n u r wenig voneinander verschieden sind. D i e Staatsgewalt w a r d dem Volke zugeschrieben. Dessen Einfluß machte sich unmittelbar geltend i n der W a h l der Volksvertretung, i m Volksbegehren und i n der Volksabstimmung, mittelbar i n der Erk l ä r u n g von Vertrauen oder Mißtrauen gegenüber der Regierung durch die Volksvertretung. Auch stand dem V o l k e das Recht zu, die Auflösung der Volksvertretung herbeizuführen. Diese w a r fast i n allen Staaten aus nur einer Kammer gebildet. N u r i n Preußen gab es einen Staatsrat neben dem Landtag, ein Seitenstück zum Reichsrat der Reichsverfassung. Durchweg fehlte eine präsidiale Spitze. D i e zur L e i t u n g der Geschäfte berufenen Minister, die i n ihrer Gesamtheit das Staatsministerium (Landesregierung) bildeten, w u r d e n entweder vom Landtag unmittelbar gewählt oder durch den allein so gewählten Ministerpräsidenten ernannt. Dieser führte i n einigen Staaten die Bezeichnung Staatspräsident. Durch die Umwälzung von 1933 ist die Verfassung der Länder zunächst nicht geändert worden. Doch w u r d e n durch das vorläufige Gleichschaltungsgesetz vom 31. 3. und 27. 4. 1933 die einzelstaatlichen Landtage von Reichs wegen aufgelöst und deren W a h l neu geordnet. Durch ein zweites vom 30.1. 1935 (Reichsstatthaltergesetz) wurde die Einrichtung von Reichsstatthaltern i n den einzelnen Ländern geschaffen, ausgenommen Preußen, wo der Ministerpräsident die Befugnisse des Statthalters hatte. Zugleich w u r d e n Mißtrauensbeschlüsse des Landtags gegen Vorsitzende und Mitglieder von

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Landesregierungen als unzulässig erklärt. I n dieser Gesetzgebung setzte sich das 1919 nicht durchgedrungene Streben nach Unitarisierung des Reiches fort. Endlich w u r d e n durch das Gesetz vom 30. 1. 1934 über den Neuaufbau des Reichs die Volksvertretungen der Länder aufgehoben u n d die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übertragen. D a m i t blieben die Länder zwar i n ihrer historischen Gegebenheit erhalten, w u r d e n aber zu Verwaltungsbezirken des Reichs, was i n dem Gesetz vom 14. 2.1934 über die Aufhebung des Reichsrats zu deutlichstem Ausdruck kam. Eine Neugliederung i n Gaue sollte die historischen Grenzen der Länder weitgehend aufheben, k a m aber — zumal wegen des von Preußen herrührenden Widerstands — nicht mehr zur Durchführung. A n s c h i i t z - T h o m a , Handbuch (s. § 85).

§ 88. Städte und Landgemeinden I. Unter den Städten stehen für sich die vier freien Städte F r a n k f u r t (bis 1866), Bremen, Hamburg und Lübeck. Sie waren und die drei letztgenannten blieben noch selbständige Territorien. Daher waren sie Mitglieder des Deutschen Bundes. D i e Hansastädte waren Mitglieder des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches von 1871, zählten daher auch zu den Ländern der Weimarer Verfassung. D i e Bestimmung der Wiener Schlußakte über die Einführung einer landständischen Verfassung konnte auf die freien Städte nicht angewandt werden. So beruhte deren Verfassung zunächst auf den schon v o r 1806 geltenden Statuten, die nach Beendigung der französischen Herrschaft wiederhergestellt wurden. U m die M i t t e des Jahrhunderts machten sich auch hier Reformbewegungen geltend, die zu neuen Verfassungen führten. Danach stand die Staatsgewalt dem Senat und der Bürgerschaft zu, die m i t Regierung und Volksvertretung i n den konstitutionellen Monarchien verglichen werden können. D i e Bürgerschaft wurde von der Bevölkerung gewählt. D e r Senat w a r ein ebenfalls gewähltes K o l l e g i u m von 14 bis 18 Mitgliedern, die zum T e i l Juristen und Kaufleute sein mußten. I h r e W a h l stand einem aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft gebildeten W a h l k ö r p e r zu. D e r Senat wählte aus seiner M i t t e einen oder zwei Bürgermeister. D i e freien Städte waren schon vor 1919 Republiken. Gleichwohl waren auf G r u n d der Verfassung von 1919 Veränderungen erforderlich, die i n neuen Verfassungen (Bremen 1920, Lübeck 1920—1925, Hamburg 1921) durchgeführt wurden. Sie betrafen v o r allem die Stellung des Senats, der nun des Vertrauens der Bürgerschaft bedurfte, und die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. A u d i diese Verfassungen sind

§ 88. Städte und Landgemeinden

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i m Zuge der „Verreichlichung" außer K r a f t gesetzt worden; Bremen und H a m b u r g wahrten aber bis 1945 eine gewisse Selbständigkeit. II. D i e Entwicklung der übrigen Gemeinden bewegte sich im 19. Jahrhundert um die Durchführung und Ausgestaltung der freien Selbstverwaltung 1 . Sie ist i n den einzelnen Staaten sehr verschieden verlaufen und auch durch die Bewegung von 1848 beeinflußt worden. Weitere Reformen erfolgten um 1870. Während i m größeren T e i l des Gebiets Stadtgemeinden und Landgemeinden eine ungleiche Regelung erfuhren, w u r d e n sie i m Westen und Südwesten gleich behandelt. Diese Gleichbehandlung hat sich allmählich auf den ganzen Süden und auf Teile von Mitteldeutschland ausgedehnt. M i t diesem Unterschied kreuzte sich ein solcher des Verfassungsaufbaus. Geht man von den Städten aus, so standen sich Stadtvorstand und Stadtverordnete als Organe gegenüber. D e r Stadtvorstand bestand entweder aus einem K o l l e g i u m (Bürgermeister und Stadträte, Magistrat, Stadtrat) w i e nach der f ü r die Entwicklung der städtischen Selbstverwaltung hochbedeutsamen Steinschen Städteordnung von 1808, schon früher nach der württembergischen Communordnung von 1758 und i n den nördlichen und östlichen Gebieten (MagistratsVerfassung), oder er w a r bürokratisch organisiert, so daß n u r eine Person (Bürgermeister, Stadtschultheiß) der Stadtvorstand w a r (rheinisches Bürgermeistersystem). I h m stand die vollziehende Gewalt zu. D i e Stadtverordneten (Gemeindebevollmächtigte, Bürgervorsteher) w u r den von den Bürgern gewählt. Sie hatten insbesondere das Recht der Kontrolle der durch den Magistrat geführten Regierung u n d waren an der Finanzverwaltung u n d Gesetzgebung beteiligt. Eine d r i t t e F o r m w a r das Gemeinderatssystem (Bayern 1927, Württemberg 1930), bei dem den Stadtverordneten (Gemeinderat) auch die vollziehende Gew a l t übertragen war. Eine Gemeindeversammlung bestand regelmäßig nicht. D i e Landgemeinden hatten n u r einen Gemeindevorsteher (Bürgermeister, Schultheiß), neben dem ein Gemeindeausschuß (Gemeinderat, Bürgerausschuß) stand oder, i n kleineren Gemeinden, die Gemeindeversammlung. I n den Ländern, die Stadt- u n d Landgemeinden nicht schieden, w a r entweder die Verfassung der Stadt der der Landgemeinde gleichgebildet worden oder umgekehrt. Durch das Gleichschaltungsgesetz vom 31. 3.1933 w a r n u r die Zusammensetzung der gemeindlichen Selbstverwaltungsorgane berührt worden, nicht deren Bestand. Dagegen hat das preußische Gesetz vom 1 Jedenfalls i n einzelnen Gebietsteilen, wie ζ. B. i m Rheinland, handelt es sich dabei nicht u m eine völlige Neuerung, sondern u m A n k n ü p f u n g an w e i t ältere Verhältnisse.

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15.12.1933 die kollegialen Gemeindebehörden überhaupt beseitigt, die Ernennung des Gemeinde Vorstands (Bürgermeister, Schulze) und beratender Beiräte durch die Aufsichtsbehörde eingeführt und die Staatsaufsicht gesteigert. Seit 1. 4. 35 endlich galt f ü r alle Gemeinden eine einheitliche deutsche Gemeindeordnung. A n s c h ü t z , Lehrbuch (s. § 84) 408. A n s c h ü t z - T h o m a , Handbuch (s. § 86) I 679. 697. O. G i e r k e , D i e Steinsche Städteordnung (09). S t e i n b a c h , Geschichtl. Grundlagen d. kommunalen Selbstverwaltung i n Deutschland (32). B e c k e r , Verf. u. Verw. der Gemeinden d. Rheingaus v. 16. bis z. 18. Jahrh. (30). D e r s . , Gemeindliche Selbstverwaltung 1 (41).

4. Strafrecht und Prozeß § 89. Strafrecht I. D i e Entwicklung des Strafrechts i n der Neuzeit hat eine Reihe von Stadien durchlaufen. Zunächst w a r der trotz salvatorischer Klausel k a u m irgendwo fehlende Einfluß der Carolina so stark, daß deren Recht als das herrschende Strafrecht galt (s. o. § 68) und i n die Landesgesetzgebung aufgenommen wurde 1 . Durch die Praxis wurde es umgeformt zum gemeinen Strafrecht, dessen Richtung und Inhalt von den führenden Kriminalisten, von Matthias Berlich (1586—1638) u n d noch entschiedener u n d autoritativ v o n Benedikt Carpzov (1595—1666)2 bestimmt w;urden. I n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Strafrecht von den Gedanken der A u f k l ä r u n g und des Naturrechts erfaßt und von der gleichgerichteten Schrift des Italieners Beccaria, D e i d e l i t t i e delle pene (1764) maßgebend beeinflußt 3. Dies bedeutete eine M i l d e r u n g u n d Humanisierung des Strafrechts und der Strafrechtspflege, die unter der E i n w i r k u n g der Wissenschaft i n W i l l k ü r und Zuchtlosigkeit entartet war. A m eindringlichsten trat dies i n den Hexenprozessen zutage. D i e Gesetzgebung unter Friedrich II., das preußische allgemeine Landrecht und 1 Neben der Carolina sind eine wichtige Quelle des Strafrechts die Reichspolizeiordnungen (s. o. § 68), die vor allem wirtschaftliche D e l i k t e (Wucher, Bankrott, Preistreiberei), Bettelei, K o n k u b i n a t , Landfriedensbruch, Gotteslästerung, Fluchen, Schwören, Pasquillen u n d Preßvergehen regeln. Eingehend hierüber v. H i p p e l a. u. a. O. 213. S e g a 11, Gesch. u. Strafrecht d. Reichspolizei Ο. (13). N u r p a r t i k u l ä r i n K r a f t getreten sind Duellmandate. 2 S.o.§71. Berlich beschränkte sich auf sächsisches Recht,während Carpzov das gemeine deutsche Recht behandelte. Doch ist dieser von j e n e m stark abhängig, was zu dem Spruch geführt hat: nisi Berlichius berlichiasset, Carpzovius non carpzoviasset. 3 D i e Vertreter des Naturrechts s. o. § 64 I I . Neben den dort genannten haben auf das Strafrecht besonderen Einfluß ausgeübt Montesquieu, Rousseau u n d Voltaire. Uber Beccaria vgl. G r a ν e η , i n „Grandes Figures et Grandes Oeuvres Juridiques" (48).

§ 89. Strafrecht

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die strafrechtlichen Gesetze Josephs II. brachten die Veränderung zu entschiedenem Ausdruck, im Gegensatz zu dem noch rückständigen Codex iuris bavarici criminalis (1751) und der Constitutio criminalis Theresiana (1769)4. Mit dem 19. Jahrhundert setzte der Kampf der Strafrechtstheorien ein, die sich um die Frage nach dem Strafzweck bewegten. Durch Kant war (1797) der Vergeltungsgedanke zum Grundprinzip erklärt worden, durch Stübel (1795) und Grolmann (1798) die Spezialprävention, durch Anselm Feuerbach in überlegener Gestaltung und mit durchgreifendem Erfolg die Theorie der Generalprävention 5 durch den in der Strafdrohung liegenden psychologischen Zwang (1799—1800). Auf dieser beruht das bayrische Strafgesetzbuch von 1813. Das epochemachende preußische Strafgesetzbuch von 1851 ist eine im wesentlichen selbständige, wenn auch vom Code pénal beeinflußte Leistung, deren Bedeutung allerdings weniger auf der Neuheit seiner Anschauungen, als auf der sachlich und formal ausgezeichneten Verarbeitung der seit der Aufklärung wirksamen Gedanken beruhte. Auf ihm konnte dann das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 aufbauen 6. Dieses ist seitdem durch verschiedene Teilgesetze geändert worden, im ganzen aber heute noch in Kraft. II. Die allgemeine Terminologie des Verbrechens ist in der Neuzeit teilweise ungenau geworden. Ausdrücke wie „untat", „unzuht", „frevel", „missethat" und ähnliche entbehren scharfer begrifflicher Grenzen. Klar abgeschieden sind jedoch durch ihre Behandlung in der Carolina die schwersten Verbrechen als die mit peinlicher Strafe bedrohten „halsgerichte", für die auch „malefizsache", „criminalsache" gebraucht und später eine Scheidung in leichte, schwere und überschwere (crimina levia, atrociora, atrocissima) durchgeführt wird. Erst dem gemeinen Strafrecht gehört der Begriff der crimina extraordinaria an, die mit einer poena extraordinaria bestraft werden. Er führte zu einer willkürlichen Straf schärfung oder auch Strafmilderung und zur Bestrafung von Taten, die zwar gesetzlich nicht mit Strafe belegt waren, aber dem Richter strafwürdig schienen7. 4 Insbesondere stellte das Strafrecht des A L R . durch die K l ä r u n g einzelner Verbrechensbegriffe, die Aufstellung von Strafrahmen u n d damit die Ermöglichung der Anpassung'der Strafe an den einzelnen F a l l , ferner die A b stellung auf die salus publica einen wesentlichen Fortschritt dar. Vgl. dazu E b. S c h m i d t , Einf. i. d. Gesch. d. d. Strafrechtspflege (47) §§ 203 ff. 6 Revision der Grundsätze u n d Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts (1799—1800). S. o. § 71 A n m . 30. 6 Es war noch als Gesetz des Norddeutschen Bundes beschlossen worden (31.5.1870). 7 D e r Grundsatz n u l l a poena sine lege erscheint zuerst i n der Josephina. D i e Carolina hatte n u r die peinliche Bestrafung (Leibes- u. Lebensstrafe) auf die von i h r genannten Fälle beschränkt.

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I V . Die Neuzeit

N o d i später k a m es zur Einteilung der D e l i k t e i n Privatverbrechen und öffentliche Verbrechen, w o f ü r die Person des Verletzten (Gesamtheit — Einzelner) entscheidend war. Aus dem französischen Recht übernahm man (Bayern, Preußen, RStGB.) die D r e i t e i l u n g der D e l i k t e i n Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, abgegrenzt durch die Schwere der angedrohten Strafe. I m übrigen w a r die Wertung der D e l i k t e von der Staatsform, von Weltanschauungen und wirtschaftlicher Theorie abhängig. D e r durch die Carolina vermittelte und auch unmittelbar ausgeübte Einfluß der italienischen Strafrechtswissenschaft 8 machte sich am stärksten geltend i n der Anerkennung des Grundsatzes der Schuldhaftung und i n der Erfassung der allgemeinen strafrechtlichen Begriffe 9 . Fehlt es auch i n der Carolina noch an einer k l a r e n Erkenntnis der Verursachung, so sind doch die Schuldarten und die Zurechenbarkeit, Notwehr, Versuch und Teilnahme schärfer erfaßt u n d teilweise abstrakt vorgestellt. D e r „geverlich" oder „fürsetzlich" ( = überlegt) verübten und grundsätzlich allein strafbaren Tat w u r d e die gegenübergestellt, die fahrlässig 1 0 , aus „unfleiß" oder „ u n k u n s t " geschah, ferner von „ u n geverlicher entleibung" gesprochen, von der Tötung, die „auss geylheitt oder unfursichtigkeit" verübt wurde. Wesentlich schärfer w u r d e diese Unterscheidung i m 18. Jahrhundert durchgeführt, w o zum Beispiel i n der Theresiana der „böse vorsatz", die „blosse schuldtragung" und der „ z u f a l l " nebeneinander stehen. D i e Verantwortlichkeit M i n d e r j ä h r i g e r w u r d e i n der Carolina noch nicht geregelt, aber doch für den F a l l des Diebstahls von einer Strafmündigkeitsgrenze von vierzehn Jahren ausgegangen u n d daneben berücksichtigt, ob nicht i m einzelnen F a l l „die bosheit das alter erfüllen möcht". D i e „rechte n o t w e r " w u r d e straflos gestellt, wenn sie auch w i e bis i n das 18. Jahrhundert n u r i m Zusammenhang m i t Angriffen auf Leib und Leben behandelt wurde. D e r Versuch (mit etlichen scheynlichen wercken die zu volbringung der misstat dienstlich sein mögen) w u r d e i n verschiedene Stadien abgestuft (conatus remotus, propin8 D i e bedeutendsten italienischen K r i m i n a l i s t e n des 13.—15. Jahrhunderts u n d deren A r b e i t e n sind Albertus Gandinus (um 1300), De maleficiis (dazu K a n t o r o w i c z , A l b e r t u s Gandinus u. d. Strafrecht d. Scholastik I. I I [07—26]) u n d Angelus Aretinus (f 1450), Tractatus de maleficiis. Neben ihnen sind zu nennen die Postglossatoren Cinus (1270—1335), Bartolus (1314—57) u n d Baldus (1328—1400). Erst nach dér Rezeption w i r k t e Julius Clarus (1525 bis 1575). Vgl. ν. M ö 11 e r , Julius Clarus (11). 9 Daß sich die Begriffe u n d Tatbestände der Carolina nicht durchweg durchsetzten, zeigt S c h a f f s t e i n , D i e Carolina i n i h r e r Bedeutung für die strafrechtliche Begriffsbildung, ZgesStrW. 52 (32) 781. 10 K a d e c k a , Zur Etymologie des Wortes Fahrlässigkeit, ZgesStrW. 53 (33) 135.

§ 89. Strafrecht

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quus, proximus), auch der Rücktritt vom Versuch berücksichtigt. Konnte in diesem Fall Straflosigkeit eintreten, so beim conatus proximus Bestrafung gleich dem vollendeten Verbrechen. Mittäter und Teilnehmer wurden in der Carolina noch nicht scharf geschieden, als „thätter" alle behandelt, die „eynander hilff vnd beistandt thun". Späterhin wurde der Anstifter (besteller) klar abgegrenzt und meist gleich dem Täter bestraft, der Mittäter (miturheber) vom Gehilfen durch das Handeln in ipso delicto unterschieden, nicht durchweg aber die Teilnahme von der Begünstigung. III. Von den früheren Strafen hat die Carolina die Todesstrafe in den altèn Formen übernommen aber ihrer wie auch der Leibesstrafen Anwendung feste Grenzen gezogen. Im Vordergrund standen die Hinrichtung durch den Strang, das Rädern und die Hinrichtung mit dem Schwert. Je nachdem das Zerstoßen mit dem Rad an den Beinen oder am Hals (Gnadenstoß) begonnen wurde, schied man (ζ. B. Theresiana) die schwerere Art des Räderns von unten her von der leichteren von oben her. Außerdem kannte die Carolina den Feuertod, die Vierteilung und das Ertränken. Durch Schleifen zur Richtstatt und Reißen mit glühenden Zangen konnte die Todesstrafe verschärft werden. Teils die Carolina, teils andere Quellen kennen als Verschärfung das Handabhauen, Riemenschneiden, Ausreißen der Zunge, Mitertränken von Tieren (Hund, Affe, Katze, Hahn, Schlange), das Aufflechten des toten Körpers auf das Rad, seine Verbrennung oder Vierteilung. Schon im gemeinen Strafrecht sind trotz der Anwendung arbiträrer Strafen, zum Teil gerade auf Grund der arbiträren Strafgewalt des Richters Milderungen bei Anwendung der Todesstrafe eingetreten. Die Aufklärung hat dann zu partikulärer, allerdings nicht überall dauernder Abschaffung der Todesstrafe geführt (Österreich 1787—1796), fast überall wenigstens zu einer Einschränkung (Preußen seit 1743)11. Die Vielzahl der Hinrichtungsarten ist durch eine einzige ersetzt worden, so zum Beispiel in Österreich durch den Strang, in Bayern durch das Schwert. Die Schärfung wurde in der Regel durch Ehrenstrafen bewirkt. An Verstümmelungsstrafen kannte die Carolina Abhauen der Hand, der Finger, Ausstechen der Augen, Ausschneiden der Zunge, Aushauen mit Ruten, wozu später die Brandmarkung kam. doch sind diese Strafen schon vor der Aufklärungszeit fast ganz verschwunden, namentlich für Inländer beseitigt worden. Nur die zuletzt genannten haben sich erhalten. Außerdem kamen zahlreiche Ehrenstrafen (Pran11 I m Rahmen der Bewegung von 1848 drängte der Liberalismus w i e d e r u m auf Abschaffung der Todesstrafe. Bei Erlaß des RStGB. bedurfte es des Eingreifens Bismarcks, u m sie v o l l durchzusetzen.

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ger, Ehrverlust) zur Anwendung, auch Geldstrafen und Vermögenseinziehung. D i e Theresiana machte sogar noch von der Friedlosigkeit Gebrauch, indem der Verbrecher für vogelfrei e r k l ä r t und jedermann preisgegeben werden konnte. D i e geschichtlich bedeutsamste Erscheinung i m Strafensygtem der Neuzeit ist die Freiheitsstrafe, die aber noch i n der Theresiana m i t Schandstrafen und Arbeitsstrafen unter dem Oberbegriff der Leibesstrafen auftritt. Bei der Landesverweisung und Stadtverweisung auf Zeit oder auf ewig wie bei der Verstrickung (Konfinierung) handelt es sich um schon alte Formen. Neu aber w a r i n A r t u n d Umfang der Verwendung die Gefängnisstrafe. Sie trat auf dem Kontinent zuerst auf i n Holland, und zwar i n Amsterdam als Zuchthaus f ü r Männer (1595) und als Spinnhaus f ü r Frauen (1597). Von da wurde sie zunächst i n den Hansastädten übernommen (1600) u n d verbreitete sich i n der zweiten Hälfte des 17. und i m 18. Jahrhundert über das ganze Gebiet, D e r ursprüngliche Zweck w a r Besserung und Erziehung durch Arbeit, Seelsorge und Unterricht, daher Arbeitstätigkeit der Gefangenen selbstverständlich. Seit der Aufklärungszeit wurde die Gefängnisstrafe unbedingt herrschend. M i t i h r berührte sich die Verurteilung zu A r b e i t i n öffentlichem Interesse, wie auch Zuchthaus und Arbeitshaus ineinander übergehen. Doch zeigte sich ein merklicher Verfall des Strafvollzugs, der i m 19. Jahrhundert zu einer wiederum an holländisches, aber auch an amerikanisches V o r b i l d anknüpfenden Reform i n der Richtung auf humane und erziehliche Ausgestaltung führte. I V . Alles Straf recht t r u g seit der Carolina öffentlichrechtlichen Charakter. Es gab daher keine Ablösung der Strafe durch den Verbrecher (Ledigung) u n d k e i n Richten nach Gnade. Dagegen kannte die Carolina wie die späteren Gesetze das System der arbiträren (willkürlichen, außerordentlichen) Strafe, das es dem Richter überließ, zwischen verschiedenen Strafen oder Formen der gleichen Strafe „nach gelegenheit und ergernus der vbelthat", „nach gelegenheit der verbrechung", zu wählen. I n der Carolina findet sich auch die bei ungenügendem Beweis, aber Uberzeugung des Richters von der Schuld verhängte V^rdachtsstrafe. S. Schriftt. zu § 60. G e i b , Lehrb. d. deutschen Strafrechts (1861). ν. B a r , Gesch. d. deutschen Sjrafrechts (1882). v. H i p p e l , Deutsches Straf recht I (25). B r u n n e n m e i s t e r , D i e Quellen d. Bambergensis (1879). E n g e l m a n n , D i e Schuldlehre der Postglossatoren (1895). D a h m , Das Straf recht Italiens i m ausgehenden M A . (31). L o h e , D i e allgem. strafrechtl. Begriffe nach Carpzow (1894). S c h a f f s t e i n , Tiberius Decianus u. seine Bedeutung f. d. Entsteh, d. Allgem. Teils, Deutsche Rechtsw. 3 (38) 121. G w i n n e r , Einfluß d. Standes i m germ. Straf recht (34). H e n n i n g s , Das Hamburg. Strafrecht i m 15. u. 16. Jahrh. (40). K l e e , D i e Strafrechtstheorien d. Ca-

§ 9 0 . StrafproizeB

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rolina u. d. Carpzow, ZvglRW. 15 (02) 220. E b . S c h m i d t , D i e Carolina, ZRG. 53 (33) 1. D e r s., Strafrechtspflege u. Rezeption, ZgesStrW. 62 (42) 231. O p p e r m a n n , D i e Schuldlehre d. Carolina (04). Κ n e t s c h , D e r Begriff d. Notwehr nach d. peinl. Halsgerichtsordnung K a r l s V. (06). R i t t e r , D i e Behandlung schädl. Leute i n d. Carolina (30). R a d b r u c h , D e r Raub i n d. Carolina, Festschr. Pappenheim (31) 37. K l e e , D i e fahrlässige Tötung, GoldtArch. 62 (16) 394. — S c h i n d l e r , Verbrechen u. Strafen i m Recht der Stadt F r e i b u r g i. Br. (37). E b . S c h m i d t , E n t w i c k l u n g u. Vollzug d. Freiheitsstrafe i n Brandenburg-Preußen (15). D e r s . , Neue Forschungen über den Ursprung der modernen Freiheitsstrafe, ZSchwStrR. 62 (47) 171. L u c h t , D i e Straf rechtspflege i n Sachsen-Weimar-Eisenach unter K a r l August (29). ν. H i ρ ρ e 1, Beiträge ζ. Gesch. d. Freiheitsstrafe, ZgesStrW. 18 (1898) 419. 608. B o h n e , D i e Freiheitsstrafe i n d. italien. Stadtrechten I (22) I I (1925; dazu Eb. Schmidt, ZgesStrW. 45, 309. 46, 152. 50, 632). v. W e b e r , D i e Entwicklung des Zuchthauswesens i n Deutschland i m 17. u n d 18. Jahrh., Festschrift Zycha (41) 427. S c h a f f s t e i n , D i e allgem. Lehren v. Verbrechen i n i h r e r E n t w . durch d. Wissenschaft d. germ. Strafr. (30). D e r s . , Beiträge z. Strafrechtsentw. v. d. Carolina bis Carpzow, Gerichtssaal 101 (31) 14.

S 90. Strafprozeß D i e schon i m Mittelalter einsetzende Entwicklung des Verfahrens (s. §61) führte zu einer Trennung und verschiedenen W e i t e r b i l d u n g des Zivilprozesses und des Strafprozesses, die dementsprechend gesondert zu behandeln sind. Dabei w a r allerdings die Trennungslinie nicht schlechthin durch die Strafe gegeben. Vielmehr wurde i m Strafprozeß zunächst n u r die peinliche Strafe verhängt, während Taten, die nur m i t bürgerlicher Strafe zu ahnden waren, i m Zivilprozeß verfolgt wurden. Erst allmählich hat sich dies geändert, so daß aus dem peinlichen Prozeß ein Strafprozeß i m W o r t s i n n werden konnte. I. D e r peinliche Prozeß w a r seit 1532 geregelt i n der Carolina, die hier wie i m Strafrecht auf den Schriften der italienischen Juristen ruhte, u n d hat von da aus dem i m deutschen M i t t e l a l t e r als Offizialverfahren durchgeführten Inquisitionsprozeß, F o r m u n d Ordnung gegeben. Sie kannte neben dem dem älteren deutschen Recht entsprechenden Akkusationsprozeß, bei dem sich p r i v a t e r Kläger, Angeklagter und Gericht gegenüberstanden, den i m Mittelalter entwickelten Inquisitionsprozeß, bei dem ein privater A n k l ä g e r fehlte, und der Angeklagte aus einem Subjekt des Prozesses zu dessen O b j e k t geworden war. Aber auch der Akkusationsprozeß w u r d e n u r als solcher begonnen, dann unter weitgehendster Ausschaltung des Klägers ex officio und inquisitorisch weitergeführt, so daß sich die beiden Verfahren n u r i n der F o r m der Einleitung unterschieden. Das Verfahren begann m i t einer Klage, die entweder vom Verletzten erhoben wurde oder „ v o n amptswegen" und dann mancherorts durch eine besonders dazu bestellte Gerichtsperson (statkläger,

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inziditer, fiscal) 1. Der Angeklagte wurde sodann in Haft genommen, ebenso der private Kläger, wenn er nickt für die Kosten des Freisprudis Bürgen oder andere Sicherheit bestellte. Gestand der Angeklagte, so wurde er nach eingehender Nachprüfung seiner „bekantnus" (urgicht) verurteilt. Leugnete er die Tat, so konnte er durch zwei oder mehr „gnugsame zeugen", die auf Grund eigener Erfahrung aussagten, überführt und verurteilt werden. Fehlte solche „beweysung", so kam es darauf an, ob durch gesetzlich festgelegte und beweisbare Umstände ein hinreichender Verdacht begründet, eine „gnugsame anzeygung" gegeben war. Eingehend war geregelt, was als „gemeine anzeygung", was als „anzeygung auff sonderlich missethatt" zu gelten habe. Das Vorliegen ausreichender Indizien führte aber nicht zur Verurteilung, sondern nur zur Anwendung der Folter (peinliche frage, marter). Das Verfahren von Amts wegen nahm seinen Ausgang von schlechtem Leumund oder anderen Indizien, auf Grund deren der Verdächtige „von der oberkeyt vnd ampts wegen" angenommen wurde. Doch durfte zur Folter nicht geschritten werden, ohne daß das Verbrechen als begangen festgestellt war. Es mußte im Sprachgebrauch der Italiener „liquide constare de delicto" oder das „corpus delicti", die Gewißheit des Verbrechens vorhanden sein2. Zweck der Folter war entsprechend dem Streben nach Erforschung der materiellen Wahrheit die Erzielung eines Geständnisses3, da nur dieses zu einer Verurteilung führen konnte (confessio regina probationum). Jedoch war das Geständnis in der Folter nicht entscheidend. Vielmehr wurde der Angeklagte nach der Folter wiederholt auf die Klagebeschuldigung hin gefragt, bei nochmaligem Leugnen freigesprochen, bei Geständnis aber nach dessen Prüfung verurteilt. Es gab also wie im früheren Prozeß keine freie Beweiswürdigung, aber auch nicht einen formalen Beweis. Vielmehr war der Richter durch gesetzliche Beweisregeln gebunden, deren Einhaltung einen materiellen Beweis sichern sollte. Den Abschluß des Verfahrens bildete auf Antrag des Klägers oder des Beklagten der „entlich rechttag", in dem formell der Grundsatz der Mündlichkeit und der der Öffentlichkeit aufrechterhalten waren. Zu ihm fanden sich die Parteien, der Angeklagte durch „nachrichter" und „gerichtsknecht" vorgeführt und, 1

E b. S c h m i d t , Fiskalat u. Strafprozefi (21). H a l l , D i e Lehre vom Corpus delicti (33). 8 D i e spätere Zeit hat die maßvolle A r t , i n der die Carolina die Folter angewandt wissen wollte, i n das Gegenteil verkehrt. Das Hauptanwendungsgebiet der Folter w u r d e n die Hexenprozesse, wo i n ebenso unverständiger wie grausamer Weise von i h r Gebrauch gemacht wurde. Uber diese S ο 1 d a n - H e p p e - B a u e r , Gesch. d. Hexenprozesse, I. I I (12). v. W ä c h t e r , Beitr. z. deutschen Gesch. (1845) 83. 279. E b . S c h m i d t a. a. O. § 202. 2

§ 90. Strafprozeß

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soweit ortsüblich, beschrien 4, der Richter und die Schöffen ein. Das Gericht wurde feierlich gehegt. Durch aus dem Gericht beigeordnete „fürsprecher" wurde die Klage vorgetragen oder schriftlich überreicht, von Seiten des Angeklagten bei Geständnis um Gnade oder bei Leugnung um Freispruch gebeten. Darauf wurde das schon schriftlich festgelegte „endurtheyl" verlesen, über den Verurteilten vom Richter der Stab gebrochen5 und er dem Nachrichter übergeben. Dem Freigesprochenen wurde anheimgegeben, sich am privaten Kläger im bürgerlichen Verfahren zu erholen. Rechtsmittel waren der Carolina unbekannt. Für zweifelhafte Fälle ordnete die Carolina die „ratsuchung" an. Es erfolgte eine Aktenversendung an den Oberhof und, falls ein solcher fehlte, im Akkusationsverfahren an dib Obrigkeit, im Inquisitionsverfähren an hohe Schulen, Städte oder andere Rechtsverständige. Die angegebene Stelle hatte das Urteil zu fällen, das dann im Gericht nur verlesen wurde. Außerdem konnten auch die Parteien verlangen, daß auf ihre Kosten Rat eingeholt wurde. II. In der Praxis und in den Territorien wurden die dürftigen Reste des Anklageverfahrens, die die Carolina noch belassen hatte, aufgegeben. Der Inquisitionsprozeß wurde bis in seine letzten Folgerungen durchgeführt. Die Klage verschwand, und es gab nur noch eine Anzeige, auf die hin das Gericht vom Amts wegen das Verfahren aufnahm. Ebenso entfiel die Formalität des endlichen Rechttags. Innerhalb des Gerichts wurde die Entscheidung in die alleinige Hand des Richters gelegt. Die Schöffen wurden für die Urteilsfindung belanglose Solennitätszeugen oder verschwanden überhaupt. Das ganze Verfahren war schriftlich und heimlich. Der Einfluß der Aufklärung machte sich nur langsam, geltend. In Preußen wurde 1740 die Folter abgeschafft 6, 1767 in Baden, 1776 in Österreich, 1779 (völlig erst 1806) in Bayern. Um so üblicher wurde es, zum Teil sogar angeordnet, bei ausreichenden Indizien zu einer poena extraodinaria, der später so genannten Verdachtsstrafe, zu verurteilen oder bei Geringfügigkeit der Indizien nur rebus stantibus freizusprechen und damit eine Neuaufnahme des Verfahrens zu ermöglichen (sogenannte Instanzenentbindung) 7 . Im übrigen wurde der Inquisitionsprozeß noch 1803 in Österreich, 1805 in Preußen, 1813 in Bayern gesetzlich geregelt. 4

S. o. § 61 II. v . M ö l l e r , D i e Rechtssitte des Stabbrechens, ZRG. 21 (00) 27. v. A m i r a, Der Stab i n der german. Rechtssymbolik (09) 103. 6 Ausgenommen waren die Fälle der Majestätsbeleidigung, des Landesverrats u n d „große Mordtaten, wo verschiedene Menschen umgebracht sind oder wider die M i t i n q u i s i t e n anders nicht i n q u i r i e r t werden kann". 7 A l l m a n n , Außerordentliche Strafe u n d Instanzentbindung (08). 5

v. S c h w e r i n ,

Grundzüge der deutschen Rechtsgeechichte

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I V . Die Neuzeit

I I I . Eine grundlegende Änderung trat erst unter französischem Einfluß ein. I n Frankreich w a r 1808 der Code d'instruction criminelle i n K r a f t getreten, dessen Verfahren auf den Grundsätzen der Mündlichk e i t und Öffentlichkeit beruhte, dem A u f b a u nach ein Anklageverfahren w a r und Geschworenengerichte (cour d'assises) anwandte, also den Laien eine Teilnahme an der Rechtsprechung einräumte. Dieser Code wurde i m linksrheinischen Gebiet während der französischen Besetzung geltendes Recht. Nach deren Beendigung galt er als partikuläres Recht, als rheinischer Strafprozeß weiter. I m übrigen Deutschland wurde die Forderung auf Einführung der genannten Grundprinzipien i n die Partikularprozesse immer wieder erhoben. Sie ist jedoch zunächst nicht durchgedrungen. Erst unter dem Einfluß der Germanistenversammlungen i n F r a n k f u r t und Lübeck (s. o. § 71) u n d der Grundrechte von 1848 wurde i n einer Reihe von Staaten der Strafprozeß nach dem Muster des französischen Verfahrens geändert, so i n Bayern 1848, Preußen 1849, Österreich 1850. N u r wenige Staaten hielten am Inquisitionsprozeß, allerdings m i t einzelnen Änderungen, fest 8 . D i e Laienbeteiligung w u r d e teils i n der F o r m der Schwurgerichte, teils i n der F o r m der Schöffengerichte eingeführt 9 . N u r eine Vereinheitlichung des damit überwiegend geschaffenen Rechtszustandes stellt die Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 dar i n Verbindung m i t dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 22. Januar 1877. Auch sie ruht demgemäß auf den Grundsätzen des rheinisch-französischen Verfahrens. D i e Beteiligung von Laien fand bei Strafsachen unterster Ordnung i n den Schöffengerichten statt, bei schweren Strafsachen i n den Schwurgerichten. Mittelschwere Strafsachen und einzelne schwere w u r d e n ausschließlich Juristen zugewiesen, den landgerichtlichen Strafkammern und dem Reichsgericht. Diese Prozeßordnung ist inzwischen ersetzt worden durch eine Neufassung vom 22.3. 1924, das Gerichtsverfassungsgesetz durch eiije solche vom gleichen Tage 1 0 . D a m i t wurde das Schwurgericht i m bisherigen Sinne wieder aufgehoben. D i e noch immer so genannten Schwurgerichte sind i n W i r k l i c h k e i t Schöffengerichte. Anderseits wurde das Schöffengericht i n die verschieden gestalteten landgerichtlichen Strafkammern aufgenommen, so daß grundsätzlich nur i n der Revisionsinstanz (Reichsgericht oder OLG.) ausschließlich Berufs8

So die beiden Mecklenburg u n d die beiden Lippe. Beim Schwurgericht sind Juristen u n d Laien i n zwei Kollegien geteilt, von denen jenes die Straffrage, dieses die Schuldfrage (im französischen Recht n u r die reine Tatfrage) entscheidet. I m Schöffengericht w i r k e n Juristen u n d Laien zusammen. M i t den Schöffen des älteren deutschen Rechts u n d denen der Carolina haben die der neuzeitlichen Schöffengerichte nichts zu tun. 10 Weitere Änderungen insbes. 1933 u. 1935. 9

§ 91. Zivilprozeß

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r i d i t e r tätig waren. A u d i dieser Aufbau der Strafgerichte ist inzwischen geändert worden. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ereignete sich ein zunehmender, während des zweiten W e l t kriegs geradezu schrankenloser A b b a u der lange u n d mühsam erkämpften rechtsstaatlichen Sicherungen gegen gerichtliche und polizeiliche W i l l k ü r . Namentlich die letztere, Untersuchungs- u n d Inhaftierungsmethoden, neben denen die des Mittelalters verblassen, haben die deutsche Rechtspflege verunstaltet. J o h n , A b r i ß d. Gesch. d. deutschen Strafverfahrens vom Jahre 1532 an, i n Holtzendorffs Enzyklopädie 6 (1890) 978. G l a s e r , Handbuch des Strafprozesses I (1883) 49. v. H i p p e l a. zu § 89 a. Ο. I 208. 209. 285. 311. — B i e η e r , Beiträge zur Gesch. d. Inquisitionsprozesses (1827). R. S c h m i d t , D i e H e r k u n f t d. Inquisitionsprozesses (02). D e r s . , Königsrecht, Kirchenrecht u. Stadtrecht beim A u f b a u d. Inquisitionsprozesses, Feststr. Sohm (15). Κ ö s 11 i η , Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens i m 19. Jahrh. (1849). S c h w i n g e , D e r K a m p f u m die Schwurgerichte bis zur F r a n k f u r t e r Nationalversammlung (26). S c h o e t e n s a c k , D e r Strafprozeß der Carol i n a (04). K e r n , Das neue Gerichtsverfassungs- u n d Strafprozeßrecht (34). E b . S c h m i d t , D i e Maximilianischen Halsgerichtsordnungen (49) 5ff., 48 ff., 74 ff. D e r s., Gesch. d. dtsch. Strafrechtspflege (47) §§ 346 ff., 358 ff.

§ 91. Zivilprozeß I. A u f dem Gebiet des Zivilprozesses liefen i n der Neuzeit zunächst zwei Verfahrensarten nebeneinander her, das des Reichskammergerichts (Kameralprozeß) und das des sächsischen Rechts. Jenes w a r i n erster L i n i e Verfahren am Reichskammergericht, wurde aber zufolge wiederholter Aufforderung des Reiches auch i n anderen Gerichten befolgt u n d erlangte auch da, w o es nicht durch die Landesgesetzgebung eingeführt war, vielfach subsidiäre Geltung. D e r Kameralprozeß beruhte auf dem italienischen prozeß, der auch i n den höheren Gerichten einzelner T e r r i t o r i e n unabhängig von i h m seit dem 14. Jahrhundert Eingang gefunden hatte. Es w a r dies u m so leichter möglich, als der m i t dem italienischen aufs engste verwandte kanonische Prozeß schon immer i n den geistlichen Gerichten i n Geltung w a r 1 . Durch den Jüngsten Reichs abschied (1654), die Praxis und die Territorialgesetzgebung der Folgezeit w u r d e der Kameralprozeß unter dem Einfluß des sächsischen Prozesses diesem angenähert u n d zum gemeinen Zivilprozeß umgebildet. Dieser g i l t bis i n das 18. Jahr1 O b e r , Rezeption der kanon. Zivilprozeßformen i m geistl. Gericht zu Straßburg, ArchkathKR. 90 (10) 599. Gleichzeitige Darstellungen des Prozesses geben Johannes Urbach, Processus iudiciarius (Muther, Jo. Urbach, processus i u d i c i i 1873. Muther-Landsberg, Johannes Urbach 1882), H e n n i n g Göde (1450—1521), I u d i c i a r i i ordinis processus (1538), Justus Gobier (1504 bis 1569), Gerichtlicher Prozeß (1536).

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hundert, seit dessen Ende er von der partikularen Rechtsbildung allmählich durch neue Verfahren ersetzt wurde 2 . I I . D e r Kameralprozeß begann i n der Regel m i t schriftlicher Einreichung der Klage. D a r a u f h i n wurde der Beklagte durch „ladungsb r i e f " zu einem T e r m i n geladen, i n dem i h m die Klage vorgelesen wurde. D e r Beklagte konnte Abschrift der Klage verlangen und einen neuen T e r m i n f ü r seine A n t w o r t . Erreichte der Beklagte i n diesem T e r m i n nicht sofortige Klagabweisung durch prozeßhindernde oder dilatorische Einreden, so erfolgte die die Einlassung feststellende Kriegsbefestigung (generelle litis contestatio) 3 . A n sie schloß sich ein beiderseitiger Gefährdeeid (iuramentum calumniae) 4 . Nunmehr hatte der Kläger die klagebegründenden Tatsachen, entsprechend der Beklagte die Einredetatsachen a r t i k u l i e r t vorzubringen, das heißt i n einzelne A r t i k e l oder Positionen aufgelöst. Uber jede einzelne Position mußte sich der Gegner erklären. D i e nicht bestrittenen Behauptungen galten als zugestanden (sog. poena confessi). Es herrschte also Verhandlungsprinzip. Uber die bestrittenen Positionen wurde i n das kommissarisch durchgeführte Beweisverfahren eingetreten auf G r u n d der n u n aufzustellenden Probatorialartikel. Dieses lief neben dem i n Repliken und D u p l i k e n weitergeführten Verfahren einher. Nach Beendigung des Beweisverfahrens und Erschöpfung der Tatsachenbehauptungen und Einreden erfolgte das „referre causam ad sententiam", der Abschluß der Verhandlung (concludere i n causa) und das U r t e i l 5 . D i e Unübersichtlichkeit und Schwerfälligkeit des Verfahrens wurde auch dadurch nicht beseitigt, daß man (seit 1570) vom Kläger die A r t i k u l i e r u n g der Klage schon bei Klageerhebung verlangte und auch sonst die gleichzeitige, eventuelle Vorbringung aller Behauptungen gleicher Funktion, aller Klagetatsachen, Prozeßeinreden, Sacheinreden (Eventualprinzip). Sie führte i n Verbindung m i t der Sehr if t2 Das Folgende berücksichtigt i n der Regel n u r den ordentlichen Prozeß. D i e außerordentlichen (summarischen) Verfahrensarten gehen aber auf i m Interesse der Beschleunigung ausgebildete Sonderformen des italienischen Prozesses zurück. So hängen Exekutivprozeß u n d Urkundenprozeß m i t der vertragsmäßigen U n t e r w e r f u n g des Schuldners unter die Vollstreckung (pact u m executivum) zusammen (B r i e g l e b , Gesch. d. Exekutivprozesses, 1839; d e r s . , E i n l e i t u n g i n die Theorie der summarischen Prozesse, 1859. Vgl. o. § 61 VI), Das Mahnverfahren m i t richterlichen mandata de solvendo ( S k e d l , Das Mahnverfahren, 1891). 3 S o h m , D i e l i t i s contestatio (14). 4 Dies war die eidliche E r k l ä r u n g , die i m Verlauf des Prozesses aufzustellenden Behauptungen der W a h r h e i t gemäß abzugeben. 5 Bei dessen Erlaß w a r die alte T r e n n u n g i n Richter u n d U r t e i l e r erhalten geblieben. W i e w e i t verbreitet sie sonst bis i n das 18. Jahrhundert war, zeigt L e η e 1, ZRG. 34 (13) 440.

§ 91. Zivilprozeß

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lichkeit des Verfahrens zum Anwaltszwang, der Vertretung der Parteien durch am Gericht angestellte Procuratoren. Beweismittel waren Zeugen, Parteieid und Urkunden. Die Zeugen wurden vom Richter allein, ohne Parteien, vernommen im Anschluß an die Positionen und die von den Parteien vorgelegten Fragstücke. Nur die Beeidigung erfolgte in Gegenwart der Parteien. Vollen Beweis (plena probatio) erbrachten in der Regel nur zwei Zeugen, über deren Qualität bestimmte Vorschriften gegeben waren (sogenannte klassische Zeugen). Der Parteieid war entweder von einer Partei der anderen zugeschoben (iuramentum delatum) oder von dieser wieder zurückgeschoben (iuramentum relatum) oder vom Richter auferlegt, sei es zur Ergänzung sonstiger Beweise, zum Beispiel eines unvollkommenen Zeugenbeweises (iuramentum suppletorium), sei es zur Reinigung von Indizien (iuramentum purgatorium). Urkunden erbrachten vollen Beweis nur, wenn sie öffentlich oder vom Gegner gesiegelt waren, andere nur halben Beweis (semipiena probatio), der der Ergänzung bedurfte 6. Gegen das Urteil unterer Gerichte konnte innerhalb von zehn Tagen eine „appellacion an das nechst ordentlich obergericht" eingereicht werden, ferner innerhalb gleicher Frist die „supplicacion" an den Landesherrn 7. Gegenüber dem ungehorsamen Beklagten hatte der Kläger die Wahl zwischen dem Beweis der Klage und einem bis zum Urteil durchgeführten Versäumnis verfahr en einerseits und Einsetzung in die Güter des Beklagten (missio in bona) und Acht anderseits 8. Der sächsische Prozeß unterschied sich vom Kameralprozeß schon bei Erhebung der Klage. Diese bestand in Behauptung des Klaganspruchs und formloser Angabe der ihn begründenden Tatsachen. Es gab keine Artikulierung der Klage. Ebenso konnte der Beklagte formlos antworten, mußte allerdings seine Antwort auf die einzelnen Behauptungen des Klägers abstellen (sogenannte spezielle Litiskontestation). Auch die selbständigen Einredetatsachen mußten anschließend sämtliche vorgebracht werden, so daß für beide Parteien das Eventualprinzip galt. In scharfem Gegensatz zum Kameralprozeß hatte der sächsische Prozeß das Beweisurteil (Beweisinterlokut) bei6

Auch Handelsbücher mußten durch den sog. Bucheid b e k r ä f t i g t werden. D i e ausnahmsweise zulässige Supplikation gegenüber U r t e i l e n des Reichskammergerichts u n d des Reichsnofrats hatte n u r eine Nachprüfung durch das Gericht selbst zur Folge. I m übrigen w a r gegenüber dem R k G . n u r Revision an die Visitationsdeputation (s. § 74) möglich, später Rekurs an den Reichstag. 8 D i e missio- i n bona hängt m i t der fränkischen missio i n b a n n u m zusammen (s. o. § 32 I. 61 V). 7

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I V . Die Neuzeit

behalten. Nach Vortrag der Klagetatsachen, Einredetatsachen und Beweisangebote w u r d e n vom Gericht i n dem selbständig anfechtbaren Beweisurteil das Beweisthema, die Beweislast und die Beweisfrist festgesetzt. Dadurch wurde das Verfahren w i e i m älteren deutschen Recht i n zwei scharf getrennte Abschnitte zerlegte (Prozeßzäsur) 9 . D i e frühere Urteilsschelte bildete sich zum Rechtsmittel der Läuterung um, einem Verfahren vor dem gleichen Richter, das innerhalb sechs Wochen und dreier Tage zu beantragen war. I n einzelnen Territorien gab es eine Oberläuterung am Hof des Landesherrn. Daneben kannte man die Appellation. I I I . D i e unter dem Einfluß des sächsischen Verfahrens vorgenommene Reform des Kameralprozesses i m Jüngsten Reichsabschied betraf i m wesentlichen zwei Punkte, A r t i k e l v e r f a h r e n und Eventualmaxime. D i e A r t i k u l i e r u n g der Klage wurde beseitigt. D e r Kläger hatte seine Klage n u r „summarischer weiss" abzufassen, so daß „das Factum k u r t z und nervose, jedoch deutlich, distincte und k l a r verfast und ausgeführt seye, m i t angehängter conclusion und bitt', diese gerichtet auf Ladung u n d V e r u r t e i l u n g des Beklagten. Dieser mußte sich auf die Klage i m einzelnen äußern und bei Gefahr der Präklusion alle prozessualen u n d sachlichen Einreden i m ersten Term i n vorbringen. Es galt also w i e i m sächsischen Prozeß für beide Parteien das Eventualprinzip. M i t der A r t i k u l i e r u n g entfiel auch der Kalumnieneid. E i n zweiter T e r m i n diente der Replik des Klägers, ein d r i t t e r der D u p l i k des Beklagten. Gegenüber dem nichterschienenen oder sonst ungehorsamen Beklagteù erging nach Beweis der Klagetatsachen Versäumnisurteil. Acht und missio i n bona verschwanden. Gegen das U r t e i l konnte Appellation eingelegt werden, m i t dem Ziel einer Nachprüfung i n rechtlicher und tatsächlicher Beziehung durch ein höheres Gericht 1 0 . Nicht berührt wurde zunächst das Beweisverfahren. H i e r erhielt sich auch die A r t i k u l i e r u n g . Aber Praxis und Wissenschaft gelang es, i m 17. und 18. Jahrhundert auch i m gemeinen Prozeß das Beweisu r t e i l einzuführen. D e r Grundsatz der Mündlichkeit trat mehr und mehr zurück. Das Verfahren wurde, v o r allem vor den oberen Ge9

P l a n c k , D i e Lehre von dem Beweisurteil (1848). D a sich das Eventualprinzip auch auf die Appellationsinstanz erstreckte, durften neue Tatsachen u n d Beweismittel n u r beschränkt vorgebracht werden u n d n u r unter Leistung des Noveneides, daß das N o v u m i n erster Instanz nicht bekannt gewesen sei u n d nicht habe eingebracht werden können. Außer der Appellation, die an eine bestimmte Streitsumme (summa appellabilis) gebunden war, gab es die Läuterung (Revision) m i t Nachprüfung n u r i n rechtlicher Beziehung u n d die Nichtigkeitsklage (querela nullitatis), die sich auf Kassation wegen prozessualer Mängel richtete. 10

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richten, zu einem schriftlichen. I m ganzen erreichte die Reform w o h l eine Beschleunigung, aber auf Kosten der u n m i t t e l b a r e n Beziehung zwischen Gericht u n d Partei u n d u m den Preis s t a r k e r F o r m a l i sierung. D i e i m 18. Jahrhundert einsetzende Reformbewegung v e r l i e f i n den einzelnen Staaten verschieden u n d nicht ohne Rückschläge. I n Preußen versuchte ein auf C o c c e j i zurückgehendes E d i k t v o n 1739 ü b e r das Verfahren i n Bagatellsachen, die M ü n d l i c h k e i t des Verfahrens u n d die u n m i t t e l b a r e Einvernahme der Parteien durch das Gericht einzuführen. A b e r der Codex F r i d e r i c i a n u s Marchicus v o n 1748 beruhte doch w i e d e r auf dem gemeinen Prozeß. D i e weitere, i n der A l l g e meinen Gerichtsordnung von 1793 abgeschlossene Reform ordnete I n s t r u k t i o n des Prozesses durch den Richter i n möglichst u n m i t t e l barer V e r h a n d l u n g m i t den Parteien an, richterliche Feststellung des status causae et controversiae, Beweiserhebung nach Ansicht des Richters. D i e Parteien sollten durch beamtete Justizkommissare vertreten w e r d e n 1 1 . D a m i t hatte das Untersuchungsprinzip zuungunsten des Verhandlungsprinzips erheblich an Boden gewonnen 1 2 . A b e r die Verordnungen v o n 1833 u n d 1846 schlossen sich w i e d e r enger an den gemeinen Prozeß an, auch durch Wiederaufnahme des A n w a l t s zwangs. Inzwischen w a r der Code de procédure c i v i l e i m linksrheinischen Gebiet geltendes Recht geworden. E r fand aber nicht i n gleichem Maße Z u s t i m m u n g w i e das französische Strafverfahren (s. §90111), wenngleich sich i h m die badische Prozeßordnung v o n 1831 anschloß. Denv V o r t e i l des auch i n d e r Bewegung v o n 1848 geforderten u n m i t t e l b a r e n mündlichen Verkehrs zwischen Gericht u n d P a r t e i gegenüber w u r d e die starke B e t e i l i g u n g der A n w ä l t e als bedenklich empfunden. So k a m es zu einer Verschmelzung des französischen m i t dem gemeinen Recht i n der v o n dem späteren preußischen Justizminister Leonhardt verfaßten Prozeßordnung f ü r das Königreich H a n n o v e r v o n 1850. Sie baute auf dem Grundsatz der M ü n d l i c h k e i t u n d Öffentlichkeit auf, übernahm aber aus dem deutschen Recht die Prozeßzäsur durch das B e w e i s i n t e r l o k u t , aus dem gemeinen Recht f ü r das V e r säumnisverfahren die poena confessi, i n der Appellationsinstanz das beneficium novorum. D i e ü b r i g e n T e r r i t o r i e n folgten n u r teilweise, so Baden (1864) u n d W ü r t t e m b e r g (1865). D a h e r standen sich auch 11 Die Parteien konnten sich ihre Assistenz aus den vorhandenen Kommissaren wählen. Die Assistenzräte der vorausgehenden Gesetze waren vom Gericht beigeordnet worden. 12 N e u f e l d , Die Friderizianische Justizreform (20). S ρ r i n g e r , D i e Coccejische Justizreform (14; dazu Hübner, ZRG. 36, 448).

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I V Die Neuzeit

ein hannoverscher und ein preußischer Entwurf unausgeglichen gegenüber, als der deutsche Bund die Regelung des Zivilprozeßrechts in die Hand genommen hatte (seit 1859). Erst einem norddeutschen Entwurf von 1870 gelang ein Ausgleich, der in die Reichszivilprozeßordnung vom 21. 1.1877 übernommen wurde. Das Verfahren wurde öffentlich und mündlich, das Verhandlungsprinzip als Grundlage anerkannt, dem Richter wurde die freie Beweiswürdigung überlassen, weitgehender Anwaltszwang eingeführt. Auf die Prozeßzäsur hat die Reichszivilprozeßordnung verzichtet. Etwas andere Wege ist die Entwicklung in Österreich gegangen. Dort hielt sich der gemeine Prozeß weit länger. Die ihn enthaltende Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 blieb auch im 18. Jahrhundert mit nur teilweisen Änderungen in Geltung. Eine grundsätzliche Neuordnung erfolgte erst durch die Zivilprozeßordnung, die Jurisdiktionsnorm und die Exekutionsordnung von 1895, deren geistiger Urheber der spätere Justizminister Franz Klein war. Sie lehnte das französische Vorbild ab und griff auf preußisches zurück. Unmittelbarkeit und Mündlichkeit waren nur beschränkt angenommen, auf der anderen Seite das Verhandlungsprinzip durch das Untersuchungsprinzip ersetzt, eine eidliche Vernehmung der Parteien durch den Richter zugelassen. Nicht ohne Beeinflussung durch die österreichische Gesetzgebung und Erfahrung wurde die 1898 neu gefaßte Reichszivilprozeßordnung durch eine Novelle von 1909 reformiert. Die Neuerungen betrafen insbesondere das amtsgerichtliche Verfahren, in dem der Amtsbetrieb und eine* Verstärkung der richterlichen Prozeßleitung eindrangen. Die seitdem erfolgten Änderungen (insbesondere Novelle von 1929) haben zu weiterer Zurückdrängung der Mündlichkeit, Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, anderseits zur Einschränkung der Parteiherrschaft geführt, während die vielfach geforderte Einführung der Eventualmaxime unterblieben ist. Neu aufgenommen wurde das Güteverfahren. In entschiedener Weise hat das Gesetz vom 27.10.1933 auf eine stärkere Konzentration der Prozeßführung hingewirkt, auf die Unmittelbarkeit des Beweisverfahrens und auf eine Einschränkung des Verhandlungsprinzips durch Festlegung der Wahrheitspflicht der Parteien und die Möglichkeit ihrer eidlichen Vernehmung. Neben dem ordentlichen Gericht haben sich aus älterer Zeit verschiedene Sondergerichte auch in der Neuzeit erhalten (Gemeindegerichte, Meßgerichte, Berggerichte) 13. Daneben sind andere errichtet 13

H ü f f m a n n , Über die sächsische Berggerichtsbarkeit (35).

§ 91. Zivilprozeß

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worden (Reichswirtschaftsgericht, Kartellgericht, Arbeitsgerichte an Stelle der Kaufmanns- und Gewerbegerichte). Das Verfahren vor dem ordentlichen Gericht hat außerdem in steigendem Maße dem vor vereinbarten Schiedsgerichten Platz gemacht14. W e t ζ e 11, System d. ordentlichen Zivilprozesses 3 (1878). E n g e l m a n n , D e r Zivilprozeß I I (1890). R. S c h m i d t , Lehrbuch d. deutschen Zivilprozeßrechts 2 (06). S c h w a r z , Vierhundert Jahre deutscher Zivilprozeßgesetzgebung (1898). D e r s . , Erneuerung deutscher Rechtspflege (08). K l e i n f e i l e r , Deutsche Partikulargesetzgebung über Z i v i l p r . seit Rezeption der fremden Rechte u. bis zum Ausgang des 18. Jahrh., Festg. Planck (1887) 275. G. M a r q u a r d t , V i e r rheinische Prozeßordn. aus d. 16. Jahrh. (38). v a n H a m , D i e Gerichtsbarkeit an der Saar i m Zeitalter des Absolutismus (38). — D i e h i , Gerichtsverf. u. Zivilprozeß i. d. Wormser Reformation v. 1499 (32). T o r g g i e r , Stadtrecht u. Stadtgericht i n Klagenfurt (37). K i l i a n , Querela denegatae v e l protractae iustitiae (26).

14 K r a u s e , D i e geschichtl. E n t w i c k l u n g des Schiedsgerichtswesens i n Deutschland (30). B a d e r , Das Schiedsverfahren i n Schwaben vom 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrh. (29). D e r s . , E n t w i c k l u n g u. V e r b r e i t u n g d. ma. Schiedsidee i n Südwestdeutsdil. u. i n der Schweiz, ZSchwR., N. F. 54 (35) 100.

Namens- und Sachverzeichnis D i e schräg gestellten Ziffern beziehen sich auf die A n m e r k u n g e n oder die Schrifttumsangaben der betreffenden Seite.

Aachen 131, 159, 177, 203, 283. abbatia libera 186. Abecedarien 155. Abgeordnetenhaus 341. Ablösung (Strafen) 97, 350 (Leistungen) 241 f. Ablösungsgesetzgebung 241. Abschreckung 214, 347. Absetzung 161, 166, 285. Absolutismus 68, 311 f., 314 f., 337, ministerieller 337. Abstammung 17, 45. Accursius 252. Acht 29, 96, 213, 219, 357, 358. S. a. Friedlosigkeit, Reichsacht, Oberacht. Achtbücher 147. achtendeele 18. A c k e r b a u 13, 41 f., 114 f., 240 ff. actores dominici 83. A d a l h a r d von Corbie 60. adalingus 46. A d e l 17, 46, 123, 127, 195, 225, 248 f., 300, 307. Briefadel 248, 249. hoher A . 248 ff. niederer A . 127, 225, 248 f. landsässiger A . s. Landsässigkeit. Adelsbrief 168. Adelsherrschaft 24. Adelsverleihung 249, 285. a d i u t o r i u m 81. Adler, Adlerfahne 161, 320. Adoption des Königs durch den Papst 73. advocatia ecclesiae s. Kirchenschutz, advocatus 92. S.Vogt, advocatus provincialis 180. Ä m t e r 194 f., 206, 309. Ämterbücher 147. Ä m t e r t r a k t a t 60.

agens 92. Agrargesetzgebung 241 ff., 251. Agrarverfassung s. bäuerl. Verhält nisse. A h r e r Dienstmannsrecht 151. Akademie f. deutsches Recht 270. Akkusationsprozeß 351. Aktenversendung 255, 353. Aktiengesellschaft 246. Aktiengesetz 270. Akzise 208, 308. A l a m a n n e n 2, 13, 25, 35, 46, 79, 83. A l a r i c h I I . (484—507) 63. A l b r e c h t II. (1438—39) 135, 157, 280. A l b r e c h t V. (Baiern) 300. A l b r e c h t Achilles 152, 300. A l d i e n 17. A l e x a n d e r I I I . (1159—81) 183. a l i l a n t i 17. A l l m e n d e 14, 16, 42, 116, 202. A l l o d 105, 123. Allodialgrafschaften 105, 171, 191. A l l o d i f i k a t i o n 308, 340. Alphabetische A r b e i t e n 155, 256. Altarsetzung 159. A l t e r m ä n n e r 207. Althusius, Johannes 230. A l t m a r k t 200. Altstadt 202. A m i r a , K a r l von 276. A m t m a n n 195, 310. Amtseid 162. Amtsgebräuche, Bordesholmer 264. Amtsgut 78, 88. Amtsherzog 79, 84 f. Amtslehen 106 f. Amtsstab 23. anafangjan 101. Anefangsverfahren 101, 216.

Namens- und Sachverzeichnis

Anerbe 118, 242. A n g e l n 2, 54. Angelsachsen 2. Angestelltenversicherung 247. A n k l a g e j u r y 101. Anklagezwang 217 f. Anleite 220. Ansegisus v. Fontanella 56. A n s t i f t u n g 29, 211, 349. Anstiftungsverbrechen 96. A n t i k e 13, 38 f., 40. A n t i q u a 63. antrustjo (Antrustionat) 26, 46, 75, 87. Anwaltszwang 357, 359 f. S. Vorsprecher, anzeygung 352. A p p e l l a t i o n 255, 357 f. A q u i t a n i e n 79, 83. Arbeitsgesetzgebung 237, 247. archicancellarius 75. archicapellanus 75, 168. area 202. Aretinus, Angelus 348. argumentum unitatis 113. Arianismus 40. A r i s t o k r a t i e 67 f., 71, 75. A r m , weltlicher 112, 166. S. Kirchenschutz. Armenpflege 19, 209. A r n u l f von K ä r n t e n (887—99) 37, 103, 156. Arrestverfahren 221. a r t i c u l i reprobati 139. A r t i k e l b r i e f e 293. A r t i k u l i e r u n g der Klage 356 ff. âsega 27. Assessor 287. Assistenzrat 359. Assoziationen 297. A s y l 97, 214. A t h a l a r i c h (526—34) 64. auctor vetus de beneficiis 138. auctoritas 27, 56, 100. Aufgebot 71, 81, 174 f., 189. A u f k a u f 120. A u f k l ä r u n g 229, 234. Augenschein 218. Augsburg 140, 147, 226. augustus 70, 161. aula regis 74. aulici 74. ausantworten 220.

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Ausbürger s. Pfahlbürger Auspfändung 100. Aussenlehen 340. austaldi 87. Austrag 180, 225, 287. Austrasien 36, 79. Ausziehen (Verfestung) 219. authenticae 134. Autonomie 112, 146, 198, 207, 225, 248. baculus i n d i c i i 142. Baden 192, 245, 251, 262, 290, 298, 314, 315, 325, 336, 340, 342, 353, 359. Baiern (Bayern) 2, 13, 35 f., 40, 79, 85, 129, 143, 153, 172, 195, 217, 223, 240 f., 251, 266, 289, 298, 300, 302, 314, 325 f., . 336, 340, 342, 345, 347 f., 349, 353 f. Bairisches Landrecht 263. B al du s 348. Bamberg, Dienstrecht 151. Bamberger Halsgerichtsordnung (Bambergensis) 261, 263. Banken 119. Bann, Bannbusse, Banngewalt (bannus) 72, 78, 84 f., 214. S. Grafenbann, Heerbannbusse, Königsbann, missio. Bannbezirk (Bannherrschaft, Bannimmunität) 189. bannitio 98. & Bannleihe 162, 181, 185 f., 191 Bannrechte 117, 120, 200» Banntaidinge 150. Bant 77. Bar 77, 226. bara 77. b a r g i l d i 124. baro 123. Barschulke 17, 125. Bartolus 348. Basel 146, 151. Baubücher 147. Bauding 196. Bauer, bäuerliche Verhältnisse 41 ff., 89 f., 114 ff., 124 f., 127 f., 150, 196, 239 ff., 249 ff. Bauer hat n u r ein K i n d 118. Bauermeister 202, 217. Bauernbefreiung 241, 251, 339. Bauernkrieg 240. Bauernlegen 117, 241 f. Bauernschaft 14, 202.

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Namens- und Sachverzeichnis

Bauersprache 196. Baumgartenberger Formelbuch 155 f. Beamte 74 ff., 77 ff., 167 ff., 171 ff., 194 ff., 286 ff., 301 ff., 311 ff. Beamtenstaat 193. Beamtenvogtei 185. Beccaria 346. Bede 177, 189, 197 f. Befestigung 80 f., 176, 198. Befestigungshoheit 176, 191. Beförderungspflicht 78, 80. Begebung 59. Begnadigung 71, 215. Beherbergungspfiicht 78, 80, 94 f., 186. Beihilfe 96, 211, 349. bekantuns 352. Beliebungen (Nordfriesen) 144. Benedictus levita 57, 94, beneficium n o v o r u m 359. Benefizialwesen (beneficium) 85 f., 87 f. Berg 189, 336. Bergbau 43. Bergen 210. Berggericht 196, 360. Bergrecht, Bergordnungen 151 f., 257, 263, 327. Bergregal 162, 176, 191. Berlich, Matthias 273, 346. B e r t h o l d von Regen^burg 140. Berufung 219, 357. besäte 220. Beschreien 353. Beseler, Georg 275. Besitz, m i t t l e r e r 41 f., 116. besteller 349. Besthaupt 47. Betreibungsverfahren 34. Be weis j u r y 102. Beweisinterlukot s. Beweisurteil. Beweismittel s. Beweisrecht. Beweisrecht, Beweisverfahren 33 f., 99 f., 101 f., 217 f., 221 f., 351 f., 356 f. Beweisregeln 352, 357. Beweisung 217 f. 352, 357 f. Beweisurkunde 59. Beweisurteil 32 f., 216, 357 f., 359. Beweisverteilung 33 f., 217, 357 f. Beweiswürdigung 352 f., 360. B e w i d m u n g 131, 146. Beyer, Georg 274.

Bezirksacht 96. Biergelden 124. Bilderhandschriften 139. Billigkeitsrechtsprechung 71, 82, 302. Binding, K a r l 278. Bischof, Bistum 72, 94, 109, 182 f., 185, 296 f., 304 f. Bischofsstädte 203 f. Bismarck 234, 237, 328, 349. Bitte, erste 164, 295 f. Blutbannleihe 163. Blutfahne 125, 161. Blutgerichtsbarkeit 163, 179, 186, 188 f., 190, 195. Blutrache 19, 30. bóc 58. Böhmen 104, 110, 133, 152, 157, 169, 171, 227, 284, 289, 297. Bönhase 207. Bonifatius 94. Bonifaz V I I I . (1294—1303) 163, 184. Botenstab 71. b r a c h i u m saeculare s. A r m , weltlicher. Brandenburg 157, 169, 192, 195, 227, 284, 297, 300, 302, 305, 307, 311. Brandenburg-Preußen 227, 232, 307 ff. B r a n d m a r k u n g 349. Brant, Sebastian 256. Braunschweig 173, 289, 338. Breisgau 193, 227. Bremen 147, 152, 196, 226, 344. Breslau 131, 140, 145, 148. B r o k m e r b r i e f 144. Brüche 214. Brückenbau 80, 91. Brügge 210. Brünner Schöffenbuch 149. Br'unner, H e i n r i c h 276. Buch der Könige 140. Bucheid 357. Bürger 125, 127 f., 201 f., 249. Bürgerbücher 147. Bürgermeister 2Ò5, 344 f., 346. Bürgermeistersystem, rheinisches 345. Bürgerschaft 345. Bürgersprache 205. B ü r g e r t u m 127. Bürgerversammlung 205. * Büsum 152. B ü t t e l 195.

Namens- und Sachverzeichnis

B u l l e n : Decet Romanum 294. Q u i cel u m 158. Salvator generis h u m a n i 139. U n a m sanctam 184. S. Z i r k u m skriptionsbullen. bumede 47. Bundesakte 233, 317 f. Bundesexekution 319, 322. Bundesfarben 320. Bundesheer 319. Bundeskanzler 324. Bundespräsidium 323 f. Bundesrat 323 f., 326, 328. Bundesversammlung 317. Bundeswappen 320. buoh 58. buoz 30. Burchard von Worms 151. b u r d i n g 205. Burgbannbezirk 176. Burgenbau 81, 176 Burgendienst 175 f. burgensis 201. Burgenverfassung 193 f. Burggraf 176, 204 f. B u r g h u t 176. b u r g u m 200. Burgund, Burgunder 1, 35 f., 40, 64, 79, 103 f., 168, 171, 183. Burgvogt 194. B u r g w a r d 176. B u r g w e r k 176. Buße 30 f., 97, 214. S. Wergeid. Bußtaxen (fries.) 144. buticularius 74. Bynkershoek 272. C a l i x t u s I I . (1119—24) 183. camerarius 74. campus Madius 82. cancellarius 75, 83, 168. capellanus 75. capitanei 125. c a p i t u l u m (capitula, capitulare) 49, 55 f., 132. ecclesiastica, mundana, m i x t a , legibus addenda, per se scribenda 56. missorum 56. — A n g i l r a m n i 94. ad legem Baiuw. 56. 1. Rib. add. 56. Remedii 64. — capitulare Langobardicum 65. Saxonicum 54. de v i l l i s 83. Capitulatio de partibus Saxoniae 54. Carmer, Joh. Heinr. v. 265, 313.

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C a r o l i n a 255, 260 f., 347 f., 351 f. Carpzov, Benedikt 273, 346. carta 59 f. c. p a r t i t a 153. cartam levare 59. C a r t u l a r i u m Langobardicum 65. cartularius 47. castellanus 194. causae maiores 82, 178. c. minores 90, 178. causam finire 82. Cautela 192. censualis 125. census arealis 201 f. centenarius 77 f., 171. cerarli 47. cerocensualis 125. Chatten 12, 36. Chemnitz, Bogislav P h i l i p p von 284. Childebert I. (511—58) 53. chirographum 153. C h l o d w i g I. (482—511) 36, 40, 52 f., 66, 69. Chlothar I. (511—61) 36, 53. Chlothar I I . (584—629) 36, 51, 78. Christentum 40 f., 45, 98. chunig, römischer 161. Cinus 348. i n circulo et hiasla 99. cives i u r a t i 205. civitas 21, 199. Clarus, Julius 348. Clemens V I I . (1523—34) 283. Cleve s. Kleve. Cocceji, Samuel 263, 265, 359. Code c i v i l , de commerce, d'instruct i o n criminelle, de procédure ci. vile, pénal 267, 354, 359. Codex C u r i c i 53, 55, 63. Codex iuris b a v a r i c i criminalis 266, 347. c. j u r . bavarici i u d i c i a r i i 266. c. Maximilianeus bavaricus civilis 263. c. revisus (Leovigild) 63. Collectarius perpetuarum formarum 156. colloquium 169. coloni 47. comes 26, 77. p a l a t i i 75. stabuli 74. comitatus 26, 77. comitiva 285. se commendare s. Kommendation. compositio 30, 214. amicabilis c. 291 concessio i m p e r i i 230.

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Namens- und Sachverzeichnis

concilium civitatis, 22. conclusum d u o r i i m 291. i m p e r i i 291. Concordanti^ catholica 280. Concordia de singulis causis 65. confessio regina probationum 352. Confoederatio cum principibus ecclesiasticis 111, 135, 137, 191. coniuratio 201. Conring, H e r m a n n 265, 272 f. consiliarii 76, 169, 194. consilium 27, 169. consilium secretum 223. Constitutio criminalis Carolina 255, 260 ff., 347 f., 351 f. const, criminalis Theresiana 266, 347. de expeditione Romana 151. contra incendiarios 135. Joachimica 263. Moguntina 135. de regulibus 135. constitutiones, (fries.) 144. constitutiones pacis 134. consules 205. consultum i m p e r i i 291. contrat social 230. conventus 169. cora 201. corpus Catholicorum, Evangelicorum 291. corpus delicti 352. Corpus iuris civilis 252. iuris Frider i c i a n i 265. crimen laesae maiestatis 191. c r i m i n a levia, atrociora, atrocissima 347. e x t r a o r d i n a r i a 347. Criminalsache 347. cubicularius 74. Cues, Nikolaus von 230, 280. Cujacius, Joh., 272. cuius regio, eius religio 295. curia 169. regia 179. curtis 42. Dänen, Dänemark 1, 110. dagescalci 122. dagewerchten 122. Dagobert I. (629—39), 36, 51, 54, 67. Dagobert I I . 151. Danzig 149, 227, 330. Decisiones électorales Saxonicae 263. decretio, decretum 56. Decursio de gradibus 60. defensio (defensor) ecclesiae 73, 185 f. degan 26.

Deichrecht 151 f., 257, 263. Demutsformel 70. Denar 44, 120. Denkelbücher 147. D e prerogativa Romani i m p e r i i 155. deo 17, Deputationen s. Reichsdeputationen. Designation 157 f. Determinatio compendiosa de iurisdictione i m p e r i i 155. deutsch 1. Deutschenspiegel 141, 253. Deutscher B u n d 267 f., 317 ff. Deutsches Reich s. Reich. Deutschmeister 226. Deutschorden 104, 114, 145, 227, 316. D i e b u n d Frevel 179. Diebstahl 28, 29 f., 98, 223, Dienstlehen 126. Dienstmannen s. Ministerialen. Dienstmannengericht 196. Dienstrechte 130, 151. S. die einzelnen Orte. Diestelmeyer, Lamprecht 264. Dietmarsches Landrecht 144, 263. D i e t r i c h von Bocksdorf 140, 142. Differentiae iuris civiles et saxonici 273. diffidatio 212. D i k t a t u r 238, 334. Ding. 22. echtes 27, 77, 82. gebotenes 27, 82. heimliches 181. Dingfrieden 22. Dinghegung 22. D i n g h o f 117. Dinglösung 22. Dingmannenzeugnis 218. Dingolfìnger Dekrete 55. Dingpflicht 22, 82. Dingzeugnis 218. diplomata 59. discussio testium 99. Dispositio A c h i l l e a 192, 300. Distinktionen, Pölmannsche 149. districtio 91. diutisk 1. divisio 86. Domänen 83, 85, 90, 241. S. K r o n g u t , Reichsgut. Domänenkammer s.Kriegs- u. D. domesticus 83. Domfreiheit 186.

Namens- und Sachverzeichnis

dominus terrae 192. D o m k a p i t e l 196. domr 27. dona annualia 84. Donellus, Hugo 271 f. Doppeladler 161. Doppelvasallität 106 f. Dorf, Dorfschaft 14 f., 151, 171, 195, 201, 345. Dorfgericht 195 f. Dorfschöffenbücher 151. D o r t m u n d 131, 147, 203. D r e i d i n g 150. Dreifelderwirtschaft 16 f., 41. Dreikönigsbündnis 322. Duellmandate 346. D u k a t 77, 79. dux 24, 79. Dynasten 123, 190. Dynastenstädte 203. ê 20. Ebenbürtigkeit 127, 248. Eberhard von F r i a u l 65. Ebersheim 151. ecclesia non sitit sanguinem 163. v i v i t lege romana 95. echte Not 219. Edelfreie 123, 185, 189, 193, 204. edictus (um) 56. C h i l p e r i c i 53. Chlot h a r i i 36, 78. Theoderici 64. Edictus R o t h a r i 64 f. Eheerlaubnis 251. Ehegesetz 270. Ehehaft taidinge 150. Eheschließung 19. Ehre 21, 31. Ehrenstrafen 213, 349 f. Eiba 77. Eichhorn, K a r l F r i e d r i c h 275. E i d 33 f., 99, 218, 357. Eidesschelte 34. Eideswert* 46. Eidgenossenschaft (Schweiz) 192, 226, 336. Eidhilfe 19, 33, 99, 101, 218. EigenbehÖrigkeit 250. Eigenkirche 50, 92 ff., 110, 182 f., 183. Eigenklöster 93 f. päpstliche, römische 183, 185 f. Eigenleute 122. Eigentempel 93.

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Eike von Repkow 137, 158. E i n e i d 33. Einfelderwirtschaft 15. Einhäusige 118. Einkammersystem 343. Einlieger 118. E i n s t i m m i g k e i t 159. E i n u n g 132, 191, 209. È i n w e r u n g 220. Einzelhof 14 f. Eisenach 131, 148. Eisenprobe 100. E k h a r d i , W a l t h e r 149. electio per u n u m 158. electiones (fries.) 144. Elendeneid 222. elevatio 69, 159. eligere 158. Elsaß, Elsaß-Lothringen 173, 226 f., 326, 328, 330. emunitas 91. E n d u r t e i l 32. Engels, F r i e d r i c h 236. Enthaupten 30, 213, 349. E n r o l l i e r u n g 310. Entmannung 96. Entsippung 18. Entvogtung 186. epistola precaria 43. Erbbaurecht 242, 270. Erbebücher 147. Erbhofämter 194. Erbhofrecht 243. E r b l i c h k e i t (Ämter, Lehen usw.) 78, 86, 88, 106, 115 f., 185, 240 f. Erbpacht 115. Erbreichsplan 157. Erbschaftsabgaben 125. S. Sterbefall. Erbsühne 31. Erbuntertänigkeit 118, 339. Erbzinsleihe 117. Erfahrungszeugnis 33, 99, 218. Erfolgshaftung 28, 96. E r f u r t e r Programm 237. E. Unionsverfassung (Parlament) 322. Erhängen 30, 213, 222, 349. E r h o l u n g 216. Ermächtigungsgesetz 335. Er Steiner Dienst recht 151. E r t r ä n k e n 30, 213, 349. E r v i g 63. Erzämtertheorie 158.

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Namens- und Sachverzeichnis

Erzbannerherr 289. Erzherzogtum 191, 284. Erzkanzler 75, 168, 286, 289. Erzschatzmeisteramt 289. Erztruchsessamt 289. êsago 27. Eselreiten 213. Etheling 122. Eupen 330. E u r i c h (466—84) 37, 63. Eventualmaxime 356 ff., 360. Evokationsrecht 179. êwa 20. Chamavorum 54. exactio 91, 197. Exarchat 72. Exekutionsordnung 282. Exekutivprozeß 356. E x k l u s i v e 296. exlex 29. Expositio 65. e x t r a sermonem regis ponere 71. Fachs, L u d w i g 273. fächten 18. fange 18. Fahne, rote 125. F ahnenlehn 106, 125, 163. Fahrlässigkeit 28, 96, 211, 348. F a k u l t ä t e n 304. f a m i l i a 89. familiares 169. fara 19. fâra s. vare. fastinôn 60. Fehde 19 f., 29 f., 97 f., 134, 212. Fehmarn 144. F e l d 77. Feldgemeinschaft 15, 241. Feldgraswirtschaft 15. Ferdinand I. (1556—64) 225, 283, 288, 301. Fernhandel 44, 119, 200. feuda e x t r a curtem 340. feudum 88. Feuerbach, Anselm von 266, 277, 347. Feuertod s. Verbrennen. Fichard, Johann 263 f. Fichte, Joh. Gotti. 230, 231 Ficker, Julius 277. Fideikommiß 235. fidelis 68, 70. filius ecclesiae 73, 166.

Finanzwesen 83, 176 ff., 197 f., 208, 293, 305 f., 307 f., 326, 333. firmatio 60. fi scalini 48. fiscus 41 f., 83, 88. f. comitatus 78. Flächenstaat 173, 188. Fiscalat 352. Fiscalprokurator 180. F l u r b a n n 116. F l u r b e r e i n i g u n g 241. F l u r z w a n g 15, Föderalismus 107, 160, 326, 331, 333 ff. Folge 27. Folter 218, 352 f. forbannitio s. Bezirksacht. Forchheim 157. fordro 101. Formalismus 21, 32, 216. Formelbücher 155 f. F o r m e l n 57 f., 63, 65, 155 f. F o r m u l a r i u s de modo prosandi 156. Frage, peinliche 352. stille 223 Fragen, Magdeburger 149. Fragstücke 357. Francia orientalis 103. F r a n k e n 2, 35, 103, 153, Herzogtum F r . 172, 180. Frankenspiegel 142, 253. F r a n k f u r t a. M. 131, 147, 157, 203, 226, 244 f., 283, 287, 316 f., 320, 322, 336, 344. F r a n k f u r t e r Reformation 264. Franz I I . (1792—1806) 259, 298. fredus 30. S. Friedensgeld. Freibauern 42 f., 123 f. Freiberg (Bergrecht) 152, (Stadtrecht) 149. F r e i b u r g i. Breisgau 131, 200, 203. Freiburger Stadtrecht 264. Freidienstmannen 127 Freie 17, 47, 122 ff., 124 f. Freigelassene s. Freilassung Freigericht 171, 181. Freigraf 181. Freiheitsbriefe 144, 146. Freiheitsrechte 112 f., 231. Freiheitsstrafe 213, 350. Freilassung 17, 47. Freischöffe 181, 222. Freischöffenbare 125. Freisinger Rechtsbuch 141, 149. Freizins 124.

Namens- und Sachverzeichnis

Freizügigkeit 318, 324. Fremde 17, 21, 130, 221. F r e v e l 213, 347. frî 17. Friede, Friedensverband 19 f., 71, 80, 92. gelobter 212. Friedegebot 212. Friedegelöbnis 212. Friedelehe 19. Friedensbann 72. Friedensbruch 29 f. * Friedensgeld 30, 84 f., 98, 214. Friedensschlüsse: B e r l i n (1742) 227. L u n e v i l l e (1801) 226, 260, 298. Nikolsburg (1866) 322. O l i v a (1660) 227. Paris (1814) 317. Prag (1866) 322. Preßburg (1805) 290, 298. Rysw y k (1697) 226. Versailles (1919) 330. Westfälischer 187, 226 f., 259 ff., 287, 289, 291, 295 f. Friedlosigkeit 29 f., 32 f., 96, 213, 221, 350. relative 30. Friedloslegung 34, 71. F r i e d r i c h I., deutscher Kaiser (1152 —90) 103, 106, 111, 137 f., 165, 173, 175, 186, 212, 252, 253. F r i e d r i c h I., K ö n i g von Preußen (1701—13) 311. F r i e d r i c h II., deutscher Kaiser (1212 —50), 111, 135, 137, 164, 166 f., 187, 190, 253. F r i e d r i c h I L , der Große, K ö n i g von Preußen (1740—86) 232, 241, 244, 312, 346. F r i e d r i c h III., deutscher Kaiser (1440 —93) 136, 165, 180, 185, 280. F r i e d r i c h V., K ö n i g von Böhmen (1610—20) 289. F r i e d r i c h W i l h e l m , K u r f ü r s t von Brandenburg (1640—88), 232, 307. F r i e d r i c h W i l h e l m I., K ö n i g von Preußen (1713—40) 241, 251, 265, 309, 311. F r i e d r i c h W i l h e l m II., K ö n i g von Preußen (1786—97) 297. Friedrich W i l h e l m IV., K ö n i g von Preußen (1840—61) 321, 340. Friesen, Friesland 2, 13, 35 f., 40, 122, 143 f., 171, 172. f r i l i n g 47, 122. Fronbote 171, 195, 220. Frondienste 42, 115, 240 f., 250. v. S c h w e r i n ,

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Fronhof 42, 115 f. Fronhofverband 42, 89, 115. Fronung 29, 78, 100, 220. Frühkapitalismus 114. F ü h r e r t u m 15, 17, 23 f., 25, 46, 68, 75, 335. fürfang 101. F ü r k a u f 120. Fueros 63. fürsetzliche 348. Fürsten 23, 122 f., 125, 157 f., 174 f., 179 f., 190 f., 192, 248 f., 279 ff., 300 f., 302 f., 313 f., 317, 322. kreisausschreibende 282. Fürstenbund 297. Fürstenkollegium 289 f. Fürstentag (Frankfurt) 322. Fürstenweistümer 158, 165. gabella emigrationis 318. Gaffel 207. Gail, Andreas 256, 272. Galizien 227. Gaudinus, Albertus 348. gasindi, gasindio 26, 87. gast 17. Gastgericht 205. Gastprozeß 221 f. Gastung s. Beherbergung, Beförderung. Gau 22, 77. Gauauflösung 172. Geblütsrecht 23, 68, 156. Gefährdeeid 356, 358. Gefahr s. vare Gefolgschaft 26, 75, 86 f. Gegenzeichnung 324, 327. Gegenzeugnis 99. Gehöftgruppen 14, 16. Geib, K a r l Gustav 278. Geige 213. geilheit 348. Geistliche 50, 95, 196. Gelasius I. (492—96) 184. Geldstrafe 350. S. Buße. Geldwirtschaft 14, 114, 119. Geleitsrecht 162, 176, 191. Gelnhausen, Johannes von 156 Gemächtbücher 147. Gemeinde 117, 339, 345 ff. S. Dorf, Stadtgemeinde. Gemeindegericht 360.

Grundzüge der deutschen Rechtegeschichte

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Namens- und Sachverzeichnis

Gemeindeordnung 346 Gemeinderatssystem 345. Gemeindezeugen 33. Gemeinfreie s. Freie. Gemeinheitsteilung 241. G e n e r a l d i r e k t o r i u m 308. Generalkriegskommissariat 308. Geräume 223. Gericht (Gerichtsbarkeit) 23, 27, 71, 82, 95, 162, 179, 188 f., 195 f., 204, 206 f., 285, 287 ff., 310, 314, 324. grundherrliches 90 f. heimliches 181. kirchliches 95, 181 f., 305. S. Königsgericht, Grafschaftsgericht, Freigericht, Pfalzgrafengericht, Schultheißengericht. Gerichtsbücher 147. Gerichtsformeln 142. Gerichtsordnung, Allgemeine (Preußen) 266, 359. (Österreich) 266, 360. (peinliche) 260, s. Carolina. Solms 263. S. Halsgerichtsordnung. Gerichtsschreiber 76, 83. Gerichtsurkunde 59, 83, 218. Gerichtsverfassung s. Gericht. Gerichtsverfassungsgesetz 354. Gerichtsvogt 92. Gerichtswesen 178 ff., 195 f. Gerichtszeugnis 102, 218. Germanen 1, 12. Germanistenversammlung 275, 354. Gerüft 27, 30, 33, 217. Geschäftsurkunde 59, 154. Geschäftszeugen 33. Geschlechterstaat 21. Geschlechtsleite 17 f. Geschworenengerichte s. Schwurgericht. Gesellschaftsvertrag 229 f. Gesetzbuch, Bürgerliches (Deutschland) 268. (Österreich) 266. (Sachsen) 267. Gesetzsprecher 20. Gesindezwang 251, 339. Gespanndienst 42. Geständnis 218, 352. geverlich 348. Gewährenzug 101. Gewaltenteilung 313, 338. Gewalthaber 215. Gewandfall 47. Gewandschneider 119, 207.

Gewanndorf 16. Gewedde 214. Gewerbe 13, 43, 118, 207. bürgerliches 245. Gewerbebann 121, 200. Gewerbefreiheit 235, 245, 339. Gewerbeordnung 245, 247, 268, 324. Gewerbepolizei 120, 207, 304. Gewerbsgilden 206. Gewohnheitsrecht 20, 49, 132. Gierke, Otto von 268, 276. Gilden 19, 206. Gläubigerpfändung 100, 220. Gleve 174. Gleichschaltungsgesetz 335, 343, 345. Glossen 139,252,254,256, malber gische 52. z. alten K u l m 149. z. Lehnrecht 140. z. Sachsenspiegel (Buchsche, Petrinische, Stendaler, Tzerstedische, Wurmsche) 133, 139, 228, 254. z. Mainzer Landfrieden 135. z . W e i c h b i l d 148. Gnade 97, 214, 350. Go, gogreve 171, 178. Gobier, Justus 355. Göde, H e n n i n g 355. Görz 191. Göttinger Sieben 338. Gogericht 195. Goldene Bulle 135, 157, 159, 164, 165, 170, 187, 191 f., 283, 289. Goldschmidt, L e w i n 278. Goslar 147, 152, 203. Goten 1, 40. S. Ostgoten, Westgoten. Gottesfrieden 201, 212. Gottesgnadentum 312. Gottesurteil 33, 100 f., 218. Graf, Grafschaft 77 ff., 81 f., 171 f., 188 f., 195. S. Allodialgrafschaften. Grafenamt 105. Grafenbann 78. Grafenschutz 124, 175. grafio 77. Grafschaftsgericht 77, 82. gratia D e i 70. Gregor V I I . (1073—85) 110, 183. Gregor XI. (1370—78) 139. Greifswald 147. Grenze 22. Grenzzeichen 22. G r i m m , Jakob 275.

Namens- und Sachverzeichnis

Großgrundbesitz 15, 41, 45, 89, 115, 117, 242. Großhandel 119. Großvogt 204. Grotius, Hugo 228. Gründerleihe 120, 201 f. Gründervogtei 185. Gründungsstädte 200 f., 202. Gründungsunternehmerstädte 200, 205 f. Grundbesitz, s. Besitz, Großgrundbesitz. Grundbücher 147. G r u n d h e r r l i c h k e i t 89ff. S.Gerichtsbarkeit. Grundherrschaft 15, 89 ff., 93, 105, 115 f., 188, 240 f. Grundleihe 42, 85 f., 89 f., 89 ff., 115 f., 120, 123 f. Grundpflichten 332. Grundrechte 113, 320, 323, 332 f., 337, 354. Güteverfahren 360. Gulden, rheinischer 120. Guldengroschen 120. Gundsbad 64. Gutsherrschaft 117 f., 240 f., 342. Gutsuntertänigkeit 251. Habsburg, Habsburger 157, 189, 285. Hälschner, Hugo 278. Hängesiegel 153. H a f t u n g für Hausgenossen 28, 211; für Haustiere 211; f. Hintersassen 89 f.; für Sachen 28, für Tiere 28; für Unfreie 28. Halberstadt 137, 227. H a l b f r e i e 17, 47, 125. H a l l e r , K a r l L u d w i g 236. Haloander, Gregor 271. Halseigenschaft 250. Halsgericht 347. Halsgerichtsordnung, Bamberger 261. Radolfzeller 263. T i r o l e r 263. S. Constitutio criminalis Carolina. Hals u n d H a n d 178, 213. H a m b u r g 146, 226, 244, 258, 344. Handdienst 42. Handeisen 100. Handel 14, 44, 118 f., 243 f. Handelsgesellschaften 119, 243 f. Handelsgesetzbuch 268.

371

Handelsrecht 257, 266 f., 278. Handfeste 60, 146. K u l m e r 145. Handgemal 124. Handhabung Friedens u n d Rechtens

281.

handhafte T a t 30, 34, 82, 97 f., 178, 217 f., 222. H a n d w e r k , s. Gewerbe. Handwerkerverbände 207. Hannover 284, 289, 297, 313, 322, 338 Hanse 210, 244. hansegraf 204. Hausämter 48, 74 f., 167 f. Hausgenossen 118. Hausgesetze 248. Hausgut 83, 163, 177 f. Hausmeier 56, 67, 69, 74 f. Haussuchung 27, 34. Hausvertrag von Gera 300. H a u t u n d Haar 213. Heerbannbuße 81. Heeresversammlung 23, 76, 82. Heerfahne 26, 71. Heerfahrt 163. Heerführer 25, 72. Heerschild 125 f. Heersteuer 175. Heerwesen 25 f., 80 f., 174 f., 209, 292 f., 307, 310. Heffter, August 278. Hegel, Georg W i l h . 236, 275, 278. Hegung 27. Heimbürge 202, 217. Heimfallsrecht 162 f., 176, 242 S. Herrenfall, Mannfall, Thronfall. H e i m l i c h k e i t 28. Heimstättengesetz 243, 270. Heineccius, J. G. 274. H e i n r i c h I. (919—36) 103, 106, 109,159, 168, 176. H e i n r i c h I I I . (1039—56) 110, 151, 184. H e i n r i c h I V . (1056—1106) 106, 111, 135, 153, 161, 164, 166, 177. H e i n r i c h Y. (1106-25) 175, 177, 183,

186.

H e i n r i c h VI. (1190—97) 157, 161, 164. H e i n r i c h V I I . (König, 1220-35) 111, 135, 137, 164, 167. H e i n r i c h der Löwe (1156—80) 106, 123, 173, 190. Heiratsabgabe 51, 125, 240, 250. 2 *

372

Namens- und Sachverzeichnis

Heiratserlaubnis 251. Helfereid, s. Eidhilfe. H e l l e r 120. Henneberg (Landesordnung) 262. Henneberg, B e r t h o l d von 280. H e r m a n n von ö s f e l d 142. H e r m a n n von Salza 104, 145. Herminonen 2. Herold, Joh. Basil. 271. Herren, freie 123, 125 f., 290. H e r r e n f a l l 87, 163. Herrenhof, s. Fronhof. Herrenhaus 341. Herrschertum 24. Herrschersouveränität 230. Herzog, Herzogtum 24, 105 f., 109, 172 f. Braunschweig 173. F r a n k e n (Würzburg) 172, 173, 180. Preußen 227, 297, 307. Österreich 172, 173, 191. Bayern 85, 172, Sachsen 157, 169, 172. Westfalen 173, 181. K ä r n ten 172. L o t h r i n g e n 172. Schwaben 172. Herzogsfriede 85. Herzogsgericht 85, 100. Hessen 35, 40, 115, 172, 242, 325, 342. Hessen-Darmstadt 322, 337. Hessen-Kassel 290. Heusler, Andreas, 276. Hexenprozesse 346, 352. Hildesheim 147, 151, 250. H i n k m a r von Reims 60. H i n t e r p o m m e r n 227. Hintersassen 42, 90, 92, 115, 125, 240 f. H i p p o l i t u s a Lapide 284. Historia scholastica 137. H i t l e r , A d o l f 238. Hochfreie 126. Hochgerichte 195 f. Hochgerichtsbarkeit 92, 162, 172, 178 f., 188, 204, 206. Hochmeister 104, 227. Hochsitz 69, 71. Hochverrat 96. Hochvogtei 185 f. Hörige, s. Halbfreie, Hintersassen, hof 169. Hofämter, s. Hausämter, Königshof. Hoffahrt 87, 163, 225. Hofgericht 179 f., 195 f., 254, 302, 310. Hofgerichtskanzlei 168.

Hofhalsgericht 310. Hofkammer 289, 302, 305. geheime 308. Hofkanzlei 168, 194. österreichische 289. Hofmarkgericht 196. Hofmarschall 194, 288. Hofmeister 168, 194, 301. Hofpfalzgraf 154, 168. Hofrat 169, s.Rat. Hofratspräsident 288. Hofrecht 130, 150 f. Hofrentei 305. Hofrichter 135, 167. Hofsprache 196. Hofstätte 14 f. Hoftag 76, 169 f. Hof- u n d Kammergericht 180. H o l k h a m e r K a p i t e l 64. Holstein 144. Holzgraf 116. homines 68. commanentes 90. ecclesiastici 48. potentes 90. rusticani 127. homo Francus 46. ligius 107. Honorius Augustodunensis 137. hospes 37. H o y e r von Falkenstein 137 f. Hude 202. Hufe 15, 42. Hugo, Gustav 274. Hugolinus 252. Huldentzug 97. H u l d i g u n g 70. H u m b o l d t , W i l h e l m von 231, 234. Hundertschaft 22, 24 f., 27, 77, 171. Hundertschaftsgericht 82. S. Gogericht, Zentgericht. Hundertschaftshäuptling 23, 27, 77. Hundertschaftsversammlung 22, 27. hunno 77. h u n t a r i 22. Hypothekenordnung, preußische 265. Jagd, Jagdregal 13, 162, 176, 235. Jahresgeschenke 84, 95. Jakobus de Ardizone 252. I g l a n 147. Bergrecht 152. Ihering, Rudolf v. 277. I m b r e v i a t u r 154. Immobiliarprozeß 101.

Namens- und Sachverzeichnis

I m m u n i t ä t 90 ff., 107, 172, 185, 189, 193, 204. engere 186, 204. jüngere 186. Immunitätsgerichtsbarkeit 91, 185. immunitas 91. imperator 161. i. augustus 70 f., 161. i m p e r i u m Romanum (sacrum) 103. indiculus 59. commonitorius 102. Infidelität 97. Informatio ex speculo Saxonum 142. Ingelheim 131, 177. ingenuus 17, 47. Ingweonen 2. Innenkolonisation s. Landesausbau. Innungen 206, 246. inquisitio 101, 150. Inquisitionsbeweis 102, 218. Inquisitionsprozeß 217, 351, 353. Insatz 220. Insignien 71, 161. Instanzentbindung 353. Instruktionsmaxime 217. interpretatio (westgotische) 64. intertiatio 101. Intervenient 153. introitus 91. Investiturstreit 111, 183. Inzicht 216 f. Inzichter 217, 352. Inzichtklage 217. Inzuchtbeweis 101. Joachimstaler 120. Jodokus 256. Johann X X I I . 184. Johannes von B r ü n n 133, 149. Johannes von Buch 133, 137, 139, 142, 254. Johannes von Gelnhausen 156. Johannes Teutonicus 137. Johanniterorden 226, 316. Jordanes von Osnabrück 155. Josef I I . (1780—90) 232, 251, 266, 315, 347. i r w e l e n 158. Istrien 191. Istweonen 2. I t a l i e n 103 f., 110, 168, 170, 183. i t i o i n partes 291, 295. Juden 44, 122, 202, 233 Judengemeinde 177. Judenschutz (Judenregal) 71, 84, 162, 176, 191, 202, 284.

373

iudex 92, 204. iudicia maiora, minora 195. i u d i c i u m aquae calidae, f e r r i candentis, v o m e r u m 100. i u d i c i u m camerae 180. secretum 181. Julius II. (1503—13) 283. i u r a caesarea reservata 284. comitial i a 284. l i m i t a t a 285. i u r a regalia 162. i u r a m e n t u m calumniae 356, 358. delatum, purgatorium, relatum, supp l e t o r i u m 357. iuratores 101. iuratores electi 99. iurisprudentia cameralis 272. ius conductus 162. curiae 150. evocandi 82. mercatum habere 200. p r i m a r i a r u m precum 164. reform a n d i 295. regale montanorum 152. soliet d o m i n i u m 192. t e r r i t o r i i et superioritatis 187, 296. teutonicum 117. Justi, von 231. iustitiarius curiae regiae 167, 179. Justizdeputation 310. Justizkommissar 359. Justizministerium 270, 309. Justizrat, Geheimer 310. Kabinettsjustiz 313. Kabinettsministerium 308, 339. Kabinettsregierung 309. Kämmereibücher 147. Kämmerer 48, 74, 167, 194, 209. K ä r n t e n 172, 191. Kaiser, Kaisertum 36, 73, 110, 135, 161 f., 165 ff., 283 ff., 320, 326 f. Kaiser u n d Reich 112. Kaiserkrönung 36, 70, 73, 166, 283. Kaiserrecht 140. kleines s. Frankenspiegel. K a k 213. K a l i x t II. (1119—24) 111, 183. K a l u m n i e n e i d 356, 358. Kameraljurisprudenz 272. Kameralprozeß 355 f. Kammergerichtsordnung 180, 254. Kammergericht 180, 254, 287, 302, 310. Kammergut 305. K a m m e r j u s t i z 309. Kammerzieler 288, 293. K a m m i n 227.

374

Namens- und Sachverzeichnis

Kampfklage 217. K a n t 229 f., 231, 234, 266, 347. Kanton 225. Kantonsystem 310. Kanzlei 75, 168. Kanzler 75, 168, 301, 324, 327, 332. Kapelle 75, 168. K a p i t u l a r i e n s. c a p i t u l u m K a r l I I I . (876—87) 37, 103, 156. K a r l I V . (1346—78) 135, 158, 168, 248. K a r l V. (1519—56) 259, 281, 283, 294. K a r l V I . (1711—40) 301, 314. K a r l der Große 36, 40, 70, 72 f., 79, 82, 94, 138, 141. K a r l M a r t e l l 36, 81. Karlsbader Beschlüsse 319. Karlspfund 45. K a r t e l l 246. Kassation 358. Kastner 195. Kastvogtei 185. Kaufleute, s. Handel. Kaufmannsgilde 201, 206. keiser, römischer 161. K e l l n e r 195. Kempten 196. Kerbzettel 153. Kesselfang 100. Ketzergesetzgebung 166. kiesen, b i namen kiesen 158. Kietz 200. K i r c h e 50, 92 ff., 182 ff., 294 ff. Kirchenhoheit 72. Kirchenordnungen 263. Kirchenregiment 94, 209, 302, 305. Kirchenschutz 72 f., 112, 166, 294. Kirchenstaat 72. K i r c h e n v e r w a l t u n g 209. Kirchspielgericht 195, 207. Kirchspielsgebräuche, Neumünstersche 264. Klagbote 215. Klagengewere 220. Klage 32 f., 99, 216 f., 219 f., 351 f., 356 f. bürgerliche, gemischte, peinliche, schlichte 216 f. m i t den Toten 34, 101. gegen den toten M a n n 30, 34, 101. Klagspiegel 256, 261. Klassenkampf 237. Klassenwahlrecht 329, 337, 341. Klausei, salvatorische 261, 346.

Kleiderordnungen 304. K l e i n , Franz 360. Kleinbauer 43, 115. Kleinbesitz 41, 43, 115. Kleingrundherrschaft 116. K l e i n k ö n i g 23. K l e n k o k , Johannes 139. Kleve 227, 307. K l i n g , Melchior 271. Klöster, s. Eigenklöster. K l ü f t e 18. Knecht 17. S. Unfreie K ö l n 131, 147, 151, 199, 203, 205, 207, 289. König, K ö n i g t u m 23, 27, 66 ff., 70 ff., 125, 156 ff., 160 ff., 170. Preußen 311. römischer K. 157, 165, 283. Königsbann 72, 78, 162, 200. Königsbannleihe 162. Königsbote 56, 79 f., 83, 92, 102. Königsfreie 125. Königsfriede 71. Königsgericht 71, 75 f., 82, 98, 100, 102, 131, 160, 162, 164, 179 f., 285. Königsgut 83. S. Hausgut, Krongut. Königshof 74 f., 83, 167 f. S. Pfalz. Königshufe 42. Königslager 159. Königsrecht 48, 132. Königsschutz 71. S. Kirchensfchutz, Judenschutz. Königstitel 70, 161. Königsurkunde 58, 99, 153. Königswahl 68 f., 156 ff., 160 f. Königszins 124. Köstlin, Reinhold 278. K ö t t e r 118. Kolonisation 114. innere 242. S.Ostkolonisation. Kommendation 87, 89. Kommentatoren 252, 254, 257. Kommissarius 291. Kommunismus 236 f. Konferenz, Geheime 302. Konfinierung 350. Konföderation, K ö l n e r 210. Konkommissarius 291. Konkordate 135 f., 342. Wiener 185. Wormser 106, 111, 125, 135, 183, 296. K o n k u r s 221. Konkursrecht 268. K o n r a d I. (911—18) 103, 109, 159.

Namens- und Sachverzeichnis

K o n r a d II. (1024—39) 103, 110, 252. K o n r a d I I I . (1138—52) 153. Konservativismus 235. Konsistorium 302, 305. Konstitutionen, Raushofener 143. sächsische 263. K o n t i n u i t ä t 13, 39. K o n t r i b u t i o n 308. Kopfzins 47, 125. Kopialbücher 58, 155. Korrespondenztag 225. K r ä m e r 119. Krämergilde 207. Kreisausschreibeamt 282. K r e i s d i r e k t o r i u m 225. Kreise 225, 282. vordere 283, 297. Kreiseinteilung (Sippe) 18. Kreishauptmann 282. Kreisoberst 282. Kreisrat 282. Kreisverfassung (Mark) 309. K r e i t t m a y r , Wiguläus- von 263. Kreuz 71, 220. Kreuzesfahne 161. Kriegsbefestigung 356. Kriegs- u n d Domänenkammer 309 f., 339. Kriminalgerichtsordnung, preußische

266

K r ö n u n g 70 f., 159, 283. lombardische 165. Krönungseid 167. Krönungsversprechen 112, 159. K r ö v e r Reich 177. Krone 71. K r o n g u t 83, 86, 172, 181. S. Hausgut. Küchenmeister 167, 194. K ü r e n 144. K u h g e l d 14. K u l m , alter 148. K u l m e r Handfeste 145. k u m m e r 220. Kundschaft 218. Kunkelmagen 18. K u r f ü r s t e n 134 f., 157 f., 163, 187, 191 f., 289 f. Kurhessen 338. K u r i e n 170, 196, 290. Kursachsen 284, 313. Kursächsische Konstitutionen 263. K u r v e r e i n 289. von Rense 135, 159.

375

Laband, Paul 278. Ladung 32, 98, 102. Läuterung 358. lagh 20. Lagus, K o n r a d 271. Laienabt 94. Laienfürsten 125. Laieninvestitur 111. Laienrichter 255, 262, 354. Laienspiegel 256. L a n d 77. Landbücher (Schweizer) 144. Landesausbau 111, 114. Landesfreiheiten 144. landesherre 192. Landeshoftag 169. Landeshoheit 187 ff. S. Territorien. Landeskirche 94, 305. Landesmarschall 194. Landesordnungen 262 f. märkische 264. salzburgische 145. T i r o l e r 263. Landesrechte 129, 143 ff. Landesverweisung 350. Landfolge 80. Landfrage 217. stille 223. Landfrieden 134 f., 144, 178, 210, 212. ewiger 135, 212, 280. Mainzer 132, 135, 167, 212. ronkalischer 135. sächsischer 135. 1 Landfriedensgericht 134, 180. Landfriedenshauptmann 180. Landgemeinden 345. S. Gemeinde. Landgericht 195 f. kaiserliches 180 f. i n der Pürsch 181. Landgerichtsordnung, bambergische

261.

Landgrafschaft 173. Landherren 127. Landhofmeister 194. Landrat 309, 339. Landrecht (Landrechtsbücher) 143 ff., 262 ff. badisches 255, 267. bairisches 263. bergisches 145. Breslauer 140, 145. Burger 145. dietmarsches 144, 263. D r e u t e r 145. friesisches 144. Hagener 264. Jülicher 263. osterstadisches 264. oberbairisches 145. österreichisches 145. preußisches allgemeines 231, 241, 265, 346. Herzogtum Preußen 263. Rheingauer 145. rügisches 264. schlesisches s. Breslauer. Solmser 263. steiermär-

376

Namens- und Sachverzeichnis

kisches 145. württembergisches 255, 263. Würzburger 145. Wurster 264. Land- u n d Lehnrecht, kaiserliches 140. Landrechtsreformation, bairische 263. Landrichter 195. Landsässigkeit 224, 249, 300. Landsassen 123. landschädliche Leute 222. Landschenkungen 85 f. Landschreiberei 194, 305. Landsding 22. Landsgemeinde 22, 24, 27. Landsiegelgüter 115. Landsknechte 175. Landstände 196, 302 f., 307 f., 313, 337 f. Landtag 196, 343. L a n d t a i d i n g 195. Landvogt, Landvogtei 177, 180 f., 195. Landwehr 76, 80, 82, 174. Langenbeck 264. Langobarden 2, 35 f., 37, 40, 50. L a n t f r i d 55. lantherre 192. Lanze 71, 174. Lassen 117. Laten 17, 117, 125. laudare 158. Lausitz 133, 172, ISO, 227. Lebendigbegraben 30, 213. Ledigung 350. leges, s. lex. legitimatio per rescriptum principis 168. Lehen 88, 235. S. Lehnsstaat, Lehn( wesen. Lehnbücher 6. Lehnrecht 130, 136, 138, 142, 252. italienisches 252. Wiek-Öselsches 140. Lehnsgericht 196. Lehnsstaat 105 f. 193. Lehnwesen 105 f., 125 f., 163, 174 f., 190, 193, 308, 340. Leibeigenschaft 122, 250 f. S. Unfreie. Leibesstrafen 96, 213. Leibherrschaft 89. Leibniz 265. Leibzins 250 f. Leihe, s. Grundleihe, Lehnwesen. Leihezwang 88, 106, 163, 193, 241.

Leipzig 244, 255, 324. Leitmeritz 131. Leo I I I . (795—816) 36, 73. Leopold I. (1658—1705) 314. Leopold I I . (1790—92) 232. L e o v i g i l d 55, 63. letslachte 122. leudes 68, 70. leudis 30. Leugnungseid 33. Leute, landschädliche 222. L e x leges. L e x A l a m a n n o r u m 55. L e x A n g l i o r u m et W e r i n o r u m 54. L e x B a i u w a r i o r u m 55,140. L e x B u r g u n dionum 54, 64. L e x familiae W o r matiensis ecclesiae 151. L e x Frision u m 54. L e x Gundobada 64. L e x Ribuaria 53 f. L e x Romana Burgundionum 64. L e x Romana Curiensis 64. L e x Romana Visigothor u m 63. L e x Salica 52. L e x Saxon u m 54. L e x T h u r i n g o r u m 54. L e x Yisigothorum 63. — Leges barbar o r u m 49, 51. Leges feudales Tecklenburgicae 151. Leges Romanae 52. — l e x originis 50. Leyser, A u g u s t i n 273. Libellus de Caesarea monarchia 155. de exordiis et incrementis r e r u m ecclesiasticarum 60. de ordine pal a t i i 60. l i b e r 47. L i b e r constitutionum 64. G a i i 63 f. i u d i c i o r u m 63. legis Langobardor u m 65. legiloguus 65. Papiensis 65. Liberalismus 234, 338, 341. liberale A e r a 234, 328. liberalistische W i r t schaftsauffassung 232, 235. l i b e r i barones 123. L i b r i feudorum 252. Licet i u r i s 135, 165. Ligeität 107. Lindenbrog 271. Linzgau 173. List, F r i e d r i c h 245. L i t e n 17, 122. L i t e r a t u r , juristische 60, 65, 155 f., 228, 271 ff. l i t i m o n i u m 47. Litiscontestation 356 f. l i t t e r a e clausae, patentes 153. L i n t p r a n d 65.

Namens- und Sachverzeichnis

locator 117, 200. Lösung 97. Lombarda 65. Lombroso, Cesare 278. London 210. l o r i c a t i 174. Lothar I. (840—55) 37, 73. Lothar I I I . (1125—37) 252. Lothringen 103, 109, 172, 226. S.ElsaßLothringen. L u d w i g I., der Fromme (814—40) 36, 70, 73, 76, 78 f., 94, 99, 151. L u d w i g IV., der Baier (1314—47) 120, 135, 145, 155, 165, 184. L u d w i g der Deutsche (843—76) 75. Lübeck 131, 146 f.; 203, 205, 210, 226, 258, 275, 344. Lübecker Stadtrecht 146, 264. L ü n e b u r g 147. L u f t macht frei (unfrei) 128. L u p o i d von Bebenburg> 155, 158. L u t h e r 294. Luxusgesetze 304. Mähren 133, 152, 227. Männerbünde 26. M ä r k e r d i n g 116. Märkermeister 116. Märzfeld 81. Märzminister 340. Magdeburg 131, 148 f., 203, 227. Magdeburger Recht 131, 148 f. magiscampus 82. magister curiae 168. Magistratsverfassung 345. magistri c i v i u m 205. Magschaft 18. Magsühne 31. Mahnverfahren 356. Maifeld 82. Mainz 157. maior 42, 83. maior domus s. Hausmeier, maiores 205. m. terrae 197. Malefizordnungen 263. Malefizsachen 213, 347. mallus 22. M a l m e d y 330. m a l u m factum 28. Manchestertum 235. mancipia 48. mandatum de solvendo 356.

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M a n n f a l l 87, 163, 225. Manngeld 30. Mannheiligkeit 16. mannitio 98. Mannkammer 196. mansionarii 48, 75. mansus 42. domiiiicalis 42. manumissio per denarium 47. marchio 79. marchisus 79. marescalcus 74. MariaTheresia 266, 314. S.Constitutio criminalis. m a r i t a g i u m 47. M a r k 22, 152, 171. M a r k (Grafschaft) 227, 307. M a r k , kölnische 120. Markgenossenschaft 15 f., 43, 116. Markgericht 196. Markgraf, Markgrafschaft 79, 171. Markherzog 79. M a r k t 43, 118, 199 f. angelehnter 200. Marktflecken 199. M a r k t f r i e d e n 200. M a r k t g e r i c h t 205. M a r k t g r ü n d u n g 162, 199 f. M a r k t p o l i z e i 80. M a r k t r e c h t 191, 200. M a r k t r e g a l 162, 191, 200 f. Marschall 48, 74, 167, 169, 194, 301. Marschalldienst 166. Marsilius von Padua 155, 184, 230. marter 352. M a r x , K a r l 336. mater Carolinae 261. Materialismus, historischer 236. M a t r i k e l , Wormser 292. Maurer, K o n r a d 276. Maut 83. M a x i m i l i a n I. (1493—1519) 191, 283, 288, 301 f. Mecklenburg 104, 117, 313, 331, 336, 341, 354. medianus 46. medii electi 99. Mehrheitsprinzip 159, 170, 303. Meier 115, 117, 195. Meiergüter 115. Meierhof 117. Meineid 96. M e i n w e r k 28.

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Namens- und Sachverzeichnis

Meißen 117, 172. Meißener Rechtsbuch 148. meliores 205. Memelland 330. mercator 44, 118 f., 206 f. m. regis 44. merer des riches 161. Merkantilismus 232, 245. Merkel, A d o l f 278. Meßgericht 360. Messer zücken 96. Methode 11. Metternich 318. 1 Metz 226. Meuchelmord 96. Mevius, D a v i d 264. milites 127. Minden 227. Minder fr eie 17, 47. ministeria 83. Ministerialen (ministeriales), M i n i sterialität 48, 111, 115, 126 f., 151, 193, 204. M i n i s t e r v e r a n t w o r t l i c h k e i t 340. Missetaten s. Strafrecht, erlaubte M. 28. missethat 347. missio i n bannum 100, 220, 357. i n bona 357 f. missus dominicus, regis 79. s. Königsboten. m. comitis 78. m i t h i o 89. miturheber 349. M i t t e l b e z i r k e 195. Mittelfreie 126, 127. Monarchie, konstitutionelle 337. Monopole 119, 207, 243. Montesquien 234, 338, 346. M o r d 28, 29 f., 96. m o r t u a r i u m 47. mosgallicus 272. italicus 271 f. Moser, Joh. Jakob 274. Mühlhäuser Reichsrechtbuch 150. München 258. M ü n d l i c h k e i t 32, 215, 320, 340, 352, 354, 358, 360. Münzkonventionen 293. Münzrecht (Münzregal) 72, 84, 162, 176, 191, 200, 204, 206, 285. Münzwesen 14, 44, 120, 293. m u n d i b u r d i u m 185. M u n t 105. M u n t a t 186.

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Muntmannen 47. Mure, K o n r a d von 156. muta 83. Muttermagen 18. Mynsinger, Joachim 256, 272. Nachlaß, erbenloser 72, 85. Nachsteuer 318. N a r e w 227. Nassau 245, 336. Nationalgefühl 104. Nationalsozialismus 238, 335. Nationalversammlung, verfassunggebende 320, 331. Nationalstaat 104. nationes 304. Naturalwirtschaft 14, 244. Naturrecht 228 f., 233, 265 f., 273, 346. negotiator 44. Neidingswerk 28. Neuaufbaugesetz 335, 344. Neuchinger Dekrete 55. Neuenburg 227. N e u m a r k t 200. Neustadt 202. Neustrien 36, 52, 85. Nichtchristen 108. Nichtigkeitsklage 358. Niedergerichte 195. Niederlande 226. Niederschwaben 177. Nikolaus I. (858—67) 94. Nikolaus V. (1447—55) 136. nobilis, nobilitas 16, 46. nobilitas i m p e r i i 225. nocioi terrae 222. nominatio 158. Norddeutscher B u n d 323 ff. N o r d m a r k 172. Normann, Matthäus 264. Normannen 35. Norwegen 1. Notar, Notariat 154, 168, 285. notarius 75. n. curiae 168. Notgericht 30, 82, 178, 181, 222. n o t i t i a 59 f. Notstand 28. Notwehr 32, 211, 214, 348. Notzucht 29 f. Novemberverträge 325. Noveneid 358. Nowgorod 210.

Namens- und Sachverzeichnis

Nürnberg 177, 180, 203, 205 f., 226, 316. Nürnberger Reformation 264. n u l l a poena sine lege 277, 347. Oberacht 181, 214, 219, 222. Oberappelationsgericht 310. Oberbaiern 129. Oberhaus 319. Oberhof 131, 219, 255. Oberläuterung 358. Obermärker 116. Oberpräsident 339. Oberpriester 23. Oberschlesien 330. Oberschwaben 177. Obersthofmeister 168. Oberratsstube 309. Obertribunal, Geheimes 310. Obertus de Orto 252. obsequium 87. Observanz 248. Occam, W i l h e l m 155. Odilo 55. Öffentlichkeit 32, 215, 320, 340, 352, 354 f., 359 f. Öffnungen 150. Österreich 129, 144, 172, 173, 191, 195, 217, 223, 227, 245, 251, 284, 285, 297, 298, 300 f., 302, 307, 314, 316, 321, 331, 340, 349, 353 f., 360. officium stratoris, strepae 166. Offizialprinzip 217. Oldenburg 342. Oldendorp, Joh. 271. Olmütz 322. optimates 123. opus t r i p a r t i t u m iuris consuetudin a r i i 256. O r d a l s. Gottesurteil. Ordinatio i m p e r i i 69. O r t 225. Ortenau 177. Ortsherrschaft 196. Osenbrüggen, Eduard 278. Ostfriesland 36, 196. Ostgermanen 1, 13. Ostgoten 35, 64. ostiarius, summus 75. Ostkolonisation 110, 117, 133, 202. Ostpolitik 110. Ostpreußen 104, 330.

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Otto I. (936—73) 103, 106, 109 f., 159, 165, 183, 185. Otto I I I . (983—1002) 110, 161. Otto IY. (1198—1215) 137, 177. pactum executivum 356. Pactus 49. Alamannorum 55. pro tenore pacis 53. pagus 22, 77. palatini 74. palatium 74. Panzerreiter 81, 174. Papst, Papsttum 94, 110 f., 164 f., 166, 182 f., 295. para s. bara. Parlamentarismus 328, 330, 332, 334 f., 342 f. Parteieid 99, 357. Parteien, politische 234 ff., 321, 328 f. Parteivertrag 32, 98. Paßzwang 324. Patricius 70, 73, 79. Patrimonialgerichtsbarkeit 196, 235, . 303, 342. Patriziat 206. Patronat 183. Paulus, westpolitischer 63. pax 134, 201. Perioden 3. Personalisten 290. Personenverbandsstaat 105, 188. Personalitätsprinzip 50, 52, 62, 76,130. pertinentia comitatus 78, 88. Peter von A n d l a n 155. petitio s. Bede. petitiones (fries.) 144. Petrus Comestor 137. Pfählen 213. Pfändung 32, 100, 219 f. Pfändungsklausel 237. Pfahlbürger 135, 209. Pfalz 74, 167. Pfalzgraf 71, 75 f., 164, 168. bei Rhein 157, 164, 169, 173. Pfalzgrafengericht 76, 102. Pfandbücher 147. Pfandabnahme 100. Pfarrgemeinden 201, 202, 207. Pfennig 44, 120. gemeiner 175, 177, 293. Pfleger 195. Pfleghafte 124, 171.

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Namens und Sachverzeichnis

Pflugscharengang 100. Pfund, römisches 44. S. Karlspfund. P h i l i p p von Schwaben (1198—1208) 137. Physiokratismus 232, 245. pincerna 74. P i p p i n 36, 53, 67, 69 f., 72, 75, 81, 86. placita 59. pl. generalia 82. poena confessi 356, 359. extraordinaria 347, 353. Polen 104, 110, 117, 133, 227, 297. Polizei 77, 188, 208 f., 293, 303 f. Polizeigerichtsbarkeit 206. Polizeiordnungen 260, 293, 304. Polizeistaat 231, 304, 312, 339. polyptycha 6. Pommern 104,117. S. Hinterpommern. Popularklage 218. Posen, 227, 330. Positionen 356 f. possessor 37. Postglossatoren s. Kommentatoren Postregal 284. Postwesen 294. postestates 90. praeceptio 56. praefatio r h y t h m i c a 137. praefectus 204 f. Prälaten 196, 290. Prämonstratenser 124. praepositus negotiatorum 204. Präsentationspflicht 90. Progmatische Sanktion 301, 314. Pranger 213, 349 f. precaria data, oblata, remuneratoria 43. precariae verbo regis 86. precarium 42, 86. Preisgabe 96, 100, 211. Preisregelung 120, 293, 304. Pr emi s 142. Preußen 117, 133, 226, 241, 245, 265, 284, 307 ff., 317, 322 f., 326, 333, 338, 340 f., 342, 348 f., 353 f. Preußen, Herzogtum 227, 297, 307. Priester 23 f., 30. Primogeniturerbfolge 192, 301. princeps 23 f., 123, 125. p. pincernar u m 74. Prinzipalkommissarius 291. Prinzipatsverfassung 24. Privatfürstenrecht 248.

Privatgericht 27. Privatpfändung 100. Privatsoldaten 81. Privatstrafe 97, 211. Privatstrafrecht 31. P r i v a t u r k u n d e n 58, 99, 153. Privatverbrechen 348. Privilegienbücher 147. Privilegienstädte 201. Privilegien, Ottonische 204. Privilegium de non appellando 191, 287, 310. de non evocando 179, 191. minus 191. r e c l a m a t i o n s 82. probatio, plena, semipiena 357. P r o b a t o r i a l a r t i k e l 356. procurator (Prozeß) 215. professio iuris 50. P r o j e k t des Corpus j u r i s F r i d e r i ciani 265. P r o k u r a t o r 177. Prologus (Sachsenspiegel) 137. Protonotar 168 f. Provence 37. Prozeß s. Rechtsgang. Prozeß, sächsischer 357 f. summarischer 356. Prozeßordnung, hannoversche 359. preußische 359 f. österreichische 360. pseudoisidorische Dekretalen 57, 94. Puchta, Georg Friedrich 275. pueri (regis) 48. Pütter, Johann Stefan 274. Pufendorf, Samuel 224, 228, 230, 284. Purgold, Johann 148. Quartiermeister 75. querela n u l l i t a t i s 358. Quesnay, François 232. Rache 31, 34. s. Blutrache, Fehde. Rachinburgen 27. Radizierung s. Yerdinglichung. Radolfzeller Halsgerichtsordnung 263. Rädern 30, 213, 349. Räte 194. geschworene 169. von Hause aus 194, 301. wesentliche 194. S. Rat. Rätien 38. Raffelstetter Zollweistum 83. R a i m u n d von Peniafort 140. Rat 76, 169, 194, 205 f., 301. geheimer 286, 289, 302, 308.

Namens- und Sachverzeichnis

Rat der Volksbeauftragten 331. Ratmannen 205. Ratslisten 147. Ratsstube 302. ratsuchung 353. Raub 29. Ravensberg 227, 307. Raymundus 256. recessus i m p e r i i 291. Rechenkammer 302. Redit (allgem.) 20, 48, 132 f., 228 ff., 252 ff. Redit alamannisdies 55, 83. bairisches 55, 63, 143,263,266. chamavisches 54. fränkisches 18, 27, 50, 52 ff., 57 ff., 99, 164. französisches 354, 359. friesisches 18, 54, 143 f. jüdisches (mosaisches) 213. kanonisches 51, 133, 150, 155, 158, 252 f., 256, 355. i m Kolonisationsgebiet 133. langobardisches 50, 64 f., 101. lassitisches 117. ostgotisches 64. ribuarisches 50, 53 f., 72, 83, 99, 164. römisches 51, 57, 63 f., 116, 133, 139, 150, 155, 216, 240, 250 f., 252 ff., 254 ff., 265 f., 271, 300. sächsisches 54, 101, 124, 133, 218, 263, 267, 357. S. Rechtsbücher, Sachsenspiegel. salisches 50, 52 f., 72, 83, 99. spanisches 63. thüringisches 54. westgotisches 51, 53, 55, 62, 63 ff. S. a. die einzelnen Länder. Rechte, landläufige Kulmische 149. Rechtsarchäologie 6, 277. Rechtsbildung s. Recht. Rechtsbuch nach D i s t i n k t i o n e n 148. Eisenacher 148. Freisinger 141. von der Gerichtsverfassung 148. Glogauer 148. Görlitzer 140. Meißener 148. Mühlhäuser 132, 150. Neumarkter 140. Posener 148. Johann Purgolds 148. Silleiner 148. Zwickauer 140. Rechtsbücher 136 ff., 147. Rechtseinheit 131, 265, 269, 327. Rechtsfähigkeit 17. Rechtsgang 31 ff., 98 ff., 215 ff., 221 ff., 351 ff., 355 ff. Rechtsgeographie 8. Rechtsgutachten 255, 272. Rechtshilfepflicht 27. Rechtskraft 100. Rechtskreise 129 ff.

381

Rechtspflege s. Gerichtsbarkeit. Rechtsschule, germanistische 275 f. historische 229, 267, 274. italienische 252. naturrechtliche 228 f., 273 f. Rechtssprache 7, 11, 21. Rechtssprichwörter 7, 21. Rechtsstaat 231, 235, 313, 334. Rechtssymbolik 6, 21, 23, 47, 59, 87, 125, 132. Rechtsvergleichung 7. Rechtsverweigerung 82, 160, 179, 181, 287. Rechtsvortrag 20. Rechtszug 100, 179. S. Appellation. rechttag, entlicher 352 f. recognoscere 75. Referendar 75. Reformation 233, 294, 304. Reformation, F r a n k f u r t e r 264. N ü r n berger 264. Wormser 264. Zwickauer 264. Reformation Friedrichs I I I . 280. Regalien 162, 183 f., 284. Regalienrecht 164, 176, 183, 191. Regensburg 146, 167, 205, 290 f. Regimentsordnung 280 f. Register 6. Registerbücher 155. regnum Francorum 69, 103. teutonicum 103. Regulierungsedikt 242. reht 20. Reich, fränkisches 35 f. deutsches (MA.) 103 ff., (NZ.) 224 ff., 325 ff., 330 ff. Reich, heiliges römisches 103, 226, 298. Reich, römisches R. deutscher Nation 225. Reichsabschiede 260, 291. Jüngster 260, 291, 295, 303, 355. Speyerer 260, 294, Augsburger 260, Freiburger 260, Wormser 260. Reichsabteien 172, 177, 183. Reichsacht 160, 180 f., 213, 219. Reichsadel 248. Reichsadler 320. Reichsämter 327. Reichsapfel 161. Reichsaristokratie 46, 104 f. Reichsbauern 248. Reichsbezirke 171 ff. Reichsbistümer 177, 184, 285.

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Namens- und Sachverzeichnis

Reichsbürger 248. Reichsburgen 191. Reidisdefensionalverfassung 292. Reichsdeputationen 292, 295. Reichsdeputationshauptschluß 226, 260, 289, 298. Reichsdienstmannen 127. Reichedörfer 107, 177, 224, 249. Reichsexekutionsordnung 303. Reichsfahne 161. Reichsfinanzreform 326, 329. Reichsfreiherrn 248. Reichsfürstenstand 123, 248. S. F ü r sten. Reichsgericht 281, 321, 324. Reichsgesetzgebung 134 f., 170, 259 f., 285, 326. Reichsgut 163, 170, 177, 179. Reicbsgutachten 291. Reichsheerwesen 174 ff., 292 f. Reichshofgericht 179, 192, 213. Reichs (hof)kanzlei 286. Reichshofkanzleiordnung 286. Reichshofrat 169, 285 f., 288, 295. Reichshofratsordnung 260, 288. Reichshofrichter 179. Reichsjägermeister 167. Reichsinsignien 159, 161. Reichskammergericht 180, 254, 281, 286 f., 295. Reichskammergerichtsordnung 254, 260. Reichskanzlei 168, 286. Reichskanzler 168, 326 f., 329, 332. Reichskirche 109, 164, 182 f. Reichskirchengut 176. Reichskreise 279 ff., 292 f. Reichsministerialen 116, 125, 127, 164, 169, 174 f. Reichsmünzordnung 293. Reichsnotariatsordnung 154, 260. Reichspolizeiordnungen 260, 293, 346. Reichspräsident 331 f., 334. Reichsrat 333 f., 341, 343. Reichsrecht 49. S. Reichsgesetzgebung. Reichsrechtsbuch, Mühlhäuser 132, 150. Reichsreform 5, 279 ff., 297. Reichsregierung 327. Reichsregiment 281. Reichsritterschaft 224 f., 248, 300. Reichsschluß 291.

Reichsstädte 107, 164, 172, 174, 181, 192, 203 f., 226, 316, 344. Reichsstandschaft 170. Reichsstatthaltergesetz 335. Reichsstrafgesetzbuch 268, 324, 347. Reichsstrafprozeßordnung 354. Reichstag 76, 170, 289 ff., 320, 323, 327, 332. Aachener 51. Augsburger 260, 281. Lindauer 260. Nürnberger 280. Wormser 260, 280, 287. Reichsteilung 67, 69, 75. Reichsunmittelbare 122, 192, 224 f., 248, 287, 294, 316. reichsunmittelb a r e Gebiete 192. Reichsverfassung (von 1871) 325 f., (von 1919) 235, 238, 331 ff. Reichsversicherungsordnung 247. Reichsvikariat 164. Reichsvogt (Reichsvogteien) 107, 172, 175, 181, 204. Reichsvogteigericht 181. Reichsweistümer 134. Reichszivilprozeßordnung 360. Reichszunftordnung 245, 260. Reinhard, Benedikt 273. Reinigungseid 33, 217. R e i n k i n g k , Dietrich 284. Reiterbestallung 293. Reiterei 25, 81, 86. Reitkammer 302. Rekkesvind 63. Reklamationsrecht 82, 179. Rekognition 75. Rekurs 357. Religionsbann 295. Religionsfreiheit 294 f., 318. Religionsfriede, Augsburger 259, 294. Renovatio i m p e r i i 74, 110. Rentengrundherrschaft 240. Rentengüter 242. Rentenlehen 86. Renten Wirtschaft 115. Rentkammer 302. Rentmeister 195. Reservatrechte, kaiserliche 284. einzelstaatliche 325 f., 332. reservatum ecclesiasticum 295. Residenz 74, 167, 286, 302. Revision 357. rex 23, 161. F r a n c o r u m 70. Romanor u m 161.

Namen- und Sachverzeichnis

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Sachsenspiegel 123 f., 132, 136 ff., 141 f., 148, 157, 158, 159, 179, 184, 213, 220. holländischer 140. vermehrter 148. Säkularisation 86, 298, 339. saiga 45. Sakralrecht 20, 22, 25, 29, 96. Salbung 70, 72, 109, 159. Salhof 42. Salier 12, 36, 52. Salland 42. Salvator generis h u m a n i 139. Salzburg 129, 203, 227, 290. St. M a x i m i n (Trier) 151. satrapa 23. Satzung 49, 132. Savigny, Friedrich K a r l v. 267, 274 f. Saxmund 54. scabini 83. scepenbare lüde 124. Scharmannen 42. Schätzung 208. Schatzwurf 47. Scheckgesetz 269, 270. Scheinprozeß 218. Schenk 48, 74, 167, 169, 194. Schenkung 86. Schiedsgericht 27, 361. S. Austrag. Schilderhebung 24. Schilling 44. Schilter, Johann 273. Schirmvogt 92, 185. Schleifen 349. Schlesien 104, 117, 133, 152, 227. Schleswig 257, 330. Schlüssel des sächsischen Landrechts 142, 155. Schöffen 83, 195, 205 f., 217, 354. Schöffenbarfreie 124 f., 126. Schöffenbuch, Brünner 149. Danziger 149. Schöffenbücher 147. Schöffengericht 354. Schöffenrecht, Magdeburger 148. Systematisches 148. Schöffensprüche 146, 149. Schollenpflichtigkeit 17, 47, 122, 125, Saargebiet 330. 251, 339. sacebaro 77. Schoß 197. sacerdos civitatis 24. Schraën 146. Sachsen 2, 13, 23, 35 f., 40, 54, 78, 83, Schreiat 213. 144, 152, 162, 171, 172, 245, 257, 297, Schreiber 60, 75, 83, 168. 302, 305, 323, 338, 342. S. Kursachsen. Schreimannen 33, 217 f.

Rezeption 4, 51, 252 ff., 275. Rezeß 210. Rheinbund 297 f., 316 ff. Ribuarien (Ribuarier) 12, 36, 53, 85. Richard von C o r n w a l l 158. Richerzeche 205. Richter 27. gelehrter R. 254 f., 287. S. Gericht. Richtsteig Landrechts, Lehnrechts 142. Riemenschneider 349. Riga 210. R i t t e r b ü r t i g k e i t 127. Ritterrecht, livländisches 140. Ritter- u n d Landrecht der Grafschaft Berg 145. Ritterschaft 196, 282, 300, 316 f. S. Reichsritterschaft. Ritterstand 126. roboratio 60. Rodung 15, 41, 114, 116, 124, 189. Römer 46, 52, 63 f. Römermonat 292 f. Römerstädte 199, 201 f., 204. Roland 204 Romanen 104. Romanus 46. Rosshirt, Franz 278. Rothari 64. Rothe, Johannes 148. Rothenburg o. d. T. 177. Rotteck, K a r l v. 234. R o t t w e i l 181. Rousseau 229 f., 234, 346. Rudolf I. von Habsburg (1273—91) 104, 157, 177. Rügegeschworene 101, 181. Rügen 226. Rügeverfahren 98, 101, 217, 222 f. Rügisches Landrecht 264. Rüstringer Satzungen 144. Runde, Justus Friedrich 228. Ruprecht von Freising 141, 149. Rußland 133. rustici 127.

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Namen- und Sachverzeichnis

Schreinsbücher 147, 207. Schriftlichkeit 353, 356. Schröder, Richard 276. Schub 101. Schuld, gichtige, kundliche 220. Schuldbücher 147. Schuldhaft 213, 324. Schuldknechtschaft 100. Schulen 304. Schultheiß, Schulze 78, 117, 171, 204. Schultheißengericht 171. Schulzenrecht, westerlauwersches 144. Schutzgilde 206. Schutzherrschaft 47. Sdiutzhörige 47. Schutzvogtei 186. Schwaben 85, 153, 172. Sdiwabenspiegel 133, 140, 184, 218, 253. Schwarzenberg, Johannes F r e i h e r r von 261. Schweden 1, 226. Schweinskopf 25. Schweiz 104, 144, 192,196, 226, 257, 336. S. Eidgenossenschaft. Schwert 71. Schwertmagen 18. Schwurbrüderschaft 19, 207. Schwurgericht 235, 340, 354. scultheizzo 78. Selbsthilfe 32, 134, 211, 220. Selbstverwaltung 15 y 204, 206, 235, 339, 342, 345. Seldner 118. semissis 44. Senat 344. senatores 76. sendbar 126. Sendgericht 181, 209. Seneschall 75. senior 81. Seniorat 81. servi casati 48. servitia 94. s. regis 177, 183. Severinus de Monzambano 230, 284. sibja 18. Sichard, Johann 263, 271. Sicherheitspolizei 77, 80, 209. Siebenbürgen 117. Siedlung 14, 35. S. Ostkolonisation. Siedlungsgesetzgebung 242 f., 270. Siegel 153 f.

Siegelmäßigkeit 249. s i g i l l u m impressum 153. Silique 44. S i m p l u m 292. Siniscalcus 75. sippa 18. Sippe 18 f., 25, 29 f., 33. Sippenstrafrecht 18, 31. skalk 17. Slawen 104. Smith, A d a m 232. Söldner 175, 292, 311. Sohm, Rudolf 276. soldarii 175. solidus 44. solium regni 71. Solmser Landrecht 263. Sonderbesitz 14. Sonderfrieden 71, 92. Sondergemeinde 202, 207. Sondergerichte 360. Sozialdemokratie 231, 236 f., 328. Sozialgesetzgebung 237, 246 f., 329. Sozialistengesetz 237. Sozialversicherung 247. spatarius 74. Speer 71. Speermagen 18. sperantes 89. Speyer 204, 287. Spiegel, livländischer 140. Spindelmagen 18. Spinnhaus 350. Spinoza 233. Spiritualien 183. Spolienrecht 157, 164, 183, 191. spräche 169. Sprache der Rechtsquellen 49, 132, 135, 138, 144, 146. Spruchfakultäten 255, 272, 353. Spurfolge 27, 34, 101. Staat u n d Kirche 94, 182 ff., 294 ff. Staatenausschluß 331. Staatenhaus 320. Staatsgut 83. Staatspolitik 109 ff. Staatsrat 339, 343. Staatstheorien 113, 229 f. Staatszweck 112, 231, 303 f. Stab 23, 71, 183. Stabbrechen 353.

Namens- und Sachverzeichnis

Stadtbücher 146, 218, 220. Augsburger 147. Berliner 140. S. einzelne Städte. Stadtgemeinde 201 f. Stadtgericht 204 f. Stadtgrundriß 202. Stadtherr 146, 203 f. Stadtrat 206, 345. Stadtrecht 130, 133, 146 ff., 263 f. Stadtrechte. Augsburg 146, Basel 146. Braunschweig 132. Bremen 146. Freiburg i. Br. 146, 264. H a m b u r g 146, 264. K ö l n 131, 146. Lübeck 146, 264. München 147. Regensburg 146. Soest 146. Straßburg 146. W i e n 146. Wiener-Neustadt 149. Stadtrechtsbücher 146. Freiberger 149. Freisinger 149. Wiener 149. Stadtrechtsfamilien 151. Stadtrechtsreformationen 255. F r a n k furter 264. Nürnberger 261, 264. Wormser 261, 264. Zwickauer 264. Stadtverweisung 214, 550. Stadtwirtschaft 118. Städte 114, 170, 191, 196, 198 ff., 202 ff., 208 ff., 544. freie 544. Städtebünde 209 f. Städtekollegium 289 f. Städteordnung (Steinsche) 559, 545. Städtesteuer 177. Stände s. Landstände, Reichsstandschaft. Ständestaat 194, 505, 515 f. Ständewesen 16 f., 45 f., 121 f., 248 f. Stahl, Friedrich Julius 251, 256. Stammesherzogtum 84 f., 109, 125, 172 f., 190. Stammesrecht 20 f., 49, 129, 130. Stammesversammlung 76, 85. Stammgut 124. Standesausgleich 122, 125. Standesherrn 249, 517. Stapelrecht 119, 285. statkläger 551. Statthalter 509. Statuten, D o r t m u n d e r 147. Goslarer 147. Statutenbücher 147. Statutum i n favorem p r i n c i p u m 111, 155, 191. Stedingen 152. Steiermark 129, 191.

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Stein, F r e i h e r r v o m 518, 558. Stein-Hardenbergsche Reform 558 f. Steinigen 50, 215. Steintragen 215. Stellvertretung 52, 102, 215, 222, 557, 559. Stephan II. 72. Sterbefall 47, 122, 250. Steuern 72, 85, 175, 177, 196, 208, 292, 505, 516, 526, 555. Steuerbewilligungsrecht 196, 505, 515. Steuerfreiheit 508. Steuerräte 510. Stiftsfähigkeit 125, 248. stillegericht 181. stipulatio 60. Stolgebühren 95. Strabo, W a l a h f r i e d 60. Strafen, arbiträre 97, 549 f. S. Strafrecht. Strafgesetzbuch, bayrisches 266, 547. Strafhaft 96. S. Freiheitsstrafe. Strafklausel 60. Strafknechtschaft 96. Strafprozeß 217 f., 551 ff. Strafrecht 28 ff., 95 ff., 211 ff., 546 ff. hausherrliches 51. sakrales 29, 96. Strafrechtstheorien 547. Straßburg 146, 151, 226. Straßenzwang 119. Streitbeilegung 100. Streitgedinge 52, 98. Streulage 41, 189. Stromregal 162. strudis légitima 100. S t r y k , Samuel 273. Stutz, Ulrich 277. Subjektionsvertrag 115, 250. subreguli 25. subsidium c a r i t a t i v u m 225, 500. Südbund 524. Sühne 19, 50, 98, 212. Sühnezwang 98, 218. Summa de arte prosandi 156. legis Langobardorum 65. legum 256. prosarum dictaminis 155. summa appellabilis 287, 358. Summepiskopat 505. Supplikation 357. Suarez, C a r l Gottlieb 265. Symbolik. S. Rechtssymbolik.

v. S c h w e r i n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte

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Namens- und Sachverzeichnis

tinsman 125. T i r o l 191, 196. T i r o l e r Halsgerichtsordnung 263. T i t u l a r h e r z o g 79. Todesstrafe 23, 30, 97 f., 213, 349. t a b u l a r l i 47. T o d f a l l 47. Tafelgüter 177. Tötungsrecht 31. tag 169. des reiches gemeiner tag 170. , Toleranzgesetzgebung 233. T a i d i g u n g 98. Totschlag 28, 29 f., 96. Taidinge 150. Totschlagsklage 34. Taler 120. T o u l 226. T a l i o n 213. t r a d i t i o cartae 59. Talrechte 144. Traditionsbücher 6, 58. Tassilo I I I . 55, 85. Tausendschaft 22, 25. T r a k t a t über Ämterwesen 60. über Teilnahme 348 f. S. Anstiftung, Beiden Reichstag 292. hilfe. transforatio 99. Teilvogtei 185. transitura 83. Teilzettel 153. translatio i m p e r i i 230. Temporalien 184. tremissis 44. Tengler, Ulrich 256. Treubruch 28 f. Tenkterer 25. Treuepflicht 21, 26, 87, 132, 161, 312. terra indominicata 42. treuga H e i n r i c i 135. T e r r i t o r i a l i t ä t s p r i n z i p 130. t r i b u t a r l i 47. Territorialrecht 130. triens 44. Territorialstaat 194, 299 ff. T r i e r 289. T e r r i t o r i a l v e r w a l t u n g 193 ff. Triest 191. Territorialwirtschaft 245 f. Truchseß 48, 167, 169, 194. T e r r i t o r i e n 108, 112, 187 ff., 193 ff ?, t r u h t 26. 299 ff., 336 ff., 343 ff. geistliches T. Trust 246. 315. trustis 26. Testamentsgesetz 270. Tuchgeld 14. testes synodales 181. t u o m 27. Textus prologi 137. t w i n g u n d bann 117, 171. Theresiana 348 f., 350. S. Const. crimin. Übeltat 28. thesaurarius 74. Theudebert I. (534—48) 36, 44, 51, 55. Überführungseid 33, 219. S. ÜbersiebThibaut, Friedrich Justus 267, 275. nung. t h i n g 22. Ü b e r k ü r e n 144. Thöl, Heinrich 278. Übersiebnung 217, 222. Thomasius, Christian 228, 233, 273 f. Übertretungen 348. T h o r n 227. U l m 147. T h r o n 71. U m f a h r t 69. Thronbesteigung 69. Umschlagsrecht 119. Thronerhebung 69, 159. Umstand 27. T h r o n f a l l 163, 225. Unabhängigkeit, richterliche 231, 332, Thronfolge 68 ff., 156 ff., 283, 300. 340. Thronlehen 340. unfleiss 348. Thüringen, T h ü r i n g e r 2, 13, 35, 40, 79, Unfreie 17, 28, 47, 122, 250 f. 85, 172, 173, 245, 331. U n g a r n 104, 133, 226 f., 297, 321, 340. thunginus 77. Ungefährwerk 28, 96, 211, 214. Tierstrafen 211. Ungehorsamsverfahren 96, 214, 219 f., 357 f. Syndikate 246. Synodalis 126. Synoden 72, 94. S. zu T r i b u r 103.

Namens- und Sachverzeichnis

Ungeld 208. Ungeldbücher 147. Ungericht 213. ungeverlich 348. Unionsverfassung, E r f u r t e r 322. Unitarismus 326, 331, 335, 344. Universität 253, 304. unkunst 348. Untat 28, 347. U n t e i l b a r k e i t 156, 192, 300. Unterhaus 319. U n t e r k ö n i g 79. Untersuchungsprinzip 359 f. Untertanen 68. Unteraneneid 68, 70. Untertanenverband 68, 80, 107, 192. unzuht 347. Upstalsbomer B u n d 144. Urbach, Johannes 355. U r b a r i e n 6. urchundo 58. Urfehde 20, 212. Urdörfer 41. urgicht 352. Urheberrecht 268. U r k u n d e n 6, 58 ff., 99, 153 ff., 218, 357. exekutivische 220. Urkundenprozeß 356. Urkundenschelte 99. U r t e i l 27, 32 f., 99 f., 146. Urteilsbücher 147. Urteilserfüllungsvertrag 33, 99. Urteilsfrage 99. U r t e i l s j u r y 102. Urteilsschelte 34, 100, 219, 358. Urteilsvorschlag 27. Usus modernus pandectarum 272. u t t i e n 219. valvassores 125. Vandalen 1, 35. vare 216, 221. Vargus 29. Vasallität 86 f. Vassus 48, 87. Vemeprozeß 222. vemewroge 222. Vemgericht 180 f., 222. Venedig 210. Verbannung 96, 214. Verböczy, Stefan 256 Verbrechen 212, 348.

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Verbrechensverfolgung 31 f., 98 f., 101, 134 f., 217, 351 f. Verbrennen 30, 213, 349. Verdachtsstrafe 350, 353. Verden 226. Verdinglichung (von Rechten) 108, 115 f., 243. V e r d u n 36, 69, 103, 226. Verfallpfand 220. Verfassung, Weimarer 238, 331 ff. N o r d d . B u n d 323 ff. Deutsches Reich 325 ff. , Verfestung 213, 219. Verfestungsbücher 147. Vergehen 348. Verhandlungsprinzip 32, 98, 356, 359 f. Verkaufspfand 220. Verkehrspolizei 78, 80. Verkoppelung 241 f. Verlagsgesetz 269. Vermeierung 115. Vermögenseinziehung 29, 97, 350. Verordnungsbann 72. Versammlungen 22 f. S. Volksversammlungen. Versäumnisverfahren 219, 357 f., 359. Verschuldungshaftung 28, 348. Versicherungsvertragsgesetz 269. Verstrickung 96, 350. Verstümmelungsstrafen 96, 213, 349. Versuch 29, 211, 348. Versuchsverbrechen 29, 96, 211. Vertrag, Neuberger 191. Passauer 259, 288, 294. von V e r d u n 36, 69, 103. Versailler 330. Vertretung 215. Verursachungshaftung 28. V e r w a l t u n g 74 ff., 80 ff., 174 ff., 193 ff., 208 ff., 292 ff., 303 f., 310, 327 Verwaltungsbann 72, 188. Verwaltungsgerichtsbarkeit 231, 235, 342. Verwaltungsjustiz 309 f. Verwandtschaftskreise 18. Vetus auctor de beneficiis 138. vicaria 77. vicarius 78. vicecomes 78. vicedominus 195. vicus 199. Vieheid 99. Viehzucht 13 f „ 41. 26*

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Namens- und Sachverzeichnis

vierendeele 18., Vierteilen 213, 349. V i e r t e l 195. v i l l i c a t i o 42. v i l l i c u s 42. V i l l i k a t i o n 115. v i r inluster 70. V i r i l s t i m m e n 290. Visitationsdeputation 288, 357. Vizekanzler 286. Viztumsämter 195. vogelfrei 29, 350. Vogt, Vogtei 92, 107, 117, 172, 178 f., 185 f., 188, 194 f., 204. Vogtding 195. Vogtsteuer 186. Vogtzwang 92. Vokabularien 256. volbort 27. Volksabstimmung 343. Volksbegehren 332, 334, 343 f. Volksentscheid 332, 334, 343 f. Volksgesetzbuch 270. Volkshaus 321. Volkskunde 7. Volkspriester 24. Volksrecht, Volksrechte 20 f., 48 f., 50 ff., 132 f. Volkssouveränität 230 f., 238, 332, 338. Volksversammlung 22, 76, 85. Vollstreckung 32, 34, 100, 220. V orarlb erg 191. Vorbehaltsministerialen 125. vorczalt 219. V o r e i d 99. Vorgeschichte 7. Vormundschaft 19. Vorparlament, F r a n k f u r t e r 234, 319. Vorpommern 226, 297. Vorrede von der H e r r e n Geburt 138. Vorsprecher 216. v o t u m ad imperatorem 288. vredebrake 29. Vulgarrecht 51. Wachdienst 76, 80 f., 91, 176. Wachszinsige 47, 125. W ä h l b a r k e i t 69, 159. Währschaftsbücher 147. Waffeneid 33, 99. Waffentragen (Verbot) 212. W a g r i e n 104.

Wahlanzeige 166. W a h l k a p i t u l a t i o n e n 259, 281, 283, 315. W a h l o r t 157. Wahrheitspflicht 360. W a i b e l 195. Walcausina 65. W a l d b a u m 116. Waldgänger 29. W a l d g r a f 116. Waldstätte 177. Walther, Bernhard 273. Wanderhandel 44, 118. W a n d l u n g 216. Wappenrecht 249. w a r f 22. W a r n e n 54. Wassertauche 96. Wechselgesetz 267, 270. Wechselordnung 267. Wechselrecht 263. Wegebau 80, 91. Wehrhaftmachung 22. Wehrpflicht 25, 80, 91, 174, 209, 310, 339. Weichbild, Weichbildrecht 130. sächsisches 148. W e i l e r 14 f. W eim ar er Verfassung s. Verfassung. Weise des Lehnrechts 142. Weistümer 49, 134, 150 f., 257, 264. Weistümerfamilien 132, 150. weidigen 220. Weltchronik, Sächsische 138, 148. Wenden 104, 117. Wendisch-Rügianischer Landgebrauch 264. Wergeid 20, 30, 46, 95, 97, 214. Westfalen 162, 173, 181, 336. Westgermanen 1, 13, 24. Westgoten 35, 37, 50, 62 f. Westpreußen 227, 330. Wettbewerb, unlauterer 246. Wette 214. Wettebücher 147. Wetterau 177. Wetzlar 287. Widerstandsrecht 68, 113, 161, 230,285. W i e n 146, 203, 286. Kongreß 317. Konkordat 185. P r ä l i m i n a r v e r t r a g 226. Schlußakte 319. W i k 199, 201. W i k g r a f 204.

Namens- und Sachverzeichnis

W i l d a , E d u a r d 278. W i l h e l m von H o l l a n d 103, 165, 170. W i l l e b r i e f 153, 163. W i l l k ü r e n 146. W i l l e 28, 96, 211. W i l l e n s w e r k 28. Windscheid, Bernhard 277. Wirtschaft 13 ff., 41 ff., 114 ff., 239 ff. Wirtschaftsform 15, 41, 114. Wirtschaftspolitik 120, 245 f., 304. Wirtschaftstheorie 231 f. W i s b y 210. Wismar 226, 297. Wissende 181. wizzôd 20. W l e m a r 54. Wolff, Christian 231, 274. Worms 204. Wormser Reformation 264. Wucher 114, 246, 293. W ü r t t e m b e r g 290, 298, 305, 313, 325, 337, 342, 345, 359. Württembergisches Landrecht 262 f. W ü r z b u r g 173, 290, 336. Wüstung 30, 114. W u r m , Nikolaus 133, 135, 139, 148. W u r t z i n s 202. Zähringen 173. Zangenreißen 349. Zasius, Ulrich 264, 271. Zehnt 86, 93. Zeiller 266. Zent 171. zentenaere (Zentenar) 78, 82, 171, 178, 189.

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Zentgeridit 195. Zentgraf 171. Zentrum 236, 329. Zepter 71, 184. Zepterlehen 125, 184. Zerbst 147. Zeremonienmeister 74 f. Zerter 153. Zetergeschrei 217. Zeugen (in Urkunden) 60, 153. klassische 357. Zeugnis 33, 99, 218, 352, 357. Zins 42, 246. Zinsbücher 147. Zinsleute 125. Zinsverbot 114. Z i r k e l 282. Z i r k u m s k r i p t i o n s b u l l e n 342. Zisterzienser 114, 124, 183, 186. Zivilprozeß 260, 355 ff. Zölle 72, 83 f., 206, 208, 245. Zollrecht, Zollregal 72, 83 f., 162, 176, 191, 200, 285. Zollverein, Deutscher 245, 267, 319, 325. Zuchthaus 350. Zufall 211. Zunft 120, 206 f., 209. Zunftmeister 207. Zunftzwang 207, 245. Zwangsdienst s. Gesindezwang. Zwangsrechte 120. Zweifelderwirtschaft 15. Zweikammersystem 337. Zweikampf 34, 99, 218 f. Zweischwerterlehre 141, 184. Zwing u n d Bann 117, 171.